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Full text of "Der Islam"

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DER  ISLAM 

ZEITSCHRIFT 

FÜR  GESCHICHTE  UND  KULTUR 

DES  ISLAMISCHEN  ORIENTS 

HERAUSGEGEBEN  VON 

C.  H.  BECKER  m  BERLIN 

UND 

H.  RITTER  IN  HAMBURG 


MIT  UNTERSTÜTZUNG  DER 
HAMBURGISCHEN  WISSEN- 
SCHAFTLICHEN   STIFTUNG 


<$> 


ZEHNTER  BAND 

MIT   1   KARTE  UND  1  LICHTDRUCK-BEILAGE 

BERLIN  W.  10  UND  LEIPZIG   1920 
VEREINIGUNG  WISSENSCHAFTLICHER  VERLEGER  ^ 

WALTER  DE  GRUYTER  &  Co.  %0 

VORMALS  G.J.GÖSCHEN'SCHE  VERLAGSHANDLUNG  -j.  GUTTENTAG   VERLAGS-        Ä 
BUCHHANDLUNG    -    GEORG    REIMER    -    KARL   J.  TRUBNER    -    VEIT   &   COMP.^V^ 

HAMBURG:  C.  BOYSEN 


I 


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Inhalt  des  zehnten  Bandes. 


I.    Aufsätze  und  Berichte: 

Seite 

Bhass,  A.,  Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto i 

Clemen,  C,  Der  ursprüngliche  Sinn  des  /lagg i6i 

Hf.ss,  J.  J.,  Die  Farbbezeichnungen  bei  innerarabischen  Beduinenstämmen 74 

Littmann,  E.,  Arabische  Straßenausrufe t  78 

Ritter,  H.,  Mesopotamische  Studien.     II.     Vierzig  arabische  Volkslieder 120 

RusKA,  J.,  Arabische  Texte  ül>er  das  Fingerrechnen 87 

II.    Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen: 

Babinger,  f.,  Die  älteste  türkische  Urkunde  des  deutsch-osmanischen  Staatsverkehrs. 

(Mit  einer  Lichtdruck-Beilage.) .  .  . : 134 

Becker,   C.   H.,   Martin  Hartmann 228 

—         —       Joseph  von  Karabacek 233 

Jensen,  H.,   Ungarische  Urkunden  aus  der  Türkenzeit 146 

Kahle,  P.,  Friedrich  Schwally 238 

MoRDTMANN,  J.  H.,  Babinger,  F.,  Stambuler  Buchwesen  im   18.  Jahrliundert 157 

Ritter,  H.,  Zu  S.  156 243 

—  —    Zum  arabischen  Fingerrechnen 154 

—  —     Zur   Futuwvva 244 

Schwarz,  P.,  Die  Steuerleistung  Persiens  unter  der  Herrschaft  der  Araber 150 

Seybold,    C.  f.,  Notiz  über    den    türkischen  Kalender   der  Heilbronner  Gymnasial- 
bibliothek   157 

Z^iNKA,  F..   Zu  »Großwardein  eine  selbständige  türkische  Provinz« 243 

III.  Autorenverzeichnis.  250 


t) 


Eine  neue  Quelle 
zur  Geschichte   des  Fulreiches  Sokoto. 

Von 

A.  Brass. 

Mit  einer  Karte. 

Einleitun  g. 

Zu  Beginn  des  XIX.  Jahrhunderts  entstand  im  Norden  der  sich 
um  den  mittleren  und  unteren  Niger  gruppierenden  Staaten  der 
Hausa,  im  Königreiche  Göbir,  eine  von  einem  Fulscheich  'Utmän 
Da-n-Fodio^)  ausgehende,  zunächst  rein  lokale  Bewegung  vorzugs- 
weise religiösen  Charakters,  die  dann  aber  unter  den  im  ganzen 
Westsudan  zerstreuten  Ful  mit  großer  Schnelligkeit  sich  aus- 
breitend, in  kurzer  Zeit  zu  einem  Rassenkampfe  dieser  gegen  ihre 
bisherigen  Herren  anschwoll  und  allenthalben  eine  vollständige  Um- 
wandlung der  bestehenden  Verhältnisse  zur  Folge  hatte.  Das  be- 
deutendste der  auf  den  Trümmern  der  alten  Staaten  entstandenen 
Fulreiche  ist  das  sich  um  den  Ausgangspunkt  der  ganzen  Be- 
wegung kristallisierende  Reich  Sokoto,  das  nach  und  nach  die  sämt- 
lichen Hausastaaten  in  sich  aufsog.  Diese,  durch  jahrhundertelange 
Fehden  untereinander  auf  das  äußerste  geschwächt,  vermochten 
dem  Anstürme  des  kräftigen  Hirtenvolkes  nicht  zu  widerstehen,  und 
nur  da,  wo  bereits  starke,  auf  nationaler  Basis  geeinigte  Reiche  be- 
standen, ist  die  gewaltige  Welle  der  Fulflut  zum  Stillstand  ge- 
kommen. Die  politische  Einigung  der  Hausastaaten  unter  der  Herr- 
schaft Sokotos  hat  zugleich  auch  deren  religiöse  Einigung  zur  Folge 
gehabt.     Denn  obwohl  der  Islam  schon  um    die  Mitte    des   1 5.  Jahr- 


')  Wegen  der  Schwierigkeiten,  die  einer  konsequenten  Durchführung  der  phone- 
tischen Transkription  entgegenstehen,  hahe  ich  mich  auf  Rat  von  Prof.  Rittek  dazu 
entschlossen,  bei  allen  arabischen  Namen  einfach  das  arabische  Schriftbild  wieder- 
zugeben. Bei  den  den  einheimischen  Sprachen  entstammenden  Worten  habe  ich  die  Form 
gewählt,  die  wir  nach  dem  heutigen  Stande  unserer  Kenntnis  als  die  gebräuchlichste 
annehmen  können.     'Utmän  wird  im  Sudan  meist  üsmän  gesprochen. 

Islam  X.  I 


2  A.  Bras  s, 

Hunderts  seinen  Gang  in  die  Hausastaaten  gefunden  i),  und  diese 
sich  allmählich  fast  sämtlich  zu  ihm  bekehrt  hatten,  waren  doch  im 
Laufe  der  Jahrhunderte  eine  große  Anzahl  derselben  zum  Heiden- 
tume  zurückgekehrt  oder  beobachteten  wenigstens  die  Vorschriften  des 
Islams  nur  sehr  lax.  Die  Eroberung  der  Hausareiche  durch  die  Ful, 
die  den  Hausa  gegenüber  als  die  Vorkämpfer  des  Islams  auftraten, 
bedeutete  auch  eine  erneute  zwangsweise  Bekehrung  dieser  zum  Islam. 
Die  ernsten  religiösen  Tendenzen  des  Urhebers  der  Bewegung  haben 
sich  in  überraschender  Weise  mit  den  Befreiungsbestrebungen  und 
Herrschaftsgelüsten  der  in  allen  Hausastaaten  zerstreuten  Ful,  die  den 
Fürsten  dieser  Staaten  zu  Tribut  verpflichtet  waren,  verbunden,  und 
diese  haben  dann  das  religiöse  Motiv  als  einen  bequemen  Deckmantel 
für  ihre  politischen  Zwecke  benutzt,  um  dadurch  ihren  vielfachen  Raub- 
und  Plünderungszügen  den  Anschein  der  moralischen  Berechtigung 
zu  geben. 

Die  Quellen  zur  Geschichte  der  Ful  und  Hausa  teilen  sich  in 
zwei  Hauptgruppen,  in  literarische  und  in  mündliche  Volksüberlieferung. 
Bei  beiden  Gruppen  ist  ferner  prinzipiell  zu  unterscheiden,  ob  die 
Berichte  auf  Ful  oder  aber  auf  ihre  Gegner,  also  z.  B.  auf  Hausa 
oder  Kanuri,  zurückgehen. 

Die  erste  Gruppe  der  literarischen  Quellen,  die  zur  Er- 
forschung der  Geschichte  der  Ful  und  Hausa  dienen,  bilden  die 
arabischen.  Unter  ihnen  sind  zunächst  die  von  O.  Houdas  unter 
Mitarbeit  von  E.  Benoist  und  M.  Delafosse  in  den  Publications 
de  Ve'cole  des  Langlies  Orientales  Vivantes  herausgegebenen  Dociirnents 
arabes  relatifs  a  Vhistoire  du  Soiidan  zu  nennen.  Von  den  drei  bis- 
her erschienenen  Werken  bietet  das  erste,  der  Tarikk  es-Soudan  des 
Abderrahman  ben  Abdallah  ben  'Imran  ben  'Amir  es  Sa'di^), 
eine  um  1656  geschriebene  Chronik  des  Reiches  Songhai  mit  gelegent- 
licher Behandlung  des  Reiches  Malli  und  der  Nachbarreiche  bis  1655, 
nur  sehr  wenige  spärliche  Notizen  über  die  Hausastaaten,  von  denen 
nur  Kebbi  etwas  genauer  behandelt  wird.  Ebenso  finden  sich  auch  in 
der  zweiten  Publikation  Houdas',  dem  ledzkiret  en-nisiän  fi  aklibär 
inolouk  es-Soiidän  ■),  verfaßt  im  Jahre  1 75 1,  einer  Biographie  aller  Paschas 


')  Vgl.   MiscHLicH,    Beiträge    zur    Geschichte    der    Hausastaaten,    MSOS    VI.    3. 

Pg.   137- 

i)  Publ.  d.  ricole  d.  Lang.  Orient.  Viv..  Serie  IV,  vol.  XII  &  XIII.  Paris  1898 
&   1900. 

3)  Puhl.  d.  rccole  d.  Lang.  Orient.  Viv.,  Serie  IV,  Vol.  XIX  &  XX,  Paris  1899 
&   1901.      Statt   nisj'än    besser    nasjän    zu    lesen,    vgl.    die  Besprechung    MSOS.  III,  3, 

pg.    2H. 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  -y 

von  Timbuktu  von  1590 — 17 50,  nur  sehr  vereinzelte  Hinweise,  die 
sich  auf  die  Hausa-  und  Fulgeschichte  beziehen.  Diesem  Werk 
ist  aber  ein  kurzes,  30  Seiten  umfassendes  Fragment  angehängt,  das 
die  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto  von  18 17— 1849  behandelt, 
la^rih  Sokoto,  geschrieben  von  Hägg  Sa'Td.  Es  registriert  in 
trockener  Darstellung  die  Ereignisse  unter  den  Herrschern  Muham- 
mad Bello,  *Atiq  und  *Ali ').  Dem  dritten  Werke  der  von 
HouDAS  herausgegebenen  Doamtents,  dem  Tarikh  el-fettach  fi  akhbdr 
el-bouldän  oual-djuyoüch  oua-akäbir  en-näs  parMahmoüd  Kati  ben 
El-Hädj  El-Motaouakkel  Käti  et  Fun  de  ses  petits  fils -)  sind 
ebenfalls  nur  sehr  wenige  historische  Bemerkungen  über  die  Ful  und 
Hausa  zu  entnehmen. 

Nicht  viel  günstiger  steht  es  mit  einer  weiteren  arabischen 
Quelle  zur  Geschichte  Afrikas,  mit  Leo  A  f  r  i  c  a  n  u  s.  Zwar  wid- 
met er  im  VII.  Buche  seiner  Descrittione  mehrere  Kapitel  den  Hausa- 
staaten  3),  indessen  läßt  sich  aus  denselben  nicht  viel  Wichtiges 
schöpfen. 

Alle  diese  genannten  Werke  behandeln  indessen,  wie  aus  Obigem 
ersichtlich,  mit  Ausnahme  des  Ta^rih  Sokoto,  die  Geschichte  der 
Hausa  und  Ful  nur  bis  zum  Jahre  1750,  dem  Endpunkte  der 
Tedkiret  en-nesjän.  Da  der  Tä'rlh  Sokoto  erst  im  Jahre  18 17  ein- 
setzt, so  klafft  also  in  der  schriftlichen  Überlieferung  eine  Lücke 
von  6^  Jahren,  was  um  so  bedauerlicher  ist,  als  eben  in  diese  Zeit 
das  wichtigste  Ereignis  der  gesamten  neueren  Geschichte  des  West- 
sudans, die  Ful-Erhebung,  fällt. 

Für  diese  Zeit  waren  wir  bisher  fast  gänzlich  auf  die  münd- 
liche Überlieferung  angewiesen,  die  uns  die  Berichte  der  europäischen 
Reisenden  übermitteln.  Notwendigerweise  mußten  diese  indessen 
eine  Menge  Ungenauigkeiten  und  legendarisches  Material  enthalten, 
da  sie  auf  Erkundigungen  fußten,  die  mehrere  Jahrzehnte  nach  den 
betreffenden  Ereignissen  eingezogen  worden  sind. 

Ein  Mittelglied  zwischen  den  literarischen  Quellen  und  den  aus 
dem  Munde  der  Leute  stammenden  Angaben  bilden  die  im  Jahre 
1903  von  A.  MiscHLiCH  herausgegebenen  Hausachroniken4) 
(im  folgenden  mit  HChr.  I  und  II  bezeichnet)  die  mit  einer  aus- 
führUchen  Einleitung  von  J.  Lippert  versehen  sind,  die  auch  das 
Material    bis    1903  in    vorzüglicher  Weise    verarbeitet.      Den    Hausa- 


')  Die  Hausa-Form  lautet  Atiqu  und  Allu. 

*)  Publ.  d.  l'ccole  d.  Lang.   Orient.   Viv.,  Serie  V,  Vol.  IX  &  X,  Paris    1913. 

3J  Ausgabe   von    1613,  pg.   79  ff. 

4)  MSOS  VI,  3,    1903. 


A  A.  Brass , 

Chroniken  beigegeben  ist  eine  kurze,  nach  hausanischen  Schrilt- 
stücken  mitgeteilte  Chronik  Bautschi's,  Nupe's  und  Joruba's.  Die 
erste  dieser  Chroniken  behandelt  allerdings  nur  die  geschichtliche 
Entwicklung  des  Islams  in  den  Hausastaaten,  obgleich  sie  auch  viele 
wichtige  historische  Notizen  enthält.  HChr.  II  umfaßt  die  Geschichte 
der  Gründung  des  Reiches  Sokoto  sowie  eine  Tabelle  der  Regierungs- 
dauer der  späteren  Sultane.  Die  Ereignisse  sind  besonders  in  dieser 
letzteren  Chronik  ganz  vom  Hausa-Standpunkt  aus  dargestellt.  Wie 
sehr  derselbe  vom  Ful-Standpunkt  abweicht,  wird  sich  im  Folgenden 
deutlich  zeigen.  Beide  Hausachroniken  sind  ganz  modernen  Datums, 
sie  sind  erst  in  August  1901  geschrieben.  Ebenso  neuesten  Datums 
sind  die  Hausatexte,  die  A.  Mischlich  unter  dem  Titel:  -^Über 
Sitten  und  Gebräuche  in  Hausa«.  herausgegeben  hat  i),  die  indessen 
noch  nicht  abgeschlossen  sind.  Diese  Texte  beziehen  sich  zwar  nicht 
direkt  auf  die  politische  Geschichte  der  Hausastaaten  oder  Sokotos, 
sind  aber  für  die  Beurteilung  der  Zustände  in  den  Hausastaaten  zur 
Zeit  der  Entstehung  des  Reiches  Sokoto  von  größter  Bedeutung  und 
enthalten  außerdem  eine  Fülle  von  wichtigem  historisch-geographischen 
Material,  wenngleich  auch  stellenweise  sehr  schwer  zu  unterschei- 
den ist,  ob  sich  die  betreffenden  Angaben  auf  die  Verhältnisse  vor 
oder  nach  Gründung  des  Reiches  Sokoto  beziehen. 

Diesen  allgemeinen  Werken  wären  dann  noch  zwei  Schriften 
anzuschließen,  die  sich  ausschließlich  mit  der  Lokalgeschichte  von 
Kano  beschäftigen.     Es  sind  dies : 

1)  Eine  von  O.  Houdas  unter  dem  Titel:  Protestations  des  ha- 
bitants  de  Kano  conire  les  attaques  du  Sultan  Mohamvied-Bello  roi  du 
Sokoto  in  der  Festschrift  für  F.  Codf.ra,  Zaragossa  1904  herausge- 
gebene Schrift  Muhammad  al-Amin  b.  Muhammad  al-Käne- 
mi's,  die  gegen  die  unter  dem  Vorwande,  die  Eingeborenen  be- 
obachteten die  Vorschriften  des  Islams  nicht  in  der  gehörigen  W^eise, 
sich  fortwährend  wiederholenden  Raubzüge  der  Ful  protestiert. 

2)  Die  von  H.  R.  Palmer  im  Joum.  Anthr.  Inst.  XXXVIII.,  58  ff., 
in  der  Übersetzung  herausgegebene  .^Kano  Chronich'.  (KChr.),  die 
zwar  neueren  Datums  ist,  sich  aber  offenbar  auf  alte  Quellen  stützt. 
Sie  behandelt  die  Geschichte  von  48  Kanosultanen  von  Anbeginn 
bis  1892  und  bietet  auch  für  die  Geschichte  der  angrenzenden 
Länder  eine  große  Menge  wertvoller  Notizen.     Der  Titel  des  Werkes 

lautet:  _j>L:=>  ,c-*--^-'   ^^^^   5J^  V^^'  '^;^' 

3)  Zu  diesen    beiden  Schriften  kommt    noch    eine  Spezialquelle 


')  MSOS  X,  3,   1907  und  XI,  3,   1908. 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  c 

über  Zaria,  die  von  Robinson  in  den  Specintens  of  Hausalitcratiire 
(Cambridge  1896),  S.  iÖ2ff.  herausgegebene  »History  of  Zaria«.  (ZChr.), 
die  die  Geschichte  dieses  Landes  von  seiner  Eroberung  durch  die 
Ful  bis  etwa  1890  umfaßt.  Es  ist  ein  in  Hausa  geschriebener 
Auszug  aus  einer  längeren  Geschichte  Zarias,  der  in  kurzen  Sätzen 
die  hauptsächlichen  Ereignisse  registriert. 

Es  fehlte  also  bisher  eine  zeitgenössische  detaillierte  Darstellung 
der  Gründung  und  ersten  Entwicklung  des  Reiches  Sokoto  sowie 
deren  Vorgeschichte  von  autoritativer  Seite  vollständig.  Eine  solche 
liegt  nunmehr  in  einer  Schrift  des  Bruders  'Abdallah^)  des  Reichs- 
gi'ünders  *Utmän  vor,  mit  dem  Titel:  lazjin  al-ivaraqät  bigam'- 
ba''d  mä  ll  min  al-abjäf^),  Die  ScJiniückung  der  Blätter  durch  die  Samni- 
lung  einisrer  meifier  Verse.  Von  ihr  soll  in  dieser  Arbeit  ausführlich 
gehandelt  werden. 

Von  den  literarischen  Arbeiten  der  *Utmäniden  von  Sokoto  be- 
sitzen wir  leider  nur  recht  wenige.  Der  Gründer  der  Dynastie, 
'Utmän  Da-n-Fodio,  ist  ein  literarisch  sehr  tätiger  Mann  gewesen. 
Von  seinen  größeren  arabischen  Schriften  ist  indessen  nur  eine  ein- 
zige bekannt,  der  Nur  a/-a/bäb3),  eine  religiöse  Streit-  und  Ermah- 
nungsschrift, die  sich  gegen  die  religiösen  und  sozialen  Mißbräuche 
unter  den  Ful  und  Hausa  wendet.  Sie  gewährt  uns  einen  tiefen  Ein- 
blick in  die  Gedankenwelt  des  großen  Reformators  und  ist  für  seine 
Beurteilung  von  großer  Wichtigkeit.  Weiterhin  sind  von  'Utmän 
bekannt: 

1.  Der  Anfang  einer  arabischen  Oaside  über  das  Lob  des  Pro- 
pheten«, den  uns  der  Tasjm  al-waraqät  (s.  u.)  übermittelt:  (M  2  r.  7, 
F  2r.  3): 

»Darf  ich  wohl  reisen  nach  der  Stadt  des  Propheten  eilenden 
Fußes,  zu  besuchen  das  Grab  des  Häschimiten  Muhammad.''«  Sie  wurde 
von  seinem  Bruder  'Abdallah  in  Tahmise  gesetzt.    S.  u.  S.  13,  ß,  I,  i. 

2.  Ein  Ful-Gedicht,  beginnend:  Alläho  läniido  dum  essaläto  biirdo 
fjikka  (Gott,  der  Herr,  er  übertrifft  alles  an  Vorzüglichkeit),  das  uns 
bei  Barth,  R.  81  B.  IV,  S.  544ff.  erhalten  ist. 

3.  Ein  Hausa-Lied,  beginnend:  Mti  godi  jalla  sarki  maiiyawa 
ta^ala  jalla    maiiyawa    da    koiva   (We    thank  the  glorious  King,    the 


')  Die  im  Sudan  meist  angewandte  Aussprache  dieses  Namens  lautet  Abdullähi 
bzw.  Audullähi. 

^)  Künftig  mit  TW  bezeichnet. 

3)  Nour-El-Eulbab.  (Liimiere  des  cosurs)  de  Cheikh  Otmane  dan  Foudiou 
empereur  du  Sokoto  (Soudan).      Traduit    par    Ismael  Harnet,  Alger   1898. 


g  A.  Brass, 

migthy  One,  exalted,  glonous  and  all  powerful),  das  sich  bei  Robinson, 
Specimens  of  Hansa  Literatlire  unter  No.  F  findet  und  256  Lang- 
zeilen zählt. 

4.  Ein  Hausa-Lied,  beginnend:  Mu  godi  nbangiji  sarki  sarota  da 
ya  aiko  imihamadu  dan  amina  (We  thank  the  Lord,  the  ruler  of  the 
kinedom,  who  has  sent  Mohammed,  son  of  Amina),  das  in  dem 
unter  3  erwähnten  Buche  Robin  son 's  unter  No.  E  wiedergegeben 
wird.     Es  zählt   52  Langzeilen. 

5.  Der  Anfang  einer  Hausa-OasTde :  En  mai-niagbatchi  kao  touwo 
wa  djawa  labana,  der  sich  im  Tedzkiret  e?i-nisiä?i  (Ta^rih  SokotoJ 
pg.  200,  Z.  15  V.  u.,  Traduction  S.  325,  findet. 

6.  Einige  Zeilen  eines  Hausa-Gedichtes,  die  sich  in  einem  Briefe 
G.  A.  Krause's  an  R.  Prietze  finden^). 

Von  den  übrigen  Werken  'Utmäns  kennen  wir  nunmehr  aus 
der  unten  behandelten  Schrift  auch  seine  Qaside  Al-Qädirija,  freilich 
nur  in  der  arabischen  Übersetzung.  Ob  das  Original  derselben  in 
Hausa  oder  Ful  geschrieben,  ist  unbekannt. 

Sonst  ist  uns  von  'Utmäns  literarischen  Arbeiten  nichts 
erhalten. 

Von  dem  zweiten  'Utmäniden,  von  Muhammad  Bello,  besitzen 
wir  nur  2  Schriften.  Es  sind  dies  2')  i)  Miftäh  as-sadäd  /T  agsäm 
ahl  hädihi  l-biläd.  2)  Usül  al-sijäsa  zua-kaifljat  al-nnüilis  mm 
umür  ar-rijäsa.  Beide  Werke  befinden  sich  im  Seminar  für  Geschichte 
und  Kultur  des  Orients  in  Hamburg,  harren  indessen  noch  der  Bear- 
beitung. Auch  sonst  ist  Muhammad  Bello  literarisch  sehr  tätig  gewesen. 
Das  bezeugt  der   Ta^rih  Sokoto,  der  über  ihn  folgendes   sagt:  3)    .^J^ 

LäaJLj  l^   ^jüI 

..Er  beschäftigte  sich  viel  mit  dem  Abfassen  von  Schriften. 
Jedesmal,  wenn  er  eine  Schrift  verfaßt  hatte,  gab  er  sie  den  Leuten 
heraus  und  ließ  sie  sie  lesen.  Dann  beschäftigte  er  sich  wieder  mit 
der  Abfassung  einer  andern.  Den  Grund  zu  seinen  vielen  Schriften 
gaben  Fragen  und  Streitigkeiten.  Wenn  er  über  eine  Frage  befragt 
wurde,  so  verfaßte  er  darüber  eine  Schrift,  und  wenn  es  ihm  zu  Ohren 

»)  R.  Prietze,  Hausasänger,  Göttingen   1916,  S.  9. 

2)  Becker,  Islam  III,  S.  261   und  300. 

3)  Ta^rth  Sokoto,  pg.  Ilv,  3. 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  7 

kam,  daß  der  und  jener  sich  über  eine  Frage  strittig  waren,  so 
schrieb  er  darüber  eine  Schrift.« 

Nur  dem  Namen  nach  sind  uns  von  Muhammad  Beilos 
Werken  bekannt: 

1.  Eine   historische   Schrift,   betitelt:    iroij       -5     .^^v^a^J!      vLaJ'^^ 

.^jCäJI  O^L  {-»Das  erleichterte  Ausgeben  über  die  Geschichte  des  Landes 
Tekrtir«)'^).  Von  ihr  besitzen  wir  nur  die  Übersetzung  eines  Aus- 
zuges, die  A.  V.  Salame  in  Denham-Clappertqn's  Narrative  of  tra- 
vels  and  discoveries  in  Northern  and  Central-Africa,  London  1826, 
Anhang,  pg.  166,  gibt. 

2.  Tahmise  über  die  Hamzija  des  Büsirl,  über  die  QasTde 
Bänat  Su'^äd,  über  die  Burda  des  BüsTrI  und  über  die  Gedichte 
'Utmän  Da-n-Fodio's -). 

Von  einem  Sohne  Muhammad  Bellos,  Zaid  Da-n-Bello, 
nennt  O.  Lenz  ein  weiter  nicht  bekanntes  Werk  grammatikalischen 
Inhalts:  Nahaji  Fulfuldei). 

Mit  der  Auffindung  des  Tazjln  al-waraqät  sind  wir  nunmehr  in 
den  Besitz  einer  Schrift  eines  vierten  Fulfürsten  aus  dem  Hause 
*Utmän,  und  zwar  der  bisher  einzigen  historischen,  gelangt. 

Der  Tazjvi  al-waraqät  ist  eine  von  dem  Bruder  des  großen  Re- 
formators und  Gründers  des  Reiches  Sokoto,  von  'Abdallah  b.  Mu- 
hammad b.  'Utmän  at-Türudi4)  geschriebene  durchlaufende 
Geschichte  der  Reichsgründung  nebst  deren  Vorgeschichte  im 
Anschluß  an  von  ihm  gedichteten  Qasiden,  zu  denen  meist  auch 
ein  Kommentar  gegeben  wird.  Die  erste  dieser  Qasiden  ist  am 
23.  Sawwäl   1198/ 10.  September  1784  gedichtet 5).    Der  Verfasser  stand 

')  Der  Titel  wird  von  Barth,  R.&lE.IN,  pg.  188,  folgendermaßen  angegeben: 
Jnfdk  d-mi-ssüri  fi  fat-hä  el  Tekrüri.  Da  indessen  die  Angabe  des  Titels  bei  Dela- 
FOSSE,  Tradttions  miisulmanes  rdatifs  a  l'origme  des  Penis,  RMM.  XX,  No.  V,  S.  259, 
Anm.  2,  von  Muhammad  Belle  selbst  stammt,  ist  diese  Fassung  desselben  als  die 
richtige  anzunehmen. 

*)    Td'rJh  Sokoto,  pg.  II.,   21. 

3)  Lenz,  II,  S.  260,  lies  Nahau  Fulfulde  ( Ful- Grammatik) . 

"      '    '.. 

4)  TurudI   (^^O.j.j)    ist  die  arabisierte   Form    von   Töro^do    1^.  ^j),    pl.    Töro'de 

(  ^yy'S),     dessen    Bedeutung    nach    Gaden    {Le    Poiilar    I,    pg.    52)    »ceux    qui    fönt 

la  quete  ensemble,  c'est  le  nom  de  la  classe  maraboutique  du  Fouta«  ist.  Barth 
beschreibt  sie  als  »von  hoher  Statur  und  starkem  Gliederbau,  gro(3en  Zügen  und  ganz 
schwarzer  Hautfarbe«  im  Gegensatze  zu  den  Ful,  die  sich  durch  »gelb-rötliche  oder 
kupfrige  Hautfarbe,  kleine  Züge,  kleine  Extremitäten  und  einen  schmächtigen,  mittel- 
großen Körperbau  auszeichnen«  (/i.&£.  IV.,  pg.  147).  Die  Töro'be  bilden  die  Aristo- 
kratie unter  den  Ful. 

5)  S.  unten  S.    17,14. 


8  A.  Brass, 

seinem  Bruder  von  dessen  erstem  Auftreten  an  stets  als  Freund  und 
Helfer  treu  zur  Seite.  Er  begleitete  ihn  überall  hin  und  genoß,  wie 
z.  B.  seine  Rolle  bei  der  Audienz  beim  König  von  Göbir  beweist i), 
dessen  vollstes  Vertrauen.  'Abdallah,  I2  Jahre  jünger  als 
'Utmän-),  war  mit  dem  Gesetze  und  der  Theologie  des  Islams 
auf  das  genaueste  vertraut.  Nach  der  Ful-Erhebung  übernimmt  er 
im  Kampfe  gegen  die  Hausafürsten  zu  wiederholten  Malen  sehr 
wichtige  Kommandos,  wie  er  es  auch  war,  der  in  der  ersten 
Befreiungsschlacht  am  Teiche  Koto  bei  Qurdam  den  Oberbefehl 
führte 3).  Ja,  man  kann  ^Abdallah  geradezu  als  den  Feldherrn 
'Utmäns  bezeichnen,  da  er  bis  in  die  letzten  Jahre  der  Regierung 
'Utmäns  in  fast  sämtlichen  Schlachten,  die  im  Westen  geschlagen 
werden,  Kommandierender  der  Ful-Streitkräfte  ist.  Beim  Tode 
'Utmäns,  vielleicht  aber  schon  vorher-*),  erhält  *  Abdallah  den 
westlichen  Teil  des  Reiches  Sokoto  als  ein  selbständiges  Reich,  das 
aber  unter  die  Souveränität  des  Kaisers  von  Sokoto  gestellt  wird. 
Hier  gründet  'Abdallah  dann  eine  eigene  Dynastie  in  Gando.  'Ab- 
dallah ist  1829  in  Gando  gestorben,  nachdem  er  noch  durch  zahl- 
reiche Feldzüge  nach  Nupe,  Ilorin,  Joruba  und  andern  angrenzenden 
Ländern  sein  Reich  bedeutend  vergrößert  hatte. 

Von  'Abdallahs  literarischen  Erzeugnissen  war  bisher  nur 
ein  Werk  dem  Namen  nach  bekannt,  das  in  dem  von  Delafosse 
in  der  RMM.  XX  unter  Nr.  V  (S.  258)  gegebenen  Auszuge  aus  einem 
Werke  Muhammad  Beilos  genannt  wird.  Dies  Werk  führt  dort 
den  Titel:  clJob  'i>^j^jji\  ^_^^•,  X-iyi^l^  ^,jjC^il  ^5  'i^j^^  ^IxS 
j,j.^^\  ^  ^i.^  oÄ:^!  ^fi  ^j..^\S).  Es  ist  mit  Delafosse  anzu- 
nehmen, daß  der  Verfasser  des  Kitäb  al-baraka  ein  väterlicher  Oheim 
Muhammad  Bellos  war.  Vergleicht  man  nun  die  von  Muham- 
mad Bello  zitierten  Bruchstücke  aus  diesem  Werke  mit  der  von 
'Abdallah    im    Tw.    gegebenen    Ursprungslegende    der    FuH),     so 

')  Vgl.  unten  S.  29,90-. 

»)  Vgl.  die  Angabe  der  HChr.  S.  232,  i,  237,  23  mit  der  Angabe  des  Alters- 
unterschiedes zwischen  'Utmän  und  'Abdallah,  Tw.  (M  2  r.  21)  jt->^  '-*-V^  '^' 
w^xLc    .Xw.c  ..Ail   »denn  zwischen  uns  sind  etwa   12  Jahre«. 

3)  S.  u.  S.  37. 

<)  Vgl,  hierzu  unten  S.  58. 

5)  Sowohl  der  Titel  wie  die  Übersetzung:  »/«  bencdiciion  dans  le  repos  et  Vaction, 
qui  est  la  chose  prescrite  pour  l'explication  des  ecrits  que  Ton  a  ctttdies  aupres  des 
pr-ofesseurs«.  erscheinen  revisionsbedürftig.  Aber  auch  mit  der  »Anvertrauung  der  Ab- 
schriften an  die  Scheichs,  von  denen  ich  (Traditionen  oder  Lehre)  übernommen  habe«, 
ist  nichts  Rechtes  anzufangen. 

<)  Vgl.  unten  S.  10  u.    14,8-     Siehe  auch  den  Stammbaum,  Anhang  II. 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  q 

erscheint  es  klar,  daß  beide  von  ein  und  demselben  Verfasser  stammen, 
d.  h.  daß  das  Kitäb  al-baraka  von  'Abdallah  geschrieben  ist. 

Von  sonstigen  Werken  'Abdallahs  nennt  der  TW.  (M  2i  r.  5, 
F  26  r.  12)  noch  die  Schrift  Dijä"  al-hukkävi  (Licht  der  Fürsten),  über 
deren  Inhalt  aber  nichts  bekannt  ist.  Sie  ist  im  Jahre  1807  auf  der 
Reise  für  die  Bewohner  von  Kano  geschrieben. 

Vom  Tayln  al-waraqät  liegen  zwei  Handschriften  vor.  Die 
eine,  im  folgenden  mit  M  bezeichnet,  wurde  von  G.  A.  Krause 
in  Nordafrika  erworben  und  ist  Eigentum  von  Herrn  Geheimrat 
Meier  in  Leipzig,  die  andere,  mit  F  bezeichnet,  gehört  der 
Expedition  Fkobenius.  Beide  Handschriften  waren  leihweise  Herrn 
Prof.  C.  H.  Becker  zur  Bearbeitung  überlassen.  Ihm  verdanke  ich 
die  Anregung  zu  dieser  Arbeit.  In  seinem  wie  im  eigenen  Namen 
sage  ich  den  Besitzern  aufrichtigen  Dank  für  die  Überlassung  dieses 
wertvollen  Materials. 

I.  Handschrift  M.  26  Blatt,  8°,  20 — 22  Zeilen,  23  x  16,5. 

Zustand:  Gut,  stellenweise  Flecken,  die  den  Text  aber  nicht  be 
einflussen.  Papier:  Braungelblich,  stark,  rauh,  europäisches  Fabrikat. 
Die  Handschrift  ist  im  sudanisch-magrebinischen  Duktus  mit  brauner 
Tinte  geschrieben.  Die  Eigennamen  von  Personen  und  Orten  sind  mit 
roter  Tinte  eingetragen.  Am  Rande  befinden  sich  zahlreiche  Noten, 
die  von  späterer  Hand  hineingeschrieben  sind.  Sie  sind  zum  Teil 
arabisch,  zum  anderen  Teile  Ful.  Vokale  sind  nur  in  den  Ge- 
dichten und  bei  den  Eigennamen  ziemlich  regelmäßig  gesetzt,  sonst 
fehlen  sie.  Sie  sind  indessen  außerordentlich  unzuverlässig  und  daher 
vielfach  ganz  unbrauchbar.  Sonst  ist  die  Schrift  groß  und  deutlich. 
Der  Schreiber   nennt  sich    Muhammad   ohne  weiteren    Beinamen, 

als  Ort  der  Abschrift  nennt  er  (^i^iu^),  als  Datum  den  10.  Mohar- 
ram,  indessen  ohne  Jahr.  Da  das  Werk  am  15.  Oktober  1813  voll- 
endet ist,  so  ist  hiermit  ein  terminus  post  quem  gegeben.  Auf 
Blatt  26  V.  befindet  sich  eine  Zusammenstellung  der  Kombinationen 
des  Darb  er-raml  nebst  ihren  Namen  mit  Erklärungen  von  anderer 
Hand. 

IL  Handschrift  F.  32  Blatt,  8°,    15 — 16  Zeilen,  21  x  16,5. 

Zustand:  Gut,  sauber.  Papier:  Weiß-gelblich,  glatt,  stark, 
Blatt  3  und  4  liniiertes  englisches  Kanzleipapier  mit  englischer  Wap- 
penprägung. Die  Handschrift  ist  ebenfalls  im  sudanisch-magribi- 
nischen  Duktus  mit  schwarzer  Tinte,  groß  und  deutlich,  indessen 
viel    flüchtiger    als   Handschrift  M     geschrieben.      Orts-    und    Eigen- 


»)  Ortschaft  in  Dendina  (Barth,  R.  &  E.   IV,   554). 


10  A.  Bras  s, 

namen  sind  rot  eingetragen.  Vokale  fehlen  durchgehends,  auch  in 
den  Gedichten.  Nur  die  Eigennamen  sind  ziemlich  regelmäßig  vo- 
kalisiert.  Die  Vokalisierung  ist  auch  in  dieser  Handschrift  sehr  un- 
zuverlässig. Am  Rande  befinden  sich  spärliche  Noten  von  anderer 
Hand.  Der  Abschreiber  heißt  Blatt  32  v. :  Muhammad  b.  *Umar, 
Zeit  und  Ort  der  Abschrift  ist  nicht  angegeben. 

Die  Handschrift  stammt  aus  Westafrika. 

Die  Schrift  Tazjm  al-waraqät  war  schon  Barth  bekannt,  der 
sie  im  April  1853  bei  seinem  ersten  Aufenthalte  in  Wurno  gelesen 
hat.  Er  nennt  sie  »Tesen  el-Aürekät«  und  sagt  von  ihr,  sie  ent- 
halte außer  viel  theologischem  Stoff  einige  wichtige  historische  Daten"). 
Demgegenüber  ist  zu  bemerken,  daß  der  theologische  Stoff  im  Tw. 
nur  eine  nebensächliche  Rolle  spielt,  vielleicht  eine  für  die  Erfor- 
schung des  afrikanischen  Islams  leider  nur  allzu  nebensächliche, 
daß  dagegen  der  historische  Bericht  des  Werkes  unbedingt  die  wich- 
tigste Stelle  einnimmt. 

Später  hat  der  Dolmetscher  Mizon's  den  Tw.  gelesen^).  Auf 
seine  Angabe  aufbauend  macht  Ismael  Hamet  im  Nur  al-albäb 
folgende  Bemerkungen  über  den  Tw. 3):  »Abdullahi  Ibn-Foudi- 
ou,  frere  de  l'auteur  du  Nour-el-Eulbab,  a  compose  plusieurs  ou- 
vrages  dont  Tun,  intitule  Tez'ien  el-Ouerkat  (L'Embellissement  des 
Feuillets),  serait  l'histoire  des  Foulane  ou  Foulbe  depuis  l'invasion 
d'Okba  ben  Nafy,  dans  le  Fouta-Toro  (Senegambie),  jusqu'ä  l'epo- 

que  contemporaine  de  l'ecrivain,  soit  environ  vers  l'annee  1807. '•'• 

Ferner 4):    » ■  Nous  regrettons  de  n'avoir  pu   lire   et  traduire   le 

^>Tez'ien-el-Ouerkat<i  puisque,  suivant  l'avis  du  Docteur  Lenz,  il  serait 
possible,  au  moyen  d'un  tel  document,  de  resoudre  le  probleme 
des  origines  des  Foulane  avec  certitude.  — «  Leider  sind  die  Er- 
wartungen von  Dr.  Lenz  und  Ismael  Hamet  in  bezug  auf  die  An- 
gaben des  Tw.  über  den  Ursprung  der  Ful  gänzlich  enttäuscht 
worden.  Der  Tw.  enthält  über  diesen  Gegenstand  nur  eine  zur 
Erweisung  der  muslimisch- arabischen  Abstammung  der  Ful  er- 
dichtete Legende,  in  der  der  Ursprung  der  Ful  auf  den  Prophe- 
tengenossen 'Oqba  b.  'Amir  zurückgeführt  wird.  Alles  Nötige 
über  diese  Legende  ist  von  Delafosse  RMM  XX  242:  Traditions 
nmsulvianes  relatives  a  Voi'igine  des  Penis  gesagt,  so  daß  hier  nicht 
erneutauf  sie  eingegangen  zu  werden  braucht.    Vgl.  auch  v.  Stephan  i, 

I)  Barth,  K.  &.  E.  IV,  S.  188. 
*)  Nur  al-albäb,  pg.  45. 

3)  N.  Eulb.  S.  45. 

4)  Ibid.  S.  55. 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto,  j  j 

Legende  über  den  Ursprung  der  FtiPbe  und  der  Bororo  nach  der 
Erzählung  des  Malam  Ali  Babali,  Islam  III  352. 

Bei  den  Textproben  sind  alle  wichtigeren  Varianten  angegeben. 
Beide  Handschriften  repräsentieren  dieselbe  Rezension.  Auf  Wieder- 
gabe der  Glossen  und  graphischen  Varianten  wurde  verzichtet.  Bei 
M  ist  der  Text  oft  unvollständig  gegenüber  F. 

Der  literarische  Aufbau  des  Tazjin  al-waraqät  ist  kurz  folgender: 

A.  Einleitung,  die  den  Zweck  des  ganzen  Werkes  angibt: 

iLj.xXJL  'i-JhjL^    (-(^ö  i^ÜLiJU  J^^!   ^9\   i.)S  lX4.^I  (^L*-J~w.j   JLv3   XxjS\>«>3 

S  *  »  i  ^  ^ 

«.jLäjJlj     'ljLo^13      ^^ij      ('- i3Lx^'i''l      Vj*-^'      OJ-"*^     0'°      ^^^      ^l-:^*^'      O'* 

J    L«   (j^*J    u>Ji    Uii^    (^3  j^ö  ^c._5    .LJ^xj'iiU     xxi.4-ii3     &.Ax^!.     ^A*Ji3 

^JLo    ^c^^      —A^»     ry^'        r'     V*">^J5     rjA     ».i^^IiJ     L/«     ^!.j>"^     ^^t'j'^'     ry* 

^äjJLxJ'     'oJ^     ('■*    -Jj*ajS\j     *J    Lo     ;i)JiÄ5'_5      .j-§.^i>-*    i:jkJ3.     *.L*3     **^J^    *-Li^ 

')  F  »JsjiJ  jT^^  Q/«  »)  M  i  3)  Fehlt  in  M.  ■»)  F  ^y^yS^S 

5)    Fehlt    in    M.  6)  m  JXiyyw  7)    Fehlt    in    M.  »)    M    ohne    Artikel. 

9)  M   Ui  ">)  M  iUxi  ■')  F  u^jX-w^-yj  ")  F  3Li/«"b!t»  i3)  Fehlt   in  M. 

M)  F     J,a:3.5\j  15)  M  ^^...AiaJI  "^)  Lies  besser  |.LiJULf 


j->  A.   Brass, 

■-j^,«J      (3lJLä->53      >-f5  -j'*-s      (-»-V^      ^^^      c*^^      '-H*-^      sL^^Ji'     «Aij 


LJ- 


2>~v*-aj 


C) 


i"b   Jüi-w  J>XJ   ^jXi   i^LcjJt   ÄliÄ-^3   tuj^   &X^w>ii* 

»Im  Xamen  Gottes,  des  Barmherzigen  und  Erbarmenden! 

Gottes  Seeen  über  unsern  Herrn  Muhammad,  über  seine  Famihe 
und  Genossen,  er  schenke  ihnen  Heil!  Lob  sei  Gott,  dem  das  Lob 
gebührt  und  der  Preis,  dem  Herrn  der  Majestät,  der  Herrlichkeit 
und  der  Erhabenheit! 

Gottes  Segen  über  unsern  Herrn  Muhammad,  den  Gepriesenen 
im  Himmel  und  auf  Erden,  und  über  seine  Familie  und  seine  Ge- 
nossen, die  Erlauchten! 

Es  spricht  der  vor  Gott  arme  'Abdallah  b.  Muhammad 
b.  'Utmän  aus  dem  Geschlecht  der  Töro  der  Abstammung  nach, 
Hausa  dem  Land  und  der  Heimat  nach:  Es  kam  mir  in  den  Sinn, 
einige  der  Verse  zu  sammeln,  die  ich  verfaßte  zum  Preise  der  Scheichs 
und  als  lobende  Nachrufe  für  sie,  sowie  zum  Dank  für  die  Wohltaten, 
die  Gott  uns  durch  sie  erwiesen  hat  vor  unserer  Auswanderung  5;  und 
bei  den  Ereignissen,  die  uns  zustießen  im  heiUgen  Kriege  nach  der 
Auswanderung,  nebst  einer  Kommentierung  der  Worte,  die  den 
Lesern  darin  Schwierigkeiten  bieten  könnten  und  einer  Erläuterung 
des  Anlasses,  aus  dem  jede  der  Qasiden  entstanden  ist.  Darin  ist 
enthalten  eine  Darstellung  fast  unserer  ganzen  (geschichtlichen)  Ver- 
hältnisse von  Anfang  bis  zu  Ende,  damit  daraus  Nutzen  ziehe,  wer 
sich  ermahnen  lassen  will  durch  die  darinliegenden  Ermahnungen 
und  sich  zur  Lehre  nimmt  die  Gnadenbeweise  Gottes,  die  uns  zuteil 
geworden,  um  für  sie  zu  danken.  Das  ist  der  Zweck  des  Buches, 
Gott  aber  ist  es,  der  zum  Rechten  führt.  Und  ich  habe  es  ge- 
nannt: »Die  Schnückmig  der  Blätter  durch  die  Sammlung  einiger 
meiner  Verse.«.  Darin  sind  enthalten  von  den  arabischen  Redekünsten 
Sprichwörter,    Weisheitssprüche,    letzte   Ermahnungen,    (kriegerische) 


•)  F  iJw«  2)  M  .^  3)  F  \jüX*zA.    'ul;C^  JLS  4)  F  ^3 

5)  D.  h.  vor  der  Auswanderung  aus  Göbir,  die  den  Beginn  der  Ful-Erhebung 
bezeichnet.  Das  Wort  5_>VP  ist  in  beabsichtigter  Anlehnung  an  die  Higra  des  Pro- 
pheten Muhammad  gewählt.  So  wie  dieser  aus  Mekka  auswanderte,  so  wanderte  der 
.Ful-Prophet  'Utmän  aus  Degel  aus. 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  \  •? 

Ereignisse,  Lobreden,  Glückwünsche,  lobende  Nachrufe,  Ruhmes- 
reden und  anderes  mehr.  Ich  habe  gesagt:  '^einiger  mehier  Verse«, 
um  dadurch  auszuschheßen  einerseits  die  von  mir  über  die  reli- 
giösen Wissenschaften  und  das  Lob  des  Propheten  verfaßten  Bücher, 
und  die  sind  ja  bekannt,  andrerseits  diejenigen  Verse,  die  zur 
Zeit  der  Abfassung  des  Buches  mir  nicht  gegenwärtig  waren,  sowie 
solche,  die,  im  Knabenalter  in  Arabisch  und  Nichtarabisch ')  ge- 
dichtet, kein  Interesse  beanspruchen  können.  Denn  die  Dichtung  ist 
für  den  echten  Dichter  wie  der  Schleim  in  der  Brust  des  brustkranken 
(Kameles):  es  hat  keine  Ruhe,  bis  es  ihn  von  sich  gibt 2),  wie  Säfi*I 
—  Gott  hab'  ihn  seUg!  —  sagt:  »Der  beredte  Dichter  ist  (wie)  eine 
schwarze  Schlange,  und  das  Gedicht  ist  bei  ihm  der  Speichel  und  Gei- 
fer.« Früher  pflegte  ich  viele  Verse  zu  dichten,  dann  aber  liegen  und  in 
Vergessenheit  geraten  zu  lassen,  ohne  sie  aufzuschreiben  und  ohne 
jemand  etwas  davon  zu  sagen,  weil  ich  wußte,  daß  meist  kein  Nutzen 
für  den  Glauben  dahinter  ist  und  wegen  meiner  Unkenntnis  des  Ara- 
bischen und  der  Verslehre.  Ich  wußte,  daß  alles,  was  ich  gedichtet, 
für  die  Literaten  doch  nur  lächerliches  Zeug  und  Abfall  war.  Aber 
für  alles,  was  abfällt,  findet  sich   ein  Aufleser.« 

B.  Die  Ereignisse  der  Jahre  1784 — 181 3  nebst  den  von  'Ab- 
dallah auf  einzelne  derselben  gedichteten,  von  ihm  bis  dahin  nicht 
veröffentlichten  Qasiden  (M  2  r.  4  — 26r.  2,  F  i  v.  u.  — 32  r.  13). 

I.  Die  Wanderpredigerschaft  'Utmäns  bis  zur 
»  H  i  g  r  a  « . 

1.  TahmTs  auf  ein  Gedicht  des  Scheichs  'Utmän  nebst  hi- 
storischer Erklärung.  Es  gibt  den  Beginn  der  Propagandatätigkeit 
'Utmäns  an  (M  2  r.  4  — 2  v.  2,  F  i  v.  ult.  —  2  v.  6). 

2.  Geschichte  der  ersten  Predigerreisen  'Utmäns  nach  Kebbi, 
Göbir,  Zanfara  und  Daura,  nebst  einer  bei  Gelegenheit  einer  Zu- 
sammenkunft mit  dem  Mälam  Mustafa  GanI  als  Antwort  auf  dessen 
Verse  (5  Verse)  gedichteten  Qaside  mit  philologischem  und  religi- 
ösem Kommentar.  Die  Qaside  zählt  lO  Verse  (M  2  v.  2  —  4  r.  i 
F  2  V.  6 — ^  5  r.  I). 

3.  Bericht  über  eine  Audienz  beim  Sultan  von  Göbir  nebst  einer 
darauf  bezüghchen  Qaside  von  19  Versen  mit  philologischem  Kom- 
mentar (M  4  r.  2  —  4  V.  paenult.,  F  5  r.  i  —  6  r.  ult.). 

4.  Reise  'Utmäns  zu  einheimischen  Gelehrten  nebst:  a)  Lobge- 
dicht auf  mehrere  derselben  (64  Verse);  b)  spezielles  Lobgedicht  auf 


')  D.  h.  in  Ful  oder  Hausa. 

^)  Über  ein  ähnliches  Bild  siehe  die  Lexika  unter  ^»J^ox. 


14 


A.  Brass, 


Muhammad  b.  Rag,  einen  hervorragenden  einheimischen  Tradi- 
tionarier (10  Verse);  c)  Qaside  über  die  Kette  der  Gewährsmänner 
von  Muhammad  b.  Rag  bis  auf  Buhäri  (lO  Verse)  (M  4  v.  paen- 
ult.  — 7  V.  14,  F  6r.  ult.  —  10  r.  12). 

5.  Rückkehr  'Utmäns  von  Zanfara  nach  Degel.  Missionsreisen 
nach  Kebbi,  Ilo,  Zauma  und  Rückkehr  nach  Degel.  Tod  eines 
Onkels  'Abdallahs  und  Trauerqaside  von  14  Versen  auf  denselben 
nebst  philologischem  und  historischem  Kommentar,  letzterer  die 
Stammeslegende  der  Töro  und  die  Genealogie  *  Abdallahs  ent- 
haltend  (M  7  V.  15— 9  r.  II,  F  lOr.    13  —  12  v.    lO). 

6.  Innere  Missionstätigkeit  'Utmäns.  (M  9  r.  12  —  12  r.  16,  F  12  v. 

10 16  r.  14) :  a)  Qaside  zur  Ermahnung  der  Stammesgenossen,  die  sich 

*Utmän  noch  nicht  angeschlossen  haben  (50  Verse) ;  b)  Propaganda- 
tätigkeit der  einheimischen  Mälamai  innerhalb  des  Stammes  als  Folge 
dieser  Qaside,  literarische  Bearbeitungen  der  Qaside  durch  einige 
derselben;    c)  2  Trauerqaslden  auf  einen  verstorbenen  Mälam   (9  +  36 

Verse). 

7.  Anknüpfung  von  Verbindungen  mit  dem  Scheich  El- Muht är 
El-Kebir.  Botschaftsqaside  'Abdallahs  an  diesen  (12  Verse) 
(Mi2r.  16 — I2v.  17,  Fi6r.   14  —  i6v.  ult). 

8.  'Utmän  bereitet  seine  Stammesgenossen  auf  den  kommenden 
Glaubenskrieg  vor.  Arabische  Übersetzung  der  Qaside  'Utmäns 
y>Al-QädirlJa<i  durch  'Abdallah  (41  Verse)  (Ml2v.  18— 14  r.  5, 
F  17  r.    I  —  18  r.  12). 

IL     Die  Higra  (M  I4r.  6  —  14  v.  17,  F  18  r.  13  —  I9r-  12). 
III.  Die  Feldzüge  gegen  die  Hausafürsten(M  14  v.  14 
—  26  r.  2,  F  19  r.  13  — 32r.  13). 

1.  Die  Befreiungsschlacht  beiKoto  nebst  2  SiegesUedern  (38  -f  45 
Verse),  deren  zweites  an  zwei  Oheime  'Abdallahs  gerichtet  ist, 
um  sie  zum  Anschlüsse  zu  bewegen  (M  14  v.  14 —  17  r.  11,  F  19  r. 
13  —  21  v.  ult.). 

2.  Kämpfe  gegen  Kebbi,  Göbir,  Tuareg  und  Gumi  mit  wech- 
selndem Erfolg.  Qaside  auf  diese  Feldzüge  (37  Verse)  nebst  philo- 
logischem Kommentar  (M  17  r.   12  —  I9r.  15,  F  22  r.   1—23  r.  12). 

3.  Fortsetzung  des  Krieges  gegen  Kebbi,  Niederlage  bei  Alwasa. 
Belagerung  der  neuen  Hauptstadt  'Utmäns,  Gando,  Sieg  über  die 
Kebbi.  Siegesqaside  (36  Verse)  nebst  philologischem  Kommen- 
tar (M  19  r.  15  — 20V.  12,  F  24  r.  12  — 25  v.  13). 

4.  Reise  'Abdallahs  nach  Kano  und  Qaside  über  diese  Reise 
.(40  Verse)  (M  20  v.  12  —  22  r.  10,  F  25  v.  13  —  27  v.  5). 

5.  Qaside    über    den    Sieg    am  Flusse  Fäfara    über    die  Tuareg, 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  i  c 

den    Sultan    von  Ädar    und    ihre    Verbündeten.    (21   Verse)    (M  22  r. 
10—22  V.  14,  F  27  V.  5  —  28  r.  1 1). 

6.  Eroberung  von  Alqalaua,  der  Hauptstadt  von  Göbir.  Erste 
Expedition  über  den  Niger.  Qaside  über  diesen  Zug  (26  Verse) 
nebst  philologisch-historischem  Kommentar  (M22v.  15  —  24  r.  20, 
F  28  r.  12  —  30  r.  11). 

7.  Zweite  Expedition  über  den  Niger,  Qaside  über  diesen  Zug 
(23  Verse)  (M  24  r.  20  —  25  r.  13,  F  30  r.  1 1  — •  3 1  r.   paenult). 

8.  Übersiedlung  nach  Sifäwa.  Feldzüge  des  Muhammad  Daq 
und  des  Muhammad  Bello.  Qaside  über  die  Eroberung  Gwäris 
(12  Verse)    (M  25  r.  14  —  25  v.  17,  F  31  r.  paenult.  —  32  r.  5). 

7.  Hinweis  auf  die  Kämpfe  gegen  Nupe  und  andere  Feinde 
(M  25  v.  18  —  26  r.  2,  F  32  r.  5  —  32  r.  12). 

C.  Schluß:  (M  26  r.  2  —  Schluß,  F  32  r.  13  —  Schluß.)  ^Lx^^^l  j._^j  ^ 

c_j.4.^*il    itXP     X^   \ja\yi\    iSj^*    ^:L»*}t\   ^')^   ä^*aJi  J^Aös!  L^>.=>lao 

K.^/i)L3      '^j!_5;»      KxA^LJ      (^•♦^j      X-*jLi      y-  o'^J'Jj}\       x^       i^4-^c-»)      xlijs..^      L^/« 

^.,!    "^j.]    ^^Js.xiJ    Ui'    L/)_5     SlX^J     Li5AP    ;^Äi5     *.Jü    js*^!^      n^X/»    \Ü! 

»Vollendet  am  Mittwoch  in;^  Monat  Sawwäl,  dem  18.  Tage 
im  10.  Jahre  unserer  Auswanderung,  d.  i.  1228  nach  der  Higra  des 
Propheten  ^),  über  ihren  Herrn  sei  das  beste  Gebet  und  der  reinste 
Segenswunsch ! 

Wer  diese  Sammlung  liest,  der  wisse,  daß  ich  in  dem,  was  ich 
darin  geschrieben,  keinen  anderen  nachgeahmt,  keinerlei  Buch 
benutzt,  noch  darin  erzählt  habe,  was  ich  von  einem  gehört 
habe,  sondern  ich  habe  geschrieben,  was  mir  zur  Zeit  gegen- 
wärtig war  von  dem,  was  ich  selbst  erlebt  und  was  ich  erfahren 
habe,  mit  anstrengender  Mühe  und  ermüdender  Sorge  und  in  ver- 
borgener Ferne    fließender  Überlieferung.     Was    aber    davon    richtig 

*)   18.  Sawwäl   1225  =  15.  Oktober   18 13. 


l5  A.  Brass, 

ist,  das  stammt  von  Gott,  dem  hochgepriesenen,  und  was  falsch  darin 
ist,  das  ist  von  mir,  und  ich  bitte  Gott  um  Verzeihung  dafür.     Das 
Lob  gebührt  Gott,  welcher  uns  hierher  geführt.      Wir    hätten    nicht 
den  rechten  Weg  gefunden,  wenn  Gott  uns  nicht  geführt  hätte. 
Gottes  Segen  über  unsern  Herrn  Muhammad,  usw.« 

I.  Vorgeschichte  und  Higra. 

Die  historische  Darstellung  des  Tw.  setzt  mit  dem  Beginne  der 
Wanderpredigerreisen  *Utmäns  ein.  Von  der  Vorgeschichte  *Ut- 
m  ä  n  s  selbst  erfahren  wir  aus  dem  Tw.  nichts,  wohl  aber  einiges  über 
seine   Famihe.     Die    betreffende  Stelle   lautet   (M  9  r.  6,  F.  I2  v.  4): 

LJjjI      qJ      v^Äi'      (A*.^=V/l      Q.J      V*--?*     l\.«.j5\/«     1.«.^jj1     ,«-«.avJ     L^j^S     i^LE   _j-5>!    _j.p3 

)y^  Oj.5  jJj  qXi  pLs*   i^jJI  jS>    \Cs.9   iS^^y   o^   V^   S^   C7^   q5^-w'L«    ^.yj 

»Er  sagt:  Das  (nämlich  der  im  letzten  Vers  der  Trauerqaside 
auf  'Abdallahs    Oheim    genannte   ^\^s^   ist   einer   unserer  Vorväter. 

Er  heißt  'Ali,  denn  unsere  Mutter  war  Eva,  die  Tochter  des  Muham- 
mad b.  'Utmän  b.  Hamm  b.  'Ali  und  die  Mutter  unseres  Vaters 
war  Marjam  bint  Gibril  b.  Hamm  b.  'Ali.  Unser  Vater  war  Mu- 
hammad b.  'Utmän  b.  Sälih  b.  Härün  b.  Muhammad  Gurdo  und 
der  letztere  war  ein  Bruder  des  'Ali,  soweit  wir  gehört  haben.  Ihr 
beider  Vater  war  Muhammad  Gobbo  b.  Muhammad  Sambo  b.  Ajjüb 
b.  Mäsiräna  b.  Bübu  Bäba  b.  Müsä.  Dieser  Müsä  war  derjenige 
welcher  von  Föta  Töro  gekommen  ist,  soweit  wir  gehört  haben.« 

Nach  diesen  Angaben  hat  also  die  Auswanderung  aus  Füta 
Töro  6  Generationen  vor  'Utmän  stattgefunden.  Rechnet  man  jede 
Generation  zu  25  Jahren,  so  wäre  dieselbe  etwa  um  1625  anzusetzen. 
Die  HClir.  gibt  S.  1 74,7  den  Namen  des  Ortes,  von  dem  der  Vorfahr 
'Utmäns  gekommen,  auf  Wuro  Kabbe  an.  Der  Tw.  nennt  ferner 
noch  eine  Reihe  von  Oheimen  'Utmäns,  so  den  Zaid,  den  Dädi,  den 
Abu  'Ali  Muhammad  Sambo  b.  'Abdallah  b.  Muhammad 
b.  Sa'd4)  u.  a.,  die  aber  ohne  weitere  Bedeutung  sind.    Von  Wichtig- 

')  Willkürlich   bald  ^j|   bald   ,.^J  -)  Fehlt  in  M  3)  F  ^.j^=>' 

1)  S.  u.  S.  23,1.  ^ 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  j  n 

keit  ist  hingegen  die  schon  oben  zitierte  Stelle ')  des  Tw.,  nach  der 
der  Altersunterschied  zwischen  'Abdallah  und  '  U  t  m  ä  n  auf 
12  Jahre  festgelegt  wird;  sie  ergänzt  den  Bericht  der  HChr.,  die  nur 
angibt,  daß  'Abdallah   jünger  als  'Utmän  war. 

Das  Datum  des  Beginnes  der  Wanderpredigerschaft  'Utmäns, 
das  bisher  vollständig  unbekannt  war,  gibt  der  Verfasser  des  Tw. 
in  den  Schlußversen  des  ersten  arabischen  Tahmls,  das  er  gedichtet 
hat  (M  2  r.  15  —  16,  F  2  r.  11  —  12)  und  in  der  Erklärung  dazu 
(M  2  r.  paenult,  F  2  v.  2)  auf  das  Jahr  1 188/1774  an.    Die  Stelle  lautet: 

In    diesen  Versen    ist    nach    dem  Abgad  ^i  =  20,  „  =  ^,  _  =  8 

und    -i   =   100.     Der  Zahlenwert  des  ^   ist    hier   =   1000,    der    von 

^jis  =  90^)>  wie  auch  aus  anderen  Chronogrammen  bei  'Abdallah 
hervorgeht.  Der  erste  Vers  enthält  das  Datum  des  Beginnes  der 
dichterischen  Tätigkeit  'Abdallahs,  das  auf  den  23.  Sawvväl  1198 
10.  September  1784  angegeben  wird,  der  zweite  Vers  das  Datum 
des  Beginnes  der  Wanderpredigerschaft  'Utmäns  1 188/ 1774/75,  zu 
dem  'Abdallah  die  Erklärung  gibt: 

'Utmän  war  damals,  wenn  die  Angabe  Strümpell's,  er  sei 
1754  geboren  4),  stimmt,  20  Jahre  alt  (wenn  anders  die  Zahl  seiner 
Lebensjahre,  die  auf  63  angegeben  wird,  nicht  etwa  eine  Nachbildung 
nach  der  der  Lebensjahre  des  Propheten  ist,  die  ja  auch  auf  63  an- 
gegeben wird).  Über  'Utmäns  erste  Missionsreisen  berichtet  der 
Tw.  folgendes  (M  2  v.  2,  F  2  v.  6): 

m 

^  ^  >••      •■     <Jr-  (_••    •        Li*  ^  ••  (__   ••  l r 

AjL.*j!     ■•'-^rrl3     ^:V*-^^     LXjLxiSj     l^^j^     ^J^5      .-yJ-^        ^-S!     (j*<LÄil    _5.EiAj      -J-i» 

■)  Vgl.  S.   8,  Anm.  2. 

^)  Herr  Geheimrat  Littmann  macht  mich  auch  auf  eine  Stelle  bei  Pihan,  Expose  des 
signes  de  Tiumcration  usites  chez  les  peuples  orientatix  aticiens  et  modernes,  Paris. 
Imprimerie  Imperiale,  1860,  S.  202  aufmerksam,  wo  ang-egeben  wird,  daß  im  ganzen 
Magrib    gebraucht  werden :    (j^  =  60,    (ji>  =  90,    .  w   =   300,    ^  =  800,     c  =  900. 

(jii  =   1000.  3)  M  OA>j/j.ä  F  »iA-üjaäS  -1)   Geschichte   Adamauas   S.   59 

(1817—63=  1754).  5)  M    *.>LoiJ  ^)  F  ,^^-w.J  7)  M  ^UÄj  8)  M  ;;  ^.Xi.j' 

Islam  X.  2 


j3  A.   Brass, 

Jt     (-tLJww     ^j  ."if.5      ^35>^5      0^      *~^'      f^^      ^-^5      -läc^i      ^_j.*.«JC^_j 

>;^jJUii      Ji   ("^  ->^>*^J  "^    i?oj-iJ!    (;)^3    o-cLii»    &ä'l4^JI    oJJ"  ^=*   jUJ! 
^i^\   xJ   ^;j>j»   3.J  ^.jy'  ^\   ^S  ^'uM-i  ^«^i  ^-A>*^i!  ^A  l\j  "b  ^.,t  j^l, 

»Dann  (im  Jahre  1188  1774)  brachen  wir  auf  mit  dem  Scheich, 
und  halfen  ihm  bei  der  Verkündigung  der  ReHgion.  Er  reiste 
dazu  nach  Osten  und  Westen  und  rief  die  Leute  auf  zur  Rehgion 
Allahs  mit  seiner  Predigt  und  mit  Hausagedichten '').  Er  zerstörte 
die  Sitten,  die  dem  religiösen  Gesetze  zuwiderliefen;  und  es  kamen 
einige  von  den  Bewohnern  der  umliegenden  Gegenden  und  traten  in 
seine  Gemeinde  ein.  Wir  befanden  uns  aber  damals  in  seinem 
(Heimat-)  Lande,  das  durch  ihn  und  die  Beziehung  zu  ihm  berühmt 
wurde,  nämlich  Degel,  bis  wir  einmal  mit  ihm  zum  Lande  Kebbi 
reisten.  Dort  rief  er  die  Leute  auf  zur  Bekehrung  und  zum  Islam  und 
dem  Ihsän  sowie  zur  Aufgabe  der  dem  zuwiderlaufenden  Sitten.  Viele 
von  ihnen  bekehrten  sich  und  reisten,  als  er  in  seine  Heimat  zurück- 
kehrte, in  Haufen  zu  ihm,  um  seine  Predigt  zu  hören.  Damit  eröffnete 
ihm  Gott  zuerst  die  Erhörung  (den  Erfolg).  Dann  reisten  wir  in 
den  Landen  umher,  bis  die  Schar  groß  ward  und  ihr  Ansehen  sich 
ausbreitete.  Der  Scheich  reiste  indessen  nicht  zu  den  Königen,  ver- 
handelte auch  nicht  mit  ihnen.  Als  aber  die  Schar  um  ihn  groß 
geworden  war,  und  seine  Sache  bei  den  Königen  und  andern  be- 
kannt wurde,  da  sah  er,  daß  er  auch  zu  ihnen  gehen  müsse,  und 
begab  sich  zu  dem  Fürsten  von  Göbir,  Bäwa,  setzte  ihm  den 
richtigen  Islam  auseinander,  forderte  ihn  dazu  auf  und  hieß  ihn,  das 
Recht  in  seinen  Landen  aufzurichten.  Dann  kehrte  er  nach 
Hause  zurück. 

»)  M  w-WMvJ.  *)  M  J>\.  3)  Fehlt  in  M.         4)  M  ^j^.  5)  M  ^^^.A^^. 

6)  Oder  Ful-Gedichten. 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  jg 

Dadurch  gewann  er  die  Möglichkeit  zur  Predigt  der  Religion, 
denn  es  kam  damit  dahin,  daß,  wer  Gott  nicht  fürchtete,  der  fürchtete 
sich  jetzt,  seine  Sache  abzuleugnen  wegen  seiner  Verbindung  mit 
dem  Sultan.« 

*Utmän  wendet  sich  also  mit  seiner  Predigt  zunächst  an  die 
Bewohner  der  Umgegend  seiner  Heimat,  wie  es  scheint,  zunächst  mit 
geringem  Erfolg.  Dann  dehnt  er  seine  Züge  nach  Kebbi  aus,  wo 
er  größeren  Erfolg  gehabt  zu  haben  scheint.  Bei  seiner  Agitation 
für  den  Islam  vermeidet  *  U  t  m  ä  n  es  indessen,  mit  den  Fürsten 
der  einzelnen  Staaten  in  Berührung  zu  kommen.  Offenbar  will  er 
sich,  bevor  er  sich  an  diese  wendet,  schon  eine  gewisse  Rücken- 
deckung durch  eine  zahlreiche  Anhängerschaft  schaffen.  Dies  diplo- 
matische Vorgehen  entspringt  wohl  den  Lehren,  die  'Utmän  aus 
dem  Beispiel  seines  Lehrers  Häggl  Gibril  (Gibirin)  gezogen, 
dessen  Mißerfolge  er  richtig  der  Tatsache  zuschrieb,  daß  dieser 
sich  mit  seinen  Predigten  gegen  die  Fürsten  und  Großen  gewandt, 
bevor  er  sich  einen  genügenden  Anhang  beim  Volke  verschafft 
hatte.  Erst  als  die  Schar  seiner  Anhänger  groß  geworden  ist  und 
sich  ausbreitet,  entschließt  'Utmän  sich,  nunmehr  auch  an  den 
Fürsten  von  Göbir,  in  dessen  Land  er  ja  wohnte,  selbst  heranzutreten. 
Bei  diesem  Herrscher,  Bäwa  ')  Ga-n-Gorzo,  nach  Barth  mit  dem 
Beinamen  Maijäkl,  der  Krieger  ),  ist  'Utmän  nun  offenbar  zu  hohem 
Ansehen  gelangt,  denn,  wie  uns  die  HChr.  lehrt,  übergab  ihm  Bäwa 
seinen  Sohn  Junfa,  den  nachmaligen  König,  zur  Erziehung 3).  Es 
muß  angenommen  werden,  daß  es  *Utmän  gelungen  ist,  den  König 
für  seine  Lehren  zu  gewinnen,  denn  sonst  erscheint  es  doch  un- 
möglich, daß  dieser  ihm  seinen  Sohn  und  dereinstigen  Nachfolger 
zum  Unterrichten  anvertraut,  um  so  mehr  als  die  HChr.  von  seiner  bis- 
herigen Regierung  sagt:  »er  mehrte  das  Heidentum,  war  widerspenstig 
und  selbstsüchtig«  4). 

Das  hohe  Ansehen,  das  'Utmän  bei  Bäwa  genoß,  nutzte  er 
zur  Vergrößerung    und  Stärkung    seiner  Partei    aus.     Dann  nahm  er 


')   Bawa    (»Lj),     auch    in    der   Form    xlJi    r)i}-^    gebraucht,    bedeutet    in   Hausa: 

o  , 

Sklave  (bzw.  Sklave  Gottes)  und  analog  \».j^  Baiwa  (Baiwa-n -allah  ) :  Sklavin 
(Sklavin  Gottes).  Beide  Worte  werden  nach  Mi  schlich  Kindern  sehr  häufig  als  Eigen- 
namen gegeben,  wenn  die  vorher  geborenen  Kinder  gestorben  sind,  um  zu  verhüten, 
daß  auch  diese  sterben. 

2)  Barth,  ä.  &  £.  IV,   S.  539.  3)  HChr.  S.  175,  9/232,  ,5. 

4)  HChr.  S.  171,4/230,,,  v.  u.  Hier  liegt  allerdings  vielleicht  eine  fulisch  ten- 
denziös gefärbte  Bemerkung  vor,  da  Bäwa  die  Lehren  Häggl  Gibrils,  des  Fulbe- 
Johannes,  zurückgewiesen  hatte. 


20  A.  Br  ass  , 

seine  Wanderpredigerreisen  wieder  auf.    'Abdallah  berichtet  dar- 
über folgendes  (M  2  v.  17,  F  3  r.  7): 

«^     QxIiJLÄJ^U     -^J^t^^'     U""^-*     ^_5-''^     C)^""""     i^'^^      ,»bLv"i!     ics^ol.     L^f 

*^Lw"iil      (AclyS      (•■S-*^^     O^     *-^-*-?     ("Ij^"     -b^Ä5>j|      ^y\      ^,g,4.L*J3       *>gj5^S      ,»_gJu>,*0 

■jLs»^!     5^X:>V/«     >\.-yiij!     g^L>wo     q'o     (^j^^äj     ^w.j"bl    ^^.y^L^    O^*?     i-)^'^^ 

,  o  - 

c:jLolj  JläJUs  ^w*Ji  »Läx/Oj   ic^   *~^^    O^ji^t      -Äiaxi^Ju        4.*w-«.ii    iCjÜ-aJ^ 

»■lic*.    »,Lj*,    i^Lw-üt    «J.*j    ,.,1    (3  LfxS    ;:c^x/iiwJ!    _/sLj    xI 

»Bis  wir  in  das  Land  von  ZsLnfsira  zogen,  um  seine  Bewohner 
zum  Glauben  aufzurufen.  Dort  blieben  wir  etwa  5  Jahre.  Es  war 
das  ein  Land,  dessen  Bewohner  von  der  Unwissenheit  überwältigt 
waren;  die  meisten  hatten  keinen  Hauch  vom  Islam  verspürt.  Sie 
kamen  in  die  Versammlung  des  Scheichs  untermischt  mit  ihren 
Frauen.  Da  trennte  er  beide  voneinander  4)  und  belehrte  sie,  daß  das 
Gemischtsein  beider  Geschlechter  untereinander  verboten  sei,  nachdem 
er  sie  die  Grundregeln  des  Islam  gelehrt  hatte.  Es  waren  da  aber 
einige  Teufel  in  Menschengestalt,  die  verbreiteten,  die  Versammlung 
des  Scheichs  sei  ein  Zusammenkunftsort  für  Männer  und  Frauen. 
Als  wir  uns  an  einem  Orte  des  Landes  mit  Namen  Daura  nieder- 
ließen, kam  zu  uns  der  scharfsinnige  Gelehrte  aus  Bornu,  Mustafa,, 
bekannt  unter  dem  Beinamen  GanI,  das  bedeutet:  ,der  Scharf- 
sinnige', und  er  begegnete  uns  mit  Versen,  in  denen  er  den  Scheich 
die  Frauen  (überhaupt)  vom  Besuch  seiner  Predigt  ausschließen  hieß.« 

'U  t  m  ä  n  forderte  dann  seinen  Bruder  auf,  die  Verse  zu  erwidern. 
In  diesem  Erwiderungsgedicht  und  dem  Kommentar  dazu  setzt  'Ab- 
dallah auseinander,  daß  das  Zusammensein  von  Männern  und  Frauen 
das  kleinere  Übel  sei  gegenüber  dem,  die  Frauen  in  Unwissenheit 
über  die  Religion  zu  lassen,  und  das  entscheidet  nach  dem  Grundsatz: 
irtikäb  ahaff  ad-dai-arein  wägib  für  das  erstere,  nur  mit  gewissen  Ein- 
schränkungen für  den  Fall,  daß  —  etwa  durch  Vorhandensein  eines 
Lehrers  für  die  Frauen  —  der  Zwang  (darüra)  aufgehoben  ist. 

Diese  Missionsreisen  'U  t  m  ä  n  s  in  Zanfara  fallen  um  das  Jahr 
1 200/1 786,    wie    uns    der   Schlußvers    der    eben    erwähnten  Antwort- 

0  MJ>^b  1)  F  s:^As.  3)  Fehlt  in  M.  t)  d.h.  wohl,  »ließ  sie 

getrennt  sitzen«. 


,-Cx^> 

■    ^^5 

Lf^ 

^5öj( 

.*Jl*J! 

> 

Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  2I 

qasTde  und  der  Kommentar  dazu  (M  3  v.   ult.,  F  4  v.  paenult.)  angibt. 

Im  Anschluß    an    die  Mission    in  Zanfara  berichtet  ''Abdallah 

dann  über  eine  Audienz  beim  Könige  von  Göbir   (M  4  r.  i,  F  5  r.  i): 

•,iA-*.a.j5    jLä    L.*    jLSj    ^uAJ     Laju-äj^-Ls    ^iw      c-*-*^:!    l5"^'^'    äJ'üC/« 

J!      \J      OlS^      ^jJ^J       q>J       qL^^aS      :^^-yixJi       J.LÄS      Ö.jj3'      3[j.>«Lj 

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oI^IClj    iiL^JjtJ!  ß\.M^    ,^:>-,»    qH^J^    iöoLsLJ    LJLstj^-j 

»Dann,  ein  oder  zwei  Jahre  später  schickte  der  Sultan  von 
Göbir,  daswarBäwa,  zu  sämtlichen  Gelehrten  seines  Landes,  daß 
sie  sich  am  Tage  des  Opferfestes  bei  ihm  versammeln  sollten  — 
er  war  damals  in  seiner  Residenz  mit  Namen  Magami  —  und  wir 
versammelten  uns  bei  ihm  und  er  sagte,  was  er  sagte,  und  spendete 
den  Gelehrten  reiche  Gaben.  Da  trat  der  Scheich  'Utmän  vor  ihn 
hin  und  sagte  zu  ihm:  ,Ich  und  meine  Gemeinde  brauchen  dein 
Geld  nicht,  dagegen  bitte  ich  dich  um  dieses  und  jenes',  und 
zählte  ihm  eine  Anzahl  von  Dingen  auf,  die  alle  zur  Aufrichtung 
des  Glaubens  gehörten.  Da  antwortete  der  Sultan:  ,Ich  gebe  dir, 
um  was  du  bittest,  und  bin  mit  allem,  was  du  in  meinem  Lande 
tun  willst,  einverstanden'.  Da  priesen  wir  Gott  deswegen  und  be- 
gannen die  Aufrichtung  des  Glaubens,  die  anderen  Gelehrten  aber 
kehrten  mit  ihren  Schätzen  nach  Hause  zurück.« 

Diese  Darstellung  'Abdallahs  ist  wohl  nicht  ganz  frei  von 
der  Tendenz,  das  selbstlose,  ausschließlich  auf  die  Förderung  der 
Religion  gerichtete  Streben  'Utmäns  gegenüber  der  Vorliebe  der 
einheimischen  'Ulamä  für  irdische  Güter  in  ein  helles  Licht  zu  rücken. 
Daß  Gegensätze  zwischen  'Utmän  und  den  einheimischen  'Ulamä', 
die  ihren  bisherigen  Einfluß  am  Hofe  Bäwas  vor  dem  steigenden 
Ansehen  'Utmäns  schwinden  sahen,  bestanden,  ist  ja  selbstverständ- 
lich. Daß  'Utmäns  Betragen  aus  echtem  religiösen  Idealismus  gegen- 
über der  satten  Zufriedenheit  der  mit  der  Welt  ausgesöhnten  andern 
*Ulamä  entsprang,  ist  nicht  zu  bezweifeln.    Bei  diesen  Leuten  fand  er 


»)  F  30^L  iLUjJL 


22  A,  Brass, 

keine  Gegenliebe,   eine  Erscheinung,    die  ja  in  der  Geschichte  jeder 
neuen  Idee  ihre  Analogien  hat.     Die  HChr.  berichtet: 
»Die  Hausapriester  kümmerten  sich  nicht  um  ihn').« 
Die  bündige  Antwort  des  Königs  stimmt  auch  mit  den  Aussagen 
der  HChr.  überein.     Es  heißt  dort  von  'Utmän: 

»Man  ehrte  ihn  und  pflegte  seine  Bitten  zu  gewähren^).« 
Auch  über  den  Inhalt  derartiger  Bitten  berichtet  die  HChr.  3) 
So  habe  'Utmän  eines  Tages  den  König  gebeten,  er  möge  allen 
Muhammedanern  erlauben,  Feze  aufzusetzen  und  Turbane  um  den 
Kopf  zu  wickeln,  was  als  eine  vom  König  verliehene  Auszeichnung 
betrachtet  wurde.  Bäwa  habe  ihm  diese  Bitte  gewährt,  was  'Ut- 
m  ä  n  s  Ansehen  sehr  vergrößert  habe. 

Die  chronologische  Einordnung  dieser  Audienz  bei  Bäwa  be- 
reitet Schwierigkeiten.  Ein  terminus  ante  quem  bildet  das  Jahr  1201, 
da  in  dasselbe  Ereignisse  fallen,  die  erst  im  folgenden  von  'Abdallah 
berichtet  werden.  Andererseits  fällt  das  von  ihm  zuletzt  berichtete 
Ereignis,  die  Begegnung  mit  dem  Gelehrten  Mustafa  in  Daura  in 
das  Jahr  1200.  Sagt  also  'Abdallah  q^/sLc  3!  -Lau,  so  kann 
günstigstenfalls  nur  das  erstere  richtig  sein,  wonach  dann  die  Audienz 
in  das  Jahr  1201/1787  anzusetzen  wäre. 

Es  folgen  nun  (M  4  1.  paenult.,  F  6  r.  ult.)  zwei  Besuche  'Utmäns 
und  'Abdallahs  bei  einheimischen  Gelehrten.  Zuerst  gehen  beide  zu 
einem  gewissen  Hägg  Gibril,  der  in  einem  nicht  näher  zu  be- 
stimmenden Orte  Oüde  wohnte  und  den  sie  schon  einmal  früher 
besucht  hatten.  'Utmän  kehrt  alsdann  heim,  während  'Abdallah 
bei  Gibril  zwei  Monate  lang  den  Kaiikab  es-säti^  des  Sujütl,  eine 
Versifizierung  des  Garn'-  al-gazuämi'-  fil-usül  des  SubkT4),  liest  und 
Vorlesungen  über  andere  Schriften  mithört.  Dann  kehrt  er  nach 
Hause  zurück  und  sieht,  daß  sein  Bruder  zu  dem  Hägg  Muhammad 
b.  Rag  gegangen  ist,  um  Buhärl  zu  hören.  Er  folgt  ihm,  und  sie 
beginnen  ihre  Studien  gemeinsam,  da  'Utmän  mit  der  Lektüre  noch 
nicht  begonnen  hatte.  'Abdallah  teilt  dann  Qasiden  mit,  die  er 
zu  Ehren  der  beiden  Lehrer  gedichtet  hat.  Diese  Ereignisse  gibt 
'Abdallah  als  in  das  Jahr  1201 /1787  fallend  an.  'Utmän  kehrt 
dann  in  seine  Heimat  Degel  zurück,  um  sich  dann  den  westlichen 
Hausastaaten  zuzuwenden  (M  7  V.  I5,F  lOr.  12).  Er  reist  mit  seinem  Bruder 
zuerst  nach  Kebbi,  von  dort  nach  Ilo  auf  dem  Westufer  des  Kwära 
kehrt  nach  Hause  zurück,  reist  dann  nach  Soma,  einer  Landschaft 
am    oberen   Jega,   die   ein    unabhängiges  Sultanat   bildete,    um   dann 

«)  HChr.  S.  i76,,/232,„.  »)  HChr.  S.  176,3/232,^5.  3)  HChr.  S.  176,4, 

232,26.  *)  Brockelmann  II,  89. 


Eine   neue   Quelle  zur  Geschichte   des   Fulreiches   Sokoto.  2'' 

wieder  die  Heimat  aufzusuchen.  Hier  hören  die  beiden  von  dem 
Tode  ihres  Oheims  Abu  'All  Muhammad  Sambo  b. 'Abdallah 
b.  Muhammad  b.  Sa'd,  der  als  ein  berühmter  Gelehrter  in  seinem 
Stamm  bezeichnet  wird.  Derselbe  war  gerade  auf  der  Rückkehr  in 
die  Heimat  begriffen  gewesen.  Ein  Trauergedicht  'Abdallahs  ist 
dem  Verwandten  gewidmet. 

In  Degel  widmet  sich  'Abdallah  und  mit  ihm  natürhch  auch 
'Utmän  nun  der  Propaganda  für  seine  Ideen  in  erster  Linie  unter 
seinen  Stammesgenossen,  die  denselben  nicht  gerade  sehr  günstig 
gegenübergestanden  zu  haben  scheinen.  'Abdallah  äußert  sich 
darüber   (M  9  r.  12,  F  12  1.  10): 


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»Als  ich  nun  sah,  daß  die  Leute  aus  den  meisten  Ländern, 
vornehm  und  gering,  zum  Scheich  'Utman  kamen  und  sich  den 
Nutzen  seiner  Predigt  zu  eigen  machten,  seine  Erziehung  annahmen 
und  scharenweise  in  die  Gemeinde  eintraten,  das  aber  bei  den  meisten 
unseres  Stammes  nicht  bemerkte  —  und  sie  wären  doch  die  Nächsten 
hierzu  gewesen  — ,  da  verfaßte  ich  eine  Oaside  auf  r  und  nannte 
sie  »Sendschreiben  der  Ermahnungen«.  Die  schickte  ich  zu  ihnen, 
damit  sie  über  ihren  Inhalt  nachdächten  und  zum  Siege  des  gött- 
lichen Glaubens  eilten.« 

Zum  ersten  Male  tritt  also  hier  das  ethnische  Moment,  der  Ge- 
danke des  Zusammenschlusses  speziell  der  Ful  in  dieser  religiösen 
Bewegung  mehr  in  den  Vordergrund.  Dabei  werden  die  beiden 
glaubenseifrigen  Apostel  von  einer  ganzen  Anzahl  anderer  fulischer 
Gelehrter  unterstützt,  von  denen  unser  Text  (M  1 1  r.  2,  F  14  v.  3) 
Mustafa  b.  al-Hägg  'Utmän,  Muhammad  al-Firibiri  b. 
Muhammad,  Zaid  b.  al-Hägg  Muhammad  Sa'd  und  Abu 
Bekr  b.  'Abdallah  mit  dem  Beinamen  ;>Lädan«  (der  Vorbeter 
oder  Gebetsrufer)  nennt.  So  setzt  z.  B.  Mu.stafä  die  ^jL^aJi  xJw^. 
in  Tahmlse,  während  ein  anderer,  Mälam  Zaid  al-Atri,  einen 
Kommentar    dazu    schreibt.     Über    die    Beziehungen    'Utmän s    zu 


24  A.   Brass, 

angesehenen  Fulen  in  den  verschiedenen  Hausastaaten  berichtet  auch 
die  HChr.     Sie  sagt: 

;>Während  dieser  seiner  Predigttätigkeit  sandte  er  Briefe  an 
die  angesehenen  Fulen  in  den  verschiedenen  Hausaländern.  Unter 
den  Fulen  in  Kano  waren  Sulaimäna  und  Dabo  von  Danbazau  die 
angesehensten,  in  Katsina  Umaru-n-Dumya  und  Umaru-n-Daläji, 
in  Bornu  Priester  Zäki  und  Goni  Muchtar,  in  Zazau  Priester 
Müsa  und  Yamüsa,  in  Kebbi  AlöyTjo  und  Lamido  Bauri,  in  Zan- 
fara  Namöda  und  Mahamüdu,  in  Sabarma:  Mohamma  Sanbo. 
Auf  diese  Weise  machte  er  einen  Bund  mit  ihnen.  Ebenso  schlössen 
die   Fulen    von    Göbir    einen    Bund    mit    dem   Sohne    des    Födio^).« 

Dieser  Bericht  der  HChr.  weist  von  den  Aussagen  des  Tw.  eine 
wesentliche  Verschiedenheit  auf  Die  HChr.  berichtet  von  dem 
»Bunde«  der  Fulen  der  Hausastaaten  mit  'Utmän,  besonders  auch 
von  Göbir,  gleich  zu  Anfang  der  Predigertätigkeit  desselben,  während 
der  Tw.  ausdrücklich  betont,  daß  die  Fulen  die  letzten  gewesen 
seien,  die  sich  der  Sache  *Utmäns  angeschlossen  hätten.  Die  HChr. 
erregt  dadurch  den  Eindruck,  als  habe  'Ut  man  schon  sogleich  den 
Beistand  seiner  Stammesgenossen  gefunden,  während  '  U  t  m  ä  n  sich 
nach  dem  Tw.  noch  ganz  zuletzt  an  die  Fulen  wendet,  weil  diese 
hinter  den  Hausa  zurückgeblieben  waren.  Der  fremde  Geschicht- 
schreiber sieht  mehr  die  Etappen,  die  den  Helden  zur  Macht  führen, 
der  Mitkämpfer  weiß  mehr  von  den  Schwierigkeiten  zu  berichten 
die  zu  überwinden  waren. 

Der  Anknüpfung  von  V'erbindungen  innerhalb  der  Hausastaaten 
folgt  dem  Tw.  zufolge  dann  diejenige  von  Verbindungen  außerhalb 
derselben.  'Abdallah  berichtet  hierüber  in  folgender  Weise 
(M  12  r.  i6,  F  i6  r.  14): 

^isL    (_^y.-JI    ij.3^^J    ,'^*A«J    ~*.t^     jjÜ^     (S^ai^^JI    xJib     -^^-^3     Vj*-^'     ^-^ 

SJjp'-^        .yA         ^J  j:      S^)       '^^       ^'->        c"^^^     c}"*'^     .i^x-yiJ!      JfcÄJ      ~A      p-^'-*^^ 

')  HChr.  Tl.  S.  I74,,3— 175.7/232,5— 3-  ')  ^  j'^i^'  0  M  ^Üli^^ 

4)  F    OU.XiJi    '^J.^  5)  M   iLxji_v. 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  ^  r 

^  j 

»Als  nun  diese  Gelehrten  begannen,  den  Glauben  in  unserem 
Lande  zum  Siege  zu  verhelfen,  da  nahm  seine  Berühmtheit  zu  und 
die  Zahl  seiner  Anhänger  wurde  größer.  Die  Leute  kamen  in  Scharen 
von  Ost  und  West,  Süd  und  Nord  zum  Scheich  'Utmän  —  Gott 
erbarme  sich  seiner!  — ,  bis  seine  Sache  in  das  Land  jenes  gelehrten 
und  frommen  Scheichs  kam,  der  in  den  Westländern  und  anderswo 
unter  dem  Beinamen  El-Muhtär  berühmt  war.  Dieser  pflegte,  wie 
wir  hörten,  die  Leute  anzuspornen,  dem  zu  folgen,  was  der  Scheich 
'  U  t  m  ä  n  sagte.  Einst  kam  sogar  ein  Araber  zu  uns  aus  seiner 
Heimat,  der  uns  sagte,  er  sei  einer  seiner  Schüler.  Es  hieß  der 
Serif.  Wir  empfingen  ihn  mit  großen  Ehren  und  fragten  ihn 
nach  den  Lebensumständen  des  Scheichs  El-Muhtär  und  er 
schilderte  uns  dieselben,  bis  er  sich  bereit  machte  zur  Rückkehr 
zum  Scheich  El-Muhtär.  Ich  schrieb  Verse  und  sandte  sie  mit 
ihm  zu  dem  Scheich,  aber  ich  glaube  nicht,  daß  sie  angekommen 
sind.« 

Der  hier  erwähnte  Scheich  El-Muhtär  ist  zweifellos  der  Scheich 
El-Muhtär  el-Kebir,  das  Haupt  der  Qädirija  Bekkaja,  von  dem 
auch  Barth,  i!^.  &  Zf.  IV,  S.  669,  berichtet,  daß  er  ein  »freundschaft- 
liches Verhältnis  mit  *Othmän  dan  Fodie,  dem  Djihädi,  eröffnet 
habe«.  Über  seine  sonstige  Geschichte  berichtet  Le  Chatelier  im 
y>L Islam  dans  F Afrique   Occide7itale<(.   genauer-). 

Wichtig  ist  indessen  für  die  Beurteilung  der  Bedeutung,  die 
*Utmän  damals  schon  besaß,  daß  sowohl  nach  dem  Tw.  als  auch 
nach  Barths  Angabe  die  Anregung  zur  Anknüpfung  eines  freund- 
schaftlichen Verhältnisses  nicht  von  'Utmän,  sondern  von  El-Muhtär 
ausgeht.  Von  einer  späteren  aktiven  Teilnahme  El-Muhtärs  an 
den  Unternehmungen  'Utmäns  oder  auch  nur  von  einer  Unter- 
stützung derselben,  hören  wir  nirgends  etwas.  Der  Schlußsatz  des 
Berichtes  ^Abdallahs:  > —  aber  ich  glaube  nicht,  daß  sie  zu 
ihm  gelangt  sind«,  scheint  auch  darauf  hinzudeuten,  daß  das  Brüder- 
paar sich  in  seinen  Hoffnungen  auf  El-Muhtär  enttäuscht  ge- 
fühlt hat. 

Im  Vertrauen  auf  seine  über  die  ganzen  umliegenden  Staaten 
zerstreuten  Stützpunkte  und  auf  die  Kraft  seiner  eigenen  Anhänger - 


')  Ergänze   vielleicht  L4J 

-)  Eine  Liste  der  Werke  Sldi  El   Muhtärs  gibt  Louis  Massignon.  RMM.   Vlll. 
S.    134. 


26  A.  Brass, 

Schaft  fühlt  sich  *  U  t  m  ä  n  nunmehr  stark  genug,  seinem  Schiffe  lang- 
sam einen  andern  Kurs  zu  geben.  Wann  der  Gedanke,  dem  Islam 
auf  politischem  Wege  zum  Siege  zu  verhelfen,  zuerst  in  ihm  Wurzel 
faßte,  läßt  sich  schwer  beurteilen.  Es  ist  die  Bahn,  auf  die  nach 
Muhammeds  Vorgange  fast  alle  islamischen  rehgiösen  Führer  un- 
vveigerHch  geraten  sind.  'Abdallah  spricht  hierüber  in  der  Ein- 
leitung zu  seiner  arabischen  Übersetzung  der  Qaside  Al-Qädirija 
mit  folgenden  Worten  (M  I2v.  i8,  F  I7r.  i): 

^^jÄJ^     ^l;i>-^i!       ^    ^_fc;*:2r=Vj     J**:>-     ^'-rr^'     'iJ^S^     ^'wäxil    Ä^jlsye     u.g.A.Lb^ 

»Als  dann  der  Scheich  'Utmän  —  Gott  lasse  den  Ruhm  des 
Islams  durch  ihn  dauern !  —  sah,  daß  die  Gemeinde  groß  geworden 
war  und  daß  sie  die  Trennung  von  den  Ungläubigen  und  die  Er- 
klärung des  Glaubenskrieges  forderte,  da  begann  er  sie  zu  den  Waffen 
anzuspornen  und  sagte  zu  ihnen  :  »Das  Bereitmachen  der  Waffen  ist 
Sunna!«  Da  begannen  wir  die  Waffen  bereit  zu  machen.  Er  aber 
betete  zu  Gott,  daß  er  ihn  das  Königtum  des  Islams  in  diesen  Ländern 
schauen  lassen  möge,  und  dichtete  darüber  seine  Ful- Qaside  4) 
AI-  Qädirlja. « 

Nach  dieser  Darstellung  geht  der  Gedanke  der  Verbreitung  der 
religiösen  Idee  mit  kriegerischen  Mitteln,  die  dann  zur  Losreißung 
von  der  Herrschaft  der  Hausafürsten  führt,  nicht  etwa  direkt  von 
'Utmän  aus,  sondern  vielmehr  in  erster  Linie  von  den  Mitgliedern 
der  öamä'a,  deren  Willen  'Utmän  nachgibt.  Man  könnte  denken, 
es  sei  dies  ein  Versuch  'Abdallahs,  seinen  Bruder  von  dem  Ver- 
dacht zu  reinigen,  daß  er  mit  seinen  religiösen  Bestrebungen  auch 
politische  Ziele  verfolgte.  Doch  das  wäre  modern  europäisch  ge- 
dacht. Die  Auffassung,  daß  eine  geistige  Idee  nur  mit  geistigen 
Mitteln  kämpfen  darf,  lag  gewiß  'Utmän  ebenso  wie  seinen  Gegnern 
fern.  Immerhin  war  es  ein  verantwortungsvoller  Schritt,  zu  dem 
'Utmän  sich  jetzt  entschloß,  und  'Abdallah  will  einen  Teil 
dieser  Verantwortung   wohl   auf  die  Gemeinde    abwälzen.     Übrigens 


')  F  Q^O^j-w  ^)  M     ^s  'i^^  3)  F  »A>a.s 

4)  Die  Frage,  ob  das  Gedicht  in  Hausa  oder  Ful  abgefaßt  worden,  ist,  wie  oben 
schon  erwähnt,  noch  nicht  entschieden. 


Eine  neue   Quelle  zur   Geschichte   des   Fulreiches   Sokoto.  27 

ist  diese  Wechselwirkung  zwischen  Führer  und  Volk,  dieses  Sich- 
gegenseitighineinsteigern  in  die  Spannung  vor  der  Entladung,  durch- 
aus psychologisch  begründet.  Es  kann  indessen  kein  Zweifel  sein,  daß 
'Utmän  der  eigentliche  Urheber  der  ganzen  Ful-Erhebung  gewesen, 
mag  er  sich  nun  der  ganzen  Tragweite  seines  Schrittes  im  vollen 
Umfange  bewußt  gewesen  sein  oder  nicht.  Seine  Qädirija  aber  ist 
um  mich  des  treffenden  Ausdrucks  G.  A.  Krauses  zu  bedienen,  zur 
»hausanischen  Marseillaise«  ^)  geworden. 

Die  Antwort  auf  das  Vorgehen  *Utmäns  von  selten  der  Hausa- 
könige  blieb  nicht  aus.  Bevor  wir  uns  indessen  diesen,  sich  mit 
Blitzesschnelle  zur  Katastrophe  zuspitzenden  Ereignissen  zuwenden, 
sind  zunächst  die  veränderten  politischen  Verhältnisse  in  dem  Geburts- 
lande der  Ful-Revolution,  in  Göbir,  zu  betrachten. 

Hier  hatte  sich  inzwischen  ein  Thronwechsel  vollzogen.  Der 
Tw.  berichtet  hiervon,  sowie  vor  allem  von  der  Rolle,  die  'Utmän 
bei  demselben  gespielt,  kein  Wort.  Warum,  ist  aus  dem  Folgenden 
leicht  zu  erraten.  So  müssen  wir  uns  an  die  Darstellung  halten,  die 
die  HChr.  von  diesen  Ereignissen  gibt^). 

Auf  Bäwa  Ga-n-Gorzo  war  sein  Bruder  Jakuba  als  Regent 
für  Bäwas  noch  unmündigen  Sohn  Junfa  gefolgt.  Derselbe  starb 
auf  einem  Kriegszuge  gegen  die  Stadt  Kjawa  nach  einer  von  Barth 
auf  sieben  Jahre  angegebenen  Regierung  3).  Bei  seinem  Tode  hob 
*Utmän  seinen  Schüler  Junfa,  den  Neffen  Jakubas,  durch  einen 
Staatsstreich  auf  den  Thron,  indem  er  sich  mit  den  daheim  gebliebenen 
Großen  verband,  Junfa  mit  dem  Turban,  dem  Abzeichen  der  könig- 
Uchen  Würde,  krönen  ließ  und  dem  im  Felde  stehenden  Heere,  welches 
Boten  gesandt  hatte  mit  der  Nachricht  vom  Tode  Jakubas  und  der 
Aufforderung,  sich  ins  Feldlager  zu  begeben,  um  den  neuen  König 
zu  wählen 4),  die  bereits  erfolgte  Krönung  Junfas  mitteilen  ließ. 
Das  Volk,  zuerst  zornig,  fügt  sich  in  das  Geschehene,  'Utmän  aber 
wird  von  dem  neuen  König  öffentlich  mit  Ehren  überhäuft. 

So  der  Bericht  der  HChr.  Jedenfalls  ging  'Utmän  bei  dieser 
Intrige  von  der  Berechnung  aus,  daß  er  seinen  Schüler  Junfa  durch 
seinen   Einfluß  zur  Puppe  in  seinen  Händen   machen  könne. 

'Utmän  war  offenbar  ein  durchaus  klarer,  klug  berechnender 
Kopf,   ein   Mann,    der    mit    beiden  Füßen    fest   auf  dem   Boden    der 


')  G.  A.  Krause  bei  Piuetze,  Hausa-Sänger  S.  9. 

2)  HChr.  S.  176,  6— 177, 5/232, 30  ff. 

3)  Barth,  R.  &  E.   IV,   539. 

t)  Über    das  VVahlkönigtum    bei  den  Hausa    siehe   Mischlich,     Über  Sitten    und 
Gebräuche  in   Hausa,  Nr.  17     (MSOS.  XI,    54). 


_28  A.  Brass, 

Wirklichkeit  stand  und  mit  scharfem  Blick  wohl  einsah,  daß 
seine  religiösen  Reformbestrebungen  für  ihn  nur  dann  durch- 
führbar waren,  wenn  er  sich  einen  entscheidenden  Einfluß  bei  dem 
König  verschaftte,  einen  Einfluß,  der  sich  auf  eine  starke,  einheitlich 
organisierte  Gemeinde  stützte.  Daher  sein  planmäßiges  Vorgehen 
bei  der  Entwicklung  und  Stärkung  seiner  Macht.  Jetzt,  beim  Tode 
Jakubas,  bot  sich  ihm  eine  unwiederbringliche  Gelegenheit,  mit 
einem  Schlage  den  ersten  Platz  an  der  Seite  eines  Königs  einzu- 
nehmen, den  er  erzogen  und  dem  er  seine  eigenen  Anschauungen  ein- 
geimpft hatte.  So  setzte  er  sich  über  die  Ungesetzlichkeit  seines  Unter- 
nehmens hinweg  und  brachte  den  Prinzen  auf  den  Thron,  der  ihm 
ein  gefügiges  Werkzeug  in  seinen  Händen  zu  sein  schien  und  unter 
dessen  Regierung  er  das  Reich  des  wahren  Islam  aufrichten  zu  können 
glaubte.  Denn  daß  'Utmän  von  seiner  religiösen  Mission  und  der 
dringenden  Notwendigkeit  einer  durchgreifenden  religiösen  Re- 
form durchdrungen  war,  läßt  sich  keinen  Augenblick  bezweifeln. 
Seine  Anhänger  betrachteten  ihn  ebenfalls  als  einen  Propheten, 
obgleich  der  eigentliche  Prozeß  seiner  Kanonisierung  als  der 
Heilige  der  Ful  ebenso  wie  bei  Muhammed  unter  den  Arabern 
■erst  nach  seinem  Tode  eingesetzt  hat.  Dem  Wesen  des  Islams  ent- 
sprechend, das  Kirche  und  Staatsgewalt  untrennbar  miteinander  ver- 
einigt, diente  das  religiöse  Motiv  'Utmän  zugleich  auch  zu  dem 
politischen  Zwecke,  seine  Anhänger  fest  aneinanderzuschweißen. 
Es  erscheint  durchaus  wahrscheinlich,  daß  'Utmän  selbst  zunächst 
an  eine  friedliche  Lösung  seiner  religiösen  Reformatorenaufgabe  ge- 
dacht, indem  er  zugleich  durch  seinen  persönlichen  Einfluß  und  seine 
politische  Macht  Junfa  zur  Ausführung  seiner  Reformbestrebungen 
bewegen  oder  quasi  zwingen  zu  können  glaubte.  Indessen  Junfa 
scheint  ein  energischer  Kopf  gewesen  zu  sein,  der  wohl  einsah,  daß 
ein  solcher  Staat  im  Staate  das  Ende  seiner  Königsmacht  bedeute. 
Diese  Gegensätze  drängten  'Utmän  auf  den  anderen  Weg,  der  ihm 
noch  often  blieb,  er  machte  sich  bereit,  seine  Sache  mit  dem  Schwerte 
in  der  Hand  durchzusetzen.  Ebenso  wie  bei  Muhammed,  tritt 
auch  bei  'Utmän  das  politische  Element  mit  der  Zeit  für  unser 
Gefühl  derartig  in  den  Vordergrund,  daß  wir  leicht  geneigt  sind, 
anzunehmen,  daß  die  Religion  für  ihn  nur  Mittel  zum  Zweck  der 
Erreichung  politischer  Macht  gewesen  sei.  Doch  würden  wir  damit 
der  Psychologie  dieser  Theokraten  kaum  gerecht  werden. 

Über  den  Bruch  zwischen  'Utmän  und  Junfa  liegen  zwei 
ganz  verschiedene  Berichte  vor,  der  der  HChr.   und  der  des  Tw. 

Der  Tw.  berichtet  (M   14  r.  6,  F  18  r.  13): 


Eine  neue   Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  2Q» 

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^^      -^-^J       ^-jl      iNx^l         J!      (^-,_j'LkJUv.JI      ^Lwjl     ^J;^=*      Ai^     J^i^      ('^^'^•'^->^:f 

(^3LjLx^xS      Kä/«U     \JÜi      (j-3^1_5     >i)o^      •j-»l    Q^3     ^^^^^^-^^     OJ""^^     '^     L?^'' 


')    Fehlt    in    F.  -)    F     UJLc                3)  M     xftiaj  ^)    M     )^^ ^^^ 

5")  Lies  so  statt    ii)-j<^Äj  in  beiden  Handschriften.  ^)  Mss.  !»^J>Ls               7)  F  :i.U 

8)  Mss.  «js.?»          9)  F  öl -XI  '")  F  &ÄXJ          ")  M  \.'*^  ^(AfJ  ")  ^  ~>y^  ^.^lIoL^ 

3)   M  1x^x9 


30 


A.  B  r  a  s  s  , 


Ȇber    den  Grund    unserer    Auswanderung    und    unsern  heiligen 
Krieg  und  die  Verse  über  die  Schlachten  darin. 

Als  die  Könige  und  ihre  Helfer  sahen,  daß  die  Schar  des 
Scheichs  die  Waffen  bereit  machte,  fürchteten  sie  sich  davor.  Dazu 
hatten  sie  schon  vorher  deren  starke  Zahl  und  ihr  Sich-absondern 
von  ihren  Befehlen  erzürnt.  Da  sprachen  sie  die  Feindschaft  offen 
aus,  sie  bedrohten  die  Schar  mit  Raubzug  und  Ausrottung  und  was 
ihre  Brust  an  noch  Schlimmerem  barg.  Und  sie  verboten,  was  sie 
hörten,  daß  Tracht  der  Schar  sei,  wie  die  Turbane  und  die  Vorschrift  für 
die  Frauen,  sich  zu  verschleiern.  Da  fürchteten  sich  einige  aus  der 
Schar  vor  ihrer  Drohung,  nämlich  die  Leute  unseres  Bruders  'Ab- 
dessaläm.  So  wanderten  diese  schon  vor  uns  aus  nach  einem  Ort 
in  Kebbi  mit  Namen  Gimbana.  Der  Sultan  von  Göbir  schickte  zu 
ihnen,  sie  sollten  zurückkehren,  aber  sie  weigerten  sich.  Darauf 
sandte  dieser  Sultan  zum  Scheich  eine  Aufforderung,  er  solle  zu  ihm 
reisen,  und  wir  reisten  zu  ihm.  Er  beabsichtigte  uns  umzubringen, 
aber  Gott  gab  ihm  keine  Gewalt  über  uns.  Als  wir  zu  ihm  eintraten 
in  seinen  Palast,  da  kam  er  zu  uns,  und  wir  waren  unser  drei,  der 
Scheich,  ich  und  'Umar  al-Kamawi,  des  Scheichs  Freund.  Da 
warf  er  sein  Naphta  auf  uns,  um  uns  mit  dessen  Feuer  zu  ver- 
brennen, aber  das  Feuer  kehrte  auf  ihn  zurück  und  hätte  ihn 
fast  vor  unsern  Augen  verbrannt,  während  von  uns  keiner  ver- 
brannt wurde.  Er  aber  floh  nach  hinten  zurück.  Nach  einer 
Weile  kehrte  er  zu  uns  zurück  und  setzte  sich  in  unsere  Nähe, 
wir  aber  kamen  zu  ihm  und  redeten  ihn  an.  Er  sagte  zu  uns: 
,Wisset,  daß  ich  keinen  solchen  Feind  auf  Erden  habe,  wie  euch', 
und  erklärte  uns  seine  Feindschaft  und  wir  erklärten  ihm,  daß  wir 
uns  nicht  vor  ihm  fürchteten,  da  ihm  Gott  keine  Macht  über  uns 
gegeben  hätte.  Darüber  sagte  er  etwas,  was  Gott  ihn  sagen  ließ, 
ich  kann  es  aber  hier  nicht  wiedergeben.  Gott  aber  hielt  ihn  von 
uns  zurück.  Und  wir  gingen  von  ihm  weg  zu  unserer  Wohnung, 
und  niemand  wußte  von  dieser  Angelegenheit  etwas  außer  uns.  Der 
Scheich  sagte  zu  uns:  ,Haltet  dies  geheim,  und  ich  will  zu  Gott 
für  uns  beten,  daß  wir  nicht  wieder  mit  diesem  Heiden  zusammen 
treffen'.     So  betete  er  und  wir  sprachen  Amen  dazu. 

Dann  kehrten  wir  heim  in  unser  Land.  Jener  aber  sandte  darauf 
ein  Heer  aus  gegen  die  Schar  des  'Abdessaläm  und  bekriegte  sie. 
Und   er  tötete,    wen    er   tötete    von    den    Muslimen,    und   nahm    ge- 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  5  £ 

fangen,  wen  er  gefangen  nahm.  Der  Rest  zerstreute  sich  im  Lande 
Kebbi.  Dieser  Erfolg  vermehrte  noch  seinen  Hochmut  und  seine 
Anmaßung.  Und  er  und  die  ihm  folgten  von  den  Leuten  seines 
Landes,  Heiden  und  Übeltäter,  begannen  uns  mit  solchen  Dingen 
zu  bedrohen.  Schließlich  sandte  der  Sultan  an  den  Scheich  die 
Aufforderung,  er  solle  seine  Gemeinde  verlassen  und  sich  in  einen 
anderen  Distrikt  begeben,  er  allein  mit  seiner  Familie.  Da  ließ  ihm 
der  Scheich  sagen:  ,Ich  verlasse  meine  Gemeinde  nicht,  aber  ich  ver- 
lasse dein  Land.  Gottes  Erde  ist  weit!'  Und  wir  rüsteten  uns  zur 
Auswanderung.  Da  schickte  der  König  dem  Scheich  den  Befehl, 
sich  nicht  von  seinem  Orte  zu  entfernen.  Dieser  aber  weigerte  sich 
und  wir  wanderten  aus  zu  einem.  Orte  außerhalb  des  Landes  (Jun- 
fas)  in  der   Steppe  mit  Namen  Oudu.« 

'Abdallah  berichtet  uns  nur  von  der  Entwicklung  der  Feind- 
seligkeiten, verschweigt  uns  aber,  w^orin  das  »Sichabsondern  von  den 
Befehlen«  der  Fürsten  bestanden  hat,  das  diese  so  zum  Zorne  reizte. 
Hierüber  gibt  uns  die  HChr.  bessere  Auskunft.  Danach  wäre  es  u.  a. 
das  eigenmächtige  Vorgehen  *Utmäns  gewesen  und  das  Übergehen 
der  Person  des  Sultans  in  Dingen,  die  eigentlich  dessen  Sache 
gewesen  wären,  wie  die  Durchführung  des  Grundsatzes  von  der  Frei- 
heit aller  Mohammedaner,  sowie  überhaupt  der  mangelnde  Respekt 
*Utmäns  und  seiner  Anhänger  vor  dem  Fürsten  und  seinen  Organen. 
Von  der  Szene  im  Schloß  des  Königs  weiß  die  HChr.  nichts.  Sie 
wurde  ja  auch,  wie  'Abdallah  berichtet,  ausdrücklich  geheim  ge- 
halten.    Der  Bericht  der  HChr.  lautet  wie  folgt: 

Nach  der  Erwähnung  der  hohen  Ehrungen  'Utmäns  durch 
Junfa  bei  Gelegenheit  der  Thronbesteigung  fährt  die  HChr.  un- 
mittelbar fort'): 

»Eines  Tages  lehnten  sich  die  Bewohner  der  mächtigen  Stadt 
Döso  in  Sabarma,  die  dem  (schwachen)  König  von  Kebi  gehörte, 
auf  Dieser  sandte  zum  König  von  Göbir  und  bat  ihn,  er  möge 
die  Stadt  bekriegen  und  einnehmen.  Der  König  von  Göbir  willigte 
ein  und  sandte  Waru  Kunkunbere  mit  700  Reitern  ab.  Dieser 
kam  auf  seinem  Wege  durch  eine  gewisse  Stadt  mit  Namen 
Ginbana.  In  dieser  Stadt  lebte  ein  angesehener  Hausapriester 
namens  Abdu-l-Salämi  mit  vielen  Schulkindern.  Derselbe  fürchtete 
Gott.  Als  Waru  kam,  stand  er  am  Tore  der  Moschee.  Er  sagte 
zu  diesem  Priester,  er  solle  herkommen  und  ein  Gebet  für  ihn 
verrichten,   weil    ihn    der    König    von    Göbir    in    den    Krieg    gesandt 


')  HChr.  S.    I77>  5— 179' 11/233,  6  ff. 


^2  A.  B  rass , 

habe.     Dieser  Priester   kam    jedoch    nicht,    sondern    sagte,    er   habe 
keine    Zeit.      Waru    zog    ab,    führte    Krieg    und    nahm    die    Stadt 
Döso  ein.     Er  wählte  vier  gute  Sklaven  aus,  kam  wieder  zurück  und 
sagte  zu    dem  Priester,    er   solle  herkommen  und  ein  Gebet  für  ihn 
verrichten,  er  bringe  ihm  als  Opfer  vier  gute  Sklaven.     Der  Priester 
weigerte  sich  jedoch  zukommen.     Waru  wurde  zornig  und  zog  ab. 
Er  erzählte  es  dem  König  von  Göbir  und  sagte:   ,Sieh,  ein  Priester, 
der  mich  verachtete.     Derjenige,  der  mich  verachtet,  verachtet  auch 
dich.     Du  hast  gehört,  was  wir  gemacht  haben.'     Der  König  sagte: 
, Kehre  zurück,    fange    ihn  und  bringe   ihn    hierher!'     Waru    kehrte 
nach  Ginbana   zurück,    überfiel  die  Bewohner    sehr  rasch    mit  Krieg 
und  besiegte  sie.    Angesehene  Leute  begaben  sich  in  die  Moschee; 
Waru  ließ  sie  daselbst  und  nahm  nur  Kinder,  Frauen  und  junge  Leute 
eefaneen.     Um  dieselbe  Zeit,  als  der  Sohn  des  Födio  die  Nachricht 
hörte,   daß  man  die  Bewohner  von  Ginbana  besiegt  habe,  befand  er 
sich    im  Lager  von  Fako.     Viele  Fulen  versammelten   sich   bei  ihm, 
weil  er  sehr  verehrt  war.    Sofort  sandte  er 'Abdu-1-Lähi  ab.   Erging 
und   sagte   zum    König  von  Göbir:    ,Priester  Usmän    läßt  dir  sagen, 
daß  dieser  Priester,    den    du  befohlen   hast  zu    besiegen    und    herzu- 
bringen, sein  Schüler  sei.     Auch  in  dieser  seiner  Stadt  gäbe  es  ein- 
zelne Mohammedaner,  weshalb  er  dich  bitten  läßt,  du  möchtest  ihm 
die  Ehre  erweisen,  und  diese  Mohammedaner  nicht  zu  Sklaven  machen, 
sondern  freilassen.'     Yunfa  antwortete:  ,Sage  ihm,  er  möge  sich  an 
den  Weg  stellen,  wenn  diese  Krieger  kommen.     Er  möge  Ausschau 
nach  ihnen  halten,  und  wenn  er  diese  Mohammedaner  sähe,  so  möge 
er  sie  versammeln  (getrennt  von  den  übrigen)  und  dann  zusammen 
mit  Waru  zu  mir  zu  kommen,  auf  daß  ich  sie  für  ihn  befreie.'    Der 
Priester  Usmän    stellte  sich  mit  seinen  Leuten  auf  den  Weg.     Als 
diese  Krieger  kamen,  sagte  er  kein  Wort,  sondern  band  alle  Sklaven 
los,  Männer  und  Frauen,  und  ließ  sie  frei.     Als  Waru  kam,    fragte 
er,  wer  die  Sklaven  losgebunden  habe.     Man  sagte  ihm:  ,Der  Priester 
Usmän.'     Er  fragte  weiter,  warum  .^     Man  sagte  ihm,  der  König  von 
Göbir  habe  es  so  angeordnet.     Waru  wurde  zornig,  ließ  alle  Sklaven 
los,    ging    zum  König  von  Göbir    und   fragte   ihn:    .Warum  hast  du 
mich  in  den  Krieg  geschickt.^     Ich  habe  Sklaven  gefangen,  du  sagst, 
man   soll   sie  losbinden   und  freilassen,    obwohl  du  sie  nicht   einmal 
gesehen   hast.'     Yunfa    entgegnete:    ,Wer  hat    das  getan .^'     Waru 
sagte:  ,Der  Priester  Usmän.'     Yunfa  sagte:  ,Ich  habe  nicht  so  ge- 
sagt.    Du  hast  gehört,  was  Usmän   sagte,  und  sieh,  was  ich  sagte.' 
Dann    sandte  Y'unfa  einen  Boten  namens  Barmo  ab   und  sagte  zu 
ihm:   ,Geh',  sage  dem  Priester  Usmän,  der  König  rufe  ihn  auf  der 


Eine  neue   (,)iielle  zur  Geschichte   des   Fulieiches   Sokoto  -,  -> 

■  0  :> 

Stelle!'  Der  Bote  ging,  aber  der  Priester  Usman  weigerte  sich  zu 
kommen.  Der  König  wurde  zornig  und  sandte  den  Polizeiobersten 
ab.  Er  sagte  zu  ihm,  er  solle  ihn  mit  Gewalt  herbringen.  Als  er 
kam,  sagte  der  Priester  Usmän,  man  solle  ihm  Schläge  geben.  Dem 
Polizeiobersten  wurden  daraufhin  Schläge  verabfolgt.  Die  Göbir- 
leute  sagten:  ,Heute  ist  es  nicht  gut,  seit  man  den  Pohzeiobersten 
des  Königs  geschlagen  hat.'  Der  König  sandte  alsdann  den  General 
von  Göbir  ab,  um  Usmän  zu  bekriegen.« 

Die  Ereignisse  werden  sich  also  etwa  folgendermaßen  zugetragen 
haben : 

Im  Staate  Göbir  liatte  sich  durch  die  systematische  Propaganda- 
tätigkeit 'Utmäns  ein  neues  Gemeinwesen  auf  religiöser  Basis  gebildet, 
das  indessen  dort  nicht  lokahsiert  blieb,  sondern  sich  mit  einer  großen 
Anzahl  von  Stützipunkten  über  nahezu  alle  Hausastaaten  nördlich 
des  Benue  von  Bornu  bis  nach  Timbuktu  hin  ausgebreitet  hatte. 
Daß  die  Könige  dieser  Staaten  nun  doch  allmählich  mit  >oroe  auf 
dieses  immer  mehr  an  Macht  zunehmende  Gebilde  hinzublicken  be- 
gannen, ist  leicht  verständlich.  Persönliche  Reibungen  des  Sultans 
Junfa  mit  dem  Führer  der  Bewegung,  dem  er  den  Thron  verdankte 
und  der  deshalb  leicht  geneigt  war,  seine  Würde  nicht  zu  respektieren 
und  ihn  nur  als  Werkzeug  zu  benutzen,  verstärkten  das  Mißver- 
hältnis. So  trafen  sie  denn  zunächst  Maßregeln  zur  Unterdrückuntr 
der  äußeren  Abzeichen  der  Gemeinde,  indem  sie  Turban  und 
Schleier  verboten.  Zieht  man  in  Betracht,  welche  außerordent- 
liche Bedeutung  im  ganzen  Orient  den  äußeren  Abzeichen  in 
der  Kleidung  beigelegt  wird,  vor  allem,  wenn  es  sich  um  die 
Zugehörigkeit  zu  einer  bestimmten  Bruderschaft  handelt,  so  wird 
es  klar,  wie  empfindlich  ein  solches  Verbot  eine  erfolgreiche 
Propaganda  der  Gemeinde  treffen  mußte.  Neben  diesen  sozusagen 
polizeilichen  Maßregeln  ließen  die  Hausafürsten  aber  auch  deutlich 
durchblicken,  daß  sie  gesonnen  seien,  nötigenfalls  dem  weiteren  Um- 
sichgreifen der  Gemeinde  mit  Waffengewalt  Einhalt  zu  tun.  Durch 
diese  Drohungen  veranlaßt,  spaltet  sich  ein  Teil  der  Schar  unter 
dem  Hausapriester  'Abdessaläm  ab  und  wandert  nach  Gimbana 
aus.  In  der  Tatsache,  daß  'Abdessaläm  bei  Beginn  des  Bruches 
zwischen  'Utmän  und  Junfa  in  Gimbana  ist,  stimmen  Tw.  und 
HChr.  überein.  Hier  mag  sich  dann  ein  Vorfall,  wie  ihn  die 
HChr.  beschreibt,  abgespielt  haben.  Jedenfalls  zeigte  derselbe,  wie 
selbstherrUch  'Utmän  gewohnt  war,  sich  zu  betragen.  'Abdallah 
berichtet,  Junfa  habe  zuerst  'Ab dessal am  selbst  befohlen,  zurück- 
zuwandern, dann  aber  nach  dessen  Weigerung  sich  an  den  Oberherrn 

Islam  X.  , 


■JA  A.  B  r  as  s  , 

der  Gemeinde,  an  'Utmän  ,  gewandt,  den  er  zu  sich  zitiert.  Bei  dieser 
Audienz,  der  kurz  darauf  eine  zweite  folgt,  ohne  daß  eine  Einigung 
zustande  kommt,  geht  es  heiß  her.  Über  den  Inhalt  der  Verhand- 
hnip-en  erfahren  wir  von  ^Abdallah  nichts  Näheres.  'Utmän  hat 
in  denselben  wohl  im  Bewußtsein  seiner  Macht  und  in  seinem  reli- 
giösen Fanatismus  an  Junfa  Forderungen  gestellt,  die  ftir  diesen 
unannehmbar  waren  und  im  Falle  von  deren  Nichterfüllung  mit  der 
Auswanderung,  d.  h.  dem  Kriege  gedroht.  Jedenfalls  kann  aber  wohl 
als  sehr  wahrscheinlich  angenommen  werden,  daß  'Utmän  an  dem 
Bruche  mit  Junfa  bei  weitem  nicht  so  unschuldig  ist,  wie  es  der 
Tw.  versucht  darzustellen. 

Nach  diesen  Auseinandersetzungen  mit  'Utmän  geht  Junfa 
nun  offen  mit  Gewalt  vor.  Er  legt  es  darauf  an,  die  Gemeinde  gänz- 
lich zu  vernichten.  Zuerst  greift  er  'Abdessaläm  an,  dessen  An- 
hänger er  zersprengt.  Dann  verfolgt  er  andere  abgesonderte  Teile 
der  Gemeinde  und  schließlich  trachtet  er  die  Muttergemeinde  selbst 
dadurch  zu  lähmen,  daß  er  ihr  das  Haupt  zu  nehmen  versucht. 
*Utmän  beantwortet  diesen  Schlag  Junfas  mit  der  Auswanderung 
aus  Göbir,  und  damit  ist  der  oifene  Kriegszustand  zwischen  ihm  und 
dem  König  ausgebrochen. 

II.  Die   Kriege  mit  den  Hausastaaten  und    die  Begründung 

des    Kaiserreichs    Sokoto. 

Eine  chronologische  Darstellung  der  Ereignisse,  die  mit  der  Higra 
ansetzen,  ist  mit  außerordentlichen  Schwierigkeiten  verbunden.  Außer 
den  spä,rlichen  Daten,  die  sich  aus  den  Angaben  des  Tw.  für  die  ersten 
Jahre  der  Kämpfe  gegen  die  Hausafürsten  errechnen  lassen,  sind  wir 
gänzlich  auf  die  mündliche  Überlieferung  angewiesen,  deren  Genauig- 
keit natürlich  im  allgemeinen  eine  zweifelhafte  ist,  solange  es  sich 
nicht  um  gleichzeitige  Ereignisse  handelt.  Die  HChr.  ebenso  wie  die 
KChr.  geben  gar  keine  Daten. 

BuRDON  gibt  das  Datum  der  Higra  auf  den  12.  Du'l-Oa'da  1218/ 
23.  Februar  1804  an  ^).  Damit  befindet  er  sich  freilich  im  Konflikt 
mit  den  bisherigen  Datierungen  dieses  Ereignisses.  Barth  gibt  zwei 
sich  widersprechende  Daten,  einmal  1802  -),  das  andere  Mal  1803/04  3). 
Monte  IL  gibt  1802,  Mockler-Ferryman  1800.  Die  Datierung  der 
Higra   auf  1802  ist  nach  den  Angaben  des  Tw.,  der  als  Datum  1218/ 


I)  Sokoio  history,  Tafel  i. 
-)  R.   &.  E.  IV,  S.  152. 
3)  R.   &.  E.  IV,  S.  169. 


Eine  neue  (^)uelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  ^c 

1803/04  angibt  i),  zu  früh  gegriffen.  Es  ist  zudem  auch  sehr  unwahr- 
scheinhch,  daß  zwischen  der  Higra  und  der  ersten  Schlacht  am  Teiche 
Koto,  die  der  Tw.  auf  den  12.  Rebr  I.  1219/22.  Juni  1804  datiert  2), 
ungefähr  2  Jahre  verflossen  sind.  So  ist  die  BuRDONSche  Datierun«- 
-4  Monate  vor  der  Schlacht  bei  Koto,  am  12.  Du'1-Oa'da  12 18  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  die  richtige. 

Über  die  nächsten  Ereignisse  nach  der  Higra  berichtet  'Abdallah 
folgendes  (M  14  v.  9,  F  19  r.  9) : 

OJ-*^^-  [^-^^  g^-^'  ,_5-^5  j;x^j   ^^xi   ij^i'  (3LLXi>Lj    ^jl    5j>^    ti^_»    ^Ls 

-.-Ldc     .:^x.:i.J!      'wi-oLs     idOJ»     <Ax^S     Ui     L-oi.«.Äs^Ls     L-Öji!     ;jij.>.:>i.J!       .,JL«^ 
^,\    !^kl\     J^.^^0     'c^-i^s    ^-i;^^3     IXaIa\     |^L5'    oUö    J-xä   j.^^     'ü.>j!      J;-...-^;.' 

*i-  Li*i>  .i)Up    wI-ä:^    ^2    xx^iU    v_jU-<i!    (-^j^^JL^i  :«üi.Lj"S  ^ic  ^.xjLj  ^x> 


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l7Xjj,Ji  ^^x  ;jij.>.>^l  ^4^  ^\^ä^  l;.J!   oi.-o  j^js.   ^jLLiJL«    i:.L=^     ^^^5'  (_.,'LliJL^ 
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»Da  gab  der  König  den  Gouverneuren  seines  Landes  den  Be- 
fehl, sie  sollten  jeden  ergreifen,  der  zum  Scheich  reise.  Da  begannen 
sie  die  Muslime  in  Anfechtungen  zu  bringen,  indem  sie  sie  töteten  und 
ihre  Habe  wegnahmen.  Schließlich  kam  es  so  weit,  daß  sie  Heere  gegen 
uns  entsandten.  Da  versammelten  wir  uns,  als  das  immer  ärger  wurde, 
und  machten  den  Scheich  zum  Emir  über  uns,  damit  feste  Ordnung  in 
unsere  Sache  käme,  denn  vorher  war  er  (nur)  unser  Imam  gewesen  12).  Ich 

M   In  dem  Schlüsse   des  Tw.  (s.  o.)  wird   angegeben,  das  Jahr  T22S  sei   das  Zehnte 
nach  der  Higra  'Utmäns. 
^)  S.    u.   S.  38,.. 
3)  M  Äi>Lj  die  Stelle  fehlt  in  F  bis   *.  •*)  M        U  5)  F  .Ij 

'-)  Das  Lj,A/9L  muß  wohl  an  dieser  Stelle  pcstrlchen  werden. 

...       J!  o 


^6  A.  Brass, 

aber  war  —  gelobt  sei  Gott!  ■ —  der  Erste,  der  ihm  den  Huldigungseid 
zum  Gehorsam  und  auf  das  Buch  und  die  Sunna  leistete.  Dann  warfen 
wir  dortselbst  eine  Befestigung  aus  und  nahmen  Rache  an  denen, 
die  uns  bekriegt  hatten,  und  bekriegten  und  eroberten  die  Feste  ^) 
Mutankari-),  später  auch  die  Feste  des  Sultans  von  Konis).  Da 
rückte  der  Sultan  von  Göbir,  Junfa,  gegen  uns  heran.  Der  hatte  die 
Heere  der  Nuba  und  der  Tuareg  und  derjenigen  Ful,  die  ihm  Gefolg- 
schaft leisteten,  gesammelt  —  Gott  allein  kennt  ihre  Zahl!  Da 
schickte  der  Fürst  der  Gläubigen  4)  ein  Heer  aus  gegen  ihn  und  über- 
trug mir  den  Oberbefehl  darüber.  Wir  stießen  mit  dem  Feinde  zu- 
sammen an  einem  Orte  mit  Namen  Qu r dam,  nahe  an  einem  Teiche, 
der  dort  lag,  namens  Koto.  Gott  aber  schlug  ihre  Heere  in  die  Flucht 
in  seiner  Gnade  und  Güte,  ihm  gebührt  Lob  und  Dank.  Und  wir  er- 
beuteten ihren  Besitz  und  töteten  und  verjagten  sie.  Dann  kehrten 
wir  wohlbehalten  zum  Scheich  zurück.« 

Nach  diesem  Bericht  unternimmt  also  'Utmän  seine  ersten  Züge 
von  einem  in  dem  Orte  Qu  du,  dessen  Lage  leider  nicht  zu  ermitteln 
ist,  als  Stützpunkt  angelegten  Fort  aus.  Von  dort  aus  erfolgt  dann 
die  Einnahme  der  Orte  Mutankari  und  Birni-n-Koni.  Die  HChr.  be- 
richtet auch  von  einem  Angriffe  eines  Generals  von  Gobir,  den  'Utmän 
zurückweist.  Vielleicht  handelt  se  sich  dabei  um  ein  Gefecht  am 
Rima,  denn  dieser  Name  wird  im  Tw.  des  öfteren  zusammen  mit 
Mutankari  und  Koni  erwähnt.  Inzwischen  hat  Junfa  sein  Heer  ge- 
sammelt, das  außer  seinen  eigenen  Truppen  noch  aus  den  Kontin- 
genten der  Tuareg,  Nüba  und  der  nicht  zu  'Utmän  stehenden  Ful 
bestand.  Man  ersieht  daraus,  daß  selbst  in  nächster  Umgebung 
'Utmäns  durchaus  noch  nicht  alle  Ful  sich  seiner  Sache  angeschlossen 
hatten  —  wie  sich  später  zeigt,  waren  unter  diesen  sogar  zwei  Oheime 
'Utmäns,  - — •  sondern  daß  ein  Teil  derselben  ohne  weiteres  gegen  ihre 
Stammesbrüder  mit  deren  Feinden  zu  Felde  zogen.  Es  kann  also 
nicht  richtig  sein,  wenn  die  HChr.  179,  letzte  Zeile,  behauptet,  Junfa 
habe  eine  allgemeine  Fulverfolgung  angeordnet,    da   »es  recht  sei,   die 


')  Der  Tw.  nennt  beinahe  jeden  Ort  eine  Feste  f  .  Ai:s-Y    Die  Städte  in  den  Hausa- 

staaten  sind  fast  alle  mit  Mauern  umgeben,  um  sie  gegen  räuberische  Überfälle  der  Nach- 
barn zu  schützen.  Obwohl  diese  ^lauern  \on  primiti\ster  Konstruktion  waren,  charakte- 
risierten sie  die  damit  umgebenen  Orte  in  den  Augen  der  Ful  als  Festungen. 

*)  Von  den  beiden  bei  Barth,  R.   &  E.  IV,  S.  549  und  552  genannten  Orten    dieses 
Namens  kommt  hier  wohl  nur  der  bei  Sabo-n-Birni  in  Betracht. 

3)  Birni-n-Koni. 

4)  'Utmän   nimmt    also  nunmehr   nach   seiner  Wahl,    die   nach   dem   Vorbilde   des 
Khalifenstaates  erfolgt,  den  Titel  .linli  u'l-Mu'minin  an. 


Eine  neue   Oiielle   zur  Geschichte   des   Fulreiches   Sokoto. 


n 


Ful  vollständig  auszurotten«.  Als  den  mit  Junfa  verbündeten  Tuareg- 
stamm  bezeichnet  eine  Randnote  des  Tw.  (Hdschr.  M)  die  Asbinleute. 
Die  IlChr.  berichtet  ebenfalls,  daß  Junta  mit  dem  König  von  Asbin, 
Agunbulu,  dessen  Name  auch  im  T\v.  an  anderer  Stelle  genannt  wird, 
verbündet  gewesen  sei. 

Über  (\i:\\  W'rlauf  der  großen  Befreiungsschlacht  bei  Ourdam  be- 
riiditcn  zwei  von  'Abdallah  auf  den  Sieg  gedichtete  QasTden  genauer 
(M  15  r.  ff.,  F  29  V.  3  ff.).  Danach  waren  die  Truppen  der  Gemeinde 
unter  dem  Oberbefehl  'Abdallahs  nach  Osten  marschiert,  um  dem 
von  dort  erwarteten  Feind  entgegenzuziehen.  Dieser  hatte  indessen 
offenbar  eine  Umgehung  ausgeführt  und  stand  westlich  von  'Ab- 
dallah. Er  beabsichtigte  wohl  das  von  Truppen  entblößte  Qu  du -Fort 
zu  überfallen.  In  eiligstem  Gewaltmarsch  rückt  'Abdallah  in  der 
Nacht  vom  lo.  auf  den  ii.  Rebi'  I.  zurück  durch  das  Fort  Qu  du  nach 
Qurdam,  dessen  Lage  unbekannt  ist,  das  aber  wohl  nicht  weit  nördlich 
des  Rima  zu  suchen  ist.  Hier  kommt  es  dann  an  einem  Teiche  namens 
Koto  zur  Schlacht,  in  der  Junfa  eine  entscheidende  Niederlage 
erleidet,  obwohl  er  nach  den  Angaben  des  Tw.  über  die  doppelte  Über- 
macht verfügte,  und  die  Truppen  'Abdallahs  infolge  des  angestrengten 
Marsches  ermattet  und  dezimiert  waren.  Junfa  selbst  vermochte 
sich  mit  einem  Teile  seiner  Panzerreiter  in  wilder  Flucht  durch  die 
Wälder  von  Bagüi  an  den  Rima  zu  retten,  wo  er  die  Trümmer  seines 
Heeres  sammelte.  Seine  Weiber,  sein  ganzer  Train,  darunter  die  könig- 
lichen Insignien,  Trommeln  und  Blasinstrumente,  sowie  eine  gewaltige 
Menge  von  Panzern  und  Waffen  fielen  in  die  Flände  des  Siegers.  Be- 
sonders die  Erbeutung  der  letzteren  wird  'Utmän  außerordentlich 
willkommen  gewesen  sein^).  Die  HChr.  berichtet  von  einer  dreitägigen 
Schlacht,  am  ersten  Tage  habe  'Utmän  5 000  und  am  zweiten  Tage 
4500  Mann  Verluste  gehabt,  habe  aber  am  dritten  die  feindlichen 
Armeen  vollständig  geschlagen.  Agunbulu  sei  gefallen.  Das  letztere 
beruht  indessen  auf  einem  Irrtum;  aus  dem  Tw.  geht  hervor,  daß  Agun  - 
bulu  noch  in  der  mehrerejahre  später  geschlagenen  Schlacht  bei  Fäf  ara 
gegen  'Utmän  gekämpft  hat-).  Die  Darstellung  der  HChr.  verfolgt  offen- 
sichtlich die  Tendenz,  die  Schlacht  und  den  endlichen  Sieg  'Utmäns 
als   m()glit-hst  großartig  hinzustellen.     Aus  dem  Schlußsatze  des  obigen 

')  Sehr  interessant  ist  auch  die  Mitteilung  im  Tw.,  daß  eines  der  Kampfmittel  im 
Werfen  vor  brennendem  Naphtha  bestand  (M  16  v.  10),  das  Junfa  schon  bei  der  denkwürdigen 
Unterredung  mit  'Utmän  vergeblich  anzuwenden  versucht  hatte.  Vgl.  hierzu  M.  J.  de 
GoEjE,  Quelques  observations  siir  le  feu  Gregeois,  in  Estndios  de  Erudicion  oriental  (Hom. 
a.  D.  Francesco  Codera,  Zaragossa,   1904). 

^)  S.  u.  S.   51,  7  V.  u. 


-.0  A.  B  r  ass  , 

Berichtes  des  Tw.  geht  hervor,  daß  'Utmän  persönHch  an  der  Schlacht 
gar  nicht  teilgenommen  hat,  so  daß  das  Verdienst  des  Sieges  allein 
seinem  Bruder  'Abdallah  zukommt.  Das  Datum  der  Schlacht  gibt 
der  Tw.  auf  Donnerstag  den  12.  Rcbl'  I.  1219/22.  Juni  1804  an^j.  Bur- 
don weicht  in  der  Datierung  um  7  Tage  ab,  er  setzt  die  Schlacht  auf  den 
19.  Rebi'  I.  an.    Das  Datum  des  Tw.  ist  als  das  richtige  zu  betrachten. 

Die  Folgen  des  Sieges  'Utmäns  waren  bedeutend.  Die  Angriffs- 
kraft von  Göbir  war  fürs  erste  gelähmt.  Zuerst  sendet  *Utmän  bzw. 
sein  Bruder  ^\bdalläh  nun  an  die  noch  ■  heidnischen  Ful,  an  seine 
Oheime  mütterlicherseits  Dädi  und  Zaid,  und  fordert  sie  in  einer 
langen  Siegesqaside  auf,   sich  der  Gemeinde  anzuschließen. 

Die  nächste  Folge  von  Koto  war  eine  verschärfte  Muslimenver- 
folgung in  den  gesamten  Hausastaaten,  deren  Könige  nunmehr  mit 
erschreckender  Deutlichkeit  die  Größe  der  Gefahr  für  den  Bestand 
ihrer  Reiche  vor  Augen  sahen.  Wahrscheinlich  ist  dies  die  Fulver- 
folgung,  die  die  HChr.  vor  Koto  ansetzt,  und  ist  )>Muslimün«  des  Tw. 
gleich  »FulänU  der  HChr.  zu  setzen.  Die  Kämpfe  'Utmäns  gegen 
die  Hausastaaten  zeigen  immer  deutlicher  das  Bild  des  Rassenkampfes 
der  Ful  gegen  die  Hausa. 

Über   die   auf   die   Schlacht   von    Koto   folgenden  Ereignisse    be- 
richtet der  Tw.  (M  17  r.  11,  F  21  v.  ult.): 


oLf>   Jo'   ^^A    laüil   J^\    ^^.X^Jss   \J!    .xLaj.i    L'w^oLäJ!  jijs.  j-^^    ^^ 


l5 


o 


I)  Dieses  Datum  ist  aus  den  Angaben  des  Tw.  M  15  r.  12  —  18  errechnet.    Daraus 

ergibt  sich:    i)  Befehl  'Abdallahs  zum  Marsche  nach  Koto:    10.  RebT'  I.:    2)  Marsch 

durch  das  Qudu-Fort:  Nacht  des  10.  auf  den  11.  Rebl';   3)  Aufstellung  des  Fulheeres: 

II.  Rebi*  bis  zum  Abend.    Die  Schlacht    selbst   ündet  nach  M  16  v.  3:   ^v^-m-^^i     »yr. 

gto  J^  d.h.  am  Donnerstag  den   12.  Rebl'  I.  statt. 

^)'m  ^yxiü  3)  F  ^,,JL-mJ<  ")  F  U^i^         ^    -)  ^  jL-^ 

^)  M  J  :)  F  ^  .  ytj  verbessert  in  ^^;_-^.  ^  ^^  (»^-^  ,*^5 


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d^jrtfr- 

1)        Ji      "-^t^^' 

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Eine  neue   (^)uelle  zur  Geschichte   des   Fulieichcs   Sokoto.  ^q 

u\*j:?U8    'ui^i>^    ÄA/8fcj     C'i^LUl    «_^5>l>o     ('^,*.AX/a    ^^'i-:^    ^V« 

(■'  .,u4.5>J5iA>.c    O^'*    ^r*"*-'-^    tN.^.==V^  J.LAl^S!3    qSA*-w    x^äL   ^,j.^^^S    ^avs..:>\J    ^,j 

Jü'Laö?  Ui  *Lj^fti!     -Jlc    ,Jv.5l    ^    l\a/!..j    ^i>.ä5'.    *^^c»    J>^*av    iA^>^^/fl    ,-^j    uX.j;. 

.,j-Ju*^j5      ,.,_jJUäj      .Joti!      J-jJ^I      lÄxäJ      (T-^^^*      f*T*^*^       i__^'*^-^      ^'»-^-^-^^•==*3 

»joJ!  xi.Ji   j*.Ij  ^»  i^L;i-»   .Ax^ji» 

»Als  nun  Gott  den  Sultan  von  Göbir  zurückgeschlagen  hatte, 
begannen  wir  sie  mit  Krieg  zu  überziehen,  während  sie  uns  nicht  be- 
kriegten. Das  erzürnte  alle  Könige  in  Hausa  und  sie  wurden  dadurch 
gedemütigt.  Da  begannen  sie  die  Muslime,  die  unter  ihnen  waren,  in  An- 
fechtungen zu  bringen,  so  daß  diese  sich  nach  einem  Distrikt  zurück- 
zogen. Darauf  kämpften  wir  mit  ihnen,  und  es  öffnete  uns  Gott  das  Land 
des  Emirs  von  Kebbi  und  wir  zogen  ungefähr  einen  Monat  nach  der 
Niederlage  des  Junfa  dorthin.  Dann,  nach  ungefähr  zwei  Monaten, 
kehrten  wir  .zurück  ins  Land  Göbir  und  eroberten  Lande,  die  ich, 
so  Gott  will,  in  der  Oaside:  ,Das  Eroberungsheer'  nennen  werde.  Der 
Fürst  der  Gläubigen  rüstete  alsdann  ein  Heer  aus  und  gab  mir  den 
Oberbefehl  über  dasselbe  gegen  fUe  Feste  des  Emirs  von  Göbir,  Al- 
qalaua.  Wir  gelangten  zu  ihr  hin  und  stürmten  dreimal  gegen  sie 
mit  größter  Wucht  von  allen  Seiten  her  an.  Aber  Gott  bestimmte 
uns  nicht,  sie  damals  (schon)  einzunehmen.  Dann  kehrten  wir  zum 
Scheich  zurück  auf  die  Nachricht  hin,  daß  die  Tuareg  über  unsere 
Familien  herfielen.  Ich  war  damals  am  Fuß  durch  einen  Pfeil  ver- 
wundet beim  ersten  Sturmangriff,  Gott  aber  machte  mir  rlie  Sache  leicht. 

Als  wir  nun  zum  Scheich  kamen,  machte  er  sich  auf  mit  der  ge- 
samten Anhängerschar  und  der  Familie,  und  wir  gelangten  zu  einem 
Orte   mit   Namen   Cuneua.      Da   versammelten    sieh    die   Heere    von 


■■)  Jvl  ^\^  (')  Felill  in  M.  7)  F  ^^  ,^xi 


40 


A.   B  r  a  s  s  . 


Göbir  mit  ihren  Tuareg  und  man  ließ  sie  uns  unerwartet  überfallen. 
Wir  hatten  aber  nicht  eher  von  ihnen  etwas  gemerkt,  als  bis  sie  schon 
da  waren  bei  uns  unter  unseren  Familien.  Die  Gemeinde  traf  mit 
ihnen  zusammen  und  es  stieß  ihr  eine  Niederlage  zu.  Es  fielen  von 
ihr  unzählige  ihrer  Besten,  unter  andern  der  Bannerträger  an  jenem 
Tage,  unser  Bruder  Muhammad  b.  Hasan,  der  unter  dem  Bei- 
namen Sa'dän^)  bekannt  war;  ferner  der  Imäm  Muhammad  Sambo 
b.  *Abderrahmän  und  Zaid  b.  Muhammad  Sa'd.  Ich  war  an 
jenem  Tage  wegen  der  Pfeilwunde  am  Fuß  nicht  imstande  aufzustehen. 
Als  aber  die  Flucht  bis  zu  uns  kam,  stand  ich  auf,  obgleich  ich  lahm 
war.  Ich  traf  auf  die  Flüchtlinge  und  warf  mich  ihnen  entgegen. 
Einige  folgten  mir,  bis  wir  auf  die  erste  Reihe  des  Feindes  stießen, 
wie  sie  gerade  mordete  und  raubte.  Da  stellte  ich  meine  Leute  in  Reih 
und  Glied  auf  und  "wir  schössen  auf  den  Feind  auf  einmal  eine  Salve 
ab.  Da  wurde  der  größte  Teil  von  ihnen  überwältigt  und  nicht  einer 
blieb  stehen.  Gott  aber  jagte  sie  in  seiner  Macht  in  die  Flucht  und 
wir  verfolgten  sie.  Als  die  Flucht  vor  dem  Scheich  gekommen  war, 
da  stieg  er  zu  Pferde  und  folgte  uns,  aber  als  er  kam,  hatte  Gott  den 
Feind  schon  in  die  Flucht  gejagt.« 

Bevor  also  'ütmän  in  Ausnützung  seines  Sieges  nun  seinerseits 
die  Offensive  ergreift,  unternimmt  er  zuerst  einen  Stoß  zur  Sicherung 
seiner  Flanke  und  seines  Rückens  gegen  das  benachbarte  Kebbi,  un\ 
alsdann  freie  Hand  gegen  Göbir  zu  haben,  ohne  daß  er  eine  Bedrohung 
seiner  Operationsbasis  in  Abwesenheit  seines  Heeres  zu  befürchten 
braucht.  Etwa  einen  Monat  nach  der  Schlacht  bei  Koto,  also  im 
Rebr  II.  12 19/ Juli-August  1804  rückt  er  in  Kebbi  ein  und  »erobert 
das  Land«  in  zweimonatlichem  Feldzuge.  Von  einer  vollständigen 
Eroberung  von  Kebbi  kann  indessen  hier  noch  gar  nicht  die  Rede 
sein,  wie  die  schweren  Kämpfe  mit  Kebbi  in  den  nächsten  Jahren 
beweisen.  Der  ganze  Zug  gegen  Kebbi  ist  eben  nur  als  ein  Sicherungs 
stoß  aufzufassen,  der  die  Einwohner  von  Kebbi  auf  einige  Zeit  in 
Schach  halten  sollte  und  daher  auch  nur  die  Unterwerfung  der  nächst- 
gelegenen Landstriche  umfaßt  haben  wird. 

Nach  Ausführung  dieser  Vorsichtsmaßregeln  wendet  sich  'Utmäu 
dann  seiner  Hauptaufgabe,  der  Vernichtung  Göbirs,  zu.  Zunächst 
erobert  er  eine  Reihe  von  festen  Plätzen  und  entsendet  dann  ein  Heer 
unter  dem  Kommando  'Abdallahs  gegen  die  feindliche  Hauptstadt 
Alqalaua.    Der  dreimalige  Sturm  mißlingt^),  'Abdallah  selbst  erhält 

■)  »Der  Pavian«. 

-)  Es  zeigt  sich  hier,  wie  bei  vielen  späteren  Gelegenheiten,  wie  ungeeignet  die  Reiter- 
hecre  der  Ful  zur  Belagerung  von  Städten  waren. 


Eine   neue   Quelle  zur  Geschichte   des   Fulreiches   Sokoto. 


41 


einen  Schuß  in  den  Fuß.  Zudem  trifft  die  Nachricht  eni,  daß  die 
Tuareg  eingefallen  seien.  Da  zieht  'Abdallah  von  Alqalaua  ab. 
Nach  der  Rückkehr  des  Heeres  zieht  'Utmän  mit  seiner  gesamten 
Macht  den  wiederum  die  Offensive  ergreifenden  Göbirleuten  und 
Tuareg  entgegen.  Er  wird  indessen  bei  Cuncua  überfallen  und  unter 
.schweren  Verlusten  geschlagen.  Nur  dem  entschiedenen  Eingreifen 
'Abdallahs  glückt  es,  mit  einem  kleinen  Häuflein  der  Flüchtigen 
die  Verfolgung  des  Feindes  zu  hemmen  und  dessen  Vorhut  zurück- 
zuwerfen. Ja,  nach  der  Schilderung  'Abdallahs  hat  sich  der  an- 
fängliche Sieg  der  Verbündeten  in  eine  Niederlage  verkehrt.  Das 
scheint  allerdings  auch  aus  der  sonst  unverständlichen  Tatsache  hervor- 
zugehen, daß  auf  die  Schlacht  bei  Cuncua,  gleichsam  als  deren 
Folge,  eine  zweite  Belagerung  Alqalauas  stattfindet.  Der  Tw.  fährt 
nämlich  fort   (M  17  v.  13,   F  22  v.  5): 


O"       ^r^-v"    Lf"      '■^^'^3     (jr^"^     -A.A.x.*^i     ^vj^-     ^^>.Ä.j     ^j 


.,   .  0-. 


-^Jj->'-^  ^^■^  '.N-Ä-w   ^.^1    AÄc    i-?^5    -Ü.>OfcS    JJCi    .-^i     .^A    LÄJ    xJÜ!    (^  L.g.rg>J^s    vXi» 


u^ 


^♦-1 


-  fcxiJ'        ix^:>     fcP»     e^JAi    ^.^^^-»-j::^    w'wxzi     ^-^^j"!)!      ^j!     ,  cJ^jl    v»^i'     ,.,>.IiLw 


...ixL.   _^].^j  N.r^.XÄi  ^J  \j   (^-;.>ci>  viJ.:^i    *j,    >sl\.L  .3»^     J!   Lv.;-5   \j  ^ 


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WÄJ 


»vsA_ 


c-i-«.-'      j-5    -Pac      c'^^'fr*^    "^^^^       .,^iiL.v 


-J-      j*— -^''      ^^      -^r-^N-C         -Jw-yv.      (,^J  .,^i_lAAv       ^J.^1^*       ^j.>^5        ^Ax^.;:^  .^, 


\*/5        C;..w        ,JtJl 


j.>.5     ^Ax^.;^       •yJ.wvs^» 


»Nach  diesen  Ereignissen  brachen  wir  dann  auf,  bis  wir  in  die 
Nähe  der  Feste  Alqalaua  kamen,  und  belagerten  sie  ungefähr 
einen  Monat  lang.  Dann  zogen  wir,  als  der  Hunger  in  der  Gemeinde 
zu  stark  wurde,  nach  dem  Lande  Zanfara  und  Gott  öffnete  es  uns 
ohne  Kampf.     Wir  langten  dort  ;m  am  Ende  des  ersten  Jahres  nach 


')  M  wÄ-\;;i  =)  M  ü^.i;  0  M  ■!.^^.^^\  ')  !• 


.XaJI 


5)  F  ^^, 


A2  '^-   B  r  a  s  s  , 

unserer  Auswanderung  im  Monate  Du'1-OaMa.  Als  wir  das  Opferfest- 
gebet  verrichtet  hatten,  machte  ich  mich  bereit,  den  Emir  von  Kebbi 
zu  begleiten,  der  samt  seiner  Gefolgschaft  zum  Islam  übergetreten 
und  unserer  Gemeinde  gefolgt  war,  bis  wir  mit  ihm  zu  dem  Orte  zu- 
rückkehrten, wo  wir  gelagert  hatten  —  nämlich  Säbo-n-Gari  — ,  um 
ihn  nach  seinen  Wohnort  zurückzubringen.  Und  wir  führten  den 
Glaubenskrieg  gegen  das  Land  des  Sultans  von  Kebbi,  der  sich  ge- 
weigert hatte,  Folge  zu  leisten,  und  ich  rüstete  zu  diesem  Zwecke 
ein  Heer  aus.  Das  ist  das  , Eroberungsheer'.  Und  wir  marschierten 
mit  denen,  die  uns  folgten.  Da  stießen  die  Leute  des  Landes  des  Sultans 
von  Gumi  mit  uns  zusammen  in  einer  Schlacht  bei  einer  Festung 
namens  Kunda,  und  wir  eroberten  alle  Orte  bis  zum  letzten  Ort  jenes 
Landes  und  ließen  keine  Festung  unerobert.  Da  bat  der  Sultan  von 
Gumi  uns  um  Gnade,  ich  aber  gewährte  ihm  Gnade  in  seiner  Festung 
nur  unter  der  Bedingung,  daß  ich.  wenn  ich  von  dem  Kriegszuge 
heimkehrte,  mit  ihm  zum  Fürsten  der  Gläubigen  reiste,  und  so  ge- 
schah es.  Gott  öffnete  uns  einige  zwanzig  Festungen,  darunter  die 
Feste  des  Sultans  von  Kebbi.  Sie  werden  in  dem  Gedichte  auf-^e- 
zählt  werden.  Wir  aber  kehrten  —  Gott  sei  gepriesen!  • —  wohlbe- 
halten und  beutebeladen  zurück.« 

Die  zweite  Belagerung  der  feindlichen  Hauptstadt  endigt  als«"» 
wiederum  mit  einem  Mißerfolg.  Diesmal  muß  die  Belagerung  wegen 
Hungers  bei  den  Belagerern  aufgegeben  werden.  Das  Datum  dieser 
zweiten  Belagerung  Alqalauas  läßt  sich  auf  die  Monate  Sawwäl  bis 
DuM-Qa'da  12 19/ Januar  bis  Februar  1805  festlegen.  Im  Du'1-Oa'da 
12 19  bis  gegen  Mitte  Du'1-Iiigga  desselben  Jahres  folgt  dann  die  Er- 
oberung von  Zanfara,  die  sich  ohne  SchAvertstreich  vollzieht.  Ein 
llauptgrund  zu  dem  \'erhalten  der  Bewohner  von  Zanfara  den  Ful 
gegenüber  liegt  wohl  in  dem  Nationalhaß,  der  zwischen  ihnen  und 
den  Göbirleuten  herrschte,  seitdem  der  Göbirkönig  Babäri  die  Haupt- 
stadt des  Landes,  eine  mächtige  Handelsstadt,  erobert  und  zerstört 
hatte  (1764),  um  dadurch  die  von  ihm  selbst  gegründete  Hauptstadt 
von  Göbir,  Alqalaua,  zur  Blüte  zu  bringen  ^). 

Von  Säbo-n-Gari  2),  dem  Hauptquartier  *Utm ans,  aus  wendet 
sich  'Abdallah  mit  einem  Heer  dann  gegen  Kebbi.  Auf  dem  Marsch 
hat  er  zuerst  noch  einen  Kampf  mit  dem  Sultan  von  Gumi  3>,  in  desset^ 
Gebiet  er  wahrscheinlich  den  Fluß  Gega  überschreiten  wollte,  zu  be- 


')  Barth,  R.   &  E.  IV,  S.  539. 

-)  Hausa:  »Neustadt«,  in  der  Nähe  der  Einmündung  des  Gidbc-n-Kcbbi. 

3)  Das  Land  Gumi  liegt  am  mittleren  Laufe  des  Flusses  Jega. 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  A-y 

stehen.  Es  kommt  zu  einer  Schlacht  bei  Kunda^),  in  der  ^Abdallah 
einen  Sieg  erficht,  der  die  Eroberung  des  ganzen  Landes  zur  Folge 
hat.  Von  Gumi  aus  dringt  dann  ^^.bdalläh  in  Kebbi  ein  und  erobert 
einen  großen  Teil  des  Landes.  Über  den  Gu  Ibe  -  n- Kcbb  i  scheint 
'Abdallah  indessen  nicht  vorgedrungen  zu  sein.  Unter  den  von 
'Abdallah  in  der  auf  diese  Ereignisse  gedichteten  Oaside  (M  l8  r.  6, 
F  23  r.  3)     genannten    eroberten    Festungen    sind    die    bedeutendsten 

I.  Kunda,  nördlich  des  Flusses  Gega,  zu  Gumi  gehörig-);  2.  Mäsu, 
südlich  Gando  3) ;  3.  Gefuru,  östlich  Gando?);  4.  Magäzi-n- 
Käda,  wohl  identisch  mit  dem  \"on  Barth  genannten  Magadji-n- 
k<4da  3) ;  5.  Mätäti,  wohl  identisch  mit  dem  bei  Barth  genannten 
Madadi  3) ;  6.  Zö  r  o  (Barth  schreibt  Soro)  am  unteren  Gulbe-n-Kebbi  4) ; 
7-  Geggi  am  unteren  Gulbe-n-Kebbi  4) ;  8.  Randäli  am  unteren 
Gulbe-n-Kebbi  4) ;  9.  Lai  1  ab  a  ,  das  als  besonders  stark  bezeichnet  ^\■ird, 
am  Gulbe-n-Kebbi,  nahe  bei  Augi  5). 

Die  Züge  in  Kebbi  haben  bis  Ende  Muharram  1220  gedauert. 
Von  der  Einnahme  der  Feste  Födi,  deren  Lage  indessen  nicht  zu  be- 
stimmen ist,  gibt  der  Tw.  auch  das  Datum,  den  12.  (oder  22.  nach  AI) 
Muharram    1220/12.    (22.)   April    1805    (Mi8r.  15,    F  23  r.  12). 

Am  letzten  Muharram  1220  trifft  'Abdallah  mit  seinem  Korps 
wieder  in  Säbo-n-Gar  1  bei  'Utmän  ein.  Von  hier  aus  \\er(len  dann 
in  den  nächsten  6  Monaten  Streifzüge  gegen  die  benachbarten  liinder 
gemacht,  über  die  aber  keinerlei  Einzelheiten  bekannt  sind.  Anfang 
Sa'bän  1220/Ende  Oktober  1805  verlegt  'Utmän  seine  Operations- 
basis nach  Gando  in  dem  eroberten  Gebiete  von  Kebbi.  Die  \'erlegung 
des  Hauptquartiers  nach  Gando  läßt  sich  wohl  so  erklären,  daß  'Utmän 
beim  Kampfe  gegen  Kebbi  sowohl  wie  gegen  Göbir  einen  Stützpunkt 
haben  wollte,  der  näher  am  Feinde  lag.  Überraschen  mvif]  nur  die 
Wahl  gerade  Gandos  seiner  ungünstigen  strategischen  Lage  wegen, 
denn  dasselbe  liegt  in  einem  Kessel  und  wird  von  allen  Seiten  von  den 
umliegenden  Flöhen  beherrscht. 

Die  folgenden  Ereignisse  behandelt  der  Tw.  nur  ganz  kurz.  Er 
berichtet  von  Kriegszügen,  die  von  dem  neuen  Hauptquartier  aus 
unternommen  wurden,  in  deren  Verlauf  'Utmän  eine  schwere  Schlappe 
bei  Alwasa'')    erleidet,    bei  der  viele  Anhänger    ihr  Leben  verlieren. 


')  An  der  Nordscite  des  Flusses  Gega. 
^)  Barth,  R.  &  E.  IV,  S.  550. 
?)  Ibid.   S.  551. 

4)  Ibid.  S.  552. 

5)  Ibid.  S.  548. 

^)  Nahe  Sogirma,  am  unteren  Gulbc-u-Kebbi  {R.   &.  E.   W ,  S.  552). 


_^^  A.  Brass. 

Der  Feind  dringt  sogar  bis  zum  Hauptquartier  vor.  E)as  bescheidene 
»aber  Gott  warf  sie  zurück«  deutet  darauf,  daß  die  Niederlage  eine 
sehr  ernste  gewesen  sein  muß.  Im  Zusammenhang  mit  dieser  Nieder- 
lage steht  der  Abfall  der  frisch  unterworfenen  Kebbileute.  Der  Text 
lautet  (M  19  r.  15,   F  24  r.  12): 


I»  jL:    _£_iC!   \JitM  i'-ÄP  lÄXXx  ,»-^»\.*j1 


'^ 


^-  a-'^  l5' 


f.X        X^^  mA^ 


C'-- 


^.äJ     vA.i^x.v..:     ^i       _i     ^o».^     *.-wi      .^A.^.     .PwXäj     »i«..;)    _«.o»    *J.J)    ...  «A.A«» 

♦PJ.I2J    CK^i    ,XJ.j^^      ^1\    i.\js^'^\  Jva2.  .  £.^^  .^LXc^^.:^  .-■vX:  bJAc   P  *.i-*H    -    -^ 

»Und  als  wir  nach  Säbo-n-Gari  zurückgekehrt  waren  am  letzten 
Tag  des  Muharram,  blieben  wir  dort  6  Monate  lang  und  machten 
Kriegszüge  und  eroberten  Ortschaften.  Dann  siedelten  wir  über  nach 
Gando  im  Anfang  des  Monats  Sa'bän  im  2.  Jahre  nach  unserer  Higra 
und  begannen  die  Feinde  zu  bekriegen,  bis  sich  das  Ereignis  von  AI- 
wasa  ereignete,  einem  Orte  in  Kebbi.  Da  starben  unzählige  von  unserer 
Schar  den  Glaubenstod,  ja  der  Feind  kam  bis  zu  unserer  Feste  Gando. 
Da  \varf  sie  Gott  zurück,  nachdem  die  meisten  Hausabewohner  von 
Kebbi  sich  gegen  uns  empört  hatten.« 

Hierauf  folgt  eine  Oaside  über  das  berichtete  traurige  Ereignis 
und  dann  wird  fortgefahren   (M20V.  9,   F  26  v.  10): 

■  ^     -      --  Lr        ^J  ^  ■  <J  ■  ^  Lr  ■■  '        KJ       \^ 

,  ij.iji5       -5     ..>_>^J»    ,.,.j^*.^     V^>;-v,w5    ^^:>'^    .i>i.' 

»Dann,  als  Gott  die  .Feinde  von  uns  weggetrieben  hatte,  begannen 
wir  Raubzüge  gegen  die  Abtrünnigen  zu  unternehmen,  bis  wir  uns 
im  4.  Jahre  unserer  Higra  anschickten  zum  Kriegszug  gegen  Alqalaua, 
und  wir  zogen  aus  Ende  Regeb.  und  der  Sa'bän  (1222/Oktober  1807) 
brach  herein,  während  wir  unterwegs  waren.« 

Nachdem  »Gott  die  Feinde  vertrieben  hat«,  werden  also  Rache- 
züge   gegen  die  aufständischen    Kebbi    unternommen.      Einzelheiten 

I)  Fehlt  in  F.  '-)  ^^^;^  3)  F  ^3ijJ?,  4)  F  .__Jt  5)  Mss  ^v 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  4- 

darübcr  sibt  uns  'Abdallah  nicht.  Unsere  anderen  Quellen  berichten 
von  einör  Eroberung  und  Zerstörung  Bi  rni-n- Kebbis.  Barth  gibt 
dafür  das  Jahr  1221/1806  an^),  eine  Zahl,  die  auch  ganz  wahrschein- 
lich klingt.  Der  Grund  für  'Abdallahs  Schweigen  ist  wohl  in 
dem  Umstände  zu  suchen,  daß  er  in  dieser  Zeit  nicht  an  der 
Spitze  des  Heeres  stand,  sonst  würde  er  sich  die  Schilderung  der 
Eroberung  der  Kebbihauptstadt  schwerlich  haben  entgehen  lassen. 
Als  Heerführer  treten  vielmehr  nach  der  HChr.  Mojigo  und  Alu 
Gedi  auf.  Dieser  Umstand  steht  gewiß  im  Zusammenhange  mit 
der  weiter  unten  geschilderten  Reise  'Abdallahs  nach  Kano. 
Die  Chronologie  dieses  ganzen  Krieges  gegen  Kebbi  läßt  sich  nicht 
genau  festlegen.  Da  aber  das  nächste  Ereignis,  das  'Abdallah 
berichtet,  der  Zug  gegen  Alqalaua,  in  den  Oktober  des  Jahres 
1807  fällt,  so  läßt  sich  daraus  schließen,  daß  der  Krieg  mit  Kebbi 
von  frühestens  Mai  1805  bis  spätestens  Oktober  1807  gedauert  hat. 
Genauer,  wenn  auch  nur  ganz  kurz,  berichtet  über  dieses  letztere 
Ereignis  die. HChr.  -).  Sie  gibt  an,  daß  die  Generale  'Utmäns,  Mojigo 
und  Alu  Gedi,  letzterer  ein  Sohn  'Utmäns  3),  die 'Hauptstadt  von 
Kebbi,  Birni-n-Kebbi,  eingenommen  und  den  König,  Hödi  Da-n- 
Taräna,  vertrieben  hätten.  Der  König  habe  sich  nach  Kinda  zurück- 
gezogen und  von  dort  aus  den  Krieg  wxntergeführt.  Die  Kriege  mit 
Kebbi  ziehen  sich  dann  ja  durch  die  ganze  Geschichte  des  Reiches 
Sokoto  sowie  des  Reiches  Gando  bis  zur  Gegenwart.  'Abdallah 
erwähnt  von  nun  an  keine  Kämpfe  mit  Kebbi  mehr,  offenbar  war 
die  Kraft  Kebbis  fürs  erste  gebrochen. 

An  die  Niederwerfung  Kebbis  schließt  sich  dann  ein  Zug  gegen 
Alqalaua.  Über  dessen  Ausgang  berichtet  'Abdallah  ebenfalls  nichts. 
Während  des  Marsches  gegen  Alqalaua  verläßt  'Abdallah  das  Heer 
und  unternimmt  eine  Reise  nach  Kano.  Als  Grund  seiner  Reise  gibt 
er  die  weltliche  Gesinnung  der  Brüder  und  ihre  Eifersucht  im  Punkt 
der  weltlichen  Ehre  an,  von  der  er  sich  auch  selbst  nicht  freispricht. 
Es  werden  hier  offenbar  irgendwelche  Unstimmigkeiten  im  Großen 
Hauptquartier  angedeutet,  bei  denen  die  Frage  des  Kommandos  eine 
Rolle  gespielt  /.u  haben  scheint,  und  die  den  Rücktritt 'Abdallahs 
von    der  Führung   des   Heeres  und   seine  zeitweilige   Entfernung  vom 


0  R.  &  F..  IV,  s.  216. 

-)  HChr.   II,   S.  182,  2- S. 

3)  R.  &  E.  IV,  S.  541.  Über  die  hervorragende  Rolle,  die  er  unter  Mohammud 
Bello  und  'Atlq  spielt,  siehe  den  Ta'riö  Sokoto,  S.  W^  tir.  111,  ^.t  "■  a-  D'-T  ^''^ 
Barth  genannte  Moedji    ist  wohl  mit  Moiig-o  identisch. 


jß  A.  Brass, 

Hauptquartier   zur  Folge  hatten.      ^Abdallah  sagt  über  seine  Reise 

folgendes  (M20I.  12,  F  25  1.  13): 

.^^W    ,.,L^^U    ,.,a.3^M    j^l^    ^J^    ^^    o^   ^^^L>    J.S    ^^\ 

J..*<U.i        -V    ^"^J^      c^^    --^^3    .c^^   ^^^^'    ^-^^^^^    r"    "^^^    '^A^^   ^ii 


Ol 


,.^JoNijl         kN^wSl         ,    ^        ,• 


!  jLiX^^      .^i     ,»ui>Lo    *?./«l    -  ^     ■y'^i     A-^s.     ,UXil    ^U!     <ij     Xi    f^^>^i 
(9j    ,^Jt*      ^5    (iUÄJ    SJ^*>^    <^    ^^^    '^^^^    ^jj^^    l5^-^  J-^    ^-^ 

i^j^   ,.TjiJ!    .x.*>ÄJ-  ^x*^  0'*^^  ^L-^3  r^^^^'  --^  L^'^  ('°.*^' 

^,iAx£    LU:>-3    *PJ^;:^    -^V\>3    _c^Ji   _^Ai.-i    ^"^T  13,^.^*^3    ^y^\    f^^'  '^-'^r*^ 

»Da  (wä,hrt'nd  wir  auf  dem  Marsche  gegen  Alqalaua  waren) 
kam  zu  mir  eine  Eingebung  von  Gott,  daß  ich  mein  Heimatland  und 
die  Brüder  verlassen  und  mich  hinwenden  solle  zum  Besten  der  Ge- 
schöpfe Gottes,  um  das  göttliche  Wohlgefallen  zu  suchen,  weil  ich 
sah,  wie  die  Zeit  und  die  Brüder  sich  zum  Bösen  verändert  hatten, 
wie  sie  zu  den  Dingen  dieser  Welt  neigten,  und  wie  sie  eifersüchtig 
aufeinander  waren  um  weltliche  Herrschaft,  weltliche  Güter  und  welt- 


')  F  >^>^JLc  ^)  F  ^J^  3)  F  ^jj  4)  M  ^^.*^ftJ  5)  F  -üAfslS 

<-)  Fehlt  in  M.  <)  F  j^l:^"  ^)  Fehlt  in  M.  9)  M  ^  ">)  Fehlt  in  M. 

-")  Fehlt  in  M. 


Eine  neue   Quelle  zur  Geschichte   des   Fulreiches   Sokoto.  i  - 

4/ 

liehe  Ehre,  und  dabei  den  Besueh  von  Moscheen  und  Schulen  vernach- 
lässigten und  anderes  mehr,  und  weil  ich  wußte,  daß  ich  der  Schlech- 
teste unter  ihnen  war  und  selbst  nicht  frei  war  von  dem,  was  ich  bei 
den  andern  sah,  da  hielt  ich  es  für  meine  Pflicht  zu  fliehen,  und  ich 
\erließ  das  Heer  und  beschäftigte  mich  mit  meiner  Seele.  Und  ich 
ging  nach  Osten,  nach  dem  ,Auserwä,hlten'  Gottes,  wenn  Gott  nur 
das  möglich  machen  wollte.  Und  ich  betrat  mit  5  Gefä,hrten  die  Wüste 
und  wir  übernachteten  dreimal,  ohne  einen  Menschen  oder  eines  Men- 
schen Spur  zu  sehen,  außer  den  Spuren  von  vielen  Elefanten  in  dieser 
Wüste.  Schließlich  ließ  uns  Gott  glücklich  in  das  bewohnte  Land 
gelangen.  Darüber  entstand  in  meinem  Herzen  die  ^J-Qaside,  ich 
teilte  sie  aber  keinem  mit.  Endlich  kamen  wir  in  das  Land  Kano. 
Dort  hinderte  man  nneh  am  Weitermarsch  und  verlangte  von  mir, 
ich  sollte  sie  lehren,  wie  sie  handeln  müßten  bei  der  Aufrichtung  der 
Religion.  Denn  ich  fand,  daß  Gott  schon  die  Heiden  von  ihnen 
vertrieben  hatte,  daß  aber  ihre  Sache  unter  ihnen  in  Verwirrung 
geraten  war,  weil  sie  sich  mit  weltlichen  Dingen  beschäftigten,  und  ich 
sah  bei  ihnen  dasselbe,  vor  dem  ich  aus  meiner  Heimat  geflohen  war. 
Da  sprach  ich  zu  ihnen:  ,Das,  was  ich  hier  bei  euch  sehe,  das  ist  das- 
selbe, vor  dem  ich  geflohen  bin,  und  ich  habe  sogar  in  meinem  Herzen 
eine  Oaside  darauf  verfaßt,  die  ich  aber  keinem  mitgeteilt  habe.'  — 
Da  drängten  sie  mich,  die  Oaside  mitzuteilen,  und  ich  schrieb  sie  ihnen 
auf.  Dann  verfaßte  ich  für  sie  mein  Buch:  ,Das  Licht  der  Herrscher' 
und  las  mit  ihnen  den  ganzen  Kommentar  des  Korans.  Da  bekehrten 
sie  sich  insgesamt  und  sie  kamen  in  Ordnung.  Sie  zerbrachen  die 
Instrumente  der  Spielerei,  die  ich  bei  ihnen  vorfand,  und  sie  machten 
aus  den  Trommelstöcken  Futterraufen  für  ihre  Pferde.  Gott  aber 
eröffnete  ihnen,  was  er  ihnen  vorher  nicht  eröffnet  hatte.  Gott  sei 
der  Preis!« 

Diesem  friedlichen  Berichte  'Abdallahs  gegenüber  berichtet  die 
HChr.^)  von  einem  kriegerischen  Zuge  der  Generale  Sulaimäna  und 
Däbo-n-Da-n-Bazau,  der  mit  der  Einnahme  von  Kano  und  der 
Vertreibung  des  Königs  Mohamma  Alwali  endigt.  Barth  be- 
richtet dasselbe-),  er  fügt  noch  hinzu,  der  König  sei  nach  Zaria  ge- 
flohen, während  die  HChr.  angibt,  man  habe  seinen  Aufenthaltsort 
nicht  gekannt.  Die  KChr.  bestätigt  die  Angabe  Barths.  Sie  teilt 
folgendes  mit  j)  :  »The  Fulani  attacked  Alwali  and  drove  him 
from  Kano,    whence  he  fled  to  Zaria.    The  men  of  Zaria  said :  ,Why 


0  HChr.    iSi,9-i2. 

2)  R.   &  E.  II,  S.  92 

3)  KChr.  S.  93. 


48 


A.  B  r as  s , 


have  you  left  Kano?'  He  said:  ,The  same  cause,  Avhich  drove  me  out 
of  Kano  will  probably  drive  you  out  of  Zaria.'  He  said:  ,1  saw  the 
truth  with  my  eyes,  I  left  because  I  was  afraid  of  my  life,  not  to  save 
my  wives  and  property.'  The  men  of  Zaria  drove  him  out  with  curses. 
So  he  fled  to  Rano  but  the  Fulani  followed  him  to  Burum-Burum 
and  killed  him  there.  He  ruled  Kano  twenty-seven  years,  three  of 
which  were  spent  in  fighting  the  Fulani.«  v. 

Die  Aneaben  'Abdallahs  und  die  der  HChr.  und  KChr.  sind 
vielleicht  in  der  Weise  miteinander  zu  vereinigen,  daß  man  annimmt, 
daß  'Abdallah  nach  der  militärischen  Eroberung  Kanos  dort  ange- 
kommen ist.  Der  Satz:  »Gott  hatte  schon  die  Heiden  vor  ihnen  ver- 
trieben«, läßt  vielleicht  darauf  schließen. 

Der  Umstand,  daß  die  Generale  Dabo  und  Sulaimäna  beide  in 
Kano  ansässige  Ful  waren,  ebenso  wie,  daß  Mojigo,  einer  der  Er 
oberer  Kebbis,  in  Kebbi  wohnte,  weist  darauf  hin,  daß  'Utmän  etwa 
vom  Jahre  1806  an  seinen  lange  und  sorgsam  vorbereiteten  Plan, 
die  Hausakönigreiche  durch  einen  Kampf  aus  ihrem  Innern  heraus 
zu  zerstören  und  seiner  Hoheit  zu  unterwerfen,  in  die  Wirklichkeit 
umzusetzen  beginnt.  Wir  haben  gesehen,  wie  'Utmän,  schon  lange 
bevor  es  zum  Bruche  mit  Junfa  gekommen  war,  in  einer  großen 
Reihe  von  Hausastaaten  und  in  Bornu  mit  dort  ansässigen,  ange- 
sehenen Ful  Verbindungen  angeknüpft  hatte.  Als  nun  die  Kunde 
von  seiner  erfolgreichen  Erhebung  in  die  Länder  dringt,  da  begeben 
sich  alle  diese  Großen  zu  'Utmän,  um  von  ihm  die  Bclehnung 
mit  der  Herrschaft  über  die  Ful  ihres  Landes  zu  erbitten.  Der 
Aufstand  'Utmäns  erschien  ihnen  nicht,  wie  'Utmän  selbst  sich 
bemüht  hatte  die  Sache  darzustellen,  als  ein  reiner  Religionskrieg 
gegen  die  »Heiden«  zur  Aufrichtung  des  wahren  Islam  im  Sudan, 
sondern  sie  sahen  darin  den  Rassenkampf  der  Ful  gegen  die  bisher 
herrschende  Rasse  der  Hausa.  \'om  Jahre  1806  an  verleiht  'Ütmän 
nun  einer  Reihe  dieser  Fulhäuptcr  die  Weiße  Fahne  ^)  und  damit  den 
Auftrag,  den  Krieg  gegen  das  Land,  in  dem  sie  ansässig  sind,  m 
'Utmäns  Diensten  zu  eröffnen.  Ihre  Losung  sollte  dabei  indessen 
stets  bleiben:  »Krieg  den  Ungläubigen!«  Diese  Methode  verrät  in 
ganz  besonderem  Maße  die  Klugkeit  und  den  weiten  Blick  'Utmäns, 
denn  auf  diese  Weise  stellte  er  den  in  den  Hausastaaten  zerstieuten 
Ful  ihre  eigenen,  mit  ihnen  vertrauten  und  bei  ihnen  angesehenen 
Häuptlinge    an    die    Spitze   und   schuf   diesen   und   damit   sich   selbst 


I)  Die  KChr.  berichtet  S.  94,   daß   Sulaimäna  von  'Utinän  auch  ein  Schwert  und 
ein  Messer  erhielt. 


Eine  neue  ()uelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  ^q 

Heere,    ohne    seine    eigenen  Truppen  im  geringsten   zu  schwä,chen  zu 
brauchen. 

Die  Einordnung  aller  dieser  Sonderfeldzüge  in  den  allgemeinen 
Rahmen  in  genauer  chronologischer  Reihenfolge  ist  unmöglich,  ich 
werde  daher  deren  Gesamtverlauf  im  einzelnen  an  passender  Stelle 
darstellen. 

Vor  das  Jahr  1806  fällt  ein  Zug  des  vScheichs  Buba  Jero  gegen 
die  Heidenstä,mme  von  Mandara  ^).  Buba  war  von  Gombe-)  aus 
auf  eigene  Faust  durch  das  Janguru-  und  Battaland  über  vSong  und 
Holma  nach  Kilba  vorgedrungen.  Hier  führte  er  zunächst  einen  Ver- 
nichtungskrieg gegen  die  am  Westhange  der  Mandaraberge  wohnenden 
Ngei-Heiden,  deren  Häuptling  sich  jedoch  in  Meiha^)  unterwarf  und 
zum  Islam  übertrat.  Nunmehr  drang  Buba  südlich  am  Rande  des 
Gebirges  vorrückend  durch  das  Land  der  Kobociheiden  südlich  bis 
Belel  vor  und  marschierte  dann  den  MäjoTieH)  aufwärts  nach  Dor- 
nomo.  Indessen  'Utmän  rief  den  erfolgreichen  General  ab,  unter 
flcm  Vorwande,  Buba  sei  ungehorsam  gegen  seine  Befehle  gewesen, 
da  er  den  Kampf  begonnen,  ehe  er  den  Befehl  dazu  von  'Utmän 
erhalten  habe,  in  Wirklichkeit  aber  wohl,  weil  er  die  Unabhängigkeits- 
gelüste Bubas  fürchtete.     Buba  erhielt  den  Titel    Lamido  5)   Gombe. 

In  das  Jahr  1807  fällt  nach  x\ngabe  Barths  '')  ferner  auch  die 
Eroberung  Katsinas  durch  die  Ful.  Über  dieselbe  berichten  Barth 
und  die  HChr.7)  genauer.  Der  Kampf  muf3  ein  überaus  langwieriger 
gewesen  sein.  'Utmän  beauftragte  die  beiden  Generale  'Umaru-n- 
Dumja  und  'Umaru-n-Dalägi  mit  der  Eroberung.  Die  Stadt  war 
außerordentlich  befestigt,  Barth  gibt  die  Dicke  ihrer  Mauern  auf 
30  Fuß  an.  Dazu  verteidigten  die  Bewohner  dieselbe  auf  das  helden- 
mütigste. So  glückt  es  denn  den  beiden  Generalen  erst  nach  einer 
sehr  langen  Belagerung  ■ —  Barth  gibt  an,  dieselbe  habe  7  Jahre 
gedauert,  eine  Zahl,  die  sicherlich  zu  hoch  gegriffen  ist  und  nur  eine 
außerordentlich  lange  Zeit  darstellen  soll  — ,  während  der  die  Not 
in  der  Stadt  auf  das  Höchste  stieg,  Katsina  durch  Hunger  zu  nehmen. 


')  Siehe  Strümpell,    Geschichte  Adamauas,  S.  5S  und  \'icaks  Boylk,  Koles  o)i  Yola 
Fulanis. 

^)  Stadt  am  mittleren  Gongola. 

3)  Bei  Mubi. 

4)  Mäjo  =  Mäo,  Ful:  Gewässer.    Der  Majo  Ticl  mündet  etwa  5  km   oberhalb  Vula 
von  rechts  in  den  Benue. 

5)  Lamido  =  König,  hier  im  Sinne  \  on  Vizekönig. 

6)  R.   &  E.  II,  S.  92. 

7)  R.   Sc  E.  ebendort;  IlChr.   I81,  5. 

Islam  X.  * 


_,.  A.   Br.iss. 

Der  König  Bä^va  Da-n-Rima  zog  sich  nach  Maräcli  zurück,  von 
wo  aus  er  den  Krieg  unentwegt  fortsetzte.  Es  gelang  ihm  oder  einen; 
seiner  Nachfolger  sogar,  Katsina  noch  einmal?  zurückzuerobern,  in- 
dessen wurde  er  bald  wieder  vertrieben.  Er  sowohl,  wie  auch  seine 
Nachfolger  haben  aber  den  Kampf  um  ihr  Land,  später  im  Bunde 
mit  den  Göbirleuten,  niemals  aufgegeben.  Mit  der  Statthalterschaft 
Katsinas  wurde  'Umaru-n-Dalägi  betraut.  Über  das  Schicksal 
*Umaru-n-Dumjas  fehlt  jede  Nachricht. 

In  Kano  herrschte  nach  der  Einnahme  der  Stadt  nach  Angabe  der 
HChr.i)  ein  Jahr  lang  Streit  zwischen  den  Generalen  Dabo  und  Sulai- 
mäna  Genaueres  über  denselben  berichtet  die  KChr.-)  'Utmän  ent- 
schied schließlich  für  Sulaimäna.  Indessen  scheint  er  die  Bestimmung 
getroffen  zu  haben,  daß  nach  dem  Tode  Sulaimänas  Dabo  Lamido 
werden  solle.  Darauf  weisen  die  Worte  der  HChr.  185,  8  hin,  S.  237, 
Z.  S  :  »Als  er  (Sulaimäna)  starb,  wurde  Däbo-n-Kanwa  König,  weil  Dabo 
von  Danbazau  während  der    Regierungszeit  des  Sulaimäna  gestorben 

Avar.«  Qiij.i  ^^'^  u^^^^^j^c^ij  ^^jb  ^A,^  o,^w^  e^j  j.^  ^,jO  ^>^j  ^.,ü 
.'UJU  \:L'.L..  Die  Regierungszeit  Sulaimänas  wird  von  der  HChr.  auf 
14,  von  der  KChr.  auf  13  Jahre  angegeben.  Dessen  Nachfolger  heißt  in 
der  KChr.  Ibrahim  Dabo  Da-n-Mohammadu3),  er  ist  indessen  mit 
dem  von  der  HChr.  genannten  Dabo-n-Känwa  identisch.  Der  Krieg 
um  Kano  hat  nach  der  KChr.  etwa  3  Jahre  gedauert,  die  Mehrzahl 
der  Städte  unterwarfen  sich,  nur  Faggam  mußte  mit  Waffengewalt 
bezwungen  werden. 

In  Zaria  4)  hatten  die  beiden  Generale  Müsa  undjamüsa  den 
König  Hakan  vertrieben.  Dieser  zog  sich  nach  Abuga  zurück  und 
führte  von  dort  aus  den  Kampf  weiter.  Mit  der  Königswürde  wurde 
Müsa  belehnt,  indessen  zeigt  die  Tatsache,  daß  auf  ihn  sein  Mit- 
feldherr Jamüsa  folgt,  daß  auch  für  Zaria  von  'Utmän  eine  gleiche 
Bestimmung  getroffen  worden  ist,  wie  für  Kano.  Die  ZChr.  bestätigt 
diese  Angabe  der  HChr.  Ihr  Bericht  hat  den  folgenden  Wortlaut  5) : 
»Malam  Müsa  wurde  Könige)  von  Zaria.  Er  kam  und  bekriegte 
das  Volk  von  Zaria.  Er  vertrieb  sie,  sie  machten  sich  auf,  gingen  und 
kamen  nach  Mangi,  wo  sie  blieben.     Da  befahl  er  aufzubrechen  und 

I)  HChr.  185,  5. 
')  KChr.   S.  94. 

3)  KChr.   S.  95. 

4)  HChr.    181,  12. 

5)  Robinson,  Specimens,  S.  103,  3. 

6)  Siehe  Mischlich,   Wörterbuch:  tshi,  S.  593,  2.  Spalte,  8. 


Eine   neue   Ouelle  zur   Geschichte   des   Fulreiches   Sokoto.  -  j 

folgte  bis  Mangi.  Als  sie  nun  die  Bedrängung  durch  ihn  fühlten,  da 
machten  sie  sich  auf  und  zogen  zum  Lande  Gwari  i),  wo  sie  eine  Stadt 
bauten  namens  Abuga  -)  und  sich  niederliei3en.f.  Hierauf  brach  er 
auf  und  marschierte  südlich  nach  einem  Lande  namens  »Land  der 
Umuaisa«  und  kämpfte  mit  diesen.  Er  vernichtete  sie,  verbrannte 
die  Stadt  und  kam  zur  Stadt  Zozo  mit  1300  Sklaven,  auch  kam  er 
mit  Pferden.  Er  gab  den  Befehl  aufzubrechen  und  zog  ins  Feld  gegen 
ein  Land,  dessen  Name  Kugama  war.  Die  Bewohner  desselben  schlugen 
ihn  vollständig,  Kakumi,  ein  Krieger,  den  er  liebte,  fiel.  Da  weinte 
er,  brach  auf  und  kehrte  zurück  nach  Zaria.  Dann  traf  er  Vorberei- 
tungen, marschierte  zu  ihrer  Stadt,  vernichtete  sie.  Die  Bewohner 
kehrten  heim  und  blieb  in  Zaria.  Er  zog  achtmal  zu  Felde  und  blieb 
9  Jahre  zu  Hause.  Er  starb  in  Zaria.  Nach  dem  Tode  des  Malam 
Müsa,  des  Bornumannes,  wurde  Jamüsa  aus  Mali  3)  König  von 
Zaria. « 

Die  KChr.  redet  ferner  noch  von  einem  Kriegszuge  des  Galadima 
Ibrahima  nach  Zaria  von  Kano  aus.  Derselbe  fällt  indessen  in  die 
letzten  Jahre  der  Regierung  Sulaimänas.  Das  Datum  der  Erobe- 
rung Zarias  ist  unbekannt,  der  Kampf  mit  den  in  den  Bergen  woh- 
nenden heidnischen  Zagezage  (Einwohner  von  Zozo)  hat  jedenfalls 
noch  viele  Jahrzehnte  gedauert  4). 

Während  der  Reise  'Abdallahs  nach  Kano  hatte  'Utmän  seinen 
dritten  Zug  gegen  Alqalaua  unternommen  5),  der  indessen  wieder  mit 
einem  Fiasko  endigte.  Denn  die  endgültige  Eroberung  wird  erst,  wie 
wir  gleich  sehen  werden,    nach  der  Rückkehr  'Abdallahs  berichtet. 

'Abdallah  spricht  im  Anschluß  an  seine  Reise  ohne  Zeitangabe 
in  einer  Oaside  (M  22  r.  10,  F  27  v.  6)  von  einer  Niederlage  der  Göbir- 
leute  im  Bunde  mit  den  Tuareg  unter  Agunbulu,  mit  Khämid,  dem 
Sultan  von  Adar,  den  Zanfaraleuten  und  den  Leuten  von  Kijä  und 
Burmi  am  Flusse  Fäfara  in  Zurmi^).  Wahrscheinlich  ist  diese 
Schlacht  in  die  Zeit  nach  der  dritten  Belagerung  AI  qalauas  zu  verlegen. 

Nach  der  Rückkehr  'Abdallahs  nimmt  nun  'Utmän  den  Krieg 
gegen  Göbir  mit  Energie  wieder  auf.  Diesmal  ist  seine  Unternehmung 
von  Erfolg  gekrönt,    Alqalaua  wird  erobert  und  zerstört,   Junfa  f?llt, 

I)  RoBiNSOx    schreibt:   guri.     Dies  ist  aber  zweifellos  das  von  der  HChr.   genannte 

■Gwäri  ^  |^^  im  südwestlichen  Zaria  am  oberen  Gurara. 
-)  Robinson  schreibt:  Habuja. 
?)  Nach  Robinson   Stadt  bei  Ilorin. 

^)  Vgl.   Staudinger,  Im  Herzen  der  Haussaländer,  S.  427. 
5)  S.  o.   S.  45. 
^)  Zurmi  am  Giilbe-n-Maradi. 

4* 


52  A.   B  r  a  s  s  , 

der  Eroberung    der    Hauptstadt    folgt    die    Unterwerfung   des    ganzen 
Landes  (M  22  v.  15,  F  28  r.  12): 

qILLv     i:»U^!»     \j.^'\.S.i\    ry^^    ^^'^    ^'    f^      <r^^^    /*"^-t^^3    Lä>JLc    (jäÜXjI    q^ 

»Und  als  Gott  der  Allweise  mich  von  Kano  zurückgeführt  hatte 
niit  seiner  Gewalt  in  seiner  Weisheit,  nahmen  wir  den  Kampf  auf 
gegen  die,  die  sich  gegen  uns  empört  hatten,  und  die  andern,  bis  uns 
Gott  die  Feste  Alqalaua  öffnete  und  den  Sultan  von  Göbir,  Junta, 
durch  die  Hand  der  Gemeinde  [umbringen  ließ  —  Gott  sei  gepriesen  — 
und  uns  von  dem  Übel  des  ganzen  Göbir  befreite.« 

Bei  der  Rückkehr  will  demnach  'Abdallah  die  gewaltige  Hand 
Gottes  in  besonderer  Weise  gespürt  haben.  Welche  Vorgänge  da 
zugrunde  liegen,  ahnen  wir  freilich  nicht. 

Nach  dem  Bericht  der  HChr.^)  zog  sich  der  Rest  der  Göbirleute 
nach  Tsibiri  in  Asbin  zurück,  von  wo  aus  sie  den  Kampf  gegen  die 
Ful  unermüdlich  fortführten.  Mit  der  Eroberung  Alqalauas  ist  für 
'Utmän  ein  großer  Schritt  zum  Enderfolg  getan:  Der  Erbfeind,  dessen 
Nähe  für  seine  Existenz  stets  eine  große  Gefahr  bedeutete,  ist  end- 
lich vernichtet,  und  'Utmän  ist  nunmehr  in  der  Lage,  sein  Reich 
weiter  auszudehnen  und  die  Eroberung  ferner  gelegener  Landstriche 
persönlich  zu  unternehmen.  Für  die  Datierung  der  Eroberung  Alqa- 
lauas besitzen  wir  keinen  Anhalt,  dieselbe  fällt  aber  in  den  Zeitraum 
Sa*bän   1222/Oktober   1807  bis  August   1808. 

Die  HChr.  weiß  von  dem  wechselvollen  Kampfe  um  Alqalaua 
nichts.  Sie  berichtet  von  dessen  Einnahme  gleich  im  Anschluß  an 
die  Schlacht  von  Koto. 

Zunächst  richtet  'Utmän  seine  Augen  jetzt  auf  das  jenseits  des 
Nigers  auf  dessen  hnkem  Ufer  gelegene  Land  Gurma^).  'Abdallah 
berichtet  über  diesen  Feldzug  folgendes  (M  22  v.  18,  F  28  r.  v.  15): 

L5  -^    ^  •       ^  kj   ..  .         l5l5-'-^V"^        l5^ 

')  HChr.   184,  I. 

-)  Nach   den  Angaben  der  »Sitten  und  Gebräuche«  ist  Gurma  das  erste  Land  westlich 
des  Nigers  gewesen,  das  von  den  Hausa  nach  deren  Ausbreitung  im  Niger-Benue-Winkcl 
angegriffen  worden  ist.     Der  König  Soba  von  Göbir  soll  diesen  Vorstoß  gemacht  haben 
<ine  Angabe,  die  mit  der  Barths  IV,  S.  539  übereinstimmt. 

3)  Fehlt  in  M.  4)  M    .  b  j" 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  c-j 

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^\..-U.J    -^    tl^J^    LJI^O      •*-*     NaS^     .Ü't    ^1     J^Ava      .liAiw    iv~»to-c.    ;j)l^»    ^-f^'-i^    (^yJ 

_V.i>iAs  (Mjol  \Ä/«  (j-LäjI  J-x>>Aj  "^^  ^-:^xit  (-^u^Ls  ^a  y/^xi  Jw:<W»  (''(^^ 
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»Dann  rüstete   der   Fürst  der  Gläubigen   ein  Heer  aus   gegen  das 
Land  Gurma  jenseits  des  Stromes,    das  Land  der   Bani   Karbäs ''), 


")  F  Laj!         ^)  F     ^^         3)  F       s  .-^0     Jl         4)  M  ucoi         5)  Fehlt   in  F. 
•■)  M  »,J^,J  7)  F     J  .^Jl  M  ,  C.AJU  «)  -M  L>.3-  ')  F  r,  -ä^^ 

^»)  Fehlt  in  M.  ")   F  Iji    I.^ 

")   »Karbäs  ist  der  Name  eines  Königs  jenseits  des  Flusses,  er  gehört  zu  denNach- 
komnven  des  Askia,  Fürsten  Suqä,  des  Gerechten.    Seine  Leute  wechselten  indessen  nach 


^4  ^^-  B  r  a  s  s  , 

und  er  übertrug  mir  den  Oberbefehl  über  das  Heer.  Durch  Gottes 
Gnade  marschierten  wir,  bis  wir  an  die  Feste  Debe^)  kamen  und  Gott 
öffnete  sie  uns,  und  wir  nahmen  alle,  die  darin  waren,  gefangen.  Ich 
aber  war  gnädig  gegen  sie  insgesamt,  ich  ließ  sie  auswandern  aus  der 
Festung  und  schickte  sie  nach  mohammedanischen  Gegenden.  Dann 
schleifte  ich  die  Festung  und  wir  zogen  ab.  Hiervon  hörten  die  Heiden 
von  Tanda,  und  sie  zerstreuten  sich  von  ihrer  Feste  und  Gott  öffnete 
uns  diese.  Es  war  eine  der  stärksten  Festungen  für  uns.  Dann 
zogen  wir  fort  und  kamen  schließlich  an  den  Strom.  Wir  fanden,  daß 
er  Hochwasser  führte,  und  man  an  das  westliche  Ufer  nur  durch  vieles 
Schwimmen  gelangen  konnte.  Seine  Breite  betrug  eine  Meile  oder 
(Jarüber,  und  es  gab  darin  Wasserreptilien,  die  den,  der  hineintrat, 
schnell  umbrachten.  Davor  fürchtete  sich  die  Gemeinde,  und  wir 
machten  betrübt  am  Flusse  Halt  und  beteten  zu  Gott.  Hierauf  schickte 
ich  einen  wagemutigen  Mann,  der  gut  schwimmen  konnte,  an  den 
Strom  und  sagte  zu  ihm:  , Steige  in  den  Fluß,  vielleicht  daß  Gott 
uns  einen  Platz  gibt,  an  dem  wir  bequem  übersetzen  können.'  Da 
ging  er  an  den  Strom  an  einer  Stelle,  die  nicht  zu  den  Einfahrten 
in  den  Strom  gehörte,  und  wo  die  Leute  nie  hineingingen.  Er  stieg 
ins  Wasser  und  ging,  bis  er  an  das  westliche  Ufer  kam,  und  das  Wasser 
reichte  ihm  nicht  über  die  Brust.  Dann  kehrte  er  zurück  und  benach- 
richtete  mich.  Ich  aber  pries  Gott  deshalb  und  teilte  es  der  Gemeinde 
mit.  Da  freuten  sie  sich  und  wir  übernachteten  am  Strome,  und  als 
wir  das  Morgengebet  verrichtet  hatten,  brach  ich  auf  zum  Strome 
auf  einem  Kamel,  ließ  jenen  Mann  mir  vorausgehen  und  vertraute 
auf  Gott,  die  Gemeinde  aber  folgte  mir.  Ich  stieg  in  den  Fluß  und 
alle  stiegen  hinein  und  priesen  Gott,  die  Leute  zu  Fuß  und  die  Reiter 
zu  Pferde  und  einige  mit  Eseln,  und  sie  ließen  die  Lasten  auf  den  Tieren, 
bis  das  ganze  Heer  wohlbehalten  auf  der  Insel  Fäs  herausstieg.  Die 
Ungläubigen  aber  hatten  nicht  erwartet,  daß  einer  diesen  Strom  nach 
ihrer  Seite  hin  überschreiten  würde,  und  wir  trafen  sie  in  Unachtsam- 
keit an  und  überfielen  sie,  töteten  einen  Teil,  nahmen  einen  andern 
gefangen  und  vernichteten  ihre  gesamten  Saaten.  Dann  kamen  die 
Leute  von  den  Festungen,  in  denen  sie  sich  verschanzt  hatten,  und 
nahmen  den  Islam  regelrecht  an.  Da  ließ  ich  sie  dort  und  an  ihrem 
Wohnort   bleiben.    Wir  aber  kehrten  hierauf  wohlbehalten  und  beute- 


ihm  den  Glauben  und  wurden  Heiden.«  So  der  Kommentar  der  Siegesqa.side  zu  diesem 
Kamen  (M  24  r.  14,  F  30  r.  2).  Es  handelt  sich  also  hier  um  einen  Kriegszug  gegen  eine 
zu  Songhai  gehörige  Völkerschaft. 

')  Debe  liegt  nach  Barth  IV,  S.  554  nicht  weit  von  Komba,  ebenso  wie  das  weiter 
unten  erwähnte  Tanda.     Debe  ist  nach  Bakth  IV,  S.  560  von  Songhäi  bewohnt. 


Eine  neue  (^)iielle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  cc 

beladen  um  und  wateten  durch  den  Strom  an  jenem  (selben)  Orte. 
Darauf  marschierten  wir  in  das  Land  Germa,  um  uns  mit  unseren 
Truppen  zu  vereinigen,  die  sich  dort  befanden,  und  wir  schlössen  uns 
mit    ihnen  zusammen.     Dann  kehrten  wir  in  die  Heimat  zurück. « 

Die  Angaben,  daß  der  Feldzug  zuerst  über  Debe  und  dann  über 
Tan  da  geht,  lassen  die  Richtung  des  Stoßes  erkennen.  Derselbe  muß 
den  Niger  in  der  Gegend  von  Komba  überschritten  haben.  Dies  be- 
stätigt auch  die  Angabe  in  der  von  'Abdallah  auf  den  Zug  gedichteten 
Oaside  (M  23  v.  19,   F  29  v.  2) : 


o  >  i  y 


»Die  Toro  und  die  Komba  sahen  den  Untergang  und  sie  suchten  Schutz 
bei  Gott  und  dem  Islam  aus  Furcht  vor  dem  Übel«,  nach  der  die 
Stämme,  die  den  Islam  annahmen,  die  Komba  und  die  weiter  nörd- 
lich wohnenden  Toro  waren.  In  derselben  Oaside  wird  auch  ange- 
deutet, daß  die  bedrohten  Stämme  vergeblich  suchten  nach  dem  süd- 
lich von  Gurma  gelegenen  Borgu  auszuweichen  3).  Der  Zug  'Ab- 
dallahs ist  also  in  südlicher  Richtung,  nahe  bei  Komba,  über  den 
Niger  gegangen,  die  auf  dem  linken  Ufer  w'ohnenden  Karbäs  sind 
durch  einen  Überfall  geschlagen  worden  und  haben  samt  den  dort 
wohnenden  Komba  und  Toro  den  Islam  angenommen.  'Abdallah 
ist  dann  auf  demselben  Wege  durch  Dendina  wieder  zurückmarschiert, 
um  sich  mit  der  Hauptmacht,  die  inzwischen  einen  Zug  nach  Germa 
unternommen  hatte,  zu  vereinigen.  Eine  zweite  Abteilung  kam  von 
Kirutasi,   etwa  30  km  südlich  von  Say  4). 

Über  diesen  Feldzug  'Utmäns  nach  Germa  liegen  gar  keine 
näheren  Nachrichten  vor,  wie  die  gesamte  Geschichte  dieses  Landes 
überhaupt  fast  gänzlich  unbekannt  ist.  Indessen  scheint  derselbe 
doch  von  einem  gewissen  Erfolge  gekrönt  worden  zu  sein,  denn  wir 
finden  Germaleute  bald  darauf  im  Heerbanne  'Utmäns. 

Der  Zug  'Abdallahs  nach  Gurma  und  der  'Utmäns  nach  Germa 
fällt  wohl  in  das  Jahr  1223,  d.  i.  1808.  Eine  genauere  Datierung  läßt 
die  Bemerkung  des  Tw\,  daß  der  Kwära  Hochwasser  geführt  habe, 
zu.      Die   Regenzeit   und   damit   das   Hochwasser   der   Flüsse   tritt   im 


^)  Barth  verzeichnet  auf  seiner  Karte  R.  &  E.  Ni'-  15,  Töro  westlich  von  Say.  Nach 
dieser  Tw.-Stellc  haben  dieselben  also  auch  weiter  südlich  bis  in  die  Gegend  von  Komba 
gewohnt. 

-)  M     c».j  3)  Vers  II:  N,     ^  -J     "^.^     *X».:>vxj     Hs    Lj».j     *..:,'    \JiJi 

4)  Vers  23:     t-.^     ♦^;^       ox>.j'5.     -Ä£k.^.>J    Mas^j    *.^\J    -i —  .(^^-^-^     ,  c^ 

y 


•  ß  A.  Brass, 

Gebiete  von  Kebbi  für  den  Niger  gegen  Mitte  August  ein  und  dauert 
bis  zum  September.  Danach  wären  jene  beiden  Feldzüge  also  etwa 
Ende  Gumädä   1223  anzusetzen. 

Inzwischen  hatten  im  Osten  gewaltige  Kämpfe  eingesetzt,  im 
Nordosten  gegen  das  damals  noch  immer  die  Vormachtstellung  im 
Westsudan  einnehmende  Reich  Bor  nu  I),  im  Südosten  in  Fumbina 
und  gegen  das  mächtige   Sultanat  Mandara^). 

Die  HChr.  weicht  in  einigen  wenigen  Punkten  von  der  Darstellung 
Barths  ab.  Sie  berichtet,  daß  Ahmad  b.  'Ali  nach  seiner  Vertreibung 
ausOa.sr  Eggomo  die  Hauptstadt  nicht  wieder  betreten  habe,  während 
Barth  II,  S.  350  sagt:  »Ahmed  scheint  imstande  gewesen  zu  sein, 
die  Hauptstadt  nach  großem  Gemetzel  wieder  zu  betreten  i) «  und 
S.  351:  »bis  er  durch  einen  Teil  dieses  erobernden  Volksstammes, 
(der  Ful)  .  .  .  nochmals  aus  semer  Hauptstadt  vertrieben  wurde«. 
Zu  letzterem  berichtet  die  HChr.,  daß  auch  die  Ful  nicht  wieder  nach 
Oasr  Eggomo  zurückgekehrt  seien.  Die  Eroberer  Bornus  heißen  bei 
Barth  II,  S.  349  Mala  Rida,  Muhtär  und  Hannima,  in  der  HChr. 
:Mälam  Zäki  und  Göni  Muhtär.  Zäki  ist  nur  ein  Beiname  4), 
.Mälam  Zäki  wird  wohl  mit  Mala  Rida  identisch  sein.  Die  Namen 
der  Männer,  die  mit  Mohammed  el-Känemi  die  Schlacht  bei 
Ngornu  wagten,  gibt  Carbou  5)  folgendermaßen  an:  Malam  Ter  ab, 
El- Göni  Dris,  von  den  Hassauna  ^),  sowie  Brahim  Abdallahi 
von    den   Auläd    Hemed  7),  alle  drei  also  Schoa- Araber  8). 

Zu  der  Eroberung  der  Stadt  OasrEggomo  selbst  ist  zu  bemerken, 
daß  die  Entdeckung  Barths,  daß  der  nordwestliche  Teil  der  Stadt- 
mauer unterminiert  war  iR.8cE.  IV,  S.  23),  auf  einen  Kampf  an 
dieser  Stelle  hindeutet,  so  daß  anzunehmen  ist,  daß  die  Hauptstadt 
doch  nicht  ganz  ohne  Widerstand  genommen  worden  ist. 

Über  das  Schicksal  Bautschis  sind  wir  seit  dem  Erscheinen  der 
HChr.  noch  immer  nicht  besser  unterrichtet.  Dem  LippERTSchen  Be- 
richt ist  daher  nichts  hinzuzufügen. 


I)  Barth,  R.  &.  E.  II.  S.  348— 353;  Di:nha>s  II.  8.299  ff.;  Koelle,  Afnk.  LH. 
.S.  93;  Nachtioai,  II,  S.408f.;  HChr.   182.  S— 183,  i. 

=)  Barth,  R.  &  E.  II,  S.  6o6ft.;  Strümpell,  Gesch.  Adamaiias,  S.  56-  65;  Vicars 
BoYLE,  Historical  Notes  on  ihe  Yola  Fidanis. 

3)  Siehe  auch  Carbou,  op.   laiui.,  S.  28. 

4)  Es  bedeutet:  der  Löwe. 

^)  Carbou,  op.  \itid.  I,  S.  27. 
^)  Op.  laiid.   II,  S.  34. 
T)  Ibid.  S.  51. 

^)  Zu  den  Schoa  vgl.  Becker,  Zur  Geschichte  des  östlichen  Sudaus,  Islam  I,  und  Hari- 
MANN,  R.,  Islamischer  Orient  I.  S.  29—31. 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  cj 

Die  Geschichte  der  Eroberung  Adamauas  ist  aufs  eingehendste 
von  Strümpell  und  Vicars  Boyle  dargestellt  worden,  bedarf  hier 
also  keiner  weiteren  Behandlung.  Hinsichtlich  der  Chronologie  ist 
wohl  als  Beginn  der  Eroberungszüge  Modibo  i)  Adamas  mit  Vicars 
Boyle  das  Jahr  1809  festzuhalten,  dementsprechend  für  die  Ein- 
nahme von  Binder  sowohl  wie  von  Marba  18 12  anzusetzen,  ob- 
wohl die  beiden  letzteren  Zahlen  unsicher  sind  ^). 

Von  diesen  Ereignissen  im  Osten  erwähnt  der  Tw.  nirgendwo  das 
<jeringste.  Im  Anschluß  an  den  Gurma-Germa-Feldzug  berichtet 
"Abdallah,  'Utmän  habe  sich,  etwa  ein  Jahr  nach  der  Heimkehr 
von  diesem  Feldzug,  entschlossen,  seine  Residenz  von  Gando  nach 
Slfäwa,  etwa  15  km  nordöstlich  von  Gando,  zu  verlegen  (M  24  r.  20, 
F  30  r.  II) : 


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y/,.Äi!         (3,i3!        i^w^S         t_.U>>-w            ^\\         cXÄS          ^A 

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V,.XC^Ji       -^1      .j  ».].ÄÄÄJ     ^».^.^^    [^J*j\    .-j^-J    ^l 

»Dann,  etwa  ein  Jahr  nach  unserer  Rückkehr  von  diesem  Heere, 
beabsichtigte  der  Scheich,  der  Emir  der  Gläubigen,  von  Gando  nach 
Slfäwa  überzusiedeln,  und  die  meisten  Leute  neigten  nach  dieser  Rich- 
tung, der  Richtung  des  Ostens,  aber  die  Gläubigen,  die  im  Westen 
waren,  fürchteten  sich  vor  den  Heiden,  als  sie  von  dem  Umzug  hörten 
und  sahen,    daß  alle   Leute   nach   dem   Osten  übersiedelten.« 

Der  Grund  zu  dieser  Wrschiebung  des  Zentralsitzes  ist  nicht 
recht  klar.  Aus  dem  folgenden  Text  scheint  hervorzugehen,  daß  man 
sich  dort  ansiedeln  wollte.  Es  ließe  sich  auch  folgendes  vermuten. 
Die   HChr.    berichtet   an   einer   Stelle,    daß   'LTtmän   schon   zu   seinen 


M  Nicht  wie  Vicars  Ro^le  stets  schreibt:  Mordibo.  Westermann  sagt  Handbuch 
der  Fiil-Sprachc,  S.  83  über  dieses  Wort:  »Das  Wort  ist  jedenfalls  auch  lautlich  aus  dem 
arabischen  ,Marabut'  entstanden«.    Demgegenüber  leitet  Becker  das  Wort  von  dem  arabi- 

-chen  Vcrbum  v^jl  ab.  Er  schreibt  mir :  )>^_j^^  einfach  =v_^jO"b.M,  so  z.B.  , Modibo  Adanui' 

immer:  ^^\  . *.JJ^11<(.     Satlilich  entspricht  es  dc-in    mu  allini  =  mälam  =  hoga.   \-ielleiciit 

ist  die  Gruntlfonn  miC addib  ,dcr  Erzieher,  Lehrer'. 

^)  Vicars  Boyles  Chronologie  ist  nicht  immer  einwandfrei.  So  läßt  er  /.  B.  nach 
1831  Adania  seinen  Sohn  zu  'Utmän  Da-n-Fodio  senden;  tatsächlich  kommt  derselbe 
auch  mit  einer  Antwort  des  damals  schon  üljcr  14  Jahre  im  Paradiese  weilenden  'Utmän 
zurück  Qiist.  Notes,   S.  79). 

3)  F  ^  p\  4)  Fehlt  in  F.  5)  M  ^^_^l^^',\ 


58  A.  Brass, 

Lebzeiten  eine  Teilung  des  Reiches  Sokoto  pJante  ^).  Die  betreffende 
Stelle  lautet:  »Um  die  Zeit,  als  Usmän,  der  Sohn  des  Fodio,  ir. 
Sifäwä  wohnte,  sein  Sohn  Bello  die  Stadt  Sokoto  und  sein  jüngerer 
Bruder  Abdu-1-Lähi  die  Stadt  Gando  baute,  — .«  Danach  wäre  es 
wohl  möglich,  daß  'Abdallah  schon  damals  mit  dem  westlichen  Teile 
des  Reiches  mit  Gando  als  Hauptstadt  unter  der  Oberholicit  von 
'Utmän  belehnt  worden  ist,  und  dal?)  'Utmän  nach  Sifäwa  geganger. 
ist,  um  dort  abzuwarten,  bis  sein  Sohn  Bello  mit  der  Erbauung  der 
neuen  Reichshauptstadt  Sokoto  fertig  war.  Damit  wäre  auch  die 
auffallende  Tatsache  zu  erklären,  daß  mit  dem  Momente  der  Über- 
siedlung *Utmäns  nach  Sifäwa  ^\bdalläh  als  der  Reichsfeldherr 
ausscheidet  und  in  den  folgenden  Feldzügen  gegen  Nupe  nur  mehr 
das  Heer  »begleitet«,  eben  als  Kommandeur  seiner  Kontingente.  Frei- 
lich beruht  diese  These  auf  der  nicht  m  allen  Fällen  absolut  zuver- 
lässigen HChr. 

Um  die  wegen  der  \'erlegung  des  Hauptquartiers  nach  dem  Oster... 
besorgten,   im  Westen  zurückbleibenden  Anhänger  vor  Überfällen  der 
Heiden  zu  schützen,    beauftragt  'Utmän  seinen  Bruder  nochmals  mit 
einem  Feldzuge  gegen  Gurma.    'Abdallah  gibt  davon  folgende  Schil- 
derung (M  24  V.  2,  F  30  r.  16) : 


»So    rüstete    denn    der    Scheich    'Utmän,    der    Fürst    der    Gläu- 

')  HChr.  Anliang,  S.  240. 

-)  Fehlt  in  M.  3)  M  NUÜ  ^)  F  ,  ^i^.^^:.  5)  F  jjb  *")  Fehlt 

in  F.  7)  F  ^  ►li--Uj  «)  M 


Eine  neue   Quelle  zur  Geschichte   des   Fulreiches   Sokoto. 


59 


bigen,  ein  Heer  aus  gegen  Westen,  um  das  Land  im  Westen  zu  be- 
frieden, und  übertrug  mir  den  Oberbefehl.  Und  ich  zog  aus  mit  einem 
kleinen  Heere,  weil  die  meisten  Leute  lieber  zu  dem  Orte  der  Über- 
siedlung wollten,  um  dort  Wohnsitze  zu  erwerben  und  Ödland  urbar 
zu  machen,  und  zu  jener  Zeit  vom  Glaubenskrieg  nach  jener  Seite 
hin  nichts  wissen  wollten.  Ich  schickte  nun  zu  der  Bevölkerung  von 
Germa  und  sie  versammelten  sich  und  erwarteten  mich.  Und  als  ich 
in  die  Nä,he  ihrer  Heerhaufen  kam,  wurden  sie  die  A'orhut  meines 
Heeres.  Sie  marschierten  in  das  Land  Sanbalagu,  eines  von  den  Län- 
dern von  Gurma  jenseits  des  Stromes,  und  eroberten  es.  Ich  traf  mit 
ihnen  in  der  Nähe  des  Stromes  zusammen  und  machte  dort  Halt, 
und  übernachtete  5  Tage,  damit  unser  Heer  auf  Schiffen  über  den 
Strom  setzte.  Ich  selbst  ging  nicht  hinüber  wegen  eines  körperlichen 
Unfalles,  denn  ein  Pferd  hatte  mich  aufs  Bein  geschlagen,  so  dai3  ich 
dieser  Tage  nicht  imstande  war,  aufzustehen.  Ich  verheimlichte  es 
aber  meinen  Leuten.  Schließlich  kamen  sie  zu  dem  Lande  Göröri, 
einem  Teile  des  Landes  Gurma  in  nördlicher  Richtung.  Sie  eroberten 
es  und  nachdem  sie  getötet  und  Gefangene  gemacht,  kehrten  sie  zu- 
rück.    Wir  kehrten  dann  Avohlbehalten  heim.« 

In  der  auf  diesen  Bericht  folgenden  Oaside  (M  24  V.  13,  F  30  v.  11) 
gibt  'Abdallah  die  genauen  Stationen  der  Marschroute  an. 

I.  Gando;  2.  Tära\);  3.  Gulumbe  ^) ;  4.  Zuguru,  wohl  identisch 
mit  Djugguru  ^)  bei  Barth;  5.  Diggi^);  6.  Tilli^);  7.  Zögirma  i); 
8.  Jelu^);  9.  Fögäi);  10.  Sänafina -j ;  ii.  Bagagä,  wohl  identisch  mit 
Bangagä  bei  Barth-);    12.   Gäja -). 

Wichtig  ist  die  Stelle,  aus  der  hervorgeht,  daß  ein  Teil  der  Be- 
wohner von  Germa  den  Zug  im  Heere  'Abdallahs  mitmacht.  Nach 
diesem  Zuge  erfolgt  nun  die  Übersiedlung  nach  Slf  äwa  3).  Von  diesem 
Momente  an  scheidet,  wie  schon  oben  bemerkt,  'Abdallah  als  Reichs- 
feldherr aus.  Er  berichtet  zunächst  über  einen  erneuten  Feldzug  über 
den  Niger,  den  ein  gewisser  Muhammad  b.  'Abdallah  4)  ausführt 
(M  25  r.  14,   F  31  r.  ult.) : 

(*'iA.*_S"^.Ä     XjL-i        ic\,     C'-^^^Zi'     ■^^^».^J     .j^\     ;.^^>-   *-£     »..r^J   AäJ   *.'S 

')  Siehe  Barth  IV,  Karte  Nr.  13  und  S.  352. 
^)  Barth,  R.   &  E.,  .S.  553. 

3)  (M2  5r.  14,  F3ir.  ult.)        \\    ß[    U.läXi'/]     .X'kä.-^\     .  .x.j\      -yA    .Xx::^,     -•,', 

^)  Wohl  ein  Sohn  des  Verfassers.     Vgl.  Td^rVj   Sokoio,  irad.  33,   1322. 

5)  F     i;.,^  6)  ^i  \j^^^^  F  .j^^.^  7)  Fehlt  in  M.  «)  F    ;  ..j>.i 


(^,Q  A.  H  r  a  s  s , 

~  ^  ^    ^     .   ■-••        -^  •  --v 

^;^y:^-^-^  O^"^"^  !^^^'3  ^3^-*~^3 
»Dann  nach  ungefähr  einem  Jahr  rüstete  der  Fürst  der  Gläu- 
bigen ein  Heer  aus  und  gab  dem  Muhammad  b.  ^Abdallah  die 
Flagge.  Sie  marschierten  mit  einem  kleinen  Heere  ab  und  überschritten 
i\c\\  Strom  zur  Zeit  des  Hochwassers.  Sie  fanden  aber  dabei  die  Un- 
gläubigen an  der  ^vestlichen  Ufereinfahrt  warten.  Da  überschritten 
sie  den  Fluß  und  vertrieben  sie  und  töteten,  wen  sie  töteten.  Jene 
aber  flohen  und  ließen  zahlreiche  Festungen  jenseits  des  Stromes  im 
Stich  und  sammelten  sich  in  ihrer  stärksten  Feste  II  o.  Da  mar- 
schierte unser  Heer  hin  und  bekämpfte  sie  in  der  Festung.  Gott  aber 
öffnete  sie  unseren  Leuten  und  sie  töteten  und  machten  Gefangene. 
Dann  kehrten  sie  wohlbehalten  und  beutebeladen  heim.« 

Dieser  Feldzug  endet  also  mit  einem  wichtigen  strategischen  Er- 
folg, der  Einnahme  von  Ilo.  Damit  fällt  ein  Brückenkopf  am  West- 
ufer  des  Kwärä  in  die  Hände  der  Ful,  der  diesen  als  ein  Einfalltor 
in  die  Westkwäraländer  dienen  konnte.  Das  Datum  dieses  Zuges  ist 
auf  das  Jahr  1810  anzusetzen;  wiederum  ermöglicht  die  Angabc,  der 
Fluß  habe  Hochwasser  geführt,  die  Festlegung  in  die  Monate  August 
und   September. 

Die  Ausdehnungsbestrebungen  nach  Westen  über  den  Niger 
scheint  'Utmän  indessen  fürs  erste  aufgegeben  zu  haben.  Offenbar 
hat  er  eingesehen,  daß  der  Niger  doch  ein  zu  großes  Hindernis  darstelle, 
um  die  Länder  westlich  desselben  unter  seiner  Herrschaft  zu  halten, 
ohne  zu  fortwährenden  Feldzügen  dorthin  gezwungen  zu  sein.  Die 
Herrschaft  Sokotos  hat  auch  in  den  späteren  Jahren,  als  der  west- 
liche Teil  des  Reiches  zu  einem  gesonderten  Reiche  (iando  geworden, 
nie  fest  in  den  Westkwäraländern  aufgerichtet  werden  können.  So 
wendet  sich  der  Bhck  'Utmäns  den  südwestlichen  Hausastaaten  zu. 
Der  erste  Angriff  richtet  sich  gegen  das  Sultanat  Gwärl  an  einem 
Nebenflüsse  des  oberen  Kara.  'Abdallah  berichtet  im  Tw.  folgendes 
darüber  (M  25  r.  ult.,  F  31  v.  7): 

^.xäj  J  *^U^^  o^lJ    M  ,.,.  .^j  s^il^  .J6'  LJlpU    ..l  C^J^b      '»     •'• 


l5 


)  M  ^*a>  ^)  M  wi^^  3)  M  Ab 


l'jiic   neue   ',)iiellc   zur   ( Icscliidite   des    I''iilii-iclic-;   Sokolo.  5l 

J>.j    lX*<^,/c     ,La«.5    X.jJ.^     ^'.A^r-j     ;i'^    OJ^'-^     ^'-^    -r^'''    -*^'*    -^^^   f^^^^^ 

»D;i,nn,  niic.li  ilinr  Kückki^hr  zo^^  M  n  li  ;i  in  m  ;i  d  lii  lln,  der  -ohii 
des  Fürsten  der  <  .liinWij^cjn  Mllnifm,  <in  liier  /,Ms;ninn<ii  'i^(;^<;n  <l;is 
Land  (iwriri,  dcssiii.  I'cwolnior  sehr  \<rstoi  l:!«-  I  U  id(  n  w.in-n  und 
Kric^S/iif^c  in  d;i.s  L;i.nd  des  Ishun  un,t(:in:dnn(n,  dIuii;  d;d'i  <in  Kiinit^ 
je  ihre  \/<\\uh:  erobert  hätt.e,  weil  :-ie  so  voll  l''esl:iinf<en  und  l'oits, 
Herren  und  'TülfTn  \v;iren.  Mnli:inMM.id  Im  ll<.  ni;irscliierl.e  nnl  «-inrni 
1  feen-,  bis  er  /n  iln<ii  'nbiclcn  kam,  und  crobcrlc  nnl  '  if)l  1 1  s  llille 
ihn:  l''est(in,^en.  l):il)ri  liit^l:e  er  dem  {''eiiiflc  Wi-luste  ;in  'Tulin  mid 
<  li'füii^enen  /n.  Aneh  ihr  Koni^  wurde  ^efan^en  mid  gefesselt  uuli-r 
den  Gefangenen  vorj^efiihri .     'lott    «rebiihrt.    I'reis  deshalb!« 

I)as  Liiudehen  Gwäri  biUlete  eini-n  l\;udjst  ;i;il.  /AvisilM  u  K;itsin;i., 
'/;i.ri;i,  mul  /a,nfara,  der  schon  m,  ■  i.rlidiM  h<ii  '/ntcn.  du-si-  Liind'-r 
dureli  stete  Raubzüge  brnnruhigte.  hiese-ll^en.  wurden  dijreli  d<-ii 
aui'x-rordentiich  gebirgigen  Chiirakter  des  Landes  inid  di<-  \v;dirs'liein- 
lieh  damit  verbnndrnc  kriegerische  'l'üchtigkeil  der  Ilcwohner  sehr 
begünstigt,  so  fhd.i  es  den,  p'ürsten  <U-s  angren/enden  Staaten,  ni«;  ge- 
lungen war,  diese  fortwährende  ^iei:dn-  bir  die  ( iren/distriki  e  ihrer 
I, ander  aus  dem  Wege  zu  rilnmen..  /\ls  mm,  d)e  l'u!  d;is  I'.rbi;  der  Ifausa 
in  jenen.  Staaten  antraten,  da,  übern;dmien  sie  iiueli  die  lästige  Nach- 
barschaft von  Clwäri.  Dieser  wird  jel/l  eni  Miide  gemacht.  I)(;r  l'",r- 
folg  ist  um  so  bemerkenswerter,  ;i.ls  es  für  ein,  Keiterfieer,  wie  (.'.s  die 
I^'ul  vorzugsweise  waren,  mit  en,ormen.  Schwierigkeiten  verbunden,  ge- 
wesen sein  muf.),  einen,  Gebirgskrieg  zu  führen.  Auch  d(;r  mondi.scJK; 
Kindruck  auf  die  Nachbarn  ist  nicht  zu    unterscfiätzen. 

.Vfit,  diesem  Kriegszuge  Miih;i,niiiiad  lieUo-,  biieht.  iius(.'r  Text 
ab.  'Abdallah  erw;i.hnt  nur  noch,  er  sei  vdem  I  leere  m  ;iuh;inanfler- 
folgcnden  Jahren  nach  Nupe  gefolgt,  während  m;i,n  eine  große  Anz;i.hl 
von  Festungen  einnahm,  bis  die  T3ewohner  besiegt  wurden«.  Von 
Dauer  scheint  die  Unterwerfung  aber  nicht  gewesen  zu  sein  (M  25  v.  19, 
J'  32  r.  6) : 

;jia*j  e)-H'*^i  n^j^'^^  c)-.*^^  V  ^   l5'  ^-^^^^    ^\-)y^'-^   o^'^'-^^- 


02  -^-  B  ra  SS  , 

»Dann  folgte  ich  den  Heeren  nach  dem  Lande  Nupe  in  aufein- 
anderfolgenden Jahren.  Sie  eroberten  jedesmal  viele  Festungen  und 
machten  Tote  und  Gefangene.  Manchen  Heiden  gewährten  sie  Gnade, 
wenn  ?ic  darum  baten.  Diese  empörten  sich  aber  dann  wieder.  So 
ist  die  Weise  der  Heiden:  Sie  brechen  die  Verträge  und  es  ist  kein 
Verlaß  auf  sie.« 

Es  handelt  sich  hierbei  also  um  einen  Krieg,  dessen  Beginn  zum 
mindesten  in  das  Jahr  1226/1811  anzusetzen  ist,  da  ^Abdallah  seine 
Schrift  Sawwäl  1228/Oktober  1813  beendigt  hat.  Die  HChr.  gibt  im 
Anhange  S.  239  f.  eine  Geschichte  der  Eroberung  Nupes.  Demgegen- 
über zeigt  der  Tw.,  daß  'Abdallah  an  dem  Kriege  gegen  Nupe  per- 
sönlichen Anteil  genommen  hat,  wieweit  derselbe  allerdings  geht,  läßt 
sich  nicht  feststellen.  'Abdallah  wird  sich  wohl  mit  den  Kontingenten 
von  Gando  als  deren  Befehlshaber  bei  dem  vielleicht  von  Muhammad 
Bello  befehligten  Fulheere  befunden  haben. 

Über  die  letzten  Lebensjahre  'Utmäns  ist  so  gut  wie  gar  nichts 
bekannt.  Auch  unser  Text  gibt  uns  keine  Aufschlüsse  darüber.  .  Nach 
den  übereinstimmenden  Berichten  der  europäischen  Reisenden  ist 
'Utmän  während  der  letzten  Zeit  seines  Lebens  in  religiösen  Wahn- 
sinn verfallen.  Wann  dies  stattgefunden  hat,  läßt  sich  nicht  ermitteln. 
Das  von  Clapperton  ^)  angesetzte  und  dann  von  Le  Chatelier  ^) 
wiedergegebene  Datum  12 18/1803  ist  selbstverständlich  absolut  falsch. 
Einen  historisch  authentischen  Bericht  über  dies  Ereignis  von  ein- 
heimischer Seite  haben  wir  natürlich  nicht,  da  dem  Muslim  der  Wahn- 
sinn, vor  allem  aber  der  religiöse  Wahnsinn,  als  ein  Zeichen  ganz  be- 
sonderer Heiligkeit  erscheint.  Indessen  ist  die  Tatsache  der  geistigen 
Limnachtung  'Utmäns  in  seinen  letzten  Lebensjahren  deshalb  von 
Bedeutung,  weil  dadurch  Zustände  geschaffen  wurden,  die  eine 
Teilung  des  Reiches  in  das  östliche  Oberkaiserreich  Sokoto  unter 
Muhammad  Bello  und  das  westliche  Süzeräne  Kaiserreich  Gando 
unter  'Abdallah,  wie  wir  sie  nach  'Utmäns  Tode  rechtsgültig 
finden,  schon  zu  Lebzeiten  'Utmans  um  so  wahrscheinlicher  machen. 

Zur    religiös-politischen    Charakteristik    der    Bewegung. 
Die  Lehrmeinungen  'Utmäns,    wie  sie  uns  im  Tw.  —  sie  sind 
zweifellos  mit  denen  seines  Bruders  'Abdallah  identisch  —  und  in 
den    uns    erhaltenen    Schriften     'Utmäns  3)    begegnen,    sind    streng 
orthodox. 


')  Clapperton,  2"'^  expedition,  S.  206. 

-)  U Islam  dans  V  Afriqite  occtdetüale,  S.  117. 

3)  Vgl.  S.  5  f. 


Eine  neue   (Quelle   zur   Geschichte   des  Fulreiches   Sokoto.  5^ 

Schon  vor  den)  Auftreten  'L'tmäns  hatte  in  den  nördhchen 
Ilausastaaten  eine  rehgiöse  Reformbewegung  eingesetzt,  deren  haupt- 
sächHcher  Träger  ein  Mälam  namens  Häggi  Gibirin  (Gibril)  war,  der 
sich  lange  Zeit  in  Ägypten  aufgehalten  hatte.  Dieser,  ein  Mann  von  un- 
beugsamem Fanatismus,  predigte,  wie  die  HChr.  sagt  ^),  »Nacht  und 
Tag,  öffentlich  und  im  geheimen«  gegen  das  Heidentum,  d.  h.  gegen 
die  im  Islam  der  Hausa  eingerissenen  heidnischen  Praktiken,  ohne 
?.llerdings  etwas  anderes  zu  ernten,  als  den  Haß  der  Fürsten  und 
Großen.  Indessen  stand  er  mit  seinen  Bestrebungen  nicht  allein  da, 
sondern  die  HChr.  bemerkt:  »In  der  Stadt  Alqalaua  in  Göbir  gab 
es  auch  viele  angesehene  Priester,  aber  sie  hatten  nichts  zu  sagen, 
nur  im  L;eheimen,  in  ihren  Häusern  und  in  den  Schulen,  lehrten  sie 
die  Religion  -).« 

Wie  stark  diese  Reformpartei,  die  es  mit  Ausnahme  Gib ir ins 
zunächst  noch  nicht  wagte,  öffentlich  aufzutreten,  indessen  war,  scheint 
aus  der  Tatsache  hervorzugehen,  daß  die  Hausafürsten,  wie  die  HChr. 
sagt,  »keine  Macht  dazu  hatten«,  den  ihnen  unbequemen  Gibirin 
aus  dem  Wege  zu  räumen. 

In  die  Schule  dieses  Mannes  kam  nun  schon  in  jungen  Jahren 
'Utmän,  um  bei  ihm  »lesen  zu  lernen«.  Dieses  Lesenlernen  erstreckte 
sich  nach  der  Schilderung,  die  die  »Sitten  und  Gebräuche«  Nr.  8  geben, 
in  erster  Linie  auf  den  Koran,  später  aber  auch  auf  andere  religiösen 
Bücher,  \'or  allem  auf  Traditionswerke.  Es  ist  nun  ganz  klar,  daß 
Häggi  Gibirin  seine  Ideen  auf  seinen  Schüler  'Utmän  übertragen 
hat,  und  daß  derselbe  so  in  die  Reformbestrebungen  seines  Lehrers 
hineinwuchs.  Die  Frage,  ob  Gibirin  auch  irgendwelche  politischen 
Ziele  verfolgte,  ist  m.  E.  zu  verneinen.  vSo  war  der  Boden  für  das 
Auftreten  eines  neuen,  größeren  Reformators  in  Göbir  durch  die  Be- 
strebungen Gib  ir  ins  schon  geebnet,  die  Reformgedanken  waren  in 
weitere  Kreise  gedrungen  und  hatten  unter  den  Mälams  eine  mehr 
oder  weniger  zahlreiche  Schar  von  Anhängern  gefunden.  Die  Plaupt- 
aufgabe  des  neuen  Reformators  bestand  also  in  der  Lösung  des  Pro- 
blems mehr  jjraktischer  Art,  diese  Anhänger  zu  einem  einheitlichen 
<janzen  zusammenzuschweißen  und  durch  Hinzuerwerbung  neuer 
Seelen  die  neugebildete  Gemeinde  so  zu  stärken,  daß  sie  durch  ihren 
Einfluß  auch  die  Hausafürsten  und  -großen  zur  Annahme  der  Reform- 
ideen bewegen  konnte.  Diese  Aufgabe  hat  'Utmän  in  glänzender 
Weise  gelöst,  und  zwar  auf  der  Basis  eines  nationalen  Zusammenschlusses 
seiner  in  den  Hausastaaten  zerstreuten  Stammesbrüder,  der  Ful.     So- 

0  HChr.    171,  10. 
-)  Ibid.   171,  13. 


64  -■^-    B  r  a  s  s  , 

lange  Häggi  (Üb Irin  noch  lebte,  trat  'Utmän  nicht  öffentlich  auf, 
aber  nach  dessen  Tode,  der  also  nahe  an  das  Jahr  1 188/1774  heran- 
zulegen ist,  tritt  er  dessen  Erbe  an  und  beginnt  nun  seine  20jährige 
Wanderpredigerlaufbahn,   mit  deren   Schilderung  der  Tw.   einsetzt. 

Von  dem  Inhalte  der  Wanderpredigten  'Utmäns  können  wir 
uns  aus  seinen  uns  erhaltenen  Schriften  ein  recht  lebendiges  Bild 
machen. 

Die  Oaside  Mu  godi  jalla  sarki  maiiyawa  ^)  ist  eine  solche  Predigt. 
Im  Anschlüsse  an  eine  Anzahl  Koranverse  fordert  hier  'Utmän  zur 
Reue  und  Bekehrung  zum  wahren  Islam  auf,  indem  er  seinen  Hörern 
die  Höllenstrafen  möglichst  furchtbar  und  die  Himmelsfreuden  mög- 
lichst herrlich  schildert.  Interessant  ist,  daß  er  dabei  dasselbe  Predigt- 
thema verwendet,  das  Becker  in  seinem  Aufsatze:  Uhi  sunt  qui  ante 
nos  in  mundo  fuere}  -)  in  den  Literaturen  nahezu  aller  orientalischen 
und  okzidentalischen  Völker  »von  Shakespeare  bis  auf  die  Hiero- 
glyphentexte des  zweiten  Jahrtausends«  nachweist.  Auch  in  dieser 
Predigt  'Utmäns  finden  wir^von  Vers  38  bis  Vers  64  immer  wieder 
dieselbe  Frage  wiederholt :  Enna  kiima  salihu,  lokmann,  ....  Enna 
isaku  ismalüii  ....  Enna  yai^ubu  ....  Enna  musai  da  haruna  da  lofu 
....  Enna  kuma  hulhulanusii  bakhtnasr  enna  nimrudu  ....  usw. 
(wo  sind  ferner  Sälih  und  Loqmän  ....  wo  ist  Isaak  und  Ismael  .... 
wo  Jakob  ....  wo  Moses  und  Aron  und  Lot  ....  wo  ferner  Hulhu- 
lanu,  Nebukadnezar,  wo  Nimrud  ....),  immer  auch  wieder  dieselbe 
Antwort:  ja  sun  tafji  enda  sarki  maiiyawa  (auch  sie  sind  dorthin  ge- 
gangen, wo  der  allmächtige  König  ist).  Auf  den  Tod  folgt  dann  die 
Prüfung  durch  Munkar  und  Nakir,  die  den  Anfang  bildet  der  Qualen 
der  Hölle  oder  der  Freuden  des  Himmels,  die  dem  Muslim  schon  im 
(irabe  zuteil  werden,  und  schließlich  die  Auferstehung.  Niemand  kann 
den  Gottlosen  helfen,  weder  Adam,  noch  Noah,  Abraham  (der  Prophet 
der  Juden)  oder  Jesus  (der  Prophet  der  Christen),  Muhammed  allein 
kann  sie  retten. 

In  den  eschatologischen  Anschauungen  ergänzt  die  Oasidc  Mu 
godi  jalla  diejenigen  der  Oaside  Al-Oädirija  (s.o.  S.  14,  B,  I,  8). 

Es  ist  ein  Gebet  um  göttliche  Gnade,  um  Beistand  im  Kampf 
gegen  den  Unglauben,  um  gnä,dige  Führung,  um  Erbarmen  bei  den 
letzten  Dingen  und  am  Jüngsten  Gericht  und  um  Bescherung  der 
Paradiesesfreuden.   Jede  Zeile  schließt  mit  dem  verschieden  variierten 


')  Robinson,  Specimens,  F. 

-)  Aufsätze  zur  Kultur-  und  Sprachengeschichte,  vornehmlich  des  Orients,  Ernst  Kchn 
zum  70.  Geburtstage  7.  II.  1916  gewidinet,  S.  87 — 105. 


Eine  neue   Quelle  zur  Geschichte   des   Fulreiches  Sokoto.  gc 

Refrain:  »Um  des  Verdienstes,  der  Würde,  der  Ehre  usw.  'Abdcl- 
qädirs  willen«. 

Die  eschatologischen  Vorstellungen  'Utmäns  bieten  ja  zwar  an 
und  für  sich  durchaus  nichts  Besonderes,  sie  sind  die  im  Islam  allge- 
mein gültigen,  indessen  beweisen  diese  beiden  Oasiden  doch,  wie  genau 
'Utmän  mit  allen  diesen  Dingen  vertraut  war. 

Eine  außerordentliche  Strenge  der  Auffassung  zeigt  'Utmän  in 
der  Pflichtenlehre.  So  findet  sich  M.  3  V.  2  sogar  der  Satz:  ^^  J^^\ 
^y^j^^  ^Jlc  V-r^-lii  >><i^s  i»l  (das  sonst  zwischen  gä*iz  und  sunna 
rangiert)  ist  für  den  (wahren)  Gläubigen  gleich  dem  i_^i^!,«.  Die 
Reihenfolge  der  sogenannten  »Lebensgütcr«  ist  auf  das  genaueste 
einzuhalten.  In  deren  Benennung  und  ihrer  Folge  untereinander  weicht 
'Utmän  allerdings  von  dem  gewöhnlichen  Gebrauche  ab.  Während 
man  sonst  i.  Religion,    2.  Menschenleben,    3.    legitime  Abstammung, 

4.  vernünftige    Ordnung    in    den    sozialen    und    materiellen    Gütern, 

5.  Besitz  und  6.  guten  Ruf  nennt,  wobei  6.  auch  wohl  unter  3.  mit- 
gezählt wird  i),  gibt  'Utmän  im  Tw.  die  folgenden  5  Lebensgüter 
an:    i.  Glauben,    2.  Verstand,   3.  Vermögen,  4.  Familie  und  5.  Ehre  -). 

Den  tiefsten  Einblick  in  die  Gedankenwelt  'Utmäns  gewinnen 
wir  aber  aus  seinem  Nur  al-albäb,  dessen  Abfassung  noch  vor  die 
Higra  zu  legen  ist.  In  diesem  Buche  eifert  'Utmän  in  erster  Linie 
gegen  die  zahllosen  heidnischen  Praktiken,  die  sich  in  den  afri- 
kanischen Islam  eingeschlichen  hatten,  und  die  noch  heute  eine  so 
bedeutende  Rolle  in  demselben  spielen.  Er  wendet  sich  dabei  nicht 
nur  an  das  Volk,  sondern  vor  allem  an  die  'Ulamä',  von  deren  Mit- 
hilfe er  besonders  die  Beseitigung  der  Mißbräuche  erwartet.  *Utmän 
zählt  eine  Reihe  dieser  heidnischen  Praktiken  auf  und  widerlegt  sie 
dann  aus  dem  Koran,  der  Tradition  oder  den  Schriften  hervorragender 
Fiqh-Gelehrter.  An  letzteren  führt  er  u.  a.  auf:  'Abderrahmän  b. 
Al-Oäsim,  Averroes,  Mälik  b.  Anas,  Säfi'i.  Ferner  wendet 
sich  *Utmän  gegen  die  unwürdige  Behandlung  der  Frauen,  deren  Los 
in  Afrika  noch  weit  härter  war,  als  in  den  übrigen  muslimischen  Län- 
dern. Dieser  Teil  seiner  Schrift  zeigt  den  moralisch  außerordentlich 
hohen  Standpunkt  'Utmäns  in  so  hellem  Lichte,  daß  es  angebracht 
erscheint,  denselben  hier  nochmals  wiederzugeben,  zumal  da  der  NAlb. 
nicht  in  aller  Hände  sein  dürfte  3). 


I)  Horten,  M.,   Die  religiöse  Gedankenwelt  der  gebildeten  Muslime  im  heutigen  Islam, 
Halle  1916,  S.  152. 
^-)  M  3  1.  6. 
3)  NAlb.  S.  35,  2-36,  5. 

Islam  X.  5 


^A  A.  B  r  a  s  s  , 

xJÜS    v^3^     -^     ^^-^    jr^^-      r-2^'^tV^3      *^"^A3;     *^lj^3^  *'Js^U     ^AlJi£ 

iÄp3  ^_j-^:s  j.i.^  WC3   ,^z^^  jJ.^^  ^^3  r^  -■•'   ""^^  '''^■'  ''*^^ 
tii     p:^    .^5    c'-^-    i'-cJui     ,*%.^»>3    ^^_~^^'=    xcjwj.    *>~-ic    t.Iii> 

^y^^.      ^-      .^^i-sisiU      J.^:^ii      ^-J^      ^^5      *^-\^^^      *^j-o_,      *^^'ij5 

uVx>.*:U      0.^*U       ^^^r-^JI       ,*>J^"      c,^'       *:V^      ^^^^^      ^J^3      ^-^^3      "^^^0 
_^.j    ^,    .c.^:>-l    J^Ä^Üi    ^    (.AJw     w^:>l^ii      J^    ^IJ^ii     f.i^^*     w^^L 

^>c>o  ja;~^i=v5  3-^  A>1  ^->LP  ^Xj  J   ü!  y\  Jjtil  ^^  ^i-Iij!  |*Jjü" 

^j1>!.     f^-^    ._JLii    "i!     eUö    W-«.     4^33    ^--'w!?    ^^5     sLJI    äJ>-x^     ^_^i^j» 

^.^Ji5>     wi:>.^;      ..j'jJ^     L"^*    L*^    -£-*:>S    -~r'3;    ^"^--^    •^■r'^jj'    ,jr^    V^->'^" 
aI-?     x^Aix^J    .Py)i    13!     "5!    'wC-4^1    .üLi/)    ^-5^3;     o^-*^^    '^tV^^     tL"^-^     ^""^^^ 

»Und  dazu  gehört,  ^vas  die  meisten  der  'ülamä  dieses  Landes 
tun.  Sie  lassen  ihre  Frauen,  ihre  Töchter  und  ihre  Sklaven  vernach- 
lässigt, wie  die  Tiere,  ohne  sie  zu  lehren,  was  Gott  ihnen  vorschreibt 
an  Glaubensartikeln,  ritueller  Waschung,  Gebet,  Fasten  u.  dgl,  dessen 
Lernen  Gott  ihnen  zur  Pflicht  gemacht  hat.  Sie  lehren  sie  nicht,  was 
ihnen  erlaubt  ist,  nicht  die  Fragen  ihres  Kaufes  und  was  dem  Kaufe 
gleicht.    Das  ist  ein  schweres  Vergehen  und  eine  verbotene  Neuerung. 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  67 

Sie  behandeln  diese  Wesen  wie  das  Geschirr,  das  sie  benutzen, 
bis  es  zerbricht  und  sie  es  auf  den  Kehrichthaufen  werfen,  d.  h.  auf 
den  Ort  der  Unreinigkcit.  Wie  können  sie  ihre  Gattinnen,  Töchter  und 
Sklaven  in  den  Finsternissen  der  Unwissenheit  und  des  Irrtums 
stecken  lassen,  wo  sie  doch  morgens  früh  und  abends  spät  ihre  Schüler 
unterrichten!  Zu  was  tun  sie  das  anders,  als  zu  ihrem  eigenen  Ver 
gnügen,  denn  daß  sie  ihre  Schüler  unterrichten,  ist  Heuchelei  und 
Egoismus.  Das  ist  ein  schweres  Verbrechen.  Denn  die  Gattinnen, 
Töchter  und  Sklaven  zu  unterrichten,  ist  religiöse  Pflicht,  der  Unter- 
richt der  Schüler  aber  nur  ein  opus  supererogatum  und  anerkannter- 
maßen geht  das  Pflichtgemäße  dem  opus  supererogatum  vor.  Das 
Unterrichten  des  Schülers  ist  nur  dann  Pflicht  des  Gelehrten,  wenn 
außer  ihm  keiner  in  seinem  Lande  vorhanden  ist  (der  hierzu  fähig 
wäre).  Dann  freilich  ist  er  religiös  verpflichtet,  ihn  zu  unterrichten, 
aber  erst  nachdem  er  die  Scinigen  unterrichtet  hat,  denn  es  ist  recht, 
daß  wer  den  Vorrang  hat,  vor  dem,  der  überragt  wird,  den  Vor- 
tritt hat. 

Ihr  muslimischen  Frauen!  Hört  nicht  auf  die  Reden  der  Irrenden, 
die  andere  irreleiten,  sie  täuschen  euch,  wenn  sie  euch  auffordern, 
nur  dem  Gatten  zu  gehorchen  ohne  euch  auch  den  Gehorsam  gegen 
Gott  und  seinen  Gesandten  anzuempfehlen,  und  wenn  sie  sagen,  das 
Weib  finde  sein  Glück  im  Gehorsam  gegen  ihren  Mann.  Sie  suchen  nur 
die  Befriedigung  ihrer  Begierden  und  Wünsche,  und  darum  bürden 
sie  euch  auch  Sorgen  auf,  die  euch  Gott,  der  Höchste  und  sein  Prophet 
überhaupt  nicht  zur  Pflicht  gemacht  hat,  wie  das  Kochen,  das  Waschen 
der  Kleider  und  andere  zahlreiche  Pflichten,  die  großenteils  nur  ihren 
Zwecken  dienen.  Nicht  aber  legen  sie  euch  auf,  was  Gott  und  sein 
Gesandter  euch  zur  Pflicht  gemacht  hat,  Gehorsam  gegen  Gott  — ■  er 
sei  geehrt  und  gepriesen!  —  und  Gehorsam  gegen  seinen  Gesandten. 

Jawohl,  das  Weib  ist  anerkanntermaßen  ihrem  Gatten  gegenüber 
zum  Gehorsam  verpflichtet,  im  verborgenen,  wie  öffentlich,  wäre  ihr 
Gatte  auch  nur  ein  armer  Wicht,  und  es  steht  allgemein  fest,  daß 
Ungehorsam  ihrem  Gatten  gegenüber  absolut  verboten  ist,  es  sei  denn, 
daß  er  ihr  eine  Sünde  gegen  Gott,  den  Höchsten,  befiehlt.  Dann  ist 
es  ihre  Pflicht,  den  Gehorsam  zu  verweigern,  denn  nicht  dürfen  die 
Geschöpfe  gegen  den  Schöpfer  ungehorsam  sein.  Andererseits  wird 
die  Belohnung  eines  Weibes,  das  sich  ihrem  Gatten  unterwirft,  doppelt 
so  groß  sein,  aber  nur,  wenn  sie  zuerst  Gott  und  seinem  Gesandten 
gehorcht  ^). 


')  Ich  habe  hier  eine  ganz  neue  Übersetzung  gegeben,    da  die  Übersetzung  Ismael 


5* 


68  ^-  Bra  s  s, 

Im  übrigen  beschriaikt  sich  die  Predigt  der  beiden  Brüder,  wie 
auch  aus  der  Propagandaqaside  'Abdallahs  hervorgeht,  im  wesent- 
lichen auf  die  Verkündigung  der  einfachsten  Elemente  der  Pfiichtcn- 
und  Glaubenslehre.  Natürlich  darf  das  amr  bil-ma'^rüf  ivan-nahj  '^aii 
al-munkar  nicht  fehlen,  dann  sind  genannt  das  Gebet,  die  Waschung, 
zakät,  Fasten,  gesetzlich  richtiger  Verkauf,  Eheschließung,  Verschleie- 
rung der  Frauen  usw. 

Sehr  interessant  zu  verfolgen  ist  bei  'Utmän  die  Entwicklung 
vom  Prediger  zum  Staatsmann,  eine  Entwicklung,  die  sich  seit  Mu- 
hammed  immer  aufs  neue  auf  islamischem  Boden  wiederholt  hat. 
Man  denkt  sofort  an  geschichtliche  Vorgänge  wie  etwa  die  Almohaden- 
und  in  späterer  Zeit  die  Wahhabitenbewegung.  Bei  'Abdallah  kann 
man  schon  sehr  früh  ein  durchdachtes  Handeln  nach  einem  klaren 
politischen  Plane  erkennen.  Zum  erstenmal  politisch  hervor  tritt  er 
offenbar  bei  seiner  Verhandlung  mit  dem  Fürsten  von  Göbir.  Dies 
geschieht  erst,  nachdem  er  eine  große,  ihm  ergebene  Anhängerschar 
um  sich  versammelt  sieht,  die  er  durch  Propaganda,  durch  Predigt, 
Sendschreiben  und  Verhandlungen  mit  den  bedeutendsten  Ful-^Iälams 
sich  gebildet  hat.  Bei  dem  Herrscher  von  Göbir  erwirbt  er  sich  einen 
außergewöhnlichen  Einfluß,  der  noch  dadurch  wächst,  daß  er  der  Er- 
zieher des  zukünftigen  Königs  Junfa  wird.  Nach  dem  Tode  Bäwas 
und  des  Prinzregenten  Jakuba  führt  dann  'Utmän  zugunsten  seines 
Schülers  Junfa  jenen  obenerwähnten  Staatsstreich  aus,  von  dessen 
Gelingen  er  das  Erreichen  seiner  Ziele  erhofft. 

Indessen  bald  muß  er  einsehen,  daß  seine  Hoffnung,  in  Junfa 
ein  williges  Werkzeug  zur  Durchführung  seiner  Reformen  zu  haben, 
schwer  enttäuscht  wird.  So  tritt  allmählich  der  Satz  von  der  Pflicht 
zum  Gihäd  gegen  die  verstockten  Heiden  im  Lehrsystem  'Utmäns 
immer  mehr  in  den  Vordergrund.  'Utmän  ist  entschlossen,  seine 
Reformen,  wenn  sie  sich  nicht  im  Frieden  durchführen  ließen,  mit 
Gewalt  zu  erzwingen.  Es  ist  daher  unrichtig,  wenn  Le  Chatelier 
sagt:  »des  1804  (Othman)  etait  tombe  dans  un  etat  de  Touhidisme 
voisin  de  la  folie,  qui  ne  tarda  pas  ä  amener  sa  mort,  en  1816«  '^),  ein 
Irrtum,  der  sich  wohl  aus  der  irrtümhchen  Angabe  Clappertons  er- 
klärt, 'Utmän  sei  im  Jahre  1218  wahnsinnig  geworden.  Beide  Daten 
sind  zu  früh  gegriffen.  Als  Vorbereitung  zu  einem  eventuellen  Bruche 
mit  Junfa  prägt  'Utmän  den  Satz:  nAa«  ^^Av>.il  jIuXx;^^!  ^1.  >>Das 
Bereitmachen    der  Waffen    ist    Sunna!«   und    dichtet    seine   Qädirija. 


Hamets  eine  überaus  ungenaue  und  fragmentarische  ist.   Genau  dieselben  Gedanker  finden 
sich  auch  Tw.  10,  6. 

■)  U Islam  dans  V  Afrique  Occidentale,  S.  117. 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  69 

Diese  Aussicht  auf  einen  etwaigen  erfolgreichen  Krieg  und  eine 
reiche  Beute  mußte  bei  den  von  den  Hausakönigen  unterdrückten 
und  ihnen  tributpflichtigen  Ful  einen  lebhaften  Widerhall  fin- 
den, andererseits  aber  konnte  das  Vorgehen  'Utmäns  die  Hausa- 
fürsten  über  die  Absichten  des  Scheichs  und  über  die  Gefahr,  die 
ihren  Staaten  drohte,  nicht  mehr  im  Zweifel  lassen.  So  ward  die 
Katastrophe  beschleunigt.  'Utmän  selbst  freilich  und  ein  Teil  seiner 
Gemeinde  blieb  von  dem  »Dieu  le  veult«  seines  Vorgehens  durchaus 
überzeugt.  Seinem  flammenden  Fanatismus  diente  die  politische 
Macht  nur  als  Mittel  zur  Erreichung  seines  religiösen  Zwecks.  Natür- 
lich werden  viele  seiner  Anhänger  unter  dem  religiösen  Deckmantel 
nur  ihren  weltlichen  Zielen  und  Wünschen  nachgejagt  haben.  Ihnen 
wird  das  religiöse  Motiv  in  erster  Linie  als  eine  Form,  in  der  sie  ihre 
Herrschafts-  und  Plünderungsgelüste  mit  einem  Scheine  der  Berechti- 
gung befriedigen  konnten,  gedient  haben.  Gegen  diese  Tendenzen 
protestiert  die  ■  Schrift  Muhammad  Al-Känemis,  die  allerdings 
erst  unter  Muhammad  Bello  verfaßt  ist,  wo  die  Plünderungszüge 
der  Ful  unter  dem  Vorwande  des  Krieges  gegen  Ungläubige  überhand- 
nahmen. Es  kann  indessen  nicht  bezweifelt  werden,  daß  schon  zu 
*Utmäns  Zeiten  der  »heilige  Krieg«  in  den  Augen  der  Mehrzahl  der 
Ful  eine  bequeme  Gelegenheit  darstellte,  sich  zu  bereichern. 

Es  drängt  sich  nun  die  Frage  auf,  woher  der  Islam  'Utmäns 
stammt.  Der  Tw.  beantwortet  dieselbe  dahin,  daß  'Utmän  Oädirit 
war.  Den  Beweis  hierfür  liefert  die  Oaside  Al-Qädirija.  Auch  in  seinen 
Hausaqasiden,  Robinson,  E.  und  F.,  redet  'Utmän  seine  Gemeinde 
mit  den  Worten  Gamä'-a  al-qädiräiva  an  ^).  Die  Erklärung  Robinsons 
zu  diesem  Ausdruck:  »Abd-el-Kadr  was  Othman's  principal  Mallam 
and  a  native  of  Kano;  Alkadirawa  is  therefore  probably  equivalent 
to  »people  of  Kano«-)  ist  als  gänzlich  unwahrscheinlich  zurückzu- 
weisen. Die  indirekten  Quellen  für  'Utmäns  Lehren  lassen  sich  zum 
Teil  ohne  weiteres  ermitteln.  In  erster  Linie  ist  hier  natürlich  'Utmäns 
Lehrer  Häggl  öibirin  zu  nennen.  Nach  der  Angabe  der  HChr.3) 
hat  sich  dieser  20  Jahre  in  Mekka,  oder,  was  wahrscheinlicher  klingt, 
2  Jahre  in  Mekka  und  18  Jahre  in  Ägypten  aufgehalten.  Dieser  Aufent- 
halt im  Westen  fällt  nach  der  HChr.4)  vor  die  Geburt  'Utmäns,  wäre 
also,  da  'Utmän  im  Jahre  1754  geboren  ist,  etwa  in  die  Jahre  17 30 
bis    1750   zu    legen,    wobei   es    am   wahrscheinlichsten   erscheint,    daß 


')  E  4  und  31;  F  5. 
-)  Spec.   S.  61. 

3)  HChr.    171,6. 

4)  HChr.   172,  5. 


"-Q  A.  Brass, 

Gibirin  zuerst  in  Mekka  und  später  in  Ägypten  verweilt,   da  er  ja 
in  erster  Linie  die  Pilgerfahrt  zu  machen  beabsichtigte.    Le  Chatelier 
hat  in  seinem  L  Islam  au  XJX"  siede  die  Frage  aufgeworfen,  ob  nicht 
'Utmän  vielleicht  Wahhäbit  gewesen,  bzw.  von  den  wahhäbitischen 
Tendenzen  beeinflußt  worden  ist.     Zunächst  wäre  hierbei  wieder  an 
H䧧i    Gibirin   zu   denken,    dessen   Reformideen   'Utmän  ja   fort- 
besetzt  hat.    Über  diese  wissen  wir  freilich  nichts,  wir  können  nur  aus 
den  Lehren   'Utmäns   Rückschlüsse   auf  dieselben  machen.      Es   ist 
zudem  sehr  unwahrscheinUch,  daß  Gibirin  in  der  kurzen  Zeit,  in  der 
er  sünstisstenfalls  nach  dem  Ausbruche  der  Wahhäbitenbewegung  in 
Mekka  geweilt,  sich  die  wahhäbitischen  Lehren  zu  eigen  gemacht  habe. 
Eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  der  Wahhäbitenbewegung  ist  nicht  zu 
verkennen.      Auch  'Utmän  predigt  Reformen,   auch  er  gründet  ein 
Reich  mit  seinen  Anhängern.    Doch  die  Front  seiner  Predigt  war  eine 
etwas  andere.     Spielt  bei  den  Wahhäbiten  der  Kampf  gegen  die  vom 
Gesamtislam  anerkannten  und  assimilierten  »Neuerungen«  bzw.  heid- 
nische   »Überlebsel«   die   entscheidende   Rolle,    so   hat   'Utniän    teils 
gegen  vom   Islam   unberührtes   Heidentum,   teils   gegen   das   Zurück- 
sinken in  solches  zu  kämpfen.     Auch  er  streitet  zwar  wider  entartete 
'Ulemä,   doch  fühlt  er  sich  nicht  im  Gegensatz  zu  dem  »Gesamtislam« 
und  dessen   allgemein  anerkannten  Anschauungen,   sondern  weiß  sich 
mit  dem  Islam  aller  Länder  im  Kampf  gegen  das  Heidentum  einig. 
Eine    Beeinflussung    'Utmäns    durch    die    Wahhäbitenbewegung    ist 
jedenfalls  nicht  nachzuweisen.    Die  Stellung  'Utmäns  zum  Propheten - 
kult    steht    ganz    im    Gegensatz    zu    wahhäbitischen    Anschauungen. 
Muhammed   wird   nicht   allein  stets   als    »bestes   der   Geschöpfe«  be- 
zeichnet,  sondern   auch    als    »Asyl   der   Kreaturen«,    als    »der   größte 
Schutzort«   u.  a.  m.,    insbesondere   aber   spricht   'Utmän    zu   wieder- 
holten Malen  den  Wunsch  aus,   zum  Grabe  Muhammeds  pilgern  zu 
können,   um  dort  zu  beten.     So   in   seiner  Oaside:  _j.^o   .^_^*ka  ^  J.;? 

J.4.^/.  ^^•^'-■e^S  y^i  j3j^  —  '^^j^^  '^-^^  s.  o.  S.  13  B,  I,  I,  ferner  in  der 
Oaside:  Ahi  godi  jalla  .  .  .,  Vers  251:  Da  na  fita  sokoto  kua  ni  nuftina 
madinatu  enda  ahmada  ya  ti  kowa  (wenn  ich  andererseits  So- 
koto verlasse,  ist  meine  Absicht  Medina,  wo  Muhammed  (ist),  der 
alles  übertrifft)  und  in  der  Oaside  Mu  godi  uhangiji  .  .  .,  Vers  49 — 50. 
Insbesondere  aber  die  Stellung  zum  Heiligcnkult,  die  Anschauung 
von  der  »Vermittlung«  'Abdelqädirs  ist  ganz  unwahhäbitisch.  In  dem 
bei  Barth  IV,  S.  544  gegebenen  Ful-Gedichte  'Utmäns  ist  Vers  8  von 
dem  »Glänze  der  Welt«  die  Rede,  im  übrigen  stellt  es  ein  Musterbeispiel 
für  den  Muhammedkult  *Utmäns  dar.  Le  Chatelier  hat  daher  auch 
in  seinem  jüngeren  Buche:    !>L Islam  dans  V Ajrique  Occidentaleii~  die 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  'j\ 

Wahhäbitenthese  fallen  lassen,  und  erörtert  statt  dessen  die  Möglich- 
keit von  Beziehungen  'Utmäns  zur  Oädirija,  ja  er  bezeichnet  die 
Gamä*a  auf  seiner  Karte  Nr.  7  zu  S.  320  direkt  als  »Kadriya  Othma- 
niya«.  Sind  auch  die  historischen  Tatsachen,  die  Le  Chatelier  gibt  i), 
infolge  der  damals  mangelhaften  Kenntnis  der  Geschichte  der  Hausa- 
staaten  überholt,  so  hat  er  doch  in  treffender  Weise  erkannt,  daß  auch 
die  engen  Beziehungen  'Utmäns  zu  Sidi  Muhtär  el-Keblr,  dem 
Haupte  der  Oädirija  Bekkäja,  auf  eine  Verwandtschaft  der  Lehren 
beider  schließen  lassen.  Hinsichtlich  der  Herkunft  dieser  Lehren 
weisen  außer  Häggl  Gibirin  noch  die  Beziehungen  zu  andern  Männern 
auf  den  Osten,  speziell  auf  Ägypten  hin.  Ein  zweiter  Lehrer  *Utmäns 
war  der  Hägg  Muhammad  b.  Rag,  der  lange  in  Mcdina  gelebt 
hat  und  ein  in  seiner  Heimat  bedeutender  Traditionslehrer  war.  Li 
der  Kette  der  Gewährsmänner,  die  'Abdallah  für  dessen  Traditionen 
anführt,  finden  sich  3  Männer,  deren  Namen  unbedingt  auf  Ägypten 
hindeuten,  nämlich  Muhammad  Al-Bäbili  aus  Misr,  Sälim  Abü'n- 
Nagä  as-Sanhüri^)  und  der  Kopte  Muhammad.  Auch  ein  Onkel 
und  späterer  Lehrer  'Utmäns,  der  Hägg  Abu  'Ali  Muhammad 
Sambo  b.  'Abdallah  b.  Muhammad  b.  Sa'd,  hatte  sich  10  Jahre 
in  den  heiligen  Städten  aufgehalten. 

'Utmän  ist  demnach  also  Oädirit  gewesen,  und  hat  seine  Lehren  in 
der  Hauptsache  mittelbar  aus  Ägypten  und  dem  Osten  empfangen. 
Die  kriegerischen  Eigenschaften  der  Gemeinde  'Utmäns  gegenüber 
den  friedliebenden  Tendenzen  der  Qädirija  sind  einerseits  auf  den 
religiösen  Fanatismus  und  die  außergewöhnliche  Energie  'Utmäns, 
der  nur  ein  »Biegen  oder  Brechen«  kannte,  zurückzuführen,  andrer- 
seits aber  dem  Umstand  zuzuschreiben,  daß  dessen  Anhänger  zum 
weitaus  überwiegenden  Teil  einen  Krieg  gegen  die  Ungläubigen  als 
eine  bequeme  Gelegenheit  zur  Erwerbung  von  Freiheit  und  Reichtum 
herbeisehnten. 

So  liefert  uns  der  Tw.  vor  allem  zwei  wichtige  neue  Ergebnisse: 
die  genaue  politische  Geschichte  des  Kaiserreiches  Sokoto  und  die 
Lösung  des  Problems  der  religiösen  Verwandtschaft  des  großen  Ful- 
Reformators. 


0  S.  116  f. 

-)  Sanhüru  ist  ein  kleiner  Weiler  nahe  Alexandria,  zwischen  diesem  und  Damiette 
(Jäqüt  III,  S.  170;  Lex.  Geogy.   11,   S.  6i). 


A.   B  r  a  s  s  , 


'Ali 


Hamm 


'Utmäii 

Muhammad 

■    I 
Hawwä 


Anhang  I. 
Stammbaum    *Utmän  Da-n-Fodios. 

Müsä 

I 
Bübu  Bäba 

I 
Mäsiräna 

I 
Ajjüb 

■| 
Muhammad   Sambo 

I        . 
Muhammad  Gobbo 

(wandert  aus  Futa  Toro  aus) 


Gibril 


Mari  am 


Muhammad  Gur'do 
Härün 
Sälih 
'Utmäu 


Muhammad 


'Ali 


'Utmän 


'Abdallah 


Anhang   II. 
Leecndärcr    Stammbaum    der    Ful  nach   dem  Tw 

Abraham 


Isaak 

j 
Ismae.l 

Esau 

Nasmat             12  Söhne 

Rüm 

1 

Ful 

Araber 

Anhang  III. 
Zur    Karte. 
Die  angehängte  Karte:    »Politische  Karte  des  Kaiserreichs  Sokoto 
im  Maßstäbe  i:  2  000000«  soll  einen  Überblick  über  die  gesamte  Ge- 


Eine  neue  Quelle  zur  Geschichte  des  Fulreiches  Sokoto.  y» 

schichte  der  Sokotoful  vom  Auftreten  'Utmän  Da-ii-Födios  an 
bis  zur  Gegenwart  ermöglichen.  Leider  hat  es  an  einer  zu  diesem 
Zwecke  geeigneten  Karte  bisher  gefehlt.  Die  modernen  Karten  waren 
aus  dem  Grunde  nicht  verwendbar,  weil  auf  ihnen  die  große  Menge 
der  zum  großen  Teile  außerordentlich  wichtigen  alten  Namen  von 
Staaten  und  Orten  fehlen.  Eine  historische  Karte  des  Reiches  Sokoto 
dürfte  daher  wohl  willkommen  sein.  Die  Karte  ist  aufgebaut  auf  der 
französischen  Karte  von  Afrika  ^)  unter  Korrektur  der  sehr  zahlreichen 
Fehler  dieser  Karte  namentlich  in  der  Darstellung  der  Flußsysteme 
auf  Grund  des  amtlichen  englischen  topographischen  Materials.  Leider 
ist  es  mir  infolge  des  Krieges  nicht  möglich  gewesen,  die  amtlichen 
War  Office  Maps  im  Maßstabe  i  :  i  ooo  ooo  und  i  :  250  ooo  von 
Nigeria  zu  beschaffen,  so  daß  eine  Anzahl  von  Orten,  die  z.B.  im' 
Tw.  genannt  sind,  von  mir  noch  nicht  haben  festgelegt  werden  können. 
Allerdings  ist  es  sehr  zweifelhaft,  ob  dies  selbst  mit  Hilfe  dieser  Karten 
hätte  geschehen  können,  da  sicherlich  eine  große  Anzahl  der  damals 
existierenden  Orte  im  Laufe  der  Kämpfe  zerstört  worden  sind  und 
daher  ihre  Auffindung  jetzt  unmöglich  geworden  ist,  wie  schon  Rohli-s 
in  seinem  Buche:  »Quer  durch  Afrikas  bemerkt  und  dies  auch  die 
Karte  von  Kitson  von  Southern  Nigeria  im  GJ.  XLI,  Nr.  i  zeigt. 
Die  überwiegende  Zahl  der  historisch  bedeutenden  Orte  habe  ich  je- 
doch hauptsächlich  mit  Hilfe  des  Kartenmaterials  der  vorhandenen 
Reise  werke  festzulegen  vermocht. 

Von  einer  Darstellung  der  Gebirgssysteme  habe  ich  im  Interesse 
der  Übersichtlichkeit  bis  auf  ganz  vereinzelte  Fälle  (in  Adamaua),  wo 
deren  Aufnahme  unerläßlich  war,  abgesehen.  Ich  habe  indessen  die 
hierdurch  entstandenen  Mängel  dadurch  wettzumachen  geglaubt,  daß 
ich  bei  allen  bedeutenderen  Orten  deren  Höhen  in  Metern  auf  Grund 
der  amtlichen  englischen  topographischen  Aufnahme  hinzugefügt  habe. 
Mit  Hilfe  derselben  wird  eine  Übersicht  über  die  Höhenverhältnissc 
des  Sokotoreiches  nicht  allzuschwer  zu  erlangen  sein. 


')  Afriqiie  physique  et  politique  a  l'echelle  du  i  :  6  ooo  ooo' 


Die  Farbbezeichnungen 
bei  innerarabischen  Reduinenstämmen. 

Von 

J.-J.  Hess. 

Jeder,  der  arabische  Schriftsteller  liest,  oder  mit  Beduinen  au^ 
dem  eigentlichen  Arabien  zu  verkehren  Gelegenheit  gehabt  hat,  weiß, 
wie  viele  Farbbezeichnungen  ihre  Sprache  aufweist,  und  wie  schwierig 
es  oft  ist,  zu  einer  einwandfreien,  d.  h.  richtigen  und  unmißver- 
ständlichen Übersetzung  derselben  zu  gelangen.  Da  aber  eine  solche 
namentlich  bei  Beschreibung  von  Xaturgegenständen  oft  von  größter 
Wichtigkeit  ist,  habe  ich  eine  sorgfältige  Bestimmung  der  Farbnamen 
versucht  und  will  meine  Resultate  in  dieser  Richtung,  die  vielleicht 
auch  andern  von  Nutzen  sein  können,  hier  mitteilen. 

Die  Farbbezeichnungen  und  ihre  Definitionen  stammen  mit 
wenigen  Ausnahmen  (die  als  solche  angegeben  sind)  von  einem 
Individuum,  einem  '^Ötebt^),  der  von  allen  Beduinen,  die  ich  während 
eines  jahrelangen  Aufenthaltes  im  Oriente  kennen  lernte,  sich  als 
der  intelligenteste  und  zuverlässigste  erzeigte  und  geradezu  mein 
wissenschaftlicher  Mitarbeiter  geworden  ist.  Zur  Bestimmung  der 
Farben  wurde  ihm  zunächst  eine  Farbentafel  vorgelegt  und  nach  dem 
Namen  jeder  Farbe  unter  Verdeckung  der  übrigen  gefragt.  Zur 
Kontrolle  wurde  eine  zweite  Tafel  (mit  veränderter  Reihenfolge  der 
Farben)  gebraucht  und  nach  Verlauf  von  einem  Jahre  dieselbe  Arbeit 
mit  den  beiden  Tafeln  wiederholt.  Nach  weiteren  zwei  Jahren  endlich 
wurde  das  Ganze  an  dem  Code  des  Couleurs  von  Klincksif.ck  et 
Valette,  Paris  1908,  übergeprüft  und  die  Werte  der  Farben  nach 
dessen  Nummern  festgestellt.  Da  die  Angaben  des  Beduinen  sich 
stets  gleich  blieben,  ist  nicht  daran  zu  zweifeln,  daß  sie  den  Sprach- 
gebrauch seiner  Heimat  aufs  genaueste  wiedergeben. 

Es  ist  natürlich,  daß  für  die  Beduinen  die  Farben  nicht  Ab- 
straktionen   oder    physikalische  Begriffe   sind,    sie   vielmehr  dabei  an 

')  Die'Öiaöe  sind  nach  Mitteilung  des  Gioßschenl'  von  Mekka  'Ali   el- 'Abdel! 
die  Nachkommen  der  Hawdzifi. 


Die  Farbbezeicbnungen  bei  innerarabischen  Beduinenstämmen.  "r, 

die  Träger  dieser  Farben,  Tiere,  Geländeformen  und  andere  Natur- 
gegenstände denken,  und  ich  habe  daher  in  jedem  Falle  mich,  diesen 
Trägern  gefragt,  wobei  es  sich  zeigte,  daß  Farben  wohl  auch  in 
einem,  man  möchte  sagen  uneigentlichen  Sinne  angewendet  werden, 
ähnlich  wie  wir  von  weißem  Weine  sprechen,  während  er  doch  gelb 
ist  fs.  hadai').  Wie  schon  gesagt,  überrascht  die  Reichhaltigkeit  der 
Benennungen,  aber  ebenso  der  Umstand,  daß  unter  ihnen  die  Be- 
zeichnungen für  die  gelben  und  braunen  Töne  vorherrschen,  während 
die  Sprache  für  Grün  und  Blau  nur  spärliche  Ausdrücke  hat  —  wohl 
ein  Einfluß  der  Wüste. 

Die  Form  der  Farbnamen  ist  die  aus  der  klassischen  Grammatik 
bekannte,  aber  mit  der  merkwürdigen  Abweichung,  daß  sie  die  Nunation 
und  im  Plural  zwei^  Formen  (d.  h.  je  eine  für  Maskulin  und  Fe- 
minin) hat.  Im  'ötebischen  Dialekt  zeigen  die  Namen  mit  anlautendem 
Guttural  im  weitern  die  Eigentümlichkeit,  das  prähgierte  a  abzu- 
werfen, so  daß  man  also  z.  B.  nicht  ahadar  sagt  (wie  im  gahtänischen 
Dialekte),  sondern  hadar.  Freilich  wird  dieses  a  wieder  hergestellt 
wenn  die  zweiten  oder  dritten  Radikale  der  Wurzel  identisch  (oder 
um  nicht  mehr  zu  behaupten,  als  die  Tatsachen  erweisen,  vi]  suid 
[ahaniin,  vgl.  dagegen  hawa). 

Da  im  'Ötebischen  das  attributive  wie  prädikative  Adjektiv  zu 
einem  Diminutiv  ebenfalls  ins  Diminutiv  gesetzt  wird,  so  kommen 
von  allen  verzeichneten  Farbnamen  auch  Verkleinerungsformen  vor. 
Man  sagt  2X^0  gmileii  mnlah  ,ein  schwarzes  Kamel',  frysen^]  safrä  .eine 
helle  Stute',  aber  igvieilcji  umciäh  ,ein  kleines  schwarzes  Kamel', 
freisten  sjärä  ,eine  kleine  helle  Stute'.  Das  Diminutiv  von  hadar 
lautet  iihädir. 

In  der  nachfolgenden  alphabetischen  Aufzählung  der  Farben 
bezeichnet  G  gahtänische  Formen  und  O  solche,  die  dem  Idiome 
der  hadar  von  el-Gaswi  entstammen;  alle  Wortformen,  denen  diese 
Buchstaben  nicht  nachgesetzt  sind,  gehören  dem  Dialekte  der  '■Ötübe 
Rwuge-)  an.  Die  Zahlen  sind  die  Nummern  des  oben  erwähnten 
Farbatlasses;  y  umschreibt  ein  dumpfes  i,  (wie  in  türk.  kyzvl,.  g  und 
dz  ist  gutturales  und  palatalisiertes    ■;,  ts  palatalisiertes  J. 


')  Im  '(itebischen  Dialekt  wird  jede  zweisilbige  Wortlorm  einsilbig,  wenn  ein, 
vokalisch  anlautendes  Suffix  antritt.  Man  sagt  cl-gasab  und  darab  aber  gsilbch  ,scin. 
Rohr'  und  irtibet  ,sie  schlug'.  Dies  Gesetz  wirkt  auch  bei  der  Anfügung  der  Nimation, 
so  daß  z.  B.  die  Formen  cl-faras.  ci-gimel,  d-Iiamar  mit  1  enwin  frysäi.  i^milnt,  hmnrcu 
lauten. 

^j  Die  ''Ütabc  (sing.  ^Otc/n,  plur.  pauc.  "^Öibau)  zerfallen  in  zwei  Hauptgruppeii : 
'■Otäbe  Rivuge  (auch  Riige)  und  '■Ötäbe  Bargä,  deren  Dialekte  stark  voneinander  abweichen- 


j6  J--J-  Hess, 

1.  dbrag,  fem.  bä7-gä,  plur.  fem.  byrg,  masc.  byrgän  ,braun  (oder 
schwarz)  und  weiß  in  großen  Flecken  oder  Streifen':  Schafe,  der 
Beduinenmantel  {'abäh),  die  Berge,  die  man  abrag,  plur.  byrgän  nennt, 
d.  h.  solche,  an  denen  größere  Schichten  oder  Oberflächenteile  Sand 
mit  Fels  abwechseln. 

2.  abgat^),  fem.  bgcitä  plur.  fem.  byget,  masc.  bygtän  ,staubgrau, 
auch  428  A,  428  B':  Berge,  Tonstaub  {maräga),  Wolf  {dib),  Hase, 
Wüstenluchs  [tfe)  -),  die  Schlange  nmm^  gneb  ,Hornviper'. 

3.  ablag,  fem.  beHgä,  plur.  fem.  bilg,  masc.  bilgän  ,rosa3)',  3  C. 
3D,  21,  021,  28  B,  28  C,  280,46,046,071:  Kleiderstoffe,  ^^r^  (plur. 
dzi'än)  , rundliche  Depression  mit  tonigem,  harten  Boden  ohne 
Kräuter,  Sand  oder  Steine',  nach  Ansicht  der  Beduinen  eine  Schaffung 
des  Teufels  [ha'lg  iblis). 

4.  abjad,  fem.  bädä  plur.  fem.  bid,  masc.  biddn  ,weiß':  Kleider, 
Baumwolle,  frische  Milch,  Schafe,  Pferde,  s.  Anhang  2,  3  b)—  abjad 
abhag^)  , kreideweiß'  (so  auch  ibft  el  Atjr  III,  41,6). 

5.  viighini<)  , dunkles  Blaugrau'  434,  435,  459,  4^0,  464,  465, 
484,  485:  wenn  man  in  weiter  Ferne  Kamele  sieht,  deren  Farbe  man 
nicht    erkennen  kann,    so    sind    sie    mighiin.      Vgl.   adhan  und  ashab. 

6.  hagel  fem.  haglä  plur.  fem.  IdgiL  masc.  higlän  ,mit  weißen 
Füßen',  von  Pferden,  Hunden  und  Schafen  gesagt,  die  einen  weißen 
Fleck  oder  Ring  {higlc  plur.  higcl)  an  den  Plißen  haben.  S.  Anhang 
3  a,  b,  vgl.  '^äsamm. 

7.  haniar,  fem.  hanirä,  plur,  fem.  hymer,  masc.  hymraii  ,ver- 
schiedene  Schattierungen  von  Karminrot'  l,  2,  6,  7.  S.  Anhang  i, 
3  a,  b  —  hainar  Jmivijc  ,scharlachrot  bis  orange'  26,  31,  51,  56,  61, 
76,  81,  ^6,  loi,  106:  Wollstoff  (^7?//),  der  bei  der  hmnje  des  Frauen- 
sattels verwendet  wird.  hnwije,  plur.  hawäjä  ist  ein  rundliches 
Polster,  das  beim  Frauensattel  {tsiieb)  ^')  hinten  am  Sattelpflock  {gazäk), 

')  Zu  abgai,  das  ich  nirgends  linde,  gehört  wohl  K^^-Ia-Ü  ^^yJ  xii-AJl  Tag  i, 
602,  17  V.  u.,  wenn  wenigstens  nicht  die  Farbe  der  Milzsubstanz,  sondern  der  hellen 
Hülle  gemeint  ist. 

-)  X.aj  s.  Jslam   \ll.    103. 

3)  ablag  hat  im  klass.  Arabisch  nur  den  Sinn  von  .scheckig'  (s.  Anhang  3  c,  5); 
eine  der  unsrigen  ähnliche  Bedeutung  linden  wir  im  Algerischen:  ,ä  museau  ladre',  cheval, 
boeuf  (Beaussier,  Dict.  s.  v.),  wo  es  also  die  Farbe  der  ungefärbten  und  nackten  oder 
fein  und  kurzbehaarten  Stellen  bezeichnet. 

4)  Vgl.  dazu  den  Namen  der  Hautkrankheit  hahaq  (hebr.  ^TVil)'  Vitiligo  alba,  die 

in  NiEBUHR,  Beschreilmni:  Arabiens,    137.  Anm.,  genau  beschrieben  ist. 

5)  Vgl.    gehäme    O    .Schatten,    dunkles    Gebilde    in    der    Nacht,    wie    ein    Baum'. 

6)  fsiteb    »^Äi     =    klass.  i_^S;   vgl.  kytel  O  =  klass.  JJCis. 


Die   Farbbezeichnungen  bei   inneiarabischen   Beduinenstämmen.  'jj 

der  länger  ist  als  beim  sidäd,  aufrecht  (und  hinter  demselben)  befestigt  ist. 

8.  (i/iarnm,  fem.  hmmnä,  plur.  fem.  hymm,  masc.  hymniän  ,rote 
Erdfarben,  gebrannte  Siena'  -]-],  78,  87:  Farbe  von  Kamelen,  Kopf- 
haaren i).     S.  Anhang   i. 

9.  hmvä,  fem.  hauwä,  plur.  fem.  Junviv,  masc.  huzvtvän  ,oben  am 
Rücken  und  an  den  Seiten  äsJiäm  und  as'-al  (so  bei  den  idmi-  und 
*^/;'J-Gazellen,  Gazella  arabica  Licht,  und  G.  dorcas  [L.j,  und  dem 
t£^/'j/-Steinbock,  Capra  nubiana  F.  Cuv.)  oder  äsniar  (so  bei  Ziegen 
und  Eseln),  am  Bauche  aber  weiß'. 

10.  ]iadm\  fem.  Jiadrä.  plur.  fem.  hiidür,  masc.  hiidrmi  ,grün  in 
allen  Abstufungen'  276,  301— 3,  306  f,  327,  331  f,  351  f,  356  f,  367. 
hadar  ist  neben  der  Vegetation  auch  der  Himmel,  dessen  Grün  indes 
eenau  von  dem  der  Pflanzen  unterschieden  und  nach  der  Farbtafel 
als  blaugrün,  361  f,  396  f  bezeichnet  wurde  2).  Strenggenommen  sind 
nur  die  blauen  Teile  des  bewölkten  Himmels  hadar,  der  unbewölkte 
Himmel  ist  am  Tage  adJjan,  nachts  ezrag;  beim  Esel  bedeutet  hadar 
ein  neutrales  Grau,  und  vom  Barte  gesagt,  heißt  es  ,leicht  ergraut, 
meliert':  lihjiteh  hadrä  =  lihjiteh  viintasfä  ,sein  Bart  ist  meliert'. 
Endlich  wurde  die  Gesichtsfarbe  der  Nubier  und  dunkeln  Beduinen 
als  hadar  bezeichnet.      S.  Anhang  2,   3  b,  c. 

11.  ädbes,  fem.  dabsä,  plur.  fem.  dibs,  masc.  dibsdfi  U  ,umbra- 
farbig  42,  118.  dibs  'O,  G,  O  ist  ,Dattelsirup'.  Die  Datteln  i^ritttab) 
werden  in  einen  mannshohen,  konischen,  steinernen  Behälter  [gyssa) 
oder  auch  in  einen  größern,  aus  Ziegelsteinen  gebauten  Behälter 
{sübe)  geschüttet.  Der  Saft,  der  unten  abläuft,  ist  dibs,  auch 
sein  genannt. 

12.  ad  hau,  fem.  <^dhänä,  plur.  fem.  dyhyn,  masc.  dyhnan  .mittleres 
Blaugrau'  455  C,  453  D,  467,  471:  Rauch  des  rimt,  Haloxylon  Schwein- 
furthii  Asch.  (Chenopodiaceae),  Himmel  (s.  hadar),  Kamele.  Vgl. 
jnigJiim  und  ashab. 

13.  adra\  fem.  dcr'-ä,  plur.  fem.  dyre\  masc.  dyr'-än  ,weiß  mit 
braunen  Flecken  links  und  rechts  am  Halse'   (Schaf). 


1)  Vgl.  hmd»i  O  ,Ruß  am  Kessel'  (in  Algier  *j-«.=>  ,noir  de  fumee,  suie 
Beaussier,  Dict.),  hamme  O  .schwarzer  Berg'  in  Bergnamen  von  Ncgd  und  der  Sina 
halbinsel. 

2)  Vgl.  el-bieirä  und  hder  es-simä  O  ,das  Himmelsgewülbe'  (klass.  i.S,*:a:5=^J))- 
Auch  in  den  Türk-Sprachen  finden  wir  kok  als  Bezeichnung  der  Farbe  des  frischen 
Grases  einerseits  (so  im  Altai-  und  Lebed-Dialekt,  im  Teleutischen  u.  Schorischenj  u. 
des  Himmels  andererseits  (im  Küktürkischen,  Uigurischen,  Kumanischen),j  kö}z-lcr 
.Himmel'  (in  chinesischer  Umschreibung:  ho-licn,  Canton  kak-lin,  Korea  hiök-yön)  ist 
schon  hunnisch  (S.  Bull.  Ac.  Imp.  St.  Pctersbourg  XVII,  1902,  p.  05).  Weiteres  über 
die  Farbe  d.  Himmels  s.  in  F.  Delitzsch,   Iris,  Leipzig   i88S,  S.   8—20. 


78  J-J.  Hess. 

14.  ad'-as,  fem.  dc'-äsä,  plur.  fem.  di'-es,  masc.  dt'^sdn  , graugrün' 
343,  348:  giihen  wiisi'-  ,ein  Wollstoff',  auf  die  menschliche  Hautfarbe 
angewendet,    hat  es  dieselbe  Bedeutung  wie  hadar. 

15.  adg-af,  fem.  degät_ä,  plur.  fem.  ditgt,  masc.  dug'tdfi  G  , ver- 
schiedenfarbig fein  gesprenkelt,  aber  es  muß  immer  safär  ,GeIb'  dabei 
sein',  von  Tierhaaren  gesagt. 

16.  adg-ai/i,  fem.  degämä,  plur.  fem.  dygiuii,  masc.  dj/gfriäu^)  .ver- 
schiedene ganz  dunkle  Braun'  35,  39  f,  65,  85,  90,  95:  Esel,  Hund, 
Wolf  {did),  Hyäne. 

17.  adlem,  fem.  dclinä,  plur.  fem.  dilin,  masc.  dilmän  ,ganz  braun' 
'ösmar):  von  Schafen  gesagt;  säten  delmä,  däneti  dihn. 

18.  adhäs,    fem.    dhasä,    plur.    fem.    dthis,    masc.    dihsän    , helles, 
•warmes  Grau'    122,    147:    Esel.     Von    diesem  Worte  haben  wir  den 

i^ufnamen  für  Esel:   fem.  cd-Dhcse,  masc.  ed-DIieisän. 

19.  ädhäm,  fem.  dhauiä,  plur.  fem.  dihcin,  masc.  diJiniän  .stumpfe, 
braune  Töne' 4,  5,  9,  103,  108,  113:  Pferde  und  Ziegen.  ^Qxva'-Ötebi 
bezeichnete  dies  Wort,  das  ich  auch  von  G<^hatän  gehört  habe,  außer- 
dem ein  Grau  mit  leichtem  Stich  in  diese  Farbe.  S.  Anhang  3  a 
und  agatcm. 

20.  arbcd,  fem.  rabdä,  plur.  fem.  lybed,  masc.  lybdäii  ist  , schwarz 
-mit    großen    weißen  Flecken  an  den  Seiten  oder  Gliedern  versehen', 

von  der  Ziege  und  vom   Straußenweibchen  {er-rabdä)  gesagt. 

21.  arbes,  fem.  rabsä,  plur.  fem.  rybis,  masc.  riibsaJi-)  wird  von 
den  schwarzbraunen  Schafen  gesagt,  deren  Kopf  weiß  und  schwarz 
gefleckt  ist,  doch  so,  daß  das  Weiß  vorherrscht.     S.  gasä. 

22.  arham,  fem.  O'hainä  plur.  fem.  rykyin,  masc.  ryhmäti  vom 
Schafe  gesagt:  braun   [sainrä)   mit  weißem  Kopf. 

23.  ai'gai,  fem.  ragtä,  plur.  fem.  rjgyt,  masc.  rygtdni),  schwarz 
oder  rot,  selten  grün  getüpfelt  auf  Weiß,  sei  es  daß  die  Tupfen  auf 
dem  Weiß  nur  einer  oder  auch  zweien  der  obgenannten  Farben  an- 
gehören: Sc\\\d.ngQ  el-argat,  die  Decke  resp.  der  Teppich  {hainbel),  awi 
der  man  schläft,  und  in  die  man  sicli  einhüllt. 

24.  ezrag,   fem.  zcrgä  plur.   fem.  ziirg,  masc.  ziogän  ,sehr  helles 


')  In    Algerien:    ,noir    sans    aucune    lache    blanche',    cheval.       (Beaussier    s.  v.^ 

2)  Klass.  (ji^Jl.  TwEEDiE,  7>^tf  .<4rrt(^«rt« /i£7;-j-£?.  Edinburgh  und  London  1894,  263 
erklärt  abras  als  ,flea  bitten,  grey  marked  with  flicks'.  Auch  in  '^Oniän  lautet  das  Wort 
rbcs.  Reinhardt,  Ein  arabischer  Dialekt  .  .  .  in  '^Omän  und  Zanzibär   14  (§  9). 

3)  Bei    den  Beduinen  Algeriens    ist    argat   ,gris,    truite',    cheval    (Beaussier  s.  v.\ 
.also  .Forellenschimmel'. 


Die   Faibbezeiclinungen  bei   inncrarabischen   Beduinenstämmen.  ^g 

Blau'    428  C,    428  D,    auch    graugrün    297,    317:    gmniiie    , reichliches 
Wasser  im  Brunnen',  Kamele,  Pferde.     S.  Anhang  2,  3  a,  b. 

25.  az'-ai-,  fem.  ze'-arä,  plur.  fem.  zy'-cr,  masc.  sy'^räii'^)  , helle 
leuchtende  Ockertöne'  141,  171:  die  Heuschreckenstadien  ze'-äri  und 
isitfi  (S.  Z.  A.  W.  35   [191 5]  S.   123  f 

26.  ashain,  fem.  shäinä,  plur.  fem.  syhem.  masc.  syJpnän  mittlere 
Ockertöne,  matter  als  ^^i/^w,  152:  Kamele,  Rücken  des  wz'j//-Steinbockes 
,Capra    nubiana   F.    Cuvier'    und    der   zV/wz-Gazelle  =  Gazella  arabica, 

(Licht.),  die  Rattenart  shdim  (=     ^^_<\^- 

27.  esfa'-,  fem.  saf-ä,  plur.  fem.  sifc'-,  masc.  s?'ßan  vom  Schafe, 
wenn  es  ganz  weiß,  aber  an  den  beiden  Seiten  des  »Gesichtes« 
schwarz  ist. 

28.  äsjiiar,  fem.  siinirä,  plur.  fem.  syiinir,  masc.  syinrän  schwarz- 
braun,   schwarzblau,    schwarz:    Berge,    Schafe,  Esel.      S.    Anhang    2. 

29.  äsivid,  fem.  soiidä,  plur.  fem.  siui,  masc.  südän  , schwarz': 
Kamele,  Schlange  el-äswid,  Neger,  die  Haare  [der  meisten  '■Ötäbc. 
S.  Anhang   i,   2,  3  a. 

30.  as'-al,  fem.  scUi/ä,  plur.  fem.  syyi.  masc.  sy'-län  ,sehr  dunkle 
Ockertöne  bis  braun'.  103,  104,  105:  Kamele,  Rücken  der  '■'öfrf- 
Gazelle  , Gazella  dorcas,  (Linne)',  rotblond,  s.  Anhang  l,  3  c. 

31.  asgah,  fem.  säghä,  plur.  fem.  sygeh,  masc.  syghän'^)  etwas 
weniger  weiß  als  oiidaJi  bezeichnet  das  weiße  Kamel  mit  schwarzen 
Klauen  und  Schwanz,  sind  auch  die  Augen  schwarz,  so  sagt  man, 
es  sei  asgah  'inda'-'^ag.  Vgl.  aginar. 

32.  asga)%  fem.  sagrä,  plur.  fem.  sygyr,  masc.  sygrdn  ,hell  pom- 
pejanischrot  bis  hellrot'  52,  57,  82,  102:  Pferde,  Haare  resp.  Zöpfe 
[gnm),  meistens  durch  das  Waschen  mit  Kamelurin,  selten  von  Natur, 
der  Mantel  [inislaJi).    S.  Anhang   i,   3a,  b,  c. 

33.  asliab,  fem.  sJiabä,  plur.  fem.  syJiyb,  masc.  syhbän  , helles 
Graublau  —  intensives  Hellblau'  428  A,  428  B,  453  C  —  441,  446 
Berge,  Schießpulver,  wenn  es  etwa  zwei  Monate  in  den  tetärif  (sing. 
tctnife),  den  messingenen  Röhrchen  [am  Bandelier  aufbewahrt  wird, 
Pferde ;  s.   Anhang  3a,  c. 

34.  asdä,  fem.  sadjä,  plur.  fem.  sydi  pl.  sydjän  Q  , dunkelrotbraun' 
von  Pferden. 

35.  as/ar,  fem.  safrä,    plur.  fem.  siifür,    masc.  mfi'dn   , maisgelb. 


')  In  Algerien  und  Marokko:  , blond  ardent,  roiige'  (Beaussier  o.  c.)  ,red-haired" 
(Meakin,  An  introducHon  to  thc  Arabic  0/ Marokko  48).     Vgl.  auch  Dozy^  Sitppl.  s.  v. 

2)  Nach  Wetzstein  bei  Soctn,  Diwan  aus  Ccnfralarabicn  I,  295  ist  a'sqah 
jisabellenfarbig'  (Pferd). 


80  J--J-  Hess, 

goldgelb'   l6i,    176,   181,    186:    Auripigment    [zirnih),    Schwefel    [kuf- 
fän),    Currypouder  {hyrd),    die  Körner  von  tyffä  ,Senf'i),   Jerichorose 
=  Anastatica  hieroch untica  L.  (tseßte),  Pferde.     S.  Anhang  3a,  b. 

36.  ashab,  fem.  shabä,  plur.  fem.  suhyb,  masc.  suhban  , rötliches 
Dunkelbraun'  30,  34,  54  f,  59,  79  f,  80,  84,  104  f,  109:  Kamel,  Be- 
duinenmantel [niislak) 

37.  ativag,  fem.  tougä,  plur.  fem.  tüg,  masc.  tügdii  ,mit  einem 
weißen  Band  über  den  Nacken  gezeichnet',  vom  Hunde  gesagt,  daher 
die  Hunde-Rufnamen   Touge  fem.,    Tougän  masc, 

38.  azlain,  fem.  zalniä,  plur.  fem.  gjilin,  masc.  sulmän  , tiefstes 
Schwarz':  »nichts  ist  azlam  als  das  Straußenmännchen  {seltm),  die 
schwarze  Nacht  [zalmä)  u.  die  Tiefe  eines  Loches«. 

39.  '■äsam,  fem.  ^asmä,  plur.  fem.  '^ösüm,  masc.  ''ösmän  ,mit  zwei 
weißen  Flecken  oder  mit  einem  weißen  Ringe  und  zugleich  etwas 
höher  mit  einem  weißen  Flecken  an  den  Vorderbeinen  versehen'. 
Der  Steinbock  [wiyi)'^),  die  Ziege  und  das  Kamel  können  '^ösujii 
sein.     Vgl.  Jiagel. 

40.  '■atai',  fem.  '■aträ,  plur.  fem.  ''öter,  masc.  '^öträn  .mittlere  Ocker- 
töne' 127,  132,  137,  142:  Kamele,  Ziegen,  in  seltenen  Fällen  Bart 
und  Schnurrbart. 

41.  "afar,  fem.  ""afrä,  plur.  fem.  ''ö/er,  masc.  ^öfrän  , schmutzig 
weiß,  cremefarbig':  Hautfarbe  der  Mädchen,  Kamele.  Bei  den 
letzteren  ist  es  allgemeiner  Ausdruck  für  die  Nuancen:  ondah,  asgah, 
agniar  q.  v. 

42.  agätem,  iem.  gatmä,  plur.  iem.  gytym,  v[\2lsc.  gytmä7iG,  gatetni) 
usw.  Q,  dasselbe  was  ädhäm,  nach  einem  G'hatdnl  habe  ich  auch 
notiert:   grau  mit  weißen  Haaren  dazwischen,  vom  Pferde  gesagt. 

43.  gasä,  fem.  gaswä.  plur.  fem.  ^/i«,  masc.  ^.y"z£/<:m  ist  dasselbe 
wie  arbes,  aber  bei  den  Ziegen. 

44.  meganimes  s.  Anhang  3a,   14. 

45.  agmar,  fem.  gamrä,  plur.  fem.  gymer,  masc.  gymrän-^) 
,schmutzig  weiß  —  zwischen  abjad  und  abgat  —  mit  schwarzem 
Höcker  und  Schwanz,  vom  Kamel  gesagt.      Von  weitem  kann  man 


1)  tyffä  wurde  mir  als  resäa  .Gartenkresse',  Lepidium  sativum  L.,  die  man  in  den 
Städten  kaufe,  erklärt,  ich  glaube  aber,  daß  es  Senfkörner  sind,  da  die  Farbe  nicht  zum 

Kressesamen  paßt  und  klass.  i^LftS  auch  mit  i3<3-:>  erläutert  wird. 

2)  Die  Steinböcke  {wu^ül)  heißen  in  den  Liedern  '««w  el-cidi.  Huber,  Journal 
d'iin  voyage  cn  Arabie  117:  lorsqu'ils  (die  Kamele  der  Gehetie)  ont  les  mains  un  peu 
blanches,  ils  s'appellent  M'aQomme  (lies  jne'-assame). 

-)  Vgl.  ägyptisches  mttgai  um  ,dark,  obscure' (Spiro,  Arabic-EnglishVocabulary  s.\  .). 
4)  HuBER  1.  c.  sagt  qamrä  sei  zwischen  hamrä  und  bcdä. 


I 


Die   Faibbezeichniing;en  bei   iniierarabischcn   Beduinenstiimmcn.  3l 

nicht  unterscheiden,  ob  ein  Kamel  oudah,  asgah  oder  agniar  ist,  und 
sagt  dann,  es  sei  ''ofar. 

46.  aghab,  fem.  ghäbä,  phn\  fem.  gyhyb,  masc.  gyhbäii  ,rr)thches, 
ganz  helles  Gelb  und  ganz  helles  Gelb'  12 1,  0I2I,  103  A,  B,  C,  D, 
153  A,  B,  C,  D,  171,  178  A,  B,  in  el-Gasim  =  asfag^) :    Berge,  Kleider. 

47.  kernet  (j  , Brauner  (Pferd)',  also  mit  braunem  Haar  und 
dunkler  Mähne  und  dunklem  Schwanzhaar.      S.   Anhang  3c. 

48.  amgar  G  helles  und  mattes  Karminrot:   magar  , Rötel'. 

49.  ainlah,  fem.  mälhä,  plur.  fem.  milih,  masc.  viilhän-)  »schwarz': 
Kamel.  Auf  der  Farbentafel  wurde  Ellfenbeinschwarz  damit  bezeichnet. 

50.  ainbat,  fem.  iiabtä,  plur.  fem.  nybüt,  masc.  iiybtdn  ,mit  einem 
großen  weißen  Flecke  an  einer  Stelle  versehen',  vom  Schafe,  das  im 
übrigen  dunkelbraun  ist.  Wenn  an  einem  steinigen  Berge  eine 
große  sandige  Stelle  sich  vorfindet,  die  nach  dem  Regen  mit  Vege- 
tation bedeckt  wird,  so  nennt  man  ihn  aiiibal  oder  obu  nubta. 

51.  anma/%  fem.  nainrä,  plur.  fem.  nyinür,  masc.  iiynirdn  braun 
(oder  schwarz)  und  weiß  gefleckt  oder  gestreift:  Panther,  Wild- 
katze, hintere  Hälfte  der  Hyäne,  Stachelschwein   [nis). 

52.  oudah,  fem.  %vaähä,  plur.  fem.  ivudeh,  masc.  wudhän  ist  die 
Farbe  der  durchaus  weißen  Kamele  und  der  Säbelantilope  Oryx 
beatrix,  J.  E.  Gra}'  [wiidähi  —  bygar  el-züähäs). 

Allgemeines:  loun,  pl.  älwän  .Farbe';  ahuan  , heller';  hainar  bi- 
siiwäd  , dunkelrot';   hadar  bi-siiwäd  , dunkelgrün'. 

Anhänge. 

I.   Die  Haarfarben  bei   den  ''Otäbe. 
asgar    , hellblond',    as'^a/  , rotblond',    ahavini    , dunkelblond,  braun', 
äs7vid  , schwarz'. 

2.  Die  Hautfarben  in  Nordafrika 

nach  Nachtigal,    Sahara    und  Sudan   I,    428  f.  3). 
;>Man  unterscheidet  an   Hautfärbungen    in    einem    großen  Teile 
der    östlichen   Sahära  und  im   Sudan: 


I)  Vgl.    dazu    si/af^    O  G  =  haindr   cl-incgarib   oder    hamcir   cs-su/ra    , Abendröte'. 

-)  Nach  DozY  Sufpl.  s.  v.  ,blanc  en  parlant  des  [moutons',  bei  Tweed  iE  o.  c. 
263   ,grey'  vom  Pferd. 

3)  Da  das  NACHTiGAL'sche  Werk  längst  vergriffen  ist,  habe  ich  es  nicht  für  über- 
flüssig gehalten,  diese  Bemerkungen  des  großen  Afrika-Erforschers,  die  meine  Arbeit  in 
einem  wichtigen  Punkte  ergänzen,  im  Zusammenhange  zum  Abdruck  zu  bringen,  zumal 
die  zentralafrikanischen  Dialekte  in  Form  und  Wortschatz  den  Negddialekten  sehr  nahe 
stehen.  Weiteres  über  dieses  Thema  s.  bei  Carbou,  L' .habe  parle  au  Ouaday  cf  a  l'Est 
du   Tchad.     Paris   1913,  p.   224. 

Islam  X.  6 


82  J--.1-  Hess, 

1.  Abjad  (d.  h.  weiß).  Farbe  der  Europäer  und  mancher  Städte- 
bewohner der  Nordküste. 

2.  Ahmar   (d.  h.  rot),  vorwaltende  Farbe  der  Araber  und  Berber. 
^.   Asfar  (d.  h.  gelb),  einer  hellen  Bronzefarbe  entsprechend,  bei 

manchen  Araber-  und  Berber-Stämmen   vorwaltend. 

4.  Asmar  (d.  h.  braun),  dunkle  Kupferfarbe,  vielen  Wüstenbe- 
wohnern und  sudanischen  Arabern  gemischten  Blutes  eigen. 

5.  Achdar  (d.  h.  grün;,  sehr  dunkle  Bronzefarbe,  bei  manchen 
Wüstenbewohnern,  vielen  Negern  und  manchen  sudanischen  Arabern 
unreiner  Abkunft  vorkommend. 

6.  Azreq  (d.  h.  grauj,  vorwaltende  Farbe  der  Nigritier. 

7.  Aswad  (d.  h.  schwarz),,  individuell  häufig,  als  Stammesfarbe 
selten  bei  den  Nigritiern. 

Die  Bezeichnungen  Achdar  und  Azreq  unterliegen  einer  mannig- 
fachen Bedeutung  im  Arabischen.  Jenes  umfaßt  vielfach  neben  dem 
Grün  das  Blau,  und  in  Tunis  bezeichnet  man  die  Farbe  der  Rappen, 
die  nicht  gerade  tiefschwarz  sind,  mit  diesem  Worte.  Azreq  be- 
deutet eigentlich  :  blaue  Augen  habend«,  also  blau,  doch  während 
man  in  Tunis  in  der  Tat  dies  Eigenschaftswort  auf  den  wolken- 
losen Himmel  anwendet,  so  wird  es  in  vielen  Gegenden  für  alle 
Abstufungen  des  Grau  bis  zum   Schwarz  gebraucht. 

Asfar  und  Asmar  können  unter  Umständen  dieselbe  Intensität 
haben,  doch  jenes  fällt  in  die  gelbUche,  dieses  in  die  rötliche  Reihe. 
Auch  Asmar  und  Achdar  können  dieselbe  Dunkelheit  zeigen;  doch 
Achdar  gehört  der  gelblichen  Reihe  an.  Die  Farbe  Azreq  wird 
eigentlich   als  Endghed    der    rötlichen  Reihe   betrachtet.« 

3.  Farben  der  Pferde, 
a)  Bei  den  '^Ötdbe. 

Als  ich  die  Farben  der  Pferde  mit  Beduinen  von  den  Stämmen 
"■Ötäbe  und  G^/mtdfi  festzustellen  versuchte,  war  ich  mit  der  weit- 
läufigen Terminologie  im  Deutschen  nur  oberflächlich  vertraut  und 
2udem  standen  mir  bloß  für  die  mit  *  versehenen  Farben  lebende 
Beispiele  zur  Verfügung.  Dieser  Teil  meiner  Arbeit  ist  daher  weniger 
vollkommen,  als  ich  es  wünschte,  wird  aber  vielleicht,  zugleich  mit 
dem  älteren  Material,  das  ich  darbiete,  doch  von  einigem  Nutzen  sein 
und  namentlich  andere  anregen,  meine  Ausführungen  zu  verbessern 
und  etwas  Endgültiges  an  deren  Stelle  zu  setzen. 

*i.  asferen  sahäh  (sl^^^j)  vollkommen  weißer  Schimmel. 

2.  asferein  bryde  Schimmel  mit  schwarzer  Mähne  und  Schweif- 
spitze. 


Die   Farbbezeichnungen   bei   iiinciarabischen   BL-duinenstämmen.  g^ 

3.  asferern  mhämvies  Schimmel  mit  schwarzer  Mähne,  eben- 
solchem Schwanzhaar  und  schwarzen  Sprunggelenken  'yarädzib, 
sing.   '■'07'güb). 

*4.  asferem  mcrsiis  Schimmel  mit  braunen  [ashäm)  Flecken 
von  der  Größe  eines  Geldstückes:    Fliegenschimmel. 

5.  asJiab  Haare  hellgraublau  [aShab),  auf  der  Farbentafel  aber 
mit  453  C  verdeutlicht  (s.  adhaii). 

*'6.  ezrag  Haare  dunkler  blaugrau  {adhan  453  D).  ezrag  wurde 
-der  Apfelschimmel  genannt,  ashab  und  ezrag  werden  die  verschie- 
denen Abarten  des  Blau-  oder  Grauschimmels  bezeichnen. 

*/.  asgar    Haare,    Mähne    und    Schweif  rötlich    {asgar) :    Fuchs. 

*S.  haniar  Haare  rot  oder  rotbraun  {hamar),  Mähne  und  Schwanz- 
liaar  schwarz  {äswz'd) :    Brauner. 

9.  hmiircn  äsamm  masc,  /uwwän  sammä  fem.  ganz  rotbraun, 
58,    ohne  einen  Fleck  einer  andern  Farbe,    also  wohl:    Dunkelfuchs. 

10.  Jinmren  ägarr  masc,  haniräJt garrä  fem.  Brauner  mit  einem  kür- 
zeren, weißen  Strich,  »Stern«  [gurra,  auch  ;/(?^;«^  genannt),  aufder  Stirn. 

"'11.  Jinmren  be-sijdle  Brauner,  mit  einem  längern,  von  der 
Stirn  bis  zum  Nasenbein  gehenden  weißen  .Strich,    »Blesse      {sijäle). 

12.  adhäin  Haar  dunkelrotbraun,  Mähne  und  Schweif  dunkler, 
wohl:    Schwarzbrauner. 

*I3.  äswid  Haare,   Mähne  und  Schweif  schwarz:   Rappe. 

*I4.  inegamnies  el-arbct  Pferd,  dessen  vier  Koten,  Fesseln 
und  Füße  weiß  sind. 

15.  nnhäggel  el-arba^  Pferd  'mit  vier  weißen  Füßen  (s.  oben 
hagel);  ist  der  rechte  Vorderfuß  von  derselben  Farbe  wie  der  Körper, 
die  übrigen  Füße  weiß,  so  sagt  man  vom  Pferd:  (mhäggel  et-taldt 
tilg     el-^jmin. 

I. — 4.  Bei  TwEEDiE  o.  c.  263  ist  asfar  i.  milkwhite,  2.  white 
and  light  grey,   3.   white  with  a  saffron  Infusion. 

1 . — 2.  sahäk,  das  ich  nur  in  diesem  Ausdruck  kenne,  sowie 
bryde,  das  sonst  , Hagelkorn'  bedeutet,  habe  ich  leider  versäumt,  mir 
näher  erklären  zu  lassen. 

5.  In  der  kumanischen  Aufzählung   der  Pferdefarben,    Houtsma, 

Türkisch-arabisches    Glossar  ii-"    ist    ashab  =  biiz   ,grau',   bei    7"weedie 
o.  c.  263:   white  with  blackish  Infusion. 

6.  Wetzstein  bei  Socin,  Diwan  aus  Centralarabien  r,  295  gibt 
v.:i  =  Grauschimmel;  im  Azerbeidschanischen  \s\.  k'ök  nach  Tschudi 

beim  Pferde  ,taubengrau'.     Von  Hadar  aus  el-Gasim  hörte  ich  ezrag 

^hbiSl   (  -/ii..*u>)    ,Pferd,    das   in    verschiedenen    Farben    gefleckt    und 

6=^ 


84  J--J-  "^''' 

im  ganzen  dunkel  ist',  also  wohl  .Fliegenschimmel';  bei  helleren 
Flecken  nenne  man  es  ezrag  gmsi  (von  girs  ,Piastei-'),  was  wahr- 
scheinlich den  .Apfelschimmel'  bezeichnet. 

7.  Nach  dem  kumanischen  Glossar  ist  asgar  =  al  ,Fuchs'  (s. 
Jacob,  Türkisches  Hilfsbiich  D.  106),  ebenso  in  den  Wbb.  von  Dozy 
und  Beaussier  und  im  nachfolgenden  Verzeichnis.  \V.  Tweedie, 
The  Arabian  Horse,  Edinburgh  u.  London  1894,  erklärt  asgar  mit  chest- 
nut,  das  nach  Muret- Sanders  Fuchs  und  Brauner  bedeutet. 

8.  Tweedie  o.  c.  262,   Burckhardt  und  Beau?ser.   Düt.  s.  v.. 

übersetzen  _»j*  i  ebenfalls  mit  .Brauner'  (bay.  bai).  Wetzstein  gibt 
dafür  »dunkelbraun«,  was  unserer  Definition  zum  wenigsten  nicht 
widerspricht. 

Q.  Beaussier  hat  ,wo   ..^^    ,bai  fonce'. 

12.  Im  kumanischen  Glossar  ist  ac/ham  =  kara  , schwarz-.  Tweedie 
1.  c.   erklärt  adham  mit   »equally  coalblack  and  darkbrown  -.. 

13.  Das  kumanische  Glossar  übersetzt  imihaggal  —  sigH  .Pferd 
mit  weißen  Flecken  an  den  Füßen';  Burckhardt's  Verzeichnis  gibt 
hier  fast  dasselbe,  was  ich  gehört  habe. 

b)  Bei  den  "^Ayiize. 
Nach  Burckhardt,  Notes  on  the  Bedoidns  and  Wahdbys,  London 
1830,  S.   121   (Deutsche  Übersetzung  S.    173  f). 
I.   .Ai2i>\.  w4-ii5,  u^;^^  white  horse 
2-  (^y)  grey  horse 

3.  JL^S  dark  grey  horse 

4.  jsjj^  sorrel 

5.  -.^i  bay 

6.  iw>Lo    -♦.=>!  bay  whithout  any  white  mark 

7.  v»,js^^    -«.^l  dark  chestnut 

8.  ijiw^s*  horse  spotted  with   dififerent  colours 

9.  J>.:fV:>^    ...♦j>!  bay  with  four  white  feet 

10.  Q^l  ijlli^»  o^iüi  jJ^^^w«  horse  having  three  white 
feet,  and  the  left  fore-leg  of  the  same  colour  as  the  body. 

I .  Im  kumanischen  Glossar  wird  ahdar  =  tiimir  buz  mit  ^7.s=- 
hab  hadidi  ,e\sengrdM'  erläutert,  Musil,  Arabia  Peiraea  III,  275,  Wien 
1908,  hat  hadrä  hamämijc  »Eisenschimmel',  Daumas,  Les  Chevanx 
du  SaJiara  51  (s.  auch  Dozy,  Suppl.  und  Beaussier  s.  v.)  gibt 
ahdar  mit  ,wolfsgrau'  (louvet)  wieder. 

6.    Statt   Burckhardt's   ^^^^a  ist  wohl  das  'ötcbische  sahah 


Die  Farbbczeichiningen  bei  innerarabischen  Bediiinenstämmen.  85 

-einzusetzen.  Verwechslungen  zwischen  »  und  kommen  bei  ihm 
vor,  so  schreibt  er  z.  B.  p.  435    (zu    137)   »J^  statt  ^:^ . 

7.  aJiDiar   mahrüq  (*ötcbisch    würde   es    lauten  hmurem  inhaiiig) 
ist  wohl  wie  das  ahmar  inaszvl  des  kumanischen  Glossars  ,Brandfuchs'. 

8.  Statt    I/abcs    ist    vielleicht    (labesi    zu    lesen,    wozu    man    das 
•oben  angeführte  gasimische  (izrag  ^(/bisl  und  Dozy's  »^^x=>  'haricot 

tachtc  de  noir  et  de  blanc'  vergleiche.  Nach  Burckhardt,  Travels 
in  Syria  and  tJic  Holy  Land,  London  1822,  p.  623  (Deutsche  Übers. 
S.  983)  nennen  die  Beduinen  ct-Tuwära  (sing.  Türi)  des  Sinai  die 
Holzkohle  habes,  woraus  man  vielleicht  schließen  darf,  daß  der  ent- 
sprechende Stamm  ,schwarz'  bedeutet.  Vgl.  dazu  Jemenit,  und 
shauri  Jjmmn,  zentralafrik.  hanimc  (MSOSAs  II,  1899,  S.  155)  .Holz- 
kohle', von  ähannn,  nach  den  Originallexx.  ,Farbe  zwischen  schwärz- 
lichem Rot  u.   Schwarz'. 

c)   Das  Verzeichnis  der  Pferdefarben 
im     Leidener     lateinisch-arabischen     Glossar     des     ii.    Jahrhunderts 
Glossarium  lat.-arab.  ed.  Chr.  F.  Seybold,  Berlin    1900,  p.  554). 

Dies  Verzeichnis  hat  eine  gewisse  Wichtigkeit,  weil  es  zu  den 
arabischen  Ausdrücken  die  altspanischen  Äquivalente  gibt,  die  zu 
den  allerältesten  Resten  der  spanischen  Sprache  gehören. 

Dasselbe  ist  bereits  von  Boehmer  —  mit  wenig  Glück  —  in  den 
Romanischen  Sttidien  i,  231  —  294  behandelt  worden.  Mit  Hilfe 
meiner  Kollegen  Bertoni  (Freiburg  i.  Schw.)  u.  Gauchat  (Zürich), 
die  mir  die  zweifellos  richtige  Erklärung  von  rodano  und  bayro  lie- 
ferten, piaube  ich  die  Harmonie  zwischen  dem  arabischen  und  spa- 
nischen  Teil  herstellen  und  für  alle  Wörter  so  sichere  Übersetzungen 
geben  zu  können,    als  es  die  z.  T.  vagen  Ausdrücke  erlauben. 

1.  aljdar  (matt)   schwarz,    murzello  (mauricellus)   Rappe. 

2.  a'sqar  fuchsrot,    rodano  (rutilusi  Pouchs. 

3.  as'-al  XxX.  Grau,  nicio  (ruscidus)  Grauschimmel. 

4.  himait  Brauner,    castango  (castaneus)    Brauner. 

5.  ablaq  scheckig,    bayro  (varius)  Schecke. 

6.  ashab  hamauil  tauben-hell-blaugrau,  Storno  alba  (sturnus  albus) 
Eisenschimmel. 

7.  ivaJßl  wildfarbig,    pardo  (pardus)  Muskatschimmel. 

(S.  mu^^azza'-  gefleckt  usw.,    mnsaco   fmusaicusl    Tigerpferd. 
I.  ahdar  hat   hier  den    Sinn    von    ,schwarz'    oder   .mattschwarz', 
wie  es  für  Tunis  und  Algier  durch  Beaussier  s.  v.  und  Nachtigal 
(s.  oben  S.  81  f.)  erwiesen  würd. 


86         J"J-   Hess,   Die   Farbbezeichnungen   bei   innerarabischen   Beduinenstämmen. 

2.  rodaiio,  das  früher  in  rodado  ,geapfelt'  verändert  wurde,  was 
wegen  der  ganz  sicher  stehenden  Bedeutung"  von  asqar  unmögUch  ist, 
entspricht  lat.  rutikis.  Für  die  Endung  vergleiche  man  span.  cöpmio 
<a  caupüus,  ital.  tonfa?io  <^  langob.  timpJiilo,  franz.  marne  <C  gall- 
margila  (Bertoni) 

3.  Spanisch  nicio  ;so  ist  nach  Seybold  statt  des  nicit,  das  im 
Texte  steht,  zu  lesen)  übersetzen  die  Lexika  mit  .rütlichgrau',  ,Esel'. 
Daß  es  aber  auch  einfach  ,grau'  bedeutet,  zeigt  Pedro  de  Alcalä 
ed.  DE  Lagarde  p.   383  :  rucio  como  cauallo  =  axbe'b  xubeb,  das  na- 

türlich  in  axheb,  xiiJieb  d.  i.   ..^^  v^-^^  verbessert  werden  muß.     Die 
Bedeutung  von  as'^al  ist  Tweed  ie  o.  c.   263  entnommen. 

4.  Xach  Tweedie   262   ist  kwnait  ,dark  bay'. 

5.  ablag,  das  klass.  beim  Pferde  -schwarz  und  weiß«  bedeutet 
(s.  Lane,  Dici),  wird  im  kumanischen  Glossar  mit  alaca  , scheckig' 
übertragen.  Dies  stützt  aufs  beste  Gauchat's  Erklärung  von  bayra 
mit  varius,  das  altportug.   und  altgaliz.   als  veiro  erscheint. 

6.  ashab  hanuhni  kann  nach  dem  zu  .*:a:>l  der  BuRCKHARDx'schen 
Liste  Bemerkten  nur  ein  helles  Blaugrau  oder  Taubengrau  bedeuten, 
und  damit  stimmt  das  spanische  Storno  albo  , heller  Staar'  aufs 
schönste.  Denn  es  handelt  sich  hier  nicht  etwa  um  unsern  Staar 
(Sturnus  vulgaris,  L.),  nach  dem  der  Starschimmel  benannt  ist,  sondern 
um  den  südeuropäischen  Einfarbstar  (Sturnus  unicolor,  ]^Iarmora), 
dessen  mattschieferfarbenes  Gefieder  so  gut  wie  ungefleckt  ist.  Ein 
hell  schieferfarbiges  Pferd  ist  ein  heller  Grauschimmel,  d.  i. 
ein  Eisenschimmel. 

7.  wa/ßf,  das  sich  meines  Wissens  sonst  nirgends  als  Farbname 
findet,  ist  so  unbestimmt,  daß  wir  zunächst  vom  spanischen  Worte 
ausgehen  müssen,  pardo  bedeutet  nach  den  Lexika  ,braun'  und  ,grauV 
muß  aber  ursprünglich  die  Farbe  des  afrikanischen  Leopard,  Felis 
pardus  antiquorum  Griff.,  also  ein  dunkles  Ockergelb  oder  rötliches 
Gelb,  bezeichnet  haben,  pardo  wird  also  kaum  etwas  anderes  sein 
als  eine  der  Abarten  des  Muskatschimmels,  bei  dem  braunes,  rotes 
und  gelbes  Haar  mit  weißem  oder  grauem  Haar  in  verschiedenen 
Verhältnissen  gemischt  sind.  waJjsi  ist  dann  ein  Ausdruck,  der 
durch  seinen  Bedeutungswechsel  an  das  französische  faiivc  , Raub- 
tier' aus  westgerm. /^?/zc  ,falb,  fahlrot,  rötlichgrau'  erinnert,  nur  daß  hier 
das  Tier  nach  der  Farbe,  dort  die  Farbe  nach  dem  Tiere  bezeichnet  ist. 

8.  Zu  imigazza'-,  das  ,von  wechselnder  Farbe,  geädert,  gefleckt, 
u.  a.  m.  bedeutet,  vgl.  die  ausführlichen  Artikel  in  Lane's  und 
Dozy's  Lexika,  von  denen  letzteres  für  unsere  Stelle  ebenfalls  die  Be- 
deutung ,cheval  tigre'  annimmt. 


Arabische  Texte  über  das  Fingerrechnen. 

Von 

Julius  Ruska. 

Nachdem  N.  Bubnow  in  dem  Buche  ^Arithmefische  Selbständiir- 
kcit  der  europäischen  Kultur  i)  auf  Grund  seiner  Gerbertstudien  die 
These  aufgestellt  hat,  daß  unsere  heutigen  Rechenmethoden  auf  das 
klassische  Altertum  und  nicht  auf  Araber  und  Inder  zurückgehen, 
ist  eine  Untersuchung  der  angeschnittenen  Fragen  durch  Arabisten 
und  Indologen  erwünscht  und  geboten.  Einen  einzelnen  Streitpunkt 
—  die  Namen  für  die  Ziffern,  die  ums  1 1.  Jahrhundert  in  Spanien 
und  Frankreich  auftauchen  —  habe  ich  im  9.  Kapitel  meiner  Ab- 
handlung zur  Geschichte  der  arabischen  Algebra  und  Rechenkunst-) 
erledigt.  Zur  Aufhellung  eines  andern  sollen  die  hier  veröffentlichten 
Texte  neuen  Stoff  beitragen. 

Man  weiß,  daß  die  Abacisten  des  Mittelalters  sich  zur  Bezeich- 
nung der  Einer  des  Ausdrucks  digiti,  zur  Bezeichnung  höherer  Zahl- 
einheiten des  Wortes  articuli  bedienten,  und  daß  die  beiden  Termini 
mit  dem  Fingerrechnen,  d.  h.  der  mit  Hilfe  gewisser  Fingerstellungen 
bewirkten  Darstellung  der  Zahlen  von  i  bis  10  000  in  Verbindung 
gebracht  werden.  Eine  genaue  Beschreibung  der  Fingerstellungen 
verdanken  wir  dem  ehrwürdigen  Beda,  doch  läßt  sich  das  Ver- 
fahren in  das  klassische  Altertum,  und  zwar  besonders  auf  ägyptischen 
Boden,  zurückverfolgen.  Wesentlich  das  gleiche  Verfahren  ist  nun 
auch  durch  arabische  und  persische  Nachrichten  sichergestellt;  aber 
während  wir  bei  den  Abacisten  zwei  Termini,  die  sich  vom  Finger- 
rechnen abzuleiten  scheinen,  die  vorhin  genannten  Worte  digiti  — 
articuli  im  Gebrauch  finden,  läßt  sich  im  Arabischen   nur  das  Wort 


m 


js^Äc,  pl-  Oj.Ä£  mit  articuli  in  Parallele   stellen.     Es    ist   bei  Muha 
mad    b.    Müsä     al-Hwärazml     zur     Bezeichnung    höherer     Zahl- 

■)  NiK.  Bubnow,  Aj-ithmeiisc/ie  Selbständigkeit  der  europäischen  Kultur .  l:in  Bei- 
trag zur  Kulturgeschichte.    Aus  dem  Russischen   von  J.  Lezius.    Berlin   1914. 

^)  Julius  Ruska,  Zur  ältesten  arabischen  Algebra  und  Rechenkunst.  Sitzungsber. 
der  Heidelb.  Akad.  d.  VViss.,  Philos.-hist.  Klasse,  Jahrgang  1917,  2.  AIjIi.,   S.  82 — 92. 


88  Julius  Ruska, 

einheiten  ohne  Erläuterung  im  Gebrauch,  muß  also  damals  schon 
im  gemeinen  Sprachgebrauch  üblich  gewesen  sein^j.  Beschreibungen 
des  Fingerrechnens,  aus  denen  der  ursprüngliche  Sinn  des 
Wortes  hervorginge,  sind  aber  bis  jetzt  nur  aus  ganz  jungen  per- 
sischen,  nicht  aus  arabischen  Quellen  veröffentlicht  worden. 

Die  persische  Abhandlung,  an  die  ich  erinnern  möchte,  findet 
sich  im  I2.  Kapitel  der  Einleitung  zum  FarJiang-i-GiJiäiigirl,  dem 
großen  Wörterbuch,  das  Gamäl  ad-din  H usain  Ingü  für  den 
Großmogul  Gihängir  (geb.  1569,  reg.  1605 — 27)  verfaßte,  ist  aber 
auch  in  den  Farhang-i-Rasidi  aufgenommen.  Der  persische  Text 
wurde  mit  englischer  Übersetzung  zuerst  im  Band  VI  des  Asiatic 
Journal  vom  Jahr  1818  von  Gul  Chin  im  Druck  veröffentlicht.  Da 
der  Text  durch  Auslassungen  u.  a.  entstellt  war,  gab  Silvestre  de 
Sacy  im  Jounial  Asiatiguc,  Bd.  3,  1823,  nach  handschrifthchen 
Unterlagen  eine  verbesserte  französische  Übersetzung^).  Dann  wurde 
der  persische  Text  mit  verkürzter  Inhaltsangabe  und  wertvollen  ge- 
schichtUchen  Untersuchungen  1845  von  A.  RödigerS)  und  noch 
einmal  1871  mit  französischer  Übersetzung  durch  St.  Guyard  4)  ver- 
öffentHcht,  der  seinen  Vorgänger  anscheinend  nicht  kannte.  Der 
von  Guyard  nach  drei  Pariser  Handschriften  mitgeteilte  Text  unter- 
scheidet sich  nicht  wesentlich  von  dem  Rödigers;  die  bessere  Über- 
lieferung steht  im  allgemeinen  auf  selten  von  Rödigers  Text,  doch 
finden  sich  nicht  selten  auch  bei  Guyard  gute  Lesarten.  Um  die 
Auffindung  und  Erklärung  der  von  dem  Perser  im  Anhang  aufge- 
führten Dichterstellen  haben  sich  beide  Gelehrte  mit  Erfolg  bemüht. 
Xach  DE  Sacy  und  Rödiger  ist  die  persische  Darstellung  ein  aus- 
führliches Zitat  ;.aus  'Ali  Jezdi's  in  persischer  Sprache  abgefaßter 
Abhandlung«,  also  wohl  aus  der  von  Häggi  Halifah  (Bd.  III, 
S.  65}  erwähnten  Risale  des  Saraf  ad-din  *A1T  al-Jazdi  (gest. 
14461  ;  daß  .sie  mittelbar  oder  unmittelbar  auf  eine  arabische  Dar- 
stellung zurückgeht,  ergibt  sich  aus  der  Übernahme  der  rein  arabischen 
Terminologie. 

-Vristide    Marre  ^)    verdanken    wir    die    Übersetzung    eines 

')  J.  Ruska.  a.  a.  O.  S.  71,  74.  79  ff. 

-)  .Silvestre  de  Sacy,  J)c  la  manicrc  de  compiej-,  an  moycn  des  jointiircs  des  doigts, 
usitee  datis  fOricjit.     JA.,  Bd.  3,    1823.  S.  65. 

3)  A.  Rödiger,  Über  die  im  Orient  gcbräiicJdtche  Fingersprache  für  den  Ausdruck 
der  Zahlen.     Jahresbericht  der  D.  M.  G.  für   1S45,   S.  112— 129. 

•♦)  St.  Guvard,  Chapitrc  de  la  prcface  du  Farhangi  Djchangiri,  siir  la  dactvlo- 
nomic.     JA.,  6.  serie,   1871,  Bd.  18,  S.  106 — 124. 

5)  Aristide  Marre,  Manierc  de  compter  des  ajtciens  avec  les  doigts  des  maiiis, 
d'apres  un  petit  poeme  incdit  arahe  de   Cheiiis-eddin  el  Mossouli  et  Ic   Tratado  de  matt- 


Aiabischf   Texte   über  das   Fing-errechnen. 


89 


kurzen  arabischen  Lehrgedichts  über  das  Fingerrechnen.  Das  als 
Kaside  bezeichnete  Gedicht  ist  in  einer  Sammelhandschrift  der 
Bibliothiique  Nationale  (1868  Imperiale)  enthalten,  die  als  »Supple- 
ment arabe  191 2  bezeichnet  ist.  Über  Lebenszeit  und  Lebens- 
umstände des  \'erfassers  Sanis  ad-din  Abu  ^Abdallah  Muham- 
mad b.  Ahmad  al-Mausili  ist  nichts  bekannt.  Die  Übersetzung 
läßt  an  manchen  Stellen  schmerzlich  das  Original  vermissen;  so 
wenn  wir  z.  B.  lesen  »Pour  le  dix,  c'est  avec  le  neud  du  pouce; 
ccoute  bien:  ///  rascs  sa  feie  avec  P index:  fais  cela«,  was  offenbar 
auf  falscher  Übersetzung  von  Lz-w!.  :i.il.r^o  -lege  seine  Spitze  ring- 
förmig gegen  den  Zeigefinger«  beruht.  Leider  ist  der  Text,  den 
Pcre  Anastase  1900  in  Band  3  des  Al-Mackriq  als  die  Kaside  des 
S  a  m  s  a  d  -  d  1  n  M  u  h  a  m  m  a  d  a  1  -  M  a  u  s  i  II  S.  1 7 1  ff  veröffentlicht 
hat,  nicht  das  von  Aristide  Makre  übersetzte  Gedicht,  sondern  die 
nachher  zu  erwähnende  Manzümah  des  Ibn  Su'lah^). 

Länger  schon  ist  eine  Stelle  aus  Häggl  Halifah  über  das 
Fingerrechnen  und  seine  Erwähnung  in  der  Prophetenlegende  be- 
kannt. Da  sie  Rödiger-)  nur  zum  Teil  beigezogen  hat,  gebe  ich 
sie  hier  im  Wortlaut  und  deutscher  Lfbersetzung: 


.^z>\^    ^iÄjt    *.A_i::.    IjS..?»     ^SitJl    I..4.5    >^^i!    < — )l.^s>    i.Aj    O-ÄÄJ    lXcLs   t«jiX:J.. 

—■'-M        JVaj        _\,\£1.         .Z>2\         .,L.VA^         •^aäJwax*.-!         .^/S      J^i         j»'i„^XÄavI       lAxC       L.4.>.Av 

AäjS  «--»^j  >^*-^-t-}  .t-'  ^i>.J-K^^j!  ^5  «.s»  L,«.i  ioL.r^^^2.i!  *JUjiä.m^j  -».LäJI  (lXP 
^»^X^i)    L\.p3    ^i.*.A   ^'^^^\    ,  jh^^    *L£.J^1_»    X.Ju>.AvsJ'     ,xi  l\^I    !CjL/^t    lAäc  *.*i>o 

jt,L    i3JaJ!    -iö    :u,!Jl5    ^».s.J!    ^A*il     U:i    3lo    .o'jwil    *Uj^      Jt 

■Ä-    ^PwVAii    *.X*,"'     L\P     <Zy>J^    ^J<£.    J^io     5ÄP»    JIaJI 

maticas  de  Juan  Fcrc'^  de  .)[ova,  iiiipiimc  a  Alcala  de  Henares,  en  1573;  Hulletino  Hon- 
compagni.    T.  I.   i86(S,  S.  309. 

")  Herr  Prof.  Ritter  hatte  die  Freundlichkeit,  mich  bei  der  Korrektur  auf  das 
Vorhandensein  einer  mit  Abbildungen  versehenen  Abhandlung  über  das  P'ingerrechnen 
von  Pere  An.\stase  aufmerksam  zu  machen  (3Ji»ii,  Bd.  3,  S.  119 ff.  und  169(1.).  Ich 
habe  die  Varianten  zur  Manzfanah  noch  nachtragen  können;  auf  den  übrigen  Inhalt 
<3er  Abhandlung  hoffe  icli   hei  anderer  Gelegenheit  zurückzukommen. 

^)   A.  RÖDiGEK   a.  a  O.   S.  127;   HäC'-qi   F:Ialifah   ed.   Flügel,   Bd.  III,   S.  64. 


90 


1  u  1  i  u  s  R II  s  k  a , 


/Und  dazu  (d.  h.  zu  den  Wissenszweigen  des  Rechnens)  gehört 
das  Rechenverfahren  der  ' iiküd,  d.  h.  der  Fingerbeugungen. 
Sie  ließen  jede  von  ihnen  bestimmten  Zahlen  entsprechen ;  hierauf 
ordneten  sie  die  Stellungen  der  Finger  nach  Einern,  Zehnern^ 
Hundertern  und  Tausendern,  und  sie  stellten  Regeln  auf  aus 
denen  erkannt  wird  das  Rechnen  mit  Tausendern  und  dem,  was 
darüber  ist.  Und  dies  ist  von  großem  Nutzen  für  die  Kauf- 
leute, besonders  wenn  keiner  der  beiden  Handeltreibenden  die 
Sprache  des  andern  versteht,  und  wenn  keine  Schreibgeräte  vor- 
handen sind ;  auch  ist  die  Sicherheit  vor  Fehlern  bei  dieser  Kunst 
größer  als  beim  Kopfrechnen.  —  Die  Gefährten  (des  Propheten) 
pflegten  diese  Kunst  anzuwenden,  wie  es  in  der  ÜberUeferung  über 
die  Art  des  Auflegens  der  Hand  auf  die  beiden  Schenkel  beim 
Glaubensbekenntnis  heißt:  ,Er  beugte  fünfundfünfzig',  d.  h.  der 
Prophet  beugte  die  Finger  der  Hand  mit  Ausnahme  des  Zeigefingers 
und  Daumens,  und  bildete  mit  dem  Daumen  und  jenem  einen  Ring, 
und  diese  Figur  weist  in  der  erwähnten  Wissenschaft  auf  die  be- 
zeichnete Zahl  hin.  Der  Überlieferer  erwähnt  das,  worauf  hinge- 
wiesen wird,  meint  aber  das  Hinweisende,  und  dies  deutet  auf  die 
Verbreitung  dieses  Wissens  bei  ihnen. 

Mit  dem  Schlußsatz  will  Häggi  Hallfah  sagen,  daß  der  Er- 
zähler an  Stelle  der  Fingerhaltung  die  Zahl  nennt,  die  durch  sie 
dargestellt  wird;  diese  wäre  aber  der  Beschreibung  nach  nicht  55, 
sondern   53.     Auch  Flügel    hat  den  Sinn    der  Stelle,    die  das  Wort 

/  äjb>  enthält,  nicht  richtig  getroffen:  denn  er  schreibt:  :  prophetam 
manus  digitos  exceptis  indice  et  pollice  compiitasse  et  simul  cum  Ulis 
pollice  anmdi  sigjiatorii  loco  usum  esse  ,  denkt  also  an  -Az»-.  Siegel- 
ring, und  ein  davon  abzuleitendes  Verbum. 

Außer  der  oben  erwähnten  Risäle  des  Saraf  ad-dln  al-Jazdi 
kennt  Häggi  Halifah  nur  noch  ein  Ragaz-GQ^xzhX.  des  Ibn  al-Harb 
über  das  Fingerrechnen,  w^orin  der  Verfasser  das  Erforderliche  mit- 
teilt«. In  den  Katalogen  der  deutschen  Handschriftensammlungen 
konnte  ich  es  nicht  auffinden.  Wohl  aber  besitzt  die  Königliche 
Bibliothek  zu  Berlin  eine  25  Doppelverse  umfassende  anonyme 
Manzümah  über  das  Fingerrechnen  auf  Fol.  10  b  der  Sammelhand- 
schrift, die  mit  M.  O.  P.  II.  236  bezeichnet  ist  und  im  Katalog  von 
Ahlwardti)  die  Nummer  601 1  erhielt.  Die  Herzogliche  Bibliothek 
zu    Gotha    endlich    verzeichnet    unter    Nr.  1495    des    Katalogs    von 

1)  W.  Ahlwardt,  Die  Handschriften-Verzeichnisse  der  Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin^ 
Verzeichnis  der  arabischen  Handsciirifte?i,  Bd.  V,   S.  351. 


Arabische  Texte   über  dns  Fingeirechnen.  gj 

Pertsch^)  ein  Lehrgedicht  des  AbuM-Hasan  'Ali  ibn  al-Ma- 
gribi  mit  einem  Kommentar  von  Muhji  ad-din  'Abd  al-kädir 
b.  'All  b.  Sa'bän  as-Süfi  auf  fünf  Blättern  einer  in  kleinem, 
ungelenkem  NashI  geschriebenen  Handschrift.  Der  Text  des  (Gedichts 
ist  durch  ein  rotes  (jo  und  rote  Punkte  für  die  Versabteilung,  der 
Kommentar  durch  ein  rotes  (ji  ausgezeichnet.  Nähere  Untersuchung 
ergibt,  daß  im  Kommentar  die  Manziunah  des  Berliner  Katalogs 
bis  auf  die  Eingangsverse  vollständig  zum  Vergleich  herangezogen 
ist,  und  daß  als  ihr  Verfasser.'ein  Ibn  Su'Iah  genannt  wird.  Weiter 
aber  zitiert  der  Verfasser  des  Kommentars  auch  noch  ein  Werk 
oLcijJLj  ^A.\\  >:z.xA  ^s  ^^llolt  >-^xc.  Reicht uui  des  eifrig  Beflissenen 
in  der  Kunde  des  PfeilscJdeßens  ■-,  und  damit  gewinnen  wir  zum 
erstenmal  festen  Boden.  Denn  es  kann  sich  bei  diesem  Werk  doch 
wohl  um  nichts  anderes  als  um  die  von  C.  Brockelmann  in  seiner 
Geschichte  der  arabischen  Literatur,  Bd.  II,  S.  136,  verzeichnete 
Schrift  des  Taibogä  al-x\srafi  al-BaklamisI  al-Jünänl  (gest.  um 
770/1368)  handeln,  die  den  gleichen  Titel  führt,  auch  wenn  die 
angezogenen  Stellen  sich  nicht  in  dem  Gedicht  selbst  finden  —  was 
schon  wegen  des  Versmaßes  ausgeschlossen  ist  —  sondern  in  irgend- 
einem zugehörigen  Kommentar  vorkommen  sollten.  Nach  Brockel- 
mann befinden  sich  Handschriften  des  von  Taibogä  verfaßten 
Gedichts  in  Leiden,  Paris,  London,  Cambridge,  Kairo,  und  zwei 
unvollständige  Handschriften  zu  Gotha  (Katalog  Pertsch  Nr.  1341 
und  I  342).  Da  weder  vom  Gedicht,  noch  vom  Kommentar  X'erfasser 
oder  Titel  genannt  werden,  weiß  ich  nicht,  auf  welche  Tatsachen 
Brockelmann  seine  Angabe  über  die  in  Gotha  befindlichen  Hand- 
schriften gründet.  Die  Durchsicht  zeigte,  daß  die  beiden  Hand- 
schriften zwar  Teile  eines  größeren  Ganzen  sein  können  —  von 
einem  schon  bei  Pertsch  angeführten  Vers  abgesehen,  gehen  sie 
ganz  auseinander  — ,  daß  aber  der  in  den  beiden  Handschriften 
vorliegende  Kommentar  an  den  Stellen,  wo  eine  Erwähnung  des 
Fingerrechnens  durch  den  Inhalt  des  Gedichts  nahegelegt  wird,  die 
Worte  nicht  enthält,  die  in   unserm  Kommentar  zitiert  werden. 

Lassen  wir  die  unter  den  gegenwärtigen  Verhältnissen  nicht 
lösbare  Frage  nach  dem  unserm  Verfasser  vorliegenden  Kommentar 
zu  Taibogä  auf  sich  beruhen,  so  ergibt  sich  für  den  Kommentar 
zu  Ibn  al-Magribis  Gedicht  über  das  Fingerrechnen  als  Abfas- 
sungszeit   frühestens    das    letzte    Drittel    des    14.  Jahrhunderts.     Das 


')  \V.  Pertsch,    Die  arabischen  Ilattdschrificti  der  Herzog!.  Bibliotluk   zu  Gotha 
Hd.   III,  S.  120, 


92 


uliiis  Kuska, 


Gedicht  selbst  kann  älter  sein  als  Taibos^^ä  und  mag.  solange  nicht 
genauere  Angaben  möglich  sind,  in  das  14.  oder  13.  Jahrhundert 
gesetzt  werden.  Ich  gebe  nunmehr  den  ganzen  Text  nach  der 
Handschrift  zu  Gotha,  unter  Heraushebung  der  Verse  und  Ver- 
eleichuncr  der  Berliner  Handschrift  für  die  Verse  des  Ibn  SuMah. 
Die  danach  folgende  Übersetzung  ist  so  treu  wie  möglich  ge- 
halten, obgleich  sie  dadurch  noch  holpriger  ausfiel,  als  es  der  ara- 
bische Text  schon  ist.  Herrn  Prof.  Ritter  bin  ich  für  die  sorg- 
fältige Durchsicht  des  Textes  und  zahlreiche  Verbesserungsvorschläge 
in  der  Übersetzung  zu  besonderem  Dank  verbunden. 

Text  des  Ms.  Gotha  A.  1495  =  G. 

Verbesserungen,  die  mir  notwendig  oder  ratsam  schienen,  sind  in  den  Text  ge- 
nommen: Tilgungen  sind  in  eckige,  Zusätze  in  runde  Klammern  eingeschlossen.  Die 
Abweichungen  der  Handschrift  G  sind  in  Fußnoten  unter  dem  Text  vermerkt.  Mit  B 
sind  die  Lesarten  der  Berliner  Handschrift  des  Ibn  SuMah  bezeichnet,  mit  A  die 
Varianten  des  von  Pere  Anastase  gegebenen  Textes.  A  und  B  stimmen  gut  zusammen 
imd  sind  besser  als  die  Textform  G,  die  ich  des  Kommentars  wegen  zugrunde  legen  muß. 


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iJ.;LxiU  ,..,x*JuÄi!  «wJ,  iX.  Ckm^6\  s-i=^!»  LxiLXil  ,  Ä  i-^  xii!  >_ftliJ  Ji,^\ 
^U   .,bUy^i   ^^^\   ^^l.w.iU  ä^^A^i*  ^^^Jukil  J^  ^}\  ^^i^^  ^^3  crt^-^J^ 


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Arabische   Texte   über  das  Fingerrechnen.  g^ 

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C>.>^i       „>.^ö"»       .•,*-'^''<      -fcA2J'.i      «Ll'i-i         ^J«J'»      b^lUijl      ♦jJij»,     >.iji      Ji-w,      lA4.r>'w<J 
^.  ^     t.  )         ^     \^        ^  >        Li» -^   ^  ,   ••      -^  -'V 

-iÄj.    ^1    ..5  öl   ^   i  c!   »ilJ'ö   ^Ü    L;jt5,«      Jlxj    ^.Jj-äJ    x-<ic    äX^aii    ,  Ji*J*    ^-i-ii 

I)  G  *Jjül.  -)  G  fehlt  ^.  5)  G  ohne  Versabteilung.  4)  G  üu^j^iU. 

5)   G   wi-A>JI..  <^)  G   J>^iX:;.i.  7)   G  x^s*,. 


<,4 


Julius  Ruska 


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A.^Ji,  ^l.v^  ö.^U  oV^M     J  »b-Jt  ^^ÄJV  lo 

^Joi    ^.J    ^/5    J>^^    ''iyt^  ^_y^^   C7''    ^^-^'--^    t*-^-^'    \ö^'^*    Ix  j'>->->^W    ^^^c    ^jT'*-'^ 

^ikJ3      .X&.     ■.i^.J.jj.^-J^     0U.5JI      N4.AV.S.      (Jh^^-55      XS.*^     ^r     Q-      (*T^ 

u^ix   -r^  s^jjcc  U;:^'  ♦ixJ!  lÄP  ^^5  \^ss^  ^ftJt  iUlc  ^.,1  ^!  ji. 

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^    ii>.iäil    ouil    oL-ioJ!    lXüc    ^    ^y^-^'   V-->^^   oL:>^!   Jüic  Ji    ^j^i 

4?  «^_^^^  uXüc    -5  tjLÜ  v'-^^^  oLaU!  jvjic 


ij!.5l  xi^-i  '^  U>.i^     Li:>^M  ^Jüi£  ,.;j  JUU6     ~3 

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^Vi£.  ^xä/9  Jw?»^M_5  l-Jl-mämS^vU  |4.x2i>  j:v*A:a5  QtM^Ji  *->•>-'  ^^J'*  ^_5^^'*y-^^3  jr^^^^^3 

')  G  ^UjI.  ')  G  Lla^Aö.  3)  G  _^i>. 


Arabisclie  Texte  über  das  Fingerrechnen.  qc 

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.A^;^JÜ  u4.-^Ai  -j    -.5  iy.ÄiÄii  ^«<j4.*i2S   LaujI     _-U.>J^    1s.5>I^   cy^'^^-  Cf^   (^^•♦•i^^^' 


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^)  G  LiUi     v>.*5.  7)     G     eVJlS.  8)     B     Q*5^L 


Q^  Julius  Ruska, 

^JCi  ^5       Xv«^-*/ü2^      'uPjs^>»  -i2*-».^t       i)-J       X/-^^J^v-!       ^.,1      ^-^      j-^1      o-~ 

Ja.*o,     d^iÄ5'    ^-Ai^t     4h"    ä.:0^5     ^.,i     ^Ji.     ^^Ä>.J'     -liA*-^^      -^'     l5^^ 
^,!    üJjij    3fc*ä/:      ^JLc     -äJD-c    ^'^y^    i^^    ^rj'     w^-T-»--   ^*     l5"^^*" 

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)  G^^.  »^j  GB  i^yi.  7)  G^.xi.Li^i  ^5.  B  ^.*^U.  «)  G  (^^. 


9)  G  v-äXj.  '»)  G  L£-*.4Jtoi.  ")  G  j*i2->>o. 


Arabische    Texte   über  das   Fingerreclinen.  qh 

I  4.>\-)     j«.*Ä/c    d)LLi*<»)»|     .<o.Ä-ikv)»     .>.3Ä.^Xj    w».jLj     .►,m:>'*,^j)     x^ÄJCÄJi     ->.^>C3»,    xs»Lj! 

xi^ÄJ    xl.*^    qjI    \Xs-    .^s.» 

.     .     .      (' ».♦.^aS       .y^^Aj)         ^L1a«».J)      K.*,wAxJi         -5» 

iotAwJ'    ^läJ)    ,.,»aJ»       -xi«-».J)»    -x2.Äa^!»     .xiÄ^J)    /  ixA.i:>»    \j^JJü\      Ji    > 

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^^v:S^^J     -xiÄxiu      -A.aÄj;^J)     ,  c:i^äj     A„kij>o       ^i-iJi     ,.J       V  .ftJLs    xxJUi     -^jS    ici, 

_.AjL.;j<\if    ^    ^iiAv^Jt    ^^s^t    ^'*^^^^^.  e>.iwii!  ^.jS^  Ä.5>U1  v_5.Id  ,  ^JL^  /»^^r^^^ 
ui'  '.♦^*/=    iN.^2>.ftj   Js.^j>o   xJLj   ,'t<v-L:oS  wi^Ljs^j  ic^'-^-^'  1^5  ^  -^^    ..Ao;.*-!. 


^  ^  •    ■ 

OfcÄc    Ä.XAW.J    Liui»    ■>..iXxJLJ    xi/;^LsÄ-*»    ,.w>jt.w.j       1\    S.^£  ..,/s      -5^» 
^-Jij    ^i.£    Jii*.A:aJ!    ^^    ^Xs       j^rV*^''    ,  c'    ^*-*    ^^^h'    li^-^J^  32 
LaJLj      .►.>5^;4.il      .-^4.Aiait.      ^     L^i"     (^L.*^j<lU     l.jLii>     .X4.>02S       -Ä.*.xii     J^f      .,/« 


')BA  L*~^JLX)  ^.«..«.xs!,   G  i.^.^./:^!.       -)  G     ^.g-^J.       3)  G  ^.^  ^.,US.       ■♦)  G  ^'jl-o. 
5)  G  ^Ui^l.        6)   G  ^JcVj.        7)  G  doppelt.        »)  G  ohne  Versabteilung.       9)  G  kj^=>. 
Islam  X.  »7 


qO  Julius   R  u  5  k  a  , 

^.^N(5    ^Jüic   e1-^''^^   ef^^-^^^-    xJL>-«^i(    ^^    ;.UJ^S5  _.äi:    J.*:>   ^(    ^^-.-^b 

^i^     .yi    nL'-j    3..xi     'V     \,^\    ^ixJ!    »uXjwS     ,^.,!     ^^    5^-^S    ^•'«"'-'-i     ^r-3 
.^^      J^i^j^\    öAÄ*Ji     ^^^J     (.LAJ^Ji    yl:?     ^3     iyj-^iil     ^_^^s.     nJ^xJ     j-.»^     ^ 

C'^^Jlxi^vj  ^.,yi^Lül  (5-.z^^Ü  (_^v.U 

tj'  ^^    ^    ■  - 

,.,».S^Li    --i:^^.    SJ.i^ji     -r-^-J    ,  A-^     ^•^^     "x^^ÄJi         5^ 

iJj.ftj   X.U^   qjI    [4]   ^^-^^  j^^   ^^jrt^  ^^  L?'   ■^^-*>^J- 
5)    G     J.L^^i!     ^Jj.  6)    G    ^1^->J.    A    11.^=^.  7)    G    oVaää^. 


Aiabisclie  Texte   über  das   Fingfeirechnen. 


99 


(^..-lift^^Ls    ^la:5     ^j    ^LJJ^S!    ^«>0',J    ,.,5» 

•  ^'         Li"         -^  <-  1      '^  •  ^  l ^  ••  LT  ^ 

-bA=>     O^-cLs     ^_^..^^^"Ji     e^uVJ'         » l\S>»      iiAÜx:     (»liJ^^l      wÄÄ^'  !     ♦i    38         ^jo 
^-ic     [»^J^'     ^^.I:>     «■'^      l}-^^^:^     rT;^-*^-^>-^'     ->^^     o'     1  c"^'      '""^^    O^ 

,.,«,w^^    äOÜL^JS    iV^^    *Lw^!    \^JiD      Jo    iL^^oüt      J» 

isoLixiJi     JLc    ^/oLJt  X.AüxÄi'     ä.jL*.j»*Jlj  ^-j,jyLwJI     ^5  «»jts.U  39     \j^ 

\J»ÄJ    iXxJ^    ^^jf    x;^     .>^^    C^&jLxÖJJLj    .^ii-i!    ÄJsis^JÜ     (•^-?'^'    (_-»'< 

iöl   0°äj^L;:   ^>^;^ö   (9id*:>t   eU'^L 

5)    B  A    JäftX^»Ls.  6)    B    slXP    iöL>-Mj,    A    iü'Lx/*J.  7)  A  ^^äj^^U, 

-»)  B  :^UXs,  A  ^UjC«.  5)  G  w^5j;J».  6)   B  ^-j^C.w  j_c^i,    A  ,^-,>:*'  ^i- 

7)  A  ^:i4^i.     8)  G  KjL^xJ  (j*i^.      9)  B  A  Jou^l.      '^)  B  A  ioL-w.      ")  B  A  ^xA«.4.i^. 
'-)  GB  A  i^Ac^.      '3)  B  A  ^LiJ.      M)  B  iöLy*J!,  A  iü'w<^,       '5)  B  a^Äc^  A  idäcl. 


100  Julius  Ruska, 


l5  ^ 


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\i«ÜJ     xJlx-Ü,       .^j1      XÄX:      -x£»      -X     L^    5-i;.Xvi     *_j'lL^J     aw-u"^!     /   w.S,        »,«.5 

{^^'J-i>\    '^-iÄjo    wX»    -»Lijl    ^j^j    (-^w-».i 

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.  .  .   ^i»^*.    *»-j 

lpj^^3   LPiAäc^   'w^Jcu/Csj  LPi_Ve>  ,  ^Pläj   jö  oL/i:.xJU  45  ^  ^j^ 

^  LJ"  ^.  ■■•••    ^        , L?    ^  -' 


»)  G  UP-äI:?.         -)  B  Lälis,  A  uw>J.  3)  G  v_r.lj     ^Jui.    A  ,  5^  ,  X^. 

4)  B  A    ^Ui'l.  5)  B  Uj.  6)  B  "^k^S,  A  (_^JU>1.  7)  Ohne  Versabteilung. 


Arabische  Texte  über  das  Fingerrechnen.  lOI 

»L^jbi!      ^_5.X3      ^/to.      ^^     L4.^i/ol        ^Jl     Q.A>y^-/«      .xa^xJU      ..vciÄ^il         r^-^      z^*^ 


I     -•  V 


*Lj.j^5     ,LftA^^     ,  ^i:iAv«.ii»     -jkjiÄxjL     ./^Ä^J!     '^^äXJ    ,Lci^o    ,.,  •.ÄAvJCJi»    iÜL**>.>ol» 

(^^£  ,.,!_.   !ö  ,-yAji55  jL^-^Sl   «.^^  ^5^   .  .  . 

i^J^j  v£>.i'J:li  jL^!   -».S  'w^^x^s  ^sls  -wi^i"^! 


0».Ä£;    \XM^'S    ^r^'3    ^H*-*-^    is.X/i5LäÄx      ^5^_»    iN.jL.4ji-w.AJ    Kj'w/«    ..».^      ^_^ 

^^i   ^^Li  ^30   AJ    ^»^jNSi    ,.;    »^^J3    ^buJ5    ^^  [5]  ^^i^^.i5^^3 
oL.i:,xi'.i    o-A^i!  ^•,_^»->^j    ,j,5»    ("* c'->^"    C'^    ^--A^Lxs  i3'L=>^5t    :n.jj.ä.«..: 

,».5     .aC     L-sijoLi      LJliAal» 

••i_*.^Jt    lö    Lj    dUö      ^Jlc    ^j^LÄS       ö,<ci.*j!       _5'L.>Ö     (j:-^»^'     xjUJt  49        ^o 

(S'lxxaaj    \aaaJ    iAäs    ^J.5L5  LÄj-iotit    XaX^sJ    |^.,Läj'l.».jI3i   50 

I)  B    ^c    ,.,L     iL\.w    J.*sS  ;     Schluß     des     S.    97     Z,    3     angeführten     \erses. 
-)   G  oUJl   öfters.  3)   B  ^aa.«.JL.  <)  Lücke   im   Ms.  5)   G   L^^xJ  .«ÖIaJ. 


1Q2  J  u  1  i  a  s  R  u  s  k  a  , 

{jM^j    ^^y^    S-*^^^^^    S.ÜoeJ?    wVJic    ^>.^J    Kj'w«j!    lAJLt.     ..\       ^J!     ,l^!    (^i« 

'i.^^M*l\     \j^\     -»jo    ^^.m^*Js    [»L-i^!   lt'j   *^^?>^  J^^^^'-^*^  .•y:^-'^*-^'   Joi^  '-^-^■»^ 


Okflc  )sjiAw,j   i.fxS_»  i^ib    xLi^LäX/o      ^5>5    wai'^^5    ^Jt..sw.j'     ^i5    w^if    q./o    ,  ^P» 

i^L's.     ^jUjJI     ^  o!_cijtJwi   ^J^_v.^xi!     _5  o^ibSS  J^*^'^»  'oL^J!  ^s  cH.ÄÄiLi^.4.1 

^      '^       ^      ^  ..      ^    ... 

Jlc    ^äJ^'Lj    oLp-'^^li'     -^3    LiJ  ö    u.«.i        -la>w»JL   ^-Ai.A.*ji_»   ^.Aix.;>Jt      -s    3,_«.>.Li>? 

bUx-i  ^  _•^>^M  b-.^c       Jl  cx*ii  J^ii^  L^  löS  *i  54     ~ 


')  G  «ji^Juili.  ^)  G  oL.i:.c    ^tcXi".  3)  BA  vJjl.  4)  BA  iS3L 

5)  B    Ix^.  f>)  BA    dOö.. 


Arabische    Texte   über  d;is  Finoferrechncn.  IO3 

(\<C^^1    (-\äL>o    ('sJ^iAil^    <ii\y^j.^ 

L^L^jI     c>->^J    (^'="^:^-^'     iOL>^    (j*-5,    J»*->^J'    (^M^     Qf^'•^•^^'     l)-*^*-^ 

Übersetzung. 

Buch  des  Kommentars  zur  Manzümah 

des  Scheichs,    des  Imäms,    des    Gelehrten,    des    Hochi^elehrten,    des 
Scheichs  ^\1T  ihn  al-Mai>ribi  —  Gott  der  Erhabene  sei  ihm  barm- 
herzig;   es   nütze   uns  Gott  mit   ihm   und   mit   seinen    Segnungen    in 
der  Welt  und  der  Ewigkeit,   Amen. 


Im  Namen  Gottes  des  Allbarmherzigen.  Es  sagt  unser  Scheich, 
der  Imäm,  der  Gelehrte,  der  Meister,  der  (lottesfürchtige,  der  Fromme, 
MuhjT  ad-dln  'Abd  al-kädir,  der  Sohn  des  Gottbedürftigen  'AH 
ibn  Sa'bän  as-Süfl  —  möge  Gott  ihm  gnädig  sein  im  Diesseits  und 
Jenseits:  Preis  sei  Gott  dem  Herrn  der  Welten,  und  ein  guter  Aus- 
gang den  Gottesfürchtigen,  und  keine  Feindschaft  außer  gegen  die 
Gewalttätigen;  und  Gebet  und  Friede,  die  vollständigsten  und  voll- 
kommensten, über  den  Vortrefflichsten  der  Schöpfung,  unsern  Herrn 
Muhammad,  das  Siegel  der  Propheten  und  den  Imam  der  Ge- 
sandten, und  über  seine  Familie  luid  seine  Gelahrten  insgesamt, 
und  ihre  Nachfolger  im  Wohlverhalten  bis  zum  Tage  des  Gerichts! 

Was  aber  das  Weitere  anlangt:  so  hat  mir  einer,  gegen  den 
kein  Widerspruch  möglich  ist,  befohlen,  daß  ich  zur  Manzümah 
des  Hochgelehrten  Ab uM -Hasan  'All,  bekannt  als  Ibn  al-Ma- 
gribi  —  Gott  d.  E.  sei  ihm  barmherzig  —  über  das  Rechnen  an  der 
Hand  eine  knappe  Erläuterung  schreibe,  welche  von  ihren  Aus- 
drücken dem  sie  Lesenden  das  erkläre,  was  verschlossen  ist,  und 
von  ihren  Bedeutungen  das  aufkläre,  was  zweifelhaft  ist.  Also  habe 
ich  seinem  Befehl  Folge  geleistet  und  habe  diese  Erläuterung  ge- 
schrieben, von  Gott  dem  (iütigen,  dem  Urheber  der  Abrechnung, 
den  Nutzen  davon  erhoffend  und  die  Leitung  zum  Rechten  und  das 
Nichtvorhandensein  eines  Fehlbetrags  >)  am  Tag  der  Abrechnung; 
denn  er  ist  gütig,  langmütig  und  freigebig! 


')  B    Glosse:    yiö'J^\,     \Jl*i.        -)   RA  xäJl^^o'.        5)   G  *.^.        4)   R  oo^..!:-. 
5)   G   iivii.'iLÄii    *iAc;    lies    K^i-Ä^t    [Ritter]. 


104  Julius  Ruska, 

Text:     I.  Der  Gott,  den  Schöpfer  der  Wolken  Erwartende, 
*A1T,   genannt  Ibn  al-Magribi,  sagt: 

2.  Preis  sei  Gott  dem  Allmächtigen,  dem  Allweisen, 
Dem  Verteiler  des  Lebensunterhalts  in  der  Welt, 

3.  Dem  Beruhiger  des  Meeres  für  den  Lauf  der  Schiffe, 
Und  dem  Kenner  der  Zahl  der  Sterne  des  Himmels. 

Er  kl.:  Dem  Ei-warteiiden  kommt  der  doppelte  Sinn  des  Hof- 
fenden und  des  Fürchtenden  zu;  so  sagt  Gott  d.  E.i)  »L^nd  erwartet 
den  letzten  Tag«,  d.  h.  fürchtet  ihn.  Und  es  (das  Wort  »Erwartend«) 
ist  Fä'il^)  zu  »^j-  sagt:^,  und  ^Ali  ist  sein  Badal-),  oder  es  ist  HäP) 
von  ''All.  Und  as-suJmb  mit  zwei  Damma-)  ist  die  Mehrzahl  von 
siMb.  Und  Preis  usw.  bis  zum  Schluß  ist  der  Inhalt  dessen,  was 
er  sagt;  er  beginnt  damit  wegen  seines  (d.  i.  Muhammeds)  Wortes 
—  über  ihm  sei  Segen  und  Heil  — :  Jegliche  Sache  von  Wichtig- 
keit, bei  der  nicht  mit  dem  Preis  Gottes  begonnen  wird,  ist  ver- 
stümmelt.,  oder  nach  einer  andern  Überlieferung  »abgeschnitten«. 
Hierauf  erwähnt  er  ewige  Attribute,  darunter  y>  der  Allmächtige  f.,  denn 
die  Allmacht  ist  ein  ewiges  Attribut,  das  in  den  durch  die  Allmacht 
bestimmten  Dingen  bei  ihren  Verknüpfungen  zur  Wirkung  kommt, 
und  darunter  der  Allwissende«.,  denn  die  Allwissenheit  ist  ein  eben- 
solches Attribut,  das  sich  in  den  gewußten  Dingen  bei  ihren  Ver- 
knüpfungen enthüllt,  und  darunter,  daß  der  Erhabene  der  Beruhiger 
des  Meeres  für  den  Lauf  der  fuluk,  d.  h.  der  Schiffe  ist,  und  dar- 
unter, daß  er  die  Zahl  der  Sterne  weiß. 
Text:    4.  Er  hat  gesandt  unter  uns  aus  den  Söhnen  'Adnäns 

Einen  Propheten  der  Wahrheit,    der  den  Koran  gebracht, 

5.  Der  uns  den  Islam  gelehrt  hat  und  den  Glauben, 
Und  offenbart  hat  die  Weisheit  und  den  Beweis; 

6.  Es  segne  ihn  Gott,  der  Herr  der  Herrlichkeit, 
Und  seine  Sippe,  die  Reinen,  die  Besten  einer  Sippe. 

Erkl. :  Die  {göXiliche)  Se?idu7ig  ist  spezieller  als  die  Propheten- 
schaft, denn  jeder  von  Gott  Gesandte  ist  ein  Prophet,  aber  nicht 
umgekehrt.  Und  '■Adnän  ist  der  Urahn  unseres  Propheten,  der 
Vater  des  JMa'add,  Friede  über  ihm.  Und  der  Kor  an,  das  ist  das 
auf  unsern  Propheten  —  über  ihm  sei  Segen  und  Heil  —  als  Be- 
stätigungswunder schon  in  einer  einzigen  Sure  herabgesandte  Wort. 


J)  Sure   29,   35. 

-)  Ich  lasse  die  grammatischen  Termini  im  allgemeinen  unübersetzt,  weil  sie  dem 
mathematischen  Leser  doch  nicht  ohne  Kenntnis  des  Arabischen  verdeutlicht  werden 
können.     Die  vom   Verfasser  erklärten  Worte  sind  kursiv  gesetzt. 


Arabische  Texte  über  das  Fingerrechnen.  iqc 

Und  äaj  uns  der  Prophet  —  über  ihm  sei  Friede  —  den  Islam  lehrte, 
(geschah)  mit  seinem  Worte:  »Der  Islam  ist,  daß  du  bekennst,  daß 
kein  Gott  außer  Gott,  und  daß  Muhammed  der  Gesandte  Gottes  ist, 
und  daß  du  das  Gebet  verrichtest  und  das  Almosen  spendest  und  im 
Ramadan  fastest  und  das  (heilige)  Haus  besuchst,  wenn  du  zu  ihm 
einen  Weg  finden  kannst ').  Und  ebenso,  daß  er  uns  den  Glauben 
lehrte,  (geschah)  mit  seinem  Worte  an  ein  Volk,  das  eine  Ab- 
ordnung an  ihn  sandte :  Wisset  ihr,  was  der  Glaube  an  den  einigen 
Gott  ist?-  Da  sagten  sie:  »Gott  und  sein  Prophet  weiß  es  besser.^ 
Da  sagte  er:  »Das  Bekenntnis,  daß  kein  Gott  außer  Gott«  usw.  Und 
die  Weisheit,  sie  ist  die  Kenntnis  der  religiösen  Pflichten.  Und  das 
Gebet  ist  von  Seiten  Gottes  d.  E.  Barmherzigkeit,  und  von  seiten 
der  Engel  Bitte  um  Verzeihung,  und  von  seiten  des  Knechtes 
demütiges  Bitten  und  Anrufung;  und  es  ist  gesetzlich  empfohlen, 
mit  der  Nennung  Gottes  d.  E.  das  »Gebet  über  ihn  zu  verbinden 
auf  Grund  Seines  d.  E.  Wortes-) :  »Und  wir  haben  Dir  Deine  Nennung 
erhöht :,  d.  h.  ich  werde  nicht  genannt,  ohne  daß  auch  Du  mit  mir 
genannt  würdest.  Und  seine  Sippe  —  über  ihm  sei  Segen  und  Heil 
—  sind  die  Söhne  Häsims  und  die  Söhne  al-Muttalibs  nach  der 
richtigsten    Auslegung. 

Text:    7.  Und  so  ist  alsdann  das  Rechnen  ein  nützliches  Wissen, 
Und  nicht  zweifelt  an  seinem  Ausspruch  ein  Hörender. 

8.  Und  siehe,  bei  dem  Starken,  dem  Wahrhaftigen 
Ist  es  höher  an  Macht  als  viel  Wissen; 

9.  Durch   es    besteht  die  Gerechtigkeit  in  den  Provinzen 
Und  wird  erkannt  der  Rechtsanspruch  an  Erträgnissen, 

10.   Und  es  wird  zugeteilt  das  Almosen  nach  dem  Vermögen 
Und  die  Erbschaft  den  Frauen  und  Männern. 

Er  kl.:  D.  h.  nach  dem,  was  er  erwähnt  hat,  ist  also  das  Rechnen 
eine  nützliche  Wissenschaft,  an  deren  Nutzen  niemand  zweifelt.  Und 
es  ist  ein  Wissen  um  die  Prinzipien,  deren  man  sich  bedient  bei  un- 
bekannten Größen,  und  sein  Gegenstand  ist  die  Zahl.  Und  sie  ist 
das  aus  Einheiten  Zusammengesetzte,  die  Eins  aber  gehört  nicht  dazu; 
sie  ist  das,  wodurch  die  Einheit  besteht,  und  wird  nicht  Zahl  ge- 
nannt, oder  doch  nur  in  einem  übertragenen  Sinn  ^).  Und  diese 
Wissenschaft  gilt  als  wertvoller  als  viele  Wissenszweige  bei  jedem, 
der  auch  nur  ein  wenig  Verständnis  besitzt,  weil  auf  ihr  die  Kenntnis 


')  I).  h.  die  Pilgerfahrt  zur  Ka'ba  in  Mekka  unternimmst,  wenn  es  dir  möglich   ist. 

^)  Sure   94,   4. 

^)   ^^-   ]■  RusKA,   a.  a.  O.   S.  70,    71. 


I  o6  Julius   R  u  s  k  a  , 

des  Rechtsanspruchs    und    die  Zuteilung    der  Almosen  und  der  Erb- 
schaften und  dergleichen  mehr  beruht. 

Text:    II.  Dies  also;  und  siehe,  die  Gelehrten  haben  geschrieben 
Über  diese  Wissenschaft  Bücher,  und  haben  abgefaßt, 

12.  Ja  sie  haben  hervorgebracht  jede  Art  hübscher  Schriften^ 
Die  jedem  Anfänger  und  Vollendeten  nützen. 

13.  Und  siehe,  ich  bin  gekommen  wie  der  Naciidrängende, 
Ich  folgte  darin  der  Spur  jedes  Gelehrten, 

14.  Und  der  Geist  hat  mich  getrieben,  daß  ich  schreibe 
Über  die  Wissenschaft  hiervon  etwas,   und  abfasse 

15.  Eine  Ragaz -Dichtung,  die  benannt  ist  Mcrktafel, 

Welche  das  ägyptische  RccJmen  umfaßt. 

Erkl.:  Wisse,  daß  die  Tachgelehrten  über  diese  Wissenschaft 
zahlreiche  Bücher  verfaßt  haben,  sowohl  lange  wie  kurze.  Und 
siehe,  der  Verfasser  ^)  —  Gott  sei  ihm  barmherzig  —  eifert  ihnen 
darin  nach  und  folgt  ihrer  Spur  in  dem,  was  sie  abgefaßt  und  ge- 
schrieben haben,  und  er  hat  darüber  eine  Ragaz- Dichtung  verfer- 
tigt, die  er  Merktafel  nennt,  ivelche  die  Wissenschaft  des  ägyptischen 
Rechnens  umfaßt,  gemäß  dem,  was  du  sehen  wirst,  so  Gott  d.  E.  will. 
Und  er  hat  sie  in  vier  Kapitel  geteilt:  das  erste  Kapitel  über  die 
Beugung  i^akd)  der  Einer,  das  zweite  Kapitel  über  die  Beu- 
gung der  Zehner,  das  dritte  Kapitel  über  die  Beugung  der 
Hunderter,  das  vierte  Kapitel  über  die  Beugung  der  Tau- 
sender. 

KAPITEL   DER   BEUGUNG   DER   EINER. 
Es  geht  von  Eins  bis  Neun  und  schreitet  fort  um  je  Eins,   und. 
in  ihm  sind  neun  Beugungen  ^uküd)  enthalten. 
Text:    16.  Wisse,  daß  (was)  dein  Beugen  der  Einer  (anlangt), 
So  bestimmen  sie  dazu  drei  einzelne  Finger, 
17.  Nämlich  den  Kleinfinger  und  Ringfinger  und  MittelHnger. 
Und  zwar  an  der  Rechten.     So  merke  genau! 
Erkl.:     Wisse,    daß    die    Rechner    die   Einer  durch  drei    Finger 
bestimmen,  durch  den  Kleinfinger  und  den  Ringfinger  und  den  Mittel- 
finger der  rechten  Hand;    und  Damlr-)  zu    y>besttm7ne?i  sie.     ist    rdi^- 
Rechner,,  und    >die  Einer .    ist  Maf'ül-)  von     Beugen.. 

')  Während  der  Kommentator  das  Lehrgedicht  im  Titel  Manzüniah  nennt,  gibt 
er  ihm  jetzt  mit  dem  \'erfasser  die  genauere  Bezeichnung  A7-güzah,  d.  i.  Dichtung  itu 
X'ersmaß  Ragaz.  Der  Titel  der  Merkverse  gewinnt  dadurch  besonderes  Interesse,  daü 
das  Fingerrechnen  als  »ägyptisches  Rechnen«  bezeichnet,  also  dem  indischen 
Zifferrechnen  al-hisäb  al-Hindl  gegenübergestellt  wird. 

-)  Vgl.   Anm.  2    S.    104. 


Arabisclie  Texte   über  das  Fingerrechnen.  njy 

Text:    i8.  Für  Eins  wird  geöffnet  die  Rechte,  so  merke! 

Und  wird  aufgesetzt   der  Ringfinger   auf   den  Kleinfmger. 

Erkl.:  Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Eins  im  Kleinfinger  der 
rechten  Hand  enthalten  ist,  indem  seine  Spitze  seiner  Wurzel  auf 
der  Innenseite  der  Handfläche  angenähert  wird,  unter  Aufsetzung  des 
Ringfingers  auf  ihn^). 

Text:    19.  Und  es  wird  angenähert  für  die  Zwei  die  Aufsetzung  beider 
Ohne  Änderung  für  jene;  so  wisse! 

Erkl.:  Er  weist  hin  auf  die  Zwei  im  Kleinfinger  und  Ringfinger, 
indem  ihre  beiden  Spitzen  ihren  beiden  Wurzeln  auf  der  Innenseite 
der  Handfläche  der  Rechten  gleichfalls  angenähert  wxrden-).  Und 
das  Damir  des  Duals  in  Aiifsctziing  beider«,  geht  auf  den  Kleinfinger 
und  den  Ringfinger,  und  das  Demonstrativnomen  {^>für  Jene'.'.)  weist 
zurück    auf  die    vorerwänte  Aufsetzung. 

Text:   20.  Ebenso,  wenn  du  die  Drei  darstellen  willst, 

Deinen  Mittelfinger  (neige)  mit  jenen  beiden,  indem  sie 
(aufgesetzt)  bleiben. 
ErkL:  Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Drei  im  Kleinfinger  und 
Ringfinger  und  Mittelfinger  unter  gleichzeitiger  Annäherung  ihrer 
Spitzen  an  ihre  Wurzeln  auf  der  Innenseite  der  rechten  Handfläche 
enthalten  ist.  Und  Hieinen  Mittelfinger .  ist  Maf*ül  zu  neige .,  und 
das  Damir  des  Duals  in  'jenen  beiden  .  und  -'V ertv eilen  .  geht  auf  den 
Kleinfinger  und  Ringfinger,  d.  h.  neige  den  Mittelfinger,  während 
beide  aufgesetzt  bleiben  gemäß  dem,  was  bei  der  Zwei  voranging. 
Und  Ibn  Su'lah  weicht  ab  und  macht  die  Aufsetzung  nicht  zur 
Bedingung,   denn  er  sagt: 

Drum  für  die  Zahl  der  Einer,  o  Freund,  gebrauche  nur 

Die  Rechte  deiner  beiden  Hände,    wisse,    und   hüte  dich,    (das) 

nicht  zu  wissen! 
Und    zwar    für    die    Eins    beuge    den    Klcinfinger,     dann     «Icii 

Ringfinger 
Für    die    Zwei,    und    den    Mittelfinger    ebenso,    damit    du    voU- 
Mit  der  Zahl  Drei 3)   .  .  .  [kommen  bist 


')  Der  Kommentar  sucht  die  auffallende  und  von  aller  sonstigen  Überlieferung 
abweichende  Darstellung  der  Eins  im  Text  mit  der  gewöhnlichen  Art  der  Beugung  des 
Kleinfingers  zu  kombinieren. 

-)  Auch  hier  widerspricht  der  erste  Teil  des  Koninientars  dem  Text.  Nach 
diesem  sollen  die  beiden  Finger  beim  Einkrümmen  übereinander  gelegt  bleilien 
nach   dem   Kommentar  werden   sie  nebeneinander  gegen   ihre   Wurzeln  gekrümmt. 

5)  Diese  Darstellung  entspricht  also  dem  gewöhnlichen  \erfahrcn.  Die  Berliner, 
Abschrift  des  von  hier  an  regelmäßig  beigezogenen  Gedichts  kennt  den  Verfasser  nicht. 


jq3  Julius   Ru  ska  , 

Und  es  bestätigt  das  Fehlen  der  Bedingung  der  Ausspruch  in 
in  dem  .Reichtum  des  eifrig  Beflissenen  in  der  Kunde  des  Pfeil- 
schießens'j. :  Einschlagen  des  Kleinfingers  mit  Verbergen  des  Nagels 
ist  Eins,  und  Einschlagen  des  Kleinfingers  mit  dem  Ringfinger  mit 
Verbergen  des  Nagels  ist  Zwei,  und  Einschlagen  des  Kleinfingers 
und  des  Ringfingers  und  des  Mittelfingers  mit  Verbergen  ihrer  Nägel 
ist  Drei.  I). 

Text:    21.    Und    gebrauche    den    Kleinfinger    entsprechend    und    er- 
hebe  (ihn), 
Und  was  bleibt,  das  ist  die  Beugung  der  Vier. 


sondern  überschreibt  es  mit  den  Worten :  J^Üäj!  'Vj^^jJ  ^5  X.^o»-iÄ/a  »AP  iXi  lA.».^^-) 
^^>^nxAi  «.ji-AO^^b  ^LAv^.i=^JI.  »Lob  sei  Gott.  Dies  ist  eine  Majizümah  über  die 
Weise  des  Technerischen  Beugens  an  den  Fingern  von  einem  von  ihnen«,  d.  h.  von  einem 
unbekannten  Verfasser.    Den  nachher  zitierten  Versen  geht  die  folgende  Einleitung  voraus: 

!;^L;^ä/5     d^^J_^     ^y^;.C     j^     J^JS     ^wA^>  «^Xvwl     JowA«..5i      UjI     LKP     vAxj     ^^3 

(Narianten  von   A  nacli   Pere  An.\st.\se:     ^»uj,   lj.       ä^LxaJuJ.   *^  '-^^■^'»        si^X-w). 

=j  Vgl.  oben  S.  91.  Das  in  der  Gothaer  Handschrift  A  1341  vorliegende  Bruch- 
stück eines  Lehrgedichts  über  das  Pfeilschießen  enthält  im  Text  und  Kommentar  zahl- 
reiche Stellen,  an  denen  die  bei  der  Handhabung  von  Bogen  und  Pfeil  erforderlichen 
Griffe  durch  die  beim  Fingerrechnen  vorkoinmenden  Beugungen  bezeichnet  werden. 
So  heißt  f.  22r  ein  Griff  ^^-^xavo^  'xä^j   x>C2>.2,  der  Griff  von  99;  f.  22v  wird  gesagt: 

|.^iJl'i  lXsLx5'  *LfA^I_»  X.jL>..«.^3!  (jrt"^  (j:^  ^>^^^J  CT^  fn:"^^  »""^  manche 
ziehen  ihn  (den  Pfeil)  auch  mit  den  Spitzen  des  Zeigefingers  und  des  Daumens  an,  wie 
wenn  einer  30  beugt;  f.  23'>  wird  das  kunstmäßige  Halten  (^aÄ/^j!  tX.5»'^))  des  Pfeils 
mit  dem  Halten  des  Sclireibrohrs  oder  mit  dem  Beugen  von  58  verglichen.  Die  Verse, 
die  zu  der  oben  zitierten  Erläuterung  A'eranlassung  gegeben  haben  mögen,  stehen  f.  24  r: 

U  •  l5      Cr  *^^"  ^  ' 

.,LA*i^    Naä-^.^    \j>X.Si^\  Ö^Li    ^A-oi    iA%    ,*-^'^'5 

»Hierauf  beuge  die  Dreiundsechzig,  wie  es  in  der  Rechenkunst  geschieht, 
Und  nähere  an  und  mache  fest  die  Finger  der  Drei,  ihre  Nägel 
versteckt  vor  dem  Anblicken.« 
Der  Kommentar  sagt    aber   nur:    »Die  drei  Finger    sind  der  Kleinfinger,  der  Ringfingei 
und    der    Mittelfinger    der    rechten    Hand,    und    ihr    Festmachen    unter    Verbergen    ihrei 
Nägel    ({J'jJhS    Is-P^    f^^    ist    für    den     Schützen    notwendig,     weil     die    Richtigkeit 
der  Beugung  (des  Griffs)    nur    erzielt  wird  durch  Festmachen    dieser  drei.«     Die  weiter 
unten  folgenden  Zitate  zeigen  deutlich,  daß  der  von  unserm  'Ali  ibn  Sa'bän  benützte 
Kommentar  zu  Taibogä  hier  eine  vollständige  Aufzählung  aller  Fingerbeugungen  ein- 
gedochtcn    hat.     Es  wäre    sehr  wohl    möglich,    daß    eine    der    im  Ausland    vorhandenen 
Handschriften  den  gesuchten   Kommentar  enthält. 


Arabische  Texte   über  das   Fingerrechncn. 


109 


Erkl.:  Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Vier  die  ErJiebioig  des 
Kleinfingers  ist  in  ausgestreckter  Haltung,  und  das  Zurücklassen  des 
Ringfingers  und  Mittelfingers  angenähert  gemäß  dem  Zustand  beider. 
Und  Ibn  SuUah  drückt  das  aus  mit  den  Worten: 

.  .  .  Dann  für  den  Kleinfinger  erhebe  mit  Vier, 
und    im    Reichlum   (sagt   es    der  Verfasser)    mit   den  Worten :     »Ein- 
schlagen des  Mittelfingers  mit  dem  Ringfinger  ist  Vier«. 

Text:   22.  Hierauf  schlage    den    Mittelfinger    um    zur   Beugung    der 

Fünften 
Einzeln,  ebenso  den  Ringfinger  zur  Beugung  der  Sechsten. 
Erkl.:    Er  weist    darauf  hin,    daß    die    Fünf  das   Zurücklassen 
des  Mittelfingers  allein  ist,  gleichfalls  angenähert  der  Handfläche  der 
Rechten,    und    das   Strecken    des   Ringfingers,    und    darauf,    daß    die 
Sechs  das  Zurücklassen  des  Ringfingers   ebenso,    und    das   Strecken 
des   Mittelfingers.      Und   Ibn    Su'lah    drückt   beides    aus     mit    den 
Worten  —  an  das  Maf'ül   anknüpfend    mit   dem  Wort    y>erhebc"..   —  : 
Und  den  Ringfinger  —  die  Fünf  vollende 
Und  bei  der  Sechs  presse  den  Ringfinger  ohne  sie  alle 
Auf  das    Ende    der   Handfläche;     höre     und    überliefere    esl^) 
Und  im  RcicJUuin   mit  den  Worten:     »Einschlagen    des  Mittelfingers 
in   seiner   Vereinzelung   ist   Fünf  und  Einschlagen    des   Ringfingers 
allein  Sechs,  mit  Verbergen  des  Nagels  in  beiden.« 

Text:  23.  Ebenso  den  Kleinfinger  im  Aufeinanderfolgen  =). 

Schlage  ihn  allein  um  zur  Beugung  der  Siebenten. 
Erkl.:    Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Sieben  das  VmscJilas'cn  des 
Kleinfingers    allein    ist,    gestreckt    über    den  Rand    der   Handfläche. 
Und  Ibn  Su'lah  drückt  das  aus  mit  den  Worten: 

Und   bei   der   Sieben    presse   unter   den   Daumen    den   Klein- 
finger 3), 
Und  am  Ende  der  Handfläche  ist  die  Pressung 4);    so  verfahre. 
Und  den  Ringfinger  erhebe  .... 
Und  \vci  Reichtum  mit  den  Worten:     Und  Auflegen  des  Kleinfingers 
mit  Zeigen  der  Nägel  ist  Sieben.« 


')  Die  Vorschrift  von  Ibn  Su'lah  stimmt  nicht  mit  der  gewöhnlichen  Dar- 
stellung, sondern  verlangt  ein  Andrücken  des  umgeschlagenen  Ringfingers  wie  bei  den 
folgenden  Zahlen. 

-')  Ergänze  »der  Zahlen« ;   in  der  Reihe  der  Zahlen. 

3)  Es  ist  nicht  klar,  wie  das  gemeint  ist;  vielleicht  »unten  an  den  Daumen«. 
Auch  der  Kommentar  gebraucht  nachher  denselben  Ausdruck. 

■i)   Vielleicht  ist    statt    (ji:i>.ÄJl   zu  lesen  i  <a>Jsl   »presse«. 


j  j  Q  J  u  1  i  u  s   R  u  s  k  a  , 

Text:   24.  Und  schlage    ebenso    die  Achte  um  unter  Beugung  des 

Kleinfingers, 
Und  schlage   um   in  der  Beugung   beim  Umschlagen    des 
Ringfmgers. 
Erkl:    Er  weist  darauf  hin.  daß  die  Acht  das  Umschlagen  des 
Kleinfmgers  und  des  Ringfingers  auf  das  Ende    der  Handfläche    ist. 
Und   y Beugung     ist  Mafül   zu    •>^schlagc  um-,   und   das   ■•>beU   in  beim 
Umschlagen  (steht)  im  Sinne  von  mit,  d.  h.   »bei  der  Achten  schlage 
um  unter  Beugung  des  Kleinfmgers  mit  gleichzeitigem  Umschlagen 
des  Ringfmgers«.    Und  Ibn  SuHah  drückt  das  aus  mit  den  Worten: 
.  .  ,  Hierauf  bei  der  Achten  nähere  an 
Zum  Kleinfinger  im  Anpressen  für  den  Ringfinger; 
sei  verständig! 
Und   im  Reichtum  mit  den  Worten:        Und  Auflegen    des  Klein- 
fingers mit  dem  Ringfinger  und  Aufweisen  ihrer  Nägel  ist  Acht.« 

Text:  25.  Dies  also:  und  bei  der  Neunten  füge  zu  den  beiden 
Deinen  Mittelfinger,  und  merke,  was  ich  sage,  und  be- 
achte es! 

Erkl.:  Er  w^eist  daraufhin,  daß  die  Neun  das  Umschlagen  des 
Kleinfingers  und  des  Ringfingers  und  des  Mittelfingers  auf  das  Ende 
der  Handfläche  ist.  Und  das  Damir  des  Duals,  das  durch  mit  in 
den  Genetiv  gesetzt  ist,  bezieht  sich  auf  den  Kleinfinger  und  Ring- 
finger; und  deinen  Mittelfinger  ist  das  Mafül  von  füge  hi7izu.  Und 
Ibn  Su'lah  drückt  das  aus  mit  den  Worten: 

Und  bei  der  Neun  nähere  den  Mittelfinger  mit  ihnen  beiden. 
Und  im  Reichtum  (heißt  es):  »Und  Auflegen  des  Kleinfingers  und 
des  Ringfingers  und  des  Mittelfingers  und  Aufweisen  der  Nägel  ist 
Neun.<: 

Text:  26.  Und  die  Rede  über  die  Einer  ist  zu  Ende; 
Und  darin  ist,  was  leicht  zu  verwechseln  ist. 

27.  So  verstehe,    denn  sieh',   ich   erwähne  es,   o  mein  Hörer! 
So  (beruht  also)  der  Unterschied  zwischen  Dritter  und 

Neunter, 

28.  Gleichfalls  auch  zwischen  Achter  und  Zweiter, 
Kurzgefaßt  auf  der  Beugung  mit  dem  Aufweisen. 

29.  Und    der    Unterschied    in    diesem    ist    das    Erheben    des 

Ringfingers 
Bei  deinem  Beugen  der  Zwei  über  den  Kleinfinger. 

30.  Und  ebenso,  o  Besitzer  von  Bildung,  wird  die  Dritte 
Aufgesetzt,  und  die  Neunte  wird  nicht  aufgesetzt. 


Arabische    Texte   über   das   Fingeneclinen.  III 

Er  kl.:  Er  weist  daraufhin,  daß  die  Rede  über  die  Einer  vollendet 
ist,  und  darauf,  daß  darin  vier  einander  ähnliche  Zahlen  sind,  denn  es 
gleicht  die  Zweite  der  Achten  und  es  gleicht  auch  die  Dritte  der 
Neunten.  Und  der  Unterschied  ist,  daß  bei  der  Zweiten  der  Ring- 
finger über  den  Kleinfinger  erhoben  wird,  im  Gegensatz  zur  Achten, 
und  daß  die  Dritte  aufgesetzt  wird,  wie  vorausging,  im  Gegensatz 
zur  Neunten  ;  und  dies  ist  gemäß  der  Ansicht  des  Verfassers,  wie  du 
weißt.  Nach  der  Ansicht  des  Ibn  Su'lah  aber  besteht  der  Unter- 
■^chied  darin,  daß  die  Zweite  dargestellt  wird  durch  das  Anpressen 
des  Kleinfmgers  und  des  Ringfingers  unter  ihre  Wurzeln  auf  der 
Innenseite  der  Hohlhand  im  Gegensatz  zur  Achten,  denn  sie  wird 
dargestellt  durch  deren  Anpressen  unter  den  Daumen  am  Ende  der 
Handfläche.  Und  die  Dritte  wird  dargestellt  durch  das  Anpressen 
des  Mittelfingers  mit  dem  Kleinfinger  und  dem  Ringfinger,  wie  vor- 
hin bei  der  Zweiten,  im  Gegensatz  zur  Neunten;  denn  sie  wird 
dargestellt  durch  ihr  Anpressen  mit  beiden,  wie  vorhin  bei  der 
Achten^).  Hierauf  weist  er  auf  das  zweite  (Kapitel)  hin  mit  seinem 
Wort: 

KAPITEL  DER  BEUGUNG  DER  ZEHNER. 
Es  geht  von  Zehn  bis  Neunzig    und   schreitet  fort  um  je  Zehn, 
and  in  ihm  sind  neun  Beugungen  enthalten. 
Text:  31.  Und  die  Zehner,  o  Bruder  der  Hochherzigkeit,   — 

Sie  bestimmten  für  sie  den  Daumen  und  den  Zeigefinger, 
32.  Und  diese  ebenfalls  von  dir  an  der  Rechten; 
So  merke  es  (dir)  mit  sicherem  (Wissen). 

Erkl:  Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Rechner  die  Zehner  durch 
zwei  Finger  bestimmen,  nämlich  den  Daumen  und  den  Zeigefinger 
der  rechten  Hand.  Und  das  Damir  von  ».f2>  bestimmen'-^  geht  auf 
y>die  Recliner  ,  wie  voranging;  und  das  mit  '>für<'.  in  den  Genitiv 
gesetzte  Damir  geht  auf  '^die  Zehnei'r.,  und  ■>->den  Daiimen'  ist 
Maf'ül  zu   y'sie  bestü)micnv,. 

Text:  'if},.  Und  wisse,  wenn  du  die  Beugung  der  Zehn  willst. 
So  siehe,  sie  ist  wie  ein  runder  Ring. 

Erkl:  Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Beugung  der  Zehn  erhalten 
A\"ird    durch  das  Setzen  der   Spitze    des  Zeigefingers  in  das  Gelenk  -) 

■)  Die  Auseinandersetzung  zeichnet  sich  nicht  durch  Klarheit  aus.  Zusammen- 
fassend ist  jedenfalls  zu  sagen,  daß  die  Weise  des  Ibn  Su'lah  der  allgemeinen 
Überlieferung  entspricht,    während   Ibn    al-Magribls  Vorschriften  von  ihr  abweichen. 

^")  Hier  ist  entweder  JJic  im  Sinne  von  Gelenk  gebraucht  oder  s^üe  Gelenk 
«tatt  lAÜE  zu  lesen. 


112  JuliusRuska, 

des  gestreckten  Daumens ^     wie  ein  Ring;    und  Ibn  Su'lah    drückt 
das  aus  mit  den  Worten: 

Und  die  Zehn  unter  Beugung  des  Daumens,  so  höre! 

Mache  zu  einem  Ring-)  seine  Spitze  für  den  Deutefinger. 
Und    im   Reichtuvi    (heißt   es):      »Anhängen   des    Endes   des    Schwur- 
fingers an  das  Gelenk^)  des  Daumens  von  innen  ist  Zehn  (. 

Text:  34.  Und  setze  für  die  Zwanzig  den  Daumen  der  Hand 
Ins  Gelenk  4)  unter  den  Finger  des  Schwörens, 
35.  Damit  er  über  seinem  Gelenk  sei, 

Gemeinsam  mit  deinem  Mittelfinger  an  seiner  Fingerspitze. 

Erkl. :  Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Beugung  der  Zwanzig 
durch  das  Setzen  deines  Daumens  zwischen  die  Wurzeln  des  Zeige- 
fingers und  des  Mittelfingers  erzielt  wird,  d.  h.  stecke  den  Nagel  des 
Daumens  zwischen  den  Zeigefinger  und  den  Mittelfinger,  so  daß  das 
Gelenk  des  Daumens  zwischen  (^den  Spitzen  von)  Zeigefinger  und 
Mittelfinger  liegt)  "1.  Und  Ibn  Su'lah  drückt  das  aus  mit  den 
Worten: 

Und  den  Nagel  von  deinem  Daumen,  setze  ihn  zwischen 
Deine  beiden  Finger  für  die  Zwanzig;   wisse  es  und  handle! 

Und  in  seinen  Worten  ist  ein  Hinweis  darauf,  daß  der  Nutzen 
des  Wissens  im  danach  Handeln  besteht;  Gott  rette  uns  vor  einem 
Gelehrten,  der  nicht  seinem  Wissen  gemäß  handelt!  Und  im 
Reichtum  ^heißt  es):  »Das  Setzen  des  Nagels  des  Daumens  unter 
das  mittlere  Gelenk  des  Schwurfingers  ist  Zwanzig. 

Text:  36.  Und  nähere  sie  bei  den  Dreißig,  schau! 

Wie  wenn  einer  die  Nadel  vom  Boden  weg  ergreift. 

Erkl.:  Er  weist  daraufhin,  daß  die  Dreißig  erzielt  werden 
durch  des   Setzen  deines  Daumens  ans  Ende  des  Zeigefingers,  d.   h. 

I)  Wörtlich  »mit  seinem  Ausstrecken«.  Die  genaue  Wiedergabe  arabischer  Kon- 
struktionen führt  oft  zu  unerträglichen  Wortverbindungen:  mit  einer  freien  Übersetzung 
wird  aber  die  eigentümliche  Ausdrucksweise  zerstört. 

*)  Statt  /  öJl^^"  könnte  auch  bequemer  -  iJLxj  »hänge  an,  bringe  in  Berührung« 
gelesen  werden,  wie  beim  nächsten  Zitat. 

3)  Hier  ist    das  Wort    i>Ai.Äx  mafsil  für  Gelenk  gebraucht. 

4)  An  dieser  Stelle  läßt  sich  Jüic  des  Versmaßes  wegen  nicht  durch  äAÄc  er- 
setzen, es  muß  aber  mit  »Gelenk«  übersetzt  werden  wie  das  ä^Xäc  der  nächsten  Zeile. 

5)  Der  Text  ist  klar,  der  Kommentar  falsch.  Der  Daumen  wird  nicht  zwischen 
die  Spitzen  von  Zeige-  und  Mittelfinger  gesetzt,  sondern  unter  dem  Zeigefinger  so 
durchgesteckt,  daß  die  weiche  Daumenspitze  dem  ersten  Glied  des  Mittelfingers  auf- 
liegt. »Deutelinger«  und  »Schwurfinger«  entsprechen  andern  arabischen  Worten  für  den 
Zeigefinger. 


Arabische  Texte  über  das  Fingerrechnen.  I  j  ^ 

durch  die  Vereinigung'  ihrer  beiden  Enden,  wie  wenn  einer  eine 
Nadel  ergreift^).  Und  Ibn  Su*lah  drückt  das  aus  mit  den  Worten: 
»Und  vereinige,  was  zwischen  der  Spitze  des  Deutefingers 
Und  der  Spitze  des  Daumens,  so  kommt  Dreißig  heraus ! 
Und  v^iuas«.  ist  MaPül  zu  rvereijiigcn,  und  ■''Sfiüsc«  ist  'Atf  zu  -»was  . 
Und  im  Reichtum  (heißt  es):  Vereinigung  der  beiden  inneren  Enden 
des   Schwurlingers  und  des  Daumens  ist  Dreißig.« 

Text:   },'].  Und  füge  auf  den  Zeigefinger  den  Daumen 
Bei  den  Vierzig,  und  verstehe  die  Rede ! 

Er  kl:  Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Beugung  der  X'ierzig  er- 
zielt wird  durch  die  Setzung  des  Endes  des  Daumens  über  das  Ende 
des  Zeigefingers,  d.  h.  auf  seinen  Rücken.  Und  Ibn  Su'lah  drückt 
das  aus  mit  den  Worten : 

Und  wenn    du  den  Daumen  daraufsetzest,  — -o  Freund,   so  be- 
achte (es  sorgfältig)! 

Auf  den  Schwurfinger,  so  vollendest  du  die  Vierzig. 
Und  sein  Wort  auf  den  Schwurfinger .  bezieht  sich  auf  :  darauf - 
setsesti^.,  d.  h.  »und  die  Vierzig  (entstehen),  wenn  du  den  Daumen 
über  den  Schwurfinger  setzest  .  Und  im  Reichtmii  (heißt  es;  : 
>Legen  des  Endes  des  Daumens  auf  das  mittlere  Gelenk  vom 
Schwurfinger  ist  Vierzig.« 

Text:  38.    Dann  schlage  den  Daumen  durch  Beugen  um,  ihn  allein; 
Ebenso    entstehen    die    Fünfzig    —    so    merke    ihre  Be- 
schreibung! 

Er  kl.:  Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Beugung  der  Fünfzig 
(auch)  erzielt  wird  durch  Legen  des  Endes  des  Daumens  auf  den 
Rücken  des  Zeigefingers,  aber  mit  Strecken  des  Zeigefingers;  denn 
der  Ausdruck  ihn  allein<i  bedeutet  ohne  Annäherung  des  Zeige- 
fingers« ;  und  der  Ausdruck  .'> ebenso  \  bedeutet  »wie  du  das  Ende  des 
Daumens  bei  den  Vierzig  gesetzt  hast«.  Und  Ibn  SuMah  drückt 
das  aus  mit  den  Worten: 

Und  das  Aufsetzen  des  Daumens  auf  den  Deutefinger,  höre! 

Wie  wenn  einer  einen  Pfeil  erfaßt,  das  ist  Fünfzig;  so  führe 
es  schön  aus! 
Und  im  Reichtum   (heißt  esj :    »Das  Andrücken  des  Endes  des   Dau- 
mens an  die  Wurzel  des  Sclnvurfingers  ist  Fünfzig.« 
Text:  39.   Und    erhebe  ihn  bei  den   Sechzig  mit  dem  Zeigefinger 
Gemäß  der  Art,  wie  der   Schütze  einen  Pfeil  ergreift. 

')  Vers  36  der  Ar'i,n:.a/r  .samt  Kommentar  zitiert  l'cre  Anastase  in  seiner  Al»- 
handlung,  Al-Machriq  Bd.  3,    i')oo,  .S.    121. 

Islam  X.  8 


114 


I  u  1  i  u  s   R  u  s  k  a  ; 


Erkl.:  Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Beui;uno-  der  Sechzig 
erzielt  wird  durch  Aufsetzen  des  Endes  des  Zeigefingers  auf  die 
Spitze  des  Daumens  gemäß  dem  Griff  eines  Pfeilschüt/cn.  Und 
Ibn  SuMah  drückt  das  aus  mit  den  Worten: 

Und  deinen  Daumen,  setze  ihn  unter  den   Schwurl'uiger, 
Wenn  du    die   Sechzig    ausführen    willst;    so    beaciite    es,    um 
vollkommen  zu  sein! 
Und  im  Reichtum  (heißt  esj:   »Das  Andrücken  des  Endes  des  Daumens 
und  Wickelung  des   Schwurfingers  um  ihn  ist   Sechzig.« 

Text:  40.  Und  das  Gleichnis   der  Siebzig  beim  Beugen  ist 
Wie  wenn  einer  einen  Dinar  ausgibt  als  Bargeld. 

Erkl.:  Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Beugung  der  Siebzig  er- 
zielt wird  durch  Annähern  des  Zeigefingers  und  durch  Annähern  des 
Daumens  über  ihm  wie  wenn  jemand  seinen  Dänir  ausgibt.  Und 
Ibn  Su'lah  drückt  das  aus  mit  den  Worten: 

Und  deine  Beugung  für  die   Siebzig  beruht   auf  einer  dritten 
Annäherung; 

Mit   dem  Zeigefinger   beuge  deinen  Daumen,    dann   machst  du's 

Und  den  Daumen  setze  unter  den  Deutefinger.  [schön, 

Und  im  Reichtum  (heißt  es):   »Aufstellung  des  Daumens  und  Wicke- 
lung des  Schwurfingers  über  das  Ende  des  Daumens  ist   Siebzig.« 

Text:  41.  Und  die  beiden  Finger  bei  den  Achtzig,  sie 

Berühren  sich  beim  Beugen  mit  beider  Streckung'). 
42.  Und  sie  steht  der  Beugung  der  Vierzig  am  nächsten, 
Nur  daß  der  Daumen  nicht  aufgesetzt  wird. 

Erkl.:  Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Beugung  der  Achtzig 
erzielt  wird  durch  Legen  der  Spitze  des  Daumens  in  das  Gelenk, 
welches  am  Ende  des  Zeigefingers  ist.  Und  sie  ist  wie  die  Vierzig 
ohne  Aufsetzen  des  Endes  des  Daumens  auf  den  Rücken  des  Zeige- 
fingers. Und  sein  Wort  y>und  die  beiden  Finger^,  meint,  »welche  beide 
die  Stelle  der  Zehner  (sind)«,  und  die  Damlre  des  Duals  im  Vers  gehen 
auf  ..beide«  zurück,  und  das  Damlr  y>sie<{.  geht  auf  y> Achtzig  zurück. 
Und  Ibn  Su'lah  drückt  das  mit  den  Grammatikern  in  bildhcher 
Wendung  durch  die  Worte  aus: 

Und  Nagel  über  Nagel  vollenden  Achtzig. 
Und  im  Reichtum    (heißt    es):     »Vereinigung  der  beiden    Enden    des 
Daumens  und  des  Schwurfingers  ist  Achtzig.* 


')  D.  h.  bei    der    für    die  Darstcllunff   der  Zahl   80    notwendigen    Stellung    in    ge- 
strecktem Zustand. 


Arabische   Texte   über  das   Fingenechnen. 


II 5 


Text:  43.  Und  sie  machten  ähnlich  die  Neunzig;  in  ihrer  Beuj^ung 
Wie  die  Wickelung  der  Schlange  in  ihrem  Nachtschlaf. 
44.  Und    der   Unterschied    zwischen    ihrer  Beugimg   und    (der 
Beugung)  der  Zehn 
Liegt  darin,  daß  sie  angenähert,  gedrängt  ist. 

Erkl. :  Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Beugung  der  Neunzig 
«rzielt  wird  durch  das  Legen  der  Spitze  des  Zeigefingers  auf  die 
Spitze  des  Daumens  wie  eine  Schlange,  wenn  sie  schläft.  Und 
diese  ist  wie  die  Zehn,  aber  hier  wird  das  Ende  des  Zeigefingers 
über  die  Spitze  des  Daumens  gesetzt  im  Gegensatz  zur  Zehn,  wie 
oben  vorherging.  Und  Ibn  SuMah  drückt  das  aus  mit  den 
Worten : 

Und  bei  der  Zahl  Neunzig  presse  den  Zeigefinger 

Gegen  die  freie  Stelle,  die  zwischen  dem  Daumen  und  zwischen 
ihm  liegt. 

Und  deinen  Daumen  setze  über  ihn  wie  eine  Schlange, 

Welche  wütend  begehrt  anzugreifen   .... 
Und  im   ReicJitum     (heißt  es) :      ■■Einschlagen  des  Endes  des  Schwur- 
hngers  mit  dem  Ende  des  Daumens  ist  Neunzig<;. 
Text:  45.  Und    die  Zehner,   —   nun    ist  vollendet  ihre  Beschreibung 
Und    ihre   Erfassung    und    ihre   Beugung    und    ihre   Zahl. 
46.  Und  zwar  beginnt  die  Beugung  in  ihrer  Vereinzelung, 
Nicht  wird  gehindert  die  Zusammenstellung  (der  Zehner) 
mit  ihren   Einern. 

Erkl.:  Er  weist  darauf  hin,  daß 'die  Auseinandersetzung  über  die 
Zehner  vollendet  ist,  mit  sicherer  Erfassung  derselben  und  ihrer  An- 
zahl; und  zwar  wird  ihre  Zusammensetzung  mit  den  Einern  nicht  ver- 
hindert wegen  der  Verschiedenheit  der  beiden  Stellen.  So  sind 
die  Elf  ein  Beispiel  gemäß  der  Methode  des  Verfassers,  wel- 
ches erzielt  wird  durch  Annäherung  des  Kleinfingers  an  seine 
Wurzel  auf  der  Innenseite  der  Handfläche  und  das  Aufsetzen  des 
Ringfingers  auf  ihn  (zugleich;  mit  dem  Setzen  der  Spitze  des  Zeige- 
fingers in  das  Gelenk  des  gestreckten  Daumens,  und  die  Zwölf 
sind  ein  Beispiel  gemäß  dem,  was  voranging,  welches  erzielt  wird 
mit  der  Annäherung  der  beiden  Elnden  des  Kleinfingers  und  des 
Ringfingers,  aufeinandergesetzt  gegen  ihre  Wurzeln  hin  (gleich- 
zeitig) mit  dem  Setzen  der  Spitze  des  Zeigefingers  in  das  Gelenk 
des  gestreckten  Daumens.  Und  dementsprechend  fahre  fort  bis 
Neunzehn »).      Und    die    Einundzwanzig     zum    Beispiel     wird 

')  Hier  ist  im  Text  durch  Wiederholiuijj  einiger  Zeilen  Verwirrung  entstanden. 
IJie   I3oppelungen  sind   iibergang-en   und   die  Stücke  richti-,'^  .ineinandergefügt. 


jjg  Julius  Ruska, 

.nach  seiner  Methode  ebenfalls  erzielt  durch  Annäherung  der  beiden 
Enden  des  Kleinfingers  und  des  Ringfingers  aufeinandergesetzt  gegen 
ihre  beiden  Wurzeln  mit  dem  Setzen  der  Spitze  des  Daumens 
an  die  Wurzeln  des  Zeigefingers  und  Mittelfingers,  wie  vorausging. 
Und  dementsprechend  fahre  fort  bis  N  e  u  n  u  n  d  z  vv  a  n  z  i  g.  Und  die 
.^eunundneunzig  wird  erzielt  durch  Einschlagen  des  Kleinfingers 
und  des  Ringfingers  und  des  Mittelfingers  unterhalb  des  Daumens 
auf  das  Ende  der  Handfläche,  wie  voranging,  mit  Setzen  der  Spitze 
des  Zeigefingers  auf  die  Spitze  des  Daumens  gemäß  dem  Nacht- 
-schlaf  der  Schlange,  wie  voranging.  Und  Ibn  SuMah  drückt  das 
am  Ende  der  Einer  mit  den  Worten  aus: 

Und  bei  allen  Einern  verfahre  so,  auch  wenn  darüber  sind  .  . .". 
das  heißt,  wenn  die  Einer  zu  anderen  (Zahlen)  hinzukommen  von 
den  Arten  der  Zehner  oder  Hunderter  oder  Tausender,  so  versteh 
es,  dann  tust  du  das  Richtige.  Hierauf  weist  er  hin  auf  das  dritte 
(Kapitel)  mit  den  W^orten: 

KAPITEL  DER  BEUGUNG  DER  HUNDERTER. 

Es  geht    von  Hundert    bis  Neunhundert    und    schreitet    fort    um 
je  Hundert,  und  in  ihm  sind  neun  Beugungen  enthalten. 
Text:  47.  Hierauf  die    Beugung    der    Hunderter    an    der   Linken 
Wie  die  Zehner  —  so  höre  auf  meine  Rede! 
48.  Und  wisse,  daß  ihre  Figur  wie  deren  Figur 

Und  ihre  Wurzel  in  ihrer  Beugung  wie  deren  W^urzel. 

Erkl.:  Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Hunderter  an  der  linken 
Hand  wie  die  Zehner  an  der  rechten  Hand;  denn  sie  werden 
bestimmt  durch  den  Daumen  und  den  Zeigefinger.  Aber  Ibn 
Su'lah  weicht  ab  und  macht  sie  wie  die  Einer,  denn  er  sagt: 

Und  die  Hunderter,  nicht  wahr,  mache  sie 

An  deiner  Linken,  wie  die  Einer,  o  Besitzer  der  Wissenschaften' 

An  deiner  Rechten.  Bewahre  es  und  hüte  dich,  es  falsch  zu 
machen ! 
Und  die  meisten  folgen  der  Ansicht  des  Verfassers,  und  es  unter- 
stützt sie,  daß  die  Tausender  der  Anfang  eines  zweiten  Zyklus 
sind,  denn  sie  (stehen)  an  Stelle  der  Einer,  es  ist  also  passend,  daß 
sie  sind  (wie  die  Einer  —  Lücke  im  Ms.)'),  und  daß  die  Hun- 
derter sind  wie  die  Zehner  und  alles,  was  wir  erwähnt  haben  bei 
den  Zehnern.     So  stelle  es  hiernach  (durch  die  Fingerbeugung)  dar, 

I)  Dem  Sinn  gemäß  ergänzt.     Der  Grund  ist  ziemlich    fadenscheinig,    doch    auch 
nicht  viel  schlechter  als  der  für  die  andere  Anordnung. 


Arabische  Teste  über  das  Fingerrechnea.  nj 

denn  ihre  Darstellung   ist   wie    die  Darstellung   der  Zehner    und    ihr 

Prinzip  wie  deren  Prinzip  ohne  Unterschied. 

Text:  49.  Die  erste  Hundert  gleicht  der  Zehn  — 

So  fahre  fort  demgemäß,  o  Besitzer  der  Kunde! 
50.  Und  die  Zweihundert  ähnelt  den  Zwanzig  — 

So  bedenke,  denn  ich  habe  es  genau  erklärt! 
Erkl.:  Er  weist  daraufhin,  daß  die  Beugung  der  Hundert  def 
Beusuno-  der  Zehn  ähnelt,  denn  sie  wird  erzielt  durch  Setzen  der 
Spitze  des  Zeigefingers  der  Linken  auf  das  Gelenk  des  gestreckten 
Daumens  wie  ein  Ring;  und  darauf,  daß  die  Beugung  der  Zwei- 
hundert ähnelt  der  Beugung  der  Zwanzig,  denn  sie  wird  erzielt 
durch  Setzen  der  Spitze  des  Daumens  der  Linken  zwischen  die 
Wurzel  des  Zeigefingers  und  des  Mittelfingers,  wie  voranging.  Und 
fahre  fort  mit  der  Beugung  der  Dreihundert  und  was  nach 
ihr  kommt  bis  zur  Neunhundert,  gemäß  dem,  was  voranging 
über  die  Beugung  der  Dreißig  bis  zu  den  Neunzig;  und  dies  ist 
klar  dareelest  worden.  Hierauf  weist  er  hin  auf  das  vierte  (Kapitel) 
mit  seinem  Wort: 

KAPITEL  DER  BEUGUNG  DER  TAUSENDER. 

Es  eeht    von   Tausend    bis  Neuntausend,    und    es    schreitet    fürt 
um  je  Tausend,  und  in  ihm   sind  neun  Beugungen  enthalten. 
Text:  51.  Hierauf  ist  die  Beugung  der  Tausender  wie  die  Einer 
An  deiner  linken  Hand  gemäß  der  Vereinzelung. 

52.  Ihre  Anteile  sind  drei  Bestimmte, 

Dein  Mittelfinger  und  der  Ringfinger,    der    seinem  Kleiu- 
finger  folgt; 

53.  Setze  sie  auf,  wenn   du  zu  den  Wissenden  geh(>rst, 
So  wie  du  die  Einer  beugst,  andre  nicht! 

Erkl.:  Er  weist  darauf  hin,  daß  die  Tausender  an  der  linken 
Hand  (dargestellt  werden)  wie  die  Einer  an  der  rechten  Hand,  denn 
sie  sind  bestimmt  durch  den  Kleinfinger  und  den  Ringfinger  und 
den  Mittelfinger.  Und  es  weicht  Ibn  SuMah  darin  ab  gemäß 
seiner  Abweichung  bei  den  Hundertern;  denn  er  setzt  die  Tausendei" 
an  der  Linken  wie  die  Zehner  an  der  Rechten   und  sagt: 

Ebenso    die    Zehner    an    deiner    Rechten:    siehe,    sie    (bedeuten) 
An  deiner  Linken  die  Tausender   der  Reihe  nach. 
Und    die    meisten     schließen    sich     dem    Verfahren     des    Verfassers 
an,    gemäß    seinem    Verfahren    bei    den    Hundertern,    und    ilu-e    Beu- 
gungen werden   dargestellt  im  Kleinfinger  und  Ringfinger  und  Mittel- 


jl3  JuliusRuska, 

finger,  wie  wir  erwähnt  haben.  Und  sie  sind  wie  die  Einer,  denn, 
die  Tausend  sind  gemäß  dem  von  ihm  bevorzugten  Verlahreü 
gleichfalls  Annäherung  der  beiden  Enden  des  Kleinfingers  und  de.> 
Ringfingers  an  ihre  beiden  Wurzeln  von  der  Innenseite  der  linker- 
Handfläche.  Und  fahre  fort  gemäß  dem,  was  nach  beiden  folgt  bis^ 
Neuntausend;  es  ist  kein  Unterschied  zwischen  den  Darstellungen 
der  Einer  und  der  Tausender,  außer  daß  die  Einer  an  der  rechten 
Hand    und  die  Tausender  an  der  linken  Hand  sind. 

Text:   54.  Hierauf,  wenn  die  Zahl  steigt^)  auf 

Zehntausend,  so  wird  sie  niclit  vollendet. 

Erkl.:    Er    weist    darauf  hin,    daß,    wenn    du    gelangst    zu    den 
Zehntausend,  so  ist  diese  Wissenschaft  vollendet,   und  nicht  gibt 
es  darin    etwas    anderes.      Und    es  beschreibt   sie    (die    Zehntausend 
I  b  n  S  u  *  1  a  h  mit  seinem  Ausspruch : 

Und  Zehn  der  Tausende,  deinen  Daumen   vereinige 
Und  das  mit  dem  Zeigefinger,  o  Bruder  der  Erhabenheit, 
An  deiner  Linken,  und  richte  ihn  wie  einen  Ring,  so  höre! 
Wenn   du    zusammenschließest;     und     die    Sjjitze    mache    recht 
niedrig-). 
Und  der  Sinn  der  beiden  Verse  ist,  daß  du  die  Spitze  des  Zeigefinger» 
der  Linken  unter  ihren  Daumen  stellst. 

Und  Gott  der  E.  weiß  am   besten  das  Richtige, 
Und  zu  ihm  ist  die  Rückkehr  und  der  Heimgang. 


Es  ist  fertig  mit  Gottes  Preis  und  seiner  Hilfe. 


Über  den  literarischen  Wert  der  hölzernen  Reimereien  und  ihres 
Kommentars  ist  kein  Wort  zu  verlieren.  Ihre  Bedeutung  liegt  aut 
einem  Gebiet,  in  dem  ästhetische  oder  philologische  Alaßstäbe  nicht 
in  Frage  kommen;  als  Quellen  für  die  Geschichte  des  Fingerrechnens 
im  Altertum  und  ]\Iittelalter  harren  sie  der  kritischen  Würdigung. 
Ohne  hier  auf  das  gesammelte  weitschichtige  ^laterial  einzugehen, 
möchte  ich  als  Ergebnis,  das  sich  ohne  weiteres  aus  der  Über- 
setzung ergibt,  die  Tatsache  betonen,  daß  im  Bereich  des  Fin- 
eerrechnens   bei  den  Arabern  ebensowenig  wie  anderwärts   eine 

<Ü>  "^ 

Vorzugsstellung  der  Einer  vor  den  andern  drei  Zahlengrupi:)en  be- 
steht, und  daß  noch  viel  weniger  eine  Bezeichung  der  Einer  durcli 
das  Wort  ^'^ot    =  disiiti   denkbar    wäre.      Man     könnte    wohl    Einer 


'i> 


I)  Wörtlich    »fällt«     _Liiw>«. 

=)  Hier   folgen   im  Oriafinalgedicht   noch  sechs  Schlußverse. 


Arabische  Texte  über  das  Fingerrechnen.  Ijn 

und  Tausender  (oder  Hunderter)  als  dreifingrige,  Zehner  und  Hun- 
derter (oder  Tausender)  als  zweifmgrige  Zahlen  bezeichnen,  oder 
die  einen  »Zahlen  der  Rechten«,  die  andern  Zahlen  der  Linkeuv; 
nennen,  aber  Fingerzahlen  sind  die  höheren  Einheiten  ebenso  gut, 
wie  die  Einer  Gliederzahlen  sind,  da  sie  durch  Einschlagen  von 
Fingergliedern  dargestellt  werden.  Der  Araber  spricht  logisch  und 
folgerichtig  nur  von  den  B  eugun  gen  der  Einer,  Zehner,  Hunderter, 
Tausender.  Fingerbeugungen,  o^äc  ^itküd,  werden  natürlich  bei  der 
Handhabung  von  Geräten  zu  den  verschiedensten  Zwecken  ausgeführt; 
im  Zusammenhang  mit  dem  Fingerrechnen  wird  das  Wort  aber  durch 
einen  naheliegenden  Übergang  (vgl.  oben  J)lj>  —  Jy^J^  S.  89)  zum 
technischen  Ausdruck  für  die  durch  Fingerbeugungen  dargestellten 
Zahlen.  Man  sagt  ^^^43-^  L.w.*:>  JKär^  Er  beugte  55;,  wie  wir 
etwa  sagen  ;>er  griff  den  B-dur-Akkord« ;  man  gebraucht  ^xjLaöLj  Aä^^ 
»er  beugte  mit  ^seinen  Fingern  :  im  Sinne  von  :.er  rechnete  an  den 
Fingern«,  bis  schließlich  in  oL.w..^Jl  vAüc  'akada  "l-hisäba  nur  noch 
der  abgeblaßte  Sinn   »er  rechnete  ■   übrigbleibt. 

Von  Fingerbeugungen,  flcxus  oder  inflcxioncs  digitoruin,  spricht 
auch  Beda;  von  jener  Kunstsprache  des  Kolumnenrechnens  dagegen, 
in  der  die  Einer  als  digiti,  die  höheren  Zahlenstufen  als  articuli  be- 
zeichnet werden,  ist  keine  Spur  bei  ihm  zu  finden.  Der  Schluß 
drängt  sich  auf,  daß  diese  beiden  Ausdrücke  erst  von  Abbo  von 
Fleury  oder  kurz  vor  ihm,  also  in  der  zweiten  Hälfte  des  lO.  Jahrh. 
in  den  Klosterschulen  erfunden  wurden,  als  die  Kunst  des  Abakus- 
rechnens  eine  späte  Nachblüte  und  systematische  Durchbildung  er- 
lebte. Ich  möchte  aber  an  dieser  Stelle  nicht  weiter  auf  eine 
mathematikgeschichtUche  Frage  eingehen,  die  den  islamischen  Orient 
erst  in  zweiter  Linie  berührt. 


Mesopotamische  Studien. 

Von 

H.  Ritter. 

II. 

Vierzig  arabische  Volkslieder. 

Die  nachstehend  mitgeteilten  Lieder  sind  von  mir  während  meines 
Aufenthalts  im  Irak  und  in  Alesopotamien  1916 — 1917  gesammelt 
worden.  Die  als  bagdadisch  bezeichneten  stammen  von  einem 
belemgi,  einem  Bootsführer  in  Bagdad,  die  aus  Amara  von  einem 
jungen  Araber  aus  Amara,  den  ich  in  Bagdad  kennen  lernte,  die 
aus  Schergat  von  einem  aus  der  Nähe  von  Schergat  eebürtisen 
Gebbüraraberi),  die  aus  Mossul  endlich  von  dem  Imam  der  Nebl 
Schlt-Moschee  dortselbst,  ebenfalls  einem  Gebbüraraber.  In  Form, 
Metrum  und  Reim  stellen  sie  die  aus  Sachau,  Arabische  Volkslieder 
aus  Mesopotamien  (Abh.  der  Pr.  A.  d.  W.  1889),  Dalman,  Palästinischer 
Divan.  und  Meissner,  Neiiaralnsche  Gedichte  aus  dem  Irak  {MSOS. 
V,  VI,  VII)  bekannte  Form  der  '^Atäbe  bezw.  des  Lämi  (Meissner, 
MI,  S.  268  f.)  dar,  nur  daß  mein  Gewährsmann  aus  Amara  die  von 
Meissner  als  Lämi  bezeichneten  Lieder  BüdTje  nennt,  ein  Reimwort, 
das  aus  abü  adTje,  »der  ^lann  des  Leidens<;,  abgeleitet  wird.  Der 
Reim  geht  über  das  gemeinhin  als  solcher  Bezeichnete  hinaus.  Bei 
einer  musterhaften  ^Atäbe  soll  sich  das  Reimwort  der  ersten  Zeile 
in  den  beiden  nächsten  Zeilen  genau  gleichlautend,  aber  mit  verschie- 
dener Bedeutung  wiederholen.  In  unsern  Gedichten  ist  das  offenbar 
nicht  immer  streng  durchgeführt,  oder  die  Erklärung  müßte  falsch 
sein.  Vgl.  besonders  23  und  36.  Die  letzte  Zeile  geht  je  nachdem, 
auf  äbc  oder  fje,  eje  aus.  Die  Silbe  äbe  muß  öfters  sinnlos  hinzu- 
gesetzt werden.  Beim  Diktieren  wurde  sie  dann  meist  ausgelassen. 
Einige  ''Atäbe  und  BüdTje  wurden  von  meinen  Gewährsmännern 
ähnlich    wie    bei    Meissner    als   I\Iosläzvijc    bezeicjinet.      Über    das 

■j  Als  sprachliches  Kuriosum  möchte  ich  erwähnen,  daß  dieser  Araber  mir  seine 
Dienste  als  alci  =  asgi,  Koch  anbot.  Als  ob  die  Nähe  von  Assur  ilm  zu  dieser  assyrischen 
Dissimilation  verleitet  hätte! 


Mesopotamische  Studien.  121 

^Jetrum  ist  auch  aus  diesen  Proben  ein  klares  Bild  nicht  zu  ge- 
winnen. Schuld  wird  zum  grüßten  Teil  die  ungenaue  Überlieferung 
tragen.  Die  Unstimmigkeiten  mögen  sich  zum  Teil  daher  erklären, 
daß  in  einem  bestimmten  Dialekt  gedichtete  Lieder  von  Leuten  eines 
anderen  Dialekts  aufgenommen  und  mundgerecht  gemacht  werden^). 
^Verbesserungen  zu  machen,  ist  zwar  oft  möglich,  aber  jedenfalls 
stets  sehr  gewagt.      Die  Ansicht,    das   Metrum   sei   eine   Art    Wäßr 

'-> ^ ^ ,  scheint  dem  Richtigen  am   nächsten  zu 

kommen.  L^m  dieses  Versmaß  zu  gewinnen,  muß  man  eine  lange 
geschlossene  und  doppelt  geschlossene  Silbe  öfters  als  — w  auffassen, 
z.  R.  Nr.  3  in  den  ersten  Zeilen  [düf,  gfäl),  Nr.  39  {Jtyss  hädihmii). 
Auf  Durchführung  dieses  Schemas  ist  verzichtet,  auch  wo  sie  sehr 
nahe  lag.  Als  Dialektproben  haben  die  Gedichte  schon  aus  den  oben 
angeführten   Gründen  nur  einen  sehr  problematischen  Wert. 

Nach  meinem  Alossuler  Gewährsmann  wäre  die  Form  der  '■Atäbe 
speziell  den  GebbOr  eigen,  einem  halb  oder  ganz  seßhaften,  jetzt 
verarmten  Stamme  längs  des  Tigris  ober-  und  unterhalb  Mossul 
bis  herab  nach  Bagdad  und  am  Chabur  (Nordgebbür  unter  dem 
Scheich  Tähä  el-Mismär)  und  zwischen  Hille  und  Divvanije  (Süd- 
gebbür  unter  Muräd  el-Halll).  Mein  Gewährsmann  aus  Amara  will 
jedoch  seine  Lieder  von  den  Ma'-dän-'^\.7iVi\v(\QVL,  den  Sumpfarabern  in 
den  südirakischen  Hors,  haben. 

Die  Übersetzung  ist  etwas  freier  gehalten,  um  den  Eindruck  des 
hie  und  da  nicht  reizlosen  Originals  nicht  allzusehr  verloren  gehen 
zu  lassen.  Sie  beruht  auf  den  Erklärungen  der  Gewährsmänner,  wenn 
eine  Abweichung   von    diesen   nicht   besonders    angemerkt   ist. 

Ein  Wort  ist  noch  zu  sagen  über  die  Eigentümlichkeit,  daß 
überall  die  männlichen  Formen  auch  da  stehen,  wo  offensichtlich  ein 
Mädchen  gemeint  ist.  Mein  Gewährsmann  sagte  mir,  der  Gebrauch 
der  Femininendung  sei  ''aib  ^=  nicht  anständig.  Es  liegt  hier  also  zur 
literarischen  Form  erstarrt  die  Auffassung  vor,  daß  die  Liebe,  die 
als  :  potior«  romantisch  verklärt  und  besungen  wird,  die  mann-männ- 
üche  ist,  eine  Auffassung,  die  uns  ja  aus  dem  Altertum  bekannt  und 
in  der  orientalischen  Stadtkultur,  unter  persisch-griechischem  Einfluß, 
ziemlich  früh  nachzuweisen  ist.  Selbstredend  tritt  auch  die  religiöse 
Sublimierung  der  Erotik  in  der  Mystik  in  dieser  Form  auf  Ein 
A'Iadonnenkult  wäre  auch  aus  diesem  Grunde  im  Islam  undenkbar-). 


')   Oder  dalier,   daß  beim   Gesang  andere  Vokale   eingesetzt   werden,   als  beim  Dik- 
tieren, vgl.  Littmann,  Naiarah.   Volkspocsic  .S.  12  I- 
*)   ^  &!•   auch  SiNGEK,   Aval),  n.  eiirop.   Poesie  int  Mittelalter.   S.    1 1  f . 


12'' 


H.  Ritter, 


Herr  Geheimrat  Littmann  hatte  die  große  Güte,  eine  Korrektur 
zu  lesen  und  mir  zahh'eiche  wertvolle  Verbesserungen  und  Beiträge 
zur  Verfügung  zu  stellen.  Seine  Bemerkungen  sind  durch  L.  ge- 
kennzeichnet. 

'■Atäbc  aus  Schergat.  i. 

'Atabe  min  gamn  el-gajb  halgän,      Aus  tiefstem  Herzen  ibt  mein  Liect 

geboren. 
Ja  läbis  min  etjäb  el-meles  hulgän,      Die  du  aus  Seide  dir  ein  altes  Kleid 

erkoren, 
Ana    le    säjaltak    bin-nebi    mncn      Wenn  ich  dich  fragte,  wer  hat  dich 

halgän?  geboren  r 

Hajgän  imnil-nidä  mä  iT  had[äba].      Du  sprächst:   »Ich  Avard  aus  Tau 

ein  elternloses  Kind!« 

Desgl.  2. 

Ja  galbi,  nöb  hen   unöb  henäk  Bald  hier,  mein  Herz,  bist  du,  bald 

bist  du  dort, 
'Ala  c-cän   ugtü'  ez-Zäb  henäk  Jenseits  des  Sab  war  der  Geliebten 

Ort; 
Tä  o-albT,  eemnöbten-nöbenhenäk!      Du  bist  rebellisch,  hürst  nicht  auf 

mein  Wort, 
'Anüd  umä  bada'  bik  gawäb[al.         Wie  oft  schon  hab  ich's  dir,  mein 

Herz,  verwiesen! 

DesgL  3- 

Hadöl  el-bid,  wes  bidi  'alehum  O  jene  Schönen,  was  vermag  icli 

über  sie? 
Usab'a  gfäl  mebnije  'alehum!  Ach,    siebenfache  Schlosser  baut* 

man  über  sie! 
LfinT  ter  el-asgat  'alehum  Bin  doch  kein  Vogel,  der  da  flöge 

über  sie, 
WelänT   tög   el-asbie  bil-ergäbiaj !      Kein  Halsschmuck,  daß  ich  mich. 

um  ihren  Nacken  hinge! 

Desgl.  4- 

lä    f£alib,     terric     el-hasbät     wel-      Laß  fahren,  Herz,  das  Grübeln  unc' 

hemm!  das  Grämen! 

Ubidi  lashan  ez-zernüh  welhem.        Will  stoßen  selber  mir  Arsen  und 

nehmen. 
Matä  tigüni   [jäj  sejjrdt  el-hemm        Wann  kommt  ihr  her,  die  Last  mi: 

abzunehmen 
Tesilu     1-heml     wahnä     nemsT  Ihr  Träger,    daß    ich    leicht    von 

'afäfba]?  dannen  gehe? 


Mesopotamische   Studien.  I  2  > 

'■Atäbe  aus  Bagdad.  5- 

la,  hes-säMg  il-markab,  wilek  dar!      Hallo,  du  Schiffersmann,    halt  an 

mit  deinem  Boot, 
Dugaf  daseilak  hemm!  wil-ekdär!      Daß     meinen     Kummer,      meine 

Schmerzen  auf  ich  lade! 
Hak    gasren    bil-genne   wilek    dar,      I^in  Haus,   zwei  Schlösser  sind  im 

Paradiese  dein, 
Bas   tösal  es-seläm  ilel-ehbäbia!].      Nur    bringe    meinen    Gruß     dem 

fernen  Freunde! 

Desgl.  aus  Mossul.  6, 

Ana  wed-dlb  wel-büme  'alä  hadd      Mit  Eul'   und  Schakal  bin  ich  eins 

geworden, 
Suwä,    wehmflm    dellfdi  'alä  häd.      Das     größte    Lasttier    nur    kann 

meinen  Kummer  tragen. 
Remäni  d-dahr  mädahhig  'alä  had      Das  Unglück  warf  mich  hin,    ich 

blicke  niemand  an 
We'ätabtez-zeman*alag-gerä[ba].      Und  klag  das  Schicksal  an  für  was 

geschah. 

Desgl.  7. 

Lö  jisma'  bcäi  1-bQm  dall  cän  Die  Eulen,  wenn  sie  meine  Klagen 

hörten, 
Garib,  umin  genähu  neser  dill  cän.      Sie    blieben    nahe    mir   mit   ihrer 

Flügel  Schatten. 
Ribä'an  bin-nezil  mämurr  dölcen      O  Freundeskreis  im  Stamm!    Ich 

meide  euch, 
'Aban   mäsüf  min  wilfi  hadä[ba].      Weil    ich    von    meinen    Liebsten 

niemand  sehe. 

Desgl.  aus  Amara.  8. 

Jäbu  s-sa'r  il-'ala  c-citfen  näzil,  Du,  der  das  lange  Haar  auf  beide 

Schultern  fällt! 

Weheh  min  ifräg  il-wihf  näzil.  Gebrochen     hat     die    Krait     der 

Liebsten  Scheiden  mir. 

'Amämi,  lä   tib'adun  il-manäzil !         O  Vettern,  zieht  von  unsern  Lagern 

nicht  so  weit! 

Garib  id-där  wimffirig  il-eh-  Ach,  fremd  bin  ich  /u  Haus,  seit 
bäb[a!l.  ich  von   ihr  geschieden! 


124  ^"    l^itter, 

Desgl.  9. 

Jäbu  s-sa'r  il-'ala  c-citfen  hellet  Du ,     der    die     Locken    um     die 

Schultern  wallen. 

Süägl  min  idmü'  il-'en  hellet.  Sieh,  Wasserrinnen  hab  ich  voll- 

geweint. 

Ja  sehr  ifräghum   lä    cän   hellet,        O  Mond  der  Trennung,  wärst  du 

nie  erschienen. 

Gatit.    ubik  färagna  1-ehbäb^a].  Du    arger     Mond,     in    dem     von 

ihr  wir  schieden! 

BüdTjc  aus  Amara.  10. 

Lafrah  bil-jigi  ulahzan   'ala  r-räh        Nicht  freut  mich,  wer  da  kommt, 

nicht  grämt  mich,  wer  da  geht, 

*Alä  sog  is-sigäni  r-räh  bir-räh.  Aus  Lieb  zu  dem,  des  Hand  mit 

Wein  mich  tränkte. 

Wehagg  min  tebbet  il-hamse  'ala  Bei  dem,  der  an  die  Hand  die 
r-räh.  Fünfe  fügte, 

Tibat  hubbak  ibgajbi  lin-nehije.        Fest    ruht    die    Lieb'    zu    dir    in 

meinem  Herzen, 

DesgL  II. 

Jefärigni  1-jehibb  ga|bl  wejinsä  Es  scheidet,  den  mein  Herze  hebet, 

und  vergißt: 
Lifäni  1-mä   'ärif  tab'a  wejinsä  Ein    Fremder    nur    an   Sinn    und 

Art  kehrt  ein  bei  mir. 
Adyll  agra    d-dahar  bictnä  wejinsä      Mein    Unglück    bet"    ich  ihm  ins 

Ohr  und  er  vergißt's. 
Enisdä  wIguUl  sinhu  1-gadije.'  Ich  frage    ihn,    er    spricht:      was 

wolltest  du  von   mir? 

"Atäbc  aus  Bagdad.  12. 

Dufag  dam'l  u  sejjar  sufun  ja  rög!      Der    Strom     der    Tränen     bricht 

hervor,  läßt  SchifFe  fahren: 
Usejjebni    zemäni    gabol    märög.      Ach!  Viel  zu  früh    hat    mir    die 

Zeit  das  Haar  gebleicht. 
Dubballäh  lä  tehubt  el-mäi  ja  rög!      Um    Gott,    o     Welle,    rühre    mir 

nicht  das  Wasser  auti 
Tehedde  da  irauwün  el-ehbäba]!      Halt   stille,    bis  die  Freunde    satt 

betränkt! 


Mesopotamisclie   Studien.  I  2  s 

Büdljc  aus  Bagdad.  13. 

Tijür   el-bis-semä,   ja    näs,    saffan,      Die  Vögel  bilden  fröhlich  spielend 

Züge. 

We'jünl  min  el-bwäci  müh  siifan.      AleinAuge  ward  vom  vielenW einen 

weiß. 

Ana  lö  haj^get  gälau :  räh  saffan.  Flieh  ich,  so  nennen  sie  Land- 
streicher mich, 

Welö  dallet,  Vlla  tesir  bije.  Und    bleib  ich   hier,  so  werd  ich 

krank  vor  Sehnen. 

''Atäbc  aus  Bagdad.  14. 

Tijür  el-bis-semä,  ja  näs,  til'ab,  Die  Vögel  unterm  Himmel  spie- 

len fröhlich, 

.Unefsi  lö  serabt  el-mäi  til^ab.  Mir  bringt  der  Wassertrunk  selbst 

Übelkeit. 

'Agybkum  lä  helä  IT  le'ib  wal'ab,      Nach    deinem    Scheiden    ist    mir 

jedes  Spiel  vergällt, 

Welä  sinni  dahak  wintü  giäbia].        Nicht    lacht    mein    Alund,    solang 

du  in  der  Ferne. 

Bnäljc  aus  Bagdad.  15. 

^\lai  sef  el-lahad  jed'^ag  tisille,  Des    Blickes    Schwert,     Schwarz - 

äuge,  zückst  du  gegen  mich. 
Werühi  bnär  hygränak  teselle.  Es   schmilzt  dahin  mein  Geist  in 

deiner  Trennung  Feuer. 
Tgül  en-näs:  ja  muhsin.  teselle.        Die  Leute  sagen  mir:   O  Aluhsin! 

Tröste  dich! 
Cef  aslo  l-\vilif  lö  'ann  '^aleje?  Wie  kann   vergessen  ich,   kommt 

sie  mir  in  den  Sinn ! 

'-Atäbe  aus  Schergat.  16. 

Erid  ersil  seläml   'as-selönl  Die    mich    vergessen  haben ♦    will 

ich   grüßen, 
Umitl  es-saham  bil-mugla  selöni        Sie,    die    wie    Fett    mich     in    der 

Pfanne  brieten. 
Usellöni,   aUäh  jesillhum;    selöni       Die  Schwindsucht  hole,  die  mich 

krank  gemacht,  vergaßen, 
Uankarau  hadäk  ct-ta'äb[a].  Und    leugnen,    wie    ich    mich    für 

sie  gecjuält. 


126 


H.  Ritter, 


Desgl.  aus  Mossul.  17. 

Tahabbar  uarh  dallälT  c-atätlb.  Des    Herzens     Wunde     schmerzt 

wie  Nadelstiche; 

Mädunn  el-färag  wilfu  gat  itib.  Wem  die  Geliebte    schied,    wird, 

furcht  ich,  nie  gesund. 

Ana  maslak  lö  jesla  1-gata  tib  Ich  kann  dich   nie  vergessen   und 

vergäße 

El-manäm  wejutruk  ed-dlba  el-  Das  Flughuhn  selbst  des  Schlafs, 
'awä[ba|.  das   Heulen  der  Schakal. 


BiutTjc  aus  Amara. 


18. 


Il-'ädil  mä  'adal  geirl  welä  Ulm,        Es  tadelt  mich  der  Tadler,  schmäht 

der  Schmäher, 
Uhazzan  gerh  dallälT  welä  lamm,      Die   Wund'    im    Herzen     schwor, 

doch  er  verband  sie  nicht. 
Isma  bglm,  lä  käf  welä  läm  :  Sein  Namenszug  ist  Dschim,  nicht 

Kaf  noch  Lam, 
En   ufe   uharf  er-re  suwije.  Und  Ain  und  Ee  und  Re  in  eins 

vereint    zusammen    (Dscha*far). 


yiosläwije  aus  Amara. 


19. 


Ruwe  z-zeitün  min  dem'T  wal-aräk.      Der   Ölbaum    trank    sich    satt    an 

meinen  Tränen, 
Wil-gerak  mä  nahal  gismlulä  rakk.      Um  dich  nur  hat  mein  Leib  sich 

oanz  verzehrt. 
Ahäf  yttül   gäbetnä   weläräk,  Zu  lange,  furcht  ich,  bleibst  dem 

Blick  du  fern. 
Gabul  wasjak  tibädirni   1-manTje.        Der   Tod    ereilt    mich    vor    dem 

Wiedersehen. 


r^esgl. 


20. 


Wehagg  it-tln  wiz  zeitün  weihüd:      Bei  Eeige,  Ölbaum   und  der  Sure 

Hüd: 
Ugalbl  mä  inäm   il-lcl   weihüd.  Mein   Herz    fmd't    keinen    Schlaf 

des  Nachts  noch  Frieden. 
Särat  irädeti   'id  kutur  weihüd,  Bei  Heid    und    Juden    wohnt    das 

Ziel   des  Sehnens, 
Lö   1-isläm   rä  hannau   *aleje.  Wär'n  Gläub'ge  sie,  so  hätten  sie 

Erbarmen. 


Mesofiotamische  Studien.  [  2 


^1 


Desgl.  21. 


Wehagg  it-tin  wiz-zeitün  vven^äm:  Bei  Feige,  Ölbaum  und  der  Gna- 
densure: 

UsaV  hubbi   mneddibäg  vven'äm.       Wie     Atlas     ist    ihr     Haar     und 

Straußenfedern. 

*Tmet  'en  il-mä  isauw  Ttlb  wen'äm,      Blind  sei  sein  Aug',  der  keine  Güte 

kennt, 

jiridd  wilfl  wigma'nä   suwTje.  Gibt    er     sie    nicht     zurück     und 

eint  uns  beide. 

Desgl.  22. 

Wehagg  it-tin    wiz-zeitün    wabra :       Bei    Feige,      Ölbaum     und     Los- 

sagungssure: 
Citehii  hel-jisidd  bir-räs  wabra.  Die    sich    das     Stirntuch     bindet, 

mordet  mich. 
Atimm  wägufjä  helw  it-tül  wabra.      Mein  Auge  ist  an  deinen  Wuchs 

gefesselt ; 
Abad  mä   jincisir  gajbak  'aleje?         Ach!  Bricht  denn  nie  dein  Herze 

über  mir?" 

Desgl.  23. 

Libas  cittän,  wirdäna  juhutt  bi ;         Am    Ärmel    ihres    Linnenkleides 

schleift  sie  mich ; 
Wänäl-maksür  min  zirri  W'Ihutt  bi.      Zerbrochenen     Gebeines     schleift 

sie  mich. 
Bneja  lag  lic  geri  duhutbÜ  Mädchen  ist  dir  ein  andrer  lieb? 

Verlobe  dich! 
Wänä  zenät  mä  gallan   'aleje.  An  schönen  Mädchen  hat  mir's  nie 

gefehlt. 

MosläwTjc  aus  Amara  24. 

T^ibas  hvsr  il-*aglg  ulivsyr  mandall,      Sie  trug  den  Onvxreif  und  einen, 

der  mir  fremd, 
Ugalbi   filh  föh  il-mäi  bid-dall.  Da  wallt  mein    Herz    emrxfr    wie 

Wasser  in  den   Kannen. 
Habibi   I-citt  ;uvudd;i    Ics  beddel?      Warum   ward  sie  mir  untreu,   die 

ich  so  geliebt? 
Nisäni   walä   ba'd  jis'al   'aleje.  Vergessen  hat  sie  mich   und  fragt 

nicht  mehr  nach   mir. 


]28  H.  Ritter, 

'^Atäbe  aus  .Vmara.  25. 

Libas  hysr  il-*agig  uhysyr  selmän,      Onyx-   und  Seimanreifen  legt  sie 

an, 

Ümä  had  min  ihmüm  il-galyb  Da  blieb  nicht  eine  Herzenssorge 
selmän.  heil. 

Nehet  il-*Asceri  wimäm  Selmän         Zu  Askeri  und  Selmän  flucht  ich 

mich 

Utälithum  'All  dähi  l-ab\väb[a].  Und  zu  Imam  Ali,  dem  Pforten- 

stürmer, 

Mosläzüije  aus  Amara.  26. 

Hdedak   'enab  lö  tyffäh  weiwei,        Dein   Wänglein    ist    wie  Trauben 

oder  Apfel, 
Wilak      mes'al     ibnuss      il-ga]yb      Im  Herzen    leuchtet    eine  Fackel 

weiwei.  dir. 

Lizamta  mnil-nehed  usäh :  weiwei !      Ich  griff  nach  ihrer  Brust,  da  schrie 

sie :    Wehe ! 
Ibbet  ahli  witmidd  idak  'aleje!  Im  eignen  Haus  vergreifst  du  dich 

an  mir! 

'■Ätäbe  aus  Schergat.  27. 

Imfarra'  bit-teräcl  weg-gedile.  Mit  Zopf  und  Ohrring  nur  bist  du 

geschmückt. 
Uzidi  när  galbl  we^edi  le!  Vermehre  nur   mein  Feuer,    fach 

es  an! 
Hada*  bedr  el-kawäcib    weg-gedi      Vollmond  und  Steinbock  neigten 

le,  sich  vor  ihr, 

Dizzü   'as-sems  ec-caus  gäb[a].  Sendet      zur     Sonne,      daß      ihr 

Tschausch  verschwunden  ^). 

DesgL  28. 

Ja  hel-wägif  'alä  ras  ed-dawälT  O    die    du    stehst    am    Kopf  der 

Wasserbecken ! 
Zog  el-ihgül  bisägah  dawäh  Das   Paar    der    Reifen    klirrt    an 

deinen  Füßen. 
Jedikrünak  ja  nähi  nte  dawä  iT  Man    nennt    dich,   Schönste,    oft. 

du  meine  Arzenei ! 
Uhernä  bik  ja  emir  es-sibäb[a].         Verwirrt     sind    wir    durch     dich, 

der  Jugend  Königin. 

i|  Da  der  Mond,  der  Sergeant  der  Sonne,  vor  der  Schönheit  der  Geliebten  erbleicht 
ist,  soll  man  die  Sonne  benachrichtigen,  daß  sie  erscheinen  und  der  Welt  wieder  Licht 
geben  soll.     Die  Sonne  ist  gleichzeitig  die  Geliebte. 


Desgl. 


Mesopotamische  Studien. 
29. 


129 


Ja  nähi,  m'il  kuhlak  mäsm  a'näk.      Der  Schminkstift    zeichnet   deine 

Augen,  Schöne. 
Temin  umin  iMäl  el-mäs  ma*näk.      Kostbar    dein    Wesen    ist,    dem 

Demant  gleich. 
Ja  hel-nädet  'alena  mä  sma^näk:       Mag  rufen,  wer  da  will,  wir  hören's 

nicht : 
Sikirnä  fi  hadit  min  es-sibäb[a].        Die    Jugend    macht    uns    trunken 

im   Gespräch. 


Biidije  aus  Amara 


30. 


Bhydwat  lel  näblnl  wänäbik,  Laß  plaudern  uns    im'  Schweigen 

später  Nacht, 
'Asanna  1-häligak  ja   esgar    wenä      Dein  Schöpfer,    Blonde,    hat   mit 

bik.  Muße  dich  gebildet. 

Näs  ibnäs  mybtelje  wenä  bik,  Mag    lieben     wer    da    will,     mich 

lassest  du  nicht  ruhn, 
Sibih  Ges  ibtile  bil-'Amrije.  So      machte      Leila      liebeskrank 

Medschnun. 


Mosläiuije  aus  Amara. 


3i. 


Helak  bismak  inädünak  ja  hässün,      Sie  rufen  dich  bei  deinem  Namen, 

Schöne, 
Sebe'  sijäs  bil-gydle  jehissün.  An  deren  Locken  sieben  Knechte 

strählen. 
Erid  astl  wähäf  helak  jehissün  Ich  möchte  zu  dir  stürzen,  doch 

ich  furcht',  sie  hören  mich, 
Wähäf  icläbkum  timbah  'aleje.  Und  furcht',  daß  eure  Hunde  nach 

mir  bellen. 


Buäije  aus  Mossul  32. 

Imdajja'  wel-haläwe  alfen  säml 

Mnegl  ed-dägga  'as-sadir  sämi 

Fetelit  *ag-Gezira  ubahr  §ämi 

Atäriha  bzöwet  el-Jüsufije. 

Islam  X. 


Verloren  ist  sie.  Tausend  Groschen 
Finderlohn 

Für  die,  die  ihre  Brust  mit  Malen 
zeichnet! 

Irak  und  Syriens  Meer'  durchirrte 
ich. 

Gewiß  ist  sie  gar  weit  in  Josefs- 
landen (.^) 


130 


'■Atäbe  aus  Basfdad, 


H.  Ritter, 

33- 


Ja  dar  el-*izz,  rä*ini  warä'ic ! 
Weläni  särih  bhösic  warä'ic. 
Se*eltic  bin-nebi  wer  rä'Tc? 


Acht  mich,  du  stolzes-  Haus,  daß 

ich  dich  achte! 
Nicht    bin    dein    Hirte    ich    und 

Rindertreiber. 
Sprich,    beim    Propheten    sprich, 


wo  ist  dein  Herr? 
Gidau  ja  hasreti  hadr  el-eträb[a].      In    Staubes    Schoß,    o    Unglück, 

sanken  sie. 

Desgl.  ■  34- 

Irmäni  d-dahr  wida'ni  bijädai  Das  Schicksal  warf  mich  hin,  ließ 

mich  in  Fremder  Hand; 

El-*agam  woltom  'ala  hdüdi  bi-  Die  Hände  schlag  ich  schmerzvoll 
jädai!  vors  Gesicht! 

Gidau  ja  hasreti  mä  dalla  bijädai      Hinweg  sind   sie,   nichts  blieb   in 

meiner  Hand 

Siwä  'add  es-sawähid  bil-enjäb[a].      Als    in    die  Finger  mir   im  Gram 

zu  beißen. 

Desgl.  aus  Amara.  35. 

Von  einem,  dessen  ganzer  Stamm  vor  ihm  weggestorben  war: 

Es  hat  die  Zeit  mich  gänzlich  ab- 
geschnitten. 
Läßt  mich  für  immer  an  des  Un- 
glücks Seite. 


Gyta'  bija  zemäni  gat'  bettäi 
Uhalläni  ge'id  id-dahr  lit-täl. 
Rah  il-'et,  ginna:   l-halaf  bit-täl, 
Räh  it-täl  wingata'  ir-rigä[ba]. 


Die  hohe  Palme  ging,  der  Sproß 
sollt  sie  ersetzen, 

Es  ging  der  Sproß:  Hin  sank  der 
Hoffnung  Strahl. 

Desgl.  36. 

Ein  großer  Stammesfürst  ward  einst  von  einer  schweren  Krank- 
heit heimgesucht.  Da  fiel  sein  Haus  und  Stamm  von  ihm  ab,  und 
als  er  von  seiner  Krankheit  genas,  fand  er  sich  verlassen  und  allein. 
Nur  sein  treuer  Hund  Leo  war  bei  ihm  geblieben  und  hub,  als  er 
das  Los  seines  Herren  sah,  zu  weinen  an.  Da  sprach  sein  Herr 
zu  ihm : 
Helek  sälo  'alä  makhül  ja  Sir,  Dein  Stamm  zog  fort,  mein  Schir, 

auf  stolzen  Rossen, 
Wedabbö  lak  *adäm  il-hüt  ja  Sir.      Fischgräten   warfen    sie    dir    vor, 

mein  Schir. 


Mesopotamische  Studien.  j  ■?  I 

Welö  tibcl  kull  id-dam'  ja  Sir:         Und  wenn    du    deine  Tränen    all 

vergössest: 
Helek  rähö  *alä  yoms  uHamä[ba].      Nach   Homs,   nach  Hama,    Schir, 

sind  sie  gezogen. 

37- 

Als  er -weiter  seines  Weges  zog,  hörte  er  bei  einem  Wehgesang, 
wie  ihn  die  Frauen  an  den  Gräbern  anstimmen,  die  Stimme  seines 
ungetreuen  Weibes  Dinja.     Da  sagte  er: 

Sima*nä  bil-ma*äde  hiss  id-Dinjai,      Der  Dinja  Stimme  hörte  ich  beim 

Klagesang, 
Cida  haddl  uhänet  bije  d-dinjai        Es  schwand  mein  Glück,  die  Welt 

(Dinja)  ward  treulos  mir. 
Walä  had  gäl :    mescin  iddinj  jai      Nicht  einer  spricht  zu  mir :   »Du 

Armer,  komm  herbei, 
Tigallat  *ala  1-fräs  min  il-eträb[a].      Komm   auf  das    Polster   her   aus 

deinem  Staub!« 

Desgl.  aus  Bagdad.]  38. 

Ein  anderer,  dessen  Sippe  vor  ihm  gestorben,  und  der  ins  Un- 
glück geraten  war,  sprach,  mit  Trauer  der  früheren  Gastfreiheit  seines 
Hauses  gedenkend: 

Hell  jähl  el-mhammas  wel-berigi!      Mein  Haus,   o  Haus  des  braunen 

Kaffees  und  der  Kannen! 
Ja  gahwet  gerkum  handal  birigl!      Wie  bitter  schmeckt,  o  Schmach, 

der  Fremden  Kaffee  mir! 
Hell  ja  gemet  el-bihä  berigi :  Du  glichst,  mein  Haus,  blitzenden 

Regenwolken : 
Gidau  hadr  et-tegil  min  el-eträb[a].      Dahin    sind    sie   gegangen    unter 

schweren  Staub. 
Desgl.  aus  Mossul.  39. 

*Alä  mitl  el-ligä  jäti-belähum  Schildkröten  gleich^),  so  schreiten 

ihre  Tiere 
Seri*  wehyss  hädihum  belähum.        Gar   schnell,    es   bannt   der  Sang 

des  Treibers  sie. 
Ana  1-milhif  limalgähum  belä  hum      Bei    ihnen     sein,     das     ist     mein 

Sehnen,  doch 
Jehissün  er-rakä'ib  'as-serä[ba].  Sie    treiben    die   Kamele    an    zur 

Reise. 

^)  Jeder,  der  einmal  eine  Kamelkarawane  am  fernen  Horizont  hat  vorbeiziehen  sehen, 
wird  das  Treffende  dieses  Vergleichs  empfinden.  Die  Langsamkeit  ist  natürlich  nicht 
tertium  comparationis. 

9* 


1^2  H.  Ritter, 

40. 

Serat  wesret  rekä'ibhum-nel-läl  Die    Karawanen    reisten    in    der 

Nacht 

Ibzeze  mä  lahum   'Ina  min  el-läl.      Im  Wüstendunst,  von  keinem  Aug' 

gesehn. 

Ja  hädi  l-'is  mä  jubtul  min  el-läl      Der  Treiber  singt:     »Es  gibt  nur 

einen  Gott«, 

Imsawwas  fi  guräm  el-Mustafä[ba].  Verwirrt  in  Liebe  zu  dem  Aus- 
erwählten. 

Anmerkungen. 

I.  Der  Sinn  der  zweiten  Zeile  soll  sein:  Sie  ist  so  schön,  daß  sie  des  Schmuckes- 
durch  neue  Kleider  nicht  bedarf, 

4.  Vgl.  Meissner,  II,  98.  Ich  habe  mir  als  Aussprache  dernük  notiert,  zweifle 
aber  jetzt,  ob  das  richtig  ist.    [Z  kann  vor  r  leicht  zu  {Jo  werden.     L.] 

5.  Zu  wilck  in  Zeile  i  vgl.  Meissner,  Neuar.  Gedichte  I,  93,  Anm.  10.  dar  = 
daß  ich  sehe,  vgl.  türk.  4ur  baqalym ! 

6.  delläl=  Herz,  s.  Meissner,  a.  a.  O.  I,  90,  Anm.  3. 

fiäd  für  hed,  altes,  großes  Kamel  —  vgl.  Socin,  Diwan  aus  Centralarabicn^ 
Glossar  s.  v.  —  zu  adalihig  vgl.  hadqa  der  Augapfel. 

7.  rab'-a  ist  die  Verwandtschaft  und  Freundschaft,  nezil  wird  erklärt  als  gleich 
klassisch  hai,  der  Clan,  Gruppe  mehrerer  Zelte,  döl  =  mugiatna^  vgl.  Socin,  Diw. 
Gloss.  s.  V.  "-aba?}  =  'a/ö  bPan  =  Wan.  [Eher  vielleicht  aus  'a-bäl-mä  »bis,  bis  daß« 
oder  ,...0  A£.  ^'  'aban  »weil«.  L.]  Er  geht  nicht  an  dem  Kreis  der  eigenen  Ver- 
wandtschaft vorüber,  meidet  sie,  weil  seine  Geliebte  bei  einem    fremden  Stamme  ist  (?). 

8.  Dasselbe  Gedicht  bei  Meissner  a.  a.  O.,  S.  98,  ein  ähnliches  bei  Sachau  a.  a.  O.. 
'■Atäbe  X.     Man  sieht,  wie  willkürlich  mit  den  Versen  umgegangen  wird. 

9.  Vgl.  die  Fassung  bei  Sachau  a.  a.  O.,  S.  36.*  ui^xÄc  in  der  letzten  Zeile  sieht 
fast  wie  eine  Sohriftvariante  von  \£>^t.  aus.    Zu  dem  ersten  hellei  vgl.  Sachau  a.  a.  O.,, 

S.  35- 

11.  sinhu  l-qadijc  etwa:  Was  ist  los? 

12.  ja  rög  in  Zeile  i  wurde  von  meinem  Gewährsmann  wie  in  Vers  3  als  »o  Welle!« 
bezeichnet.  Das  ■  paßt  jedoch  nicht  recht,  auch  ist  die  Wiederholung  des  Wortes  mit 
demselben  Sinn  in  Zeile  3  unwahrscheinlich,  mä  arög  nach  dem  räwT  »bevor  ich  reif, 
bereit  werde«. 

13.  Zu  sufa  vgl.  Meissner  a.  a.  O.,  S.  97,  Anm.  15.  saßan  =  sich  unnütz 
umhertreiben. 

14.  Der  Plural  bezieht  sich  auf  eine  Person,  ebenso   16  usw. 

15.  teselle^  tesille  in  Zeile  i  von  sll,  Zeile  2  von  sP  (du  läßt  im  Feuer  schmelzen),. 
in  Zeile  3  von  slw, 

16.  Das  erste  selöni  von  siw,  das  zweite  von  s?  (so  wohl  auch  bei  Daiman  a.  a.  O.,. 
S.  69,  wo  doch  wohl  etwa  salöni  statt  sälüni  zu  lesen)  usellöni  und  alläh  jesillhunt 
von  asalla. 

17.  Eine  etwas  andere  Fassung  bei  Meissner,  II,  S.  104  und  Dalman,  S.  7. 
tahahbar  erklärte  der  räivi  mit /asad,  schlimm  werden.  Vielleicht:  Sie  schmückte  = 
versah  sich  mit  Nadelstichen  (?  f). 


k 


Mesopotamische  Studien.  1^3 

i8.  fyazzan  nach  Meissner,  I,  S.  92,  Anm.  3,  intransitiv  übersetzt.  Der  rärtrt 
•erklärte  durch /assad.     Zu  /emm  vgl.  kmlem  Meissner,  II,  S.  106,  Anm.  16. 

19.  Wörtlich:  der  Ölbaum  und  der  Aräkbaum  (von  dem  der  Miswäk  stammt) 
weläräk  =  welä  aräk. 

20.  Vgl.  Sure  95,  I.  Heide  und  Jude  sind  das  Bild  für  die  unbarmherzigen  Eltern 
der  Geliebten. 

21,1  Sure  6. 

22.  wabra  in  der  ersten  Zeile  =  wahara'a,  Sure  9;  in  der  zweiten  Zeile  das  in 
Bagdad  wabrlje  genannte  Stirntuch  der  Frauen,  ^vabra  in  der  dritten  Zeile  =  wa'ahra 
ich  blicke. 

23.  zirr  als  Schenkelknochen  erklärt.     Vgl.  Socin,  Diwan,   s.  v.  zur. 

24.  ^jsr  =  Armring. 

25.  Was  ein  Seimanreifen  ist,  wußte  der  ;-«te/F nicht.  [Vgl.  Lane  I  I4i5(?).  L.]  Das 
Grab  Selman  Paks  unweit  Ktesiphon  ist  durch  den  Sieg  Oberst  Nureddins  über  die 
Engländer  am  22.  November  19 15  auch  in  Deutschland  bekannt  geworden.  Der  Ehren- 
name Alis:  dä/n  l-abwäb,  bezieht  sich  angeblich  auf  seine  Verdienste  bei  der  Belagerung 
von  Chaibar. 

26.  Dasselbe  Gedicht,  Meissner,  II,  S.  112.  Mein  Gewährsmann  behauptete,  das 
erste  wciwci  sei  Name  eines  Orts,  der  durch  Apfel  berühmt  sei,  oder  Ausruf  der  Ver- 
wunderung, das  zweite  sei  gleich  ^vagzvag  =  ista''al  sich  entzünden.  Der  Sinn  der  zweiten 
Zeile  ist  nicht  recht  klar.    Ich  hatte  zuerst  übersetzt:  In  meinem  Herzen  lodern  Fackeln  dir  (?). 

27.  mfa7-7-a'-  =  käsif  er-räs,  vgl.  Socin,  Diwan,  Glossar  s.  v.  gedtle  =  als  Zopf 
erklärt.  Nach  Socin,  Diwan,  Glossar  s.  v.  eine  lang  herabhängende  Locke.  zTdT  von 
mir  eingesetzt  für  das  zidü  des  räwlQ).  weggedT  ie  =  waqqidT  Iah.  Die  2.  p.  s.  fem.  kommt 
freilich  sonst  in  den  Liedern  nicht  vor. 

28.  dälie  ist  ein  flaches  Wasserbecken,  in  das  das  Wasser  vom  Schöpfwerk  läuft. 
Dort  holen  die  Mädchen  Wasser,     dawäli  in  der  zweiten  Zeile  wörtlich:  herabhängend. 

29.  mäsm  a'-näk  =  miiwassim  ^enek. 

30.  hid''at  el-lcil  der  zweite,  dunkle  und  ruhige  Teil  der  Nacht.  wenä  bik 
=  td'annä  bifialqik. 

31.  Das  groteske  Bild  ist  im  Deutschen  kaum  wiederzugeben:  »An  deren  Mähne 
sieben  Pferdeknechte  striegeln«.  Für  arabisches  Empfinden  ist  der  Vergleich  mit  der 
Mähne  eines  edlen  Pferdes  nicht  befremdend.    Vgl.  jedoch  Socin,  Diwan.  Glossar  s.  v. 

32.  samt  =  beslik  ■=  10  Piaster,  säme  =  Tättowiermal.  atärihä  wurde  erklärt  als: 
la  ^allahä,  vgl.  jedoch  SociN,  Diwan  s.  v.  [Es  bedeutet  »in  Wirklichkeit«,  »daist  ernun«.  L.] 
zöwet  von  zäioija.  Was  mit  der  zöwet  il-Jüsuftje  gemeint  ist,  wußte  mein  Gewährs- 
mann nicht  zu  sagen,  gemeint  ist  vielleicht  Egypten  [oder  irgendeine  zäiuijat  Jüsuf  in 
der  Nähe  von  Mossul,  vielleicht  der  Kanal  Jüsu/Tjc  in  Babylonien  L.].  Dann  würde 
der  Sänger  die  Geliebte  nach  langem  vergeblichen  Suchen  in  der  Nähe  der  Heimat 
gefunden  haben. 

33.  Der  Gedankengang  ist  reichlich  unklar.  Zu  gtdau  =  weggehen  vgl. 
Meissner,   I,   S.  90,  Anm.  4. 

34.  Die  Situation  ist  wohl  die,  daß  der  Sänger  in  fremde  Gefangenschaft  geraten 
ist.     Die  'agam  =  Perser? 

35.  iTl-täl  =  lif-tälT  bis   zum   Ende. 

36.  lö  tibcJ  ist  zu  kurz,  vielleicht  ibcet ^  zu  lesen.' 

37.  cida  =  kadä,  steril  werden,  erschöpft  werden  vom  Boden,  jai  im  zweiten  Vers  = 
^äi,  her!  Zu  tigallat  vgl.  Socin,  Diwan,  Glossar  s.  v. 

40.  zeze  =  Wüste,     läl  —  Nebel,  el-läl  Z.  3  =  lä  tläha  illa  lläh. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 


Die  älteste  türkische  Urkunde  des  deutsch-osmanischen 

Staatsverkehrs. 

(Mit  einer  Lichtdruck-Beilage.) 

Die  Bayerische  Staatsbibliothek  zu  München  verwahrt  unter  ihren  an  belangvollen 
Stücken  ziemlich  reichen  morgenländischen   Handschriftenbeständen    ein  noch  nicht  ver- 
öffentlichtes Schreiben  des  allmächdgen  Großwesirs  Ibrahim  Pascha  (f  15.  3.  1536)^ 
an  König  Ferdinand  I.,    das,  am    17.  November   1530  ausgefertigt,    die  älteste  bislang 
bekannte    türkische  Urkunde    des    deutsch-osmanischen    Staatsverkehrs    darstellen    dürfte. 
Frühere  türkische    diplomatische    Schriftstücke    sind,    soweit   ich    wenigstens    zu  urteilen 
vermag,  in  der  Ursprache  nicht  näher  bekannt  geworden,  geschweige  denn  durch  Druck 
allgemein   zugänglich    gemacht  worden.     Das  von    dem    der  Wissenschaft  allzufrüh  ent- 
rissenen Emerich  V.  Karacson   (1863— 191  i)  aus  Stambuler  Archiven  gesammelte,  ins 
Ungarische   übersetzte    und   aus   seinem   Nachlaß    von   Ludwig  v.  ThallÖczy  (f),  Joh, 
Krcsma'rik  und  Julius  Szekfü  1914  zu  Budapest  herausgegebene  t> Türkisch-ungarische 
Archiv  IJSS — ^7^9«*)  wird  durch  einschreiben  des  nämlichen  Ibrahim  Pascha  an 
Kaiser  Karl  V.  vom   l.  Du'1-hidschdsche  939  h  (=  24.  Juni   1533  D),  dessen  Urstück 
die  Bücherei  der  'Abd  ül-hamid-Türbe  zu  Stambul  besitzt,  eingeleitet  und  das  älteste, 
im    3.    Bande    des    von    Aaron   Szilady     und    Alexander    Szilagyi    (1827 — 1899) 
bearbeiteten    -»Török-magyarkori  dllam-okmänyiär«.    (i.  Abtg.:    Aktenstücke,  Pest,    1868) 
enthaltene  Schriftstück  in  türkischer  Sprache  rührt  gar  erst  vom  27.  Sept.  1540.    Solange 
die  kostbaren  Schätze  der  Wiener  Archive,  die  vermutlich  ältere  Urkunden  bergenS),  nicht 
gehoben  werden,  muß  wohl  der  hier  behandelte  Brief  als  das  früheste  türkische  Zeugnis 


I)  Vgl.  über  ihn  das  freilich  ohne  jegliche  Ausbeutung  der  türkischen  Quellen  ge- 
schriebene Buch  von  Hester  Donaldson  Jenkins  »Ibrahim  Pasha  Grand  Vizir  of 
Suleiman  the  Magnißcent«,  New  York,  191 1  (123  Seiten)  in  den  »Columbia  University 
Studies  in  history,  economics  and  public  law«. 

»)  Török-magyar  Okleveltär  1533 — 1789.  A  Konsta?itinäpolyi  levcltärakban  gyüj^ 
tötie  es  fiiagyarra  forditotta  nchai  KaraCSON  Ihre.  A  Magyar  Kir.  Miniszterelnökseg 
megbizdsdbol  sserkeszteitck  Thallo'czy  Lajos,  Krcsma'rik  Janos.  Szekfü  Gyula.  Buda- 
pest,  19 14.     416  Seiten. 

3)  Die  älteste  türkische  Originalurkunde  des  Wiener  Haus-,  Hof-  und  Staats-Archi ves 
stammt,  wie  ich  einer  frdl.  Mitteilung  des  Hrn.  Ministerialrates  Dr.  Oskar  Frhn.  v.  Mitis 
entnehmen  kann,  aus  dem  Jahr  1536  und  stellt  ein  Schreiben  Sülejmän's  I.  an 
König  Ferdinand  I.  dar. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  I35 

der  deutsch-osmanischen  Diplomatie  gelten').  Das  Schreiben  an  sich  ist,  seinem  Inhalte 
nach  wenigstens,  keineswegs  unbekannt  geblieben-).  Denn  schon  der  überaus  rührige 
Wiener  Hofarchivar  Anton  v.  Gevay  (1796— 1845),  dem  wir  auch  die  hübsche,  durch  . 
G.  Jacob's  Forschungen  freilich  überholte  Arbeit  über  die  osmanischen  Statthalter  von  Ofen 
{A  Budai pasäk.  Becsben  [=  zu  Wien],  1841,  8°,  Privatdruck)  verdanken,  hat  in  seinen  mit 
erstaunlichem  Fleiß  gesammelten  -»Urkunden  und  Aktenstücken  zur  Geschichte  der  Ver- 
hältnisse zwischen  Österreich,  Ungern  und  der  Pforte  im  XVI.  U7id  XVII.  Jahr- 
hunderten, und  zwar  in  dem,  1838  zu  Wien  erschienenen,  die  »Gesandtschaft  König 
Ferdinands  I.  an  Sultan  Suleiman  I.  /jjo«  'betreffenden  .Hefte  auf  S.  92—95  zwei 
Übersetzungen  des  Ibrähimschen  Briefes  (im  Geh.  Haus-,  Hof-  und  Staatsarchiv  zu 
Wien)  abdrucken  lassen.  Diese  beiden  für  Kaiser  Karl  V.  gefertigten  Übersetzungen 
weichen  unter  sich  schon  wesentlich  im  Wortlaut  ab  3);  die  italienische  verdient  den 
Vorzug  vor  der  lateinischen,  so  daß  auch  von  ihr  die  Beurteilung  »mas  autentico  que  el 
primero«  des  Grafen  L.  v.  Nogarola  (vgl.  A,  v.  Gevay,  a.  a.  O.,  S.  91)  gilt.  Mit  dem 
Urstücke  verglichen  sind  indessen  beide  nicht  viel  mehr  als  dürre  Inhaltsangaben  des 
ersten.  In  richtiger  Erkenntnis  dieser  Tatsachen  trug  sich  der  treffliche,  halbvergessene 
Münchener  Orientalist  Markus  Josef  Müiler  (1809  — 1874)  mit  der  Absicht,  diese  türki- 

1)  Auch  der  Nischändschi  FeridÜn  Ahmed  Bej  (f  1583)  führt  den  Brief  in  der 
mir  vorliegenden  Erstausgabe  seiner  •»Miinschd'ät  es-seläßn«  (Stambul,  1264/65  h  = 
1848/49  D)  nicht  an.  Für  die  Beziehungen  der  Pforte  zu  Frankreich  liegen  noch 
frühere  und,  wie  es  scheint,  bislang  nicht  näher  untersuchte  ürkundenbelege  vor.  So 
haben  sich  drei  Staatsschreiben  Sultan  Sülejmäns  I.  an  König  Franz  I.  erhalten,  nämlich 
I.  ein  Fermän  v.  J.  1526  auf  der  Bibliotheque  Nationale  zu  Paris  (von  [J.  B.]  Silvestre 
im  I.  Foliobande  seiner  »Faleographie  Ujiiv  er  seile«.,  Paris,  1839,  auf  Tafel  Nr.  38  als 
»Fragment  de  la  lettre  de  Sultan  Soliman  ä  Frangois  Jer,  Roi  de  France«  leider  nur 
teilweise,  aber  prächtig  wiedergegeben);  2.  ein  Fermän  v.  J.  1528  in  den  Archives 
Nationales  zu  Paris;  3.  ein  Fermän  (o.  J.?)  auf  der  Stadtbücherei  in  Carpentras,  Süd- 
frankreich. Vgl.  die  Mitteilung  J.  T.  Reinauds  an  J.  v.  Hammer  in  dessen  G.  d.  0.  R., 
IX.  Bd.,  S.  689. 

2)  Es  ist  nirgends  ersichtlich,  auf  welchem  Wege  die  alte  Münchener  Hofbibliothek 
in  den  Besitz  der  Urkunde  gelangte.  Vermutlich  hat  ein  bayrischer  Soldat  während  der 
Türkenkriege,  etwa  in  Ungarn,  die  Rolle  erbeutet  und  in  seine  Heimat  gebracht.  Auf 
diese  Weise  kam  eine  ganze  Reihe  sonstiger  türkischer  Merkwürdigkeiten  nach  München, 
denen  Josef  v.  Hammer  als  erster  und  bisher  wohl  einziger  nähere  Aufmerksamkeit 
zuwandte  (vgl.  G.  d.  0.  R.  VII,  5616'.).  Das  großwesirliche  Schreiben  scheint  dabei  frei- 
lich seiner  Beachtung  entgangen  zu  sein;  sonst  suchte  man  es  wahrscheinlich  im  -äVer- 
zeichnis  von  4000  osnianischcn  Staats-  und  Geschäftsschreiben,  Diplomen  und  anderen 
Urkunden^,  das  er  dem  IV.  Bande  seiner  »Geschichte  des  ostnatiischen  Reiches«.  (Pest, 
1833)  beigegeben  hat,  nicht  vergeblich. 

3)  Die  kaiserlichen  Hofdolmetschen  jener  Tage  scheinen  nicht  alle  sich  auf  ihr 
schwieriges  Geschäft  verstanden  zu  haben  und  mögen  oft  froh  gewesen  sein,  wenn  man 
von  ihnen  nicht  mehr  als  bloße  Angaben  des  Inhalts  verlangte.  Köstlich  ist  z.  B.  die 
Stelle  »Ahuuiecker,  Veomer  Veosman,  Hasarcthehaalij«  in  der  lateinischen  Übertragung 
eines  Schreibens  Sülejmäns  an  Ferdinand  I.  (vgl.  A.  v.  Ge'vay.  a.  a.  O.,  S.  89), 
wo  im  Urtext  natürlich  die  übliche  Aufzählung  der  vier  ersten  Khalifen  in  der  Form 
»'Ebübekr  we  *Ömer  we  'Osmän  we  hazret-i-«Ali«  gestanden  haben  dürfte.  Über  die 
großen  Schwierigkeiten,  damals  des  Türkischen  kundige  Dolmetschen  zu  finden,  vgl. 
man  A.  v.  Gevay,  a.  a.  O.,  S.  4. 


I  ^ö  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

sehe  Urkunde  zu  bearbeiten  und  in  einer  Verdeutschung  herauszugeben.  Sein  Plan  blieb 
leider  unverwirklicht  und  nur  seine  Aufzeichnungen  haben  sich  als  cod.  turc.  123  der 
Bayrischen  Staatsbibliothek  zu  München  bis  auf  die  Gegenwart  erhalten ').  Es  ist  eine 
Pflicht  der  Dankbarkeit,  wenn  hier  die  Vorarbeit  M.  J.  Müllers,  der  als  erster  auf  die 
bedeutsame  Handschrift  aufmerksam  ward  und  weitere  Kreise  auf  sie  hinlenken  wollte, 
zu  verdienten  Ehren  gebracht  wird. 

Was  nun  die  Urkunde  selbst  betrifft-),  so  handelt  es  sich  um  eine  2,95  m  lange, 
0,34  m  breite,  aus  mehreren  Stücken  zusammengefügte  papierne  Rolle.  Die  herkömm- 
liche Lobpreisung  Gottes  am  Kopfe  des  Schreibens  sowie  die  vierzeilige  Segensformel 
sind  in  großen  goldnen  Buchstaben,  die  erste  in  dscheli  diwäni,  die  zweite  in  sülüs 
abgefaßt.  Dem  Rang  entsprechend  sind  die  Namen  des  Sultans  und  des  Großwesirs 
in  Buchstaben  von  verschiedener  Größe,  und  zwar  —  einschließlich  des  großwesirlichen 
Handzeichens  (pendscke)  —  mit  blauer,  die  übrigen  26  je  7,5  cm  voneinander  abstehen- 
den, säbelförmig  ausgehenden  Zeilen  aber  mit  schwarzer  Tinte  in  der  üblichen  .türkischen 
Kanzleischrift  geschrieben  und  nur  dort  von  Goldbuchstaben  unterbrochen,  wo  der  Name 
Allahs  auftritt. 

Beim  Handzeichen  3)  des  Ibrahim  Pascha  handelt  es  sich  hier  offenbar  um 
jene  schon  von  Jos.  v.  Hammer  erwähnte  {Gesch.  des  osm.  Reiches.  VII,  266)  Fertigung, 
der  der  Großwesir  bei  Schreiben  an  Kaiser  Karl  V.  und  dessen  Bruder  den  stolzen 
Titel  »Inhaber  der  Hochzeit«  (sähib  es-sür)  beizusetzen  pflegte.  Eine  Wiedergabe  gerade 
dieser  Fassung  sowie  des  Siegels  finde  ich  übrigens  in  J.  v.  Hammers  Schrift  »IViens 
erste  atifgehobene  iilrkische  Belagerung«.  (Pest,  1829)  auf  S.  172  und  S.  i74^)-  J-  H. 
Mordtmann  schreibt  mir  dazu  folgendes:   »Ich  erkenne  mit  Sicherheit 


0  Vgl-  Jos.  AuMER,  Vc7-z.  der  or.  Hss.  der  K.  Hof-  und  Staatsbibliothek  in 
München.     München,   1875,  S.   37   (»Cod.  turc.    122«). 

2)  An  dieser  Stelle  mag  gleich  ein  häufig  zu  treffender  Irrtum  beseitigt  werden. 
Die  sog.  Tughrä  ist  ein  ausschließliches  Vorrecht  der  Sultane;  die  dem  großwesir- 
lichen Namenszeichen  nachgebildete  Handfeste  der  Großwesire  sowie  der  Khane 
der  Krim  wird  daher  niemals  »tughrä«  sondern  stets  »pendsche«  {K^\kS)  genannt.  Der 
»tughräkesch«  (Tughräzieher),  hin  und  wieder  auch  »tughrä-nüwls«  (Tughrämaler)  ge- 
heißen, bezeichnet  den  Beamten,  der  die  kaiserliche  Handfeste  auf  die  Urkunden  setzt. 
Er  ist  der  Gehilfe  und  Dienst verweser  des  sog.  »nischändschi  baschi«,  des  Staatssekretärs 
für  den  Namenszug  des  Sultans  (»nischän  [-i  humäjün]«  ist,  wie  das  arab."tewqi*  \%.*.iy'^ 
d.  i.  Fällung,  davon  der  -.*>^j]  das  pers.  Wechselwort  für  türk.  tughrä ;  daher  der  Aus- 
druck »nischändschi«.  Vgl.  zum  Amt  des  tughräkesch  J.  v.  HammeRs  »Des  osmanischen 
Reiches  Staatsvcrfasstmg«,  2.  Bd.,  S.  115,  133,  Wien,  18 15).  Die  Obliegenheiten  des 
»tughräkesch«  bestanden  noch  bis  vor  kurzem  auf  der  Hohen  .Pforte,  vielleicht  auch 
jetzt  noch,  obwohl  die  Tughrä  auf  den  meisten  Schriftstücken,  z.  B.  auf  den  Ordens- 
briefen rein  maschinenmäßig  hergestellt  zu  werden  pflegt.  Somit  ist  auch  Ewlijä 
Tschelebi's  Sijähetnäme,  VI,  227  (vgl.  dazu  Islam,  VIT,  270)  so  zu  verstehen,  daß  der 
spätere  Ofener  Statthalter  Ismä'il  Pascha  vorher  einmal  das  Amt  des  »tughräkesch« 
innehatte.  »Tughräführend«,  »tughräbcrechtigt«  möchte  ich  mit  ».sähib-i  tughrä«  im 
Türkischen  wiedergeben. 

3)  Pendsche  und  Siegelabdruck  entnahm  Jos.  v.  HammEr  dem  Schreiben  des 
Großwesirs  Ibrahim  an  König  Ferdinand  I.  vom  26.  Sept.  1532  (im  V/iener  Staats- 
archiv), das  übrigens  a.  a.  O.  S.  173  als  »das  älteste  Stück  osmanischer  Staatsschreiben 
in  dem  kaiserlichen  Haus-  und  Staatsarchive«  (trotz  seiner  italienischen  Fassung)  be- 
zeichnet wird. 


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Kleine  Mitteilungen  und   Anzeigen.  137 


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alles  andere  ist  zweifelhaft,  d.  h.  mehrdeutig.  Aus  den  obigen  Buchstaben  habe  ich 
das  bekannte  ,  «.aw.]!  v_^:>-a5  zusammengesetzt  und  denke,  daß  dies  paläographisch 
möglich  ist.  Im  oberen  Teil  der  Handfeste  dürfte  /*^^^'  stecken,  was  ich  auch  er- 
kennen zu  können  glaube.  Dann  ^^bliebe  noch  das  «  neben  dem  Laö  von  k^:>LA3 
sowie  die  drei  Unterscheidungspunkte,  die  im  Kopfe  der  pendsche  stecken  und  die  ich 
nicht    unterzubringen    vermag.     Das    führte    mich    auf    eine    zweite   Deutung:    ^_a.^>L-o 


8,«^Ci-«.il.   also  etwa    der  »Geheimrat« 


5  j^.>A»~«.J 

Gegenüber  dem  »sähib  el-meschwere«  möchte  ich  dem  geschichtlichen  »sähilj 
es-sür«i)  den  unbedingten  Vorzug  geben,  vermag  allerdings  die  drei  Punkte  (. •.)  auch 
nicht  einzureihen. 

Der  Abdruck  des  großwesirlichen  Siegels  ist  leider  nicht  nur  in  der  vorliegenden 
Wiedergabe,  sondern  auch  auf  der  Urkunde  selbst  undeutlich  und  nahezu  unleserlich 
geraten.  Doch  handelt  es  sich  bei  der  Inschrift  zweifellos  um  den  nämlichen  Wortlaut, 
den  Jos.  v.  Hammer  in  seinem  Buche  » Wims  erste  aufgehobene  türkische  Belagerung«. 
(Pest,  1829)  auf  S.  42,  I.  Anm.,  gebracht  hat»)  und  der  mit  der  S.  174  am  Ende  der 
Schrift  befindlichen  Abbildung  des  Siegels  genau  übereinstimmt.  Danach  lautet  die 
persische  Inschrift : 

^-Jixj  »^j  x^  *-'^-^^  '^j^  r^"-^  jTT^ 

Tos.  v.  Hammer  verdeutscht  sie  a.  a.  O.  S.  42  [wiederholt  in  der  »Ab/iandlung 
über  die  Siegel  der  Araber,  Perser  und  Türken<i.  (Denkschriften  der  Kaiserl.  Akademie 
der  Wissenschaften,  phil.-hist.  Kl.,  I.  Bd.,  Wien,    1850)   S.   13]  also: 

»Durch  Liebe  zum  Prophetensiegel  such'  ich  Ehr'  und  Ziem, 
Von  ganzer  Seel'  der  Sklav'  Sultans  Suleiman   Schah's   Ibrahim.« 
Ich  möchte  folgende  Umschrift  und  Verdeutschung  der  Inschrift  vorschlagen: 
bä-mihr-i   hätäm-i  nubuwwät3)   dschustäm  ki  ziräh-i4)  ta'zim 
bändä  äz  dschän-i  sultän  Sulejmän  schäh  Ibrahim. 
>)  Ich    möchte,  und    zwar    aus  diplomatischen  Erwägungen,  mit  izäfet-Verbindung 
hier  »sähib-i  sür«  lesen.  —  Vgl.  über   izäfet    bei  sähib  Zenker,  II,  559a,    was  im  Os- 
manischen  nicht  für  die  ältere  Zeit  gelten  kann. 

2)  Der  Seltsamkeit  halber  sei  darauf  hingewiesen,  daß  sich  sowohl  pendsche  wie 
Siegelabdruck  des  Großwesirs  bereits  in  des  Nürnberger  Bürgers  Nikolaus  Meldeman 
seltener  Schrift  »IVahrhafftige  Handlung:  Wie  und  weichermaßen  der  Türk  die  stat 
Ofen  und  Wien  belagert.  .  .  .«  (o.  O.,  1530)  am  Rande,  freilich  sehr  schlecht  geraten, 
abgebildet  findet. 

3)  Mit  dem  Ausdruck  »Siegel  der  Prophetenschaft«  =  hätäm-i  nubuwwät  (vgl.  dazu 
den  redschez  bei  Jäqüt  III,  S.  f"f".,  6.  Zeile)  kann  sowohl  das  in  verschiedener  Gestalt 
(z.  B.  taubeneiförmig)  geschilderte  Muttermal,  das  Muhammed  nach  muslimischer  Über- 
lieferung bekannüich  zwischen  den  Schultern  trug  (vgl.  z.  B.  Ibn  Sa'd,  Tabaqät,  I,  II. 
|t*'i_|i*'r;  Ibn  Hischäm,  Strat  rasül  allah  MI,  3.  Z.  v.  u.;  Nawawi,  Biogr. 
Dict.  of  illustr.  men,  ed.  by  F.  Wüstenfeld,  S.  i**!^,  6.  Z.),  wie  überhaupt  der  Prophet 
selbst  gemeint  sein,    der,    im  Anschluß  an  Koran  XXXIII,  40,    sehr   häufig  als   »Siegel 


j  ^8  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

D.  i.  etwa:  »Durch  Liebe  zum  Siegel  der  Prophetenschaft,  das  da  ist  der  Panzer 
der  Ehrerbietung,  suchte  ich,  Ibrahim,  aus  voller  Seele  der  Knecht  des  Sultans  und  Königs 
Sülejmän.«  Es  hat  den  Anschein,  als  ob  mehrere  Silben  (Satzziel  1),  vor  allem  in 
der  zweiten  Verszeile,  ausgefallen  seien. 

Während  in  anderen  raorgenländischen  Siegeln  das  dort  ungemein  häufige  Wort 
»bändä«  sich  einzig  und  allein  auf  Allah  bezieht,  wird  es  also  hier  auf  Sülejmän  be- 
zogen, als  dessen  »Diener  von  (ganzer)  Seele«  sich  der  Großwesir  in  seinem  Siegel 
bezeichnet. 

Die  Kenntnis  der  im  Schreiben  berührten  geschichtlichen  Vorgänge  erfährt  durch 
dieses  selbst  keine  sonderliche  Bereicherung.  Sie  sind  von  Josef  v.  Hammer  im  3.  Bande 
seiner  -»Geschichte  des  osmanischen  Reiches«:  auf  Seite  loi  bis  105  eingehend  und  bis  heute 
unübertroffen  dargestellt  worden.  Zur  allgemeinen  Übersicht  sei  daher  an  diesem  Orte 
nur  soviel  wiederholt,  daß  die  beiden  Botschafter  des  Königs  Ferdinand  L,  nämlich 
Josef  Ritter  (später  Graf)  v.  Lamberg  zu  Schneeberg  (1489  — 1554)  sowie  Niklas 
JuRisCHiTZ,  Ritter  und  Erbkämmerer  in  Kroatien  und  Hauptmann  zu  Sankt  Veit  und 
Güns'),  die  Anfangs  August  1530  von  Augsburg  mit  einem  aus  24  Personen  bestehenden 
Gefolge  ^)  nach  Konstantinopel  auszogen,  um  dem  Großherrn  die  Bitte  ihres  Königs  um 
Waffenruhe  und  um  Wiedereinsetzung  in  die  ungarische  Königswürde  zu  übermitteln, 
unveiTichteter  Dinge  das  Goldne  Hörn  verlassen  mußten;  am  25.  und  31.  Oktober  waren 
sie  vom  Großwesir  Ibrählm  Pascha,  am  7.  und  15.  November  vom  Großherrn  selbst 
empfangen  worden,  ohne  auch  nur  einen  Bruchteil  der  königlichen  Wünsche  durchzu- 
setzen. Als  Antwort  erhielt  dann  Ferdinand  I.  sowohl  einen,  lediglich  in  zwei  (von 
A.  V.  Gevay,  a.  a.  O.,  S.  89 — 92  veröffentlichten)  Übertragungen  bekannt  gewordenen 
Brief   des  Sultans    Sülejmän   vom   17.  November   1530  (Ende  Rebi*  I  937  h)3)  sowie 


(d.  i.  die  Reihe  schließender,  letzter)  der  Propheten«  (l>j>J^)  *J'Lp»  bzw.  ^jyKjJJ)  *j"l.?>; 

(vgl.  Sure  33,  40:  ..wijjj^jJ!  *j'Ls>»)  bezeichnet  wird.  Es  scheint  fast,  als  ob  durch 
eine  sinnliche  Auffassung  des  figürlichen  Koran-Ausdruckes  sich  bei  den  Muslimen  die  Sage, 
daß  der  Prophet  das  »Siegel  der  Glaubensboten«  leiblich  getragen  habe,  gebildet  hat.  Vgl. 
dazu  Subhi  Pascha  im  7.  Jahrg.  der  Revue  Historique  (Stambul   1332/19 16),  Nr.  42. 

4)  Etwa  =  zirähi  auf  dem  Wege? 

*)  Niklas  Jurischitz  hat  später  Güns  heldenmütig  gegen  die  türkischen  Angriffe 
verteidigt  und  starb  um  1540.  Vgl.  Pater  Martin  Rosenacks  Schrift:  y>Di£  Belagerung 
der  Kgl.  Freystadt  Güns  i.  J.  1332«,  Wien,  1789,  S.  11.  —  Über  Jos.  v.  Lamberg 
unterrichtet  am  besten  sein  in  Jon.  Weikhard  v.  Valvasors  y>Die  Ehre  des  Herzog- 
thums  Crain«,  Laybach,   1689,  fol.  enthaltenes  gereimtes  Selbstleben. 

-)  Darunter  befand  sich  auch  als  lateinischer  Dolmetsch  der  Wende  Benedikt 
Kuripesic  (»CuRiPESCHiTZ«)  aus  Obernburg,  dem  wir  eine  höchst  seltene  Be- 
schreibung der  ganzen  Botschaftsreise  verdanken.  Sie  erschien  MDXXXI  o.  O.  unter 
dem  Titel  -»Itinerarium  Wegrayß  kti:  May.  potschafft  gen  Constantinopel  zu  dem  türcki- 
schen  Kayser  Soleyman  A?ino  XXX«.  und  besteht  aus  32  ungezählten  Quartblättern  mit 
zehn  Holzschnitten.  Die  Wiener  Hofbibliothek  besitzt  davon  zwei,  lediglich  in  der 
Rechtschreibung  verschiedene  Drucke  unter  der  Standnummer  48.  S.  1 1  und  48.  S.  11  a. 
(Frdl.  Mitteilung  des  Direktorats  der  Hofbibliothek  zu  Wien.)  —  Vgl.  dazu  Konst. 
Josef  Jirecek,  Die  Heerstraße  vo7i  Belgrad  nach  Konstantinopel,  Prag,  1877,  S.  118, 
10.  Anm.  —  Die  Reisebeschreibung  des  Benedikt  Kuripesic  wurde  »aus  einer  gleich- 
zeitigen Handschrift«  von  Eleonore  Gräfin  v.  Lamberg-Schwarzenberg  19 ig  zu  Inns- 
bruck neu  und  sehr  gut  herausgegeben  (83  S.,  gr.  8°).  —  Vgl.  dazu  OLZ,  1911, 
Sp.  485  ff.  (C.  F.  Seybold). 

3)  Vgl.  dazu  S.   146,   Anm.   i. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  I39 

das  hier  behandelte  Schreiben  seines  Günstlings  I  b  r  ä  h  I  m  mit  dem  gleichen  Aus- 
fertigungstag und  fast  dem  nämlichen  Inhalt.  Lassen  wir  aber  nunmehr  den  Großwesir 
selbst  zu  Worte  kommen ! 


Urtext: 


1)  Bekanntlich  soll  jedes  Schriftstück  mit  der  ^Lt->^  oder  der  i(.JiA.*.^»  oder  mit 
beiden  zugleich  anheben.  Viele  Schreiber  erweitern  solche  Formeln  häufig  durch  die 
Erwähnung  von  Beinamen  Gottes  und  andern  lobpreisenden  Ausdrücken,  zu  denen  auch 
dieser  in  Reimprosa  abgefaßte  Spruch  gehört:  »Die  Erwähnung  Gottes  ist  die  erhabenste 
und  die  zur  Vorausschickung  am  meisten  berechtigte.«  Vgl.  dazu  Koran   33,  41. 

2)  Die  Wendung  idJS  o-Jlc  findet  sich,  meist  als  l^'Ä^tSS  i5^^'  "Qg^^^iri  häufig 

in  islamischen  Bauinschriften,  wofür  Max  van  Berchems  y>Matcriatix  pour  nn  Corpus 
Inscriptionum  Arabicartwm  eine  Fülle  von  Beispielen  bieten  (vgl.  z.  B.  im  I.  Bd.  (Paris, 
1900),  S.  30,  54,  56,  63,  68,  69,  74,  638,  699,  717,  753;  im  III.  Bd.  (Kairo,  1910). 
S.  28.  In  dieser  letzten  Inschrift  v.  J.  670^  folgt  die  Formel  auf  den  Namen  des 
Herrschers  und  hat  den  Sinn  »sein  Wort  möge  erhöht  werden!«,  wobei  diesem  eine 
besondere  Kraft  und  Wirksamkeit  gewünscht  wird..  Der  Zusatz  üJL^^  macht  diese 
Deutung  völlig  sicher).  Ist  von  Gott  die  Rede  und  wird  »M\  ä.4.1^  anläßlich  des 
dschihäd  erwähnt,  so  denkt  man  gewöhnlich  an  Koran  9,  40:  LaA^i    ^^  *«>J)  '*-*>*^». 

So  heißt  es  oft,   das  einzige  Ziel  des  Glaubenskrieges  sei  xÜ!  K^Jj    i^fc)   oder  ^.^yS^ 

lJLxJ!  -55  *JÜ!  In-JlT  usw.  (^^15"=  ^^J^).  Vgl.z.  B.  J.  H.  MoRDTMANN  in  Byzant. 
Zs.,  XXI.  Bd.  (191 2)  in  der  auszugsweisen  Übersetzung  der  von  ihm  entdeckten  Urkunde 
des  Qara  Mustafa  Pascha  sowie  Islam,  VII.  Bd.  (1917)  S.  282,  wo  Gg.  Jacob  den 
vollständigen  Urtext    und    eine    ausführlichere  Verdeutschung  dieses  Schriftstückes  gibt: 

3)  Für  das  gewähltere  pers.  ^^jji.Lj  J-^  (cähär  jär-i  güzln)  d.  i.  »die  vier  aus- 
erwählten Freunde«.  —  dUjLj  etwa  ein  Versehen  des  mümejjiz  {y*^*^)  für  das  genauere 
i;>)o).Lj,  mithin  »der  vier  Gefährten«? 


j^O  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

^♦.liiw      iOC«»      vfJw«!/!»      ^i^JL5>^      d^^'wi;»      ii)w4^c»      ti)uL>^UjöU      ii)JLÄ>w,iJjjJ  » 

^.jpyJ     c-i>-^3    ^iLLjLj    ^^>o^^3.    d^*J3   1^)0 -£•    ,IjO  L^lS'  d)«.ÄJ-i:'  (_wvAs»,   (3) 

(Siegelabdruck  und  pendsche  des   Großwesirs.) 

')  Statt    des  zunächst   zu  erwartenden  ,.jLsU5>  steht  in  der  Urkunde  ganz  deutlich 

,.,wPj  zu  lesen.  Den  Ausdruck  »burhän-i  hawäqin«  finde  ich  nun  sowohl  im  Ferman  des 
Sultans  Sülejmän  I.  an  König  Ffanz  I.  von  Frankreich  a.  d.  J.  1526,  den  [J.  B.]  Silvestre 
im  I.  Bande  seiner  yt> Paleographie  universelle«.  (Paris,  1839)  wiedergegeben  hat.  wie  auch 
im  Text  des  türkisch-venedigischen  Friedensvertrages  vom  2.  Oktober  1540,  den  Luigi 
BoNELLi  im  2.  Bd.  des  y> Centenario  dclla  nascita  di  Michclc  Amari«  (Palermo  1910) 
unter  dem  Titel  »II  trattato  turco-veneto  del  1540«  veröffentlichte.  Während  L.  Bonelli 
a.  a.  O.  S.  335  ihn  ohne  Bedenken  mit  »prova  dei  Häqän«  übersetzt,  also  »burhän«  in 
der  jetzigen  Bedeutung  »Beweis«  nimmt,  möchte  ich  die  ursprünglichere,  nämlich  »Licht, 
Erleuchtung«  vorschlagen.  Diese  Bedeutung  findet  sich  freilich,  seitdem  Muhammed 
(nach  Th.  Nöldekes  Meinung)  das  Wort  aus  dem  Äth.  ins  Arabische  eingeführt  hat, 
in  der  späteren  Zeit  nicht  mehr,  wenn  man  etwa  nicht  mit  Th.  Nöldeke  in  Sure  12, 
24  (vgl.  4,  21;  23,  117)  das  »burhän«  mit  »Licht«,  »Erleuchtung«  übersetzen  will. 
(Vgl.  dazu  Th.  Nöldekes,  '»Neue  Beiträge  zur  semitischen  Sp7'achwissenschaft<ii,  Straß- 
burg, 1910,  S.  58 — -59.)  —  Herr  Geh.  Hofrat  Prof.  Dr.  Aug.  Fischer  schreibt  mir  dazu 
noch,  »daß  im*-^  J  im  Arabischen,  Persischen,  und  Türkischen  immer  nur  »Beweis,  An- 
zeichen, Zeichen«  besagt.  Gelegentlich  entwickelt  sich  aber  daraus  die  Bedeutung 
»Wunder«  (eigentlich  Beweis  der  überirdischen  Kräfte  eines  Propheten.  Heiligen  usw.); 
vgl.  z.  B.  Abu '1-Mahäsin,  Annales,  hrsg.  von  T.  G.  J.  Juynboll,  I,  S.  oil,  3  v.  u. : 
,M*-^->-55»i  CjLsJsJ!  K>J>ljo  und  so  möchte  ich  ,.Y>.il»~>  ,.,'-^-J  in  der  türkischen  Ur- 
künde  mit  »Wunder  der  Chäqäne«  oder  ähnlich  übertragen.« 

*)  Sehr  beachtenswerte  Form  statt  der  jetzt  üblichen  Schreibung  io.iAÄJi  ^j. 
J.  H.  MoRDTMANN  bemerkt  dazu:  »Seitdem  ich  meinen  Artikel  in  der  Enzyklopädie  des 
Islam    [I,    1000 — looi]    über    das  Herrscherhaus    der  Du'1-Qadrije    schrieb,    bin    ich  zur 

Überzeugung  gekommen,  daß  ».j.O'JiJuö,  wie  der  Name  in  den  älteren  Texten  und  auch 
in  Inschriften  lautet,  die  arabische  Form  eines  turkmenischen  Eigennamens  darstellt. 
Die  Byzantiner  schrieben  'To'jpxa-T/p>ao£;,  was  dem  Ursprünglichen  wohl  am  nächsten 
kommt.  Ähnlich  haben  die  Danischmend-oghlu  aus  Dänün  (griech.  AavoivTjs) 
...»JLb,  /'^  »^5  ^*3  und  aus  Danischkän  (griech.  TavtazctvTj;)  i-\Ä.*><ixi)J>  Dänischmend 
gemacht.« 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  lAi 

>.jL^Lj      a^xPLjI      ^J^M*S:.yM      \.Ay*.£.      ,.,iAÄlx'i     ^Xi\.A      \^yS^:>-     *wJLä> 

sJsJl  <^-<J  (>\..«..ii  j-yw(^^iAi.s   .•,'^_»5   i<r*'"^''  C^^^ 

^Li    j^-JLj,>*i25»>    i*S5w.i:0Lj  j.ijjLx^  _j.i.ÄJ30    U^-JjS    Q:^>r»J'    ^^■^'^?}>    L$j^-^  J-'j^ji 

v_J^-<wJLj1    ^«.iJa    Q.^ifc.^J^l    t>)J.Ä-w50    SLXA.AjL/a- 

8ji'_5LX.Äi      j^*J^'y    ekiÄJ^_5    U*5j^j'     C'^'*^^"^    iJi;^^'^''     '^j^    V*"*-^    (7) 

c>v.jLac     »j..>^AÄi"     ^iJlJLs     (j^^Jvi!      j^jiAiJ.j,Ai25*     ^PL^OLj    J.LJ3O    ^.LaIjJ 
iS^^JJS  80-JIj».X5Cx)    iX5_5^Jojj'  *.Äj_^i\jLx>w!    *>>j.J    Q-^J^  j'-^h'    wA.Lb    ^/«^-».äJjJ 

*Jlc    xU:>-    *^*^^  _*-^     i^u^'*j'"i   J-J^    CT"i5'^L'^    tiU-ÄJ^S^    (j*_5.XJi    ^J>     (9) 

^i>iJ    LJ^^y      _jj»j>ww    (j*j-Jol     L?^^    Vt*-""*^"!.?^    *.-L«^^'   jtXji,  v_^l-ö  j.Jc> 

^Js^^!    ^-Plb     j^.jL^ij     J.Ü  ^^,O^ÄA«>».^     J     j^xi'    0^y>\     ^^J*>     (3»;i-^J     ^j^J^ 


»)  iik4.Ä-)!    (ji3.*j5    ij>.^0  =  »s'ingerer  et  troublei«  nach  Kieffer-Bianchi»,  I,  8i6. 

3)  »J^j  =   aJ.j.  4)  ^-Jl    =  e^l. 

/       ,    .....  ,    ...  /      J 


j^2  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

OjJIj!    tj^^Li-l^    »i:/^jjj-*.£i   oi3;C    uJj^cX.jji'  (.J>!    *.<uJiÜL;o*!  j^äJ^o    »Aäjlw 

,  c;.Jlj-a12»>   i*.PL;;olj   üJLjJjc^^  «i)Jui.!  ,  ^^-^«^3 

yC^c    ^JLiJI    Jos    jjl\X>^JU^^    i^JlsuJ)*-/^    ,.0L    idj!    iü.-^    '^J^-Ji    Vj-i^H^    ^^ 
«.raJs-XSj    xj.?3    8-\JL/8j    h^.^    *.aL1    ^l^LUiJwj    v_Jj.Ai.jt    ^•i^ 

JiuJüi    ci^ro    N^*Ji    o-?-"^   ^^"Hj^   \äXU»   iü/>   V3^'    ^^-^^  y^-^   iVV 
J;U:=^I     V>^3'     g^»    ^tL5>T^^^^    3^-^    ^^    U-^/j'    J^j'3    (20) 


I)  Vgl.  dazu  den  zuerst  vom  Seldschuqenfürsten  Toghrulbeg  geführten,  vom  Kha- 
lifen  Al-Qä'im  bi'amrilläh  ihm  verliehenen  jTitel  ^J^»  ^y^  (j^jt^^^  pLuL«  bei 
J.  V.  Hammer,   Gesch.  des  osm.  Reiches,  I,  10;   Gust.  Weil,   Gesch.  der  Chalifen,   III,  99 

(Mannheim    1851). 

a)    ,jo   =    -j    Erde,  zum  ganzen  Ausdruck  vgl.   diese  Zeitschrift,  VII,  Bd.,  S.  281 

2.  Anm. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  I^^ 

.^^^o!    jcJLjJ;!     ii\.Ä>LjCJU.^    >^j.f     ,.j(Ai^5-     aluioLj-P    \jJ\   jJj-*.J'^     ^i>.iLs    q-\j' 

\L)\    i^U=>.    ^JUUjIjJI    C^^"^    S^j-:^-^'    c>.£i.;.s    Ä.ÄX)CU/«    ^^x^j'  (21) 

iwJ».A.4.J_»|l      ^.>Laä5>1    ^Äj-iCci-Jj    kXIIa    S^kXm^^S    »S^\      -iljLxc    »iki  jjJ^J» 

ü^Li^^JljL«    ci^ii:    w''lä:>    xXJ^:;^-   15"^^  7**    3_?-h'^;^5 

öOjXÄxJL*/«     »a;j)     y !     i^^ixj.j!     l>u.j    v^^'    v*-^-^    liUjc^^jO  (23) 

ü^jLg->.»    (3^!    (^  ;_j.>s!av.vAj!     c^-cLs    ,.jv>>-Lv,iv3^-v.    (j*i^^jCil     ^^Jo!    vo-c-LäS  UJ^^^j^I 

O»^    sjs-olj    .JÜuX.j5    v_^JLb    tiU.ÄAv»0 
^_^  .   .    ^         ..        .  ^ 

^j*3Jü(     Ljj   j^4r^    dUL^    v*-ili2   ^Ju,Jlj.Ai2>    j.4iPL^oLj   _jJj^i»o  (25) 

^  ^         (^ )  >  ^^  ^      ••       ;^  )  •        •  *^-'^    •  >  •  •  Lr' 


1)  Für  ^w,Jvji. 

2)  Für  dL^üX^i   oder   ^"ll^J.     Die    gewöhnliche  Schlußformel    der    großherrlichen 
Schreiben.    Vgl.  J.  v.  Hammer,  GescA.  des  osm.  Reiches,  III.  Bd.,  S.  731,  Anm.  f  zu  S.  324. 

3)  Über  den  Unterschied   von    Xa4.^<uJ!  und  Nw«^,j>U.if   vgl.    J.  H.  Mordtmanns 
Bemerkung  in  ZDMG.,  LXVIII,  141    sowie  Islam   VII.    17S. 


IAA  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

Verdeutschung: 
Die  Anrufung  Gottes  ist  das  Vorzüglichste,  mit  ihr  zu  beginnen  recht  und  würdig  1 

»Ich,  der  ich  Ibrahim  Pascha  bin  [B,  4.  Z.  Mitte],  des  Sultans  Schah  Sülej- 
män  Khan,  [zwischen  A  und  B]  durch  die  Gnade  des  Gottes  der  Macht  — 
Seine  Kraft  ist  mächtig  und  erhaben  Sein  Wort!  —  [A,  i.  Z.  Anf,]  und  durch 
die  segensreichen  Wunder  Muhammeds  des  Auserwählten,  der  Sonne  am  Firmamente 
der  Prophetenschaft,  des  Sternes  im  Himmelszeichen  des  höchsten  Adels,  des  Führers 
der  Schar  der  Propheten  und  Leiters  des  Heeres  der  Auserwählten  —  Gott  segne  und 
grüße  ihn !  —  [A,  i.  Z.  Ende  bis  3.  Z.  Anf.]  und  mit  dem  Beistande  seiner  vier  Ge- 
fährten, als  da  sind  Ebübekr,  'Ömer,  'Osmän  und  'Ali  —  möge  Gottes  Wohlgefallen 
auf  ihnen  allen  ruhen  1  —  mit  ihrem  Beistand  und  mit  dem  Beistand  der  geweihten 
Geister  sämtlicher  Heiligen,  [A,  3.  Z.  Schluß  bis  4.  Z.  Ende]  Sultans  der  Sultane,  Wunder 
(Leuchte?)  der  Khakäne,  der  die  Kronen  verleiht  den  Khosroen  des  Landes,  des  Schattens 
Gottes  auf  Erden,  [B,  3.  Z.  Anf.]  des  Herrschers  und  Padischahs  über  das  Weiße  Meer 
und  über  das  Schwarze  Meer,  über  Rumelien  und  Anatolien'),  über  Karaman  und  Rum, 
und  das  Land  Dulkadirlje,  und  Dijarbekr  und  Kurdistan  und  Aserbeidschan  und  Persien 
und  Syrien  und  Aleppo  und  Ägypten  und  Mekka,  das  verehrungswürdige,  und  Medina, 
das  gesegnete,  über  Jerusalem,  das  heilige,  über  ganz  Arabien  und  Jemen,  über  das 
Tatarenland  und  über  noch  manche  Reiche  [B,  i.  Z.  Schi,  bis  3.  Z.  Schi.]  —  sein 
Khalifat  währe  ewiglich  !  —  [B,  4.  Z.  Anf.]  Großwesir  und  von  seilen  Seiner  Groß- 
herrlichkeit in  den   erwähnten  Reichen  insgesamt  oberster  Heerführer  [B,  4.  Z.  Ende].^) 

Ihr,  der  Ihr  Ferdinand,  der  Ruhm  der  Großen  der  Christenheit,  der  Auserwähltc 
unter  den  Herrschern  der  Glaubensgemeinde  Jesu,  König  von  Österreich  und  Verweser 
von  Deutschland  3)  vonseiten  des  Königs  von  Spanien  seid,  habt  unlängst  an  seine  hohe 
und  erhabene  Schwelle  und  hieher  mit  Euren  Briefen  Eure  tüchtigen  und  vertrauens- 
würdigen Wesire  als  Botschafter  abgeordnet  und  um  Freundschaft  mit  Seiner  Majestät, 
meinem  ruhmreichen  und  glücklichen  Padischah  nachgesucht,  sowie  untertänigst  gebeten, 
daß  Euch  seitens  Seiner  Majestät,  der  Zuflucht  der  Ehre,  das  Königreich  Ungern  verliehen 
werde.  Was  Ihr  in  Eurem  Schreiben  sagt,  haben  wir  zur  Kenntnis  genommen  und 
Eure  erwähnten  Botschafter  haben  die  ihnen  aufgetragenen  mündlichen  Mitteilungen  bei 
ihrem  Zutritt  Q^j}S)  vorgetragen.  Während  Ihr  nun  darum  nachsucht,  daß  Euch  von  Seiner 


')  Anatolien  ist  hier  im  engern  Sinne  zu  fassen,  ebenso  Rüm,  wobei  das  erste 
die  sogenante  Provinz  mit  der  Hauptstadt  Kjutahja,  das  zweite  den  Bezirk  Amasia  und 
Siwas  in  sich  begreift.     (J.  H.  Mordtmann.) 

2)  A,  Zeile  i — 4,  B,  Zeile  i — 4:  Da  mit  B  Z.  5  »S jj^^  usw.  ein  neuer  Satz  an- 
hebt, müßte  das  Vorhergehende  einen  abgeschlossenen  Satz  bilden,  was  aber  nicht  der 
Fall  ist.  Das  Gerippe  dieser  acht  Zeilen  ist:  »Ich,  der  ich  Ibrählm  Pascha  bin,  der 
Großwesir  und  Kriegsminister  des  Sultan  Sülejmän,  von  Allahs  Gnaden  usw.  usw., 
Sultans  der  Sultane  usw.  usw.  .  .  .«  Aber  das  Zeitwort  —  etwa  »tue  kund«  —  fehlt ; 
es  steht  nur  das  Grundwort  da,  an  das  ein  endloser  Verhältnissatz  angefügt  ist.  über- 
dies ist  dieses  Satzungetüm  noch  verrenkt;  eigentlich  müßte  es  so  lauten:  ^^iAJi  ^  rj^ 

Aber  dann  wäre  Ibrahims  Name  an  die  erste,  der  Name  Gottes  an  die  zweite  und 
der  des  Sultans  an  die  letzte  Stelle  geraten,  was  der  Schreiber  unbedingt  vermeiden, 
mußte.     In  der  obigen  Übersetzung  wurde  daher  etwas  freier  verfahren. 

3)  Vgl.  über  Ibrahims  geringschätzige  Meinung  von  Ferdinands  Würden  J.  v. 
Hammers   Gesch.  des  osm.  Reiches,  III.  Bd.,  S.    102   und   103. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  iaz 

Majestät,  unsrem  erhabnen  Herrscher,  das  Königreich  Ungern  verliehen  werde,  schreibt 
Ihr  anderseits  (^-^)  in  dem  an  Seine  Hohe  Pforte  gerichteten  Briefe  von  Euch 
selber  ausdrücklich:  »Ich  bin  König  von  Ungern!«  Nun  ist  aber  der  Sachverhalt  vor 
aller  Welt  klar  wie  der  Tag  für  alle  Geschöpfe  der  Erde,  daß,  nachdem  unseres  be- 
glückten Padischahs  Majestät  das  Land  Ungern  schon  früher  mit  seinem  siegreichen 
Schwert  erobert  hat,  er  noch  einmal  mit  seinem  weltmeergleichen  Heer  in  jenes  Reich 
zog,  indem  er  sprach :  »Ist  jemand  da,  der  Anspruch  auf  dieses  Land  erhebt  ?«  Gemäß 
eines  erhabenen,  diesem  seinem  Knechte  gewordnen  kaiserlichen  Befehls,  wurde  weiter 
vorgegangen  und  mit  dem  siegreichen  Heere  das  ungerische  Königreich  in  allen  Winkeln 
durchsucht.  Und  da  niemand  sich  fand,  der  auf  dieses  Reich  als  ihm  gehörig  Anspruch 
machte,  indem  er  sprach  »es  ist  meines  !«,  überschritt  er  sogar  die  Grenze  Ungerns 
und  drang  noch  weiter  vor,  aber  auch  hier  fand  sich  kein  Anzeichen  und  keine  Spur 
von  jemand  wie  vorher.  Diese  Landschaften  sind  nun  durch  das  Schwert  Seiner 
Majestät  unsres  beglückten  Padischahs  erobert  und  somit  sein  Land  geworden.  Denn 
seit  alters  ist  es  eine  in  den  Gewohnheiten  der  Padischahe  hergebrachte  Sache,  daß  ein 
Land  ihm  zugehört,  sobald  es  durch  den  Fuß  des  Pferdes  eines  Padischahs  geehrt  und 
beglückt  wird.  Infolge  dieser  feststehenden  Gepflogenheiten  gehört  das  ganze  ungerische 
Reich  der  Majestät  unseres  Padischah,  da  es  durch  sein  eigenes  Schwert  erobert  worden 
ist.  Und  es  steht  niemandem  das  Recht  zu,  sich  darein  zu  mengen  und  zu  mischen. 
Auch  hat  Janosch  Kräl ')  schon  früher  an  die  beglückte  Schwelle  Gesandte  ab- 
geordnet und  mit  der  Versicherung  der  Unterwürfigkeit  und  aufrichtigen  Botmäßigkeit 
seine  Demut  bezeugt.  Bei  jener  Gelegenheit  ist  er  selbst  erschienen  und  hat  an  der 
beglückten  Schwelle  seine  Stime  gerieben  und  so  Dienst  getan.  Da  nun  denen,  die  wahr- 
haftige Ergebenheit  beweisen,  die  großherrliche  Huld  niemals  vorenthalten  wird,  so  hat 
Seine  Majestät  das  von  ihrem  eignen  Schwert  eroberte  Reich  Ungern  als  Krälschaft 
jenem  gnädiglich  und  wohlwollend  verliehen,  ihn  mit  der  Krone  geschmückt  und  zum 
König  jenes  Landes  bestellt.  Durch  die  Gnade  des  hocherhabnen  Gottes  und  durch 
die  Wunder  unsres  großen  Propheten  und  den  Segen  aller  Heiligen  gebeut  unsres  Padi- 
schahs Majestät  im  Osten  und  Westen  und  hat  schon  eine  große  Anzahl  von  Reichen 
sich  unterworfen,  wird  aber  wohl,  wenn  der  hochgeehrte  Gott  es  will,  noch  weitere 
dazu  erobern  müssen.  Wenn  von  seinen  gesegneten  Worten  irgendeine  Zusage  erfolgt 
und  er  einem  seiner  Knechte  irgendein  Königreich  in  Gnaden  verleiht,  so  ist  er  kein 
solcher  Padischah,  der  die  Herrschergewalt  dadurch  ausübt,  daß  er  aus  Gier  nach 
Schätzen  und  Länderbesitz  (v.^xA.j)  ^-t"^  NÄXJL*^^  *.JLx)  sein  Wort  bricht  oder  mit  List 
und,  indem  er  Menschen  verkauft  (verrät?)  und  das  Reich  aussaugt,  ein  Heer  zusammenrafft. 
Zu  welcher  Zeit  er  auch  ein  Heer  zu  sammeln  befehlen  mag,  versammelt  er  zur  selbigen 
Stunde  Armeen,  daß  Himmel  und  Erde  sie  nicht  tragen,  und  gegen  welches  Land  auch 
er  zu  marschieren  willens  ist,  dorthin  hat  er  die  Kraft  zu  ziehen  durch  die  Gnade  des 
Allerhöchsten.  Nachdem  nun  das  Königreich  Ungern  durch  sein  eignes  Schwert  erobert 
ist,  wird  er  durchaus  nicht  darauf  Verzicht  leisten.  Denn  jeder  Padischah  ist  bestrebt, 
von  Tag  zu  Tag  seine  Herrschaft  zu  erweitern,  wie  es  ja  auch  der  König  von  Spanien 
tut,  der  mit  seinem  Reiche  sich  nicht  begnügt,  sondern  sich  damit  abmüht,  das  Volk 
zu  betrügen,  Ränke  zu  schmieden  und  aus  dem  Reiche  Schätze  sich  anzueignen.  Mein 
Padischah  indessen  bedarf  durch  die  Gnade  des  erhabnen  Gottes  weder  jemandes  Golds 
noch  Heeres.  An  dem  Tage,  wo  mir,  seinem  Knecht,  der  Befehl  erteilt  wird,  können 
wir  die  Streitmacht  Arabiens  und  Persiens  und  noch  vieler  andrer  Reiche,  an  Zahl  den 
Wogen    des    Weltmeeres  vergleichbar,    auf   die    Beine    bringen    und    jeden    Augenblick 


*)  Janosch  Kräl,  magyarisch  Jänos  kiraly,  d.  i.  »König  Johann«,  nämlich  Szapolya. 
Islam  X.  lO 


lAß  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen, 

stehen  wir  fertig  und  gerüstet  da.  Da  Ihr  nun  mit  Seiner  Majestät,  der  Zuflucht  der  Ehre, 
Freundschaft  zu  schließen  verlanget  und  den  Wunsch  darnach  ausgesprochen  habet,  so 
wird,  wenn  Ihr  in  Eurem  Lande  verbleibet,  und  Euch  damit  zufrieden  gebet  sowie 
Eurer  Lust  nach  Ungern  Euch  entschlaget,  dem  auf  solche  Weise  Freundschaft  Suchen- 
den die  Gnade  unsres  Kaisers,  der  niemandes  Freundschaft  sich  entzieht,  nicht  vorent- 
halten werden.  Sofern  Ihr  aber  fürderhin  in  Eurer  leidenschaftlichen  Begierde  verharret, 
so  habt  Ihr,  um  das  ungerische  Reich  zurückzufordern,  nicht  an  Janosch  Kräl  Euch  zu 
wenden,  sondern  müßt  es  von  Seiner  Majestät,  unsrem  beglückten  Padischah  zurück- 
verlangen. Denn  jenes  Königreich  ist  von  seiten  Seiner  Majestät,  der  Zuflucht  der  Ehre, 
dem  Janosch  Kräl  gnädiglich  verliehen  worden.  Und  die  kaiserlichen  Zusagen  zurück- 
zunehmen ist  ein  Ding  der  Unmöglichkeit. 

Übrigens  ist  alles,  was  [in  diesem  Schreiben]  gesagt  worden  ist,  auch  Euren 
beiden  obenerwähnten  Gesandten  mündlich  eröffnet  worden  und  sie  selbst  sind  wieder 
in  das  jenseitige  Hoflager  entlassen  worden.     Solches  sei  Euch  kund  getan! 

Geschrieben  in  den  letzten  Tagen  des  Rebi'  II  im  Jahre  937')  in  der  wohlver- 
wahrten Hauptstadt  Konstantinopel.« 

Nachwort: 
An  dem  Zustandekommen  der  vorstehenden  Arbeit  haben  wesentlichen  Anteil 
durch  freundlich  geleistete  Beihilfe  Fräulein  Lotte  Müller  (München)  beim  Lesen  der 
Berichtigungen,  Herr  Geh.  Hofrat  Prof.  Dr.  August  Fischer  (Leipzig),  Herr  Prof. 
Dr.  J.  HoROViTz  (_ Frankfurt  a.  M.),  Herr  Generalkonsul  Prof.  Dr.  Jons.  H.  Mordtmann 
(Innsbruck),  Herr  Prof.  Dr.  Christiaan  Snouck  Hurgronje  (Leiden)  sowie  Herr  Dr. 
jur.  Mustafa  Hamid  (Freiburg  i.  B.).  Ihnen,  sowie  der  Leitung  der  Handschriften- 
abteilung der  Bayrischen  Staatsbibliothek,  die  in  zuvorkommendster  und  vor- 
bildlicher Weise  die  lange  Benutzung  und  Lichtbildaufnahme  der  Urkunde  gestattete,  sei 
auch  an  diesem  Orte  herzlicher  Dank  gezollt. 

München,  Pfingsten   1919.  F-   Babinger. 


Ungarische  Urkunden  aus  der  Türkenzeit. 

I,  über  Arslan  Pascha,  Bejlerbej   von  Ofen. 

Im  Jahre  191 5  erschien  in  Budapest  der  erste  Teil  einer  für  die  osmanische  Ge- 
schichtsforschung außerordentlich  bedeutsamen  Publikation :  A  Biidai  Basäk  magyar  fiydv'u 
levekzcsc  (»Briefwechsel  der  Paschas  zu  Ofen  in  ungarischer  Sprache«).  Der  vorliegende 
Teil  enthält  451  (448  -f  3  als  Anhang)  Briefe  von  und  an  Paschas  zu  Ofen,  beginnend 
mit  einem  Schreiben  des  Arthandi  Kelemen  an  Tujgun  Pascha  (1553 — 1556)  vom 
8.  Juli  1553  und  schließend  mit  einem  Briefe  des  Osman  Aga,  Oberdreißigsteinnehmer 
zu  Waizen,  an  Palffy  Miklos  (undatiert,  wohl  aus  dem  Jahre  1589,  während  der  Amts- 
dauer des  Ferhad  Pascha  in  Ofen,    1588— 1590). 

Die  genannte  Urkundensammlung  bietet  eine  wertvolle  Ergänzung  zu  den  in  tür- 
kischer Sprache    abgefaßten,    zahlreich    erhaltenen  Urkunden    aus    der  Zeit   der  Türken- 


')  Rebi*  II  endete  damals  am  21.  Dezember  1530.  Wie  aus  A.  v.  Gevay,  a.  a.  O. 
S.  91  hervorgeht,  soll  das  Schreiben  aber  am  17.  November,  also  Ende  Rebi'  I  aus- 
gestellt worden  sein.  , 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  I  ^j 

herrschaft  in  Ungarn.  In  Anbetracht  der  geringen  Verbreitung  der  Kenntnis  der  Original- 
sprache in  Deutschland  dürfte  die  Übersetzung  dieser  Urkunden  nicht  ohne  Nutzen  sein '). 

Im  folgenden  wird  nach  einigen  einleitenden  Angaben  über  Arslan  Pascha  die 
Übersetzung  der  beiden,  in  der  erwähnten  Sammlung  enthaltenen  Briefe  Arslan  Paschas 
an  Kaiser  Maximilian  II.  geboten.  Für  die  Ausarbeitung  der  folgenden  Übersicht  hatte 
Herr  Geheimrat  Jacob  mir  in  uneigennütziger  Weise  seine  Notizen  zur  Verfügung  ge- 
stellt, wofür  ich  ihm  an  dieser  Stelle  zu  danken  nicht  verfehlen  möchte. 

Arslan  Pascha  war  Bejlerbej  von  Ofen  vom  19.  Mai  1565  bis  zum  3.  August  1566. 
Er  war  der  Sohn  des  dritten  Statthalters  der  Stadt,  Jahjapaschazade  Mehmed  Pascha 
(^1543 — 1548)-),  dessen  Vater  und  Bruder  sich  in  hohen  Stellungen  befunden  hatten. 
In  seiner  Jugend  scheint  er  zu  allerhand  Extravaganzen  geneigt  zu  haben,  wie  denn 
PetschewiS)  über  ihn  das  Urteil  fällt,  daß  er  leichtsinnigen  Charakters  war  und  mehr 
als  verrückte  Streiche  beging.  Als  er '1565  die  früher  bereits  von  seinem  Vater  inne- 
gehabte Statthalterschaft  zu  Ofen  antrat  —  was  eine  besondere  Auszeichnung  bedeutete, 
da  in  der  Regel  der  Sohn  eines  Statthalters  für  diesen  Posten  nicht  in  Frage  kam  — , 
begann  er  sein  Interesse  vor  allem  dem  Finanzwesen  der  Stadt  Ofen  sowie  Bauten 
militärischen  Charakters  zuzuwenden.  Wie  wir  aus  Petschewi^)  erfahren,  gingen  die 
gesamten  Einkünfte  Ägyptens  (300000  Goldstücke?)  nach  Ofen.  Arslan  war  es,  der 
das  Pulvermagazin  zu  Ofen  erbaute,  und  zwar  mit  Hilfe  ungarischer  Gefangener^).  Er 
umgab  zum  ersten  Male  die  untere  Stadt  mit  einer  Mauer?);  Ewlija^)  bezeichnet  ihn 
sogar  als  den  Erbauer  der  Festung.  Ferner  geht  auf  ihn  die  Ofener  Wasserversorgungs- 
anstalt, der  Arslan  pascha  sebili9),  zurück.  Die  höchsten  Anforderungen  an  die  Tatkraft 
dieses  hervorragenden  .Mannes  stellte  zweifellos  der  Auftrag  Sultan  Solimans,  eine  Brücke 
über  die  Drau  zu  schlagen.  Von  der  reißenden  Strömung  des  Flusses  wurde  das  an- 
gefangene Werk  dreimal  wieder  zerstört,  bis  es  endlich  einer  Zahl  von  25000  Arbeitern 
gelang,  in    zehntägiger  ununterbrochener   Arbeit  die  gewaltige  Aufgabe  zu  erledigen 'o). 


')  Ein  Schreiben  von  Mustafa  Pascha  an  Kaiser  Maximilian  11.  habe  ich  in  deut- 
scher Übersetzung  veröffentlicht  als  Anhang  zw  -»Deutsche  Übersetziingeii  türkischer  Ur- 
kunden, herausgegeben  von  der  Doktor-Hermann-Thorning-Gedächtnis-Stiftung  durch 
das  Orientalische  Seminar  zu  Kiel,  Heft   i.     Kiel    191 9«. 

^)  Petschewi  I,  S.  30  u.  36.  —  Bei  Ewlija  VI,  S.  248  Z.  5  v.  u.  sind  Vater 
und  Großvater  verwechselt  worden. 

3)  Petschewi  I,  S.  36,   Z.  5/6:  ^jlX^XjI    V_jL^jV,!    ^>ÖL:S\a1    '-J;Xiws  ^Jbi  1i 

4)  Petschewi  I,  S.  36. 

5)  Dukagin  Mehmed  Pascha  hatte  diese  vor  einem  Jahrzehnt  um  150000  Gold- 
stücke vermehrt  (Hammer,  Gesch.  d.  osin.  Reiches  III,  S.  340).  Auf  diese  Überschüsse 
verweist  die  Soliman-Urkunde  Rev.  hist.  37,  S.  24. 

6)  Ewlija  VI,  S.  249.  Petschewi  I,  S.  36.  —  Pulver  kam  noch  unter  Arslans 
Nachfolger  Mustafa  Sokolli  Pascha  (1566— 1578)  nach  dessen  Rechtfertigungsschreiben 
{Islam  IX,    100  ff.)  aus  Ägypten. 

7)  Vgl.  Zeiler,  Neue  Beschreibung  des  Königreichs  Ungarn,  Leipzig  1664,  S.  179. 

8)  Ewlija  VI,  S.  219. 

9)  Ewlija  VI,  S.  239. 

■0)  Hieron.  Ortelius,  Chronologia,  Nürnberg  1604,  S.  141.  Er  hat  zwar  den 
Namen  Arslan  in  Hamsam  verderbt,  bezeichnet  diesen  aber  ausdrücklich  als  Pascha  von 
Ofen  im  Jahre   1566. 

10* 


148  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

Doch  genügte  die  Verzögerung  des  Baues  ^),  um  den  Sultan  Soliman  so  in  Zorn  zu 
versetzen,  daß  er,  auf  dem  Wege  nach  Szigetvar  begriffen,  Arslan  vor  seinem  Zelte  in 
der  Nähe  des  Berges  Arschan  (Harsany)  hinrichten  ließ*).  Doch  dürfte  billig  bezweifelt 
werden,  ob  jenes  der  wahre  Grund  gewesen  sei;  Petschewi3)  nennt  vielmehr  als  den 
Grund  der  Hinrichtung  Arslans  den  Verlust  von  Tata4),  und  auf  denselben  unglücklichen 
Feldzug  spielt  auch.  IsthvanfiJ)  an. 

Auf  noch  andere  Ursachen  des  Sturzes  Arslans  deutet  ein  Brief*)  des  letzteren  an 
Pethö  Jänos,  Hauptmann  zu  Komorn,  geschrieben  am  i.  April  1566,  also  nur  einige 
Monate  vor  Arslans  tragischem  Ende.  Daraus  erfahren  wir,  daß  ihm  Unterschlagungen 
zur  Last  gelegt  wurden,  ferner,  daß  eine  von  dem  Sohn  des  Königs  Johann 7),  dem 
Pascha  von  Temesvar  und  dem  Bej  von  Szolnok  genährte  feindliche  Strömung  gegen 
ihn  bestand,  die  ihn  durch  die  Beschuldigung,  er  habe  sich  von  dem  deutschen  Kaiser 
bestechen  lassen^),  zu  Fall  zu  bringen  suchte* —  was  ihr  denn  wohl  auch  gelungen 
sein  mag. 

Die  Grabstelle  Arslans  wird  von  Ewlija9)  als  zijä7-et  (Wallfahrtsort)  bezeichnet, 
wie  er  ihn  selber  auch  sehid  (Märtyrer)  nennt  1°);  nicht  zum  geringsten  mag  zu  dieser 
augenscheinlich  hohen  Verehrung,  die  Arslan  in  Ofen  genoß,  auch  seine  gemeinnützige 
Wirksamkeit,  so  vor  allem  die  Stiftung  des  obenerwähnten  sehil  beigetragen  haben. 

II.  Briefe  des  Arslan  Pascha  an  Kaiser  Maximilian   II. 
I.  Brief  {A  Budai  Basdk  ....  Nr.  17.) 

Wir  Arslan  Pascha,  Statthalter  des  Kaisers  der  Türken")  im  Reiche  Ungarn  zu  Ofen. 

Mein  erhabener  gnädiger  Herr!   Ich  sende  Eurer  Majestät  meinen  schriftlichen  Gruß. 

Ich  tue  Eurer  Majestät  zu  wissen,  daß  vor  einiger  Zeit  der  Mann  Eurer  Majestät, 
Cernwith  Mihal,  von  der  Pforte  des  mächtigen  Kaisers  angekommen  ist.  Eure  Majestät 
hat  mir  mitteilen  lassen,  daß,  wenn  das  türkische  Heer  von  Sakmar'^)  zurückkehre  und 


*)  So  nach  Ortelius  a.  a.  O.  S.  150;  auf  ihn  geht  auch  die  Angabe  Zeiler's 
(s.  Anm.  7)  zurück. 

*)  Ewlija  VI,  S.  505.     Petschewi  I,  S.  36. 

3)  a.  a.  O.;    doch    schränkt  er  seine  Behauptung  durch  'anscheinend'  (yälibä)  ein. 

4)  Das  unter  den  Urkunden  der  K.  K.  Konsularakademie  in  Wien  als  Nr.  137,1 
enthaltene  Rechtfertigungsschreiben  Mustafa  Paschas  besagt,  daß  Arslan  Pascha  nach 
Aufgabe  von  Tata,  Veszprem,  Gesztes  und  Vitan  bis  nach  Ofen  zurückgeworfen  worden 
sei.  —  Vgl.  noch  Lefaivre,  Les  Magyar s  pendant  la  domination  ottomatte  I.  Paris 
1902.     S.  161. 

5)  Regni  Hungarici  Historia  ....  a  Nicoiao  Isthuanfio.  Col.  Agr.  1724. 
Es  heißt  dort  S.  290b:  »Harsa  ii  (=  in  Harsany)  etiam  in  castra  venit  infelix  Arslanes, 
male  ad  Palotam  et  Vesprimium  gestae  rei,  ac  falsae  explorationis  damnatus,  quem  aditu 
coUoquioque  prohibitum,  ita  percitus,  ante  praetorium  tabernaculum  extemplo  interfici 
jussit.« 

6)  A  Budai  basdk  ....   Nr.  22. 

7)  Siehe  Seite  149  Anm.  3. 

*)  a.  a.  O.:  » —  —  haben  mich  fälschlich  beschuldigt,  daß  ich  mir  von  den% 
deutschen  Kaiser  sehr  viel  Geld  habe  schenken  lassen  und  kaiserlichen  Besitz.« 

9)  Ewlija  VI,  S.  248. 
'")  ebenda. 

")  Soliman  II  (1520— 1566). 
")   =  Szatmar  an  d.  Szamos,   etwa   i2okm  nordöstl.   von  Groß-Wardein. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  jaq 

sich  auflöse,  Eure  Majestät  dem  mächtigen  Kaiser  ein  angemessenes  Ehrengeschenk 
schicken  werde  für  die  Erhaltung  des  Friedens  in  Zukunft.  Nunmehr  ist  das  ganze 
Heer  zurückgekehrt  und  hat  sich  aufgelöst,  und  die  Begs,  welche  bei  mir  waren,  habe 
ich  auch  alle  nach  Hause  entlassen.  Und  nun  hätte  ich  erwartet,  daß  Eure  Majestät 
dem  Versprechen  gemäß  einen  vornehmen  Mann  mit  dem  für  den  unbesiegbaren  Kaiser 
bestimmten  Geschenk  gesandt  hätte.  Aber  so  ist  es  nicht  gewesen,  sondern  vielmehr 
stellten  Herren  aus  den  Grenzstädten  ein  großes  Heer  auf  in  Marcel'),  und  ihre  Absicht 
war,  auf  Koppan-)  zu  marschieren  und  es  zu  verbrennen.  Da  ich  dies  wohl  erkannte, 
habe  ich  die  dorthin  gehörigen  Begs  mitsamt  allen  Leuten  nach  Hause  entlassen,  damit 
sie  das  Land  vor  der  V^erheerung  durch  die  Feinde  schützten.  Nun  schreiben  einige 
Herren  jetzt  an  mich  des  Inhalts,  daß  ich  das  Heer  um  zu  plündern  dorthin  ge- 
schickt habe. 

Ferner  möge  Eure  Majestät  glauben,  daß  ich  mich  für  das  Zustandekommen  des 
Friedens  mit  allem  Eifer  viel  bemüht  habe,  in  dem  Grade,  daß  ich  bei  allen,  dem 
Pascha  in  Temesvar,  dem  Sohn  des  Königs  Johann  3)  und  einigen  Begs  deswegen  ver- 
haßt wurde,  weil  sie  dem  mächtigen  Kaiser  über  Eure  Majestät  schrieben,  daß  Eure 
Majestät  keinen  Frieden  mit  dem  mächtigen  Kaiser  wünsche,  während  ich  andrerseits 
schrieb,  im  Gegensatz  zu  ihnen,  daß  ohne  allen  Zweifel  Friede  sein  wird. 

Wenn  daher  Eure  Majestät  wünscht,  daß  zwischen  Euch  und  dem  mächtigen  Kaiser 
Friede  sei,  so  entsende  Eure  Majestät  also  sofort  mit  dem  Aga  Hedajet  einen  vornehmen 
Mann  mit  dem  für  den  mächtigen  Kaiser  bestimmten  Geschenk.  Denn  wenn  Eure 
Majestät  diesmal  dabei  Verzögerung  walten  läßt,  dann  können  wir  nichts  Gutes  erwarten, 
und  meine  Briefe  werden  bei  dem  mächtigen  Kaiser  nicht  als  wahr   erfunden. 

Ich  schreibe  Eurer  Majestät  hierüber  nicht  mehr,  sondern  gebe  alles  dem  mäch- 
tigen Kaiser  zur  Kenntnis;   Seine  Majestät  befiehlt,  ich  führe  es  aus. 

Dies  wollte  ich  Eurer  Majestät  nur  kundtun.     Gott  schütze  Eure  Majestät! 

Gegeben  zu  Pest,  20.  Okt.  1565. 

(Aufschrift:)  An  Seine  heilige  königliche  Majestät  Maximilian,  König  von  Ungarn, 
Böhmen  nnd  Österreich,  meinen  hochzuverehrenden  Herrn  und  Nachbar. 

2.  Brief  (A  Budai  Basäk  .  .  .  Nr.  18.) 

Meinen  Gruß  und  meine  Dienste  in  allem  entbiete  ich  Eurer  Majestät  als  meinem 
vertrauten  Herrn  und  gutem  Freunde.  Den  Brief  Eurer  Majestät  habe  ich  mit  besonderer 
Freude  (nag  seretettel)  empfangen  und  daraus  erfahren,  daß  mein  Mann,  den  ich  vor 
kurzem  mit  dem  Manne  Eurer  Majestät  zu  Schvendy  Lazar  geschickt  hatte,  am  vergangenen 
Mittwoch  angekommen  ist  und  daß  Schvendy  Lazar  ihn  reich  beschenkt  und  so  zu  mir 
zurückgesandt  hat.  Wegen  alles  dessen  werde  auch  ich  Eurer  Majestät  Gesandte,  wenn 
sie  ankommen,  und  die,  welche  jetzt  hier  sind,  wahrlich  mit  Ehren  behandeln  lassen 
als  Männer  eines  solchen  Herrschers.  Und  glaube  Eure  Majestät,  daß,  wann  auch  immer 
Eure  Majestät  schreibt  oder  etwas  mitteilen  läßt,  ich  jederzeit  eifrig  Eurer  Majestät  An- 
gelegenheit fördern  werde.  Ich  habe  Eurer  Majestät  Freundschaft  und  gute  Nachbar- 
schaft dem  mächtigen  Kaiser  gegenüber  oft  erwähnt,  und  ich  wünsche  ja  auch  von 
Herzen  Eurer  Majestät  Freundschaft  mit  dem  mächtigen  Kaiser.  Ich  habe  dem  Wunsche 
Eurer  Majestät  gemäß  bisher  mich  stets  bestrebt,  unser  Heer  zurückführen  und  auflösen 

')  =  Marczali,   ca.  20  km  südlich  des  westlichen  Plattensees  im  Komitat  Somogy. 
^)   =  Koppany,   ca.  30  km    südlich    des  östlichen  Plattensees  im  Komitat  Somogy. 
3)  Gemeint    ist  Johann    Sigismund    (f  1571),    Sohn    des    siebenbürgischen    Königs 
Johann  Zapolya  (1526 — 1540). 


j  [^Q  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

zu  lassen.  Aber  wie  verhaßt  ich  wegen  meines  guten  Willens  für  Eure  Majestät  bei 
dem  Pascha  von  Temesvar  und  dem  Sohne  des  Königs  Johann  bin  und  wie  sie  mich 
bei  dem  mächtigen  Kaiser  denunziert  haben,  das  wird  Eure  Majestät  später  genauer 
erfahren.     Allein  ihre  Verräterei  wird  vergebens  sein,  das  glaube  ich  zu  Gott. 

Ich  bitte  nun  Eure  Majestät  als  meinen  gnädigen  Herrn,  wen  Eure  Majestät  zur 
zur  Pforte  senden  will,  also  Hedajet  Aga^),  und  der  Gesandte  Eurer  Majestät,  sobald 
diese  in  Komorn  eintreffen,  daß  Pethö  Janos  es  uns  anzeigen  möge;  auch  ich  werde 
von  hier  Eurer  Majestät  Gesandten  nach  Esztergom  (Gran)  senden  und  werde  den  Ge- 
sandten Eurer  Majestät  und  Hedajat  Aga  zu  Schiff  in  Esztergom  abholen  und  anderer- 
seits Akacius  von  hier  wegbringen.  Möge  Eure  Majestät  meinem  Worte  glauben;  ich 
erwarte  von  Eurer  Majestät,  daß  wir  unsere  Freunde  nicht  belügen  (Jiazwgsagban  hagguk) 
und  daß  Eurer  Majestät  Versprechen  und  mein  Wort  sich  bei  dem  mächtigen  Kaiser 
als  wahr  erweisen  und  zwischen  uns  in  jeder  Beziehung  ein  dauernder  Friede  sein  möge. 

Ferner    bitte   ich  Eure  Majestät    als    meinen  gnädigen  Herrn,    wenn  Eure  Majestät 

mir    einen  Brief   schreibt,    ihn    in    ungarischer  Sprache    schreiben    zu    lassen;    denn    ein 

Schreiber,    der    die  Schrift    gut  versteht,    ist   bei  uns  schwer  zu  bekommen  {igen   ssok), 

und  bisweilen  ist  es  sehr  schwierig  für  mich,  den  Brief  Eurer  Majestät  entziffern  zu  lassen. 

Hierauf   erwarte    ich    von    Eurer    Majestät    eine    Antwort.     Gott    schenke    Eurer  Majestät 

ein  langes  Leben  1 

Gegeben  zu  Pest,  den  26.  Oktober  1565. 

Arslan   Pascha, 

in  allem  Eurer  Majestät  guter  Freund. 

(Aufschrift:)    Zu    übergeben    an  Seine  Majestät  Maximilian,    römischen    und  unga- 
rischen Kaiser  und  König,  meinen  gnädigen  Herrn,  zu  eigenen  Händen. 

H.  Jensen. 


Die  Steuerleistung  Persiens  unter  der  Herrschaft  der  Araber. 

In  Aqx  Encyklopaedic  des  Islams  Bd.  2,  S.  73,  unter  Färs  sagt  Herr  Cl.  Huart: 
»Der  Kharädj  wurde  auf  33  Millionen  Dirhem  festgesetzt  und  unter  Mutawakkil  auf 
35  Millionen  erhöht,  die  Djizya  brachte  1 8  Millionen  Dirhem  ein.«  Der  Herr  Verfasser 
unterscheidet  demnach  hier  zweierlei  Abgaben,  Haräg  und  Giya,  von  denen  das  erste 
in  diesem  Gegensatze  als  Grundsteuer  zu  fassen  wäre,  wogegen  das  zweite  der  Kopf- 
steuer entspricht.  Die  Steuerleistung  des  Landes  würde  beide  umfassen,  es  würde  sich 
also  eine  Summe  von  51  oder  53  Millionen  Dirhem  ergeben.  Sind  wir  nach  den 
Quellen  wirklich  zu  dieser  Auffassung  berechtigt? 

Aus  den  arabischen  Angaben  über  die  Steuerleistung  ergibt    sich  folgendes  Bild: 

Sasanidenzeit:  40  Millionen  Mitkäl-Dirhem   =  57  Millionen  gewöhnliche  Dirhem 

unter    Mu'äwija  I.    (661—680    u,    Z.)    Haräg  70  „  Dirhem 

nach  Ibn  Hordädbih  (schrieb  um  847  u.  Z.) 

IJaräg  im  Reinertrag 33  „  » 

unter    Mu'tasim     (833 — 34)     oder     vor     863 

Reinertrag 35  „ 

unter  'Amr  ibn  al-Lait  (881—887)  Haräg  .    .  31  » 

(dazu  Domänen   19  Millionen  Dirhem) 

unter  Muwaffak  (891/2  u.  Z.) 60  ,, 

I)  Ein  siebenbürgischer  Renegat,  vgl.  Hammer,   Gesch.  des  osman.  Reiches  III,  396  f. 


» 


n 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  I  5  I 

nach  Kudäma  (schrieb  um  928  u.  Z.)  Mittel- 

^gj-t 24  Millionen  Dirhem 

nach  Ibn  Haukai  (schrieb  um  978  u.Z.) 
etwa  I  500  200  Dinar,  dazu  für  ArragSn 

etwa  510000  Dinar,  d.  i.  etwa     ...    34  n  » ') 

nach  IbnBattüta  (erste  Hälfte  des  14.  Jahr- 
hunderts) täglich  loooo  Dinär-Dirheni, 
d.  i.  2500  Dinar  Gold,  für  das  Sonnen- 
jahr berechnet    nach    dem  Silber-Dlnär 

etwa 37  «  » 

oder  nach  dem  Gold-Dinär  etwa  ...   46  „  „^) 

A.  V.  Kremer  gibt  in  der  Kulttirgeschichte  des  Orients  (I,  306)  aus  der  Steuer- 
rolle des  Ibn  Haldün,  für  die  er  Tll  —  1^^  u.  Z.  als  Abfassungszeit  annimmt: 
27  Millionen  Dirhem,  außerdem  30000  Flaschen  Rosenwasser  und  20000  Pfund  Rosinen. 
Keine  dieser  Quellen  spricht  von  der  Kopfsteuer.  Woher  stammt  diese  Angabe? 
Nach  der  Zahl  »18  Millionen«  zu  urteilen,  wird  sie  letzthin  auf  Jäküt  zurückgehen; 
eine  Bestätigung  für  diese  Annahme  ergibt  das  gleichzeitige  Vorkommen  der  beiden 
anderen  von  Herrn  Huart  genannten  Zahlen  (»33«  und  »35  Millionen«)  bei  diesem 
Schriftsteller.     Die  Worte  Jäküts  lauten: 

^j  J^>^Äii  ^.,!  y  03  iüLäxiLj  ^P^J  Uü!  wäii  ^,j.i^»  ■^■•i^'-^   ^}^  ^L-^3 

(C  6,  326,9)  ^y   oJi   v-äii  j^^ 

Dabei  ist  zunächst  festzustellen,  daß  die  Bezeichnung  des  Fadl  ibn  Marwän  als 
Wezir  des  Mutawakkil  nicht  ganz  zutreffend  ist.  Wezir  war  Fadl  ibn  Marwän  nur 
unter  Mu'tasim,  von  dessen  Thronbesteigung  218  d.  H.  bis  zum  Jahre  220.  Dann 
taucht  er  noch  zweimal  auf,  aber  als  Leiter  des  Dtwän  al-haräg\  als  solcher  wird  er 
abgesetzt  von  Mutawakkil  im  Jahre  233  und  im  Jahre  249  von  Musta'In  3).  Als  Leiter 
der  Steuerverwaltung  war  er  dem  Wezir  unterstellt,  hatte  aber  begreiflicherweise  immer- 
hin großen  Einfluß. 

Prüfen  wir  nunmehr  die  Nachricht  über  al-Haggäg.  Die  Worte  bedeuten:  »al- 
Haggäg  erhob  von  Persien  und  Ahwäz  zusammen  achtzehn  Millionen  Dirhem  als  Ab- 
gabe.« Daß  ^>Ji-  nur  bedeutet  »Abgaben  erheben  von  einem  Lande«,  zeigen  die 
Wörterbücher:  Freytag  gibt:  »collegit  tributum«,  Lane:  »he  collected  the  [tax  call ed] 
_l^  and  [other]  property«.  Noch  heute  bedeutet  im  Ägyptisch-Arabischen  gäbt  »the 
r'ent  collector«,  gibäja  »collection  of  taxes  or  rentals,  commission  for  collecting  taxes 
or  rSntals«,    vgl.   Spiro  93  b.     Auch    der  Vocabulista    in    arabico   bietet  (S.  556)    unter 

>)  Da  nach  Ibn  al-Fakih  (264,  17)  der  Dinar  zu  17  Dirhem  gerechnet  wurde 
(in  einer  Angabc  über  das  Gebiet  von  Kumm  in  Persien)  und  derselbe  Satz  von  Ibn 
Haukai  (74,  4)  für  Spanien  unter  'Abdarrahmän  III.  (912—961  u.Z.)  angegeben 
wird,  ist  der  gewöhnliche  Umrechnungssatz  1:15  für  das  zehnte  Jahrhundert  nicht  zu- 
treffend. 

2)  Für  die  Belegstellen  wolle  man  Iran  im  M.-A.  (III)  210  f.  vergleichen. 

3)  Vgl.  Tabari,  Annales  III,   2,    1181,    16  ff.;    3,    i379.  3-   I5i3,  18. 


152  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

reditus    waJ>U    und  als  Verbum  ».Jw,^    c>.jja>  .     Die  arabischen  Originalwörterbücher 

bestätigen,  daß  ^■^^  insbesondere  für  die  Erhebung  des  Haräg,  der  Grundsteuer  oder 
Steuer  überhaupt,  aber  auch  anderer  Abgaben  (amwäl)  verwendet  wurde  (LA.  18,  139, 
lU  14.    17.   19  und  TA.    10,   65,  36  f.).     An   Belegstellen    aus   Texten    für    die  Verbin- 

o     ,        »       , 

düng  des  Wortes  mit  harä%  werden  genügen  Ibn  al-Fakih  204,  8    .   .     c^^.    i')^ 
4^'^,  Tabari,  Annales  i,  3,  1744,  2  _l,.i?Ji  *J     ^,^  und  MukaddasI  65,  Anm. 
^'  ^  ?rlj"^      ^{■i'^xJflj    .jl.    Für  die  Erhebung  der  persönlichen  Abgabe,   die  ein  Sklave 

täglich  von  seinem  Arbeitsverdienst  an  seinen  Herrn  abzuliefern  hatte,  wird  das  Won 
gebraucht  von  Ahtal   (ed.  Salhäni  298,  3)  : 

*'        -  o  ^       ^   y  ^    o    y        y    o  ^Orc     ^  y 

•  _^       ,^  •*    w       ^^ ....        .        _j- 

Unter  dem  Worte  ä.jLa..:>-  scheint  allerdings  zeitweise  eine  besondere  Steuer  ver- 
standen worden  zu  sein.  Während  MukaddasI  133,  6  deutlich  die  Summe  von  Grund- 
und  Kopfsteuer  als  gibäja  bezeichnet  wird,  ebenso  offenbar  Ibn  Hordädbih  14,  lof., 
nennt  MukaddasI  64,  12  die  gibäjät  nach  der  Grund-  und  Armensteuer  und  den 
Schutzgeldern.  Man  könnte  versucht  sein,  das  Wort  an  dieser  Stelle  wiederzugeben 
durch  »weitere  Abgaben«,  aber  Ibn  Haukai  74,  5  werden  die  gtbäjät  genannt  nach 
dem  Prägegewinn  der  Münzstätte  und  der  Armensteuer  und  vor  der  Grundsteuer,  den 
Zehnten,  den  Zöllen,  den  Abgaben  von  ein-  und  abfahrenden  Schiffen,  den  Kopfsteuern 
und  den  Abgaben  von  Verkäufen  auf  den  Bazaren.  Sie  müssen  also  eine  besondere 
Abgabe  gewesen  sein,  kaum  die  Kopfsteuer,  da  diese  an  der  letzteren  Stelle  besonders 
genannt  wird,  an  der  ersteren  wohl  unter  den  »Schutzgeldern«  inbegriffen  ist.  Ibn 
Haukai  162,  10  hilft  nicht  weiter,  dort  scheinen  Zehnten,  Kopfsteuer,  Baugeldsteuer 
und  Pacht  für  die  Meereszölle  dazu  gerechnet  zu  sein,  von  denen  die  erste,  zweite  und 
vierte  Abgabe  nach  jener  anderen  Stelle  ausgeschlossen  wären.  Kopfsteuer  allein 
könnte  es  aber  auch  Hauk.  162,  10  nicht  bedeuten.  Ebensowenig  ist  Ibn'Adäri 
2,  215,  15 f.,  gibäja  als  Kopfsteuer  zu  verstehen:  Halaf  ibn  Bekr,  der  Herr  von  Okso- 
naba  war  Muhammedaner:  gemeint  ist  an  jener  Stelle  die  x\bgabe,  die  der  Vasall  an 
den  Souverän  abzuliefern  hat. 

Derartige  Schwankungen  der  Bedeutung  kommen  bei  Kunstausdrücken  der  Ver- 
waltungssprache auch  sonst  vor,  sie  geben  aber  kein  Recht,  dem  Worte  r-*-?"  ^^  ^^^ 
Stelle  bei  Jäküt  ohne  weiteres  die  Bedeutung  beizulegen:  »in  einem  Lande  die  Kopf- 
steuer (und  nur  diese)  erheben«.  Zu  welchen  Ungeheuerlichkeiten  eine  solche  Bedeu- 
tungsannahme führen  würde,  zeigt  Ibn  Hordädbih  14,  19:  .^J  _♦«£  r"^^"'* 
^y>  OÜI  >^sJ!  ^j  „i^^  is^^»  oü!  wsJi  ÄJL/«  Ssy*,j)\  UJ^li^iajI.  Nehmen 
wir  an,  es  bedeute  an  dieser  Stelle  wirklich;  »Der  Chalife  'Umar  I.  erhob  im  Sawäd 
an  Kopfsteuern  128  Millionen  Dirhem«.  Anscheinend  wird  das  ja  bekräftigt  durch 
die  unmittelbar  vorhergehenden  Worte: 

.-00  ^  o  oS       ^  o^  ^  ^      ^       y  ^ 

d.  h.  der  Kopfsteuer  wurden  unterworfen  500  000  Menschen.  Eine  kurze  Rechnung 
genügt,  um  die  Unhaltbarkeit  der  Annahme  zu  erweisen:  Zahlen  500000  Menschen 
128  Millionen  Dirhem  an  Kopfsteuer,  so  entfallen  auf  den  einzelnen  256  Dirhem.  Nun 
betrug  aber  nach  Ibn  Wädih  (2,  174,  12)  die  Kopfsteuer  unter  dem  Chalifen  'Umar  I. 
im  Sawäd  nur  48  Dirhem  für  die  Höchstbesteuerten,    also  noch  nicht  den  fünften  Teil 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  jc-^ 

des  errechneten  Betrages.  Die  Mittelklasse  zahlte  gar  nur  24  Dirhem  und  die  Unter- 
klasse nur  12,  der  Mittelwert  dürfte  danach  zwischen  12  und  24  Dirhem,  in  größerer 
Nähe  des  letzteren  Betrages,  gelegen  haben.  Es  würde  also  die  errechnete  Zahl  mehr 
als  das  Elffache  des  wirklichen  Betrages  darstellen,  ein  in  Steueransätzen  außerordent- 
lich schwerer  Fehler.  So  sind  wir  auch  an  der  Stelle  bei  Ibn  yordädbih  gezwungen, 
das  Wort  c*'-r'  ^on  der  Erhebung  der  gesamten  Abgaben  zu  verstehen,  nicht  von  der 
Kopfsteuer  allein. 

Wie  kommt  dann  aber  jene  irrtümliche  Auffassung  in  die  Encyklopaedie}  Aus 
V.  Kremer,  Culturgeschichte  i,  305  entnehme  ich,  daß  Barbier  de  Meynard  in  seinem 
Dictionnaire  gcographiqtie  de  La  Ferse  die  Jäküt -Stelle  so  aufgefaßt  hat.  Er  sah  in  ^>.^, 
nachdem  eben  von  ^,s>-  die  Rede  gewesen  war,  einen  Gegensatz  dazu  und  suchte  des- 
halb in  ^r■^^  ^^"^^  Beziehung  auf  die  Kopfsteuer.  In  Wirklichkeit  wird  Jäküt  oder 
seine  Vorlage  die  beiden  Angaben  aus  verschiedenen  Quellen  entnommen  und  in  ihrem 
Wortlaut  unverändert  gelassen  haben.  So  sind  zwei  einander  ähnlich  gebrauchte  Wörter 
ungewollt  in  den  Verdacht  des  Gegensatzes  geraten.  Aus  Barbier  de  Meynard  scheint 
dann  Herr  Huart  geschöpft  zu  haben. 

Auch  das  muß  betont  werden,  daß  nicht  jede  der  beiden  Landschaften  die 
18  Millionen  Dirhem  als  Steuerleistung  aufbrachte,  wie  v.  Kremer  unter  Berufung  auf 
Barbier  DE  Meynard  annimmt')  —  auch  Huart,  da  er  ja  die  18  Millionen  allein  auf 
Färs  bezieht  und  liüzistän  nicht  erwähnt — ,  sondern  daß  nach  Jäküt,  wie  dieser  durch 
5^  deutlich    zeigt,    beide  Landschaften    zusammengenommen  diese  Summe  ablieferten. 

Auffällig  ist  der  Minderertrag  der  beiden  Landschaften  gewiß  in  hohem  Grade  und 
in  bezug  darauf  bemerkte  ich  a.  a.  O.,  die  Gründe  dafür  müßten  noch  genauer  untersucht 
werden.  Hier  hilft  Ibn  Hordädbih  weiter.  Im  Abschnitt  über  die  Steuerleistungen  des 
Zweistromlandes  sagt  er  unmittelbar,  nachdem  er  erwähnt  hat,  daß  unter  'ümar  I.  128, 
unter  'Umar  II.  124  Millionen  Dirhem  an  Abgaben  einkamen:  »al-  Haggäg  ibn  Jüsuf 
erhob  dort  an  Abgaben  18  Millionen  Dirhem  und  keine  hundert  Millionen,  weil  er  vom 
Rechten  abwich,  ungeschickt  vorging  und  Gewalttat  übte«.  Es  ist  die  in  der  Beamten- 
schaft der  Abbasidenzeit,  wohl  auch  am  Chalifenhofe,  geltende  Auffassung,  die  hier  vor- 
getragen wird.  Daß  die  Schuld  den  Statthalter  wahrscheinlich  nur  in  sehr  geringem 
Maße  trifft,  zeigt  ein  Blick  auf  die  Geschichte  jener  Zeit:  die  fortwährenden  Bürger- 
kriege mußten  die  Erträge  der  Ländereien  außerordentlich  stark  beeinflussen.  Wichtig 
für  unsere  Frage  ist,  daß  auch  hier  für  die  gleiche  Zeit  ein  starkes  Sinken  der  Steuer- 
Icistung  bezeugt  wird. 

Allerdings  könnte  man  ein  Bedenken  geltend  machen:  Die  Zahl  18  Millionen  tiitt 
danach  zweimal  unter  den  Steuerleistungen  von  Gebieten  während  der  Statthalterschaft 
des  Haggäg  auf.  Ist  nicht  vielleicht  eine  Verwechslung  anzunehmen?  Dagegen  spricht, 
daß  die  Zahlen  weiterhin  sich  doch  verschieden  gestalten.  Im  Zweistromland  werden 
durch  Gewährung  eines  Vorschusses  von  zwei  Millionen  Dirhem  schließlich  nur 
16  Millionen  Dirhem  erzielt.  Hält  man  aber  dort  einen  Rückgang  der  Einnahmen  von 
128  Millionen  auf  16  Millionen  für  möglich,  so  verliert  die  Nebeneinanderstellung  der  für 
IjLüzistän  und  Persien  unter  al-Haggäg  und  unter  al-Fadl  ibn  Marwän  erzielten  Abgaben- 
höhe, 18  :  (  49 -)- 35),  viel  von  ihrer  Auffälligkeit,  im  ersteren  Falle  würde  der  Rück- 
gang 88  V.  H.,  im  letzteren  Falle  nur  79  v.  H.  betragen.  P.  Schwarz. 

')  Vgl.  I,  295,  unter  yüzistän:  »Die  Kopfsteuer  betrug  nach  einer  vereinzelten 
Nachricht  unter  dem  omaijadischen  Chalifen  Abdalmalik  iS  Millionen  Dirham«,  und 
ebenda  305  (unter  Färs):  »Haggäg  bestimmte  die  Kopfsteuer  auf  18  Millionen  Dirham«, 
beidemal  unter  Verweisung  auf  Barbier  de  Meynard,  Dict.  gcogr.  de  la  Ferse  pg.  412. 


I  :;_|.  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

Zum  arabischen  Fingerrechnen. 

Herr  Professor  Ruska  bittet  mich,  die  folgenden  Bemerkungen,  die  ich  ihm  während 
der  Korrektur  zur  Verfügung  stellte,  an  dieser  Stelle  mitzuteilen : 

Als  mich  mein  schafiitischer  Schech  in  Bagdad  die  salät  lehrte,  gab  er  mir  zur 
Erläuterung  der  Stelle  Minhäg  et-lähilm  (van  den  Berg  I,  89)  über  die  Stellung  der 
Finger  beim  Schluß/'^iöMwö?  folgenden  Text,  der  angeblich  aus  dem  Kommentar  des 
Ahmed  el-Berber  et-TaräbulusI  zum  Text  des  Mausill  (s.  o.  S.  89)  stammen  soll. 

AvLc     ö^l*ij!        Ji     Ti*Sö     iÜjtSwiiJ!     i^'wAÄS     ,.,"!)    *.>JiÄJI     liÄi"»     öo^ 

Jj      ^3     Q-yJJt      -j^JuXäxJ!     ^J^IaJ    ^S>>^f^^     -^J^^^^     'l-^ms       ^Jxw«jL      -iO^uJl^ 

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4^^;^  t3-^  i_^>  IP.^X^3  L^A>-3  ^w.a>LJt  ^  ^^JLft.^!    äJÜUJI  1^^    (7)  ijt*^  _►! 

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Cr^^  J^  iöL-^Jt  ^^.i)  [jJji:^  (I0)»yiji  »I  ^^yx«Ju  1^1*5  (9)iüi.w.i'  3? 
^yx^j^\^  ioL-**JI  ^^  ^L^'ii  ^i>j!  (20)  ^j^..iioiii  3!  j.4j"b'l  1^  uJUJ?  äJüüJ5 
(30)  Q^^^5  3I  »jw>..»»JI  .huN*  ^  ^^^ÖJÜütJf  ^^xJ  '^  (•Lgj'^i  ^-ft^  CJL^^  ^^^;^^ 
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Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  I55 

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_j.=>Lj     pv>,     (^.Ä     pj-sii     ^^5     c>.jJ^^i     Jääi^     OJoiJ!     Sj^    ^Lw3     i^-dfi    Ä.iJl 

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Die  Rechnung  durch  Fingerbeugung. 

Man  wisse,  daß  der  Hadithbeflissene  ihrer  bedarf,  weil  sie  in  den  Hadithen  vor- 
kommt und  ebenso  der  Rechtsgelehrte,  weil  die  schafiitischen  Rechtsgelehrten  auf  sie 
Bezug  nehmen  im  Gebet  beim  Aussprechen  des  Glaubensbekenntnisses.  Nach  ihnen 
ist  es  Sunna,  daß  der  Betende  seine  rechte  Hand  bei  dem  Sitzen  zum  Glaubensbekenntnis 
auf  den  Schenkel  legt  wie  einer,  der  durch  seine  Handstellung  die  Zahl  53  ausdrückt, 
und  das  besteht  darin,  daß  er  die  3  Finger:  Kleinfinger,  Ringfinger  und  Mittelfinger 
fest  einschlägt,  indem  er  die  beiden  Gelenke,  die  an  jedem  Finger  sind,  einknickt. 
Das  bedeutet  drei,  wie  Du  noch  erfahren  wirst,  dann  biegt  er  den  Daumen  nach  der 
Handfläche  zu,  das  bedeutet  fünfzig.  Die  Erklärung  dafür  ist,  daß  die  Beugung  des 
Kleinfingers,  Ringfingers  und  Mittelfingers  der  rechten  Hand  der  Ausdruck  für  die  Einer 
ist,  die  Beugung  des  Zeigefingers  und  Daumens  derselben  Hand  aber  der  Ausdruck  für 
die  Zehner,  die  Beugung  des  Kleinfingers,  Ringfingers  und  Mittelfingers  der  linken  Hand 
drückt  die  Hunderter  aus  und  die  des  Zeigefingers  und  Daumens  derselben  Hand  die 
Tausender.     Du    siehst   aber   ein,    daß    die  Finger   für   die  Einer   zu  wenig   dafür   sind. 


icg  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

denn  es  sind  nur  drei  und  die  Einer  sind  neun,  es  geht  also  nur  durch  eine  Variation. 
Ebenso  ist  es  mit  den  Fingern  für  die  Zehner,  Hunderter  und  Tausender.  Die  Methode 
dafür  ist  folgende:  Will  man  i  ausdrücken,  so  schlägt  man  den  Kleinfinger  fest  ein, 
wie  oben  erwähnt,  für  die  2  schlägt  man  noch  den  Ringfinger  dazu  ein  und  für  die  3 
noch  den  Mittelfinger,  für  die  4  streckt  man  den  Kleinfinger  hoch  und  läßt  Ring-  und 
Mittelfinger  eingeschlagen.  Für  die  5  biegt  man  nur  den  Mittelfinger  ein  und  für  die  6 
nur  den  Ringfinger.  Für  die  7  knickt  man  nur  das  untere  Gelenk  des  Ringfingers  ein 
und  streckt  ihn  so  aus,  daß  er  mit  der  Spitze  den  Daumenballen  berührt.  Für  die  8 
macht  man  dasselbe  mit  dem  Kleinfinger  und  für  die  9  mit  dem  Mittelfinger.  Für  die 
10  setzt  man  die  Spitze  des  Zeigefingers  in  das  Obergelenk  des  Daumens.  Für  die  20 
steckt  man  den  Daumen  zwischen  Zeigefinger  und  Mittelfinger  hindurch,  so  daß  der 
Daumennagel  zwischen  den  beiden  Gelenken  in  der  Mitte  des  Zeigefingers  ruht.  Für 
die  30  setzt  man  die  Innenfläche  der  Daumenspitze  auf  die  Innenfläche  der  Spitze  des 
Zeigefingers,  so  daß  zwischen  den  beiden  Nägeln  ein  Abstand  bleibt,  um  einer  Verwechs- 
lung mit  der  10  vorzubeugen.  Für  die  40  biegt  man  den  Daumen  so,  daß  die  Innen- 
seite seiner  Spitze  auf  der  Außenseit-e  der  Spitze  des  Zeigefingers  ruht.  Für  die  50 
schlägt  man  den  Daumen  nach  der  Handfläche  zu  ein,  für  die  60  gibt  man  dem  Daumen 
dieselbe  Stellung  wie  bei  der  50  und  schlägt  darüber  den  Zeigefinger  fest  ein.  Für 
die  70  setzt  man  die  Spitze  des  Daumens  zwischen  die  beiden  Gelenke  innen  in  der 
Mitte  des  Zeigefingers  und  schlägt  die  Spitze  des  Zeigefingers  darüber  ein,  für  die  80 
legt  man  die  Spitze  des  Zeigefingers  .  .  .  (j).  Für  die  90  biegt  man  die  Spitze  des 
Zeigefingers  nach  ihrer  Wurzel  fest  ein,  so  daß  die  beiden  Fingergelenke  geschlossen 
sind,  so  wird  der  Ausdruck  der  99  noch  an  der  rechten  Hand  vollendet.  Der  Ausdruck 
der  Hunderter  geschieht,  wie  oben  gesagt,  an  der  linken  Hand  in  derselben  Weise  wie 
der  der  Einer  an  der  rechten  Hand,  nämlich  an  3  Fingern.  Die  Tausender  aber  werden 
an  der  linken  Hand  ausgedrückt  in  derselben  Weise  wie  die  Zehner  an  der  rechten, 
nämlich  an  zwei  Fingern,  dem  Zeigefinger  und  dem  Daumen.  Die  höchste  Zahl, 
die  die  linke  Hand  fassen  kann,  ist  also  9900,  bei  der  rechten  ist  es  99  und  so  be- 
halte das! 

Ein  Dichter  hat  dies  scherzhaft  verwendet  im  Angriff  auf  einen  anderen.  Hassan 
el-gilmän  sagt:  ,Als  Chalid  ging,  betrug  sein  Vermögen  90  Dirhem,  und  als  er 
zurückkehrte,  war  sein  Vermögen  nur  noch  ein  Drittel  davon.' 

Das  ist  eine  sehr  feine  Pointe  und  ein  boshafter  versteckter  Angriff.  Denn  er 
deutet  damit  an,  daß  der  genannte  Chalid  in  engen  Umständen  {dajjiqati)  ging  und 
mit  vermögenderi  Umständen  {w äst  an)  zurückkehrte  (vgl.  die  Fingerstellung  bei  90  mit 
der  bei  30). 

Auch  in  dem  Hadith  der  beiden  kanonischen  Sammlungen  steht,  daß  der  Prophet 
diese  Zahl  benutzte.  Der  Text  des  Hadith  lautet:  ,Es  wurde  heute  geöffnet  von  dem 
Wall  des  Ja'gOg  und  Ma'güg  etwas  wie  dieses  hier  und  dabei  machte  er  die  Finger- 
stellung von  90  (s.  Ibn  &\-h.\\\  Nihäja  s.  v.  radmy,  das  bedeutet:  es  wurde  geöffnet 
in  ihr  eine  durchgehende  Öffnung  und  wenn  sie  auch   noch    so    dicht    geschlossen  war. 

Nach  Aussage  meines  Schechs  und  der  Anmerkung  in  der  türkischen  Übersetzung 
der  Enzyklopädie  des  Tasköprüzäde  Mevzü'^ät  el-^ulüm  I,  426  ist  die  Methode  beim 
Handel  heute  so,  daß  der  eine  die  gewünschte  Zahl  an  der  vom  Ärmel  verdeckten  Hand 
des  andern  einstellt,  so  daß  niemand  das  Angebot  kontrollieren  kann.  Besonders  bei 
Edelsteinen  soll  dieser  Brauch  geübt  werden.  H.  Ritter. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  icy 

Notiz  über  den  türkischen  Kalender  der  Heilbrunner  Gymnasial- 
bibliothek. 

Während  die  Stadtbibliothek  der  alten  Reichsstadt  Heilbronn  a./N.  keinerlei  orien- 
talische Handschriften  besitzt,  ist  im  vorigen  Jahre  Gymnasialrektor  Dr.  Wilhelm  Nestle 
beim  Umräumen  eines  Schrankes  der  Bibliothek  des  Gymnasiums  daselbst  auf  eine  Rolle 
gestoßen,  die  er  mir  zu  näherer  Bestimmung  zusandte.  Es  ist  zwischen  zwei  Holzstäbchen 
(am  Anfang  und  Schluß  hierin  eingeklemmt)  ein  grober  alter,  blauer  Tuchstreifen,  7^/2  cm 
breit,  1,75  m  lang,  auf  dessen  Innenseite  der  am  Anfang  und  Ende  verderbte  und  ab- 
gestreifte Text  als  Papierstreifen  aufgeklebt  ist,  in  winziger,  aber,  wo  erhalten,  gut  les- 
barer Neshischrift.  Von  der  Kreisrosette  ^  ^jLiaL«  \*:jj^  i^8.j)0)  zu  Beginn  sind  kaum 
noch  Spuren  vorhanden,  dagegen  ist  der  zweite  kleinere  Kreis  mit  dem  kurzen  _,  ..vi 
w.w.Ax5^    t»jfo,    Schaltjahr   und  -tagskreis,    ebenso  der  dritte,  noch  kleinere  Jahreskreis 

mit  oIjm  i^»jli3  -,.  -ü  daneben  erhalten.  Dann  beginnen  die  Kalendertabellen  in  zwölf 
schmalen  Rubriken  mit  arabischen  Zahlen,  Buchstaben  und  Zeichen  bedeckt  für  die  syrischen 

(christlichen)  Monate  von  <öf  an  bis  _bLA.ii;  'links  am  Rand  finden  sich  noch  Jl\^\ 
L+X-^",  rechts  -O  /♦•^>-,  ^5-ftAö  /*^-5>5  J^li3j-w  ^■^5=-,  *ii-J  /*->»-5>.  Zu  den  beiden 
Kreisen  ist  das  Jahr  rr*)^  ...L>*^'Äk>  i^>wO  1093,  beginnt  10.  Januar  1682  genannt.  Dies 
macht  es  wahrscheinlich,  daß  der  Kalender  nach  der  zweiten  Belagerung  von  Wien  1683 
nach  Deutschland  kam.  Wie  die  Rolle  in  den  Besitz  des  Gymnasiums  kam,  hat  Rektor 
Dr.  W.  Nestle  nicht  feststellen  können.  Diese  kurze  Notiz  soll  auch  bloß  auf  das 
Vorhandensein  dieses  Turcicums  hinweisen  (sonstige  oriental.  Handschriften  finden  sich 
in  der  Heilbronner  Gymnasialbibliothek  nicht).  Am  Schluß  der  beiden  obenerwähnten 
Erläuterungen  zu  den  erhaltenen  zwei  Kreisrosetten  steht  jedesmal  Lsj  ^p^-f^  i^AÜJ.     Dies 

zeigt  schon,  daß  wir  ein  weiteres  Exemplar  eines  sogen.  c*rr^  ^x»üj^  .  immer- 
währenden Kalenders,  »Almanach  perpetuum«,  nach  Art  und  Prinzip  des  früheren  von 
Scheih  Wefä,  896  =  1491  gestorben,  vor  uns  haben.  Zu  näherer  Untersuchung  und 
Verwertung  empfehle  ich  Liebhabern  dieser  kalendarischen  türkischen  Literatur 
auch  die  Heilbronner  Rolle  und  verweise  vor  allem  auf  die  Angaben  und  Literatur- 
nachweise') in  den  großen  Catalogues  raisonncs  (Türk.):  Rieu  (Brit.  Mus.)  p.  122  b, 
259;  Pertsch  (Berlin)  Nr.  lyoff. ;  Flügel  (Wien)  Nr.  1426  f.,  Cataloghi  dei  Codici 
Orientali  di  alcune  Bibliotcchc  d'Italia  (Firenze  1878 — 1904)  p.  446  (Casanatense  von 
Bonelli).  C.  F.  Seybold. 


Stambulcr  Buchwesen  im  18.  Jahrhundert  von  Franz  Babinger.  Leipzig  19 19.  Deutscher 

Verein  für  Buchwesen  und  Schrifttum. 

In  dieser,  auch  typographisch  glänzend  ausgestatteten  Monographie  hat  der  Ver- 
fasser —  materiae  non  cedit  opus  —  mit  staunenswerter  Belesenheit  aus  bekannten, 
noch  viel  mehr  aber  aus  unbekannten  und  schwer  zugänglichen  Quellen  die  Materialien 
zur  Geschichte  des  Buchdruckes  bei  den  Osmanen  bis  zum  Anfang  des  19.  Jahrhunderts 
zusammengetragen    und    kritisch    geordnet.      Die    Türken    selber   haben  bis    vor   kurzem 

')  Wie  z.  B.  Commentarius  in  Ruznamc  Naurus  sivc  tabulac  aequinoctiales  novi 
Persarum  et  Turcaruvi  anni.  Nunc  primum  editae  e  Bibliotheca  G.  H.  Velschii 
(Welsch),  cujus  accedit  dissertatio  de  earundem  usu.  Augustae  Vindelicorum  1676 
(Zenker,  Bibl.  Or.  I,  Nr.  1077  hat  fälschlich  1776I).  Wefä  ist  darin,  so  gut  es  damals 
ging,  faksimiliert. 


j  rg  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

auffällig  wenig  Interesse  für  dieses  Thema  an  den  Tag  gelegt;  die  gleichzeitigen  abenfl- 
ländischen  Berichte,  durch  Irrtümer  und  Mißverständnisse  vielfach  entstellt,  bringen  kein 
zusammenhängendes  Bild,  und  wir  dürfen  erst  von  einer  Durchforschung  der  türkischen 
Archive  die  Aufklärung  der  Widersprüche  und  ^die  Ausfüllung  der  Lücken  in  unserer 
Überlieferung  erwarten.  Es  ist  des  Verfs.  Verdienst,  die  vorhandenen  Angaben  fast  lücken- 
los gesammelt  und  damit  eine  sichere  Grundlage  für  weitere  Forschungen  geschaffen  zu 
haben.  Nicht  minder  wertvoll  sind  die  literarhistorischen  Erläuterungen  nicht  nur  zu 
verschiedenen  Werken,  die  uns  in  den  osmanischen  Inkunabeln  vorliegen,  sondern  auch 
zu  den  älteren  europäischen  Werken,  aus  denen  er  schöpft;  die  Bemerkungen  zum 
tärichi  seijäh  (S.  13  f.)  und  zur  Grammaire  Turque  des  Straßburger  Jesuiten  Holder- 
mann (S.  14  f.)  seien  besonders  hervorgehoben.  Auch  über  das  Leben  des  ersten  tür- 
kischen Druckers,  des  Ungarn  Ibrahim,  erfahren  wir  mancherlei  Neues;  endlich  gibt 
uns  der  Verf.  S.  28  ff.  noch  einige  willkommene  Nachrichten  über  die  Einführung  der 
Druckerei  in  Persien  und  Syrien:  kurz,  diese  Monographie  bringt  uns  im  einzelnen  und 
ganzen  multa  et  multum,   und  ich   wüßte  kaum   etwas  Wesentliches  hinzuzufügen. 

•Der  Verf.  selbst  teilte  mir  nachträglich  mit,  daß  Mustafa  Pascha  in  seinem  ver- 
dienstlichen Werke  7ietä'idschül-wukü'-ät  2.  Ausg.  H.  III  S.  iio  erwähnt,  daß  unter 
Murad  III.  eine  Presse  eingeführt  und  Bücher  gedruckt  worden  seien;  er  habe  in  der 
Sammlung  des  Scheich  ül-islam  Hasan  Efendi  ein  türkisches  Buch  aus  dem  Jahre 
996  H.  (1588)  gesehen.  Mustafa  Pascha  war  ein  gewissenhafter  Literat  und  hatte 
für  kulturhistorische  Dinge  mehr  Verständnis  als  die  meisten  seiner  Landsleute;  ich  glaube 
deshalb  nicht,  daß  seine  Angabe  völlig  aus  der  Luft  gegriffen  ist;  vielleicht  liegt  eine 
Verwechslung  mit  der  von  H.  Baeinger  S.  5  beschriebenen  römischen  Ausgabe  des 
Euklid  vom  J.  1594  vor.  Im  übrigen  ist  es  auffällig,  daß  bis  zum  Auftreten  des  Druckers 
Ibrahim  kein  einziger  türkischer  Autor,  nicht  einmal  Evli ja  Tschelebi  oder  Hadschi 
Khalfa,  von  denen  man  es  wohl  am  ersten  erwarten  durfte,  auch  nur  mit  einer  Silbe 
von  Gutenbergs  Erfindung  Notiz  genommen  hat,  mit  Ausnahme  des  halbungarischen 
Petschewi;  die  Stelle  aus  des  letzteren  Geschichtswerk  hätte  verdient,  angeführt  zu 
werden. 

Infolge  des  Umstandes,  daß  ich  seit  über  einem  halben  Jahre  von  meinen  eigenen 
Sammlungen  getrennt  bin  und  entfernt  von  öffentlichen  Bibliotheken  lebe,  muß  ich  mich 
auf  folgende  Bemerkungen  beschränken'): 

S.  2.  Es  ist  vielleicht  nicht  unnütz  zu  bemerken,  daß  unter  der  -»Prüfung  und 
Berichtigung«  der  Druckwerke  nicht  die  mechanische  Arbeit  der  Korrektur  der  Druck- 
bogen, sondern  die  Bearbeitung  der  Handschriften  für  den  Druck  zu  verstehen  ist,  also 
diejenige  wissenschaftliche  Tätigkeit,  die  bei  uns  den  Herausgebern  älterer  Texte  zufällt, 
und    die    man    lateinisch    mit   recensere,    emendare,  castigare  usw.  zu  bezeichnen  pflegt; 

daraus    erklärt    sich  die  Wichtigkeit  der  Funktionen   eines   ^\^s-ka.*  und    die  besondere 
Erwähnung  des  damit  betrauten  Gelehrten  zum  Schlüsse  solcher  Werke. 

I)  Kleinere  Inkonsequenzen,  gelegentlich  auch  Fehler  in  der  Umschreibung  türkischer 
Eigennamen  und  Büchertitel  will  ich  nicht  besonders  hervorheben;  der  aufmerksame 
Leser  verbessert  sie  ohne  weiteres  (z.  B.  die  Schreibung  ta'rich  ivcc  tärtch,  vgl.  die 
Bemerkungen  im  türkischen  Kamus;  terdjumeti  S.  13.  i.  Spalte  und  S.  25,  i.  Spalte 
Z.  I  für  ierdjümc-i;  an  letzterer  Stelle  ist  zu  lesen:  tibjän-i  näfi'-  terdjümc-i  hurhnn-i 
käli").  Beiläufig:  lautet  nicht  der  Titel  der  chronologischen  Tabellen  des  Hadschi- 
Khalfa  ,^j.|^ÄJi  j*.Jj.äJ  (Verf.  umschreibt  takivtm-i  tewärtch)!  Auch  der  Name  des 
FortsetzerV  dieser  Tabellen,  Emir  Buchara  Scheich  (S.  16),  ist  unvollständig  und 
überdies  in  dieser  Form  nicht  in  Ordnung. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  I  ^y 

S.  12.  Von  einer  zweiten  Auflage  der  Geschichte  der  Seekriege  ist  sonst  nichts 
bekannt,  die  betreffende  Angabe  bei   Lüdeke  dürfte  auf  einem  Mißverständnis  beruhen. 

S.  i6.  Die  Bemerkungen  über  die  von  Ibrahim  besorgte  unvollständige  Ausgabe 
der  Kosmographie ')  des  Hadschi  Khalfa  sind  in  einigen  Punkten  zu  berichtigen.  Von 
dem  vollständigen  Werke  sind  in  Stambuler  Bibliotheken  Handschriften  vorhanden;  ein 
von  mir  eingesehenes  Exemplar  in  der  Bibliothek  des  Mevleviklosters  von  Pera  enthält 
auch  die  Beschreibung  der  rumelischen  Landesteile,  die  von  v.  Hammer  in  deutscher 
Übertragung  veröffentlicht  worden  ist.  Aber,  wie  ich  durch  eingehende  Vergleichung 
dieser  letzteren  mit  dem  HAMwER'schen  Texte  festgestellt  habe,  hat  v.  Hammer  nicht 
die  Handschrift  der  Wiener  Hol  bibliothek,  sondern  eine  andere  jetzt  verschollene  Hand- 
schrift des  Grafen  Rzewusky  als  Vorlage  benutzt.  Damit  erledigen  sich  die  Zweifel,  die 
Flügel  bezüglich  der  Autorschaft  des  Hadschi   Khalfa  geäußert  hat. 

S.  i8  Anm.  Die  Papiermühlen  am  Wasserlaufe  des  danach  benannten  Kiat-hane 
suju  (griech.  yjxpxaptxo;)  müssen  schon  in  sehr  früher  Zeit  eingegangen  sein.  Der  erste 
Topograph  von  Stambul,  Petrus  Gyllius,  fand  sie  Anfang  des  i6.  Jahrhunderts  nicht 
mehr  vor. 

S.  19  a.  2.  Das  harte  Urteil  über  die  Stambuler  Ausgabe  des  Aschikpaschazade 
ist  leider  gerechtfertigt.  Den  Herausgeber  trifft  vor  allem  der  Vorwurf,  daß  er  bessere 
Handschriften,  die  ihm  bekannt  waren,  beiseite  gelassen  hat,  obwohl  sie  ihm  zur  Ver- 
fügung gestellt  waren.  So  ist  es  gekommen,  daß  sein  Text  nicht  einmal  vollständig  ist 
und  ganze  Kapitel  fehlen !  Weniger  gereicht  ihm  zum  Vorwurf,  daß  er  von  der  Existenz 
der  vortrefflichen  .  Dresdener  Handschrift  nichts  erfahren  hat.  Ist  diese  doch  nicht  nur 
v.  Hammer  unbekannt  geblieben,  sondern  sogar  von  Feischer  ihrem  Inhalte  und  Werte 
nach  verkannt  worden.  Sie  wird  im  Catalogns  Codicum  Manuscriptorutn  Oricntalium 
Bihliothecae  Regiae  Dresdensis.  Lipsiae  MDCCCXXXl  S.  8  unter  Nr.  60  wie  folgt 
beschrieben: 

Cod.  turc.  foll.    113,  4°  min.,    char.    neschi    scriptus    et  vocalibus  instructus, 

continens    i)    Thewärich    lüe-menäqiln-älT-'Oftmän,    Historiam    gentis  Othomanicae 

usque  ad  mortem  Solimani  I  A.  H.  974  (Chr.    1566)  auctore  Derwischo  A'-hmedi- 

''Aschiqi.     Adjectus  est  conspectus  dynastiarum  antiquiorum.     2,  opusculum  de  na- 

tivitatibus  etc. 

Fleischer  hat  verkannt,  daß  in  dieser  Handschrift  3  Werke  vorliegen: 
i)  die  Chronik  des  Aschikpaschazade  (die   Bezeichnung  des  Autors  als  Derwisch 

Ahmedi  Aschiqi  wirkt  wie  ein  Inkognito),  allerdings  nicht  ganz  vollständig; 

2)  der  tärJch  des  kleinen  Nischandschi  (sehr  häufig  in  unsern  Handschriftensamm- 
lungen, auch  gedruckt),  der  bis  zum  J.    1566  reicht; 

3)  ein  nichtsnutziges  astrologisches  Werk. 

Ich  kann  aus  diesem  Anlasse  den  Wunsch  nicht  unterdrücken,  daß  die  Dresdener 
Sammlung,  die  auch  sonst  verkannte  wertvolle  Stücke  enthält,  eingehender  untersucht 
und  beschrieben  werde. 

S.  29.  Über  die  von  Löm^enklau  veröffentlichten  Übersetzungen  türkischer  Chro- 
niken sind  noch  immer  irrige  unzutreffende  Ansichten  im  Umlauf. 

Zuerst  erschienen  die:  A?inales  SuUatiorum  Othmanidarwn,  Francofurdi  1588  (4°. 
4  Bl.  519  SS.),  vom  Verf.  aus  der  deutschen  vom  Dolmetsch  Spiegel  gefertigten  Über- 
setzung eines  anonymen  Geschichtswerks  ins  Lateinische  übertragen  und  mit  dem  tür- 
kischen Original  verglichen,  das  vom  Eigentümer  der  Kaiserlichen  Bibliothek  geschenkt 
worden    war.      Wenn    letzteres    unter   den  von   Flügel  verzeichneten  Handschriften  vor- 

1)  Dies  ist  wohl  das  Vorbild  des  von  Hadschi  Khalfa  als  Titel  gewählten  L^äjl.^; 
als  Titel  des  Geschichtswerkes  des  Neschri  ist  es  »Universalgeschichte«. 


l5o  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

banden  ist,  so  wäre  es  leicht  daran  zu  erkennen,  daß  es  nach  Leunclavius'  Angabe 
die  Zueignung  an  den  Kaiser  Rudolf  trug. 

Wenige  Jahre  darauf  veröffentlichte  Löwenklau  seine  Historiae  Musulmanae  (zuerst 
Frankfurt  a.  M.  1591).  in  denen  er  die  italienischen  Übersetzungen  von  zwei  türkischen 
Chroniken  und  eines  volkstümlichen  Geschichtsbuches  in  wörtlicher  lateinischer  Über- 
setzung wiedergegeben  hat,  indem  er  beide  in  kürzeren  und  längeren  Abschnitten  neben- 
einander stellt;  er  bezeichnet  die  beiden  Vorlagen  als  codex  Vcrantianus  bzw.  Hani- 
waldianus;  die  türkischen  Urtexte  besaß  er  nicht. 

Nach  eingehender  Untersuchung  und  Vergleichung  der  Annales  und  der  Uistoriae 

mit  dem  Berliner  Exemplar  der  ...L^ic  0^  ^Jj^J"  des  Muhji- eddin  und  den  von 
NöLDEKE  und  Behrnauer  veröffentlichten  Abschnitten  aus  Neschri  bin  ich  zu  folgendem 
Resultate  gelangt: 

1.  in    den    Annales   liegt    ein    verkürzter    Text    des  Muhji-eddin,    vielleicht  dessen 
erster  Entwurf  vor; 

2.  der    codex    Verafttianus    der    Historiae    ist    eine    Übersetzung    der    Chronik    de 
Muhj  i-eddin. 

3.  der    codex  Haniwaldianus  ist    eine    Übersetzung    der    Chronik    des    Neschri    mit 
eingelegten  Abschnitten  aus  Aschikpas  chazad  e 's  Chronik. 

Die  von  Löwenklau  bearbeiteten  Übersetzungen  des  codex  Verantiamts  und  Hani- 
ivaldianus  sind  erstaunlich  gut;  mit  Hilfe  des  Haniivaldianiis  läßt  läßt  sich  z.  B.  die 
NöLDEiCE'sche  Übersetzung  der  von  ihm  ZMG  XIII  und  XV  veröffentlichten  Auszüge 
aus  Neschri  an  zahlreichen  Stellen  verbessern.  Jedenfalls  kann,  [auch  abgesehen  von 
der  chronologischen  Unmöglichkeit,  keine  Rede  davon  sein,  daß  Leunclavius  bzw.  seine 
Gewährsmänner  den  Sa'deddin  umgearbeitet  oder  gar  übersetzt  haben.  Vielmehr  trifft, 
wenn  man  will,  das  umgekehrte  zu:  Sa'deddin  hat  seine  berühmte  »Krone  der  Historicft« 
lediglich  aus  Aschikpaschazade,  Neschri  und  Muhji-eddin  in  usum  Delphini 
zusammengeklittert,  und  durch  das  Ansehen,  daß  sein  Werk  dank  seiner  stilistischen 
Formvollendung  (nach  den  orientalischen  Begriffen  seiner  Zeit)  gewann,  seine  Quellen 
der  Vergessenheit  überantwortet').  Es  ist  nur  recht  und  billig  hervorzuheben,  daß  der 
jo  vielfach  verunglimpfte  Hammer  schon  vor  bald  hundert  Jahren  den  Sachverhalt  im 
ganzen  und  großen  richtig  erkannt  hat;  wie  es  denn  überhaupt  endlich  an  der  Zeit 
sein  dürfte,  diesen  Mann  auch  von  einem  andern  Standpunkte  als  dem  engherziger 
philologischer  Akribie  zu  bewerten;  den  diesbezüglichen  Worten  Babingers  (S.  31) 
kann  ich  nur  voll  beistimmen. 

Über  Hansen  Leweniclaun  von  Amelbeurn  (lat.  Johannes  Leunclavius  nobilis 
Angrivarius)  und  seine  Lebensschicksale  sind  wir  nur  mangelhaft,  jedenfalls  nicht  so, 
wie  er  es  verdient,  unterrichtet;  vielleicht  liefert  uns  Herr  Babinger,  dem  wir  bereits 
eine  gründliche  Studie  über  den  alten  Theophil  Siegfried  Bayer  verdanken,  auch  über 
diesen  Mann  eine  eingehende  Monographie,  wozu  er  besonders  berufen  erscheint. 

•)  Bezeichnend  ist,  daß  Had  s  chi-Kh  al  f  a  (Lex.  Bibl.)  die  Werke  des  As  chi  k- 
paschazade  und  Neschri  \xpL  i^Sjil  (leere,\  unbegründete  Historieti,  nicht  wie 
Flügel  erklärt,  vergessene,  selten  gewordene  Geschichtsbücher)  nennt.  Die  naive  Dar- 
stellungsweise dieser  osmanischen  Logographen  entspricht  ja  allerdings  nicht  dem  Stil 
der  offiziellen  ,.ywAw.jjJ*jiij),  läßt  aber  dafür  um  so  klarer  den  sagenhaften  Charakter 
der  osmanischen  Urgeschichte  hervortreten,  während  S  a*  d  e  d  din  und  seine  Abschreiber 
daraus  pragmatische  Geschichte  zurechtgemacht  haben,  ein  Verfahren  auf  das  viel  mehr 
die   Bezeichnung     ^^^  paßt. 

Arosa,  7.  8.   1919.  •  J.  H.  Mordtmann. 


Der  ursprüngliche  Sinn  des  hagg. 

\'on 

Carl  Clemen. 

Im  Jahre  1905  erschien  ein  Buch:  Wiih  the  Pü'grims  to  Mecca, 
das  von  einem  in  England  erzogenen  Perser  namens  Hadji  Khan 
geschrieben  sein  will.  Macdonald,  aus  dessen  Vorlesungen  über  The 
Religious  Attitüde  and  Life  in  Islam  ')  allein  ich  es  kenne,  sieht  keinen 
Grund,  diese  Angabe  zu  bezweifeln,  wenn  auch  des  Pilgers  Arabisch 
von  der  sonderbarsten  Art  sei  und  er  in  seiner  Jurisprudenz  und  Theo- 
logie manche  Fehler  mache.  So  werden  wir  es  als  erlebt  betrachten 
dürfen,  wenn  der  Verfasser  schildert,  wie  er,  der  noch  vor  einem  Monat 
in  einem  Restaurant  in  London  Limonade  geschlürft  habe,  von  dem 
Eindruck  der  um  die  Ka'ba  versammelten  Wallfahrer  ganz  hinge- 
nommen gewiesen  sei.  »A  great  awe  feil  011  me  ....  The  thought  of  home, 
of  country,  of  ivife,  and  child  seemed  drowned  in  a  sea  of  passionate  de- 

votion  to  the  creator  of  those  human  beings  -) The  bürden  of  existence 

seemed  to  be  lifted.  If  I  did  not  actiially  slip  off  the  slough  of  the  flesh, 
I  came  to  realize  in  a  flash  that  the  soul  is  immortal. «  Lhid  ähnliche  Er- 
fahrungen habe  sein  Führer  gemacht,  »as  skeptical  a  rascal  as  ever 
hreathed«;  ja  er  habe  bekannt:  »the  same  emotion  overmasters  me  every 
year  an  entering  the  Ka^bah  of  Allah.«  So  versteht  man  es,  wie  wenig- 
stens sehr  viele  Teilnehmer  an  dem /lag-g-  dadurch  eine  Stärkung  in 
ihrem  Glauben  erfahren  und  diesen  nun  auch  unter  andern  zu  ver- 
breiten suchen,  ja  daß  sie  infolge  davon  von  jetzt  an  den  Ehrennamen 
eines  /lägg-  tragen. 

Zugleich  fühlen  sich  alle,  die  in  Mekka  gewesen  sind,  und  unter 
ihrem  Einfluß  nun  ebenso  die  übrigen,  die  von  ihnen  nur  hören,  trotz 
all  ihrer  sonstigen  Unterschiede  als  eine  große  Einheit.  So  sagt  noch 
Syed  Ameer  Alis)  :  »The  wisdom  ivhich  incorporated  into  Islam  the 
time-honoured  custom   of  annual  pilgrimage  to  Mecca  and  to  the  shrine 

')  1909,  216  ff. 

-)  Macdon..\ld  schreibt  allerdings  blessings. 
3)  The  Spiril  of  Islam  -   1896,  269. 
Islam  X.  II 


1^2  Carl   Giemen. 

of  the  Kaaba,  has  breathed  into  Mohammed'' s  religion  a  freemasonry  and 
hrotherhood  of  jaith  in  spite  of  sectarian  divisions«,  und  ähnlich  Khuda 
Bukhsh  i) :  »l'>ar  after  year,  from  all  parts  of  the  Islamic  world,  streamed 
to  Mekka  Muslims  in  thousands  and  tens  of  thousands,  to  worship  Allah 
at  the  Ka'-bah  and  to  perform  the  Hajj.  There,  at  Mekka,  year  after  year, 
Muslims  of  divers  nationalities  recognized  and  realized  the  potent  spell 
of  their  faith  and  feit  more  deeply  and  keenly  than  ever  the  tie  which  bound 
them  together.«  Insofern  kann  man  Mekka  auch  als  Mittelpunkt  der 
panislamischen  Idee  bezeichnen.  »Ganz  unwillkürlich«,  sagt  darüber 
Becker  2),  »kommt  dem  Pilger  hier  die  herrhche  Einigkeit  und  Größe 
des  Islam  zum  Bewußtsein,  wo  er  die  Völker  der  ganzen  Welt  zu- 
sammenströmen sieht.  Nicht  eine  Propaganda  —  die  existiert  nicht  — , 
nein,  der  bloße  Anblick  frischt  in  ihm  den  panislamischen  Gedanken 

auf. « 

Der  /zag-g-,  zu  dem  unter  bestimmten  Voraussetzungen  jeder  Mann 
und  jede  Frau  verpflichtet  ist,  wird  eben,  wenngleich  verschieden 
eifrig,  von  den  Bewohnern  aller  Länder,  in  denen  überhaupt  der  Islam 
Anhänger  hat,  unternommen,  am  eifrigsten  von  den  Muslims  in  Nieder- 
ländisch-Indien  3).  Kazem  Zadeh4),  der  1910/11  eine  Wallfahrt 
nach  Mekka  machte,  berechnet  die  durchschnittliche  Zahl  der  Teil- 
nehmer an  ihr  auf  50  000,  und  das  Geld,  das  sie  alljährlich  ins  Land 
bringen,  auf  5  V-j  Millionen  Franken.  So  waren  namentlich  die  Be- 
wohner von  Mekka  immer  sehr  stark  am  /lagg-  interessiert,  ja.  vSnouck 
HuRGRONjE  5),  dem  wir  ja  die  eingehendste  Untersuchung  desselben 
verdanken,  glaubt,  daß  auch  Mohammed  die  Rücksicht  darauf  zur 
Anerkennung  des  schon  vor  ihm  vorhandenen  Gebrauchs  bestimmte. 

Sicher  ist  der  /lag-g-  nicht  so  zu  erklären,  wie  das  Mohammed  und 
die  späteren  muslimischen  Gelehrten  tun,  nämlich  als  eine  Feier  zur 
Erinnerung  an  gewisse  Erlebnisse  der  alttestamentlichen  Frommen, 
Adams  und  Evas  und  namentlich  Abrahams  und  der  Seinen.  Er 
wurde  allerdings  wohl  vor  Mohammed  auch  von  Juden  und  nament- 
lich von  Christen  gefeiert;  aber  das  beweist  nur,  daß  man  seinen  ur- 
sprünglichen Sinn  schon  zu  Anfang  des  7.  Jahrhunderts  nicht  mehr 
kannte.     So  wird  es  erst  recht  schwer  halten,  ihn  jetzt  noch  zu  ent- 

')  Essays  Indian  and  Islamic  1012,   18. 

-)  Panislamismits,  ARW.  1904,  182;  vgl.  auch  Tschudi,  Der  Islam  und  der  Krieg 
1914,   II  f. 

3)  Vgl.   Snouck  Hurgronje,  The  Achehnese  1906,  II,  305. 

4)  Relation  d'un  pelerinage  a  la  Mecque,  RMM.   19 12,   19,   179. 

5)  Hei  Mekkaansche  feest  1880,  27.  188.  Im  übrigen  vgl.  außer  der  nachher  anzu- 
führenden allgemeineren  und  besonderen  Literatur  vor  allem  Juynboll,  Handbuch  des 
islamischen  Gesetzes   19 10,    134  ff. 


Der  ursprüngliche  Sinn  des  /lagg.  163 

■decken;    ja,    wir   dürfen   uns    nicht   wundern,    wenn   wir   an    manchen 
Stellen  zu  keinem  völlig  sicheren   Resultat  kommen. 

Zwar,  daß  man  für  den  kag-g-  den  ihräm  annimmt  und  sich  zunächst 
reinigt  sowie  neu  kleidet,  das  geschieht  ja  ähnlich  auch  vor  andern 
gottesdiensthchen  Verrichtungen  und  hat  ursprünglich  überall  den- 
selben leicht  erkennbaren  Sinn:  man  legt  diejenige  .Kleidung,  die  man 
sonst  trägt  und  die  infolge  davon  profan  geworden  ist,  ab  und  dafür 
andere  an,  die  man  für  gewöhnlich,  auch  nachher  nicht  tragen  darf, 
weil  sie  durch  den  Gebrauch  im  Gottesdienst  mit  besonderen,  im  all- 
täglichen Leben  gefährlichen  Kräften  erfüllt  wird.  Ja  beim  Umlauf 
um  die  Ka'ba,  von  dem  später  des  näheren  zu  reden  sein  wird,  ist 
dieser  Sinn  der  Sitte  deshalb  noch  besonders  klar,  weil  man  sich  in 
vorislamischer  Zeit  von  den  Quraisch  Kleider  mieten  mußte;  da  jene 
die  Ka'ba  in  Besitz  hatten,  waren  ihre  Kleider  eben  einmal  mit  deren 
Kräften  erfüllt  und  konnten  dann  von  ihnen  auch  weiterhin  getragen 
werden.  Wollte  oder  konnte  man  dagegen  die  Miete  für  ein  solches 
Kleid  nicht  zahlen,  dann  blieb  man  einfach  nackt,  wie  das  ja  (vor 
allem  wenigstens)  aus  dem  gleichen  Grunde  auch  bei  andern  Gelegen- 
heiten, auch  bei  Griechen  und  Römern,  üblich  war  ^).  Wenn  sich  die 
Pilger  ferner  nur  mit  Öl  salben  sollen,  das  seinen  Geruch  bald  verliert, 
und  ihre  Kleider  nicht  mit  wohlriechenden  Stoffen  gefärbt  sowie  nicht 
genäht  sein  dürfen,  so  sollten  dadurch  von  ihnen  (wie  von  dem  Kleide 
des  jüdischen  Hohenpriesters,  das  nach  Josephus,  ant.  III,  7,  4  eben- 
falls ungenäht  sein  mußte)  ursprünglich  umgekehrt  fremde  Einflüsse 
ferngehalten  werden.  Eben  deshalb  dürfen  die  miikrims  wohl  auch 
weiterhin  keine  Wohlgerüche  gebrauchen;  d.  h.  sie  sollen  sich  nicht 
einen  Genuß  versagen,  sondern  sich  von  fremden  Einflüssen  fern- 
halten. Und  ebenso  erklärt  es  sich,  daß  sie  den  Geschlechtsverkehr 
unterlassen  müssen:  auch  bei  ihm  wirken  ja  nach  primitiver  Vor- 
stellung auf  den  Menschen  geheimnisvolle  Kräfte  ein,  die  sich  mit 
anderen,  wie  sie  im  Kultus  eine  Rolle  spielen,  nicht  vertragen;  daher 


I)  Vgl.  Heckenbach,  De  nuditate  sacra  sacrisque  vinculis  191 1,  8  ff.  Wenn  Well- 
hausen, Reste  arabischen  Heidentums  {Skizzen  und  Vorarbeiten  III)  1887,  107  hinzusetzt: 
»allerdings  aber  können  auch  andere  abergläubische  Motive  dahinter  stecken  oder  wenig- 
stens hineinspielen;  denn  die  Araber  treiben  allerlei  Spuk  mit  dem  Nacktausziehen«,  so 
gilt  das  in  der  Tat  wohl  namentlich  von  dem  von  Nöldeke  (Arabs  [Ancieni],  Encyclopaedia 
of  Religion  and  Ethics  I,  190S,  667  f.)  berichteten  Fall:  a  Bedawt,  who  belotiged  to  the 
neighbouring  tj'ibe  of  Hudhail,  7narched  round  the  Ka'ba  zuith  his  buttocks  tmcovered, 
apparcntly  imagining  that  this  was  a  peculiarly  effective  »leans  of  appealing  to  thc  god. 
Im  übrigen  \gl.  namentlich  Robertson  Smith,  Die  Religion  der  Semiten  1899,  116  f.,  sowie 
dieApulei.,  met.  XI,  29  vorausgesetzte  Sitte,  daß  die  Isismysten  dasGewand,  in  dem  sie 
eingeweiht  worden  waren,  im  Tempel  zurücklassen  mußten. 

II* 


1 54  Carl  Clemen, 

muß   man   bei   allen  .Völkern,    wenn   man   die   Gottheit   verehrt   oder 
Zauberei  treibt,  (im  allgemeinen)  keusch  leben  ").   Auch  daß  die  muhrims 
wenigstens  kein  nützliches  Tier  jagen  dürfen  —  daß  ihnen  die  Jagd 
auf  schädliche  Tiere  und  die  Fischerei  erlaubt  ist,  dürfte  eine  nach- 
trägliche Konzession  sein,  die  für  den  letzteren  Fall  um  so  eher  gemacht 
werden  konnte,  als  zur  Fischerei  in  der  Umgebung  von  Mekka  keine 
Gelegenheit  ist  — ,  wird  den  gleichen  Grund  haben,  weshalb  sonst  bei 
den  verschiedensten  Stämmen,  wie  Krieger  und  Totschläger,  so  Jäger 
und  Fischer  nach  ihrer  Rückkehr  tabu  sind:    sie  stehen  noch  mit  den 
Geistern  der  von  ihnen  getöteten  Menschen  oder  Tiere  in  Verbindung, 
und  diese  könnten  denjenigen  Menschen,   mit  denen  die  Betreffenden 
dann    in  Berührung   kommen,    schaden  -)    oder  wenigstens    mit   den- 
jenigen Kräften,   die  beim  hag^  auf  den  Pilger  einwirken,  in  Konflikt 
geraten.     Daß    umgekehrt    diese    letzteren    für    das    alltägliche    Leben 
gefährlich  sind,  ergibt  sich  wieder  aus  der  aus  Sure  2,  185  zu  entnehmen- 
den Sitte  wenigstens  mancher  Stämme,   in  dieser  Zeit  ihr  Haus  nur 
von  hinten  zu  betreten;  andere  Stämme  bringen  überhaupt  von  ihnen 
erlesfte  Tiere  oder  Fische  durch  ein  Fenster  oder  das  Dach  oder  ein  in 
die  Wand  gemachtes  Loch  in  ihre  Hütte,  und  gewisse  Indianer-  sowie 
indische    Drawidastämme    lassen    mannbar    werdende    Mädchen    oder 
menstruierende  Frauen  nicht  die  gewöhnhche  Tür  benutzen,  weil  dies^ 
durch  die  gefährlichen  Mächte  oder  Geister,  die  im  einen  wie  im  andern 
Falle  auf  den  Menschen  einwirken,  für  künftigen  Gebrauch  ungeeignet 
würde  3).     Die  muhrims  dürfen  sich  endlich,  solange  sie  sich  in  diesem 
Zustande   befinden,    weder   rasieren   noch   Haar   und   Nägel   schneiden 
oder  auch  nur  kämmen,  ähnlich  wie  sich  die  Nasiräer  bei  den  Israeliten 
oder  nach   Tacitus    (Germ.  31,  bist.   IV,  61,  i)  unsere  Vorfahren,  so- 
lange sie  ein  Gelübde  hatten,  oder  die  zwei  Männer,   die  in  Neukaie - 
donien  einen  Toten  zu  bestatten  haben,   solange  nicht  scheren  ließen 
oder  lassen  4) ;   die  besonderen   Kräfte,   die  in  allen  diesen   Fällen  auf 
den    Menschen   einwirken,    werden   eben    vor  allem,    wie    Geruch   oder 
Schmutz,  in  den  Haaren  oder  unter  den  Nägeln  gefunden.   Dagegen  muß 
sich  auch  der  muhrim,  wenn  sein  Zustand  zu  Ende  ist,  wenn  auch  nur 
andeutungsweise,  scheren  lassen,  nicht  um  ein  Haaropfer  darzubringen, 
sondern  weil  ihm  nun  jene  Kräfte  vielmehr  gefährlich  werden  könnten. 

•)  Vgl.  Fehrle,  Die  kuliische  Keuschheit  19 10,  126  ff.,  Cr.vwlev,  Chasiily  {Introduc- 
tory),  Encycl.  of  Rel.  and  Eth.  III,  1910,  483  ff. 

-)  Vgl.  FR.A.ZER,  The  Golden  Bough  3  II,  iqii,  190  f.  205  ff.  V,  1912,  2.  204  ff.,  auch 
W.^CHTER,  Reinheits-oorschriflen  im  griechischen  Kult  191 1,  64  ff. 

3)  Vgl.  Frazer,  a.a.O.  3  V,  2,   189  f.   193.  196.  242  f.  256. 

^)  Vgl.  ebd.  II,  141.  261  f.  Daß  man  sich  oder  Kindern  Haare  und  Nägel  überhaupt 
oder  zunächst  nicht  schneidet,  hat  andere  Gründe. 


Der  ursprüngliche  Sinn  des  Äagg,  l5c 

Angenommen  werden  kann  der  i/iräm  gleich  zu  Anfang  der  Reise 
oder  später,  und  dann  wieder  entweder  für  die  ganze  Pilgerfahrt  oder 
zunächst  nur  eine  '^umra  oder  Umwandlung  der  Ka'ba  und  die  dazu- 
gehörigen Zeremonien.  Darin  liegt  wohl  bereits,  daß,  wie  zuerst 
Wellhausen  i)  sah,  die  'wmra  ursprünglich  nicht  zum  /lag-g-  gehörte; 
wird  sie  doch  auch  für  sich  vorgenommen  und  kommt  sie  doch  beim 
/lag-g-  mehrmals  vor.  So  muß  sie  ohne  Rücksicht  auf  die  sonst  zu  dem 
/ia£-£-  gehörigen  und  eigentlich  mit  diesem  Namen  bezeichneten  Ge- 
bräuche auf  ihren  ursprünglichen  Sinn  untersucht  werden. 

Die  ^umra  besteht  zunächst  aus  einer  mehrmaligen  Umwandlung 
der  Ka'ba,  wie  solche  ja  auch  in  den  verschiedensten  andern  Gegenden 
üblich  waren  oder  sind,  vor  allem  allerdings  bei  Indogermanen,  aber 
auch  bei  den  alten  Ägyptern  und  Peruanern.  Wie  man  zur  Zeit  der 
Entstehung  des  Satapatha  Brähmana  noch  sehr  gut  wußte,  handelte 
es  sich  dabei  wohl  ursprünglich  um  eine  Nachahmung  des  scheinbaren 
Sonnenlaufes,  durch  die  —  nach  dem  bekannten  Prinzip  der  imitativen 
Magie:  Nachahmung  eines  Vorgangs  bewirkt  diesen  selbst  —  der 
Sonnenlauf  bewirkt  werden  sollte;  später  glaubte  man  durch  Um- 
wandlung wohl  auch  Örtlichkeiten  und  Personen  höhere  Kräfte  zu- 
wenden oder  endlich  die  Kräfte  jener  auf  sich  selbst  überleiten  zu 
können.  Ursprünglich  aber  fand  die  Umwandlung  wohl  in  der  Rich- 
tung statt,  in  der  sich  die  Sonne  auf  der  nördlichen  Halbkugel  zu  be- 
wegen scheint  (und  daher  auch  der  Zeiger  der  Uhr  sich  dreht),  d.  h.  so, 
daß  man  dem  Umwandelten  die  rechte  Seite  zukehrt.  Nimmt  man 
sie  dagegen  in  der  umgekehrten  Richtung  vor,  so  hat  das  dieselbe 
nachteilige  Wirkung,  wie  wenn  man  ein  Gebet  oder  eine  Zauberformel 
von  hinten  aufsagt ;  so  erklärt  es  sich  also  wohl,  daß  das  Umwandeln 
links  herum  in  der  schwarzen  Magie  eine  große  Rolle  spielt.  Auch 
der  Tote,  der  ferngehalten  werden  soll,  wird  deshalb  bei  den  Indern 
zunächst  dreimal  links  und  dann  erst  dreimal  rechts  herum  um- 
wandelt, ebenso  wie  in  der  Thebais  des  Statins  (VI,  215  ff.)  bei  der 
Bestattung  des  Sohnes  des  Lykurgos  die  Krieger  die  Standarten  um- 
kehren 

lustrantque  ex  more   sinistro 
orhe  rogum; 
und  dann  erst 

luctus  aholere  novique 
funeris  auspicium  vates  .  .  . 

...   iubet:    dextri  gyro 

. . .  redeunt, 

')  Vgl.  auch  NöLDEKE,  a.  a.  O.  668. 


1 56  Carl  Giemen, 

ja.  wie  in  der  katholischen  Kirche  noch  jetzt  der  Sarg  links  herum 
umwandelt  wird  ^).  .  Aber  wie  die  buddhistischen  Gebetsräder,  die  ur- 
sprünglich wohl  nicht  die  auf  ihnen  stehenden  Gebete  wiederholen, 
sondern  ebenfalls  den  Sonnenlauf  nachahmen  und  bewirken  sollten, 
sich  doch  manchmal  anders  als  von  Osten  nach  Westen  drehen-), 
so  wird  man  ebenso  die  Umwandlnng  auch  sonst  manchmal  in  der 
dem  scheinbaren  Lauf  der  Sonne  entgegengesetzten  Richtung  vor- 
genommen haben,  und  so  erklärt  es  sich  wohl,  daß  der  taimf  um  die 
Ka'ba  (der  übrigens  auch  zu  Pferde  oder  Kamel  oder  auf  einer  Kranken- 
trage gemacht  werden  kann)  links  herum  stattfindet  —  wenn  das 
nicht  vielmehr  im  Gegensatz  zu  der  ursprünglichen  Sitte  so  vor- 
geschrieben worden  ist  3) .  Jedenfalls  könnte  der  }awäf  von  Haus  aus 
deshalb  besonders  gut  ein  Sonnenzauber  der  bezeichneten  Art  gewesen 
sein,  weil  er,  obwohl  nicht  an  eine  bestimmte  Zeit  gebunden,  doch  in 
vorislamischer  Zeit  besonders  im  Monat  Ragab,  der  damals  in  den 
Sommeranfang  fiel,  stattfand;  denn  da  konnte  die  Sonne  der  Stärkung 
durch  einen  solchen  Zauber  vor  allem  zu  bedürfen  scheinen.  Auch  dies 
paßt  zu  der  in  Rede  stedenden  Deutung,  daß  die  ersten  drei  von  den 
im  ganzen  sieben  Umwandlungen  -  diese  Zahl  der  auch  sonst  üblichen 
Umwandlungen  braucht  ja  ebensowenig  erklärt  zu  werden  wie  die  der 
hier  besonders  zu  besprechenden  —  im  Schnellschritt  4)  gemacht 
werden  müssen;  denn  das  war  leichtbegreiflicherweise  (nämlich  um 
den  Zauber  desto  wirksamer  zu  machen)  auch  sonst  für  die  Umwandlung 
vorgeschrieben.  In  Athen  hieß  die  des  Herdes  durch  den  Neugeborenen 
ja  geradezu  djxcpiopofxia,  weil  sie  im  Lauf  geschehen  mußte;  denn  daß 
das  vielmehr  dem  Kinde    Schnellfüßigkeit    habe  mitteilen  sollen. 


1)  Vgl.  GoBLET  d'  Alviella,  MouUns  a  prieres,  roues  magiques  et  circumambula- 
tions,  Croyances,  rites,  institutions  191 1,  I,  7  ff-,  Circumambulation,  Encycl.  of  Rel.  and 
Eth..  III,  657  ff.,  auch  Hillebrandt,  The  Praciice  of  Circumambulation,  Expository  Times 
XXII,  1911,  420  ff.,  Upright,  Circumambulation,  ebd.  563  f. 

2)  Vgl.  Steiner,  Das  buddhistische  Gebetsrad  der  Japaner,  Zeitschr.f.  Missionskunde 
u.  Religionswissenschaft  1910,  34  ff.  304  ff.,  Haas,  Das  Gebctsrad  im  japanischen  Buddhis- 
mus, ebd.  65  ff. 

3)  Vgl.  DouTTE,  Magie  et  religion  dans  VAfrique  du  Nord  1908,  576  f.  Simpson,  The 
Buddhist  Praying  Wheel  1896,  132  ff.  erklärt  das  vielmehr  aus  der  Umwandlung  von 
Gräbern,  und  in  der  Tat  findet  die  der  Marabuts  in  Nordafrika  auch  nach  Doutte  in 
dieser  Richtung  statt.  Wenn  Juynboll  a.  a.  0.  148  die  Umwandlung  der  Ka'ba  so  erklärt, 
daß  man  diese  an  der  Herzseite  haben  wolle,  so  läßt  sich  das  wohl  nicht  belegen. 

4)  Daß  die  Umwandlung  der  Ka'ba  oder,  wie  er  sagt,  des  Tempels  zugleich  im  Hink- 
schritt geschehe,  behauptet  Jeremias,  Allgemeine  Religionsgeschichte  191S,  93  wohl  ohne 
Grund,  doch  vgl.  Wensinck,  Some  Semitic  Rites  of  Mourning  attd  Religion,  Vcrhande~ 
lingen  der  Roninklijkc  akademic  van  rvctcnschapeti,  afd.  Letterkunde,  N.  R.  XVIII,  i, 
19' 7»  43  f.  47. 


Der  ursprüngliche  Sinn  des  /lagg,  lÖ? 

ist  wenigstens  nicht  zu  beweisen;  wenn  bei  den  Esthen  zu  diesem 
Zweck  der  Vater  des  Kindes  während  der  Taufe  desselben,  also  ohne 
es,  um  die  Kirche  rennen  oder  in  Ostpreußen  und  Brandenburg  der 
Pate  nach  der  Taufe  das  Kind  schnell  zu  der  Mutter  tragen  muß,  so 
ist  das  etwas  anderes  ^).  Und  ohne  allen  Zweifel  handelt  es  sich  ur- 
sprünglich ebenfalls  um  einen  Zauber,  aber  einen  sogenannten  Be- 
rührungszauber, wenn  man  den  in  die  Ostecke  der  Ka*ba  eingemauerten 
Steinfetisch  küßt  oder,  falls  man  das  nicht  kann,  mit  der  Hand  oder 
irgendeinem  Gegenstand  berührt,  um  diese  dann  zu  küssen,  sich  an 
den  Moltazam  (die  Mauer  zwischen  dem  Stein  und  der  Tür)  preßt  und 
aus  dem  Brunnen  Zemzem  trinkt:  man  will  sich  durch  all  dies  die  in 
dem  Stein,  der  ganzen  Ka'ba  und  dem  heiligen  Wasser  wohnenden 
Kräfte  aneignen. 

Daß  der  dann  folgende  sa'-j,  der  Lauf  von  Safa  nach  MarWa,  ur- 
sprünglich nichts  mit  der  "umra  zu  tun  hat,  ergibt  sich  wohl  aus  dem 
Koranvers  S.  2,  153:  Fürwahr,  Safä  und  Marwa  gehören  zu  den  heiligen 
Plätzen  Allahs;  wer  daher  den  hagg  oder  die  ''umra  um  das  Haus  herum 
vollzieht,  für  den  ist  es  keine  Sünde,  wenn  er  dort  auch  den 
tawäf  (d.  h.  jenen  sa''j)  ausübt.  Trotzdem  handelt  es  sich  auch  bei 
ihm,  wie  bei  den  zuletzt  erwähnten,  bei  der  '-umra  üblichen  Gebräuchen, 
um  einen  Berührungszauber;  denn  der  sa'-j  ist  wie  andere  ähnliche 
Gebräuche  durch  Zusammenlegung  der  Prozessionen  zu  zwei  Heilig- 
tümern —  in  unserem  Falle  waren  es,  wie  der  Name  zeigt,  ursprüng- 
lich ebenfalls  göttlich  verehrte  Steine  —  entstanden,  die  ihrerseits, 
wie  Prozessionen  überhaupt,  ursprünglich  den  Zweck  hatten,  dem  sie 
unternehmenden  und  dadurch  in  Verbindung  mit  dem  Heiligtum 
kommenden  dessen  Kräfte  zuzuwenden.  Daß  der  sa'-j  wenigstens 
zum  Teil  in  beschleunigtem  Tempo  verrichtet  und  daß  dabei  derselbe 
Weg  im  .ganzen  siebenmal  zurückgelegt  wird,  bedarf  nach  dem  Bis- 
herigen ja  nicht  erst  der  Erklärung. 

So  können  wir  uns  gleich  dem  eigentlichen  hag^g-  zuwenden,  der 
nun,  während  die  erste  damit  verbundene  '■umra  an  keine  bestimmte 
Zeit  geknüpft  ist,  immer  am  8.  oder  9.  Du^l-higg-a  beginnt.  An  einem 
dieser  Tage  begibt  man  sich  zunächst  von  Mekka  nach  Mina  und  dann 
(zum  Teil  im  Geschwindschritt)  nach  'Arafa,  w^o  am  9.  DuH-higga 
der  wuküf,  das  »Verweilen«,  stattfindet.  Ein  solches  wird  sonst  im 
Zusammenhang  mit  einem  Opfer  erwähnt,  das  also  auch  in  'Arafa 
ursprünglich    dargebracht    jvorden    sein    könnte;    oder    man  verweilt 

')  Vgl.  auch  VüRTHEiM,  Amphidroniia,  Mnemosyne  1906,  76  f.  gegen  Reinach, 
L'amphidromie,  Cultes,  niythes  et  religions  I,  1905,  137  ff.,  sowie  Deubner,  Birth  {Greek  and 
J\oman),  Enc.  of  Rel.  and  Eth.  II,  1909,  648. 


1 68     '  CarlClemen, 

wenigstens  an  einer  besonders  heiligen  Stelle,  und  daß  eine 
solche  in  der  Tat  ursprünglich  auch  in  *Arafa  vorhanden  war,  er- 
gibt sich  wohl  aus  dem  Mohammed  zugeschriebenen  Wort:  ganz 
*Arafa  ist  viaukif  (d.  h.  z£;m^z7/- Stätte).  Wahrscheinlich  galt  einer  der 
die  Ebene  von  '*Arafa  im  Norden  begrenzenden  Berge,  auf  dem  auch 
später  noch  Prozessionen  mit  Fackeln  stattfanden,  als  heilig;  der  wiiküf 
hatte  also  ursprünglich  einen  ähnlichen  Sinn  wie  das  Verweilen  der 
Israeliten  am  Sinai  ex.  19,  12  f.,  20,  21  i). 

Wenn  man  am.  Abend  des  9.  Du'l-higg-a  zurück  nach  Muzdalifa 
läuft,  so  handelt  es  sich  dabei  ursprünglich  um  eine  ähnliche  Pro- 
zession zwischen  zwei  Heiligtümern,  wie  bei  dem  sa^'j  zwischen  Safa 
und  Marwa.  Denn  daß  der  wuküf,  der  nun  auch  hier  stattfindet,  eben- 
falls ursprünglich  einer  bestimmten  heiligen  Stätte  galt,  ergibt 
sich  wieder  aus  der  Mohammed  in  den  Mund  gelegten  Äußerung: 
ganz  Muzdalifa  ist  maukif.  Ja,  die  Tradition  redet  im  Anschluß  an 
S.  2,  194  von  einer  besonders  heiligen  Stelle  in  Muzdalifa 
und  versteht  darunter  den  Berg  Ouzah,  was  wieder  eine  Bezeichnung 
des  Gewittergottes  sein  muß.  Endlich  wissen  wir,  daß  bis  auf 
Harun  arraschid  während  der  Nacht  von  Muzdalifa  ein  Holzfeuer 
brannte,  das  später  durch  eine  Illumination  mit  Wachslichtern 
ersetzt  wurde;  und  wenn  wir  beachten,  daß  der  DuH-hig-g-a,  in  dem 
der  hag-g-  gefeiert  wird,  ursprünglich  —  d.  h.  bevor  Mohammed  das 
reine  Mondjahr  einführte  —  in  den  Herbst  fiel,  so  kann  man  dieses 
Feuer  in  der  Tat  nach  dem  Vorgang  von  Nöldeke  noch  genauer 
mit  unseren  zu  dieser  Zeit  angezündeten  Martinsfeuern  vergleichen 
und  in  dem  hagg,  soweit  er  bisher  besprochen  worden  ist,  einen 
Sonnenzauber,  eine  magische  Veranstaltung  zur  Verstärkung  der 
Sonnenwärme,  deren  die  Sonne  im  Herbst  natürlich  besonders 
bedarf,  erblicken.  Ja  vielleicht  ist  auch  die  jetzt  nicht  mehr  deut- 
liche Feier  in  'Arafa  so  aufzufassen;  dann  würde  es  sich  nämlich  besser 


')  ^'gl-  HouTSMA,  Het  skopeKsme  en  het  steenwerpen  ie  Mi/ta,  Ve^-slagcn  en  niede- 
declingen  der  koninklijkc  akadcmic  van  ivctcnschapcn,  afd.  Lettcrku/tdc,  N.  R.  IV,  10.  1904, 
195  f.  —  Nur  in  der  Anmerkung  erwähne  ich  eine  von  Kazem  Zadeh  (a.  a.  0.  214)  in 
folgender  Weise  beschriebene  Sitte  der  persischen  Pilger:  »//j  tracetii  du  doigt  sur  Ic 
sol  un  pctit  ccrclc  au  nom  de  cclui  quHls  dcsirent  z'otr  venir  aux  licux  saints.  Par- 
fois  mime,  des  pcrsonnes  tres  picuses,  dcsirani  faire  elles-memes  un  seeond  ou  un  trois- 
ihne  pelerinage,  tracent  ainsi  un  cercle  en  leur  propre  nom.  Cest  ufic  coutume  ti'es 
rcpandue ,  et  chaque  fois  qu'un  pclerin  se  rend  a  la  Mecque,  ses  a?nis  et  ses  parcnts 
lui  disent  au  moment  ae  son  dcpart,  avec  emotion  et  ?neme  /es  /armes  aux  yeux: 
,Ne  m'oub/ic  pas  att  pied  du  mont  Arafat'.«.  Über  die  sonstige  Verwendung  solcher 
Kreise  vgl.  Doutte,  a.  a.  0.  244  f.,  und  namentlich  Goldziher,  Zauberkreise,  Aufsätze  zur 
Kultur-  und  Sprachgeschichte ,  E.  Kuhn  geividmet  19 16,  83  ff. 


Der    ursprüngliche  Sinn   des  hagg.  j  gg 

erklären,  weshalb  Mohammed  vorgeschrieben  haben  soll,  erst  am 
9.  Du^l-higga  nach  *Arafa  zu  gehen  und  den  wuküf  in  Muzdalifa  am 
Abend  desselben  Tages  nach  Sonnenuntergang  und  am  Morgen  des 
folgenden,  10.,  vor  Sonnenaufgang  vorzunehmen,  als  wenn  man 
annimmt,  er  habe  damit  nur  die  alte  Sitte  überhaupt  abändern  wollen. 
Wahrscheinlicher  tat  er  das  deshalb,  weil  es  für  sie  gerade  darauf 
ankam,  daß  der  wuküf  in  *Arafa  bei  Sonnenunter-  oder  -auf gang  und 
der  in  Muzdalifa  bei  Sonnenunter-  und  -auf gang  stattfand,  d.  h.  weil 
jene  Feuer  des  Abends  oder  (bzw.  und)  Morgens  angezündet 
wurden,  und  dies  wieder,  weil  sie  der  unter-  oder  aufgehenden 
Sonne  zu  Hilfe  kommen  sollten.  Aber  sicher  ist  diese  Deutung  der  von 
Mohammed  gegebenen  und  im  ersten  Falle  später  vielfach  nicht  be- 
folgten Vorschriften  natürlich  nicht. 

Und  wie  ist  endlich  das  Steinwerfen  zu  erklären,  das  zunächst, 
nachdem  man  am  10.  Du'l-hig-ga  von  Muzdalifa  wieder  nach  Mina  ge- 
laufen ist,  hier  mit  sieben  Steinchen  nach  dem  sogenannten  Stein- 
haufen der  'Akaba  und  dann,  nachdem  man  sich  das  Haupthaar  hat 
scheren  lassen  sowie  die  '^umra  um  die  Ka*ba  (wenn  das  nicht  schon 
früher  geschehen  ist,  auch  den  sa''j  zwischen  Safa  und  Marwa  ausge- 
führt hat,  wieder. in  Mina  am  11.,  12.  und  eventuell  13.  DuH-hig-ga  mit 
42  bzw.  63  Steinchen  nicht  nur  nach  dem  genannten  Steinhaufen, 
sondern  auch  noch  nach  zwei  andern  stattfindet?  Da  nach  einer 
Überlieferung  am  10.  Du^l-higga  die  Eiligen  gern  schon  am  Vormittag 
das  Steinwerfen  vorgenommen  hätten,  es  aber  erst,  wenn  die  Sonne 
zu  sinken  begann,  tun  durften,  meint  Houtsma,  die  Zeremonie,  auf 
die  jetzt  noch  ein  Opfer  folgt  —  es  wird  ja  nicht  nur  von  den  Pilgern, 
sondern  auch  den  Daheimgebliebenen  dargebracht  und  heißt  das 
große  Fest  — ,  habe  ursprünglich  den  Schluß  der  Feier  gebildet, 
und  sofern  die  Hitze  am  Nachmittag  am  größten  sei,  sich  aber  auch 
schon  ihrem  Ende  zuneige^),  schließt  er  weiter,  das  Steinwerfen 
habe  die  Tötung  des  Sommers  bedeutet,  die  man  in  Arabien  ebenso 
wie  anderwärts  die  des  Winters  habe  darstellen  oder  vielmehr  be- 
wirken wollen.  Ja,  Houtsma  glaubt  das  auch  damit  beweisen  zu 
können,  daß  in  der  Liste  der  arabischen   Feuer  bei   an-Nuwairi    un- 


I)  Wenn  Houtsma  zum  Vergleich  auf  Ovid,  Fastett  II,  364  verweist,  wonach  an 
den  Luperkalien  die  Lithobolie  auch  stattgefunden  habe  niedias  solc  tenente  vias,  so  be- 
deutet das  erstens  etwas  anderes  und  zweitens  handelt  es  sich  nicht  um  einen  Gebrauch 
des  Luperkalienfestes,  sondern  einen  Zug  in  der  einen  Erklärung  desselben,  die  Ovid  gibt: 
um  jene   Zeit 

Romulus  et  f rater  pastoralisque  iuventus 
Solibus  et  campo  corpora  nttda  dabattt. 


I  70  Carl  Clemen, 

mittelbar  auf  das  vorhin  erwähnte  Feuer  von  Ouzah  das  när  al-istis^a*,- 
das  Regenfeuer,  folgte,  das  man  in  Jahren  großer  Dürre  in  -der  Weise 
anzündete,  daß  man  Zweige  des  sala^-  und  'w^ar-Baumes  an  die 
Schwänze  von  Kühen  band  und  in  Brand  steckte,  um  so  das  Züngeln 
der  Blitze  nachzuahmen  und  den  Gewitterregen  zu  bewirken  —  ähnlich 
wie  man  wohl  zum  gleichen  Zweck  an  den  römischen  Cerealien,  also 
am  19.  April,  brennende  Fackeln  an  die  Schwänze  von  Füchsen  band, 
während  die  entsprechende  Maßregel  Simsons  (Richter  15,4)  in  der 
Tat  andern  Sinn  gehabt  haben  müßte  ").  Es  ist  auch  nicht  zu  leugnen,. 
daß  der  Sommer  oder  vielleicht  sogar  der  Sonnendämon  konnte  ge- 
tötet werden  sollen,  obgleich  man  durch  das  Feuer  von  Quzah  und 
die  Fackeln  von  *Arafa  wohl  vielmehr  die  Sonne  stärken  wollte:  das 
letztere  war  auch  der  Zweck  der  Martinsfeuer,  und  doch  wurde  wohl 
zugleich  der  Sommer  in  Gestalt  eines  an  Armen  und  Beinen  mit  Stroh 
umwundenen  Jungen  vom  »Winter«  besiegt  oder  als  Strohpuppe  ver- 
brannt 2).  Aber  sicherer  ist  es  natürlich,  das  Steinwerfen  in  Mina  so  zu  er- 
klären, wie  der  gleiche  Brauch  sonst,  und  zwar  auch  bei  den  Arabern 
selbst,  aufgefaßt  wird,  bzw.  aus  den  verschiedenen  derartigen 
Deutungen,  die  an  sich  möglich  sind  3),  die  befriedigendste  aus- 
zuwählen. 

Wellhausen  scheint  das  Steinwerfen  in  Mina  als  ursprüngliche 
Entehrung  Toter  erklären  zu  wollen,  wie  eine  solche  in  der  Tat 
auch  sonst  in  Arabien  üblich  war.  »So  wurden  dem  Magqala  b.Hubaira 
bei  einem  Besuche  des  Friedhofs  der  Thaqif  in  Kufa  von  seinen  Klienten 
Steine  in  die  Hand  gedrückt,  damit  er  sie  auf  das  Grab  seines  dort 
beerdigten   Todfeindes   al-Mughira   werfe;    und    das   Grab   des   jedem 


')  ^S^'  3.uch  Greszmann,  Die  Schriften  des  Alten  Testaments  I,  2,  1914,  252,  sowie 
Liebrecht,  Ein  Fuchsfnythns,  Zur  Volkskunde  1879,  260  ff.  und  Frazer,  a.  a.  0.  ^  V,  i, 
297,   5  nebst  der  von  beiden  angeführten  sonstigen  Literatur. 

^)  Vgl.  meinen  Artikel:  Der  Ursprung  des  Martinsfestes,  Zeitschrift  des  Vereins  für 
Volkskunde  1918,  11  f.  Auf  eine  Tötung  von  die  Sonne  bedrängenden  Dämonen 
deutet  nichts  hin. 

3)  Über  andere  vgl.  Chauvin,  Le  jet  des  pierres  au  pelerinage  de  la  -Mecque,  Annales 
de  Vacadeniie  royale  d'archeologie  de  Belgique,  5.  ser.,  IV,  272  ff.,  und  Houtsma,  a.  a.  0. 
201  ff.  Nach  Snouck  Hurgronje,  a.  a.  0.  21  hatte  das  Steinwerfen  vielleicht  wahr- 
sagende Bedeutung;  das  wäre  angesichts  von  Haberlandt,  Die  Sitte  des  Steinwerfens 
und  der  Bildung  von  Steinhaufen,  Zeitschrift  für  Völker psvchologie  und  Sprachierissenschaft 
1880,  300  denkbar,  ist  aber  doch  in  keiner  Weise  wahrscheinlich  zu  machen.  —  Daß  der 
Lauf  nach  Muzdalifa  und  Mina  nicht  mit  Houtsm.\  als  Verfolgung  des  Sonnendämons  zu 
erklären  ist,  ergibt  sich  ja  schon  daraus,  daß  diese  Gangart  auch  sonst  vorgeschrieben  ist. 
Eher  könnte  man,  wie  nach  Eisler  {ARW.  1908,  150  f.)  beim  Pferderennen,  an  einen 
Analogiezauber  zur  Beförderung  des  Sonnenlichts  denken,  aber  auch  das  ist  aus  dem 
bereits  angeführten  Grunde  nicht  wahrscheinlich. 


Der  ursprüngliche  Sinn  des  /ittgg.  17  i 

guten  Muselmann  entsetzlichen  Muslim  b.  Uqba  zu  al-Muschallal  blieb- 
lange Zeit  das  Ziel  frommer  Steinwürfe  ^).«  In  Syrien  und  am  Senegal 
verfährt  man  noch  jetzt  so  mit  den  Gräbern  von  Mördern  ^),  und  an 
der  Straße  von  Zeifa  nach  Schoa  in  Ostafrika  warf  wenigstens  um  die 
Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  noch  jeder  Vorüberziehende  einen 
Stein  auf  einen  Haufen,  weil  dieser  nach  der  Überlieferung  einen  Greis 
und  seine  Tochter  decken  sollte,  die  in  grauer  Vorzeit  hier  wegen  Blut- 
schande gesteinigt  worden  seien  3).  Ja,  dieser  Gebrauch  ist  dann 
wohl  auch  auf  den  bloßen  Ort  eines  Verbrechens  übertragen  worden; 
so  wirft  man  in  Schweden  und  auf  der  Insel  Oesel  auf  die  Stelle,  wo  zwei 
im  geheimen  verbotener  Liebe  gepflegt  haben,  Steine  4);  oder  die  Sitte 
gilt  nur  dem  Verbrechen  an  sich  ;  so  errichten  die  Dayaks  von  Batang 
Lupar  auf  Borneo  zur  Erinnerung  an  eine  besonders  schamlose  Lüge 
oder  einen  besonders  verächtlichen  Wortbruch  einen  Steinhaufen,  auf 
den  auch  jeder  Vorübergehende  einen  neuen  Stein  wirft  5).  Aber  bei 
den  Steinhaufen  in  Mina  deutet  auf  irgendeinen  derartigen  Ursprung 
nichts   hin. 

Und  ebensowenig  darauf,  daß  es  sich  bei  ihnen  eigentlich  um  die 
Gräber  von  solchen  handelte,  die  durch  eigene  oder  fremde 
Hand  (vielleicht  auch  durch  wilde  Tiere)  gestorben  waren  und 
von  denen  man  deshalb  fürchtete,  sie  könnten,  um  sich 
an  ihren  Feinden  oder  den  Überlebenden  überhaupt  zu 
rächen,  wiederkommen.  Daß  man  deshalb  nach  Gräbern  mit 
Steinen  wirft,  hören  wir  wieder  zunächst  aus  dem  ganzen  Gebiet  des 
Islam  6).  Ferner  finden  wir  diese  Sitte  in  Indien  7),  auch  in  Griechen- 
land und  Italien  herrschte  sie;  denn  wenn  Pausanias,  descr.  Gr. 
VIII,  13,  3  sagt,  unterhalb  des  arkadischen  Orchomenos  seien  Stein- 
haufen, lTr£veixT|&rjCjav  oe  £v  iroXsfxoj  Trsaouaiv  avopaaiv,  [oder  X,  5,  4 
von  den  Gräbern  des  Laios  und  seines  Dieners  auf  der  phokischen 
Schiste:  sir'  auxöiv  mUoi  Xo-^aos?  aeawpsujxsvot,  so  meint  er  wohl,  daß 
diese  Steine  erst  später  immer  von  neuem  auf  sie  gehäuft 
wurden,  und  wenn  Pseudo- Servius  zu  Verg.,  Aen.  XI,  247  erzählt, 
auf  dem   Gipfel   des   Garganus  seien   zwei    Brüder   begraben,    die   sich 


I)  A.  a.  0.     109  f.  —  Über    das    Grab    Abu     Righals    vgl.     genauer     Likbrecht,. 
a,  O.  283. 

-)  Vgl.  Frazer,  a.a.O.  ^  VI,   1913,   16  f. 

3)  Vgl.  Haberland,  a.  a.  0.  292,  auch  Wensinck.   a.  a.  0.  97  f. 

4-)  Vgl.  Frazer,  a.  a,  O.  =»  VI,  14. 

5)  Vgl.   Haberl.\.nd,  a.a.O.  299,  Frazer,  a.a.O.  ^  VI,   14. 

6)  Vgl.  Haberland,  a.  a.  0.  291. 

7)  Vgl.  Frazer,  a.  a.  O.  »  VI,   19. 


172 


Carl  Giemen, 


gegenseitig  getötet  hätten,  quae  res  admirationem  habet  ülam,  qua,  si 
qui  duo  inter  ipsam  silvam  agentes  iter  uno  impetu  vel  eodem  momento 
saxa  adversum  sepulcra  iecerint,  vi  nescio  qua  saxa  ipsa  separata  ad 
sepulcra  singula  decidunt,  so  setzt  er  voraus,  daß  man  überhaupt  nach 
den  Gräbern  mit  Steinen  wirft  ^).  Dasselbe  wird  w^eiter  von  den 
Gräbern  von  zwei  durch  die  Hand  voneinander  gefallenen  oder  von 
Gräbern  anderer,  auf  irgendwelche  gewaltsame  Weise  ums  Leben 
gekommener  in  Schweden,  Norwegen,  Island,  Irland  und  Deutschland 
berichtet  2) ;  z.  B.  erzählen  Kuhn  und  Schwartz  3) :  »Etwa  eine  halbe 
Stunde  vom  Dorfe  Rauen  liegt  am  Abhang  der  Berge  hart  an  der 
Straße  nach  Storkow  zur  rechten  Hand  ein  Aufwurf  von  Steinen  und 
Reisig,  den  jeder  Vorübergehende  vermehrt.  Dieser  Hügel  heißt  der 
Nobelskrug;  es  soll  da  nämlich  vor  alten  Zeiten  ein  Krug  gestanden 
haben,  in  dem  ein  Krüger  namens  Nobel  gewohnt;  der  ist  dort,  niemand 
weiß,  weshalb,  erschlagen  worden,  und  da  hat  man  denn  zum  An- 
denken die  Steine  und  Baumzweige  hingeworfen. «  Auch  sonst  wurden, 
ohne  daß  das  hier  näher  untersucht  werden  könnte,  häufig  mit  den 
Steinen  Stöcke,  Zweige  oder  Blätter  hingeworfen  4),  und  wennschon 
das  ursprünglich  gewiß  den  angegebenen  Grund  hatte,  geschah  es 
doch  auch  sonst  später  nur  zum  Andenken  und  daher  nicht  bloß 
an  der  Stelle,  wo  einer  begraben  lag,  sondern  ebenso  an  derjenigen, 
wo  einer  nur  getötet  worden  war.  Zugleich  freilich  wollte  man 
damit  vielleicht  wieder  seinem  Abscheu  vor  einer  solchen  Untat 
Ausdruck  geben;  jedenfalls  ist  die  Sitte,  deshalb  an  der  Stätte  eines 
Mordes  Steine  aufzuschichten,  sozusagen  über  die  ganze  Erde  ver- 
breitet und  findet  sich  nicht  nur  in  Asien,  Afrika  und  Europa,  sondern 
auch  in  Nord-  und  Südamerika,  auf  Celebes  und  Neuseeland  5).  Um- 
gekehrt häufte  man  nicht  nur  auf  die  Gräber  von  solchen,  die  auf 
gewaltsame  Weise  aus  dem  Leben  geschieden  waren,  sondern  auf 
Gräber  überhaupt  Steine  und  betrachtete  sie  nun  vielmehr  als 
Opfer,  die  (mit  andern  zugleich)  den  Toten  dargebracht  würden. 
Auch  diese  Auffassung  des  Steinwerfens  treffen  wir  überall  im  Islam 
an  und  ebenso  bei  den  Hottentotten,  den  Tataren,  den  Bewohnern  von 
Unalaschka  (einer  der  Aleuten),  hier  und  da  auch  in  Irland,  Schottland, 


I)  Vgl.  B.  Schmidt,  Steinhaufen  als  Fluchmale,  Hermesheiligtümer  und  Gräbhügel  in 
Griechenland,  Neue  Jahrbücher  für  Philologie  u.  Pädagogik  1893,  389  f. 

J)  Vgl.  Liebrecht,  a.  a.  0.  272  f.,  Kahle,  Cber  Steinhaufen,  insbesondere  auf  Island, 
Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde  1902,  204  f. 

3)  Morddeutsche  Sagen,  Märchen  u.  Gebräuche  1848,  85. 

4)  Vgl.  Frazer,  a.  a.  0.  »  VI,   15  ff. 

5)  Vgl.  ebd.  15,  auch  Pausanias's  Descrif>tion  of  Greece  IV,  1898,  227. 


Der  ursprüngliche  Sinn  des  fiagg.  '         17^ 

Deutschland*  der  Schweiz,  Österreich  und  Ungarn.  Am  bekanntesten 
ist  es  wohl,  daß  die  Juden  auf  die  Gräber  Steine  legen,  während  die 
Sitte,  daß  Kinder,  die  zum  erstenmal  die  Burgeiser  Alp  im  Vintschgau 
besteigen,  auf  den  dort  befindlichen  Steinhaufen  einige  andere  Steine, 
die  sie  vorher  eingesteckt  haben,  werfen  und  dazu  sagen:  »Ich  opfere, 
ich  opfere  den  wilden  Fräulein«,  obwohl  diese  dort  begraben  sein 
sollen,  doch  schon  zu  den  Steinopfern  nicht  für  Verstorbene, 
sondern  für  Naturgeister  hinüberführt  i).  Solche  Opfer  werden 
allerdings  besonders  Wassergeistern  dargebracht;  so  werfen  z.  B. 
die  Xosa- Kaffern,  wenn  sie  durch  den  Fluß  gehen,  einen  Stein  hinein 
und  beten:  Fluß,  friß  mich  nicht  -);  so  mußte  auch  in  den  Wasserfall 
bei  Krimml  am  Großglockner  jeder  Vorübergehende,  um  glücklich 
wieder  nach  Hause  zu  kommen,  und  ebenso  in  den  Brunnen  auf  dem 
Tomberg  im  Regierungsbezirk  Köln  jeder,  der  aus  ihm  schöpfen  wollte, 
einen  Stein  werfen  3).  Aber  auch  sonstigen  Geistern  werden  neben 
andern  solche  Opfer  dargebracht,  so  besonders  in  Tibet  4);  ja  auch  bei 
der  japanischen  Sitte,  dem  Jizo  Steine  in  den  Schoß  zu  werfen,  die 
man  jetzt  damit  rechtfertigt,  daß  der  Gott  dann  den  Kindern,  die  an  der 
buddhistischen  Styx  Steine  aufhäufen  müßten,  ihre  Arbeit  erleichtern 
würde  -^),  handelt  es  sich  ursprünglich  um  ein  ihm  dargebrachtes 
Opfer.  Liebrecht,  der  wohl  zuerst  die  ganze  hier  in  Rede  stehende 
Sitte  untersucht  hat,  meint  auf  diese  Weise  zugleich  das  Steinwerfen 
in  Mina  erklären  zu  können;  nach  der  Tradition  habe  nämlich  Amr  ibn 
Luhaj  in  Mina  sieben  Götzenbilder  aufgestellt,  von  denen  jedes  mit 
drei  Steinen  beworfen  wurde,  während  Mohammed  statt  dessen  drei 
Steinhaufen  errichtet  habe,  von  denen  jeder  mit  sieben  Steinen 
beworfen  werden  sollte.  Aber  ganz  abgesehen  davon,  daß  sich 
so  diese  spätere  Sitte  noch  nicht  genügend  erklären  würde,  ist 
die  Tradition  wohl  zu  unsicher,  und  selbst  wenn  das  Steinwerfen 
ein  ursprüngliches  Opfer  wäre,  so  würde  dieses  nicht  nur  auf  die 
entsprechende    Behandlung    von    Gräbern,     namentlich    der    Gräber 


I)  Vgl.  Andree,  Ethnographische  Parallelen  u.  Vergleiche  1878,  46  ff..  Liebrecht. 
a.  a.  0.  288  ff.,  wozu  aber  H.a.berland,  a.  a.  O.  303,  zu  vergleichen  ist,  auch  Frazer, 
a.  a.  O.  3  VI,  16. 

-)  Vgl.   Kropf,  Das  Volk  der  Xosa-Kaffern   1906,   186  f. 

3)  Vgl.  Liebrecht,  a.  a.  0.  276,  Haberland,  a.  a.  0.  304  f. 

4)  Vgl.  ebd.  297  ff.,  Waddell,  The  Buddhism  of  Tibet  1895,  204.  286,  K.xhle, 
a.  a.  0.  93  ff. 

5)  Vgl.  Lange  bei  Chantepie  de  la  Saussaye,  Lehrbuch  der  Religionsgeschichte  '^ 
1905,  L  123,  Moore,  History  of  Religions  L  I9I4-  140.  t't)er  eine  kambodjanische  Sitte, 
die  wohl  ursprünglich  auch  denselben  Sinn  hat,  vgl.  Lkclerc,  Le  Biiddhisme  auCambodge, 
1S99,  364.  474  f. 


lyA  Carl  Giemen, 

solcher,  die  auf  gewaltsame  Weise  aus  dem  Leben  geschieden  sind, 
sondern  zugleich  noch  auf  einen  andern  Gebrauch  zurückgehen,  von 
dem  wir  zum   Schluß  noch  reden  müssen. 

Gewiß  sind  die  Steinhaufen,  die  wir  in  Arabien  und  ebenso  in  den 
verschiedensten  andern  Gegenden  der  Welt  finden,  vielfach  nur  Weg- 
marken,  auch  wenn  sie  auf  Bergen  oder  wenigstens  Paßübergängen 
errichtet  sind  und  von  jedem,  der  da  vorbeigeht,  um  einen  Stein  ver- 
größert werden.  Aber  wie  auch  sonst,  so  wird  diese  Sitte  namenthch 
in  den  letzteren  Fällen  häufig  damit  erklärt,  daß  man  zugleich  mit 
dem  Stein,  den  man  wegwirft,  seine  Müdigkeit  los  werde. 
»Thus  in  the  Solomonans  Banks'  Islands, «  sagt  Frazer  '),  der"  die 
Sitte  des  Steinwerfens  zuletzt  behandelt  hat,  Uhe  natives  are  wont  to 
throw  sticks,  stones,  or  leaves  upon  a  heap  at  a  place  of  steep  descent,  or 
where  a  dijficult  path  begins,  saying,  »There  goes  my  jatigue«.  .  .  .  When 
the  Peruvian  Indians  were  dimbing  steep  mountains  and  feit  zueary,  they 
used  to  halt  by  the  way  at  certain  points  where  there  were  heaps  oj  Stentes, 
which  they  called  apachitas.  On  these  heaps  the  weary  men  would  place 
other  stones,  and  they  said  that  when  they  did  so,  their  weariness  lejt  them. 
In  the  passes  of  the  eastern  Andes,  on  the  borders  of  Argentina  and  Bo- 
livia,  large  cairns  are  constantly  found,  and  every  Puna  Indian,  on 
passing,  adds  a  stone  and  a  coca  leaf,  so  that  neither  he  nor  his  beast  of 
bürden  may  tire  on  the  way.  In  the  country  of  the  Tarahumares  and 
Tepehuanes  in  Mexico  heaps  of  stones  and  sticks  may  be  observed  on 
high  points,  where  the  track  leads  over  a  ridge  between  two  or  more  Valleys. 
Every  Indian  who  passes  such  a  pile  adds  a  stone  or  a  stick  to  it  in  order 
to  gain  strength  for  his  journey.  .  .  .  In  Guatemala  also  piles  of  stones 
may  be  seen  at  the  partings  of  ways  and  on  the  tops  of  cliffs  and  mountains. 
Every  passing  Indian  used  to  gather  a  handful  of  grass,  rub  his  legs  with 
it,  spit  on  it,  and  deposit  it  with  a  small  stone  on  the  pile,  firmly  per- 
suaded  that  by  so  doing  he  would  restore  their  flagging  vigour  to  his  weary 
limbs.«  Wie  man  dazu  kommt,  ist  ja  auch  leicht  zu  sehen:  »the  way- 
farer,  <(  sagt  wieder  Frazer  ^),  who  has  toiled,  with  aching  limbs  and 
throbbing  temples,  up  a  long  and  steep  ascent,  is  aware  of  a  sudden  allevia- 


')  A.  a.  O.  VI,  9  f.  Auch  F.\rquhar,  A  Primer  of  Hinduism  "  1912,  186  bildet  a 
wayside  goddess  ab,  at  whose  shrinc  a  weary  iraveller  dcposits  a  rag  atid  a  stone,  in 
order  that  he  may  lose  his  fatigue.  Wenn  man,  wie  Frazer  weiterhin  zeigt,  in  Afrika 
Steine  hinwirft,  bevor  man  einen  Berg  besteigt  und  um  sich  vor  Ermüdung  zu  schützen, 
in  Afghanistan  nach  einem  von  Kahle,  a.  a.  0.  20S,  wiedergegebenen  Zitat  aus  Dania  8,  50 
ebenfalls  im  Tal,  und  wenn  man  sich  krank  fühlt,  so  zeigt  das,  daß  der  ursprüngliche  Sinn 
des  Brauchs  später  natürlich  vielfach  (wenigstens  zum  Teil)  vergessen  worden  ist. 
=)  A.a.O.   12;  vgl.  auch  Doutte,  a.a.O.  42S. 


Der   ursprüngliche   Sinn  des  /tagg.  ijt^ 

iion  US  soon  as  he  has  reached  the  sumimt;  he  feels  as  if  a  weight  had 
beeil  liftedjrom  htm,  aiid  to  the  savage,  with  his  concrete  mode  of  thought, 
it  seems  natural  atid  easy  to  cast  the  weight  front  htm  in  the  shape  of  a 
stone  or  stick,  or  a  hunch  of  leaves  or  of  grass. «  Besonders  deutlich  wird 
dieser  Sinn  des  Gebrauchs  dadurch,  daß  man  auf  die  Steine  usw.,  wie 
wir  das  oben  in  einem  andern  Falle  schon  auch  beobachteten,  spuckt 
oder  sich  mit  ihnen  reibt ;  ebenso  dadurch,  daß  man  manchmal  zugleich 
mit  Steinen  auch  Kleidungsstücke  i),  und  zwar  die  von  leiden- 
den Körperteilen,  von  sich  wirft  2).  Wie  die  Ermüdung,  be- 
trachtet man  eben  die  Krankheit  als  eine  Eigenschaft,  die  sich  auf 
einen  andern  Gegenstand  überträgt  und  mit  ihm  abgetan  werden  kann, 
ja,  wie  Krankheiten  und  sonstige  Leiden,  so  sieht  man  auch 
Sünden  an  und  meint,  sich  von  ihnen  ebenfalls  auf  die  angegebene 
Weise  reinigen  zu  können.  Wo  man  das  später  nicht  mehr  glaubte, 
da  betrachtete  man  die  Steine  und  Kleidungsstücke,  die  man  wegwarf, 
vielmehr  als  Opfer  und  fügte  zu  ihnen  noch  andere  Gegenstände 
hinzu,  die  von  vornherein  nur  diesen  Sinn  haben  konnten,  so  namentlich 
Geldstücke;  aber  ursprünglich  handelte  es  sich  bei  dem  Steinwerfen 
wohl  um  einen  magischen  Gebrauch.  Und  als  solcher  ist  nun 
nach  DouTTE,  dem  de  Goeje  3)  und  Frazer  zuzustimmen  geneigt  sind, 
in  letzter  Linie  das  Steinwerfen  in  Mina  aufzufassen;  das  ist  deshalb 
noch  besonders  wahrscheinlich,  weil  wenigstens  der  Steinhaufen  der 
'Akaba,  wie  schon  sein  Name  sagt,  zwar  nicht  auf  dem  Berge,  aber 
doch  einigermaßen  erhöht  steht  4)  und  man  auf  ihn  nach  BuhäriS) 
aus    dem    Tale    heraus    Steine  werfen  muß. 

Freilich  paßt  der  Gebrauch  dann  nicht  ganz  zu  den  andern,  bei 
dem  hagg  üblichen,  die  zwar  ebenfalls  magischen  Charakter  trugen, 
aber  doch  nicht  die  Befreiung  von  irgendwelchen  Übeln  be- 
zweckten. Indessen  solche  Reinigungszauber  erscheinen  auch  sonst 
manchmal  in  Verbindung  mit  Sonnenzaubern,  wie  wir  sie  in  den  in 
'Arafa  und  Muzdalifa  üblichen  Feiern  erkannten.  Man  springt  über 
oder  durch  das  Johannis-  und  Martinsfeuer  wohl  nicht  nur,  um  sich 
seine  Kräfte  anzueignen,  sondern  um  sich   von   allerlei   Übeln   zu 


I)  Vgl.  Hackmann,  Der  Buddhismus  in  China,  Korea  loid  Japan  1906,  54  (der  aber 
an  Gebetsflaggen  denkt),  Underwood,  The  Religions  of  Eastem  Asia  1910,  113,  Courant, 
Korea,  Encycl.  of  Rel.  and  Eth.  VII,  19 14,  756. 

")  Vgl.  Weinhold,  Die  Verehrung  der  Quellen  in  Deutschland,  Abhandlungen  der 
Akademie  der    Wissenschaften  in  Berlin  1898,  64. 

3)  Internationales  Archiv  für  Ethnographie  1904,  42. 

4)  Vgl.  auch  die  Abbildung  bei    Kazem    Zadeh,   a.a.O.  hinter  S.  222. 

5)  Les  tradilions  Islamiques,  trad.  par  Houdas  et  Mar^ais   I,  1903,  560. 


176 


Carl  Cl  e  ra  en  . 


befreien;  man  streut  auch  die  Asche  des  ausgebrannten  Martins- 
feuers über  die  Wintersaat,  um  sie  vor  Schneckenfraß  zu 
schützen  ^).  Oder  wenn  das  noch  etwas  anderes  ist  und  wenn  es 
überhaupt  bedenkhch  erscheinen  sollte,  diese  germanischen  Ge- 
bräuche mit  altarabischen  zu  vergleichen:  vielleicht  gehörten  diese 
letzteren  eben  ursprünglich  gar  nicht  zusammen.  Mit  andern  Worten: 
w^enn  Wellhausen-)  von  der  ganzen  Feier  sagt:  »Wir  haben  die 
Stationen  des  Kalvarienberges  ohne  die  Passionsgeschichte«,  so  liegt 
das  vielleicht  daran,  daß  es  eine  solche  (d.  h.  eine  einheitliche  Er- 
klärung für  die  verschiedenen  Zeremonien)  gar  nicht  gab.  Wie  der 
sa^j  von  Safa  nach  Marwa  ursprünglich  nicht  mit  der  Umwandlung 
der  Ka'ba  und  der  /lag-g-  nicht  mit  der  ''umra  zusammengehörte,  so  viel- 
leicht auch  das  Steinwerfen  nicht  mit  den  übrigen  Zeremonien  bei 
ersterem;  es  kann  also  von  Haus  aus  einen  wesentlich  anderen  und 
den   angegebenen    Sinn  gehabt  haben  3). 

Daß  wir,  wie  in  einigen  anderen  Beziehungen,  so  namentlich  in 
dieser,  auf  die  Frage  nach  dem  ursprünglichen  Sinn  des  /ia£-g-  keine 
bestimmte  Antwort  geben  können,  ist  nach  dem  früher  Gesagten 
nicht  auffällig;  im  großen  und  ganzen  handelt  es  sich  bei  ihm  jeden- 
falls, wie  wieder  Wellhausen  -;)  sagt,  um  ein  »klotziges  Stück  Heiden- 
tum«, ja  um  magische  Gebräuche,  die  auf  die  allerälteste  Zeit  zurück- 
gehen werden.  Es  war  daher  auch  verständlich,  wenn  Snouck  Hur- 
GRONjEi;)  meinte:  nzou  eenmal  (hetgeen  te  betwij feien  valt)  Sprenger5- 
hoop  vervuld  worden,  dat  00k  de  moslims  hunne  Tübinger  school  mochten 
verkrijgen,  dan  zal  voorzeker  het  Mekkaansche  feest  het  eerst  aan  de  heurt 
zijn  om  geschrapt  te  worden  van  de  lijst  der  zaken,  die  tot  het  wezen  [of 
de  idee})  van  den  Islam  behooren.«  Freilich  erfüllt  hat  sich  zwar  jene 
Hoffnung  Sprengers  —  der  Islam  hat  nicht  nur  seine  rationalistische, 

I)  Vgl.  meinen  angeführten  Artikel  13. 
^)  A.  a.  O.  66. 

3)  Vgl.  auch  NÖLDEKE,  a.a.O.  669:  itWhether  the  whole  march from  'Arafat  io 
Minä  was  determined  hy  a  single  plan,  having  a  consistent  mythological  signification, 
wheiher,  in  other  words,  each  individual  rite  is  to  bc  regarded  as  an  integral  part  of 
a  mythological  drama  and  is  capable  of  beittg  so  interpreted  by  us,  appears  extremely 
doubtful.«. 

4)  A.a.O.  64;  vgl.  auch  Tiele-Söderblom,  Kompendium  der  Religionsgeschichie  4, 
1912,  194:  »es  dauerte  lange,  ehe  diese  unerhörte  Neuerung:  ein  Stück  des  altarabischen 
fetischistischen  Heidentums  in  den  Islam  aufzunehmen,  durchgeführt  werden  konnte. 
Noch  im  Jahre  630  sollen  die  Medinenser  die  Zerstörung  der  Kaaba  erhofft  haben«,  196: 
»dem  Islam  war  ein  Stück  groben  Heidentums  einverleibt,  das  von  seinen  edelsten  Männern, 
wie  einem  Omar,  nie  verdaut  werden  konnte,  sondern  als  ein  fremder  und  unwürdiger  Be- 
standteil empfunden  wurde«. 

5)  A.  a.  0.   190. 


Der  ursprüngliche  Sinn  des  hagg.  \nj 

sondern  auch  seine  kritische  Theologie  bekommen  (als  Vertreter  der 
ersteren  kann  ja  Syed  Ameer  Ali,  als  der  der  andern  Khuda 
Bukhsh  gelten)  — ,  aber  diese  Erwartung  Snouck  Hurgronjes  ist 
nicht  eingetroffen;  denn  wie  die  genannten  beiden  Muslims  tat- 
sächlich über  den  hagg  urteilen,  haben  wir  schon  eingangs  gesehen. 
So  ist  an  ihm  vielmehr  ganz  besonders  deutlich  ein  Gesetz  zu  beob- 
achten, das  auch  sonst  auf  religionsgeschichtlichem  Gebiete  vielfach 
gilt,  das  Gesetz  nämlich,  daß  selbst  Einrichtungen,  die  der  primitivsten 
Zeit  entstammen,  doch  in  einem  andern,  höheren  Sinne  verstanden 
noch  die  Bedürfnisse  der  Gegenwart  befriedigen  können. 


Islam  X,  12 


Arabische  Straßenausrufe. 

Von 

Enno  Littmann. 

Im  Archiv  für  Wirtschaftsforschung  im  Orient  IQIJ, 
Heft  3/4,  S.  410 — 462,  veröffentHchte  ich  einen  Artikel  unter  der  Über- 
schrift »Der  Cairinei'  Straßenhandel  in  seinen  Ausrufen«.  Er  enthält 
zunächst  eine  Sammlung  von  Straßenausrufen  aus  Cairo,  die  in  meinem 
Auftrage  oder  von  mir  selbst  im  Jahre  IQII  veranstaltet  wurde,  dann 
aber  auch  einen  Teil  der  aus  der  Literatur  bekannten  arabischen 
Ausrufe.  Dem  Zwecke  des  Archivs  gemäß  konnte  ich  dort  nur  die 
Übersetzungen  der  Ausrufe  mit  erklärenden  Bemerkungen  geben.  In- 
zwischen wurde  ich  mehrfach  aufgefordert,  auch  die  arabischen  Origi- 
nale herauszugeben.  Da  ich  diesen  Wunsch  als  berechtigt  anerkennen 
muß,  will  ich  ihm  hiermit  entsprechen. 

Inzwischen  hat  sich  mir  jedoch  das  Material  in  erfreulicher  Weise 
gemehrt.  Mein  Freund  Dr.  M.  Meyerhof  in  Hannover  teilte  mir  eine 
ganze  Anzahl  von  Ausrufen  mit,  die  er  teils  in  eigener  Erinnerung  hatte, 
teils  von  einer  in  Hannover  lebenden  Levantinerin  und  ihrer  Mutter 
sich  hatte  sagen  lassen;  diese  Ausrufe  stammen  alle  aus  Cairo.  Ferner 
wurde  mir  seither  bekannt  die  Sammlung  von  Ausrufen,  die  mein 
Oldenburger  Landsmann,  der  hochverdiente  Orientreisende  Ulrich 
Jasper  Seetzen,  im  Jahre  1808  in  Cairo  aufzeichnete  und  die  kein 
Geringerer  als  Heinrich  Leberecht  Fleischer  bearbeitete.  Es  tut 
mir  leid,  daß  ich  diese  Sammlung  nicht  für  meinen  Artikel  in  dem 
Archiv  nutzbar  gemacht  habe,  zumal  sie  manche  lehrreichen  Vergleichs- 
punkte in  sachlicher  Beziehung  bietet.  Ferner  habe  ich  eine  kleinere 
Anzahl  von  arabischen  Ausrufen  nachzutragen,  die  an  verschiedenen 
Stellen  von  Spitta's  Grammatik  sowie  in  den  Lehrbüchern  des  Palä- 
stinischen Arabisch  von  Leonh.ard  Bauer  und  von  H.  H.  Spoer  ab- 
gedruckt sind.  An  zwei  Stellen  (Nr.  203  a,  292)  konnte  ich  auch  Aus- 
rufe erwähnen,  die  mir  freundlichst  von  P.  Kahle  mitgeteilt  wurden; 
hoffen  wir,  daß  seine  durch  den  Krieg  in  Cairo  zurückgehaltene  Samm- 
lung auch  bald  der  Wissenschaft  zugänglich    gemacht   werde.     Wäh- 


Arabische  Stiaßenausrufe. 


179 


rend  des  Druckes  stellte  mir.  Herr  Dr.  Mielck  in  dankenswerter 
Weise  eine  Sammlung  von  Ausrufen  zur  Verfügung,  die  ich  somit 
noch   als  Teil  V  nachtragen  konnte. 

Hier  handelt  es  sich  also  zunächst  um  die  arabischen  Originale  und 
um  ihre  wortgetreue  Übersetzung.  Während  ich  im  Archiv  die  poeti- 
schen Ausrufe  auch  meist  in  gebundener  Form  wiedergegeben  habe, 
habe  ich  sie  hier,  namentlich  auch  für  Nichtarabisten,  in  genauer  pro- 
saischer Übertragung  mitgeteilt.  Bei  den  nichtpoetischen  Ausrufen 
meiner  Sammlung  habe  ich  im  allgemeinen  die  Übersetzungen  gegeben 
wie  im  Archiv,  nur  hie  und  da  konnte  ich  kleinere  Verbesserungen  an- 
bringen. Bei  den  andern  habe  ich  überall  die  veröffentlichten  Über- 
setzungen nachgeprüft  und,  soweit  es  mir  möglich  war,  auf  den  Stand 
unserer  heutigen  Kenntnis  des  Neuarabischen  gebracht. 

Die  Umschrift  habe  ich,  soweit  irgend  angängig,  auf  ein  einheit- 
liches System  gebracht;  d.  h.  ich  habe  die  in  der  Literatur  mit  lateini- 
schen Buchstaben  wiedergegebenen  Ausrufe  nach  dem  von  mir  ge- 
wählten System,  das  sich  nach  meiner  in  Cairo  hergestellten  Nieder- 
schrift richtet,  hier  umgestaltet.  Kleinere  Abweichungen,  wie  z.  B. 
beim  Artikel  und  bei  der  Femininendung,  habe  ich  ausgeglichen.  Den 
Artikel  habe  ich  il-  umschrieben  (im  Satzanfang  zuweilen  ^il-),  die 
Femininendung  für  Ägypten  -a,  für  Syrien  -e.  Dabei  mögen  einzelne 
el-  und  -e  zu  unrecht  in  il-  und  -a  verwandelt  sein;  Seetzen's  Material 
scheint  zum  größten  Teil  von  ägyptischen  Fellachen  zu  stammen,  aber 
es  ist  phonetisch  so  wenig  vollkommen,  daß  eine  durchgreifende  Ände- 
rung vonnöten  war. 

In  arabischer  Schrift  habe  ich  die  Ausrufe  gegeben,  die  Mah- 
mud Sidqi  für  mich  in  Cairo  niedergeschrieben  hat.  In  einigen 
wenigen  Fällen,  wo  Sidqi  vergessen  hatte,  die  arabischen  Formen  zu 
notieren,  habe  ich  sie  in  []  hinzugefügt.  Die  Vokalzeichen,  die  Sidqi 
hin  und  wieder  gesetzt  hat,  habe  ich  sämtlich  weggelassen,  da  sie  sich 
aus  meiner  Umschrift  von  selbst  ergeben.  Akzente  habe  ''ch  dort 
gesetzt,  wo  ich  sie  in  meinen  Vorlagen  fand;  die  Zeichen  für  betonte 
und  unbetonte  Längen  habe  ich,  wo  sie  in  den  .Originalen  nicht  unter- 
schieden waren,  nach  meiner  Kenntnis  des  Neuarabischen  gesetzt.  Die 
Überschriften  der  Rufe  habe  ich  nur  dort  in  arabischer  Sprache  ge- 
geben, wo  sie  mir  in  meinen  Aufzeichnungen  oder  in  der  Literatur 
vorlagen.  Wenn  Sidqi  mir  solche  Überschriften  diktierte,  sprach  er 
meist  nakazm,  w^ährend  ja  die  Ausrufe  selbst  mit  wenigen  Ausnahmen 
in  die  landläufige  Vulgärsprache  gekleidet  sind;  so  konnte  es  z.  B. 
kommen,  daß  in  der  Überschrift  zu  21  kurrds,  in  den  Ausrufen  aber 
kurrdt,  in  der  Überschrift  zu  16 — 18  hass,  in  den  Ausrufen  aber    /lass 


j gQ  Enno  Littmann, 

Steht.  Daher  ist  in  den  Überschriften  ^  durch  q,  in  den  Ausrufen,  mit 
Ausnahme  derer  von  Wetzstein  und  Seetzen,  durch  '  bezeichnet.  Da 
Seetzen  „  meist  durch  rf5f/i bezeichnet,  also  Fellachendialekt  wiedergibt, 
habe  ich  dort  g  geschrieben.  Wo  Seetzen  Formen  der  Literärsprache 
hat,  habe  ich  sie  beibehalten.  Einige  Unterschiede,  wie  sie  z.  B.  in  29 
und  30  bei  der  Wiedergabe  der  Endung  -i  und  dem  folgenden  Artikel 
hefvortreten,  sind  dadurch  entstanden,  daß  die  Ausrufe  mit  verschiede- 
nen Worttakten  und  Pausen  diktiert  wurden. 

Meine  Bemerkungen  beziehen  sich  hier  fast  nur  auf  die  sprachhche 
Form  und  Übersetzung.  Alles  Sachliche  ist  in  dem  Artikel  im  Archiv 
gegeben,  auf  den  hiermit  verwiesen  sei;  für  die  Ausrufe  i — 226  ist  es 
fast  überall  erwünscht,  ihn  zu  vergleichen.  Eben  deshalb  habe  ich  es 
auch  für  notwendig  erachtet,  dieselbe  Anordnung  und  dieselben  Zahlen 
beizubehalten  wie  in  meinem  früheren  Artikel.  Die  von  Meyerhof, 
Moritz  und  Spitta  mitgeteilten  Cairiner  Ausrufe  habe  ich  in  Ab- 
schnitt I  eingefügt  und  durch  a,  b,  c  usw.  unterschieden.  Die  Ausrufe 
bei  Seetzen,  Bauer,  Spoer  undMiELCK  dagegen  mußten  in  besonderen 
Abschnitten  (III,  IV,  V)  angegliedert  werden;  die  Anordnung  der  ein- 
zelnen Rufe  entspricht  ihrer  Reihenfolge  in  I  und  IL  Bei  der  Wieder- 
gabe des  SEETZEN'schen  Materials  bin  ich  so  verfahren,  daß  ich  zu- 
nächst  eine  sprachlich  genauere  Umschreibung  der  Ausrufe,  dann  eine 
wortgetreue  Übersetzung,  bei  der  mir  Fleischers  Bearbeitung  in 
Bd.  IV  des  Reisewerks  zustatten  kam,  danach  aber  stets  die  Original- 
angaben Seetzen's  über  die  betreffenden  Verkäufer  mitgeteilt  habe; 
nur  zuweilen  mußte  ich  ein  [ruft,]  hinzufügen,  da  ja  meine  Anordnung 
anders  ist  und  sich  nicht  immer  aus  ein^m  direkt  vorhergehenden  Satze 
ein  »ruft«  von  selbst  versteht.  Alle  eckigen  Klammern  bedeuten  Er- 
gänzungen von  mir,  in  den  Übersetzungen  also  deutsche  Wörter,  die 
in  den  arabischen  Originalen  nicht  vorhanden  sind. 

Bei  den  botanischen  Angaben  habe  ich  mich  genau  an  meine 
Quellen  gehalten;  wo  Widersprüche  vorhanden  zu  sein  scheinen  (wie 
z.  B.  in  Nr.  24  und  30),  konnte  ich  natürlich  nicht  entscheiden. 

Abkürzun  gen. 
AWO  ^  Archiv  für    Wirtschaftsforschung   im    Orient,    191 7,    Heft    3/4, 

S.  410 — 462. 
Bauer  =  Leonhard    Bauer,     Das    Palästinische    Arabisch,    2.    Aufl. 

Leipzig  1910. 
Jehan  d'Ivray=Jehan  d'Ivray,   Au  Coeur  du  Harem.     Paris   1911. 
Me.  -=  Schriftliche  Mitteilungen  von  M.  Meyerhof. 
Mo.  ^  Mündliche  und  schriftliche  Mitteilungen  von  B.  ]\Ioritz. 


/ 


Arabische  Straßenausrufe.  j3l 

Nallino  =  C.  A.  Nallino,  UArabo  parlato  in  Egitto,  2.  Aufl.  Mai- 
land 1913. 

ScHWEiNFURTH  ^^  G.  ScHVv^E  IN  FÜRTH,  Arabische  PJlanzennamen  aus 
Aegypten,  Algerien  und  Jemen.     Berlin  1912. 

Seetzen  =  Ulrich  Jasper  Seetzen  s  Reisen  durch  Syrien,  Palästina,  Phö- 
nicien,  die  Trans  Jordan- Länder,  Arabia  Petraea  und  Unter- Aegypten, 
herausgegeben  und  commentift  von  Professor  Dr.  Fr.  Kruse 
und  andern.  Dritter  Band,  Berlin  1855;  vierter  Band  (mit  Er- 
klärungen von  H.  L.  Fleischer),  Berlin  1859. 

Spitta  =  Wilhelm  Spitta-Bey,  Grammatik  des  arabischen  Vulgär- 
dialekts von  Aegypten.     Leipzig  1880. 

Spoer  =  H.  H.  Spoer  and  E.  Nasrallah  Haddad,  Manual  of  Pale- 
stinian  Arabic.     Jerusalem  1909. 

Wetzstein  —Der  Markt  in  Damaskus  in  der  ZDMG.,  11.  Band, 
Leipzig  1857,    S.  475—525. 

^^'ILLMORE  —  J.  Selben  Willmore,  The  Spoken  Arabic  of  Egypt, 
2.  Aufl.     London  1905. 

I.  Cairiner  Ausrufe  aus  der  Gegenwart. 

A.   Früchte,     Gemüse,     Kräuter,     Getreide    und    Viehfutter. 
baiyä"^  il-'^ar'-  il-asfar  il-kebir  Der  Verkäufer  der  großen,  gelben  Kürbisse. 

1.  P  Ali   X^xl\   p  .flJl     Hl-'dr^'  il-'asal  il-'dr^' 

Kürbisse,   [wie]  Honig,   Kürbisse! 

baiyä'-  ''ar^  il-kösa  Der  Verkäufer  der  Eierkürbisse. 

2.  Aiu  Lj  ».^j\1\     ^JLxj     ba'^ali  l-kösa  yä  ba'-ali 

Ba'als-Eierkürbisse,  o  vom  Ba*al! 

3-  «^j;   LJ  iww^it     ^JLäj    ba'-ali  l-kösa  yä  zibda 

Ba'als-Eierkürbisse,  o  butter  [weich  ] ! 
Zu  den  in   AWO   erwähnten  Baaltrauben  vgl.  noch  uva  boal  »ex- 
cellente  espice  de  raisins«,    Dozy-Engelmann,    Glossaire   des  mots  es- 
pagnols  et  portugais  derives  de  l'Arabe,  S.  241. 

baiyä'-  il-hiydr       Der  Gurkenverkäufer. 

4-  ,L^js^il  öj^-b^  *^->_j"^     lübya  we-tdza  l-hiydr 

Zart  und  frisch,  Gurken! 
Das  Wort  lübya  wurde  mir  durch  tdri  »zart«  erklärt,  d.h.  also 
»[zart  wie]  grüne  Bohnen«.  Wetzstein,  S.  522  hat  den  Damaszener 
Ausruf  min  ben  el  lübid  für  eine  Gurkenart;  er  übersetzt  ihn  »zwischen 
den  Lubien  gepflückt«  und  bemerkt  dazu:  »Die  zwischen  den  Lubien 
gezogenen  und  von  deren  Blättern  beschatteten  Spätgurken  sind  be- 


X 


JÖ2  Enno  Litt  mann, 

sonders  zart.«    Immerhin  ist  es  möglich,  diesen  Ausruf  ebenso  zu  ver- 
stehen wie  den  obigen  aus  Cairo. 

baiyä'-  ü-figl       Der  Rettichverkäufer. 

5.  J^vs  u  w.^:!     rj*  J^^l     ^Hkl-  ''^'^•^^'  il-Hnab  yä  figl 

Rettiche,   [wie]  Weintraubenblätter,  o  Rettiche! 
Der  Vergleich  bezieht  sich  nach  Me.  auf  die  Zartheit  und  Saftigkeit 
der  Rettiche;  das  wird  richtig  sein. 

6.  .*iii>i   J^c   Lj  ^jh    täri  yä  figl  ahdar 

Zart,  o  frische  Rettiche! 

7.  J^.5  Lj  ßy^^^   J^s     figl  ü-gazdir  yä  figl 

Rettiche  der  Inseln,   0  Rettiche! 
y  a.  rümi  l-figl       Griechischer  Rettich! 

AIe.    Die  Rettiche    stammen    nicht    aus  Griechenland,    sondern 
werden  des  Anpreisens  wegen  so  genannt. 
7  b.  möz  yä  figl       Bananen,  o  Rettiche, 

yä  figl  ü-möz       o  Rettiche   [wie]   Bananen!     Me. 

baiyä'-  il-lift       Der  Rübenverkäufer. 

8.  vi>Äl   L  jJl^u     Jiil     Hill  ihallil  yä  lift 

Zum  Salat,   o  weiße  Rüben! 
Hill  i/iallü  heißt  wörtlich  »was  mit  Essig  einmacht  «=  »was  Salat 
bereitet«. 

baiyä''  i/-/amä/im       Der  Tomatenverkäufer. 

9.  x-Dyj  '^  *-^vJ^     meliha  yä  'u/a 

Köstlich,  o  Tomaten! 

10.  »J^y,  L  ,.,'w8Ji  (^3     JÜLj     yalli  zaiy  ir-rummdn  yä  Hita 

0  Granatapfelgleiche,   o  Tomaten! 

11.  [itbfcjül    .,L>üJo]     bedingdn  il-''üta 

Melanzanen-Tomaten ! 

12.  [JsUh  u  ^Voti\  o^Uj!]     i7-*a/  z7-'a7  yä  tamdtim 

Herrhch,  herrlich,   o  Tomaten! 
12  a.  hamast   irtdl   yä   'Ufa   bi-Hrse   sag     Fünf   Rotl,    o  Tomaten,    für 
einen  großen  Piaster!     Me. 

haiyd'-  il-bedingdn       Der  Eierpfianzenverkäufer. 

13.  u^jjj:  ^,L:fojyj  'o^*jS.     'arüs  ya-bdingdn  '^arüs 

Ganz  jung,  o  Eierpflanzen,   ganz  jung! 
Das  Wort  ^-^»^  ist  von   Sidqi  richtig  mit  ^jo  geschrieben;  meine 
Umschrift  hat  5  ohne  Punkt,  und  vielleicht  ist  es  mir  so  vorgesprochen. 
Es  wurde  mir  erklärt  durch  ''auwal  ganye  'auwal  zar'. 


Arabische  Straßenausrufe.  l8^ 

baiyd'-  hedingdn  l-abyad      Der  Verkäufer  von  weißen  Eierpflanzen. 

14.  .  J^xx  j..ii.5=«   Lj   ,..LiAiuS.J     hedingdn  yä  /ias70  [haswe]  ma'-dan 

Eierpflanzen,   zum  Füllen,  blitzeblank! 

Das  Wort  ^s>-  wird  im  Kontexte,  wenn  ein  anderes  Wort  un- 
mittelbar folgt,  haswe  gesprochen,  in  pausa  jedoch  hasw,  d.  i.  mit 
stimmlosem  w  oder  schwach  artikuliertem  bilabialen  /,  s.  zu  Nr.  149; 
letzteres  ist  hier  ebenso  gut  möglich,  da  beim  Rufen  zwischen  _j..ca=> 
und  .  OS.XA  leicht  eine  Pause  gemacht  werden  kann.  Stimmhafte  Kon- 
sonanten als  dritte  Radikale  bei  faH-,  fiH-  und  /M'/-Formen  verheren 
im  Ägyptisch-Arabischen  meist  den  Stimmton,  wenn  sie  in  pausa 
gesprochen  werden.  —  Statt  »zum  Füllen«  wörtlich  »o  Füllung«.  ■ — 
Das  Wort  ma'dan  wurde  mir  als  »Metall«  erklärt;  misba  Hla  'amia 
gildahu  ahyad«.     Daher  habe  ich  oben   »blitzeblank«  übersetzt.    Nach 

^   o  <- 

den  Wörterbüchern  (Dozy,  Hava)  und  nach  Me.  bedeutet  ^^.^j^xx»  aber 
auch  »gut,  ausgezeichnet«.  Vielleicht  ist  das  Wort  auch  hier  in 
dem  Sinne  zu  verstehen. 

baiyd''  il-kurunb     Der  Kohlverkäufer. 

15.  v^jy      c^-^^J  |J^Lj     ydlll  yihSi  krumb 

^"O  der  den  Kohl  füllt! 

baiyd''  il-hass       Der  Lattichverkäufer. 

16.  ,^sA^\     vi^Ji     il-hass  il-melih 

Lattich,  köstlicher! 

17.  ,c:.l=>   Jl5>   Lj   ,  c_b     idrt  yä  hilwe  tdri 

Zart,  o  süßer,   zart! 

18.  _;^JU   wj  i^,J>\   ^j^^     hass  ir-röda  yä  melih 

Lattich  von  Röda,  o  köstlicher! 
Sidqi  schrieb  ^vi:>   und  sprach  demgemäß  hass  statt  der  schrift- 

sprachhchen  Form-  (-*.5>.  Der  Übergang  von  s  >  s  ist  wohl  durch 
das  h  hervorgerufen. 

baiyd'^  is-sabdnih       Der  Spinatverkäufer. 

19.  ;^J^**N   -j   ioöLxJi     il-''dfyä  yä  sabdnih 

Zur  Gesundheit,  o  Spinat! 
Dies  ist  einer  der  wenigen  Fälle,  in  denen  Sidqi  den  Dialekt  des 
Ausrufers    nachzuahmen    versuchte;    'dfyä    soll    bäurische    Aussprache 
wiedergeben. 

baiyd'  it-töm       Der  Knoblauchverkäufer. 

20.  *jj   LJ   iutjS    ..ji^J^     il-hazm  iWäl  yä  töm 

Zum  Aufbewahren,  herrlich,   o  Knoblauch! 


jg^  Enno  Littmann, 

Wörtlich  '>der  Aufzubewahrende,  der  Herrhche,  o  Knoblauch!« 
Das  Wort  *^j  (klass.-arab.  ^yi)  sprach  mein  Gewährsmann  mit  6 
aus;  dieselbe  Aussprache  findet  sich  bei  Nallino  in  seinem  ausge- 
zeichneten Sprachführer,  Varabo  parlato  in  Egitto,  2.  Aufl.,  S.  254,  und 
bei  Bauer,  S.  42,  auch  Me.  hat  sie  fast  immer  gehört.  Aber  die  Mehrzahl 
der  Grammatiken,  Sprachführer  und  Wörterbücher  für  Ägypten  und 
Syrien  hat  die  ältere  Form  tum,  ebenso  unten  Nr.  230;  auch  B.  Moritz 
versicherte  mir,  er  habe  nur  tum  gehört.  Der  Übergang  von  ü  >  ö 
(und  parallel  von  l  >  e)  kommt  sporadisch  in  arabischen  und  abes- 
sinischen  Dialekten  vor,  so  auch  oben  Nr.  2  und  3  in  kösa;  vgl.  auch 
Brockelmann,  Grundriß  I,  S.  196,  sowie  im  Mänsa'-Tigre  die  Endung 
-kö  für  altes  -kü,  -ne  für  altes  -nl. 

haiyä'-  il-kurräs       Der  Lauchverkäufer. 

21.  ot.5'  Lj  ,  >üJjtJI  oi-f     kurrät  il-^ariä  yä  kurrdt 

Breiter  Lauch,  o  Lauch! 

21  a.  ''ahdar  yä  kurrät       Grün,  o  Lauch!  —  Spitta,   S.  277. 

haiyä'-  il-mulühiya       Der  Judenmalvenverkäufer. 

22.  *-c>^L»  Lj  (^^^>     hahasl  ya-mlühiya 

Abessinisch,  o  Judenmalve! 

22  a.  hadra  yä  mulühiya       Grün,  o   Judenmalve!  —  Spitta,   S.  277. 

haiyä'-  il-mulühiya  [n-]näsfa    Der  Verkäufer  der  trockenen  Judenmalven. 

23.  i^^jl^]   KJA>-b  ^^Ji^     wädl  tahhit  il-mulüMya 

Und  dies  ist  ein  Gericht  Judenmalven! 
Li  meiner  Umschrift  steht  näsfä;    Sidqi's  Niederschrift  hat  statt 
dessen  das  gleichbedeutende  Mi.:^Ji.    4n  dem  Worte  mulüMya  ist  die 
in  Ägypten   häufig   vorkommende  Diphthongisierung   der  Endung  -iya 
angedeutet. 

haiyä'  il-huhheza       Der  Malvenverkäufer. 

24.  ^^*JjiJi    V  ,►  L)  »;juc5^i     il-huhheza  yä  wara^  il-'inah 

Malven,  o  Weintraubenblätter! 
Li  der  Überschrift  habe  ich  il-huhbez  aufgezeichnet;  Sidqi's 
Niederschrift  hat  aber  auch  dort  »^j^JU  Schweinfurth,  S.  209, 
unterscheidet  zwischen  chohelsa  Malva  sylvestris  L.  und  chohbes  Malva 
parvifiora  L.;  aber  für  Ägypten  hat  er  (S.  57)  chuhhese  Malva  parvi- 
fiora  L. 

haiyä'  il-qulqäs      Der  Kolokasienverkäufer. 

25.  ^p>^^!   l53^>^'  u-LäJLäÜ     il-'ul'äs  il-gharhäwl  l-ahyad 

Kolokasien  aus  der  Westprovinz,  weiße! 


Arabische  Straßenausrufe.  1 85 

26.  (j^LäJls  Lj  ;3L«ii    ^JLäAjJ     is-Sanawdni  l-^dl  yä  ^uPäs 

Aus   Schanawän,  herrlich,  o  Kolokasien! 
Da  Sidqi    in  der  Überschrift  (j^UJLäJ!  mit    v  geschrieben   hat,    in 

den  Ausrufen  aber  mit  i,   habe   ich   in   ersterer  auch  q  gesetzt,  obwohl 
meine  Umschrift  auch  dort  '  hat. 

baiyd'-  il-bald/a     Der  Kartoffelverkäufer. 

27.  \Liti*J!       xi  Lj  ^IdUiJI     ü-batdta  yä  saiy  il-bald/a. 

28.  xlailaJi  i3Lc  xa<^  Lj     yä  sukna  ''dl  il-baid/a 

Kartoffeln,  o  das  Braten  in  der  Pfanne!    • 

0  heiße,  herrliche  Kartoffeln! 
In  meiner  Umschrift  sind  27  und  28  als  zwei  getrennte  Ausrufe 
bezeichnet.  Sidqi  hat  jedoch  in  seiner  Niederschrift  beide  in  der- 
selben Zeile  geschrieben.  Es  ist  möglich,  daß  beide  zusammengehören, 
zumal  sie  miteinander  reimen.  Andrerseits  haben  wir  auch  in  27 
[il-batdta  —  yä  saiy  il-bald/a)  einen  Reim,  und  beide  Ausrufe  sind  jeder 
in  sich  selbständig. 
28  a.  talatt  irtdl  yä  hatdtis  bi^irse   säg-    Drei   Rotl,    o   Kartoffeln,   für 

einen  großen  Piaster!     Me. 

baiyd''  il-basal     Der  Zwiebelverkäufer. 

29.  J..jc:JI  (^.jwj5=uJI   J.xaJ!     il-basal  il-beherl  il-basal 

Zwiebeln  aus  der  See-Provinz,  Zwiebeln! 

baiyd'  il-jilfil  l-ahdar     Der  Verkäufer  von  grünem  Pfeffer. 

30.  J^äi!  ^^J^   J^ftJLäJ!     il-filfil  ir-rümi  l-jiljil 

Pfeffer,  griechischer  Pfeffer! 
Nach  Sidqi  wäre  jilfil  ahdar  gleichbedeutend  mit  jiljil  rumz. 
Diese  Pfefferart  ist  nach  dem  Text-book  of  Egyptian  AgricuUure  Capsi- 
cum  grossum.  Schweinfurth  S.  60  ist  jedoch  jelfel-ahhmar  (»roter 
Pfeffer«)  und  filjil-rümi  Capsicum  annuum  L.  Nach  Me  sind  ßlß/ 
ahdar  die  noch  grünen  Schoten  des  /.  rilmi  (oder  f.  a/imar),  ehe  sie 
rot  werden. 

baiyd'  il-fül  l-ahdar     Der  Verkäufer  von  grünen   Saubohnen. 

31-   ^J'5->  4^5  i-j     ^1.5=-     hirdtl  yä  fül  hirdti. 

Vom  gepflügten  Land,   o   Saubohnen,   vom  gepflügten   Land!  — 
Vgl.  unten  Nr.  232. 
32.  (_^'lj=>  d^i  Lj  JwwjJI  ^jj^  Lj     yä  mass  il-^asal  yä  fül  hirdti 

Wie  Honig  schmeckend,  o   Saubohnen,  vom  gepflügten  Land! 

Die    ersten    drei    Wörter    heißen    wörtlich    »o    das    Schlürfen    des 
Honigs«. 


j  gg  Enno  Litt  mann, 

baiyd'-  il-jül  ü-gaff     Der  Verkäufer  von  trockenen  Saubohnen. 

33.  i3^Äii  ^^.^^=u.ii   ^y>l\     ü-jul  il-heheri  l-ful 

Saubohnen  aus  der  See-Provinz,   Saubohnen! 
33  a.  il-^dl  in-ndbit  in-ndbit   it-tdza     Herrhche,  keimende!    Keimende, 
frische!     Me. 
jül  ndbit  sind  eingeweichte,   gesalzene   Saubohnen,   die  gerade  zu 
keimen  beginnen  und  zum  Kochen  fertig  sind.   —  Vgl.  unten  Nr.  315. 
33  b.  talat  ruh"-  ja  ndbit   biHrse  taWifa     Drei  Viertel,  o  Keimende,  für 
einen  kleinen  Piaster!    Me, 
Hier  kann  ru¥  nicht,  wie  gewöhnlich,  V24  a^dabb  sein;  das  wären 
über  25  Liter,   für  einen  kleinen  Piaster  viel  zu  viel.    Es  wird  vielmehr 
V4  Okka  {rub^e  wiqqa)  sein,  also  drei  Viertel  =  936  Gramm. 
33  c.  rümi  l-jasfdya     Griechische  grüne  Bohnen.    Me. 

baiyd''  il-''ads     Der  Linsenverkäufer. 

34.  u^J^Jt  (^u^*;^Ji   u^J^Ji     ü-'dts  is-sa'idi  l-'dts 

Linsen  aus  Oberägypten,  Linsen! 
Über  die  Form  ^dts  s.  AWO  S.    424   und   S.  414.  —  Vgl.  unten 
Nr.  233. 

baiyd"-  il-maldna     Der  Kichererbsenverkäufer. 

35.  »SIa  Lj   \y\l\  iüXo     maldna  l-löz  yä  maldna 

Mandel-Kichererbsen,  6  Kichererbsen!  — Vgl.  unten  Nr.  234. 

36.  \jX«  Lj  iiooL^  »^tr^^  ^\i^   ^J     y^  rdyih  lihabibu  ihädih  yä  maldna 

O  wer  zu  seinem  Freunde  geht,  schenke  sie  ihm,   o  Kicher- 
erbsen ! 

baiyd"-  il-hummus     Der  Rösterbsenverkäufer. 

37.  1^1,»,^=.  Lj   -^y^A   Lj     ya  mgöhar  yä  hummus 

O  Edelsteine,  o  Rösterbsen!  —  Vgl.  unten  Nr.  235. 

38.  i>3.4.5>  Lj  Js.jJs.:>-^   ,-»^ww     suline  wegedid  yä  hummus 

Heiß  und  frisch,  o  Rösterbsen! 
38  a.  loz  yä  hummus     Mandeln,  o  Rösterbsen!    Me. 

baiyd"  il-qasab     Der  Zuckerrohrverkäufer. 

39.  v^Aii  Lj  ^3L*Ji  f^tJuJ^   o^-hß^     il-abyad  is-salim  il-"dl  yä  ^asab 

Weißes,  gesundes,  herrliches,  o  Zuckerrohr ! 

40.  ^_^Aaä  Lj  t3L*il  (^^LyUii     H-minydwi  l-"dl  yä  ^asab 

Aus  Minja,  herrliches,  o  Zuckerrohr! 

baiyd"  is-sih     Der  Wermutverkäufer. 

41.  j^yJUi  v.:>yjAii     ^5  j?yj^5     is-sih  fi  l-bet  melih 

Der  Wermut  - —  ist  im  Hause  gut! 


Arabische  Straßenausrufe.  l87 

Der  Erdbeerenverkäufer. 

42.  frdula,  frdula  1    t-    n  -r-  ju  1 

^,       w^,  Erdbeeren,  Erdbeeren! 

silek,  silek        J 

Das  Wort  frätda  stammt  bekanntlich  aus  dem  italienischen  jragola, 
bzw.  fragole.  In  der  arabischen  Form  liegt  nicht  Übergang  von  g 
(bzw.  g)  >  Ji  vor,  wie  z.  B.  im  Elsässischen  sätie  =  sagen,  sondern  Aus- 
fall des  g  (bzw.  g);  dieser  Ausfall  ist  im  Modern-Türkischen  außer- 
ordentlich häufig;  vgl.  Bergsträszer,  Zur  Phonetik  des  Türkischen^ 
ZDMG.  72,  S.  257.  Das  Wort  silek  geht  auf  türkisch  celik  zurück. 
Türkisches  c  wird  im  Arabischen  durchgängig  zu  s,  außer  etwa  in  den 
Grenzgebieten,  wo  man  sowohl  türkische  wie  arabische  Artikulation 
gewohnt  ist;  so  sind  mir  im  Syrisch-Arabischen  sddir  »Zelt«  <  türk. 
,Jl==.,  setin  »schwierig,  rauh  (vom  Wege)«  <  türk.  qax=^  begegnet.  Im 
Türkischen  wird  c>  s  nur  vor  stimmlosen  Explosivlauten;  vgl.  Berg- 
sträszer 1.  c,  S.  260.  Dem  entspricht  im  Neuarabischen  der  Über- 
gang von  g-  >  i  sowie  der  Übergang  des  aus  k  entstandenen  c  >  s; 
vgl.  meine  Neuarabische  Volkspoesie  S.  3  und  S.  34,  Anm.  i,  und  Bauer, 
Das  Palästinische  Arabisch-,  S.  21  {hastib  usw.).  Türkisches^  bleibt 
natürlich  im  Arabischen  außer  in  den  Dialekten,  die  statt  g  ein  g 
sprechen;  dort  wird  auch  für  türkisches  g  ein  g  substituiert,  vgl.  in 
Cairo  '■ar{a)bdgt  »Kutscher«,  sufrdgi  »Kellner«,  tamärgi  »Kranken- 
wärter«, aber  nöbdtsi  »auf  Wache  befindlich«,  da  hier  g  nach  t  >  J 
geworden  ist.  In  den  türkischen  betonten  Endsilben  wird,  falls  der  Ton 
im  Arabischen  dort  bleibt,  d.  h.  also  in  Fällen,  in  denen  man  das  türki- 
sche Wort  nicht  einer  anders  betonten  arabischen  Form  angleichen 
kann  (wie  z.  B.  sddir  an  fdHl),  der  Vokal  gedehnt;  so  wird  hier  i  >  e, 
und  aus  gücel  wird  gö::dl  unten  Nr.   147. 

baiyd'-  il-libb     Der  Kerneverkäufer. 

.k^^\     it-tasdll  yä  libb 


»[Bringer  der]  Freuden,  o  Kerne!« 

44.  w^J   wj    .^*)  L>^^'     ''abyad  wasmar  yä  libb 

^  Weiße  und  braune,  o  Kerne!  —  Vgl.  Nr.  164—1653,   316. 

baiyd''  il-fül  is-süddnl     Der  Erdnüssev'erkäufer. 

45.  ^i!j>fc.w.ii  ^JUx^     JiÄAi     ma^li  wimmallah  is-südäni 

Geröstet  und  gesalzen,   aus  dem   Sudan! 

badyä"-  göz  il-hind     Der  Kokosnüsseverkäufer. 

46.  A^i    ;,.>   wj   ^jJLl!   ^'.A   uj  w^jJtJi      il-garib    yä    mal    il-garib   yä 

göz  il-hind 

O  Fremdling,   Besitz  des   Fremdlings,   o  Kokosnuß! 


I  88  Enno  Littmann, 

haiyd'-  ü-mismis     Der  Aprikosenverkäufer. 

47-  .*-c^   l-J   ^JLi'^S!   \-^^'^»  '^^'^D»)  ijr^;^!     ^istdi&a  wetdh  weidlab  il-^akkdla 

yä  na^m 

Sie  ward  reif  und  gut  und  lud  zum  Essen  ein,    o  wie  zart! 

48-  J!j^.5>3.   >.^j  .£.  ülo     ß?awa  ^arz&  wewahddnl 

jLxxA^  ^__w.4..^JI   p_5.Äj5     wiblii'-    ü-mismis  subydni 

Sieh,   ich  bin  ein  Fremdhng  und  ganz  allein. 

Die  Aprikosenverkäufer  sind  die  Diener  mein! 
48  a.  ^cü   Lj   ^Ia^  iSj~^^     c^-^^r^     y^^^'^  l-hdwa  ramdk  yä  na^m 

0  du,  die  der  Wind  herunter\varf,  o  du  Zarte! 
48  b.  'dl  yä  mismis,  7nismis  hamawl    Herrlich,  o  Aprikosen !  Aprikosen 

aus  Hamä!     Me. 
Nach  Me.  ist  dies  die  Bezeichnung  der  Sorte,  einer  Variation  von 
Prunus   armeniaca.      Sie   sind   in   Cairo  sehr  geschätzt,   weil  sie  sehr 
süß  sind. 

baiyd'-  ir-rummdn     Der  Granatäpfelverkäufer. 

49-  ^^,1-'«;   Ij     ^iDjXiJ^     manfalütl  yä  rummdn 

Manfalutische,  o  Granatäpfel! 

50-  qL^  i-J     c^js:-  _JL==-     /tilwä  '-arabi  yä  rummdn 

Süße,   arabische,  o  Granatäpfel! 
Der   Hilfsvokal  zwischen  jJL>  und     j^  klingt  hier  wie   a  wegen 
des  folgenden  ^. 

baiyd'  in-nabq     Der  Lotusfrüchteverkäufer. 

51-  ^4-^  Lj   Ja-oi-J'  j^Lj  /  i*J   tj     yä  ?iaF  yä-'azz  il-get  yä  mismis 

0  Lotusfrüchte,  köstlichste  vom  Feld,  o  Aprikosen! 
52.  /iAÄit       iDyf^S   /  Äx-üi     in-naFe  l-asyüß  in-nab' 
Lotusfrüchte  aus  Siüt,  Lotusfrüchte! 

baiyd'-  it-tuffdh     Der  Äpfelverkäufer. 
So-  j-Läj   Lj  ^S^     sukkari  yä  tiffdh 
Zuckersüß,  o  Äpfel! 

Sidqi  hat  in  seiner  Niederschrift  des  Ausrufs  „'Jü  mit  Damma, 
diktierte  aber  tiffdh  im  Ausruf,  tuffdh  in  der  Übers'chrift.  Die  Aus- 
sprache mit  i  ist  wohl  die  gewöhnlichere;  sie  findet  sich  in  den  meisten 
Sprachführern  und  Wörterbüchern.  M.  %Meyerhof  kennt  nur  tiffdh, 
B.  Moritz  jedoch  nur  tuffdh. 

baiyd'^  is-Sammdm     Der  Zuckermelonenverkäufer. 
54«  [•L^.i;  Lj  (j*^-m-Lj  ^a     ^JÜLj     yalll  min  bäsüs  yä  Sammdm 
Die  du  aus  Bäsüs  stammst,  o  Melone! 


Arabische  Straßenausrufe. 


189. 


54  a.  sammdm   sü-ü-ükar   bäsusl  yä   sammdm     Melonen   [wie]  Zucker, 
aus  Bäsüs,  o  Melonen!     Me. 

haiyd'-  ü-'-aggür     Der  Verkäufer  von  *Aggür-Melonen. 

55.  jCwv  Lj  (^3^1  Jv.>.c     '■abdilldwl  yä  sukkar 

'Abdilläwi,  o  Zucker! 

56.  ^cLJ   Lj  i^^'^js.  Lj  J.*:p.j!   }^^     bisil  ü-gämäl  yä  garbdivi  yä  na'm 

[Die]  das  Kamel  trägt,   o  du  aus  der  Westprovinz,  o  Zarte! 

haiyd'-  hattih  ydfä     Der  Verkäufer  von  syrischen  Wassermelonen. 

57.  i^jh^  Lj   3Lxi5  ^^LsLJ)      ü-yäfdwi  l-'dl     yä  hattih 

Aus  Jaffa,  herrliche,  o  Wassermelonen! 
Meine  Umschrift  hat  il-yäfdwi,  Sidqi's  Niederschrift  ^J:^wÄxJ!;  das 
ä  in  der   i.   Silbe  wird  also  auch  kurz  gesprochen. 

haiyd'  hattih  bälädi     Der  Verkäufer  von  einheifnischen  Wassermelonen.. 

58.  ^^Jcii  Lj  i^jyjtAaJ!  :^i^jJ)\     il-hattik  is-sa'idl  yä  hattih 

Wassermelonen  aus  Oberägypten,  o  Wassermelonen! 

59.  ;?--v^J    Lj  (J;»^     kaldwl  yä  hatiih 

Aus  Kala,  o  Wassermelonen! 
In    der    Überschrift    hatte    Sidql  ^^AJLJ  geschrieben,   aber  watani 
diktiert.     Beide  Wörter  sind  gleichbedeutend. 

haiyd'  il-lamun       Der  Zitronenverkäufer. 

60.  Qj-t-i    'wj  ^JoÄil  ujL;<uj>      ^-.w5>    D-klij      yallä    haiyl    suhdh    in-nadar 

yä  lamün 

O  Gott,   erhalte  die  einsichtigen  Leute,   o  Zitronen! 

61.  ,.,  M~S   Lj   t3u*ii    -*.*i^Jl     il-hanzaher  il-'dl  yä  lamiui 

Bezoar,  herrlich,   o  Limonen! 
Nach  Me.  ist  die  Bezoar-Limone  {lamiln  haiizaheri)  eine  besondere, 
kleine   Sorte. 

62.  ^3uti!  -tv^^'  \jJL>to^t  .Mj-^-JÜt  il-lamun  il-'^adälya  l-kehir  il-'dl 

Zitronen  aus  Adalia,  große,  herrliche! 
Statt   il-lamnn  H-^adälya  wäre  richtiger  lamnn  ^addlya.     Letzteres 
steht  auch  in  einer  Glosse,  die  ich  nach  Sidqi  nf)tierte.    Die  Form  mit 
Artikel   ist  wohl   nach   Ausdrücken  wie   is-sdl  il-kasntir    (vgl.    Spitta,, 
Grammatik,   S.  281,  Z.  20)  gebildet. 

62  a.  lamün  hdlädl  betd'  il-hdsa  yä  lamün     Heimische  Limonen,  für  den 
Pascha,  o  Limonen!  —  Me. 

haiyd'  il-burtuqdl     Der  Apfelsinenverkäufer. 

63.  ,.,LÄj.j  Lj  J^Av.*Jl  ^A     ^JL^I     "ahla  min  il-'asal  yä  hurtü'dn 

Süßer  als  Honig,  o  Apfelsinen!  —  Vgl.  Xr.  318. 


IQO 


Enno  Littmann, 


haiyä'^  il-Hnab     Der  Weintraubenverkäufer. 
64.  ^^  iwj  Q.«^^^   ,.w^S   ji^to   ^j  ^^'L  ^.Jj^  wj     >'fl  '7Ha^  ya//f  saiye 
hed  il-yamdm  wahsan  yä  ^inab 

Trauben,  groß  wie  Taubeneier  und  noch  größer,  o  Trauben! 
Die    »Tauben«   {yamdm)    sind   eigentlich   braune   Wildtauben   mit 
schwarzem  Halsband. 
^5.  uJ«.;^.   w*.-^     ''inab  we'^inndb 

w'«j^   -j  >-J-.j.5>^L'  *oJs^.     wihdiya  lü-ahbdb  —  yä  '■inab 
Trauben  und  Beeren, 

den  Freunden  zu  bescheren,  - —  o  Trauben! 
Das  Wort  Hnndb  bedeutet  eigentlich  Brustbeeren,  die  Früchte  von 
Zizyphus  vulgaris;    die  werden  aber  nicht  verkauft,  sondern  das  Wort 
ist    nur  gebraucht  wegen  des  Gleichklangs  mit  Hnab  und  wegen  des 
Reims  auf  ahbdb. 
65  a.  fniyumi  yä  Hnab     Aus  dem  Faijüm,  o  Weintrauben!     Me. 

baiyd'-  tin  bisoku     Der  Kaktusfeigenverkäufer. 

66.  .^^   ^j  J..*atJI  ,-,S^      kisdii  ü-'-asal  yä  tin 

Honigdolden,  o  Feigen! 

baiyd''  ü-balah  il-iskanderdni  Der  Verkäufer  von  alexandrinischen  Datteln. 

67.  1a.  ^iJb   Lj     1a,     ramll  yä  balah  ramll 

Aus  Ramie,  o  Datteln  aus  Ramie! 
Nach  Me.  auch  balah  rä-ämäli. 

68.  .isJb   ^j  iJo-^  _Jb    wj     yä  balah  ^esa  yä  balah 

0  Datteln,  große,  o  Datteln! 
Das  Wort  '^esa  wurde  mir  durch  balah  asfar  kebir  erklärt. 

baiyd'^  ü-balah  iWahmar      Der  Verkäufer  von  roten  Datteln. 

69.  ^^Id,   lj  .^\jü\     ^JL^^JI     ü-haiydni  l-'^dl  yä  rutab 

Gesunde  '),  herrliche,  o  saftige! 
69a.  haiydni   yä  balah     Frischreif 2),  o  Datteln!   —    Spitta,    S.    277. 

baiyd'-  il-balah  il-^ asfar       Der  Verkäufer  von  gelben  Datteln. 

70.  ,3^1  ,^£^.«JI  „-JLJI     il-balah  is-siwi  l-^äl 

Datteln  aus  Siwa,  herrliche! 

baiyd'  il-balah  l-amhdt     Der  Verkäufer  der  Amhät-Datteln. 

71.  ^;^    jw^otiS    i^J^    ^    ^J  ^->-J^^    L*J*-^     h^i'^   l-'andgir  yä  bdlah 

wehüdu  l-'asal  minni 


')  So  nach  Sidql. 
*)  So  nach  Spitta. 


Arabische  Straßenausrufe.         •  igi 

Her  mit  den  Tellern  —  o  Datteln!  —  und  holt  den  Honig 
von  mir! 
^angar,  plur.  "andgir  ist. nach  Sidqi  ein  Teller  oder   eine  Schüssel 
aus  Kupfer. 

72.  Ow^Lj     ^jL;oai!     id-dani  ya-mhat 

Zart,  o  Amhät! 
ddnl  bedeutet  hier    »zart,  fein«  nach    Sidqi. 

haiyd'-  ü-balah  in-ndsif     Der  Verkäufer  von  getrockneten  Datteln. 

73.  ^\JLJ!     c*.^.Si\   -\Ji.^J^     il-balah  l-ahrimi  l-halah 

Datteln  aus   Ibrim,   Datteln! 
73  a.  ibrimi  yä  balah     Aus   Ibrim,   o  Datteln!  —  Spitta  S.  277. 

baiyd'-  kizdn  id-dura  l-miswiya     Der  Verkäufer  von   gerösteten 

Dura-Kolben. 

74.  n^j.1:)  8  o  u  XSIj   .  l>Lw  ^    ^JüLj  yalllbala  sndn  ydkul  yäduratariya 

0  Dura,   die  Zahnlose  essen,   zarte! 

75.  »,o  uj  J^xÄÜ   pixj   Lj  »^J^i!     id-dura  ya  bta^  in-nil  yä  dura 

Dura,  vom  Nil,  o  Dura!  .  ' 

76.  kos  id-dura  yä  bandt  id-dura  l-'^asal 

Dura-Kolben,   ihr  Mädchen,   Dura  wie  Honig! 

baiyd'-  id-dura  l-beda   ii-uasfa      Der   Verkäufer   der   getrockneten 

weißen  Dura. 

77-  »,o   Lj  d^c     -Äiw/iJ!   ».lAil  id-dura  s-sdml  "dl  yä  dura 
Syrische  Dura,  herrlich,   o  Dura ! 
Nach  Me.  auch  dura  samt,  dural     Die   »syrische  Dura«   ist  nach 
Me.  der  Mais.     Über  die  Form  sämi  vgl.  zu  Nr.   79. 

baiyd'  id-dura  s-samra       Der  Verkäufer  der  braunen  Dura. 

78.  8.0  Lj   ^.>^j,jtil   »,jJi     id-dura  l-Hivega  yä  dura 

Dunkle  Dura,  o  Dura! 
Das  Wort  8.0  bzw.  5  o  (eigentlich  ä,ö)  wird  in  Syrien  und  Ägypten 
jetzt  meist  mit  (/gesprochen,  wegen  des  folgenden  r;  daher  dura  in  den 
Ausrufen,  dura  in  den  Überschriften. 

baiyd'  il-qamh     Der  Weizenverkäufer. 

79.  i>lxl\     J^jJy.;-M^J!  idjt.l\     il-g-alla  is-sindiyüni  l-g-alla 

Weizen  aus  Sindiyün,  Weizen ! 
Man  erwartet   nach   den   Regeln   der   Grammatik    is-sindiyüniya. 
Hier    ist  entweder  das  Adjektiv,   obgleich  es  determiniert  ist  und  als 
dem  ersten   il-g-alla    nachgesetzt   angesehen  werden  kann,  nach  Ana- 
logie der  Fälle  unflektiert  geblieben,  in  denen  das  Adjektiv  indetermi- 


JQ2  •  Enno  Litt  mann, 

niert  voransteht;  vgl.  Spitta,  Grammatik,  S.  277.  Oder  es  ist,  wie 
öfters  bei  den  Adjektiven  auf  -i,  einfach  unflektiert  gebheben,  ohne 
daß  die  andern  Ausrufe  eingewirkt  hätten;  vgl.  Spitta  S.  275  f. 

baiyd'^  it-tirmis       Der  Lupinenverkäufer. 

80.  oAxi     ^jUaiLj     yambdbl  mädäd 

0   Schech  von  Embäba,  bring  Hilfe! 
Vgl.  unten  Nr.   177 — 179,  242,  321. 
80a.  tirmis  memallah  ü-'dl       Lupinen,   gesalzene,  herrliche!     Mo. 

baiyd'-  ü-hilba     Der  Bockshornklee -Verkäufer. 

81.  i.^_^'  ^>   ^  *t^y'     ü-wesiya  yä  /alba  l-wesiya 

Vom  Gemeindeland,  o  Bockshornklee,  vom  Gemeindeland! 

82.  *.JL>   .j  ^^.OsJu     bü-käbsa  yä  liüba 

Händevoll,   o  Bockshornklee! 

83.  'i\.=>-  xJL5>  uj     ^\-j>-     hirdtl  yä  hilba  hirätl 

Von  gepflügtem  Land,   o  Bockshornklee,  von  gepflügtem 
Land! 
83  a.  '■dl  yä  hilba     Herrlich,  o  Bockshornklee!     Me. 
83b.  is-sifa  yä  hilba     Gesund,  o  Bockshornklee!     Me. 

Nach    Me.   werden    die    gekeimten    Samenkörner    von  Trigonella 
foenum  graecum  in  Büscheln  verkauft  und  frühmorgens  gegessen. 

haiyd'-  il-bärsim       Der  Kleeverkäufer. 

84.  Vi  A-''-i   Vj     yahba"-  g-azdlak  rabba'- 

^  Füttere  deine  Gazelle,  füttere! 

baiyd'  il-kusba       Der  Verkäufer  von  Sesamabfall. 

85.  w.p-.5i   iJÜwj   \~^=>-y^     bisrigha  —  yalla  jrigha 

Mit  seinem  Öl   [verbunden],  — 
Gott,  schicke  mir  Kunden! 
jrigha  wurde  mir  erklärt  ya/lub  il-farag  min  ir-rabb,  d.  h.  urzü*nl. 

baiyd'  habb  il-'aziz       Der  Verkäufer  von  fiabb  il-'Aziz. 

86.  ijjtJ!  w^?>  L  (3w*i!  (^vA^.     rasidi  l-'dl  yä  habb  il-'aziz 


'••> 


Aus  Rosetta,  herrlich,  o  Habb  il-*Aziz! 

baiyd'  is-suqqe/       Der  Verkäufer  von  Suqqet. 

87.  JjjJUv   Lj   Ja-oül   B^^^   Lj     yä  halaut  il-get  —  yä  su^'^ef 

O  Süßigkeit  vom  Beet  —  o  Su"et! 
87  a.  habb  il-'aziz  ir-rub'e  bHrs      Habb  il-'Aziz,    das  Viertel  um  einen 
Piaster!     Me. 
Das    »Viertel«    ist    gewöhnlich   =    ^24  Ardabb,  würde    also   8^/4 


Arabische  Straßenausrufe. 


193 


Liter  messen;  vgl.  aber  auch  oben  Nr.  33  b.     Über  das  Sachliche  zu 

86 — 87  a  s.  die  Bemerkungen  in  AWO, 

87  b.  bdmiya  l-hälädi  l-'-dl     Heimische  Bamie,  herrliche!     Me. 

87  c.  bdmiya  rümi  fäza  Griechische  Bamie,  frische!     Me. 

Die    heimische'  Bamie    (Hibiscus    esculentus)    ist    kleiner    als    die 
griechische. 

87  d.  '^äl  yä  ''Uta     Herrlich,  o  Rahmfrucht!     Me. 
87  e.  *'dl  yäjustiC^  fustu^  il-''dl    Herrlich,  0  Pistazien!  Pistazien,  herrliche! 

Nach  Mo.  und  Me. 
87  f.  fustu^  ^dlldsa  l-justu^  Herrliche  Pistazien!  Frisch  die  Pistazien!  Me. 

Die  gerösteten  und  gesalzenen  Pistaziennüsse  werden  nach  Me. 
in  Körben  umhergetragen  und  nach  der  Stückzahl  in  den  Kaffeehäusern 
verkauft,  zuweilen  auch,  wie  viele  andere  Waren,  durch  Verlosen  im 
Glücksspiel;  man  greift  in  einen  Beutel  mit  Nummern,  gerade  und  un- 
gerade {goz  u-fard)  entscheiden,  aber  dabei  ist  viel  Betrug. 
87  g.  kdstana  kästana!  kdstana  l-^dl  Kastanien !  Kastanien !  Herrliche 
Kastanien!     Me. 

Die  Kastanien  werden  auch  '^ain  il-gämäl  genannt. 
87  h.  kummitra  l-^dl     Birnen,  herrliche!     Me. 
87  i.  ^dl  ü-kiresa       Herrliche  Kirschen !      Me. 

B.  Fleisch  und  Fische. 
ü-gazzdr     Der  Schlachter. 

88.  JLaöÜ   jbji4.i5    JL^iail     id-ddni  l-musg-ar  id-ddni 

Si^  Lj  ^-otAaJt  (j;jj.ail   L:Jy.>ai     ^andina  l-^üäi  s-s^aiyar  ya-uldd 
Hammel,  kleine  Hammel! 

Wir  haben  ein  ganz  junges  Lämmlein,  ihr  Burschen! 
Das    arabische  (^jj-'i   ist    natürlich    das   entsprechende    türkische 
Wort;  die  Betonung  auf  der   l.   Silbe  ist  nach  arabischen  Vorbildern 
eingetreten. 

ir-rauwds     Der  Verkäufer  von  Hammelköpfen. 

89.  J\.z>.  Lj  nJÜI     -JLü     '-alä-llä  yä  gdbir. 

Wir  vertrauen  auf  Gott,  o  du  Helfer! 
Sidqi  hatte  in  der  Überschrift  baiyd''  masliV  ir-rds  id-ddni   »Der 
Verkäufer    des    Gekochten    vom    Hammelkopf«.       Die    Bezeichnung 
rauwds  wurde  mir  von  B.  Moritz  mitgeteilt. 

baiyd'  is-sämäk     Der  Fischverkäufer. 

90-  eV.**.  Lj  i3Lxil     Jjiii     bul/i  l-*dl  yä  säinäk 
Bultl,  herrliche,'  o  Fische! 

Islam  X.  |7 


IqA  Enno  Litt  manu, 

Nach  Nallino,  S.  251,  ist  bul/i  Labrus  niloticus  Hasselq.  Eine 
genaue  Beschreibung  des  Fisches  findet  sich  bei  Seetzen,  Reisen  usw. 
III,    S.  274. 

91.  ^^4-w    Lj    W^    Oi=W-J5     il-haydd  il-^dl  yä  sämäk     . 

WeißHnge,  herrhche,   o  Fische! 
Nach  Nallino,  1.  c,    ist  hayäd  Bagrus  bayad  C.  V. 

92.  u^3^Lä  Lj  3^xl\  ^jo^p6\     ü-^ärüs  ü-'dl  yä  ^ärüs 

Oärüs,  herrhche,   o  Oärüs! 
9^.  ^iU^  L.  „^oLJ!    ^x<JI  ^4^    sämäk  ü-kebir  is-snbih  yä  sämäk 
Große  Fische,  frische,  o  Fische! 

94.  (^..:?=vj  j3.:^j  ^.j.Lavo     bisdrya  hahari  ba/iarl 

Bisärya  vom  Nil,  vom  Nil!  —  Vgl.  unten  Nr.  247. 

baiyd'-  is-särdin     Der  Sardinenverkäufer. 

95.  .-t-'^-v-  Lj  ,  cA^Jl  ,.,j0..sJI     is-särdin  ir-raHdi  yä  särdin 

Sardinen  aus  Rosetta,  o  Sardinen! 

baiyd"-  ir-ringa      Der  Heringsverkäufer. 

96.  s:^j    Lj  -^LLj^   ^4^    sämn  ubatdrih  yä  ringa 

Butter  und  Rogen,  0  Heringe! 

baiyd'^  il-fesih     Der  Verkäufer  von  Salzfischen. 

97.  ^^Av.5  'wj  J^\   ;?o.>*^J!     il-jesth  in-nill  ya-jsih 

Salzfische  vom  Nil,  o  Salzfische ! 
97  a.  yä  fesih  il-'dl    0  Salzfische,  herrliche!     Mo. 

baiyd'  umm  il-hulül     Der  Miesmuschelverkäufer. 

98.  ouJai  (iVcLjKj     baiydHk  indif 

^j)3^\   p!   Lj   ou^-b  liULi'l^     we'akkdlik  garif  —  yammu  l-/iulul 
Dein  Verkäufer  ist  rein, 
Und  dein  Speiser  ist  fein  —  o  Miesmuschel! 

99.  j,s>  ii)ü;<x.i;     Sabaktik  harir 

^Ji^Jt  -I  Lj   ^  ^oLaa5.     wesaiyddik  ^amir  —  yammu  l-hulül 
Dein  Netz  war  aus  Seiden, 

Dein  Fischer  gut  und  bescheiden  —  o  Miesmuschel! 
Das  Wort  '^amir  wurde  mir  als  rdgil  taiyib  sdli/i  erklärt. 

100.  ^JL£^1\  *\  Lj  i3L*il     il-'dl  yammu  l-hulül 

Herrlich,  0  Miesmuschel! 
100  a.  gamban  '^dl     Krabben,  herrliche! 

Nach  Mo.  gambari  l-'dl,  mit  Artikel.  Die  Krabben  (Granate, 
Garneelen)  heißen  auch  baräghU  il-bahr  »Seeflöhe«;  so  nach  Me.,  vgl. 
auch  DozY  s.  v.  öj.tj. 


Arabische  Straßenausrufe. 


195 


100  b.   mazza  kebdb       Zukost,  geröstetes  Fleisch !     Me. 
100  c.  *aZ  yä  ganduflt,  gandufli  l-'^dl     Herrlich,  0  Gandufli!     Gandufli, 
herrliche !     Me. 
Dies   ist    nach  Me.  eine  gerieftschalige,  wohlschmeckende  Mittel- 
meermuschel. 

C.   Hühner.    Eier,    Brot,    Käse    und    Milch. 
baiyd^  ü-jirdh     Der  Hühnerverkäufer. 

loi.  ^Ls  Lj  ...U-^il  ,  c,l>Xxit     ü-baddra  s-swndn  ya-frdh 
Junge,  fette,  o  Hühnchen! 
bädriya  (Plur.  baddra)  ist  ein  mittelgroßes  Küken,  etwa  vier  Monate 
alt ;  das  Wort  wird  sonst  auch  von  Lämmern  gebraucht ;  vgl.  Mustl,  Arabia 
Petraea  HI,  S.  284  und  Dozy  s.  v.   Sumdn  steht  für  simdnwQgen  des  m. 

baiyd''  ü-katäkit     Der  Kükenverkäufer. 

102.  ^^4J!  ^^/!  Lj  ^^Uif     il-müdh  yä  müdh  il-mildh 

^bi*JI   'i\   J^l\  ^5-^-^:^  '^     '^^  yütiri  l-mild/i  üla  l-mildh   ■ 
Schöne,  o  Küken,  schöne! 
Nur  Schöne  kaufen  die  Schönen! 
Nach  Sidq!  ist  müdh  auch  =  katäkit.    Er  erklärte  die  erste  Zeile: 
»Küken,   o  schöne  Küken«.     Aber  sonst  steht  vä  vor  dem  Worte,   das 
die  Ware  bezeichnet;   daher  habe  ich  hier  auch  so  übersetzt.  —  Vgl, 
unten  Nr.  251. 

103.  sdbih  yä  bed    Frisch,  o  Eier! 

103  a.  aqsdti  yä  hed     Schäumend,  o  Eier! 

Spitta,  S.  277.     Nach  ihm  bedeutet  schäumend   hier  »frisch,   un- 
bebrütet«. 

104.  bed  wismif  sentit  (dza     Eier  und  Brezeln,  frische  Brezeln! 

Nach  Mo.  auch  bed  usmit  tdza  l-'^dl.     Jehan  d'Ivray,  S.  32,   hat 
semitt  taza  an  der  Bahn  Alexandrien-Cairo  gehört. 

104  a.  abydd  is-semU    Weiße  Brezeln! 

Spitta  S.  277.    Er  übersetzt  semit  (so,  mit  t)  durch  »Semmeln«.  — 
Über  tdza  vgl.  unten  zu  Nr.  133. 
104b.  täbünl  yä  '^eS     Im  Ofen  gebacken,  o  Brot! 

Spitta,  S.  277.  Dort  steht  fälschlich  tabüny. 
104  c.  ''eS  ü-abyad  Weißes  Brot!  Spitta,  S.  260. 
104  d.  iStayigenninisdimbetd''  ü-bira  Stangen    Österreichische  Salzstangen 

zum  Biere,   Salzstangen !     Me. 
104  e.  menzeldwi  yä  gibne    Aus  Menzale,  o  Käse! 

Spitta,   S.  277. 
104  f.  gibn  U'Semit     Käse  und  Brezeln!     Me. 


u* 


I  qÖ  EnnoLittmanh, 

baiyd^  ü-läbän     Der  Milchverkäufer. 

105.  ^JilJU!  xL^i  L  ^^J     läbän  yä  ^ista  [l-]lähän 

Milch,  0  Rahm,  Milch! 
Der  Artikel  bei  [l-\läbän  ist  in  meiner  Umschrift  ausgefallen. 

106.  ,.,LJUi  v*-xJL>  -^aJL^JI  ,.^J     läbän  il-halib  halib  ü-lähän 

Sahnenmilch,  Milchsahne  1 

107.  adxixäii  Jlxas  Lj  idi^iUiJI     il-Hsta  yä  sabdh  il-ista 

Rahm,  o  frischer  Rahm  1 

108.  [^^JiJ!  i^obJi  Q>JÜ!]     ü-läbän  iz-zabddi  l-läbän 

Milch  in  Schalen,  Milch! 
Nr.  108  ist  zufällig  von  Sidqi  nicht  arabisch  aufgeschrieben.    Die 
Übersetzungen  von  halib  V.nd  läbän  sind  im  AWO  näher  erklärt. 

108  a.  Nach  Mo.  rufen  die  Hirten,   die  vor  den  Häusern  melken,    in 

Cairo  yä  labä-ä-än. 
108b,  läbän^  läbä-ä-än   läbän  gämüsa  ''Ufa     Milch,  Milch!    Büffelkuh- 
milch,  Sahne ! 
So  wird  nach  Me.  mittags  in  Cairo  gerufen. 

baiyä'^  ü-läbän  ir-rdyib  [ü-hadd]     Der  Buttermilchverkäufer. 

109.  ^^jLj   Lj  Kh.^i  ^JCxäi  ^J  »^js>-\  <:^t^     get  'agibu  läbän  la^etu  Hs/a 

yä  zebdyin 
Ich  kam,    um  sie  als  Milch  zu  bringen,   da  fand  ich  sie  als 
Rahm,  o  ihr  Kunden! 

109  a.  läbän  rdib      Buttermilch!  —  So  wird  nach  Me.  in  Cairo  abends 

ausgerufen. 

D.    Spezereien    und    Blumen. 

baiyd^   ü-Htr  wir-rihdn       Der  Verkäufer  von   Spezereien  und  Myrten. 

HO.  2aAÄ.5\Ji     Jlt     ''da  l-genena 

U-JLc  J^JLb  o.jJt»     ivü-warde  dallü  '■alena 
Luil  iwr>  wA-j-LA^I^     ivü-habib  ga*  üena 
Jic   u  ^\ji^\     ü-'-dl  yä  '■ür 
Auf  zum  Garten, 
Wo  uns  Rosen  beschatten 
Und  uns  Freunde  erwarten! 
Herrlich,  o  Spezereien! 
in.  ^-ji-^sJ^  Lj  i3Lxil  ^.jL<\j^JI     ir-rihdn  ü-'-dl  yä  rihdn 
Myrten,  herrlich,  o  Myrten! 
»Myrten<;    möge  hier,   wie  rihdn    (eigentlich  =  Basilienkraut)    im 
allgemeineren  Sinne  für  »wohlriechende  Kräuter  :   stehen. 


Arabische  Straßenausrufe. 


197 


batyd^  ü-ward  wü-full     Der  Verkäufer  von  Rosen  und   Jasmin. 

112.  ..^jLÄ:p.J!  0,3  Lj     yä  ward  ü-gandin 
^jL^  J^f     J<c-  »lit     ^a//ä  ^ala  kulle  /idin 

J^oLxj     ^:s\j     ^Xxl     ^imta  tigi  nüiodsü 
J.AaL;:/j  (^:s=\>JI     J^.»     "düeyilfa  l-kubbe  mittdsil 
O  Gartenrosen! 
Gott  straft  alle  Treulosen! 
Wann  kommst  du  zum  Stelldichein, 
Um  in  Liebe  vereint  zu  sein? 

112  a.  ü-warda,  ü-warda-a-a     Rosen!    Rosen!     Me. 

113.  ;j.:>vJl  J^ftil  jj..>vjl     ü-migwiz  il-jull  ü-migwiz 

Doppelt  schöner  Jasmin,  doppelt  schöner! 
Das    Wort    migiviz    »doppelt«   wurde    mir    hier    »doppelt    schön« 
erklärt.      Es    steht  wohl    für  mugwaz  wie  ^iswid  für  ^aswad;   mugwaz 
wiederum  steht  für  altes  muzwag. 

113  a.  ''abu  r-rika  yä  füll    Vater  des  Duftes,  o   Jasmin! 

Nach  Me.  wird  diese    einheimische  Jasminart  in  kleinen  weißen 
Buketts  in  Cairo  von  Fellachenjungen  ausgeboten. 
113b.  füll  gamil     Lieblicher  Jasmin! 

Jehan  d'Ivray,    S.   18,    gibt  diesen  Ruf  aus  Alexandrien  in  der 
Form  fohl  gamyl. 
113  c.  '-dl  yä  yasmin     Herrlich,  o  Jasmin!     Mo. 

Statt  yasmin  wird  auch  yasmün  gesagt. 

113  d.    'a/   il-yasmin,   yasmin    it-tib       Herrlicher    Jasmin,    Jasmin   des 

Duftes!     Me. 

baiyä''  il-buhür     Der  Weihrauch  verkauf  er. 

114.  KJLkj.   .J!  j_t-^^     bu/iür  il-barr  yinfa'- 

Weihrauch  vom  Festlande  ist  nützlich! 
114a.  magitüliya     Magnolien!     Me. 

Einzelne  Magnolienblüten  werden  durch  einen  Bastfaden  zu- 
sammengehalten und  am  vorzeitigen  Aufblühen  verhindert;  sie  werden 
in  Körbchen  oder  in  der  Galläbiye  umhergetragen. 

114  b.  ^dl  in-nargis     Herrliche  Narzissen!     Me. 

Die  Narzissenblüten  werden  in  kleinen  Sträußen  in  der  Hand  ge- 
tragen und  feilgehalten. 

E.    Salz    und    Industrieerze ugnissc. 
'  baiyd''  ü-malh     Der  Salzverkäufer. 

115.  _;JLo  Ij  ^3l-*J5  j^jy^.;iJt     ir-rasidt  l-'dl  yä  mal/i 

Aus  Rosetta,  herrlich,  o  Salz ! 


igg  Enn  o  Litt  mann  , 

baiyd'-  is-säbun  wü-bunn     Der  Verkäufer  von  Seife  und  Kaffeebohnen. 

il6.  ^^Lxil     ^>*JbLÜl   ...yiu^\  ^Ljtit     ü-''dl  is-säbün  in-näbülsi  l-^dl 

Herrlich,  die  Seife  aus  Nabulus,  herrhch!  —  Vgl.  Nr.  324. 

117.  [u,juIaJt  t3L*JI   (•j«^']     id-di^''  il-'-dl  in-nadij 

Seifenabfall,  herrlicher,  reiner! 

118.  *aa/  yd  sddbüün     Herrlich,  o  Seife! 

119.  ^L*J!     ^^■^^  rt-t-J^     il-bunn  U-yämäni  l-''dl 

Kaffeebohnen  aus  Jemen,  herrlich! 
119  a.  ^adim  yd  säbiin      Alt,  o  Seife!  —  Spitta,  S.  277. 

balyd*-  ü-manäfik    wil-qabäqib      Der  Verkäufer    von    Blasebälgen    und 

Stelzschuhen. 

120.  »^^LJiiU  4;^a5wUJI     ü-manäjih  wiPabäHb 

Blasebälge  und  Stelzschuhe ! 
Derselbe  Mann   verkauft   auch    kanakdt  (verzinnte  Kaffeekannen) 
und  klzdn  (Krüge). 

baiyd^  il-husr     Der  Strohmattenverkäufer. 

121.  iJj^S  LT^Jüi     il-Hyds  ü-^umida 

Jede  nach  Maß,  schöne  Arbeit !         . 

baiyd''    ü-magiir   webalatt    il-furn       Der    Verkäufer    von    Schalen    und 

Herdplatten. 

122.  ^^^j!   nL^  (^oL  is.AJLixJU  ^j.:>uJ5     ü-magür  wis-idlya  wddl  balatt 

il-furn 

Schalen  und  Schälchcn,  und  dies  ist  die  Herdplatte! 
122  a.  samsiyet  il-^dl     Sonnenschirme,  herrlich! 

Spitta,  S.  260. 
122  b.  bafta  hindl,  bafta  hindl    Indische  Leinwand,  indische  Leinwand! 

Sit  '-arid  yd  bandt  Breiter  Kattun,  o  ihr  Mädchen!   Me. 

122  c.  füta  bi-taldta  sdg    Das  Stück  Tuch  zu  drei  großen  Piastern!  Me. 
Der  Ruf  wird  wiederholt.     Das  Tuch  wird   zu  Handtüchern  und 
Mundtüchern  benutzt. 

122  d.  min  il-bahr  il-mdlih  isfinga     Vom  Salzmeere,   Schwämme!    Me. 
Die  Schwämme  werden  jedoch   meist  ohne  Ausruf  von  Griechen 
verkauft  und  sind  sehr  unrein  und  sandig. 
122  e.  ^izdz  il-lamda     Lampenzylinder!     Me. 

122  f.  il-litr  isbirto   bitndsar  mallim       Der    Liter    Spiritus    für    zwölf 
Milhemes!     Me. 
Me.   gibt  li^r  und  isbir/o  mit  /  an.      Diese  Aussprache  mag  vor- 
kommen, da  beide  Male  ein  r  in  der  Nähe  ist.    Doch  Nallino,  der  in 
seinen   Angaben   äußerst  zuverlässig  ist,    hat  beide  Wörter   (2.   Aufl. 


124-  hanfalun 
124  a.  tarbüs 


'adim  lil-be^ 


zum  Verkauf!     Me. 


T 


Arabische   Straßenausrufe.  IQq 

S.  477  und  S.  438)  mit  t;  dies  wird  daher  die  häufigere  Aussprache 
sein.  Ich  selbst  habe  keine  Notizen  und  keine  genaue  Erinnerung 
betreffs  dieser  Wörter. 

122  g.  safihat  ü-gäz  bündSar  säg     Die  Kanne  Petroleum  für  zwölf  große 

Piaster!     Me. 

ü-mebaiyadin     Die  Verzinner. 

123.  nebaiyad  nahäs      Wir  verzinnen  das  Kupfer! 

123  a.  nesallah  bäbür  ü-gäz    Wir  reparieren  den  Petroleumkocher!    Me. 

Die  Petroleumkocher  sind  nach  Me.  überall  in  Cairo  in  Gebrauch. 
Me.  schreibt  einmal  gdz  (122  g),  einmal  gdz;  beide  Aussprachen  kommen 
in  der  Tat  vor. 

123  b.  nesallah  ü-kardsl    Wir  reparieren  die  Stühle!     Me. 

Die  Altkleiderhändler. 

{Hosen 
Tarbusche 
Stiefel 

124  c.  hadid     \  Altes  Eisen 

ü-böyagiya     Die  Stiefelputzer. 
124  d.  waruis  melikdnl    Amerikanischer  Stiefelglanz!     Me. 

F.    Getränke. 
is-saqqä     Der  Wasserträger. 

125.  ».5>      ;jtJ!  \Jül      is.   {j:oj.xl\     il-Hivad  ^ala  IIa  ü-gant  hüwa 

Der  Lohn  ist  bei  Gott,  er  ist  der  Allreiche! 
Jehan  d'Ivray   (S.   32)   hat    die  Wasserverkäufer  an   der  Bahn 
von  Alexandrien  nach  Cairo  einfach  moiya,  moiya  rufen  hören. 

baiyd''  ü-lamündta     Der  l^imonadenverkäufer. 

126.  .  t  s>  Lj  ,..j.JLii  ^L.ü    sardb  ü-lamün  yä  harrdn 

Limonenwein,   o  du  Dürstender!    —  Vgl.  unten  Nr.  307. 

baiyd'-  it-tüt       Der  Verkäufer  von  Maulbeeren[wein]. 

127.  o».äJ!  »^I^  Lj  oy:J!     it-tüt  yä  sardb  it-tüt 

Maulbeeren,  o  Maulbeerenwein! 
Diese  Übersetzung,    die  von  der  Erklärung  Sidqi's  abweicht,    ist 
in  AWO    näher  begründet. 

baiyd'-  il-'irqesüs       Der  Verkäufer  von  Süßholzwasser. 

128.  .jM.i^Jt   ^y^i^\     il-Hr^esüs  il-hamir. 

Süßholzwasser,  gegorenes ! 


200  Enno   Littmann, 

Statt  ij^j.^'i.xli\  hat  Sidqi,   um  die  Aussprache   nachzuahmen,  im 

Ausruf  fj^j.j^t^]  geschrieben.  Ich  schreibe  ^J^_y^'i.c  in  einem  Worte, 
da  es,  wie  der  Artikel  vor  dem  Ganzen  zeigt,  von  der  Sprache  als  ein 
wirkliches  Kompositum  aufgefaßt  wird.  —  Vgl.  Nr.  303,  326. 

129.  i^/io>  ^-yA  »3^ss-  Lj     yä  haläiüa  min  hasab 

O  Süßigkeit  vom  Holze! 

baiyd'-  ü-tamrehindi     Der  Verkäufer  von  Tamarindenwasser. 

130.  L-J^:>\.J!  (j;Jv>LP.4.:JI   LJ^L^J!     ü-galläb  it-tamrehindi  l-galldb 

Rosenwasser,  Tamarinde,  Rosenwasser! 
Die  Übersetzung  von  galldb  durch    »Rosenwasser«  (=  gulldb)  ist 
in  AWO   begründet.    Aus  diesem  Worte  stammt  das  spanische  julepe, 
französ.  und  engl,  julep,  das  auch  in  Deutschland  bekannt  geworden  ist. 

baiyd^  sardb  iz-zebib     Der  Verkäufer  von  Rosinenwasser. 

131-  v^AijJi  V^_j-^  ^^.  ^-r^.ii^^     iz-zebib  yä  sardb  iz-zebib 
Zibeben,  o  Zibebenwein! 
Sidqi's  Niederschrift  hat   uj,^  statt  oL.i;;    er   diktierte  jedoch 
zweimal  sardb. 

G.  Speisen. 

baiyd^  iz-zaldbya     Der  Pfannkuchenverkäufer. 

132.  ^-ÜLt     JU05  Li/i  'iLfjßx     zaldbyit  muna  wesdlll  ^an-näbi 

Pfannkuchen  von  Mina,  und  bete  zum  Propheten! 
zaldbya  wurde  von  Sidq!  als  dünner  Pfannkuchen  beschrieben; 
man  könnte  sie  auch  als  eine  Art  Mandeltorte  bezeichnen.  Die  Über- 
setzung ist  nach  Sidqi  gegeben.  Er  meinte,  die  Pfannkuchen  würden 
so  benannt,  weil  sie  besonders  auf  der  Pilgerfahrt  bei  Mekka  gegessen 
würden;  dazu  würde  auch  der  Zusatz  »bete  zum  Propheten«  am  besten 
passen.  B.  Moritz  sieht  in  müna  jedoch  den  Plural  von  münya 
»Wunsch«  und  schlägt  vor,  »hochbegehrt«  zu  übersetzen.  Diese  Über- 
setzung ist  an  sich  ebenso  gut  möglich  und  vielleicht  sogar  wahrschein- 
licher; dann  wäre  jedoch  die  Erklärung  des  Zusatzes  schwieriger. 

baiyd''  il-musabbik     Der  Waffclverkäufer. 

133.  övLb  ^^iJtii  v^*i"     ka^b  il-gazdl  f.dsa. 

Gazellenfersen,  frische! 
Das  Wort  »:Lb  wurde  von  Sidqi  hier  fd^a  gesprochen  und  sogar 
iJfflL  geschrieben;  hätte  ich  ihn  darauf  aufmerksam  gemacht,  so  hätte 
er  die  Aussprache  tdza  abgeleugnet,  wie  er  das  in  ähnlichen  Fällen 
immer  tat,  und  die  Schreibung  id?Lb  für  einen  Fehler  seinerseits  erklärt. 
In  der  Tat  kommt  die  Aussprache  mit  s  oft  genug  vor;  sie  beruht  be- 


Arabische  Straßenausrufe.  201 

kanntlich  auf  Angleichung  an  das  /.    Andererseits  ist  mir  aber  auch  die 
Aussprache  tdze  begegnet.     Das  arabische  »jLL  ist  aus  dem  persischen 
»:Lj  entlehnt.    Persisches  t  und  k  wird  im  Arabischen  meist  durch  Jo  und 
V,   wiedergegeben;    dies   beruht   darauf,    daß   t  und   k   im    Persischen 
gänzlich   unaspiriert  gesprochen  werden,    ebenso  wie  im   Semitischen 
/  und  q,    während  semitisches  t  und  k  wie  im  Norddeutschen  leicht 
aspiriert  wird.     Ebenso  wurde  griechisches  x  und  x,    wenngleich    hier 
einzelne  noch  näher  zu  untersuchende  Ausnahmen  vorliegen,    im  Se- 
mitischen   durch  /  und  k  wiedergegeben.     Für    die  Wiedergabe    des 
griechischen  tt  wandten  die   Syrer  sogar  ein    eigenes  Zeichen  (^)  an. 
133  a.   Saids a  bi-mallim  hi-samn  il-baqara,    yd  min   ma^dh  malltm  loe- 
ydhud  saldsatun     Drei  für  einen  Millieme  mit  Butter  von 
der  Kuh !     O,  wer  einen  Millieme  bei  sich  hat,  der  nehme 
drei !     Me. 
Me.  beschreibt  den  Mann,  der  in  diesem  halbliterarischen  Arabisch, 
das  nach  vulgärer  Weise  ausgesprochen  ist    und  auch  nach  vulgärer 
Weise  Fehler  enthält  (vgl.  saldsatun),    seine  Ware  verkauft,  folgender- 
maßen:   ein  Syrer,    in  Beduinentracht    mit   Schwert    und   Schild,   auf 
geschmücktem  Kamel,  mit  Musik  voran  (wie  bei  einem  Hochzeitszug), 
verkauft  aus  seinen  Satteltaschen  guraiyiba,   d.  i.  Plätzchen  aus  Mehl, 
Zucker  und  Butter;  vgl.  auch  Dozy,  s.  v. 

133  b.  sultdniya  bi-mallim,  yd  belilet  [il-]löz  Die  Schale  für  einen  Mil- 
lieme, o  Weizenpudding!  Me.  " 
belila  ist  nach  Me.  eine  Art  Weizenmehlpudding  mit  Rosenwasser 
angemacht  und  mit  Mandeln  belegt.  Spiro  beschreibt  dies  Gericht 
als  gekochten  Mais  oder  Weizen,  der  mit  Milch  und  Zucker  gegessen 
wird;  vgl.  auch  Dozy,  s.  v. 

baiyd''  ii-ta'miya     Der  Bohnenkloßverkäufer. 

134.  Na.**!)  Lj  J.5^Läi^   j.!     ^umm  il-jaldfil  yä  ta'-mtya 

Mutter  des  Pfeffers,  o  Bohnenkloß! 
Wörtlich    wäre    »Mutter    der    Pfeffer[sorten]«    oder     »der    Pfeffer- 
körner«.   Zur  Bereitung  der  Bohnenklöße  werden  verschiedene  Pfeffer- 
sorten verwandt;   vgl.  Meyerhof   in  AWO   19 18,    S.  213,    Anm.  165. 

135.  kj3\j^  ^AajJüi   NÄj^^jw     suhna  l-''uresa  suhna 

Heiße  Klößchen,  heiße! 

baiyd^  il-haldiva     Der  Verkäufer  von  türkischem  Honig. 

136.  ^J^^=^  8^M>  Lj   .xa£:     ''ambar  yd  haldwa  hallt 

Ambra,   o  türkischer  Honig!     Mache  süß! 
136  a.  sämsämiya  yä  haldiva     Mit  Sesam  bereitet,  o  türkischer  Honig! 
Spitta,   S.  277. 


202  Enno  Litt  mann, 

136  b.  yä  hüwe  yükal    0  Süßes,  das  [viel]  gegessen  wird! 
Spitta,   S.  193,  Z.  12.. 

haiyd''  id-dandürma     Der  Eisverkäufer. 
I  t7-    ,<-»-j5      -JU!  Lii.  ^/a.AiO    u    \j    xx.cXJO    xLa-wJiJLc    *-»,JoJ    »^i.^    Lj    io«,L>JJ 
Nxi.jojJ!     dandurma  yä  saldm  dandurma  ^al-'^i^/a  dandurma 
yah  yä  dandurma  iväna  lli  '^abV'  id-dandurma 
Gefrorenes,  schau  an,  mit  Sahne!   Gefrorenes,  ach,  Gefrore- 
nes!    Und  ich  bin's,  der  das  Gefrorene  verkauft! 

138.  ^.,_j.xJlJ!       5  ^JlJlj    ^:>^    Lj     yä  sitte  ydllffi  l-bäläkon 
^_yj\   cJo  Q^  ii^j^^J!   }S\     ^akl  ü-galäta  min  hid'-  ü-yöm 

j^^JI   Lj^   ^Ia^J!  ou>3     wihyät  is-sala  waiya  s-söm 
&^,JojJ!     ^JIXj     J;äj     tinzill  takli  d- dandurma 

I  O  Dame,  die  du  auf  dem  Balkon,  -  das  Essen  von  Gefrorenem 
gehört  zu  den  neuen  Moden  von  heute.  3  Beim  Gebet  mitsamt  dem 
Fasten,    4  möchtest  du  herabkommen  und  das  Gefrorene  essen ! 

In  diesen  und  den  folgenden  Versen  ist  galdta  (italienisch:  gelata) 
und  dandurma  (türk.  dandyrma)  gleichmäßig  durch  »Gefrorenes«  über- 
setzt, da  sie  hier  auch  fast  gleichbedeutend  gebraucht  werden.  Eigent- 
lich ist  ersteres  »Fruchteis  ohne  Sahne«,  letzteres  »Sahneeis«  (ice- 
cream).     Statt  dandurma  hört  man  auch  dardürma  und  ^ardürma. 

139.  ^  »,kL^\  ,»,  Ji     ^JÜij  u>-w  Lj     yd  sitte  yälll  fo'  is-sutiih 

^  ^.äaj    ^>otJL  d^o*vJU     wilmiske  wü-^ambar  bifiih 

».I  ^»     j^A  'ül     ^ana  ^dgi  walla  ''arüh 

N/!,J>>.jvAil      ^S:i      J;Äj    ^i.     walla  tinzill  takli  d-dandurma} 
I  O  Dame,  die  du  auf  dem  Dach,     -  und   [um  die]  Moschus  und 
Ambra   duften,     3    soll   ich  kommen  oder  gehen?    4  Oder  kommst  du 
herab  und  ißt  das  Gefrorene?  —  Vgl.  unten  Nr.  314. 

140.  ö.L^!     -s     JlJlj  vi>w«  Lj    yä  sitte  yälll  ji  l-hdra 

»,'L/l^S!  ol;^!   Lj»     waiya  l-bandt  iPamära 
b.l.:>;^  aUjJoi*  Ljtj     ta''d  hudi-lik  sigdra 
s-Ajö.C)     JS  Lxj   '^\^     walla  ta'-d  küll  dardürma 
I  O  Dame,  die  du  im  großen  Hause  -  mit  den  Fürstentöchtern  bist, 
3  komm,  hole  dir  eine  Zigarette,    4  oder  komm,  iß  Gefrorenes! 

141.  .j..w.i!    v_j.s     -JÜLj  >,i>.j  Lj     yä  bitte  yälll  fo*  is-serir 

.j-:>o!   i^äJI  xaso^'   Lj     yä  labsa  t-töb  il-harir 

.j^^\     ,i\^J     J*.s     ^uli-  lahüki  Pamir 
.j^xc^>Ji   lo     -*^S  'C^^.fP'^     wihydt  in-nabl  da  l-basir 
\^.o.o  ^^LXJ>LJ     J^'     tinzill  td/idl  dardürma 
^  O  Mädchen,   die  du   auf  dem  Throne,    -  o  die  du  ein  seidenes 


Arabische   Straßenausrufe.  20^ 

Kleid  trägst,  3  sag  zu  deinem  Bruder,  dem  Fürsten:  4  »Beim  Pro- 
pheten, das  ist  eine  frohe  Botschaft«,  ^  [und]  komme  herab,  hole  Ge- 
frorenes! 

142.  ^\^  Lj   oiii^  c>>.j!_5     we^inta  wd^if  yä  gazdl 

li'bSjJ!  w*.:fU:  v^>Lx:^j   ^L.^3     uie'-ammäl  tifdgib  Hgb  id-daldl 

,.,L*>  ^j^*  iikÄx*j  [J^J     ^irmii  bfenak  ive'ül  ga^dii 

iw,L>,<A-5'     •■•1^     JLxj     ta'^dla  diV  id-dardürma 

I  Und  du,  die  du  da  stehst,  o  Gazelle,    -  und  die  du  selbstgefällig 

kokettierst,    3  winke  mit  deinem  Auge  und  sprich:    »Ich  bin  hungrig«, 

4  komm,  koste  das  Gefrorene ! 

143.  »;f)'i>..iJ!  ^5  ^JL-Si-J  '^uy^i   uj     yä  bitte  ydlli  fi  s-sibbdk 

;jii^Aw.j   L/)  \j^.:s\J!   J.i  \     ^akl  ü-galdtta  mä  yislds 
;ji,LÄÄAv-«   012I3     -JÜI   0(3     ivana  lli  wd'if  ma-staiinds 

^/i,i3,o  i  qJ^^'J     JjJ     tinzili  ta/idi  dardürma 
I  O  Mädchen,    die  du  am  Fenster  bist,    -  wer  das  Gefrorene  ißt, 
der  läßt  nicht  davon.   3  Und  ich  bin's,   der  [hier]  steht,  ich  warte  nicht. 
4   Komm  herab  und  hole  Gefrorenes! 

In  V.  2  steht  ^akl  für  ^dkil  (bzw.  imkil).  Die  Form  galdtta,  oben 
in  Nr.  138  galdta,  scheint  individuell  zu  sein  wie  in  diesen  Versen 
(Nr.   141  ff.)  dardürma  neben  dandurma    oben  Nr.   138  u.  139. 

144.  i^^xlJi     -5  ,  ^JÜLj  c>-j  Lj     yä  bitte  ydlli  fi  l-bäläkon 

j._j-JI   clXj  ^Jiy^*  ^c^    /^^^^  wesiifi  bid'-  il-yom 
^j^\   i-j^i  ^lxiJ5  oU>-3     wikydt  is-sdlä  waiya  s-som 
*->a.j>.L\J!  ^0^^^  ,  ^JiÄj     tinzili  takdi  \d-\dardürma 
^  O  Mädchen,   die  du  auf  dem  Balkon,    -  schau  und  sich  das  Neue 
von  heute!    3  Beim  Gebet  mitsamt  dem  Fasten,    4  mögest  du  herab- 
kommen und  das  Gefrorene  holen  I 
145-      j-j.Li*^J!  |Vj.5  ,  ^ULj  \:^  uj    yä  bitte  ydlli  jö*  is-sutiih 


Äj  i3u£  tiU-«  eV.A«-«.if     il-miske  miiiiiik  ''ammdl  ijüh 


^.,!   ^5»     ,JJ.^\     ^astdnna  ivalla  arüh 
*./ijjijiA,J!  ^^J<J^■     J^j     c^'^t)     '^'i^i-näbl  tinzili  takdi  d-dardiirma 
^  O  Mädchen,    die   du  auf  dem  Dach,    -  Moschusduft  strömt  von 

dir  aus.    3  Soll  ich  warten  oder  gehen.'*    4  Beim  Propheten,  komm  herab, 

hole  das  Gefrorene! 

146.     ^jJuLc  ^A     -iiü  v.:j/.j   Lj     yä  bitte  ydlli  min  '■abdin 
,->^^\  \_^5>Lo     ^».J     J».s     ^idl  labiiki  sahb  it-tin 

\/i.j.o  CkzA  ^3jji     ''anzil  ''dhud  dardürma 
^  O  Mädchen,    das  du  von  *Abdin  bist,    -  spricli  zu  deinem  Vater, 
dem  Besitzer  von  viel  Land:    3    »Ich  will    hinabgehen    und  Gefrorenes 
holen.« 


204 


E  n  ii  o  L  i  1 1  m  a  n  n  , 


Nach  Sidqi  bedeutet  ,tin  hier  »viel  Land,  großes  Gut«.  Der  Ge- 
brauch erinnert  an  die  Verwünschungsformcl  am  Schlüsse  der  lydisch- 
aramäischen  Bilinguis,  in  der  es  heißt,  daß  die  Frevler  ,tin  umin  ver- 
lieren sollen;  vgl.  meine  Lydian  hiscriptions  iSardis.  Vol.  VI)  S.  23,  A, 
Zeile  8. 

147. 


ä.xkO.O    Lj    i3l«-5l    ^la-ii-S 


iwa.^O    LJ    ^\ 


'J> 


L^.^ 


VC>y>M 


.J     ^y 


i-#.S>     ,.,X     (   C^jJwE^'     Lx 


O'^    O" 


L5 
Lj    ■i)ö\ 


^-\.jJ)vP»      i-yJV      '-^J  V' 


1^^  o^ 


-j-' 


'f.y/a  /-'«/  yä  aardürma 
>     2     g(?£;a^  y«  dardürma 

3  ;;/ä  tiz^alis  min  hayddik  yä  beda 

4  is-sa^de  heil  ^ayädiki 

5  mä  tiz^alU  tnin  hamdrik  yä 
hamrä 

6  da  l-warde  zaiyin  liaddeki 

7  mä  t  iz^'alis  min  sawddik  yä  söda 


b 


^Lla-o^^Juc    .*^*"5'    i^\ 


^S.j^Xj^  Oj,^  ^.^k!i\   fj>     8     da  l-ku/d  sauwid  ''eneki 
Lraö  lj  ^^Läo  ^  jji;.>.Xcj.j   L»     9     mätiz^alisminsafdrikyäsäfra 
^^xilc  JiLLs-  j*.^J!_5  >_>JLij!   b  10    ö?a    /-^m/^   wil-hamm[e]    liatit. 

''alekl 
j^.jij»'^!!  Qjjj^   i3j-ÄJ   *-^y^  II     weiiirga'-    mVül    wenüzin    il- 

^aiizdn 
i^j.^i:Jc^  XAiaAAJ!  12     il-beda    mag-süsa    zaiy    il-gir 

'■al-hltdn 
_jl«>vJl  lXäc  .\.*.^^JÜI  ijTj  \^.cc«.iA)  L*j>JL   13     ivil-haynra   mag-susa   zaiy   il- 

lahma  '-and  il-gazzdr 
j^.,lA-otJL£  ♦i'jJI  (Cj   *..Ä^xiotv«  \Ju2.l\^  14     wis-safra    mag-süsa    zaiy    il- 

kurkum  'al-'iddn 
j.L.5=väJI  l\äc  ^^äJ5  ;jjj  i(..ii^,iJw  bOj.A^iU   15  wis-söda  magsüsa  zaiy  il-fahm 

'-and  il-fahhäm 
!-4.s>  xcAb  5-«.>*w.JI   L«.]»  16     ivelamma      s-samra      halaha 

hanira 
L4..V.  Lj  ti)LX.j<^.j  q/!  ^i>.ica   Lj  1 7     }'«  hakt  man  yähdik  yä  samra 

148. 


JsuJiJI 


^^.,-.^^.5  Q-yLv.».J!  ^yh  ^cc^jotj  18  /w  .tid  is-sinin  farhdn 

i^Aj^y)  Lj  iJa.^s  T  ""i-y./«  yä  dardürma 

iJ^<\'S   Lj  iiV>Li^j   ^/«  2  mhi  tuknik  ya  thina 

LA.J      5  J;;^^-^:^  o'*r'^^^  l5;  3  '^^^^  H-gämüs  iharta'  ji  wus/ 


il-g-il 

\*-^5,j   ii)>jis^  ^3     4     loemin  ruf'ik  ya-rfaiya'a 
Joj^Lc  v_ÄUiLJt  Jo^^ii  (j:j     5     ^aiy  il-gertd  in-ndsif  'al-hel 
ioo.0  o  Lj  *i:i^xi     6     'zX-^a  yä  dardimna 
147.  'f  Sahne,  herrlich,  o  Gefrorenes!  2  Elegant,  o  Gefrorenes!  3  Zürne 
nicht  ob  deiner  Weiße,    o  du  Weißes:   4  das  Glück  ist  in  deiner  Hand. 
5  Zürne  nicht   ob   deiner  Röte,   o  du  Rotes:    ^   das    ist   die  Rose,   die 


Arabische  Straßenausrufe.  ■  ^Qt 

deine  Wangen  schmückte!  7  Zürne  nicht  ob  deiner  Schwärze,  o  du 
Schwarzes:  ^  das  ist  die  Schminke,  die  deine  Augen  schwärzte. 
9  Zürne  nicht  ob  deiner  Gelbe,  o  du  Gelbes:  ^°  das  sind  Kummer  und 
Sorge,  die  bei  dir  weilen.  "  Doch  nun  wollen  wir  uns  in  der  Rede 
wenden  und  wollen  die  Worte  [anders]  wägen.  ^-  Das  Weiße  ist  wert- 
los wie  der  Kalk  an  den  Wänden,  "3  und  das  Rote  ist  wertlos  wie  ein 
Stück  Fleisch  beim  Schlachter,  ^4  und  das  Gelbe  ist  wertlos  wie 
Farbe  aus  Gelbwurzelstöcken,  ^5  und  das  Schwarze  ist  wertlos  wie 
die  Kohle  bei  dem  Köhler.  ^^  Doch  was  das  Braune  angeht,  das  ist 
eine  rote  Dattel.  ^7  Glücklich,  wer  dich  erhält,  o  Braunes !  i8  Er  wird 
alle  Jahre  lang  froh  leben. 

148.  I  Sahne,  o  Gefrorenes!  2  Wegen  deiner  Dicke,  du  Dicke,  3  bist 
du  wie  ein  Büffel,  der  mitten  auf  dem  Felde  umherläuft.  4  Und  wegen 
deiner  Schlankheit,  du  Schlanke,  5  bist  du  wie  ein  trockener  Palm- 
zweig  auf  der  Wand.  —  (>  Sahne,  o  Gefrorenes! 

Zu  gösdl  (Z.  2)  vgl.  oben  zu  Nr.  42  sowie  Jacob,  Türk.  Literatur- 
geschichte I,  S.  31.  Manchmal  ruft  der  Eisverkäufer  auch  ganz  türkisch 
kaimak  dardurma  gözdl  (so  nach  Sidqi).  Wenn  die  Aussprache  kaimak 
richtig  ist,  so  muß  sie  in  neuerer  Zeit  individuell  übernommen  sein, 
da  man  sonst  durchaus  qaimaq  erwarten  müßte,  auch  in  Ägypten.  Daß 
in  Nordsyrien  türkisches  v  auch  als  arabisches  »^  übernommen  wurde, 
ist  selbstverständlich,  da  dort  auch  im  Türkischen  das  q  ganz  ähnlich 
wie  arabisches  q  gesprochen  wird.  Um  den  Ausdruck  des  türkischen 
Wortes  innerhalb  des  Arabischen  wiederzugeben,  habe  ich  ein  fran- 
zösisches Wort  im  Deutschen  gebraucht.  — •  In  Z.  1 1  ist  eine  typische 
Übergangsformel  des  Erzählungsstils  gebraucht:  nirga^  m?ül;  so  heißt 
es  in  Mprchen  oft  nirga'^  bil-kaldm  oder  nirga^  bin-nass  wil-kaldm. 

147  und  148  wurden'  mir  als  das  Lied  desselben  Verkäufers  be- 
zeichnet. Ich  habe  sie  getrennt,  da  beide  ganz  verschiedenen  Inhalt 
haben,  und  da  148 1  einen  neuen  Gesang  zu  beginnen  scheint.  Es  ist 
aber  möglich,  daß  derselbe  Verkäufer,  nachdem  er  in  Nr.  147  die  ver- 
schieden gefärbten  Teile  des  Gefrorenen  nach  ihren  guten  und  schlechten 
Eigenschaften  besungen,  indem  er  ihre  Farben  symbolisch  deutete, 
sich  in  148  an  die  umstehenden  Mädchen  wendet  und  nun  deren  Dicke 
und  vSchlankheit  »symbolisch«  deutet.  Dann  würde  148 1,  der  Ausruf, 
der  sonst  am  Anfang  oder  am  Schlüsse  steht  oder  auch  als  Einleitungs- 
und Schlußformel  das  ganze  Lied  einrahmt,  hier  zur  Bezeichnung  des 
Abschnittes  dienen. 

haiyd''  il-mesamsim     Der  Verkäufer  von  Sesamgebäck. 

149.   ^t^kA^  _j.JL5>  Lj   .,U^^A«.^ii  I     ''il-mesamsimdn  yä  hilw  weminsdn 

*,v^4-w./»  Lj  2     yä  mesamsim 


2Q5  Enno  Littmänn, 

'  ^.j^L^j  U  ^LwJLa^Jl  3     Hl-mefallisdn  mä  yis*aldn 
(j^Jiil\   n-J:^^  ''^  Lry^^^  L^J^b  4     ^^'^^^  hü-fulus  mä  tistihi''  n-nufüs 
^.Av..,«.,«^  'uj    . 'Uii/a   wj  jJb»  L  5     yä  /^^/a;  yä  minsdn  yä  inesamsim 
Sj^k:>^^\   Q/s     ^i>  ,w*^4-^Ji  6     Hl-niesamsim  gdi  min  istambül 
jj.^i  w^JLc     ^  7     /i  '^Va^  hanniir 
^O^JSIS  _j.JL^I  ^i  u^^Ji-Sj  i^  8     mä  yaklüs  illa  l-hüw  il-gandür 
I   Sesamgebäck  —    o   süß   und   lecker!    ^  O  Sesamgebäck.     3  Die 
bankrotten  Leute  fragen  nicht  danach.  4  Aber  wer  bei  Geld  ist,  [kauft], 
was  seine  Seele  gelüstet.   5  O  süß,  o  lecker,  —  o  Sesamgebäck.    '^  Das 
Sesamgebäck  kommt  aus  Stambul,    7  in  Kästchen  von  Kristall.   ^  Das 
ißt  nur  der  Schöne,  der  Fesche! 

Die  Form  mesamsimdn  ist  wohl  nur  des  Reimes  auf  minsdn  wegen 
gewählt.  Letzteres,  das  ich  hier  durch  »lecker«  übersetzt  habe,  wurde 
mir  als  mahjü?  =  kimiyis  erklärt.  In  Z.  3  kann  yis'aldn,  dessen 
Endung  auch  wieder  durch  den  Reim  beeinflußt  ist,  sowohl  aktivisch 
wie  passivisch  gefaßt  werden.  Im  ersteren  Falle  heißt  es  dann  »sie 
fragen  nicht  danach,  weil  sie  es  nicht  kaufen  können«;  im  zweiten 
Falle  »sie  werden  nicht  gefragt,  es  wird  ihnen  nicht  angeboten,  weil 
sie  es  doch  nicht  kaufen«. 

In  Z.  I  und  5  ist  w  stimmlos,  d.  h.  also  ein  schwach  hörbares  bi- 
labiales /.  In  Z.  5  ist  diese  Pausalform  am  Platze,  da  hinter  dem  Worte 
/lilw  eine  kurze  Pause  ist.  In  Z.  i  jedoch  erwartet  man  etwa  kih- 
üminsän;  die  Form  in  meiner  Umschrift  ist  eben  dadurch  entstanden, 
daß  beim  Diktieren   eine  Pause  gemacht  wurde.    Vgl.  oben , zu  Nr.  14. 

H.    Ausrufe    aus  Tanta. 

1 50.        J^iUJI     J  ,  ^Lj    I     ydlli  fi  l-'-aldli 

J^  tiU^  ^i\w*^.Ji3    2     wil-miske  minnik  ildll 
^aj^  Lj  v3u«!     JLLjOo    3     ma//ülll  ''ummdl  yä  ''enl 

Juu,     ,JLä£^  ui^JLx.ii    4     sag-galti  "aHi  wehdli 
j^aj^  Lj  ^LoI     J.l:ü.A>    5     ma/lülll  ''ummdl  yä  '■enl 
,  *;^jl  dUi*liJ    6     hitaha^ik  il-hannür 
^iuaJI  «0^.*.^-  ü!    7     ^ana  hammüda  [z-]zugaiyar 
.»j«.>otil   7iC>yts^  Lil^    8     wana  hammüda  l-gandur 
iS±=>-  f,»S  dO  v^jLi»    9    gäyib-lik  körn  galdtta 
._j.>Lj  wJli     ^  ^o     fi  Hlab  hannür  .  .  . 
«wOjOjO  Lj  »hJ;:>Ji  1 1     ''iSia  yä  dardürma 
I   0  die  du  auf  dem  Söller  bist,    2  und  von  der  Moschusduft  aus- 
strömt,  3  guck  doch  heraus,   na  also,  o  mein  Lieb!    4  Du  hast  meinen 
Verstand  und  meinen  Sinn  berückt.   5  Guck  doch  heraus,  na  also,  mein 
Lieb,    6   mit  deinem  Teller  von   Kristall!    7   Ich  bin   Hammüda,   der 

I 


Arabische  Straßenausrufe. 


^07 


Kleine;  ^  ich  bin  Hammüda,  der  Fesche.  9  Ich  bring  dir  einen  Haufen 
von  Gefrorenem  '°  in  Kästchen  von  Kristall  ....  "  Sahne,  o  Ge- 
frorenes ! 

151.  /*t^^'j5  (^Joww  Lj  üJÜlj    I     yallä  yä  sidi  hrähim 

^     -5   ijLiiVxJl  ,c^ß    2     tirmi  l-^agd[y)iz  fi  bir 
.^   -^-^  f-^^}^  i3>Ä^J3    3     witta^''al  ''alehim  bihagar  kebir 
^j^lXi  näääJI     ^s  j.jL^vxJl  ^iJ    4     lä'inn  ü-^agd{y)iz  fi  l-jitna  Satrin 
^^^-^äJU^  ij^*.^l  ^5  Ju^S  i3j.ij3    5     wetül  in-nahär  fi  s-säms  mitla"a/nn 
/  iJLx^Ju  ^^..jUaJ!   ^S\    6     '^akl  in-namäiyjis  bil-nia''dlt' 
OjIjUJLj  ijL5^*il   ^S\*,    7     we'^akl  il-^agd{y)is  bil-mag-drif 
^.AAi^Lc  j.jL>\.*J!  j^    8     nom  il-'^agd{y)iz  ^al-/msir 
^.j-Aw^iLc  (j^jU>ü1  ,^3    9     wenom  in-namd{y)is  ^as-serir 
iWjO^o  Lj  \Ii^3  10     'w/a  yä  dardürma 
I  Wohlan,  o  Herr  Ibrahim,  -  wirf  die  alten  Weiber  in  einen  Brunnen 
3  und  beschwere  sie  mit  großen  Steinen;   4  denn  die  alten  Weiber  sind 
erfahren  im  Klatschen,    5  und  den  ganzen  Tag  liegen  sie  in  der  Sonne. 
^  Das  Essen  der  jungen  Mädchen  [geschieht]  mit  [feinen]  Löffeln,   7  aber 
das  Essen   der  alten  Weiber  mit  [groben]  Holzkellen.    ^  Das  Schlafen 
der  alten  Weiber  [findet  statt]  auf  der  Strohmatte,  9  aber  das  Schlafen 

der  jungen  Mädchen  auf  dem  Bett ^°  Sahne,  o  Gefrorenes! 

In  Z.  5  hat  Sidqi  ^w^+Ail  geschrieben,  aber  is-säms  diktiert; 
letztere  Aussprache  kommt  in  neuarabischen  Dialekten  häufiger  vor. 
Das  Wort  nämüsa  (Mücke),  plur.  namdyis,  erklärte  er  als  »junges, 
hübsches  weibliches  Wesen«.  Me.  vergleicht  den  deutschen  Ausdruck 
»netter  Käfer«. 

152.  baiyd'-  fül  süddni  ki-fan/a  Hsmu  '■amm  isher     Der  Verkäufer  von 


Erdnüssen  in  Tanta,    namens  Onkel  Isher. 


^plo^. 


Ij  .  ^io, 


^y'>~^^^  a^^  *-^^- 


j 


\xi»..JU    Lj    ».jji>»XA    Lj 


^Laa.,1   qxj  e' 


Ul 


N>.aX.J!    ^a       -PJc*.if 


\.=> 


Lf 


,j*.äJI   Li!  ^3^Äj  &.>^^>kUj! 


JLäJi  ^JlLi  10 

^yijA    J'.AJSC'JI    ,..Li     ...1.    II 


^Jyj^iji     \X, 


O' 


cv 


ya  sdddni  ya  sdddnl 

rigli  u>ag''ddni 

^iimiiiak  hihva  Idkiii  ''agbddni 

siffit-immak  bin  isnddni 

''ahsan  mü-lahm  id-dddm 

ya  mlühiya  ya  mlühiya 

ga  l-madhi  min  il-geba 

8  m'a'  /abaßen  wetubstya 

9  il-mulühiya  tu' Cd:  ^ana  n-nntl 
''atla^  il-''aVa  binabbütl 
win  kdn  il-hel  marbn/i 


U' 


.Äc   tJ^A^   iJl.svJ  12 


-^3-^Jua    L. 


x*..:> 


J       S  .AAi3£> 


lahillu  biramJe  ^enaiya 
ya  hdera  ya  mlüljiya 


2oS  Enno    Litt  mann, 

-xiJ>  jcl  Li!   ^^üj  r.  -äJt^  14     wiPar^  fül  ^ana  iz-zdmhl 
-a;^  q/o     r-biy^  ^5     ^äuimrüni  min  gdmhi 
(^l3._J)     '»ixls!     ^5     ^^Ii5>^  16     imhaUüni  ji  dbd'  wdrdl 

x;uuo,*JLi     ^ij^jOJ^  17     we^addamüni  lil-'^aramb"iya. 

^  0  du  aus  dem  Sudan,  o  du  aus  dem  Sudan!  ^  Mein  Fuß  tut  mir 
weh.  3  Deine  Mutter  ist  süß,  na  und  gefällt  mir.  4  Die  Lippe  deiner 
Mutter  ist  an  meinem  Zahn  5  besser  als  das  Fleisch  vom  Lamm  ^  O 
Judenmalve,  o  Judenmalve!  7  Es  kam  der  Erstaunte  aus  der  Ferne; 
^  er  verschlang  zwei  Teller  und  eine  Schüssel.  9  Die  Judenmalve  spricht: 
»Ich  bin  eine  Seefahrerin.  ^°  Ich  steige  zur  Burg  hinan  mit  meiner 
Keule.  "  Und  wenn  die  Pferde  angebunden  sind,  ^^  so  löse  ich  sie 
mit  einem  Winke  meiner  Augen.«  ^3  O  du  grüne,  o  Judenmalve!  '4  Und 
der  Kürbis  spricht:  »Was  ist  meine  Schuld?  ^5  Man  hat  mir  in  die 
Seite  ein  Loch  gebohrt  ^'^  und  hat  mich  auf  rosenrote  Teller  gelegt, 
^7  und  mich  den  Beduinen  angeboten.« 

In  Z.  I  ist  das  ü  von  süddni  ganz  ausgefallen  wegen  der  überlangen 
Dehnung  der  zweiten  Silbe.  — •  Die  Formen  ivag''dni  (2)  und  ^aghdnl  (3) 
sind  feminine  Partizipien  («ji:^!^,  und  x^s-Lc)  mit  dem  Verbalsuffix  der 
I .  Person.  -^  In  Z.  3  und  4  sind  die  Formen  ^ummak  und  immak  gleich 
hintereinander  gebraucht.  —  In  Z.  5  ist  lahm  i4-ddni  vielleicht  von 
mir  verhört  für  lahmä  d-ddnt,  da  im  arabisch  geschriebenen  Texte 
&..»..5\iJI  steht.  - —  In  Z.  7  soll  madhl  nach  Sidqi  »Unglückskerl«  be- 
deuten (etwa  gleich  sonstigem  medahwi),  also  von  dahja  abgeleitet  sein, 
da  die  Frau  von  ihrem  Manne  öfters  als  makrüh  (etwa  =  »das  Ekel«) 
rede.  Ich  habe  jedoch  pj^a  in  seiner  gewöhnlichen  Bedeutung  ge- 
nommen. — ■  In  Z.  II  steht  war^w/z  natürhch  nur  des  Reimes  wegen.  — 
In  Z.  14  steht  iz-zambi  für  eh  zamhi.  —  Z.  11  dhd'  für  ^afhd^  (bzw.  itha') 
mit  Ausfall  des  ersten  Vokals  und  partieller  Assimilation  des  /  an  das 
h.  —  Die  Form  ^arambHya  in  Z.  17  ist  ganz  ungewöhnlich.  Sie  soll 
nach  Sidqi  gleichbedeutend  mit  '^arab  sein.  Falls  sie  =  ^arabiya  ist, 
so  haben  wir  ein  b  mit  dem  auch  sonst  vereinzelt  im  Neuarabischen 
vorkommenden  "-Nachschlag;  das  ist  ein  Laut  {b"),  der  mehr  an 
einheimische  afrikanische  Sprachen  erinnert.  Jedoch  die  Einschiebung 
eines   Nasals  wäre   in   diesem   Worte   sehr  auffällig. 

Der  Sinn  des  ganzen  Zwiegesprächs  zwischen  Judenmalve  und 
Kürbis  ist  mir,  wie  ich  im  AWO  ausgeführt  habe,  nicht,  klar  geworden. 
Es  ist  mir  jetzt  aber  wahrscheinlich,  daß  das  Ganze  voller  Zweideutig- 
keiten ist,  die  der  Ägypter  sehr  liebt,  und  daß  auch  Judenmalve  und 
Kürbis  eigentlich  eine  andere  Bedeutung  haben,  zumal  c  .ä  »Kürbis« 
und  c  .'i  »inivit  feminam«  dieselben  Wurzelkonsonanten  haben.  Diesen 
Dingen  im  einzelnen  nachzugehen,   bleibe  der  Skatologie  überlassen. 


Arabische  Stiaßenausrufe. 


209 


153.   Lied  des  liinnis  in  Tanta. 


xo 


w/.A^» 


/*~M>t 


^•yj.jjtj^\     j^>jäJLc    x^;<Ui2 


er' 


..uJCJI 


rj 


.^j.Ai^ijl    oLxxJS 


^^^  Vj  Lh 


L? 


^Jl 


I 

2 

J 

4 

5 
6 

7 

8 
9 

J.PI        iJM.i5*       10 

J.55I  i^l  II 

^!o  j.5>!  12 

^Jü!  ^\  j,s>\  13 

is.xJL,s> j  'ä.JL^  1 4 

\Äx*^  l^oL»  1 5 

JJtÄ^j     ^J^^»  16 

i^a^js^jI  \>wj  |jA«.A>-  1 8 
*.JLo»  ^»JLxÄj  5.AAJ  19 
Jftji   bj'i.s>  LÄJLi>o  L>;j>o  20 


NaIx 


.U>   J/ 


LJ 


a^ 


^i^     ».xli.Äj    L-LäJ    t^  21 


hinnis  heeh 

smälla  ^aleeh 

sa*^afü-lu  win-ttabl  ya-^ydl 

mesahmafkü*  si&dr  wikhdr 

sala  '^an-iiäbl  ^aleeh 

Stißi   t gär  tu   ba'it  ^adde  ^eeh 

min     dihku     '^al-Hyäl    iz-zu- 

g-aiyarin 
vä  rabhe  halli  l-ahmar  il-kehir 
^illt  bigib  il-''iydliz-zugaiyarin 
hinnis  ^ahö 
il-beh-aho 
^ahö  ddr 

'ahö  isma//a  ''aleeh 
mit  duhlitu 
^ddü  Sayn'-itu 

willl  yistagal  ydkul  hamdm 
willi     mä    yiUagaUi    ydkul 

barä/is  wiHdin 
hinyiis  bi{h)  il-gamü 
ibf  hinikla  wemallin 
dahna    dahanna    hart    il-me- 
jallistn 
la  bi'na  bi^dsara  mala  biH^rin 


^  Hinnis  Bey,  2  Gottes  Schutz  über  ihn,  3  klatscht  ihm,  beim  Pro- 
pheten, ihr  Kinder!  4  Na,  wart,  ich  will  euch,  klein  und  groß!  5  Be- 
tet zum  Propheten  um  seinetwillen!  <>  Seht,  wie  viel  seiner  Waren  sind, 
7  weil  er  mit  den  kleinen  Kindern  scherzt.  ^  O  Herr,  behüte  das  große 
Rote,  9  das  die  kleinen  Kinder  bringt.  »°  Hinnis,  da  ist  er.  "  Der 
Bey  da  ist  er.  ^-  Jetzt  dreht  er  sich  um.  ^3  Gottes  Schutz  über  ihn. 
^4  In  seiner  Hochzeitsnacht  ^5  zündet  ihm  die  Kerze  an!  ^^  Wer  arbeitet, 
bekommt  Tauben  zu  essen;  ^7  wer  nicht  arbeitet,  bekommt  Schläge 
mit  Pantoffeln  und  Maulschellen.  ^^  Hinnis  Bey,  der  feine,  ^9  ver- 
kauft für  Nickel  und  Millieme.  -»  Da  sind  wir  nun  in  die  Bankrotten - 
Straße  gekommen;  ^i  wir  verkaufen  nicht  um  halbe  Pfennige  noch  um 
Pfennige ! 

Der  Kopte  hinnis  (d.  i.  Johannes)  verkauft  von  seinem  hölzernen 
Handwagen  Kerne,  Rösterbsen,  Erdnüsse  und  »Glückspakete«  mit 
allerlei  Süßigkeiten.  Er  hat  immer  cin£  Schar  von  zwanzig  bis  dreißig 
Kindern  hinter  sich;   den  Titel  »Bey«  hat  er  sich  natürlich  selbst  bei- 

Islam  X.  14 


2iÖ  EnnoLittmanii, 

gelegt.  Das  h  in  bSh  ist  deutlich  hörbar,  daher  im  Plural  behdt;  vgl.  in 
Tigre  be^  =  Bey. 

Z.  4 :  saJiTYiat  bedeutet  hier  dasselbe  wie  ndk.  Der  Ausdruck  wird 
aber  kaum  schlimmer  empfunden  sein  als  bei  uns  der  oben  gegebene.  ■ — ■ 
Z.  8:  ü-ahmar  ü-kebir  bedeutet  farg.  —  Z,  17:   bartüia,    plur.   barä/is 

ist  ein  »alter  Pantoffel«.  Jlä  »Ohrfeige«;  vgl.  Dozy,  s.  v.  —  Z.  19: 
nikla  ist  ein  Zwei-Millieme- Stück,  also  =  4  Pfennige,  mallim  »Millieme« 
wird  meist  (mit  Dissimilation  des  zweiten  in)  maliin  gesprochen.  — 
Z.  21:  ^asara  und  '^iSrm  sind  kleine  Kupfermünzen  [hiirdd),  erstere  im 
Werte  von  I4,  letztere  im  Werte  von   Vq  Millieme. 

II.    Ausrufe    aus     Ägypten    und    Sj'^rien,    nach    Lane,    Wetzstein 

und  Kremer. 

154.  '-alek  ü-''iwad  yä  möläi     Dir  liegt    die    Vergeltung    ob,    o    Herr! 
Frühlingsgurken;  Damaskus. 

155.  yä  tisrinl,  yä  henä    O  vom  November,   o  gesegnete  Mahlzeit! 

156.  yä   türini,    il-henä   lemin    ye''U      0    vom    November,    gesegnete 
Mahlzeit  dem,    der's  erlebt! 

157.  min  ben  ü-lübyä     Zwischen  den  Lubien  gepflückt! 

Die  Ausrufe  1 5  5—1 75  beziehen  sich  auf  Novembergurken ;  Damaskus. 

158.  /ariye   we-bdride  we-mäddät  ji  l-lel    Zart  und  frisch,  und  sie  hat 
sich  in  der  Nacht  gestreckt! 

Gurkenart  [qitte);  Damaskus. 

159.  /aiyib  we-hdmid  faiyir  ''arajak  gar  muht  id-din     Gut  und  sauer! 
Vertreibe  deine  Appetitlosigkeit,  Nachbar  des  Muhji  ed-Din.  ■ 

160.  se  lilldh  yä  sälihin     Etwas  für  Gott,  o  ihr  Frommen! 
Nr.   159  und  160:   Saure  Gurken;  Damaskus. 

161.  id-ddim  alldh,  alldh  id-daim    Der  Dauernde  ist  Gott,  Gott  ist  der 
Dauernde! 

Lattich;  Damaskus. 

162.  muwaisame  we-suhne  wi'-nd^ime,   lelak  yä  barmekl    Tätowiert  und 
warm  und  weich,   [dies  ist]  deine  Nacht,  o  Barmekide! 

163.  megöhar  yä  humynus     Edelsteine,  o  Rösterbsen! 

Nr.  162  und  163:   Rösterbsen;   162  Damaskus,   163  Alexandrien. 

164.  yä  mesälli  l-galbdn  yä  libb    0  Tröster  des  Sorgenvollen,  o  Kerne! 

165.  il-libb  il-me/iammas     Geröstete  Kerne! 
165  a.  mu/mmmas  yä  libb    Geröstet,  o  Kerne! 

164 — 165  a:  Melonenkerne;  164  und  165  Cairo,  165  a  Alexandrien. 

166.  melldsi  yä  hilü    Auf  der  Zunge  zergehend,  o  süße! 

167.  mäwärdi  yä  hilü     [Wie]  Rosenwasscr,  o  süße! 
Süße  Granatäpfel;  Damaskus. 


Arabische  Straßenausiufe.  211 

i68.  ^a/imar  yä  hahes     Rote,  o  Melonen! 

169.  hamra  we-z?ä  wärdi    Rot  und  ihr  Rand  ist^  rosig! 

170.  yä  mal  ydfä      0  Frucht  von  Jaffa!  —  Vgl.  Nr.  317. 

171.  mal  sahyä     Frucht  von  Sahyä! 

172.  mal  zbhie  wi-zbendt     Frucht  von  Zt)ene  und  Zbenät! 
Wassermelonen;  Damaskus. 

173.  ^allä  yehauwiiiha  yä    lamün    Gott  mache  sie  leicht,    0  Zitronen! 
Zitronen;   Cairo. 

174.  '^asal  yä  hurtu^än  '■asal    Honig,  o  Apfelsinen,  Honig! 
Apfelsinen;  Cairo. 

175.  heya  lldh  därejä     Gott  lasse  Därejä  leben! 
Weintrauben;  Damaskus. 

176.  yä  ^umm  is-sämdt  yä  ndfi^a     0  Mutter   der   Male,    o   Nützliche! 
Kaktusfeigen;  Damaskus. 

177.  mädäd    yä  embdhi  mädäd     Hilfe,    o  Schech   von  Embäba,  Hilfe! 
178  tirmis  embdba   yig-lib   il-löz     Die    Lupinen     von  •  Embäba     über- 
treffen die  Mandeln!   —  Vgl.  Nr.  80,  80a,  242,  321. 

179.  yä  mahla  bunaiy  il-bahr   0  wie  süß  ist  der  kleine  Sohn  des  Stromes ! 
Nr.   177 — 179:  Lupinen;  Cairo. 

180.  heya  Ißh  ir-rasid     Gott  lasse  Rosetta  leben! 
Zypergrasknollen  [kabb  il-'^aziz)]  Damaskus. 

181.  W/a/i  yehün  il-hain    Gott  ist  treulos  gegen  den  Treulosen! 

182.  "al/dh  ^abilak  yä  hdhi     Gott  zieht    dich  zur   Rechenschaft,    o  du 
Treuloser! 

Nr.   181   und  182:  Dragun;  Damaskus. 

183.  yä  justu'  mumallah     0  Pistazien,  gesalzen! 

184.  kullu  maldn    Alle  voll! 

185.  mdl  haleb,  yä  fustu^     Früchte  von  Aleppo,  o  Pistazien! 
Nr.  183 — 185:  Pistazien;  Damaskus. 

186.  lelak  yä  barmekl     [Dies  ist]  deine  Nacht,  o  Barmekide! 
Gerösteter  Hanf;  Damaskus. 

187.  mdl  ir-ruhebe,  yä  tamr    Früchte  von  ir-Ruhebe,  o  Datteln! 

188.  yalli  '-adil  it-tamr    0  du,  die  den  Datteln  gleicht! 
Nr.  187  und  188:  Rosinen;  Damaskus. 

189.  mdl  (lalbim  '*abyadyä  baH  Früchte  von  Halbün,  weiß,  o  [vom]  Ba'al ! 
Feigen;  Damaskus. 

190.  gimmez  yä  Hnab     Sykomorenfeigen,  o  Weintrauben! 
Sykomorenfeigen;  Cairo. 

190  a.   gimmez   ir-ra/l   bi-nikla      Sykomorenfeigen,     das  Rotl    zu  zwei 
Milliemes!      Cairo  nach  Me. 

191.  yä  rU/eb.     0  reife  [Datteln]!     Weiße  Maulbeeren;  Damaskus. 

14* 


^i^  Enno  Littmanii, 

192.  tut  sdmi    Maulbeeren  von  Damaskus! 
Schwarze  Maulbeeren;  Damaskus. 

193.  in-nöbe  kill  hahh  il-ds     Jetzt  ist  die  Myrtenbeere  süß  geworden! 
Myrtenbeeren;  Damaskus. 

194.  kull  ''a^da  higassa     Jeder  Biß  um  ein  Würgen  1 

195.  ^aslak  jiHak     [Wie]  deine  Natur,   [so]  dein  Tun! 

196.  yä  muddwi  l-'^alil  ddwl  "alUak    O  Arzt  des  Kranken,   heile  deinen 
Kranken ! 

197.  yä  ^umm  il-^alil  ddwl  '■alilik    O  Mutter  des  Kranken,  [heile]  deinen 
Kranken! 

194- — 197:  Quitten;  194 — 196  Damaskus,  197  Ägypten. 

198.  sumr,  sumr  ü-härriye,  hendt  il-härriye     Braune!  Braune  der  Wüste! 
Töchter  der  Wüste! 

Trüffeln;  Damaskus. 

199.  yä  kalim    O  milder  [Gott]. 
1 99  a.  yä  haleh    0  Milch ! 

Milch;  Damaskus. 

200.  ü-warde  kdn  Sök  min  '^arä*  in-näbi  fattah    Die  Rose  war  ein  Dorn; 
vom  Schweiße  des  Propheten  blühte  sie  auf! 

Rosen;  Cairo. 

201.  rawdyih  ü-genna  yä  tamre  henna    Düfte  des  Paradieses,  o  Reseda! 
Reseda;  Cairo. 

202.  iugl  it-tor  yä  hendt    Werk  des  Stiers,  o  Mädchen! 
Baumwollzeug;  Cairo. 

203.  nehaiyin  iz-zen     Wir  wahrsagen  das  Schöne! 

203  a.  Über  die  Rufe  der  Wahrsagerinnen  vgl.  noch  Newbold,  Journ. 
oj  the  Roy.  As.  Soc.  16,  S.  285:  »*Come,  ye  that  desire  to  foresee  your 
destiny!  the  past  and  the  future  shall  be  revealed  unto  you*,  or  in 
shorter  phrases,  such  as  *Come  and  see  your  fortunes*  c>^ä  c^^  JL*j 
vi>s.i^JI  (Taali,  taali,  shuf  tel  bakht)  etc.«  Statt  suft  würde  man  eher 
süf  oder  teiüf  erwarten;  aber  vielleicht  ist  iujt  i.  Person,  d.  h.  »ich 
habe  [dein]  Glück  gesehen«.  Ferner  Lane,  II,  S.  iii:  »*I  perform 
divination!  What  is  present,  I  manifest!  What  is  absent,  I  mani- 
fest! &c.*  They  mostly  divine  by  means  of  a  number  of  shells  .  .  .« 
Dazu  stimmt  der  Ausruf,  den  P.  Kahle  mir  mitteilte:  nehaiyin  [iz-\zen 
hil-ivada'-  »Wir  wahrsagen  das  Schöne  aus  den  Muscheln«.  Vgl.  auch 
unten  Nr.  291  f. 

204.  ni/mur  il-g-dib       Wir  bergen  das  Verlorene! 

Rufe  der  Wahrsagerinnen  in  Ägypten.  —  Kremer  hat  nidmor, 
es  ist  aber  wohl  das  Verbum  /amar  gemeint;  das  /  kann  vor  m  leicht 
wie  (j?  lauten. 


Arabische  Straßen  ausrufe.  21 1 

205.  yä  ''auwai  allä    0  vergelt's  Gott! 
Wasserträger;  Cairo. 

206.  yä  ''afsdnnä,  is-sebil    O  unser  Dürstender,  Opfertrank! 

•207.  sebü  yä  '■atsdn  ''an  ruh  in-näbl  wü-Hmdm  'all  wü-hasan  wü-hosen 
yä  'a/sdn  sehil  Opfertrank,  0  Dürstender,  für  die  Seele  des  Pro- 
pheten und  des  Imäm  *Ali  und  des  Hasan  und  des  yosen!  0 
Dürstender,  Opfertrank! 

208.  gaffar  alldh  danbak,  yä  sd/iib  is-sebil  Verzeihe  Gott  deine  Sünden, 
0  Spender  des  Opfertranks! 

208  a.  sebil  alldh  yä  'atsdn  ü-genna  wü-magfira  lak  yä  sdliib  is-sebil 
Opfertrank,  o  Dürstender!  Das  Paradies  und  die  Verzeihung 
mögen  dir  zuteil  werden,  o  Spender  des  Opfertranks! 

209.  rahim  alldh  wälidek  yä  sdhib  is-sebil  Erbarme  sich  Gott  deiner 
Eltern,  o  Spender  des  Opfertranks! 

Die  Form  rahim  ist  literarisch;  es  ist  möglich,  daß  der  musebbil 
sie  gebraucht  hat,  da  ja  gerade  Wörter  der  religiösen  Sprache  öfters 
auch  im  Volksmunde  ihre  hterarische  Form  beibehalten;  vielleicht  geht 
sie  aber  auf  Wetzstein  zurück. 

210.  fi  l-genne  maqdmak  yä  sdhib  is-sebil  Im  Paradies  sei  deine  blei- 
bende Stätte,  o  Spender  des  Opfertranks! 

211.  il- fädle  lil-jadil  wil-genne  lil-muwahhidin  hanian  lak,  yä  sdhib 
is-sebil  Der  Überrest  dem  Freigebigen  und  das  Paradies  den 
Einheitsbekennern!  Gesegne  dir's  Gott,  o  Spender  des  Opfer- 
tranks! 

Nr.  206 — 211:  Ausrufe  des  musebbil;  206,  208,  log— 211  aus  Da- 
maskus, 207  aus  Ägypten,  208  a  aus  Cairo.  Me.  hat  den  Anfang 
von  208  a,  sebil  alldh  (yä)  'atsdn,  in  Cairo  täglich  am  Ezbekije-Garten 
gehört. 

212.  bärrid  'ala  qalbak  itfi  l-hardra  Erfrische  dein  Herz,  lösche  die 
Hitze! 

Zuckerwasser,  Limonade  und  Fruchtwasser;  Damaskus.  —  Vgl. 
unter  Nr.   304,  325. 

213.  mu'allal  yä  zmläd     Gut  geklärt,  mein  Kind! 

214.  wihydt  abük  mu'allal     Beim  Leben  deines  Vaters,  gut  geklärt! 

215.  berauwiq  id-däm     Es  reinigt  das  Blut! 
Nr.  213 — 215:  Rosinenwasser;  Damaskus. 

216.  bdlak  snünak     Nimm  deine  Zähne  in  acht! 
Fruchteiswasser;  Damaskus.  —  Vgl.  unten  Nr.   305. 

Der  Plural  snün  (statt  des  gebräuchlichen  sndn)  ist  mir  nur  aus 
diesen  Ausrufen  bekannt;  vgl.  Nr.  311. 

217.  yä  razzdq  yä  kerim  —  yä  fattdh  yä  'alim    O  Allernährer,   o  All- 


21 A  EnnoLittmann, 

gütiger,    —    o    Erschließender,    o    Allwissender!    —   Vgl.   unten 
Nr.  301. 

218.  sulfänl  yä  ka'-k  mal  il-gadä     Königlich,    o  Brezel!     Vormittags- 
speise! 

219.  ferämüs  yä  ka'-k    Gut  ausgebacken,  o  Brezel! 

220.  mal  haleh  yä  ndHm      Ware  von  Aleppo,  o  weiche! 
Nr.  217 — 220:  Brezeln;  Damaskus. 

220  a.  ^alldh  ir-rdziq  yä  herdziq    Gott  ist  der  Ernährer,  o  Beraziq! 
220  b.  ^akl  is-snünü     Schwalbenspeise! 

Nr.  220  a  und  220  b  beziehen  sich  auf  die  berdziq  »dünne,  mit 
dibs  (Traubenhonig)  oder  Butter  bestrichene  und  mit  Sesam  {simsum) 
bestreute  Weizenbrote«;  Wetzstein,  S.  517,  in  AWO  nicht  aufge- 
führt; Damaskus. 

221.  ^awaid   alldh    ü-käräm      Vergeltung    Gottes    [belohnt]    die   Mild- 
tätigkeit ! 

Gardaqa,  eine  Art  Weizengebäck,  das  im  Ramadan  gegessen 
wird;  Damaskus. 

222.  hdda  Hlak  yä  sahn     Dies  gehört  dir,  o  Fastender! 

223.  hdda  'umil  lis-sdim     Dies  ist  für  den  Fastenden  gemacht! 

224.  suherak  yä  sdim     Deine  Morgenspeise,  o  Fastender! 

suher  steht  hier  für  sahür,  d.  i.  die  Mahlzeit,  die  man  während  des 
Ramadan  kurz  vor  der  ersten  Morgendämmerung  einnimmt. 

225.  yd-mä  ^arakük  bil-lel  yä  ma'rük    O  wie  hat  man  dich  in  der  Nacht 
geknetet,  o  Knetbrot! 

Nr.  222 — 225:  Knetbrot,  Fastenbrot;  Damaskus. 

226.  bimismdr  yä  haldwa    Für  einen  Nagel,  o  türkischer  Honig! 
Türkischer  Honig;  Cairo. 

III.   Ausrufe  aus  Cairo  nach  Seetzen  III,  S.  233— 237 1). 

227.  Sdmi  wi-rfaiya'-     Syrische  und  schmale  [Gurken]! 
ruft  der  Gurkenverkäufer. 

228.  kirdtl,   yä   figl,    hirdtl     Von  gepflügtem  Land,    o  Rettiche,  von 
gepflügtem  Land! 

[ruft  der,]  der  Steckrüben  verkauft. 

Seetzen  schreibt  harrdthy;  daher  wäre  vielleicht  eine  fellachische 
kardil  anzusetzen.  Es  ist  denkbar,  daß  der  Steckrübenverkäufer  seine 
Ware  im  Ausrufe  mit  Rettichen  vergleicht;  s.  AWO,  S.  416.  Wahr- 
scheinlich liegt  aber  irgendein  Versehen  vor. 

ij  Die  etwas  altertümliche  Schreibweise  Seetzen's  war  in  meinem  Manuskripte 
bei  wörtlichen  Zitaten  beibehalten  ;  sie  ist  jedoch  in  der  Druckerei,  soweit  es  möglich 
war,  nach  den  neuesten  Vorschriften  geändert  worden. 


Arabische   Straßenausrufe.  21? 

229.  himl  ü-bagl     Eine  Maulticrlast! 
ruft  der  Salatverkäufcr. 

230.  sdmi  yä  tum  samt     Syrisch,  o  Knoblauch,  syrisch! 
ruft  der  Lauchverkäufer. 

231.  yä  mulühiya  hil-qadah     0  Judenmalven  nach  der  Kanne! 
ruft,   der  diese  verkauft. 

Die   »Kanne«  beträgt  2,12  Liter. 

232.  hirdtl  yä  fül  ganf  in-näda  Von  gepflügtem  Lande,  o  Saubohnen, 
gelesen  im  Morgentau! 

ruft  der,  der  grüne  Bohnen  in  Hülsen  verkauft. 
Über  hirdtl  vgl.  Nr.  228;  statt  ndda  hat  Seetzen  nidda;   das  kann 
fcllachische  Aussprache  [nida]  sein.  —  Vgl.  oben  Nr.  31. 

233.  saHdl  yä  ''ads    Oberägyptische,  o  Linsen! 

ruft  der  Linsenverkäufer.  —  Vgl.  oben  Nr.  34. 

234.  yä  maldna     0  Kichererbsen! 

ruft  der  Verkäufer  von  grünen  Linsen  in  ihren  Hülsen. 

Seetzen  und  Fleischer  fassen  das  Wort  melldne  in  der  Be- 
deutung »voll«.  Ich  glaube  sicher,  daß  maldna  Cicer  arietinum  (oben 
Nr.  35,  36)  gemeint  ist. 

235.  meg-öhar  yä  hummus     Edelsteine,  o  Rösterbsen! 

[ruft,]  der  geröstete  Kichern  verkauft  —  Vgl.  oben  Nr.  ^y. 

236.  burüllusi    Aus  Burullus! 

ruft    der,   der  Wassermelonen  verkauft,  weil  die  von  Burlos  be- 
rühmt sind. 

Über  die  Form  des  Namens  vgl.  die  Bemerkungen  von  Fleischer 
(Bd.  IV,   S.  457  f-)- 

237.  min  hälädl    Von  meinem  Dorfe! 
ruft  der  Händler  saurer  Limonen. 

238.  qrenl  yä  leimün  qrenl    Aus  Kren,  o  Limonen,  aus  Kren! 
[ruft,]  der  süße  Limonen  (von  Kren)  verkauft. 

239.  saqqit  turmiga  hi-gedid  Eine  Sukkadenscheibe  für  einen  Gedid ! 
der  dünne  Scheiben  von  den  großen  Zitronen  verkauft,  die  Scheibe 
für  einen  Schdid,  eine  Kupfermünze,  wovon  10  auf  i  Para  gehen. 

240.  Hlahi  yä  zebib  Hlabi  In  Schachteln,  o  Rosinen,  in  Schachteln! 
der  Rosinen  verkauft. 

241.  bis-sibah  yä  bdla/i     An  Rosenkränzen,  o  Datteln! 
Aufgereihte  Datteln,  wie  ein  Rosenkranz. 

242.  turmus  yä  {e)mbdbl    Lupinen,  o  Embäbl! 
Lupinen  von  dem  Dorfe  Embäbe. 

M.  E.  ist  eher  der  Schech  von  Embäbe  angerufen;  vgl.  oben  Nr.  80, 
177-179  in  AWO,  unten  Nr.  321. 


2  i6  Enno  Littmann, 

243.  Sardniq  muhammas,  yä  habh  ü-^aziz  u  hummus  we-hdza  l-lihb 
el-mu/iammas,  il-löz  yä  libh  ahyad  Gerösteter  Hanfsame,  o  liabb 
il-*Aziz  und  Rösterbsen,  und  dies  sind  geröstete  Kerne,  [wie] 
Mandeln,  o  weiße  Kerne ! 

ruft  ein  Mann,  der  verschiedene  Samen,  nebst  Mandeln  usw., 
umherträgt,  die  von  den  Weibern  und  Kindern  häufig  gegessen 
werden. 

Über  sardniq  s.  Fleischer,  Bd.  IV,  S.  459  f.  Es  ist  wahrschein- 
lich, daß  der  Mann,  der  dies  Naschwerk  verkauft,  auch  Mandeln  dabei 
hat.  Im  Ausrufe  dient  il-l6z  aber  der  Form  nach  eher  zur  Anpreisung 
der  Melonenkerne. 

244.  yä  binduq  '^ala  l-löz    0  Haselnüsse  auf  Mandeln! 

ruft,  der  Haselnüsse,  Cherrüb  [d.  s.  Johannisbrotfrüchtej,  Man- 
deln, Rosinen,  Feigen  verkauft. 

Vielleicht  hegt  ein  Versehen  bei  Seetzen  vor.  Dr.  Bilharz 
(Bd.  IV,  S.  458)  sagt:  »j_^JÜt  JLc  'iO^X^  U  rufen  die  Verkäufer  von 
Lupinen,  g**^  J.  Es  soll  bedeuten,  daß  sie"  den  Wohlgeschmack  von 
Mandeln  und  Haselnüssen  vereinigt  besitzen.«  Letztere  Erklärung 
ist  mir  wahrscheinlicher. 

245.  hil-qadah  yä  ruzz  ahyad    Nach  der  Kanne,  0  weißer  Reis! 
ruft  der  Reisverkäufer. 

246.  yä  kusbura  bil-qadah    O  Koriander,  nach  der  Kanne! 

[ruft,]  der  getrockneten  Koriander,  Wiesenkümmel,  Fenchel  usw. 
verkauft. 

247.  bahrt  bahrt     Vom  Meere,  vom  Meere! 

ruft  der  Fischhändler.  —  Vgl.  oben  Nr.  94. 

248.  qa^ds  sämin     [Zahlreich  wie]  Spreu,  fette! 
ruft,  der  Salzfische  verkauft. 

Statt  qasds  ist  vielleicht  qusds  (bzw.  qisds)  zu  lesen;  die  Bedeutung 
des  Wortes  ist  m.  E.  am  ehesten  so  aufzufassen,  daß  der  Haufe  von 
kleinen  Salzfischen  {fesih)  mit  einem  Haufen   Spreu  verglichen  wird. 

249.  ba/drih  ndsif    Trockener  Rogen! 

[ruft,]  der  getrockneten  Botarich  (Fischrogen)  verkauft. 

250.  sämin  yä  qöqa^     Fett,  o  Erdschnecken! 
der  eßbare  Erdschnecken  verkauft. 

251.  mildh  il-müdh     Schöne  Küken! 

ruft,  der  kleine  Küken  verkauft.     Vgl.  oben  Nr.  102. 

252.  is-simdn  il-bett    Die  fetten,  im  Hause  aufgezogenen! 
der  große  Hühner  verkauft. 

Über  die  Form  bett  s.  oben  Nr.  79  u.  Fleischer,  Bd.  IV,   S.  456. 


Arabische  StraßenaXisrufe.  217 

253.  sabdhna  ahyad    Unser  Morgen  sei  weiß! 
ruft  der  Milchverkäufer. 

»Weiß«  =  »glücklich«;  Anspielung  auf  die  Farbe  der  Milch. 

254.  yä  läbän  saß    0  reine  Milch! 
ruft  der  Buttermilchverkäufer. 

Über  die  Bedeutung  von  läbän  und  /lalib  s.  AVVO   zu   Nr.  105  ff. 

255.  /aiyib  yä  läbän     Gut,  0  Milch! 

ruft,  der  sehr  saure  Buttermilch  verkauft. 

256.  ^asal  bir-rafl    Honig,  nach  dem  Rotl!  * 
ruft,  der  Sirup  verkauft. 

257.  yä  '■äsür  imbdrak   yä  me'-a    mbdraka      O   gesegnetes    *Aschür,    o 
gesegneter  Styrax! 

ruft  derjenige,   der  eine  Art  gesegnetes  Räucherwerk  zehn  Tage 
lang  im  Monat  Mohärram  verkauft.    Der  Käufer  beräuchert  sich 
damit  zu  Hause,  um  wider  böse  Augen  sicher  zu  sein  (man  glaubt 
nämlich,  der  BHck  einiger  schade). 
Vgl.  dazu  Fleischer  in  Bd.  IV,   S.  460. 

258.  hadrä  yä  hinna     Grün,  0  Henna! 
[ruft,]  der  Henna  herumträgt. 

259.  bü-weba  yä  müh     Nach  der  Webe,  o  Salz! 
ruft  der  Salzverkäufer. 

Eine  Webe  faßt  33  Liter.  Gewöhnlich  spricht  man  heute  malh  in 
Cairo;  die  alte  Form  müh  scheint  sich  hier  im  Dialekt  des  Verkäufers 
erhalten  zu  haben. 

260.  yä  sdtir    0  Beschützer! 
ruft  der  Seifenhändler. 

D.  i.  Anruf  an  Gott. 

261.  nd''im  yä  duqdq  ndHm     Fein,  o  Lupinenmehl,  fein! 

ruft,  der  dies  verkauft  zum  Händewaschen,  wozu  es  besser  als 
Seife  sein  soll. 

262.  '^alä  dawdtak  yä  gab  all     Zu  deiner  Pfeife,  o  Bergtabak! 
ruft  der  Tabakverkäufer. 

Vgl.  Fleischer,  Bd.  IV,  S.  460. 

263.  hdza  libdn  yä  bandt    Dies  ist  Libän,  o  Mädchen! 

ruft  derjenige,  der  den  Lebbän  zum  Kauen  der  Weibspersonen 
verkauft.  Sie  bedienen  sich  desselben  auch  wie  des  eingedickten 
Honigs,  um  etwaige  Haare  von  den  Backen  zu  reißen,  indem  sie 
denselben  darauf  klebea 

264.  maqassdt  stambüll  yalli  muwassitni  l-maqassdl    Stambuler  Besen ! 
O  du,  die  du  bei  mir  die  Besen  bestellt  hast! 

_  ruft,  der  eine  Art  kleiner  Besen  verkauft. 


2[8  EnnoLittmann, 

Fleischer,  Bd.  IV,  S.  462,  hielt  das  Wort  moassitny  für  verhört; 
auch  im  Orient  habe  ihm  niemand  darüber  Auskunft  geben  können. 
Das  ist  seltsam.  Es  ist  m.  E.  sicher  Partiz.  II  von  ^ao»  mit  Feminin- 
endung  und  Suffix.  Vor  dem  Suffix  wird  die  Femininendung  des 
Partizips  im  Ägyptisch-Arabischen  meist  zu  a;  doch  kommen  in  den 
abgeleiteten  Stämmen  auch  Formen,  wie  hier,  mit  -t  vor;  vgl.  Will- 
MORE,  2.  Aufl.,  S.  100,  und  Spitta,  S.  241.  Die  Konstruktion  mit 
doppeltem   Akkusativ  ist   ungewöhnlich;   man   erwartet   ''al-maqaSsdt. 

265.  hädi  l-qufja  l-'^amüla     Dies  ist  der  schön  gearbeitete  Korb! 
[ruft],  der  eine  Art  von  Körben,  von  Dattelblättern  und  Reis- 
stroh verfertigt,  verkauft. 

Das  Wort  ».ly^s^  wird  meines  Wissens  sonst  ^umüla  gesprochen; 
doch  Seetzen  hat  hier  stets  a  oder  ä  in  der  i.   Silbe. 

266.  hdsa  santahür  yd  bandt     Das  ist  Santabür,  ihr  Mädchen! 
ruft  das  Weib,  das  feine  Kattunleinwand  verkauft. 

267.  il-hüs  yä  ü-hüs     Schilfrohr,  o  Schilfrohr! 

ruft    der,    der    das    starke    Schilfrohr,    ein    gewöhnliches    Brenn- 
material, herumträgt. 

268.  gill  is-sejl     Sommermistfladen! 

ruft  derjenige,  der  bereitete  Mistfladen  für  die  Haushaltungen  zum 
Brennen  verkauft. 

W^arum  gerade  die  Sommerfladen  angepriesen  werden,  ist  bei 
Fleischer,  Bd.  IV,   S.  455,  ausgeführt. 

269.  halabl  yä  hagara     Aleppinisch,  o  Pfeifenköpfe! 
ruft  der  Pfeifenkopfhändler. 

Die  Form  hagdra  wohl  dialektisch  für  higdra. 

270.  il-ket  ir-rufaiya'',  mahärim  '^amüla,  dikak  ''amüla  Feiner  Zwirn! 
Taschentücher,  schöne  Arbeit!  Hosenbänder,  schöne  Arbeit! 
der  Schnüre,  Hosengürtel  usw.  verkauft. 

271.  Jelli  bella  meschkalihl  ruft,  der  allerhand  kurze  Waren  auf 
seinem  Kopfe  herumträgt,  z.  B.  Scheren,  Messer,  Korallen, 
Kämme,  Ringe  usw. 

Fleischer,  Bd.  IV,  S.  459,  erklärt,  s^lc  Ju^a  ^j  lj^^- 
o  du,  der  du  ohne  Kamm  bist,  her  zu  ihm!  Das  ist  natürhch  möglich;  aber 
sicher  ist  mir  diese  Erklärung  nicht.  Das  zweite  Wort  kann  auch  büläh 
sein,  und  in  dem  dritten  sind  viele  Abtrennungs-  und  Lesemöglich- 
keiten enthalten.  Eine  sichere  Erklärung  vermag  ich  vorläufig  nicht 
zu  bieten. 

272.  qindwl  yä  qulal    Aus  Kene,  o  Wasserkrüge! 
ruft,  der  Trinktöpfe  verkauft. 

Vgl.  Fleischer,  Bd.  IV,  S.  461. 


Arabische   Stiaßenausrufe.  2  IQ 

273.  qidra  s-samannüdl    Kochtopf  von  Samannüd! 

ruft,  der  weißes,  grobes  Töpfergeschirr  von  Szemraenüd  verkauft. 
Vgl.  Fleischer,  Bd.  IV,  S.  461. 

274.  yd-mä  yiHdz  il-bet,  yd  kibrit  O  was  das  Haus  bedarf,  o  Schwefel! 
ruft  der  Schwefelfadenhändler. 

275.  süf  yd  g-azzäldt    Wolle,  o  Spinnerinnen! 
ruft,  der  Wollengarn  verkauft. 

276.  skemle  '■amüla,  manfada  ''amüla,  gutl  qulal  ■'amiUa,  tabliya  ^amüla 
Schemel,  schöne  Arbeit!  Aschbecher,  schöne  Arbeit!  Krug- 
deckel, schöne  Arbeit!     Tabletts,  schöne  Arbeit! 

der  neue,  kleine,  orientalische  Tischchen,  hölzerne  Tellerchen,  um 
die  Tabakspfeifen  darauf  auszuklopfen,  die  Deckel  zu  den  Trink- 
töpfen und  hölzerne  Bretter,  worauf  man  das  Brot  zu  den  Back- 
öfen trägt,  verkauft. 

277.  yd  '-aztz    o  Mächtiger! 

ruft  der  Pfeifenreiniger.  —  Anruf  an  Gott. 

278.  [n]inza/i  il-hir    Wir  reinigen  den  Brunnen! 
ruft  der  Brunnenreiniger. 

Das   [n]  ist  von  mir  ergänzt. 

279.  baim/i  na'-ammir,  qafa  na'-ammir,  gurbdl  na'-ammir;  man/ml 
na'-ammir,  munfdh  na'-ammir  Kummen  bessern  wir  aus!  Schüs- 
seln bessern  wir  aus !  Feine  Siebe  bessern  wir  aus !  Grobe  Siebe 
bessern  wir  aus!    Blasebälge  bessern  wir  aus! 

der  alte  große,  hölzerne  Kummen,  dergleichen  kleine  Siebe  von 
ledernen  Riemen  und  von  Pferdehaaren  und  Blasebälge  ausbessert. 

280.  sahn  na'-ammir,  sidtaniya  na'-ammir,  fingdn  na'-ammir  Teller  bes- 
sern wir  aus!  Porzellannäpfe  bessern  wir  aus!  Tassen  bessern  wir  aus! 
der  porzellanene,  fayencene  usw.  Teller  und  Schüsseln  und  Kum- 
men, wenn  sie  zerbrochen  sind,   imgleichen  Kaffeetassen  ausbessert. 

281.  yd  lafif    O  Milder! 

ruft  der  Mistsammler,  welcher  allerhand  Abfall  zum  Heizen  der 
Bäder  sammelt.  —  Anruf  an  Gott. 

282.  mahrama  qasab  lü-bt    Gestickte  Tücher  zum  Verkauf! 

Juden,  welche  alte,  mit  Silber  gestickte  Tücher  aufkaufen,  um 
das  Silber  zu  schmelzen. 

283.  qizdz  mekassar  lil-be'     Zerbrochenes  Glas  zum  Verkauf! 
der  zerbrochenes  Glas  kauft. 

284.  nukdla  lil-be'-     Mehlabfall  zum  Verkauf! 

der  Dust  (den  Abfall  von  gemahlenem  Getreide)  aufkauft. 

285.  raml  yd  /dlbe  raml     Sand,  o  die  du  Sand  wünschest! 
der  Streusand  verkauft. 


220  Enn  o  Littmann  , 

286.  il-lafl  yä  'diza  /-/aß  Walkererde,  o  die  du  Walkererde  gebrauchst! 
der  eine  Art  Walkererde  verkauft,  welche  schwangere  Weiber  essen, 
womit  sie  in  den   Bädern  die   Köpfe  waschen  und   die     Hände. 

287.  we-häza  ha^ar  iz-zindd      Und  dies  ist  der  Feuerstein! 
der  Feuersteine  verkauft. 

288.  /i'/m  aqwa     Sein  Werk  ist  sehr  stark! 
ruft  der  Wasserverkäufer. 

Doch  vgl.  die  andern  Ausrufe  oben  Nr.  125,  205 — 211. 

289.  yä  gänl    O  Allreicher  1 

ruft   der  Verkäufer    von  Süßigkeiten.  —  Anruf  an  Gott. 

290.  [n]ißa/i  il-fdl     Wir  eröffnen  das  Wahrzeichen! 
rufen  die  Wahrsagerinnen. 

Seetzen  hat  jiftach;    das  könnte  sich  auf  Gott  beziehen;   doch 
glaube  ich,  daß  am  ehesten  hier  die  i.  Pers.  Plur.  zu  lesen  ist. 

291.  il-ku/d  '■dl,  nibsar  ü-a/ildm,  gdib  nebäsSir,  bandt  tie/ahhar  Spieß- 
glanz, herrhcher!  Wir  schauen  die  Träume,  das  Geheime  ver- 
künden wir,  Mädchen  beschneiden  wir! 

ruft  ein  Weib,  das  Köhhel  verkauft,  Träume  auslegt,  wahrsagt 
und  Mädchen  beschneidet. 

292.  nedu^  wi-n/ahhar    Wir  tätowieren  und  beschneiden! 

Nach  F.  Kahle  und  M.  Meyerhof.  Dies  ist  ein  anderer  Ruf  der 
Zigeunerinnen,  der  hier  eingefügt  sein  möge,  da  er  sich  an  290  und  291 
anschließt.     Vgl.  oben  Nr.  203. 

IV.   Ausrufe  aus  Jerusalem  nach  Bauer  und  Spoer. 

baiyd'-  it-tuffdh     Der  Apfelvcrkäufer. 

293.  yä  baiydri  wil-moi\ye]  ^alek  gdrye  yä  baiydrl  0  du  aus  dem  be- 
wässerten Garten!  Und  das  Wasser  fließt  zu  dir!  0  du  aus 
dem  bewässerten  Garten! 

Spoer,  S.  186. 

baiyd''  ü-burdPdn     Der  Apfelsinenvcrkäufer. 

294.  sardb  il-'aUdr  yä  buräe'^dn  yä  mdl  ydfä  yä  burde^dn  O  Trank 
des  Spezereienhändlers,  o  Apfelsinen,  o  Ware  aus  Jaffa,  o  Apfel- 
sinen! 

.      Spoer,  S.  186.  —  Vgl.  Nr.  317. 

baiyd'-  is-sabr     Der  Verkäufer  von  Kaktusfeigen. 
:295.  'ala  lldh  ig-gabr  yä  sabr    Bei  Gott  ist  der  Lohn,  o  Kaktusfeigen! 
Spoer,  ebd.     D.  i.  der  Lohn  für  den  Verlust,  den  der  Verkäufer 
erleidet,  wenn  er  so  billig  verkauft. 


Arabische  StraÖenausrufe.  25 1 

296.  sabdh  ü-^dfye,  yä  Hn,  u-^'ala  lldh  ig-gaher,  yä  saber  Morgen  des 
Wohlgelingens,  0  Feigen,  und  bei  Gott  ist  der  Lohn,  o  Kaktusfeigen  1 
Baue;r,   S.  238. 

haiyd^  ig-gummez     Der  Verkäufer  von  Sykomorenf eigen. 

297.  bdlami  yä  gummez  dh  yä  lak,t  in-näda,  mä  ^a/ddk  yä  bdlami,  yd-mä 
za'sa*at  ü-baldbü  ^a-^ummak  yä  mhdnna  Balamische,  o  Syko- 
morenfeige!    Ach,  Lese  des  Morgentaus,  wie  süß  bist  du,  o  Bala- 

.     mische!     Wie  oft   haben  die  Nachtigallen  auf  deiner  Mutter  ge- 
sungen,  o  Hennagefärbte! 

Spoer,  S.  186.  Baiamt  erklärt  Spoer  als  »noble«;  nach  Dozy, 
s.  V.,  ist  es  eine  besondere  Sykomorenart.  Die  »Mutter«  ist  natürlich 
der  .Baum  [sag-ara). 

Der  Maulbeerenverkäufer. 

298.  balah  yä  tut,  ''ahmar  yä  tut,  willl  boklak  mä  bimüt  Datteln,  o  Maul- 
beeren !  Rot,  o  Maulbeeren !  Und  wer  dich  ißt,  wird  nicht  sterben  ! 
Bauer,  S.  238. 

Der  Verkäufer  von  Weißdornfrucht   (Crataegus  monogyna). 

299.  za^rür  i^-gäbal     ZaVür-Äpfelchen  des  Berges! 
yd-mä  hamal        O  wie  oft  hat  er  getragen! 

■     Bauer,  S.  238. 

baiyd^  il-hubz     Der  Brotverkäufer. 

300.  hubz  suhun  ir-reg-if  ib-matlik  Heißes  Brot,  der  Laib  für  einen 
Metallik! 

Der  Metallik  (von  den  deutschen  Soldaten  in  der  Türkei  »Schmet- 
terling« genannt)  hat  den  Wert  von  10  Para. 
Spoer,  S.  186. 

baiyd^  ü-ka^k     Der  Brezelverkäufer. 

301.  yä  fättdh,  yä  '■alim,  yä  razzd\  yä  kärim  O  Erschließender,  o  All- 
wissender, o  Allernährer,  o  Allgütiger! 

Bauer,   S.  238.  —  Vgl.  Nr.  217,  336. 

302.  yä  al/dh,  yä  kärim,  yä  gäni  —  ka^k  suhun  0  Gott,  o  Allgütiger,  o 
Allreicher!     Heiße  Brezeln! 

Spoer,   S.  185. 

baiyd'-  [*?>']  is-süs     Der  Verkäufer  von  Süßholzwasser. 

303.  barrid  ju^ddak  ya  mSauimb  wü-kästen  ib-matlik  ndhye  ktir  Kühle 
dein  Herz,  o  Erhitzter!  Und  zwei  Gläser  für  einen  Metallik, 
sehr  gut  zubereitet ! 

Spoer,   S.  185.  — ■  Vgl.  Nr.  128,  32Ö. 


222  Enno  Litt  mann, 

Der  Verkäufer  erfrischender  Getränke. 

304.  barrid  '^ala^albak,  ya  msauwib     Kühle  dein  Herz,  o  Erhitzter! 
Bauer,  S.  239.  —  Vgl.  Nr.  212,  325. 

305.  barrid  {hallt)  snünak,  yä  walad,  hdda  mal  is-Sdm  Kühle  (süße) 
deine  Zähne,  o  Knabe,  dies  ist  Ware  von  Damaskus! 

Bauer,  S.  239.  —  Vgl.  Nr.  216,  329,  330. 

306.  '^asal,  yä  harrüb,  mtälläg  Honig[süß],  o  Johannisbrot [wasser], 
mit  Eis  gekühlt! 

Bauer,  S.  239.   -   Vgl.  Nr.  328. 

307.  ^ardb  il-lamiui,  diindurma,  yä  büz  Limohcnwein,  Gefrorenes,  o  Eis! 
Bauer,  S.  239.    Im  Original  steht  sarräb  bü-lämün;  doch  halte  ich 

obige  Lesung,  namentlich  in  Hinblick  auf  Nr.  126  oben,  für  richtiger. 

baiyä^  g-azl  ü-bändt     Der  Verkäufer  von  Mädchenfäden. 

308.  g-azl  ü-bändt,  wü-be'-a  bi''asara,  bihauwin{h)a  al/dh\  Mädchenfäden, 
und  kosten  eine  Aschara!  Gott  wird  sie  (d.  i.  den  Verlust  der 
Münze)  erleichtern! 

Bauer,   S.  238. 

.309.  gazl  ü-bändt  ü-be'^a  bi'^asara,    bi''auwid  alldh   ta'^dl  u-dü^  yä  balds 
ü-bta  bimatlik    Mädchenfäden  kosten  eine  Aschara!    Gott  wird's 
vergelten.     Komm  und  schmecke,    ach  umsonst !      Kosten   einen 
Metallik! 
Spoer,   S.  185. 
Die   »Mädchcjifäden«  sind  eine  in  Fäden  gezogene,  weif3e,  lockere 

Süßigkeit.    Eine  Aschara  ist  Yi  Piaster,  also  10  Para,  oder  ein  Metallik. 

.  baiyd''  ü-ka^kabän     Der  Verkäufer  von  Zuckerstangen. 

310.  /idlli  hallt  yä  nd^im,    ü-be^a  bi-matlik  yd/lä,  ydllä\     Versüße,  ver- 
süße, o  du  Feiner!     Kosten  einen  Metallik,  los,  los! 
Spoer,  "S.   185.   —  Vgl.  Nr.  330. 

3 1 T .  hallt  sunünak,  yä  walad,  hddt  haldwü  ii-Sdm  u^aiyi/  ^ala  ^ummak 
yä  walad     Versüße   deine  Zähne,   o  Knabe!     Dies   ist  Süßigkeit 
aus  Damaskus !     Und  rufe  deine  Mutter,  o  Knabe ! 
Spoer,   S.  185.     Vgl.  Nr.  330. 

baiyd''  is-sahlab     Der  Verkäufer  von   Sahlab. 

312.  sahlab  suhun     Heißer  Sahlab! 

Spoer,  S.  185. — ■  Sahlab  ist  nach  Spoer  »heatcd  milk  thickened«, 
nach  Me.  eine  schleimig- milchige  Emulsion  aus  den  Wurzelknollen 
verschiedener  Knabenkraut-(Orchis-)Arten.  Die  Lexika  geben  auch  im 
Deutschen  das  Wort    »Salep«;  es  ist  mir  unbekannt. 


Arabische  Straßenausrufe.  22 'X 

haiyd''  id-dundurma     Der  Verkäufer  von  Gefrorenem. 

313.  du7idurma,  yä  dundurma,  wü-be^a  bi-matlik,  dundurma    Gefrorenes, 
o  Gefrorenes !     Es  kostet  einen  Metallik,  Gefrorenes ! 

Spoer,   S.  185.     Ebenso  Bauer,   S.  238. 

314.  yä  binti  ydllt  ^as-su/ü/i  0  mein  Mädchen,  die  du  auf  dem  Dache, 
fistrt  willa  ^arüh  Kaufst  du  oder  soll  ich  gehen.»* 
wihydt  hauwa  w-ddam  u-nüh  Beim  Leben   Evas    und   Adams   und 

Noahs, 
tistrt  minm  dundurma  Kaufe  von  mir  das  Gefrorene! 

Bauer,   S.  238  f.  —  Vgl.  oben  Nr.  139. 

V.  Ausrufe  aus  Jerusalem  nach  Mielck. 

315.  ^yi  Lj  ^^>.jLi    näbit  yä  fül 

Keimend,  o  Saubohnen! 
Vgl.  Nr.  33  a.  ■ —  Diese  Bohnen  kommen  aus  dem  syrischen  Tripolis 
nach  Jerusalem;  sie  werden  etwa  zwei  Tage  in  Wasser  geweicht,  bis 
sie  anfangen,  schwach  zu  keimen,  dann  gesalzen  und  mit  Petersilie 
gegessen. 

316.  ^JU/i  Lj    .ij     bizr  yä  memällah 

Kerne,  o  gesalzen! 
Vgl.  Nr.  43,  44,   164—165  a. 

317.  Ls'uj  3^    mal  ydjä 

Ware  aus  Jaffa! 
Ruf  des   Apfelsinenverkäufers.   —  Vgl.    Nr.    294.     In   Damaskus 
(Nr.   170)  werden  die  Wassermelonen  aus  Jaffa  angepriesen. 

318.  ...LiJ-j  Lj   jCwJ!  ,.^a     A.s>-\     a/ilä  min  is-sukkar  yä  burd'dn 

Süßer  als  Zucker,  0  Apfelsinen!  —  Vgl.  Nr.  6;^. 

319.  >w».a£  Lj  ^Äjj     zeni  yä  'anab 

Herrlich,  o  Weintrauben! 

320.  ,jv^/«,j   Lj  ^-Xt^  (j^/<i.j     turmus  memällah  yä  turmus 

Lupinen,  gesalzen,  o  Lupinen! 

321.  :_j.JU!  qa  ^c^^  Lr'«y-»  ^J     y^  turmus  a/ila  mnü-löz 

O  Lupinen,  süßer  als  Mandeln ! 
Vgl.  Nr.  80,  80  a,  177 — 179,  242.  ■ —  Mielck  schreibt  ,/urmus  mit  /; 
diese  Aussprache  wird  durch  das  folgende  r  entstanden  sein. 

322.  j^^  Lj     yä  '■CS 

b  Brot! 
Das  gewöhnliche  Wort  für    »Brot«  ist  in   Syrien  und   Palästina 
liub[i)z.    Auch   nach  Mielck  rufen  die  Kinder  auf  der  Straße  [lubäz 
oder  hubä-dz 


224  Enno  Littmanü, 

323.  iuio,s     ^arise 

Arische!    (D.  i.   Sahne  mit  Zucker.) 

324.  j^_jjuaii.c  iJüu   -jwJbuül ^^jjLxJuc    ^as-säbiin in-näh ilsi yallä '^assäbün 

Her  zur  Seife  aus  Nabulus,  wohlan,  her  zur  Seife! 
Vgl.  Nr.  116. 

325.  vilJiiwr  oj  ^— yii^  uj     ya  msauwih  barrid  'a-^albak 

0  du,  dem  heiß  ist,  kühle  dein  Herz! 
Ruf  des  Wasser-  und  Limonadeverkäufers.  —  Vgl.  Nr.  212,   304. 

326.  ^J*.J^  >.j  J«-v.%x:    'asal  yä  süs 

[Wie]   Honig,  0  Süßholz [wasser] !  —  Vgl.   Nr.   128,  303. 

327.  |.lJiJ!  S^  -j  V3^-^    harrüb  yä  mal  is-sdm 

Johannisbrot  [wasser],  0  Ware  aus  Damaskus! 

328.  ^-i>   -j  -^JLj     täl£-  yä  harrüb 

[Wie]   Eis,  o   Johannisbrot  [wasser] !  —  Vgl.   Nr.  306. 

329.  ^iU->Lw  (jrAP    haddi  sndnak 

Beruhige  (erfrische)  deine  Zähne! 

330.  »i)J,.^v.     ^5>     halli  snünak 

Versüße  deine  Zähne! 
Nr.  329  und  330  sind  die  Rufe  der  Verkäufer  von  erfrischenden 
süßen  Getränken;  vgl.  Nr.  305.  Aber  nach  Mielck  ist  330  der  Ausruf 
des  Verkäufers  von  nir^allal,  einer  besonderen  Art  von  Süßigkeit;  dazu 
vgl.  Nr.  311.  In  Nr.  213,  214  bedeutet  mu'-allal  jedoch  nach  Wetz- 
stein »gut  geklärt«  und  bezieht  sich  auf  Rosinenwasser.  — Vgl.  auch 
Nr.  216. 

331.  ^_A-JL<^o  yijyi  Bjjj     boza  boza  b-halib 

Bosa,   Bosa  mit  Milch! 
Die  Aussprache  mit  0  (wie  im  Türkischen)  ist  hier  auch  für  das 
Arabische  bezeugt;  zu  büza  vgl.  Dozy  s.  v. 

332.  'sOjL  8j^^      gazöza  bar  de 

Kaltes  Selterwasser! 
Da  in  Syrien  und  Palästina  (mit  Ausnahme  der  Dialekte,  in  denen 
•  zu  g  wird)  meist   kein  g  gesprochen  wird,    ist  kazöza  wohl  die  ge- 
wöhnlichere Aussprache. 

333.  _/.JL<\.vw    sahld-db 

Salep!  —  Vgl.  Nr.  312. 

334.  JyJLxJI     g^\j^^   JyJ^5     cäJ^     bisfi  l-g-alü  u-bihyi  l-'aUl 

Es  heilt  den  Durstigen  und  macht  den  Kranken  gesund! 
Ausruf  der  Verkäufer  von  Melonen  und  Getränken.  —  Vgl.  aber 
Nr.  196,  197. 


Arabische  Straßenausriifc. 


225 


335.  ^^4.^i  d^y     ka'k  bi-simsum 

Brezel  mit  Sesam! 
D.  s.  mit  Sesamkörnern  bestreute  Brezel. 

336.  *.jy   Lj    yä  kärhn 

0  Allgütiger! 
Ausruf  des  Brezel  Verkäufers;  vgl.  Nr.  217,  301,  302.  Mielck's 
Gewährsmann  behauptete,  kärim  bedeute  hier  »Brezel«,  da  diese 
immer  morgens  früh  ausgerufen  würden  zur  Zeit,  wo  man  sonst  den 
Allgütigen  anrufe.  Dies  ist,  wie  M.  richtig  erkannt  hat,  von  dem  Manne 
erfunden,  nur  um  eine  Erklärung  zu  geben. 

337.  KjJi\jt.\\  jj.Li     ftür  ü-'äfye 

Frühstück  der  Gesundheit! 
Ausruf  des  Verkäufers  von  Brezeln  und  gemahlenen  zaUar  (Thy- 
mian), die  zusammen  gegessen  werden. 

338.  \«.Eu    ndHme 

Feingebäck! 
Nach  Mielck's  Gewährsmann    ist   nn'ime   ein  süßes  Gebäck  aus 
ganz  feinem  Mehl. 

339.  *.Aw.*Av^j  »3^L=>     /laldwe  h-simsum 

Türkischer  Honig  mit  Sesam! 
Nach  MiELCK  wird  die  I/nlnwe  zum  größten  Teil  aus  Rückständen, 
die  bei  der  Sesamölbcreitung  übrig  bleiben,  hergestellt. 

340.  jj:^^ifij  biHäim 

Bakläwa! 
Das  ist  das  bekannte,   im  Orient  auch  von  den   Europäern  gern 
gegessene  süße  Schichtgebäck. 

341.  xj^j     tamri-iye-e 

Tamrije! 
Tamrije  soll  nach  Mielck's  Gewährsmann  eine  Art  von  Süßiglceit, 
die  aus  feinem  Mehl,  Zucker,  Butter,  Mandeln  und  Nüssen  hergestellt 
wird,  bezeichnen,  hier  im  Ausruf  aber  allgemeiner  Ausdruck  für  Süßig- 
keiten sein. 

342.  J^^c  Lj  j.JL>     (diu  yä  'asal 

Süß,  o  Honig! 

343.  Nj-Iii!  oLJL<\JuP  _;..;;;  y*ü  -j  (^-1:^-    ^^ny  yä   ims  sn  hnl-me/iallayat 

it-tariye. 

Hierher,  ihr  Leute,  was  sind  das  für  frische  Süßigkeiten! 

344.  ^I^jJLä^j  ivji>jJi.i?  Js^i   Lj.     wayä  baläs  hal-bca  b-matllk 

Wie  geschenkt  !     Kostet    [nur  einen]   Metallik! 
Zum   »Metallik«  vgl.  oben   Nr.  300,  309,  310. 

Islam  X.  .  ( 5 


220  Enno  Littmahü, 

345.  ^>^j!  olJl>uJI   ^jj.?  yt-o  ^  ^>j^t  Lj    yä  gasim  lä  tingarr  hon 

il-me/iallaydt  it-faiyibe 

O  Unwissender,  laß  dich  nicht  [anderswo]  betrügen,  hier 
gibt  es  die  guten  Süßigkeiten! 
Nr.  342 — 345  werden  ganz  allgemein  für  Süßigkeiten  gebraucht. 

346.  V .  j^.ivj  d^JLc     'alek  hid-do* 

Komm  und  koste! 

347.  ji./>JiJL£.  iJÜwj     yal/ä  'al-Hrmus 

Auf  zum  Knuspern! 
Nr.  346  und  347  werden  ganz  allgemein  gebraucht,  hauptsächlich 
aber  wohl  für  Gebäck  und  Süßigkeiten. 


Zum  Schlüsse  sei  noch  darauf  hingewiesen,  daß  Socin  in  der 
ZDMG.  Bd.  37,  S.  211 — 215  eine  Anzahl  von  arabischen  Ausrufen  aus 
Mopul  veröffentlicht  hat,  die  zwar  in  manchen  Punkten  von  den  ägypti- 
schen und  syrischen  abweichen,  aber  doch  auch  wichtiges  Vergleichs- 
material bieten.  Hierauf  sowie  auf  die  folgenden  vier  Ausrufe  machte 
mich  Herr  Dr.  Mielck  freundlicherweise  aufmerksam.  Diese  vier  sind 
nur  in  Obersetzung  gegeben;  die  arabischen  Originale  ließen  sich  jedoch 
nach  Nr.  206-211,  220  a  und  b  herstellen. 

L.  Bauer,  Volkslehen  im  Lande  der  Bibel,  1903,  S.  30:  Ausruf  des 
Wasserträgers : 

»Belebe  dein  Herz  von  diesem  Trank!  O  du  Durstiger,  trinke 
umsonst  Wasser,  frisches  Wasser!« 

Der  Verkäufer  einer  Art  dünner,  mit  Butter  oder  Weinbeermus 
bestrichener  und  mit  Sesam  bestreuter  Brote  ruft : 

»Gott  ist  der  Ernährer,  o  Schwalbenspeise!»,  d.h.  es  ist  eine 
delikate  Speise  für  Damen,  die  mit  Schwalben  verglichen  werden. 

A.  Forder,  Daily  Life  in  Palestine,  London  1912, 

S.  86:  »Water  for  nothing,  come  ye  thirsty  ones  and  drink  freely!« 

S.  87  :  »Cold,  cold,  drink  and  bc  satisfied,  it  is  free,  come  and 
drink!«  t 

Aus  Landberg,  Critica  Arabica  I,  S.  69  wäre  nachzutragen:  »*.Üi 
J\.z>-  oü.^^»[Gott  ist  der  Vergelter,  der  Helfer]  rufen  die  Verkäufer  von 
Süßigkeiten  an  den  Festtagen  in  Kairo.«  Gott,  den  »Helfer«  {gäbir), 
ruft  auch  der  Verkäufer  von  Hammelköpfen  (oben  Nr.  89)  an.  Viel- 
leicht hängt  die  Bezeichnung  des  Brotes  als  jw.>   ol  und  jl>  *i  (vgl. 

Lane,  s.  V.  ji\.:>.\  mit  den  Ausrufen  zusammen. 
..-*■■' 
Über  kä!-k  (Nr.  217 — 220,  301,  302,  336),  beräziq  (220a,  b),  ^nrdaqa 

(221),   ma'-ruk  (235)   und  die  Siebe  (279)  ist  die  Arbeit  von  Mielck, 


Arabische  Straßenansrufe.  22^ 

Terminologie  und  Technologie  der  Müller  nnd  Bäcker  im  islamiscJien 
Mittelalter  zu  vergleichen. 

Obwohl  ich  in  dieser  Arbeit  die  älteren,  in  der  arabischen  Literatur 
verstreuten  Ausrufe  nicht  herangezogen  habe,  möchte  ich  doch  auf 
das  schöne  Lied  des  Sklaven  Verkäufers  in  looi  Nacht  (ed.  Macnagh- 
TEN  Bd.  I,  S.  291,  ed.  Kairo  1325  A.  H.  Bd.  I,  S.  ijgi.)  hinweisen, 
ferner  auf  die  noch  älteren  Beispiele,  die  Goldziher  in  der  WZKM, 
Bd.  16,  S.  136  gedeutet  hat.  Als  einziger  Vergleich  aus  einem  ganz 
andern  Lande  des  Orients  sei  das  Lied  des  indischen  Mi  Ich  Verkäufers 
angeführt,  das  sich  bei  R.  Tagore  Das  Postamt,  Leipzig  o.  J.,  S.  35  f. 
findet : 

»Saure  Milch,  saure  Milch,  gute  feine  saure  Milch 

Vom  Sennerdorf,  vom  Land  des  Pantschmura- Berges  am  Ufer 
des   Schamli. 

Saure  Milch,  gute  saure  Milch ! 

Am  frühen  Morgen  treiben  die  Frauen  die  Kühe  unter  die  Bäume, 
daß  sie  in  einer  Reihe  stehen,  und  melken  sie,  und  am  Abend  stellen 
sie  die  Milch  auf,  daß  sie  stockt. 

Saure  Milch,   gute  saure  Milch!« 


'5* 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 


Martin  Hartmann, 

geh.  q.  Dczeml)er  51   zu   Breslau,  gfest.  5.  Dezember  19  zu   Berlin. 

Er  war  kein  typischer  deutscher  Professor,  weder  in  seinem  Wesen  noch  in  seinem 
Schaffen.  Er  war  überhaupt  kein  Typus,  sondern  stand  unter  eigenen  Gesetzen:  ein  wilder 
Trieb  aus  dem  so  wohlgeordneten  und  zurechtgeschnittenen  französischen  Garten  der 
pLEiscHERSchen  Schule.  Man  kann  ihn  den  Tagesschriftsteller  unter  den  deutschon 
Orientalisten  nennen,  nicht  weil  er  auch  Zeitungsartikel  schrieb,  nicht  weil  er  auch  in 
seiner  wissenschaftlichen  Produktion  gern  in  den  Ton  des  Feuilletons  oder  gar  des  politi- 
schen Leitartikels  fiel,  nein,  sondern  deshalb,  weil  ihn  stets  das  gerade  Aktuelle,  das  Aller- 
neuste interessierte,  und  weil  er,  als  ob  der  Setzer  auf  ihn  wartete,  bis  ins  hohe  Alter  schnell 
fertig  mit  dem  Worte  war  und  seine  Artikel  noch  feucht  in  die  Druckerei  sandte.  Das  ist 
in  der  Journalistik  eine  Notwendigkeit,  in  der  Wissenschaft  ein  Verhängnis.  Es  ist  auch 
M.\RTiN  Hartmanns  Verhängnis  gewesen.  Aber  es  entsprach  nun  einmal  seinem  Tempera- 
ment, seiner  geistreich  schnell  zupackenden  Art,  seinem  inneren  Drang,  den  Fluß  des 
Lebendigen  wissenschaftlich  zu  meistern,  solange  er  noch  wirklich  Fluß  war.  Er  konnte 
nicht,  wie  es  s  nst  Gelehrtenart  ist,  aus  dem  Parkett  oder  aus  der  Loge  von  fern  die  Ent- 
wicklung auf  der  Bühne  verfolgen,  er  sprang  auf  die  "Bühne  selbst,  agierte  mit  und  kriti- 
sierte das  Stück  schon  nach  dem  ersten  oder  zweiten  Akte.  Ging  das  Spiel  weiter,  fiel  ihm 
Neues  ein  und  immer  wieder  Neues,  er  hängte  es  an  das  eben  Geschriebene  an;  wissen- 
schaftlich lebendig,  wie  er  war,  sah  er  immer  neue  Perspektiven,  und  im  Handumdrehen 
wurde  aus  einem  Aufsatz  ein  Buch.  Nichts  ist  für  ihn  charakteristischer  als  sein  Werk 
^Die  arabische  Frage«  mit  92  Seiten  Text,  500  Seiten  Anmerkungen  und  31  Seiten  Be- 
richtigungen. Dabei  Tagespolitik  und  schwer  gelehrte  philologische  und  archäologische 
Ausführungen  aneinandergeschweißt.  Ausgangspunkt  die  arabische  Bewegung  in  Syrien 
und  in  Jemen,  genau  wie  seine  Chinastudien  in  Der  Islamische  Orieyit  Bd.  I  von  den  Boxer- 
unruhen und  dem  Chinafeldzug,  seine  Unpolitischen  Briefe  aus  der  Türkei  (id.  Bd.  HI)  von 
der  jungtürkischen  Revolution  und  seine  Missions-  und  Afrikastudien  von  einer  aktuellen 
kolonialpolitischen  Diskussion  ausgingen.  Überall  greift  er  mit  dem  scharfen  Rüstzeug 
seiner  großen  geistigen  Gaben  und  seiner  staunenswerten  sprachlichen  und  realen  Kenntnisse 
in  die  Debatte  ein. 

Nun  ist  die  Aktualität  seiner  Produk'ion  geschwunden;  dadurch  wirkt  ihr  Stil,  ihr 
Ton  noch  unerträglicher,  als  er  es  schon  mitten  im  Tagesstreit  war.  Das  darf  der  Chronist 
eines  Toten  ruhig  sagen,  nachdem  er  als  Kritiker  dem  Lebenden  seine  Meinung  nicht  ver- 
hehlt hat  (ARW  XV,  535  und  seine  Antwort  im  Vorwoit  zu  Islam,  Misston,  Politik  1912). 
Es  ist  nicht  schwer  und  nicht  einmal  ungerecht,  über  die  Mehrzahl  seiner  Bücher  den  Stab 
zu  brechen.  Aber  sind  es  wirklich  nur  aufgeputzte  Zeitungsartikel  und  gedruckte  Notiz- 
bücher mit  Exkursionen  in  die  mannigfaltigsten  Wissensgebiete,  die  ihn  zur  Zeit   der 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  229 

Niederschrift  gerade  beschäftigten?  Auch  ein  Tagesschriftsteller  kann  im  geistigen  Leben 
der  Nation  eine  große  Rolle  spielen,  oft  eine  größere  als  ein  trockener  und  gediegener 
Gelehrter.  Martin  Hartmann  hat  eine  Rolle  gespielt;  er  ist  nicht  wegzudenken 
aus  der  Orientalistenwelt  des  deutschen  Kaiserreiches.  Aber  auch  an  rein 
gelehrter  Forschung  hat  er  darüber  hinaus  Erhebliches  geleistet,  und  der  objektive  Chronist 
muß  sich  die  doppelte  Frage  vorlegen:  Was  hat  er  in  seiner  Zeit  bedeutet  und  was  bleibt 
von  seiner  Lebensleistung? 

Was  hat  er  in  seiner  Zeit  bedeutet  ?    Da  darf  man  nicht  an  seine  Bizarrerien  denken, 
an  seine  vielen  kleinen  Schwächen  und  Absonderlichkeiten.     Auch  diese  haben  ihre  Ak- 
tualität verloren.    Vor  unserem  Geiste  steht  ein  Mann,  der  eine  tiefe  Tragik  in  sich  trug.   Es 
ist  die  Tragik  des  Wissenden,  der   sich  im  Sinne  der  gesehenen  Ziele  zu  vollenden  sucht, 
dem  aber  die  eigene  Anlage  die  Vollendung  versagt.    Je  mehr  sich  seine  immer  wachsende 
Leidenschaft  auslebt,   desto   weiter  entfernt  er  sich  von  der  geahnten  Vollendung  seines 
Wesens  und  seiner  Leistung.     Von  vornherein  verschloß  ihm  sein  Temperament  den  Weg 
zum  künstlerischen  Maß  der  Dinge.    Darunter  hat  er  aber  wohl  kaum  gelitten,  aber  was 
er  unter  Schmerzen  mit  ganzer  Seele  suchte,  war:  Wertung  und  Synthese.  Eine  richtige 
Wertung  der  Dinge  aber  braucht  nüchterne  Prüfung.    Ira  et  Studium  sind  dabei  schlechte 
Berater.    Martin  Hartmann  aber  haßte  und  liebte,  und  zwar  elementar.    Er  verurteilte 
ebenso  schnell  und  ebenso  unbegründet,  wie  er  sich  begeisterte.  Ebenso  tief  war  sein  Be- 
dürfnis nach  Synthese,  aber  seine  Schlüsse  waren  oft  gezogen,  ehe  die  Prämissen  feststanden. 
Seine  Ungeduld  bei  der  Beschaffung  der  Unterlagen  ließ  ihn  intellektuell  zu  falschen  Syn- 
thesen und  ethisch  zu  falschen  Wertungen  gelangen.  Und  das  fühlte  er,  er  wechselte  ehrlich 
und  bescheiden  — ■  was  er  im  Grunde  war —  die  Position,  sobald  er  seinen  Fehler  erkannte; 
aber  er  erkannte  ihn  nicht  immer,  legte  sich  dann  aber  um  so  leidenschaftlicher  auf  seinen 
Standpunkt  fest.    Das  Schlimmste  war,  daß  er  überall  wertete  und  Schlüsse  zog,  auch 
wo  es  gar  nicht  hingehörte,  daß  er  das  Kleinste  gleich  zur  gesamten  Weltanschauung  in 
Beziehung  setzte,  daß  er  nicht  nur  Forscher,  daß  er  Prediger  sein  mußte.    Daher  jenes 
Schillernde  und  Aggressive,  das  alle  seine  Arbeiten  kennzeichnet.    Die  tiefste  Tragik  aber 
lag  darin,  daß  er  im  höheren  Sinne  sowohl  in  der  Synthese  wie  in  der  Wertung  unproduktiv, 
aber  von  einem  unstillbaren  Drang  nach  Produktion  beseelt  war  und  deshalb  von  tausend 
Seiten  Gedanken  herbeiholte  und  die  oft  geistreiche  Mischung  des  Reproduzierten   für 
schöpferische   Produktion  hielt.     Er  suchte  zeitlebens  den  delphischen  Gott,  aber  sein 
Temperament  und  seine  Anlagen  hatten  ihm  seinen  Platz  im  Zuge  des  orphischen  Gottes 
gewiesen.      Wie  ein  Bacchant  durchraste  er  die  weite  Welt  des  Geistes,  maßlos,  bizarr, 
ein  Schrecken  für  den  Zuschauer,  aber  ihn  trieb  doch  ein  Gott.   Die  höheren  Weihen  freilich 
hat  er  weder  vom  orphischen  noch  vom  delphischen  Gotte  empfangen. 

So  war  es  denn  auch  nicht  seine  Persönlichkeit,  die  wirkte.  Seine  Bedeutung  lag  in 
der  unendlichen  Füll?  von  Anregung,  die  von  ihm  ausging.  Man  ärgerte  sich 
oder  man  lächelte  über  ihn,  je  nach  Einstellung  und  Temperament,  aber  man  lernte  von 
ihm.  Wo  waren  denn  in  Deutschland  im  ausgehenden  19.  Jahrhundert  die  Orientalisten, 
die  einen  Blick  für  die  Probleme  des  zeitgenössischen  islamischen  Orients  Iwtten,  der 
doch  gerade  damals  für  Deutschland  so  wichtig  zu  werden  begann?  Gewiß,  man  war  aus 
der  FLEiscHERschen Ära  heraus,  man  wußte,  daß'A'ischa  auch  noch  etwas  anderes  war  als 
ein  Partizipium  der  ersten  Form,  N()I,deke  und  Wellhausen  hatten  der  Reahenforsehung 
Bahn  gebrochen,  und  große  ausländische  Gelehrte,  wie  Goldziher  und  Snouck  Hurgrünje, 
begannen  sich  durchzusetzen,  aber  vom  modernen  Orient  studierte  man  bestenfalls  die 
Dialekte.  Martin  Hartmann  war  in  Deutschland  der  erste  und  lange  Zeit  der  einzige, 
der  die  staatliche  Gestaltung,  die  politischen  Kämpfe,  die  kulturellen  Verhältnisse  des  mo- 
dernen Orients  in  den  Bereich  seiner  Studien  zog  und  ihre  Betrachtung  aus  der  Domäne 


230 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen, 


des    reinen   Journalismus    in    die  Höhenlage    wissenschaftlicher     zeitgeschichtlicher 
Forschung  zu  heben  versuchte. 

Gewiß  ist  ihm  das  nicht  immer  geglückt,  aber  er  sah  die  Probleme  und  weckte  bei 
andern  die  Lust,  ihnen  nachzugehen.  Ich  werde  nie  den  großen  Eindruck  vergessen,  den 
ich  als  junger  Mann  von  den  ersten  Heften  seines  Islamischen  Orients  empfing.  Auf  der 
Universität  hatte  ich  kein  Wort  von  diesen  Dingen  gehört.  Der  moderne  Islam  war  nach 
der  Schulmeinung  »erstarrt«  und  wissenschaftlich  uninteressant.  Dazu  kam  die  Abneigung 
der  Philologen  gegen  jede  soziologische  wie  zeitgeschichtliche  Betrachtung.  Politisch 
war  der  Gelehrte  schon  den  heimischen  Problemen  gegenüber  uninteressiert,  und  der  Philo- 
loge nun  gar  war  eben  Historiker,  das  keimende  neue  Leben  selbst  der  eigenen  Nation  bHeb 
ihm  fremd.  Konnte  man  da  von  deutschen  Orientalisten  dem  modernen  Orient  gegenüber 
eine  andere  Stellungnahme  erwarten  ?  Mir  ging  damals  eine  neue  Welt  auf,  und  ich  werde 
diese  Dankesschuld  M.\rtin  Hartmann  gegenüber  niemals  vergessen.  Ich  habe  später 
die  Schattenseite  seiner  Arbeitsweise  deutlich  genug  empfunden,  namentlich  wenn  man 
sie  mit  der  Snouck  Hurgronjes  verglich,  der  aber  eben  kein  Deutscher  war  und  mehr 
den  Problemen  der  holländischen  Kolonialpolitik  nachging.  Als  akademischer  Lehrer  habe 
ich  stets  die  zeitgenössischen  Probleme  in  Kollegform  behandelt  und  sehr  viel  Zeit  darauf 
verwandt,  aber  ich  muß  hier  bekennen,  daß  ich  mich  nur  selten  und  ungern  auch  literarisch 
auf  diesem  Gebiete  betätigt  habe.  Hier  schreckten  mich  die  Spuren  Martin  Hartmanns, 
dessen  Schwächen  ich  stets  voll  erkannte,  ebenso  stark  wie  mich  sein  Vorgang  auf  dieses 
Gebiet  hinauslockte.  Er  hatte  den  Mut,  seine  Haut  zu  Markte  zu  tragen,  wohl  ohne 
zu  ahnen,  wie  berechtigter  Kritik  er  sich  damit  aussetzte,  aber  Anerkennung  verdient  se'n 
Vorgang  unter  allen  Umständen.  Gewiß  mag  Sensations-,  mag  Aktualitätslust  bei  ihm 
eine  Rolle  gespielt  haben,  aber  er  sah  doch  die  Probleme  und  machte  auf  sie  aufmerksam, 
während  alle  andern  sie  entweder  überhaupt  nicht  sahen  oder  aus  Angst  vor  dem  Zorn 
der  Zunft  über  Journalismus  und  Dilettantismus  den  Kopf  lieber  in  den  Sand  steckten. 
Hier  Hegt  Martin  Hartmanns  historisches  Verdienst,  hier  liegt  der  Vorzug 
seiner  Tagesschriftstellerei. 

Freilich  war  auch  er  nur  langsam  dazu  gekommen.  Auch  er  wurzelte,  wie  es  ja  auch 
unerläßlich  ist,  in  der  Sprache.  Als  ei  nach  vollendeten  Studien  in  Breslau  und  Leipzig 
mit  24  Jahren  im  Dienste  des  Reiches  nach  Konstantinopel  und  Syrien  ging  (1875 — 87), 
da  widmete  er  sich  zunächst  dem  Einleben  in  die  Landessprache.  Aus  dieser  Zeit  stammt 
sein  Arabischer  Sprachführer  (1880),  der  wenigstens  in  seinem  syrischen,  d.  h.  eben  dem  von 
Martin  R\rtmann  verfaßten  Teil  ganz  vortrefflich  ist.  Auch  blieb  er  noch  lange  als  ge- 
treuer Schüler  Fleischers  mit  rein  philologischen  Aufgaben  beschäftigt,  was  um  so  merk- 
würdiger war,  als  er  seit  Herbst  1887  als  Lehrer  am  Seminar  für  orientahsche  Sprachen  in 
Berlin  wirkte.  Besonders  die  Metrik  hatte  es  ihm  angetan.  Seine  Hebräische  Verskitnsl 
(1894),  sein  Metrum  und  Rhythmus  {iS()6)  und  endlich  sein  Buch  Das  arabische  Strophen- 
gedicht I  Das  Muwa'ssah  (1897)  sind  dessen  Zeuge.  Der  Realienforscher  tritt  uns  zuerst 
in  seinem  Buche  Bohtan  (1897),  das  man  fast  ein  salname  dieser  Landschaft  nennen  kann, 
entgegen,  aber  erst  am  Ende  des  Jahrhunderts  und  von  da  ab  immer  stärker  bricht  der 
Erforscher  zeitgenössischer  Zustände  bei  ihm  durch.  Im  gleichen  Jahre  beginnt  der 
Islamische  Orient  zu  erscheinen,  in  dem  auch  die  Lieder  der  libyschen  Wüste  und  The  Arabic 
Press  of  Egypt  herauskommen  (1899).  Bei  der  Aufnahme  dieser  Lieder  dachte  er  natürlich 
zunächst  an  Dialektforschung,  aber  sein  Interesse  ging  weit  darüber  hinaus,  und  mit  seinem 
Buch  über  die  arabische  Presse  Ägyptens  setzte  er  bewußt  seinen  Fuß  auf  Neuland.  Kein 
Mensch  hatte  sich  bisher  um  die  zum  Teil  sehr  ephemere  Presse  Ägyptens  bekümmert, 
und  doch  gibt  es  wohl  keine  bessere  Quelle  für  die  Reaktion  des  Orients  auf  das  Vordringen 
der,  um  mit  Hartmann  zu  reden,  »fränkischen«  Gedankenwelt  als  die  Druckerzeugnisse 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  2  ■?  I 

der  orientalischen  Tagesliteratur.  Mit  welchem  Aufgebot  wissenschaftlicher  Kräfte  gehen 
wir  heute  dem  Prozeß  der  Hellenisierung  des  Orients  nach,  aus  Steintrümmern  und  Pa- 
pyrusfetzen suchen  wir  uns  ein  Bild  dieses  welthistorischen  Prozesses  zu  rekonstruieren; 
um  die  mindestens  ebenso  gewaltige  geistige  Auseinandersetzung  zwischen  dem  niodciuen 
Europa  und  dem  islamischen  Orient  kümmert  sich  aber  kein  Mensch.  Die  wichtigsten 
Quellen  und  Dokumente  läßt  man  achtlos  zugrunde  gehen,  teils  weil  man  diese  brennende 
Frage  nicht  sieht,  teils  weil  die  wissenschaftliche  Forschung  erst  reizvoll  zu  werden  scheint, 
wenn  die  Forschungsobjekte  nur  noch  in  Bruchstücken  vorliegen.  Man  nennt  das  dann 
den  »historischen  Abstand«,  den  man  haben  muß,  um  die  Dinge  richtig  zu  beurteilen. 
Nun  Martin  Hartmann  hatte  den  Mut,  hier  gegen  den  Strom  zu  schwimmen,  er  sah,  was 
nottat,  er  suchte  zu  retten  und  zu  erhalten,  solange  es  noch  etwas  zu  retten  und  zu  erhalten 
gab.  Gott  sei  Dank  hat  sein  Vorgang  Schule  gemacht,  aber  das  Verdienst  gebührt  ihm. 
Auf  der  Berufungsliste  einer  deutschen  Fakultät  hat  er  unter  diesen  Umständen  natürlich 
nie  gestanden. 

Seit  der  Wende  des  Jahrhunderts  steht  Martin  Hartmann  nahem  ausschließlich 
in  zeitgeschichtlicher  Forschung.  Überall  geht  er  dabei  in  vergangene  Zeiten  zurück  und 
sucht  das  Vorhandene  als  historisch  Gewordenes  zu  begreifen.  Seine  Aufsätze  sind  Legion. 
Die  Arbeitskraft  dieses  Mannes  war  staunenswert.  Vier  Gebiete  sind  es,  die  ihn  immer 
und  immer  wieder  beschäftigen,  der  zentralasiatische  (russisch-chinesische)  Islam,  die 
arabische  Frage,  jungtürkische  Politik  und  Literatur  und  der  afrikanische  Islam  und 
sein  Ringen  mit  dem  missioniei enden  Christentum.  Obwohl  er  bei  seinen  Ausführungen 
häufig  von  den  Forschungen  anderer  ausgeht,  verläßt  er  sich  doch  nirgends  auf  seine  Vor- 
gänger, zieht  überall  die  Quellen  heran  und  kommt  dabei  vom  Hundertsten  ins  Tausendste. 
Nirgends  will  er  abhängig  bleiben,  sprachUche  Hemmungen  stören  ihn  nicht.  Er  lernt 
im  reifen  Mannesalter  noch  Russisch  und  Chinesisch,  er  baut  seine  türkischen  Kenntnisse 
aus,  ja  er  steigt  selbst  in  die  Probleme  des  ihm  ganz  fremden  zentralafrikanischen 
Islam  herein;  wenn  er  auch  hier  am  wenigsten  tief  gräbt,  so  sucht  er  doch,  zu  eigenen 
Resultaten  zu  gelangen  (MSOS.  XV  (1912);  Islam,  Mission,  Politik  1912).  Über  seiner 
ganzen  Arbeit  steht  dabei  das  Motto  des  Materialsammelns,  aber  er  versucht,  seinem  Wesen 
getreu,  auch  gleich  zu  gruppieren  und  in  Kategorien  einzuordnen.  Seine  Bedeutung  liegt 
zweifellos  auf  dem  Gebiete  des  Stoffsammeins  und  der  Stoff analyse,  während 
er  bei  der  Konstruktion,  bei  der  Systematik  seinem  ganzen  Wesen  nach  versagen  mußte. 
Nun  ein  paar  Beispiele  zum  Beleg. 

Über  die  Probleme  des  chinesischen  Islam  wird  man  sich  kaum  irgendwo  so  gut 
orientieren  können  wie  in  seinen  Schriften,  beginnend  mit  dem  ersten  Bande  seines  Islami- 
schen Orients  über  seinen  Artikel  China  in  der  E.  I.,  seine  zahlreichen  kleineren  Aufsätze 
über  seine  Turkcstanreise  1902/03  im  MSOS.,  RMM.  1908  Nr.  6  und  sein  Buch  Chinesisch- 
Turkestan.  Geschichte,  Verwaltung,  Geistesleben  und  Wirtschaft,  Halle  1908,  bis  zu  seiner 
letzten  größeren  Abhandlung  über  dies  Thema  in  WI  I.  (1913)  178 — 210.  Dort  sind 
auch  noch  andere  Arbeiten  von  ihm  zitiert,  die  offenbar  nicht  mehr  erschienen  sind.  Da- 
neben verfolgt  er  unermüdlich  alle  Schwankungen  der  modernen  Geschichte  der 
arabisch  sprechenden  Länder  der  Türkei;  er  beginnt  mit  einem  wichtigen  Aufsatz 
über  die  '■Arabijje,  gibt  dann  sein  schon  erwähntes  Buch  über  Die  arabische  Frage  heraus 
dessen  archäologische  Teile  hier  nicht  zu  erörtern  sind,  schreibt  Reisebriefe  aus  Syrien 
(1913),  verfolgt  in  ungezählten  Artikeln  und  Analysen  alle  Phasen  der  englischen  Arabien- 
politik, die  Streitigkeiten  der  arabischen  Beduinenfürsten  —  ich  nenne  nur  seine  wirklich 
wertvollen  Inhaltsangaben  nach  Perr  Anastases  Liighat  el-'arab.  In  diesen  Analysen 
liegt  überhaupt  eines  seiner  Hauptverdienste.  Das  gilt  besonders  auch  für  das  türkische 
Problem.     Die  Stoffmassen,  die  er  hier  bezwang,  lösten  die  Bewunderung  aller  NutZ' 


2-^2  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

nießer  seiner  Arbeit  aus.  Man  durchblättere  nur  seine  Sammelreferate  Der  Islam  1907 
(MSOS.  1908),  Der  Islam  1908  (id.  1909),  Die  neuere  Lileralur  zum  Türkischen  Probion 
(Zeifschr.  f.  Politik  III  [1909]),  und  dann  seine  bibliographische  und  kritische  Leistung  in 
Die  Welt  des  Islams.  Diese  Zeitschrift  der  von  ihm  begründeten  »Deutschen  Gesellschaft 
für  Islamkunde«  hat  in  den  Jahren  ihres  Bestehens  nahezu  von  ihm  gelebt.  Alle  auf  die 
Türkei  bezüglichen  Ereignisse  vor  dem  Kriege  und  besonders  während  desselben,  die 
islamischen  Kriegsurkunden,  die  parlamentarischen  Verhandlungen,  die  Erzeugnisse  der 
türkischen  Moderne,  diese  ganzen  vielgestaltigen  Fragen  sind  hier  von  ihm  mit  großer 
Sachkunde  behandelt.  Besonders  der  neueren  türkischen  Literatur  galt  während  seiner 
letzten  Lebensjahre  sein  Hauptinteresse.  Er  schöpfte  dabei  nicht  nur  aus  Büchern,  sondern 
stand  in  lebendigem  Austausch  mit  den  zahlreichen  Orientalen,  die  das  Schicksal  des 
Krieges  nach  Deutschland  führte.  In  bezug  auf  die  Türken  war  er  aus  einem  Saulus  ein 
Paulus  geworden.  In  seinen  Schriften  vor  19 14  war  er  ein  leidenschaftlicher  Türkenhasser, 
wohl  weil  er  aus  seiner  syrischen  Zeit  sich  eine  besondere  Sympathie  für  die  unter  türki- 
schem Joche  seufzenden  Araber  bewahrt  hatte.  Noch  seine  Unpolitischen  Briefe  aus  der 
Türkei  (la\.  Or.  Bd.  III,  19 10)  —  übrigens  eine  höchst  poHtische  Sammlung  von  wild  durch- 
einandergewürfelten, zum  Teil  sehr  interessanten  Reisenotizen  —  atmen  einen  wenig 
türkenfreundlichen  Geist.  Man  hat  ihm  seine  spätere  Türkenbegeisterung  von  manchen 
Seiten  verdacht.  Es  war  keine  Charakterlosigkeit;  dies  schnelle  Umlernen  lag  gerade  in 
seinem  Charakter. 

Seine  Vielseitigkeit  und  Produktivität  steigerte  sich  von  Jahr  zu  Jahr;  er  war  uner- 
müdlich und  lebte  schließlich  ausschließlich  seiner  wissenschaftlichen  Arbeit.  Die  Zahl 
der  Bücher,  die  er  in  seinen  letzten  Lebensjahren  herausbrachte,  ist  beträchtlich.  War 
er  mit  dem  Alter  persönlich  milder  geworden,  so  atmen  seine  Bücher  bis  zuletzt  den  stürmi- 
scheft  Geist  seiner  Jugend.  Manche  davon  wären  besser  ungeschrieben  geblieben;  denn 
leider  ließ  er  sich  aus  dem  Bedürfnis  nach  Synthese  und  Wertung  auch  zu  zusammenfassen- 
den und  systematischen  Darstellungen  veranlassen,  denen  er  einfach  nicht  gewachsen  war. 
Es  wäre  ein  Werk  der  Pietät,  die  Restauflage  seines  Handbuchs  Der  Islam,  Geschichte, 
Glaube,  Recht  (1909)  einzustampfen  (vgl.  meine  Kritik  in  ARW  XV,  535).  Auch  seine 
Fünf  Vorträge  über  den  Islam  (1912)  sind  nicht  viel  höher  zu  bewerten.  Immerhin  sind  dies 
populäre  Zweckschriften.  Ernster  nehme  ich  seinen  Beitrag  zur  Kultur  der  Gegenwart  II,  2, 
Die  islamische  Verfassung  und  Verwaltung  (1911).  Dies  wundervolle  Thema  ist  zwar 
in  einer  etwas  höheren  Tonlage  behandelt;  aber  der  Sachverständige  legt  diesen  unglück- 
seligen Versuch,  nicht  genügend  beherrschte  Historie  in  eine  mißverständliche  Systematik 
hineinzupassen,  mit  tiefer  Trauer  aus  der  Hand. 

Je  weniger  sie  ihm  lag,  um  so  stärker  zog  ihn  in  den  letzten  Jahren  gerade  die  Syste- 
matik an.  Vor  allem  hatte  es  ihm  die  soziologische  Betrachtung  angetan.  Alle 
seine  späteren  Arbeiten  führen  ein  eigentümliches  Gesellungsschema  durch:  Geschlechts- 
gesellung,  Volks-  bzw.  Sprachgesellung,  Wirtschaftsgesellung,  Vorstellungsgesellung.  Aus 
Kampf  und  Verbindung  dieser  Gruppen  erwuchs  ihm  Kultur  und  Staat.  In  der  Einleitung 
seines  Buches  Islam,  Mission,  Politik  hat  er  sich  offen  darüber  ausgesprochen,  woher  ihm 
die  Anregung  hierzu  gekommen  war.  Sie  stammt  aus  A.  Geyers  Philosophischer  Ein- 
leitung in  die  Rechtswissenschaften  in  v,  Holtzendorffs  Realenzyklopädie.  »Nicht  daß 
ich  seine  Gruppen  nur  einfach  anempfand.  Ich  arbeitete  vielmehr  die  ganze  Materie  selb- 
ständig durch,  und  immer  wieder  von  neuem.  Die  soziologische  Fachliteratur  habe  ich 
dabei  weniger  beachtet.«  Martin  Hartm.\nn  suchte  geradezu  mit  Leidenschaft  nach 
Gesetzen  des  historischen  Geschehens.  Mit  Recht  fühlte  er  aber,  daß  bei  dem  gegenwärti- 
gen Stande  der  Gesellschaftswissenschaft  das  Hauptgewicht  auf  die  beschreibende  Tätig- 
keit, d.h.  auf  dic-Soziographie  zu  legen  sei.  Sein  eigener  Forschungstrieb  führte  ihn  aber 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen  233 

darüber  hinaus  zur  Gliederung.  »Mir  reihen  sich  die  Einzeltatsachen,  kaum  daß  sie  mir 
klar  vor  der  Seele  stehen,  zusammen,  und  zwar  so,  daß  ich  dem  Gesamtbilde  auch  formell 
einen  Ausdruck  geben  muß.«  Dabei  kennt  er  deutlich  die  Gefahren  des  Synthcseübens. 
Die  Gefahren  liegen  nach  zwei  Seiten:  einmal  in  Richtung  des  immerwährenden  Neuauf- 
bauens von  Synthesen,  die  sich  jagen,  ohne  daß  eine  von  ihnen  gründlich  durchgearbeitet 
wird,  zweitens  in  Richtung  auf  das  Sichverbohren  in  eine  Synthese  und  ihre  schablonen- 
hafte Zutodehetzung.  Er.  glaubte,  diese  Gefahren  zu  vermeiden;  seine  Fachgenossen 
dürften  anders  gedacht  haben,  wenn  auch  niemand  außer  dem  Schreiber  dieses  Nachrufs 
Widerspruch  erhob.  Soziologische  x\rbeit  pflegt  in  Philologenkreisen  nicht  lioch  im  Kurse 
zu  stehen.  Ich  widersprach,,  weil  ich  die  Wichtigkeit  solcher  Betrachtungsweise  voll  aner- 
kenne; nur  war  und  bin  ich  der  Meinung,  daß  solche  Kategorien  in  Erscheinung  treten 
sollen  wie  das  Gefühl  in  einem  lyrischen  Gedicht,  unausgesprochen  und  doch  jedem  Leser 
gegenwärtig.  Martin  Hartm.\nns  System  war  an  sich  nicht  schlecht,  aber  in  seiner  Er- 
finderfreude hetzte  er  es  derartig  zu  Tode,  daß  man  vor  lauter  Gliederung  und  Einschachte- 
lung  den  lebendigen  Zusammenhang  der  Dinge  aus  dem  Auge  verlor,  und  das  Leben  nicht 
erklärt,  sondern  verwirrt  wurde.  Und  konnte  schon  der  orientalistische  Fachmann  nichts 
damit  anfangen,  um  wieviel  weniger  der  Laie,  dem  doch  die  Mehrzahl  seiner  soziologischen 
Betrachtungen  gewidmet  war. 

Anerkannt  aber  muß  werden,  daß  hier  ein  großes  Wollen  vorlag.  Mortalibus  nil 
ardui  est  —  diesen  Horazischen  Satz  hat  er  bewahrheitet.  Er  schrak  vor  keiner  Arbeit 
zurück,  aber  auch  vor  keinem  Problem.  Je  größer-  beide  waren,  um  so  mehr  reizten  sie  ihn. 
x\uch  hier  ging  sein  Temperament  mit  ihm  durch.  Menschlich  hat  es  etwas  Ergreifendes, 
zu  sehen,  wie  dieser  Mann,  dem  das  Leben  nicht  viel  Rosen  auf  den  Lebenspfad  gestreut 
hatte,  der  zeitlebens  aus  Sorgen  und  engen  Verhältnissen,  familiären  und  dienstlichen 
Hemmungen  nicht  herauskam,  mit  nie  ermüdender  Kraft  um  ein  Gesamtbild  des  Lebens, 
um  eine  Weltanschauung  rang.  Hinter  all  seinem  Haß  gegen  Kirche  und  PfaiJentum  stand 
in  letzter  Linie  ein  Gottsucher  und  hinter  seiner  ermüdenden  Gesellungsscholastik  regte 
sich  die  unbefriedigte  Sehnsucht  nach  innerer  Harmonie.  Er  bekannte  sich  zur  materialisti- 
schen Geschichtsauffassung,  aber  er  war  ein  Idealist.  C   H.  Becker. 


Joseph  von  Karabacek, 

geb.  22.    September   1845  ^^  Graz,  gest.  9.  Oktober  191S  zu  Wien. 

Konnte  man  Martin  Hartmann  als  den  »Tagesschriftsteller«,  so  muß  man  Kara- 
bacek als  den  »Cortegiano«  unter  den  deutschen  OrientaHsten  bezeichnen.  Sein  Cha- 
rakterbild wird  in  der  Geschichte  nicht  schwanken.  Daß  er  mehr  Hofmann  als  Gelehrter 
war,  stand  lange  fest,  nur  die  Rücksicht  auf  die  Wiener  Akademie,  an  deren  Spitze  er 
20  Jahre  lang  stand,  verhinderte,  daß  dieses  Urteil  schon  bei  seinen  Lebzeiten  offen  aus- 
gesprochen wurde.  An  Kritik  hat  es  ihm  freilich  nicht  gefehlt.  Man  mochte  sie  in  so  liebens- 
würdige Formen  kleiden,  wie  es  Max  van  Berchem  oder  Otto  von  Falke  getan  haben, 
man  schlug  derber  drein  wie  Enno  Littmann,  Friedrich  Sarre,  Eugen  Mittwoch  und 
der  Schreiber  dieser  Zeilen,  immer  aber  blieb  ein  Rest  von  Reserve,  weil  jeder  Kritiker  es 
nur  mit  einem  Sonderfall  zu  tun  hatte,  zu  einer  Würdigung  der  GesamtpersönHchkeit  aber 
kein  Anlaß  vorlag;  und  die  wissenschaftlichen  Körperschaften,  die  in  erster  Linie  dazu 
berufen  waren  nach  dem  Rechten  zu  sehen,  aus  falscher  Kollegialität  oder  höfischen  Rück- 
sichten schwiegen  und  nur  im  Stillen  die  Faust  ballten.     Es  gibt  keine  höfischen  Rück- 


2 •34  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

sichten  mehr,  und  der  x\nlaß  ist  gegeben,  ein  Fazit  zu  ziehen.  Historische  Würdigungen 
sind  keine  Jubiläumsredeii,  und  die  wissenschaftliche  Ehrlichkeit  fordert  ein  offenes 
Wort. 

Er  war  ein  Cortegiano  —  ich  wähle  mit  Absicht  die  alte  Schreibweise  des  Wortes; 
denn  er  war  kein  moderner  Typ.  Seinem  Wesen  und  seiner  Stellung  zur  Wissenschaft  nach 
gehörte  er  ins  16.  oder  17.  Jahrhundert.  Er  war  ein  wissenschaftlicher  Glücksritter,  der 
mit  der  Wissenschaft  sein  Glück  erjagt  hat  wie  seine  älteren  Wesensgenossen  mit  der  Kunst 
oder  der  Politik.     Es  waren  keine  Renaissancepäpste  und  italienische  Kleinfürsten,  an 
deren  Höfen  er  sich  sonnte,  sie  hießen  Graf  Hoyos,    Prince  PhiHpp  de  Saxe  Cobourg    et 
Gotha,  Erzherzog  Rainer,   um    nur  einige  zu  nennen.      Man  braucht  garnicht  in  den  Ku- 
lissenklatsch hineinzusteigen,  die  Lektüre  seiner  wissenschaftlichen  Arbeiten  genügt,  um 
ein  vollkommen  klares  Bild  seiner  Persönlichkeit  zu  erhalten;'  denn  er  spricht  dort  sehr 
viel  von  sich  und  seinen  fürstlichen  Patronen.     Ein  stattlicher,  vornehmer  Mann  mit  den 
vollendeten   Formen   des  österreichischen   Aristokraten   und   der   bezwingenden   Liebens- 
würdigkeit des  Wieners.    Dazu  ein  Mann  von  Geist,  Kenntnissen  und  Bedeutung.    Er  hatte 
einen   bewundernswerten   Scharfsinn,    einen  klaren   Blick  für  das   Interessante,  Abseits- 
hegende, Ungewöhnliche.     Seine  Belesenheit  war  staunenswert,  seine  Darstellung  häufig 
geschmackvoll,  wenn  auch  mit  einer  Hypothek  von  Eitelkeit  belastet,  die  literarisch  sich 
in  selbstgefällige  Breite  umsetzte  und  nur  deshalb  ertragen  wurde,  weil  seine  Selbstsicher- 
heit etwas  Hypnotisches  hatte,  in  den  meisten  Fällen  ihn  niemand  kontrollieren  konnte, 
und  die  Autoritätsgläubigkeit  unter  Kollegen  ja  eines  der  Hauptcharakteristiken  des  kriti- 
schen Zeitalters  zu  sein  scheint.     Der  Kernpunkt  seiner  glänzenden  Anlagen  war  seine 
Phantasie,   eine  schranken-  und  hemmungslose  Phantasie.     Ihr  verdanken  wir  manch 
Wertvolles,  aber  noch  viel  mehr  geradezu  Unsinniges,  die  Entzifferung  einiger  griechischer 
Namen  über  Figuren  als  geschlossene  Inschrift,  die  Erklärung  von  Arabesken  als  Inschriften, 
die  Entdeckung  und  Erklärung  garnicht  vorhandener  lateinischer  Texte   auf  griechisch- 
arabischen Papyrusprotokollen,  lateinische  Münzen  eines  südarabischen  Gegenpropheten 
Muhammeds,  um  mich  auf  diese  berühmten  Beispiele  zu  beschränken.  Alles  aber  ist  immer 
äußerst  gewandt  aufgemacht,  unendliche  Belegstellen  und  Parallelen  meist  aus  schwer 
oder   garnicht    zu  kontrollierendem  Quellenmaterial,    dabei  mit  apodiktischer  Sicherheit 
vorgetragen.    So  ist  z.  B.  die  Lesung  der  Arabeske  mit  dem  Motto  des  Hafizverses:  »Sprich 
entweder  als  ein  Kenner  oder  schweige,  kluger  Mann«  eingeleitet  {^Persische  Nadelmalerei 
Siisandschird  S.  119).     Dabei  war  jedes  Stück,  das  er  zum  Ruhme  seiner  Principi  und  zu 
dsm  seinen  veröffentlichte,  ein  Unicum,  das  Historiker  korrigierte,  alte  Vorurteile  umstieß, 
alles  auf  den  Kopf  stellte  und  vor  allem  ein£  grenzenlose  Bewunderung  für  den  erstmaligen 
Entzifferer  auslöste,  der  durch  den  Urwald  von  Irrtümern,  Schreib-  und  Ziselierfehlern 
die  lichtbringende,  bahnschaffende  Schneise  schlug.   Dabei  die  unnachahmliche  Geste  des 
großen  Mannes,  wenn  irgend  jemand  einen  leichten  Zweifel  zu  äußern  wagte.    Da  er  auf 
dem  paläographischen  und  archäologischen  Gebiet   so  ziemlich  allein  arbeitete  bzw.  auf 
dem  unveröffentlichten  Material  saß,  ohne  jemand  heranzulassen,  konnte  man  leicht  den 
Kürzeren  ziehen,  und  er  nutzte  jede  Gelegenheit  aus,  seine  überlegene  Sachkunde  vor  aller 
Welt  wie  einen  rocher  de  bronce  zu  stabilisieren.     Er  hat  damit  selbst  sehr  kritische  und 
sehr  sachkundige  Vertreter  der  Nachbargebiete  irregeführt.     Schon  in  seinen  Ersthngs- 
schriften  in  den  60er  und  70er  Jahren  ist  diese  Grundrichtung  seines  Wesens  mit  Händen 
zu  greifen,  im  hohen  Alter  wird  sie  geradezu  krankhaft,  und  man  fragt  sich  nur,  ob  man 
sich  mehr  über  diese  wilden  Orgien  einer  gewissenlosen  Phantasie  oder  über  die  Langmut 
der  Kollegenwelt  wundern  soll,  die  sich  das  alles  gefallen  ließ  und  ruhig  zuschaute,  wie 
dieser  Mann  von   Stufe  zu   Stufe  stieg,  1869  Privatdozent,   1874  Extraordinarius,  1884 
Ordinarius,  1888  ordcntHches  Mitglied  der  .\kademie,  1898  ihr  ständiger  Sekretär,  1899 

0 


Kleine  Mitteilungen     und  Anzeigen,  235 

Direktor   der  Hofbibliothek  wurde,  vom  Hofratstitel,  Orden  und  Adelsprädikat  ganz  zu 
schweigen. 

Nun,  das  liegt  alles  hinter  uns.  Fragen  wir  nach  dem  Bleibenden.  Versuchen  wir, 
nüchtern  und  ruhig  sein  literarisches  Schaffen  nachzuprüfen.  Worin  liegt  trotz  allem  und 
allem  die  historische  Bedeutung  seines  Wirkens? 

Sein  Hauptverdienst  war  die  Förderung  und  zum  Teil  Begründung  eines  Kreises 
von  Disziphncn,  die  man  am  besten  als  »historische  Hilfswissenschaften«  zusammenfaßt. 
Damit  schuf  er  auf  orientalistischem  Gebiet  etwas  Neues.  Er  begann  mit  Münzkunde 
und  Epigraphik,  Gebiete,  auf  denen  er  erhebliche  Vorläufer  hatte,  warf  sich  dann  auf 
archäologisch-kunstgeschichtliche  Forschung,  insbesondere  Textilienkunde  — 
auf  letzterem  Gebiet  galt  er  lange  als  einzige  orientalistisch  geschulte  Autorität  — ,  um 
schließlich  der  Begründer  der  arabischen  Papyrologie  und  Erforscher  der  Geschichte 
des  Papiers  zu  werden.  Auf  allen  drei  Gebieten  sind  die  oben  geschilderten  Licht-  und 
Schattenseiten  seiner  Arbeitsweise  mit  Händen  zu  greifen,  aber  es  geschah  mit  Fug  und 
Recht,  daß  er  bei  seiner  Ernennung  zum  Professor  der  orientalischen  Geschichte  auch  die 
Hilfswissenschaften  in  seinem  Lehrauftrag  zugeteilt  erhielt. 

Seine  ältesten  Münzstudien  erschienen  in  der  von  C.  W.  Huber  und  ihm  i86q 
begründeten  Numismatischen  Zeitschrift  und  den  etwas  älteren  Wiener  numismatischen 
Monatsheften  und  befassen  sich  mit  den  Kufischen  Münzen  des  Johanneums  in  Graz  (1868), 
der  Geschichte  der  Kupferwährung  unter  Sultan  Suleimän  IL,  Spanisch-arabisch-deutschen 
Nachprägungen  für  Polen,  einem  Gigliato  des  jonischen  Turkomanenfürsten  Omar  Bey,  einem 
Gigliato  des  karischen  Turkomanenfürsten  Urchän-hey,  Den  angeblichen  AEO-M(VMsen 
arabischer  Prägung.  Es  folgen  auf  der  gleichen  Linie  seine  Kritischen  Beiträge  zur  lateinisch- 
arabischen  Numismatik,  die,  von  de  Saulcy  und  Lavoix  entdeckt,  ihn  bis  in  sein  hohes- 
Alter  beschäftigt  und  seine  Phantasie  zu  märchenhaften  Lesungen  angeregt  hat.  Man 
erinnere  sich  der  famosen  Musailimamünzen,  die  auf  dem  Stockholmer  Orientalistenkongreß 
und  dann  in  der  auf  Karabacek  zurückgehenden  Publikation  Ciiriosites  Orientales  de  mon 
Cabinet  nmnismatique  des  Princc  Philipp  de  Saxe  Cobourg  et  Gotha  (1891)  der  über- 
raschten Orientalistenwelt  vorgestellt  wurden  und  noch  1908  als  Hauptbeweisstückc  für 
das  Lateinische  in  den  arabischen  Papyrusprotokollen  erscheinen  (vgl.  darüber  ZA. 
XXH,  182).  Er  behandelt  weiter  schon  1869  die  später  oft  besprochenen  Ortokiden- 
münzen  unter  dem  Titel  Über  muhammedanische  Vicariatsmünzen  und  Kupferdrachmen  des 
12. — 13.  Jahrhunderts.  Man  sieht,  er  umfaßt  das  weite  Gebiet  der  islamischen  Münz- 
kunde. Die  meisten  der  genannten  Schriften  sind  auch  im  Selbstverlag  separat  erschienen. 
Ich  bin  auf  diesem  Gebiet  nicht  Fachmann  genug,  alle  seine  Lesungen  und  Thesen  zu  be- 
urteilen, aber  wo  ich  nachgeprüft  habe,  fand  ich  bestenfalls  ein  geistreiches,  literarisch  gut, 
archäologisch  aber  völlig  ungenügend  fundamentiertes  Hypothesengebäude,  mit  dem 
ernste  Wissenschaft  sich  wohl  hüten  sollte,  zu  rechnen. 

Für  seine  epigraphische  Tätigkeit  ist  charakteristisch  sein  Buch  Beiträge  zur 
Geschichte  der  Mazjaditen  (Leipzig  1874),  das  der  Interpretation  einer  Steinschrift  von 
Bosra  gewidmet  ist.  Von  dieser  Lesung  ist  bei  der  endgültigen  Publikation  der  Inschrift 
durch  Max  VAN  Berchem,  Inscriptions  /lratß5(fe5y^ie(InstitutEgyptien,  Memoires  III,  436) 
so  gut  wie  nichts  geblieben.  Die  Zweckbestimmung,  die  Namen,  die  Worte,  alles  ist  falsch 
gelesen,  es  bleiben  auch  hier  wieder  nur  einige  literarische  Notizen  historischer  Art.  Die 
Gerechtigkeit  gebietet  allerdings  zu  sagen,  daß  er  zu  dieser  endgültigen  Lesung  auch  noch 
Wichtiges  durch  einen  späteren  .\ufsatz  (ZDMG.  XXXI,  135)  beigetragen  hat. 

So  fragwürdig  bei  dieser  intuitiv-phantastischen  Methode  seine  Einzelresultate  auch 
waren,  so  ist  er  doch  —  und  das  ist  ein- historisches  Verdienst  —  der  Erste  gewesen, 
<ler    die     archäologische    Betrachtung    in    einen    großen   historischen   Zu- 


2 ■56  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

sammenhang  gestellt  hat.  Seine  Ziele  waren  unzweifelhaft  wegweisend.  Was  später 
die  emsige  und  solide  Lebensarbeit  Max  van  Berchems  ausgeführt,  hat  er  zuerst  gefordert 
und  versucht.  Schon  1875  hat  er  sich  in  einem  Aufsatz  Merkmale  zur  Bestimmimg  sara- 
zenischer Kunst-  und  Industriedenkmäler  grundsätzhch  über  die  Beziehung  zwischen  Epi- 
graphik,  Geschichtsquellen  und  Kunstgegenstand  geäußert,  nachdem  er  bereits  1870  und 
seinem  Aufsatz  Liturgische  Geivänder  mit  arabischen  Inschriften  aus  der  Marienkirche  in 
Danzig  (Mitteilungen  des  K.  K.  Österr.  Museums  für  Kunst  und  Industrie,  1870,  Nr.  56 
und  59)  einen  Vorstoß  in  das  bis  dahin  unerforschte  Gebiet  des  7ir äzwesens  unternommen 
hatte,  auch  hier  aber,  ebne  in  der  Sache  selbst  Recht  zu  behalten.  Er  machte  aber  hier, 
wie  z.  B.  auch  in  der  epigraphisch  \  erfehlten  Pubhkation  Eines  Damascenischen  Leuchters 
des  14.  Jahrhunderts  (Repert.  f.  Kunstwiss.  I,  Heft  3)  auf  Probleme  aufmerksam,  an  denen 
man  bisher  vorbeigegangen  war,  wie  z.  B.  auf  das  orientalische  Ritterwesen,  die  futuwwa, 
die  Heraldik,  über  die  er  eine  Arbeit  ankündigte,  von  der  aber  nur  der  unglückliche  W^x- 
such.  Zur  orientalischen  Altertumskunde  I:  Sarazenische  Wappen  (vgl.  dazu  Islam  H,  201) 
erschienen  ist.  Das  Beste,  das  auf  diesem  archäoiogisch-kunsthistorischenGebiet 
von  ihm  vorliegt,  ist  sein  viel  zitiertes  Buch  Die  Persische  Nadelmalerei  Susandschird 
(Leipzig  1881).  Auch  hier  wieder  ist  die  eigentliche  These  des  Buches  (Bestimmung  eines 
Teppichs  und  Lesung  seiner  gar  keine  Schrift  darstellenden  Arabesken)  ganz  unhaltbar; 
aber  das  im  Kommentar  beigebrachte  Material  zeugt  von  einer  enormen  Belesenheit  und 
einer  großzügigen  Fragestellung,  so  viele  Nebenresultate  auch  hier  wieder  unrichtig  sind 
(vgl.  z.  B.  die  von  0.  von  Falke,  Kunstgeschichte  der  Seidenweberei  H,  62  widerlegte  Da- 
tierung auf  S.  144).  Karabacek  hat  nicht  nur  das  Material,  Textur,  Geflecht,  Knüpfung, 
Farben  und  Dessin  geprüft  und  Uterarisch  zu  belegen  versucht,  er  geht  der  Terminologie, 
der  Geschichte  des  Teppichwesens,  der  Chronologie,  der  Symbolik,  den  historischen,  wirt- 
schaftlichen und  kulturellen  Beziehungen  nach  —  kurz,  in  der  Fragestellung  leistet  er 
eine  bahnbrechende  Arbeit,  aber  die  Resultate  sind  großenteils  verfehlt,  und  zwar  verfehlter, 
als  sie  bei  dem  gleichen  Material  ohne  die  KARABACEKsche  Phantasie  und  Selbstsicher- 
heit unschwer  zu  erzielen  gewesen  wären.  Aber  gewiß  ist,  daß  er  frühzeitig  paläogra- 
phisch  wie  archäologisch  und  historisch  vieles  gesammelt  und  manches  auch  angeschnitten 
hat,  was  spätere  besonnenere  Arbeiter  im  Verlaufe  ihrer  eignen,  von  ihni  völlig  unabhän- 
gigen Studien  auch  gesehen  und  richtiger  und  begründeter  dargestellt  haben.  Karabacek 
hat  in  späteren  Jahien,  als  er  an  der  Spitze  der  Hofbibliothek  mehr  Hofmann  als  Ge- 
lehrter geworden  war,  nicht  mehr  die  Zeit  gehabt,  all  das  herauszubringen,  was  er  in  sei- 
nen arbeitsreichen  Jugendjahren  in  Aussicht  genommen  und  zum  Teil  begonnen  hatte. 
Kam  dann  jemand  anders  mit  einer  Arbeit  heraus,  die  ein  Gebiet  streifte,  über  das  er 
auch  Sammlungen  besaß,  so  empfand  er  das  als  eine  unerlaubte  Jagd  auf  seinem  Revier 
und  wollte  gern  noch  schnell  seine  Prioritätsansprüche  anmelden.  Daß  er  dabei  gerade 
auf  kunstgeschichtlichem  Gebiet  sehr  bedenkHche  Methoden  angewandt  hat,  beweist  die 
Diskussion  über  Riza-i  Abbasi  (ed.  Sarre  und  Mittwoch)  im  H.  Bande  dieser  Zeit- 
schrift, wozu  man  auch  Littmanns  Besprechung  in  den  Göttinger  Gelehrten  Anzeigen  1917, 
Nr.  II  u.  12,  S.  601  ff.,  vergleichen  wolle. 

Nicht  minder  charakteristisch  für  diese  keinem  andern  etwas  gönnende  Art  Kara- 
BACEKs  war  seine  Mitarbeit  bei  der  großen  Akademiepublikation  des  von  Musil  ent- 
deckten Wüstenschlosses  Ku$ejr  'Amra  (Wien  1907).  Musil  gab  den  Reisebericht  und 
schilderte  den  historischen  Hintergrund.  Am  Schluß  desselben  merkt  man  deutlich,  daß 
der  Entdecker  die  Entstehung  des  Schlosses  allein  in  omajjadischer  Zeit  für  möglich  hält. 
Er  darf  es  aber  nicht  aussprechen,  weil  Karabacek,  der  epigraphische  Fachmann  der 
Akademie,  die  Lesung  der  Inschrift  und  die  archäblogische  Bestimmung  des  Baues  an  sich 
gerissen  hatte.    Entziffern  konnte  zwar  auch  er  die  Inschrift  nicht,  aber  er  las  sie  eben, 


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Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  ^■iy 

Und  auf  Grund  seiner  aller  Vernunft  hohnsprechenden  Lesung  mußte  er  zu  einer  viel 
späteren  Datierung  des  Baues  kommen.  Durch  die  Zusammenarbeit  von  Littmann  und 
NÖLDEKE  sind  dann  Inschrift  und  Bilddeutung  einwandfrei  im  Sinne  der  MusiLschen 
Vermutung  festgestellt  worden.  Die  ganze  Publikation  ist' trotz  ihrer  prachtvollen  Aus- 
stattung, auch  abgesehen  von  Karabaceks  Mitarbeit,  ein  historisches  Dokument,  zu 
welchem  Unfug  ein  eifersüchtiger  Akademieklüngel  fähig  ist.  Die  Hauptschuld  aber  trägt 
Karabäcek,  über  dessen  Beitrag  in  ZA.  XX,  355  ff.,  das  Nötige  gesagt  ist. 

Wenn   man  die  ganze,  im  Vorstehenden  genannte  Literatur  wieder  einmal  im  Zu- 
sammenhang gelesen  hat,  fällt  es  schwer,  die  nötige  Objektivität  dem  Anstifter  so  viel 
wissenschaftlichen  Unheils  gegenüber  zu  bewahren.      Immerhin  ist   es  auf  dem  dritten 
großen  Arbeitsgebiet  Karabaceks,  der  arabischen  Papyrologi  e,  möglich,  ohne  unwahr 
zu  sein,  dem  Verstorbenen  ein  Wort  des  Dankes  und  der  Anerkennung  nachzurufen.     Er 
hat  nun  einmal  den  Strom  der  arabischen  Papyri  nach  Wien  geleitet,  er  hat  seine  höfischen 
Beziehungen  im  Dienst  der  Wissenschaft  ausgenutzt  und  die  schöne  Sammlung  des  Pa- 
pyrus  Erzherzog  Rainer  in  der  K.  K.  Hofbibliothek  geschaffen.   Ich  darf  auf  die  ein- 
gehende Würdigung  und  Zusammenstellung  seiner  Publikationen  verweisen,  die  ich  in  der 
Einleitung  zu  Papyri  Schott-Reinhardt  I  (Heidelberg  1906)  gegeben  habe.    Karabacek  hat 
das    Material    gesammelt  und  erhalten,  er  hat  darauf  bei  jeder  Gelegenheit  aufmerksam 
gemacht  und  interessante  Bruchstücke  daraus  veröffentlicht  — •  er  hat  aber  30  Jahre  lang 
verhindeit,  daß  dieseganz  einzigartigen  Urkunden  wissenschafthcher  Bearbeitung  wirklich 
zugänglich  gemacht  wurden.    Jede  Kontrolle  war  unmöglich.    Seit  mehr  als  25  Jahren  sind 
Lichtdrucktafeln  der  wichtigsten  Stücke  hergestellt,  abersie  waren  zu  seinen  Lebzeiten  eben- 
sounzugänglich wie  die  Originale.  Abgesehen  von  einigen  veröffentlichten  Brocken,  war  man 
auf  den  Führer  durch  die  Ausstellung  angewiesen,  der  kurze  Inhaltsangaben  enthält.   Wollte 
man  auf  diesem  Gebiet  überhaupt  arbeiten,  so  mußte  man  den  Führer  zitieren.     Niemand 
hat  das  so  häufig  getan  wie  ich,  niemand  hat  den  Nutzen  dieses  Buches,  an  dem  auch  bei 
den    frühislamischen  Papyri    Wesselv  ungenannt,    aber  entscheidend  mitgearbeitet  hat, 
so  oft  hervorgehoben;  aber  gerade  deshalb  fühle  ich  mich  verpflichtet  zu  sagen,  daß  m.  E. 
die  einstige  Veröffentlichung  der  Papyri  selbst  eine  Katastrophe  für  diesen  Führer  bedeuten 
wird.     Die  ganze  Unsolidität  und  Phantasterei  der  KARABACEKSchen  Arbeitsweise  liegt  in 
diesem  Buch  allerdings  noch  unter  dem  Schleier,  aber  ich  habe  ihn  an  einigen  Stellen  lüften 
können,  und   seitdem  ist  mein   früherer  Glaube  an   diesen  Führer  dahin.  —  Weil  ich  mir 
nicht  denken  kann,   daß  dieser  Mann,  der  überall,  wo  man  ihn  kontroUieren  kann,  sich  so 
unzuverlässig  erweist,   auf  einem  andern  Gebiete  unumstößliche  Resultate  geschaffen  hat, 
steheich  auch  seinen  großen  Arbeiten  zur    Papiergeschichte  in  den  von  ihm  heraus- 
gegebenen großen  Sammelbänden  der  ■Mitteilungen  aus  der  Sammlung  der  Papyrus  Erzherzog 
Rainer  skeptisch  gegenüber,  obwohl  mir  nicht  bekannt  ist,  daß  ihre  Resultate  bisher  angefoch- 
ten wären.    Meines  Wissens  hat  sich  aber  auch  noch  niemand  eingehend  damit  beschäftigt. 
Noch   nicht  berührt  sind  endUch  in  meiner  Würdigung  des  Papyrologen  Karabacek  seine 
späteren   Veröffentlichungen   über   Die   arabischen   Papyrusprotokolle   {Zur   Orientalischen 
Altertumskunde  II,  S.  B.  1908),   die  sich  im  wesentfichen  mit  mir  auseinandersetzen  und 
auf  die  ich  in  ZA.  XXII,'  166  ff.  ausführlich  eingegangen  bin').     Für  sie  gilt  das  gleiche, 
das  oben  über  Susandschird  gesagt  ist. 

Anderthalb  Jahre  sind  seit  dem  Tode  Karabaceks  verflossen;  es  hat  sich  aber  noch 
niemand  bereit  gefunden,  eine  wissenschaftliche  Würdigung  seines  Lebenswerks  und  seiner 


')  Zur  Frage  vgl.  neuerdings  V.  Gardthausen  in  Zeiischr.  des  deul  sehen  V  er  eins  für 
Buchwesen  u.  Schrifttum  1919,  Nr.  9/10,  S.  97  ff.  u.  H.  I.  Bell  inj.  of  Hell.  Stud.  XXXVII 
C1917)  p.  56—58. 


S'^B  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

Persönlichkeit  zu  schreiben,  jedenfalls  ist  mir,  abgesehen  von  einigen  rein  formalen  Zeitungs- 
notizen, nichts  derartiges  zu  Gesicht  gekommen.  Es  ist  bezeichnend,  daß  niemand  dies 
Bedürfnis  empfand.  Gerade  wer  ihm  wohl  wollte,  schwieg.  Unseie  Zeitschrift  hätte  sich 
aber  durch  Verschweigen  der  Geschichte  gegenüber  mitschuldig  gemacht.  De  mortuis 
nil  nisi  vere.  C.    H.    Becker. 


Friedrich  Schwally^) 

war  geboren  am  lO.  August  1863  zu  Butzbach  in  Oberhessen.  Er  entstammte  kleinen 
Verhältnissen,  sein  Vater  war  Eisenbahn-Lademeister;  er  verlor  ihn  früh,  und  die  Mutter 
mußte  sich  mühsam  mit  ihren  zwei  Kindern  durchs  Leben  schlagen.  Er  hat  früh  Armut 
und  Entbehrung  kennengelernt;  als  Gymnasiast  und  Student  war  er  stets  darauf  ange- 
wiesen, durch  Privatstunden  sich  fortzuhelfen. 

Er  besuchte  zunächst  die  Volksschule  und  die  höhere  Bürgerschule  seiner  Vater- 
stadt, dann  das  G^Tnnasium  in  Darmstadt  und  verließ  dies  1883  mit  dem  Zeugnis  der 
Reife.  In  Gießen  hat  er  31/2  Jahre  Theologie  und  Orientalia  studiert.  Bernhard  Stade 
hat  ihn  hier  besonders  angezogen  und  in  ihm  die  Liebe  zum  Alten  Testament  und  zu  den 
Orientalia  geweckt.  Nach  bestandenem  Fakultätsexamen  ging  er  1887  nach  Straßburg, 
vor  allem  um  bei  Nöldeke  seine  philologischen  Kenntnisse  zu  vertiefen  und  erweitern. 
Sein  Ziel  war,  sich  dem  Alten  Testament  zu  widmen.  1888  wurde  er  in  Gießen  auf  Grund 
einer  alttestamentlichen  Arbeit»),  die  von  Stade  als  Referenten  beurteilt  wurde,  zum 
Dr.  phil.  promoviert,  erwarb  1889  ebendort  die  Fakultas  für  das  höhere  Lehramt  für  Reli- 
gion, Hebräisch  und  Deutsch,  war  kurze  Zeit  ak  Hilfslehrer  am  Ludwig-Georgs-Gym- 
nasium in  Darmstadt  tätig  und  beabsichtigte  sich  in  Halle  für  das  Fach  des  Alten  Testa- 
ments zu  habilitieren.  Zwei  Arbeiten  werden  seine  wissenschaftliche  Befähigung  dazu 
erweisen:  »Das  Buch  Ssefanjä,  eine  historisch-kritische  Untersuchung«  3)  —  auf  Grund 
dieser  Arbeit  wurde  er  1891  in  Gießen  zum  Lic.  theol.  promoviert  — ,  und  i>Das  Lehen 
nach  dem  Tode  nach  den  Vorstellungen  des  alten  Israels  und  des  Judetitums,  einschließlich 
des  Volksglaubens  im  Zeitalter  Christi«,  Gießen  1892.  Der  in  dieser  Schrift  versuchte  Nach- 
weis, daß  die  jüdische  Eschatologie  nicht  aus  der  »Offenbarungsreligion «,  sondern  aus 
dem  semitischen  Heidentum  stamme,  fand  keine  Gnade  vor  der  Hallenser  Fakultät.  Die 
Arbeit  wurde  wegen  ihrer  Resultate  als  Habilitationsschrift  nicht  angenommen.  Das 
war  eine  bittere  Enttäuschung  für  Schwallv  und  wurde  der  Anlaß,  daß  er  sich  nun  ganz 
wesentlich  den  Orientalia  widmete.  1893  hat  er  sich  in  Straßburg  für  das  Fach  der  semiti- 
schen Sprachen  habilitiert.  Die  alttestamentlichen  Studien  hat  er  aber  auch  später  nicht 
vernachlässigt.  Davon  zeugt,  abgesehen  von  kleinere'n  Aufsätzen  4),  die  seinem  Lehrer 
Stade  bei  seinem  25jährigen  Professorenjubiläum  gewidmete  Arbeit  ^Semitische  Kriegs- 

0  Ich  habe  Schwally  persönlich  nur  flüchtig  gekannt.  1904  suchte  er  mich  in  Kairo 
auf,  1914  sah  ich  ihn  in  Halle  und  dann  in  Gießen  wieder.  Mir  standen  für  die  folgende 
Skizze  Gießener  Universitätsakten  und  eingehende  Mitteilungen  von  Frau  Prof.  Schwallv 
zu  Gebote. 

*)  Die  Reden  des  Buches  Jeremia  gegen  die  Heiden  XXV.  XLVI— LI  untersucht, 
=  ZAW.  VIII  1888,  S.  177-^214. 

3)  Erschien  in  ZAW.  X  1890,  S.  165—240. 

4)  Miszellen,  ZAVV.  XI  1891,  S.  169^183,  253-— 260;  Zur  Quellenkritik  der  histori- 
schen Bücher,  ZAW.  X  1892,  S.  153— 161;  Die  Rasse  der  Philister,  Z.  f.  wiss.  Tlieol.  XXXIV 
1890,  S.  103--8,  255;  Über  einige  palästinische  Völkernamen,  ZAW.  XVIII  1898,  S.  126 
bis   148;   Lexikalische  Studien,  ZDMG.  LH   1S98,   S.  132— 148,   511  f.;  LIII  1899,   S.  197 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  ^-^O 

altertümer  I,  der  heilige  Krieg  im  alten  Israel«,  Leipzig  1901,  in  der  er  den  Versuch  macht, 
unter  Beibringung  eines  reichen  ethnologischen  Materials,  in  das  er  sich  sehr  gut  einge- 
arbeitet hatte,  Erscheinungen  und  Einrichtungen  im  alten  Israel  zu  erklären,  davon  zeugt 
die  mit  Stade  gemeinsam  vorgenommene  Bearbeitung  der  Königsbücher  (Th£  Book  of 
Kings,  critical  edition  of  the  Hehrew  Text  printed  in  colors  .  .  .  with  notes;  Leipzig,  London, 
Baltimore  1904),  davon  zeugen  ferner  neben  einer  Fülle  von  Einzelrezensionen ')  die 
Sammelreferate,  die  er  für  das  Archiv  für  Religionswissenschaft  über  (alte)  semitische  Reli- 
gion im  allgemeinen,  israelitische  und  jüdische  Religion  erstattet  hat  ^).  »Ich  habe  immer 
den  Eindruck  gehabt,  daß  seine  erste  und  tiefste  Liebe  doch  dem  Studium  des  Alten  Testa- 
ments galt«,  so  schreibt  mir  seine  Gattin.  Als  er  1906  Stade  während  seiner  Krankheit 
und  nach  seinem  Tode  vertreten  hatte,  hat  die  theologische  Fakultät  in  Gießen  ernst- 
haft den  Gedanken  erwogen,  ob  sie  Schwally  als  Stades  Nachfolger  vorschlagen  sollte. 
ScHWALLY  wäre  damals  noch  gern  bereit  gewesen,  wieder  Alt  testamentler  zu  werden. 
Es  ist  aus  der  Sache  nichts  geworden;  aber  seine  Ausführungen  mit  Bezug  darauf  an  die 
theologische  Fakultät,  auf  deren  Anfrage  hin,  sind  für  seine  Stellung  zum  Alten  Testa- 
ment sehr  charakteristisch,  und  ich  führe  einiges  daraus  hier  an:  »So  notwendig  es  auch 
ist,  daß  der  Vertreter  eines  akademischen  Lehrfaches  eben  diese  Disziplin  in  den  Vorder- 
grund seines  wissenschaftlichen  Betriebes  stellt,  so  darf  man  sich  doch  keiner  Täuschung 
darüber  hingeben,  daß  alle  größeren  Fortschritte  in  der  alttestamentlichen  Wissenschaft 
von  Mäimern  ausgegangen  sind,  welche  zugleich  bedeutende  Orientalisten  waren  (Hein- 
rich Ewald,  Eduard  Reuß,  Carl  H.  Graf,  J.  Wellhausen,  A.  Kuenen,  B.  Stade).  Einzig 
und  allein  durch  fortgesetztes  Studium  der  semitischen  Literaturen  und  Altertümer,  so- 
wie der  Religionsformen  des  Erdkreises  kann  sich  die  alttestamentliche  Wissenschaft 
auf  der  Höhe  halten,  die  sie  durch  Wellhausen  und  Stade  erreicht  hat.  .  .  .  Ich  würde 
keine  Veranlassung  haben,  meine  Überzeugungen  einer  Revision  zu  unterziehen.  Für 
mich  ist  auch  die  primitivste  Religion  weder  eine  Kuriosität,  noch  eine  pathologische 
Erscheinung,  sondern  ein  Ausfluß  des  der  menschlichen  Psyche  angeborenen  Dranges, 
das  hinter  der  sichtbaren  Welt  stehende  Geheimnis  des  Göttlichen  zu  erfassen,  und  damit 
eine  Vorstufe  zu  der  Religion,  welche  der  Menschheit  die  höchsten  sittlichen  und  idealen 
Güter  garantiert.« 

In  Straßburg  hat  er  8  Jahre  lang  der  Universität  angehört.  Es  waren  für  ihn  stille 
Arbeitsjahre.  1895  hat  er  sich  verheiratet;  der  sehr  glücklichen  Ehe  sind  zwei  Töchter 
entsprossen.  —  Bald  nach  seiner  Habilitation  veröffentlichte  er  das  >>Idioticon  des  Christ- 
lich-Palästinischen  Aramäisch«  (Gießen  1893).  Im  übrigen  beschäftigten  ihn  die  Vorarbeiten 
zur  Herausgabe  des  Kitab  al-makäsin  wa-l-masäwl  des  Ibrahim  b.  Muhammad  al- 
BaihaqT,  eines  von  den  Adab-Werken,  in  denen  Personen  und  Ereignisse  unter  dem 
doppelten  Gesichtspunkte  der  anziehenden  und  abstoßenden  Züge  behandelt  werden. 
Baihaqls  Werk  ist  wohl  der  älteste  Repräsentant  dieser  Literaturgattung.  Mehrfache 
Reisen,  nach  Leiden,   Paris,  London,  Berlin,  waren  dafür  notwendig.    1900  erscliicn  die 


bis  201;  Einige  Anmerkungen  zum  Buche  Hioh,  7.AW-  XX  1900,  S.  44 — -48;  Die  biblischen 
Schöpf toigsberichte,  ARW.  IX  1906,  S.  159 — 175;  Die  aram.  Papyri  von  Elephantine,  OLZ. 
XV   1912,   S.  160—170;   Zum  hebr.  Nominalsatz,  ZDMG.  LXVIII   1914,  S.  iii— 117. 

■)  In  der  Theol.  Literaturzeitung  war  er  von  1888  ab  bis  zu  seinem  Tode  ein  sehr 
eifriger  Rezensent;  Rezensionen  von  ihm  erschienen  ferner  in  DLZ.,  später  im  Lit.  Zentral- 
blatt, in  OLZ.  und  ARW. 

^-)  Bd.  VIII  1905,  S.  275-285;  IX  1906,  S.  500-515;  XII  1909,  S.  555—573;  XVI 
1913,  S.  233-^252;  XIX  1916,  S.  347^382,  dies  die  letzte  Arbeit,  deren  Fertigstellung 
er  noch  erlebt  hat. 


2aÖ  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeiget^, 

erste  Lieferung  des  Werkes,  1902  lag  es  fertig  vor.  Die  Preußische  Akademie  der  Wissen- 
schaften hatte  eine  namhafte  Unterstützung  für  die  Drucklegung  des  Werkes  bewilligt. 
ScHWALLY  widmete  das  Werk  de  Goeje,  Goldziher  und  Nöldeke,  und  wollte  mit  dieser 
Widmung  »öffentlich  Zeugnis  ablegen,  wieviel  der  Lehrling  dem  Rate  und  der  Hilfe  dieser 
Meister  verdankt«.  Er  hat  sich  mit  dieser  Ausgabe  vortrefflich  als  Arabist  eingeführt.  1900 
wurde  er  zum  außerordentlichen  Professor  in  Sträßburg  ernannt,  1901  auf  das  neubegrün- 
dete Extraordinariat  für  semitische  Sprachen  an  seiner  Heimatsuniversität  Gießen  berufen'). 

13  Jahre  hat  er  hier  als  Lehrer  und  Forscher  gewirkt  ^).  Als  er  im  Jahre  1906  den 
Ruf  auf  den  neubegründeten  Lehrstuhl  für  Arabisch  an  der  muhammedanischen  Hoch- 
schule zu  Aligarh  (Indien)  abgelehnt  hatte,  wurde  er  persönlicher  Ordinarius,  und  zum 
I.  April  1908  wurde  seine  Professur  zum  etatsmäßigen  Ordinariat  umgewandelt. 

Noch  in  Straßburg  liegen  die  Anfänge  für  das  Werk,  das  so  recht  eigentlich  als 
ScHWALLYs  Lebenswerk  angesprochen  werden  kann,  und  das  ihn  während  der  Gießener 
Zeit  und  später  bis  an  sein  Lebensende  beschäftigt  hat:  die  Neubearbeitung  von  Nöldekes 
»Geschichte  des  Qoräiis«.  1860  war  dies  von  der  Pariser  Akademie  preisgekrönte  Werk  er- 
schienen. 1898  stellte  sich  das  Bedürfnis  nach  einer  Neubearbeitung  heraus,  und  da  Nöl- 
deke selber  diese  nicht  mehr  übernehmen  wollte,  schlug  er  Schwally  dafür  vor.  Ein- 
gehende Studien  insbesondere  der  umfangreichen,  seit  1860  zugänglich  gewordenen  Hadlth- 
Literatür  waren  notwendig.  Daneben  lag  Schwally  daran,  den  Orient  kennenzulernen, 
zumal  Kairo,  das  Zentrum  der  islamischen  Gelehrsamkeit,  zog  ihn  an.  In  den  Jahren 
1903  und  1904  hat  er  sich  je  3  Monate  lang  im  Frühjahr  in  Ägypten,  hauptsächlich  Kairo, 
aufgehalten.  Über  seine  Arbeiten  dort  hat  er  in  eingehenden  Berichten  an  das  hessische 
Ministerium,  das  ihm  Reiseunterstützungen  bewilligt  hätte,  Auskunft  gegeben.  1903 
mußte  er  zunächst  die  Volkssprache  erlernen;  daneben  widmete  er  sich  handschriftlichen 
Studien  auf  der  Khedivial-Bibliothek  und  erlernte  zuerst  in  der  Azhar-Moschee,  dann 
bei  Privatlehrern  die  Technik  und  Theorie  der  Korän-Lesekunst.  1904  hat  er  diese  Studien 
fortgesetzt.  Er  hat  diesmal  zeitweise  bei  einem  arabischen  Gelehrten  gewohnt,  dessen  Haus 
von  europäischen  Einflüssen  frei  war;  durch  ihn  fand  er  Eingang  in  andern  muslimischen 
Häusern  und  hatte  Gelegenheit  zu  manchen  wertvollen  Beobachtungen  3).  »Der  Haupt- 
zweck der  beiden  Reisen,  die  Sammlung  der  Materialien  zur  Geschichte  des  ^oräns,  darf, 
soweit  Ägypten  in  Betracht  kommt,  als  erreicht  bezeichnet  werden«,  so  schreibt  Schwally 
an  das  Ministerium. 

1909  erschien  der  erste  Teil  seiner  Neubearbeitung  von  Nöldekes  Geschichte  des 
Qoräns\  er  enthält  den  Abschnitt:  Über  den  Ursprung  des  Qoräns,  und  stellt  sich  als  eine 
sehr  gründliche,  besonnene  Arbeit  dar.  »Die  Bearbeitung  hat  sich  sehr  lange  hingezogen«, 
so  schreibt  er  in  der  Vorrede,  »weil  ich  unter  der  Last  anderer  literarischer  Aufgaben  und 
einer  vielseitigen  Lehrtätigkeit  4)  mich  der  Qoränforschung  nur  mit  großen  Unterbrechungen 

")  Von  Publikationen  aus  der  Straßburger  Zeit  erwähne  ich  noch  den  Überblick 
über  die  semitischen  Kulturvölker  Vorderasiens  in  der  4.  Auflage  von  Hellwalds  Kullitr- 
geschichte  I  1896  (399—496);  Die  Kultur  des  Islams  im  Mittelalter,  ebenda  Bd.  III  1897 
(235-352);  Das  Verhältnis  von  Mnhammedanern,  Juden  und  Christen  im  heutigen  Tunis, 
ARW.  II  1899,  S.  252—258;  —  Zur  Theorie  einiger  Possessiv-  und  Objektsuffixe  im  Syri' 
sehen,  ZDMG.  LI  1897,  S.  252— 255;  »Zur  ältesten  Baugeschichte  der  Moschee  des^Amr  in 
Altkairo«,  in  der  Straßburger  Festschrift  zur  XLVI.  Vers,  deutscher  Philologen  und 
Schulmänner  1901. 

*)  Er  ist  von  Gießen  aus  oft  zu  Vorlesungen  und  Vorträgen  in  Frankfurt  a.  M.  heran- 
gezogen worden. 

3)  Vgl.  »Aegyptiaca«,  Schwall Ys  Beitrag  zur  Nöldeke- Festschrift,  1906,  S.  417— 424. 

4)  Die  Vertretung  Stades  (s.  0.  S.  239)  fiel  in  diese  Zeit. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  ^j^j 

widmen  I<onutc.«  Auch  durch  eine  Studienreise  Schvvallys  nach  der  Türkei  im  Sommer 
1908  war  der  Druck  um  '/j  Jahr  aufgehahen  worden.  Das  Werk  ist  Goldziher  und  Snouck 
HuRGRONjE  ^)  gewidmet,  denen  er  sich  zu  besonderem  Danke  verbunden  .bekennt.  »Der 
zweite  Teil  einschließlich  der  literarischen  Einleitung  soll  im  nächsten  Jahre  erscheinen«, 
so  heißt  es  in  der  Vorrede.  Inzwischen  waren  fast  10  Jahre  vergangen,  ohne  daß  dies  Ver- 
sprechen eingelöst  war.  Man  wußte,  daß  Schwally  bis  zuletzt  mit  größtem  Eifer  an  dem 
Manuskript  dieses  Teiles,  ^Die  Sammlung  des  Qoräns«.  enthaltend,  gearbeitet  hat  -).  Mir 
schrieb  er  zuletzt  im  Juli  19 18,  daß  er  immer  noch  mit  der  Reinschrift  des  Manuskripts 
beschäftigt  sei,  und  seine  Gattin  schreibt  mir,  daß  er  bis  Weihnachten,  bis  an  die  äußerste 
Grenze  der  Möglichkeit  noch  täglich  daran  gearbeitet  habe,  und  daß  bis  zum  Tage  vor 
seinem  Tode  seine  Gedanken  bei  seiner  Arbeit  waren.  Glücklicherweise  hat  sich  heraus- 
gestellt, daß  er  das  Manuskript  so  gut  wie  druckfertig  hinterlassen  hat.  Es  ist  im  Herbst 
1919  erschienen,  und  hat  die  darauf  gesetzten  Erwartungen  wahrlich  nicht  enttäuscht  3). 

Seine  Reise  nach  der  Türkei,  die  er  schon  für  1907  plante,  aber  erst  im  Sommer  1908 
zur  Ausführung  brachte,  sollte  der  Erlernung  der  türkischen  Umgangssprache  und  dem 
Studium  der  Bewegungen  innerhalb  des  türkischen  Islams  nach  ihrer  religiösen,  nationalen 
und  kulturellen  Seite  dienen.  Er  hat  sich  hauptsächlich  in  Konstantinopel  aufgehalten 
und  hat  hier  mit  Snouck  Hurgronje  zusammen  4)  die  ersten  denkwürdigen  Zeiten  der 
türkischen  Revolution  mit  erlebt.  Von  seinen  Eindrücken,  die  er  damals  erhielt,  hat  er 
später  im  Anschluß  an  Martin  Hartmanns  »Unpolitische  Briefe  aus  der  Türkei«  in  der 
Frankfurter  Zeitung  5)  berichtet.  Seine  Hoffnung,  in  Konstantinopel  alte  Qoränhand- 
schriften  studieren  zu  können,  hat  sich  nicht  erfüllt.  Doch  hat  er  die  allerdings  für  seine 
Ausgabe  wohl  nicht  sehr  belangreiche  Ibn  Sa'd-Handschrift  der  Bibliothek  Weli-eddln 
Efend'i  in  Stambul  eingesehen. 

Die  Herausgabe  eines  Teiles  der  Tabaqät  des  Ibn  Sa'd  war  Schwallys  nächste 
größere  Arbeit.  Auf  ihn  war  die  Bearbeitung  von  Bd.  II,  2  gefallen:  »Letzte  Krankheit, 
Tod  und  Bestattung  Muhammeds  nebst  Trauei'gedichten  über  ihn;  Biographien  der  Kenner 
des  kanonischen  Rechtes  und  des  Korans,  die  zu  Lebzeiten  des  Propheten  und  in  der  folgen- 
den Generation  in  Medina  gewirkt  hatten.«  Die  Ausgabe  erschien  1912.  Er  war  für  diese 
Arbeit  durch  seine  KLoränstudien  besonders  geeignet.  Die  Anmerkungen  zeugen  von  seiner 
guten  Kenntnis  und  sorgfältigen  Verarbeitung  der  Hadith-Literatur  6). 

Im  Frühjahr  1912  hat  er  seine  letzte  Orientreise  unternommen.  Sein  Ziel  war  wieder- 
um Ägypten.  »Zwei  Aufgaben,  denen  ich  mich  bis  jetzt  nur  gelegentlich  widmen  konnte, 
sind  nunmehr  erst  in  ihrer  ganzen  Wichtigkeit  von  mir  erkannt  worden:  i.  Die  Aufnahme 


')  Diesem  war  er  besonders  in  Konstantinopel  persönlich  nähergetreten. 
')  In    der    Sachau- Festschrift,    Berlin    1915,    S.  321 — -325    veröffentlichte    Schwali.y 
»Betrachtungen  über  die  Ko)-ansanimlung  des  Abu  Bekr«. 

3)  H.  Zimmern  in  Leipzig,  der  Schwager  Schwallys,  hat  das  Werk  durch  die  Presse 
geführt,  A.  Fischer  die  Korrekturen  mitgelesen.  Den  dritten  Teil  des  Werkes,  »Die 
Lesarten  des  Qoräns«  betreffend,  hatte  Schwally  noch  kaum  ernstlich  in  Angriff  genommen. 
Für  ihn  ist  in  G.  Bergsträsser  ein  Bearbeiter  gewonnen,  so  daß  das  Werk  wohl  in  einigen 
Jahren  vollständig  vorliegen  wird. 

4)  Vgl.  Snouck  Hurgronjes  Studie  »Jong-Tjirkije,  Herinneringen  tiit  Stambol, 
25.  Juli  bis  23.  September  1908,  in  de  Gids  iQoq,  Nr.  i.  Schwally  war  von  Anfang  August 
bis  Ende  Oktober  in  Konstantinopel. 

5)  »Gedanken  über  die  Zukunft  der  Türkei«,  Nr.  133  vom   15.  Mai    1910. 

^)  Von  andern  Publikationen  Schwallys  aus  der  Gießener  Zeit  kenne  ich:  Zum 
arabischen   Till  Eulenspiegel,    ZDMG.    LVI    1902,    3.237!.;    Planetennamen   in    Wolframs 

Islitn    X.  l5 


^ä2  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

der  muhammedanischen  Heiligengräber  und  des  Kultus,  der  an  ihnen  geübt  wird,  2.  das 
Studium  der  Sitten  und  Gebräuche  von  Beduinen  und  Fellachen«,  so  hatte  Schwally 
am  Schlüsse  seines  Berichtes  über  seine  zweite  Reise  an  das  Ministerium  geschrieben,  und 
diese  Worte  geben  wohl  das  Programm  für  seine  diesmaligen  Studien  in  Ägypten  ab.  Was  er 
von  diesem  Programm  erreicht  hat,  hat  er  in  seiner  Arbeit  »Beiträge  zur  Kenntnis  des  Lebens 
der  mohammedanischen  Städter,  Fellachen  und  Beduinen  im  heutigen  Ägypten«,  niedergelegt'). 
Zum  I.  April  1914  wurde  Schwally  als  Nachfolger  von  Schulthess  nach  Königs- 
berg berufen.  Nicht  ganz  5  Jahre  hat  er  dort  wirken  können.  Die  Zeit  ist,  abgesehen  von 
seiner  Lehrtätigkeit  —  er  hat  zeitweise  auch  türkische  Kurse  in  Danzig  abgehalten  — 
ausgefüllt  gewesen  mit  Arbeiten  an  der  Geschichte  des  Qoräns. 

Ein  Herzleiden  hatte  sich  seit  einiger  Zeit  bei  ihm  ausgebildet.  Hervorgerufen  durch 
übermäßige  Anstrengung  des  Herzens  in  früheren  Jahren,  durch  vielleicht  allzu  eifriges 
Schwimmen,  Turnen,  Reiten,  Wandern,  war  das  Leiden  beschleunigt  und  verschlimmert 
worden  durch  die  Unterernährung  während  des  Krieges.  Dazu  hat  er,  ein  glühender  Patriot, 
unter  dem  Zusammenbruch  des  Vaterlandes  seelisch  sehr  gelitten.  Die  letzte  schwere 
Leidenszeit  —  seit  Anfang  November,  als  das  Leiden  anfing,  rapide  Fortschritte  zu  machen, 
fühlte  er,  daß  es  mit  ihm  zu  Ende  gehe  —  hat  er  mit  großer  Standliaftigkeit  und  Geduld 
getragen.  In  der  Nacht  von  4.  zum  5.  Februar  ist  er  dann  nach  fünfwöchentlichem  sehr 
schwerem  Krankenlager  am  Herzschlag  verschieden. 

Zur  Charakteristik  seiner  Persönlichkeit  gebe  ich  seiner  Gattin  das  Wort.  Sie  schreibt: 
Mein  Mann  hatte  Freude  am  Leben;  seine  liebste  Erholung  waren  Fußwanderungen,  deren 
er  in  jeden  Ferien  mehrere  unternahm.  So  hat  er  den  Schwarzwald,  die  Vogesen,  den 
Vogelsberg,  Taunus  und  die  Rhön  durchwandert  —  allein,  den  Rucksack  auf  dem  Rücken. 
Er  hatte  eine  wahrhaft  unverfälschte,  tiefe  und  reine  Freude  an  der  Natur,  an  Wald  und 
Feld  und  Berg  und  Tal.  Auch  die  Pflanzen  und  Blumen  am  Wege  interessierten  ihn.  Vor 
allem  zog  ihn  immer  das  Studium  des  Volkes  an.  Die  Dialekte,  die  örtlichen  Eigentüm- 
lichkeiten der  Bevölkenmg  interessierten  ihn,  und  diese  Beobachtungen  schienen  von 
besonderem  Reiz  für  ihn  zu  sein,  ob  es  sich  um  Ägypten  oder  den  Vogelsberg  handelte. 
Er  übernachtete  gewöhnlich  in  kleinen  Dörfern,  oft  in  den  allerprimitivsten  Wirtshäusern, 
fuhr  auch  mit  besonderer  Vorliebe  vierter  Klasse.  »So«,  meinte  er,  »lernt  man  Land  und 
Leute  am  besten  kennen.«  .  .  In  seinem  ganzen  Auftreten,  auch  in  seiner  Kleidung  und 
ganzen  Lebensweise  war  er  von  größter  Einfachheit  und  Schlichtheit.  Er  machte  an  Be- 
quemlichkeit und  Komfort  des  Lebens  gar  keine  Ansprüche.  Sonst  hätte  er  auch  schwer- 
lich das  Leben  im  Orient  bei  den  Muhammedanern  ertragen  können,  wo  es  Entbehrungen 
und  Unbequemlichkeiten  mehr  wie  genug  gab.  Er  war  eine  sehr  lebhafte,  ausgesprochene 
Persönlichkeit  und  machte  aus  seiner  Meinung  kein  Hehl. 

Gießener  Kollegen,  die  ihn  näher  kannten,  haben  mir  alles  dies  bestätigt;  sie  rühmen 
ihn  als  einen  sehr  zuverlässigen,  aufrichtigen  und  wahrheitliebenden  Menschen.  Er  hat 
sich  hier  wie  in  Königsberg  eine  sehr  geachtete  Stellung  erworben.  P.  Kahle. 


Parzival,  Zeitschr.  f.  deutsche  Wortforschung  III  1904,  S.  I40ff.;  Noch  einmal  die  Brief- 
taube (interessante  Ergänzungen  zu  einem  Aufsatze  von  F.  KLUGE-Freiburg)  Frankf.  Ztg. 
Nr.  25  vom  26.  Januar  1906.  —  Die  einheimischen  Juden  Abessiniens  (im  Anschluß  an 
Jacques  FaVtlovitch,  Quer  durch  Abessinien,  meine  zweite  Reise  zu  den  Falaschas)  Frankf. 
Ztg.  Nr.  41  vom  10.  Februar  191 1.  —  Ein  neues  afrikanisches  Semitenvolk}  (Kritik  von 
M.  Merker,  Die  Masai^  Ethnograph.  Monographie  eines  ostafrikan.  Semitenvolks,  Berlm 
1910)  in  Frankf.  Ztg.  Nr.  235  vom  25.  August  1911. 

')  Vgl.  hierüber  das  Referat  Beckers  im  Islam  IV  19 13,  S.  210. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  243 

Zu  S.  156. 

G.  Bergsträsser  und  G.  Levi  Della  Vida  machen  niicli  auf  den  Übersetzungs- 
fehler Zeile  30  ff,  aufmerksam.  Es  muß  natürlich  heißen :  Ein  Dichter  hat  scherzhaft  einen 
schönen  Knaben  angegriffen,  indem  er  sagt:  »Als  Chälid  ging,  war  seine  »Ware«  90  Dirhem, 
und  als  er  zurückkehrte,  war  sie  nur  noch  ein  Drittel  davon«.  Das  ist  eine  feine  Pointe 
und  ein  verborgener  obszöner  Angriff,  denn  er  sagt  damit,  daß  der  Genannte  Chälid 
»eng«  ging  und  »weit«  wiederkam. 

G.  Levi  Della  Vida  schreibt  ferner: 

Eines  der  ältesten  Zeugnisse  über  das  arabische  Fingerrechnen  befindet  sich  m.  VV. 
in  der  Stelle  Ibn  Sa'd  (f  230)  III  i,  5610— n.  »Der  berühmte  Gefährte  Muhammeds 
Hudaifa  b.  al-Jamänl  bildete  bei  der  Meldung  der  Ermordung  des  Chalifen  'Otmän 
(35  h.)  einen  Ring  mit  der  Hand,  wie  man  es  zum  Ausdruck  der  Zahl  10  zu  tun  pflegt, 
und  sagte  darauf:  ,So  ist  im  Islam  ein  Riß  gemacht  worden,  den  kaum  ein  Berg  aus- 
zufüllen  vermöchte  I '  ')  «. 

Zur  symbolischen  Bedeutung  der  arithmetischen  Fingerstellungen  läßt  sich  noch  eine 
Stelle  aus  den  Mcvzü'-ät  cl-'ulüm  des  Tasköprüzäde  i,  470  anführen.  Von  (dem 
Koranlescr)  Qälün  wird  erzählt:  Er  sagte:  So  oft  ich  bei  Näfi'  las,  machte  er  die 
Fingerstellung  30  und  sagte  zu  mir  qalon  I  qalon !  d.  h.  »gut!  gut!«  Der  Verfasser 
sagte :  »Mit  der  Fingerstellung  30  ist  gemeint,  daß  man  die  vier  F'inger  einschlägt  und 
den  Daumen  aufrichtet.  Sie  pflegen  nämlich,  wenn  sie  eine  Handlung,  die  von  einem 
Menschen  ausgeht,  schön  finden,  diese  Fingerstellung  einzunehmen  und  mit  dem  Daumen 
auf  die  Person  hinzuweisen  und  so  ihren  Beifall  auszudrücken.«  Daß  Näfi'  die  griechischen 
Worte  -/aXov  xaXov  braucht,  erklärt  sich  angeblich  daraus,  daß  der  Urahne  des  (^älün  ein 
unter  'Omar  kriegsgefangener  Grieche  war. 

Zu  S.  133,26.  tuffäh  weiwei  sind  offenbar  Apfel  des  Wa([wäqbaumes  (^^  >  g  >y)i 
auf  dem  neben  gewöhnlichen  Früchten  bekanntlich  auch  Tiere  und  Menschen  wachsen. 

H.  Ritter. 


Im  IX.  Bande  S.  253  des  Islam  erschien  eine  i>Groß7uarddn  eine  selbständige 
türkische  Pi-ovinz«.  betitelte  kleinere  Mitteilung  Prof.  G.  Jacobs,  in  der  festgestellt  wird, 
daß  Ungarn  unter  der  Türkenherrschaft  in  fünf  und  nicht  in  vier  Verwaltungsbezirke 
(ej'alet)  geteilt  war.  (Der  fünfte  Verwaltungsbezirk  war  Nagyvarad  (Großwardeinj.  Diese 
auf  Grund  Evlia  Cselebi's  schon  länger  vermutete  Feststellung  gelang  Jacob  mit  Hilfe 
einer  türkischen  Urkunde.  Der  richtigen  Erkenntnis  stand  für  Jacob  lange  Zeit  hindurch 
eine  Bemerkung  Salamon's  {^Ungarn  im  Zeitalter  der  Türkenherrschaft  S.  235)  hindernd 
im  Wege,  wo  fünf  Verwaltungsbezirke  angeführt,  aber  als  der  fünfte  der  bosnische  an- 
gegeben erscheint.     Der  Verwaltungzbezirk  Nagyvarad  blieb  hier  unerwähnt. 

Für  die  ungarische  Geschichtsforschung  ist  die  Anzahl  der  Ejalets  schon  lange 
keine  Streitfrage  mehr.  Durch  das  publizierte  überaus  reiche  historische  Material  ist 
Großwardein  als  fünfter  Verwaltungsbezirk  so  allgemein  bekannt,  daß  diese  feststehende 
historische  Tatsache  selbst  in  dem  für  die  unteren  Klassen  der  Mittelschulen  heraus- 
gegebenen historischen  Handatlas  von  Kogutowicz  Aufnahme  finden  konnte. 


')  »wÄsc     lAäc      c'*-'^.     "^^^"^    1  4^^3     iiÄX^    XäjiAp»    jLs     .jL^äc    J.xä    L^i 


CJ- 


Die    Stelle    ist   jetzt    in    Caetanis    Annali   dell   'Islam    8,192    (35a.  h.§  93)    übersetzt; 
wo  auch  auf  L. 'A.  11.  348,9—11    und  auf  Parallelstellen  bei  Buhärl  verwiesen  wird. 


2AA  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

Warum  Nagyvärad  bei  Saiamon  unter  den  Ejalcts  nicht  angeführt  erscheint,  ist 
bei  genauerem  Zusehen  leicht  zu  verstehen.  Die  Feststellungen  Salamon's  bezichen 
sich  auf  den  Anfang  des  17.  Jahrh.,  Nagyvärad  ist  aber  erst  1660  von  den  Türken 
erobert  worden,  folglich  konnte  Nagyvärad  als  fünfter  Verwaltungsbezirk  am  Anfang  des 
17.  Jahrhunderts  nicht  angeführt    werden. 

Schade,  daß  Herrn  Prof,  Jacob  bei  seinen  ungarisch  historischen  Forschungen  nicht 
genügende  ungarische  Quellen  zur  Verfügung  stehen.  Wären  ihm  die  Bände  III,  IV, 
und  V  der  in  den  60  er  Jahren  erschienenen  Türkisch-ungarischen  Staats-Urkunden- 
sammlung  {Törökmagyar  kort  ällamokniänytdr)  bekannt  gewesen,  so  hätte  er  sich  die 
Mühe  ersparen  können,  eine  Frage  zu  lösen,  die  längst  schon  befriedigend  beant- 
wortet ist. 

Budapest,    17.  März   1920.  Dr,  Franz  Zsinka. 


Zur  Futuwwa. 


Hermann  Thorning  hat  in  seiner  wertvollen  Arbeit  über  das  islamische  Vereins- 
wesen interessante  Aufschlüsse  über  die  muhammedanischen  Ritter-(Futuwwa-)bünde 
gegeben.  Zwar  behandelt  er  vornehmlich  die  in  den  Handwerkerzünften  verbiederte 
Form  dieser  Gesellschaften,  doch  ist  das,  was  er,  im  wesentlichen  nach  einer  Tübinger 
Handschrift,  über  den  alten,  vom  Zunftwesen  noch  weniger  berührten  Futuwwabund 
mitteilt  (S.  188  ff.),  genug,  um  uns  ein  Bild  von  diesen  in  ihrer  Form  so  merkwürdig  an 
unsere  studentischen  Korporationen  erinnernden  Gemeinschaftsbildungen  zu  geben. 

In  Ergänzung  zu  seinen  Ausführungen  sei  hier  auf  den  Abschnitt  Futuwwa  der 
persischen  Enzyklopädie  Nafcfis  e!-funüu  fi  masä^il  el-'uj'ün  des  Amull  (zwischen  735 
und  742  d.  H.)  hingewiesen,  dessen  Inhalt  uns  gewisse  wesentliche  Charakterzüge  dieser 
Bünde  verständlicher  macht  als  die  Auszüge  aus  der  Tübinger  Handschrift,  deren  Kenntnis 
wir  Thorning  verdanken.  Literarisch  muß  der  Abschnitt  bei  ÄmulI  übrigens  irgendwie 
mit  Thornings  Quelle  zusammenhängen.  Es  handelt  sich  um  Kapitel  6  bis  11  des  Ab- 
schnitts über  Mystik  (in  meiner  Handschrift  Fol.  118  v.  Z.  9  ff.).  Der  Inhalt  der  einzelnen 
Kapitel  soll  im  Folgenden  dargestellt  werden,  doch  aus  Zweckmäßigkeitsgründen  in  einer 
etwas  andern  Reihenfolge,  als  sie  das  Original  bietet.  Kapitel  6  und  9  seien  als  besonders 
charakteristisch  vorangestellt. 

Kapitel  6  handelt  über  den  Begründer  der  Futuwwa,  Abraham,  der  deswegen  der 
Vater  der  »Ritter«,  abu  ^l-fitjän.  genannt  wird.  Gott  ist  sein  Freund  und  Pir.  Abraham 
ist  es  der  die  Mühen  der  Reise  und  der  Wildnis,  die  Traurigkeit  des  Aufenthalts  in  der 
Fremde  neben  der  Lust  der  Liebe  zu  Gott  gering  und  nichtig  achtete,  Vaterland  und 
Freundschaft  um  seinetwillen  verließ  und  die  Götzen  zerstörte.  Er  ist  der  Begründer  der 
Sitte  des  Gastmahls  und  der  geseUigen  Vereinigung.  Er  erreichte  in  der  Futuwwa  eine 
solche  Höhe,  daß  er  sich  auf  Gottes  Geheiß  selbst  zur  Schlachtung  seines  Sohnes  Ismail 
anschickte,  und  beseligt  durch  den  bloßen  Klang  des  Namens  seines  Freundes  alles  hingab, 
was  er  besaß.  —  Abraham  besaß  in  seinem  Alter  große  Güter,  so  daß  der  Eizengel  Gabriel 
sich  wunderte,  wie  er  diesen  Reichtum  mit  seiner  Frömmigkeit  vereinigen  könnte.  Da 
sprach  der  Höchste  zu  ihm:  »Mag  er  auch  noch  so  viel  Güter  besitzen,  sein  Herz  ist  doch 
bei  mir-  wenn  du  willst,  so  versuche  ihn«.  Da  stieg  Gabriel  in  der  Gestalt  eines  Peri  herab 
zu  Abraham  und  sprach  mit  schöner  Stimme  den  Namen  des  Allerhöchsten  aus:  »Der 
Hochgepriesene,  der  Heihge,  der  Herr  der  Engel  und  des  Geistes!«  Da  ward  Abraliam 
er<^riffen,  er  kam  hervor  und  sprach:   »Mein  Leben  gebe  ich  hin  für  den  Namen  des  Freundes, 


» 


Kleine   Mitteilungen   und   Anzeigen.  245 

sag  es  doch  noch  einmal!«  Da  sprach  Gabriel:  »Gib  mir  ein  Drittel  von  allem,  was  du 
hast,  so  will  ich  den  Namen  wiederholen«.  Da  schenkte  ihm  Abraham  ein  Drittel  von  aller 
seiner  Habe,  und  Gabriel  sprach  dieselben  Worte  noch  einmal.  Da  ward  die  Ergriffenheit 
Abrahams  noch  heißer,  und  er  sagte:  »Alles,  was  ich  habe,  sei  dein,  nur  sage  es  noch 
einmal!« 

Der  zweite  »Ritter«  ist  Josef,  dann  folgen  Muhammed  und  Ali,  der  qiißji  juluiuwcl. 
Von  letzterem  ging  die  Futuwwa  auf  seine  Kinder  und  auf  Sclmän  und  Safwäu  über.  Alles 
das  wird  mit  Koran,  Hadit  und  Ätär  belegt. 

Kapitel  9  handelt  von  der  Annahme  der  Futuwwa  {der  ahzi  fiUimwct).  Daraus  sei 
hervorgehoben  die  Legende  von  der  Einsetzung  der  Bundeszeremonien  durch  den  Pro- 
pheten; die  wohl  als  die  eigentliche  Gründungslegende  des  Bundes  zu  gelten  hat.  ' 

Als  einst  der  Prophet  mit  einigen  der  Genossen  zusammensaß.  kam  ein  Mann  und 
berichtete,  er  habe  eben  in  einem  Hause  einen  Mann  und  eine  Frau  Unzucht  treiben  sehen, 
er  habe  die  Tür  zugeschlossen  und  erwarte  nun  den  Befehl  des  Propheten  über  die  An- 
gelegenheit. Mehrere  Genossen  bieten  sich  an,  nach  dem  Rechten  zu  sehen,  doch  Mu- 
hammed lehnt  alle  ab  bis  auf  Ali.  Dieser  geht  dann  auch  hin  und  öffnet  die  Tür,  schließt 
aber  dabei  die  Augen  zu  und  kehrt  zurück  mit  der  Meldung,  er  habe  nichts  gesehen. 
Muhammed  wußte  aber  durch  sein  prophetisches  Wissen,  wie  Ali  die  Untersuchung  geführt 
hatte,  und  sprach  zu  ihm:  »Du  bist  der  Ritter  dieser  Gemeinde.«  Darauf  forderte  er  einen 
Becher  mit  Wasser  und  etwas  Salz,  nahm  von  diesem  eine  Handvoll,  schüttete  es  in  den 
Becher  und  sprach:  »Das  ist  das  Gesetz«  (serVa),  und  nahm  zum  andern  Male  eine  Handvoll 
Salz,  schüttete  es  wieder  in  den  Becher  und  sprach:  »Das  ist  die  Wahrheit«  {haq'iqa)^). 
Dann  gab  er  den  Becher  AH  zum  Trinken  und  sprach :  »Du  bist  mein  Freund  {refiqi),  mein 
Freund  ist  Gabriel,  und  Gabriel  ist  der  Freund  Gottes«.  Dann  umgürtete  er  ihm  die  Hüften 
und  bekleidete  ihn  mit  dem  izär  mit  den  Worten:  »Ich  habe  dich  vollendet,  o  Ali«  (akmal- 
luka)  und  befahl  darauf  Selmän,  aus  der  Hand  Alis  zu  trinken,  dann  hieß  er  den  yadifa 
el- Jemäni  aus  Selmäns  Hand  trinken.  »Die  heutigen  Gebräuche  des  Umgürtens  und 
Hosenanziehens  und  Bechertrinkens  gehen  hierauf  zurück.« 

Könnte  die  Geschichte  von  Abraham  isoliert  noch  als  ein  Ausdruck  rein  religiös- 
mystischer  Gedanken  aufgefaßt  werden,  so  betont  die  Gründungslegende  noch  eine  be- 
sondere Seite  des  Bundes:  es  handelt  sich  in  ihr  offenbar  um  die  Darstellung  der  enthusi- 
astischen Freundschaft.  Abraham  gibt  für  den  bloßen  Klang  des  Namens^ des  ge- 
liebten Freundes  seine  ganze  Habe  hin.  Daß  dieser  Freund  in  diesem  Falle  Gott  ist,  bildet 
ein  Verbindungsglied  zur  Mystik;  Ali  aber  ist  der  Vertreter  eines  Ideals,  bei  dem  die  un- 
bedingte SoHdarität,  das  bedingungslose  Eintreten  für  einen  andern  Menschen,  auch  wo 
dieser  mit  seinen  Handlungen  gegen  allgemeingültige  sittliche  Normen  verstößt,  gefordert 
wird.  Diese  Antinomie  zwischen  allgemeingültigen  Normen  und  der  unbedingten  liebenden 
Bejahung  des  andern  und  der  daraus  abgeleiteten  Pflicht  des  unbedingten  Eintretens  für 
ihn  ist  abervon  jeher  als  das  eigenthche  Problem  der  Freundschaft  empfunden  worden. 
Dies  Problem  wird  im  Altertum  z.  B.  von  Theophrast  diskutiert,  vgl.  Gustavus  Heyl- 
I3UT,  De  Theophrasti  libris  Tiepi  cptXta?,  Diss.  Bonn  1876,  nach  ihm  von  Cicero  im  Laelius 
Kap.  II  f.,  wo  dieser  die  Frage  natürlich  in  dem  Sinne  beantwortet,  daß  das  Interesse 
des  Staates  über  aller  Freundschaft  stehen  müsse.  In  späterer  Zeit  wird  das  Problem 
z.  B.  von  Montaigne  in  seinem  Essay  über  die  Freundschaft  (I  27)  behandelt.  Dich- 
terisch ist  es  z.  B.  bearbeitet  worden  von  Carlo  Gozzi  im  »Triumph  der  Freund- 
schaftn,    wo    der    Freund    sich    nicht    scheut,    ungesetzliche    Mittel    zur    Befreiung    des 


')   Über  die  Bedeutung  dieser  Ausdrücke  s.  Thouninc;  a.  a.  0. 


2a6  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

gefallenen  und  mit  Recht  mit  Strafe  bedrohten  Freundes  anzuwenden,  bis  schließUch  der 
Vertreter  des  Gesetzes  selbst  sich  für  überwunden  durch  solche  Treae  erklärt  usw.  Auch 
Shakespeares   Stück:  Die  beiden   Veroneser  gehört  hierher. 

Nun  ist  da,  wo  diese  Freundestreue  gefordert  wird,  so  auch  in  dem  Futuwwabunde, 
der  ja  die  in  der  Legende  verletzte  Keuschheit  als  eines  seiner  Haupttugendideale  aufstellt, 
die  Meinung  offenbar  nicht  die,  daß  man  das  Allgemeingültige  dem  Freunde  zuliebe  preis- 
geben solle.  Die  Antinomie  wird  vielmehr  in  der  lebendigen  Synthese  gelöst.  Es  handelt 
sich  hier  doch  wohl  um  jene  sitthche  Einstellung  zum  andern:  »Voraussetzung  ist  der 
Glaube  an  den  andern,  daß  ihm,  und  der  Glaube  an  mich,  daß  mir  das  Suchen  des  All- 
gemeinen entscheidend  sei,  aber  nicht  das  Suchen  eines  Allgemeinen,  das  gleichsam 
irgendwo  als  Formel  auffindbar  sei,  sondern  des  Allgemeinen,  das  die  individuelle  Gestalt 
des  einzelnen  in  Entfaltung  ist«  (K.  Jaspers,  Psychologie  der  IVeltanschauungcn  1920, 
S.  144 f.).  Es  ist  der  Gedanke  der  Freimaurerei  in  der  Zauberflöte:  »Und  ist  ein  Mensch 
gefallen,  hilft  Liebe  ihm  zur  Pflicht«. 

Diese  enthusiastische  Einstellung  zwischen  Männern  und  Jünglingen,  die  irgendwie 
auch  eine  Beziehung  zum  erotischen  Triebleben  hat,  scheint  nun  von  je  her  eine  bedeut- 
same Rolle  in  allen  jenen  Bünden  und  Vereinen  gespielt  zu  haben,  in  denen  sich  Männer 
mit  Männern  und  Jünglingen  in  der  Form  der  Männerbünde ')  zusammengeschlossen 
haben.  Dieser  Gesichtspunkt  ist  neuerdings  von  Hans  Blüher  in  dem  Buche  Die  Rolle 
der  Erotik  in  der  männlichen  Gesellschaft  (Jena  1917— 19)  hervorgehoben  worden. 
Sicher  geht  Blüher  zu  weit,  wenn  er  nun  alle  männliche  GeseUigkeit  auf  diese  erotischen 
Triebe  zurückführen  will.  Es  gibt  eben  doch  noch  andere  Triebrichtungen  und  Ein- 
stellungen, die  den  Menschen  zum  Menschen  treiben,  aber  daß  jene  leidenschaftliche 
Einstellung,  die  zwar  mit  Erotik  zusammenhängt,  aber  durch  diesen  Ausdruck  in 
dem  engen  Sinne,  wie  man  ihn  gemeinhin  versteht,  doch  nicht  erschöpfend  charak- 
terisiert wird,  tatsächlich  in  den  verschiedensten  Graden  und  Abstufungen  bei  solchen 
Gesellschaftsbildungen  wie  Ritterorden,  studentischen  Vereinen  usw.  normalerweise 
wirksam  ist,  läßt  sich,  wie  mir  scheint,  nicht  bezweifeln  -). 

Es  liegt  nun  in  der  Natur  der  Sache,  daß  auf  der  einen  Seite  diese  »enthusiastische 
Einstellung«  die  edelsten  und  geistigsten  Formen  annimmt,  auf  der  andern  Seite  aber 
leicht  der  Triebbeitrag  stärker  hervortreten  kann,  und  die  reine  SinnHchkeit  zur  Herrschaft 
kommt.  Die  Vorwürfe,  die  im  Orient  gegen  die  Futuwwabunde,  im  Abendlande  z.  B.  gegen 
manche  Ritterorden  erhoben  worden  sind,  werden  dem  Sachverhalt  häufig  nahe  ge- 
kommen sein.  Dieses  Doppelgesicht  der  Liebe  tritt  ja  auch  in  der  Mystik  deutlich 
hervor  (für  den  Orient  vgl.  dazu  Goldziher  in  dieser  Zeitschrift  IX,   144  f.). 

Den  einzelnen  Zeremonien  wird  eine  bestimmte  symboHsche  Bedeutung  beigelegt. 
Der  Trunk  aus  dem  Becher  ist  ein  Hinweis  auf  das  »natürliche  Wissen«  (^ilmi  fiir'i),  denn 
zu  der  »reinen  Natur«  (sefäi  fitret)  soll  der  Jüngling  zurückkehren.  Das  Salz  bedeutet 
die  Mäßigung  oder  Harmonie  (^edäUt,  iHidäl),  denn  ohne  sie  kommen  die  Tugenden  nicht 
zur  Wirkung  3).  Das  Umgürten  bedeutet  die  Tapferkeit  und  Selbstüberwindung,  das 
Anlegen  des  izär  die  Keuschheit  und  Bezwingung  der  Fleischeslust,  die  durch  die  Be- 
deckung der  Scham  angedeutet  wird. 


1)  Vgl.  ScHURTZ,    Altersklassen   und  Männerbünde. 

2)  Blühers  Quellen  heßen  sich  leicht  vermehren.  Über  die  Brüderhebe  und  das 
Ritual  des  Aufnahmekusses  z.  B.  der  Freimaurer  vgl.  Wilhelm  Begemann,  Vorgeschichte 
und  Anfänge  der  Freimaurerei  in  England,  Berhn  1909,  Bd.  \,  S.  66,  122,  2^1  usf.  und 
Sarsena  oder  Der  vollkommene  Baumeister,  7.  Aufl.,  Leipzig  1859,  S.  91,  136,  142. 

3)  Dem  Ursprung  dieser  Gedanken  nachzugehen,  ist  hier  nicht  der  Ort. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeiget!.  247 

Es  wäre  nicht  unmöglich,  daß  auch  bei  diesen  symbolischen  Zeremonien,  wie  sie  bei  all 
solchen  Bünden  stets  beliebt  gewesen  sind  (so  in  besonders  reicher  Ausgestaltung  bei  den 
Freimaurern)  eine  Beziehung  zur  Erotik  aufgedeckt  werden  könnte  ^),  doch  sei  das  hier 
dahingestellt. 

Die  Zeremonie  des  Anlegens  des  izär  heißt  tekmJl,  Vollendung.  Das  Wissen  ('ihn) 
wird  nach  unserm  Text  bei  den  Bündlern  na  sar,  die  Praxis  Qamal)  qadem  genannt.  Die 
Praxis  der  Futuwwatugenden  wird  aber  hoch  über  das  theoretische  Wissen  gestellt.  Wer 
nur  nazar  hat  ohne  qadem,  wird  gering  geachtet,  man  nennt  ihn  sustqadem,  »lax  in  der 
Praxis«.  Da  nun  die  erste  Tugend,  die  der  »Ritter«  üben  muß,  die  Keuschheit  ist  und 
diese  Beziehung  zu  den  »unteren  Dingen«  (asäfil)  hat,  ist  das  Ordenskleid  der  Ritter 
der  Schurz.  Dem  gegenüber  ist  der  Sinn  der  Mystik  das  Fortschreiten  in  den  Regionen 
des  Lichts,  den  »oberen  Dingen«,  darum  tragen  die  Sufis  als  Ordensabzeichen  die  Mütze. 
Bei  den  Mystikern  ist  es  Sunna,  das  Haupt  zu  scheren,  bei  der  Futuwwa  aber  nicht.  Das 
kommt  daher,  daß  die  Futuwwa  aus  dem  Erwerben  von  Tugenden  und  Vorzügen  {jaza'il 
wemakärim)  besteht  und  daher  das  »Vorhandensein«  {ivngüd)  und  den  Schmuck  {zineL) 
verlangt,  die  Mystik  aber  aus  »Entfernung  und  Abtrennung«  (Jegrid  wetefrld)  besteht  und 
daher  das  »Verschwinden«  (fand)  verlangt.  Das  Ende  der  Futuwwa  ist  somit  der  Anfang 
der  wüäjel,  und  sie  ist  ein  Teil  der  Mystik  {tasawwuf),  wie  die  wüäjet  ein  Teil  der  nubuwwet. 
Hier  ist  eine  deutliche  Trennung  von  und  doch  ein  Verbundensein  mit  dem  Sufitum  aus- 
gesprochen. Auf  die  enge  Beziehung  zum  Sufitum  weist  mit  Recht  R.  Hartmann  ZDMG 
LXXfl,  193  ff.  hin.  Wenn  in  diesen  Zeilen  die  Aufmerksamkeit  vornehmlich  auf  den 
Charakter  desFutuwwabundes  als  eines  Freundschaftsbundes  gelenkt  wird,  so  muß  man  sich 
doch  bewußt  bleiben,  daß  die  Verschmelzung  mit  der  Religion  natürUch  im  Orient,  wie 
überhaupt  auf  primitiverer  Stufe,  besonders  stark  ist,  so  daß  ein  rein  weltlicher  Typ  über- 
haupt nicht  zur  Entfaltung  kommt.  Alle  diese  Dinge  stehen  in  religiösem  Lichte  und 
werden  religiös  gewertet.  Die  Scheidung  weltlich-religiös  ist  ja  modern.  Es  kam  hier  nur 
darauf  an,  durch  Beleuchtung  der  einen  Seite  das  psychologische  Verständnis  dieser  Bünde 
zu  fördern. 

Kap.  10.  Über  die  besonderen  Ausdrücke  (istilä^ät),  deren  sich  die 
»Ritter«    bedienen. 

Sowohl  im  Geheimbundwesen  Afrikas  sowie  in  der  Freimaurerei  und  ähnlichen  Ver- 
einigungen finden  wir  eine  besondere  Nomenklatur  technischer  Ausdrücke,  eine  Art  Geheim- 
sprache. Die  Form  und  die  Organisation  der  Futuwwabünde  weist  eine  merkwürdige  Ähn- 
lichkeit mit  denen  der  deutschen  studentischen  Verbindungen  auf.  Ich  hebe  zur  Ergänzung 
von  Thornings  Ausführungen  (a.  a.  O.  S.  ig5  ff.)  einiges  hervor,  das  gewiß  als  Ausdruck 
der  psychologischen  Verwandtschaft  dieser  Bünde  mit  den  studentischen  Vereinsbildungen, 
betrachtet  werden  darf. 

Der  »Leibbursch«,  kebtr,  wird  auch  pider,  »Vater«  genannt,  der  »Leibfux«  piser, 
»Sohn«.    Andere  Namen  sind  Seiti,  muqaddam,  qäid,  »Familienpapst«,  ab,  ras  el-kizb  usw. 


')  Auf  primitiver  Stufe  treten  solche  Dinge,  z.  B.  bei  den  Prüfungen,  denen  die 
Novizen  in  den  Initiations-  und  Pubertätsriten  unterworfen  werden,  mitunter  kraß  hervor. 
Vgl.  z.  B.  Josef  Meier,  Djer  Glaube  an  den  inal  und  den  tutana  vurakit  bei  den  Eingeborenen 
im  Küstengebiet  der  Blanchebucht,  Anthropos  1910,  95  ff.,  Alex  Arnoux,  Le  ciilte  de  la 
Societe  Secrete  des  Imandwa  au  Ruanda,  ib.  1912,  529  ff.,  1913,  iioff.,  754  ff.  Hierher 
gehören  auch  manche  Dinge  aus  dem  studentischen  Pennalismus.  Vgl.  hierzu  die  von 
ScHULZE-SsYMANK,  Das  deutsche  Siudententum,  Leipzig  1910,  zu  At^schnitt  7  des  ersten 
Teiles  zitierte  Literatur.  Über  das  ganze  Problem  vgl.  auch  Rfik,  Die  Pubertätsriten  der 
Wilden,  in    Probleme  der  Religionspsychologic,  Leipzig  und  Wien  1919. 


2^g  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

Die  Perser  Sagen  pisqadmi.  zeHmi  qaum  heißt' der,  dem  sich  alle  unterordnen.  Er  hat 
die.Pflicht,  dauernd  den  Geist  der  Verbindung  durch  Ermahnungen  und  Ansprachen  und. 
Erwähnung  der  Futuwwatugenden  und  ihrer  Grundsätze  auf  der  Höhe  zu  halten.  Das 
entspräche  also  etwa  dem  ersten  Chaiglerten,  der  die  »Prinzippauken«  zu  halten  hat. 
refiqän,  Freunde,  sind  zwei  Personen,  die  zu  demselben  bait,  derselben  Untergruppe, 
gehören.  Auch  diejenigen,  die  zu  einem  Leibburschen  oder  Leibgroßvater  gehören, 
nennt  man  so.  Heute  aber  wird  mit  repq  nur  der  Leibfux  (piser)  bezeichnet.  Sie  nennen 
den  Leibburschen  sä/nb  »Herr«,  musäjü  heißt  der  »Conleib«,  d.  h.  der,  der  von  demselben 
Leibburschen  den  Becher  getrunken  hat.  Man  nennt  diese  auch  'adilän.  Mit  demselben 
Namen  bezeichnet  man  auch  die,  die  denselben  Leibgroßvater  haben,  also  im  Verhältnis 
von  Vetter  zu  Vetter  zueinander  stehen,  derkes  ')  ist  einer,  der  früher  einmal  die  »Ritter- 
schaft« besaß,   »das  ist  aber  jetzt  anders  geworden«  -). 

naqil  (im  Text  steht  taqbil)  ist  ursprünglich  einer,  der  von  einem  Leibgroßvater  oder 
einem  Leibburschen  (zu  einem  andern)  übergegangen  ist.  Heute  bezeichnet  man  so  einen, 
der  zu  einem  Dimittierten  (bätiP)  übergegangen  ist. 

wekÜ  ist  einer,  dem  der  kebir  (Bursch,  Leibbursch)  für  eine  bestimmte  Handlung, 
wie  Umgürtung,  Vollendung,  Dimission,  Gericht  und  dergleichen  oder  dauernd  (mutlaq) 
Vollmacht  gegeben  hat. 

yiaqlb  ist  der,  den  der  Präside  {ze'-imi  qaum)  zur  Besorgung  der  äußeren  Angelegen- 
heiten der  fitjän  ernennt;  er  ist  der  Vermittler  zwischen  ihnen  in  jeder  Angelegenheit  wie 
ein  «Dragoman«  {bemesäbei  tergumän).  (Das  entsprit-ht  etwa  dem  dritten  Chargierten.) 
sedd  ist  die  Umgürtung  der  Hüften  zur  Prüfung  und  Aufnahme  in  die  Futuwwa,  um  den 
Neuling  zu  erproben  und  dann  zu  »vollenden«.  Diese  »Vollendung«  besteht  in  der  Be- 
kleidung mit  den  Hosen  {seräunl)  bzw.  dem  Schurz  (isär)  oder  der  Schmückung  mit  Waffen. 
Sie  kann  vor  oder  nach  dem  sedd  stattfinden  (das  klingt  nicht  sehr  wahrscheinhch),  wenn 
der  kebir  den  Fuxen  würdig  befindet,  serb  ist  die  Zuteilung  zu  einem  Leibburschen,. 
dem  man  dabei  aus  dem  Salzwasserbecher  zutrinkt.  Der  sedd  würde  also,  wenn  man  den 
Vergleich  durchführen  wollte,  etwa  der  Rezeption,  der  serb  der  Leibburschenwahl,  der 
tekmll  der  Burschung  entsprechen. 

muhäzara  ist  die  gesellige  Vere".nigung  zum  Trunk,  die  »Kneipe«,  a/t^  besteht  darin, 
daß  der  kebir  dem  Fuxen  {sagtr)  die  Futuwwa  wieder  entzieht  wegen  eines  Tadels,  den  er 
an  ihm  gefunden  hat.  ramj  ist  die  Ausweisung  eines  Fuxen  wegen  eines  Tadels.  Sie  ist 
ohne  Gericht  und  Schuldbeweis  unzulässig  (Dimittierung).  muhäkeme  ist  die  Gerichts- 
verhandlung über  Streitigkeiten  vor  dem  Präsiden  oder  einem  von  beiden  Gegnern  aner- 
kannten Richter,  'at't,  Tadel,  Fehler,  ist  eine  Übertretung,  die  entweder  die  Dimittierung 
nach  sich  ziehen  kann  (kabä^ir)  oder  nur  eine  Herabsetzung  zur  Folge  hat  (saga'ir).  ivaqf 
ist  das  Verbot  für  einen  Angeklagten,  an  der  geselHgen  Vereinigung  mu/iäzara  teilzu- 
nehmen, bis  seine  Schuld  oder  Unschuld  erwiesen  ist.  Dieses  Gerichts-  und  Strafwesen 
hat  sowohl  bei  den  studentischen  Korporationen  wie  bei  dem  Freimaurerwesen  seine 
Parallelen. 

dahr  (?)  besteht  darin,  daß  der  Leibbursch  seinen  Leibfuxen  einem  andern  Burschen 
schenkt. 

Kap.  7  handelt  von  dem  Ehrenrang  (seref)  und  den  Vorzügen  (faztlel)  der  Fu- 
tuwwa, dem  Ziel  ihres  Nutzens  (gäjeti  menfe'et),  ihren  Grundlagen  (mabä)n  weusül) 
und  ihrer  Vollkommenheit   [kemäl). 


•)  So  wohl  auch  bei  Thorning  203  statt  dejis  zu  lesen. 
^)  ?  Nicht  ganz  sicher. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  24Q 

Der  Rang  einer  Wissenschaft  richtet  sich  nach  dem  ihres  Gegenstandes.  Der  Gegen- 
stand der  Futuwwa  aber  ist  die  menschliche  Seele,  die,  solange  sie  bei  ihrer  natürlichen 
Reinheit  bleibt  (ivaqtiki  her  sefäi  fifreti  his  mände  häsed) '),  das  höchste  aller  Geschöpfe  ist. 
Ihr  Nutzen  aber  besteht  in  der  ewigen  Seligkeit,  der  Nähe  Gottes  und  dem  guten  Rufe, 
die  die  guten  Eigenschaften,  aus  denen  die  Futuwwa  eigentlich  besteht,  ihrem  Träger 
einbringen,  ferner  darin,  daß  der}»Ritter'<  stets  fröhlichen  Gemüts  ist,  daß  er  mitfühlt 
mit  den  Geschöpfen  Gottes  und  ihnen  mit  Rat  und  Tat  zur  Seite  steht  wie  etwas  Selbst- 
verständliches (ht  tehelluf).  Und  wie  er  selbst  nach  der  Erreichung  der  Vollkommenheit 
strebt,  so  hilft   er  auch  den  Freunden  in  diesem  Streben  weiter. 

Es  folgen  dann  mehrere  Tugendkataloge.  Die  Grundlage  der  Futuwwa  beruht  auf 
sechs  Eigenschaften,  die  schon  Ali  festgesetzte  hat:  Treue,  Redlichkeit,  Freigebigkeit, 
Demut,  gutmeinender  Rat  2),  Rechtleitung,  Reue.  Daneben  wird  eine  Reihe  von  vier 
Tugenden  aufgestellt:  Keuschheit,  Tapferkeit,  Wei.sheit  und  Mäßigung.  Bedeutung  und 
Rangordnung  dieser  Tugenden  wird  ausführlich  dargelegt. 

Kap.  8  handelt    über    die    Vorbedingungen  der   Futuwwa   (der  sara'ili  isti^- 
dädi  futmowet). 

Sieben  Eigenschaften  sind  zur  Aufnahme  in  den  Futuwwabund  erforderlich: 
I.  Das  männliche  Geschlecht.  2-/3.  Volljährigkeit  und  Vollbesitz  der 
geistigen  Kräfte  (beides  ofTenbar  aus  dem  Fiqh  übernommen).  4.  Frömmigkeit. 
c.  Körperliche  Gesundheit  und  ebenmäßige  äußere  Erscheinung,  da  ab- 
schreckende Häßlichkeit  sich  mit  der  Tugend  (fazllet)  nicht  verträgt  (das  griechische 
xaXoc  xc<Y0t5fo?-Ideal  ist  in  diesem  Zusammenhang  besonders  charakteristisch).  Es  folgt 
eine  Aufzählung  körperlicher  Gebrechen,  die  die  Aufnahme  in  den  Bund  unmöglich  machen. 
6.  Muruwwet.  Diese  vieldeutige  Eigenschaft  wird  hier  als  das  Befreitsein  der  reinen 
"N ztur  (fiiref)  von  allen  animalischen  und  körperhchen  Beimischungen  erklärt.  7.  Scham- 
haftigkeit. 

Kap.  II.  Über  die  besonderen  Eigenschaf  ten  der  )>RitteT«  (de  r  hasä^isi 
fitjän).  Dieses  Kapitel  ergibt  gegenübei  dem  von  Thorning  angeführten  nichts  wesent- 
lich Neues.  Es  werden  alle  möghchen  Tugenden  als  spezielle  Futuwwa eigenschaf ten  auf- 
geführt. Charakteiistisch  ist  das  treue  Festhalten  am  Bund  und  das  strenge  Hüten  des 
Geheimnisses,  das  uhter  Umständen  mit  Schlägen  und  Züchtigungen  erzwungen  wird. 
■  Es  ist  das  das  Mittel,  »Verleumdung  und  Anfeindung  durch'  die  Toren«  zu  verhindern  zur 
»Bewahrung  der  Ehre«.  Geheimnistuerei,  als  Schutzmaßnahme  begründet,  scheint  eine 
charakteristische  Eigenschaft  aller  Männerbünde  zu  sein. 

Mitleid  und  Hilfe  wird  für  die  Armen  und  Schwachen  der  Gläubigen,  Härte  gegen 
die  Ungläubigen  gefordert. 

Hervorgehoben  wiid  auch  die  Tugend,  dem  Feinde  zu  vergeben  und  Unrecht  mit 
Wohltat  zu  vergelten. 

Die  sittlichen  Ideale  der  Charitas,  die  Erweiterung  der  Freundes-  bzw.  »Brüder«liebe 
zur  allgemeinen  Menschenliebe,  das  Sich-gegenseitig-weiterhelfen  zur  Vollkommenheit,  die 
Vergebung  für  den  Feind  erinnern  teils  an  die  europäischen  Ritterorden,  teils  an 
freimaurerische  Ideen.  Vgl.  z.  B.  die  schon  oben  genannte  Arie  des  Sarastro  aus  der  von 
Emanuel  Schikaneder  für  seinen  Logenbruder  Mozart  gedichteten  Oper:  Die  Zauber- 
flöte,  »In  diesen  heiigen  Hallen«  usw.  Das  zugrundeliegende  Erlebnis  ist  deutlich:  Der 
liebende  Mensch  fühlt  bei  aller  Konzentrierung  seiner  Liebe  auf  die  geliebte  Person  überall 

*)  s.  0.   S.  246. 
*)  nasi/iet. 

Islam  X.  17 


250 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 


seine  Liebe  wachsen,  Welt  und  Menschen  leuchten  ihm  überall  auf  (Jaspers,  a.  a.  0. 
S.  115).  So  kann  jene  Stimmung  entstehen,  in  der  der  jatä  »stets  fröhlichen  Gemütes  ist 
und  nutfühlt  mit  den  Geschöpfen  Gottes  und  ihnen  mit  Rat  und  Tat  zur  Seite  steht  wie 
etwas  Selbstverständliches«  (s.  0.  S.  10).  Natürlich  soll  nicht  geleugnet  werden,  daß  bei 
dem  mystisch  beeinflußten  Futuwwabund  auch  hier  die  rehgiöse  Einstellung  von  wesent- 
licher Bedeutung  sein  kann,  aber  wer  vermöchte  da  zu  scheiden? 

Daß  fututvwa  geradezu  Freundschaft,  Freundestreue  bedeuten  kann,  scheint  mir 
auch  aus  der  von  Goldziher  ZDMG  69,  203  Z.  25  behandelten  Stelle  aus  Ibn  Hazms 
Tauq  el-hamäma  hervorzugehen.  Aus  dem  Zusammenhang  ergibt  sich  deutlich,  daß 
Ibn  Hazm  den  Wert  seiner  Freundschaft  zu  dem  Adressaten  seiner  7-isäla  hervorheben 
will.  »Wer  keine  Freundschaft  halten  kann,  wird  auch  nicht  fromm  sein  können« 
(Korrekturzusatz).  H.    Ritter. 


AUTORENVERZEICHNIS. 

Die  kursiven  Zahlen  bedeuten,  daß  der  betreffende  Autor  an  dieser  Stelle  als  Mitarbeiter 

erscheint. 


Babinger  134 — 146,    157  bis    Jacob   243 — 244 

160. 
Becker  228—238. 
Brass  / — 7J. 


■Clemen   ibi — iTy. 

Hartmann  228 — 233. 
Hess  T4 — 86. 
Huart   150—153. 


Jensen   146 — 150. 

Kahle  238 — 242. 
Karabacek  233 — 238. 

Littmann  //<? — 22-j. 

Mordtmann  /j/ — löo. 

Ritter  120—133,    134—136, 
243,  244—230. 


Ruska  8^ — iig,   154 — 156. 

Schwally  238 — 242. 
Schwarz  130 — 133. 
Seybold  /J7. 

Thorning  244 — 250. 

Zsinka  243 — 244. 


t 


DER  ISLAM 

ZEITSCHRIFT 

FÜR  GESCHICHTE  UND  KULTUR 

DES  ISLAMISCHEN  ORIENTS 

HERAUSGEGEBEN  VON 

C.  H.  BECKER  in  BERLIN 

UND  / 

H.  RITTER  IN  HAMBURG       "*' 


MIT  UNTERSTÜTZUNG  DER 
HAMBURGISCHEN  WISSEN- 
SCHAFTLICHEN   STIFTUNG 


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I  ELFTER  BAND  Tj 


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MIT  2  KARTEN  ^L  ^  .  ^ 


BERLIN  W.  10  UND  LEIPZIG  1921 
VEREINIGUNG  WISSENSCHAFTLICHER  VERLEGER 

WALTER  DE  GRUYTER  &  Co. 

VORMALS  G.J.  GÖSCHEN'SCHE  VERLAGSHANDLUNG  -  j.  GUTTENTAG,  VERLAGS- 
BUCHHANDLUNG GEORG    REIMER    —    KARL   J.  TRÜBNER    -    VEIT   &    COMP. 


HAMBURG:  C.  BOYSEN 


Inhalt  des  elften  Bandes. 


I.    Aufsätze  und  Berichte: 

Seite 

Babinger,  f.,  Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  von  Simaw    i 

GoLDZiHER,  I.,  Zwischen  den  Augen    175 

Herzfeld,  E.,  Khorasan.     Denkmalsgeographische  Studien  zur  Kulturgeschichte  des 

Islam  in  Iran.     (Mit  2   Karten) 107 

Ritter,  H.,  Aserbeidschanische  Texte  zur  nordpersischen  Volkskunde    181 

WiEDEMANN,  E.  und  Hauser,  f.,  Über  eine  PalasttUre  und  Schlösser  nach  al-(iazari. 

Mit  37   Abbildungen  im  Text 213 

IL    Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen: 

Goldziher,  I,,  Verhältnis  des  Bäb  zu  früheren  Süfi-Lehrern     252 

Heepe,  M.,  Eine  Parallele  zu  der  islamischen  Zwischenheirat 265 

HoROViTZ,  J.,  Andrae,  Tor,    Die  Person  Muhammeds  in  Lehre  und  Glauben  seiner 

Gemeinde.     Stockholm   1918.     VI  u.  401  S 277 

—  —  Noch  einmal  die  Herkunft  des  Isnad 264 

Jacob,  G.,  Teschebbüs-i-schachsi,  muharriri  Tahir  el-Mewlewi,  Istambol  1330  (221  S.)  259 

—  —  Türkische  Sittenpolizei   im   16.  Jahrhundert    254 

Nöldeke,  Th.,  Siddiqi,  A.,  M.  A.,  Dr.  phil.,  Studien  über  die  persischen  Fremd- 
wörter im  klassischen  Arabisch.     Göttingen   1919,   118  S.,  8°     267 

Strothmann,  R.,  Cornelis  van  Arendonk,  De  opkomst  van  het  zaidietische  Imamaat 
in  Vemen.  Leiden,  Boekhandel  en  Drukkerij  vorheen  E.  J.  Brill,  19 19,  XVI 
u.  348  S 270 

Taeschner,  f.,  Darstellungen  aus  »Leila  und  Madschnun«  unter  den  Zeichnungen 

Riza  Abbasis    266 

Wensinck,  A.  J.,  Arabische  Traditionssammlungen    283 

III.  Autorenverzeichnis.  284 


Schejch    Bedr    ed-dm,    der  Sohn   des  Richters 

von  Simäw. 

Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Sektenwesens  im  altosmanischen  Reich. 

\'on 

Franz  Babinger. 

Inhalt: 

Vorwort i        Zusammenfassung 55 

Das  osmanische  Reich  um   1400 4        Bedr  ed-dln's  Lehre   64 

Schejch  Bedr  ed-din's  Leben 19        Bedr  ed-dm  und  die  Safawijja 78 

Die  osmanischen  Berichte 26  Die    kleinasiatischen    Sektenbildungen 

a)  Anonymus  Giese 28  (Qizilbaschen,  Tahtadschis  usw.)  .  .      91 

b)  'Äschiqpaschazäde 35        Anhang: :  . 

c)  NcschrT 38  a)  Die    silsila    des    Schejchs    Bedr 

d)  IdrTs 42                  ed-dln 102 

e)  Lutfl 49  b)   Schejch  Bedr  ed-dln  als  Schrift- 

Der  Bericht  des  Dukas 52                  steller 105 

VORWORT. 

Den  Anstoß  zu  vorliegender  Abhandlung  gab  eine  Anregung 
Carl  Brockelmann's,  der  mir  empfahl,  einmal  den  »Stylariern« 
meine  Aufmerksamkeit  zuzuwenden,  nachdem  mir  schon  einige 
Wochen  früher  Richard  Hartmann  geraten  hatte,  »die  Derwisch- 
aufstände in  Kleinasien  auf  ihre  vermutlich  wirtschaftlichen  Grund- 
lagen« zu  untersuchen.  Je  mehr  ich  mich  mit  dem  Gegenstand  be- 
schäftigte, desto  klarer  wurde  mir,  daß  eine  Darstellung  der  ge  stigen 
Bewegungen  im  osmanischen  Reiche  zu  den  dringlichsten  Aufgaben 
für  einen  Geschichtschreiber  gehörte,  der  jenem  Volk  seine  Teilnahme 
zuwendet  und  der  seine  gewaltige  Geschichte  als  etwas  anderes  be- 
trachtet denn  eine  »Historia  derer  Potentatum«,  die  lediglich  in 
»Kriegs-  und  Friedensläuften«  aufzugehen  habe.  Josef  v.  Hammer, 
bis  heute  der  einzige  wirkhche  Bearbeiter  osmanischer  Reichs- 
geschichte, stak  noch  zu  sehr  in  der  Befangenheit  und  im  Geiste  der 
türkischen  Quellen,  ganz  abgesehen  davon,  daß  die  geschichtliche  Ar- 
beitsweise seiner  Zeit  noch  nicht  die  Forderung  stellte,  über  die  Motiv- 

Islam  XI.  I 


Franz  Babinger, 


reihen  des  Pragmatismus  hinaus  höhere  Formen  der  Zusammen- 
fassung geschichthcher  Vorgänge  aufzusuchen.  Wenigstens  nicht  für 
die  Geschichte  des  Morgenlandes,  wo  überhaupt  erst  die  Quellen  müh- 
sam erschlossen  werden  mußten,  ehe  man  die  Geschichtschreibung 
zu  hohen  Formen  der  Auffassung  und  der  künstlerischen  Darstellung 
entwickeln  konnte.  Es  ist  eine  auffallende,  aber  gewiß  erklärliche 
Erscheinung,  daß  die  mächtigen  geistigen  Strömungen,  die  im  osma- 
nischen  Reiche  Jahrhunderte  hindurch  Gärungsstoffe  schufen,  in  der 
Geschichte  des  Islams  so  gut  wie  unberücksichtigt  geblieben  sind. 
Ganz  gewiß  zu  Unrecht.  Erst  die  Arbeiten  Georg  Jacob's  über  die 
»Bektaschijje  und  venvandte  Erscheinungen  <<  haben  die  Aufmerksamkeit 
auf  diese  Gebiete  etwas  gelenkt,  ohne  bis  heute  übrigens  zu  einer 
zusammenfassenden  Darstellung  anzuregen.  Die  vorliegende  Studie 
soll  gleichsam  einen  Baustein  hierzu  liefern  und  zeigen,  ein  wie  dank- 
bares Feld  sich  hier  dem  Religionsgeschichtler  eröffnet.  Ich  habe 
des  öfteren  von  dem  bei  morgenländischen  Geschichtschrcibern  so 
beliebten  istiträd  Gebrauch  gemacht,  in  der  Annahme,  damit  keinen 
unnötigen  Ballast  übernommen  zu  haben. 

Mannigfache  Förderung  verdanke  ich  vor  allem  J.  H.  Mordt- 
MANN  (Schaffhausen)  und  F.  Giese  (Breslau).  Jener  hat  mir  frei- 
gebig aus  dem  reichen  Schatz  seiner  Kenntnis  der  osmanischen 
Kulturgeschichte  mitgeteilt,  dieser  hatte  die  vorbildliche  wissenschaft- 
liche Selbstlosigkeit,  mir  das  Ergebnis  einer  jahrzehntelangen  müh- 
seligen Forschung  mit  der  Erlaubnis  zur  Verfügung  zu  stellen,  davon 
vor  der  Drucklegung  der  eigenen  Arbeit  Gebrauch  machen  zu  dürfen. 
F.  Giese  hat  mir  auch  bereitwilligst  eine  Abschrift  des  betreffenden 
Abschnittes  aus  dem  Werk  des  osmanischen  Anonymus  gefertigt, 
dessen  Herausgabe  ihn  seit  Jahren  beschäftigt  und  von  dessen  hoffent- 
lich baldiger  Veröffentlichung  die  osmanische  Geschichtsforschung 
die  belangreichsten  Ergebnisse  erwarten  darf.  Schließlich  gedenke 
ich  dankbaren  Sinnes  brieflicher  Mitteilungen  vor  allem  Ignaz  Gold- 
zmER's,  der  mir  über  manchen  strittigen  Punkt  freundlichen  Auf- 
schluß erteilte.  Was  ich  seinen  islamkundlichen  Arbeiten,  vor  allem 
seinen  wahrhaft  klassischen  »Vorlesungen  über  den  Islam«  gerade  in 
vorliegender  Abhandlung  zu  danken  habe,  ist  leicht  erkennbar.  Ohne 
sie  wären  wohl  auch  diese  Seiten  kaum  zu  dem  geworden,  als  was 
ich  sie  vielleicht  betrachten  darf:  als  eine  bescheidene  Vorarbeit  zu 
weiteren  Untersuchungen  auf  einem  Feld  der  Islamforschung,  das  mir 
reichsten  Ertrag  zu  versprechen  scheint. 

In  der  vorliegenden  Darstellung  kam  es  mir  ausschließlich  darauf 
an,  die  geschichtlichen  Fäden  einer  merkwürdigen  Bewegung  auf- 


Schejch  Bedr  ed-dln,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  o 

zuzeigen.     Deren  psychologische  Voraussetzungen  und  Grundlagen 
klarzulegen,  lag  um  so  weniger  im  Plane  dieser  Arbeit,  als  die  seelischen 
Zustände  der  Träger  dieser  Bewegung,  von  persischen  Gedanken  er- 
griffener kleinasiatischer  Osmanen,  zunächst  wenigstens  unerf  aßt  bleiben. 
Immerhin:    Lehren  und  Vorstellungen  sind  in  Glaubenssachen  nicht 
das  Ursprüngliche,  sondern  ein  Erleben  ganz  anderer  Art.    Eine  Über- 
tragung und   Anwendung  vorzugsweise   auf   die   islamischen    Sekten- 
bildungen und  Gilden  etwa  gewisser  Aufstellungen,  wie  sie  in  Heinrich 
ScHURTz'  (f  1903)  grundlegendem  soziologischem  Werk  »Altersklassen 
und  Männerhündea    (Berlin,   1902)1)  und   in  Hans  Blüher's  bedeut- 
samem   Buche     »Die    Rolle    der    Erotik    in    der    männlichen    Gesell- 
Schaft«  (Jena   1919),   zumal  im  zweiten,    »Familie  und  Männerbund« 
behandelnden  Teil  des  Werkes  (vgl.  dazu  desselben  Verfassers  kleinere 
Schrift    »Familie   und   Männerhund«,    Leipzig    191 9)    enthalten   sind, 
müßte  m.  E.  zu  überraschenden  Ergebnissen  und  Aufhellungen  führen. 
Schon  in  früheren   Darstellungen,   vor  allem  in  den    Studien   R.   A. 
Nicholson's  u.  a.,  schimmert  eine  Ahnung  davon  durch,  was  gött- 
liche Verehrung  eirfes  Meisters  bedeutet.     So  ist  es  sicherlich  weder 
die  bequeme  Lehre  des  Sefewiden  Ismä*Il  noch  seine  gutmütige  Dick- 
leibigkeit gewesen,  was  jene  gewaltige  Glaubensbewegung  hervorrief 
und  ihr  solch  unheimliche  Trieb-  und  Werbekraft  verlieh.     Daß  diese 
abgöttische  Verehrung  des  lebendigen  Meisters  leicht  an  die   Imäm- 
Schwärmerei  der  Schi'a  anknüpfen  konnte,  ergibt  sich  ohne  weiteres. 
Jedem  aufmerksamen  Leser  etwa  der  persischen  (vgl.  z.  B.  Cl.  Huart's 
Übersetzung  der  Manäqih  al-'-ärijin  (=  Käschif  al-asrär  wa  maßa'-  al- 
anwär)  des  Schems   ed-din    Ahmed    Efläkl  »Les  Saints    des  Der- 
viches  Tourneurs«,  LBd.,  Paris  1918)  oder  osmanischen  Lebensbeschrei- 
bungen   (vgl.  etwa   das   von  Rud.  Tschudi   hrsgg.     Wiläjetnäme  des 
Hädschim    Sultan     im    17,    Bande    der    Türk.    Bibliothek    (Berlin 
1914)  jener  sog.    mystischen     Schejche   drängt   sich  diese    Wahr- 
nehmung von  selbst  auf.     Und  es  ist,  woran  mich  Hellmut  Ritter 
erinnert,    gewiß    kein   Zufall,    wenn   Liebeslieder   des   Häfiz   von   den 
Mewlewl  einfach  auf  den  Ordens- Schejch  bezogen  werden.     Der  *A1I- 
oder   Husejn-Kult    aber    leitet    zwanglos    und    unmittelbar    auf    das 
Süfitum  über.    Daher    ist  der   Zusammenhang    des   Derwisch- 
wesens   mit    der    Schi'a     in    keiner    Weise     etwa     zufällig, 
sondern  hat  seine  notwendigen  seelischen  Gründe.     Unter  derlei  Ge- 
sichtspunkten gesehen,  liefert  gerade  die  hier  geschilderte  Bewegung 
lehrreiche  und  schlagende  Belege.  Der  seltsame  Schmerzensruf  »Komm, 

')  Vgl.  dazu  seinen  nachgelassenen  Aufsatz  i'>Die  Janitscharem  in  den  PJB.  112.  Bd., 
Berh'n   1903,  .S.  450 — 479,  zumal  S.  455-456, 


i  PrahzBabihofer, 

Väterchen  Sultan  !«  ist  psychologisch  betrachtet  zweifellos  dasselbe, 
wie  wenn  etwa  die  Hungernden  brüllen:  »Veni,  Domine  Jesu,  veni  !« 
(vgl.  das  zpyoo,  v.opu  Ir^aou  am  Schlüsse  der  Offenbarung  Johannis), 
nur  daß  sich  hier  die  \'erehrung  dem  lebenden  Meister  und  selbst- 
redend dessen  nach  dem  Abscheiden  fortlebender  Gestalt  zuwendet. 
Und  auch  die  Leugnung  des  Todes  ist  natürlich  wiederum  aus  solchen 
religiösen  »W'unschmotiven«  erwachsen.  Mit  diesen  wenigen  Andeu- 
tungen mag  es  sein  Bewenden  haben.  Ich  schließe  in  der  Hoffnung, 
hiermit  einen  bescheidenen  Beitrag  zur  Geschichte  des  vielgestaltigen 
und  in  seinem  Wesen  noch  lange  nicht  geklärten  islamischen  Sekten- 
wesens geliefert  zu  haben  und  Mitforscher  zu  Sonderuntersuchungen 
im  angedeuteten   Sinn  anzuregen. 

Würzburg,  am  8.  November  1919. 


DAS  OSxMANISCHE  REICH  UM   1400. 

Es  ist  eine  für  die  europäische  Turkologie  beschämende  Fest- 
stellung, daß  sie  uns  bis  heute  noch  eine  Ausgabe  der  ältesten  os- 
manischen  Dichter  und  Geschichtschreiber  schuldig  geblieben  ist.  Das 
»Wunderbuch«  (gharib-iiäme)  des  alten  geheimsinnigen  'Aschiq- 
pascha  (1271 — 1322),  das  uns  doch  in  einer  stattlichen  Reihe  guter 
Handschriften  (davon  allein  fünf  in  Deutschland  und  Österreich) 
überliefert  vorliegt,  ist  bis  heute  noch  ungedruckt;  und  für  das 
Verständnis  und.  die  Beurteilung  der  älteren  osmanischen  Reichs - 
geschichte  unerläßliche  Quellen,  wie  der  »Weltenspiegel«  [dschihän- 
numä)  des  Mehmed  Neschri  sowie  die  »Geschichte  des  Stammes 
Osman«  [fa'rik-i  äl-i  ^Osinän)  des  Muhji  ed-din  Dschemäli  harren 
noch  ihres  Erschließers.  Wenn  man  von  Th.  Nöldeke's  vor  sechs 
Jahrzehnten  besorgter  Teilausgabe  (ZDMG,  13.  u.  15.  Bd.,  1859, 
1861)  absieht,  sind  wir  für  beide  Werke  bis  jetzt  auf  die  mehr  als 
400  Jahre  zurückliegende,  freilich  brauchbare  Überarbeitung^) 
des  wackeren  Westfalen  Löwenklau  angewiesen,  die  darum  trotz- 
dem nicht  den  Anforderungen  neuzeitlicher  Geschichtsforschung 
mehr  zu  genügen  vermag.  Was  wir  von  der  Türkei  selbst  zu  erwarten 
haben,  wenn  wir  hier  auf  ihre  Unterstützung  bauen,  hat  mit  unange- 
nehmer Deutlichkeit  die  von  dem  Hilfsbuchwart  am  Kaiserlichen 
Museum  zu  Stambul,  'Ali  Bei,  veranstaltete  Ausgabe  des  (ieschichts- 

')  In  den  f>Annalt's<i  des  Löwenklac  liegt,  wie  J.  H.  Mordtmann  erwiesen  hat. 
die  abgekürzte  Fassung  des  Muhjl  ed-dln  Dschemäli  vor,  während  die  Historiae  teils 
eine  andere,  vollständigere  Gestalt  des  Muhjl  ed-dln  (cod.  Verantianus),  teils  Neschri 
und  'Aschiqpaschazädc  (cod.  HaniwaMianus)  wiedergeben. 


Schcjch    licdr  cd-diu,   der  Sohn   des   Riclilcrs    von   Siniäw.  c 

Werkes  des  biederen  Derwisch  'Äschiqpaschazäde  gezeigt,  die, 
von  gröbsten  Fehlern  und  Verstößen  wimmelnd,  einer  eitlen  und 
selbstgefälligen  Vorstellung  zuliebe,  sich  auf  eine  Handschrift  stützt, 
die  an  letzter  Stelle  hätte  als  Grundlage  genommen  werden  dürfen. 
Man  vermißt  hier  so  sehr  die  Beobachtung  der  einfachsten  Regeln- 
wissenschaftlichen  Ausgabeverfahrens,  daß  man  nach  dieser  völlig 
mißlungenen  Probe  der  von  Stambul  seit  Jahren  drohenden  Ver- 
öffentlichung des  Neschrl  nur  mit  sehr  gemischten  Gefühlen  ent- 
gegensehen darf^). 

Solange  aber  solche  notwendige  \'orarbeiten  mangeln,  wird  es 
unmöglich  sein,  sich  ein  klareres  und  schärfer  umrissenes  Bild  der 
geschichtlichen  Vorgänge  im  osmanischen  Reiche  zu  machen,  wo  noch 
so  manches  Ereignis,  in  falscher,  entstellter  oder  einseitiger  Gestalt 
überliefert,  dringend  der  Berichtigung  und  Ergänzung  bedarf.  Es 
hieße  die  Zuverlässigkeit  der  alten  osmanischen  Geschichtsquellcn 
überschätzen,  wollte  man  auf  ihnen  allein  das  Gebäude  einer  geschicht- 
lichen Darstellung  des  yorsellmischen  Zeitalters  errichten.  So  sehr 
Neschri  und  Muhji  ed-din  vor  allen  andern  vielleicht  durch  die 
schmucklose,  kindlich-treuherzige  Art  ihrer  Berichterstattung  ange- 
nehm berühren,  so  sehr  sind  sie  gewiß  dabei  von  dem  Bestreben  ge- 
leitet, in  ihren  Jahrbüchern  nichts  zu  vermelden,  was  dem  Ansehen 
und  der  Größe  des  muslimischen  Glaubens  und  des  angestammten 
Herrscherhauses  abträglich  werden  könnte.  Diese  parteiliche  Haltung 
kommt  dann  in  der  osmanischen  Geschichtschreibung  offen  und 
unverkennbar  zum  Ausdruck,  wo  es  sich  um  einen  amtlichen,  vom 
Sultan  bestellten  Reichsgeschichtschreiber  handelt,  der  die  bedenk- 
liche und  oft  lebensgefährliche  Aufgabe  zugewiesen  erhielt,  die  Helden- 
taten des  osmanischen  Hauses  in  möglichst  glühenden  Farben  der 
staunenden  Nachwelt  zu  überliefern.  Bekennt  doch  der  erste  Reichs- 
historiker [waq^anüwisy-),  der  persisch  schreibende  Mewlänä  Hekim 
ed-din  Idris  (st.  926/1520)  in  der  Einleitung  zu  seinen  »Acht  Para- 
diesen« {hescht  behischt)  ganz  unverhohlen,  daß  er  bei  der  Abfassung 
dieses  Buches  sich  zum  Leitsatz  gemacht  habe,  mit  Verschweigung 
aller  unlöblichen  hur  die  für  die  Herrscherfamilie  rühmlichen  Taten 
zu  erzählen  (vgl.  J.  v.  Hammer,  Geschichte  des  osmaii.  Reiches  I,  66). 

Das  ist  der  Grundzug  in  der  Darstellung  aller  osmanischen  amt- 

«)  Vgl.  Milll  tetebbü'-ler  medschinfi\isi\  II.  Bd.,  S.  171  —  190  (Stambul  1331/1915), 
daüu  M.   Hartm.-vnn  in  Der  Islam,  VIII  (191S),  S.  325 — 326. 

-)  somit  wäre  z.  B.  Silzmigsber.  der  K.  Bayer.  Akad  der  Wiss.,  phil.-hisl.  Kl.  XXI\'. 
.  Band,  (München  1909)  G.  Jacob's  Ansicht  in  seiner  »Bektaschi/j'e«,  S.  9,  Anm.  5  zu  be- 
richtigen.   Vgl.  dagegen  sciion  J.  v.  H.\.mmlk,  GdOR,  IX,  S.  XXI,  Anm.  a, 


f.  Franz   Fl  aljinger, 

liehen  Geschichtschreiber  bis  herauf  in  die  neueste  Zeit.    So  erwüchse 
gewiß  über  viele  Begebenheiten  ein  völlig  entstelltes  Bild,  wenn  uns 
darüber  nicht  auch  europäische  Quellen  Hilfe  böten,  Quellen,  die  seit 
dem  i6.  Jahrhundert  glücklicherweise  in  einer  reichen  Fülle  fließen, 
•  der  für  die  frühere  Zeit  eine  leider  nicht  immer  ausgiebige  Bestätigung 
und  Ergänzung  der  von  den  einheimischen  Historikern  überlieferten 
Vorkommnisse   gegenübersteht.      Zumal   die   byzantinischen   Bericht- 
erstatter,  die  uns  vor  allem  mit  ihren  Angaben  über  die  Ereignisse 
des  15.  Jahrhunderts  zustatten  kommen,  liefern  eine  hocherwünschte 
Fundgrube  für  die  Kenntnis  der  damaligen  Verhältnisse.  Und  Schrift- 
steller wie  Kritobulos,   der   mit   einer  höchstens  für  die  Gegenwart 
nicht   mehr   verblüffenden    Dehnbarkeit   vaterländischen   Empfindens 
und  Gewissens  sich  und  seine  Feder  ohne  Zögern  und  Scham  in  den 
Dienst  der  osmanischen  Eroberer  stellte  i),  bedeuten  glücklicherweise 
eine  Einzelerscheinung.     So   muß   das  Werk  des  Johannes  Dukas, 
dessen  Wahrheitshebe  und  geschichtliche  Treue  mit  Recht  über  allem 
Zweifel  erhaben  ist  2),  als  eine  der  wertvollsten  Ergänzungen  zu  den 
osmanischen  Quellen   betrachtet  werden,   der  wir  heute  nicht   mehr 
entraten  könnten.     Dazu  tritt  noch  ein  Umstand,  der  für  die  über- 
ragende Bedeutung  der  byzantinischen  Geschichtswerke  für  die  Ge- 
schehnisse jener  Tage  ins  Gewicht  fällt:  die  an  den  leuchtenden  Vor- 
bildern des  griechischen  Altertums  geläuterte  und  geschulte  sachliche 
Geschichtsauffassung.      Wenn  es  beim  Verständnis  einer  Zeit  darauf 
ankommt,  sich  vor  allem  über  den  Geist  und  die  Mittel  klar  zu  werden, 
in  denen  das  Geschlecht  auf  die  Einzelperson  wirkte,  so  wird  dieses 
Ziel  nur  sehr  unvollkommen  durch  die  Erschließung  lediglich  der  osma- 
nischen Quellen  erreicht,  bei  denen  die  eigene  Meinung  um  sa  mehr 
zurücktritt,  in  je  größerer  Abhängigkeit  der  Schreiber  von  den  Per- 
sonen steht,  deren  Wirken  zu  schildern  er  sich  zum  Vorw^urf  genommen. 
Freihch  wird  man,  was  gerade  für  das  15.  Jahrhundert  von  höchstem 
Belang  wäre,    die  Einbeziehung  etwa  wirtschaftlicher   Grundlagen   in 
die     Geschichtsbetrachtung    auch    bei    den    Byzantinern    vergebhch 
suchen.      Immerhin   ist   man   durch   die   verschiedenen,   voneinander 
unabhängigen  Berichte  der  byzantinischen  Quellen"  in  die  angenehme 
Lage  versetzt,  aus  der  besonders  in  bezug  auf  gleichzeitige  Ereignisse 
meist  übereinstimmenden  Darstellung  den  Schluß  auf  die  Richtigkeit  der 
Angaben  zu  wagen.    Es  muß  dann  der  Anwendung  neuzeitlicher  For- 

1)  Vgl.  K.  Krumbacher,  Geschichte  der  byzant.  Literatur,  2.  Aufl.,  München    1897, 
S.  306. 

2)  Vgl.  Jules  Berger  de  Xivrey  im  XIX.  Bd.  der  Memoires  de  V Institut  de  France, 
Academie  des  Inscriptions  et  Beiles  Lettres.  S.  21. 


Schejch   Bcdi   ed-dln,   der  Solm   des  Richters  von  Simäw.  .7 

schungsgrundsätze  vorbehalten  bleiben,  daraus  für  die  Geschichts- 
auffassung im  modernen  Sinn  das  Brauchbare  und  Wichtige  von  dem 
Unglaubwürdigen  und  überflüssigen  Beiwerk  reinlich  zu  sondern. 
Zum  Unterschied  von  der  Selbständigkeit  der  byzantinischen  tragen 
für  jene  Zeiten  die  osmanischen  Berichte  das  Merkmal  auffallender 
Abhängigkeit  voneinander,  ein  Umstand,  dem  in  der  Hauptsache 
Idris  die  Seltenheit  seiner  handschriftlichen  Überheferung  zuzu- 
schreiben haben  dürfte.  Durch  rednerischen  Schmuck  in  einer  hin 
und  wieder  bis  zur  Unverständlichkeit  des  Textes  führenden  Form 
gekennzeichnet,  hat  er,  was  die  Schilderung  nackter  Tatsachen  an- 
langt, späteren  Darstellungen  weichen  müssen.  Diese  bloßen  Tatsachen 
wurden  von  seinen  Nachschreibern,  wie  etwa  *Ä1I,  Lutfi  Pascha,  vor 
allen  Sa*d  ed-din  und  Solaqzäde,  ausgeschrieben  und  der  Wort- 
schwulst allein  reichte  nicht  hin,  eine  mehrmahge  Vervielfältigung 
seines  Werkes  zu  rechtfertigen.  Daraus  erklärt  sich  die  auffallende 
Seltenheit  von  Abschriften  des  persischen  Werkes,  dessen  türkiscfier 
Übersetzer  nicht  einmal  dem  Namen  nach  bekannt  geworden  ist^). 
So  dankbar  nun  die  schon  wegen  der  Quellenkritik  lohnende  Auf- 
gabe wäre,  einmal  die  Abhängigkeit  der  osmanischen  Geschichts- 
quellen untereinander  aufzuzeigen,  so  unmöglich  bleibt  ein  solches 
Unternehmen  bis  zur  Veröffenthchung  kritischer  Textausgaben.  Heute 
kann  höchstens  an  Einzelbeispielen  anschaulich  und  lehrreich  erhärtet 
werden,  wieweit  sich  diese  gegenseitigen  Beziehungen  erstrecken.  Eine 
solche  Beweisführung  allein  verlohnte  vielleicht  die  Mühen  einer 
Untersuchung,  wenn  nicht  dabei  zu  ihrer  Rechtfertigung  und  Empfeh- 
lung die  Gewißheit  beitrüge,  dadurch  für  die  bisherige  Kenntnis 
mancher  geschichtlicher  Vorgänge  obendrein  belangvolle  Ergänzungen 
und  Feststellungen  zu  gewinnen.  So  mußte  es  mir  als  eine  dankbare 
Aufgabe  erscheinen,  gerade  jetzt  jenen  merkwürdigen  Gesellschafts- 
bewegungen Aufmerksamkeit  zuzuwenden,  die  im  ersten  Viertel  des 
15.  Jahrhunderts  in  Kleinasien  das  Gefüge  der  jungen,  kaum  ge- 
festigten osmanischen  Herrschaft  zu  erschüttern  drohten  und  die  mit 
ihren  Bestrebungen  eine  in  mehr  als  einer  Hinsicht  auffallende  Über- 
einstimmung mit  Erscheinungen  der  Gegenwart  zeigen,  wo  sich  Wand- 
lungen des  öffentlichen  Fühlens  und  Wollens  vollziehen,  die  gänzlich 
aus  dem  Rahmen  geradliniger  Entwicklung  herausfallen.  Einer 
Hoffnung  wird  man  sich  dabei  freilich  entschlagen  müssen,  die  tieferen 
Gründe  aufzudecken,  die  den  Boden  für  eine  solche  Bewegung  schufen. 

I)  Vgl.  JA.  IV.  Bd.  (1824),  S.  35,  Anm.;  J.  v.  Hammer,  Gesch.  des  osm.  Reiches,  I, 
S.  XXXV;  IX,  S.  188—189;  G.  Flügel,  Die  ar.,  pers.  und  türk.  Handschr.  der  K.  K.  Hof- 
bibliothek  zu  Wien,  II.  Bd.,  S.  217. 


Q  FianzBabinger, 

Jeder  dauernde  Druck  auf  die  Volksseele  erzeugt   Spannungen,   die 
sich  schließlich  mit  ungeheurer  Wucht  entladen  und  in  ihrem  blinden 
Wüten   durch   keine   Vernunftgründe   mehr   gelenkt   werden   können. 
Hält  es  für    einen    heutigen   Forscher  —   Irrenarzt    oder  Geschicht- 
schreiber —  schon  schwer,  sich  über  die  Ursachen,  der  gegenwärtigen 
Umwälzungen  restlos  klar  zu  werden,  so  schwindet  nahezu  jegliche 
Aussicht   auf  genauere   Ergründung   der  seehschen   Unterlagen  einer 
sozialen  Bewegung,  die  sich,  in  kleinerem  Ausmaße  und  weitab  unserer 
Zeit  und   unserer  Vorstellungswelt,   in  einem  Lande  vollzog,   dessen 
zeitgeschichtlichen  Hintergrund  in  geistiger  und  wirtschaftlicher  Hin- 
sicht ein  Dunkel  deckt,  das  zu  hellen  für  alle  Zeiten  wohl  unmöghch 
bleiben  wird.     Trotz  alledem  wird  sich  unter  Anziehung  verwandter 
Erscheinungen   im   Morgenland   vielleicht   ein   Bild   gewinnen  lassen, 
das  dem  wirklichen  Sachverhalt  in  den  Hauptzügen  wenigstens  nahe- 
kommt.    Soviel  darf  jedenfalls  behauptet  werden,  daß  die  bisherigen 
Darstellungen  jener  seltsamen  Vorgänge,  wie  sie  uns  J.  v.  Hammer, 
JoH.   WiLH.   Zinkeisen  und  N.    Jorga  geben,   den  Einblick  in  die 
inneren  Ursachen  vermissen  lassen,   soweit  sie  sich  überhaupt  nicht 
bloß   auf   die  W^iedergabe   der  Berichte   des    Johannes  Dukas   und 
Sa*d    ed-din's  beschränken.     J.  W.  Zinkeisen  hat  als  bisher  ein- 
ziger und  erster  daran  Betrachtungen  geknüpft,  die  Beachtung  ver- 
dienen,   da  sie  im  Gemälde   des  Zeitbildes  einige  gutgeführte  Striche 
enthalten    (I,  473 — 474).     Ganz  mit  Recht  ist  dort  erstmals  betont 
worden,  daß  der  anatolische  Aufstand  weit  größere  Gefahren  als  die 
kleinlichen  Händel  mit  den  turkmenischen  Fürsten  und  den  byzan- 
tinischen Städten  brachte,  und  daß  er  tief  in  das  innere  Leben  des 
osmanischen  Reiches  eingriff,  wobei  mehr  die  moralischen  als  die  mate- 
riellen Grundlagen  des  großherrlichen  Thrones  gefährdet  wurden.   Auch 
dürfte  die   Schlußfolgerung  richtig  sein,  daß  die  gewaltigen  Umwäl- 
zungen des  beginnenden  15.  Jahrhunderts,  der  Mongolensturm  unter 
Timur-lenk  und  die  Bruderkriege  nicht  nur  ein  Kampf  roher  Kräfte 
gewesen  sind,  sondern  daß  das  Elend  der  Zeiten,  Not  und  Verzweif- 
lung im  Volke  der  Osmanen  eine  Spaltung  der  Geister  hervorgerufen 
hatte,  die  schließlich  zu  jenen  verhängnisvollen  Auswirkungen  führte. 
Beim  geschichtlichen  Verstehen  erhebt  sich  über  allem  die  For- 
derung, den  »Geist  der  Zeiten  zu  begreifen«.    Und  mehr  denn  anderswo 
gilt  im  Morgenland  Faustens  Abwandelung  der  Wagnerschen  Worte: 
»Das  ist  im  Grund  der  Herren  eigner  Geist«. 

Die  Schlacht  auf  der  Ebene  von  Tschamurlu  (5.  Juli  141 3)  und 
der  Siegeseinzug  des  Sultans  Mehemmed  L  in  Adrianopel  hatte  nur 


Schejch   Beeil    cd-din.    der  Sohn   des   Richters   vou   Simäw.  g 

scheinbar  das  Werk  der  Wiederherstellung  der  alten  osmanischen 
Reichsherrlichkeit  vollendet.  Die  Wunden,  die  ein  zehnjähriger  Bruder- 
streit und  der  gewaltige  Tatarensturm  dem  kaum  gefestigten  Staats- 
körper geschlagen  hatten,  schienen  nach  glücklich  überstandener 
Krise  freihch  zu  vernarben.  Europa  wenigstens,  soweit  es  der  »Schatten 
Gottes  auf  Erden«  traf,  bot  das  Bild  einer  dem  Heilverlauf  zuträghchen 
Ruhe.  Nur  in  Asien,  der  Wiege  der  osmanischen  Macht,  dauerte  das 
Wetterleuchten  an,  das  als  Vorbote  nahender  Gewitterstürme  den 
Großherrn  warnend  in  seine  Nähe  zog.  Mehemmed  Beg  von  Oaramän 
hatte,  die  Kämpfe  der  Söhne  Bäjazids  des  Wetterstrahls  schlau  nützend, 
die  Abwesenheit  des  osmanischen  Oberherrn  wahrgenommen,  die 
Fahne  der  Empörung  zu  erheben  und  raubend  und  plündernd  in  die 
Gegend  von  Brussa  und  in  Hodäwendkjär  einzufallen.  Brussa,  die 
ehrwürdige  und  geheiligt-^  Ruhestätte  der  osmanischen  Sultane,  wurde 
halb  in  Asche  gelegt  und  der  Grabesfriede  Bäjazids  frevlen  Mutes 
gestört.  Auch  Dschunejd,  der  alte  Empörer  und  Herr  von  Smyrna, 
hatte  die  Grenzen  des  ihm  zugewiesenen  Landstriches  mutwilhg  über- 
schritten und  sich  wider  den  Großherrn  erhoben.  Den  gebrochenen 
Frieden  und  Brussas  Grabschändung  zu  strafen,  zog  Mehemmed 
eilends  nach  Asien.  Er  erschien  zunächst  vor  den  Mauern  Smyrnas, 
das  sich  nach  zehntägiger  Belagerung  dem  großmütigen  Sieger  ergab. 
Dschunejd  erhielt  Verzeihung,  sein  Land  freilich  ein  alter  Diener  des 
osmanischen  Hauses,  der  abtrünnige  Alexander,  Schischman's  von 
Widdin  Sohn  und  bisher  Statthalter  von  Samsün,  während  Dschunejd 
durch  die  Verleihung  der  Statthalterschaft  Nikopoli  an  die  ferne  Donau 
versetzt  und  so  zunächst  unschädlich  gemacht  wurde.  Dann  kehrte 
sich  Mehemmed  wider  Oaramän.  Alle  asiatischen  Vasallen  wurden 
aufgeboten,  in  eigener  Person  oder  durch  Vertreter  mit  ihrem  Heer- 
bann am  Straffeldzug  teilzunehmen.  Der  geleistete  Widerstand  war 
bald  gebrochen.  Die  stärksten  Festen  des  Landes,  wie  Aqschehir, 
Bejschehir,  Sejdischehir,  gingen  an  den  Sultan  verloren,  der  bereits 
vor  den  Toren  Oonias  stand,  als  der  Oaramäne  um  Frieden  bat.  Bald 
nach  Abzug  des  in  langen  Regenwochen  zermürbten  Belagerungs- 
heeres brach  er  ihn  von  neuem.  Der  alte  Empörer  fiel  wiederum  ver- 
heerend in  osmanisches  Grenzland  ein,  mißhandelte  die  wehrlosen 
Bewohner  und  kehrte  mit  fetter  Beute  hinter  die  Mauern  von  Oonia 
zurück.  Mehemmed,  den  damals  gerade  die  Belagerung  der  Küsten- 
stadt Dschäniq  am  Schwarzen  Meer  beschäftigte,  wandte  sich  in  Eil- 
märschen nach  Süden  und  zwang  mit  Hilfe  seines  getreuen  Wesirs 
Bäjazid  Pascha  den  Oaramänen  zu  endgültiger  Botmäßigkeit.  Ganz 
Anatolien  schien  sich  wider  den  Großherrn  zu  empören.    Nur  das  Ge- 


lO 


Franz  Babinger, 


biet  Isfendijärs,  des  Herrn  von  Oastamuni,  lag  im  Frieden.    Mehemmed 
verteilte   trotzdem   diese    Herrschaft   zwischen    ihrem  bisherigen   Be- 
sitzer, der  Oastamuni  und  Bakir-kjüresi  behielt,  dessen  Sohn  Qäsim- 
Bei,   dem  er  Kjangri  zuwies,  und  dem  osmanischen  Reich,  dem  Tosia 
und  Oaledschiq  zufiel,   ohne  offenbar  auf  selten  des  stark  geschmä 
lerten  Isfendijär  ernsten  Widerstand  zu  treffen.     Die  im  Land  umher- 
ziehenden  Turkmenen    mußten    als   ständige    Urheber   von    Unruhen 
aller  Art  nach   Europa    übersiedeln  und  die  Gegend  um  Filibe  und 
andre  spärlich  bewohnte  bulgarisch-griechische   Gebiete  bevölkern  i). 
In  Amasia  wurde  an  Stelle  eines  einfachen  Sandschak  Bejs  der  minder- 
jährige Thronfolger  Muräd  zum  Statthalter  ernannt  und  Brussa,  der 
alte  Hofsitz,   einem   Stadthauptmann  untergeordnet.      Kaum  war  in 
Asien  die  Ordnung  wieder  notdürftig  geschaffen,  als  im  Sommer  141 5 
der  falsche  Mustafa  {dösnie  M.)  im  Verein  mit  Dschunejd  auf  bulga- 
rischem Boden  erschien  und  seine  Ansprüche  auf  den  Thron  der  Os- 
manen  geltend  machte.     Mirgea,  der  Beherrscher  der  Walachei,  der 
Kaiser  von  Byzanz,  der  verstoßene  Oaramäne  und  der  unzufriedene 
Isfendijär  hatten  mit  dem  bequemen  Thronanmaßer  einen  Bund  ge- 
bildet, der  sich  kein  geringeres  Ziel  gesteckt  hatte,  als  die  Macht  und 
die  Einheit  des  osmanischen  Reiches  gründlich  und  für  alle  Zukunft 
zu  vernichten. 

So  stritten  sich  die  Großen  um  die  Herrschaft  im  Lande.  Der 
kaum  geheilte  Körper  des  osmanischen  Staatswesens  wand  sich  an 
allen  Enden  in  krankhaften  Zuckungen.  Eine  Fehde,  von  der  Laune 
eines  dieser  Fürsten  angezettelt,  löste  die  andere  ab  —  überall  heller 
Aufruhr  und  ernster  Widerstand  gegen  den  osmanischen  Oberherrn. 
Es  hält  nach  alledem  nicht  schwer,  sich  ein  ungefähres  Bild  von  dem 
Seelenzustand  einer  Bevölkerung  zu  machen,  die  zum  Zeugen  dieser 
ständigen  Kämpfe  und  Streitigkeiten  und  zum  Teilnehmer  wider 
Willen  gemacht  wurde.  Die  ohnehin  geringe  Sicherheit  war  in  allen 
Landen  völlig  gewichen.  Wußte  man  ja  kaum,  ob  nicht  das  heute 
mühsam  bestellte  Feld  am  kommenden  Morgen  von  den  Rossen  der 
Plünderer  zertreten  werde,  ja  nicht  einmal  über  die  staatHche  Zuge- 
hörigkeit konnte  man  im  klaren  sein,  wo  doch  die  Landschaften  dau- 
ernd die  Herren  wechselten.     Das  einfältige,  im  starren  Glauben  der 

•)  Noch  heute  heißen  nach  Georg  Rosen  in  Ersch-Grubkr,  Allg.  Enzykl.  II,  37, 
S.  II,  5.  Anni.  diese  turkmenischen  Einwanderer  bei  der  mazedonischen  Bevölkerung 
»Konari«,  d.  i.  »Qonier«,  wenn  hier  nicht,  wie  ich  vermute,  Verwechslung  mit  bulg. 
KOHapL  {koniar),  d.  i.  »Pferdehirt«  vorliegt.  Vgl.  dazu  »Tatar-Bazardschiq«  als  Orts- 
namen Über  ihre  Mundart  interessante  Angaben  bei  Ewlijä  III.  357  ff.,  vg!  dazu  III, 
172  ff. 


Schejch  Bedr  cd-din,  der  Sohn  des  Ricliters  von  Simä-w.  I  i 

Altvordern  erzogene  türkisch-anatolische  Bauernvolk  mußte  so  not- 
wendig unter  dem  Druck  ewiger  Nöte  und  trostlosen  Elends  seelisch 
erschlaffen  und  zermürben.  Boten  im  Innern  Kleinasiens  ^),  das  von 
der  Berührung  mit  der  Außenwelt  ehedem  wie  heute  noch  so  gut  wie 
abgeschlossen  war,  bei  der  Bevölkerung  die  angeborene  Stumpfheit 
und  der  ererbte  Knechtsinn,  gepaart  mit  der  Ergebenheit  in  den 
Willen  Allahs,  wie  ihn  der  väterhche  Glaube  lehrte,  gleichsam  hin- 
reichende Bürgschaft  gegen  eine  triebhafte  Erledigung  der  Daseins- 
kämpfe in  Gestalt  von  Massenunruhen,  so  war  das  Küstenland,  wo 
die  Welten  des  christlichen  Abendlandes  und  des  muslimischen  Ostens 
sich  begegneten  und  in  ständiger  Fühlung  und  Berührung  standen, 
notwendigerweise  geistigen  Strömungen  ausgesetzt.  Der  Zündstoff 
war  hier  leichter  und  schneller  bis  zu  einer  Menge  angesammelt,  die 
nach  Entladung  drängte.  Dazu  tritt  ein  gewichtiger  Umstand,  der 
gerade  in  diesen  Strichen  ungleich  leichter  als  im  Landesinnern  zu 
Aufwallungen  der  Volksseele  beitragen  mußte:  die  völkische  Zu- 
sammensetzung der  klcinasiatischen  Küstenbewohner.  Die  Verschmel- 
zung der  osmanischen  Eroberer  mit  der  Stammbevölkerung  vollzog 
sich  zweifellos  nur  langsam.  Den  Wünschen  der  neuen  Herren  war 
zunächst  mit  der  Annahme  des  Islam 2)  Genüge  geschehen.     Die  Blut- 

^)  Die  Verhältnisse  in  Kleinasien  in  fr ü hosmanischer  Zeit  bedürfen  noch  sehr  der 
Klärung.  Seit  A.  D.  Mordtmann  (f  1879)  ist  hier  so  gut  wie  nichts  geleistet  worden; 
das  1916  erschienene  Werk  »The  foundation  of  the  Ottoman  Empire.  A  History  of  Ihe  Os- 
manlisiip  to  the  death  of  Bayezid  I.  (1300 — 1403)«  aus  der  geschäftigen  und  beängstigend 
vielseitigen  Feder  des  Amerikaners  Herbert  Adams  Gibbons  enttäuscht  in  jeglicher  Bezie- 
hung, da  es  ohne  jede  Kenntnis  der  Urquellen  geschrieben  ist.  Dringend  zu  wünschen  wäre 
z.  B.  eine  Untersuchung  über  die  vier  Klassen  (isÄjLi:>)  von  Gästen  (müsäfir),  in  die  nach 
'Äschiqpaschazäde,  Stambuler  Druck  S.  205,  Rüm  eingeteilt  war:  die  ghäzijän-i  Rüm, 
die  ahijän-i  Rüm,  die  abdälän-i  Rüm,  die  badschijän-i  Rüm.  Vgl.  dazu  Gelehrte  Anseigen 
der  Kgl.  Bayr.  Akademie  der  Wissenschaften,  1860,  S.  289 — 293,  wo  A.  D.  Mordtmann 
zum  erstenmal  den  Text  behandelt  und  verdeutscht,  ferner  derselbe  in  P.  Bkown's  »The 
Dervishes«.,  S.  141  — 142.  Gerade  diese  Stelle  ist  höchst  wichtig  für  die  Frühgeschichte  der 
Bektaschijje;  für  deren  Kopfbedeckung  (bökme  clif  tädsch,  vgl.  dazu  J.  v.  Hammer,  GdOR 
I,  581)  Sp.  291  in  Gel.  Anzeigen  1860  findet  sich  in  2.  Z.  v.  0.  der  Ausdruck  «i)-j  vi  »weiße 
Mütze«  (bürkl). 

-)  Wichtig  wäre  die  Feststellung,  wann  der  Islam  beim  Stamme  'Osmän's  sich 
durchsetzte.  Die  auffallende  Tatsache,  daß  'Osmän,  im  Gegensatz  zu  seinem  Vater  (Er- 
toghrul),  seinen  Vatersbrüdern  (So nqur,  Gündoghdu,  Dündar)  und  selbst  seinen 
Brüdern  (G ü n d ü z  Alp,  Sarüjatü  (so  wohl  gegen  Z)5CÄi7jflMHHmä,  621,  675  ff. :  ^Jü  j^.L*o 
zu  lesen))  als  erster  einen  echt  mushmischen  Namen  führte,  scheint  mir  fast  dafür  zu 
sprechen,  daß  'Osmän,  der  vorher  wohl  ebenfalls  einen  alttürkischen  Namen  trug,  um 
1290  etwa  zuerst  den  Übertritt  zur  Sunna  vollzog.  Der  von  Th.  Nöldeke  vor  einem 
Halbjahrhundert  mit  Recht  als  auffällig  bezeichnete  Umstand,  daß  'Osmän's  Großvater 
Sülejmänhieß  (vgl.  ZDMG.,  XHI.  Bd.,  S.  182,  5.  Anm.,  S.  183),  findet  vielleicht  jetzt 
seine  zwanglose  Erklärung;  vgl.  unten  S.  32,   i.  Anm.;  denn  das  biblische  Salomon   ist 


12 


F  I  n  n  /.  B  a  b  i  n  g  c  I  , 


Vermischung  hatte  damals  schwerhch  die   Rassenmerkmale  der  Ein- 
geborenen zu  verdrängen  vermocht.     Wie  leutzutage  noch,  ja  in  viel 
höherem    Maße    bevölkerte    den    kleinasiatischen    Meeressaum    jener 
griechische  Menschenschlag,  der  seit  Jahrhunderten  seine  Blutreinheit 
im  wesenthchen  bewahrt  hatte  ^).    Die  lebhafte  Sinnesart,  die  geistige 
Regsamkeit,  die  heißblütige  Anlage  dieses  Stammes  stand  in  schroffem 
■Gegensatz  zur  unbeholfenen,  urwüchsigen,  jeghcher  geistigen  Beweg- 
hchkeit  fremden  Natur  der  Bewohner  des  Innern.     Dort  waren  nicht 
einmal  die  Keime  eines  bodenständigen  Geisteslebens  erkennbar.    Das 
Volk,  im  rauhen  Kriegsdienst  erzogen,  klebte  an  der  Scholle,  soweit 
es  nicht  die  Waffen  trug,  und  bezeugte  in  seiner  Gesamtheit  keinerlei 
Teilnahme  für  die  höheren  Ziele  der  Menschheit.     An  den  wenigen 
Fürstenhöfen  freilich,  vor  allem  zu  Oonia,  und  später  zu  Brussa,  ver- 
einigte sich  wie  in  Brennpunkten  ein  Bildungsleben,  das  sich  an  per- 
sischen Vorbildern  ohne   jede   eigene  Zutat   erhielt.     Schon   der  Sel- 
dschuqensultan   *Alä'   ed-din    Kaiqobäd   hatte   in   seiner    Hauptstadt 
einen  ansehnhchen  Kreis   persischer   Dichter  und   Gelehrter  um  sich 
versammelt.     Lange  vor  dem  Mongolensturm  hatten  bekanntHch  des 
eroßen  Dscheläl  ed-din  Vater  sowie  der  Sohn  dort  gasthche  Aufnahme 
und  fürsthchen    Schutz  gefunden.      Oonia  war  zur  Pflegestätte  per- 
sischer Bildung  und  persischen  Glaubens  geworden.    Im  ganzen  "Land 
entstanden  Moscheen,  Medresen,  Derwischklöster  vor  allem  jener  Ge- 
nossenschaft,   die  Dscheläl   ed-din   ihre  Gründung   verdankte.      Man 
nährte    damit  freilich  eine    Schlange   am  Busen.      Immer  mächtiger 
wurde  der  Einfluß,  den  das  Derwischtum  auf  das  öffentliche  Leben 
nahm,  und  die  von  ihm  getragene  schwärmerische  religiöse  Richtung, 
wie  sie  im  Süfismus  ihren  Ausdruck  fand,    gewann  immer  mehr  an 
Boden-).      Von  ihrer  Ausbreitung  läßt  sich  aus  dem  Berichte   Ibn 
Battüta's,   der  im  Jahre  733  d.  H.   (1333  n.   Chr.)  von  der  Küste 
Qaramäns   quer  durch  Kleinasien  nach   Sinöb  pilgerte,   ein  anschau- 
liches Bild  gewinnen.    Er  traf  eine  über  ganz  Anatolien  verstreute  Art 

von  Vereinigung,  die  er  mit  ^.j.^l\  :<.1^\,  »Brüderschaft  der  jungen 
Tvcute«  bezeichnete  '^<]  und  in  der  man  unschwer  einen  jener  männer- 
natürlich ebenfalls  hierher  zu  stellen.  iMeilich  hieß  'Osniän's  Sohn  und  Nachfolger  Urhan. 
als  letzter  Triiger  eines   nichlniuslimischen  Namens  im  Hause  der  Osmanen. 

')  Vgl.  über  das  Griechentum  Kleinasiens  der  damaligen  Zeit  die  erweiterte  Jenaer 
Doktorschrift  von  Albert  Hugo  Wächtü::;,  Der  Verfall  des  Griechentums  in  Kleinasien 
im  XIV.  Jahrhundert.     Leipzig  1903. 

-)  Über  die  ,..jJ>  jo  .-t'-J^  »heretic  myrmidons«  im  Seldschuqenreich  vgl.  die  sehr 
interessanten  Angaben   von  E.  G.  Brovvnk  im  IRAS.    1902,  S.   572  ff. 

3)  Vgl.  Voyages  d' Ibn  BaloiUah,  hrsg.  von  Ch.  Defrkmery  und  B.  R.  S.-\nguinetti, 
Paris    1859,  II.  Bd.,  S.  260  ff. ;  S.  282  ff.,  dazu  A.  v.  Kremer,  Geschichte  der  herrschenden 


Schejch  Bedr  ed-dm,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  f-i 

bundartigen  Derwischorden  wiedererkennen  kann,  die  bis  heute  im 
osmanischcn  Reiche  sich  erhalten  haben  ^).  Zugleich  erhellt  aus  den 
Angaben  des  arabischen  Reisenden,  daß  damals  jene  Glaubensspaltung, 
die  in  späteren  Tagen  einen  in  rücksichtsloser  Verfolgung  der  Der- 
wische sich  äußernden  Haß  hervorrief,  noch  nicht  zutage  getreten 
war.  »Der  Islam  war  noch  zu  jung  in  Kleinasien,  und  das  Volk,  das 
dort  sein  Träger  und  Verfechter  war,  die  turkmenischen  Stämme, 
war  ein  rohes,  unverdorbenes  Hirtenvolk,  das  keine  Ahnung  davon 
hatte,  welcher  gefährliche  innere  Gegensatz  zwischen  dem  ortho- 
doxen Islam  und  der  poetischen  Schwärmerei  der  persischen  Süfis 
eigentlich  bestand.  Der  dortige  Klerus,  größtenteils  turkmenischer 
Nationalität,  war  ein  wenig  gelehrter  und  deshalb  auch  weniger  streit- 
süchtiger, behäbiger  Stand  von  gemütlichen  Dorf-  und  Landgeist- 
lichen, die,  zufrieden  mit  ihrer  durch  reiche  Spenden  der  Fürsten 
und  des  Volkes  abergläubische  \"erehrung  höchst  erfreulichen  Stel- 
lung, noch  lange  nicht  das  Bedürfnis  fühlten,  Ketzer  zu  verbrennen «.2) 
Dazu  stimmt  denn  auch  sehr  gut   die   Schilderung   Ibn    Battüta's 

Ideen  des  Islam.';,  Leipzig  i8öS,  S.  450  ff.,  sowie  neuerdings  H.  Thorning,  Beiträge  zur 
Kennfnis  des  islam.  Vereinswesens,  im  16.  Bd.  der  Tiirk.  BibL,  Berlin  1913,  S.  214.  Vgl. 
dazu  J.  V.  Hammer's  im  JA.,  V.  Reihe,  6.  Bd.,  .S.  2S9  vertretene  Ansicht,  die  »achija 
al-fitjänn  sei  ein  Ritterorden  gewesen.  Es  kann  mit  Sicherheit  angenommen  werden, 
daß  dieser  ausgesprochene  Männerbund  erst  im  14.  Jahrhundert  aufkam.  Wenigstens  ist 
in  den  Auszügen  aus  dem  gewaltigen  Sammelwerk  »Masähk  al-absär  ß  mamälik  al-amsär« 
des  Ibn  Fadl  ."Mläh  al-'Omarl  (st.  748/1348  als  Staatssekretär  zu  Damaskus  an  der 
Pest),  die  Etienne  Quatremere  im  XIII.  Band  der  Notices  ei  exlraüs  des  maniiscrits  de 
hl  Biblioth^que  du  Rot,  Paris  1838,  S.  151-^384  veröffentlicht  hat,  in  dem  auf  Kieinasien 
bezüglichen  Teil  (S.  334  ff.)  mit  keinem  Worte  cla\  011  wie  überhaupt  \om  Derwischwesen 
die  Rede.  Jljn  l'a  dl-AUäli  halle  drei  Gewährsmänner,  nämlich  den  Bericht  des  Abu 
M-fadl  'Abd  Allah  ibn  al-'l'ähir  über  den  Feld/.ug  des  Mamlukensultans  Baibars  I. 
Bunduqdärl    (st.      676/1227),      des    Schejchs     Haidar     Trjän    ( ? «  .  ',.  J -£ »)   sowie  des 

Freigelassenen  des  (OHH- «/-/.■(!/;?■(-    Bahädur  MuMz/.T.    genannt   Ha  I  a  ban  (  ..Lxlj  =^  türk. 

.. ,Ljj1.J,  d.  i.  grof'i.  dick,  stark,  also  wohl  sein  or.  Spitzname,  nialjlas),  eigentlich  Dome- 
nic[hin]o  Doria,  eines  Sprossen  des  uralten  genuesischen  Adelsgeschlechtes  und  Sohnes 
des  Taddeo  Doria  (vgl.  a.  a.  ().  S.  347,  wozu  ich  verweise  auf  M.  Amaki's  wichtige  Ab- 
handlung fiAl-'T'marl,  Condizioni  degli  Stall  chrisliani  dell  'Ocridenle«  usw.  im  XI.  Bande 
der  Atti  della  K.  -Accad.  dei  Lincei,  Rom,  1882/83,  auch  als  SA.  (XV,  23  Ss.,  dazu  3  Ss. 
aggiunte  e  corresioni)  sowie  auf  die  .anzeige  Raffaei.e  SxARRAnnA's  iiu  Arch.  stör,  sicil., 
VIII.  Bd.,  S.  222 — 224,  Palermo.  1883).  Es  darf  angenommen  werden,  daß  wenigstens 
einer  dieser  Berichterstatter  jener  auffallenden  Erscheinung  gedacht  halte,  es  müßte 
denn  sein,  daß  in  Ibn  Fadl  A  lläh's  Werk  an  anderer  Stelle  da\:on  die  Rede  geht.  Leider 
ist  es  noch  ungedruckt. 

■)  Vgl.  dazu  »Associatiovs  de  jeiines  gens  chez  les  'l'urcomans  d'Anatolie«  des  Pariser 
Soziologen  G.  Papili.aiu.t  in  der  Revue  de  l'Ecole  d' Anthropologie,  XIV.  Bd.,  Paris  1906 
S.  369 — 372  (unsäglich  naiv!). 

-)  V^gl.  .-\.   v.    Kremer,   Gesell,  der  herrsch.   Ideen,   S.   440     45'». 


I^  FranzBabinger, 

von  der  ungestörten  Behaglichkeit  und  beschauHchen  Ruhe,  die  über 
dem  Lande  lag.  Freilich  traten,  je  mehr  das  Derwischwesen  im  Ein- 
fluß zunahm,  der  sich  schließlich  sogar  auf  die  Thronfolge  erstreckte  ^) 
und  der  einem  aus  dem  Kreise  jener  Schwärmer  sogar  zum  Fürstentum 
verhalf  ^),  hin  und  wieder  Gegensätze  und  Unruhen  auf,  die  mehrmals 
einen  bedrohlichen  Anstrich  trugen  3).  Diese  Auflehnungen  gegen  die 
Staatsgewalt  hatten  indessen  keine  weiteren  Folgen,  und  äußerlich 
änderte  sich  nichts  an  den  behaglichen  Zuständen,  als  das  Land  aus  ' 
den  Händen  der  Seldschuqen  vorübergehend  in  mongolische  Abhän- 
gigkeit geriet.  Im  Gegenteil;  damals  scheinen  sich  die  Schleusen,  die 
Anatolien  mit  fast  ausschließlich  aus  Khoräsän  zuströmenden  Ge- 
lehrten und  süfischen  Predigern  überschütteten,  erst  voll  geöffnet  zu 
haben.  Hat  man  ja  nicht  ohne  Grund  vermutet,  daß  die  Dschingis- 
khäniden  trotz  ihrer  Zugehörigkeit  zum  Islam  dem  Süfitum  gar  nicht 
ablehnend  gegenüberstanden  4). 

Auch  die  osmanische  Herrschaft  brachte  keinen  Wandel  in  der 
Behandlung  der  persischen  Derwische    und  Gottesgelehrten.      Schon 

0  Vgl.  J.  V.  Hammer,  Gtrsch.  des  osman.  Reiches,  I.  Bd.,  S.  152  ff.;  A.  v.  Kremer, 
a.  a.  0.  S.  449. 

-)  nämlich  dem  Derwisch  Nur  Süfl,  der  sich  Selefke's  bemächtigte  und  später,  mit 
dieser  Burg  und  der  Umgegend  behehen,  als  Ahnherr  des  Qaramänengeschlechtes  den  Os- 
manensultanen  viel  zu  schaffen  machte.  Er  soll  von  Geburt  ein  Armenier,  nach  andern 
Quellen  ein  Jude  gewesen  sein.  Vgl.  dazu  J.  v.  Hammer,  a.  a.  0.  I  195.  Der  Qaramäne 
Nur  .Süfl  stand  übrigens  mit  Baba  Iljäs  im  Bunde. 

3)  Über  Derwischunruhen  im  seldschuqischen  Qonia  vgl.  z.  B.  Taschköprüzäde's 
Schaqaiq  al-nu^mänlja,  türk.  Ausgabe  des  Medschdl,  Stambul,  1869,  S.  23,  wo  von 
einer  geplanten  Derwischempörung  unter  Ghijäs  ed-din  (634 — 657  =  1236 — 1259)  die  Rede 
ist,  in  die  'Äschiqpascha's  Großvater  Baba  Iljäs  verwickelt  wurde.  Es  fand  eine  große 
Metzelei  unter  den  Süfls  statt.  Vgl.  dazu  E.  J.  W.  Gibb,  History  of  Oltoman  Poetry,  I, 
S.  177,  4.  Anm.,  ferner  M.  Tu.  Houtsma,  Reciieü  des  iextes  relatifs  a  Vhistoire  de  Seld- 
joncides,  IV.  Bd.,  S.  227—230  (Baba  Ishäq),  Leiden  1902.  —  Über  spätere  Derwisch- 
empörungen soll  noch  die  Rede  gehen.  Hier  sei  nur  an  den  großen  Derwischaufstand 
erinnert,  der  1527  in  Qaramän  ausbrach  und  den  ein  angebhcher  Abkömmhng  des 
Häddschi  Bektasch,  Qalender-oghlu,  leitete  (vgl.  PetschewI,  Td'rtfy,  I.  Band,  S.  120 
(Stambul  1283),  J.  v.  Hammer,  GdOR.,  III,  67  ff.),  ferner  an  die  offenbar  von  den  Persern 
geschürte  Auflehnung  des  y>ma/idt«.  Dscheläll  (darnach  dschelält=  Aufruhrer,  vgl.  Sämi, 
Qdmüs-i  türkt,  Stambul,  1317,  S.  478  c!)  zu  Turchal  westl.  Toqat  im  Spätwinter  1520. 
Vgl.  Sa*d  ed-din,  II,  384  ff.;  Solaqzäde,  S.414,  bes.  M.  Sanuto,  niarii,  XXVIII.  Bd., 
Sp.  409  (wichtig!). 

4)  Vgl.  V.  D.  Smir.noff,  Les  vers  diis  )}Seldjouk«  et  le  christianisme  iure.  Actes  du 
XL  congres  international  des  orientallstes,  IIL  section,  Paris  1899,  S.  143  ff.  Smirnoff 
handelt  über  die  religiöse  Grundlage  der  bekannten  Seldschuqenverse  im  Rabäbnäme  und 
bespricht  unter  anderem  auch  die  Frage,  welchem  Glauben  Timur  angehört  habe.  Er 
kommt  dabei  zu  dem  Ergebnis,  daß  er  sich  zu  irgendeiner  Sekte  bekannte,  die  dem  Süfitum 
nahestand, 


Schejch  Bedr  ed-din,   der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  I  c 

*Osmän,  der  Begründer  des  Hauses,  schuf  Herbergen  und  Moscheen, 
während  sein  Nachfolger  Urhan  die  Derwische  ausgesprochen  be- 
günstigte und  in  seiner  neuen  Hauptstadt  ein  Dcrwischkloster  nach 
dem  andern  errichten  Heß  ').  In  Brussa  hauptsächhch  blühte  ein  reges 
geistiges  Leben,  dessen  Förderer  jene  persischen  Mystiker  waren,  die 
immer  neuen  Zuzug  vom  Osten  erhielten.  Beim  Lesen  der  Lebens- 
beschreibungen des  Taschköprüzäde  ergibt  sich  die  auffallende  Fest- 
stellung, daß  sich  in  jenen  Zeiten  eine  ungewöhnlich  große  Zahl  von 
persischen  Einwanderern,  heiligmäßigen  Männern  und  Glaubenslehrern 
am  Hofe  der  Osmanenherrschcr  einfand  und  dort  offenbar  gastliche 
Aufnahme  fand.  Wir  sind  über  die  Ausbreitung  des  Schi'itentums  in 
der  Frühzeit  der  osmanischen  Herrschaft  leider  nur  sehr  ungenügend 
unterrichtet.  Soviel  läßt  sich  jedoch  mit  Sicherheit  behaupten,  daß 
wenigstens  in  gebildeteren  Kreisen  weite  Schichten  ihm  anhingen  und 
sogar  einzelne  Teilfürsten  Kleinasiens  sich  offen  zu  ihm  bekannten. 
So  wird  wohl  nicht  ohne  Grund  von  den  Aidin-oghlu  die  Zugehörigkeit 
zum  Schritismus  vermutet.  Das  gewöhnliche  Volk  freilich  stand 
ihm,  zunächst  wenigstens,  fremd  gegenüber.  Das  Süfitum  stellte 
viel  zu  hohe  Anforderungen  an  das  Denken  und  die  geistige  Beweg- 
lichkeit, wie  sie  in  der  Natur  des  arischen  Persers  begründet  liegt, 
dem  Wesen  des  trägen,  geistig  stumpfen  Turkmenen  um  so  ferner 
liegen  mußte.  Weiter  ab  von  den  Sammelstätten  geistigen  Lebens, 
bebaute  damals  ein  Menschenschlag  die  Fluren  Anatoliens,  unbe- 
kümmert um  jede  höhere  Regung,  ausgestattet  mit  einer  verschwom- 
menen und  unklaren  Vorstellung  von  Gott  und  der  überirdischen  Welt, 
die  damals  auch  mit  der  Lehrmeinung  des  sunnitischen  Islams  nur 
wenig  gemeinsam  gehabt  haben  mochte.  Der  zur  Herrschaft  gelangte 
Islam,  verquickt  mit  türkischem  Volkstum,  trat  indessen  als  Staatsord- 
nung auf:  der  Türke  war  der  Herr,  der  Nichttürke  Sklave.  Durch  An- 
nahme des  Islams  erwarb  dieser  sich  mit  dem  herrschenden  Glauben 
die  herrschende  Volkszugehörigkeit,  ein  Vorgang,  der  nicht  immer  und 
überall  die  religiöse  Überzeugung,  ja  nicht  einmal  das  Verständnis 
dafür  im  Gefolge  gehabt  haben  wird.  Auf  die  Begriffslosigkeit  des 
einfältigen  Bauernvolkes  pochend  durchzogen  Scharen  die  Lande,  die, 
als  Derwische  zu  einer  der  unzähligen  Genossenschaften  vereint, 
weniger  das  Ziel  eines  gottgefälligen  Lebens  als  die  Ausbeutung  der 
biederen  Landleute  zur  Fristung  ihres  untätigen  Daseins  vor  Augen 

0  Vgl-  J-  V.Hammer,  Gesch.  des  osm.  Reiches,  I,  105  ff.  — Der  Name  Keschisch-daghi, 
d.  h.  sMönchsberg«,  zu  dessen  Füßen  Brussa  liegt,  erinnert  zweifellos  an  die  vorislamischc 
Zeit,  da  keschisch  (vgl.  ar.  qasis)  nur  für  den  christlichen  Mönch  oder  Priester  gebraucht 
wird.  Vgl.  die  Geschichte  des  Namens  {dschebel  ruhbäu  ja'in  keschisch  daghi)  bei  Ewlijä 
II,  29,  dagegen  aber  Lelnci.avius,  Histor,  Musulm.,  Sp.   199,  6. 


jß  F'ranz  Babin.^er, 

hatten.  Wie  gut  ihnen  das  gelang,  zeigen  die  Schilderungen  abend- 
ländischer Reisender,  die  uns  ein  anschauliches  Bild  von  dem  Treiben 
dieser  Gesellen  geben.  Sie  traten  hin  und  wieder  als  Verkündjer  neuer 
Lehren  auf  und  verhetzten  das  zu  notdürftiger  staatlicher  Einheit 
zusammengeschlossene  Volk  wider  Herrscher  und  Herrschertum.  So 
war  es  schon  im  alten  Seldschuqenreich  gewesen,  so  wiederholt  es 
sich  im  Verlaufe  der  osmanischen  Geschichte  bis  herauf  in  das  19.  Jahr- 
hundert. 

Um  die  Wende  des  15.  Jahrhunderts  zeigte  sich  allmählich,  wie 
gefährlich  der  Landesruhe  die  Gastfreundschaft  werden  müsse,  die 
man  den  Fremdlingen  aus  dem  Osten  lange  Jahre  hindurch  gewährt 
hatte.  Die  Gegensätze  des  schi'itischen  Süfismus,  der  in  einer  Reihe 
von  Derwischorden,  mit  Bestimmtheit  aber  in  dem  mächtigsten  unter 
allen,  dem  der  Bektaschis,  seinen  Niederschlag  und  Rückhalt  gefunden 
hatte,  mit  der  herrschenden  sunnitischen  Richtung  des  Islams  traten 
immer  deutlicher  und  bedenklicher  in  die  Erscheinung.  Eine  Sekte 
nach  der  anderen  schoß,  Pilzen  gleich,  aus  dem  Boden.  Es  sei  hier 
nur  an  die  um  1400  entstandene  Halwetije  erinnert,  die  unverkennbar 
schi'itisches  Gepräge  trug.  Sogar  die  Dichtkunst  hatte  sich  in  den 
Dienst  der  fremden  Gedankenwelt  gestellt.  NesTmi,  sein  Schüler 
Refi*i  ^)  und  der  gotteslästernde  Temcnnäji  verherrlichten  in  ihren 
Liedern  die  Geheimlehre  jenes  Fadl  Aliäh  aus  Astaräbäd,  die  in  seinen 
Hurüfl  (Buchstabendeuter)  genannten  Anhängern  eine  unheimhche  Ver- 
breitung gerade  um  das  Jahr  800  (1397-98)  herum  gefunden  haben 
muß,  die  freilich  sowohl  ihrem  Gründer  wie  Nesimi*)  das  Leben  kostete. 
Während,  im  Grunde  das  Süfitum  bloß  auf  einen  innerlichen  Aufbau 
des  religiösen  Lebens  abzielte,  fanden  sich  genug  Vertreter,  deren 
Meinung  in  einer  grundstürzenden  Erfassung  und  Umgestaltung  des 
islamischen  Glaubensgcfügcs  gipfelte.  Zunächst  drohte  schon  ein 
Umstand  gefährlich  zu  werden;  die  Erkenntnis  der  Belanglosigkeit, 
ja  Gleichgültigkeit  der  Glaubensform  gegenüber  der  großen  heiligen 
Wahrheit,  zu  deren  Erstrebung  der  ganze  Entwicklungsgang  des  Süfi 
hindrängte  3),   fand   mehr   als   einmal   in   öffentlichen   Kundgebungen 

■)  Vgl.  über  sie  E.  J.  \V.  Gibb,  History  of  Oüoman  Poetry  I.  S.  336  ff.  —  Über 
Temennäil,  vgl.  J.  v.  Hammer,  GdOD.   I.  214  ff. 

^)  Neslml,  aus  NesTm  bei  Baghdäd,  wie  das  lahalliis  besagt,  hieß  eigentlich  Sejjid 
'Imäd  ed-dln;  vgl    'All,    Künh  ül-ahbär  V,  240. 

3)  Vgl.  den  Vers:  »Weder  Christ  bin  ich  noch  Jude  noch  Muslim«  bei  Dscheläl  ed- 
din Rüml.  I.  GoLDZiHER,  Vorlesimgen  über  den  Islam,  Heidelberg  iqio,  S.  170. 
Außer  *Omar-i  Haj  jäm  u.  a.  äußert  sich  ähnlich  auch  der  qalender  Turäbl  (vgl.  Ewlijä 
I»  385)  aus  Qastamuni,  der  Lehrer  des  unglücklichen  Prinzen  Dschcm  (st.  900/1495);  vgl. 
den  Vers  bei  E.  J.  \V.  Gibp,  Hist.  of  Ott.  Poetry,  II,  368. 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des   Richters   von  Simäw.  (  '■ 

einen  bedrohlichen  Ausdruck.  In  der  Seele  des  die  Vereinigung  mit 
der  Gottheit  Suchenden  verlor  die  Verschiedenheit  der  Bekenntnis- 
formeln und  der  Glaubensübungen  jegliche  Bedeutung.  Unter  diesem 
Gesichtspunkt,  nicht  etwa  aus  der  Annahme  einer  Hinneigung  zum 
Christentum  ^),  scheinen  mir  jene  Tatsachen  aufgefaßt  werden  zu 
müssen,   die  in  der   Literatur  sich  erhalten  haben. 

Zu  alledem  tri.tt  noch  ein  weiterer  Umstand,  der  dem  auf  sun- 
nitischer Grundlage  errichteten  osmanischen  Staatsgebäude  bei  einem 
Überhandnehmen  der  schiStischen  Richtung  besonders  gefährlich 
werden  mußte,  jener  Glaube  an  den  dereinstigen  Welterlöser,  der  am 
Ende  der  Zeiten  als  Imäm  Mahdl  erscheint,  um  die 'Welt  von  allem 
Unrecht  zu  befreien  und  das  Reich  des  Friedens  und  der  Gerechtigkeit 
aufzurichten.  Es  ist  dies  der  sogenannte  »verborgene  Imäm«,  dessen 
Wiedererscheinen  der  gläubige  Schi'ite  heute  noch  erwartet.  Die 
Forschungen  G.  van  Vloten's  ^),  Chr.  Snouck  Hurgronje's  3)  und 
neuerdings  I.  GoLDzmER's4)  haben  deutlich  aufgewiesen,  welche  Rolle 
die  Erwartung  jener  messianischen  Person  innerhalb  des  Schritentums 
spielt.  Während  im  sunnitischen  Islam  die  Mahdihoffnung  nicht  in 
die  Glaubenslehre  übergegangen  ist,  gibt  schon  der  Grundgedanke  des 
SchiStismus  den  günstigsten  Nährboden  für  die  Pflege  des  radsclfa- 
Gedankens  ab.  Stellt  sich  doch  diese  Glaubensrichtung  von  allem 
Anfang  an  als  ein  Einspruch  »gegen  die  durch  die  ganze  Islamgeschichte 
laufende  •  Vergewaltigung  und  Verdrängung  des  göttlichen  Rechts 
durch  die  Rechtsberaubung  des  zur  Herrschaft  allein  befugten  Ge- 
schlechtes der  'Aliden«  (I.  Goldziher,  a.  a.  0.  S.  232)  dar.  Entfaltete 
sich  also  von  vornherein  der  Mahdiglauben  gleichsam  als  »Lebensnerv 
des  gesamten  schi*itischen  Systems«  (GoLDzmER,  a.a.O.  S.  232),  so 
mußten  das  öffentliche  Leben  und  seihe  Verhältnisse  in  Kleinasien  jener 
Tage  den  Anhängern  des  Süfitums  als  ein  glatter  Bruch  mit  den  ide- 
alen Forderungen,  die  sie  ihre  Lehre  stellen  hieß,  als  eine  »fortgesetzte 

')  So  srhciiil  (;.  Jacob  die  Vorkommnisse  zu  verstehen;  vg\.Tiii-k.  Bibl.  IX.  Bd.,  S.  24. 
Ferner  seine  Bekiaschij je,  München,  1909,  S.  31.  —  Ich  verweise  besonders  auf  den  Ab- 
schnitt »SchT'itentum  im  Bektaschismus«  S.  38  ff.  Sein  Einfluß  ist  indessen  offenbar  viel 
grüßer  gewesen  und  liat  nicht  allein  die  Bektaschijjc  erfaßt.  -  -  VölHg  unberücksichtigt 
bei  der  Bektaschijje-Forschung  bheb  bisher  leider  das  unbetitelte,  dem  Häddsclil  Bek- 
lasch  selbst  zugeschriebene  türkische  Süfi-Werk,  das  Ch.  Riicr,  Ca/.  0/  Tiirkish  Mss., 
London  1888,   S.  246  a  mit  gewohnter  Gründhchkeit  beschreibt. 

-)  Vgl.  Rechri-ches  siir  la  domination  arabe,  Ic  chiitisme  et  les  croyances  messianiques. 
Verhaudelingen  der  KovinJdi.jke  Akademie  van  We/enschapen  le  Ainsferdiun,  Afdeeling  Letter- 
kinide,  Deel  I,  No.  3,   1894. 

3)  In  der  Revue  coloniale  internationale,  1886.  V^gl.  da/u  J.  Darmkstetf.k,  Le  Mahdi 
depiiis  les  origines  de  V Islam.     Paris  1885. 

^)  Vorlt's^ingcn  über  den  Islam,  S.  232  u,  ö. 
Islam  XI.  , 


jg  Franz  ßabingef, 

Versündigung  gegen  die  Religion  und  die  soziale  Gerechtigkeit«  er- 
scheinen. Dazu  trat  noch  die  im  Wesen  wohl  auch  buddhistische 
Auffassung,  daß  für  den  vollendeten  Mystiker,  für  den  auf  der  höchsten 
Stufe  der  Heiligkeit  angelangten  Gottesmann  die  Schranken  des  be- 
stehenden Gesetzes  fallen  und  er  sie  nicht  mehr  zu  beobachten  ver- 
pflichtet sei  ^).  Was  Wunder,  wenn  in  der  unendlichen  Not  und  Drang- 
sal jener  Tage  ein  Mann  erstand,  der  mit  seiner  Lehre  und  seinem 
Einfluß  glaubte  ihr  Halt  gebieten  zu  können  und  die  Zahl  jener  echten 
und  falschen  Propheten  um  einen  vermehrte,  die  das  Morgenland, 
ihre  eigentliche  Heimat,  seit  Jahrtausenden  hervorgebracht  hat? 

Soviel  sei  zunächst  über  das  geistige  und  gesellschaftliche  Leben 
im  jungen  Osmanenreiche  Kleinasiens  bemerkt. 

Auf  diesem  finstern  Zeitgrund  malet  sich 
Ein  Unternehmen  kühnen  Übermuts 
Und  ein  verwegener  Charakter  ab. 


Mit  dem  Umsichgreifen  des  Süfitums,  das,  trotz  seiner  Abhän- 
gigkeit vom  Schritismus,  mit  seiner  religiösen  Verträglichkeit  einen 
schroffen  Gegensatz  zur  Unduldsamkeit  des  rechtgläubigen  Schriten- 
tums  darstellt,  nahm  in  breiteren  Volksschichten  die  Verehrung  für 
jene  heiligen  Männer  zu,  die  mit  ihren  Lehren  und  religiösen  Weihe- 
liedern —  es  sei  auf  die  nlähi«  der  verschiedenen  Derwischorden  ver- 
wiesen 2)  —  einen  solchen  Einfluß  gewannen,  daß  der  Oor'än  und  sein 
Verfasser  gleichsam  in  den  Hintergrund  traten  und  gedrängt  wurden. 

Zuvörderst  sei  an  jenes  Vorkommnis  in  Brussa  erinnert,  wo  zur 
Zeit  Bäjazids  des  Wetterstrahls,  etwa  um  1400  herum,  auf  öffentlichem 
Markt  ein  Schwarmgeist  auftrat,  der  den  285.  Vers  der  zweiten  Oor*än- 
Sure  »La  nufarriqu  haiym  ahadin  min  rusulihi«  dahin  deutete,  daß 
man  Muhammed  nicht  über  Jesus  stellen  dürfe  3).    Dies  blieb  sicherlich 


J)  Vgl.  A.  V.  Kremer,  (lesch.  der  herrschenden  Ideen,  S.  256. 

-)  Über  die  ilähl's  vgl.  J.  v.  Hammer,  Gesch.  der  osm.  Dichtkunst  III,  196,  404;  vgl. 
ferner  M.  Hartmann,  Unpol.  Briefe  aus  der  Türkei,  Leipzig  1910,  S.  218.  Eine  Unter- 
suchung über  die  ilähVs,  vor  allem  Jünus  Emre's  und  Hudäjl's,  steht  leider  noch  aus. 
Deutsche  Bibliotheken  verwahren  sehr  wichtige  hsl.  Unterlagen.  Ich  stelle  7.usam:nen: 
Wien,  Katalog  G.  Flügel's  I,  705,  711,  III,  129,  412,  492;  Gotha,  Katal.  W.  Pkutsch, 
S.  15,  S.  32,  S.  185;  Göttingen,  Katalog  III.  Bd.,  S.  477  (U.S.  turc.  15I). 

^)  Vgl.  Qastamunili  Latifl,  Tezkire,  Stambul  1314,  S.  56.  In  der  Verdeutschung 
von  Thom.  Chabert,  Zürich  1800,  S.  52;  J.  v.  Hammer-Purgstali.,  Gesch.  der  osman. 
Dichtk.,  I,  S.  68;  E.  J.  W.  Gibb,  History  of  Ottoman  Poetry  I,  S.  232  ff.  Es  ist  nicht  sicher, 
ob  der  Redner  ein  Araber  war.  'All  sowohl  wie  Essejjid    Ismä'Il   Beligh   Brusewi, 


Schejch  Bedr  cd-dln,  der  Sohn  des  Richters  von  Simaw.  lg 

kein  Einzelfall  ^).  Aus  dem  eben  angezogenen  scheint  mir  unverkennbar 
jener  Süfi-Gedanke  herauszuleuchten,  daß  alle  Glaubensformen  und 
alle  Offenbarungen  »nur  Lichtstrahlen  einer  einzigen  ewigen  Sonne 
seien,  daß  alle  Propheten  nur  in  verschiedenen  Sprachen  dieselben 
Prinzipien  des  Ewigguten  und  Ewigwahren  vorgetragen  und  ver- 
kündigt hätten,  deren  Urquelle  die  Weltseele,  die  Gottheit  sei«  2). 

SCHEJCH  BEDR  ED-DlN'S  LEBEN. 

Die   Hauptquelle  für  die   Lebensgeschichte  Bedr  ed-dln's  bilden 
die  bekannten   »Anemonenrosen,  betreffend  die  Gelehrten  des  *osma- 

Ta^rib-i  Brusa  jä^od  güldeste'i  rijäz-i  Hrfän,  Brussa  1302,  bezeichnen  ihn  ausdrück- 
hch  als  persischen  Kaufmann.  Vgl.  E.  J.  W.  Gibb,  a.a.O.  S.  233,  i.  Anm.;  Jos. 
V.  Hammer,  a.  a.  0.  I,  68,  3.  Anm.  Das  Wesentliche  dabei  ist,  daß  er  offenbar  kein 
Türke  war. 

*)  So  trat  drei  Monate  nach  dem  großen  Derwischaufruhr  in  Qaramän  zu  Stambul 
ein  Ketzer  namens  Qäbid  (natürlich  ein  Perser  von  Geburt,  wie  in  'Atäji's  Nachtrag 
(zejl)  zu  den  SchaqäHq,  Stambul  1268,  S.  88—89  zules^n  ist'  auf,  der  ebenfalls  Jesus  nicht 
unter  Muhammed  stellen  wollte.      Er  wurde,  nachdem  es  der  Zungenfertigkeit  der  tür- 
kischen 'Ulemä  nicht  gelungen  war,  ihn  zu  widerlegen,  auf  Geheiß  des  Großherrn  am  28. 
Oktober  1527  hingerichtet.  Vgl.  Mouradgead'Ohsson,  Tableau  defEmpire  Ottoman  I,  154; 
Petschewi,  Ta^rilj,  Stambul  1283,  I,  S.  124;  J.  v.  Hammer,  Gesch.  des  osm.  Reiches  IV, 
S.  69;  kurze  Zeit  darauf,    im   Jahre  1561,    trat  der  Schejch  Hamza   mit   der  gleichen 
Lehre  an  die  Öffentlichkeit.  J.  v.  Hammer,  a.  a.  0.  IV,  S.  236.  Fast  der  gleiche  Fall  wird 
unterm  6.  Juni  1573  von   Stef.  Gerlach,  Tage-Buch,    Frankfurt   1674,   S.  22  berichtet. 
Ich  verweise  bei  dieser  Gelegenheit  auf  einige  verborgene  europäische  Quellen  über  die 
hurüfija.   Nicht   Nicolas    de  Nicola y,    wie    man    bisher    vermutet  zu    haben  scheint 
(vgl.  z.  B.  E.  J.  W.  Gibb,    Hist.   of   Ott.    Poetry  I,    S.  356   ff.),    sondern    der  Genuese 
Giovanni  Antonio   Menavino,     der   jahrelang    in    türkischer     Sklaverei    schmachtete 
und   auch  am  Sultanshof    lebte,    Heferte  die  Hauptquelle    für   das   türkische  Derwisch- 
wesen  um    1540.      In   seinem    1548    erstmals    zu.  Florenz    erschienenen,    nachmals   un- 
gemein häufig  übersetzten  »Trattato  de'  cos  umi  e  vita  de'  Tiircht«,  von  dem  noch  die  Rede 
sein  wird  (s.  unten  S.  59),  spricht  er  ausdrücklich  von  Nesiml  und  bezeugt:  »per  haver 
letto  parte  de  suoi  libri,  ho  compreso  chiarmente  come  egli  teneva  molto  la  parte  della 
Christiana  fede«.    Hundert  Jahre  später  berichtetder  Schwabe  Hans-Jakob  Breuning 
v.  Buchenbach  (f  1612),  sicherlich  unabhängig  von  Menavino  und  seinen  ungezählten 
Nachschreibern,  in  seinem  seltenen  Wanderbuch  »Orientalische  Reyss«  (Straßburg   1612) 
von  seinen  Erlebnissen  in  der  Türkei  i.  J.  1579.      S.  60  spricht  er  von  den  »horise  (Jiurife, 
wobei  s  aus  lang-f  =  f  verdruckt;  die  süfiler  nennt  er  »czotiler«),  welche  dafür  halten/  das 
ein  jeder  in  seinem  Glauben  selig  werde /diese  aber  werden  verbrennet  als  Ketzer /Auff- 
wiegler  vnd  Meutmacher«;  vgl.  jedoch  dazu  Christ.  Richer,  De  rebus  Turcarum.     Paris 
1540,  S.  74  oben.  —  Das  )>AzamiaH  des  Nicolas  de  Nicolay  (aus  Menavino)  ist  natür- 
lich nicht  Amasia,  wie  E.  J.  W.  Gibb  vermutet  (I,  357,  3.  Anm.),  sondern  'adschemi,  d.  h. 
persisch.  —  Ebenso   erklärt  sich  sehr  einfach  » Adzamisches  Land«  in  ZDPV,  XIX.  Bd. 
(1896).  S.  116,  22.  Z.  V.  0. 

*)  Vgl.  darüber  A.  v.  Kremer,  Gesch.  der  herrschenden  Ideen  S.  438,  ***  Anm.  mit  dem 
Auszug  aus 'A b d  al-wahhäb  al-Schä*räni's   f>M-ba^ir  al-mawrüdv,  Kairo  1278,  S.  29. 


20  Franz  ßabingef, 

nischen  Reiches'  {schaqäSq  al-nu'-mänlja  fi^ulamä  al-dawla  al-^ostnd- 
ntja)«  des  Mollä  Taschköprüzäde  (st.  968/1560).  Wenn  ich  im 
folgenden  der  türkischen,  vom  Mollä  Mehmed  el-Medschdi 
(st.  999/1590)  besorgten  Übertragung,  die  1269  zu  Stambul  gedruckt 
wurde,  und  nicht  dem  in  zwei  völlig  übereinstimmenden  Ausgaben  ^) 
vorliegenden  arabischen  Text  folge,  so  geschieht  dies  wegen  der  größeren 
Ausführlichkeit  der  Übersetzung,  die  uns  aus  einem  wohl  verloren 
gegangenen  Werk  Ibn  'Arabschäh's  wenigstens  einige  wichtige 
Angaben  überliefert  -). 

Bedr  ed-din  Mahmuds)    b.   Isrä'il    b.    *Abd    al-*Aziz    entstammt 

1)  Am  Rande    von    Ibn    Hallikän's   Wafajät    al-a'jän  wa   anbei*  ahiä''  al-zamnn. 
Büläq,  I.  Bd.,  S.  iii  ff.  (1209)  —  ebenda  in  der  Ausgabe  vom  J.  1300,  S.  54. 

*)  Nämlich  in  den  »Halsketten  des  Rates«  {'uqüd  al-nasl/ta),  deren  Benutzung 
Taschköprüzäde  ausdrücklich  erwähnt  und  die  er  auch  in  der  Lebensbeschreibung 
des  Ibn  'Arabschäh  (S.  74  der  türk.  Übers.)  anführt.  Das  Werk,  das  offenbar  eine 
Art  Selbstleben  darstellt,  wäre  schon  deshalb  als  Quelle  für  die  Lebensgeschichte  Bedr 
ed-dln's  besonders  wichtig  und  wertvoll,  weil  Ibn  «Arabschäh  zehn  Jahre  hindurch 
(gjj — 325;  vgl.  Taschk.  a.  a.  0.  S.  74  oben)  Prinzenerzieher  am  Hofe  Sultan  Mehemmeds 
zu  Adrianopel  war  und  so  die  ganzen  Ereignisse  aus  nächster  Nähe  miterlebte.  Es  ist  mir 
nicht  gelungen,  in  einer  europäischen  Sammlung  eine  Handschrift  der  »'Uqüd  (so  und 
nicht   »Uniqüd«,  wie  Taschk.   schreibt,  -wird  zu  lesen  sein)  al-nasi/ia«  nachzuweisen. 

3)  Gelegentlich   einer   Durchsicht   der   in   Taschköprüzäde's   Werk   aufgeführten 
Namen  fiel  mir  auf,  daß  sich  bei  den  mit  ed-dln  zusammengesetzten  alqäb  (hu(uh)  immer 
gewisse  Entsprechungen  des  'a/aw  nachweisen  lassen;    ich    führe    (aus  Taschk.)   einige 
dieser  Paare  an:   Bedr  ed-din  Mahmud  (vgl.  Taschk.  S.  71,  323,  401,  467  (zweimal),  507), 
'Alä'ed-dln  'AH,  Husäm  ed-din  Husain  (oder  Hasan!),  Muhji  ed-din  Mehmed,  Muslih  ed-din 
Mustafa,   Schems   ed-din  (auch   Schihäb   ed-din)  Ahmed,  Tädsch  ed-din   Ibrahim,   Sinän 
[ed-din]  Jüsuf.  Zum  letzten  Namenpaar  vgl.  Ferheng-i  Schu'i'in  II,  Bl.  95  r  u.  d.  W.  sivän: 
»Die  zweite  Bedeutung  (von  si>:äi)  ist  Jüsuf,  d.  h.  man  nennt  die,  die  Jüsuf  heißen,  auch 
Sinän«.   Dies  ist  freilich  richtig  (vgl.  z.  B.  die  SiegeUnschrift  bei  J.  v.  Hammer-Purgstall, 
Die  Siegel  der  Araber,  Perser  und  Türken,  Wien  1850,  S.  44;  ferner  Gesch.  des  osm.  Reiches 
III,  745  und  Staatsverfassung,  II,  336,  Anm.  *.     Sinän  ist  'sehr  häufig  der  Name  christ- 
licher Abtrünniger,  die  ursprünghch  wohl  Josef  hießen),  allein  der  Grund  dieser  Zusammen- 
stellung wird  damit  keineswegs  beleuchtet.     J.  H.  Garcin  de  Tassy  kommt  auch  in  der 
Neuauflage   seines   erstmals  1854  im.  JA.  erschienenen  »Memoire  sur  les  noms  propres  et 
les  titres  miisitlmans«,  Paris  1878,    auf  diese  Tatsache  nicht  zu  sprechen  und  erwähnt  nur 
»une  Sorte  de  regularite  pretentieuse«  bei  den  a'läm.  Die  Bildungen  mit  ed-ain  sind  dort 
weniger  ausführiich  als  bei  G.  Flügel  in  Ersch's  und  Gruber's  Allg.  Enzyklop.  II.  Sekt., 
12.  Teil  (Lpz.  1835),    S.  161,  I.  Anm.  zusammengestellt.     Sie  waren  bekanntlich  im  Sel- 
dschuqenreich  besonders  behebt  und  auch  ein  Qaramänbej  und  Enkel  jenes  NOr-.">üfi,  der 
nach  dem  Sturz  der  Seldschuqenmacht  von  Qonia  i.  J.   1308  unumschränkter  Herrscher 
von   Laranda,  Qonia   und  Umgegend  ward  und  das   Reich  seines  Großvaters  befestigte, 
führte  .den  Namen  Bedr  ed-dln  Mahmud  (678/719=  1279/1319).  Vgl.  dazu  Max  van 
Berchem  in  BA  VI,  i  (1909)  S.  115,  Anm.  ('Ali  =  'Alä'  ed-dln?,  ebenda  S.  121).   Sehr 
belangreich  sind  nun  in  diesem  Zusammenhang  die  Mitteilungen  I.  Goldziher's  aus  dem 
Sittcnspiegel   des  um  904  d.  H.  in  den    östlichen  Islamländern   reisenden  Eiferers  'Ali 
b.    Maimün    al-MaghribI  (st.  917/151 1)  in  ZDMG.  XXVIII,  1874,  S.  306.    Er  hält 


Schejch   Bcdr   cd-dln,   der  Sohn   des   Richters   von   Siniäw. 


21 


einem  Geschlecht,  das  zu  dem  altangesehensten  des  seldschuqischcn 
Reiches  zählte  ^).  Sein  Vater  Isrä'il  soll  ein  leiblicher  Neffe  des  Sultans 
*Alä'  ed-dln  -)  gewesen  sein.  Man  hat  sicher  ganz  grundlos  die  Richtig- 
keit dieser  Angabe  in  Zweifel  gezogen.  Schon  der  auffallende  Name 
Isrä'ils),  den  bekanntlich  einer  der  Söhne  Seldschuqs  trug,  spricht  eigent- 
lich dafür.  War  ja  doch  die  Verwendung  christlich'er  und  jüdischer  Namen, 
wie   Mihä'll,    Jünus,    Müsä,    die  sich  wohl  mit  der  Nachbarschaft  der 


sich  darin  über  die  ketzerische  Unsitte  auf,  an  Stelle  der  alten,  gutgläubigen  Namen  neue, 
prangende  Bezeichnungen  zu  setzen,  so  etwa  statt  ^luhammed  stets  Schems  ed-dln, 
statt  Abu  Bekr  Taql  ed-dln  zu  sagen.  Ein  Vergleich  mit  diesen  und  weiteren 
von  'All  b.  Maimün  gegebenen  Proben  zeigt  jedoch,  daß,  falls  diese  Beispiele  niclit 
willkürlich  gewählt  sind,  die  gleichzeitigen  osmanischen  Namenführungen  nicht  etwa  als 
Ersatznamen  aufgefaßt  werden  können,  sondern  als  nebeneinander  bestehende  und 
verwendete  Namenpaare.  Eine  wichtige  Stelle  über  die  Verwendung  der  Namen  auf 
cd-din  im  allgemeinen  gibt  Ibn  Battüta  II,  363,  6  (Pariser  Druck).  Zu  den  'Abbäsiden- 
titeln,  wo  Namen  auf  cJ-diii  und  id-daida  ehrenhalber  sogar  mittels  Briefen  (vgl.  A.  v. 
Kremer,  Herrsch.  Ideen,  S.  417:  Hartwig  Derenbourg,  Onsama  ibn  Monnkidh,  iin  cinir 
Syrien  (Usäma  b.  Munqid)  I.  Bd.,  S.  15,  2.  A.  (Paris,  1889)  verliehen  wurden,  vgl. 
I.  GoLDZiHER,  Aliih.  Sütdieu  II,  60,  Ibn  Haldün,  Mitqaddima,  Paris  1863,  S.  190, 
neuerdings  Ibn  al-QalänisI,  History  of  Damasciis  363  ;i=i^  a.  h.  hrsg.  vonH.  F.  Amed  voz, 
Leiden  1908,  S.  74,2;  85,3;  ferner  Kitäb  al-Wuz.irä,  The  historical  remains  of  Hiläl 
al-Säbi.  Hrsg.  v.  H.  F.  Amed  .oz,  Leiden  1904).  Die  I/iste  der  miidäfät  bei  Namen  auf 
cd-din  und  id-daula  dürfte  mit  der  Zusammenstellung  von  G.  Flügel,  a.  a.  0.,  noch  lange 
nicht  erschöpft  sein;  vgl.  einen  besonders  krassen  Fall  bei  G.  Weil,  Gesch.  d.  Chal.  III, 
54  und  78,  ferner  Ibn  al-Atlr,  Chronicon,  hrsg.  von  C.  J.  Tornberg,  IX.  Bd.,  313, 
A.  v.  KKEMEk,  a.  a.  0.,  S.  418. 

')  Sämtliche  \'orhandenen  Lebensbeschreibungen  Bedr  ed-dln's  gehen  auf  Tasch- 
köprüzäde  zurück.  Außer  der  Skizze,  die  sich  auf  S.  39  im  Werke  Brusali  Mehmcd 
Tähir's,  »Osniänl'  viii^el/ifleri«  (Stambul  1333)  findet,  verdienen  die  übrigen  kaum 
Beachtung.  Nur  der  Merkwürdigkeit  halber  sei  bemerkt,  daß  in  der  bekannten  Sammlung 
des    Ahmed    Dschewdet     Pascha,      »Qisas-i  enbijä   we    teivärih-i  fiülefän    (häufig    zu 

Stambul  gedruckt),  auch  Bedr  ed-dln  Aufnahme  gefunden  hat,  und  zwar  im  12.  Heft  {*::>■). 
^)  Darnach  ergäbe  sich  etwa  folgender  Stammbaum: 

'Izz  ed-dln  Kai   Kä'us  II,  st.   1260 

I 
Ferämes 


'Alä'  ed-din  Kai  Qobäd  III., 

der  letzte  Rüm-Seldschuqc, 

st.  1307. 


*Abd  al-'aziz    'Abd  al-nurmin 


Isrä'il 


Mu'ajjcd 


Schejch    Bedr    ed-d  in    Mahmud 
3)  C.  Brockelmann,  Geschichte  der  arab.  Literatur  II,  224^  schreibt  ebenso  wie  [M.  Tu. 
Houtsma]  Em.  des  Islam  II,  S.  416  a,  irrig  Ismä'Il  statt  Isrä'Il, 


22  Franz   Babinger, 

christlichen  Völkerschaften  des  Kaukasus  hinreichend  erklären  läßt, 
eine  eigentümliche  Gepflogenheit  des  Seldschuqenvolkes  ''■). 

Bedred-din's  Vater  lebte  in  Simäw^),  einer  kleinen  Stadtf  im  Bezirk 
von  Kutahja,  und  wurde,  als  die  Festung  von  Muräd  I,  eingenommen 
und  dem  osmanischen  Reich  einverleibt  wurde' 3),  vom  neuen  Herrn 
in  seiner  Eigenschaft  als  Herr  [mir],  Stadtvogt  {wäli)  und  später  als 
Richter  {qädl)  bestätigt.  In  diesem  Ort  kam  Bedr  ed-din  —  das  Jahr 
ist  unbekannt  —  zur  Welt,  nach  Stand  und  Wohnsitz  des  Vaters  trug 
er  fast  stets  nur  den  Namen  »Sohn  des  Richters  von  Simäw«4),  Die 
Eltern  führten  den  Knaben  in  die  Anfangsgründe  des  Wissens  ein 
und  lehrten  ihn  den  Qor'än,  den  er  bald  auswendig  wußte  und  so 
sich  den  Ehrennamen  eines  Mfis  beilegen  durfte.  Dann  vermittelte  ihm 
Mewlänä  Schähid,  vermutlich  ein  Perser  (der  Name  ist  außer  arabisch 
auch  persisch  und  bedeutet  »Geliebter«),  die  allgemeinen  Wissen- 
schaften, und  Mewlänä  Jüsuf  unterrichtete  ihn  in  Sprach-  und  Stil- 
kunst. Ein  Vetter  seines  Vaters  (der  Sohn  von  dessen  Oheim),  Mew- 
länä Mu'ajjed  ben  *Abd  al-mu*min,  brachte  den  Jüngling  nach  Ägypten, 


*)  Vgl.  dazu  N.  Jo?GA,  Geschichte  des  osman.  Reiches  I.  Bd.,  S.  26.  Nach  anderer 
Annahme  hegt  in  den  bibUschen  Namen  noch  eine  Erinnerung  an  das  früher  unter  den 
Türkstämmen  im  Semirjetschensk  sehr  verbreitete  Christentum  vor,  wofür  die  von  Abraham 
Chwolson  veröffenthehten  Grabinschriften  sprechen.  Vgl.  W.  Barthold  in  den  Zapiski 
Vosiocnago  Otdelenija  Imperatorskago  russkago  Archaeologiceskago  Obscestva,  St.  Petersburg 
1894,  S.  18  ff. 

*)  So  lautet  der  Name  richtig;  in  der  Regel  liest  man  die  längere  und  wohl  arabische 
Form  »Simäwnä«,  die  sich  m.  E.  aus  einer  der  bekannten  Bildungen  mit  dem  griech.  e(;  -|- 
Akkus.  des  klassischen  Namens  Synaus  erklären  läßt.  — Das  Städtchen  hegt  132  km  süd- 
westhch  von  Kutahja,  176  km  südHch  von  Brussa.  Vgl.  V.  Cuinet,  La  Turquie  d'Asie 
IV,  222.  Heute  ist  S.  eine  ärmhche  Siedlung  mit  mehreren  Moscheen,  die  wegen  ihrer 
Inschriften  Beachtung  verdienten.  Der  englische  Reisende  William  John.  Hamilton 
besuchte  und  beschrieb  1836  Simäw.  Vgl.  dessen  »Researches  in  Asia  Minor,  Pontiis  and 
Annenia«,  London  1842,  II.  Bd.,  S.  124  sowie  C{ivis)  L{iber)  H(amburgensis)  (=  A.  D. 
Mo  dtmann)  in  Das  Ausland,  1855,  S.  614.  —  Es  hegt  offenbar  eine  Verwechslung  mit 
semäwi  (=semä'l)  »himmUsch«  vor.  Samäwa  heißt  ein  Ort  nw.  von  Basra.  —  Simäw 
ist  übrigens  der  Geburtsort  mehrerer  für  das  islamische  Glaubensleben  bedeutender 
Männer,  vgl.  'Äschiqpaschazäde,  ta^rik,  S.  224:  Schejch  *Abd  Allah  Ilähi 
(st.  896  h)  und  Schejch  Qara   Scheins   ed-din,   vgl.   über   ihn    Ewlijä,    Sejä/ietnäme 

III,  S.  377. 

3)  Über  dieEroberung  des  Städtchens  vgl. 'Aschiqpaschazäde,  ta^rilj,  S.  57,  3. 
Der  Ort  wird  ebenda  S.  224,  4  nochmals  genannt.  Heute  noch  finden  sich  auf  einem  kleinen 
Hügel  unweit  davon  die  Reste  der  einstigen  Befestigungsanlage.  Vgl.  Karl  Buresch, 
Alis  Lydien,  Leipzig,  1898,  S.  142 — 144;  Th.  Wiegand,  Reisen  in  Mysien  in  Athenische 
Mitteilungen,  XXIX.  Bd.,  (Athen  1904),  S.  324  (Abbildung). 

4)  In  der  Form  »ibn  qädi  Simäwnä«  bzw.  »Simäwnä  qä^Isi  oghlu«;  darnach  bildete 
man  »SimawnaoghU«  (J.   v.    Hammer,    I,    378),    Samabune,    Samobuna,    Samobunogh 

bei    LÖWENKLAU). 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters   von  Simäw.  2^ 

WO  er  seine  Kenntnisse  vertiefen  sollte.  Faid  Allah,  ein  Schüler  des 
Mewlänä  Fadl  Allah  zu  Qonia,  wurde  dort  vier  Monate  lang  sein 
Meister.  Dann  starb  dieser  und  Bedr  ed-din  wandte  sich  darauf  an- 
geblich zu  dem  berühmten  Gottesgelehrten  und  Weltweisen  'Ali  b. 
Muhammad  al-Dschurdschäni  (740/816  H.  =  1339/1413),  der  ihn  vor 
allem  in  der  Erkenntnislehre  unterwies.  Dann  genügte  er  der  Glaubens- 
pflicht mit  einer  Pilgerfahrt  nach  Mekka.  Nachdem  er  an  dieser  hei- 
ligen Stätte  den  dort  lehrenden  Schejch  Zaila'i  ^)  gehört  hatte,  kehrte 
er  nach  Kairo  zurück  und  wurde  Schüler  des  Schejchs  Akmal  ad-din  2). 
In  dessen  Gesellschaft  traf  er,  wie  Taschköprüzäde  im  Leben  Ai- 
dinli  Häddschi  Pascha's  3)  (eigentlich  Hidr  b.  *Ali  b.  Hattäb,  vgl. 
Taschk.,  a.  a.  0.  S.  74)  berichtet,  diesen  gefeierten  Arzt  und  Gesetzes- 
gelehrten. Inzwischen  war  die  Kunde  von  Bedr  ed-din's  umfassender 
Bildung  und  Weisheit  an  denHof  Faradsch's,  des  Beherrschers  Ägyptens 
und  Sohnes  des  Sultans  Barqüq,  gedrungen,  der  ihn  zu  sich  beschied 
und  seinen  Unterricht  genoß.  In  jene  Jahre  fällt  dann  die  Bekanntschaft 
mit  Sejjid  Husejn  aus  dem  armenischen  Achlät,  einem  damals  hochange- 
sehenen süfischen  Mystiker  4).  Leider  ist  über  das  Leben  und  Wirken  die- 

')  Es  ist  nicht  klar,  ob  es  sich  um  Fahr  ad-din  'Osmän  b.  'All  b.  Mihgän- 
al-  Bär'I  az-Zaila*I  handelt,  der  schon  705/1305  nach  Kairo  kam,  dort  Mufti  und  hana- 
fitischer  Rechtslehrer  wurde.  Er  starb  freilich  schon  743/1342.  Vgl.  C.  Brockelmann, 
GdaL,  II,  78. 

2)  Gemeint  ist  wohl  Muh.b.  Malimüd  Akmal  ad-din  al-Baibartl,  st. 786/1384, 
der  Ijanafitische  Gelehrte.     Vgl.  C.  Bkockelmann  GdaL,  II,  80. 

3)  Vgl.  über  ihn  Mehmed  Tähir,  Aidin  wiläjetine  mensüb  meschd'ii}  ^ulemä 
schu^arä  muwenichln  ive  altihänin  terädschim-i  ehwäli.  Stambul  1324,  S.  174 — 177;  Si- 
dschill-H  'osmäiil  II.  Bd.,  S.  94;  J.  v.  Hammer,  Gesch.  des  osm.  Reiches,  I.  Bd.,  S.  351,  630; 
ders.,  &esch.  der  osman.  Dichtkuns',  I.  Bd.,  S.  73;  Th.  Menzel  in  EI,  II,  218,  wo  indessen 
aus  dem  Studiengenossen  Bedr  ed-d!n  (hier  Bedr  al-din  Sihävi!)  ein  Lehrer  gemacht  wird. 
Vgl.  ferner  E.  J.  W.  Gibu,  History  of  Ottoman  Poetry,  I.  Bd.,  S.  260,  i.  Anm. 

4)  Vgl.  über  Sejjid  Husejn  von  Achlät  die  knappen  Angaben  in  Häddschi 
yallfa's  Dschihännumä,  Stambul  1145  (1732),  S.  412 — 413  (in  M.  Norberg's  latein.  Über- 
setzung I.  Bd.,  S.600),  sowie  J.  v.  Hammer,  GdOR,  III,  675.  Ewlijä  Tschelebi, 
Sejäheinäme  IV,  134  ff.  schweigt  darüber.  Darnach  mußte  sich  sein  Grab  zu  Achlät, 
seiner  Geburtsstadt  am  Nordwestufer  des  Wansees,  dem  alten  Hofsitz  der  armenischen  Kö- 
nige, befinden.  Dazu  stimmt  nun  freilich  schlecht  die  Behauptung,  daß  Bedr  ed-dln  ihn  in 
Ägypten  gehört  habe  und  ihm  nach  seinem  Tode  in  der  Vorsteherschaft  des  Süfl-Klosters 
folgte.  Ich  lese  im  IV.  Buche  des  Scherefnäme  (vgl.  Ausgabe  von  F.  B.  Charmoy, 
Cherel-ndmeh,  II,  i,  S.  221)  in  der  Verdeutschung  von  H.  A.  Barb,  Siizuugsberichte 
der  philos.-histor.  Klasse  der  Kaiserl.  Akademie  der  Wissen schajlen,  XXXII.  Bd., 
1859,  Wien  1860,  S.  i6r,  folgende  höchst  merkwürdige,  auf  Husejn  bezügliche  Stelle: 
».  .  .  Wegen  der  durch  Dschengis  Chan's  [richtig:  Timur's]  Heeresmacht  in  Iran  und  Turan 
hervorgerufenen  Wirren  und  Umwälzungen,  die  er  durch  seine  Seherkraft  vorausgewußt 
hatte,  verließ  er  vor  dem  Ausbruch  der  Unruhen  mit  12  000  [!]  Familien,  seinen  Jüngern 
und  Anhängern,  Angehörigen  und  Freunden,  die  Heimat  und  begab  sich  nach  Ägypten, 


2A  F  r  a  n  z   H  a  b  i  n  g  e  r , 

ses  Mannes,  der  von  entscheidendem  Einfluß  auf  Bedr  ed-din  geworden 
sein  muß,  fast  nichts  überliefert.  Er  stand  im  Rufe  eines  großen  Kab- 
balisten,  der  sich  auch  beim  Volke  durch  die  Vorhersage  der  Mon- 
golenverwüstungen ^)  einen  Namen  machte.  Von  ihm  wurde  Bedr 
ed-dln  schließlich  in  einen  Süfi-Orden  aufgenommen,  dem  Sejjid  yusejn 
vorstand;  von  ihm  erhielt  er  dann  auch  die  idschäza.  Mit  solchen 
Vollmachten  ausgerüstet,  verließ  er  zunächst  Ägypten  und  begab  sich 
nach  Täbris.  Dort  machte  er,  so  wird  berichtet,  die  Bekanntschaft 
Timur-lenk's.  In  einer  Versammlung  von  *Ulemä  überraschte  er  den 
fragestellenden  Fürsten  durch  seine  schlagenden  Antworten,  die  alle 
umsitzenden  Gelehrten  schuldig  geblieben  sein  sollen.  Mit  Lobsprüchen 
und  Geschenken  überhäuft,  entließ  ihn  Timur.  Bedr  ed-din  zog  dann 
über  Bitlls  an  den  Wansee  und  von  dort  abermals  an  den  Nil.  Hier 
traf  er  wieder  seinen  alten  Lehrer  Husejn,  und  nach  dessen  bald  er- 
folgtem Tod  ward  er  selbst  Vorstand  des  Süfi-Ordens,  dessen  Vorstand 
[pir]  Sejjid  Husejn  gewesen  war.  Freilich  nur  für  kurze  Zeit.  Denn 
schon  nach  sechs  Monaten  begab  er  sich  nach  Haleb,  hierauf  nach 
Qonia  und  schließlich  nach  Tire  in  Kleinasien  2).    Damals  soll  er  vom 

wo  er  bis  zum  Hintritt  des  Landesfürsteii  verweilte.  Sein  ehrwürdiges  Grab  befindet  sich 
daselbst,  und  noch  jetzt  existiert  in  Kairo  ein  Viertel,  welches  das  Quartier  der  Achlater 
heißt.«  Diese  Nachricht  ist  auch  für  die  Geschichte  des  Süflsmus  in  Ägypten  von 
größtem  Belang  und  verdient  eine  genaue  Nachprüfung.  Sujüti,  der  in  seinem  »ffusn 
al-muhäiara  fi  ahhär  misrwa  ^l-Qähtra«,  Kairo  1299,  I-  Bd.,  S.  292,  eine  Liste  der  in  Ägyp- 
ten tätig  gewesenen  süflschen  Mystiker  gibt  (vgl.  C.  H.  Becker's  wichtigen  Artikel  in  der 
Enz.  des  Isl.,  II.  Bd.,  S.  21  b— 22a),  erwähnt  ihn  nicht.  Diese  »Flucht  nach  Ägypten«  muß 
in  der  arabischen  Literatur  ohne  Zweifel  einen  starken  Widerhall  gefunden  h^ben.  Solche 
Massenauswanderungen  mit  offenbar  religiösen  Beweggründen  finden  sich  mehrfaclvin  der 
islamischen  Geschichte.  Es  sei  an  die  10  000 — 12  000  Turkmenen  vom  Weißen  Berg  (Aktam) 
erinnert,  die  sich  zur  Zeit  Hülägü's  und  des  Paläologen  Michael  i.  J.  1264  (662  d.  H.)  in  Beß- 
arabien  (»dobrudschische  Tatarei«),  Baba-dagh  und  sogar  in  der  Nähe  Adrianopels  unter 
Anführung  eines  gewissen  Saru  Saltuq  dede  (»dede«  deutet  wohl  auf  einen  Ordens- 
schejch!)  niederließen.  (Vgl.  darüber  die  noch  ununtersuchte  Wiener  Hs.  lOOi,  II,  Bl.  109 
V  —  117  r  des  Schähnämedschl  Sejjid  Loqmänl).  Flüchtig  behandelt  bei  J.  v.  Hammer, 
GdOR.  I,  122;  II,  143;  III,  202;  VIII,  354;  vgl.  seine  Gesch.  der  osni.  Dichtkunst  II,  259, 
2.  Anm.  Der  Darstellung  des  Loqmän  hegt  das  ^Ughuz-näme  zugrunde,  auf  das  er  sich 
mehrfach  bezieht.  Vgl.  G.  Flügel,  Wiener  Hss.  II,  225,  ferner  Ewlijä  Tschelebi, 
Sejähetnäme,  III,  368  sowie  den  Text  bei  W.  Lagu?,  Seid  Locmani  .  .  .  exccip'a,  Helsing- 
fors  1854,  S.  7  ff.  —  Verschlossen  blieb  mir  die  bulgarische  Arbeit  von  I.  K.  Dimitroff 
»Die  türkische  Einwanderung  in  die  Dobrudscha  im  13.  Jahrhundert«  im  X.  Band  (kniga) 
i\cx  Spisanie  na  Bulgarskata  Akademija  na  naukite,  Sofia,  1915. 

■)  Die  gleiche  Voraussage  findet  sich  bei  Cl.  Huart,  Les  saints  des  dervichcs  lourneiirs. 
Paris,  1918,  I.  Teil,  S.  9,  15,  wo  Behä  ed-din  Weled,  der  Vater  Dschcläl  ed-din 
Rümi's,  ebenfalls  den  Mongolensturm,  natürhch  Dschingiskhäns,  vorher  sagte  und  darauf- 
hin ebenfalls  (aus  Khoräsän)  auswanderte! 

-)  Jetzt  Hauptstadt  des  Liwä  Aidln,  damals  wohl  gerade  Hofsilz  des  geßüchleten 


Schejch  Bedr  ed-diti,   der  Sohn  des  Richters  voö  Simaw.  25 

Statthalter  von  Chios  ^),  dem  er  im  Traum  erschienen  war,  auf  diese 
Insel  eingeladen  worden  sein  und  ihn  zum  Islam  bekehrt  haben.  Bald 
darauf  sah  ihn  Adrianopel,  wo  er  seine  Eltern  noch  am  Leben  fand. 
Als  Müsä  Tschelebl,  Bäjazids  Sohn,  im  Jahr  813  (1410)  auf  den  Thron 
gelangte,  übertrug  er  Bedr  ed-din  das  hohe  Amt  des  Heeresrichters 
von  Rumelien^).  Die  oberste  Würde  des  Gesetzes  bekleidete  Bedr 
ed-din  allerdings  nur  kurze  Frist,  wie  ja  auch  Muräds  Gewaltherrschaft 
bald  ein  Ende  nahm.  Immerhin  gewann  er,  zumal  in  Rumelien,  durch 
sein  gewaltiges  Wissen  und  sein  hohes  Amt  3)  mächtigen  Eintlufi  auf 
die  Bevölkerung,  für  deren  Nöte  und  Wünsche  er  während  seiner 
Amtstätigkeit  ein  besonders  eingehendes  Verständnis  bewiesen  haben 
muß.  Mit  Müsäs  Entthronung  im  Juli  141 3  verlor  er  zwar  nicht  das 
Leben,  sondern  wurde,  offenbar  wiegen  seiner  Bedeutung  als  Gelehrter, 
begnadigt,  mußte  aber  mit  einer  monatlichen  Pfründe' von  lOOO  ^os- 
mäni  [aqtsche)  4)  sich  nach  Isniq  in  Kleinasien  in  die  Verbannung 
begeben  5). 

Für  die  fernere  Tätigkeit  Bedr  ed-dm's,  die  mit  seinem  Aufenthalt 
in  Isniq  erst  jene  wichtige  Wendung  nahm,  sollen  die  osmanischen 
Geschichtsquellen  nunmehr  zu  Wort  kommen.  Das  unscharfe  Bild, 
das  sie  hiervon  geben,  wird  dann  in  erfreulicher  Weise  durch  die  An- 
gaben des  byzantinischen  Chronisten  Dukas  deutlicher  und  klarer 
gemacht  werden. 

Aidln-oghlu  (vgl.  J.  v.  Hammer,  GdOR.  I,  221).  Vgl.  Häddschl  yalifa's  Dschihän- 
11U11U1,  S.  636  (Übers.  M.  Norberg   II,  425). 

■)  Chios  stand  in  jener  Zeit  unter  genuesischer  Oberhoheit.  Iii  den  Werken  von 
A.  M.  Wlastos  (Hermupolis  1840)  und  K.  N.  Kanellakis  (Athen  1890)  ist  dieses  Ereignis 
einer  Bekehrung  des  christlichen  Fürsten  (Giustiniani?,  vgl.  Karl  Hopf  in  Ersch  und 
Gruber's  Allg.  Enzyhl.  I,  68,  S.  308  ff.)  nicht  angeführt.  Vgl.  dazu  J.  v.  Hammer,  GdOR. 
1,  631,  Anm.  **,  eine  Annahme,  der  schwerlich  beizupflichten  ist. 

0  V^g'-  'Äschiq  paschazäde,  Ta^r'ifi,  S.73.  Gleichzeitig  mit  ihm  wurde  Mihäl-oghlu 
Mehmed  Bej  zum  Bejlerbej  ernannt.    Ebenda  S.  82  ff. 

3)  Unter  dem  Khahfat  und  in  andern  islamischen  Staaten  war  die  oberste  Würde 
der  *Ulemä  nicht  die  des  miifll,  sondern  die  des  obersten  Landesrichters  (qädt  ^l-gudäl), 
und  auch  im  osmanischen  Reiche  schreibt  sich  der  Vorrang  der  miift'is  über  die  Heeres- 
richter {qäd'i  'asker)  erst  seit  Mehemmed  II.  (1451 — 1481)  her,  der  dem  w/(//i  der  Haupt- 
stadt zuerst  den  Vorrang  über  alle  andern  mttfiTs  des  Landes  und  den  Titel  eines  Schejch 
ül-isläm  einräumte.  Vgl.  J.  v.  Hammer,  Des  osmanischen  Reiches  Staatsverwaltung,  II.  Bd., 
S.  373  (Wien  181 5). 

4)  Über  diese  Währung  vgl.  E.  J.  W.  Gibb,  Hist.  of  Oll.  Poetry  I,  262. 

5)  J.  v.  Hammer,  Gesch.  des  osman.  Reiches  I,  S.  350,  behauptet  unter  Bezug  auf 
'.\lT,  daß  B.  »mit  einer  RichterstcUe  von  hundert  Aspcrn  täglichen  Ertrages«  beliehen 
wurde,  was  völlig  unwahrscheinlich  klingt.  Die  Höhe  der  Einkünfte,  drei  Asper  zu  einem 
Aqtsche  gerechnet,  deckt  sich  zwar  genau  mit  der  oben  bezeichneten  Summe,  allein  das 
Amt  eines  gewöhnliclicn  Richters  wird  B.  schwerlich  von  Mehemmed  I.  zugemutet 
worden  seiu.     Vijl,  dazu  '.Vschitjpaschazäde,   Tah-lb,  S.  84. 


20  K  r  a  n  z  B  a  b  i  n  g  e  r , 

DIE  OSMANISCHEN  BERICHTE. 
Nach  dem  eingangs  über  die  osmanischen  Geschichtsquellen  des 
15.  Jahrhunderts  Gesagten  bliebe  nicht  viel  mehr  übrig,  als  diese  selbst 
zu  Wort  kommen  zu  lassen.  Sie  tragen  das  Gepräge  einer  unent- 
wickelten, kindlich-einfachen  Darstellung,  wie  sie  allen  Geschichts- 
schreibungsversuchen derber,  urwüchsiger  Völker  eignet.  Die  ein- 
zelnen Ereignisse  werden  fast  zusammenhanglos  oder  nur  mit  »episch- 
typischen Motiven«  nebeneinandergestellt  ^),  und  das  Bedürfnis,  sie 
zu  einer  Einheit  zusammenzufassen  und  in  ihrer  Abfolge  eingehender 
zu  begründen,  mit  andern  Worten  den  inneren  Willenszusammenhang 
der  einzelnen  Taten,  das  Pragma,  zu  suchen,  stellte  sich  damals  noch 
lange  nicht  ein.  Da  das  gewöhnliche  Leben  dieser  Osmanen  in  harter 
Bindung  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  dahinlief,  konnte  auch  von 
einem  Verständnis  wechselnder  Zustände  und  damit  von  einem  tie- 
feren Begreifen  geschichtlicher  Vorgänge  bei  weitem  nicht  die  Rede 
sein.  Menschlich  bedeutend  erschien  nur  das  außerordenthche  Schick- 
sal des  Herrschers,  der  aus  der  gewöhnlichen  Gemeinschaft  heraustrat. 
Und  so  war  es,  wie  bei  aller  ursprünglichen  Geschichtschreibung, 
die  Feier,  die  Verklärung  der  überragenden  Persönlichkeit  des  Sultans, 
die  das  eigenthche  Leben  der  geschichtlichen  Erinnerung  jener  Tage 
ausmacht.  Hewärik«  oder  »menäqib-i  äl-i  ^Osmän«,  die  »Geschichten, 
die  Tugenden  des  Stammes  'Osmans«  benannten  die  alten  Chronik- 
schreiber ihre  Aufzeichnungen.  Diese  Richtlinien,  die  die  Verherr- 
lichung und  Verhimmelung  der  Person  des  Großherrn  als  die  höchste 
Form  der  Auswirkung  geschichtlichen  Sinnes  vorschrieben,  sind  aller- 
dings auch  in  späteren  Jahrhunderten  leitend  gewesen.  Aber  im  Laufe 
der  Zeit  wuchs  die  Geschichtschreibung  aus  der  Vorstellungskraft 
jener  kümmerlichen  Formen  zu  einer  erfreulichen  Höhe  empor  und 
entwickelte  sich  gleichzeitig  zu  höherer  künstlerischer  Darstellung. 
Freihch,  die  Geschichtschreiber,  die  hier  in  den  Kreis  der  Betrachtung 
gezogen  werden,  lassen  alle  diese  Kennzeichen  einer  Steigerung  der 
geschichtlichen  Auffassung  vermissen;  auch  die  eitle  Wortmacherei  eines 
Idris  vermag  sie  nicht  vorzutäuschen,  und  aus  dem  lächerlichen  Wort- 
schwall schimmert  in  jeder  Zeile  die  Dürftigkeit  der  Vorstellungswelt, 
die  sich  mit  persischem  Wortgeklingel  und  billigen  Sprüchen  notdürftig 
verkleidet.  Einen  erfreulichen  Gegensatz  hierzu  stellen  die  älteren 
Berichte  dar,  die  bar  jeden  Schwalles  die  Tatsachen  vermelden.  Es 
ist  bezeichnend  für  den  Geschmack  der  Nachfahren,  daß  diese  später 
in  völlige  Vergessenheit  gerieten,  besonders  als  Sa'd  cd-din  mit  dem 

')  Z.  B.  bei  Ncschrlals  oIjÜC»-  »Eri.ählungen«,  die  hin  und  wieder  von    wäjLIaJ 
»Anekdoten«  unterbrochen  werden. 


Schejch  Bedr  ed-din,   der  Sohn  des  Richters   von  Simäw,  2/ 

Ansehen,  das  seine  berühmte  »Krone  der  Geschichten«  sich  im  Laufe 
der  Zeiten  dank  seiner  (nach  den  Begriffen  der  damaligen  Osmanen) 
stihstischen  Formvollendung  erwarb,  jene  alten  Berichte  der  Ver- 
gessenheit überantwortete,  noch  bezeichnender,  daß  Ijjäddschi 
yalifa  diese  alten  Werke  als  §>\*^,  als  »leer,  unbegründet«  hin- 
stellen konnte  ^).  So  kam  es,  daß  erst  in  unseren  Tagen,  und  zwar  in 
Deutschland,  jene  überaus  wertvollen  Quellen  wieder  ans  Licht 
gezogen  wurden  und  ihrer  allmählichen  Ausgabe  und  damit  der  wissen- 
schaftlichen Erschließung  entgegensehen  dürfen.  Die  Namen  des 
*Äschiqpaschazäde,  des  Neschri  und  des  Muhjl  ed-din  sind 
heutzutage  wieder  zu  verdienten  Ehren  gelangt  und  hoffentlich  wird 
die  Zeit  nicht  mehr  fern  sein,  wo  ein  glücklicher  Fund  uns  in  den 
Besitz  der  verschollenen  ftMenäqih-i  äl-i  ^Osmäna  des  Ja^jschi  faqih^), 
des  Sohnes  Iljäs,  des  Imäms  Or|ians,  setzt.  Von  allergrößter  Be- 
deutung für  die  Kenntnis  der  altosmanischen  Geschichtsquellen  ist 
einstweilen  eine  Feststellung,  die  dem  mühseligen  Fleiße  und  der  ein- 
dringlichen Forscherarbeit  Friedrich  Giese's  verdankt  wird  und 
von  der  hier  zum  erstenmal,  dank  dem  Entgegenkommen  dieses  Ge- 
lehrten, kurzer  Vorbericht  erstattet  werden  kann. 

Das  Werk  des  Richters  von  Adrianopel,  Muhji  ed-din  Dsche- 
mäli  (st.  1550),  das  in  einer  großen  Anzahl  von  Abschriften  3)  auf  euro- 
päischen Büchersammlungen  vertreten  ist,  stellt  sich  darnach  als 
eine  Zurechtstutzung  und  Weiterführung  eines  Ungenannten,  dessen 
Bericht  im  Jahre  1490  schließt,  bis  zum  Todesjahr  Muhji  ed-din' s 
(1550)   dar.      Dieser    »Anonymus«,   dessen  Veröffentlichung  F.   Giese 

I)  Vgl.  Lexicon  bibliogr.  II,  S.  iii,  Nr.  2154.  Die  Verdeutschung  G.  Flügel's,  Wiener 
Hss.,  II,  206  (»alt,  verloren  gegangen«  wohl  nach  J.  v.  Hammer,  GdOR.  I,  XXXIII)  für 
^^i»ist  falsch.  J.  H.  Mordtmann  bemerkt  ganz  mit  Recht  (Islam  X,  S.  160):  »Die  naive 
Darstellungsweise  dieser  osmanischen  Logographen  entspricht  ja  allerdings  nicht  dem  .Stil 
der  offiziellen  ,..Lwv-j  ».i  \xi^,  läßt  aber  dafür  um  so  klarer  den  sagenhaften  Charakter 
der  osmanischen  Urgeschichte  hervortreten,  während  SaM  ed-din  und  seine  Abschreiber 
daraus  pragmatische  Geschichte  zurechtgemacht  haben,  ein  Verfahren,  auf  das  viel  mehr 
die  Bezeichnung    ^?!^  paßt.« 

-)  Vgl.  über  Jahschi  z.B.  'Äschiqpaschazäde,  Stambuler  Druck  S.  7^1;  ferner 
die  Vorrede  der  von  J.  H.  Mordtmann  entdeckten  'Aschiqpaschazäde-Handschrift 
auf  der  Dresdener  Bibliothek,  cod.  turc.  Nr.  60,  die  im  Druck  fehlt.  Vgl.  über  diesen  Fund 
Mordtmann's  Bemerkungen  im  Islam,  X.  Jg..  S.  159. 

3)  Handschriften  befinden  sich  u.  a.  in  Berlin  Nr.  207  (Pertsch,  Kai.  S.  233),  Wien 
Nr.  1000  (Flügel,  Kai.  II,  S.  223),  München,  cod.  turc.  32,  83,  Gotha,  cod.  turc.  150, 
Britisches  Museum,  Ch.  Rieu,  Catalogite  of  turkish  mss..,  S.  46  b  und  S.  251  b.  Luioi  Bo- 
XELLi  hat  in  den  Rendiconti  della  Reale  Accademia  dei  Lincei,  classe  di  scicnze  morali, 
storicheefüologükeY. Reihe,  IX. Bd.  (Romaigoo),  S.423ff.,  »Di  wiacronacalurca  del  1500« 
aus  einer  früher  im  Besitz  Emilio  Teza's,  jetzt  in  der  Accademia  dei  Lincei  befindlichen 
Handschrift  Auszüge  veröffentlicht. 


28  F r anz  Bab i nge r  , 

beschäftigt,  ist  mithin  etwas  älter  als  *Äschiqpaschazäde  und 
Neschri.  Nun  ergibt  sich  aber  weiter,  daß  bis  in  die  Regierung 
Muräds  II.  (1421)  hinein  diese  drei  genannten,  vor  allem  aber  *Äschiq- 
paschazäde  und  der  GiESE'sche  Anonymus,  fast  gleichlautende  Be- 
richte enthalten  und  sowohl  in  der  Anlage  wie  im  Aufbau  nahezu 
übereinstimmen,  während  sie  in  den  späteren,  offenbar  selbsterlebten 
Jahren  voneinander  abweichen.  Somit  muß  ein  älteres  Geschichts- 
werk angenommen  werden,  das  jene  ausgeschrieben  haben  und  das 
sich  in  großen  Teilen  fast  textgenau  wiederherstellen  heße.  Dieses 
Werk  müßte  unter  der  Regierung  Muräd's  II.  (1421  — 1451)  entstanden 
sein;  meine  briefhch  geäußerte  Vermutung,  daß  es  sich  hier  um  die 
»menäqibn  des  Jahschi  faqih  handle,  begegnet  nach  F. Giese  Schwie- 
rigkeiten. 

Für  den  vorliegenden  Zweck  ist  nun  die  Tatsache  von  Belang, 
daß  der  Bericht  über  den  -.^y>  des  Schejchs  Bedr  ed-dln  sich  noch 
unter  diesen  gemeinsamen  Stücken  befindet,  wodurch  sein  geschicht- 
licher Wert  beträchtlich  erhöht  wird.  Unmittelbar  darauf  beginnen 
die  Abweichungen.  Der  Text  des  »Anonymus  Giese«  ist  am  besten 
in  zwei  Wiener  Handschriften  erhalten:  A.  F.  251  (Flügel,  Kat.  II, 
207,  Nr.  983)  und  A.  F.  445  (Flügel,  a.  a.  O.  S.  208).  Wie  eine  von 
mir  vorgenommene  Vergleichung  mit  der  in  Gotha  befindlichen,  von 
U.  J.  Seetzen  erworbenen  neueren  Abschrift  des  Anonymus  ergab 
(W.  Pertsch,  Kat.  S.  121,  Wien  1864,  cod.  turc.  149,  Bl.  29  b,  10.  Z 
(Mitte)  bis  Bl.  30  b,  3.  Z.  v.  o.),  handelt  es  sich  hier  um  eine  neuzeit- 
liche Überarbeitung  mit  freilich  geringen  textlichen  Änderungen  und 
Vermeidung  vor  allem  veralteter  Ausdrücke;  eine  Feststellung,  in- 
wieweit die  Kopenhagener  Handschrift  des  Anonymus  (vgl.  Codices 
Orientale s  hihi,  regiae  Hafnensis,  pars  III,  Hafniae  1857,  S.  55,  Nr.  X) 
abweichende  Lesarten  bietet,  war  trotz  mehrfacher  Bemühungen 
nicht  möglich. 

DER  WORTLAUT  DES  »ANONYMUS  GIESE«: 

\;JLj5  ^>Aj!  ^s!ru=Lfi  «.>j.b'^_^  »Jo^J^vX^  Ä-^j^  ^J^''^  ^^j^j^>^  ^^^Äii/ox 
^.kÄjL*n/i  15^"^  öiAijj^t  tJ^j'^3  i3»t  (^^i^  iu^j  »,s  f^O'.^^yS'  ^yO^\  ij^^^i_» 
KjJJS   L.i;Ls-  (^Oy  _.ixAJ.J  j.'^<^  y^j^     j^O^cXJj»    Xj.J^il'    (jj^LI    jj'Yri'-^'j'    l^^-'"' 

0  fehlt  in  W.  ^)  W'       ö^:^\. 


Scliejcti   Bedr  ed-dln,  der  Sohn  des  Rictiters  von  SimaW.  20 


O  }  ) 


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\iii\3  „til  i^^iy  ,.,*AJl  ,  cJ>^J>^i     iJS.Js      V^Lsi    ^w^».Äj    ii.A*.3     x.i^ji.i'    _j    ,.w5  ,  ,».Ij 

*.L\:>».bj_».J    V;'^    ^'•^Ij^    '^-'^   '-^^-*    i-jl-Iilw«  ^LL^Lj  iAj:.jLj    (^Js.^4.JjO    -Ol    likxJ 
viiA.>.'iLc     /cAJ.'i     *J>1     ,  ^^>~^     ...As-L)      ^^jl     JcXjf     ii)>./L.>      ^JLAi>   1^^^]«^ 

^  •      i_>  ••   ->    ^      .^     (__&  -^  ^      j  ••■  o       ^  '^     -/-^* 

/  ii^ J.L)    ^^J^b     \jLA«.>.^sb«     L^Lj     Jv.JijLj    Ji3.5   jl-^r^J    NJ-JlJli    d^J  (^    «r-^j"^^!    t^^'» 

J'l^s'  ^p  .i^^y^  ^JAJCtLL)  ^j;-^^  l5-^-^^  >-^b'  (^oJ . .  «.j  »wJiJvt  .Uj(  (v^Xj! 

-^  ,  •   ^        ^      ••    -^^     t>     ^• 

(    ^jji'^  (^  L^'^^^  '  ;^A^0  \5o^^  j.jO;».-»-w  4.5o  (-X^^:^^  ...ILii^  ..ji-Xi-i?  J.J 

(*°-^3;i>    ('^^^jJLSri     ,Vl:>^Xj^     JjJ>    (J^^ii/5      dUy«      (*^lXj      c5->"|;i     l->Cj      cv^i^j     _5 

')     -.ÄjJ»     0»!»  fehlt  in  Wi,  steht  aber  in  allen  andern  Hss. 

^)  \V,  fehlt ji?,  Berliner  Hss.  der  MuhjT  cd-dln  und  der  Kodex  Emii.io  Teza's 
(1831  —  1 013)  haben ^j:^.^,  ebenso  Wiener  Hs.  A.  F.  25t. 

i)  Dieser  Ausdruck  findet  sich  bereits  bei  Dscheläl  cd-dTn  Rü  mj,  vgl.  J.  A.  Vul- 
LF.KS,  Lex.  Pers.   I,  580;  10.  Z.  v.  u.,  8.  Z.  v.  u. 

4)  \V:  xL.iAx. 

5)  Gerundiv  von  iiL«J'^i,  das  »belagern«  bedeutet.  Nichl  in  den  \Y(hierbüchern, 
sehr  häufig  in  aUosnianischen  Texten. 

<>)  Statt  Q^jj^O    L5^j^'  ^^^  ^^'  '^^J-:'.    O^j-V^- 
7)  W  fehlt  ^tfic^!    ^.M^/toLS    Ni.L4»w. 
s)  W  fehlt  LjCj  bis  J,L>. 

'))  ^jL:>-)  ältere  Form  für  *.j'u^),  ebenso   ^j^Aji. 

"*)  Über  die  Bedeutung  ^2(r?7^5cAist  zu  bemerken,  daß  es  für  Erscheinen  eines  großen 
Eroberers,  Propheten  gebraucht  wird,  also  durchaus  nicht  den  Sinn  »Empörung«  usw. 
zu  haben  braucht.  V'gl.  dazu  I.  Goi-dziiier,  ZDMG.  LX.  Bd.,  S.  219,  i.  Z.  —  Vgl.  S.  42,  i.  A. 


AQ  Franz  B ab ingefj 

jsXif  ^\<y  .^^  ji^>^"5  o»co  ix^\*\    s^-ij  j^j-^    d*^  J^J^  c^^^  e?j»^j^ 

N:>Vxb',_j.J  (^,_*=^  L5^J''  -73;^  LäiiAa/a  i(.4S.J^_^_jj  «.JvaäJAjI^JvAJ^I  ,v'^J    (^j^'^^^' 
^!j  t\Äi'  (j:00  ^0(.^L<:OaÄ>  |*.ÄJ  0^i>  ^^3!  ij:>->>^j5  (j:l\,:Cu;;(  ^:>»^.i>  i^UwäIias^ 

J Ab    ii.>oLj  v^J^'  jr^V-^  o.j^jcVj  ^Xi^  (.>Ai>   jj:^;^^   l5^^^   O'^'^j^  '^   ^'"^^ 
^O^^,^   ■^l\     C-X^^^kA    ^.<j1    ^^.JC^c   ^^'-s   ^^^=^   ^^^^   ^3^  j-^-^^3^    £^^ 

iA.«.js="^/«     ^LlaLw    (j;Ails    &AAv>-*.i"  J»^-w   ^JaIeLIp    »_^P    ^__».j   ^-v=>     Lä/^^jS     ^jr^\ 
,.XLLh     »-.»-x^     JajVI^    ^>^Jo     «lAÄS-i?     s-c;    (^^OjA-b'     -Jt     ^Ui>    (^cJUXit 

Ich  gebe  davon  folgenden  Verdeutschungsversuch: 
»Zur  Zeit,  da  Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  von 
Simäw  (im  folgenden  stets  mit  »SdRvS«  abgekürzt),  unter  Müsä 
Heeresrichter  war,  befand  sich  bei  ihm  als  kjaja  ein  gewisser  (so  ge- 
nannter) Bürklüds-che  Alusfafä.  Als  man  den  Schejch  nach  Isniq  ver- 
wies, begab  sich  B.  M.  nach  Aidin-eli  4),  von  dort  zog  er  weiter  und 
ging  nach  Oaraburun.  Über  diese  Gegend  brachte  er  viel  Unheil, 
Aidin-eli  zog  er  auf  seine  Seite.  Er  sann  alle  möglichen  Listen  aus 
(oder:  er  verbreitete  allerlei  unsinniges  Zeug),  ließ  sich  —  Gott  be- 
hüte 1  —  Prophet  nennen  und  redete  noch  viele  Torheiten  wie  diese. 
Als  der  SdRvS,  Schejch  Bedr  ed-din,  auch  dies  vernahm,  daß  B.  M. 
Erfolg  habe,  floh  er  aus  Ismq  und  begab  sich  zu  Isfendijär,    Während 

')  ,  ifiJ^S  heißt  in  älteren  Texten  gewöhnlich  »sich  jemand  anschließen«,  »jemand 
gehorchen«. 

-)    W  fehlt  «w^S^   ^_cO,  ,3    L->N.i^    Xi^kA. 

3)    Gehört  zu  /  iM^i. 

■4)  Bei  den  alten  Schriftstellern  hatAidin-eh,  Mentesche-eli  usw.  noch  dieBedeutung 
»Land  der  Aidln-oghlu« ,  »Land  der  Menteschc-oghlu«  usw.  Man  übernimmt  daher  am 
besten  den  türkischen  Ausdruck.     (J.  H.  Mordtmann.) 


Schejch  Bedr  ed-diti,   der  Sohn  des  Richters   von  SimSw.  <>  t 

er  sich  bei  Isf.  aufhielt,  bestieg  er  eines  Nachts  ein  Schiff  und  setzte 
nach  der  Walachei  über.  Von  dort  zog  er  in  das  Aghadsch  denizi; 
jedenfalls,  so  sagt  man,  stand  er  mit  B.  M.  im  Einvernehmen.  Sultan 
Mehemmed  sandte  seinerseits  den  Bäjazid  Pascha  und  seinen  Sohn 
Muräd  nach  Oaraburun,  B.  M.  hatte  in  diesen  Gegenden  sich  Macht 
verschafft  und  sein  Haupt  erhoben.  Es  hatten  sich  2000—3000  Leute 
um  ihn  geschart.  Nachdem  Bäjazid  Pascha  und  Sultan  Muräd  nach 
Oaraburun  gekommen  waren,  trafen  sie  mit  B.  M.  zusammen.  Es 
kam  zu  einem  gewaltigen  Kampf.  Auf  beiden  Seiten  wurden  viele 
Leute  getötet.  Schließlich  schlugen  sie  den  B.  M.  dort  auch  kurz  und 
klein  (rissen  in  Stücke).  Sie  vernichteten  also  jenes  Volk,  besetzten 
jenes  Land  und  verteilten  die  Landschaft  als  Lehen  unter  die  Knechte 
des  Herrschers.  Bäjazid  Pascha  kam  nach  Manissa  und  traf  dort  noch 
den  Torlaq  Hü  Kemäl.  Auch  dieser  hatte  mit  1000 — 2000  Anhängern 
die  Leute  ständig  mit  großen  Redensarten  verführt.  Auch  diese  zer- 
streuten sie.  Den  Torlaq  Hü  Kemäl  erwischten  sie  mit  einigen  Jüngern 
und  hängten  ihn  auf.  Andererseits  war  Sultan  Mehemmed  von  Seres 
gegen  Salonik  gezogen,  und  während  er  es  belagerte,  war  der  SdRvS 
aus  dem  Aghadsch  denizi  hervorgebrochen  und  entsandte  einige  un- 
selige süß,  daß  sie  in  die  Ebene  von  Zaghra  gingen  und  dem  Volke 
vorredeten:  »Von  nun  an  ist  die  Herrschaft  mein  und  der  Thron  ist 
mir  gegeben  worden,  mich  heißt  man  den  König,  (den)  Mahdi.  Ich 
will  die  Fahne  entrollen  und  mich  erheben  !«,  sagte  er.  Diese  süfl 
gingen  nun  in  die  Ebene  von  Zaghra  und  forderten  (das  Volk)  auf. 
Es  kam  auch,  gehorchte  und  schloß  sich  ihm  an.  Dann  stand  B.  M. 
auf.  Als  er  von  dem  Aufstand  des  B.  M.  gehört  hatte,  sprach  er: 
»dieser  ist  nur  mein  Diener  !«  Und  er  selbst  erhob  sich  auch.  Zu 
dieser  Zeit  war  (aber)  B.  M.  noch  nicht  umgekommen.  Als  Schejch 
Bedr  ed-din  aus  dem  Aghadsch  denizi  herausgetreten  war,  hatten  sich 
viele  Anhänger  von  unseligen  süß  freiwillig  [ujitb)  ihm  angeschlossen 
und  sich  um  ihn  gesammelt.  Als  er  unter  Müsä  Tschelebi  Heeres- 
richter war,  hatte  er  mehrere  Stellen  verliehen  und  so  waren  manche 
Leute  ihm  zugetan;  sie  kamen  alle  zu  ihm.  Hinterher  aber  sahen  sie: 
»an  dem  Werk  dieses  Mannes  ist  nichts  Gutes«,  und  so  gingen  sie  alle 
auseinander,  kaum  einer  blieb.  Sultan  Mehemmed  hörte  dies  und  sandte 
viele  Leute  aus.  In  der  Gegend  von  Zaghra  trafen  sie  (ihn),  faßten 
(ihn)  und  brachten  ihn  zum  Sultan  Mehemmed  nach  Seres.  Da  fragte 
Sultan  Mehemmed:  »Was  sollen  wir  mit  diesem  Mann  anfangen?  Ist 
wohl  eine  Sünde  dabei,  wenn  man  diesen  umbringt?«  sagte  er.  Die 
Padischahe  jener  Zeit  waren  eben  so  rechtschaffene  Leute  ^),  daß  sie 
*)  musulmän  ist  hier  natürlich  nicht  wörtlich,  sondern  im  bildlichen  Sinne  zu  fassen, 


3^ 


l^'ranz  Babingei', 


(selbst)  derartige  Unheilstifter  und  Aufrührer  zu  töten  nicht  übers 
Herz  bringen  konnten.  In  jener  Zeit  ^)  war  nun  ein  großer  Gelehrter 
mit  Namen  Mewlänä  liaidar.  Der  war  aus  Persien  gekommen.  Der 
tat  den  Ausspruch  (gab  das  fetwa)  »sein  Blut  (zu  vergießen)  ist  erlaubt, 
sein  Gut  (ihm  zu  nehmen)  ist  verboten«,  sagte  er.  Auf  dessen  Wort 
hin  hängte  man  ihn  mitten  in  Seres  auf  einem  Marktplatz  vor  einem 
Laden  auf  und  schaufelte  ihm  dort  ein  Grab.« 

Wie  bereits  angedeutet,  deckt  sich  der  Bericht,  den  das  Geschichts- 
werk des  Muhji  ed.-din  Dschemäli  gibt,  wortwörtlich  mit  dem 
vorliegenden.  Wie  J.  H.  Mordtmann  (vgl.  Der  Islam,  X.  Bd.  (1920) 
S.  159  ff.)  nachgewiesen  hat,  liegt  im  sog.  cod.  Verantianus,  den  .der 
Westfale  Hans  Löwenklau  -)  aus  Amelsbüren  sowie  schon  sein 
Vorarbeiter  Johannes  Gaudier,  genannt  Spiegel,  seinen  wohl- 
bekannten »Historiae  Miisulmanae  Turcorum«  (Frankfurt  a.  M.  1591) 
zugrunde  gelegt  hat,  eine  Übersetzung  der  Jahrbücher  des  Muhji 
ed-din  vor.  Es  ist  als  Beweis  für  die  oft  gerühmte  Treue  der  Über- 
tragung Löwenklau 's  und  zugleich  als  Probe  für  eine  künftige  kri- 
tische Ausgabe  dieses  osmanischen  Geschichtschreibers  sicherlich 
nicht  ohne  Wert,  die  Leistung  des  westfähschen  Edelmanns  auf  ihre 
Zuverlässigkeit  zu  prüfen.  Ich  setze  deshalb  den  Wortlaut,  wie  ihn 
die  angezogene  Ausgabe  aufweist,  hierher: 

Spalte  464—467:  Fuerat  id  temporis  Scheiches  Bedredin,  iudicis 
Semaunae  filius,  Musae  viventis  adhuc  Casi-asker  ....  Is  quemdam 
a  secretis  habuerat,  Burgluzen  Mustapham.  Sed  quum  extincto  Musa, 
deportatus  esset  Sultani  Muhametis  iussu  Bedredin  Isnicam  .  .  , 
velut  in  exsilium:  statim  Burgluzes  Mustapha  se  contulit  in  Aidinensem 
provinciam,  et  Cara-borum ,  quibus  in  regionibus  valde  mul- 

wo  es  »rechtschaffen,  ehrlich,  i'rnmin,  biederherzig«  bedeutet.  Schon  H.  Löwicnklat  hat 
es  in  dieser  Bedeutung  verstanden:   »Musuhnani  vel  justic. 

')  Dieser  zweimahge  Ausdruck  »jener  Zeit«  ließe  fast  vermuten,  daß  es  sich  um  eine 
weit  zurückliegende  Spanne  handle.  Vielleicht  hat  man  deshalb  ein  Einschiebsel  aus 
späteren  Jahren  anzunehmen? 

-)  Über  Hans  Löwenki.al-  fehlt  leider  eine  gründHche  lebensgeschichtliche  Unter- 
suchung. Er  ist  als  der  Begründer  der  türkischen  Studien  in  Europa  zu  betrachten.  Vgl. 
darüber  den  sehr  guten,  freilich  gerade  diesen  Zweig  seiner  umfassenden  Tätigkeit  nur  wenig 
berücksichtigenden  Aufsatz  von  [Ad.]  Horawitz  im  18.  Bande,  S.  488 ff.  der  Allg.  Deutschen 
Biographie,  dazu  mein  Stavibitler  Biichcesen  im  i8.  Jahrhundert,  I^eipzig  1919,  S.  29,  ferner 
meinen  Aufsatz  ))Die  türkischen  Studien  in  Europa  bis  sunt  Auftreten  Josef  v.  Hammer- 
Pnrgstalls«.  in  der  Welt  des  Islam,  VII.  Jahrg.,  Berlin,  1919,  S.  108.  —  Heute  trägt  noch 
eine  zur  Gemeinde  Amelsbüren  (südl.  Münster)  gehörige  Bauerschaft  sowie  ein  dabei 
hegender  Gutshof  den  Namen  Loevelingloe.  Der  letzte  war  früher  als  »curtis  Ludelvinclo, 
Lodevinglo«  ein  Amtshof  des  Domkapitels  von  Münster.  Dort  ist  Hans  Löwrnklau 
^533  gi'boren. 


i 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  ■? -^ 

tarum  Murailucarum^),  hoc  est  haeresium  auctor  exstitit.  Adeoque 
Burgluzes  hie  tantum  effecit,  ut  Aidincnsis  ad  ipsum  deficeret  ager 
universus.  Ritus  excogitabat  novos  et  insolentes,  seque  pro  viro  sancto 
gerebat,  et  foeda  quaedam  alia  non  pauca  profercbat  in  medium, 
a  receptis  ahena.  Ouum  vero  Scheiches  Bedredin,  iudicis  Semaunae 
filius,  hunc  Burgluzen  Mustapham  intellexisset  armatum,  ahquid 
mohri:  etiam  ipse  Nicaea  profugit,  et  Isfendiarem  begum  adiit.  Ubi 
tempus  ad  aliquot  ipso  haerente,  forte  contigit,  ut  navis  quaedam  in 
noctu  solveret,  trans  mare  nigrum  in  Valachiam  itura.  Conscendit 
hanc  Bedredin,  et  in  Valachiam  transvectus,  silvam  adiit,  quam  in- 
colae  vulgo  Mare  arborum  vocare  solent.  Interea  Burgluzes  ille  Mu- 
stapha  regionum  superius  indicatarum  populos  sibi  prorsus  adiunxit. 
Itaque  Suitanus  Muhametes  Baiasitem  bassam,  cum  filio  suo,  Sultano 
Murate,  Caraborum  misit;  ut  hominis  seditiositumultum  compeseerent. 
Profecti  sunt  hi,  quod  imperatum  esset  a  Sultano,  facturi.  Sed  eorum 
locorum  incolae  tanta  veneratione  ac  benevolentia  prosequi  Burgluzen 
Mustapham  ceperant;  ut  etiam  mota  seditione,  ipsorum  ad  tria  milia 
Burgluzen  armati  sectarentur.  Nihilo  minus  progressi  Caraborum 
Baiasites  bassa,  et  Suitanus  Murates  invasere  Burgluzen,  et  -acri  ho- 
minem  proeho  cum  suis  adorti  sunt,  quo  magnus  hominum  ab  utraque 
parte  numerus  caesus  fuit.  Tamdem  vulneratus  Burgluzes  aufugit, 
quem  persecuti  Muhametici  non  vivum  cepere,  sed  occiderunt.  Simul 
iisdem  regionibus  recuperatis,  militibus  suis,  et  aliis  ministris  illic 
timaria  donarunt. 

Hoc  motu  sopito,  Manissam  ....  cum  cxercitu  Baiasites  bassa 
properavit,  ibique  monachum  sive  religiosum  Musulmanum  reperit, 
Torlacem  Hudin  Gemalim  se  nominantem,  qui  et  ipse  hominum  ad 
dua  milia  collegerat,  ac  secum  habebat,  omnes  sui  ordinis  ac  profes- 
sionis,  videlicet  Torlaccs.  Hi  passim  furiose  grassabantur  et  vias 
publicas  infestabant.  Ouapropter  et  ipsos  adgressus  Baiasites  bassa, 
dissipavit;  et  Torlacem  Hudin-Gcmalim,  eiusque  discipulum  quemdam, 
vivos  in  potestatem  redactos,  suspendio  necavit. 

Interim  Suitanus  Muhametes  opidum  Siros  vel  Seres  adiit  .  ,  . 
et  hinc  movens  Selenicam  sive  Thessalonicam  circumfusis  copiis 
obsedit,  magnoperc  conclusos  urgens,  ut  urbem  per  deditionem  potiri 
posset. 

Bedredin  vero,  Semaunae  iudicis  filius,  e  Mari  arborum  egredi 
volens,  aliquot  improbos  et  sceleratos  Sophilaros,  sive  devotos  et  reli* 


')  ==    /  aJLol^,  d.  i.   Heuchlerei,  Glcißncrci. 
Islam    XI. 


'^i  t'rabzBabingei'j 

giosos  specie  tenus,  ante  se  misit  in  planitiem  Zagorensem,  cum  mandato, 

ut  dicerent:  Imperium  Scheichi  Bedredini  deinceps  datum  esset,  regi- 

umque  thronum  ipsi  debere:  begos  et  proceres  omnes  ab  eo  stare: 

decrevisse   vexillum    extollere,    reque    ipsa  demonstrare,   quod  verbis 

nunc  polliceatur.     Fecere  Sophilari,  quod  facere  iussi  fuerant,  et  Za- 

goram  ingressi,   populos  earum  regionum  ad  Bedredinis  partes  invi- 

tarunt,  nee  alienos  ab  hoc  motu  repererunt,  quum  Bedredinem  secu- 

turos  se  profiterentur.     Pervaserat  eo  rumor  de  Burgluzis  Mustaphae 

successibus  in  regione  Aidinensi.  Ouamobrem  seipsum  efferens  Scheiches 

Bedredin,   hunc  sibi   dumtaxat   aiebat  loco   famuli   operam   navasse. 

Prodiit  tamdem  ex  arborum  mari  Bedredin  cum  satis  magno  secta- 

torum  comitumque  numero,  et  cum  Sophilaris  impostoribus;  aliquot 

etiam  se  cum  eo  coniungentibus  ex  illorum  ordine,  quibus  ipsa  regionis 

erat  illius  commissa  gubernatio.     Cur  autem  hi  partes  illius  amplecte- 

rentur,  causa  quaedam  erat  huius  modi;  qui  ante  hoc  tempus,  adhuc 

superstite  Musa  Zelebi,   quum  ipse  Casis-askeris  sive  iudicis  maioris 

munere  fungeretur,  compluribus  officia  cadilicatuum  sive  iuris  dicundi, 

pro  auctoritate  sua  concesserat:  ideoque  valde  multi  eum  amabant, 

et  discipulos  ipsius  se  profitebantur,  iamque  adeo  veniebant,  uti  cum 

eo  se  coniungerent.    Sed  animadverso  denique,  quam  huic  motui  nihil 

omnino  inesset  boni;   sua  sponte  sie  eo  deserto  dissipati  fuerunt,  ut 

hominum  manus  sane  perexigua  cum  co  maneret.      Suitanus  autem 

Muhametes,   quum  hoc  intellexisset;  satis  magnas  eo  copias  suorum 

misit,  qui  Zagorensem  in  agrum  profecti,  captum  Bedredinem  Serras 

ad  ipsum  adduxerunt.     Tum  vero  Suitanus  inquirere  primum  voluit, 

Cjuidde  Bedredine  statuendum  esset:  occidendus,  nee  ne,  videretur: 

et  talem  interficiendo,  peccatum  ahquod,  nee  ne  committeret.  Nimirum 

eins  temporis  Padischachi  sive  reges,  adeo  Musulmani  vel  iusti  erant, 

ut  hominem  tantis  obnoxium  pollutumque  sceleribus  de  medio  tollere 

prius,  quam  alios  consuluissent,  non  auderent.    Aderat  autem  illic  id 

temporis  Talismanus  [^  dänischmend!)'^)  quidam,  vir  doctus,  cui  nomen 

erat  Mevlana  Chaidar,  ac  venerat  istuc  ex  Aiamiorum  vel  Azamiorum 

regione,  quo  nomine  Turcis  Persae  veniunt.  Is  more  Musulmano  Fetfam, 

sive  sententiam,  pronuntiavit  huiusmodi :  iure  quidem  hunc  adfici  posse 

capitis  supplicio,  sed  nullo  iure  facultates  eidem  ademtum  iri.     Qua- 

propter  Mevlanae  Chaidaris'  pcrmissu  Serris,  intra  opidum,  quadam  in 

taberna  suspensus  fuit. 


')  Über  den  Ausdruck  »/alismiwid  iüt  i>tiänischmettd«  vgl.  schon  J.  v.  Hammer,  Gesch. 
des  osm.  Reiches  X,  707;  dazu  J.  H.  Mordtmann,  MSOS.,  Westas.  Abtlg.  V.  Bd.  (1902), 
S.   166. 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  6  t 

DER  BERICHT  DES  'ÄSCHIOPASCHAZÄDE. 

In  der  Zeitfolge  ist  sodann  der  Bericht  *Äschiqpaschazäde's 
anzuführen.  Auf  die  Wiedergabe  des  türkischen  Wortlautes  kann  mit 
Rücksicht  auf  den  Stambuler  Druck  verzichtet  werden.  Ich  begnüge 
mich  damit  hier  lediglich,  einige  offenbare  Versehen  und  Fehler  richtig- 
zustellen und  mehrere  bessere  Lesarten  auf  Grund  der  vatikanischen 
Handschrift  ^)  zu  geben.  Es  mag  an  dieser  Stelle  daran  erinnert 
werden,  daß  'Äschiqpaschazäde  als  Sohn  eines  gewissen  Salmän 
der  Enkel  des  ältesten  osmanischen  Dichters  *Äschiqpascha  (st.  3.  Nov. 
1332)  ist,  der  seinerseits  der  Sohn  des  Mulili.s,  also  der  Enkel  des  be- 
rühmten, mehrmals  erwähnten  Schejch  Iljäs  aus  Khorasän  ist.  Die 
ketzerischen  Ansichten  freilich,  die  sein  Urahn  geäußert  hatte,  waren 
bei  'Äschiqpaschazäde  längst  einer  gut-sunnitischen,  herrscher- 
treuen Gesinnung  gewichen. 

Zum  Druck,  S.  91 — 93,  wäre  folgendes  zu  bemerken,  wobei 
ich  die  Zeilen  der  Stambuler  Ausgabe  beziffere  und  die  Überschriften 
j.Ü2i  als  Zeilen  zähle;  S.  91,  9  entspricht  S.  196,  4  der  vatikanischen 
Handschrift  2) : 

S.  91,  9  fehlt-  ^^c^l  ^^Lij 

S.  91,  12  (jJuL^ 

S.  91,  14  nach  j^o^oo  folgt  noch   -sjcs-ij   „i 

S.  92,  2  fehlt  oC;o 

S.  92,  6  statt  ^.^j^^j}  ^ys^   --  ^.,_j.:>>^^s* 

s.  92, 9  ij^j       ■ 

S.  92,  12  bCww 

S.  92,  16  (_^ij^j»i  statt  tiJcXj.S 


o  ,  . 


S.  92,  17    X^^jh  statt   1*,:^^CI 
S.  93,  I  ^,Sy,  statt  Lil^^ 

S-  93,  6  j^5uXJLy*>.>.s 

S.  93,  9  nach  j^UJb  folgt,  noch     ^i 

S.  93,  II  das  erste  Mal  _^ix^,  das  zweite  Mal  ".L^i 

')  Den  offenbar  sehr  wertvollen  Dresdener  Kodex  des  'Äschiqpaschazäde  (vgl. 
oben  S.  27,  2.  Anm.)  konnte  ich  leider  nicht  zuni  Vergleich  heranziehen,  da  Hand- 
schriften von  dort  zurzeit  nicht  verliehen  werden. 

-)  Die  Lesarten  der  vatikanischen  Handschrift  verdanke  ich  der  Liebenswürdigkeit 
Frikdrich  Giese's. 

3* 


q<  Franz  Habinger, 

S.  93,  12  ^äi^' 

Außerdem  ist  stets  \>^4iy  geschrieben. 

Deutsch   lautet   der   Bericht,    mit   Weglassung  der   überflüssigen 
Verse,  folgendermaßen: 

»Als  der  SdRvS  nach  Isniq  ging,  begab  sich  Mustafa  in  die  Land- 
schaft Aidin  und  von  dort  nach  Oaraburun.    In  diesem  Bezirk  verübte 
er  viel  Scheinheiligkeit  und  viele  Leute  dieser  Gegend  zog  er  auf  seine 
vSeite.    Er  brachte  es  zuwege  (so  geschickt  dahin),  daß  er  sich  schließ- 
lich Prophet  nennen  ließ.  Als  der  SdRvS  von  dem  Erfolge  des  Bürk- 
lüdsche    Mustafa   hörte,    floh  er  aus   Isniq,    begab  sich  zu   Isfendijär 
Bej,  bestieg  dort  ein  Schiff  und  verfügte  sich  in  die  Walachei.     Dort 
angekommen,  ging  er  nach  Deli  Orman;  er  war  jedenfalls  im  Einver- 
nehmen mit  Bürklüdsche  Mustafa.     Sultan  Mehemmed  Khan  sandte 
den  Bäjazid  Pascha  und  seinen  Sohn  Muräd  Khan  aus,  bei  Oaraburun 
trafen  sie  mit  B.  M.  zusammen,  so  entstand  ein  gewaltiger  Kampf, 
auf  beiden  Seiten  fielen  viele  Leute;  zuletzt  hieben  sie  den  B.  M.  in 
Stücke,  suchten  das  Land  ab,  brachten  um,  wer  den  Tod  verdiente, 
und  verteilten  das  Land  als  Lehen  unter  die  Knechte  des  Herrschers. 
Bäjazid  kam  wiederum  nach  Manissa,  fand  dort  den  Jorlaq  Hü  Kemäl 
und  knüpfte  ihn  dort  auf.     Sultan  Mehemmed  Khan  begab  sich  nach 
Seres,  um  auf  Salonik  zu  marschieren.     Andererseits  war  der  SdRvS 
nach  Deli  Orman   gekommen,   sandte  einige  süfl  in  die  Bezirke  und 
ließ  verkünden:  kommet,  von  jetzt  ab  ist  das  Herrschertum  mein  und 
mir  Untertan.     Wer  eine  Landpflege  [smidschaq]  begehrt,  der  komme, 
wer  eine  Vogtei  [subaschiliq)  haben  will,  der  komme;  überhaupt,  jeder, 
der  einen  Wunsch  hat,  der  komme  !     Er  erklärte,  ich  bin  auferstanden, 
m  diesem  Land  bin  ich  Khalife,  Mustafa  ist  in  Aidln-eh  aufgestanden, 
sagte  er;  der  ist  auch  mein  Diener,  sagte  er.     [Das  behaupten  die  jet- 
zigen süfl  auch,  daß  sie   sagen,  wir  sind  Derwische!      Bei  Gott!    sie 
sind  keine  Derwische  ^)!]     Unser  Schejch  ist  auferstanden,  wir  werden 
noch  Herren,  sagten  sie.  ♦ 

In  Deli  Orman  erwarb    er    großes    Ansehen,    weil    er    eine    An- 
zahl   Landpflegen    und    Vogtcien    und. viele -)    hatte    und 

J)  Dieser  Satz  hat  natürlich  nur  als  Bemerkung  des  'Äschiqpaschazäde  (oder 
des  Abschreibers?)  Sinn;  ich  habe  diese  Einschaltung  daher  in  Klammern  gesetzt. 

*)  Der  Ausdruck      c^^Lj,  wie  ihn  der  Herausgeber  des  Stambuler  Druckes  stets 

schreibt,   lautet  in  der  vatikanischen  Handschrift  ^.X^^j^I^.    Seite  aS* ,  5  des  gedruckten 
Textes  gibt  eine  Anmerkung,  die  Erklärung  ^r*-i'»-J*  =  i^^^*-^'^'  °^  ""'*  Recht,  muß 


Sclicjch   Bcdr  cd-dln,   der   Sohn   des   Kicliters    von   Sinuiw.  ß^ 

Lehensträger,  die,  als  der  SdRvS  bei  Müsä  Heeresrichter  war,  ein 
Lehen  ohne  weiteres  erhalten  hatten.  Es  gab  aber  Leute,  die  sahen : 
bei  der  Sache  dieses  Mannes  ist  nichts  Gutes.  Sie  ergriffen  den  SdRvS 
und  schleppten  ihn  nach  Seres  zu  Sultan  Mehemmcd.  Mewlänä  ^aidur, 
der  eben  aus  Persien  als  gelehrter  Mann  gekommen  war,  (den)  fragten 
sie:  »Wie  verhält  es  sich  mit  diesem  Manne.^«  »Das  ist  ein  gelehrter 
Mann«,  sagte  Mewlänä  Haidar,  »sein  Blut  (zu  vergießen)  ist  erlaubt, 
sein  Gut  (ihm  zu  nehmen)  ist  verboten.«  Da  führte  man  ihn  ab  und 
hängte  ihn  mitten  im  Bazar  vor  einem  Laden  auf.  Dann  nahm  man 
ihn  ab  und  seine  unreinen  Schüler  begruben  ihn.« 

Wie  nun  ein  Vergleich  mit  der  lateinischen  Übersetzung  ergibt, 
die  Hans  Löwenklau  in  seinen  »Annales  Sultanorum  Osmanidarumv. 
(editio  altera,  Francofurdi,  1596)  auf  S.  23  sowie  in  der  Verdeutschung 
in  »Newe  Chronica  Türckischer  Nation«  (Frankfurt  am  Main,  1590) 
auf  Seite  18 — 19  bringt,  handelt  es  sich  hier  doch  wohl  nicht  um  den 
verkürzten  Text  des  Muhji  ed-din,  etwa  den  »ersten  Entwurf«  (J.  H. 
Mordtmann)  dieses  Geschichtswerkes,  sondern  um  eine  freiere  Über- 
tragung des  Berichtes  'Äschiqpaschazädc's.  Ich  lasse  den  lateini- 
schen Wortlaut  folgen: 

S.  23,  8:  Interca  dum  his  rebus  intentus  erat  Muchemetes,  in 
Anatolia  seditio  quaedam  coorta  fuit,  auctore  Burgluze  Mustapha,  qui 
Scheichis  Bedredinis  quondam  oeconomus  fuerat.  Et  Scheiches  ille 
Bedredines,  uti  supra  diximus,  apud  Musam  Cadilescheri  munus  ges- 
serat,  Isnicae  deinceps  exsulare  iussus.  Hie  ergo  Mustaphas  in  agrum 
Aidinensem  profectus,  magnam  ibi  seditionem  excitavit:  persuasis 
incolis,  ut  ipsius  potestati  se  permitterent,  et  Imperium  lubentes  acci- 
perent:  nomen  Interim  prophetae  mentitus,  ut  eo  facilius  res  novas 
moliretur.  Ubi  de  hoc  motu  Isnicae  Scheiches  Bedredines  accepisset, 
oeconomi  videlicet  sui  res  tantum  incrementi  sumere:  mox  Isnica 
relicta  fugam  arripuit,  et  Isuendiarem  adiit.  Apud  hunc  quum  ali- 
quamdiu  substitisset,  navim  conscendit,  et  itinere  maritimo  Valachiam 
petiit.  Suitanus  autem  Muchemetes  intellecto,  habere  iam  Burgluzam 
Mustapham  selectorum  militum  ad  tria  milia:  copias  suas  in  cum, 
duce  Sultano  Murate  filio,  misit.     Is  ubi,  Baiasite  bassa  expeditionis 


dahingestellt   bleiben.     Die    bekannte   übliche  Bedeutung  von  ^^^Lj  (von  ^lj)   »Be 


3    y 


reicherer«,  »Schieber«  kommt  hier  natürlich  nicht  in  Frage.  ^>»_j.J,  ^Xs^-:),  ^.-\:>-»J> 
(immer   so   vokalisiert)  findet    sich   sehr  häufig  in  geschichtlichen  Texten  und  auch  bei 

Sa'd  ed-dln.  Dieser  gebraucht  es  I,  375,  16  und  37S,  4  v.  u.  mit  ^_4•^'^'^'i^  ((^len  »Ren- 
nern und  Brennern«  Jos.  v.  Hammer's)  zusammen.  —  Vgl.  Müli  letcbbüHer  medsch- 
)nü\isi  II,  180. 


^g  Fr-anzBabingcr, 

socio,  cum  exercitu  ad  defectionis  auctorem  pervenisset:  accidit,  ut 
impetu  repentino  se  invicem  invaderent,  et  manus  tarn  animose  con- 
sererent,  ut  illo  proelio  ingens  hominum  multitudo  caderet.  Tamdem 
Burgluzes  Mustaphas,  in  frusta  concisus  periit.  Hac  de  illo,  et  com- 
plicibus,  obtenta  victoria:  rediit  ad  pristinum  imperium  omnis  ea 
ditio,  distributa  deinceps  inter  Sultani  Muchemetis  milites.  His  rebus 
gestis,  Baiasites  bassa  cum  Sultano  Murate  Manissam  duxit  exer- 
citum:  quo  ipso  etiam  in  loco  quidam  erat  homo  seditiosus,  Torlaces 
Huggiemal,  stipatus  bis  mille  viris,  qui  cum  sectabantur.  Hos  quum 
Baiasites  adsequutus  fuisset,  terga  dare  coegit,  et  ipsum  Torlacem, 
cum  aliis  aliquot  coniuratis  captum,  ibidem  suspendio  necari  iussit. 
Interim  profectus  Serras  Suitanus  Muchemetes,  eam  civitatem  occu- 
pavit:  et  cum  animo  suo  constitit,  Salonicam  quoque  militum  coronam 
circumdare.  Durante  vero  Serrensis  urbis  obsidione,  Scheiches  ille 
Bedredines,  quem  in  Valachiam  profugisse  diximus,  Romaniam  in- 
gressus,  aliquot  sophilarios  ante  se  misit  in  agrum  Zagorensem,  vulgo 
persuasuros,  imperium  Scheichi  Bedredini  divinitus  esse  destinatum. 
Saltim  paucos  intra  dies  adventum  eins  praestolarentur,  Quum  ergo 
Scheiches  Bedredines  iam  propius  ad  eos  accederet,  magnus  sedi- 
tiosorum  numerus  ad  ipsum  confiuxit,  et  illörum  quoque  non  pauci, 
quos  imperante  Musa  beneficiis  obnoxios  in  magistratu  sibi  reddiderat, 
dum  apud  illum  Cadilescheri  officio  fungeretur:  ita  quidem,  ut  hominum 
copiis  non  contemnendis  cinctus  esset.  Verum  iidem  animadverso, 
minirne  felicem  futurum,  motus  illius  exitum:  Bedredine  deserto,  etiam 
arma,  quae  sumserant,  deposuerunt.  Harum  turbarum  accepto  nuntio, 
insignem  exercitum  in  agrum  Zagorensem  Suitanus  Muchemetes  ex- 
pedivit:  qui  Scheichem  Bedredinem  ibi  deprehensum  ceperunt,  et 
captum  Serras  ad  Sultanum  Muchemetem  adduxerunt.  Erat  apud 
Sultanum  magnae  quidam  doctrinae  vir,  nomine  Mevlana  Cheider, 
oriundus  e  Parthia,  unde  se  ad  Muchemetem  contulerat,  qui  eum  pro 
viro  sancto  colebat,  et  a  latere  suo  numquam  discedere  patiebatur. 
Is  hanc  sententiam  tulit,  ut  •  capitis  quidem  supplicium  Scheiches 
Bedredines  lueret:  sed  minime  tamen  fisco  facultates  ipsius  adph- 
carentur.  Suitanus  ergo  Muchemetes,  hac  in  eum  lata  sententia, 
poena  suspendij  apud  Serras  hominem  adfecit.  Postea  vero,  quam 
exspirasset,  cadaver  eins  de  patibulo  detractum,  et  terrae  mandatum 
fuit. 

DER  BERICHT  DES  MEWLÄNÄ  NESCHRI. 

An  dritter  Stelle  muß  der  BerichtNcschri'saus  Germian  (Ewlijä, 
I,  247,  5  v.  u.)  folgen.    vSeine  Entdeckung   und  Erschheßung  wird  dem 


Schejch  Bedr  ed-dln,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  ^g 

Spürsinn  Walter  Friedrich  Adolf  Behrnauer's  (1827 — 1890)  ver- 
dankt, der  in  seinen  »Quellen  für  serbische  Geschichte  aus  türkischen  Ur- 
kunden« (Wien  1857)  zum  erstenmal  Auszüge  ausNeschri  lieferte  und 
auf  S.  VI  auch  einige  Lebensnachrichten  über  ihn  zusammenstellte.  Weite- 
ren Kreisen  wurde  dieser  türkische  Geschichtschreiber  erst  durch  die 
VeTöffenthchungen  Th.  Nöldeke's  im  XIII.  und  XV.  Bd.  der  ZDMG 
bekannt.  Was  Nöldeke  vor  60  Jahren  über  die  Darstellungsweise 
Neschri's  sagte,  hat  natürlich  heute  noch  Gültigkeit.  Eine  Gesamt- 
ausgabe des  Werkes  ist  bis  jetzt  nicht  erfolgt.  Dem  nachstehenden 
Text  liegt  die  sehr  gute  Wiener  Handschrift^)  des  »Dschihännumä« 
H.  0. 15  auf  der  Wiener  Hofbibliothek  (vgl.  G.  Flügel,  Katalog  II,  S.  209 
zucrrunde.     Auf  Bl.  is8b  (bzw.  !1.  r),  3.  Zeile  von  unten  heißt  es  also: 

.^^\     i^-U*Ur     ^_5^^'«     Js^^^wc     j^.,LLaL*     id^i*     3»5     xS^-J^l     ^^-j'i;    ^^^ 
^y  (-(^o-P    io    ^JLi^'    ^^wv^/^s'-i   iu.U^   ^Ju5    ^^\    |..*j    [Bl.  I59''J 

j^JyJ:^x^-w    NÄ^^l    o^^j"'    O"^^    NsJ^    -i''    QulaLw   ^-^^.X/*^  (jr^-^  -i^^^^ 

^J_,JwL5  ^j^~i^  1  ^Uxj^.  C'H-'S^'  V->^'  c3^'-^  l?^  y;'-5  -"^^-j-t^  *;^  "^'^ 

Ojj:^  i.>UPÄx!  .j^s>'J\  t_f^^^  V-^:^'  ^ry«!^--^  <^Ji^^  "-jrJ  ^^3'  y;-^3^^ 
ti)w:^jj^!  .  ^\  ^J^2i^  .^-^^-^  xJ^L^^  •lF"-^^^  j^-f'*^  »-^-^H'  i^^  »^-J^.J^ 
_lc!     ,.,jot     — ^^J     x'i^Lil    V^>o     xx^i"     ^.,AJ5    ^-J,U     a^,.jj^-Lft^5     Vj-^'-^ 

_?>J     .ilJ^        .^JjAiO     *j;j*'    '«^*-r:>^j_J^      ijrJ-^-T?     ^jH-^     l5'^'^     vA.«.^^« 
,  »Aii     *o!      V  ».>-     ...vAÄ^s..^     -AJ't     d^*->    xxJla^     .^A..cij».j     ^— ';'•     *^ 5  3  ^    ^r* 


')  Ich  mochte  nicht  verfehlen,  auch  an  diesem  Orte  der  stets  entgegenkommenden 
Leitung  der  Wiener  Hof bibliothek  für  die  Erlaubnis  zur  Herstellung  von  Licht- 
bildern der  einschlägigen  Handschriften,  für  die  tadellose  Fertigung  der  Schwarzweiß- 
aufnahmen aber  dem  trefflichen  Hofphotographen  S.  Schr.\mm  (Wien,  V.  Bez.,  Nikols- 
dorfer  Str.  7 — 11)  angelegentlichst  zu  danken. 

=)  Wohl  für  1  cjJ_jO  verschrieben. 


AQ  Fr  a  n  z  B  a  b  i  nge  r , 

^      ;   <?kAAiÄ^>-0     J)^Äj.:jJ  >3      ^L&l     ^  ^£»1         ~M*.Xj:Cl\Ii    \j»L*.AW      ..AS-ä^      <J>      1    £c\jk-w»i3 

i^     c**>y^it   i^^^  J'-^^^i^'^J'   ^   ^i>-:^**^     c^'fr^   iM'-^-^^^^3   rj'A-^W^^    aJ-*.:^üj 
icX,«Jil    vA/aä    *jCbo    ,i  tJ    -^^    »lAÄ-il    j    ^sa^"    e^»J    x^J,  ^5'    -J'j)^  iOuLj  L«i 

JLjojlT  »a*.5\a!   ^LiiLw  slM-iuw  «— AJj-ö     -JLc^l     -jw*-ytoüj  »J.'l**w  n^^  jä*«! 

...ÜaL«       .^jOj^O  j-Xa5>    Ü^^   l5"^J^3    tXUJiJlo  ji    J^JS    {ij^    ^^iX^.^lc. 

.lX-cL=>      J'wo    'w/il   A^l>  (JUä  dV-Jj^  Uyi  i^J^^   ^*->*^^  ^^^   [B^-  Jöoa] 

^jJLcj!      -.w-jutoLs   iu»U.A«   ,')i->^^    lS'-Vj^    l£?^   '^^    L^^^    »J^J-^  3  ^joij 

•w*-L>   »Xo    ,M>AJ^    *^^Jj     .JvX>!     ,b«>    8Ai5'.?    iM^^    -^    v_jjs.L!    »J-.b 

.i*}»\   vi^*jO  «y   J,«-Xj!  iViü    JLäajuo  v_aj!^  ,m«^-^^      •5'^i'; 

In  deutscher  .Übersetzung  lautet  Neschri's  Erzählung  (ui^jK^-) 
etwa  folgendermaßen: 

»Erzählung  des  Aufstandes  des  SdRvS  in  Rümeli  und  des  Bürk- 
lüdsche    Mu§tafä    zu    Oaraburun:     Es    wird    überliefert  5) :    Zu    jener 

')  Die  Schreibung  ;-a-w  entspricht  der  Schreibung  ;.*«  auf  den  Münzen  jener  Zeit, 
die  daneben  auch  \^.*^^  j^-**  aufweisen  (J.  H.  Mordtmann). 

*)  Mir  unverständlich;  etwa  (^Ji»*oOl  »schamlose«?  _j,Uj!  weisen  die  mir  zugäng- 
üchen  Wörterbücher  nicht  auf. 

3)  =    'yy*^  d.  i.  soeben,  gerade. 

4)  für    ,Jii(^>\jö. 

5)  Über  den  Ausdruck  iü^-ÄJ^I  u:^j!».  und  seine  Bedeutung  bei  Neschrl  vgl. 
Th.  Nöldeke,  ZDMG.  XIII,  S.  177  und  185,  5.  Anm. 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw,  4I 

Zeit,  da  Sultan  Mehemmed  den  Müsä  Tscheleb!  erledigt  hatte,  hernach 
den  SdRvS,  der  des  Müsä  Tscheleb!  Heeresrichtcr  gewesen  war.  Der 
Sultan  hatte  ihm  aber  ein  Ruhegehalt  angewiesen  und  ihn  nach  Isniq 
verbannt.  Dieser  SdRvS  hatte  einen  kjaja,  den  man  B.  M.  nannte. 
Der  begab  sich  nach  Oaraburun,  stiftete  viel  Lug  und  Trug  an  und 
brachte  den  größten  Teil  von  Aidln-eli  auf  seine  Seite,  gab  sich  dort 
für  einen  heiligen  Mann  {well)  aus  ^)  und  predigte  dem  Volke  die  Lehre 
der  ibä/ia^),  bis  daß  er  in  den  Landen  berühmt  ward.  Als  der  SdRvS 
das  hörte,  entfernte  er  sich  und  begab  sich  zu  Isfendijär,  bestieg  dort 
ein  Schiff,  setzte  in  die  Walachei  über,  verfügte  sich  von  dort  nach 
dem  Aghadsch  dehizi  und  nahm  dort  seinen  Sitz.  Mit  B.  M.  aber 
stand  er  im  Einvernehmen.  Sultan  Mehemmed  entbot  nun  den  Bäjazid 
Pascha  wider  den  B.  M.,  (d)er  begab  sich  nach  Oaraburun,  sie  ge- 
rieten aneinander,  ließen  sich  in  einen  "hitzigen  Kampf  ein,  auf  beiden 
Seiten  gingen  viele  Leute  zugrunde.  Schließlich  ging  B.  M.  mitten 
im  Kampfgetümmel  unter,  und  jenes  Land  ward  von  den  Unruhe- 
stiftern gesäubert.  Darauf  ging  Bäjazid  Pascha  nach  Manissa,  fand 
dort  den  Jorlaq  Hü  Kemäl  und  ließ  auch  diesen  mit  einem  seiner 
Jünger  am  Halse  aufknüpfen.  Um  jene  Zeit  war  Sultan  Mehemmed 
nach  Seres  gekommen,  er  hatte  die  Absicht,  gegen  Salonik  vorzugehen. 
Andererseits  aber  hatte  der  SdRvS,  der  in  den  Aghadsch  denizi  ein- 
gedrungen war,  einige  irregeleitete  Lumpen  von  süß  in  die  Umgegend 
entsandt  und  verkündet:  »Von  nun  ab  kommt  zu  mir,  denn  das  Herr- 
schertum  ist  mir  gegeben  worden,  und  es  ist  Recht,  daß  ich  der  Khalife 
auf  Erden  3)  bin.  Wem  eine  Landpflege  oder  eine  Vogtei  frommt,  der 
trete  auf  meine  Seite,  jeder,  mag  er  irgendeinen  Wunsch  haben,  komme; 


')  Eigentlich:  er  erhob  Anspruch  auf  wild  ja,  d.  i.  Eigenschaft  eines    ^»    (sc.)    skJ) 

*)  ibä/ia,  wörthch  Preisgabe,  vor  allem  dessen,  was  (bisher)  verboten  war.     Die  J.^' 

^>"l.Jj.M  sind  gesetzfeindliche,  glaubensfreiheitliche  Leute;  persisch  nennt  man  sie  bi 
schar'  =  gesetzlos.  Ein  Teil  der  .Süfi's  (der  andere  ist  bä  schar'  =  mit  Gesetz)  bekennt  sich 
zu  diesem  Grundsatze  der  Verwerfung  aller  Gesetzlichkeit  und  sittHchen  Ordnung  (vgl. 
JA.  1877,  1.76;  J\.\- GhazäU,  al-muiiqid  ttün  al-daläl).  Eine  geschlossene  Einheit  stellen 
sie  natürUch  nicht  dar.  Tiefsinnige  .5■^■£/^'s  (Kuschairl  voran,  aber  selbst  Ibn  'Arabi, 
SuhrawardI  u.  a.)  befehden  die  ibäka.  Vgl.  dazu  I.  GoLDzmER,  Muhammedanische 
Studien  II,  291  (Halle,  1890)  und  Vorlesungen  über  den  Islam,  1910,  S.  167,  ferner  E.  Sell, 
The  faith  of  Islam,  Madras  1880  S.  95;  Richard  Hartmann,  Die  Frage  nach  der  Herkunft 
und  den  Anfängen  des  Siifliums,  im  /5/aw  VI  (1916),  S.  70,  außerdem  ZDMG.  LII.  Bd., 
S.  476 — 479  (gute  Angaben).  —  Über  ibähijja  vgl.  noch  E.  G.  Browne,  JRAS.  XXXIX 
(1907),  S.  536  (Jurther  noleson . . .  Hurüfls):  ibähiyya,  or  communists  (meaning  probably  the 
Mazdakites),  and  the  progenitors  of  the  Hurüfls. 

3)   »Khalife  auf  Erden«,  die  wörtliche  Übersetzung  des  arabischen  O-Si^!     J^  'iisLAs> 
vgl.  dazu  unten  S.  72  die  Stelle  aus   SuhrawardI. 


A2  Franz   Babinger, 

ich  bin  von  nun  ab  der  große  Eroberer  ^).  Auch  Bürklüdsche  Mustafa 
hat  sich  in  Aidin  erhoben,  der  ist  auch  mein  Jünger,  meinetwegen 
hat  er  sich  erhoben,«  sagte  er.  Dann  bheb  er  im  Aghadsch  denizi, 
und  vieles  Volk  sammelte  sich  um  ihn  und  eine  große  Menge  von  allen 
Lumpen  und  Gaunern  {ewbäsch)  und  Dummköpfen  [edschläf,  v.  dschüf), 
die  auf  Erwerb  (Einnahmen)  ausgingen  (?)  ^),  und  solchen,  denen  er, 
als  er  bei  Müsä  Bej  Heeresrichter  gewesen  war,  Lehen  verliehen  hatte 
—  die  hatten  alle  sich  bei  ihm  versammelt.  Als  aber  die,  die  sich 
bei  ihm  befanden,  sahen,  daß  bei  keinem  seiner  Werke  etwas  Gutes 
sei,  daß  er  nach  der  Herrschaft  trachte,  da  ergriffen  sie  sofort  den 
SdRvS  und  brachten  ihn  nach  Seres  zu  Sultan  Mehemmed.  In  jenem 
Jahrhundert  lebte  ein  gelehrter  Mann,  der  eben  aus  Persien  gekommen 
war,  der  sich  Mewlänä  Haidar  nannte!  Er  befand  sich  bei  Sultan 
Mehemmed.  Den  fragte  der  Sultan  Mehemmed:  »Was  ist  die  (recht- 
liche) Lage  eines  Mannes,  der  eine  Tat  wie  diese  verübt  hat?  Und 
dazu  ist  dieser  ursprünglich  ein  [dänischmend)  Gelehrter,«  sprach  er. 
Mewlänä  Haidar  sprach  3) :  »Nach  dem  Gesetz  ist  seine  Tötung  er- 
laubt, aber  sein  Gut  (ihm  zu  nehmen)  ist  verboten  !«  sagte  er.  Und 
er  selbst  gab  noch  im  gleichen  Sinn  [öile)  ein  Gutachten  ab,  darauf 
brachte  man  den  SdRvS  auf  den  Marktplatz  von  Seres  und  hängte 
ihn  vor  einem  Laden  auf.  Nach  ein  paar  Tagen  kamen  einige  von 
seinen  unreinen  Schülern  und  bestatteten  ihn.  Noch  heutzutage 
[also  um  1480/90]  gibt  es  in  jener  Gegend  Anhänger  von 
ihm.  Von  ihnen  erzählt  man  sich  seltsame  (wunderliche) 
Geschichten,   die  wiederzugeben  nicht    angängig    ist.« 

DER  BERICHT  DES  IDRlS. 

An  letzter  Stelle  möchte  ich  den  wohl  um  151 5  entstandenen 
Bericht  des  Idris4)  vorführen,  wie  ihn  die  türkische  Übertragung  des 

^)  sä/nb  fyurüdsch,  »großer  Eroberer  (so!),  EmpöBer«,  vgl.  darüber  die  Wörterbücher, 
z.  B.  Zenker,  II,  406,  3.  Sp.;  Kelekian  u.  d.  W.  hiirüdsch;  JRAS.   1896,  294,  A. 

^)  So  möchte  ich  den  Ausdruck  i;i)».4Xj!  (\^K2^\!i  =;)  J^x2.>'o  wiedergeben,  der 
freilich  auch  ebensogut  einen  andern  Sinn  in  sich  schließen  kann. 

3)  ^^(AxjI  nicht  von  ^WäjI    »machen«,  sondern  von  dem  altertümhchen  ,  i+^J' 

(=  ajittnaq)  »sprechen«,  das  sich  noch  im    osttürk.  (i3L««Xj|   »reden«  erhalten  hat. 

4)  ÜberMewlänä  Idris  Hekim  ed-din  aus  Bitlis  vgl.  das  IV.  Buch  des  Scherefnäme 
in  der  Verdeutschung  von  H.  A.  Barb,  Sitzungsberichte  der  Kais.  Ak.  der  Wissenschaften, 
philos.-hist.  Kl.  1859,  Wien,  1860,  S.  153.  Er  war  der  Sohn  des  »Mystikers«  Husäm  ed-din, 
der  zur  Schule  des  Schejch  'Ömer  Jasir  gehörte.  Er  diente  zuerst  als  Kanzleibeamter  bei 
Jii'qüb,  Ucni  bolin  des  Uzua  Husan  (st.  896/1490/91).     Sultan  Bäjazid  zog  ihn  907  (1501)  an 


Schejch   Bedr  ed-din,   der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  4^ 

unbekannten  Verfassers  bietet;  ich  benütze  dabei  die  von  J.  v.  Hammer 
mit  großen,  langjährigen  Mühen  erworbene')  Handschrift  der  Wiener. 
Hofbibhothek  (H.  o.  i6b).    Die  Darstellung  findet  sich  in  der  26.  Er- 
zählung   des   V.    Paradieses   im   zweiten    Buch   der    »Hescht  bihischt« 
(Bl.  196^  ff.).     Einzelne  Schreibfehler  sind  hier  verbessert: 

«*}o^4^wfl    ^jjJkI^  jC^i   ^"^i  "^^j*^  al^Aö  ^'^i  [Bl-  195  ^,  4-  Z.  V.  o.] 

-/  l_?    ■:>        -1^  ••        _T^  •    ^"  ->      (^-<>  J^  ....  ••> 

seinen  Hof,  wo  er  auch  unter  Selim  verblieb.  Er  begleitete  diesen  auf  dem  Feldzug  gegen 
Persien  und  ergriff  in  Selims  Auftrag  von  Kurdistan  Besitz.  An  der  Spitze  eines  kur- 
dischen Heeres  schlug  er  die  Perser,  seine  eigenen  Landsleute,  eroberte  Märdln,  ver- 
handelte wegen  der  Einverleibung  von  al-Ruhä  (Edessa)  und  Mausil  und  befestigte  die 
innere  Ordnung  des  Landes.  Auch  an  der  Eroberung  Ägyptens  nahm  er  teil  und  feierte 
Selim  in  einer  überschwenglichen  Lobrede,  um  ihn  für  seine  Ratschläge  zur  Ver- 
waltung Ägyptens  gefügig  zu  machen.  Er  starb  zu  Stambul  im  gleichen  Jahre  wie  Selim, 
nämlich  im  Du'I-hiddscha  926  (beg.  12.  Nov.  1520),  vgl.  Sa'd  ed-dln,  lädsch  ül-tewärlif 
II.  Bd.,  S.  566.  Taschköprüzäde-Medschdl,  Schaqä'iq  al-fiu'mänTja,  S.  327  ff. 
(S.  328,  8.  Z.  v.  0.  Todesjahr  ganz  allgemein  »in  den  ersten  Regierungsjahren  Sultan  Sülej- 
mäns«  angegeben!).  Die  anderslautenden  Angaben,  wie  etwa  bei  Sämi,  Qämüs  iil-a'läm, 
11.  Bd.,  S.  811,  bei  E.  J.  W.  Gibb,  HisL  of  Ott.  Poetry,  H.  Bd.,  S.  267,  Anm.  sind  alle 
irrig.  Derselbe  Idrls  ließ  übrigens  bei  der  Eroberung  von  Märdin  alle  Rotkappen  der 
Schi'iten  an  einem  bestimmten  Ort  zusammentragen,  wo  er  sie  mit  Schimpf  und  Spott 
in  die  Senkgruben  der  Stadt  werfen  Heß.  Vgl.  darüber  den  Bericht  des  Fortsetzers 
von  Idris'  »Heschi  bihischt«,  seines  Sohnes,  des  Defterdärs' Abu  M-fadl  Muhammed 
(st.  987/1579)  in  der  Wiener  Handschrift  994,   IV  (Flügel,  II,  219)  auf  Bl.  SS. 

0  Vgl.  J.  v.  Hammer's  bewegliche  Klagen  im  JA.  IV.  Bd.,  S.  35,  Anm.,  ferner 
Gesch.  des  osman.  Reiches  I.  Bd.,  S.  XXXV  sowie  IX.  Bd.  S.  188 — 189.  —  Über  die  Selten- 
heit der  Hss.  der  »heschi  bihischt«  vgl.  die  sehr  gewissenhaften  Angaben  in  Maulawi  *  Abd 
al-Muqtadir's  Catalogue  of  ihe  Arabic  and  Persian  Mss.  in  the  Oriental  Public  Library  at 
Bankipore.  VI.  Bd.,  Patna,  191S,  S.  203  ff.,  wo  S.  204  die  übrigen  IdrTs-Handschriften 
verzeichnet  sind.  In  Europa  sind  nur  drei  vollständige  Abschriften  des  persischen  Originals, 
vorhanden,  nämlich  im  Britischen  Museum  (vgl.  Ch.  Rieu,  Pers.  Mss.,  I.  Bd.,  S.  216) 
in  der  Bodleiana  (vgl.  H.  Ethe  u.  Ed.  Sachau,  Cat.  Nr.  311)  und  auf  der  Univers. -Bibhothek 
zu  Uppsala  (vgl.  C.  J.  Tornberg,  Catal.  S.  191).  Vgl.  dazu  W.  Pertsch,  Kalal.  der  pers. 
Hss.  zu  Berlin  S.  440;  H.  Ethe,  Catal.  of  Persian  7nss.  .  .  .  India  Office,  Oxford,  1903, 
Nr.  571;  W.  H.  MoRLEY,  Historical  Mss.  in  Arabic  and  Persian,  London,  1854,  S.  142 — 143- 

Häddschi  lialifa,  Ux.  bibl.  IL  Bd.,  S.  iio;  VI.  Bd.,  S.  216.  —  Dem  Kolophon  nach 
zu   schließen,  ist  die  in    der  Oriental   Public  Library  zu  Bankipur   verwahrte 

Idris-Handschrff t  von  der  Hand  des  Verfassers. 


AA  FranzBabinger, 

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')   Qor'än,   II,  258—259.  -)  Qor'än,  XXXIX,    19.  3)  Qor*än,  VI,  90. 

4)  C^or'än.  XXXIll,  21. 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  45 

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*)   <v*or'aii,    \'l,    145. 


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..jLüLw    sJwÄil    ^j5^Xs»(Ai»,i     ,_j.ww.Xx    .j..^iw    öuXJlXj  ti\.A^l    ,Lci»  sOli^  ^iLis.jJ^ 

jlij    J-KiS^    ^^i    Q^j^J    V^-^^^    isz>-j.'^    xÄj^ftAw      -.»«Li  (^^AM    l^wao^   iA*^^ 

idji  ^U^  ^  ^^3  V4^  f*jl-AC  ^^.,iA^Li»".^  y'Lw^c  [Bl.  igy'l    v-^.*4.i»i  ^-*yy« 

.^'wA^>-*^     «Jyj.w.     ls.kjij^     :^-fc^^      OJj.£.      .jO.Ä<w     o»l     n^*^      ..JsJJjtXJ»!    ^äÄäx 

_io    S"ij^    ^•*^-Sr^    8-Ä.*w.Lw    «.AjI      ^liaL«.    *£)JLs    xxclo»      -jilix*;  o^Lj«..vw.j 

J.ji   *5j  ^^>v_ji    Oj.cJ    x/J^/;^     -äjJaj-ä.   'i^Kp-o    xÄJLÄ.vw.L\>L>.    iikÄi'u/».»! 

oU/i      qI^X-awÄ/«»     0».^    aoL^      (•^y'     U-^*^*      (3^**;^     \Ää*äjij,I     >^^i^>>-     iiLiÄjL! 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richter=!  von  Simtlw.  A*j 

oLAÄÄxi-fl^       '^5fc>.3-     o5(AJ      ^/üljii     j^i      ^%.s^     \i-o.^    u*i>*-^i     i3wAw.sl 
*.jyj  ,  iJ^j-^  oU.i  •    ^ftii-cix!  !^^A.j!  ^^.i»»  iOw/ii-t-jO  u-i^-j^  c>->^i>j  \jxAJi-w>wÄJ 

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'^',L>iXj     d^Äi  .tXJLj5      ^ij>        -j«lXs>^/<     -iJs.ÄJLj!      ,.,jAj5     ^j!-x     ...LlaJlA«    so5^^ 

>     ->        •    ^  L?  "V  -  L'"  x-^  v^        ->  ••    j     ^ '^  • 

J*l3^j    ,  i.5»    u-^ji.>    x^x.«^    nXj».:;^    w/j1     .j^jrjsj.j^  ^LVi!  \AJlJ\ä/a_»   v_;LAa-<     ^JUaJL^w 

l5-  -^  >  V  •  .  >  -/       ;^  1    .    V  J.>      i^ff        j^      j 

iAj:-)U    'l<8)        .[  ciAiji     ,.,'i»».x-»»     ^ic     ,.,  ^..>^u)     \x^5      ,1^.-:''»     ^•:i>-     xiJwj     ,..l*j1 

lA^i     iAäjiAJS    ,uXj        -j\ÄAv^^i      ,  vaxJ     \Li     \.''l.«.xX3>    ^iijLxJiAj        ^i>t3     L^Lj 

A.A.C    Sfcji.^    iJ,  ».i  A/a    Ixi       ..Jlji3,».Äi     \JLlaJLv  u>«''iA5*   xijf  ^jLxS  ,  q\^S-*    J^t!. 
OL>ia;>    iA.4..i=^v«    ..ju-iJUv    ^XiUJ^i     ,_j_i*>    *X^*>^    -a^i^SJ^A   J«.5>3     ,_»..^«^     -CCöL'' 

»>AÄä»,    Oji^      l^ia^-l       <f>uO    Ä^l^    O""^      il-««^£     i*)J-^^"^     ^^^^    •,j*-'«'-T?     if^"^ 

')  Iliti-    i.st    :ils()    auch  'l'orlaq  Hü   Kemäl  in  Zusammenlinntj  mit  Rcdr  ed-d!n  ge- 
bracht  iiml  aiillerrlrni  der  Ausdruck     ,c'j>  "cbraiicht. 


^g  Franz  Babinger, 

J.ÜLO    *JLji    ^^'XS   ^yjs^^'^    »iUu/i    iS   ^^J>    (^vXxA3    ü^_j./i    ^J^J^^    t^^Uas 

JLäc      CJlaXä/9        e^^       '^''^  ^J^      l5^"^L?^      V^*^3^      Q'frf:*^      »^X^HUOjlxA^ 

iju  .  ^  LAi£  ^^^j  qS  ov^-j  jo>u  Jo>^,  ^ic  ^-»^  i*^y'-  (*^^^ 

A^l     vjj.^i'     xLi     (.Jw     x:piwÜi>iD     ^js^wj.^=U3     c:^t\s>     (^s^SLS    ^ÄcU^s»- 

v-j»Jol   v«;Lui>   s.j^j^     ^Lä     -:>J  JwCsLslj    U.JLc  ^Jl*.'»  k^JJwcas  ^.j    Jä5^/« 

.>*»,Ji.J     80xJLä£     ,.,  »ÄS     »     ,  .£.-^     -•-it    >j"iCoJC/a»      -:<'^'     x*Jw«     »J    Äi"J.jOJ 

XJ         ,J>0  _),^Ö     Jus     NÄ^.Xj     »0,Li;»,     f^^^SUD      .AÄÄX     ^Ju^-^oj»     i_ÄjJlj     X^«05 

•^       ^.^  (^  ^    V  <^  -<  •  ..        ^         ..  ...  ..  ^ 

*-X:>i.      -^lIjüoI    aJwc    ;?  .;i    wV-cLi    ,.,':i.'3i   ,*ic   ^"^i,   *3^-=>^^  xJ^U?  l5^^3  5 

eVXJUsI     .äJ^i     Cj!;L>w«.      iw^ül      SLs'jCa     ,  cCs^Jj.       .iiuXJü!     aoLio     *-«!^l 

^JLC       *JL)!       ,ViÄ>i»       *.ÄC        3»-«'^        ^aI^wS      »Jo.b''jJ      xLi      ,M^-^      i)AÄi      ,   -Ä^tfcÄS 

.,0\AiLla/.^'.    t[j^i      ^tiyc»    /i^i>    ^^"^U^U      .S>\^\    c>-5-U2    3^!    >^>UÄxi3    jjx 

wSljCci      XÄ/!->-      *-^».xijl      ..i'uaJ      8,;.!     A-«.AL2äj      ^^-^     c    .Ui     v^Ni»-«»       _J         -Ä*««lf> 

XÄJ,       ^;Cc.»LLiä     ,.,>^-i      ^J^'     -.»-5>     ...JvjöLuJLv     -^1     c>.cU.:»)    xXJ«.^-    xXjOO 
*.^5>    1  c!.>i    ^_ÄJ^A*JI       -xi    Li!    a^LiJ    ,.,*3-J     \^»**^\    c>>wwLa>v»    .xiX4>^    \Lsm*X> 


')  sol,  V.  Hammer's  Quelle,  siehe  unten  S..61,  i.A. 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw. 


49 


0-5"^^'  ^^j'^iAXjI   ^.,!ij^  »S^=>  ^^iiJ!  ^S-\  ^=^j  ^\  oJ_,5  yLxa  ;^-,Ij^.^  L*iü5 

übersieht  man  das  öde  Wortgepränge,  in  dem  ein  großer  Verbrauch 
an  Bildern  und  dichterischen  Stellen  die  verschwommene  Kenntnis  der 
geschichthchen  Tatsachen  notdürftig  verbirgt,  so  wendet  sich  der 
Bhck  gerne  der  schlichten  Sprache  der  anderen  Geschichtschreiber  zu, 
die  ohne  leeres  Reimgeklingel  und  Gerede  die  Ereignisse  schildern, 
wie  sie  auf  ihren  nüchternen  Sinn  wirkten.  Idris  hat  deren  Kenntnis 
um  keinen  Deut  bereichert,  auch  keine  neue  Beleuchtung  hierfür  ge- 
wonnen. Erst  Sa*d  ed-din  hat,  offenbar  auf  Grund  weiterer  Quellen 
schriftlicher  und  mündlicher  Art,  einige  neue  Gesichtspunkte  hinzu- 
gefügt (I.  Bd.  S.  ril  ff.);  Neschri  und  besonders  Idris  sind  da- 
neben seine  hauptsächlichsten  Unterlagen.  Auf  ihnen  fußt  wiederum 
§olaqzäde  (S.  rc— m),  der  vor  allem  Sa'd  ed-din  stellen- 
weise wörthch  ausgeschrieben  hat^).  Lutfi  Pascha  (st.  957/1550), 
dessen  Tewänk-i  äl-i  '■Osmän  weit  weniger  bekannt  sind  als  sein  be- 
rühmtes Äsajnäme,  lehnt  sich  wiederum  auch  in  der  Sprache  eng  an 
Neschri  an,  ohne  dabei  eine  neue  Tatsache  hinzuzufügen. 

DER  BERICHT  DES  LUTFl  PASCHA. 

Trotzdem  scheint  es  mir  zur  Beurteilung  des  Stiles  i^utfi  Pa- 
schas ratsam,  die  auf  Bedr  ed-din  bezüghche  Stelle  seines  Geschichts- 
werkes nach  der  Wiener  Hs.  [tewäri/f-i  äl-i  '■Osmän)  H.  o.  17  a,  Bl.  21, 

4.  Z.  V.  0,  bis  Bl.  21  b.  7.  Z.  V.  o.  im  Urtext  und  in  Verdeutschung 
vorzulegen.  Daß  Lutfi  Pascha  mehr  schwert-  als  federgewandt 
war,  hat  schon  J.  H.  Mordtmann  in  der  Anzeige  der  verdienstvollen 
R.  TscHUDi'schen  Ausgabe   des  Asafnäme  (ZDMG  LXV.  Bd.  (191 1), 

5.  602)  betont.  Man  wird  daher  die  verschiedentlichen  Verstöße  wider 
Sprachlehre  und  Stil  nicht  etwa  einem  sorglosen  Abschreiber,  sondern 
dem  Pascha  selbst  zuschreiben  dürfen.    Der  Satzbau  ist  besonders  am 

')  Die  kurräsa  der  Handschrift  T.  23  (M.  1506)  I,  fol.  5  r  der  Breslauer  Stadtbücherei 
(vgl.  C.  Brockelmann,  Verzeichnis  der  arab.,  pers.,  tiirk.  und  hebr.  Hss.  der  Stadibibliothek 
s-u  Breslau,  Breslau,  1903,  S.  34)  enthält  weiter  nichts  als  eine  wörtHche  Abschrift  der  Er- 
zählung des  Sa' d  ed-dln,  die  mit  dem  Druck  genau  übereinstimmt.  C.  Brockelmann 
hatte  die  Güte,  mich  auf  die  Handschrift  aufmerksam  zu  machen,  der  FreundHchkeit 
B.  Meissner's  verdanke  ich  eine  von  seinem  Schüler  Dr.  II.  Schaeokk  gefertigte  Abschrift 
der  kurräsa 

Islam  Xr,  . 


^Q  t'ranz  ftabingetj 

Anfang  sehr  holperig;  es  fehlt  das  Zeitwort  bzw.  der  Nachsatz;  qalschan 
ist  hier  nicht  etwa  Mittelform  von  qatschmaq,  sondern  das  alte,  jetzt 
noch  mundartliche  (europ.  Türkei)  Bindewort  »als«. 

6.j      ^A>Ju'       .yjJ^J      v-;.A>J       6JU..C      3»^     ;M^^-'^    .-wV)(     .^     ,  -*.lA^JO      Jjl 
..^  ^>.  v^     ^••-'  ■■  ••  ^"        -'         •  <>  -*         .•■»  ■ 

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JüJÜ.'      «-♦.;=»     ^wü.j      JL.S../0     *Ji*-:>-     *w\.s>     .vJL..p»     \— '«j»t       -A*\^^>J    VJt^' 
_^  ..      ^       ^^     .  ..     ^  ..  _  .  ^  ..^      j^        ...   ..        .  --     .. 

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»>X>Lü'      *^  JL-J',  fcJ      b-X^a     JL!wV.b      iwJfcJ.'      ^♦^     \>o'.j       ^*v\JU:=-    ,  cAj!     ,'. 

\Xo"!^Lv  IBl.  21  '']    J^,»>^^    ...liJL-  .  iTwVjJJ  sAü-j  \.w-«-5     V..^^  ^jjli.^    '•  »-)  .j>J> 
.»-«.XjJ,  4^0  wV*-^w«    ..wxiLs».   JüwVä-(  »wV.»>:>w«    .,w-i.Lw   ;».AM     /-^>'^   JLjwVJ'»-^  *— Jk.»j 


» 


Scliejch  Bedr  ed-rlin,  der  Sohn  des  Richters  von  .'^imS^v.  cj 

»Als  der  Sämüna-oghlu  zu  Müsäs  Zeiten  Heeresrichter  war,  hatte 
er  einen  kjaja  mit  Namen  Bürklüdschc  Mu§tafä.  Als  (er  bei  diesem 
Aufruhr  fortgegangen?),  kam  er  nach  Qaraburun  in  Aidin-eli.  Der 
Bewohnerschaft  dieser  Gegend  bereitete  er  viel  Ungemach;  ja,  er 
sprach  sogar  —  Gott  bewahre!  —  dieser  (d.  i.  Bedr  ed-din)  ist  der 
Prophet!  und  verübte  gar  manche  ähnliche  unsinnige  Taten,  gewann 
in  dieser  Landschaft  viel  Ansehen  und  erhob  sein  Haupt.  Da  zog 
Sultan  Muräd  mit  dem  Bäjazid  Pascha  aus,  sie  stießen  mit  dem  B.  M. 
zusammen,  hatten  einen  gewaltigen  Kampf,  und  auf  beiden  Seiten 
fielen  überaus  zahlreiche  Leute.  Schließlich  hieb  man  den  B.  M.  in 
Stücke,  vernichtete  die  Aufrührer  in  jener  Landschaft  und  besetzte  die 
Gegend.  Unweit  Manissa  aber  versetzte  der  Jude  Torlaq  Kemäl  mit 
ein-  bis  zweitausend  Jorlaq's  mit  Pauken  und  Trommelgctön  die 
Landschaft  in  Aufruhr.  Man  drang  vor,  ergriff  jene,  und  den  Juden 
Torlaq  Keniäl  knüpfte  man,  nachdem  man  ihn  erwischt  hatte,  auf.  Der 
Sohn  des  Richters  von  Sämüna,  Schejeh  Bedr  ed-din,  blieb  indes  nicht 
in  Isniq,  (sondern)  begab  sich  zum  Isfendijär-oghlu.  Dort  verweilte  er 
eine  Zeitlang,  und  eines  Nachts  bestieg  er  ein  Schiff  und  begab  sich 
in  die  Landschaft  Walachei.  Von  der  Landschaft  Walachei  aus  betrat 
er  das  Aghatsch  denizi,  und  von  A.  d.  brach  er  auf,  sandte  einige 
unselige  süft  in  die  Ebene  von  Zaghra,  um  das  Volk  für  sich  zu  ge- 
winnen (durch  die  Worte):  »Von  nun  ab  ist  die  Herrschaft  mein,  der 
Thron  ist  mir  gegeben  worden!«  Diese  sü/is  kamen  in  die  Ebene  von 
Zaghra  und  forderten  das  Volk  auf.  Viele  darunter  ließen  sich  über- 
reden, und  es  versammelte  sich  viel  Anhang  bei  jenen  süfts.  Auch 
hatte  er  zur  Zeit,  da  er  unter  Müsä  Tschelebi  Heeresrichter  war,  einige 
Untergebene  {nä*ib's)  und  Freunde;  die  stellten  sich  alle  ein  und  ver- 
einigten sich  bei  ihirf.  Später  aber  sahen  sie  »bei  seinem  W^erk  ist 
nichts  Gutes«!,  zerstreuten  sich,-  und  kaum  einer  blieb.  Als  Sultan 
Mehemmed,  der  gerade  Salonik  angriff  und  belagerte,  diese  Kunde 
vernahm,  entsandte  er  viele  Leute;  die  trafen  ihn  in  der  Gegend  von 
Zaghra,  ergriffen  ihn  und  schleppten  ihn  nach  Seres  vor  Sultan  Me- 
tiemmed.  Sultan  Mehemmed  fragte:  »W^is  sollen  wir  mit  diesem 
Menschen  anfangen.^'  Der  hat  so  vielen  Aufruhr  angezettelt.  Ist  etwa 
eine  Sünde  dabei,  ihn  zu  töten.''«  Die  Padischahe  jener  Zeit  waren 
solch  rechtschaffene  Leute,  daß  sie  selbst  Aufwiegler,  die  derartige 
Verbrechen  verübt  hatten,  zu  töten  sich  scheuten.  Aber  es  befand  sich 
in  jener  Zeit  ein  großer  Gelehrter,  Halil  (so !)  nannte  man  ihn.  Dieser 
gab' das  Gutachten  »sein  Blut  usw.«  (Vgl.  S.  37,  7.)  Auf  dessen  Aus- 
spruch hängte  man  ihn  in  Seres  auf.« 


4* 


r2  Franz  Babingfcr, 

DER  BERICHT  DES  DUKAS. 

Schon  oben  wurde  betont  —  die  Kenntnisnahme  der  osmanischen 
Quellen  wird  diesen  Eindruck  gewiß  gefestigt  haben  — ,  daß  es  um 
die  Kunde  des  Wesens  jener  Aufstandsbewegung  nicht  allzu  gut  be- 
stellt wäre,  wenn  wir  nicht  in  der  Schilderung  des  [Johannes]  Dukas 
für  sie  eine  besonders  wertvolle  Ergänzung  und  Bestätigung  besäßen. 
Besonders  wertvoll  deswegen,  weil  seine  Angaben  sich  auf  Berichte 
von  Augenzeugen  stützen  und  er  überdies  selbst  ganz  in  der  Nähe 
des  Schauplatzes  seßhaft  war.  Wohnte  er  doch  in  Phokäa,  Smyrna 
gegenüber,  wo  er  um  1450  dem  dortigen  genuesischen  Podestä  als 
Geheimschreiber  diente  ^).  Dazu  tritt  als  weiterer  wichtiger  Umstand 
seine  unbedingte  Zuverlässigkeit.  »Seine  Wahrheitsliebe  ist  zweifellos, 
und  an  Genauigkeit  steht  er  hoch  über  Chalkondyles, «  sagt  K.  Krum- 
bacher von  Dukas  mit  Recht  2).  Ich  gebe  im  folgenden  eine  Ver- 
deutschung 3)  des  Abschnittes  auf  Grund  der  von  Immanuel  Bekker 
besorgten  Ausgabe  der  »Historia  Byzantina«  (Bonnae  1834,  S.  Ul- 
li 5)  4).  In  der  Erzählung  äußert  sich  besonders  deutlich  jene  »leb- 
hafte Anschauung  und  dramatische  Bewegung«  (K.  Krumbacher), 
die  man  seinem  in  einem  »temperierten«  Volksgriechisch  abgefaßten 
Geschichtswerk  als  besonderen  Vorzug  nachrühmt. 

»In  jenen  Tagen  erstand  ein  gewöhnhchcr  türkischer  Bauer  in 
der  Berglandschaft,  die  am  Eingang  des  Jonischen  Meerbusens  liegt 
und  im  Volksmunde  Stylarion  5)  geheißen  wird;  sie  liegt  im  Osten  der 


>)  Vgl.  Karl  KKVMHAdiKu,  Geschichte  der  hyzanlitu'scheu  Lilernliir,  2.  Aufl.,  Mün- 
chen  1897,  S.  305. 

^)  K.  Krumbacher  a.  a.  0.   S.  306.    '  • 

3)  Ich  weiche  in  mancher  Hinsicht  von  der  Übersetzung  K.  DiETF.Rini's  in  dessen 
^Byzantinischen  Quellen  zur  Länder-  und  Völkerkuiidea  (Leipzig  1912),  II.  Bd.,  S.  47  iL 
7))Ein  türkischer  Kommunist«)  ab. 

4)  Zum  Text  ist  zu  bemerken,  daß  S.  112,  14  wohl  (!>:  w/.  'i-^-v/  l'ür  ■/.r/X  o'V/.  j'st'.v  zu 
lesen  ist.  S.  114,  8  ff.:  ctOaGav";  -/.cd -/.por/^^ctv-E;  sind  wohl  nominativi  absoluti;  Satz- 
gegenstand sind  die  Türken,  zu  ■rMz?j'])h^:!'x.^  die  Derwische.     Vgl.  114,  22  ff. 

5)  Vgl.  WiLH.  ToMASCHEK,  Ztiv  histor.  Topographie  von  Kleinasien  im  Mittelaller, 
Sitzungsberichte  der  philos. -histor.  Klasse  der  Kais.  Ak.  der  Wiss.,  124.  Bd.,  Wien,  1891, 
S.  30:  »Der  Kalkstock  des  Mimas  (heute  Boz  dagh.  FB.)  endet  im  Norden  mit  der  Mf/.c(iv7 
w.pct,  türkisch  Qaraburun  (auf  späteren  PortolanenCalaborno).  Die  Seekarten  verzeichnen 
nahebei  die  Landmarke  C.  Stilari  (Stilar,  Stelar,  Stellar)«.  Auch  Coriolano  Cippico  erwähnt 
in  seinem  Bericht  über  die  Unternehmungen  des  venedigischen  Seehelden  Pietro  Mocenigo 
(1472/74)  »unluogo  che  ora  si  chiama  Stilari«.  Vgl.  G.  S.\thas,  Docimenis  inedits,  VLLBd., 
S.  275.  —  Abbildungen  der  Gegend  gibt  A.  Philippson',  Reisen  und  Forschungen  im  west- 
lichen Kleinasien,  2.  Heft,  172.  Ergänzungsheft  zu  Peterwaiin's  Mitteilungen,  Gotha  191 1, 
Abb.  10  u.  II.    Vgl.  S.  46. 


Schejch  Bedr  ed-diu,  der  Sohn  des  Dichters  von  Simäw.  C2 

Insel  Chios  gegenüber.  Jener  predigte  nun  den  Türken  die  freiwillige 
Armut  und  lehrte,  außer  den  Frauen  müsse  alles  Gemeingut  sein, 
wie  Lebensmittel,  Kleider,  Zugvieh  und  Ackergerät.  »Ich« ,  so  sprach 
er,  »bediene  mich  deiner  Behausung  wie  der  meinigen,  du  der  meinigen 
wie  der  deinen,  mit  Ausnahme  der  Frauen.«  Als  er  das  Landvolk  zu 
diesem  Glauben  hingerissen  hatte,  suchte  er  sich  mit  List  auch  die 
Freundschaft  der  Christen  zu  verschaffen.  Er  gab  die  Losung  aus, 
daß  jeder  Türke,  der  den  Gottesglauben  der  Christen  leugne,"  selbst 
gottlos  sei.  Alle  seine  Gesinnungsgenossen  pflegten  die  Christen,  denen 
sie  begegneten,  gastfreundlich  aufzunehmen  und  wie  Sendboten  Gottes 
zu  ehren.  Er  selbst  aber  schickte  täglich  Boten  an  die  Behörden  und 
an  die  geisthchen  Obern  von  Chios  und  gab  ihnen  seine  Ansicht  kund, 
daß  niemand  völlig  des  Heils  teilhaftig  werde  außer  durch  .Überein- 
stimmung mit  dem  christlichen  Glauben.  Damals  hauste  auf  der  Insel 
ein  alter  kretischer  Mönch  in  dem  Turlot!  ^)  geheißenen  Kloster.  Zu 
diesem  sandte  nun  der  falsche  Priester  zwei  seiner  Jünger,  Derwische, 
mit  geschorenem  und  unbedecktem  Haupte,  unbeschuhten  Füßen, 
mit  einem  einzigen  Gewände  angetan,  durch  die  er  ihm  folgendes  zu 
wissen  tat:  »Ich  lebe  das  nämliche  Büßerleben  wie  du,  und  den  gleichen 
Gott,  dem  du  dienst,  verehre  auch  ich;  und  ich  weile  bei  dir,  indem 
ich  nachts  lautlos  (die)  Wogen  des  Meeres  überschreite. «  Vom  falschen 
Priester  betört,  begann  der  echte  selbst  Unsinn  über  jenen  zu  ver- 
breiten, mit  den  Worten:  »Als  ich  auf  Samos  -vveilte,  führte  jener  mit 
mir  zusammen  ein  Einsiedlerdasein.  Nun  kommt  er  jeden  Tag  zu 
mir  herüber  und  spricht  und  verkehrt  mit  mir. «  Und  noch  andere 
WunderHchkeiten  gab  er  in  meiner  Gegenwart  mir,  dem  Schreiber,  zum 
besten.  Der  obengenannte  Sohn  des  Schischman,  der  von  Mehemmed 
zur  Verwaltung  der  Landschaft  eingesetzt  war,  brachte  eine  Streit- 
macht gegen  jenen  falschen  Priester  auf  und  rückte  gegen  ihn  vor. 
Allein  er  vermochte  nicht  durch  die  Engen  des  Stylarion  vorzudringen. 
Die  Stylarier  aber,  geschlossen  über  6000  Mann  stark,  besetzten  die 
unzugänglichen  Engpässe  und  vernichteten  Schischman  und  mit  ihm 
sein  ganzes  Heer.  Von  nun  anhob  die  ganze  Schar,  die  dem  Bürklüdsche 
Mu§tafä  (ricp/XitCta  Mouatacpa)  — ■  so  hieß  er  nämlich  —  anhing, 
gestärkt  in  ihrem  Glauben  an  den  Betrüger,  seinen  Namen  über  die 
der  Propheten.     Sic  gaben  die  Weisung  aus,  das  Haupt  nicht  mit  der 


^)  Ich  kann  diese  monJ  auf  keiner  der  mir  zugänglichen  Karten  wiederfinden;  be- 
kannthch  führen  die  griechischen  Klöster  meistens  zwei  Namen,  einen  nach  dem  Ort  und 
einen  nach  dem  Heihgen,  dem  sie  geweiht  sind.  Vgl.  etwa  A.  Karawa:  ToTroyfiattia-rrj^vrjao'J 
.X'.o'j.    Chios  1866. 


-A  Franz  Babinger, 

zarkula  (CoifxouXa  i)  genannten  Mütze  zu  bedecken,  nur  ein  einziges 
Gewand  umzutun,  unbedeckt  zu  leben  und  den  Christen  mehr  als  den 
Türken  zugetan  zu  sein. 

Nunmehr  befahl  Mehemmed  dem  Statthalter  von  Lydien,  *Ali  Bej, 
mit  allen  Streitkräften  Lydiens  und  Joniens  gegen  die  Stylarier  vor- 
zugehen. Diese  besetzten  abermals  die  Eingänge  zu  dem  Gebirge. 
Und  als  der  größte  Teil  der  gegnerischen  Heeresmacht  in  jene  Schluchten 
einmarschiert  war,  wurde  er  von  den  Bauern  völlig  aufgerieben, 
so  daß  'All  Bej  kaum  in  Begleitung  weniger  nur  mit  Mühe 
nach  Manissa  sich  rettete.  Als  Mehemmed  von  diesem  Geschehnis 
Kunde  erhielt,  sandte  er  seinen  erst  zwölf  Jahre  alten  Sohn  Muräd 
dorthin  und  gab  ihm  als  Begleiter  den  Minister  (Vertrauten)  2)  Bäjazid 
bei,  mitsamt  dem  thrakischen  Heere.  Dieser  bot  die  ganze  Streitmacht 
Bithyniens,  Phrygiens,  Lydiens  und  Joniens  auf  und  brach  mit  starken 
Kräften  in  jene  unwegsamen  Gegenden  ein.  Wer  da  in  den  Weg  kam, 
ward  schonungslos  niedergemäht,  Greise  und  Kinder,  Männer  und 
Frauen.  Kurzum,  jedes  Alter  wurde  unbarmherzig  hingeschlachtet, 
bis  man  zu  dem  Berg  selbst  vordrang,  den  die  Derwische  (eigentlich 
»Einröcke«,  monochitones)  zur  Festung  gemacht  hatten.  Es  ward 
erbittert  gekämpft,  wobei  unzählige  Krieger  Muräds  fielen.  Schließlich 
aber  ergaben  sich  die  Derwische  samt  dem  falschen  Priester.  Sie 
wurden  ergriffen  und  gefesselt  nach  Ephesos  geschleppt.  Dort  fand 
man  indessen  jenen  Betrüger,  nachdem  man  ihn  mit  allerhand  Martern 
gefoltert  hatte,  unerschütterlich  und  nicht  von  seinem  Wahn  abzu- 
bringen. Man  band  ihn  an  ein  Kamel  auf  ein  Kreuz  gespannt,  mit 
ausgebreiteten  Händen,  mit  Nägeln  auf  dem  Brett  3)  befestigt  und  ließ 

»)  Gemeint  ist  das  pers.-türk.  W  ort  zcr-kuläh  (s^U.;);  vgl.  darüber  J.  v.  Hammer, 
Geschichte  des  osm.  Reiches  I,  179,  596;  ferner  Du  Gange,  Glossarium  ad  scriptores  mediae 
et  infimae  Graecitatis  I,  458  (Lugd.  Batav.,  1686)  und  Joh.  Leunclaviüs,  Pand.  Histor. 
Türe.  cap.  21,  S.  120.  Vgl.  dazu  Dukas,  23.  Abschn.,  S.  134,  wonach  man  zwischen  weißer 
().£Uxo-/p02)  und  purpurner  (xoxxtvoßa^e;)  zarkula  bei  den  Osmanen  unterschied. 

')  Der  Ausdruck  ii.e jct^ojv  wurde  teilweise  mißverstanden.  Vgl.  die  ital.  Übertragung 
bei  Bekker  (der  einfach  »mesazonta«  sagt)  a.a.O.  S.  409:  mesagio  (mit  Anlehnung  an 
das  ital.  »messaggio«?).  Noch  K.  Dieterich  a.  a.  O.  II,  48,  10  gibt  ihn  mit  »der  schon  in 
mittleren  Jahren  stand«,  wieder!  In  Wirklichkeit  bedeutet  er  »Mittelsperson,  Zwischen- 
träger, Vermittler«,  dann  aber  »Minister«.  J.  v.  Hammer  hat  ihn  ganz  gut  mit  dem  türk.- 
arab.  miäbe jindscki «  verglichen  (Gesch.  des  osm.  Reiches  I,  636),  mit  dessen  Sinn  er  sich 
buchstäbUch  deckt,  freihch  zu  Unrecht  eine  Übersetzung  des  türk.  Ausdruckes  ins  Griechi- 
sche vermutet.  In  späterer  Zeit  sehr  häufig  (vgl.  z.  B.  Phrantzes  200,  22;  230,  17),  findet  ' 
er  sich  schon  bei  früheren  byzant.  Schriftstellern,  wie  ja  ähnhche  Begriffe  auch  andere 
Sprachen  haben  (vgl.  das  lat.  Internuntius I).  Vgl.  dazu  J.  v.  Ham^jer,  Staatsverwaltung, 
II.  Bd.,  S.   58.     Ferner  Dukas,  S.  227,  14  ff. 

3)  cavfc,  ein  Strafholz,  an  das  die  Verbrecher  angebunden,  auch  wie  an  ein  Kreuz 
üugenagelt  wurden,  findet  sich  schon  bei  Herodot  VII,  33,  IX,  120  erwähnt. 


Schcjch   Bedr  cd-din,   der  Sohn   des   Richters    von   Simä\ 


55 


ihn  im  Triumph  mitten  durch  die  Stadt  tragen.  Seine  Anhänger  aber, 
die  die  Irrlehren  ihres  Meisters  nicht  abschwören  wollten,  wurden  vor 
dessen  Augen  insgesamt  niedergeschlagen  ^).  Aus  ihrem  Munde  vernahm 
man  nur  die  Worte  uiede  sul/än,  erisch«^)  (Texs'aouXxav  spv^?),  das  heißt: 
»Vater  Sultan,  komme  herbei  !«  Unter  diesen  Rufen  erlitten  sie  freudig 
den  Tod.  Eine  Zeitlang  war  übrigens  unter  seinen  Anhängern  die 
Ansicht  verbreitet,  er  sei  nicht  tot,  sondern  lebe  noch.  An  diesem 
Wahn  hielt  auch  jener  Mönch  fest,  mit  dem  ich  über  diese  Gescheh- 
nisse sprach.  Als  ich  ihn  nämlich  befragte,  was  er  davon  halte,  gab 
er  mir  zur  Antwort,  jener  sei  gar  nicht  gestorben,  sondern  auf  die  Insel 
Samos  hinübergezogen  und  führe  dort  sein  altes  Leben  weiter.  Ich 
schenkte  indessen  diesem  Unsinn  weder  Glauben  noch  machte  ich  mir 
darüber  Gedanken.  Bäjazid  zog  nun  mit  dem  jungen  Muräd  durch 
Asien  und  Lydien  und  ließ  alle  Türkenmönche,  die  er,  in  freiwilliger 
Armut  lebend,  antraf,  unter  Foltern  hinrichten.« 

ZUSAMMENFASSUNG. 

Soweit  diese  Quellen.  Versuchen  wir  aus  ihnen  ein  ungefähres  Bild 
der  ganzen  Vorgänge  sowie  der  äußeren  und  inneren  Merkmale  der 
Lehre  Bedr  ed-din's  zu  gewinnen  ! 

Der  Schejch,  so  hörten  wir,  war,  wohl  noch  im  Sommer  1413, 
mit  einem  ansehnlichen  Gehalt  im  weltabgeschiedenen  Isniq  zur  Ruhe 
gesetzt  worden.  In  der  Stille  dieses  kleinasiatischens  Städtchens 
mögen  dann  seine  schriftstellerischen  Arbeiten  ihren  Fortgang  ge- 
nommen haben,  mag  er  tätig  für  die  Verbreitung  seiner  Glaubens- 
anschauungen gewirkt  haben.  Zu  denen,  die  sich  ihm  wohl  schon 
früher  mit  Leib  und  Seele  verschrieben  hatten  und  vermutlich  mit 
ihm  die  Verbannung  teilten,  gehört  jener  Bürklüdsche  Mustafa,  der 
in  der  Bewegung  dann  eine  so  führende  Rolle  spielen  sollte.  Was 
nun  zunächst  den  Namen  belangt,  so  ist  er  mit  Sicherheit  nicht  Börek- 
lüdsche  3)  oder  gar  »Böräklidji«,  wie  die  »Enzyklopädie  des  Islam«  II, 

")  Vgl.  dazu  JRAS.  XXXIV.  Bd  (1902),  S.  42 — 43,  wo  der  Tod  des  Assassinen  Ahmed 
b.  'Attäsch  in  Isfahän geschildert  wird:  »His  hands  were  bound,  and  mounted  on  a  camel, 
he  was  paraded  through  the  streets  of  Isfahan,  where  more  than  hundred  thousand  men, 
women,  and  children  turned  out  to  see  him,  pelling  him  with  dirt  and  dust,  and  mocking 
him  in  scornful  ballads.  .  .  Then  hc  was  crucified  for  seven  days,  and,  so  he  hung  there, 
they  fired  arrows  at  him,  and  afterwards  burned  his  body.«  * 

-)  Vgl.  über  diese  Worte  S.  4  und  70. 

3)  Diese  Schreibung  geht  offenbar  auf  J.  v.  Hammkk  zurück,  »böi-ek«  heißt  »Kuchen«, 
tibürk«  aber  »Kappe,  Mütze«  (vgl.  J.  v.  Hammek,  GdOR.  I,  90),  ein  altes,  gemein- 
türkisches Wort  (vgl.  W.  Radloff,  Vers,  eines  Wb.  (UrTspr.  IV,  1302,  1397,  1699,  1887, 
Ewlijä  III,  358,  6),   so  daß  also  •Dbürklüdschc«  etwa  der  »kleine  Kappenmann«  bedeutet. 


56  P'ranzBabinger, 

416  will,  sondern  Bürklüdsche  zu  lesen.  Dafür  spricht  einmal  die 
von  Dukas  überlieferte  Form  ricpxXtrCta  (S.  iil),  und  schon  der  alte 
Hans  Löwenklau  hat  die  türkische  Form  richtig  mit  lyBurgluzea 
(vgl.  cap.  79  ff.  der  Annales,  ed.  altera,  Francof.  1596,  S.  23)  wieder- 
gegeben. Von  seinem  Vorleben  schweigen  die  Berichte,  doch  wird  er 
stets  als  »ket^uda«,  »kjaja«,  also  etwa  als  »Sachwalter«,  »Hofmeister« 
(Löwenklau)  Bedr  ed-din's  bezeichnet,  da  dieser  noch  als  Heeres- 
richter von  Rumelien  Dienst  tat.  Auch  über  seinen  Bildungsgrad 
ist  nichts  bekannt,  doch  ist  anzunehmen,  daß  die  Worte  iSkutt^;  xal 
aypoixo;  bei  Dukas  diesem  nicht  völlig  gerecht  werden.  Man  wird 
in  ihm  am  besten  einen  jener  Sendlinge  [dä^l,  Berufer,  Einlader,  vgl. 
EI-)  I)  933)  sehen,  deren  Treiben  August  Müller  im  ersten  Bande 
seines  Werkes  »Der  Islam  im  Morgen-  und  Abendland«  (Berlin,  o.  J.) 
auf  S.  589 — 590  so  überaus  anschaulich  geschildert  hat.  Soviel  steht 
jedenfalls  fest,  daß  Bürklüdsche  Mustafa,  vermutlich  im  Frühjahr 
1416,  sich  nach  dem  westlichen  Kleinasien  in  die  Landschaft  Aidin 
begab  und  dort  für  die  Lehre  seines  Herrn  und  Meisters  zu  werben 
begann.  Die  Zahl  derer,  die  sich  ihm  anschloß,  ist  abweichend  über- 
liefert, doch  ist  anzunehmen,  daß  sie  5000  überschritt.  Der  Zulauf 
muß  stark  und  anhaltend  gewesen  sein,  und  Mustafa  war  sich  wohl 
seiner  Sache  sicher,  als  er  Aidin  verließ  und  sich  nach  Qaraburun, 
jener  Halbinsel 

uTTEVspöe  Xi'oio  Tiap'  r^v£}i,oavTa  Miixavca 

» im  Osten  von  Chios,  am  Fuße  des  stürmischen  Mimas« 

(Homer,  Od.  HI,  172). 
begab. 

Dort  war  gleichsam  sein  Hauptquartier,  ein  unwegsames,  leicht 
zu  verteidigendes  Stück  Erde,  wenn  man  an  der  engsten  Stelle  des 
Vorgebirges  sich  etwa  zur  W'ehr  setzte.  Von  hier  aus  suchte  er  nun 
Fühlung  mit  der  weltlichen  und  geistlichen  Obrigkeit  von  Chios,  das 
damals  unter  Genuas  Oberherrschaft  stand.  Welch  tiefere  Gründe  für 
diese  Anbahnung  von  Beziehungen  vorlagen,  bleibt  unklar.  Wir  er- 
innern uns,  daß  schon  Bedr  ed-din  einmal  auf  der  Insel  weilte,  aller- 
dings, so  melden  die  muslimischen  Berichte,   um  den  re^is  der  Insel 

Daß  Bürklüdsche  zu  lesen  ist,  geht  außerdem  aus  der  hsl.  Überlieferung  hervor,  wo  mchr- 

msft  ausdrücklich  i.:>-AS ^%^  (mit  (jlamma  und  dscJiezme  in  der  i.  Silbe)  geschrieben  steht. 
Ganz  falsch  ist  natürlich  der  an  sich  denkbare  Name  t>Jüreklüdsche«,  wie  ihn  der  Stam- 
buler  Druck  des  *Äschiqpaschazäde  S.  90  ff.  gibt,  was  der  »kleine  Beherzte«  besagen 
würde.  Diese  Schreibung  findet  sich  übrigens  schon  vorher  z.  B.  im  Naqd  ül-tcwärih, 
Starabul,  0.  J.,  S.  415.  —  Wie  ich  sehe,  scheidet  J.  v.  Hammer  gar  nicht  zwischen  bürk 
und  börek;  vgl.  GdOR.  I,  90  und  VII,  201. 


Schejch  Bcdr  ed-din,   der  Sohn  des  Richters   von  Simaw.  ty 

zum  Islam  zu  bekehren.  Die  Vermutung  liegt  nahe,  daß  der  Schejch 
selbst  damals  bereits  Verbindung  mit  den  dortigen  Christen  suchte 
und  die  geschäftige  Einbildungskraft  der  islamischen  Schriftsteller 
daraus  ein  Wunderwerk  [karäma]  Bedr  ed-dm's  machte.  Wie  dem 
auch  sei,  das  ketzerische  Treiben  muß  bald  bedrohliche  Formen  ange- 
nommen haben  und  dem  Großherrn  zu  Ohren  gedrungen  sein.  Er 
scheint  zunächst  ihre  Macht  wesentlich  unterschätzt  zu  haben;  denn 
weder  Schischman  noch  der  Statthalter  von  Saru^an  und  Aidm,  'Ali 
Bej  vermochten  Mustafa  und  die  Seinen  niederzuzwingen  ').  Die  dop- 
pelte Niederlage  mahnte  den  Sultan  zu  tatkräftigeren  Maßnahmen. 
Sein  alter  Vasall  Bäjazid  Pascha  2),  in  dem  er  in  schweren  Tagen 
einen  erprobten  Berater  und  Helfer  gehabt,  erhielt  die  Weisung  mit 
dem  jungen  Thronfolger  Muräd,  der  im  fernen  Amasia  die  Statthalter- 
würde bekleidete,  ein  Heer  aus  allen  Teilen  des  Reiches  aufzubringen 
und  gegen  die  Neuerer  mit  allen  Mitteln  und  eiserner  Härte  vorzu- 
gehen. Wie  es  ihm  nach  vielen  Verlusten,  die  selbst  die  osmanischen 
Quellen  eingestehen,  schließlich  gelang,  ihrer  Herr  zu  werden,  hat 
Dukas  mit  besonders  lebhaften  Farben  dargestellt.  Mustafa  ward 
ergriffen  und,  wie  die  türkischen  Berichte  besagen,  gleich  in  Stücke 
zerrissen,  nach  Dukas  aber  nach  Ajasoluq  3)  gebracht,  dort  ans  Kreuz 
geschlagen  und  öffentlich  zur  Schau  gestellt.  Von  dieser  Todesart 
wie  über  die  seltsamen  Worte,  unter  denen  Mustafas  standhafte  An- 
hänger frohen  Muts  ihr  Leben  dahingaben,  wird  noch  die  Rede  sein. 
Bäjazid  Pascha  aber  suchte  die  Lande  ab  und  rottete  ohne  Erbarmen 
alle  aus,  die  sich  zur  neuen  Lehre  bekannten.  Dabei  wird  eines  Mannes 
namentlich  gedacht,  jenes  »Torlaq  Hü  Kcmäl«,  der  in  Manissa  etwa 
1000 — 2000  Leute  um  sich  geschart  hatte.  Über  ihn  wie  über  seine 
Zugehörigkeit  zu  Bedr  ed-dln's  Anhang  verlautet  nichts.  Dennoch 
verlohnt  es  sich,  bei  seiner  Person  etwas  zu  verweilen,  weil  sie  ein 
besonders  deutliches  Beispiel  für  die  bekannte  Tatsache  liefert,  daß 
sich  aus  kleinen  Versehen  oft  größere  geschichtliche  Irrtümer  ergeben 
können.  Was  zunächst  den  Namen  betrifft,  so  wird  er  in  den  greu- 
lichsten Verrenkungen  überliefert.  Während  die  älteren  Quellen  fast 
stets  »Hü  din«  als  vermutlich  einzigen  Kern  des  ganzen  Namens  haben, 

')  Es  ist  gewiß  bezeichnend,  daß  die  osmanischen  Berichte  die  zweimahge  Niederlage 
der  Soldaten  des  Großherrn  mit  Stillschweigen  übergehen. 

-)  Mehemmed  verdankte  Bäjazid  Pascha  sogar  den  'Jhron,  da  ihn  dieser  aus  dem 
Schlachtgetümmel  von  Angora  in  Sicherheit  brachte.  Er  war  um  8i6  Beglerbeg  von  Rum- 
eiien    und   später,    vor   seinem  Nebenbuhler  Ibrähim  Pascha,   Großwesir   des    Reiches. 

3)  JüRüA  hat  in  der  falschen  Meinung,  daß  Palatscha,  das  bekannthch  an  Stelle  des 
alten  Milet  steht  (vgl.  I,  323),  =  Ephesos  sei,  ihn  nach  Palatscha  schleppen  lassen.  Vgl. 
T,  141  dagegen. 


e  8  F  r  a  n  7.   B  a  b  i  n  g  e  r  , 

weisen    drei    von    den   angezogenen  Handschriften  (vgl.  oben  S.   52) 
die   Form  (j-o^.^,  ;VÄMii  auf  i),  in  derwir  jedoch  eineoffenbare  Verlesung 
aus   ^^jij  _j.S>  werden  sehen  dürfen.     Solaqzäde  hat  ihn,  man  möchte 
meinen  aus  Witz,  zu  .^jO^i*  hodbin  verstümmelt  [ta^ri^  S.  135),  was 
bekannthch  im  Persischen  »selbstsüchtig,  stolz,  dünkelhaft,  hoff  artig« 
bedeutet;  ebenso  unrichtig  ist  dann  auch  sicher  die  Schreibung  tyhüd 
ben  kemäl«,  der  wir  bei  Sa'd   ed-din  (I,  298)  begegnen.     Schheßlich 
wäre    noch    der    Wiener    Hs.   985    zu   gedenken,   wo    >>j^«   überhaupt 
fehlt.     Was  der  Name  besagt  —  etwa  »ER  ist  dlna}   — ,  bleibt  wohl 
für  alle  Zeiten  ein  Rätsel.    Immerhin,  J.  v.  Hammer  (I,  378)  hat  seinen 
Träger  zum   Juden  gestempelt,   Zinkeisen   (I,  479)  ist  vorsichtiger, 
JoRGA   (I,   376)   schweigt  überhaupt  davon.      Dagegen  hat  noch  der 
ungenannte  Verfasser  in  der  Enz.  des  Islam  H,    416   daraus  für  die 
Bewegung  den  Schluß  gezogen,  daß   »sich  auch  Juden  und  Christen 
daran  beteihgten«,  freihch  auch  gemeint,  daß  der  Name    »wenig  jü- 
disch« klingt^).  Das  Bcdenkhchste  hat  v.  Hammer's  Irrtum  indessen 
damit  gezeitigt,  daß  jener  Persönlichkeit  in  der  Geschichte  der  Juden 
in  der  Türkei  gleichsam  eine,  wenn  hier  auch  unerfreuliche  Rolle  zu- 
geteilt wurde,    wie    M.    Franco's    )>Essai  sur  l'histoire  des  israelites 
de   V Empire  Ottoman<(   (Paris   1897,    S.   30,    wo    auf   die   französische 
Übersetzung  des   HAMMER'schen  Werkes    II,    181  ff.   verwiesen  wird) 
und   schlicßhch  das  hebräische  Werkchen  des  Salomon  A.   Rozanes, 
»Dibre  jeme   Israel  be-Togarmaa  (Husiatyn  1907,    I.  Tl.,    S.  15),  recht 
deutlich  beweisen.      Was  im  übrigen  die   beiden  anderen   Beinamen 
»/orlaq^)«  und  »kemäli«  belangt,  so  lassen  sich  über  sie  gleichfalls  nur 
Vermutungen   äußern.       »/orlaq«  ist   ein   altes   türkisches   Wort,    das 
ursprünglich  wohl  die  Bedeutung  »nackt«  hatte,  woraus  sich  dann  die 
weiteren  wie  »nicht  angekleidet«,  »jung«,  »bartlos«,  »Neuling«,  »Füllen« 
entwickelt  haben  mögen.     Nun  bezeichnet  aber   »lorlaqlar «  eine  Der- 
wischsekte, der  wir  in  abendländischen  Reiseberichten  zum  erstenmal 

0  Vgl.  Qämüs ül-a'läni  von  Sämi  I,  1254  c,  wo  noch  die  Form  '«:J^>-  ('^üt)  steht; 
vgl.  EI.  II,  416:  Hui,  sowie  Zenker,  II,  944:  hüd  =  Juden. 

-)  Wie  ich  nachträglich  höre,  hat  Abraham  Danon  in  der  von  ihm  geleiteten,  nun- 
mehr eingegangenen  spaniolischen  Zeitung  //  Progresso,  Adrianopel  1888,  ausführlich  über 
diesen  Kemäl  gehandelt.  —  kemaliko  (über  diese  Bildungen  vgl.  Ewlijä  III,  121,  oben) 
ist  nach  J.  H.  Mordtmann  ein  häufiger  spaniolischer  Judenname,  zumal  in  Salonik. 

3)  Vgl.  W.  Radloff,  VWT  III,  1186;  Schejch  Sülejmän  Efendi's  cagat.-osman. 
Wörterbuch,  hrsg.  von  Ign.  Kunos,  Budapest,  1902,  S.  194.  Die  Grundbedeutung  von 
torlaq  ist  wohl  »unwissend«,  »unerfahren«,  »wild«.  Dies  erhellt  aus  der  Zeitwortableitung 
torlan-  (Radloff)  »wild«,  »unbändig«.  Hieraus  ist  zu  schheßen,  daß  torla-q  eine  Zeitwort- 
ableitung von  *torla-  ist,  wie  qatschqalaq  »hin  und  her  laufend«  von  qatschqala-  »hin  und 
li  erlaufen«,  jumschaq  »weicli«  \oi\  jmnscha-  »weich  werden«  usw.  Vgl.  dazu  Gabriet,  Balint, 
Kaznni-tatär  nyelvlär,   Budapest,    1875,   S.   3. 


vSchejch   Bcdr  ed-dln,   der  Sohn   des    Richters   von   Simäw.  -q 

bei  Giov.  Ant.  Menavino  in  dessen  oben  S.  19,  i.  A.  genanntem  »Trat- 
tato«,  in  der  Folge  aber  bei  einer  Unzahl  weiterer  Wandererzählungen 
begegnen,  die  sich  indessen  hier  alle  auf  Menavino's  Angaben  stützen. 
So  hat  unter  Dutzend  andren  jener  Nicolas  de  Nicolay  alle  An- 
gaben, die  der  Genuese  über  die  türkischen  Mönche  macht,  wörtlich 
abgeschrieben,  und  sein  vielgerühmter  Bericht  kann  hierfür  wenigstens 
nicht  mehr  den  Wert  einer  ursprünglichen  Quelle  beanspruchen,  den 
man  ihm  so  gern,  vorab  in  Frankreich  und  England  (vgl.  E.  J.  W. 
GiBB,  Hist.  of  Ott.  Poetry  I,  357  a),  angewiesen  hat  ^).  Der  Versuchung, 
jenen  Hü  din  einfach  als  Mitglied  dieser  Sekte  anzusprechen  (vgl. 
xliJ,^  i<^^  -^  ^'^  Text  des  Anonymus)  zu  widerstehen,  legt  indessen 
die  Tatsache  nahe,  daß  »/jßwä/t«  (vgl.  Solaqzäde,  S.  135,  10:  JLJ'uy, 
»kemäliler «)  ^)  einen  ähnlichen  Sinn  zu  haben  scheint.  Löwenklau, 
der  übrigens  hier  auch  fast  wörtlich  Menavino  folgt,  führt  die  »hug- 
giemales«  [Fand.  Hist.  Türe,  c.  171,  S.  188,  Nezve  Chronica  S.  332: 
Huggiemallar)  ausdrücklich  als  Sekte  an.  Geht  man  indessen  der  Vor- 
lage nach,  so  findet  man  dort  die  Schreibung  »giomailer«,  bei  N.  de 
Nicolay  aber  »geomahers«,  was  bei  den  beiden  Romanen  aber  eher 
ein  »dschemäli«  als  )>kemälu<  erschließen  läßt.  Man  darf  daher  an- 
nehmen, daß  Löwenklau  eben  mit  Bezug  auf  jenen  »Hü  Kemäl«, 
wie  er  ihn  heißt,  jene  neue  Sekte  folgerte  und  ihr  den  Namen  dieses 
vermeintlichen  Gründers  gab  3).     Genug  davon. 

Während  also  Mustafas  Werbungen  offenbaren   Erfolg  zeitigten, 

')  Nicolas  dk  Nkoi.ay,   »Navlgations  et  peregrinalionsa  ((jft  \erlegt  und  übersetzt: 
Lyon  1568,    Antwerpen  1576,  1577,  1586;    deutsch:  u.  a.  Antorff  1576)    enthalten  gute 
früher  einmal  fälschlich  dem  Tizian  zugewiesene  Stiche,  darunter  solche  der  vier  Derwisch- 
arten. Eine  Abbildung  des  (!)  »Torlaces  Dervisius«  findet  sich  bei  J.  J.  v.  Boissard,    »Vi.tae 
et  icoYics  Sultanorum«,  Francof.,  1596,  S.  95. 

-)  Der  Beachtung  wert  ist  die  Tatsache,  daß  die  hsl.  tHjcrlicferuiig  mehrmals  die 
Form  »kemäli«  (nicht  Akkusativzeichen I)  hat,  womit  also  fast  die  Zugehörigkeit  ausge. 
sprechen  sein  könnte.     Vgl.  die   f>Kem.alislev «  von   1020! 

3)  LöwENKLAii'soffenbarer  Irrtumhatsichbisins  18.  Jahrhundert  hinein  verschlepi)t; 
denn  noch  in  Zedlek's  Großem  ö niversal-Lexikon  'Ü.Y.ll,  S.  297  werden  die  »Huggiemallar« 
genannt.  —  Zu  bemerken  wäre  hier  noch,  daß  Löwenklau  als  andere  Bezeichnung  der 
»Torlaqlar«  den  Namen  »Durmischler«  anführt.  Wenn  man  ihn  nicht  etwa  mit  jenem 
Durmusch-dede  in  Verbindung  bringen  will,  der,  halb  irrsinnig,  zu  ROmili  Hisär  eine  Zelle 
bewohnte  und  von  den  vorbeifahrenden  Schiffern  um  Rat  befragt  wurde,  im  übrigen  aber 
im  Rufe  der  Heiligkeit  bei  der  Bevölkerung  stand  (vgl.  Ewlijä  I,  454,  455,  bes.  458,  459, 
dazu  hadlqal  ül-dschewämi',  H.  Bd.,  S.  125  IT.,  (h)ch  lebte  darnacli  Durmusch-dede 
wohl  später),  muß  er  wohl  ungeklärt  bleiben.  Bei  dieser  Gelegenheit  sei  dann  noch  auf  die 
J'atsachc  verwiesen,  daß  im  Anschluß  an  Angaben  des  Marino  Bec(h)ichemi  aus  Skodra 
in  Albanien  bei  den  Nuchschreibern  und  Übersetzern  des  Mknavino  (auch  bei  Löwenklau) 
die  Bemerkung  sich  fliulil,  dir  l'iil,u[lar  seien  jener  Derwischonleu  gewesen,  der  vom 
Sultan  mif  Feuer  und   Schwert  ausgerottet  wurde. 


50  FranzBabinger, 

verließ  Bedr  ed-din  auf  die  Kunde  hiervo^i  den  Ort  seiner  Verbannung 
und  begab  sich  nach  Sinöb  zu  Isfendijär.     Nach  kurzem  Aufenthalt 
bei  diesem  alten  Erbfeind  des  Hauses  Osman  brachte  ihn  ein  Schiff 
über   das   Schwarze  Meer    nach  der  Walachei,  zu  Mirgea,  dem  jeder 
willkommen  war,  der  zu  den  Gegnern  der  osmanischen  Macht  zählte. 
Daß   der  Schejch   sich   mit  ihm  ins  Benehmen  setzte,   erscheint 
zweifellos,  wenn  auch  die  alten  Quellen  hierüber  schweigen,      Sa*d 
ed-din  und  Solaqzäde    bezeugen  sie  dafür  ausdrücklich   (I,   S.  297 
bzw.  S.  134,  10  V.  u.).    Sein  erstes  Ziel  war  nach  diesen  beiden  Quellen 
Silistr(i)a  an  der  Donau,  dann  wandte  er  sich  in  das  südlich  davon 
liegende  Waldland,  das  nach  den  osmanischen  Berichten   »Aghatsch 
dehiz(i)<(  ^),    nach  andern,   neueren    »Deli  orman«,   »Narrenwald«  hieß. 
Die  Bezeichnung  ist  denn  auch  heute  noch  einem  Landstrich  gebheben, 
der  sich  von  Razgrad  etwa  in  südöstlicher   Richtung  am  Nordhang 
des  Balqans  entlang  zieht.     Hier  hauste  Bedr  ed-din  mit  den  Seinen, 
die  alle  Berichte  ausdrücklich  als    »süfi<f-  und  als   »mürid«  bezeichnen, 
von  hier  aus  setzte  er  sich  mit  Bürklüdsche  Mustafa  ins  Benehmen 
(ein  deutlicher  Beweis  für  die  zielbewußte  Ordnung  !),  von  hier  aus 
entsandte  er  schließlich  seine  Boten  in  die  umliegenden  Gebiete,  vor 
allem  jenseits  des  Balqans  in  die  Ebene  von  Zaghra.     Dort  erinnerte 
man  sich  noch  gut  des  wohltätigen    Heeresrichters   von   Adrianopel, 
der  vielen  mit  Verleihung  von  Lehen  und  sonstigen  Beweisen  des  Ent- 
gegenkommens gefällig  gewesen  war.      Seine    Hoffnung,    gerade    aus 
diesen   Kreisen  Anhänger  zu  gewinnen,  täuschte  ihn  offenbar  nicht. 
Denn  der  anfänghche  Zustrom  scheint  nicht  gering  gewesen  zu  sein. 
Bedr  ed-din's  Treiben  konnte  demnach  nicht  lange  verborgen  bleiben, 
um   so   weniger   als    Sultan   Mehemmed    nicht   allzuweit  von   diesem 
Schauplatz,  in  Seres,  jenseits  des  Rhodopegebirges,  zu  Felde  lag,  in 
der  Absicht,  den  falschen  Mustafa  in  Salonik  einzuschheßen  und  unge- 
fährlich zu  machen.     Der   qapudschi  baschi  Elwän  Bej  ^)  ward  beauf- 
tragt (§olaqzäde  S.   135,  9  v.  u.),    gegen  die  Aufrührer  vorzugehen. 
Er  hatte  leichtes  Spiel,  wie  es  scheint;   Verrat  und  Unmut  über  den 
Schejch,   dessen  Verheißungen   manchem  wohl  zweifelhaft  erschienen 

I)  Aghatsch  Denizi,  wörtlich  »BaummeerC,  ist  eine  nicht  seltene  Bezeichnung  für 
große  Waldungen,  Urwald.  So  heißt  heute  noch  ein  großer  Wald  bei  Isniid  im  nö.  Teil 
der  Halbinsel Qodscha-eli  so,  außerdem  an  der  Südküste  des  Schwarzen  Meeres  eine  baum- 
reiche Landschaft.  Vgl.  'All  Dschewäd,  Dschografiia  lughati,  u.  d.  W;  Sä  ml  bej, 
Qämüs  ül-aHäm  I,  S.  224.  Vgl.  ferner  J.  Ph.  Fallmerayer,  Geschichte  des  Kaisertums 
Trapezimt,  München,   1827,   S.  294. 

-)  Elwän  Bej,  in  dessen  Familie  das  Ami  des  Obersttruchsessen  {tschäschnegir  baschi) 
erblich  war,  war  eine  bei  Mehemmed  angesehene  Persönlichkeit;  er  diente  noch  unter 
Muräd,  vgl.  v.  Hammer  I,  41S  ff. 


Scliejch  Bedr  cd-din,  der  Sohn  des  Riclitcrs  von  SiniSw.  6l 

sein  mögen,  taten  das  ihre.  Von  seinen  eigenen  Leuten  ward  er  den 
Kriegern  des  Großherrn  ausgeliefert  und  nach  Seres  vor  den  Sultan 
geschleppt.  Man  nahm  ihn  in  strenges  Verhör.  Die  größten  Gesetzes- 
gelehrten, die  im  Hoflagcr  versammelt  waren,  wurden  um  ihre  Meinung 
befragt  und  ebenso  Mewlänä  Burhän  ed-din  Haider  ben  Muhammed^), 
der  kurz  vorher  aus  seiner  persischen  Heimat  Herät  an  den  Sultanshof 
gekommen  war.  Sein  Gutachten  [fetma)  ))qani  /laläl,  mäli  //arämdir«^) 
gründete  sich  auf  eine  yadis-Stelle  3),  deren  Wortlaut  Idris  über- 
liefert (vgl.  Sa'd  ed-din  I,  299,  5  v.  u.)  ^^JLc  jVr*>  {'^(^j'^^*.  (^^^'^  CT'* 
tiyLülh  ^cU>  (V^^j  _5  (5^5'LAac  /^.^j  ^^^\  uV.j^.j  Oo>i_5  J^>j  auf  deutsch: 
»Wer,  während  eure  Sache  einig  ist  unter  der  Führung  Eines  Mannes, 
zu  euch  kommt  mit  der  Absicht  eure  Einigkeit  zu  zerstören  und 
eure  Gesamtheit  zu  zerstreuen,  den  tötet.«  So  mußte  Bedr  ed-din 
am  Galgen  mitten  auf  dem  Marktplatz  von  Seres  die  Kühnheit  seines 
Unternehmens  mit  einem  schimpflichen  Tode  büßen  ^).     vSeine  Habe 

1)  So  lautet  der  Name,  nicht  »Said«,  wie  v.  Hammer  I,  378  (nach  IdrTs)  will  (was 
mit  Rücksicht  auf  seine  Bemerkung  gegen  V.  Bratutti's  »unverantwortliche  Auslassung« 
;uif  S.  636  etwas  komisch  wirkt).  Burhän  ed-din  Haider  verfaßte  mehrere  Werke, 
darunter  eine  Erläuterung  zu  Hatib's  (st.  739/1338)  idä/i  f'i  U-ma^änl  wa  'l-bajän,  zu 
Zamahschari's  Qor'än-Kommentar  kaschschäf  'an  haqa'iq  sowie  eine  Erklärung  der 
sirädsch'ija.  Er  starb  S30/1427  und  hinterließ  einige  Schüler,  von  denen  Mollä  Hosrew 
und  Käfijedschi  Mehmed  Efendi  die  bekanntesten  sind.  Vgl.  Taschköprüzäd  e, 
Obers,  des  Medschdl  S.  83.  Mewlänä  Haidar  war  selbst  Schüler  des  großen  Rechts- 
gelehrten Sa'd  ad-dln  Afas'üd  b.  'Omar  al-TaftäzänT  (st.  792/1390).  Vgl.  Brockf.l- 

MANN,    n,    215. 

2)  Vgl.  dazu  Maximilian  Enc.kr,   »Mav.'nh'i  coiisÜlu'ioirs  poli/icae«,  I3oimae  1853, 

S.  99   über  die   l'nverletzlichkeit  der  Güter  im    Islam;    der  Satz   *-i.;'»^  ^Äij  ^3  tindct  sich 
auch  bei   anderen  Rechtsgelehrten. 

3)  Diese  Überheferungsstelle,  die  sich  im  sa//i//  des  AFuslim  im  hitäb  al-amära  (1\  , 
285  der  Ausgabe  mit  der  Erläuterung  Nawawl's,  Kairo,  1283)  findet,  richtet  sich  gegen 
-Anstifter  von  politischen  Umwälzungen,  die  gegen  die  Würde  des  einen  anerkannten  Ge- 
meindehauptes {amir,  imäm,  halJja)  zielen.  — Vrdlig  falsch  ist  natürlich  die  Verdeutschung, 
die  V.  Hammer  I,  636  gibt. 

4^  ^1  =  Sache,  besonders  bezogen  auf  das  staatliche  f. eben,  sn  daß  man  es  fast 
mit  Staat  übersetzen  könnte. 

5)  La^xÜ  /  'iLXu.  eigentlich  »denStabzerbrechen«,bedeutct  immerdic  Übereinstimmung 
zwischen  den  Teilen  eines  Ganzen  zerstören.  Vgl.  I.  Goi.dziher,  J'orli'sitrigcn  iiht'r  den. 
Islam   S.   230. 

6)  Taschköprüzädc,    übers,  von    Medschdl,    führt    einige   Begleitumstände  des 

Todes  an  (S.  73,  am  Rande):  aJcSj^l^  .\ÄJli="v! o.*wLxav  ;^c.i.j.Anr>  -^^^  \i  ^, Js-».J ^äi/a 
_jjO   »*j^lä  jL^j  si>oii  ,     ^XjI    ^— ^i»!    ui^^uX.j|    IviLj»    i^-,'-'»^    (^T'*;    y^*^   j^    ''■^^^^ 


52  Franz  Babingef, 

wurde  gemäß  dem  jetwä  an  die  Hinterbliebenen  verteilt,  sein  Leichnam 
von  seinen  Jüngern  abgenommen  und  in  Seres  beigesetzt.  Noch  heute 
zeigt  man  im  Westviertcl  des  mazedonischen  Städtchens  sein  Grab^). 

Als  sich  Bedr  ed-din's  Todestag  zum  500.  Male  jährte,  dröhnte 

in  die  stille  Einsamkeit  seiner  Ruhestätte  der  Donner  der  Geschütze. 


Im  Anschluß  an  diese  Darstellung  muß  billigerweise  gleich  die 
Frage  entschieden  werden,  in  welches  Jahr  die  geschilderten  Ereig- 
nisse fallen.  Der  Versuch,  eine  zeitliche  Feststellung  hierfür  zu  ge- 
winnen, ist  bereits  von  J.  v.  Hammer  (I,  635)  sowie  von  J.  W.  Zink- 
eisen (I,  481,  Anm.)  unternommen  worden.  Wenn  beide  zu  einem 
fast  richtigen  Ergebnis  gelangen,  so  ist  dies  einem  glücklichen  Zufall  *), 


JLjAjI      v^>.i.A3     8,   «./«^^     iWs=^'<      kjj      «!  ,.,   ».AW.J.J      .c*^'-'      ^J>-i-^      P    -** 

Darnach  müßte  also  Bedr  ed-din  etwa  vorher  einem  Schlaganfall  erlegen  sein.  Die 
Angaben  stammen  aus  den  'Uqüd  al-nasT/ia«  des  Ihn  'Arabschäh,  der  übrigens  bei 
Isfendijär  mit  Bedr  cd-dTn  gelegentlich  eines  viedschlis  zusammengetroffen  war.  Ibn 
'Arabschäh  war  also,  wie  schon  oben  S.  20  angedeutet,  genauer  mit  dem  Schejch  be- 
kannt, und  die  Auffindung  seiner  Selbstbiographie  wäre  schon  mit  Rücksicht  auf  eine 
weitere  Klärung  dieses  Falles  von  größtem  Belang.  Es  steht  zu  vermuten,  daß  sie  in 
irgendeinem   Sammelband  (tnedschmü^a)  auf  einer  der  Stambuler  Büchereien  liegt. 

I)  Vgl.  Petros  N.  Papageorgiu  in  d&r  Byzantin.  Zeitschrift,  III.  Jahrg.,  Leipzig 
1894,  S.  294:  Wj 'j -d^K  /etT«t  £v  Isfipott;  o-jTty.w;«.  Dort  steht  weiter  (ich  gebe  die  Ver- 
deutschung des  neugriechischen  Textes):  »Zum  Schluß  erwähne  ich  das  an  derselben  Ost- 
mauer liegende  Grab  des  Asf/^iarj,  türkisch  denvlsch-biifiar{i)  [also  eigenthch  »Derwisch- 
Brunnen«]  und  das  außerhalb  der  Nordwestmauer  gelegene,  gewöhnUch  Mewlane  (Msß- 
/.0!V£),  türkisch  meidewi-fiäne  [vgl.  zoc'isvs  =  qahwe-häne\  genannte  Haus  der  bekannten 
Sekte,  wie  eines  auch  in  Salonik  außerhalb  der  Nordwestmauer  hegt.«  Bei  dieser  Gelegen- 
heit verweist  der  Verf.  auf  Edmondo  de  Amicis,  CostantinopoU  (franz.  ('bersetzung,  Paris, 
J883,  S.  403),  eine  seltsame  Naivität.  —  In  Seres  ist  übrigens  ein  Stadtviertel  heute  noch 
nach  »Bedr  cd-dTn  bej«  (Beof/cSoiv  ij-etj)  benannt.  Leider  macht  P.  N.  Papageorgiu 
keine  näheren  Angaben  über  Grab  und  Kloster.  Ob  der  russische  (?)  Nachtrag  zu  dieser 
Abhandlung  von  A.  Papadopulos-Kerameus  im  I.  Jahrg.  (Petersburg  1894),  S.  673 
bis  683  der  »Viznniijskij  Vrenieiinik«  hierüber  etwas  bringt,  ist  mir  unbekannt.  Auch  die 
alten  Reisewerke,  von  denen  für  diese  Gegend  wohl  heute  noch  das  beste  und  ausführ- 
lichste das  von  Esprit-Marie  Cousini';rv  (1747 — 1833),  »Voyage  dans  la  Macedoine«. 
(Paris  1831,  2  Bde.)  sein  dürfte,  schweigen  sich  darüber  aus. 

-)  Das  Hauptbeweisstück  liefert  sowohl  v.  Hammkr  wie  Zinkeisen  ein  vom  Jesuiten 
Makc-Antoine  Laucier  (1713 — 1769)  überlieferter  Bericht  des  Admirals  Loredano  über 
die  von  ihm  gewonnene  Seeschlacht  bei  Gallipoli  am  29.  Mai  1416,  wonach  der  osmanische 
Admiral  das  Erscheinen  einer  türkischen  Flotte  in  diesen  Gewässern  mit  der  Besorgnis  be- 
gründet und  entschuldigt,  daß  der  Empörer  Mustafa  Truppen  übersetzen  möchte.  Beide 
hJiben  die  Meinung  geäußert,  daß  hier  nur  Bürklüdsche  Muftafä  in  Frage  komme,  da  der 
sog.  falsche  Mustafa  erst  viel  später  aufgetreten  sei.    Zinkeisen  hat  übcrcjies,  wovon  bei 


Schejch   Kedr  ed-dln,   der  Solni   des   Richters   von   SimSw.  63 

nicht  aber  einer  wirklichen  Zeitermittlung  zuzuschreiben.  Ihre  Be- 
rechnungen stützen  sich  auf  die  in  allen  Berichten  wiederkehrende 
Mitteilung,  daß  Mehemmed  sich  damals  gerade  zur  Belagerung  von 
Salonik  anschickte,  ferner  auf  die  von  Dukas  überlieferte  Angabe 
von  Muräds  Alter.  Die  höchst  wertvollen  Urkundenveröffentlichungen, 
die  Josef  Gelcich  und  Ludwig  v.  Thalloczy  1887  zu  Budapest 
unter  dem  Titel  »Raguza  es  Magyarorszdgösszeköttetiseinek  okleveltdraa 
unternommen  haben,  geben  uns  jetzt  die  Mittel  an  die  Hand,  eine 
einwandfreie  und  ziemlich  nahe  Zeitbestimmung  zu  treffen.  In  einem 
Schreiben  vom  25.  Dezember  1416  (S.  265)  heißt  esu.  a. :  »ad  presens 
nullus  exercitus  est  in  regno  Bosnc  et  Rasie  (=Rasciae,  Serbien), 
quia  eorum  (nämlich  »Teucrorum«,  wie  es  dort  stets  für  »Türken« 
heißt)  Imperator  est  occupatus  Salonichi  circa  obsidionem 
fratris  ipsius,  qui  erat  in  Vlachia,  cui  Imperator  Constantinopolitanus 
(nämlich  Emanuel  von  Byzanz)  favorem  exhibet.«  Daraus  ergibt 
sich  also  mit  Sicherheit,  daß  Salonik,  wo  der  flüchtige  dözme 
Muslafä  bei  dem  Zwingherrn  Andronik  [Aufnahme  gefunden  hatte 
(vgl.  N.  JoRGA,  Gesch.  des  rumän.  Volkes,  I,  302,  Gotha  1905),  zu 
Winterbeginn  des  Jahres  141 6  belagert  wurde.  Diese  Bestimmung 
wird  in  erwünschter  Weise  durch  den  Umstand  gesichert,  daß  Muräd 
damals  tatsächlich  gerade  12  Jahre  zählte,  eine  Angabe,  der  als  einer 
ungefähren  an  sich  nicht  allzuviel  Gewicht  beizumessen  wäre,  wenn 
sie  etwa  um  einige  Jahre  abwiche.  Muräd  II.  ist  indessen  nach  Häd- 
dschi  yalifa,  Taqwlm  et-tewärih,  Stambul,  1 146/1733  i.  J.  806  h  (beg. 


Laugier  nichls  zu  lesen  ist,  ohne  weiteres  angenomn  cn,  daß  die  Truppen  »nacli  Europa« 
übergesetzt  werden  sollten  (I,  481,  A).  Nun  verbreiten  die  ra^usäischen  Urkunden  auch  über 
dieses  Ereignis,  wenigstens  über  den  Zeitpunkt,  helles  Licht.  Unterm  18.  August  141 5 
meldet  nämlich  ein  Bericht  (S.  251):  ».  .  .  duo  barones  imperatoris  Teucrorum  aufugerunt 
ab  eo  ad  f  rat  rem  siiim  Mustapha,  qui  moratur  in  Vlachia  et  cxindc  exiernt  cum 
dictis  baronibus  et  depredatus  fuit  in  contrata  Bulgaric.«  Wenn  auch  das  nach- 
folgende gewissenhafte  »que  tarnen  non  sunt  nobis  ccrta<'  zur  Vorsicht  gemahnt,  so  kann 
sich  dies  höchstens  gegen  die  dargestellten  Einzelheiten,  unter  keinen  Umständen  gegen  die 
unbezweifelbare  Tatsache  richten,  daß  im  Sommer  141 5  jener  falsche  Mustafa  in  der  Wala- 
chei sein  Unwesen  trieb.  S.  216  wird  unterm  12.  Oktober  1416  eine  andere  auf  Mustafa 
bezügliche  Nachricht  gegeben:  »At  Mustapha,  frater  dicti  Crixie  (=  Mehemmed),  videns 
ipsum  Crixiam  defulcitum  gentibus,  venit  cum  aliquibus  Teucris  secum  colligatis  et  ali- 
quibus  Vlachis  voivode  Mirce  usque  in  regnum  Bulgarie,  quod  regnum  continue  vastat  et 
dextruit.«  Somit  läßt  sich  für  die  Tätigkeit  des  falschen  Mustafa  die  Zeitspanne  Sommer 
1415  bis  zum  Winter  1416/17,  wo  er  in  Salonik  gefangen  gesetzt  wurde,  einwandfrei  er- 
schließen. —  Mirgea  L,  der  Alte,  der  Große  (cel  Marc,  cel  Bätrin)  zubenannt,  starb  nach 
den  serbischen  Chroniken  ai;  31.  Januar  1418,  nachdem  er  seit  1386  die  Walachei  beherrscht 
hat'te.  Vgl.  Sludii  si  docitmente  privatoare  la  Isioria  Romämlor.  Bukarest  1903,  IlT.  Bfl., 
S.   III— IV.    Mit  dessen  Hilfe  halte  diKinr   Mii^faf,'  seine  Lnufl>:iliii  ])egonnen. 


g_,  PranzBabingef. 

21.  Juli  1403)  geboren,  war  mithin  818  (=  1415/16J  im  bezeichneten 
Alter. 

Aus  diesen  Belegen  läßt  sich  also  mit  völliger  Sicherheit  folgern, 
daß  Bedr  ed-din's  Schilderhebung  und  Untergang  in  die  Sommer- 
und  Wintermonate  des  Jahres  141 6,  was  genau  dem  Jahre  819  (beg. 
I.  März  141 6)  der  muslimischen  Zeitrechnung  entspräche,  zu  verlegen 
sind.  Somit  ist  die  Angabe  Häddschl  Halifas,  der  das  Er- 
eignis erst  in  das  vorletzte  Regicrungsjahr  Mehemmeds,  also  823,  ver- 
legt, unbedingt  zu  verwerfen,  ebenso  die  Vermutung  Zinkeisen's, 
dessen  Berechnungen  das  Jahr  141 8  ergeben  (I,  481).  Am  nächsten 
kommt  der  Richtigkeit  noch  Ibn  'Arabschähs,  von  Taschköprü- 
zäde-Medschdi  überlieferte  Angabe  820  (beg.  18.  Febr.  1417),  während 
die  arabischen  Ausgaben  dieses  Werkes  »ungefähr  818«  zeigen,  mithin 
etwas  zu  früh  ansetzen  ^). 


BEDR  ED-DIN'S  LEHRE. 

So  endete  das  Leben  dieses'  bedeutenden  Mannes,  so  scheiterte 
sein  und  seiner  Jünger  Plan,  seine  staatsumwälzenden  Lehren  in 
weitere  Kreise  des  Volkes  zu  tragen.  Die  Frage,  worin  diese  bestanden, 
zu  beantworten,  begegnete  den  größten  Schwierigkeiten,  wäre  nicht 
jener  Bericht  des  Dukas  auf  die  Gegenwart  gekommen,  in  dem  sich 
die  einzigen  Andeutungen  darüber  finden.  Die  osmanischen  Quellen 
vermeiden  mit  unverkennbarer  Absicht  auch  die  oberflächlichsten  An- 
gaben. Beim  Versuch,  die  Angaben  des  byzantinischen  Gewährs- 
mannes zu  einem  ungefähren  Bild  zu  vereinigen,  wird  man  zweck- 
mäßig zwischen  den  äußeren  und  inneren  Formen  der  Lehrmeinung 
Bedr  ed-din's  scheiden  müssen.  Bürklüdsche  Mu.stafä  redete  der  frei- 
willigen Armut  das  Wort  und  lehrte,  daß  außer  den  Frauen  2)  alles 
Gemeingut  werden  müsse,  den  Christen  gegenüber  sei  Duldsamkeit  zu 
beweisen  und  ihr  Glaube  müsse  dem  Islam  gleichgestellt  werden. 
Äußerlich  unterschieden  sich  die  Anhänger  Bedr  cd-din's  durch  eine 

1;  Die  sonstigen  türkischen  Quellen  geben  ganz  abweichende  Zeitbestimmungen, 
z.B.  Brusali  Mehmed  Tähir,  »Opuanli  miPeUifleri,  Stambul  1334,  S.  391:  823  (wohl 
nach  Häddschl  Hallfa);  Sidschill-i  'opnäiii,  II,  11:  825  (^  1422I). 

2)  Der  Versuch,  Weibergemeinschaft  herzustellen,  ist  durchaus  in  islamischen 
Staaten  mehrfach  unternommen  worden,  so  bei  den  'übaid  Allah.  Vgl.  R.  Dozy's  Aus- 
gabe des  »Idn-AäMrt.  Histoire  de  P  Afrique  et  de  rEsfagne«,  I.  Band,  S.  igofi".,  Leiden 
184S.  Damit  erledigt  sicli  ohne  weiteres  die  nicht  gerade  geistreiche  Bemerkung 
J.  W.  Zinkfisen's,  I,  476,  I.  Anm.  über  die  »Achtung  der  Unverletzlichkeit  des  Ha- 
rems«.    Von  Islam  ist  hier  wie  dort  nicht  die  Rede. 


Schejch  Bedr  ed-dln,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  65 

von  der  landesüblichen  völlig  abweichende  Tracht:  sie  gingen  mit  ge- 
schorenem, unbedecktem  Haupt,  unbeschuhten  Füßen,  trugen  nur  ein 
einziges  Gewand  und  lebten  unter  freiem  Himmel,  also  nicht  in  festen 
Wohnsitzen.  Das  ist  in  Kürze  alles,  was  Dukas  hierüber  be- 
richtet. Das  auffallendste  Merkmal  ist  der  unverkennbar  kommu- 
nistische Zug,  der  dieser  Lehre  angehaftet  zu  haben  scheint.  Trotzdem 
ist  es  sehr  fraglich,  ob  man  darin  eine  Erscheinung  wird  erblicken 
dürfen,  wie  man  sie  in  kommunistischen  Bewegungen  seit  dem  grauen 
Altertum  bis  herauf  in  die  allerjüngste  Zeit  beobachten  kann.  Auch 
die  Länder  des  Islams  sind  von  solchen  Bestrebungen  nicht  freige- 
blieben, und  es  ist  eine  auffallende  Tatsache,  daß  sie  ein  Sondermerkmal 
sunnafeindlicher,  vor  allem  schi*itischer  Strömungen  sind.  Die  Durch- 
führung der  Gütergemeinschaft  auf  streng  islamischer  Grundlage  ist 
freilich  undenkbar  ^).  Denn  von  einer  Aufhebung  und  Vergesellschaf- 
tung des  Eigenbesitzes  kann  schlechterdings  niemals  in  einem  Glauben 
die  Rede  sein,  in  dem  das  Pflichtalmosen,  das  zakät,  als  Beisteuer  zu 
den  Bedürfnissen  der  Gemeinde,  eine  direkte  Vermögensabgabe  dar- 
stellt und  somit  eine  Grundlage  des  ganzen  Staatswesens  bildet,  in 
einem  Glauben  schließlich,  in  dem  eingehende  Bestimmungen  über 
Erbteilung  und  andere  vermögensrechtliche  Verhältnisse  getroffen 
sind;  setzt  ja  der  Qor'än  schlechterdings  die  Bewahrung  des  Familien- 
zusammenhangs voraus.  Konnte  also  im  Gefüge  des  zöf^c/iwi'- Staates 
niemals  eine  derartige  Bewegung  gedeihen,  so  lassen  sich  andrerseits 
bei  schl'itischen  Bewegungen  häufig  kommunistische  Züge  feststellen. 
Es  sei  nur  an  die  Qarmaten  erinnert.  Unlängst  hat  C.  van  Aren- 
DONK  über  kommunistische  Ansichten  bei  dem  Qarmatenführer  in 
Südarabien  'Ali  b.  Fadl  gehandelt  {»De  opkomst  van  het  zaiditische 
Imamaatin  V ernenn,  Leiden  1919,  S.  302)2).  ^\\q  diese  Versuche,  eine 
Gütergemeinschaft  herzustellen,  sind  islamfeindliche  Gegenströmungen, 
Etwas  anderes  ist  der  kommunistische  Grundzug,  sobald  es  sich  um 
eine  Art  Brüderschaft,  einen  Orden  handelt.  Hier  tritt  der  Eigen- 
besitz völlig  in  den   Hintergrund;   mit  der  in  diesen  ^w/f-Gemeinden 

')  Das  Auftreten  Muhammeds  unter  einem  sozialistischen,  aber  nicht  eben  kom- 
munistischen Gesichtspunkte  zu  erklären,  hat  bekanntlich  Huuert  Grimme  in  seinem 
•»Leben  Muhammeds«^  I,  14  ff.  (Münster  1892)  versucht;  diese  Begründung  des  zakät  hat 
aber  Chr.  Snouck  Hurgronje  in  einem  eigenen  Aufsatz  in  der  RHR.,  30.  Jahrg.,  Paris 
1894,  S.  158  ff.  mit  guten  Gründen  widerlegt. 

^)  Tu.  NöLDEKE  hat  vor  gerade  40  Jahren  in  einem  volkstümhchen  Aufsatz  »Orien- 
talischer Sozialismus«,  Deutsche  Rundschau,  XVII.  Bd.,  Berlin  1879,  S.  284 — 291  einige 
bemerkenswerte  Fälle  zusammengestellt;  die  beste  Darstellung  der  Bäbak-Bewegungen  und 
damit  zusammenhängender  Erscheinungen  findet  sich  bei  E.  G.  Browne,  »A  literary 
history  of  Persia  from  the  ear liest  times  until  Firdnwsi«,  London  1902,  S.  323 — 336, 

Islam   XI.  ,  c 


66  FranzBabinger, 

vertretenen  Gleichgültigkeit  gegen  die  Außenwelt  ^)  und  ihr  Urteil  geht 
eine  Sorglosigkeit  in  der  Ernährung  und  des  Lebensunterhaltes  Hand 
in  Hand,  Anschauungen,  die  sich  an  der  Grenze  kommunistischer 
Wünsche  bewegen  z)-  Nicht  viel  anders  steht  es  wohl  mit  der  angeb- 
lichen Christenfreundschaft  der  »Stylarier«.  Der  Ausdruck  der  Über- 
zeugung des  süfl,  daß  gegenüber  dem  Hauptziele,  zur  Erkenntnis  der 
Gotteseinheit  [tawhid)  durchzudringen,  die  verschiedenen  Glaubens- 
übungen alle  Bedeutung  verlieren,  ist  in  der  süfischen  Literatur  wohl 
nie  klarer  und  eindeutiger  zum  Ausdruck  gebracht  worden  als  in 
jenem  Vierzeiler  des  eigentlichen  Begründers  dieser  dichterischen 
Spielart,  des  Freundes  und  Zeitgenossen  Avicennas,  Abu  Sa'id 
b.  Abu'1-Hair,  den  Herman  Ethe  bekannt  gemacht  hat: 

»Solang'  Moschee  und  Medrese  nicht  ganz  in  Schutt  und  Trümmer  gehn, 
Wird  freier  Gottesmänner  Werk  auch  wirkungslos  in  Nichts  vergehn. 
Solange  Glaub'  und  Götzentum  nicht  auf  ein  Haar  sich  ähnlich  sehn. 
Wird  auch  kein  einz'ger  Erdensohn  als  echter  Muslim  je  bestehn.« 
Man  wird  also  3)  vielleicht  gut  daran  tun,  in  diesen  vermeintlich  christ- 


1)  Vgl.  darüber  die  %vichtigen  Mitteilungen  I.  Goldziher's  in  seinen  »Maierialien  zur 
Entwicklungsgeschich/e  des  Süflsmiis«  in  WZKM,  XIII.  Bd.,  Wien  1899,  S.  42  f. 

2)  Ich  verwei.se  in  diesem  Zusammenhang  auf  kommunistische  Erscheinungen  mit 
religiöser  Grundlage:  Bekannt  sind  die  Schwärmereien  des  »Paukers  von  Niklashausen* 
Hans  Böhm  (hinger.  19.  7.  1476  zu  Würzburg)  oder  die  Unternehmungen  des  Schwärmers 
Thomas  Münzer  im  16.  Jahrhundert,  weniger  beachtet  aber  dife  kommunistischen  Bestre- 
bungen in  Frankreich,  die,  von  dem  Grundgedanken  ausgehend,  die  Worte  der  Bibel  an- 
wendete, um  mit  ihnen  die  Grundlagen  der  bestehenden  Gesellschaft,  Eigenbesitz  und 
FamiUe,  anzugreifen  und  im  Namen  Christi  die  Gemeinschaft  der  Güter,  die  Erhebung 
der  niederen  Klassen  auf  den  »Trümmern  des  Privateigentums«,  die  Gleichheit  des  mate- 
riellen Lebens  unter  dem  »Banner  des  Evangeliums«  zu  fordern,  der  aber  zugleich  betonte, 
daß  alle  privaten  Umgestaltungen  nicht  durch  Gewalt  und  umstürzlerische  Störungen, 
sondern  allein  durch  die  Liebe  und  Verwirklichung  des  Gedankens  der  Brüderlichkeit  vor 
sich  gehen  dürfe.  Diesen  Kommunismus  predigte  der  Priester  F.  R.  deL.^mennais  durch 
seine  aufsehenerregenden  Schriften  »Paroles  d'un  croyani«  (1834)  und  »Le  Hvre  du  peuple« 
(deutsch  Leipzig  1905)  und  besonders  C.  Pecqcei'r  in  seinem  Hauptwerk  »De  la  republi- 
que  de  Dieu«  (1844). 

3)  Wörtlich  lautet  das  rubäH  folgendermaßen:  Solange  Moschee  und  Medrese  nicht 
verwüstet  sind,  wird  der  qalender  Werk  nicht  erfüllt  sein;  solange  Glaube  und  Unglaube 
nicht  eins  sind,  wird  kein  Mensch  in  Wahrheit  Muslim  sein.     Vgl.  Sitzungsberichte  der 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  67 

liehen  Bestrebungen,  wie  sie  ja  auch  Georg  Jacob  für  Bedr  ed-din's  Be- 
wegung anzunehmen  scheint  (vgl.  Türk.  Bibl,  IX.  Bd.,  S.  25),  eher 
das  Bestreben  zu  erbhcken,  die  zwischen  Islam  und  Christentum  be- 
stehenden Gegensätze  auszugleichen  ^).  Die  angebliche  Versicherung 
Bürklüdsche  Mustafä's  dem  chiotischen  Einsiedler  gegenüber,  daß  er 
zu  dem  nämlichen  Gott  bete,  dem  jener  diene,  erinnert  denn  doch  zu 
stark  an  Gedanken,  wie  sie  in  der  süfischen  Literatur,  vor  allem  aber 
bei  den  Hurüfi's  sich  linden. 

Ein  Umstand  darf  sodann  bei  der  Beurteilung  der  religiösen  Zu-    , 
stände  Anatohens   in  jener  Zeit  niemals  außer  acht  gelassen  werden, 
die  unumstößliche  Tatsache  des  Fortlebcns  von  Glaubensvorstellungen 
aus  vorislamischer,  ja  vorchristlicher  Zeit.     Der  harte  Kampf  um  den 
Boden  Kleinasiens,  den  der  Islam  gegen  das  Christentum  führte,  hat  nahe- 
zu neunhundert  Jahre  gewährt.    Mit  jenem  denkwürdigen  Jahr  641  n. 
Chr.,  wo  muslimische  Araber  in  Kilikien  einfielen,  setzte  er  ein;  15 16, 
wo  Selim  der  Grausame  auf  seinem  Eroberungszug  unerbittlich  streng 
die    letzten    Reste    sunnafeindlicher    Bewohner    zur    Annahme    seines 
Glaubens  zwang,  war  das  Schicksal  des  Landes  als  dar  ül-isläm  für 
alle  Zeiten  besiegelt.     Es  versteht  sich  aber  ohne  weiteres,  daß  mit 
dem  äußerlichen,  erzwungenen  Bekenntnis  zum  Islam  nicht  sofort  alle 
ehemaligen  Glaubensansichten  zum  Opfer  gebracht  oder  ausgerottet 
werden  konnten,  daß  vielmehr  ein  großer  Teil  davon  in  mehr  oder 
minder    entstellter    Gestalt    mitübernommen    ward    und    weiterlebte. 
Kleinasien  ist   eigentlich   der   klassische   Boden  für  solche 
Glaubensvermengungen,  und  der  Begriff  »permanence  of  religion«, 
den  der  bedeutende  Kenner  dieses'Erdstriches,  Sir  William  Mitchell 
Ramsay  2)  prägte,   läßt  sich  an  besonders  klaren  und  anschaulichen 

K.  Bayr.  Akad.  der  Wiss.,  phil.-hist.  Kl,  1875,  II,  S.  157;  Ign.Goldziher,  Vorles.,  S.  172.  — 
Es  ist  gewiß  der  Beachtung  wert,  daß  hier  ausdrücklich  von  Derwischen  (Wandermönchen) 
die  Rede  ist,  die  keinen  festen  Wohnsitz  haben,  folglich  auch  keine  Moscheen  besitzen. 
So  wird  auch  im  Qarmatenreich  von  sunnitischer  Seite  die  Errichtung  einer  Moschee  aus- 
drücklich begründet;  vgl.  M.  J.  de  Goeje,  La  fin  de  Pempire  des  Carmathes  du  Bahrein, 

im  JA.  1895,  S-  4- 

»)  Vgl.  über  Ihn  »ArabTs  (Muhjl  ed-dlu),  des  mit  Bedr  ed-dln  verglichenen 
Freigeistes  (vgl.  unten  S.  102),  ganz  ähnliche  Anschauungen  M.  Schreiner  in  ZDMG.  LH. 
(1898),  S.   522  unten. 

*)  Vgl.  William  M.  Ramsay's  Rede  lecHirc  über  -»The  War  0/ Moslem  and  Christian 
for  the  possession  of  Asia  Minor <ü,  S.  281 — 301  der  von  ihm  herausgegebenen  Studies 
in  the  History  and  Art  of  the  Eastern  Provinces  of  the  Roman  Empire,  Aberdeen  1906, 
femer  seine  y>Impressions  of  Turkey  during  a  iwelve  years' wandcritigv.,  London  1897, 
S.  102 ff.  Lesenswert  ist  in  diesem  Zusammenhang  aAich  R.'s  Aufsatz  -»The  geographical 
conditions  deterinining  history  and  religion  in  Asia  Minor«,  im  XX.  Bande  des  Geo' 
graphical  Journal,  London  1902,  S.  257 — 282,  sowie  die  neueste  Schrift  aus  Sir  William's 


5* 


6g  Franz  Babinger, 

Beispielen  in  der  Geschichte  Anatoliens  erhärten.     Denn  gerade  dort 
haben  sich  zum  Teil  uralte,  heidnische  Überlieferungen  mit  unheim- 
licher  Zähigkeit   bis   auf   die   Gegenwart  verschleppt.      Der  überaus 
lehrreiche   Abschnitt    »The  permanence  of  religion  at  holy  places  in 
Western  Asian  in  Ramsay's  »Pauline  and  other  Studies  in  Early  Chri- 
stian History«  (London  1896)  mag  jedem,  der  nicht  im  Lande  selbst 
fast  auf  Schritt  und  Tritt  diese  Wahrnehmung  machen  durfte,  einen 
deuthchen  Begriff  davon  geben,  welche  Fülle  volkstümlicher  rehgiöser, 
örthch    unausrottbarer    Vorstellungen    (vgl.    Sejjidi     Ghäzi    usw.!) 
sich   dortzuland  aus  vorislamischen  Tagen  erhalten  hat.     Das  ausge- 
zeichnete,  nachgelassene  Werk  von  Ernst  Lucius,   Wie  Anfänge  des 
Heiligenkults  in  der  christlichen  Kirche«  (Tübingen  1904),  gibt  davon 
eine  Unmenge  von  Belegen.     So  darf  es  also  gar  nicht  verwundern, 
wenn    im    kleinasiatisch-osmanischen    Derwischwesen    noch    gewisse 
christliche   Sitten,   Anschauungen,    Symbolismen  in  meist  recht  ver- 
derbter und  wenig  verstandener  Form  an  vorislamische  Zeiten  gemahnen. 
Die  religiös  unentwickelte,  urwüchsige  Aufmachung  des  dortigen  Der- 
wischtums  kam  der  Erhaltung  und  Begünstigung  solcher  Bestandteile 
besonders  entgegen  und  zustatten.     Schon  die  Gliederung   solcher 
Brüderschaften,  übrigens  lauter  ausgesprochener  Männerbünde,  ist 
besonders  in  Kleinasien  seit  alten  Zeiten  heimisch  und  behebt.    Auch 
hier  hat  Sir  W.  M.  Ramsay  erwiesen,   »that  Brotherhoods  were  a  re- 
markable  feature  of  Anatolian  society  both  in  ancient  and  mediaeval 
times«  (vgl.  sein  Werk  »The  Cities  and  Bishoprics  of  Phrygia«,  Oxford 
1895/97,  L  Bd.,  S.  97,  IL  Bd.  S.  359,  630,  sowie  die  wertvolle  Abhand- 
lung über  die  csvoi  TsxjiopsTot  [Tekmoreian  guest-friends]  in  den  Studies 
in  the  History  and  Art  of  the  Eastern  Provinces  of  the  Roman  Empire, 
Aberdeen  1906,  S.  305,  bes.  S.  318). 

So  dürftig  nun  im  Grunde  die  obigen  Angaben  des  Dukas  über 
die  Lehrsätze  Bedr  ed-din's,  als  dessen  Sprachrohr  Bürklüdsche 
Mustafa  zu  betrachten  sein  wird,  auch  sind,  so  ausführlich  werden 
sie  bezüglich  der  äußeren  Aufmachung  jener  Leute.  Das  geschorene, 
unbedeckte  Haupt  ist  dabei  wohl  besonders  auffallend.  Im  Be- 
richte des  G.  A.  Menavino  wird,  wo  von  den  türkischen  Sekten 
die  Rede  geht,  sowohl  von  den  »Derwischen«  (worunter  bei  M.  ohne 
allen  Zweifel  die  Bektaschis  oder  eine  ganz  nahverwandte  Sekte  ver- 
standen werden  muß)  behauptet,  daß  sie  »di  tutto  il  resto  ignudi 
senza  alcuni  peli  per  tutta  la  persona«  einhergehen,  Mnd  auch  von  den 

Feder  i>The  Intermixlure  of  Races  i>i  'Asia  Mitior.  Sonic  of  its  Caiises  and  Effects«  in  den 
Procecdings  of  the  Brit.  Academy,  VII.  Bd.  London,  o.  J.  [=  191 7,  64  Ss.],  deren  Kenntnis 
ich  der  Freundlichkeit  ihres  Verfassers  verdanke. 


Schejch  Bedr  ed-dln,   der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  69 

»Torlaqlar«  behauptet  derselbe  Berichterstatter,  daß  sie  sich  mit  ge- 
schorenem Kopfe  (con  la  testa  rasa)  zeigen.  Die  Bartlosigkeit  ist  über- 
haupt eine  wenigstens  in  gewissen  Brüderschaften  beobachtete  Sitte  ^); 
ich  erinnere  an  den  Vers  des    Temen näji,    des  Genossen  des  liurüfi 

Nezimi  ^) : 

JLÄ5   JwJwS  jj  jO^-f^  j'Xi\j^L:>  jä  jj   ÜC- 

Süfi,  werde  ein  Qalender,  komm,  zupf  aus  das  Haar,  den  Bart  dir, 
Dies  ist  eine  Schhnge  für  dich,  dieser  Schnickschnack  (Nichtigkeit) 

geht  vorüber. 

E.  J.  W.  GiBB  bemerkt  dazu  in  seiner  History  of  Ottoman  Poetry 
I,  385:  »The  comparison  of  hair  to  a  snare  (because  of  the  threads  of 
the  latter)  is  common.«  Ich  möchte  dazu  indessen  j^ljj.^  über- 
tragen, d.  h.  als  sittliche  Falle  fassen;  Haar  und  Bart  bilden  eben  den 
Schmuck  des  Mannes,  dessen  sich  der  Süfi  zum  Zeichen  seines  ent- 
haltsamen Büßerlebens  begibt.  Es  ist  wohl  kein  Zufall,  daß  hier  ebenso 
wie  im  obigen  Vierzeiler  wiederum  von  den  »qalender«  die  Rede  ist. 
Diesem  Aufzug  entspricht  völlig  die  Weisung,  »unter  freiem  Himmel« 
(d(3x£TCYJ)  zu  wohnen,  wodurch  die  Besitzlosigkeit  und  die  freiwillige 
Armut,  deren  Pflege  ihnen  die  Lehre  auferlegt,  wohl  den  sprechendsten 
Ausdruck  findet.  Bedeutet  die  ^irqa,  das  Gewand,  in  dem  wir  viel- 
leicht den  Rock  des  li-ovo/ttcuv  bei  Dukas  wiedererkennen  dürfen, 
bildlich  »Armut  und  Weltflucht«  (-vgl.  I.  Goldziher,  Vorlesungen 
S.  165),  so  kennzeichnet  das  Bestreben,  ohne  Eigentum  zu  leben,  noch 

deutlicher  den  Grundzug  eigentlichster  §üfigesinnung,  wie  sie  Ruwaj  m 

s 
bei  QuBchairi  umschreibt:    i^^Lv^^äJI     i^Aa:>'    cy^     Ac   ^-y^   ^_5j.*aÄil 

.Uxi>^l^  (jijjxxil  ^.'J^  j^ij^l^  ^iÄJu  ^^.<^\^  ^Lä:c5^I_5  ß^'~i  was 
R.  A.  Nicholson  im  JRAS,  1906,  S.  340,  also  übersetzt:  »tassawuf 
is  based  on  three  quahties:  a  tenacious  attachment  to  poverty  and 
indigence;  a  profound  sense  of  sacr  fice  and  renunciation;  and  absencc 
of  self-obtrusion  and  personal  volition«.  (Quschairi,  Risäla,  Kairo 
1287,  S.  148,  letzte  Zeile.) 

I)  Vgl.  dazu  die  Neschrl-Stelle  in  ZDMG.,  XV.  Bd.,  S.  356:  ^^iliLv.  »  ^S^LiO 
v_^j^l  ,  a.;ia\  »wJJ^ifcj,  d.  h.  »indem  er  (nämlich  Mentesche-oghlu)  sich  Haar  und  Bart 
scheren  ließ  und  (so)  ein  isohiq  (d.  i.  Wandermönch,  Derwisch,  vgl.  Zenker,  I,  54  b,  u. 
d.  W.    /  iLÜ.1,  3  [das  hier  aber  doch  wohl  taArif  von   ,  ä..i:LC    ist,  zumal  ar.    ,  ä.i:^£,  'aschq 

im  Osman.  meist  Hschq  gesprochen  wird!])  wurde«. 

J)  Vgl.  J.  V.  Hammer,  Gesch.  der  osm.  Dichtkunst  I,  215,  mit  ganz  falscher  Ver- 
deutschung. 


70 


P'ranz  Ba binger, 


In  der  Gepflogenheit,  barhäuptig  zu  erscheinen,  darf  man  wohl 
die  Absicht  erkennen,  sich  in  schroffen  Gegensatz  zum  sunnitischen 
Türken  zu  stellen,  den  der  weiße  Kopfbund,  der  Turban,  schon 
weithin  kennthch  macht.  Die  Kopfbedeckung  ist  bekannthch  im  Morgen- 
land ein  deutliches  äußeres  Kennzeichen  der  Glaubenszugehörigkeit, 
früher  eine  viel  strenger  geübte  Sitte  als  etwa  heutzutage  ^). 

Im  Zusammenhang  damit  muß  noch  jenes  sonderbaren  Gebetes 
gedacht  werden,  dessen  Wortlaut  Dukas  übermittelt  hat:  ttdede 
suUän  erisch  !«,  d.  i.  »Väterchen  Sultan,  komme  !«.  Man  hat  es  bisher, 
wie  es  scheint,  auf  Bürklüdsche  Mustafa  bezogen.  (Vgl.  EL,  I,  976 
unter  dede  Sultan]  ferner  II,  416:  »den  (=  B.  M.)  seine  Anhänger 
Dede  Sultan  zu  nennen  pflegten«).  Wenn  auch  das  Ansehen,  das  jener 
Bürklüdsche  Mustafa  bei  seinen  Anhängern  genoß  —  galt  er  ihnen 
doch  schließlich  als  Prophet  [pejghamher]  wie  seinen  Gegnern  als  dad- 
dschäl  (vgl.  Sola  qzäde,  134)  — ,  sehr  groß  gewesen  sein  muß,  so  scheint 
hier  doch  das  Haupt  der  Sekte,  nämlich  Bedr  ed-din,  darunter  ver- 
standen werden  zu  müssen.  Davon  wird  noch  die  Rede  sein,  und  hier 
sei  nur  an  die  eigenartige  Form  des  Gebetrufes  eine  kurze  Bemerkung 
geknüpft,  da  sie  religionsgeschichtlich*)  nicht  ohne  Belang  sein  dürfte. 
J.  H.  MoRDTMANN  vcrwcist  mich  auf  eine  auffallende  Parallele,  die 
in  der  bekannten,  oftmals  zu  Stambul  gedruckten  (1281,  1286,  1306) 
Abhandlung  »Mizän  al-haqq  fi  ihtijär  al-akaqq«  sich  findet.  In  dieser 
Schrift  werden  Glaubensstreitfragen  3)  jener  Zeit  zur  Sprache  gebracht, 

I)  Vgl.  dazu  I.  GoLDZiHER,  »Die  Entblößung  des  Hauptes«,  im  Islam  VI,  S.  301  ff., 
besonders  S.  313.  —  Kein  Nichtmuslim  durfte  es  wagen,  sein  Haupt  mit  weißem  Stoff  zu 
umwinden;  seine  Kopfbedeckung  bestand  aus  schwarzen  oder  dunkelbraunen  Binden, 
Hauben  und  Mützen  (qalpaq).  Vgl.  J.  v.  Hammer,  Des  osman.  Reiches  Staatsverfassung, 
I,  442,  443;  Gesch.  des  osmayi.  Reiches  HI,  17,  VH,  268;  VIII,  191. 

-)  Wie  schon  eingangs  bemerkt  wurde,  liegt  hier  ein  psychologisch  bemerkenswerter 
Vorgang  vor:  wie  etwa  in  der  Apostellehre  (Didache)  das  uralte,  dramatisch  aufgebaute 
Stoßgebet  (A.  v.  Harnack,  »vota  suspiranticm  des  Tertullian)  x6pt£  r^.aüiv,  ep/ou  die  Ge- 
meinde schließlich  in  den  Augenblick  der  Wiederkunft  Christi  versetzt,  so  ist  auch  hier 
die  Hoffnung  auf  des  vergötterten  Schejchs  Nähe  so  lebendig,  daß  den  Blutzeugen  dieser 
Schrei  entfährt.  Das  nächste  und  besonders  deutiiche  Seitenstück  liefert,  wie  gesagt, 
der  Schluß  der  Johannes-Offenbarung  (vgl.  dazu  Hebr.  10,  37)  sowie  das  {xapavaSa  im 
I.  Kor.,  16,  22,    wo   bekanntlich   aotpäva  +  9a  (=  aram.  f^n  NJID;    ^-  '•  »unser   Herr, 

T  T     -T 

komme!«)  zu  scheiden  ist. 

3)  Eine  ausgezeichnete  Inhaltsangabe  findet  sich  bei  Charles  Rieu,  Catalogue  of 
Turkish  Manuscripts  in  the  British  Museum,  London,  1887,  S.  254;  vgl.  G.  Flügel,  Die 
arab.,  pers.  und  türk.  Handschriften  der  Wiener  Hofbibliothek  II,  S.  267.  Die  höchst 
interessante  Abhandlung  bespricht  eine  Reihe  strittiger  Punkte,  wie  das  Tabakrauchen, 
Kaffeetrinken,  den  Reigen  der  »mystischen  Mönche«  usw.,  lauter  Fragen,  die  damals  zu 
argen  Parteiverfolgungen  zwischen  den  Rechtgläubigen  und  den  »Mystikern«  geführt 
hatten  (vgl.  darüber  J.  v.  Hammer,  GdOR.  V,  163  und  besonders  V,  528  ff.). 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  71 

und  yäddschi  Halifa  sagt  sich  darin  wenige  Monate  vor  seinem 
Tod  von  seinem  ersten  Lehrer,  dem  starrgläubigen  Eiferer  Qädizäde 
los.  Ganz  am  Schlüsse  des  Büchleins  (im  Druck  v.  J.  1306  (1888), 
Sammlung  des  Ebu'z-z;jä,  No.  71,  S.  132,  oben),  wo  von  dem  Streit 
des  Qädizäde  gegen  den  naqs«  ((ja'i.)  und  »dewn*.  (^j)  der  Der- 
wische die  Rede  ist,  heißt  es  wörtlich: 

_^P       !»00    ^LjcLijj    (ji^       !aOO    ^e^^Jr^   \J^.   j^^^^    ^^»Oj    jilÄJL>    iO-i^" 

»Die  sämtlichen  Chalweti  und  Mewlewi  und  Friedhofswächter  ^) 
waren  seine  Feinde  geworden.  Die  tahta  depenler  (d.  i.  also  die  Chal- 
weti) und  Flötenspieler  (d.  i.  die  Mewlewi)  schrien  »Komm  Toqlu  Dede! 
Komm  Boqaghili  Dede  !«  und  hörten  nicht  auf,  jede  seiner  Predigten 
aufs  heftigste  zu  schmähen  und  zu  verhöhnen.«  Die  Fälle  sind  über- 
raschend ähnlich,  und  es  wäre  von  großem  Wert,  einmal  diesen  Der- 
wischrufen nachzugehen;  bezüglich  des  türhedär  Xoqlu  Ibrahim  Dede 
verweise  ich  auf  die  »Hadlqat  ül-dschewämi' «  I,  143  (Stambul  1281), 
über  den  Boqaghili  Dede,  der  übrigens  ein  auffallendes  Seitenstück 
zu  dem  christhchen  Heiligen  Andreas  darstellt,  hat  Friedrich  Schra- 
DER  in  seinem  hübschen  Buch  über  »Konstantinopel«  (Tübingen  191 7) 
S.  94 — 95  anziehend  gehandelt  und  weiteren  Forschungen  vorgearbeitet. 
Die  angedeutete  Ansicht,  daß  sich  »Dede  Sultan«  auf  Bedr  ed-din 
beziehe,  leitet  von  selbst  auf  die  Frage,  was  eigentlich  der  große  Rechts- 
gelehrte und  Schejch  mit  seinem  Auftreten  bezweckt  haben  mag.  Am 
nächsten  läge  die  Vermutung,  daß  er  im  Bunde  mit  den  unzufriedenen, 
in  ihrem  Besitz  stark  geschmälerten  Kleinfürsten  wie  Dschunejd, 
Isfendijär  und  Mirgea  stand.  Dafür  sprächen  die  ausdrückliche  Er- 
wähnung seiner  Beziehung  mit  Isfendijär  und  Mir^ea  und  schließlich 
auch  die  offenbar  versuchte  Verständigung  mit  den  christlichen  Be- 
hörden von  Chios;  die  älteren  osmanischen  Berichte  schweigen  sich 
über  ihre  Meinung  völlig  aus,  und  gerade  da,  wo  von, den  Absichten 
Bedr  ed-din's  gesprochen  ist  (fast  immer  in  direkter  Rede  !),  zeigen 
sich  auffallende  Abweichungen  in  den  Quellen.  Das  ist  sicherlich  kein 
reiner  Zufall.  Man  wird  in  der  Annahme  nicht  fehlgehen,  daß  der 
älteste  Bericht,  nämlich  der  des  Anonymus,  den  geschichtlichen  Tat- 
bestand am  unverfälschtesten  wiedergibt,  in  zweiter  Linie  wäre  dann 


')  maqber  bektschüeri  »Grabeswächter«  lautet  heute  noch  der  Name  eines  Derwisch- 
klosters bei  Stambul.     Vgl.  Zenker  II,  870  a  u.  d.  W.  maqber. 


72  Franz  Babinger, 

jenes  des  *Äschiqpaschazäde  zu  gedenken.  Hier  ergibt  sich  nun 
die  höchst  überraschende  Tatsache,  daß  sich  Bedr  ed-din  im  ersten 
Fall  als  »König,  Mahdi«  im  zweiten  aber  als  »kalifa«  bezeichnet  haben 
soll.  Die  späteren  Berichte  vermeiden  beide  Ausdrücke  und  sprechen 
ganz  allgemein  von  pädischähliq  und  bejlik.  Religiöse  Führer  pflegen 
im  islamischen  Orient  von  den  Zeiten  Muhammeds  an  bis  auf  Leute 
vom  Schlage  *Osman  Dan  Fodio's  (vgl.  Der  Islam,  X,  i  ff.)  nur 
allzuoft  auch  eine  politische  Rolle  zu  spielen.  Bedr  ed-din  mit  den 
Betrügern  und  falschen  Propheten  in  eine  Linie  zu  stellen,  wie 
sie  die  Geschichte  des  Islams  in  so  stattlicher  und  bunter  Fülle  auf- 
weist i),  muß  aber  doch  wohl  die  Achtung  vor  seinen  unzweifelhaft 
gewaltigen  geistigen  Fähigkeiten  abhalten,  die  ihn  schwerlich  auf  die 
Abwege  eines  gemeinen  Verbrechers  oder  eines  Narren  geraten  lassen 
konnten.  Seinem  ganzen  Auftreten  wird  ein  tieferer,  seinen  Lehr- 
ansichten zugrundeliegender  Antrieb  die  Kraft  gegeben  haben.  Suh- 
rawardl,  der  »Jünger  der  Geisterwelt«  und  Begründer  einer  eigenen, 
entweder  nach  ihm  »Suhrawardija«  oder  nschräqijün«,  auch  >mür- 
ha^schija«  (die  »Lichtspendenden«,  »Illuminaten«)  genannten  Sekte,  ist 
der  Verfasser  eines  »kikmat  al-ischräq«  betitelten  Werkes,  in  dem  sich 
die  »Einflüsse  zweier  ganz  verschiedener  Kulturkreise  in  phantastischer 
Weise  zu  einer  wunderhchen  Mischung  von  Philosophie  und  Mystik« 
vereinigen.  Alfred  v.  Kremer  hat  daraus  in  seiner  t)Geschichte  der 
herrschenden  Ideen  des  Islams <(  (S.  92  ff.)  Auszüge  veröffentlicht,  aus 
denen  einige  Stellen  hier  Platz  finden  mögen.  Dabei  mag  auf  die 
Tatsache  Gewicht  gelegt  werden,  daß  sich  die  sog.  silsile,  also  wohl 
auch  die  Lehransichten  Bedr  ed-din's  mit  der  Suhrawardi's  lange 
Reihen  hindurch  begegnen  (vgl.  Anhang  S.  103).  »Die  Welt  war  nie 
ganz  ohne  Philosophie  und  ohne  einen  Mann,  der  sie  pflegte  und  den 
Beweise  und  offenkundige  Tatsachen  als  solchen  kennzeichneten. 
Dieser  ist  der  Stellvertreter  Gottes  auf  Erden«  [halifat  alläh  ji  "l-ard)  ^). 
Kurz  darauf  (S.  94)  heißt  es  weiter:  »Denn  ein  Theosoph  findet  sich 
stets  auf  Erden  vor,  und  er  ist  höher  berechtigt  als  der  spekulative 
Philosoph,  um  so  mehr,  als  das  Vikariat  Gottes  {^iläfa)  nicht  unbesetzt 
bleiben  kann.  Unter  dieser  Herrschaft  verstehe  ich  aber  keine  Gewalt- 
herrschaft, sondern  der  Imäm,  der  zugleich  Theosoph  ist,  kann  öffent- 


*)  Vgl.  darüber  den  lehrreichen  Abschnitt  bei  al-Abschlhl  (Ibschaihi)  im  76.  Ab- 
schnitt seines  Werkes  »Al-muslarraf  fi  kullfann  mustazraf  n  in  einem  der  zahlreichen  Kairoer 
Drucke  (1272,  1304,  1305,  1306,  1308)  oder  in  der  Übersetzung  von  G.  Rat  (Paris,  1899). 
Außerdem  vgl.  A.  v.  Kremer,  Gesch.  der  herrsch.  Ideen  usw.,  S.  188:  »Politische  Abenteurer 
als  Propheten«. 

-)  Vgl.  dazu  den  Ausdruck  ^.P.-<A^    ^^j^ri  j^.    ^^'  Neschrl,  oben  S.  41. 


Schejch  Bedr  ed-dln,  der  Sohn  des  Richters  von  Simaw.  7-2 

lieh  die  Herrschaft  übernehmen  und  ausüben  oder  auch  insgeheim  ^) . . . . 
Kommt  nun  wirklich  die  politische  Macht  in  seine  Hand,  so  ist  sein 
Zeitalter  lichterfüllt^ ).«  Es  ist  ein  bekannter,  im  Verlauf  der  isla- 
mischen Geschichte  bis  in  die  jüngste  Vergangenheit  herein  sich  oft 
wiederholender  Fall,  daß  der  Glaube  an  den  Mahdi  dazu  diente,  politisch- 
rehgiösen  Empörern  in  ihren  auf  den  Sturz  des  Bestehenden  gerichteten 
Absichten  als  Rechtfertigung  zu  dienen,  und  daß  der  Mahdigedanke 
gleichsam  einen  Lebensnerv  des  schi'itischen  Systems  darstellt,  ist 
eingangs  bereits  angedeutet  worden.  Die  Vorstellung  vom  verborgenen 
Imäm  führte  im  Laufe  der  Zeit  zur  Ansicht,  daß  nicht  bloß  in  Mit- 
gliedern der  Familie  *Ali's  sich  Gott  verkörpere,  sondern  daß  auch  ge- 
wöhnhche  Sterbliche  von  Gott  mit  der  Imämwürde  ausgestattet  werden 
könnten;  diese  seien  dann  seine  Stellvertreter  auf  Erden,  die  höchste 
Gewalt  in  göttlichen  und  weltlichen  Dingen  in  ihrer  Person  vereinigtens). 
Ob  der  Seldschuqide  Bedr  ed-dln  sich  in  diesem  Sinn  zum  Mahdi  berufen 
fühlte  oder  ob  er  seinen  Stamm  gar  auf  *alidischen  Ursprung  glaubte 


')  Über  diese  aqfäb  handelt  ausführlich  und  zuverlässig  der  überaus  gewissenhafte 
osmanische  Geschichtsschreiber  Mustafa  b.  Ahmed  'All  (  ^JLc,  st.  1599),  der  bekannte 
Verfasser  des  künh  ül-atbär,  im  ersten  bäb  seiner  sehr  wichtigen,  bisher  ganz  unbeachtet 
gebliebenen  türkischen  Abhandlung  über  die  verschiedenen  Heiligenklassen  ()>sketch  of 
the  hicrarchy  of  the  Spiritual war[[]d<( ,  Ch.  Rieu) /liljet  üi  -ridschäl  (d.  i.  d Schmuck  der  Männern), 
von  der  die  Berliner  Staatsbibliothek  eine  leider  beschädigte  (vgl.  W.  Pertsch,  Türk.  Hss., 
S.  75,  Nr.  38  aus  H.  F.  v.  Diez'  Nachlaß),  das  Britische  Museum  eine  vollständige  Abschrift 
aus  S.  DE  Sacy's  Besitz  (vgl.  Ch.  Rieu,  Cat.  of  Turk.  Mss.,  S.  19,  Or.  3292)  verwahrt. 
J.  v.  Hammer's  Bemerkung,  GdOR.,  I.  Bd.,  S.  585,  Anm.  **  zu  S.  115,  ist  natürlich  Ver- 
wechslung, da  'Äli's,  übrigens  1316  zu  Stambul  gedruckte  (55  Ss.),  heft  medschlis  nur  die 
Belagerung  von  Szigetvar  (1566)  betreffen.  J.  v.  Hammer  hatte  aber  sicherlich  die  eben 
angezogene  Berliner  Sammel-Hs.   »Diez  Fol.   13,  IV«   vor  Augen. 

-)  SuhrawardI  selbst  hat  niemals  seine  in  der  »Philosophie  der  Erleuchtung«  aus- 
gesprochene Ansicht  vom  Imämat  in  die  Wirklichkeit  umzusetzen  versucht;  kaum  38  Jahre 
alt,  machte  er  auf  Betreiben  der  Strenggläubigen  zu  Aleppo  i.  J.  587  (1191)  Bekanntschaft 
mit  dem  Henker.  Sein  Grabmal  ist  noch  heute  dort  als  das  des  »getöteten  SuhrawardI« 
(SuhrawardI  al-maqtül)  außerhalb  des  Bäb  al-faradsch  in  nächster  Nähe  des  Christen- 
viertels zu  sehen.  Offenbare  Verwechslung  bei  E.  Herzfeld  und  F.  Sarre,  Ar chäol.  Reise, 
in.  Bd.  (1919),  S.  179,  wonach  sich  das  Grabmal  dieses  berühmten  SuhrawardI  zu 
Baghdäd  befindet.  Der  Name  al-manqül  ist  zwar  wohl  auch  dort  al-maqtül  zu  lesen, 
doch  hegt  hier  die  so  häufige  Vermengung  mit  einem  andern  SuhrawardI  (vgl.  IbnHalli- 
kän,  hrsg  Wüstenfeld,  Nr.  823  und  507)  vor,  der  »ebenfalls  als  Sufi  und  Schriftsteller 
bekannt  war  und  auch  in  gelindem  Geruch  des  Wundertuens  stand;«.  Vgl.  Th.  Nölueke, 
Das  arab.  Märchen  vom  Doktor  und  Garkoch,  in  den  Abh.  Pr.  Ak.  d.  W.,  Berlin,  1891,  S.  4, 
Anm.  Vgl.  noch  A.  v.  Kremer,  Miltelsyrieii  und  Damaskus,  Wien  1853,  S.  69.  Natür- 
lich wird  S.  vom  Volk  als  Wundermann  und  Heiliger  verehrt.  Vgl.  oben  das  über  Muhjl 
ed-din  Gesagte  S.  102,  i.  Anm. 

3)  Vgl.  dazu  A.  V.  Kremer,  Geschichte  der  herrsch.  Ideen,  S.  378;  I.  Goldzuier,  Vor- 
lesungen über  den  Islam,  Heidelberg  1910,  S.  231. 


•JA  Kranz  Babinger, 

zurückführen  zu  können,  steht  nicht  fest;  es  ist  mir  unbekannt,  in- 
wieweit etwa  die  Seldschuqen  sich  solcher  Herkunft  rühmten  i).  In 
diesem  Zusammenhang  scheint  nun  auch  die  Anrede  »Sultan«  ihre 
Lösung  zu  finden^).  Man  wird  ihn  im  Kreis  seiner  Anhänger  als  den 
Herrscher,  den  Sultan  verehrt  haben,  und  mit  welcher  Zähigkeit  man 
von  der  Rechtmäßigkeit  dieser  Würde  Bedr  ed-din's  überzeugt  war, 
beweist  des  Dukas  Schilderung  von  den  standhaft  ertragenen  Martern 
seiner  Jünger.  Die  Umstände,  unter  denen  Bürklüdsche  Mu§tafä 
sein  Leben  hingab,  erinnern  nicht  nur  hinsichtlich  der  Todesart  3)  an 

')  Die  bildlichen  Darstellungen  in  der  seldschuqischen  Kunst  Kleinasiens, 
vor  allem  zu  Qonia  (vgl.  die  häufigen  »tschär  Mß's«  !)  sind  doch  recht  verdächtig,  und  es 
will  mir  scheinen,  als  ob  wenigstens  die  letzten  Rüm-Seldschuqen  der  Schi'a  näher- 
standen, als  man  gemeiniglich  annimmt.  Vgl.  dagegen  Friedr.  Sarre,  Reise  in  Klein- 
asien,  Berlin,   1896,  S.  68. 

^)  Sultan  muß  an  sich  nicht  auf  weltliche  oder  geistliche  Herrschaft  hinweisen, 
sondern  kann  ebensogut  ein  Kosenamen  sein.  So  hieß  jener  langlebige  Zeitgenosse  des 
Häddschi  Bektasch,  der  mit  ihm  aus  Khoräsän  eingewandert  war,  ja  auch  (qidemli)  Dede 
Sultan.  Vgl.  Ewlijä,  III,  368,  8  ff.  Sämtliche,  vorab  die  älteren  und  mit  dede  zusammen- 
gesetzten Derwischnamen  tragen  ein  altväterhches,  naives  Gepräge.  Ewlijä  verwendet 
sehr  oft  suUän  zur  Bezeichnung  berühmter  Schejche.  Vgl.  z.  B.  II,  52,  7.  Z.  v.  u.,  200, 10  v.  u. 

3)  Georg  Jacob  hat  in  seinen  »Beiträgen  zur  Kenntnis  der  Bekiaschijje«,  Türkische 
Bibliothek,  9.  Bd.,  Beriin  1908,  S.  25,. an  die  Tatsache,  daß  »das  Oberhaupt  jener  Der- 
wische, welche  den  großen  Aufstand  erregt  hatten,  dede  Sultan,  in  Kreuzesform  an  ein 
Brett  genagelt«  wurde,  die  zunächst  bestechende  Folgerung  geknüpft:  »Die  Strafe  zeigt, 
daß  man  die  Bewegung  als  Abfall  zum  Christentum  auffaßte«,  und  zur  Stützung  seiner 
Ansicht  den  voa   Ibn    Dänijäl  überlieferten  Fall  herangezogen,  daß  unter  Baibars  ein 
Weinverkäufer  gekreuzigt  wurde,  weil  der  Wein  als  christliches  Getränk  galt  (vgl.  G.  Jacob, 
Geschichte  des  Schatteniheaters,  Berlin  1907,    S.  36).   Nun  lautet  die  Stelle  bei  Dukas  wört- 
lich also  (S.   114,  14 — 17):    TOTE  CTotupiuaavTEs  a'JTOv,   xcti  in'.&EVTs;    xotfxi^.w    ixTeTa|i.£va? 
r^(uv   xis  ytlpoLi  Tre-epovrjtjisva;  dv  savi'ji  oti  xtüv  7]Xu>v,  £&piaij.p£'j3av  aütov  Iv  jxeso)    ttj; 
TToXeu);.    Wie  man  sieht,  geht  aus  ihr  nicht  unmittelbar  hervor,  daß  Bürklüdsche  Mustafa 
»gekreuzigt«  wurde.     Sodann  wäre  wohl  an  die  Tatsache  zu  erinnern,  daß  sich  bei  den 
morgenländischen  Völkern  mit  der  lateinischen  oder  griechischen  Form  des  Kreuzes  (hier 
käme  überhaupt  höchstens  das  sogenannte  Andreaskreuz  (x)in  Frage),  durchaus  nicht  der 
Begriff  dieser  Form  der  Todesstrafe  verbindet.     Die  Kreuzigungsstrafe  wird  im  Orient 
gewiß  in  der  Weise  gedacht  und  ausgeführt  worden  sein,  wie  sie  für  die  Römer  bei  Th. 
MoMMSEN-,  Römisches  Strafrecht,  Leipzig  1899,  S.  918 — 921    dargestellt    wird.      Darnach 
wurde  dem  angekleideten  Verurteilten  die  Gabel  (Jurca)  auf  den  Nacken  gelegt  und  die 
Arme  an  den  beiden  Händen  festgebunden,  weiter  die  Gabel  und  auf  ihr  der  Körper  an 
einem  auf  der  Richtstätte  errichteten  Pfahl  hinaufgezogen  und  an  diesem  auch  die  Füße 
festgebunden.      Das    Schlagwort   ist    deshalb    auch    bei    der    Kreuzigung    »suspendere«, 
was    dem     arabischen     »_JLo  (vgl.  das   talmudische  zh'i'^  J-L-  Saalschütz,  Mosaisches 
Rech!  II,  470)  entspricht.     Im  Islam  gründet  sich  die  Kreuzigungsstrafe  auf  Qor'än  V,  37. 
Die  Strafformen  sind  bei  den  Islamvölkern  schon  in  alter  Zeit  von  den  weltlichen  Richtern 
im  Widerspruch  mit  den  kanonischen  //udüd  ausgeführt  worden,  und  über  willkürliches 
Strafverfahren  klagen  ja  die  kanonischen  Buchgelehrten  unaufhörHch  (vgl.  I.  Goldziher, 
Streitschrift  des  Gazäli  gegen  die  Sekte  der  Bäfinijja,  Leiden  1916,  S.  94).      BezügHch  der 


i 


Schejch  Redr  cd-din,   der  vSohn   des   Kichtcis   von  Simäw.  75 

jenen  berühmten  Wollkrcmpler  [al-hallädscK)  yusain  Mansür, 
dessen  Hinrichtung  i.  J.  309  zu  Baghdäd  unter  den  fürchterhchsten 
Folterqualen  stattfand,  die  er  bis  zum  letzten  Atemzug  gleichfalls 
mit  bewundernswertem  Mut  über  sich  ergehen  ließ  ^).  Gerade  dieser 
Umstand  läßt  vermuten,  daß  eine  starke  Zauberkraft  in  den  Lehren 
des  Meisters  enthalten  war,  die  ihren  Bekennern  bis  zum  Äußersten 
an  «ihnen  festzuhalten  die  Stärke  gab.  Sie  wurden  denn  auch  schwer- 
lich mit  dem  Schejch  zu  Seres  begraben.  So  darf  es  nicht  überraschen, 
daß,  wenn  auch  nur  kärgliche,  Nachrichten  vorhanden  sind,  die  von 
einem  Fortleben  der  Lehre  Bedr  ed-din's  Zeugnis  geben.  Hier  ist  zu- 
nächst jener  geheimnistuerischen  Andeutung  Neschri's  zu  gedenken, 
die  besagt,  daß  noch  in  seinen  Tagen  in  jener  Gegend  Jünger  Bedr 
ed-din's  lebten;  über  sie  raune  man  sich  wunderhche  Mären  zu,  von 

Kreuzigung  wird  es  den  Richtern  nieht  schwer  gewesen  sein,  die  Fälle,  in  denen  sie  ver- 
hängt wurde,  auf  den  in  jener  Qor'änstelle  erörterten  Straffall  zurückzuführen.  Als  Muster- 
beispiel gilt  wohl  der  Fall  al-Hallädsch  {Avlb,  hrsg.  von  M.  J.  de  Goeje,  Anm.  100—109); 

vgl.    L.    Massignon,    Quatre    textes    inedits    relaiifs  ä Halladj,     Paris     1914, 

wo  übrigens  die  Berichte  über  die  Hinrichtung  stark  auseinanderlaufen,  vgl.  S.  13 — 14, 
23,  24,  25,  35,  51,  52).  Darüber,  wie  die  Strafart  vollzogen  wurde,  herrscht  überhaupt 
in  der  Literatur  Meinungsverschiedenheit,  schon  selbst  in  der  Deutung  des  Qor'än-Verses 
(nämlich,  ob  die  dort  erwähnten  Strafen  wahlweise  zu  verstehen  oder  der  Einsicht  des 
Richters  anheimgestellt  seien).     Auch  darüber,  wie  sie  ausgeführt  wird: 

(Qastalläni  zu  Buhärl,  Mn/iärihiui,  ganz  am  Anfang;  Baidäwl,  zur  Stelle,  Za- 
mahschari,  zur  Stelle;  Tabarl,  Tafs'ir).  In  den  meisten  Fällen  bestand  die  islamische 
»Kreuzigung«  darin,  daß  der  Körper  eines  schon  getöteten  Menschen  an  einem  Pfahl  oder 

einem  Baumstrunk  (pu\.>),  auch  wohl  an  einer  Mauer  festgemacht  und  so  dem  Schimpf 

preisgegeben  wurde.  Vgl.  Qor'än  XX,  74,  wo  i^i..o  neben  J.Är  gebraucht  wird;  ferner 
The  Kämil  of  al-Mubarrad,  ed.  by  Wm.  Wright,  Leipzig  1892,  S.  709,  710. 

v_^JIao  wird  sogar  von  einem  zur  Schau  gestellten  Kopf  gebraucht.  Vgl.  Tabarl, 
II,  1714,  13,  i&rntx  Maverdii  consiiiuitones  politicae,  hrsg.  von  Max  Enger,  Bonnae  1853, 
S.  105;  A.  V.  Kremer,  Kulturgeschichte  I,  545.  Die  Strafe  oavt'ot  Tipoaostv  ist  uralt;  vgl. 
Plutarch,  Ferikles  28;  eine  der  Kreuzigung  entsprechende  Strafe  war  Iv  (upos)  tyj  saviSt 
o£iv;  vgl.  dazu  Aristoph.,  Thesmoph.,  931,  940. 

I)  Beachtung  verdient  auch  die  Tatsache,  daß  B.s  Jünger  meinten,  ihr  Meister  sei 
nicht  gestorben,  sondern  führe  sein  altes  Leben  weiter.  Das  nämlich  wird  z.  B.  auch  von 
al-Hallädsch  behauptet  (vgl.  R.  Dozy,  Het  islamisme,  Haarlem  1863,  S  218).  Auch  von 
SuhrawardI  geht  die  Sage  (vgl.  A.  v.  Kremer,  Miltelsyrien  und  Damaskus,  Wien  1853, 
S.  69),  ebenso  von  Muhammad  ibn  al-Hanafija  (vgl.  Schahrastänl,  hrsg.  von 
Th.Haarbrücker  I,  168),  und  vom  letzten  Imäm  Hasan  al-'Askerl  heißt  es,  er  sei  in  einem 
unterirdischen  Gange  verschwunden,  um  am  Ende  der  Zeiten  wiederzukehren  und  die  Welt 
zu  beherrschen.  A.  v.  Kremer,  Gesch.  der  herrsch.  Id.,  S.  378.  —  Über  den  Auferstehungs- 
glauben vgl.  auch  Graf  v.  Gobineau,  Les  religions  et  les  philosophies  dans  l'Asie  centrale, 
Paris  1866,  S.  314,  250. 


70  Franz  Ba  bin«;  er, 

denen  man  aber  nicht  näher  reden  dürfe.  Viel  wichtiger  als  diese 
knappe  Bemerkung  ist  indessen  ein  längerer  Bericht  des  Arabers 
Qutb  ad-din^),  der  990/1582  als  Mufti  zu  Mekka  starb;  sein  be- 
kanntestes Werk  ist  die  von  F.  Wüstenfeld  herausgegebene  »Ge- 
schichte der  Stadt  Mekka  und  ihres  Tempels  <(  [Die  Chroniken  der  Stadt 
Mekka,  III.  Bd.,  Leipzig  1857),  wo  er  bereits  unter  der  Regierung 
Muräds  Bedr  ed-din's  gedenkt  (vgl.  a.  a.  0.  S.  255).  Weit  ausfürhr- 
hcher  sind  nun  die  x\ngaben  über  ihn  in  seinem  nur  handschrift- 
lich überlieferten  »munta/iab  al-td'ri/i «,  das  in  einer  sehr  guten  Abschrift 
in  Leiden  (Ms.  Leid.  arab.  2010)  vorhegt.  Sind  auch  Qutb  ad-din's 
Mitteilungen  nur  mit  Vorsicht  zu  benutzen,  soweit  sie  osmanische 
Verhältnisse  betreffen,  so  ist  im  vorliegenden  Fall  die  Erzählung  so 
durchsichtig,  daß  der  geschichtliche  Kern  leicht  aus  seiner  sagenhaften 
Hülle  herauszuschälen  ist.  Sie  lautet  nach  der  Leidener  Handschrift 
(Bl.  97  b,  5.  ZI.  bis  Bl.  98  a,  2.  ZI.)  2)  wörthch  also: 

^VJLCj    LutoÜJ   »JüL    ^^\S    ^^    8-i>!    iJU-jJl    O-Aoil    .^*Sji    Xajo   LgJ.  c^Uäj   KxAaä 

«.A-w  _j.j5:vi   iyo^J^  j.yiii  Ifi;^  dU*«»    X.^\  l^'i  ^-yS■  *..wÄJ  Ljü.j  ^a  ^.i  ^'i 

bj  »J  i3wÄ5  »yol    ^  (^ij  »Jj  xi    üij  ^jLci.4-1!  qa  UaJ^v.Ä  ^Li^x^Ls  io»»3'  ^ 
»J>.>»  viA.jj>   xJL*aJ     8^U     L.i;.L:>  i^\    ..liil^ — !l    J«w,wS    äj    0-«I    U    s^jüli^j 

liUi   j^c   ^.^.jl;.»?  I^>.*=vj»    »jjt/Uj    qI  io:£.U^_5  '*3^y^  '^^j'  *^^  f*^  ^"^ 

')Qutb  ad-dln  al-Nahrawäll,  geboren  91 7/1 511,  war  fast  sein  ganzes  Leben  lang 
im  fernen  Mekka  ansässig,  weilte  aber  zweimal  zu  Studienzwecken  in  Stambul,  wie  er 
ausdrücklich  in  seinem  Bericht  erwähnt,  nämhch  943/1536  und  956/1557  (vgl-  den  arab. 
Text  bei  Wüstenfeld  S.  534).  Über  Qutb  ad-dln  und  seine  Arbeiten  vgl.  C.  Brockel- 
mann, Arab.  Lit.-Gesch.,  II,  381.  C.  B  ockelmann  hat  mich  auch  auf  diesen  höchst 
belangreichen  Bericht  des  Qutb  ad-dln  durch  die  Auszüge  gebracht,  die  er  im  II.  Bande 
seiner  Arah.  Lü.-Gesch.  auf  S.  225,  i.  Anm.   gibt. 

*)  Die  Abschrift  danke  ich  der  bereitwilligen  Freundlichkeit  C^R  flis  van  Aren- 
donk's  zu  Leiden,  wofür  ich  ihm  auch  an  diesem  Orte  herzlich  danken  möchte. 

3)  von  mir  ergänzt;  das  [Geklammerte]  fehlt  in  der  H|. 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  von  SimSw.  77 

^JLc    O^Xi     ÄJtsi»,     o-jij    L\.i»i    liÜiÄJ    ».jOAcI    ^1:^^       -iLs    lÄ^      ^ÄxIasI    S^'i», 
(j«3^ii>bSI^    A5»l    iüJi  j.S>   |}.i    by    ^1    ijo'    \J<S    ^xJLc    oL'i    J^aJ=>    tvX^3  tiUö 

•i.LjiJb    lX;uÜj_5    M-xIäc-    »LiüL5>    \\    ^^^   S^'>S>  r^'''^*^       -LjXi»^    O^J  q^    ^.^X^^i^ 

^Ls  ...Li'   L*i  \&Ji  Q-J^ftil  |V«^r="  '-^^äi^-Ji   ry  ^Jj  d)^5"ö   qc  i^.j   j.^_» 

-5     (»3-^^    ''^^'•^       ^ÄÄ/i    ^J!_»|       c"*«5^    Ä.\^^M     -*"g"i^3     \Äi>i     ,.^ji     |*-§.>«'«     xcL^.^ 
^5    [Bl.  pS-"*]     Aääxj     ij;<Äil     ;^c.Lj<;^j     .^1     oLäa«!  j.^3,    i  ^r'^"^'    -^^^.^^W^    Li.>ac 

(/  [Zeitangabe  fehlt] 

Danach  hätte  mithin,  um  den  Inhalt  kurz  wiederzugeben,  Bedr 
ed-din  zu  Adrianopel  freiwilhg  auf  das  Amt  des  Heeresrichters  ver- 
zichtet und  sieben  Jahre  lang  als  Büßer  unter  der  Erde  zugebracht. 
Dann  sei  er  in  der  Walachei  als  Prophet  erstanden  und  habe  in  Kürze 
gegen  dreitausend  Jünger  um  sich  geschart.  Der  Sultan,  dessen  Miß- 
trauen dadurch  erweckt  worden  sei,  habe  einen  »tschausch«  entboten 
mit  der  Weisung,  Bedr  ed-din  hinzurichten.  Dieser  habe  sich  indessen 
aus  freien  Stücken  ausgeliefert,  sei  getötet  worden,  worauf  seine  Leiche 
seine  Anhänger  nach  Seres  brachten,  wo  sie  über  seinem  als  Heiligtum 
verehrten  Grab  ein  ansehnliches  Kloster  errichteten  und  seine  Lehre 
im  freigeistigen  Sinn  entstellten  (vgl.  Brockelmann,  a.  a.  0.  H,  225, 
I.  A.).  Das  Wichtigste  ist  wohl  die  Meldung,  daß  in  Seres  ein  Kloster 
aus  Jüngern  Bedr  ed-din's  bestand»  und  dazu  stimmt  in  einer  auf- 
fallenden Weise  die  Mitteilung  des  Brusali  Mebmed  Tähir  Efendi, 
daß  er  mit  eigenen  Augen  zu  Seres  in  einem  Kloster  das  menäqib-näme 
Bedr  ed'din's  gesehen  habe  ^).  Das  Grabmal  Bedr  ed-din's,  das  sich  bis 
in  die  Gegenwart  erhalten  hat,  steht  indessen  gesondert,  und  ein  Der- 
wischkloster, angebhch  der  Mewlewl,  befindet  sich  nach  dem  Zeugnis 
des  oben  erwähnten  neugriechischen  Schriftstellers  außerhalb  der  Stadt 

I)  Vgl.  jedoch  F.  Wüstenfeld,  Chroniken  von  Mekka,  III.  Bd.,  S.  255,  wo  als  Sterbe* 
jähr  »aIa«  vom  selben  Qutb    ad-dln  angegeben  wird. 

*)  Vgl.    dessen     »'Osmänli    mWellifleri,      Stambul     1333,      S.    39:      ^5^80;^-^«« 


-g  Franz  Babinger, 

an  der  Nordwestmauer.  Ob  dieses  mit  dem  der  Anhänger  Bedr  ed-d!n*s 
einerlei  ist,  müßte  eine  Untersuchung  ergeben,  die  sicherhch  lohnend 
wäre  ^).  Ob  allerdings  in  diesem  Kloster  noch  die  Überlieferungen  an 
die  Vergangenheit,  die  ein  halbes  Jahrtausend  zurückliegt,  wachge- 
halten werden,  ist  mehr  als  fraglich.  Politisch  haben  die  Klosterinsassen 
heute  schwerhch  mehr  die  Ziele  der  alten  Ordensjünger.  Diese,  weit 
entfernt,  die  Lehren  ihres  zum  Märtyrer  gewordenen  Herrn  und  Meisters 
nicht  politisch  zu  erproben,  erscheinen  ein  halbes  Jahrhundert  nach 
dem  Drama  von  Seres  plötzhch  in  einem  regen  Zusammenhang  mit 
einer  Bewegung,  die  damals  noch  in  bescheidenen  Anfängen  stak,  mit 
der  Zeit  aber  zu  einer  Kraft  und  Stärke  gedieh,  die  den  Bestand  des 
osmanischen  Reiches  und  damit  des  rechtgläubigen  Islams  im  nord- 
westlichen Asien  und  Europa  aufs  bedenklichste  bedrohte,  der  Herr- 
schaft des  persischen  Sefewidengeschlechtes. 

BEDR  ED-DIN  UND  DIE  SAFAWIJJA. 

Im  ersten  Viertel  des  14.  Jahrhunderts  lebte  zu  Erdebil  =)  im 
nördlichen  Äserbeidschän  ein  großer  Süfi-Schejch  namens  Safi  ed-din 

«)  Vgl.  darübei-  BZ.,  III.  Jg.,  Leipzig  1894,  S.  224.  —  Während  der  letzten  Bogen- 
durchsicht  erhalte  ich  eine  ausführliche  Zuschrift  vom  Direktor  der  Kaiserlich  Osmanischen 
Museen,  Exzellenz  Halll  Edhem  Bej,  d.  d.  Stambul,  16.  Sept.  iq20,  der  ich  folgende, 
ihm  von  Mehmed  Tähir  Bej  freundlichst  gelieferte  Angaben  entnehme:  Das  tekke  zu 
Seres,  das  dem  Orden  der  Qädirl  angehört," befindet  sich  tatsächlich  im  Westviertel 
der  Stadt  und  ist  aus  Holz  erbaut.  Es  liegt  unweit  einer  Orta  Mezärliq  DschämiH  geheißenen 
Moschee.  Daneben  steht  die  iürbe  des  Schejchs  Bedr  ed-dln,  ein  Steinbau  mit  einer  Pyra- 
mide, wie  bei  den  seldschüqischen  künbed^s.  Eine  geschichtliche  Inschrift  oder  ein  ia'rih 
hat  Tähir    Bej  nicht  gesehen,  weder  am  gemauerten  Grabe  noch  an  der  Tür.     Über  der 

Tür  dagegen  ist,  in  Marmor  gemeißelt,  lediglich  nachstehender  Aadlt  zu  lesen:  ^jJ^'S  iji 
k-Jiil    J^i     -y^    LJ-oü-v-lS    •j^'i^i      ^5    Die  Bevölkerung  von  Seres  spricht  wenig  von 
Bedr  ed-din;    man  darf 'somit  sagen,    daß  der  Schejch  im  Volksmunde  nicht  weiterlebt. 
Nur  gegenüber   der  Eski  Dschdttii\  hinter  einem  Barbierladen,  zeigt  man  heute  noch  den 
Platz,  wo  er  gehenkt  worden  sein  soll.  —  Der  /ladTi  klingt  sehr  neu  und  uftkanonisch. 
2)  Eine  gründliche  Quellengeschichte  der   Sefewiden  fehlt  noch  gänzlich,   obschon 
darüber  eine  überaus  reiche  Literatur  in  europäischen  und  orientalischen  Sprachen  vor- 
handen ist.    Die  engen  staatlichen  und  kaufmännischen  Beziehungen,  die  vor  allem  Italien 
(Venedig,  Pisa)  mit  Persien  im  16.  Jahrhundert  und  schon  früher  verbanden,  haben  eine 
reichhaltige  Aufklärungsliteratur  hervorgerufen,  über  die  übrigens  schon  Charles  Schefer 
im  Vorwort  zur  Neuausgabe  von  P.  Raphael   du    Mans'    »Estat  de   la  Ferse  en  1660* 
(Paris,  1890)  wertvolle  Mitteilungen  gemacht  hat.   Ich  verweise  auf  dieses  Werk  und  bringe 
im  folgenden  einige  Nachträge  und  Ergänzungen:    Schon  Uzun  Hasan  schickte  nach  der  Lagu- 
nenstadt und  Heß  zur  Abwendung  der  gemeinsamen  Türkengefahr  um  Schießpulver,  Geschütze 
und  Stückknechte  bitten.    Man  erfüllte  seinen  Wunsch  und  sandte  das  Kriegsgerät  unter 
der  Führung  zweier  Edelleute,  des  Ambrosio  Contareni  und  des  Josaf.\t  Barbako  nach 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richter?;  von  Simäw.  79 

Abu  Ishäq,  der  seinen  Stamm  auf  'Ali's  Enkel  Müsä  *1-Käzim,  den 


Persien.    Beide  hinterließen  Berichte,  von  denen  der  des  J.  Barbaro  der  wertvollere  ist. 
Er  erschien   erstmals  erst  1543  zu  Venedig  in  der  Aldo'schen  Druckerei,  wurde  oft  auf- 
gelegt und  übersetzt.     Zu  warnen  ist  vor  der  lateinischen  Übertragung  des  Nürnbergers 
Jakob  Geuder  von  Herolzberg  (vgl.  J.  Beckmann,  Lit.  der  älteren  Reisebeschreibungen 
I.  I,  S.  190,  Göttingen  1807;  J.  G.  Hager,  Geogr.  Büchersaal,  1764,  f,  704),  der  leider  mehr- 
mals gedruckt  und  sogar  von  P.  Bizaro  in  dessen  Sammlung  »Historia  Reruni  Persicarum«, 
Frankfurt  1601,  ff.  übernommen  wurde.      In  P.  Bizaro's  Werk  sind  die  wertvollsten  Er- 
scheinungen über  Persien,  freilich  alle  in  lateinischer  Übersetzung,  bequem  zusammen- 
gestellt.   Über  JoSAFAT  Barbaro  vgl.  man  Giornale  de'  letterati  d'Iialia  XXVIII,  139  (dort 
(Grabinschrift  des  1494  Gestorbenen),  über  sein  Leben  und  sein  Werk  ebenda  XVIII,  406. 
Weit  wertvoller  und  wichtiger  als  diese  Wanderberichte  sind  die  Aufzeichnungen 
eines Konstantinopler  Edelmannes,  des  Kantakuzenen  Theodor  Spandugino,  dessen  höchst 
gewissenhafte  und  kaum  zu  berichtigende  Angaben  in  einem  Aufsatz  »Fzto  di  Sach  Ismael 
et  Tamas  Re  di  Persia  chiamati  Soffi,  nella  quäle  si  vede  la  cagione  della  controversia,  che  e 
tra  il  Turco  e  il  Soffii'-     Er  wurde  von  Francesco  Sansovino  in  die  Sammlung   WelV 
Historia  vniversale  delV  origine  et  imperio  de' Turchi«,    Venezia    MDLXIIII   auf  S.  97  b 
bis  105  b  aufgenommen.    Dort  ist  auch  (S.  72  b  ff.)  desselben  Verfassers  Abhandlung  über 
die  Türken  abgedruckt,  von  der  Charles  Schefer  nach  einer  auf  der  Pariser  Bibliotheque 
Nationale  befindlichen  Handschrift  eine  selten  beachtete  Neuausgabe  u.  d.  T.   »Theodor 
Spandouyn  Cantacasin,  Petit  Traide  de  V origine  des  Turcqz«  (Paris  1896,  18°;  auch  bei 
C.  Sathas,  Documents  inedits  relatifs  a  l'Histoire  de  la  Grece  [Venedig]  1890)  veranstaltet 
hat.       Etwa    gleichzeitig,    aber    unbedeutender  sind    des  Bischofs    von    Nocera,    Paolo 
GioVio,  »Commentarj  delle  cose  de'  Turchi«  (Venedig  1541,   Vorrede  bereits  vom  22.  Januar 
1531;  vorher  schon  lateinisch   von  Francesco  Negri,   Paris    1538),    die  F.    Sansovino 
neuerdings  herausgab.    Viel  ■wichtiger  sind  dagegen  des  Caterino  Zeno  »De  i  commentarii 
del  viaggio  in  Persia«  Venedig  1558  (vgl.  Neudruck  bei  Pl.  Zurla,  Dissertazioni  intorno  ai 
viaggi  e  scoperte  setteyitrionali  di  Nicola  ed  Antonio  fratelli  Zeni,    Venezia  1808;    ferner 
X.  Bd.  der  Annales  de  Voyages  de  Malte-Brun).     Beachtung  und  Verwertung  verdienen 
ferner  des  Portugiesen  Pedro  Teixera  »Relaciones  de  origen,  descendencia  y  succession  de 
los  reyes  de  Persia  y  de  Harmus«,  Antwerpen  (Amberes)  1600;    P.  Telxera  weilte  lange 
auf  der  Portugiesenbesitzung  Hormuz  (1604),  und  seine  Angaben  über  die  »sofi«  sind  beson- 
ders beachtenswert  (vgl.  jedoch  Notices  et  extraiis  IX,  i,  S.  131  ff.;  ferner  S.  Jak.  Baum- 
garten, Nachrichten  von  einer  Halleschen  Bibliothek,  VI,  302  ff.).  Für  den  gleichen  Zweck 
kommt   in  Frage  des  Joh.  Laur.  Ananl\s    »U universale,  Fabrica  del  Mondo«.  (Venedig 
1576,   1583,   1596,   mit  guten  Angaben)  und  endlich  die  ungedruckten  Nachrichten  »DcH' 
origine,  vita  et  facti  d'arme  del  Gran  Sophi,  al  Dogie  di  Venetia,  per  un  inaestro  Giovanni 
RoTTA,  nel  1505,  di  marzo«  auf  der  Biblioteca  Nazionale  zu  Neapel  (Standort  MS.  X  F  50). 
Der  Verfasser  ist  offenbar  derselbe  wie  der  des  höchst  seltenen  Büchleins  ttVita,  costiimi 
e  statuta  di  sofi«,  das  o.  J.  zu  Venedig  erschien.    Für  die  spätere  Zeit  kommt  des  Rovreiter 
Arztes  Giovanni  Tommaso  MiNADoi'(t  1615)  ■»Historia  della  guerra  fra  Turchi  e  Persiani 
dal  1577   al  1585  (Venezia    1588,  lateinisch  bei  Bizaro  a.a.O.,    deutsch  Frankfurt  a.  M. 
1592),  die  als  Bericht  eines  Augenzeugen  (M.  war  sieben  Jahre  lang  Arzt  bei  den  veneziani- 
schen Levantekonsulaten)  besonderen  Wert  beanspruchen  darf.     Einschlägig  ist  ferner 
des  GiAN  Maria  Angiolello  aus  Vicenza  »Historia  Turchesca  di  G.  M.  A.  Schiavo  et  altri 
Schiavi  delV  anno  1429  sin  al  1513«,  die  in  einer  Pariser  Handschrift  (Bibl.  Nationale,  fonds 
ital.No.  1238)  vorhegt  und  deren  Ausgabe  durch  die  von  J.  Ursu  (Jassy)  1909  zu  Bukarest 
besorgte  nicht  erledigt  ist.  Vgl.  darüber  nunmehr  die  these  von  Jean  Reinhard,  »Essai 


gQ  Franz  Babinger, 

sur  J.-M.  Angiolello«  (Angers  1913),  die,  obwohl  ohne  jede  Kenntnis  der  osmanischen 
Quellen  geschrieben,  doch  Beachtung  verdient  und  zur  Untersuchung  anregen  sollte,  ob 
nicht  die  »Hisforia  iurchesca«  etwa  eine  Übersetzung  eines  frühosmanischen  Geschicht- 
schreibers ist.  »Breve  narratione  della  viia  etfatti  del  signor  Usuncassano  per  Giovan'  Maria 
Angiolello«  enthält  der  II.  Band  von  Ramusio's  i,N avigationi  e  viaggi«,  Venedig  1559, 
S.  66  ff.  Ohne  jeden  Geschichtswert  ist  die  erdichtete  »Histoire  de  Mehemet  IL,  eynpereur 
Ottoman,  enrichie  de  lettres  originales,  traduiies  du  grec  et  de  l'arahe,  sur  des  manuscrits  trouves 
a  Constaniinople«,  par  M.  B  ***  de  M  **^'S  Paris,  Duchesne,  1764,  2  Bändchen  in  12°,  im 
gleichen  Jahr  und  Format  einbändig  nachgedruckt,  unter  dem  Titel  »Lettres  turques,  histori- 
ques  et  politiqnes,  ecrites,  taut  par  Mehemet  II,  empereur  ottoman,  que  par  ses  generaux,  ses 
suÜanes,  im  de  ses  ambassadeurs,  et  Usum-Cassan,  rot  de  Perse  (I),  son  conlemporain,  tra- 
duites  du  grec  et  de  l'arahe,  avec  de  notes  et  une  histoire  de  la  vie  de  ce  conquerant«,  par  M.  ß  *** 
de  M***.  Wenn  N.  Jorga  in  seiner  Osmanischen  Geschichte  II,  168,  2.  Anm.,  dieses  lächer- 
liche, schon  im  Titel  als  solches  kenntliche  Machwerk  »zu  vergleichen«  rät  und  es  gleichsam 
so  zum  Wert  einer  geschichtUchen  Quelle  erhebt,  obendrein  als  Verfasser  »Barbier  du  (I) 
Mesnard«  bezeichnet  (gemeint  war  natürhch Casimir  Barbier  de  Mevnard,  1827 — 1908!), 
so  beweist  dies  aufs  neue  seine  unglaubhche  Sorglosigkeit  und  den  Mangel  an  Kritik  in 
seinem  Buche.  Der  wirkUche  Verfasser  ist  ein  nicht  weiter  bekannter  Franzose  namens 
Belin  de  Monterzi,  über  dessen  Lebensumstände  auch  die  Biogr.  Univ.,  nouv.  ^d.,  III,  534 
gar  nichts  bringt. 

Vielleicht  die  klarste  und  unmittelbarste  Vorstellung  des  ungeheuren  Eindruckes, 
den  das  Erscheinen  des  neuen  Propheten,  des  i>Sophn<,  und  die  unheimhch  rasche  Aus- 
breitung seiner  Lehre  im  Abendlande  hervorrief,  zugleich  wohl  aber  auch  die  wertvollste 
zeitgenössische  europäische  Quelle  für  den  künftigen  Erforscher  der  Frühgeschichte  der 
§afawijja  liefern  die  Tagebücher  {diarii),  die  der  venezianische  Senator  Marino  Sanuto 
in  den  Jahren  1496 — 1533  mit  unsäglichem  Fleiße  niederschrieb  und  die  nunmehr  in  59 
starken  Quartbänden  1879— 1902  zu  Venedig  im  Druck  erschienen.  Diese  gewaltige 
Chronik  enthält  in  Gestalt  eingestreuter,  meist  an  den  Consiglio  de' .  Pregadi  gelangter 
Briefe  und  Berichte  (relazioni)  venezianischer  Baili,  Levantekonsuln  und  Kaufleute  eine 
Überfülle  bis  heute  gänzlich  unverwerteter  Nachrichten  über  Ismä'il  und  seine  Erfolge 
(vgl.  z.  B.  IV,  Sp.  487  ff. ;  500  ff.  usw.;  genaue  Register  am  Ende  jedes  Bandes). 

Aus  der  arabischen  Literatur  macht  Franz  Teufel  in  ZDMG.  XXXV,  91  einige 
wertvolle  Angaben.  Vgl.  ferner  Paul  Hörn  in  E.  Kuhn's  und  W.  Geiger's  Grundriß 
der  iranischen  Philologie,  Straßburg  1904,  II.  Bd.  auf  S.  586—587,  wo  einige  Mitteilungen 
aus  Petersburger  Handschriften  gegeben  werden.  Die  kostbare  Bücherei  des  Schejch 
Safi  ed-dln  wurde  nämlich  1827  von  General  Paskewitsch  nach  Petersburg  überführt;  ihre 
genaue  Durchforschung  ist  m.  W.  noch  nicht  erfolgt,  und  ich  bin  nicht  sicher,  ob  die  von 
P.  HoKK  durchsuchten  Hss.  überhaupt  ihr  angehören. 

Eine  »Liste  der  Manuskripte  aus  der  Moschee  des  Scheich  Seji  zu  Ardebil«,  nämlich  der 
166  vom  Grafen  Suchtelen  nach  Petersburg  verschleppten  Handschriften,  veröffentUchte 
Chr.  M.  V.  Frähn  im  »Petersburger  Journal«,  1829^  Nr.  138  (vgl.  dazu  JA.,  new  series, 
vol.  II,  1830,  S.  78).  —  Vgl.  iemer  E.  B.  Olliver,  The  Safwi  Dynasty  of  Persia,  JASB. 
LVI.  Bd.,  S.  37  ff.  (Kalkutta  1887),  ferner  E.  D.  Ross,  Early  years  of  Shäh  Ismä'il,  Straß- 
burger Doktorschrift,  1896  (abgedruckt  im  JASB.  1896,  S.  253  ff.;  vgl.  dazu  JASB. 
1902,  S.  170).  —  Sehr  wichtig  für  die  Frühgeschichte  der  Sefewiden  scheint  die  silsilnf 
an-nasab  as-Safawijja  zu  sein,  von  der  eine  Hs.  aus  dem  Nachlaß  von  Sir  A.  Houtum- 
ScHiNDLER  (f  1916)  in  den  Besitz  E.  G.  Browne's  überging.  Vgl.  dessen  klassische,  hier 
leider  nicht  mehr  verwertete  »History  of  Persian  Literature  linder  Tartar  Dominion  (A.  D. 
1265 — 1502)<(,  Cambridge,  1920,  S.  474  und  484. 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  8l 

Sohn  yusejn's,  zurückführte  i).    Er  segnete  im  Gerüche  der  Heüigkeit 
am  12.  September  1334  das  Zeithche  und  fand  am  Orte  seiner  Wirk- 
samkeit ein  heute  noch  vorhandenes,   als  berühmtes   Heihgtum  ver- 
ehrtes Grab.     Auch    der  Sohn  Sadr  ed-din,    der  Enkel  Hodscha  'Ali 
sowie  der  Urenkel  Schejch  Ibrahim  saßen  auf  dem  Teppich  beschau- 
lichen Daseins,  ohne  die  breitere  Öffentlichkeit  mit  ihren  Wünschen 
und  Ansprüchen  zu  behelligen.     Der  Ruf  ihres  heiligmäßigen  Lebens- 
wandels drang  sogar  bis  nach  Brussa  an  den  Sultanshof,  von  wo  all- 
jährHch  reiche  Gaben  und  wohlgefüllte  Beutel  nach  Erdebil  abgingen 
(vgl.  'Äschiqp.  S.  264).    Schejch  Dschunejd,  Ibrähim's  Sohn,  indessen 
trat  mit  politischen  Umtrieben  an  die  Öffentlichkeit,  die  so  bedenklich 
wurden,    daß   ihn   Dschihänschäh,    der   Fürst   des   Weißen    Hammels, 
dem  auch  Erdebil  Untertan  war,  des  Landes  verwies.    Er  floh  zu  Uzun 
Hasan,  dem  Herrn  des  Schwarzen  Hammels,  der  ihm  nicht  nur  gast- 
liche Aufnahme  gewährte,   sondern  auch    seine    Tochter    Hadidscha 
Begum  (aus  der  Ehe  mit  Katharina  (»Despina  Katon«),  einer  christ- 
lichen Prinzessin)  ^)  zur  Frau  gab.    Eines  Tages  erschien  nun  Schejch 
Dschunejd  zu  Oonia  im  Kloster  Sadr  ed-din's  3),  dem  damals  gerade 
Schejch  'Abd  al-latif  4)  vorstand.   Er  machte  dem  Ankömmling  schwere 
Vorwürfe  wegen  seiner  sonderbaren  Glaubensansichten   {iHiqäd)   und 
bezeichnete  ihn  als  Ketzer.     »Mit  dieser  Lehre  bist  du  ein  Ungläubiger 
[kjäjir)  geworden,  jeder,  der  sich  dir  mit  diesem  Glauben  anschließt, 
wird  auch  ein  Ungläubiger  !«,  lautete  der  Bannspruch  des  rechtgläubigen 
Schejchs    (vgl.    *Aschiqpaschazäde    S.  265  ff.) 5).     Dschunejd    hielt 
es   für    geratener,    Qonia   den    Rücken    zu    kehren.     Hören   wir,    was 
'Äschiqpaschazäde^)  hierüber  berichtet: 

»)  Vgl.  S.  DE  Sacy,  in  Notices  et  extraits,  IV,  276,  note  e;  Melanges  asiatiques,  I,  543; 
P.  HoRN  im  Grundriß  für  iran.  Philologie,  II,  586.  Es  ist  bemerkenswert,  daß  auch  Häddschl 
Bektasch  vom  Imäm  Müsä'l-Käzim  seine  Abstammung  herleitet.  Vgl.  'All,  künh  ül-ahbär, 
V.  Bd.,  S.  52 — 58.  Er  hieß  darnach  eigentlich  Sejjid  Muhammad  b.  Muhammad  b.  Ibrähim 
NTschapürl.  Todesjahr  nach 'All  Rif'at,  Z,^(g/^ä^^.■  ^aVi^i/c,  III,  75ist  738  (==  1337);  dies  ist 
aber,  wie  schon    'All  Rif'at,  Mträt  iil-meqäsid,  ^.  180  zu  lesen  ist,  nur  ^j,Lj    ^J^it^  des 

Wortes  XaävuÄXj. 

*)  Sie  war  eine  Tochter  des  Großkomnenen  Kalo-Joannes  (IV.);  vgl.  J.  Ph.  F.'^llme- 
i^AYER,  Geschichte  des  Kaiser thums  von  Trapeziint,  München  1827,  S.  259  ff. 

3)  Schejch  .Sadr  ed-din  (qonewT,  »von  Qonia«  zubenannt),  genauer  Abu  'l-maTdl 
Mehmed  b.  Ishäq,  war  der  Schüler  und  Schwiegersohn  des  großen  Freigeistes  Muhjl 
ed-din,  genannt  Ibn  'ArabI  (st.  1240)  und  starb  671  (1272/73)  zu  Qonia,  wo  sein  Grab 
noch  heute,  ganz  in  der  Nähe  des  Bahnhofs,  gezeigt  wird  (vgl.  E  wli  j  ä  III,  27).  Im  ersten 
Stockwerk  derTürbe  befindet  sich  eine  kleine  Bücherei,  bei  deren  Durchsicht  ich  im  Oktober 
1918  übrigens  keine  bemerkenswerten  Handschriften  vorfand. 

•()  Vgl.  über  ihn  Hadlqat  ül-dscheu'ämi'-  I,  153,  10.  Z.,  Ewlijü,   II,  50. 

5}  Vgl.  dazu  des  Herausgebers  'Ali  Bej  Vorwort  S.  0 

<>)  In  der  arabischen  Geschichtslitcratur  ist  dieser  dt-nkwürdige  Zug  Dschuucjds 
Islam  XI.  6 


g->  Fl  an  z  B  ab  i  nger, 

»Sobald  der  Morgen  graute,  verließ  Schejch  Dschunejd  Oonia, 
ging  von  dannen  und  begab  sich  in  die  Landschaft  Warsaq.  Schejch 
*Abd  al-latif  sandte  dem  Oaramän-oghlu  Ibrähim-bcj  Nachricht,  er 
schrieb  ihm  einen  Brief  des  Inhalts:  »Das  Ziel  dieses  Schejchs  Dschunejd 
ist  nicht  Süfigesinnung  [süflliq),  er  hat  das  heilige  Recht  verletzt  und 
verlangt  nach  Herrschaft!«,  also  sagte  er.  Unter  diesen  Umständen 
gab  Oaramän-oghlu  auch  dem  Herrn  von  Warsaq  i)  Meldung  mit  dem 
Wortlaut:  »Ergreift  den  Schejch  Dschunejd!«  Nachdem  er  aus  Warsaq^) 
einige  Leute  an  sich  gebracht  hatte,  ging  er  auf  und  davon.  In  der 
Gegend  von  Aleppo  begab  er  sich  nach  dem  Dschebel  Arsüs  3),  im 
Arsusgcbirgc  befand  sich  ein  verfallenes  Ungläubigenschloß  4).  Dies 
begehrte  er  von  Biläl-oghlu  5),  setzte  es  wieder  instand  und  machte 
sich  eine  Wohnung  daraus.  Dort  verweilte  er  nun  einige  Tage.  Da 
versammelten  sich  nun  bei  ihm  einige  Leute  des  Sohns  des 
Richters  von  Simäw  aus  Rümeli  und  anderswoher  einiges  Gelichter. 
In  Aleppo  befanden  sich  Jünger  [münd]  des  Mewlänä  Ahmed  Bekri 
sowie  des  *Abd  el-kerim  Halife  Schejch  ^Zejn  ed-din^)     (st.  870);   die 


nach  Nordsyrien,  soweit  ich  sehe,  nicht  erwähnt.  Als  Quelle  kommt,  da  das  Ereignis 
sicherlich  nach  Maqrizl's  Tod  (1442)  fällt,  vor  allem  dessen  Schüler  Abu*]-Mahäsin 
in  Betracht,  der  bekanntlich  eine  äußerst  fruchtbare  Chronistentätigkeit  entfaltete.  Die 
nitdschrm  az-zähira  f'i  muhlk  Misr  al-Qähira,  die  nur  teilweise  gedruckt  vorliegen  (»y^Hwa/««, 
Forts.  V.  W.  Popper)  erwähnen  den  Vorfall  ebensowenig  wie  al-manhal  al-säfT  wa  ''l-mustawfi 
ba'-d  al-Wäfi  (nach  frdl.  Mitteilung  von  Prof.  R.  GEVER-Wien,  der  die  dortige  Hs.  Flügel 
1173,  Bl.  263  bis  273  (Dschaqmaq)  einzusehen  die  Güte  hatte.  Die  am  ersten  aufschluß- 
reiche Fortsetzung  von  Maqrizl's  as-sulük  lima^rifat  diiioal  al-mulük,  nämlich  die  //awädi/ 
ad-duhür  fl  miidTji  'l-aijäm  -a'a  "sch-schiihür,  ist  in  der  Berliner  Abschrift  9462  leider  unvoll- 
ständig, in  der  Londoner  (Brit.  Mus.  Add.  23,  294)  mir  unzugänglich.  Ibn  Ijäs  erwähnt 
Dschuneid  nicht,  asch-Schihna.  den haleberOrtschronisten(starb  1485, Werkenur  hsl.). 
habe  ich  nicht  eingesehen. 

')  Unter  Warsaq  ist  hier  natürhch  nicht  der  Tatarenstamm  dieses  Namens,  sondern 
sind  diegleichnamigen  Turkmenen  im  bergigen  Kilikien  zu  verstehen;  vgl.  Jos.  v.  Hammer, 
II,  262,  über  die  dortigen  Fürsten  ebenda  II,  294.  Vgl.  Dschihävnumä.  61 1,  19.  Z. 

2)  Vgl.  G.  T.  Minadoi  bei  P.  Biz.\ro,  Hist.  Rer.  Pers.  S.  530:  Hujus  novitatis  author 
exstitit  Sexchiunus,  vel  ut  ciarius  ejus  nomen  exprimamus,  Siec  Giunetus;  hie  sapientis 
et  sancti  nomen  sibi  sumpsit  et  subditis  sibi  gentibus,  natura  inconstantibus  et  superstitiosis 
persuadcre  conatus,  primos  illos  Mahemetis  successores  contra  jus  et  aequitatem,  Princi- 
patus  dignitatem  usurpasse,  eaque  Alyum  defraudasse,  qui  justitiae  et  modestiae  laude 
clarus  haeres  legitimus  extiterat,  hunc  solum  in  precibus  invocari  volebat,  eique  honorem 
debitum  restituerc,   et  priores  tr'es  tamquam  damnatos  et  improbos  eo  spoliare  cupiebat. 

3)  Gemeint  ist  der  Dschebel  Arsüs,  ein  Gebirgsstock  am  Golf  von  Iskenderün. 

4)  Ungläubigenschloß,  gemeint  ist  natürlich  eine  verfallene  Kreuzfahrerburg,  ver- 
mutlich das  bekannte  Sarepta,  das  der  Atäbeg  'Imäd  ed-dln  Zengl,  der  Vernichter  des 
Fürstentums  Edessa,  im  Jahre  1129  schleifen  ließ.     Heute  As-saret. 

5)  Wer  mit  Biläl-oghlu  (Pjn  Biläl)  gemeint  ist,  blieb  mir  unbekannt. 

6)  V<fl.   über  ihn   Hadiqat  iil-dschr.vämi'-  I,    153.    10.   Z.,    Ewlijä.II,   52,    7    v.  u. 


Schejch  Bedr  ed-din.   der  Sohn   des   Richters   von   Simaw.  g^ 

schickten  zum  Sultan  von  Ägypten  Dscluiqmaq  (st.  1453)  die  Botschaft: 
»In  deinem  Land  ist  der  daddschäl^)  erstanden!«  Der  Sultan  von 
Ägypten  gab  dem  Statthalter  von  Aleppo  die  Weisung:  »Auf,  mit  der 
Truppe  von  Haleb  nimm  ihn  gefangen  !«.  Der  Statthalter  von  Haleb 
war  aber  gerade  krank  und  drang  nun  in  den  uki  liädschib  -)  von 
Aleppo;  und  so  zogen  sie  aus  wider  den  Schejch  Dschunejd.  Sie  töteten 
etwa  70  Leute  des  Schejch  Dschunejd,  worunter  sich  25  Leute  des 
Sohns  des  Richters  von  Simäw  befanden.  Er  selbst  ergriff  die 
Flucht,  begab  sich  nach  Dschäniq  3).  »Wer  mich  haben  will,  soll  mich 
in  Dschäniq  suchen!«,  sagte  er.« 

Wenige  Jahre  nach  diesen  Vorgängen,  wohl  860  (1456),  fiel  Dschu- 
nejd im  Kampf  gegen  Halil,  den  Herrn  von  Schemacha.  Sein  Sohn 
Haidar  4)j  wohl  nach  'Ali's  Beinamen  (Tabar!,  Annales  I,  3466,  14) 
so  geheißen,  trat  sein  fragwürdiges  Erbe  an.  Hatte  der  Vater  schon 
zahlreiche  Anhänger  gewonnen,  so  vermochte'  der  Sohn  ein  ansehn- 
liches Heer  zusammenzustellen,  das  er  durch  eine  einheitliche  Kopf- 
bedeckung,   jenes    berühmte    Uädsch-i   Haidar«,    aus    scharlachrotem 

')  Über  den  Begriff  des  daddschäl,  des  islamisclien  Antichrist,  vgl.  EI.,  I,  S.  924. 
Der  Ausdruck  schließt  übrigens  nicht  immer  eschatologische  Beziehungen  in  sich;  er  ist 
ganz  gewöhnliche  Bezeichnung  für  Fälscher,  Lügner  und  Betrüger.  Auch  hadIt-Erfinder 
pflegt  man  als  daddschä!  zu  bezeichnen.  Vgl.  I.  Goldziher,  Muhammed.  Studien,  II, 
«.   133,   I74- 

2)  uhi  /lädschib,  eigentlich  der  große  Kämmerer;  hädschib -w&x  im  Khalifat  von  Bagh- 
dad,  Syrien,  Ägypten  und  Spanien  die  gewöhnliche  Bezeichnung  für  Wesir,  ersten  Mi- 
nister. Hier  ist  Jiädschib  wohl  der  »Vertreter  des  Statthalters«,  vgl.  M.  Sobernheim  in 
El.,  II,  219. 

3)  am  Schwarzen  Meer,  vgl.  oben  S.  0. 

4)  Haidar  ist  ein  ausgesprochen  persisch-schritischer  Name  geworden.  Damit  hängt 
vielleicht  der  Löwe  als  Wappentier  des  persischen  Reiches  zusammen,  wie  ja /mz^iarz  seit 
den  .'^efewTden  geradezu  als  »königlich  persisch«  verwendet  wird.  Vgl.  dazu  M.  Sanutü, 
dian'i,  IV,  300,  11  v.  u.  Aufgefallen  ist  mir  an  den  in  John  P.  Brown's  tüchtigem, 
viel  Stoff  bietendem  Buch  über  »The  Dervishes«  (London  1868)  enthaltenen  Derwisch- 
bildern, die  unverkennbar  auf  morgenländische  Vorlagen  zurückgehen,  die  häufige,  fast 
zusammenhanglose  Beigabe  von  Löwen.  Vgl.  z.  B.  S.  57,  83,  148.  Damit  könnte  sehr 
wohl  der  'alTdische  Zug  ausgedrückt  sein.  Derselbe  amerikanische  Verfasse»-  erwähnt  auch 
haidari  als  ärmelloses  (lewand  (vest  without  sleeves)  bei  den  Bektaschi's  (S.  147),  womit 
man  die  »haidertje«  genannte  Mütze  der  Mewlewl's  zu  Qonia  vergleiche.  — Diese  Benennung, 
der  irgendein  zauberhaftes  Motiv  zugrunde  liegen  dürfte,  hatte  ihre  Seitenstücke,  so 
etwa,  wenn  die  Bektaschi's  (nach  P.  Brown,  The  Dervishes,  London,  1867,  S.  147,  148) 
die  Ohrringe  /lasam  und  husajni,  oder  (S.  140,  151)  den  Hüftenstrick  qamberijje  (nach 
Qambar,  dem  Lieblingssklaven  *AlI's!)  benennen.  (So  scheint  mir  auch  das  bysyr  selmän 
in  der  von  H.  Ritter  mitgeteilten  '■atäbe  aus  Amära  {Der  Islam,  X.  Bd.,  S.  128,  oben) 
erklärt  werden  zu  müssen.  Die  Rolle,  die  Selmän  färisi  spielt,  ist  bekannt.  Slimänl 
(Name  des  Zaubersteins  Onyx,  natürlich  nach  Salomon  so  geheißen),  wie  ich  zuerst 
dachte,  ist  schon  des  Reimes  wegen  nicht  möglich.) 

6* 


§4  Franz  Babinger, 

Wolltuch  kenntlich  machte,  das  später  zu  dem  Spottnamen  der  schi- 
*itischen  Perser  bei  den  Türken  [qizil  hasch  ^))  wurde.    Auch  er  galt  als 

»)  Über  den  Ursprung  der  »bonnets  rougesi(  des  Morgenlandes  laufen  noch  die  sonder- 
barsten Anschauungen  und  Zweifel  selbst  in  Fachkreisen  um,  so  daß  eine  kurze  Darlegung 
des  Sachverhaltes  vielleicht  nicht'  ganz  ohne  Wert  ist.  An  dem  Vorhandensein  einer 
scharlachroten  Kopfbedeckung  für  die  Anhänger  Haiders  kann  unter  gar  keinen  Umständen 
gezweifelt  werden.  Dafür  sprechen  allein  die  zahllosen  europäischen  Reisebeschreibungen,  die, 
teilweise  gänzlich  voneinander  unabhängig,'stets  das  Gleichelberichten;  auch  die  morgenlän- 
dischen Quellen  sprechen  davon.  Als  besonders  lehrreich  setzeich  eine  Stelle  aus  Löwen- 
KLAu's  »Türkischen  Histoviena  (cap.  188)  hierher:  ».  .  .  gebeut  diese  newe  Religion  der 
Sophilar  vnter  andern  /  man  solle  das  Haupt  nit  aus  eim  Pracht  vnd  Hoffarth  mit  solchen 
einin  bünden  zieren  /  sondern  nur  schlechte  Hauben  aus  Wollen  /  so  nit  köstlich  /  die 
Köpf  damit  zu  bedecken  und  zurichten  lassen.  Vnd  demnach  eine  solche  wollene  Haube  / 
die  bei  den  Persern  jetzt  wider  die  Gewohnheit  andrer  Muslime  /  im  Brauch  12  Falten  hat 
Ivnd  das  arabische  Wort  enasser  (isnä  'aschar)  soviel  bedeutet  als  12  /  so  haben  sie  auch 
einen  andern  Namen  bekommen  enasserler  /  d.  i.  die  zwölffarbigen.  Weil  sie  auch 
solche  Hauben  nur  roth  gefärbt  tragen /so  hat  man  sie  auch  Kisilbaschler  genannt«  (S.347). 
Vgl.  dazu  im  cap.  81  (S.  241):  ».  .  .  man  solle  das  Haupt  nit  aus  Pracht  vnd  Hoffarth  mit. 
Bünden  aus  Leinewand  umwickeln  /  wie  die  Türken  pflegen  /  sondern  zum  Beweis  der 
Demut  und  Eingezogenheit  die  Häupter  nur  mit  Hauben  aus  wollen  bedecken.  (Vgl.  dazu 
noch  Adam  Wenner,  Ein  gantz  neie'  Reysebuch  .  .  .,  Nürnberg,  1622,  S.  84.)  Ich  verweise 
dazu  auf  ganz  ähnhche  Darstellungen  bei  G.  T.  Minadous  in  P.  Bizaro's  Sammlung  S.  331 ; 
Ad.\m  Olearius,  Vermehrte  Moscowitische  vnd  Persianische  Reisebeschreibung,  1656,  V.  Buch, 
10.  Hptst.,  S.  581;  0.  Dapper,  Beschreibung  des  Königreichs  Persien,  verdeutscht  durch 
J.  Chr.  Beer,  Nürnberg,  1681,  S.  73.  —  In  den  Quellen  wird  ausdrücklich  hervorgehoben, 
daß  die  Kopfbedeckung,  offenbar  nach  den  kriegerischen  Mißerfolgen  Haidars,  außer  Ge* 
brauch  kam  und  später  erst  wieder  verwendet  wurde.  Sie  wird  in  orientalischen  Berichten 
stets  tädsch-i  Haidar  »Haidar-Krone«  genannt  (vgl.  E.  D.  Ross,  The  early  years  of  Shah 
Ismä^tl,  Straßburger  Doktorschrift,  1896,  abgedruckt  im  JRAS.  1896,  S.  253).  Ohne  un- 
mittelbaren Zusammenhang  behaupten  zu  wollen,  verweise  ich  auf  die  sonderbare  Tat- 
sache, daß  die  hohen  Mützen  der  Mewlewis  »//aiderije-i  scherif«  genannt  werden;  vgl. 
F.  Sarre,  Reise  in  Kleinasien,  Berlin  1896,  S.  32.  Am  auffallendsten  ist  jedoch  die  ÄhnHch- 
keit  mit  der  zwülfzwickeligen  sikke  der  Bektaschis;  vgl.  G.  Jacob,  Bektaschijje,  S.  40.    Der 

Ausdruck  )>enasser«  könnte  sich  natürlich  auch  auf  die  »Zwölfer- Schl'iten«  (kj^c  LoI) 
an  sich  beziehen,  obwohl  die  zwölf,  Falten  der  Mütze  dazu  zweifellos  in  Beziehung  stehen. 
Diese  sollte  ursprünglich  offenbar  einen  Gegensatz  zum  weißen,  meist  aus  feinem  Leinen- 
stoff gefertigten  Kopfbund  der  Türken,  überhaupt  der  Sunniten  darstellen;  die  Ge- 
meinde des  Haidar  glich  ursprünglich  eben  völlig  einem  Derwischorden,  und  die 
gemeinsame  Kopftracht  sollte  die  einzelnen  Glieder  zusammenfassen.  Die  Vor- 
schriften, die  Ismä'Il  erließ  und  die  wohl  auch  schon  sein  Vater  zur  Geltung  gebracht  hatte, 
erinnern  sehr  stark  an  gewisse  Ordensvorschriften  bei  Derwischen.  Bei  zunehmender  An- 
hängerschaft der  Sefewiden  kam  natürlich  auch  die  eigenartige  Kopftracht,  die  nur  bei 
einer  kleinen  Gemeinde  Sinn  und  Bedeutung  haben  konnte,  in  Wegfall.  Später  wurde  denn 
auch,  wie  sich  einwandfrei  schon  in  der  europäischen  Literatur  verfolgen  läßt,  der  Aus- 
druck »Kizilbasch«  zum  Spott-  und  Schimpfnamen  für  die  schi'i tischen  Perser;  er  ist  ja 
ebenso,  wie  die  türkische  Mehrzahlform  »enasserler«  bei  Löwenklau  beweist,  türkischen 
Ursprungs.    Mit  Kizilbaschi,  auch  Kizilbascha,  Kizilpascha,  bezeichnete  man  .später  den 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters   von  Simaw.  85 

großer  Schejch  und  Heiliger.  Aber  sein  Ansehen,  das  er  auch  nach 
außen  hin  durch  Erlangung  der  Herrschermacht  festigen  wollte,  ging 
bald  mit  ihm  in  der  unheilvollen  Schlacht  bei  Täbzerän  im  Juli  1488 
im  Kampfe  gegen  den  Herrn  von  Schirwän  verloren. 

Dafür  hinterließ  er  in  seinem  jüngeren  Sohn  Ismä'U  einen  Nach- 
folger, dessen  erstaunlicher  Tatkraft  es  gelang,  das  von  seinen  Ahnen 
erträumte  Reich  zur  Wirklichkeit  werden  zu  lassen.  Sechs  Jahre 
seiner  Jugend  verbrachte  er  in  stiller  Zurückgezogenheit  in  Gilän  bei 
dessen  Fürsten  Hasan  Khan.  Und  als  er  1499  aus  seiner  Verborgenheit 
heraustrat,  hatte  er  kaum  mehr  als  300  Anhänger  um  sich.  Er  ent- 
faltete eine  unermüdliche  Werbetätigkeit,  entsandte  dä'Vs  in  alle 
Gegenden,  und  gar  bald  gelang  es  ihm,  den  kleinen  Stamm  gewaltig 
zu  mehren.  Aus  einer  kleinasiatischen  Landschaft  vor  allem  strömten 
ihm  Leute  in  Massen  zu:  aus  Tekke-eli  und  Hamid-eh  (im  Südwesten 
Anatohens  am  Golf  von  Adalia).  Eine  höchst  merkwürdige  und 
seltsam  vernachlässigte  und  unbeachtete  Erscheinung.  Dort 
hatte  ein  Schejch  Sadr  ed-din  eine  starke  Gemeinde  geschaffen,  von  Tim.:r 
Gnade  für  sie  erlangt  i)  und  sie  vor  Versklavung  bewahrt.    Seit  jenen 


Schah  von  Persien.  Vgl.  A.  v.  Le  Coq  im  orientalischen  Archiv«,  III.  Jahrg.,  1913,  S.  64 
sowie  F.  Babinger,  ebenda  S.  144—145;  über  den  Ausdruck  »KasuU  im  Ung  rischen 
für  »Persien,  persisch«  vgl.  F.  Babinger  im  A-Iagyar  Nyelvür  XLII.  Jahrg.,  1913,  S.  251 
bis  253:  »A  perssH  jelent'ö  kazul  szoröl«  (=  über  das  (ung'r.)  Wort  ))kazul«=  Persien). 
In  diesem  Zusammenhang  verweise  ich  auf  die  noch  nicht  genügend  geklärte  Bezeichnung 
)>zarkula«,  die  schon  bei  byzant.  Schriftstellern  begegnet  und  deren  Verwendung  im  os- 
manischen  Heer  J.  v.  Hammer,  Gesch.  des  osm.  Reiches  I,  179,  596  auf  Muräd  I.  (1372) 
zurückführt;  der  ganze  Bericht  klingt  jedoch  mehr  unwahrscheinlich  und  verdient  eine 
Nachprüfung.  Schon  das  persische  Wort  sollte  zur  Vorsicht  mahnen.  Über  die  »Haidar- 
Krone«  vgl.  noch  D.  Kantemir,  Geschichte  des  osman.  Reiches,  deutsche  Ausgz.he,  S.  200. 
Als  besonders  wichtig  für  die  Geschichte  der  »Haid  r-Krone«  möchte  ich  die  überaus 
seltene  Schrift  des  Arztes  Giovanni  Rota,  »Vita,  costumi  e  staiura  di  sofi((hezeichnen,  die 
0.  J.  (i.  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts)  zu  Venedig  erschien.  Einen  Abdruck  sah  ich  1912 
auf  der  Bibhoteca  Nazionale  Marciana  (Palazzo  della  Zecca)  zu  Venedig,  wo  ich  mir  den 
Titel  vermerkte.  Vgl.  desselben  Verfassers  hsl.  Arbeit  oben  S>  79,  Anm.  Daß  die  os- 
manischen  Truppen  d  mals  eine  weiße  Kopfbedeckung  trugen,  geht  unzweifelhaft 
aus  einer  von  J.  v.  Hammer  I,  421  (unten)  auf  Grund  übereinstimmender  türkischer 
Berichte  gemachten  Mitteilung  hervor.  Unbegreiflich  ist  nach  dem  Gesagten  die  Äuße- 
rung J.  v.  Karabacek's  in  seiner  gewiß  höchst  wertvollen  und  von  mühsamem  Fleiß 
zeugenden  Studie  über  »Abendländische  Künstler  zu  Konstantinopel«,  Denkschriften  der 
Kais.  Akad.  der  Wiss.  zu  Wien,  62.  Bd.,  S.  87,  4-  Anm.  Die  angezogene  Stelle  beweist 
doch  im  besten  Fall  nur,  daß  eine  lädsch  geheißene  Kopfbedeckung  schon  früher  bezeugt 
ist,  keineswegs  aber  die  eigenartige,  zwölfzwicklige  Rotkappe  der  Sefewiden.  Vgl.  M. 
Sanl'To,  diarii,  IV,  482  oben  (bareta  rossa!);  V,  196  LZ    (barete  longe  rosse). 

>)  Das  ist  gewiß  kein  Zufall,  ebensowenig  wie  wenn  etwa  derselbe  Timur  auf  Bitten 
Uodscha  Nasr  ed-dln's  dessen  Wohnort  Aq  Schehir  verschonte;  vgl.  Ewlijä,  III, 
16  £E  {Der  Islam,  V,  219). 


§5  FranzBiibiuger, 

Tagen  waren  die  Bewohner  jenes  Landstriches  »persischen  Schejchenmit 
besonderer  Vorliebe  zugetan«  (J.  v.  Hammer,  GdOR  II,  344,  nach  des 
Richters  von  Aleppo  Dschannäbi^)[st.  999/1590]  Ta'rih).  Von  hier  aus 
zogen  Scharen  (daher  Tekkelü!)  nach  Lähidschän  zu  Ismä'il.  Welche 
Belohnung  harrte  ihrer  dort?  Mit  welchen  Verheißungen  vermochte 
Tsmä*il  solchen  Zulauf  zu  bewirken?  Theodor Spandugino-) 3)  ist  einer 

I)  Vgl.  darüber  die  Handschrift  A.  F.  12  (469)  der  Wiener  Hofbibliothek,  Bl.  68  r 
bis  70  im  ta^rlfi  des  Dschannäbl  mit  höchst  belangvollen  Angaben  über  die  Frühgeschichte 
der  süfl  von  Erdebil.  Unter  Schejch  Sadr  ed-din  kann  selbstverständlich  nicht  der  oben 
erwähnte  (st.  1273)  gemeint  sein,  sondern  vielleicht  eher  Sadr  ed-dln  von  Erdebll.  Ich 
vermute  indessen,  daß  hier  irgendeine  Vermengung  vorhegt,  worauf  mich  folgende  Stelle 
in  P.  BiZARo's  '»Rerum  Persariim  Historia«,  Frankf.  1601,  S.  266  bringt:  qui  (=  Dschunejd, 
»Guines«)  tantam  et  praeclaram  sibi  in  toto  Oriente  doctrinae  sanctitatisque  opinionem 
conciliavit,  ut  Tamerlanus  ipsum  innosceret,  eique  petenti  ad  triginta  captivorum  millia 
dono  dederit,  quos  ille  in  sua  secta  probe  institutos,  fiho  Sicaidero  (Schejch  Haider!)  tradidit. 
(Vgl.  A.  Müller,  Islam  II,  347.)  Aus  zeithchen  Gründen  kann  natürlich  Dschunejd 
mit  Timürlenk  nicht  zusammengetroffen  sein,  indessen  steht  soviel  fest,  daß  die  Lehre 
der  süfl  von  Erdebil  seit  langem  eine  starke  Anhängerschaft  in  Tekke  und  Hamid  besaß. 
Eine  Untersuchung  hierüber  wäre  überaus  lohnend  und  ergäbe  die  wichtigsten  Aufschlüsse 
über  die  Sekten  Kleinasiens.  Pedro  Teixeira  hat  in  seinen  »Relaciones  d'el  origen,  de- 
scendencia  y  succession  de  los  reyes  de  Persia,  y  de  Harmuzo  usw.  (En  Amberes,  MDCX), 
S.  368  gar  diese  »gracia  concedida  de  Teymurlangh  a  Xeque  Safy«  erwähnt,  was  aus 
zeitlichen  Gründen  schon  unmöghch  ist.  Wie  mir  Herr  Dr.  Karl  Äusserer  an  der  Wiener 
Hofbibhothek  auf  mein  Bitten  mitteilt,  hat  Jos.  v.  Hammer  willkürHch  jenen  Schejch 
Sadr  ed-din  »aus  Qonia«  stammend  bezeichnet,  obwohl  in  seiner  Quelle,  dem  genannten 
Berichte  des  Dschannäbi  S.  133  (fol.  68  v)  und  S.  134  (fol.  68  r)  mit  keinem  Wort 
davon  die  Rede  ist.  L.  Langles  in  J.  Chardin,  Voyages,  X.  Bd.,  S.  \^^  (Paris  1811): 
2000  Qurtschi  d.  i.  Kurden  (vgl.  qürdscht  =^  Leibwache  des  Schahs!). 

*)  Wichtig  und  auffallend  mit  dem  Wortlaut  des  (späteren)  Berichtes  von  Theodor 
Spandugino  übereinstimmend  ist  die  Schrift  des  artium  doctor  Giovanni  Rota,  die  erst- 
mals 1508  (zu  Venedig?)  u.  d.  T.  »ia  vita  del  Sophi:  Re  de  Persia  et  de  Media  et  de  molti 
altri  regni  et  paesin  (40)  erschien  und  um  1515  als  »La  vita:  costumi:  et  statura  de  Sofi:  Re 
de  Persia  et  de  Media  et  de  molti  altri  Regni  et  paesi«  usw.  in  8°  nachgedruckt  wurde.  151 5 
kam  (zu  Augsburg?)  eine  Verdeutschung  »Das  Leben  vnd  gewoiiheyt  vnd  gestalt  des  Sophy 
kunigsz  der  Persien«  usw.  in  4"^  (davon  zwei  Abdrücke  auf  der  Bayr.  Staatsbibliothek  zu 
München  , Standort:  4° -Hist.  As.  428).  Unter  den  deutschen  Flugschriften,  die  das  Auf- 
kommeo  und  die  Macht  der  .'^efewiden  behandeln,  sei  hier  hervorgehoben  »Von  dem  neilwen 
pro/phete  in  Persia  Sophey  geniit.  V/'i  von  seiner  geburt  Auch  von  sei/t  Kriege  vfi  mechti- 
gem  gewalt«  (Bayr.  Staatsbibliothek:  4"  Hist.  As.  838  und  4°  Sc.  Mil.  6);  weitere  führt 
J.  v.  Hammer,  Gesch.  des  osman.  Reiches  X,  S.  67,  Nr.  137,  138,  143,  144,  145,  148  ff.  auf. 
Außer  den  oben  erwähnten  (S.  79)  »Relaciones«  des  Pedro  Teixeir.\  sei  hier  noch  auf 
J.  P.  Tercier's  »Memoire  sitr  l'origine  de  la  dynastie  des  Sophi  en  Perse,  du  nom  de  Kizil 
hasch,  ou  Tete  rouge,  que  les  Pures  donnent  aux  Persans,  et  de  Vinimitie,  qui  regjie  entre  les 
deux  Naiions«  auf  S.  754 — 779  der  Mem.oires  de  Liiterattire,  tires  des  registres  de  V Academie 
Royale  des  inscriptions  et  helles  leltres,  24.  Bd.,  Paris  1756,  sowie  auf  Silv.  de  S.\cv's  »No- 
tices  et  extraiis  d'un  manuscrit  syriaque,  ecrit  a  la  Chine  et  de  deux  »iss.  persans  con- 
tenant  les  vies  des  Sofis«,  Paris   1841    verwiesen. 

3)  Ich  setze  die  höchst  interessanten  Mitteilungen  Spanduginos  hierher  (S.  98b  in 


Scilcjch   Bedr  cd-din,   der  Solin   des    Richters   von   Siniäw.  87 

der  wenigen,  die  über  Lehre  und  Leben  Ismä'Il's  Nachrichten  geben, 
aus  denen  ein  ungefähres  Bild  sich  herstellen  läßt.  In  Ismä'il's  und 
der  Seinen  Augen  galt  Geld  und  Rangordnung  nichts,  und  alles  kam 
nur  auf  die  Hingabe  an  den  neuen  Glauben  an.  »Senza  stipendio 
alcuno«,  ohne  jeglichen  Sold  leistete  man  ihm  Heeresdienst.  Ismä'il 
vertrat  die  Forderung  einfachsten  gemeinsamen  Lebens  und  freigebig- 
ster Almosenausteilung  i).  Das  sunnitische  Verbot,  Wein  zu  trinken 
und  Schweinefleisch  zu  essen,  verwarf  er,  weil  'All,  sein  Abgott,  es 
unmöglich  gebilligt  haben  könne;  er  selbst  ging  hierin  mit  seinem 
Beispiel  voran,  indem  er  Schweinefleisch  aß  -).  Es  scheint  mir  höchst 
wahrscheinlich,  daß  Ismä'il  außer  altpersischen  Anschauungen  eine 
Reihe  von  christlichen  Gebräuchen,  selbstverständlich  in  veränderter 


der  Sammlung  des  Sansovino,  Veaezia  1568):  »e  quanto  al  mangiar  della  carne  di  porco, 
diceva  Ali  ch'anchor  ch'ii  Profeta  ordinasse  che  non  se  ne  dovesse  mangiare  come  perniliosa, 
che  perö  e  lecito  mangiarne  a  chi  ella  non  fa  male.  Perche  le  cose  che  enlrano  per  la  bocca 
non  dannano  I'anima,  ma  quelle  che  escono.  l'er  questo  i  Soffiani  mangiono  carne  di 
porco,  stanno  in  continue  vigilie  et  orationi  et  sono  huomini  piu  caritatiW.  Sach  Ismael 
primo  Re  de  Persi  per  quanto  ho  potuto  intendere  mangiö  sempre  carne  di  jiGrco  et  quando 
vcnne  in  rotta  cou  l'Imperador  de  Turchi  nel  tempo  di  Baiasit  et  Condichiar  (=  chodä- 
vcndkjär)  .Selim  faceva  allevar  qualchc  porco  grosso  et  gli  metteva  il  nome  dello  Imperador 
Turco  et  chiamavalo  il  Condichiar  Baiasit.«  —  Vgl.  ferner  S.  99  a:  »debbono 
viver  in  poverta  et  in  astinentia  del  cibo  et  con  continue  vigihe  et  orationi,  anchor 
che  tal  cosa  per  loro  male  si  osservi.  —  Zur  Erhärtung  des  Gesagten  seien  noch  zwei  Stellen 
aus  der  Schrift  des  Giovanni  Rota  (nach  der  deutschen  Übersetzung,  vgl.  S.  86,  2.Anm.) 
angeführt :  (Schah  Ismail)  »Trinckt  wein  /  aber  verporgner  weyss  /  vn  isst  schweyne  fleisch«. 
Ferner:  »Man  sagt  das  der  gesprochen  Sophi  seye  vast  ein  gutter  freundt  der  Christen/ vnd 
des  glaubens/vnd  das  er  fuert  mit  jme  den  Patriarchen  von  Armenia/mit  xdll  münchen 
vnd  priestern/ Vnd  zwayntzig  tausent  redlicher  man  Anneni  /  welche  er  die  vmb  jn  helt/ 
vnd  wo  er  sich  bclcgert/so  macht  er  zerreyssen  die  nuischee/  vh  die  kirchen  der  Christen 
lest  er  steen  /  Drinckt  wein  /  emsiger  weyss  zum  mall  /  wie  wir /isst  schweyne  lle}^sch  .  .  .«, 
ferner  Bl.  9  a:  »anpeten  das  Creutz/  als  do  thut  der  Sophi  /  Vnnd  was  er  gewindt/das 
ist  der  gantzen  gemayn/Er  geet  on  ein  Baret  auff  dem  haubt  /  vnd  ein  man 
von  wenig  wortten  vnd  dem  aller  grösten  ansehen.«  —  Marino  Sanüto,  diarii,  IV,  355: 
»sua  [d.  i.  Ismä'ils]  secta,  ch'e  una  certa  rcligiune  catholicha  a  Ihor  modo  .  .  ,«!  Man 
begreift  nach  all  dem  Gesagten  nun  sehr  leicht  die  »Christenfreundüchkeit«  der  Anhänger 
Jk'dr  cd-dln's  wie  überhaupt  den  christlichen  Einschlag  in  diesen  Lehren. 

')  Vgl.  ü.  Dapi'kr,  Beschreibung  des  Königreichs  Persien.  Nürnberg,  168 1,  S.  114: 
.  .  .  tun  das  Gelübd  der  Arnuit  /  und  empfangen  täglich  ihre  Almosen  am  königlichen  Hofe/ 
Sie  leben  in  Gemeinschaft  unter  einem  Haubt  Basci-Sufi  genannt. 

-)  Da  in  der  jetzigen  schl'tischcn  Lehre  an  dem  Verbot,  Schweinefleisch  zu  essen, 
streng  festgehalten  wird,  ergibt  sich  schon  daraus  die  bereits  angedeutete  Tatsache,  da« 
die  Lehre  der  siljVs  von  Erdebil  in  vieler  Hinsicht  Bestimmungen  enthielt,  die  heute  nicht 
mehr  in  der  schi'itischcu  ( ilauljcnslehre  Geltung  halien.  Schweinefleischgenuß  wird  übri- 
gens (freilich  ohne  Lehrbegründung)  auch  bei  nordafrikanischcii,  nichtschi'itischeir  Mus- 
imen  festgestellt.  Vgl.  ZDMG.  XL,  40;  vgl.  dazu  .\\v..  Moii.i  i'.kas,  I.f  Maroc  iiicoinni 
II,  492.     Paris  1899  (frdl.  Hinweis  I.  Goldziher's). 


gS  Franz   Rabinger, 

und  seinen  Zwecken  angepaßter  Form,  übernahm  ^).     Er  stand  den 
Christen  offenbar   wohlwollend  gegenüber;    »non  aborisse  la  religione 
christiana, «    sagt   Jani   Laskaris  ausdrücklich  von  ihm,  und  schon 
seinem  mütterlichen   Urgroßvater    redete   man   Christenfreundlichkeit 
nach  -).     Der   gutmütige,  lächelnde,  dicke  Ismä*il  gewann  so   im   Nu 
die    Herzen   von    Tausenden.        »Unter    lOOOO    Menschen    war    er«, 
so   schreibt  Th.  Spandugino,    »auch  in  Verkleidung  noch   als  König 
erkennbar  3).  <(     Das  Volk   betete    ihn   geradezu    an    und   verehrte   in 
ihm   einen  Gottgesandten  4),    eine    milde,    gerechte  und  volkstümliche 
Politik  sicherte  ihm  die  dauernde  Gunst  seiner  Untertanen.  Seine  Lehre 
griff  immer  weiter  um  sich  und  faßte  vor  allem  in  Kleinasien  Boden. 
Besonders    in  Tekke   und  Hamid   vermehrte  sich   Ismä'il's  Gemeinde 
zu  bedrohlicher  Stärke.  Dort  war  es  auch,  wo  Ende  April  I5I05)  plötz- 
lich ein  gewöhnlicher,  aus  Bazardschiq  bei  Elmadschiq  ^unweit  Adalia) 
gebürtiger  Türke,    der   Sohn   eines    gewissen  Hasan  Halife,    erstand. 
Er  hatte  jahrelang  in   der  Weltabgeschiedenheit  eines  von   ihm  ge- 
leiteten Klosters  gelebt,  das  ihm  sogar  Sultan  Bäjazid  hatte  errichten 
lassen.     Derselbe  Großherr  half  ihm  mit  einem  jährlichen  ausgiebigen 
Ehrensold  über  die  Nöte  des  Lebens  hinweg,  der  Ruf  seines  heiligen 
Lebenswandels  drang  in  alle  Lande  und  lockte,  vor  allem  aus  der 
Umgebung,  Tausende  frommen  Landvolkes  nach  der  zäwija  des  Wunder- 
mannes.   Reiche  Gaben  strömten  ihm  zu.    Mit  der  Zeit  begann  er  aus 
seiner   Zurückgezogenheit   herauszutreten   und   flammende    Reden   zu 
führen.      Das  Ende  der  osmanischen  Herrschaft  sei  nahe,  redete  er 
den  Leuten  vor,  sprach  von  dem  ihm  durch  Gottes  Fügung  dereinst 
verliehenen  Schwert  und  einer  Herrschaft  der  Frommen,  der  Reinen 

0  Vgl.  z.  B.  die  sonderbare  Taufsitte  bei  O.  Dapper,  Beschreibung  des  Königreichs 
Persien,  deutsch  von  J.  Chr.  Beer,  Nürnberg  i68i,  S.  I2i.  Man  wußte  später  nicht  mehr, 
was  diese  Besprengung  mit  Wasser  (»Ab  Pascian«,  »Abrizan«)  bedeute  und  ob  sie  etwa 
christlichen  Ursprungs  sei.    Zu  äbrizän  vgl.  Vullers  I,  8  b. 

»)  Vgl.  Cod.  lat.  Monac.  i8  770,  Fol.  192  der  Münchener  Staatsbibliothek  wo  Uzun 
Hasan  geschildert  wird  »crucem  in  humero  dextro  deferens,  christianorum  amicissimus«. 
—  Vgl.  M.  Sanuto,  diarü,  IV,  500,  ganz  unten  (wichtig!). 

3)  Vgl.  Spandugino  a.  a.  O.  S.  137  b:  fra  dieci  mila  anchora  che  egli  fosse  travestito 
si  conoscerebbe  per  re.  Vgl.  dazu  S.  98  b :  era  adorata  dalla  sua  gente  per  Profeta.  Bezeich- 
nend ist  die  Schilderung  des  zu  Reliquien  zerrissenen  Gebetsteppichs,  auf  dem  Ismä'll 
gestanden  hatte. 

4)  Die  Behauptung  H.  Löwenklau's  {Hist.  Musulm.  Türe.  Sp.  652,  37  flE.),  daß  die 
Münzen  Ismä'lls  auf  der  Vorderseite  die  Aufschrift  lä  ilähnilla'lläh  Mu/iammad  rasül  u^lläh, 
auf  der  Kehrseite  die  Worte  Ismä^il  hallfat  alläh  (»Ismail  vicarius  Dei«)  tragen,  läßt  sich 
an  den  bekannten  Stücken,  wie  sie  etwa  der  Catalogue  of  Coins  of  the  Shahs  of  Persia  in 
ihe  British  Museum,  London  1887,  von  Reginald  Stuart  Poole,  bringt,  nicht  erweisen. 
Vgl.  M.  Sanuto,  diarü,  VI,  303  und  304. 

5)  nach  Sa'd  cd-din,   II,    162   am  'Äschürä  (!)  926, 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  \:on  Simaw.  3o 

und  der  wahren  Gläubigen;  für  alle  bestehe  die  Notwendigkeit  unbe- 
dingter Unterwerfung  unter  den  Gedanken  dieses  segensvollen,  gott- 
gefälligen Werkes. 

So  gelang  es  Baba  Schäh-quli,  wie  sein  Name  lautete  ^),  das  Land- 
volk zu  betören  und  die  Landschaft  in  hellen  Aufruhr  zu  versetzen  ^). 
Gar  bald  wütete  ein  fürchterhcher  Bauernkrieg  im  Südwesten  Klein- 
asiens, schwere  Kämpfe  entbrannten,  in  denen  der  Großwesir,  der  Häm- 
ling  'All  Pascha  im  Juli  151 1  auf  dem  sog.  Tschibuk-Felde  bei  Sarim- 
saqliq  das  Leben  ließ.  Auch  das  neue,  unter  dem  Albaner  Jünus-Bej 
zusammengezogene  Heer  vermochte  der  Aufständischen  nicht  Herr  zu 
werden,  und  erst  nach  wochenlangem,  erbittertem  Streit  gelang  es, 
Schäh-quli  mit  den  Seinen  nach  Persien  abzudrängen,  wo  sie  von 
ihren  Glaubensbrüdern  freudig  empfangen  wurden.  Sengend  und 
brennend  durchzog  diese  Schar  Anatolien,  und  der  ihr  vorangehende 
Ruf  der  Grausamkeit  und  Unrnenschlichkeit  schlug  auch  den  stärkeren 
Gegner  in  wilde  Flucht.     Hier   zeigte  sich,  wie  unklug  Bäjazid  3)  ge- 


')  Das  Vorstehende  nach  H.  Löwenklau's  Historiae  musulmanae  Tiircorutn  ..., 
Spalte  661  ff.,  der  hier  wohl  aus  Muhjl  ed-din  schöpft.  Die  Hauptstelle  lautet:  »Cepit 
enim  aliquando  sectatores  et  discipulos  suos  adloqui,  subdolisque  verbis  ostendere,  jam 
destinatum  felicitati  stirpis  Osmaneae  tempus  effluxisse,  nee  amplius  eam  in  illo  rerum 
humanarum  fastigio  permansuram.  Imminere  mutationem  maximam,  qua  totius  orbis 
imperium  ad  se  perventurum  esset.  Gladium  sibi  divinatus  datum  iri,  quo  populos  uni- 
versos  suo  subjecturus  esset  imperio.«  Was  nun  den  Namen  und  die  Herkunft  betrifft,  so 
gründen  sich  obige  Angaben  auf  die  Löwenkl.a.u  vorgelegene  osmanische  Quelle.  Nach 
andern  Angaben  war  sein  Vater  ein  gewisser  Qara-bijiq  (Schwar/2(er  Schnurr)bart);  vgl. 
J.  V.  Hammer,  GdOR.  H,  355),  Schäh-quli  dürfte  späterer  Beiname  sein,  aus  dem  die 
Türken  Schejtän-quli  (Teufelsknecht)  machten.  »Schah«  ist  hier  m.  E.  als  »König«  kat  ex- 
ochen,  d.h.  als'Alizu  fassen.  Namen  wie  gerade  "^All-quli,  Imäm-quli  waren  damals  sehr  häu- 
fig. Vgl.  0.  Dapper  a.  a.  0.  iio  a,  wo  solche  Namen  erwähnt  werden.  Höchstwahrscheinlich 
stand  Seh.  mit  Ismä'Il  seit  langem  in  Verbindung,  wenn  auch  vielleicht  die  Nachricht, 
daß  er  dessen  Lehrer  gewesen  sei  (vgl.  D.  Kantemir,  Gesch.  des  osman.  Reiches,  deutsche 
.Ausgabe  S.  196  ff. ;  darnach  [Jean-Francois]  de  Lacroix,  Abrege  chronologique  de 
l'histoire  oäomane,  I,  324  ff.  (Paris  1768)  nicht  den  Tatsachen  entspricht.  Die  von  Kantemir 
erzählte,  von  de  Lacroix  nachgeschwätzte  Geschichte  über  Seh  ist  natürlich  eine  türkische 
Entstellung,  die  Mitteilung  von  der  Anwendung  des  iaHlq  an  Stelle  des  7ieslii  bei  den  Persern 
aber  vielleicht  doch  der  Nachprüfung  wert.  —  In  andern  Quellen  (vgl.  P.  Bizaro  a.  a.  O. 
S.  267  u.  ö.)  wird  er  »Techelles«  genannt,  worin  natürlich  »daddschäl«  zu  suchen  ist.  Über 
die  Beziehung  Seh.  zu  Ismä'Il  vgl.  man  Spandugino  a.  a.  0.  S.  102  a:  il  Soffi  (=  Ismä'il) 
mandö  venti  mila  de  suoi  con  un  capitano  chiamato  Scilanculi  . .  .  contra  Baiasit.  —  Vgl. 
dazu  E.  D.  Ross  im  JRAS,  1896,  S.  328,  wo  es  natürlich  Tekke-eli  und  Rüm-eli  heißt. 

-)  Schäh-quli  erkannte  den  »Sohn  Erdeblls«  als  eine  Gottheit  an  (vgl.  Sellm-näme 
des  Kurdendichters  Schükrl,  Wiener  HS.  1007,  Bl.  64  a  [Flügel  II,  229])  und  bezeichnete 
sich  selbst  als  den  »Khalifen  der  Zeit  und  den  Mahd!  des  Zeitalters«  (vgl.  Sellm-näme  des 
Keschfi,  Wiener  Hs.  988,  Bl.  76  b  [Flügel  II,  211]).     Vgl.  Der  Islam  VI,  408. 

')  In  diesem  Zusammenhang  sei  daran  erinnert,  daß  im  Jahre  1492  (897)  ein  qalender 


QO  F  r  a  n  z  B  a  b  i  n  g  c  r . 

handelt  hatte,  als  er  im  Jahre  1502,  statt  ihnen  den  von  Ismä'il  ver- 
langten freien  Durchzug  nach  Persien  zu  gewähren,  die  »Fanatiker« 
von  Tekke  und  Hamid  zu  Paaren  treiben  ließ  und  sie,  vorab  ihre 
Schejche,  als  Siedler  in  die  europäischen  Provinzen,  vor  allem  aber 
in  die  eben  eroberten  Städte  Modoni  und  Koroni  auf  Morea  bringen 
ließ  ^).  Mit  um  so  zäherer  Festigkeit  hingen  sie  an  der  neuen  Lehre, 
um  so  reger  mag  der  Zulauf  gewesen  sein. 

So  entstand  aus  einem  Derwischbund  das  schi'itische  Perserreich. 
Freilich  führte  Ismä'il,  vor  allem  aber  sein  Sohn  und  Nachfolger 
Tahmäsp,  noch  jahrelange  schwere  Kriege  wider  die  verhaßten  Os- 
manen  im  Westen,  und  auch  von  den  im  Osten  seßhaften  Üzbegen 
ward  er  hart  bedrängt^).  Allein  nichts,  auch  nicht  die  grausamen, 
von  Selim  befohlenen  Metzeleien  unter  den  Schi'iten,  vermochten 
das  Werk  der  silfi  von  Erdebil  in  Trümmer  zu  schlagen. 

Wenn  es  noch  eines  Beweises  dafür  bedurft  hätte,  daß  Bedr  ed-din 
und  die  Seinen  in  engem  Zusammenhang  mit  der  neuen,  allerdings  erst 
zwei  Menschenaltcr  nach  ihm  erstarkten  Lehre,  wie  sie  Ismä'il  und 
schon  seine  Vorfahren  verfochten  und  durchsetzten,  gestanden  hat, 
so  dürfte  der  Auszug  aus  *Äschiqpaschazäde's  Geschichtswerk,  vor 
allem  aber  der  Fall  des  Schah -quli,  ihn  erbracht  haben.  Die  Anhänger 
des  Sohnes  des  Richters  von  Simäw  gehörten  mit  zu  den  ersten,  die 
mit  Einsetzung  ihres  Lebens  die  Ansprüche  Dschunejds  auf  den  Thron 
vertraten,  in  Schäh-quli  glaubt  man  bis  in  die  Einzelheiten  Bedr  ed-din 
wieder  zu  erkennen.  Und  wenn  er  mehr  Glück  bei  seinem  Auftreten 
hatte  als  jener,  so  verdankte  er  dies  außer  seiner  größeren  Anhänger- 
schaft vielleicht  der  größeren  Schlauheit,  mit  der  er  zu  Werke  ging. 
Hatte  er  doch  jahrelang  den  Großherrn  über  sein  Treiben  und  seine 
Absichten  zu  täuschen  vermocht,  so  sehr,  daß  er  ihm  eine  zäimjahautc 

einen  Mordversuch  auf  Bäjazid  unternahm,  den  die  Leibwachen  des  Großherrn  zu  dessen 
Heil  abwehrten.     Vgh  Jos.  v.  Hammer,  GdOR.   H,  303. 

0  Vgl.  Spandugino  a.  a.  0.  S.  103  a:  Baiasit  .  .  .  elesse  tutti  i  letterati  e  dotti  del 
paese  che  si  trovaväno  nella  Natolia,  sospetti  della  setta  Soffiana,  e  gli  confino  nell  'estrcmc 
parti  della  Morea  et  delF  Albania;  vgl.  dazu  Paolo  Giovio,  De  Fatti  ühistri  di  Selivi  Im- 
perator de  Turchi  bei  F.  Sansovino  a.  a.  0.  S.  398  ff.  Auch  die_  türkischen  Geschicht- 
schreiber erwähnen  dies,e  für  den  Schl'itismus  in  Südosteuropa  höchst  belangvolle  Zwangs- 
verweisung (vgl.  später  S.  92),  so  .'folaqzäde,  ia^rih,  S.317.  Vgl- J- v-  Hammer,  6W0i?.  H, 
345  (nach    Sa'd    ed-din).     Vgl.  unten  S.  92,  2.  Anm. 

2)  Daß  sich  der  Haß  vor  allem  gegen  die  Sunniten  kehrte,  bekundet  deutlich  folgende 
Stelle  aus  O.  Dai>per,  der  natürlich  aus  einem  Reisebericht  schöpft.  S.  114:  Dann  die 
Türken  hassen  die  Persianer  aus  diesen  Vrsachen  dermaßen,  daß  es  Gott  /  nach  ihres  Mufti 
Vorgeben/  ein  angenehmerer  Dienst  ist  /  einen  Persianer  lot  zu  schlagen /als  70  Christen/ 
aus  Liebe  zur  Mahometanischen  Religion.  Dergleichen  hassen  die  Persianer  ihren  Gcgcii- 
part/  die  Türken  \ielniu]ir/ und  halten  sie  vor  viel  ungläubiger  als  die  Christen, 


Scbejcli  Bctlr  cd-dln,   der  Soliii   des   Kichteis   von   Siinaw.  qi 

und  Jahresgaben  sandte;  ja  der  Sohn  Bäjazid's,  Qorqud,  kam  in 
eigener  Person,  um  den  heihgen  Schejch  mit  seinem  Besuch  zu  be- 
ehren (Leunclavius,  Historiae  musulm.  Turcarum  S.  66i). 

Und  tritt  nicht  die  Lehre  Bedr  ed-din's  in  allen  Zügen,  die  uns  von 
ihr  bekannt,  in  den  Forderungen  auf,  die  Ismä'il  und  wohl  schon  seine 
Ahnen  stellten  und  später  so  verheißungsvoll  in  die  Tat  umsetzten? 
Armut,  gemeinsames,  einfaches  Leben,  Verträglichkert  gegen  Christen, 
alles  das  hatte  lange  vor  Schah  Ismä'il  schon  Bedr  ed-din  gepredigt, 
und  es  ist  gewiß  kein  Zufall,  wenn  wir  den  gleichen  Anschauungen 
später  bei  IsmäMl's  Gemeinde  begegnen. 

DIE  KLEINASIATISCHEN  SEKTENBILDUNGEN. 

Überblicken  wir  nunmehr  die  geschilderten  Verhältnisse  in  ihrem 
Zusammenhang,  so  ergibt  sich  zunächst  die  bemerkenswerte  Tatsache, 
daß  zu  Beginn  des  i6.  Jahrhunderts  ein  überraschend  großer  Bestand- 
teil der  kleinasiatischen  Bevölkerung  sich  zu  einer  Glaubensform  be- 
kannte, die  im  schroffen  Gegensatz  zur  herrschenden  Staatsreligion 
stand  und  die  ich  im  folgenden  schlechtweg  als  schritisch,  besser  viel- 
leicht 'alidisch  bezeichnen  wilD).  Ein  venedigischer  Bericht  vom  8.  April 
1514  (vgl.  N.  JoRGA,  II,  327,  Ahm.)  veranschlagt  die  Zahl  der  schi- 
*itischen  Anatolier  auf  »quatro  quinti  de  tuta  la  Natolia«,  auf  vier 
Fünftel  ganz  Kleinasiens.  Das  mag  übertrieben  sein,  an  der  unheimlichen 
Ausbreitung  dieser  Glaubensform  in  den  asiatischen  Teilen  des  tür- 
kischen Besitzes  ist  aber  nicht  zu  zweifeln.  »Cujus  regio,  ejus  religio,« 
der  mittelalterliche  Grundsatz  kirchlicher  Bodenverfassung>  hat  im 
Morgenland  seit  alters  gegolten  und  im  Gegensatz  zum  Westen  niemals 
seine  Anwendung  verloren.    Zur  Zeit,  da  Kleinasien  sich  in  eine  Unzahl 

1)  Ob  damit  der  in  Kleinasieii  (Qonia!)  ungemein  häufig  anzutreffende  Lowe  an 
i.slamischen  Bauten  (vgl.  den  allen  Besuchern  des  Bektaschiklostcrs  Sejjidi  Ghazi  wohl- 
bekannten Marmorlöwen  am  Torbau  des  Tckke  (Abb.  bei  K.  Wulzinger,  Drei  Bektaschi- 
Klösler  Phry^itnis,  Berlin  1913,  S.  561)  etwa  in  Zusammenhang  zu  bringen  ist,  bleibe 
zur  Fragestellung  empfohlen.  Der  Löwe  als  Wappentier  in  der  Seldschuqenzeit  und 
ais  Bestandteil  des  Namens  (»Arslan«)  gehört  auch  hierher.  Über  den  Ursprung  des 
kleinasiatischen  Löwen  ließe  sich  wohl  ein  Buch  schreiben;  sein  eigentlicher  Ursprung  ist 
bis  heute  unerklärt,  und  es  handelt  sich  bei  den  islamischen  Beispielen  wohl  um  die  religiöse 
Anpassung  an  ein  uraltes  Motiv  Es  sei  schließhch  noch  auf  das  persische  schlr^  d.  i.  Löwe, 
in  Namen  hingewiesen,  z.  B.  Mir  'All  öchlr  Newä'I,  aus  Hcrät,  des  größten  osttürki- 
schen Dichters  Namen;  ebenso  hieß  auch  der  Slaiunivater  der  kleiiiasiatisclien  Teil- 
lürslcn  Germian-oghlu,  vgl.  EI,  IL  Bd.,  S.  139.  Einen  Arslan  'AU  erwähnt 
K.  ScHRADEk,  Ko)isla)ili)w[)el,  Tübingen  1917,  S.  86.  'AU  wird  bekanntlich  als  »Löwe 
(lottes«  usw.  (xUi  J\.Ä».l,  l'A.i*  '■f-A)  bezeichnet.  —  Vgl.  zu  haidcri  (oben  S.  83, 
4.  Aiim.)  etwa  huinäjün^  d.  i.  »kaiserlich«,  das,  nach  K  e  m  ä  1  p  a  s  chazäd  c ,  auf  den 
Glucksvogel  Z('«//<(7  (Künigsgeicr)  zurückgehen  soll.  ).  \.  IIwimkk,  Fttitdgrtdhn  des  Or'unts, 
III,  47  (Seldschuqenfalke.'). 


g 2  Kr  ;i  n  /.   H  a  b  i  n  g;  c  r  . 

mehr  oder  minder  großer  Herrschaften  ghederte,  deren  Bestand  erst  in 
der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  wesenthch  vermindert  ward,  war  er 
dort  gewiß  in  voller  Geltung.  Leider  sind  wir  zwar  über  die  Bekenntnis- 
form der  einzelnen  Teilfürsten  noch  sehr  im  unklaren.  Immerhin  kann 
aber  mit  höchster  Wahrscheinlichkeit  behauptet  werden,  daß,  wie 
bereits  angedeutet  wurde  (S.  15),  die  Aidin-oghlu  sich  zum  Schi'iten- 
tum  bekannten;  und  es  ist  mehi'  als  bloße  Mutmaßung,  wenn  von 
den  Oaramän-oghlu  dasselbe  angenommen  wird.  War  doch  ihr 
Gründer  jener  Nür[ed-din]süfi,  dessen  Herkunft  zwar  geheimnisvolles 
Dunkel  deckt,  dessen  Beziehungen  zum  'alidischen  Süfitum  aber 
eigentlich  schon  sein  Name  erkennen  läßt.  Im  Zusammenhang  mit 
diesem  Umstand  gewinnt  auch  die  Tatsache  eine  eigentümliche  Beleuch- 
tung, daß  mit  ihm  jener  Baba  Iljäs  im  Bunde  stand,  dessen  seltsames 
Unwesen  ich  als  Ausfluß  schi'itisch-politischer  Strömungen  betrachten 
möchte,  die  damals  schon,  wenn  auch  nur  vereinzelt,  an  die  Oberfläche 
traten,  bei  der  vermutlich  noch  kleinen  sie  stützenden  Gemeinde  in- 
dessen über  die  Bedeutung  örtlicher  Unruhen  nicht  hinausgelangten. 
Ein  Hauptherd  der  *alidischen  Umtriebe  war,  wie  außer  Frage  steht, 
das  Gebiet  südwestlich  von  Oaramän,  jene  Landschaften,  die  damals 
noch  den  Tekke-oghlu  und  Hamid-oghlu  gehorchten.  Von  hier  aus, 
so  hörten  wir,  holte  sich  Ismä*il  Verstärkung  seiner  Anhängerschaft, 
hier  war  seit  langem  der  schi'itischen  Lehre  e-in  fester  Boden  geschaffen. 
Zwar  wanderten  diese  »Fanatiker«,  wie  sie  die  osmanischen  Berichte 
nennen,  zu  Tausenden  nach  Gilän  aus,  um  Ismä^il's  Scharen  zu  mehren, 
zwar  wütete  der  Großherr  mit  erbarmunglsoser  Härte  gegen  sie,  indem 
er  sie  in  großen  Scharen  zusammen  mit  ihren  Schejchen  nach  den 
europäischen  Gauen  des  Reiches  verpflanzte  ^) ;  den  Kern  wird  auch 
die  rücksichtsloseste  Maßnahme  nicht  auszurotten  vermocht  haben. 
Und  in  der  Tat,  noch  in  der  Regierungszeit  Sülejmäns  des  Prächtigen 
ging  gerade  aus  jenen  Landschaften  —  die  Quellen  sagen:   aus  Qara- 

^)  Über  die  Zwangsverschickung  vgl.  G.  Rota's  Bericht:  ».  .  .  trib  er  (=  künig  Baisit) 
auss  von  Natalia  alle  die  jehen/die  do  offenlich  waren  vo  seiner  (Schah  Ismail's)  sect  vnd 
Religion /die  waren  bey  zehen  tausend /vnd  beazychnet  (!)  die  vnter  das  angesicht/ auff 
das  sie  von  yederman  wurde  erkant/ verschickt  sie  in  Romania  /  aufT  das  sie  nit  möchten 
on  grosse  beschwert  sich  versameln  /  vn  taylt  auss  in  mancherley  orter /weyt  einen  vom 
andern /das  was  in  die  aussersten  grennitz  Grecia  /  Albania  /  Bossina  /  vnd  Seruia/.  Vnd 
mir  ist  gesagt  worden  von  eim  Turcken  einer  wirdigen  person  /  das  er  deren  gesehen  hab 
in  Modan«  (d.  i.  Modoni  auf  Morea).  —  Vgl.  dazu  M.  Sanuto,  diarii,  IV,  309  (i.  J.  1502): 
Et  questo  (=  Bäjazid  IL),  perche  vede  e  nel  suo  paese  molti  di  questa  secta.  dei  quäl  non 
cessa  de  far  passar  continuamente  de  la  Natoha  su  la  Grecia,  e  manda  quelli  in  le  parte 
di  Modon  (=  Modoni,  Methoni),  Coron  (=  Koroni),  'Nepanto  (=  Lepanto)  e  Albania. 
E  una  compassion  veder  li  strazzi  hanno  questi  tali,  con  lor  moglie  e  fioli;  non  e  mai  zorno, 
che  non  passi  de  la  Natolia  su  la  Grecia  100  e  (=  0?)  200  fameie. 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  von   Simäw.  Ql> 

man  —  eine  eigentümliche,  von  Qalender-oghlu,  einem  Nachfahren 
des  yäddschi  Bektasch  (vgl.  Petschew!,  ta'rUi  I,  120,  Stambul  1283 
[hier  der  Stammbaum!];  Leunclavius,  Histor.  musulm.  Turcorum, 
Sp.  762ff. ;  J.  V.  Hammer  III,  67  ff.),  geleitete  Bewegung  aus,  deren 
schi'itisches  Gepräge  trotz  der  wohl  wirtschaftlichen  Veranlassung  außer 
Frage  steht.  Die  Zahl  der  Mitläufer  dieses  Derwischs  wird  von  den 
osmanischen  Berichterstattern  übereinstimmend  auf  mehrere  Tausend 
angegeben;  ))tschiplaq,  tschirlaq,  uschaq,  /orlaq«  werden  sie  verächtlich 
von  ihnen  genannt.  Wir  begegnen  also  wiederum  jenen  /orlaqlar,  die 
schon  100  Jahre  vorher  zu  Bedr  ed-din's  Zeiten  in  ganz  ähnlicher 
Weise  von  sich  reden  machten.  So  stand  es  im  Westen  Anatoliens. 
Über  den  östlichen  Teil,  wo  im  unmittelbaren  Anschluß  an  das  schi- 
*itische  Perserreich  der  *alidischen  Wühlerei  fast  nichts  im  Wege  stand, 
nahm  die  Verbreitung  der  Schi*a  und  ihres  volksfreundlichen  und 
kastenfeindlichen  Zugs  mit  Riesenschritten  zu.  Mehmed  Kjätib 
Za*im  erzählt  in  seinem  982/1574  verfaßten  ))Dschämi^  ül-tewärlli« 
schon  von  Schah  Ismä*Il,  daß  sich  ihm  bei  der  Gründung  seiner  Herrschaft 
gewisse  Turkmenenstämme  anschlössen;  die  Üstädschlü,  Tckkelü, 
Schämlü  (syr.  Zuzug?),  Resäwa,  Du'1-qadr  und  die  Oädschären  (aus 
denen  dann  das  heutige  Perserhaus  hervorging)  werden  dabei  nament- 
lich aufgeführt.  (Vgl.JRAS,  1896,  328,  2.Anm.)  Auchim  Aufruhr  des  Qa- 
lender-oghlu i)  spielen,  wie  Ferdi^)  in  seinem  »toVz/z-z  sul/än  Sülejmän« 
berichtet  (vgl.  J.v.  Hammer,  GdOR  III,  68),  gewisse  Türkenstämme  (Bo- 
zuqlu,  Tschitschekli,  Aqdsche-qojunlu,  Mas'Odlu)  eine  freilich  zweifel- 
hafte Rolle.  Soviel  darf  als  sicher  gelten,  daß  weite  Gebiete  der  öst- 
lichen Reichsgauesich  nicht  zur  sunnitischen  Glaubensform  bekannten. 
Solch  gewaltige  Fortschritte  müssen  als  das  Ergebnis  einer  langen 
und  planmäßigen  Werbetätigkeit  betrachtet  werden;  sie  können  un- 
möglich über  Nacht  Zustandekommen.  Als  ihre  Förderer  sind  denn 
jene  süfischen  Männer  zu  betrachten,  deren  Auftreten  bereits  in  def 
Mitte  des  13.  Jahrhunderts  geschichtlich  feststeht.  Die  Heimat  der 
meisten  war  vermutlich  Aserbeidschan,  vor  allem  Tebriz  und  Erde- 
bil, wo  schon  in  alter  Zeit  süfi-/iäne's  3)  gestanden  haben  dürften. 
Zuerst  kamen  sie  einzeln,  siedelten  sich  an  und  wußten  sich  gar  bald 

*)  Über  einen  zweiten,  aus  Angora  stammenden  Aulrüiirer  gleichen  l^aniens,  det 
genau  80  Jahre  nach  diesem  Qalender-oghlu,  nämlich  im  Frühjahr  1607,  Anatolien  unsicher 
machte,  vgl.  J.  v.  Hammer,  GdOR.  IV,  S.  400  ff. 

*)  Nach  J.  V.  Karabacek  ist  FerdI  ein  Deckname  für  Sülejmän's  des  Prächtigen 
Sohn   Mustafa.    Vgl.  Zur  oriental.  Altertumskunde^  VIT.  Heft,  SBAk.  Wien,   1917. 

3)  Vgl.  darüber  0.  Dapper  a.  a.  0.  S.  117,  wo  von  den  süfi-bäne's  in  Erdebll,  Tebriz 
und  Isfahän  (sicher  spätere  Gründung  im  Zusammenhang  mit  den  »Abdallen«  (jijs.J))  die 
Rede  ist. 


QA  V  ranz  B  ab  i  n  g  e  )• , 

eine  gläubige  Gemeinde  zu  sichern,  die  sich  ihnen  und  ihren  Lehren 
mit  Haut  und  Haaren  verschrieb.  Allerorten  entstanden  jene  zäwije 
geheißenen  Klausen,  in  denen  sie  ein  eingezogenes  Leben  führten,  im 
weiten  Umkreis  ihres  stillen  Wirkens  den  Schein  der  Heiligkeit  ver- 
breitend. Eine  andere  Art  verabscheute  das  seßhafte  Dasein,  jene 
Oalender  ^),  die  von  Ort  zu  Ort  wanderten  und  von  dem  gutmütigen 


I)  Der  Name  »qalender«  (qarandari  hei  Ibn  Battuta  I,  6i)  ist,  soviel  ich  wenig- 
stens sehe,  nicht  befriedigend  erklärt.  Es  ist  nicht  angängig,  ihn  von  jenem  SchejchQarendal 
abzuleiten  (vgl.  S.  de  Sacv,  Chrestomathie  arahe  I,  263  ff.,  Paris  1826;  ebenda  I,  2S2,  12; 
looi  Nacht,  hrsg.  von  Macnaghten,  Kalkutta  1839,  I,  S.  66;  E.  J.  W.  Gibb,  Hist.  of  Ott. 
P.  I,  S.  357,  Anm;  Mouradgea  d'Ohsson  IV,  629;  vgl.  dazu  [J.  F.]  de  Lacroix,  Abrege 
htsiorique  I,  S.320:  »il  (le  Santon  Kalenderi)  avoit  la  tete  nuel«).  Ob  der  N^ame  irgendwie 
mit  dem  Tonwerkzeug  zusammenhängt,  das  Gg.  Host,  Nachrichten,  von  Marokos  und  Fes, 
Kopenhagen  1781,  S.  258  erwähnt  (vgl.  dazu  J.  HumberTj  Guide  de  la  conversation  arabe, 
Paris  u.  Genf  1838,  S.  98)  und  das  gewöhnlich  »qarinda«  oder  t>qalandärH  genannt  wird, 
ist  jedenfalls  nicht  sicher.  Vgl.  R.  Dozv,  Sttppl.  II,  340.  Die  Annahme,  daß  das  Wort 
türkischer  Herkunft  sei,  dürfte  schwerlich  einer  genaueren  Untersuchung  standhalten. 
Schon  indische  süfi  des  13.  Jahrhunderts  führten  es  als  Bestandteil  ihres  Namens,  und  an 
eine  Entlehnung  aus  dem  Türkischen  wird  hier  nicht  gedacht  werden  können.  Vielleicht 
ist  das  Wort,  ebenso  wie  das  noch  lange  nicht  sicher  gedeutete  »derwTsch«  indischen  Ur- 
sprungs, wie  denn  die  indische  Herkunft  des  Derwischtums  und  die  indische  Beeinflussung 
der  von  ihm  vertretenen  Anschauungen  kaum  fraglich  sein  dürfte.  Man  hat  sehr  wohl 
die  Tatsache  beachtet  und  gewürdigt,  daß  die  buddhistische  Werbarbeit  sich  weit  in  das 
Reich  der  Mitte  hinein  erstreckte  und  dort  Boden  faßte,  ohne  (trotz  A.  v.  Kremer  und 
t.  Goldziher)  vielleicht  genügend  zu  bedenken,  daß  diese  gewaltige  geistige  Welle,  die 
sich  an  der  chinesischen  Mauer  nicht  brach,  schwerlich  im  Hindukusch  an  ihrer  Aus- 
breitung nach  Westen  ein  unüberwindliches  Hindernis. gefunden  hat.  Von  der  beschau- 
lichen Form,  wie  sie  sich  in  der  Zurückgezogenheit  hinter  Klostermauern  kundgibt,  bis 
zur  frommwütigen  Entartung,  wie  sie  sich  in  dem  von  so  vielen  europäischen  Reisenden 
geschilderten  Gebaren  der  Bettelmönche  äußert,  zeigt  denn  doch  zu  auffallende  Ähnlich- 
keit mit  gleichartigen  Erscheinungen  der  buddhistischen  Glaubenswelt,  als  daß  hier  mit 
reinen  Zufälligkeiten  gerechnet  werden  dürfte.  Um  nur  auf  einen  vielleicht  nicht  hin- 
reichend beachteten  Punkt  die  Aufmerksamkeit  zu  lenken,  sei  an  die  Rolle  erinnert,  die 
die  Anwendung  berauschender  Mittel,  vor  allem  des  Hanfes,  im  Derwischwesen  spielt  und 
die  schon  im  frühindischen  Mönchtum  bezeugt  zu  sein  scheint.  Vgl.  die  Schilderungen 
des  Georgiewit.sch  (um  1540):  Exigentes  elemosynam  tarn  a  Christianis  quam  a  Turcis 
Alahici  (==  Allah  itschün)  petentes,  quod  significat,  propter  Deum.  Hi  devorata  herba 
Maslach  (heute  noch  in  Ägypten  Bezeichnung  für  den  Hanftrank)  vocata,  in  rabiem  aguntur, 
adeo  ut  per  pectus  totum  in  transversum  vulnus  ducant,  itidem  per  brachium  vel  nullo 
dolore  dissimulato  et  fungum  arborum  incensum  capiti,  pectori,  manui  superpositum  non 
removent,  donec  in  cineres  resolvatur«.  Vgl.  dazu  die  ganz  ähnlichen  Schilderungen  des 
G.  A.  Menavino  über  die  »herba  spolverizata  chiamata  Asseravi  (=  esrär,  die  türkische 
Bezeichnung  für  diese  Opiumart)«.  Bei  den  »Hanfessern«,  den  schi'itischen  Assassinen 
spielte  das  nämliche  Berauschungsraittel  bekanntlich  eine  gewaltige  Rolle.  Vgl.  über  den 
Opiumgenuß  bei  den  Türken  im  16.  Jahrh.  J.Wier,  De  praestigiis  Daemonum.  Basel  1556. 
2.  Aufl.  —  Über  die  qalender  vgl.  man  noch  John  P.  Brown,  The  Dervishes.  London  1868, 
S.  241,  wo  behauptet  wird,  daß  qalender  »eitel  Gold«  bedeute  (in  welcher  Sprache?  [=türk. 


Schejcli  Bedr  ed-din,   der  Sohn  des  Richters  von  Simiiw.  gc 

Landvolk  unbedenklich  um  »'Ali's  willen«  ^)  Almosen  erbettelten. 
Georg  Jacob  hat  in  seiner  Abhandlung  über  die  »Bektaschijje«  vom 
»schi*^itischen  Element«  (S.  38  ff;)  in  diesem  Orden  gesprochen  und 
damit  zum  erstenmal  eine  leider  vereinzelt  gebliebene  Untersuchung 
für  eine  besonders  in  Kleinasien  heimische  Mönchsart  geliefert  2).  Es 
steht  außer  allem  Zweifel,  daß  eine  ebenso  eindringliche  Begründung 
der  andern,  in  Anatolicn  angesiedelten  Derwischsekten  das  gleiche 
Ergebnis  brächte.  Eine  nur  oberflächliche  Prüfung  der  Halwctije, 
der  Naqschbendije,  der  Mewlewije  sowie  der  Oädirije  zum  Beispiel, 
wie  ich  sie  im  Zusammenhang  mit  der  vorliegenden  Arbeit  unter- 
nommen habe,  hat  in  überraschender  Fülle  'alidische  Grundzüge  in 
diesen  Verbänden  erkennen  lassen.  Über  die  schi'itische  Werbetätigkeit 
in  Kleinasien  lassen  sich  schwer  genauere  Anhaltspunkte  finden. 

Aber  nichts  spricht  vielleicht  so  sehr  für  die  musterhafte  Gliederung 
und  den  Zusammenschluß,  zugleich  freilich  auch  für  die  unheimliche 
Verbreitung,  wie  die  unbestreitbaren  Tatsachen,  daß  damals  geheime 
Fäden  Tausende  von  Kilometern  spielend  überbrückten.  Ismä'il  stand 
mit  seinen  Glaubensgenossen  am  Golf  von  Adalia  in  ständiger,  sicherer 
Fühlungnahme,  als  er  im  weiten  Osten  am  Kaspischen  Meer  weilte, 
sein  Großvater  Dschunejd  erhielt,  wie  \\ir  vernahmen,  am  Dschebel 
Arsüs  Verstärkung  durch  Anhänger  Bedr  ed-din's,  die,  wenn  man  sie 
auch  nicht  in  Rumelien  suchen  will,  jedenfalls  weit  jenseits  des  T^urus 
saßen.  Diese  Umstände  sprechen  mehr  als  vieles  andere  für  ein  völlig 
zuverlässiges    Verbandswesen.      Sie   dürfen  aber  nicht   zu   dem  Trug- 

(/cil,  d.  i. 'lauter'?]).  Eine  sehr  beachtenswerte  Schilderung  eines  Qalender-Klosters  zu  Bagh* 
däd  (wohl  des  gleichen,  dem  schon  Karsten  Niebuhr,  Reisebeschreib  im  g  II,  297,  einen  Be- 
such abstattete)  liefert  George  Thomas  Keppel,  6.  Earl  von  Albemarle  (1799 — 1891)  in 
seinem  »Personal  narrative  of  travels  in  Babylonia,  Media,  Assyria  and Scyihia«  (London  1 827), 
1, 157:  darnach  soll  das  im  Westteil  von  Bagdad  gelegene  Kloster  vonHärün  ar-RaschId  be- 
gründet worden  sein,  was  offenbar  falsch  ist.  Der  englische  Reisende  beschreibt  die  Insassen 
als  Landstreicher,  die  als  Bettler  das  ganze  Morgenland  durchzögen  und  ein  zügelloses,  aus- 
schweifendes Leben  führten.  In  ihrem  Schejch,  der  auf  einem  Tigerfell  sitzend  (man  vgl.  deli 
posl-nischin,  den  ¥c\h'\i.ztr  (/)0.?/cÄ'f)  der  Mewlewls  und  Bektaschls!)  mit  allerlei  Gefäßen, 
Straußeneiern,  Waffen  und  andern  Geschenken  umgeben  war,  fand  der  Engländer  einen 
schlauen  Betrüger,  seine  Derwische  trugen  Onyxsteine  als  Segenzauber  (dies  erinnert 
wiederum  an  die  /fi/fw  genannten  Zaubersteine  der  Bektaschls  und  den  Gül-telstein  (pelenk) 
der  MewlewTs!).  Felsbildwerke  oberhalb  der  Schirln-Quelle  am  Täq-i  Büstän  heißen  im 
Volksmunde  die  »drei  Qalender«. 

')  Vgl.  G.  A.  Menavino,  der  erzählt,  daß  die  Derwische  »Sciaimer  Daneschine«  um 
Almosen  betteln.  Nicht  leicht  erkennbar,  aber  zweifellos  lautet  der  Ausdruck 
»Sckäh-i-märddn  'ischqine«,  d.  h.  'Ali  zuliebe,  schäh-i  märdan,  König  der  Männer,  ist  eine 
der  Bezeichnungen  für  'AU,  vgl.  Vui.lers  II,  393. 

-)  Hier  sei  daran  erinnert,  daß  auch  Häddschi  Bektasch  sich  'alldischer  Herkunft 
rühmte;  vgl.  Türk.  Bibl.  XVII.  Bd.,  S.  4;    Ahmed     Rif'at,  mirät  ül-tneqäsid,  S.  181. 


Q^  Franz  Babinger, 

Schluß   verführen,    daß   etwa  unter   den  verschiedenen   ^w/t- Verzwei- 
gungen (Orden),    die   sich  über  ganz  Kleinasien  verbreiteten,  völlige 
Einhelligkeit  in  allen  Glaubensfragen  bestand.     In  ihnen  sind  gewiß, 
je  nach  der  Lehre  der  Ordensgründer,  in  denen  sie  ihren  Meister  und 
Führer   verehrten,    abweichende  Auffassungen   hervorgetreten.    Diese 
bedingen  dann  an  sich  eine  Verschiedenheit  der  Bräuche  und  Übungen, 
in   denen   sich    die   äußere  Betätigung  des  dem  tasawivuf  geweihten 
Lebens  ausspricht.    Bei  aller  Abweichung  der  in  den  einzelnen  SüfT- 
brüderschaften  beobachteten  Regeln  vereinigt  jedoch  alle  ein  gemein- 
schaftliches Band,  das  sich,  verneinend  ausgedrückt,  in  einer  Ablehnung 
der  sunnitischen  Richtung  des  Islam  kundtat.     Diese  idschmä'--i€m^- 
lichen  Bestrebungen  richteten  sich  in  Kleinasien  naturgemäß  in  erster 
Linie  gegen  die  Träger  und  Stützen  der  Sunna-Gemeinde,  gegen  das 
Haus   'Osmän.      In   ihnen   mußten   sie   ihre   geschworenen  Erbfeinde 
erblicken.      So    überwogen  gar  bald  im  kleinasiatischen  Süfitum  po- 
litische Gesichtspunkte  die   religiösen.     Das  alte  Schauspiel,  das  sich 
im  arabischen  Süden  am  klarsten  mit  der  Geschichte  des  Omajjaden- 
hauses  belegen  läßt,  wo  es  in  der  Mitte  des  8.  Jahrh.  den  Nachfahren 
des  'Abbäs  leichten  Spiels  gelang,  den  durch  schi'itische  Hetze  und 
Wühlarbeit    wohlvorbereiteten    Sturz    des   Herrschergeschlechtes    zu 
vollführen  —  es  drohte  im  osmanischen  Reiche  einen  verhängnisvoll 
ähnlichen  Ausgang  zu  nehmen.    Zwar  war  es  Sellm  L ')  gelungen,  mit 
Anwendung  des  Vollmaßes  jener  Grausamkeit,  der  er  seinen  Beinamen 
]awus    verdankt,    nach    fürchterlichem   Blutbad   unter   den    Schi'iten 
seines  Reiches  dem  drohenden  Verderben  Schranken  zu  setzen  3).    Es 
1)  Derselbe  .Selim  —  übrigens  der  einzige  bedeutende  Dichter  des  Hauses  'Osmän 
—  schrieb  seine  Verse  nicht  etwa  türkisch,  sondern  persisch;   ein  Beweis,  wie  sehr  man 
im  Banne  Persiens  stand.    Der  bekannte  Spruch:  ))Her  kirn  oqiir  färisi /  Gider  dinin  jarisi« 
galt  sicher  damals  schon.     Vgl.  ZDMG.  60,  97. 

*)  Ich  behalte  die  Darstellung  der  Schi'a  im  osmanischen  Reich  einer  besonde- 
ren  Studie  vor   und  bemerke  hier  nur,  daß  die  schl'itische  Neigung  der  kleinasiatischen 
Bevölkerung  auch  andern  Beobachtern  aufgefallen  ist.     So  erwähnt  einmal  der  berühmte 
A.  Gh.  van  Busbeek  ausdrücklich  in  seinen  »Vier  Türkischen  Sendschreiben«:  »populi  illi 
asiatici  religionem  imperiumque  Othomanorum  gravate  (ungern)  ferunt«  und  ein  venedigi- 
scher Botschaftsbericht  besagt  gleichfalls  ausdrückhch,   Busbeek's  Äußerung  mittelbar 
bestätigend  und  erklärend :  »la  maggior  parte  dei  Turchi  e  inclinata  al  Sofi,  perche  vedono 
e  intendono  come  son  ben  trattati  li  suoi  sudditi  da  lui«  (d.  i.  »der  größere  Teil  der  [ana- 
tolischen]  Türken  neigt  dem  König  von  Persien  zu,  weil  sie  sehen  und  merken,  wie  gut 
seine  Untertanen  von  ihm  behandelt  werden«).     Vgl.  Eugenio  Alberi,  Relazioni  degli 
ambasciatori  Veneti  al  Senate,  III.  Reihe,  i.  Bd.:  Relazioni  degli  Statt  Ottomanni,  S.  86 ff., 
Firenze  1855.  —  Vgl.  dazu  M.   S.\nuto,  diarii,  IV,  313,   ferner  IV,  406  (Oktober  1502): 
De  li  progressi  del  quäl  (=  Ismä'ii)  dice,  come  i  caramani  (=  Qaramän-oghlu)  e  tutti  quell  1 
de  Sexsuar  (=  Schehsimär)  se  hanno  fati  de  la  sua  setta.    A  presso,  comme  a  la  volta  de 
Charasseri  (=  [Afiün']  Qara  J^isär)  l'e  intrato  nel  paese  del  turco  tre  zornate;  et  che  quel 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  07, 

für  alle  Zeiten  zu  bannen,  war  erst  seinem  Nachfolger  beschieden,  der 
den  mit  wechselndem  Kriegsglück  geführten  Kampf  wider  den  per- 
sischen König  mit  einem  Sieg  für  die  osmanischen  Waffen  zum  Abschluß 
brachte.  Damit  war  auch  in  Kleinasien  für  alle  Zukunft  eine  aussichts- 
reiche Förderung  der  *alldischen  Sache  zur  Unmöglichkeit  geworden. 
Das  Land  war  überdies  aus  dem  Besitz  jener  Teilfürsten  in  die  Hände 
einer  noch  viel  größeren  Zahl  von  Herren  übergegangen,  jener  Lehens- 
träger, die  die  Treue  zum  osmanischen  Hause  durch  augenfällige 
Beweise  bekundet  hatten.  Damit  zerfiel  naturgemäß  der  Zusammen- 
halt, der  in  ganzen  schi'itischen  Gemeinden  am  nachhaltigsten  ge- 
sichert gewesen  war.  Ewlijä  Tschelebi,  der  in  der  Mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts Kleinasien  nach  allen  Richtungen  bereiste,  gibt  mit  seinen 
Schilderungen  ein  recht  getreues  Bild  der  damahgcn  Zustände.  Ge- 
wissenhaft verzeichnet  er  bei  den  verschiedenen,  auf  der  Wanderung 
berührten  Orten,  daß  die  Einwohnerschaft  aus  »qisübaschlar«,  »schäh- 
sewenler«  ^)  bestehe.  Ihre  Zusammenstellung  ergäbe  eine  ungefähre 
Vorstellung  der  religiösen  Verhältnisse  im  Anatolien  seiner  Zeit.  Das 
Volk  bekehrte  sich,  soweit  es  vom  rechten  Pfad  abgewichen  war,  wohl' 
bald  zur  Sunna.  Nur  versprengte  Reste  derer,  die  mit  einer  dem 
Schritentum  von  jeher  eigenen  Zähigkeit  sich  an  ihren  alten  Glauben 
klammerten,  vermochten  sicft  zu  halten.  Die  Gebirge,  wo  sie  dem' 
allgemeinen  Verkehr  und  damit  der  Verfolgung  am  ehesten  entzogen 
waren,  bildeten  ihre  hauptsächhchsten  Zufluchtsstätten.  Dort  konnten 
sie  ungestört  ihren  alten  Bräuchen  leben. 

Ignaz  Goldziher  hat  mit  gewohnter  Schärfe  und  einzigartiger 
Klarheit  im  60.  Bande  der  ZDMG.  (S.  213  ff.)  ))Das  Prinzip  der  taqijja 
im  Islam«  behandelt,  d.  h.  erörtert,  wie  sich  die  islamischen  Glaubens- 
gelehrten zur  Frage  stellen,  ob  es  unter  dem  Drucke  der  das  Leben 
und  die  Sicherheit  bedrohenden  Gewalt  der  herrschenden  Staatsmacht 
gestattet  ist,  sein  eigenes,  dieser  widerstrebendes  Bekenntnis  zeitweihg 
zu  unterdrücken  und  sich  äußerhch  zu  den  Formeln  zu  bekennen, 
gegen  die  man  im   Innern  verdammenden  Einspruch  erhebt  2),      Es 

paese  li  da  obedientia.  Ferner  V,  466:  clie  nel  payse  di  questo  signor  (=  des  Sultans), 
molti  seguitano  la  secta  dil  dicto  Sofis. 

')  Die  Schähseivenler  verdienen  eine  genauere  Untersuchung,  wobei  zu  bestimmen 
wäre,  ob  der  Name  wirklich  im  Sinne  J.  v.  Hammer's  VII,  335  und  nicht  etwa  als  'Ali- 
Verehrer  (*Ali=  schäh,  vgl.  oben  S.  89,  t.  Anra. ;  vgl.  'All-ilähl!)  zu  fassen  ist.  Vgl.  Ord 
och  Bild,  Kopenhagen  1013,  S.  297 — 307. 

-)  Über  die  üble  Beeinflussung,  die  durch  diese  Verheimlichung  (kelinän')  im  schi'iti- 
schcn  Islam  in  einer  widerlichen  Heuchelei  sich  äußert,  handelt  auch  schon  J.  A.  Graf 
V.  GoBiNEAu  in  seinen  »Les  religions  el  les  philosophies  dans  V Asie  centrale«.  Paris  186; 
(auch  1900^,  S.  15 — 21;  vgl.  M.  Hartmann,  DLZ.  1906,  Sp.  298. 

Islam  XI.  7 


og  Franz  Babinger, 

versteht  sich  von  selbst,  daß  der  Zwang,  ein  Geheimnis  aus  seinem 
wahren  Glauben  zu  machen  und  ihn  in  einer  feindlichen  Umgebung 
in  Wort  und  Tat  zum  Scheine  zu  verleugnen  und  unter  Umständen 
die  Zugehörigkeit  zu  der  herrschenden  Irrlehre  vorzutäuschen,  nur  bei 
den  Anhängern  einer  unterdrückten  Glaubenspartei  voll  zur  Geltung 
kommen  kann.     I.  Goldziher  hat  an  einer  Fülle  von  Beispielen,  die 
vor  allem  der  schi^itischen  Literatur  entnommen  sind,  veranschaulicht, 
wie  der  Versuch,  dieses  Vorgehen  zu  rechtfertigen,  in  den  Schriften 
des  schi*itischen  Glaubensgesetzes  besondere  Abschnitte  hervorgerufen 
hat,  die  in  sunnitischen  Büchern  vergeblich  gesucht  würden,  und  ge- 
zeigt, daß  nach  der  schi*itischen  Lehrmeinung  die  Verdienstlichkeit  des 
inneren  Kampfes,  den  der  durch  das  ^a^/y'/a- Verhalten  hervorgerufene 
falsche  Schein  dem  Gemüte  des  ehrlichen  Gläubigen  verursacht,  dem 
dschihäd  gleichgeachtet  wird    (a.  a.  O.    S.  221).      Diese   taqijja  ist   in 
Persien,  vor  allem  in  sunnitischer  Umwelt,  zu  einer  sittlichen  Seuche 
ausgeartet  und  hat  den  allgemeinen  Geist  des   Islams  in  verhängnis- 
voller Weise  beeinflußt.    Um  so  mehr  kommt  diese  Sucht,  das  eigent- 
liche Bekenntnis  zu  verheimlichen,  ketniän  zu  üben,  im  osmanischen 
Reiche   oder  gar  in  christlichen  Ländern  zur  Entfaltung.     Darf  man 
nun  von  vornherein   mit   der  Tatsache   rechnen,    daß   heute   noch   in 
Kleinasien  Überreste  einer  ehemals  schi^tischen  Bevölkerung  sich  in 
die  Gegenwart  gerettet  haben,  so  wird  man  auf  der  Suche  nach  ihnen 
in  erster   Linie  seine  Aufmerksamkeit   jenen   seltsamen   Gebilden   zu- 
wenden, die  unter  dem  Namen  der  Qizilbaschen,  der  Zeibeken  und 
schließlich  der  Tachtadschis  seit  langem  die  Teilnahme  der  europäi- 
schen   Reisenden    auf   sich  gezogen  und   zu   den  seltsamsten  Vermu- 
tungen Anlaß  gaben.    Eine  eingehendere  Untersuchung  hierüber  kann 
nicht  im  Rahmen  dieser  Arbeit  liegen  und  es  kann  darauf  um  so  leichter 
verzichtet  werden,  als  schon  Georg  Jacob  sie  als  die  der  Bektaschijje 
verwandten    Erscheinungen    mitberücksichtigt    hat;    der    schi*itische 
Grundzug  wäre  freilich  noch  besser  hervorzuheben  und  zu  untersuchen. 
Was  zunächst  die  Qizilbaschen,  die  Rotköpfe,  belangt,  so  ist  über  ihre 
Zugehörigkeit  zum  Schi'itentum  wohl  kein  ernsthafter  Zweifel  möglich, 
die  sind  ohne  Frage  Reste  jener  Anhänger  Ismä^il's,  denen  sogar  noch 
der  Name  ihrer  eigenartigen  Kopfbedeckung  geblieben  ist.   F.  Grenard 
hat  im  JA.,  X,  3  (Paris  1904),  S.  511  ff.,  ausführlich  über  »Une  secte 
religieuse   d'Asie   Mineure,    les  Kyzylbachsa  gehandelt.      Alles   bis   in 
Einzelheiten  entspricht  noch  jenen  Sitten  und  Bräuchen,   die  Ismä'il's 
Anhänger  beobachteten,  dasgleiche  darf  von  den  *AlI-ilähi's^)  behauptet 

')  ^gl-  V-  MiNORSKij's  Maleriaiix  pour  servir  a  l'etude  des  croyances  de  la  secle  per- 
sane,  dite  les  Ahle-Haqq  ou  'All-üähi.  I.  partie:  introduclion,  textes  et  iraduction.  Moscou 
191 1  (33-  Ve  öffentlichung  des  Lazareff sehen  Inst,  für  orient.  Sprachen). 


Schejch  Bedr  ed-dln,  der  Sohn  des  Richters  von  Siniaw.  g^ 

werden  (vgl.  EI,  I,  307),  die  freilich  weniger  in  Klcinasien  auftreten, 
in  ihrer  Gliederung  dafür  aber  um  so  mehr  Ähnlichkeit  mit  verwandten 
Sektengebilden  aufweisen;  schon  der  Name  »'Ali-Vergötterer«  besgigt 
alles.  Die  an  sich  befremdliche  Tatsache,  daß  auch  in  Europa,  in 
Bulgarien  und  Albanien  Qizilbaschen  leben,  erklärt  in  hinreichender 
Weise  die  oben  erwähnte  Verschickung  der  Schl'iten  aus  Tekke  und 
yamid  unter  Bäjazid  II.  In  ihnen  wie  in  sonstigen,  in  Albanien  ^), 
Bosnien  usw.  zu  treffenden  Sekten  und  Orden  haben  wir  ohne  Zweifel 
Reste  jener  zwangsweise  angesiedelten  Schiiten  Kleinasiens  zu  suchen. 
Was  schließlich  die  Tachtadschis^)  betrifft,  so  stützen  sie  in  besonders 


')  In  Albanien  sind  die  schritischen  Bektaschis  besonders  zahlreich.  Der  ältere 
Bruder  des  Sämi  Bej  Fräscherl  (1850 — 1904),  Na'Tm  H.  Fräscherl  (1846 — 1900), 
hat  1898  ein  gewaltiges,  10  000  bau  umfassendes  Trauergedicht  auf  den  Tod  Husejns 
t>Kerbeläja«  zu  Bukarest  veröffentlicht,  mit  dem  angeblichen  Zweck,  die  Bektaschis  für 
ein  vaterländisches  Hochziel  zu  begeistern;  schon  der  Name  des  Gedichtes  spricht  für  sich. 
Hiermit  erklärt  sich  übrigens  das  Rätsel  in  G.  Jacob's  Bektaschijje,  S.  11,  Nr.  15.  Es 
ist  auffallend,  daß  das  Werk,  das  gleichzeitig  mit  dem  Heldengedicht  »Iskender  Befa 
(ebenfalls  etwa  10  000  baii  umfassend)  von  dem  nämlichen  Verfasser  erschien,  1909  nir- 
gends in  Deutschland  aufzutreiben  war.  Für  die  Geschichte  des  Bektaschismus  kommt 
dies  Buch  natürlich  nicht  in  Frage,  dagegen  seine  alban.  Schrift  (32  Ss.,  Bukarest,  1896) 
Flclore  e  Bektasignct.  —  Über  die  bulg.  Qizilbaschen  vgl.  Nachsatz  S.  106. 

^)  Vgl.  J.  H.  MoRDTMANN,  ))Die  heutige  Türkei«  in  Wier  Vorträge  über  Vorderasien 
und  die  heutige  Türkei«,  Berlin  1917,  S.  100.  Die  Tachtadschis  geben  sich  als  rechtgläubige 
Muslims  aus,  sind  aber  bei  diesen  als  arge  Ketzer  verschrien.  Vgl.  zu  den  Schilderungen 
V.  Luschan's  die  Darstellung,  die  0.  Dapper  nach  Pedro  Teixera  in  seiner  »Beschreibung 
des  Königreichs  Persien«,  Nürnberg  1681,  S.  115  über  die  »ehl  el  Tabquid/ Leute  der 
Wahrheit /Gewißheit«  (gemeint  ist  ahl  al-taiv/nd,  »Bekenner  der  Gotteseinheit«,  wie  sich 
auch  die  Nusajrier  nennen;  vgl.  I.  Goldziher,  Vorlesungen  S.  257)  gibt:  »sie  lieben  und 
ehren  sich  untereinander  gar  hoch  /  und  bedecken  sich  die  Weiber  /  wie  die  andern  Mahome- 
tanerinnen  thun/ nicht  vor  den  Männern  /  die  ihrer  Sect  zugethan  sind /sondern  gehen 
untereinander  sehr  vertraulich  und  liebreich  um /und  gehorchen  ihren  Häubtern  /  die  sie 
auf  Persisch  pir/das  ist  Alter  nennen /nicht  allein  mit  großer  Ehrerbietung/ sondern 
teilen  ihnen  auch  von  ihren  Gütern /wann  sie  es  von  nöthen  haben  /  williglich  mit«. 

Die  Tachtadschis  werden  übrigens  auch  ^tschepnl«  oder  »tschetni«  genannt.  Tschepni 
kommen  auch  in  der  Landschaft  Trapezunt  vor,  wo  sie  schon  zu  Ende  des  14.  Jahrhunderts 
genannt  werden.  Vgl.  J.  H.  MordtmaNn  a.  a.  O.  S.  loi,  Anm.  Ob  und  wie  diese  'l'C^TivtSai 
am  Schwarzen  Meer  mit  denen  im  westlichen  Kleinasien  zusammenhängen,  müßte  eine 
Untersuchung  erweisen.  Bekanntlich  führen  die  Tachtadschis  bei  den  sunnitischen 
Türken  den  Spottnamen  tschir.igh  söndürenler,  Lichtauslöscher.  Diese  Bezeichnung  teilen 
sie  indessen,  was  nicht  allgemeiner  bekannt  zu  sein  scheint,  mit  ähnlichen,  ebenfalls  schl'iti- 
schen  Sektengebilden.  So  werden  die  'AU  ilähl  in  Lüristän,  von  denen  Sir  Robert  Ker 
Porter  in  seinem  »Geographical  menioir  of  Persia«,  S.  141,  Anm.,  mitternächtliche  Schwelge- 
reien und  die  Bezeichnung  »charagh  kuschan«  (vgl.  das  persische  tschirägh  kuschtän  (p^^ 
^}kmJ)  »Licht  auslöschen!«)  meldet,  auch  so  geheißen.  Sik  Henry  Ravvlinson,  der  sie 
ebenfalls  besuchte  und  denselben  Namen  angibt,  betrachtet  sie  als  -Überreste  älterer  jüdi- 
scher Siedler,  von  denen  tatsächlich  Benjamin   von    Tudela  (12.  Jahrhundert)  Kunde 

-7* 


I oo  Frapz  Babinger, 

auffallender  Weise  meine  Vermutung,  daß  es  sich  um  Überbleibsel 
von  Anhängern  Ismä*irs,  um  'Aliden,  handelt.  Oder  ist  es  ein  Zufall, 
daß  gerade  sie  sich  in  besonders  auffallender  Zahl  in  jenen  alten  Stamm- 
sitzen, im  heutigen  Sandschaq  Adalia  und  um  Oaramän,  meist  oben 
in  weltentlegenen  Bergen  erhalten  haben?  F.  v.  Luschan  hat  über 
diesen  eigenartigen  Bevölkerungsbestandteil  eine  Untersuchung  ange- 
stellt, die  das  13,  Hauptstück  seiner  »Reisen  in  Lykien,  Milyas  und 
Kibyratis«  (Wien  1889,  daraus  im  19.  Bd.  des  Arch.  für  Anthrop., 
Braunschweig  1891,  S.  31  ff.)  bildet,  und  ist  zu  dem  sonderbaren  Er- 
gebnis gekommen,  daß  es  sich  um  Urbevölkerungsrückstände  handelt. 
Seine  Beweise,  die  sich  in  der  Hauptsache  auf  anthropologische  Fest- 
stellungen (Schädelmessungen  usw.)  gründen,  scheinen  für  unsere 
Zwecke  wenig  stichhaltig.     Um  so  wichtiger  sind  seine  Mitteilungen 

gibt.  Vgl.  Notices  usw.,  36,  110.  Zu  Adana-köi,  einem  Dorf  im  Dijäla-Tal,  traf  Claudius 
James  Rich  ebenfalls  »Lichtauslöscher«,  denen  er  auch  in  Tuz-churmali  (Wilajet  Mossul) 
begegnete.  Vgl.  Narraiive  II,  284 — 287  bzw.  I,  25 — 37.  —  Selbst  im  Hindukusch-Gebiet 
lassen  sich  »Lichtauslöscher«  nachweisen:  Leutnant  Alexander  Burnes  traf  in  den  süd- 
lichen Pässen  von  Bäm-i  dschihän  (Hindukusch)  Anhänger  eines  glaubenswütigen  MoUa 
an,  der  eine  'AU  ilähl  benannte  Schar  um  sich  zu  sammeln  im  Begriff  stand  (vgl.  Travels 
into  Bokhara,  London  1834,  I,  178  (es  handelt  sich  um  Hazära's,  über  die  man  Abu  '1-fadl 
'Alläml's  A'ln-i  Akbari.  Ausgabe  von  Fr.  Gladwix,  London,  1800,  II,  163;  Ausgabe 
von  H.  Blochmaxn,  Kalkutta,  1870,  S.  454;  ferner  Sir  M.  A.  Stein,  Ancient  Geography 
of  Kashniir,  Calcutta  1899,  S.  130,  vergleiche).  —  J.  Brant  kennt  ebenfalls  die  »Licht- 
aüslöscher«  auf  dem  Wege  nachQizil  aghatsch  in  Kurdistan  und  meinte  die  Dudschik-Kur- 
den,  die  im  Norden  des  Muräd  im  armenischen  Gebirge  hausen,  zählten  zu  der  Qisilbasch 
genannten  Sekte.  Vgl.  seine  »Notes«  im  Journal  of  Royal  Geogr.  Society,  X,  3,  S.  354.  —  Die 
Sunniten  bezeichneten  und  bezeichnen  eben  alle  sich  nicht  zu  ihrer  Glaubensmeinung 
bekennenden  Sekten,  vorab  die  schi'itischen  Übertreiber  (ghulät)  als  »Lichtauslöscher«, 
wofür  ich  übrigens  mehrmals  aus  türkischem  Munde  den  Ausdruck  Uschiragh  p(ü)f(( 
(_ÄJ  pi-^,   wobei    »p(ii)f«  das  Verlöschen  des    Lichts  lautnachahmend  darstellen  soll!) 

gehört  habe.  Eine  ähnliche  Erscheinung  wie  die  Tachtadschis  sind  die  Zeibeks,  die 
vor  allem  um  Brussa  und  Smyrna  herum  angetroffen  werden,  eine  kriegerische  und  unbot- 
mäßige Bergsippe,  die  durch  ihre  absonderliche  Tracht  —  unverhältnismäßig  hohe  Fese 
und  kurze  Kniehosen,  die  den  größten  Teil  der  Beine  unbedeckt  lassen  —  sich  von  der 
Umwelt  unterscheiden.  Vgl.  J.  H.  ^Mordtmann  a.a.O.  S.  loi.  Eine  Untersuchung 
über  sie  fehlt. 

In  diesem  Zusammenhang  muß  jener  seltsamen  Linobambakoi  gedacht  werden, 
denen  man  auf  der  Insel  Zypern,  hauptsächlich  um  Paphos,  begegnet  und  die  eine  sonder- 
bare islamisch-christliche  Mischerscheinung  darstellen.  Vgl.  R.  L.  N.  Michell,  »A  Muslim 
Christian  Sect  in  Cypriis«  in  The  Nineteenth  Century,  London  1908,  S.  751  ff.  (vgl.  G.  Jacob, 
Bektaschijje,  1909,  S.  30);  neuerdings  H.  Charles  Lukach,  The  Fringe  of  the  East,  London 
1913.  Es  wäre  nicht  undenkbar,  daß  es  sich  um  Flüchtlinge  aus  Tekke  und  Hamid  handelt, 
die  dann  später  sich  ihrer  christlichen  Umgebung  in  ihren  Sitten  etwas  anpaßten.  Liegt 
doch  Zypern  in  nächster  Nähe  von  Kilikien. 

Vgl.  dazu  noch  des  Reverend  G.  E.  White  Aufsatz  »The  Alevi  Tiirks  of  Asia  Minor« 
in  Contemporary  Review,  104.  Bd.,  London  1913,  S.  690 — 698. 


Schejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  der  Richters  von  Simäw.  IQI 

über  die  Gebräuche  der  Tachtadschis,  aus  denen  schon  Georg  Jacob 
ihre  Zugehörigkeit  zu  den  Bektaschis  glaubte  erschheßen  zu  sollen. 
Das  tertium  comparationis  ist  indessen  auch  hier  der  *alidische  Grund- 
zug. Ich  selbst  habe  sowohl  in  Qonia  wie  in  Qaramän  (Frühjahr  191 8) 
aus  dem  Munde  verständiger  Türken  für  die  Tachtadschis  die  Bezeich- 
nung ^alewi  gehört  und  J.  H.  Mordtmann,  der  ihnen  übrigens  wieder- 
holt bei  Smyrna,  also  Bedr  ed-din's  einstigem  Wirkungskreis,  begegnete, 
hat  vom  Polizeichef   zu  Aidin  einmal   dieselben  Angaben  erhalten  ^). 

Zuletzt  möchte  ich  noch  an  jene,  in  der  europäischen  Literatur 
m.  W.  völlig  unbeachtet  [gebliebenen  akiler  (JLi-!)  in  der  Gegend 
yon  Angora  erinnern,  mit  denen  sich  Ahmed  Tewfiq  in  einem  Auf- 
satz, in  der  Revue  historique,  puhliee  par  V  Institut  cf  Historie  Ottomane, 
IV.  Jahrg.,  Stambul  1913,  auf  S.  1200 — 1204  befaßte^).  Auch  sie  ge- 
hören wohl  zu  den  eben  erwähnten  Gebilden,  und  die  Frage  verdient 
ernstliche  Erwägung,  ob  hier  nicht  etwa  ein  Rest  jener  ahVs  sich  erhalten 
hat,  von  denen  Ibn  Battüta  eine  so  merkwürdige  Darstellung  hinter- 
lassen hat;  würde  sich  diese  Annahme  bestätigen,  so  fiele  ein  helles 
Licht  auf  das  Gepräge  dieser  ahijjat  al-fitjän  und  die  mit  ihr  zusammen- 
hängenden futuw'wetnäme'9.  Um  zum  Schluß  zu  kommen:  alle  diese 
Gebilde  bekennen  sich  äußerlich  zum  sunnitischen  Islam,  ein  Umstand, 
der  nach  dem  über  die  taqijja  Gesagten  schwerlich  bedenklich  stimmen 
kann.  Auch  ist  es  nach  den  Erfahrungen  der  allgemeinen  Religions- 
geschichte eine  häufig  beobachtete  Erscheinung,  daß  sich  solche  Sekten- 
verkümmerungen für]  Glaubensvermengungen  empfänglich  erweisen 
(I.  GoLDZiHER,  Vorlesungen  S.  257),  womit  sich  die  Einverleibung  ge- 
wisser christlicher  Elemente  vor  allem  in  einer  christlichen  Umwelt 
zwanglos  erklärt. 

Das  Derwischtum  verkümmerte  in  Kleinasien  immer  mehr  und 
sank  zuletzt  zu  einer  politisch  völlig  belanglosen  Einrichtung  herab, 
die  fern  dem  Treiben  der  Welt  in  der  Abgeschiedenheit  der  Klöster 
sich  auswirkte  und  für  das  Staatswesen  ungefährlich  bleiben  mußte. 
Der  Fall  des  Schejch   Mehmed   Nijäzl   (el-Misri)  3)   ist  wohl  das 

0  Vgl.  Vier  Vorträge  über  Vorderasien,   Berlin,    19 17,   S.   100. 

2)  Vgl.  dazu  Sa'd  ed-dln,  tädsch  iU-tewärih,  I.  Bd.,  S.68,  13.  Z.  v.  c;  V.Bratutti, 
Chronica,  Vienna,   1649,  S.  79;  Ewlijä,  ed.  J.  v.  Hammer  (1850),  II,  229.  ' 

3)  Nijäzl  ist  der  Stifter  eines  nach  ihm  benannten  Derwischordens  (vgl.  Ign.  Mou- 
RADGEA  d'Ohsson,  TabUau  de  VEmpire  Ottoman,  IV.  Bd.,  S.  626).  Er  wurde  wegen  seiner 
Predigten,  die  ihm  einen  bedrohlichen  Anhang  verschafften,  für  politisch  gefährlich  er- 
achtet und  endete  im  doppelt  zweideutigen  Ruf  eines  Unruhestifters  und  Heiligen.  Er 
war  der  Sohn  eines  Naqschbendl  und  wurde  in  den  Lehren  dieses  Ordens  erzogen,  wurde 
-später  Qädirl,  dann  Chalwetl,  lebte  20  Jahre  in  der  Verbannung  und  starb  im  Redscheb  1 105 
(beg.  26.  Febr.  1694),  vgl.    Raschid,   ta^rih  l,    S.  86,   193.     Er  galt   den   gleichzeitigen 


JJ32  Franz   Babinger, 

letzte  Glied  in  der  Kette  jener  Erscheinungen,  die  dem  Bestand  des 
osmanischen  Reiches  verderbhch  zu  werden  drohten.  Die  ■>)kelimät-i 
dschejrlje«,  die  sich  dieser  Süflschejch  in  seinen  stark  besuchten  Pre- 
digten gestattete  und  die  ihm  lange  und  wiederholte  Verbannung  ein- 
trugen, klingen  wie  eine  Erinnerung  aus  alten  Tagen,  wo  das  Süfitum 
in  Kleinasien  politisch  wirksam  zu  werden  begann,  erscheinen  wie 
ein  schüchterner  Versuch,  die  alten  Lehren  wieder  in  breite  Volks- 
schichten hineinzutragen  und  die  mittlerweile  festgefügte  Einheit  des 
Reiches  anzutasten.  VonNijäzi,  dem  Geheimnisvollen,  stammt  denn 
auch  jener  Vers  auf  Bedr  ed-din,  worin  er  den  alten  Schejch  von  Simäw 
in  eine  Linie  mit  dem  Freigeist  Muhji  ed-din  (ZDMG,  LH,  516  ff.) 
stellt,  dessen  stillfriedliche  Grabstätte  am  Fuß  des  Dschebel  Qäsiün 
in  Sälihije  heute  noch  das  Ziel  frommer  Pilger  und  starrgläubiger 
Mushme  bildet^) — ein  sprechendes  Beispiel  für  die  Verknöcherung  und 
Geistlosigkeit  des  Islam  in  Syrien  — ,  jenes  matlä!',  mit  dem  ich  meine 
Darlegungen  schließen  möchte: 

.o\o,'»    ,Jo,'ufij!    (V3«.*iS   , -;w>J    LJ,0 


ANHANG. 

DIE  SILSILE  DES  SCHEJCHS  BEDR  ED-DlN. 

Me^med  Tähir  gibt  in  der  Lebensbeschreibung  des  Schejchs 
Bedr  ed-dln  in  seinem  leider  noch  unvollständigen  Werk  über  die 
»Osmanischen  Schriftsteller«  {'■osmänli  mu' ellijleri,  Stambul  1333)  auf 
S.  39/40  die  silsile  Bedr  ed-dm's,  leider  ohne  seine  Quelle  zu  nennen. 
Bei  der  Sorgfalt  und  Genauigkeit  indessen,  die  fast  alle,  meist  lebens- 
geschichtlichen Arbeiten  dieses  .weit  über  den  Durchschnitt  der  osma- 
nischen Wissenschafter  hinausragenden,  mir  persönlich  wohlbekannten 
und  oft  mit  Nutzen  befragten  Schriftstellers  auszeichnen,  darf  unbe- 
denklich   die    Glaubwürdigkeit   seiner  Vorlage  angenommen  werden^). 

europäischen  Schriftstellern,  wie  D.  Kantemir,  als  heimlicher  Christ  (vgl.  de  Lacroix, 
in  der  Verdeutschung  von  J.  G.  W.  Schulz  III,  405),  wovon  natürlich  keine  Rede  sein 
kann.     Vgl.  dazu  oben  S.  66. 

')  Vgl.  A.  V.  Kremer,  Miüelsyrien  und  Damaskus,  Wien,  1853  und  Topographie  von 
Damaskus  II,  S.  25,  Wien  1855.  —  Ein  alter  Araberschejch,  dessen  Sunnatreue  über  jeden 
Zweifel  erhaben  war,  stand  mit  mir  am  Grabe  Muhjl  ed-dln's  und  pries  in  überschweng- 
lichen Worten  seine  —  des  zindtql  —  Frömmigkeit.  i>kibrlt  al-a/imar«  (»roter  Schwefel«, 
etwa  unser  »Stein  der  Weisen«)  nannte  er  ihn. 

-)  Vgl.  Martin  Hartmann,  Unpolitische  Briefe  aus  der  Türkei,  Leipzig  1909,  S.  17S 
oben;  ferner  ebenda  94  ff.,   158,   173  ff.,   177  ff-.  217,  21S,  244. 


Schejch  Bcdr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  IO3 

Mehmed  Tähir  Efendi,  der  übrigens  jahrelang  in  Salonik  als 
Leiter  des  dortigen  Militärgymnasiums  wirkte,  also  in  nächster  Nähe 
von  Seres  lebte,  hat,  wie  er  selbst  erklärt,  an  Ort  und  Stelle  im  Der- 
wischkloster über  Bedr  ed-din  Erkundigungen  eingezogen.  Dort  sah 
er  das  menäqib-näme  Bedr  ed-dln's  (vgl.  S.  T']),  dort  dürfte  er  auch  die 
»Kette«  {mpostolical  succession«,  D.  B.  Macdonald)  der  Lehrvorfahren 
des   Schejchs  ermittelt  haben. 

Ich  gebe  zunächst  Mehmed   Tähir 's  Reihe  der  Ordenshäupter: 

Schejch  Bedr  ed-din,  liusejn  von  Achlät,  Abu  '1-fath  as-sa'ldi, 
Abu  Madjan  maghribi,  Abu  '1-barakät,  Abu  M-fadl  baghdädi,  Ahmed 
Ghazäll,  Abu  Bekr  ncssädsch,  Abu  M-Qäsim,  Abu  'Ali  kjätibi,  'Ali 
Da'üdbäri  (!),   Dschunejd  baghdädi. ') 

Wenn  ich  in  der  Lage  bin,  nachstehend  eine  eingehende  Erklärung 
der  süsile  zu  liefern,  so  danke  ich  dies  vor  allem  der  tätigen  Mithilfe 
Richard  Hartmann's  in  Leipzig,  der  mir  auf  diesem  Gebiet  mit 
seinen  einschlägigen  Kenntnissen  die  schätzbarsten  Dienste  geleistet  hat. 

Es  ergibt  sich  darnach  folgende  berichtigte  und  erläuterte  Reihe: 

1.  Dschunejd  aus  Baghdäd,  der  berühmte  Mystiker,  starb  297/909; 
vgl.  EI,  I.  Bd.,  S.  II 10;  al-Hud^schwiri,  Kaschj al-mahdschüh, 
hrsg.   R.  A.  Nicholson,  London   1911,   S.  128  ff. 

2.  Abu  'Ali  Ahmed  b.  Muhammad  ar-Rudbäri,  starb  322/934;  vgl. 
al-Quschairi,<2^mä/a/^'^7mdJ^/a;ya^e'^£;M/,  Ausgabe  Kairo,  S.  30; 
Scha'räni,  Tahaqät  kubrä,  Ausgabe  Kairo  1305,  I.  Bd.,  S.  91; 
Ahmed  Hilmi,  Hadiqat  ül-eidijä,  3.  Heft:  Suhraiverdlje, 
Stambul  1318,  S.  4;  Ibn  al-Atir,  chronicon,  ed.  C.  J.  Torn- 
BERG,  VIII,  S.  222;  Ibn  Hallikän,  Biogr.  Dictionary,  cd. 
by  Bn.  Mac  Guckin  de  Slane,  I.  Bd.,  S.  86,  No.  4  (Paris 
1843);   al-Hudschwiri,  a.  a.  O.  S.  157. 

I)  Da,  wie  aus  der  oben  S.  78  wiedergegebenen  Mitteilung  Mehmed  Tähir  Bej's 
hervorgeht,  das  tekke  zu  Seres,  das  heute  noch  die  Erinnerung  und  Überlieferung  an  Schejch 
Bedr  ed-dTn  hoch-  und  wachhält,  dem  Orden  der  Qädirl  angehört,  so  darf  man  vielleicht 
daraus  auch  einen  Zusammenhang  der  Lehre  B.s  mit  der  des  'Abd  al-Qädir  aus  Gllän 
(starb  561/1166)  erschließen.  Ich  verweise  daher  zunächst  auf  die  silsile  der  Qädirijje  in 
'Atäji's  Nachtrag  (?e]l)  zu  Taschköprüzäde's  schaqa'iq  an-nii^mäuijja,  Stambul  1268. 
S.  65  unten,  wo  als  plr  Dschunejd  von  Baghdäd,  später  (S.  66  oben)  auch  Muhji  ed-din 
und  .Sadr  cd-dln  von  Qonia  erscheinen.  Die  dort  S.  61 — 66  gegebenen,  bisher  nicht 
weiter  beachteten  seläsil  (Xer  Naqschbendijje,  yalwetijje,  Zcjnijje,  Mewlewijje,  Bejrämijje, 
Qädirijje  und  Rifa'ijje  sind  wegen  der  osmanischen  5/75i7t'-Konslruktion  gerade  in 
diesem  Zusammenhang  von  Bedeutung.  Vgl.  dazu  Ign.  Mouradjea  A'Ohsson,  Tableaii 
V.  Band  S.  619  sowie  Häddschi  yallfa,  Dschihännümä  S.  360.  Über  die  Qädirijje, 
die  einst  im  osmanischen  Reiche  eine  sehr  bedeutende  Rolle  spielte,  fehlt  leider  jegliche 
neuere  und  gründliche  Untersuchung. 


1 04  FranzBabinger, 

3.  Abu  *Ali  b.  al-kätib,  starb  nach  340/951;  vgl.  al-Quschairi, 
a.a.O.  S.  32;  Scha*räni,  a.a.O.  I,  96;  A.  Hilmi,  a.a.O. 
S.  7;  al-Hudschwiri,  a.  a.  0.  S.  158  ff, 

4.  (fehlt  in  der  silsile  bei  Mehmed  Tähir  und  ist  zu  ergänzen): 
Abu  *Osmän  al-maghribi,  starb  373/983;  vgl.  al-Quschairl, 
a.a.O.  S.  35;  Scha*räni,  a.a.O.  S.  104;  al-Hudschwiri, 
S.  169  ff. 

5.  Abu  *1-Qäsim  *Ali  al-Gurgäni,  starb  450/1058  oder  469/1076  (in 
der  silsile  des  Ghazäli  bei  Mustadä  az-Zabidi,  Ithäf. 
Ausgabe  Kairo  VII,  247  (vgl.  R.  Hartmann,  Al-Quschairi's 
Darstellung  des  Süfitums,  Berlin  1914  [Türk.  Bibl.  18.  Bd.), 
Tafel  am  Schluß ;  A.Hilmi,  a.a.O.  S.  12;  Dschämi,  Nafahät 
al-uns,  hrsg.  von  W.  Nassau  Lees,  Kalkutta  1859,   S.  347  ff. 

6.  Abu  Bekr  nessädsch  (Weber)  starb  487/1094;  vgl.  A.  Hilmi, 
a.  a.  O.   S.  14  ff. 

7.  Ahmed  Ghazäli,  starb  51 7/1 123;  vgl.  A.  Hilmi,  a.  a.  0.  S.  16  ff.; 
Dschämi,  a.a.O.  S.  426  ff. 

8.  Abu  '1-fadl  Ibrahim  aus  Baghdäd. 

9.  Abu  '1-barakät  aus  Baghdäd. 

10.  Abu  Sa*id  aus  Andalusien. 

11.  Abu  Madjan  Schu*aib  b.  al-Husejn  aus  Andalusien,  starb  594/ 
II 97;  berühmter  Mystiker,  vgl.  EI,  I,  104;  Barges,  Vie  du 
celebre  marabout  Cidi  Abou  Medien,  Paris  1884. 

12.  Abu '1-fath  as-sa'idi. 

13.  yusejn  aus  Achlät, 'vgl.  oben  S.  23,  4.  Anm. 

Wie  Ahmed  Rif'at's  »Mirfat  ül-maqäsid,  Stambul,  S.  31,  zeigt, 
läuft  Bedr  ed-din's  silsile  mit  der  des  Abu  '1-IIasan^Schädili  (st.  656/ 
1258),  dem  Gründer  der  bekannten,  nach  ihm  benannten  Schädilija- 
Sekte,  bis  Abu  Madjan  zusammen^);  dabei  ist  freilich  zu  bemerken, 
daß  anderwärts  ganz  andre  Reihen  für  die  Schädilija  gegeben  werden 
(vgl.  z.  B.  Hodscha  Ahmed  Hilmi,  Hadlqat  ül-ewlijä,  7.  Heft; 
ferner  0.  Depont  und  X.  Coppolani,  Les  conjreries  religieuses  musul- 
manes,  Alger  1897,  sowie  L.  Rinn,  Marabouts  et  Khouans,  Paris 
1887).  Gleich  lautet  auch,  wenigstens  nach  A.  liilmi,  a.  a.  O.,  3.  Heft, 
bis  herauf  auf  Ahmed  Ghazäli  die  silsile  der  Suhrawerdije;  aber 
wie  wenig  man  hierauf  Wert  legen  darf,  beweist,  daß  das,  was  bei 
A.  yilmi  als  silsile  der  Suhrawerdije  erscheint,  in  al-Badri  al- 
Oaschschäschi's  (st.  1660)  Buch  »Al-simf  al-madschid  al-dschämi^  li 
saläsil«  (Haidaräbäd  1 327)  auf  S.  76 ff.  als  silsile  der  Halwetije  zu  lesen  ist. 

')  Auch  die  silsile  der  Sa'adlje  ist  von  Dschunejd  bis  Abu  Madjan  gleichlautend. 
Vgl.   Ahmed    Rif'at   a.a.O.   S.  30. 


I 


Schejch  Bedr  ed-dln,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw.  105 

SCHEJCH  BEDR  ED-DlN  ALS  SCHRIFTSTELLER. 

Den  ersten  Versuch  einer  Zusammenstellung  der  Werke  ;Bedr 
ed-dln's  enthält  Carl  Brockelmann's  »Geschichte  der  arabischen  Lite- 
ratur«, n.  Bd.,  S.  224.  Unabhängig  davon  hat  Mehmed  Tähir 
Efendi  in  seinen  »Osmanischen  Schriftstellern«  a,ui  S.  39  eine  neuerliche 
Zusammenstellung  davon  gemacht  und  wertvolle  Ergänzungen  ge- 
liefert; was  Taschköprüzäde  gibt,  ist  ebenso  unvollständig  wie 
ungenau.  Ich  bringe  im  folgenden  das  Bekannte,  ergänzt  durch 
eigene   Feststellungen,   wieder. 

Bedr  ed-din  hat,  wie  Mehmed  Tähir  a.a.O.  auf  Grund  seiner 
Forschungen  im  Derwischkloster  zu  Seres  mitzuteilen  in  der  Lage  ist, 
38  Schriften  verfaßt,  die  sich  alle  in  Seres  befinden  dürften^). 

Das  Hauptwerk,  das  einzige  übrigens,  das  über  den  handschrift- 
lichen Zustand  hinaus  geriet,  ist  das  »Dschdmi''  al-fusülain«,  ein  Hand- 
buch für  den  praktischen  Gebrauch  des  hanafitischen  Richters,  das 
Bedr  ed-din  i.  J.  814/1411  vollendete  und  das  i.  J.  1300/01  (1883/84) 
in  zwei  Ouartbänden  (I,  262  Ss.;  II,  264  Ss.)  in  der  Staatsdruckerei 
zu  Büläq  gedruckt  wurde  2).  Das  Werk  ist  in  zahlreichen  Abschriften 
vorhanden,  von  denen  C.  Brockelmann  a.  a.  O.  einige  aufzählt.  Die 
von  Bedr  ed-din  rührende  Urhandschrif  t  des  Kommentars  ver- 
wahrt die  Bücherei  der  Schehzäde- Moschee  zu  Stambul. 
Auch  sind  mehrere  andere  Erläuterungen  dazu  geschrieben  worden, 
die  ebenfalls  teilweise  bei  C.  Brockelmann  verzeichnet  sind. 

Nach  den  Wissenschaften  gliedern  sich  die  weiteren  Werke  B.'s 
folgendermaßen: 


')  Diese  Angaben  werden  zu  guter  Letzt  in  erwünschter  Weise  durch  Mitteilungen 
Tähir  Bej's  im  Schreiben  Exz.  HaJll  Edhem  Bej's  (vgl.  oben  S.  78,  i.  Anm.)  ergänzt: 
Die  Nachricht,  daß  Bedr  ed  dTn  38  Werke  verfaßt  habe,  entnahm  mein  Gewährsmann  der 
im  Qädirl-Kloster  zu  Seres  aufbewahrten,  anonymen  i>menäqibnäme4  betitelten  Handschrift, 
in  der  ausführlich  vom  Leben  und  Treiben  des  Schejchs  Bedr  ed-dln  die  Rede  gehen  soll. 
Außer  den  in  *05wÄ«/i  mü'ellijleri  namhaft  gemachten  Schriften  vermochte  Tähir  Bej 
keine  weiteren  ausfindig  zu  machen,  selbst  der  tafstr  (d.  i.  nur  al-qidüb),  der  das  wichtigste 
Werk  des  Schejchs  sei,  ist  nirgends  nachzuweisen  gewesen,  und  Tähir  Bej  vermutet,  m.  E 
ganz  mit  Recht,  daß  die  meisten  erreichbaren  Schri  ften  des  Schejchs  ihres  ketzerischen 
Inhalts  wegen  verbrannt  worden  sind.  Die  Hauptquelle  für  Bedr  ed-dln's 
süflsche  Lehre  enthalten  die  jc'är/rfä^  von  denen  ein  Druck  vorhanden  sein  soll. 
[Leider  konnte  ich  bis  jetzt  weder  dessen  Erscheinungsort  noch  -jähr  ermitteln.]  Wichtig 
ist  auch  die  dazugehörige  Erläuterung  von  Haririzäde  Kemäl  Efendi  [gemeint  ist  wohl 
Sejjid  Kemäl    ed-dln   Harlri]. 

i,  ,      ^)  Auf   der  Preußischen  Staatsbibliothek  zu  Berlin  unter  der  Standnummer  Libri 
in  Or.  impr.  Arab.   1227,  4°  vorhanden. 


I06      Franz  Babinger.   Scliejch  Bedr  ed-din,  der  Sohn  des  Richters  von  Simäw. 

1.  schar h:   i.  dschämi^  al-fusülain;  2.  dschämi^  al-fetäwl. 
II.  fiqh:  la/ä'if  al-ischärät,  vgl.   C.   Brockelmann  a.a.O. 

III.  taf  sir  :  nur  al-qulüb,    nicht  bei  Brockelmann. 

IV.  tasawwuf:  i.  tschirägh  al-jutüh.  2.  scharh-i  ^aw*  [s^yo)- 
3.  masarrat  al-qulüb,  nicht  bei  C.  Brockelmann,  eine  Hand- 
schrift davon  befindet  sich  in  Leiden;  vgl.  Catalogus  codd.  or. 
Bibl.  Acad.  Lugduno-Batav.,  V.  Bd.,  hrsgg.  v.  M.  J.  de  Goeje, 
Leiden  1873,  S.  23.  4.  wäridät^),  die  wichtigste  der  süfi- 
schen  Schriften  B.'s,  aus  der  die  meisten  Auf- 
schlüsse über  seine  Süfl- Ansichten  zu  gewinnen 
sein  dürften.  Das  Werk  fand  starke  Beachtung  und  wurde 
häufig  erklärt.  Von  türkischen  Erläuterern  seien  angeführt: 
Schejch  IlähP),  Schejch  Jawsi*),  Nur  ed-din-zäde 
und  Hodscha  Mehmed  Nur  al-*arabi  (vgl.  Mehmed 
Tähir  a.  a.  O.  S.  39,  3.  Anmerkung).  Die  Leidener  Bibliothek 
besitzt  übrigens  auch  davon  eine  gute  Handschrift;  vgl. 
M.  J.  de  Goeje,  Catai,  V.  Bd.,  S.  233).  5.  '^uqüd  al-dschawähir 
(so  [=  Halsketten]  und  schwerlich  ^unqüd  ==  Trauben,  wie 
Taschköprüzädc    schreibt,    dürfte  zu  lesen  sein  !). 

Die  Titel  der  übrigen  29,  wohl  kleineren  Schriften  Bedr  ed-din's 
waren  noch  nicht  festzustellen. 

Nachsatz:  Nachträglich  erst  finde  icli  bei  J.  C  Jirecek,  Das  Fürstenthum  Bul- 
garien, Wien,  1891,  S.  141  folgende,  meine  obigen  Darlegungen  blitzartig  beleuchtende 
Angaben  über  die  bulgarischen  Qizilbaschen:  Zwischen  den  Türken  in  des 
Umgebungen  von  S  t  ara-Z  agor  a  ,  im  Balkan  bei  Karnobad  und  in  den  Landschaften 
D  e  1  i  o  r  m  a  n  und  Gerlovo  sind  mohammedanische  Sectirer  zerstreut,  welche  man  K  y  z  y  1  - 
basi  nennt.  Nach  den  Erzählungen  der  Bulgaren  sind  sie  ein  ruhiges,  ackerbau- 
treibendes Volk,  genießen  Wein  ohne  Gewissensbisse,  lassen  ihre  Frauen  un- 
verschleiert  einhergehen,  betrachten  das  Bl  ut  ver  gi  eß  en  als  sündhaft,  halten 
sich  für  etwas  Besseres  als  die  übrigen  Türken  und  kümmern  sich  überhaupt  wenig 
um  die  Vorschriften  des  Korans.  —  Es  ist  ganz  gewiß  kein  Zufall,  daß  diese  Sektierer 
in  der  nämlichen  Gegend  (Deli-Orman,  Eski-Zaghra)  sich  aufhalten,  in  der  sich  Bedr 
ed-din  herumtrieb  und  Zulauf  hatte,  von  der  überraschenden  Übereinstimmung  dieser 
Sitten  mit  denen  der  Sefewijje  und  Bedr  ed-dinijje  ganz  abgesehen.  Und  es  ist  kein 
Zweifel  mehr,  daß  hier  eine  der  merkwürdigsten  Bewegungen  in  der  ganzen  sozialen 
und  religiösen  Geschichte  des  Islams  vorliegt. 

')  Über  den  Begriff  -n'äridäl  vgl.  R.  Hartmann  in  der  Türk.  Bibliothek,  XVIII.  Bd. 
S.  Soflf.;  Der  Islam,  VII.  Bd.,  S.   ii8. 

*)  Vgl.  darüber  oben  den  arabischen  Text  des  Qutb  ad-dln. 

3)  Mehrere  Erläuterungen  zu  diesem  Werk  wie  zum  Dschämi'  al-fusülain  sind  auch 
in  einzelnen  Stambuler  Buchsammlungen  vorhanden,  so  nach  Mehmed  Tähir,  a.  a.  O. 
S.  39,  vor  allem  wohl  in  der  Dämäd  Ibrählm  Pascha-Medrese.  Das  Verzeichnis 
(defter)  der  1175  Werke  umfassenden  Büchere«  dieser  medrese  ist  mir  zurzeit  leider  nicht 
zugänglich  (Stambul,    13 12,  4°    87   Ss.). 


Khorasan. 

Denkmalsgeographische   Studien    zur  Kulturgeschichte    des   Islam 

in  Iran. 

Von 
Ernst  Herzfeld. 

(Mit  2  Karten.) 


.W.V.I 


»Khorasan  ist  der  Köcher  Allahs,  aus  dem  er  einen  Pfeil 
schießt,  wenn  er  einem  Volke  zürnt.« 

»Keine  Fahne  wurde  je  von  KhoräsAn  aus  entfaltet  in  der 
Unwissenheit  oder  im  Islam,  die  zurückgesclilagen  worden  wäre, 
ehe  sie  ihr  Ziel  erreicht  hatte.«  Muhammad'). 

Eränshahr  wird  seit  Khosro  I.  in  vier  Spähpatschaften  eingeteilt: 
I,  Kost  i  khwarbarän,  die  Westgegend,    2.  Kost  i  nemrozh,  die  Süd- 


1)  Diebeiden  Hadith  stehen  bei  Yäqüt  II  410,  11  ss;  Bakbier  de  Meynard  über- 
setzte das  zweite:  »Toutes  les  sectes  sorties,  avant  ou  apres  l'islamisme,  du  Khoragän, 
ont  cte  et  seront  repoussees  jusqu'ä  ce  qu'elles  perissent«.  Ich  fragte  Snouck  Hurgronje, 
der  mir  schrieb:  »Ihre  Übersetzung  ist  ganz  zweifellos  die  richtige.  Die  Konstruktion  ist 
ganz  gewöhnlich  und  unzweideutig,  und  nur  Mangel  an  Vertrautheit  mit  der  arabischen 
Syntax  hat   B.  de  Meynard   zur  falschen  Wiedergabe  veranlassen  können.«    A.  J.  Wen- 

siNCK  schrieb:  »Sie  haben  den  Sinn  von  C^J.S  in  der  fraglichen  Tradition  ganz  richtig 
erfaßt.  M.  E.  ist  folgenderweise  zu  übersetzen:  ),>Nie  ist,  in  vorislamischer  oder  islamischer 
Zeit,  eine  Fahne  aus  Khorasan  hervorgerückt,  welche  zurückgeschlagen  wurde,  bevor  sie 
ihr  Ziel  erreicht  hatte.«  Vielleicht  gehört  der  Satz  zu  den  sogenannten  Fahnentraditionen, 
welche  im  Zusammenhang  stehen  mit  der  'abbasidischen  Propaganda  wider  die  Omayyaden 
in  Khorasan.«  Endlich  und  nicht  am  wenigsten  schreibt  J.  Goldziher:  »Das  Hadith 
ist  natürlich  'abbasidisches  Tendenzfabrikat.  Abu  Muslim  ist  ja  Khorasani,  und  seine 
PropagandaTgeht  von  Khorasan  aus.  Ein  hierzu  gehöriges  Hadith  habe  ich  in  Muh.  Sind.  II 
127  benutzt.  Der  in  Frage  stehende  Spruch  bei  Yäqüt  wäre  nach  meiner  Ansicht  zu 
deuten:  »Es  ist  keine  Fahne  weder  in  der  DjTdiiliyya  noch  im  Islam  aus  Khorasan  ausge- 
gangen und  wäre  zurückgewiesen  worden,  ehe  sie  ihr  Ziel  erreicht  hätte.«  Das  »Zurück- 
bringen« der  Fahne  hätte  keinen  rechten  Sinn;  die  Eroberer  kehren  ja  mit  der  Heeresfahne 


jQg  Ernst  Herzfeld, 

gegend,    3.  Kost  i  khoräsän,  die  Ostgegend,    4.  Kost  i  apäkhtar,  die 
Nordgegend,  auch  Kost  i  Käfkoh,  das  Kaukasos-Gebirge  genannt. 
Zu  Kost  i  khoräsän  zählt  Moses  von  Khorene: 

I.  Hamadhän,  ap.  Hagmatäna,  gr.  'Exßatava,'  hd.  Hamadän,  besser  zu  Apikhtar 
gerechnet.  —  2.  Komish,  gr.  k(o(i.iarjVT,,  hd.  Dämghän.  —  3.  Gurgän,  ap.  Wrkana,  gr. 
'Vp-/dvta,  hd.  Asträbäd.  —  4.  Aprshahr,  hd.  Neshäpür  >).  —  5.  Marw,  ap.  Margush,  hd. 
Marw.  —  6.  Marw  i  rodh,  hd.  BäläMurghäb.  —  7.  Harew,  ap.  Haraiva,  gr.  'Apala,  hd.  Herät. 
—  8.  Katashan,  später  Qädis  bei  Herät.  —  9.  Nisäk  i  miyänak,  das  »mittlere  Nisä«,  im 
Wendidäd  I,  8  zwischen  Mouru  und  Bäkhdhi  (Marw  und  Balkh),  hd.  Maimana.  —  10. 
Apshin,  Hauptort  von  Ghartch  i  shär,  oder  Ghartchistän,  am  Oberlauf  des  Murghäb.  — 
II.  Tälakän,  südl.  Maimana.  24  Fars.  östl.  Marw  i  rodh,  38  sw.  Shäpürkän.  —  12.  Gozgän, 
Gegend  von  Shibarghän  (Shäpürkän).  —  13.  Andaräba,  hd.  Indaräb  am  Nordabhang 
des  Hindükush.  —  14.  Kuwäst  (?).  —  15.  Rüb,  auch  Rübistän,  hd.  Rüi  am  Khulm-Fluß.  — 
16.  Zam,  hd.  Karki  am  Oxus  (Djaihün-Amu  Darya).  —  17.  Peroz-näkhtcher,  ein  Dorf 
bei  Balkh.  —  18.  Diz  i  Awäza  (?),  in  Bokhärä?  —  19.  (Wal)wälizh,  hd.  Qunduz.  —  20. 
Gatchak  in  Gozgän  unweit  Balkh.  —  21.  Äsän  oder  San,  etwa  2  Fars.  östl.  Shibarghän.  — 
22.  Bahl  i  bämik,  ap.  Bäkhtra,  gr.  BaxTpct,  hd.  Balkh.  —  23.  Tirmidh,  an  der  Mündung 
des  Zämil  oder  Käfirnighän  in  den  Amu  Darya.  —  24.  Tcharmangän,  gegenüber  Tirmidh.  — 
25.  Bämikän,  hd.  Bämiyän  am  Hindükush.  —  26.  Diz  i  roin,  das  mythische  Eisenschloß, 
später  mit  Paikand,  der  alten  Hauptstadt  von  Bokhärä  identifiziert  ^). 

Nach  Ya'qübi,   Historiae   1  201,   unterstanden  dem   Isbahbadh 

von  Khoräsän: 

I.  Neshäpür,  2.  Herät,  3.  Marw,  4.  Marw  i  rodh,  5.  Päriyäb,  zwischen  Maimana  und 
Shibarghän,  6.  Tähqän,  7.  Balkh,  8.  Bukhärä,  9.  Bädhghes,  nördl.  Herät,  10.  Bäward, 
älter  Äbeward,  gr.  'ATraouapxTtxrjvi^,  östl.  Darragaz,  bei  der  Bahnstation  Lutfäbäd,  11. 
Ghartchistän,    12.  Tos,    hd.  Mashhad  i  Ridä,  13.  Sarakhs,  hd.  desgl.,  14.  Gurgän  3). 

Eine  noch  weitere  Ausdehnung  gibt  dem  Begriff  Khoräsän  Ba- 
lädhüri,  gegen  den  Yäqüt  mit  Recht  polemisiert,  da  er  nicht  den 
historischen  oder  geographischen  Begriff,  sondern  nur  eine  vorüber- 

nicht  zurück.     Außerdem   würde  ja  J,   in   diesem  Sinne  'zurückgeben'   bedeuten  und 

es  fehlte  in  jedem  Falle    ein  Komplement   dazu  (.  .  .  ^\    OJ^).     Freilich  setze  ich  zu 

allem  Vorhergehenden  ein  *JLc.!  »S1\^  hinzu.«  —  F.  Babinger  macht  mich  auf  das  Werk 
aufmerksam  von  Gerlof  van  Vloten,  De  opkomst  der  Abbadden  in  Chorasan.  Leiden 
1890,  wo  p.  132  über  die  schwarzen  Fahnen  der  Abbasiden  aus  Khoräsän  gehandelt  wird. 

I)  Es  bestand  in  früh  arabisch  er  Zeit  nach  b.  Rusta  aus:  i.  Ustuwä,  gr.  'AaxauTjVT,, 
mong.  Ustüw,  hd.  Khabüshän,  Kütchän;  2.  Arghiyän,  hd.  Djädjarm;  3.  Asparä'in,  hd. 
Isfaräin:  4.  Guwain,  hd.  desgl.;  5.  Baihaq,  hd.  Sabzawär;  6.  Pusht,  hd.  Turshiz;  7.  Rukh, 
hd.  desgl.;  8.  Bäkharz,  hd.  desgl.;  9.  Zham,  hd.  Turbat  i  Shaikh  Djäm;  10.  Zäwa,  hd. 
desgl.;   II.  Zozan,  SW.  v.  Khwäf;  12.  Ashpand,  hd.  Asfand;  13.   Khwäb,  hd.  Rüi   Khäf. 

-)  Vgl.  Mar  QUART,  Eränsahr  n.  d.  Geogr.  d.  Ps.  Moses  XorenacH,  Göüing.  Abhandl. 
NF.  HI,  2  1901.  —  W.  ToMASCHEK,  Zur  histor.  Topographie  v.  Persien,  Wiener  Sitz.-Ber. 
eil,  1   1883. 

3)  Vgl.  E.  Bretschneider,  Mediaeval  Researches  from  Rastern  Asiatic  Sources; 
Trübner's  Oriental  Series  1910  und  S.  Beal,  Si-yu-ki,  Buddhist  Records  of  the  Western 
World  1906. 


Khorasan.  IO9 

gehende  Verwaltungseinheit  der  ersten  islamischen  Zeit  zur  Grundlage 
nimmt.     Darnach  wäre  Khorasan  in  vier  Viertel  geteilt: 

I.  Aparshahr-Neshäpür,  Kohistän,  Tabasan,  Herät,  Püshang,  Bädhghes,  Tos- 
Täbarän;  2.  Marw  i  shähigän,  Sarakhs,  Nisä,  Äbeward,  Marw  i  rodh,  Tälakän,  Khwärizm 
und  Amol,  letztere  beide  am  Djaihün-Amu  Darya;  3.  westlich  des  Djaihün  ein  Streifen 
\on  8  Farsakh  Tiefe,  Fariyäb,  Gozgän,  das  obere  Tokhäristän,  Khast,  Andaräba,  Bämiyän, 
Baghlän,  Wälitch  die  Stadt  des  Muzähim  b.  Bistäm,  Rustäk  Bjl,  Badhakhshän  das  Tor 
nach  Tibet,  während  Andaräba  das  Tor  nach  Kabul  war,  Tirmidh  östl.  Balkh,  Tchaghäniyän, 
das  untere  Tokhäristän,  Khulm,  Simingän,  4.  Mä  warä  al-nahr,  d.  i.  Transoxania  mit 
Bukhärä,  Shäsh  (Tchätch),  Turarband,'  Soghd-Kiss,  Nasaf ,  Rübistän,  Usrüshana-Sutrishna, 
Sanäm-Qal'at  Muqanna*,   Samarkand. 

Geographisch  ist  also  der  Begriff  Khorasan  genau  umschrieben. 
Die  Einzelheiten  sind  aus  arabischen,  persischen  und  chinesischen 
Schriftstellern  wohl  bekannt  ').  Bukhärä,  Nr.  8,  steht  so  allein  und 
fällt  so  völlig  heraus,  daß  seine  Nennung  auf  einem  Irrtum  beruhen 
dürfte.  Die  Grenzen  sind:  im  W.  östl.  Teheran  bei  den  »Kaspischen 
Toren«  beginnend  die  östlichen  Teile  des  Elburz-Gebirges,  die  SO.- 
Ecke  des  Kaspischen  Meeres,  die  heutige  russisch-persische  Grenze 
am  Atrek,  die  transkaspische  Bahn  bis  etwa  Lutfäbäd;  weiter  eine 
Linie  durch  die  Wüste,  die  Oasen  von  Tadjand  und  Marw  einschließend, 
zum  Amu-Darya  bei  Karki,  der  Amu-Darya  selbst  bis  etwa  Hazret 
Imäm,  dann  westlich  von  Badakhshän  nach  S.  in  die  Gebirge  bis  zum 
Kamm  des  Hindükush,  von  da  nach  W.  umbiegend  den  hohen  Kamm 
des  Hindükush  und  seiner  westlichen  Fortsetzer  entlang,  südhch  an 
Herät  vorbei,  zu  einem  Salzsee  an  der  afghanisch-persischen  Grenze, 
weiter  durch  Kohistän  südl.  Khäf  und  Turshiz  und  am  Nordrande 
der  großen  Dasht  i  kawir-Wüste  zum  Ausgangspunkte  an  den  Kaspi- 
schen Toren  zurück  2). 

In  einer  Reihe  von  Werken  der  -»Lehrkanzel  Strzygowski«,  die 
jüngst  erschienen  oder  deren  Erscheinen  angekündigt  ist  3),  wird 
dieses  Land  als  die  eigentliche  Heimat  der  persischen  und  der  isla- 
mischen Kunst  verkündet,  und  weit  darüber  hinaus  als  »die  Quelle 
des  Schöpferischen«  überhaupt,  als  ein  »Angelpunkt  der  Kunstge- 
schichte«, von  dem  die  Ausstrahlungen  auf  die  gesamte  abendländische 

1)  Vgl.  Le   Strange,  Lands  of  the  Eastern  Califaie,  Cambridge  Geogr.  Series  1905. 

2)  Karten:  Map  of  Persia  (in  6  sheets),  comp,  in  the  Simla  Drawing  Office,  Survey 
of  India,  i  :  i  013  760,  1897.  —  Persia  &  Afghanistan,  Keith  Johnston's  General  Atlas 
März  1914,  I  :  4311  000.  —  Map  of  Afghanistan,  based  on  Survey  of  India  maps,  ca. 
1913,  I  :  2027520.  —  Carte  d'Asie  des  franz.  Generalstabes,  i  :  i  000  000,  1901,  1902 
u.  1904;  Blätter  Asterabad,  Khiva,  Merv,  Herat,  Nour  Ata,  Boukhara,  Maimcne,  Tash- 
kent,  Pamir  und  Caboul.  —  Riissische  20   Wersi-Karte  von  Persien  1    :  840  000. 

3)  Strzygowski,  Altai-Iran  und  Völkerwanderung;  ders.,  Armenien  und  die  Bau- 
kunst Europas;  —  Diez,  Churasanische  Baudenkmäler  und  kleinere  Artikel  von  Strzy- 
gowski, Diez  und  Glück. 


l  IQ  ErnstHerzfeld,* 

Kunst  seit  der  Völkerwanderungszeit  von  bestimmendem  Einfluß  ge 
Wesen  seien.  Es  wird  also  wieder  einmal  die  »Fahne  von  Khoräsän 
entfaltet«,  wie  einst  in  der  Unwissenheit  oder  im  Islam.  Das  Werk 
von  Ernst  Diez,  Churasanische  Baudenkmäler  Bd.  I,  bei  Dietrich 
Reimer  191 8  erschienen,  von  dem  ein  zweiter  Band  mit  der  »fach- 
männischen Verarbeitung«  angekündigt  ist,  ist  der  unmittelbare  An- 
laß dieses  Aufsatzes.  Es  ist  Zeit  zu  prüfen,  was  Khoräsän  für  die 
iranische  und  islamische  Kultur  und  Kunst  bedeutet.  Wird  das 
Panier  von  Khoräsän  wieder  sein  Ziel  erreichen,  oder  zürnt  uns  nur 
Allah,  daß  er  wieder  einen  Pfeil  aus  diesem  Köcher  schießt.? 

Zum  ersten  Male  erscheint  Khoräsän  in  der  Geschichte  in  den 
Inschriften  des  Dareios,  in  Bistün  §  6  (519 — 518  v.  Chr.),  in  Perscpolis 
(um  518/17),  und  in  der  Grabinschrift  von  Naqsh  i  Rustam  (486)  ^). 
Drei  iranische  Völker  bewohnen  es :  die  Parthava,  Haraiva  und  Bäkh- 
trish.  Ihnen  entsprechen  drei  Verwaltungsbezirke,  Satrapien.  Nach 
§  35 — T^y  der  Bistün- Inschrift  schließt  die  Satrapie  Parthien  unter 
Vishtäspa  auch  Varkäna,  Hyrkania-Gurgän,  ein;  Margush-Marw  ge- 
hörte nach  §  38 — 39  zu  Baktrien  unter  Dädarshish.  Die  Namen  stehen 
in  den  Völkerlisten,  welche  Auszüge  aus  amtlichen  Tributlisten,  bzw. 
aus  den  in  den  Verwaltungsämtern  geführten  Satrapienlisten  darstellen. 
Ein  solches  Dokument  ist  uns,  wenn  auch  sehr  entstellt,  in  Herodot's 
Satrapienliste  (III  89^ — 96)  erhalten.  Drei  Satrapien  von  Herodot 
fallen  in  den  Bereich  von  Khoräsän:  XI  KctofTCioi,  IlaocJtxai,  IlavTi- 
|iaöot  und  Aotpsixai,  XII  BaxTptavol  fA^XP'  Ai^Xäv,  XVI :  nap{>oi, 
Xopdojxtoi,  So-^Soi  und  'Apeiot.  Eine  auf  den  Vergleich  mit  den 
Dareios- Inschriften  gegründete  Kritik  ergibt  in  Wahrheit  die  drei 
Satrapien:  i.  Parthava  und  Varkäna,  d.i.  llapöoi,  Ilauaixai,  navxi'ixaBot, 
Attpsixai,  das  engste  Khoräsän  (Neshäpür-Aparshahr)  und  Gurgän; 
2.  Haraiva,  d.  i.  'Apeiot,  Herät  und  Bädhghes;  3.  Bäkhtrish  und 
Margush,  d.  i.  Raxtpiavoi  [asxP^  Ai^Xäv,  Afghanistan  nördl.  des 
Hindükush  und  Marw,  wobei  das  »bis  zu  den  Aigloi«  eine  Übersprin- 
gung  nebensächlicher  Namen  der  ursprünglichen  Liste  bedeutet.  Die 
Listen  des  Dareios  sind  ausgesprochen  geographisch  geordnet;  sie  be- 
ginnen stets  mit  den  drei  Stammlanden  Persien,  Medien  und  Elam, 
dem  Kern  des  Weltreichs.  Im  übrigen  geben  sie  nur  eine  nach  histo- 
rischen und  psychologischen  Gründen  getroffene  Auswahl  aus  den 
zahllosen  Völkern  des  Westens  und  des  Ostens.    Der  Osten  wird  etwas 


I)  F.  H.  Weissbach,  Die  Keilinschriften  der  Achämeniden,  Vorderasiat.  Bibliothek 
191 1.  — •  Trautwein,  Die  Memoiren  des  Dikaios  in  Hermes  XXV  1890,  pg.  527 — 668.  — 
C.  F.  Lehmann-Haupt  in  Klio  II,  pg.  334  ss.  —  Eduard  Meyer,  Gesch.  d.  Altertums  III, 


Khorasaii.  III 

breiter  behandelt,  als  der  Westen  ^).  •  Der  Westen  ist  kulturell  über- 
legen, aber  im  Osten  liegt  die  ethnische  und  militärische  Kraft  des 
Reichs,  wenn  auch  nicht  der  Besitz  des  Ostens,  sondern  der  der  Mitte, 
der  Straße  Babylon-Egbatana,  über  den  Bestand  des  Reichs  ent- 
scheidet. So  würde  man  im  alten  Preußen  erst  Brandenburg  genannt 
und  dann  Ost-  und  Westpreußen  mit  mehr  Nachdruck  beschrieben 
haben,  als  die  Rheinprovinz. 

Die  drei  Völker,  Parthava,  Haraiva  und  Bäkhtrish,  sind  auf  den 
Thronreliefs  von  Pcrsepolis  und  Naqsh  i  Rustam  dargestellt  ^).  Eben- 
falls als  Baktrier  darf  man  wohl  einige  der  auf  den  Goldblechen  des 
Oxus-Schatzes  des  British  Museum  dargestellten  Figuren  ansprechen, 
die  als  Adoranten  mit  dem  zoroastrischen  Barsom-Bündel  in  der  Rechten 
auftreten,  sofern  sie  nicht  etwa  Sogdcr  sein  sollten  3).  Ihre  kriegs- 
mäßige Ausrüstung  hat  uns  Herodot  im  Heereskataloge  (VII  6i — loo) 
anläßlich  Xerxes'  Heerschau  bei  Doriskos  überliefert.  Die  drei 
Völker  bilden  darnach  in  Gestalt,  Tracht  und  Ausrüstung  eine  eng 
geschlossene  Gruppe.  Ethnisch  sind  sie  Iranier  im  engeren  Sinne, 
wie  auch  die  Meder  und  Perser,  und  wie  diese  sind  sie  im  6.  Jahrhdt. 
V.  Chr.  bereits  Ackerbauer,  die  in  Dörfern  und  schon  in  einigen  Städten 
[vardana]  wohnen;  Vispauzatish  und  Patigrabana  werden  erwähnt. 
Eng  verwandt  und  auf  der  gleichen  Kulturstufe  erscheinen  die  Sogder 
und  wohl  die  Khorazmier.  Die  auch  noch  iranischen  Völker  dagegen, 
welche  die  Perser  als  Sakä,  die  Griechen  als  2xuf>at  bezeichneten, 
waren  noch  Nomaden  und  Viehzüchter.  Die  Berichte  des  Alexander- 
zuges lassen  dies  Verhältnis  noch  zweieinhalb  Jahrhunderte  später 
deutlich  erkennen,  und  diese  lange  Friedenszeit  muß  ja  Fortschritte 
im  Wege  der  Seßhaftigkeit  erzeugt  haben.  Seither  ist  jahrtausendelang 
Welle  über  Welle  von  mittelasiatischen  Völkern  über  das  turkesta- 
nische  Zweistromland  dahingerollt,  hat  die  nomadische  sakische  wie 
die  ackerbauende  iranische  Bevölkerung  verdrängt  und  vernichtet;  nur 
in  abgelegenen  Hochtälern  des  Pamir  haben  sich  Reste  von  ihnen  rein 
und  mit  eigener  Sprache  erhalten,  die  Ghaltcha,  welche  die  Pamir- 
Dialekte  sprechen  4). 

Alexander  betritt  Khoräsän  bei  der  Verfolgung  des  fliehenden 
Dareios  gerade  im  Augenblick  von  dessen  Ermordung.  Der  neue 
Herrscher  läßt   die  Verwaltung  des   Reichs  zunächst  bestehen.      Die 


')  Eduard   Mi:vi:i;   in   Sakuic-Hcuzfüld,    Iranische  Felsreliefs  pg.  19 — 21. 
^)  Sarre-Herzfkld,  Iranische  Felsreliefs,  Berlin  igio,  Abb.  5 — 11. 

3)  Al.  Cunningham,  Relics  from  ancient  l'ersia  in  JASB.,  L.  1881   3 — 4  und  LII 
1883  pg.  64  s,  258  s.  —0.  M.  Dalton,  The  Treasure of  Ihe  Oxus  by  order  of  the  Trustees  1905. 

4)  W.  Geiger,  Die Pamir-Dialekle  xmGrundr.  d.  Iran.  Philol.  Bd.  I  Kap.  VIII,  1901. 


112  ErnstHerzfeld, 

Satrapie  Parthien  gibt  er  dem  Parther  Amminapes,  welchem  Tlepolemos 
als  kommandierender  General  an  die  Seite  gestellt  wird.  Bald  darauf 
wird  der  frühereSatrap  Phrataphernes  wieder  in  sein  Amt  eingesetzt. 
Auch  Hyrkanien  gehört  weiter  zu  Parthien.  Schon  unter  Dareios  war 
Tapurien,  später  Jabaristän,  das  unwegsame  Hochgebirgsland  des 
Elburz  als  besondere  Satrapie  abgetrennt;  (der  alte  Satrap  Autophra- 
dates  behält  sie  und  bekommt  die  Amardoi,  hd.  Amol,  dazu.  Die 
Hauptstadt  von  Parthien  ist  Hekatompylos  (Gegend  Dämghän-Shäh- 
rüd)  i),  andere  Städte  sind  Tape  und  Zadrakarta,  die  Hauptstadt 
Hyrkaniens.  Die  Satrapie  Areia  steht  unter  dem  Satrapen  Satibar- 
zanes,  ihre  Hauptstadt  ist  Artakoana,  ein  anderer  Ort  Susia.  Drangiana', 
ap.  *Dranga,  das  Zranga  der  Inschriften,  wird  ihm  zugeteilt,  das  ist 
die  nicht  mehr  zu  Khoräsän  gehörige  Landschaft  um  den  See  von 
Sistän,  noch  im  arabischen  Mittelalter  Zarang  geheißen.  Die  Satrapie 
Baktria  hat  Artabazos,  Hauptort  ist  Baktra-Balkh,  andere  Orte  sind 
Drapsaka,  etwa  Ounduz,  Aornos,  mit  Khulm  gleichgesetzt,  und 
Zariaspa  ^). 

Die  Teilungsverträge  der  Diadochen  bringen  zunächst  keine  große 
Änderung.  In  Babylon  323  erscheinen  die  Satrapien  Parthien  mit  Hyr- 
kanien, Baktrien  mit  Sogdien,  Areia  mit  Drangiana  vereint.  Tapurien 
ist  vielleicht  schon  unter  Alexander  zu  Parthien  geschlagen.  In  Tri- 
paradeisos  321  tauscht  Nikanor  Areia  mit  Baktrien,  Philippos  Bak- 
trien mit  Parthien,  für  Phrataphernes.  Unter  Seleukos  Nikator  aber, 
erfolgt  eine  große  Änderung:  anstatt  der  21  asiatischen  Satrapien 
werden  72  eingerichtet.  Unter  Antiochos  III.  scheint  das  alte  System 
nochmals  hergestellt  worden  zu  sein.  In  sehr  viel  späterer  Zeit  aber 
tritt  die  Vielteilung,  die  natürlich  tiefe  innerpolitische  Gründe  hatte, 
wieder  auf. 

I^er  Hellenismus  bedeutet  für  diese  östlichen  Länder  eine  kultu- 
relle Umwälzung,  die  im  Sinne  von  E.  R.  Bevan  mit  der  Europäi- 
sierung des  heutigen  Orients  oder  der  Kolonisation  unerschlossener 
Länder  verglichen  werden  muß.  Die  Ausstrahlungszentren  sind  die 
große  Zahl  von  Städten  oder  Kolonien,  die  Alexander  selbst  und 
Antiochos  I.  dort  gründeten  3).  Von  Alexander  rühren  u.  a.  her  Alexan- 


')  Vgl.  HouTUM-ScHiNDLER  in  Z.' f.' Erdkunde  1877  pg.  217.  — ■  W.  Tomaschek,  1.  c. 
pg.  81.  —  Marquart,  Beiträge  z.  Gesch.  v.  &rän  II  2iss,  40 — 45.  —  Kiessling  bei'PAULY- 
WissowA  s.  V.  Hekatompylos.  —  Geiger  im  Grundr.  pg.  391. 

*)  Vgl.  F.  V.  Schwarz,  Alexanders  d.  Gr.  Feldzüge  in  Turkestan,  Stuttgart  1906.  - — 
Tomaschek,  Centralasiat.  Studien  I,  Sogdiana,  Wiener  Sitz.-Ber.  1877. 

3)  Vgl.  das  erste  Kapitel  von  E.  R.  Bevan,  The  House  of  Seleukos  1902  und  das 
Kap.  XIII  Iran.  —  J.  G.  Droysen,  Die  Städtegründungen  Alexanders  und  seiner  Nach- 


Khorasan.  .113 

dreia  Margiane  (Marw  i  rodh)  und  Alexandreia  Areion  (Herat);  von 
den  75  von  Antiochos  gegründeten  Städten  lagen  überwiegend  viele 
in  diesen  östlichen  Teilen.  Im  Jahre  323  meldeten  sich  allein  20  000 
Fußleute  und  3000  Reiter,  alles  frühere  Soldaten,  zur  Kolonisation 
von  Baktrien.  Dort  und  in  Sogd  gründete  Antiochos  nach  Justinus 
12,  nach  Strabon  8  Städte.  Einige  andre  erwähne  ich  hier:  in 
Parthien  Kalliope,  Pherai,  Apameia,  Mysia,  Hekatompylos ;  in  Hyr- 
kanien  Eumeneia;  in  Areia  Achaia,  Artakoana,  Alexandreia,  Soteira; 
in  Marw  Alexandreia  oder  Antiocheia  Margiane.  Die  Oase  Marw  wird 
mit  einer  Mauer  umgeben. 

Auch  wer  nicht  anzunehmen  geneigt  ist,  daß  die  große  Zahl  dieser 
Anlagen  im  Osten  einen  Grund  darin  hatte,  daß  dort  die  Städte  spär- 
lich waren,  muß  zugeben,  daß  jedenfalls  die  Hellenisierung  gerade 
dieser  Länder  den  Seleukiden  besonders  am  Herzen  lag.  Als  Anti- 
ochos III.  seinen  graecobaktrischen  Gegner  Euthydemos  in  Baktra 
belagert,  bewegt  dieser  durch  die  Drohung,  die  nördlichen  Nomaden 
zu  Hilfe  zu  rufen,  wodurch  die  griechische  Kultur  Baktriens  vernichtet 
werden  würde,  Antiochos  zu  einem  günstigen  Friedensschluß.  Diese 
Anekdote  ist  in  ihrem  symbolischen  Werte  wahr.  Der  Same  der  helle- 
nischen Kultur  fiel  in  Ostiran  auf  einen  jungfräulichen  x^cker:  daher 
ging  die  Saat  besser  auf,  als  in  Westiran.  Das  ist  die  Zeit,  wo  Khorasan 
zum  ersten  Male  schöpferisch  wirS.  Von  dem  hellenisierten  Khorasan 
geht  die  tiefe  Einwirkung  auf  alle  Künste  Asiens  aus.  Ohne  die  rich- 
tige Einschätzung  dieser  Tatsache  wird  man  die  Gandhära-Kunst  und 
überhaupt  die  buddhistische  und  die  manichäische  Kunst  nie  begreifen. 

Alexanders  indische  Eroberungen  hatten  die  Seleukiden  bald  auf- 
gegeben. Sie  begnügen  sich  stattdessen  mit  Bündnissen  mit  dem 
neuen  Königreich  Magädha.  311 — 02  ist  Megasthenes  Gesandter  bei 
Tchandragupta,  280 — 76  Daimachos  bei  Amitraghäta.  Vierzehn  Jahre 
darauf  nimmt  der  große  Asoka  den  Buddhismus  an.  Auch  Baktrien 
halten  die  Seleukiden  nicht  länger.  Unter  Antiochos  IL  Theos,  261 — 46, 
macht  sich  Diodotos  von  Baktrien  zum  König  und  erwirbt  dazu  Sog- 
diana und  Margiana.  Damit  hört  die  alte  Einheit  Khoräsäns  auf,  und 
es  entsteht  der  Riß,  der  bis  zur  islamischen  Eroberung  nicht  mehr 
dauernd  überbrückt  werden  konnte. 

Zwischen  das  Griechentum  im  östlichen  Khorasan  und  die  west- 
iranischen Provinzen  schiebt  sich  gleichzeitig  das  neu  entstehende 
iranische  Reich  der  Arsakiden  ^).    Für  das  Verständnis  der  kulturellen 

iolger,  Beil.  I  zu  Gesch.  d.  Hellenismus  III:  Gesch.  d.  Epigonen  1877.  —  Die  Artikel  Baktra, 
Bdktriane,  Baktrianoi,  Baktros,  Areia,   Areiosn&w.  von  Tomaschek  bei  Pauly-wissowa. 
")  Vgl.  A.  V.  GuTSCHMiD  in  der  Encyclop.  Brit.  s.  v.  Persia,  section  II  Greek  &  Par- 
Islam  XI.  8 


114  ErnstHerzfeld, 

Bedeutung  Khoräsäns  ist  das  von  größter  Bedeutung.     Die  Gründer 
der   Dynastie,   die  Brüder  Arsakes  und  Tiridates,   sind  vom   Stamm 
der  dahischen  Parner.     Die  Ursitze  der  Daher  waren  am  Syr  und  am 
Aral-See.    Aber  schon  lange  bevor  i.  J.  259  v.  Chr.  Arsakes  sich  zum 
Herrscher    machte,    hatten    die    Daher   die    Ebenen    Hyrkaniens   am 
Atrak  und  die  nördlich  anstoßenden  Steppen  östlich  des  Kaspischen 
Meeres   eingenommen,    die   noch   in   arabischer  Zeit   nach   ihnen   den 
Namen  Dahistän  tragen  ^).     Sie  waren  Nomaden  und  sind  immer  ein 
Reitervolk  geblieben,  das  mit  Bogen  und  Panzer  zu  Pferde  kämpfte. 
I.  J.  248/47,  dem  Beginn  der  parthischen  Ära,  wird  Arsakes  ermordet; 
Tiridates  fällt  in  Parthien  ein,  wird  in  'Aactax  in  'Aa-caurjVT^,  d.  i.  Kha- 
büshän-Kütchän  zum  König  ausgerufen,  besiegt  und  tötet  den  seleu- 
kidischen  Satrapen  Andragoras  von  Parthien  und  nimmt  ganz  Parthien 
um  241   in  Besitz.     Von  dieser  Reichsgründung  auf  dem  Boden  der 
alten    Satrapie   Parthien   geht   der   politische   Name   des   parthischen 
Reichs  aus.    Ethnisch  haben  die  Arsakiden  und  ihr  Volk  mit  den  alten 
Parthava  nichts  mehr  zu  schaffen.     Ganz  Hyrkanien  vergrößert  das 
Reich.     Tiridates  nimmt  den  Titel  Großkönig  an,  damit  bereits  das 
Programm  der  Herrschaft  über  ganz   Iran,   der  Rechtsnachfolge  der 
Achämeniden  aufstellend.    Er  schließt  ein  Bündnis  mit  Diodotos  von 
Baktrien  gegen  die  Seleukiden  und  gründet  die  Stadt  Dara  oder  Dareion 
in  Apawarktikene,  Äbeward^).    Er  stirbt  211/10. 

Antiochos  HI.  macht  dies  Königtum  noch  einmal  von  sich  ab- 
hängig, zieht  gegen  Euthydemos  von  Baktrien  und  schließt  mit  diesem 
206  Frieden.     Aber  als  er  nach  seiner  Niederlage  gegen  Rom  187  in 
Elam  getötet  wird,  ist  das  Schicksal  Ostirans  besiegelt.    Das  Parther- 
reich wächst.      Schon  Phraates   I.    (f  171   v.  Chr.)    siedelt  die  unter- 
worfenen Marder  f'Ajxapoot,  Amol)  an  den  Kaspischen  Toren  an,  d.  h. 
auch  Choarene-Khwar  und  Komisene-Komish  waren  schon  parthisch. 
Sein  Nachfolger  Mithradates  I.  171  — 138  ist  der  Begründer  des  Groß- 
reichs, der  Erfüller  des  schon  von  Tiridates  gesetzten  Zieles.     Zuerst 
macht   er  Eroberungen  im  Osten:  Areia  und  angeblich  bis   zu   den 
Grenzen  Indiens.     Wenn  das  wahr  ist,  so  war  es  ephemer;  denn  um 
161  dringen  nach  chinesischen  Quellen  die  Sai  oder  Sök,  die  Saken  der 
Achämeniden,  aus  dem  westlichen  Zentralasien  in  das  Kabul-Tal  vor 

fhia7t  Empires.  —  Mommsen,  Rom.  Gesch.  V,  Kap.  IX.  —  F.  Justi,  Grundr.  d.  iran.  Phil. 
Bd.  II,  III  Gesch.  IV  A  Alexanders  Nachfolger  tmd  die  Herrschaft  der  Parther.  — Tomaschek 
bei  Pauly-Wissowa  s.  v.  Daai. 

')  Vgl.  A.  Herrmann,  Alte  Geographie  d.  unteren  Oxusgebietes  in  Gott.  Abhandig. 
NF.  XV  4  1914. 

^)  P.  M.  Sykes,  Seventh  Journey  in  Persia,  in  Geogr.  Journ.  45,  1915,  pg.  357 — 371, 
betrachtet  die  Kala  Märän,  die  Schlangenburg,  als  das  Dara  des  Tiridates. 


Khorasan.  1 1  C 

und  dehnen  sich  dann  sowohl  nach  dem  Indus,  wie  nach  dem  alten 
Drangiana  hin  aus.  Um  147  unterwirft  Mithradates  das  seit  Alexanders 
Tod  unabhängige  atropatenische  Medien,  Ädharbaidjän,  und  dringt 
sogleich  bis  Babylonien  vor,  Seleukeia  erobernd.  Die  Versuche  der 
Seleukiden,  diese  alte  und  größte  Griechenstadt  wieder  zu  erobern, 
scheiterten.  Der  große  König  war  zugleich  Reichsgründer  und  Gesetz- 
geber der  Parther.  Die  Nachrichten  der  griechischen  Literatur,  die 
Denkmäler  und  die  Münzen  der  Parther  lehren,  wie  völlig  sich  die 
Parther  der  griechischen  Kultur  hingaben.  Griechisch  ist  die  Sprache 
der  Münzen,  der  seltenen  Inschriften  und  des  Rechts;  griechisches 
Theater,  griechische  Bildhauerei  sind  bezeugt  ').  Griechisch  bleibt 
auch  die  Verfassung  der  großen  Städte  wie  Seleukeia.  Erst  allmählich 
verkümmert  das  vom  Westen  losgelöste  Griechentum  und  weicht  einer 
ziemlichen  Barbarei.  Nicht  allein  die  nichtiranische  Abstammung  der 
Arsakiden  und  nicht  etwa  ihre  mangelhafte  zoroastrische  Orthodoxie, 
sondern  ihre  griechische  Zivilisation  ist  es,  die  ihre  ganze  Epoche  den 
späteren  Persern  im  Lichte  der  Fremdherrschaft  erscheinen  läßt. 

Über  die  Gliederung  des  Reichs  sind  wir  durch  Isidoros  von 
Charax  (Muhammera  am  Shatt  al-*Arab)  und  Plinius  gut  unter- 
richtet. Isidoros  beschreibt  die  Reichspoststraße,  die  cxadixot 
riap&ixoi.  Das  Reich  ist  geteilt  in  die  »oberen«  und  »unteren«  Sa- 
trapien: 

Die  oberen  liegen  im  Westen:  i.  Mesopotamia  und  Babylonia;  2.  Apolloniatis  an 
«ler  unteren Diyäla;  3. Chalonitis.hd.  Sarpul-Hulwan;4.  Karine, hd.  Kirind;  5.  Kambadene, 
ap.  Kampada,  hd.  Kirmänshähän;  6.  das  obere  Medien,  hd.  Hamadän;  7.  das  untere  oder 
rhagianische  Medien,  hd.  Rai  bei  Tehrän.  Die  unteren  Satrapien  sind:  8.  Choarene,  hd. 
Khwär  östl.  der  Kaspischen  Tore;  9.  Komisene,  hd.  Komish;  10.  Hyrkania,  hd.  Gurgän-; 
1 1.  Astauene,  hd.  Kütchän;  12.  Parthyene,  hd.  Neshäpur;  13.  Apawarktikene,  hd.  Abeward; 
14.  Margiane,  hd.  Marw;  15.  Areia,  hd.  Herät;  16.  das  Land  der  Anauer  mit  der  Haupt- 
stadt Phrada  oder  Phra,  hd.'Parah  südl.  Herät;  17.  Zarangiane,  hd.  Sistän  am  Hämün- 
See;  18.  Arachosia  oder  Weiß-Indien,  hd.  Afghanistan  südl.  des  Hindükush  am  Mittellauf 
des  Helmand.  10  bis  13  bilden  also  das  alte  Parthava  und  Varkäna,  14  ist  ein  Teil  von 
Bäkhtrish,  15  bis  17  gehören  zu  Haraiva,  dem  schon  Alexander  Drangiana  angegliedert 
hatte,   17  und  18  gehören  nicht  mehr  unter  den  Begriff  Khorasan,  sondern  unter  Nemrozh. 

Diese  Gliederung  läßt  noch  deutlich  die  Vielteilung  der  großen 
alten  Satrapien  durch  Seleukos  Nikator  erkennen.  Auf  diese  geht 
auch  die  Teilung  der  ap.  Satrapie  Zranka  in  l.  'Avaucuv  yßpa.  am 
Fara  rodh,   nördl.  des  Hämün  i  Helmand;    2.  Zapa^^iavri,   mit  Zapiv, 

I)  Zu  den  literarischen  Nachrichten  der  griechischen  und  römischen  Schriftsteller 
kommen  heute  die  Awramän-Dokumente  mit  ihren  überraschenden  Aufklärungen,  vgl. 
E.  H.  MiNNS,  Parchmenis  of  the  Parthian  Period  from  Avroman  in  Kurdistan  in  J.  of  Hell. 
Stiid.  1915  pg.  22 — 65,  und  A.  Cowley,  The  Pahlavi  Document  from  Avroman,  im  JRAS. 
1919,  April,  pg.   147—154. 

8 


jl6  Ernst  Herzfeld, 

hd.  Zarang  ^)  und  Köpox,  d.  i.  Karkoe  mit  seinem  berühmten  Feuer- 
tempel ^);  3.  Uapal-ay.r^vr^y  Rodhbär,  Hauptort  SqaX.  Dieses  war  zu 
Isidoros'  Zeit  bereits  ein  selbständiges  Reich  der  Saken,  daher  auch 
^>xxaa-avri  genannt,  später  Sagistän,  hd.  Sistän.  Im  letzten  Drittel 
des  I.  Jhdt.  Chr.  stand  es  unter  der  Dynastie  des  Gundofarr,  einem 
Zweige  des  parthischen  Hauses  Suren;  erobert  war  es  von  dem  Reich 
der  Saken  im  Pandjäb  aus.  Den  Namen  Gundofarrs,  des  einen  der 
Heiligen  drei  Könige  und  Beschützers  des  Apostels  Thomas,  ver- 
ewigt die  Stadt  Tovoocpapeia,  d.  i.  Ounduhar,  hd.  Kandahar,  das  alte 
'Ake^dvoptia  'Ipa/toTÜiv.  Diese  war  die  Hauptstadt  von  Arachosia, 
ap.  Harakhwatish,  bei  Isidoros  Xopoyodo,  ar.  ar-Rukhkhadj.  Mit  den 
Gebieten  von  Fara,  Zarang  und  ar-Rukhkhadj,  also  dem  mittleren 
Afghanistan,  reicht  das  Partherreich  im  Osten  über  das  Gebiet  von 
Khoräsän  hinaus.  Ihm  fehlt  von  altem  iranischen  Besitz:  Baktrien 
und  Sogd,  die  Paropamisaden,  Indien  und  das  eigentliche  Sakastane, 
das  südliche  Afghanistan.  Erst  recht  Balütchistän.  Die  erstgenannten 
Länder  bleiben  griechisch-baktrische  Staaten  bis  zum  Beginn  der 
großen  Völkerwanderung,  die  vom  Tärimbecken  ausgeht. 

In  Mittelasien  sitzen  in  der  Morgendämmerung  seiner  GeschichteS), 
im  3.  Jhdt.  V.  Chr.  nördl.  vom  Hoang-ho  die  in  Shen-tsi  und  Shan-tsi 
beheimateten  Hiung-nu.  Der  Name  heißt  »Sklaven  der  Hiun,  Hun« 
und  ist  eine  chinesische  Umdeutung  von  Hiun,  Hun,  d.  i.  ind.  Huna, 
gr.  Xouvot,  Oouvoi.  Ihre  Nachbarn  im  SW.  sind  die  Yüetshi,  die  in 
der  zweiten  Hälfte  des  3.  Jhdts.  nahe  am  chinesischen  Gebiet,  im  N. 
der  Provinz  Kan-su  saßen.  Ihr  alter  Name  it  hguet-(t)shi  oder  Goat- 
shi.  Nordwestlich  von  ihnen  dehnen  sich  die  nomadischen  Wu-sun 
über  ein  weites  Gebiet  aus.  Am  Lop-nor  sitzen  die  Lau-lan.  Westlich 
der  Wusün  am  Issik-kul  sitzen  die  Sai,  alte  Aussprache  Sök  (ö  zwischen 
a  und  o),  das  sind  die  ind.  Saka,  ap.  Sakä.  Im  J.  178  v.  Chr.  schickt 
der  Hiung-nu-Fürst  Mokduk  einen  Brief  an  den  Kaiser  von  China 
mit  der  Meldung,  er  habe  die  Yüetshi  vernichtet,  die  Lau-lan,  Wu-sun 


■)  Lage:  von  Djuwain  ausgehend  drei  kleine  Tagesreisen  entweder  erstens  nach 
Näd  'Ali,  wo  Ruinen,  Smith  bei  Goldsmith,  East.  Fersial  298  s,  vgl.  Bellew,  Front  the 
Indus  to  tJie  Tigris  1874,  —  oder  zweitens  nach  Zähidän  undQäsimäbäd,  zusammenhängend 
mit  Djalälabäd,  wo  jüngere  Ruinen. 

2)  ToMASCHEK,  Hist.  Topogr.  I  69  ss.  — Marquart,  &ränsahr  197  s.  —  G.  Hoffmann, 
Syr.  Akten  pers.  Märtyrer  Nachtrag  pg.  281  ss. 

3)  Hauptqu eilen :  Fa-Hian  und  Hiuen-Tsiang,  beide  bei  Beal,  I.e.  —  Wang 
Yen-tebei  Stan.  Julien  in  JA.  1847  IX.  —  Ma-Tuan-Lin  bei  d'Hervey  de  st.  Denys, 
Ethnographie  des  peuples  etrangers  a  la  Chine  I,  Orientaux  1876.  —  Vgl.  Sten  Konow,  Same 
documents  relating  lo  the  ancient  history  of  the  Indo-Scythians  in  JRAS.  1920,  i,  pg.  156  ss.  — 
J.  Marquart,  Entstehung  11.  Wiederherstellung  d.  armen.  Nation,  Berl.  1920,  pg.  5  s.  a.  Anm. !, 


•     Khorasän.  I  I7 

und  viele  andere  Völker  dem  Hiung-nu-Reich  einverleibt.  Ein  Rest 
der  Yüetshi  flüchtet  in  das  Nan-shan  Gebirge  am  Südrand  des  Tarim- 
beckens,  genannt  die  »kleinen  Yüetshi«.  Die  andern,  die  »großen« 
greifen  die  Wu-sun  an,  und  erobern  ihr  Land.  Weiterziehend  stoßen 
sie  auf  die  Saken.  Die  Saken  setzen  sich  nach  Süden  in  Beivegung:' 
zuerst  nach  Kashghär,  dann  über  den  Pamir  ins  Kabul-Tal,  und  einer- 
seits nach  Indien  ins  Pahdjäb,  ein  Zweig  sogar  bis  zur  Indusmündung, 
andererseits  aber  nach  Sistän.  Um  160  v.  Chr.  nimmt  Kun-mo,  der 
Fürst  der  Wu-sun  Rache;  er  vertreibt  die  »kleinen  Yüetshi«  nach 
Westen  und  gründet  ein  Reich  von  Urumtshi  bis  zum  Issik-kul.  Die 
kleinen  Yüetshi  überschreiten  den  Syr-darya  nach  Sogd  und  weiter 
den  Amu-darya  und  erobern  Ta-hia,  d.  i.  Tokharistän,  Balkh.  Soweit 
die  chinesischen  Berichte. 

Die  Griechen  nennen  andere  Namen.  Strabon  XI  8,  2  spricht 
von  den  "löiot  oder  'Aaiavoi',  Toxapoi  und  SotxotpauXoti,  Pompeius  Trogus 
bei  Justinus  41  von  den  Saraucae  und  Asiani,  42  von  den  »reges 
Thocarorum  Asiani  interitusque  Saraucarum«.  Die  Yüetshi  der  Chi^ 
nesen  entsprechen  den  'Asioi-Asiani  der  Griechen.  In  chinesischen 
Quellen  tritt  der  Name  der  Tocharer  als  Tu-hu-lo  erst  im  4.  christl. 
Jahrhdt.  auf,  vorher  werden  sie  Ta-hia  genannt.  Diese  Eroberung 
Baktriens,  die  um  160  beginnt,  ist  um  126  schon  längst  entschieden; 
die  letzte  Nachricht  über  die  Griechen  in  Baktrien  stammt  aus  dem 
Jahre  140  v.  Chr.  Von  nun  an  rollt  eine  Völkerwelle  nach  der  anderen 
über  diese  Länder  hin.  Das  Griechentum  versinkt.  Aber  gerade  hier 
nimmt  Volk  auf  Volk  den  Keim  griechischer  Kultur  auf.  Anderer- 
seits ist  Baktrien  eng  mit  Indien  verbunden  und  vom  Buddhismus 
missioniert  worden.  Der  griechische  König  Menandros  ist  der  Milinda 
der  Buddhisten.  So  entsteht  in  Baktrien  und  verbreitet  sich  von  da 
aus  die  seltsame  Kultur,  in  der  sich  indischer  Gedanke  und  griechische 
Form  vermählen. 

Wie  einst  die  Perser  das  Mederreich,  so  stürzen  um  225  v.  Chr. 
die  persischen  Sasaniden  das  Partherreich.  Wir  wissen  von  der  Reichs- 
gründung nur  wenig,  bis  einmal  die  Entzifferung  der  Paikuli- Inschrift 
mehr  Licht  darüber  verbreiten  wird  i).  Wie  in  den  Dareios- Inschriften 
Pdrsa  Uta  Mdda  immer  gepaart  als  Stammlande  genannt  werden,  so 
in  der  Paikuli- Inschrift  sechsmal  Pars  ut  Parthav.  Von  den  östlichen 
Gebieten  treten  auf:  der  Khwärizmänshäh  und  der  Küshänshäh.    Nach 


')  Herzfeld,  Die  Aufnahme  des  sasanidischen  Denkmals  von  Paikuli  in  Berl.  Abhdlg. 
1914;  die  Blöcke  24  u.  53  der  arsakidischen  Version  enthalten  den  Satz:  '\  ^H^  IH^N^ 
njnr  pJDXD  nO  Dmn  bV iniS'n,  d.  i.:  »Die  Götter  gaben  die  Maje- 
stät und  das  Reich  (und )  dem  Geschlecht  der  Sasaniden«. 


I  l8  Ernst  Herz feld  , 

Tabari  I  820  hat  sich  der  König  der  Küshän,  d.  i.  Balkh-Baktricn, 
freiwilhg  Ardashir  I.  unterworfen;  nach  dem  Briefe  des  Tannasar, 
des  Mobedh's  Ardashir's,  der  das  Awesta  sammelte,  auch  der  König 
von  Khwärizm,  Weiter  kommen  vor:  ein  *"1DX,  König  der  ?WliBJ<, 
ein  Berawän,  König  der  Spandawartän  und  Päradän  (d.  i.  Uapaor^vT^ 
in  Gedrosia-Balütchistän),  Bagdat,  Herr  der  PlilN'PT'f,  bzw.  TiNZ 
Herr  der  pttTn^blT,  in  welchem  J.  AIarquart  den  König  Kaitu 
<ies  Ardashir-Romanes  erkennen  möchte,  ein  IIJT  .  .  .  Herr  der  JN2i'?inD, 
und  Varasmän,  Herr  der  Mekän.  Eine  oft  erwähnte  Gestalt  ist  der 
Sakänshäh.  Es  ist  bisher  nicht  zu  ersehen,  welche  von  ihnen  als  Feinde, 
Bundesgenossen  oder  Satrapen  auftreten. 

Unter  Shäpür  II.  3i(> — -379  erscheint  im  Osten  ein  neues  Volk, 
die  Chioniten,  die  mit  den  Küshän  verbündet  den  Kampf  gegen  Iran 
aufnehmen.  Eine  Lehnshoheit  über  Baktrien  besteht  nicht  mehr. 
Unter  Yezdegerd  I.  399 — 420  kommt  der  Feind  von  Norden:  ein  Tchöl 
genannter  Türkenstamm  aus  der  Gegend  nördl.  von  Marw  und  aus 
Dahistän.  Die  Nordgrenze  von  Gurgän  und  Parthav  wird  durch  Be- 
festigungen gesichert.  Auch  Bahräm  V.  420 — 438  kämpft  mit  »Türken«. 
Sein  Bruder  Narse  wird  als  »Markgraf  gegen  die  Küshän«  eingesetzt. 
Marw,  Marw  i  rodh,  Harew,  Bädhghes  und  Sagistän  sind  die  Ost- 
marken. —  Yezdegerds'  IL  (438 — 457)  und  Peroz'  Regierung  (459 — 
484)  sind  angefüllt  mit  Kämpfen  gegen  die  kidaritischen  Hunnen,  bis 
diese  endlich  in  das  Gandhära-Gebiet  nach  Peshäwar  weiterziehen. 
Ihnen  folgen  die  Hephthaliten,  Haital  der  Araber,  denen  damals  viel- 
leicht Tälakän  abgetreten  wurde.  Sie  besiegen  Peroz  vollständig. 
Die  Kadischäer  okkupieren  Harew,  Püshang  und  Bädhghes.  Ihr  Name 
bleibtinMoses vonKhorene's  Katashan-Qädis.  Kawädh  L, 489 — 531. 
unter  dem  eine  Zeitlang  der  Kommunismus  des  Mazdak  angenommen 
wurde,  verbündet  sich  mit  dem  mächtigen  Hephthalitenreiche  gegen 
die  neu  von  Norden  einfallenden  sabirischen  Hunnen.  Khosro  I. 
Anosharwän,  531 — 579,  soll  den  fernen  Süden  wieder  gewonnen  haben: 
Bost,  Arrokhkhadj,  Zäbulistän,  Tokhäristän  und  Sind.  Wenn  diese 
Nachricht  wahr  ist,  so  war  es  nur  vorübergehend.  Harew,  Bädhghes 
und  Püshang  hielt  er,  Tälakän  war  die  Grenze.  Unter  Hormizd  IV., 
579 — 590,  dringen  die  Hephthaliten  bis  Harew  und  Bädhghes  vor. 
In  siegreichem  Gegenstoß  kommt  Bahräm  Tchobin  bis  über  den  Oxus. 
Kurz  vor  616/17  kämpfen  die  Küshän  unter  einem  König  hephtha- 
litischer  Abstammung,  unterstützt  von  dem  souveränen  Khäqän  der 
Türken,  gegen  den  iranischen  Feldherrn  Smbat,  einen  Armenier. 
Tokhäristän  bis  Tälakän,  auch  Bädhghes  und  Harew  gelten  dabei 
als  Feindesland,  Marw  i  rodh  ist  die  äußerste  persische  Provinz.    Bei 


Khorajjin.  I  I  9 

der  islamischen  Eroberung  um  652 — 708  ist  ebenfalls  Marw  i  rodh 
die  äußerste  iranische  Provinz  unter  einem  marzbdn,  Markgrafen; 
Bädhghes  und  Püshäng  stehen  unter  einem  »Großen«  t^DI,  vazurg; 
Herät  gehört  den  Haital;  Gozgän,  Tälakän  und  Päriyäb  zuTokhäristän  '). 

Mit  geringen  Schwankungen  hat  sich  also  die  Ostgrenze  bei  Tä- 
lakän, die  nur  wenig  östlicher  lag  als  die  heutige  Ostgrenze  Persiens, 
seit  dem  Beginn  der  Partherzeit  nicht  verändert.  Gelegentlich  war 
sie  sogar  bis  zur  heutigen  Grenze  zurückgeschoben.  Die  Kluft,  die 
mit  der  Aufrichtung  des  graeco-baktrischen  Königreichs  und  des  Groß- 
königtums der  Arsakiden  in  Ostiran  sich  auftat,  blieb  bis  zur  ara- 
bischen Eroberung  unüberbrückt.  Der  fernere  Osten  bildete  nie  einen 
integrierenden  Bestandteil  des  parthischen  oder  gar  des  sasanidischen 
Reichs.  Die  westhche  Hälfte  von  Khoräsän,  die  heutige  Provinz 
Khoräsän,  war  seit  Mithradates  I.  die  östUche  Grenzmark.  Sie  war 
der  Schauplatz  jahrhundertelanger  Kämpfe,  fast  ohne  Unterbrechung, 
mit  immer  neuen  Horden  mittelasiatischer  Barbaren.  So  sehr  da- 
durch ihre  pohtische  und  mihtärische  Bedeutung  wuchs,  so  waren  das 
gewiß  nicht  die  Bedingungen,  unter  denen  in  diesen  Ländern  eine 
eigene,  tiefe  und  große  Kultur  geschaffen  wurde,  der  man  eine  Fern- 
wirkung über  ganz  Eur<ppa  hin  zuschreiben  dürfte.  Die  Verhältnisse 
liegen  genau  wie  in  Mesopotamien,  diesem  unglücklichen,  durch 
jahrhundertelange  Kämpfe  zwischen  Persern  und  Römern  zerfleischten 
Lande.  Wenn  also  in  Khoräsän  Denkmäler  der  parthischen  und  sasa- 
nidischen Zeit  völlig  fehlen,  so  hat  das  gute  historische  Gründe.  Da 
spielt  kein  Zufall  der  Erhaltung.  Der  kulturelle  Schwerpunkt  ist  in 
diesen  Epochen  nach  Babylonien  und  dann  nach  der  Persis,  Färs, 
verlegt.  —  Auch  nach  der  arabischen  Eroberung  tritt  zunächst  keine 
Ruhe  ein,  Saif  sagt  bei  Tabari  I  2709:  »Sagistän  blieb  weiter  das 
bedeutendere  der  beiden  Länder  (nämlich  Sagistän  und  Khoräsän) 
und  blieb  die  schwierigere  der  beiden  Grenzen  und  die  an  Truppen 
zahlreichere,  bis  zur  Zeit  des  Mu*äwiya«.  Die  Bedeutung  des  Landes 
war  eine  politische  und  militärische,  keine  kulturelle.  Aus  diesem 
Lande  hat  tatsächhch  der  züfnende  Gott  ein  Volk  nach  dem  anderen, 
wie  einen  Pfeil  aus  seinem  Köcher  auf  die  Menschheit  entsandt. 

In  der  frühislamischen  Zeit  2)  ist  Khoräsän  das  ferne  Gebiet,  in 

')  Zur  Geschichte  der  Sasaniden:  die  genannten  Werke  von  Makqi;art.  —  lu.  Nöj.- 
DEKE  in  Enc.  Brit.  s.  v.  Persia  III.  section.  —  Ders.  Gesch.  d.  Perser  it.  Araber  z.  Zt.  der 
Sasaniden,  aus  d.  Chron.  d.  Tabari,  1879.  —  A.  Christensen,  IJempire  des  Sasanides, 
Kopenh.   Akad.    1907. 

^)  Vgl.  iMARQUART,  iränsahr.  —  Weil,  Gesch.  d.  Chalijen  3  Bde.  1846.  — A.  Müller, 
Der  Islam  im  Morgen-  und  Abendland,  bei  Oncken  1885.  —  W.  Muir,  The  Caliphate,  ist 
Rise,  Decline,  and  Fall.  3.  .\ufl.   1898. 


I-2Ö  Ernst  Perzfeld, 


dem  sich  alle  ethnische,  politische  und  religiöse  Opposition  gegen  den. 
Islam  sammelt.  Das  und  nicht  seine  schönen  Bauten,  seine  hohe 
Industrie,  ist  der  Grund,  warum  die  Abbasiden  ihr  unterirdisches 
Wühlen  gegen  das  uma^'yadische  Khalifat  in  diesem  Lande  beginnen 
lassen.  Nicht  in  den  Ländern,  die  unter  dem  neuen  Weltreich  zu 
höherer  Blüte  denn  je  gelangen,  sondern  dort,  wo  es  der  Bevölkerung 
schlecht  geht,  wo  die  größte  Unzufriedenheit  angehäuft  ist,  finden  sie 
ihre  Anhänger.  Als  die  Bürgerkriege  zwischen  Kais  und  Kelb,  Nord- 
und  Südarabern,  und  die  Aufstände  der  Khäridjiten  das  Umayyaden- 
reich  von  Spanien  bis  China  dem  völligen  Verfall  nahegebracht  haben, 
halten  sie  die  Zeit  für  gekommen,  loszuschlagen.  Am  25.  Ramadan 
129  (9.  Juni  747)  entfaltet  ihr  gewissenloser  Agent  Abu  Muslim  in 
Safedhang  bei  Marw  die  schwarze  Fahne  der  Abbasiden,  und  genau 
drei  Jahre  später  wird  Marwän  IL,  der  letzte  Umayyade,  auf  der 
Flucht  in  Ägypten  ermordet.  Nach  diesen  Ereignissen  ist  unser  als 
Motto  gewählter  Ausspruch  Muhammads  zweifellos  in  abbasidischem 
Sinne  gefälscht.  Der  »Blutvergießer«  al-Saffäh  hatte  das  abbasidische 
Khalifat  aufgerichtet.  Es  gibt  keine  Gründe  dieser  politischen  Ereig- 
nisse wegen  der  Provinz  Khoräsän  irgendwelche  kulturelle  Über- 
legenheit auf  dem  Gebiete  irgendeiner  Kunst  über  andere  Provinzen 
Irans  oder  des  übrigen  islamischen  Reichs  zuzuschreiben.  Im  Gegenteil. 
Um  zur  Macht  zu  gelangen,  hatten  die  Abbasiden  sich  in  unglaub- 
lich verschlagener  Weise  der  alidischen  Propaganda  in  Iran  bedient. 
»Herrschaft  für  das  Haus  des  Propheten,  für  die  bani  Häshim«,  war 
ihre  Losung;  darunter  verstanden  die  Aliden  die  wahren  Erben  des 
Propheten,  die  Abbasiden  aber  sich  selbst.  Zu  diesem  Ziele  hatte  i.  J. 
104/722  Muhammad,  der  Vater  des  Saffäh,  die  beiden  Häuser  durch 
Heirat  verbunden.  Unter  dem  heuchlerischen  Kriegsruf  »Rache  für 
'Othmän«,  »Rache  für  Husain«,  wurden  die  Aliden  veranlaßt,  die 
Siege  der  Abbasiden  zu  erringen.  Im  Besitz  der  Herrschaft  aber  nehmen 
diese  den  gnadenlosen  Kampf  gegen  das  Haus  des  Propheten  auf. 
An  der  blutigen  Tragödie  dieses  Hauses,  dessen  letzter  Sproß,  der 
zwölfte  Imäm,  der  Mahdi,  i.  J.  264/87^  in  Samarra  verschwindet, 
erwächst  der  Schiismus.  Sanguis  martyrum  semen  eCclesiae  !  In  den 
Betrogenen  und  Ohnmächtigen  entsteht  ein  leidenschaftliches  religiöses 
Gefühl.  Persien  ist  der  Fruchtboden  dieser  Entwicklung.  Alles  was 
hier  an  Opposition  gegen  das  Arabertum  als  Rasse,  gegen  den  ortho- 
doxen und  mu*tazilitischen  Islam  als  Religion,  gegen  die  illegitime 
Abbasidenherrschaft  als  Staatsform  noch  lebte,  verbindet  sich  dieser 
neuen  Religion.  So  entsteht  mit  der  schiitischen  Religion  zugleich 
der  persische  Nationalismus.   Und  Ostpersien,  Khoräsän  ist  der  Mutter^ 


Khorasan.  121 

leib,  in  dem  die  neue  Religion  und  die  neue  Nation  heranwachsen. 
Die  Versuche  der  Tähiriden,  Khorasan  vom  abbasidischen  Khalifat 
zu  lösen,  symbohsieren  die  Geburtsstunde,  die  Zeit  der  Saffariden, 
Samäniden  und  Buyiden  die  Kindheit  des  Schiismus.  In  dieser  Zeit 
und  nur  in  dieser  erblüht  das  neue  geistige  Leben  Persiens,  Mahmud 
von  Ghazna,  Firdosi,  Berüni  sind  die  Namen,  die  diese  Blütezeit 
auf  pohtischem,  künstlerischem  und  wissenschaftlichem  Gebiet  be- 
zeichnen. Die  frühsten  Denkmale  islamisch-persischer  Baukunst  ver^ 
künden  laut  und  deutlich,  daß  die  bildenden  Künste  sich  gleichzeitig 
mit  der  Dichtung  und  Wissenschaft  entfalten.  Das  ist  die  Zeit,  wo 
Khorasan  zum  zweiten  Male  schöpferisch  wird.  Und  wie  sich  die 
Verse  Firdosi 's  über  Iran  hinaus  die  östliche  Hälfte  der  islamischen 
Welt  erobern,  bis  zum  Mittelmeer  hin,  so  tut  es  in  der  Folgezeit  die 
geschwisterliche  persische  Kunst  mit  dem  Seldjukenreich.  Erst  die 
orthodoxe  Reaktion,  die  aus  dem  durch  die  Kreuzzüge  aufgerüttelten 
Gewissen  des  arabischen  Islam  erwächst,  sperrt  mit  Nur  al-din  und 
Saladin  die  syrisch -ägyptischen  Länder  wieder  völlig  für  die  persische 
Kultur.  Auch  nach  Osten  sendet  Khorasan  seine  Strahlen  aus:  das 
älteste  Denkmal  türkischer  Sprache,  das  Kudatku-Büik,  der  Fürsten- 
Spiegel  aus  dem  ersten  islamischen  Reiche  des  zentralen  Turkistan, 
spiegelt  den  Einfluß  des  Shähndme  wieder. 

Damit  sind  wir  an  der  Grenze  der  Neuzeit  mit  diesem  historischen 
Überblick  angelangt.  .Was  der  Islam  nach  den  Seldjuken  geschaffen 
hat,  liegt  klar  vor  uns:  die  gegenseitig  befruchtende  Berührung  der 
Frankenländer  mit  Syrien  und  Ägypten  in  der  Kreuzzugszeit,  die  Zu- 
sammenfassung ganz  Asiens  unter  den  Djingizkhaniden,  die  Ent- 
stehung der  großen  Nationalstaaten  Rußland,  Persien,  China,  Indien 
aus  dieser  asiatischen  Einheit,  das  osmanische  Reich  und  das  sefewi- 
dische  Persien,  die  Aszendenz  Europas  über  Asien.  Für  unsere  Unter- 
suchung der  kunstschöpferischen  Bedeutung  Khoräsäns  und  ihrer 
Fernwirkung  bei  der  Entstehung  der  islamischen  und  mittelalterlich- 
europäischen^^Kunst,  kommt  das  letzte  Jahrtausend  nicht  mehr  in  Frage. 

Es  wäre  eine  schiefe  Parallele,  wollte  man  die  kulturelle  Bedeutung 
Khoräsäns  der  gräkobaktrischen  oder  der  frühislartiischen  Periode  in 
das  hohe  Altertum  einfach  zurückspiegeln.  Der  ferne  Osten  war 
durch  Hellas'  Umarmung  fruchtbar  geworden;  Buddhismus,  Mani- 
chäismus  und  Christentum  hatten  eine  merkwürdige  Kulturmischung 
geschaffen.  Ganz  Asien  bildet  den  Hintergrund  zu  diesem  Bilde,  wirkt 
durch  den  Brennpunkt  Khorasan  hindurch.  Im  hohen  Altertum  da- 
gegen liegt  hinter  Khorasan  das  Chaos,  die  Finsternis  von  Nomaden-, 
Jäger-  und  Fischervölkern;  es  ist  das  Ende  der  Welt. 


122  Ernst   Herzfeld, 

Für  die  Frage  der  künstlerischen  Kultur  Khoräsäns  ist  es  auch 
ganz  gleichgültig,  ob  Baktrien,  Rhages  oder  Media  Atropatene  die 
Heimat  Zoroasters  war,  ob  seine  Zeit  der  des  Dareios  und  seines  Vaters 
Hystaspes  näher  oder  ferner  lag.  Die  Frage  der  Urheimat  des  Zoroa- 
strismus  ist  alles  andere  als  der  Beantwortung  nahe.  Vor  kurzem  noch 
neigte  sich  die  Schale  zugunsten  des  Ostens:  Andreas  lokalisierte, 
wenn  ich  mich  seines  Vortrags  in  Kopenhagen  recht  entsinne,  den 
Gäthä-Dialekt  in  Sogd  oder  Bukhärä.  Marquart  will  das  mythische 
Airyanam  waedjo  in  Khwärizm  erkennen.  Aber  nachdem  schon  Breal 
1862  aus  der  Sprachstufe  (Bäkhdhi  zwischen  Bäkhtrish  und  Bakhl- 
Balkh)  die  Jugend  der  Völkerliste  des  Wendidäd  erkannt  hat,  geht 
es  längst  nicht  mehr  an,  sie  für  den  Beweis  des  östlichen  Ursprungs 
des  Awesta  zu  verwerten  ').  Die  neuesten  Fortschritte  in  der  Ent- 
zifferung der  Boghazköi- Inschriften  aber  verschieben  wieder  das  ganze 
Problem  der  arischen  Wanderung  und  damit  vielleicht  auch  der  Heimat 
des  Zoroaster^).  Jedenfalls  ist  diese  Frage  hier  ohne  Einfluß;  die 
gleiche  Sachlage  beim  Christentum  und  Buddhismus:  Christi  Geburt 
und  Nazareth  sind  nicht  Geburtsstunde  und  Heimat  der  christlichen 
Kunst,  noch  ist  Kapilavastu  und  der  Geburtstag  des  Buddha  Heimat 
und  Geburtstag  der  buddhistischen  Kunst.  Kultur  und  Zivilisation 
in  Iran  sind  viel  älter  als  der  Zoroastrismus,  viel  älter  als  das  Eindringen 
der  Iranier  in  das  nach  ihnen  benannte  Land. 

Ist  die  Frage  nach  Zeit  und  Heimat  Zoroasters  für  unsere  Pro- 
bleme unwesentlich,  so  ist  es  ein  logischer  Fehler,  und  ein  vollendeter 
Widerspruch  gegen  alle  Tatsachen,  den  zu  diesem  Zweck  im  Osten 
Irans  angesetzten  Kult  des  Mithra  von  dort  nicht  über  das  Mittelmeer, 
sondern  über  Transkaspien  und  Südrußland  nach  Westeuropa  führen 
zu  wollen.  Mithra  ist  wie  Varuna,  Anahit  und  andere  eine  Urgottheit 
der  Arier;  siehe  die  Boghazköi- Inschriften.  Der  alte  Zoroastrismus 
hat  diese  uralten  Kulte  nicht  beseitigen  können,  wie  die  achämeni- 
dischen  Inschriften  lehren.    Mithrasdienst  gab  es  also  im  Westen  wie 


■)  A.  Herrmann,  1.  c.  pg.  43  schreibt:  »Khwärizm  ist  der  Name  für  die  Landschaft. 
Den  Namen  des  Volksstammes,  der  dort  ursprünglich  wohnte,  hat  neuerdings  F.  C.  Andreas 
mit  geographischen  und  sprachlichen  Gründen  in  dem  Airyanem  Vaedjo  des  Awesta  er- 
wiesen, indem  er  hier  das  Heimatland  der  späteren  Alanen  des  Abendlandes  wieder- 
erkannte« (nach  einem  ungedruckten  Vortrage  auf  dem  Kopenh.  Oriental.  Kcngr.  1909). 
Die  Art  dieses  mündhchen  isnäd  charakterisiert  Andreas.  Für  erwiesen  halte  ich  nichts. 
—  Vgl.  ferner  Breal,  JA.  XIX  1862,  pg.  490  ss.  —  Geldner  und  Jackson  imGnmdr.  d. 
iran.  Phil.  II  pg.  32 — 39  u.  621  s.  —  Ed.  Meyer,  Gesch.  Bd.  II  i.  Aufl. 

^)  f-  Jensen,  Indische  Zahhvörler  in  keilschrifthittitischen  Texten,  Berl.  Sitz.-Ber. 
1919.  —  E.  Forrer,  Die  acht  Sprachen  der  Boghazköi- Inschriften  ebd.  1919.  —  G.  Hüsing, 
Widewdad  1.  und  die  Heimat  des  Awesta,  Miti.  d.  Geogr.  Ges.  Wien  1919,  9. 


Khorasan.  I23 

im  Osten  des  Reichs.    Der  Fels  von  Bistün,  ar.  ^^.^ycw^,  gr.  BaYi'sxavov 

opo?,  ap.  *Bagastäna,  ist  der  »Götterort«,  der  Sitz  des  Gottes  xax' 
E$ox>jv,  des  Mithrai).  Aber  eine  Welt,  und  zwar  die  hellenistische,  trennt 
diesen  in  der  Achämenidenzeit  nachlebenden  arischen  Urkult  von 
jenem  synkretistischen  Kult,  der  in  der  römischen  Zeit  sich  über  das 
ganze  Reich  verbreitet  und  mit  dem  Christentum  um  die  Weltherr- 
schaft ringt, 

II.  Die  Denkmäler. 

In  Urzeiten,  in  die  wir  heute  noch  nicht  mit  dem  Licht  historischer 
Daten  hineinleuchten  können,  nämlich  vor  3000  v.  Chr.,  sitzen  am 
Westrande  des  iranischen  Plateaus  Völker,  die  uns  Denkmäler  hinter- 
lassen haben.  Etwas  was  sich  zugleich  an  Alter  und  Wert  mit  der 
Keramik,  den  Siegeln  und  anderen  Kleinfunden  der  ältesten  Schichten 
von  Susa  messen  könnte,  ist  bisher  nicht  einmal  in  Sumer  bekannt 
geworden.  Es  ist  noch  nicht  zu  erkennen,  ob  alle  Volksstämme,  die 
uns  um  diese  Zeit  und  während  des  III.  Jahrtausends  an  den  ira- 
nischen Westgrenzen  begegnen,  rassenmäßig  verwandt  sind.  Von 
einem  großen  Teil  ist  es  wahrscheinlich,  daß  sie  zur  einheitlichen 
Urbevölkerung  Vorderasiens  gehören  ^). 

Im  Alluvium  des  Kärün  und  Karkhä,  einer  in  die  iranischen 
Randgebirge  vorspringenden  Bucht  des  tertiären  Meeres,  dessen  Rest 
der  persische  Golf  ist,  liegt  Elam,  und  wahrscheinlich  anstoßend  in 
den  östlichen  Bergen,  dem  heutigen  Bakhtiyäri-Gebiet,  Ansan  (oder 
Anzan,  As§an,  also  wohl  Antchan),  schon  in  der  Mitte  des  III.  Jahr- 
tausends z.  Zt.  des  Gudea  von  Lagas  und  Dungi  von  Ur  erwähnt.  Im 
12.  Jhdt.  erscheint  dieses  Königtum  mit  Susa  vereint;  cunkik  Ancan 
SuSunka,  König  von  Antchan  und  Susa,  ist  der  Reichstitel  3). 

Nördlicher  sitzen  die  Ka§sü.  Sie  werden  zuerst  um  1904  erwähnt, 
wo  sie  Rim-Sin  den  König  von  Larsa,  König  von  Sumer  und  Akkad, 
gegen  den  König  von  Babel,  Sam§u-iluna,  den  Sohn  des  Hammurapi', 
unterstützen.  Nachdem  dann  an  den  Personennamen  der  Keilschrift- 
urkunden das  Eindringen  einzelner  Angehöriger  dieses  Volkes  in  das 
babylonische  Kulturland  beobachtet  werden  kann,  folgt  1760  v.  Chr., 

')  Vgl.  Marquart,  Entst.  d.  arm.  Nal.  über  Bagravan,  Npat  u.  a. 

^)  Vgl.  die  neuen  Forschungen  von  E.  Littmann  über  die  Sprache  der  Inschriften 
von  Sardis  Publ.  oj  the  Americ.  Soc.  for  the  Excav.  of  Sardis  vol.  VI,  I.  Leyden  19 16.  — 
JoH.SvNDWAhi.,  Die einheim.  Namen  der  Lykier,  Beih.d.  Klio  1913. —  Hrozny  und  Weidner 
über  die  yatti-,  Bork  u.  Messerschmidt  über  die  Mitanni-Sprache;  Hüsing  über  das 
Eiamische  und  Kossäische.  —  v.  Luschan  lehrt  eine  sehr  weitgehende  ethnische  Einheit. 

3)  G.  Hüsing,  Einheim.  Quellen  z.  Gesch.  Elams,  Assyr.  Ribl.  XXIV.  Bd.   1916. 


124 


Ernst  Herzfei  d 


sehr  bald  nach  und  offenbar  im  Zusammenhange  mit  einem  Vorstoß 
der  kleinasiatischen  Khatti,  die  Invasion  der  Kassü  in  Babylonien: 
Gandus  richtet  die  Kassü-Dynastie  von  Babylon  auf,  die  bis  1185 
das  von  ihnen  Kardunias,  Gottesgarten,  genannte  Reich  beherrscht. 
Die  Titel  »König  der  vier  Weltteile,  König  von  Sumer  und  Akkad, 
König  von  Babylon«  zeigen  die  Babyionisierung  der  Eindringlinge. 
Der  alte,  einheimische  Titel,  den  die  Könige  daneben  führen,  ist:' 
»König  von  Padan  und  Ahvan«  und  »König  der  Guti«.  Ahvan  ist 
gut  bekannt,  es  hieß  bis  in  jüngste  Zeit  ^ulwän.  Padan  war  ihm 
benachbart.  Die  Kassü  saßen  also  von  Elam  bis  zur  großen  Heer- 
straße Babylon-Egbatana.  Noch  beute  trägt  der  an  Altertümern 
reiche  Gau  Baksä  am  Westrande  von  Lüristän  ihren  Namen:  Bä- 
Kussäye,  das  Kossäerland.  Sie  sind  identisch  mit  den  Kossäern  der 
Griechen  im  Zagros.  Ihre  Sprache  ist  uns  außer  aus  ihren  persönlichen 
und  geographischen  Namen  durch  ein  altbabylonisches  Glossar  bekannt  ^) . 

An  der  großen  Heerstraße  sitzen  ferner  die  Lullu,  vielleicht  ur- 
sprünglich an  der  mittleren  Diyälä.  Sie  treten  zuerst  unter  Naräm-Sin 
von  Agade  auf,  und  seine  wundervolle  Stele,  die  den  Höhepunkt  der 
sumerisch-altbabylonischen  Kunst  bezeichnet,  verherrlicht  gerade 
seinen  Sieg  über  die  Lullu  in  ihren  östlichen  Gebirgen.  In  diese  Epoche 
gehören  drei  Felsreliefs  von  Sarpul-Hulwän,  deren  eines,  das  mit  der 
entzifferten  Inschrift,  den  König  Annubanini  der  Lullu  nennt.  Götter, 
Sprache,  Schrift,  Tracht,  Waffen  sind  babyionisiert:  die  Kunst  ist  ein 
Zweig  der  sumerisch-babylonischen.  Um  2300  führt  Dungi  von  Ur 
drei  Kriege  gegen  diese  Lullu  ^). 

Ihre  Nachbarn  sind  die  EUi,  vielleicht  am  Oberlauf  des  Karkhä 
sitzend.  Weiter  nördlich  folgen  die  Güti.  Sargäni-sarri,  der  Vater 
des  Naram-Sin,  besiegt  sie,  sein  Sohn  darüber  hinaus  die  im  Hochland 
selbst  hausenden  Manda-Nomaden.  Auf  die  Dynastie  von  Agade  folgt 
im  Gegenstoß  eine  Invasion  der  Güti  in  Babylonien.  Wir  wissen  wenig 
davon,  vier  oder  fünf  Königsnamen  der  Zeit  von  2350 — 2300  v.  Chr., 
darunter  ein  Lasirab,  der  babylonisch  schreibt,  aber  nicht  im  akka- 
dischen,  sondern  im  amoritischen,  bzw.  assyrischen  Dialekt.  Der  geo- 
graphischen Lage  gemäß,   machen  sich  hier  schon  die  Einflüsse  der 

0  ^S^-  Eduard  Meyer's  Gesch.  d.  Altertums,  die  ich  hiermit  ein  für  allemal  zitiere. 
-^  Vgl.  F.  Delitzsch,  Die  Sprache  der  Kossäer  1884.  — Ders.,  Wo  lag  das  Paradies} 
1881.  —  M.  Streck,  Armenien,  Kurdistan  imd  Westpersien  n.  d.  babyl.-assyr.  Keil- 
inschriften in   ZA.  XIII— XV. 

-)  Und  gegen  Simurrn,  Siwurru,  welches  Meissner,  OLZ.  XXII  1919  3/4  mit  Zabban^ 
Altynköprü  gleichsetzt.  Dieses  setze  ich  wieder  gleich  Sotopaxai  des  Alexanderzuges  bei 
Strabon  und  gleich  Siher  der  Tabula  Peuiingeriana,  syr.  Sharqart,  Shärqat  mit  vielen 
Varianten,  vgl.  Sarre-Herzfeld,  Archäol.  Reise  Bd.  II  Kap.  Sindjär. 


Khorasan.  .  1 25 

anderen  semitischen  Völker  geltend.  Ihre  Götter  sind  Istar  und  Sin. 
Das  Bildnis  der  Anunit  von  Sippar  verschleppen  sie  nach  Arapha, 
das  darnach  ihr  eigentlicher  Sitz  ist.  Im  Güti-Lande  liegt  der  Berg 
Nisir,  wahrscheinlich  der  heutige  Pir  *Omar  Gudrun,  nördl.  Sulai- 
mäniyya,  nach  assyrischer  Legende  das  Apobaterion  der  Arche  Noah. 
Darnach  wären  die  Güti  in  dem  an  Altertümern  reichen  Shahrazür 
zu  suchen  ^). 

Im  Übergangsgebiet  zwischen  dem  iranischen  Hochland  und  den 
assyrischen  Ebenen  liegt  das  Land  Har§i  oder  Hur§itum,  unter  Dungi 
ein  Vasallenstaat  von  Ur,  später  unter  eigenen  Königen,  von  denen 
Puhia,  Sohn  des  Asiru,  uns  eigene  Denkmäler  hinterlassen  hat  2).  Der 
Mittelpunkt  von  Harsi  ist  das  heutige  Tuz-Khurmatü.  Ferner  Madqa, 
welches  Asphalt,  Kimas,  welches  Kupfer  für  Gudea's  Tempelbau 
liefert.  In  der  Gegend  von  Karkük  liegt  das  Reich  des  Königs  Kisari 
von  GanharS).  Die  Reiche  von  Urki§  und  Nawar  gehören  auch  in  dies 
Gebiet;  ihr  König  Arisen  trägt,  wie  Kisari,  einen  Mitanni-Namen, 
gehört  also  jener  Urbevölkerung  des  nördlichen  Mesopotamien  an,  die 
mit  den  Kassü  und  den  Khatti  Verwandtschaften  aufzuweisen  scheint  4). 
Noch  weiter  im  N.  und  0.  Irans  ziehen  die  Manda  umher. 

Von  drei  Zentren  aus  dringt  in  dieser  ältesten  weltgeschichtlichen 
Epoche  des  Orients,  die  vor  dem  Auftreten  der  Völker  indogermanischer 
Sprache  liegt,  die  Zivilisation  in  Iran  ein,  und  zwar  folgt  sie  den  großen 
und  seltenen  Heerstraßen.  Es  ist  eine  alte,  treffende  Beobachtung 
Rawlinson's,  daß  alle  iranischen  Denkmäler  an  großen  Straßen  liegen. 
Die  Geographie  der  Denkmäler  lehrt  uns  also  die  Wege  der  Ausbreitung 
der  Zivilisation  in  diesem  Lande. 


>)  Ptolemaios'  Landschaft  \AppazaxiTt?,  das  nördlichste  Gebiet  von  Assyria,  oder 
aber  seine  Stadt  ^Appa-a  im  Süden;  vgl.  Herzfeld,  T/fpogr.  d.  Landsch.  am  Tigris  usw. 
im  Memnon  12  pg.  221  s.  —  Andreas  bei  Paulv-Wissowa  s.  v.  Aluaka.  —  Tiglath-Pileser 
III.  -unterstellt  kossäische  Grenzgebiete  von  Elam  dem  assyrischen  Statthalter  von  Ar- 
rapha.  Darnach  muß  dies  ganz  im  Süden  des  osttigritanisch-assyrischen  Gebietes  gesucht 
werden.  'AppaTra/lxt;,  "Appa-a  und  Arrapha  können  nicht  getrennt  werden  (gegen 
meine  frühere  Anschauung),  und  Ptolemaios  irrt,  indem  er  die  Arrhapachitis  in  den 
Norden  von  Assyria  setzt  und  von  Arrhapa  trennt.  —  Ich  war  lange  in  Sulaimäniyya 
und  mache  mir  den  Vorwurf,  nicht  nach  Legenden  des  Pir  'Omar  geforscht  zu  haben. 
Als  Apobaterium  der  Arche  gilt  der  islamischen  Legende  und  der  christhchen  nach  meist 
der  Djabal  Djüdi,  der  Mallato  Dagh  oder  der  Ararat. 

^)  V.  ScHEiL,  Extrait  d'une  lettre  in  Receuil  d.  trav.  rel.  ä  la  phil.  et  ä  Varch.  eg.  et 
ass.  Bd.  16  pg.  186  u.  Bd.  19  pg.  61.  —  Ders.,  Une  saison  de  fouilles  a  Sippar  in  Mem.  de 
Vinst.  au  Caire  pg.  14.  —  F.  Thureau-Dangin,  Inscript.  de  Sumer  et  Accad.  pg.  172. 

3)  Vorderas.  Schrifldenkm.  d.  Berl.  Museen  I  32. 

4)  F.  Thureau-Dangin,  Tablette  de  Samarra  in  Rev.  d'Assyr.  et  d'Arch.  Or.  IX  i. 
1912:   die  Angabe  der  Herkunft  stammt  nur  von  Händlern  und  trifft  sicher  nicht  zu. 


1 26  Ernst  Herzfeld, 

Das  erste  Zentrum  ist  Elam,  die  Ebenen  unweit  des  Persischen 
Golfes.  Von  da  aus  wird  Antchan  und  das  KaSsü-Land  zivilisiert.  Die 
Denkmäler  sind: 

1 .  In  der  Ebene  von  Mälamir  die  Felsreliefs  von  Shikaf ta  i  Salmän^ 
Kul  i  Fir'aun  und  von  Shahsuwär  ^). 

2.  Die  Funde  aus  den  Grabungen  von  Mussiän  Tepe  der  Dele- 
gation en  Perse,  die  den  ältesten  Schichten  von  Susa  entsprechen.  An 
Mussiän  Tepe  und  seine  Nachbarhügel  schließen  sich  die  Gruppen  der 
Hügel  um  Badrä  und  Baksä  an  2). 

3.  Die  Funde  der  Schürfungen  Stolze's  in  Tul  i  pä  i  tul  bei  Reshahr, 
südl.  Büshir  3),  dem  alten  Liyan.  Ähnliche  beschriftete  Ziegel  von 
elamischen  Bauten  soll  es  in  Ganäwa  und  Ahräm,  Küstenorten  des 
Golfs,  geben;  eine  Anzahl  von  kleinen  Teils  habe  ich  auf  meiner  Route 
zwischen  Behbehän  und  Telespid  verzeichnet  4). 

Das  zweite  Zentrum  ist  Babylonien,  und  von  ihm  aus  strahlt  die 
alte  Kultur  in  die  Täler  der  Diyäla  und  des  liulwän-Flusses  hinein,  der 
Hauptstraße  nach  Egbatana  folgend.     Die  Denkmäler  sind: 

4.  Die  drei  Reliefs  von  liulwän:  a)  die  Siegesstele  des  Anubänini, 
mit  der  entzifferten  Inschrift:  der  König,  den  Fuß  auf  den  besiegten 
Feind  setzend,  vor  der  Göttin  I§tar,  die  ihm  zwei  weitere  gefesselte 
Feinde  heranführt.  In  einer  unteren  Zone  eine  Reihe  von  sechs  gefes- 
selten Feinden.  Schurz  und  Sandalen  des  Königs,  seine  Kappe,  Hals- 
kette und  Armringe,  sein  Bogen  und  sein  Krummholz,  das  Gewand 
der  Göttin,  ihr  Sternsymbol,  ihre  Hörnerkrone,  entsprechen  ganz  der 
sumerisch-akkadischen  Weise  der  Zeit  Naräm-Sin's;  erst  recht  die 
künstlerische  Komposition  und  die  reife  Ausführung,  b)  Das  Relief 
mit  der  unentziiferten  Inschrift:  der  König,  den  Fuß  auf  den  besiegten 
Feind  setzend,  vor  ihm«  das  Symbol  des  Mondgottes,  c)  Das  Relief 
ohne  Inschrift:   der  König  vor  der  Istar]  anbetend.    Hinter  dem  Re- 

')  M.  DiEuLAFOY,  Fouilles  de  Suse  in  Rev.  Arch.  36  serie  V  pl.  XXIV  Kul  i  Fir'aun. 
• — Delegation  en  Perse  III  App.:  G.  Jecquier,  Description  du  site  de  Malamir,  Aquarelle 
nach  Skizzen  von  J.  de  Morgan,  also  sehr  unzuverlässiges  Material,  pl.  27 — 30  Kul  i 
Fir'aun,  pl.  31 — 33  Shikafta  i  Salmän.  —  Ebenda  V.  Scheil  pg.  102  ss.  und  pl.  LXIII 
u.  LXIV  Inschr.  d.  Hanni.  —  Entdeckt  von  Layard,  A  descript.  of  the  province  of  Khu- 
zistan  in  JRGS.  1846  XVI  pg.  70 — 80.  —  Ders.  Early  Advent.  1887  II  pg.  11 — 14;  — 
seine  Texte  im  Iten  Rawl.  —  Perrot-Chip iez  V  2  fig.  462  u.  464,  Zeichnung  v.  St.  Elme- 
Gautier  nach  Photogr.  Houssay. 

*)  Deleg.  en  Perse  VIII:  J.  E.  Gautier  u.  G.  Lampre,  Fouilles  de  Moussian.  — 
Bedrä=  Beth  Duräye,  Baksä  =  Beth  Kussäye,   vgl.  Layard,  JRGS.  1846  pg.  71  u.  97. 

—  G.  Hoffmann,  Syr.  Akt.  pg.  67  u.  69. 

3)  Schürfungen  von  1876,  kurzer  Bericht  im  Tag  16.  Juli  1903  Nr.  327,  sonst  nichts. 

—  HüsiNG,  Quellen:  die  Texte  aus  Liyan. 

4)  Herzfeld,  Reise  durch  Luristan,  Arabistan  und Farsm  Petertn.  Mitt.  1907  III  u.  IV. 


Khorasan.  127 

lief  a)  ist  hoch  oben  im  Felsen  der  Eingang  zu  einer  Höhle  sichtbar, 
vielleicht  zum  Grabe  des  Annubänini   (ununtersucht)  ^). 

5.  Das  ältere  Relief  des  Tar  (?)-X-dun(?)-ni  von  Hören- Shekhän: 
König,  den  Fuß  auf  einen  besiegten  Feind  setzend,  ein  zweiter  Feind 
um  Gnade  flehend;  Tracht,  Lendenschurz  und  Kappe,  ist  sumerisch, 
der  Schmuck,  Halsband  mit  Anhänger  semitisch,  ebenso  die  Waffe, 
Bogen  und  Köcher.  Die  sehr  zerstörte  Inschrift  ist  akkadisch.  Zeit: 
älter  als  Naräm-Sin  (?)  ^). 

6.  Ein  Relief  zwischen  Kifri  und  Darband  i  Giaur,  bei  einer  Pe- 
troleumquelle: ein  Krieger,  3— 4  m  hoch,  mit  Helm,  in  Kampfstellung, 
in  der  R.  Schwert,  die  L.  mit  Bogen  auf  der  Brust,  zwei  kleinere  be- 
siegte Feinde  3). 

7.  Ziegel  vom  Bau  des  Puhia  von  Hursitum  von  einem  Fels  über 
dem  Aqsu  bei  Tuz-Khurmatü  4). 

8.  Die  Gruppe  der  Ruinenhügel,  die  sich  die  ganze  Straße  nach 
Egbatana  entlang  ziehen  und  in  den  Ebenen  von  Kirmänshähän, 
Dinawar,  Kangawar,  Asadäbäd  eine  große  Dichte  erreichen. 

Das  dritte  Zentrum  ist  Ninive,  bzw.  das  uralte  Arbela.  Sein 
Einfluß  wirkt  in  das  Shahrazür-Gebiet,  oder  die  Straße  über  Rawänduz 
und  den  Kel  i  shin-Paß  entlang  in  das  Gebiet  südlich  des  Urmiya-Sees. 
Denkmäler  sind: 

9.  Eine  große  Zahl  von  Ruinenhügeln  in  den  Gebirgsebenen  von 
Köi  Sandjaq,  Ränia  (besonders  dieses  selbst)  und  Kala  Dizzä. 

10.  Eine  große  Zahl  im  Gebiet  von  Tshamtshamäl,  Sulaimäniyya, 
Shahrazür  (der  bedeutendste  Bakiräwä)  und  Sitak,  östl.  des  Göizhe 
Kuh,  auch  im  Meriwän-Gebiet  östl.  des  Awramän  5). 

11.  Ruinenhügel  südl.  des  Urmiya-Sees,  wie  Tashtepe,  Shahr  i 
werän  ^). 

12.  Die  beiden  Kel  i  shin-Stelen,  zeitlich  schon  in  die  zweite  welt- 
geschichtliche Epoche  nach  dem  Auftreten  der  Tränier  gehörend. 

')  Flandin  &  CosTE,  Perse  Ancienne  Bd.  I.  —  J.  de  Morgan,  Mission  scient.  en 
Ferse  IV  i  1896  pg.  161  ss.  —  Sarre-Herzfeld,  Irayi.  Felsreliefs  pg.  192  ss.  und  neue 
Aufnahmen  in  meinem  Thor  von  Asien.    Berlin  1920.  Tfl.  I — IV. 

2)  DE  Morgan,  Mission  und  L.  Berger,  Rev.  d' Assyr.  II  115  ss.  —  Entdeckt  von 
H.  Rawlinson  JRGS.  IX  pg.  31. 

3)  Nach   Jacquerez  bei   Scheil,   Sippar  pg.  14. 

4)  Ebenda;   ein  weiterer  Ziegel  im  Louvre  aus   Karkük  gekauft. 

5)  Karten,  von  mir  19 16 — 17  aufgenommen,  Druck  in  Vorbereitung. 

6)  Tashtepe:  Rawlinson,  JRGS.  X  1840  pg.  12  s.  —  Nach  W.  Belck,  Beiträge 
s.  all.  Geogr.  it.  Gesch.  Vorderasiens  1901  pg.  90  hat  ein  Missionsinspektor  Faber  vor  1899 
die  Felsinschrift,  wie  andere  wanische  Inschriften,  absprengen  lassen  und  nach  Europa 
verschleppt.  —  Shahr  i  Werän:  Rawlinson,  ebenda  [pg.  38.  —  de  Morgan,  Mission, 
Rech.  Arch.   chap.  IX  pg.  293  s. 


J28  ErnstHerzfeld, 

Das  erste  Auftreten  der  Iranier  kurz  nach  der  Mitte  des  zweiten 
Jahrtausends  in  Mesopotamien,  wie  es  sich  allmähhch  immer  mehr 
aus  den  Inschriften  von  Boghazköi  enthüllt,  läßt  vermuten,  daß  der 
ganze  Osten  schon  damals  in  Bewegung  war.  Vielleicht  sitzen  die  Meder 
und  Perser  bereits  hinter  den  Kassü.   Die  erste  Erwähnung  aber  findet 
sich  erst  wesentlich  später,  bei  Salmanassar  II.  860 — 824.  Er  besiegt  die 
Amadai  und   die   Parsua,   Meder  und  Perser  ^),   erobert  eine  Unzahl 
ihrer  »Städte«,  mahdzäni,  die  unter  einzelnen  »Stadtherren«,  hazanndti, 
stehen.    Ein  Häuptling  mit  dem  medischen  Namen  Kundaspi  kommt 
i.  J.  854  in  Kummukh-Kommagene  vor.     Unter  Asarhaddon  häufen 
sich  die  iranischen  Namen,  auch  der  Stamm  der  Gimirri-Kimmerier 
tritt  auf.    Unter  Tiglathpileser  III.  um  738  finden  wir  den  Häuptling 
Kuätaspi,  wieder  in  Kommagene.   Nicht  von  Babylon,  sondern  von  den 
Ländern,  in  denen  sie  uns  hier  zuerst  begegnen,  also  von  den  Uber- 
gangsgebieten  von  Mesopotamien  nach  Kleinasien,  von  Armenien  und 
endlich  von  Assur  geht  die  Zivilisierung  der  Iranier  aus.     In   diesen 
Jahrhunderten  rivalisiert  das  armenische  Reich  von  Urartu  mit  Assur. 
Dieses  Reich  und  seine  Kultur  sind  für  die  iranische  Kunstentwicklung 
bestimmend  geworden  -).    Unter  Sargon  722 — 705  sind  die  Iranier,  zu 
denen  außer  Medern  und  Persern  auch  noch  die  Zikirtai,  ap.  Asagarta, 
gr.    SaYotptiot,    die    Saparda,    (1yd.    Sfard,     gr.    Sapost?),    die    Asguzä, 
gr.  SxuOai,   ap.  *Skutcha,  gekommen  sind,   schon  eine  imminente  Ge- 
fahr geworden.     Die  Vernichtung  des  Reichs  von  Urartu  durch  die 
Assyrer  hat  den  eigenen  Untergang  beschleunigt.    Wohl  noch  vor  715 
gründet    Deiokes,    der   Daiaukku    der    Inschriften    Sargons,'  —  diese 
Identität  scheint  mir  sicherer  als  alle  Daten  des  künstlichen  Systems 
der  herodoteischen,  wie  der  ktesianischen  Überlieferung  — ,  Egbatana, 
die  spätere   Hauptstadt   des  geeinten  Mederreichs.      Der   Sturm  der 
Kimmerier  und  Skythen  ergießt  sich  über  ganz  Kleinasien  und  einen 
großen  Teil  der  südlichen  Länder.    Kyaxares  von  Medien  zerstört  606 
Ninive  und  richtet  mit  der  Besiegung  der  Skythen  das  medische  Welt- 
reich auf  3). 

Auch  aus  dieser  Frühzeit  der  Geschichte  Irans  haben  wir  einige 
Denkmäler,  die  über  Weg  und  Art  der  Zivilisation  weittragende  Auf- 
schlüsse geben.  Das  Zentrum  oder  die  Zentren,  von  denen  sie  ausgeht, 
sind  Urartu  und  in  zweiter  Linie  Ninive.    Die  Denkmäler  sind: 

13.  Drei  urartäische  Stelen:  Die  von  Tashtepe  in  der  Ebene  von 


')  Nach  Mar  QUART  ist  Parsua  ursprünglich  nur  Landschaftsname. 
^)  Herzfeld,  Urartäische  Bronzen  in  d.  Festschr.  f.  Lehmann-Haupt,   1921. 
3)  Zur  medischen  Geschichte:  Ed.  Meyer,  \.  c  — F.  Justi  im  Grundr.  H  pg.  406 — 13. 
Auch  J.  V.  Prasek,  Gesch.  d.  Meder  u.  Perser  in  Handb.  d.  alt.  Gesch.  (mit  Vorsicht !). 


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A  HaMADÄN       Ortt  mft  «rhal  ttn,,»  Bauttr- 

•  Shibarchän    Ortt  mit  liffrar  iltrU.ffrt-  Bautm 

•  Bai  Hl,       Ortt  de-  Baumattr.aiitn.  Littt 
»  M«„ji,^         ionbt  .mTi.t   triJilinV«  Orte 

Zu.Der  Islam"  Band  XI. 


;'s,Harahlvr 


Karte  dei'  Bauten  und  Baunachrichten  dei- islamischen  Zeit  in  Iran. 


l'lni1wluh,ii.gco|r.  liUi-itnKl.ii  St-'irnIirC.r,  Kfllor,  nfclln  S. 


Khorasan. 


129 


Miyänduäb  südöstl.  des  Urmiya-Sees;  die  von  Kel  i  shin  auf  dem 
3000  m  hohen  Paß,  und  die  von  Topzäwa  in  ihrer  Nachbarschaft,  unweit 
des  Dorfes  Sidikän^).  Die  drei  Denkmäler  stehen  mitten  in  dem  Lande, 
in  dem  die  Meder  und  Perser  zuerst  auftauchen,  und  sie  bedeuten, 
daß  die  hohe  künstlerische  Kultur  des  Reiches  von  Urartu,  deren  drei 
Kennzeichen  der  Felsenbau,  das  megalitheOuaderwerkund  der  Bronze- 
guß wie  jede  Art  der  Metallurgie  sind,  sich  bereits  über  diese  Land- 
schaften ausgedehnt  hatte. 

14.  Die  Stadt  Musasir,  nach  Thureau-Dangin  im  Gau  Albägh 
am  Oberlauf  des  oberen  Zäb,  nach  Lehmann-Haupt  in  unmittelbarer 
Nähe  der  Stele  von  Topzäwa  gelegen,  mit  ihrem  Tempel.  Das  bekannte 
Relief  aus  Khursäbäd  stellt  die  Zerstörung  von  Musasir  durch  Sargon 
i.  J.  715  V.  Chr.  dar.  Der  Tempel  des  Khaldia  und  seiner  Gattin,  der 
Bagbartu  ^),  ist  ein  sechssäuliger  Prostylos  auf  hohem  Stylobat.  Der 
Giebel  mit  einem  Flächenornament  wie  an  phrygischen  Felsdenkmälern ; 
auf  seiner  Spitze  die  Lanzenspitze,  das  Symbol  des  Khaldia,  als  Akro- 
terion.  An  den  Säulen  und  der  Rückwand  des  Pronaos  sind  bronzene 
Weiheschilde  aufgehängt.  Davor  das  Bildnis  einer  Kuh  mit  saugendem 
Kalb,  und  zweier  Torhüter  mit  hohen  Lanzen,  und  vor  dem  Stylobat 
stehen  zwei  riesige  Becken  in  kuhfüßigen  Gestellen,  »welche  80  Maß 
Wasser  faßten«.  Die  Häuser  der  Stadt  sind  mehrgeschossige,  turm- 
ähnliche Bauten.  Nach  Sargons  Inschriften  war  die  Beute  an  bear- 
beiteten und  unbearbeiteten  Metallen  unermeßlich.  Die  Liste  der 
Statuen,  goldenen,  silbernen  und  bronzenen  Gefäße,  mit  Gold  und 
Edelsteinen  inkrustierten  Gegenstände,  der  Werke  in  Elfenbein,  Eben- 
holz  und   Buchsbaum   übertrifft   alles,   was   wir   nach   den   reichsten 


r 


')  Rawlinson,  1.  c.  pg.  20  SS.  —  Sayce  in  Academy  5.  Aug.  1893  Pg-  1^5  nach  Col. 
Blau.  —  De  Morgan,  Mission  pg.  266  ss.  —  Lehmann-Haupt,  Materialien  2.  alt.  Gesch. 
Armeniens  und  Mesopotamiens,  Gott.  Abhandig.  NF.  IX  3  1907  pg.  64.  —  Scheil,  Sippar 
pg.  19  nach  M.  XiiviiNES. 

^)  So  las  WiNCKLER.  Dann  wollte  man  lieber  —  ebenso  möglich  —  Bagmastii  lesen, 
dies  als  ap.  Bagamazda  deuten  (philologisch  richtig)  und  darin  das  Urbild  des  Ahuramazda 
sehen.  Thureau-Dangin,  Huitieme  Campagne  de  Sargon,  Mus^e  du  Louvre,  Dep.  des 
Ant.  Gr.  1912,  liest  wieder  Bagbartu,  weil  der  neue  Text  den  Namen  als  den  der  Gattin 
des  Gottes  Khaldia  bezeichnet,  also  nicht  als  männliche  Gottheit,  wie  man  früher  nach 
den  Fasten  Sargons  annahm.  Wenn  der  Name  der  Göttin  Bagbartu  iranisch  wäre,  — 
und  das  ist  nicht  ausgeschlossen;  Justi  hat  z.  B.  beide  Namensformen  als  iranische,  schein- 
bar medische,  in  sein  Iranisches  Namenbuch  aufgenommen  — ,  so  wäre  das  ein  Gegenstück 
zum  Sonnengott  Surias  der  Kassü,  und  es  würde  aus  ihm  zu  schließen  sein,  das  um  715 
schon  ein  starkes  iranisches  Element  sich  in  diesem  Gebiet  mit  den  Chaldern  vermischt 
und  an  ihrer  Kultur  teilgenommen  hätte,  wie  wir  es  im  14.  Jhdt.  v.  Chr.  im  nördl.  Meso- 
potamien, im  9.  Jhdt.  in  Kommagene  sehen.  Die  kulturelle  Berührung  ist  auch  ohne 
diese  Annahme  sicher. 

Islam  XI.  q 


j^Q  ErnstHerzfeld, 

Funden  aus  Babylonien,  Assyrien  und  selbst  Wan  erwarten  könnten  ^). 
In  diese  Kultur  dringen  die  Iranier  zuerst  ein,  und  gerade  diese  Dinge 
sind  es,  und  ihre  Kunstformen,  die  uns  in  Medien  und  Persien  wieder 
begegnen. 

Denkmäler  der  Meder  selbst  sind: 

15.  Das  Felsengrab  von  Fakhriqa  unweit  Miyänduab. .  Eine  Vor- 
halle mit  zwei  Säulen  zwischen  den  Wandköpfen  (Anten),  ein  hinterer 
Raum,  ebenfalls  durch  zwei  Säulen  zwischen  Wandpfeilern  abgeteilt. 
Die  äußeren  Säulen  ahmen  die  Erscheinung  einfacher  Holzsäulen  auf 
Steinsockeln  (Kegelstumpfform)  mit  dem  Astende  des  Stammes  als 
primitivem  Kapitell  nach ;  die  hinteren  Säulen  haben  einfache  Plinthen 
als  Sockel  und  Kapitell.  Gebälk  und  Pfosten  bilden  Bretterverschalung 
nach.  Ein  Giebel  ist  nicht  dargestellt,  aus  Arbeitsersparnis,  oder  weil 
das  vorbildliche  Wohnhaus  den  ursprünglich  anzunehmenden  Giebel 
schon  abgelegt  hatte  ^). 

16.  Das  Felsengrab  Dukkän  i  Däüd,  bei  Sarpul-Hulwän.  Eine 
Vorhalle  mit  zwei  jetzt  weggebrochenen  Rundsäulen,  dahinter  der  nur 
durch  eine  Tür  zugängliche  Grabraum.  Die  Säulen  haben  drei  Plinthen 
als  Basis,  eine  als  Kapitell.  Das  Rahmenwerk,  die  mehrstufige  Bretter- 
verschalung der  Pfosten  und  des  Gebälkes  sind  besonders  sorgfältig 
ausgeführt  3). 

17.  Das  Felsengrab  von  Sahna,  zwischen  Bistün  und  Kangawar. 
Vorhalle  mit  zwei  Säulen,  dahinter  abgeschlossener  Grabraum,  von 
ihm  aus  Schacht  zum  zweiten,  unten  gelegenen  Hauptgrab.  Die  Säulen 
haben  runde  Plinthe  mit  Anlauf  als  Basis  und  eckige  Plinthe  als  Ka- 
pitell.  Das  Fasziengebälk  umzieht  auch  die  Innenwände  der  Vorhalle4). 

18.  Das  angefangene  Felsengrab  bei  Deirä  südl.  Sarpuls). 

19.  Die  drei  kleinen  Felsgräber  von  Issakäwand  oder  Deh  i  no, 
die  von  der  Hausform  nur  die  Faszien-Umrahmung  bewahren  ^). 

1)  Musasir:  Botta,  Monument  de  Ninive  II  pl.  141.  —  Herzfeld,  Iran.  Felsrel. 
pg.  8.  —  Belck,  Verhandl.  d.  Berl.  Anthropol.  Ges.  1889  pg.  iii  s.  —  Die  Inschriften: 
H.  WiNCKLER,  Die  Keüschrifitextr  Sargons  1889;  vgl.  Weissbach,  ZDMG.  72  1918  1/2  pg. 
161  SS.  —  Thureau-Dangin,  Huitieme  Campagne  und  Lehmann-Haupt  in  Hommel- 
Festschrift  MVAG.  21  1916  pg.  119  ss.  —  Herzfeld  in  Festschr.  f.  Lehmann-Haupt,   192 i. 

2)  Rawlinson,  JRGS.  1840  pg.  37  s.  —  De  Morgan,  Mission  chap.  IX.  —  Lehmann- 
Haupt,  Armenien  einst  und  jetzt,  Zeichnung  von  mir  nach  L.-H.'s  genauer  Maßskizze 
konstruiert,  Tor  von  Asien,  Abb.  4. 

3)  Flandin  u.  Coste  pl.  210  u.  211.  —  De  Morgan,  Mission  pg.  299  s.  — ■  Herz- 
feld, Iran.  Felsrel.  pg.  61  und  neue  Aufnahmen  in  Tor  von  Asien,  Tfl.  V — VI  und  Abb.  3. 

4)  Tor  von  Asien,  Taf.  VII  und  Abb.  4.  —  Flandin  &  Coste,  Ferse  mod.    pl.  LXXV. 

5)  Rawlinson  in  JRGS.  1839  IX  pg.  41. 

<>)  De  Morgan,  Mission  chap.  IX.  —  0.  Mann,  Archäologisches  aus  Persien  im 
Gbbus  1903  Nr.  21.  —  Sarre-Herzfeld,  Iran.  Felsrel.  pg.  6;^. 


Khorasan.  1^1 

20.  Das  ähnliche  Felsengrab  von  Surkhädeh  südl.  von  Sarmadj, 
.  östl.  Kirmänshähän,  am  linken  Ufer  des  Gamäsäb  ^). 

21.  Ein  nur  von  Monteith  beschriebener  Felsaltar  mit  acht 
Säulen  bei  So'uqbulaq-Sabla  2). 

Schon  vor  der  Aufnahme  von  Sahna  habe  ich  diese  Gruppe  als 
medisch  bezeichnet:  Am  Dukkän  sitzt  das  Relief  Kel  i  Däüd,  ein 
Adorant  im  eng  anliegenden  Gewand,  wie  es  der  letzte  König  von 
Elam,  Teumman,  auf  den  Reliefs  des  Asurbanipal-Palastes  und  der 
vierfiügelige  Genius  vom  Palaste  des  Kyros  in  Pasargadae  tragen; 
auf  dem  Kopf  den  iranischen  Bashlik,  in  der  Hand  ein  Bündel  von 
Zweigen,  das  Barsom-Bündel  der  Zoroastrier,  welches  die  Figuren  der 
Goldbleche  des  Oxus- Schatzes  so  oft  halten.  Das  ist  also  zoroastrisch, 
aber  vorachämenidisch.  In  Sahna.  schwebt  über  der  Grabestür  die 
geflügelte  Sonnenscheibe,  weder  in  der  assyrischen  Form  des  Asur- 
Symboles,  noch  in  der  daraus  abgeleiteten  des  achämenidischen  Ahu- 
ramazda,  sondern  in  einer  Abart,  die  kleinasiatischen  Symbolen 
nahesteht:  also  wieder  zoroastrisch  aber  vorachämenidisch.  In  Issa- 
käwand  steht  ein  Adorant  in  achämenidisch-persischem  Gewand,  aber 
mit  einer  Haartracht,  die  nur  auf  dem  Bistün-Relief  des  Dareios, 
nicht  mehr  in  Persepolis  vorkommt,  vor  einem  Altar,  auf  dem  das 
heilige  Feuer  brennt.  Also  wieder  zoroastrisch  und  älter  als  die  achä- 
menidischen Denkmäler. 

Nun  sind  diese  über  das  Land  verstreuten  Denkmäler  gewiß  nicht 
die  Gräber  der  medischen  Großkönige,  die,  wenn  es  sie  überhaupt  ge- 
geben hat  —  was  ja  bei  Zoroastriern  immer  ungewiß  ist  —  doch  bei  der 
Hauptstadt  Egbatana  zu  suchen  sein  würden.  Die  besprochenen  Gräber 
liegen  entweder  im  Norden  an  der  Straße  von  Wan,  bzw.  Ninive  über 
den  Kel  i  shin  nach  dem  medischen  Hochland,  oder  aber  an  der  Straße 
von  Babylon  aus,  noch  in  den  tiefen  Tälern.  Sahna  allein  kommt  schon 
der  medischen  Hauptstadt  nahe.  Aus  dieser  denkmalsgeographischen 
Betrachtung  folgere  ich,  daß  die  Gräber,  von  denen  Issakäwand  das 
jüngste  ist,  in  die  Zeit  vor  der  Einigung  des  Reichs  und  vor  der  Grün- 
dung von  Egbatana  fallen,  als  die  Einzelstämme  noch  von  eigenen 
Fürsten,  den  hazanndti  der  Assyrer,  beherrscht  wurden. 

Diese  Denkmäler  lehren  erstens,  daß  die  medischen  Iranier  den 
Felsenbau  von  den  Urartäern  übernommen  haben.  Daher  die  enge 
Verwandtschaft  mit  den  kleinasiatischen  Denkmälern,  während  As- 
syrien, geschweige  denn  Babylonien,  solche  Dinge  nicht  kennen.  Ferner 
lehren  sie  die  Gestalt  des  medischen  Hauses  kennen,  welches  mit  dem 


I)  0.  Mann,  1.  c. 

^)  Nach  Monteith  bei  ^lisee  Reclus,  Geogr.  Univers.  IX  253,  1884. 


9* 


152 


Ernst  Herzfeld, 


Tempel  von  Musasir  aufs  engste  verwandt  ist.  Ohne  auf  die  Frage 
einzugehen,  ob  dies  Haus  von  den  Ariern  in  Vorderasien  vorgefunden  . 
oder  aber  eingeführt  ist,  betone  ich  hier  die  enge  Verwandtschaft 
zwischen  dem  medischen  «Hause,  dem  Tempel  von  Musasir,  den  pon- 
tischen,  paphlagonischen  und  lydischen  Hausformen  und  darüber 
hinaus  dem  troischen  Antenhause,  dem  griechischen  Tempel  und 
litauischen  und  niedersächsischen  Bauernhäusern  ^). 

Die  Zerstörung  Ninives  durch  die  Meder  ist  das  Vorspiel  der  Er- 
oberung Babylons  durch  die  Perser.  Das  achämenidische  Reich  tritt 
als  Rechtsnachfolger  Mediens,  und  wie  es  in  dem  Titel  »König  von 
Antchan«  ausgedrückt  ist,  auch  als  der  des  alten  Elam  und  Antchan 
auf.  Pärsa,  Mäda  und  Khwadjiya  sind  die  immer  zuerst  und  zusammen 
genannten  Stammlande  der  Inschriften.  Auch  in  der  Baukunst  und 
bildenden  Kunst  ist  Persien  die  Nachfolgerin  Mediens  und  Elams. 
Zur  Kunst  des  neubabylonischen  Reiches  finden  sich  kaum  Beziehungen, 
und  die  Beziehungen  zu  Assyrien,  das  ja  räumlich  und  zeitlich  durch 
das  medische  Reich  getrennt  ist,  sind  nur  mittelbare.  Die  kurze  Ent- 
wicklung dieser  einheitlichen,  fast  monotonen  Kunst,  die  ein  letztes 
Mal  das  Erbe  des  alten  Orients  zusammenfaßt  und  viel  Eigenes  ihm 
hinzufügt,  von  ihrer  ersten  in  Pasargadae  (Kyros)  zu  ihrer  zweiten  in 
Persepohs  (Dareios  und  Xerxes)  vertretenen  Stufe,  ist  hier  unwesent- 
lich. Mit  ihren  ersten  Denkmälern  ist  diese  Kunst  bereits  fertig  und 
auf  ihrem  Höhepunkt. 

An  Denkmälern  achämenidischer  Baukunst  kennen  wir  2): 

1.  Die  Festungstore,  die  in  Assyrien  und  Babylonien  kein  Vorbild 

haben. 

2.  Die  Audienzpaläste,  apaddna:  in  Pasargadae  breitrechteckige, 
in  Persepolis  quadratische,  hypostyle  Hallen,  mit  einer  Vorhalle  an 
der  Front  und  je  einer  an  beiden  Querseiten.  Das  Apadäna  ist  aus 
dem  medischen  Hause  entwickelt  und  steht  in  der  Ausbildung  seiner 
Säulenhallen  in  Beziehung  zu  kleinasiatisch-nordmesopotamischen 
Hausformen. 

3.  Die  Wohnpaläste,   hadish,  tacara,  im  vorderen  Teile  Vorhalle 

')  Vgl.  G.  Hirschfeld,  Paphlagon.  Felsengräber,  Berl.  Abhandig.  1885.  —  F.  von 
Reber,  Die  phrygische  Felsendenkmäler,  Münch.  Abhdlg.  1897.  —  E.  Brandenburg, 
Neue  Untersuchungen  im  Gebiet  der  phryg.  Felsenfassaden,  ebenda  1906.  —  Kannenberg 
im  Globus  LXVII  1895.  —  I^-  Leonhard,  Paphlagonia  1915.  —  Perrot,  Explor.  de  la 
Galatie.  —  Benndorf,  Ursprung  der  Giebelakrolerien,  Österr.  Jahresh.  II  1899.  —  Unver- 
öffentl.  eigene  Aufnahmen  aus  Litauen.  —  Das  Niedersächsische  Bauernhaus  in  Hannover 
und  Holstein. 

*)  Vgl.  Stolze,  Persepolis  und  Sarre-Herzfeld,  Iran.  Felsrel,  auch  M.  Dieulafov, 
L'  Art  Antique  de  la  Perse. 


Khorasa». 


133 


und  quadratischen,  hypostylen  Saal,  im  hinteren  Teil  einen  kleinen 
Innenhof  mit  Wohnräumen  darum  enthaltend.  Eine  spezifisch  ira- 
nische Bauform. 

4.  Felsengräber  mit  der  Front  eines  Hauses,  nämlich  der  Palast- 
front, entwickelt  aus  den  medischen  Felsengräbern  und  dem  medischen 
Hause. 

5.  Die  außer  Übung  gekommene,  urtümliche  Hausform,  die  sich 
im  Grabe  des  Kyros  erhalten  hat,  von  nordischem  Ursprung. 

6.  Das  gleichzeitige  Wohnhaus  der  Persis,  dargestellt  in  den  Grab- 
türmen von  Pasargadae  und  Naqsh  i  Rustam,  ein  dreigeschossiges, 
turmähnliches  Haus,  in  einer  Art  von  Holzfachwerk  errichtet,  nicht 
unähnlich  den  auf  dem  assyrischen  Relief  dargestellten  Häusern  von 
Musasir. 

Handwerklich  finden  wir  in  diesen  Denkmälern:  l.  Den  Felscnbau, 
wie  in  Medien  und  Urartu  und  sicher  von  da  übernommen.  2.  Das 
meisterhafte,  megalithe  Ouaderwerk,  wie  in  eben  jenen  Ländern 
und  in  Kleinasien,  das  in  Assyrien  nicht  heimisch  geworden  ist.  3.  Die 
Orthostaten-Technik  in  zwei  Stufen:  in  Pasargadae  die  alte  nord- 
mesopotamisch-assyrische  Weise  der  Wandsockelplatten,  in  Perse- 
polis  die  daraus  abgeleitete  persische  Weise  der  ardastdna,  der  mono- 
lithen Türen,  Fenster  und  Wandnischen,  verwandt  mit  der  Technik 
von  Boghazköi  und  heute  noch  nachlebend  in  den  tdktcha^s  der  per- 
sischen Häuser.  4.  Mauerwerk  aus  Lehmziegeln  oder  Bruchsteinen, 
zusammen  mit  Ouaderfundament  und  ardastdna,  oder  aber  mit  Holz- 
fachwerk: Eckpfosten,  Türrahmen,  Fenster  und  Gebälk  aus  Holz, 
Dinge,  die  weder  in  Babylonien  noch  in  Assyrien,  wohl  aber  in  Klein- 
asien vorkommen.  5.  Der  große  Holzsäulenbau:  Nur  der  eine  Palast 
von  Pasargadae,  das  Tor  und  das  große  apaddna  von  Persepolis  haben 
Steinsäulen,  die  anderen  Bauten  —  das  ursprüngliche  —  Holzsäulen; 
die  Basen  sind  immer  aus  Stein.  An  architektonischen  Profilen  hat 
die  ältere  Stufe  von  Pasargadae  und  Naqsh  i  Rustam  eigenartige,  mit 
kleinasiatischen  Formen  (Lykien,  Galatien)  verwandte,  typische  Holz- 
profile ^),  die  jüngere  von  Persepolis  aber  ägyptisierende  Formen,  die 
aus  dem  syrisch-aramäischen  Kunstkreise  übernommen  sind.  Die 
Schmuckformen  der  Säulen  gehören  ebenfalls  diesem  Kunstkreise  an, 
der  auch  in  der  Kunst  Vorderasiens  die  xotvVj  dieser  Zeit  war. 

Auch  die  Themata  der  Skulptur  sind  eng  begrenzt  ^) :    die  Reste 


')  Lanckoronski,  Städte  Pamphyliens  und  Pisidiens  I  pg.  76  ss,  Sillyon,  Bd.  II. 
pg.  187  SS,  Syrt.  —  Benndorf  und  Niemann,  Reisen  in  Lykien  und  Karien.  • —  Petersen 
und  V.  LusCHAN,  Reisen  in  Lykien,  Milyas  und  Kibryatis. 

*)  Herzfeld,  Pasargadae  in  Klio  VIII  i ;  und  Iran.  Felsrel.  pg.  133 — 146. 


134 


Ernst  Herzfeld, 


von  Pasargadae   halten  sich  noch  in  der  Überheferung  der  assyrisch 
aramäischen    Skulptur;     die    von  Persepolis    behandeln,    sämtHch  in 
einem  inneren" Zusammenhange,  das  persische  Neujahrfest,  das  Mithra- 
käna:  i.  Der  Löwe,  der  den  Stier  überfällt,  das  allgemein -orientalische 
astrologische  und  wohl  auf  das  Tagesdatum  bezügliche  Motiv.    2.  Die 
feierlichen  Tributzüge  und  die  Garden,    die  sie  erwarten,  ein  Gegen- 
stand, den  die  assyrische  Kunst  in  dieser  Entwicklung  nicht  kennt, 
der   aber    in   Karkhemish    dargestellt    wird.      Dazu    einzelne   Garden 
an  den  Toren.  3.  Diener  mit  der  Vorbereitung  des  Festmahls  beschäftigt 
und  in  ähnhcher  Tätigkeit:  Vorbereitung  eines  Festmahls  auch  schon 
in  Kul  i  Fir^aun  bei  Mälamir.      In   den  Türen    Torhüter  im    Dienst, 
gelegentlich  der  König  selber  mit  Begleitung  ins  Freie  tretend.     Als 
Attribute  werden  der  Sonnenschirm  und  der  Wedel  aus  dem  Schweif 
eines    Wildochsen    (assyrisch    und    aramäisch)    nachgetragen,    ferner 
Näpfe  mit  Myrrhen  und  ein  Tuch  (iranisch),    in  der  Hand  hält  der 
König  stets  eine  Lotosblume  (aramäisch  und  assyrisch).  4.  Der  thronende 
König  und  die  großen  Audienzen:  kommt  in  kleinerem  Umfange  auch 
auf  assyrischen  und   aramäischen   Reliefs  vor,   in  ausgebildeter  und 
auch  formal  ganz  ähnlicher  Gestalt  aber  am  Kul  i  Fir'aun  in  Mälamir. 
5.   Der  König  im   Kampf  mit  vier  Ungeheuern,   ein  wohl  spezifisch 
zoroastrischer  Gedanke,  formal  abgeleitet  aus  alt-,  nicht  neubaby- 
lonischen Motiven;   dazu   der  König  als  Löwenwürger,  Werethragna, 
das  altbabylonische  Gilgamesh-Motiv. 

Die  Stier-  und  Menschstier-Kolosse,  laniassu,  an  den  Toren  sind 
aus  Assyrien  und  ganz  Nordmesopotamien  bekannt;  sie  fehlen  in  Baby- 
lonien.  Sie  haben  nahe  formale  Beziehungen  zu  urartäischen  Bronzen. 
Die  Darstellung  auf  den  Königsgräbern,  der  König  als  Anbeter  vor 
dem  Feueraftar,  über  dem  Ahuramazda  schwebt,  schließt  sich  an  die 
Adoranten  der  Gräber  von  Kei  i  Däüd  und  Issakäwand  an,  auch  in 
Mälamir  und  öulwän  kommen  schon  ähnliche  Motive  vor.  —  Endlich 
das  Triumphrehef  des  Dareios  in  Bistün  ist  unmittelbar  durch  das 
Triumphrelief  des  Annubänini  beeinflußt. 

Unter  den  ästhetischen  Grundsätzen  ist  die  epische  Zerlegung  eines 
großen  Vorganges  in  Einzelbilder  hervorzuheben.  Die  Einzelbilder 
werden  wiederum  in  Zonen  und  zwar  in  umrahmte  Streifen  geteilt, 
und  diese  bei  großer  Länge  durch  Baumdarstellungen  (Zypressen)  in 
Abschnitte  zerlegt.  Das  ist  nicht  die  assyrische  Weise,  erst  recht 
nicht  die  letzte  der  Asurbänipal-Zeit,  die  rein  malerisch  große  Kom- 
positionen zusammenfaßt,  auch  nicht  die  ältere  der  Sargon-Zeit,  die 
noch  mit  mehreren  Streifen  arbeitet,  aber  sie  hängt  mit  dieser  mittelbar 
zusammen;   das   Rahmenwerk,   das  als   ornamentales   Prinzip   in   der 


Khorasan.  I  3  3 

assyrischen  Kunst  vorliegt,  findet  nähere  Analogien  in  den  hettitisch- 
-aramäischen  Reliefs,  wie  Saktchegözü,  Karchemish.  Wirklich  vor- 
gebildet ist  die  persische  Weise  genau  in  Mälamir,  im  Elamischen. 

Die  Fertigkeit,  mit  der  die  achämenidische  Kunst  ins  Leben  tritt, 
und  ihre  zahlreichen  Beziehungen  zum  Nordwesten  Vorderasiens 
machen  die  Forderung,  daß  sie  nur  eine  Fortsetzung  der  medischen 
Kunst  ist,  zur  Gewißheit.  Die  geringen  Architekturreste,  die  man 
aus  Egbatana  kannte,  und  die  die  französische  Mission  von  Hamadän 
unter  Fossey  1913/14  dazu  fand,  ähneln  den  achämenidischen  Werken 
so  sehr,  daß  ihre  zeitliche  Unterscheidung  schwer  ist.  Hier  tritt  die 
Schilderung  ein,  die  Polybios  von  dem  alten  Egbatana  aufbewahrt  hat : 
ein  Palast  von  sieben  Stadien  Umfang,  alle  Säle  aus  Zedern-  und  Zy- 
pressenholz ausgeführt,  und  alles  Holz  mit  silbernen  und  goldenen 
Blechen  ummantelt,  die  Dächer  mit  Silberplattcn  gedeckt.  Also  der 
gleiche  hypostyle  Säulenbau,  wie  in  Persepolis.  Die  Menge  an  kost- 
baren Metallen  entspricht  ganz  der  unerhörten  Beute  an  Edelmetallen, 
die  Sargon  aus  Musasir  fortführt.  In  Persepolis  sieht  man  an  den  Re- 
hefs  noch  die  Spuren  der  echtgoldenen  Armbänder,  die  die  Königs- 
figuren einst  trugen.  Die  überreiche  Verwendung  von  (vergoldeter) 
Bronze  paßt  so  genau  zu  dem  möbelartigen  Charakter  der  Formen 
des  Holzsäulenbaus,  daß  gar  kein  Grund  ist,  die  Schilderung  bei  Poly- 
bios für  maßlose  Übertreibung  zu  halten. 

Festzuhalten  ist:  der  Holzsäulenbau  und  die  Hausform  sind  in 
Medien  und  in  Persien  die  gleichen.  Wer  je  Persepohs  und  Isfahän 
gesehen  hat,  dem  wird  sich  der  Gedanke  aufgedrängt  haben,  ob  ein 
Zusammenhang  zwischen  der  achämenidischen  und  der  sefewidischen 
Bauweise  möglich  ist.  Den  Beweis  für  diesen  gcradhnigen,  durch  eine 
lange  Überlieferung  vermittelten  Zusammenhang  fand  ich  in  Kur- 
distan. Hier  ist  zunächst  als  ganz  sicherer  Boden  festzulegen:  die 
gesamte  Baukunst  und  Bildhauerei  Irans  bis  zur  Zeit  Alexanders  d.  Gr. 
hat  sich  ohne  irgendwelche  Teilnahme  der  östlichen  Provinzen  allein 
auf  dem  Boden  der  westlichen  entwickelt,  in  voller  Einheitlichkeit, 
aus  dem  was  die  Iranier  bei  ihrer  ersten  Berührung  mit  den  alten 
Kulturen  in  den  Gebieten  lernten,  die  an  das  urartäische  und  assy- 
rische Reich  anstießen  oder  diesen  gehörten.  Dazu  wirkt  die  älteste 
einheimische  Kunst,  die  längst  vor  den  Iraniern  von  Elam,  Babylon 
und  Ninivc  aus  in  die  westlichen  Randgebirge  Irans  eingedrungen  ist, 
in  der  altiranischen  Kunst  in  hohem  Maße  fort. 

Aus  dem  Osten  des  Reichs  gibt  es  bisher  nur  zwei  Vorkommen 
achämenidischcr  Kunst.  Erstens  eine  größere  Zahl  von  Stücken  des 
Oxus- Schatzes  im  British  Museum,   oder  verwandter  Fundstücke   in 


IßÖ  Ernst  Herzfeld, 

russischem  Besitz  ^).  Bei  den  romantischen  Schicksalen  und  der 
dunklen  Geschichte  dieses  vermutlich  aus  Kubädiän  am  Käfirnighän 
stammenden  Schatzes,  ist  es  nicht  verwunderlich,  wenn  seine  Teile 
nicht  das  Bild  einer  einheitlichen  Kunst  geben.  Meines  Erachtens 
sind  Stücke  wie  Nr.  2 :  Goldstatuette  eines  Mannes,  7 :  Quadriga  mit 
Mann  und  Wagenlenker  und  ebenso  das  Gegenstück  des  Lord  Lytton, 
48:  Plakette  mit  Adoranten,  69:  kleine  Plakette  mit  Adoranten,  70: 
desgl.  einheimische  Arbeiten,  weil  sie  Sogdier  oder  Baktrier  darstellen, 
wie  der  Vergleich  mit  den  Thronträgern  von  Persepolis  und  Naqsh  i 
Rustam  lehrt.  Eine  große  Zahl  von  Schmucksachen,  wie  die  Armilla 
116,  die  Armbänder  118,  131 — 38  wird  man  mit  Dalton  wegen  ihrer 
Ähnlichkeit  mit  den  susischen  Goldfunden  *)  für  westpersische  Ar- 
beiten ansehen  müssen.  Dalton  diskutiert  eindringend  die  Frage  der 
Herkunft  der  »orfevrerie  cloisonnee«,  die,  abgesehen  von  vereinzelten 
altägyptischen  und  mykenischen  Vorkommen,  für  die  achämenidische 
Goldschmiedekunst  so  charakteristisch  ist,  und  ebenso  für  die  sog. 
skythische.  Er  kommt  der  Wahrheit  schon  sehr  nahe.  Die  Heimat 
dieser  Technik  ist  das  Reich  von  Urartu,  mit  seinen  Bergwerken  und 
der  blühenden  Aletallurgie,  von  deren  Reichtum  außer  assyrischen 
Schilderungen  auch  im  Verhältnis  zur  Seltenheit  der  Funde  über- 
raschend viele  und  erstaunlich  feine  Metallarbeiten,  darunter  eine 
Anzahl  inkrustierter  Bronzen  Kunde  geben  3). 

Die  zweite  Instanz  ist  Indien:  Die  indischen  Denkmäler  sind  nicht 
älter  als  Asoka,  also  Mitte  des  3.  Jhdts.  v.  Chr.  4);  denn  mit  ihm  erst 
fängt  der  Steinbau  an:  Vorher  liegt  die  steinlose  Zeit,  der  reine  Holzbau. 
Die  ersten  Steindenkmäler  dieser  mittelindischen  Schule  sind  reich 
an  Architekturdarstellungen,  und  in  ihnen  herrscht  der  »persische 
Stil«.  Die  nicht  zu  verkennenden  Formen  des  achämenidischen 
Säulenbaus  haben  die  indische  Architektur  der  vor  Asoka  liegenden 
Zeit  beherrscht.    Daß  sie  nicht  etwa  umgekehrt  von  Indien  abhängen, 


0  Vgl.  pg.   III,  Anm.  3. 

^)  Delegation  en  Perse  XIII  1912:  Ceramique  peinte  de  Suse  etc.  par  E.  Pottier, 
J.  DE  Morgan  u.  R.  de  Mecquene.m. 

3)  H.  F.  B.  Lynch,  Armenia  II  pg.  61  ss.  —  Lehmann-Haupt,  Maierialien  pg.  84 — 104, 
die  Nr.  14 — 16,  20—28.  —  Layard,  Ninive  and  Babylon  pg.  177  ss.  —  Die  Nr.  18  u.  22 
des  Oxus-Schatzes,  und  278  von  Smirnoff,  Argenterie  Orientale  zähle  ich  auch  zu  der 
urartäisch-medischen  Gruppe;  andere  Stücke  stehen  unerkannt  in  etruskischen  Museen. 
Vgl.  mein  L'rarl.  Bronzen  in  Festschrift  f.  Lehmann-Haupt  1921. 

4)  Adjantä.  Amaräwati,  Anurädhapura,  Barähat,  Gayä  und  Säntchi.  Die  neue  Zeit- 
ansetzung  für  Säntchi  bei  John  Marshall,  A  Guide  to  Sänchi,  Calcutta  1918.  Die 
Bewegung  zieht  auch  China  in  ihre  Kreise;  siehe  die  in  Setchuan  entdeckten  Felsgräber 
der  Mission  Gilbert  de  Voisions  etc.  in  JA.  iie  s6rie,  6,   1915,  pg.  281 — 306. 


-Kliorasan.  12? 

lehren  die  älteren  medischen  und  kleinasiatischen  Felsengräber.  Auch 
der  unter  Asoka  vor  sich  gehende  Übergang  zum  Steinbau  ist  sicher 
unter  persischer  Einwirkung  geschehen;  und  da  die  Felsarchitektur  in 
Indien  noch  jünger  ist,  so  könnte  auch  sie  über  Iran  aus  ihrer  natür- 
lichen Heimat,  dem  alten  Kleinasien  nach  Indien  gewandert  sein.  In 
der  indischen  Skulptur  finden  wir  als  achämenidisch-persische  Elemente 
eine  Reihe  von  altorientalischen  Fabeltieren,  die  Lebensbäume  und 
eine  Anzahl  von  Ornamenten,  die  aus  der  aramäischen  xotvv]  der  Kunst 
des  Achämenidenreiches  und  also  in  letzter  Linie  aus  Ägypten  stammen. 
Über  das  achämenidische  Persien  aus  dem  vorderen  Orient  eingewandert 
sind  ferner  die  königlichen  Attribute  des  Sonnenschirmes  {hti),  der  in 
seiner  Vervielfältigung  ein  Merkmal  der  buddhistischen  Stupa  und  Pa- 
gode und  damit  der  ostasiatischen  Architektur  wird,  und  der  Wedel  aus 
dem  Schweife  eines  Wildochsens.  Das  ist  nicht  alles,  aber  es  mag  ge- 
nügen I).  Gandära  und  Sind  waren  Satrapien  des  Achämenidenreiches; 
beide  Völker  erscheinen  wiederholt  auf  den  achämenidischen  Reliefs, 
wie  sie  auch  in  Dareios'  und  Xerxes'  Heeren  kämpften.  Noch  bei  Issos 
steht  Alexander  eine  Elefanten -Truppe  gegenüber.  Der  Grieche  Skylax 
leitet  die  Expedition,  die  Dareios  zur  Erforschung  des  Indus  und  des 
Indischen  Meeres  aussandte,  in  Zusammenhang  mit  seinem  Bau  des 
Suez-Kanales  und  der  Eröffnung  dieser  südlichen  Handelsstraßen.  Es 
ist  also  nur  natürlich,  wenn  achämenidische  Technik  und  Kunst  in 
dieser  Zeit  nach  Indien  dringt-). 

Also  in  beiden  Instanzen,  in  denen  es  überhaupt  Kunstwerke 
achämenidischer  Art  im  Osten  gibt,  sehen  wir,  daß  die  uralte  Bewe- 
gung, die  von  Elam,  Babylonien,  Assyrien  und  Urartu  ausgeht,  noch 
weiterläuft.  Und  damit  stehen  wir  auf  ganz  festen  Boden.  Das  Ver- 
hältnis umkehren,  hieße  das  Unerforschte  durch  das  Unerforschliche 
erklären  wollen  3).  Dabei  sind  diese  Dinge  eben  gar  nicht  mehr  als 
unerforscht  zu  bezeichnen.     Dunkel  ist  erst  das  Folgende. 

Eine  Reihe  von  Grabungen  an  allen  Rändern  Irans  hat  Keramik, 
Metall-  und  Steinobjekte  zutage  gefördert,  die,  da  sie  fast  alle  ohne 
inschriftliche  Urkunden  vorkommen,  nach  der  Methode  der  Vor- 
geschichte behandelt  werden  müssen.  Die  Orte  sind:  i.  Die  ältesten 
Schichten  von  Susa  und  die  Hügel  um  Tepe  Mussiän.  2.  Präislamische 

')  Vgl.  A.  Gkünwedel,  Buddhistische  Kunst  in  Indien,  Handb.  d.  Museen  zu  Berlin 
i<.>00.  —  A.  FoüCHER,  L'aH  greco-buddhique  du  Gandhdra  1905. 

=)  Ed.  Meyer,  Gesch.  III  §  58—62.  —  Die  kulturellen  Beziehungen  durch  den 
Handel  sind  älter:  babylonische  Sagen,  babylonische  Maße,  die  aramäische  Schrift  aus 
Babylonien  sind  schon  im  9. — 8.  Jhdt  v.  Chr.  nach  Indien  übertragen. 

3)  S.  Reinach,  Le  mirage  oriental  in  Chronique  d' Orient  II  pg.  518  s. 


138 


Ernst  Herzfeld. 


Friedhöfe  in  Samarra.    3.  Teil  Halaf  bei  Rä's  al-*ain.  4.  Transkaukasien 
und  Tälish.     5.   Muhammadäbäd,    Hauptort  von    Darragaz.    6.  Anau 
und  Alt-Marw.    7.  Zhob-Tal  in  Balütchistän.    8.  Tumuli  von  Bahrain. 
Ich  führe  diese,  sich  vielleicht  über  vier  Jahrtausende  erstreckenden 
Funde  hier  zusammen  auf,  nicht  weil  sie  ohne  weiteres  eine  Einheit 
wären,  sondern  weil  sie  einen  gemeinsamen  Gegensatz  zu  der  sumerisch- 
babylonisch-assyrischen   Gruppe   bilden  und   alle    in  einem  Ring   um 
Iran   herumliegen.     In  Iran   selbst   sind   diese   Dinge   gelegentlich    ge- 
funden worden,  während  im  sumerisch-babylonischen  und  assyrischen 
Gebiet    auch   keine  Spur  davon   nachzuweisen    ist.     Aber  es  gilt  nur, 
einige  Warnungslichter   in   diesem  Meer  der  Dunkelheit  anzubringen. 
Ich  setze  zunächst  die  Bestimmung  der   »Chronologie  intrinseque« 
des    »ersten  und  zweiten   Stiles«  der  proto-elamischen  Keramik  von 
Susa  durch  Pottier  und  de  Mecquenem  als  richtig  voraus  ^).    Aber 
schon  die  Chronologie  relativ  zu  den  übrigen  Funden  von  Susa  unter- 
liegt vielen  Zweifeln.      Der  erste  Stil  gehört  der  fünften  und  tiefsteh 
5  m- Stufe  des  Hügels  an.     Ein  wenig  höher  erscheinen  Alabastren, 
gravierte  Siegel  (Petschafte),  die  sich  zwischen  der  vierten  und  dritten 
5  m- Stufe  häufen  und  sich  mit  Töpfereien  des  zweiten  Stiles  mischen. 
Da  treten  auch  Statuetten,  Alabastren  und  Steingefäße,   Bildnereien 
in  Bitumen  und  Kalkstein  auf,   die  die  engsten  Beziehungen  zu  den 
ältesten  Kunstwerken    aus    Sumer    haben.      Ferner    kommen  zu  den 
Petschaften  die  Siegelzylinder,  zuerst  in  emailliertem  Ton,  mit  Dar- 
stellungen, die  generell  von  den  sumerischen  verschieden  sind,  später 
in  Stein  und  mit  sumerisch-babylonischen  Darstellungen,  zugleich  mit 
der  proto-elamischen  Schrift;  die  eine  wesentlich  ältere  Stufe  darstellt, 
als  die  ältesten  sumerischen  Schriften  und  die  Schrift  zur  Zeit  eben 
jener  Zylinder.    Die  Schwierigkeiten  häufen  sich:   das  Ende  der  vierten 
und  der  Anfang  der  dritten  5  m- Stufe  bedeutet  bereits  die  Periode 
des  Hammurapi',  in  absoluten  Daten  1955—12,  in  relativen  500  Jahre 
jünger  als  jene  Zylinder,  über  looo  Jahre  jünger  als  jene  Schriftstufe. 
Ferner:    In  den   Hügeln   des  Mussiän-Gebietes  =')   tritt  der  erste  und 
zweite  Stil  gemischt  auf.     Dieser  hat  nahe  Verwandtschaft  mit  den 
Bitumenbildnereien,  mehr  als  der  erste,  andrerseits  auch  mit  den  ältesten 
Funden  aus  Tello,  Nippur,  Bismäyä.    Hier  liegen  also  noch  viele  unge- 
löste  Probleme   der    »Chronologie   extrinseque «.      Der   Grund   ist,    daß 

')  Deleg.  en  Perse  XIII  1912:  Ceramique  peinte  de  Suse  etc.  par  E.  Pottier,  J.  de 
Morgan  u.  R.  de  Mecquenem.  —  Absolut  gesichert  erscheint  mir  nicht  einmal  diese 
relative   Chronologie. 

^)  Deleg.  en  Perse  VIII  1905:  Fouilles  de  Moussian  par  J.  E.  G.^ütier  u.  G.  L.\mpre, 

Pg-  59—148. 


Khorasan.  IßC^ 

Jacques  de  Morgan's  stratigraphische  Untersuchungen  in  keiner  Weise 
der  Schwierigkeit  eines  Gegenstandes  wie  Susa  gerecht  werden :  Der  Hügel 
ist  ja  nicht  in  wagerechten  Stufen  gewachsen,  und  Punkte  nahe  der 
Außenfläche   können  zwar  auf  einem   Niveau   mit  dem   Kern  liegen 
und  doch  viel  jünger  als  dieser  sein,  oder  umgekehrt,  Punkte  derselben 
Tiefenstufe  im  Innern  können  viel  älter  sein,  als  solche  am  Außenrande. 
Bei    der   stiefmütterlichen    Behandlung   der   architektonischen    Reste, 
dem  Fehlen  jeglicher  Pflasterbestimmungen,  ohne  die  doch  eine  wirk- 
liche Stratigraphie  eines  Hügels  ganz  unmöglich  bleibt,  ist  es  völhg 
unklar,  ob  alle  jene  Funde  unmittelbar  über  dem  am  Außenrande  des 
Hügels  gelegenen  Friedhof  oder  aber  nur  in  der  gleichen  Tiefenstufe 
an  anderen  Punkten  gefunden  sind.     Pottier's  Untersuchungen,  die 
den  ersten  Stil  etwa  der  Zeit  vor  2800,  den  zweiten  der  von  2800—2500 
zuweisen,  sind  zunächst  als  Maximalansetzungen  anzusehen.     Daran 
ändert  auch  nichts  die  ersichtlich  aus  imperialistisch-politischen,  nicht 
aus  wissenschaftlichen  Gründen  erfolgte  Parteinahme  —  anders  läßt 
sich  derartiges  nicht  nennen  —  eines  Flinders  Petrie  für  die  irr- 
tümlichen absoluten  Datierungen  de  Morgan's. 

Das  Problem  wird  so  schwer,  und  eigentlich  wird  erst  alles  so 
problematisch  gemacht,  dadurch,  daß  die  antike  Keramik  von  Samarra^) 
außer  allgemeiner  ausgesprochener  Verwandtschaft  mit  dem  ersten  Stil 
von  Susa  auch  einige  völlig  identische  Typen  enthält,  und  daß  doch 
unter  ihr  daneben  aus  dem  Mittelmeerkreise  eingeführte  Scherben  vor- 
kommen, die  als  mittel-  oder  spätminoisch  zu  klassifizieren  sind,  und 
daß  auch  ein  kleiner  Eisendolch  in  einem  dieser  Gräber  gefunden  wurde 
(von  mir  selbst).  Entwicklungs-  und  Zeitunterschiede  gibt  es  in  Sa- 
marra  nicht.  Die  ganze  Tiefe  des  Friedhofes  beträgt  kaum  i  m,  darüber 
liegen  unmittelbar  die  Pflaster  der  islamischen  Häuser,  darunter  der 
gewachsene  Konglomeratfels.  Die  Keramik  von  Samarra  und  in  ihr 
einige  Typen,  die  mit  solchen  von  Susa  identisch  sind,  gehören  also 
ohne  Schwanken  in  die  erste  Hälfte  des  zweiten  Jahrtausends  v.  Chr. 
(1500 — 1000)  und  nicht  an  den  Anfang  des  vierten  (vor  2800). 

Dazu  stimmen  die  Gesamtergebnisse  der  Grabungen  von  Teil  Halaf, 
wo  sich  der  Keramik  von  Samarra  nächstverwandte  Formen  finden  und 
wo  die  Keramik  doch  wie  die  Masse  der  Funde  dem  zweiten  Jahrtausend 
V.  Chr.  angehört.  In  Sumer,  Babylonien  und  Assyrien  gibt  es  nichts 
dergleichen.     In  Assyrien  ^)  tritt  erst  sehr  spät  eine  wesentlich  andere 

I)  F.  Sarre,  Die  Klein funde  von  Samarra  im  Islam  V  2/3  pg.  180  ss. 

-)  Über  T.  Halaf  briefl.  Mitteilungen  v.  Oppenheim's  1913.  —  Herzfeld,  Topo- 
graphie etc.  im  Memnon  I  i  pg.  95  Abb.  2;  bei  W.  Andrae,  Festungswerke  von  Assur, 
DOG.  Tfl.  LXXXIV   und  in  Sarre-Herzfeld,  Archäol.  Reise  Bd.  I  pg.  209  s.  Abb.  98. 


I ^.O  Ernst  Herzfeld, 

bemalte  Keramik  auf,  deren  Hauptmotiv,  die  Palmette  in  allen  Ab- 
wandlungen neben  einer  pseudonaturalistischen  Ornamentik  deutlich 
ihren  Zusammenhang  mit  dem  aramäischen  Westen  und  mit  dem 
Mittelmeerkreis,  in  letzter  Linie  mit  Ägypten  verrät. 

Vereinzelte  Funde  aus  NW- Iran,  nämhch  aus  Rhages-Rai  ^),  be- 
zeichnet PoTTiER  treffend  als  ein  succedane,  einen  Ersatz,  oder  schon 
ein  Nachleben  der  susischen  Formen,  nicht  als  primitive  Kunst.  Ganz 
schwierig  ist  die  absolute  Chronologie  der  Funde  aus  Transkaukasien 
und  dem  Jälish  '^).  In  einem  Grabe  der  Eisenzeit  in  Tülün  fand  J.  de 
Morgan  einen  bronzenen  Siegelring,  auf  dessen  Platte  ein  Steinbock 
(nicht  Pferd  !)  in  einem  abgekürzt  gezeichneten  Lorbeerkranze  graviert 
ist.  Das  ist  ein  sasanidischer  Ring.  In  einem  Dolmen  des  ersten  Bronze- 
alters in  Kraveladi  fand  er,  nach  den  Worten  "ofai  decouvert«  wohl 
persönlich,  ein  graues  Achatsiegel  von  einer  Form,  die  zwischen  dem 
neubabylonischen  konischen  Petschaft  und  dem  Siegelring  steht,  mit 
einem  Buckelochsen  darauf.  Form  und  Darstellung  sind  typisch  sasa- 
nidisch,  und  nicht  etwa  mit  de  Morgan  »achämenidisch«  oder  sogar 
»bisher  unklassiert«  und  daher  »bis  vor  2500  v.  Chr.«  anzusetzen. 
H,  DE  Morgan  schiebt  das  Eisenalter  in  Iran  bis  2500  v.  Chr.  zurück. 
Der  Vergleich  der  Bronzeformen,  besonders  der  Dolche  mit  europäi- 
schen, erfordert  eine  ganz  wesentliche  Herabsetzung  dieser  Zahl.  Ab- 
solute wie  relative  Datierung  sind  also  völlig  unsicher;  keinesfalls  sind 
die  von  den  Findern  angenommenen  Zahlen  möglich.j 

In  Muhammadäbad  in  Darragaz  fand  P.  M.  Sykes  ein  unbe- 
schädigtes Gefäß  und  drei  Scherben,  die,  wie  er  im-  Geographical  Journal 
45,  191 5,  Pg-  365  berichtet,  den  ältesten  Töpfereien  von  Susa  gleichen 
und  auch  denen  von  Anau  ähneln. 

In  Anau  und  Alt-Marw  können  allein  Hubert  Schmidt's  Zeit- 
ansetzungen  in  Frage  kommen,  nicht  die  von  Raphael  Pumpelly  3). 
Er  stellt  fest,  daß  während  einige  Beziehungen  Turkestans  zum  Westen 
(Kleinasien)  und  Süden  (Elam)  nachgewiesen  werden  können,  die  Ver- 
bindungen nach  Nordwesten  (Südrußland  und  Europa)  sehr  dürftig 
und  selten  sind.  Im  ganzen  kommt  nicht  das  hohe  Alter  der  susischen 
Funde  in  Frage.  Ich  kann  mich  nur  dem  Urteil  Pottier's  anschließen, 
das  ebenso  vorsichtig  ist,  wie  das  von  Schmidt,  nämlich,  daß  Verwandt- 

')  Perrot-Chipiez,  Hist.  de  l'art  dans  l'ant.  Bd.  V  pg.  868  ss. 

*)  PoTTiER,'  Notes  sur  des  poteries  du  Caucase  (fig.  i  nach  Baron  de  Baye)  in  Mem. 
de  la  Soc.  nat.  des  Antiqu.  LX  190 1.  —  J.  de  Morgan,  Mission  IV  i  1896  chap  II  Recherches 
prehist.  dans  le  Tälyche  riisse.  —  Deleg.  en  Perse  VIII  Recherches  au  Tälyche  persan  en  1901 
par    H.    DE    Morgan    pg.  251 — 342. 

3)  Hubert  Schmidt,  Arclieol.  Excavations  in  Anau  and  Old  Merv,  Part.  II  der  Publ. 
Nr.  73  der  Carnegie  Institution  of  Washington  von  Raphael  Pumpelly. 


Khorasan.  I^I 

Schaft  mit  Susa  vorliegt,  und  daß  diese  Keramik  eher  im  Zustande 
des  Verfalls,  als  in  dem  der  Entstehung  ist. 

Erst  recht  ist  Zurückhaltung  im  Urteil  über  [die  Funde  von  Balü- 
tchistän  geboten  ^).  Schon  Salomon  Reinach  urteilt  über  den  cypri- 
otischen  Charakter  als  »une  civüisation  retardataire  ä  une  epoque  qui 
n'est  pas  reculee«.  Pottier  verweist  auf  solche  »survivance  ä  longue 
portee  ou  renaissance  recente  de  la  poterie  peinte«  wie  in  Tunesien  ^). 
Einen  ähnlichen  Gedanken  äußert  Sarre,  indem  er  auf  die  frühisla- 
mische bemalte  Keramik  von  Palästina  (Bait  Djibrin)  hinweist. 

Von  den  Kleinfunden  der  Tumuli  von  Bahrain  kann  man  sich 
nach  den  kurzen  Beschreibungen  von  Durand  und  von  Bent  kaum 
eine  Vorstellung  machen  3).  Vermutlich  liegen  sie  unbeachtet  im 
British  Museum.  Aber  die  megalithen  Steingräber  in  diesen  Tumuli 
verleugnen  nicht  ihre  Beziehungen  zu  den  Steingräbern  und  Dolmen 
des  Tälish.  Es  erscheint  sehr  zweifelhaft,  ob  diese  ungeheuer  zahl- 
reichen Gräber  auf  der  kleinen  Insel  einer  alten  einheimischen  Be- 
völkerung angehörten,  oder  vielmehr  einer  Bevölkerung  des  östlichen 
oder  westlichen  Festlandes.  Die  frühere  Annahme  von  phönicischem 
Ursprung  wird  man  heute  kaurri  erneuern,  denn  sie  beruhte  wesentlich 
mit  darauf,  daß  man  überhaupt  megalithe  Anlagen,  wie  z.  B .  Malta, 
Ba*albek  usf.  den  Phöniciern  zuschrieb.  Aber  bestärkt  wird  die  An- 
nahme, daß  die  Gräber  nicht  Einheimischen  gehörten  dadurch,  daß 
auf  einer  anderen  Insel  des  Golfes,  nämlich  auf  Khärag,  sich  ebenfalls 
eine  größere  Zahl  von  monumentalen  Gräbern,  diesmal  von  Felsgräbern, 
befinden  4).  In  der  Moschee  von  Bahrain  befand  sich  der  steinerne 
Fuß  einer  Statue  mit  der  babylonischen  Inschrift :  »Palast  des  Rimum, 
Knechtes  des  Gottes  Inzag  .  .  .«  Da  man  Bahrain  mit  dem  alten 
Tilmun,  dem  hellenistischen  TtSXo?  gleichsetzt,  und  der  Gott  Inzag 
gerade   als  Gott  von  Tilmun  erwähnt  wird,  so  muß  die  in  den  Palast 

J)  Archeol.  Survey  of  India,  Annual  Report  1904 — 5,  Calcutta  1908.  —  F.  Noethling 
Z.  /.  Ethnol.  XXX  1898  pg.  460 — 70:  Über  eine  prähistorische  Niederlassung  im  oberen 
Zhob-Tal  in  Baluchistan  und  das.  XXXI  1899  pg.  104 — 07.  —  Rev.  Arch.  Ille  Serie  Nr.  37 
1900  pg.  159:  Decouvertes  au  Beloutchistan  par  Sal.  Reinach.  —  Nur  hinweisen  kann  ich 
hier  auf  die  noch  unveröffenthchten  Beobachtungen  vorgeschichtlicher  Reste  im  Pamir, 
Wakhkhän-Gebiet  und  am  Helmand  durch  M.  A.  Stein. 

-)  Vgl.   Rev.  d'Ethnogr.  et  de  Social.   II   191 1   pl.  XVII  ss. 

3)  Capt.  Durand,  Bahrain  in  JRAS.  XII  1880.  —  J.  Th.  Bent,  The  Bahrain  Is- 
lands in  the  Persian  Gulf  in  Proc.  of  the  RGS.  Jan.  1890I.  —  Vgl.  B.  Meissner  OLZ.  1917 
7  pg.  201.  —  DeUg.  en  Perse  VIII:'  Les  Tumuli  de  Bahrain  par  A.  Jouannin  pg.  149 — 157. 
—  E.  Sachau,  Chronik  v.  Arbela,  Berl.  Abhdlg.  191 5,  p.  24  s.  —  Zu  den  Dolmen  und  Tumuli 
sind  die  ähnlichen  im  Gebiet  von  Minussinsk  am  Jenissei  zu  vergleichen,  bei  A.  M.  Tall- 
gren,  Collection  Tovosiine,  Helsingfors  1917. 

4)  Herzfeld  in  Ira7i.  Felsrel.  pg.  63 — 68  Abb.  23. 


IA2  Ernst  Herzfeld, 

gehörige   Statue  m.  E;  in  Bahrain  selbst  verfertigt  sein.    Die  Möglich- 
keit ist  vorhanden,  daß  auch  die  Tumuli  in  diese  Urzeit  gehören. 

Will  man  überhaupt  aus  diesen  Materialien  Schlüsse  ziehen  über 
die  Richtung  und  die  Wege  der  Entwicklung  der  frühesten  Zivilisation 
Irans  und  seiner  Randgebiete,  so  kann  der  Schluß  nur  der  sein,  daß 
die  in  Elam  am  Persischen  Golf  entstandene,  mit  der  sumerischen 
eng  verwandte,  aber  nicht  identische  Kultur  sich  nach  Nordost  und 
Ost  ausbreitete,  während  ihre  Ausstrahlung  nach  dem  von  Sumer 
abhängigen  Nordwest  und  West  weniger  bedeutend  war.  •  Das  wäre 
eine  Bewegung,  die  wohl  zusammengeht  mit  der  aus  der  Betrachtung 
der  Baukunst  und  Bildnerei  erschlossenen. 

Die  monumental  a^  wenigsten  bekannte  Epoche  Irans  ist  die 
hellenistische,  also  die  Zeit  Alexanders,  der  Seleukiden  und  der  Parther. 

Unter  Alexander  selbst  wird  vielleicht  das  achämenidische  Leben 
einfach  weitergelebt.  In  ihre  Paläste,  wie  in  die  des  Nebukadnezar 
ist  Alexander  eingezogen.  Von  den  Seleukiden  kennen  wir  aus  Iran 
selbst  kaum  mehr,  als  zwei  oder  drei  Denkmäler,  trotz  der  großen  Zahl 
der  von  ihnen  gegründeten  Städte.  Es  sind  das  der  Tempel  von  Khurha^) 
westl.  Käshän,  südwestl.  Kum,  an  einer  Straße  Hamadän — Isfahän: 
zwei  hohe  Säulen  dieses  ionischen  Antentempels  stehen  noch  aufrecht. 
Ferner  griechische  Bildnereien  von  Dinawar,  nw.  Kirmänshähän  ^). 
Im  übrigen  müssen  wir  die  Vorstellung  ergänzen  durch  die  Reste  in 
den  Grenzländern:  an  Bauten  das  Theater  von  Babylon,  die  Stadt- 
mauern von  Seleukeia,  die  Stadtanlage  von  Sälihiyya;  an  Skulpturen 
und  Dekorationen  die  Gipsornamentik  von  Babylon  und  Sälihiyya, 
eine  Knöchelspielerin  aus  Seleukeia,  ein  Herakles  aus  Assur,  In- 
schriften und  griechische  Töpfereien  aus  Susa  3). 

Das  einzige  bekannte  Architekturdenkmal  der  Arsakidenzeit  aus 
Iran  selbst  ist  bisher  der  große  Anahit-Tempel  von  Kangawar  4), 
Dazu  kommen  wenige  nicht  aufgenommene,  nur  beschriebene  Reste 
in  seiner  Nähe  an  der  großen  Heerstraße.    Die  Vorstellung  von  dieser 


0  Vgl*  HouTUM-ScHiNDLER,  Eüsteni  Persian  Irak  pg.  97  ss  und  Tor  v.  Asien, 
Tfl.  XVII. 

=>)  Vgl.  Mission  en  Perse  Bd.  IV  Karte  pl.  XXVII  in  chap.  VII.  —  Tor  von  Asien, 
Tfl.  XIX. 

3)  Vgl.  KoLDEWEY,  Das  nnederersiehende  Babylon  und  MDOG.  1904  Nr.  21  pg.  9, 
Nr.  22,  pg.  4 — 6,  8—10.  —  Sarre-Herzfeld,  Arch.  Reise  Bd.  II  für  Seleukeia  und  Säli- 
hiyya =  'Aqalqalä.  —  Die  Knöchelspielerin  in  Tor  von  Asien,  Tfl.  XVIII.  —  Ferner  Beleg, 
en  Perse  Bd.  I  Travaux  de  Vhiver  1898 — 99  par  Jecquier. 

4)  Flandin  u.  Coste,  1.  c.  pl.  20 — 23.  —  Sarre-Herzfeld,  Iran.  Felsrel.  Tfl.  XLVII 
u.  XLVIII  pg.  224  SS. 


Khorasan.  143 

Architektur  müssen  wir  also  wieder  erweitern,  mit  einer  gewissen 
Reserve,  durch  die  Denkmäler  der  westlicheren  Provinzen  des  arsa- 
kidischen  Reiches,  nämlich:  in  Armenien  der  Tempel  von  Garni,  das 
arabische  Hatra,  Mauern,  Tempel,  Buleuterion  und  Häuser  der  Stadt 
Assur-Libanai,  die  Häuser  und  Paläste  von  Nippur,  Tello,  Tempel 
von  Warka,  einzelne  Architekturteile  und  dekorative  Skulpturen  von 
Ninive,  Teil  Kushäfund  Babylon  i). 

Auf  die  Höhlen  von  Karaftö  im  zentralen  Kurdistan  bei  Saqyz, 
mit  griechischer  Weihinschrift  an  Herakles,  ferner  die  von  Saukand 
bei  So'uqbulaq,  die  von  Käfurköili  bei  Rahna  im  Lär-Tale  des  Elburz- 
Gebirges  und  von  Ghär  im  Dirakwand-Gebiet  in  Lüristän  mag  hier 
dieser  kurze  Hinweis  genügen,  da  ihre  genauere  Zeitbestimmung  ja 
ganz  fraglich  ist  ^). 

An  Skulpturen  der  parthischen  Zeit  besitzen  wir  die  Reliefs 
Mithradatcs'.n.  d.  Gr.  und  Gotarzes'  H.  in  Bistün:  das  erste  die 
Huldigung  von  vier  Würdenträgern  vor  Mithradates  darstellend,  in 
kolossalem  Maßstabe,  das  zweite  ein  Reiterkampf,  viel  kleiner,  bei 
dem  über  dem  siegreichen  Gotarzes  die  awestische  Gottheit  vanaißti 
uparatdt,  die  »Siegreiche  Überlegenheit«,  in  Gestalt  einer  griechischen 
Nike  schwebt.  Beide  Reliefs  haben  griechische  Inschrift  3).  Diesen 
Werken,  die  in  ihrer  Gestaltung  ganz  hellenistisch  sind,  im  Thema  der 
Huldigung  und  des  Zweikampfes  aber  iranisch,  steht  das  ebenfalls 
parthische  Relief  eines  Reiters  mit  huldigendem  Mann  zu  Fuß  gegen- 
über, das  unter  dem  Relief  des  Annubänini  bei  Sarpul  angebracht  ist. 
Nur  der  rohe  Versuch,  den  Faltenwurf  des  Gewandes  darzustellen, 
erinnert  hier  daran,  daß  es  ein  Relief  aus  nachalexandrinischer  Zeit 
sein  muß.  Auch  die  Reiterdarstellung  überhaupt,  die  außerhalb  der 
griechischen  Kunst  im  Altertum  so  merkwürdig  selten  ist,  deutet 
darauf  hin.  Von  hellenistischem  Geist  ist  kein  Hauch  mehr  zu  spüren, 
und  man  würde  überhaupt  zweifeln,  wie  das  Relief  zu  klassifizieren 

I)  Garni:  früher  bei  Texier  u.  Ker  Porter,  jetzt  bei  Strzygowski,  Armenien.  — 
Hatra:  die  beiden  Veröffentl.  der  DOG.  von  W.  Andrae  und  meinen  Aufsatz  in  ZDMG. 
68  1914.  • —  Assur:  W.  Andrae,  Festungswerke  und  MDOG.  passim.  —  Nippur:  A.  V.  Hil- 
precht,  Explorations  in  Bible  Lands  und  C.  S.  Fisher,  Excavations  at  Nippur  Bab.  Exp. 
of  the  Univ.  of  Penns.  1905.  —  Tello:  De  Sarzec-Heuzey,  Decoiivertes  en  Chaldee  und 
Commdt.  Gros,  Nouvelles  Fouilles.  —  Ninive:  z.B.  George  Smith,  Assyrian  Discoveries 
1875  pl-  OPP-  Pg-  308-  —  Warka:  bis  zur  vorbereiteten  Veröffentl.  der  DOG.  durch  J.  Jordan 
noch  W.  K.  LoFTUs,  Travels  and  Researches  in  Chaldaea  and  Susiana  1857.  —  Teil  Kushäf : 
Sarre-Herzfeld,  Arch.  Reise  Bd.  I  pg.  211. 

-)  Karaftö:  Rawlinson,  JRGS.  1840  und  Ker  Porter.  ^-  Saukand:  Rawlinson, 
1.  c.  —  Käfurköili  und   Ghär:  De  Morgan,  Mission. 

3)  Flandin  u.  Coste  pl.  19  und  Tor  von  Asien,  Tfl.  XXI— XXIII.  —  Das  parthische 
Relief  von  Sarpul  ebenda  XXV. 


1^^  Ernst  Herzfeld, 

sei,  trüge  es  nicht  eine  Inschrift  in  aramäischen  Buchstaben,  von 
einer  Form,  die  der  Chaldaeo-Pehlewi  genannten  Schrift  sehr  nahe 
steht,  und  deren  erste  Worte:  ritt'S j  n2T  "IDHS  gerade  erkennen  lassen, 
daß  die  Inschrift  tatsächhch  Pahlawik  ist,  mithin  zu  den  ganz  seltenen 
Vorkommen  dieser  Schrift  in  vorsasanidischer  Zeit  gehört. 

Die  Vorstellung  der  arsakidischen  Skulptur  muß  wieder  durch 
die  westlichen  Denkmäler  ergänzt  werden.  Das*  sind  die  Reliefs  von 
Finik  und  Qasr  Gelli  am  Tigris  nördl.  Djazirat  ihn  'Omar;  zwei  ganz 
verwitterte  Rehefs  in  *Imädiyya  nordöstl.  Mosul;  die  Partherstelen 
von  Assur;  eine  große  Zahl  der  Köpfe  von  Hatra;  der  Torso  einer 
thronenden  Statue  in  Rä*s  al-*ain;  die  z.  T.  sehr  schönen  Terrakotten 
von  Kriegern,  Reitern,  Frauen  aus  Assyrien  und  Babylonien,  und  die 
glasierten  und  reliefierten  Sarkophage  von  Warka  ^).  Das  Material 
ist  nicht  ausreichend,  um  eine  Entwicklung  beobachten  zu  können. 
Das  gestatten  nur  die  Münzen,  und  an  ihnen  sieht  man  deutlich  ein 
stetiges  Nachlassen  der  griechischen  Einwirkung,  aber  nicht  etwa  ein 
Aufgezehrtwerden  des  Fremden  durch  eine  neue  oder  alte  nationale 
Kunst,  sondern  eine  vollständige  Zersetzung,  einen  Verfall  in  bloße 
Barbarei. 

Die  Geographie  der  parthischen  Denkmäler  macht,  so  wenig  es 
sind,  die  Annahme  wahrscheinlich,  daß  ähnhch  wie  im  hohen  Alter- 
tume,  die  neue  Kultur  von  den  Zentren  im  Westen  die  großen  Straßen 
entlang  vordrang.  Seleukeia  am  Tigris  ist  der  stärkste  Brennpunkt 
dieser  Ausstrahlungen.  Die  anderen  Städtegründungen  der  Griechen 
aber  wirkten  in  entsprechender  Weise. 

Die  historische  Entwicklung  muß  es  mit  sich  gebracht  haben,  daß 
der  Osten  Irans,  Baktrien,  tiefer  und  reiner  hellenisiert  wurde,  als  der 
Westen.  Nur  so  sind  die  hellenistischen  Elemente  in  der  buddhistischen 
Kunst  zu  verstehen.  Griechische,  nicht  erst  hellenistische  Elemente 
waren  schon  früher  über  das  Achämenidenreich  nach  Indien  gedrungen. 
Die  mittelindische  Schule,  deren  achämenidische  Elemente  wir  schon 
erwähnt  haben,  kennt  auch  schon  den  griechischen  Helioswagen,  Hippo- 
kampen,  Kentauren  und  griechische  Architekturformen.  Die  von 
Vincent  Smith  »indo-hellenisch«  genannte  Schule  von  Mathura  hat 
schon  den  Silen,  Herakles  mit  dem  nemäischen  Löwen  und  die  Athene 
Promachos.      Intensiv   hellenisiert   ist   dann   die   gräko-buddhistische 


')  Finik  und  Qasr  Gelli:  Layard,  Niniveh  and  Babylon  pg.  54  s.  —  Miss  G.  L.  Bell, 
Amurath  io  Amurath  fig.  189  u.  190.  - —  'Imädiyya:  Bachmann,  Kirchen  und  Moscheen 
in  Armenien  und  Kurdistan  Tfl.  I.  —  Die  Statue  v.  Rä's  al-*Ain  nach  v.  Oppenheim  in 
meinem  Tor  von  Asien,  Tfl.  XXVI,  Terrakotten  Tfl.  XX.  —  Die  übrigen  Dinge  in  den 
großen  Ausgrabungswerken, 


Khorasan. 


H5 


Schule  von  Gandhära.  Der  Grieche  Menandros-Mihnda,  150 — 100 
V.  Chr.,  und  der  Küshän-Kaiser  Kanishka,  um  120  n.  Chr.  bezeichnen 
die  Etappen  dieser  Entwicklung.  Auf  Kanishka's  Münzen  kommt 
zuerst  die  Gestalt  des  Buddha  vor,  mit  der  griechischen  Beischrift 
BoSoo,  die  wie  der  alte  Christus-Typus  aus  dem  Sokrates-Typus  der 
griechischen  Kunst  abgeleitet  ist.  Silvain  Levy  nennt  Kanishka 
den  Clovis  von  Nordindien,  und  Foucher  fügt  hinzu:  »Aber  ebenso 
wie  der  Franke  Clovis  nichts  bedeutet  für  die  Entwicklung  der  gallisch- 
romanischen Kunst,  so  hat  leicht  begreiflich  der  Türke  Kanishka 
keinen,  unmittelbaren  Einfluß  auf  die  der  gräko-indischcn  Kunst  ge- 
habt«. Die  griechischen  Elemente  der  Gandhära-Skulptur  sind  u.  a. : 
Der  Zeus-Sakka,  der  Zeus  mit  dem  Adler-Garuda,  Ge  »die  große  Erde«, 
der  aus  dem  Palast  ausreitende  Bodhisatva  Gautama,  Harpokrates,  At- 
lanten, Giganten,  Silene,  Satyrn,  Eroten,  Tänzerinnen,  endhch  der  Nim- 
bus und  prinzipiell  das  Gewand,  der  Faltenwurf.  Grünwedel  teilt 
die  tibetische  Legende  über  die  Entstehung  der  Wellenhnien  des 
griechischen  Faltenwurfes  in  der  buddhistischen  Kunst  mit:  Der 
Künstler,  der  Buddha's  Bildnis  schaffen  soflte,  war  von  seinem  Glanz 
geblendet.  Um  ihm  sein  "Werk  zu  erleichtern,  spiegelte  sich  Buddha 
im  Wasser.     Das  Spiegelbild  im  Wasser  bildete  der  Künstler  nach  ^). 

Fast  noch  mehr  als  die  Bildnerei  ist  die  Baukunst  von  griechi- 
schen Elementen  durchdrungen.  Nicht  die  Bautypen,  die  stamhha 
oder  Idt,  die  tchaitya,  die  vihära  und  siüpa,  ■ —  die  sind  indisch.  Aber 
die  Kunstformen  der  Architektur,  Säulen,  Pilaster,  Kapitelle,  Soffiten, 
Profile,  Akanthosornament  und  Ranke,  und  vieles  andere  sind  helle- 
nistisch. Die  alten  Tempel  von  Kashmir,  wie  Märtänd,  Avantipur, 
Pandritan  und  Payetch  lehren  das,  und  in  wie  hohem  Maße  die  spätere 
nicht-buddhistische  Baukunst  Indiens  von  ihnen  beeinflußt  ist,  ist 
noch  kaum  studiert  ^). 

Wenn  also  bisher  auch  kein  Denkmal  der  seleukidischen  und 
arsakidischen  Epoche  aus  Ostiran  bekannt  ist,  so  ist  doch  sehr  wohl 

')  Vgl.  A.  Grünwedel,  Buddh.  Kunst.  —  A.  Foucher,  1.  c;  ferner  ders.,  L'origine 
grecque  de  l'image  du  Bouddha,  Bibl.  de  vidg.  du  Mus.  Guimet  XXXVIII  1913.  —  P.  Brown, 
A  descriptive  Guide  to  the  Depariment  of  Archeol.  &  Antiquities,  Lahore  Museum,  Labore 
1508.  —  D.  B.  Spooner,  Handbook  to  the  Sculptures  in  the  Peshawar  Museum,  Bombay  1910. 

2)  Foucher,  1.  c.  —  Pbotos  Bremer,  Labore.  —  H.  H.  Cole,  lllustraiions  of  the 
ancient  buildings  in  Kashmir,  Arch.  Survey  of  India  1869.  —  Cunningham,  An  Essay  on 
the  Asian  Order  of  Architecture,  JRAS.  XVII  1848  pg.  241  ss.  —  M.  A.  Stein,  Rajatarangini, 
a  Chronicle  of  the  Kings  of  Kasmir  1900.  Zu  Kasbmir  auch  Arch.  Survey  of  India,  Annual 
Rep.  1915— 16.  —  Die  letzten  Grabungen  Sir  John  Marshall's  in  Taxila  ergaben  dort 
einen  Antentempel  griecbischen  Stils,  Arch.  Surv,  Ann.  Rep.  1913— 14,  auch  ders.  A  Guide 
to  Taxila,  Calcutta   1918. 

Islam  XI.  '  10 


146  Ernst  Herzfeld, 

ZU  ahnen,  was  wir  vielleicht  einmal  durch  Grabungen  dort  kennen 
lernen  werden,  nämlich  eine  viel  intensivere  Hellenisierung  als  im 
Westen  Irans.  Die  national-persische  Reaktion  gegen  den  Hellenismus 
und  das  Parthertum  geht  dagegen  vom  Südwesten,  von  Färs  aus. 
Daß  das  sasanidische  Reich  und  seine  Kultur  dort  wurzeln,  ist  kein 
Zufall,  sondern  tief  begründet.  Wenn  überhaupt  altpersische  Über- 
lieferung weiterlebte,  so  war  es  in  diesen  abgelegenen,  ethnisch  reinen 
Gebieten  von  Färs,  nicht  in  Khoräsän  an  der  großen  Post-,  Heer-  und 
Handelsstraße  des  Arsakidenreiches  von  Seleukeia  nach  Baktrien  und 
Indien,  die  uns  Isidoros  von  Charax  beschrieben  hat,  in  einem 
Gebiet  jahrhundertelanger  Kämpfe  und  Einbrüche  barbarischer  Völker. 
Das  erste  Mal,  wo  Khoräsän  kulturschöpferisch  in  Erscheinung 
tritt,  ist  also  die  gräko-baktrische  Epoche.  Wollte  man  diese  Vorstel- 
lungeinfachauf die  Folgezeit  ausdehnen,  so  hieße  das  eine  Grundtatsachc 
völlig  übersehen :  die  größere  östliche  Hälfte  des  Landes  ist  dem  Perser- 
tum  ethnisch,  dem  Zoroastrismus  religiös  entrissen.  Die  Buddha- 
Kolosse  von  Bämiyän,  das  Nauvihär  von  Balkh,  die  benachbarten 
Höhlenklöster  von  Haibak  und  Pandjdih  zeugen  dafür.  Dazu  kommen 
jetzt  vielleicht  als  Wichtigstes  die  von  M.  A.  Stein  neu  entdeckten 
Ruinen  eines  mit  Malereien  geschmückten  buddhistischen  Heilig- 
tumes  auf  dem  Koh  i  Khwadja  in  Sistän  ^).  Es  ist  ein  längst  wider- 
legter Irrtum,  das  Nauvihär,  von  dem  die  priesterliche  Familie 
der  Barmakiden  stammte,  für  einen  Feuertempel  zu  halten.  Schon 
ibn  Faqih  nennt  die  märchenberühmten  Barmakiden  Götzen- 
diener, d.  h.  Buddhisten,  vom  gleichen  Glauben  wie  die  Kaiser  von 
China  und  die  Käbulshähe.  Er  erwähnt  die  hundert  Ellen  hohe  Kuppel 
des  Tempels  mit  ihren  seidenen  Tempelfahnen  und  den  360  maqsüra, 
d.  i.  den  Zellen  mit  Buddhabildern.    Und  Yäqüt  nennt  diese  Kuppel 

o»w^5,  d.  i.  natürlich  «.„»JCwt^SI,  die  Stüpa.  Ganz  ausführlich  schildert 
Hiuen  Tsiang  dieses  Heiligtum  von  Balkh  (Po-ho)  und  ihm  ver- 
danken wir  vor  allem  die  genauen  Angaben  über  den  Buddhismus  im 
östlichen  Khoräsän.  Dem  Buddhismus  gehören  Tirmidh — Ta-mi, 
Tchaghäniän — Ch*i-ngoh-yen-na,  Garma — Hwuh-lo-no,  Sumän  und  Ku- 

')  Bämiyän  schon  bei  Ritter.  —  H.  H.  Hayden,  Notes  on  smne  Monuments  in 
Afghanistan,  Mem.  of  the  Asiat.  Soc.  of  Bengal  vol.  II  pg.  341 — 46,  1910.  —  Burnes, 
Voyagc  eil  Boukhara  II  173.  —  Balkh:  Yäqüt  s.  v.  und  maräsid  235;  Tabari  I  2903; 
Qazwini  221 ;  murüdj  Kap.  LXVIII;  b.  Faqih  322;  Hiuen  Tsiangbei  Beal  I  pg.  43  ss. 
—  Haibak:  Transact.  of  the  R.  Institute  of  British  Architect  im  Anschluß  an  Phene  Spiers, 
Sassanian  Architecture  i.  Dez.  1890.  —  Pandjdeh  (am  Murghäb  bei  Herät):  Capt.  F.  de 
Laessoe,  Caves  &  Ruins  at  Penjdeh  S.-A.  aus  JRGS.,  Jahr  ?  pg.  583 — 591;  comm.  by 
Sir  H.  C.  Rawlinson.  —  Marc  Aurel  Stein's  Entdeckungen  in  Geogr.  Journ.  47, 
iqi6,  pg.  358—64  und  48,   1916,  pg.  97—130.   193—229,   Abb.  29,  31  u.  32. 


Khorasan. 


147 


lab — Su-man,  Kubädiän — Kio-ho-yen-na,  Wakhs — Husha,  Khottal — 
Kho-to-lo,  Baghlän — Fo-kia-lang,  Rüi-Simingän — Hi-lu-sih-min-kien, 
Khulm — Ho-lin,  Balkh — Po-ho,  Gozgän — Hu-shi-kien,  Tälakän — ^Ta- 
la-kien,  Gatch — Kie-tchi  und  Bämiyän — Fan-yen-na. 

Es  wäre  auch  keine  richtige  Parallele,  wollte  man  die  Bedeutung 
Khoräsäns  für  die  *abbasidische  und  *alidische  Sache  auch  nur  in  die 
sasanidische  Zeit  zurückprojizieren.  In  der  frühislamischen  Zeit  waren 
Basra,  Wäsit,  Khüzistan  und  Shiräz  feste  Stützpunkte  der  Umayyaden- 
Herrschaft,  Khorasan  das  Land  der  Gegnerschaft.  Um  200  n.  Chr. 
aber  war  Pars  und  nicht  Khorasan  die  Heimat  des  alten  oppositionellen 
Persertums,  und  wie  die  politische  Erstarkung  von  Pars  ausgeht,  so 
kommt  ebenso  von  da  der  bewundernswerte  geistige  und  künstlerische 
Aufschwung,  den  Iran  unter  den  Sasaniden  nimmt. 

So  ist  es  auch  die  südpersische  Schrift  und  Sprache,  die  unter  den 
Sasaniden  ganz  Iran  erobert,  und  von  ihr,  nicht  von  der  medischen 
oder  ostpersischen,  stammt  die  heutige  Schriftsprache  ab.  Und  es  ist 
wieder  kein  Zufall,  sondern  tief  begründet,  daß  sämtliche  Denkmäler 
der  Sasanidenzeit  in  Westiran  liegen,  und  zwar  die  weitaus  größere 
Menge  in  Pars  selbst.  Denkmälergeographie  und  Historie  stimmen 
völlig  überein. 

Die  sasanidischen  Denkmäler  liegen  an  folgenden  Orten:  In  Pars 
Stakhr,  Naqsh  i  Radjab  und  Naqsh  i  Rustam,  Hadjiäbäd  und  Pirüz- 
äbäd,  Khunaifighän,  Däräbgerd,  Porg,  Parräshband,  Barm  i  Dilak, 
Shäpür,  Nobandagän,  Naqsh  i  Bahräm.  Im  Übcrgangsgebiet  nach 
Khüzistan:  Arragan,  Tang  i  Saulak,  Darwäza  i  Gatch,  Hong.  In 
Khüzistan:  Susa,  Ewän  i  Karkh,  Shushtar,  Dizful.  Im 'Iräq  und  Ost- 
tigrisgebiet: Ktesiphon,  Dastagerd,  Qasr  i  Shirin,  Haushkuri,  Hulwän, 
Paikuli.  Weiter  an  der  Straße  nach  Hamadän:  Täq  i  Girrä,  Täq  i 
Bustän,  Bistün,  Hadjiäbäd.  Vereinzelte  Monumente:  Isfahän,  Rai, 
Salmäs  nordwestl.  des  Urmiya-Sees.  Also  alles  im  Süden  und  Westen, 
ganz  wenig  im  Nordwesten,  nichts  im  Osten.  Dies  Fehlen  im  Osten 
könnte  aus  dort  gebräuchlichem,  vergänglicherem  Material  erklärt 
werden.  Nicht  so  das  Fehlen  der  Pelsdenkmalc,  zu  denen  sich  die 
Berge  im  Osten  so  gut  eignen,  wie  die  im  Westen.  Das  wir  nicht  vom 
Zufall  der  Erhaltung  abhängig  sind,  wenn  wir  aus  der  Übereinstimmung 
der  erhaltenen  Denkmäler  und  der  Geschichte  dem  Westen  die  führende 
Rolle  zuweisen,  beweist  nun  ganz  eindeutig  die  ungeheuer  große  Zahl 
der  überlieferten  Baunachrichten.  Die  Städtegründungen  sind  natür- 
lich nicht  wie  die  griechischen  Kolonien  zu  verstehen,  sondern  bedeuten 
die  Schaffung  von  Residenzen,  Verwaltungszentren,  Heerlagern  mit 
den  dazu  gehörigen  Bauten.     Verschiedene  der  Nachrichten  sind  un- 

10* 


I_4  8  Ernst  Herzfeld, 

sicher,  weil  die  Identität  der  amtlichen  Benennungen  mit  den  volks- 
tümlichen Namen  schon  früh  vergessen  war.  Einige  scheinen  auch 
bloße  Worterklärungen  von  Städtenamen  zu  sein.  Aber  in  der  großen 
Masse  steckt  der  beste  geschichthche  Kern:  der  Charakter  der  Werke, 
in  denen  uns  die  Nachrichten  überUefert  sind,  zeigt,  daß  diese  im 
wesentlichen  aus  dem  Khvatdi-ndmak,  der  sasanidischen  Reichschronik 
stammen  müssen.  Die  folgende  Liste  ist  mein  Arbeitsmaterial  ohne 
Anspruch  auf  absolute  Vollständigkeit^): 

Äbasgün  in  Gurgän,  Socu7idaht\  Ava.m\a.n,  gegründet  von  Kawädh.  Dorn,  Caspici  pg.  66s. 

Abhar,  gegr.  v.   Shäpür  II,  Yäq. 

Ahwäz,  d.  i.  Süq  al-Ahwäz  oder  Khozhistän  Wätchär,  als  Ohormizd-Artashirän,  gegr.  v. 
Artashir  I.  nach  Hamz.,  Tab.,  Qut. ;  von  Hormizd  I.  nach  Shahr^hä  S  £rdn;  nach 
Muq.  von   Shäpür  als   -^.i^i.tOi^^,  daraus  wic.iii,<>3  (falsch). 

Alishtar,    hd.  Lishtar,    SO.   Behbehän,   Ruinen   eines   Feuertempels,   Hamd. 

Amol  in  Tabaristän,  alter  Kuppelbau,  Ahmad    Räzi. 

Ardistin,  zw.  Käshän  und  Nä'in  InMedien,  ,,dort  gibt  es  viele  Gebäude  der  Magier  (d.  i. 
sasanidisch),  in  jedem  Stadtviertel  eine  Zitadelle,  worin.  Feuerhaus  und  Wasser- 
leitung".  Ist.  202,  vgl.  Yäq.   I  198. 

Arragän  neben  Behbehän  als  Weh-Ämid  i  Kawädh  zur  Ansiedlung  der  Kriegsgefangenen 
aus  Amida  gegr.  v.  Kawädh  Perozän  n.  Ha.,  Tab.. Qut.,  Shahr.,  Yäq(Abaz-Qubädh!). 

Asadäwädh  westl.  Hamadän,  i  Farsakh  davon  ein  Ewän  i  Kisrä,  westl.  des  Alwand- 
Passes,  Muq. 

Asak  zwischen  Arragän  und  Rämuz,  dort  ein  Ewän,  gr.  Kuppelbau,  gegr.  v.  Kawädh,  Yäq. 

Ashkar  (ob  'Askar  Mukramr),  gegr.  v.  Bahräm  V.  n.  Shahr.;  'Askar  Mukram  als  Rustak- 
äbädh  oder  Rustamkarädh  von  Shäpür  IL  n.  Hamd. 

Bahrasir  oder  Bardasir  in  Kirmän,  gegr.  v.  Artashir  I.  n.  Eut.  und  Ha. 

Bailaqän,    arm.  Phaitakarän  am  Arras,   gegr.  v.  Kawädh  (488 — 531);   bei  Faustos 

V.  Byzanz  (5.  sei.)  in  seiner  die  Jahre  317 — 370  Chr.   behandelnden  Geschichte 

bereits  erwähnt. 


I)  Vgl.  William  Simpson,  Mud  Archiiecture,  Trans,  R.  Inst.  Brit.  Arch.  NS.  vol.  III 
pg.  57 — 80.  —  Über  die  Zuverlässigkeit  und  Quelle  der  Baunachrichten  urteilten  so  schon 

V.    GUTSCHMID    und   XÖLDEKE. 

Die  Abkürzungen  bedeuten:  Ath.  =  Ibn  al- Athir  ed.  Tornberg.  —  Bai.  =  Ba- 
lädhuri,  küdb  fidü/t  al-buMän  ed.  Cairo  190 1.  —  Eut.  =  Etdychii  Annales  ed.  Cheikho 
1906.  —  b.  Faq.  =  Ibn  al-Faqih  in  Bibl.  Geogr.  Arab.  ed.  De  Goeje.  —  Ha.  =  Hatnzae 
Ispahanensis  Annales  ed.  Gottw.^ldt  1844.  —  Hamd.  —  Hamdalläh  al-Mustawfi 
al-Qazwini,  Nuzhat  al-qulüb,  Auszüge  in  Schefer,  Suppl.  aw  Siassetndtneh,  und  Le 
Str.a-NGE,  As.  Soc.  Monogr.  V.  1903;  die  ed.  des  Gibb  Memorial  ist  mir  noch  nicht  zugäng- 
lich. —  Ders.,  td'rikh  i  guzida  ed.  E.  G.  Browne,  Gibb  Memorial.  —  Ist.  =  Istakhri 
n.  BGA.  DE  Goeje.  —  Mas.  =  Mas'üdi,  tanbih  n.  BGA.  De  Goeje.  — Ders.,  miirüdj  ed. 
Barbier  de  Meyn.^kd.  —  Muq.  =  Muqaddasi  n.  BGA.  de  Goeje.  —  Moses  v.  Chorene 
nach  Marqu.'^rt's  Eränsahr.  —  Qut.  =  Ibn  Coteiba's  Handbuch  d.  GeschichU  ed.  F. 
WüSTEKFELD  1850.  —  Shahr.  =  Abiyädgär-i-Zarerän,  Shatroihä-i-Airän  usw.  Jivanji 
Jamshedji  Modi  Bombay  1899.  —  Tab.  =  Tabari,  die  große  Leidener  ed.  der  Annalen 
und  die  Übersetzung  des  sasanid.  Teils  v.  Nöldeke.  —  Yäq.  =  Yäqut,  mu'djam  ed. 
Wüstenfeld. 


Khorasan. 


149 


Bardha'a,  arm.  Partav,  N.  v.  Ädharbaidjän,  gegr.  v.  Kawädh,  Hamd;  nach  Moses 
Katankatvathsi,  Gesch.  v.  Albanien  33,  vom  Albaner-König  Vache  auf  Befehl 
des  Peroz  (457 — 484)  erbaut  und  zuerst  Perozajjat,]  i.  e.  Flrüzäbäd  genannt,  vgl. 
Hübschmann,    Altarm.   Ortsnamen,   S.   273. 

Bär  min  in   Kirmän,   Feuertempel   des   Khosro    II.    Ha. 

Büdh-Artashir,  d.i.   Mosul,  gegr.   v.  Artashir   I.    Ha.    Tab. 

Bukht    Artashir,   an  der  Küste,  Karnämak  IV  §  8,  NÖLnEKE,  Kärn.  46. 

B  uräzgün  zwischen  Büshir  und  Shiräz,  nach  Buräza,  Vater  d.  Buzurgframatär  Mihrnarseh 
des  Bahräm  V.    Gor. 

Bust    in   Sagistän,  dabei  Ruinen   Stabl  Rustam  genannt,  Vaq. 

Dämghän   in   Komish,   sasanidisches  Wasserkastell  nach    Mus'ir  bei   Yäq. 
Dar-Artashir  Aapapxaai;  bei  Georgios  Pisida,  gleich  Ganzaka  in  Ädharbaidjän,  gegr.  v. 

Artashir  I. 
Darband,  Mauern  von  Bäb  al-abwäb  von  Kawädh  und  Khosro  I.    Ha.,  Bai.,  Tab. 
Dastagerd  i   Khosro   oder  Daskarat  al-malik  von  Hormizd  I.    Ha.  Qut.   Chron.  v. 

Se'ert;  ein  anderes  D.  in  Ahwäz  Yäq. 
Dizful,    alt  Andimishk,    gegr.   v.  Artashir  Päpakän,   Yäq. 
Dukkän    bei   Kirmänshähän,   Palast  des   Khosro    II.     Yäq. 

Erän-äsän-kert-Kawät    v.   Kawädh  I.   n.   Moses  v.   Chor.    Shahr. 
Erän-shädh-Kawädh    zwischen   Hulwän   und   Shahrazür  n.   Ha.   von   Kawädh,    gegr. 

wahrscheinlich  gleich  Ostän   Shädhqubädh   zwischen   Tigris   und   Diyäla. 
Eränshahr-Shäpürundfirän-khurra-Shäpür  bedeuten  Susa  und  Karkhä  de  Lädhan, 

hd.  fiwän  i  Karkh;    Urform:  Erän-farrukh-kert-Shahpuhr.   Beide  von  Shäpür  II. 

gegr.,  n.  Tab.,  mudjmü;  ßrän-kert-Shahpuhr  von  Shäpür  I.  n.  Shahr. 

Furät  al-Basra   oder  Furät  Meshän,   Phnius:  Fora,  inschr.  <t>OPAe>  als  Wahmänä- 

bädh-Ardashir  oder  Bahman-Ardashir  von  Ardashir   I.  n.   Eut.   Ha.  Qut. 
Furdugän  in  Farahän  bei  Hamadän,  alter  Feuertempel  n.   b.  Faq. 

Gilgird  I'tXt'yepScf,  »Schloß  der  Vergessenheit«,  hd.  Burg  von  Susan  nördl.  Malamir 
n.    Rawlinson,   bei    Kedrenos,   Agathias,   Prokop,   Moses,   Theophylakt. 

Gundeshäpür,  ßEvooaaßopojv  Theoph.,  syr.  Beth  Lapat,  hd.  Shahäbäd  Ruinen,  als 
Weh-Antiyok  i  Shahpuhr,  Weh-Andew-.  .  .,  Wande-Sh.  von  Shäpür  I.  zur  An- 
siedlung  der  römischen  Kriegsgefangenen  aus  Antiocheia  gegr.;  Stadtplan  ein 
Schachbrett   von    8x8    Straßen.     Ha.    Qut.     Sahr.     Yäq. 

Gür-Firüzäbäd    als  Artashir-khurra  von  Artashir  I.  gegr.     Tab.    Ha.    Qut.    Shahr. 

Gurgän,  Verteidigungsanlage  gegen  die  Hephthaliten,  von  Peroz;  ausgebaut  von  Kawädh 
und  Khosro  I. 

Hafa  (Hafna,  Hafta),  alt  ^^ü-isLäP,  vgl.  assyr.  Me-Turnat,  uralte  Stadt  an  Nord- 
grenze des  Sawäd  v.  Baghdad,  von  Shäpür  IL  restauriert  n.  Yäq. 

Hamadän  von  Yazdegerd  I.  n.  Shahr.  sonst  allg.  von  Alexander,  z.  B.  Mas'üdi;  Yäq.: 
Burg  Särü(k)  des  Därä,  der  Löwe  ein  Talisman  des  Apollonios  von  Tyana;  b.  Faq. : 

ein  Gewölbe  des  Salomo  und  die  Keilinschriften  des  Dareios  .^sJC^  ,  i.  e.  »äsÄJ 

genannt,  hd.  Gandjnäme. 
Hawiza,    gegr.    v.    Shäpiar    I.    n.    Hamd. 
Hormuz,    Hafen  von   Kirmän,  gegr.  v.  Ardashir   1.     Yäq. 


150  Ernst  Herzfeld, 

Hulwän  in  Mähän  (Medien)  v.  Kawädh  zur  Ansiedlung  von  Kriegsgefangenen  aus  Ämid 

(?  vgl.  Arragän).     Tab.    Eut.    Qut.    Yäq. 
Hunew-Shäpür  in  Madä'in    von  Kawädh  Ha.;    ein'  anderes  (Gibä-Shäpür.?)  vielleicht 

gleich  Beth  Wäziq,  Bawäzidj,  Qal'at  Djabbär  am  Tigris  B.  0.  Assem.  III  1311a.  i, 

II  115,  6;    ZDMG.  X   155.     Hoff.mann,    Syr.   Akt.   189   und  Nachtr.,  Enz.  Isl. 

s.  V.  Bawäzidj. 

Isfahän  von  Alexander,  z.  B.  b.  Faq.;  Vollendung  der  Mauern  und  Tore  durch  Ädhur- 

shäpür   i    Ädhurmänän   unter   Peroz,    Ha. 
Izad-Kawädh-kert  =  Nehärgur  zwischen  Shatt  al-'Arab  und  Khüzistän,   von  Kawädh 

gegr.     Ha.  (überall  ist  Izad-  für  Abar-Abaz-  usw.  herzustellen). 

Kai  am,  alte  Festung  in  Tabaristän,  Zeit  Khosro's  Yäq. 
Käriyän  im  südl.  Färs,  alter  Feuertempel  Yäq.  b.  Faq. 
Karkar  in  Arrän  bei  Bailakän,  gegr.  v.  Khosro  I.  Yäq. 
Karkh    Meshän    Xdpa^  ^Tiacfvou,  hd.  Muhammera ,   als  Astaräbädh-,    Astäbädh-  oder 

Wahishtäbädh-Ardashir,    gegr.   v.  Ardashir  I.    Tab.   Qut.    Eut.    Ha.  Yäq.    Fird. 

Cod.   Sprenger. 
Kashkar,  zwei  Städte  in  K.,  v.  Peroz  n.  Qut.  vgl.  unter  Räm  i  Peroz  und  Roshan  i  Peroz. 
Kawädh-khurra   bei  Kärzin  in  Färs,  Kreis  Gür,  v.   Kawädh  Tab.    Qut. 
Käzarün    v.    Kawädh.      Tab.    und    Shahr. 
Khäbür-Kawädh    bei    Mosul   von    Kawädh.    Ha. 
Khatt,    Stadt  auf  Festland  Bahrain,  Qatif,  als  Paniädh-Ardashir,  gegr.  v.  Ardashir  I. 

Tab.    Eut.    Ha.    Qut.    Moses. 
Kirmän  von  Bahräm  IV^   Kirmänshäh  n.  Qut.,  schlechter  v.  Peroz  Kirmänshäh  n.  Shahr.. 

besser:  Bahräm  IV.  baut  Stadt  in  Kirmän  n.  Tab.,  vermutlich  Kirmänshähän 

südöstl.  Yazd. 
Kirmänshähän,  dem  Namen  nach  von  Bahräm  W.  Kirmänshäh  gegr.    Ein  Palast  auf 

1000  Säulen  des  Kawädh  n.  Yäq. 
Kor  eng  bei  Edhadj  in  Khüzistän  als  Wahisht-Hormizd  von  Hormizd  I.    Ha. 
Ktesiphon,   Palast  von  Shäpür  I.  b.  al-Muqaffa',  Brücke  Shäpür's  IL  n.  Qut. 
Kubädiän  in  Khotlän  v.  Kawädh,  nur  Etymologie. 
Kudjiqän,    kleine  Stadt  in  Gilän  v.  Ardashär  I.  n.   Hamd. 

Mädruwaspän,  d.i.  Täq  i  Girrä,  Jagdschloß  des  Bahräm  V.  Gor  Yäq. 

Manärat    al-hawäfir,    der   Hörnerturm,   legendäres  Jagddenkmal    Shäpür's    I.     Yäq. 

b.  Faq.,  Athir,    Mirkhond. 
Marw,    V.  Alexander  gegr.      Ist.   Muq.   b.  Faq. 
Marw    i    rodh,    v.   Bahräm  V.  n.    Shahr. 
Mushaqqar,  Kastell  auf  Bahrain  von  einem  Basak?    S.  d.  Mähb6dh.>  z.  Z.  des  Khosro  I. 

n.  Tab. 

Nakhtchawän,    gegr.    v.   Bahräm   Tchöbin   n.    Yäq. 

Nä'üs   al-zabiyya,  das  Gazellengrab,  bei  Hamadän,  Jagdschloß  des  Bahräm  V.    Yäq. 

Faq. 
Neshäpür,  Nisäbür,  als  New- Shahpuhr  gegr.  v.  Shäpür  I.  n.  Shahr.    Ha.;  von  Shäpür  IL 

n.  Tab.    Qut. 
Nihäwand,  in  der  Gegend  v.  N.  im  Distrikt  Vahrämäwand  gründet  Bahräm  V.  eine  Stadt 
n.  Shahr.  —  Die  Stadt   ist  aber  viel   älter,  da   sie  bereits   bei  Ptolemaios   als 
Nuf'üvaväa  erscheint. 
Nimiwar   bei   Isfahän,  schönster  Bau  in  Lehmziegeln  und  Lehm.    b.  Faq. 


Khoiasan.  I  5 1 

Ob  oll  a  'ATToXoyo?,   syr.  Remä  in  Meshän   als  Shädh-Shahpuhr,  gegr.  v.  Shäpür  I.     Ha. 

Tab.  Moses. 
Ödjän  in  Ädharbaidjän,  gegr.  v.  Bidjan  S.  d.  Güdarz,  Arsakide,   Hamd.  vgl.  Khadjrän 

(Käzarün?)  Adjän  (Arragän?)  und  Kard  gegr.  v.   Kawädh  n.   Shahr. 

Perozshäpür,  Amm.  Marc:  Pirisabora,  Zosim.  BrjpaaßÄpa  gleich  Anbär  am  Euphrat, 
gegr.  V.  Shäpür  I.  n.  Ha.,  von  Shäpür  H.  n.  Tab.  Yäq.  —  ein  anderes?  in  Khüzistän 
von  Shäpür  IL  n.  Qut. 

Püshang   mit  Brücke  über  den  Hare-rodh,  gegr.  v.   Shäpür  I.  ii.  Shahr. 

Qantarat     Tchihrazädh    bei  Edhadj,   Brücke  und  Feuertempel  von  der  Mutter  Ar- 

dashir's    I.    gebaut,   vielleicht   mythisch,   n.    Yäq. 
Qasr  Bahräm  Gor  im  Dorf  Gohasta  beiHamadän,  Palast  in  Fels  gehauen,  wahrscheinlich 

natürl.  Höhle,  n.  b.  Faq. 
Qazwin,  gegr.  v.  Shäpür  I.    Lubb  al-iawdrikh  n.  Ahmad  Räzi  und  Hamd.  Ta'r.  Gus.  von 
Shäpür  n.  n.  Yäq.  und  b.  Faq,    erscheint  als  Festung  gegen  die  Dailamiten  in  d. 
Geschichte   Bistäm's,    Fird.    Tab.  Nöldeke  pg.  482.     Die    Namenschreibung    ist 
arabisiert  aus  Kasvin,  vgl.  gr.  Knantavi]. 

Räm  i  Hormizd  Ardashir,  hd.  Rämuz,  gegr.  v.  Hormizd  I.  n.  Shahr.    Ha.   Tab.,  vgl. 

Räm-Ardashir  oder  Rämishn  i  Ardashir  von  Ardashir   I.,    Kärnämak  und  Ha. 

Tab.  (=  Rew  Artashir?,    vgl.  Rishihr). 
Räm-Peroz  in  Hind  (?)  v.  Peroz  gegr.  n.  Ha.;  n.  Eut.  und  Cod.  Sprenger  in  Kashkar, 

vgl.  Kashkar  und  Rai. 
Räm-Shahristän,    sasanid.  Hauptstadt  v.  Sagistän    Ist. 
Rai,    eine  Stadt  bei  Rai  als  Räm  Peroz,   gegr.  v.  Peroz,  n.  Yäq.  Muq.  Tab.;  Fird.:  Peroz- 

Räm;  Qut.  ungenau  Rai  selbst. 
Rishihr   als  Rew-Artashir,   gegr.  v.  Ardashir  I.     Yaq.  Hamd.;    n.  Nöldeke  Tab.  nicht 

Reshahr  südl.  Büshir,  sondern  im  NW.  vgl.  Muq.    Ist. 
Roshan-Peroz    an  der  Grenze  von  Sind  Ha.;  dagegen  Tab.  zwischen   Gurgän  und  der 

Pforte  von  Tchöl;  n.  Eut.  und  Cod.  Spr.  aber  in  Kashkar  ! 

Sagistän,    eine  Stadt  in  S.,  gegr.  v.    Shäpür  II.    Tab. 

Sind,   eine  Stadt  in  S.  von  Shäpür  II.  n.  Tab.  Qut.,  unwahrscheinhch. 

Srosh  Adhurän,    Feuertempel  im  Gau  Djai  von  Shäpür  II.    Tab. 

Sughdabil  in  Armenien  am  Kurr  von  Khosro   I.  n.  Yäq. 

Shädhirwän    von    Shüshtar,    Aquaeduct    von    römischen    Kriegsgefangenen   (Valerian) 

unter   Shäpür   I.  gebaut,  Tab.  Ha.  Qut.   Ist.   Muq.  b.  Rost.  Yäq.   Hamd. 
Shahräbädh-Kawädh   zwischen  Gurgän  und  Aprshahr  von  Kawädh,  gegr.  n.   Ha. 
Shahr  Kawädh    in   Färs  gegr.   v.    Kawädh   Yäq. 
Shahristän  i  Yazdegerd  im  Lande  der  Tchöl,  Castrum  an  der  Grenze  Gurgäns,  von 

Yazdegerd   I.      Syr.   Moesinger    II,   68. 
Shahr   Räm   Peroz  bei  Abeward,  gegr.  v.  Peroz.;  Khosro  I.  siedelt  dort  Tchöl  an,   vgl. 

Shahräm-Peroz   in   Ädharbaidjän   Tab.;   Moses,    Zamperoz   in   Khoräsän. 
Shäpür   in  Färs,  Ansiedlung  römischer  Kriegsgefangener  durch   Shäpür  I.    Ha.  Qut. 
Shäpüragän,  hd.  Shibargän,  dem  Namen  nach  von  einem  Shäpür  gegr.,  vgl.  Nöldeke 

Tab.  pg.  457. 
Shäpür-khwast ,    wo?,    gegr.    v.    Shäpür    I.     Ha. 

Tamis(a)  in  Tabaristän,  Grenze  v.  Gurgän  und  Khoräsän,  Kunststraße  in  Ziegeln  und 

Zement  von  Khosro  I.    Yäq. 
Tazar    zwischen  Asadäwädh  und  Kirmänshähän,   ein   Schloß   eines  Khosro,  Muq. 


152 


Ernst  Herzfel  d , 


'Ukbarä,   nöidl.  Baghdad,  als  Buzurg-Shäpür,  gegr.  v.   Shäpür  II.  n.  Ha.  Tab. 

Waläshgerd,  wo?,  gegr.  v.  Kawädh  Ha.,  ein  anderes  Guläshgerd  in  Kirmän  z.  Z.  Ar- 
dashir's  I.  nach  einem  König  Baläsh  v.   Kirmän  benannt,  Tab. 

Weh-Antiyok-Khosro,  Weh-Andew-Khosrö  oder  Rümiya  in  Madä'in  nach  dem  Muster 
von  Antiocheia  für  die  verpflanzten  Antiochener  von  Khosro  I.  erbaut.  Tab. 
Ha.    Qut.  usw. 

Weh-Ardashir  oder  Bahurasir  in  Seleukeia  v.  Ardashir  I.,   gegr.  n.  Tab.  Ha.  Shahr. 

Weh-Kawädh    oder  Bih-Qubädh  auch  in   Seleukeia  von   Kawädh,  var. 

Weh- Shäpür,   ob  gleich  Shäpür  in  Färs?,  v.  Shäpür  I.,  gegr.   Shahr. 

Zarang,   die  Burg  halb  von  Ardashir,  halb  von  Khosro  n.  Muq. 

Von  diesen  lOO  Orten  fallen  34  auf  Färs,  Kirmän  und  Khüzistän, 
27  auf  Kurdistan,  Djibäl  und  Ädharbaidjän,  21  auf  das  Tigrisgebiet, 
also  82  auf  Westiran.  Auf  Sistän  fallen  Bust,  Zarang,  Räm  Shah- 
ristän  und  eine  namenlose  Stadt.  Die  letzteren  drei  sind  möglicher- 
Aveise  identisch,  fraglich  sind  Räm-Peroz  und  Roshan-Peroz,  unwahr- 
scheinlich eine  namenlose  Stadt  in  Sind.  Auf  den  Südosten  entfallen 
also  nur  vier  oder  fünf  Punkte.  Auf  Khoräsän  in  weitem  Sinne  kommen 
nur  II  Ortschaften.  Davon  ist  Kubädiän  falsch,  Shahr-Räm-Peröz 
und  Shahräbädh  Kawädh  ganz  fraglich,  Shäpüragän  nur  aus  dem 
Namen  erschlossen.  Tamisa  ist  nur  eine  Straße,  Gurgän  und  Shahristän 
i  Yazdegerd  sind  nur  Limes-Anlagen  ^).  Es  bleiben  im  ganzen  der 
Masse  der  westlichen  Gründungen  gegenüber  nur  die  vier  Orte  in 
Khoräsän:  Dämghän,  Neshäpür,  Marw  i  rodh  und  Püshang. 

Geschichte,  Topographie  der  Überreste  und  der  Überlieferung 
stimmen  also  völlig  darin  überein,  daß  in  sasanidischer  Zeit  die  kulturelle 
Bedeutung  Khoräsäns  unwesentlich  ist,  daß  der  Schwerpunkt  vielmehr 
im  Südwesten  liegt.  Inhalt  und  Wesen  der  Denkmäler  aber  ergeben 
noch  mehr  ^). 

Die  sasanidische  Bildnerei  kennt  nur  wenige,  bestimmte  Themata: 

I.  Die  Belehnung:  ein  menschgestaltiger  Gott,  der  dem  König  die 
Corona,  das  Symbol  der  Herrschaft  reicht;  beide  Gestalten  zu  Pferde 
oder  zu  Fuß,  allein  oder  vor  Gefolge.  Das  ist  das  altmorgenländische 
Belehnungsmotiv,  wie  auf  dem  berühmten  kudurru  des  Merodach- 
baladan  des  Berliner  Museums.      Die  Anwesenheit  des  Thronfolgers 

1)  Zu  den  Limesanlagen  vgl.  Plinius,  Nat.  Hist.  6,  i2.  —  Prokop,  Bell.  Pers.  I 
106—107,  II,  547  und  Bell  Goth.  4,  3  —  Tab.  III,  1275,  7  —  Ist.  185,  4  —  Yäq.  I 
351,  3.  Über  den  von  ihm  entdeckten  Limes  in  Sistän  und  seine  Beziehungen  zur 
cliinesischen  Mauer  wie  zu  den  römischen  Limesanlagen  vgl.  M.  Aurel  Stein  in  Gcogr. 
Journ.  47,  1916  p.  313  und  48,  1916  p.  227. 

2)  Ich  benutze  im  folgenden  ein  unveröffentl.  Ms.  »Materialien  zu  einer  mittelpersi- 
schen Kunstgeschichten.  Die  Gegenstände  meist  bei  Flandin  u.  Coste,  Dieulafoy,  Stolze, 
Sarre-Herzfeld,  de    Morgan,  Herzfeld,  Tor  von  Asien. 


Khorasan. 


153 


auf  einigen  dieser  Reliefs  kommt  schon  am  Kul  i  Fir*aun  in  Mälamir 
vor.  Das  alte  Motiv  ist  hellenisiert,  besonders  wo  es  als  Gruppe  von 
Reitern  abgewandelt  wird.     Schon  auf  arsakidischen  Münzen. 

2.  Huldigungssbild :  der  König  stehend  oder  thronend  mit  hul- 
digenden Würdenträgern,  Truppen  u.  dgl.  Das  Motiv  schon  auf  den 
achämenidischen  Gräbern  und  den  Audienzreliefs,  der  Gestus  auch  in 
Kul  i  Fir^aun.  Völlig  vorgebildet  bereits  in  Mithradates'  II.  d.  Gr. 
Denkmal  von  Bistün. 

3.  Triumphe  und  Tributzüge:  Das  Urbild  sind  die  Triumphe  des 
Annubänini  und  des  Dareios.  Viele  Einzelheiten  altmorgenländischer 
Beispiele,  wie  das  Treten  oder  Stehen  auf  dem  besiegten  Feind,  kehren 
unverändert  wieder.  Der  Symbolismus  — ■  es  sind  vielfach  keine  histo- 
rischen Handlungen,  sondern  reine  Symbole  magischer  Bedeutung  —  ist 
altmorgenländisch.  Die  Form  ist  stark  hellenisiert:  enge  Verwandtschaft, 
mit  römischen  Triumphreliefs.  Die  Tributzüge  erscheinen  in  Assyrien, 
im  hettitischen  Karchemish,  in  Persepolis  und  auf  römischen  Reliefs. 

4.  Reiterkämpfe:  nicht  altmorgenländisch,  sondern  hellenistisch; 
völlig  vorgebildet  im  Denkmal  Gotarzes'  II.  von  Bistün. 

5.  Jagden:  altmorgenländisches  Motiv  des  hettitischen  und  assyri- 
schen Kreises.     Enge  Beziehungen  zu  spätassyrischen  Jagdbildern. 

6.  Opferhandlungen,  Klinenszenen:  nur  im  Tang  i  Saulak^),  un- 
genügende Aufnahmen.  Die  Opfer-  schließen  an  achämenidische  und 
medische,  die  Klinenszenen  an  hellenistische  Vorbilder  an. 

Diese  Bildnerei  ist  eine  ausschließlich  amtliche  Kunst,  dient  nur 
der. Verherrlichung  des  vergöttlichten  Königtums.  Auch  das  Religiöse 
tritt  nur  als  Staatsreligion,  als  Kirche  auf.  Das  ist  der  assyrisch- 
achämenidische  Geist,  noch  übertrieben  und  übertroffen.  Jegliche  Ver- 
breiterung des  Inhaltes,  Durchdringung  des  nationalen  oder  indivi- 
duellen Lebens  mit  Kunst  fehlt.  Die  strenge,  bis  zum  Absoluten  vor- 
gehende Symmetrie  ist  eine  Übertreibung  des  achämenidischen  Grund- 
satzes, der  auch*  seit  Diocletian  im  Abendlande  den  Entwurf  amt- 
licher Themata  beherrscht.  Die  Zerlegung  großer  Bilder  in  parallele, 
gerahmte  Streifen,  ist  ebenfalls  achämenidisch,  und  liegt  schon  im  Kul 
i  Fir^aun  vor.  Die  fliehende  Perspektive  und  die  Vogelperspektive,  die 
daneben  und  durcheinander  verwandt  werden,  sind  dagegen  aus  dem 
Hellenismus  übernommen.  Das  Durcheinander  widerstreitender  Grund- 
sätze ungleicher  Herkunft  lehrt,  daß  diese  Kunst  nichts  von  innen 
heraus  Gewachsenes,  sondern  etwas  eklektisch  Geschaffenes  ist.  Aus- 
drucksmittel ist  allein  die  Gebärde  der  Haltung,  meist  durch  die  Hand 
hervorgebracht,    nie    durch    das    Gesicht;    selten   durch    den    Körper. 

')  DE  BoDK,  Travels  in  Luristan,  London  1845. 


154  Ernst  Herzfeld, 

Auch  das  ist  Achämenidentum  und  Altes  Morgenland.  Diese  Reihe 
der  Charakteristiken  kann  beliebig  vermehrt  werden:  nichts  in  dieser 
Bildnerei,  das  nicht  aus  der  älteren  Kunstübung  der  gleichen  west- 
lichen Landschaften  erklärt  würde. 

Die  Betrachtung  der  zeitlichen  Folge  der  sasanidischen  Felsdenk- 
male und  ein  Überbhck  über  die  Werke  der  Metallurgie,  der  Stein - 
Schneiderei  und  der  Wirkerei  lehren  weiter,  daß  alle  diese  Künste 
keine  selbständigen  Entwicklungen  erlebt  haben,  sondern  daß  sie  alle, 
mindestens  seit  dem  vierten  Jahrhundert,  in  Abhängigkeit  von  einer 
anderen  Kunst,  nämlich  der  Malerei  standen.  Von  dieser  Kunst  ist 
uns  kein  einziges  Denkmal  erhalten,  aber  es  gibt  viele  Quellen,  aus 
denen  wir  ihre  Vorstellung  rekonstruieren  können:  aus  der  Literatur 
wissen  wir,  daß  caedes  et  bella  ihr  Hauptthema  waren;  es  gab  ein 
Gemälde  der  Belagerung  von  Antiocheia,  der  Könige  der  Erde  ver- 
sammelt beim  König  der  Könige  von  Iran  und  Anirän;  die  Jagdaben- 
teuer des  Bahräm  V  Gor  wurden  oft  gemalt  usf.  ^).  Der  Schluß  ist 
erlaubt,  daß  alle  Themata  der  Bildnerei,  der  Metallurgie,  der  Stein- 
schneiderei und  der  Wirkerei  zugleich  Themata  der  Malerei  waren,  ja 
ihr  ursprünglich  angehörten.  Wesentlich  ergänzt  wird  die  so  gewonnene 
Vorstellung  durch  erhaltene  Malereien  aus  anderen  Gebieten,  erstens 
von  frühislamischen  Bauten  wie  Qusair  *Amra  und  Samarra,  zweitens 
von  buddhistischen  Malereien  aus  Turkistan,  deren  starke  persische 
Elemente  von  jeher  bemerkt  sind  und  eine  gründliche  Bearbeitung 
erforderten.  Die  Malerei  war  —  das  ergibt  die  Betrachtung  der  sasa- 
nidischen Kunstdenkmäler  in  ihrer  Gesamtheit  —  die  beherrschende 
Kunst  im  sasanidischen  Iran,  die  einzige,  die  dauernd  geübt  wurde 
und  in  der  es  eine  lebendige  Überlieferung  gab  ^). 

Gemalt  haben  schon  die  Parther.  Ich  verdanke  der  Güte  0. 
Reuther's  die  Kenntnis  einer  imMerkez  in  Babylon  gefundenen  Malerei, 
der  parthischen  Schicht,  die  m.  E.  einen  Sonnenwagen  darstellt,  also 
die  Abstammung  der  späteren  astrologischen  Darstellungen  des  Islam 
aus  dem  babylonischen  Altertum  in  gewisser  hellenistischer  Umbildung 
unmittelbar  beweist  3).  Auch  ist  der  allgemein  hellenistische  Charakter 
der  Malereien  von  Qusair  *Amra  und  Samarra  zu  deutlich,  und  selbst 


')  Vgl.  meine  Archäologischen   Parerga,    »Die.  Könige  der  Erde«,  in  OLZ.   1919,  2. 

-)  Qusair 'Amra:  die  vorläufigen  Veröffentlichungen  von  A.  Musil,  das  große  Werk 
der  Wiener  Akademie,  und  Enzyklop.  d.  Islam  s.  v.  —  Samarra:  die  beiden  Vorberichte 
von   1912  und  1914. 

3)  Typus  der  Darstellung  ist  wie  bei  Lanci,  Trattato  delle  simboliche  rappresentantf, 
zitiert  und  abgebildet  in  dieser  Zeitschr.  Bd.  III  Tfl.  7  von  F.  Saxl.  —  Vgl.  Herzfeld, 
Thron  des  Khosro  in  Jahrb.  d.  preuß.  Kuvstsamml.  1920  i  u.  2. 


Khorasan. 


155 


in  Turfan  noch  so  erkennbar,  als  daß  wir  die  sasanidische  Malerei,  die 
ja  zwischen  diesen  Extremen  liegen  muß,  anders  denn  als  hellenistisch 
uns  vorstellen  dürften.  Es  gibt  Dinge,  die  in  den  islamischen  Malerei- 
resten einerseits,  in  Turkistän  andrerseits  auftreten  und  eine  spezifische 
Verwandtschaft  aufweisen.  Eine  unmittelbare  Übertragung  vom 
einen  zum  andern  kommt  nicht  in  Frage.  Viel  eher  würde  man  sich 
zu  dem  Trugschluß  verleiten  lassen,  daß  solche  Dinge  beiderseits  von 
der  mittleren  sasanidische n  Malerei  abhingen.  Das  Richtige  ist  allein 
die  Annahme  der  Stammverwandtschaft :  der  Hellenismus  hat  in  Gräko- 
Baktria  die  gleichen  Formen  oder  nächstverwandte  hervorgebracht, 
wie  in  Seleukeia.  Der  gräko-baktrische  und  babylonische  Hellenismus 
sind  Geschwister.  Die  folgende  Generation  wird  vertreten  im  Westen 
durch  die  arsakidische  Kunst  in  Seleukeia-Ktcsiphon,  Assur,  Warka; 
im  Osten  durch  begrabene  Städte  in  Sistän,  Arachosien  und  durch 
Gandhära.  Das  sind  Vettern.  Dem  sasanidischen  Ktesiphon  entspricht 
in  Iran  Stakhr,  in  Khorasan  die  Küshän-Epoche.  Und  deren  Erben 
sind  im  Westen  Baghdad  und  Samarra,  im  Osten  Turkistän. 

Die  Architektur  der  Sasanidenzeit  paßt  sich  diesem  Bilde  an. 

Die  Baudenkmäler  sind  überwiegend  Palastruinen  und  zwar 
Stadt-  oder  Jagdschlösser:  auch  die  Architektur  war  eine  dem  Königtum 
dienende  Kunst,  alles  Nichtkönigliche  war  aus  schlechten,  vergänglichen 
Stoffen  gebaut.  Eine  dieser  Ruinen,  Tchuär  Qapu  bei  Qasr  i  Shirin  ist 
vielleicht  als  Feuertempel  anzusprechen.  Einen  sicheren  Feuertempel 
kennen  wir  nicht.  Ein  Turm,  in  Firüzäbäd,  in  der  Art  der  babylo- 
nischen Tempeltürme,  kann  mit  kultischen  Bauten  zusammenhängen, 
kann  aber  auch  andere  Bedeutung  haben.  Ein  Denkmalsturm,  Paikuli, 
trägt  vier  Königsbüsten  und  die  Inschriften  der  Reichsgründung.  Der 
Täq  i  Girrä  könnte  auch  ein  bloßes  Denkmal  gewesen  sein,  wenn  er 
nicht  zu  einer  Jagdschloßanlage  gehörte,  wie  die  Grotte  des  Täq  i 
Bustän.  Außerdem  gibt  es  nur  wenige  Burgen  oder  Castren,  den  Teil 
einer  Stadtmauer,  Dastagerd,  ein  Straßentor,  Darwäza  i  gatch,  und 
eine  Reihe  bedeutender  Ingenieurbauten:  Wehre,  Brücken,  Mühlen, 
Straßen  '). 

Der  Typus  der  Paläste  schließt  sich  unmittelbar  an  die  achäme- 
nidische  Form  des  tacara  an,  ersetzt  aber  die  säulengetragene  Vorhalle 
durch  ein  Tonnengewölbe,  den  Ewän,  Iwan,  und  den  hypostylen  Saal 
durch  eine  Kuppel.  Der  Turm  von  Firüzäbäd  ist  ein  altbabylonischer 
das  Straßentor  Darwäza  i  gatch  ein  hellenistisch-römischer  Typus.  Die 
Ingenieurbauten  sind  zuerst  von  römischen  Kriegsgefangenen,  später 

')  DE  BoDE,  Travels  in  Lurislan  für  Darwäza  i  gatch;  die  Ingenieurbauten  bei 
M.  DiKULAFOY,  L' Art  aniique  und  bei  Graadt  van  Roggen  in  der  Deleg.  en  Ferse. 


156  Ernst  Herzfeld, 

wohl  von  Einheimischen  ausgeführt  worden.  Die  Wiederverwendung 
achämenidischer  SpoHen  und  ganzer  Bauteile  ist  charakteristisch  für 
den  Geist. 

Das  Handwerk  ist  durchaus  minderwertig.  Ein  Bruchsteinbau, 
der  nur  durch  die  brutale  Masse  seines  Mauerwerks  und  durch  die 
Qualität  des  Mörtels  hält.  Nur  im  Tigrisgebiet  ein  ähnlicher  Ziegelbau. 
Das  Mauerwerk  war  unter  Putz  verborgen  und  die  Wände  mit  Stuck- 
zieraten oder  Malerei  überzogen.  Die  Gipsornamentik  ist  bereits  in 
den  parthischen  Bauten  Mesopotamiens  und  Babyloniens  da. 

Scheinbar  wird  die  sasanidische  Baukunst  gekennzeichnet  durch 
das  Gewölbe:  sie  kennt  aber  nur  das  urtümliche  Tonnengewölbe  in 
parabohscher  Form  über  dem  Rechteck,  und  eine  ebenso  urtümliche 
parabolische  Kuppel  auf  Ecktrompen  über  dem  Quadrat.  Dieser 
Kuppelbau  erlebt  nicht  die  geringste  Weiterbildung,  er  bleibt  sich 
immer  gleich,  tot.  Am  Tonnengewölbe  machen  sich  vom  römischen 
Ingenieurbau  ausgehend,  Ansätze  zu  einer  Entwicklung  bemerkbar: 
die  Auflösung  der  Tonne  in  Gurte  mit  zwischengespannten  kleinen 
Quertonnen,  Hohlräume  Hubesa  im  Füllmauerwerk,  und  einmal  der 
Versuch  innerer  Strebepfeiler,  Versuche,  die  erst  in  islamischer  Zeit 
Nachfolge  finden.  Auch  die  spezifische  Form  der  Kuppel  auf  vier 
Ecktrompen  über  quadratischem  Räume  finden  wir  erst  unmittelbar 
vor  der  islamischen  Zeit  nach  Armenien  und  nach  der  islamischen  Er- 
oberung allmählich  über  das  ganze  Gebiet  des  Islam  übergreifend  und 
dann  erst  eine  Entwicklung  beginnend,'  der  man  sie  nach  der  vier- 
hundertjährigen Stagnation  in  der  sasanidischen  Zeit  kaum  mehr  für 
fähig  hält  ^). 

Urtümlicher  Charakter  und  Entwicklungslosigkeit  gerade  in  der 
Periode  derjenigen  abendländischen  Entwicklung,  die  an  die  Antike 
anschließend  diese  eben  durch  den  Gewölbebau  gänzlich  umgestaltet 
und  zu  so  vollendeten  und  geistvollen  Schöpfungen,  wie  die  Hagia 
Sophia,  und  über  sie  hinaus  führt,  — •  urtümlicher  Charakter  und  Ent- 
wicklungslosigkeit erwecken  Zweifel,  ob  dieser  Gewölbebau  wirklich  die 
sasanidische  Baukunst  kennzeichnet,  oder  ob  nicht  etwa  der  großen 
Masse  der  Bauten  das  Gewölbe  fremd  war,  uns  aber  nur  die  verhältnis- 
mäßig seltenen,  gewölbten  Bauten  als  die  widerstandsfähigeren  über 
der  Erde  erhalten  sind.     Das  halte  ich  für  die  richtige  Anschauung. 

Seit. der  medischen  Zeit  herrschte  in  West-  und  Südiran  der  Holz- 
säulenbau.  Er  herrscht  auch  heute  noch:  ich  fand  das  uralte  medischc 
Haus  der  Felsengräber  mit  der  Säulenvorhalle  zwischen  Anten  und  oft 

0  Vgl-  meine  Besprechung  von  Strzygowski's  Armenien  in  Wa.smuth's  Monatsh. 
f.  Baukunst  19 19   1/2. 


Khorasan. 


157 


mit  dem  hypostylen  Saal  (bei  größeren  Abmessungen)  vom  Norden 
beginnend  in  Mäzandarän,  auf  dem  ganzen  Wege  von  Qazwin  nach 
Hamadän,  und  zwischen  Hamadän  und  Kirmänshähän,  also  im  ganzen 
alten  Djibäl;  ferner  in  Saqiz,  Bäna,  Sardasht,  Ränia,  Sulaimaniyya, 
Shahrazür,  Meriwän,  Awramän,  Rawänsar  und  Mähidasht,  also  in  ganz 
Kurdistan  und  Ardilän,  oder  in  ganz  Medien.  Ebenso  aber  herrscht 
der  alte  Typus  vor  in  Shül,  Khullar,  Ardakän,  Dukühak,  den  von 
einer  rein  persischen  Bevölkerung  bewohnten  Weinbezirken  über  Shi- 
räz,  also  in  der  alten  Persis.  Wenn  der  Holzsäulenbau  in  monumentaler 
Ausbildung  allgemein  in  der  Safawiden-Zeit,  vorher  aber  höchstens  an 
timuridischen  Bauten  auftritt,  so  beweist  das,  daß  Holzsäulenbauten  in 
Iran  keine  längere  Lebensdauer  als  gegen  500  Jahre  haben,  nicht  etwa, 
daß  vor  500  Jahren  etwas  Neues  entstanden  wäre.  Den  Beweis  für 
die  Lückenlosigkeit  des  Holzsäulenbaus  von  der  medischen  und  achä- 
menidischen  bis  in  die  safawidische  und  moderne  Zeit  aber  liefern  die 
Formen  der  Holzsäulen  in  Kurdistan:  es  sind  alles  Sattelholz-Kapitelle, 
mit  verschiedener  Vorder-  und  Seitenansicht.'  Sie  beruhen  alle  auf  der 
Grundform  des  ionischen  Kapitells,  das  ja  in  Iran  an  dem  hellenistischen 
Tempel  von  Khurha  auch  in  Stein  erhalten  ist.  Deshalb  braucht  die 
Abstammung  nicht  aus  dem  Hellenismus  zu  sein;,  denn  schon  die 
achämenidischen  Säulenformen  gehören  eng  zu  dem  sich  über  ganz 
Kleinasien  und  Armenien,  also  auch  über  lonien  erstreckenden  Kunst- 
kreise, so  daß  das  Auftreten  ionischer  Formen  in  Iran  auf  Urverwandt- 
schaft beruhen  kann.  Diese  auf  dem  ionischen  Kapitell  beruhenden 
und  aus  ihm  durch  Vervielfältigung  der  Voluten  weitergebildeten  Holz- 
kapitelle finden  sich  nun  genau  so  im  Felsrelief  dargestellt,  im  Hinter 
grund  der  Grotte  des  Täq  i  Bustän.  Diese  eigentümliche  Kapitellform 
ist  überhaupt  erst  durch  die  bäuerlichen  kurdischen  Beispiele  verständ- 
lich. Also  ist  der  ganze  Holzsäulenbau  in  gleicher  Form  wie  heute 
schon  in  sasanidischer  Zeit  monumental  belegt,  und  dann  stammt  er 
auch  ohne  Unterbrechung  aus  der  achämenidischen  Baukunst  ^).  Der 
Holzsäulenbau  ist  also  seit  der  medischen  Zeit  bis  heute  das  eigent- 
liche Charakteristikum  der  westiranischen  Baukunst. 

Daher  ist  auch  in  frühislamischer  Zeit  die  Holzsäulenmoschee  die 
eigentlich  persische   Form  der  großen   Gemeinde-Moschee  2).      Monu- 

')  Diese  Gegenstände  sind  in  meinem  Tor  von  Asien  veröffentlicht.  Wie  immer, 
wenn  etwas  Richtiges  gefunden  ist,  stellen  sich  sofort  Bestätigungen  ein:  0.  Reuther  zeigte 
mir  Beispiele  des  Holzsäulenbaus,  den  die  in  Ribät  'Amman  im  Ostjordanlande  ange- 
siedelten Tscherkessen  aus  ihrer  kaukasischen  Heimat  mitgebracht  haben:  sie  sind  iden- 
tisch  mit  den  kurdischen  Beispielen.    Der  Formenkreis  umfaßt  also  auch  den  Kaukasus. 

-)  Vgl.  Sarre-Herzfeld,  Arch.  Reise  Bd.  H  Kap.  Baghdad  (über  die  Moschee  des 
Mansür). 


jcg  Ernst  Herzfeld, 

mental  ist  uns  nichts  erhalten,  bis  auf  die  Umsetzung  in  Ziegelbau  in 
der  Großen  Moschee  des  Mutawakkil  in  Samarra,  weil  eben  Holzbau 
nicht  so  langlebig  ist.  Nach  literarischen  Nachrichten  war  der  Typus 
von  Baghdad  und  Basra  an  bis  Bardha*a  im  Nordwesten,  Dahistän, 
Neshäpür,  Marw  i  rödh,  Khwärizm  und  Tchaghäniän  im  Nordosten, 
bis  Mansüra  in  Sind  und  Siräf  und  *Omän  im  fernen  Südosten  und 
Südwesten  verbreitet.  Er  lebt  noch  heute  in  Bukhära,  Soghd  und 
Farghäna,  mit  Formen,  die  die  achämenidische  Abstammung  immer 
noch  verraten. 

Haben  wir  den  Holzsäulenbau  als  die  charakterisierende  Bauweise 
in  Westiran  erkannt,  so  muß  der  Gewölbebau  an  den  Palästen,  dem 
wir  die  Erhaltung  gerade  dieser  Bauten  verdanken,  etwas  Nic)it- 
Sasanidisches,  von  außen  Eingedrungenes  sein,  das  sich  deshalb  nicht 
entwickelte,  weil  es  nicht  innerlich  aufgenommen  wurde  und  nicht 
allgemein  Wurzel  schlug. 

Der  Gewölbebau  kann  nur  nach  Erfindung  des  bindenden  Mörtels 
in  die  große  Architektur  eingeführt  sein  ^).  Das  ist  eine  fundamentale 
Wahrheit.  Falsche  Gewölbe  aus  Bruchstein  gibt  es  schon  in  der  euro- 
päischen Vorgeschichte;  ein  vollendeter  Gewölbebau  in  geschnittenen 
Quadern  ohne  Mörtel  kommt  schon  im  alten  Etrurien  vor;  Lehmziegel 
und  gebrannte  Ziegel  in  Lehmbettung  werden  in  Babylonien  und 
Ägypten  seit  Urzeiten  zu  kleinen  Wölbungen  benutzt.  Auch  der 
Asphalt,  mit  dem  Nebukadnezar  die  Bogen  seiner  Türen  wölbt,  hat 
nicht  die  Eignung  zur  großen  Wölbung.  Daneben  ist  es  ein  großer 
Unterschied,  ob  unterirdische  Wölbungen,  bloße  Bogen  in  Mauern 
oder  aber  freie  Gewölbe  erzeugt  werden  sollen  2).  Alle  diese  Ansätze 
und  Vorstufen  des  Gewölbes  können  vor  der  Erfindung  des  bindenden 
Mörtels  keine  Entfaltung  erreicht  haben.  Diese  Erfindung  hat  der 
A^oralexandrinische  Orient  aber  nicht  gemacht.  Daher  behalten  folgende 
Worte  von  mir  ihre  volle  Gültigkeit:  »Obgleich  in  Babylonien  und 
Assyrien  und  Ägypten  das  Prinzip  des  Wölbens  von  altersher  bekannt 
Avar  und  für  Untergrundbauten,  wie  Gräber  und  Kanalisationen,  be- 
nutzt wurde,  auch  im  mesopotamischen  Kreise  in  der  Form  des  Tür- 
bogens, in  Ägypten  an  Wirtschaftsgebäuden  in  der  Form  der  gewölbten 
Decke  auftritt,  kommt  die  Wölbung  als  raumbedeckendes  und  raum- 
bildendes Element  in  der  großen  Architektur  vor  der  den  ganzen 
Orient    mit    griechischen    Kulturelementcn    überschwemmenden    und 

0  Vgl.  J.  DüRM,  Baukunst  d.  Römer  im  Handb.  d.  Archit.  1905  pg.  192,  §  140  Kalk- 
mörtel. —  R.  Delbrueck,  Hellenist.  Bauten  in  Latixim,  1912,  II  pg.  63 — 107. 
=)  Vgl.  Koi.DEWEY,  Das  -ii  iedererst.  Babylon  pg.  70  u.  92 — 94. 


Khorasan.  I  cg 

durchdringenden  Zeit  des  Hellenismus  niemals  und  nirgends  vor  i).<< 
Der  große  Gewölbebau  kann  nicht  anders  als  in  der  ersten  hellenisti- 
schen Zeit  geschaffen  sein,  da  der  Hellenismus  noch  siegreich  vor- 
drang, nicht  vor  der  asiatischen  Reaktion  zurückwich,  aus  den  An- 
sätzen heraus,  die  das  alte  Morgenland  der  hellenistischen  Baukunst 
als  Anregung  darbot.  In  Italien  kommt  das  älteste  opus  caementicum, 
Kalkmörtel  mit  Steinbrocken,  in  Alba  Fucens  um  300  v.  Chr.  vor; 
dann  tritt  die  Pozzulan-Erde  auf.  In  Griechenland  kommt  Gipsputz 
aus  Cyprus  an  öffentlichen  Bauten,  nicht  im  Hausbau,  um  diese  Zeit 
vor.  Im  zweiten  Jhdt.  v.  Chr.  taucht  er  in  den  Kolonien  in  Italien  auf, 
später  wird  er  allgemein.  Die  parthischen  Bauten  von  Assur,  Nippur, 
Warka,  Tello  haben  wohl  den  Mörtel,  aber  bisher  sind  dort  noch  keine 
Gewölbe  nachgewiesen,  noch  weniger,  ja  sicher  nicht  an  den  parthi- 
schen Bauten  von  Kangawar  und  Garni  (Armenien).  Hatra,  die  ara- 
bische Wüstenstadt  an  der  Peripherie  des  iranischen  Kreises,  besitzt 
in  den  letzten  Jahrzehnten  vor  oder  den  ersten  nach  Christi  Geburt 
die  ersten  Gewölbe  auf  morgenländischem  Gebiet.  Aber  keine  Kuppeln, 
sondern  ausschließlich  kreisförmige  Tonnen,  selbst  über  quadratischem 
Raum,  in  einer  Zeit,  wo  die  westhchen  Länder  schon  lange  die  Tonne, 
das  Kreuzgewölbe,  die  Hängekuppel  und  die  Kuppel  in  virtuosem 
Quaderschnitt  mit  Mörtel  verwenden  2).  Weder  die  parabolische  Tonne 
der  sasanidischen  Bauten,  noch  die  Kuppel  über  Ecktrompen  ist  in 
Hatra  bekannt;  und  da  in  Hatra  überhaupt  der  der  sasanidischen 
Technik  ganz  unbekannt  gebliebene  westliche  Quaderschnitt  verwandt 
wird,  so  steht  die  Gewölbebaukunst  von  Hatra  außerhalb  der  par- 
thischen oder  sasanidischen  Baukunst,   auf  westlichem  Boden. 

Wenn  es  also  klar  ist,  daß  die  sasanidischen  Gewölbe  auf  den 
antiken  Gewölbebau  m  seiner  Entwicklung  bis  zur  Hagia  Sophia 
keinen  Einfluß  ausgeübt  haben  können,  so  ist  es  andrerseits  nicht  klar, 
ob  der  sasanidische  Gewölbebau  von  dem  westlichen  irgendwie  abhängt 
oder  ob  er  vielmehr  nur  ein  Nachleben  derjenigen  Ansätze  ist,  die  im 
Orient  schon  lange  vorhanden  waren,  und  aus  denen  der  Hellenismus 
seinen  monument^alen  Gewölbebau  heraus  geschaffen  hat.  Diese  Lösung 
halte  ich  für  wahrscheinhch .  Das  Prinzip  der  sasanidischen  Kuppel 
ist  sehr  primitiv,  offenbar  etwas  aus  kleinsten  Abmessungen  bloß  Ver- 
größertes: ein  ländliches  Haus,  von  quadratischem  Grundriß,  dessen 
obere  Ecken  man  mit  Brettern  oder  kurzen  Stämmen  überbrückt,   um 


')  So  schrieb  ich  1907/08  in  den  1910  erschienenen  Iran.  Felsreliefs;  Strzygowski 
Armenien  pg.  342  zitiert  diese  Worte  als  falsch.  Sie  sind  so  wahr,  daß  ich  nichts  Besseres 
tun  kann,  als  sie  nach  12  Jahren  zu  wiederholen. 

2)  Vgl.  Herzfeld,  Hatra,  ZDMG.   19 14  pg.  655 — 67. 


1 6o  Ernst   H  e  r  z  f  c 1 d , 

darauf  eine  leichte   Kuppel,    aus  einem  für  die  Eckhölzer  tragbaren 
Stoff,  in  echter  oder  falscher  Wölbung  zu  setzen. 

Solche  Häuser  gibt  es  in  Mesopotamien,  Süd-  und  Ostiran  und  weiter 
im  mittelasiatischen  Turkistän.  Zwar  gibt  es  keine  Beispiele,  die  den 
Kuppeln  von  Firüzäbäd  (um  220 — 25  v.  Chr.)  an  Alter  ghchen,  be- 
sonders ist  alles,  was  in  Khoräsän  irrtümlich  als  sasanidisch  be- 
zeichnet wird  i),  keineswegs  so  alt,  sondern  um  viele  Jahrhunderte 
jünger,  aber  der  Umstand,  daß  diese  Form  im  Osten  im  allgemeinen 
Hausbau,  im  Westen  nur  neben  dem  einheimischen  Holzsäulenbau 
vorkommt,  schließt  die  Annahme  einer  Übertragung  von  Westen  nach 
Osten  aus.  Die  besondere  Form  der  parabolischen  Kuppel  mit  Eck- 
trompen  über  quadratischem  Raum  wird  aus  Ostiran  schon  vor  oder 
in  sasanidischer  Zeit  nach  Westiran  gekommen  sein.  Doch  kann  man 
mit  Sicherheit  behaupten,  daß  ein  monumentaler  Gewölbebau  in  Ost- 
iran, weit  über  Khoräsän  hinaus,  vor  der  islamischen  Zeit  nicht  be- 
standen hat.  Das  verbieten  die  dort  üblichen  Baustoffe  von  vorn- 
herein, denn  wir  befinden  uns  da  im  Verbreitungsgebiet  des  gestampften 
Lehms  oder  günstigstenfalls  des  Lehmziegels  mit  Holzwerk,  der  für  den 
großen  Gewölbebau  völlig  ungeeignet  ist. 

Über  die  topographische  Verbreitung  der  Baustoffe  in  Iran  geben 
die  frühen  arabischen  Geographen,  besonders  Istakhri  und  Mu- 
qaddasi,  der  Baumeistersohn,  gute  Auskunft.  Die  folgende  Liste  ist 
wieder  nur  mein  Arbeitsmaterial,  ohne  Anspruch  auf  Vollständigkeit. 

Abarqüh   zwischen  Abäda  und  Yazd,  Häuser  mit  Gewölben  wie  in  Yazd  Ist. 
Äbasgün,   Insel  vor  der  Mündung  des  Gurgän  rüd,  Burg  aus  gebrannten   Ziegeln.     Muq. 
Ädharbaidjän,    wohl  besonders  District  Ardabil:   Häuser  unter  der  Erde  Muq. 
Akhsikath    in  Farghäna   am    Syr   östl.    Khokand,     unterirdische  Wasserleitungen   und 

Zisternen    aus   gebrannten    Ziegeln,   in    Gipsmörtel    Muq. 
Anbär,  Vorort  von  Gozgän,  Bauten  von  Lehm,  ti"  Ist. 
Ardabil,    meisten  Bauten  Lehm  (in  der  Moschee  ein  Meteorstein). 
Aspidjäb    an  östl.  Nebenfluß  des  unteren  Syr,  Bauten  aus  Lehm  Ist. 
Asfuzär    d.  i.   Sabzawär  in  Afghanistan,  Bauten  aus  Lehm  Muq. 
Awärak  und  Mihrgird    in  Kirmän,  Bauten  aus  Lehm  Muq. 

')  Vgl.  DiEZ,  Kunstgeschichte  pg.  78:  i.  achämenidische  Kuppeln:  der  Ibn  al- 
Balkhi  von  le  Strange,  JRAS.  1912,  pg.  1—30,  aus  dem  XII.  sei.  Chr.  gibt,  wenn  er 
nicht  von  einem  anderen  abschreibt  und  die  Sachlage  also  auf  diese  Quelle  zutrifft,  nur 
die  örtliche  Sage,  keine  Überlieferung;  gemeint  sind  die  drei  Fels-Kaleh's  bei  Persepolis, 
darunter  die  märchenhafte  Diz  i  nipiÄit,  die  sicher  damals  so  wenig  achämenidische 
Kuppelbauten  besaßen  wie  heute.  Vgl.  J.  D.  Modi  in  JRAS.  1918  pg.  311— 314.  —  2. 
Bus  i  Hör:  der  unbedeutende  Bau  hat  Spitzbogen,  ist  also  keinesfalls  älter  als  IIL  sei. 
H.  —  3.  Tash  Ribät:  Strzygowski,  Armenien  II  647  ss  »nestorianisches  Kloster«  nach 
Pantusov,  in  Wirklichkeit  sicher  nach  1300  n.  Chr.  —  H.  Glück,  Strzyg.'s  Baukunst  d.  Ar- 
menier, in  Wasmuths  Monatsh.  /.  Bank.  1919/20  Nr.  11/12  bestätigt  durch  indische  Beispiele 
aus  FoucHER  meine  Auffassung;  ihre  Datierung  läßt  weite  Grenzen,  sicher  nicht  vor  220  Chr. 


Khorasan.  *  jgj 

Bädhghes,   Bauten  aus  Lehm  Muq. 

Balkh,    Bauten  aus  Lehm,  auch  die  Stadtmauern  aus  Lehm   Ist. 

Bamm    in  Kirmän,  Bauten  aus  fein  geschlemmten  Lehm  Muq. 

Baratekin  in  Khwärizm  nah  am  Aral,  Bauten  aus  sehr  feinem  Lehm  Muq. 

Bardha*a,  älter  Partav,  nahe  der  Mündung  des  Terter  in  den  Kur,  N.-Grenze  von  Ädhar- 

baidjän,  Häuser  von  Ziegeln  in  Gips  Yäq.  Muq.;  Moschee  mit  Säulen  aus  Ziegeln 

in  Gips  oder  aus  Holz. 
Bukhärä,    Bauten  aus  Holzfachwerk    Lst.  Vaq.    (Muhammad    Narsakhi    erklärt  den 

Namen  als  vihdra). 
Bulghär,    Bauten  aus  Holz  und  Rohr,  d.  i.  Faschinen  Muq. 

Dolab,    Hauptort  von  Gelän  (Tälish),  Bauten  von  Stein  in  Gipsmörtel  Muq. 

Fara  in  Sistän,  Bauten  aus  Lehm  Lst. 

Gandjrustäk   zwischen  Herät  und  Bälä  Murghäb,  Bauten  aus  Lehm  Ist. 

Ghazni,  Bauten  meist  Holz,  Verwendung  von  etwas  was  ghashk  heißt  und  ägjrptischem 

Mosaik  ähnelt,  Muq. 
Ginangkath  in  Shash  am  mittleren  Syr,  Bauten  aus  Holz  und  Lehmziegeln  Muq. 
Giruft   in  Kirmän,  Bauten  aus  Lehm,   Steinfundamente  Muq. 
Giza  bei  Fara  in  Sistän,  Bauten  aus  Lehm  Ist. 
Gurgän  (Stadt),  Bauten  aus  Lehm  Ist. 
Guwain  in  Sistän,  Bauten  aus  Stein  Muq. 

Hamadän,   Bauten  aus  Lehm  Muq. 

Herät,   Bauten  aus  Lehm  Ist. 

Hulwän,   Bauten  aus  Lehm,  darunter  auch  solche  aus  Stein  Ist. 

Hormüz    am   Persischen  Golf,  Bauten  aus  Lehm  Muq. 

Isfahän:  Yahüdiyya  und  Madina,  beider  Bauten  aus  Lehm  Ist.,  beste  Lehmbauten  über- 
haupt Muq. 

Istakhr,    Häuser  in  Lehm  oder   Stein  in  Gipsmörtel,   Ist.  Yäq. 

Itil  am  Itil-Fluß  (Wolga),  Zelte  aus  Holz  und  Filz,  khargdh,  nur  wenige  Bauten  aus  Lehm, 
Sultanspalast  aus  Ziegeln  Muq. 

Karükh,   größte  Stadt  nach  Herät  in  H.,  Bauten  aus  Lehm  Ist. 

Karwädikän  in  Sistän,  Grenze  von  Färs,  Bauten  aus  Lehm  Muq. 

Kash  gleich  Kishshsüdl.  Samarkand,  Bauten  aus  Lehm  und  Holz  wie  in  Bukhära  Ist.  Muq. 

Käth-Shahristän,   Alt-Khiwä,  Moschee  mit  Holzsäulen  auf  mannshohen   Steinbasen 

Ist.    Muq. 
Katha,    d.   i.  Yazd,  unterirdische  Häuser,  gewölbt  Yäq.    Ist. 

Khottal,   Bauten  aus  Lehm,  die  Mauer  von  Mung  aus  Stein  in  Gipsmörtel  Ist. 
Kuhanrüdh   in  Gelän,  Bauten  teils  aus  Stein,  teils  Filzzelte  khargdh  Muq. 
Küsoe    bei  Pushang,  Bauten  aus  Lehm  Ist.  Muq. 

Mal  in  bei  Herät,  Bauten  aus  Lehm  Muq. 
Mansüra  in  Sind,  Bauten  aus  Lehm  und  Holz  Muq. 
Marägha  in  Ädharbaidjän,  Festung  aus  Lehm. 
Marw  i    rodh.   Bauten  aus  Lehm  Ist.,  Moschee  mit  Holzsäulen  Muq. 
Multän  in  Sind,  Häuser  wie  Siräf  am  Persischen  Golf,  d.  i.  gebrannte  Ziegel  und  Teakholz 
Muq. 

Islam  XI.  I  I 


j52  '        Ernst  Herzfeld, 

Nakhtchawän,  Bauten  aus  Ziegeln  Yäq. 
Nih   in  Sistän,  Bauten  aus  Lehm  Muq. 
Nihäwand,   Bauten  aus  Lehm  Ist. 

6fa  in  Herät,  Bauten  aus  Lehm,   Ist.  Muq. 

'Oman,   Moschee  aus  Stein  und  Ziegel,  Teakholzsäulen  Muq. 

Pasä  in  Färs,  Häuser  aus  Lehm  und  Zypressenholz  Muq. 
Pushang   wie  Herät,  d.  i.  Lehm  Ist. 

Qä'in   in  Köhistän,  Bauten  aus  Lehm  Ist. 

Rewand  bei  Neshäpür,  Moschee  in  Ziegeln  erneuert,  Muq. 
Ribät   in  Dahistän,  altes  masdjid  mit  Holzsäulen  Muq. 

Saimara  in  Lüristän,   Bauten  meist  von  Stein  und  Gips  Ist. 

Sälaqän,  eine  Station  von  Bust  in  Sistän,  Bauten  aus  Lehm  Ist. 

Salärwand,   Gegend  von  Amol,  Häuser  aus  Lehmziegeln  Muq. 

Salmäs,   NW.  des  Urmiya-Sees,  Burg  aus  Lehm  und  Stein  Muq. 

Samandän   am  Kaspischen  Meer,  zwischen  Khazar-Fluß  und  Darband,  Bauten  aus  Holz, 

mit  Weidenruten  verflochten,  Giebeldächer  Muq. 
Samarkand,  Bauten  aus  Holz  und  Lehm,  die  Stadtmauern  aus  Lehm,  das  Ausgehobene 

als  Graben  Ist. 
Sang   in  Sistän  am  Gebirge,  Bauten  aus  Stein  Muq. 
Sarakhs,  Bauten  aus  Lehm,  Ist.,  Moschee  mit  Dach  auf  Säulen  von  gebrannten  Ziegeln, 

ähnlich  Jerusalem,  Muq. 
Sirgän   in  Kirmän,  Bauten  aus  Lehm  Muq. 
Sirwän   in  Lüristän,  Bauten  meist  Stein  in  Gipsmörtel  Ist. 
Süs,    Susa,  hübsche  Moschee  auf  runden   Säulen  Muq. 
Suwär,   am  Itil-Fluß,  Wolga,  Filzzelte  khargah  Muq. 

Tabaristän,    Bauten  aus  Holz  und  Rohr,  Giebeldächer  Ist. 

Tabas,  die  beiden,  in  Köhistän,  Bauten  aus  Lehm,    ebenso  in  Khür   und  Yunäbidh,  -Ist. 
Tälakän,   Bauten  aus  Lehm,  Ist. 

Tirmidh,   am  Oxus,  Bazare  mit  gebrannten  Ziegeln  gepflastert  Muq. 
Tchaghäniän,  nördl.  Balkh,  westl.  Tirmidh,  hübsche  Moschee  im  Bazar  auf  Säulen  aus 
gebrannten  Ziegeln  ohne  Bogen,  Muq. 

Ushrüsana    oder    Sutrishna,  Satrughna,   Hauptort   Bundjikath,   hd.    Uratübe,     Bauten 
aus  Holz  und  Lehm  Ist. 

Waihind  oder  Udabhändapura,  Hauptstadt  von  Gadhära,  am  Indus,  Bauten  aus    Holz 

und  Häcksel    Muq. 
Wurüdhräwar,   Bezirk  in  Kurdistan,  Bauten  aus  Lehm  Ist. 

Diese  Liste,  die  für  alle  nachprüfbaren  Punkte  zutrifft,  gibt  ein 
sehr  genaues  Bild  der  Geographie  der  Baustoffe  und  damit  auch  ge- 
wisser zu  erwartender  Bauformen.  Ein  großer  Gewölbebau  kann  in 
Khoräsän  und  den  anderen  östlichen  Gebieten  nicht  bestanden  haben. 
Erst  der  Islam  bringt  ihn  dorthin  mit  dem  Bau  in  gebrannten  Ziegeln. 
Auch    das    geschieht   nicht  in  der  frühesten  islamischen   Zeit.      Das 


KJbiorasan.  I  ^5 

• 

Fehlen  der  Denkmäler  ist  in  diesem  Falle  sehr  beredt :  denn  die  ältesten 
Denkmäler,  eben  solche  aus  gebrannten  Ziegeln,  erscheinen  unmittelbar 
vor  400  H./  1009  Chr.  und  sind  so  urtümlich  in  ihren  Formen,  daß 
wir  in  ihnen  sicher  dem  Anfang  einer  neuen  Entwicklung  nahe  sind. 
Daß  dem  so  ist  und  daß  in  der  ersten  islamischen  Zeit  noch  die  west- 
lichen und  südlichen  Gegenden  Irans,  wie  in  sasanidischer  Zeit  die 
baukünstlerisch  wichtigeren  sind,  erhellt  aus  den  zahlreichen  Bau- 
nachrichten, die  ich  nicht  kürzer  als  wiederum  in  einer  Liste  mitteilen 
kann.  Die  bisher  bekannt  gewordenen,  erhaltenen  Bauten  gliedre  .ich 
dieser  Liste  der  literarisch  überlieferten  Bauten  an.  Die  Zahl  der  er- 
haltenen Bauten  ist  im  Vergleich  mit  anderen  Provinzen  des  Islam 
nicht  groß,  sondern  sehr  klein.  Ihre  Datierung  ist,  da  die  Epigraphie 
in  Persien  noch  recht  wenig  gepflegt  ist,  zum  großen  Teil  recht  unsicher. 
Die  Liste  wird  wiederum  nicht  vollständig  sein,  aber,  hoffe  ich,  keine 
wesentlichen  Lücken  aufweisen  ^). 

ca.  22/643  Prov   Kirmän,   Castrum   des  Mudjäshi*  b.   Massud  al-Sulaml,   Feldherrn   des 

'Abdallah  b.  'Amru,    Gegend  Bamm-Sirgän,  Yäq.  IV  265,  vgl.  Weil  I  S.  95/96. 
23;'644    Hamadän,    die   vorhandene   Burg  gleich   nach   der   Eroberung   benutzt,    Stadt 

bald  darauf  neu  erbaut, 
nach  23/644    Kum,    gebaut    von  Talha  b.  al-Ahwas  al-Ash'ari  Yäq.   IV  175,  vgl.  unter 

Jahr  83. 
nach  24/645   Q  az  win ,  Kashwin  zum  mtsr  gemacht  durch  Sa'id  b.  al-'xVsi  b.  Sa'id  b.  al-'Äsi, 

Balädh.  330  ed.  Cairo,  Grenzveste  der  Kufenser,  nach  Yäq.  IV  88:  Sa'id  b.  al-*Äsi 

b.   Umayya. 
31/650 — 51  Neshäpür,  Eroberung,   Bau   erster  Moschee  Yäq.    IV  858. 
ca.  65/685 — 86/705    Qazwin,    Masdjid    al-tüth    (oder    al-nür?)    gebaut    von    Muhammad 

b.  Hadjdjädj  b.  Yüsuf  mit  Inschrift  in  seinem  Namen,  Yäq.  IV  89,  vgl.  b.  Faq.  283. 
83/702    Kum,    Stadtanlage  von   Hadjdjädj   b.   Yüsuf  al-Thaqafi,   Yäq.    IV   175. 
65/685 — 86/705    Arragän,   Moschee  des  Hakam  b.  Nahik  al-Hudjaimi,  Statthalters  des 

Hadjdjädj,  Bai.  392,  Muq.  425,  2. 
65/685 — 86/705  Arragän,    Brücke    über    den    Tab    von    al-Dailami,    Arzt    des    Hadjdjädj 

Ist.  152,  vgl.  Bai.  392,  Ruine  bei  de  Bode,  Travels  in  Liiristan  I. 
65/685 — 86/705    'Askar  Mukram,    Stadtanlage  z.  Z.   des   Hadjdjädj,   Yäq.    III  676. 
5  085 — 86/705    Shiräz,    Stadtanlage  von  Muhammad  b.  al-Qäsim  b.  abi  'Äqil,    Vetter 

des  Hadjdjädj,  Yäq.   III. 
ca.  96/714  Shiyän   im  Rustäk  Iskimisht  (Ishkamish,  Ishkäshm)  in  Badakhshän,  Pamir, 

Masdjid  des  Qutaiba  b.  Muslim,  unter  Walid  I  und  Sulaimän. 
99/717— 101/720    Bardasir    in   Kirmän,    Alte  Moschee   des  'Omar  b.  'Abd  al-'aziz  nach 

der  Chronik  von  Kirmän  und  Sinti  al-'idd  bei  H  amdall  ah. 
127/744 — 132/749    Warthän,    arm.  Vardanakert,    im    nördl.  Ädharbaidjän  am  Arras 

vor  Mündung  in  Kurr,  Stadtanlage,  gegr.  v.  Marwän  II,  Yäq.  IV  919,  b.  Faq.  284. 
133/750    Marw,  Moschee  und  Palast  des  Abu  Muslim:  i.  das  Dar  al-imära,  von  Abu  Muslim 

')  Wie  bei  den  obigen  Listen  gehe  ich  nicht  auf  eine  Kritik  der  einzelnen  Punkte 
ein,  die  unabsehbar  umfangreiche  geographische  und  historische  Exkurse  benötigen  würde, 
sondern  gebe  die  Nachrichten  nur,  wie  sie  überliefert  werden.  Aber  ich  weiß  natürlich, 
was  daran  auszustellen  ist. 

II* 


164  Ernst  Heizfeld, 

erbaut,  rückwärts  der  alten  Hauptrhoschee  gelegen;  darin  ein  Kuppelsaal,  der 
noch  zu  Istakhri's  Zeit  als  Audienzsaal  des  Gouverneurs  diente,  aus  gebrarmten 

Ziegeln   .:>!  55?  Ellen  weit,  ^la^l  Ka^aj  J..c>io    -yA  L^  .aOxJj,    vgl.   B.   G. 

A.  Bd.  IV  Glossar  pg.  364.  Die  Kuppel  K^S  hatte  vier  Tore,  jedes  führte  auf 
einen  aiwdn,  Höhenzahlen  sind  verloren,  vor  jedem  aiwän  ein  quadratischer  Hof, 
Ist.  259;  Kuppel  50  Ellen  hoch,  auf  jeder  Seite  aiwdn  von  30  Ellen  Höhe,  60 
Breite,  Hamd.  im  nuzh.,  vgl.  Muq.  310/11;  2.  die  Moschee  von  Abu  Muslim 
Sähib  al-daula,  Muq.  311. 

ca.  136/754  Neshäpür  in  Khoräsän,  Kanzelmoschee,  Bau  des  Abu  Muslim,  auf  Holz- 
säulen, später  von  'Amru  b.   al-Laith   erneuert,  Muq.  316. 

zw.  136/754 u.  158/775  Säri  in  Tabaristän,  Hauptmoschee  mit  Kanzel  des  Abü'l-Kha.sib 
Marzuq,  regiert  2^|^  Jahre,'  Zeit  des  Mansür —  Yäq.  III  491  s.  v.  täq  b.  Faq.  310. 

zw.  136/754  u.  158/775  Amol  in  Tabaristän,  Hauptmoschee  mit  Kanzel  des  Abu'l- 
Khasib,  Yäq  III  791. 

zw.  136/754  u.  158/775  Mansüra  in  Sind,  Gr.  Moschee  von  Mansür  b.  Djamhür  al-Kalbi, 
Intendant  der  Umayyaden,  Zeit  des  Saffäh,  n.  Mas.  murüdj  I  207  u.  n.  Hishäm 
bei  Yäq.  Andere  Gründungsnachrichten:  'Omar  b.  Hafs  unter  Khalifat  des  Mansür 
n.  Husain  b.  Ahmad  al-Mu  hallabi;  Feldherr  Mansür  b.  Qäsim  n.  Balädh. ; 
vgl.  Yäq.  IV  663.  Bau  von  gebrannten  Ziegeln  und  Stein,  groß,  mit  Säulen  von 
Teakholz,   wie   Moschee  von   'Oman,   Muq.   479. 

nach  158/775    Rai,  berühmte  Gräber  nach  I.^t.  208: 

1.  Muhammad  b.  al-Hasan  al-Faqih; 

2.  al-Kisä'i  al-Muqn,  gest.  z.  Z.  des  Härün;  bei  b.  Faq.  269  statt  dessen  'Ali 
al-Hamza ; 

3.  al-Fazäri,  der  Astronom  von  Baghdad  unter  Mansür;  bei  b.  Faq.  stattdessen: 
abü  Artät  b.  Hadjdjädj  b.  Artät,  der  große  Baumeister  von  Baghdad  unter 
Mansür,  gest.  z.  Z.  des  Mahdi. 

ca.  132/750 — 187/803    Karadj   abi  Dulaf  in  Djibäl,  Residenz  der  Barmakiden,  Ist.  199. 
ca.  158/774    Rai,    Stadtanlage  von  Mahdi  z.  Z.  d.  Mansür,  mit  einem  fasU  (bebautes  inter- 
vallum an  der  Stadtmauer);  Gr.  Moschee  von  'Ammär  b.  abi'l-Khatib  (bei  b.  Faq. 

Khasib)  vollendet,  laut  Inschrift  auf  ihrer  Mauer,  Ist.  276,  b.  Faq.  269. 
169/785    Dihibälä  oder  Radd  in  Mäsabadhän,  Lüristän,  Mausoleum  des  Khahfen  Mahdi; 

wie  mir  Ridäquli  Khan,  Wali  des  Pusht  i  Kuh  1913  erzählte,  noch  heute  vorhanden, 

Yäq.  II  532,  775  und  I  230  s.  v.  Arewgän. 
169—70/785—86   Qazwin,  Stadtteil  Mubärakäbäd,  von  Mubarak  al-Turki,  Yäq.  IV  89, 

b.  Faq. .  282. 
170/786 — 193/809   Qazwin,    Masdjid  i  Djum'a  Kumartash,  altes  Masdjid  i  Tüth,  von 

Härün  gegründet  bzw.  erneuert,  mit  Inschrift  Härün's  auf  der  Mauer,  Yäq.  IV  89, 

b.  Faq.  283,  vgl.  Jahr  65 — 86. 
ca.  170/786—180/796    Mansüra    in  Tabaristän,     Stadtanlage   mit   Bazaren   von   Abü'l- 

dawäniq  Khälid  b.  Barmak,  b.  Faq.  314. 
170/786 — 193/809    Aramboe  bei  Rai,  Moschee  des  Härün  al-Rashid  mit  Gräbern  älterer 

Rechtsgelehrter,  z.  B.  des  Muhammad  b.  Hasan  al-Shaibäni,  Yäq.  I  223. 
170/786—193/809    Marägha  in  Ädharbaidjän,    Stadt,  Mauern  und  Burg  von  Khuzaima 

b.  Khäzim  unter  Härün  b.  Faq.  284  s,  vgl.  Yäq.  IV  476. 
170/786 — 193/809    Säri,  Gr.  Moschee  z.  Z.  des  Härün  von  Yahyä  begonnen,  vgl.  Jahr  225, 

Chronik  des  Zahir  al-din  bei  Dorn;  dabei  hegt  Sih  Gumbadhän,  ein  Teil  mit  den 

Gräbern  des  Iradj,  Salm  und  Tür  der  Heldensage,  vgl.  Jahr  446  s.  v.  Säri. 


Khorasan. 


165 


170/786 — 193/809    Badhakhshän,  wunderbare  Burg  kisn  der  Zubaida  in  B.,   Muq.  303. 
170/786 — 193/809  Käshän,  Stadtanlage  gebaut  von  Zubaida,  Hamd.;  nach  Saladin  Man. 

i.  J.   184/800?  aus  welcher  Quelle? 
^75/791    Tabriz,  Stadtanlage  von  Zubaida,  Hamd. 
ca.  17S/791    Warthän,    vgl.  Jahr  127 — 132,  Stadtanlage  von  Zubaida  vergrößert,  Yäq. 

IV  919,  b.  Faq.  284. 
178/794—187/803    Räsht,  äußerste  Grenze  Khoräsäns,  80  Farsakh  von  Tirmidh,  Mauer- 
tor gegen  Türkeneinfälle  von  Fadl  b.  Yahyä  al-Barmaki  erbaut,  der  178  Gouver- 
neur von  Khorasan  wurde  und   187  starb,  Yäq.    II  733. 
193/809    Sanabad,   zu  Nokän  gehörig,  hd.  Mashhad  i  Ridä,  Grab  des  Harun,  var. 
198/813    Gurgäniyya,   Hauptort  von  Gurgän,  Schloß  qasr  des  Ma'mun  beim  Bäb  Hadj- 

djädj,  mit  dem  schönsten  Tor  bdb  in  ganz  Khorasan,  Muq.  288. 
198/813    Shiräz    im  Anfang  der  Regierung  des  Ma'mün  von  Haddäl  b.  Dirär  al-Mazani 

erbaut. 
198/813    Marw,    Schloß  qasr  des  Ma'mün  beim  Tor  Dar  Mishkän,  Muq.  312. 
202/81  j    Sanäbäd  oder  Nokän,    Grab  des  Imäm  'Ali  al-Rida  b.  Müsä  al-Käzim,    Ist. 

257  u.  a. 
Etwa  gleichzeitig  Shiräz,    Gräber  des  Ahmad  und  Muhammad  b.  Müsä  al-Käzim,  Hamd 
209/824    Urmiya,  qasr  des  Zuraiq    b.  Sadaqa  b.  al-Azd  b.  Faq.  285,  vgl.  Budge,  Thomas 

of  Margä   II  525  Nr.  4. 
213/828 — 230/844    Shädhyäkh,    Garten  des  'Abdallah  b.  Tähir  b.  Husain  n.  d.  Chronik 

von  Neshäpür  bei  Yäq.   III  228,  IV  858. 
ca.  216/831 — 225/840    Barzand,    Barzang   in  Arrän,   Residenz  des  Afshin  im  Feldzug 

gegen  Bäbak,  Yäq.   I  562,  b.  Faq.  284. 
ca.  220/835    Khabr  bei  Shiräz,  Grab  des  Sa'id,  Bruders   des  Hasan  al-Basri,  Yäq.  II  3. 
vor  225/840    Säri,   Gr.  Moschee,  begonnen  von  Härün,    vollendet  von  Mazyär  b.  Karen 

unter  Mu'tasim,  vgl.  Jahr  170 — 193,  Chron.  des  Zahir  al-din  bei  Dorn. 
232/847    Herät,    Todesdatum    eines    Shaikh    Sultan   'Abd    al-Walid,   Ahmad,    Grabbau 

V-    J.    893/1488 — 912/1506   HoROViTZ,   Epigr.    Indo-Moslem. 
232/847 — 247/961    Marand  im  nördl.   Ädharbaidjän,   qasr  des  Muhammad   b.  al-Ba'ith 

oder  Bughaith  unter  Mutawakkil  b.  Faq.  285. 
232/847 — 247/861    Soghdabil    in   Armenien    am    Kurr,    Stadtbefestigungen    von    Ishäq 

b.    Isma'il   unter   Mutawakkil,    Yäq.    III   396. 
244/858    Tabriz,    Stadt    nach    Erdbeben   von    Mutawakkil   restauriert. 
248/862 — 259/872  Marw,    Stadtviertel   des    Husain   b.    Tähir    II.;    Husain   regiert   nicht, 

Tähir   II.   230 — 248;    Ist.  259. 
253/867    Kam,    Masdjid  i   Imäm   Hasan  gebaut   191/806^7,   restauriert  von  Yahyä  b. 

Ishäq,    HouTu.M-ScHiNDLER,    Persian    Irak,    pg.  64s.    n.    Kumnäme. 
254/868    Qazwin,   Gr.  Moschee,  Bau  des  Härün,   weitergeführt  von  Müsä  Buqa  unter 

Mu'tazz,  Yäq.   IV  89,  b.  Faq.  282. 
.254/868 — 265/878    Zarang.    Hauptstadt  von    Sistän,    qasr   und   Burg  '■arq   des   Ya'qüb 

b.  al-Laith,   Ist.  241. 
254/868 — 265/878    Zarang,    2  Minarete  des  Ya'qüb  b.  al-Laith:  ^m^^c  iw-a     ^  Jö 

wi>.>jjt    ^    L-JjÄxj    L^uÄJ    .Lo   Q-*    ^.s>\*    i>UjtÄji     ..JSLXa    «J^ 
261/874    Bistäm.    Khorasan,  Grab  des  Abu  Yazid  Taifür  b.  'Isä  b.  Sroshän  al-Bistämi, 

nicht  zu  verwechseln  mit  Abu  Yazid  b.  'Isä  b.  Adam  al-Bistämi  al-saghir,   Yäq. 

I  623. 
-2Ö2/875— 265/878    Gundeshäpür,  Residenz  und  Grab  des  Ya'qüb  b.  al-Laith  al-.Saffär, 

Ist.  245. 


j66  Ernst  Herz feld, 

261/874 — 279/892    Fa/irabr  bei  Tchärdjüi,   Ribät  des  Nasr  b.  Ahmad,  Nasr  I.    261 — 279 

oder  Nasr  II  301 — 331? 
265/878 — 9    Kum,    Gr.  Moschee,  von  Abu   Sadaim  Husain  b.  'Ali  al-Ash*ari  vollendet, 

HouTUM-ScHiNDLER,   Pers.    Irak,   pg.  64   n.    Kumnäme. 
265/878 — 287/900    Neshäpür,    Moschee  des  'Amr  b.   al-Laith,   Muq.   316:    »auf  runden 
Ziegelsäulen,  rings  um  den  Hof  drei  Schiffe,  in  der  Mitte  ein  verziertes  Haus  mit 
II  Türen,  auf  Säulen  von  geschnittenem  Marmor,  Giebeldach,  Wände  und  Dach 
(oder  Decke)  bemalt«. 
265/878 — 287/900    Neshäpür,  Dar  al-imära  des  'Amr  605/1208  durch  Erdbeben  zerstört, 

Ist.  254. 
265/878 — 287/900    Shiräz,   alte  Moschee  des  'Amr,  Hamd. 

265/878 — 287/900    Zarang,    qasr  des  'Amr,   Bazar  und  Krankenhaus,    Ist.   241. 
275/89i(??)  BarfurüshinMäzandarän,  »Rabenmoschee«,  Saladin  Fig.  259,  n.  deMorgax, 
der  Bau  ist  modern,   die  Tradition  ohne  Quellenangabe;  auch  Benjamin,  Persia 
an  the  Perstans.     London  1887,  pg.  347. 
278/891    Rai,    Moschee  des  Mahdi  von  Rah'  b.  Harthama  erneuert,  vorher  Gefängnis, 

unmittelbar  nach   Erneuerung   zerstört,   Yäq.    II  895. 
296/909 — 321/933    Asadäwädh,    westl.    Hamadän    am    Alwand,    Moschee    des    Ustädh 

Munis,  amir  al-umarä'  unter  Muqtadir,  n.  Hamd. 
ca.  300/912 — 330/941    Zarand  in  Kirmän,  Burg  qal^a,  gebaut  von  dem  Samaniden  Abu 

'All  b.  Iliyäs,  eher  um  300  als  um  330,  Muq.  462. 
ca.  300/912 — 330/941    Bardasir,    Brunnen  des  Abu  'Ali  b.    Iliyäs,   Muq.   462. 
um  315/927    Ribät  Ab    i    Shuturän   in  der  zentralen  Wüste,  das  schönste  Ribät    in 
Iran,   in  Stein  und  Gipsmörtel,  Eisentore,  gebaut  von  Ibn  Simdjür  Sähib  i  djaish 
Malik  al-mashriq,  oder  Näsir  al-daula  abü'l-Hasan  b.   Simdjür,  d.  i.  al-Dahati, 
Gouverneur   von    Sistän    unter    den    Samaniden,    Muq. 
320/832 — 366/976    Qantarat    Khurrazädh   (oder  Tchihrazädh?)  zwischen  Edhadj  und 
Ribät  im  Bakhtyäri-Lande,  Brücke  der  Mutter  Ardashir's  L,  Weltwunder,  wieder- 
hergestellt von  Abu  'Abdallah  Muhammad  b.  Ahmad  al-Qummi,  Wazir  des  Rukn 
al-daula  Hasan  b.  Büya,  Yäq.   IV  189,  Layard  JRGS.  XVI. 
339/950    Qazwin,    Masdjid   i   djum'a  restauriert,   vgl.    Jahr    170 — 193. 
um  340/951    Karminiyya   am  Zarafshän  zwischen  Bukhära  und  Samarkand,  Masdjid 

i   djämi',  mit  schönstem  Mihräb  in  Transoxanien,   Ist.   314. 
344/955    Persepolis,    Inschrift  des  'Adud  al-daula  Fanä-Khosro,    Silv.  de  Sacy,  Mem 
sur  div.  ant.  de  la  Perse,  Nöldeke,  Einleitung  zu  Stolze-Andreas,  Persepolis, 
b.  al-Athir  VIII  383  s.    Diese  Inschrift  ist  das  älteste    epigraphische  Denkmal 
das   uns   in    Iran    erhalten    ist. 
338/949 — 372/982    Shiräz,    Stadt  Gird  i  Fanä-Khosro  oder  Bazär  i  Amir,  eingeweiht 
21.  Rabi'  I.  354,  d.  i.  27.  März  965,  Yäq.  IV  258,  Muq.  430,  Qazw.  262,  Hamd. 
Enthält  Burg,   Palast  und  Bibliothek. 
338/949 — 372/982    Shiräz,    Hospital   des   'Adud  al-daula,    Hamd. 
338/949 — 372/982    Band  i  Amir  oder  Sikr  Fanä  Khosro  Khurra,   Yäq.  III  107,  Hamd., 

Chardin  VIII  236,  Morier,   Second  Journey   I   164. 
338/949 — 372/982    Ahwäz,    Vorstadt   Qantarat    Hinduwän,    'Adud    al-daula    reißt  alte 

Moschee  ab  und  baut  wunderbare  neue,  und  Bazare,  Muq.  411. 
338/949 — 372/982    Rämuz,   Moschee  und  Bazare  des  'Adud  al-daula,  Muq.  413. 
338/949 — 372/982    Sirgän   in  Kirmän,    Palast  am  Bäb  Hakim  und  Moschee  des  'Adud 
al-daula   mit   hohem   Minaret:   L.p-*    ^r^^    iw^,Ä.:S=\Ji  ^A  jL^-ci    ^^'j  ^J^ 
j^tXj    L«,  Muq.  464,  Yäq.   III  213. 


Khorasan.  1 67 

33g/949_37 2/982    Kirmänshähän,    Palast,    dar,    des    'Acjud    al-daula,    Muq.    393. 

360/970—71  Shähdiz,  Burg  in  Dailam,  Djabal  Shahriyär,  gebaut  von  Nasr  b.  Hasan 
b.  Feroz  al-Dailami,  Yäq.  III  246. 

366/976—77  Kum,  Grabkuppel  des  Muhammad  b.  Müsä  al-Käzim,  gest.  22.  Rabi'  I.  296, 
HouTUM-ScHiNDLER,  Pers.   Irak  p.  64  n.  Kumname. 

367/977  oder  368/978  Ziz  am  Jäb  in  Kurdistan,  hübsche  Moschee  inschriftlich  datiert 
nach  Muq.  390. 

ca.  366/976— 387/997  Band  i  Amir:  i.  Deich  von  Rämgird,  genannt  Fakhristän,  er- 
neuert von  Djaläl  al-din  Djauli  Fakhr  al-daula,  Yäq.  s.  v.  Kurr  und  Hamd. 
2.   Damm  des  Ridä  wiederhergestellt  von  demselben,   Hamd. 

ca.  366/976—387/997  Naubandagän,  Ort  restauriert  vom  Atäbek  Fakhr  al-daula,  Hamd. 

Muq.  434  (also  vor  375/985)- 
ca.  366/976— 387/997    Fakhräbäd    bei  Rai  (identisch  mit  Tabarak?),   gebaut  von  Fakhr 

al-daula  b.   Rukn  al-daula  al-Dailami,   Yäq.    III  855. 
zw.  366/976  u.  387/977    Tos,  Grab  des  'Ali  al-Ridä,  darüber  Masdjid  des  'Amid  al-daula 

Fä'iq,  schönstes  in  Khorasan,   Zeit  des  Samaniden  Nüh  II.  und  des  Ghaznawiden 

Sabuktegin,  Muq.  333. 
zw.  366/976  u..  387/977    Mirki  in  Farghäna,  ein  Ribät  des  Amir  'Amid  al-daula  Fä'iq, 

Muq.   275;  die  Moschee  daselbst  war  zuvor  eine  Kirche! 
373/983    Qazwin,    Moschee  eines  Sähib,  buyidischen  Ministers,  b.   Faq.   282. 
vor  375/985    Dinawar,    Gr.  Moschee  mit  kuppelüberdecktem  Minbar  und  der  schönsten 

Maqsüra  im  Lande,  Muq.  394. 
vor  375/985    Nihäwand,    schönste  Moschee  des  Landes,   Muq.   393. 
vor  375/985    Isfahän,    Moschee  auf  runden  Säulen  mit  Minaret  im  Süden,  70  Ellen  hoch, 

ganz  aus  Lehm,  Muq.  388. 
375/985    Abhar,    Grab  des  Süfi   abü  Bakr  Muhammad  b.  Tähir,  Zeitgenossen  des  Shaikh 

Shibli,  gest.  375. 
37g/g8q_388/998    Shiräz,    Stadtmauern  von  Samsäm  al-daula  b.  'Adud  al-daula,  Hamd. 
388/998—421/1030    Roza   bei    Ghazni,    Minaret   des   Mahmud    !>.    Sabuktegin,    JASB. 

XII  part   I  p.  77;   HoRoviTZ,   Epigr.    Indo-Mosl.   p.  88. 
397/1006    Gurgän,   Gumbadh  i   Kä'üs,  Diez-van  Berchem,  Taf.  IV,  V  und  Abb.  17, 

ältestes    erhaltenes   Baudenkmal   des    Islam    in    Iran. 
402/101 1    Taifüräbäd,  Quartier  von  Hamadän,   Grab  des  Abü  Bakr  Jähir  b.  'Abdallah 

al-Taifüri,   auf  Friedhof  J_i*>iC^J,  gest.  402,  Yäq.   III   571- 
407/1016— 41 1/1021    Rädkän    in   Gurgän,    Mil    i    Rädkän,     geb.   v.   dem    Ispahbadh 

Abü  Dja'far  Muhammad  Bäwand,  Diez  -  van  Berchem,    Taf.   I— IV,  Abb.   16, 

zweitältestes   erhaltenes  Baudenkmal  des    Islam   in    Iran. 
411/1021    Qazwin,   Moschee  des  Härün  vom  Amir  Abü  'Ali  Dja'fari  restauriert. 
417/1026    Dämghän,  Pir  i  'Älamdär,    Sarre,  Denfew.  LXXXIV  2  u.  Abb.  153— 1 55; 

Fräser,  Khanikoff,  Diez  -  van  Berchem,  S.  88  Anm.  6,  ich  lese  auf  den  Photos: 

m 

421/9030  Ghazni,  sog.  Tor  von  Somna^h,  vom  Grabe  des  Mahmud,  aufbewahrt  im  Fort 
von  Agra,  JASB.  XII  I  1843,  p.  76;  JRAS.  VIII  1846  p.  174  und  uned.  Photo- 
graphie. 

421/9030  Ghazni,  Grab  des  Mahmud  von  Ghazni,  Kenotaph  und  alte  Inschrift  über 
der  Tür,  JASB.  XII  I  1843  P-  76;  Flury  im  Islam  VII  3/4  P-  214—227. 


l68  Ernst  Herzfeld  . 

429/1037 — ^455/1063    Bardasir,  Djämi*  Barbari?  vom  Saldjuken-Sultan  Toghrul,  Hamd. 

n.  Chronik  v.  Kirmän. 
435/1044  (??)    Darband,    Bayat  (?)-Tor ;    Jackson,    Omar  Khayyam,    p.  74  s,    kufische 

Inschrift,  Zeilenteilung  falsch  gegeben,  Abb.  läßt  Jacksox's  Text,  der  fehlerhaft 

scheint,  nicht  nachprüfen. 
435/1043    Tabriz,  Stadt  nach  Erdbeben  vom  14.  Safar  434  =  Sept.  1042  vom  Wehsüdän 

b.  Muhammad  Rawadi  al-Azdi  restauriert,  6000  Schritt  Mauerumfang,  Hamd.  — 

Dagegen:  al-Wadjnä'  b.  al-Rawäd  al-Azdi  baut  Palast  und  Mauer  z.  Z.  des  Harun, 

Yäq.  I  822  ly  476. 
436/1044 — 440/1048    Shiräz,    Stadtmauern  von  Malik  abü  Kälidjär  b.   Sultan  al-daula 

b.  Büya,  Yäq.   III  349. 
446/1054  Dämghän,  Imämzäda  Tchildukhtarän,  Türinschrift:  JyJ.:>0!   -yo^i    .»J^.»«J 

eU^t    *JÜ    ..jLääx?!    ....  _».ji    nach    H.\rtmann;    Khanikoff   gibt  ebenda 

das  Datum  446;    das  ist  nur  möglich,  wenn  ,.,..iÄ>oi  in  Wahrheit  iLjL.»jiJjl  ist, 

was  in  jenem  Küfi  äußerst  ähnlich  aussieht.  —  Ziegelinschrift  etwa:  i>..^iv-«».Ji 

JL,3  *-JLc  iJÜi  ^J^  jjyx5>Lv  ^^'rJ^^  j-?"*^    •*'^'  CO  ^^y*^  *~ir  •  •  '^'^'^ 

Sarre,  Taf.  LXXXIVr.    Abb.   156  u.   157. 
s.  d.    S4ri,  Salm  u  Tür  (vgl.  Sih  Gumbadhän),  Grab  des  Husäm  al-daula  Dailami;  Fraseb 

p.  44,  \^'urde  durch  Agha  Muhammad  Shäh  abgetragen,  vgl.  Jahr  170 — 193  s.  v.  Säri. 
vor  457/1065    Neshäpür,   Madrasa  des  Nizäm  al-mulk. 
nach  459/1067    Tos,   Madrasa  des  Nizäm  al-mulk. 
vor  463/1071    Mani'  in  Neshäpür,  Moschee,  gegr.  v.  Rä'is  abü  *Ali  Hasan  b.  Sa*id  usw. 

al-Mani'  (Famihenname),  Wazir,  gest.  in  Marw  27.  dhü'l-qa'da  463  —  Aug.  107 1 . 
465/1072 — 485/1092    Rai,   Madrasa  des  Shaikh  al- Islam  Bäboe  unter  Sultan  Malikshäh; 

Moschee  Dar  i  Ähan;  um  480  große  Madrasa  des  Tädj  al-din  Muhammad  Kaiki 

(geb.  unter  Toghrul),  an  der  Straße  Kulähduzän,  n.  Zinat  al-tnadjälis  ed.  Tehran, 

Ende  der  ersten  Sitzung, 
um  480/1087    Warämin,    Madrasa  des  Räzi  al-din  abü   Sa'id  n.   Zinat  al-madj. 
465/1072 — 485/1092  (??)    Isfahän,  Manär  i  'Ali  (oder  'äli?)  des  Masdjid  i  'Ali,  n.  Houtum- 

ScHiNDLER  von  Mallkshäh,  wohl  nur  gegründet,  der  erhaltene  Bau  jünger,  Sarre 

p.  75,   J.   D1EULAF0Y  p.  273  (fälschhch   Signalturm  genannt). 
465/1072 — 485/1092  (??)    Zafräni,  östl.  Sabzawär  in  Khoräsän,  Kärwänsarai  des  Malik- 
shäh (?),  KIhanikoff  p.  325. 
481/1088    Herät,   Todesdatum  des  Khwädja  'Abdallah  Ansäri,  Grab  später;  Horovitz, 

Epigr.  Indo-Mosl.  p.  94. 
ca.  485/1092    Karkar   in  Ädharbaidjän,   Brücke  übei;  den  Arras  von  Diyä  al-mulk  al- 

Nakhtchawäni  b.  Nizäm  al-mulk;   Nizäm  starb  485;    Hamd. 
wohl  nach  485/1092    Neshäpür,     Madrasa    des    Wazir    abü'l-Muzaffar    Fakhr    al-mulk 

b.  Nizäm  al-mulk,  an  welcher  al-Ghazzäli  lehrte,   Yäq.   III  561. 
vor  494/1100    Marw,  Bibhothek  des  Sharaf  al-mulk  al-Mustaufi,  gest.  194;  Yäq.  IV  509. 
492/1098 — 508/1114    Ghazni,  Minaret  mit  Inschrift  des  Mas'üd  III.,  JASB.  XII  I  p.  77; 

Edw.  Thomas,  Chronicles  of  the  Pdthän  Kings  of  Delhi,  Abb.  95,  n.  Fergusson, 

London   1871,  p.  9,  vgl.   Sarre. 
500/1106 — 7    fräyädh  oder  Iräwa,  Grabkuppel  des  Shaikh  abü  Nasr  al-Iräyädhi,  Yäq. 

I  418. 
500/1106 — 7    Shähdiz  =    Malik  al-qilä',    Zitadelle"  bei    Isfahän,   des  Sultan   Malikshäh 

Yäq.  III  246. 
ca.  500/106— 550/1155    Bistära,    Shaikh  Bäyazid  (abü  Yazid),   Minaret;   ich   lese   etwa: 


Khorasan.  l6o 

(?)*-v-LS    qJ    iAJu?»    *-ip-Ji     vA>^,    Sarre    LXXXVIII    u.    158;    Fräser 
P-  336;    Sykes,    Geogr.  Journ.   191 1;    Diez,  Kunstgesch.  91    und    unveröffentl. 
Photographie, 
ca.  500/1106 — 550/1155  oder  später?    Bistäm,  Grabturm  neben  dem  Masdjid  i  Djum'a, 
Sarre  LXXXV.    Nach  Khanikoff  ist  die  Inschrift  koranisch;  das  ist  falsch,  ich 

lese   in   der   unteren   Zeile   die  Worte:.    ....    Jsj_j^!   ....    »Lii^UÄ    .   . 

....    ^0^\     ...._»     f^-w^Si     ....    3     L>JJs.jS    ÖL>ji: 

ca.  500/1106 — 550/1155  Dämghän,  Manär  i  masdjid  i  Tchilsutün,  Sarre  LXXXIII  r 
und  Abb.  151. 

ca.  500/1106 — 550/1155  Dämghän,  Minaret  desDjämi'  Imäm  Husain,  Sarre  LXXXIII  1, 
Fräser  p.  314,   Khanikoff:   koran.    Inschrift. 

505/1111  Khosrogird  bei  Sabzawär,  Minaret  (manär)  gebaut,  als  Sultan  Muhammad 
b.  Mahkshäh  II.  unter  Sandjar Gouverneur  von  Khoräsän  war;  Khanikoff  gibt 
Datum  505;  CuRZON  I  270;  O'Donovan,  Marw  Oasis  l  428  s;  Yate,  Jackson  219; 
DiEZ  -  VAN  Berche.m,    Taf.    12   u.    13,2. 

ähnlich    Sabzawär,    Rest    eines   Minarets   Diez  -  van  Berchem    p.  21  s. 

511/1117 — 552/1157  Andaräba,  2  Pars.  v.  Marw,  Palast  des  Sultans  Sandjar  b. 
Malikshnh.  regiert  in  Khoräsän  seit  491,  Yäq.  I  373,  sah  den  Palast  um  1225 
verfallend. 

511/1117 — 552/1157  Marw,  2  Bibhotheken  der  Gr.  Moschee,  i.  die  'Aziziyya,  gegr.  v. 
*Aziz  al-daula  abü  Bakr  'Atiq  al-Raihäni  (oder  'Atiq  b.  abi  Bakr),  Offizier  des 
Sandjar,   Bibl.   mit   12000  Bänden;   2.   die  Kamäliyya. 

514/1120  Amol,  Imäm  abü'l-Käzim;  Melgunoff  p.  205;  Dorn,  Atlas  z.  Reise  n.  Mäzan- 
dardn,  Taf.  I  2. 

519/1120  (??)  Kum,  Grabmal  am  Käshän-Tor,  welches?,  Datum  ohneQuelle  bei  Saladin, 
Manuel. 

529/1135 — 530/1136  Djai-Isfahän,  Moschee  des  Härün  al-Räshid  b.  al-Mustarshid 
am  Zayanda  Rüdh,  Yäq.   II  181. 

542/1147    Bukhärä,   Manär  i  Kalyän,   Sarre  CXXII,  Burnes   I  303. 

543/1148 — 557/1162    Shiräz,    Moschee  des   Sonqor  b.   Maudüd  al-Salghari,   Hamd. 

552/1157  Marw,  Grab  des  Sultan  Sandjar,  gest.  552.  Turba  neben  der  Gr.  Moschee 
durch  Gitterfenster  verbunden,  blaue  Kuppel,  eine  Tagereise  weit  sichtbar,  nach 
des  Sultans  Tode  von  einem  seiner  Leute  gebaut,  Yäq.  (IV  509)  sah  das  Grab 
im  besten  Zustande,  vor  seiner  Abreise  von  Marw  i.  J..  616.  Saladin  Fig.  262 
Gliche   Paul  Nadar;   Diez,   Kunstg.   nach   Curtis,   Turkistdn. 

Yor  Mitte  VI.  sei.  H.  s.  d.  Firüzäbäd  bei  Turshiz,  Minaret,  Sykes  vermutet  Wacht- 
turm,  dem  widerspricht  aber  der  rehgiöse  Tenor  der  Inschrift.  Diez  -  van  Berchent  : 
V.  B.:  VII.  sei.,  frühestens  Ende  VI.  sei.,  D.:  X— XI  sei.  Chr.  Ich  möchte  un- 
datierte kufische  Inschriften  historischen  Inhalts  grundsätzlich  nicht  unter  die 
Mitte  des   VI.    sei.    H.   herabrücken. 

vor  Mitte  VI.  sei.  H.  s.  d.   Karat  in  Khoräsän,"  Minaret  Diez  -  van  Berchem  Taf.  12  u.  13. 

vor  Mitte  VI.  sei.  H.  s.  d.    Käshän,  Minaret  Jane  Dieulafoy  p.  198,  ganz  schmucklos. 

vor  Mitte  VI.  sei.  H.  s.  d.    Khargird  in  Khoräsän,  Moschee-Ruine,  Diez- van  Berchem 

Taf.  18,  19  u.  30.  In  den  Inschriften  ist  sicher  zu  lesen  (p.  72):  xU-Ii  ^rV^  und 
^Xx.*jti!  i;^.;wJ5  (^Jo  JLc,  vermuthch  ,_.A_jA*ji  statt  J.^^.♦J5^Ji.  —  D.: 
XIL  sei.  Chr.,  v.  B.:  frühestens  Ende  VI.  sei.  H.,  eher  VII.  oder  noch  später; 
ich:  wegen  Titel   auf    -yjJ^Ay^^    -ysl   sicher  vor  650,   etwa   550  H. 


j  70  Ernst  Herzfeld, 

vor  Mitte  VI.  sei.  H.  s.  d.  S^ingbast  in  Khoräsän,  Ribät,  Diez  -  van  Berchem  Taf.  14 — iS, 
Abb.  21 — 23.  Kufische  Inschrift,  van  Berchem:  Ende  VI/XII  sei.  Y.\te:  Arslan 
Jäzib  997 — 1028.  SvKEs:  Eiäz,  Wazir  d.  Mahmud  v.  Ghazni  gründete  diese 
Bauten  als  Madrasa  und  Grab  für  den  Heiligen  Mirzä  *Abd  al-Karim. 

vor  Mitte  VI.  sei.  H.  s.  d.  Tirmidh,  Minaret,  Sarre  Abb.  229,  Inschrift  auf  Abb.  un- 
leserlich, vgl.  Vergrößerung  bei  Flury,  Islam.  Schriftbänder. 

Mitte  d.  VI.  sei.   H.?    Warämin,   Achtkantiger  Grabturm,  J.   Dieulafoy   148/49. 

Mitte  d.  VI.  sei.  H.?    Warämin,  Grabturm,  mandr,  28-kantig,  Sarre  Abb.  66. 

Mitte  d.  VI.  sei.  H.?    Säwa  in  Djibäl,  Minaret  Binder,  Kurdistan  p.  381. 

Mitte  d.  VI.  sei.  H. ?  Rai,  Grabturm  E  des  Planes  von  Ker  Porter,  22-zackiger  Plan, 
Ziegelbau,  Coste  pl.  LXIII,  Sarre  Abb.  59,  kufische  Inschrift,  angeblich  Grab 
des  Toghrul  Beg,  gest.   1063  ! 

Mitte  d.  VI.  sei.  H.?    Rai,   Grabturm  G  Ker  Porter,  Jackson,  Persia  Fast  u.  Present 

P-  435- 
Mitte  d.  VI.  sei.  H. ?    Rai,  runder  Bruchsteinturm,  heute  abgetragen,  Coste  pl.  LXIV, 

Curzon    I   351,    kufische  Inschrift,    ich    lese:    sJO^     ^*-*-H      -^^      •  •  •      ^^.♦■.■^r 


JJL>;il     Jyji    .   .   .   .    il    (?)_;*«     ....    J^-y*J^     y=?-^^     i?^.^i!     N>-UJ! 

yy^^     ^    xjjjip_»    *J    bSl\    Jii-    (oder     J   .  .  .  .?)    y*<L4-S=^oi    (j*;'*s    ^. 

....    3    (V)  Oww    iüLw    (Ende  des  Datums  zerstört). 
Mitte  d.  VI.  sei.  H.?    Rai,   Turm  mit  Portal  und  Zellenkranz,  J.  Dieulafoy,  darnach 

Diez,  Kunsig.  94. 
Mitte  d.  VI.  sei.  H.?    Isfahän,  Imämzäda  Jassary(?),  J.  Dieulafoy  p.  315,  achtkantig, 

kufische    Inschrift   mit   blauer    Fayence,    ähnlich   Nakhtchawän. 
Mitte  d.  VI.  sei.  H.?    Isfahän,  Minaret  des  Shäh  Rustam,  Coste  pl.  LIV,  kuf.  Inschr., 

ich  lese  etwa:     ^m*.:^]  .  .  (?^u^*wl  ^j  Q^  ^öl^  L.pL>J.J  yii   .  .  .  *.)-*.^«J 

Mitte  d.  VI.  sei.  H.?    Astaräbäd,   Imämzäda  'Abdallah  und  Fadlalläh,  Phot.  Nieder- 
mayer bei  Diez,  Kunstg.  Abb.  121. 

Mitte  d.  VI.   sei.   H.?    Farsaidja,   Grabmal,  Coste  pl.  LXIX.     • 

556/1160    Simnän    in    Khoräsän,    Bad,    Fräser    p.  303  s. 

ähnlich  Simnän,    Minaret  mit  Galerie,   Sarre  Abb.   152,  Hommaire  de  Hell  pl.  88, 
Jackson   p.  147;   nach  Fräser   p.  303   von   Shährokh   880/1475! 

557/1162    Nakhtchawän,  Mausoleum  des  Yüsufb.  Kuthayyir,  Sarre  Taf.  lu.  Abb.  i — 3, 
J.    Dieulafoy   p.  24;    Jacobsthal,    Mittelalt.    Backsteinbauten. 

ähnhch  Warämin,    Imämzäda  Yahyä,   Sarre  Abb.  65,  J.  Dieulafoy   147. 

um  550 — 600  (?)  s.  d.    Mil   i   Nädiri  in  Sistän,  Sykes  p.  395  und  Abb.  zu  p.  418. 

um  550 — 600  (?)  s.  d.    Mil   i  Qäsimäbäd,   Täte,  Front,  of  Baluchistan  Abb.  zu  p.  224, 
ders.  Seistän  p.  22,  268  ss. 

568/1172 — 3    Hamadän,    Ildeghiz  in  der  von  ihm  erbauten  Madrasa  beigesetzt. 

568/1173 — 582/1186    Nakhtchawän,  Grabmal  der  Mu'mina  Khätün,  erbaut  vom  Atäbek 
Abu  Dja'far  Muhammad  b.  Ildeghiz,  Ouseley,  Travels  1823,  IV  Fig.  436.  Dubois 

DE   MONTPERIEUX    184O   IV  p.   10,  AtlaS   III  22.     J.  DiEULAFOY  p.  25,   JaCOBSTHAL 

p.  21   Abb.   27,   Sarre  Taf.    II — ^XI  und  Abb.  4 — 8. 
568/1173 — 582/1186    Nakhtchawän,    Portal    des    Ildeghiz,   Dubois    IV    10,    III   pl.  22, 

Sarre  Abb.  9. 
572/1176    Qazwin,  Mauern  von  Sadr  al-*din  Maräghi,  Wazir  des  Sultan  Arslan  vergrößert 

und    vollendet,    von    Mongolen    zerstört,    Hamd. 


Khorasan.  1 7 1 

591/1195 — 623/1226    Shiräz,    »Neue«   Moschee  des  Atäbek   Sa'd   b.   Zengi,   Hamd. 
616/1219?     Sari,    Shähzäda   Muhammad    Sultan    Ridä,    Sarre    LXXX  und   Abb.    132, 

Melgunoff  p.  164,    Saladin   Mau.   Datum   ohne  Quellenangabe, 
ca.  600/1203 — 617/1220     Tos,     fälschlich    sog.     Mausoleum    des    Ghazzäli,    gest.     im, 

Kiianikoff;  Jackson  p.  290,  Sykes  JRAS.  1910  p.  115  ss,  Diez-van  Berchem 

Taf.  19 — 20;  nicht  vor  600,  vermutlich  kurz  vor  der  Zerstörung  durch  Mongolen 

1220  gerade  zu  Yäqüt's   Zeit  vollendet. 
640/1242    Kirmän,  Qubba  i  Sabz,  Sykes  ioooo  miles  in  Persia  p.  194,  ähnelt  dem  Gür 

e  Mir,  Timurs  Grab,  Meister  ein  Isfahäni,  eine  andere  Tradition:  Seldjuke  Mughith 

al-din  Muhammad   1141  — 1156! 
XIII.  sei.  Chr.    Säwa,   Abanbar,  Binder  p.  380 ')• 
[...680/1281     Rädkän    bei    Khabüshän,    Mil    i    Rädkän,    D'Allemagne;     Diez-van 

Berchem    Taf.  6 — 8;    ich    halte   diese   Ergänzung  des  Datums,   das  außer  den 

erhaltenen  Hunderten  nur  noch  eine  kurze  Zahl  enthielt,  für  allein  richtig. 
um  700/1300    Kishmar   in    Khoräsän,  Mil  oder  Manär  i  Kishmar,  Diez-van  Berchem 

Taf.  6,  9  u.   10. 
709/1309 — 716/1316  Hamadän,    Gumbadh  i  'Aläwiyyän,   Coste  Abb.  p.  50,    werde  ich 

in  der  Festschrift  für  E.  G.  Browne  veröffentlichen.  . .] 

Hiermit  breche  ich  die  Liste  ab,  mit  der  Eroberung  Irans  durch 
die  Mongolen.  Für  meine  Arbeitszwecke  besitze  ich  sie,  wie  von  den 
anderen  Provinzen  des  Islam,  bis  in  die  moderne  Zeit.  Für  die  Pro- 
bleme dieser  Untersuchung  kommt  aber  schon  die  Mongolenzeit  nicht 
mehr  in  Frage. 

Einige  Worte  zur  Erklärung  dieser  Liste:  Über  die  ersten  Städte- 
gründungen der  Mushme  in  Iran  würde  man  bei  einer  Durcharbeitung 
des  Balädhuri  und  Tabari  vermutlich  noch  manches  finden.    Diese 

I)  Die  Liste  beruht  hauptsächhch  auf  folgenden  Werken:  H.  d'Allemagne,  Du 
Khorassan  au  pays  des  Bakhtiaris  1911.  —  H.  Binder,  Au  Kurdistan,  en  Mesopoiamie 
et  en  Ferse  1887.  —  Lieut.  A.  Burnes,  Travels  into  Bokhara  1831 — 33,  London  1834.  — 
Chardin,  Voyages  en  Perse  et  autres  lieux  d' Orient  Amsterdam  171 1.  —  P.  Coste,  Monu- 
ments modernes  de  la  Perse  Paris  1867.  —  G.  N.  Curzon,  Persia  &  ihe  Persian  Quesiion 
1892.  —  Jane  Dieulafoy,  La  Perse  la  Chaldee  et  la  Susiane  Paris  1887. —  B.  Dorn  Caspia, 
Mem.  de  l'Acad.  de  St.  Petersbourg  XXIII  1875.  —  Dubois  de  Montpereux,  Voyage  auiour 
du  Caucase  1840.  —  J.  Fergusson,  History  of  Indian  &  Rastern  Architectiire  1891.  — 
J.  Fräser,  Narrative  of  a  Journey  into  Khorasan  1825  und  The  Persian  provinces  of  ihe 
southern  banks  of  the  Caspian  Sea  1826.  —  Hommaire  de  Hell,  Voyage  en  Turquie  et  en 
Perse  1854 — 60.  —  A.  V.  W.  Jackson,  Persia  Past  and  Present  1906.  —  Ders.,  From  Con- 
stantinople  to  the  honie  of  Omar  Khayyam  191 1.  —  E.  Jacobsthal,  Mittelalterliche  Back- 
steinbauten zu  Nachtschewan  1899.  —  Ker  Porter,  Travels  in  Georgia,  Persia  etc.  1821.  — 
N.  de  Khanikoff,  Mem.  sur  la  partie  meridiotiale  de  l'Asie  centrale  Paris  1862.  —  G.  Mel- 
gunoff, Das  südliche  Ufer  des  Kaspischen  Meeres  1868.  —  J.  Morier,  Second  Journey 
through  Persia  1818.  —  E.  O'Donovan,  The  Merw  Oasis  1882.  —  H.  Saladin,  Manuel 
d' Art  Musulman  I:  Architecture  1907.  —  F.  Sarre,  Denkmäler  persischer  Baukunst  1911. 
—  F.  M.  Sykes,  Historical  notes  on  Khurasan  in  JRAS.  1910.  —  Ders.,  A  sixth  Journey 
in  Persia  in  Geogr.  J.  XXXVII  1911.  —  G.  P.  Täte,  The  frontiers  of  Baluchistan  1909 
und  Seistan,  Memoir  on  the  History  etc.  of  the  Country  I — III,  Calcutta  1910,  IV  1912.  — 
C.  E.  Yate,  Khurasan  and  S'istan   1900.  —  G.   Wkil,  Geschichte  der  Chalifen   1846. 


172  Ernst  Herzfeld,  , 

ersten  mnsdr  waren  aber  Heerlager  ohne  feste  Bauten.  Auch  in  der 
frühen  Umayyadenzeit  sind  sie  noch  ohne  jede  architektonische  Be- 
deutung. Das  wird  erst  anders  bei  den  Gründungen  des  tiadjdjädj. 
Für  die  frühe  abbasidische  Epoche  würde  man  wohl  auch  bei  Tabari 
noch  viele  Aufschlüsse  erhalten.  Auch  das  ist  hier  entbehrlich:  die 
universale  Kunst  dieser  Zeit  kennen  wir  von  Samarra  her.  Wie  sie 
Elemente  aller  Provinzen  des  Reichs  enthält,  so  auch  persische.  Wir 
können  annehmen,  daß  die  Kunst  in  den  östlichen  Provinzen  ein- 
seitiger war,  aber  niemals,  daß  irgend  welche  großen  Errungenschaften, 
die  Khoräsän  besessen  hätte,  in  Samarra  gefehlt  hätten.  Daher  können 
wir  uns  sehr  wohl  eine  Vorstellung  von  den  Bauten  und  Städten  machen, 
die  von  Abu  Muslim  und  Mansür  an  bis  zum  Ende  des  dritten  Jahr- 
hunderts entstanden.  Verteilung  und  Art  der  Bauten  zeigen  ein  deut- 
liches Hervortreten  des  Nordwesten:  Sari,  Amol,  Mansüra  in  Mäzan- 
darän,  Barzand,  Warthän,  Soghdabil  in  Persarmenien,  Urmiya ,  Ma- 
rand,  Tabriz,  Marägha,  Qazwin  in  Adharbaidjan,  dazu  Karadj  Abi 
Dulaf,  Rai,  Aramboe  und  Käshän  im  *Iräq  *Adjami.  Der  Süden  tritt 
nur  unter  Hadjdjädj  etwas  hervor,  der  ja  von  Basra  und  Wasit  aus- 
gehend auch  Khüzistän  und  Fars  zu  einem  festen  Stützpunkt  der 
Umayyaden-Herrschaft  ausgestaltet.  Erst  um  133/750  kommt  die 
erste  Nachricht  von  Bedeutung  aus  Khoräsän :  genau  in  Übereinstim- 
mung mit  der  Geschichte  ist  es  Abu  Muslim,  der  hier  als  Anfänger 
auftaucht.  Und  diese  Nachrichten  von  seinem  Dar  al-Imära  mit 
Kuppel  und  vier  basilikalen  Iwänen,  von  seiner  Kanzelmoschee  mit 
Holzsäulen  in  Neshäpür  sind  allerdings  archäologisch  von  hohem 
Interesse:  das  ist  der  Typus  des  Dar  al-lmära,  den  offenbar  schon 
Hadjdjädj  in  Wasit  eingeführt  hatte,  und  sicher  der,  welcher  von 
Mansür  in  seiner  Runden  Stadt  in.  Baghdad  angenommen  wurde  und 
der  von  da  nach  Samarra  und  Raqqa  (Hiraqla)  kam  i);  und  die  Holz- 
säulen-Moschee, der  eigentlich  persische  Typus  der  ältesten  Gemeinde- 
Moschee,  wird  ebenfalls  unter  Mansür  in  Baghdad  für  seine  Große 
Moschee  gewählt.  Die  anderen  spärlichen  Nachrichten  aus  dem  Osten 
sind,  vielleicht  mit  Ausnahme  von  Ma*mün's  Bauten  in  Gurgäniyya, 
ohne  Folgenschwere. 

Das  Bild  ändert  sich  stark  in  der  zweiten  Hälfte  des  dritten  Jahr- 
hunderts :  Der  Osten  und  Südosten  übernimmt  energisch  die  Führung. 
Die  Bautätigkeit  der  Tähiriden  in  Marw,  der  Saff ariden  in  Neshäpür 
und  Zarang,  daneben  in  Shiräz  und  Gundeshäpür,  endlich  die  der 
Samaniden  in  Firabr,  Tos,  Ribat  i  Shuturän,  auch  in  Zarand  und  Bar- 
dasir  zeigt  deutlich,  wie  in  dieser  Jugendzeit  des  Schiismus  auch  auf 

')  Vgl.  Archäol.  Reise,  Bd.  II  Kap.  Baghdad,  unter  Palast  des  Mansür. 


Khorasan. 


173 


baukünstlerischem  Gebiet  der  neue  Ansporn  zuerst  in  Khorasan  wirkt, 
wie  der  Osten  dann  den  Süden  mit  in  die  neue  Bewegung  hineinzieht. 
Es  folgen  im  vierten  Jahrhundert  die  Buyiden:  unter  ihnen  erobert 
was  da  im  Osten  entstanden  ist  den  ganzen  Süden  und  Westen  Irans: 
Persepolis,  Shiräz,  der  Band  i  Amir,  Sirgän,  Qantarat  Khurrazädh, 
Ziz,  Nobandagän,  Rämuz,  Ahwäz  sind  die  Etappen  dieses  Sieges- 
zuges für  den  Süden,  Kirmänshähän,  Fakhrabäd  bei  Rai,  Qazwin 
für  den  Westen.  In  der  gleichen  Zeit  erobert  die  Baukunst  von  Kho- 
rasan unter  den  Ghaznawiden  den  fernen  Osten:  Mirki,  Ghazni.  Mit 
den  Ghoriden  und  den  Shäh's  von  Dehli  dringt  diese  Kunst  um  die 
Wende  des  sechsten  zum  siebenten  Jahrhundert  in  Indien  ein :  Dehli, 
Hänsi,  Budaun,  Gwalior  und  Bihär. 

Die  frühen  Baunachrichten  spiegeln  also  getreu  die  ganze  poli- 
tische und  kulturelle  Geschichte  dieser  Zeit.  Dieser  Einklang  beweist, 
daß  uns  nicht  etwa  der  Zufall  der  Überlieferung  und  der  Erhaltung 
täuscht.  Am  Ende  des  vierten  Jahrhunderts  treten  die  ersten  erhal- 
tenen Denkmäler  dazu  und  lehren  das  gleiche.  Es  ist  auch  gewiß  nicht 
ganz  unbedeutsam,  daß  das  älteste  erhaltene  Monument  oder  Doku- 
ment des  Islam  in  Persien  die  Inschrift  des  *Adud  al-daula  von  Perse- 
polis ist,  die  erzählt,  daß  der  Herrscher  dies  Wahrzeichen  der  alt- 
persischen Nationalität  besucht  und  sich  die  Keilschriften  habe  über- 
setzen lassen.  Die  erhaltenen  Bauten  lehren  das  gleiche,  wie  die  Bau- 
nachrichten: die  Gumbadh  i  Kä'üs,  der  Mil  i  Rädkän  sind  über  alles 
Erwarten  jugendliche  Werke:  es  fällt  fast  schwer,  sich  vorzustellen, 
daß  um  400  der  Hidjra  und  150  Jahre  nach  der  universellen  Kunst 
von  Samarra,  Khorasan  so  einfache,  fast  nichts  voraussetzende  Werke 
hervorbrachte.  Es  ist  ganz  evident,  daß  die  Baukunst,  die  sich  in  der 
Gumbadh  i  Kä'üs  und  im  Mil  i  Rädkän  offenbart,  nicht  auf  eine 
400jährige  Entwicklung  zurückbHckt,  und  daß  noch  150 Jahre  vorher, 
als  Samarra  entstand,  diese  Kunst  noch  nicht  geboren  war;  sonst 
fühlte  man  dort  schon  ihr  Wirken.  Mit  diesen  Monumenten  ist  man 
der  Geburt   der  islamischen  Kunst  von  Khorasan  ganz  nahe. 

Etwas  besitzen  sie,  was  sie  sowohl  von  der  Kunst  der  Mitte  des 
dritten  Jahrhunderts,  wie  von  allem  Sasanidischen  gründlich  unter- 
scheidet :  einen  auf  einer  vorzüglichen  Ziegeltechnik  gegründeten,  aus- 
geprägt örtlichen  Charakter.  Dieser  Charakter  ist  so  stark,  daß  es  un- 
möglich ist,  ihn  zu  verkennen,  wie  fern  auch  der  Ort,  wie  spät  auch  die 
Zeit  sein  mag,  wo  diese  Kunst  verbreitet  ward:  mit  den  Seldjuken 
nach  Baghdad  und  Rum,  mit  den  Ghoriden  nach  Dehli.  Und  auch 
in  allen  Werken  der  Mongolen  lebt  noch  das  Erbe,  das  Blut  dieses 
Stammes  fort.    Diese  Festigkeit  im  Typus  hatte  ein  langes  Heranreifen 


IjA  Ernst  Herz feld,    Khorasan. 

in  Abgeschiedenheit  und  Verborgenheit  nötig.     Und  die  besonderen 
Eigenschaften  konnten  nur  in  jener  Zeit  und  auf  dem  Boden  wachsen, 
der  vor  dem  Islam  eine  Welle  mittelasiatischer  Völker  nach  der  anderen 
über  sich  hatte  dahinroUen  sehen,  der  also  vorbereitet  war,  sobald  das 
Land  einmal  zur  Ruhe  kam,  eine  ganz  örtlich-eigenartige,  von  allem 
Westhchen    losgelöste    Kultur   hervorzubringen.      Der    Schiismus    als 
Religion,  das  Persertum  als  Nation,  die  persische  Sprache  als  Ausdruck 
ihrer  tiefsten  und  höchsten  Gedanken,  die  persische  Kunst  und  mit 
ihr  die  Baukunst  als  Auswirkung  der  kulturschaffenden  Kräfte  dieses 
neuen  Volkstums  sind  alle  zusammen  und  einheitlich  in  Khorasan  im 
Laufe  des  dritten  und  vierten   Jahrhunderts  der  Hidjra  entstanden. 
Das   ist   eine   große   und  bewundernswerte  Tat   des   Persertums. 
Man  macht  sie  nicht  größer  und  bewundernswerter,  indem  man  sie 
in  Zusammenhänge  hineinstellt,  wie  den  der  Genesis  der  islamischen 
Kunst,  die  doch  im  dritten  Jahrhundert  schon  abgeschlossen  ist,  oder 
gar  der  gesamten  europäischen   Kunst   des   Mittelalters,    Zusammen- 
hänge,   in  die  sie  nicht  gehört.     Was  wir  sehen  und  was  wir  wissen, 
hegt   klar  vor  Augen.     Nur  wem  die  Quellen  dieser  Geschichte  und 
Kultur  verschlossen  sind,  der  glaubt  eine  Gleichung  mit  vielen  Unbe- 
kannten zu  sehen,  die  er  nicht  lösen  kann,  sondern  nur  errät.     Aber 
die  Gleichung  ist  eine  einfache  und  ihre  Auflösung  einfach  und  sicher. 


Zwischen  den  Augen. 

Von 

Ign.  Goldziher. 

Sofern  die  Worte  TjTj;  pD  in  den  Verordnungen  in  Exod.  13,  9; 
Deut.  6,  8;  11,  18  nicht  in  figürlichem  Sinne  (s.  zu  Ende),  sondern 
auf  den  sachlichen  Gebrauch  von  Phylakterien  [Tefülin)  gedeutet 
werden,  wird  in  den  jüdischen  gesetzerklärenden  Kreisen  die  Orts- 
bestimrnung  »zwischen  deinen  Augen«^)  auf  das  Anbringen 
jenes  Kultusmittels  »am  höchsten  Teil  des  Hauptes«  (iplfj)  be- 
zogen (ifN-lDtr  n2i:3  :  "rry  pD,  Sifre  Deut.  §  35,  h.  Talm.  Me- 
nächöth  37  a).  Es  wird  auch  die  Beziehung  der  Ortsbestimmung  auf 
die  Mittelstirn  (niJD)  erwähnt,  jedoch  als  sektiererische  Übung  ver- 
worfen [MUnä,  Megillä  3,  6)  2).  Das  Diadem  {\^^),  das  der  Hohe- 
priester vorn  am  Kopfbunde  trug,  wird  als  vry.  p3  befindlich  be- 
zeichnet [h.  Talm.  Kiddüsin  66  a).  Diese  Deutungen  des  Ausdruckes 
finden  eine  Analogie  an  dem  entsprechenden  arabischen  Sprach- 
gebrauch, in  welchem  ».jJ.^^  ,.^  (resp.  mit  den  Pronominalsuffixen 
der  anderen  Personen)  in  derselben  Bedeutung  gewöhnlich  ist.     Dies 

tritt  besonders  hervor  in  den  Nachrichten  über  An-  oder  Abwesenheit 

s 
der  sichtbaren  Spur  der  häufigen  und  intensiven  Prostration  (o^v.vJI  Ji\), 

die  der  Koran  48,  29  als  Kennzeichen  frommer  Personen  rühmt  (^^U-m« 

öj^^^  ß    r^j->3   ^^)^)-      Bei.    Ibn    SaM   V  346,   5  wird  erzählt, 
daß  man    an    *Atä    b.   abi   Rabäh  wahrgenommen  habe  Ji\  »-^^  iyfri 

1)  Auch  mit  TtJ'^y'pj;  i-  Kön.  20,  38.  41  ist  die  Stirn  gemeint,  wie  auch  arab.  ^^^-Lc 
\xÄx£    z.  B.    Dm'än    des    Sarlf     al-Radi    (Bejrul    1307)    540,    10:    ^^^    ^^^J^Jix^S 

2)  Eingehend  in  A.  Eppstein,  Eldäd  ha-Däni  (Preßburg  1891)  174—183  (hebräisch). 

3)  In  einer  in  eine  Totenklage  des  Hassan  über  'Otmän  (ed.  Tunis  98,  Hirschfeld 
Nr.  XX)  eingeschobenen  Verszeile  (Chiz.  ad.  IV  118,  12  v.  u.  TA.  s.  v.  ^^  257,  11  v.  u.). 
Vgl.  NöLDEKE,  Delectus  77  ult. :   *J  J*:>\-«^il  oL?-^^- 


Ij5  Ign.   Goldziher, 

OjiifuJI;  noch  genauer  (ibid.  194,  2)  von  Chäriga  b.  Zejd,  daß 
dessen    Prostrationsmal   nicht    bis   zur   Nase    gereicht  habe  ^^  <i^^j 

während  man  »zwischen  den  Augen«  des  Sa'id  b.  al-Musajjab  nichts 
von  solchen  Spuren  bemerken  konnte:  j^j:p-«Jt  Jl\  xjJ-ilc  q.-o  g*wJ 
(ibid.  103,  24).  Daß  in  solchem  Zusammenhang  »zwischen  den 
Augen«  ^)  auf  die  Stirn  zu  beziehen  sei,  wird  außerdem  aus 
Stellen    ersichthch,    in   welchen   diese    als   Ort   der    Prostrationsmale 

bezeichnet  wird  2);  die  Stirn  ist:  A:>w>^.  Der  Dichter  Abu 
Duläma  rühmt  von  sich  (Tabari  III  541,   8),   daß  seine   Stirn  von 

m  y 

vielem  sngüd,  verwundet  ist:  iL>j->UMwo  JC^x^  ^5^^  cxX-^u«^,.  —  Chäri- 
giten  haben  von  vielem  sugüd  schwürige  Stirnen  (Kämil  559»  0- 
Ein    Enkel    des  Husejn    hat    .^iio  jj^-J  o^^l  ß\  iiJtS\^  »J^.«.^  ^^^ 

(Ibn  Sa*d  V  237,  18).  Von  Ibn  öämi':  »Sj(;j^  o^:>UwJI  j^i  Jö 
[Agäm  VI  69,  22)  3),  Man  vergleicht  den  durch  vieles  sug-üd  ver- 
ursachten Zustand  der  Stirn  mit  dem  Knie  der  Ziege  y>£.  'LSj  *^.§--> 
öy:S>^\  Qvo  {Tadk.  huffä?  I  170,  3),  wobei  ein  Dichter  speziell  die 
Ziegen  der  B.  Nasr  als  Vergleichungsobjekt  nennt  {TA.  s.  v.  ^^^ 
X  257,  13  V.  u.)  4).  In  einer  wMr^a^Z-Tradition  wird  erzählt,  daß  der 
Prophet  einen  Betenden  erblickte,  der,  als  er  die  Prostration  vollzog, 

seine  Stirn  verhüllte  (aüLg.^^  Jlc  ^sS  »Aäj  wx:^  iA:p-«o);  der 
Prophet  entfernte  die  Hülle  von  der  Stirn  dieses  Betenden  (Abu 
Däwüd,  Kit.  al-maräsU  [Kairo,  matb.  *ilmijja  1310]  12,  ll).  Die 
angeführten  Beispiele  erweisen  die  Gleichung  ü-yL^c  q^?°^=  «^*;»r*^  ,^^- 

0  In  der  Slrat  Sejf  Will  20,9   O^wJI    i^.>oj»j*-JLc  ^-J-^'  *-L^A^^  oL«^ 

-)  Es  wird  besonders  hervorgehoben,  wenn  jemand  beim  sugüd  die  Erde  nicht  un- 
mittelbar mit  der  Stirn  berührt:  {j:oJi\  ^^^^  *-'>^-^^  Q;^  .^ls>  CsJi  (Ibn  Sa'd 
VI  83,  20). 

3)  Man  vergleiche  zum  Gegenstand  noch  Lammens,  Mo'-äwija  353,  Zijad  ibn  abihi 

71  (=   RSO.  IV  223). 

4)  Für  das  völlige  Unterlassen  des  sugüd  finden  wir  folgende  Gleichnisse  von  den 
Verdammten,  die  am  Gerichtstag  das  sugüd,  das  sie  im  Leben  nicht  erfüllt  hatten,  zu  leisten 

nicht  vermögen  JyJLftj»*».il  Lg-ö  ^.,L^  Üui?  '\Jsuh  ^^^_j.^  0->^^  ^'^'^^  Rücken  stehen 

.in  gleicher  Reihe  aufrecht  als  steckten  Spieße  in  denselben«  {Hadit  bei  Kassäfzv,  Su  68,42); 

»während    die  Muslime   das   sugüd  üben,    verharren  ihre  (der  Ungläubigen)  Rücken  wie 

o 
die  rechten  Seiten  der  Rinder«  ^,äJ1   ^^L^     f^jy^   ^^  (I/adtthei  Ibn  Kajjim 

al-Gauzijja,  Kit.  al-salät  wamä  jalzamu  fthä  [Kairo  1323]  54,3)« 


Zwischen  den  Aiigtn.  lyy 

Die  Anwesenheit  solcher  Prosternationsmale  waren  natürhch  als 
Bekundungen    frommer    Werkheiligkeit    geschätzt.       Selbst    bei    der 
Leichenwaschung    ihres    verstorbenen    Trägers    sollen    sie    mit    Aus- 
Zeichnung  behandelt  werden  ^). 

In  manchen  islamischen  Kreisen  legt  man  Gewicht  darauf,  wenn 
auch  nicht  durch  ein  dauerndes  Svg'üdim.l,  so  doch  wenigstens  durch 
zeitweilige  Konservierung  des  Staubes  an  der  Stirn,  einen  Tag  lang 
dies  Zeichen  der  vollzogenen  Prostration  zu  bewahren.  Von  maghri- 
binischen  Muslimen  wird  berichtet:  »On  a  grand  soin  de  ne  pas  s'essuyer 
le  front  apres  la  prostration  et  chaque  musulman  tient  ä  honneur 
de  conserver  jusqu'au  soir  la  trace  de  la  poussiere  sur  laquelle  il  a 
appuye  sa  tetc«  (RMM.  XI  205).  Als  Merkmal  frömmelnder  Heuchelei 
wird  öfters  die  dauernde  Stig-üdspur  an  der  Stirn  von  Hypokriten 
erwähnt;  man  möge  sich  dadurch  nicht  beirren  lassen.  Der  Spottdichter 
Müsä  Sahawät  (Chalifat  des  Sulejmän  b.  'Abdalmalik)  warnt  davor, 
sich  durch  ein  solches  Mal  »zwischen  den  Augen«  des  Dichter  und 
Sänger  verfolgenden  wäli  von  Medina,  Sa'd  b.  Ibrahim  betören  zu  lassen 

(4^.  III  122,  13):     .IÄ5>  iJLye»   l^  j!Ä:>    \_-.&_>wÄxc    Q>jj    sJ^j>U«   iilj,ij    ^^ 

Es  werden  Anekdoten  darüber  erzählt,  wie  Heuchler  solche  Male  an 
ihrer  Stirn  künstlich  hervorbringeti,-  um  den  Anschein  der  Frömmigkeit 
zu  erwecken.  Vom  muhammedanischen  Palermo  berichtet  IbnFIaukal 
(ed.  DE  GoEjE,  Bibl.  Geogr.  arab.  II  85,  .1),  daß  man  in  den  dort  am 
Meeresufer  befindlichen  zahlreichen  ribätät  schlechtes  Gesindel  findet, 
die  (diesmal  gemäß  der  Koranstelle  ,^y::^^  ä)  betrügerischer- 
weise Prostrationsmale  anbringen.  Vgl.  eine  Anekdote  bei  Husri 
(Zahr  al-ädäb,  a.  R.  des  '^Ikd^  II  15  unten):  ein  heuchlerischer  Asket 

j 

( ■^j^\.A.j\  oL^JI  I  vaxj)  beschmiert  seine  Stirn  mit  Knoblauch,  um 
an  derselben  den  Schein  eines  Prostrationsmals  zu  erzeugen.  Ein 
ungenannter  Kurejschit  zu  Zeiten  des  Propheten  habe  statt  des  wirk- 
lichen svg-üd  von  der  Erde  Staub  emporgehoben  und  an  seine  Stirn 
gebracht  {Musnad  Ahmed  I  388).  Aber  auch  von  der  Naivität  eines 
unwissenden  Beduinen  weiß  A.sma*!  zu  erzählen,  daß  er,  ohne  Kenntnis 
der  Beziehung,  seine  Stirn  an  der  bloßen  Erde  wund  rieb  in  der  Über- 
zeugung, daß  dadurch  ein  »gutes  Zeichen  für  einen  braven  Mann« 
entstehe    (BejhakI,    ed.    Schwally   381,    4). 

Im   selben    Sinne   werden   auch   Erscheinungen,    die   sich   an   der 
Stirn  kundgeben,   als    »zwischen  den  Augen«  Sichtbares  bezeichnet. 

^)  Corpus   Juris   di   Zaid   b.  'All    ed.  Griffini   (Nr.  292)  68,3   ^jilXJb    *~>.'^'i» 
Islam  XI.  12 


j  Tg  Igti.   G  o  1  dzihe  r, 


Die  nur  al-nubuwwa,  die  von  Adam  her  sich  durch  die  Vorfahren  des 
Propheten  forterbt  ^),  um  zuletzt  an  ihre  Bestimmung  zu  gelangen, 
erscheint  bereits  »zwischen  den  Augen«  des  Nizär  {LA.  s.  v.  ^jj 
VII  59,  4  ff.)-  ^^  diese  Reihe  gehören  auch  die  Sprüche,  in  welchen 
die  Rede  davon  ist,  daß  gewissen  Menschen  ihr  Schicksal  »zwischen 
den  Augen«  aufgeschrieben  wird.  Die  Armut  wird  nach  einem  ^adtl 
bis  zum  Auferstehungstag  zwischen  ihre  Augen  geschrieben  Leuten, 
die  zum  Islam  geleitet  und  im  Koran  unterrichtet  sich  dennoch  über 
Dürftigkeit  beklagen  2).  Hingegen  wird  Frommen,  die  die  Zeremonien 
des  kag-g-  mit  Andacht  und  Hingebung  vollziehen,  neben  anderen 
Belohnungen  auch  dies  zugesichert,  daß  »Gott  die  Armut  aus  ihren 
Herzen  reißt  und  den  Reichtum  zwischen  ihre  Augen  setzt«  (Azraki, 
ed.  Wüstenfeld  248,  9  &<yUc  ^^  ^>Lii5  ^:>JLx>.^).  Wer  auch  nur 
mit  dem  Teil  eines  Wortes  Mithelfer  an  der  Tötung  eines  Muslims  ist, 
erscheint  am  Gerichtstag  mit  der  Aufschrift  »zwischen  seinen  Augen«: 
Ein  an  der  Barmherzigkeit  Gottes  Verzweifelnder  [Kassäf  zu  4,  95). 
Von  *Omar  wird  gesagt,  daß  der  heilige  Geist  zwischen  seinen  Augen 
lagerte  (bei  Sibli,  Äkäm  al-murgän  ed.  Kairo  138,  13).  In  solchen 
Sprüchen  3)  ist  stets  die  Stirn  4)  verstanden.  Dasselbe  5)  gilt  vom 
Hadlt,  nach  welchem  dem  Daggäl  »zwischen  den  Augen«  das  Wort 
Jif  in  getrennten  Buchstaben  (^  ö  ^i))  eingeprägt  ist  [Musnad  Ahmed 
III  206.  211.  229.  249).  Die  Einzeichnung  in  losen,  aneinander  nicht 
anschließenden  Buchstaben  ^)   soll  die  Wichtigkeit  des  durch"  sie  ge- 

I)  Tor  Andrae,  Die  Person  Muhammeds  in  Lehre  und  Glauben  seiner  Gemeinde  319  ff. 
^)  ZDMG.    LVII   399,    wo    noch    andere   Verweisungen. 

3)  Auch  pleonastisch :   die  in  Gott   Befreundeten  (iüJ!    ^5  j.,_fcJL<OU.i!)  erscheinen 

im  Jenseits  iJÜl  -.5  ^.j_j.Jw^OUJi  s.^_yS>  ^Pl>.^  -Iä  »w»^.äXa)  ,*f^^^i  q^j  Corpus 
Juris  di    Zaid  b.  'Ali    ed.  Griffini  296,  7. 

4)  Vgl.  auch:  der  Schimpf  bedeckt  ÄÄii  u^^*"  ^^  Na^ä'id  ed.  Bevan  30  v.  24,  auch 

^^^     "•  y'  ibid.  104  v.  47;   die  Stempel  der  Schmähsprüche     -S^jJiJi  (ein  weiterer  Beleg 

zu  Ahh.  zur  arab.  Philol.  I  93  ff.)  haben  ihre  Spuren  auf    .-.x>.s>-L:S=^vJi    iALs»-  ibid.  30  v.  29. 

5)  Vgl.   Ezech.  9,  4  ninüD  hV'^   ^/''"^-   7.  3- 

^)  Dies  Moment  wird  nicht  betont  in  den  im  Kam  al-'ummäl  VII  Nr.  2023  (Anf.). 
2081.  2090.  2097  mitgeteilten  /^o^ff^versionen ;  in  denselben  lautet  das  dem  Daggäl  »zwischen 
den  Augen«   eingeschriebene  Wort:    JL5 .     Den    durch    Fürsprache    des    Propheten    ins 

Paradies    eingelassenen    Rechtgläubigen    wird    »zwischen   die  Augen«  geschrieben:    s^m^ 

xJiin  s^lSjLc-  (ibid.  Nr.  2376).  Auf  die  Stirnen  (x^:>.  ^5)  der  Engel  sind  Gottesnamen 
eingeschrieben  {Dalä'il  al-chejrät  [Kaligr.  Ausg.  Nürl  'Otmän  Käjis-zäde,  1305]  146). 
Vgl.  Nöldeke-i^estschrift  318. 


Zwischen  den  Augen.  I  yg 

bildeten  Wortes  zu  gleichsam  pathetischer  Wirkung  erhöhen.  Der- 
selbe   Vorgang   kommt   auch   bei   gesprochenen    Worten   vor  ^). 

Noch  ein  Beispiel  aus  dem  Gebiet  der  Heilungswunder  des  Pro- 
pheten. Der  Gefährte  Firäs  b.  *Amr  litt  an  Kopfweh.  Da  ergriff  der 
Prophet  ein  Stück  der  Haut  »zwischen  den  Augen«  des  Leidenden 
und  dehnte  es;  darauf  wuchs  ein  Haar  an  der  durch  den  Propheten 
berührten  Stelle,   und  der  Kopfschmerz  wich  von  Firäs  {Usd  al-gäba 

IV  177,   3)- 

Die    Stirnbedeutung    des    Ausdrucks    i>^Ju^  .-vaj    bekündet   sich 

auch  in  den  Nachrichten  darüber,  daß  Christen  sich  »zwischen  den 
Augen«  bekreuzen  2).  Als  einer  der  gegen  'Omar  Verschworenen  den 
Angriff  des  mit  dem  Schwert  auf  ihn  eindringenden  Rächers  verspürt 

iuJ^  ^^  ,JLo  (Ibn  SaM  V  8,  16;  vgl.  ibid.  III/I  258,  22)3). 
Dem  Gedicht,  in  welchem  sich  Chälid  b.  Jazid  gegen  die  Vorwürfe 
des  Haggäg  über  dessen  Verehelichung  mit  der  Tochter  des  über- 
wundenen *Omajjadengegners  Zubejr  verteidigt  und  seine  Liebe  zu 
ihr  preist,  wurde  eine   Schlußzeile  interpoliert: 

^Bist  du  (Tochter  des  Zubejr)  Muslimin,  so  bekennen  wir  uns  (mit  dir) 
zum  Islam;  wendetest  du  dich  zum  Christentum,  würden  Männer 
»zwischen  ihre  Augen«  Kreuze  zeichnen«  [Ag.  XVI  89,  9  v.  u.). 

Desgleichen    finden   wir  vom    Kuß,    daß   er  sich   »zwischen   den 

Augen«  vollzieht  (^oJ-^  ^-u  (c>JL».ä5  Ps.  Gähiz,  Makäsin  ed.  van  Vloten 
245,    13;     J^oi     ^xj     yjü    Subki,    Tab.  Säf.    II  81   ult.;  vgl.  auch 


')   Subkl,  Tab.  Säf.  II  128,  11  v.  u.  will  der  faklh  Abu   Bekr  al-UdanI  in  einer 
rituellen  Streitfrage  seinen  eigenen  Standpunkt  fest  markieren,  indem  er  mit  Sonderung 


O   J         o      > 


der  Buchstaben  sagt:  J  ^  O  c:^  (wohl   (a,  da,  kaf,  larn),   d.  h.  ^  — *.J. 


2)  Auch  v*-:'^^^'  f^j^  H^3  ^J^  -A^^i  (Legends  of  Eastern  Saints  cd.  Wkn- 

sixcK  I  41  (arab.),  10);  ^^jS^»  JLc  Jj^JUis  ZDMG.  XXXII  375  Anm.  2,  /..  (>,  eben- 
so auch  überaus  häufig  in  den  Christenepisoden  der  'Antarerzählung  (ed.  Kairo,  ma{b. 
Serefijje  1306—1311)  XIV  34,  4  v.u.  XXIX  13,  11;  21,  18;  23,  18;  37,  3  v.  u.;  38,  9  v.  u.; 
48,  19;  59,  4  V.  u.;  62,  i;  XXX  16,  3  v.  u.;  24,  6  v.  u.;  38  paenult.  XXXII  30,  21  (welche 
Stellen  mir  Prof.  B.  Heller  nachweist). 

3)  Unmöglich  ist  die  auch  im  LA.  s.  v.  y_^JLo  II 47,  7  v.  u.  aufgenommene  Erklärung, 
wonach  das  Subjekt  von  y_^Lo,  das  eine  Tötungsart  bedeutet,  der  rächende  Sohn  'Omars 
wäre:       >_^>JLxiJLj     ^^.Kal\    O.Lo      Ji/LS"    »jis.s.      ^ic    'Vj^    l5'* 


igQ  Ign.  Goldziher,  Zwischen  den  Augen. 

AR(W.   IV  93,   14  V.  u.),  d.  h.  auf  der  Stirn  i).     Hierher  gehört  auch 

die  Phrase  ■^\'^  '^j^  ^^  LU' 8jsJl=>  jJ?  »er  ist  (wie)  ein  Häutchen 
zwischen  meinen  Augen  (der  Stirn)  und  meiner  Nase«,  d.  h.  er  ist  mir 
imendhch  heb  und  teuer  (de  Goeje,  ZDMG.  LXI  458  zu   Ibn    Sa'd 

V'145,  19)-  ■■  ■'  ; 

■■  ''  Trotzdem  die  Beziehung  auf  die  Stirn  in  diesem  Fall  kaum  an- 
genommen werden  kann,  sei  zur  einschlägigen  Phraseologie  noch  die 
Redensart  verzeichnet,  mit  der  die  stets  parate  Gelehrsamkeit  charakte- 
risiert wird.' Von  Ahmed  b.  Hanbai  rühmt  sein  Biograph  (bei  Sübki, 
1.  öj  I  200,  13  V.  u.),  daß  »die  Wissenschaft  der  Welt  zwischen  seinen 

Atigen  war«  so   oft   man  ihm  eine  Frage  vorlegte  {^.l^   ^,y[S  ^}^^  \3\ 
.^i    L^vAÜ).    Ähnhch  werden  die  Fähigkeiten  des  angesehenen 


^V^' 


O' 


S,äfi*iten,  des  Kädi  Abu    Bekr   al-Säm.i  aus  Hamät  (400—483),  von 

seinem  Biographen  geschildert:   [^^^..A.Li!]  v^-^i5  ^^\   iüUixXi  HaiLs*  ^J,b 

x.JL.i.  ^^"'l^  (Subki,  1.  c.  III  82,  6).  —  Eine  hgürhche 
Anwendung  des  Ausdrucks  stellt  auch  eine  Redensart  dar,  durch 
welche  die  intensive  innerliche  Vergegenwärtigung  eines  Gegenstandes 
in  der  Weise  bezeichnet  wird,  in  der  der  Süfi  Abu  Hätim  -al-asamm 
\ox^  seiner  G^betandacht  spricht:  .  .  ., .  .  .  .  »sodann  gehe  ich  m  die 
Moschee  und,  vergegenwärtige  mir  die  liarämmoschee  (in  Mekka) 
und  setze  dei^  ma^äm  Ibrahim  zwischen  meine  beiden  Augen- 
brauen«: (^iAjO».i>.^..ji  5J  ,,;wx^  ,0  \.^^9\J>  -Liw3  *Attär,  Tadkirat  al- 
auHjä  ed.  Nicholson  I  249,  l);  in  demselben  Sinne,  wie  die  zu  Anfang 
dieses  Aufsatzes  angeführten  pentateuchischen  Verordnungen  von 
einigen  besonders  von  den  karaitischen  Auslegern  mit  Berufung 
auf.  die  Analogien  in  Prov.  3,   3;  6,  21  bildlich  gedeutet  werden -). 


I)  Z.  B.  Jäküt  ed.  IVIargql.  III/I  39,  3.   4  ;^\  La.v*ä.^*9  ^^J^  ^-4"^r=•  J^t^  O'*" 

ä)  Jehuda  b.  Kurejs  bei  Jeh.    Hadasi  Esköl    ha-köfer    (Koslof    1836)    92  d 

Alphab.   242;   Menachem  b.    S a.r ük,    Machbeyeth  ed.   Filipowski   (London    1854)  99: 

R.  Sam.  b.  Me'ir,  Pentateuch-Kommentar  zu  Exod.  13,  9;  vgl.  die  Polemik  des  Ibn  Ezra 

...  •  t   ...'■'    - 

dagegen  z.  St.  ■  •'   "''  '■'•   '    ' 


Aserbeidschanische  Texte 
zur  nordpersischen  Volkskunde. 

Von 

Hellmut  Ritter. 

Vor  einigen  Jahren  lernte  ich  in  Hamburg  zwei  Aserbeidschaner 
kennen.  Der  eine  war  ehemahger  Redakteur  der  Zeitung  Fer- 
werdin  und  stammte  «aus  Urmia,  der  andere  war  ein  Kaufmann  aus 
Täbris.  Von  dem  ersteren  stammt  die  unten  mitgeteilte  kleine  Gfe- 
schichte  vom  Molla  Jähja  aus  Isfahan,  von  letzterem  das  zweite 
Stück  »Wie  man  in  Persien  heiratet«.  Neben  dem  sprachlich  Inter- 
essanten, das  diese  Dialektproben  bieten,  gewähren  sie  auch  einen 
charakteristischen  Ausschnitt  aus  der  nordpersischen  Volkskunde,  der 
auch  den  Nichtdialektologen  interessieren  wird. 

Zur  ümschritt  sei  vorausgeschickt: 

Bei  dem  Mann  aus  Urmia  war  die  Palatalisierung  der  Laute  k, 
c  und  g,  wie  bei  vielen  Aserbeidschanern,  sehr  weit  fortgeschritten, 
k  klingt  fast  wie  c,  c  fast  wie  deutsches  z,  g  fast  wie  deutsches  z 
stimmhaft  ausgesprochen,  ohne  daß  jedoch  eirie  vollkommene  Deckung 
der  Laute  erreicht  würde.  Eine  genauere  phonetische  Unter- 
suchung vorzunehmen,  ist  es  leider  nun  zu  spät.  Umschrieben  sind 
hier  die  genannten  Laute  mit  Rücksicht  auf  das  vorhandene  Typen^ 
material  mit  k,  c  und  g.  Bei  dem  Täbriser  Gewährsmann  fehlt  die 
starke  Palatalisierung.  Der  ach-Laut  ist  durch  x,  der  ich-Laut  durch 
/  ausgedrückt.  Das  velare  g,  das  sehr  weit  hinten  gesprochen  wird, 
ist  mit  g,  das  palatale  mit  g  bezeichnet.  Das  breite  offene  persische  e 
ist  durch  ä,  das  geschlossene  e  durch  c  wiedergegeben.  Herr  Bagir- 
oghli,  Täbriser  von  Vater-  und  Mutterseite,  hatte  die  Freundlichkeit, 
den  zweiten  Text  genau  mit  mir  durchzugehen.  Ihm  sei  an  dieser 
Stelle  bestens  gedankt.  Der  erste  Text  blieb  so,  wie  er  vor  6  Jahren 
niedergeschrieben  wurde.  Er  ist  nicht  ganz  frei  von  Osmanismen 
und  auch  daher  nicht  so  zuverlässig  wie  der  zweite. 


1  82  H  e  1 1  ni  u  t  R  i  1 1  e  r  , 

I. 

Mollä    Jähjä. 

Bir  necä  il  munnan  gabax  bir  näfär  mollä  isvahäna  wäryd  oldi  wä 
bir  necä  gün  onnan  sora  basladi  xälgä  mouizä  elämaYa.  xäx  munun 
sözlärin  esidmaYa  Box  mäjil  idi,  wä  gün  bägün  munun  gäläli  wä 
soukäti  iräli  gedirdi,  hättä  bir  därägäjä  jetisdi  ki  ona  imäm  kimin 
baxyrdylar.  bir  necä  ai  munnan  sora  oruslux  aji  jetisdi,  wä  bu  mollä 
öz  mouizäsindä  xälgä  xäbär  verdi  ki :  man  orusbäiramyn  güni  sizä 
bir  müzdä  verägaifam,  wä  jazyn  xäbär  verin,  öz  gohumlarijizi^)  wä  dus- 
larijizi  iränyn  här  sährinnän  ca^yryn.  här  käs  bumüz  däni  esidsä,  gä- 
hännämin  oti  ona  häräm  di.  xäx  basladylar  kä^az  jazmaxlyya,  wä 
här  nägädär  gohumlari  wä  duslari  wä  äsnälari  var  ydi,  här  sähärdän 
däävät  elädilär;  xuläsä  orusbairamyna  jaxun  isvahända  bir  milion 
irännylar  häzyr  oldylar.  bairamyn  güni  gördülär  sähärdä  mämbär 
icün  jer  jox  di,  wä  hes  bir  elä  kücä  jox  di  ki  bu  xälgi  tussun.  onun  mäm- 
bärin  götürip  därvazadan  esijä  apardylar  wä  bir  böjüj^  sahränyn  zä- 
misindä  goidylar.  bu  bir  million  irännylar  wä  isvahänyn  öz  ähH  da 
buraja  gälip,  bu  mämbärin  aträfynda  gäm  oldylar;  mollä  mämbärä 
cyxdi  wä  basladi  xutbä  oxumaxly^a. 

bir  necä  dägä  onnan  sora  iki  näfär  gavgäzli  mäglisin  ortasynnan  gal- 
xyp mämbäräsary  gälirdilär.  mollä mämbärüstän säslänip dedi :  gälmejin, 
siz  iki  gardassyz,  birijizin  ady  mähämmäd  wä  o  birinin  ady  ähmäd  di.  olar 
gäväb  verdilär :  sähih  di.  mollä  dedi :  siz  bäkylysyz  wä  sizin  bir  gogä  dä- 
däiz  var  ydi  bäkyda  baggal  tukanynda  äiläsirdi.  bir  gün  oni  bir  näfär 
adam  ■yäfiätän  güllälijip  öldürirdi  wä  siz  necä  väx  di  onun  gätilin  axdary- 
sys.  bäkylylär  gäväb  verip  dedilär:bular  hamysi  düzdi.  mollä  dedi:  sizin 
dädäizi  vuran  man  idim,  wä  indi  sizin  haggijiz  di  gälip  mäni  öldüräsis. 
olar  dedilär  älbätdä  öldüräga-^yx.  kici;(  gardas  iräli  gälip  molläni 
mämbärdän  jerä  saldi.  xälgin  icinä  hämhämä  düsüp,  dedilär:  dädäizin 
gani  här  necä  di  verax,  bu  molläni  öldürmejin.  mollä  dedi:  isijiz  ol- 
masyn,  gojun  mäni  öldürsünnär  tä  allähynäzäbynnangurtulum.  böjü/ 
gardas  dedi:  ägär  bir  million  gyzyl  versäz  öldüraga^yx.  kici/  gardas 
iltimäs  elijip  böjü)(  gardasa  dedi:  goi  säslänip  xälgä  xäbär  verax,  här 
käsin  gibindä  här  nä  var  a-ydan  gärädän  gyzyldan  gümüsdän  gätirip 
bir  jerä  tö/sünnä,  bälkä'dädämizin  gani  düzäldir.  kici)j  gardas  säslänip 
dedi:  gämäät,  här  näjiz  var  gätirin  tä  bälkä  bizim  dädämizin  gani  dü- 
zälip  wä  mänim  böjü/  gardasym  räzi  ola.  gämäät  hügüm  gätirip 
härnä  giblärindä  wä  üstlärindä  var  ydi  müzäigä  elämädilär,  arvatdar 
syrgälaryni   vä    bilärsilärini    gätirip    tö/dülär   tä   bir   därägäjä   kimin 

')   von    ^ii 


Aserbeidschanische  Texte  zur  nordpersischen   V'olkskunde.  183 

ki  hes  bir  gape^läri  da  galmadi.  onnan  sora  kici/  gardas  böjü/  gar- 
dasdan  xäbär  aldi  ki  äjä  räzi  oldun?  böjüx  gardas  gäväb  verdi: 
bäli.  moUä  säsländi  dedi:  gämäät,  man  räzi  olamam,  gärä/  bular 
märii  öldürälär  wä  öz  gysaslaryni  männän  alalar,  jainki  mäni  häläl 
elijälär  tä  giämätin  günündä  allähyn  äzäbynnan  gurtulum.  bu  iki 
gardas  dedilär:  bissäni  gälbedän  häläl  elädix,  bu  gämäätdä  sähyddylar. 
mollä  dedi:  cox  jax^i.  bu  iki  gardas  pullari  wä  gyzyllari  hamsyn  gö- 
türüp  böjüx  torbalara  doldurup  atdara  jü^liijüp  getdiler.  gämäät 
molläja  täklif  elädilär  ki  cyxsyn  mämbärä  wä  o  müzdäni  ki  väädä  . 
clämisdi  bulara  desin.  mollä  gäväb  verdi  ki  indi  cox  hästä  olmusam, 
galsyn  in  sä  alläh  sabah  dijäräm,  indi  gedim  evdä  bir  az  jatyp  rähät 
olum.  mollä  evä  getdi  gämäät  määjüsänä  da^yldylar.  mollä  axsam 
gämäät  nämäzyna  gälmädi.  getdilär  xäbär  aldylar.  känis  dedi:  mol- 
Jäja  sovux'dejip  wä  jatypdi.  xuläsä,  mollä  üs  gün  nämäza  gälmädi. 
xäx  cox  nijarän  galyp  getdilär  molläja  joluxma^a,  nägädär  gabsyn 
caldylar  hes  käs  gälmädi.  gonsudan  pälläkan  gojup  mollänyn  häjätinä 
(lüsdülär  mollänyn  evindä  bir  adam  tapbadylar,  cox  täägüb  elijip  bu 
isdä  mätäl  galdylar.     bäziläri  hejäl  elädilär    ki  mollä  gäib  olup. 

bir  necä  il  onnan  sora  isvahännan  bir  necä  näfär  mäkkejä  gedip 
geidändä  muäligä  icün  öröpaja  gäldilär,  bir  gün  bir  böjüy^  restoranda 
xoräx  jejirdilär.  birdän  gözläri  o  iki  näfär  gavgaslija  sataödi;  gördülär 
baslarynda  sagga  ^)  byglaryn  burup  äiläsiblär.  dürüst  baxyp  gördülär 
molläda  bularyn  janynda  di,  iräli  gälip  xäbär  aldylar  ki  bu  nä  is  di? 
sän  sex  jähjä  wä  bu  iki  näfär  säni  öldürän  gavgazlylar  däjilär?  dedilär: 
bäli,  gäräx  sizin  kimin  äxmäxläri  bu  gürünän  älä  salyp  wä  pullaryni 
clärinnän  alyp  öröpada  tämis  jerlädä  gözäl  arvatdarynan  kef  cäy- 
max  vä  gözäl  musi/lär  esidmax  vä  teatrlara  vä  tamäsaxänalara 
gedmax. 

Mo  IIa    Jäh  ja. 

Vor  etlichen  Jahren  kam  ein  Molla  nach  Isfahan  und  fing  nach 
wenigen  Tagen  an,  dem  Volke  zu  predigen.  Das  Volk  war  sehr  be- 
gierig, seine  Worte  zu  hören,  und  sein  Ruhm  und  Ansehen  wuchs  von 
Tag  zu  Tag  bis  zu  einem  Grade,  daß  sie  ihn  wie  einen  Imam  betrach- 
teten. Als  nach  einigen  Monaten  der  Fastenmonat  kam,  sagte  dieser 
Molla  in  seiner  Predigt  zum  Volke:  Ich  werde  euch  am  Bairamtage  eine 
frohe  Botschaft  bringen,  schreibt  und  ruft  eure  Verwandte  und  Freunde 
aus  allen  Städten  Persiens  herbei.  Jedermann,  der  die  gute  Botschaft 
hört,  dem  ist  das  Höllenfeuer  tabu.  Da  begannen  die  Leute  Briefe 
zuschreiben  und  ludcncin  alle  Verwandten,  Freunde  und  Bekannten,  die 

")  aus  Sapga 


i§4 


Hellmut  Ritter, 


sie  irgend  hatten,  aus  allen  Städten;  kurz,  als  der  Bairam  nahe  war,  kamen 
in  Isfahan  eine  MiUion  Perser  zusammen.  Als  der  Tag  des  Bairam 
kam,  sah  man,  daß  in  der  Stadt  für  die  Kanzel  kein  Platz  war,  und  daß 
keine  Straße  war,  die  diese  Volksmenge  hätte  fassen  können.  Da  nahm 
man  seine  Kanzel,  trug  sie  aus  dem  Stadttor  heraus  und  stellte  sie 
draußen  vor  der  Stadt  auf  einem  großen  freien  Platz  auf.  Die  Million 
Perser  und  die  Einwohner  von  Isfahan  selbst  kamen  hierhin  und  ver- 
sammelten sich  um  qlie  Kanzel  herum,  der  MoUa  aber  stieg  hinauf 
und  begann  zu  predigen. 

Kaum  waren  einige  Minuten  vergangen,  als  sich  aus  der  Mitte 
der  Versammlung  zwei  Kaukasier  erhoben  und  auf  die  Kanzel  zu- 
schritten. Der  Molla  rief  ihnen  von  der  Kanzel  herab  zu:  »Kommt 
nicht  näher,  ihr  seid  zwei  Brüder,  einer  von  euch  heißt  Mehemmed  und 
der  andere  Ahmed«.  Die  beiden  antworteten:  »Das  ist  richtig!«  Der 
Mölla  fuhr  fort:  »Ihr  seid  aus  Baku  und  habt  einen  alten  Vater  gehabt, 
der  in  Baku  einen  Gemüseladen  hielt.  Eines  Tages  hat  ihn  unver- 
sehens ein  Mann  mit  der  Flinte  erschossen,  und  ihr  sucht  nun  seit  langer 
Zeit  nach  dem  Mörder.«  Die  beiden  Leute  aus  Baku  antworte- 
ten: »Das  ist  alles  wahr.«  Da  sprach  der  Molla:  »Ich  war  es,  der  euren 
Vater  getötet  hat,  und  jetzt  ist  es  euer  Recht,  zu  kommen  und  mich  zu 
töten.«  Die  beiden  sprachen:  »Gewiß,  wir  wollen  ihn  töten!« 
Der  jüngere  Bruder  trat  vor  und  riß  den  Molla  von  der  Kanzel  herab. 
Da  entstand  unter  der  \'olksmenge  ein  Gemurmel  und  sie  sprachen:  »Wir 
wollen  für  das  Blut  eures  Vaters  geben,  was  es  auch  sei,  aber  diesen 
Molla  tötet  nicht!«  Der  Molla  sprach:  »Mischt  euch  nicht  hinein, 
laßt  sie  mich  töten,  damit  ich  frei  von  Gottes  Strafe  werde.« 
Der  ältere  Bruder  sprach:  »Wenn  ihr  eine  Million  Goldstücke  gäbet, 
so  werden  wir  ihn  doch  töten.«  Da  wandte  sich  der  jüngere  bittend 
an  seinen  älteren  Bruder  und  sprach:  »Laß,  wir  wollen  dem  Volke 
sagen,  ein  jeder  solle  alles  Geld,  das  er  bei  sich  hat,  weißes,  schwarzes, 
Gold  und  Silber,  herbringen  und  auf  einen  Haufen  schütten,  vielleicht 
wiegt  es  das  Blut  unseres  Vaters  auf.«  Darauf  rief  der  jüngere  Bru- 
der: »Ihr  Leute,  bringt  alles,  was  ihr  habt,  damit  vielleicht  unseres 
Vaters  Blut  aufgewogen  wird  und  mein  Bruder  sich  zufrieden  gibt.« 
Da  stürmten  die  Leute  herbei  und  gaben  ohne  zu  sparen  alles,  was 
sie  in  ihren  Taschen  und  Kleidern  hatten,  die  Frauen  brachten  ihre 
Ohrringe  und  Armbänder  herbei  und  schütteten  sie  hin,  so  daß 
ihnen  auch  keine  Kopeke  mehr  übrig  blieb.  Darauf  fragte  der  jüngere 
Bruder  den  älteren  Bruder:  »Bist  du  nun  zufrieden?«  Der  ältere 
Bruder  sagte:  »Ja.«  Da  rief  der  Molla:  »Ihr  Leute,  ich  aber  kann 
mich  nicht  zufriedengeben.    Diese  Leute  müssen  mich  töten  und  ihre 


Aserbeidschanische  Texte  zur  nordpersischen  Volkskunde.  j§c: 

Blutrache  von  mir  nehmen  oder  aber  mich  lossprechen,  damit  ich  am 
■iTage  der  Auferstehung  Gottes  Strafe  entgehe.«  Da  sprachen ;  die 
beiden  Brüder:  »Wir  sprechen  dich  von  ganzem  Herzen  los,  diese 
Leute  hier  sind  Zeugen«.  Der  Molla  spra'ch:  »Gut.«  Darauf  nahmen 
die  beiden  Brüder  das  ganze  Geld  und  Gold,  füllten  es  in  große  Säcke, 
luden  es  auf  Pferde  und  gingen  fort.  Die  Menge  aberj  forderte  den 
Molla  auf,  doch  wieder  die  Kanzel  zu  besteigen  und  ihnen  die  ver- 
sprochene frohe  Botschaft  zu  verkünden.  Der  Molla  aber  antwortete: 
»Ich  bin  jetzt  sehr  müde,  laßt  es  anstehen,  ich  werde  sie  euch,  so  Gott 
will,  morgen  sagen;  jetzt  will  ich  gehen  und  mich  zu  Hause  ein  wenig 
durch  Schlafen  erholen.«  Darauf  ging  er  nach  Hause,  und  die  Menge  ging 
enttäuscht  auseinander.  Der  Molla  erschien  am  Abend  nicht  zum  ge- 
meinsamen Gebet.  Man  ging  hin,  um  anzufragen.  Das  Mädchen 
sagte:  »Der  Molla  hat  sich  erkältet  und  hat  sich  hingelegt«.  Kurz 
und  gut,  der  Molla  erschien  drei  Tage  lang  nicht  zum  Gebet.  Das  Volk 
wurde  sehr  neugierig,  und  man  ging,  dem  Molla  Krankenbesuch  ab- 
zustatten. Soviel  sie  aber  an  die  Tür  klopften,  niemand  kam.  Da 
stellten  sie  eine  Leiter  vom  Nachbarn  an,  stiegen  in  den  Hof  des 
Molla  herab,  fanden  aber  in  dem  Hause  des  Molla  keinen  Menschen, 
verwunderten  sich  höchlichst  und  zogen  unverrichteter  Sache  ab. 
Einige  glaubten,  daß  der  Molla  (auf  geheimnisvolle  Weise)  ver- 
schwunden sei. 

Einige  Jahre  später  begaben  sich  einige  Leute  aus  Isfahan  nach 
Mekka  und  auf  der  Rückkehr  zu  ärztlicher  Behandlung  nach  Europa 
und  speisten  daselbst  eines  Tages  in  einem  größeren  Restaurant. 
Plötzlich  fielen  ihre  Augen  von  ungefähr  auf  die  beiden  Kaukasier, 
die  sie  mit  Hüten  auf  dem  Kopfe  und  gedrehten  Schnurrbärten  da 
sitzen  sahen.  Als  sie  recht  hinblickten,  sahen  sie  auch  den  Molla  da- 
bei, gingen  hin  und  fragten:  »Was  hat  das  zu  bedeuten.^'  Bist  du  nicht 
Schech  Jähja  und  dies  die  beiden  Kaukasier,  die  dich  töten  wollten."* « 
»Gewiß, «  sagten  sie,  »solche  Toren  wie  euch  muß  man  übers  Ohr 
hauen,  ihnen  das  Geld  aus  der  Tasche  ziehen  und  sich  dann  in  Europa 
an  sauberen  Plätzen  mit  hübschen  Frauen  amüsieren,  schöne  Musik 
hören  und  in  Theater  und  Schauspielhäuser  gehen.« 

H. 

Iranda    evlänmax   räsmi. 

Bir  o-ylan  öz  nänäsinä  dejir:  nänä,  mäni  evländir! 
o^lum,  sänün  näväxdün  di  ki  sän  evlänäsän.-*    säbr  elä  ämün  gyzi 
älijä  böiüsün  oni  sänä  alaga-yam. 


l86  Hell  mut  Ritter, 

nänä,  man  ondört  jasyndejäm,  bäs  nä  växdä  kimin  gözätdijim? 
älijänün  ki  on  jasi  var,  usax  däi,  sänün  meilün  ossa,  vallah  hälä 
bujün  düzäldisän. 

OYlum,  bilisän  ki  ämüwün  döwläti  cox  di,  ona  görä  älijejä  här 
täräfdän  elci  gälir,  müstärisi  cox  di;  ammä  gyzün  özünün  meili  var 
öz  hämsäjalari  hagi  nägäfün  o-^luna  gessün,  ammä  cün  hagi  nägäfün 
o-yli  käsyb  di,  ämün  istämir  gyzyn  ona  versün.  sän  bir  il  säbr  elä  ki 
gyz  on  bir  jasyna  jetssün,  man  ämünnän  danysyram,  älijänün  meili  ol- 
masada  oni  sänä  hö/män  allam. 

nänä,  bäs  indi  ki  belä  di,  bagym  bäjimi  bujün  gärä'/  jollijäsän 
L'lcilyYa,  mänä  bir  gyz  tapa.  man  elijä  bilmäräm  bir  il  hälä  oturam 
gözätdijäm  ki  älijä  böiüsün  man  oni  alam,  vä  hälonki  älijänün  bir 
gözi  ceri  di,  özi  da  cox  cirkin  di,   man  hec  oni  almaram. 

oylum,  sän  annamysan,  ceri  da  ossa  bädtärkib  da  ossa,  o  sänün 
mälun  di;  man  elijä  bilmäräm  goijam  hagi  nägäfün  o-^li  ja  ozgäsi  äli- 
jäni  alyp  ämüwün  mälyna  sähyb  ossun. 

nänä,  sän  här  sürätdä  bagym  bäjimi  bujün  jolla  gessün  bir  necä 
jerä,  bälkä  mänä  bir  gyz  tapa  ki  häm  göcäj'j  ola  hämdä  döwlätdi 
ola,  vallah  mäni  öz  mcilimä  goisala  man  nä  älijäni  allam  nä  da  ämü- 
mün  döwlätin  istäräm. 

o-ylum,  sän  biliräm  mäni  goimasan  öz  bildy^yHi  kimin  elijim.  bujün 
sänün  xätirüwä  bagün  bäjimä  dijäräm  gessün  bir  necä  jerä  clcily^a. 

nänä,  man  oni  muni  bilmäräm,  iki  günä  kimin  mäni  gärä/  ev- 
ländiräsän;    joxsa  bas  alyp  urüsijätä  gedäga^am. 

oyIuiti,  sän  allah,  belä  sözdemäl  man  özümi  öldürräm!  ncgä  »urüsi- 
jätä gcdäga^am«?  man  dejirdim  adamlar  kimin  säbr  elä  bes  gün, 
on  gün,  bir  häftä,  ikä')  häftä.  indi  ki  istämisän  säbr  elijäsän,  man  sa- 
bahynan  bir  gün  icindä  bir  gyz  tapaga^am,  ammä  sora  päsman  os- 
san  mänä  däxli  jox  di. 

ossun,  här  nolagax  ossun,  man  iki  günnän  artyx  säbr  clijämmäräm. 


nänä  cayyryr  öz  gyzi  bäjimi,  häsänün  janynda  ona  dejir:  gärdä§ün 
mäni  tängä  ^ätti^),  ^örüsän  gegä  gündüz  mäni  bir  säat  äram  goimyr. 
bujün  nahärun  je,  get  bir  ik  üs  jerä,  bälkä  bir  jaxci  gyz  gärdäsüwä 
tapasan. 

bäjim:  hahaha!  nänä,  gärdä§im  mänä  nä  alagax  äjä  ona  bir  jaxci 
arvat  tapam?  vallah  äjä  mänä  bir  zäri  cärgät  alsa  elä  güni  bujün  ona 
bir  gyz  taparam  ki  kör  gözä  goisan  acyssun. 

')  Sandhierscheinungen  sind  nicht  besonders  als  solche  kenntlich  gemacht. 
^)  Für  {Tätirdi. 


Aserbeidschanische    Texte  zur  nordpersisolun   \  ulkskiinde.  187 

häsän:  ba^,  sän  mänä  man  istädy-jfym  gyzy  tap,  sänä  zär  cärgiit- 
(\Än  sewai  täza  cxan  madamnan  bir   Öärsablyx  .»Il.uu. 
bäjim:    mäniiii    bu    iki    ij^iizlärini  üstä. 


häsän  gedir  bazara.  nänä  öz  gyzi  bäjimä  dcjir :  gy/.ym,  bu  0](lan 
annaniyr  ki  evlänmax  o  biri  iälär  kimin  adamun ')  üz  meiliinän  olmas. 
c'vlänmaxda  adam  gärä/  hämisä  öz  sälgäsin  goja,  dädä  nänänün  mcili 
kimä  ossa  ona-)  ala.  man  bu  o-^lanun  a^/yn  dada  giitirräm.  bujüu  get 
säräbänynun  gyzi  kccäl  fatmanun  i-lcily^Nua.  n\äii  istiräni  oni  hä- 
sänä  alam. 

bäjim:  nänä,  sän  allali!  goi  gedim  l)ir  jaxci  gößä/  t^y/  tap)  111  gär- 
dä§imä.  niän  istiräm  gcdäni  ha^i  räsul  gilä,  tniun  gyzi  cox  xo- 
suma  gälir. 

gyzym,  özün  bilisän  man  dcjirdim  ki  bu  iiäsänä  bir  giis^m.d  \(.iax, 
da  munnan  sora  evlänmax  xusflsunda  xmlräilyif-)  clämäsiiii.  xttb, 
bu  jolkqa  cibi   jo/  <^b,  gct,  gör  här  kimi  bäjänisän  al  gärdäSüwä. 

bäjim    öärsabUiiiN  j)    t.\(l;in    ryxyr    gcdii     tä    hagi    riisulun     fvinä 
jet§ir;  gajjyni  döiür,   bir  arvad  gälir  gapyna-)  acyr,    säläm  älcikiim! 
älcik  ässäläm!   bujuruii   görax  hardan  gälisüs? 
lu'S  vallah,   gctmisdini   ba/^ara   cox  jorulimisani  hii  as  sii  isiinlim 
icäm. 

ba^y.   sän  allah,   bujur  gäl  iöäri! 

xer,  vallah  gediräm  jubaiiainniaram,  böväxdi,  nänämün  .\^\"('\  gäli. 
sän   allall,   bujur  bujur   hälä   bir  rubux   ('■ä)^  jorgunnu-yu    al! 
bäjim   {^crir   ota^a,    küll'ät    gälir   rübändin   götürsün. 
bäjim:    xer  zähmäl    r,"i)(niijiin,   cox  otura  bilm;iräi)i. 
külliit:  .IX  xanym,  uLurun  bir  gilas  äärbät  iöünl 
jox  vallah,  äärbät  iramniiiräni,  br\;ix  di,  allah  al  uwa  rälnnät  rläsiiu  ! 
baS-sta  xanym! 

kiilf;it  gi-dir  o  biri  ota^a,  hagi  räsuhm  i;y/yiia  ilcin  ;  \aiiyni, 
iiiusdulu^umi   wv,    jaxci  i-löi   gäli)). 

lia{!S;i    riisulun  ^y/i:    käs  säsiin!   man    istannrani   iirä   gi'däm. 
x.mym,   vallah  bularun   växdi  tläi,   «^«max   täläsir  ist  ir  gissün,   sän 
grt;  i)alLalarun  däiS,  ^l\  bu  Särbäti  ajiar! 

ha(^i  räsuhm  j^y/i  grrir  sand>xänc'jä,  t;Uäsi)(  pallalaiyu  daisu 
gälir  bir  gilas  äärbät  {^ötüriir  aparyr  gonaTfa.  {Ijcrir  ota^a  sälam  vcrir 
aparyr  äärbät i  goijyr  gona^fun  gaba^yna. 

bäjim:  bujurun  xanym,  nijä  zähinät  ciäkisüs?  man  licä  räzi  däiräni. 
')  Nacli  dunklen  Vokalen  Genelivcndung  t>alil  ////  K.ild  i//.  Im  I  ixi  ist  ////  durdigelllhit. 
•)  Sielie  S.  0  Anni.  1. 


l88  Hellmut  Ritter, 

xer,  bu  bir  zähmät  däi! 

bujurun  oturun  xanym! 

xer  vallah  ba^yslijün,  isim  var. 

siz  allah!    oturun   bir  säat   danysax! 

bas-stä!  goijun  gedim  bir  cubux  gätirim  sora  gälim. 

hagi  räsulun  gyzi  gedir  cubux  gätirsün,  bäjim  hagi  räsulun  ar- 
vadyna  dejir:  xanym  mäsallah,  nä  jaxci  ädäbli  gyzuz  var,  nä  göcä/ 
di!     allah  jaman  gözdän  hifs  eläsün! 

xanym,  mänimki  da  elä  bu  gyz  di. 

hagi  räsulun  gyzi  cubux  älindä  väryd  olur. 

bäjim:  xanym  siz  allah!  nijä  bu^ädir  zähmät  cäkisüs?  siz  mäni 
xigälät  elädüs! 

hagi  räsulun  gyzi:  xanym,  bular  nä  färmäis  di?  bir  cubuYun  bu- 
jädir  täfsih  jox  di.    ba^yslijün,  man  gediräm  mitba^a,  isim  var. 

hagi  räsul  gyzi  cyxyr  otaxdan,  durur  pärdä  dalysynda  gula7  asyr 
görsün  munun  xusüsunda  nä  danysagaxla. 

bäjim  hagi  räsulun  arvadyna:  xanym,  bir  belä  gözäl  göcä/ 
gäbil  xänädar  gyzi  nijä  bäs  indijä  kimin  ärä  vermämisüs.'' 

xanym,  özün  görüsän  äli  isläj(h  di.  man  onsuz  dirilyx  elijäm- 
märäm,  tamam  bu  evün  islärin  tä/  ganyna  o  görär,  äjä  bir  gün  o 
evdä  olmasa,  tamam  islär  tökili  galy.  joxsa  mänim  munnan  artyx 
arzum  jox  di,  hag-a^a  da  cox  arzu  elär  ki  bir  särbätün  tojun  göräidi, 
här  täräfdän  da  istijäni  var  di,  ammä  hälä  ki  belä  galyp. 

bäjim  hagi  räsulun  arvadyna:  xanym,  man  istiräm  sizün  gyzi 
gärdäsimä  alam. 

hagi  räsulun  arvadi  bäjimä  dejir:  xanym,  hälä  cox  tez  di,  hag- 
a-fa  istir  gessün  käbläjä,  geidmijingä  hälä  bu  xsüsdä  danysmax  olmas. 

xanym,  vallah  bujün  man  gedägaYam  sal  üzü^  jollijim. 

vallah  mänä  däxli  jox  di,   hag-aYa  bilär. 

dahy  man  bilmiräm,  gedip  belä  ki  dedim  sal  üzü/  joUijagaYam. 
mänim  gözüm  särbät  xanymi  tutup,  oni  gärä/  man  gärdäsimä  alam. 
hälä  xudäfis! 

xanym,  vallah  cox  tez  di,  nijä  belä  täläsisüs.?  bir  istikan  da  cai  icün, 
bir  cubux  cäkünl 

xer  xanym,  gün  günarta  di,  gäräj^  gedäm  xanymym  nijäran  galy. 

xob  xanym,  man  cox  isrär  elämäräm,  indi  ki  meilüz  var  täsrif 
aparun,  ammä  xähis  eliräm  bizi  jaddan  cxatmijün,  man  da  cox  istä- 
räm  ki  sizä  gäläm. 

xerxanym,  bu  ävväl  dähwä  ^)  idi,  fürsätimdäjox  di,  joxsa  cox oturup 
danysaga^ydym.    siz  mänä  cox  xos  gälisüz,  dahi  istiräm  gedäm. 

')  Aus  däf'ä 


Ascrbeidschanische  Texte  zur  nordpcrsischen  Volkskunde.  i8q 

ij,.-;  /hagi  räsulun  arvadi  öz  gyzi  särbäti  ugadan  ca^yryr:  särbät, 
g?,,  xanyma  Tübät  gäti,  pärdä  tut! 

,  särbät  ki  indijä  kimin  gapi  dalysynda  durup  bu  söhbätlärä  gula^ 
asyrdi  nänäsi  ca-^yranda  javagga  getdi  o  biri  ota-^a,  ordan  dübärä 
jejin  gäldi  ota^a:  xanym,  nä  büjurusus? 

särbät,  rübät  gäti,  xanym  istir  gessün. 

särbät  gona7a  dejir:  xanym  nijä  belä  tez  gedisüs?  bir  säat  oturun 
danysun! 

ba^yslijün,  xanyma  ärz  elädim,  elijä  bilmäräm  artyx  oturam,  in- 
sa,Uah  bu  säfär  gäländä  sänä  üzü^^  gätiräga-yam,  onda  cox  oturram. 
.^^  ;  särbät  bu  sözi  esidändä  rübändi  ki  gätirmisdi  gona-j-a  versün, 
atdi  bäjimä  täräf,  gasdi  getdi  o  biri  otaxda  gizländi.  hagi  räsul  ar- 
ya^i  bäjimä  dejir;  xanym  siz  allah!  usa^yun  üzün  asmijün!  görüsüz 
negä  otanyr  gacyr  gizlänir. 

,, .  xanym,  munnan  sora  o  arvad  olagax,  bir  necä  günnän  sora  to- 
jun.  da  elärux,   da  nä  vaxda  kimin  evdä  galagax?     hälä  xudäfis! 

xanym  säbr  elä,  sän  allah,  g"oi  gässün  pärdä  tussun. 

hagi  räsul  arvadi  särbäti  ugadan  ca-j'yryr:   särbät!    särbät!    sär- 
b,ät  gävab   vermir. 

gyz!    sännänäm,  tez  ol  gäl  pärdä  tut! 

särbät  gälir  pärdä  tutur.    bäjim  gapydan  cxanda  särbätün  üzün- 
nän  öpür. 

hälä  xudäfis  xanym! 

xudäfiz  gälinim! 
.     .  särbät  ginä  goijyr  gacyr,  bäjim  gedir,    hagi  räsulun  arvadi  evdäki 
a"(bircäjif)    ca:yyryr:  ^äräbäni,   särbätä  gijiß    elci    gälmi§di,    äylün   nä 
käsir,  bular  negä  adam  dyla? 

xanym,  vallah  gärä}(  cox  jaxci  adam  olala. 
,,    säräbäni,    istiräm   hag-a-^a    evä  gäländä  särbätün  xsüsunda    da- 
nysam,  o^lanun  bagysynnan  cox  xosum  gäldi.   vallah  man  hag-aYanun 
je;rinä  ossam,  dahy  bu  säfär  bu  isi  gurtarram.    gy?  da  böiüjüp  on.iki 
ja^y  var,    munnan  artyx  dahy  nä  gözätdamax? 

säräbäni :  älbätdä  xanym. 

säiäb^ni  gedir  öz  isinä.    hagi  räsului^  ^rvady  da  gedir  öz  ota^yna. 


bäjim  gedir  jetsir  evä,  gapyni  döiür,  nänäsi  gälir  gapyna  acyr. 
bäjimün  nänäsi  dejir:  gä  görax  gyzym,    o-clan .  gälmisän  ja  gys.'*    ' 

nänä,  musdulu'i'umi  vcr,  gärdäsimä  bir  jaxci  gyz  tapbysam. 

nänä  dejir:  gyzym,  indi  ki  bäjänisän,  bas-stä,  bu  häftänün  icindä 
bu  isi  tamäm  eläräm.    ammä  gärä)(  sal  üzüx  xusüsunda  bir  jaxci  fikf 

')  aq  pircäy  =  Weißlocke,  alte  Magd. 


jQQ  HellmutRitter. 

elijax.  mänim  bir  sälym  var,  ki  dädün  mänä  toi  elijändä  joUamysdi, 
hälä  Olli  jollijax  hagi  räsulun  gyzyna.  ammä  üzü/  isi  bir  az  cätin  di. 
bilmiräm  oni  negä  elijäga^ux.  mänim  özümün  bir  älmas  üzüjüm  var, 
amrnä  cox  kci^  di,  cätin  ona  räzy  olala. 

•  nänä,    hälä    gärä^  man   gedip   bir  dähvä   danysagayam   bularun 
hammysynun  gäräryn  onda  gojarux. 


gegä  hagi  räsul  gälir  evä:    xanym,  nä  var  nä  jox? 

hag-a^a,  bir  zad  jox  di. 

aybircä^  gähväxanadan  pärdäni  göuzur:  hag-a^a,  sännän  gizlä- 
dir,  bujünnäri  särbät  xanyma  elci  gälmisdi,  bir  jaxci  nägib  hör- 
mät  di.    särbät  xanymi  istir  öz  gärdäsinä  alsun. 

hagi  räsulun  arvadi  a-fbircäjä  dejir:  f-zullux  elämä,  käs  säsün! 
sän  burda  xäbärci  garga  olmusan? 

bäli  xanym,  nijä  gizlädisän?  vallah  gäräx  särbät  xanymi  ärä  verax. 

hagi  räsul:  xob,  hälä  daava  märäkä  läzim  däi,  bir  äram  tutup 
mänä  täfsilin  nä^l  elijün  görüm. 

hagi  räsulun  arvadi  ävvälinnän  äxirä  kimin  här  nä  olmusdi  nä^yl 
elädi,  onnan  sora  dedi:  dahy  hag-a^a,  munnan  artyx  man  elijä  bil- 
märäm    gyzi    evdä   saxlijäm,    böiüjüp   jekkä   dävä   olup. 

hagi  räsul:    äxi  hardan  istillä?    görax  nägür  adam  dyla. 

cox  jaxci  adam  dyla.  elä  bagysi  bäjim  xanymun  oturup  dur- 
ma^ynnan  määlum  di.  man  bilmäräm,  bu  bir  iki  gün  icindä  gyzä  nä  ki 
läzim  di  gärä^  alasan  ki  onun  gähäzyn  düzäldim. 

hagi  räsul:  bu  cätin  is  oldi,  mänim  bu  günnärdä  hes  pulum  jox  di, 
onnan  sora  sän  gärä^  danysasan  görax  necä  dana  üzü^  gätiragaxla, 
necä   tägä  sal,    älbätdä   gümüs  aina  guranda  ki  määlum  di,  o  da  öz 

jerindä. 

hagi  räsul  arvadi  dejir:  sabah  oli  ki  o-^lanun  bagysi  gässün  bu- 
larun hammysyn  danysaga^am,  ammä  sän,  belä  ki  dedim,  här  jan- 
nan  di  gärä/  iki    günün    icindä  Särbätün  gähäzyna  pul  sazlijäsän  i). 

vallah,  määttäl  galmySam,  he§  bilmiräm  hardan  düzäldäga- 
-^am.    hälä  sän  sabahlari  sal  üzüjün  gäräryni  goi  tä  görax  negä  olur. 

jaxci  di,  man  ävväl  iki  dana  üzüj  istijägayam,  biri  cox  jaxßi 
älmas,  o  birisi  da  jägutdan  zümürrüddän  här  birisi  olur  ossun,  ü& 
tägä  da  sal  dijäga-^am,  biri  äsli  kismiri,  ikisidä  kirman  säly;  görax 
bularun  altyna  girägaxla  ja  jox. 

älbätdä  gäräx  ^Y^  ^^^^  älmas  üzüji  da  gätirsün,  kismiri  sal  da 
gätirsün.  man  da  guvväm  gädäri  särbätün  gähäzyni  belä  elämijagaifam 
ki  az  ossun,   bizim  ücün  äsbäbe  xigälät  färähäm  gässün.     ammä  hes 

')   ^'gl-  persisch  cäre  säz. 


Aserbeidschanische  Texte  zur  nordpersischen  Volkskunde.  loj 

bilmiräm  mäsälän  gähaz  nä-j'ädär  pul  tutagax.  man  dejiräm  otuz 
gyrx  tümän  bäs  di. 

kisi  nä  danysysan?  otuz  gyrx  tümän  hes  gähäzun  bir  sülsini 
görmäs.  belä  ossa,  man  bu  isün  öhdäsinnän  gälämmäräm.  man  elijä 
bilmäräm  gedäm  xälgün  basyn  gyrxam. 

ki  nä  var?  särbätä  gähaz  läzim  di,  man  ik  il  di  istäräm  käbläjä 
gedäm  düzäldämmiräm! 

häsän  gäldi  evä.  bagysi  bäjim  häsänä  dejir:  dadas,  mänim  mu§- 
dulu^umi  gärä;(  veräsän,  bir  näfär  cox  jaxci  gyz  sänä  tapbysam.  bax 
lap  özün  bäjänän  di:  gaslari  gözläri  gärä,  a-^zi  psteji,  burni  kici^, 
üzi  girdä,  äl-äja-^y  lap  kici/,  saslari  jerdän  sürünür.  dahy  nä  basüwa 
ayrydym?  bir  gyz  di  ki  bu  sähärdä  tajy  ^)  jox  di.  ammä  biliräm  ki 
xärgün  cox  olagax. 

häsän:  bagy,  göcäj  ossun,  näyädär  xärg  olagax  eibi  jox  di.  sän 
mänim  väkilim  sän. 

bäjim:  dadas,  man  ävvälinnän  dejiräm,  bax,  lap  lap  äsgiji:  birdana 
jaxci  äimas  üzü)(,  älli  tümän  gimäti,  bir  tägä  kismiri  sal,  o  da  hec 
olmasa  jetmis  tümän  gimäti,  bir  gümüs  aina,  sdört  dästä  gumas 
paltar,  iki  das  cit  paltar,  bir  gut  basmax,  bir  kisä  hännä,  bir  pätyl 
nabat,  onnan  sora  airy  xyrymxyrda  da  määlum  di.  hälä  dadas„  bular 
mänim  xijälym  di,  bilmiräm  dar  nä  zyma  calagaxla. 

häsän:  bagy,  belä  ki  sän  dejisän  mänim  elä  evimi  istisüz  jyxasus. 
negä  ki  älly  tümännyx  älmas  üzü/,  kismiri  sal.''  dar  nijä  läzim  di.'' 
gänd,  nabat,  bir  iki  das  paltar,  aina,  guran,  bular  düz  di,  ammä  munnan 
artyyynun  man  öhdäsinnän  gälämmäräm. 

bäjim:  dadas,  baly^  istijän  götün  sowux  sua  gojar.  istisän  bir 
jaxci  jerdän  arvad  alasan,  lap  äsgiji  bu  di  ki  dedim.  gäräj^  bir  iki 
üz  tümänä  kimin  xäs^)  gojasan.    istämisän,  nänünnän  da  xäbär  al. 

häsän:  dahy  man  här  nä  basara  bilsäm  elijaga^am,  ammä  sän  da 
gärä)(  belä  clämijäsän  ki  man  öhdäsinnän  cxammijam. 

bu  växki  väx  bäjimüti  nänäsi  gälir,  gälip  häsänä  dejir:  o^lum, 
musdulu^umi  ver,  bagün  sänä  jaxci  bir  gyz  tapyp,  ammä  bu  särtinän 
ki  ona  vädälädu^un  cärsabynan  cärgäti  alasan. 

nänä,  jaxci  mänä  gün  a-^lysus  3) !  belä  ki  bagym  dejir,  bir  zyma 
xä§  gabaxda  var. 

OYlum,  älbätdä,  toi  elijän  gärä/  xäs  goja. 

')  tai  ist  das  eine   von  einem  Paar,   vgl.  osm.  tek. 
')  =  xärg:. 

3)  Der  Sinn  dieser  Redensart  ist  der  in  der  Übersetzung  angegebene.  Eine  Er- 
klärung konnte  mir  auch  Herr  Bägiroghli  nicht  geben. 


192 


H  e  1 1  m  u  t  Ritter, 


hälä,  nänä,  bular  gecär,  dejiräm,  nävax  bu  isi  gurtaragaxsus?  .: 

OYlum,  bu  belä  bir  is  däi  ki  bir  gündä  basa  gässün.  adambir  belä 
alt  ailyx  olmas.    goi,  biz  bir,  säbrinän  höwsäläinän  bu  isi  basa  gätirax. 

nänä,  belä  ki  siz  tutmusuz  man  gärä/  bir  ik  ai  dahy  gözätdijäm-. 

jox,  o-j-lum,  ik  ai  läzim  däi;  sän  sabah  get,  bagün  dijännäri  al 
gäti  evä.  dahy  sänün  isün  jox  di,  biz  özürnüz  näyädir  ki  mümkün  di 
tez  basa  gätiraga-^ux. 

bas-stä,  nänä. 


sabah  häsän  gedir  bazara,  här  nä  ki  läzim  di,  alyp  gätirir  ba- 
gysyna,  bäjim  olara  aparyp  gojur  sandyifa,  sora  cärsab-corablanyr, 
gedir  ginä  hagi  räsul  gilä,  ginä  gapyni  döiür.  bu  jol  hagi  räsulun 
arvady  gapyna  acyr,  bäjimi  cox  i/tirämynan  gecirdillä  gonav  ota^yna. 
bäjim  dejir:  xanym,  dedy^ym  düz  oldi,  gälmisäm  särbät  xanymun 
sual  gäväbyna.     bujün  gäräj^  bu  isi  man  gurtaram. 

xanym,  belä  ägäleinän  is  olmas.  gojun  bir  görax  hag-aya  nä 
dejir.     biz  hes  häzyr  däirux.  .  ^ 

xanym,  negä  ki  häzyr  däirux.''  munun  bir  täfsili  jox  di.  man  indi 
gälinimi  nisannaram,  sora  siz  da  bir  iki  günä  här  nä  ki  läzim  di 
düzäldisüs. 

xanym,  bular  nä  färmäis  di.?  särbätün  hes  gähäzy  jox  di,  gärä^ 
man  ägällän  bir  ikä  häftä  mäsgul  olam  ona  gähas  tutmaya. 

harda  di  särbät  xanym.?  bujurun  gässün,  man  istiräm  onun  bar- 
niaYyna  üzüj^  taxam. 

hagi  räsul  arvadi  särbäti  ca^yryr.  särbät  gälir  icäri:  gyzyrn  gäl  oti! 

särbät  istir  nänäsinün  janynda  otusun. 
■    bäjim  dejir:  xanym,  bujurun  jaxyna! 

särbät:  jaxci  di  xanym! 

xer,  siz  allah,  bir  az  gälün  gabaifa. 

särbät  gaba,Ya  gäländä  bäjim  gärdäsi  aldyify  älmas  üzijji  taxyr 
särbätün  barmayyna.  onnan  sora  dejir:  xanym,  zähmät  cä)(^  niänä 
bir  eubux  da  gäti  müräxxäs  olum.  • 

särbät  otaxdan  cyxyr, 

bäjim  hagi  räsul  arvadyna:  xanym,  indi  bu  jol  xähi§  eliräm, 
siz  da  dijün  görax  necä  das  paltar  gärä)(  gätirax. 

hagi  räsul  arvadi:  xanym,  bizdä,  vallah,  hämisä  räsme  di:  alty 
das  gumas  paltar,  dort  das  cit,  üs  dana  üzü^,  iki  tägä  kismiri  sal,  bir 
tägä  kirman  sali,  üc  üs  tümändä  käbin. 

xanym,  bugür  ki  siz  dejisüs  cätin  bu  soyda  basa  gälä,  cün  bizim 
taifada  iki  üz  tümännän  artyx  indijä  kimin  käbin  käsilmijip.  bil- 
miräm  nänäm  muna  räzy  olagax  ja  jox. 


Aserbeidschanische  Texte  zur  nordpersischen  Volkskunde.  ig^ 

xanym,  man  jalan  dcmäräm,  man  da  räzy  ossam,  hag-aya  goi- 
mas  ki  üc  üs  tümännän  äsgi/  käbin  käsilä.  güni  bujünä  kimin  bizim 
taifada  hec  üc  üs  tümännän  äsgij^  käbin  käsilmijip.  hag-a^anun  gärdäsi 
gyzi  bülgeis  xanymun  üc  üs  tümän  käbini  di.  mänim  dajym  gyzi 
ümme  külsüm  xanymun  da  käbini  ücüs  tümän  di.  dahy  nä  ba§uza  a-yry- 
dym,  bu  matläb  cäräsyz  di.  bu  bizä  bir  böjü^^  eibe  di  ki  särbätün  käbini 
öz  taituslarynnan  ^)  äsgij  ola.  paltar  xsüsunda  demiräm,  oli  ki  bir 
das  iki  das  artyx  äsgij  ossa,  eibi  olmija,  ammä  lap  xätirgämäm  ki 
käbin  üc  üs  tümännän  bir  dinar  äsa'Ya  ola  bilmäs. 

bäjim:  xanym,  bularun  hammysyni  gedip  xanymynan  danysa- 
ga^am,  gäväbyn  da  gätirräm  sizä,  ammä  biliräm  ki  üc  üs  tümän  kä- 
binä  gärdäsim  da  räzy  ossa  xänym  cätin  räzy  ola.  vallah,  männän 
e§idsüz  elä  muni  iki  üs  tümännyxda  basa  gätirrux.  vallah,  bizim  tai- 
fada indijä  kimin  iki  üs  tümännän  artyx  käbin  käsilmijip.  .xanymun 
da  käbini  elä  iki  üs  tümän  di. 

bäjim  xanym,  sän  da  elä  mänim  bir  gyzym  sän,  düzü  bu  di  ki  mänim 
özümün  da  cox  isrärym  jox  di  käbinün  üc  üs  tümän  olmayyna.  man 
da  istiräm  tezlyyynan  bu  is  düzässün,  ammä  neg-elijim.?  hag-a^adan 
gorxyram,  biliräm  ki  o  hes  väx  räzy  olmas  särbätün  käbini  üc'üs  tü- 
männän äsaya  ola. 

xanym,  bular  hammysi  bayly  di  sänün  meilüwä. 

bas  üstä,  bäjim  xanym,  hag-a^a  evä  gäländä  basardy^ymgan 
älläsagaYam  ki  hag-ayany  räzi  elijim. 

xanym,  dahy  man  müräxxäs  oluram,  da  airi  färmäisüz  nä 
mänä  di-f* 

xanym,  dahy  bir  ärzim  jox  di.  ümid  gärä)(  alläha  baylamax. 
äjä  gismät  ossa,  allah  annylaryni  jazmys  ossa,  bir  birinä  jetisägaxla. 

bäjim  durur,  otaxdan  cyxanda  dejir:  xanym,  da  man  müräx- 
xäs oluram,  xätirgämäm  ki  insallah  bu  säfär  gäländä  tämam  islär 
gurtulmus  olagax,  hälä  xudäfis! 

hagi  räsul  arvadi:  xänym,  hes  sirnixurannyx  xsüsunda  danys- 
madux. 

xanym,  da  o  määlum  di,  insallah  bir  iki  s  günä  sirni  xurannyyy 
da  eläsüs,  hälä  xudäfis! 

bäjim  otaxdan  cyxyr,  gähwäxanadan  täzadan  ota^a  täräf  geidip 
hagi  räsulun  arvadyna  dejir:  xanym,  ba^yslijün,  aina  guran  nävax 
jollijax.'* 

gyzym,  hälä  goi  bu  sual  gävablar  bir  gurtussun!  aina  guran  jolla- 
max  cätin  däi. 

xanym,   hälä  xudäfis! 

»)  taitus  der  Altersgenosse. 
Islam  XI,  •  M 


jgi  He  Hmut  Ritter  , 

bäjim  gähväxanaclan  cyxyr,  häjäta  je.tisändä  hagi  räsulun  ar- 
vädi:  xanym,  javas  gedün,  däskäslärüzi  jäduzdan  cyxatmysus.  hagi 
räsul  arvadi  däskäslär  älindä  gälir  bäjimä  täräf:    xanym,  bujurunl 

iltifätuz  artyx  ossun!  ba^yslijün,  garib,  jädyma  düsdi  hes  käbin 
käsmax  xsüsunda  danysmadux.  bizim  täräfimizdän  hagi  molla  häsän 
all  a-j-a  olagax,  sizün  täräfüzdän  kirn  olagax? 

xanym,  bilmiräm  oni  da  gärä/  hag-a-.'a  määjjän  elijä.  hälä  görax 
nägür  olur. 

xudäfis  xanym! 

xudäfis  xanym,  mänim dilimdän  cox  cox  sälam  xanymuza  ärz  eHjün! 

bas-stä,  iltifätuz  artyx  ossun! 

bäjim  gälir  jetsir  gapa  a^zyna.  ordan  hagi  räsulun  arvadyna 
dejir:  xanym,  siz  hes  demädüz  ki  nävax  bizä  gälägaxsus.  xanymym 
cox  istir  ki  sizinän  bir  görüssün. 

hagi  räsul  arvadi  bäjimä  täräf  gälä  gälä  dejir:  xanym,  vallah  man 
özümdä  cox  istirdim  ki  xanymunynan  görüsax,  ammä  görüsüs  ki  bu 
is  düsüp  gaba^a,  man  gärä/  särbätün  gähäziinän  mäsgul  olam.  mun- 
nan  sora  allah  goisa  cox  växlär  olagax. 

da  man  bilmiräm  xanym,  siz  allah,  härvax  basarsus  sizdä  bizä 
bir  täsrif  gätirün.    xudäfis  xanym! 

bäjim  gedir  evä,   hagi  räsulun  arvadi  da  geitir  ota^a. 


särbät  gälir  nänäsinün  janyna.  hagi  räsulun  arvadi  särbätä  dejir: 
gyzym,  sänün  isün  da  az  galdi  gurtula. 

xanym,  mänim  nä  isim? 

gyzym,  bäjim  xanymynan  bujün  här  xsüsda  danysdux  ki  üs  gündä 
gärä}^  islärün  hammysi  gurtula.  olardan  sal,  üzüy,  bes  alty  das  paltar, 
belä  ki  demisäm,  gärä/  gälä. 

xanym,  älbätdä  siz  jaxcysin  bilisüs,  ammä  mänim  hes  zädym 
häzyr  däi. 

gyzym,  bularun  täfsili  jox  di,  üs  gün  icindä  bularun  hammysyni 
xälun  säräfinän  gurtarram. 

xanym,  sähib  ixtiärsus. 

särbät  cyxyr  gähväxanejä,  a7bircä)rlärdän  xäbär  alyr:  rü^ija, 
hes  bilmiräm  nysannymun  adi  nä  di,  özü  nä  gür  di. 

xanym,  älbätdä  bular  nänün  hammysyn  sorusup  bilir.  mäslähät 
olmasa  säni  hes  vermäzlä. 


bäjim  gäldi  evä,  nänäsi  häsän  evdä  oni  gözätdirdi.  otaya  girän 
kimin  nänäsi  dejir:  gäl  görax  gyzym,  insallah  gurtarmysan,  gäl  oti 
nä^l  elä  görax! 


Aserbeidsclianisclie  Texte  zur  nordpersischen  Volkskunde.  ige 

bäjim  cärsab  corabyn  acyr  gälir,  nänäsinün  janynda  oturup  dejir: 
nänä,  härzadda  jola  gedärux.  hagi  räsul  arvadi  cox  jaxci  nägib  adam  nä- 
zärimä  gälir;  juxarydan  äsaYJja  gälännärdän  di.  hagi  räsul  dort  bes 
il  munnan,  iräli  cox  bir  döwlätdi  tägir  idi,  bir  hamamy  var  idi,  bes 
alty  evi  var  idi,  jaxci  mötäbär  tigäreti  var  idi,  kirman  alis  veri&i  Var 
idi.  ammä  bir  necä  ildän  bu  Jana  biöäränün  isi  bir  az  äsgi/läsip.  här 
sürätdä  belä  ki  man  görüräm  üc  üs  tümännän  äsgij^  käbinä  räzy  ol- 
mijagaxla.  mänim  näzärimdä  käbin  üstündä  cox  dajanmaYa  galmäs. 
biz  ki  indi  üc  üs  tümän  sajyp  vermijagaYux.  müntahä  bu  di:  käbin 
kä^azynda  bir  kälmä  söz  di  jazylagax:  häsän  ki  ony  alan  kimin  bo- 
samijagax  da  bu  sürätdä  nijä  biz  cox  dajanax? 

bäjim  nänäsi  kökälip  gyzyna  agyxly  agyxli  dejir:  gyz,  sän  nä 
annamaz  adamsanl  no  oli  häsän  oni  bosamijändä.^  här  sürätdä  üö  üs 
tümän  borgi  olar;  man  istämiräm  ki  oflum  bu  jükün  altyna  gersün. 
dünjänun  güiru-yi  uzun  di,  bälkä  häsän  bir  gün  xosuna  gälmädi  istädi 
gyzi  bosasyn,  ja  hagi  räsulun  gy^i  nänägib  cyxdi,  o^lum  läbidd  gäldi 
bosasun.     o  växläri  hardan  üc  üs  tümän  tapagax.? 

nänä,  belä  ki  sän  dejisän  bu  islär  hes  väcinän  düzälmäs.  belä 
ki  man  gümän  eliräm  nä  gyz  nänägib  di  nä  da  häsän  oni  bosar. 

häsän:  nänä,  bagym  düz  dejir,  bu  gür  zaddary  cox  gurtdalama^a 
gälmäs.     is  gälip  bura  jetsip  elä  üc  üs  tümännyx  da  eibi  jox. 

nänä:  oylum,  ixtiär  sännän  di,  ammä  bax,  man  dejiräm,  söfa 
päsman  ossan,  soraki  päsimannyx  da  bära  bitirmäs. 

ossun,  nänä,  päsman  ossam  öz  boinuma. 

cox  jaxci  oylum,  indi  ki  belä  di,  bagün  dijännäri  bujün  get  al 
gäti  tä  biz  da  sabah  aina  guran  jollijax. 

bas-stä  nänä. 


häsän  gcdir  här  nä  ki  bagysi  demisdi,  bazardan  alyr  gätirir  evä. 
bäjim  sabahynan  gedir  hagi  räsul  gilä,  här  nä  ki  gärdäsi  almysdi 
hammysyn  hagi  räsul  arvadyna  näyl  elir.  onnan  sora  dejir  ki :  xanym, 
da  munnan  artyx  jubandyrmaya  gälmäs.  man  gediräm  sabahlari 
aina  guran  jollijam,  siz  da  bu  bir  iki  gündä  sirnixuranny^i  elijün  ki 
onnan  sora  tezlyyynan  käbin  käsissün. 

xanym,  belä  ägäleinän  olmas.  biz  hälä  häzyr  däirux.  eibi  jox 
di,  aina  guran  jollijün  biz  da  sirnixuranny^i  elärux,  käbin  da  käsili, 
ammä  gabaxgan  dejiräm  hälä  bu  tezlyxdä  tojulmas.  äxi  özüz  bilisüz 
man  da  gärä/  gyzun  xyrymxyrdasyn  jer  be  jer  elijäm. 

älbätdä  xanym,  düz  bujurusus  ammä  bular  o  Yädir  tul  cäj(mäs. 
müntahä  bir  häftädä  bular  hammysi  basa  gäli. 

här  sürätdä  xanym,  basardy^ymgan  älläsaga^am  tez  gurtaram. 

13* 


Iq5  HellmutRitter, 

xanym,  sirnixuranny^i  hansi  günä  gärar  gojusus? 

vallah,  oni  da  gümä  güni,  ajun  dördindä.  bir  necä  näfär  cayyrux, 
ammä  mänim  xijälym  cox  tüle  täfsil  vermax  däi. 

älbätdä  xanym,  nijä  läzim  di  xälgi  tökäsüz  bura?  elä  on  ombes 
näfär  cayyrsuz  bäs  di. 

bäli  xanym,  gärar  muna  oldi  ajun  dördindä  sirnixurannyx  di. 

xanym,  käbin  käsmäni .  nävax  istisüz  ossun.'' 

käbin  käsmänün  isi  bir  az  cätin  di.  hag-a^einän  gärä/  danysax. 
täyvirnä  baxmax  gärä/,  säat  määjjän  elämax.  bu  häftä  ki  taht  ässuä'') 
di,  hec  olmas.  o  biri  häftä  da  düsür  säfär  ajynun  äxyryna.  vallah  hes 
bilmiräm  nävax  bu  isi  basa  gärä/  gätirax. 

xanym,  man  dahy  müräxxäs  oluram,  här  nä  elisüs  tez  elijün. 
man  özüm  da  räzy  olmaram  ki  käbin  käsmä  xos  säatda  olmasun, 
ammä  bilmisüs  xanym,  gärdäsim  mäni  nä  täläsdirir.  bälkä  hagi  mirzä 
gälil  aya  istixäre  elijä.  allah  jol  versa  daha  säfär  ajynun  äxyryna  bax- 
maifa  gälmäs.  • 

bas-stä  xanym,  gegä  hag-a^einän  da  dänysaram,  gäväbyni  sizä 
jollaram. 

xeili  xob, .  iltifätuz  artyx  ossun!  man  müräxxäs  oluram,  ammä 
xähis  eliräm  hag-ayanun  da  boinuna  goijun  ki  käbin  käsmäni  jubat- 
masun,  cün  ki  gärdäsim  häsän  da  toi  elijännän  sora  istir  bir  märä- 
7ejä  gessün. 

bas-stä  xanym,   mänim  müzäigäm  jox  di. 

xudäfis  xanym! 
,     iltifätuz  artyx,   cox  xos  gäldüs! 

bäjim  gedir  evlärinä,  ammä  kücädän  ginä  geidir  hagi  räsul  gilä: 
xanym  ba^yslijün,  jädymdan  cyxdi,  sizä  ärz  elijäm:  sabahlari  man 
gedaga-j-am  hamama.  xähis  eliräm,  hag-a^einän  här  nä  danysmys 
ossuz   dijün  külfät   gässün  bizä  ärz  eläsün. 

bas-stä  xanym! 

xudäfis  xanym! 

bäjim  gedir  evlärinä.  hagi  räsul  da  gegä  gälir  evä,  här  nä  ki 
arvadi  bäjiminän  danysmysdi  hammysynnan  xäbärdar  olur.  ammä 
hes  väcinän  käbin  käsmänün  säfär  ajynun  äxyryna  düsma^yna  räzy 
olmyr,  cün  ki  arvadyna  dejir:  necä  dähvä  säfär  ajynun  äxyrynda  käsilän 
käbinnär  bädjümn  olup!  man  hes  goja  bilmäräm  ki  särbätün  käbini 
säfär  aji  cyxmamy§  käsissün. 

hagi  räsul  arvady  hagi  räsula  dejir:  man  özüm  da  räzy  olmaram 
säfär  ajynda  käbin  käsmä  ossun,  bujün  bäjim  xanyma  da  elä  demisäm  ki 

')  »Unter  dem  Glanz«  der  Sonne,  die  Zeit  zwischen  dem  heliakischen  Untergang 
und  Aufgang  eines  Planeten. 


J 


Aserbeidschanische  Texte  zur  nordpersischen  Volkskunde.  igj 

käbin  käsmäni  gojax  räbilävväl  ajyna.  müntahä  köräkän  bir  az  täläsir, 
älbätdä  oni  da  räzi  elijagaxla.  indi  här  zaddan  vägib,  gyzün  gähäzyni 
gäräx  tezlyyynan  jer  bejer  elämax.  hec  olmasa  bir  das  färs,  s  dort 
das  jorgan  dösäjf,  bir  das  köräkänä  paltar,  mühür  gabi,  sa-ydisa  bir  das 
paltar,  onnan  sora  cox  airi  xyrymxyrda  ki  olari  gäräx  özüm  jer  bejer 
clijäm.  jaxci,  jadyma  düsdi:  bes  mezmeji  mürYigap,  ja  hec  olmasa 
hac  sex  gabi,  bir  gut  gümüs  gääbä,  bir  gut  gülabdan,  üs  gut  sändäl, 
iki  dana  miz,  iki  dana  samavar,  biri  värso  biridä  misvar,  bir  värso 
gähvägüs,  iki  dana  böjü/  caidan,  dort  dana  mis  mäzmeji,  iki  gut  särbät 
tüngi,  iki  das  sirni  gabi,  vä  bulardan  sevai  cox  xyrymxyrdalar  ki 
indi  jädymda  däi.  bularun  hammysi  gärä"/  bir  häftänün  icindä 
düzälä. 

hagi  räsul:  mänim  ki  muzäigäm  jox  di,  här  nä  man  basara  bilsäm 
alagayam,  ammä  otax  färsi  bir  az  aifyr  di,  hec  olmasa  jüz  tümän  elä 
färs  tutar.     bälkä  bir  gür  elijäsän  färs  mouguf  ola. 

särbät  ki  bu  sözlärä  gula^  asyrdi,  elä  söz  bura  jetsändä  ki  dädäsi 
dcdi:    färs  bahä    di,    tärhiinän^)    durdi    getdi    o    biri   otaifa,    baslada 

aYlamaya. 

hagi  räsul  arvadi:  gördün,  gyz  negä  agy-^  elädi,  getdi.  man  tany- 
ram  äxir  öz  gyzymi:    tä  o  öz  istädyxlaryni  aldyrtmijingän  äl   cä^mi- 

jacax. 

hagi  räsul  agyxli  uga  säsinän:  cog  gälät  elär,  adamun  göali  cox 
zad  istär^  ammä  gärä/  mümkün  ola.  mümkün  olmijannan  sora  man 
hardan  düzäldaga^am? 

hagi  räsul  arvadi  ärinä  gävab  vermämis  gedir  gyzynun  janyna: 
gyzym,    nä  var,   nijä  belä  tutulmusan? 

särbät  hes  gävab  vermir.  nänäsi  gälir  jaxyna,  äliinän  gyzynun 
basyn  juxari  göuzijända  görür  ki  särbät  a^lyr.  gyzym,  nä  var?  sänä 
nä  olup  nijä  a^lysan.'' 

särbät  istir  danyssun  ammä  aylamax  boyazyn  tutur  danysammyr, 
ürä/länir,  da  arty^  aylyr.  nänä  gyzyni  gucaxlyr,  üzünnän  öpür, 
dejir:  gyzym  hes  guss-clämä,  biliräm  dädän  färsi  istir  boinunnan 
salsun,  ona  görä  a^lysan.  ammä  xätirgäm  ol,  äjä  dädün  da  almasa, 
özüm  ölmämimisäm,  süzänimi,  gärdänbändimi,  golbaxlarymi  girö 
goimali  ja  satmaly  da  olmus  ossam  sänä  färs  alaga^am. 

särbät  aylyja-^lyja  dejir:  nänä,  allah  säni  mänä  cox  görmäsün, 
man  biliräm  ki  sän  hes  zäduwi  mänä  müzäigä  elämäsän,  ammä  man 
räzy  olmaram  ki  sän  männän  ötür  zaddaruwi  giro  gojasan.  intahäsi 
bu  di,  dädäm  almasa  färs,  man  da  ärä  gedmäräm. 


ipS  .  He  Umu  t  Ritter, 

Wie    man   in    Persien   heiratet. 

Ein    Junge  sagt  zu  seiner  Mutter:   Mutter,   verheirate  mich! 
Mein  Sohn,    was    ist  das    für  eine   Zeit    für    dicb,    zu    heiraten? 
Warte,  bis  deine  Base  Ahje  groß  wird,  die  will  ich  dir  nehmen. 

Mutter,  ich  bin  14  Jahre  alt,  wie  lange  soll  ich  denn  noch  warten? 
Die  Alije  ist  10  Jahre  alt  und  kein  Kind  mehr;  wenn  du  wolltest, 
bei  Gott,  so  brächtest  du  es  heute  noch  in  Ordnung. 

Junge,  du  weißt,  daß  dein  Oheim  sehr  reich  ist,  deswegen  kommen 
von  allen  Seiten  die  Brautwerberinnen  für  Alije;  es  sind  viele  Lieb- 
haber für  sie  da,  aber  das  Mädchen  möchte  gern  zu  dem  Sohn  ihres 
Nachbars  Hadji  Nedjef  gehen;  aber  da  Hadji  Nedjefs  Sohn  arm  ist^ 
will  der  Oheim  sie  ihm  nicht  geben.  Warte  noch  ein  Jahr,  bis  das 
Mädchen  das  11.  Jahr  erreicht  hat,  dann  spreche  ich  mit  dem  Oheim, 
und  wenn  die  Alije  auch  keine  Lust  hat,  hole  ich  sie  dir  mit  Gewalt. 
Ja  Mutter,  deswegen  aber  mußt  du  nun  noch  heute  meine  ältere 
Schwester  Bäjim^)  auf  die  Brautschau  schicken,  daß  sie  mir  ein  Mädchen 
ausfindig  macht.  Ich  kann  nicht  noch  ein  Jahr  sitzen  und  warten,  bis 
Alije  groß  wird  und  ich  sie  dann  nehmen  kann,  außerdem  ist  die  Alije 
auf  einem  Auge  scheel  und  überhaupt  sehr  häßlich,  ich  nehme  sie  auf 
keinen  Fall. 

.  Junge,  das  verstehst  du  nicht;  wenn  sie  auch  scheeläugig  und 
häßlich  ist,  so  ist  sie  doch  dein  Eigentum;  ich  kann  doch  nicht  den  Sohn 
von  Hadji  Nedjef  oder  irgendeinen  anderen  die'  Alije  nehmen  lassen, 
daß  er  das  Geld  deines  Oheims  kriegt? 

Mutter,  auf  jeden  Fall  schicke  meine  Schwester  Bäjim  heute 
fort,  daß  sie  nach  ein  paar  Stellen  geht  und  mir  womöglich  ein 
Mädchen  sucht,  das  hübsch  und  reich  zugleich  ist.  Bei  Gott,  wenn 
man  mich  machen  ließe,  wie  ich  wollte,  ich  wollte  weder  die  Alije 
nehmen  noch  des  Oheims  Geld  haben. 

Sohn,  ich  weiß,  du  läßt  mich  doch  nicht  tun,  wie  ich's  für  gut 
halte.  Ich  will  dir  zu  Gefallen  heute  deiner  Schwester  Bäjim  sagen, 
daß  sie  nach  ein  paar  Orten  zur  Brautschau  geht. 

Mutter,  es  ist  mir  alles  ganz  gleich,  du  mußt  mich  bis  über- 
morgen verheiraten;  wenn  nicht,  dann  mache  ich  mich  auf  und  gehe 
nach  Rußland. 

Kind,  um  Gott,  sage  so  etwas  nicht!  Ich  bringe  mich  um!  Was 
soll  das  heißen:  »Ich  gehe  nach  Rußland?«  Ich  meinte,  gedulde  dich 
wie  ein  vernünftiger  Mensch  noch  fünf  oder  zehn  Tage,  ein  bis  zwei 
Wochen.    Da  du  aber  nicht  warten  willst,  so  will  ich  dir  morgen  am 

0  r^. 


Aseibeidschanische  Texte  zur  nordpersischen  Volkskunde.  ,^99 

Tage  ein  Mädchen  ausfindig  machen,  iaber  wenn  du  es  nachher  bereust, 
so  geht's  mich  nichts  an.  ,   , 

Das  mag  sein,  mag  sein  was  will,  ich  kann   nicht  länger  als  zwei 

Tage  warten. 

Die  Mutter  ruft  ihre  Tochter  Bäjim  und  sagt  zu  ihr  in  Hasans 
Gegenwart:  Dein  Bruder  setzt  mir  hart  zu,  du  siehst,  er  läßt  mir  T^g 
und  Nacht  keinen  Augenblick  Ruhe.  Wenn  du  heute  gegessen  hast, 
so  geh  einmal  nach  zwei,  drei  Stellen,  daß  du  für  deinen  Bruder  ein 
gutes  Mädchen  findest.  • 

Bäjim:  Hahaha!  Mutter,  was  wird  mir  der  Bruder  kaufen,  wenn  ich 
eine  gute  Frau  für  ihn  finde.?  Bei  Gott,  wenn  er  mir  ein  goldgesticktes 
Kopftuch  kauft,  so  suche  ich  ihm  noch  heute  ein  Mädchen,  von  dem 
selbst  ein  bhndes  Auge  sehend  werden  soll,  wenn  man  es  davorstellt. 

Hasan:  Schwester,  finde  mir  das  Mädchen,  das  ich  wünsche,  und 
ich  kaufe  dir  außer  einem  goldgestickten  Kopftuch  einen  Umhang  von 
allerneuester  Mode. 

Bäjim:    Auf  meine  beiden  Augen! 


Hasan  geht  zum  Basar.  Die  Mutter  sagt  zu  ihrer  Tochter  Bäjim: 
Kind,  dieser  Junge  versteht  nicht,  daß  das  Heiraten  nicht  wie  andere 
Dinge  so  geht,  wie  man  selbst  Lust  hat.  Beim  Heiraten  muß  man 
immer  den  eigenen  Geschmack  unterwegs  lassen  und  die  Person  neh- 
men, die  den  Eltern  gefällt;  ich  will  dem  Jungen  schon  etwas  Rechtes 
zu  schmecken  geben.  Geh  du  heute  zur  Brautschau  nach  der  kah- 
len Fatme,  der  Tochter  von  Schähräbani.  Die  will  ich  für  Hasan  nehmen. 

Bäjim:  Mutter,  um  Gott,  laß  mich  gehen  und  meinem  Bruder 
ein  gutes  und  hübsches  Mädchen  suchen.  Ich  will  zu  Hadji  Rasuls 
gehen,  dessen  Tochter  gefällt  mir  sehr  gut. 

Kind,  du  weißt  selbst,  ich  meinte,  wir  sollten  diesem  Hasan  eine 
Lehre  geben,  damit  er  beim  Heiraten  nicht  wieder  nach  seinem  eigenen 
Kopfe  geht.  Aber  gut,  für  diesmal  soll  es  nichts  ausmachen,  geh  und 
nimm  für  deinen  Bruder  jemanden,  der  dir  gefällt. 


Bäjim  legt  den  Straßenumhang  an,  tritt  zum  Hause  hinaus  und 

geht,   bis  sie  zum  Hause  des  Hadji  Räsul  kommt;  sie  klopft  an  die 

Tür,  eine  Frau   kommt  und  macht  die  Tür  auf.     Friede  über  Euch! 

Über  Euch  sei  Friede,  bitte  sehr,  woher  kommt  Ihr.'' 

Nichts,  bei  Gott,  ich  war  auf  den  Markt  gegangen  und  bin  sehr 

müde  geworden,  ich  wollte  nur  ein  wenig  Wasser  trinken. 


200  H  e  1 1  in  u  t  Ritter, 

Schwester,    um  Gott,   bitte  komm  herein! 

Nein,  bei  Gott,  ich  gehe,  ich  kann  mich  nicht  aufhalten,  es  ist 
spät,   meine  Mutter  wird  böse. 

Um  Gott,  bitte  sehr,  rauche  doch  eben  eine  Pfeife  und  vertreibe 
dir  die  Müdigkeit! 

Bäjim  tritt  ins  Zimmer,  das  Mädchen  kommt,  um  ihr  den  Schleier 
abzunehmen. 

Bäjim:  Nein,  bitte  bemüht  euch  nicht,  ich  kann  nicht  lange 
bleiben. 

Das  Mädchen:  Ach  Chanum,  nehmt  doch  Platz,  und  trinkt  ein 
Glas  Scherbet! 

Nein,  bei  Gott,  ich  kann  keinen  Scherbet  trinken,  es  ist  spät, 
Gott  möge  sich  deines  Vaters  erbarmen! 

Wie  Ihr  befehlt,  Chanum. 

Das  Mädchen  geht  ins  andere  Zimmer  und  sagt  zu  Hadji  Räsuls 
Tochter:  Chanum,  gebt  mir  den  Botenlohn  für  die  gute  Nachricht,  es 
ist  eine  nette  Brautschauerin  gekommen. 

Hadji  Räsuls  Tochter:   Schweig,   ich  will  keinen  Mann  haben. 

Chanum,  bei  Gott,  das  ist  jetzt  nicht  an  der  Zeit,  der  Gast  hat's 
eilig  und  will  gehen,  geh,  zieh  dich  um,  komm  und  bring  dann  diesen 
Scherbet  hinein! 

Hadji  Räsuls  Tochter  geht  ins  Garderobezimmer,  zieht  sich  eilig 
um,  kommt,  nimmt  ein  Glas  Scherbet  und  bringt  es  dem  Gast.  Sie 
tritt  ins  Zimmer,  grüßt,  trägt  den  Scherbet  und  setzt  ihn  dem  Gaste  vor. 

Bäjim:  Aber  ich  bitte  Euch,  Chanum,  warum  macht  Ihr  Euch 
solche  Mühe,   das  ist  mir  gar  nicht  recht. 

Aber  nein,  das  ist  doch   keine  Mühe! 

Bitte,  nehmt  doch  Platz,  Chanum! 

Nein,  bei  Gott,  entschuldigt,  ich  habe  zu  tun. 

Um  Gott,  setzt  Euch,  daß  wir  uns  ein  wenig  unterhalten! 

Wie  Ihr  befehlt,  laßt  mich  nur  gehen,  eine  Pfeife  holen  und 
dann  wiederkommen. 

Hadji  Räsuls  Tochter  geht,  um  die  Pfeife  zu  holen,  Bäjim  sagt 
zu  Hadji  Räsuls  Frau:  Chanum,  maschallah,  was  habt  Ihr  für  eine 
nette  höfliche  Tochter,  und  wie  hübsch  ist  sie!  Gott  schütze  sie  vor 
dem   bösen  Auge! 

Chanum,  alles  was  ich  habe,  ist  auch  nur  dies  Mädchen. 

Hadji  Räsuls  Tochter  kommt  mit  der  Pfeife  in  der  Hand. 

Bäjim:  Chanum,  um  Gott,  warum  macht  Ihr  euch  solche  Mühe.'* 
Ihr  habt  mich  ja  beschämt! 

Hadji  Räsuls  Tochter:  Wie  könnt  Ihr  das  sagen.^     Eine  Wasser- 


Aserbeidschanische  Texte  zur  nordpersischen  Volkskunde.  201 

pfeife  hat  nicht  so  viel  zu  bedeuten.  Verzeiht,  ich  gehe  in   die  Küche, 
ich  habe  zu  tun. 

Hadji  Räsuls  Tochter  verläßt  das  Zimmer,  stellt  sich  hinter  den 
Vorhang  und  horcht,  um  zu  sehen,  was  man  über  sie  sagen  wird. 

Bäjim  zu  Hadji  Räsuls  Frau:  Chanum,  ein  so  hübsches  und 
schönes,  fähiges  und  häushches  Mädchen,  warum  habt  Ihr  es  bisher 
noch  keinem  Manne  gegeben? 

Chanum,  Du  siehst  selbst,  sie  hat  eine  arbeitsame  Hand.  Ich 
könnte  ohne  sie  gar  nicht  leben,  sie  besorgt  alle  Arbeiten  im  Hause  ganz 
allein,  wenn  sie  einen  Tag  nicht  zu  Hause  ist,  bleibt  alles  liegen. 
Wenn  das  nicht  wäre,  würde  ich  auch  nichts  mehr  wünschen, 
auch  der  Hadj  Agha  möchte  für  die  Schärbät  gern  Hochzeit  machen, 
sie  wird  auch  von  allen  Seiten  begehrt,  aber  nun  ist  es  so  dabei  ge- 
bUeben. 

Bäjim  zu  Frau  Hadji  Räsul:  Chanum,  ich  möchte  Eure  Tochter 
gern  für  meinen  Bruder  nehmen. 

Frau  Hadji  Räsul  zu  Bäjim:  Chanum,  dazu  ist  es  noch  zu  früh, 
der  Hadj  Agha  will  nach  Kerbela  gehen,  und  ehe  er  zurückkehrt, 
ist  darüber  nicht  zu  reden. 

Chanum,  bei  Gott,  ich  werde  noch  heute  gehen,  Schal  und  Ring 
zu  schicken. 

Bei  Gott,  das  geht  mich  nichts  an,  das  ist  dem  Hadj  Agha  seine 
Sache. 

Ich  weiß  auch  nicht,  wie  gesagt,  ich  werde  gehen  und  Schal  und 
Ring  schicken.  Mein  Auge  ist  nun  einmal  auf  die  Schärbät  Chanum  ge- 
fallen, ich  muß  sie  meinem  Bruder  nehmen.  Einstweilen  Gott  befohlen ! 
Chanum,  bei  Gott,  es  ist  noch  sehr  früh,  warum  habt  Ihr  solche 
Eile.''  .Trinkt  doch  noch  ein  Glas  Tee  und  raucht  eine   Pfeife! 

Chanum,  es  ist  schon  Mittag,  ich  muß  gehen,  die  Mutter  wird 
ungeduldig. 

Gut,  Chanum,  ich  will  nicht  lange  nötigen,  wenn  es  Euch  denn 
lieber  ist,  so  geht;  ich  bitte  nur  vergeßt  uns  nicht,  ich  möchte  auch 
^ern  zu  Euch  kommen. 

Nein,  Chanum,  dies  war  das  erste  Mal,  und  ich  habe  keine  Zeit, 
sonst  würde  ich  lange  geblieben  sein  und  mich  unterhalten  haben. 
Es  gefällt  mir  sehr  gut  bei  Euch,  ich  will  aber  nun  auch  gehen. 

Frau  Hadji  Räsul  ruft  ihre  Tochter  Schärbät  mit  lauter  Stimme: 
Schärbät,  komm,  bring  der  Chanum  den  Schleier  und  halte  den 
Vorhang. 

Schärbät,  die  bis  jetzt  hinter  der  Tür  gestanden  und  gehorcht 
hat,  geht,  als  die  Mutter  ruft,  leise  ins  andere  Zimmer  und  kommt  von 


2Q2  H  eil  m  u  t  Ritte  r, 

da '-wieder    schnell    ins    (Gast-)  Zimmer    zurück:    Chanum,    was    be- 
fehlt Ihr? 

Schärbät,  bring  den  Schleier,  die  Chanum  will  gehen. 

Schärbät  sagt  zu  dem  Gaste:  Chanum,  warum  geht  Ihr  so 
schnell?    Bleibt  noch  ein  Weilchen  und  plaudert. 

Verzeiht,  aber  ich  habe  schon  der  Chanum  gesagt,  ich  kann 
nicht  länger  bleiben;  so  Gott  will,  werde  ich,  wenn  ich  wiederkomme, 
dir  den  Ring  bringen,  dann  bleibe  ich  lange.  .    j^. 

Kaum  hat  Schärbät  diese  Worte  gehört,  so  wirft  sie  den  Schleier, 
den  sie  gebracht  hat,  um  ihn  dem  Gaste  zu  geben,  Bäjim  zu,  läuft 
weg  und  versteckt  sich  im  anderen  Zimmer. 

Frau  Hadji  Räsul  sagt  zu  Bäjim:  Chanum,  um  Gott,  beschämt 
doch  das  Kind  nicht!   Ihr  seht,  wie  sie  läuft  und  sich  versteckt! 

Chanum,  sie  soll  doch  nun  Frau  werden.  Nach  ein  paarTagen  machen 
wir  Hochzeit,  wie  lange  soll  sie  denn  zu  Hause  bleiben!   Gott  befohlen ! 

Chanum,  wartet  doch  um  Gott,  laßt  sie  erst  kommen  und  den 
Vorhang  halten. 

Frau  Hadji  Räsul  ruft  Schärbät  mit  lauter  Stimme:  Schärbät, 
Schä,rbät!    Schärbät  gibt  keine  Antwort. 

Kind,  du  bist  gemeint,  mach  schnell,  komm,  halt  den  Vorhang! 

Schärbät  kommt  und  hält  den  Vorhang.  Beim  Hinausgehen 
aus  der  Tür  küßt  Bäjim  das  Mädchen. 

Gott  befohlen,  Chanum! 

Gott  befohlen,  mein  Bräutchen! 

Schärbät  läßt  wieder  alles  fahren  und  läuft  weg,  Bäjim  geht. 
.Frau  Hadji  Räsul  ruft  die  Hausmagd:  Schähräbani,  es  ist  wieder 
eine  Brautwerberin  für   Schärbät   gekommen,   was  meinst   du   dazu? 
Was  sind  das  für  Leute? 

Chanum,   bei  Gott,  es  müssen  sehr  gute  Leute  sein. 

Schähräbani,  wenn  der  Hadj  Agha  nach  Hause  kommt,  möchte 
ich  mit  ihm  über  Schärbät  sprechen,  die  Schwester  des  jungen 
Mannes  gefällt  mir  sehr.  Bei  Gott,  wenn  ich  an  Hadj  Aghas  Stelle 
wäre,  würde  ich  schon  diesmal  diese  Sache  in  Ordnung  bringen.  Das  Mäd- 
chen ist  ja  auch  groß  geworden  und  I2  Jahre  alt,  wie  lange  soll  man 
denn  noch  warten? 

Schähräbani :    Gewiß,   Chanum. 

Schähräbani  geht  an  ihre  Arbeit,  und  auch  Frau  Hadji  Räsul 
geht  in  ihr  Zimmer. 

Bäjim  geht  und  kommt  nach  Hause,  klopft  an  die  Tür,  die  Mutter 
kommt  und  macht  auf.     Bäjims  Mutter  sagt:    Komm  herein,  Kind. 


Aseibeidschanische  Texte  zur  iipidpeisischen  Volkskunde.  2O3 

kommst  du  alsi  Junge  oder  Mädchen?  (Hast  du  Erfolg  gehabt  oder 
nicht?)^ 

Mutter,  gib  meinen  Botenlohn,  ich  habe  für  meinen  Bruder  ein 
schönes  Mädchen  gefunden. 

Die  Mutter:  Schön,  Kind,  da  es  dir  gefallen  hat,  meinetwegen, 
dann  will  ich  in  dieser  Woche  die  Sache  in  Ordnung  bringen.  Aber 
wir  müssen  wegen  des  Schals  und  Ringes  etwas  Gutes  ausdenken. 
Ich  habe  einen  Schal,  den  mir  dein  Vater  zur  Hochzeit  gesandt  hat, 
den  wollen  wir  Hadji  Räsuls  Tochter  schicken.  Aber  die  Sache  mit  dem 
Ring  ist  ein  wenig  schwierig.  Ich  weiß  nicht,  wie  wir  das  machen 
sollen.  Ich  habe  zwar  einen  Diamantring,  aber  er  ist  recht  klein,  damit 
werden 'sie  schwerlich  zufrieden  sein. 

Mutter,  ich  muß  noch]  einmal  hingehen  und  mit  ihnen  sprechen, 
dann  machen  wir  das  alles  aus. 


Abends  kommt  Hadji  Räsul  nach  Hause:  Frau,  was  gibt's  Neues? 

Nichts  Neues,  Hadj  Agha. 

Das  Mädchen  hebt  vom  Korridor  ^)  aus  den  Vorhang  hoch:  Hadj 
Agha,  sie  will  es  dir  nur  nicht  sagen,  heute  ist  für  Schärbät  eine 
Brautschauerin  gekommen,  ein  schönes  feines  Frauchen.  Sie  will 
Schärbät  für  ihren  Bruder  nehmen. 

Frau  Hadji  Räsul  zum  Mädchen:  Mach  kein  unnützes  Geschwätz! 
Halt  den  Mund!    Bist  du  Botenrabe  geworden? 

Ja  aber,  Chanum,  warum  verheimlichst  du  es?  Bei  Gott,  wir 
müssen   doch   Schärbät  Chanum  verheiraten. 

Hadji  Räsul:  Gut,  nun^laßt  aber  die  Zankerei,  haltet  einmal  Ruhe 
und  erzählt  mir  alles  eins  nach  dem  anderen! 

Frau  Hadji  Räsul  erzählt  alles,  was  vorgefallen  ist,  vom  Anfang 
bis  zu  Ende  und  sagt  dann:  Ja,  Hadj  Agha,  ich  kann  auch  das  Mädchen 
nicht  länger  im  Hause  einsperren,  es  ist  schon  ein  rechtes  großes  Kamel 
geworden. 

Hadji  Räsul:  Wer  will  sie  denn  eigentlich  haben?  Man  muß  doch 
einmal  sehen,  was  das  für  Leute  sind. 

Sehr  gute  Leute  sind  es.  Man  sieht  es  gleich  der  Schwester  Bäjim 
an,  wie  sie  sich  benimmt.  Ich  weiß  nicht,  du  mußt  in  den  nächsten 
ein,  zwei  Tagen  alles  kaufen,  was  für  das  Kind  nötig  ist,  damit  ich  die 
Aussteuer  zurecht  mache. 

Hadji  Räsul:  Das  ist  eine  schwierige  Sache,  ich  habe  dieser  Tage 
gerade  gar  kein  Geld,  und  dann  mußt  du  auch  mal  reden,  daß  man 

i)  eine  Art  Vorraum,  in  dem  auch  das  Gerät  zum  Katfeekochen  steht;  daher  der 
Name  »Kaffeezimmer«. 


204 


Hellmut  Ritter, 


sieht,  wieviel  Ringe  sie  bringen  werden,  wieviel  Stück  Schale,   natür- 
lich auch  ein  silberner  Spiegel  und  Koran,  wie  es  sich  gehört. 

Frau  Hadji  Räsul  sagt:  Morgen  kommt  vielleicht  die  Schwester 
des  Jungen,  dann  will  ich  das  alles  besprechen.  Aber,  wie  ich  schon 
sagte,  du  mußt  in  zwei  Tagen  Geld  für  Schärbäts  Aussteuer  auf- 
treiben,  ganz  gleich  woher. 

Bei  Gott,  ich  habe  jetzt  keine  Geschäfte  gemacht,  ich  weiß  nicht, 
woher  ich  das  auftreiben  soll.  Mach  du  erst  mal  morgen  die  Sache  mit 
dem  Schal  und  Ring  ab,  daß  man  sieht,  was  wird. 

Gut  also,  ich  werde  zuerst  zwei  Ringe  verlangen,  einen  sehr 
guten  Diamantring,  der  andere  kann  Rubin  oder  Smaragd  sein, 
dann  werde  ich  drei  Stück  Schale  sagen,  einen  aus  echtem  Kaschmir 
und  zwei  Kirmanschale;  wir  wollen  sehen,  ob  sie  sich  darauf  einlassen 
oder  nicht. 

Natürlich,  wer  das  Mädchen  nimmt,  muß  einen  Diamantring 
bringen  und  einen  Kaschmirschal.  Auch  ich  will,  so  gut  ich  kann, 
die  Aussteuer  für  Schärbät  nicht  gerade  so  machen,  daß  sie  wenig  wird, 
daß  wir  uns  schämen  müssen.  Aber  ich  weiß  z.  B.  gar  nicht,  wieviel 
Geld  die  Aussteuer  ausmachen  wird;  ich  meine,  30,  40  Toman  wären 
genug. 

Was  redest  dii  da,  Mann !  30,  40  Toman  reicht  kaum  für  ein 
Drittel  der  Aussteuer!  Wenn  das  so  wird,  dann  kann  ich  die  Sache 
nicht  machen.    Ich  kan  nicht  gehen  und  die  Leute  so  über  den  Löffel 

barbieren! 

Was  ist  denn  los.?  Schärbät  braucht  eine  Aussteuer,  aber  ich 
will  schon  seit  zwei  Jahren  nach  Kerbela  gehen  und  kann's  nicht  zu- 
wege bringen! 


Hasan  kommt  nach  Hause.  Seine  Schwester  Bäjim  spricht  zu 
ihm:  Bruder,  du  mußt  mir  den  Botenlohn  geben,  ich  habe  dir  ein 
wunderschönes  Mädchen  gefunden.  Gib  acht,  ganz  wie  du  es  gern 
magst:  schwarze  Brauen,  schwarze  Augen,  einen  Mund  wie  eine  Pista- 
zie ^),  kleine  Nase,  rundes  Gesicht,  Hände  und  Füße  ganz  klein, 
Haare,  die  auf  der  Erde  schleifen.  Was  soll  ich  dir  noch  Kopf- 
schmerzen machen.^  Ein  Mädchen,  wie  es  in  dieser  Stadt  kein  zweites 
gibt.  Aber  das  eine  weiß  ich,  Ausgaben  wirst  du  viele  dabei  zu 
machen  haben. 

Hasan:  Schwester,  wenn  es  nur  hübsch  ist,  dann  schadet  es  nichts, 
wenn  es  viele  Ausgaben  kostet.    Du  bist  mein  Vertreter. 

I)  d.  h.  so  niedlich  und  klein  wie  die  Öffnung  der  durchs  Rösten  aufgesprungenen 
Pistazie. 


Aserbeidschanische  Texte  zur  nordpersischen  Volkskunde.  2O5 

Bäjim:  Bruder,  ich  will's  dir  von  Anfang  an  aufzählen,  gib  acht, 
das  Allermindeste  ist:  ein  schöner  Diamantring,  Preis  50  Toman,  ein 
Kaschmirschal,  Preis  mindestens  70  Toman,  ein  silberner  Spiegel,  drei 
vier  Tuchkleider,  zwei  Kattunkleider,  ein  Paar  Schuhe,  ein  Beutel 
Henna,  ein  Kandiskuchen  ^)  und  dann  noch  die  gewöhnlichen  Kleinig- 
keiten. Und  das,  Bruder,  ist  erst  das,  was  ich  mir  denke,  was  die 
für  eine  Flöte  blasen  werden,  weiß  ich  nicht. 

Hasan:  Schwester,  so  wie  du  da  sagst,  wollt  ihr  mich  bankerott 
machen.  Wieso  Diamantring  für  50  Toman,  Kaschmirschal?  Wozu  ist 
das  nötig.?  Zucker,  Kandis,  ein  bis  zwei  Kleider,  Spiegel,  Koran,  das 
ist  recht   und  billig,  aber  mehr  kann  ich  nicht  aufbringen. 

Bäjim :  Bruder,  wer  den  Fisch  will,  taucht  sein  Hinterteil  ins  kalte 
Wasser.  Willst  du  aus  einem  guten  Hause  eine  Frau  nehmen,  so  ist  das, 
was  ich  gesagt  habe,  das  Allermindeste.  Bis  zu  2 — 300  Toman  mußt 
du  schon  anwenden.  Willst  du  nicht,  so  kannst  du  ja  auch  die 
Mutter  fragen. 

Hasan:  Ich  will  ja  auch  alles  tun,  was  ich  kann,  aber  du  mußt 
es  auch  nicht  so  machen,  daß  ich's  nicht  leisten  kann. 

In  diesem  Augenblicke  kommt  Bäjims  Mutter  und  spricht  zu 
Hasan:  Gib  mir  den  Botenlohn,  mein  Junge,  deine  Schwester  hat  dir 
ein  schönes  Mädchen  gefunden,  du  mußt  ihr  aber  den  Umhang  und 
das  Kopftuch  kaufen,  das  du  ihr  versprochen  hast! 

Mutter,  ihr  legt  mich  schön  hinein!  Nach  dem,  was  meine  Schwester 
sagt,  ist  erst  ein   Haufen   (eine.  Flöte)  Ausgaben  vorher  nötig. 

Ja  freilich,  mein  Sohn,  wer  Hochzeit  macht,  muß  Geld  ausgeben. 
Nun  ja,  Mutter,  das  geht  ja  vorüber,    sage  ich,    wann  werdet   ihr 
die   Sache  ins  Reine  bringen.'* 

Ja,  mein  Sohn,  das  ist  keine  Sache,  die  in  einem  Tage  zustande 
kommt.     In  sechs  Monaten  wird  ein  Mensch  nicht   fertig.     Laß  nur, 
mit  Geduld  und  Ruhe  werden  wir  die  Sache  schon  zuwege   bringen. 
Mutter,  so  wie  ihr  die  Sache  anfaßt,  kann  ich  noch  ein,  zwei  Mo- 
nate warten. 

Ach  was,  Junge,  zwei  Monate  braucht's  nicht;  geh  du  nur  morgen 
lün  und  kaufe,  was  Bäjim  gesagt  hat,  und  bringe  es  nach  Hause. 
Weiter  hast  du  nichts  zu  tun.  Wir  machen  schon  die  Sache  allein 
so  schnell  wie  möglich  fertig. 

Schön,  Mutter,  wie  du  sagst. 


')  eine    aus  Kandiszucker    {ttabat)    hergestelhc  Süßigkeit    in    der  Form    etwa  eines 
Baumkuchens. 


2o6  Hellmut  Ritter, 

--'«Am  Morgen  geht  Hasan  auf  den  Basar,  kauft,  was  nötig  ist;  und 
bringt  es  seiner  Schwester.  Die  trägt  die  Sachen  fort  und  legt  sie 
in-  die  Truhe,  zieht  dann  Umhang  und  Strümpfe  an,  geht  wieder  zik 
Hadji  Räsuls  Haus  und  klopft  an  die  Tür.  Diesmal  macht  Frau 
Hadji  Räsul  die  Türe  auf.  Man  führt  Bäjim  mit  großer  Höflichkeit 
ins  Gastzimmer,  Bäjim  sagt:  Chanum,  was  ich  gesagt  habe,  ist  waht 
geworden;  ich  bin  gekommen,  um  wegen  Schärbät  Chanum  zu  verhan- 
deln, ich  muß  die  Sache  heute  erledigen. 

Chanum,  mit  solcher  Eile  geht  es   nicht.    Laß   uns   erst  einmal 
sehen,  was  der  Hadj  Agha  dazu  sagt.     Wir  sind  ja  gar  nicht  vorbe 
reitet. 

Was  meint  Ihr  mit  nicht  vorbereitet.?  Das  ist  doch  keine  lange 
Sache.  Ich  verlobe  jetzt  meine  Braut  und  Ihr  bringt  dann  in  ein,  zwei 
Tagen  alles  Nötige  in  Ordnung. 

1'     Chanum,  was  soll  das  bedeuten.-^   Schärbät  hat  gar  keine  Aussteuer, 
ich  brauche  mindestens  zwei  Wochen,  um  die  Aussteuer  zu  beschaffen. 

Wo  ist  denn  Schärbät.?  Laßt  sie  doch  bitte  hereinkommen,  ich 
möchte  ihr  den  Ring  an  den  Finger  stecken. 

Frau  Hadji  Räsul  ruft  Schärbät.  Schärbät  kommt  herein:  Kind, 
komm,  setz'  dich! 

Schärbät  will  sich  neben  ihre  Mutter  setzen. 

Bäjim  sagt:   Bitte,   Chanum,  kommt  doch  näher! 

Schärbät:  Es  ist  gut  so,   Chanum. 

Nein,  bei  Gott,  so  kommt  doch  ein  wenig  nach  vorn! 

Als  Schärbät  nach  vorn  kommt,  steckt  ihr  Bäjim  den  Dia- 
mantring, den  ihr  Bruder  gekauft  hat,  an  den  Finger.  Dann  sagt  sie: 
Chanum,  sei  so  freundlich  und  bringe  mir  eine  Pfeife,  dann  will  ich 
mich  verabschieden. 

Schärbät  verläßt  das  Zimmer. 

Bäjim  zu  Frau  Hadji  Räsul:  Chanum,  ich  bitte  diesmal,  sagt  doch, 
wieviel  Kleider  wir  geben  müssen. 

Frau  Hadji  Räsul:  Chanum,  bei  uns  ist  es,  bei  Gott,  immer  so  Sitte: 
sechs  Tuchkleider,  vier  Kattunkleider,  drei  Ringe,  zwei  Kaschmir- 
schale, ein  Kirmanschal,  300  Toman  Brautgeld. 

Chanum,  so  wie  Ihr  sagt,  wird  der  Handel  schwerlich  zustande 
kommen,  denn  in  unserer  Verwandtschaft  ist  bisher  niemals  mehr  als 
200  Toman  Brautgeld  abgemacht  worden.  Ich  weiß  nicht,  ob  meine 
Mutter  damit  einverstanden  sein  wird. 

Chanum,  ich  lüge  nicht;  wenn  ich  auch  einverstanden  wäre, 
Hadj  Agha  gibt  nicht  zu,  daß  weniger  als  300  Toman  Brautgeld  ab- 
gemacht wird.     In  unserer  Verwandtschaft  ist  bis  heute  noch  nie  we- 


Aserbeidschanische  Texte  zui   nordpersischen  Volkskunde.  20/ 

uiger  als  300  Toman  Brautgeld  abgemacht  worden.  Das  Brautgeld 
der  Nichte  von  Hadj  Agha,  Bilkis  Chanum,  ist  300  Toman,  auch 
das  Brautgeld  meiner  Kusine  Ümmi  Kulsum  ist  300  Toman.  Aber  was 
soll  ich  Euch  lange  den  Kopf  warm  machen,  hieran  ist  einmal  nichts 
zu  ändern.  Es  wäre  für  uns  eine  große  Schande,  wenn  Schärbäts 
Brautgeld  weniger  wäre  als  das  ihrer  Altersgenossinnen.  Wegen  der 
Kleider  will  ich  nichts  sagen,  das  mag  gleich  sein,  ein  Kleid  mehr 
öder  weniger,  aber  das  weiß  ich  ganz  bestimmt,  das  Brautgeld  kann 
keinen  Denar  weniger  sein  als  300  Toman. 

Bäjim:  Chanum,  ich  will  gehen  und  alles  mit  meiner  Mütter 
besprechen  und  Euch  dann  ihre  Antwort  bringen,  aber  ich  weiß,  wenn 
mein  Bruder  auch  mit  300  Toman  Brautgeld  einverstanden  wäre,  die 
Mutter  wird  schwerlich  zufrieden  sein.  Bei  Gott,  wenn  Ihr  auf  mich 
hörtet,  dann  würden  wir  es  mit  200  Toman  ins  Reine  bringen.  Bei 
Gott,  in  unsrer  Verwandtschaft  sind  bis  jetzt  noch  nie  mehr  als  200 
Toman  Brautgeld  abgemacht  worden.  Der  Mutter  Brautgeld  ist  auch 
200  Toman. 

Bäjim,  du  bist  ja  auch  sozusagen  mein  Kind:  um  die  Wahrheit 
zu  sagen,  ich  selbst  bestehe  ja  auch  gar  nicht  so  hartnäckig  darauf, 
daß  das  Brautgeld  300  Toman  sein  soll.  Ich  möchte  ja  auch  gern, 
daß  diese  Sache  bald  ins  Reine  kommt,  aber  wie  soll  ich  es  machen? 
Mir  ist  bange  vor  Hadj  Agha,  ich  weiß,  daß  der  nie  zufrieden  sein  wird, 
daß  Schärbäts  Brautgeld  weniger  als  300  Toman  sein  soll. 

Chanum,  das  hängt  ganz  von  deinem  guten  Willen  ab! 

Gut  Bäjim  Chanum,  wenn  Hadj  Agha  nach  Hause  kommt,  will 
ich  tun,  was  ich  kann,  daß  ich  seine  Einwilligung  bekomme. 

Dann  will  ich  mich  verabschieden,  habt  Ihr  sonst  noch  Befehle  für 

mich.? 

Nein,  Chanum,  weiter  hätte  ich  Euch  nichts  zu  unterbreiten. 
Die  Hoffnung  muß  man  ja  auf  Gott  setzen.  Wenn  es  das  Schicksal 
so  will,  wenn  Gott  es  auf  ihrer  Stirn  geschrieben  hat,  dann  werden  sie 
sich  kriegen. 

Bäjim  steht  auf  und  sagt  beim  Hinausgehen  aus  dem  Zimmer: 
Dann  will  ich  mich  verabschieden,  ich  bin  sicher,  wenn  ich  das 
nächste    Mal    komme,    wird,    so    Gott   will,    alles  erledigt  sein.    Gott 

befohlen! 

Frau  Hadji  Räsul:    Chanum,  wir  haben  noch  gar  nicht  über  das 

Zuckerfest  gesprochen! 

Das  versteht  sich  ja  von  selbst,  Chanum,  so  Gott  will,  macht 
Ihr  in  zwei,  drei  Tagen  auch  Zuckerfest,  Gott  befohlen! 

Bäjim  verläßt  das  Zimmer,  wendet  sich  aber  vom  Flur  aus  wieder 


208  HellmutRitter, 

zum  Zimmer  zurück  und  sagt  zu  Frau  Hadji  Räsul:  Verzeiht,  Cha- 
num,  wann  sollen  wir  Spiegel  und  Koran  schicken? 

Kind,    laß   doch   nun   das   Verhandeln   sein,    Spiegel   und   Koran 
schicken  ist  ja  keine  große  Sache. 
Chanum,  denn  Gott  befohlen! 

Bäjim  tritt  aus  dem  Flur;  als  sie  gerade  im  Hof  ange- 
kommen ist,  ruft  Frau  Hadji  Räsul:  Langsam,  Chanum!  Ihr  habt 
Eure  Handschuhe  vergessen!  Frau  Hadji  Räsul  kommt  mit  den  Hand- 
schuhen in  der  Hand  und  auf  Bäjim  zu:  Bitte  schön,  Chanum! 

Danke  schön!     Ach,    verzeiht,   sonderbar,   da  fällt  mir  ein,   wir 
haben  ja  gar  nicht  über  die  Trauung  gesprochen.    Von  uns  aus  wird 
Hadji  Molla  Hasan  Ali  Agha  kommen,   wer  wird   es   bei   euch  sein? 
Das  weiß  ich  noch  nicht,  Chanum,  das  muß  der  Hadj  Agha  be- 
stimmen.    Laß  uns  erst  einmal  sehen,  was  wird. 
Gott  befohlen! 

Gott  befohlen,  viele,  viele  Grüße  an  Eure  Mutter! 
Danke  schön,  ich  werdis  sie  ausrichten. 

Bäjim  kommt  bis  an  die  Tür.  Von  dort  aus  sagt  sie  zu  Frau 
Hadji  Räsul:  Chanum,  Ihr  habt  gar  nicht  gesagt,  wann  Ihr  zu  uns 
kommen  wollt.  Meine  Mutter  möchte  gern  mit  Euch  Zusammensein. 
Frau  Hadji  Räsul  geht  auf  Bäjim  zu  und  spricht:  Bei  Gott, 
Chanum,  ich  möchte  auch  sehr  gern  mit  Eurer  Mutter  -zusammen' 
kommen,  aber  Ihr  seht,  daß  mir  dies  dazwischen  gekommen  ist,  ich 
muß  mich  um  Schärbäts  Aussteuer  kümmern.  Später  werde  ich  dann, 
so  Gott  es  zuläßt,  recht  oft  kommen. 

Ich  weiß  nicht,  Chanum,  so  oft  Ihr  könnt,  müßt  Ihr  bei  Gott  zu 
uns  kommen'.     Gott  befohlen,  Chanum! 

Bäjim  geht  nach  Hause,  auch  Frau  Hadji  Räsul  kehrt  ins  Zimmer 
zurück. 

Schärbät  kommt  zu  ihrer  Mutter,  Frau  Hadji  Räsul  sagt  zu  ihr: 
Kind,  deine  Sache  ist  nun  bald  in  Ordnung! 

Was  für  eine   Sache,   Mutter? 

Kind,  ich  habe  heute  mit  Bäjim  Chanum  alles  besprochen,  in 
drei  Tagen  muß  alles  in  Ordnung  sein.  Es  müssen  jetzt  Schal,  Ring, 
fünf  bis  sechs  Kleider,  so  wie  ich  gesagt  habe,  von  ihnen  kommen. 

Mutter,  Ihr  wißt  ja,  was  am  besten  ist,  aber  ich  habe  gar  nichts 
bereit. 

Kind,  das  hat  nichts  zu  sagen,  in  drei  Tagen  mache  ich  das  alles 
mit  deiner  Tante  Schäräf  fertig. 

Ihr  habt  zu  bestimmen,  Mutter. 


Aserbeidschanische  Texte  zur  nordpersischen  Volkskunde.  200 

Schärbät  geht  hinaus  in  den  Flur  und  fragt  die  Mägde:  Rugie, 
ich  weiß  gar  nicht,  wie  mein  Verlobter  heißt  und  was  er  für  ein 
Mann  ist. 

Chanum,  deine  Mutter  hat  das  gewiß  schon  alles  ausgefragt 
und  weiß  genau  Bescheid.  Wenn  es  nicht  zum  Guten  wäre,  würden 
sie  dich  sicher  nicht  geben. 


Bäjim  kommt  nach  Hause,  wo  ihre  Mutter  und  Hasan  sie  er- 
warten. Wie  sie  zur  Tür  hereinkommt,  sagt  ihre  Mutter:  Komm 
her,  Kind,  laß  sehen,  hoffentlich  hast  du  die  Sache  in  Ordnung  ge- 
bracht, komm,  setz  dich  und  erzähle! 

Bäjim  legt  Umhang  und  Strümpfe  ab,  setzt  sich  zur  Mutter  und 
spricht:  Mutter,  wir  sind  mit  allem  auf  gutem  Wege.  Frau  Hadji  Räsul 
scheint  mir  eine  sehr  gute,  feine  Frau  zu  sein;  es  sind  Leute,  die 
früher  sehr  reich  waren,  aber  jetzt  verarmt  sind.  Hadji  Räsul  war 
vor  vier  bis  fünf  Jahren  ein  reicher  Kaufmann,  hatte  ein  Bad,  fünf 
bis  sechs  Häuser,  ein  schönes  und  angesehenes  Geschäft  und  hatte 
Handel  mit  Kirman.  Seit  ein  paar  Jahren  aber  ist  des  Armen  Geschäft 
etwas  zurückgegangen.  Soviel  ich  sehe,  werden  sie  jedenfalls  mit  wehiger 
als  300  Toman  Brautgeld  nicht  zufrieden  sein.  Nach  meiner  Meinung 
können  wir  auf  das  Brautgeld  nicht  allzusehr  drücken.  Wir  werden 
ja  auch  nicht  gleich  300  Toman  bar  abgezählt  bezahlen.  Es  kommt 
darauf  hinaus:  Auf  den  Heiratsvertrag  werden  ein  paar  W^orte  ge- 
schrieben: »Hasan  wird,  nachdem  er  sie  genommen  hat,  sie  nicht 
entlassen«,  was  sollen  wir  dann  noch  viel  auf  die  Summe  drücken.^ 

Bäjims  Mutter  wird  zornig  und  sagt  in  ärgerlichem  Tone  zu 
ihrer  Tochter:  Kind,  was  bist  du  für  ein  unverständiger  Mensch!  Was 
wird,  wenn  Hasan  seine  Frau  nicht  entläßt?  Auf  jeden  Fall  hat  er 
300  Toman  Schulden  auf  dem  Halse.  Ich  will  nicht,  daß  meiß  Sohn 
sich  eine  solche  Last  aufbürdet.  Der  Schwanz  der  W>lt  ist  lang, 
vielleicht  gefällt  sie  eines  Tages  Hasan  nicht  mehr,  er  will  das  Mädchen 
entlassen,  oder  es  stellt  sich  heraus,  daß  Hasans  Tochter  nicht  fein  ist, 
dann  muß  sie  mein  Sohn  wohl  oder  übel  entlassen.  Wo  soll  er  dann 
300  Toman  herkriegen.'' 

Mutter,  so  wüe  du  sagst,  kommt  diese  Sache  nie  zuwege.  Ich 
meine,  weder  ist  das  Mädchen  unfein  noch  wird  Hasan  sie  entlassen. 

Hasan:  Mutter,  die  Schwester  hat  recht,  in  solchen  Sachen  darf 
man  nicht  lange  herumrühren.  Die  Sache  ist  nun  mal  angefangen 
und  im  guten  Zuge,  da  schaden  auch  die  300  Toman  nichts. 

Wie  du  willst,  mein  Sohn,  aber  sieh,  ich  sage  dir,  wenn  du  es 
nachher  bereust,  die  Reue  hinterher  läßt  kein  Pfropfreis  wachsen. 

Islam  XI.  14. 


2IO  HellmutKitter, 

Mutter,  wenn  ich's  bereuen  sollte,  so  habe  ich  das  selbst  zu  tragen. 
Gut,  mein  Sohn,  dann  gehe  heute  hin  und  kaufe,  was  deine  Schwester 
gesagt  hat,  damit  wir  morgen  Spiegel  und  Koran  schicken. 
Jawohl,  Mutter. 

Hasan  geht  und  kauft  alles,  was  seine  Schwester  gesagt  hat,  auf 
dem  Basar  und  bringt  es  heim.  Bäjim'geht  am  anderen  Tage  zu  Hadji 
Räsul  hin  und  zählt  Frau  Hadji  Räsul  alles  auf,  was  ihr  Bruder  gekauft 
hat.  Dann  sagt  sie:  Chanum,  die  Sache  läßt  sich  nun  nicht  weiter 
hinausziehen.  Ich  gehe,  um  morgen  Koran  und  Spiegel  zu  schicken, 
und  Ihr  gebt  in  ein,  zwei  Tagen  das  Zuckerfest,  damit  die  Trauung 
dann  schnell  vollzogen  werden  kann. 

Chanum,  mit  solcher  Eile  geht  das  nicht.  Wir  sind  noch  gar 
nicht  fertig.  Meinetwegen  mögt  ihr  Koran  und  Spiegel  schicken, 
wir  können  auch  das  Zuckerfest  geben,  auch  die  Trauung  läßt  sich 
vollziehen,  aber  ich  sage  gleich  im  voraus,  Hochzeit  kann  man  so 
schnell  nicht  machen.  Ihr  wißt  ja  doch  auch  selbst,  ich  muß  noch 
die  ganzen  Siebensachen  des  Mädchens  in  die  Reihe  bringen. 

'Gewiß,  Chanum,  Ihr  habt  recht,  aber  das  dauert  ja  doch  nicht 
so  lange.    Das  läßt  sich  in  einer  Woche  längstens  erledigen. 

Nun,  ich  werde  jedenfalls  sehen,  so  schnell  wie  ich  kann  die 
Sache  zu  Ende  zu  bringen. 

Chanum,  auf  welchen  Tag     wollt  ihr  das  Zuckerfest  festsetzen.!^ 

Bei  Gott,  ich  dachte  Freitag  am  vierten.  Wir  laden  ein  paar 
Leute  ein,  großes  Wesen  denke  ich  aber  nicht  zu  machen. 

Natürlich,  Chanum,  wozu  braucht  Ihr  hier  eine  große  Volks- 
menge zu  versammeln.''  Wenn  Ihr  lo,  15  Personen  einladet,  ist's 
genug. 

Gyt,  Chanum,  also  dabei  bleibt's:  am  Vierten  ist  das  Zuckerfest. 

Wann  wollt  Ihr,  daß  die  Trauung  sein  soll.^ 

Ja  mit  der  Trauung,  das  ist  etwas  schwierig.  Darüber  muß  ich 
mit  dem  Hadj  Agha  sprechen.  Man  muß  nach  dem  Kalender  sehen 
und  eine  Stunde  festsetzen.  Diese  Woche  ist  Neumond,  das  geht  gar 
nicht.  Nächste  Woche  fällt  auf  Ende  Säfär;  bei  Gott,  ich  weiß  nicht, 
wann  wir  die  Sache  zuwege  bringen  sollen. 

Nun,  denn  will  ich  mich  auch  verabschieden,  Chanum,  was  Ihr 
auch  tut,  macht  es  schnell.  Ich  möchte  ja  auch  nicht,  daß  die 
Trauung  auf  keine  günstige  Stunde  fällt,  aber  Ihr  wißt  nicht, 
Chanum,  wie  mich  mein  Bruder  drängt.  Vielleicht  wählt  Hadji  Mirza 
Djelil  Agha  einen  Tag  aus.  Wenn  Allah  erlaubt,  brauchen  wir  uns 
um  das  Ende  des  Säfär  nicht  sehr  zu  kümmern. 


Aserbeidschanische  Texte  zur  nordpersischen  Volkskunde.  2  I  I 

Gut,  Chanum,  heute  abend  will  ich  mit  Hadj  Agha  sprechen  und 
sende  euch  dann  die  Antwort. 

Gut,  danke  schön!  Ich  darf  mich  dann  verabschieden,  aber  ich 
bitte  Euch,  Chanum,  setzt  dem  Hadj  Agha  recht  zu,  daß  er  die  Trau- 
ung nicht  hinausschiebt,  denn  mein  Bruder  Hasan  möchte  nach  der 
Hochzeit  gern  einmal  nach  Märagha  gehen. 

Gut,  Chanum,  ich  habe  nichts  dagegen. 

Gott  befohlen,  Chanum! 

Danke,  es  hat  mich  sehr  gefreut! 

Bäjim  macht  sich  auf  den  Nachhauseweg,  kehrt  aber  von  der 
Gasse  aus  wieder  um  zu  Hadji  Räsuls  Haus:  Verzeiht,  Chanum,  ich 
habe  etwas  vergessen  Euch  zu  sagen:  Ich  gehe  morgen  ins  Bad. 
Bitte,  seid  doch  so  gut  und  schickt  das. Mädchen,  damit  es  mir  alles 
sagt,  was  ihr  mit  Hadj  Agha  besprochen  habt. 

Schön,  Chanum! 

Gott  befohlen,  Chanum! 


Bäjim  geht  nach  Hause.  Auch  Hadji  Räsul  kommt  abends  nach 
Hause  und  erfährt  alles,  was  seine  Frau  mit  Bäjim  besprochen  hat. 
Er  will  aber  gar  nichts  davon  wissen,  daß  die  Hochzeit  Ende  Säfär 
sein  soll,  denn  er  sagt  zu  seiner  Frau:  Wie  oft  sind  Ehen,  die  Ende 
Säfär  geschlossen  sind,  bös  ausgegangen.'*  Ich  kann  nicht  zulassen, 
daß  Schärbäts  Trauung  vollzogen  wird,   ehe  der  Säfär  aus  ist. 

Frau  Hadji  Räsul  sagt  zu  ihrem  Manne:  Ich  bin  ja  auch  selbst 
nicht  damit  einverstanden,  daß  die  Trauung  Ende  Säfär  vollzogen 
wird,  ich  habe  auch  heute  Bäjim  Chanum  gesagt,  daß  wir  es  auf 
den  Rebi  el  äwwäl  verschieben  wollen.  Der  Bräutigam  hat  es  nur 
ein  wenig  eilig,  doch  sie  werden  seine  Einwilligung  schon  erreichen. 
Jetzt  muß  vor  allem  einmal  die  Aussteuer  für  das  Kind  schnell  in 
Ordnung  gebracht  werden.  Wenigstens  ein  Teppich,  drei,  vier  Bett- 
zeuge, ein  Anzug  für  den  Bräutigam,  ein  Siegelkästchen,  für  den 
Brautzeugen  ^)  ein  Anzug  und  dann  noch  allerhand  Kleinigkeiten,  die 
ich  selbst  zusammenstellen  muß.  Gut,  da  fällt  mir  noch  ein:  fünf 
Service  Vogelschüsseln ^)  oder  wenigstens  Hadschi  Schcch  Schüsseln 3), 
ein  Paar  silberne  Kästchen,  ein  Paar  Rosenwasserbehälter,  drei 
Paar  Stühle,    zwei  Tische,    zwei  Samoware,    einer  aus  Nickel  (Weiß- 

')  saydis  ist  der  Freund  des  Bräutigams,  der  bei  der  Trauung  zu  seiner  Rechten  steht. 

^)  vogelförmige  Schüsseln,  englische  Ware. 

3)  besondere  Art  großer  Schüsseln,  nach  irgendeinem  bekannten  Mann  im  Stadt- 
viertel, der  einmal  etwas  mit  diesen  Schüsseln  zu  tun  gehabt  hat,  benannt.  Russische 
Ware.     Man  sagt  so  z.  B.  ron  einem  großen  Pferd:  hagi  söx  atyna  benzer. 

14* 


212  Hellmut  Ritter,  Aserbaidschanische  Texte  zur  nordpersischen  \'olkskunde. 

metall),  einer  aus  Messing  (Bronze),  ein  Kaffeekocher  aus  Nickel, 
zwei  große  Teekannen,  vier  Tischservice,  zwei  Paar  Limonaden- 
karaffen, zwei  Behälter  für  Zuckerzeug  und  außerdem  noch  allerhand 
Kleinigkeiten,  die  mir  eben  gerade  nicht  einfallen.  Das  muß  alles 
in  einer  Woche  zusammengebracht  werden. 

Hadji  Räsul:  Ich  habe  nichts  dagegen,  werde  auch  kaufen,  was 
ich  kann,  aber  der  Zimmerteppich  ist  ein  wenig  teuer,  so  ein  Teppich 
kostet  wenigstens  hundert  Toman.  Vielleicht  kannst  du  es  einrichten, 
daß  der  Teppich  wegbleibt. 

Schärbät  hat  bisher  zugehört,  als  ihr  Vater  sagt,  der  Teppich 
ist  zu  teuer,  steht  sie  auf  der  Stelle  auf,  geht  ins  andere  Zimmer  und 
fängt  an  zu  weinen. 

Frau  Hadji  Räsul:  [Da  siehst  du,  wie  traurig  das  Kind  ist,  es 
ist  weggegangen.  Ich  kenne  ja  doch  mein  Kind:  Es  läßt  nicht  nach, 
bis  es  durchsetzt,  daß  man  kauft,  was  es  haben  will. 

Hadji  Räsul  mit  ärgerlicher  lauter  Stimme:  Da  tut  sie  sehr  un- 
recht! Des  Menschen  Herz  wünscht  viele  Dinge,  aber  es  muß  auch 
möglich  sein!  Wenn  das  Ding  einmal  unmöglich  ist,  wie  soll  ich's 
denn  zustande  bringen.'* 

Frau  Hadji  Räsul  geht,  ohne  ihrem  Manne  zu  antworten,  zu 
ihrer  Tochter:    Kind,  was  hast  du,  warum  bist  du  so  traurig? 

Schärbät  gibt  keine  Antwort.  Die  Mutter  tritt  zu  ihr  heran  und 
hebt  mit  der  Hand  ihrer  Tochter  Kopf  in  die  Höhe  und  sieht,  daß 
sie  weint:  Kind,  was  hast  du  denn,  was  ist  dir  denn  geschehen,  wa- 
rum weinst  du.-^ 

Schärbät  will  sprechen,  aber  das  Weinen  erstickt  ihr  die  Kehle, 
so  daß  sie  nicht  sprechen  kann,  sie  schluchzt  und  .weint  noch  mehr. 
Die  Mutter  streichelt  sie,  küßt  sie  aufs  Gesicht  und  spricht:  Kind, 
sei  nicht  traurig,  ich  weiß,  dein  Vater  will  sich  den  Teppich  vom  Halse 
schaffen,  deswegen  weinst  du.  Aber  sei  nur  unbesorgt,  wenn  dein 
Vater  ihn  auch  nicht  kauft,  so  bin  ich  doch  noch  nicht  tot;  und  wenn  ich 
mein  gesticktes  Wandtuch,  meine  Halskette,  meine  Armbänder  ver- 
pfänden oder  verkaufen  müßte,  ich  kaufe  dir  einen  Teppich. 

Schärbät  spricht  im  Weinen:  Mutter,  Gott  möge  dich  mir  er- 
halten, ich  weiß,  daß  du  alles  für  mich  gibst,  aber  das  will  ich 
nicht,  daß  du  für  mich  deine  Sachen  verpfändest.  Aber  das  sage 
ich,  wenn  mir  der  Vater  keinen  Teppich  kauft,  dann  heirate  ich  nicht! 


über  eine  Palasttüre  und  Schlösser  nach 

al-Gazari. 

\'on 

E.  Wiedemann  und  F.  Hauser. 

Mit  37  Abbildungen  im  Text. 

Inhalt. 
I.    Einleitung. 
IL    Türe  am  Königspalast   zu  Ämicl.    i.  Übersetzung  der  Beschreibung  Öazarl's. 
2.  Erläuterung  der  Beschreibung   Gazarl's.     3.   Betrachtungen  zu  den  gießtechni- 
schen Angaben  Gazarl's. 

III.  Buchstabenschloß     für     einen     Kasten.      i.   Übersetzung    der    Beschreibung 
Gazarl's.     2.  Erläuterung  der  Beschreibung  Gazari's. 

IV.  Schloß     mit    vier    Riegeln    für    eine    Türe;    Übersetzung   der  Beschreibung 
Gazarl's. 

V.    Anhang.     Darstellung  einer   Gazari-Uhr  in  einer  Miniatur. 

I.  Einleitung. 

Die  folgenden  Seiten  enthalten  die  Bearbeitung  einer  Reihe  von 
Abschnitten  des  letzten  Gebietes  [nau^]  von  Gazarl's  Werk  über  die 
Kenntnis  der  geometrischen,  sinnreichen  (mechanischen)  Anordnungen. 

Es  handelt  sich  einmal  um  eine  künstlerisch  ausgestattete  Türe 
an  einem  Palast  zu  Ämid,  dann  um  ein  kunstvolles  Schloß  an  einem 
Kasten  und  um  ein  Schloß  an  einer  Türe.  Die  betreffenden  Stellen  haben 
ein  besonderes  Interesse,  weil  sie  uns  einen  Einblick  in  technische  Ver- 
fahren der  Araber  geben  und  damit  auch  der  Antike,  von  denen  wir  ja 
im  ganzen  wenig  wissen. 

Von  den  drei  uns  zur  Verfügung  stehenden  Handschriften  ^)  enthält 
die  Beschreibung  der  ersten  Anordnung  nur  die  Oxforder  Handschrift; 
der  Abschreiber  der  Leidener  Handschrift  1025  sagt:  »Ich  habe  das 
46.  Kapitel,  d.h.  das  erste  Kapitel  der  sechsten  Gattung  fortgelassen; 


•)  Oxford,  M.  S.  Grav.  27,  Leiden  1025  und  1026;  vgl.  E.  Wiedemann  unter  Mit- 
wirkung von  F.  Hauser,  Über  die  Uhren  hn  Bereich  der  islamischen  Kultur.  Nova  Acta. 
Abh.  der  Kaiserl.  Leop.-Carol.  Deutschen  Akademie  der  Naturforscher.  Band  C,  Nr.  5, 
.S.  55.     Halle  (Saale)  1915. 


211  E.  Wiedemann  und  F.  Hauser, 

es  behandelt  die  Herstellung  einer  Türe  in  der  Stadt  Ämid,  da  dieses  von 
geringem  Nutzen  ist  und  der  Verfasser  bei  seinen  Ausführungen  hierüber 
sehr  ausführlich  ist.«  Die  beiden  andern  Stücke  finden  sich  in  allen 
drei  Texten;  wir  legen  aber  stets  denjenigen  der  Oxforder  Handschrift 
zugrunde.  Die  Abbildungen  sind  in  der  früher  angegebenen  Weise 
hergestellt.  Wo  es  nötig  war,  sind  die  Konstruktionen  durch  beigegebene 
Zeichnungen  erläutert  worden. 

Reichliche  Anmerkungen  sollen  die  Ausführungen  Gazari's,  die 
nicht  immer  ganz  leicht  verständlich  sind,  zugänglicher  machen. 

Wir  wenden  uns  nun  seinem  Werk  selbst  zu  i) : 

IL  Türe  am  Königspalast  zu  Amid. 

I.  Am  Schlüsse  des  Abschnittes,  der  dem  von  uns  hier  behandelten 
vorangeht,  sagt  Gazari: 

»Ich  will  beschreiben,  w^as  ich  hergestellt  habe;  es  ist  eine  Türe  aus 
gegossenem  Messing« 
und  fährt  dann  fort : 


')  Da  mit  der  vorliegenden  Veröffentlichung  das  ganze  Werk  Gazari's  allgemein 
zugänglich  gemacht  ist,  so  erlauben  wir  uns,  eine  Zusammenstellung  der  Stellen  zu  geben. 
an  denen  die  einzelnen  Teile  von  uns  bzw.  dem  einen  von  uns  veröffentlicht  sind: 

1.  Gattung.  Über  die  Konstruktion  der  Uhren,  durch  die  man  den  Ablauf  der  gleich- 
mäßigen und  zeitlichen  Stunden  kennen  lernt  (lo  Kapitel).     Nova  Acta,  1.  c. 

2.  Gattung.  Über  die  Konstruktion  von  Gefäßen  und  Gestalten,  die  bei  Trinkgelagen 
passende  Verwendung  finden  (lo  Kapitel).     Der  Islam  Bd.  VIII,  1918,  S.  55 — 93. 

3.  Gattung.  Über  die  Konstruktion  der  Krüge  und  Tassen  zum  Aderlassen  und 
zur  Waschung  (10  Kapitel).    Archiv  für  Geschichte  der  Medizin  Bd.  XI,  1918,  S.  22—43. 

4.  Gattung.  Über  die  Konstruktion  der  Springbrunnen  in  Teichen,  die  ihre  Gestalt 
wechseln,  und  über  die  immerwährenden  Flöten  (10  Kapitel).  Der  Anfang  ist  Berichte  der 
Wetterauischen  Gesellschaft  1908  veröffentlicht,  der  Rest   Amari- Festschrift  1909. 

5.  Gattung.  Über  die  Konstruktion  der  Instrumente,  die  Wasser  aus  Wassermassen, 
die  nicht  tief  sind,  und  aus  einem  fließenden  Fluß  emporheben  (5  Kapitel).  Beiträge  zur 
Geschichte  der  Technik  und  Industrie,  Jahrbuch  des  Vereins  Deutscher  Ingenieure  19 18, 
Bd.  8,  S.  121 — 154. 

6.  Gattung.  Über  die  Konstruktion  verschiedener  Gegenstände,  die  einander  nicht 
ähnlich  sind  (5  Kapitel). 

a)  Über  die  Herstellung  einer  Türe  ans  gegossenem  ^lessing  am  Hause  des  Königs 
in  Amid.     In  der  vorliegenden  Arbeit. 

b)  Über  ein  Instrument,  mit  dem  man  einen  Kreis  durch  drei  Punkte  auf  einer  Kugel- 
oberfläche oder  Ebene  zeichnen  kann  und  das  zum.  Konstruieren  von  spitzen  und 
stumpfen  Winkeln  dient.     Zeitschr.  f.  Vermessungswesen,  19 10,  H.  22  u.  23. 

c)  Über  ein  Schloß  mit  12  Buchstaben  zum  Verschließen  eines  Kastens.  In  der 
vorliegenden  Arbeit. 

d)  Über  vier  Riegel  auf  dem  Rücken  einer  Türe.     In  der  vorliegenden  Arbeit. 

e)  Über  eine  Kahnuhr.    Nova  Acta,  1.  c.  S.  165  u.   166. 


über  eine  Palasttüre  und  Schlösser  nach  al-Gazari.  2  I  5 

Sechstes   Gebiet    [nau'-). 
Es  behandelt  verschiedene  nicht  zusammengehörige  Gegenstände; 
es  zerfällt  in  5  Kapitel. 

Erstes   Kapitel    [sakl). 

Es  behandelt: 

Die  Türe,  die  ich  aus  gegossenem  Messing  hergestellt 
habe,   und   zwar  für   den   Königspalast   zu  Ämid  0- 

Sie  ist  das  Prunkstück  der  Werke  und  um  sie  zu  sehen,  schnallt 
man  die  Sättel  auf  2).  Denn  es  ist  in  Wahrheit  die  Perle,  die  Waise  3) 
und  ein  Besitz  kostbar  an  Wert.    Das  Kapitel  zerfällt  in  drei  Abschnitte. 

Erster  Abschnitt  {fast). 
Ich  beschreibe  das  äußere  Aussehen  der  Türe  (Fig.  i)  4). 
Es  ist  eine  Türe  mit  zwei  Flügeln,  die  je  etwa  18  Spannen  (4,5  m)  5) 
hoch  und  je  etwa  6  Spannen  (1,5  m)  breit  sind.  Die  Mittelfläche  des 
Türflügels  besteht  aus  einem  Gitterwerk  {sabaka)(')  aus  zwei  Linien- 
elementen, einem  sechseckigen  (=  sechsstrahliger  Siegelstern,  s.  w.  u.; 
Aail  musaddas)  und  einem  achteckigen  (=  achtstrahliger  Siegelstern, 

1)  Es  handelt  sich  um  den  Palast  eines  der  Urtuqiden  Qutb  ad-Dln  Sukmän  IL 
(1185— 1200)  oder  Näsir  ad-Din  Mahmud  (1200— 1222),  und  zwar  wahrscheinlich 
denjenigen  des  letzteren,  da  für  diesen  das  Werk  verfaßt  wurde.  Bei  beiden  hatte  Gazarl 
in  Diensten  gestanden.  Ämid  war  die  Hauptstadt  von  Dijär  Bekr  und  liegt  am  Tigris, 
da,  wo  dieser  von  seiner  NS-Richtung  scharf  nach  Osten  umbiegt. 

2)  Diese  einleitenden  Worte  sind  in  gereimter  Prosa  verfaßt,  daher  der  blühende  Stil. 

3)  Der  Ausdruck  »die  Waise«  (jaiima)  wird  vielfach  für  einzig  dastehende  Kunst- 
werke und  Juwelen  benutzt,  vor  allem  für  Perlen,  so  für  eine,  die  der  Chalife  'Abd  al- 
Malik  (687 — 705)  besaß  (Beiträge  XXX,  S.  220).  Man  kann  nach  Herzfeld  etwa  al- 
durra  al-jatlma  mit  »Die  Waisenperle«  übersetzen  als  die  größte  und  kostbarste  Perle 
in  dem  System,  nach  dem  der  Wert  der  Perlen  bestimmt  wurde. 

4)  Die  Figur  gibt,  wie  auch  der  Text  später  erwähnt,  nur  die  eine,  und  zwar  obere, 
Hälfte  eines  Türflügels,  und  zwar^  des  ünken.  Die  Aufschrift  lautet:  Die  Herrschaft  ist 
Gottes,  des  Einzigen,  des  Bezwingers. 

5)  Nach  M.  Reinaud,  Geographie  d' Aboulfeda,  Paris  1848,  tome  I,  p.  264  und  265 
und  andern  ist  die  Spanne  gleich  der  Hälfte  einer  gewissen  Elle  zu  24  Fingern.  Die  Elle 
ist  zu  rund  ^jz  m  zu  rechnen,  so  daß  eine  Spanne  rund  V4  m  und  ein  Finger  rund  2  cm 
gesetzt  werden  kann.  Neben  dieser  gewöhnlichen  Elle  (der  Elle  »der  richtigen  Hand«) 
gibt  es  noch  eine  Reihe  anderer,  die  von  ihr  mehr  oder  weniger  sich  unterscheiden.  Be- 
sonders erwähnt  wird  die  malekitische  oder  königliche  und  häschimitische  Elle,  welche 
32  Finger  mißt.  Auf  sie  werden  3  Spannen  gerechnet.  Vgl.  u.  a.  Ibn  Rosteh,  Bibl. 
Geogr.  Arab.  VII,   S.  22. 

^)  Wörtlich  heißt  sabaka:  »Netz«.  Wie  der  Text  zeigt,  handelt  es  sich  hier  um  ein 
Linienmuster  aus  Metallstäben.  Wir  übersetzen  daher  sabaka  nicht  mit  »Netz«,  sondern 
mit   »Gilterwerk«  oder  kurz  »Gitter«. 


2l6 


E.  Wiedemann  und  F.   Haus  er, 


s.  w.  u.;  halt  mutamman).    Es  besteht  aus  Stäben,  deren  Breite  gleich 
einer  Fingerbreite  ist,   es  ist  aber  tiefer  (dicker);   jeder  Stab  hat  zwei 

Randleisten  [haffa), 
zwischen  denen  sich 
eine  runde  Mittelleiste 
befindet  I).  In  den  Mit- 
ten von  seinen  Siegel- 
sternen ^)  befinden  sich 
hohle  Kuppeln,  die  mit 
Blättern  verziert  sind, 
welche  verschiedene  Ge- 
stalt haben,  deren  Sten- 
gel ebenmäßig  (gerade) 
gearbeitet  [mudmag) 
sind.  Die  Blätter  sind 
voneinander  abgewen- 
det {musdaf),  und  dabei 
ist  ihr  Untergrund  [ard] 
ziseliert  [muharram). 
Dann  sind  dabei  noch 
(nämlich  als  drittes 
Element;  s.u.)  mandel- 
förmige Gebilde  [mu- 
lawwaz)  3),  die  verziert 
[manqüs]  4)  und  mit  Sil- 
ber und  rotem  Kupfer 
ausgelegt  sind  [mu- 
fa'^'-am)  5) .  Das  Gitter- 
werk umgibt  eine   In- 


Fig.  1. 


I)  Haizurän  bedeutet  Rohr,  Bambus  usw.  Hier  ist  offenbar  eine  runde  Leiste 
gemeint. 

-)  Wörtlich  heißt  es:  »In  den  Mitten  von  seinen  Siegeln«  (iätam;  dies  ist  in  erster 
Linie  eine  Zeichnung  wie  das  Pentagramm;  hätam  Siileimätt),  wobei  unter  »Siegel«  die 
Zeichnung  des  Siegels  zu  verstehen  ist.  Wir  haben  hier  das  Wort  mit  »Siegelstern«  über- 
setzt, da  es  sich  um  sechs-  und  achtstrahlige  Sterne  handelt.  Im  folgenden  bezeichnen 
wir  die  Gebilde  in  der  Regel  kurz  als  »Sterne«. 

3)  Lauz  (Mandel),  pers.  bädäm,  ist  in  der  Ornamentik  die  gewöhnliche  Bezeichnung 
für  die  Raute.  Das  drachenförmige  Viereck  wird  zitronenschnitteförmige  (turn  ug)  »Raute« 
oder  auch  mandelförmiges  Viereck  (s.  w.  u.)  genannt. 

4)  Naqasa:  verzieren,  bemalen;  auch  ziselieren  usw.  Es  heißt  auch:  mit  ver- 
schiedenfarbigen Metallen  belegen. 

5)  D.  h.  also  :  das  geometrische  Muster  der  Türe  ist  aus  den  drei  Elementen  :  Sechs- 
eck, Achteck  und  mandelförmigem  Viereck  zusammengesetzt.     Über  ähnliche  derartig 


über  eine  Palasttüre  und  Schlösser  nach  al-Gazari. 


■17 


Schnitt  a — b. 


Schrift  [a,  Fig.  i)  ^)  in  kufischer  Schrift  mit  ebenmäßigen  Buch- 
staben. Zwischen  den  Buchstaben  sind  ebenmäßige  Blätter,  der 
Untergrund  der  Blätter  ist  .ziseliert  [und  unter  der  Ziseherung  ist 
eine  Platte  aus  Messing,  die  mit  feinen  Windungen  {laff  daqiq)^)  ge- 
schmückt ist.  Diese  Schrift 
unigibt  ein  polierter  [mam- 
süh)  Rand  {h),  er  besteht  aus 
Messing  und  aus  rotem  Kup- 
fer, er  ist  mit  zwei  ver- 
schiedenfarbigen Blätter(ar- 
ten)  verziert,  einem  gelben 
Blatt  in  einem  roten  Blatts) 
und  die  Spur  des  Grabens 
mit  dem  Griffel  zeigt  keinen 
Endpunkt  4).  Diesen  Rand 
umgibt  ein  weiterer  Rand 
[c)  aus  gegossenem  Messing; 
seine  Gestalt  ergibt  sich  aus 
der  Figur. 

Auf  dem  oberen  Ende 
des  Flügels  befindet  sich  eine' 
Messingplatte  [d),  auf  der  ein 
gewölbtes  [näti*)  5)  Ouerstück 
aus  gegossenem  Messing  [e) 
angebracht  ist;  auf  ihm  be- 
finden sich  nahe  aneinander- 
stehende  große  Nägel   (/)  von  schöner  Ausführung. 

Muster  (sogen.  Flechtbandmuster)  zur  Ausschmückunfj;  von  Wänden  und  Mauern,  Schein 
fensterrt,   Fenstern  und  Türen  ist  sehr  viel  zu  finden  in  »Mdsul«    von  Ernst  Herzfeld, 
Sonderabdruck  aus  »Archäologische  Reise  im  Eu[)hrat-  und  Tigris-Gebiet«  von  Friedrich 
Sarre   und  Ernst   Herzfeld.     Dietrich  Reimer,  Berlin,   1920,    S.  230  ff. 

')  Die  Fig.  i  enthält  im  Original  keine  Buchstaben,  diese  wurden  erst  von  uns 
eingesetzt. 

-)  Laff  sind  die  Spiralcinrollungen  bei  Ranken  usf.  In  Mositl  heißen  die  Voluten 
.in  Holzkapitellen  malfüf.. 

3)  Nach  der  späteren  Beschreibung  wird  durch  Gießen  ein  Blättermuster  aus  »rotem 
Kupfer«  in  einer  Messingplatte  erzeugt.  Es  ist  also  hier  wohl  gelb  und  rot  miteinander 
verwechselt. 

4)  Gemeint  ist  wahrscheinlich,  daß  bei  den  mit  dem  Gravierstichel  (qalam  hat  nach 
einer  späteren  Stelle  diese  Bedeutung)  ausgeführten  Verzierungen  Anfang  und  Ende 
ohne  Absatz  ineinanderlaufen  wie  bei  einer  geschlossenen  Kurve. 

5)  Der  Text  hat  näbita,  was  zur  Not  plastisch,  reliefiert,  vortretend  heißen  könnte. 
Es  ist  aber  wohl  zu  lesen:  >iäti',  hervorragend,  gewölbt. 


Kig.    1  a. 


2i8  E.  Wiedemann  und  F.  Haus  er, 

An  dem  rechten  Flügel  befindet  sich  die  Anschlagleiste  (g), 
harazaY),  es  ist  die  Nase  [auf).  Ich  beschreibe  ihre  Gestalt.  Ihr  Mittel- 
stück ist  etwa  10  Spannen  (2,5  m)  lang  und  hat  die  Form  einer  halben 
Röhre,  an  seinen  Seiten  sind  zwei  Rohre  [haizurän)  ^)  sowie  Bemalung 
und  ein  Teil  ist  mit  Silber  ausgelegt.  Dazwischen  befinden  sich  eben- 
mäßig geformte  Blätter.  Ihr  Untergrund  ist  ziseliert.  Die  beiden 
Endstücke  der  Anschlagleiste  sind  vierkantig.  Die  Seitenflächen  {ganh) 
(der  Endstücke)  sind  verziert,  aber  nicht  ziseliert.  Die  beiden  Vorder- 
flächen {wagh)  (der  Endstücke) :  jede  von  ihnen  ist  mit  zwei  verschieden- 
farbigen Blätterarten  verziert,  und  zwar  mit  glatten;  die  eine  von  ihnen 
besteht  aus  Messing,  die  andere  aus  rotem  Kupfer.  Die  beiden  Blätter- 
arten gleichen  einander  und  haben  genau  die  gleiche  Größe;  sie 
sind  ineinander  verflochten,  wie  dies  bei  den  in  Holz  hergestellten  der 
Fall  ist. 

Ich  habe  nur  die  (obere)  Hälfte  eines  Flügels  abgebildet.  Dabei 
habe  ich  nicht  danach  gestrebt,  die  Zeichnung  vollständig  durchzu- 
führen 3).  Mein  Ziel  war,  die  Anordnung  darzustellen,  damit  man  das 
Ganze  verstehe  und  die  Einzelheiten.  Man  sieht  leicht  ein,  daß  es  bei 
den  Figuren  und  den  Darstellungen  von  körperlichen  Gegenständen 
Unklarheiten  gibt,  aber  in  der  Vorstellung  (Phantasie;  lies  tasawwur) 
ist  es  möglich,  das  eine  und  das  andere  zusammenzusetzen,  zurTSeite 
zu  biegen  (von  der  Seite  zu  betrachten)  {tasdif?)  und  zu  zerschneiden 
[tagzi^)  und  gradweise  vorzugehen  [tadrfg)  und  das  (Darzustellende) 
aufzurichten.  Die  Zeichnungen  von  allem,  was  ich  dargestellt  habe, 
sind  ebene  Darstellungen,  an  denen  das  klar  werden  soll.  Ich  habe 
das  Bild  von  einigem  von  dem,  was  ich  beschrieben  habe,  gezeichnet. 
Ebenso  ist  es  mit  den  andern  Zeichnungen  der  Figuren  4). 

')  Wir  übersetzen  haraza  mit  »Anschlagleiste«,  da  aus  dem  Ende  des  letzten  Ab- 
schnittes des  Kapitels  folgt,  daß  es  sich  um  diesen  Teil  der  Türe  handelt.  Dem  Text 
zufolge  befindet  sich  die  Anschlagleiste  an  dem  rechten  Türflügel;  sie  ist  jedoch  hier  auf 
dem  linken  dargestellt. 

2)  Zu  Rohr  vgl.  w.  oben. 

3)  Das  ganze  Gitterwerk  ist  in  der  Figur  i  nur  durch  einfache  Linien  dargestellt  und 
von  den  Verzierungen  der  verschiedenen  Ränder  und  Platten  sind  nur  kleine  Stücke 
wiedergegeben.  Eine  den  Aufbau  des  Gitters  aus  einzelnen  Stücken  (s.  w.  u.)  berück- 
sichtigende Rekonstruktion  eines  Stückes  desselben  wurde  in  Fig.  i  a  gegeben.  Von 
einer  Wiedergabe  der  Oberflächenstruktur  der  einzelnen  Gußstücke  (runde  Mittelleiste, 
Verzierungen;  s.  w.  u.)  wurde  hierbei  zur  Vermeidung  einer  die  Klarheit  der  Zeichnung 
beeinträchtigenden  Linienfülle  abgesehen.  Jedoch  wurden  die  Köpfe  der  eingegossenen 
Nägel  (s.  w.  u.)  eingetragen.  Auf  Fig.  t  a  wird  auch  später  wiederholt  Bezug  genommen 
werden. 

4)  Gazarl  will  mit  diesen  Worten  wohl  dartun,  daß  es  schwierig  sei,  körperliche 
Gebilde  zeichnerisch  darzustellen,  da  die  Zeichnungen  ebene  Gebilde  sind  und  somit  nur 


über  eine  Palasttüre  und  Schlössernach  al-Gazarl.  219 

Zweiter   Abschnitt. 
Darüber,    wie   man   das   Gitterwerk   herstellt. 

Für  das  ganze  Gitterwerk  außer  für  den  Rand  schnitt  ich  drei 
Stücke  (aus  Holz),  die  als  Modelle  [mitäl)  dienten;  einmal  die  Gestalt 
eines  sechseckigen  Siegels  mit  spitzen  Winkeln  (Fig.  2),  (dann)  eines 
achteckigen  Siegels  mit  spitzen  Winkeln  (Fig.  3)  und  eines  als  Ver- 
bindungsstück dienenden  (wörtlich:  eintretenden,  mungall)  Gebildes, 
nämlich  eines  »mandelförmigen«  Vierecks  mit  spitzem  Winkel 
(Fig.  4)  i).  Dann  machte  ich  eiserne  Nägel  (Fig.  5),  die  je  4  (quer- 
gelegte)  Finger  lang 2')  waren,  ihre  Köpfe  sind  nicht  flach  [muwadda^), 
sondern  haben  die  Gestalt  eines  kleinen  Dattelkerns,  der  sich  quer  über 
das    Ende    des    Nagels    legt.       Dann    drückte     ich    das    sechseckige 


Fig.  4-  Fig.  5. 

Fig.  3. 

Modell  in   Sand  ein  wie    die    Gießer    [sabbäb)    in    die    Vorrichtungen 
zum   Gießen.      Ich   hob   das   Modell   aus   dem    Sand    und    steckte   in 


eine  ebene  Abbildung  gestatten.  Demgegenüber  sei  es  der  Phantasie  möglich, j  alle 
Einzelheiten  zu  erfassen,  auch,  wenn  sie  in  verschiedenen  Ebenen  liegen.  Während 
ferner  die  Zeichnung  nur  die  fertige  Anordnung  oder  das  fertige  Teilstück  zeige,  sei  es  in 
Gedanken  möglich,  schrittweise  vorzugehen  und  den  ganzen  Vorgang  des  Aufbaues  der 
Vorrichtung  durchzudenken.  Daß  Gazari '^trotzdem  der  zeichnerischen  Darstellung 
hohen,  ja  ausschlaggebenden  Wert  beimißt,  geht  aus  dem  Schluß  des  Kapitels  hervor, 
wo  er  sagt,  daß  das  Vertrauen  auf  das  Zeugnis  der  Abbildung  und  nicht  auf  die  Be- 
schreibung zu  setzen  sei. 

')  Die  Figuren  2,  3  und  4  zeigen  die  Ecken  der  Modelle  ganz  oder  teilweise  abge- 
stumpft. Diese  Abstumpfungen  sind'  für  das  Zusammensetzen  des  Gitters  nötig,  wie 
die  Fig.  i  a)  ohne  weiteres  zeigt.  Aus  dieser  Figur  ist  auch  zu  ersehen,  daß  in  den  Figuren 
2  und  3  die  Abstumpfungen  nicht  ganz  richtig  wiedergegeben  sind.  An  dem  Viereck 
mußten  drei  Ecken  abgestumpft  sein,  während  an  dem  Achteck  nur  die  Hälfte  der  Ecken 
abgestumpft  sein  mußte  und  wohl  auch  nur  abgestumpft  war.  Eine  Abstumpfung  auch 
der  zweiten  Hälfte  der  Ecken  des  Achteckes  müßte  auch  in  der  Gestalt  der  betreffenden 
Füllung  (s.  w.  unten,  Fig.  11  und  12)  zur  Geltung  kommen,  was  aber  nicht  der  Fall  ist. 
*)  Die  Fig.  5  zeigt  den  Stift  dieses  Nagels  viel  zu  kurz.  Im  ersten  Abschnitt  hatte 
es  geheißen,  daß  die  Breite  der  Stäbe  eine  Fingerbreite  betrage.  Das  Folgende  lehrt,  daß 
der  Durchmesser  des  Nagelkopfes  dieses  Maß  keinesfalls  überschreiten  durfte.  Die  Ge- 
samtlänge des  Nagels  ist  also,  mindestens  viermal  so  groß  als  der  Durchmesser  des  Nagel- 
kopfes.   Vermutlich  ist  zur  Raumersparnis  der  Stift  des  Nagels  verkürzt  gezeichnet. 


220  E;  Wie  dem  an  n  und  F.  Hauser, 

die  Spur  seines  »Rückens«  im  Sand  an  den  Ecken  12  Nägel,  so  daß 
beinahe  der  (Dattel-)  Kern  des  Kopfes  eines  jeden  Nagels  den 
Sand  berührte,  aber  doch  zwischen  ihm  und  dem  Sand  ein  kleiner 
Zwischenraum  blieb  ^).  Dann  brachte  ich  eine  Vorrichtung  an  die 
andere  (?)  2)  und  goß  das  geschmolzene  Messing  in  sie,  aber  nicht  auf  die 
Köpfe  der  Nägel.  So  entstand  ein  sechseckiger  Stern.  In  derselben 
Weise  verfuhr  ich  bei  dem  Achteck  und  dem  Viereck,  bis  die  für  die 
zwei  Türflügel  erforderliche  Zahl  (von  Gußstücken)  vollständig  war, 
und  ich  richtete  alles  mit  der  Feile  [mihrad)  und  dem  Schaber  [migrad) 
und  ähnlichem  zu.  Dann  machte  ich  für  jeden  Stern  eine  gewölbte 
Kuppel  (qubba)  aus  gegossenem  Messing  (Fig.  6  und  7),  die  von  den 
einspringenden  Winkeln  des  Sterns  umgeben  wird.     Die  obere  Fläche 


Fig.  6. 


Fig.  7.  Fig.  8.  Fig.  9. 


der  Winkel  ist  eben,  sie  erheben  sich  so  hoch  wie  der  Stab  {qa^ib)  des 
Gitters  3).     Zwischen  den  Winkeln  des  Umfanges  der  Kuppel  und  dem 


I)  Diese  Stelle  ist  niTht  recht  klar.  Sie  kann  bedeuten,  daß  der  Nagel  seitlich 
nicht  die  Wandung  der  Gießform  berührte.  Sie  kann  jedoch  auch  ein  Maß  für  die  Tiefe 
des  Eindrückens  des  Nagels  in  den  Sand  geben  sollen.  Der  Wortlaut  des  Satzes  in 
Verbindung  mit  der  in  dem  folgenden  Satze  gegebenen  Anweisung,  das  geschmolzene 
Messing  nicht  auf  die  Köpfe  der  Nägel  zu  gießen,  läßt  wohl  schheßen,  daß  die  Nägel  mit 
ihren  Spitzen  in  den  Boden  der  Sandform  gedrückt  wurden,  und  zwar  so  weit,  daß  der 
Nagelkopf  den  Boden  der  Form  noch  nicht  berührte  oder  der  auf  dem  Nagelkopf  befind- 
hche  Dattelkern  noch  ein  wenig  über  die  Ebene  der  Sandoberfläche  hervorragte.  Bei  dem 
Gießen  mußten  die  Nagelköpfe  frei  bleiben.  Aus  dem  fertigen  Gußstück  ragten  dann  auf 
der  Vorderseite  die  dattelkernförmigen  Nagelköpfe  und  auf  der  Rückseite  die  Spitzen  der 
Nägel  hen,-or.  Die  im  ersten  Abschnitt  erwähnte  Form  der  Oberfläche  der  Stäbe  (zwei 
Randleisten,  zwischen  denen  sich  eine  runde  Mittelleiste  befand)  mußte  dann  durch  me- 
chanische Arbeit  (Graben,  Feilen)  hergestellt  werden.  Durch  Gießen  hätte  sie  nur  dann 
erhalten  werden  können,  wenn  die  Modelle  mit  der  Oberseite  nach  unten  in  den  Sand 
gedrückt  worden  wären.  Es  hätten  dann  auch  die  Nägel  mit  den  Köpfen  voraus  in  den 
Sand  gesteckt  werden  müssen.  Der,  Wortlaut  des  Textes  läßt  jedoch  diese  Deutung 
weniger  leicht  zu,  wenn  man  auch  in  der  Feststellung,  daß  die  Nägel  in  die  »Spur  des 
Rückens«  des  Modells  im  Sande  gesteckt  wurden,  einen  Anhaltspunkt  dafür  sehen  mag, 
vorausgesetzt,  daß  nicht  unter  dem  »Rücken«  wie  sonst  oft  die  Rückseite  zu  verstehen 
ist.     Über  den  Zweck  der  Nägel  s.  w.  u. 

-)  Hieraus  läßt  sich  vielleicht  folgern,  daß  Gazari  mehrere  Formen  gleichzeitig 
herstellte  und  goß. 

3)  Dies  soll  wohl  heißen,  daß  die  das  Gitter  bildenden  Stabsysteme  keine  Krümmun- 


über  eine  PalasttUre  und  Schlösser  nach  al-Gazari.  221 

Stab  des  Sterns  befindet  sich  ein  Zwischenraum  ^).  Die  Seiten  der 
Winkel  einer  Kuppel  entsprechen  der  Seite  der  Kuppel,  wie  dies  bei 
den  Tischlern  üblich  ist  hinsichtlich  der  Füllungen  [huswa)  ^)  der  Tisch- 
lerarbeiten [kärzuwän)  3).  Dann  verzierte  ich  die  Kuppel  mit  ver- 
schieden geformten  Blättern,  wie  es  die  Tischler  tun,  mit  Graben  [hafr), 
Ziselieren  [tangir)  und  weiß  und  schw^arz  Tupfen  [tagzf),  wobei  auch  die 
Stengel  ebenmäßg  gemacht  wurden.  Ich  ziselierte;  {harrama)  den 
Untergrund  der  Blätter  und  verwendete  darauf  die  größte  Mühe.  In  die 
Mitten  der  Vierecke  brachte  ich  Füllungen  (Fig.  lo)  mit  ebenen  Flächen 
und  senkrechten  Seiten,  entsprechend  der  Seite  des  Stabes.  Ihre  Höhe 
entsprach  der  Tiefe  des  Stabes.  Dann  machte  ich  dreieckige,  sattel- 
förmige 4)  Füllungen,  die  zwischen  den  Sternen  und  den  Vierecken  sich 
befinden  sollten  (Fig.  ii).  Die  Höhe  einer  jeden  Füllung  war  gleich 
der  Tiefe  des  Stabes  und  ihre  Seite  entsprach  der  Seite  des  Stabes. 


Fig.  lo. 


Dann  machte  ich  sattelförmige,  geschweifte  (wörtlich:  gebuckelte 
musannam)  Füllungen  (Fig.  12),  die  ebene  (glatte)  Flächen  hatten.  Sie 
kamen  zwischen  die  Sterne  und  die  Vierecke  und  in  die  Mitte  eines  jeden 


gen  aus  der  Horizontalebene  aufwiesen,  sondern  ebene  Gebilde  waren,  deren  Stärke  durch 
die  Höhe  des  sie  einschließenden  Rahmenstabes  (s.  u.),  als  welcher  der  »Stab  des  Gitters« 
dann  aufzufassen  wäre,  gegeben  war. 

1)  Dieser  Satz  ist  unklar.  Sein  Sinn  ist  wohl  der,  daß  der  Durchmesser  des  Grund- 
kreises der  Kuppeln  etwas  kleiner  war  als  der  größte  Kreis,  der  innerhalb  des  betreffenden 
Sterns  gezogen  werden  konnte,  so  daß  zwischen  dem  Stab  des  Sterns  und  dem  Fuß  der 
Kuppel  ein  Zwischenraum  vorhanden  war  (vgl.  Fig.   i  a). 

2)  J^uswa  haben  wir  mit   »Füllungen«  übersetzt. 

3)  Die  Bedeutung  des  persischen  Wortes  kärzuivän  ließ  sich  zunächst  nicht  fest- 
stellen; kär  bedeutet  Werk,  zuwän  Zunge;  es  handelt  sich  wohl  um  ein  besonderes  Muster. 
Herzfeld  glaubt,  daß  es  sich  um  die  feine  Schreinerarbeit  handelt,  die  der  hier  be- 
schriebenen Metallgießerei  in  der  Form  ähnelt:  Ein  Gitterwerk  aus  verzapften  Hölzern. 
Dies  dürfte  die  »Zungenarbeit«  sein.  Die  Füllungen  zwischen  den  verzapften  Stäben  sind 
dann  unter  die  übergreifenden  Ränder  der  Stäbe  gelegt. 

4)  Als  sattelförmig  bezeichnet  Gazarl  diese  Füllungen  nicht  etwa,  weil  sie  sattel- 
förmig gewölbt  gewesen  wären,  sondern  weil  ihre  Form  derjenigen  einer  auf  dem  Boden 
ausgebreiteten  Satteldecke  gleicht.  Besser  als  aus  den  w.  u.  erwähnten  Figuren  1 1  und  12 
läßt  sich  die  Gestalt  der  Füllungen  aus  Fig.   1  a  ersehen. 


222  ^'  Wiedemann  und  F.  Haus  er, 

Dreiecks  ^),   wie  eine  aus  der  Fläche  hervortretende  Rose.     Die  Fläche 
ist  verziert,  mit  Schwärze  grundiert  [mahsuww). 

Dann  machte  ich  Stäbe,  die  das  Gitterwerk  umgaben,  um  so  die 
Sterne  und  die  Vierecke  vollständig  zu  machen  ^).  In  ihnen  befanden 
sich  Nägel,  entsprechend  dem,  was  wir  vorher  bei  dem  Gießen  der  Sterne 
beschrieben  haben  3).  In  diesem  Gitterwerk  befand  sich  nicht  ein 
halber  Stern  und  nicht  ein  viertel  Stern  und  kein  unvollkommenes 
Bruchstück,  außer  den  beiden  Hälften  eines  Sterns  4).  Ich  gebe  ein 
Bild  des  sechseckigen  und  des  achteckigen  Sterns  sowie  des  Vierecks 
und  das  Bild  einer  ausgebauchten  {muqabbab)  Kuppel  und  das  einer  an- 
deren Kuppel  5)  und  die  Füllung  eines  Vierecks  und  eines  Dreiecks  und 
eines  Sattels  (Figur  6 — 12).  Und  man  verstehe  es  so,  daß  jeder  Kuppel 
jedem  Dreieck  und  jeder  Füllung  eines  Vierecks  ein  flacher  Rand 
zukommt,  dessen  Breite  halb  so  groß  ist  wie  diejenige  des  unteren  Teiles 
des  Stabes,  damit  dieser  auf  den  Rändern  jeder  Kuppel,  Füllung  und 
eines  jeden  Dreiecks  aufsitzt  ^). 


')  Hiermit  sind  die  das  Füllstück  umschließenden  gleichseitigen  Dreiecke  gemeint, 
auf  deren  Ecken  die  sechs-  und  achteckigen  Sterne  liegen  (vgl.  Fig.   i  und  i  a). 

-)  D.  h.  wohl,  um  die  Sterne  und  die  Vierecke  zu  einer  geschlossenen  Fläche  zu- 
sammenzufassen. 

3)  D.  h.  wohl,  daß  die  Nägel  der  Stäbe  ebenso  eingegossen  wurden  wie  die  Nägel 
der  Sterne. 

4)  Der  Sinn  dieser  Worte  ist  wohl  der.  daß  durch  den  Rahmen  kein  Stern  willkür- 
lich zerschnitten,  sondern  nur  ein  Stern  in  zwei  Hälften  geteilt  wurde.  Das  stimmt  mit 
der  Figur  i  überein,    wo  nur  der  sechseckige  Stern  halbiert  auftritt. 

5)  In  welcher  Weise  diese  beiden  Arten  von  Kuppeln  verteilt  waren,  wird  nicht 
erwähnt.  Es  ist  dies  auch  unwesentlich.  Bei  der  Durchführung  der  Fig.  i  a  wurde  ange- 
nommen, daß  sich  die  ausgebauchten  Kuppeln  in  den  Sternen  auf  der  senkrechten  Mittel- 
linie des  Gitters  befanden  und  die  glatten  Kuppeln  in  den  zu  beiden  Seiten  dieser  Linie 
liegenden  Sternen. 

6)  Um  die  hier  geschilderte  Konstruktion  zu  veranschaulichen',  wurde  in  Fig.  i  a 
auch  ein  Schnitt  durch  das  Gitter  gezeichnet.  Hierbei  mußte  eine  Annahme  über  die 
Höhe  der  das  Gitter  bildenden  Stäbe  gemacht  werden.  Der  Text  sagt  von  ihr  lediglich, 
daß  die  Stäbe  höher  als  breit  seien.  Die  Breite  beträgt  eine  Fingerbreite,  also'  rund  2  cm. 
Eür  die  Höhe  wurden  nun  4  cm  angenommen,  was  keinesfalls  zu  knapp  bemessen  sein 
dürfte.  Ferner  enthält  der  Text  keine  Angaben  darüber,  ob  die  Stärke  des  Randes  der 
Füllungen  in  deren  Höhe  mit  einzurechnen  sei  oder  nicht.  Hier  wurde  das  erstere  ange- 
nommen, daß  also  die  Füllungen  einschließlich  Rand  so  hoch  wie  der  Stab  seien.  Dann 
ragt  der  Stab  im  fertigen  Gitter  um  die  Dicke  des  Randes  an  den  Füllungen  über  diese 
empor.  Unter  diesen  beiden  Annahmen,  die  im  übrigen  nichts  Wesentliches  betreffen, 
wurde  die  Schnittzeichnung  durchgeführt.  Die  Nägel  wurden  hierbei  zur  Vereinfachung 
fortgelassen.  Ihre  Spitzen  würden  etwa  bis  zu  der  unterhalb  des  Schnittes  befindlichen 
gestrichelten  Linie  reichen.  Dagegen  wurden  in  der  Schnittzeichnung  die  runden  Mittel- 
leisten auf  den  Gitterstäben  berücksichtigt.  Wie  das  ganze  Gitter  zusammengehalten 
wurde,    erwähnt    öazari    nicht.     Nach  ähnlichen  Ausführungen  können  wir  schließen, 


über  eine  Palasttüre  und  Schlösser  nach  al-Gazarl. 


223 


Dritter  Abschnitt.     Über  die   Herstellung   des   Randes  aus 
Messing  und  rotem  Kupfer. 
Dazu  nahm  ich  eine  Platte  aus  Messing  und  ziselierte  [harrama]  sie 
nach  diesem  Muster  (Fig.  13).     Dann  machte  ich  für  diese  Platte  ein 


Fig.  13. 

unziseliertes  Modell  aus  Holz,  das  dicker  war  als  sie.  Dann  nahm  ich 
von  dem  Modell  einen  Abdruck  (wörtlich:  siegelte  ich  das  Modell  ab) 
in  dem  Sand  in  dem  Gießapparat,  dann  hob  ich  das  Modell  ab.  Dann 
legte  ich  in  seinen  Abdruck  die  ziselierte  Messingplatte,  schmolz  rotes 
Kupfer  und  goß  es  auf  die  Platte;  es  bedeckte  sie,  und  zwar  in  der  Dicke 
des  Modells.  Dann  entblößte  ich  die  Fläche  der  Platte  mit  der  Feile 
und  dem  Schaber.     Sie  hatte  folgende  Gestalt  (Fig.  14)  i). 


Fig.  14. 


daß  es  mittels  der  Nägel  auf  eine  Holztüre  aufgenagelt  wurde.  Wir  finden  nämlich  der- 
artige Türen,  welche  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten  haben.  Eine  solche  in  Gazi  rat 
al-*Omar  ist  beschrieben  von  Conrad  Preusser  in  »Nordmesopotamische  Baudenk- 
mäler« ly.  wissenschaftliche  Veröffentlichung  der  Deutschen  Orientalischen  Gesellschaft, 
1911,  S.  25,  eine  andere  an  dem  Mausoleum  des  'Aun  ad-din  in  Mosul  ist  beschrieben 
von  Ernst  Herzfeld  a.  a.  0.  S.  268,  269.  In  beiden  Fällen  besteht  das  Grundmaterial 
der  Türe  aus  schweren  Holzbrettern,  auf  welche  aus  Bronze-  bzw.  Eisenstäben  und 
Blechen  ein  geometrisches  Muster  aufgenagelt  ist.  Dazu  kommen  wohl  noch  andere 
mehr. 

')  Vorstehende  Schilderung  bedeutet  wohl  folgendes:  Es  sollte  eine  Messingplatte 
hergestellt  werden,  welche  eingelegte  Verzierungen  aus  Kupfer  hatte.  Dazu  wurden  aus 
einer  Messingplatte,  welche  eine  geringere  Dicke  hatte,  als  sie  das  Fertigstück  haben  sollte, 
die  Formen  der  Verzierungen  ausgeschnitten.  Dann  wurde  die  Messingplatte  mit  der 
Oberseite  nach  unten  in  eine  Sandform  gelegt,  der  man  mittels  eines  Holzmodells  (die 
»zweite  Platte«)  die  entsprechende  Form  und  Tiefe  gegeben  hatte.  Hierauf  wurde  ge- 
schmolzenes Kupfer  aufgegossen,  welches  nun  die  aus  der  Messingplatte  ausgegrabenen 
Stellen  füllte  und  zugleich  die  Platte  auf  der  Rückseite  bis  zu  der  gewünschten  Dicke 
verstärkte.  Diese  Verstärkung  diente  dann  zugleich  zum  Zusammenhalten  der  einzelnen 
Stücke  der  Verzierungen  und  verhütete  so  ihr  Herausfallen.  Nach  Fig.  14  zu  schließen, 
zeigte  nämlich  der  mittlere  Teil  der  Verzierungen  rautenähnliche  Messingkerne.  Diese 
mußten  vor  dem  Gießen  an  die  entsprechenden  Stellen  der  Form  gebracht  und  dort  ent- 
sprechend festgehalten  werden.     Öazarl  erwähnt  von  diesen  Stücken  nichts. 


224 


E.  Wie  de  mann  und  F.  Hauser, 


Hierauf  paßte  ich  das  Ende  einer  jeden  Platte  an  das  Ende  einer 
anderen  sorgfältig  an,  ohne  sie  zu  verlöten,  sodaß  (die  Trennungsstelle) 
beinahe  unsichtbar  war.  Dann  machte  ich  auf  ihnen  Zeichen  ^).  Hierauf 
machte  ich  aus  gegossenem  Messing  Platten,  auf  deren  Rücken  (=  Ober- 
fläche) sich  hervortretende  {näti')  Stellen  befinden;  auf  ihnen  sind  Nägel 
angebracht,  wie  ich  das  bei  den  Stäben  hergestellt  habe.  Das  ist  ein  Bild 
einer  Platte  (Fig.  15).  Jede  dieser  Platten  hat  einen  senkrechten  Rand, 
von  dem  einer  der  Türpfosten  [qd^ima)  der  Türe  begrenzt  wird. 


Pig-  '5- 

Dann  verfertigte  ich  für  die  beiden  Enden  eines  jeden  Türflügels 
ein  Querstück  aus  gegossenem  Messing  {e,  Fig.  l),  ähnlich  einer  Rinne 
{■mi*zäb)',  ihre  Länge  ist  kleiner  als  die  Breite  der  Türe  und  ihre  Breite 
etwa  drei  aneinandergelegte  Finger.  Ihre  beiden  Seiten  sind  versenkt 
(wörtlich:  versteckt).  Ihre  Fläche  ist  mandelförmig  und  kunstvoll  ge- 
arbeitet, um  darauf  große  kegelförmige  Nägel  anzubringen,  die  in 
Gruben  versenkt  sind  ^) .  ■ 

Dann  machte  ich  für  die  Enden  eines  jeden  Türflügels  eine  Messing- 
platte 3),     die    so     lang    war,    wie    d^r    Flügel    breit    war,     und    die 


Möglich  wäre  es  auch,  daß  die  Gestalt  der  kupfernen  Verzierungen  in  die  Messingplatte 
nur  eingegraben  wurde  und  diese  dann  mit  der  Oberseite  nach  oben  zum  Gießen  in  die 
Form  gebracht  wurde.  Die  größere  Dicke  des  Modells  bezweckte  dann  nur  das  Zustande- 
kommen eines  sogenannten  Gießkopfes,  der  nach  dem  Erstarren  entfernt  wurde.  »Dann 
entblößte  ich  die  Platte  mit  der  Feile  und  dem  Schaber«  ließe  sich  in  dieser  Richtung 
deuten.  Es  ist  dann  jedoch  nicht  recht  klar,  warum  Gazari  die  Messingplatte  nach  dem 
Einschneiden  der  Verzierungen  in  Fig.  13  gesondert  darstellte,  da  in  diesem  Falle  ein  Ein- 
setzen von  Stücken  und  somit  eine  Änderung  der  Zeichnung  nicht  möglich  war.  Man 
hätte  hier  die  Messingkeme  von  vornherein  stehen  lassen  müssen.  Man  müßte  daher  für 
den'zweitcn  Fall  annehmen,  daß  Gazari  in  Fig.  13  die  Messingkerne  versehentlich  nicht 
dargestellt  hat  und  daher  die  Zeichnung  in  Fig.  14  wiederholte. 

Von  den  beiden  Deutungsmöglichkeiten  dürfte  die  erstere  die  wahrscheinlichere  sein. 
')  Diese  Zeichen  dienten  wohl  als  Marken  für  das  Zusammenfügen  der  Türe, 

2)  Wir  lesen  statt  »mubakkarät«,  was  hier  keinen  Sinn  gibt,  »murakkabät«:  eingefügt, 
versenkt. 

3)  Es  ist  nicht  ersichtlich,  ob  hiermit  die  Platte  (ei)  der  Fig.  i  gemeint  ist.  Aus  der 
Angabe,  daß  sie  so  lang  wie  der  Flügel  der  Türe  breit  war,  ließe  sich  eher  schließen,  daß 
es  sich  um  die  Stücke  handelt,  welche  oben  und  unten  den  äußersten  Rand  (c,  Fig.  i) 
der  Türe  bildeten.  Gegen  diese  Annahme  und  für  die  Platte  (ä)  spricht  trotz  der  dann 
falschen  Längenangabe  die  relativ  große  Breite  sowie  der  Umstand,  daß  sonst  die  Platte 
(ä)  hier  nicht  erwähnt  würde.     Die  hier  bestehende  Unklarheit  ist  ohne  Belang. 


über  eine  Palasttüre  und  Schlösser  nach  al-Gazari.  22^ 

etwa  eine  Spanne  breit  war.    Ich  verzierte  sie  und  füllte  den  Grund  der 
Bemalung  mit  Schwarz  aus. 

Dann  machte  ich  für  jeden  Flügel  einen  ringförmigen  Klopfer  [halqa] 
aus  gegossenem  Messing  (Fig.  i6).  Er  hatte  die  Gestalt  zweier  Drachen, 
von  denen  der  eine  dem  anderen  begegnet  ^)  und  deren  Köpfe  einander 
zugewendet  sind.  Ihre  Mäuler  sind  geöffnet,  als  ob  sie  den  Hals  und  Kopf 
eines  Löwen  verschlingen  wollten.  Am  Löwenkopf  und  Hals  springt 
ein  Knopf  aus  Eisen  vor,  der  in  die  Türe  genagelt  ist.  Die  Drachen- 
zähne setzen  sich  in  Löcher  im  Hals  des  Löwen  ein,  damit  sich  der  Ring 
in  ihm  bewegt.  Die  Figur  gibt  eine  Abbildung  des  Ringes  und  des 
Löwenkopfes  (Fig.   i6). 

Dann  stellte  ich  die  Anschlagleiste  {haraza,  d.  i.  die  Nase)  her.  Für 
ihre  Mitte  machte  ich  eine  hohle  Form  aus  Wachs,  sie  hatte  in  der 
Länge  die  Gestalt  eines  halben  Rohres  (anbüb).  Der 
Rücken  ist  abgeflacht.  Auf  dem  Rücken  machte  ich 
hervorspringende  Stellen  aus  Wachs  und  versenkte  in 
sie  Nägel-).  Dann  brachte  ich  Ton  {.an)  darauf,  und 
zwar  im  Innern  und  Äußeren  dieser  Anschlagleiste. 
Mit  dem  Feuer  entfernte  ich  dann  das  Wachs  aus  dem 
Ton,  wie  es  die  mit  solchen  Dingen  beschäftigten 
Handwerker  tun.  Dann  goß  ich  es  mit  geschmolzenem 
Messing  aus,  reinigte  es  von  dem  Ton  und  glättete  es 
mit  der  Feile  und  belegte  es  {naqasa)  mit  Silber,  so 
Fig.  i6.  daß  es  hell  leuchtete  und  das  Licht  auf  ihm  spielte. 

Inmitten  der  hell  leuchtenden  Stelle  3)  befanden 
sich  verschiedene  Arten  von  Blättern,  die  Kräutern  [kasis)  und  ähn- 
lichem glichen,  und  von  Tierköpfen;  ich  tupfte  die  Blätter  weiß  und 
schwarz  und  schmückte  die  Stiele  und  brachte  es  mit  dem  Schaber  in 
Ordnung.  Dann  nahm  ich  für  jedes  Ende  der  Anschlagleiste  ein  4  Span- 
nen (i  m)  langes,  gegossenes  Stück  Messing.  Es  war  vierkantig,  nach 
dem  oberen  (bezw.  unteren)  Ende  zu  war  es  dicker  als  nach  dem  Körper 
der  Anschlagleiste  zu.  Es  war  auf  der  Anschlagleiste  symmetrisch  angeord- 

1)  Herzfeld  schlägt  vor,  multaqi  mit  symmetrisch  zu  übersetzen. 

2)  Für  das  Gießen  der  Anschlagleiste  wurde  also  ein  Wachsmodell  (eine  sogenannte 
verlorene  Wachsform;  s.  w.  u.)  hergestellt,  nach  dem  eine  Tonform  gefertigt  wurde.  Die 
in  das  Modell  versenkten  Nägel  wurden  mit  eingegossen  und  dienten  wohl  denselben 
Zwecken  wie  die  Nägel  in  den  Sternen. 

3)  Die  Stelle  ist  nicht  sicher  übersetzt,  sie  heißt  wohl  arabisch: 

,»v_5.LJ!    cy-ir^^    Lg.JLp    Lxfi"!^    ^T^läj.lj    iLsaÄJb    L^-^ic    v:>-^i 

Das  Wort  bärüq  ist  in  den  Wörterbüchern  nicht  zu  finden. 

Islam  XI.  15 


226  E.   W  i  e  d  e  m  a  n  n   und   F.   H  a  u  s  e  r , 

net  und  auf  seinem  Rücken  waren  Nägel  und  ihre  beiden  Seiten  stiegen  all- 
mählich empor.  Ihre  Oberfläche  war  verziert,  es  waren  Blätter,  die  Enden 
der  Blätter  waren  einander  abgewandt  [musdaj)  und  dicht  verschlungen 
[multafj).  Dann  brachte  ich  zwischen  diesen  Blättern  in  genau  passender 
Lage  Blätter  aus  Wachs  an,  die  ihnen  ähnlich  und  genau  gleich  groß 
waren.  Ihre  Stengel  verflochten  sich  miteinander  an  einander  gegen- 
überliegenden Stellen  und  die  Spitzen  der  Blätter  lagen  einander  gegen- 
über. Hierauf  legte  ich  dies  in  ein  großes  Gießgefäß  im  Sand  [raml) 
und  drückte  es  ein.  Dann  schnitt  ich  die  Blätter  aus  Wachs  zwischen 
den  Blättern  und,  was  darüber  war,  aus  und  schmolz,  was  darunter 
war,  mit  dem  Feuer;  so  wurde  der  Ort  des  Wachses  leer  ^).  Die  Stellen 
goß  ich  mit  rotem  Kupfer  voll.  Dann  reinigte  ich  diese  Blätter  und 
stellte  sie  fertig  mit  Griffeln  {qalam)  verschiedener  Gestalt  und  mit 
dem  Schaber  u.  s.  w.  Diese  beiden  Stücke,  es  sind  die  Enden,  legte 
ich  auf  den  Körper  der  Anschlagleiste.  Die  Abbildung  der  Anschlag- 
eistc  ist  früher  in  der  Abbildung  des  Türflügels  gegeben  worden 
(Fig.  i).  Das  Vertrauen  ist  (hier)  auf  das  Zeugnis  der  Abbildung,  nicht 
auf  die  Beschreibung  zu  setzen.  Diese  habe  ich  kurz  gefaßt. 
Das  ist,  was  wir  deuthch  klarmachen  wollten. 

2.  Die  vorstehende  Beschreibung  Gaza rl's  ermangelt  infolge  ihrer  vielen  techni- 
schen Einzelheiten  etwas  der  Übersichtlichkeit.  Es  sei  daher  kurz  ihr  wesentlicher  Inhalt 
zusammengefaßt: 

Für  den  Königspalast  zu  Ämid  hat  GazarT  eine  prächtige,  zweiflügelige  Türe  her- 
gestellt. Fig.  I  zeigt  die  obere  Hälfte  des  Unken  Türflügels  und  der  am  rechten  Türflügel 
befestigten  Anschlagleiste. 

Der  Hauptschmuck  dieser  Türe  war  ein  geometrisches  Muster,  das  die  Füllung  der 
beiden  Flüge'  bildete.  Dieses  bestand  aus  einem  Gitterwerk  aus  sechseckigen  und  acht- 
eckigen Hauptfl.guren-(Fig.  2  und  Fig.  3)  sowie  aus  als  Zwischenstücke  dienenden  Vierecken 
fFit^.  4).  In  diesen  Vierecken  sowie  zwischen  den  aus  ihnen  und  den  beiden  andern  Gebilden 
zusammengesetzten  Figuren  befanden  sich  Füllungen  (Fig.  10 — 12).  In  den  Achtecken  und 
Sechsecken  waren  ebenfalls  Füllungen  angebracht  (Fig.  8  und  9),  auf  denen  sich  hohle 
Kuppeln  (Fig.  6  und  7)  befanden.  Die  Zusammensetzung  all  dieser  Gebilde  zu  dem  Gitter- 
werk ist  aus  Fig.  i  a  ersichtlich.  Die  Vierecke,  Sechsecke  und  Achtecke  wurden  aus  Messing 
durch  Gießen  in  Sandformen  hergestellt.    In  ihre  Ecken  wurden  dabei  Nägel  mit  mandel- 


^)  Diese  Stelle  besagt,  daß  auch  hier  für  das  Gießen  zunächst  ein  Wachsmodell  und , 
mittels  dieses  dann  eine  Sandform  angefertigt  wurde.  In  welcher  Weise  die  letztere  her- 
gestellt wurde,  ist  nicht  ganz  klar.  Anscheinend  wurde  sie,  soweit  die  aus  Wachs  model- 
lierten Blätter  zwischen  und  über  den  Messingblättern  sich  befanden,  also  zugänglich 
waren,  durch  Aufdrücken  des  Sandes,  stückweises  Abheben  der  Sandform  und  stück- 
weises mechanisches  Entfernen  —  also  nicht  nachträgliches  Ausschmelzen  ■ —  des  Wachses 
sowie  Wiederzusammensetzen  der  abgehobenen  Formteile  hergestellt.  Das  Ausschmelzen 
des  Wachses  wurde  hier  anscheinend  nur  insoweit  angewandt,  als  ein  Abheben  der  Sand- 
form nicht  möglich  war.  Hierdurch  sollte  das  Wachs  gespart  werden,  da  ja  beim  Aus- 
schmelzen desselben  aus  der  Form  immer  eine  beträchtliche  Menge  verloren  geht. 


über  eine  Palasttüre  und  Schlösser  nach  al-Gazan. 


227 


förmigen  Köpfen  eingegossen,  welche  dazu  dienten,  diese  Gebilde  auf  einer  massiven 
Holztüre  festzunageln.  Die  Füllungen  wurden  dadurch  im  Gitterwerk  festgehalten,  daß 
sie  ringsum  an  der  Unterseite  einen  Rand  besaßen,  der  halb  so  breit  war  wie  der  die  Vier- 
ecke, Sechsecke  und  Achtecke  bildende  Stab  und  unter  diesem  lag  (vgl.  Fig.  i  a,  Schnitt 
a — b).  Die  Oberfläche  des  Gitterwerkstabes  besaß  als  Verzierung  eine  runde  Mittelleiste, 
die  Füllungen  waren  auf  schwarzer  Grundierung  bemalt,  die  Kuppeln  waren  reich  — 
u.  a.  mit  ziselierten  Blättern  —  geschmückt. 

Das  Gitterwerk  umgab  eine  Inschrift  in  kufischer  Schrift,  zwischen  deren  Buch- 
staben sich  wieder  Blätterschmuck  befand  (a,  Fig.   i). 

Um  die  Schrift  lag  ein  polierter  Rand  aus  Messing  mit  eingelegten  Kupferverzierun- 
gen (b,  Fig.  I  und  Fig.  14).  Diesen  Rand  umgab  ein  weiterer  aus  gegossenem  Messing, 
der  mit  Buckeln  und  Nägeln  verziert  war  (c,  Fig.  i  und  Fig.  15). 

Auf  dem  oberen  Ende  des  Türflügels  war  noch  eine  reich  verzierte  Messingplatte 
(d,  Fig.  i),  auf  der  ein  gewölbtes  Querstück  aus  gegossenem  Messing  (e,  Fig.  i)  versenkt 
angebracht  war.  Ein  solches  Querstück  befand  sich  auch  an  dem  unteren  Ende  eines  jeden 
Türflügels.  Auf  den  Querstücken  befanden  sich  nahe  aneinander  große,  kegelförmige, 
schön  ausgeführte  und  in  Gruben  versenkte  Nägel  (f,  Fig.   i). 

Jeder  der  beiden  Türflügel  trug  ferner  einen  ringförmigen  Klopfer  (Fig.  16)  aus 
gegossenem  Messing,  der  von  zwei  ineinander  gewundenen  Drachen  gebildet  wurde,  die 
einen  Löwenkopf  zu  verschlingen  schienen. 

Die  ebenfalls  in  Fig.  i  dargestellte  Anschlagleiste  bestand  aus  einem  halbrunden 
Mittelstück,  das  von  zwei  Rundleisten,  Bemalung,  Silberbelag  und  ziselierten  Blättern 
geziert  wurde,  sowie  aus  zwei  vierkantigen,  gegen  die  Türenden  stärker  werdenden  End- 
stücken, von  denen  sich  das  eine  oben,  das  andere  unten  befand.  Die  Seitenflächen  dieser 
Endstücke  waren  verziert,  die  Oberfläche  mit  Blättern  aus  Messing  und  Kupfer  reich 
geschmückt. 

3.  Besonderes  Interesse  verdienen  die  Ausführungen  gießtechnischer  Art, 
welche  Gazarl  in  dem  vorstehenden  Kapitel  macht;  insbesondere  deshalb,  da  er  wieder- 
holt darauf  hinweist,  daß  die  von  ihm  verwendeten  Methoden  die  bei  den  Handwerkern 
üblichen  gewesen  sind  '). 


I)  Zum  besseren  Verständnis  der  folgenden  Betrachtungen  sei  ein  kurzer  Überblick 
über  das  Gebiet  des  Metallgusses  gegeben.  Wir  folgen  dabei  F.  M.  Feldhaus,  Die  Technik 
der  Vorzeit,  der  geschichtlichen  Zeit  und  der  Naturvölker,  W.  Engelmann,  Leipzig-Berlin, 
1914,  Spalte  490  ff.  sowie  E.  v.  Hoyer,  Lehrbuch  der  vergleichenden  mechanischen  Techno- 
logie, C.  W.   Kreidel,  Wiesbaden,   1897,  I-  Bd.,   S.  88  ff. 

Das  Gießen  der  Metalle  erfolgt  in  Formen,  die  in  der  Regel  nach  Modellen  des  zu 
fertigenden  Gußstückes,  in  besonderen  Fällen  mittels  Schablonen  (z.  B.  beim  Glockenguß) 
und  auf  andere  Weise  unmittelbar  hergestellt  werden. 

Die  sogenannte  Formerei  zerfällt  in  zwei  Hauptgruppen:  in  die  Bildung  der  ver- 
lorenen Formen  und  in  die  Bildung  der  bleibenden  (oder  guten,  festen)  Formen.  Die 
ersteren  werden  nach  dem  Guß  zerstört,  entweder,  weil  sie  durch  die  Hitze  des  eingegossenen 
Metalls  unbrauchbar  geworden  sind  oder,  weil  die  Entfernung  derselben  von  dem  Gußstück 
ohne  ihre  Zerstörung  mit  großer  Unbequemlichkeit  verbunden  wäre.  Die  bleibenden 
Formen  haben  mehrere,  mitunter  sehr  viele  Güsse  auszuhalten  und  sind  demnach  so  ein- 
zurichten, daß  sie  vom  Gußstück  ohne  Verletzung  abgehoben  werden  können. 

Das  Material  für  die  verlorenen  Formen  ist  vorwiegend  Sand  oder  Masse  (Sand  mit 
Tonbeimengung)  oder  Lehm  (Ton  mit  Sand  verunreinigt). 

Die  Sandformerei  kann  man  in  zwei  Unterarten  teilen:  Herdformerei  und  Kasten- 

15  * 


2^3  E.   Wiedemann  und  F.  Haus  er, 

Wir  sehen,  wie  man  für  den  Guß  von  Messingstücken,  von  denen  man  eine  große 
Zahl  genau  gleicher  Gestalt  benötigte,  ein  bleibendes  Holzmodell  fertigte,  nach  dem  dann 
die  entsprechende  Zahl  von  verlorenen  Formen  durch  Eindrücken  in  Sand  hergestellt 
wurde.  (Der  Ursprung  der  Sandform  ist  also  in  frühere  Zeit  zurückzuverlegen,  als  dies 
bisher  anscheinend  geschah;  vgl.  F.  M.  Feldhaus,  a.  a.  0.,  Spalte  490  u.  f.,  wonach  die 
erste  Verwendung  der  Sandform  auf  das  Jahr  1708  zurückgeführt  wird.  Gazarl  ver- 
faßte sein  Werk  im  Jahre  1206  und  fand  die  Sandformerei  bereits  in  hoher  Vollkommen- 
formerei. Bei  der  ersteren  wird  die  Form  unmittelbar  auf  dem  Boden  (Herd)  der  Gießhütte 
vor  dem  Schmelzofen  gebildet,  bei  der  letzteren  in  transportabeln  Gefäßen,  sogenannten 
Formkästen   (Flaschen,    Laden)   aus   Metall   (meistens    Gußeisen)    oder   Holz   heTgestellt. 

Das  Material  für  die  bleibenden  Formen  ist  entweder  ein  Metall  bzw.  eine  Legierung 
oder  Stein  (Sandstein,  Serpentin,  Schiefer),  seltener  Gips,  Zement  usw.  Metallformen 
eignen  sich  infolge  ihrer  guten  Wärmeleitung  im  allgemeinen  nur  zum  Guß  leichtflüssigen 
Materials. 

Wie  bei  denFormen,  unterscheidet  man  auch  bei  den  Modellen  zwischen  bleiben- 
den und  verlorenen,  je  nachdem  man  nach  einem  Modell  mehrere  Formen  oder  nur 
eine  herstellen  kann.  Das  Material  der  bleibenden  Modelle  ist  in  der  Regel  Holz  oder 
Metall  (Eisen,  Bronze,  Messing,  Zink,  Hartblei).  Zur  Herstellung  der  verlorenen  Modelle 
dienen  vorwiegend  Lehm,  Wachs  und  Talg. 

Auf  der  Einteilung  der  Formen  und  Modelle  beruht  die  Einteilung  der   Gußarten: 

1.  Herdguß.  Das  Metall  wird  in  eine  am  Boden  der  Gießerei  vor  dem  Schmelzofen 
geformte  verlorene  (aus  Sand,  Masse,  Lehm)  oder  dorthin  gebrachte  bleibende  (aus  Stein 
usw.)  Form  gegossen.  Es  handelt  sich  hierbei  meistens  nur  um  einseitige,  flache  Gußstücke, 
bei  denen  es  in  der  Regel  nur  auf  die  Ausbildung  der  der  Form  zugekehrten  Seite  des  Guß- 
stückes ankommt.  Die  Form  bleibt  dann  unbedeckt  (offener  Herdguß).  '  Soll  aber  auch 
die  obere  Seite  entsprechend  ausgebildet  werden  (d.  h.  in  der  Regel  nur  eine  glatte  Fläche 
erhalten),  so  muß  die  Form  bedeckt  werden,  was  meistens  durch  eine  mit  Lehm  bestrichene 
Eisenplatte  oder  einen  mit  Sand  gefüllten  Rahmen  geschieht  (bedeckter  Herdguß). 

2.  Guß  mit  verlorenem  Modell  (sogenannte  Wachsformerei).  Man  stellt  ein 
Modell  aus  Wachs  oder  Talg  her,  umkleidet  dieses  innen  und  außen  mit  Lehm,  trocknet 
den  Lehm  im  Feuer,  wobei  das  Wachs  oder  der  Talg  ausfließt,  und  gießt  dann  in  die  so  ent- 
standene Hohlform  das  geschmolzene  Metall. 

3.  Guß  in  verlorenen  Teilformen.  Man  verwendet  hierzu  bleibende  (aus 
Holz,  Metall)  oder  verlorene  (aus  Lehm,  Wachs,  Talg)  Modelle.'  Das  Modell  formt  man 
so  in  deniFormmaterial  (Lehm,  Masse,  Sand)  ab,  daß  sich  keine  Teile  des  Modells  in  ihm 
festklemmen  können  bzw.  daß  man  die  einzelnen  Teile  der  Form  von  dem  Modell  abheben 
kann.  Dies  erfordert  vielfach  neben  der  Unterteilung  der  Form  auch  eine  solche  des 
Modells.  Die  bleibenden  Modelle  komplizierterer  Gußstücke  bestehen  daher  aus  mehreren 
Teilen.  Nach  Fertigstellung  der  Form  wird  das  Modell  aus  ihr  herausgenommen  und  dann 
die  Form  aus  ihren  einzelnen  Teilen  wieder  sorgfältig  zusammengesetzt.  Nach  dem  Guß 
erkennt  man  die  Berührungsstellen  der  Formteile  an  feinen  Nähten  auf  dem  Gußstück 
(Gußnaht). 

4.  Guß  in  bleibenden  Teilformen,  Kokillenguß.  Das  Verfahren  ist  analog 
demjenigen  in  verlorenen  Teilformen.  Die  Teilformen  müssen  so  gestaltet  sein,  daß  sie 
sich  ohne  Verletzung  von  dem  fertigen  Gußstück  abnehmen  lassen.  Für  gewöhnUch  be- 
schränkt man  sich  bei  den  bleibenden  Formen  auf  den  Guß  der  einfachsten  Gestalten,  wie 
Stangen  und  Platten,  die  als  Rohmaterial  weitere  Verwendung  finden  (z.  B.  Gold-  und 
Silberbarren). 


über  eine  Palasttüre  und  Schlösser  nach  al-Gazari. 


229 


heit  vor.)  Der  Formsand  befand  sich  in  besonderen  »Vorrichtungen  zum  Gießen«,  die 
Gazarl  später  wiederholt  als  »Gießgefäße«  bezeichnet.  Sie  dürften  wohl  im  Prinzip 
den  heutigen  Formkästen  entsprochen  haben.  Nägel,  welche  in  dem  fertigen  Gußstück 
sitzen  sollten,  wurden  in  die  Sandform  gesteckt  und  so  gleich  in  das  Stück  eingegossen. 
Der  Guß  der  Messingstücke  dürfte  ein  offener  Guß  gewesen  sein,  da  nichts  von  einem 
oberen  Abschluß  der  Sandformen  erwähnt  ist. 

Doch  kannte  Gazarl  auch  den  Guß  in  geschlossenen  Formen.  Besonders  anschau- 
lich schildert  er  den  Guß  mit  sogenanntem  verlorenem  Modell,  das  —  wie  es  auch  heute 
noch  geschieht  —  aus  Wachs  geformt  wurde,  bei  der  Beschreibung  der  Anschlagleiste 
der  Türe.  Diese  hatte  die  Gestalt  eines  halben  Rohres.  Ihr  entsprechend  wurde  ein  Modell 
aus  Wachs  gefertigt,  auf  das  innen  und  außen  Ton  gebracht  wurde.  Dann  wurde  das 
Wachs  mit  dem  Feuer  entfernt.  Nägel,  welche  in  Ansätzen  der  Leiste  sitzen  sollten,  wurden 
bereits  in  das  W^achsmodell  gesteckt,  so  daß  sie  nach  dessen  Ausschmelzen  in  der  Form 
saßen  und  gleich  mit  eingegossen  wurden  '). 

Weiter  schildert  Gazarl  den  Guß  von  kupfernen  Blättern,  welche  zwischen  Blättern 
aus  Messing  und  mit  diesen  verschlungen  angebracht  werden  sollten.  Gazarl  formte  die 
Blätter  zunächst  an  Ort  und  Stelle  aus  Wachs  und  drückte  dann  das  Stück  mit  denMessing- 
und  Wachsblättern  in  einem  großen  Gießgefäß  in  Sand  ein.  Dann  wurden  die  Wachsblätter 
»zwischen  den  Blättern  und,  was  darüber  war«,  ausgeschnitten  und  nur  das,  »was  darunter 
war«,  ausgeschmolzen.  Wenn  auch  diese  Schilderung  nicht  ganz  klar  ist,  so  dürfte  ihr 
doch  zu  entnehmen  sein,  daß  hier  anscheinend  auch  der  »Guß  in  verlorenen  Teilformen« 
Anwendung  fand.  Die  Stelle  dürfte  sich  wohl  kaum  anders  deuten  lassen,  als  daß  die 
Form,  soweit  das  Wachsmodell  zugänglich  war,  durch  Aufdrücken  des  Sandes,  stück- 
weises Abheben  der  Sandform  sowie  stückweises  mechanisches  Entfernen  des  Wachs- 
modells und  Wiederzusammensetzen  der  abgehobenen  Formteile  hergestellt  wurde.  Heute 
ist  der  Guß  in  verlorenen  Teilformen  der  am  meisten  verwendete.  Für  Kupfer,  Messing 
und  Bronze  benutzt  man  dabei  als  Formmaterial  jedoch  nicht  Sand,  sondern  Lehm.  Sand 
findet  für  den  Eisenguß  Verwendung.     (Vgl.  F.  M.  Feldhaus,  a.a.O.   Sp.  491.) 

Bemerkenswert  ist  auch  die  Verwendung  des  Gusses,  um  in  einer  Messingplatte  Ver- 
zierungen (Blätterranken)  aus  Kupfer  anzubringen.  Die  Form  der  Verzierungen  wurde 
in  die  Platte  eingeschnitten.  Mittels  eines  Holzmodells,  das  dicker  als  die  Platte  war, 
wurde  dann  eine  Sandform  angefertigt,  die  Platte  in  sie  gelegt  und  geschmolzenes  Kupfer 
bis  zur  Stärke  des  Modells  auf  sie  gegossen.  Es  geht  aus  Gazarl 's  Schilderung  leider 
nicht  ganz  klar  hervor,  ob  dieser  Guß  von  der  Rückseite  der  Messingplatte  her  erfolgte  — 
also  die  Form  der  Verzierungen  durch  diese  hindurchgeschnitten  war  und  das  bis  zur 
Stärke  des  MSdells  aufgegossene  Kupfer  dann  zum  Zusammenhalten  und  Festhalten  der 
einzelnen  Stücke  der  Verzierung  und  zur  V^erstärkung  der  Messingplatte  diente  — ,  oder 
ob  das  Kupfer  auf  die  Vorderseite  der  Platte  gegossen  wurde,  in  welche  die  Verzierungen 
dann  nur  eingeschnitten  waren.  Im  zweiten  Falle  bezweckte  die  größere  Dicke  des  Modells 
nur  das  Zustandekommen  eines  sogenannten  Gießkopfes,  der  nach  dem  Guß  wieder  ent- 
fernt wurde.    Die  größere  Wahrscheinlichkeit  dürfte  die  erste  der  beiden  Deutungen  haben. 

Die  Gußstücke  wurden  bei  allen  geschilderten  Methoden  in  gleicher  Weise  von  dem 
Formmaterial  gereinigt  sowie  mit  Feile,  Schaber,  Griffeln  verschiedener  Gestalt  usw.  ge- 
glättet und  fertiggestellt. 

Weitere  Angaben  über  die  Gießtechnik  bei  den  Arabern  finden  sich  in  E.  Wikde- 

')  Im  westlichen  Europa  stand  der  Bronzeguß  in  der  sogenannten  Wachstechnik 
(Wachsformerei)  zu  Gazari's  Zeit  bei  der  Glockengießerei  bereits  in  hoher  Blüte.  Vgl. 
F.  M.  Feldhaus,  a.  a.  0.  Spalte  462  ff. 


2  20  E.  VViedemann  und  F.  Haus  er, 

MANN,  Beiträge  zur  Geschichte  der  N atitnnssenschaften  XX W,  Sitzungsberichte  der  Physi- 
kalisch-Medizinischen Sozietät  in  Erlangen,    Bd.  43,  191 1,  St.  76  und  77.     Es  heißt  hier: 

Zu  ihren  Apparaten  (d.  h.  der  Alchemisten)  gehören  diejenigen,  welche  bei  den 
Goldschmieden  und  andern  Handwerkern  bekannt  sind,  wie  al-kür  der  Ofen,  al-bütaq  der 
Tiegel,  al-mä^iq  die  Mörserkeule,  Hammer,  ar-räi  die  Gußform,  az-ziqq  der  Schlauch» 
welcher  bläst,  also  der  Blasbalg.  Dies  sind  lauter  Apparate,  welche  zum  Flüssigmachen 
und  Schmelzen  dienen.  Die  Gußform  ar-rät  ist  eine  Vorrichtung,  in  welche  man  die  ge- 
schmolzenen Metalle,  wie  Gold,  Silber  und  anderes  gießt,  sie  heißt  auch  al-misbaka  (d.  h. 
das  Instrument  zum  Hineingießen),  sie  besteht  aus  Eisen  und  hat  die  Form  eines  halben 
Rohres.  Zu  ihren  Apparaten  gehört  ferner:  al-biit  eher  büt.  Es  ist  dies  ein  Tiegel,  der  an 
seinem  unteren  Ende  durchlöchert  ist  und  auf  einen  andern  gesetzt  wird.  Die  Verbin- 
dungsstelle zwischen  beiden  wird  mit  Ton  gut  gedichtet.  Dann  schmilzt  man  den  Körper 
(das  Metall)  in  dem  oberen  Tiegel;  es  fließt  in  den  unteren,  und  seine  Schlacke  (^abaf) 
sowie  sein  Schmutz  bleiben  in  dem  oberen.  Man  nennt  dies  Verfahren  »das  Herabsteigen- 
machen« (al-istinzät). 

Die  in  diesem  Abschnitt  erwähnten  halbröhrenförmigen  Eisenformen  dürften  zum 
Herstellen  von  Metallbarren  gedient  haben. 

Interessante  Mitteilungen  über  den  Material-,  insbesondere  Metallaufwand,  welchen 
die  Errichtung  eines  astronomischen  Observatoriums  erforderte,  sowie  vor  allem  über  das 
Gießen  eines  für  dieses  Observatorium  bestimmten  großen  Astrolabringes  finden  sich  in 
einem  Aufsatz  von  E.  Wiedemann,  Zur  islamischen  Astronomie,  der  in  der  Zeitschrift 
Sirius  Bd.  52,   S.  121,   1919,  erschienen  ist. 

Das  Observatorium  wurde  von  dem  Arzt  Abu  Sa'id  Ibn  Qaraqa  im  Auftrage 
des  Veziers    Afdal   erbaut  (vgl.  Maqrlzi,   Kitäb   al   Chüat  Bd.   i,  S.  202). 

Das  Hauptstück  dürfte  ein  mächtiger  Ring  für  ein  Astrolab  (einen  Horizontalkreis) 
gewesen  sein,  zu  dem  rund  100  qinfär  (d.  i.  rund  5000  kg)  Metall  verwendet  wurden.  Er 
hatte  einen  Umfang  von  30  Ellen  (=  15  m)  und  einen  Querschnitt  von  rund  4  qdm.  Die 
Gußform  {qälib)  für  den  Ring  wurde  an  Ort  und  Stelle  auf  dem  Bauplatz  des  Observa- 
toriums —  dem  Plateau  al-garf  bei  der  Moschee  al-flla,  der  Elefantenmoschee  bei  Kairo  — 
gegraben.  Um  diese  Form  errichtete  man  10  Schmelzöfen  (Jiaraga)  mit  je  zwei  Blase- 
bälgen').  Jeder  Schmelzofen  enthielt  etwa  11  qintär  Kupfer,  also  alle  zusammen 
etwas  mehr  als  100.  Man  zündete  das  Feuer  nachmittags  an  und  blies  es  bis  zur  zweiten 
Stunde  des  nächsten  Tages  an.  Dann  kam  Afdal  und  setzte  sich  auf  einen  Sessel.  Als 
die  Öfen  zum  Guß  bereit  waren,  gab   Afdal  den  Befehl,  sie  zu  öfi^nen.     An  jedem  Ofen 


I)  Schmelzöfen  mit  Blasebälgen  sind  bereits  sehr  alt.  Im  Gebiete  des  Sinai  standen 
schon  in  vorgeschichtlicher  Zeit  —  tief  in  das  5.  Jahrtausend  zurückgehend  —  im  Wadi 
Magära  (Höhlental)  erst  einige  wenige,  alsbald  aber  zahlreichere  kleine  Öfen  zur  Kupfer- 
gewinnung, für  deren  Betrieb  der  hohe  Schmelzpunkt  des  Kupfers  eine  künstliche  Luft- 
zufuhr durch  einfache  Blasebälge  zur  unabweisbaren  Voraussetzung  macht  (vgl.  E.  v. 
Lippmann,  Entstehung  und  Ausbreitung  der  Alchemie,  Berlin,  Julius  Springer,  1919,  S.  539). 

Ebenso  müssen  Schmelztiegel  bereits  in  frühester  Zeit  verwendet  worden  sein.  Auf 
ägA'ptischen  Wandmalereien  zu  Karnak  wurden  im  zweiten  Jahrtausend  v.  Chr.  kleine, 
flache  Schmelztiegel  dargestellt,  die  von  den  Arbeitern  zwischen  zwei  Stäbe  geklemmt  in 
die  Trichter  der  Gußform  entleert  wurden  (vgl.  F.  M.  Feldhaus,  a.  a.  0.   Spalte  970). 

Ein  anschauliches  Bild  der  Metallurgie  der  ältesten  Zeiten,  soweit  es  sich  aus  den 
vorhandenen  Funden  und  Quellen  rekonstruieren  läßt,  findet  sich  in  Martin  Gsell,  Eisen, 
Kupfer  und  Bronze  bei  den  alten  Ägyptern,  archäologisch-metallurgische  Abhandlung,  Dis- 
sertation, Technische  Hochschule  Karlsruhe,   19 10. 


über  eine  Palasttüre  und  Schlösser  nach  al-Gazari.  23 1 

befand  sich  ein  Mann.  Sie  öffneten  gleichzeitig  die  Öfen.  Das  Kupfer  ergoß  sich  dann 
wie  Wasser  in  die  Form.  In  ihr  war  aber  an  einer  Stelle  etwas  Feuchtigkeit  zurück- 
geblieben. Das  heiße  Kupfer  brachte  die  feuchte  Stelle  zum  Springen,  so  daß  der  Ring 
hier  eine  unvollkommene  Stelle  bekam,  was  sich  zeigte,  nachdem  er  abgekühlt  und  frei- 
gelegt worden  war.  Af  dal  waT  über  das  Mißlingen  des  Gusses  sehr  erbost,  Ihn  Qaraqa 
beruhigte  ihn  jedoch  mit  dem  Hinweis,  daß  man  bei  einem  Instrument  von  solchen  Ab- 
messungen, wie  es  noch  nie  hergestellt  worden  sei,  zufrieden  sein  müsse,  wenn  nach  zehn 
Versuchen  seine  Herstellung  gelänge.  Bei  einem  zweiten  Versuch,  zu  dem  alle  Leute, 
die  mit  Kupfer  zu  tun  hatten,  zugezogen  wurden,"  gelang  dann  der  Guß.  Der  Ring  wurde 
nach  seiner  Fertigstellung  auf  die  Terrasse  der  Moschee  al-fila  emporgehoben.  Wir  haben 
hier  einen  Herdguß  großen  Stils  vor  uns. 

Alle  arabischen  Angaben  über  die  Gießtechnik  sind  von  hohem  kulturhistorischem 
Wert.  Nach  Hugo  Blümner,  Technologie  und  Terminologie  der  Gewerbe  und  Knuste  bei 
Griechen  und  Römern,  Teubner,  Leipzig  1887,  Bd.  IV,  S.  278  ff.,  beruht  unsere  Kenntnis 
der  antiken  Gußtechnik  lediglich  auf  Betrachtung  und  Untersuchung  gegossener  Metall- 
gegenstände und  auf  der  Vergleichung  mit  der  heutigen  Technik,  während  uns  die  alte 
Literatur  so  gut  wie  gar  keine  Einzelheiten  bietet  O-  Diese  Untersuchungen  lassen  u.  a. 
vermuten  (S.  286),  daß  man  sich  zum  Hohlguß  auch  im  Altertum  der  sogenannten  ver- 
lorenen Wachsform  bediente.  Da  die  arabische  Kultur  in  weitem  Maße  auf  die  Antike 
aufbaute,  sind  die  arabischen  Angaben  auch  eine  Stütze  für  die  in  dem  erwähnten  Werke 
Bi.ÜMNERs  niedergelegten  Untersuchungen  über  die  antike  Gießtechnik.  Die  dort  ausge- 
sprochene Vermutung  hinsichtlich  der  Verwendung  verlorener  Wachsformen  in  der  Antike 
findet,  wie  hier  erwähnt  sei,  ihre  Bestätigung  wohl  auch  durch  die  ScHLiEMANNSchen  Aus- 
grabungen in  Troja  (1870— 1894),  da  man  hier  u.  a.  eine  gebrannte  Tonform  fand,  welche 
wohl  nur  mittels  einer  verlorenen  Wachsform  hergestellt  worden  sein  kann  (vgl.  F.  M. 
Fkldhaus,  a.a.O.  Sp.  491).  Fei.dhaus  vermutet,  daß  diese  Wachsformerei  aus  dem 
Orient  stamme. 

Erwähnt  sei  hier  auch,  daß  in  Memphis  Gußformen  aus  Gips  und  Stein  [rechts- 
seitige oder  zweiseitige  (Hohlformen)  aus  Basalt,  Serpentin,  Granit,  Kalkstein  usf.  zum 
Treiben  (ohne  Gußkanäle)  und  Gießen  (mit  Gußkanälen)]  sowie  Gipsmodelle  usf.  gefunden 
wurden,  welche  bereits  vor  der  Zeit  der  Ptolemäer  dort  zur  Goldgießerei  und  Gold- 
prägerei  verwendet  wurden.  Formsteine  der  beschriebenen  Art  fanden  sich  auch  m  den 
babylonisch-assyrischen  Kulturländern;  sie  sind  also  sehr  alt  (E.  v.  Lippmann, 
a.a.O.  S.  273  und  Th.  Schreiber,  Die  alexandrinische  Toreutik,  Abh.  der  philol.-histor. 
Klasse  der  sächs.  Ges.  d.  Wiss.  XIV  (1894),  S.  271  ff.).  Ein  Teil  der  Funde  deutet  auf 
die  Verwendung  der  Wachsformerei  sowie  des  Gusses  in  Teilformen  hin. 

Anschließend  an  die  letzten  Worte  des  ersten  Kapitels  leitet 
Gazari  zu  dem  folgenden  Kapitel  über  mit  den  Worten:  »Ich  will 
das,  was  ich  herstellte,  beschreiben.  Es  ist  ein  Instrument  wie  ein 
Lineal,  mit  dem  man  den  Mittelpunkt  von  drei  Punkten  bestimmt, 
die  auf  einer  Kugeloberfläche  oder  einer  dem  Horizont  parallelen  Fläche 

J)  Diese  Feststellung  Blümners  kann  auch  heute  noch  in  vollem  Umfange  als  richtig 
anerkannt  werden,  wie  uns  Herr  Professor  Dr.  E.  v.  Lippmann  in  Halle  a.  S.  in  liebens- 
würdiger Weise  mitteilt.  Nach  seiner  Anschauung  sind  die  ÜberHefcrungen  aus  der  Antike 
über  die  Gießtechnik  ebenso  wie  über  die  meisten  technischen  Verfahren  sehr  spärlich 
und  nichtssagend,  da  teils  die  Ausübenden  —  sehr  oft  Sklaven  —  diese  Verfahren  geheim 
hielten,  teils  die  Schriftsteller  sie  nicht  zu  vertreten  und  zu  schätzen  wußten. 


2S2 


E.   VViedemann  und  F.  Hauser, 


liegen;  mit  ihm  bestimmt  man  auch  Winkel.«  Diese  Vorri'chtung  hat 
E.  WiEDEMANN  in  Seiner  Arbeit  Über  geometrische  Instrumente  hei  den 
muslimischen  Völkern,  Zeitschrift  für  Vermessungswesen,  1910,  Heft  22 
und  23,  behandelt. 

III.  Buchstabenschloß  für  einen  Kasten. 

I.  Gazari  schließt  das  zweite  Kapitel  mit  den  Worten:  »Ich  will 
das,  was  ich  herstellte,  beschreiben,  nämlich  ein  Schloß  [qafl)  aus 
Messing  an  einem  Kasten,«  und  fähit  dann  fort: 

Drittes  Kapitel  des  sechsten  Gebietes. 

Es  behandelt: 

Ein  Schloß  (Riegel,  qafl)  mit  12  Buchstaben  des  Alpha- 
bets,  das  zum  Verschließen  eines   Kastens  dient. 

Erster    Abschnitt. 
Die   früheren   Handwerker   stellten    Schlösser   her,    die   sie   unter 
Zuhilfenahme  von  Buchstaben  schlössen  oder  öffneten;  es  gab  solche, 


Fig.  17- 

bei  denen  vier  Buchstaben  auf  vier  Kreisen,  zwei  Buchstaben  auf  zwei 
Kreisen  und  sechs  Buchstaben  auf  sechs  Kreisen  zum  Schließen  dienten. 
Ich  habe  einen  Kasten  hergestellt,  auf  dessen  Deckel  ich  ein 
Schloß,  wie  ich  es  beschreiben  werde,  angebracht  habe.  Es  besteht 
aus  vier  Kreisen,  die  auf  einem  länglichen  Viereck  angebracht  sind 
(Fig.  17).  Innerhalb  eines  jeden  Kreises  befindet  sich  noch  ein  Kreis 
und  zwischen  ihnen  befinden  sich  16  Linien  und  zwischen  den  Linien 
stehen  16  Buchstaben,  die  die  28  Buchstaben  (des  Alphabets)  ersetzen. 
(In  der  Fig.  17  ist  einer  dieser  Kreise  mit  Buchstaben  gezeichnet.) 
Ich  gebe  ein  Bild  der  Fläche  des  Deckels,  auf  ihm  befinden  sich  die 
Kreise  und  die  Zylinder  {ustuwäna),  die  mit  runden  Durchbohrungen 
versehen  sind.     Dies  ist  das  betreffende  Bild  (Fig.  17). 


über  eine  Palasttüre  und  Schlösser  nach  al-Gazari. 


233 


Für  jedes  Loch  ^)  stellt  man  eine  Scheibe  (fals)  (I)  her,  die  es  ausfüllt 
und  so  dick  wie  der  Deckel  ist  (Fig.  18).  Dann  zieht  man  innerhalb 
des  Randes  der  Scheibe  einen  Kreis.  Den  Zwischenraum  zwischen 
dem  Rand  und  dem  Kreis  teilt  man  durch  16  Linien  und  schreibt 
zwischen  sie  die  16  Buchstaben.  Auf  dem  Rand  der  Scheibe  bringt 
man  eine  zierliche  Mandel  [a)  2)  an;  ihre  eine  Hälfte  befindet  sich 
auf  der  Scheibe  und  ihre  andere  ragt  über  deren  Rand.  Gegenüber 
der  Mandel  bringt  man  auf  dem  Rand  der  Scheibe  den  Kopf  eines 
Vogels  [b)  -)  an,  um  an  ihm  anzufassen  und  die  Scheibe  auf  dem  Rand 
des  Deckels  zu  drehen.  Dabei  bewegt  sich  das  Ende  der  Mandel  über 
den  Rand  hin  wie  ein  Zeiger  für  die  Teile  (des  Astrolabs).  Diese  und 
der  Schnabel  des  Vogels  verhindern  die  Scheibe  in  dem  Loch  nach 
unten  zu  sinken.  Dann  bringt  man  in  der  Mitte  der  Scheibe  ein  weites 
Loch  an.  Dies  gibt  eine  Abbildung  davon  (Fig.  18)  3).  In  dem  Loch 
der  Scheibe   befestigt  man  einen  Zylinder  [satibar  =  cenher),  der  aus 


Fig.  18. 


Fig.  19. 


Fig.  20. 


m 


Figf.  2  I. 


ihm  heraustritt  und  das  Loch  der  Scheibe  erfüllt.  Ein  Ende  des  Zylin- 
ders liegt  in  einer  Ebene  mit  der  Fläche  der  Scheibe,  das  andere  Ende 
springt  auf  der  Rückseite  der  Scheibe  vor  und  hat  die  mehrfache  Dicke 
der  Scheibe.  Der  Zylinder  wird  an  der  Scheibe  angelötet.  Die  Figur 
(19)  ist  ein  zweites  Bild  der  Dicke  (d.  h.  eine  Seitenansicht)  der  Scheibe 
und  des  an  ihr  befindlichen  Zvlinders. 


I)  Gazarl  hat  zu  erwähnen  vergessen,  daß  die  vier  innerhalb  der  zweiten  Kreise 
(welche  die  Buchstaben  nach  innen  begrenzen)  gelegenen  Stücke  aus  dem  Deckel  ausge- 
schnitten werden. 

^)  Die  Buchstaben  sind  von  uns  in  die  Figur  eingesetzt. 

3)  Hieraus  ist  zu  schließen,  daß  in  Fig.  18  auch  das  Loch  der  Scheibe  (I)  einge- 
zeichnet ist.  Hierfür  spricht  auch,  daß  in  Fig.  18  der  innere  Teil  nicht  bemalt  ist,  während 
der  mit  Buchstaben  beschriebene  Rand  bemalt  ist,  daß  ferner  in  Fig.  20  sowohl  der 
mit  Buchstaben  beschriebene  Rand,  als  auch  der  innerhalb  desselben  stehen  gebliebene 
Teil  der  Scheibe  (II)  bemalt,  dagegen  das  Loch  (c)  von  Farbe  frei  ist.  Der  Durchmesser 
des  Loches  der  Scheibe  (I)  ist  demnach  gleich  oder  wenigstens  nahezu  gleich  dem  Durch- 
messer des  die  Buchstaben  am  Scheibenrand  nach  innen  begrenzenden  Kreises.  (Der  innere 
Kreis  ist  doppelt  gezogen,  was  möglicherweise  einen  kleinen,  stehengebliebenen  Rand 
bedeutet,  wenn  es  nicht  nur,  wie  anscheinend  die  doppelte  Linienführung  in  den  meisten 
andern  Fällen,  eine  Andeutung  für  die  Körperlichkeit  des  Dargestellten  oder  eine  Be- 
grenzung für  die  Bemalung  ist.) 


2-24  E.  Wiedemann  und  F.  Hauser, 

Dann  stellt  man  eine  Scheibe  (II)  her,  die  kleiner  ^)  als  die  erste 
ist.  Innerhalb  ihres  Randes  zieht  man  auf  ihr  einen  Kreis  und  schreibt 
wiederum  zwischen  Rand  und  Kreis  die  l6  Buchstaben.  Durch  ihre 
Mitte  bohrt  man  ein  weites  Loch  [c).  Dies  ist  eine  Abbildung  (Fig.  20). 
Dann  bringt  man  in  dem  Loch  einen  Zylinder  an,  der  nach  außen  geht 
und  das  Innere  des  Loches  ausfüllt.  Sein  eines  Ende  liegt  in  einer  Ebene 
mit  der  Fläche  der  Scheibe  und  sein  anderes  Ende  ragt  über  die  Rück- 
seite der  Scheibe  um  die  vierfache  Dicke  der  Scheibe  vor.  Auf  dem 
Rand  der  Scheibe  bringt  man  eine  Mandel  [a)  an,  deren  eine  Hälfte 
auf  der  Ebene  der  Scheibenfiäche  Hegt,  während  die  andere  über  den 
Rand  vorspringt,  damit  sie  über  die  Buchstaben  der  ersten  Scheibe 
hingleiten  kann.  Gegenüber  dieser  Mandel  befindet  sich  auf  dem 
Rande  dieser  Scheibe  ein  vorspringender  Knopf  (b)  2),  um  an  ihm 
anzufassen;  man  dreht  (mit  seiner  Hilfe),  nachdem  man  den  Zylinder 
der  zweiten  Scheibe  in  den  Zyhnder  der  ersten  Scheibe  eingesetzt  hat. 
Er  dreht  sich  leicht  in  ihm.  Die  Figur  (21)  gibt  die  zweite  Scheibe  mit 
ihrem  Zylinder  wieder.  .  Nun  nimmt  man  einen  Messingstab,  der  eine 
halbe  Fingerlänge  3)  lang  ist  und  so  dick,  daß  er  in  den  Zylinder  der 
zweiten  Scheibe  paßt.  Am  (oberen)  Ende  des  Stabes  befindet  sich 
eine  quergestellte,  am  einen  Ende  zugespitzte  Mandel.  Schiebt  man 
den  Stab  in  den  Zylinder  der  zweiten  Scheibe,  so  bedeckt  die  Mandel 
die  Fläche  dieser  Scheibe  und  das  Ende  der  Mandel  geht  (beim  Drehen; 
über  die  auf  der  Scheibe  angebrachten  Buchstaben.  Die  Figur  (22) 
gibt  das  Bild  des  Stabes  und  der  Mandel  für  sich. 

Ich  bilde  (später)  die  erste  Scheibe  in  einem  Loch  [karg)  des 
Deckels  ab,  auf  ihr  befindet  sich  die  zweite  Scheibe,  in  letzterer  der 
Stab  und  die  Mandel  4). 

Ergreift  man  den  Kopf  des  Vogels  an  der  ersten  Scheibe  und  dreht 
sie  nach  rechts  und  links,  so  dreht  sie  sich  mit  dem,  was  sich  auf  ihr 
befindet.  Faßt  man  an  dem  zweiten  Vorsprung  der  zweiten  Scheibe 
mit  einer  Hand  an  und  ergreift  den  Kopf  des  Vogels  (an  der  ersten 
Scheibe)  mit  der  anderen  Hand,  damit  sich  die  erste  Scheibe  nicht  be- 
wegt, und  dreht  die  zweite  Scheibe,  so  dreht  sich  diese  (mit  dem  in 
ihr  befindlichen  Stab).  Faßt  man  beide  Scheiben  an  und  dreht  nur 
die  Mandel  (an  dem  Stab)   so  dreht  sich  diese  (allein). 

')  Ihr  äußerer  Durclimesser  darf,  wie  aus  Späterem  folgt,  nicht  größer  als  der  Durch- 
messer des  die  Buchstaben  auf  der  Scheibe  (I)  nach  innen  begrenzenden  Kreises  sein. 

2)  Die  Fig.  20  zeigt  hier  wohl  irrtümlicherweise  ebenfalls  einen  Vogelkopf.  Der 
Buchstabe  c  fehlt  in  der  Originalfigur. 

3)  Wörtlich  heißt  es  »einen  halben  Finger  lang  ist«.  Es  kann  hier  nur  die  Länge 
und  nicht  die  Breite  des  Fingers  gemeint  sein. 

4)  Dieser  Satz  dürfte  sich  auf  die  spätere  Figur  29  beziehen. 


über  eine  Palasttüre  und  Schlösser  nach  al-Gazari.  235 

Auf  dem  Rand  des  Zylinders,  der  von  dem  Rücken  der  ersten 
Scheibe  hervorragt,  bringt  man  16  Einkerbungen  [kazz]  an,  so  daß 
zwischen  ihnen  Zähne  stehen  bleiben.  Die  Figur  {23)  gibt  die  Scheibe; 
auf  ihr  befindet  sich  der  Zylinder  samt  den  an  ihm  befindlichen  Ein- 
kerbungen. 

Dann  verfertigt  man  eine  dritte  Scheibe,  deren  Dicke  eine  mittlere 
ist.  Man  bohrt  in  ihre  Mitte  ein  Loch,  in  welches  das  Ende  des  Zy- 
linders mit  den  Einkerbungen  sich  einsetzt.  In  diesem  Loch  befindet 
sich  in  die  Quere  ein  Zahn  [tiäb],  der  nach  dem  Mittelpunkt  der  Scheibe- 
zu  gerichtet  ist.  In  den  Rand  dieser  Scheibe  (III)  schneidet  (ziseliert, 
harrama)  man  einen  dreieckigen  Ausschnitt  gegenüber  dem  Zahn;  dies 
ist  die  Figur  (Fig.  24)  ').  Hierauf  führt  man  diese  Scheibe  (III)  in  den 
Zylinder  der  ersten  Scheibe  ein  2),  dabei  tritt  der  Zahn,  der  an  ihr  an- 
gebracht ist,  in  eine  der  Einkerbungen  des  Zylinders  (der  ersten  Scheibe) 
ein,  wodurch  er  untrennbar  an  deren  Stelle  festgehalten  wird.     Die 


uU-LUI 


o 


^^'•?-  ^3-  Fig.  24. 

Fig,  22.  &      t 


Fig.    2; 


Fläche  der  Scheibe  (III)  entspricht  (liegt  in  einer  Ebene  mit)  dem  Ende 
des  Zylinders. 

Dann  macht  man  in  den  Rand  des  zweiten  Zylinders  16  Kerben, 
Ferner  macht  man  eine  vierte  Scheibe  so  groß  wie  die  zweite 
Scheibe  an  dem  Zylinder  der  ersten  Scheibe 3).  Man  durchbohrt  ihre 
Mitte  und  bringt  in  ihr  einen  Zahn  an.  Schiebt  man  das  Ende  des 
Zylinders  der  zweiten  Scheibe  in  das  Loch  dieser  Scheibe  (IV),  so  tritt 
es  in  sie  ein,  wobei  es  an  seiner  Stelle  festgehalten  wird.  Der  Zahn, 
der  in  diesem  Loch  der  Scheibe  (IV)  angebracht  ist,  tritt  in  eine  Ein- 
kerbung des  Zyhnders  (der  Scheibe  II).  Die  Fläche  der  Scheibe  (IV) 
liegt  in  einer  Ebene  mit  dem  Ende  dieses  Zylinders.  In  dem  Rand  dieser 
Scheibe  macht  man  einen  dreieckigen  Einschnitt  gegenüber  dem  Zahn. 
Man   erhält   so    dieselbe   Gestalt   wie   bei    der  früheren  Scheibe  (III). 

■)  In   der  Figur    fehlt    die  Abbildung  des  Zahnes.     'Auch    ist    die    Figur    relativ  zu 
klein. 

2)  Tatsächlich  wird,  die  Scheibe   über  den  Zylinder  geschoben  und  nur  der  in  ihrem 
Loch  befindliche   Zahn  tritt    in    die  Einkerbungen  des  Zylinders  ein. 

3)  Mit    dieser   »zweiten   Scheibe    an  dem  Zylinder  der  ersten   Scheibe«  ist   die  eben 
besprochene  Scheibe  (III)  gemeint. 


236  E.  Wie  de  mann  und  F.  Haus  er, 

Dann  stellt  man  eine  andere  Scheibe  (V)  her  von  der  Größe  einer 
der  früheren  Scheiben  (III  und  IV).  In  ihrer  Mitte  macht  man  ein 
Loch,  das  so  groß  ist,  daß  der  früher  hergestellte  Stab  mit  der  Mandel 
an  der  Spitze  hineinpaßt.  Innerhalb  des  Randes  macht  man  16  Löcher 
und  schneidet  vom  Rand  aus  zu  einem  der  Löcher  hin  einen  drei- 
eckigen  Einschnitt    aus.     Die   Figur   (25)   gibt  diese   Scheibe  wieder. 

Dann  macht  man  eine  Scheibe  (VI),  die  dünner  als  die  Scheibe  (V) 
ist.  In  ihrer  Mitte  macht  man  ein  viereckiges  Loch.  Den  untersten 
•Teil  des  Stabes  mit  der  Mandel  macht  man  vierkantig,  damit  er  in  das 
Loch  eintritt,  so  daß  er  seine  Stelle  nicht  verlassen  kann.  Weiter 
bringt  man  in  dieser  Scheibe  ein  Loch  an,  das  gegen  die  16  Löcher  der 
darunter  befindlichen  Scheibe  hin  gerichtet  ist  (d.  h.  es  liegt  auf  einem 
Kreise  von  demselben  Durchmesser  wie  der  der  16  Löcher),  falls  man 
die  Scheibe  über  sie  (d.  h.  die  Löcher)  fortdreht.  Für  dieses  Loch 
macht  man  einen  in  ihm  festsitzenden  Nagel,  er  dringt  mühelos  in  die 
einzelnen  Löcher  ein.  Am  Ende  des  Stabes  befindet  sich  ein  länglicher 
Schlitz,  um  einen  Vorreiber  {faras)  ^)  in  ihn  einzusetzen,  durch  den 
das,  dessen  Beschreibung  vorhergegangen  ist,  festgehalten  wird. 

Zweiter  Abschnitt. 

Im  Innern  des  Deckels^bringt  man  eine  Platte  [safiha]  an  (Fig.  26), 
die  sich  auf  dessen  vier  Offnungen  legt  und  ein  wenig  von  ihnen  ab- 
steht 2).  Auf  der  Platte  macht  man 
in  den  Mittelpunkten  der  Öffnungen 
im  Deckel  vier  Zeichen  und  schneidet 
an  ihren  Stellen  in  der  Platte  nach 
derselben  Richtung  hin  gelegene  läng- 
liche Schlitze  aus.  Jeder  ist  so  breit, 
daß   der  Zylinder,    der  auf  der  ersten 

Scheibe  angebracht  ist,  in  ihn  hinein- 
Fig.  26.  ... 

geht    und  sich  leicht  in  dem   Schlitz 

bewegt  3).    Dann  bringt  man  in  der  Mitte  der  Platte  parallel  zu  den 

vier  Schlitzen  noch  einen  Schlitz  an,  der  schmäler  4)  als  ein  jeder  von 


..  ..-       ■  -■ 

(    1      1- 

1 
>    ^ 

0 

^          1 

r=^    S 

(^ 

I)  Faras  heißt  Pferd.  Man  gibt  dem  Vorreiber  diesen  Namen,  da  er  vielfach  (z.  B. 
bei  den  Astrolabien)  und  so  auch  hier  (vgl.  Fig.  29)  am  einen  Ende  die  Gestalt  eines  Pferde- 
kopfes trägt.  Vgl.  E.  WtEDEMANN  Und  F.  Hauser,  Über  die  Uhren  im  Bereich  der. 
islamischen  Kultur,  a.  a.  0.  S.  45. 

-)  Dieser  Abstand  ist  nötig,  um  der  später  erwähnten  Klappe  das  Ein-  und  Aus- 
treten in  das  Schloß  zu  ermöglichen;  vgl.  Fig.  30  a. 

3)  Vgl.  hierzu  die  von  uns  am  Ende  des  Kapitels  gegebene  Erläuterung. 

4)  Fig.  26  zeigt  diesen  Schlitz  versehentlich  breiter  und  länger  als  die  vier  andern 


über  eine  Palasttiire  und  Schlösser  nach  al-Gazari. 


237 


ihnen  ist.  Dann  zerschneidet  man  diese  Platte  so,  wie  die  Figur  es 
angibt,  in  zwei  Stücke^).  Ihr  entsprechend  ist  die  Platte  mit  Schlitzen 
versehen  und  zerschnitten.  Dann  setzt  man  in  jeden  Schlitz  des 
Deckels  die  für  ihn  bestimmten  Scheiben.  Es  sind  deren  sechs.  In 
ihnen  befindet  sich  der  Stab  mit  der  Mandel,  wie  er  vorher  be- 
schrieben ist. 

Dann  macht  man  ein  zierliches,  kunstvolles  Ohrgehänge  [qurt]  am 
Ende  eines  Stabes,  der  dem  Stab  der  Mandel  gleicht.  Den  Mittelpunkt 
des  Deckels  in  der  Mitte  der  vier  Schlitze  durchbohrt  man  und  setzt 
in  ihn  den  Stab  des  Ohrgehänges  ein,  bis  der  Ansatz  [kursi]  2)  des 
Stabes  des  Ohrgehänges  die  Oberfläche  des  Deckels  berührt,  sodaß 
das  Ohrgehänge  sich  bewegen  kann.  Soll  es  gedreht  werden,  so  kann 
es  sich  drehen.  Der  Ansatz  liegt  an  der  Fläche  des  Deckels  an.  Die 
Figur  (27)  gibt  das  Ohrgehänge  an  dem  Stab  3).« 


'i^  ^  '    7> 


a\  ,  1  1,3 


Fig.  27.  Fig  28. 


^ms 


m 


n 

Fig.  29. 


Dann  stellt  man  eine  Scheibe  (VII)  von  mittlerer  Größe  her  und 
bringt  in  ihrer  Mitte  ein  viereckiges  Loch  an  und  macht  das  Ende 
des  Stabes  für  das  Ohrgehänge  vierkantig,  sodaß  es  in  das  Loch  knapp 
hineingeht.      In   das   Ende   des    Stabes   macht   man   noch   einen   läng- 


Schlitze.  Er  war  wohl  in  Wirklichkeit  um  ebensoviel  kürzer,  als  er  schmäler  wie  diese  war. 
Bemerkt  sei,  daß  hier  ein  kreisrundes  Loch  dem  beabsichtigten  Zweck  genügt  hätte,  da 
ja  die  beiden  Plattenteile  sich  nicht  übereinander  schoben. 

')  Der  zickzackförmige  Verlauf  dieses  Schnittes  ist  durch  -folgendes  begründet: 
Wie  die  fernere  Beschreibung  zeigt,  ist  es  zur  Betätigung  des  Schlosses  notwendig,  daß 
die  beiden  Plattenhälften  beim  Verschließen  zusammengeschoben  und  beim  Öffnen  ein 
kleines  Stück  auseinandergezogen  werden.  Hierzu  dient  nun  eine  kleine  Rolle  mit  vier 
Zähnen,  die  sich  in  der  Mitte  des  Deckels  befindet  und  mit  ihren  Zähnen  an  Stiften  auf 
den  beiden  Plattenhälften  angreift  (vgl.  Fig.  30).  Um  eine  möglichst  große  Kraftwirkung 
in  der  Längsrichtung  des  Deckels  zu  erhalten,  ist  es  nötig,  daß  diese  Stifte  möglichst  weit 
seitwärts  von  der  Längsmittellinie  des  Deckels  sich  befinden.  Dies  ist  aber  hier  nur  dadurch 
zu  erreichen,  daß  der  Schnitt  durch  die  Platte  entweder  in  der  Mitte  versetzt  oder  in 
seinem  mittleren  Teil  schräg  gelegt  wird.  Gazari  hat  das  letztere  gewählt.  Die  Stifte 
k  und  /  lagen  wohl  in  Wirklichkeit  noch  näher  der  Quermittellinie  des  Deckels  als  in 
Fig.  30.     Es  liegt  hier  eine  äußerst  sinnreiche  Lösung  des  einmal  gestellten  Problems  vor. 

»)  Vgl.  B.  Dorn,   Mem.  de  l'Acad.  de  St.  Petersbourg,  Bd.  IX,  Nr.  i,  S.  27,  1865. 

3)  Der  Stab  des  Ohrgehänges  ist  in  F'ig.  27  bedeutend  zu  kurz  gezeichnet,   j 


2.s8 


E.   \V  i  e  d  e  m  a  u  u  und  F.  H  a  u  s  e  r , 


liehen  Schlitz,  um  einen  Vorreiber  einzusetzen.  Auf  dem  Rand  der 
Scheibe  bringt  man  vier  Zähne  an,  wie  die  Figur  zeigt.  Und  dies  ist 
die  Figur  (Fig.  28). 

Ich  beschreibe  jetzt  genau,  wie  die  Scheiben  bei  einer  Öffnung 
übereinander  gelagert  sind,  wobei  der  Stab  mit  der  Mandel  sich  in 
ihnen  befindet  und  in  dessen  Ende  der  Vorreiber  steckt,  'der  die  Scheiben 
festhält.  Ich  gebe  das  Bild  der  Dicke  der  Platte  in  dem  Innern  (des 
Deckels),  der  Dicke  der  einzelnen  übereinandergelagerten  Scheiben 
und  der  Dicke  des  Deckels,   in   dem  sich  eine  Öffnung  befindet,  in  der 


%°^^/7/^/^ 


eine  Scheibe  liegt;  die  beiden  letzteren  sind  untereinander  gleich  (dick). 

Es  steht  (in  Figur  29) : 

an  dem  Deckel   a, 

an  der  Scheibe  (II)  J),  die  sich  auf  der  Scheibe  (I)  befindet,  die  in 

die  Öffnung  gelegt  ist b, 

auf  ihr  befindet  sich  die  Mandel   g, 

die  Platte  innerhalb  des  Deckels  ist {}, 

die  Scheibe    auf  dem  Ende  des  Zylinders  der  ersten   Scheibe   ist   li, 
die  Scheibe  auf  dem  Ende  des  Zylinders  der  zweiten  Scheibe  ist  a, 

die  kleine  Scheibe  auf  (dem  Stab)  der  Mandel  ist  ?«, 

in  ihr  steckt  der  Nagel  (=Stab)     " q, 

der  Fortsatz  des  Stabes  mit  der  Mandel  ist u, 

in  seinem   Spalt  steckt  der  alles  zusammenhaltende  Vorreiber  . .    k. 

So  verfährt  man  für  jede  einzelne  Öffnung  im  Deckel. 

')  Im  arabischen  Text  heißt  es  bei  der  Beschreibung  der  Figur  immer  »Dicke  der 
Scheibe«.  Die  Figur  ist  im  wesentlichen  eine  Ansichtszeichnung,  zeigt  jedoch  Ansätze 
zu  einer  Schnittzeichnung.  So  sind  —  allerdings  an  nicht  ganz  richtiger  Stelle  —  die 
Grenzlinien  zwischen  dem  Deckel  und  der  in  ihm  liegenden  Scheibe  (I)  gezeichnet  und  ist 
der  Nagel,  welcher  von  der  Scheibe  (m)  aus  in  die  über  ihr  liegende  Scheibe  dringt,  einge- 
tragen. (Bemerkt  sei,  daß  für  letztere  Scheibe  ein  Buchstabe  fehlt  und  daß  sich  das  q 
an  falscher  Stelle  befindet.  Der  Spalt  im  Stabende  (h)  für  den  Vorreiber  (k)  ist  zu  breit 
gezeichnet.)  In  Fig.  29  a  wurde  von  uns  eine  Querschnittszeichnung  beigegeben.  Vgl. 
hierzu  auch  später. 


über  eine  FalasttUre  und  Schlösser  nach  al-(iazan. 


239 


Ich  bilde  jetzt  das  Innere  des  Deckels  ab  (Fig.  30): 
Auf  der  Fläche  der  Platte  ist  gegenüber  jedem  der  in  ihr  befind- 
lichen Schlitze,  in  denen  sich  die  Scheiben  befinden,  eine  vorspringende 
feste  Mandel  [a)  '),  welche  die  dreieckigen  Einschnitte  an  den  Rändern 
einer  jeden  Scheibe  genau  übereinander  festhält  (wenn  sie  in  dieselben 
geschoben  wird).  Zieht  man  die  (zwei  Teile  der)  Platte  an  dem  Ohr- 
gehänge =)  (auseinander),  so  tritt  (an  allen  vier  Schlitzen)  die  Mandel 
in  die  drei  Einschnitte  der  Scheiben,  so  daß  sich  das  Schloß  öffnet. 
Wenn  man  das  große  Ohrgehänge,  das  in  der  Mitte  des  Deckels  ange- 
bracht ist,  in  entgegengesetztem  Sinn  3)  dreht,  so  wird  das  Schloß 
(wieder)  versperrt.  Dabei  steht  das  Ende  der  Mandel  des  Stabes  auf 
einem  der  Buchstaben,  die  auf  der  kleinen  Scheibe  angebracht  sind, 


Fig.  30. 


dieser  liegt  unter  der  Mandel  und  das  Ende  der  Mandel  dieser  Scheibe 
'(II)  liegt  auf  einem  der  Buchstaben  der  Scheibe  (I),  welche  sich  unter 
ihr  befindet;  letztere  füllt  das  Loch  des  Deckels  aus.  Das  Ende  der 
Mandel  dieser  Scheibe  (I)  liegt  auf  einem  der  Buchstaben  des  Kreises 
des  Deckels.  Jetzt  merkt  man  sich  die  drei  Buchstaben.  Der  erste 
ist  derjenige  auf  der  obersten  Scheibe.  Ebenso  ist  es  bei  jedem  Kreis 
auf  dem  Deckel,  sodaß  es  im  ganzen  12  Buchstaben  werden  4)  und 
vier  Mandeln,  die  auf  den  beiden  Hälften  der  Platte  angebracht  sind. 

I)  Dieser  Buchstabe  ist  im  Original  nicht  vorhanden,  er  wurde  von  uns  eingesetzt. 

-)  Mit  diesem  Ohrgehänge  dürften  im  Gegensatz  zu  dem  im  folgenden  Satz  erwähnten 
»großen  Ohrgehänge,  das  in  der  Mitte  des  Deckels  angebracht  war«,  die  im  Schlußteil 
des  Kapitels  erwähnten  beiden  Ohrgehänge  gemeint  sein,  welche  sich  an  den  Stäben 
(s.  Fig.  30)  an  beiden   Schmalseiten  des  Deckels  befanden. 

3)  Hieraus  läßt  sich  schließen,  daß  auch  das  Öffnen  des  Schlosses  durch  Drehen 
des  Ohrgehänges  in  der  Deckelmitte  erfolgen  konnte. 

4)  Zu  jeder  Öffnung  des  Schlosses  sind  an  jeder  der  vier  Öffnungen  des  Deckels  je 
drei  Buchstaben  einzustellen,  also  insgesamt  12. 


240 


E.  Wie  de  mann  und  F.  Hauser, 


Die  Platte  hat  zwei  Hälften  (a  und  h,  Fig.  30).  Auf  jedem  Schlitz 
liegen  vier  aufeinandergelegte  Scheiben  [a,  b,  g,  d)  ^),  deren  Ausschnitte 
untereinander  ir  derselben  Richtung  liegen.  Über  ihnen  liegt  eine 
kleine  Scheibe  {e)  ^)  und  der  Vorsprung  des  Stabes  mit  der  Mandel; 
an  ihm  befindet  sich  der  Vorreiber  (a)  ^).  In  der  Mitte  des  Deckels 
befindet  sich  das  Ende  des  Stabes  des  Ohrgehänges.  An  ihm  befindet 
sich  eine  Scheibe  mit  vier  Zähnen  am  Rand  (y,  m,  e,  z).  Am  Ende 
des  Stabes  befindet  sich  der  Vorreiber  (/)  ^),  der  die  Scheibe  an  ihm 
festhält.  Auf  der  Platte  befinden  sich  bei  jedem  Zahn(-paar)  zwei  Vor- 
sprünge (Knöpfe)  {k  und  /)  •).  An  den  beiden  (inneren)  Enden  der 
zwei   Platten  (-teile)   befinden  sich   zwei    Haken   (£~uräb)    [q).     An   den 

(äußeren)  Enden  der  beiden  Plat- 


v/////Jy//M 


t^ 


d 


I   I. 


3:[ 


\/////y//A 


ten(-teile)  bei  a  und  h  befinden 
sich  Ansätze  in  Gestalt  von  zwei 
Ringen  {11  und  6)  3).  In  ihnen  be- 
finden sich  die  Enden  von  Stäben, 
in  denen  sich  Vorreiber  befinden. 
Die  beiden  Stäbe  von  ihnen  treten 
durch  zwei  Löcher  in  den  Seiten- 
(-wänden)  des  Deckels  ein,  auf 
ihnen  steht  s. 

Auf  der  einen  (Längs-)  Seite 
des  Deckels  befindet  sich  ein 
Schlitz,  in  den  man  eine  Klappe 
(»Fallende«,  säqita)  einführt,  die 
sich  auf  ihrer  gegenüberstehenden 
Schwester  4)    bewegt,    die    auf   der  Wand    des   Kastens    (so)    befestigt" 


|/r 


^B 


Fig.  30  a. 


I)  Diese  Buchstaben  und  teilweise  auch  die  mit  ihnen  bezeichneten  Konstruktions- 
teile fehlen  in  der  Fig.  30,  und  in  der  Fig.  29  ist  die  Buchstabenbezeichnung  eine  andere, 
so  daß  hier  mögHcherweise  eine  weitere  —  allerdings  überflüssige  —  Figur  fehlt. 

-)  Von  diesen  Vorsprüngen  ist  auf  der  hnken  Seite  der  mit  k  bezeichnete  falsch 
eingetragen.  Er  muß  sich  oberhalb  des  Zahnes  m  befinden,  da  es  sonst  nicht  möghch  ist, 
durch  Drehen  der  Rolle  mit  den  Zähnen  (wie  dies  später  geschildert  wird)  die  beiden 
Plattenhälften  aneinanderzuschieben. 

3)  Die  Buchstaben  n  und  0  sind  von  uns  eingesetzt. 

4)  Liest  man  statt  tänija  täbita,  so  würde  es  heißen  »feststehend«,  was  den  Sinn 
des  Ganzen  jedoch  nicht  ändern  würde.  Nach  dem  Wortlaute  der  Beschreibung  handelt 
es  sich  hier  um  einen  Klappenverschluß,  wie  er  noch  heute  vielfach  ähnlich  verwendet 
wird.  Da  es  heißt,  daß  sich  die  Klappe  »auf«  ihrer  Schwester  bewege,  ist  wohl  anzu- 
nehmen, daß  die  Anordnung  entsprechend  der  von  uns  in  Fig.  30  a  gegebenen  Rekon- 
struktion getroffen  war.  Dadurch  vfurden  durch  die  Klappe  die  Schrauben  oder  Nägel, 
mit  denen  ihre  »Schwester«  auf  der  Kastenwand  befestigt  war,  verdeckt,  was  die  Sicher- 
heit des  Verschlusses  erhöhte. 


über  eine  Palasttüre  und  Schlösser  nach  al-Gazari.  24I 

ist,  daß  sie  (nämlich  die  Klappe)  zwischen  den  beiden  Haken  genau 
die  Mitte  hält.  Diese  Klappe  ist  durchbohrt,  damit  in  das  Loch 
die  Enden  der  beiden  Haken  eintreten  können  und  so  den  Kasten 
verschließen  ').  Dann  bringt  man  auf  beiden  jHälften  der  Platte 
gegenüber  den  drei  Einschnitten  in  den  drei  Scheiben  -),  die  über- 
einandergelegt  sind,  je  eine,  dreieckige,  vorspringende  Mandel  an,  die 
an  der  Platte  befestigt  ist.  Bewegt  man  die  Platte  nach  der  Seite  der 
Einschnitte  und  setzt  die  Mandel  ein,  so  füllt  sie  die  Einschnitte  aus 
und  die  Mandel  des  Stabes  steht  gleich  mit  einem  Buchstaben  der 
obersten  Scheibe  und  die  Mandel  der  obersten  Scheibe  auf  einem 
Buchstaben  der  unter  ihr  befindlichen  Scheibe  und  die  Mandel  der 
unter  ihr  befindlichen  Scheibe  auf  einem  Buchstaben  des  Kreises  auf 
dem  Deckel.  So  stellt  man  für  alle  drei  Einschnitte  (der  Scheiben  an 
jedem  der  vier  Kreise)  eine  Mandel  her,  bis  die  (Zahl  der)  4  Mandeln 
für  die  12  Buchstaben  voll  ist.  Die  Köpfe  der  4  Mandeln  (an  den 
Stäben)  und  die  8  Scheiben  liegen  auf  den  12  ausgewählten  Buch- 
staben.    In  diesem  Fall  ist  der  Riegel  geöffnet. 

Klar  und  offenbar  ist  also:  Dreht  man  das  Ohrgehänge  in  der 
Mitte  des  Kastens  nach  rechts  3),  so  vereinigen  sich  die  beiden  Hälften 
der  Platte  und  die  Enden  der  Haken  treten  in  das  Loch  der  Klappe 
ein;  dann  ist  das  Schloß  verschlossen.  Man  bewegt  nun  die  Mandeln 
von  den  Buchstaben  fort,  auf  denen  sie  sich  befanden.  Dann  ver- 
drehen sich  je  die  drei  Scheiben  übereinander.  Zieht  man  nun  an  den 
beiden  Ohrgehängen  an  beiden  Seiten  des  Deckels,  so  begegnen  die 
Mandeln  (an  den  Plattenteilen)  nicht  den  Einschnitten  der  Scheiben 
und  das  Schloß  öffnet  sich  nur  dann,  wenn  man  die  Köpfe  der  Mandeln 
auf    die  ursprünglichen  Buchstaben    bringt,    so  daß    die    Einschnitte 


')  Dieses  Eintreten  der  Haken  an  den  Plattenhälften  in  das  Loch  um  Ende  der 
Klappe  ist  aus  Fig.  30  a,  insbesondere  dem  Schnitt  A — B,  zu  ersehen. 

2)  Diese  Ortsbestimmung  ist  nicht  streng  logisch,  da  man  die  drei  Einschnitte  natür- 
lich an  jeder  beliebigen  Stelle  des  Kreises  zur  Deckung  bringen  kann.  Die  Mandeln  müssen, 
wie  dies  auch  die  Fig.  30  zeigt,  sich  auf  Linien  befinden,  welche  parallel  zu  der  Längsseite 
des  Deckels  (der  Verschiebungsrichtung  der  beiden  Plattenteile)  durch  die  Kreismittel- 
punkte gelegt  sind.  Hinsichtlich  der  Gestalt  dieser  Mandeln  vgl.  auch  die  Fig.  29  a.  Es 
waren  kleine  Säulen  mit  mandelförmigem  Querschnitt.  Wegen  dieser  Querschnittsform 
gibt  Gazarl  dem  ganzen  Konstruktionsteil  den  Namen  »Mandeln«.  Es  ist  dies  eine 
Gepflogenheit,  die  bei  arabischen  Schriftstellern  öfters  beobachtet  werden  kann,  daß 
irgendein  Konstruktionsteil  oder  eine  ganze  Vorrichtung  nach  einem  Teil  oder  der  Form 
eines  Teiles  benannt  wird.  Vgl.  z.  B.  die  weiter  oben  erläuterte  Bezeichnung  des  Vor- 
reibers  mit  »faras«. 

3)  Wie  die  Fig.  30  zeigt,  muß  sich  bei  der  beschriebenen  Bewegung  von  unten 
gesehen  die  Rolle  mit  den  Zähnen  nach  rechts  drehen.  Das  Ohrgehänge,  welches  sich  auf 
der  Oberseite  des  Deckels  befindet,  ist  also  hierzu  nach   links  zu  drehen. 

Islam  XI.  j^ 


^,r,  E.  Wiedemann  und  F.  Haus  er, 

wieder  einander  gegenüber  stehen.  Zieht  man  dann  an  den  Ohrge- 
hängen, so  treten  die  vier  Mandeln,  die  auf  den  beiden  Platten(teilen) 
angebracht  sind,  in  die  Einschnitte,  so  daß  das  Schloß  sich  öffnen  läßt. 

Das  ist,  was  wir  deutlich  klarmachen  wollten. 

Ich  beschreibe  jetzt,  was  ich  hergestellt  habe,  es  sind  Riegel 
[galaq]  auf  einer  Türe. 

2.  Da  die  vorstehende  Beschreibung  des  Kastenschlosses  durch  Gazari  trotz  ihrer 
Ausführlichkeit  dem  Verständnis  gewisse  Schwierigkeiten  bereitet,  was  auf  die  Kom- 
pliziertheit der  Konstruktion  zurückzuführen  sein  mag,  sei  der  Inhalt  des  Kapitels  in 
folgendem  wiedergegeben: 

Für  einen  Kasten  sollte  ein  Schloß  gefertigt  werden,  zu  dessen  Öffnung  die  Ein- 
stellung von  12  Buchstaben  nötig  war,  welche  sich  auf  vier  gleich  konstruierte  Sperr- 
vorrichtungen verteilten. 

Der  Deckel  des  Kastens,  welcher  einen  einige  Zentimeter  breiten,  senkrechten  Rand 
besaß,  dürfte  auf  der  einen  Längsseite  des  Kastens  mit  Scharnieren  aufklappbar  befestigt 
gewesen  sein.  Auf  der  gegenüberliegenden  Seite  des  Kastens  befand  sich  ein  Klappen- 
verschluß (Fig.  30  a).  Das  umgebogene  Ende  {e)  der  Klappe  {k),  welche  mittels  ihrer 
»Schwester«  (5)  drehbar  an  der  Kastenwand  (w)  saß,  wurde  durch  einen  Spalt  im  Rande  (r) 
des  Deckels  {d)  eingeführt.  Das  umgebogene  Klappenende  war  durchbohrt  und  wurde 
nach  Sperrung  des  Schlosses  von  zwei  Haken  {q,  es  waren  Ansätze  von  hakenförmigem 
Grundriß)  festgehalten,  welche  sich  an  den  Hälften  (a  und  h)  einer  auseinandergeschnitte- 
nen Platte  befanden  (vgl.  Fig.  30),  die  im  Deckelinnern  der  Länge  nach  verschiebbar  an- 
gebracht waren  und  jedenfalls  durch  am  Deckelrande  angebrachte  Leisten  geführt  wurden. 
Die  Sperrung  erfolgte  in  der  Weise,  daß  die  beiden  Plattenhälften,  welche  bei  geöffnetem 
Schloß  so  weit  auseinandergezogen  waren,  daß  das  durchbohrte  Klappenende  zwischen 
die  beiden  Haken  {q)  treten  konnte,  nach  dem  Einsetzen  der  Klappe  zusammengeschoben 
wurden.  Dieses  Zusammenschieben  erfolgte  mittels  einer  drehbaren  Handhabe  von  der 
Gestalt  eines  Ohrgehänges  (Gazari  bezeichnet  sie  kurz  als  Ohrgehänge),  die  außen  auf 
der  Mitte  des  Deckels  sich  befand  (Fig.  27).  Sie  saß  auf  einem  Stab  von  kreisförmigem 
Querschnitt,  der  durch  eine  kreisrunde  Öffnung  im  Deckel  und  durch  entsprechende  Aus- 
schnitte in  den  Rändern  der  Plattenhälften  in  das  Deckelinnere  bis  unter  die  Platte  ging. 
Hier  war  er  vierkantig  und  trug  eine  von  einem  Vorreiber  festgehaltene  Rolle  mit  vier 
Zähnen  (s,  e,  j  iind  m  in  Fig.  30).  Zwischen  den  Zähnen  z  und  e  sowie  ;  und  m  (bei  den 
letzteren  in  Fig.  30  nicht  ganz  richtig  gezeichnet;  vgl.  die  entsprechende  Anmerkung)  saßen 
auf  den  Plattenhälften  Qi  und  a)  je  zwei  Stifte  {k  und  /).  Drehte  man  das  Ohr- 
gehänge auf  der  Deckelmitte  nach  links,  so  wurden,  wie  aus  der  Fig.  30  ohne  weiteres 
ersichtlich  ist,  durch  die  Wirkung  der  Rollenzähne  auf  die  Stifte  an  den  Plattenhälften 
diese  zusammengeschoben.  Drehte  man  nach  rechts,  so  wurden  sie  auseinandergeschoben. 
Um  von  dem  Druck  der  Rollenzähne  eine  möglichst  große  Komponente  in  der  Längs- 
richtung des  Deckels  zu  bekommen,  wurde  der  Schnitt  durch  die  Platte  in  der  Mitte  schräg 
gelegt.  Zum  .\useinanderziehen  der  Plattenhälften  dienten  außerdem  noch  zwei  »Ohr- 
gehänge« an  den  Schmalseiten  des  Deckels,  die  an  Stäben  {s,  Fig.^30)  saßen,  welche  durch 
Vorreiber  in  den  Ösen  («  und  o,  Fig.  30)  an  den  Plattenhälften  befestigt  waren.  Zur  Ver- 
sperrung  des   Schlosses  diente  folgende  Anordnung:  f 

Auf  dem  Deckel  wurden  4  Kreise  gezeichnet  (Fig.  17).  Konzentrisch  zu  diesen 
wurden  kleinere  gezogen.  Die  Zwischenräume  zwischen  beiden  Kreisen  wurden  jeweils 
in  16  Teile  geteilt  und  in  jeden  Teil  je  ein  Buchstabe  geschrieben.  Die  innerhalb  der  kleine- 
ren Kreise  gelegenen  Stücke  wurden  ausgeschnitten.     In  jedem  der  dadurch  entstehenden 


über  eine  Palasttüre  und  Schlösser  nach  al-Gazarl. 


243 


vier  kreisrunden  Löcher  befand  sich  dieselbe  Sperrvorrichtung,  die  vorwiegend  an  Hand 
der  von  uns  beigegebenen  Rekonstruktion  (Fig,  29  a)  erläutert'sei: 

In  dem  kreisrunden  Loch  des  Deckels  {d)  saß  eine  Scheibe  (5,),  die  durch  einen  auf- 
gelöteten mandelförmigen  Zeiger  (;«,)  und  den  Schnabel  eines  als  Handhabe  dienenden 
\^ogelkopfes  (t>)  geführt  wurde.  Auf  der  Oberfläche  der  Scheibe  war  ein  Kreis  gezogen; 
zwischen  ihm  und  dem  Scheibenrand  standen  wieder  16  Buchstaben  (s.  auch  Fig.  18). 
Der  innerhalb  des  Buchstabenringes  befindliche  Teil  der  Scheibe  wurde  ausgeschnitten,  in 
das  dadurch  entstandene  kreisförmige  Loch  wurde  ein  Zylinder  (s,,  Fig.  29  a;  vgl.  auch 
Fig.  19)  eingelötet.  In  das  untere  Ende  des  Zylinders  (zi)  waren  entsprechend  der  Lage 
der  Buchstaben  aui  dem  Rand  der  Scheibe  (51)  1,6  Kerben  (A', ,  vgl.  auch  Fig.  23)  einge- 
schnitten. Der  Zylinder  (fe,)  war  so  lang,  daß  er  durch  einen  entsprechenden  Schlitz  in 
der  Platte  (/?,  vgl.  auch  Fig.  26)  —  dieser  mußte  so  lang  sein,  daß  er  die  zum  Öffnen  und 
V'^erschließen  nötige  Längsbewegung  der  betreffenden  Plattenhälfte  gestattete  —  so  weit 
nach  unten  ging,  daß  die  Einkerbungen  vollständig  auf  der  Unterseite  der  Platte  (p)  lagen. 
Dann  wurde  eine  durchbohrte  Scheibe  (53,  vgl.  auch  Fig.  24)  über  das  untere,  gekerbte 
Zylinderende  geschoben,  in  deren  Durchbohrung  sich  ein  Zahn  (wt)  befand,  mit  dem  sie 
sich  in  eine  der  Einkerbungen  des  Zylinders  unverrückbar  einsetzte.  Gegenüber  dem 
Zahn  («i)  befand  sich  in  dem  Außenrand  der  Scheibe  (jj)  eine  dreieckige  Einkerbung  {ei). 
Auf  der  Scheibe  (si)  lag  eine  Scheibe  (52),  deren  Durchmesser  dem  Lochdurchmesser 
der  Scheibe  {si)  gleich  war.  Die  Scheibe  {s^)  hatte  ^ebenfalls  einen  Buchstabenrand  und  an 
diesem  einen  mandelförmigen  Zeiger  (wi)  sowie  diesem  gegenüber  einen  als  Handhabe 
dienenden  Knopf  (o).  In  der  Mitte  hatte  die  Scheibe  ein  kreisrundes  Loch  (c,  Fig.  20). 
In  dieses  war  ein  Zylinder  (s^,  Fig.  29  a\  vgl.  auch  Fig.  21)  eingelötet.  Dieser  setzte  sich 
drehbar  in  den  Zylinder  (s,)  ein  und  ragte  über  diesen  nach  unten  um  ein  der  Dicke  der 
Scheibe  (53)  entsprechendes  Stück  hervor.  In  dieses  Stück  waren  16  Einkerbungen  (^2) 
geschnitten,  die  in  ihrer  Lage  den  Buchstaben  auf  der  Scheibe  (52)  entsprachen.  Über 
das  Ende  des  Zylinders  {^^)  schob  sich  eine  durchbohrte  Scheibe  (54),  die  mittels  des  Zahnes 
(«2)  auf  ihm  festsaß.  Gegenüber  diesem  Zahn  befand  sich  in  der  Scheibe  eine  Ein- 
kerbung (^2).  • 

In  die  Durchbohrung  des  Zylinders  {z^)  setzte  sich  ein  Stab  {b)  ein,  der  an  seinem 
oberen  Ende  zur  Führung  sowie  als  Handhabe  und  Zeiger  die  Mandel  {m-^)  trug.  Über 
<las  untere  Ende  des  Stabes  (b)  war  eine  durchbohrte  Scheibe- (.S5)  geschoben,  welche  einen 
Kreis  von  16  —  den  Buchstaben  der  Scheibe  (52)  entsprechenden  —  Löchern  (vgl.  Fig.  25) 
besaß.  Gegenüber  von  einem  dieser  Löcher  befand  sich  in  dem  Scheibenrand  die  Ein- 
kerbung (gj).  Unterhalb  der  Scheibe  (55)  war  der^Stab  (b)  vierkantig.  Es  befand  sich  hier 
auf  ihm  noch  eine  Scheibe  (äö),  welche  einen  Stift  (j)  trug,  den  man  in  eines  der  16  Löcher 
der  Scheibe  (55)  einsetzen  konnte.  Dadurch  wurde  die  Scheibe  (55)  unverdrehbar  mit 
dem  Stab  {b)  verbunden.  Zusammengehalten  wurde  die  ganze  Vorrichtung  durch  den 
V'orreiber  (r),  der  sich  in  einen  Schlitz  im  unteren  Ende  des  Stabes  (b)  einsetzte.  Da  die 
Scheibe  (53)  größeren  Durchmesser  als  der  Zylinder  (^i)  hatte  und  damit  auch  breiter  als 
der  Schlitz  in  der  Platte  (/>)  war,  so  wurde  hiedurch  zugleich  die  Vorrichtung  in  dem 
Deckel  festgehalten. 

An  den  der  Deckelmitte  zugekehrten  Enden  der  Schlitze  für  die  vier  Sperrvor- 
richtungen waren  nun  auf  der  Platte  bzw.  deren  beiden  Hälften  (a  und  h;  vgl.  Fig.  30) 
kleine  Säulen  (a,  Fig.  29  a  und  30)  mit  mandelförmigem  Querschnitt  (daher  von  Gazarl 
»Mandeln«  genannt)  befestigt,  deren  dem  betreffenden  Schlitz  zugekehrte  Seite  genau 
die  Form  der  einander  gleichen  Einkerbungen  ei,  ci  und  e^  hatte.  Diese  Säulchen  waren 
so  angebracht,  daß  man  die  Plattenhälften  nur  dann  auseinanderziehen  —  also  das  Schloß 
nur  dann  öffnen  —  konnte,  wenn  die  drei  erwähnten  Einkerbungen  ihnen  genau  gegenüber- 

16* 


2AA  E.   Wiedemann  und  F.   Haus  er, 

standen.  Hiezu  mußte  die  Spitze  der  Mandel  (lu.)  auf  einem  bestimmten  Buchstaben 
des  Buchstabenringes  auf  dem  Deckel  stehen,  die  Spitze  der  Mandel  (m^)  auf  einem  be- 
stimmten Buchstaben  des  Buchstabenringes  der  Scheibe  (5,)  und  die  Spitze  der  Mandel 
(m.)  auf  einem  bestimmten  Buchstaben  des  Buchstabehringes  der  Scheibe  (sz).  Die  Figur 
29  a  ist  so  gezeichnet,  als  hätten  sich  die  drei  Mandelspitzen  alle  in  einer  Ebene  und  genau 
gegenüber  den  Einschnitten  (e^,  e^  und  e^)  befunden.  Dies  ist  nur  aus  zeichnerischen 
Gründen  geschehen.  Die  Wahl  der  zum  Öffnen  nötigen  Buchstaben  hing,  wie  ohne  weiteres 
klar  ist,  davon  ab,  in  welche  Einkerbungen  an  den  betreffenden  ZyHndern  man  die  Zähne 
(wi  und  »j)  und  in  welches  Loch  der  Scheibe  (55)  man  den  Stift  (z)  gesetzt  hatte.  Im  all- 
gemeinen wird  man  diese  Stellungen  so  gewählt  haben,  daß  nicht  bereits  dje  geometrische 
Konstellation  der  Mandeln  Anhaltspunkte  zum  Öffnen  des  Schlosses  bot.  Auch  wählte 
man  für  die  vier  Sperrvorrichtungen  vier  verschiedene  Kombinationen.  Man  mußte 
demnach  für  jede  der  vier  Sperrvorrichtungen  die  drei  Mandeln  auf  bestimmte  Buchstaben 
einstellen,  das  waren  im  ganzen  12  Buchstaben,  ehe  man  das  Schloß  öffnen  konnte.  Eine 
weitere  Sicherungsmöghchkeit  bestand  darin,  daß  der  Besitzer  des  Kastens  diese  12  Buch- 
staben immer  von  neuem  nach  Belieben  ändern  konnte.  Er  brauchte  hiezu  nur  an  jeder 
der  vier  Sperrvorrichtungen  die  drei  Scheiben  Sj,  54  und  s-^  abzunehmen  und  in  anderer 
Lage  wieder  anzubringen.  (Gazari  erwähnt  von  dieser  Möghchkeit  nichts,  sie  dürfte 
ihm  jedoch  gegenwärtig  gewesen  sein.) 

Wir  haben  demnach  in  diesem  Schloß  eine  äußerst  sinnreiche  Vorrichtung  vor  uns.. 
Schlösser,  bei  denen  Buchstabenringe  zur  Sicherung  dienten,  waren  in  späterer  Zeit 
im  westlichen  Europa  zum  Verschluß  von  Türen  im  Gebrauch.  Bei  diesen  Schlössern 
waren  Buchstabenringe  längs  der  Achse  des  Schlüsselloches  angeordnet,  welche  in  eine 
bestimmte  Lage  gebracht  werden  mußten,  damit  man  den  Schlüssel  einführen  konnte. 
Diese  Schlösser  mit  Buchstabenringen,  durch  deren  Umstellung)  man  viele  Stellungen  der 
inneren  Zuhaltungen  erreicht,  gelten  nach  F.  M.  Feldhaus,  a.  a.  0.  Spalte  969,  für  eine 
Erfindung  des  16.  Jahrhunderts.  Jedoch  fand  Feldhaus  diese  Art  schon  bei  dem  ItaUener 
Fontana  um  1420  in  seiner  Bilderhandschrift  zweimal.  Wir  sehen,  daß  der  Gedanke 
der  Sicherung  von  Schlössern  —  allerdings  anderer  Bauart  und  anderer  Zweckbestim- 
mung —  bereits  zwei  Jahrhunderte  (Gazari  lebte  um  das  Jahr  1200)  und  wohl  noch  längere 
Zeit  vorher  den  MusHmen  vertraut  war. 

IV.  Schloß  mit  vier  Riegeln  für  eine  Türe. 

Viertes  Kapitel  des  sechsten  Gebietes. 
Es    handelt  von:    vier    Riegeln    auf    der    Rückseite   einer 

Türe. 

Es  zerfällt  in  zwei  Abschnitte. 

Erster  Abschnitt . 

Ich  beschreibe,  was  ich  gemacht  habe,  nämlich  die 
Gestalt    der    Riegel    und    wie    sie    in    Tätigkeit    treten. 

Es  sind  vier  Riegel  aus  Holz  oder  Eisen  auf  dem  Rücken  einer 
Türe,  sie  sind  nach  den  vier  Seiten,  aber  verschieden  gerichtet.  Sie 
werden  durch  einen  SchRissel  vorgeschoben  und  geöffnet.  Ein  Riegel 
öffnet  nach  rechts,  einer  nach  links,  einer  nach  oben  und  einer  nach 
unten.     In  den  vier  Riegeln  ist  keine  Stelle,   in  die  ein  Bösartiger  {/äri/i} 


über  eine   Palasttüre  und   Schlösser  nach   al-dazari. 


245 


•eindringen  kann.  Ist  der  Schlüssel  aus  der  (jffnung  herausgenommen, 
in  die  er  sich  einsetzt,  um  7ai  öffnen  und  die  Riegel  vorzuschieben,  so 
ist  niemand  imstande,  das,  was  mit  dem  Verriegeln  bezweckt  wird, 
zu  erreichen  und  die  Riegel  mit  der  Hand  nach  oben  oder  unten  oder 
rechts  oder  links  zu  bewegen;  sie  können  dann  nicht  bewegt  werden, 
weder  zum  Verriegeln  noch  zum  Offnen.  Das  Einzige,  womit  man  sie 
bewegen  kann,   ist  der  Schlüssel.  ] 

Art  der  Herstellung.  Man  fertigt  zwei  Riegel  aus  Holz,  die 
ein  klein  wenig  kürzer  sind,  als  die  Türe  breit  ist,  und  zwei  Riegel,  die 
ein  klein  wenig  kürzer  sind,  als  die  Türe  lang  ist  ^).  Die  beiden  Riegel 
für  die  Breite  der  Türe  haben  quadratischen  Querschnitt.  Auf  einem 
Drittel  der  Länge  (der  letzteren)  bringt  man  ein.  Zeichen  an  und  ebenso 
im  Abstand  von  2  zusammengelegten  Fingern  von  seinem  Ende.  Die 
Dicke    dieses    Riegels    machen    wir    zu    4    zusammengelegten    Fingern. 


Fisr. 


Fig-  32. 


An  den  Zeichen  machen  wir  zwei  Einschnitte  bis  zur  iTälfte  der  Dicke 
des  Riegels.  Dann  schneiden  wir  das,  was  sich  zwischen  den  beiden 
Zeichen  befindet,  von  dem  Riegel  fort,  damit  er  zurückkehrt  ^).  Dieses 
ist  die  Figur  (Fig.  31).  Ebenso  verfährt  man  mit  dem  anderen  (Quer-) 
Riegel.  Die  anderen  langen  Riegel  (d.  h.  die  Längsriegel)  macht  man 
2  zusammengelegte  Finger  dick  und  4  zusammengelegte  Finger  breit. 
In  die  eine  Seite,  es  ist  die  der  Dicke  entsprechende,  machen  wir  Ein- 
schnitte, sie  bilden  dreieckige  Zähne,  und  zwar  etwa  10.  Das  ist  das 
Bild  des  einen  (Längs-)  Riegels  (Fig.  32)  3).  Den  anderen  stellen  wir 
ebenso  her.     Dann   machen  wir  einen  Klotz  [libna)  aus  Holz,  er  heißt 


')  Diese  Maßangabe  ist  ungenau.  Sie  bedeutet  nicht,  daß  die  Länge  der  einzelnen 
Riegel  der  Breite  oder  Höhe  der  Türe  entsprochen  habe.  Die  Riegel  waren  vielmehr  so 
lang,  daß  sie,  wenn  das  Schloß  aufgesperrt  war,  von  dem  Schloß  aus  bis  nahe  an  die  ihnen 
zukommenden  Enden  der  Türe  reichten.  Wie  lang  die  einzelnen  Riegel  dann  waren, 
richtete  sich  nach  der  Lage  des  Schlosses  auf  der  Türe. 

-)  Dies  bedeutet  wohl,  damit  eine  zurücktretende,  vertiefte  Stelle  entsteht. 

3)  Die  Verzahnung  ist  hier  im  Verhältnis  zur  Riegcllänge  zu  lang  gezeichnet,  ebenso 
wie  der  Ausschnitt  des  Querriegels  in  Fig.  31. 


246 


E.  Wiedemann  und   F.  Haus  er, 


al-qaflr  (Korb),  er  ist  4  Finger  dick  ^),  in  ihn  graben  wir  Rinnen  [nahv)^ 
in  die  die  Riegel  in  entgegengesetzter  Richtung  sich  einsetzen.  Dies 
ist  die  Figur  (Fig.  33).  Auf  den  Stellen  für  die  langen  Riegel  steht 
(in  Fig.  34)  q  m  und  auf  denen  für  die  kurzen  a  ö^).    Diese  liegen  über 


Fig-  33- 


r 

= 

1 

*•  1 

1 

c 

i          r    1 

rfp 

L 

= — = 

J 

Fig-  34- 


den  langen  3),  damit  die  kurzen  Riegel,  falls  sie  auf  den  langen  aufliegen,, 
mit  der  Fläche  des  Klotzes  gleichstehen.  Die  Fläche  des  Klotzes  ist 
jedoch  ein  klein  wenig  höher  4).  Die  Zähne  der  Riegel  sind  nach  dem 
Mittelpunkt  des  KJotzes  gerichtet.  Dies  ist  ein  Bild  der  4  Riegel  in 
dem  Klotz,  und  zwar  an  den  von  dem  Klotze  fortgenommenen  Stellen 
(Fig-  34)- 

Zweiter  Abschnitt. 

Über  die  Beschaffenheit  der  Rolle  [bakra],  die  die 
Riegel    öffnet    und    schließt. 

Man  macht  aus  gegossenem  Messing  eine  Rolle  ohne  Rille  und 
kerbt  auf  ihrem  Umfang  dreieckige  Zähne  mit  der  Feile  ein,  deren 
Abstand  gleich  demjenigen  der  Zähne  eines  der  Riegel  ist.  Die  Dicke 
der   Rolle    sei   gleich   derjenigen  von   zwei   Riegeln,    nämlich  vier   zu- 

■)  Es  ist  nicht  möglich,  daß  dieses  Maß  nur  4  zusammengelegte  Finger  (8  cm)  be- 
tragen hat,  da  ja  der  Querriegel  innerhalb  des  Klotzes  bereits  diese  Höhe  hatte.     Wir- 
müssen also  annehmen,  daß  es  sich  hier  um  vier  geöffnete  Finger  (vgl.  hierzu:  Uhren, 
S.  47)    oder  um  die  Entfernung  von  Zeigefinger  zu   kleinem  Finger  bei  ausgespreizten. 
Fingern,  also  um  eine  Strecke  von  rund  15  öm  handelte. 

2)  Der  Klotz  ist  also  gegenüber  der  Lage,  die  er  später  auf  der  Türe  einnimmt,  um 
90  Grad  gedreht.     Dasselbe  gilt  von  der  späteren  Fig.  36. 

3)  Es  ist  dies  nicht  richtig  dargestellt.    Nach     der  Zeichnung   würde   jeder  Riegel 
an   dem  einen  Ende  unter  dem  einen  ihn  kreuzenden  und  an  dem  andern  Ende  über  dem 
andern  ihn  kreuzenden  Riegel  liegen.     Eine  im  wesentlichen  richtige  Darstellung  gibt 
Fig.  36.     Das    »über«    ist  von  der  Seite  des  Klotzes  (also  der  Rückseite  der  Zeichnung)' 
her  zu  verstehen.    Die  langen  Riegel  liegen  später  unmittelbar  auf  der  Rückseite  der  Türe.. 

4)  Damit  die  Riegel  ein  klein  wenig  Spielraum  haben. 


über  eine  Palasttüre   und   Schlösser  nach   al-(",azari.  247 

sammengclegte  Finger.  Man  bohrt  in  die  Mitte  der  Rolle  ein  mittel- 
großes Loch;  um  dieses  Loch  befindet  si<:h  (auf  der  einen  Seite  der 
Rolle)  ein  kurzer  Zylinder.  In  die  Seite  dieses  Loches  schneidet  man 
der  Länge  nach  einen  kleinen  Schlitz.  Auf  der  einen  Seite  der  Rolle 
befindet  sich  ein  Fortsatz,  ähnlich  einer  anderen  Rolle  von  kleinerem 
Umfang.  Ihre  Dicke  ist  1/,  Fingerdicke.  Ihren  Umfang  versehen  wir 
mit  Zähnen  wie  in  der  Figur;  das  ist  das  Bild  der  Rolle  (Fig.  35).  x\uf 
ihrem  Umfang  befinden  sich  Zähne  {b)  ').  Die  Zähne  auf  der  kleinen 
Rolle  sind  a^),  und  auf  dem  Loch,  in  dem  sich  der  Schlitz  befindet, 
steht  g  0-  Legt  man  die  (große)  Rolle  in  die  Mitte  des  Klotzes  zwischen 
die  vier  Riegel  mit  Zähnen  ^),  so  treten  die  Zähne  zwischen  die  Zähne 
der  vier  Riegel.  Nun  setzt  man  in  das  Loch  der  Rolle  einen  Schlüssel, 
es  ist  ein  runder  Stab  mit  einem  feinen  Ansatz  [sagija).  Er  erstreckt 
sich  der  Länge  nach  so  lang  wie  die  Dicke  der  Rolle;  so  daß  er  den 
feinen  Schlitz  am  Loch  der  Rolle  ausfüllt.  Man  dreht  den  Schlüssel, 
dann  dreht  sich  die  Rolle  und  stößt  jeden  Riegel 
nach  einer  der  vier  Seiten.  Für  die  Zähne  auf 
der  kleinen  Rolle  am  Boden  des  Klotzes  bringt 
man  eine  Arretierung  {misqäs)  aus  Eisen  an;  es 
ist  eine  fein  zugeschärfte  {muraqqaq)  Spitze  [sa- 
aija),  die  wie  ein  Bogen  gekrümmt  ist.  An  (ihrem) 
einen  Ende  befindet  sich  ein  Loch;  durch  dieses 
nagelt    man    einen    Nagel    in    den    Boden    des  Fig.  35. 

Klotzes.     Das    andere  Ende    der  Arretierung  ist 

zwischen  die  Zähne  der  kleinen  Rolle  eingesetzt.  Llinter  der  Arre- 
tierung befindet  sich  ein  Spalt  3).  Wird  die  Arretierung  nach  rück- 
wärts gestoßen,  so  entfernt  sie  sich  aus  ihrer  Lage  und  ihr  Ende 
tritt  aus  dem  Zwischenraum  zwischen  den  Zähnen  heraus.  In  der  Mitte 
der  Arretierung  befindet  sich  ein  Loch,  in  das  das  Ende  des  Schlüssels 
eintritt  und  sie  von  den  Zähnen  entfernt  4),  sie  dreht  sich  dann  und  dann 

')  Die  Buchstaben  fehlen  in  der  Fig.  35;  sie  wurden  von  uns  ergänzt. 
=)  Bisher  war  nur  von  der  Verzahnung  der  Längsriegel  die  Rede.    Die  Verzahnung 
der  Querriegel  befand  sich  an  der  Schmalseite  des  stehengebliebenen  Mittelstücks. 

3)  Es  dürfte  sich  hier  um  einen  Spalt  handeln,  der  zur  seitlichen  Führung  der  Ar- 
retierung diente.  In  ihm  befand  sich  dann  das  festgenagelte  Ende  der  letzteren.  Eine 
derartige  Führung  war  nötig,  da  sonst  die  Arretierung  bei  unbefugten  Sperrversuchen 
seitlich  hätte  ausweichen  können. 

4)  Damit  bei  dem  Zurückbiegen  der  Arretierung  keine  Klemmung  eintrat,  mußte 
dieses  Loch  einen  etwas  größeren  Durchmesser  besitzen  als  das  Ende  des  Schlüssels, 
welches  in 'es  eindrang,  und  mußte  sein  Mittelpunkt  gegenüber  dem  Mittelpunkt  des 
Schlüsselloches  etwas  nach  dem  festen  Ende  der  Arretierung  zu  verschoben  sein.  Vgl. 
Fig.  36  a. 


248 


E.  Wiedemann  und  F.  Haus  er, 


I        I 


dreht  sich  das  Rad.    Das  ist  ein  Bild  (Fig.  36)  der  Arretierung  und  des 
Schlüssels  und  der  Rolle  zwischen  den  Riegeln  in  der  Mitte  des  Klotzes : 

auf  den  erhöhten  Stellen  des  Klotzes  steht b, 

auf  den  beiden  langen  Riegeln    gw^), 

auf  den  beiden  kurzen  Riegeln    d.z^), 

auf  der  Rolle ze;^)^ 

auf  der  Arretierung,   die  getrennt  dargestellt  ist e, 

auf  dem  Schlüssel a. 

Klar  und  offenbar  ist  also : 
I      I  Setzt  man   den  Schlüssel 

in  das  Loch  der  Rolle 
und  dreht  nach  rechts,  so 
wird  der  Riegel  g  nach  g 
zu,  m  nach  m  zu,  s  nach 
G  zu  und  d  nach  d  zu  ge- 
stoßen und  die  vier  Riegel 
werden  vorgeschoben.  Ge- 
öffnet wird  durch  die  ent  - 
gegengesetzte  Bewegung. 
Um  das  Ganze  fertigzu- 
stellen, macht  man  in  die 
vier  Ecken  des  Klotzes 
Löcher.  Ferner  macht  man 
in  die  Rückseite  der  Türe 
ein  Loch,  in  das  sich  der 
auf  der  Rolle  angebrachte 
Zylinder  einsetzt,  es  ist 
auch  so  lang  wie  dieser. 
Dies  Loch  vollendet  man  mit  dem  Bohrer,  indem  man  ein  Loch 
von  kleinerem  Durchmesser  als  das  erste  bohrt,  um  den  Schlüssel 
einzuführen;   es   geht   bis   auf   die  Oberfläche   der  Türe  3).     Man  legt 

I)  Diese  Buchstaben  fehlen  in  dex  Figur;  sie  wurden  von  uns  entsprechend  nach- 
getragen. Die  Verzahnung  des  Riegels  (s)  ist  versehentlich  über  den  Riegel  (m)  gezeichnet. 
Aus  welchem  Grunde  die  Enden  der  Riegel  umgebogen  gezeichnet  sind,  ist  aus  dem  Text 
nicht  ersichtlich.  Vermutlich  handelte  es  sich  hier  um  Ansätze  oder  dergleichen,  welche 
verhüten  sollten,  daß  man  das  Schloß  so  weit  drehte,  daß  die  Zähne  der  Rolle  auf  den 
unbezahnten  Teil  der  Riegel  übergriffen  und  dadurch  beschädigt  würden.  Die  zum 
Sperren  der  Türe  gehörenden  Enden  der  Riegel  mußten  sich  jedoch  über  diese  Ansätze 
hinaus  erstrecken.  Ihre  Lage  wurde  von  uns  durch  gestrichelte  Linien  in  Fig.  36  an- 
gedeutet. 

*)  Die  Rolle  ist  versehentlich  viereckig  gezeichnet. 

3)  An  das  Loch,  in  dem  sich  der  Zylinder  befindet  und  das  nicht  bis  an  die  Türober- 


Fig.  36. 


über  eine   Palasttüre   und   Schlüsser  nach   al-CJazarl. 


249 


•die    Riegel   und    (auf   ihncnj    den    Klotz   auf   die    Rückseite    der  Türe 
und  nagelt  den  Klotz  durch  vier  feste  Nägel  auf  ^j, 

fläche  reicht,   schließt  eines  von  kleinerem  Durchmesser  an,  das  bis  an  die  Türoberfläche 
hindurchgeht  und  so  das  erstere   »vollendet«. 

0  l'^'g-  36  stellt  also  das  Schloß  von  der  Türseite  her  dar.  Die  schematische  Re- 
konstruktion in  Fig.  36  a  gibt  zur  Ergänzung  einen  Schnitt  parallel  zur  Längsseite  der 
l'üre.  Bemerkenswert  ist,  daß  nach  der  Anordnung  der  Fig.  36  der  Schlitz  für  den 
Schlüsselbart  sich  nicht  senkrecht  nach  unten  (wie  bei  unseren  Schlössern),  sondern  wage- 
recht nach  der  Seite  ansetzt. 
In  P'ig.  36  a  ist: 

t     die  Türe,  auf  deren  Rückseite  die  SchHeßvorrichtung  angebracht  ist; 
h     der  auf  der  Rückseite  der  Türe  befestigte  Klotz,  in  welchem  sich  die  Schließ- 
vorrichtung befindet; 
d     der  obere  Querriegel; 
z     der  untere  Querriegel; 
g     der  —  von  der  Vorderseite  der  Türe 

gesehen  —  rechte  Längsriegel; 
w     die  gezahnte  Rolle,  welche  zur  Be- 
wegung der  Riegel  dient; 
i     der    an    der   einen    Seite   der   Rolle 
befestigte  Zylinder,  welcher  sich  in 
ein     entsprechendes    Loch    in    der 
Rückseite  der  Türe  drehbar  einsetzt; 
l     das    zum  Einsetzen    des  Schlüssels 
dienende  kleine  Locli  in  der  Türe; 
rechts  von  der  Hauptzeichnung  ist 
gesondert  eine  Ansicht  dieses  Loches 
gezeichnet.    Man  sieht    in  ihm  das 
Loch    mit    dem   seitlichen    Schlitz. 

welches    die   Rolle    (w)   und   ihren  \ —  |_ 

Zylinder  (%)  durchsetzt,  sowie  die 
kreisrunde  Durchbohrung  des  Sperr- 
rades (5,  s.  w.  u.)  und  das  Loch  in 
der  Arretierung  (<%  s.  w.  u.),  in  das 

sich    ein   Ansatz    am    Schlüsselende    setzt,     wenn    die    Arretierung    mit    dem 
Schlüssel  zurückgedrückt  wird; 
e     die  Arretierung,  welche  mit  ihrem  einen  Ende  im  Klotz  festgenagelt  ist; 
5 .    die  kleine,  auf  der  Rückseite  der  Rolle  (70)  befestigte  verzahnte  Rolle,  in  deren 

Verzahnung  die  Arretierung  eintritt; 
p  der  Spalt  hinter  der  Arretierung;  dieser  muß  in  der  Mitte  noch  eine  kleine 
Vertiefung  haben  für  das  Ende  des  Ansatzes  am  Schlüssel,  der  sich  in  das 
Loch  der  Arretierung  einsetzte; 
ü  das  gesondert  gezeichnete  Ende  des  Schlüssels,  soweit  er  sich  in  die  Türe  ein- 
setzte. Der  Bart  ist  gegenüber  dem  Schloß  um  90  Grad  (in  die  Zeichenebene 
herein)  gedreht. 

Die  Wirkungsweise  'des  Schlosses  ist  aus  der  —  wie  in  der  Regel  bei  allen  einfacheren 
'Vorrichtungen  —  sehr  kTaren  und  dabei  nicht  weitschweifigen  Darstellung  (jazarl's  ohne 
weiteres  ersichtlich. 


a 


Fig.  36  a. 


2^0 


E.  W i  e  d  e  ni  a  n  n  und  F.  H  a  u  s  e  r , 


Das  ist,  \vas  wir  deutlich  klarmachen  wollten. 

.  Hieran  schließen  sich  die  Worte : 

»Ich  will  jetzt  beschreiben,  was  ich  hergestellt  habe;  es  ist  ein 
zierlicher  Kahn,  aus  dem  man  den  Ablauf  der  gleichmäßigen  (=,Äqui- 
noktial-) Stunden  kennen  lernt.« 

Dieses  Kapitel  ist  das  50.  Kapitel  des  ganzen  Werkes  von  Gazari. 
Wir  haben  es  Nova  Acta,   Abhandlungen   der   Kaiserl.    Leop.-Carol. 
Deutschen  Akademie   der  Naturforscher,  Bd.  C,  Nr.  5,  Seite  165  ver- 
öffentlicht. 


Fig.  37- 


Nach  Daremberg  et  Saglio.  Dictionnaire  des  Antiqiiites'grecques  et  romaines,  Bd.  IV., 
2,   S.   1245,  ist  es  nicht  unmöglich,  daß  man  bereits  im  Altertum  Vorrichtungen  besaß, 
bei  denen  zwei  Riegel,  ein  horizontaler  und  ein  vertikaler,  mit  demselben  Schlüssel  bewegt 
wurden.     Dieses  System  habe  sich  an  den  Türen  der  Kirche  der  Heiligen  Cosmus  und 
Damianus  in  Rom  erhalten.    Ein  Zahnrad,  das  man  mit  einem  Schlüssel  drehte,  bewegte  • 
zugleich  einen  Schloßriegel  und  einen  Stangenriegel. 


über  eine  Palasttüre  und  Schlösser  nach  al-Gazari.  25  L 

V.  Anhang. 

Im  Anschluß  an  die  vorstehende  Veröffentlichung  des  Restes  von 
Gazari's  Werk  sei  eine  Miniatur  zeichnerisch  wiedergegeben  (Fig.  37), 
welche  Herr  Professor  Würschmidt  in  Konstantinopel  fand  und  uns 
freundlicherweise  zur  Verfügung  stellte. 

Diese  Miniatur  stellt  augenscheinlich  in  künstlerischer  Aus- 
schmückung eine  von  Gazari  beschriebene  Kahnuhr  (vgl.  E.  Wiede- 
MANN  und  F.  Hauser,  Über  die  Uhren  im  Bereich  der  islamischeiv 
Kultur,  a.  a.  0.  5.  107)  mit  einem  Gebäude  und  —  jedenfalls  die  Uhr 
betrachtenden  —  menschlichen  Figuren  im  Hintergrunde  dar.  Die 
Unterschiede,  welche  die  Uhr  selbst  gegenüber  der  Darstellung  Ga- 
zari's aufweist,  sind  nur  gering  und  dürften  auf  Beschädigung  der  Vor- 
lage bzw.  Versehen  des  Künstlers  zurückzuführen  sein:  die  auf  "dem 
Podium  unterhalb  des  Drachens  sitzende  Figur  mit  dem  Schreibstift  fehlt 
in  der  Miniatur,  der  Aufbau  des  Kahnes  zeigt  nicht  nur  an  der  dem  Drachen 
zugekehrten  Seite,  sondern  auch  an  der  Rückseite  die  Gestalt  eines  Vogels- 

Zum  Schluß  ist  es  uns  eine  angenehme  Pflicht,  Herrn  Professor 
Hell  in  Erlangen,  Herrn  Professor  Herzfeld  in  Berlin  und  Herrn 
Professor  Ritter  in  Hamburg  für  manchen  freundlichen  Wink, 
bestens  zu  danken. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 


Verhältnis  des  Bab  zu  früheren  Süfi-Lehrern. 

I. 

Professor  E.  G.  Browne  hat  im  JRAS.  für  1889  p.  919  die  Abhängigkeit  mancher 
Theorien  des  Gründers  der  Bäbi-Sekte  von  denen  des  ^luhjl  al-dln  ihn  al-'Arabi 
festgestellt  (vgl.  H.  Roemer,  Die  Bäbi-Behä'l  [Potsdam  1Q12]  25).  Diese  Abhängigkeit 
erstreckt  sich  vornehmlich  auf  die  tiefe  Bedeutung,  die  beide  mystische  Schwärmer  ge- 
wissen Buchstaben  und  Zahlen,  namentlich  dem  Buchstaben  bä  und  den  Zahlen  19  und  361 

zueignen.    Bäb  hat  den  heiligen  Charakter  dieser  Zahlen  mit  der  Formel  t  --i:-  Jo    (deren 

Zahlenwert  19  X  19  =  361  beträgt)  in  Verbindung  gebracht,  an  die  er  in  seinem  persischen 
Bajän  die  verwickeltesten  mystischen  Gedankenzüge  knüpft.  (Vgl.  die  Einleitung  in  Les 
Mamiscrits  persans  de  V Institut  des  Langues  Orientales,  decrits  par  le  Baron  V.  Rosen 
[St.  Petersbourg  1886]  p.  5,  16 — 21;  6,  1  ff.;  Übersetzung  in  A.  L.  M.  Nicolas,  Seyyed 
Ali  Mohammed  dit  le  Bab,  Le  Beyan  persan  I.  [Paris  191 1]  p-  12.  13.)    Er  beutet   hiefür 

die  zahlreichen  Stellen  des  Korans  aus,  in  welchen  der  Ausdruck  s-  ^  J*3   in  Verbindung 

mit  Aussagen  von  Gott  angewandt  ist,  namentlich  Sure  65.  12,  welcher  Vers  den  gesamten 
Inhalt  des  Korans  in  sich  schließe  (Browne  in  seiner  Übersicht  über  den  pers.  Bajän  als 
Anhang  zur  Ausgabe  des  K.  Nukiat  al-Käf  [Gibb-Series  XV]  p.  LXXXVI).  Für  die  Be- 
erdigung von  Bekennern  seiner  Lehre  verordnete  Bäb.  daß  Ringe  an  die  rechte  Hand  der 
Verstorbenen  gelegt  werden  mit  (nach  dem  Geschlecht  derselben  verschiedenen)  Inschriften. 

als  deren  Texte  von  ihm  angegebene  p  ^^  J^j^-Verse  verwandt  werden  (bei  Browne  ibid. 

p.  LXXXVIin.  Auch  ein  Werk  hatte  der  Stifter  verfaßt  u.  d.  T.  ^^  }S  ^'U^\ 
(Browne  in  JRAS.  1892  p.  494  und  desselben  Materials  for  tbe  Study  of  the  Bdhi  Religion 
[Cambridge  1918]  p.  206);  handschriftlich  vorhanden  ina  Brit.  Mus.  Or.  5487 — 5490.  5869. 
6255  (verschiedene  Teile).  —  Bekanntlich  heißen  die  spärlichen  Anhänger  der  ursprüng- 
lichen BäbT-Lehre,  die  weder  nach  der  einen  noch  der  anderen  Seite  an  der  nach  dem 
Tod  des  Stifters  hervorgetretenen  Fortentwicklung  derselben  und  an  den  im  Zusammen- 
hang damit  eingetretenen  Parteispaltungen  (ob  Behä'i  oder  Ezeli,  'Abbäs  Efendi 
oder  Muhammed  'Ali)  teilnehmen  und  wohl  auch  ^om  raschen  Erscheinen  des  man 
juzhiruhu  AUäh  nichts  wissen  wollen:  Kull-Sefi  d.  h.  konservative  Bekenner  des  Bajän 
(Browne,    JRAS.    1909   p.  307,   Materials   etc.   p.  14S.    233). 

Es  ist  mir  nicht  bekannt,  doch  halte  ich  es  für  wahrscheinlich,  daß  auch  bereits  Ibn 

al-'ArabI  die  Bedeutung  der  obenerwähnten  Zahlen  an  die  Gematria  der  Phrase  ^  ^  J^ 
anlehnt.     Als  charakteristisch  für  die  mystische  Wichtigkeit,  die  er  derselben  zuzueignen 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  253* 

scheint,  kann  vor  allem  auch  der  häufige  Gebrauch  gelten,  den  er  in  den  Futükäi  von  dem  zu- 
weilen als  solchen  nicht  erkannten  (vgl.  ZDMG.  85,  401)  Abu-]-'Atähi ja-Vers')  J^  ^ß^» 

^il  '\j\  ».J  s^  ^  (Ag.  III  143,  9)  macht  (M.  Asin  Palacios,  Ahenmasarra  y  sii  Escuela 

Madrid  19 14]   119)- 

Ferner  besitzen  wir  jetzt  noch  ein  deutlicheres  Zeichen  für  die  Stelle,  die  Kuli  sef 
in  der  Lehre  der  früheren  islamischen  Mystik  einnimmt,  der  sich  Ibn  al-'Arabi  auch 
in  diesem  Fall  angeschlossen  haben  wird.  In  dem  jüngst  durch  H.  S.  Nyberg  in  seiner 
trefQichen  Upsalaer  Dissertation  edierten  Kitäb  \al-tadbirät  al-ilähijja  ß  isläh  al-mamlakal 
al-insänijja  (Kleinere  Schriften  des  Ibn  al-'ArabI  [Leiden  1919]  p.  1031?.),  in  welchem 
sich  I.  al-'A.  mit  den  Deutungen  beschäftigt,  die  verschiedene  Mystiker  dem  koranischen 
Begriff  des  in  die  Welt  gesetzten  »Chalifa  Gottes«  geben,  erwähnt  er  (p.  125  der  Texte) 
auch  die  des  Abu-1-Hakim  ibn  Barragän.  Dieser  versteht  darunter  »den  in  Sure  36,  11 
genannten  imäm  niubln,  womit  das  lauh  ma/ifüz  gemeint  sei,  von  dem  die  Bezeichnung  als 
Kuli  sef  gebraucht  wird  im  Koranvers  7,    142:    ,Wir  schrieben  für  ihn  auf  die  Tafeln  von 

allem  Ding  (<:■  ^  Jj'  q./o)  Ermahnung  und  Entscheidung  für  alles  Ding  {f-^c^  lK^J)«  "• 
damit  sei  die  »wohlbewahrte  Tafel«  gemeint.  Dies  ist  der  Beweis  des  Abu-1-Hakim 
dafür,   daß   sie  Kuli  sef   genannt  wird.     Was  ihn  darauf  geführt  hat,   ist  der  Koranvers 

(36,  li):  »Und  alles  Ding  (s-,  -^  d-^^)  haben  wir  aufgezählt  in  einem  deutlichen  imäm 
(Prototyp)  usw.« 

Ibn  al-*Arabi  schließt  dies  Zitat  mit  der  Aufforderung,  daß  »der  Leser  darüber 
nachdenken    und  über   dessen  Wahrheit  forschen   möge«. 

Wir  wissen  jetzt  durch  M.  Asin  Palacios,  daß  die- Spekulation  des  I.  al-*A.  unter 
dem  Einfluß  der  Lehren  des  Ibn  Barragän  stand.  Für  sein  Verhältnis  zu  ihm  kann  auch 
die  eben  angeführte  Stelle  als  Beleg  dienen.  Von  hier  aus  wird  er  sich  wohl  die  Kull-Sef- 
Theorie  angeeignet  haben.  Auch  die  aus  diesem  Ausdruck  deduzierte  Zahlenmystik  wird 
wohl  auf  I.  B.  zurückgehen,  den  man  ja  als  Künstler  des  Zahltn-tstichräg  bewundert  hat 
(ZDMG.  68,  54S  f.). 

Schließlich  kann  in  diesem  Zusammenhang  darauf  geachtet  werden,  daß  bereits 
Ibn  Sinä  den  Kull-Sef-^Qgriü  in  mystischer  Weise  verwendet.  In  seinem  Send- 
schreiben an  Abu  Sa'Id  b.  abi-1-Chejr  (das  mir  nur  aus  Keskül  [Büläk  1288]  355  AT.  zu- 
gänglich ist)  sagt  er:  ^^'^-*^  '»^^  j-f)^  (l5^^^  O^iCUJ!)  »^Ls  ^\  Jiu^öl  5öLs 
s.^Jj^   J.XJ   t^,ü   JjCj   ^i^j  yl-b   ^\^   \iLs  »^Li5   ^i    (357,   7  V.  u.). 

IL 

Auch  die  Idee  eines  nach  dem  Hingange  des  Bäb  dereinst  erstehenden  man  juzhi- 
ruhu  Allah  ist  in  der  früheren  Mystik  zu  finden.  Ohne  eine  ältere  Belegstelle  hiefür 
anführen  zu  können,  berufe  ich  mich  nur  auf  'Abdalwahhäb    al-Sa*räni's  Latffit  al-- 


')  Derselbe  wird  irrtümlich  einmal  auch  dem   Lcbid  zugeschrieben;  vgl.  ed.  Huber 

Bkockelmann,  Fragmente  18  v.  2  (vielleicht  aus  Verwechslung  mit  41  v.  9  i-^e^  S^  ^') 
An  den  Vers  des  Abu-l-'Atähi  ja  denkt  wohl  auch  Bäb  in  der  Einleitung  zum  persischen 

Bajän    mit    den    Worten:    ^-^c^    J»^       ''*"*^     j->     l;^'    Ä-S-JW    ioi    »0^/8,5    Ci^i     ^^^ 
Kosen,  ibid.  4,  6  v.  u.). 


^CA  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

minan  (Kairo,  matb.  Mejmenijja  1321)  II  88,  8:       'wsJt    ^^  'i.J>ji  üöy>-_yD  »JCÄJi  ^,1 


I.   Goldziher. 


Türkische  Sittenpolizei  im  16.  Jahrhundert. 

Im  9.  Bande  des  Islam  S.  2500.  hatte  ich  auf  die  Wichtigkeit  der  von  Ahmed  Ref  ik 
-aus  Stambuler  Archiven  unter  dem  Titel  Istambol  hajaty  (Istambol  1333)  veröffentlichten 
reichen  Urkundensammlung  hingewiesen  und  bemerkt,  daß  ich  später  im  einzelnen  auf 
das  wertvolle  kulturgeschichtliche  Material  zurückzukommen  gedenke.    Im  3.  bis  5.  Hefte 
der  »Deutschen  Übersetzungen  türkischer  Urkunden«  Habe  ich  seitdem  (Kiel  1919/20)  weitere 
Urkunden  aus  dem  Gebiete  des  Münzwesens,  der  Wirtschaftsgeschichte,  des  Bauwesens, 
Kunstgewerbes  usw.  mitgeteilt.     Diesmal  möchte  ich  zunächst  das  kurze  4.  Kapitel  voll- 
ständig übersetzen  I).    Wir  gewinnen  aus  ihm  ein  Bild  von  der  sittenpohzeilicheh  Organi- 
sation und  ihren  Betätigungen,  deren  moralischer  Ernst  nicht  zu  verkennen  ist.    In  Kon- 
stantinopel wurden  in  den  einzelnen  Mahallen,  welche  sich  um  die  Hauptmoscheen  ge- 
bildet hatten,  Ausschüsse  gebildet,  die  aus  Beamten  der  Moschee  und  sonstigen  würdigen 
Männern  ihrer  Gemeinde  bestanden.     In  diesen  Sitzungen  wurde  über  die  in  der  Mahalle 
zur  Kenntnis  gelangte  Unzucht  ein.  Protokoll  aufgenommen.    Die  eingesandten  Protokolle 
sind  leider  bisher  nicht  zum  Vorschein  gekommen;  sie  waren  ausführlicher  als  die  kurzen 
Antworten  und  diese  bleiben,  weil  sie  jene  als  bekannt  voraussetzen,  in  Einzelheiten  bis- 
weilen unklar.    Man  ersieht  jedoch  aus  den  Antworten,  daß  man  auf  alle  Formen  der  Un- 
zucht ein  wachsames  Auge  hatte  z.  B.  auf  Sklavinnenscheinverkauf,  auf  angebliche  Wasch- 
geschäfte,   in  denen  junge  Männer  verkehrten,    auf  die  Konditoreien  in  Ejjub,    die  als 
Rendezvousorte  dienten,   selbst   auf   einsame  Bootfahrten,   wobei   man  freihch  bisweilen 
zu  weit  ging.     Öffentliche  Dirnen  wurden  zur  Feststellung  des   Sachverhalts  gerichtlich 
zitiert;  wenn  sie  sich  nicht  stellten,  inspizierte  man  ihre  Behausung  und  beantragte  eventuell 
ihre  Ausweisung  aus  der  Mahalle.    Diejenigen,  welche  Dirnen  heiraten,  werden  überhaupt 
aus  der  Hauptstadt  ausgewiesen.    Man  rechnet  allerdings  damit,  daß  selbst  Moscheebeamte 
die  Dirnen  zum  zeitweiligen  Verlassen  der  Mahalle  während  der  Inspektion  veranlassen. 
Solche  werden  mit  rücksichtsloser  Bestrafung  bedroht,  in  gleicher  Weise  die  Mutewellis, 
die  Verwalter  frommer  Stiftungen,  welche  die  zu  den  Stiftungen  gehörenden  Läden  an 
PseudoWäscherinnen  vermieten.     Die  Inspektoren  sind  überhaupt  beauftragt,  die  geist- 
lichen Beamten  auf  Kenntnisse  und  Würdigkeit  zu  prüfen  und  eventuell  ihre  Absetzung 
zu  beantragen.     Es  wird  sogar  gelegentlich  gegen  alle  vorgegangen,  welche  das  rituelle 
Gebet  unterlassen,  kam  es  doch  zu  jener  Zeit  sogar  vor,  daß  man  Frauen  wegen  Fasten- 
bruchs ertränkte  2).    Namentlich  im  heiligen  Ejjub  sollten  zweifelhafte  Vergnügungslokale 
nicht  geduldet  werden,  weil  ihr  Lärm  den  Gebetsruf  übertöne  und  der  Aufenthalt  daselbst 
vom   Arbeiten  und  von   Kuranvorlesungen   abhalte. 

Nr.  2  (S.  55—57). 
An  den  Kadi  zu  Stambul  ergeht  die  Weisung  folgendermaßen:  Zur  Zeit  habe  ich 
-den  Befehl  erlassen,  die  Dirnen,  welche  in  den  Stadtteilen  unsererjHauptstadt  Konstantinopel 
wohnen,  zu  inspizieren,  die  Verhältnisse  der  Imame  jedes  Stadtteils  und,  wo  Dschämi's 


')  Nr.  I  wurde  mittlerweile  bereits  in  Heft  4  der  genannten  Sammlung  veröffentlicht. 
^)  Hammer,  Geschichte  des  osman.  Reichs  IV  S.  262. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  255 

vorhanden  sind  ■),  die  von  deren  Chatibs  und  Imamen  sowie  der  Muezzins  zu  prüfen  und 
diejenigen,  welche  laut  Prüfung  die  für  das  Imam-  und  Chatib-Amt  nach  dem  heiligen 
Gesetz    erforderliche    Fähigkeit    nicht   besitzen,    abzusetzen. 

Ich  befehle,  daß  man,  wenn  Piri  —  er  nehme  zu  an  Würde  —  von  den  Tschauschen 
meines  erhabenen  Hofs  mit  meinem  erlauchten  Gebot  eintrifft,  ohne  die  geringste  Verzöge- 
rung und  Nachlässigkeit  in  das  Gotteshaus  jedes  Stadtteils,  sei  es  ein  Dschämi'  oder  ein 
Mesdschid,  gehe  und  Imam  und  Muezzins  und  Leute  des  Stadtteils  versammele  und  sich 
mit  der  größten  Genauigkeit  und  Sorgfalt  erkundige,  ob  in  den  Stadtteilen  von  Dirnen 
oder  sonstigem  verdorbenen  und  lasterhaften  Volk  etwas  vorhanden  sei,  sie  vorzuführen, 
die  Dirnen  zu  arretieren  und  es  zu  melden. 

Hierauf  sollst  du  die  Imame,  Muezzins  und  anderen  in  irgend  einer  Weise  ermahnen 
und  ihnen  einschärfen,  daß,  wenn  in  ihren  Stadtteilen  eine  derartige  Dirne  ist,  sie  kommen, 
sie  anzeigen  und  ausliefern;  so,  daß  zur  Zeit  der  Inspektion  zuerst  die  Dirnen,  welche  ver- 
schwinden und  hernach  wieder  in  ihre  Stadtteile  kommen,  oder  aber,  die  sie  beschützen 
und  nicht  anzeigen  mögen,  angezeigt  werden  und  nie  und  nimmer,  ob  es  Imame  und  Muez- 
zins oder  andere  Leute  des  Stadtteils  sind,  die  Entschuldigung  eines  einzigen  angenommen 
werde  und  du,  in  wessen  Stadt  es  auch  passiere,  für  sie  die  gebührende  Beschimpfung  und 
Züchtigung  zuerst  für  den  Imam,  dann  für  die  Leute  des  Stadtteils  feststehend  weißt. 
Demnach  möge  jeder  aufpassen,  und  sie  sollen  sich  vor  Nachlässigkeit  und  Gleichgültigkeit 
in  acht  nehmen  und  keinen  Augenblick  versäumen,  sei  es  bei  Auslieferung  der  zur  Zeit  der 
Nachforschung  im  Stadtteil  befindlichen  Dirnen,  sei  es  bei  der  Ausheferung  der  später 
kommenden. 

Die  Verhältnisse  des  Imams  jedes  Stadtteils  sollst  du,  sowohl  was  Kuranwissen, 
als  auch  was  Religiosität  und  Redlichkeit  anlangt,  prüfen  und  die  demnach  nicht  geeignet 
sind,  ein  Vorbild  für  die  Leute  nach  dem  Gesetz  abzugeben,  absolut  ohne  Rücksichtnahme 
aufschreiben  und  zur  Anzeige  bringen,  damit  sie  abgesetzt  werden.  Alles  in  allem:  du  sollst 
diese  Angelegenheit  nicht  nach  Weise  der  anderen  Obhegenheiten  ausführen,  sondern  auf 
Grund  meines  Befehls  dich  in  jeden  Stadtteil  begeben  und  sowohl  die  Zustände  der  Ge- 
meinde, als  auch  seinen  Imam  und  Muezzin  gründlich  prüfen  und  die  Dirnen,  die  sich 
zeigen,  einsperren,  danach,  wieviel  Dirnen  eingesperrt  sind  und  ob  jede  eine  Einheimische 
ist  und  Verwandte  besitzt,  im  einzelnen  buchen  und  die  Imame,  Muezzins  und  Prediger, 
■deren  Absetzung  nötig  ist,  gleichfalls  buchen  und  zur  Kenntnis  bringen.  Hüte  dich,  daß 
du  jemand  in    Schutz  nimmst. 

Auch  die  im  Stadtteil  befindlichen  Unterlasser  ihrer  Gebete  laß  festnehmen  unji 
ihnen  die  gesetzliche  Züchtigung  verabfolgen.  Die  Imame  und  Muezzins  sollst  du  ermahnen, 
damit  du  die  Leute  des  Genusses,  die  auf  schlechten  Wegen  sind,  anzeigst. 

(Wurde  dem  als  Mubäschir  [Amtsdiener]  funktionierenden  Piri  Tschausch  übergeben.) 

Am  4.  Safer  975  (=  10.  Aug.   1567). 

Nr.  3  (S.  c;7). 
An  den  Kadi  von  Stambul  ergeht  die  Weisung  folgendermaßen:  Da  uns  zu  Ohren 
gekommen  ist,  daß  einige  Leute  die  Dirnen,  welche  zur  Zeit  der  Inspektion  arretiert  und 
eingesperrt  wurden,  zu  heiraten  willens  sind,  ordne  ich  an,  daß  du  bei  Eintreffen  (dieses 
Schreibens)  diejenigen,  welche  Dirnen  wie  jene  heiraten,  verwarnst,  daß  sie  nach  der  Ver- 
ehehchung  nicht  in   Stambul  bleiben,  sondern  sie  nach  anderen  Orten  mitnehmen  und 


I)  Nicht  jeder  Stadtteil  hat  ein  Dschämi',  aber  es  gab  auch  dort  Imame,  bei  den 
Mesdschids. 


256  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

fortziehen,  so  daß,  wenn  nach  der  Verwarnung  jenes  Genre  von  Leuten  nebst  den  Dirnen, 
die  sie  genommen  haben,  in  Stambul  bleibt,  sie  wieder  eingesperrt  werden. 

CWurde  dem  Hadschi  Hyzyr  Tschausch  übergeben.) 

Am  5.  Redscheb  975  (=  5.  Januar  1568). 

Xr.  4  (S.  57/8). 

An  den  Kadi  von  .Stambul  ergeht  die  Weisung  folgendermaßen:  Da  uns  zu  Ohren 
gekommen  ist,  daß  jetzt  in  Konstantinopel  in  einigen  Läden  Waschfrauen  aufgetaucht  sind 
und  etliche  Lewend  ')  unter  diesem  Vorwand  in  ihren  Läden  verkehren  und  zahlreiche 
Unsittlichkeiten  verübten,  befehle  ich,  daß  solche  ursprüngliche  Wäscherinnen  hinfort 
nicht  in  den  Läden  seien  und  aufgehoben  werden  und  ordne  an,  daß  bei  Eintreffen  dieser 
Order  du  ohne  jede  Verzögerung  iind  Nachlässigkeit  die  in  der  Hauptstadt  befindlichen 
ilütewellis  -)  sowohl  der  kaiserlichen  als  der  sonstigen  öffentlichen  Stiftungen  zitierst  und 
jeden  einzelnen  gehörig  und  eindringlich  ermahnst,  daß  er,  wenn  in  seinen  Stiftungen 
derartige  Wäscherinnen  vorhanden  sind,  sie  ohne  jeden  Verzug  austreibe  und  hinfort 
den  Weibern  keinen  Laden  mehr  einräume.  Auf  diese  Weise  (soll)  die  Wäscherei  (erledigt 
werden).  Du  aber  mögest  nach  der  Verwarnung  beständig  aufpassen,  und  solltest  du  dem 
Befehl  zuwider  im  Laden  derartigeWäscherinnen  finden,  sie  bestrafen  und  die  Mütewellis. 
welche  nach  der  Verwarnung  solchen  Frauen  Läden  einräumen,  melden.  Diese  erhabene 
Verordnung  sollst  du  in  das  Hauptregister  eintragen  lassen,  jetzt  und  später  dem  Inhalt 
des  kaiserlichen  Schreibens  gemäß  verfahren  und  im  Widerspruch  zu  ihm  keine  Erlaubnis 
erteilen.  Diese  Angelegenheit  wird  untersucht  und  geprüft,  so  daß,  wenn  hinfort  in  einem 
Laden  eine  Wäscherin  gefunden  wird,  keine  Entschuldigung  angenommen  wird.  Demgemäß 
sollst  du  Acht  geben,  bei  Ausführung  meines  kaiserlichen  Befehls  eifrig  sein  und  keine 
Minute  verlieren  ' 

Am  21.  Zi'1-hiddsche  978  (=  16.  Mai   1571). 

Nr.  5  (S.  58/q). 

An  den  Kadi  von  Ejjub  ergeht  die  Weisung:  Du  hast  einen  Brief  gesandt  und  be- 
richtet, daß  die  Gläubigen  melden,  es  kämen  Benehmen  und  Übertretungen  wider  das 
Gesetz  vor,  darin  bestehend,  daß  in  den  meisten  Läden,  Bäckereien  und  Gärten, 
welche  im  Stadtteil  »Große  Moschee«  in  der  Nähe  der  neugebauten  Medrese  und  neben  der 
Elementarschule  liegen,  sich  Ungläubige  befinden,  die  Liederlichkeiten  und  Ausschweifungen 
begehen,  Flöte  spielen,  mit  den  Füßen  stampfen  und  von  der  Arbeit  des  Stadtviertels,  der 
Kuranlektüre  der  Frommen,  sowie  vom  Vernehmen  des  heiligen  Gebetsrufs  abhalten  und 
daß  in  die  Kajmak  3)-Verkäufer-Läden  etliche  Weiber  unter  dem  Vorwand  Kajmak 
zu  essen  hineingehen,  sich  dort  aufhalten  und  Nichtverwandte  (verschiedenen  Geschlechts  4)) 
zusammenkommen.  Jetzt  gehört  zu  den  -«nchtigen  religionsgesetzlichen  Aufgaben,  daß 
diese  wesentlichen  Dinge,  welche  im  Widerspruch  zum  heiligen  Gesetz  stehen,  verhindert 
und  aufgehoben  werden.  In  dieser  Hinsicht  ist  keine  Nachlässigkeit  statthaft.  Ich  ordne 
an,  daß  du  dich  dieser  Dinge  in  gehöriger  Weise  annimmst  und  hinfort  die  ungläubigen 
sich  in  ihren  obgemeldeten  Läden  und  Gärten  nicht  aufhalten  läßt,  sondern  sie  alle  aus- 

')  Hier  wohl  nicht  in  dem  Sinne  von  Matrosen,  sondern  etwa:  zügellose  forsche 
Burscheu. 

-)  Verwalter  der  frommen  Stiftungen,  welche  hier  die  der  Stiftung  gehörenden  Lädert 
vermieten 

3)  Ejjub   kajmagy   ist   noch   heute   berühmt. 

•))  Die  sich   sonst   nicht   sehen  und   sprechen   dürfen. 


Kleine  Mitteilunofen  und  Anzeigen. 


'ö 


257 


treibst  und  sie  den  Gläubigen  übergibst,  sowie  das  Weibervolk,  das  in  die  Kajmakdschi- 
Läden  unter  dem  Vorwand  Kajmak  zu  essen  kommt,  nicht  dorthin  gebracht  werden  läßt, 
betreffs  dieses  Punktes  auch  die  Ladenbesitzer  ordentlich  streng  verwarnst,  sie  verhinderst 
und  aufhebst.  Sollte  nach  der  Verwarnung  das  Weibervolk  wiederum  in  einen  Laden  gehen, 
ohne  daß  der  Ladenbesitzer  es  hindert,  so  mögest  du  jenen  eigentlichen  Ladenbesitzer 
holen  lassen,  ihn  ordentlich  züchtigen,  in  der  Ausführung  des  erlauchten  Befehls  eifrig 
bemüht  sein  und  dich  vor  Nachlässigkeit  hüten.  Es  ist  nötig,  diese  Angelegenheit  geheim 
zu  behandeln,  so  daß,  wenn  die  von  dir  dargelegten  Dinge  nicht  laut  dem  erlauchten 
Befehl  verhindert  und  abgestellt  werden,  keine  Entschuldigung  von  dir  angenommen  wird 
und  du  dir  einen  Verweis  zuziehst.  Das  laß  dir  gesagt  sein  !  Darum  sollst  du  dich 
kümmern  und  in  Fleiß  und  Sorgfalt  keine  Minute  ungenutzt  lassen. 
Am  23.  Muharrem  981  (=  25.  Mai  1573). 

Nr.  6  (S.  59). 

An  den  Ketchuda  (Obmann)  der  Peremedschis  ')  ergeht  die  Weisung:  Die  Peremedschis 
sind  verwarnt  worden,  es  sollen  nicht  junge  Frauen  mit  Lewends  in  die  Pereme  einsteigen 
und  spazieren  fahren.  Da  mir  nun  aber  zu  Ohren  gekommen  ist,  daß,  wenn  alte  Frauen 
von  den  Armen  mittels  einer  vollen  Pereme  ans  jenseitige  Ufer  übersetzen  wollen,  ehrbare 
Leute  (ehl-i-'yrz  ^))  sie  daran  hindern  und  den  Armen  Schwierigkeiten  machen,  ordne  ich 
an,  daß  beim  Eintreffen  (dieses  Schreibens)  du  dich  dieser  Sache  annimmst  und  wenn  von 
den  Armen  jene  Sorte  Frauen  mit  einem  vollen  Pereme  übersetzen  will,  du  Niemand  im 
Gegensatz  zum  Herkommen  am  Einsteigen  verhindern  und  einer  Armen  Schwierigkeiten 
mächen  läßt  [zerrissen].  Du  sollst'  dich  hüten,  daß  dem  heiligen  Gesetz  zuwider  junge 
Weiber  mit  Lewends  in  die  Pereme  steigen  und  spazieren  fahren  und  die  Peremedschis 
eindringlich    ermahnen    [zerrissen]    und   instruieren. 

(Wurde  dem  Obmann  der  Peremedschis  zugestellt. "i 

Am  23.  Schewäl  988  (=  i.  Dez.   1580). 

Nr.  7  (S.  59/60). 

An  S.  Exz.  den  Vezir  Mehmed  Pascha  ergeht  die  Weisung,  desgleichen  an  die  Kadis 
von  Stambul  und  Galata:  Seither  haben  die  auf  dem-  Bosporus  verkehrenden  Pereme- 
Boote  die  alte  Form  verändert,  sind  lang  und  schmal  geworden  und  bedienen  sich  des 
Segels,  nehmen  Männer  und  Frauen  zusammen  an  Bord,  gehen,  weil  so  viel  Leute  nicht 
getragen  werden  können,  unter  und  werden  die  Veranlassung,  daß  so  viel  Menschen  um- 
kommen. Mit  dem  Geld,  das  bisher  genommen  wurde,  unzufrieden,  laufen  sie  (die  Pere- 
medschis) hinter  etlichen  ehrsamen  Leuten,  Männern  und  Frauen,  her,  verlangen  mehr 
Geld,  sagen  Ungezogenheiten  und  allerlei  unziemliche  Worte  und  belästigen  sie.  Indem 
zur  Unterdrückung  solcher  Vorkommnisse,  die,  wie  erwähnt  wurde,  der  Obmann  der  Pereme- 
dschis meldete,  die  erlauchte  Weisung  erging,  wird  jetzt  gemeldet,  daß  jenem  erlauchten 
Befehl  entgegen  und  dem  Herkommen  widersprechend  schlanke  und  schmale  Peremes  ver- 
wendet, Männer  mit  Frauen  zusammen  befördert  und  Segel  benutzt  werden,  daß  sie  mehr 
Geld  fordern  und  die  Gläubigen  belästigen.     Ich  ordne  demnach  an,  daß  beim  Eintreffen 

')  Die  Pereme  war  nach  Redhouse  ein  schweres  Boot  mit  zwei  Rudern,  veränderte 
nach  Nr.  7  aber  die  Form  und  wurde  zum  Segelschiff.  Der  Name  von  Tr^pafxa  Überfahrt 
erinnert  an  »Prahm«,  das  Ki.uge  Seemannssprache  (Halle  a.  d.  S.  1911),  S.  623,  von  altslav. 
pranui  »Fahrzeug«  ableitet.  Damit  dürfte  denn  auch  wohl  die  basrische  Bootbezeich- 
nung   »belem«  zusammenhängen.  —  Vgl.  Deutsche  Cbcrsetzungen  türk.  Urkutiden  Nr.  65. 

-)  Siehe  Dozv,  Suppl. 
Islam  XI.  j- 


2i;3  Kleine   Mitteilungen   und   Anzeigen. 

meines  Schreibens  du  dich  der  Sache  gehörig  annimmst  und  in  keiner  Weise  dem  Herkommen 
widersprechende,  unerlaubte,  schlanke  und  schmale  Peremes  in  Schutz  nimmst,  sondern 
sie  in  Stücke  schlägst  und  die  Peremedschis,  welche  Männer  und  Frauen  zusammen  be- 
fördern, ernstlich  verwarnst  und  die  Peremedschis,  welche  mit  Belästigung  mehr  Geld 
eintreiben,  als  auf  Grund  des  früheren  Erlasses  von  Muhtesib  Tschardagy  '),  Kasim  Pascha, 
Topchane,  Ejjub  Ensari  und  anderen  Anlegeplätzen  bestimmt  war,  verhaftest.  Solche 
^^ollen  an  die  Galeere  kommen  und  gebührend  Strafe  erleiden.  Sollte  uns  demnach  zu  Ohren 
l<ommen,  daß  von  neuem  ein  diesem  erlauchten  Befehl  widersprechendes  Verfahren  auf- 
gekommen sei.  so  steht  es  fest  daß  es  nicht  nur  die  Peremedschis  sind,  sondern  sogar  die 
Obmänner  mittun.  Demgemäß  mögest  du  die  Obmänner  ermahnen  und  in  Aufmerksamkeit 
und    Fleiß    keine    Minute    ungenutzt    lassen. 

Am  24.  Scha'ban  qqi   (=  12.  Sept.    1583). 

Nr.  8  (S.  60/61). 

x^n  den  Kadi  von  Stambul  ergeht  die  Weisung  folgendermaßen:  Du  hast  einen  Brief 
gesandt  und  folgendes  gemeldet:  Es  kamen  zu  Konstantinopel  von  den  Bazarleuten, 
Sklavenhändlern,  Ausrufern  und  anderen  Sachverständigen  eine  große  Zahl  in  die  Ver- 
sammlung für  religiöse  Angelegenheiten.  Es  brachte  nämlich  im  Gegensatz  und  Wider- 
spruch zum  alten  Brauch  eine  Gruppe  von  den  Einheimischen  im  Namen  von  etlichen 
Weibern  und  etlichen  jungen  Sklavenhändlern,  indem  sie  sagten:  »Wir  wollen  mal  die 
Sklavinnen  einiger  Muslime  und  Damen  verkaufen«,  solche  auf  den  Markt,  schlössen  öffent- 
lich mit  einigen  Lewends  als  Käufern  den  Verkauf  ab,  erstanden  sie  um  etliche  Aktsche 
und  nahmen  sie,  um  sie  zu  besehen,  in  ihr  Zimmer  fort.  Einige  Tage  hielten  sie  sie  (die 
Frauen)  und  ihre  Sklavinnen  in  ihrem  Besitz  und  gaben  sie  wieder  ihren  Eigentümern 
zurück;  und  an  ihren  Sklavinnen  wird  wider  den  Brauch  gehandelt. 

Auch  gibt  es  einige  Ausrufer,  welche  als  Käuferin  ihre  eigene  Frau  auf  den  Markt 
bringen  und  wenn  die  Sklavinnen  einiger  Muslime  zu  versteigern  sind,  unter  einem  Vorwand 
auf  den  Fuß  schlagen  und  indem  sie  sagen:  »Eine  von  auswärts  gekommene  Dame  verlangt 
sie«  um  Geld,  das  niedriger  =)  ist  als  der  Preis,  den  sie  wert  ist,  diese  der  eigenen  Frau  übergeben. 

Auch  gibt  es  einige  Dellale  (Ausrufer)  ohne  Kaution  3),  die  einige  Sklavinnen  von 
Sklavenhändlerinnen  unter  dem  Namen  Bile  eskisi  (alte  Bekannte?)  in  die  Zimmer  des 
Lewend  fortnehmen  und  etliche  verwerfliche  Handlungen  veranlassen.  Es  handelt  sich 
um  Ausrufer  ohne  Kaution  und  Dirnen,  die  für  die  Sklavenhändler,  die  derartige  Unzucht 
und  Schande  anstiften,  Antwort  erhalten  und  vei'kaufen. 

Danach  sollen  die  Frauen  am  Sklavenhandel  gehindert  und  Makler  ohne  Kaution, 
die  keine  ehrbaren  Männer  sind,  aufgehoben  werden.  Außer  Beseitigung  ihres  Schaderis 
für  die  Allgemeinheit  werden  auch  die  Verhältnisse  4)  der  Sklavenhändler  geregelt,  und 
wir  legten  unsere  Verhältnisse  dar,  um  derartigen  verwerflichen  Handlungen  zu  steuern. 

Ich  ordne  an,  daß  du  bei  Empfang  dich  dieser  Dinge  gehörig  annimmst  und  hinfort 
derartige  Frauen  das  Sklavenhändlerinnengewerbe  nicht  ausüben  läßt,  sondern  sie  daran 
verhinderst,  auch  die  Dellale  ohne  Kaution  abschaffst,  auf  eine  Art  eine  Verwarnung  er- 
gehen läßt  und  Vorkehrungen  triffst,  daß  Unzucht  und  Schande  in  der  erwähnten  Weise 
unmöelich  werde. 


I)  Pers.  tschar  tak,  das  Wort  bezeichnet  einen  mit  Hilfe  von  vier  Pfosten  errichteten 
Pavillon 

-^  asrhaka  ist  offenbar  aus  ascha?y  verlesen. 

3)  Vgl.  Istambol  hajaly  S.  170  Urkunde  Nr.  35. 

4)  Für  ahwallaryti  lies  ahwaüarv- 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 


259 


Die  nach  der  Vermahnung  nichyt  gehorchen  und  auf  solche  Weise  verfahren  und 
■übeltun  *),  sollst  du  gemäß  dem,  was  die  feststehende  Satzung  fordert,  strafen.  Welche 
Maßregeln  du  getroffen  hast,  sollst  du  uns  mitteilen. 

Im  Scha'bän  991  (=   Aug.-Sept.   1583).  G.   Jacob. 


J'eschebbüs-i-schachsi,   muharriri  Tahir  el-Mewlewi,  Istambol    1330  (221    SS.). 

Unter  den  türkischen  Drucken,  welche  Herr  Faik  Beyzade,  Lektor  des  Türkischen 
au  der  Universität  Kiel,  mitgebracht  und  mir  zu  leihen  die  Güte  hatte,  erregte  obiges  im 
Abendland  noch  ziemlich  unbekannte  Buch  meine  ganz  besondere  Aufmerksamkeit.  Ob- 
wohl ich  seit  meiner  Beschäftigung  mit  Mehmed  Tewfiks  Istambolda  bir  sene  stets 
starkes  Interesse  an  lehrreichen  Schilderungen  des  Türkentums  durch  Türken  nahm  und 
■solche  für  eine  Gesamtdarstellung  türkischen  Lebens  sammelte,  ist  mir  bisher  doch  kaum 
ein  Schriftsteller  begegnet,  der,  mit  solch  scharfer  Beobachtungsgabe  wie  Tahir  el- 
Mewlewi  ausgestattet,  türkische  Verhältnisse  mit  feinem  Humor  zu  schildern  weiß. 
Dazu  kommt,  daß  die  Schilderung  des  Literaten-  und  Journalistenlebens  im  Orient, 
welches  hier  den  Vorwurf  bildet,  sich  für  die  Interessen  des  Orientalisten  besonders  aus- 
giebig erweist.  In  besseren  Zeiten  hätte  ich  wohl  eine  Übersetzung  des  ganzen  Buches 
für  meine  Türkische  Bibliothek  ermöglicht.  Da  die  Drucklegung  des  Ganzen  nunmehr 
ausgeschlossen  erscheint,  möchte  ich  wenigstens  durch  eine  Verdeutschung  der  Exposition 
eine  Vorstellung  von  dem  reichen  Inhalt  geben.  Die  Form  erinnert  mich  vielfach  an 
Meddahvorträge,  wenn  auch  der  Stil  verfeinert  ist.  Wie  bei  Lüledschi  Ahmed  und  sonst 
gibt  die  Exposition  eine  Charakterschilderung  des  Helden  der  folgenden  Abenteuer;  auch 
hier  dürfte  es  sich  um  ein  Selbstporträt  des  Verfassers  handeln;  dafür  sprechen  die  An- 
gaben, die  mir  Herr  Faik  über  die 
Persönlichkeit  des  Autors,  seines  Leh- 
rers, machte.  Das  Buch  ist  mit  der 
Art  des  Erzählers  kongenialen  Holz- 
•^chnitten  von  anderer  Hand  verziert, 
\on  denen  ich  drei  besonders  charak- 
teristische der  nun  folgenden  Über- 
setzung der  Einleitung  einfüge: 

»Möglich,  daß  den  Dichter  Ne- 
schati  Efendi  viele  von  den  geehr- 
ten Lesern  kennen,  da  er,  weil  er 
\erschiedene  Beschäftigungen  hatte, 
sich,  wenn  er  von  seinem  Hause  in 
sein  Bureau  ging,  sicherlich  mit  100 
bis  200  Personen  begrüßte. 

Seit  5  Jahren  war  er  Lehrer  an 
einer  Privatschule.  Während  er  10 
Stunden  in  der  Woche  erteilte,  war 
ihm  zurzeit  nicht  10  Para  zu  verdienen 
beschieden.  Er  wußte  das  und  konnte 
seinen  Freunden  gegenüber,  die  ihm 
•ohne  Umstände  sagten,  das  beständige  Fig.  i. 


')  In  der  Urkunde  soll  für  üsre   Edirne  stehen. 


17* 


200 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 


Umsonstarbeiten  sei  eine  Dummheit,  keine  ander/  Antwort  finden  als:  »Ihr  habt  recht,, 
aber,  wenn  sich  der  Fuß  einmal  gewöhnt  hat,  geht  man  eben«  {ajak  alyschmyschda  gidi- 
lijor  I)).  Sein  freundliches  Gesicht  und  seine  sanfte  Rede,  besonders  aber,  daß  er  bei  den 
Prüfungen  niemand  durchfallen  ließ,  machte  ihn  bei  seinen  Schülern  sehr  beliebt.  Die 
Kinder  hatten  keine  Angst  vor  seinen  Stunden  und  arbeiteten  mit  Liebe.  Begegneten 
sie  ihm  am  Morgen  oder  Abend  auf  der  Straße,  machten  sie  zum  Gruß  mit  einer  Be- 
grüßungsdrehung halb  links,  verharrten  in  Grußstellung  und  verrichteten  ihr  Temenna. 
Wer  von  ihnen  das  Temenna  nicht  genügend  erachtet,  läuft,  seine  Hand  zu  küssen.  Von 
den  Schülern,  die  das  Wohlwollen  des  Lehrers  erfahren  hatten,  spricht  ein  jeder  zu  seinem 
Vater,  seinem  Vormund  und  den  Nachbarkindern  des  Stadtteils  stolz  von  ihm;  wenn  er 
ihn  zufällig  trifft,  zeigt  er  ihnen  diesen,  leutseligen  Lehrer.  Auf  diese  Weise  mehrten  sich, 
ohne  daß  Neschati  Efendi  es  merkte,  die,  welche  ihn  kannten. 

[S.  C]  Er  hatte  Beziehungen  zu  einem  der  hohen  Derwischorden  2).  Durch  diese 
Beziehung  wurde  er  mit  den  Schechen  und  Derwischen  bekannt.  So  oft  er  einen  solchen 
traf,  erkundigte  er  sich  auf  folgende  Weise  nach  seinem  Befinden  und  Wohlergehen: 

»Verehrter,  es  geht  Ihnen,  so  Gott  will,  gut?« 

»Danke  schön,  Sie  (nazarynyz i))  sind  auch  gesund,  mein  Geliebter  (schahym)}  Der- 
Gott  derer,  die  das  Ziel  erreichen  {evenler  4))  sei  Euer  Beistand,  mein  Licht!« 

[S.  ö]    Mit  einigen  begrüßt  er  sich,  indem  nach  Weise  von 


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»Daß   ich  die  Hand   auf  die  Brust   der  Liebe  gelegt  dastehe,  ist  dir,  mein  Geist, 
Ein  Hinweis,  daß  dein  Platz  im  Hause  des  Herzens  ist,« 

die  Finger  der  rechten  Hand  ausge- 
breitet auf  das  Herz  gelegt  werden 
und  das  Haupt  von  rechts  nach  links 
und  nach  unten  gerade  leicht  geneigt 
wird. 

■i>Hu  5) !  Freund«  oder  »'aschk 
olsuiiv  (eig.  es  soll  Liebe  sein). 
»Danke,  Verehrter  !  Hii. « 
Bei  einer  Behörde  war  er  Sekre- 
tär. Von  dieser  Beziehung  stammte 
seine  Bekanntschaft  nicht  nur  mit  den 
Kollegen  des  Bureaus,  sondern  mit 
sämtlichen  Beamten  des  Ministeriums. 
Begegnet  er  einem  von  ihnen,  so 
nimmt  man  auf  beiden  Seiten  den 
Stock  bzw.  Regenschirm  in  die  Unke 
Hand.  Von  weitem  öffnet  man  zwi- 
schen Lachen  und  Lächeln  die  Lippen 
in  einem  gewissen  Grade.  Mit  den 
Worten  )yAaah  Efe  dim«,  wobei  das 
a  zu  löfacher  Länge  ausgezogen  wird, 
beugt  sich,  als  ob  etwa  von  der  Erde 


Fig.  2. 


I)  Geläufiges  Sprichwort.         -)  Nach  dem  Namen  des  Autors  wird  man  an  die  Mewle- 
wis  denken.      3)  Eig.  Eure  Gunst.      4)  =  Derwische.     5)  Ruf  der  Derwische,  cig.  Er  ==  Gott, 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 


261 


•etwas  aufgehoben  werden  soll  '),  leicht  das  rechte  Knie  und  die  Hüfte.  Nachdem  der 
rechte  Arm  auf  Grund  einer  Vorwärts-  und  Rückwärtsbewegung  einen  Halbkreis  be- 
schrieben hat,  führt  man,  wieder  vorwärtsgehend,  so  daß  die  Hand  aus  einer  Spanne 
Entfernung  von  gegenüber  dem  Kinn  mit  der  Stirn  oder  der  Fes-Spitze  in  Berührung 
kommt,  kein  Temenna,  sondern  ununterbrochene  Temennas  aus.  An  diese  seltsame  Zere- 
monie fügen  sie  die  Sätze: 

»Mein  Herr,  Gott  gebe  Leben!« 

»Gott  gebe  Leben,  mein  Herr«, 
iindem  sie  die  Kunstform  der  Umstellung  (tarJ  we-^aks  '))  beobachten. 

Da  bei  der  Halbkreisbewegung  des  rechten  Armes  auch  die  rechte  Körperseite  nach 
vorn  (S.  1)  herauszutreten  Neigung  hat,  passiert  manchmal,  bevor  die  Hände  das  Kinn 
oder  den  Fes  berühren,  ein  Zusammenstoß  der  Köpfe. 

Aber  diese  Begrüßung  ist  den  alten  Sekretären  eigentümlich.  Danach  gibt  es  auch 
eine  neumodische  Art  davon,  welche  den  zivilisierten  Bejs  eigentümlich  ist,  die  so  viel 
Französisch  können,  daß  sie  statt  jemek  jedim  sagen:  je  suis  mange,  und  Leuten  gegenüber, 
■denen  sie  mit  Stiefeln  mit  hohen  Absätzen  auf  die  Zehen  treten  oder  mit  der  Spitze  des 

in    der  Hand    geschwungenen   und  mit  neumodischem  (531  ^Jj'  wohl:  art  nouveau)  Griff 

versehenen  Stockes  an  die  Nase  stoßen,  in  solchem  Grade  die  Kenntnis  europäischer  Sitte 

dokumentieren,  daß  sie  nur  im  Vorübergehen:   »Pardon,  mon  chere«  sagen.     Findet  mit 

•diesen  eine  Begegnung  statt,  so  wird  der  rechte  Arm  sofort  noch  aus  einer  Entfernung 

von  etlichen  Klaftern  nach  vorwärts  gestreckt  und  mit  einem  Ungestüm,  als  ob  man 

geradezu  aufeinander  losstürzen  wollte,  werden  die  Hände  gepackt,  mit  möglichster  Kraft 

gepreßt  und,  indem  der  gesamte  Körper  erschüttert  wird,  etliche  Male  nach  unten  und 

oben  geschüttelt,  wozu  man  sagt,  sei  es  auch  um  Mitternacht: 

»Bon  jour,  mon  chere fn 

»Bon    jour,     'azizim    (mein    Ver- 

•ehrter) !« 

»Wie  geht  es  Ihnen?« 
»Gut,  und  Ihnen?« 
»So  so  (^schöjle  böjle).« 
»Adieu,  Efendim.« 
»Au  revoir  (j'^^ij^^)»  nioi  Bej.« 
INachdem  wiederum  die  Hände  mit  aller 
Kraft    gepreßt    und    geschüttelt    sind, 
setzt  man  den  Weg  fort. 

So  oft  Neschati  einen  von  diesen 
noch  von  weitem  erblickte,  drehte  er 
sofort  den  Stein  des  Karneolrings,  den 
er  am  kleinen  Finger  der  rechten  Hand 
trug,  um  und  rüstete  sich,  seine  Finger 
zu  schonen,  da  er  sich  erinnerte,  daß 
einmal  infolge  solch  eines  Preßverfah- 
rens [S.  v]  '^^^  Rand  des  Ringes  in 
seinen  Finger  schnitt. 

Er  war  in  das  Persische  und  die 
Literatur  leidenschaftlich  verliebt.  Des- 


^.\l 

iSgc            "^'^'j^sSttSI^^                       ■>' J                      ^/"'^^ 

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^"^m          0  i 

i^H^^Kti^yL 

üZ!3!7 

^  ^'mm^HI^^  "^B^9T''^'V'^^Mr^  kfll^^H^^i 

Fig:-   3- 


»)  Zugrunde  lag  das  Küssen  des   Saumes  (eteklemek). 
»)  S.  Mkhrens  Rhetorik  der  Araber,  Wien  1853,  S.   186. 


2^2  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

halb  freundete  er  sich  mit  den  Persern  an.  Da  er  es  leidlich  gut  verstand,  wollte  ei 
sich  an  die  Unterhaltung  in  der  Weise  gewöhnen,  daß  er  —  wie  die  meisten  unserer 
Sprachkundigen  —  diese  Sprache  mit  denen  sprach,  welche  sie  nicht  zu  sprechen  Gelegen- 
heit hatten.  Mit  den  persischen  Tabak-,  Tümbeki-  (Wasserpfeifentabak-),  Tee-  und 
Papierhändlern  hatte  er  Umgang;  ja  sogar  die  Achter  ^-Lesehallen  frequentierte  er. 
In  früheren  Zeiten  nahm  er  von  dort  sogar  die  Zeitung  Habt  iilr-metin  (Der  feste  Strick), 
las  sie  und  pflegte  Nachrichten  von  den  Liberalen  Pei-siens  daraus  zu  entnehmen.  Täg- 
lich fanden  kleine   Unterhaltungen  auf  Persisch  statt,  z.  B.: 

»Neschati  Efendi!  beferinäid  kadehi  tschai  bechartm«.  (belieben  Sie,  daß  wir  eine  Tasse 

Tee  trinken). 

»Ma'dhür  därJd,  dermände  eni,  bedebiristän  mirewem«  (Entschuldigen  Sie  mich,  ich 

kann  nicht,  ich  gehe  nach  der  Schule),  oder 

»Aka,  rüznäme-i-mä  ämede  esit«  (Aga,  ist  unsere  Zeitung  gekommen?) 

»Henüz  nejämed,  mnidwärem  ke  ferdä  bejäjed.«  (Noch  ist  sie  nicht  gekommen,  ich 
hoffe,  daß  sie  morgen  kommen  wird.) 

Am  10.  Muharrem  ging  er  unter  allen  Umständen  zur  Trauerversammlung  {medsch- 
lis-i-'azä  ^))  .im  Walide-Chan.  Unter  fortwährendem  Weinen  lauscht  er.  den  rezitierten 
Elegien.     Bei  seiner  Heimkehr  verdolmetscht  und  erklärt  er  sie  seinen  Begleitern. 

Vor  Zeiten  besuchte  er  auch  ein  wenig  die  Vorlesungen  bei  der  Moschee.  Als  er  den 
Izhär  3)  las,  schrieb  er,  wie  er  dem  Vortrag  des  Chodscha  über  das  hatta,  das  für  die  Er- 
langung des  äußersten  Endes  4)  vorkommt,  lauschte,  zu  dem  Beispiel 

Akaltii " s-samakata  hatta  4)  räsahä  (ich  aß  den  Fisch,  sogar  den  Kopf), 
\\m  anzudeuten,  wie  ihn  die  speziellen  Untersuchungen  langweilten,  an  den  Rand  seines 
Buches  den  Vers: 

.xyi:^-^j\j    \».i     -j    P-_jUÄ   <S^:r^   e>-2=\j    lS'-^'J-^ 

(Lange  dauerte  die  Erörterung  des  Genetivs,  o  wortreicher  Kommentator!  Es  genügte., 
die  Welle  des  Kummer-Meers  bedeckte  sogar  den  Kopf.) 

[S.  a]  Bevor  er  des  Morgens  zur  Medrese  gelangte,  sammelte  er  sich  und  gab  sich 
Mühe,  die  Meinungen  der  Grammatik-Päpste  5),  welche  die  Behauptung  aufstellten,  daß 

J^  (wa'ada)  im  Silbenmaß  \on  derede,  LiiaJ  (batschan)  im  Silbenmaß  von  iawschav, 
j^ajo  (jansuru)  im  Silbenmaß  von  ja'cvriisu  Perfekt,  Infinitiv  und  Imperfekt  seien,  als 
falsch  zu  erweisen.  Wenn  man  jetzt  die  Bücher  aus  jener  Zeit,  welche  er  aufbewahrt  hatte, 
ansah,  fand  man  auf  jeder  Seite  höchst  merkwürdige  Randbemerkungen,  Zusätze  (niinhü) 
und  Notizen.  [S.  S]  Sogar  folgender  über  sS^  ('aläka)^)  geschriebene  Sinnvers  zog 
den  Blick  der  Aufmerksamkeit  an: 


I)  Persische  Zeitung  »Stern«. 

-)  Nur  ausnahmsweise  findet  zu  Konstantinopel  das  Mysterienspiel  statt. 

3)  Jedenfalls    Birgewis    (gest.    1573)  arabische  Grammatik  Izhär  ul-esrär,   die  zu. 
Konstantinopel  mehrfach  gedruckt  wurde. 

4)  Über  das  hatta  Ihitihäi 'l-gäje  =  bis  auf,  sogar  s.   C.^sp.^ri  §  419  Anm.  a. 

5)  sarf  midalary,  wörtlich:  Grammatik-Mollas. 

6)  Beziehung,   Interesse,  Liebe. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  263 

(Es  ist  überflüssig,  einem  andern  als  dem  Antlitz  Gottes  i)  'aläka  zu  erweisen,  Ich  bin 
verliebt  in  die  Schönheit  des  Ewigen,  Gott  ist  Zeuge!) 

Auf  Grund  dieser  Notizen  erhielt  er  sogar  unter  seinen  Genossen  dam  Is  den  Schrift- 
stellernamen Molla  Neschati.  Mitunter  sagte  er,  auf  diese  Bücher  deutend  {bil-iräje): 
[S.  (.]  »Dem  Schüler  ist  die  Neuheit  des  Lehrers  und  das  alte  Buch  angenehm.  So  sind 
auch  meine  Bücher  ein  Beweis  dafür,  daß  das  richtig  ist.« 

j  ■^  Tatsächlich  hatte  er  bis  zum  Miitanwal '^)  gesessen,  aber  kein  Diplom  erhalten. 
Jedoch  er  besaß  erheblich  mehr  Kenntnisse  als  viele  von  jenen,  denen  die  Iftichar-Medaille 
an  ihre  patriotische  Brust  angehängt  war,  die  als  Hamidisches  Benefiz  ein  Goldstück  zum 
Vorteil  ihres  Beutels  eingesteckt  und  die  Lizenz  erhalten  hatten,  mitunter  in  einer  Woche 
10  Tage  Vorlesungen  haltend.  Einmal  sagte  er  zu  einem  mit  der  Lizenz  versehenen  Efendi, 
indem  er  dies  tatsächlich  bewies  und  sich  mit  ihm  zu  disputieren  anschickte:  »Mewlana, 
Sie  haben  die  Erlaubnis  zu  dozieren,  ich  nicht.  Wir  wollen  eins  von  den  Büchern,  die 
Sie  gelesen  haben,  zur  Hand  nehmen;  wer  seine  Worte  besser  liest  und  seinen  Sinn  besser 
versteht,  der  soll  die  Wette  gewonnen  haben.«  Indessen  der  Angeredete  faßte  diesen  Vor- 
schlag scherzhaft  auf  {tailyja  baglajiib  3))  und  drückte  sich  (sawuschmuschdu). 

Auch  zur  Literatur  stand  er  in  Beziehung.  Da  nach  seiner  Meinung  jedes  schöne 
Wort  zur  Literatur  zählte  4)  und  er  sich  frei  davon  fühlte,  daß  das  AV ort  im  Verlauf  der 
Zeit  verfaule  und  verderbe  5),  fand  er  in  den  Schilderungen  sowohl  dei'  alten  als  der  mo- 
dernen Literatur  seil  e  Befriedigung.  Die  Gazele  in  mäßigem  Grade  liebend,  näherte  er 
sich,  indem  er  im  Flusse  des  Spottes  und  der  Satyrenpoesie  an  Nef'i^)  nicht  Gefallen 
finden  konnte,  mehr  und  mehr  dem  Eschref  7).  Beim  letzten  russisch-japanischen  Kriege 
setzte  er  ganz  gut  sein   Schreibrohr  in  Bewegung  S),  z.  B. : 


j^i    w^L>-   ..^^oCjLj»  ,  ki  i^S  \XÄJ^     <?-^^  \j* 


I)  Anspielung  auf  den  oft  ziticrlen  Koranvers  2,  109,  der  bei  den  Mystikern  eine 
große  Rolle  spielt. 

-)  Im  Text'  steht  das  Tcschdid  fälschlich  über  dem  Ja  statt  über  denij..  Es  handelt 
<^ich  wohl  um  Taftazänis  Scherh  el-lekhis  el-muiawwal,  ein  rhetorisches  Werk,  das  den 
Lehrstoff  für  Vorgerückte  bildet  (s.  Ahlw.\rdt  Nr.  7191  ff.). 

3)  Diese  Phrase  fehlt  in  den  Wörterbüchern. 

4)  Geht  auf  seine  Schätzung  der  modernen  Literatur. 

5)  Geht  auf  seine  Schätzung  der  alten  Literatur. 

6)  Über  ihn  namentlich  Gibb  111,  S.  252  ff". 

7)  Dem  vor  einigen  Jahren  verstorbenen  Satiriker,  s.  über  ihn  Basmadjian,  Essai 
!iir  l'hisioire  de  la  liUeralure  ottimcne,  Constantinople  1910,  S.  218/9. 

8)  Wie  die  Türken  meist   in  russcnfcindlichcni  und  ia])anfrcun<llichcm  Sinn. 


264  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

(Indem  er  den  Rückzug  antreten  ließ  die  besiegte  Divnsion, 
Fand  diesmal  Sasulitsch  i)  nicht  den  Weg  zum  Lande  der  Rettung. 
Die  Admirale  und  Generale  gehen  der  Reihe  nach  dahin, 
Du  auch,  wenn  die  Reihe  an  dich  kommt,    0    Kuropatkin,   sei  bereit.) 

Georg  Jacob. 


Noch  einmal  die  Herkunft  des  Isnad. 

Gegen  meine  Herleitung  des  Isnad  aus  der  jüdischen  Literatur  (s.  Islam  Bd.  VIII 
S.  39  ff.)  erhebt  Schwally  in  seiner  Neubearbeitung  von  Nöldeke's  »Geschichte  des  Qoram 
(Bd.  II  S.  128  f.)  eine  Reihe  von  Einwendungen,  auf  die  ich  kurz  erwidern  möchte. 

1.  »Die  Zeugenkette  spielte  in  der  Literatur  des  Judentums  niemals  die  Rolle  wie 
in  dem  arabischen  Hadith  schon  am  Ende  des  ersten  Jahrhunderts  d.  H.«  Richtig  ist, 
daß  die  jüdische  Literatur  die  Zeugenkette  nicht  mit  der  gleichen  Konsequenz  durch- 
führt, die  sie  schließlich  in  Hadit  und  Sira  erreicht  hat.  Schwally  hebt  ja  selbst 
mit  Recht  hervor  (S.  131,  133  u.  ö.),  daß  sich  die  unbedingte  Geltung  des  Isnad  erst  all- 
mählich durchgesetzt  hat.  Die  Frage  ist  aber  nicht,  woher  stammt  die  folgerichtige  Durch- 
führung —  die  sich  ohne  weiteres  als  innerislamische  Entwicklung  erklärt  — ,  sondern 
woher  stammt  die  erste  Einführung  des  Gebrauchs  der  Zeugenkette. 

2.  »Jener  jüdische  Gebrauch  hat  weder  innerhalb  des  Judentums  selbst,  noch  des 
Israelitismus  eine  Geschichte,  was  fremden  Ursprung  wahrscheinlich  macht.«  Es  handelt 
sich  nicht  um  die  Herkunft  des  jüdischen,  sondern  um  die  des  islamischen  Gebrauches. 
Der  Islam  kann  ihn  nur  aus  einem  Kreise  übernommen  haben,  in  welchem  er  im  7.  oder 
8.  Jahrhundert  entweder  noch  lebendig  oder  aus  der  älteren  nationalen  oder  religiösen 
Literatur  bekannt  war.  Es  wäre  an  sich  sehr  wohl  denkbar,  daß  das  Judentum  den  Ge- 
brauch der  Zeugenkette  ursprünglich  aus  einer  —  uns  bisher  unbekannten  —  älteren 
Literatur  übernommen  hätte;  diese  Literatur  käme  aber  als  Quelle  für  den  islamischen 
Gebrauch  nur  dann  in  Betracht,  wenn  die  arabischen  Gelehrten  des  7.  oder  8.  Jahrhunderts 
aus  ihr  unmittelbar,  ohne  jüdische  Vermittlung,  schöpfen  konnten.  So  wenig  wie  aus  dem 
Altertum,  kennen  wir  aber  bisher,  abgesehen  von  der  jüdischen,  eine  in  diesen  Jahrhunderten 
in  den  Ländern  Vorderasiens  verbreitete  Literatur,  weiche  die  Zeugenkette  verwendete. 
Wie  sich  übrigens  aus  dem  Buch  der  Jubiläen  VII  38,  39  ergibt,  war  bereits  im  zweiten 
vorchristlichen  Jahrhundert  die  Zeugenkette,  wenn  auch  in  etwas  anderer  Form,  in  jüdischen 
Kreisen  bekannt  -). 

3.  »Die  Frage  dej  arabischen  Isnad  ist  kaum  zu  trennen  von  der  nach  der  Herkunft 
anderer  Eigentümlichkeiten  der  älteren  historischen  Literatur  der  Araber.«  Mit  einer 
petitio  principii  dieser  Art  läuft  man  Gefahr,  sich  den  Weg  zur  richtigen  Lösung  zu  versperren, 
vor  allem  auf  einem  Gebiet,  auf  dem  der  Synkretismus  solche  Triumphe  feiert  wie  im  Islam. 
Wenn  wir  bedenken,  daß  in  Hadit  und  Slra  —  ebenso  wie  vorher  im  Qurän  —  Vorstellungen, 
Überlieferungen  und  Bestimmungen  verschiedener  Herkunft  Eingang  gefunden  haben, 
so  sollte  uns  das  warnen,  alle  Eigenheiten  der  Form,  in  welcher  dieser  Stoff  angeordnet  und 
gestaltet  ist,   auf   eine  Quelle  zurückzuführen. 

')  General  S.\sulitscii  wurde  am  Jalu  Anfang  Mai   1904  von  Kuroki  besiegt. 

-)  Nach  Hippolyt,  Philosophnmena  V  7  (ähnlich  X  9)  behaupteten  die  Naassener 
von  ihren  Lehren,  daß  sie  Jacobus  der  Marianne  überliefert  habe  und  ähnliches  kommt 
auch  sonst  vor;  doch  ist  das  keine  eigentliche  Zeugenkette,  wie  die  oben  aus  dem  Jubiläen- 
buch angeführte.  —  Auch  die  bei  Delehaye,  Les  legendes  hagiographiqiies  -  80  f.  ange- 
führten Beispiele,  in  welchen  die  Heiligenlegende  einem  Schüler  des  Heiligen  in  den  Mund 
gelegt  wird,  gehören  nicht  hierher. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  2Ö'^ 

Aber  auch  Schwai.ly's  Versuch,  den  Isnad  aus  den  Traditionen  des  altarabischen 
Rhapsodentums  zu  erklären,  scheint  mir  nicht  minder  verfehlt,  als  die  von  ihm  erhobenen 
.Einwände.  Bestünde  ein  solcher  Zusammenhang,  so  müßte  man  erwarten,  daß  der  dann 
•doch  von  der  Poesie  ausgegangene  Isnad  erst  von  dort  aus  auch  auf  die  Prosaberichte 
übertragen  worden  wäre.  Nun  gebraucht  aber  Ibn  Ishäq,  der  den  Isnad  doch  schon  in 
erheblichem  Ihnfang  verwendet,  ihn  für  Lieder  überhaupt  nicht.  Die  lediglich  aus  Liedern 
bestehenden  Abschnitte  am  Ende  der  Kapitel  über  die  einzelnen  Feldzüge  entbehren  jeg- 
lichen Isnads  und  wo  einmal  Verse  mit  Isnad  angeführt  werden,  gilt  er  nicht  ihnen  unmittel- 
bar, sondern  dem  Prosabericht,  in  den  sie  eingeschaltet  sind.  Noch  Ibn  Sa'd  geht  in 
(1er  Angabe  des  Isnad  bei  Liedern  nur  sehr  selten  über  seinen  unmittelbaren  (iewährsmann 
hinaus,    ebenso   wie    Ibn    Hisäm. 

Nach  alle  dem  scheint  es  mir  ausgeschlossen,  daß  der  Isnad  von  der  Überlieferung 
■der  Gedichte  seinen  Ausgang  genommen  habe.  Ich  halte  es  für  das  wahrscheinlichste,  daß 
er  zuerst  auf  die  Muhammad  zugeschriebenen  Aussprüche  übertragen  wurde  und  dann 
erst  vom  Hadit  aus  in  die  Slra  gelangte,  als  man  daran  ging,  die  volkstümlich  überlieferte 
Lebensgeschichte  des  Propheten  »wissenschaftlich«  zu  begründen.  Wo  es  aber  auf  fort- 
schreitende Erzählung  ankam,  erwies  sich  der  Isnad  häufig  als  ein  den  Zusammenhrng 
störendes  Element.  Man  half  sich  daher  schon  früh  damit,  unter  Voranstellung  der  ver- 
schiedenen Isnade  eine  Anzahl  von  Berichten  zu  einer  Einheit  zu  verschmelzen  (s.  Islam 
VIII  S.  42),  während  Wäqidi  und  Ibn  Sa'd  die  von  ihren  Vorgängern  zusammen- 
gestellten Nachrichten  über  ein  Ereignis  zunächst  zu  einem  einheitlichen  Hauptbericht 
zusammenfassen,  an  welchen  sie  dann  die  von  ihnen  gesammelten  Nachträge  anschließen 
(s.  Ibn  Sa'd  Bd.  II  Teil  I  Vorwort  S.  V).  Die  Übertragung  des  Systems  des  Isnad  auf 
■die  Nachrichten  über  die  Dichter  und  ihre  Lieder  gehört  erst  der  späteren  Entwicklung  an. 

Josef    Horovitz. 


Eine  Parallele  zu  der  islamischen  Zwischenheirat. 

Für  die  eigentümliche  Bestimmung  des  Koran  II,  229!'.,  wonach  eine  Frau  nach 
dreimaligem  Taläk  erst  einen  andern  Mann  geheiratet  und  dieser  ihr  auch  seinerseits 
den  X^Jäk  gegeben  haben  muß,  damit  sie  erlaubterweise  wieder  von  dem  ersten  Manne 
geheiratet  werden  kann,  wird  von  Juynboll,  Handbuch  des  islamischen  Gesetzes,  Leiden 
1910,  S.  230  als  Entstchungsursache  angenommen,  daß  diese  OfTenbarung  »wahrscheinlich 

■einer  Dreimal-Verstoßenen  zuliebe,  die  einen  zweiten  Mann  geheiratet  hatte  und  nachher 
die  Ehe  mit  ihrem  ersten  Manne  erneuern  wollte«,  ergangen  sei.  Um  dieser  Vorschrift 
gerecht  zu  werden,  hat  sich  dann  der  Brauch  ergeben,  vielfach  eine  Scheinehe  ein- 
zugehen, vgl.  ebenda  S.  231. 

Gegenüber  dieser  rationalen  Erkliiruiig  möchte  ich,  ohne  irgendwelche  Schlüsse 
für    die  Entstehung    dieser  islamischen  Sitte  daraus  ziehen  zu  wollen,    hier  auf  die  bei 

•dem  hamitischen  Stamme  der  Fiome  in  Ostafrika  bestehende  Sitte  einer  Zwischenheirat 
mit  einem  stammfremden  Mann  nach  dem  Tode  des  ersten  Gatten  hinweisen,  die  zur 
nachfolgenden  Wiederverheiratung  mit  einem  anderen  Stammesangehörigen  aus  offenbar 
magischen')   Gründen  erforderlich  ist. 

Nach    Beendigung    der    Trauerfeierlichkeiten    lebt    die  Witwe    eine   Zeitlang    mit 

')  Bei  den  Fiome  herrscht  auch  die  Leviratsehe  in  ausgesprochener  Form:  die 
Witwe  wird  in  der  Regel  vom  Mannesbruder  geheiratet;  aber  als  Vater  der  dieser  Ehe 
entstammenden  Kinder  gilt  der  X'erstorbene:  »aucli  wenn  es  viele  Kinder  sind,  kommt 
niemand  sonst  als  Vater  in  Betracht«. 


205  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

einem  Landfremden  zusammen,  der  sich  zufällig  im  Lande  aufhält,  z.  B.  einem  Rangi  — 
die  Rangi  sind  ein  Bantustamm  im  Süden  von  Ufiome  —  und  erst  nach  Ablauf  dieser 
Zeit  kann  sie  wieder  von  einem  Fiome  geheiratet  werden.  Es  heißt  dazu:  »Das  Böse  ist 
dann  nicht  mehr  vorhanden.«  —  Wird  sie  trotzdem  nicht  alsobald  wieder  geheiratet,  so 
geht  sie  in  die  benachbarte  Landschaft  Iraku  oder  Umbulu  und  verbringt  dort  bei  den 
stammverwandten  Bewohnern  dieser  Landschaften  ein  Jahr,  nach  dessen  Ablauf  sie  in 
die  Heimat  zurückkehrt  und  dann  ohne  weiteres  wieder  geheiratet  wird. 

Auch  ein  Mann  pflegt  nach  dem  Tode  seiner  Frau  zunächst  eine  Zwischenehe 
einzugehen.  Ich  besitze  aber  dazu  keine  Angaben,  daß  diese  nur  vorübergehend  ge- 
heiratete Frau  eine  stammfremde  sein  müßte.  Nach  einiger  Zeit  entläßt  er  sie  und 
heiratet  eine  andere,   »und  diese  bleibt  daim  für  immer  bei  ihm«.         M.  Heepe. 


Darstellungen  aus  »Leila  und  Madschnun*    unter  den  Zeichnungen 

Riza  Abbasis. 

Man  hat  sich  bei  Genrebildern  islamischer  Künstler  immer  zu  fragen,  ob  sie  nicht 
berühmte  Szenen  aus  irgendeinem  Werke  der  Literatur  darstellen.     Bekanntlich  wurden 
die  Werke,  insbesondere  der  persischen  Klassiker,  durch  die  bildliche  Wiedergabe  der  am 
meisten  dramatischen  Szenen  geschmückt.     Mit  der  Zeit  bildeten  sich,  ähnlich  wie  im 
Abendlande  für  die   Szenen  aus  dem  Neuen  Testament,  für  die  einzelnen  Szenen  feste 
Schemen,   die  zu   dem  künstlerischen   Inventar  der  Buchmaler  gehörten  und  allgemein 
bekannt  waren.    Da  die  Buchmalerei,  die  im  15.  und  16.  Jahrhundert  in  Persien  in  hoher 
Blüte  stand,  im  Mittelpunkt  der  künstlerischen  Produktion  stand,  so  gab  es  kaum  einen 
Künstler,  der  sie  nicht  geübt  hätte.     So  kann  es  uns  nicht  wundernehmen,  wenn  wir  sehen, 
daß  Künstler  die  ihnen  geläufigen  Szenen  auch  sonst  als  Motive  für  ihre  künstlerischen 
Erzeugnisse  benutzen.     Auch    Riza  Abbasi  stand  unter  dem' Einfluß  der  Buchmalerei. 
S.\RRE,  der  gemeinschaftlich  mit  E.  Mittwoch  in  seinem  Werke  Zeichnungen  von  Riza 
Abbasi  (München  1914)  die  Erzeugnisse  dieses  Künstlers   künstlerisch  würdigt  und    stil- 
kritisch untersucht,  hat  für  drei  Zeichnungen  (Taf.  43,  44  und  46)  nachgewiesen,  daß  sie 
aui  ältere  Vorlagen  zurückgehen;  auf  Taf.  43  scheint , Riza  Abbasi  diese  Vorlage  direkt 
benutzt,  in  seinen  Stil  umgearbeitet  und  nachher  durchgepaust  zu  haben.      Taf.  44  hat 
Sarre  ferner  auch  inhaltlich  bestimmt  als  eine   Szene  aus    Firdosi's  Schahname  dar- 
stellend; auch  Taf.  43  muß  nach  der  Tracht  des  rechten  Reiters,  die  ihn  als  Rüstern  charak- 
terisiert,  eine  Stelle  aus  dem  Schahname   darstellen.     Nach  dem  oben  Gesagten  darf  uns 
dies  nicht  wundernehmen,  und  wir  können  wohl  erwarten,  daß  sich  unter  seinen  Zeich- 
nungen noch  mehr  solche  finden,  die  Skizzen  zu   Szenen  aus    Firdosi,    Nizami    oder 
Dschami   sind.     Mit  einiger  Sicherheit  wird  man  diese  Frage,  ob  einzelne  Zeichnungen 
Szenen  aus  den  Klassikern  darstellen,  erst  entscheiden  können,  wenn  einmal  die  Ikono- 
graphie für  die  einzelnen  Klassiker  durchgearbeitet  ist.     Ich  selbst  will  dies  für   Nizami 
tun;    vorläufig  will  ich  zu  zeigen  versuchen,   daß  zwei  der  von   Sarre   veröffentlichten 
Zeichnungen  Szenen  aus    Nizami 's  berühmtem  Liebesepos  fiLeila  und  Madschiun«  dar- 
stellen, und  zwar: 

I.  Taf.  20  {i>F igür liehe  Szene  in  Landschaft«)  stellt  eine  je  nach  der  Textstelle, 
in  die  das  Bild  eingeschaltet  ist,  verschieden  deutbare  Szene  dar:  Madschnun  erhält  mehr- 
fach Besuch  in  seiner  Wildnis  von  einer  männlichen  Person  (von  seinem  Vater  oder  von 
Naufal).  Daß  es  sich  um  eine  Szene  aus  ))Leila  und  Madschnun«  handelt,  beweisen  die 
wilden  Tiere  im  Vordergrund.  Madscl;inun  ist  bekleidet,  was  verhältnismäßig  selten,  jedoch 
nicht  ungewöhnlich  ist;  seine  Kleidung  besteht,  wie  immer,  Menn  er  bekleidet  dargestellt 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  207 

ist,  aus  einem  vorn  offenen  Überwurf.   Er  nimmt,  wie  meist,  eine  traurig  sinnende  Stellung- 
ein  und  sitzt,  wie  gewöhnlich,  unter  einem  Baum.    Die  männliche  Person  spricht  dringlich 
auf  ihn  ein;  der  Mann  im  Hintergrund,  ein  Begleiter  des  Besuchers,  nagt  vor  Erstaunen 
am  Finger.     Auch  die  szenische  Verteilung,  Madschnun  links  auf  dem   Bilde,  sein  Be- 
sucher rechts,  ist  die  gewöhnlichere. 

2.  Taf.  42,  2  (Kamelreiter  mit  Lanse)  ist  ein  Stück  aus  der  Szene,  die  den  Kampf 
von  Naufals  Stamme  mit  dem  Stamme  der  Eltern  Leilas  darstellt.  Da  es  sich  um  Beduinen 
handelt,  wird  der  Kampf,  wie  fast  immer  in  den  Miniaturenhandschriften,  zwischen  Kamel- 
reitern ausgefochten.  Madschnun,  der  wie  auf  dem  vorigen  Bilde  bekleidet  ist,  greift 
durch  Steinwerfen  in  den  Kampf  ein:  in  den  älteren  Prachthandschriften  (wie  in  dem 
Nizami  von  1410/11  Brit.  Mus.  27,261  und  in  dem  angeblich  von  Behzad  gemalten 
von  1442  Brit.  Mus.  Add.  25,900)  sieht  Madschnun  untätig  dem  Kampfe  zu;  in  allen 
Handschriften  vom  Ausgange  des  15.  Jahrhunderts  ab  jedoch  greift  er  wie  in  unserer 
Zeichnung  in  den  Kampf  ein.  F.  Taeschner. 


SiDDiQi,  A.,  M.  A.,  Dr.  phil.,  Studien  über  die  persischen  Fremdwörter  im  klassischen  Arabisch.. 
Göttingen  1919,  118  S.,  8". 

Wir  haben  hier  die  in  gutem  Deutsch  geschriebene  Arbeit  eines  jungen  indischen 
Muslims,  der  schon  gründliche  Kenntnis  des  Arabischen  und  Persischen  nach  Deutschland 
mitbrachte  und  sich  da  weiter  wissenschaftlich  ausgebildet  hat.  Namentlich  hat  er  während 
des  Krieges  als  Schüler  von  Andreas  sowie  von  Littmann  in  Göttingen  studiert  und  in 
Göttingen  auch  promoviert. 

Die  Arbeit  bekundet  bedeutende  Kenntnisse  und  erstaunhchen  Fleiß,  der  sich  schon 
in  den  ausgedehnten  Indizes  zeigt.      Hier  und  d?  tut  der  Fleiß  sogar  etwas  zu  viel,  z.  B. 

o  » 

im  Aufführen  von  Belegstellen   für  gar   nicht  seltene  Wörter  wie    — i-J,    lA-w«»,    w\-i^. 

Zuerst  führt  uns  Siddiqi  sorgfältig  alle  arabischen  Philologen  bis  zu  Dschawäliqr 
vor,  die  sich  mit  Fremdwörtern  im  klassischen  Arabisch  abgegeben  haben.  Sie  leiten  diese 
fast  immer  direkt  aus  dem  Persischen  ab,  obgleich  sie,  wie  Siddiqi  anerkennt  (S.  74),. 
zum  großen,  ich  möchte  sagen  zum  allergrößten,  Teil  erst  durchs  Aramäische  vermittelt 
waren.  Ich  kann  ihm  aber  nicht  darin  zustimmen,  daß  er.  der  Tradition  folgend,  schon 
den  Ihn  'Abb äs  als  Sprachforscher  hinstellt.  Diese  Angabe  hat  m.  E.  kaum  mehr  Wert 
als  die,  welche  'All  für  den  Vater  der  Grammatik  erklärt.  Selbst  wenn  Ihn   'Abbäs  die 

in  seiner  Schule  vorkommende  Ableitung  des  Worte;  ,.juaw.J)  von     ^aw,j  wirklich  erdacht 

hat,  so  wäre  das  doch  nur  ein,  freilich  sinnreicher,  Einfall,  keine  wissenschaftliche  Erkenntnis. 

Und  die  Ableitung  des  Namens     _ji««^  von  dem  Durchgang  (-*.£■)  der  Israeliten  durchs 

Meer  unter  Mose  ist  nur  eine  Übertragung  der  alten  Deutung  von  in^yn  ^'^""-   '4-  '3 
für  Abraham  als   ö  repdxT,?    (weil  er  den  Jordan  überschritten  hatte). 

Ich  erlaube  mir  nun  einige  Bemerkungen  zu  Einzelheiten.    Daß  xl?  Süra  20,  i,  eins- 
der  CjLxIiäx  0»-.>"   *^'^  persisches  Fremdwort  sei.  glaubt  S.  wohl    selbst    ebensowenig, 

o  ,  -j  o  , 

wie  daß  das  von  ryfr>'J'^   Süra  57,  28  oder  >ii^««jp  Süra  12,  23 gelte,  wennMuziiir  i:  80  (nicht 

81)  das  auch  als  eine  Ansicht  (JÜb)  aufführt  (S.  13). 

Das  persische  wie  das  aramäische  g  wird  bekanntlich   fast   ausnahmelos  arabisch. 


258  Kleine  Mitteilungen   und   Anzeigen. 

•durch  „  wiedergegeben.  Dies  deutet  darauf,  daß  im  'Iräq  _  nicht  mehr  als  g  gesprochen 
woirde,  und  da,  soviel  ich  weiß,  diese  Aussprache  auch  in  keiner  Koranschule  mehr  gilt, 
so  dürfen  wir  darauf  schließen,  daß  sie  schon  zu  Muhammeds  Zeit  in  Mekka  und  Medina 
•nicht  mehr  herrschte.  Und  doch  hat  sich  die  alte  Aussprache  als  g  nicht  bloß  in  Ägypten, 
•sondern  such  in  einem  großen  Teile  Arabiens  noch  bis  heute  erhalten.  —  So  sind  auch  die 


"Formen  ^JLx5  und  JwJL*5  (S.  67)  nicht  bloß  ursprünglicher  denn  die  allein  als  ^^yos 
geltenden  jJLxS  und  J>.-Jjt5,  sondern  sie  bestehen  auch  noch  in  manchen  arabischen 
Dialekten. 

Die  Ableitung    des  Wortes    {j^Lkd^   »Blei«   von    jjo,    »zusammenfügen«,   weil  man 

nämlich  in  einer  Bauart  Blei  statt  Gipsmörtel  gebraucht  habe  (S.  39  Anm.  i),  ist  mir  sehr 
unwahrscheinlich.  Namen  von  Metallen  sind  in  alter  Zeit  leicht  von  Volk  zu  Volk  gewandert 
und  haben  dabei  auch  wohl  stärkere  Lautveränderungen  erlitten.     Ich  möchte  doch  an 

irgendeinen    Zusammenhang  von    fy^i^    mit  pers.    ^.   \   (*  arctc)  denken. 

Die Nisba -Endung  mp. glk,  np.  j^;  (S.  41)  erscheint  auch  im  sjr.  f.^'c  A"  =  np.  ^j^^, 
und  landschaftlich  in  besonderer  Bedeutung  kommt  ja  noch  die  alte  Form  ii^^*fi-\Si  neben 
der  gewöhnlichen  ^c;'wj  vor,  bekanntlich  gebildet  von  dem  zunächst  auf  alle  Beduinen 

«übertragenen  Namen    des  Stammes  s.  A3,  dessen  arabische  Nisba     ^Lb  ist. 

Zu  S.  42  f.  und  sonst:  man  muß  sich  sehr  vor  den  Worterklärungen  des  Hamza 
Isfahäni  hüten,  der  im  Sprachlichen  ein  anmaßender  Dilettant  ist. 

S.  42  Anm.  6.     Persisches   »^    kann   schwerhch  =    XJ    sein.     Vielleicht  aber  für  1^, 

eine   denkbare  Form  =  L:\,  iJ? 

S.  53.  Das  aramäische  {«?n;iDC  '^^^^  natürlich  einerseits  das  arabische  Jc>wwwe 
(wie  die  ganze  I  J^vav  aus   dem    aramäischen  ^^^  entlehnt),  andererseits  das  persische 


Zu  S.  57  ist  zu  bemerken,  daß  von  fremden  Eigennamen,  die  ins  Arabische  aufge- 

o 

inommen  wurden,  wohl  nicht  bloß  (»Lla./AO  (aus  pers.  Vistahm),  weil  es  ganz  arabisch  aussah, 
auch  wie  ein  arabischer  Name  dekliniert  wurde  (als  Triptoton). 

S.  67.    Ein  arabisches  Nomen  AjtS  ist  doch  der  Pferdename  -«mm,  und  die  heutigen 

-♦.Ai     Jo  werden  auch  einen  schon  aus  dem  Altertum  stammenden  Namen  führen.    Ferner 

-sind  c>.-kX**,    i}»iy«<,    ^-vjäc,  J^^j**. ')  gut  arabisch;  s.  Ihn   Doraid,  Ischtiqäq  50  oben; 
verstärkte  Formen    des  Diminutivs;   wohl    alle   etwas  Verachtung   ausdrückend.     Zu  den 

nur  in  Fremdwörtern  vorkommenden  Nominalformen  gehört  übrigens  auch  i^cLi. 

')  s_j>.xÄ£.  Name    eines    kleinen  Vogels  ist    eigentlich    »Adlerchen«;  J^yw.,  das  ich 
.auch  im  Lisän  nicht  gefunden  habe,  wird  »sehr  langsam«  heißen:  vgl.  ^i^JL«,       J^  usw. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  200' 

S.  69.    Die,  ich  erinnere  mich  nicht,  von  wem  zuerst,  aufgestellte  Erklärung  voni 
fci_ü   aus  einem  angeblichen  Eräk   ist  gevpiß  unrichtig.      vLc  ist  echt  arabisch  und  be- 
deutet zunächst  etwa   »Niederung«. 

S.  70.    Weder   läßt  sich,  wie  mir  scheint,  das  arabische  ,X.w.c   »Lager,  Heer«  aus- 

dem    persischen    ,\Xi.J,  noch  dieses  aus  jenem  ableiten.     Die  Ähnlichkeit  muß  zufällig 


sein.  I' J^.w,£  scheint  etwa  »turbari«  zu  bedeuten,  so  daß  .X.>m\£  zunächst  »turba,  unruhiger 

--'  -^         .  .  . 

Haufe«  wäre.  Und  laskar  kommt  als  Lehnwort  aus  dem  Persischen  wenigstens  schon  ein- 
mal bei  einem  armenischen  Schriftsteller  »erst  nach  der  i.  Hälfte  des  5.  Jahrhunderts«; 
vor  (Hübschmann,  Armen.  Gramm,  i,  157),  also  doch  wohl  noch  ziemlich  lange  vor  der 
Zeit,   wo   das   Persische  durchs  Arabische  beeinflußt   wurde. 

S.  73  usw.  Auffallend  ist,  daß  aramäisches  und  persisches  .v  bei  der  Übernahme  von 
den  Arabern  meist  in  5  verwandelt  wurde,  während  wir  doch  kaum  einen  wesentlichen. 
Lautunterschied  zwischen  dem  s  der  genannten  Sprachen  annehmen  können.    Ganz  konse- 

quent  ist  diese  Vertauschung  allerdings  nicht  durchgeführt;  vgl.  z.  B.    .Lj-.g.^j     .^;  .AUlo^ 

o , ,  , o -o 

aL.ÄJ-^j  ,.^4h2Ji3L^  usw.  Wir  haben  m.  E.  keinen  Grund,  hierbei  an  spätere  Korrektur 
zu  denken. 

S.   74.    Der  Verf.  konnte  nicht  gut  wissen,  wie  gering  die  Autorität  des  LEVv'schen^ 

Lexikons  hinsichthch  der  Vokalisation  ist.    Die  dem  np.   ..L>ji  .j   entsprechende  jüdische 

Form   ist    natürlich    njID    ^.u  vokalisieren   und    entspricht   so,    wie   auch  das  arabische 

..IXi-J  {Agh.   21,  89,   14),  der  mp.   Gestalt  des  Wortes. 

Die  geschichtliche  Auffassung,  die  S.  75  ff.  dargelegt  wird,  bietet  allerlei  Anlaß  zu 
Einwendungen.  Der  Verf.  stellt  sich  die  dauernde  Macht  des  Sasanidenreichs  zu  groß 
vor.  Die  Araber 'der  syrischen  Wüste  haben  höchstens  zeitweise  alle  unter  persischer  Ober- 
hoheit gestanden  und  Palästina  und  das  Libanongebiet  nur  wenige  Jahre  unter  Chosrau  IL 
»zu  einer  Satrapie«  gehört.  Der  persische  Einfluß  hat  in  jenen  Jahrhunderten  auch  in 
'Oman  schwerlich  je  weit  über  die  Küste  gereicht,  und  die  Befreiung  Jemens  von  den 
Abessiniern  hat  auch  nicht  zu  einer  regelrechten  Beherrschung  des  ganzen  großen  Landes 
im  SW.  und  S.  geführt,  das  so  entlegen  war,  zumal  das  Reich  keine  Marine  hatte.  Ein 
tiefer,  kultureller  Einfluß  der  persischen  Herrschaft  in  Jemen  auf  die  Araber  ist  wenig 

wahrscheinlich.  Waren  doch  die  ^LaJ?  in  der  zweiten  oder  dritlen  Generation  nach  der 
Expedition  des  Wahriz  schon  arabisiert.  Des  geistreichen  Blau  Phantasien  über  Einfluß- 
des  persischen  Reichs  auf  Jemen  im  3.  und  4.  Jahrhundert  (S.  81)  hätten  keine  Neubelebung 
verdient.  So  ist  gewiß  auch  die  Auffassung  der  arabischen  Ortsbezeichnungen  N^i^, 
ii^>:i    als   das  persische  bese  »Wald«  (S.  86)  unrichtig.    Wirkliche  Wälder  hat  es  dort  zu 

Lande  in  historischer  Zeit  auch  kaum  gegeben.  Und  ^^J^  'st  nicht  der  Name  eines  Ortes, 
sondern  eines  arabischen  Stammes,  dessen  Gebiet  noch  auf  neueren  Karten  als  Teil  des- 

'AsTr-Landes  verzeichnet  ist.   Dagegen,  daß  Lj*-äj,  X^ij  vom  Namen  der  Perser  (j*j^5, 

fw^Ji  herkomme  (S.  92),  spricht  schon  das  aramäische  ._a  •,■'<•  Von  der  Grundbedeutung 
»trennen«    hat   sich   die   Bedeutung  »scharfes  Erkennen,    Physiognomik«   usw.  entwickelt 


2  y(j  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

(vgl.  (•♦■'^  u.  ,\.  m.).  Ebensowenig  möchte  ich  die  verschiedenen  Bedeutungen  von 
<AxP    JsJS'  ^)    vom  Namen    der  Inder  ableiten  (S.  91)  und  erst  recht  nicht  den  Namen 

der  arabischen  Stadt      ..)_:SAJ    vom  sskr.  nagara  (S.  88).  Von  einer  Ansiedlung  indischer 
Kaufleute  im  arabischen    Binnenland,    die   allein   einen   solchen  indischen  Namen  er- 
klären  könnte,    haben    wir    keine  Spur   und  von   »Kastenwesen«    in  Nagrän  auch  keine. 
Als  Anhang  gibt  Siddiqi  eine  Anzahl  Verbesserungen  zum  Text  Dschawäliqi's, 

denen  ich  fast  ausnahmelos  zustimmen  muß  ^).     Nur  kann  ich  die  Änderung  ,..Löw.j    in 

dem  seltsamen  Verse  mit  zwei  persischen  Wörtern  nicht  annehmen.  Ich  setze  für  diese 
französische  und  übertrage  den  Vers:  »indem  ich  nicht  sage  »vite«,  auf  daß  mein  Gefährte 
sich  beeile,  und   »prends«  in  meiner  Brust  (meinem  Herzen)  mir  schwer  fällt«  3). 

o  y 

Zu  Dschawäliql  153,  5  ist,  so  viel  ich  sehe,  Sach.\u's  Verbesserung  S.  1S5  X.iüi4.^) 
nicht   bloß    wahrscheinlich,    sondern   ziemlich    sicher. 

Der  inzwischen  in  sein  Vaterland  zurückgekehrte  Verf.  wird  dort  ohne  Zweifel  kräftig 
für  die  Wissenschaft  wirken,  sollte  ihm  gleich  als  einem  zu  sehr  Europäisierten  mancher 
Widerstand  entgegentreten.     Möge  ihm  ein  guter  Erfolg  beschieden  sein  ! 

Karlsruhe,  im  Juni   1920.  Th.  Nöldeke. 


CoRNELis  VAN  Arendonk,    De   opko':  st  van  hei  Zaidietische  Imamaat  in  Yemen.     Leiden, 
Boekhandel  en  drukkerij  vorheen  E.  J.   Brill,   1919.     XVI  u.   348   S. 
Drei  Ereignisse  sind  für  die  Geschichte  der  Zaiditen  richtunggebend  geworden:  der 
Aufstand  des    Zaid   b.    'Ali  zu  Küfa  im  Jahre  122/740;  die  Errichtung  der  ersten  zai- 
•ditischen    Herrschaft  durch  den  Dä'i    Hasan    b.    Zaid    b.    Muh.     in    Tabaristän  seit 
250/864  und  die  Gründung  des  bis  heute  bestehenden  jemenischen  Imamats  durch    al- 
Hädi  ilä  '1-haqq   Jahjä   b.   al-Husain    im  Jahre  284/897..     Für  eine  Untersuchung 
über  die  Entstehung  des  Nordstaates  liefern  die  bis  jetzt  ai)fL,'efundenen  Quellenwerke  noch 
nicht  die  hinreichenden  Unterlagen.     Dagegen  ist  im  Nachtrag  zum  vorliegenden  ^^'erk 
(S.  307)  eine  Arbeit  von  E.  Griffini  über  Zaid  und  sein  l-'echtsbuch  als  demnächst  er- 
scheinend angekündigt  und  bereits  zitiert.    Und  während  man  mit  großer  Erwartung  der 
Antwort  auf  die  Frage  entgegensieht,  inwieweit  Zaid  selbst  der  geistige  Urheber  der  nach 


')  Belegt  im  Lisau. 

2)  Das  ^l».*jl  Liai»  habe  ich  allerdings  augenblicklich  nicht  zur  Hand,  aber  daß 
Siddiqi  ein  weit  besserer  Arabist  ist,  als  es  der  Herausgeber  jenes  Büchleins  war,  versteht 
sich  von  selbst. 

3)  Für  IJj:  ist  rein  persisch  i3»:  zu  lesen;  das  an  bistän  gehängte  i  wird  richtig  sein. 
Ein  kurzer  Vokal  wird  durch  das  Versmaß  gefordert,  und  da  liegt  das  Kasra  so  nahe  wie 

als  Ersatz  für  das  I'räb  in  den  beiden  Bedeutungen  von  Juts  sowie  in  der  als  korrekt  gelten- 
den, im  Leben  freilich  wohl  wenig  beachteten  Umformung  der  persischen  Endung  von 
Personennamen  öje  oder  öe.  Seltsamerweise  geben  die  meisten  europäischen  Gelehrten 
gerade  dies,  sozusagen  in  der  Luft  schwebende,  i  in  Namen  wie  Sibaivaihi  (aus  Seböje) 
wieder,  während  doch  niemand  das  wirkliche  Präb  in  'Omaru,  Makkatu,  Mu/iammadun 
■usw.  beibehält.     Wie  ^Omar  usw.  soll  man  daher  erst  recht  Slbawaih  schreiben. 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  2/1 

ihm  benannten  Richtung  ist,  kann  man  C.  van  Arendonk  den  aufrichtigsten  Dank  ab- 
statten für  seine  gründliche  und  gewissenhafte  Darstellung  von  Person  und  Werk  des 
ersten  jemenischen  Zaiditenimams. 

Die  Munifizenz  der  De  GoEjE-Stiftung  bot  Ar.  Raum  für  eine  weitausgreifende  Dar- 
stellung. Er  gibt  zuerst  einen  doppelten  Unterbau:  die  Einleitung  bietet  einen  Abriß  der 
-alidischen,  dann  zaiditischen  Geschichte  bis  auf  Hädi  (S.  i — 97),  während  der  Abschnitt 
Die  Herren  von  San'ä'  im  III.  Jahrhundert  (98 — 114)  in  das  Verständnis  der  verwickelten 
Verhältnisse  Jemens  zur  Zeit  seines  Auftretens  einführt.  Ihm  selbst,  vor  allem  seinen 
Kriegszügen,  sind  dann  zunächst  3  Teile  gewidmet:  Die  Aufrichtung  seiner  Herrschaft  in 
Sa'da  (115 — 158);  Widerstand  im  Gebiete  Haulän  und  Nagrän  (159 — 190)  und  Hädi  in 
San'a*  und  der  Kampf  mit  den  Qarmäten  (S.  191 — 227).  Dann  würdigt  ein  abschließendes 
Kapitel  AI  Hädi  als  Imavi  (S.  22S — 280)  seine  Persönlichkeit  und  seine  schriftstellerische 
Bedeutung. 

Seinem  eigentlichen  Gegenstand  durfte  Ar.  eine  ausführliche  Skizze  über  die  Schia 
nur  vorausschicken,  wenn  er  diesem  alten  Thema  neuen  Stoff  zuführte.  Und  das  ist  auf 
das  reichlichste  geschehen.  Die  Schilderungen  der  alidischen  Aufstände  erhalten  frische 
Farben  durch  die  Ausschöpfung  handschriftlicher  Quellen,  in  erster  Linie  der  zaiditischen 
Werke,  vorab  der  Imamcnbiographien,  aber  auch  z.  B.  der  tadkirat  al-fiawäss  des  Hane- 
fiten  Sibt  al-GauzT,  ferner  durch  die  starke  Heranziehung  von  bislang  nur  spärlich 
oder  gar  nicht  benutzten  Bombayer  Drucken,  den  niaqätil  des  Abu  M-Farag  al-Isba- 
häni,  dem  k.  al-iimda  und  k.  chasa'is  wa^ij  al-mubin  des  Imamiten  al-Bitriq,  dem 
imamitischen  k.  ar-rigäl  des  Nagäsl  und  vor  allem  der  erstmaHg  durch  Snouck  Hur- 
GRONjES  Mekka  (s.  dort  Bd.  I,  XVIII;  35  ff.  u.  ö.)  näher  bekannt  gewordenen  'umdat 
at-tälib.  Den  schiitischen  Stimmungen  und  Gedankengängen  der  alten  Zeit  wird  Ar. 
ähnlich  wie  Fr.  Buhl  in  Alidernes  Stilling  gerecht  durch  Wiedergabe  auch  manch  neuer 
Klänge  aus  alten  Liedern  der  Ibn  Qais,  Abü'l-Aswad  ad-Du'äll,  Kutaijir  und 
besonders  Kumait  und  Saijid  al-Himjarl  (S.  13  ff.).  Als  neuen  Führer  durch  das 
Gestrüpp  derjenigen  schiitischen  Verzweigungen,  die  von  späteren  Systematikern  der 
Zaidija  als  Teilsekten  eingegliedert  werden,  wählt  Ar.  die  maqäläl  al-islöjnijin  des  As'arl, 
die  nächst  der  knappen  Aufzählung  des  Abu  'Isä  al-Warräq  bei  Mas'üdl  V,  474 
zurzeit  unsere  .älteste  vergleichende  Darstellung  der  islamischen  Religionsparteien  sind. 
Wie  in  seinem  ganzen  Werk,  so  hat  auch  hier  bei  der  Untersuchung  über  die  Untergruppen 
('S.  71 — 86)  der  Verf.  sich  sorgfältig  bemüht,  den  gesamten  Stoff  zusammenzutragen,  und 
auch  abgelegenere  W^erke  durchsucht:  die  fusül  des  Gähiz  sowie  den  Makhül  b.  al- 
Mufaddal  an-Nasafi  und  den  Muh.  b.  Sa'Id  al-Azdl  (vgl.  69  No.  6  und  71  No.  3). 
Da  ist  es  nun  bei  der  Fülle  der  vielfach  verworrenen  Nachrichten  bezeichnend,  daß  aus 
zaiditischen  Werken  für  die  Kenntnis  der  3  bis  10  sogenannten  zaiditischen  Teilsekten 
nichts  zu  gewinnen  war.  Nicht  als  ob  man  ein  eigens  von  einem  Zaiditcn  verfaßtes 
Sektenbuch  so  stark  vermißte,  denn  die  Sektenbücher  sind  gerade  für  die  Aufklärung 
der  Zusammengehörigkeit  wenig  geeignet,  und  das  späte  zaiditische  k.  al-niilal  wan. 
nihal  in  der  Enzyklopädie  des  Ibn  al-Murtadä  ist,  da  einfacli  aus  den  übliclien  ein- 
schlägigen Werken  entlehnt,  nur  eine  Enttäuschung.  Übrigens  gibt  es  von  Hädi 
selbst  und  seinem  Sohn  und  Nachfolger  Abu  M-Qäsim  Muh.  al-Murtadä  eine  Aus- 
einandersetzung mit  den  Sekten  überhaupt.  Sie  ist  durch  Murtadä's  Freund,  den 
unten  näher  zu  bezeichnenden  Abu  M-Husain  at-Tabarl,  zusammengestellt  zum 
k.  al-usül.  Leider  ist  Berl.  3395,  das  allerdings  nur  [den  zweiten  Teil  enthält,  mir 
zurzeit  nicht  zugänglich;  ich  kann  hier  nur  belegen,  daß  in  der  summarischen  Auf- 
zählung (Fol.  29  b)  die  Gärüditen,  Batriten,  Sulaimäniten  usw.  fehlen.  Und  kommen 
■die  Teilsektenführer  in  zaiditischen  Werken  gelegentlich   \or,   dann  wird   nur  ganz  all- 


272  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

geinein  ihre  schiitische  Gesinnung  bezeugt.     So  zählt    Muslim    al-Lahgl  (s.  Ar.  X)  in 
Berl.  9664  Fol.  14  a  und  39  a  den  Hasan  b.  Sälihund  Katlr  an-Nawwä'  unter  denen 
auf,  die  ihre  »schiitische  Gesinnung  aus  Furcht  vor  den  Omaijaden  und  Abbäsiden  nicht 
zeit^ten«.     Daß  sie  irgendwie   dem  Verfasser  als  Häupter  einer"  zaiditischen  Batrija  (75) 
näher  ständen,  wird  mit  keinem  Worte  angedeutet.   Neben  ihnen  sind  u.  a.  mehrere  Männer 
genannt,  die  Ar.  in  den  Beilagen  I — IV  (S.  281 — 291)  nach  Klassenbüchern,  Nisbenkata- 
logen  und  Überliefererlisten  identifiziert,  z.  B.  der  Räfidit  Muhauwal  b.    Ibrähim  (291) 
und  sonderbarerweise  auch   Basir    ar-Rahhäl  (gegen  die  Quellen  bei  Ar.  288  ult.).    Daß 
keine  zaiditische  Sonderüberlieferung  über  eine  einstmalige  nähere  Zusammengehörigkeit 
mit  jenen   Untergruppen  besteht,  zeigt  vielleicht  gerade   eine  Darstellung,  in   der  jene 
Führer  ausdrücklich  innerzaiditische    Sektenhäupter  genannt  werden.      Der   zaiditische 
Apologet  aus  der  zweiten  Hälfte  des  10.  Jahrhunderts  H.,   Ibn  Humaid,  zählt  im  <az<rff/<. 
Berl.  4947,  im  Anschluß  an  Listensammler,  wie    DahabI,  eine  Anzahl  von  Gelehrten  auf, 
die  er  wegen  der  Verbreitung  schiitischer  Traditionssätze,   Stimmungen,  Wissenschaften 
und  Geschichtsbeurteilungen   als   zaiditenfreundlich  in  Anspruch  nimmt.      Hier  kommt 
alles  auf  den  Zusammenhang  an.  ■  Es  stehen    Salama    b.    Kuhail,  Hasan    b.    Sälih 
und  Abu  M-Gärüd  als'  Überlieferer  mit  je  ein  paar  Zeilen  zwischen  ausführlich  behandel- 
ten Männern,  ^wie  dem  Schäfi'iten  (s.    Ihn    Hallikän  626)    al-Häkim    an-NIsabürl 
b.  al-Baiji'  wegen  seines  tmistadrak,  dem  Historiker  Tabarl  wegen  seines  k.  al-wiläja- 
fi  iuruq  Aadit  Gadir  (vgl.  Ar.  19  No.  2),  dem  Hanefiten    Saibäni  wegen  seiner  Benutzung 
des  k.  as-sijar  vom  Imam  Muh.   an-Nefs  az-Zakija  (Ar.  45)  und    Säfi'i  wegen  seiner 
Lieder  (x\r.  290;  weitere  Proben  bei  'Abdallah  b.   Zaid  al-'AnsI  in  Berl.  10325,  FoL 
260  b).     Freilich  fügt  Ihn  Humaid  dem  Namen   Salama  die  Marke  bei  »von  den  besten 
der  Zaidlja<i  (¥o\.  lOi  b)  und  setzt  zu   Ibn  Sälih  und  Abü'l-Gärüd   das  übliche  »nach 
ihm  ist  die  Sälikija-Gäriidlja  — •  von  der  Zaidlja  benannt«  hinzu  (Fol.  102  a   und  108  a), 
aber  der  unbefangene  Leser  kann  daraus  nicht  den  Eindruck  erhalten,  daß  er  etwa  diese 
drei    als  ihm  nähere  Parteifreunde  vor  den  andern  zu  sich  heraushöbe,  eher  käme  man 
nach  dem  ganzen  Tenor  auf  die  Vorstellung,  der  madhab   des    Saibäni,  d.h.  die  hane^ 
fitische  Juristenschule  sei  ein  Ableger  der  zaiditischen.    Aber  irgendeinen  Grund  muß  die 
Eingliederung  doch  haben.    Ar.  bietet  wohl  den  richtigen  Anhalt.    Er  meint  (S.  29  u.  282) 
den  Abu  M-Gärüd   Zijäd  b.  al-Mundir  al-Hamdäni  mit  Zijäd    an-Nahdi  (Tab. 
II  1711)  identifizieren  zu  können,   wie  denn  auch    Ibn  Humaid  zu  seinem  Namen  hinzu- 
fügt: wa  qtla  Nahdl.    Dann  wäre  er  also  mit  Zaid  gefallen.      Und  das  hat  man  ihm  nicht 
vergessen.    Die  Folge  ist,  daß  er  in  alle  Sektenbücher  als  Zaidit  hineingeriet  und  vielleicht 
erst  aus  diesen  als  Zaidit  in  zaiditische  Werke  übernommen  wnirde,  und  das  alles  trotz 
seiner  Imamenlehre  (72).    Noch  weniger  wollen  seine  übrigens  in  ihren  Ansichten  sehr  zer- 
fahrenen  (Bagdad!,  farq  zum  Artikel  Gär.)  Anhänger  zu  den  Zaiditen  passen,  wenn  sie 
dem    Wiederkunftsglauben  huldigen  und  die  von  den  Zaiditen  schroff  verworfene  mut'a- 
Ehe  billigen  (72  No.  9).    Das  endgültige  Urteil  über  die  Untersekten  möge  vertagt  werden, 
bis  das  Material  über   Zaid  selbst  vorgelegt  ist.     Doch  das  kann  schon  jetzt  festgestellt 
werden:  Spätestens  seit  Anfang  des  3.  Jahrhunderts,  für  welche  Zeit  wir  den  Lehrtropus 
der  Zaiditen  bei   Hädi's  Großvater  al-Qäsim  im  wesentlichen  abgeschlossen  vorfinden, 
gehören  die  Gärüditen  nicht  mehr  zu  ihnen.    So  lange  sie  aber  früher  dazu  zählten,  gab  es 
eben  noch  keine  wirkliche  geschlossene  firqat  as-Zaidlja.  —  Ähnlich  steht  es  mit  den  übrigen 
Untergruppen.      Bei  der  Batrija  könnte  man  schon  eher  ein  sachliches  tertium  compara- 
rionis  finden:  ihre  maßvollere  Imamatslehre  und  —  wenigstens  die  Worte  —  im  Aktions- 
programm einiger  Batriten.     Ar.  denkt  an  ein  Aufgehen  in  die  Zaidlja  (79).     Das  mag 
bei  dem  einen  oder  andern  zutreffen,  wie  denn   Salama  b.    Kuhail  wegen  seines  hohen 
Alters   oder  seines  Todes   vom  Vorwurf  des  Verrats   an   Zaids   Sache  freizusprechen  ist 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  273 

(282).  Aber  man  sieht  sonst  so  gar  kein  Zusammenarbeiten  (78  ult.).  So  dürfte  man. 
wohl  gerade  unter  den  Batriten  bei  ihrer  Neigung,  sich  in  der  Theorie  und  vor  allem  in 
der  Praxis  mit  den  gegebenen  Verhältnissen  abzufinden,  nach  den  Männern  suchen,  die 
die  alidische  Frage  im  sunnitischen  Sinne,  d.  h.  durch  das  tasaiju'  hasan,  gelöst  haben 
(vgl.  77).  —  Sulaimän  b.  Öarir  wird  in  Ar. 's  Quellen  nur  einmal  genannt.  Er 
habe  dem  Ja hjä  b.  'Abdallah  (gest.  im  Gefängnis  des  HärQn  ar-Raschid)  gehuldigt 
(291).  Doch  wird  dieser  nicht  unbestritten  als  Imam  der  Zaiditen  anerkannt.  Hädi's 
Gefährte  Muh.  b.  Sulaimän  al  Küfl  übergeht  ihn  (vgl.  slra  bei  Ar.  117  No.  3), 
und  Ibn  Öarir  wird  weder  von  Lahg:I,noch  Ibn  Hu  maid  erwähnt.  Nur  bei  Ibn  Mur- 
tadä  und  seinem  Kommentator  an-Nagari  finde  ich  eine  kurze  Notiz,  er  habe  für  einen 
Propheten  und  einen  Imam  die  taqija  als  unstatthaft  erklärt  (Berl.  491 1  Fol.  198  a  unten). 
Hädi's  Streitschrift  gegen  ihn  (278  und  No.  2)  liegt  in  Mailand.  Einer  freundlichen  früheren 
Mitteilung  von  E.  Griffini  gemäß  heißt  es  im  dortigen  Sammelbande  von  Abhandungen 
des  Hädi  in  Ambr.  E  413  I  Fol.  71  a:  k.  ar-radd  'alä  man  za'ama  ann  al  qur^äna  qad 
dahaba  ba'diihu  mas^ala  ar  radd  'alä  [Sulaimän]  ibn  Garlr.  Sulaimän  ist  durch  Griffini 
hinzugefügt.  Über  das  Verhältnis  dieser  quaestio  »Widerlegung  des  Ibn  Ganr«  einmal  zu 
der  im  ersten  Beiheft  des  Islam  (S.  34  No.  i)  gegebenen  Polemik  und  andrerseits  zu  dem 
von  Ar.  (S.  251/52)  vorgeführten  Buch  von  der  Integrität  des  Koran  wäre  eine  Aufklärung 
auf  Grund  der  Mailänder  Handschrift  sehr  erwünscht. 

Nicht  minder  verworren,  aber  viel  weniger  betreten  als  der  Weg  zu  Hädl  als  zaiditi- 
schem  Imarn  ist  der  zu  ihm  als  jemenischem  Fürsten.  Da  ist  es  ein  großes  Verdienst  des 
Verfassers,  daß  er  uns  mit  den  hauptsächlichsten  jemenischen  Großen  bekannt  macht, 
ehe  er  auch  noch  den  Zaiditen  auf  den  Schauplatz  des  allgemeinen  ununterbrochenen 
Kleinkrieges  führt.  Ar. 's  Unterlagen  sind  zumeist  handschriftliche  Werke.  Mit  welcher 
Vorsicht  sie  zu  benutzen  sind,  mag  ein  Beispiel  zeigen:  Bei  einer  starken  Unstimmigkeit 
in  den  Statthalterlisten  zu  Beginn  des  III.  Jahrhunderts,  die  übrigens  der  Verf.  an- 
sprechend durch  eine  doppelte  Lückenhypothese  zu  lösen  sucht,  geht  derselbe  Hazragi 
(Br.  II  184)  einmal  in  der  kifäja  mit  der  bah^at  az-zaman  des  Ibn  al-Magid  (Br.  N. 
zu  II  171)  und  ein  andermal  im  tiräz  mit  dem  k.  as-siilük  des  Ganadi  (Br.  II  184;  s.  Ar. 

10 1   und  No.  4). 

Für  die  Geschichte  des  Hädi  gewinnt  man  aus  seinen  eigenen  Werken  bislang  nichts. 
Um  so  mehr  ist  Selbstgeschautes  gesammelt  in  der  slra  (Ar.  XI— XIII).  Ihc  scheint  mir 
an  Wichtigkeit  zunächst  gestanden  zu  haben  eine  Schrift  des  obengenannten  Abu  '1-Hu- 
sain  Ahmed  b.  Mflsä  a^-'fabari.  Lahg'i  zählt  sie  neben  dem  k.  al-masäblh  (Ar. 
',08  oben)  und  der  ifäda  des  Abu  Tälib  an-Nä^iq  namentlich  auf  unter  den  Werken 
zur  »Geschichte  der  Imame  im  allgemeinen  und  des  Hädi  und  seiner  beiden  Söhne  im 
besonderen«.  In  Berl.  9664  Fol.  13  b  heißt  sie  /.',  al-mnbr,  auf  Fol.  38  b  fehlen  die  Punkte 
bei  n  und  b  (oder  ;?).  Der  Verf.  erzählt  im  k.  al-usül  (Berl.  395  Fol.  29  b),  er  habe  Ja- 
baristän  und  Choräsän,  die  Persis,  'Iräq,  Syrien,  Nordafrika  und  das  Hi|-äz  durchwandert 
auf  der  Suche  nach  dem,  der  alle  Eigenschaften  des  echten  Pro^hetensohnes  vereine,  bis 
er  zu  §a'da  in  Mu^i.  b.  al-Hädi  sein  Ideal  gefunden  habe.  Auf  das  Werk  des  Abu 
M-Husain  at-fabari  folgt  das  Mailänder^,  al-ma^äbik  vom  Anfang  des  5.  Jahrhunderts 
H.,  in  dem  der  Abschnitt  über  Hädi  vom  Verfasser  Abu  'l-'Abbäs  al-Hasani  be- 
gonnen und  von  seinen  Zeitgenossen  'Ali  b.  Biläl  vollendet  wurde  (RSO.  III  572).  Sehr 
schade  ist  es  um  den  Verlust  des  bei  Latig;!  (a.  a.  O.)  genannten  andern  Werkes  desselben 
Abu  ' l-'Abbäs  al-Hasani.  Nach  dem  im  handschriftlichen  Befund  nicht  ganz  ein« 
deutigen  Titel  ar-radd  'alä  Jsj>LAil  lil-f}iläf  bain  al-Hädi  wan-Nä.^ir  lil-haqq  (d.  i.  al- Ha- 
san al-Utrü§)  gab  es  Aufklärung  über  das  Verhältnis  oder  vielmehr  den  Gegensatz  des 
ersten  jemenischen  Zaiditenimams  zum  gleichzeitigen  Imam  des  noch  so  wenig  bekannten 
Islam  XI.  18 


2  74  Kleine  Mitteilunsren  und  Anzeig'en. 

nordischen -Zaiditenstaates.  An  die  masalnh  reihen  sich  an  die  durch  Ar.  reichlich  be- 
nutzten i/ärfa,  hadffiq  al-wardij'a  usw^  bis  zu  den  anbä*  az-zaman  vom  Anfang  des  12.  Jahr- 
hunderts H. 

Hädi  zählte  bereits  38  oder  39  Jahre,  als  er  das  jemenische  Imamat  gründete.  Über 
diese  erhalten  wir  aber  nur  karge  Angaben.  Bloß  in  den  gatcähtr  wad-diirar  in  der  En- 
zyklopädie des  Ibn  Murtadä  finde  ich  eine  Mitteilung,  daß  er  außer,  wie  auch  sonst 
bezeugt,  nach  Däilam  auch  zum  'Iräq  »ausgezogen«  sei  (Berl.  4894  Fol.  66  b).  Sein  erster 
erfolgloser  Versuch  in  Jemen  im  Jahre  280/893  wird  nur  verschämt  und  nicht  ganz  zuver- 
lässig (ii8  No.  i)  angedeutet.  Für  das  Imamat  selbst  ist  eine  Fülle  von  Daten  und  Tat- 
sachen gegeben.  Die  Chronologie  macht  im  allgemeinen  keine  Schwierigkeit.  Es  reicht 
von  Anfang  284  bis  Ende  298/897^ — 911.  Nur  Ibn  Murtadä  gibt  als  Todesjahr  299  an, 
wenigstens  das  Berliner  Ms.  (a.  a.  0.),  das  aber  auch  andere  Ungenauigkeiten  aufweist. 
Das  erste  jemenische  Zaiditenimamat  sieht  nun  folgendermaßen  aus:  die  Hauptorte  treten, 
durch  die  traurig  zerrissenen  Verhältnisse  veranlaßt,  auf  Grund  diplomatischer  Verhand- 
lungen unter  die  Herrschaft  des  Hädi :  Sa'da  und  Nagrän  im  Jahre  284,  San'ä'  im  Jahre 
288.  Aber  der  Versuch  zur  Durchführung  eines  wirklichen  Regimentes,  zur  Organisation 
des  Staatswesens  durch  Besteuerung  (vgl.  die  Sammdnote  2  auf  S.  236),  stößt  auf  Wider- 
staiid,  und  das  Imamat  löst  sich  auf  in  eine  ununterbrochene  Reihe  von  Straf zügen.  Die 
Kampfschilderungen  wirken  in  ihrer  absichtsvollen  Aufmachung  ermüdend  (vgl.  die 
»Trüppenaufstellungen«  nach  dem  Vorbild  des  Propheten:  S.  139  No.  8;  142  No.  i;  143 
No.  I ;  153  No.  I  u.  ö.).  Dabei  ist  in  den  vorliegenden  Werken  noch  keine  von  den  angeblich 
73  Schlachten  mit  den  Qarmäten  (S.  222  und  No.  8;  so  auch  gawähir  a.  a.  0.)  beschrieben. 
Von  den  jemenischen  Großen  erweist  sich  schließlich  nur  einer,  der  »König«  von  San'ä', 
Abü'l-'Atähija,  als  ganz  zuverlässig,  die  getreuesten  seiner  Truppen  sind  eine  kleine 
Schwadron  von  Tabaristäner  Reitern.  Als  Zeit  seiner  höchsten  Machtentfaltung  kann 
etwa  das  Jahr  288  gelten,  als  er  nach  dem  Einzug  in  San'ä'  wagte,  seine  Familie  nach- 
kWnmenzu  lassen  (198),  oder  das  Jahr  293,  als  Nagrän  kurz  zuvor  wäeder  einmal  bestraft 
war,  Hädi  an  der  Spitze  (?)  einer  antiqarmätischen  Koalition  wieder  einmal  in  San'ä' 
einzog  (219)  und  selbst  in  die  Tihäma  hinunterzustoßen  wagte  (180;  214).  Aber  die  Herr- 
schaft in  Nagrän  war  »stets  unsicher«  (180).  Selbst  in  .^a'da  hofft  man  schon  im  Jahre  285 
Tiaeder  auf  einen  abbasidischen  Präfekten  (159),  will  man  seine  Gefangenen  befreien  (161) 
üiid  begellt  man  während  des  Gottesdienstes  ein  Attentat  auf  ihn  (242).  Und  das  Geschick 
von  San'ä'  während  des  Jahrzehnts  von  Hädi's  erstem  Einzug  bis  zu  seinem  Tode  zeigt 
folgendes  Bild,  das  ich  im  Anschhiß  an  Ar.  nicht  ganz  ohne  Vorbehalt  zeichne,  d.  h.  die 
Wirklichkeit  kann  noch  um  einige  Töne  bunter  sein: 
"  ,     288     Muiiarram:    Hädi  übernimmt  S.  von   Abu   'l-'Atähija. 

,,       Gum.  I  oder  11:  H.  durch  den  Ja'furiden   'Abdalqähir  b.   Ahmed  verjagt. 

,,  Rag:  H.  erobert  S.  zurück,  das  aber  von  zwei  untereinander  feindlichen  Par- 
teien, den  Ja'furiden  und  ihren  Klienten,  den  Tarifiden,  feindlichen  Verwandten 
des  Abu    ' l-'Atähija,    blockiert  bleibt. 

289  .  Gum.   II:  H.  gibt  S.  auf;    Einzug  des  Tarifiden    Ibrahim    b.    Halaf,     der 

.nominell  die  Oberhoheit  (?)  der  Ja'furiden   As 'ad   und    'ütmän    b.    abi 
'l-Hair^  und  zwar  diesmal  als  abbasidischer  Statthalter,  anerkennt. 

290  Gum.    I  und   II:   Ergebnislose  Bündnisverhandlungen  zwischen   H.   und  den 
Ja'furiden;  H.s  vergeblicher  Zug  gegen  S. ;  sein  Sohn  Muh.   gefangen.     Auf- 

.,,--.,,   :   treten  des  abbasidischen  Generals  Kftmr,  der  von  Ibn  Halaf  gefangen  wird. 

iih  .  29i^^.<^arräh  b,.  Bisr,  Verweser  des  Ibn   yalaf,  empört  sich  gegen  diesen  und 

erobert  S.;    Kftmr    befreit  sich.      In   S.   Kämpfe  zwischen   Ja'furiden  und 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  275 

Kftmr;  beide  beanspruchen  die  abbasidische  Statthalterschaft;  Kftmr  fällt; 
die  Ja'furiden  As'ad  und  'Utmän   b.    abl  M   liair  Herren  von  S.^,.,   ,,. 

292  S.  durch   Ibn   ^alaf   bedrängt.      'Utmän   empört  sich  gegen    As'ad    und 
wird  verjag. 

293  Muharram:  der  Qarniät   'Ali   b.   Fadl  erobert  S. 

Rab.  II:    Husain    b.    Kaijäla,    Klient  der  Ja'furiden,  besetzt  S. 

Gum.   II:    Gemeinsamer  Einzug  des  H.,  der  Ja'furiden  und  anderer  Großen. 

294  Muharram:   Ibn    Kaijäla  gegen  H.;  Flucht  des  H.;    Herrschaft  des  As'^d 
b.    Ja' für. 

„       Rag. :  Rückkehr  des  Qarniäten   Ibn    al-Fadl  nach  S. 

297  Sa'b:  Vertreibung  der  Qarmäten;  Einzug  des   Muh.    b.    H.  in  S. 
„       j-iauw.    Muh.    b.    H.  gibt  S.  auf;  Rückkehr  der  Qannäten. 

„       Ende  Sauw.      Abzug  der    Qarmäten.       Rückkehr    von     Ibn     KaiJ9,la     und 

Garrä^. 
„       Du  '1-h.  Rückkehr  des  As'ad   b.   Ja'fur  als  Lehnsherrn  der  Vorgenannten. 

298  S.  unter  den  Ja'furiden;  Streit  zwischen  den  KHenten;    Ibn    Kaijäla   ver- 
treibt den   Garräh. 

Als  Hädi  starb,  war  er  bereits  wieder  uf  Sa'da  beschränkt.  Wohl  hat  er  Herrscher- 
recht  aufgeübt;  es  gibt  Münzen  von  ihm  (196).  Aber  aus  den  vorgelegten  Quellen  erhält 
man  keine  Auskunft,  inwieweit  Hädl  seine  Jemeniten  zu  Zaiditen  gemacht  ha:t.i  Wohl 
sieht  man  einen  Großen  zum  Zeichen  des  Anschlusses  an  ihn  die  schiitisch-zaiditische 
Gebetsruf formel  annehmen  (S.  149);  aber  die  Bewohner  von  San'ä'  sind  gegen  jede  »Neue- 
rung« und  wollen  bei  der  »Gesamtheit«  bleiben  (276  No.  8).  Wohl  hört  man  von  der  Ein- 
setzung von  Statthaltern  und  Richtern,  die  nach  seinem  System  verwalten  und  Recht 
sprechen  sollen,  aber  diese  sind  mit  ihm.  gegangen  wie  gekommen.  Gerade  der  Erfolg 
bUeb  ihm  versagt,  der  seiner  Lebensarbeit  erst  den  rechten  Sinn  gegeben  hätte:  die  Zer- 
rissenheit Jemens  durch  Weckung  eines  neuen,  religiös-pohtischen  Zusammengehörigkeits- 
gefühls zu  überwinden  (vgl.  z.  B.  153;  184  No.  3;  189).  Kulturarbeit  hat  er  nicht  leisten, 
nicht  einmal  seine  Moschee  in  Sa'da  fertigbauen  können  (227).  So  sieht  der  unbefangene 
Leser  in  dem  ersten  jemenischen  Zaiditenimam  keine  andere  politische  Größe  als  i»  den 
sonstigen  HäuptHngen  Jemens.  Anders  die  zaiditischen  Quellen,  besonders  die  slra/,  Sie 
sind  gehalten  im  Stil  der  Prophetenbiographien  und  der  magäzt-Bü.c'her.  Und  der  ver- 
herrlichende'Ton  ist  durch  Ar.,  der  gern  hinter  ?eine  Quellen  zurücktritt,  gut  erhalten, 
wie  denn  auch  der  Verf.  mit  bester  Sprachkenntnis  aus  den  nicht  immer  leicht  zu  lesenden, 
meist  nur  in  Einer  Abschrift  vorliegenden  Quellen  verschiedene  Proben  von  den  einge- 
:treuten  Liedern  Hädi's  bietet.  Weite  Abschnitte  der  Biographien  lesen  sich  wie  eine 
absichtsvolle  Zusammenstellung  von  geschichtlichen  Belegen  zu  den  Rechtsbüchern. 
Diese  Beispiele  zeigen  zwar  an  Hädi's  tatsächlichem  Bemühen  die  Wirklichkeit  des  Ge- 
setzes, aber  für  die  Praxis  der  nachgeordneten  Stellen  kann  schon  weniger  gebürgt  werden 
(236  No.  6),  und  beim  Volke  blickt  die  »Gebrechlichkeit«  des  Islam  überall  hindurch  (123 
No.  4  und  Beil.  V,  292/3).  Die  Balharlt  von  Nagrän  behaupten,  zu  keinerlei  Abgabe  ver- 
pflichtet zu  sein  (183).  Wein  (s.  Index),  Weiber  und  Knaben  (137  No.  9;  vgl.  auch  191) 
sind  starke  Motive.  Die  Sitte,  dem  Gast  für  die  Nacht  die  weibUchen  Angehörigen  zu 
überlassen  (149  No.  4),  bezeugt  für  das  11./17.  Jahrhundert  auch  die  Vita  des  Imam  a.1- 
Mutahhar  al-Gurmüzi  aus  dem  westlichen  Gebiete  von  Nagrän  (Berl.  9744  Fol.  49  b; 
kürzer  als  bei  Ar.  149  No.  4  und  mit  nisa'ahiim  statt  »Tochter  und  Schwester«).  Mit 
dem  besonderen  Blick  auf  die  einschlägigen  Rechtsgrundsätze  wird  in  den  Quellen  die 
Kriegfühnmg  des  Hädi  gezeichnet.  Hier  werde  lieber  die  einfache  Tatsache  bßfent: 
Wie  er  als  Fürst  das  Streben  nach  Popularität  in  das  nach  Hoheit  umleitete  (239.-rr24i)i 


276  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

so  schritt  er  nach  dem  Versuch,  die  ersten  Widerstände  durch  Milde  zu  brechen  (133), 
zu  rücksichtsloser  Schärfe  fort:  Wohnungen  werden  zerstört,  Bäume  umgehauen,  Dorf 
für  Dorf  vernichtet  (135,  155,  169,. 171  usw.).  Gerade  hierbei  ist  es  besonders  schade,  daß 
uns  außerzaiditische  Quellen  nicht  begleiten.  Denn  naturgemäßiiiaben  alle  diese  »Straf- 
züge« noch  lange  nachgehallt  in  Anklagen  auf  Verletzung  des  Kriegsrechtes.  Manchmal 
hört  man  selbst  in  zaiditischen  Werken  die  Stimme  der  Gegner,  z.  B.  bei  dem  Recht- 
iertigungsversuch  für  den  Imam  Mahdl  (erschlagen  656/1258)  wegen  seiner  Grausamkeit 
gecen  die  Bätiniten  (sehr  ausführlich  in  Berl.  9741  S.  282  f.;  zur  Beurteilung  der  damah- 
gen  Zaiditen  vgl.  Snouck  Hurgronje,  Mekka  I  34).  Aufgefallen  ist  mir  in  den  Bio- 
graphien dieser  späteren  Imame,  daß  die  Zaiditen  gegenüber  den  Feinden  oft  kurzweg 
als  »die  Muslime«  bezeichnet  werden.  Das  bedeutet  doch:  der  Kampf  gegen  die  Feinde, 
die  dem  Namen  nach  alle  Muslime  sind,  wird  nicht  als  quäl  al-biigät,  Bekämpfung  der 
Empörer,  sondern  als  gihäd  gegen  die  Ungläubigen  aufgefaßt.  Das  führt  auf  die  Frage 
des  iekflr,  d.  h.  welche  Muslimgruppen  man  als  muslimisch  nicht  anerkennen  kann.  Sie 
bedarf,  als  für  die  gesamte  innerislamische  Stellung  der  Zaiditen  ausschlaggebend  einer 
besonderen  Untersuchung. 

Das   günstige    Bild,    das   die  Biographen   von    Hädl    zeichnen,    erhält   noch   seine 
besondere  Tönung  durch  die  auch  von  Ar.  reichlich  nachgezeichneten  hagiographischen 
Züge.     Sie  kennzeichnen  freilich  weniger  den  Imam  als  die  Bevölkerung.    Auch  in  Jemen 
war  der  Aberglaube,  dieser  Ersatz  für  den  »gebrechlichen«  Glauben;  nicht  immer  wähle- 
risch.  Mit  tiefer  Inbrunst  verehrte  man  z.  B.  später  auch  das  nach  dem  üblichen  Moschus- 
geruch  duftende  Grab  des  eben  erwähnten,  von  seinen  eigenen  Leuten  abgesetzten  und 
später  gefallenen   Imam  Ahmed    b.  al-Husain  al-Mahdi  (fjazragl,  'iiqüd  lu^hi'ija  . 
144).   Von  Hädi's  Prophetengabe  Heß  sich  übrigens  auch  noch   Mas'Odl  (IV  50)  einige 
dreißig  Jahre  nachher  erzählen.    Die  Würde  seines  heihgen  Blutes  mag  ihm  wohl  gelegent- 
lich  gegenüber    einfachen   Leuten  unter   seinen  Feinden  in  sowieso  schon  für  sie  heikel 
gewordenen  Lagen  zum  Erfolg  verholfen  haben  (144),  aber  z.  B.  das  einzige,  was  er  nach 
zwölfjährigem  Ringen  um  Nag-rän  davonträgt,  ist  der  Hohn  auf  »Allah's  Zorn  und  des 
Propheten  Fluch«  (188).    In  einem  Punkte  hebt  sich  das  erste  jemenische  Zaiditenimamat 
recht  wohltuend  von  manchem  späteren  ab  und  auch  von  vielen  andern  alidischen  Herr- 
schaften:  Hädi,  der  früher  selbst  versucht  hatte,  sich  in  das  bereits  bestehende  zaiditi- 
sche  Reich  des  Nordens  einzudrängen,  hat  in  Jemen 'keinen  alidischen  Mitbewerber  zu 
bekämpfen  brauchen,  wenn  er  auch  mit  den  Ränken  und  der  Begehrlichkeit,  wie  mit  der 
Indolenz  seiner  Verwandten  vom  heiligen  Blut  seine  Erfahrungen  machen  mußte  (244  f.). 
Ist  nun  Hädl  bei  aller  Unvollkommenheit  seiner  politischen  Schöpfung  der  Gründer 
eines   Zaiditenstaates?      Ich  möchte   die  Frage  bejahen,   aber  nur  unter  gleichzeitigem 
Hinweis  auf  seine  schriftstellerische  Tätigkeit.     Sie  schuf  für  einen  engeren  Kreis  seiner 
Getreuen  die  Norm  des  Zusammenhaltes  und  bot  für  die  weitere  Zukunft  den  autoritativen 
Halt,    das   geistige  Mittel  zum  Durchhalten.     Ar.  bietet  (251 — 278)  sehr  dankenswerte 
Inhaltsangaben   seiner   allerdings    wenig   originalen    staatsrechtlichen    und  theologischen 
Werke.      Echtheitsfragen   werden    schon    insoweit    aufgeworfen   werden  müssen,    als  die 
Niederschriften,     Zusammenstellungen    und    Schlußredaktionen    vielfach    durch    Fremde 
besorgt  sind.    Das  auch  dem  Zaid  b.   'Ali  zugeschriebene  k.  tatbit  al-imäma  fällt  außer 
in  der  »Art  der  Beweisführung«  (258)  auch  durch  den  Stoff  selbst  stark  neben  Hädi's  k.  ß 
tatbit  al-imäma  ab  (vgl.  die  beiden  Dispositionen  bei  Griffini  in  RSO.  III  93  Mitte  und 
Ar.  253  Mitte).     In  diesem  letzteren  findet  sich  wieder  die  echt  zaiditische  Inkonsequenz, 
daß   man  in  der  Deduktion  stets  haarscharf  bis  an  die  Ungläubigkeitscrklärung  des  Abu 
Bekr  und  'Omar  herangerät  (besonders  254;  256),  ohne  daß  diese  in  einem  positiven  Aus- 
sagesatz ausgesprochen  wird.     Seine  mu'tazilitische  Theologie  nimmt   HädT  wie  die  Zai- 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  277 

diten  überhaupt  als  Erbgut  des  hl.  Hauses  in  Anspruch  (277  No.  i).  Merkwürdig  ist,  daß 
Abu  M-Husain  at-Tabarl  unter  den  zu  meidenden  Sektierern  auch  den  mu'tazil^ 
saidT  neben  dem  tnu'lazili  'tihnänl  nennt  (Bcrl.  3395  Fol.  29  b). 

Von  den  Gegnern  des  Hädl  dürfen  die  Qarmäten  ganz  besonderes  Interesse  bean- 
spruchen. Aber  wenn  dieser  Name  auftaucht,  geht  mit  den  meisten  Erzählern  die  Phan- 
tasie durch.  I'nd  wenn  die  den  Ereignissen  zunächstsleheiide  slra  ausdrücklich  Fälle 
bezeugt,  in  denen  sie  nicht  getötet  haben,  so  fügen  spätere  das  stereotype  »Morden  und 
Frauenschänden«  hinzu  (217  No.  7).  Und  wo  sie  vom  Wciberschlachten  zum  mindesten 
schweigt,  trägt  man  das  reichlich  nach,  der  eine  mit  der  Angabe  von  einigen  300,  der 
andere  von  4  Tausenden  umgebrachter  Frauen  (223  No.  5).  Ar.  trägt  in  Beil.  V  (S.  302 
bis  306)  das  Material  über  ihre  Ethik  und  Theologie  zusammen.  Es  ist  gestimmt  auf  den 
Vorwurf,  daß  sie  »alles  Erlaubte  verboten  und  alles  Verbotene  erlaubten«  {sira  bei  Ak.  302). 
Man  wird  die  Erinnerung  an  die  Enthüllungen  bei  Origenes  xcztct  KeXaou  oder  Mi  nu  cius 
Felix  im  Octavius(hQs.  8 — 10)  nicht  los.  Geglaubt  wird  diese  ganze  chronique  scandaleuse 
noch  heute  in  Jemen.  Gerade  die  gröbsten  Dinge,  daß  Ibn  FadI  die  Moscheen  zu  Pferde- 
ställen machte  und  seine  Leute  die  Weiber  schlachten  ließ,  damit  sie  durch  sie  nicht  vom 
Krieg  zurückgehalten  würden,  hatten  sich  dem  Gedächtnis  des  I-Cibsi  (Br.  II  502)  ein- 
geprägt; und  sie  hat  er  1293/1S76  in  den  laß^if  as-samja  niedergeschrieben  (Berl.  9746 
Fol.  3b).  Wertvoller  ist  der  Beitrag  des  Lahgi  zu  ihrer  Gotteslehi-e.  Man  erkennt 
deutlich,  daß  es  sich  um  Emanationen  handelt  (205,  besonders  Z.  4  und  5  oben,  3  unten). 
Freilich  macht  ilire  schillernde  wechselnde  Benennung:  künl  (femininum  bloß  wegen 
Rhythmuszwang.'')  (306  oben)  =  sabiq^=  'aql  (305)  ihre  Identifikation  mit  den  gnostischen 
Aeonen  noch  sehr  unsicher.  Noch  Lahgl  lagen  Qarmätenschriften  »in  sehr  großer  Zahl« 
vor  (305  p.  u.).  Die  anbä*  ao-zaman  verweisen  auf  eine  Predigt  mit  Glaubensbekenntnis 
von  Ibn  al-Fadl  (303).  Wir  können  einstweilen  nur  mit  Ar.  (306)  auf  Aufklärung 
durch  die  Mailänder  Bätinija-Werke  hoffen;  auch  die  seit  Ajilwardt  reichlich  vermehrte 
Berliner  Sammlung  von  Drusenschriften  könnte  noch  wichtige  Beiträge  liefern  zur 
Kenntnis  der  Gnosis,  der  ein  Muslim  sch(.n  deshalb  leicht  verfallen  kaim,  weil  sein  inkon- 
sequenter Prophet  den  Einen  Gott  in  vielen  Himmeln  übernahm. 

Noch  manche  Epoche  des  späteren  Zaiditentums  ist  durch  ausführliche  Quellen 
belegt;  für  einige  steht  auch  das  so  notwendige  Korrektiv  nichtzaiditischer  Werke  bereit. 
Und  über  Kay,  Yaman  hinaus  bedürfen  noch  so  viele  Abschnitte  der  Geschichte  des  mus- 
limischen Südarabiens  der  Untersuchung.  Dabei  darf  und  wird  (vgl.  226  No.  7)  die  ge- 
wissenhafte Arbeit  van  Arendonks  nicht  fehlen.  Einstweilen  werde  ihm  lebhaft  gedankt 
für  dies  Bild  des  Hädi.  Wenn  auch  an  den  Ausmalungen  der  Biographen  manche  Ab- 
striche vorzunehmen  waren,  so  blieb  er  doch  eine  kraftvolle  und  nicht  unsympathische 
Erscheinung:  ein  unermüdlicher  Krieger  und  frommer  Muslim,  ein  berechnender  Staats- 
mann nicht  ohne  das  Bewußtsein  einer  höheren  Berufung,  ein  gebildeter  Araber  mit  täti- 
gem geistigem  Interesse.  Snolck  Hurgronjk,  der  so  manchen  Aliden  von  mehr  als 
zweifelhaftem  Charakter  scharf  gezeichnet  hat,  wurde  dieses  mit  spürbar  warmherziger 
Anteilnahme  geschriebene  Werk  über  einen  Aliden  seltener  Art  als  Doktordissertation 
vorgelegt.  K.  .St rothmann. 


.\ndrae.  Tor:  Die  Person  Muhammeds  in  Lehre  und  Glauben  seiner  Gemeinde.    Stockholm 
1918.  VIU.401S.  (=  Archives  d'dtudes  orientales  publiees  par  J.  A.  Lundell.    Vol.  16). 

Die  Zeiten  liegen  hinter  uns,  in  denen  man  vom  Islam  sagte,  er  sei  im  hellen  Licht 
der  Geschichte  enstanden.    Zwar  besitzen  wir  eine  fast  unabsehbare  Fülle  von  Nachrichten 


278  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

über  das  Leben  seines  Stifters,  aber  was  von  ihnen  nach  Abzug  alles  Verdächtigen  und 
Gefälschten  übrig  bleibt,  bezieht  sich  fast  ausschließlich  auf  die  raedinische  Zeit  und  die 
politische  Betätigung  Muhammeds;  über  seine  Frühzeit,  die  eigentlich  religiös  schöpferische 
Periode,  wissen  wir  nur  sehr  wenig.  So  wenig  unsere  Quellen  uns  instand  setzen,  ein  klar- 
umrissenes  Bild  des  Propheten  zu  zeichnen,  so  sehr  sie  uns  im  Unklaren  darüber  lassen, 
worin  das  Geheimnis  seiner  Persönlichkeit  bestanden  habe,  für  ihre  außerordentliche  An- 
ziehungskraft liefert  uns  die  Bereitwilligkeit,  mit  der  so  viele  hervorragende  Männer  sich 
der  Führung  Muhammeds  unterwarfen,  das  unantastbarste  Zeugnis.  Während  die  Schilde- 
rungskunst der  Nachlebenden  die  wahre  Eigenart  seines  Wesens  nicht  festzuhalten  ver- 
mocht hat,  verlangten  die  Massen  der  neubekehrten  Gläubigen  nach  einem  Bilde  von  dem 
Stifter  ihres  Bekenntnisses,  das  die  Wirklichkeit  weit  hinter  sich  lassen  mußte.  So  begann 
denn  früh  eine  Idealgestalt  die  geschichtliche  Erscheinung  des  Propheten  zu  verdrängen, 
eine  Gestalt,  an  deren  Weiterbildung  und  Umformung  dann  viele  Generationen  und  die 
verschiedensten  Richtungen  innerhalb  der  Gemeinde  gearbeitet  haben.  Mag  diese  Ideal- 
gestalt auch  mit  der  geschichtlichen  Wirklichkeit  nur  wenig  gemein  haben,  so  ist  sie  doch 
selber  eine  Macht  geworden,  von  der  Jahrhunderte  lang  starke  religiöse  und  sittliche 
Wirkungen   ausgegangen  sind  und  heute  noch   ausgehen. 

Andrae  unternimmt  es  in  seinem  Buche  zu  zeigen,  welche  Kräfte  zusammengewirkt 
haben,  um  aus  dem  mekkanischen  Propheten,  der  nichts  zu  sein  beanspruchte,  als  der 
Übermittler  der  auf  ihn  einströmenden  himmlischen  Offenbarungen  an  seine  arabischen 
Landsleute,  den  Wundertäter,  Fürbitter,  Seelenführer  und  präexistierenden  Übermenschen 
zu  formen,  als  der  er  seit  Jahrhunderten  im  Bewußtsein  der  Gläubigen  lebt.  Der  geschicht- 
liche Muhammed  bleibt  somit  im  wesentlichen  außer  Betracht,  aber  doch  nicht  ganz,  denn 
es  gilt  zunächst  zu  zeigen,  welche  Stellung  Muhammed  selbst  seiner  Person  innerhalb  des 
von  ihm  gestifteten  Glaubens  zugewiesen  hat.  Diese  Frage  erörtert  A.  in  der  Einleitung 
(7 — 25)^  wobei  er  darauf  hinweist,  daß  der  spätere  Prophetenkult  immerhin  gewisse  Selbst- 
zeugnisse Muhammeds  wenigstens  als  Anhaltspunkte  für  seine  Zwecke  verwerten  konnte. 
Denn  mit  der  Rolle  des  bloßen  ÜlDermittlers,  dessen  Person  völlig  hinter  der  ihm  über- 
tragenen Aufgabe  zurücktritt,  begnügt  sich  Muhammed  in  seiner  medinischen  Zeit  nicht 
mehr  ganz;  seine  politisch-militärischen  Erfolge  geben  ihm  die  Gewißheit,  daß  er  in  wunder- 
barer Weise  in  Allahs  Schutz  stehe.  In  der  Forderung,  Allah  und  seinem  Gesandten  zu 
gehorchen,  bricht  sein  erhöhtes  Selbstbewußtsein  durch,  und  die  Verschmelzung,  welche 
seine  ekstatischen  Erfahrungen  mit  seinem  normalen  Seelenleben  eingehen,  führen  ihn 
schließlich  dazu,  das,  was  er  selber  wünscht,  als  Allahs  Willen  anzusehen.  Die  Sonder- 
stellung, welche  er  für  sich  in  der  Reihe  der  Gottgesandten  beansprucht,  kommt  in  seiner 
Selbstbezeichnung  als    »Siegel  der  Propheten«  zum  Ausdruck  (Sura  33*°). 

Im  ersten  Kapitel  »Die  Prophetenlegende«  (S.  26 — 91)  charakterisiert  Andrae 
zunächst  die  Tätigkeit  der  Qussäs,  der  gewerbsmäßigen  Sagenerzähler,  die  sich  früh  der 
Gestalt  Muhammeds  bemächtigten.  Spuren  ihrer  Art  finden  sich  in  der  legendarischen 
Prophetenbiographie,  die  wir  in  ihrer  ältesten  uns  erhaltenen  Form  in  dem  Werk  des 
Ibn  Ishäq  besitzen,  wenn  auch  in  ihm  die  »wissenschaftliche«  Behandlungsweise,  die 
sich  des  Isnad  bedient,  bereits  überwiegt.  Die  Qussäs  nahmen  wenig  Rücksicht  auf  die 
religiösen  Grundsätze  des  Islam  und  bedienten  sich,  ohne  an  ihrer  fremden  Herkunft  Anstoß 
zu  nehmen,  der  mythologischen  Vorstellungen,  welche  ihrem  Geschmack  oder  dem  ihrer 
Hörer  zusagten.  Als  unverdächtige  Zeugnisse  für  die  Schätzung,  in  welcher  damals  die 
Gläubigen  den  Propheten  hielten,  dürfen  also  ihre  Schilderungen  nicht  angesehen  werden; 
aber  sie  haben  ihrerseits  bei  der  Umformung  des  ursprünglichen  Glaubens  entscheidend 
mitgewirkt.  Von  den  einzelnen  Episoden  der  wunderbaren  Lebensgeschichte  Muhammeds 
nach  der  Darstellung  der  Sira  werden  von  A.  insbesondere  die  Geburlsgeschichte  behandelt 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  279 

(29—39),  die  Himmelfahrt  (39—46),  Speise-  und  Wasserwunder  (46—48),  Heilungswunder 
(48—52),  die  Herzensreinigung  (52—55)  und  die  Mondspaltung  (55—57)-  Die  Haupt- 
quelle, aus  welcher  die  Erfinder  der  Muhammedlegende  schöpften,  findet  A.  in  den  Mythen 
und  Märchen  des  hellenistischen  Kulturkreises,  die  ihnen  zumeist  durch  Vermittlung 
jüdischer  und  christlicher  Kanäle  zuflössen,  wie  sie  durch  christliche  Vermittlung  —  apo- 
krjrphe  Evangelien  und  verwandte  Schriften  —  auch  mit  buddhistischen  Elementen  be- 
kannt geworden  waren.  Aber  es  fehlt  auch  nicht  an  altarabisch-heidnischen  Einschlägen, 
als  welche  sich  vor  allem  die  Berichte  über  die  Herzensreinigung  erweisen.  Daneben  hat 
die  Sira  auf  dem  Boden  des  Islam  selber  erwachsene  Bestandteile  in  Form  von  lediglich 
aus  den  koranischen  Worten  herausgesponnenen  Erzählungen  aufgenommen,  von  denen 
die  Mondspaltung  das  berühmteste  Beispiel  ist.  Nach  einiger  Zeit  tauchen  dann  mono- 
graphische Darstellungen  der  Wundergeschichten  auf.  die  den  Titel  ■odaläil  an-nitbuwwa« 
führen  und  deren  älteste  von  ai-Gähiz  stammt;  unter  den  späteren  Werken  dieser  Art 
sind  die  wichtigsten  die  des  Baihaqi  und  des  Abu  Nu'aim,  die  beide  näher  charakte- 
risiert werden.  Im  Gegensatz  zu  diesen  Schriften,  in  welchen  der  überlieferte  Stoff  lediglich 
in  Rubriken  untergebracht  erscheint,  dient  er  in  dem  besonders  hochgehaltenen  Sifä  des 
Qäd!  'Ijäd  zum  Ausgangspunkt  für  dogmatische  Erörterungen.  Auch  die  Gestalt,  welche 
die  Muhammedlegende  in  diesen  und  ähnlichen  Werken  der  späteren  Zeit  angenommen 
hat,  wird  von  A.  eingehend  untersucht,  insbesondere  die  Geburtslegende  (61 — 68)  und 
die  Himmelfahrt  (68—85).  Von  den  Parallelen,  welche  für  die  spätere  Ausgestaltung  der 
Geburtslegende  herangezogen  werden  können,  sind  die  buddhistischen  die  bemerkens- 
wertesten und  hier  ist  auch  unmittelbare  Entlehnung  nicht  ausgeschlossen,  wobei  ^auch 
an  bildliche  Darstellungen  gedacht  werden  könnte.  Keines  der  wunderbaren  Ereignisse 
aus  dem  Leben  des  Propheten  nimmt  in  den  Erörterungen  der  Dogmatiker  einen  breiteren 
Raum  ein,  als  die  Himmelfahrt,  die  von  den  einen  realistisch,  von  den  anderen  als  Traum- 
gesicht aufgefaßt  wurde;  nicht  minder  umstritten  war  die  Frage,  ob  Muhammed  Allah 
von  Angesicht  zu  Angesicht  gesehen  habe.  Noch  bedeutsamer  ist  die  Himmelfahrt  für 
das  System  der  Sufls  geworden,  die  ihre  eigenen  ekstatischen  Erlebnisse  oft  in  den  Versionen 
der  prophetischen  Himmelfahrt  entnommenen  Ausdrücken  schildern  und  die  Erlebnisse 
des  Propheten  auf  die  Geheimnisse  ihrer  eigenen  Seele  deuten.  Auch  die  Heilwunder  des 
Propheten    sind   in   besonderen   Monographien   behandelt   worden. 

Das  zweite  Kapitel  (S.  92 — 123)  ist  dem  Wunderbegriff  der  islamischen  Theologie 
gewidmet.  Dieser  geht  aus  von  dem  Wunder,  das  allein  aus  dem  Quran  als  solches  begründet 
werden  kann,  dem  r',?«s,  der  die  Menschen  außerstande  setzt,  etwas  dem  göttlichen  Buche 
Gleiches  hervorzubringen.  Mit  dem  Problem  des  t\'ßs  befaßt  sich  der  as'aritische  Theologe 
.\bü  Bakr  al-Bäqilläni  (gest.  430)  in  einer  Monographie,  deren  Gedankengang  A. 
wiedergibt.  An  den  i'-i^äz  knüpft  auch  der  Terminus  uiu'iiiza  an  in  dem  spezifischen  Sinn, 
den  die  Theologen  mit  ihm  verbinden  und  dessen  konstituierende  Merkmale  nach  al  'Igl 
dargestellt  werden.  Auch  im  Islam  sind  die  ursprünglich  so  eifrig  als  Stützen  des  Glaubens 
:iufgegriffenen  Wunder  später  von  dem  rationellen  Denken  als  schwere  Fesseln  empfunden 
und  es  sind  verschiedene  Versuche  unternommen  worden,  sie  den  Gebildeten  annehmbar 
zu  machen.  Die  Mu'taziliten  nähern  sich  der  Lösung  Humes,  die  älteren  .\s'ariten  machen 
von  den  Wundern,  ohne  sie  zu  leugnen,  wenig  Aufhebens,  während  die  späteren  sie  mit  den 
Waffen  der   Scholastik  zu   verteidigen  suchen. 

■  Die  Lehre  von  der  Unfehlbarkeit  des  Propheten  bildet  den  Inhalt  des  dritten  Kapitels 
(S.  124 — 174).  Die  Tendenz,  Muhammed  von  sittlichen  Mängeln  reinzuwaschen,  macht 
sich  schon  in  der  Sira  bemerkbar,  ist  aber  dort  noch  nicht  stark  genug,  um  die  entgegen- 
gesetzten Nachrichten  vollends  beiseite  zu  schieben.  Am  unbequemsten  ist  ihr  die  Episode 
von  der  vorübergehenden  Anerkennung  der  drei  mekkanischen  Göttinnen  durch  den  Pro- 


28o  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

pheten,  die  man  später  durch  Unterschieben  edler  Motive  ihrer  Anstößigkeit  zu  entkleiden 
suchte,  bis  schließlich  ihre  Geschichtlichkeit  gänzlich  verworfen  wurde.  Leichtere  Ver- 
fehlungen Muhammeds  hat  dagegen  die  Orthodoxie  in  Übereinstimmung  mit  den  korani- 
schen Selbstzeugnissen  zugegeben,  während  die  Mu'taziliten,  und  ähnlich  die  späteren 
As'ariten,  ihrem  Moralismus  entsprechend  strengere  Maßstabs  an  den  Überbringer  der 
Offenbarung  anlegen.  Noch  viel  weniger  können  sich  Mystiker  aller  Richtungen  damit 
abfinden,  daß  der  Prophet  auch  nur  aus  Versäumnis  oder  Vergeßlichkeit  gesündigt  hab^; 
sie  sprechen  ihn  von  jeder  Sünde  und  jedem  Makel  frei.  Sein  Sündenbewußtsein  ist  ledighch 
der  Widerschein,  den  der  Wechsel  seiner  Erlebnisse  in  der  Welt  der  Geheimnisse,  in  seiner 
Seele  hervorruft:  ein  mystischer  Zustand  erscheint  ihm  mit  einem  folgenden  verglichen  als 
Finsternis  und  Mangel. 

.Im  vierten,  »Die  Person  des  Propheten  und  die  Sunna«  überschriebenen  Kapitel 
CS.  175 — 228)  geht  A.  davon  aus,  daß  die  Sunna  als  Schöpfung  Muhammeds  im  Bewußtsein 
der  Gläubigen  in  einer  engeren  Beziehung  zu  seiner  Person  stehe  als  der  Quran.  Liebe  zur 
Sunna  ist  Liebe  zum  Propheten  und  die  Geltung,  die  der  Traditionalismus  gewonnen  hat, 
ist  der  Verehrung  seiner  Person  sehr  förderlich  gewesen.  In  der  Nachahmung  des  Propheten 
kommt  keineswegs  nur  rituelle  Ängstlichkeit  zum  Ausdruck,  sondern  nicht  minder  der 
Eifer,  sich  durch  Anhänglichkeit  an  ihn  hervorzutun.  Vor  allem  gilt  er  auch  als  Vorbild 
für  das  ganze  Gebiet  des  sittlichen  Lebens,  wenn  auch  das  Bewußtsein,  daß  es  sich  bei 
seinen  Vorzügen  nicht  sowohl  um  selbsterworbene  Tugenden  handelt,  als  um  von  Allah 
verliehene  Gaben,  das  Streben,  es  ihm  nachzutun,  nicht  zu  seinem  vollen  Recht  kommen 
läßt;  es  tritt  zugunsten  des  Wunsches  in  den  Hintergrund  durch  Häufung  aller  Vor- 
züge auf  sein  Haupt,  seinen  Ruhm  zu  mehren.  Eine  größere  Wirkungskraft  hat  das 
Idealbild  des  Propheten  bei  den  Sufis  entfaltet,  denen  er  durch  seine  Armut  und  Demut 
durch  das  Ertragen  von  Spott  und  Verachtung,  durch  seine  Versöhnlichkeit,  Milde  und 
Barmherzigkeit,  durch  seine  tätige  Menschenliebe  den  Weg  weist,  auf  dem  sie  ihm  zu  folgen  ' 
versuchen. 

Das  fünfte  Kapitel  behandelt  unter  der  Überschrift  »Die  Person  des  Propheten  und 
die  Frömmigkeit«  (S.  229 — 289)  die  Stellung,  die  Muhammed  als  Mittler  zwischen  den 
sündigen  Menschen  und  dem  barmherzigen  Gott  einnimmt.  Anspruch  auf  die  Fürbitte  des 
Propheten  verleiht  nach  älterer  Anschauung  die  bloße  Zugehörigkeit  zu  seiner  Gemeinde; 
erst  später  kommt  der  Gedanke  zur  Geltung,  die  Verehrung  seiner  Person  sei  der  sicherste 
Weg,  seiner  Fürbitte  teilhaftig  zu  werden.  Als  dem  dem  Throne  Allahs  am  nächsten  Stehen- 
den gebührt  ihm  besondere  Ehrfurcht,  die  ja  auch  Allah  selbst  den  Gläubigen  als  ihre  Pflicht 
eingeschärft  hat;  freilich  darf  diese  Verehrung  nicht  Formen  annehmen,  welche  das  mono- 
theistische Bewußtsein  zu  trüben  drohen.  Eine  Art  kultischer  Verehrung  des  Propheten 
stellt  der  ihm  geltende  Segenspruch  dar,  der  schon  im  Quran  (Sura  3336)  geboten  wird  und 
früh  eine  feste  Stelle  im  Gebet  erhalten  hat,  aber  auch  sonst  bei  verschiedenen  Gelegenheiten 
als  besonders  verdienstlich   und  wirkungsvoll  gilt. 

Den  Gegenstand  des  sechsten  und  letzten  Kapitels  (S.  290—390)  bildet  »die  Ent- 
stehung des  Prophetenkults«.  Der  Prophet  der  orthodoxen  Auffassung,  soweit  wir  sie  bisher 
kennengelernt  haben,  bleibt  trotz  aller  ihm  zugeschriebenen  Wunder  und  seiner  Makel- 
losigkeit ein  bloßer  Mensch,  im  Gegensatz  zum  Imam  der  Schi'iten,  der  die  Zü^e  des  deio; 
ä'vof.u)7:o;  an  sich  trägt.  Hauptsächlich  durch  sufische  Vermittlung  ist  aber  dann  diese 
schiitische  Lehre  auf  den  Propheten  übertragen  worden,  was  zunächst  an  dem  Offen- 
barungsbegriff dargelegt  wird.  Das  Wissen  der  Imame  als  eine  Emanation  des  göttlichen 
Überflusses,  das  sich  auch  auf  das  Vergangene  und  das  Verborgene  erstreckt,  finden  wir 
ähnlich  in  der  sufischen  Gnosis  wieder,  wo  es  als  »Schauen«  bezeichnet  wird;  andererseits 
stimmt  nach  den  Sufis  das  offenbarte  Wissen  des  Propheten  im  wesentlichen  mit  der  Er- 


Kleine   Mitteilungen   und   Anzeigen.  28  I 

kenntnis  der  Mystiker  überein,  von  dem  es  sich  freilich  dem  Grade  nach  unterscheidet. 
'  Während  der  Wali  als  Schatten  des  Propheten  gilt,  wird  dieser  selbst  als  Schatten  Allahs 
bezeichnet  und  ist  seinem  inneren,  den  Menschen  verborgenen  Wesen  nach  wahrhaft  gött- 
lich. Auch  die  Lehre  von  der  Präexistenz  des  Propheten  hat  durch  schiitische  Einflüsse 
Eingang  in  den  orthodoxen  Islam  gefunden.  Das  vorweltliche  Wesen  Muhammeds  wird 
als  Licht  vorgestellt  und  diese  Lichtsubstanz,  die  sich  von  Adam  her  auf  ihn  weiter- 
vererbt hat,  schließt  in  seiner  geschichtlichen  Person  den  Zyklus  der  Offenbarung  (bzw. 
leitet  nach  Schiiten  und  Sufis  in  den  Imamen  und  Qutben  neue  Zyklen  ein).  Auch  der 
Logos  als  Weltschöpfer  ist,  wenn  auch  der  Prophet  selbst  nicht  als  Logos  bezeichnet  wird, 
durch  schiitische  Vermittlung  (die  Lehre  vom  tawjld)  den  Sufis  vertraut:  bei  extremen 
Mystikern,  wie  Ibn  al-'Arabl  nimmt  der  Prophet  geradezu  die  Stelle  des  die  Welt  er- 
haltenden und  durchdringenden  Logos  ein.  Und  wenn  es  auch  zu  einer  mit  der  christlichen 
Logosspekulation  vergleichbaren  Weiterbildung_  nicht  gekommen  ist,  so  gilt  doch  auch 
im  volkstümlichen  Sufismus  Muhammcd  nicht  nur  als  der  absolute  Vermittler  aller  Gottes- 
offenbarung, sondern  auch  als  der  alleinige  Vollstrecker  der  göttlichen  Allmacht,  die  Ver- 
körperung von  Gottes  Immanenz  in  der  Schcpfung.  Für  das  persönliche  Verhältnis,  in 
welchem  die  Mystiker  zum  Propheten  stehen,  ist  die  Stellung  des  nnind  zu  seinem  saifi 
maßgebend  geworden.  Der  Prophet  ist  das  Vorbild  aller  Mystiker,  ihr  unmittelbarer  und 
allgegenwärtiger  höchster  saih  und  die  sufische  Gnosis  eine  auf  ihn  zurückgehende  Geheim- 
lehre; im  Zusammenhang  damit  steht  es,  wenn  die  Visions  oder  Traumerscheinunp'  des 
Propheten  als  mystische  Weihe  aufgefaßt  wird.  Im  Gegensatz  zu  den  orthodoxen  Gläubigen 
ist  der  Sufi  nicht  damit  zufrieden,  an  die  Wahrheit  der  Offenbarung  zu  glauben  und  ihrem 
Übermittlev  seine  Ehrfurcht  zu  bezeugen;  der  Glaube  wird  zur  Liebe.  Diese  Liebe  ist 
ähnlich  wie  in  der  Schi'a  die  Treue  zu  den  Imamen,  wertvoller  als  alle  guten  Werke  und 
bringt  Vergebung  von  allen  Sünden.  Sie  durchzieht  vor  allem  die  Religion  der  Massen 
und  gibt  sich  in  der  dem  Grabe  und  den  Reh'quien  Muhammeds  bezeugten  Verehrung 
kund  sowie  in  der  Inkubation  in  der  Grabesmoschee  und  in  der  Rezitation  von  Litaneien 
und  Liedern  zu  seinem  Ruhme.  Insbesondere  sein  Geburtsfest,  der  Maulid  an-nabi,  der  im 
siebenten  Jahrhundert  als  eine  damals  eingeführte  bid'a  erwähnt  wird,  bietet  Gelegenheit, 
solche  panegyrischen  Gedichte  vorzutragen.  Auf  den  Maulid  näher  einzugehen,  versagt 
sich  Andrae  im  Hinblick  auf  die  zu  erwartende  Bearbeitung  der  von  E.  Graefe  hinter- 
lassenen  Materialien. 

Es  konnte  sich  bei  dieser  Übersicht  über  den  Inhalt  von  A.s  Buch  nur  darum  handeln, 
in  großen  Zügen  den  Gedankengang  der  einzelnen  Abschnitte  wiederzugeben;  es  war  nicht 
möghch,  die  in  seinem  Werke  aufgespeicherte  Fülle  von  Einzelerkenntnissen  auszuschöpfen 
noch  auch  die  mehr  an  der  Peripherie  seines  Themas  liegenden  Punkte  nur  zu  erwähnen, 
denen  A.  ebenfalls  seine  Aufmerksamkeit  schenkt.  Schon  die  umfassende  Behandlung 
des  eigentlichen  Themas  stellt  eine  außerordentliche  Leistung  dar,  aber  das  Buch  bietet 
noch  mehr  als  der  Titel  erwarten  läßt:  nicht  nur  darin,  daß  es,  wie  bereits  erwähnt,  auch 
den  geschichtlichen  Muhammcd  in  den  Kreis  seiner  Betrachtungen  zieht  und  wertvolle 
Beiträge  zur  Psychologie  seiner  Persönlichkeit  liefert,  sondern  auch  dadurch,  daß  es  die 
Zusammenhänge  zwischen  Schi'a  und  Sufismus  sowie  die  hellenistischen  Elemente  inner- 
halb der  islamischen  Gnosis  aufhellt  und  so  unsere  Einsicht  in  die  islamische  Entwicklung 
überhaupt,  wesentlich  vertieft.  Auch  das  sei  noch  ausdrücklich  hervorgehoben,  daß  es, 
abgesehen  von  Hadit  und  Sira,  von  der  europäischen  Forschung  nur  sehr  stiefmütterlich 
behandelte,  wenn  überhaupt  beachtete  Gebiete  der  arabischen  Literatur  sind,  die  Andrae 
für  seine  Darstellung  ausbeutet;  in  welchem  Umfang,  davon  legt  das  Verzeichnis  der  be- 
nutzten  Werke   (S.    319  ff.)   Zeugnis   ab. 

Nur  auf  ein  Gebiet  möchte  ich  zum  Schluß  noch  hinweisen,  das  bei  A.  so  gut  wie  ganz 
Islam  XI.  , 


282  Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen. 

unberücksichtigt  geblieben  ist,  die  mit  Muhammad  zeitgenössische  und  die  frühislamische 
Poesie.  Die  Auffassung  von  der  Person  des  Propheten,  welche  diese  Lieder  wiederspiegeln, 
hätte  immerhin  zur  Ergänzung  dessen,  was  Hadit  und  Sira  bieten,  herangezogen  werden 
können.  Nur  geringe  Ausbeute  liefern  freilich  die  Verse,  welche  lediglich  Muhammeds 
Freigebigkeit,  Vertragstreue  und  Tapferkeit  rühmen,  ihn  im  wesentlichen  als  typischen 
Sajjid  feiern  (siehe  z.  B.  Hudail  ed.  Kosegarten  Nr.  127  Usaid  Ibn  Abi  Ijäs;  I.  His. 
964  Mälik  Ibn  Namat).  Bemerkenswerter  ist  es  schon,  wenn  Mälik  Ibn  'Auf  (bei 
I.  His.  879)  ihm  auch  ein  Vorauswissen  der  zukünftigen  Dinge  zuschreibt,  wie  man  es 
ähnlich    auch   von    dem    Kähin    erwartete: 

wa  matä  tasa?  jubbirka  ^ammä  fl  gadi. 
Aber  mehr  in  Übereinstimmung  mit  der  Auffassung,  die  Muhammed  selber  von  seinem 
Beruf  bekundete,  befindet  sich  ein  anderer  Dichter,  Ibn  Luqaim,  wenn  er  die  Gläubigen 
auffordert  (I.   His.  ösö'S): 

wa  lä  ias'alühu  'amfa  gaibin  mnraggami. 
Wenn  endlich  al-A'sä  Muhammed  einen  »Propheten«  nennt  (I.   His.  256-),   »der  sieht 
was  Ihr  nicht  sehet«,   so  weist  er  damit  auf  die  Visionen  hin,    welche  sein  prophetisches 
Selbstbewußtsein  begründeten  und  will  vielleicht  auch  den  Unterschied  zwischen  solchen 
Visionen   und   denen   der  heidnischen    Seher  hervorheben. 

Auch  wo  ihre  Echtheit  zweifelhaft  ist  oder  sogar  ihre  Unechtheit  feststeht,  sind 
diese  Lieder  für  uns  nicht  ohne  Wert,  vor  allem,  wenn  ihre  Aufnahme  in  das  Werk  des  Ibn 
Ishäq  ihre  Herkunft  aus  dem  ersten  islamischen  Jahrhundert  oder  den  ersten  Jahrzehten 
des  zweiten  verbürgt.  Denn  auch  die  untergeschobenen  Lieder  zeigen  immerhin  gewisse  im 
Hadit  der  älteren  Zeit  nicht  ganz  in  der  gleichen  Weise  hervortretende  Nuancen.  Schon 
ScHWALLY  hatte  darauf  aufmerksam  gemacht  (s.  seine  Anmerkungen  zu  Ibn  So'd  Bd.  II 
Teil  II  S.  918),  daß  in  den  Trauerliedern  auf  Muhammed  nichts  so  häufig  begegne  wie  die 
Bezeichnung  des  Propheten  als  »Licht«,  eine  Bezeichnung,  die  der  Quran  nur  für  .Vllah 
(Sure  2455)  und  für  die  Offenbarung  (Sure  648)  verwende.  Wenn  auch,  wie  Goldziher 
hervorhebt  (ZA.  223^8),  die  in  diesen  Liedern  gebrauchten  Vergleiche  nichts  mit  der  von 
ihm  zuerst  bei  Kumait  nachgewiesenen  Lehre  von  der  Lichtsubstanz  zu  tun  haben,  so 
zeigen  doch  die  den  zeitgenössischen  Dichtern  zugeschriebenen  Verse,  wie  sehr  das  den 
Propheten  kennzeichnende  oder  als  Offenbarung  herabgekommene  Licht  die  Geister  be- 
schäftigte. 'Abdallah  Ibn  az-Ziba'rä  nennt  (I.  His.  827)  als  Kennzeichen  des  Pro- 
pheten »das  helle  Licht  und  das  Siegel«,  während  Hassan  Ibn  Täbit  {Bizäna  I  109; 
in  dem  entsprechenden  Gedicht  des  Diwan  LCIV  ed.  Hirschfeld  fehlt  der  Vers)  von  dem 
»Siegel  aus  Licht«  spricht  und  Ka'b  Ibn  Mälik  (I.  His.  6333)  das  Licht  dem  Propheten 
folgen  läßt: 

ßna^-r-rasühi  sihäbuii  [umma  jatha'-uhu  nüriin  vmdl^vn  lahu  fadlun  '^ala-s-suhuhi. 
Es  handelt  sich  hier  überall  um  dasselbe  Licht,  das  die  Asaditin  zwischen  den  Augen  von 
Muhammeds  Vater  erkannt  (I.  His.  loi,  dort  gurra)  und  das  dann  von  Muhammeds  Mutter 
ausging,  als  sie  den  Propheten  unter  dem  Herzen  trug  (I.   Hi.^.  102). 

Auch  über  die  Stellung,  welche  Muhammed  an  Allahs  Throne  einnehme,  machen 
sich  diese  Dichter  bereits  ihre  Gedanken.  So  sagt  al-'Abbäs  Ibn  Mirdäs  (s.  Garir 
Diwän  II  174): 

»Er  steht  oben  über  dem  Thron  unseres  Gottes, 
aber  der  Ort  AUähs  ist  höher  und  erhabener.« 

Und  derselbe  'Abbäs  nennt  Muhammed  (s.  Agänl,  zweite  Ausgabe  XIII  63'7)  »den  ersten 
Fürsprecher,  den  letzten  Gesandten,  der  den  Engeln  antwortet«,  wie  auch  Sawäd  Ibn 
Qärib    {Gamhara  31,  nach    Ibn   Ishäq)  ihn   anruft: 


Kleine  Mitteilungen  und  Anzeigen.  28  ^ 

wa-kun  II  safVan  jauma  lä  du  Safä^attn 
siwäka  bi-mugnin  'an  Sawädi  bni  Qäribi. 
Von  der  Fürsprache  Muhammads  spricht  auch  schon  Hassan    Ibn   Täbit   bei  I.    His. 
712^  =  Diwan  CXXXII,  während  der  Quran  sie  noch  nicht  kennt,  wie  auch  Andrae  hervor- 
hebt (S.  235). 

Manche  unter  den  Trauerliedern  auf  den  Propheten  sind  endlich  auch  darum  nicht 
ganz  ohne  Bedeutung,  weil  sie  —  wie  z.  B.  ein  dem  Hassan  zugeschriebenes  (I.  Hi  s.  1022)  — 
wohl  die  ältesten  uns  erhaltenen  Versuche  einer  zusammenfassenden  Charakterschilderung 
Muhammads  darstellen. 

Auf  Andrae's  Ausführungen  über  dieQussäs  und  die  STra  (S.  27  f.)  hoffe  ich  in  einem 
anderen  Zusammenhang  zurückzukommen.  Hier  möchte  ich  nur  noch  darauf  hinweisen, 
daß  die  bei  A.  aus  Ibn  Sa'd  belegte  Legende  von  dem  zum  Schlachten  bestimmten  und 
vom  Propheten  vom  Tode  erretteten  Kamel  (S.  51)  jüdischer  Herkunft  ist  (s.  Horovitz, 
Spuren  griechischer  Mimen  86);  daß  Gleiches  von  der  Erzählung  von  Muhammeds  Gebet 
um  Regen  gilt  (S.  52),  welche  auf  die  Ta'-anit  19  a  überlieferte  Legende  von  Höni  ham- 
me'aggel  (s.  auch  Josephus,  Aniiquitates  XIV  2,  i)  zurückgeht,  und  daß  die  Ängstlichkeit 
vor  dem  Töten  lebender  Wesen  (S.  50)  bei  den  Jainas  noch  weiter  geht  als  bei  den  Bud- 
dhisten; namenthch  die  von  A.  aus  a8-Sa*ränT  zitierten  Legenden  könnten  jainistischer 
Herkunft  sein.  Josef   Horovitz. 


Arabische  Traditionssammlungen. 

3.  Mitteilung. 

1.  Seit  der  zweiten  Mitteilung  {Der  Islam  IX,  S.  119)  haben  folgende  Herren  sich 
zur  Mitarbeit  bereit  erklärt:  Dr.  C.  van  Arendonk  (Leiden);  Rev.  R.  Bell  (Beattock, 
Schottland);  Rev.  J.  Robertson  Buchanan  (Culross,  Schottland);  A.  Fück  (Frank- 
furt a.  M.);  W.  Heffeninc,  (Frankfurt  a.  M.);  Rev.  Brockwell  King  (Toronto);  F. 
Krenkow  (Quorn,  England);  Prof.  Laughlin  (Toronto);  Prof.  Dr.  A.  Schaade  (Ham- 
burg); Dr.  A.  SiDDiQi  (Aligarh,  Britisch-Indien);  F.  Taoutel  (Paray-le-Monial,  Frankreich); 
T.  H.  Weir  (Glasgow).  Trotz  dieses  dankenswerten  Zuwachses  der  Mitarbeiteranzahl 
bleiben   neue    Kräfte   sehr   erwünscht. 

2.  Vom  Text  des  Bukhäri  sind  große  Teile  bereits  behandelt  worden;  nahezu 
alle  Kapitel  sind  jetzt  in  Bearbeitung.  Von  den  anderen  Sammlungen  sind  einzelne  Partien 
fertig  gemacht  worden. 

3.  Es  hat  sich  herausgestellt,  daß  der  Text  des  Dar  im!  in  wenigstens  einer  orien- 
talischen Edition  existiert,  welche  den  Ausgaben,  in  welchen  die  anderen  Autoren  be- 
arbeitet werden  sollen,  nicht  nachsteht.  Es  schien  somit  Herrn  Professor  Snouck  Hurgronjk, 
auch  wegen  der  hohen  Druckkosten,  besser  von  einer  Neuausgabe  abzustehen. 

Was  eine  eventuelle  Edition  des  Ibn  Mädja  anbelangt,  muß  ein  abschließendes 
Urteil  noch   zurückgehalten  werden. 

Leiden,  August   1920.  A.  J.    Wensinck. 


s.M( 


AUTORENVERZEICHNIS. 

Die  kursiven  Zahlen  bedeuten,  daß  der  betreftende  Autor  an  dieser  Stelle  als  Mitarbeiter 

erscheint. 

Andrae  277 — 383.  [Herzfeld  707-/77.  Sarre  266  f. 

Arendonk   270—277.  ^  Horovitz  264/.,  jjy — 2,Ss.       Schwally   264  f. 

Siddiqi  267  —  270. 
Babinger  i-ioö.  Jacob  --jy— ^y,  2^^-264.    gtrothmann  270-277. 

Goldziher  7 7J—/<yo,  ^j^  bis    Mittwoch   266  f, 
2J4- 


Hauser  3is — 2ji. 
Heepe  aöjf. 


Nöldeke  267 — ■>7o. 
Ritter  iSj — 212. 


Tacschner  266  t. 

Wensinck   »A'j». 
Wiedemann  21J — 2^1. 


PLEASE  DO  NOT  REMOVE 
CARDS  OR  SLIPS  FROM  THIS  POCKET 


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