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DER ISLAM
ZEITSCHRIFT
FÜR GESCHICHTE UND KULTUR
DES ISLAMISCHEN ORIENTS
HERAUSGEGEBEN VON
C. H. BECKER m BERLIN
UND
H. RITTER IN HAMBURG
MIT UNTERSTÜTZUNG DER
HAMBURGISCHEN WISSEN-
SCHAFTLICHEN STIFTUNG
<$>
ZEHNTER BAND
MIT 1 KARTE UND 1 LICHTDRUCK-BEILAGE
BERLIN W. 10 UND LEIPZIG 1920
VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER VERLEGER ^
WALTER DE GRUYTER & Co. %0
VORMALS G.J.GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG -j. GUTTENTAG VERLAGS- Ä
BUCHHANDLUNG - GEORG REIMER - KARL J. TRUBNER - VEIT & COMP.^V^
HAMBURG: C. BOYSEN
I
t -'■
Inhalt des zehnten Bandes.
I. Aufsätze und Berichte:
Seite
Bhass, A., Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto i
Clemen, C, Der ursprüngliche Sinn des /lagg i6i
Hf.ss, J. J., Die Farbbezeichnungen bei innerarabischen Beduinenstämmen 74
Littmann, E., Arabische Straßenausrufe t 78
Ritter, H., Mesopotamische Studien. II. Vierzig arabische Volkslieder 120
RusKA, J., Arabische Texte ül>er das Fingerrechnen 87
II. Kleine Mitteilungen und Anzeigen:
Babinger, f., Die älteste türkische Urkunde des deutsch-osmanischen Staatsverkehrs.
(Mit einer Lichtdruck-Beilage.) . . . : 134
Becker, C. H., Martin Hartmann 228
— — Joseph von Karabacek 233
Jensen, H., Ungarische Urkunden aus der Türkenzeit 146
Kahle, P., Friedrich Schwally 238
MoRDTMANN, J. H., Babinger, F., Stambuler Buchwesen im 18. Jahrliundert 157
Ritter, H., Zu S. 156 243
— — Zum arabischen Fingerrechnen 154
— — Zur Futuwvva 244
Schwarz, P., Die Steuerleistung Persiens unter der Herrschaft der Araber 150
Seybold, C. f., Notiz über den türkischen Kalender der Heilbronner Gymnasial-
bibliothek 157
Z^iNKA, F.. Zu »Großwardein eine selbständige türkische Provinz« 243
III. Autorenverzeichnis. 250
t)
Eine neue Quelle
zur Geschichte des Fulreiches Sokoto.
Von
A. Brass.
Mit einer Karte.
Einleitun g.
Zu Beginn des XIX. Jahrhunderts entstand im Norden der sich
um den mittleren und unteren Niger gruppierenden Staaten der
Hausa, im Königreiche Göbir, eine von einem Fulscheich 'Utmän
Da-n-Fodio^) ausgehende, zunächst rein lokale Bewegung vorzugs-
weise religiösen Charakters, die dann aber unter den im ganzen
Westsudan zerstreuten Ful mit großer Schnelligkeit sich aus-
breitend, in kurzer Zeit zu einem Rassenkampfe dieser gegen ihre
bisherigen Herren anschwoll und allenthalben eine vollständige Um-
wandlung der bestehenden Verhältnisse zur Folge hatte. Das be-
deutendste der auf den Trümmern der alten Staaten entstandenen
Fulreiche ist das sich um den Ausgangspunkt der ganzen Be-
wegung kristallisierende Reich Sokoto, das nach und nach die sämt-
lichen Hausastaaten in sich aufsog. Diese, durch jahrhundertelange
Fehden untereinander auf das äußerste geschwächt, vermochten
dem Anstürme des kräftigen Hirtenvolkes nicht zu widerstehen, und
nur da, wo bereits starke, auf nationaler Basis geeinigte Reiche be-
standen, ist die gewaltige Welle der Fulflut zum Stillstand ge-
kommen. Die politische Einigung der Hausastaaten unter der Herr-
schaft Sokotos hat zugleich auch deren religiöse Einigung zur Folge
gehabt. Denn obwohl der Islam schon um die Mitte des 1 5. Jahr-
') Wegen der Schwierigkeiten, die einer konsequenten Durchführung der phone-
tischen Transkription entgegenstehen, hahe ich mich auf Rat von Prof. Rittek dazu
entschlossen, bei allen arabischen Namen einfach das arabische Schriftbild wieder-
zugeben. Bei den den einheimischen Sprachen entstammenden Worten habe ich die Form
gewählt, die wir nach dem heutigen Stande unserer Kenntnis als die gebräuchlichste
annehmen können. 'Utmän wird im Sudan meist üsmän gesprochen.
Islam X. I
2 A. Bras s,
Hunderts seinen Gang in die Hausastaaten gefunden i), und diese
sich allmählich fast sämtlich zu ihm bekehrt hatten, waren doch im
Laufe der Jahrhunderte eine große Anzahl derselben zum Heiden-
tume zurückgekehrt oder beobachteten wenigstens die Vorschriften des
Islams nur sehr lax. Die Eroberung der Hausareiche durch die Ful,
die den Hausa gegenüber als die Vorkämpfer des Islams auftraten,
bedeutete auch eine erneute zwangsweise Bekehrung dieser zum Islam.
Die ernsten religiösen Tendenzen des Urhebers der Bewegung haben
sich in überraschender Weise mit den Befreiungsbestrebungen und
Herrschaftsgelüsten der in allen Hausastaaten zerstreuten Ful, die den
Fürsten dieser Staaten zu Tribut verpflichtet waren, verbunden, und
diese haben dann das religiöse Motiv als einen bequemen Deckmantel
für ihre politischen Zwecke benutzt, um dadurch ihren vielfachen Raub-
und Plünderungszügen den Anschein der moralischen Berechtigung
zu geben.
Die Quellen zur Geschichte der Ful und Hausa teilen sich in
zwei Hauptgruppen, in literarische und in mündliche Volksüberlieferung.
Bei beiden Gruppen ist ferner prinzipiell zu unterscheiden, ob die
Berichte auf Ful oder aber auf ihre Gegner, also z. B. auf Hausa
oder Kanuri, zurückgehen.
Die erste Gruppe der literarischen Quellen, die zur Er-
forschung der Geschichte der Ful und Hausa dienen, bilden die
arabischen. Unter ihnen sind zunächst die von O. Houdas unter
Mitarbeit von E. Benoist und M. Delafosse in den Publications
de Ve'cole des Langlies Orientales Vivantes herausgegebenen Dociirnents
arabes relatifs a Vhistoire du Soiidan zu nennen. Von den drei bis-
her erschienenen Werken bietet das erste, der Tarikk es-Soudan des
Abderrahman ben Abdallah ben 'Imran ben 'Amir es Sa'di^),
eine um 1656 geschriebene Chronik des Reiches Songhai mit gelegent-
licher Behandlung des Reiches Malli und der Nachbarreiche bis 1655,
nur sehr wenige spärliche Notizen über die Hausastaaten, von denen
nur Kebbi etwas genauer behandelt wird. Ebenso finden sich auch in
der zweiten Publikation Houdas', dem ledzkiret en-nisiän fi aklibär
inolouk es-Soiidän ■), verfaßt im Jahre 1 75 1, einer Biographie aller Paschas
') Vgl. MiscHLicH, Beiträge zur Geschichte der Hausastaaten, MSOS VI. 3.
Pg. 137-
i) Publ. d. ricole d. Lang. Orient. Viv.. Serie IV, vol. XII & XIII. Paris 1898
& 1900.
3) Puhl. d. rccole d. Lang. Orient. Viv., Serie IV, Vol. XIX & XX, Paris 1899
& 1901. Statt nisj'än besser nasjän zu lesen, vgl. die Besprechung MSOS. III, 3,
pg. 2H.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. -y
von Timbuktu von 1590 — 17 50, nur sehr vereinzelte Hinweise, die
sich auf die Hausa- und Fulgeschichte beziehen. Diesem Werk
ist aber ein kurzes, 30 Seiten umfassendes Fragment angehängt, das
die Geschichte des Fulreiches Sokoto von 18 17— 1849 behandelt,
la^rih Sokoto, geschrieben von Hägg Sa'Td. Es registriert in
trockener Darstellung die Ereignisse unter den Herrschern Muham-
mad Bello, *Atiq und *Ali '). Dem dritten Werke der von
HouDAS herausgegebenen Doamtents, dem Tarikh el-fettach fi akhbdr
el-bouldän oual-djuyoüch oua-akäbir en-näs parMahmoüd Kati ben
El-Hädj El-Motaouakkel Käti et Fun de ses petits fils -) sind
ebenfalls nur sehr wenige historische Bemerkungen über die Ful und
Hausa zu entnehmen.
Nicht viel günstiger steht es mit einer weiteren arabischen
Quelle zur Geschichte Afrikas, mit Leo A f r i c a n u s. Zwar wid-
met er im VII. Buche seiner Descrittione mehrere Kapitel den Hausa-
staaten 3), indessen läßt sich aus denselben nicht viel Wichtiges
schöpfen.
Alle diese genannten Werke behandeln indessen, wie aus Obigem
ersichtlich, mit Ausnahme des Ta^rih Sokoto, die Geschichte der
Hausa und Ful nur bis zum Jahre 1750, dem Endpunkte der
Tedkiret en-nesjän. Da der Tä'rlh Sokoto erst im Jahre 18 17 ein-
setzt, so klafft also in der schriftlichen Überlieferung eine Lücke
von 6^ Jahren, was um so bedauerlicher ist, als eben in diese Zeit
das wichtigste Ereignis der gesamten neueren Geschichte des West-
sudans, die Ful-Erhebung, fällt.
Für diese Zeit waren wir bisher fast gänzlich auf die münd-
liche Überlieferung angewiesen, die uns die Berichte der europäischen
Reisenden übermitteln. Notwendigerweise mußten diese indessen
eine Menge Ungenauigkeiten und legendarisches Material enthalten,
da sie auf Erkundigungen fußten, die mehrere Jahrzehnte nach den
betreffenden Ereignissen eingezogen worden sind.
Ein Mittelglied zwischen den literarischen Quellen und den aus
dem Munde der Leute stammenden Angaben bilden die im Jahre
1903 von A. MiscHLiCH herausgegebenen Hausachroniken4)
(im folgenden mit HChr. I und II bezeichnet) die mit einer aus-
führUchen Einleitung von J. Lippert versehen sind, die auch das
Material bis 1903 in vorzüglicher Weise verarbeitet. Den Hausa-
') Die Hausa-Form lautet Atiqu und Allu.
*) Publ. d. l'ccole d. Lang. Orient. Viv., Serie V, Vol. IX & X, Paris 1913.
3J Ausgabe von 1613, pg. 79 ff.
4) MSOS VI, 3, 1903.
A A. Brass ,
Chroniken beigegeben ist eine kurze, nach hausanischen Schrilt-
stücken mitgeteilte Chronik Bautschi's, Nupe's und Joruba's. Die
erste dieser Chroniken behandelt allerdings nur die geschichtliche
Entwicklung des Islams in den Hausastaaten, obgleich sie auch viele
wichtige historische Notizen enthält. HChr. II umfaßt die Geschichte
der Gründung des Reiches Sokoto sowie eine Tabelle der Regierungs-
dauer der späteren Sultane. Die Ereignisse sind besonders in dieser
letzteren Chronik ganz vom Hausa-Standpunkt aus dargestellt. Wie
sehr derselbe vom Ful-Standpunkt abweicht, wird sich im Folgenden
deutlich zeigen. Beide Hausachroniken sind ganz modernen Datums,
sie sind erst in August 1901 geschrieben. Ebenso neuesten Datums
sind die Hausatexte, die A. Mischlich unter dem Titel: -^Über
Sitten und Gebräuche in Hausa«. herausgegeben hat i), die indessen
noch nicht abgeschlossen sind. Diese Texte beziehen sich zwar nicht
direkt auf die politische Geschichte der Hausastaaten oder Sokotos,
sind aber für die Beurteilung der Zustände in den Hausastaaten zur
Zeit der Entstehung des Reiches Sokoto von größter Bedeutung und
enthalten außerdem eine Fülle von wichtigem historisch-geographischen
Material, wenngleich auch stellenweise sehr schwer zu unterschei-
den ist, ob sich die betreffenden Angaben auf die Verhältnisse vor
oder nach Gründung des Reiches Sokoto beziehen.
Diesen allgemeinen Werken wären dann noch zwei Schriften
anzuschließen, die sich ausschließlich mit der Lokalgeschichte von
Kano beschäftigen. Es sind dies :
1) Eine von O. Houdas unter dem Titel: Protestations des ha-
bitants de Kano conire les attaques du Sultan Mohamvied-Bello roi du
Sokoto in der Festschrift für F. Codf.ra, Zaragossa 1904 herausge-
gebene Schrift Muhammad al-Amin b. Muhammad al-Käne-
mi's, die gegen die unter dem Vorwande, die Eingeborenen be-
obachteten die Vorschriften des Islams nicht in der gehörigen W^eise,
sich fortwährend wiederholenden Raubzüge der Ful protestiert.
2) Die von H. R. Palmer im Joum. Anthr. Inst. XXXVIII., 58 ff.,
in der Übersetzung herausgegebene .^Kano Chronich'. (KChr.), die
zwar neueren Datums ist, sich aber offenbar auf alte Quellen stützt.
Sie behandelt die Geschichte von 48 Kanosultanen von Anbeginn
bis 1892 und bietet auch für die Geschichte der angrenzenden
Länder eine große Menge wertvoller Notizen. Der Titel des Werkes
lautet: _j>L:=> ,c-*--^-' ^^^^ 5J^ V^^' '^;^'
3) Zu diesen beiden Schriften kommt noch eine Spezialquelle
') MSOS X, 3, 1907 und XI, 3, 1908.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. c
über Zaria, die von Robinson in den Specintens of Hausalitcratiire
(Cambridge 1896), S. iÖ2ff. herausgegebene »History of Zaria«. (ZChr.),
die die Geschichte dieses Landes von seiner Eroberung durch die
Ful bis etwa 1890 umfaßt. Es ist ein in Hausa geschriebener
Auszug aus einer längeren Geschichte Zarias, der in kurzen Sätzen
die hauptsächlichen Ereignisse registriert.
Es fehlte also bisher eine zeitgenössische detaillierte Darstellung
der Gründung und ersten Entwicklung des Reiches Sokoto sowie
deren Vorgeschichte von autoritativer Seite vollständig. Eine solche
liegt nunmehr in einer Schrift des Bruders 'Abdallah^) des Reichs-
gi'ünders *Utmän vor, mit dem Titel: lazjin al-ivaraqät bigam'-
ba''d mä ll min al-abjäf^), Die ScJiniückung der Blätter durch die Samni-
lung einisrer meifier Verse. Von ihr soll in dieser Arbeit ausführlich
gehandelt werden.
Von den literarischen Arbeiten der *Utmäniden von Sokoto be-
sitzen wir leider nur recht wenige. Der Gründer der Dynastie,
'Utmän Da-n-Fodio, ist ein literarisch sehr tätiger Mann gewesen.
Von seinen größeren arabischen Schriften ist indessen nur eine ein-
zige bekannt, der Nur a/-a/bäb3), eine religiöse Streit- und Ermah-
nungsschrift, die sich gegen die religiösen und sozialen Mißbräuche
unter den Ful und Hausa wendet. Sie gewährt uns einen tiefen Ein-
blick in die Gedankenwelt des großen Reformators und ist für seine
Beurteilung von großer Wichtigkeit. Weiterhin sind von 'Utmän
bekannt:
1. Der Anfang einer arabischen Oaside über das Lob des Pro-
pheten«, den uns der Tasjm al-waraqät (s. u.) übermittelt: (M 2 r. 7,
F 2r. 3):
»Darf ich wohl reisen nach der Stadt des Propheten eilenden
Fußes, zu besuchen das Grab des Häschimiten Muhammad.''« Sie wurde
von seinem Bruder 'Abdallah in Tahmise gesetzt. S. u. S. 13, ß, I, i.
2. Ein Ful-Gedicht, beginnend: Alläho läniido dum essaläto biirdo
fjikka (Gott, der Herr, er übertrifft alles an Vorzüglichkeit), das uns
bei Barth, R. 81 B. IV, S. 544ff. erhalten ist.
3. Ein Hausa-Lied, beginnend: Mti godi jalla sarki maiiyawa
ta^ala jalla maiiyawa da koiva (We thank the glorious King, the
') Die im Sudan meist angewandte Aussprache dieses Namens lautet Abdullähi
bzw. Audullähi.
^) Künftig mit TW bezeichnet.
3) Nour-El-Eulbab. (Liimiere des cosurs) de Cheikh Otmane dan Foudiou
empereur du Sokoto (Soudan). Traduit par Ismael Harnet, Alger 1898.
g A. Brass,
migthy One, exalted, glonous and all powerful), das sich bei Robinson,
Specimens of Hansa Literatlire unter No. F findet und 256 Lang-
zeilen zählt.
4. Ein Hausa-Lied, beginnend: Mu godi nbangiji sarki sarota da
ya aiko imihamadu dan amina (We thank the Lord, the ruler of the
kinedom, who has sent Mohammed, son of Amina), das in dem
unter 3 erwähnten Buche Robin son 's unter No. E wiedergegeben
wird. Es zählt 52 Langzeilen.
5. Der Anfang einer Hausa-OasTde : En mai-niagbatchi kao touwo
wa djawa labana, der sich im Tedzkiret e?i-nisiä?i (Ta^rih SokotoJ
pg. 200, Z. 15 V. u., Traduction S. 325, findet.
6. Einige Zeilen eines Hausa-Gedichtes, die sich in einem Briefe
G. A. Krause's an R. Prietze finden^).
Von den übrigen Werken 'Utmäns kennen wir nunmehr aus
der unten behandelten Schrift auch seine Qaside Al-Qädirija, freilich
nur in der arabischen Übersetzung. Ob das Original derselben in
Hausa oder Ful geschrieben, ist unbekannt.
Sonst ist uns von 'Utmäns literarischen Arbeiten nichts
erhalten.
Von dem zweiten 'Utmäniden, von Muhammad Bello, besitzen
wir nur 2 Schriften. Es sind dies 2') i) Miftäh as-sadäd /T agsäm
ahl hädihi l-biläd. 2) Usül al-sijäsa zua-kaifljat al-nnüilis mm
umür ar-rijäsa. Beide Werke befinden sich im Seminar für Geschichte
und Kultur des Orients in Hamburg, harren indessen noch der Bear-
beitung. Auch sonst ist Muhammad Bello literarisch sehr tätig gewesen.
Das bezeugt der Ta^rih Sokoto, der über ihn folgendes sagt: 3) .^J^
LäaJLj l^ ^jüI
..Er beschäftigte sich viel mit dem Abfassen von Schriften.
Jedesmal, wenn er eine Schrift verfaßt hatte, gab er sie den Leuten
heraus und ließ sie sie lesen. Dann beschäftigte er sich wieder mit
der Abfassung einer andern. Den Grund zu seinen vielen Schriften
gaben Fragen und Streitigkeiten. Wenn er über eine Frage befragt
wurde, so verfaßte er darüber eine Schrift, und wenn es ihm zu Ohren
») R. Prietze, Hausasänger, Göttingen 1916, S. 9.
2) Becker, Islam III, S. 261 und 300.
3) Ta^rth Sokoto, pg. Ilv, 3.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. 7
kam, daß der und jener sich über eine Frage strittig waren, so
schrieb er darüber eine Schrift.«
Nur dem Namen nach sind uns von Muhammad Beilos
Werken bekannt:
1. Eine historische Schrift, betitelt: iroij -5 .^^v^a^J! vLaJ'^^
.^jCäJI O^L {-»Das erleichterte Ausgeben über die Geschichte des Landes
Tekrtir«)'^). Von ihr besitzen wir nur die Übersetzung eines Aus-
zuges, die A. V. Salame in Denham-Clappertqn's Narrative of tra-
vels and discoveries in Northern and Central-Africa, London 1826,
Anhang, pg. 166, gibt.
2. Tahmise über die Hamzija des Büsirl, über die QasTde
Bänat Su'^äd, über die Burda des BüsTrI und über die Gedichte
'Utmän Da-n-Fodio's -).
Von einem Sohne Muhammad Bellos, Zaid Da-n-Bello,
nennt O. Lenz ein weiter nicht bekanntes Werk grammatikalischen
Inhalts: Nahaji Fulfuldei).
Mit der Auffindung des Tazjln al-waraqät sind wir nunmehr in
den Besitz einer Schrift eines vierten Fulfürsten aus dem Hause
*Utmän, und zwar der bisher einzigen historischen, gelangt.
Der Tazjvi al-waraqät ist eine von dem Bruder des großen Re-
formators und Gründers des Reiches Sokoto, von 'Abdallah b. Mu-
hammad b. 'Utmän at-Türudi4) geschriebene durchlaufende
Geschichte der Reichsgründung nebst deren Vorgeschichte im
Anschluß an von ihm gedichteten Qasiden, zu denen meist auch
ein Kommentar gegeben wird. Die erste dieser Qasiden ist am
23. Sawwäl 1198/ 10. September 1784 gedichtet 5). Der Verfasser stand
') Der Titel wird von Barth, R.&lE.IN, pg. 188, folgendermaßen angegeben:
Jnfdk d-mi-ssüri fi fat-hä el Tekrüri. Da indessen die Angabe des Titels bei Dela-
FOSSE, Tradttions miisulmanes rdatifs a l'origme des Penis, RMM. XX, No. V, S. 259,
Anm. 2, von Muhammad Belle selbst stammt, ist diese Fassung desselben als die
richtige anzunehmen.
*) Td'rJh Sokoto, pg. II., 21.
3) Lenz, II, S. 260, lies Nahau Fulfulde ( Ful- Grammatik) .
" ' '..
4) TurudI (^^O.j.j) ist die arabisierte Form von Töro^do 1^. ^j), pl. Töro'de
( ^yy'S), dessen Bedeutung nach Gaden {Le Poiilar I, pg. 52) »ceux qui fönt
la quete ensemble, c'est le nom de la classe maraboutique du Fouta« ist. Barth
beschreibt sie als »von hoher Statur und starkem Gliederbau, gro(3en Zügen und ganz
schwarzer Hautfarbe« im Gegensatze zu den Ful, die sich durch »gelb-rötliche oder
kupfrige Hautfarbe, kleine Züge, kleine Extremitäten und einen schmächtigen, mittel-
großen Körperbau auszeichnen« (/i.&£. IV., pg. 147). Die Töro'be bilden die Aristo-
kratie unter den Ful.
5) S. unten S. 17,14.
8 A. Brass,
seinem Bruder von dessen erstem Auftreten an stets als Freund und
Helfer treu zur Seite. Er begleitete ihn überall hin und genoß, wie
z. B. seine Rolle bei der Audienz beim König von Göbir beweist i),
dessen vollstes Vertrauen. 'Abdallah, I2 Jahre jünger als
'Utmän-), war mit dem Gesetze und der Theologie des Islams
auf das genaueste vertraut. Nach der Ful-Erhebung übernimmt er
im Kampfe gegen die Hausafürsten zu wiederholten Malen sehr
wichtige Kommandos, wie er es auch war, der in der ersten
Befreiungsschlacht am Teiche Koto bei Qurdam den Oberbefehl
führte 3). Ja, man kann ^Abdallah geradezu als den Feldherrn
'Utmäns bezeichnen, da er bis in die letzten Jahre der Regierung
'Utmäns in fast sämtlichen Schlachten, die im Westen geschlagen
werden, Kommandierender der Ful-Streitkräfte ist. Beim Tode
'Utmäns, vielleicht aber schon vorher-*), erhält * Abdallah den
westlichen Teil des Reiches Sokoto als ein selbständiges Reich, das
aber unter die Souveränität des Kaisers von Sokoto gestellt wird.
Hier gründet 'Abdallah dann eine eigene Dynastie in Gando. 'Ab-
dallah ist 1829 in Gando gestorben, nachdem er noch durch zahl-
reiche Feldzüge nach Nupe, Ilorin, Joruba und andern angrenzenden
Ländern sein Reich bedeutend vergrößert hatte.
Von 'Abdallahs literarischen Erzeugnissen war bisher nur
ein Werk dem Namen nach bekannt, das in dem von Delafosse
in der RMM. XX unter Nr. V (S. 258) gegebenen Auszuge aus einem
Werke Muhammad Beilos genannt wird. Dies Werk führt dort
den Titel: clJob 'i>^j^jji\ ^_^^•, X-iyi^l^ ^,jjC^il ^5 'i^j^^ ^IxS
j,j.^^\ ^ ^i.^ oÄ:^! ^fi ^j..^\S). Es ist mit Delafosse anzu-
nehmen, daß der Verfasser des Kitäb al-baraka ein väterlicher Oheim
Muhammad Bellos war. Vergleicht man nun die von Muham-
mad Bello zitierten Bruchstücke aus diesem Werke mit der von
'Abdallah im Tw. gegebenen Ursprungslegende der FuH), so
') Vgl. unten S. 29,90-.
») Vgl. die Angabe der HChr. S. 232, i, 237, 23 mit der Angabe des Alters-
unterschiedes zwischen 'Utmän und 'Abdallah, Tw. (M 2 r. 21) jt->^ '-*-V^ '^'
w^xLc .Xw.c ..Ail »denn zwischen uns sind etwa 12 Jahre«.
3) S. u. S. 37.
<) Vgl, hierzu unten S. 58.
5) Sowohl der Titel wie die Übersetzung: »/« bencdiciion dans le repos et Vaction,
qui est la chose prescrite pour l'explication des ecrits que Ton a ctttdies aupres des
pr-ofesseurs«. erscheinen revisionsbedürftig. Aber auch mit der »Anvertrauung der Ab-
schriften an die Scheichs, von denen ich (Traditionen oder Lehre) übernommen habe«,
ist nichts Rechtes anzufangen.
<) Vgl. unten S. 10 u. 14,8- Siehe auch den Stammbaum, Anhang II.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. q
erscheint es klar, daß beide von ein und demselben Verfasser stammen,
d. h. daß das Kitäb al-baraka von 'Abdallah geschrieben ist.
Von sonstigen Werken 'Abdallahs nennt der TW. (M 2i r. 5,
F 26 r. 12) noch die Schrift Dijä" al-hukkävi (Licht der Fürsten), über
deren Inhalt aber nichts bekannt ist. Sie ist im Jahre 1807 auf der
Reise für die Bewohner von Kano geschrieben.
Vom Tayln al-waraqät liegen zwei Handschriften vor. Die
eine, im folgenden mit M bezeichnet, wurde von G. A. Krause
in Nordafrika erworben und ist Eigentum von Herrn Geheimrat
Meier in Leipzig, die andere, mit F bezeichnet, gehört der
Expedition Fkobenius. Beide Handschriften waren leihweise Herrn
Prof. C. H. Becker zur Bearbeitung überlassen. Ihm verdanke ich
die Anregung zu dieser Arbeit. In seinem wie im eigenen Namen
sage ich den Besitzern aufrichtigen Dank für die Überlassung dieses
wertvollen Materials.
I. Handschrift M. 26 Blatt, 8°, 20 — 22 Zeilen, 23 x 16,5.
Zustand: Gut, stellenweise Flecken, die den Text aber nicht be
einflussen. Papier: Braungelblich, stark, rauh, europäisches Fabrikat.
Die Handschrift ist im sudanisch-magrebinischen Duktus mit brauner
Tinte geschrieben. Die Eigennamen von Personen und Orten sind mit
roter Tinte eingetragen. Am Rande befinden sich zahlreiche Noten,
die von späterer Hand hineingeschrieben sind. Sie sind zum Teil
arabisch, zum anderen Teile Ful. Vokale sind nur in den Ge-
dichten und bei den Eigennamen ziemlich regelmäßig gesetzt, sonst
fehlen sie. Sie sind indessen außerordentlich unzuverlässig und daher
vielfach ganz unbrauchbar. Sonst ist die Schrift groß und deutlich.
Der Schreiber nennt sich Muhammad ohne weiteren Beinamen,
als Ort der Abschrift nennt er (^i^iu^), als Datum den 10. Mohar-
ram, indessen ohne Jahr. Da das Werk am 15. Oktober 1813 voll-
endet ist, so ist hiermit ein terminus post quem gegeben. Auf
Blatt 26 V. befindet sich eine Zusammenstellung der Kombinationen
des Darb er-raml nebst ihren Namen mit Erklärungen von anderer
Hand.
IL Handschrift F. 32 Blatt, 8°, 15 — 16 Zeilen, 21 x 16,5.
Zustand: Gut, sauber. Papier: Weiß-gelblich, glatt, stark,
Blatt 3 und 4 liniiertes englisches Kanzleipapier mit englischer Wap-
penprägung. Die Handschrift ist ebenfalls im sudanisch-magribi-
nischen Duktus mit schwarzer Tinte, groß und deutlich, indessen
viel flüchtiger als Handschrift M geschrieben. Orts- und Eigen-
») Ortschaft in Dendina (Barth, R. & E. IV, 554).
10 A. Bras s,
namen sind rot eingetragen. Vokale fehlen durchgehends, auch in
den Gedichten. Nur die Eigennamen sind ziemlich regelmäßig vo-
kalisiert. Die Vokalisierung ist auch in dieser Handschrift sehr un-
zuverlässig. Am Rande befinden sich spärliche Noten von anderer
Hand. Der Abschreiber heißt Blatt 32 v. : Muhammad b. *Umar,
Zeit und Ort der Abschrift ist nicht angegeben.
Die Handschrift stammt aus Westafrika.
Die Schrift Tazjm al-waraqät war schon Barth bekannt, der
sie im April 1853 bei seinem ersten Aufenthalte in Wurno gelesen
hat. Er nennt sie »Tesen el-Aürekät« und sagt von ihr, sie ent-
halte außer viel theologischem Stoff einige wichtige historische Daten").
Demgegenüber ist zu bemerken, daß der theologische Stoff im Tw.
nur eine nebensächliche Rolle spielt, vielleicht eine für die Erfor-
schung des afrikanischen Islams leider nur allzu nebensächliche,
daß dagegen der historische Bericht des Werkes unbedingt die wich-
tigste Stelle einnimmt.
Später hat der Dolmetscher Mizon's den Tw. gelesen^). Auf
seine Angabe aufbauend macht Ismael Hamet im Nur al-albäb
folgende Bemerkungen über den Tw. 3): »Abdullahi Ibn-Foudi-
ou, frere de l'auteur du Nour-el-Eulbab, a compose plusieurs ou-
vrages dont Tun, intitule Tez'ien el-Ouerkat (L'Embellissement des
Feuillets), serait l'histoire des Foulane ou Foulbe depuis l'invasion
d'Okba ben Nafy, dans le Fouta-Toro (Senegambie), jusqu'ä l'epo-
que contemporaine de l'ecrivain, soit environ vers l'annee 1807. '•'•
Ferner 4): » ■ Nous regrettons de n'avoir pu lire et traduire le
^>Tez'ien-el-Ouerkat<i puisque, suivant l'avis du Docteur Lenz, il serait
possible, au moyen d'un tel document, de resoudre le probleme
des origines des Foulane avec certitude. — « Leider sind die Er-
wartungen von Dr. Lenz und Ismael Hamet in bezug auf die An-
gaben des Tw. über den Ursprung der Ful gänzlich enttäuscht
worden. Der Tw. enthält über diesen Gegenstand nur eine zur
Erweisung der muslimisch- arabischen Abstammung der Ful er-
dichtete Legende, in der der Ursprung der Ful auf den Prophe-
tengenossen 'Oqba b. 'Amir zurückgeführt wird. Alles Nötige
über diese Legende ist von Delafosse RMM XX 242: Traditions
nmsulvianes relatives a Voi'igine des Penis gesagt, so daß hier nicht
erneutauf sie eingegangen zu werden braucht. Vgl. auch v. Stephan i,
I) Barth, K. &. E. IV, S. 188.
*) Nur al-albäb, pg. 45.
3) N. Eulb. S. 45.
4) Ibid. S. 55.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto, j j
Legende über den Ursprung der FtiPbe und der Bororo nach der
Erzählung des Malam Ali Babali, Islam III 352.
Bei den Textproben sind alle wichtigeren Varianten angegeben.
Beide Handschriften repräsentieren dieselbe Rezension. Auf Wieder-
gabe der Glossen und graphischen Varianten wurde verzichtet. Bei
M ist der Text oft unvollständig gegenüber F.
Der literarische Aufbau des Tazjin al-waraqät ist kurz folgender:
A. Einleitung, die den Zweck des ganzen Werkes angibt:
iLj.xXJL 'i-JhjL^ (-(^ö i^ÜLiJU J^^! ^9\ i.)S lX4.^I (^L*-J~w.j JLv3 XxjS\>«>3
S * » i ^ ^
«.jLäjJlj 'ljLo^13 ^^ij ('- i3Lx^'i''l Vj*-^' OJ-"*^ 0'° ^^^ ^l-:^*^' O'*
J L« (j^*J u>Ji Uii^ (^3 j^ö ^c._5 .LJ^xj'iiU xxi.4-ii3 &.Ax^!. ^A*Ji3
^JLo ^c^^ —A^» ry^' r' V*">^J5 rjA ».i^^IiJ L/« ^!.j>"^ ^^t'j'^' ry*
^äjJLxJ' 'oJ^ ('■* -Jj*ajS\j *J Lo ;i)JiÄ5'_5 .j-§.^i>-* i:jkJ3. *.L*3 **^J^ *-Li^
') F »JsjiJ jT^^ Q/« ») M i 3) Fehlt in M. ■») F ^y^yS^S
5) Fehlt in M. 6) m JXiyyw 7) Fehlt in M. ») M ohne Artikel.
9) M Ui ">) M iUxi ■') F u^jX-w^-yj ") F 3Li/«"b!t» i3) Fehlt in M.
M) F J,a:3.5\j 15) M ^^...AiaJI "^) Lies besser |.LiJULf
j-> A. Brass,
■-j^,«J (3lJLä->53 >-f5 -j'*-s (-»-V^ ^^^ c*^^ '-H*-^ sL^^Ji' «Aij
LJ-
2>~v*-aj
C)
i"b Jüi-w J>XJ ^jXi i^LcjJt ÄliÄ-^3 tuj^ &X^w>ii*
»Im Xamen Gottes, des Barmherzigen und Erbarmenden!
Gottes Seeen über unsern Herrn Muhammad, über seine Famihe
und Genossen, er schenke ihnen Heil! Lob sei Gott, dem das Lob
gebührt und der Preis, dem Herrn der Majestät, der Herrlichkeit
und der Erhabenheit!
Gottes Segen über unsern Herrn Muhammad, den Gepriesenen
im Himmel und auf Erden, und über seine Familie und seine Ge-
nossen, die Erlauchten!
Es spricht der vor Gott arme 'Abdallah b. Muhammad
b. 'Utmän aus dem Geschlecht der Töro der Abstammung nach,
Hausa dem Land und der Heimat nach: Es kam mir in den Sinn,
einige der Verse zu sammeln, die ich verfaßte zum Preise der Scheichs
und als lobende Nachrufe für sie, sowie zum Dank für die Wohltaten,
die Gott uns durch sie erwiesen hat vor unserer Auswanderung 5; und
bei den Ereignissen, die uns zustießen im heiUgen Kriege nach der
Auswanderung, nebst einer Kommentierung der Worte, die den
Lesern darin Schwierigkeiten bieten könnten und einer Erläuterung
des Anlasses, aus dem jede der Qasiden entstanden ist. Darin ist
enthalten eine Darstellung fast unserer ganzen (geschichtlichen) Ver-
hältnisse von Anfang bis zu Ende, damit daraus Nutzen ziehe, wer
sich ermahnen lassen will durch die darinliegenden Ermahnungen
und sich zur Lehre nimmt die Gnadenbeweise Gottes, die uns zuteil
geworden, um für sie zu danken. Das ist der Zweck des Buches,
Gott aber ist es, der zum Rechten führt. Und ich habe es ge-
nannt: »Die Schnückmig der Blätter durch die Sammlung einiger
meiner Verse.«. Darin sind enthalten von den arabischen Redekünsten
Sprichwörter, Weisheitssprüche, letzte Ermahnungen, (kriegerische)
•) F iJw« 2) M .^ 3) F \jüX*zA. 'ul;C^ JLS 4) F ^3
5) D. h. vor der Auswanderung aus Göbir, die den Beginn der Ful-Erhebung
bezeichnet. Das Wort 5_>VP ist in beabsichtigter Anlehnung an die Higra des Pro-
pheten Muhammad gewählt. So wie dieser aus Mekka auswanderte, so wanderte der
.Ful-Prophet 'Utmän aus Degel aus.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. \ •?
Ereignisse, Lobreden, Glückwünsche, lobende Nachrufe, Ruhmes-
reden und anderes mehr. Ich habe gesagt: '^einiger mehier Verse«,
um dadurch auszuschheßen einerseits die von mir über die reli-
giösen Wissenschaften und das Lob des Propheten verfaßten Bücher,
und die sind ja bekannt, andrerseits diejenigen Verse, die zur
Zeit der Abfassung des Buches mir nicht gegenwärtig waren, sowie
solche, die, im Knabenalter in Arabisch und Nichtarabisch ') ge-
dichtet, kein Interesse beanspruchen können. Denn die Dichtung ist
für den echten Dichter wie der Schleim in der Brust des brustkranken
(Kameles): es hat keine Ruhe, bis es ihn von sich gibt 2), wie Säfi*I
— Gott hab' ihn seUg! — sagt: »Der beredte Dichter ist (wie) eine
schwarze Schlange, und das Gedicht ist bei ihm der Speichel und Gei-
fer.« Früher pflegte ich viele Verse zu dichten, dann aber liegen und in
Vergessenheit geraten zu lassen, ohne sie aufzuschreiben und ohne
jemand etwas davon zu sagen, weil ich wußte, daß meist kein Nutzen
für den Glauben dahinter ist und wegen meiner Unkenntnis des Ara-
bischen und der Verslehre. Ich wußte, daß alles, was ich gedichtet,
für die Literaten doch nur lächerliches Zeug und Abfall war. Aber
für alles, was abfällt, findet sich ein Aufleser.«
B. Die Ereignisse der Jahre 1784 — 181 3 nebst den von 'Ab-
dallah auf einzelne derselben gedichteten, von ihm bis dahin nicht
veröffentlichten Qasiden (M 2 r. 4 — 26r. 2, F i v. u. — 32 r. 13).
I. Die Wanderpredigerschaft 'Utmäns bis zur
» H i g r a « .
1. TahmTs auf ein Gedicht des Scheichs 'Utmän nebst hi-
storischer Erklärung. Es gibt den Beginn der Propagandatätigkeit
'Utmäns an (M 2 r. 4 — 2 v. 2, F i v. ult. — 2 v. 6).
2. Geschichte der ersten Predigerreisen 'Utmäns nach Kebbi,
Göbir, Zanfara und Daura, nebst einer bei Gelegenheit einer Zu-
sammenkunft mit dem Mälam Mustafa GanI als Antwort auf dessen
Verse (5 Verse) gedichteten Qaside mit philologischem und religi-
ösem Kommentar. Die Qaside zählt lO Verse (M 2 v. 2 — 4 r. i
F 2 V. 6 — ^ 5 r. I).
3. Bericht über eine Audienz beim Sultan von Göbir nebst einer
darauf bezüghchen Qaside von 19 Versen mit philologischem Kom-
mentar (M 4 r. 2 — 4 V. paenult., F 5 r. i — 6 r. ult.).
4. Reise 'Utmäns zu einheimischen Gelehrten nebst: a) Lobge-
dicht auf mehrere derselben (64 Verse); b) spezielles Lobgedicht auf
') D. h. in Ful oder Hausa.
^) Über ein ähnliches Bild siehe die Lexika unter ^»J^ox.
14
A. Brass,
Muhammad b. Rag, einen hervorragenden einheimischen Tradi-
tionarier (10 Verse); c) Qaside über die Kette der Gewährsmänner
von Muhammad b. Rag bis auf Buhäri (lO Verse) (M 4 v. paen-
ult. — 7 V. 14, F 6r. ult. — 10 r. 12).
5. Rückkehr 'Utmäns von Zanfara nach Degel. Missionsreisen
nach Kebbi, Ilo, Zauma und Rückkehr nach Degel. Tod eines
Onkels 'Abdallahs und Trauerqaside von 14 Versen auf denselben
nebst philologischem und historischem Kommentar, letzterer die
Stammeslegende der Töro und die Genealogie * Abdallahs ent-
haltend (M 7 V. 15— 9 r. II, F lOr. 13 — 12 v. lO).
6. Innere Missionstätigkeit 'Utmäns. (M 9 r. 12 — 12 r. 16, F 12 v.
10 16 r. 14) : a) Qaside zur Ermahnung der Stammesgenossen, die sich
*Utmän noch nicht angeschlossen haben (50 Verse) ; b) Propaganda-
tätigkeit der einheimischen Mälamai innerhalb des Stammes als Folge
dieser Qaside, literarische Bearbeitungen der Qaside durch einige
derselben; c) 2 Trauerqaslden auf einen verstorbenen Mälam (9 + 36
Verse).
7. Anknüpfung von Verbindungen mit dem Scheich El- Muht är
El-Kebir. Botschaftsqaside 'Abdallahs an diesen (12 Verse)
(Mi2r. 16 — I2v. 17, Fi6r. 14 — i6v. ult).
8. 'Utmän bereitet seine Stammesgenossen auf den kommenden
Glaubenskrieg vor. Arabische Übersetzung der Qaside 'Utmäns
y>Al-QädirlJa<i durch 'Abdallah (41 Verse) (Ml2v. 18— 14 r. 5,
F 17 r. I — 18 r. 12).
IL Die Higra (M I4r. 6 — 14 v. 17, F 18 r. 13 — I9r- 12).
III. Die Feldzüge gegen die Hausafürsten(M 14 v. 14
— 26 r. 2, F 19 r. 13 — 32r. 13).
1. Die Befreiungsschlacht beiKoto nebst 2 SiegesUedern (38 -f 45
Verse), deren zweites an zwei Oheime 'Abdallahs gerichtet ist,
um sie zum Anschlüsse zu bewegen (M 14 v. 14 — 17 r. 11, F 19 r.
13 — 21 v. ult.).
2. Kämpfe gegen Kebbi, Göbir, Tuareg und Gumi mit wech-
selndem Erfolg. Qaside auf diese Feldzüge (37 Verse) nebst philo-
logischem Kommentar (M 17 r. 12 — I9r. 15, F 22 r. 1—23 r. 12).
3. Fortsetzung des Krieges gegen Kebbi, Niederlage bei Alwasa.
Belagerung der neuen Hauptstadt 'Utmäns, Gando, Sieg über die
Kebbi. Siegesqaside (36 Verse) nebst philologischem Kommen-
tar (M 19 r. 15 — 20V. 12, F 24 r. 12 — 25 v. 13).
4. Reise 'Abdallahs nach Kano und Qaside über diese Reise
.(40 Verse) (M 20 v. 12 — 22 r. 10, F 25 v. 13 — 27 v. 5).
5. Qaside über den Sieg am Flusse Fäfara über die Tuareg,
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. i c
den Sultan von Ädar und ihre Verbündeten. (21 Verse) (M 22 r.
10—22 V. 14, F 27 V. 5 — 28 r. 1 1).
6. Eroberung von Alqalaua, der Hauptstadt von Göbir. Erste
Expedition über den Niger. Qaside über diesen Zug (26 Verse)
nebst philologisch-historischem Kommentar (M22v. 15 — 24 r. 20,
F 28 r. 12 — 30 r. 11).
7. Zweite Expedition über den Niger, Qaside über diesen Zug
(23 Verse) (M 24 r. 20 — 25 r. 13, F 30 r. 1 1 — • 3 1 r. paenult).
8. Übersiedlung nach Sifäwa. Feldzüge des Muhammad Daq
und des Muhammad Bello. Qaside über die Eroberung Gwäris
(12 Verse) (M 25 r. 14 — 25 v. 17, F 31 r. paenult. — 32 r. 5).
7. Hinweis auf die Kämpfe gegen Nupe und andere Feinde
(M 25 v. 18 — 26 r. 2, F 32 r. 5 — 32 r. 12).
C. Schluß: (M 26 r. 2 — Schluß, F 32 r. 13 — Schluß.) ^Lx^^^l j._^j ^
c_j.4.^*il itXP X^ \ja\yi\ iSj^* ^:L»*}t\ ^')^ ä^*aJi J^Aös! L^>.=>lao
K.^/i)L3 '^j!_5;» KxA^LJ (^•♦^j X-*jLi y- o'^J'Jj}\ x^ i^4-^c-») xlijs..^ L^/«
^.,! "^j.] ^^Js.xiJ Ui' L/)_5 SlX^J Li5AP ;^Äi5 *.Jü js*^!^ n^X/» \Ü!
»Vollendet am Mittwoch in;^ Monat Sawwäl, dem 18. Tage
im 10. Jahre unserer Auswanderung, d. i. 1228 nach der Higra des
Propheten ^), über ihren Herrn sei das beste Gebet und der reinste
Segenswunsch !
Wer diese Sammlung liest, der wisse, daß ich in dem, was ich
darin geschrieben, keinen anderen nachgeahmt, keinerlei Buch
benutzt, noch darin erzählt habe, was ich von einem gehört
habe, sondern ich habe geschrieben, was mir zur Zeit gegen-
wärtig war von dem, was ich selbst erlebt und was ich erfahren
habe, mit anstrengender Mühe und ermüdender Sorge und in ver-
borgener Ferne fließender Überlieferung. Was aber davon richtig
*) 18. Sawwäl 1225 = 15. Oktober 18 13.
l5 A. Brass,
ist, das stammt von Gott, dem hochgepriesenen, und was falsch darin
ist, das ist von mir, und ich bitte Gott um Verzeihung dafür. Das
Lob gebührt Gott, welcher uns hierher geführt. Wir hätten nicht
den rechten Weg gefunden, wenn Gott uns nicht geführt hätte.
Gottes Segen über unsern Herrn Muhammad, usw.«
I. Vorgeschichte und Higra.
Die historische Darstellung des Tw. setzt mit dem Beginne der
Wanderpredigerreisen *Utmäns ein. Von der Vorgeschichte *Ut-
m ä n s selbst erfahren wir aus dem Tw. nichts, wohl aber einiges über
seine Famihe. Die betreffende Stelle lautet (M 9 r. 6, F. I2 v. 4):
LJjjI qJ v^Äi' (A*.^=V/l Q.J V*--?* l\.«.j5\/« 1.«.^jj1 ,«-«.avJ L^j^S i^LE _j-5>! _j.p3
)y^ Oj.5 jJj qXi pLs* i^jJI jS> \Cs.9 iS^^y o^ V^ S^ C7^ q5^-w'L« ^.yj
»Er sagt: Das (nämlich der im letzten Vers der Trauerqaside
auf 'Abdallahs Oheim genannte ^\^s^ ist einer unserer Vorväter.
Er heißt 'Ali, denn unsere Mutter war Eva, die Tochter des Muham-
mad b. 'Utmän b. Hamm b. 'Ali und die Mutter unseres Vaters
war Marjam bint Gibril b. Hamm b. 'Ali. Unser Vater war Mu-
hammad b. 'Utmän b. Sälih b. Härün b. Muhammad Gurdo und
der letztere war ein Bruder des 'Ali, soweit wir gehört haben. Ihr
beider Vater war Muhammad Gobbo b. Muhammad Sambo b. Ajjüb
b. Mäsiräna b. Bübu Bäba b. Müsä. Dieser Müsä war derjenige
welcher von Föta Töro gekommen ist, soweit wir gehört haben.«
Nach diesen Angaben hat also die Auswanderung aus Füta
Töro 6 Generationen vor 'Utmän stattgefunden. Rechnet man jede
Generation zu 25 Jahren, so wäre dieselbe etwa um 1625 anzusetzen.
Die HClir. gibt S. 1 74,7 den Namen des Ortes, von dem der Vorfahr
'Utmäns gekommen, auf Wuro Kabbe an. Der Tw. nennt ferner
noch eine Reihe von Oheimen 'Utmäns, so den Zaid, den Dädi, den
Abu 'Ali Muhammad Sambo b. 'Abdallah b. Muhammad
b. Sa'd4) u. a., die aber ohne weitere Bedeutung sind. Von Wichtig-
') Willkürlich bald ^j| bald ,.^J -) Fehlt in M 3) F ^.j^=>'
1) S. u. S. 23,1. ^
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. j n
keit ist hingegen die schon oben zitierte Stelle ') des Tw., nach der
der Altersunterschied zwischen 'Abdallah und ' U t m ä n auf
12 Jahre festgelegt wird; sie ergänzt den Bericht der HChr., die nur
angibt, daß 'Abdallah jünger als 'Utmän war.
Das Datum des Beginnes der Wanderpredigerschaft 'Utmäns,
das bisher vollständig unbekannt war, gibt der Verfasser des Tw.
in den Schlußversen des ersten arabischen Tahmls, das er gedichtet
hat (M 2 r. 15 — 16, F 2 r. 11 — 12) und in der Erklärung dazu
(M 2 r. paenult, F 2 v. 2) auf das Jahr 1 188/1774 an. Die Stelle lautet:
In diesen Versen ist nach dem Abgad ^i = 20, „ = ^, _ = 8
und -i = 100. Der Zahlenwert des ^ ist hier = 1000, der von
^jis = 90^)> wie auch aus anderen Chronogrammen bei 'Abdallah
hervorgeht. Der erste Vers enthält das Datum des Beginnes der
dichterischen Tätigkeit 'Abdallahs, das auf den 23. Sawvväl 1198
10. September 1784 angegeben wird, der zweite Vers das Datum
des Beginnes der Wanderpredigerschaft 'Utmäns 1 188/ 1774/75, zu
dem 'Abdallah die Erklärung gibt:
'Utmän war damals, wenn die Angabe Strümpell's, er sei
1754 geboren 4), stimmt, 20 Jahre alt (wenn anders die Zahl seiner
Lebensjahre, die auf 63 angegeben wird, nicht etwa eine Nachbildung
nach der der Lebensjahre des Propheten ist, die ja auch auf 63 an-
gegeben wird). Über 'Utmäns erste Missionsreisen berichtet der
Tw. folgendes (M 2 v. 2, F 2 v. 6):
m
^ ^ >•• •■ <Jr- (_•• • Li* ^ •• (__ •• l r
AjL.*j! ■•'-^rrl3 ^:V*-^^ LXjLxiSj l^^j^ ^J^5 .-yJ-^ ^-S! (j*<LÄil _5.EiAj -J-i»
■) Vgl. S. 8, Anm. 2.
^) Herr Geheimrat Littmann macht mich auch auf eine Stelle bei Pihan, Expose des
signes de Tiumcration usites chez les peuples orientatix aticiens et modernes, Paris.
Imprimerie Imperiale, 1860, S. 202 aufmerksam, wo ang-egeben wird, daß im ganzen
Magrib gebraucht werden : (j^ = 60, (ji> = 90, . w = 300, ^ = 800, c = 900.
(jii = 1000. 3) M OA>j/j.ä F »iA-üjaäS -1) Geschichte Adamauas S. 59
(1817—63= 1754). 5) M *.>LoiJ ^) F ,^^-w.J 7) M ^UÄj 8) M ;; ^.Xi.j'
Islam X. 2
j3 A. Brass,
Jt (-tLJww ^j ."if.5 ^35>^5 0^ *~^' f^^ ^-^5 -läc^i ^_j.*.«JC^_j
>;^jJUii Ji ("^ ->^>*^J "^ i?oj-iJ! (;)^3 o-cLii» &ä'l4^JI oJJ" ^=* jUJ!
^i^\ xJ ^;j>j» 3.J ^.jy' ^\ ^S ^'uM-i ^«^i ^-A>*^i! ^A l\j "b ^.,t j^l,
»Dann (im Jahre 1188 1774) brachen wir auf mit dem Scheich,
und halfen ihm bei der Verkündigung der ReHgion. Er reiste
dazu nach Osten und Westen und rief die Leute auf zur Rehgion
Allahs mit seiner Predigt und mit Hausagedichten ''). Er zerstörte
die Sitten, die dem religiösen Gesetze zuwiderliefen; und es kamen
einige von den Bewohnern der umliegenden Gegenden und traten in
seine Gemeinde ein. Wir befanden uns aber damals in seinem
(Heimat-) Lande, das durch ihn und die Beziehung zu ihm berühmt
wurde, nämlich Degel, bis wir einmal mit ihm zum Lande Kebbi
reisten. Dort rief er die Leute auf zur Bekehrung und zum Islam und
dem Ihsän sowie zur Aufgabe der dem zuwiderlaufenden Sitten. Viele
von ihnen bekehrten sich und reisten, als er in seine Heimat zurück-
kehrte, in Haufen zu ihm, um seine Predigt zu hören. Damit eröffnete
ihm Gott zuerst die Erhörung (den Erfolg). Dann reisten wir in
den Landen umher, bis die Schar groß ward und ihr Ansehen sich
ausbreitete. Der Scheich reiste indessen nicht zu den Königen, ver-
handelte auch nicht mit ihnen. Als aber die Schar um ihn groß
geworden war, und seine Sache bei den Königen und andern be-
kannt wurde, da sah er, daß er auch zu ihnen gehen müsse, und
begab sich zu dem Fürsten von Göbir, Bäwa, setzte ihm den
richtigen Islam auseinander, forderte ihn dazu auf und hieß ihn, das
Recht in seinen Landen aufzurichten. Dann kehrte er nach
Hause zurück.
») M w-WMvJ. *) M J>\. 3) Fehlt in M. 4) M ^j^. 5) M ^^^.A^^.
6) Oder Ful-Gedichten.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. jg
Dadurch gewann er die Möglichkeit zur Predigt der Religion,
denn es kam damit dahin, daß, wer Gott nicht fürchtete, der fürchtete
sich jetzt, seine Sache abzuleugnen wegen seiner Verbindung mit
dem Sultan.«
*Utmän wendet sich also mit seiner Predigt zunächst an die
Bewohner der Umgegend seiner Heimat, wie es scheint, zunächst mit
geringem Erfolg. Dann dehnt er seine Züge nach Kebbi aus, wo
er größeren Erfolg gehabt zu haben scheint. Bei seiner Agitation
für den Islam vermeidet * U t m ä n es indessen, mit den Fürsten
der einzelnen Staaten in Berührung zu kommen. Offenbar will er
sich, bevor er sich an diese wendet, schon eine gewisse Rücken-
deckung durch eine zahlreiche Anhängerschaft schaffen. Dies diplo-
matische Vorgehen entspringt wohl den Lehren, die 'Utmän aus
dem Beispiel seines Lehrers Häggl Gibril (Gibirin) gezogen,
dessen Mißerfolge er richtig der Tatsache zuschrieb, daß dieser
sich mit seinen Predigten gegen die Fürsten und Großen gewandt,
bevor er sich einen genügenden Anhang beim Volke verschafft
hatte. Erst als die Schar seiner Anhänger groß geworden ist und
sich ausbreitet, entschließt 'Utmän sich, nunmehr auch an den
Fürsten von Göbir, in dessen Land er ja wohnte, selbst heranzutreten.
Bei diesem Herrscher, Bäwa ') Ga-n-Gorzo, nach Barth mit dem
Beinamen Maijäkl, der Krieger ), ist 'Utmän nun offenbar zu hohem
Ansehen gelangt, denn, wie uns die HChr. lehrt, übergab ihm Bäwa
seinen Sohn Junfa, den nachmaligen König, zur Erziehung 3). Es
muß angenommen werden, daß es *Utmän gelungen ist, den König
für seine Lehren zu gewinnen, denn sonst erscheint es doch un-
möglich, daß dieser ihm seinen Sohn und dereinstigen Nachfolger
zum Unterrichten anvertraut, um so mehr als die HChr. von seiner bis-
herigen Regierung sagt: »er mehrte das Heidentum, war widerspenstig
und selbstsüchtig« 4).
Das hohe Ansehen, das 'Utmän bei Bäwa genoß, nutzte er
zur Vergrößerung und Stärkung seiner Partei aus. Dann nahm er
') Bawa (»Lj), auch in der Form xlJi r)i}-^ gebraucht, bedeutet in Hausa:
o ,
Sklave (bzw. Sklave Gottes) und analog \».j^ Baiwa (Baiwa-n -allah ) : Sklavin
(Sklavin Gottes). Beide Worte werden nach Mi schlich Kindern sehr häufig als Eigen-
namen gegeben, wenn die vorher geborenen Kinder gestorben sind, um zu verhüten,
daß auch diese sterben.
2) Barth, ä. & £. IV, S. 539. 3) HChr. S. 175, 9/232, ,5.
4) HChr. S. 171,4/230,,, v. u. Hier liegt allerdings vielleicht eine fulisch ten-
denziös gefärbte Bemerkung vor, da Bäwa die Lehren Häggl Gibrils, des Fulbe-
Johannes, zurückgewiesen hatte.
20 A. Br ass ,
seine Wanderpredigerreisen wieder auf. 'Abdallah berichtet dar-
über folgendes (M 2 v. 17, F 3 r. 7):
«^ QxIiJLÄJ^U -^J^t^^' U""^-* ^_5-''^ C)^"""" i^'^^ ,»bLv"i! ics^ol. L^f
*^Lw"iil (AclyS (•■S-*^^ O^ *-^-*-? ("Ij^" -b^Ä5>j| ^y\ ^,g,4.L*J3 *>gj5^S ,»_gJu>,*0
■jLs»^! 5^X:>V/« >\.-yiij! g^L>wo q'o (^j^^äj ^w.j"bl ^^.y^L^ O^*? i-)^'^^
, o -
c:jLolj JläJUs ^w*Ji »Läx/Oj ic^ *~^^ O^ji^t -Äiaxi^Ju 4.*w-«.ii iCjÜ-aJ^
»■lic*. »,Lj*, i^Lw-üt «J.*j ,.,1 (3 LfxS ;:c^x/iiwJ! _/sLj xI
»Bis wir in das Land von ZsLnfsira zogen, um seine Bewohner
zum Glauben aufzurufen. Dort blieben wir etwa 5 Jahre. Es war
das ein Land, dessen Bewohner von der Unwissenheit überwältigt
waren; die meisten hatten keinen Hauch vom Islam verspürt. Sie
kamen in die Versammlung des Scheichs untermischt mit ihren
Frauen. Da trennte er beide voneinander 4) und belehrte sie, daß das
Gemischtsein beider Geschlechter untereinander verboten sei, nachdem
er sie die Grundregeln des Islam gelehrt hatte. Es waren da aber
einige Teufel in Menschengestalt, die verbreiteten, die Versammlung
des Scheichs sei ein Zusammenkunftsort für Männer und Frauen.
Als wir uns an einem Orte des Landes mit Namen Daura nieder-
ließen, kam zu uns der scharfsinnige Gelehrte aus Bornu, Mustafa,,
bekannt unter dem Beinamen GanI, das bedeutet: ,der Scharf-
sinnige', und er begegnete uns mit Versen, in denen er den Scheich
die Frauen (überhaupt) vom Besuch seiner Predigt ausschließen hieß.«
'U t m ä n forderte dann seinen Bruder auf, die Verse zu erwidern.
In diesem Erwiderungsgedicht und dem Kommentar dazu setzt 'Ab-
dallah auseinander, daß das Zusammensein von Männern und Frauen
das kleinere Übel sei gegenüber dem, die Frauen in Unwissenheit
über die Religion zu lassen, und das entscheidet nach dem Grundsatz:
irtikäb ahaff ad-dai-arein wägib für das erstere, nur mit gewissen Ein-
schränkungen für den Fall, daß — etwa durch Vorhandensein eines
Lehrers für die Frauen — der Zwang (darüra) aufgehoben ist.
Diese Missionsreisen 'U t m ä n s in Zanfara fallen um das Jahr
1 200/1 786, wie uns der Schlußvers der eben erwähnten Antwort-
0 MJ>^b 1) F s:^As. 3) Fehlt in M. t) d.h. wohl, »ließ sie
getrennt sitzen«.
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.*Jl*J!
>
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. 2I
qasTde und der Kommentar dazu (M 3 v. ult., F 4 v. paenult.) angibt.
Im Anschluß an die Mission in Zanfara berichtet ''Abdallah
dann über eine Audienz beim Könige von Göbir (M 4 r. i, F 5 r. i):
•,iA-*.a.j5 jLä L.* jLSj ^uAJ Laju-äj^-Ls ^iw c-*-*^:! l5"^'^' äJ'üC/«
J! \J OlS^ ^jJ^J q>J qL^^aS :^^-yixJi J.LÄS Ö.jj3' 3[j.>«Lj
^jy>\ *••' ^^»5 !jNy_5 1i3j' iikJLw-1 j^Xi^ iikJ!^5 Jl Uj K:>L5> '^ ^XcUs*^
oI^IClj iiL^JjtJ! ß\.M^ ,^:>-,» qH^J^ iöoLsLJ LJLstj^-j
»Dann, ein oder zwei Jahre später schickte der Sultan von
Göbir, daswarBäwa, zu sämtlichen Gelehrten seines Landes, daß
sie sich am Tage des Opferfestes bei ihm versammeln sollten —
er war damals in seiner Residenz mit Namen Magami — und wir
versammelten uns bei ihm und er sagte, was er sagte, und spendete
den Gelehrten reiche Gaben. Da trat der Scheich 'Utmän vor ihn
hin und sagte zu ihm: ,Ich und meine Gemeinde brauchen dein
Geld nicht, dagegen bitte ich dich um dieses und jenes', und
zählte ihm eine Anzahl von Dingen auf, die alle zur Aufrichtung
des Glaubens gehörten. Da antwortete der Sultan: ,Ich gebe dir,
um was du bittest, und bin mit allem, was du in meinem Lande
tun willst, einverstanden'. Da priesen wir Gott deswegen und be-
gannen die Aufrichtung des Glaubens, die anderen Gelehrten aber
kehrten mit ihren Schätzen nach Hause zurück.«
Diese Darstellung 'Abdallahs ist wohl nicht ganz frei von
der Tendenz, das selbstlose, ausschließlich auf die Förderung der
Religion gerichtete Streben 'Utmäns gegenüber der Vorliebe der
einheimischen 'Ulamä für irdische Güter in ein helles Licht zu rücken.
Daß Gegensätze zwischen 'Utmän und den einheimischen 'Ulamä',
die ihren bisherigen Einfluß am Hofe Bäwas vor dem steigenden
Ansehen 'Utmäns schwinden sahen, bestanden, ist ja selbstverständ-
lich. Daß 'Utmäns Betragen aus echtem religiösen Idealismus gegen-
über der satten Zufriedenheit der mit der Welt ausgesöhnten andern
*Ulamä entsprang, ist nicht zu bezweifeln. Bei diesen Leuten fand er
») F 30^L iLUjJL
22 A, Brass,
keine Gegenliebe, eine Erscheinung, die ja in der Geschichte jeder
neuen Idee ihre Analogien hat. Die HChr. berichtet:
»Die Hausapriester kümmerten sich nicht um ihn').«
Die bündige Antwort des Königs stimmt auch mit den Aussagen
der HChr. überein. Es heißt dort von 'Utmän:
»Man ehrte ihn und pflegte seine Bitten zu gewähren^).«
Auch über den Inhalt derartiger Bitten berichtet die HChr. 3)
So habe 'Utmän eines Tages den König gebeten, er möge allen
Muhammedanern erlauben, Feze aufzusetzen und Turbane um den
Kopf zu wickeln, was als eine vom König verliehene Auszeichnung
betrachtet wurde. Bäwa habe ihm diese Bitte gewährt, was 'Ut-
m ä n s Ansehen sehr vergrößert habe.
Die chronologische Einordnung dieser Audienz bei Bäwa be-
reitet Schwierigkeiten. Ein terminus ante quem bildet das Jahr 1201,
da in dasselbe Ereignisse fallen, die erst im folgenden von 'Abdallah
berichtet werden. Andererseits fällt das von ihm zuletzt berichtete
Ereignis, die Begegnung mit dem Gelehrten Mustafa in Daura in
das Jahr 1200. Sagt also 'Abdallah q^/sLc 3! -Lau, so kann
günstigstenfalls nur das erstere richtig sein, wonach dann die Audienz
in das Jahr 1201/1787 anzusetzen wäre.
Es folgen nun (M 4 1. paenult., F 6 r. ult.) zwei Besuche 'Utmäns
und 'Abdallahs bei einheimischen Gelehrten. Zuerst gehen beide zu
einem gewissen Hägg Gibril, der in einem nicht näher zu be-
stimmenden Orte Oüde wohnte und den sie schon einmal früher
besucht hatten. 'Utmän kehrt alsdann heim, während 'Abdallah
bei Gibril zwei Monate lang den Kaiikab es-säti^ des Sujütl, eine
Versifizierung des Garn'- al-gazuämi'- fil-usül des SubkT4), liest und
Vorlesungen über andere Schriften mithört. Dann kehrt er nach
Hause zurück und sieht, daß sein Bruder zu dem Hägg Muhammad
b. Rag gegangen ist, um Buhärl zu hören. Er folgt ihm, und sie
beginnen ihre Studien gemeinsam, da 'Utmän mit der Lektüre noch
nicht begonnen hatte. 'Abdallah teilt dann Qasiden mit, die er
zu Ehren der beiden Lehrer gedichtet hat. Diese Ereignisse gibt
'Abdallah als in das Jahr 1201 /1787 fallend an. 'Utmän kehrt
dann in seine Heimat Degel zurück, um sich dann den westlichen
Hausastaaten zuzuwenden (M 7 V. I5,F lOr. 12). Er reist mit seinem Bruder
zuerst nach Kebbi, von dort nach Ilo auf dem Westufer des Kwära
kehrt nach Hause zurück, reist dann nach Soma, einer Landschaft
am oberen Jega, die ein unabhängiges Sultanat bildete, um dann
«) HChr. S. i76,,/232,„. ») HChr. S. 176,3/232,^5. 3) HChr. S. 176,4,
232,26. *) Brockelmann II, 89.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. 2''
wieder die Heimat aufzusuchen. Hier hören die beiden von dem
Tode ihres Oheims Abu 'All Muhammad Sambo b. 'Abdallah
b. Muhammad b. Sa'd, der als ein berühmter Gelehrter in seinem
Stamm bezeichnet wird. Derselbe war gerade auf der Rückkehr in
die Heimat begriffen gewesen. Ein Trauergedicht 'Abdallahs ist
dem Verwandten gewidmet.
In Degel widmet sich 'Abdallah und mit ihm natürhch auch
'Utmän nun der Propaganda für seine Ideen in erster Linie unter
seinen Stammesgenossen, die denselben nicht gerade sehr günstig
gegenübergestanden zu haben scheinen. 'Abdallah äußert sich
darüber (M 9 r. 12, F 12 1. 10):
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»Als ich nun sah, daß die Leute aus den meisten Ländern,
vornehm und gering, zum Scheich 'Utman kamen und sich den
Nutzen seiner Predigt zu eigen machten, seine Erziehung annahmen
und scharenweise in die Gemeinde eintraten, das aber bei den meisten
unseres Stammes nicht bemerkte — und sie wären doch die Nächsten
hierzu gewesen — , da verfaßte ich eine Oaside auf r und nannte
sie »Sendschreiben der Ermahnungen«. Die schickte ich zu ihnen,
damit sie über ihren Inhalt nachdächten und zum Siege des gött-
lichen Glaubens eilten.«
Zum ersten Male tritt also hier das ethnische Moment, der Ge-
danke des Zusammenschlusses speziell der Ful in dieser religiösen
Bewegung mehr in den Vordergrund. Dabei werden die beiden
glaubenseifrigen Apostel von einer ganzen Anzahl anderer fulischer
Gelehrter unterstützt, von denen unser Text (M 1 1 r. 2, F 14 v. 3)
Mustafa b. al-Hägg 'Utmän, Muhammad al-Firibiri b.
Muhammad, Zaid b. al-Hägg Muhammad Sa'd und Abu
Bekr b. 'Abdallah mit dem Beinamen ;>Lädan« (der Vorbeter
oder Gebetsrufer) nennt. So setzt z. B. Mu.stafä die ^jL^aJi xJw^.
in Tahmlse, während ein anderer, Mälam Zaid al-Atri, einen
Kommentar dazu schreibt. Über die Beziehungen 'Utmän s zu
24 A. Brass,
angesehenen Fulen in den verschiedenen Hausastaaten berichtet auch
die HChr. Sie sagt:
;>Während dieser seiner Predigttätigkeit sandte er Briefe an
die angesehenen Fulen in den verschiedenen Hausaländern. Unter
den Fulen in Kano waren Sulaimäna und Dabo von Danbazau die
angesehensten, in Katsina Umaru-n-Dumya und Umaru-n-Daläji,
in Bornu Priester Zäki und Goni Muchtar, in Zazau Priester
Müsa und Yamüsa, in Kebbi AlöyTjo und Lamido Bauri, in Zan-
fara Namöda und Mahamüdu, in Sabarma: Mohamma Sanbo.
Auf diese Weise machte er einen Bund mit ihnen. Ebenso schlössen
die Fulen von Göbir einen Bund mit dem Sohne des Födio^).«
Dieser Bericht der HChr. weist von den Aussagen des Tw. eine
wesentliche Verschiedenheit auf Die HChr. berichtet von dem
»Bunde« der Fulen der Hausastaaten mit 'Utmän, besonders auch
von Göbir, gleich zu Anfang der Predigertätigkeit desselben, während
der Tw. ausdrücklich betont, daß die Fulen die letzten gewesen
seien, die sich der Sache *Utmäns angeschlossen hätten. Die HChr.
erregt dadurch den Eindruck, als habe 'Ut man schon sogleich den
Beistand seiner Stammesgenossen gefunden, während ' U t m ä n sich
nach dem Tw. noch ganz zuletzt an die Fulen wendet, weil diese
hinter den Hausa zurückgeblieben waren. Der fremde Geschicht-
schreiber sieht mehr die Etappen, die den Helden zur Macht führen,
der Mitkämpfer weiß mehr von den Schwierigkeiten zu berichten
die zu überwinden waren.
Der Anknüpfung von V'erbindungen innerhalb der Hausastaaten
folgt dem Tw. zufolge dann diejenige von Verbindungen außerhalb
derselben. 'Abdallah berichtet hierüber in folgender Weise
(M 12 r. i6, F i6 r. 14):
^isL (_^y.-JI ij.3^^J ,'^*A«J ~*.t^ jjÜ^ (S^ai^^JI xJib -^^-^3 Vj*-^' ^-^
SJjp'-^ .yA ^J j: S^) '^^ ^'-> c"^^^ c}"*'^ .i^x-yiJ! JfcÄJ ~A p-^'-*^^
') HChr. Tl. S. I74,,3— 175.7/232,5— 3- ') ^ j'^i^' 0 M ^Üli^^
4) F OU.XiJi '^J.^ 5) M iLxji_v.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. ^ r
^ j
»Als nun diese Gelehrten begannen, den Glauben in unserem
Lande zum Siege zu verhelfen, da nahm seine Berühmtheit zu und
die Zahl seiner Anhänger wurde größer. Die Leute kamen in Scharen
von Ost und West, Süd und Nord zum Scheich 'Utmän — Gott
erbarme sich seiner! — , bis seine Sache in das Land jenes gelehrten
und frommen Scheichs kam, der in den Westländern und anderswo
unter dem Beinamen El-Muhtär berühmt war. Dieser pflegte, wie
wir hörten, die Leute anzuspornen, dem zu folgen, was der Scheich
' U t m ä n sagte. Einst kam sogar ein Araber zu uns aus seiner
Heimat, der uns sagte, er sei einer seiner Schüler. Es hieß der
Serif. Wir empfingen ihn mit großen Ehren und fragten ihn
nach den Lebensumständen des Scheichs El-Muhtär und er
schilderte uns dieselben, bis er sich bereit machte zur Rückkehr
zum Scheich El-Muhtär. Ich schrieb Verse und sandte sie mit
ihm zu dem Scheich, aber ich glaube nicht, daß sie angekommen
sind.«
Der hier erwähnte Scheich El-Muhtär ist zweifellos der Scheich
El-Muhtär el-Kebir, das Haupt der Qädirija Bekkaja, von dem
auch Barth, i!^. & Zf. IV, S. 669, berichtet, daß er ein »freundschaft-
liches Verhältnis mit *Othmän dan Fodie, dem Djihädi, eröffnet
habe«. Über seine sonstige Geschichte berichtet Le Chatelier im
y>L Islam dans F Afrique Occide7itale<(. genauer-).
Wichtig ist indessen für die Beurteilung der Bedeutung, die
*Utmän damals schon besaß, daß sowohl nach dem Tw. als auch
nach Barths Angabe die Anregung zur Anknüpfung eines freund-
schaftlichen Verhältnisses nicht von 'Utmän, sondern von El-Muhtär
ausgeht. Von einer späteren aktiven Teilnahme El-Muhtärs an
den Unternehmungen 'Utmäns oder auch nur von einer Unter-
stützung derselben, hören wir nirgends etwas. Der Schlußsatz des
Berichtes ^Abdallahs: > — aber ich glaube nicht, daß sie zu
ihm gelangt sind«, scheint auch darauf hinzudeuten, daß das Brüder-
paar sich in seinen Hoffnungen auf El-Muhtär enttäuscht ge-
fühlt hat.
Im Vertrauen auf seine über die ganzen umliegenden Staaten
zerstreuten Stützpunkte und auf die Kraft seiner eigenen Anhänger -
') Ergänze vielleicht L4J
-) Eine Liste der Werke Sldi El Muhtärs gibt Louis Massignon. RMM. Vlll.
S. 134.
26 A. Brass,
Schaft fühlt sich * U t m ä n nunmehr stark genug, seinem Schiffe lang-
sam einen andern Kurs zu geben. Wann der Gedanke, dem Islam
auf politischem Wege zum Siege zu verhelfen, zuerst in ihm Wurzel
faßte, läßt sich schwer beurteilen. Es ist die Bahn, auf die nach
Muhammeds Vorgange fast alle islamischen rehgiösen Führer un-
vveigerHch geraten sind. 'Abdallah spricht hierüber in der Ein-
leitung zu seiner arabischen Übersetzung der Qaside Al-Qädirija
mit folgenden Worten (M I2v. i8, F I7r. i):
^^jÄJ^ ^l;i>-^i! ^ ^_fc;*:2r=Vj J**:>- ^'-rr^' 'iJ^S^ ^'wäxil Ä^jlsye u.g.A.Lb^
»Als dann der Scheich 'Utmän — Gott lasse den Ruhm des
Islams durch ihn dauern ! — sah, daß die Gemeinde groß geworden
war und daß sie die Trennung von den Ungläubigen und die Er-
klärung des Glaubenskrieges forderte, da begann er sie zu den Waffen
anzuspornen und sagte zu ihnen : »Das Bereitmachen der Waffen ist
Sunna!« Da begannen wir die Waffen bereit zu machen. Er aber
betete zu Gott, daß er ihn das Königtum des Islams in diesen Ländern
schauen lassen möge, und dichtete darüber seine Ful- Qaside 4)
AI- Qädirlja. «
Nach dieser Darstellung geht der Gedanke der Verbreitung der
religiösen Idee mit kriegerischen Mitteln, die dann zur Losreißung
von der Herrschaft der Hausafürsten führt, nicht etwa direkt von
'Utmän aus, sondern vielmehr in erster Linie von den Mitgliedern
der öamä'a, deren Willen 'Utmän nachgibt. Man könnte denken,
es sei dies ein Versuch 'Abdallahs, seinen Bruder von dem Ver-
dacht zu reinigen, daß er mit seinen religiösen Bestrebungen auch
politische Ziele verfolgte. Doch das wäre modern europäisch ge-
dacht. Die Auffassung, daß eine geistige Idee nur mit geistigen
Mitteln kämpfen darf, lag gewiß 'Utmän ebenso wie seinen Gegnern
fern. Immerhin war es ein verantwortungsvoller Schritt, zu dem
'Utmän sich jetzt entschloß, und 'Abdallah will einen Teil
dieser Verantwortung wohl auf die Gemeinde abwälzen. Übrigens
') F Q^O^j-w ^) M ^s 'i^^ 3) F »A>a.s
4) Die Frage, ob das Gedicht in Hausa oder Ful abgefaßt worden, ist, wie oben
schon erwähnt, noch nicht entschieden.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. 27
ist diese Wechselwirkung zwischen Führer und Volk, dieses Sich-
gegenseitighineinsteigern in die Spannung vor der Entladung, durch-
aus psychologisch begründet. Es kann indessen kein Zweifel sein, daß
'Utmän der eigentliche Urheber der ganzen Ful-Erhebung gewesen,
mag er sich nun der ganzen Tragweite seines Schrittes im vollen
Umfange bewußt gewesen sein oder nicht. Seine Qädirija aber ist
um mich des treffenden Ausdrucks G. A. Krauses zu bedienen, zur
»hausanischen Marseillaise« ^) geworden.
Die Antwort auf das Vorgehen *Utmäns von selten der Hausa-
könige blieb nicht aus. Bevor wir uns indessen diesen, sich mit
Blitzesschnelle zur Katastrophe zuspitzenden Ereignissen zuwenden,
sind zunächst die veränderten politischen Verhältnisse in dem Geburts-
lande der Ful-Revolution, in Göbir, zu betrachten.
Hier hatte sich inzwischen ein Thronwechsel vollzogen. Der
Tw. berichtet hiervon, sowie vor allem von der Rolle, die 'Utmän
bei demselben gespielt, kein Wort. Warum, ist aus dem Folgenden
leicht zu erraten. So müssen wir uns an die Darstellung halten, die
die HChr. von diesen Ereignissen gibt^).
Auf Bäwa Ga-n-Gorzo war sein Bruder Jakuba als Regent
für Bäwas noch unmündigen Sohn Junfa gefolgt. Derselbe starb
auf einem Kriegszuge gegen die Stadt Kjawa nach einer von Barth
auf sieben Jahre angegebenen Regierung 3). Bei seinem Tode hob
*Utmän seinen Schüler Junfa, den Neffen Jakubas, durch einen
Staatsstreich auf den Thron, indem er sich mit den daheim gebliebenen
Großen verband, Junfa mit dem Turban, dem Abzeichen der könig-
Uchen Würde, krönen ließ und dem im Felde stehenden Heere, welches
Boten gesandt hatte mit der Nachricht vom Tode Jakubas und der
Aufforderung, sich ins Feldlager zu begeben, um den neuen König
zu wählen 4), die bereits erfolgte Krönung Junfas mitteilen ließ.
Das Volk, zuerst zornig, fügt sich in das Geschehene, 'Utmän aber
wird von dem neuen König öffentlich mit Ehren überhäuft.
So der Bericht der HChr. Jedenfalls ging 'Utmän bei dieser
Intrige von der Berechnung aus, daß er seinen Schüler Junfa durch
seinen Einfluß zur Puppe in seinen Händen machen könne.
'Utmän war offenbar ein durchaus klarer, klug berechnender
Kopf, ein Mann, der mit beiden Füßen fest auf dem Boden der
') G. A. Krause bei Piuetze, Hausa-Sänger S. 9.
2) HChr. S. 176, 6— 177, 5/232, 30 ff.
3) Barth, R. & E. IV, 539.
t) Über das VVahlkönigtum bei den Hausa siehe Mischlich, Über Sitten und
Gebräuche in Hausa, Nr. 17 (MSOS. XI, 54).
_28 A. Brass,
Wirklichkeit stand und mit scharfem Blick wohl einsah, daß
seine religiösen Reformbestrebungen für ihn nur dann durch-
führbar waren, wenn er sich einen entscheidenden Einfluß bei dem
König verschaftte, einen Einfluß, der sich auf eine starke, einheitlich
organisierte Gemeinde stützte. Daher sein planmäßiges Vorgehen
bei der Entwicklung und Stärkung seiner Macht. Jetzt, beim Tode
Jakubas, bot sich ihm eine unwiederbringliche Gelegenheit, mit
einem Schlage den ersten Platz an der Seite eines Königs einzu-
nehmen, den er erzogen und dem er seine eigenen Anschauungen ein-
geimpft hatte. So setzte er sich über die Ungesetzlichkeit seines Unter-
nehmens hinweg und brachte den Prinzen auf den Thron, der ihm
ein gefügiges Werkzeug in seinen Händen zu sein schien und unter
dessen Regierung er das Reich des wahren Islam aufrichten zu können
glaubte. Denn daß 'Utmän von seiner religiösen Mission und der
dringenden Notwendigkeit einer durchgreifenden religiösen Re-
form durchdrungen war, läßt sich keinen Augenblick bezweifeln.
Seine Anhänger betrachteten ihn ebenfalls als einen Propheten,
obgleich der eigentliche Prozeß seiner Kanonisierung als der
Heilige der Ful ebenso wie bei Muhammed unter den Arabern
■erst nach seinem Tode eingesetzt hat. Dem Wesen des Islams ent-
sprechend, das Kirche und Staatsgewalt untrennbar miteinander ver-
einigt, diente das religiöse Motiv 'Utmän zugleich auch zu dem
politischen Zwecke, seine Anhänger fest aneinanderzuschweißen.
Es erscheint durchaus wahrscheinlich, daß 'Utmän selbst zunächst
an eine friedliche Lösung seiner religiösen Reformatorenaufgabe ge-
dacht, indem er zugleich durch seinen persönlichen Einfluß und seine
politische Macht Junfa zur Ausführung seiner Reformbestrebungen
bewegen oder quasi zwingen zu können glaubte. Indessen Junfa
scheint ein energischer Kopf gewesen zu sein, der wohl einsah, daß
ein solcher Staat im Staate das Ende seiner Königsmacht bedeute.
Diese Gegensätze drängten 'Utmän auf den anderen Weg, der ihm
noch often blieb, er machte sich bereit, seine Sache mit dem Schwerte
in der Hand durchzusetzen. Ebenso wie bei Muhammed, tritt
auch bei 'Utmän das politische Element mit der Zeit für unser
Gefühl derartig in den Vordergrund, daß wir leicht geneigt sind,
anzunehmen, daß die Religion für ihn nur Mittel zum Zweck der
Erreichung politischer Macht gewesen sei. Doch würden wir damit
der Psychologie dieser Theokraten kaum gerecht werden.
Über den Bruch zwischen 'Utmän und Junfa liegen zwei
ganz verschiedene Berichte vor, der der HChr. und der des Tw.
Der Tw. berichtet (M 14 r. 6, F 18 r. 13):
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. 2Q»
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(^3LjLx^xS Kä/«U \JÜi (j-3^1_5 >i)o^ •j-»l Q^3 ^^^^^^-^^ OJ""^^ '^ L?^''
') Fehlt in F. -) F UJLc 3) M xftiaj ^) M )^^ ^^^
5") Lies so statt ii)-j<^Äj in beiden Handschriften. ^) Mss. !»^J>Ls 7) F :i.U
8) Mss. «js.?» 9) F öl -XI '") F &ÄXJ ") M \.'*^ ^(AfJ ") ^ ~>y^ ^.^lIoL^
3) M 1x^x9
30
A. B r a s s ,
Ȇber den Grund unserer Auswanderung und unsern heiligen
Krieg und die Verse über die Schlachten darin.
Als die Könige und ihre Helfer sahen, daß die Schar des
Scheichs die Waffen bereit machte, fürchteten sie sich davor. Dazu
hatten sie schon vorher deren starke Zahl und ihr Sich-absondern
von ihren Befehlen erzürnt. Da sprachen sie die Feindschaft offen
aus, sie bedrohten die Schar mit Raubzug und Ausrottung und was
ihre Brust an noch Schlimmerem barg. Und sie verboten, was sie
hörten, daß Tracht der Schar sei, wie die Turbane und die Vorschrift für
die Frauen, sich zu verschleiern. Da fürchteten sich einige aus der
Schar vor ihrer Drohung, nämlich die Leute unseres Bruders 'Ab-
dessaläm. So wanderten diese schon vor uns aus nach einem Ort
in Kebbi mit Namen Gimbana. Der Sultan von Göbir schickte zu
ihnen, sie sollten zurückkehren, aber sie weigerten sich. Darauf
sandte dieser Sultan zum Scheich eine Aufforderung, er solle zu ihm
reisen, und wir reisten zu ihm. Er beabsichtigte uns umzubringen,
aber Gott gab ihm keine Gewalt über uns. Als wir zu ihm eintraten
in seinen Palast, da kam er zu uns, und wir waren unser drei, der
Scheich, ich und 'Umar al-Kamawi, des Scheichs Freund. Da
warf er sein Naphta auf uns, um uns mit dessen Feuer zu ver-
brennen, aber das Feuer kehrte auf ihn zurück und hätte ihn
fast vor unsern Augen verbrannt, während von uns keiner ver-
brannt wurde. Er aber floh nach hinten zurück. Nach einer
Weile kehrte er zu uns zurück und setzte sich in unsere Nähe,
wir aber kamen zu ihm und redeten ihn an. Er sagte zu uns:
,Wisset, daß ich keinen solchen Feind auf Erden habe, wie euch',
und erklärte uns seine Feindschaft und wir erklärten ihm, daß wir
uns nicht vor ihm fürchteten, da ihm Gott keine Macht über uns
gegeben hätte. Darüber sagte er etwas, was Gott ihn sagen ließ,
ich kann es aber hier nicht wiedergeben. Gott aber hielt ihn von
uns zurück. Und wir gingen von ihm weg zu unserer Wohnung,
und niemand wußte von dieser Angelegenheit etwas außer uns. Der
Scheich sagte zu uns: ,Haltet dies geheim, und ich will zu Gott
für uns beten, daß wir nicht wieder mit diesem Heiden zusammen
treffen'. So betete er und wir sprachen Amen dazu.
Dann kehrten wir heim in unser Land. Jener aber sandte darauf
ein Heer aus gegen die Schar des 'Abdessaläm und bekriegte sie.
Und er tötete, wen er tötete von den Muslimen, und nahm ge-
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. 5 £
fangen, wen er gefangen nahm. Der Rest zerstreute sich im Lande
Kebbi. Dieser Erfolg vermehrte noch seinen Hochmut und seine
Anmaßung. Und er und die ihm folgten von den Leuten seines
Landes, Heiden und Übeltäter, begannen uns mit solchen Dingen
zu bedrohen. Schließlich sandte der Sultan an den Scheich die
Aufforderung, er solle seine Gemeinde verlassen und sich in einen
anderen Distrikt begeben, er allein mit seiner Familie. Da ließ ihm
der Scheich sagen: ,Ich verlasse meine Gemeinde nicht, aber ich ver-
lasse dein Land. Gottes Erde ist weit!' Und wir rüsteten uns zur
Auswanderung. Da schickte der König dem Scheich den Befehl,
sich nicht von seinem Orte zu entfernen. Dieser aber weigerte sich
und wir wanderten aus zu einem. Orte außerhalb des Landes (Jun-
fas) in der Steppe mit Namen Oudu.«
'Abdallah berichtet uns nur von der Entwicklung der Feind-
seligkeiten, verschweigt uns aber, w^orin das »Sichabsondern von den
Befehlen« der Fürsten bestanden hat, das diese so zum Zorne reizte.
Hierüber gibt uns die HChr. bessere Auskunft. Danach wäre es u. a.
das eigenmächtige Vorgehen *Utmäns gewesen und das Übergehen
der Person des Sultans in Dingen, die eigentlich dessen Sache
gewesen wären, wie die Durchführung des Grundsatzes von der Frei-
heit aller Mohammedaner, sowie überhaupt der mangelnde Respekt
*Utmäns und seiner Anhänger vor dem Fürsten und seinen Organen.
Von der Szene im Schloß des Königs weiß die HChr. nichts. Sie
wurde ja auch, wie 'Abdallah berichtet, ausdrücklich geheim ge-
halten. Der Bericht der HChr. lautet wie folgt:
Nach der Erwähnung der hohen Ehrungen 'Utmäns durch
Junfa bei Gelegenheit der Thronbesteigung fährt die HChr. un-
mittelbar fort'):
»Eines Tages lehnten sich die Bewohner der mächtigen Stadt
Döso in Sabarma, die dem (schwachen) König von Kebi gehörte,
auf Dieser sandte zum König von Göbir und bat ihn, er möge
die Stadt bekriegen und einnehmen. Der König von Göbir willigte
ein und sandte Waru Kunkunbere mit 700 Reitern ab. Dieser
kam auf seinem Wege durch eine gewisse Stadt mit Namen
Ginbana. In dieser Stadt lebte ein angesehener Hausapriester
namens Abdu-l-Salämi mit vielen Schulkindern. Derselbe fürchtete
Gott. Als Waru kam, stand er am Tore der Moschee. Er sagte
zu diesem Priester, er solle herkommen und ein Gebet für ihn
verrichten, weil ihn der König von Göbir in den Krieg gesandt
') HChr. S. I77> 5— 179' 11/233, 6 ff.
^2 A. B rass ,
habe. Dieser Priester kam jedoch nicht, sondern sagte, er habe
keine Zeit. Waru zog ab, führte Krieg und nahm die Stadt
Döso ein. Er wählte vier gute Sklaven aus, kam wieder zurück und
sagte zu dem Priester, er solle herkommen und ein Gebet für ihn
verrichten, er bringe ihm als Opfer vier gute Sklaven. Der Priester
weigerte sich jedoch zukommen. Waru wurde zornig und zog ab.
Er erzählte es dem König von Göbir und sagte: ,Sieh, ein Priester,
der mich verachtete. Derjenige, der mich verachtet, verachtet auch
dich. Du hast gehört, was wir gemacht haben.' Der König sagte:
, Kehre zurück, fange ihn und bringe ihn hierher!' Waru kehrte
nach Ginbana zurück, überfiel die Bewohner sehr rasch mit Krieg
und besiegte sie. Angesehene Leute begaben sich in die Moschee;
Waru ließ sie daselbst und nahm nur Kinder, Frauen und junge Leute
eefaneen. Um dieselbe Zeit, als der Sohn des Födio die Nachricht
hörte, daß man die Bewohner von Ginbana besiegt habe, befand er
sich im Lager von Fako. Viele Fulen versammelten sich bei ihm,
weil er sehr verehrt war. Sofort sandte er 'Abdu-1-Lähi ab. Erging
und sagte zum König von Göbir: ,Priester Usmän läßt dir sagen,
daß dieser Priester, den du befohlen hast zu besiegen und herzu-
bringen, sein Schüler sei. Auch in dieser seiner Stadt gäbe es ein-
zelne Mohammedaner, weshalb er dich bitten läßt, du möchtest ihm
die Ehre erweisen, und diese Mohammedaner nicht zu Sklaven machen,
sondern freilassen.' Yunfa antwortete: ,Sage ihm, er möge sich an
den Weg stellen, wenn diese Krieger kommen. Er möge Ausschau
nach ihnen halten, und wenn er diese Mohammedaner sähe, so möge
er sie versammeln (getrennt von den übrigen) und dann zusammen
mit Waru zu mir zu kommen, auf daß ich sie für ihn befreie.' Der
Priester Usmän stellte sich mit seinen Leuten auf den Weg. Als
diese Krieger kamen, sagte er kein Wort, sondern band alle Sklaven
los, Männer und Frauen, und ließ sie frei. Als Waru kam, fragte
er, wer die Sklaven losgebunden habe. Man sagte ihm: ,Der Priester
Usmän.' Er fragte weiter, warum .^ Man sagte ihm, der König von
Göbir habe es so angeordnet. Waru wurde zornig, ließ alle Sklaven
los, ging zum König von Göbir und fragte ihn: .Warum hast du
mich in den Krieg geschickt.^ Ich habe Sklaven gefangen, du sagst,
man soll sie losbinden und freilassen, obwohl du sie nicht einmal
gesehen hast.' Yunfa entgegnete: ,Wer hat das getan .^' Waru
sagte: ,Der Priester Usmän.' Yunfa sagte: ,Ich habe nicht so ge-
sagt. Du hast gehört, was Usmän sagte, und sieh, was ich sagte.'
Dann sandte Y'unfa einen Boten namens Barmo ab und sagte zu
ihm: ,Geh', sage dem Priester Usmän, der König rufe ihn auf der
Eine neue (,)iielle zur Geschichte des Fulieiches Sokoto -, ->
■ 0 :>
Stelle!' Der Bote ging, aber der Priester Usman weigerte sich zu
kommen. Der König wurde zornig und sandte den Polizeiobersten
ab. Er sagte zu ihm, er solle ihn mit Gewalt herbringen. Als er
kam, sagte der Priester Usmän, man solle ihm Schläge geben. Dem
Polizeiobersten wurden daraufhin Schläge verabfolgt. Die Göbir-
leute sagten: ,Heute ist es nicht gut, seit man den Pohzeiobersten
des Königs geschlagen hat.' Der König sandte alsdann den General
von Göbir ab, um Usmän zu bekriegen.«
Die Ereignisse werden sich also etwa folgendermaßen zugetragen
haben :
Im Staate Göbir liatte sich durch die systematische Propaganda-
tätigkeit 'Utmäns ein neues Gemeinwesen auf religiöser Basis gebildet,
das indessen dort nicht lokahsiert blieb, sondern sich mit einer großen
Anzahl von Stützipunkten über nahezu alle Hausastaaten nördlich
des Benue von Bornu bis nach Timbuktu hin ausgebreitet hatte.
Daß die Könige dieser Staaten nun doch allmählich mit >oroe auf
dieses immer mehr an Macht zunehmende Gebilde hinzublicken be-
gannen, ist leicht verständlich. Persönliche Reibungen des Sultans
Junfa mit dem Führer der Bewegung, dem er den Thron verdankte
und der deshalb leicht geneigt war, seine Würde nicht zu respektieren
und ihn nur als Werkzeug zu benutzen, verstärkten das Mißver-
hältnis. So trafen sie denn zunächst Maßregeln zur Unterdrückuntr
der äußeren Abzeichen der Gemeinde, indem sie Turban und
Schleier verboten. Zieht man in Betracht, welche außerordent-
liche Bedeutung im ganzen Orient den äußeren Abzeichen in
der Kleidung beigelegt wird, vor allem, wenn es sich um die
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bruderschaft handelt, so wird
es klar, wie empfindlich ein solches Verbot eine erfolgreiche
Propaganda der Gemeinde treffen mußte. Neben diesen sozusagen
polizeilichen Maßregeln ließen die Hausafürsten aber auch deutlich
durchblicken, daß sie gesonnen seien, nötigenfalls dem weiteren Um-
sichgreifen der Gemeinde mit Waffengewalt Einhalt zu tun. Durch
diese Drohungen veranlaßt, spaltet sich ein Teil der Schar unter
dem Hausapriester 'Abdessaläm ab und wandert nach Gimbana
aus. In der Tatsache, daß 'Abdessaläm bei Beginn des Bruches
zwischen 'Utmän und Junfa in Gimbana ist, stimmen Tw. und
HChr. überein. Hier mag sich dann ein Vorfall, wie ihn die
HChr. beschreibt, abgespielt haben. Jedenfalls zeigte derselbe, wie
selbstherrUch 'Utmän gewohnt war, sich zu betragen. 'Abdallah
berichtet, Junfa habe zuerst 'Ab dessal am selbst befohlen, zurück-
zuwandern, dann aber nach dessen Weigerung sich an den Oberherrn
Islam X. ,
■JA A. B r as s ,
der Gemeinde, an 'Utmän , gewandt, den er zu sich zitiert. Bei dieser
Audienz, der kurz darauf eine zweite folgt, ohne daß eine Einigung
zustande kommt, geht es heiß her. Über den Inhalt der Verhand-
hnip-en erfahren wir von ^Abdallah nichts Näheres. 'Utmän hat
in denselben wohl im Bewußtsein seiner Macht und in seinem reli-
giösen Fanatismus an Junfa Forderungen gestellt, die ftir diesen
unannehmbar waren und im Falle von deren Nichterfüllung mit der
Auswanderung, d. h. dem Kriege gedroht. Jedenfalls kann aber wohl
als sehr wahrscheinlich angenommen werden, daß 'Utmän an dem
Bruche mit Junfa bei weitem nicht so unschuldig ist, wie es der
Tw. versucht darzustellen.
Nach diesen Auseinandersetzungen mit 'Utmän geht Junfa
nun offen mit Gewalt vor. Er legt es darauf an, die Gemeinde gänz-
lich zu vernichten. Zuerst greift er 'Abdessaläm an, dessen An-
hänger er zersprengt. Dann verfolgt er andere abgesonderte Teile
der Gemeinde und schließlich trachtet er die Muttergemeinde selbst
dadurch zu lähmen, daß er ihr das Haupt zu nehmen versucht.
*Utmän beantwortet diesen Schlag Junfas mit der Auswanderung
aus Göbir, und damit ist der oifene Kriegszustand zwischen ihm und
dem König ausgebrochen.
II. Die Kriege mit den Hausastaaten und die Begründung
des Kaiserreichs Sokoto.
Eine chronologische Darstellung der Ereignisse, die mit der Higra
ansetzen, ist mit außerordentlichen Schwierigkeiten verbunden. Außer
den spä,rlichen Daten, die sich aus den Angaben des Tw. für die ersten
Jahre der Kämpfe gegen die Hausafürsten errechnen lassen, sind wir
gänzlich auf die mündliche Überlieferung angewiesen, deren Genauig-
keit natürlich im allgemeinen eine zweifelhafte ist, solange es sich
nicht um gleichzeitige Ereignisse handelt. Die HChr. ebenso wie die
KChr. geben gar keine Daten.
BuRDON gibt das Datum der Higra auf den 12. Du'l-Oa'da 1218/
23. Februar 1804 an ^). Damit befindet er sich freilich im Konflikt
mit den bisherigen Datierungen dieses Ereignisses. Barth gibt zwei
sich widersprechende Daten, einmal 1802 -), das andere Mal 1803/04 3).
Monte IL gibt 1802, Mockler-Ferryman 1800. Die Datierung der
Higra auf 1802 ist nach den Angaben des Tw., der als Datum 1218/
I) Sokoio history, Tafel i.
-) R. &. E. IV, S. 152.
3) R. &. E. IV, S. 169.
Eine neue (^)uelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. ^c
1803/04 angibt i), zu früh gegriffen. Es ist zudem auch sehr unwahr-
scheinhch, daß zwischen der Higra und der ersten Schlacht am Teiche
Koto, die der Tw. auf den 12. Rebr I. 1219/22. Juni 1804 datiert 2),
ungefähr 2 Jahre verflossen sind. So ist die BuRDONSche Datierun«-
-4 Monate vor der Schlacht bei Koto, am 12. Du'1-Oa'da 12 18 aller
Wahrscheinlichkeit nach die richtige.
Über die nächsten Ereignisse nach der Higra berichtet 'Abdallah
folgendes (M 14 v. 9, F 19 r. 9) :
OJ-*^^- [^-^^ g^-^' ,_5-^5 j;x^j ^^xi ij^i' (3LLXi>Lj ^jl 5j>^ ti^_» ^Ls
-.-Ldc .:^x.:i.J! 'wi-oLs idOJ» <Ax^S Ui L-oi.«.Äs^Ls L-Öji! ;jij.>.:>i.J! .,JL«^
^,\ !^kl\ J^.^^0 'c^-i^s ^-i;^^3 IXaIa\ |^L5' oUö J-xä j.^^ 'ü.>j! J;-...-^;.'
*i- Li*i> .i)Up wI-ä:^ ^2 xx^iU v_jU-<i! (-^j^^JL^i :«üi.Lj"S ^ic ^.xjLj ^x>
- o , ,
O-^^^ r"-^' ^-^^'« O*'^^^ i.^^^x5^ j*5^Lj»j.x: '^-b^iij (^CJ-*^ (^__jci:>:>o 'jJLx:>.
l7Xjj,Ji ^^x ;jij.>.>^l ^4^ ^\^ä^ l;.J! oi.-o j^js. ^jLLiJL« i:.L=^ ^^^5' (_.,'LliJL^
.Äj -^.i>L5 ^Ll! "^t (*^«OwV£ ^xj "b' L^ i^i ^^otxxjl ^x^:^LäJU ^jU;:i^
»Da gab der König den Gouverneuren seines Landes den Be-
fehl, sie sollten jeden ergreifen, der zum Scheich reise. Da begannen
sie die Muslime in Anfechtungen zu bringen, indem sie sie töteten und
ihre Habe wegnahmen. Schließlich kam es so weit, daß sie Heere gegen
uns entsandten. Da versammelten wir uns, als das immer ärger wurde,
und machten den Scheich zum Emir über uns, damit feste Ordnung in
unsere Sache käme, denn vorher war er (nur) unser Imam gewesen 12). Ich
M In dem Schlüsse des Tw. (s. o.) wird angegeben, das Jahr T22S sei das Zehnte
nach der Higra 'Utmäns.
^) S. u. S. 38,..
3) M Äi>Lj die Stelle fehlt in F bis *. •*) M U 5) F .Ij
'-) Das Lj,A/9L muß wohl an dieser Stelle pcstrlchen werden.
... J! o
^6 A. Brass,
aber war — gelobt sei Gott! ■ — der Erste, der ihm den Huldigungseid
zum Gehorsam und auf das Buch und die Sunna leistete. Dann warfen
wir dortselbst eine Befestigung aus und nahmen Rache an denen,
die uns bekriegt hatten, und bekriegten und eroberten die Feste ^)
Mutankari-), später auch die Feste des Sultans von Konis). Da
rückte der Sultan von Göbir, Junfa, gegen uns heran. Der hatte die
Heere der Nuba und der Tuareg und derjenigen Ful, die ihm Gefolg-
schaft leisteten, gesammelt — Gott allein kennt ihre Zahl! Da
schickte der Fürst der Gläubigen 4) ein Heer aus gegen ihn und über-
trug mir den Oberbefehl darüber. Wir stießen mit dem Feinde zu-
sammen an einem Orte mit Namen Qu r dam, nahe an einem Teiche,
der dort lag, namens Koto. Gott aber schlug ihre Heere in die Flucht
in seiner Gnade und Güte, ihm gebührt Lob und Dank. Und wir er-
beuteten ihren Besitz und töteten und verjagten sie. Dann kehrten
wir wohlbehalten zum Scheich zurück.«
Nach diesem Bericht unternimmt also 'Utmän seine ersten Züge
von einem in dem Orte Qu du, dessen Lage leider nicht zu ermitteln
ist, als Stützpunkt angelegten Fort aus. Von dort aus erfolgt dann
die Einnahme der Orte Mutankari und Birni-n-Koni. Die HChr. be-
richtet auch von einem Angriffe eines Generals von Gobir, den 'Utmän
zurückweist. Vielleicht handelt se sich dabei um ein Gefecht am
Rima, denn dieser Name wird im Tw. des öfteren zusammen mit
Mutankari und Koni erwähnt. Inzwischen hat Junfa sein Heer ge-
sammelt, das außer seinen eigenen Truppen noch aus den Kontin-
genten der Tuareg, Nüba und der nicht zu 'Utmän stehenden Ful
bestand. Man ersieht daraus, daß selbst in nächster Umgebung
'Utmäns durchaus noch nicht alle Ful sich seiner Sache angeschlossen
hatten — wie sich später zeigt, waren unter diesen sogar zwei Oheime
'Utmäns, - — • sondern daß ein Teil derselben ohne weiteres gegen ihre
Stammesbrüder mit deren Feinden zu Felde zogen. Es kann also
nicht richtig sein, wenn die HChr. 179, letzte Zeile, behauptet, Junfa
habe eine allgemeine Fulverfolgung angeordnet, da »es recht sei, die
') Der Tw. nennt beinahe jeden Ort eine Feste f . Ai:s-Y Die Städte in den Hausa-
staaten sind fast alle mit Mauern umgeben, um sie gegen räuberische Überfälle der Nach-
barn zu schützen. Obwohl diese ^lauern \on primiti\ster Konstruktion waren, charakte-
risierten sie die damit umgebenen Orte in den Augen der Ful als Festungen.
*) Von den beiden bei Barth, R. & E. IV, S. 549 und 552 genannten Orten dieses
Namens kommt hier wohl nur der bei Sabo-n-Birni in Betracht.
3) Birni-n-Koni.
4) 'Utmän nimmt also nunmehr nach seiner Wahl, die nach dem Vorbilde des
Khalifenstaates erfolgt, den Titel .linli u'l-Mu'minin an.
Eine neue Oiielle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto.
n
Ful vollständig auszurotten«. Als den mit Junfa verbündeten Tuareg-
stamm bezeichnet eine Randnote des Tw. (Hdschr. M) die Asbinleute.
Die IlChr. berichtet ebenfalls, daß Junta mit dem König von Asbin,
Agunbulu, dessen Name auch im T\v. an anderer Stelle genannt wird,
verbündet gewesen sei.
Über (\i:\\ W'rlauf der großen Befreiungsschlacht bei Ourdam be-
riiditcn zwei von 'Abdallah auf den Sieg gedichtete QasTden genauer
(M 15 r. ff., F 29 V. 3 ff.). Danach waren die Truppen der Gemeinde
unter dem Oberbefehl 'Abdallahs nach Osten marschiert, um dem
von dort erwarteten Feind entgegenzuziehen. Dieser hatte indessen
offenbar eine Umgehung ausgeführt und stand westlich von 'Ab-
dallah. Er beabsichtigte wohl das von Truppen entblößte Qu du -Fort
zu überfallen. In eiligstem Gewaltmarsch rückt 'Abdallah in der
Nacht vom lo. auf den ii. Rebi' I. zurück durch das Fort Qu du nach
Qurdam, dessen Lage unbekannt ist, das aber wohl nicht weit nördlich
des Rima zu suchen ist. Hier kommt es dann an einem Teiche namens
Koto zur Schlacht, in der Junfa eine entscheidende Niederlage
erleidet, obwohl er nach den Angaben des Tw. über die doppelte Über-
macht verfügte, und die Truppen 'Abdallahs infolge des angestrengten
Marsches ermattet und dezimiert waren. Junfa selbst vermochte
sich mit einem Teile seiner Panzerreiter in wilder Flucht durch die
Wälder von Bagüi an den Rima zu retten, wo er die Trümmer seines
Heeres sammelte. Seine Weiber, sein ganzer Train, darunter die könig-
lichen Insignien, Trommeln und Blasinstrumente, sowie eine gewaltige
Menge von Panzern und Waffen fielen in die Flände des Siegers. Be-
sonders die Erbeutung der letzteren wird 'Utmän außerordentlich
willkommen gewesen sein^). Die HChr. berichtet von einer dreitägigen
Schlacht, am ersten Tage habe 'Utmän 5 000 und am zweiten Tage
4500 Mann Verluste gehabt, habe aber am dritten die feindlichen
Armeen vollständig geschlagen. Agunbulu sei gefallen. Das letztere
beruht indessen auf einem Irrtum; aus dem Tw. geht hervor, daß Agun -
bulu noch in der mehrerejahre später geschlagenen Schlacht bei Fäf ara
gegen 'Utmän gekämpft hat-). Die Darstellung der HChr. verfolgt offen-
sichtlich die Tendenz, die Schlacht und den endlichen Sieg 'Utmäns
als m()glit-hst großartig hinzustellen. Aus dem Schlußsatze des obigen
') Sehr interessant ist auch die Mitteilung im Tw., daß eines der Kampfmittel im
Werfen vor brennendem Naphtha bestand (M 16 v. 10), das Junfa schon bei der denkwürdigen
Unterredung mit 'Utmän vergeblich anzuwenden versucht hatte. Vgl. hierzu M. J. de
GoEjE, Quelques observations siir le feu Gregeois, in Estndios de Erudicion oriental (Hom.
a. D. Francesco Codera, Zaragossa, 1904).
^) S. u. S. 51, 7 V. u.
-.0 A. B r ass ,
Berichtes des Tw. geht hervor, daß 'Utmän persönHch an der Schlacht
gar nicht teilgenommen hat, so daß das Verdienst des Sieges allein
seinem Bruder 'Abdallah zukommt. Das Datum der Schlacht gibt
der Tw. auf Donnerstag den 12. Rcbl' I. 1219/22. Juni 1804 an^j. Bur-
don weicht in der Datierung um 7 Tage ab, er setzt die Schlacht auf den
19. Rebi' I. an. Das Datum des Tw. ist als das richtige zu betrachten.
Die Folgen des Sieges 'Utmäns waren bedeutend. Die Angriffs-
kraft von Göbir war fürs erste gelähmt. Zuerst sendet *Utmän bzw.
sein Bruder ^\bdalläh nun an die noch ■ heidnischen Ful, an seine
Oheime mütterlicherseits Dädi und Zaid, und fordert sie in einer
langen Siegesqaside auf, sich der Gemeinde anzuschließen.
Die nächste Folge von Koto war eine verschärfte Muslimenver-
folgung in den gesamten Hausastaaten, deren Könige nunmehr mit
erschreckender Deutlichkeit die Größe der Gefahr für den Bestand
ihrer Reiche vor Augen sahen. Wahrscheinlich ist dies die Fulver-
folgung, die die HChr. vor Koto ansetzt, und ist )>Muslimün« des Tw.
gleich »FulänU der HChr. zu setzen. Die Kämpfe 'Utmäns gegen
die Hausastaaten zeigen immer deutlicher das Bild des Rassenkampfes
der Ful gegen die Hausa.
Über die auf die Schlacht von Koto folgenden Ereignisse be-
richtet der Tw. (M 17 r. 11, F 21 v. ult.):
oLf> Jo' ^^A laüil J^\ ^^.X^Jss \J! .xLaj.i L'w^oLäJ! jijs. j-^^ ^^
l5
o
I) Dieses Datum ist aus den Angaben des Tw. M 15 r. 12 — 18 errechnet. Daraus
ergibt sich: i) Befehl 'Abdallahs zum Marsche nach Koto: 10. RebT' I.: 2) Marsch
durch das Qudu-Fort: Nacht des 10. auf den 11. Rebl'; 3) Aufstellung des Fulheeres:
II. Rebi* bis zum Abend. Die Schlacht selbst ündet nach M 16 v. 3: ^v^-m-^^i »yr.
gto J^ d.h. am Donnerstag den 12. Rebl' I. statt.
^)'m ^yxiü 3) F ^,,JL-mJ< ") F U^i^ ^ -) ^ jL-^
^) M J :) F ^ . ytj verbessert in ^^;_-^. ^ ^^ (»^-^ ,*^5
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d^jrtfr-
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Eine neue (^)uelle zur Geschichte des Fulieichcs Sokoto. ^q
u\*j:?U8 'ui^i>^ ÄA/8fcj C'i^LUl «_^5>l>o ('^,*.AX/a ^^'i-:^ ^V«
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Jü'Laö? Ui *Lj^fti! -Jlc ,Jv.5l ^ l\a/!..j ^i>.ä5'. *^^c» J>^*av iA^>^^/fl ,-^j uX.j;.
.,j-Ju*^j5 ,.,_jJUäj .Joti! J-jJ^I lÄxäJ (T-^^^* f*T*^*^ i__^'*^-^ ^'»-^-^-^^•==*3
»joJ! xi.Ji j*.Ij ^» i^L;i-» .Ax^ji»
»Als nun Gott den Sultan von Göbir zurückgeschlagen hatte,
begannen wir sie mit Krieg zu überziehen, während sie uns nicht be-
kriegten. Das erzürnte alle Könige in Hausa und sie wurden dadurch
gedemütigt. Da begannen sie die Muslime, die unter ihnen waren, in An-
fechtungen zu bringen, so daß diese sich nach einem Distrikt zurück-
zogen. Darauf kämpften wir mit ihnen, und es öffnete uns Gott das Land
des Emirs von Kebbi und wir zogen ungefähr einen Monat nach der
Niederlage des Junfa dorthin. Dann, nach ungefähr zwei Monaten,
kehrten wir .zurück ins Land Göbir und eroberten Lande, die ich,
so Gott will, in der Oaside: ,Das Eroberungsheer' nennen werde. Der
Fürst der Gläubigen rüstete alsdann ein Heer aus und gab mir den
Oberbefehl über dasselbe gegen fUe Feste des Emirs von Göbir, Al-
qalaua. Wir gelangten zu ihr hin und stürmten dreimal gegen sie
mit größter Wucht von allen Seiten her an. Aber Gott bestimmte
uns nicht, sie damals (schon) einzunehmen. Dann kehrten wir zum
Scheich zurück auf die Nachricht hin, daß die Tuareg über unsere
Familien herfielen. Ich war damals am Fuß durch einen Pfeil ver-
wundet beim ersten Sturmangriff, Gott aber machte mir rlie Sache leicht.
Als wir nun zum Scheich kamen, machte er sich auf mit der ge-
samten Anhängerschar und der Familie, und wir gelangten zu einem
Orte mit Namen Cuneua. Da versammelten sieh die Heere von
■■) Jvl ^\^ (') Felill in M. 7) F ^^ ,^xi
40
A. B r a s s .
Göbir mit ihren Tuareg und man ließ sie uns unerwartet überfallen.
Wir hatten aber nicht eher von ihnen etwas gemerkt, als bis sie schon
da waren bei uns unter unseren Familien. Die Gemeinde traf mit
ihnen zusammen und es stieß ihr eine Niederlage zu. Es fielen von
ihr unzählige ihrer Besten, unter andern der Bannerträger an jenem
Tage, unser Bruder Muhammad b. Hasan, der unter dem Bei-
namen Sa'dän^) bekannt war; ferner der Imäm Muhammad Sambo
b. *Abderrahmän und Zaid b. Muhammad Sa'd. Ich war an
jenem Tage wegen der Pfeilwunde am Fuß nicht imstande aufzustehen.
Als aber die Flucht bis zu uns kam, stand ich auf, obgleich ich lahm
war. Ich traf auf die Flüchtlinge und warf mich ihnen entgegen.
Einige folgten mir, bis wir auf die erste Reihe des Feindes stießen,
wie sie gerade mordete und raubte. Da stellte ich meine Leute in Reih
und Glied auf und "wir schössen auf den Feind auf einmal eine Salve
ab. Da wurde der größte Teil von ihnen überwältigt und nicht einer
blieb stehen. Gott aber jagte sie in seiner Macht in die Flucht und
wir verfolgten sie. Als die Flucht vor dem Scheich gekommen war,
da stieg er zu Pferde und folgte uns, aber als er kam, hatte Gott den
Feind schon in die Flucht gejagt.«
Bevor also 'ütmän in Ausnützung seines Sieges nun seinerseits
die Offensive ergreift, unternimmt er zuerst einen Stoß zur Sicherung
seiner Flanke und seines Rückens gegen das benachbarte Kebbi, un\
alsdann freie Hand gegen Göbir zu haben, ohne daß er eine Bedrohung
seiner Operationsbasis in Abwesenheit seines Heeres zu befürchten
braucht. Etwa einen Monat nach der Schlacht bei Koto, also im
Rebr II. 12 19/ Juli-August 1804 rückt er in Kebbi ein und »erobert
das Land« in zweimonatlichem Feldzuge. Von einer vollständigen
Eroberung von Kebbi kann indessen hier noch gar nicht die Rede
sein, wie die schweren Kämpfe mit Kebbi in den nächsten Jahren
beweisen. Der ganze Zug gegen Kebbi ist eben nur als ein Sicherungs
stoß aufzufassen, der die Einwohner von Kebbi auf einige Zeit in
Schach halten sollte und daher auch nur die Unterwerfung der nächst-
gelegenen Landstriche umfaßt haben wird.
Nach Ausführung dieser Vorsichtsmaßregeln wendet sich 'Utmäu
dann seiner Hauptaufgabe, der Vernichtung Göbirs, zu. Zunächst
erobert er eine Reihe von festen Plätzen und entsendet dann ein Heer
unter dem Kommando 'Abdallahs gegen die feindliche Hauptstadt
Alqalaua. Der dreimalige Sturm mißlingt^), 'Abdallah selbst erhält
■) »Der Pavian«.
-) Es zeigt sich hier, wie bei vielen späteren Gelegenheiten, wie ungeeignet die Reiter-
hecre der Ful zur Belagerung von Städten waren.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto.
41
einen Schuß in den Fuß. Zudem trifft die Nachricht eni, daß die
Tuareg eingefallen seien. Da zieht 'Abdallah von Alqalaua ab.
Nach der Rückkehr des Heeres zieht 'Utmän mit seiner gesamten
Macht den wiederum die Offensive ergreifenden Göbirleuten und
Tuareg entgegen. Er wird indessen bei Cuncua überfallen und unter
.schweren Verlusten geschlagen. Nur dem entschiedenen Eingreifen
'Abdallahs glückt es, mit einem kleinen Häuflein der Flüchtigen
die Verfolgung des Feindes zu hemmen und dessen Vorhut zurück-
zuwerfen. Ja, nach der Schilderung 'Abdallahs hat sich der an-
fängliche Sieg der Verbündeten in eine Niederlage verkehrt. Das
scheint allerdings auch aus der sonst unverständlichen Tatsache hervor-
zugehen, daß auf die Schlacht bei Cuncua, gleichsam als deren
Folge, eine zweite Belagerung Alqalauas stattfindet. Der Tw. fährt
nämlich fort (M 17 v. 13, F 22 v. 5):
O" ^r^-v" Lf" '■^^'^3 (jr^"^ -A.A.x.*^i ^vj^- ^^>.Ä.j ^j
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-^Jj->'-^ ^^■^ '.N-Ä-w ^.^1 AÄc i-?^5 -Ü.>OfcS JJCi .-^i .^A LÄJ xJÜ! (^ L.g.rg>J^s vXi»
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...ixL. _^].^j N.r^.XÄi ^J \j (^-;.>ci> viJ.:^i *j, >sl\.L .3»^ J! Lv.;-5 \j ^
l5
WÄJ
»vsA_
c-i-«.-' j-5 -Pac c'^^'fr*^ "^^^^ .,^iiL.v
-J- j*— -^'' ^^ -^r-^N-C -Jw-yv. (,^J .,^i_lAAv ^J.^1^* ^j.>^5 ^Ax^.;:^ .^,
\*/5 C;..w ,JtJl
j.>.5 ^Ax^.;^ •yJ.wvs^»
»Nach diesen Ereignissen brachen wir dann auf, bis wir in die
Nähe der Feste Alqalaua kamen, und belagerten sie ungefähr
einen Monat lang. Dann zogen wir, als der Hunger in der Gemeinde
zu stark wurde, nach dem Lande Zanfara und Gott öffnete es uns
ohne Kampf. Wir langten dort ;m am Ende des ersten Jahres nach
') M wÄ-\;;i =) M ü^.i; 0 M ■!.^^.^^\ ') !•
.XaJI
5) F ^^,
A2 '^- B r a s s ,
unserer Auswanderung im Monate Du'1-OaMa. Als wir das Opferfest-
gebet verrichtet hatten, machte ich mich bereit, den Emir von Kebbi
zu begleiten, der samt seiner Gefolgschaft zum Islam übergetreten
und unserer Gemeinde gefolgt war, bis wir mit ihm zu dem Orte zu-
rückkehrten, wo wir gelagert hatten — nämlich Säbo-n-Gari — , um
ihn nach seinen Wohnort zurückzubringen. Und wir führten den
Glaubenskrieg gegen das Land des Sultans von Kebbi, der sich ge-
weigert hatte, Folge zu leisten, und ich rüstete zu diesem Zwecke
ein Heer aus. Das ist das , Eroberungsheer'. Und wir marschierten
mit denen, die uns folgten. Da stießen die Leute des Landes des Sultans
von Gumi mit uns zusammen in einer Schlacht bei einer Festung
namens Kunda, und wir eroberten alle Orte bis zum letzten Ort jenes
Landes und ließen keine Festung unerobert. Da bat der Sultan von
Gumi uns um Gnade, ich aber gewährte ihm Gnade in seiner Festung
nur unter der Bedingung, daß ich. wenn ich von dem Kriegszuge
heimkehrte, mit ihm zum Fürsten der Gläubigen reiste, und so ge-
schah es. Gott öffnete uns einige zwanzig Festungen, darunter die
Feste des Sultans von Kebbi. Sie werden in dem Gedichte auf-^e-
zählt werden. Wir aber kehrten — Gott sei gepriesen! • — wohlbe-
halten und beutebeladen zurück.«
Die zweite Belagerung der feindlichen Hauptstadt endigt als«"»
wiederum mit einem Mißerfolg. Diesmal muß die Belagerung wegen
Hungers bei den Belagerern aufgegeben werden. Das Datum dieser
zweiten Belagerung Alqalauas läßt sich auf die Monate Sawwäl bis
DuM-Qa'da 12 19/ Januar bis Februar 1805 festlegen. Im Du'1-Oa'da
12 19 bis gegen Mitte Du'1-Iiigga desselben Jahres folgt dann die Er-
oberung von Zanfara, die sich ohne SchAvertstreich vollzieht. Ein
llauptgrund zu dem \'erhalten der Bewohner von Zanfara den Ful
gegenüber liegt wohl in dem Nationalhaß, der zwischen ihnen und
den Göbirleuten herrschte, seitdem der Göbirkönig Babäri die Haupt-
stadt des Landes, eine mächtige Handelsstadt, erobert und zerstört
hatte (1764), um dadurch die von ihm selbst gegründete Hauptstadt
von Göbir, Alqalaua, zur Blüte zu bringen ^).
Von Säbo-n-Gari 2), dem Hauptquartier *Utm ans, aus wendet
sich 'Abdallah mit einem Heer dann gegen Kebbi. Auf dem Marsch
hat er zuerst noch einen Kampf mit dem Sultan von Gumi 3>, in desset^
Gebiet er wahrscheinlich den Fluß Gega überschreiten wollte, zu be-
') Barth, R. & E. IV, S. 539.
-) Hausa: »Neustadt«, in der Nähe der Einmündung des Gidbc-n-Kcbbi.
3) Das Land Gumi liegt am mittleren Laufe des Flusses Jega.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. A-y
stehen. Es kommt zu einer Schlacht bei Kunda^), in der ^Abdallah
einen Sieg erficht, der die Eroberung des ganzen Landes zur Folge
hat. Von Gumi aus dringt dann ^^.bdalläh in Kebbi ein und erobert
einen großen Teil des Landes. Über den Gu Ibe - n- Kcbb i scheint
'Abdallah indessen nicht vorgedrungen zu sein. Unter den von
'Abdallah in der auf diese Ereignisse gedichteten Oaside (M l8 r. 6,
F 23 r. 3) genannten eroberten Festungen sind die bedeutendsten
I. Kunda, nördlich des Flusses Gega, zu Gumi gehörig-); 2. Mäsu,
südlich Gando 3) ; 3. Gefuru, östlich Gando?); 4. Magäzi-n-
Käda, wohl identisch mit dem \"on Barth genannten Magadji-n-
k<4da 3) ; 5. Mätäti, wohl identisch mit dem bei Barth genannten
Madadi 3) ; 6. Zö r o (Barth schreibt Soro) am unteren Gulbe-n-Kebbi 4) ;
7- Geggi am unteren Gulbe-n-Kebbi 4) ; 8. Randäli am unteren
Gulbe-n-Kebbi 4) ; 9. Lai 1 ab a , das als besonders stark bezeichnet ^\■ird,
am Gulbe-n-Kebbi, nahe bei Augi 5).
Die Züge in Kebbi haben bis Ende Muharram 1220 gedauert.
Von der Einnahme der Feste Födi, deren Lage indessen nicht zu be-
stimmen ist, gibt der Tw. auch das Datum, den 12. (oder 22. nach AI)
Muharram 1220/12. (22.) April 1805 (Mi8r. 15, F 23 r. 12).
Am letzten Muharram 1220 trifft 'Abdallah mit seinem Korps
wieder in Säbo-n-Gar 1 bei 'Utmän ein. Von hier aus \\er(len dann
in den nächsten 6 Monaten Streifzüge gegen die benachbarten liinder
gemacht, über die aber keinerlei Einzelheiten bekannt sind. Anfang
Sa'bän 1220/Ende Oktober 1805 verlegt 'Utmän seine Operations-
basis nach Gando in dem eroberten Gebiete von Kebbi. Die \'erlegung
des Hauptquartiers nach Gando läßt sich wohl so erklären, daß 'Utmän
beim Kampfe gegen Kebbi sowohl wie gegen Göbir einen Stützpunkt
haben wollte, der näher am Feinde lag. Überraschen mvif] nur die
Wahl gerade Gandos seiner ungünstigen strategischen Lage wegen,
denn dasselbe liegt in einem Kessel und wird von allen Seiten von den
umliegenden Flöhen beherrscht.
Die folgenden Ereignisse behandelt der Tw. nur ganz kurz. Er
berichtet von Kriegszügen, die von dem neuen Hauptquartier aus
unternommen wurden, in deren Verlauf 'Utmän eine schwere Schlappe
bei Alwasa'') erleidet, bei der viele Anhänger ihr Leben verlieren.
') An der Nordscite des Flusses Gega.
^) Barth, R. & E. IV, S. 550.
?) Ibid. S. 551.
4) Ibid. S. 552.
5) Ibid. S. 548.
^) Nahe Sogirma, am unteren Gulbc-u-Kebbi {R. &. E. W , S. 552).
_^^ A. Brass.
Der Feind dringt sogar bis zum Hauptquartier vor. E)as bescheidene
»aber Gott warf sie zurück« deutet darauf, daß die Niederlage eine
sehr ernste gewesen sein muß. Im Zusammenhang mit dieser Nieder-
lage steht der Abfall der frisch unterworfenen Kebbileute. Der Text
lautet (M 19 r. 15, F 24 r. 12):
I» jL: _£_iC! \JitM i'-ÄP lÄXXx ,»-^»\.*j1
'^
^- a-'^ l5'
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♦PJ.I2J CK^i ,XJ.j^^ ^1\ i.\js^'^\ Jva2. . £.^^ .^LXc^^.:^ .-■vX: bJAc P *.i-*H - -^
»Und als wir nach Säbo-n-Gari zurückgekehrt waren am letzten
Tag des Muharram, blieben wir dort 6 Monate lang und machten
Kriegszüge und eroberten Ortschaften. Dann siedelten wir über nach
Gando im Anfang des Monats Sa'bän im 2. Jahre nach unserer Higra
und begannen die Feinde zu bekriegen, bis sich das Ereignis von AI-
wasa ereignete, einem Orte in Kebbi. Da starben unzählige von unserer
Schar den Glaubenstod, ja der Feind kam bis zu unserer Feste Gando.
Da \varf sie Gott zurück, nachdem die meisten Hausabewohner von
Kebbi sich gegen uns empört hatten.«
Hierauf folgt eine Oaside über das berichtete traurige Ereignis
und dann wird fortgefahren (M20V. 9, F 26 v. 10):
■ ^ - -- Lr ^J ^ ■ <J ■ ^ Lr ■■ ' KJ \^
, ij.iji5 -5 ..>_>^J» ,.,.j^*.^ V^>;-v,w5 ^^:>'^ .i>i.'
»Dann, als Gott die .Feinde von uns weggetrieben hatte, begannen
wir Raubzüge gegen die Abtrünnigen zu unternehmen, bis wir uns
im 4. Jahre unserer Higra anschickten zum Kriegszug gegen Alqalaua,
und wir zogen aus Ende Regeb. und der Sa'bän (1222/Oktober 1807)
brach herein, während wir unterwegs waren.«
Nachdem »Gott die Feinde vertrieben hat«, werden also Rache-
züge gegen die aufständischen Kebbi unternommen. Einzelheiten
I) Fehlt in F. '-) ^^^;^ 3) F ^3ijJ?, 4) F .__Jt 5) Mss ^v
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. 4-
darübcr sibt uns 'Abdallah nicht. Unsere anderen Quellen berichten
von einör Eroberung und Zerstörung Bi rni-n- Kebbis. Barth gibt
dafür das Jahr 1221/1806 an^), eine Zahl, die auch ganz wahrschein-
lich klingt. Der Grund für 'Abdallahs Schweigen ist wohl in
dem Umstände zu suchen, daß er in dieser Zeit nicht an der
Spitze des Heeres stand, sonst würde er sich die Schilderung der
Eroberung der Kebbihauptstadt schwerlich haben entgehen lassen.
Als Heerführer treten vielmehr nach der HChr. Mojigo und Alu
Gedi auf. Dieser Umstand steht gewiß im Zusammenhange mit
der weiter unten geschilderten Reise 'Abdallahs nach Kano.
Die Chronologie dieses ganzen Krieges gegen Kebbi läßt sich nicht
genau festlegen. Da aber das nächste Ereignis, das 'Abdallah
berichtet, der Zug gegen Alqalaua, in den Oktober des Jahres
1807 fällt, so läßt sich daraus schließen, daß der Krieg mit Kebbi
von frühestens Mai 1805 bis spätestens Oktober 1807 gedauert hat.
Genauer, wenn auch nur ganz kurz, berichtet über dieses letztere
Ereignis die. HChr. -). Sie gibt an, daß die Generale 'Utmäns, Mojigo
und Alu Gedi, letzterer ein Sohn 'Utmäns 3), die 'Hauptstadt von
Kebbi, Birni-n-Kebbi, eingenommen und den König, Hödi Da-n-
Taräna, vertrieben hätten. Der König habe sich nach Kinda zurück-
gezogen und von dort aus den Krieg wxntergeführt. Die Kriege mit
Kebbi ziehen sich dann ja durch die ganze Geschichte des Reiches
Sokoto sowie des Reiches Gando bis zur Gegenwart. 'Abdallah
erwähnt von nun an keine Kämpfe mit Kebbi mehr, offenbar war
die Kraft Kebbis fürs erste gebrochen.
An die Niederwerfung Kebbis schließt sich dann ein Zug gegen
Alqalaua. Über dessen Ausgang berichtet 'Abdallah ebenfalls nichts.
Während des Marsches gegen Alqalaua verläßt 'Abdallah das Heer
und unternimmt eine Reise nach Kano. Als Grund seiner Reise gibt
er die weltliche Gesinnung der Brüder und ihre Eifersucht im Punkt
der weltlichen Ehre an, von der er sich auch selbst nicht freispricht.
Es werden hier offenbar irgendwelche Unstimmigkeiten im Großen
Hauptquartier angedeutet, bei denen die Frage des Kommandos eine
Rolle gespielt /.u haben scheint, und die den Rücktritt 'Abdallahs
von der Führung des Heeres und seine zeitweilige Entfernung vom
0 R. & F.. IV, s. 216.
-) HChr. II, S. 182, 2- S.
3) R. & E. IV, S. 541. Über die hervorragende Rolle, die er unter Mohammud
Bello und 'Atlq spielt, siehe den Ta'riö Sokoto, S. W^ tir. 111, ^.t "■ a- D'-T ^''^
Barth genannte Moedji ist wohl mit Moiig-o identisch.
jß A. Brass,
Hauptquartier zur Folge hatten. ^Abdallah sagt über seine Reise
folgendes (M20I. 12, F 25 1. 13):
.^^W ,.,L^^U ,.,a.3^M j^l^ ^J^ ^^ o^ ^^^L> J.S ^^\
J..*<U.i -V ^"^J^ c^^ --^^3 .c^^ ^^^^' ^-^^^^^ r" "^^^ '^A^^ ^ii
Ol
,.^JoNijl kN^wSl , ^ ,•
! jLiX^^ .^i ,»ui>Lo *?./«l - ^ ■y'^i A-^s. ,UXil ^U! <ij Xi f^^>^i
(9j ,^Jt* ^5 (iUÄJ SJ^*>^ <^ ^^^ '^^^^ ^jj^^ l5^-^ J-^ ^-^
i^j^ ,.TjiJ! .x.*>ÄJ- ^x*^ 0'*^^ ^L-^3 r^^^^' --^ L^'^ ('°.*^'
^,iAx£ LU:>-3 *PJ^;:^ -^V\>3 _c^Ji _^Ai.-i ^"^T 13,^.^*^3 ^y^\ f^^' '^-'^r*^
»Da (wä,hrt'nd wir auf dem Marsche gegen Alqalaua waren)
kam zu mir eine Eingebung von Gott, daß ich mein Heimatland und
die Brüder verlassen und mich hinwenden solle zum Besten der Ge-
schöpfe Gottes, um das göttliche Wohlgefallen zu suchen, weil ich
sah, wie die Zeit und die Brüder sich zum Bösen verändert hatten,
wie sie zu den Dingen dieser Welt neigten, und wie sie eifersüchtig
aufeinander waren um weltliche Herrschaft, weltliche Güter und welt-
') F >^>^JLc ^) F ^J^ 3) F ^jj 4) M ^^.*^ftJ 5) F -üAfslS
<-) Fehlt in M. <) F j^l:^" ^) Fehlt in M. 9) M ^ ">) Fehlt in M.
-") Fehlt in M.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. i -
4/
liehe Ehre, und dabei den Besueh von Moscheen und Schulen vernach-
lässigten und anderes mehr, und weil ich wußte, daß ich der Schlech-
teste unter ihnen war und selbst nicht frei war von dem, was ich bei
den andern sah, da hielt ich es für meine Pflicht zu fliehen, und ich
\erließ das Heer und beschäftigte mich mit meiner Seele. Und ich
ging nach Osten, nach dem ,Auserwä,hlten' Gottes, wenn Gott nur
das möglich machen wollte. Und ich betrat mit 5 Gefä,hrten die Wüste
und wir übernachteten dreimal, ohne einen Menschen oder eines Men-
schen Spur zu sehen, außer den Spuren von vielen Elefanten in dieser
Wüste. Schließlich ließ uns Gott glücklich in das bewohnte Land
gelangen. Darüber entstand in meinem Herzen die ^J-Qaside, ich
teilte sie aber keinem mit. Endlich kamen wir in das Land Kano.
Dort hinderte man nneh am Weitermarsch und verlangte von mir,
ich sollte sie lehren, wie sie handeln müßten bei der Aufrichtung der
Religion. Denn ich fand, daß Gott schon die Heiden von ihnen
vertrieben hatte, daß aber ihre Sache unter ihnen in Verwirrung
geraten war, weil sie sich mit weltlichen Dingen beschäftigten, und ich
sah bei ihnen dasselbe, vor dem ich aus meiner Heimat geflohen war.
Da sprach ich zu ihnen: ,Das, was ich hier bei euch sehe, das ist das-
selbe, vor dem ich geflohen bin, und ich habe sogar in meinem Herzen
eine Oaside darauf verfaßt, die ich aber keinem mitgeteilt habe.' —
Da drängten sie mich, die Oaside mitzuteilen, und ich schrieb sie ihnen
auf. Dann verfaßte ich für sie mein Buch: ,Das Licht der Herrscher'
und las mit ihnen den ganzen Kommentar des Korans. Da bekehrten
sie sich insgesamt und sie kamen in Ordnung. Sie zerbrachen die
Instrumente der Spielerei, die ich bei ihnen vorfand, und sie machten
aus den Trommelstöcken Futterraufen für ihre Pferde. Gott aber
eröffnete ihnen, was er ihnen vorher nicht eröffnet hatte. Gott sei
der Preis!«
Diesem friedlichen Berichte 'Abdallahs gegenüber berichtet die
HChr.^) von einem kriegerischen Zuge der Generale Sulaimäna und
Däbo-n-Da-n-Bazau, der mit der Einnahme von Kano und der
Vertreibung des Königs Mohamma Alwali endigt. Barth be-
richtet dasselbe-), er fügt noch hinzu, der König sei nach Zaria ge-
flohen, während die HChr. angibt, man habe seinen Aufenthaltsort
nicht gekannt. Die KChr. bestätigt die Angabe Barths. Sie teilt
folgendes mit j) : »The Fulani attacked Alwali and drove him
from Kano, whence he fled to Zaria. The men of Zaria said : ,Why
0 HChr. iSi,9-i2.
2) R. & E. II, S. 92
3) KChr. S. 93.
48
A. B r as s ,
have you left Kano?' He said: ,The same cause, Avhich drove me out
of Kano will probably drive you out of Zaria.' He said: ,1 saw the
truth with my eyes, I left because I was afraid of my life, not to save
my wives and property.' The men of Zaria drove him out with curses.
So he fled to Rano but the Fulani followed him to Burum-Burum
and killed him there. He ruled Kano twenty-seven years, three of
which were spent in fighting the Fulani.« v.
Die Aneaben 'Abdallahs und die der HChr. und KChr. sind
vielleicht in der Weise miteinander zu vereinigen, daß man annimmt,
daß 'Abdallah nach der militärischen Eroberung Kanos dort ange-
kommen ist. Der Satz: »Gott hatte schon die Heiden vor ihnen ver-
trieben«, läßt vielleicht darauf schließen.
Der Umstand, daß die Generale Dabo und Sulaimäna beide in
Kano ansässige Ful waren, ebenso wie, daß Mojigo, einer der Er
oberer Kebbis, in Kebbi wohnte, weist darauf hin, daß 'Utmän etwa
vom Jahre 1806 an seinen lange und sorgsam vorbereiteten Plan,
die Hausakönigreiche durch einen Kampf aus ihrem Innern heraus
zu zerstören und seiner Hoheit zu unterwerfen, in die Wirklichkeit
umzusetzen beginnt. Wir haben gesehen, wie 'Utmän, schon lange
bevor es zum Bruche mit Junfa gekommen war, in einer großen
Reihe von Hausastaaten und in Bornu mit dort ansässigen, ange-
sehenen Ful Verbindungen angeknüpft hatte. Als nun die Kunde
von seiner erfolgreichen Erhebung in die Länder dringt, da begeben
sich alle diese Großen zu 'Utmän, um von ihm die Bclehnung
mit der Herrschaft über die Ful ihres Landes zu erbitten. Der
Aufstand 'Utmäns erschien ihnen nicht, wie 'Utmän selbst sich
bemüht hatte die Sache darzustellen, als ein reiner Religionskrieg
gegen die »Heiden« zur Aufrichtung des wahren Islam im Sudan,
sondern sie sahen darin den Rassenkampf der Ful gegen die bisher
herrschende Rasse der Hausa. \'om Jahre 1806 an verleiht 'Ütmän
nun einer Reihe dieser Fulhäuptcr die Weiße Fahne ^) und damit den
Auftrag, den Krieg gegen das Land, in dem sie ansässig sind, m
'Utmäns Diensten zu eröffnen. Ihre Losung sollte dabei indessen
stets bleiben: »Krieg den Ungläubigen!« Diese Methode verrät in
ganz besonderem Maße die Klugkeit und den weiten Blick 'Utmäns,
denn auf diese Weise stellte er den in den Hausastaaten zerstieuten
Ful ihre eigenen, mit ihnen vertrauten und bei ihnen angesehenen
Häuptlinge an die Spitze und schuf diesen und damit sich selbst
I) Die KChr. berichtet S. 94, daß Sulaimäna von 'Utinän auch ein Schwert und
ein Messer erhielt.
Eine neue ()uelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. ^q
Heere, ohne seine eigenen Truppen im geringsten zu schwä,chen zu
brauchen.
Die Einordnung aller dieser Sonderfeldzüge in den allgemeinen
Rahmen in genauer chronologischer Reihenfolge ist unmöglich, ich
werde daher deren Gesamtverlauf im einzelnen an passender Stelle
darstellen.
Vor das Jahr 1806 fällt ein Zug des vScheichs Buba Jero gegen
die Heidenstä,mme von Mandara ^). Buba war von Gombe-) aus
auf eigene Faust durch das Janguru- und Battaland über vSong und
Holma nach Kilba vorgedrungen. Hier führte er zunächst einen Ver-
nichtungskrieg gegen die am Westhange der Mandaraberge wohnenden
Ngei-Heiden, deren Häuptling sich jedoch in Meiha^) unterwarf und
zum Islam übertrat. Nunmehr drang Buba südlich am Rande des
Gebirges vorrückend durch das Land der Kobociheiden südlich bis
Belel vor und marschierte dann den MäjoTieH) aufwärts nach Dor-
nomo. Indessen 'Utmän rief den erfolgreichen General ab, unter
flcm Vorwande, Buba sei ungehorsam gegen seine Befehle gewesen,
da er den Kampf begonnen, ehe er den Befehl dazu von 'Utmän
erhalten habe, in Wirklichkeit aber wohl, weil er die Unabhängigkeits-
gelüste Bubas fürchtete. Buba erhielt den Titel Lamido 5) Gombe.
In das Jahr 1807 fällt nach x\ngabe Barths '') ferner auch die
Eroberung Katsinas durch die Ful. Über dieselbe berichten Barth
und die HChr.7) genauer. Der Kampf muf3 ein überaus langwieriger
gewesen sein. 'Utmän beauftragte die beiden Generale 'Umaru-n-
Dumja und 'Umaru-n-Dalägi mit der Eroberung. Die Stadt war
außerordentlich befestigt, Barth gibt die Dicke ihrer Mauern auf
30 Fuß an. Dazu verteidigten die Bewohner dieselbe auf das helden-
mütigste. So glückt es denn den beiden Generalen erst nach einer
sehr langen Belagerung ■ — Barth gibt an, dieselbe habe 7 Jahre
gedauert, eine Zahl, die sicherlich zu hoch gegriffen ist und nur eine
außerordentlich lange Zeit darstellen soll — , während der die Not
in der Stadt auf das Höchste stieg, Katsina durch Hunger zu nehmen.
') Siehe Strümpell, Geschichte Adamauas, S. 5S und \'icaks Boylk, Koles o)i Yola
Fulanis.
^) Stadt am mittleren Gongola.
3) Bei Mubi.
4) Mäjo = Mäo, Ful: Gewässer. Der Majo Ticl mündet etwa 5 km oberhalb Vula
von rechts in den Benue.
5) Lamido = König, hier im Sinne \ on Vizekönig.
6) R. & E. II, S. 92.
7) R. Sc E. ebendort; IlChr. I81, 5.
Islam X. *
_,. A. Br.iss.
Der König Bä^va Da-n-Rima zog sich nach Maräcli zurück, von
wo aus er den Krieg unentwegt fortsetzte. Es gelang ihm oder einen;
seiner Nachfolger sogar, Katsina noch einmal? zurückzuerobern, in-
dessen wurde er bald wieder vertrieben. Er sowohl, wie auch seine
Nachfolger haben aber den Kampf um ihr Land, später im Bunde
mit den Göbirleuten, niemals aufgegeben. Mit der Statthalterschaft
Katsinas wurde 'Umaru-n-Dalägi betraut. Über das Schicksal
*Umaru-n-Dumjas fehlt jede Nachricht.
In Kano herrschte nach der Einnahme der Stadt nach Angabe der
HChr.i) ein Jahr lang Streit zwischen den Generalen Dabo und Sulai-
mäna Genaueres über denselben berichtet die KChr.-) 'Utmän ent-
schied schließlich für Sulaimäna. Indessen scheint er die Bestimmung
getroffen zu haben, daß nach dem Tode Sulaimänas Dabo Lamido
werden solle. Darauf weisen die Worte der HChr. 185, 8 hin, S. 237,
Z. S : »Als er (Sulaimäna) starb, wurde Däbo-n-Kanwa König, weil Dabo
von Danbazau während der Regierungszeit des Sulaimäna gestorben
Avar.« Qiij.i ^^'^ u^^^^^j^c^ij ^^jb ^A,^ o,^w^ e^j j.^ ^,jO ^>^j ^.,ü
.'UJU \:L'.L.. Die Regierungszeit Sulaimänas wird von der HChr. auf
14, von der KChr. auf 13 Jahre angegeben. Dessen Nachfolger heißt in
der KChr. Ibrahim Dabo Da-n-Mohammadu3), er ist indessen mit
dem von der HChr. genannten Dabo-n-Känwa identisch. Der Krieg
um Kano hat nach der KChr. etwa 3 Jahre gedauert, die Mehrzahl
der Städte unterwarfen sich, nur Faggam mußte mit Waffengewalt
bezwungen werden.
In Zaria 4) hatten die beiden Generale Müsa undjamüsa den
König Hakan vertrieben. Dieser zog sich nach Abuga zurück und
führte von dort aus den Kampf weiter. Mit der Königswürde wurde
Müsa belehnt, indessen zeigt die Tatsache, daß auf ihn sein Mit-
feldherr Jamüsa folgt, daß auch für Zaria von 'Utmän eine gleiche
Bestimmung getroffen worden ist, wie für Kano. Die ZChr. bestätigt
diese Angabe der HChr. Ihr Bericht hat den folgenden Wortlaut 5) :
»Malam Müsa wurde Könige) von Zaria. Er kam und bekriegte
das Volk von Zaria. Er vertrieb sie, sie machten sich auf, gingen und
kamen nach Mangi, wo sie blieben. Da befahl er aufzubrechen und
I) HChr. 185, 5.
') KChr. S. 94.
3) KChr. S. 95.
4) HChr. 181, 12.
5) Robinson, Specimens, S. 103, 3.
6) Siehe Mischlich, Wörterbuch: tshi, S. 593, 2. Spalte, 8.
Eine neue Ouelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. - j
folgte bis Mangi. Als sie nun die Bedrängung durch ihn fühlten, da
machten sie sich auf und zogen zum Lande Gwari i), wo sie eine Stadt
bauten namens Abuga -) und sich niederliei3en.f. Hierauf brach er
auf und marschierte südlich nach einem Lande namens »Land der
Umuaisa« und kämpfte mit diesen. Er vernichtete sie, verbrannte
die Stadt und kam zur Stadt Zozo mit 1300 Sklaven, auch kam er
mit Pferden. Er gab den Befehl aufzubrechen und zog ins Feld gegen
ein Land, dessen Name Kugama war. Die Bewohner desselben schlugen
ihn vollständig, Kakumi, ein Krieger, den er liebte, fiel. Da weinte
er, brach auf und kehrte zurück nach Zaria. Dann traf er Vorberei-
tungen, marschierte zu ihrer Stadt, vernichtete sie. Die Bewohner
kehrten heim und blieb in Zaria. Er zog achtmal zu Felde und blieb
9 Jahre zu Hause. Er starb in Zaria. Nach dem Tode des Malam
Müsa, des Bornumannes, wurde Jamüsa aus Mali 3) König von
Zaria. «
Die KChr. redet ferner noch von einem Kriegszuge des Galadima
Ibrahima nach Zaria von Kano aus. Derselbe fällt indessen in die
letzten Jahre der Regierung Sulaimänas. Das Datum der Erobe-
rung Zarias ist unbekannt, der Kampf mit den in den Bergen woh-
nenden heidnischen Zagezage (Einwohner von Zozo) hat jedenfalls
noch viele Jahrzehnte gedauert 4).
Während der Reise 'Abdallahs nach Kano hatte 'Utmän seinen
dritten Zug gegen Alqalaua unternommen 5), der indessen wieder mit
einem Fiasko endigte. Denn die endgültige Eroberung wird erst, wie
wir gleich sehen werden, nach der Rückkehr 'Abdallahs berichtet.
'Abdallah spricht im Anschluß an seine Reise ohne Zeitangabe
in einer Oaside (M 22 r. 10, F 27 v. 6) von einer Niederlage der Göbir-
leute im Bunde mit den Tuareg unter Agunbulu, mit Khämid, dem
Sultan von Adar, den Zanfaraleuten und den Leuten von Kijä und
Burmi am Flusse Fäfara in Zurmi^). Wahrscheinlich ist diese
Schlacht in die Zeit nach der dritten Belagerung AI qalauas zu verlegen.
Nach der Rückkehr 'Abdallahs nimmt nun 'Utmän den Krieg
gegen Göbir mit Energie wieder auf. Diesmal ist seine Unternehmung
von Erfolg gekrönt, Alqalaua wird erobert und zerstört, Junfa f?llt,
I) RoBiNSOx schreibt: guri. Dies ist aber zweifellos das von der HChr. genannte
■Gwäri ^ |^^ im südwestlichen Zaria am oberen Gurara.
-) Robinson schreibt: Habuja.
?) Nach Robinson Stadt bei Ilorin.
^) Vgl. Staudinger, Im Herzen der Haussaländer, S. 427.
5) S. o. S. 45.
^) Zurmi am Giilbe-n-Maradi.
4*
52 A. B r a s s ,
der Eroberung der Hauptstadt folgt die Unterwerfung des ganzen
Landes (M 22 v. 15, F 28 r. 12):
qILLv i:»U^!» \j.^'\.S.i\ ry^^ ^^'^ ^' f^ <r^^^ /*"^-t^^3 Lä>JLc (jäÜXjI q^
»Und als Gott der Allweise mich von Kano zurückgeführt hatte
niit seiner Gewalt in seiner Weisheit, nahmen wir den Kampf auf
gegen die, die sich gegen uns empört hatten, und die andern, bis uns
Gott die Feste Alqalaua öffnete und den Sultan von Göbir, Junta,
durch die Hand der Gemeinde [umbringen ließ — Gott sei gepriesen —
und uns von dem Übel des ganzen Göbir befreite.«
Bei der Rückkehr will demnach 'Abdallah die gewaltige Hand
Gottes in besonderer Weise gespürt haben. Welche Vorgänge da
zugrunde liegen, ahnen wir freilich nicht.
Nach dem Bericht der HChr.^) zog sich der Rest der Göbirleute
nach Tsibiri in Asbin zurück, von wo aus sie den Kampf gegen die
Ful unermüdlich fortführten. Mit der Eroberung Alqalauas ist für
'Utmän ein großer Schritt zum Enderfolg getan: Der Erbfeind, dessen
Nähe für seine Existenz stets eine große Gefahr bedeutete, ist end-
lich vernichtet, und 'Utmän ist nunmehr in der Lage, sein Reich
weiter auszudehnen und die Eroberung ferner gelegener Landstriche
persönlich zu unternehmen. Für die Datierung der Eroberung Alqa-
lauas besitzen wir keinen Anhalt, dieselbe fällt aber in den Zeitraum
Sa*bän 1222/Oktober 1807 bis August 1808.
Die HChr. weiß von dem wechselvollen Kampfe um Alqalaua
nichts. Sie berichtet von dessen Einnahme gleich im Anschluß an
die Schlacht von Koto.
Zunächst richtet 'Utmän seine Augen jetzt auf das jenseits des
Nigers auf dessen hnkem Ufer gelegene Land Gurma^). 'Abdallah
berichtet über diesen Feldzug folgendes (M 22 v. 18, F 28 r. v. 15):
L5 -^ ^ • ^ kj .. . l5l5-'-^V"^ l5^
') HChr. 184, I.
-) Nach den Angaben der »Sitten und Gebräuche« ist Gurma das erste Land westlich
des Nigers gewesen, das von den Hausa nach deren Ausbreitung im Niger-Benue-Winkcl
angegriffen worden ist. Der König Soba von Göbir soll diesen Vorstoß gemacht haben
<ine Angabe, die mit der Barths IV, S. 539 übereinstimmt.
3) Fehlt in M. 4) M . b j"
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. c-j
■Slii ^1\ *fJ c^^Jl^.U (-^^AiJ^i? ^A ,«.^:>-.3»L l-*;^.«^ (*-^^ iii^Ä-U.5
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\.S-\ ^^z>- ^i ^Z£.» , ; ,<-«.4~>- LÄaij)» lÄaa^w.» uaLCs» ^i^Jlc 'ü.£L5 S.c- -S
' o
^i ^^X/? -ÄÄ4.Ä^.S (iLiLÄi? |j.Jt\i5 LÄC^^ ^x \J^>oLÄÄi (^^j»-:5- C>^,1 Ji\
»Dann rüstete der Fürst der Gläubigen ein Heer aus gegen das
Land Gurma jenseits des Stromes, das Land der Bani Karbäs ''),
") F Laj! ^) F ^^ 3) F s .-^0 Jl 4) M ucoi 5) Fehlt in F.
•■) M »,J^,J 7) F J .^Jl M , C.AJU «) -M L>.3- ') F r, -ä^^
^») Fehlt in M. ") F Iji I.^
") »Karbäs ist der Name eines Königs jenseits des Flusses, er gehört zu denNach-
komnven des Askia, Fürsten Suqä, des Gerechten. Seine Leute wechselten indessen nach
^4 ^^- B r a s s ,
und er übertrug mir den Oberbefehl über das Heer. Durch Gottes
Gnade marschierten wir, bis wir an die Feste Debe^) kamen und Gott
öffnete sie uns, und wir nahmen alle, die darin waren, gefangen. Ich
aber war gnädig gegen sie insgesamt, ich ließ sie auswandern aus der
Festung und schickte sie nach mohammedanischen Gegenden. Dann
schleifte ich die Festung und wir zogen ab. Hiervon hörten die Heiden
von Tanda, und sie zerstreuten sich von ihrer Feste und Gott öffnete
uns diese. Es war eine der stärksten Festungen für uns. Dann
zogen wir fort und kamen schließlich an den Strom. Wir fanden, daß
er Hochwasser führte, und man an das westliche Ufer nur durch vieles
Schwimmen gelangen konnte. Seine Breite betrug eine Meile oder
(Jarüber, und es gab darin Wasserreptilien, die den, der hineintrat,
schnell umbrachten. Davor fürchtete sich die Gemeinde, und wir
machten betrübt am Flusse Halt und beteten zu Gott. Hierauf schickte
ich einen wagemutigen Mann, der gut schwimmen konnte, an den
Strom und sagte zu ihm: , Steige in den Fluß, vielleicht daß Gott
uns einen Platz gibt, an dem wir bequem übersetzen können.' Da
ging er an den Strom an einer Stelle, die nicht zu den Einfahrten
in den Strom gehörte, und wo die Leute nie hineingingen. Er stieg
ins Wasser und ging, bis er an das westliche Ufer kam, und das Wasser
reichte ihm nicht über die Brust. Dann kehrte er zurück und benach-
richtete mich. Ich aber pries Gott deshalb und teilte es der Gemeinde
mit. Da freuten sie sich und wir übernachteten am Strome, und als
wir das Morgengebet verrichtet hatten, brach ich auf zum Strome
auf einem Kamel, ließ jenen Mann mir vorausgehen und vertraute
auf Gott, die Gemeinde aber folgte mir. Ich stieg in den Fluß und
alle stiegen hinein und priesen Gott, die Leute zu Fuß und die Reiter
zu Pferde und einige mit Eseln, und sie ließen die Lasten auf den Tieren,
bis das ganze Heer wohlbehalten auf der Insel Fäs herausstieg. Die
Ungläubigen aber hatten nicht erwartet, daß einer diesen Strom nach
ihrer Seite hin überschreiten würde, und wir trafen sie in Unachtsam-
keit an und überfielen sie, töteten einen Teil, nahmen einen andern
gefangen und vernichteten ihre gesamten Saaten. Dann kamen die
Leute von den Festungen, in denen sie sich verschanzt hatten, und
nahmen den Islam regelrecht an. Da ließ ich sie dort und an ihrem
Wohnort bleiben. Wir aber kehrten hierauf wohlbehalten und beute-
ihm den Glauben und wurden Heiden.« So der Kommentar der Siegesqa.side zu diesem
Kamen (M 24 r. 14, F 30 r. 2). Es handelt sich also hier um einen Kriegszug gegen eine
zu Songhai gehörige Völkerschaft.
') Debe liegt nach Barth IV, S. 554 nicht weit von Komba, ebenso wie das weiter
unten erwähnte Tanda. Debe ist nach Bakth IV, S. 560 von Songhäi bewohnt.
Eine neue (^)iielle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. cc
beladen um und wateten durch den Strom an jenem (selben) Orte.
Darauf marschierten wir in das Land Germa, um uns mit unseren
Truppen zu vereinigen, die sich dort befanden, und wir schlössen uns
mit ihnen zusammen. Dann kehrten wir in die Heimat zurück. «
Die Angaben, daß der Feldzug zuerst über Debe und dann über
Tan da geht, lassen die Richtung des Stoßes erkennen. Derselbe muß
den Niger in der Gegend von Komba überschritten haben. Dies be-
stätigt auch die Angabe in der von 'Abdallah auf den Zug gedichteten
Oaside (M 23 v. 19, F 29 v. 2) :
o > i y
»Die Toro und die Komba sahen den Untergang und sie suchten Schutz
bei Gott und dem Islam aus Furcht vor dem Übel«, nach der die
Stämme, die den Islam annahmen, die Komba und die weiter nörd-
lich wohnenden Toro waren. In derselben Oaside wird auch ange-
deutet, daß die bedrohten Stämme vergeblich suchten nach dem süd-
lich von Gurma gelegenen Borgu auszuweichen 3). Der Zug 'Ab-
dallahs ist also in südlicher Richtung, nahe bei Komba, über den
Niger gegangen, die auf dem linken Ufer w'ohnenden Karbäs sind
durch einen Überfall geschlagen worden und haben samt den dort
wohnenden Komba und Toro den Islam angenommen. 'Abdallah
ist dann auf demselben Wege durch Dendina wieder zurückmarschiert,
um sich mit der Hauptmacht, die inzwischen einen Zug nach Germa
unternommen hatte, zu vereinigen. Eine zweite Abteilung kam von
Kirutasi, etwa 30 km südlich von Say 4).
Über diesen Feldzug 'Utmäns nach Germa liegen gar keine
näheren Nachrichten vor, wie die gesamte Geschichte dieses Landes
überhaupt fast gänzlich unbekannt ist. Indessen scheint derselbe
doch von einem gewissen Erfolge gekrönt worden zu sein, denn wir
finden Germaleute bald darauf im Heerbanne 'Utmäns.
Der Zug 'Abdallahs nach Gurma und der 'Utmäns nach Germa
fällt wohl in das Jahr 1223, d. i. 1808. Eine genauere Datierung läßt
die Bemerkung des Tw\, daß der Kwära Hochwasser geführt habe,
zu. Die Regenzeit und damit das Hochwasser der Flüsse tritt im
^) Barth verzeichnet auf seiner Karte R. & E. Ni'- 15, Töro westlich von Say. Nach
dieser Tw.-Stellc haben dieselben also auch weiter südlich bis in die Gegend von Komba
gewohnt.
-) M c».j 3) Vers II: N, ^ -J "^.^ *X».:>vxj Hs Lj».j *..:,' \JiJi
4) Vers 23: t-.^ ♦^;^ ox>.j'5. -Ä£k.^.>J Mas^j *.^\J -i — .(^^-^-^ , c^
y
• ß A. Brass,
Gebiete von Kebbi für den Niger gegen Mitte August ein und dauert
bis zum September. Danach wären jene beiden Feldzüge also etwa
Ende Gumädä 1223 anzusetzen.
Inzwischen hatten im Osten gewaltige Kämpfe eingesetzt, im
Nordosten gegen das damals noch immer die Vormachtstellung im
Westsudan einnehmende Reich Bor nu I), im Südosten in Fumbina
und gegen das mächtige Sultanat Mandara^).
Die HChr. weicht in einigen wenigen Punkten von der Darstellung
Barths ab. Sie berichtet, daß Ahmad b. 'Ali nach seiner Vertreibung
ausOa.sr Eggomo die Hauptstadt nicht wieder betreten habe, während
Barth II, S. 350 sagt: »Ahmed scheint imstande gewesen zu sein,
die Hauptstadt nach großem Gemetzel wieder zu betreten i) « und
S. 351: »bis er durch einen Teil dieses erobernden Volksstammes,
(der Ful) . . . nochmals aus semer Hauptstadt vertrieben wurde«.
Zu letzterem berichtet die HChr., daß auch die Ful nicht wieder nach
Oasr Eggomo zurückgekehrt seien. Die Eroberer Bornus heißen bei
Barth II, S. 349 Mala Rida, Muhtär und Hannima, in der HChr.
:Mälam Zäki und Göni Muhtär. Zäki ist nur ein Beiname 4),
.Mälam Zäki wird wohl mit Mala Rida identisch sein. Die Namen
der Männer, die mit Mohammed el-Känemi die Schlacht bei
Ngornu wagten, gibt Carbou 5) folgendermaßen an: Malam Ter ab,
El- Göni Dris, von den Hassauna ^), sowie Brahim Abdallahi
von den Auläd Hemed 7), alle drei also Schoa- Araber 8).
Zu der Eroberung der Stadt OasrEggomo selbst ist zu bemerken,
daß die Entdeckung Barths, daß der nordwestliche Teil der Stadt-
mauer unterminiert war iR.8cE. IV, S. 23), auf einen Kampf an
dieser Stelle hindeutet, so daß anzunehmen ist, daß die Hauptstadt
doch nicht ganz ohne Widerstand genommen worden ist.
Über das Schicksal Bautschis sind wir seit dem Erscheinen der
HChr. noch immer nicht besser unterrichtet. Dem LippERTSchen Be-
richt ist daher nichts hinzuzufügen.
I) Barth, R. &. E. II. S. 348— 353; Di:nha>s II. 8.299 ff.; Koelle, Afnk. LH.
.S. 93; Nachtioai, II, S.408f.; HChr. 182. S— 183, i.
=) Barth, R. & E. II, S. 6o6ft.; Strümpell, Gesch. Adamaiias, S. 56- 65; Vicars
BoYLE, Historical Notes on ihe Yola Fidanis.
3) Siehe auch Carbou, op. laiui., S. 28.
4) Es bedeutet: der Löwe.
^) Carbou, op. \itid. I, S. 27.
^) Op. laiid. II, S. 34.
T) Ibid. S. 51.
^) Zu den Schoa vgl. Becker, Zur Geschichte des östlichen Sudaus, Islam I, und Hari-
MANN, R., Islamischer Orient I. S. 29—31.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. cj
Die Geschichte der Eroberung Adamauas ist aufs eingehendste
von Strümpell und Vicars Boyle dargestellt worden, bedarf hier
also keiner weiteren Behandlung. Hinsichtlich der Chronologie ist
wohl als Beginn der Eroberungszüge Modibo i) Adamas mit Vicars
Boyle das Jahr 1809 festzuhalten, dementsprechend für die Ein-
nahme von Binder sowohl wie von Marba 18 12 anzusetzen, ob-
wohl die beiden letzteren Zahlen unsicher sind ^).
Von diesen Ereignissen im Osten erwähnt der Tw. nirgendwo das
<jeringste. Im Anschluß an den Gurma-Germa-Feldzug berichtet
"Abdallah, 'Utmän habe sich, etwa ein Jahr nach der Heimkehr
von diesem Feldzug, entschlossen, seine Residenz von Gando nach
Slfäwa, etwa 15 km nordöstlich von Gando, zu verlegen (M 24 r. 20,
F 30 r. II) :
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V,.XC^Ji -^1 .j ».].ÄÄÄJ ^».^.^^ [^J*j\ .-j^-J ^l
»Dann, etwa ein Jahr nach unserer Rückkehr von diesem Heere,
beabsichtigte der Scheich, der Emir der Gläubigen, von Gando nach
Slfäwa überzusiedeln, und die meisten Leute neigten nach dieser Rich-
tung, der Richtung des Ostens, aber die Gläubigen, die im Westen
waren, fürchteten sich vor den Heiden, als sie von dem Umzug hörten
und sahen, daß alle Leute nach dem Osten übersiedelten.«
Der Grund zu dieser Wrschiebung des Zentralsitzes ist nicht
recht klar. Aus dem folgenden Text scheint hervorzugehen, daß man
sich dort ansiedeln wollte. Es ließe sich auch folgendes vermuten.
Die HChr. berichtet an einer Stelle, daß 'LTtmän schon zu seinen
M Nicht wie Vicars Ro^le stets schreibt: Mordibo. Westermann sagt Handbuch
der Fiil-Sprachc, S. 83 über dieses Wort: »Das Wort ist jedenfalls auch lautlich aus dem
arabischen ,Marabut' entstanden«. Demgegenüber leitet Becker das Wort von dem arabi-
-chen Vcrbum v^jl ab. Er schreibt mir : )>^_j^^ einfach =v_^jO"b.M, so z.B. , Modibo Adanui'
immer: ^^\ . *.JJ^11<(. Satlilich entspricht es dc-in mu allini = mälam = hoga. \-ielleiciit
ist die Gruntlfonn miC addib ,dcr Erzieher, Lehrer'.
^) Vicars Boyles Chronologie ist nicht immer einwandfrei. So läßt er /. B. nach
1831 Adania seinen Sohn zu 'Utmän Da-n-Fodio senden; tatsächlich kommt derselbe
auch mit einer Antwort des damals schon üljcr 14 Jahre im Paradiese weilenden 'Utmän
zurück Qiist. Notes, S. 79).
3) F ^ p\ 4) Fehlt in F. 5) M ^^_^l^^',\
58 A. Brass,
Lebzeiten eine Teilung des Reiches Sokoto pJante ^). Die betreffende
Stelle lautet: »Um die Zeit, als Usmän, der Sohn des Fodio, ir.
Sifäwä wohnte, sein Sohn Bello die Stadt Sokoto und sein jüngerer
Bruder Abdu-1-Lähi die Stadt Gando baute, — .« Danach wäre es
wohl möglich, daß 'Abdallah schon damals mit dem westlichen Teile
des Reiches mit Gando als Hauptstadt unter der Oberholicit von
'Utmän belehnt worden ist, und dal?) 'Utmän nach Sifäwa geganger.
ist, um dort abzuwarten, bis sein Sohn Bello mit der Erbauung der
neuen Reichshauptstadt Sokoto fertig war. Damit wäre auch die
auffallende Tatsache zu erklären, daß mit dem Momente der Über-
siedlung *Utmäns nach Sifäwa ^\bdalläh als der Reichsfeldherr
ausscheidet und in den folgenden Feldzügen gegen Nupe nur mehr
das Heer »begleitet«, eben als Kommandeur seiner Kontingente. Frei-
lich beruht diese These auf der nicht m allen Fällen absolut zuver-
lässigen HChr.
Um die wegen der \'erlegung des Hauptquartiers nach dem Oster...
besorgten, im Westen zurückbleibenden Anhänger vor Überfällen der
Heiden zu schützen, beauftragt 'Utmän seinen Bruder nochmals mit
einem Feldzuge gegen Gurma. 'Abdallah gibt davon folgende Schil-
derung (M 24 V. 2, F 30 r. 16) :
»So rüstete denn der Scheich 'Utmän, der Fürst der Gläu-
') HChr. Anliang, S. 240.
-) Fehlt in M. 3) M NUÜ ^) F , ^i^.^^:. 5) F jjb *") Fehlt
in F. 7) F ^ ►li--Uj «) M
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto.
59
bigen, ein Heer aus gegen Westen, um das Land im Westen zu be-
frieden, und übertrug mir den Oberbefehl. Und ich zog aus mit einem
kleinen Heere, weil die meisten Leute lieber zu dem Orte der Über-
siedlung wollten, um dort Wohnsitze zu erwerben und Ödland urbar
zu machen, und zu jener Zeit vom Glaubenskrieg nach jener Seite
hin nichts wissen wollten. Ich schickte nun zu der Bevölkerung von
Germa und sie versammelten sich und erwarteten mich. Und als ich
in die Nä,he ihrer Heerhaufen kam, wurden sie die A'orhut meines
Heeres. Sie marschierten in das Land Sanbalagu, eines von den Län-
dern von Gurma jenseits des Stromes, und eroberten es. Ich traf mit
ihnen in der Nähe des Stromes zusammen und machte dort Halt,
und übernachtete 5 Tage, damit unser Heer auf Schiffen über den
Strom setzte. Ich selbst ging nicht hinüber wegen eines körperlichen
Unfalles, denn ein Pferd hatte mich aufs Bein geschlagen, so dai3 ich
dieser Tage nicht imstande war, aufzustehen. Ich verheimlichte es
aber meinen Leuten. Schließlich kamen sie zu dem Lande Göröri,
einem Teile des Landes Gurma in nördlicher Richtung. Sie eroberten
es und nachdem sie getötet und Gefangene gemacht, kehrten sie zu-
rück. Wir kehrten dann Avohlbehalten heim.«
In der auf diesen Bericht folgenden Oaside (M 24 V. 13, F 30 v. 11)
gibt 'Abdallah die genauen Stationen der Marschroute an.
I. Gando; 2. Tära\); 3. Gulumbe ^) ; 4. Zuguru, wohl identisch
mit Djugguru ^) bei Barth; 5. Diggi^); 6. Tilli^); 7. Zögirma i);
8. Jelu^); 9. Fögäi); 10. Sänafina -j ; ii. Bagagä, wohl identisch mit
Bangagä bei Barth-); 12. Gäja -).
Wichtig ist die Stelle, aus der hervorgeht, daß ein Teil der Be-
wohner von Germa den Zug im Heere 'Abdallahs mitmacht. Nach
diesem Zuge erfolgt nun die Übersiedlung nach Slf äwa 3). Von diesem
Momente an scheidet, wie schon oben bemerkt, 'Abdallah als Reichs-
feldherr aus. Er berichtet zunächst über einen erneuten Feldzug über
den Niger, den ein gewisser Muhammad b. 'Abdallah 4) ausführt
(M 25 r. 14, F 31 r. ult.) :
(*'iA.*_S"^.Ä XjL-i ic\, C'-^^^Zi' ■^^^».^J .j^\ ;.^^>- *-£ »..r^J AäJ *.'S
') Siehe Barth IV, Karte Nr. 13 und S. 352.
^) Barth, R. & E., .S. 553.
3) (M2 5r. 14, F3ir. ult.) \\ ß[ U.läXi'/] .X'kä.-^\ . .x.j\ -yA .Xx::^, -•,',
^) Wohl ein Sohn des Verfassers. Vgl. Td^rVj Sokoio, irad. 33, 1322.
5) F i;.,^ 6) ^i \j^^^^ F .j^^.^ 7) Fehlt in M. «) F ; ..j>.i
(^,Q A. H r a s s ,
~ ^ ^ ^ . ■-•• -^ • --v
^;^y:^-^-^ O^"^"^ !^^^'3 ^3^-*~^3
»Dann nach ungefähr einem Jahr rüstete der Fürst der Gläu-
bigen ein Heer aus und gab dem Muhammad b. ^Abdallah die
Flagge. Sie marschierten mit einem kleinen Heere ab und überschritten
i\c\\ Strom zur Zeit des Hochwassers. Sie fanden aber dabei die Un-
gläubigen an der ^vestlichen Ufereinfahrt warten. Da überschritten
sie den Fluß und vertrieben sie und töteten, wen sie töteten. Jene
aber flohen und ließen zahlreiche Festungen jenseits des Stromes im
Stich und sammelten sich in ihrer stärksten Feste II o. Da mar-
schierte unser Heer hin und bekämpfte sie in der Festung. Gott aber
öffnete sie unseren Leuten und sie töteten und machten Gefangene.
Dann kehrten sie wohlbehalten und beutebeladen heim.«
Dieser Feldzug endet also mit einem wichtigen strategischen Er-
folg, der Einnahme von Ilo. Damit fällt ein Brückenkopf am West-
ufer des Kwärä in die Hände der Ful, der diesen als ein Einfalltor
in die Westkwäraländer dienen konnte. Das Datum dieses Zuges ist
auf das Jahr 1810 anzusetzen; wiederum ermöglicht die Angabc, der
Fluß habe Hochwasser geführt, die Festlegung in die Monate August
und September.
Die Ausdehnungsbestrebungen nach Westen über den Niger
scheint 'Utmän indessen fürs erste aufgegeben zu haben. Offenbar
hat er eingesehen, daß der Niger doch ein zu großes Hindernis darstelle,
um die Länder westlich desselben unter seiner Herrschaft zu halten,
ohne zu fortwährenden Feldzügen dorthin gezwungen zu sein. Die
Herrschaft Sokotos hat auch in den späteren Jahren, als der west-
liche Teil des Reiches zu einem gesonderten Reiche (iando geworden,
nie fest in den Westkwäraländern aufgerichtet werden können. So
wendet sich der Bhck 'Utmäns den südwestlichen Hausastaaten zu.
Der erste Angriff richtet sich gegen das Sultanat Gwärl an einem
Nebenflüsse des oberen Kara. 'Abdallah berichtet im Tw. folgendes
darüber (M 25 r. ult., F 31 v. 7):
^.xäj J *^U^^ o^lJ M ,.,. .^j s^il^ .J6' LJlpU ..l C^J^b '» •'•
l5
) M ^*a> ^) M wi^^ 3) M Ab
l'jiic neue ',)iiellc zur ( Icscliidite des I''iilii-iclic-; Sokolo. 5l
J>.j lX*<^,/c ,La«.5 X.jJ.^ ^'.A^r-j ;i'^ OJ^'-^ ^'-^ -r^''' -*^'* -^^^ f^^^^^
»D;i,nn, niic.li ilinr Kückki^hr zo^^ M n li ;i in m ;i d lii lln, der -ohii
des Fürsten der < .liinWij^cjn Mllnifm, <in liier /,Ms;ninn<ii 'i^(;^<;n <l;is
Land (iwriri, dcssiii. I'cwolnior sehr \<rstoi l:!«- I U id( n w.in-n und
Kric^S/iif^c in d;i.s L;i.nd des Ishun un,t(:in:dnn(n, dIuii; d;d'i <in Kiinit^
je ihre \/<\\uh: erobert hätt.e, weil :-ie so voll l''esl:iinf<en und l'oits,
Herren und 'TülfTn \v;iren. Mnli:inMM.id Im ll<. ni;irscliierl.e nnl «-inrni
1 feen-, bis er /n iln<ii 'nbiclcn kam, und crobcrlc nnl ' if)l 1 1 s llille
ihn: l''est(in,^en. l):il)ri liit^l:e er dem {''eiiiflc Wi-luste ;in 'Tulin mid
< li'füii^enen /n. Aneh ihr Koni^ wurde ^efan^en mid gefesselt uuli-r
den Gefangenen vorj^efiihri . 'lott «rebiihrt. I'reis deshalb!«
I)as Liiudehen Gwäri biUlete eini-n l\;udjst ;i;il. /AvisilM u K;itsin;i.,
'/;i.ri;i, mul /a,nfara, der schon m, ■ i.rlidiM h<ii '/ntcn. du-si- Liind'-r
dureli stete Raubzüge brnnruhigte. hiese-ll^en. wurden dijreli d<-ii
aui'x-rordentiich gebirgigen Chiirakter des Landes inid di<- \v;dirs'liein-
lieh damit verbnndrnc kriegerische 'l'üchtigkeil der Ilcwohner sehr
begünstigt, so fhd.i es den, p'ürsten <U-s angren/enden Staaten, ni«; ge-
lungen war, diese fortwährende ^iei:dn- bir die ( iren/distriki e ihrer
I, ander aus dem Wege zu rilnmen.. /\ls mm, d)e l'u! d;is I'.rbi; der Ifausa
in jenen. Staaten antraten, da, übern;dmien sie iiueli die lästige Nach-
barschaft von Clwäri. Dieser wird jel/l eni Miide gemacht. I)(;r l'",r-
folg ist um so bemerkenswerter, ;i.ls es für ein, Keiterfieer, wie (.'.s die
I^'ul vorzugsweise waren, mit en,ormen. Schwierigkeiten verbunden, ge-
wesen sein muf.), einen, Gebirgskrieg zu führen. Auch d(;r mondi.scJK;
Kindruck auf die Nachbarn ist nicht zu unterscfiätzen.
.Vfit, diesem Kriegszuge Miih;i,niiiiad lieUo-, biieht. iius(.'r Text
ab. 'Abdallah erw;i.hnt nur noch, er sei vdem I leere m ;iuh;inanfler-
folgcnden Jahren nach Nupe gefolgt, während m;i,n eine große Anz;i.hl
von Festungen einnahm, bis die T3ewohner besiegt wurden«. Von
Dauer scheint die Unterwerfung aber nicht gewesen zu sein (M 25 v. 19,
J' 32 r. 6) :
;jia*j e)-H'*^i n^j^'^^ c)-.*^^ V ^ l5' ^-^^^^ ^\-)y^'-^ o^'^'-^^-
02 -^- B ra SS ,
»Dann folgte ich den Heeren nach dem Lande Nupe in aufein-
anderfolgenden Jahren. Sie eroberten jedesmal viele Festungen und
machten Tote und Gefangene. Manchen Heiden gewährten sie Gnade,
wenn ?ic darum baten. Diese empörten sich aber dann wieder. So
ist die Weise der Heiden: Sie brechen die Verträge und es ist kein
Verlaß auf sie.«
Es handelt sich hierbei also um einen Krieg, dessen Beginn zum
mindesten in das Jahr 1226/1811 anzusetzen ist, da ^Abdallah seine
Schrift Sawwäl 1228/Oktober 1813 beendigt hat. Die HChr. gibt im
Anhange S. 239 f. eine Geschichte der Eroberung Nupes. Demgegen-
über zeigt der Tw., daß 'Abdallah an dem Kriege gegen Nupe per-
sönlichen Anteil genommen hat, wieweit derselbe allerdings geht, läßt
sich nicht feststellen. 'Abdallah wird sich wohl mit den Kontingenten
von Gando als deren Befehlshaber bei dem vielleicht von Muhammad
Bello befehligten Fulheere befunden haben.
Über die letzten Lebensjahre 'Utmäns ist so gut wie gar nichts
bekannt. Auch unser Text gibt uns keine Aufschlüsse darüber. . Nach
den übereinstimmenden Berichten der europäischen Reisenden ist
'Utmän während der letzten Zeit seines Lebens in religiösen Wahn-
sinn verfallen. Wann dies stattgefunden hat, läßt sich nicht ermitteln.
Das von Clapperton ^) angesetzte und dann von Le Chatelier ^)
wiedergegebene Datum 12 18/1803 ist selbstverständlich absolut falsch.
Einen historisch authentischen Bericht über dies Ereignis von ein-
heimischer Seite haben wir natürlich nicht, da dem Muslim der Wahn-
sinn, vor allem aber der religiöse Wahnsinn, als ein Zeichen ganz be-
sonderer Heiligkeit erscheint. Indessen ist die Tatsache der geistigen
Limnachtung 'Utmäns in seinen letzten Lebensjahren deshalb von
Bedeutung, weil dadurch Zustände geschaffen wurden, die eine
Teilung des Reiches in das östliche Oberkaiserreich Sokoto unter
Muhammad Bello und das westliche Süzeräne Kaiserreich Gando
unter 'Abdallah, wie wir sie nach 'Utmäns Tode rechtsgültig
finden, schon zu Lebzeiten 'Utmans um so wahrscheinlicher machen.
Zur religiös-politischen Charakteristik der Bewegung.
Die Lehrmeinungen 'Utmäns, wie sie uns im Tw. — sie sind
zweifellos mit denen seines Bruders 'Abdallah identisch — und in
den uns erhaltenen Schriften 'Utmäns 3) begegnen, sind streng
orthodox.
') Clapperton, 2"'^ expedition, S. 206.
-) U Islam dans V Afriqite occtdetüale, S. 117.
3) Vgl. S. 5 f.
Eine neue (Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. 5^
Schon vor den) Auftreten 'L'tmäns hatte in den nördhchen
Ilausastaaten eine rehgiöse Reformbewegung eingesetzt, deren haupt-
sächHcher Träger ein Mälam namens Häggi Gibirin (Gibril) war, der
sich lange Zeit in Ägypten aufgehalten hatte. Dieser, ein Mann von un-
beugsamem Fanatismus, predigte, wie die HChr. sagt ^), »Nacht und
Tag, öffentlich und im geheimen« gegen das Heidentum, d. h. gegen
die im Islam der Hausa eingerissenen heidnischen Praktiken, ohne
?.llerdings etwas anderes zu ernten, als den Haß der Fürsten und
Großen. Indessen stand er mit seinen Bestrebungen nicht allein da,
sondern die HChr. bemerkt: »In der Stadt Alqalaua in Göbir gab
es auch viele angesehene Priester, aber sie hatten nichts zu sagen,
nur im L;eheimen, in ihren Häusern und in den Schulen, lehrten sie
die Religion -).«
Wie stark diese Reformpartei, die es mit Ausnahme Gib ir ins
zunächst noch nicht wagte, öffentlich aufzutreten, indessen war, scheint
aus der Tatsache hervorzugehen, daß die Hausafürsten, wie die HChr.
sagt, »keine Macht dazu hatten«, den ihnen unbequemen Gibirin
aus dem Wege zu räumen.
In die Schule dieses Mannes kam nun schon in jungen Jahren
'Utmän, um bei ihm »lesen zu lernen«. Dieses Lesenlernen erstreckte
sich nach der Schilderung, die die »Sitten und Gebräuche« Nr. 8 geben,
in erster Linie auf den Koran, später aber auch auf andere religiösen
Bücher, \'or allem auf Traditionswerke. Es ist nun ganz klar, daß
Häggi Gibirin seine Ideen auf seinen Schüler 'Utmän übertragen
hat, und daß derselbe so in die Reformbestrebungen seines Lehrers
hineinwuchs. Die Frage, ob Gibirin auch irgendwelche politischen
Ziele verfolgte, ist m. E. zu verneinen. vSo war der Boden für das
Auftreten eines neuen, größeren Reformators in Göbir durch die Be-
strebungen Gib ir ins schon geebnet, die Reformgedanken waren in
weitere Kreise gedrungen und hatten unter den Mälams eine mehr
oder weniger zahlreiche Schar von Anhängern gefunden. Die Plaupt-
aufgabe des neuen Reformators bestand also in der Lösung des Pro-
blems mehr jjraktischer Art, diese Anhänger zu einem einheitlichen
<janzen zusammenzuschweißen und durch Hinzuerwerbung neuer
Seelen die neugebildete Gemeinde so zu stärken, daß sie durch ihren
Einfluß auch die Hausafürsten und -großen zur Annahme der Reform-
ideen bewegen konnte. Diese Aufgabe hat 'Utmän in glänzender
Weise gelöst, und zwar auf der Basis eines nationalen Zusammenschlusses
seiner in den Hausastaaten zerstreuten Stammesbrüder, der Ful. So-
0 HChr. 171, 10.
-) Ibid. 171, 13.
64 -■^- B r a s s ,
lange Häggi (Üb Irin noch lebte, trat 'Utmän nicht öffentlich auf,
aber nach dessen Tode, der also nahe an das Jahr 1 188/1774 heran-
zulegen ist, tritt er dessen Erbe an und beginnt nun seine 20jährige
Wanderpredigerlaufbahn, mit deren Schilderung der Tw. einsetzt.
Von dem Inhalte der Wanderpredigten 'Utmäns können wir
uns aus seinen uns erhaltenen Schriften ein recht lebendiges Bild
machen.
Die Oaside Mu godi jalla sarki maiiyawa ^) ist eine solche Predigt.
Im Anschlüsse an eine Anzahl Koranverse fordert hier 'Utmän zur
Reue und Bekehrung zum wahren Islam auf, indem er seinen Hörern
die Höllenstrafen möglichst furchtbar und die Himmelsfreuden mög-
lichst herrlich schildert. Interessant ist, daß er dabei dasselbe Predigt-
thema verwendet, das Becker in seinem Aufsatze: Uhi sunt qui ante
nos in mundo fuere} -) in den Literaturen nahezu aller orientalischen
und okzidentalischen Völker »von Shakespeare bis auf die Hiero-
glyphentexte des zweiten Jahrtausends« nachweist. Auch in dieser
Predigt 'Utmäns finden wir^von Vers 38 bis Vers 64 immer wieder
dieselbe Frage wiederholt : Enna kiima salihu, lokmann, .... Enna
isaku ismalüii .... Enna yai^ubu .... Enna musai da haruna da lofu
.... Enna kuma hulhulanusii bakhtnasr enna nimrudu .... usw.
(wo sind ferner Sälih und Loqmän .... wo ist Isaak und Ismael ....
wo Jakob .... wo Moses und Aron und Lot .... wo ferner Hulhu-
lanu, Nebukadnezar, wo Nimrud ....), immer auch wieder dieselbe
Antwort: ja sun tafji enda sarki maiiyawa (auch sie sind dorthin ge-
gangen, wo der allmächtige König ist). Auf den Tod folgt dann die
Prüfung durch Munkar und Nakir, die den Anfang bildet der Qualen
der Hölle oder der Freuden des Himmels, die dem Muslim schon im
(irabe zuteil werden, und schließlich die Auferstehung. Niemand kann
den Gottlosen helfen, weder Adam, noch Noah, Abraham (der Prophet
der Juden) oder Jesus (der Prophet der Christen), Muhammed allein
kann sie retten.
In den eschatologischen Anschauungen ergänzt die Oasidc Mu
godi jalla diejenigen der Oaside Al-Oädirija (s.o. S. 14, B, I, 8).
Es ist ein Gebet um göttliche Gnade, um Beistand im Kampf
gegen den Unglauben, um gnä,dige Führung, um Erbarmen bei den
letzten Dingen und am Jüngsten Gericht und um Bescherung der
Paradiesesfreuden. Jede Zeile schließt mit dem verschieden variierten
') Robinson, Specimens, F.
-) Aufsätze zur Kultur- und Sprachengeschichte, vornehmlich des Orients, Ernst Kchn
zum 70. Geburtstage 7. II. 1916 gewidinet, S. 87 — 105.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. gc
Refrain: »Um des Verdienstes, der Würde, der Ehre usw. 'Abdcl-
qädirs willen«.
Die eschatologischen Vorstellungen 'Utmäns bieten ja zwar an
und für sich durchaus nichts Besonderes, sie sind die im Islam allge-
mein gültigen, indessen beweisen diese beiden Oasiden doch, wie genau
'Utmän mit allen diesen Dingen vertraut war.
Eine außerordentliche Strenge der Auffassung zeigt 'Utmän in
der Pflichtenlehre. So findet sich M. 3 V. 2 sogar der Satz: ^^ J^^\
^y^j^^ ^Jlc V-r^-lii >><i^s i»l (das sonst zwischen gä*iz und sunna
rangiert) ist für den (wahren) Gläubigen gleich dem i_^i^!,«. Die
Reihenfolge der sogenannten »Lebensgütcr« ist auf das genaueste
einzuhalten. In deren Benennung und ihrer Folge untereinander weicht
'Utmän allerdings von dem gewöhnlichen Gebrauche ab. Während
man sonst i. Religion, 2. Menschenleben, 3. legitime Abstammung,
4. vernünftige Ordnung in den sozialen und materiellen Gütern,
5. Besitz und 6. guten Ruf nennt, wobei 6. auch wohl unter 3. mit-
gezählt wird i), gibt 'Utmän im Tw. die folgenden 5 Lebensgüter
an: i. Glauben, 2. Verstand, 3. Vermögen, 4. Familie und 5. Ehre -).
Den tiefsten Einblick in die Gedankenwelt 'Utmäns gewinnen
wir aber aus seinem Nur al-albäb, dessen Abfassung noch vor die
Higra zu legen ist. In diesem Buche eifert 'Utmän in erster Linie
gegen die zahllosen heidnischen Praktiken, die sich in den afri-
kanischen Islam eingeschlichen hatten, und die noch heute eine so
bedeutende Rolle in demselben spielen. Er wendet sich dabei nicht
nur an das Volk, sondern vor allem an die 'Ulamä', von deren Mit-
hilfe er besonders die Beseitigung der Mißbräuche erwartet. *Utmän
zählt eine Reihe dieser heidnischen Praktiken auf und widerlegt sie
dann aus dem Koran, der Tradition oder den Schriften hervorragender
Fiqh-Gelehrter. An letzteren führt er u. a. auf: 'Abderrahmän b.
Al-Oäsim, Averroes, Mälik b. Anas, Säfi'i. Ferner wendet
sich *Utmän gegen die unwürdige Behandlung der Frauen, deren Los
in Afrika noch weit härter war, als in den übrigen muslimischen Län-
dern. Dieser Teil seiner Schrift zeigt den moralisch außerordentlich
hohen Standpunkt 'Utmäns in so hellem Lichte, daß es angebracht
erscheint, denselben hier nochmals wiederzugeben, zumal da der NAlb.
nicht in aller Hände sein dürfte 3).
I) Horten, M., Die religiöse Gedankenwelt der gebildeten Muslime im heutigen Islam,
Halle 1916, S. 152.
^-) M 3 1. 6.
3) NAlb. S. 35, 2-36, 5.
Islam X. 5
^A A. B r a s s ,
xJÜS v^3^ -^ ^^-^ jr^^- r-2^'^tV^3 *^"^A3; *^lj^3^ *'Js^U ^AlJi£
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aI-? x^Aix^J .Py)i 13! "5! 'wC-4^1 .üLi/) ^-5^3; o^-*^^ '^tV^^ tL"^-^ ^""^^^
»Und dazu gehört, ^vas die meisten der 'ülamä dieses Landes
tun. Sie lassen ihre Frauen, ihre Töchter und ihre Sklaven vernach-
lässigt, wie die Tiere, ohne sie zu lehren, was Gott ihnen vorschreibt
an Glaubensartikeln, ritueller Waschung, Gebet, Fasten u. dgl, dessen
Lernen Gott ihnen zur Pflicht gemacht hat. Sie lehren sie nicht, was
ihnen erlaubt ist, nicht die Fragen ihres Kaufes und was dem Kaufe
gleicht. Das ist ein schweres Vergehen und eine verbotene Neuerung.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. 67
Sie behandeln diese Wesen wie das Geschirr, das sie benutzen,
bis es zerbricht und sie es auf den Kehrichthaufen werfen, d. h. auf
den Ort der Unreinigkcit. Wie können sie ihre Gattinnen, Töchter und
Sklaven in den Finsternissen der Unwissenheit und des Irrtums
stecken lassen, wo sie doch morgens früh und abends spät ihre Schüler
unterrichten! Zu was tun sie das anders, als zu ihrem eigenen Ver
gnügen, denn daß sie ihre Schüler unterrichten, ist Heuchelei und
Egoismus. Das ist ein schweres Verbrechen. Denn die Gattinnen,
Töchter und Sklaven zu unterrichten, ist religiöse Pflicht, der Unter-
richt der Schüler aber nur ein opus supererogatum und anerkannter-
maßen geht das Pflichtgemäße dem opus supererogatum vor. Das
Unterrichten des Schülers ist nur dann Pflicht des Gelehrten, wenn
außer ihm keiner in seinem Lande vorhanden ist (der hierzu fähig
wäre). Dann freilich ist er religiös verpflichtet, ihn zu unterrichten,
aber erst nachdem er die Scinigen unterrichtet hat, denn es ist recht,
daß wer den Vorrang hat, vor dem, der überragt wird, den Vor-
tritt hat.
Ihr muslimischen Frauen! Hört nicht auf die Reden der Irrenden,
die andere irreleiten, sie täuschen euch, wenn sie euch auffordern,
nur dem Gatten zu gehorchen ohne euch auch den Gehorsam gegen
Gott und seinen Gesandten anzuempfehlen, und wenn sie sagen, das
Weib finde sein Glück im Gehorsam gegen ihren Mann. Sie suchen nur
die Befriedigung ihrer Begierden und Wünsche, und darum bürden
sie euch auch Sorgen auf, die euch Gott, der Höchste und sein Prophet
überhaupt nicht zur Pflicht gemacht hat, wie das Kochen, das Waschen
der Kleider und andere zahlreiche Pflichten, die großenteils nur ihren
Zwecken dienen. Nicht aber legen sie euch auf, was Gott und sein
Gesandter euch zur Pflicht gemacht hat, Gehorsam gegen Gott — ■ er
sei geehrt und gepriesen! — und Gehorsam gegen seinen Gesandten.
Jawohl, das Weib ist anerkanntermaßen ihrem Gatten gegenüber
zum Gehorsam verpflichtet, im verborgenen, wie öffentlich, wäre ihr
Gatte auch nur ein armer Wicht, und es steht allgemein fest, daß
Ungehorsam ihrem Gatten gegenüber absolut verboten ist, es sei denn,
daß er ihr eine Sünde gegen Gott, den Höchsten, befiehlt. Dann ist
es ihre Pflicht, den Gehorsam zu verweigern, denn nicht dürfen die
Geschöpfe gegen den Schöpfer ungehorsam sein. Andererseits wird
die Belohnung eines Weibes, das sich ihrem Gatten unterwirft, doppelt
so groß sein, aber nur, wenn sie zuerst Gott und seinem Gesandten
gehorcht ^).
') Ich habe hier eine ganz neue Übersetzung gegeben, da die Übersetzung Ismael
5*
68 ^- Bra s s,
Im übrigen beschriaikt sich die Predigt der beiden Brüder, wie
auch aus der Propagandaqaside 'Abdallahs hervorgeht, im wesent-
lichen auf die Verkündigung der einfachsten Elemente der Pfiichtcn-
und Glaubenslehre. Natürlich darf das amr bil-ma'^rüf ivan-nahj '^aii
al-munkar nicht fehlen, dann sind genannt das Gebet, die Waschung,
zakät, Fasten, gesetzlich richtiger Verkauf, Eheschließung, Verschleie-
rung der Frauen usw.
Sehr interessant zu verfolgen ist bei 'Utmän die Entwicklung
vom Prediger zum Staatsmann, eine Entwicklung, die sich seit Mu-
hammed immer aufs neue auf islamischem Boden wiederholt hat.
Man denkt sofort an geschichtliche Vorgänge wie etwa die Almohaden-
und in späterer Zeit die Wahhabitenbewegung. Bei 'Abdallah kann
man schon sehr früh ein durchdachtes Handeln nach einem klaren
politischen Plane erkennen. Zum erstenmal politisch hervor tritt er
offenbar bei seiner Verhandlung mit dem Fürsten von Göbir. Dies
geschieht erst, nachdem er eine große, ihm ergebene Anhängerschar
um sich versammelt sieht, die er durch Propaganda, durch Predigt,
Sendschreiben und Verhandlungen mit den bedeutendsten Ful-^Iälams
sich gebildet hat. Bei dem Herrscher von Göbir erwirbt er sich einen
außergewöhnlichen Einfluß, der noch dadurch wächst, daß er der Er-
zieher des zukünftigen Königs Junfa wird. Nach dem Tode Bäwas
und des Prinzregenten Jakuba führt dann 'Utmän zugunsten seines
Schülers Junfa jenen obenerwähnten Staatsstreich aus, von dessen
Gelingen er das Erreichen seiner Ziele erhofft.
Indessen bald muß er einsehen, daß seine Hoffnung, in Junfa
ein williges Werkzeug zur Durchführung seiner Reformen zu haben,
schwer enttäuscht wird. So tritt allmählich der Satz von der Pflicht
zum Gihäd gegen die verstockten Heiden im Lehrsystem 'Utmäns
immer mehr in den Vordergrund. 'Utmän ist entschlossen, seine
Reformen, wenn sie sich nicht im Frieden durchführen ließen, mit
Gewalt zu erzwingen. Es ist daher unrichtig, wenn Le Chatelier
sagt: »des 1804 (Othman) etait tombe dans un etat de Touhidisme
voisin de la folie, qui ne tarda pas ä amener sa mort, en 1816« '^), ein
Irrtum, der sich wohl aus der irrtümhchen Angabe Clappertons er-
klärt, 'Utmän sei im Jahre 1218 wahnsinnig geworden. Beide Daten
sind zu früh gegriffen. Als Vorbereitung zu einem eventuellen Bruche
mit Junfa prägt 'Utmän den Satz: nAa« ^^Av>.il jIuXx;^^! ^1. >>Das
Bereitmachen der Waffen ist Sunna!« und dichtet seine Qädirija.
Hamets eine überaus ungenaue und fragmentarische ist. Genau dieselben Gedanker finden
sich auch Tw. 10, 6.
■) U Islam dans V Afrique Occidentale, S. 117.
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. 69
Diese Aussicht auf einen etwaigen erfolgreichen Krieg und eine
reiche Beute mußte bei den von den Hausakönigen unterdrückten
und ihnen tributpflichtigen Ful einen lebhaften Widerhall fin-
den, andererseits aber konnte das Vorgehen 'Utmäns die Hausa-
fürsten über die Absichten des Scheichs und über die Gefahr, die
ihren Staaten drohte, nicht mehr im Zweifel lassen. So ward die
Katastrophe beschleunigt. 'Utmän selbst freilich und ein Teil seiner
Gemeinde blieb von dem »Dieu le veult« seines Vorgehens durchaus
überzeugt. Seinem flammenden Fanatismus diente die politische
Macht nur als Mittel zur Erreichung seines religiösen Zwecks. Natür-
lich werden viele seiner Anhänger unter dem religiösen Deckmantel
nur ihren weltlichen Zielen und Wünschen nachgejagt haben. Ihnen
wird das religiöse Motiv in erster Linie als eine Form, in der sie ihre
Herrschafts- und Plünderungsgelüste mit einem Scheine der Berechti-
gung befriedigen konnten, gedient haben. Gegen diese Tendenzen
protestiert die ■ Schrift Muhammad Al-Känemis, die allerdings
erst unter Muhammad Bello verfaßt ist, wo die Plünderungszüge
der Ful unter dem Vorwande des Krieges gegen Ungläubige überhand-
nahmen. Es kann indessen nicht bezweifelt werden, daß schon zu
*Utmäns Zeiten der »heilige Krieg« in den Augen der Mehrzahl der
Ful eine bequeme Gelegenheit darstellte, sich zu bereichern.
Es drängt sich nun die Frage auf, woher der Islam 'Utmäns
stammt. Der Tw. beantwortet dieselbe dahin, daß 'Utmän Oädirit
war. Den Beweis hierfür liefert die Oaside Al-Qädirija. Auch in seinen
Hausaqasiden, Robinson, E. und F., redet 'Utmän seine Gemeinde
mit den Worten Gamä'-a al-qädiräiva an ^). Die Erklärung Robinsons
zu diesem Ausdruck: »Abd-el-Kadr was Othman's principal Mallam
and a native of Kano; Alkadirawa is therefore probably equivalent
to »people of Kano«-) ist als gänzlich unwahrscheinlich zurückzu-
weisen. Die indirekten Quellen für 'Utmäns Lehren lassen sich zum
Teil ohne weiteres ermitteln. In erster Linie ist hier natürlich 'Utmäns
Lehrer Häggl öibirin zu nennen. Nach der Angabe der HChr.3)
hat sich dieser 20 Jahre in Mekka, oder, was wahrscheinlicher klingt,
2 Jahre in Mekka und 18 Jahre in Ägypten aufgehalten. Dieser Aufent-
halt im Westen fällt nach der HChr.4) vor die Geburt 'Utmäns, wäre
also, da 'Utmän im Jahre 1754 geboren ist, etwa in die Jahre 17 30
bis 1750 zu legen, wobei es am wahrscheinlichsten erscheint, daß
') E 4 und 31; F 5.
-) Spec. S. 61.
3) HChr. 171,6.
4) HChr. 172, 5.
"-Q A. Brass,
Gibirin zuerst in Mekka und später in Ägypten verweilt, da er ja
in erster Linie die Pilgerfahrt zu machen beabsichtigte. Le Chatelier
hat in seinem L Islam au XJX" siede die Frage aufgeworfen, ob nicht
'Utmän vielleicht Wahhäbit gewesen, bzw. von den wahhäbitischen
Tendenzen beeinflußt worden ist. Zunächst wäre hierbei wieder an
H䧧i Gibirin zu denken, dessen Reformideen 'Utmän ja fort-
besetzt hat. Über diese wissen wir freilich nichts, wir können nur aus
den Lehren 'Utmäns Rückschlüsse auf dieselben machen. Es ist
zudem sehr unwahrscheinUch, daß Gibirin in der kurzen Zeit, in der
er sünstisstenfalls nach dem Ausbruche der Wahhäbitenbewegung in
Mekka geweilt, sich die wahhäbitischen Lehren zu eigen gemacht habe.
Eine gewisse Ähnlichkeit mit der Wahhäbitenbewegung ist nicht zu
verkennen. Auch 'Utmän predigt Reformen, auch er gründet ein
Reich mit seinen Anhängern. Doch die Front seiner Predigt war eine
etwas andere. Spielt bei den Wahhäbiten der Kampf gegen die vom
Gesamtislam anerkannten und assimilierten »Neuerungen« bzw. heid-
nische »Überlebsel« die entscheidende Rolle, so hat 'Utniän teils
gegen vom Islam unberührtes Heidentum, teils gegen das Zurück-
sinken in solches zu kämpfen. Auch er streitet zwar wider entartete
'Ulemä, doch fühlt er sich nicht im Gegensatz zu dem »Gesamtislam«
und dessen allgemein anerkannten Anschauungen, sondern weiß sich
mit dem Islam aller Länder im Kampf gegen das Heidentum einig.
Eine Beeinflussung 'Utmäns durch die Wahhäbitenbewegung ist
jedenfalls nicht nachzuweisen. Die Stellung 'Utmäns zum Propheten -
kult steht ganz im Gegensatz zu wahhäbitischen Anschauungen.
Muhammed wird nicht allein stets als »bestes der Geschöpfe« be-
zeichnet, sondern auch als »Asyl der Kreaturen«, als »der größte
Schutzort« u. a. m., insbesondere aber spricht 'Utmän zu wieder-
holten Malen den Wunsch aus, zum Grabe Muhammeds pilgern zu
können, um dort zu beten. So in seiner Oaside: _j.^o .^_^*ka ^ J.;?
J.4.^/. ^^•^'-■e^S y^i j3j^ — '^^j^^ '^-^^ s. o. S. 13 B, I, I, ferner in der
Oaside: Ahi godi jalla . . ., Vers 251: Da na fita sokoto kua ni nuftina
madinatu enda ahmada ya ti kowa (wenn ich andererseits So-
koto verlasse, ist meine Absicht Medina, wo Muhammed (ist), der
alles übertrifft) und in der Oaside Mu godi uhangiji . . ., Vers 49 — 50.
Insbesondere aber die Stellung zum Heiligcnkult, die Anschauung
von der »Vermittlung« 'Abdelqädirs ist ganz unwahhäbitisch. In dem
bei Barth IV, S. 544 gegebenen Ful-Gedichte 'Utmäns ist Vers 8 von
dem »Glänze der Welt« die Rede, im übrigen stellt es ein Musterbeispiel
für den Muhammedkult *Utmäns dar. Le Chatelier hat daher auch
in seinem jüngeren Buche: !>L Islam dans V Ajrique Occidentaleii~ die
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. 'j\
Wahhäbitenthese fallen lassen, und erörtert statt dessen die Möglich-
keit von Beziehungen 'Utmäns zur Oädirija, ja er bezeichnet die
Gamä*a auf seiner Karte Nr. 7 zu S. 320 direkt als »Kadriya Othma-
niya«. Sind auch die historischen Tatsachen, die Le Chatelier gibt i),
infolge der damals mangelhaften Kenntnis der Geschichte der Hausa-
staaten überholt, so hat er doch in treffender Weise erkannt, daß auch
die engen Beziehungen 'Utmäns zu Sidi Muhtär el-Keblr, dem
Haupte der Oädirija Bekkäja, auf eine Verwandtschaft der Lehren
beider schließen lassen. Hinsichtlich der Herkunft dieser Lehren
weisen außer Häggl Gibirin noch die Beziehungen zu andern Männern
auf den Osten, speziell auf Ägypten hin. Ein zweiter Lehrer *Utmäns
war der Hägg Muhammad b. Rag, der lange in Mcdina gelebt
hat und ein in seiner Heimat bedeutender Traditionslehrer war. Li
der Kette der Gewährsmänner, die 'Abdallah für dessen Traditionen
anführt, finden sich 3 Männer, deren Namen unbedingt auf Ägypten
hindeuten, nämlich Muhammad Al-Bäbili aus Misr, Sälim Abü'n-
Nagä as-Sanhüri^) und der Kopte Muhammad. Auch ein Onkel
und späterer Lehrer 'Utmäns, der Hägg Abu 'Ali Muhammad
Sambo b. 'Abdallah b. Muhammad b. Sa'd, hatte sich 10 Jahre
in den heiligen Städten aufgehalten.
'Utmän ist demnach also Oädirit gewesen, und hat seine Lehren in
der Hauptsache mittelbar aus Ägypten und dem Osten empfangen.
Die kriegerischen Eigenschaften der Gemeinde 'Utmäns gegenüber
den friedliebenden Tendenzen der Qädirija sind einerseits auf den
religiösen Fanatismus und die außergewöhnliche Energie 'Utmäns,
der nur ein »Biegen oder Brechen« kannte, zurückzuführen, andrer-
seits aber dem Umstand zuzuschreiben, daß dessen Anhänger zum
weitaus überwiegenden Teil einen Krieg gegen die Ungläubigen als
eine bequeme Gelegenheit zur Erwerbung von Freiheit und Reichtum
herbeisehnten.
So liefert uns der Tw. vor allem zwei wichtige neue Ergebnisse:
die genaue politische Geschichte des Kaiserreiches Sokoto und die
Lösung des Problems der religiösen Verwandtschaft des großen Ful-
Reformators.
0 S. 116 f.
-) Sanhüru ist ein kleiner Weiler nahe Alexandria, zwischen diesem und Damiette
(Jäqüt III, S. 170; Lex. Geogy. 11, S. 6i).
A. B r a s s ,
'Ali
Hamm
'Utmäii
Muhammad
■ I
Hawwä
Anhang I.
Stammbaum *Utmän Da-n-Fodios.
Müsä
I
Bübu Bäba
I
Mäsiräna
I
Ajjüb
■|
Muhammad Sambo
I .
Muhammad Gobbo
(wandert aus Futa Toro aus)
Gibril
Mari am
Muhammad Gur'do
Härün
Sälih
'Utmäu
Muhammad
'Ali
'Utmän
'Abdallah
Anhang II.
Leecndärcr Stammbaum der Ful nach dem Tw
Abraham
Isaak
j
Ismae.l
Esau
Nasmat 12 Söhne
Rüm
1
Ful
Araber
Anhang III.
Zur Karte.
Die angehängte Karte: »Politische Karte des Kaiserreichs Sokoto
im Maßstäbe i: 2 000000« soll einen Überblick über die gesamte Ge-
Eine neue Quelle zur Geschichte des Fulreiches Sokoto. y»
schichte der Sokotoful vom Auftreten 'Utmän Da-ii-Födios an
bis zur Gegenwart ermöglichen. Leider hat es an einer zu diesem
Zwecke geeigneten Karte bisher gefehlt. Die modernen Karten waren
aus dem Grunde nicht verwendbar, weil auf ihnen die große Menge
der zum großen Teile außerordentlich wichtigen alten Namen von
Staaten und Orten fehlen. Eine historische Karte des Reiches Sokoto
dürfte daher wohl willkommen sein. Die Karte ist aufgebaut auf der
französischen Karte von Afrika ^) unter Korrektur der sehr zahlreichen
Fehler dieser Karte namentlich in der Darstellung der Flußsysteme
auf Grund des amtlichen englischen topographischen Materials. Leider
ist es mir infolge des Krieges nicht möglich gewesen, die amtlichen
War Office Maps im Maßstabe i : i ooo ooo und i : 250 ooo von
Nigeria zu beschaffen, so daß eine Anzahl von Orten, die z.B. im'
Tw. genannt sind, von mir noch nicht haben festgelegt werden können.
Allerdings ist es sehr zweifelhaft, ob dies selbst mit Hilfe dieser Karten
hätte geschehen können, da sicherlich eine große Anzahl der damals
existierenden Orte im Laufe der Kämpfe zerstört worden sind und
daher ihre Auffindung jetzt unmöglich geworden ist, wie schon Rohli-s
in seinem Buche: »Quer durch Afrikas bemerkt und dies auch die
Karte von Kitson von Southern Nigeria im GJ. XLI, Nr. i zeigt.
Die überwiegende Zahl der historisch bedeutenden Orte habe ich je-
doch hauptsächlich mit Hilfe des Kartenmaterials der vorhandenen
Reise werke festzulegen vermocht.
Von einer Darstellung der Gebirgssysteme habe ich im Interesse
der Übersichtlichkeit bis auf ganz vereinzelte Fälle (in Adamaua), wo
deren Aufnahme unerläßlich war, abgesehen. Ich habe indessen die
hierdurch entstandenen Mängel dadurch wettzumachen geglaubt, daß
ich bei allen bedeutenderen Orten deren Höhen in Metern auf Grund
der amtlichen englischen topographischen Aufnahme hinzugefügt habe.
Mit Hilfe derselben wird eine Übersicht über die Höhenverhältnissc
des Sokotoreiches nicht allzuschwer zu erlangen sein.
') Afriqiie physique et politique a l'echelle du i : 6 ooo ooo'
Die Farbbezeichnungen
bei innerarabischen Reduinenstämmen.
Von
J.-J. Hess.
Jeder, der arabische Schriftsteller liest, oder mit Beduinen au^
dem eigentlichen Arabien zu verkehren Gelegenheit gehabt hat, weiß,
wie viele Farbbezeichnungen ihre Sprache aufweist, und wie schwierig
es oft ist, zu einer einwandfreien, d. h. richtigen und unmißver-
ständlichen Übersetzung derselben zu gelangen. Da aber eine solche
namentlich bei Beschreibung von Xaturgegenständen oft von größter
Wichtigkeit ist, habe ich eine sorgfältige Bestimmung der Farbnamen
versucht und will meine Resultate in dieser Richtung, die vielleicht
auch andern von Nutzen sein können, hier mitteilen.
Die Farbbezeichnungen und ihre Definitionen stammen mit
wenigen Ausnahmen (die als solche angegeben sind) von einem
Individuum, einem '^Ötebt^), der von allen Beduinen, die ich während
eines jahrelangen Aufenthaltes im Oriente kennen lernte, sich als
der intelligenteste und zuverlässigste erzeigte und geradezu mein
wissenschaftlicher Mitarbeiter geworden ist. Zur Bestimmung der
Farben wurde ihm zunächst eine Farbentafel vorgelegt und nach dem
Namen jeder Farbe unter Verdeckung der übrigen gefragt. Zur
Kontrolle wurde eine zweite Tafel (mit veränderter Reihenfolge der
Farben) gebraucht und nach Verlauf von einem Jahre dieselbe Arbeit
mit den beiden Tafeln wiederholt. Nach weiteren zwei Jahren endlich
wurde das Ganze an dem Code des Couleurs von Klincksif.ck et
Valette, Paris 1908, übergeprüft und die Werte der Farben nach
dessen Nummern festgestellt. Da die Angaben des Beduinen sich
stets gleich blieben, ist nicht daran zu zweifeln, daß sie den Sprach-
gebrauch seiner Heimat aufs genaueste wiedergeben.
Es ist natürlich, daß für die Beduinen die Farben nicht Ab-
straktionen oder physikalische Begriffe sind, sie vielmehr dabei an
') Die'Öiaöe sind nach Mitteilung des Gioßschenl' von Mekka 'Ali el- 'Abdel!
die Nachkommen der Hawdzifi.
Die Farbbezeicbnungen bei innerarabischen Beduinenstämmen. "r,
die Träger dieser Farben, Tiere, Geländeformen und andere Natur-
gegenstände denken, und ich habe daher in jedem Falle mich, diesen
Trägern gefragt, wobei es sich zeigte, daß Farben wohl auch in
einem, man möchte sagen uneigentlichen Sinne angewendet werden,
ähnlich wie wir von weißem Weine sprechen, während er doch gelb
ist fs. hadai'). Wie schon gesagt, überrascht die Reichhaltigkeit der
Benennungen, aber ebenso der Umstand, daß unter ihnen die Be-
zeichnungen für die gelben und braunen Töne vorherrschen, während
die Sprache für Grün und Blau nur spärliche Ausdrücke hat — wohl
ein Einfluß der Wüste.
Die Form der Farbnamen ist die aus der klassischen Grammatik
bekannte, aber mit der merkwürdigen Abweichung, daß sie die Nunation
und im Plural zwei^ Formen (d. h. je eine für Maskulin und Fe-
minin) hat. Im 'ötebischen Dialekt zeigen die Namen mit anlautendem
Guttural im weitern die Eigentümlichkeit, das prähgierte a abzu-
werfen, so daß man also z. B. nicht ahadar sagt (wie im gahtänischen
Dialekte), sondern hadar. Freilich wird dieses a wieder hergestellt
wenn die zweiten oder dritten Radikale der Wurzel identisch (oder
um nicht mehr zu behaupten, als die Tatsachen erweisen, vi] suid
[ahaniin, vgl. dagegen hawa).
Da im 'Ötebischen das attributive wie prädikative Adjektiv zu
einem Diminutiv ebenfalls ins Diminutiv gesetzt wird, so kommen
von allen verzeichneten Farbnamen auch Verkleinerungsformen vor.
Man sagt 2X^0 gmileii mnlah ,ein schwarzes Kamel', frysen^] safrä .eine
helle Stute', aber igvieilcji umciäh ,ein kleines schwarzes Kamel',
freisten sjärä ,eine kleine helle Stute'. Das Diminutiv von hadar
lautet iihädir.
In der nachfolgenden alphabetischen Aufzählung der Farben
bezeichnet G gahtänische Formen und O solche, die dem Idiome
der hadar von el-Gaswi entstammen; alle Wortformen, denen diese
Buchstaben nicht nachgesetzt sind, gehören dem Dialekte der '■Ötübe
Rwuge-) an. Die Zahlen sind die Nummern des oben erwähnten
Farbatlasses; y umschreibt ein dumpfes i, (wie in türk. kyzvl,. g und
dz ist gutturales und palatalisiertes ■;, ts palatalisiertes J.
') Im '(itebischen Dialekt wird jede zweisilbige Wortlorm einsilbig, wenn ein,
vokalisch anlautendes Suffix antritt. Man sagt cl-gasab und darab aber gsilbch ,scin.
Rohr' und irtibet ,sie schlug'. Dies Gesetz wirkt auch bei der Anfügung der Nimation,
so daß z. B. die Formen cl-faras. ci-gimel, d-Iiamar mit 1 enwin frysäi. i^milnt, hmnrcu
lauten.
^j Die ''Ütabc (sing. ^Otc/n, plur. pauc. "^Öibau) zerfallen in zwei Hauptgruppeii :
'■Otäbe Rivuge (auch Riige) und '■Ötäbe Bargä, deren Dialekte stark voneinander abweichen-
j6 J--J- Hess,
1. dbrag, fem. bä7-gä, plur. fem. byrg, masc. byrgän ,braun (oder
schwarz) und weiß in großen Flecken oder Streifen': Schafe, der
Beduinenmantel {'abäh), die Berge, die man abrag, plur. byrgän nennt,
d. h. solche, an denen größere Schichten oder Oberflächenteile Sand
mit Fels abwechseln.
2. abgat^), fem. bgcitä plur. fem. byget, masc. bygtän ,staubgrau,
auch 428 A, 428 B': Berge, Tonstaub {maräga), Wolf {dib), Hase,
Wüstenluchs [tfe) -), die Schlange nmm^ gneb ,Hornviper'.
3. ablag, fem. beHgä, plur. fem. bilg, masc. bilgän ,rosa3)', 3 C.
3D, 21, 021, 28 B, 28 C, 280,46,046,071: Kleiderstoffe, ^^r^ (plur.
dzi'än) , rundliche Depression mit tonigem, harten Boden ohne
Kräuter, Sand oder Steine', nach Ansicht der Beduinen eine Schaffung
des Teufels [ha'lg iblis).
4. abjad, fem. bädä plur. fem. bid, masc. biddn ,weiß': Kleider,
Baumwolle, frische Milch, Schafe, Pferde, s. Anhang 2, 3 b)— abjad
abhag^) , kreideweiß' (so auch ibft el Atjr III, 41,6).
5. viighini<) , dunkles Blaugrau' 434, 435, 459, 4^0, 464, 465,
484, 485: wenn man in weiter Ferne Kamele sieht, deren Farbe man
nicht erkennen kann, so sind sie mighiin. Vgl. adhan und ashab.
6. hagel fem. haglä plur. fem. IdgiL masc. higlän ,mit weißen
Füßen', von Pferden, Hunden und Schafen gesagt, die einen weißen
Fleck oder Ring {higlc plur. higcl) an den Plißen haben. S. Anhang
3 a, b, vgl. '^äsamm.
7. haniar, fem. hanirä, plur, fem. hymer, masc. hymraii ,ver-
schiedene Schattierungen von Karminrot' l, 2, 6, 7. S. Anhang i,
3 a, b — hainar Jmivijc ,scharlachrot bis orange' 26, 31, 51, 56, 61,
76, 81, ^6, loi, 106: Wollstoff (^7?//), der bei der hmnje des Frauen-
sattels verwendet wird. hnwije, plur. hawäjä ist ein rundliches
Polster, das beim Frauensattel {tsiieb) ^') hinten am Sattelpflock {gazäk),
') Zu abgai, das ich nirgends linde, gehört wohl K^^-Ia-Ü ^^yJ xii-AJl Tag i,
602, 17 V. u., wenn wenigstens nicht die Farbe der Milzsubstanz, sondern der hellen
Hülle gemeint ist.
-) X.aj s. Jslam \ll. 103.
3) ablag hat im klass. Arabisch nur den Sinn von .scheckig' (s. Anhang 3 c, 5);
eine der unsrigen ähnliche Bedeutung linden wir im Algerischen: ,ä museau ladre', cheval,
boeuf (Beaussier, Dict. s. v.), wo es also die Farbe der ungefärbten und nackten oder
fein und kurzbehaarten Stellen bezeichnet.
4) Vgl. dazu den Namen der Hautkrankheit hahaq (hebr. ^TVil)' Vitiligo alba, die
in NiEBUHR, Beschreilmni: Arabiens, 137. Anm., genau beschrieben ist.
5) Vgl. gehäme O .Schatten, dunkles Gebilde in der Nacht, wie ein Baum'.
6) fsiteb »^Äi = klass. i_^S; vgl. kytel O = klass. JJCis.
Die Farbbezeichnungen bei inneiarabischen Beduinenstämmen. 'jj
der länger ist als beim sidäd, aufrecht (und hinter demselben) befestigt ist.
8. (i/iarnm, fem. hmmnä, plur. fem. hymm, masc. hymniän ,rote
Erdfarben, gebrannte Siena' -]-], 78, 87: Farbe von Kamelen, Kopf-
haaren i). S. Anhang i.
9. hmvä, fem. hauwä, plur. fem. Junviv, masc. huzvtvän ,oben am
Rücken und an den Seiten äsJiäm und as'-al (so bei den idmi- und
*^/;'J-Gazellen, Gazella arabica Licht, und G. dorcas [L.j, und dem
t£^/'j/-Steinbock, Capra nubiana F. Cuv.) oder äsniar (so bei Ziegen
und Eseln), am Bauche aber weiß'.
10. ]iadm\ fem. Jiadrä. plur. fem. hiidür, masc. hiidrmi ,grün in
allen Abstufungen' 276, 301— 3, 306 f, 327, 331 f, 351 f, 356 f, 367.
hadar ist neben der Vegetation auch der Himmel, dessen Grün indes
eenau von dem der Pflanzen unterschieden und nach der Farbtafel
als blaugrün, 361 f, 396 f bezeichnet wurde 2). Strenggenommen sind
nur die blauen Teile des bewölkten Himmels hadar, der unbewölkte
Himmel ist am Tage adJjan, nachts ezrag; beim Esel bedeutet hadar
ein neutrales Grau, und vom Barte gesagt, heißt es ,leicht ergraut,
meliert': lihjiteh hadrä = lihjiteh viintasfä ,sein Bart ist meliert'.
Endlich wurde die Gesichtsfarbe der Nubier und dunkeln Beduinen
als hadar bezeichnet. S. Anhang 2, 3 b, c.
11. ädbes, fem. dabsä, plur. fem. dibs, masc. dibsdfi U ,umbra-
farbig 42, 118. dibs 'O, G, O ist ,Dattelsirup'. Die Datteln i^ritttab)
werden in einen mannshohen, konischen, steinernen Behälter [gyssa)
oder auch in einen größern, aus Ziegelsteinen gebauten Behälter
{sübe) geschüttet. Der Saft, der unten abläuft, ist dibs, auch
sein genannt.
12. ad hau, fem. <^dhänä, plur. fem. dyhyn, masc. dyhnan .mittleres
Blaugrau' 455 C, 453 D, 467, 471: Rauch des rimt, Haloxylon Schwein-
furthii Asch. (Chenopodiaceae), Himmel (s. hadar), Kamele. Vgl.
jnigJiim und ashab.
13. adra\ fem. dcr'-ä, plur. fem. dyre\ masc. dyr'-än ,weiß mit
braunen Flecken links und rechts am Halse' (Schaf).
1) Vgl. hmd»i O ,Ruß am Kessel' (in Algier *j-«.=> ,noir de fumee, suie
Beaussier, Dict.), hamme O .schwarzer Berg' in Bergnamen von Ncgd und der Sina
halbinsel.
2) Vgl. el-bieirä und hder es-simä O ,das Himmelsgewülbe' (klass. i.S,*:a:5=^J))-
Auch in den Türk-Sprachen finden wir kok als Bezeichnung der Farbe des frischen
Grases einerseits (so im Altai- und Lebed-Dialekt, im Teleutischen u. Schorischenj u.
des Himmels andererseits (im Küktürkischen, Uigurischen, Kumanischen),j kö}z-lcr
.Himmel' (in chinesischer Umschreibung: ho-licn, Canton kak-lin, Korea hiök-yön) ist
schon hunnisch (S. Bull. Ac. Imp. St. Pctersbourg XVII, 1902, p. 05). Weiteres über
die Farbe d. Himmels s. in F. Delitzsch, Iris, Leipzig i88S, S. 8—20.
78 J-J. Hess.
14. ad'-as, fem. dc'-äsä, plur. fem. di'-es, masc. dt'^sdn , graugrün'
343, 348: giihen wiisi'- ,ein Wollstoff', auf die menschliche Hautfarbe
angewendet, hat es dieselbe Bedeutung wie hadar.
15. adg-af, fem. degät_ä, plur. fem. ditgt, masc. dug'tdfi G , ver-
schiedenfarbig fein gesprenkelt, aber es muß immer safär ,GeIb' dabei
sein', von Tierhaaren gesagt.
16. adg-ai/i, fem. degämä, plur. fem. dygiuii, masc. dj/gfriäu^) .ver-
schiedene ganz dunkle Braun' 35, 39 f, 65, 85, 90, 95: Esel, Hund,
Wolf {did), Hyäne.
17. adlem, fem. dclinä, plur. fem. dilin, masc. dilmän ,ganz braun'
'ösmar): von Schafen gesagt; säten delmä, däneti dihn.
18. adhäs, fem. dhasä, plur. fem. dthis, masc. dihsän , helles,
•warmes Grau' 122, 147: Esel. Von diesem Worte haben wir den
i^ufnamen für Esel: fem. cd-Dhcse, masc. ed-DIieisän.
19. ädhäm, fem. dhauiä, plur. fem. dihcin, masc. diJiniän .stumpfe,
braune Töne' 4, 5, 9, 103, 108, 113: Pferde und Ziegen. ^Qxva'-Ötebi
bezeichnete dies Wort, das ich auch von G<^hatän gehört habe, außer-
dem ein Grau mit leichtem Stich in diese Farbe. S. Anhang 3 a
und agatcm.
20. arbcd, fem. rabdä, plur. fem. lybed, masc. lybdäii ist , schwarz
-mit großen weißen Flecken an den Seiten oder Gliedern versehen',
von der Ziege und vom Straußenweibchen {er-rabdä) gesagt.
21. arbes, fem. rabsä, plur. fem. rybis, masc. riibsaJi-) wird von
den schwarzbraunen Schafen gesagt, deren Kopf weiß und schwarz
gefleckt ist, doch so, daß das Weiß vorherrscht. S. gasä.
22. arham, fem. O'hainä plur. fem. rykyin, masc. ryhmäti vom
Schafe gesagt: braun [sainrä) mit weißem Kopf.
23. ai'gai, fem. ragtä, plur. fem. rjgyt, masc. rygtdni), schwarz
oder rot, selten grün getüpfelt auf Weiß, sei es daß die Tupfen auf
dem Weiß nur einer oder auch zweien der obgenannten Farben an-
gehören: Sc\\\d.ngQ el-argat, die Decke resp. der Teppich {hainbel), awi
der man schläft, und in die man sicli einhüllt.
24. ezrag, fem. zcrgä plur. fem. ziirg, masc. ziogän ,sehr helles
') In Algerien: ,noir sans aucune lache blanche', cheval. (Beaussier s. v.^
2) Klass. (ji^Jl. TwEEDiE, 7>^tf .<4rrt(^«rt« /i£7;-j-£?. Edinburgh und London 1894, 263
erklärt abras als ,flea bitten, grey marked with flicks'. Auch in '^Oniän lautet das Wort
rbcs. Reinhardt, Ein arabischer Dialekt . . . in '^Omän und Zanzibär 14 (§ 9).
3) Bei den Beduinen Algeriens ist argat ,gris, truite', cheval (Beaussier s. v.\
.also .Forellenschimmel'.
Die Faibbezeiclinungen bei inncrarabischen Beduinenstämmen. ^g
Blau' 428 C, 428 D, auch graugrün 297, 317: gmniiie , reichliches
Wasser im Brunnen', Kamele, Pferde. S. Anhang 2, 3 a, b.
25. az'-ai-, fem. ze'-arä, plur. fem. zy'-cr, masc. sy'^räii'^) , helle
leuchtende Ockertöne' 141, 171: die Heuschreckenstadien ze'-äri und
isitfi (S. Z. A. W. 35 [191 5] S. 123 f
26. ashain, fem. shäinä, plur. fem. syhem. masc. syJpnän mittlere
Ockertöne, matter als ^^i/^w, 152: Kamele, Rücken des wz'j//-Steinbockes
,Capra nubiana F. Cuvier' und der zV/wz-Gazelle = Gazella arabica,
(Licht.), die Rattenart shdim (= ^^_<\^-
27. esfa'-, fem. saf-ä, plur. fem. sifc'-, masc. s?'ßan vom Schafe,
wenn es ganz weiß, aber an den beiden Seiten des »Gesichtes«
schwarz ist.
28. äsjiiar, fem. siinirä, plur. fem. syiinir, masc. syinrän schwarz-
braun, schwarzblau, schwarz: Berge, Schafe, Esel. S. Anhang 2.
29. äsivid, fem. soiidä, plur. fem. siui, masc. südän , schwarz':
Kamele, Schlange el-äswid, Neger, die Haare [der meisten '■Ötäbc.
S. Anhang i, 2, 3 a.
30. as'-al, fem. scUi/ä, plur. fem. syyi. masc. sy'-län ,sehr dunkle
Ockertöne bis braun'. 103, 104, 105: Kamele, Rücken der '■'öfrf-
Gazelle , Gazella dorcas, (Linne)', rotblond, s. Anhang l, 3 c.
31. asgah, fem. säghä, plur. fem. sygeh, masc. syghän'^) etwas
weniger weiß als oiidaJi bezeichnet das weiße Kamel mit schwarzen
Klauen und Schwanz, sind auch die Augen schwarz, so sagt man,
es sei asgah 'inda'-'^ag. Vgl. aginar.
32. asga)% fem. sagrä, plur. fem. sygyr, masc. sygrdn ,hell pom-
pejanischrot bis hellrot' 52, 57, 82, 102: Pferde, Haare resp. Zöpfe
[gnm), meistens durch das Waschen mit Kamelurin, selten von Natur,
der Mantel [inislaJi). S. Anhang i, 3a, b, c.
33. asliab, fem. sJiabä, plur. fem. syJiyb, masc. syhbän , helles
Graublau — intensives Hellblau' 428 A, 428 B, 453 C — 441, 446
Berge, Schießpulver, wenn es etwa zwei Monate in den tetärif (sing.
tctnife), den messingenen Röhrchen [am Bandelier aufbewahrt wird,
Pferde ; s. Anhang 3a, c.
34. asdä, fem. sadjä, plur. fem. sydi pl. sydjän Q , dunkelrotbraun'
von Pferden.
35. as/ar, fem. safrä, plur. fem. siifür, masc. mfi'dn , maisgelb.
') In Algerien und Marokko: , blond ardent, roiige' (Beaussier o. c.) ,red-haired"
(Meakin, An introducHon to thc Arabic 0/ Marokko 48). Vgl. auch Dozy^ Sitppl. s. v.
2) Nach Wetzstein bei Soctn, Diwan aus Ccnfralarabicn I, 295 ist a'sqah
jisabellenfarbig' (Pferd).
80 J--J- Hess,
goldgelb' l6i, 176, 181, 186: Auripigment [zirnih), Schwefel [kuf-
fän), Currypouder {hyrd), die Körner von tyffä ,Senf'i), Jerichorose
= Anastatica hieroch untica L. (tseßte), Pferde. S. Anhang 3a, b.
36. ashab, fem. shabä, plur. fem. suhyb, masc. suhban , rötliches
Dunkelbraun' 30, 34, 54 f, 59, 79 f, 80, 84, 104 f, 109: Kamel, Be-
duinenmantel [niislak)
37. ativag, fem. tougä, plur. fem. tüg, masc. tügdii ,mit einem
weißen Band über den Nacken gezeichnet', vom Hunde gesagt, daher
die Hunde-Rufnamen Touge fem., Tougän masc,
38. azlain, fem. zalniä, plur. fem. gjilin, masc. sulmän , tiefstes
Schwarz': »nichts ist azlam als das Straußenmännchen {seltm), die
schwarze Nacht [zalmä) u. die Tiefe eines Loches«.
39. '■äsam, fem. ^asmä, plur. fem. '^ösüm, masc. ''ösmän ,mit zwei
weißen Flecken oder mit einem weißen Ringe und zugleich etwas
höher mit einem weißen Flecken an den Vorderbeinen versehen'.
Der Steinbock [wiyi)'^), die Ziege und das Kamel können '^ösujii
sein. Vgl. Jiagel.
40. '■atai', fem. '■aträ, plur. fem. ''öter, masc. '^öträn .mittlere Ocker-
töne' 127, 132, 137, 142: Kamele, Ziegen, in seltenen Fällen Bart
und Schnurrbart.
41. "afar, fem. ""afrä, plur. fem. ''ö/er, masc. ^öfrän , schmutzig
weiß, cremefarbig': Hautfarbe der Mädchen, Kamele. Bei den
letzteren ist es allgemeiner Ausdruck für die Nuancen: ondah, asgah,
agniar q. v.
42. agätem, iem. gatmä, plur. iem. gytym, v[\2lsc. gytmä7iG, gatetni)
usw. Q, dasselbe was ädhäm, nach einem G'hatdnl habe ich auch
notiert: grau mit weißen Haaren dazwischen, vom Pferde gesagt.
43. gasä, fem. gaswä. plur. fem. ^/i«, masc. ^.y"z£/<:m ist dasselbe
wie arbes, aber bei den Ziegen.
44. meganimes s. Anhang 3a, 14.
45. agmar, fem. gamrä, plur. fem. gymer, masc. gymrän-^)
,schmutzig weiß — zwischen abjad und abgat — mit schwarzem
Höcker und Schwanz, vom Kamel gesagt. Von weitem kann man
1) tyffä wurde mir als resäa .Gartenkresse', Lepidium sativum L., die man in den
Städten kaufe, erklärt, ich glaube aber, daß es Senfkörner sind, da die Farbe nicht zum
Kressesamen paßt und klass. i^LftS auch mit i3<3-:> erläutert wird.
2) Die Steinböcke {wu^ül) heißen in den Liedern '««w el-cidi. Huber, Journal
d'iin voyage cn Arabie 117: lorsqu'ils (die Kamele der Gehetie) ont les mains un peu
blanches, ils s'appellent M'aQomme (lies jne'-assame).
-) Vgl. ägyptisches mttgai um ,dark, obscure' (Spiro, Arabic-EnglishVocabulary s.\ .).
4) HuBER 1. c. sagt qamrä sei zwischen hamrä und bcdä.
I
Die Faibbezeichniing;en bei iniierarabischcn Beduinenstiimmcn. 3l
nicht unterscheiden, ob ein Kamel oudah, asgah oder agniar ist, und
sagt dann, es sei ''ofar.
46. aghab, fem. ghäbä, phn\ fem. gyhyb, masc. gyhbäii ,rr)thches,
ganz helles Gelb und ganz helles Gelb' 12 1, 0I2I, 103 A, B, C, D,
153 A, B, C, D, 171, 178 A, B, in el-Gasim = asfag^) : Berge, Kleider.
47. kernet (j , Brauner (Pferd)', also mit braunem Haar und
dunkler Mähne und dunklem Schwanzhaar. S. Anhang 3c.
48. amgar G helles und mattes Karminrot: magar , Rötel'.
49. ainlah, fem. mälhä, plur. fem. milih, masc. viilhän-) »schwarz':
Kamel. Auf der Farbentafel wurde Ellfenbeinschwarz damit bezeichnet.
50. ainbat, fem. iiabtä, plur. fem. nybüt, masc. iiybtdn ,mit einem
großen weißen Flecke an einer Stelle versehen', vom Schafe, das im
übrigen dunkelbraun ist. Wenn an einem steinigen Berge eine
große sandige Stelle sich vorfindet, die nach dem Regen mit Vege-
tation bedeckt wird, so nennt man ihn aiiibal oder obu nubta.
51. anma/% fem. nainrä, plur. fem. nyinür, masc. iiynirdn braun
(oder schwarz) und weiß gefleckt oder gestreift: Panther, Wild-
katze, hintere Hälfte der Hyäne, Stachelschwein [nis).
52. oudah, fem. %vaähä, plur. fem. ivudeh, masc. wudhän ist die
Farbe der durchaus weißen Kamele und der Säbelantilope Oryx
beatrix, J. E. Gra}' [wiidähi — bygar el-züähäs).
Allgemeines: loun, pl. älwän .Farbe'; ahuan , heller'; hainar bi-
siiwäd , dunkelrot'; hadar bi-siiwäd , dunkelgrün'.
Anhänge.
I. Die Haarfarben bei den ''Otäbe.
asgar , hellblond', as'^a/ , rotblond', ahavini , dunkelblond, braun',
äs7vid , schwarz'.
2. Die Hautfarben in Nordafrika
nach Nachtigal, Sahara und Sudan I, 428 f. 3).
;>Man unterscheidet an Hautfärbungen in einem großen Teile
der östlichen Sahära und im Sudan:
I) Vgl. dazu si/af^ O G = haindr cl-incgarib oder hamcir cs-su/ra , Abendröte'.
-) Nach DozY Sufpl. s. v. ,blanc en parlant des [moutons', bei Tweed iE o. c.
263 ,grey' vom Pferd.
3) Da das NACHTiGAL'sche Werk längst vergriffen ist, habe ich es nicht für über-
flüssig gehalten, diese Bemerkungen des großen Afrika-Erforschers, die meine Arbeit in
einem wichtigen Punkte ergänzen, im Zusammenhange zum Abdruck zu bringen, zumal
die zentralafrikanischen Dialekte in Form und Wortschatz den Negddialekten sehr nahe
stehen. Weiteres über dieses Thema s. bei Carbou, L' .habe parle au Ouaday cf a l'Est
du Tchad. Paris 1913, p. 224.
Islam X. 6
82 J--.1- Hess,
1. Abjad (d. h. weiß). Farbe der Europäer und mancher Städte-
bewohner der Nordküste.
2. Ahmar (d. h. rot), vorwaltende Farbe der Araber und Berber.
^. Asfar (d. h. gelb), einer hellen Bronzefarbe entsprechend, bei
manchen Araber- und Berber-Stämmen vorwaltend.
4. Asmar (d. h. braun), dunkle Kupferfarbe, vielen Wüstenbe-
wohnern und sudanischen Arabern gemischten Blutes eigen.
5. Achdar (d. h. grün;, sehr dunkle Bronzefarbe, bei manchen
Wüstenbewohnern, vielen Negern und manchen sudanischen Arabern
unreiner Abkunft vorkommend.
6. Azreq (d. h. grauj, vorwaltende Farbe der Nigritier.
7. Aswad (d. h. schwarz),, individuell häufig, als Stammesfarbe
selten bei den Nigritiern.
Die Bezeichnungen Achdar und Azreq unterliegen einer mannig-
fachen Bedeutung im Arabischen. Jenes umfaßt vielfach neben dem
Grün das Blau, und in Tunis bezeichnet man die Farbe der Rappen,
die nicht gerade tiefschwarz sind, mit diesem Worte. Azreq be-
deutet eigentlich : blaue Augen habend«, also blau, doch während
man in Tunis in der Tat dies Eigenschaftswort auf den wolken-
losen Himmel anwendet, so wird es in vielen Gegenden für alle
Abstufungen des Grau bis zum Schwarz gebraucht.
Asfar und Asmar können unter Umständen dieselbe Intensität
haben, doch jenes fällt in die gelbUche, dieses in die rötliche Reihe.
Auch Asmar und Achdar können dieselbe Dunkelheit zeigen; doch
Achdar gehört der gelblichen Reihe an. Die Farbe Azreq wird
eigentlich als Endghed der rötlichen Reihe betrachtet.«
3. Farben der Pferde,
a) Bei den '^Ötdbe.
Als ich die Farben der Pferde mit Beduinen von den Stämmen
"■Ötäbe und G^/mtdfi festzustellen versuchte, war ich mit der weit-
läufigen Terminologie im Deutschen nur oberflächlich vertraut und
2udem standen mir bloß für die mit * versehenen Farben lebende
Beispiele zur Verfügung. Dieser Teil meiner Arbeit ist daher weniger
vollkommen, als ich es wünschte, wird aber vielleicht, zugleich mit
dem älteren Material, das ich darbiete, doch von einigem Nutzen sein
und namentlich andere anregen, meine Ausführungen zu verbessern
und etwas Endgültiges an deren Stelle zu setzen.
*i. asferen sahäh (sl^^^j) vollkommen weißer Schimmel.
2. asferein bryde Schimmel mit schwarzer Mähne und Schweif-
spitze.
Die Farbbezeichnungen bei iiinciarabischen BL-duinenstämmen. g^
3. asferern mhämvies Schimmel mit schwarzer Mähne, eben-
solchem Schwanzhaar und schwarzen Sprunggelenken 'yarädzib,
sing. '■'07'güb).
*4. asferem mcrsiis Schimmel mit braunen [ashäm) Flecken
von der Größe eines Geldstückes: Fliegenschimmel.
5. asJiab Haare hellgraublau [aShab), auf der Farbentafel aber
mit 453 C verdeutlicht (s. adhaii).
*'6. ezrag Haare dunkler blaugrau {adhan 453 D). ezrag wurde
-der Apfelschimmel genannt, ashab und ezrag werden die verschie-
denen Abarten des Blau- oder Grauschimmels bezeichnen.
*/. asgar Haare, Mähne und Schweif rötlich {asgar) : Fuchs.
*S. haniar Haare rot oder rotbraun {hamar), Mähne und Schwanz-
liaar schwarz {äswz'd) : Brauner.
9. hmiircn äsamm masc, /uwwän sammä fem. ganz rotbraun,
58, ohne einen Fleck einer andern Farbe, also wohl: Dunkelfuchs.
10. Jinmren ägarr masc, haniräJt garrä fem. Brauner mit einem kür-
zeren, weißen Strich, »Stern« [gurra, auch ;/(?^;«^ genannt), aufder Stirn.
"'11. Jinmren be-sijdle Brauner, mit einem längern, von der
Stirn bis zum Nasenbein gehenden weißen .Strich, »Blesse {sijäle).
12. adhäin Haar dunkelrotbraun, Mähne und Schweif dunkler,
wohl: Schwarzbrauner.
*I3. äswid Haare, Mähne und Schweif schwarz: Rappe.
*I4. inegamnies el-arbct Pferd, dessen vier Koten, Fesseln
und Füße weiß sind.
15. nnhäggel el-arba^ Pferd 'mit vier weißen Füßen (s. oben
hagel); ist der rechte Vorderfuß von derselben Farbe wie der Körper,
die übrigen Füße weiß, so sagt man vom Pferd: (mhäggel et-taldt
tilg el-^jmin.
I. — 4. Bei TwEEDiE o. c. 263 ist asfar i. milkwhite, 2. white
and light grey, 3. white with a saffron Infusion.
1 . — 2. sahäk, das ich nur in diesem Ausdruck kenne, sowie
bryde, das sonst , Hagelkorn' bedeutet, habe ich leider versäumt, mir
näher erklären zu lassen.
5. In der kumanischen Aufzählung der Pferdefarben, Houtsma,
Türkisch-arabisches Glossar ii-" ist ashab = biiz ,grau', bei 7"weedie
o. c. 263: white with blackish Infusion.
6. Wetzstein bei Socin, Diwan aus Centralarabien r, 295 gibt
v.:i = Grauschimmel; im Azerbeidschanischen \s\. k'ök nach Tschudi
beim Pferde ,taubengrau'. Von Hadar aus el-Gasim hörte ich ezrag
^hbiSl ( -/ii..*u>) ,Pferd, das in verschiedenen Farben gefleckt und
6=^
84 J--J- "^'''
im ganzen dunkel ist', also wohl .Fliegenschimmel'; bei helleren
Flecken nenne man es ezrag gmsi (von girs ,Piastei-'), was wahr-
scheinlich den .Apfelschimmel' bezeichnet.
7. Nach dem kumanischen Glossar ist asgar = al ,Fuchs' (s.
Jacob, Türkisches Hilfsbiich D. 106), ebenso in den Wbb. von Dozy
und Beaussier und im nachfolgenden Verzeichnis. \V. Tweedie,
The Arabian Horse, Edinburgh u. London 1894, erklärt asgar mit chest-
nut, das nach Muret- Sanders Fuchs und Brauner bedeutet.
8. Tweedie o. c. 262, Burckhardt und Beau?ser. Düt. s. v..
übersetzen _»j* i ebenfalls mit .Brauner' (bay. bai). Wetzstein gibt
dafür »dunkelbraun«, was unserer Definition zum wenigsten nicht
widerspricht.
Q. Beaussier hat ,wo ..^^ ,bai fonce'.
12. Im kumanischen Glossar ist ac/ham = kara , schwarz-. Tweedie
1. c. erklärt adham mit »equally coalblack and darkbrown -..
13. Das kumanische Glossar übersetzt imihaggal — sigH .Pferd
mit weißen Flecken an den Füßen'; Burckhardt's Verzeichnis gibt
hier fast dasselbe, was ich gehört habe.
b) Bei den "^Ayiize.
Nach Burckhardt, Notes on the Bedoidns and Wahdbys, London
1830, S. 121 (Deutsche Übersetzung S. 173 f).
I. .Ai2i>\. w4-ii5, u^;^^ white horse
2- (^y) grey horse
3. JL^S dark grey horse
4. jsjj^ sorrel
5. -.^i bay
6. iw>Lo -♦.=>! bay whithout any white mark
7. v»,js^^ -«.^l dark chestnut
8. ijiw^s* horse spotted with dififerent colours
9. J>.:fV:>^ ...♦j>! bay with four white feet
10. Q^l ijlli^» o^iüi jJ^^^w« horse having three white
feet, and the left fore-leg of the same colour as the body.
I . Im kumanischen Glossar wird ahdar = tiimir buz mit ^7.s=-
hab hadidi ,e\sengrdM' erläutert, Musil, Arabia Peiraea III, 275, Wien
1908, hat hadrä hamämijc »Eisenschimmel', Daumas, Les Chevanx
du SaJiara 51 (s. auch Dozy, Suppl. und Beaussier s. v.) gibt
ahdar mit ,wolfsgrau' (louvet) wieder.
6. Statt Burckhardt's ^^^^a ist wohl das 'ötcbische sahah
Die Farbbczeichiningen bei innerarabischen Bediiinenstämmen. 85
-einzusetzen. Verwechslungen zwischen » und kommen bei ihm
vor, so schreibt er z. B. p. 435 (zu 137) »J^ statt ^:^ .
7. aJiDiar mahrüq (*ötcbisch würde es lauten hmurem inhaiiig)
ist wohl wie das ahmar inaszvl des kumanischen Glossars ,Brandfuchs'.
8. Statt I/abcs ist vielleicht (labesi zu lesen, wozu man das
•oben angeführte gasimische (izrag ^(/bisl und Dozy's »^^x=> 'haricot
tachtc de noir et de blanc' vergleiche. Nach Burckhardt, Travels
in Syria and tJic Holy Land, London 1822, p. 623 (Deutsche Übers.
S. 983) nennen die Beduinen ct-Tuwära (sing. Türi) des Sinai die
Holzkohle habes, woraus man vielleicht schließen darf, daß der ent-
sprechende Stamm ,schwarz' bedeutet. Vgl. dazu Jemenit, und
shauri Jjmmn, zentralafrik. hanimc (MSOSAs II, 1899, S. 155) .Holz-
kohle', von ähannn, nach den Originallexx. ,Farbe zwischen schwärz-
lichem Rot u. Schwarz'.
c) Das Verzeichnis der Pferdefarben
im Leidener lateinisch-arabischen Glossar des ii. Jahrhunderts
Glossarium lat.-arab. ed. Chr. F. Seybold, Berlin 1900, p. 554).
Dies Verzeichnis hat eine gewisse Wichtigkeit, weil es zu den
arabischen Ausdrücken die altspanischen Äquivalente gibt, die zu
den allerältesten Resten der spanischen Sprache gehören.
Dasselbe ist bereits von Boehmer — mit wenig Glück — in den
Romanischen Sttidien i, 231 — 294 behandelt worden. Mit Hilfe
meiner Kollegen Bertoni (Freiburg i. Schw.) u. Gauchat (Zürich),
die mir die zweifellos richtige Erklärung von rodano und bayro lie-
ferten, piaube ich die Harmonie zwischen dem arabischen und spa-
nischen Teil herstellen und für alle Wörter so sichere Übersetzungen
geben zu können, als es die z. T. vagen Ausdrücke erlauben.
1. aljdar (matt) schwarz, murzello (mauricellus) Rappe.
2. a'sqar fuchsrot, rodano (rutilusi Pouchs.
3. as'-al XxX. Grau, nicio (ruscidus) Grauschimmel.
4. himait Brauner, castango (castaneus) Brauner.
5. ablaq scheckig, bayro (varius) Schecke.
6. ashab hamauil tauben-hell-blaugrau, Storno alba (sturnus albus)
Eisenschimmel.
7. ivaJßl wildfarbig, pardo (pardus) Muskatschimmel.
(S. mu^^azza'- gefleckt usw., mnsaco fmusaicusl Tigerpferd.
I. ahdar hat hier den Sinn von ,schwarz' oder .mattschwarz',
wie es für Tunis und Algier durch Beaussier s. v. und Nachtigal
(s. oben S. 81 f.) erwiesen würd.
86 J"J- Hess, Die Farbbezeichnungen bei innerarabischen Beduinenstämmen.
2. rodaiio, das früher in rodado ,geapfelt' verändert wurde, was
wegen der ganz sicher stehenden Bedeutung" von asqar unmögUch ist,
entspricht lat. rutikis. Für die Endung vergleiche man span. cöpmio
<a caupüus, ital. tonfa?io <^ langob. timpJiilo, franz. marne <C gall-
margila (Bertoni)
3. Spanisch nicio ;so ist nach Seybold statt des nicit, das im
Texte steht, zu lesen) übersetzen die Lexika mit .rütlichgrau', ,Esel'.
Daß es aber auch einfach ,grau' bedeutet, zeigt Pedro de Alcalä
ed. DE Lagarde p. 383 : rucio como cauallo = axbe'b xubeb, das na-
türlich in axheb, xiiJieb d. i. ..^^ v^-^^ verbessert werden muß. Die
Bedeutung von as'^al ist Tweed ie o. c. 263 entnommen.
4. Xach Tweedie 262 ist kwnait ,dark bay'.
5. ablag, das klass. beim Pferde -schwarz und weiß« bedeutet
(s. Lane, Dici), wird im kumanischen Glossar mit alaca , scheckig'
übertragen. Dies stützt aufs beste Gauchat's Erklärung von bayra
mit varius, das altportug. und altgaliz. als veiro erscheint.
6. ashab hanuhni kann nach dem zu .*:a:>l der BuRCKHARDx'schen
Liste Bemerkten nur ein helles Blaugrau oder Taubengrau bedeuten,
und damit stimmt das spanische Storno albo , heller Staar' aufs
schönste. Denn es handelt sich hier nicht etwa um unsern Staar
(Sturnus vulgaris, L.), nach dem der Starschimmel benannt ist, sondern
um den südeuropäischen Einfarbstar (Sturnus unicolor, ]^Iarmora),
dessen mattschieferfarbenes Gefieder so gut wie ungefleckt ist. Ein
hell schieferfarbiges Pferd ist ein heller Grauschimmel, d. i.
ein Eisenschimmel.
7. wa/ßf, das sich meines Wissens sonst nirgends als Farbname
findet, ist so unbestimmt, daß wir zunächst vom spanischen Worte
ausgehen müssen, pardo bedeutet nach den Lexika ,braun' und ,grauV
muß aber ursprünglich die Farbe des afrikanischen Leopard, Felis
pardus antiquorum Griff., also ein dunkles Ockergelb oder rötliches
Gelb, bezeichnet haben, pardo wird also kaum etwas anderes sein
als eine der Abarten des Muskatschimmels, bei dem braunes, rotes
und gelbes Haar mit weißem oder grauem Haar in verschiedenen
Verhältnissen gemischt sind. waJjsi ist dann ein Ausdruck, der
durch seinen Bedeutungswechsel an das französische faiivc , Raub-
tier' aus westgerm. /^?/zc ,falb, fahlrot, rötlichgrau' erinnert, nur daß hier
das Tier nach der Farbe, dort die Farbe nach dem Tiere bezeichnet ist.
8. Zu imigazza'-, das ,von wechselnder Farbe, geädert, gefleckt,
u. a. m. bedeutet, vgl. die ausführlichen Artikel in Lane's und
Dozy's Lexika, von denen letzteres für unsere Stelle ebenfalls die Be-
deutung ,cheval tigre' annimmt.
Arabische Texte über das Fingerrechnen.
Von
Julius Ruska.
Nachdem N. Bubnow in dem Buche ^Arithmefische Selbständiir-
kcit der europäischen Kultur i) auf Grund seiner Gerbertstudien die
These aufgestellt hat, daß unsere heutigen Rechenmethoden auf das
klassische Altertum und nicht auf Araber und Inder zurückgehen,
ist eine Untersuchung der angeschnittenen Fragen durch Arabisten
und Indologen erwünscht und geboten. Einen einzelnen Streitpunkt
— die Namen für die Ziffern, die ums 1 1. Jahrhundert in Spanien
und Frankreich auftauchen — habe ich im 9. Kapitel meiner Ab-
handlung zur Geschichte der arabischen Algebra und Rechenkunst-)
erledigt. Zur Aufhellung eines andern sollen die hier veröffentlichten
Texte neuen Stoff beitragen.
Man weiß, daß die Abacisten des Mittelalters sich zur Bezeich-
nung der Einer des Ausdrucks digiti, zur Bezeichnung höherer Zahl-
einheiten des Wortes articuli bedienten, und daß die beiden Termini
mit dem Fingerrechnen, d. h. der mit Hilfe gewisser Fingerstellungen
bewirkten Darstellung der Zahlen von i bis 10 000 in Verbindung
gebracht werden. Eine genaue Beschreibung der Fingerstellungen
verdanken wir dem ehrwürdigen Beda, doch läßt sich das Ver-
fahren in das klassische Altertum, und zwar besonders auf ägyptischen
Boden, zurückverfolgen. Wesentlich das gleiche Verfahren ist nun
auch durch arabische und persische Nachrichten sichergestellt; aber
während wir bei den Abacisten zwei Termini, die sich vom Finger-
rechnen abzuleiten scheinen, die vorhin genannten Worte digiti —
articuli im Gebrauch finden, läßt sich im Arabischen nur das Wort
m
js^Äc, pl- Oj.Ä£ mit articuli in Parallele stellen. Es ist bei Muha
mad b. Müsä al-Hwärazml zur Bezeichnung höherer Zahl-
■) NiK. Bubnow, Aj-ithmeiisc/ie Selbständigkeit der europäischen Kultur . l:in Bei-
trag zur Kulturgeschichte. Aus dem Russischen von J. Lezius. Berlin 1914.
^) Julius Ruska, Zur ältesten arabischen Algebra und Rechenkunst. Sitzungsber.
der Heidelb. Akad. d. VViss., Philos.-hist. Klasse, Jahrgang 1917, 2. AIjIi., S. 82 — 92.
88 Julius Ruska,
einheiten ohne Erläuterung im Gebrauch, muß also damals schon
im gemeinen Sprachgebrauch üblich gewesen sein^j. Beschreibungen
des Fingerrechnens, aus denen der ursprüngliche Sinn des
Wortes hervorginge, sind aber bis jetzt nur aus ganz jungen per-
sischen, nicht aus arabischen Quellen veröffentlicht worden.
Die persische Abhandlung, an die ich erinnern möchte, findet
sich im I2. Kapitel der Einleitung zum FarJiang-i-GiJiäiigirl, dem
großen Wörterbuch, das Gamäl ad-din H usain Ingü für den
Großmogul Gihängir (geb. 1569, reg. 1605 — 27) verfaßte, ist aber
auch in den Farhang-i-Rasidi aufgenommen. Der persische Text
wurde mit englischer Übersetzung zuerst im Band VI des Asiatic
Journal vom Jahr 1818 von Gul Chin im Druck veröffentlicht. Da
der Text durch Auslassungen u. a. entstellt war, gab Silvestre de
Sacy im Jounial Asiatiguc, Bd. 3, 1823, nach handschrifthchen
Unterlagen eine verbesserte französische Übersetzung^). Dann wurde
der persische Text mit verkürzter Inhaltsangabe und wertvollen ge-
schichtUchen Untersuchungen 1845 von A. RödigerS) und noch
einmal 1871 mit französischer Übersetzung durch St. Guyard 4) ver-
öffentHcht, der seinen Vorgänger anscheinend nicht kannte. Der
von Guyard nach drei Pariser Handschriften mitgeteilte Text unter-
scheidet sich nicht wesentlich von dem Rödigers; die bessere Über-
lieferung steht im allgemeinen auf selten von Rödigers Text, doch
finden sich nicht selten auch bei Guyard gute Lesarten. Um die
Auffindung und Erklärung der von dem Perser im Anhang aufge-
führten Dichterstellen haben sich beide Gelehrte mit Erfolg bemüht.
Xach DE Sacy und Rödiger ist die persische Darstellung ein aus-
führliches Zitat ;.aus 'Ali Jezdi's in persischer Sprache abgefaßter
Abhandlung«, also wohl aus der von Häggi Halifah (Bd. III,
S. 65} erwähnten Risale des Saraf ad-din *A1T al-Jazdi (gest.
14461 ; daß .sie mittelbar oder unmittelbar auf eine arabische Dar-
stellung zurückgeht, ergibt sich aus der Übernahme der rein arabischen
Terminologie.
-Vristide Marre ^) verdanken wir die Übersetzung eines
') J. Ruska. a. a. O. S. 71, 74. 79 ff.
-) .Silvestre de Sacy, J)c la manicrc de compiej-, an moycn des jointiircs des doigts,
usitee datis fOricjit. JA., Bd. 3, 1823. S. 65.
3) A. Rödiger, Über die im Orient gcbräiicJdtche Fingersprache für den Ausdruck
der Zahlen. Jahresbericht der D. M. G. für 1S45, S. 112— 129.
•♦) St. Guvard, Chapitrc de la prcface du Farhangi Djchangiri, siir la dactvlo-
nomic. JA., 6. serie, 1871, Bd. 18, S. 106 — 124.
5) Aristide Marre, Manierc de compter des ajtciens avec les doigts des maiiis,
d'apres un petit poeme incdit arahe de Cheiiis-eddin el Mossouli et Ic Tratado de matt-
Aiabischf Texte über das Fing-errechnen.
89
kurzen arabischen Lehrgedichts über das Fingerrechnen. Das als
Kaside bezeichnete Gedicht ist in einer Sammelhandschrift der
Bibliothiique Nationale (1868 Imperiale) enthalten, die als »Supple-
ment arabe 191 2 bezeichnet ist. Über Lebenszeit und Lebens-
umstände des \'erfassers Sanis ad-din Abu ^Abdallah Muham-
mad b. Ahmad al-Mausili ist nichts bekannt. Die Übersetzung
läßt an manchen Stellen schmerzlich das Original vermissen; so
wenn wir z. B. lesen »Pour le dix, c'est avec le neud du pouce;
ccoute bien: /// rascs sa feie avec P index: fais cela«, was offenbar
auf falscher Übersetzung von Lz-w!. :i.il.r^o -lege seine Spitze ring-
förmig gegen den Zeigefinger« beruht. Leider ist der Text, den
Pcre Anastase 1900 in Band 3 des Al-Mackriq als die Kaside des
S a m s a d - d 1 n M u h a m m a d a 1 - M a u s i II S. 1 7 1 ff veröffentlicht
hat, nicht das von Aristide Makre übersetzte Gedicht, sondern die
nachher zu erwähnende Manzümah des Ibn Su'lah^).
Länger schon ist eine Stelle aus Häggl Halifah über das
Fingerrechnen und seine Erwähnung in der Prophetenlegende be-
kannt. Da sie Rödiger-) nur zum Teil beigezogen hat, gebe ich
sie hier im Wortlaut und deutscher Lfbersetzung:
.^z>\^ ^iÄjt *.A_i::. IjS..?» ^SitJl I..4.5 >^^i! < — )l.^s> i.Aj O-ÄÄJ lXcLs t«jiX:J..
—■'-M JVaj _\,\£1. .Z>2\ .,L.VA^ •^aäJwax*.-! .^/S J^i j»'i„^XÄavI lAxC L.4.>.Av
AäjS «--»^j >^*-^-t-} .t-' ^i>.J-K^^j! ^5 «.s» L,«.i ioL.r^^^2.i! *JUjiä.m^j -».LäJI (lXP
^»^X^i) L\.p3 ^i.*.A ^'^^^\ , jh^^ *L£.J^1_» X.Ju>.AvsJ' ,xi l\^I !CjL/^t lAäc *.*i>o
jt,L i3JaJ! -iö :u,!Jl5 ^».s.J! ^A*il U:i 3lo .o'jwil *Uj^ Jt
■Ä- ^PwVAii *.X*,"' L\P <Zy>J^ ^J<£. J^io 5ÄP» JIaJI
maticas de Juan Fcrc'^ de .)[ova, iiiipiimc a Alcala de Henares, en 1573; Hulletino Hon-
compagni. T. I. i86(S, S. 309.
") Herr Prof. Ritter hatte die Freundlichkeit, mich bei der Korrektur auf das
Vorhandensein einer mit Abbildungen versehenen Abhandlung über das P'ingerrechnen
von Pere An.\stase aufmerksam zu machen (3Ji»ii, Bd. 3, S. 119 ff. und 169(1.). Ich
habe die Varianten zur Manzfanah noch nachtragen können; auf den übrigen Inhalt
<3er Abhandlung hoffe icli hei anderer Gelegenheit zurückzukommen.
^) A. RÖDiGEK a. a O. S. 127; HäC'-qi F:Ialifah ed. Flügel, Bd. III, S. 64.
90
1 u 1 i u s R II s k a ,
/Und dazu (d. h. zu den Wissenszweigen des Rechnens) gehört
das Rechenverfahren der ' iiküd, d. h. der Fingerbeugungen.
Sie ließen jede von ihnen bestimmten Zahlen entsprechen ; hierauf
ordneten sie die Stellungen der Finger nach Einern, Zehnern^
Hundertern und Tausendern, und sie stellten Regeln auf aus
denen erkannt wird das Rechnen mit Tausendern und dem, was
darüber ist. Und dies ist von großem Nutzen für die Kauf-
leute, besonders wenn keiner der beiden Handeltreibenden die
Sprache des andern versteht, und wenn keine Schreibgeräte vor-
handen sind ; auch ist die Sicherheit vor Fehlern bei dieser Kunst
größer als beim Kopfrechnen. — Die Gefährten (des Propheten)
pflegten diese Kunst anzuwenden, wie es in der ÜberUeferung über
die Art des Auflegens der Hand auf die beiden Schenkel beim
Glaubensbekenntnis heißt: ,Er beugte fünfundfünfzig', d. h. der
Prophet beugte die Finger der Hand mit Ausnahme des Zeigefingers
und Daumens, und bildete mit dem Daumen und jenem einen Ring,
und diese Figur weist in der erwähnten Wissenschaft auf die be-
zeichnete Zahl hin. Der Überlieferer erwähnt das, worauf hinge-
wiesen wird, meint aber das Hinweisende, und dies deutet auf die
Verbreitung dieses Wissens bei ihnen.
Mit dem Schlußsatz will Häggi Hallfah sagen, daß der Er-
zähler an Stelle der Fingerhaltung die Zahl nennt, die durch sie
dargestellt wird; diese wäre aber der Beschreibung nach nicht 55,
sondern 53. Auch Flügel hat den Sinn der Stelle, die das Wort
/ äjb> enthält, nicht richtig getroffen: denn er schreibt: : prophetam
manus digitos exceptis indice et pollice compiitasse et simul cum Ulis
pollice anmdi sigjiatorii loco usum esse , denkt also an -Az»-. Siegel-
ring, und ein davon abzuleitendes Verbum.
Außer der oben erwähnten Risäle des Saraf ad-dln al-Jazdi
kennt Häggi Halifah nur noch ein Ragaz-GQ^xzhX. des Ibn al-Harb
über das Fingerrechnen, w^orin der Verfasser das Erforderliche mit-
teilt«. In den Katalogen der deutschen Handschriftensammlungen
konnte ich es nicht auffinden. Wohl aber besitzt die Königliche
Bibliothek zu Berlin eine 25 Doppelverse umfassende anonyme
Manzümah über das Fingerrechnen auf Fol. 10 b der Sammelhand-
schrift, die mit M. O. P. II. 236 bezeichnet ist und im Katalog von
Ahlwardti) die Nummer 601 1 erhielt. Die Herzogliche Bibliothek
zu Gotha endlich verzeichnet unter Nr. 1495 des Katalogs von
1) W. Ahlwardt, Die Handschriften-Verzeichnisse der Kgl. Bibliothek zu Berlin^
Verzeichnis der arabischen Handsciirifte?i, Bd. V, S. 351.
Arabische Texte über dns Fingeirechnen. gj
Pertsch^) ein Lehrgedicht des AbuM-Hasan 'Ali ibn al-Ma-
gribi mit einem Kommentar von Muhji ad-din 'Abd al-kädir
b. 'All b. Sa'bän as-Süfi auf fünf Blättern einer in kleinem,
ungelenkem NashI geschriebenen Handschrift. Der Text des (Gedichts
ist durch ein rotes (jo und rote Punkte für die Versabteilung, der
Kommentar durch ein rotes (ji ausgezeichnet. Nähere Untersuchung
ergibt, daß im Kommentar die Manziunah des Berliner Katalogs
bis auf die Eingangsverse vollständig zum Vergleich herangezogen
ist, und daß als ihr Verfasser.'ein Ibn Su'Iah genannt wird. Weiter
aber zitiert der Verfasser des Kommentars auch noch ein Werk
oLcijJLj ^A.\\ >:z.xA ^s ^^llolt >-^xc. Reicht uui des eifrig Beflissenen
in der Kunde des PfeilscJdeßens ■-, und damit gewinnen wir zum
erstenmal festen Boden. Denn es kann sich bei diesem Werk doch
wohl um nichts anderes als um die von C. Brockelmann in seiner
Geschichte der arabischen Literatur, Bd. II, S. 136, verzeichnete
Schrift des Taibogä al-x\srafi al-BaklamisI al-Jünänl (gest. um
770/1368) handeln, die den gleichen Titel führt, auch wenn die
angezogenen Stellen sich nicht in dem Gedicht selbst finden — was
schon wegen des Versmaßes ausgeschlossen ist — sondern in irgend-
einem zugehörigen Kommentar vorkommen sollten. Nach Brockel-
mann befinden sich Handschriften des von Taibogä verfaßten
Gedichts in Leiden, Paris, London, Cambridge, Kairo, und zwei
unvollständige Handschriften zu Gotha (Katalog Pertsch Nr. 1341
und I 342). Da weder vom Gedicht, noch vom Kommentar X'erfasser
oder Titel genannt werden, weiß ich nicht, auf welche Tatsachen
Brockelmann seine Angabe über die in Gotha befindlichen Hand-
schriften gründet. Die Durchsicht zeigte, daß die beiden Hand-
schriften zwar Teile eines größeren Ganzen sein können — von
einem schon bei Pertsch angeführten Vers abgesehen, gehen sie
ganz auseinander — , daß aber der in den beiden Handschriften
vorliegende Kommentar an den Stellen, wo eine Erwähnung des
Fingerrechnens durch den Inhalt des Gedichts nahegelegt wird, die
Worte nicht enthält, die in unserm Kommentar zitiert werden.
Lassen wir die unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht
lösbare Frage nach dem unserm Verfasser vorliegenden Kommentar
zu Taibogä auf sich beruhen, so ergibt sich für den Kommentar
zu Ibn al-Magribis Gedicht über das Fingerrechnen als Abfas-
sungszeit frühestens das letzte Drittel des 14. Jahrhunderts. Das
') \V. Pertsch, Die arabischen Ilattdschrificti der Herzog!. Bibliotluk zu Gotha
Hd. III, S. 120,
92
uliiis Kuska,
Gedicht selbst kann älter sein als Taibos^^ä und mag. solange nicht
genauere Angaben möglich sind, in das 14. oder 13. Jahrhundert
gesetzt werden. Ich gebe nunmehr den ganzen Text nach der
Handschrift zu Gotha, unter Heraushebung der Verse und Ver-
eleichuncr der Berliner Handschrift für die Verse des Ibn SuMah.
Die danach folgende Übersetzung ist so treu wie möglich ge-
halten, obgleich sie dadurch noch holpriger ausfiel, als es der ara-
bische Text schon ist. Herrn Prof. Ritter bin ich für die sorg-
fältige Durchsicht des Textes und zahlreiche Verbesserungsvorschläge
in der Übersetzung zu besonderem Dank verbunden.
Text des Ms. Gotha A. 1495 = G.
Verbesserungen, die mir notwendig oder ratsam schienen, sind in den Text ge-
nommen: Tilgungen sind in eckige, Zusätze in runde Klammern eingeschlossen. Die
Abweichungen der Handschrift G sind in Fußnoten unter dem Text vermerkt. Mit B
sind die Lesarten der Berliner Handschrift des Ibn SuMah bezeichnet, mit A die
Varianten des von Pere Anastase gegebenen Textes. A und B stimmen gut zusammen
imd sind besser als die Textform G, die ich des Kommentars wegen zugrunde legen muß.
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5) G wi-A>JI.. <^) G J>^iX:;.i. 7) G x^s*,.
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Julius Ruska
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5) G ^Ui^l. 6) G ^JcVj. 7) G doppelt. ») G ohne Versabteilung. 9) G kj^=>.
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5) G J.L^^i! ^Jj. 6) G ^1^->J. A 11.^=^. 7) G oVaää^.
Aiabisclie Texte über das Fingfeirechnen.
99
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\J»ÄJ iXxJ^ ^^jf x;^ .>^^ C^&jLxÖJJLj .^ii-i! ÄJsis^JÜ (•^-?'^' (_-»'<
iöl 0°äj^L;: ^>^;^ö (9id*:>t eU'^L
5) B A JäftX^»Ls. 6) B slXP iöL>-Mj, A iü'Lx/*J. 7) A ^^äj^^U,
-») B :^UXs, A ^UjC«. 5) G w^5j;J». 6) B ^-j^C.w j_c^i, A ,^-,>:*' ^i-
7) A ^:i4^i. 8) G KjL^xJ (j*i^. 9) B A Jou^l. '^) B A ioL-w. ") B A ^xA«.4.i^.
'-) GB A i^Ac^. '3) B A ^LiJ. M) B iöLy*J!, A iü'w<^, '5) B a^Äc^ A idäcl.
100 Julius Ruska,
l5 ^
^^.j ^ [.L^^! UjXi ^A-wwil ^r^*9j"^' '-'^Ä*^ ^_^% 42
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4) B A ^Ui'l. 5) B Uj. 6) B "^k^S, A (_^JU>1. 7) Ohne Versabteilung.
Arabische Texte über das Fingerrechnen. lOI
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(S'lxxaaj \aaaJ iAäs ^J.5L5 LÄj-iotit XaX^sJ |^.,Läj'l.».jI3i 50
I) B ^c ,.,L iL\.w J.*sS ; Schluß des S. 97 Z, 3 angeführten \erses.
-) G oUJl öfters. 3) B ^aa.«.JL. <) Lücke im Ms. 5) G L^^xJ .«ÖIaJ.
1Q2 J u 1 i a s R u s k a ,
{jM^j ^^y^ S-*^^^^^ S.ÜoeJ? wVJic ^>.^J Kj'w«j! lAJLt. ..\ ^J! ,l^! (^i«
'i.^^M*l\ \j^\ -»jo ^^.m^*Js [»L-i^! lt'j *^^?>^ J^^^^'-^*^ .•y:^-'^*-^' Joi^ '-^-^■»^
Okflc )sjiAw,j i.fxS_» i^ib xLi^LäX/o ^5>5 wai'^^5 ^Jt..sw.j' ^i5 w^if q./o , ^P»
i^L's. ^jUjJI ^ o!_cijtJwi ^J^_v.^xi! _5 o^ibSS J^*^'^» 'oL^J! ^s cH.ÄÄiLi^.4.1
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Jlc ^äJ^'Lj oLp-'^^li' -^3 LiJ ö u.«.i -la>w»JL ^-Ai.A.*ji_» ^.Aix.;>Jt -s 3,_«.>.Li>?
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') G «ji^Juili. ^) G oL.i:.c ^tcXi". 3) BA vJjl. 4) BA iS3L
5) B Ix^. f>) BA dOö..
Arabische Texte über d;is Finoferrechncn. IO3
(\<C^^1 (-\äL>o ('sJ^iAil^ <ii\y^j.^
L^L^jI c>->^J (^'="^:^-^' iOL>^ (j*-5, J»*->^J' (^M^ Qf^'•^•^^' l)-*^*-^
Übersetzung.
Buch des Kommentars zur Manzümah
des Scheichs, des Imäms, des Gelehrten, des Hochi^elehrten, des
Scheichs ^\1T ihn al-Mai>ribi — Gott der Erhabene sei ihm barm-
herzig; es nütze uns Gott mit ihm und mit seinen Segnungen in
der Welt und der Ewigkeit, Amen.
Im Namen Gottes des Allbarmherzigen. Es sagt unser Scheich,
der Imäm, der Gelehrte, der Meister, der (lottesfürchtige, der Fromme,
MuhjT ad-dln 'Abd al-kädir, der Sohn des Gottbedürftigen 'AH
ibn Sa'bän as-Süfl — möge Gott ihm gnädig sein im Diesseits und
Jenseits: Preis sei Gott dem Herrn der Welten, und ein guter Aus-
gang den Gottesfürchtigen, und keine Feindschaft außer gegen die
Gewalttätigen; und Gebet und Friede, die vollständigsten und voll-
kommensten, über den Vortrefflichsten der Schöpfung, unsern Herrn
Muhammad, das Siegel der Propheten und den Imam der Ge-
sandten, und über seine Familie luid seine Gelahrten insgesamt,
und ihre Nachfolger im Wohlverhalten bis zum Tage des Gerichts!
Was aber das Weitere anlangt: so hat mir einer, gegen den
kein Widerspruch möglich ist, befohlen, daß ich zur Manzümah
des Hochgelehrten Ab uM -Hasan 'All, bekannt als Ibn al-Ma-
gribi — Gott d. E. sei ihm barmherzig — über das Rechnen an der
Hand eine knappe Erläuterung schreibe, welche von ihren Aus-
drücken dem sie Lesenden das erkläre, was verschlossen ist, und
von ihren Bedeutungen das aufkläre, was zweifelhaft ist. Also habe
ich seinem Befehl Folge geleistet und habe diese Erläuterung ge-
schrieben, von Gott dem (iütigen, dem Urheber der Abrechnung,
den Nutzen davon erhoffend und die Leitung zum Rechten und das
Nichtvorhandensein eines Fehlbetrags >) am Tag der Abrechnung;
denn er ist gütig, langmütig und freigebig!
') B Glosse: yiö'J^\, \Jl*i. -) RA xäJl^^o'. 5) G *.^. 4) R oo^..!:-.
5) G iivii.'iLÄii *iAc; lies K^i-Ä^t [Ritter].
104 Julius Ruska,
Text: I. Der Gott, den Schöpfer der Wolken Erwartende,
*A1T, genannt Ibn al-Magribi, sagt:
2. Preis sei Gott dem Allmächtigen, dem Allweisen,
Dem Verteiler des Lebensunterhalts in der Welt,
3. Dem Beruhiger des Meeres für den Lauf der Schiffe,
Und dem Kenner der Zahl der Sterne des Himmels.
Er kl.: Dem Ei-warteiiden kommt der doppelte Sinn des Hof-
fenden und des Fürchtenden zu; so sagt Gott d. E.i) »L^nd erwartet
den letzten Tag«, d. h. fürchtet ihn. Und es (das Wort »Erwartend«)
ist Fä'il^) zu »^j- sagt:^, und ^Ali ist sein Badal-), oder es ist HäP)
von ''All. Und as-suJmb mit zwei Damma-) ist die Mehrzahl von
siMb. Und Preis usw. bis zum Schluß ist der Inhalt dessen, was
er sagt; er beginnt damit wegen seines (d. i. Muhammeds) Wortes
— über ihm sei Segen und Heil — : Jegliche Sache von Wichtig-
keit, bei der nicht mit dem Preis Gottes begonnen wird, ist ver-
stümmelt., oder nach einer andern Überlieferung »abgeschnitten«.
Hierauf erwähnt er ewige Attribute, darunter y> der Allmächtige f., denn
die Allmacht ist ein ewiges Attribut, das in den durch die Allmacht
bestimmten Dingen bei ihren Verknüpfungen zur Wirkung kommt,
und darunter der Allwissende«., denn die Allwissenheit ist ein eben-
solches Attribut, das sich in den gewußten Dingen bei ihren Ver-
knüpfungen enthüllt, und darunter, daß der Erhabene der Beruhiger
des Meeres für den Lauf der fuluk, d. h. der Schiffe ist, und dar-
unter, daß er die Zahl der Sterne weiß.
Text: 4. Er hat gesandt unter uns aus den Söhnen 'Adnäns
Einen Propheten der Wahrheit, der den Koran gebracht,
5. Der uns den Islam gelehrt hat und den Glauben,
Und offenbart hat die Weisheit und den Beweis;
6. Es segne ihn Gott, der Herr der Herrlichkeit,
Und seine Sippe, die Reinen, die Besten einer Sippe.
Erkl. : Die {göXiliche) Se?idu7ig ist spezieller als die Propheten-
schaft, denn jeder von Gott Gesandte ist ein Prophet, aber nicht
umgekehrt. Und '■Adnän ist der Urahn unseres Propheten, der
Vater des JMa'add, Friede über ihm. Und der Kor an, das ist das
auf unsern Propheten — über ihm sei Segen und Heil — als Be-
stätigungswunder schon in einer einzigen Sure herabgesandte Wort.
J) Sure 29, 35.
-) Ich lasse die grammatischen Termini im allgemeinen unübersetzt, weil sie dem
mathematischen Leser doch nicht ohne Kenntnis des Arabischen verdeutlicht werden
können. Die vom Verfasser erklärten Worte sind kursiv gesetzt.
Arabische Texte über das Fingerrechnen. iqc
Und äaj uns der Prophet — über ihm sei Friede — den Islam lehrte,
(geschah) mit seinem Worte: »Der Islam ist, daß du bekennst, daß
kein Gott außer Gott, und daß Muhammed der Gesandte Gottes ist,
und daß du das Gebet verrichtest und das Almosen spendest und im
Ramadan fastest und das (heilige) Haus besuchst, wenn du zu ihm
einen Weg finden kannst '). Und ebenso, daß er uns den Glauben
lehrte, (geschah) mit seinem Worte an ein Volk, das eine Ab-
ordnung an ihn sandte : Wisset ihr, was der Glaube an den einigen
Gott ist?- Da sagten sie: »Gott und sein Prophet weiß es besser.^
Da sagte er: »Das Bekenntnis, daß kein Gott außer Gott« usw. Und
die Weisheit, sie ist die Kenntnis der religiösen Pflichten. Und das
Gebet ist von Seiten Gottes d. E. Barmherzigkeit, und von seiten
der Engel Bitte um Verzeihung, und von seiten des Knechtes
demütiges Bitten und Anrufung; und es ist gesetzlich empfohlen,
mit der Nennung Gottes d. E. das »Gebet über ihn zu verbinden
auf Grund Seines d. E. Wortes-) : »Und wir haben Dir Deine Nennung
erhöht :, d. h. ich werde nicht genannt, ohne daß auch Du mit mir
genannt würdest. Und seine Sippe — über ihm sei Segen und Heil
— sind die Söhne Häsims und die Söhne al-Muttalibs nach der
richtigsten Auslegung.
Text: 7. Und so ist alsdann das Rechnen ein nützliches Wissen,
Und nicht zweifelt an seinem Ausspruch ein Hörender.
8. Und siehe, bei dem Starken, dem Wahrhaftigen
Ist es höher an Macht als viel Wissen;
9. Durch es besteht die Gerechtigkeit in den Provinzen
Und wird erkannt der Rechtsanspruch an Erträgnissen,
10. Und es wird zugeteilt das Almosen nach dem Vermögen
Und die Erbschaft den Frauen und Männern.
Er kl.: D. h. nach dem, was er erwähnt hat, ist also das Rechnen
eine nützliche Wissenschaft, an deren Nutzen niemand zweifelt. Und
es ist ein Wissen um die Prinzipien, deren man sich bedient bei un-
bekannten Größen, und sein Gegenstand ist die Zahl. Und sie ist
das aus Einheiten Zusammengesetzte, die Eins aber gehört nicht dazu;
sie ist das, wodurch die Einheit besteht, und wird nicht Zahl ge-
nannt, oder doch nur in einem übertragenen Sinn ^). Und diese
Wissenschaft gilt als wertvoller als viele Wissenszweige bei jedem,
der auch nur ein wenig Verständnis besitzt, weil auf ihr die Kenntnis
') I). h. die Pilgerfahrt zur Ka'ba in Mekka unternimmst, wenn es dir möglich ist.
^) Sure 94, 4.
^) ^^- ]■ RusKA, a. a. O. S. 70, 71.
I o6 Julius R u s k a ,
des Rechtsanspruchs und die Zuteilung der Almosen und der Erb-
schaften und dergleichen mehr beruht.
Text: II. Dies also; und siehe, die Gelehrten haben geschrieben
Über diese Wissenschaft Bücher, und haben abgefaßt,
12. Ja sie haben hervorgebracht jede Art hübscher Schriften^
Die jedem Anfänger und Vollendeten nützen.
13. Und siehe, ich bin gekommen wie der Naciidrängende,
Ich folgte darin der Spur jedes Gelehrten,
14. Und der Geist hat mich getrieben, daß ich schreibe
Über die Wissenschaft hiervon etwas, und abfasse
15. Eine Ragaz -Dichtung, die benannt ist Mcrktafel,
Welche das ägyptische RccJmen umfaßt.
Erkl.: Wisse, daß die Tachgelehrten über diese Wissenschaft
zahlreiche Bücher verfaßt haben, sowohl lange wie kurze. Und
siehe, der Verfasser ^) — Gott sei ihm barmherzig — eifert ihnen
darin nach und folgt ihrer Spur in dem, was sie abgefaßt und ge-
schrieben haben, und er hat darüber eine Ragaz- Dichtung verfer-
tigt, die er Merktafel nennt, ivelche die Wissenschaft des ägyptischen
Rechnens umfaßt, gemäß dem, was du sehen wirst, so Gott d. E. will.
Und er hat sie in vier Kapitel geteilt: das erste Kapitel über die
Beugung i^akd) der Einer, das zweite Kapitel über die Beu-
gung der Zehner, das dritte Kapitel über die Beugung der
Hunderter, das vierte Kapitel über die Beugung der Tau-
sender.
KAPITEL DER BEUGUNG DER EINER.
Es geht von Eins bis Neun und schreitet fort um je Eins, und.
in ihm sind neun Beugungen ^uküd) enthalten.
Text: 16. Wisse, daß (was) dein Beugen der Einer (anlangt),
So bestimmen sie dazu drei einzelne Finger,
17. Nämlich den Kleinfinger und Ringfinger und MittelHnger.
Und zwar an der Rechten. So merke genau!
Erkl.: Wisse, daß die Rechner die Einer durch drei Finger
bestimmen, durch den Kleinfinger und den Ringfinger und den Mittel-
finger der rechten Hand; und Damlr-) zu y>besttm7ne?i sie. ist rdi^-
Rechner,, und >die Einer . ist Maf'ül-) von Beugen..
') Während der Kommentator das Lehrgedicht im Titel Manzüniah nennt, gibt
er ihm jetzt mit dem \'erfasser die genauere Bezeichnung A7-güzah, d. i. Dichtung itu
X'ersmaß Ragaz. Der Titel der Merkverse gewinnt dadurch besonderes Interesse, daü
das Fingerrechnen als »ägyptisches Rechnen« bezeichnet, also dem indischen
Zifferrechnen al-hisäb al-Hindl gegenübergestellt wird.
-) Vgl. Anm. 2 S. 104.
Arabisclie Texte über das Fingerrechnen. njy
Text: i8. Für Eins wird geöffnet die Rechte, so merke!
Und wird aufgesetzt der Ringfinger auf den Kleinfmger.
Erkl.: Er weist darauf hin, daß die Eins im Kleinfinger der
rechten Hand enthalten ist, indem seine Spitze seiner Wurzel auf
der Innenseite der Handfläche angenähert wird, unter Aufsetzung des
Ringfingers auf ihn^).
Text: 19. Und es wird angenähert für die Zwei die Aufsetzung beider
Ohne Änderung für jene; so wisse!
Erkl.: Er weist hin auf die Zwei im Kleinfinger und Ringfinger,
indem ihre beiden Spitzen ihren beiden Wurzeln auf der Innenseite
der Handfläche der Rechten gleichfalls angenähert wxrden-). Und
das Damir des Duals in Aiifsctziing beider«, geht auf den Kleinfinger
und den Ringfinger, und das Demonstrativnomen {^>für Jene'.'.) weist
zurück auf die vorerwänte Aufsetzung.
Text: 20. Ebenso, wenn du die Drei darstellen willst,
Deinen Mittelfinger (neige) mit jenen beiden, indem sie
(aufgesetzt) bleiben.
ErkL: Er weist darauf hin, daß die Drei im Kleinfinger und
Ringfinger und Mittelfinger unter gleichzeitiger Annäherung ihrer
Spitzen an ihre Wurzeln auf der Innenseite der rechten Handfläche
enthalten ist. Und Hieinen Mittelfinger . ist Maf*ül zu neige ., und
das Damir des Duals in 'jenen beiden . und -'V ertv eilen . geht auf den
Kleinfinger und Ringfinger, d. h. neige den Mittelfinger, während
beide aufgesetzt bleiben gemäß dem, was bei der Zwei voranging.
Und Ibn Su'lah weicht ab und macht die Aufsetzung nicht zur
Bedingung, denn er sagt:
Drum für die Zahl der Einer, o Freund, gebrauche nur
Die Rechte deiner beiden Hände, wisse, und hüte dich, (das)
nicht zu wissen!
Und zwar für die Eins beuge den Klcinfinger, dann «Icii
Ringfinger
Für die Zwei, und den Mittelfinger ebenso, damit du voU-
Mit der Zahl Drei 3) . . . [kommen bist
') Der Kommentar sucht die auffallende und von aller sonstigen Überlieferung
abweichende Darstellung der Eins im Text mit der gewöhnlichen Art der Beugung des
Kleinfingers zu kombinieren.
-) Auch hier widerspricht der erste Teil des Koninientars dem Text. Nach
diesem sollen die beiden Finger beim Einkrümmen übereinander gelegt bleilien
nach dem Kommentar werden sie nebeneinander gegen ihre Wurzeln gekrümmt.
5) Diese Darstellung entspricht also dem gewöhnlichen \erfahrcn. Die Berliner,
Abschrift des von hier an regelmäßig beigezogenen Gedichts kennt den Verfasser nicht.
jq3 Julius Ru ska ,
Und es bestätigt das Fehlen der Bedingung der Ausspruch in
in dem .Reichtum des eifrig Beflissenen in der Kunde des Pfeil-
schießens'j. : Einschlagen des Kleinfingers mit Verbergen des Nagels
ist Eins, und Einschlagen des Kleinfingers mit dem Ringfinger mit
Verbergen des Nagels ist Zwei, und Einschlagen des Kleinfingers
und des Ringfingers und des Mittelfingers mit Verbergen ihrer Nägel
ist Drei. I).
Text: 21. Und gebrauche den Kleinfinger entsprechend und er-
hebe (ihn),
Und was bleibt, das ist die Beugung der Vier.
sondern überschreibt es mit den Worten : J^Üäj! 'Vj^^jJ ^5 X.^o»-iÄ/a »AP iXi lA.».^^-)
^^>^nxAi «.ji-AO^^b ^LAv^.i=^JI. »Lob sei Gott. Dies ist eine Majizümah über die
Weise des Technerischen Beugens an den Fingern von einem von ihnen«, d. h. von einem
unbekannten Verfasser. Den nachher zitierten Versen geht die folgende Einleitung voraus:
!;^L;^ä/5 d^^J_^ ^y^;.C j^ J^JS ^wA^> «^Xvwl JowA«..5i UjI LKP vAxj ^^3
(Narianten von A nacli Pere An.\st.\se: ^»uj, lj. ä^LxaJuJ. *^ '-^^■^'» si^X-w).
=j Vgl. oben S. 91. Das in der Gothaer Handschrift A 1341 vorliegende Bruch-
stück eines Lehrgedichts über das Pfeilschießen enthält im Text und Kommentar zahl-
reiche Stellen, an denen die bei der Handhabung von Bogen und Pfeil erforderlichen
Griffe durch die beim Fingerrechnen vorkoinmenden Beugungen bezeichnet werden.
So heißt f. 22r ein Griff ^^-^xavo^ 'xä^j x>C2>.2, der Griff von 99; f. 22v wird gesagt:
|.^iJl'i lXsLx5' *LfA^I_» X.jL>..«.^3! (jrt"^ (j:^ ^>^^^J CT^ fn:"^^ »""^ manche
ziehen ihn (den Pfeil) auch mit den Spitzen des Zeigefingers und des Daumens an, wie
wenn einer 30 beugt; f. 23'> wird das kunstmäßige Halten (^aÄ/^j! tX.5»'^)) des Pfeils
mit dem Halten des Sclireibrohrs oder mit dem Beugen von 58 verglichen. Die Verse,
die zu der oben zitierten Erläuterung A'eranlassung gegeben haben mögen, stehen f. 24 r:
U • l5 Cr *^^" ^ '
.,LA*i^ Naä-^.^ \j>X.Si^\ Ö^Li ^A-oi iA% ,*-^'^'5
»Hierauf beuge die Dreiundsechzig, wie es in der Rechenkunst geschieht,
Und nähere an und mache fest die Finger der Drei, ihre Nägel
versteckt vor dem Anblicken.«
Der Kommentar sagt aber nur: »Die drei Finger sind der Kleinfinger, der Ringfingei
und der Mittelfinger der rechten Hand, und ihr Festmachen unter Verbergen ihrei
Nägel ({J'jJhS Is-P^ f^^ ist für den Schützen notwendig, weil die Richtigkeit
der Beugung (des Griffs) nur erzielt wird durch Festmachen dieser drei.« Die weiter
unten folgenden Zitate zeigen deutlich, daß der von unserm 'Ali ibn Sa'bän benützte
Kommentar zu Taibogä hier eine vollständige Aufzählung aller Fingerbeugungen ein-
gedochtcn hat. Es wäre sehr wohl möglich, daß eine der im Ausland vorhandenen
Handschriften den gesuchten Kommentar enthält.
Arabische Texte über das Fingerrechncn.
109
Erkl.: Er weist darauf hin, daß die Vier die ErJiebioig des
Kleinfingers ist in ausgestreckter Haltung, und das Zurücklassen des
Ringfingers und Mittelfingers angenähert gemäß dem Zustand beider.
Und Ibn SuUah drückt das aus mit den Worten:
. . . Dann für den Kleinfinger erhebe mit Vier,
und im Reichlum (sagt es der Verfasser) mit den Worten : »Ein-
schlagen des Mittelfingers mit dem Ringfinger ist Vier«.
Text: 22. Hierauf schlage den Mittelfinger um zur Beugung der
Fünften
Einzeln, ebenso den Ringfinger zur Beugung der Sechsten.
Erkl.: Er weist darauf hin, daß die Fünf das Zurücklassen
des Mittelfingers allein ist, gleichfalls angenähert der Handfläche der
Rechten, und das Strecken des Ringfingers, und darauf, daß die
Sechs das Zurücklassen des Ringfingers ebenso, und das Strecken
des Mittelfingers. Und Ibn Su'lah drückt beides aus mit den
Worten — an das Maf'ül anknüpfend mit dem Wort y>erhebc".. — :
Und den Ringfinger — die Fünf vollende
Und bei der Sechs presse den Ringfinger ohne sie alle
Auf das Ende der Handfläche; höre und überliefere esl^)
Und im RcicJUuin mit den Worten: »Einschlagen des Mittelfingers
in seiner Vereinzelung ist Fünf und Einschlagen des Ringfingers
allein Sechs, mit Verbergen des Nagels in beiden.«
Text: 23. Ebenso den Kleinfinger im Aufeinanderfolgen =).
Schlage ihn allein um zur Beugung der Siebenten.
Erkl.: Er weist darauf hin, daß die Sieben das VmscJilas'cn des
Kleinfingers allein ist, gestreckt über den Rand der Handfläche.
Und Ibn Su'lah drückt das aus mit den Worten:
Und bei der Sieben presse unter den Daumen den Klein-
finger 3),
Und am Ende der Handfläche ist die Pressung 4); so verfahre.
Und den Ringfinger erhebe ....
Und \vci Reichtum mit den Worten: Und Auflegen des Kleinfingers
mit Zeigen der Nägel ist Sieben.«
') Die Vorschrift von Ibn Su'lah stimmt nicht mit der gewöhnlichen Dar-
stellung, sondern verlangt ein Andrücken des umgeschlagenen Ringfingers wie bei den
folgenden Zahlen.
-') Ergänze »der Zahlen« ; in der Reihe der Zahlen.
3) Es ist nicht klar, wie das gemeint ist; vielleicht »unten an den Daumen«.
Auch der Kommentar gebraucht nachher denselben Ausdruck.
■i) Vielleicht ist statt (ji:i>.ÄJl zu lesen i <a>Jsl »presse«.
j j Q J u 1 i u s R u s k a ,
Text: 24. Und schlage ebenso die Achte um unter Beugung des
Kleinfingers,
Und schlage um in der Beugung beim Umschlagen des
Ringfmgers.
Erkl: Er weist darauf hin. daß die Acht das Umschlagen des
Kleinfmgers und des Ringfingers auf das Ende der Handfläche ist.
Und y Beugung ist Mafül zu •>^schlagc um-, und das ■•>beU in beim
Umschlagen (steht) im Sinne von mit, d. h. »bei der Achten schlage
um unter Beugung des Kleinfmgers mit gleichzeitigem Umschlagen
des Ringfmgers«. Und Ibn SuHah drückt das aus mit den Worten:
. . , Hierauf bei der Achten nähere an
Zum Kleinfinger im Anpressen für den Ringfinger;
sei verständig!
Und im Reichtum mit den Worten: Und Auflegen des Klein-
fingers mit dem Ringfinger und Aufweisen ihrer Nägel ist Acht.«
Text: 25. Dies also: und bei der Neunten füge zu den beiden
Deinen Mittelfinger, und merke, was ich sage, und be-
achte es!
Erkl.: Er w^eist daraufhin, daß die Neun das Umschlagen des
Kleinfingers und des Ringfingers und des Mittelfingers auf das Ende
der Handfläche ist. Und das Damir des Duals, das durch mit in
den Genetiv gesetzt ist, bezieht sich auf den Kleinfinger und Ring-
finger; und deinen Mittelfinger ist das Mafül von füge hi7izu. Und
Ibn Su'lah drückt das aus mit den Worten:
Und bei der Neun nähere den Mittelfinger mit ihnen beiden.
Und im Reichtum (heißt es): »Und Auflegen des Kleinfingers und
des Ringfingers und des Mittelfingers und Aufweisen der Nägel ist
Neun.<:
Text: 26. Und die Rede über die Einer ist zu Ende;
Und darin ist, was leicht zu verwechseln ist.
27. So verstehe, denn sieh', ich erwähne es, o mein Hörer!
So (beruht also) der Unterschied zwischen Dritter und
Neunter,
28. Gleichfalls auch zwischen Achter und Zweiter,
Kurzgefaßt auf der Beugung mit dem Aufweisen.
29. Und der Unterschied in diesem ist das Erheben des
Ringfingers
Bei deinem Beugen der Zwei über den Kleinfinger.
30. Und ebenso, o Besitzer von Bildung, wird die Dritte
Aufgesetzt, und die Neunte wird nicht aufgesetzt.
Arabische Texte über das Fingeneclinen. III
Er kl.: Er weist daraufhin, daß die Rede über die Einer vollendet
ist, und darauf, daß darin vier einander ähnliche Zahlen sind, denn es
gleicht die Zweite der Achten und es gleicht auch die Dritte der
Neunten. Und der Unterschied ist, daß bei der Zweiten der Ring-
finger über den Kleinfinger erhoben wird, im Gegensatz zur Achten,
und daß die Dritte aufgesetzt wird, wie vorausging, im Gegensatz
zur Neunten ; und dies ist gemäß der Ansicht des Verfassers, wie du
weißt. Nach der Ansicht des Ibn Su'lah aber besteht der Unter-
■^chied darin, daß die Zweite dargestellt wird durch das Anpressen
des Kleinfmgers und des Ringfingers unter ihre Wurzeln auf der
Innenseite der Hohlhand im Gegensatz zur Achten, denn sie wird
dargestellt durch deren Anpressen unter den Daumen am Ende der
Handfläche. Und die Dritte wird dargestellt durch das Anpressen
des Mittelfingers mit dem Kleinfinger und dem Ringfinger, wie vor-
hin bei der Zweiten, im Gegensatz zur Neunten; denn sie wird
dargestellt durch ihr Anpressen mit beiden, wie vorhin bei der
Achten^). Hierauf weist er auf das zweite (Kapitel) hin mit seinem
Wort:
KAPITEL DER BEUGUNG DER ZEHNER.
Es geht von Zehn bis Neunzig und schreitet fort um je Zehn,
and in ihm sind neun Beugungen enthalten.
Text: 31. Und die Zehner, o Bruder der Hochherzigkeit, —
Sie bestimmten für sie den Daumen und den Zeigefinger,
32. Und diese ebenfalls von dir an der Rechten;
So merke es (dir) mit sicherem (Wissen).
Erkl: Er weist darauf hin, daß die Rechner die Zehner durch
zwei Finger bestimmen, nämlich den Daumen und den Zeigefinger
der rechten Hand. Und das Damir von ».f2> bestimmen'-^ geht auf
y>die Recliner , wie voranging; und das mit '>für<'. in den Genitiv
gesetzte Damir geht auf '^die Zehnei'r., und ■>->den Daiimen' ist
Maf'ül zu y'sie bestü)micnv,.
Text: 'if},. Und wisse, wenn du die Beugung der Zehn willst.
So siehe, sie ist wie ein runder Ring.
Erkl: Er weist darauf hin, daß die Beugung der Zehn erhalten
A\"ird durch das Setzen der Spitze des Zeigefingers in das Gelenk -)
■) Die Auseinandersetzung zeichnet sich nicht durch Klarheit aus. Zusammen-
fassend ist jedenfalls zu sagen, daß die Weise des Ibn Su'lah der allgemeinen
Überlieferung entspricht, während Ibn al-Magribls Vorschriften von ihr abweichen.
^") Hier ist entweder JJic im Sinne von Gelenk gebraucht oder s^üe Gelenk
«tatt lAÜE zu lesen.
112 JuliusRuska,
des gestreckten Daumens ^ wie ein Ring; und Ibn Su'lah drückt
das aus mit den Worten:
Und die Zehn unter Beugung des Daumens, so höre!
Mache zu einem Ring-) seine Spitze für den Deutefinger.
Und im Reichtuvi (heißt es): »Anhängen des Endes des Schwur-
fingers an das Gelenk^) des Daumens von innen ist Zehn (.
Text: 34. Und setze für die Zwanzig den Daumen der Hand
Ins Gelenk 4) unter den Finger des Schwörens,
35. Damit er über seinem Gelenk sei,
Gemeinsam mit deinem Mittelfinger an seiner Fingerspitze.
Erkl. : Er weist darauf hin, daß die Beugung der Zwanzig
durch das Setzen deines Daumens zwischen die Wurzeln des Zeige-
fingers und des Mittelfingers erzielt wird, d. h. stecke den Nagel des
Daumens zwischen den Zeigefinger und den Mittelfinger, so daß das
Gelenk des Daumens zwischen (^den Spitzen von) Zeigefinger und
Mittelfinger liegt) "1. Und Ibn Su'lah drückt das aus mit den
Worten:
Und den Nagel von deinem Daumen, setze ihn zwischen
Deine beiden Finger für die Zwanzig; wisse es und handle!
Und in seinen Worten ist ein Hinweis darauf, daß der Nutzen
des Wissens im danach Handeln besteht; Gott rette uns vor einem
Gelehrten, der nicht seinem Wissen gemäß handelt! Und im
Reichtum ^heißt es): »Das Setzen des Nagels des Daumens unter
das mittlere Gelenk des Schwurfingers ist Zwanzig.
Text: 36. Und nähere sie bei den Dreißig, schau!
Wie wenn einer die Nadel vom Boden weg ergreift.
Erkl.: Er weist daraufhin, daß die Dreißig erzielt werden
durch des Setzen deines Daumens ans Ende des Zeigefingers, d. h.
I) Wörtlich »mit seinem Ausstrecken«. Die genaue Wiedergabe arabischer Kon-
struktionen führt oft zu unerträglichen Wortverbindungen: mit einer freien Übersetzung
wird aber die eigentümliche Ausdrucksweise zerstört.
*) Statt / öJl^^" könnte auch bequemer - iJLxj »hänge an, bringe in Berührung«
gelesen werden, wie beim nächsten Zitat.
3) Hier ist das Wort i>Ai.Äx mafsil für Gelenk gebraucht.
4) An dieser Stelle läßt sich Jüic des Versmaßes wegen nicht durch äAÄc er-
setzen, es muß aber mit »Gelenk« übersetzt werden wie das ä^Xäc der nächsten Zeile.
5) Der Text ist klar, der Kommentar falsch. Der Daumen wird nicht zwischen
die Spitzen von Zeige- und Mittelfinger gesetzt, sondern unter dem Zeigefinger so
durchgesteckt, daß die weiche Daumenspitze dem ersten Glied des Mittelfingers auf-
liegt. »Deutelinger« und »Schwurfinger« entsprechen andern arabischen Worten für den
Zeigefinger.
Arabische Texte über das Fingerrechnen. I j ^
durch die Vereinigung' ihrer beiden Enden, wie wenn einer eine
Nadel ergreift^). Und Ibn Su*lah drückt das aus mit den Worten:
»Und vereinige, was zwischen der Spitze des Deutefingers
Und der Spitze des Daumens, so kommt Dreißig heraus !
Und v^iuas«. ist MaPül zu rvereijiigcn, und ■''Sfiüsc« ist 'Atf zu -»was .
Und im Reichtum (heißt es): Vereinigung der beiden inneren Enden
des Schwurlingers und des Daumens ist Dreißig.«
Text: },']. Und füge auf den Zeigefinger den Daumen
Bei den Vierzig, und verstehe die Rede !
Er kl: Er weist darauf hin, daß die Beugung der X'ierzig er-
zielt wird durch die Setzung des Endes des Daumens über das Ende
des Zeigefingers, d. h. auf seinen Rücken. Und Ibn Su'lah drückt
das aus mit den Worten :
Und wenn du den Daumen daraufsetzest, — -o Freund, so be-
achte (es sorgfältig)!
Auf den Schwurfinger, so vollendest du die Vierzig.
Und sein Wort auf den Schwurfinger . bezieht sich auf : darauf -
setsesti^., d. h. »und die Vierzig (entstehen), wenn du den Daumen
über den Schwurfinger setzest . Und im Reichtmii (heißt es; :
>Legen des Endes des Daumens auf das mittlere Gelenk vom
Schwurfinger ist Vierzig.«
Text: 38. Dann schlage den Daumen durch Beugen um, ihn allein;
Ebenso entstehen die Fünfzig — so merke ihre Be-
schreibung!
Er kl.: Er weist darauf hin, daß die Beugung der Fünfzig
(auch) erzielt wird durch Legen des Endes des Daumens auf den
Rücken des Zeigefingers, aber mit Strecken des Zeigefingers; denn
der Ausdruck ihn allein<i bedeutet ohne Annäherung des Zeige-
fingers« ; und der Ausdruck .'> ebenso \ bedeutet »wie du das Ende des
Daumens bei den Vierzig gesetzt hast«. Und Ibn SuMah drückt
das aus mit den Worten:
Und das Aufsetzen des Daumens auf den Deutefinger, höre!
Wie wenn einer einen Pfeil erfaßt, das ist Fünfzig; so führe
es schön aus!
Und im Reichtum (heißt esj : »Das Andrücken des Endes des Dau-
mens an die Wurzel des Sclnvurfingers ist Fünfzig.«
Text: 39. Und erhebe ihn bei den Sechzig mit dem Zeigefinger
Gemäß der Art, wie der Schütze einen Pfeil ergreift.
') Vers 36 der Ar'i,n:.a/r .samt Kommentar zitiert l'cre Anastase in seiner Al»-
handlung, Al-Machriq Bd. 3, i')oo, .S. 121.
Islam X. 8
114
I u 1 i u s R u s k a ;
Erkl.: Er weist darauf hin, daß die Beui;uno- der Sechzig
erzielt wird durch Aufsetzen des Endes des Zeigefingers auf die
Spitze des Daumens gemäß dem Griff eines Pfeilschüt/cn. Und
Ibn SuMah drückt das aus mit den Worten:
Und deinen Daumen, setze ihn unter den Schwurl'uiger,
Wenn du die Sechzig ausführen willst; so beaciite es, um
vollkommen zu sein!
Und im Reichtum (heißt esj: »Das Andrücken des Endes des Daumens
und Wickelung des Schwurfingers um ihn ist Sechzig.«
Text: 40. Und das Gleichnis der Siebzig beim Beugen ist
Wie wenn einer einen Dinar ausgibt als Bargeld.
Erkl.: Er weist darauf hin, daß die Beugung der Siebzig er-
zielt wird durch Annähern des Zeigefingers und durch Annähern des
Daumens über ihm wie wenn jemand seinen Dänir ausgibt. Und
Ibn Su'lah drückt das aus mit den Worten:
Und deine Beugung für die Siebzig beruht auf einer dritten
Annäherung;
Mit dem Zeigefinger beuge deinen Daumen, dann machst du's
Und den Daumen setze unter den Deutefinger. [schön,
Und im Reichtum (heißt es): »Aufstellung des Daumens und Wicke-
lung des Schwurfingers über das Ende des Daumens ist Siebzig.«
Text: 41. Und die beiden Finger bei den Achtzig, sie
Berühren sich beim Beugen mit beider Streckung').
42. Und sie steht der Beugung der Vierzig am nächsten,
Nur daß der Daumen nicht aufgesetzt wird.
Erkl.: Er weist darauf hin, daß die Beugung der Achtzig
erzielt wird durch Legen der Spitze des Daumens in das Gelenk,
welches am Ende des Zeigefingers ist. Und sie ist wie die Vierzig
ohne Aufsetzen des Endes des Daumens auf den Rücken des Zeige-
fingers. Und sein Wort y>und die beiden Finger^, meint, »welche beide
die Stelle der Zehner (sind)«, und die Damlre des Duals im Vers gehen
auf ..beide« zurück, und das Damlr y>sie<{. geht auf y> Achtzig zurück.
Und Ibn Su'lah drückt das mit den Grammatikern in bildhcher
Wendung durch die Worte aus:
Und Nagel über Nagel vollenden Achtzig.
Und im Reichtum (heißt es): »Vereinigung der beiden Enden des
Daumens und des Schwurfingers ist Achtzig.*
') D. h. bei der für die Darstcllunff der Zahl 80 notwendigen Stellung in ge-
strecktem Zustand.
Arabische Texte über das Fingenechnen.
II 5
Text: 43. Und sie machten ähnlich die Neunzig; in ihrer Beuj^ung
Wie die Wickelung der Schlange in ihrem Nachtschlaf.
44. Und der Unterschied zwischen ihrer Beugimg und (der
Beugung) der Zehn
Liegt darin, daß sie angenähert, gedrängt ist.
Erkl. : Er weist darauf hin, daß die Beugung der Neunzig
«rzielt wird durch das Legen der Spitze des Zeigefingers auf die
Spitze des Daumens wie eine Schlange, wenn sie schläft. Und
diese ist wie die Zehn, aber hier wird das Ende des Zeigefingers
über die Spitze des Daumens gesetzt im Gegensatz zur Zehn, wie
oben vorherging. Und Ibn SuMah drückt das aus mit den
Worten :
Und bei der Zahl Neunzig presse den Zeigefinger
Gegen die freie Stelle, die zwischen dem Daumen und zwischen
ihm liegt.
Und deinen Daumen setze über ihn wie eine Schlange,
Welche wütend begehrt anzugreifen ....
Und im ReicJitum (heißt es) : ■■Einschlagen des Endes des Schwur-
hngers mit dem Ende des Daumens ist Neunzig<;.
Text: 45. Und die Zehner, — nun ist vollendet ihre Beschreibung
Und ihre Erfassung und ihre Beugung und ihre Zahl.
46. Und zwar beginnt die Beugung in ihrer Vereinzelung,
Nicht wird gehindert die Zusammenstellung (der Zehner)
mit ihren Einern.
Erkl.: Er weist darauf hin, daß 'die Auseinandersetzung über die
Zehner vollendet ist, mit sicherer Erfassung derselben und ihrer An-
zahl; und zwar wird ihre Zusammensetzung mit den Einern nicht ver-
hindert wegen der Verschiedenheit der beiden Stellen. So sind
die Elf ein Beispiel gemäß der Methode des Verfassers, wel-
ches erzielt wird durch Annäherung des Kleinfingers an seine
Wurzel auf der Innenseite der Handfläche und das Aufsetzen des
Ringfingers auf ihn (zugleich; mit dem Setzen der Spitze des Zeige-
fingers in das Gelenk des gestreckten Daumens, und die Zwölf
sind ein Beispiel gemäß dem, was voranging, welches erzielt wird
mit der Annäherung der beiden Elnden des Kleinfingers und des
Ringfingers, aufeinandergesetzt gegen ihre Wurzeln hin (gleich-
zeitig) mit dem Setzen der Spitze des Zeigefingers in das Gelenk
des gestreckten Daumens. Und dementsprechend fahre fort bis
Neunzehn »). Und die Einundzwanzig zum Beispiel wird
') Hier ist im Text durch Wiederholiuijj einiger Zeilen Verwirrung entstanden.
IJie I3oppelungen sind iibergang-en und die Stücke richti-,'^ .ineinandergefügt.
jjg Julius Ruska,
.nach seiner Methode ebenfalls erzielt durch Annäherung der beiden
Enden des Kleinfingers und des Ringfingers aufeinandergesetzt gegen
ihre beiden Wurzeln mit dem Setzen der Spitze des Daumens
an die Wurzeln des Zeigefingers und Mittelfingers, wie vorausging.
Und dementsprechend fahre fort bis N e u n u n d z vv a n z i g. Und die
.^eunundneunzig wird erzielt durch Einschlagen des Kleinfingers
und des Ringfingers und des Mittelfingers unterhalb des Daumens
auf das Ende der Handfläche, wie voranging, mit Setzen der Spitze
des Zeigefingers auf die Spitze des Daumens gemäß dem Nacht-
-schlaf der Schlange, wie voranging. Und Ibn SuMah drückt das
am Ende der Einer mit den Worten aus:
Und bei allen Einern verfahre so, auch wenn darüber sind . . .".
das heißt, wenn die Einer zu anderen (Zahlen) hinzukommen von
den Arten der Zehner oder Hunderter oder Tausender, so versteh
es, dann tust du das Richtige. Hierauf weist er hin auf das dritte
(Kapitel) mit den W^orten:
KAPITEL DER BEUGUNG DER HUNDERTER.
Es geht von Hundert bis Neunhundert und schreitet fort um
je Hundert, und in ihm sind neun Beugungen enthalten.
Text: 47. Hierauf die Beugung der Hunderter an der Linken
Wie die Zehner — so höre auf meine Rede!
48. Und wisse, daß ihre Figur wie deren Figur
Und ihre Wurzel in ihrer Beugung wie deren W^urzel.
Erkl.: Er weist darauf hin, daß die Hunderter an der linken
Hand wie die Zehner an der rechten Hand; denn sie werden
bestimmt durch den Daumen und den Zeigefinger. Aber Ibn
Su'lah weicht ab und macht sie wie die Einer, denn er sagt:
Und die Hunderter, nicht wahr, mache sie
An deiner Linken, wie die Einer, o Besitzer der Wissenschaften'
An deiner Rechten. Bewahre es und hüte dich, es falsch zu
machen !
Und die meisten folgen der Ansicht des Verfassers, und es unter-
stützt sie, daß die Tausender der Anfang eines zweiten Zyklus
sind, denn sie (stehen) an Stelle der Einer, es ist also passend, daß
sie sind (wie die Einer — Lücke im Ms.)'), und daß die Hun-
derter sind wie die Zehner und alles, was wir erwähnt haben bei
den Zehnern. So stelle es hiernach (durch die Fingerbeugung) dar,
I) Dem Sinn gemäß ergänzt. Der Grund ist ziemlich fadenscheinig, doch auch
nicht viel schlechter als der für die andere Anordnung.
Arabische Teste über das Fingerrechnea. nj
denn ihre Darstellung ist wie die Darstellung der Zehner und ihr
Prinzip wie deren Prinzip ohne Unterschied.
Text: 49. Die erste Hundert gleicht der Zehn —
So fahre fort demgemäß, o Besitzer der Kunde!
50. Und die Zweihundert ähnelt den Zwanzig —
So bedenke, denn ich habe es genau erklärt!
Erkl.: Er weist daraufhin, daß die Beugung der Hundert def
Beusuno- der Zehn ähnelt, denn sie wird erzielt durch Setzen der
Spitze des Zeigefingers der Linken auf das Gelenk des gestreckten
Daumens wie ein Ring; und darauf, daß die Beugung der Zwei-
hundert ähnelt der Beugung der Zwanzig, denn sie wird erzielt
durch Setzen der Spitze des Daumens der Linken zwischen die
Wurzel des Zeigefingers und des Mittelfingers, wie voranging. Und
fahre fort mit der Beugung der Dreihundert und was nach
ihr kommt bis zur Neunhundert, gemäß dem, was voranging
über die Beugung der Dreißig bis zu den Neunzig; und dies ist
klar dareelest worden. Hierauf weist er hin auf das vierte (Kapitel)
mit seinem Wort:
KAPITEL DER BEUGUNG DER TAUSENDER.
Es eeht von Tausend bis Neuntausend, und es schreitet fürt
um je Tausend, und in ihm sind neun Beugungen enthalten.
Text: 51. Hierauf ist die Beugung der Tausender wie die Einer
An deiner linken Hand gemäß der Vereinzelung.
52. Ihre Anteile sind drei Bestimmte,
Dein Mittelfinger und der Ringfinger, der seinem Kleiu-
finger folgt;
53. Setze sie auf, wenn du zu den Wissenden geh(>rst,
So wie du die Einer beugst, andre nicht!
Erkl.: Er weist darauf hin, daß die Tausender an der linken
Hand (dargestellt werden) wie die Einer an der rechten Hand, denn
sie sind bestimmt durch den Kleinfinger und den Ringfinger und
den Mittelfinger. Und es weicht Ibn SuMah darin ab gemäß
seiner Abweichung bei den Hundertern; denn er setzt die Tausendei"
an der Linken wie die Zehner an der Rechten und sagt:
Ebenso die Zehner an deiner Rechten: siehe, sie (bedeuten)
An deiner Linken die Tausender der Reihe nach.
Und die meisten schließen sich dem Verfahren des Verfassers
an, gemäß seinem Verfahren bei den Hundertern, und ilu-e Beu-
gungen werden dargestellt im Kleinfinger und Ringfinger und Mittel-
jl3 JuliusRuska,
finger, wie wir erwähnt haben. Und sie sind wie die Einer, denn,
die Tausend sind gemäß dem von ihm bevorzugten Verlahreü
gleichfalls Annäherung der beiden Enden des Kleinfingers und de.>
Ringfingers an ihre beiden Wurzeln von der Innenseite der linker-
Handfläche. Und fahre fort gemäß dem, was nach beiden folgt bis^
Neuntausend; es ist kein Unterschied zwischen den Darstellungen
der Einer und der Tausender, außer daß die Einer an der rechten
Hand und die Tausender an der linken Hand sind.
Text: 54. Hierauf, wenn die Zahl steigt^) auf
Zehntausend, so wird sie niclit vollendet.
Erkl.: Er weist darauf hin, daß, wenn du gelangst zu den
Zehntausend, so ist diese Wissenschaft vollendet, und nicht gibt
es darin etwas anderes. Und es beschreibt sie (die Zehntausend
I b n S u * 1 a h mit seinem Ausspruch :
Und Zehn der Tausende, deinen Daumen vereinige
Und das mit dem Zeigefinger, o Bruder der Erhabenheit,
An deiner Linken, und richte ihn wie einen Ring, so höre!
Wenn du zusammenschließest; und die Sjjitze mache recht
niedrig-).
Und der Sinn der beiden Verse ist, daß du die Spitze des Zeigefinger»
der Linken unter ihren Daumen stellst.
Und Gott der E. weiß am besten das Richtige,
Und zu ihm ist die Rückkehr und der Heimgang.
Es ist fertig mit Gottes Preis und seiner Hilfe.
Über den literarischen Wert der hölzernen Reimereien und ihres
Kommentars ist kein Wort zu verlieren. Ihre Bedeutung liegt aut
einem Gebiet, in dem ästhetische oder philologische Alaßstäbe nicht
in Frage kommen; als Quellen für die Geschichte des Fingerrechnens
im Altertum und ]\Iittelalter harren sie der kritischen Würdigung.
Ohne hier auf das gesammelte weitschichtige ^laterial einzugehen,
möchte ich als Ergebnis, das sich ohne weiteres aus der Über-
setzung ergibt, die Tatsache betonen, daß im Bereich des Fin-
eerrechnens bei den Arabern ebensowenig wie anderwärts eine
<Ü> "^
Vorzugsstellung der Einer vor den andern drei Zahlengrupi:)en be-
steht, und daß noch viel weniger eine Bezeichung der Einer durcli
das Wort ^'^ot = disiiti denkbar wäre. Man könnte wohl Einer
'i>
I) Wörtlich »fällt« _Liiw>«.
=) Hier folgen im Oriafinalgedicht noch sechs Schlußverse.
Arabische Texte über das Fingerrechnen. Ijn
und Tausender (oder Hunderter) als dreifingrige, Zehner und Hun-
derter (oder Tausender) als zweifmgrige Zahlen bezeichnen, oder
die einen »Zahlen der Rechten«, die andern Zahlen der Linkeuv;
nennen, aber Fingerzahlen sind die höheren Einheiten ebenso gut,
wie die Einer Gliederzahlen sind, da sie durch Einschlagen von
Fingergliedern dargestellt werden. Der Araber spricht logisch und
folgerichtig nur von den B eugun gen der Einer, Zehner, Hunderter,
Tausender. Fingerbeugungen, o^äc ^itküd, werden natürlich bei der
Handhabung von Geräten zu den verschiedensten Zwecken ausgeführt;
im Zusammenhang mit dem Fingerrechnen wird das Wort aber durch
einen naheliegenden Übergang (vgl. oben J)lj> — Jy^J^ S. 89) zum
technischen Ausdruck für die durch Fingerbeugungen dargestellten
Zahlen. Man sagt ^^^43-^ L.w.*:> JKär^ Er beugte 55;, wie wir
etwa sagen ;>er griff den B-dur-Akkord« ; man gebraucht ^xjLaöLj Aä^^
»er beugte mit ^seinen Fingern : im Sinne von :.er rechnete an den
Fingern«, bis schließlich in oL.w..^Jl vAüc 'akada "l-hisäba nur noch
der abgeblaßte Sinn »er rechnete ■ übrigbleibt.
Von Fingerbeugungen, flcxus oder inflcxioncs digitoruin, spricht
auch Beda; von jener Kunstsprache des Kolumnenrechnens dagegen,
in der die Einer als digiti, die höheren Zahlenstufen als articuli be-
zeichnet werden, ist keine Spur bei ihm zu finden. Der Schluß
drängt sich auf, daß diese beiden Ausdrücke erst von Abbo von
Fleury oder kurz vor ihm, also in der zweiten Hälfte des lO. Jahrh.
in den Klosterschulen erfunden wurden, als die Kunst des Abakus-
rechnens eine späte Nachblüte und systematische Durchbildung er-
lebte. Ich möchte aber an dieser Stelle nicht weiter auf eine
mathematikgeschichtUche Frage eingehen, die den islamischen Orient
erst in zweiter Linie berührt.
Mesopotamische Studien.
Von
H. Ritter.
II.
Vierzig arabische Volkslieder.
Die nachstehend mitgeteilten Lieder sind von mir während meines
Aufenthalts im Irak und in Alesopotamien 1916 — 1917 gesammelt
worden. Die als bagdadisch bezeichneten stammen von einem
belemgi, einem Bootsführer in Bagdad, die aus Amara von einem
jungen Araber aus Amara, den ich in Bagdad kennen lernte, die
aus Schergat von einem aus der Nähe von Schergat eebürtisen
Gebbüraraberi), die aus Mossul endlich von dem Imam der Nebl
Schlt-Moschee dortselbst, ebenfalls einem Gebbüraraber. In Form,
Metrum und Reim stellen sie die aus Sachau, Arabische Volkslieder
aus Mesopotamien (Abh. der Pr. A. d. W. 1889), Dalman, Palästinischer
Divan. und Meissner, Neiiaralnsche Gedichte aus dem Irak {MSOS.
V, VI, VII) bekannte Form der '^Atäbe bezw. des Lämi (Meissner,
MI, S. 268 f.) dar, nur daß mein Gewährsmann aus Amara die von
Meissner als Lämi bezeichneten Lieder BüdTje nennt, ein Reimwort,
das aus abü adTje, »der ^lann des Leidens<;, abgeleitet wird. Der
Reim geht über das gemeinhin als solcher Bezeichnete hinaus. Bei
einer musterhaften ^Atäbe soll sich das Reimwort der ersten Zeile
in den beiden nächsten Zeilen genau gleichlautend, aber mit verschie-
dener Bedeutung wiederholen. In unsern Gedichten ist das offenbar
nicht immer streng durchgeführt, oder die Erklärung müßte falsch
sein. Vgl. besonders 23 und 36. Die letzte Zeile geht je nachdem,
auf äbc oder fje, eje aus. Die Silbe äbe muß öfters sinnlos hinzu-
gesetzt werden. Beim Diktieren wurde sie dann meist ausgelassen.
Einige ''Atäbe und BüdTje wurden von meinen Gewährsmännern
ähnlich wie bei Meissner als I\Iosläzvijc bezeicjinet. Über das
■j Als sprachliches Kuriosum möchte ich erwähnen, daß dieser Araber mir seine
Dienste als alci = asgi, Koch anbot. Als ob die Nähe von Assur ilm zu dieser assyrischen
Dissimilation verleitet hätte!
Mesopotamische Studien. 121
^Jetrum ist auch aus diesen Proben ein klares Bild nicht zu ge-
winnen. Schuld wird zum grüßten Teil die ungenaue Überlieferung
tragen. Die Unstimmigkeiten mögen sich zum Teil daher erklären,
daß in einem bestimmten Dialekt gedichtete Lieder von Leuten eines
anderen Dialekts aufgenommen und mundgerecht gemacht werden^).
^Verbesserungen zu machen, ist zwar oft möglich, aber jedenfalls
stets sehr gewagt. Die Ansicht, das Metrum sei eine Art Wäßr
'-> ^ ^ , scheint dem Richtigen am nächsten zu
kommen. L^m dieses Versmaß zu gewinnen, muß man eine lange
geschlossene und doppelt geschlossene Silbe öfters als — w auffassen,
z. R. Nr. 3 in den ersten Zeilen [düf, gfäl), Nr. 39 {Jtyss hädihmii).
Auf Durchführung dieses Schemas ist verzichtet, auch wo sie sehr
nahe lag. Als Dialektproben haben die Gedichte schon aus den oben
angeführten Gründen nur einen sehr problematischen Wert.
Nach meinem Alossuler Gewährsmann wäre die Form der '■Atäbe
speziell den GebbOr eigen, einem halb oder ganz seßhaften, jetzt
verarmten Stamme längs des Tigris ober- und unterhalb Mossul
bis herab nach Bagdad und am Chabur (Nordgebbür unter dem
Scheich Tähä el-Mismär) und zwischen Hille und Divvanije (Süd-
gebbür unter Muräd el-Halll). Mein Gewährsmann aus Amara will
jedoch seine Lieder von den Ma'-dän-'^\.7iVi\v(\QVL, den Sumpfarabern in
den südirakischen Hors, haben.
Die Übersetzung ist etwas freier gehalten, um den Eindruck des
hie und da nicht reizlosen Originals nicht allzusehr verloren gehen
zu lassen. Sie beruht auf den Erklärungen der Gewährsmänner, wenn
eine Abweichung von diesen nicht besonders angemerkt ist.
Ein Wort ist noch zu sagen über die Eigentümlichkeit, daß
überall die männlichen Formen auch da stehen, wo offensichtlich ein
Mädchen gemeint ist. Mein Gewährsmann sagte mir, der Gebrauch
der Femininendung sei ''aib ^= nicht anständig. Es liegt hier also zur
literarischen Form erstarrt die Auffassung vor, daß die Liebe, die
als : potior« romantisch verklärt und besungen wird, die mann-männ-
üche ist, eine Auffassung, die uns ja aus dem Altertum bekannt und
in der orientalischen Stadtkultur, unter persisch-griechischem Einfluß,
ziemlich früh nachzuweisen ist. Selbstredend tritt auch die religiöse
Sublimierung der Erotik in der Mystik in dieser Form auf Ein
A'Iadonnenkult wäre auch aus diesem Grunde im Islam undenkbar-).
') Oder dalier, daß beim Gesang andere Vokale eingesetzt werden, als beim Dik-
tieren, vgl. Littmann, Naiarah. Volkspocsic .S. 12 I-
*) ^ &!• auch SiNGEK, Aval), n. eiirop. Poesie int Mittelalter. S. 1 1 f .
12''
H. Ritter,
Herr Geheimrat Littmann hatte die große Güte, eine Korrektur
zu lesen und mir zahh'eiche wertvolle Verbesserungen und Beiträge
zur Verfügung zu stellen. Seine Bemerkungen sind durch L. ge-
kennzeichnet.
'■Atäbc aus Schergat. i.
'Atabe min gamn el-gajb halgän, Aus tiefstem Herzen ibt mein Liect
geboren.
Ja läbis min etjäb el-meles hulgän, Die du aus Seide dir ein altes Kleid
erkoren,
Ana le säjaltak bin-nebi mncn Wenn ich dich fragte, wer hat dich
halgän? geboren r
Hajgän imnil-nidä mä iT had[äba]. Du sprächst: »Ich Avard aus Tau
ein elternloses Kind!«
Desgl. 2.
Ja galbi, nöb hen unöb henäk Bald hier, mein Herz, bist du, bald
bist du dort,
'Ala c-cän ugtü' ez-Zäb henäk Jenseits des Sab war der Geliebten
Ort;
Tä o-albT, eemnöbten-nöbenhenäk! Du bist rebellisch, hürst nicht auf
mein Wort,
'Anüd umä bada' bik gawäb[al. Wie oft schon hab ich's dir, mein
Herz, verwiesen!
DesgL 3-
Hadöl el-bid, wes bidi 'alehum O jene Schönen, was vermag icli
über sie?
Usab'a gfäl mebnije 'alehum! Ach, siebenfache Schlosser baut*
man über sie!
LfinT ter el-asgat 'alehum Bin doch kein Vogel, der da flöge
über sie,
WelänT tög el-asbie bil-ergäbiaj ! Kein Halsschmuck, daß ich mich.
um ihren Nacken hinge!
Desgl. 4-
lä f£alib, terric el-hasbät wel- Laß fahren, Herz, das Grübeln unc'
hemm! das Grämen!
Ubidi lashan ez-zernüh welhem. Will stoßen selber mir Arsen und
nehmen.
Matä tigüni [jäj sejjrdt el-hemm Wann kommt ihr her, die Last mi:
abzunehmen
Tesilu 1-heml wahnä nemsT Ihr Träger, daß ich leicht von
'afäfba]? dannen gehe?
Mesopotamische Studien. I 2 >
'■Atäbe aus Bagdad. 5-
la, hes-säMg il-markab, wilek dar! Hallo, du Schiffersmann, halt an
mit deinem Boot,
Dugaf daseilak hemm! wil-ekdär! Daß meinen Kummer, meine
Schmerzen auf ich lade!
Hak gasren bil-genne wilek dar, I^in Haus, zwei Schlösser sind im
Paradiese dein,
Bas tösal es-seläm ilel-ehbäbia!]. Nur bringe meinen Gruß dem
fernen Freunde!
Desgl. aus Mossul. 6,
Ana wed-dlb wel-büme 'alä hadd Mit Eul' und Schakal bin ich eins
geworden,
Suwä, wehmflm dellfdi 'alä häd. Das größte Lasttier nur kann
meinen Kummer tragen.
Remäni d-dahr mädahhig 'alä had Das Unglück warf mich hin, ich
blicke niemand an
We'ätabtez-zeman*alag-gerä[ba]. Und klag das Schicksal an für was
geschah.
Desgl. 7.
Lö jisma' bcäi 1-bQm dall cän Die Eulen, wenn sie meine Klagen
hörten,
Garib, umin genähu neser dill cän. Sie blieben nahe mir mit ihrer
Flügel Schatten.
Ribä'an bin-nezil mämurr dölcen O Freundeskreis im Stamm! Ich
meide euch,
'Aban mäsüf min wilfi hadä[ba]. Weil ich von meinen Liebsten
niemand sehe.
Desgl. aus Amara. 8.
Jäbu s-sa'r il-'ala c-citfen näzil, Du, der das lange Haar auf beide
Schultern fällt!
Weheh min ifräg il-wihf näzil. Gebrochen hat die Krait der
Liebsten Scheiden mir.
'Amämi, lä tib'adun il-manäzil ! O Vettern, zieht von unsern Lagern
nicht so weit!
Garib id-där wimffirig il-eh- Ach, fremd bin ich /u Haus, seit
bäb[a!l. ich von ihr geschieden!
124 ^" l^itter,
Desgl. 9.
Jäbu s-sa'r il-'ala c-citfen hellet Du , der die Locken um die
Schultern wallen.
Süägl min idmü' il-'en hellet. Sieh, Wasserrinnen hab ich voll-
geweint.
Ja sehr ifräghum lä cän hellet, O Mond der Trennung, wärst du
nie erschienen.
Gatit. ubik färagna 1-ehbäb^a]. Du arger Mond, in dem von
ihr wir schieden!
BüdTjc aus Amara. 10.
Lafrah bil-jigi ulahzan 'ala r-räh Nicht freut mich, wer da kommt,
nicht grämt mich, wer da geht,
*Alä sog is-sigäni r-räh bir-räh. Aus Lieb zu dem, des Hand mit
Wein mich tränkte.
Wehagg min tebbet il-hamse 'ala Bei dem, der an die Hand die
r-räh. Fünfe fügte,
Tibat hubbak ibgajbi lin-nehije. Fest ruht die Lieb' zu dir in
meinem Herzen,
DesgL II.
Jefärigni 1-jehibb ga|bl wejinsä Es scheidet, den mein Herze hebet,
und vergißt:
Lifäni 1-mä 'ärif tab'a wejinsä Ein Fremder nur an Sinn und
Art kehrt ein bei mir.
Adyll agra d-dahar bictnä wejinsä Mein Unglück bet" ich ihm ins
Ohr und er vergißt's.
Enisdä wIguUl sinhu 1-gadije.' Ich frage ihn, er spricht: was
wolltest du von mir?
"Atäbc aus Bagdad. 12.
Dufag dam'l u sejjar sufun ja rög! Der Strom der Tränen bricht
hervor, läßt SchifFe fahren:
Usejjebni zemäni gabol märög. Ach! Viel zu früh hat mir die
Zeit das Haar gebleicht.
Dubballäh lä tehubt el-mäi ja rög! Um Gott, o Welle, rühre mir
nicht das Wasser auti
Tehedde da irauwün el-ehbäba]! Halt stille, bis die Freunde satt
betränkt!
Mesopotamisclie Studien. I 2 s
Büdljc aus Bagdad. 13.
Tijür el-bis-semä, ja näs, saffan, Die Vögel bilden fröhlich spielend
Züge.
We'jünl min el-bwäci müh siifan. AleinAuge ward vom vielenW einen
weiß.
Ana lö haj^get gälau : räh saffan. Flieh ich, so nennen sie Land-
streicher mich,
Welö dallet, Vlla tesir bije. Und bleib ich hier, so werd ich
krank vor Sehnen.
''Atäbc aus Bagdad. 14.
Tijür el-bis-semä, ja näs, til'ab, Die Vögel unterm Himmel spie-
len fröhlich,
.Unefsi lö serabt el-mäi til^ab. Mir bringt der Wassertrunk selbst
Übelkeit.
'Agybkum lä helä IT le'ib wal'ab, Nach deinem Scheiden ist mir
jedes Spiel vergällt,
Welä sinni dahak wintü giäbia]. Nicht lacht mein Alund, solang
du in der Ferne.
Bnäljc aus Bagdad. 15.
^\lai sef el-lahad jed'^ag tisille, Des Blickes Schwert, Schwarz -
äuge, zückst du gegen mich.
Werühi bnär hygränak teselle. Es schmilzt dahin mein Geist in
deiner Trennung Feuer.
Tgül en-näs: ja muhsin. teselle. Die Leute sagen mir: O Aluhsin!
Tröste dich!
Cef aslo l-\vilif lö 'ann '^aleje? Wie kann vergessen ich, kommt
sie mir in den Sinn !
'-Atäbe aus Schergat. 16.
Erid ersil seläml 'as-selönl Die mich vergessen haben ♦ will
ich grüßen,
Umitl es-saham bil-mugla selöni Sie, die wie Fett mich in der
Pfanne brieten.
Usellöni, aUäh jesillhum; selöni Die Schwindsucht hole, die mich
krank gemacht, vergaßen,
Uankarau hadäk ct-ta'äb[a]. Und leugnen, wie ich mich für
sie gecjuält.
126
H. Ritter,
Desgl. aus Mossul. 17.
Tahabbar uarh dallälT c-atätlb. Des Herzens Wunde schmerzt
wie Nadelstiche;
Mädunn el-färag wilfu gat itib. Wem die Geliebte schied, wird,
furcht ich, nie gesund.
Ana maslak lö jesla 1-gata tib Ich kann dich nie vergessen und
vergäße
El-manäm wejutruk ed-dlba el- Das Flughuhn selbst des Schlafs,
'awä[ba|. das Heulen der Schakal.
BiutTjc aus Amara.
18.
Il-'ädil mä 'adal geirl welä Ulm, Es tadelt mich der Tadler, schmäht
der Schmäher,
Uhazzan gerh dallälT welä lamm, Die Wund' im Herzen schwor,
doch er verband sie nicht.
Isma bglm, lä käf welä läm : Sein Namenszug ist Dschim, nicht
Kaf noch Lam,
En ufe uharf er-re suwije. Und Ain und Ee und Re in eins
vereint zusammen (Dscha*far).
yiosläwije aus Amara.
19.
Ruwe z-zeitün min dem'T wal-aräk. Der Ölbaum trank sich satt an
meinen Tränen,
Wil-gerak mä nahal gismlulä rakk. Um dich nur hat mein Leib sich
oanz verzehrt.
Ahäf yttül gäbetnä weläräk, Zu lange, furcht ich, bleibst dem
Blick du fern.
Gabul wasjak tibädirni 1-manTje. Der Tod ereilt mich vor dem
Wiedersehen.
r^esgl.
20.
Wehagg it-tln wiz zeitün weihüd: Bei Eeige, Ölbaum und der Sure
Hüd:
Ugalbl mä inäm il-lcl weihüd. Mein Herz fmd't keinen Schlaf
des Nachts noch Frieden.
Särat irädeti 'id kutur weihüd, Bei Heid und Juden wohnt das
Ziel des Sehnens,
Lö 1-isläm rä hannau *aleje. Wär'n Gläub'ge sie, so hätten sie
Erbarmen.
Mesofiotamische Studien. [ 2
^1
Desgl. 21.
Wehagg it-tin wiz-zeitün vven^äm: Bei Feige, Ölbaum und der Gna-
densure:
UsaV hubbi mneddibäg vven'äm. Wie Atlas ist ihr Haar und
Straußenfedern.
*Tmet 'en il-mä isauw Ttlb wen'äm, Blind sei sein Aug', der keine Güte
kennt,
jiridd wilfl wigma'nä suwTje. Gibt er sie nicht zurück und
eint uns beide.
Desgl. 22.
Wehagg it-tin wiz-zeitün wabra : Bei Feige, Ölbaum und Los-
sagungssure:
Citehii hel-jisidd bir-räs wabra. Die sich das Stirntuch bindet,
mordet mich.
Atimm wägufjä helw it-tül wabra. Mein Auge ist an deinen Wuchs
gefesselt ;
Abad mä jincisir gajbak 'aleje? Ach! Bricht denn nie dein Herze
über mir?"
Desgl. 23.
Libas cittän, wirdäna juhutt bi ; Am Ärmel ihres Linnenkleides
schleift sie mich ;
Wänäl-maksür min zirri W'Ihutt bi. Zerbrochenen Gebeines schleift
sie mich.
Bneja lag lic geri duhutbÜ Mädchen ist dir ein andrer lieb?
Verlobe dich!
Wänä zenät mä gallan 'aleje. An schönen Mädchen hat mir's nie
gefehlt.
MosläwTjc aus Amara 24.
T^ibas hvsr il-*aglg ulivsyr mandall, Sie trug den Onvxreif und einen,
der mir fremd,
Ugalbi filh föh il-mäi bid-dall. Da wallt mein Herz emrxfr wie
Wasser in den Kannen.
Habibi I-citt ;uvudd;i Ics beddel? Warum ward sie mir untreu, die
ich so geliebt?
Nisäni walä ba'd jis'al 'aleje. Vergessen hat sie mich und fragt
nicht mehr nach mir.
]28 H. Ritter,
'^Atäbe aus .Vmara. 25.
Libas hysr il-*agig uhysyr selmän, Onyx- und Seimanreifen legt sie
an,
Ümä had min ihmüm il-galyb Da blieb nicht eine Herzenssorge
selmän. heil.
Nehet il-*Asceri wimäm Selmän Zu Askeri und Selmän flucht ich
mich
Utälithum 'All dähi l-ab\väb[a]. Und zu Imam Ali, dem Pforten-
stürmer,
Mosläzüije aus Amara. 26.
Hdedak 'enab lö tyffäh weiwei, Dein Wänglein ist wie Trauben
oder Apfel,
Wilak mes'al ibnuss il-ga]yb Im Herzen leuchtet eine Fackel
weiwei. dir.
Lizamta mnil-nehed usäh : weiwei ! Ich griff nach ihrer Brust, da schrie
sie : Wehe !
Ibbet ahli witmidd idak 'aleje! Im eignen Haus vergreifst du dich
an mir!
'■Ätäbe aus Schergat. 27.
Imfarra' bit-teräcl weg-gedile. Mit Zopf und Ohrring nur bist du
geschmückt.
Uzidi när galbl we^edi le! Vermehre nur mein Feuer, fach
es an!
Hada* bedr el-kawäcib weg-gedi Vollmond und Steinbock neigten
le, sich vor ihr,
Dizzü 'as-sems ec-caus gäb[a]. Sendet zur Sonne, daß ihr
Tschausch verschwunden ^).
DesgL 28.
Ja hel-wägif 'alä ras ed-dawälT O die du stehst am Kopf der
Wasserbecken !
Zog el-ihgül bisägah dawäh Das Paar der Reifen klirrt an
deinen Füßen.
Jedikrünak ja nähi nte dawä iT Man nennt dich, Schönste, oft.
du meine Arzenei !
Uhernä bik ja emir es-sibäb[a]. Verwirrt sind wir durch dich,
der Jugend Königin.
i| Da der Mond, der Sergeant der Sonne, vor der Schönheit der Geliebten erbleicht
ist, soll man die Sonne benachrichtigen, daß sie erscheinen und der Welt wieder Licht
geben soll. Die Sonne ist gleichzeitig die Geliebte.
Desgl.
Mesopotamische Studien.
29.
129
Ja nähi, m'il kuhlak mäsm a'näk. Der Schminkstift zeichnet deine
Augen, Schöne.
Temin umin iMäl el-mäs ma*näk. Kostbar dein Wesen ist, dem
Demant gleich.
Ja hel-nädet 'alena mä sma^näk: Mag rufen, wer da will, wir hören's
nicht :
Sikirnä fi hadit min es-sibäb[a]. Die Jugend macht uns trunken
im Gespräch.
Biidije aus Amara
30.
Bhydwat lel näblnl wänäbik, Laß plaudern uns im' Schweigen
später Nacht,
'Asanna 1-häligak ja esgar wenä Dein Schöpfer, Blonde, hat mit
bik. Muße dich gebildet.
Näs ibnäs mybtelje wenä bik, Mag lieben wer da will, mich
lassest du nicht ruhn,
Sibih Ges ibtile bil-'Amrije. So machte Leila liebeskrank
Medschnun.
Mosläiuije aus Amara.
3i.
Helak bismak inädünak ja hässün, Sie rufen dich bei deinem Namen,
Schöne,
Sebe' sijäs bil-gydle jehissün. An deren Locken sieben Knechte
strählen.
Erid astl wähäf helak jehissün Ich möchte zu dir stürzen, doch
ich furcht', sie hören mich,
Wähäf icläbkum timbah 'aleje. Und furcht', daß eure Hunde nach
mir bellen.
Buäije aus Mossul 32.
Imdajja' wel-haläwe alfen säml
Mnegl ed-dägga 'as-sadir sämi
Fetelit *ag-Gezira ubahr §ämi
Atäriha bzöwet el-Jüsufije.
Islam X.
Verloren ist sie. Tausend Groschen
Finderlohn
Für die, die ihre Brust mit Malen
zeichnet!
Irak und Syriens Meer' durchirrte
ich.
Gewiß ist sie gar weit in Josefs-
landen (.^)
130
'■Atäbe aus Basfdad,
H. Ritter,
33-
Ja dar el-*izz, rä*ini warä'ic !
Weläni särih bhösic warä'ic.
Se*eltic bin-nebi wer rä'Tc?
Acht mich, du stolzes- Haus, daß
ich dich achte!
Nicht bin dein Hirte ich und
Rindertreiber.
Sprich, beim Propheten sprich,
wo ist dein Herr?
Gidau ja hasreti hadr el-eträb[a]. In Staubes Schoß, o Unglück,
sanken sie.
Desgl. ■ 34-
Irmäni d-dahr wida'ni bijädai Das Schicksal warf mich hin, ließ
mich in Fremder Hand;
El-*agam woltom 'ala hdüdi bi- Die Hände schlag ich schmerzvoll
jädai! vors Gesicht!
Gidau ja hasreti mä dalla bijädai Hinweg sind sie, nichts blieb in
meiner Hand
Siwä 'add es-sawähid bil-enjäb[a]. Als in die Finger mir im Gram
zu beißen.
Desgl. aus Amara. 35.
Von einem, dessen ganzer Stamm vor ihm weggestorben war:
Es hat die Zeit mich gänzlich ab-
geschnitten.
Läßt mich für immer an des Un-
glücks Seite.
Gyta' bija zemäni gat' bettäi
Uhalläni ge'id id-dahr lit-täl.
Rah il-'et, ginna: l-halaf bit-täl,
Räh it-täl wingata' ir-rigä[ba].
Die hohe Palme ging, der Sproß
sollt sie ersetzen,
Es ging der Sproß: Hin sank der
Hoffnung Strahl.
Desgl. 36.
Ein großer Stammesfürst ward einst von einer schweren Krank-
heit heimgesucht. Da fiel sein Haus und Stamm von ihm ab, und
als er von seiner Krankheit genas, fand er sich verlassen und allein.
Nur sein treuer Hund Leo war bei ihm geblieben und hub, als er
das Los seines Herren sah, zu weinen an. Da sprach sein Herr
zu ihm :
Helek sälo 'alä makhül ja Sir, Dein Stamm zog fort, mein Schir,
auf stolzen Rossen,
Wedabbö lak *adäm il-hüt ja Sir. Fischgräten warfen sie dir vor,
mein Schir.
Mesopotamische Studien. j ■? I
Welö tibcl kull id-dam' ja Sir: Und wenn du deine Tränen all
vergössest:
Helek rähö *alä yoms uHamä[ba]. Nach Homs, nach Hama, Schir,
sind sie gezogen.
37-
Als er -weiter seines Weges zog, hörte er bei einem Wehgesang,
wie ihn die Frauen an den Gräbern anstimmen, die Stimme seines
ungetreuen Weibes Dinja. Da sagte er:
Sima*nä bil-ma*äde hiss id-Dinjai, Der Dinja Stimme hörte ich beim
Klagesang,
Cida haddl uhänet bije d-dinjai Es schwand mein Glück, die Welt
(Dinja) ward treulos mir.
Walä had gäl : mescin iddinj jai Nicht einer spricht zu mir : »Du
Armer, komm herbei,
Tigallat *ala 1-fräs min il-eträb[a]. Komm auf das Polster her aus
deinem Staub!«
Desgl. aus Bagdad.] 38.
Ein anderer, dessen Sippe vor ihm gestorben, und der ins Un-
glück geraten war, sprach, mit Trauer der früheren Gastfreiheit seines
Hauses gedenkend:
Hell jähl el-mhammas wel-berigi! Mein Haus, o Haus des braunen
Kaffees und der Kannen!
Ja gahwet gerkum handal birigl! Wie bitter schmeckt, o Schmach,
der Fremden Kaffee mir!
Hell ja gemet el-bihä berigi : Du glichst, mein Haus, blitzenden
Regenwolken :
Gidau hadr et-tegil min el-eträb[a]. Dahin sind sie gegangen unter
schweren Staub.
Desgl. aus Mossul. 39.
*Alä mitl el-ligä jäti-belähum Schildkröten gleich^), so schreiten
ihre Tiere
Seri* wehyss hädihum belähum. Gar schnell, es bannt der Sang
des Treibers sie.
Ana 1-milhif limalgähum belä hum Bei ihnen sein, das ist mein
Sehnen, doch
Jehissün er-rakä'ib 'as-serä[ba]. Sie treiben die Kamele an zur
Reise.
^) Jeder, der einmal eine Kamelkarawane am fernen Horizont hat vorbeiziehen sehen,
wird das Treffende dieses Vergleichs empfinden. Die Langsamkeit ist natürlich nicht
tertium comparationis.
9*
1^2 H. Ritter,
40.
Serat wesret rekä'ibhum-nel-läl Die Karawanen reisten in der
Nacht
Ibzeze mä lahum 'Ina min el-läl. Im Wüstendunst, von keinem Aug'
gesehn.
Ja hädi l-'is mä jubtul min el-läl Der Treiber singt: »Es gibt nur
einen Gott«,
Imsawwas fi guräm el-Mustafä[ba]. Verwirrt in Liebe zu dem Aus-
erwählten.
Anmerkungen.
I. Der Sinn der zweiten Zeile soll sein: Sie ist so schön, daß sie des Schmuckes-
durch neue Kleider nicht bedarf,
4. Vgl. Meissner, II, 98. Ich habe mir als Aussprache dernük notiert, zweifle
aber jetzt, ob das richtig ist. [Z kann vor r leicht zu {Jo werden. L.]
5. Zu wilck in Zeile i vgl. Meissner, Neuar. Gedichte I, 93, Anm. 10. dar =
daß ich sehe, vgl. türk. 4ur baqalym !
6. delläl= Herz, s. Meissner, a. a. O. I, 90, Anm. 3.
fiäd für hed, altes, großes Kamel — vgl. Socin, Diwan aus Centralarabicn^
Glossar s. v. — zu adalihig vgl. hadqa der Augapfel.
7. rab'-a ist die Verwandtschaft und Freundschaft, nezil wird erklärt als gleich
klassisch hai, der Clan, Gruppe mehrerer Zelte, döl = mugiatna^ vgl. Socin, Diw.
Gloss. s. V. "-aba?} = 'a/ö bPan = Wan. [Eher vielleicht aus 'a-bäl-mä »bis, bis daß«
oder ,...0 A£. ^' 'aban »weil«. L.] Er geht nicht an dem Kreis der eigenen Ver-
wandtschaft vorüber, meidet sie, weil seine Geliebte bei einem fremden Stamme ist (?).
8. Dasselbe Gedicht bei Meissner a. a. O., S. 98, ein ähnliches bei Sachau a. a. O..
'■Atäbe X. Man sieht, wie willkürlich mit den Versen umgegangen wird.
9. Vgl. die Fassung bei Sachau a. a. O., S. 36.* ui^xÄc in der letzten Zeile sieht
fast wie eine Sohriftvariante von \£>^t. aus. Zu dem ersten hellei vgl. Sachau a. a. O.,,
S. 35-
11. sinhu l-qadijc etwa: Was ist los?
12. ja rög in Zeile i wurde von meinem Gewährsmann wie in Vers 3 als »o Welle!«
bezeichnet. Das ■ paßt jedoch nicht recht, auch ist die Wiederholung des Wortes mit
demselben Sinn in Zeile 3 unwahrscheinlich, mä arög nach dem räwT »bevor ich reif,
bereit werde«.
13. Zu sufa vgl. Meissner a. a. O., S. 97, Anm. 15. saßan = sich unnütz
umhertreiben.
14. Der Plural bezieht sich auf eine Person, ebenso 16 usw.
15. teselle^ tesille in Zeile i von sll, Zeile 2 von sP (du läßt im Feuer schmelzen),.
in Zeile 3 von slw,
16. Das erste selöni von siw, das zweite von s? (so wohl auch bei Daiman a. a. O.,.
S. 69, wo doch wohl etwa salöni statt sälüni zu lesen) usellöni und alläh jesillhunt
von asalla.
17. Eine etwas andere Fassung bei Meissner, II, S. 104 und Dalman, S. 7.
tahahbar erklärte der räivi mit /asad, schlimm werden. Vielleicht: Sie schmückte =
versah sich mit Nadelstichen (? f).
k
Mesopotamische Studien. 1^3
i8. fyazzan nach Meissner, I, S. 92, Anm. 3, intransitiv übersetzt. Der rärtrt
•erklärte durch /assad. Zu /emm vgl. kmlem Meissner, II, S. 106, Anm. 16.
19. Wörtlich: der Ölbaum und der Aräkbaum (von dem der Miswäk stammt)
weläräk = welä aräk.
20. Vgl. Sure 95, I. Heide und Jude sind das Bild für die unbarmherzigen Eltern
der Geliebten.
21,1 Sure 6.
22. wabra in der ersten Zeile = wahara'a, Sure 9; in der zweiten Zeile das in
Bagdad wabrlje genannte Stirntuch der Frauen, ^vabra in der dritten Zeile = wa'ahra
ich blicke.
23. zirr als Schenkelknochen erklärt. Vgl. Socin, Diwan, s. v. zur.
24. ^jsr = Armring.
25. Was ein Seimanreifen ist, wußte der ;-«te/F nicht. [Vgl. Lane I I4i5(?). L.] Das
Grab Selman Paks unweit Ktesiphon ist durch den Sieg Oberst Nureddins über die
Engländer am 22. November 19 15 auch in Deutschland bekannt geworden. Der Ehren-
name Alis: dä/n l-abwäb, bezieht sich angeblich auf seine Verdienste bei der Belagerung
von Chaibar.
26. Dasselbe Gedicht, Meissner, II, S. 112. Mein Gewährsmann behauptete, das
erste wciwci sei Name eines Orts, der durch Apfel berühmt sei, oder Ausruf der Ver-
wunderung, das zweite sei gleich ^vagzvag = ista''al sich entzünden. Der Sinn der zweiten
Zeile ist nicht recht klar. Ich hatte zuerst übersetzt: In meinem Herzen lodern Fackeln dir (?).
27. mfa7-7-a'- = käsif er-räs, vgl. Socin, Diwan, Glossar s. v. gedtle = als Zopf
erklärt. Nach Socin, Diwan, Glossar s. v. eine lang herabhängende Locke. zTdT von
mir eingesetzt für das zidü des räwlQ). weggedT ie = waqqidT Iah. Die 2. p. s. fem. kommt
freilich sonst in den Liedern nicht vor.
28. dälie ist ein flaches Wasserbecken, in das das Wasser vom Schöpfwerk läuft.
Dort holen die Mädchen Wasser, dawäli in der zweiten Zeile wörtlich: herabhängend.
29. mäsm a'-näk = miiwassim ^enek.
30. hid''at el-lcil der zweite, dunkle und ruhige Teil der Nacht. wenä bik
= td'annä bifialqik.
31. Das groteske Bild ist im Deutschen kaum wiederzugeben: »An deren Mähne
sieben Pferdeknechte striegeln«. Für arabisches Empfinden ist der Vergleich mit der
Mähne eines edlen Pferdes nicht befremdend. Vgl. jedoch Socin, Diwan. Glossar s. v.
32. samt = beslik ■= 10 Piaster, säme = Tättowiermal. atärihä wurde erklärt als:
la ^allahä, vgl. jedoch SociN, Diwan s. v. [Es bedeutet »in Wirklichkeit«, »daist ernun«. L.]
zöwet von zäioija. Was mit der zöwet il-Jüsuftje gemeint ist, wußte mein Gewährs-
mann nicht zu sagen, gemeint ist vielleicht Egypten [oder irgendeine zäiuijat Jüsuf in
der Nähe von Mossul, vielleicht der Kanal Jüsu/Tjc in Babylonien L.]. Dann würde
der Sänger die Geliebte nach langem vergeblichen Suchen in der Nähe der Heimat
gefunden haben.
33. Der Gedankengang ist reichlich unklar. Zu gtdau = weggehen vgl.
Meissner, I, S. 90, Anm. 4.
34. Die Situation ist wohl die, daß der Sänger in fremde Gefangenschaft geraten
ist. Die 'agam = Perser?
35. iTl-täl = lif-tälT bis zum Ende.
36. lö tibcJ ist zu kurz, vielleicht ibcet ^ zu lesen.'
37. cida = kadä, steril werden, erschöpft werden vom Boden, jai im zweiten Vers =
^äi, her! Zu tigallat vgl. Socin, Diwan, Glossar s. v.
40. zeze = Wüste, läl — Nebel, el-läl Z. 3 = lä tläha illa lläh.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Die älteste türkische Urkunde des deutsch-osmanischen
Staatsverkehrs.
(Mit einer Lichtdruck-Beilage.)
Die Bayerische Staatsbibliothek zu München verwahrt unter ihren an belangvollen
Stücken ziemlich reichen morgenländischen Handschriftenbeständen ein noch nicht ver-
öffentlichtes Schreiben des allmächdgen Großwesirs Ibrahim Pascha (f 15. 3. 1536)^
an König Ferdinand I., das, am 17. November 1530 ausgefertigt, die älteste bislang
bekannte türkische Urkunde des deutsch-osmanischen Staatsverkehrs darstellen dürfte.
Frühere türkische diplomatische Schriftstücke sind, soweit ich wenigstens zu urteilen
vermag, in der Ursprache nicht näher bekannt geworden, geschweige denn durch Druck
allgemein zugänglich gemacht worden. Das von dem der Wissenschaft allzufrüh ent-
rissenen Emerich V. Karacson (1863— 191 i) aus Stambuler Archiven gesammelte, ins
Ungarische übersetzte und aus seinem Nachlaß von Ludwig v. ThallÖczy (f), Joh,
Krcsma'rik und Julius Szekfü 1914 zu Budapest herausgegebene t> Türkisch-ungarische
Archiv IJSS — ^7^9«*) wird durch einschreiben des nämlichen Ibrahim Pascha an
Kaiser Karl V. vom l. Du'1-hidschdsche 939 h (= 24. Juni 1533 D), dessen Urstück
die Bücherei der 'Abd ül-hamid-Türbe zu Stambul besitzt, eingeleitet und das älteste,
im 3. Bande des von Aaron Szilady und Alexander Szilagyi (1827 — 1899)
bearbeiteten -»Török-magyarkori dllam-okmänyiär«. (i. Abtg.: Aktenstücke, Pest, 1868)
enthaltene Schriftstück in türkischer Sprache rührt gar erst vom 27. Sept. 1540. Solange
die kostbaren Schätze der Wiener Archive, die vermutlich ältere Urkunden bergenS), nicht
gehoben werden, muß wohl der hier behandelte Brief als das früheste türkische Zeugnis
I) Vgl. über ihn das freilich ohne jegliche Ausbeutung der türkischen Quellen ge-
schriebene Buch von Hester Donaldson Jenkins »Ibrahim Pasha Grand Vizir of
Suleiman the Magnißcent«, New York, 191 1 (123 Seiten) in den »Columbia University
Studies in history, economics and public law«.
») Török-magyar Okleveltär 1533 — 1789. A Konsta?itinäpolyi levcltärakban gyüj^
tötie es fiiagyarra forditotta nchai KaraCSON Ihre. A Magyar Kir. Miniszterelnökseg
megbizdsdbol sserkeszteitck Thallo'czy Lajos, Krcsma'rik Janos. Szekfü Gyula. Buda-
pest, 19 14. 416 Seiten.
3) Die älteste türkische Originalurkunde des Wiener Haus-, Hof- und Staats-Archi ves
stammt, wie ich einer frdl. Mitteilung des Hrn. Ministerialrates Dr. Oskar Frhn. v. Mitis
entnehmen kann, aus dem Jahr 1536 und stellt ein Schreiben Sülejmän's I. an
König Ferdinand I. dar.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. I35
der deutsch-osmanischen Diplomatie gelten'). Das Schreiben an sich ist, seinem Inhalte
nach wenigstens, keineswegs unbekannt geblieben-). Denn schon der überaus rührige
Wiener Hofarchivar Anton v. Gevay (1796— 1845), dem wir auch die hübsche, durch .
G. Jacob's Forschungen freilich überholte Arbeit über die osmanischen Statthalter von Ofen
{A Budai pasäk. Becsben [= zu Wien], 1841, 8°, Privatdruck) verdanken, hat in seinen mit
erstaunlichem Fleiß gesammelten -»Urkunden und Aktenstücken zur Geschichte der Ver-
hältnisse zwischen Österreich, Ungern und der Pforte im XVI. U7id XVII. Jahr-
hunderten, und zwar in dem, 1838 zu Wien erschienenen, die »Gesandtschaft König
Ferdinands I. an Sultan Suleiman I. /jjo« 'betreffenden .Hefte auf S. 92—95 zwei
Übersetzungen des Ibrähimschen Briefes (im Geh. Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu
Wien) abdrucken lassen. Diese beiden für Kaiser Karl V. gefertigten Übersetzungen
weichen unter sich schon wesentlich im Wortlaut ab 3); die italienische verdient den
Vorzug vor der lateinischen, so daß auch von ihr die Beurteilung »mas autentico que el
primero« des Grafen L. v. Nogarola (vgl. A, v. Gevay, a. a. O., S. 91) gilt. Mit dem
Urstücke verglichen sind indessen beide nicht viel mehr als dürre Inhaltsangaben des
ersten. In richtiger Erkenntnis dieser Tatsachen trug sich der treffliche, halbvergessene
Münchener Orientalist Markus Josef Müiler (1809 — 1874) mit der Absicht, diese türki-
1) Auch der Nischändschi FeridÜn Ahmed Bej (f 1583) führt den Brief in der
mir vorliegenden Erstausgabe seiner •»Miinschd'ät es-seläßn« (Stambul, 1264/65 h =
1848/49 D) nicht an. Für die Beziehungen der Pforte zu Frankreich liegen noch
frühere und, wie es scheint, bislang nicht näher untersuchte ürkundenbelege vor. So
haben sich drei Staatsschreiben Sultan Sülejmäns I. an König Franz I. erhalten, nämlich
I. ein Fermän v. J. 1526 auf der Bibliotheque Nationale zu Paris (von [J. B.] Silvestre
im I. Foliobande seiner »Faleographie Ujiiv er seile«., Paris, 1839, auf Tafel Nr. 38 als
»Fragment de la lettre de Sultan Soliman ä Frangois Jer, Roi de France« leider nur
teilweise, aber prächtig wiedergegeben); 2. ein Fermän v. J. 1528 in den Archives
Nationales zu Paris; 3. ein Fermän (o. J.?) auf der Stadtbücherei in Carpentras, Süd-
frankreich. Vgl. die Mitteilung J. T. Reinauds an J. v. Hammer in dessen G. d. 0. R.,
IX. Bd., S. 689.
2) Es ist nirgends ersichtlich, auf welchem Wege die alte Münchener Hofbibliothek
in den Besitz der Urkunde gelangte. Vermutlich hat ein bayrischer Soldat während der
Türkenkriege, etwa in Ungarn, die Rolle erbeutet und in seine Heimat gebracht. Auf
diese Weise kam eine ganze Reihe sonstiger türkischer Merkwürdigkeiten nach München,
denen Josef v. Hammer als erster und bisher wohl einziger nähere Aufmerksamkeit
zuwandte (vgl. G. d. 0. R. VII, 5616'.). Das großwesirliche Schreiben scheint dabei frei-
lich seiner Beachtung entgangen zu sein; sonst suchte man es wahrscheinlich im -äVer-
zeichnis von 4000 osnianischcn Staats- und Geschäftsschreiben, Diplomen und anderen
Urkunden^, das er dem IV. Bande seiner »Geschichte des ostnatiischen Reiches«. (Pest,
1833) beigegeben hat, nicht vergeblich.
3) Die kaiserlichen Hofdolmetschen jener Tage scheinen nicht alle sich auf ihr
schwieriges Geschäft verstanden zu haben und mögen oft froh gewesen sein, wenn man
von ihnen nicht mehr als bloße Angaben des Inhalts verlangte. Köstlich ist z. B. die
Stelle »Ahuuiecker, Veomer Veosman, Hasarcthehaalij« in der lateinischen Übertragung
eines Schreibens Sülejmäns an Ferdinand I. (vgl. A. v. Ge'vay. a. a. O., S. 89),
wo im Urtext natürlich die übliche Aufzählung der vier ersten Khalifen in der Form
»'Ebübekr we *Ömer we 'Osmän we hazret-i-«Ali« gestanden haben dürfte. Über die
großen Schwierigkeiten, damals des Türkischen kundige Dolmetschen zu finden, vgl.
man A. v. Gevay, a. a. O., S. 4.
I ^ö Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
sehe Urkunde zu bearbeiten und in einer Verdeutschung herauszugeben. Sein Plan blieb
leider unverwirklicht und nur seine Aufzeichnungen haben sich als cod. turc. 123 der
Bayrischen Staatsbibliothek zu München bis auf die Gegenwart erhalten '). Es ist eine
Pflicht der Dankbarkeit, wenn hier die Vorarbeit M. J. Müllers, der als erster auf die
bedeutsame Handschrift aufmerksam ward und weitere Kreise auf sie hinlenken wollte,
zu verdienten Ehren gebracht wird.
Was nun die Urkunde selbst betrifft-), so handelt es sich um eine 2,95 m lange,
0,34 m breite, aus mehreren Stücken zusammengefügte papierne Rolle. Die herkömm-
liche Lobpreisung Gottes am Kopfe des Schreibens sowie die vierzeilige Segensformel
sind in großen goldnen Buchstaben, die erste in dscheli diwäni, die zweite in sülüs
abgefaßt. Dem Rang entsprechend sind die Namen des Sultans und des Großwesirs
in Buchstaben von verschiedener Größe, und zwar — einschließlich des großwesirlichen
Handzeichens (pendscke) — mit blauer, die übrigen 26 je 7,5 cm voneinander abstehen-
den, säbelförmig ausgehenden Zeilen aber mit schwarzer Tinte in der üblichen .türkischen
Kanzleischrift geschrieben und nur dort von Goldbuchstaben unterbrochen, wo der Name
Allahs auftritt.
Beim Handzeichen 3) des Ibrahim Pascha handelt es sich hier offenbar um
jene schon von Jos. v. Hammer erwähnte {Gesch. des osm. Reiches. VII, 266) Fertigung,
der der Großwesir bei Schreiben an Kaiser Karl V. und dessen Bruder den stolzen
Titel »Inhaber der Hochzeit« (sähib es-sür) beizusetzen pflegte. Eine Wiedergabe gerade
dieser Fassung sowie des Siegels finde ich übrigens in J. v. Hammers Schrift »IViens
erste atifgehobene iilrkische Belagerung«. (Pest, 1829) auf S. 172 und S. i74^)- J- H.
Mordtmann schreibt mir dazu folgendes: »Ich erkenne mit Sicherheit
0 Vgl- Jos. AuMER, Vc7-z. der or. Hss. der K. Hof- und Staatsbibliothek in
München. München, 1875, S. 37 (»Cod. turc. 122«).
2) An dieser Stelle mag gleich ein häufig zu treffender Irrtum beseitigt werden.
Die sog. Tughrä ist ein ausschließliches Vorrecht der Sultane; die dem großwesir-
lichen Namenszeichen nachgebildete Handfeste der Großwesire sowie der Khane
der Krim wird daher niemals »tughrä« sondern stets »pendsche« {K^\kS) genannt. Der
»tughräkesch« (Tughräzieher), hin und wieder auch »tughrä-nüwls« (Tughrämaler) ge-
heißen, bezeichnet den Beamten, der die kaiserliche Handfeste auf die Urkunden setzt.
Er ist der Gehilfe und Dienst verweser des sog. »nischändschi baschi«, des Staatssekretärs
für den Namenszug des Sultans (»nischän [-i humäjün]« ist, wie das arab."tewqi* \%.*.iy'^
d. i. Fällung, davon der -.*>^j] das pers. Wechselwort für türk. tughrä ; daher der Aus-
druck »nischändschi«. Vgl. zum Amt des tughräkesch J. v. HammeRs »Des osmanischen
Reiches Staatsvcrfasstmg«, 2. Bd., S. 115, 133, Wien, 18 15). Die Obliegenheiten des
»tughräkesch« bestanden noch bis vor kurzem auf der Hohen .Pforte, vielleicht auch
jetzt noch, obwohl die Tughrä auf den meisten Schriftstücken, z. B. auf den Ordens-
briefen rein maschinenmäßig hergestellt zu werden pflegt. Somit ist auch Ewlijä
Tschelebi's Sijähetnäme, VI, 227 (vgl. dazu Islam, VIT, 270) so zu verstehen, daß der
spätere Ofener Statthalter Ismä'il Pascha vorher einmal das Amt des »tughräkesch«
innehatte. »Tughräführend«, »tughräbcrechtigt« möchte ich mit ».sähib-i tughrä« im
Türkischen wiedergeben.
3) Pendsche und Siegelabdruck entnahm Jos. v. HammEr dem Schreiben des
Großwesirs Ibrahim an König Ferdinand I. vom 26. Sept. 1532 (im V/iener Staats-
archiv), das übrigens a. a. O. S. 173 als »das älteste Stück osmanischer Staatsschreiben
in dem kaiserlichen Haus- und Staatsarchive« (trotz seiner italienischen Fassung) be-
zeichnet wird.
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Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 137
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alles andere ist zweifelhaft, d. h. mehrdeutig. Aus den obigen Buchstaben habe ich
das bekannte , «.aw.]! v_^:>-a5 zusammengesetzt und denke, daß dies paläographisch
möglich ist. Im oberen Teil der Handfeste dürfte /*^^^' stecken, was ich auch er-
kennen zu können glaube. Dann ^^bliebe noch das « neben dem Laö von k^:>LA3
sowie die drei Unterscheidungspunkte, die im Kopfe der pendsche stecken und die ich
nicht unterzubringen vermag. Das führte mich auf eine zweite Deutung: ^_a.^>L-o
8,«^Ci-«.il. also etwa der »Geheimrat«
5 j^.>A»~«.J
Gegenüber dem »sähib el-meschwere« möchte ich dem geschichtlichen »sähilj
es-sür«i) den unbedingten Vorzug geben, vermag allerdings die drei Punkte (. •.) auch
nicht einzureihen.
Der Abdruck des großwesirlichen Siegels ist leider nicht nur in der vorliegenden
Wiedergabe, sondern auch auf der Urkunde selbst undeutlich und nahezu unleserlich
geraten. Doch handelt es sich bei der Inschrift zweifellos um den nämlichen Wortlaut,
den Jos. v. Hammer in seinem Buche » Wims erste aufgehobene türkische Belagerung«.
(Pest, 1829) auf S. 42, I. Anm., gebracht hat») und der mit der S. 174 am Ende der
Schrift befindlichen Abbildung des Siegels genau übereinstimmt. Danach lautet die
persische Inschrift :
^-Jixj »^j x^ *-'^-^^ '^j^ r^"-^ jTT^
Tos. v. Hammer verdeutscht sie a. a. O. S. 42 [wiederholt in der »Ab/iandlung
über die Siegel der Araber, Perser und Türken<i. (Denkschriften der Kaiserl. Akademie
der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., I. Bd., Wien, 1850) S. 13] also:
»Durch Liebe zum Prophetensiegel such' ich Ehr' und Ziem,
Von ganzer Seel' der Sklav' Sultans Suleiman Schah's Ibrahim.«
Ich möchte folgende Umschrift und Verdeutschung der Inschrift vorschlagen:
bä-mihr-i hätäm-i nubuwwät3) dschustäm ki ziräh-i4) ta'zim
bändä äz dschän-i sultän Sulejmän schäh Ibrahim.
>) Ich möchte, und zwar aus diplomatischen Erwägungen, mit izäfet-Verbindung
hier »sähib-i sür« lesen. — Vgl. über izäfet bei sähib Zenker, II, 559a, was im Os-
manischen nicht für die ältere Zeit gelten kann.
2) Der Seltsamkeit halber sei darauf hingewiesen, daß sich sowohl pendsche wie
Siegelabdruck des Großwesirs bereits in des Nürnberger Bürgers Nikolaus Meldeman
seltener Schrift »IVahrhafftige Handlung: Wie und weichermaßen der Türk die stat
Ofen und Wien belagert. . . .« (o. O., 1530) am Rande, freilich sehr schlecht geraten,
abgebildet findet.
3) Mit dem Ausdruck »Siegel der Prophetenschaft« = hätäm-i nubuwwät (vgl. dazu
den redschez bei Jäqüt III, S. f"f"., 6. Zeile) kann sowohl das in verschiedener Gestalt
(z. B. taubeneiförmig) geschilderte Muttermal, das Muhammed nach muslimischer Über-
lieferung bekannüich zwischen den Schultern trug (vgl. z. B. Ibn Sa'd, Tabaqät, I, II.
|t*'i_|i*'r; Ibn Hischäm, Strat rasül allah MI, 3. Z. v. u.; Nawawi, Biogr.
Dict. of illustr. men, ed. by F. Wüstenfeld, S. i**!^, 6. Z.), wie überhaupt der Prophet
selbst gemeint sein, der, im Anschluß an Koran XXXIII, 40, sehr häufig als »Siegel
j ^8 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
D. i. etwa: »Durch Liebe zum Siegel der Prophetenschaft, das da ist der Panzer
der Ehrerbietung, suchte ich, Ibrahim, aus voller Seele der Knecht des Sultans und Königs
Sülejmän.« Es hat den Anschein, als ob mehrere Silben (Satzziel 1), vor allem in
der zweiten Verszeile, ausgefallen seien.
Während in anderen raorgenländischen Siegeln das dort ungemein häufige Wort
»bändä« sich einzig und allein auf Allah bezieht, wird es also hier auf Sülejmän be-
zogen, als dessen »Diener von (ganzer) Seele« sich der Großwesir in seinem Siegel
bezeichnet.
Die Kenntnis der im Schreiben berührten geschichtlichen Vorgänge erfährt durch
dieses selbst keine sonderliche Bereicherung. Sie sind von Josef v. Hammer im 3. Bande
seiner -»Geschichte des osmanischen Reiches«: auf Seite loi bis 105 eingehend und bis heute
unübertroffen dargestellt worden. Zur allgemeinen Übersicht sei daher an diesem Orte
nur soviel wiederholt, daß die beiden Botschafter des Königs Ferdinand L, nämlich
Josef Ritter (später Graf) v. Lamberg zu Schneeberg (1489 — 1554) sowie Niklas
JuRisCHiTZ, Ritter und Erbkämmerer in Kroatien und Hauptmann zu Sankt Veit und
Güns'), die Anfangs August 1530 von Augsburg mit einem aus 24 Personen bestehenden
Gefolge ^) nach Konstantinopel auszogen, um dem Großherrn die Bitte ihres Königs um
Waffenruhe und um Wiedereinsetzung in die ungarische Königswürde zu übermitteln,
unveiTichteter Dinge das Goldne Hörn verlassen mußten; am 25. und 31. Oktober waren
sie vom Großwesir Ibrählm Pascha, am 7. und 15. November vom Großherrn selbst
empfangen worden, ohne auch nur einen Bruchteil der königlichen Wünsche durchzu-
setzen. Als Antwort erhielt dann Ferdinand I. sowohl einen, lediglich in zwei (von
A. V. Gevay, a. a. O., S. 89 — 92 veröffentlichten) Übertragungen bekannt gewordenen
Brief des Sultans Sülejmän vom 17. November 1530 (Ende Rebi* I 937 h)3) sowie
(d. i. die Reihe schließender, letzter) der Propheten« (l>j>J^) *J'Lp» bzw. ^jyKjJJ) *j"l.?>;
(vgl. Sure 33, 40: ..wijjj^jJ! *j'Ls>») bezeichnet wird. Es scheint fast, als ob durch
eine sinnliche Auffassung des figürlichen Koran-Ausdruckes sich bei den Muslimen die Sage,
daß der Prophet das »Siegel der Glaubensboten« leiblich getragen habe, gebildet hat. Vgl.
dazu Subhi Pascha im 7. Jahrg. der Revue Historique (Stambul 1332/19 16), Nr. 42.
4) Etwa = zirähi auf dem Wege?
*) Niklas Jurischitz hat später Güns heldenmütig gegen die türkischen Angriffe
verteidigt und starb um 1540. Vgl. Pater Martin Rosenacks Schrift: y>Di£ Belagerung
der Kgl. Freystadt Güns i. J. 1332«, Wien, 1789, S. 11. — Über Jos. v. Lamberg
unterrichtet am besten sein in Jon. Weikhard v. Valvasors y>Die Ehre des Herzog-
thums Crain«, Laybach, 1689, fol. enthaltenes gereimtes Selbstleben.
-) Darunter befand sich auch als lateinischer Dolmetsch der Wende Benedikt
Kuripesic (»CuRiPESCHiTZ«) aus Obernburg, dem wir eine höchst seltene Be-
schreibung der ganzen Botschaftsreise verdanken. Sie erschien MDXXXI o. O. unter
dem Titel -»Itinerarium Wegrayß kti: May. potschafft gen Constantinopel zu dem türcki-
schen Kayser Soleyman A?ino XXX«. und besteht aus 32 ungezählten Quartblättern mit
zehn Holzschnitten. Die Wiener Hofbibliothek besitzt davon zwei, lediglich in der
Rechtschreibung verschiedene Drucke unter der Standnummer 48. S. 1 1 und 48. S. 11 a.
(Frdl. Mitteilung des Direktorats der Hofbibliothek zu Wien.) — Vgl. dazu Konst.
Josef Jirecek, Die Heerstraße vo7i Belgrad nach Konstantinopel, Prag, 1877, S. 118,
10. Anm. — Die Reisebeschreibung des Benedikt Kuripesic wurde »aus einer gleich-
zeitigen Handschrift« von Eleonore Gräfin v. Lamberg-Schwarzenberg 19 ig zu Inns-
bruck neu und sehr gut herausgegeben (83 S., gr. 8°). — Vgl. dazu OLZ, 1911,
Sp. 485 ff. (C. F. Seybold).
3) Vgl. dazu S. 146, Anm. i.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. I39
das hier behandelte Schreiben seines Günstlings I b r ä h I m mit dem gleichen Aus-
fertigungstag und fast dem nämlichen Inhalt. Lassen wir aber nunmehr den Großwesir
selbst zu Worte kommen !
Urtext:
1) Bekanntlich soll jedes Schriftstück mit der ^Lt->^ oder der i(.JiA.*.^» oder mit
beiden zugleich anheben. Viele Schreiber erweitern solche Formeln häufig durch die
Erwähnung von Beinamen Gottes und andern lobpreisenden Ausdrücken, zu denen auch
dieser in Reimprosa abgefaßte Spruch gehört: »Die Erwähnung Gottes ist die erhabenste
und die zur Vorausschickung am meisten berechtigte.« Vgl. dazu Koran 33, 41.
2) Die Wendung idJS o-Jlc findet sich, meist als l^'Ä^tSS i5^^' "Qg^^^iri häufig
in islamischen Bauinschriften, wofür Max van Berchems y>Matcriatix pour nn Corpus
Inscriptionum Arabicartwm eine Fülle von Beispielen bieten (vgl. z. B. im I. Bd. (Paris,
1900), S. 30, 54, 56, 63, 68, 69, 74, 638, 699, 717, 753; im III. Bd. (Kairo, 1910).
S. 28. In dieser letzten Inschrift v. J. 670^ folgt die Formel auf den Namen des
Herrschers und hat den Sinn »sein Wort möge erhöht werden!«, wobei diesem eine
besondere Kraft und Wirksamkeit gewünscht wird.. Der Zusatz üJL^^ macht diese
Deutung völlig sicher). Ist von Gott die Rede und wird »M\ ä.4.1^ anläßlich des
dschihäd erwähnt, so denkt man gewöhnlich an Koran 9, 40: LaA^i ^^ *«>J) '*-*>*^».
So heißt es oft, das einzige Ziel des Glaubenskrieges sei xÜ! K^Jj i^fc) oder ^.^yS^
lJLxJ! -55 *JÜ! In-JlT usw. (^^15"= ^^J^). Vgl.z. B. J. H. MoRDTMANN in Byzant.
Zs., XXI. Bd. (191 2) in der auszugsweisen Übersetzung der von ihm entdeckten Urkunde
des Qara Mustafa Pascha sowie Islam, VII. Bd. (1917) S. 282, wo Gg. Jacob den
vollständigen Urtext und eine ausführlichere Verdeutschung dieses Schriftstückes gibt:
3) Für das gewähltere pers. ^^jji.Lj J-^ (cähär jär-i güzln) d. i. »die vier aus-
erwählten Freunde«. — dUjLj etwa ein Versehen des mümejjiz {y*^*^) für das genauere
i;>)o).Lj, mithin »der vier Gefährten«?
j^O Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
^♦.liiw iOC«» vfJw«!/!» ^i^JL5>^ d^^'wi;» ii)w4^c» ti)uL>^UjöU ii)JLÄ>w,iJjjJ »
^.jpyJ c-i>-^3 ^iLLjLj ^^>o^^3. d^*J3 1^)0 -£• ,IjO L^lS' d)«.ÄJ-i:' (_wvAs», (3)
(Siegelabdruck und pendsche des Großwesirs.)
') Statt des zunächst zu erwartenden ,.jLsU5> steht in der Urkunde ganz deutlich
,.,wPj zu lesen. Den Ausdruck »burhän-i hawäqin« finde ich nun sowohl im Ferman des
Sultans Sülejmän I. an König Ffanz I. von Frankreich a. d. J. 1526, den [J. B.] Silvestre
im I. Bande seiner yt> Paleographie universelle«. (Paris, 1839) wiedergegeben hat. wie auch
im Text des türkisch-venedigischen Friedensvertrages vom 2. Oktober 1540, den Luigi
BoNELLi im 2. Bd. des y> Centenario dclla nascita di Michclc Amari« (Palermo 1910)
unter dem Titel »II trattato turco-veneto del 1540« veröffentlichte. Während L. Bonelli
a. a. O. S. 335 ihn ohne Bedenken mit »prova dei Häqän« übersetzt, also »burhän« in
der jetzigen Bedeutung »Beweis« nimmt, möchte ich die ursprünglichere, nämlich »Licht,
Erleuchtung« vorschlagen. Diese Bedeutung findet sich freilich, seitdem Muhammed
(nach Th. Nöldekes Meinung) das Wort aus dem Äth. ins Arabische eingeführt hat,
in der späteren Zeit nicht mehr, wenn man etwa nicht mit Th. Nöldeke in Sure 12,
24 (vgl. 4, 21; 23, 117) das »burhän« mit »Licht«, »Erleuchtung« übersetzen will.
(Vgl. dazu Th. Nöldekes, '»Neue Beiträge zur semitischen Sp7'achwissenschaft<ii, Straß-
burg, 1910, S. 58 — -59.) — Herr Geh. Hofrat Prof. Dr. Aug. Fischer schreibt mir dazu
noch, »daß im*-^ J im Arabischen, Persischen, und Türkischen immer nur »Beweis, An-
zeichen, Zeichen« besagt. Gelegentlich entwickelt sich aber daraus die Bedeutung
»Wunder« (eigentlich Beweis der überirdischen Kräfte eines Propheten. Heiligen usw.);
vgl. z. B. Abu '1-Mahäsin, Annales, hrsg. von T. G. J. Juynboll, I, S. oil, 3 v. u. :
,M*-^->-55»i CjLsJsJ! K>J>ljo und so möchte ich ,.Y>.il»~> ,.,'-^-J in der türkischen Ur-
künde mit »Wunder der Chäqäne« oder ähnlich übertragen.«
*) Sehr beachtenswerte Form statt der jetzt üblichen Schreibung io.iAÄJi ^j.
J. H. MoRDTMANN bemerkt dazu: »Seitdem ich meinen Artikel in der Enzyklopädie des
Islam [I, 1000 — looi] über das Herrscherhaus der Du'1-Qadrije schrieb, bin ich zur
Überzeugung gekommen, daß ».j.O'JiJuö, wie der Name in den älteren Texten und auch
in Inschriften lautet, die arabische Form eines turkmenischen Eigennamens darstellt.
Die Byzantiner schrieben 'To'jpxa-T/p>ao£;, was dem Ursprünglichen wohl am nächsten
kommt. Ähnlich haben die Danischmend-oghlu aus Dänün (griech. AavoivTjs)
...»JLb, /'^ »^5 ^*3 und aus Danischkän (griech. TavtazctvTj;) i-\Ä.*><ixi)J> Dänischmend
gemacht.«
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. lAi
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^Js^^! ^-Plb j^.jL^ij J.Ü ^^,O^ÄA«>».^ J j^xi' 0^y>\ ^^J*> (3»;i-^J ^j^J^
») iik4.Ä-)! (ji3.*j5 ij>.^0 = »s'ingerer et troublei« nach Kieffer-Bianchi», I, 8i6.
3) »J^j = aJ.j. 4) ^-Jl = e^l.
/ , ..... , ... / J
j^2 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
OjJIj! tj^^Li-l^ »i:/^jjj-*.£i oi3;C uJj^cX.jji' (.J>! *.<uJiÜL;o*! j^äJ^o »Aäjlw
, c;.Jlj-a12»> i*.PL;;olj üJLjJjc^^ «i)Jui.! , ^^-^«^3
yC^c ^JLiJI Jos jjl\X>^JU^^ i^JlsuJ)*-/^ ,.0L idj! iü.-^ '^J^-Ji Vj-i^H^ ^^
«.raJs-XSj xj.?3 8-\JL/8j h^.^ *.aL1 ^l^LUiJwj v_Jj.Ai.jt ^•i^
JiuJüi ci^ro N^*Ji o-?-"^ ^^"Hj^ \äXU» iü/> V3^' ^^-^^ y^-^ iVV
J;U:=^I V>^3' g^» ^tL5>T^^^^ 3^-^ ^^ U-^/j' J^j'3 (20)
I) Vgl. dazu den zuerst vom Seldschuqenfürsten Toghrulbeg geführten, vom Kha-
lifen Al-Qä'im bi'amrilläh ihm verliehenen jTitel ^J^» ^y^ (j^jt^^^ pLuL« bei
J. V. Hammer, Gesch. des osm. Reiches, I, 10; Gust. Weil, Gesch. der Chalifen, III, 99
(Mannheim 1851).
a) ,jo = -j Erde, zum ganzen Ausdruck vgl. diese Zeitschrift, VII, Bd., S. 281
2. Anm.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. I^^
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ü^Li^^JljL« ci^ii: w''lä:> xXJ^:;^- 15"^^ 7** 3_?-h'^;^5
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O»^ sjs-olj .JÜuX.j5 v_^JLb tiU.ÄAv»0
^_^ . . ^ .. . ^
^j*3Jü( Ljj j^4r^ dUL^ v*-ili2 ^Ju,Jlj.Ai2> j.4iPL^oLj _jJj^i»o (25)
^ ^ (^ ) > ^^ ^ •• ;^ ) • • *^-'^ • > • • Lr'
1) Für ^w,Jvji.
2) Für dL^üX^i oder ^"ll^J. Die gewöhnliche Schlußformel der großherrlichen
Schreiben. Vgl. J. v. Hammer, GescA. des osm. Reiches, III. Bd., S. 731, Anm. f zu S. 324.
3) Über den Unterschied von Xa4.^<uJ! und Nw«^,j>U.if vgl. J. H. Mordtmanns
Bemerkung in ZDMG., LXVIII, 141 sowie Islam VII. 17S.
IAA Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Verdeutschung:
Die Anrufung Gottes ist das Vorzüglichste, mit ihr zu beginnen recht und würdig 1
»Ich, der ich Ibrahim Pascha bin [B, 4. Z. Mitte], des Sultans Schah Sülej-
män Khan, [zwischen A und B] durch die Gnade des Gottes der Macht —
Seine Kraft ist mächtig und erhaben Sein Wort! — [A, i. Z. Anf,] und durch
die segensreichen Wunder Muhammeds des Auserwählten, der Sonne am Firmamente
der Prophetenschaft, des Sternes im Himmelszeichen des höchsten Adels, des Führers
der Schar der Propheten und Leiters des Heeres der Auserwählten — Gott segne und
grüße ihn ! — [A, i. Z. Ende bis 3. Z. Anf.] und mit dem Beistande seiner vier Ge-
fährten, als da sind Ebübekr, 'Ömer, 'Osmän und 'Ali — möge Gottes Wohlgefallen
auf ihnen allen ruhen 1 — mit ihrem Beistand und mit dem Beistand der geweihten
Geister sämtlicher Heiligen, [A, 3. Z. Schluß bis 4. Z. Ende] Sultans der Sultane, Wunder
(Leuchte?) der Khakäne, der die Kronen verleiht den Khosroen des Landes, des Schattens
Gottes auf Erden, [B, 3. Z. Anf.] des Herrschers und Padischahs über das Weiße Meer
und über das Schwarze Meer, über Rumelien und Anatolien'), über Karaman und Rum,
und das Land Dulkadirlje, und Dijarbekr und Kurdistan und Aserbeidschan und Persien
und Syrien und Aleppo und Ägypten und Mekka, das verehrungswürdige, und Medina,
das gesegnete, über Jerusalem, das heilige, über ganz Arabien und Jemen, über das
Tatarenland und über noch manche Reiche [B, i. Z. Schi, bis 3. Z. Schi.] — sein
Khalifat währe ewiglich ! — [B, 4. Z. Anf.] Großwesir und von seilen Seiner Groß-
herrlichkeit in den erwähnten Reichen insgesamt oberster Heerführer [B, 4. Z. Ende].^)
Ihr, der Ihr Ferdinand, der Ruhm der Großen der Christenheit, der Auserwähltc
unter den Herrschern der Glaubensgemeinde Jesu, König von Österreich und Verweser
von Deutschland 3) vonseiten des Königs von Spanien seid, habt unlängst an seine hohe
und erhabene Schwelle und hieher mit Euren Briefen Eure tüchtigen und vertrauens-
würdigen Wesire als Botschafter abgeordnet und um Freundschaft mit Seiner Majestät,
meinem ruhmreichen und glücklichen Padischah nachgesucht, sowie untertänigst gebeten,
daß Euch seitens Seiner Majestät, der Zuflucht der Ehre, das Königreich Ungern verliehen
werde. Was Ihr in Eurem Schreiben sagt, haben wir zur Kenntnis genommen und
Eure erwähnten Botschafter haben die ihnen aufgetragenen mündlichen Mitteilungen bei
ihrem Zutritt Q^j}S) vorgetragen. Während Ihr nun darum nachsucht, daß Euch von Seiner
') Anatolien ist hier im engern Sinne zu fassen, ebenso Rüm, wobei das erste
die sogenante Provinz mit der Hauptstadt Kjutahja, das zweite den Bezirk Amasia und
Siwas in sich begreift. (J. H. Mordtmann.)
2) A, Zeile i — 4, B, Zeile i — 4: Da mit B Z. 5 »S jj^^ usw. ein neuer Satz an-
hebt, müßte das Vorhergehende einen abgeschlossenen Satz bilden, was aber nicht der
Fall ist. Das Gerippe dieser acht Zeilen ist: »Ich, der ich Ibrählm Pascha bin, der
Großwesir und Kriegsminister des Sultan Sülejmän, von Allahs Gnaden usw. usw.,
Sultans der Sultane usw. usw. . . .« Aber das Zeitwort — etwa »tue kund« — fehlt ;
es steht nur das Grundwort da, an das ein endloser Verhältnissatz angefügt ist. über-
dies ist dieses Satzungetüm noch verrenkt; eigentlich müßte es so lauten: ^^iAJi ^ rj^
Aber dann wäre Ibrahims Name an die erste, der Name Gottes an die zweite und
der des Sultans an die letzte Stelle geraten, was der Schreiber unbedingt vermeiden,
mußte. In der obigen Übersetzung wurde daher etwas freier verfahren.
3) Vgl. über Ibrahims geringschätzige Meinung von Ferdinands Würden J. v.
Hammers Gesch. des osm. Reiches, III. Bd., S. 102 und 103.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. iaz
Majestät, unsrem erhabnen Herrscher, das Königreich Ungern verliehen werde, schreibt
Ihr anderseits (^-^) in dem an Seine Hohe Pforte gerichteten Briefe von Euch
selber ausdrücklich: »Ich bin König von Ungern!« Nun ist aber der Sachverhalt vor
aller Welt klar wie der Tag für alle Geschöpfe der Erde, daß, nachdem unseres be-
glückten Padischahs Majestät das Land Ungern schon früher mit seinem siegreichen
Schwert erobert hat, er noch einmal mit seinem weltmeergleichen Heer in jenes Reich
zog, indem er sprach : »Ist jemand da, der Anspruch auf dieses Land erhebt ?« Gemäß
eines erhabenen, diesem seinem Knechte gewordnen kaiserlichen Befehls, wurde weiter
vorgegangen und mit dem siegreichen Heere das ungerische Königreich in allen Winkeln
durchsucht. Und da niemand sich fand, der auf dieses Reich als ihm gehörig Anspruch
machte, indem er sprach »es ist meines !«, überschritt er sogar die Grenze Ungerns
und drang noch weiter vor, aber auch hier fand sich kein Anzeichen und keine Spur
von jemand wie vorher. Diese Landschaften sind nun durch das Schwert Seiner
Majestät unsres beglückten Padischahs erobert und somit sein Land geworden. Denn
seit alters ist es eine in den Gewohnheiten der Padischahe hergebrachte Sache, daß ein
Land ihm zugehört, sobald es durch den Fuß des Pferdes eines Padischahs geehrt und
beglückt wird. Infolge dieser feststehenden Gepflogenheiten gehört das ganze ungerische
Reich der Majestät unseres Padischah, da es durch sein eigenes Schwert erobert worden
ist. Und es steht niemandem das Recht zu, sich darein zu mengen und zu mischen.
Auch hat Janosch Kräl ') schon früher an die beglückte Schwelle Gesandte ab-
geordnet und mit der Versicherung der Unterwürfigkeit und aufrichtigen Botmäßigkeit
seine Demut bezeugt. Bei jener Gelegenheit ist er selbst erschienen und hat an der
beglückten Schwelle seine Stime gerieben und so Dienst getan. Da nun denen, die wahr-
haftige Ergebenheit beweisen, die großherrliche Huld niemals vorenthalten wird, so hat
Seine Majestät das von ihrem eignen Schwert eroberte Reich Ungern als Krälschaft
jenem gnädiglich und wohlwollend verliehen, ihn mit der Krone geschmückt und zum
König jenes Landes bestellt. Durch die Gnade des hocherhabnen Gottes und durch
die Wunder unsres großen Propheten und den Segen aller Heiligen gebeut unsres Padi-
schahs Majestät im Osten und Westen und hat schon eine große Anzahl von Reichen
sich unterworfen, wird aber wohl, wenn der hochgeehrte Gott es will, noch weitere
dazu erobern müssen. Wenn von seinen gesegneten Worten irgendeine Zusage erfolgt
und er einem seiner Knechte irgendein Königreich in Gnaden verleiht, so ist er kein
solcher Padischah, der die Herrschergewalt dadurch ausübt, daß er aus Gier nach
Schätzen und Länderbesitz (v.^xA.j) ^-t"^ NÄXJL*^^ *.JLx) sein Wort bricht oder mit List
und, indem er Menschen verkauft (verrät?) und das Reich aussaugt, ein Heer zusammenrafft.
Zu welcher Zeit er auch ein Heer zu sammeln befehlen mag, versammelt er zur selbigen
Stunde Armeen, daß Himmel und Erde sie nicht tragen, und gegen welches Land auch
er zu marschieren willens ist, dorthin hat er die Kraft zu ziehen durch die Gnade des
Allerhöchsten. Nachdem nun das Königreich Ungern durch sein eignes Schwert erobert
ist, wird er durchaus nicht darauf Verzicht leisten. Denn jeder Padischah ist bestrebt,
von Tag zu Tag seine Herrschaft zu erweitern, wie es ja auch der König von Spanien
tut, der mit seinem Reiche sich nicht begnügt, sondern sich damit abmüht, das Volk
zu betrügen, Ränke zu schmieden und aus dem Reiche Schätze sich anzueignen. Mein
Padischah indessen bedarf durch die Gnade des erhabnen Gottes weder jemandes Golds
noch Heeres. An dem Tage, wo mir, seinem Knecht, der Befehl erteilt wird, können
wir die Streitmacht Arabiens und Persiens und noch vieler andrer Reiche, an Zahl den
Wogen des Weltmeeres vergleichbar, auf die Beine bringen und jeden Augenblick
*) Janosch Kräl, magyarisch Jänos kiraly, d. i. »König Johann«, nämlich Szapolya.
Islam X. lO
lAß Kleine Mitteilungen und Anzeigen,
stehen wir fertig und gerüstet da. Da Ihr nun mit Seiner Majestät, der Zuflucht der Ehre,
Freundschaft zu schließen verlanget und den Wunsch darnach ausgesprochen habet, so
wird, wenn Ihr in Eurem Lande verbleibet, und Euch damit zufrieden gebet sowie
Eurer Lust nach Ungern Euch entschlaget, dem auf solche Weise Freundschaft Suchen-
den die Gnade unsres Kaisers, der niemandes Freundschaft sich entzieht, nicht vorent-
halten werden. Sofern Ihr aber fürderhin in Eurer leidenschaftlichen Begierde verharret,
so habt Ihr, um das ungerische Reich zurückzufordern, nicht an Janosch Kräl Euch zu
wenden, sondern müßt es von Seiner Majestät, unsrem beglückten Padischah zurück-
verlangen. Denn jenes Königreich ist von seiten Seiner Majestät, der Zuflucht der Ehre,
dem Janosch Kräl gnädiglich verliehen worden. Und die kaiserlichen Zusagen zurück-
zunehmen ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Übrigens ist alles, was [in diesem Schreiben] gesagt worden ist, auch Euren
beiden obenerwähnten Gesandten mündlich eröffnet worden und sie selbst sind wieder
in das jenseitige Hoflager entlassen worden. Solches sei Euch kund getan!
Geschrieben in den letzten Tagen des Rebi' II im Jahre 937') in der wohlver-
wahrten Hauptstadt Konstantinopel.«
Nachwort:
An dem Zustandekommen der vorstehenden Arbeit haben wesentlichen Anteil
durch freundlich geleistete Beihilfe Fräulein Lotte Müller (München) beim Lesen der
Berichtigungen, Herr Geh. Hofrat Prof. Dr. August Fischer (Leipzig), Herr Prof.
Dr. J. HoROViTz (_ Frankfurt a. M.), Herr Generalkonsul Prof. Dr. Jons. H. Mordtmann
(Innsbruck), Herr Prof. Dr. Christiaan Snouck Hurgronje (Leiden) sowie Herr Dr.
jur. Mustafa Hamid (Freiburg i. B.). Ihnen, sowie der Leitung der Handschriften-
abteilung der Bayrischen Staatsbibliothek, die in zuvorkommendster und vor-
bildlicher Weise die lange Benutzung und Lichtbildaufnahme der Urkunde gestattete, sei
auch an diesem Orte herzlicher Dank gezollt.
München, Pfingsten 1919. F- Babinger.
Ungarische Urkunden aus der Türkenzeit.
I, über Arslan Pascha, Bejlerbej von Ofen.
Im Jahre 191 5 erschien in Budapest der erste Teil einer für die osmanische Ge-
schichtsforschung außerordentlich bedeutsamen Publikation : A Biidai Basäk magyar fiydv'u
levekzcsc (»Briefwechsel der Paschas zu Ofen in ungarischer Sprache«). Der vorliegende
Teil enthält 451 (448 -f 3 als Anhang) Briefe von und an Paschas zu Ofen, beginnend
mit einem Schreiben des Arthandi Kelemen an Tujgun Pascha (1553 — 1556) vom
8. Juli 1553 und schließend mit einem Briefe des Osman Aga, Oberdreißigsteinnehmer
zu Waizen, an Palffy Miklos (undatiert, wohl aus dem Jahre 1589, während der Amts-
dauer des Ferhad Pascha in Ofen, 1588— 1590).
Die genannte Urkundensammlung bietet eine wertvolle Ergänzung zu den in tür-
kischer Sprache abgefaßten, zahlreich erhaltenen Urkunden aus der Zeit der Türken-
') Rebi* II endete damals am 21. Dezember 1530. Wie aus A. v. Gevay, a. a. O.
S. 91 hervorgeht, soll das Schreiben aber am 17. November, also Ende Rebi' I aus-
gestellt worden sein. ,
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. I ^j
herrschaft in Ungarn. In Anbetracht der geringen Verbreitung der Kenntnis der Original-
sprache in Deutschland dürfte die Übersetzung dieser Urkunden nicht ohne Nutzen sein ').
Im folgenden wird nach einigen einleitenden Angaben über Arslan Pascha die
Übersetzung der beiden, in der erwähnten Sammlung enthaltenen Briefe Arslan Paschas
an Kaiser Maximilian II. geboten. Für die Ausarbeitung der folgenden Übersicht hatte
Herr Geheimrat Jacob mir in uneigennütziger Weise seine Notizen zur Verfügung ge-
stellt, wofür ich ihm an dieser Stelle zu danken nicht verfehlen möchte.
Arslan Pascha war Bejlerbej von Ofen vom 19. Mai 1565 bis zum 3. August 1566.
Er war der Sohn des dritten Statthalters der Stadt, Jahjapaschazade Mehmed Pascha
(^1543 — 1548)-), dessen Vater und Bruder sich in hohen Stellungen befunden hatten.
In seiner Jugend scheint er zu allerhand Extravaganzen geneigt zu haben, wie denn
PetschewiS) über ihn das Urteil fällt, daß er leichtsinnigen Charakters war und mehr
als verrückte Streiche beging. Als er '1565 die früher bereits von seinem Vater inne-
gehabte Statthalterschaft zu Ofen antrat — was eine besondere Auszeichnung bedeutete,
da in der Regel der Sohn eines Statthalters für diesen Posten nicht in Frage kam — ,
begann er sein Interesse vor allem dem Finanzwesen der Stadt Ofen sowie Bauten
militärischen Charakters zuzuwenden. Wie wir aus Petschewi^) erfahren, gingen die
gesamten Einkünfte Ägyptens (300000 Goldstücke?) nach Ofen. Arslan war es, der
das Pulvermagazin zu Ofen erbaute, und zwar mit Hilfe ungarischer Gefangener^). Er
umgab zum ersten Male die untere Stadt mit einer Mauer?); Ewlija^) bezeichnet ihn
sogar als den Erbauer der Festung. Ferner geht auf ihn die Ofener Wasserversorgungs-
anstalt, der Arslan pascha sebili9), zurück. Die höchsten Anforderungen an die Tatkraft
dieses hervorragenden .Mannes stellte zweifellos der Auftrag Sultan Solimans, eine Brücke
über die Drau zu schlagen. Von der reißenden Strömung des Flusses wurde das an-
gefangene Werk dreimal wieder zerstört, bis es endlich einer Zahl von 25000 Arbeitern
gelang, in zehntägiger ununterbrochener Arbeit die gewaltige Aufgabe zu erledigen 'o).
') Ein Schreiben von Mustafa Pascha an Kaiser Maximilian 11. habe ich in deut-
scher Übersetzung veröffentlicht als Anhang zw -»Deutsche Übersetziingeii türkischer Ur-
kunden, herausgegeben von der Doktor-Hermann-Thorning-Gedächtnis-Stiftung durch
das Orientalische Seminar zu Kiel, Heft i. Kiel 191 9«.
^) Petschewi I, S. 30 u. 36. — Bei Ewlija VI, S. 248 Z. 5 v. u. sind Vater
und Großvater verwechselt worden.
3) Petschewi I, S. 36, Z. 5/6: ^jlX^XjI V_jL^jV,! ^>ÖL:S\a1 '-J;Xiws ^Jbi 1i
4) Petschewi I, S. 36.
5) Dukagin Mehmed Pascha hatte diese vor einem Jahrzehnt um 150000 Gold-
stücke vermehrt (Hammer, Gesch. d. osin. Reiches III, S. 340). Auf diese Überschüsse
verweist die Soliman-Urkunde Rev. hist. 37, S. 24.
6) Ewlija VI, S. 249. Petschewi I, S. 36. — Pulver kam noch unter Arslans
Nachfolger Mustafa Sokolli Pascha (1566— 1578) nach dessen Rechtfertigungsschreiben
{Islam IX, 100 ff.) aus Ägypten.
7) Vgl. Zeiler, Neue Beschreibung des Königreichs Ungarn, Leipzig 1664, S. 179.
8) Ewlija VI, S. 219.
9) Ewlija VI, S. 239.
■0) Hieron. Ortelius, Chronologia, Nürnberg 1604, S. 141. Er hat zwar den
Namen Arslan in Hamsam verderbt, bezeichnet diesen aber ausdrücklich als Pascha von
Ofen im Jahre 1566.
10*
148 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Doch genügte die Verzögerung des Baues ^), um den Sultan Soliman so in Zorn zu
versetzen, daß er, auf dem Wege nach Szigetvar begriffen, Arslan vor seinem Zelte in
der Nähe des Berges Arschan (Harsany) hinrichten ließ*). Doch dürfte billig bezweifelt
werden, ob jenes der wahre Grund gewesen sei; Petschewi3) nennt vielmehr als den
Grund der Hinrichtung Arslans den Verlust von Tata4), und auf denselben unglücklichen
Feldzug spielt auch. IsthvanfiJ) an.
Auf noch andere Ursachen des Sturzes Arslans deutet ein Brief*) des letzteren an
Pethö Jänos, Hauptmann zu Komorn, geschrieben am i. April 1566, also nur einige
Monate vor Arslans tragischem Ende. Daraus erfahren wir, daß ihm Unterschlagungen
zur Last gelegt wurden, ferner, daß eine von dem Sohn des Königs Johann 7), dem
Pascha von Temesvar und dem Bej von Szolnok genährte feindliche Strömung gegen
ihn bestand, die ihn durch die Beschuldigung, er habe sich von dem deutschen Kaiser
bestechen lassen^), zu Fall zu bringen suchte* — was ihr denn wohl auch gelungen
sein mag.
Die Grabstelle Arslans wird von Ewlija9) als zijä7-et (Wallfahrtsort) bezeichnet,
wie er ihn selber auch sehid (Märtyrer) nennt 1°); nicht zum geringsten mag zu dieser
augenscheinlich hohen Verehrung, die Arslan in Ofen genoß, auch seine gemeinnützige
Wirksamkeit, so vor allem die Stiftung des obenerwähnten sehil beigetragen haben.
II. Briefe des Arslan Pascha an Kaiser Maximilian II.
I. Brief {A Budai Basdk .... Nr. 17.)
Wir Arslan Pascha, Statthalter des Kaisers der Türken") im Reiche Ungarn zu Ofen.
Mein erhabener gnädiger Herr! Ich sende Eurer Majestät meinen schriftlichen Gruß.
Ich tue Eurer Majestät zu wissen, daß vor einiger Zeit der Mann Eurer Majestät,
Cernwith Mihal, von der Pforte des mächtigen Kaisers angekommen ist. Eure Majestät
hat mir mitteilen lassen, daß, wenn das türkische Heer von Sakmar'^) zurückkehre und
*) So nach Ortelius a. a. O. S. 150; auf ihn geht auch die Angabe Zeiler's
(s. Anm. 7) zurück.
*) Ewlija VI, S. 505. Petschewi I, S. 36.
3) a. a. O.; doch schränkt er seine Behauptung durch 'anscheinend' (yälibä) ein.
4) Das unter den Urkunden der K. K. Konsularakademie in Wien als Nr. 137,1
enthaltene Rechtfertigungsschreiben Mustafa Paschas besagt, daß Arslan Pascha nach
Aufgabe von Tata, Veszprem, Gesztes und Vitan bis nach Ofen zurückgeworfen worden
sei. — Vgl. noch Lefaivre, Les Magyar s pendant la domination ottomatte I. Paris
1902. S. 161.
5) Regni Hungarici Historia .... a Nicoiao Isthuanfio. Col. Agr. 1724.
Es heißt dort S. 290b: »Harsa ii (= in Harsany) etiam in castra venit infelix Arslanes,
male ad Palotam et Vesprimium gestae rei, ac falsae explorationis damnatus, quem aditu
coUoquioque prohibitum, ita percitus, ante praetorium tabernaculum extemplo interfici
jussit.«
6) A Budai basdk .... Nr. 22.
7) Siehe Seite 149 Anm. 3.
*) a. a. O.: » — — haben mich fälschlich beschuldigt, daß ich mir von den%
deutschen Kaiser sehr viel Geld habe schenken lassen und kaiserlichen Besitz.«
9) Ewlija VI, S. 248.
'") ebenda.
") Soliman II (1520— 1566).
") = Szatmar an d. Szamos, etwa i2okm nordöstl. von Groß-Wardein.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. jaq
sich auflöse, Eure Majestät dem mächtigen Kaiser ein angemessenes Ehrengeschenk
schicken werde für die Erhaltung des Friedens in Zukunft. Nunmehr ist das ganze
Heer zurückgekehrt und hat sich aufgelöst, und die Begs, welche bei mir waren, habe
ich auch alle nach Hause entlassen. Und nun hätte ich erwartet, daß Eure Majestät
dem Versprechen gemäß einen vornehmen Mann mit dem für den unbesiegbaren Kaiser
bestimmten Geschenk gesandt hätte. Aber so ist es nicht gewesen, sondern vielmehr
stellten Herren aus den Grenzstädten ein großes Heer auf in Marcel'), und ihre Absicht
war, auf Koppan-) zu marschieren und es zu verbrennen. Da ich dies wohl erkannte,
habe ich die dorthin gehörigen Begs mitsamt allen Leuten nach Hause entlassen, damit
sie das Land vor der V^erheerung durch die Feinde schützten. Nun schreiben einige
Herren jetzt an mich des Inhalts, daß ich das Heer um zu plündern dorthin ge-
schickt habe.
Ferner möge Eure Majestät glauben, daß ich mich für das Zustandekommen des
Friedens mit allem Eifer viel bemüht habe, in dem Grade, daß ich bei allen, dem
Pascha in Temesvar, dem Sohn des Königs Johann 3) und einigen Begs deswegen ver-
haßt wurde, weil sie dem mächtigen Kaiser über Eure Majestät schrieben, daß Eure
Majestät keinen Frieden mit dem mächtigen Kaiser wünsche, während ich andrerseits
schrieb, im Gegensatz zu ihnen, daß ohne allen Zweifel Friede sein wird.
Wenn daher Eure Majestät wünscht, daß zwischen Euch und dem mächtigen Kaiser
Friede sei, so entsende Eure Majestät also sofort mit dem Aga Hedajet einen vornehmen
Mann mit dem für den mächtigen Kaiser bestimmten Geschenk. Denn wenn Eure
Majestät diesmal dabei Verzögerung walten läßt, dann können wir nichts Gutes erwarten,
und meine Briefe werden bei dem mächtigen Kaiser nicht als wahr erfunden.
Ich schreibe Eurer Majestät hierüber nicht mehr, sondern gebe alles dem mäch-
tigen Kaiser zur Kenntnis; Seine Majestät befiehlt, ich führe es aus.
Dies wollte ich Eurer Majestät nur kundtun. Gott schütze Eure Majestät!
Gegeben zu Pest, 20. Okt. 1565.
(Aufschrift:) An Seine heilige königliche Majestät Maximilian, König von Ungarn,
Böhmen nnd Österreich, meinen hochzuverehrenden Herrn und Nachbar.
2. Brief (A Budai Basäk . . . Nr. 18.)
Meinen Gruß und meine Dienste in allem entbiete ich Eurer Majestät als meinem
vertrauten Herrn und gutem Freunde. Den Brief Eurer Majestät habe ich mit besonderer
Freude (nag seretettel) empfangen und daraus erfahren, daß mein Mann, den ich vor
kurzem mit dem Manne Eurer Majestät zu Schvendy Lazar geschickt hatte, am vergangenen
Mittwoch angekommen ist und daß Schvendy Lazar ihn reich beschenkt und so zu mir
zurückgesandt hat. Wegen alles dessen werde auch ich Eurer Majestät Gesandte, wenn
sie ankommen, und die, welche jetzt hier sind, wahrlich mit Ehren behandeln lassen
als Männer eines solchen Herrschers. Und glaube Eure Majestät, daß, wann auch immer
Eure Majestät schreibt oder etwas mitteilen läßt, ich jederzeit eifrig Eurer Majestät An-
gelegenheit fördern werde. Ich habe Eurer Majestät Freundschaft und gute Nachbar-
schaft dem mächtigen Kaiser gegenüber oft erwähnt, und ich wünsche ja auch von
Herzen Eurer Majestät Freundschaft mit dem mächtigen Kaiser. Ich habe dem Wunsche
Eurer Majestät gemäß bisher mich stets bestrebt, unser Heer zurückführen und auflösen
') = Marczali, ca. 20 km südlich des westlichen Plattensees im Komitat Somogy.
^) = Koppany, ca. 30 km südlich des östlichen Plattensees im Komitat Somogy.
3) Gemeint ist Johann Sigismund (f 1571), Sohn des siebenbürgischen Königs
Johann Zapolya (1526 — 1540).
j [^Q Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
zu lassen. Aber wie verhaßt ich wegen meines guten Willens für Eure Majestät bei
dem Pascha von Temesvar und dem Sohne des Königs Johann bin und wie sie mich
bei dem mächtigen Kaiser denunziert haben, das wird Eure Majestät später genauer
erfahren. Allein ihre Verräterei wird vergebens sein, das glaube ich zu Gott.
Ich bitte nun Eure Majestät als meinen gnädigen Herrn, wen Eure Majestät zur
zur Pforte senden will, also Hedajet Aga^), und der Gesandte Eurer Majestät, sobald
diese in Komorn eintreffen, daß Pethö Janos es uns anzeigen möge; auch ich werde
von hier Eurer Majestät Gesandten nach Esztergom (Gran) senden und werde den Ge-
sandten Eurer Majestät und Hedajat Aga zu Schiff in Esztergom abholen und anderer-
seits Akacius von hier wegbringen. Möge Eure Majestät meinem Worte glauben; ich
erwarte von Eurer Majestät, daß wir unsere Freunde nicht belügen (Jiazwgsagban hagguk)
und daß Eurer Majestät Versprechen und mein Wort sich bei dem mächtigen Kaiser
als wahr erweisen und zwischen uns in jeder Beziehung ein dauernder Friede sein möge.
Ferner bitte ich Eure Majestät als meinen gnädigen Herrn, wenn Eure Majestät
mir einen Brief schreibt, ihn in ungarischer Sprache schreiben zu lassen; denn ein
Schreiber, der die Schrift gut versteht, ist bei uns schwer zu bekommen {igen ssok),
und bisweilen ist es sehr schwierig für mich, den Brief Eurer Majestät entziffern zu lassen.
Hierauf erwarte ich von Eurer Majestät eine Antwort. Gott schenke Eurer Majestät
ein langes Leben 1
Gegeben zu Pest, den 26. Oktober 1565.
Arslan Pascha,
in allem Eurer Majestät guter Freund.
(Aufschrift:) Zu übergeben an Seine Majestät Maximilian, römischen und unga-
rischen Kaiser und König, meinen gnädigen Herrn, zu eigenen Händen.
H. Jensen.
Die Steuerleistung Persiens unter der Herrschaft der Araber.
In Aqx Encyklopaedic des Islams Bd. 2, S. 73, unter Färs sagt Herr Cl. Huart:
»Der Kharädj wurde auf 33 Millionen Dirhem festgesetzt und unter Mutawakkil auf
35 Millionen erhöht, die Djizya brachte 1 8 Millionen Dirhem ein.« Der Herr Verfasser
unterscheidet demnach hier zweierlei Abgaben, Haräg und Giya, von denen das erste
in diesem Gegensatze als Grundsteuer zu fassen wäre, wogegen das zweite der Kopf-
steuer entspricht. Die Steuerleistung des Landes würde beide umfassen, es würde sich
also eine Summe von 51 oder 53 Millionen Dirhem ergeben. Sind wir nach den
Quellen wirklich zu dieser Auffassung berechtigt?
Aus den arabischen Angaben über die Steuerleistung ergibt sich folgendes Bild:
Sasanidenzeit: 40 Millionen Mitkäl-Dirhem = 57 Millionen gewöhnliche Dirhem
unter Mu'äwija I. (661—680 u, Z.) Haräg 70 „ Dirhem
nach Ibn Hordädbih (schrieb um 847 u. Z.)
IJaräg im Reinertrag 33 „ »
unter Mu'tasim (833 — 34) oder vor 863
Reinertrag 35 „
unter 'Amr ibn al-Lait (881—887) Haräg . . 31 »
(dazu Domänen 19 Millionen Dirhem)
unter Muwaffak (891/2 u. Z.) 60 ,,
I) Ein siebenbürgischer Renegat, vgl. Hammer, Gesch. des osman. Reiches III, 396 f.
»
n
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. I 5 I
nach Kudäma (schrieb um 928 u. Z.) Mittel-
^gj-t 24 Millionen Dirhem
nach Ibn Haukai (schrieb um 978 u.Z.)
etwa I 500 200 Dinar, dazu für ArragSn
etwa 510000 Dinar, d. i. etwa ... 34 n » ')
nach IbnBattüta (erste Hälfte des 14. Jahr-
hunderts) täglich loooo Dinär-Dirheni,
d. i. 2500 Dinar Gold, für das Sonnen-
jahr berechnet nach dem Silber-Dlnär
etwa 37 « »
oder nach dem Gold-Dinär etwa ... 46 „ „^)
A. V. Kremer gibt in der Kulttirgeschichte des Orients (I, 306) aus der Steuer-
rolle des Ibn Haldün, für die er Tll — 1^^ u. Z. als Abfassungszeit annimmt:
27 Millionen Dirhem, außerdem 30000 Flaschen Rosenwasser und 20000 Pfund Rosinen.
Keine dieser Quellen spricht von der Kopfsteuer. Woher stammt diese Angabe?
Nach der Zahl »18 Millionen« zu urteilen, wird sie letzthin auf Jäküt zurückgehen;
eine Bestätigung für diese Annahme ergibt das gleichzeitige Vorkommen der beiden
anderen von Herrn Huart genannten Zahlen (»33« und »35 Millionen«) bei diesem
Schriftsteller. Die Worte Jäküts lauten:
^j J^>^Äii ^.,! y 03 iüLäxiLj ^P^J Uü! wäii ^,j.i^» ■^■•i^'-^ ^}^ ^L-^3
(C 6, 326,9) ^y oJi v-äii j^^
Dabei ist zunächst festzustellen, daß die Bezeichnung des Fadl ibn Marwän als
Wezir des Mutawakkil nicht ganz zutreffend ist. Wezir war Fadl ibn Marwän nur
unter Mu'tasim, von dessen Thronbesteigung 218 d. H. bis zum Jahre 220. Dann
taucht er noch zweimal auf, aber als Leiter des Dtwän al-haräg\ als solcher wird er
abgesetzt von Mutawakkil im Jahre 233 und im Jahre 249 von Musta'In 3). Als Leiter
der Steuerverwaltung war er dem Wezir unterstellt, hatte aber begreiflicherweise immer-
hin großen Einfluß.
Prüfen wir nunmehr die Nachricht über al-Haggäg. Die Worte bedeuten: »al-
Haggäg erhob von Persien und Ahwäz zusammen achtzehn Millionen Dirhem als Ab-
gabe.« Daß ^>Ji- nur bedeutet »Abgaben erheben von einem Lande«, zeigen die
Wörterbücher: Freytag gibt: »collegit tributum«, Lane: »he collected the [tax call ed]
_l^ and [other] property«. Noch heute bedeutet im Ägyptisch-Arabischen gäbt »the
r'ent collector«, gibäja »collection of taxes or rentals, commission for collecting taxes
or rSntals«, vgl. Spiro 93 b. Auch der Vocabulista in arabico bietet (S. 556) unter
>) Da nach Ibn al-Fakih (264, 17) der Dinar zu 17 Dirhem gerechnet wurde
(in einer Angabc über das Gebiet von Kumm in Persien) und derselbe Satz von Ibn
Haukai (74, 4) für Spanien unter 'Abdarrahmän III. (912—961 u.Z.) angegeben
wird, ist der gewöhnliche Umrechnungssatz 1:15 für das zehnte Jahrhundert nicht zu-
treffend.
2) Für die Belegstellen wolle man Iran im M.-A. (III) 210 f. vergleichen.
3) Vgl. Tabari, Annales III, 2, 1181, 16 ff.; 3, i379. 3- I5i3, 18.
152 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
reditus waJ>U und als Verbum ».Jw,^ c>.jja> . Die arabischen Originalwörterbücher
bestätigen, daß ^■^^ insbesondere für die Erhebung des Haräg, der Grundsteuer oder
Steuer überhaupt, aber auch anderer Abgaben (amwäl) verwendet wurde (LA. 18, 139,
lU 14. 17. 19 und TA. 10, 65, 36 f.). An Belegstellen aus Texten für die Verbin-
o , » ,
düng des Wortes mit harä% werden genügen Ibn al-Fakih 204, 8 . . c^^. i')^
4^'^, Tabari, Annales i, 3, 1744, 2 _l,.i?Ji *J ^,^ und MukaddasI 65, Anm.
^' ^ ?rlj"^ ^{■i'^xJflj .jl. Für die Erhebung der persönlichen Abgabe, die ein Sklave
täglich von seinem Arbeitsverdienst an seinen Herrn abzuliefern hatte, wird das Won
gebraucht von Ahtal (ed. Salhäni 298, 3) :
*' - o ^ ^ y ^ o y y o ^Orc ^ y
• _^ ,^ •* w ^^ .... . _j-
Unter dem Worte ä.jLa..:>- scheint allerdings zeitweise eine besondere Steuer ver-
standen worden zu sein. Während MukaddasI 133, 6 deutlich die Summe von Grund-
und Kopfsteuer als gibäja bezeichnet wird, ebenso offenbar Ibn Hordädbih 14, lof.,
nennt MukaddasI 64, 12 die gibäjät nach der Grund- und Armensteuer und den
Schutzgeldern. Man könnte versucht sein, das Wort an dieser Stelle wiederzugeben
durch »weitere Abgaben«, aber Ibn Haukai 74, 5 werden die gtbäjät genannt nach
dem Prägegewinn der Münzstätte und der Armensteuer und vor der Grundsteuer, den
Zehnten, den Zöllen, den Abgaben von ein- und abfahrenden Schiffen, den Kopfsteuern
und den Abgaben von Verkäufen auf den Bazaren. Sie müssen also eine besondere
Abgabe gewesen sein, kaum die Kopfsteuer, da diese an der letzteren Stelle besonders
genannt wird, an der ersteren wohl unter den »Schutzgeldern« inbegriffen ist. Ibn
Haukai 162, 10 hilft nicht weiter, dort scheinen Zehnten, Kopfsteuer, Baugeldsteuer
und Pacht für die Meereszölle dazu gerechnet zu sein, von denen die erste, zweite und
vierte Abgabe nach jener anderen Stelle ausgeschlossen wären. Kopfsteuer allein
könnte es aber auch Hauk. 162, 10 nicht bedeuten. Ebensowenig ist Ibn'Adäri
2, 215, 15 f., gibäja als Kopfsteuer zu verstehen: Halaf ibn Bekr, der Herr von Okso-
naba war Muhammedaner: gemeint ist an jener Stelle die x\bgabe, die der Vasall an
den Souverän abzuliefern hat.
Derartige Schwankungen der Bedeutung kommen bei Kunstausdrücken der Ver-
waltungssprache auch sonst vor, sie geben aber kein Recht, dem Worte r-*-?" ^^ ^^^
Stelle bei Jäküt ohne weiteres die Bedeutung beizulegen: »in einem Lande die Kopf-
steuer (und nur diese) erheben«. Zu welchen Ungeheuerlichkeiten eine solche Bedeu-
tungsannahme führen würde, zeigt Ibn Hordädbih 14, 19: .^J _♦«£ r"^^"'*
^y> OÜI >^sJ! ^j „i^^ is^^» oü! wsJi ÄJL/« Ssy*,j)\ UJ^li^iajI. Nehmen
wir an, es bedeute an dieser Stelle wirklich; »Der Chalife 'Umar I. erhob im Sawäd
an Kopfsteuern 128 Millionen Dirhem«. Anscheinend wird das ja bekräftigt durch
die unmittelbar vorhergehenden Worte:
.-00 ^ o oS ^ o^ ^ ^ ^ y ^
d. h. der Kopfsteuer wurden unterworfen 500 000 Menschen. Eine kurze Rechnung
genügt, um die Unhaltbarkeit der Annahme zu erweisen: Zahlen 500000 Menschen
128 Millionen Dirhem an Kopfsteuer, so entfallen auf den einzelnen 256 Dirhem. Nun
betrug aber nach Ibn Wädih (2, 174, 12) die Kopfsteuer unter dem Chalifen 'Umar I.
im Sawäd nur 48 Dirhem für die Höchstbesteuerten, also noch nicht den fünften Teil
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. jc-^
des errechneten Betrages. Die Mittelklasse zahlte gar nur 24 Dirhem und die Unter-
klasse nur 12, der Mittelwert dürfte danach zwischen 12 und 24 Dirhem, in größerer
Nähe des letzteren Betrages, gelegen haben. Es würde also die errechnete Zahl mehr
als das Elffache des wirklichen Betrages darstellen, ein in Steueransätzen außerordent-
lich schwerer Fehler. So sind wir auch an der Stelle bei Ibn yordädbih gezwungen,
das Wort c*'-r' ^on der Erhebung der gesamten Abgaben zu verstehen, nicht von der
Kopfsteuer allein.
Wie kommt dann aber jene irrtümliche Auffassung in die Encyklopaedie} Aus
V. Kremer, Culturgeschichte i, 305 entnehme ich, daß Barbier de Meynard in seinem
Dictionnaire gcographiqtie de La Ferse die Jäküt -Stelle so aufgefaßt hat. Er sah in ^>.^,
nachdem eben von ^,s>- die Rede gewesen war, einen Gegensatz dazu und suchte des-
halb in ^r■^^ ^^"^^ Beziehung auf die Kopfsteuer. In Wirklichkeit wird Jäküt oder
seine Vorlage die beiden Angaben aus verschiedenen Quellen entnommen und in ihrem
Wortlaut unverändert gelassen haben. So sind zwei einander ähnlich gebrauchte Wörter
ungewollt in den Verdacht des Gegensatzes geraten. Aus Barbier de Meynard scheint
dann Herr Huart geschöpft zu haben.
Auch das muß betont werden, daß nicht jede der beiden Landschaften die
18 Millionen Dirhem als Steuerleistung aufbrachte, wie v. Kremer unter Berufung auf
Barbier DE Meynard annimmt') — auch Huart, da er ja die 18 Millionen allein auf
Färs bezieht und liüzistän nicht erwähnt — , sondern daß nach Jäküt, wie dieser durch
5^ deutlich zeigt, beide Landschaften zusammengenommen diese Summe ablieferten.
Auffällig ist der Minderertrag der beiden Landschaften gewiß in hohem Grade und
in bezug darauf bemerkte ich a. a. O., die Gründe dafür müßten noch genauer untersucht
werden. Hier hilft Ibn Hordädbih weiter. Im Abschnitt über die Steuerleistungen des
Zweistromlandes sagt er unmittelbar, nachdem er erwähnt hat, daß unter 'ümar I. 128,
unter 'Umar II. 124 Millionen Dirhem an Abgaben einkamen: »al- Haggäg ibn Jüsuf
erhob dort an Abgaben 18 Millionen Dirhem und keine hundert Millionen, weil er vom
Rechten abwich, ungeschickt vorging und Gewalttat übte«. Es ist die in der Beamten-
schaft der Abbasidenzeit, wohl auch am Chalifenhofe, geltende Auffassung, die hier vor-
getragen wird. Daß die Schuld den Statthalter wahrscheinlich nur in sehr geringem
Maße trifft, zeigt ein Blick auf die Geschichte jener Zeit: die fortwährenden Bürger-
kriege mußten die Erträge der Ländereien außerordentlich stark beeinflussen. Wichtig
für unsere Frage ist, daß auch hier für die gleiche Zeit ein starkes Sinken der Steuer-
Icistung bezeugt wird.
Allerdings könnte man ein Bedenken geltend machen: Die Zahl 18 Millionen tiitt
danach zweimal unter den Steuerleistungen von Gebieten während der Statthalterschaft
des Haggäg auf. Ist nicht vielleicht eine Verwechslung anzunehmen? Dagegen spricht,
daß die Zahlen weiterhin sich doch verschieden gestalten. Im Zweistromland werden
durch Gewährung eines Vorschusses von zwei Millionen Dirhem schließlich nur
16 Millionen Dirhem erzielt. Hält man aber dort einen Rückgang der Einnahmen von
128 Millionen auf 16 Millionen für möglich, so verliert die Nebeneinanderstellung der für
IjLüzistän und Persien unter al-Haggäg und unter al-Fadl ibn Marwän erzielten Abgaben-
höhe, 18 : ( 49 -)- 35), viel von ihrer Auffälligkeit, im ersteren Falle würde der Rück-
gang 88 V. H., im letzteren Falle nur 79 v. H. betragen. P. Schwarz.
') Vgl. I, 295, unter yüzistän: »Die Kopfsteuer betrug nach einer vereinzelten
Nachricht unter dem omaijadischen Chalifen Abdalmalik iS Millionen Dirham«, und
ebenda 305 (unter Färs): »Haggäg bestimmte die Kopfsteuer auf 18 Millionen Dirham«,
beidemal unter Verweisung auf Barbier de Meynard, Dict. gcogr. de la Ferse pg. 412.
I :;_|. Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Zum arabischen Fingerrechnen.
Herr Professor Ruska bittet mich, die folgenden Bemerkungen, die ich ihm während
der Korrektur zur Verfügung stellte, an dieser Stelle mitzuteilen :
Als mich mein schafiitischer Schech in Bagdad die salät lehrte, gab er mir zur
Erläuterung der Stelle Minhäg et-lähilm (van den Berg I, 89) über die Stellung der
Finger beim Schluß/'^iöMwö? folgenden Text, der angeblich aus dem Kommentar des
Ahmed el-Berber et-TaräbulusI zum Text des Mausill (s. o. S. 89) stammen soll.
AvLc ö^l*ij! Ji Ti*Sö iÜjtSwiiJ! i^'wAÄS ,.,"!) *.>JiÄJI liÄi"» öo^
Jj ^3 Q-yJJt -j^JuXäxJ! ^J^IaJ ^S>>^f^^ -^J^^^^ 'l-^ms ^Jxw«jL -iO^uJl^
\iUl3^ ^JÜoi -ji (»^"^^ L5>^ *^ ^5_3lx*v y-^-S Xi^i wVÜC 5ÄP» UiÄXl ,«.>.Aa!
cX-J) ^^ h,w«jL .AiÄ-j!» .x:i.LrS^Jt Aüc ,..i iiUlö iMwO» ^;«ww^4^ iAä£-
iüwx-%wjt tXäc» .,>J^I (Aäc j>.4.Ai! <A>Ji ,-,^ Jivrfji» -iCLÄjJ!» .Aa.>Li^J5
-.^;.:^! L*^ (i)j>s^U j^äü Lol^t -io! ^\ ^ilitö /^^-i^5 ^_J% ^tv^'^
^^^iu«Jlj y^i^\ l^y* J.1ÄS ^.xi;.jjrJl i^^ (4) :<xij »\ ^J^i^y^^ 'wAx^ \j^^jo
\.9'Xs!'* ^->^2-^-i^ |m-^ (6) iU^ 3! JoÄS -L.*«j.J! [j..»jO (5) Ä,w.4v5> 3! ^^wr;o«^-*.*:=/i
4^^;^ t3-^ i_^> IP.^X^3 L^A>-3 ^w.a>LJt ^ ^^JLft.^! äJÜUJI 1^^ (7) ijt*^ _►!
eUt jo" ^.AÄ^^JU !_jlx5 (8) iLo-*.i- 3! |.'u.ij":)'l ui>b 5 ^i! iU^^JÜI (^i?
Cr^^ J^ iöL-^Jt ^^.i) [jJji:^ (I0)»yiji »I ^^yx«Ju 1^1*5 (9)iüi.w.i' 3?
^yx^j^\^ ioL-**JI ^^ ^L^'ii ^i>j! (20) ^j^..iioiii 3! j.4j"b'l 1^ uJUJ? äJüüJ5
(30) Q^^^5 3I »jw>..»»JI .huN* ^ ^^^ÖJÜütJf ^^xJ '^ (•Lgj'^i ^-ft^ CJL^^ ^^^;^^
Q>^ 0->^ ^^^^^•^^''J iÖL*-*Jl v-ijp ^lab ,'f^r (•Uj'35 "oJj q-^^ l^'^*^
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Kleine Mitteilungen und Anzeigen. I55
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olJijti! u\.Ä*/ ,La»-JI -5 Okili! l\ä£.3 ,<Ji"^5 xj^i ^^5 (ikJSö» ^^Yf^■^■^^ *-^-^'
^^r,Aii ^:>.JLi v3ui! ^■ib_5 ^Ic» — ^^^' c'^*"^-" ^^"^-^'-J ^^-^ u?*^'*
^^.iw ^y'J^il ljJ.i> ^.,i ^\ jU! ÄJ"^ 5^-^ ^s-=> j.^^^ ^ ^^ j^3
^Lo ^xJ! i^Uä^:-«' ^-^x^^UoJl ci^jjsj> ^i 0^3 (AiJ^ L*^U 0Lc_5 LiLuo
_j.=>Lj pv>, (^.Ä pj-sii ^^5 c>.jJ^^i Jääi^ OJoiJ! Sj^ ^Lw3 i^-dfi Ä.iJl
^j^^ii J^.«^! ^jjj^ ^}<^j.J\ QÄ.« j^^ e?^"^' z^"^^^ V^O'' -^
Die Rechnung durch Fingerbeugung.
Man wisse, daß der Hadithbeflissene ihrer bedarf, weil sie in den Hadithen vor-
kommt und ebenso der Rechtsgelehrte, weil die schafiitischen Rechtsgelehrten auf sie
Bezug nehmen im Gebet beim Aussprechen des Glaubensbekenntnisses. Nach ihnen
ist es Sunna, daß der Betende seine rechte Hand bei dem Sitzen zum Glaubensbekenntnis
auf den Schenkel legt wie einer, der durch seine Handstellung die Zahl 53 ausdrückt,
und das besteht darin, daß er die 3 Finger: Kleinfinger, Ringfinger und Mittelfinger
fest einschlägt, indem er die beiden Gelenke, die an jedem Finger sind, einknickt.
Das bedeutet drei, wie Du noch erfahren wirst, dann biegt er den Daumen nach der
Handfläche zu, das bedeutet fünfzig. Die Erklärung dafür ist, daß die Beugung des
Kleinfingers, Ringfingers und Mittelfingers der rechten Hand der Ausdruck für die Einer
ist, die Beugung des Zeigefingers und Daumens derselben Hand aber der Ausdruck für
die Zehner, die Beugung des Kleinfingers, Ringfingers und Mittelfingers der linken Hand
drückt die Hunderter aus und die des Zeigefingers und Daumens derselben Hand die
Tausender. Du siehst aber ein, daß die Finger für die Einer zu wenig dafür sind.
icg Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
denn es sind nur drei und die Einer sind neun, es geht also nur durch eine Variation.
Ebenso ist es mit den Fingern für die Zehner, Hunderter und Tausender. Die Methode
dafür ist folgende: Will man i ausdrücken, so schlägt man den Kleinfinger fest ein,
wie oben erwähnt, für die 2 schlägt man noch den Ringfinger dazu ein und für die 3
noch den Mittelfinger, für die 4 streckt man den Kleinfinger hoch und läßt Ring- und
Mittelfinger eingeschlagen. Für die 5 biegt man nur den Mittelfinger ein und für die 6
nur den Ringfinger. Für die 7 knickt man nur das untere Gelenk des Ringfingers ein
und streckt ihn so aus, daß er mit der Spitze den Daumenballen berührt. Für die 8
macht man dasselbe mit dem Kleinfinger und für die 9 mit dem Mittelfinger. Für die
10 setzt man die Spitze des Zeigefingers in das Obergelenk des Daumens. Für die 20
steckt man den Daumen zwischen Zeigefinger und Mittelfinger hindurch, so daß der
Daumennagel zwischen den beiden Gelenken in der Mitte des Zeigefingers ruht. Für
die 30 setzt man die Innenfläche der Daumenspitze auf die Innenfläche der Spitze des
Zeigefingers, so daß zwischen den beiden Nägeln ein Abstand bleibt, um einer Verwechs-
lung mit der 10 vorzubeugen. Für die 40 biegt man den Daumen so, daß die Innen-
seite seiner Spitze auf der Außenseit-e der Spitze des Zeigefingers ruht. Für die 50
schlägt man den Daumen nach der Handfläche zu ein, für die 60 gibt man dem Daumen
dieselbe Stellung wie bei der 50 und schlägt darüber den Zeigefinger fest ein. Für
die 70 setzt man die Spitze des Daumens zwischen die beiden Gelenke innen in der
Mitte des Zeigefingers und schlägt die Spitze des Zeigefingers darüber ein, für die 80
legt man die Spitze des Zeigefingers . . . (j). Für die 90 biegt man die Spitze des
Zeigefingers nach ihrer Wurzel fest ein, so daß die beiden Fingergelenke geschlossen
sind, so wird der Ausdruck der 99 noch an der rechten Hand vollendet. Der Ausdruck
der Hunderter geschieht, wie oben gesagt, an der linken Hand in derselben Weise wie
der der Einer an der rechten Hand, nämlich an 3 Fingern. Die Tausender aber werden
an der linken Hand ausgedrückt in derselben Weise wie die Zehner an der rechten,
nämlich an zwei Fingern, dem Zeigefinger und dem Daumen. Die höchste Zahl,
die die linke Hand fassen kann, ist also 9900, bei der rechten ist es 99 und so be-
halte das!
Ein Dichter hat dies scherzhaft verwendet im Angriff auf einen anderen. Hassan
el-gilmän sagt: ,Als Chalid ging, betrug sein Vermögen 90 Dirhem, und als er
zurückkehrte, war sein Vermögen nur noch ein Drittel davon.'
Das ist eine sehr feine Pointe und ein boshafter versteckter Angriff. Denn er
deutet damit an, daß der genannte Chalid in engen Umständen {dajjiqati) ging und
mit vermögenderi Umständen {w äst an) zurückkehrte (vgl. die Fingerstellung bei 90 mit
der bei 30).
Auch in dem Hadith der beiden kanonischen Sammlungen steht, daß der Prophet
diese Zahl benutzte. Der Text des Hadith lautet: ,Es wurde heute geöffnet von dem
Wall des Ja'gOg und Ma'güg etwas wie dieses hier und dabei machte er die Finger-
stellung von 90 (s. Ibn &\-h.\\\ Nihäja s. v. radmy, das bedeutet: es wurde geöffnet
in ihr eine durchgehende Öffnung und wenn sie auch noch so dicht geschlossen war.
Nach Aussage meines Schechs und der Anmerkung in der türkischen Übersetzung
der Enzyklopädie des Tasköprüzäde Mevzü'^ät el-^ulüm I, 426 ist die Methode beim
Handel heute so, daß der eine die gewünschte Zahl an der vom Ärmel verdeckten Hand
des andern einstellt, so daß niemand das Angebot kontrollieren kann. Besonders bei
Edelsteinen soll dieser Brauch geübt werden. H. Ritter.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. icy
Notiz über den türkischen Kalender der Heilbrunner Gymnasial-
bibliothek.
Während die Stadtbibliothek der alten Reichsstadt Heilbronn a./N. keinerlei orien-
talische Handschriften besitzt, ist im vorigen Jahre Gymnasialrektor Dr. Wilhelm Nestle
beim Umräumen eines Schrankes der Bibliothek des Gymnasiums daselbst auf eine Rolle
gestoßen, die er mir zu näherer Bestimmung zusandte. Es ist zwischen zwei Holzstäbchen
(am Anfang und Schluß hierin eingeklemmt) ein grober alter, blauer Tuchstreifen, 7^/2 cm
breit, 1,75 m lang, auf dessen Innenseite der am Anfang und Ende verderbte und ab-
gestreifte Text als Papierstreifen aufgeklebt ist, in winziger, aber, wo erhalten, gut les-
barer Neshischrift. Von der Kreisrosette ^ ^jLiaL« \*:jj^ i^8.j)0) zu Beginn sind kaum
noch Spuren vorhanden, dagegen ist der zweite kleinere Kreis mit dem kurzen _, ..vi
w.w.Ax5^ t»jfo, Schaltjahr und -tagskreis, ebenso der dritte, noch kleinere Jahreskreis
mit oIjm i^»jli3 -,. -ü daneben erhalten. Dann beginnen die Kalendertabellen in zwölf
schmalen Rubriken mit arabischen Zahlen, Buchstaben und Zeichen bedeckt für die syrischen
(christlichen) Monate von <öf an bis _bLA.ii; 'links am Rand finden sich noch Jl\^\
L+X-^", rechts -O /♦•^>-, ^5-ftAö /*^-5>5 J^li3j-w ^■^5=-, *ii-J /*->»-5>. Zu den beiden
Kreisen ist das Jahr rr*)^ ...L>*^'Äk> i^>wO 1093, beginnt 10. Januar 1682 genannt. Dies
macht es wahrscheinlich, daß der Kalender nach der zweiten Belagerung von Wien 1683
nach Deutschland kam. Wie die Rolle in den Besitz des Gymnasiums kam, hat Rektor
Dr. W. Nestle nicht feststellen können. Diese kurze Notiz soll auch bloß auf das
Vorhandensein dieses Turcicums hinweisen (sonstige oriental. Handschriften finden sich
in der Heilbronner Gymnasialbibliothek nicht). Am Schluß der beiden obenerwähnten
Erläuterungen zu den erhaltenen zwei Kreisrosetten steht jedesmal Lsj ^p^-f^ i^AÜJ. Dies
zeigt schon, daß wir ein weiteres Exemplar eines sogen. c*rr^ ^x»üj^ . immer-
währenden Kalenders, »Almanach perpetuum«, nach Art und Prinzip des früheren von
Scheih Wefä, 896 = 1491 gestorben, vor uns haben. Zu näherer Untersuchung und
Verwertung empfehle ich Liebhabern dieser kalendarischen türkischen Literatur
auch die Heilbronner Rolle und verweise vor allem auf die Angaben und Literatur-
nachweise') in den großen Catalogues raisonncs (Türk.): Rieu (Brit. Mus.) p. 122 b,
259; Pertsch (Berlin) Nr. lyoff. ; Flügel (Wien) Nr. 1426 f., Cataloghi dei Codici
Orientali di alcune Bibliotcchc d'Italia (Firenze 1878 — 1904) p. 446 (Casanatense von
Bonelli). C. F. Seybold.
Stambulcr Buchwesen im 18. Jahrhundert von Franz Babinger. Leipzig 19 19. Deutscher
Verein für Buchwesen und Schrifttum.
In dieser, auch typographisch glänzend ausgestatteten Monographie hat der Ver-
fasser — materiae non cedit opus — mit staunenswerter Belesenheit aus bekannten,
noch viel mehr aber aus unbekannten und schwer zugänglichen Quellen die Materialien
zur Geschichte des Buchdruckes bei den Osmanen bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts
zusammengetragen und kritisch geordnet. Die Türken selber haben bis vor kurzem
') Wie z. B. Commentarius in Ruznamc Naurus sivc tabulac aequinoctiales novi
Persarum et Turcaruvi anni. Nunc primum editae e Bibliotheca G. H. Velschii
(Welsch), cujus accedit dissertatio de earundem usu. Augustae Vindelicorum 1676
(Zenker, Bibl. Or. I, Nr. 1077 hat fälschlich 1776I). Wefä ist darin, so gut es damals
ging, faksimiliert.
j rg Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
auffällig wenig Interesse für dieses Thema an den Tag gelegt; die gleichzeitigen abenfl-
ländischen Berichte, durch Irrtümer und Mißverständnisse vielfach entstellt, bringen kein
zusammenhängendes Bild, und wir dürfen erst von einer Durchforschung der türkischen
Archive die Aufklärung der Widersprüche und ^die Ausfüllung der Lücken in unserer
Überlieferung erwarten. Es ist des Verfs. Verdienst, die vorhandenen Angaben fast lücken-
los gesammelt und damit eine sichere Grundlage für weitere Forschungen geschaffen zu
haben. Nicht minder wertvoll sind die literarhistorischen Erläuterungen nicht nur zu
verschiedenen Werken, die uns in den osmanischen Inkunabeln vorliegen, sondern auch
zu den älteren europäischen Werken, aus denen er schöpft; die Bemerkungen zum
tärichi seijäh (S. 13 f.) und zur Grammaire Turque des Straßburger Jesuiten Holder-
mann (S. 14 f.) seien besonders hervorgehoben. Auch über das Leben des ersten tür-
kischen Druckers, des Ungarn Ibrahim, erfahren wir mancherlei Neues; endlich gibt
uns der Verf. S. 28 ff. noch einige willkommene Nachrichten über die Einführung der
Druckerei in Persien und Syrien: kurz, diese Monographie bringt uns im einzelnen und
ganzen multa et multum, und ich wüßte kaum etwas Wesentliches hinzuzufügen.
•Der Verf. selbst teilte mir nachträglich mit, daß Mustafa Pascha in seinem ver-
dienstlichen Werke 7ietä'idschül-wukü'-ät 2. Ausg. H. III S. iio erwähnt, daß unter
Murad III. eine Presse eingeführt und Bücher gedruckt worden seien; er habe in der
Sammlung des Scheich ül-islam Hasan Efendi ein türkisches Buch aus dem Jahre
996 H. (1588) gesehen. Mustafa Pascha war ein gewissenhafter Literat und hatte
für kulturhistorische Dinge mehr Verständnis als die meisten seiner Landsleute; ich glaube
deshalb nicht, daß seine Angabe völlig aus der Luft gegriffen ist; vielleicht liegt eine
Verwechslung mit der von H. Baeinger S. 5 beschriebenen römischen Ausgabe des
Euklid vom J. 1594 vor. Im übrigen ist es auffällig, daß bis zum Auftreten des Druckers
Ibrahim kein einziger türkischer Autor, nicht einmal Evli ja Tschelebi oder Hadschi
Khalfa, von denen man es wohl am ersten erwarten durfte, auch nur mit einer Silbe
von Gutenbergs Erfindung Notiz genommen hat, mit Ausnahme des halbungarischen
Petschewi; die Stelle aus des letzteren Geschichtswerk hätte verdient, angeführt zu
werden.
Infolge des Umstandes, daß ich seit über einem halben Jahre von meinen eigenen
Sammlungen getrennt bin und entfernt von öffentlichen Bibliotheken lebe, muß ich mich
auf folgende Bemerkungen beschränken'):
S. 2. Es ist vielleicht nicht unnütz zu bemerken, daß unter der -»Prüfung und
Berichtigung« der Druckwerke nicht die mechanische Arbeit der Korrektur der Druck-
bogen, sondern die Bearbeitung der Handschriften für den Druck zu verstehen ist, also
diejenige wissenschaftliche Tätigkeit, die bei uns den Herausgebern älterer Texte zufällt,
und die man lateinisch mit recensere, emendare, castigare usw. zu bezeichnen pflegt;
daraus erklärt sich die Wichtigkeit der Funktionen eines ^\^s-ka.* und die besondere
Erwähnung des damit betrauten Gelehrten zum Schlüsse solcher Werke.
I) Kleinere Inkonsequenzen, gelegentlich auch Fehler in der Umschreibung türkischer
Eigennamen und Büchertitel will ich nicht besonders hervorheben; der aufmerksame
Leser verbessert sie ohne weiteres (z. B. die Schreibung ta'rich ivcc tärtch, vgl. die
Bemerkungen im türkischen Kamus; terdjumeti S. 13. i. Spalte und S. 25, i. Spalte
Z. I für ierdjümc-i; an letzterer Stelle ist zu lesen: tibjän-i näfi'- terdjümc-i hurhnn-i
käli"). Beiläufig: lautet nicht der Titel der chronologischen Tabellen des Hadschi-
Khalfa ,^j.|^ÄJi j*.Jj.äJ (Verf. umschreibt takivtm-i tewärtch)! Auch der Name des
FortsetzerV dieser Tabellen, Emir Buchara Scheich (S. 16), ist unvollständig und
überdies in dieser Form nicht in Ordnung.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. I ^y
S. 12. Von einer zweiten Auflage der Geschichte der Seekriege ist sonst nichts
bekannt, die betreffende Angabe bei Lüdeke dürfte auf einem Mißverständnis beruhen.
S. i6. Die Bemerkungen über die von Ibrahim besorgte unvollständige Ausgabe
der Kosmographie ') des Hadschi Khalfa sind in einigen Punkten zu berichtigen. Von
dem vollständigen Werke sind in Stambuler Bibliotheken Handschriften vorhanden; ein
von mir eingesehenes Exemplar in der Bibliothek des Mevleviklosters von Pera enthält
auch die Beschreibung der rumelischen Landesteile, die von v. Hammer in deutscher
Übertragung veröffentlicht worden ist. Aber, wie ich durch eingehende Vergleichung
dieser letzteren mit dem HAMwER'schen Texte festgestellt habe, hat v. Hammer nicht
die Handschrift der Wiener Hol bibliothek, sondern eine andere jetzt verschollene Hand-
schrift des Grafen Rzewusky als Vorlage benutzt. Damit erledigen sich die Zweifel, die
Flügel bezüglich der Autorschaft des Hadschi Khalfa geäußert hat.
S. i8 Anm. Die Papiermühlen am Wasserlaufe des danach benannten Kiat-hane
suju (griech. yjxpxaptxo;) müssen schon in sehr früher Zeit eingegangen sein. Der erste
Topograph von Stambul, Petrus Gyllius, fand sie Anfang des i6. Jahrhunderts nicht
mehr vor.
S. 19 a. 2. Das harte Urteil über die Stambuler Ausgabe des Aschikpaschazade
ist leider gerechtfertigt. Den Herausgeber trifft vor allem der Vorwurf, daß er bessere
Handschriften, die ihm bekannt waren, beiseite gelassen hat, obwohl sie ihm zur Ver-
fügung gestellt waren. So ist es gekommen, daß sein Text nicht einmal vollständig ist
und ganze Kapitel fehlen ! Weniger gereicht ihm zum Vorwurf, daß er von der Existenz
der vortrefflichen . Dresdener Handschrift nichts erfahren hat. Ist diese doch nicht nur
v. Hammer unbekannt geblieben, sondern sogar von Feischer ihrem Inhalte und Werte
nach verkannt worden. Sie wird im Catalogns Codicum Manuscriptorutn Oricntalium
Bihliothecae Regiae Dresdensis. Lipsiae MDCCCXXXl S. 8 unter Nr. 60 wie folgt
beschrieben:
Cod. turc. foll. 113, 4° min., char. neschi scriptus et vocalibus instructus,
continens i) Thewärich lüe-menäqiln-älT-'Oftmän, Historiam gentis Othomanicae
usque ad mortem Solimani I A. H. 974 (Chr. 1566) auctore Derwischo A'-hmedi-
''Aschiqi. Adjectus est conspectus dynastiarum antiquiorum. 2, opusculum de na-
tivitatibus etc.
Fleischer hat verkannt, daß in dieser Handschrift 3 Werke vorliegen:
i) die Chronik des Aschikpaschazade (die Bezeichnung des Autors als Derwisch
Ahmedi Aschiqi wirkt wie ein Inkognito), allerdings nicht ganz vollständig;
2) der tärJch des kleinen Nischandschi (sehr häufig in unsern Handschriftensamm-
lungen, auch gedruckt), der bis zum J. 1566 reicht;
3) ein nichtsnutziges astrologisches Werk.
Ich kann aus diesem Anlasse den Wunsch nicht unterdrücken, daß die Dresdener
Sammlung, die auch sonst verkannte wertvolle Stücke enthält, eingehender untersucht
und beschrieben werde.
S. 29. Über die von Löm^enklau veröffentlichten Übersetzungen türkischer Chro-
niken sind noch immer irrige unzutreffende Ansichten im Umlauf.
Zuerst erschienen die: A?inales SuUatiorum Othmanidarwn, Francofurdi 1588 (4°.
4 Bl. 519 SS.), vom Verf. aus der deutschen vom Dolmetsch Spiegel gefertigten Über-
setzung eines anonymen Geschichtswerks ins Lateinische übertragen und mit dem tür-
kischen Original verglichen, das vom Eigentümer der Kaiserlichen Bibliothek geschenkt
worden war. Wenn letzteres unter den von Flügel verzeichneten Handschriften vor-
1) Dies ist wohl das Vorbild des von Hadschi Khalfa als Titel gewählten L^äjl.^;
als Titel des Geschichtswerkes des Neschri ist es »Universalgeschichte«.
l5o Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
banden ist, so wäre es leicht daran zu erkennen, daß es nach Leunclavius' Angabe
die Zueignung an den Kaiser Rudolf trug.
Wenige Jahre darauf veröffentlichte Löwenklau seine Historiae Musulmanae (zuerst
Frankfurt a. M. 1591). in denen er die italienischen Übersetzungen von zwei türkischen
Chroniken und eines volkstümlichen Geschichtsbuches in wörtlicher lateinischer Über-
setzung wiedergegeben hat, indem er beide in kürzeren und längeren Abschnitten neben-
einander stellt; er bezeichnet die beiden Vorlagen als codex Vcrantianus bzw. Hani-
waldianus; die türkischen Urtexte besaß er nicht.
Nach eingehender Untersuchung und Vergleichung der Annales und der Uistoriae
mit dem Berliner Exemplar der ...L^ic 0^ ^Jj^J" des Muhji- eddin und den von
NöLDEKE und Behrnauer veröffentlichten Abschnitten aus Neschri bin ich zu folgendem
Resultate gelangt:
1. in den Annales liegt ein verkürzter Text des Muhji-eddin, vielleicht dessen
erster Entwurf vor;
2. der codex Verafttianus der Historiae ist eine Übersetzung der Chronik de
Muhj i-eddin.
3. der codex Haniwaldianus ist eine Übersetzung der Chronik des Neschri mit
eingelegten Abschnitten aus Aschikpas chazad e 's Chronik.
Die von Löwenklau bearbeiteten Übersetzungen des codex Verantiamts und Hani-
ivaldianus sind erstaunlich gut; mit Hilfe des Haniivaldianiis läßt läßt sich z. B. die
NöLDEiCE'sche Übersetzung der von ihm ZMG XIII und XV veröffentlichten Auszüge
aus Neschri an zahlreichen Stellen verbessern. Jedenfalls kann, [auch abgesehen von
der chronologischen Unmöglichkeit, keine Rede davon sein, daß Leunclavius bzw. seine
Gewährsmänner den Sa'deddin umgearbeitet oder gar übersetzt haben. Vielmehr trifft,
wenn man will, das umgekehrte zu: Sa'deddin hat seine berühmte »Krone der Historicft«
lediglich aus Aschikpaschazade, Neschri und Muhji-eddin in usum Delphini
zusammengeklittert, und durch das Ansehen, daß sein Werk dank seiner stilistischen
Formvollendung (nach den orientalischen Begriffen seiner Zeit) gewann, seine Quellen
der Vergessenheit überantwortet'). Es ist nur recht und billig hervorzuheben, daß der
jo vielfach verunglimpfte Hammer schon vor bald hundert Jahren den Sachverhalt im
ganzen und großen richtig erkannt hat; wie es denn überhaupt endlich an der Zeit
sein dürfte, diesen Mann auch von einem andern Standpunkte als dem engherziger
philologischer Akribie zu bewerten; den diesbezüglichen Worten Babingers (S. 31)
kann ich nur voll beistimmen.
Über Hansen Leweniclaun von Amelbeurn (lat. Johannes Leunclavius nobilis
Angrivarius) und seine Lebensschicksale sind wir nur mangelhaft, jedenfalls nicht so,
wie er es verdient, unterrichtet; vielleicht liefert uns Herr Babinger, dem wir bereits
eine gründliche Studie über den alten Theophil Siegfried Bayer verdanken, auch über
diesen Mann eine eingehende Monographie, wozu er besonders berufen erscheint.
•) Bezeichnend ist, daß Had s chi-Kh al f a (Lex. Bibl.) die Werke des As chi k-
paschazade und Neschri \xpL i^Sjil (leere,\ unbegründete Historieti, nicht wie
Flügel erklärt, vergessene, selten gewordene Geschichtsbücher) nennt. Die naive Dar-
stellungsweise dieser osmanischen Logographen entspricht ja allerdings nicht dem Stil
der offiziellen ,.ywAw.jjJ*jiij), läßt aber dafür um so klarer den sagenhaften Charakter
der osmanischen Urgeschichte hervortreten, während S a* d e d din und seine Abschreiber
daraus pragmatische Geschichte zurechtgemacht haben, ein Verfahren auf das viel mehr
die Bezeichnung ^^^ paßt.
Arosa, 7. 8. 1919. • J. H. Mordtmann.
Der ursprüngliche Sinn des hagg.
\'on
Carl Clemen.
Im Jahre 1905 erschien ein Buch: Wiih the Pü'grims to Mecca,
das von einem in England erzogenen Perser namens Hadji Khan
geschrieben sein will. Macdonald, aus dessen Vorlesungen über The
Religious Attitüde and Life in Islam ') allein ich es kenne, sieht keinen
Grund, diese Angabe zu bezweifeln, wenn auch des Pilgers Arabisch
von der sonderbarsten Art sei und er in seiner Jurisprudenz und Theo-
logie manche Fehler mache. So werden wir es als erlebt betrachten
dürfen, wenn der Verfasser schildert, wie er, der noch vor einem Monat
in einem Restaurant in London Limonade geschlürft habe, von dem
Eindruck der um die Ka'ba versammelten Wallfahrer ganz hinge-
nommen gewiesen sei. »A great awe feil 011 me .... The thought of home,
of country, of ivife, and child seemed drowned in a sea of passionate de-
votion to the creator of those human beings -) The bürden of existence
seemed to be lifted. If I did not actiially slip off the slough of the flesh,
I came to realize in a flash that the soul is immortal. « Lhid ähnliche Er-
fahrungen habe sein Führer gemacht, »as skeptical a rascal as ever
hreathed«; ja er habe bekannt: »the same emotion overmasters me every
year an entering the Ka^bah of Allah.« So versteht man es, wie wenig-
stens sehr viele Teilnehmer an dem /lag-g- dadurch eine Stärkung in
ihrem Glauben erfahren und diesen nun auch unter andern zu ver-
breiten suchen, ja daß sie infolge davon von jetzt an den Ehrennamen
eines /lägg- tragen.
Zugleich fühlen sich alle, die in Mekka gewesen sind, und unter
ihrem Einfluß nun ebenso die übrigen, die von ihnen nur hören, trotz
all ihrer sonstigen Unterschiede als eine große Einheit. So sagt noch
Syed Ameer Alis) : »The wisdom ivhich incorporated into Islam the
time-honoured custom of annual pilgrimage to Mecca and to the shrine
') 1909, 216 ff.
-) Macdon..\ld schreibt allerdings blessings.
3) The Spiril of Islam - 1896, 269.
Islam X. II
1^2 Carl Giemen.
of the Kaaba, has breathed into Mohammed'' s religion a freemasonry and
hrotherhood of jaith in spite of sectarian divisions«, und ähnlich Khuda
Bukhsh i) : »l'>ar after year, from all parts of the Islamic world, streamed
to Mekka Muslims in thousands and tens of thousands, to worship Allah
at the Ka'-bah and to perform the Hajj. There, at Mekka, year after year,
Muslims of divers nationalities recognized and realized the potent spell
of their faith and feit more deeply and keenly than ever the tie which bound
them together.« Insofern kann man Mekka auch als Mittelpunkt der
panislamischen Idee bezeichnen. »Ganz unwillkürlich«, sagt darüber
Becker 2), »kommt dem Pilger hier die herrhche Einigkeit und Größe
des Islam zum Bewußtsein, wo er die Völker der ganzen Welt zu-
sammenströmen sieht. Nicht eine Propaganda — die existiert nicht — ,
nein, der bloße Anblick frischt in ihm den panislamischen Gedanken
auf. «
Der /zag-g-, zu dem unter bestimmten Voraussetzungen jeder Mann
und jede Frau verpflichtet ist, wird eben, wenngleich verschieden
eifrig, von den Bewohnern aller Länder, in denen überhaupt der Islam
Anhänger hat, unternommen, am eifrigsten von den Muslims in Nieder-
ländisch-Indien 3). Kazem Zadeh4), der 1910/11 eine Wallfahrt
nach Mekka machte, berechnet die durchschnittliche Zahl der Teil-
nehmer an ihr auf 50 000, und das Geld, das sie alljährlich ins Land
bringen, auf 5 V-j Millionen Franken. So waren namentlich die Be-
wohner von Mekka immer sehr stark am /lagg- interessiert, ja. vSnouck
HuRGRONjE 5), dem wir ja die eingehendste Untersuchung desselben
verdanken, glaubt, daß auch Mohammed die Rücksicht darauf zur
Anerkennung des schon vor ihm vorhandenen Gebrauchs bestimmte.
Sicher ist der /lag-g- nicht so zu erklären, wie das Mohammed und
die späteren muslimischen Gelehrten tun, nämlich als eine Feier zur
Erinnerung an gewisse Erlebnisse der alttestamentlichen Frommen,
Adams und Evas und namentlich Abrahams und der Seinen. Er
wurde allerdings wohl vor Mohammed auch von Juden und nament-
lich von Christen gefeiert; aber das beweist nur, daß man seinen ur-
sprünglichen Sinn schon zu Anfang des 7. Jahrhunderts nicht mehr
kannte. So wird es erst recht schwer halten, ihn jetzt noch zu ent-
') Essays Indian and Islamic 1012, 18.
-) Panislamismits, ARW. 1904, 182; vgl. auch Tschudi, Der Islam und der Krieg
1914, II f.
3) Vgl. Snouck Hurgronje, The Achehnese 1906, II, 305.
4) Relation d'un pelerinage a la Mecque, RMM. 19 12, 19, 179.
5) Hei Mekkaansche feest 1880, 27. 188. Im übrigen vgl. außer der nachher anzu-
führenden allgemeineren und besonderen Literatur vor allem Juynboll, Handbuch des
islamischen Gesetzes 19 10, 134 ff.
Der ursprüngliche Sinn des /lagg. 163
■decken; ja, wir dürfen uns nicht wundern, wenn wir an manchen
Stellen zu keinem völlig sicheren Resultat kommen.
Zwar, daß man für den kag-g- den ihräm annimmt und sich zunächst
reinigt sowie neu kleidet, das geschieht ja ähnlich auch vor andern
gottesdiensthchen Verrichtungen und hat ursprünglich überall den-
selben leicht erkennbaren Sinn: man legt diejenige .Kleidung, die man
sonst trägt und die infolge davon profan geworden ist, ab und dafür
andere an, die man für gewöhnlich, auch nachher nicht tragen darf,
weil sie durch den Gebrauch im Gottesdienst mit besonderen, im all-
täglichen Leben gefährlichen Kräften erfüllt wird. Ja beim Umlauf
um die Ka'ba, von dem später des näheren zu reden sein wird, ist
dieser Sinn der Sitte deshalb noch besonders klar, weil man sich in
vorislamischer Zeit von den Quraisch Kleider mieten mußte; da jene
die Ka'ba in Besitz hatten, waren ihre Kleider eben einmal mit deren
Kräften erfüllt und konnten dann von ihnen auch weiterhin getragen
werden. Wollte oder konnte man dagegen die Miete für ein solches
Kleid nicht zahlen, dann blieb man einfach nackt, wie das ja (vor
allem wenigstens) aus dem gleichen Grunde auch bei andern Gelegen-
heiten, auch bei Griechen und Römern, üblich war ^). Wenn sich die
Pilger ferner nur mit Öl salben sollen, das seinen Geruch bald verliert,
und ihre Kleider nicht mit wohlriechenden Stoffen gefärbt sowie nicht
genäht sein dürfen, so sollten dadurch von ihnen (wie von dem Kleide
des jüdischen Hohenpriesters, das nach Josephus, ant. III, 7, 4 eben-
falls ungenäht sein mußte) ursprünglich umgekehrt fremde Einflüsse
ferngehalten werden. Eben deshalb dürfen die miikrims wohl auch
weiterhin keine Wohlgerüche gebrauchen; d. h. sie sollen sich nicht
einen Genuß versagen, sondern sich von fremden Einflüssen fern-
halten. Und ebenso erklärt es sich, daß sie den Geschlechtsverkehr
unterlassen müssen: auch bei ihm wirken ja nach primitiver Vor-
stellung auf den Menschen geheimnisvolle Kräfte ein, die sich mit
anderen, wie sie im Kultus eine Rolle spielen, nicht vertragen; daher
I) Vgl. Heckenbach, De nuditate sacra sacrisque vinculis 191 1, 8 ff. Wenn Well-
hausen, Reste arabischen Heidentums {Skizzen und Vorarbeiten III) 1887, 107 hinzusetzt:
»allerdings aber können auch andere abergläubische Motive dahinter stecken oder wenig-
stens hineinspielen; denn die Araber treiben allerlei Spuk mit dem Nacktausziehen«, so
gilt das in der Tat wohl namentlich von dem von Nöldeke (Arabs [Ancieni], Encyclopaedia
of Religion and Ethics I, 190S, 667 f.) berichteten Fall: a Bedawt, who belotiged to the
neighbouring tj'ibe of Hudhail, 7narched round the Ka'ba zuith his buttocks tmcovered,
apparcntly imagining that this was a peculiarly effective »leans of appealing to thc god.
Im übrigen \gl. namentlich Robertson Smith, Die Religion der Semiten 1899, 116 f., sowie
dieApulei., met. XI, 29 vorausgesetzte Sitte, daß die Isismysten dasGewand, in dem sie
eingeweiht worden waren, im Tempel zurücklassen mußten.
II*
1 54 Carl Clemen,
muß man bei allen .Völkern, wenn man die Gottheit verehrt oder
Zauberei treibt, (im allgemeinen) keusch leben "). Auch daß die muhrims
wenigstens kein nützliches Tier jagen dürfen — daß ihnen die Jagd
auf schädliche Tiere und die Fischerei erlaubt ist, dürfte eine nach-
trägliche Konzession sein, die für den letzteren Fall um so eher gemacht
werden konnte, als zur Fischerei in der Umgebung von Mekka keine
Gelegenheit ist — , wird den gleichen Grund haben, weshalb sonst bei
den verschiedensten Stämmen, wie Krieger und Totschläger, so Jäger
und Fischer nach ihrer Rückkehr tabu sind: sie stehen noch mit den
Geistern der von ihnen getöteten Menschen oder Tiere in Verbindung,
und diese könnten denjenigen Menschen, mit denen die Betreffenden
dann in Berührung kommen, schaden -) oder wenigstens mit den-
jenigen Kräften, die beim hag^ auf den Pilger einwirken, in Konflikt
geraten. Daß umgekehrt diese letzteren für das alltägliche Leben
gefährlich sind, ergibt sich wieder aus der aus Sure 2, 185 zu entnehmen-
den Sitte wenigstens mancher Stämme, in dieser Zeit ihr Haus nur
von hinten zu betreten; andere Stämme bringen überhaupt von ihnen
erlesfte Tiere oder Fische durch ein Fenster oder das Dach oder ein in
die Wand gemachtes Loch in ihre Hütte, und gewisse Indianer- sowie
indische Drawidastämme lassen mannbar werdende Mädchen oder
menstruierende Frauen nicht die gewöhnhche Tür benutzen, weil dies^
durch die gefährlichen Mächte oder Geister, die im einen wie im andern
Falle auf den Menschen einwirken, für künftigen Gebrauch ungeeignet
würde 3). Die muhrims dürfen sich endlich, solange sie sich in diesem
Zustande befinden, weder rasieren noch Haar und Nägel schneiden
oder auch nur kämmen, ähnlich wie sich die Nasiräer bei den Israeliten
oder nach Tacitus (Germ. 31, bist. IV, 61, i) unsere Vorfahren, so-
lange sie ein Gelübde hatten, oder die zwei Männer, die in Neukaie -
donien einen Toten zu bestatten haben, solange nicht scheren ließen
oder lassen 4) ; die besonderen Kräfte, die in allen diesen Fällen auf
den Menschen einwirken, werden eben vor allem, wie Geruch oder
Schmutz, in den Haaren oder unter den Nägeln gefunden. Dagegen muß
sich auch der muhrim, wenn sein Zustand zu Ende ist, wenn auch nur
andeutungsweise, scheren lassen, nicht um ein Haaropfer darzubringen,
sondern weil ihm nun jene Kräfte vielmehr gefährlich werden könnten.
•) Vgl. Fehrle, Die kuliische Keuschheit 19 10, 126 ff., Cr.vwlev, Chasiily {Introduc-
tory), Encycl. of Rel. and Eth. III, 1910, 483 ff.
-) Vgl. FR.A.ZER, The Golden Bough 3 II, iqii, 190 f. 205 ff. V, 1912, 2. 204 ff., auch
W.^CHTER, Reinheits-oorschriflen im griechischen Kult 191 1, 64 ff.
3) Vgl. Frazer, a.a.O. 3 V, 2, 189 f. 193. 196. 242 f. 256.
^) Vgl. ebd. II, 141. 261 f. Daß man sich oder Kindern Haare und Nägel überhaupt
oder zunächst nicht schneidet, hat andere Gründe.
Der ursprüngliche Sinn des Äagg, l5c
Angenommen werden kann der i/iräm gleich zu Anfang der Reise
oder später, und dann wieder entweder für die ganze Pilgerfahrt oder
zunächst nur eine '^umra oder Umwandlung der Ka'ba und die dazu-
gehörigen Zeremonien. Darin liegt wohl bereits, daß, wie zuerst
Wellhausen i) sah, die 'wmra ursprünglich nicht zum /lag-g- gehörte;
wird sie doch auch für sich vorgenommen und kommt sie doch beim
/lag-g- mehrmals vor. So muß sie ohne Rücksicht auf die sonst zu dem
/ia£-£- gehörigen und eigentlich mit diesem Namen bezeichneten Ge-
bräuche auf ihren ursprünglichen Sinn untersucht werden.
Die ^umra besteht zunächst aus einer mehrmaligen Umwandlung
der Ka'ba, wie solche ja auch in den verschiedensten andern Gegenden
üblich waren oder sind, vor allem allerdings bei Indogermanen, aber
auch bei den alten Ägyptern und Peruanern. Wie man zur Zeit der
Entstehung des Satapatha Brähmana noch sehr gut wußte, handelte
es sich dabei wohl ursprünglich um eine Nachahmung des scheinbaren
Sonnenlaufes, durch die — nach dem bekannten Prinzip der imitativen
Magie: Nachahmung eines Vorgangs bewirkt diesen selbst — der
Sonnenlauf bewirkt werden sollte; später glaubte man durch Um-
wandlung wohl auch Örtlichkeiten und Personen höhere Kräfte zu-
wenden oder endlich die Kräfte jener auf sich selbst überleiten zu
können. Ursprünglich aber fand die Umwandlung wohl in der Rich-
tung statt, in der sich die Sonne auf der nördlichen Halbkugel zu be-
wegen scheint (und daher auch der Zeiger der Uhr sich dreht), d. h. so,
daß man dem Umwandelten die rechte Seite zukehrt. Nimmt man
sie dagegen in der umgekehrten Richtung vor, so hat das dieselbe
nachteilige Wirkung, wie wenn man ein Gebet oder eine Zauberformel
von hinten aufsagt ; so erklärt es sich also wohl, daß das Umwandeln
links herum in der schwarzen Magie eine große Rolle spielt. Auch
der Tote, der ferngehalten werden soll, wird deshalb bei den Indern
zunächst dreimal links und dann erst dreimal rechts herum um-
wandelt, ebenso wie in der Thebais des Statins (VI, 215 ff.) bei der
Bestattung des Sohnes des Lykurgos die Krieger die Standarten um-
kehren
lustrantque ex more sinistro
orhe rogum;
und dann erst
luctus aholere novique
funeris auspicium vates . . .
... iubet: dextri gyro
. . . redeunt,
') Vgl. auch NöLDEKE, a. a. O. 668.
1 56 Carl Giemen,
ja. wie in der katholischen Kirche noch jetzt der Sarg links herum
umwandelt wird ^). . Aber wie die buddhistischen Gebetsräder, die ur-
sprünglich wohl nicht die auf ihnen stehenden Gebete wiederholen,
sondern ebenfalls den Sonnenlauf nachahmen und bewirken sollten,
sich doch manchmal anders als von Osten nach Westen drehen-),
so wird man ebenso die Umwandlnng auch sonst manchmal in der
dem scheinbaren Lauf der Sonne entgegengesetzten Richtung vor-
genommen haben, und so erklärt es sich wohl, daß der taimf um die
Ka'ba (der übrigens auch zu Pferde oder Kamel oder auf einer Kranken-
trage gemacht werden kann) links herum stattfindet — wenn das
nicht vielmehr im Gegensatz zu der ursprünglichen Sitte so vor-
geschrieben worden ist 3) . Jedenfalls könnte der }awäf von Haus aus
deshalb besonders gut ein Sonnenzauber der bezeichneten Art gewesen
sein, weil er, obwohl nicht an eine bestimmte Zeit gebunden, doch in
vorislamischer Zeit besonders im Monat Ragab, der damals in den
Sommeranfang fiel, stattfand; denn da konnte die Sonne der Stärkung
durch einen solchen Zauber vor allem zu bedürfen scheinen. Auch dies
paßt zu der in Rede stedenden Deutung, daß die ersten drei von den
im ganzen sieben Umwandlungen - diese Zahl der auch sonst üblichen
Umwandlungen braucht ja ebensowenig erklärt zu werden wie die der
hier besonders zu besprechenden — im Schnellschritt 4) gemacht
werden müssen; denn das war leichtbegreiflicherweise (nämlich um
den Zauber desto wirksamer zu machen) auch sonst für die Umwandlung
vorgeschrieben. In Athen hieß die des Herdes durch den Neugeborenen
ja geradezu djxcpiopofxia, weil sie im Lauf geschehen mußte; denn daß
das vielmehr dem Kinde Schnellfüßigkeit habe mitteilen sollen.
1) Vgl. GoBLET d' Alviella, MouUns a prieres, roues magiques et circumambula-
tions, Croyances, rites, institutions 191 1, I, 7 ff-, Circumambulation, Encycl. of Rel. and
Eth.. III, 657 ff., auch Hillebrandt, The Praciice of Circumambulation, Expository Times
XXII, 1911, 420 ff., Upright, Circumambulation, ebd. 563 f.
2) Vgl. Steiner, Das buddhistische Gebetsrad der Japaner, Zeitschr.f. Missionskunde
u. Religionswissenschaft 1910, 34 ff. 304 ff., Haas, Das Gebctsrad im japanischen Buddhis-
mus, ebd. 65 ff.
3) Vgl. DouTTE, Magie et religion dans VAfrique du Nord 1908, 576 f. Simpson, The
Buddhist Praying Wheel 1896, 132 ff. erklärt das vielmehr aus der Umwandlung von
Gräbern, und in der Tat findet die der Marabuts in Nordafrika auch nach Doutte in
dieser Richtung statt. Wenn Juynboll a. a. 0. 148 die Umwandlung der Ka'ba so erklärt,
daß man diese an der Herzseite haben wolle, so läßt sich das wohl nicht belegen.
4) Daß die Umwandlung der Ka'ba oder, wie er sagt, des Tempels zugleich im Hink-
schritt geschehe, behauptet Jeremias, Allgemeine Religionsgeschichte 191S, 93 wohl ohne
Grund, doch vgl. Wensinck, Some Semitic Rites of Mourning attd Religion, Vcrhande~
lingen der Roninklijkc akademic van rvctcnschapeti, afd. Letterkunde, N. R. XVIII, i,
19' 7» 43 f. 47.
Der ursprüngliche Sinn des /lagg, lÖ?
ist wenigstens nicht zu beweisen; wenn bei den Esthen zu diesem
Zweck der Vater des Kindes während der Taufe desselben, also ohne
es, um die Kirche rennen oder in Ostpreußen und Brandenburg der
Pate nach der Taufe das Kind schnell zu der Mutter tragen muß, so
ist das etwas anderes ^). Und ohne allen Zweifel handelt es sich ur-
sprünglich ebenfalls um einen Zauber, aber einen sogenannten Be-
rührungszauber, wenn man den in die Ostecke der Ka*ba eingemauerten
Steinfetisch küßt oder, falls man das nicht kann, mit der Hand oder
irgendeinem Gegenstand berührt, um diese dann zu küssen, sich an
den Moltazam (die Mauer zwischen dem Stein und der Tür) preßt und
aus dem Brunnen Zemzem trinkt: man will sich durch all dies die in
dem Stein, der ganzen Ka'ba und dem heiligen Wasser wohnenden
Kräfte aneignen.
Daß der dann folgende sa'-j, der Lauf von Safa nach MarWa, ur-
sprünglich nichts mit der "umra zu tun hat, ergibt sich wohl aus dem
Koranvers S. 2, 153: Fürwahr, Safä und Marwa gehören zu den heiligen
Plätzen Allahs; wer daher den hagg oder die ''umra um das Haus herum
vollzieht, für den ist es keine Sünde, wenn er dort auch den
tawäf (d. h. jenen sa''j) ausübt. Trotzdem handelt es sich auch bei
ihm, wie bei den zuletzt erwähnten, bei der '-umra üblichen Gebräuchen,
um einen Berührungszauber; denn der sa'-j ist wie andere ähnliche
Gebräuche durch Zusammenlegung der Prozessionen zu zwei Heilig-
tümern — in unserem Falle waren es, wie der Name zeigt, ursprüng-
lich ebenfalls göttlich verehrte Steine — entstanden, die ihrerseits,
wie Prozessionen überhaupt, ursprünglich den Zweck hatten, dem sie
unternehmenden und dadurch in Verbindung mit dem Heiligtum
kommenden dessen Kräfte zuzuwenden. Daß der sa'-j wenigstens
zum Teil in beschleunigtem Tempo verrichtet und daß dabei derselbe
Weg im .ganzen siebenmal zurückgelegt wird, bedarf nach dem Bis-
herigen ja nicht erst der Erklärung.
So können wir uns gleich dem eigentlichen hag^g- zuwenden, der
nun, während die erste damit verbundene '■umra an keine bestimmte
Zeit geknüpft ist, immer am 8. oder 9. Du^l-higg-a beginnt. An einem
dieser Tage begibt man sich zunächst von Mekka nach Mina und dann
(zum Teil im Geschwindschritt) nach 'Arafa, w^o am 9. DuH-higga
der wuküf, das »Verweilen«, stattfindet. Ein solches wird sonst im
Zusammenhang mit einem Opfer erwähnt, das also auch in 'Arafa
ursprünglich dargebracht jvorden sein könnte; oder man verweilt
') Vgl. auch VüRTHEiM, Amphidroniia, Mnemosyne 1906, 76 f. gegen Reinach,
L'amphidromie, Cultes, niythes et religions I, 1905, 137 ff., sowie Deubner, Birth {Greek and
J\oman), Enc. of Rel. and Eth. II, 1909, 648.
1 68 ' CarlClemen,
wenigstens an einer besonders heiligen Stelle, und daß eine
solche in der Tat ursprünglich auch in *Arafa vorhanden war, er-
gibt sich wohl aus dem Mohammed zugeschriebenen Wort: ganz
*Arafa ist viaukif (d. h. z£;m^z7/- Stätte). Wahrscheinlich galt einer der
die Ebene von '*Arafa im Norden begrenzenden Berge, auf dem auch
später noch Prozessionen mit Fackeln stattfanden, als heilig; der wiiküf
hatte also ursprünglich einen ähnlichen Sinn wie das Verweilen der
Israeliten am Sinai ex. 19, 12 f., 20, 21 i).
Wenn man am. Abend des 9. Du'l-higg-a zurück nach Muzdalifa
läuft, so handelt es sich dabei ursprünglich um eine ähnliche Pro-
zession zwischen zwei Heiligtümern, wie bei dem sa^'j zwischen Safa
und Marwa. Denn daß der wuküf, der nun auch hier stattfindet, eben-
falls ursprünglich einer bestimmten heiligen Stätte galt, ergibt
sich wieder aus der Mohammed in den Mund gelegten Äußerung:
ganz Muzdalifa ist maukif. Ja, die Tradition redet im Anschluß an
S. 2, 194 von einer besonders heiligen Stelle in Muzdalifa
und versteht darunter den Berg Ouzah, was wieder eine Bezeichnung
des Gewittergottes sein muß. Endlich wissen wir, daß bis auf
Harun arraschid während der Nacht von Muzdalifa ein Holzfeuer
brannte, das später durch eine Illumination mit Wachslichtern
ersetzt wurde; und wenn wir beachten, daß der DuH-hig-g-a, in dem
der hag-g- gefeiert wird, ursprünglich — d. h. bevor Mohammed das
reine Mondjahr einführte — in den Herbst fiel, so kann man dieses
Feuer in der Tat nach dem Vorgang von Nöldeke noch genauer
mit unseren zu dieser Zeit angezündeten Martinsfeuern vergleichen
und in dem hagg, soweit er bisher besprochen worden ist, einen
Sonnenzauber, eine magische Veranstaltung zur Verstärkung der
Sonnenwärme, deren die Sonne im Herbst natürlich besonders
bedarf, erblicken. Ja vielleicht ist auch die jetzt nicht mehr deut-
liche Feier in 'Arafa so aufzufassen; dann würde es sich nämlich besser
') ^'gl- HouTSMA, Het skopeKsme en het steenwerpen ie Mi/ta, Ve^-slagcn en niede-
declingen der koninklijkc akadcmic van ivctcnschapcn, afd. Lettcrku/tdc, N. R. IV, 10. 1904,
195 f. — Nur in der Anmerkung erwähne ich eine von Kazem Zadeh (a. a. 0. 214) in
folgender Weise beschriebene Sitte der persischen Pilger: »//j tracetii du doigt sur Ic
sol un pctit ccrclc au nom de cclui quHls dcsirent z'otr venir aux licux saints. Par-
fois mime, des pcrsonnes tres picuses, dcsirani faire elles-memes un seeond ou un trois-
ihne pelerinage, tracent ainsi un cercle en leur propre nom. Cest ufic coutume ti'es
rcpandue , et chaque fois qu'un pclerin se rend a la Mecque, ses a?nis et ses parcnts
lui disent au moment ae son dcpart, avec emotion et ?neme /es /armes aux yeux:
,Ne m'oub/ic pas att pied du mont Arafat'.«. Über die sonstige Verwendung solcher
Kreise vgl. Doutte, a. a. 0. 244 f., und namentlich Goldziher, Zauberkreise, Aufsätze zur
Kultur- und Sprachgeschichte , E. Kuhn geividmet 19 16, 83 ff.
Der ursprüngliche Sinn des hagg. j gg
erklären, weshalb Mohammed vorgeschrieben haben soll, erst am
9. Du^l-higga nach *Arafa zu gehen und den wuküf in Muzdalifa am
Abend desselben Tages nach Sonnenuntergang und am Morgen des
folgenden, 10., vor Sonnenaufgang vorzunehmen, als wenn man
annimmt, er habe damit nur die alte Sitte überhaupt abändern wollen.
Wahrscheinlicher tat er das deshalb, weil es für sie gerade darauf
ankam, daß der wuküf in *Arafa bei Sonnenunter- oder -auf gang und
der in Muzdalifa bei Sonnenunter- und -auf gang stattfand, d. h. weil
jene Feuer des Abends oder (bzw. und) Morgens angezündet
wurden, und dies wieder, weil sie der unter- oder aufgehenden
Sonne zu Hilfe kommen sollten. Aber sicher ist diese Deutung der von
Mohammed gegebenen und im ersten Falle später vielfach nicht be-
folgten Vorschriften natürlich nicht.
Und wie ist endlich das Steinwerfen zu erklären, das zunächst,
nachdem man am 10. Du'l-hig-ga von Muzdalifa wieder nach Mina ge-
laufen ist, hier mit sieben Steinchen nach dem sogenannten Stein-
haufen der 'Akaba und dann, nachdem man sich das Haupthaar hat
scheren lassen sowie die '^umra um die Ka*ba (wenn das nicht schon
früher geschehen ist, auch den sa''j zwischen Safa und Marwa ausge-
führt hat, wieder. in Mina am 11., 12. und eventuell 13. DuH-hig-ga mit
42 bzw. 63 Steinchen nicht nur nach dem genannten Steinhaufen,
sondern auch noch nach zwei andern stattfindet? Da nach einer
Überlieferung am 10. Du^l-higga die Eiligen gern schon am Vormittag
das Steinwerfen vorgenommen hätten, es aber erst, wenn die Sonne
zu sinken begann, tun durften, meint Houtsma, die Zeremonie, auf
die jetzt noch ein Opfer folgt — es wird ja nicht nur von den Pilgern,
sondern auch den Daheimgebliebenen dargebracht und heißt das
große Fest — , habe ursprünglich den Schluß der Feier gebildet,
und sofern die Hitze am Nachmittag am größten sei, sich aber auch
schon ihrem Ende zuneige^), schließt er weiter, das Steinwerfen
habe die Tötung des Sommers bedeutet, die man in Arabien ebenso
wie anderwärts die des Winters habe darstellen oder vielmehr be-
wirken wollen. Ja, Houtsma glaubt das auch damit beweisen zu
können, daß in der Liste der arabischen Feuer bei an-Nuwairi un-
I) Wenn Houtsma zum Vergleich auf Ovid, Fastett II, 364 verweist, wonach an
den Luperkalien die Lithobolie auch stattgefunden habe niedias solc tenente vias, so be-
deutet das erstens etwas anderes und zweitens handelt es sich nicht um einen Gebrauch
des Luperkalienfestes, sondern einen Zug in der einen Erklärung desselben, die Ovid gibt:
um jene Zeit
Romulus et f rater pastoralisque iuventus
Solibus et campo corpora nttda dabattt.
I 70 Carl Clemen,
mittelbar auf das vorhin erwähnte Feuer von Ouzah das när al-istis^a*,-
das Regenfeuer, folgte, das man in Jahren großer Dürre in -der Weise
anzündete, daß man Zweige des sala^- und 'w^ar-Baumes an die
Schwänze von Kühen band und in Brand steckte, um so das Züngeln
der Blitze nachzuahmen und den Gewitterregen zu bewirken — ähnlich
wie man wohl zum gleichen Zweck an den römischen Cerealien, also
am 19. April, brennende Fackeln an die Schwänze von Füchsen band,
während die entsprechende Maßregel Simsons (Richter 15,4) in der
Tat andern Sinn gehabt haben müßte "). Es ist auch nicht zu leugnen,.
daß der Sommer oder vielleicht sogar der Sonnendämon konnte ge-
tötet werden sollen, obgleich man durch das Feuer von Quzah und
die Fackeln von *Arafa wohl vielmehr die Sonne stärken wollte: das
letztere war auch der Zweck der Martinsfeuer, und doch wurde wohl
zugleich der Sommer in Gestalt eines an Armen und Beinen mit Stroh
umwundenen Jungen vom »Winter« besiegt oder als Strohpuppe ver-
brannt 2). Aber sicherer ist es natürlich, das Steinwerfen in Mina so zu er-
klären, wie der gleiche Brauch sonst, und zwar auch bei den Arabern
selbst, aufgefaßt wird, bzw. aus den verschiedenen derartigen
Deutungen, die an sich möglich sind 3), die befriedigendste aus-
zuwählen.
Wellhausen scheint das Steinwerfen in Mina als ursprüngliche
Entehrung Toter erklären zu wollen, wie eine solche in der Tat
auch sonst in Arabien üblich war. »So wurden dem Magqala b.Hubaira
bei einem Besuche des Friedhofs der Thaqif in Kufa von seinen Klienten
Steine in die Hand gedrückt, damit er sie auf das Grab seines dort
beerdigten Todfeindes al-Mughira werfe; und das Grab des jedem
') ^S^' 3.uch Greszmann, Die Schriften des Alten Testaments I, 2, 1914, 252, sowie
Liebrecht, Ein Fuchsfnythns, Zur Volkskunde 1879, 260 ff. und Frazer, a. a. 0. ^ V, i,
297, 5 nebst der von beiden angeführten sonstigen Literatur.
^) Vgl. meinen Artikel: Der Ursprung des Martinsfestes, Zeitschrift des Vereins für
Volkskunde 1918, 11 f. Auf eine Tötung von die Sonne bedrängenden Dämonen
deutet nichts hin.
3) Über andere vgl. Chauvin, Le jet des pierres au pelerinage de la -Mecque, Annales
de Vacadeniie royale d'archeologie de Belgique, 5. ser., IV, 272 ff., und Houtsma, a. a. 0.
201 ff. Nach Snouck Hurgronje, a. a. 0. 21 hatte das Steinwerfen vielleicht wahr-
sagende Bedeutung; das wäre angesichts von Haberlandt, Die Sitte des Steinwerfens
und der Bildung von Steinhaufen, Zeitschrift für Völker psvchologie und Sprachierissenschaft
1880, 300 denkbar, ist aber doch in keiner Weise wahrscheinlich zu machen. — Daß der
Lauf nach Muzdalifa und Mina nicht mit Houtsm.\ als Verfolgung des Sonnendämons zu
erklären ist, ergibt sich ja schon daraus, daß diese Gangart auch sonst vorgeschrieben ist.
Eher könnte man, wie nach Eisler {ARW. 1908, 150 f.) beim Pferderennen, an einen
Analogiezauber zur Beförderung des Sonnenlichts denken, aber auch das ist aus dem
bereits angeführten Grunde nicht wahrscheinlich.
Der ursprüngliche Sinn des /ittgg. 17 i
guten Muselmann entsetzlichen Muslim b. Uqba zu al-Muschallal blieb-
lange Zeit das Ziel frommer Steinwürfe ^).« In Syrien und am Senegal
verfährt man noch jetzt so mit den Gräbern von Mördern ^), und an
der Straße von Zeifa nach Schoa in Ostafrika warf wenigstens um die
Mitte des vorigen Jahrhunderts noch jeder Vorüberziehende einen
Stein auf einen Haufen, weil dieser nach der Überlieferung einen Greis
und seine Tochter decken sollte, die in grauer Vorzeit hier wegen Blut-
schande gesteinigt worden seien 3). Ja, dieser Gebrauch ist dann
wohl auch auf den bloßen Ort eines Verbrechens übertragen worden;
so wirft man in Schweden und auf der Insel Oesel auf die Stelle, wo zwei
im geheimen verbotener Liebe gepflegt haben, Steine 4); oder die Sitte
gilt nur dem Verbrechen an sich ; so errichten die Dayaks von Batang
Lupar auf Borneo zur Erinnerung an eine besonders schamlose Lüge
oder einen besonders verächtlichen Wortbruch einen Steinhaufen, auf
den auch jeder Vorübergehende einen neuen Stein wirft 5). Aber bei
den Steinhaufen in Mina deutet auf irgendeinen derartigen Ursprung
nichts hin.
Und ebensowenig darauf, daß es sich bei ihnen eigentlich um die
Gräber von solchen handelte, die durch eigene oder fremde
Hand (vielleicht auch durch wilde Tiere) gestorben waren und
von denen man deshalb fürchtete, sie könnten, um sich
an ihren Feinden oder den Überlebenden überhaupt zu
rächen, wiederkommen. Daß man deshalb nach Gräbern mit
Steinen wirft, hören wir wieder zunächst aus dem ganzen Gebiet des
Islam 6). Ferner finden wir diese Sitte in Indien 7), auch in Griechen-
land und Italien herrschte sie; denn wenn Pausanias, descr. Gr.
VIII, 13, 3 sagt, unterhalb des arkadischen Orchomenos seien Stein-
haufen, lTr£veixT|&rjCjav oe £v iroXsfxoj Trsaouaiv avopaaiv, [oder X, 5, 4
von den Gräbern des Laios und seines Dieners auf der phokischen
Schiste: sir' auxöiv mUoi Xo-^aos? aeawpsujxsvot, so meint er wohl, daß
diese Steine erst später immer von neuem auf sie gehäuft
wurden, und wenn Pseudo- Servius zu Verg., Aen. XI, 247 erzählt,
auf dem Gipfel des Garganus seien zwei Brüder begraben, die sich
I) A. a. 0. 109 f. — Über das Grab Abu Righals vgl. genauer Likbrecht,.
a, O. 283.
-) Vgl. Frazer, a.a.O. ^ VI, 1913, 16 f.
3) Vgl. Haberland, a. a. 0. 292, auch Wensinck. a. a. 0. 97 f.
4-) Vgl. Frazer, a. a, O. =» VI, 14.
5) Vgl. Haberl.\.nd, a.a.O. 299, Frazer, a.a.O. ^ VI, 14.
6) Vgl. Haberland, a. a. 0. 291.
7) Vgl. Frazer, a. a. O. » VI, 19.
172
Carl Giemen,
gegenseitig getötet hätten, quae res admirationem habet ülam, qua, si
qui duo inter ipsam silvam agentes iter uno impetu vel eodem momento
saxa adversum sepulcra iecerint, vi nescio qua saxa ipsa separata ad
sepulcra singula decidunt, so setzt er voraus, daß man überhaupt nach
den Gräbern mit Steinen wirft ^). Dasselbe wird w^eiter von den
Gräbern von zwei durch die Hand voneinander gefallenen oder von
Gräbern anderer, auf irgendwelche gewaltsame Weise ums Leben
gekommener in Schweden, Norwegen, Island, Irland und Deutschland
berichtet 2) ; z. B. erzählen Kuhn und Schwartz 3) : »Etwa eine halbe
Stunde vom Dorfe Rauen liegt am Abhang der Berge hart an der
Straße nach Storkow zur rechten Hand ein Aufwurf von Steinen und
Reisig, den jeder Vorübergehende vermehrt. Dieser Hügel heißt der
Nobelskrug; es soll da nämlich vor alten Zeiten ein Krug gestanden
haben, in dem ein Krüger namens Nobel gewohnt; der ist dort, niemand
weiß, weshalb, erschlagen worden, und da hat man denn zum An-
denken die Steine und Baumzweige hingeworfen. « Auch sonst wurden,
ohne daß das hier näher untersucht werden könnte, häufig mit den
Steinen Stöcke, Zweige oder Blätter hingeworfen 4), und wennschon
das ursprünglich gewiß den angegebenen Grund hatte, geschah es
doch auch sonst später nur zum Andenken und daher nicht bloß
an der Stelle, wo einer begraben lag, sondern ebenso an derjenigen,
wo einer nur getötet worden war. Zugleich freilich wollte man
damit vielleicht wieder seinem Abscheu vor einer solchen Untat
Ausdruck geben; jedenfalls ist die Sitte, deshalb an der Stätte eines
Mordes Steine aufzuschichten, sozusagen über die ganze Erde ver-
breitet und findet sich nicht nur in Asien, Afrika und Europa, sondern
auch in Nord- und Südamerika, auf Celebes und Neuseeland 5). Um-
gekehrt häufte man nicht nur auf die Gräber von solchen, die auf
gewaltsame Weise aus dem Leben geschieden waren, sondern auf
Gräber überhaupt Steine und betrachtete sie nun vielmehr als
Opfer, die (mit andern zugleich) den Toten dargebracht würden.
Auch diese Auffassung des Steinwerfens treffen wir überall im Islam
an und ebenso bei den Hottentotten, den Tataren, den Bewohnern von
Unalaschka (einer der Aleuten), hier und da auch in Irland, Schottland,
I) Vgl. B. Schmidt, Steinhaufen als Fluchmale, Hermesheiligtümer und Gräbhügel in
Griechenland, Neue Jahrbücher für Philologie u. Pädagogik 1893, 389 f.
J) Vgl. Liebrecht, a. a. 0. 272 f., Kahle, Cber Steinhaufen, insbesondere auf Island,
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1902, 204 f.
3) Morddeutsche Sagen, Märchen u. Gebräuche 1848, 85.
4) Vgl. Frazer, a. a. 0. » VI, 15 ff.
5) Vgl. ebd. 15, auch Pausanias's Descrif>tion of Greece IV, 1898, 227.
Der ursprüngliche Sinn des fiagg. ' 17^
Deutschland* der Schweiz, Österreich und Ungarn. Am bekanntesten
ist es wohl, daß die Juden auf die Gräber Steine legen, während die
Sitte, daß Kinder, die zum erstenmal die Burgeiser Alp im Vintschgau
besteigen, auf den dort befindlichen Steinhaufen einige andere Steine,
die sie vorher eingesteckt haben, werfen und dazu sagen: »Ich opfere,
ich opfere den wilden Fräulein«, obwohl diese dort begraben sein
sollen, doch schon zu den Steinopfern nicht für Verstorbene,
sondern für Naturgeister hinüberführt i). Solche Opfer werden
allerdings besonders Wassergeistern dargebracht; so werfen z. B.
die Xosa- Kaffern, wenn sie durch den Fluß gehen, einen Stein hinein
und beten: Fluß, friß mich nicht -); so mußte auch in den Wasserfall
bei Krimml am Großglockner jeder Vorübergehende, um glücklich
wieder nach Hause zu kommen, und ebenso in den Brunnen auf dem
Tomberg im Regierungsbezirk Köln jeder, der aus ihm schöpfen wollte,
einen Stein werfen 3). Aber auch sonstigen Geistern werden neben
andern solche Opfer dargebracht, so besonders in Tibet 4); ja auch bei
der japanischen Sitte, dem Jizo Steine in den Schoß zu werfen, die
man jetzt damit rechtfertigt, daß der Gott dann den Kindern, die an der
buddhistischen Styx Steine aufhäufen müßten, ihre Arbeit erleichtern
würde -^), handelt es sich ursprünglich um ein ihm dargebrachtes
Opfer. Liebrecht, der wohl zuerst die ganze hier in Rede stehende
Sitte untersucht hat, meint auf diese Weise zugleich das Steinwerfen
in Mina erklären zu können; nach der Tradition habe nämlich Amr ibn
Luhaj in Mina sieben Götzenbilder aufgestellt, von denen jedes mit
drei Steinen beworfen wurde, während Mohammed statt dessen drei
Steinhaufen errichtet habe, von denen jeder mit sieben Steinen
beworfen werden sollte. Aber ganz abgesehen davon, daß sich
so diese spätere Sitte noch nicht genügend erklären würde, ist
die Tradition wohl zu unsicher, und selbst wenn das Steinwerfen
ein ursprüngliches Opfer wäre, so würde dieses nicht nur auf die
entsprechende Behandlung von Gräbern, namentlich der Gräber
I) Vgl. Andree, Ethnographische Parallelen u. Vergleiche 1878, 46 ff.. Liebrecht.
a. a. 0. 288 ff., wozu aber H.a.berland, a. a. O. 303, zu vergleichen ist, auch Frazer,
a. a. O. 3 VI, 16.
-) Vgl. Kropf, Das Volk der Xosa-Kaffern 1906, 186 f.
3) Vgl. Liebrecht, a. a. 0. 276, Haberland, a. a. 0. 304 f.
4) Vgl. ebd. 297 ff., Waddell, The Buddhism of Tibet 1895, 204. 286, K.xhle,
a. a. 0. 93 ff.
5) Vgl. Lange bei Chantepie de la Saussaye, Lehrbuch der Religionsgeschichte '^
1905, L 123, Moore, History of Religions L I9I4- 140. t't)er eine kambodjanische Sitte,
die wohl ursprünglich auch denselben Sinn hat, vgl. Lkclerc, Le Biiddhisme auCambodge,
1S99, 364. 474 f.
lyA Carl Giemen,
solcher, die auf gewaltsame Weise aus dem Leben geschieden sind,
sondern zugleich noch auf einen andern Gebrauch zurückgehen, von
dem wir zum Schluß noch reden müssen.
Gewiß sind die Steinhaufen, die wir in Arabien und ebenso in den
verschiedensten andern Gegenden der Welt finden, vielfach nur Weg-
marken, auch wenn sie auf Bergen oder wenigstens Paßübergängen
errichtet sind und von jedem, der da vorbeigeht, um einen Stein ver-
größert werden. Aber wie auch sonst, so wird diese Sitte namenthch
in den letzteren Fällen häufig damit erklärt, daß man zugleich mit
dem Stein, den man wegwirft, seine Müdigkeit los werde.
»Thus in the Solomonans Banks' Islands, « sagt Frazer '), der" die
Sitte des Steinwerfens zuletzt behandelt hat, Uhe natives are wont to
throw sticks, stones, or leaves upon a heap at a place of steep descent, or
where a dijficult path begins, saying, »There goes my jatigue«. . . . When
the Peruvian Indians were dimbing steep mountains and feit zueary, they
used to halt by the way at certain points where there were heaps oj Stentes,
which they called apachitas. On these heaps the weary men would place
other stones, and they said that when they did so, their weariness lejt them.
In the passes of the eastern Andes, on the borders of Argentina and Bo-
livia, large cairns are constantly found, and every Puna Indian, on
passing, adds a stone and a coca leaf, so that neither he nor his beast of
bürden may tire on the way. In the country of the Tarahumares and
Tepehuanes in Mexico heaps of stones and sticks may be observed on
high points, where the track leads over a ridge between two or more Valleys.
Every Indian who passes such a pile adds a stone or a stick to it in order
to gain strength for his journey. . . . In Guatemala also piles of stones
may be seen at the partings of ways and on the tops of cliffs and mountains.
Every passing Indian used to gather a handful of grass, rub his legs with
it, spit on it, and deposit it with a small stone on the pile, firmly per-
suaded that by so doing he would restore their flagging vigour to his weary
limbs.« Wie man dazu kommt, ist ja auch leicht zu sehen: »the way-
farer, <( sagt wieder Frazer ^), who has toiled, with aching limbs and
throbbing temples, up a long and steep ascent, is aware of a sudden allevia-
') A. a. O. VI, 9 f. Auch F.\rquhar, A Primer of Hinduism " 1912, 186 bildet a
wayside goddess ab, at whose shrinc a weary iraveller dcposits a rag atid a stone, in
order that he may lose his fatigue. Wenn man, wie Frazer weiterhin zeigt, in Afrika
Steine hinwirft, bevor man einen Berg besteigt und um sich vor Ermüdung zu schützen,
in Afghanistan nach einem von Kahle, a. a. 0. 20S, wiedergegebenen Zitat aus Dania 8, 50
ebenfalls im Tal, und wenn man sich krank fühlt, so zeigt das, daß der ursprüngliche Sinn
des Brauchs später natürlich vielfach (wenigstens zum Teil) vergessen worden ist.
=) A.a.O. 12; vgl. auch Doutte, a.a.O. 42S.
Der ursprüngliche Sinn des /tagg. ijt^
iion US soon as he has reached the sumimt; he feels as if a weight had
beeil liftedjrom htm, aiid to the savage, with his concrete mode of thought,
it seems natural atid easy to cast the weight front htm in the shape of a
stone or stick, or a hunch of leaves or of grass. « Besonders deutlich wird
dieser Sinn des Gebrauchs dadurch, daß man auf die Steine usw., wie
wir das oben in einem andern Falle schon auch beobachteten, spuckt
oder sich mit ihnen reibt ; ebenso dadurch, daß man manchmal zugleich
mit Steinen auch Kleidungsstücke i), und zwar die von leiden-
den Körperteilen, von sich wirft 2). Wie die Ermüdung, be-
trachtet man eben die Krankheit als eine Eigenschaft, die sich auf
einen andern Gegenstand überträgt und mit ihm abgetan werden kann,
ja, wie Krankheiten und sonstige Leiden, so sieht man auch
Sünden an und meint, sich von ihnen ebenfalls auf die angegebene
Weise reinigen zu können. Wo man das später nicht mehr glaubte,
da betrachtete man die Steine und Kleidungsstücke, die man wegwarf,
vielmehr als Opfer und fügte zu ihnen noch andere Gegenstände
hinzu, die von vornherein nur diesen Sinn haben konnten, so namentlich
Geldstücke; aber ursprünglich handelte es sich bei dem Steinwerfen
wohl um einen magischen Gebrauch. Und als solcher ist nun
nach DouTTE, dem de Goeje 3) und Frazer zuzustimmen geneigt sind,
in letzter Linie das Steinwerfen in Mina aufzufassen; das ist deshalb
noch besonders wahrscheinlich, weil wenigstens der Steinhaufen der
'Akaba, wie schon sein Name sagt, zwar nicht auf dem Berge, aber
doch einigermaßen erhöht steht 4) und man auf ihn nach BuhäriS)
aus dem Tale heraus Steine werfen muß.
Freilich paßt der Gebrauch dann nicht ganz zu den andern, bei
dem hagg üblichen, die zwar ebenfalls magischen Charakter trugen,
aber doch nicht die Befreiung von irgendwelchen Übeln be-
zweckten. Indessen solche Reinigungszauber erscheinen auch sonst
manchmal in Verbindung mit Sonnenzaubern, wie wir sie in den in
'Arafa und Muzdalifa üblichen Feiern erkannten. Man springt über
oder durch das Johannis- und Martinsfeuer wohl nicht nur, um sich
seine Kräfte anzueignen, sondern um sich von allerlei Übeln zu
I) Vgl. Hackmann, Der Buddhismus in China, Korea loid Japan 1906, 54 (der aber
an Gebetsflaggen denkt), Underwood, The Religions of Eastem Asia 1910, 113, Courant,
Korea, Encycl. of Rel. and Eth. VII, 19 14, 756.
") Vgl. Weinhold, Die Verehrung der Quellen in Deutschland, Abhandlungen der
Akademie der Wissenschaften in Berlin 1898, 64.
3) Internationales Archiv für Ethnographie 1904, 42.
4) Vgl. auch die Abbildung bei Kazem Zadeh, a.a.O. hinter S. 222.
5) Les tradilions Islamiques, trad. par Houdas et Mar^ais I, 1903, 560.
176
Carl Cl e ra en .
befreien; man streut auch die Asche des ausgebrannten Martins-
feuers über die Wintersaat, um sie vor Schneckenfraß zu
schützen ^). Oder wenn das noch etwas anderes ist und wenn es
überhaupt bedenkhch erscheinen sollte, diese germanischen Ge-
bräuche mit altarabischen zu vergleichen: vielleicht gehörten diese
letzteren eben ursprünglich gar nicht zusammen. Mit andern Worten:
w^enn Wellhausen-) von der ganzen Feier sagt: »Wir haben die
Stationen des Kalvarienberges ohne die Passionsgeschichte«, so liegt
das vielleicht daran, daß es eine solche (d. h. eine einheitliche Er-
klärung für die verschiedenen Zeremonien) gar nicht gab. Wie der
sa^j von Safa nach Marwa ursprünglich nicht mit der Umwandlung
der Ka'ba und der /lag-g- nicht mit der ''umra zusammengehörte, so viel-
leicht auch das Steinwerfen nicht mit den übrigen Zeremonien bei
ersterem; es kann also von Haus aus einen wesentlich anderen und
den angegebenen Sinn gehabt haben 3).
Daß wir, wie in einigen anderen Beziehungen, so namentlich in
dieser, auf die Frage nach dem ursprünglichen Sinn des /ia£-g- keine
bestimmte Antwort geben können, ist nach dem früher Gesagten
nicht auffällig; im großen und ganzen handelt es sich bei ihm jeden-
falls, wie wieder Wellhausen -;) sagt, um ein »klotziges Stück Heiden-
tum«, ja um magische Gebräuche, die auf die allerälteste Zeit zurück-
gehen werden. Es war daher auch verständlich, wenn Snouck Hur-
GRONjEi;) meinte: nzou eenmal (hetgeen te betwij feien valt) Sprenger5-
hoop vervuld worden, dat 00k de moslims hunne Tübinger school mochten
verkrijgen, dan zal voorzeker het Mekkaansche feest het eerst aan de heurt
zijn om geschrapt te worden van de lijst der zaken, die tot het wezen [of
de idee}) van den Islam behooren.« Freilich erfüllt hat sich zwar jene
Hoffnung Sprengers — der Islam hat nicht nur seine rationalistische,
I) Vgl. meinen angeführten Artikel 13.
^) A. a. O. 66.
3) Vgl. auch NÖLDEKE, a.a.O. 669: itWhether the whole march from 'Arafat io
Minä was determined hy a single plan, having a consistent mythological signification,
wheiher, in other words, each individual rite is to bc regarded as an integral part of
a mythological drama and is capable of beittg so interpreted by us, appears extremely
doubtful.«.
4) A.a.O. 64; vgl. auch Tiele-Söderblom, Kompendium der Religionsgeschichie 4,
1912, 194: »es dauerte lange, ehe diese unerhörte Neuerung: ein Stück des altarabischen
fetischistischen Heidentums in den Islam aufzunehmen, durchgeführt werden konnte.
Noch im Jahre 630 sollen die Medinenser die Zerstörung der Kaaba erhofft haben«, 196:
»dem Islam war ein Stück groben Heidentums einverleibt, das von seinen edelsten Männern,
wie einem Omar, nie verdaut werden konnte, sondern als ein fremder und unwürdiger Be-
standteil empfunden wurde«.
5) A. a. 0. 190.
Der ursprüngliche Sinn des hagg. \nj
sondern auch seine kritische Theologie bekommen (als Vertreter der
ersteren kann ja Syed Ameer Ali, als der der andern Khuda
Bukhsh gelten) — , aber diese Erwartung Snouck Hurgronjes ist
nicht eingetroffen; denn wie die genannten beiden Muslims tat-
sächlich über den hagg urteilen, haben wir schon eingangs gesehen.
So ist an ihm vielmehr ganz besonders deutlich ein Gesetz zu beob-
achten, das auch sonst auf religionsgeschichtlichem Gebiete vielfach
gilt, das Gesetz nämlich, daß selbst Einrichtungen, die der primitivsten
Zeit entstammen, doch in einem andern, höheren Sinne verstanden
noch die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigen können.
Islam X, 12
Arabische Straßenausrufe.
Von
Enno Littmann.
Im Archiv für Wirtschaftsforschung im Orient IQIJ,
Heft 3/4, S. 410 — 462, veröffentHchte ich einen Artikel unter der Über-
schrift »Der Cairinei' Straßenhandel in seinen Ausrufen«. Er enthält
zunächst eine Sammlung von Straßenausrufen aus Cairo, die in meinem
Auftrage oder von mir selbst im Jahre IQII veranstaltet wurde, dann
aber auch einen Teil der aus der Literatur bekannten arabischen
Ausrufe. Dem Zwecke des Archivs gemäß konnte ich dort nur die
Übersetzungen der Ausrufe mit erklärenden Bemerkungen geben. In-
zwischen wurde ich mehrfach aufgefordert, auch die arabischen Origi-
nale herauszugeben. Da ich diesen Wunsch als berechtigt anerkennen
muß, will ich ihm hiermit entsprechen.
Inzwischen hat sich mir jedoch das Material in erfreulicher Weise
gemehrt. Mein Freund Dr. M. Meyerhof in Hannover teilte mir eine
ganze Anzahl von Ausrufen mit, die er teils in eigener Erinnerung hatte,
teils von einer in Hannover lebenden Levantinerin und ihrer Mutter
sich hatte sagen lassen; diese Ausrufe stammen alle aus Cairo. Ferner
wurde mir seither bekannt die Sammlung von Ausrufen, die mein
Oldenburger Landsmann, der hochverdiente Orientreisende Ulrich
Jasper Seetzen, im Jahre 1808 in Cairo aufzeichnete und die kein
Geringerer als Heinrich Leberecht Fleischer bearbeitete. Es tut
mir leid, daß ich diese Sammlung nicht für meinen Artikel in dem
Archiv nutzbar gemacht habe, zumal sie manche lehrreichen Vergleichs-
punkte in sachlicher Beziehung bietet. Ferner habe ich eine kleinere
Anzahl von arabischen Ausrufen nachzutragen, die an verschiedenen
Stellen von Spitta's Grammatik sowie in den Lehrbüchern des Palä-
stinischen Arabisch von Leonh.ard Bauer und von H. H. Spoer ab-
gedruckt sind. An zwei Stellen (Nr. 203 a, 292) konnte ich auch Aus-
rufe erwähnen, die mir freundlichst von P. Kahle mitgeteilt wurden;
hoffen wir, daß seine durch den Krieg in Cairo zurückgehaltene Samm-
lung auch bald der Wissenschaft zugänglich gemacht werde. Wäh-
Arabische Stiaßenausrufe.
179
rend des Druckes stellte mir. Herr Dr. Mielck in dankenswerter
Weise eine Sammlung von Ausrufen zur Verfügung, die ich somit
noch als Teil V nachtragen konnte.
Hier handelt es sich also zunächst um die arabischen Originale und
um ihre wortgetreue Übersetzung. Während ich im Archiv die poeti-
schen Ausrufe auch meist in gebundener Form wiedergegeben habe,
habe ich sie hier, namentlich auch für Nichtarabisten, in genauer pro-
saischer Übertragung mitgeteilt. Bei den nichtpoetischen Ausrufen
meiner Sammlung habe ich im allgemeinen die Übersetzungen gegeben
wie im Archiv, nur hie und da konnte ich kleinere Verbesserungen an-
bringen. Bei den andern habe ich überall die veröffentlichten Über-
setzungen nachgeprüft und, soweit es mir möglich war, auf den Stand
unserer heutigen Kenntnis des Neuarabischen gebracht.
Die Umschrift habe ich, soweit irgend angängig, auf ein einheit-
liches System gebracht; d. h. ich habe die in der Literatur mit lateini-
schen Buchstaben wiedergegebenen Ausrufe nach dem von mir ge-
wählten System, das sich nach meiner in Cairo hergestellten Nieder-
schrift richtet, hier umgestaltet. Kleinere Abweichungen, wie z. B.
beim Artikel und bei der Femininendung, habe ich ausgeglichen. Den
Artikel habe ich il- umschrieben (im Satzanfang zuweilen ^il-), die
Femininendung für Ägypten -a, für Syrien -e. Dabei mögen einzelne
el- und -e zu unrecht in il- und -a verwandelt sein; Seetzen's Material
scheint zum größten Teil von ägyptischen Fellachen zu stammen, aber
es ist phonetisch so wenig vollkommen, daß eine durchgreifende Ände-
rung vonnöten war.
In arabischer Schrift habe ich die Ausrufe gegeben, die Mah-
mud Sidqi für mich in Cairo niedergeschrieben hat. In einigen
wenigen Fällen, wo Sidqi vergessen hatte, die arabischen Formen zu
notieren, habe ich sie in [] hinzugefügt. Die Vokalzeichen, die Sidqi
hin und wieder gesetzt hat, habe ich sämtlich weggelassen, da sie sich
aus meiner Umschrift von selbst ergeben. Akzente habe ''ch dort
gesetzt, wo ich sie in meinen Vorlagen fand; die Zeichen für betonte
und unbetonte Längen habe ich, wo sie in den .Originalen nicht unter-
schieden waren, nach meiner Kenntnis des Neuarabischen gesetzt. Die
Überschriften der Rufe habe ich nur dort in arabischer Sprache ge-
geben, wo sie mir in meinen Aufzeichnungen oder in der Literatur
vorlagen. Wenn Sidqi mir solche Überschriften diktierte, sprach er
meist nakazm, w^ährend ja die Ausrufe selbst mit wenigen Ausnahmen
in die landläufige Vulgärsprache gekleidet sind; so konnte es z. B.
kommen, daß in der Überschrift zu 21 kurrds, in den Ausrufen aber
kurrdt, in der Überschrift zu 16 — 18 hass, in den Ausrufen aber /lass
j gQ Enno Littmann,
Steht. Daher ist in den Überschriften ^ durch q, in den Ausrufen, mit
Ausnahme derer von Wetzstein und Seetzen, durch ' bezeichnet. Da
Seetzen „ meist durch rf5f/i bezeichnet, also Fellachendialekt wiedergibt,
habe ich dort g geschrieben. Wo Seetzen Formen der Literärsprache
hat, habe ich sie beibehalten. Einige Unterschiede, wie sie z. B. in 29
und 30 bei der Wiedergabe der Endung -i und dem folgenden Artikel
hefvortreten, sind dadurch entstanden, daß die Ausrufe mit verschiede-
nen Worttakten und Pausen diktiert wurden.
Meine Bemerkungen beziehen sich hier fast nur auf die sprachhche
Form und Übersetzung. Alles Sachliche ist in dem Artikel im Archiv
gegeben, auf den hiermit verwiesen sei; für die Ausrufe i — 226 ist es
fast überall erwünscht, ihn zu vergleichen. Eben deshalb habe ich es
auch für notwendig erachtet, dieselbe Anordnung und dieselben Zahlen
beizubehalten wie in meinem früheren Artikel. Die von Meyerhof,
Moritz und Spitta mitgeteilten Cairiner Ausrufe habe ich in Ab-
schnitt I eingefügt und durch a, b, c usw. unterschieden. Die Ausrufe
bei Seetzen, Bauer, Spoer undMiELCK dagegen mußten in besonderen
Abschnitten (III, IV, V) angegliedert werden; die Anordnung der ein-
zelnen Rufe entspricht ihrer Reihenfolge in I und IL Bei der Wieder-
gabe des SEETZEN'schen Materials bin ich so verfahren, daß ich zu-
nächst eine sprachlich genauere Umschreibung der Ausrufe, dann eine
wortgetreue Übersetzung, bei der mir Fleischers Bearbeitung in
Bd. IV des Reisewerks zustatten kam, danach aber stets die Original-
angaben Seetzen's über die betreffenden Verkäufer mitgeteilt habe;
nur zuweilen mußte ich ein [ruft,] hinzufügen, da ja meine Anordnung
anders ist und sich nicht immer aus ein^m direkt vorhergehenden Satze
ein »ruft« von selbst versteht. Alle eckigen Klammern bedeuten Er-
gänzungen von mir, in den Übersetzungen also deutsche Wörter, die
in den arabischen Originalen nicht vorhanden sind.
Bei den botanischen Angaben habe ich mich genau an meine
Quellen gehalten; wo Widersprüche vorhanden zu sein scheinen (wie
z. B. in Nr. 24 und 30), konnte ich natürlich nicht entscheiden.
Abkürzun gen.
AWO ^ Archiv für Wirtschaftsforschung im Orient, 191 7, Heft 3/4,
S. 410 — 462.
Bauer = Leonhard Bauer, Das Palästinische Arabisch, 2. Aufl.
Leipzig 1910.
Jehan d'Ivray=Jehan d'Ivray, Au Coeur du Harem. Paris 1911.
Me. -= Schriftliche Mitteilungen von M. Meyerhof.
Mo. ^ Mündliche und schriftliche Mitteilungen von B. ]\Ioritz.
/
Arabische Straßenausrufe. j3l
Nallino = C. A. Nallino, UArabo parlato in Egitto, 2. Aufl. Mai-
land 1913.
ScHWEiNFURTH ^^ G. ScHVv^E IN FÜRTH, Arabische PJlanzennamen aus
Aegypten, Algerien und Jemen. Berlin 1912.
Seetzen = Ulrich Jasper Seetzen s Reisen durch Syrien, Palästina, Phö-
nicien, die Trans Jordan- Länder, Arabia Petraea und Unter- Aegypten,
herausgegeben und commentift von Professor Dr. Fr. Kruse
und andern. Dritter Band, Berlin 1855; vierter Band (mit Er-
klärungen von H. L. Fleischer), Berlin 1859.
Spitta = Wilhelm Spitta-Bey, Grammatik des arabischen Vulgär-
dialekts von Aegypten. Leipzig 1880.
Spoer = H. H. Spoer and E. Nasrallah Haddad, Manual of Pale-
stinian Arabic. Jerusalem 1909.
Wetzstein —Der Markt in Damaskus in der ZDMG., 11. Band,
Leipzig 1857, S. 475—525.
^^'ILLMORE — J. Selben Willmore, The Spoken Arabic of Egypt,
2. Aufl. London 1905.
I. Cairiner Ausrufe aus der Gegenwart.
A. Früchte, Gemüse, Kräuter, Getreide und Viehfutter.
baiyä"^ il-'^ar'- il-asfar il-kebir Der Verkäufer der großen, gelben Kürbisse.
1. P Ali X^xl\ p .flJl Hl-'dr^' il-'asal il-'dr^'
Kürbisse, [wie] Honig, Kürbisse!
baiyä'- ''ar^ il-kösa Der Verkäufer der Eierkürbisse.
2. Aiu Lj ».^j\1\ ^JLxj ba'^ali l-kösa yä ba'-ali
Ba'als-Eierkürbisse, o vom Ba*al!
3- «^j; LJ iww^it ^JLäj ba'-ali l-kösa yä zibda
Ba'als-Eierkürbisse, o butter [weich ] !
Zu den in AWO erwähnten Baaltrauben vgl. noch uva boal »ex-
cellente espice de raisins«, Dozy-Engelmann, Glossaire des mots es-
pagnols et portugais derives de l'Arabe, S. 241.
baiyä'- il-hiydr Der Gurkenverkäufer.
4- ,L^js^il öj^-b^ *^->_j"^ lübya we-tdza l-hiydr
Zart und frisch, Gurken!
Das Wort lübya wurde mir durch tdri »zart« erklärt, d.h. also
»[zart wie] grüne Bohnen«. Wetzstein, S. 522 hat den Damaszener
Ausruf min ben el lübid für eine Gurkenart; er übersetzt ihn »zwischen
den Lubien gepflückt« und bemerkt dazu: »Die zwischen den Lubien
gezogenen und von deren Blättern beschatteten Spätgurken sind be-
X
JÖ2 Enno Litt mann,
sonders zart.« Immerhin ist es möglich, diesen Ausruf ebenso zu ver-
stehen wie den obigen aus Cairo.
baiyä'- ü-figl Der Rettichverkäufer.
5. J^vs u w.^:! rj* J^^l ^Hkl- ''^'^•^^' il-Hnab yä figl
Rettiche, [wie] Weintraubenblätter, o Rettiche!
Der Vergleich bezieht sich nach Me. auf die Zartheit und Saftigkeit
der Rettiche; das wird richtig sein.
6. .*iii>i J^c Lj ^jh täri yä figl ahdar
Zart, o frische Rettiche!
7. J^.5 Lj ßy^^^ J^s figl ü-gazdir yä figl
Rettiche der Inseln, 0 Rettiche!
y a. rümi l-figl Griechischer Rettich!
AIe. Die Rettiche stammen nicht aus Griechenland, sondern
werden des Anpreisens wegen so genannt.
7 b. möz yä figl Bananen, o Rettiche,
yä figl ü-möz o Rettiche [wie] Bananen! Me.
baiyä'- il-lift Der Rübenverkäufer.
8. vi>Äl L jJl^u Jiil Hill ihallil yä lift
Zum Salat, o weiße Rüben!
Hill i/iallü heißt wörtlich »was mit Essig einmacht «= »was Salat
bereitet«.
baiyä'' i/-/amä/im Der Tomatenverkäufer.
9. x-Dyj '^ *-^vJ^ meliha yä 'u/a
Köstlich, o Tomaten!
10. »J^y, L ,.,'w8Ji (^3 JÜLj yalli zaiy ir-rummdn yä Hita
0 Granatapfelgleiche, o Tomaten!
11. [itbfcjül .,L>üJo] bedingdn il-''üta
Melanzanen-Tomaten !
12. [JsUh u ^Voti\ o^Uj!] i7-*a/ z7-'a7 yä tamdtim
Herrhch, herrlich, o Tomaten!
12 a. hamast irtdl yä 'Ufa bi-Hrse sag Fünf Rotl, o Tomaten, für
einen großen Piaster! Me.
haiyd'- il-bedingdn Der Eierpfianzenverkäufer.
13. u^jjj: ^,L:fojyj 'o^*jS. 'arüs ya-bdingdn '^arüs
Ganz jung, o Eierpflanzen, ganz jung!
Das Wort ^-^»^ ist von Sidqi richtig mit ^jo geschrieben; meine
Umschrift hat 5 ohne Punkt, und vielleicht ist es mir so vorgesprochen.
Es wurde mir erklärt durch ''auwal ganye 'auwal zar'.
Arabische Straßenausrufe. l8^
baiyd'- hedingdn l-abyad Der Verkäufer von weißen Eierpflanzen.
14. . J^xx j..ii.5=« Lj ,..LiAiuS.J hedingdn yä /ias70 [haswe] ma'-dan
Eierpflanzen, zum Füllen, blitzeblank!
Das Wort ^s>- wird im Kontexte, wenn ein anderes Wort un-
mittelbar folgt, haswe gesprochen, in pausa jedoch hasw, d. i. mit
stimmlosem w oder schwach artikuliertem bilabialen /, s. zu Nr. 149;
letzteres ist hier ebenso gut möglich, da beim Rufen zwischen _j..ca=>
und . OS.XA leicht eine Pause gemacht werden kann. Stimmhafte Kon-
sonanten als dritte Radikale bei faH-, fiH- und /M'/-Formen verheren
im Ägyptisch-Arabischen meist den Stimmton, wenn sie in pausa
gesprochen werden. — Statt »zum Füllen« wörtlich »o Füllung«. ■ —
Das Wort ma'dan wurde mir als »Metall« erklärt; misba Hla 'amia
gildahu ahyad«. Daher habe ich oben »blitzeblank« übersetzt. Nach
^ o <-
den Wörterbüchern (Dozy, Hava) und nach Me. bedeutet ^^.^j^xx» aber
auch »gut, ausgezeichnet«. Vielleicht ist das Wort auch hier in
dem Sinne zu verstehen.
baiyd'' il-kurunb Der Kohlverkäufer.
15. v^jy c^-^^J |J^Lj ydlll yihSi krumb
^"O der den Kohl füllt!
baiyd'' il-hass Der Lattichverkäufer.
16. ,^sA^\ vi^Ji il-hass il-melih
Lattich, köstlicher!
17. ,c:.l=> Jl5> Lj , c_b idrt yä hilwe tdri
Zart, o süßer, zart!
18. _;^JU wj i^,J>\ ^j^^ hass ir-röda yä melih
Lattich von Röda, o köstlicher!
Sidqi schrieb ^vi:> und sprach demgemäß hass statt der schrift-
sprachhchen Form- (-*.5>. Der Übergang von s > s ist wohl durch
das h hervorgerufen.
baiyd'^ is-sabdnih Der Spinatverkäufer.
19. ;^J^**N -j ioöLxJi il-''dfyä yä sabdnih
Zur Gesundheit, o Spinat!
Dies ist einer der wenigen Fälle, in denen Sidqi den Dialekt des
Ausrufers nachzuahmen versuchte; 'dfyä soll bäurische Aussprache
wiedergeben.
baiyd' it-töm Der Knoblauchverkäufer.
20. *jj LJ iutjS ..ji^J^ il-hazm iWäl yä töm
Zum Aufbewahren, herrlich, o Knoblauch!
jg^ Enno Littmann,
Wörtlich '>der Aufzubewahrende, der Herrhche, o Knoblauch!«
Das Wort *^j (klass.-arab. ^yi) sprach mein Gewährsmann mit 6
aus; dieselbe Aussprache findet sich bei Nallino in seinem ausge-
zeichneten Sprachführer, Varabo parlato in Egitto, 2. Aufl., S. 254, und
bei Bauer, S. 42, auch Me. hat sie fast immer gehört. Aber die Mehrzahl
der Grammatiken, Sprachführer und Wörterbücher für Ägypten und
Syrien hat die ältere Form tum, ebenso unten Nr. 230; auch B. Moritz
versicherte mir, er habe nur tum gehört. Der Übergang von ü > ö
(und parallel von l > e) kommt sporadisch in arabischen und abes-
sinischen Dialekten vor, so auch oben Nr. 2 und 3 in kösa; vgl. auch
Brockelmann, Grundriß I, S. 196, sowie im Mänsa'-Tigre die Endung
-kö für altes -kü, -ne für altes -nl.
haiyä'- il-kurräs Der Lauchverkäufer.
21. ot.5' Lj , >üJjtJI oi-f kurrät il-^ariä yä kurrdt
Breiter Lauch, o Lauch!
21 a. ''ahdar yä kurrät Grün, o Lauch! — Spitta, S. 277.
haiyä'- il-mulühiya Der Judenmalvenverkäufer.
22. *-c>^L» Lj (^^^> hahasl ya-mlühiya
Abessinisch, o Judenmalve!
22 a. hadra yä mulühiya Grün, o Judenmalve! — Spitta, S. 277.
haiyä'- il-mulühiya [n-]näsfa Der Verkäufer der trockenen Judenmalven.
23. i^^jl^] KJA>-b ^^Ji^ wädl tahhit il-mulüMya
Und dies ist ein Gericht Judenmalven!
Li meiner Umschrift steht näsfä; Sidqi's Niederschrift hat statt
dessen das gleichbedeutende Mi.:^Ji. 4n dem Worte mulüMya ist die
in Ägypten häufig vorkommende Diphthongisierung der Endung -iya
angedeutet.
haiyä' il-huhheza Der Malvenverkäufer.
24. ^^*JjiJi V ,► L) »;juc5^i il-huhheza yä wara^ il-'inah
Malven, o Weintraubenblätter!
Li der Überschrift habe ich il-huhbez aufgezeichnet; Sidqi's
Niederschrift hat aber auch dort »^j^JU Schweinfurth, S. 209,
unterscheidet zwischen chohelsa Malva sylvestris L. und chohbes Malva
parvifiora L.; aber für Ägypten hat er (S. 57) chuhhese Malva parvi-
fiora L.
haiyä' il-qulqäs Der Kolokasienverkäufer.
25. ^p>^^! l53^>^' u-LäJLäÜ il-'ul'äs il-gharhäwl l-ahyad
Kolokasien aus der Westprovinz, weiße!
Arabische Straßenausrufe. 1 85
26. (j^LäJls Lj ;3L«ii ^JLäAjJ is-Sanawdni l-^dl yä ^uPäs
Aus Schanawän, herrlich, o Kolokasien!
Da Sidqi in der Überschrift (j^UJLäJ! mit v geschrieben hat, in
den Ausrufen aber mit i, habe ich in ersterer auch q gesetzt, obwohl
meine Umschrift auch dort ' hat.
baiyd'- il-bald/a Der Kartoffelverkäufer.
27. \Liti*J! xi Lj ^IdUiJI ü-batdta yä saiy il-bald/a.
28. xlailaJi i3Lc xa<^ Lj yä sukna ''dl il-baid/a
Kartoffeln, o das Braten in der Pfanne! •
0 heiße, herrliche Kartoffeln!
In meiner Umschrift sind 27 und 28 als zwei getrennte Ausrufe
bezeichnet. Sidqi hat jedoch in seiner Niederschrift beide in der-
selben Zeile geschrieben. Es ist möglich, daß beide zusammengehören,
zumal sie miteinander reimen. Andrerseits haben wir auch in 27
[il-batdta — yä saiy il-bald/a) einen Reim, und beide Ausrufe sind jeder
in sich selbständig.
28 a. talatt irtdl yä hatdtis bi^irse säg- Drei Rotl, o Kartoffeln, für
einen großen Piaster! Me.
baiyd'' il-basal Der Zwiebelverkäufer.
29. J..jc:JI (^.jwj5=uJI J.xaJ! il-basal il-beherl il-basal
Zwiebeln aus der See-Provinz, Zwiebeln!
baiyd' il-jilfil l-ahdar Der Verkäufer von grünem Pfeffer.
30. J^äi! ^^J^ J^ftJLäJ! il-filfil ir-rümi l-jiljil
Pfeffer, griechischer Pfeffer!
Nach Sidqi wäre jilfil ahdar gleichbedeutend mit jiljil rumz.
Diese Pfefferart ist nach dem Text-book of Egyptian AgricuUure Capsi-
cum grossum. Schweinfurth S. 60 ist jedoch jelfel-ahhmar (»roter
Pfeffer«) und filjil-rümi Capsicum annuum L. Nach Me sind ßlß/
ahdar die noch grünen Schoten des /. rilmi (oder f. a/imar), ehe sie
rot werden.
baiyd' il-fül l-ahdar Der Verkäufer von grünen Saubohnen.
31- ^J'5-> 4^5 i-j ^1.5=- hirdtl yä fül hirdti.
Vom gepflügten Land, o Saubohnen, vom gepflügten Land! —
Vgl. unten Nr. 232.
32. (_^'lj=> d^i Lj JwwjJI ^jj^ Lj yä mass il-^asal yä fül hirdti
Wie Honig schmeckend, o Saubohnen, vom gepflügten Land!
Die ersten drei Wörter heißen wörtlich »o das Schlürfen des
Honigs«.
j gg Enno Litt mann,
baiyd'- il-jül ü-gaff Der Verkäufer von trockenen Saubohnen.
33. i3^Äii ^^.^^=u.ii ^y>l\ ü-jul il-heheri l-ful
Saubohnen aus der See-Provinz, Saubohnen!
33 a. il-^dl in-ndbit in-ndbit it-tdza Herrhche, keimende! Keimende,
frische! Me.
jül ndbit sind eingeweichte, gesalzene Saubohnen, die gerade zu
keimen beginnen und zum Kochen fertig sind. — Vgl. unten Nr. 315.
33 b. talat ruh"- ja ndbit biHrse taWifa Drei Viertel, o Keimende, für
einen kleinen Piaster! Me,
Hier kann ru¥ nicht, wie gewöhnlich, V24 a^dabb sein; das wären
über 25 Liter, für einen kleinen Piaster viel zu viel. Es wird vielmehr
V4 Okka {rub^e wiqqa) sein, also drei Viertel = 936 Gramm.
33 c. rümi l-jasfdya Griechische grüne Bohnen. Me.
baiyd'' il-''ads Der Linsenverkäufer.
34. u^J^Jt (^u^*;^Ji u^J^Ji ü-'dts is-sa'idi l-'dts
Linsen aus Oberägypten, Linsen!
Über die Form ^dts s. AWO S. 424 und S. 414. — Vgl. unten
Nr. 233.
baiyd"- il-maldna Der Kichererbsenverkäufer.
35. »SIa Lj \y\l\ iüXo maldna l-löz yä maldna
Mandel-Kichererbsen, 6 Kichererbsen! — Vgl. unten Nr. 234.
36. \jX« Lj iiooL^ »^tr^^ ^\i^ ^J y^ rdyih lihabibu ihädih yä maldna
O wer zu seinem Freunde geht, schenke sie ihm, o Kicher-
erbsen !
baiyd"- il-hummus Der Rösterbsenverkäufer.
37. 1^1,»,^=. Lj -^y^A Lj ya mgöhar yä hummus
O Edelsteine, o Rösterbsen! — Vgl. unten Nr. 235.
38. i>3.4.5> Lj Js.jJs.:>-^ ,-»^ww suline wegedid yä hummus
Heiß und frisch, o Rösterbsen!
38 a. loz yä hummus Mandeln, o Rösterbsen! Me.
baiyd" il-qasab Der Zuckerrohrverkäufer.
39. v^Aii Lj ^3L*Ji f^tJuJ^ o^-hß^ il-abyad is-salim il-"dl yä ^asab
Weißes, gesundes, herrliches, o Zuckerrohr !
40. ^_^Aaä Lj t3L*il (^^LyUii H-minydwi l-"dl yä ^asab
Aus Minja, herrliches, o Zuckerrohr!
baiyd" is-sih Der Wermutverkäufer.
41. j^yJUi v.:>yjAii ^5 j?yj^5 is-sih fi l-bet melih
Der Wermut - — ist im Hause gut!
Arabische Straßenausrufe. l87
Der Erdbeerenverkäufer.
42. frdula, frdula 1 t- n -r- ju 1
^, w^, Erdbeeren, Erdbeeren!
silek, silek J
Das Wort frätda stammt bekanntlich aus dem italienischen jragola,
bzw. fragole. In der arabischen Form liegt nicht Übergang von g
(bzw. g) > Ji vor, wie z. B. im Elsässischen sätie = sagen, sondern Aus-
fall des g (bzw. g); dieser Ausfall ist im Modern-Türkischen außer-
ordentlich häufig; vgl. Bergsträszer, Zur Phonetik des Türkischen^
ZDMG. 72, S. 257. Das Wort silek geht auf türkisch celik zurück.
Türkisches c wird im Arabischen durchgängig zu s, außer etwa in den
Grenzgebieten, wo man sowohl türkische wie arabische Artikulation
gewohnt ist; so sind mir im Syrisch-Arabischen sddir »Zelt« < türk.
,Jl==., setin »schwierig, rauh (vom Wege)« < türk. qax=^ begegnet. Im
Türkischen wird c> s nur vor stimmlosen Explosivlauten; vgl. Berg-
sträszer 1. c, S. 260. Dem entspricht im Neuarabischen der Über-
gang von g- > i sowie der Übergang des aus k entstandenen c > s;
vgl. meine Neuarabische Volkspoesie S. 3 und S. 34, Anm. i, und Bauer,
Das Palästinische Arabisch-, S. 21 {hastib usw.). Türkisches^ bleibt
natürlich im Arabischen außer in den Dialekten, die statt g ein g
sprechen; dort wird auch für türkisches g ein g substituiert, vgl. in
Cairo '■ar{a)bdgt »Kutscher«, sufrdgi »Kellner«, tamärgi »Kranken-
wärter«, aber nöbdtsi »auf Wache befindlich«, da hier g nach t > J
geworden ist. In den türkischen betonten Endsilben wird, falls der Ton
im Arabischen dort bleibt, d. h. also in Fällen, in denen man das türki-
sche Wort nicht einer anders betonten arabischen Form angleichen
kann (wie z. B. sddir an fdHl), der Vokal gedehnt; so wird hier i > e,
und aus gücel wird gö::dl unten Nr. 147.
baiyd'- il-libb Der Kerneverkäufer.
.k^^\ it-tasdll yä libb
»[Bringer der] Freuden, o Kerne!«
44. w^J wj .^*) L>^^' ''abyad wasmar yä libb
^ Weiße und braune, o Kerne! — Vgl. Nr. 164—1653, 316.
baiyd'' il-fül is-süddnl Der Erdnüssev'erkäufer.
45. ^i!j>fc.w.ii ^JUx^ JiÄAi ma^li wimmallah is-südäni
Geröstet und gesalzen, aus dem Sudan!
badyä"- göz il-hind Der Kokosnüsseverkäufer.
46. A^i ;,.> wj ^jJLl! ^'.A uj w^jJtJi il-garib yä mal il-garib yä
göz il-hind
O Fremdling, Besitz des Fremdlings, o Kokosnuß!
I 88 Enno Littmann,
haiyd'- ü-mismis Der Aprikosenverkäufer.
47- .*-c^ l-J ^JLi'^S! \-^^'^» '^^'^D») ijr^;^! ^istdi&a wetdh weidlab il-^akkdla
yä na^m
Sie ward reif und gut und lud zum Essen ein, o wie zart!
48- J!j^.5>3. >.^j .£. ülo ß?awa ^arz& wewahddnl
jLxxA^ ^__w.4..^JI p_5.Äj5 wiblii'- ü-mismis subydni
Sieh, ich bin ein Fremdhng und ganz allein.
Die Aprikosenverkäufer sind die Diener mein!
48 a. ^cü Lj ^Ia^ iSj~^^ c^-^^r^ y^^^'^ l-hdwa ramdk yä na^m
0 du, die der Wind herunter\varf, o du Zarte!
48 b. 'dl yä mismis, 7nismis hamawl Herrlich, o Aprikosen ! Aprikosen
aus Hamä! Me.
Nach Me. ist dies die Bezeichnung der Sorte, einer Variation von
Prunus armeniaca. Sie sind in Cairo sehr geschätzt, weil sie sehr
süß sind.
baiyd'- ir-rummdn Der Granatäpfelverkäufer.
49- ^^,1-'«; Ij ^iDjXiJ^ manfalütl yä rummdn
Manfalutische, o Granatäpfel!
50- qL^ i-J c^js:- _JL==- /tilwä '-arabi yä rummdn
Süße, arabische, o Granatäpfel!
Der Hilfsvokal zwischen jJL> und j^ klingt hier wie a wegen
des folgenden ^.
baiyd' in-nabq Der Lotusfrüchteverkäufer.
51- ^4-^ Lj Ja-oi-J' j^Lj / i*J tj yä ?iaF yä-'azz il-get yä mismis
0 Lotusfrüchte, köstlichste vom Feld, o Aprikosen!
52. /iAÄit iDyf^S / Äx-üi in-naFe l-asyüß in-nab'
Lotusfrüchte aus Siüt, Lotusfrüchte!
baiyd'- it-tuffdh Der Äpfelverkäufer.
So- j-Läj Lj ^S^ sukkari yä tiffdh
Zuckersüß, o Äpfel!
Sidqi hat in seiner Niederschrift des Ausrufs „'Jü mit Damma,
diktierte aber tiffdh im Ausruf, tuffdh in der Übers'chrift. Die Aus-
sprache mit i ist wohl die gewöhnlichere; sie findet sich in den meisten
Sprachführern und Wörterbüchern. M. %Meyerhof kennt nur tiffdh,
B. Moritz jedoch nur tuffdh.
baiyd'^ is-Sammdm Der Zuckermelonenverkäufer.
54« [•L^.i; Lj (j*^-m-Lj ^a ^JÜLj yalll min bäsüs yä Sammdm
Die du aus Bäsüs stammst, o Melone!
Arabische Straßenausrufe.
189.
54 a. sammdm sü-ü-ükar bäsusl yä sammdm Melonen [wie] Zucker,
aus Bäsüs, o Melonen! Me.
haiyd'- ü-'-aggür Der Verkäufer von *Aggür-Melonen.
55. jCwv Lj (^3^1 Jv.>.c '■abdilldwl yä sukkar
'Abdilläwi, o Zucker!
56. ^cLJ Lj i^^'^js. Lj J.*:p.j! }^^ bisil ü-gämäl yä garbdivi yä na'm
[Die] das Kamel trägt, o du aus der Westprovinz, o Zarte!
haiyd'- hattih ydfä Der Verkäufer von syrischen Wassermelonen.
57. i^jh^ Lj 3Lxi5 ^^LsLJ) ü-yäfdwi l-'dl yä hattih
Aus Jaffa, herrliche, o Wassermelonen!
Meine Umschrift hat il-yäfdwi, Sidqi's Niederschrift ^J:^wÄxJ!; das
ä in der i. Silbe wird also auch kurz gesprochen.
haiyd' hattih bälädi Der Verkäufer von einheifnischen Wassermelonen..
58. ^^Jcii Lj i^jyjtAaJ! :^i^jJ)\ il-hattik is-sa'idl yä hattih
Wassermelonen aus Oberägypten, o Wassermelonen!
59. ;?--v^J Lj (J;»^ kaldwl yä hatiih
Aus Kala, o Wassermelonen!
In der Überschrift hatte Sidql ^^AJLJ geschrieben, aber watani
diktiert. Beide Wörter sind gleichbedeutend.
haiyd' il-lamun Der Zitronenverkäufer.
60. Qj-t-i 'wj ^JoÄil ujL;<uj> ^-.w5> D-klij yallä haiyl suhdh in-nadar
yä lamün
O Gott, erhalte die einsichtigen Leute, o Zitronen!
61. ,., M~S Lj t3u*ii -*.*i^Jl il-hanzaher il-'dl yä lamiui
Bezoar, herrlich, o Limonen!
Nach Me. ist die Bezoar-Limone {lamiln haiizaheri) eine besondere,
kleine Sorte.
62. ^3uti! -tv^^' \jJL>to^t .Mj-^-JÜt il-lamun il-'^adälya l-kehir il-'dl
Zitronen aus Adalia, große, herrliche!
Statt il-lamnn H-^adälya wäre richtiger lamnn ^addlya. Letzteres
steht auch in einer Glosse, die ich nach Sidqi nf)tierte. Die Form mit
Artikel ist wohl nach Ausdrücken wie is-sdl il-kasntir (vgl. Spitta,,
Grammatik, S. 281, Z. 20) gebildet.
62 a. lamün hdlädl betd' il-hdsa yä lamün Heimische Limonen, für den
Pascha, o Limonen! — Me.
haiyd' il-burtuqdl Der Apfelsinenverkäufer.
63. ,.,LÄj.j Lj J^Av.*Jl ^A ^JL^I "ahla min il-'asal yä hurtü'dn
Süßer als Honig, o Apfelsinen! — Vgl. Xr. 318.
IQO
Enno Littmann,
haiyä'^ il-Hnab Der Weintraubenverkäufer.
64. ^^ iwj Q.«^^^ ,.w^S ji^to ^j ^^'L ^.Jj^ wj >'fl '7Ha^ ya//f saiye
hed il-yamdm wahsan yä ^inab
Trauben, groß wie Taubeneier und noch größer, o Trauben!
Die »Tauben« {yamdm) sind eigentlich braune Wildtauben mit
schwarzem Halsband.
^5. uJ«.;^. w*.-^ ''inab we'^inndb
w'«j^ -j >-J-.j.5>^L' *oJs^. wihdiya lü-ahbdb — yä '■inab
Trauben und Beeren,
den Freunden zu bescheren, - — o Trauben!
Das Wort Hnndb bedeutet eigentlich Brustbeeren, die Früchte von
Zizyphus vulgaris; die werden aber nicht verkauft, sondern das Wort
ist nur gebraucht wegen des Gleichklangs mit Hnab und wegen des
Reims auf ahbdb.
65 a. fniyumi yä Hnab Aus dem Faijüm, o Weintrauben! Me.
baiyd'- tin bisoku Der Kaktusfeigenverkäufer.
66. .^^ ^j J..*atJI ,-,S^ kisdii ü-'-asal yä tin
Honigdolden, o Feigen!
baiyd'' ü-balah il-iskanderdni Der Verkäufer von alexandrinischen Datteln.
67. 1a. ^iJb Lj 1a, ramll yä balah ramll
Aus Ramie, o Datteln aus Ramie!
Nach Me. auch balah rä-ämäli.
68. .isJb ^j iJo-^ _Jb wj yä balah ^esa yä balah
0 Datteln, große, o Datteln!
Das Wort '^esa wurde mir durch balah asfar kebir erklärt.
baiyd'^ ü-balah iWahmar Der Verkäufer von roten Datteln.
69. ^^Id, lj .^\jü\ ^JL^^JI ü-haiydni l-'^dl yä rutab
Gesunde '), herrliche, o saftige!
69a. haiydni yä balah Frischreif 2), o Datteln! — Spitta, S. 277.
baiyd'- il-balah il-^ asfar Der Verkäufer von gelben Datteln.
70. ,3^1 ,^£^.«JI „-JLJI il-balah is-siwi l-^äl
Datteln aus Siwa, herrliche!
baiyd' il-balah l-amhdt Der Verkäufer der Amhät-Datteln.
71. ^;^ jw^otiS i^J^ ^ ^J ^->-J^^ L*J*-^ h^i'^ l-'andgir yä bdlah
wehüdu l-'asal minni
') So nach Sidql.
*) So nach Spitta.
Arabische Straßenausrufe. • igi
Her mit den Tellern — o Datteln! — und holt den Honig
von mir!
^angar, plur. "andgir ist. nach Sidqi ein Teller oder eine Schüssel
aus Kupfer.
72. Ow^Lj ^jL;oai! id-dani ya-mhat
Zart, o Amhät!
ddnl bedeutet hier »zart, fein« nach Sidqi.
haiyd'- ü-balah in-ndsif Der Verkäufer von getrockneten Datteln.
73. ^\JLJ! c*.^.Si\ -\Ji.^J^ il-balah l-ahrimi l-halah
Datteln aus Ibrim, Datteln!
73 a. ibrimi yä balah Aus Ibrim, o Datteln! — Spitta S. 277.
baiyd'- kizdn id-dura l-miswiya Der Verkäufer von gerösteten
Dura-Kolben.
74. n^j.1:) 8 o u XSIj . l>Lw ^ ^JüLj yalllbala sndn ydkul yäduratariya
0 Dura, die Zahnlose essen, zarte!
75. »,o uj J^xÄÜ pixj Lj »^J^i! id-dura ya bta^ in-nil yä dura
Dura, vom Nil, o Dura! . '
76. kos id-dura yä bandt id-dura l-'^asal
Dura-Kolben, ihr Mädchen, Dura wie Honig!
baiyd'- id-dura l-beda ii-uasfa Der Verkäufer der getrockneten
weißen Dura.
77- »,o Lj d^c -Äiw/iJ! ».lAil id-dura s-sdml "dl yä dura
Syrische Dura, herrlich, o Dura !
Nach Me. auch dura samt, dural Die »syrische Dura« ist nach
Me. der Mais. Über die Form sämi vgl. zu Nr. 79.
baiyd' id-dura s-samra Der Verkäufer der braunen Dura.
78. 8.0 Lj ^.>^j,jtil »,jJi id-dura l-Hivega yä dura
Dunkle Dura, o Dura!
Das Wort 8.0 bzw. 5 o (eigentlich ä,ö) wird in Syrien und Ägypten
jetzt meist mit (/gesprochen, wegen des folgenden r; daher dura in den
Ausrufen, dura in den Überschriften.
baiyd' il-qamh Der Weizenverkäufer.
79. i>lxl\ J^jJy.;-M^J! idjt.l\ il-g-alla is-sindiyüni l-g-alla
Weizen aus Sindiyün, Weizen !
Man erwartet nach den Regeln der Grammatik is-sindiyüniya.
Hier ist entweder das Adjektiv, obgleich es determiniert ist und als
dem ersten il-g-alla nachgesetzt angesehen werden kann, nach Ana-
logie der Fälle unflektiert geblieben, in denen das Adjektiv indetermi-
JQ2 • Enno Litt mann,
niert voransteht; vgl. Spitta, Grammatik, S. 277. Oder es ist, wie
öfters bei den Adjektiven auf -i, einfach unflektiert gebheben, ohne
daß die andern Ausrufe eingewirkt hätten; vgl. Spitta S. 275 f.
baiyd'^ it-tirmis Der Lupinenverkäufer.
80. oAxi ^jUaiLj yambdbl mädäd
0 Schech von Embäba, bring Hilfe!
Vgl. unten Nr. 177 — 179, 242, 321.
80a. tirmis memallah ü-'dl Lupinen, gesalzene, herrliche! Mo.
baiyd'- ü-hilba Der Bockshornklee -Verkäufer.
81. i.^_^' ^> ^ *t^y' ü-wesiya yä /alba l-wesiya
Vom Gemeindeland, o Bockshornklee, vom Gemeindeland!
82. *.JL> .j ^^.OsJu bü-käbsa yä liüba
Händevoll, o Bockshornklee!
83. 'i\.=>- xJL5> uj ^\-j>- hirdtl yä hilba hirätl
Von gepflügtem Land, o Bockshornklee, von gepflügtem
Land!
83 a. '■dl yä hilba Herrlich, o Bockshornklee! Me.
83b. is-sifa yä hilba Gesund, o Bockshornklee! Me.
Nach Me. werden die gekeimten Samenkörner von Trigonella
foenum graecum in Büscheln verkauft und frühmorgens gegessen.
haiyd'- il-bärsim Der Kleeverkäufer.
84. Vi A-''-i Vj yahba"- g-azdlak rabba'-
^ Füttere deine Gazelle, füttere!
baiyd' il-kusba Der Verkäufer von Sesamabfall.
85. w.p-.5i iJÜwj \~^=>-y^ bisrigha — yalla jrigha
Mit seinem Öl [verbunden], —
Gott, schicke mir Kunden!
jrigha wurde mir erklärt ya/lub il-farag min ir-rabb, d. h. urzü*nl.
baiyd' habb il-'aziz Der Verkäufer von fiabb il-'Aziz.
86. ijjtJ! w^?> L (3w*i! (^vA^. rasidi l-'dl yä habb il-'aziz
'••>
Aus Rosetta, herrlich, o Habb il-*Aziz!
baiyd' is-suqqe/ Der Verkäufer von Suqqet.
87. JjjJUv Lj Ja-oül B^^^ Lj yä halaut il-get — yä su^'^ef
O Süßigkeit vom Beet — o Su"et!
87 a. habb il-'aziz ir-rub'e bHrs Habb il-'Aziz, das Viertel um einen
Piaster! Me.
Das »Viertel« ist gewöhnlich = ^24 Ardabb, würde also 8^/4
Arabische Straßenausrufe.
193
Liter messen; vgl. aber auch oben Nr. 33 b. Über das Sachliche zu
86 — 87 a s. die Bemerkungen in AWO,
87 b. bdmiya l-hälädi l-'-dl Heimische Bamie, herrliche! Me.
87 c. bdmiya rümi fäza Griechische Bamie, frische! Me.
Die heimische' Bamie (Hibiscus esculentus) ist kleiner als die
griechische.
87 d. '^äl yä ''Uta Herrlich, o Rahmfrucht! Me.
87 e. *'dl yäjustiC^ fustu^ il-''dl Herrlich, 0 Pistazien! Pistazien, herrliche!
Nach Mo. und Me.
87 f. fustu^ ^dlldsa l-justu^ Herrliche Pistazien! Frisch die Pistazien! Me.
Die gerösteten und gesalzenen Pistaziennüsse werden nach Me.
in Körben umhergetragen und nach der Stückzahl in den Kaffeehäusern
verkauft, zuweilen auch, wie viele andere Waren, durch Verlosen im
Glücksspiel; man greift in einen Beutel mit Nummern, gerade und un-
gerade {goz u-fard) entscheiden, aber dabei ist viel Betrug.
87 g. kdstana kästana! kdstana l-^dl Kastanien ! Kastanien ! Herrliche
Kastanien! Me.
Die Kastanien werden auch '^ain il-gämäl genannt.
87 h. kummitra l-^dl Birnen, herrliche! Me.
87 i. ^dl ü-kiresa Herrliche Kirschen ! Me.
B. Fleisch und Fische.
ü-gazzdr Der Schlachter.
88. JLaöÜ jbji4.i5 JL^iail id-ddni l-musg-ar id-ddni
Si^ Lj ^-otAaJt (j;jj.ail L:Jy.>ai ^andina l-^üäi s-s^aiyar ya-uldd
Hammel, kleine Hammel!
Wir haben ein ganz junges Lämmlein, ihr Burschen!
Das arabische (^jj-'i ist natürlich das entsprechende türkische
Wort; die Betonung auf der l. Silbe ist nach arabischen Vorbildern
eingetreten.
ir-rauwds Der Verkäufer von Hammelköpfen.
89. J\.z>. Lj nJÜI -JLü '-alä-llä yä gdbir.
Wir vertrauen auf Gott, o du Helfer!
Sidqi hatte in der Überschrift baiyd'' masliV ir-rds id-ddni »Der
Verkäufer des Gekochten vom Hammelkopf«. Die Bezeichnung
rauwds wurde mir von B. Moritz mitgeteilt.
baiyd' is-sämäk Der Fischverkäufer.
90- eV.**. Lj i3Lxil Jjiii bul/i l-*dl yä säinäk
Bultl, herrliche,' o Fische!
Islam X. |7
IqA Enno Litt manu,
Nach Nallino, S. 251, ist bul/i Labrus niloticus Hasselq. Eine
genaue Beschreibung des Fisches findet sich bei Seetzen, Reisen usw.
III, S. 274.
91. ^^4-w Lj W^ Oi=W-J5 il-haydd il-^dl yä sämäk .
WeißHnge, herrhche, o Fische!
Nach Nallino, 1. c, ist hayäd Bagrus bayad C. V.
92. u^3^Lä Lj 3^xl\ ^jo^p6\ ü-^ärüs ü-'dl yä ^ärüs
Oärüs, herrhche, o Oärüs!
9^. ^iU^ L. „^oLJ! ^x<JI ^4^ sämäk ü-kebir is-snbih yä sämäk
Große Fische, frische, o Fische!
94. (^..:?=vj j3.:^j ^.j.Lavo bisdrya hahari ba/iarl
Bisärya vom Nil, vom Nil! — Vgl. unten Nr. 247.
baiyd'- is-särdin Der Sardinenverkäufer.
95. .-t-'^-v- Lj , cA^Jl ,.,j0..sJI is-särdin ir-raHdi yä särdin
Sardinen aus Rosetta, o Sardinen!
baiyd"- ir-ringa Der Heringsverkäufer.
96. s:^j Lj -^LLj^ ^4^ sämn ubatdrih yä ringa
Butter und Rogen, 0 Heringe!
baiyd'^ il-fesih Der Verkäufer von Salzfischen.
97. ^^Av.5 'wj J^\ ;?o.>*^J! il-jesth in-nill ya-jsih
Salzfische vom Nil, o Salzfische !
97 a. yä fesih il-'dl 0 Salzfische, herrliche! Mo.
baiyd' umm il-hulül Der Miesmuschelverkäufer.
98. ouJai (iVcLjKj baiydHk indif
^j)3^\ p! Lj ou^-b liULi'l^ we'akkdlik garif — yammu l-/iulul
Dein Verkäufer ist rein,
Und dein Speiser ist fein — o Miesmuschel!
99. j,s> ii)ü;<x.i; Sabaktik harir
^Ji^Jt -I Lj ^ ^oLaa5. wesaiyddik ^amir — yammu l-hulül
Dein Netz war aus Seiden,
Dein Fischer gut und bescheiden — o Miesmuschel!
Das Wort '^amir wurde mir als rdgil taiyib sdli/i erklärt.
100. ^JL£^1\ *\ Lj i3L*il il-'dl yammu l-hulül
Herrlich, 0 Miesmuschel!
100 a. gamban '^dl Krabben, herrliche!
Nach Mo. gambari l-'dl, mit Artikel. Die Krabben (Granate,
Garneelen) heißen auch baräghU il-bahr »Seeflöhe«; so nach Me., vgl.
auch DozY s. v. öj.tj.
Arabische Straßenausrufe.
195
100 b. mazza kebdb Zukost, geröstetes Fleisch ! Me.
100 c. *aZ yä ganduflt, gandufli l-'^dl Herrlich, 0 Gandufli! Gandufli,
herrliche ! Me.
Dies ist nach Me. eine gerieftschalige, wohlschmeckende Mittel-
meermuschel.
C. Hühner. Eier, Brot, Käse und Milch.
baiyd^ ü-jirdh Der Hühnerverkäufer.
loi. ^Ls Lj ...U-^il , c,l>Xxit ü-baddra s-swndn ya-frdh
Junge, fette, o Hühnchen!
bädriya (Plur. baddra) ist ein mittelgroßes Küken, etwa vier Monate
alt ; das Wort wird sonst auch von Lämmern gebraucht ; vgl. Mustl, Arabia
Petraea HI, S. 284 und Dozy s. v. Sumdn steht für simdnwQgen des m.
baiyd'' ü-katäkit Der Kükenverkäufer.
102. ^^4J! ^^/! Lj ^^Uif il-müdh yä müdh il-mildh
^bi*JI 'i\ J^l\ ^5-^-^:^ '^ '^^ yütiri l-mild/i üla l-mildh ■
Schöne, o Küken, schöne!
Nur Schöne kaufen die Schönen!
Nach Sidq! ist müdh auch = katäkit. Er erklärte die erste Zeile:
»Küken, o schöne Küken«. Aber sonst steht vä vor dem Worte, das
die Ware bezeichnet; daher habe ich hier auch so übersetzt. — Vgl,
unten Nr. 251.
103. sdbih yä bed Frisch, o Eier!
103 a. aqsdti yä hed Schäumend, o Eier!
Spitta, S. 277. Nach ihm bedeutet schäumend hier »frisch, un-
bebrütet«.
104. bed wismif sentit (dza Eier und Brezeln, frische Brezeln!
Nach Mo. auch bed usmit tdza l-'^dl. Jehan d'Ivray, S. 32, hat
semitt taza an der Bahn Alexandrien-Cairo gehört.
104 a. abydd is-semU Weiße Brezeln!
Spitta S. 277. Er übersetzt semit (so, mit t) durch »Semmeln«. —
Über tdza vgl. unten zu Nr. 133.
104b. täbünl yä '^eS Im Ofen gebacken, o Brot!
Spitta, S. 277. Dort steht fälschlich tabüny.
104 c. ''eS ü-abyad Weißes Brot! Spitta, S. 260.
104 d. iStayigenninisdimbetd'' ü-bira Stangen Österreichische Salzstangen
zum Biere, Salzstangen ! Me.
104 e. menzeldwi yä gibne Aus Menzale, o Käse!
Spitta, S. 277.
104 f. gibn U'Semit Käse und Brezeln! Me.
u*
I qÖ EnnoLittmanh,
baiyd^ ü-läbän Der Milchverkäufer.
105. ^JilJU! xL^i L ^^J läbän yä ^ista [l-]lähän
Milch, 0 Rahm, Milch!
Der Artikel bei [l-\läbän ist in meiner Umschrift ausgefallen.
106. ,.,LJUi v*-xJL> -^aJL^JI ,.^J läbän il-halib halib ü-lähän
Sahnenmilch, Milchsahne 1
107. adxixäii Jlxas Lj idi^iUiJI il-Hsta yä sabdh il-ista
Rahm, o frischer Rahm 1
108. [^^JiJ! i^obJi Q>JÜ!] ü-läbän iz-zabddi l-läbän
Milch in Schalen, Milch!
Nr. 108 ist zufällig von Sidqi nicht arabisch aufgeschrieben. Die
Übersetzungen von halib V.nd läbän sind im AWO näher erklärt.
108 a. Nach Mo. rufen die Hirten, die vor den Häusern melken, in
Cairo yä labä-ä-än.
108b, läbän^ läbä-ä-än läbän gämüsa ''Ufa Milch, Milch! Büffelkuh-
milch, Sahne !
So wird nach Me. mittags in Cairo gerufen.
baiyä'^ ü-läbän ir-rdyib [ü-hadd] Der Buttermilchverkäufer.
109. ^^jLj Lj Kh.^i ^JCxäi ^J »^js>-\ <:^t^ get 'agibu läbän la^etu Hs/a
yä zebdyin
Ich kam, um sie als Milch zu bringen, da fand ich sie als
Rahm, o ihr Kunden!
109 a. läbän rdib Buttermilch! — So wird nach Me. in Cairo abends
ausgerufen.
D. Spezereien und Blumen.
baiyd^ ü-Htr wir-rihdn Der Verkäufer von Spezereien und Myrten.
HO. 2aAÄ.5\Ji Jlt ''da l-genena
U-JLc J^JLb o.jJt» ivü-warde dallü '■alena
Luil iwr> wA-j-LA^I^ ivü-habib ga* üena
Jic u ^\ji^\ ü-'-dl yä '■ür
Auf zum Garten,
Wo uns Rosen beschatten
Und uns Freunde erwarten!
Herrlich, o Spezereien!
in. ^-ji-^sJ^ Lj i3Lxil ^.jL<\j^JI ir-rihdn ü-'-dl yä rihdn
Myrten, herrlich, o Myrten!
»Myrten<; möge hier, wie rihdn (eigentlich = Basilienkraut) im
allgemeineren Sinne für »wohlriechende Kräuter : stehen.
Arabische Straßenausrufe.
197
batyd^ ü-ward wü-full Der Verkäufer von Rosen und Jasmin.
112. ..^jLÄ:p.J! 0,3 Lj yä ward ü-gandin
^jL^ J^f J<c- »lit ^a//ä ^ala kulle /idin
J^oLxj ^:s\j ^Xxl ^imta tigi nüiodsü
J.AaL;:/j (^:s=\>JI J^.» "düeyilfa l-kubbe mittdsil
O Gartenrosen!
Gott straft alle Treulosen!
Wann kommst du zum Stelldichein,
Um in Liebe vereint zu sein?
112 a. ü-warda, ü-warda-a-a Rosen! Rosen! Me.
113. ;j.:>vJl J^ftil jj..>vjl ü-migwiz il-jull ü-migwiz
Doppelt schöner Jasmin, doppelt schöner!
Das Wort migiviz »doppelt« wurde mir hier »doppelt schön«
erklärt. Es steht wohl für mugwaz wie ^iswid für ^aswad; mugwaz
wiederum steht für altes muzwag.
113 a. ''abu r-rika yä füll Vater des Duftes, o Jasmin!
Nach Me. wird diese einheimische Jasminart in kleinen weißen
Buketts in Cairo von Fellachenjungen ausgeboten.
113b. füll gamil Lieblicher Jasmin!
Jehan d'Ivray, S. 18, gibt diesen Ruf aus Alexandrien in der
Form fohl gamyl.
113 c. '-dl yä yasmin Herrlich, o Jasmin! Mo.
Statt yasmin wird auch yasmün gesagt.
113 d. 'a/ il-yasmin, yasmin it-tib Herrlicher Jasmin, Jasmin des
Duftes! Me.
baiyä'' il-buhür Der Weihrauch verkauf er.
114. KJLkj. .J! j_t-^^ bu/iür il-barr yinfa'-
Weihrauch vom Festlande ist nützlich!
114a. magitüliya Magnolien! Me.
Einzelne Magnolienblüten werden durch einen Bastfaden zu-
sammengehalten und am vorzeitigen Aufblühen verhindert; sie werden
in Körbchen oder in der Galläbiye umhergetragen.
114 b. ^dl in-nargis Herrliche Narzissen! Me.
Die Narzissenblüten werden in kleinen Sträußen in der Hand ge-
tragen und feilgehalten.
E. Salz und Industrieerze ugnissc.
' baiyd'' ü-malh Der Salzverkäufer.
115. _;JLo Ij ^3l-*J5 j^jy^.;iJt ir-rasidt l-'dl yä mal/i
Aus Rosetta, herrlich, o Salz !
igg Enn o Litt mann ,
baiyd'- is-säbun wü-bunn Der Verkäufer von Seife und Kaffeebohnen.
il6. ^^Lxil ^>*JbLÜl ...yiu^\ ^Ljtit ü-''dl is-säbün in-näbülsi l-^dl
Herrlich, die Seife aus Nabulus, herrhch! — Vgl. Nr. 324.
117. [u,juIaJt t3L*JI (•j«^'] id-di^'' il-'-dl in-nadij
Seifenabfall, herrlicher, reiner!
118. *aa/ yd sddbüün Herrlich, o Seife!
119. ^L*J! ^^■^^ rt-t-J^ il-bunn U-yämäni l-''dl
Kaffeebohnen aus Jemen, herrlich!
119 a. ^adim yd säbiin Alt, o Seife! — Spitta, S. 277.
balyd*- ü-manäfik wil-qabäqib Der Verkäufer von Blasebälgen und
Stelzschuhen.
120. »^^LJiiU 4;^a5wUJI ü-manäjih wiPabäHb
Blasebälge und Stelzschuhe !
Derselbe Mann verkauft auch kanakdt (verzinnte Kaffeekannen)
und klzdn (Krüge).
baiyd^ il-husr Der Strohmattenverkäufer.
121. iJj^S LT^Jüi il-Hyds ü-^umida
Jede nach Maß, schöne Arbeit ! .
baiyd'' ü-magiir webalatt il-furn Der Verkäufer von Schalen und
Herdplatten.
122. ^^^j! nL^ (^oL is.AJLixJU ^j.:>uJ5 ü-magür wis-idlya wddl balatt
il-furn
Schalen und Schälchcn, und dies ist die Herdplatte!
122 a. samsiyet il-^dl Sonnenschirme, herrlich!
Spitta, S. 260.
122 b. bafta hindl, bafta hindl Indische Leinwand, indische Leinwand!
Sit '-arid yd bandt Breiter Kattun, o ihr Mädchen! Me.
122 c. füta bi-taldta sdg Das Stück Tuch zu drei großen Piastern! Me.
Der Ruf wird wiederholt. Das Tuch wird zu Handtüchern und
Mundtüchern benutzt.
122 d. min il-bahr il-mdlih isfinga Vom Salzmeere, Schwämme! Me.
Die Schwämme werden jedoch meist ohne Ausruf von Griechen
verkauft und sind sehr unrein und sandig.
122 e. ^izdz il-lamda Lampenzylinder! Me.
122 f. il-litr isbirto bitndsar mallim Der Liter Spiritus für zwölf
Milhemes! Me.
Me. gibt li^r und isbir/o mit / an. Diese Aussprache mag vor-
kommen, da beide Male ein r in der Nähe ist. Doch Nallino, der in
seinen Angaben äußerst zuverlässig ist, hat beide Wörter (2. Aufl.
124- hanfalun
124 a. tarbüs
'adim lil-be^
zum Verkauf! Me.
T
Arabische Straßenausrufe. IQq
S. 477 und S. 438) mit t; dies wird daher die häufigere Aussprache
sein. Ich selbst habe keine Notizen und keine genaue Erinnerung
betreffs dieser Wörter.
122 g. safihat ü-gäz bündSar säg Die Kanne Petroleum für zwölf große
Piaster! Me.
ü-mebaiyadin Die Verzinner.
123. nebaiyad nahäs Wir verzinnen das Kupfer!
123 a. nesallah bäbür ü-gäz Wir reparieren den Petroleumkocher! Me.
Die Petroleumkocher sind nach Me. überall in Cairo in Gebrauch.
Me. schreibt einmal gdz (122 g), einmal gdz; beide Aussprachen kommen
in der Tat vor.
123 b. nesallah ü-kardsl Wir reparieren die Stühle! Me.
Die Altkleiderhändler.
{Hosen
Tarbusche
Stiefel
124 c. hadid \ Altes Eisen
ü-böyagiya Die Stiefelputzer.
124 d. waruis melikdnl Amerikanischer Stiefelglanz! Me.
F. Getränke.
is-saqqä Der Wasserträger.
125. ».5> ;jtJ! \Jül is. {j:oj.xl\ il-Hivad ^ala IIa ü-gant hüwa
Der Lohn ist bei Gott, er ist der Allreiche!
Jehan d'Ivray (S. 32) hat die Wasserverkäufer an der Bahn
von Alexandrien nach Cairo einfach moiya, moiya rufen hören.
baiyd'' ü-lamündta Der l^imonadenverkäufer.
126. . t s> Lj ,..j.JLii ^L.ü sardb ü-lamün yä harrdn
Limonenwein, o du Dürstender! — Vgl. unten Nr. 307.
baiyd'- it-tüt Der Verkäufer von Maulbeeren[wein].
127. o».äJ! »^I^ Lj oy:J! it-tüt yä sardb it-tüt
Maulbeeren, o Maulbeerenwein!
Diese Übersetzung, die von der Erklärung Sidqi's abweicht, ist
in AWO näher begründet.
baiyd'- il-'irqesüs Der Verkäufer von Süßholzwasser.
128. .jM.i^Jt ^y^i^\ il-Hr^esüs il-hamir.
Süßholzwasser, gegorenes !
200 Enno Littmann,
Statt ij^j.^'i.xli\ hat Sidqi, um die Aussprache nachzuahmen, im
Ausruf fj^j.j^t^] geschrieben. Ich schreibe ^J^_y^'i.c in einem Worte,
da es, wie der Artikel vor dem Ganzen zeigt, von der Sprache als ein
wirkliches Kompositum aufgefaßt wird. — Vgl. Nr. 303, 326.
129. i^/io> ^-yA »3^ss- Lj yä haläiüa min hasab
O Süßigkeit vom Holze!
baiyd'- ü-tamrehindi Der Verkäufer von Tamarindenwasser.
130. L-J^:>\.J! (j;Jv>LP.4.:JI LJ^L^J! ü-galläb it-tamrehindi l-galldb
Rosenwasser, Tamarinde, Rosenwasser!
Die Übersetzung von galldb durch »Rosenwasser« (= gulldb) ist
in AWO begründet. Aus diesem Worte stammt das spanische julepe,
französ. und engl, julep, das auch in Deutschland bekannt geworden ist.
baiyd^ sardb iz-zebib Der Verkäufer von Rosinenwasser.
131- v^AijJi V^_j-^ ^^. ^-r^.ii^^ iz-zebib yä sardb iz-zebib
Zibeben, o Zibebenwein!
Sidqi's Niederschrift hat uj,^ statt oL.i;; er diktierte jedoch
zweimal sardb.
G. Speisen.
baiyd^ iz-zaldbya Der Pfannkuchenverkäufer.
132. ^-ÜLt JU05 Li/i 'iLfjßx zaldbyit muna wesdlll ^an-näbi
Pfannkuchen von Mina, und bete zum Propheten!
zaldbya wurde von Sidq! als dünner Pfannkuchen beschrieben;
man könnte sie auch als eine Art Mandeltorte bezeichnen. Die Über-
setzung ist nach Sidqi gegeben. Er meinte, die Pfannkuchen würden
so benannt, weil sie besonders auf der Pilgerfahrt bei Mekka gegessen
würden; dazu würde auch der Zusatz »bete zum Propheten« am besten
passen. B. Moritz sieht in müna jedoch den Plural von münya
»Wunsch« und schlägt vor, »hochbegehrt« zu übersetzen. Diese Über-
setzung ist an sich ebenso gut möglich und vielleicht sogar wahrschein-
licher; dann wäre jedoch die Erklärung des Zusatzes schwieriger.
baiyd'' il-musabbik Der Waffclverkäufer.
133. övLb ^^iJtii v^*i" ka^b il-gazdl f.dsa.
Gazellenfersen, frische!
Das Wort »:Lb wurde von Sidqi hier fd^a gesprochen und sogar
iJfflL geschrieben; hätte ich ihn darauf aufmerksam gemacht, so hätte
er die Aussprache tdza abgeleugnet, wie er das in ähnlichen Fällen
immer tat, und die Schreibung id?Lb für einen Fehler seinerseits erklärt.
In der Tat kommt die Aussprache mit s oft genug vor; sie beruht be-
Arabische Straßenausrufe. 201
kanntlich auf Angleichung an das /. Andererseits ist mir aber auch die
Aussprache tdze begegnet. Das arabische »jLL ist aus dem persischen
»:Lj entlehnt. Persisches t und k wird im Arabischen meist durch Jo und
V, wiedergegeben; dies beruht darauf, daß t und k im Persischen
gänzlich unaspiriert gesprochen werden, ebenso wie im Semitischen
/ und q, während semitisches t und k wie im Norddeutschen leicht
aspiriert wird. Ebenso wurde griechisches x und x, wenngleich hier
einzelne noch näher zu untersuchende Ausnahmen vorliegen, im Se-
mitischen durch / und k wiedergegeben. Für die Wiedergabe des
griechischen tt wandten die Syrer sogar ein eigenes Zeichen (^) an.
133 a. Saids a bi-mallim hi-samn il-baqara, yd min ma^dh malltm loe-
ydhud saldsatun Drei für einen Millieme mit Butter von
der Kuh ! O, wer einen Millieme bei sich hat, der nehme
drei ! Me.
Me. beschreibt den Mann, der in diesem halbliterarischen Arabisch,
das nach vulgärer Weise ausgesprochen ist und auch nach vulgärer
Weise Fehler enthält (vgl. saldsatun), seine Ware verkauft, folgender-
maßen: ein Syrer, in Beduinentracht mit Schwert und Schild, auf
geschmücktem Kamel, mit Musik voran (wie bei einem Hochzeitszug),
verkauft aus seinen Satteltaschen guraiyiba, d. i. Plätzchen aus Mehl,
Zucker und Butter; vgl. auch Dozy, s. v.
133 b. sultdniya bi-mallim, yd belilet [il-]löz Die Schale für einen Mil-
lieme, o Weizenpudding! Me. "
belila ist nach Me. eine Art Weizenmehlpudding mit Rosenwasser
angemacht und mit Mandeln belegt. Spiro beschreibt dies Gericht
als gekochten Mais oder Weizen, der mit Milch und Zucker gegessen
wird; vgl. auch Dozy, s. v.
baiyd'' ii-ta'miya Der Bohnenkloßverkäufer.
134. Na.**!) Lj J.5^Läi^ j.! ^umm il-jaldfil yä ta'-mtya
Mutter des Pfeffers, o Bohnenkloß!
Wörtlich wäre »Mutter der Pfeffer[sorten]« oder »der Pfeffer-
körner«. Zur Bereitung der Bohnenklöße werden verschiedene Pfeffer-
sorten verwandt; vgl. Meyerhof in AWO 19 18, S. 213, Anm. 165.
135. kj3\j^ ^AajJüi NÄj^^jw suhna l-''uresa suhna
Heiße Klößchen, heiße!
baiyd^ il-haldiva Der Verkäufer von türkischem Honig.
136. ^J^^=^ 8^M> Lj .xa£: ''ambar yd haldwa hallt
Ambra, o türkischer Honig! Mache süß!
136 a. sämsämiya yä haldiva Mit Sesam bereitet, o türkischer Honig!
Spitta, S. 277.
202 Enno Litt mann,
136 b. yä hüwe yükal 0 Süßes, das [viel] gegessen wird!
Spitta, S. 193, Z. 12..
haiyd'' id-dandürma Der Eisverkäufer.
I t7- ,<-»-j5 -JU! Lii. ^/a.AiO u \j xx.cXJO xLa-wJiJLc *-»,JoJ »^i.^ Lj io«,L>JJ
Nxi.jojJ! dandurma yä saldm dandurma ^al-'^i^/a dandurma
yah yä dandurma iväna lli '^abV' id-dandurma
Gefrorenes, schau an, mit Sahne! Gefrorenes, ach, Gefrore-
nes! Und ich bin's, der das Gefrorene verkauft!
138. ^.,_j.xJlJ! 5 ^JlJlj ^:>^ Lj yä sitte ydllffi l-bäläkon
^_yj\ cJo Q^ ii^j^^J! }S\ ^akl ü-galäta min hid'- ü-yöm
j^^JI Lj^ ^Ia^J! ou>3 wihyät is-sala waiya s-söm
&^,JojJ! ^JIXj J;äj tinzill takli d- dandurma
I O Dame, die du auf dem Balkon, - das Essen von Gefrorenem
gehört zu den neuen Moden von heute. 3 Beim Gebet mitsamt dem
Fasten, 4 möchtest du herabkommen und das Gefrorene essen !
In diesen und den folgenden Versen ist galdta (italienisch: gelata)
und dandurma (türk. dandyrma) gleichmäßig durch »Gefrorenes« über-
setzt, da sie hier auch fast gleichbedeutend gebraucht werden. Eigent-
lich ist ersteres »Fruchteis ohne Sahne«, letzteres »Sahneeis« (ice-
cream). Statt dandurma hört man auch dardürma und ^ardürma.
139. ^ »,kL^\ ,», Ji ^JÜij u>-w Lj yd sitte yälll fo' is-sutiih
^ ^.äaj ^>otJL d^o*vJU wilmiske wü-^ambar bifiih
».I ^» j^A 'ül ^ana ^dgi walla ''arüh
N/!,J>>.jvAil ^S:i J;Äj ^i. walla tinzill takli d-dandurma}
I O Dame, die du auf dem Dach, - und [um die] Moschus und
Ambra duften, 3 soll ich kommen oder gehen? 4 Oder kommst du
herab und ißt das Gefrorene? — Vgl. unten Nr. 314.
140. ö.L^! -s JlJlj vi>w« Lj yä sitte yälll ji l-hdra
»,'L/l^S! ol;^! Lj» waiya l-bandt iPamära
b.l.:>;^ aUjJoi* Ljtj ta''d hudi-lik sigdra
s-Ajö.C) JS Lxj '^\^ walla ta'-d küll dardürma
I O Dame, die du im großen Hause - mit den Fürstentöchtern bist,
3 komm, hole dir eine Zigarette, 4 oder komm, iß Gefrorenes!
141. .j..w.i! v_j.s -JÜLj >,i>.j Lj yä bitte yälll fo* is-serir
.j-:>o! i^äJI xaso^' Lj yä labsa t-töb il-harir
.j^^\ ,i\^J J*.s ^uli- lahüki Pamir
.j^xc^>Ji lo -*^S 'C^^.fP'^ wihydt in-nabl da l-basir
\^.o.o ^^LXJ>LJ J^' tinzill td/idl dardürma
^ O Mädchen, die du auf dem Throne, - o die du ein seidenes
Arabische Straßenausrufe. 20^
Kleid trägst, 3 sag zu deinem Bruder, dem Fürsten: 4 »Beim Pro-
pheten, das ist eine frohe Botschaft«, ^ [und] komme herab, hole Ge-
frorenes!
142. ^\^ Lj oiii^ c>>.j!_5 we^inta wd^if yä gazdl
li'bSjJ! w*.:fU: v^>Lx:^j ^L.^3 uie'-ammäl tifdgib Hgb id-daldl
,.,L*> ^j^* iikÄx*j [J^J ^irmii bfenak ive'ül ga^dii
iw,L>,<A-5' •■•1^ JLxj ta'^dla diV id-dardürma
I Und du, die du da stehst, o Gazelle, - und die du selbstgefällig
kokettierst, 3 winke mit deinem Auge und sprich: »Ich bin hungrig«,
4 komm, koste das Gefrorene !
143. »;f)'i>..iJ! ^5 ^JL-Si-J '^uy^i uj yä bitte ydlli fi s-sibbdk
;jii^Aw.j L/) \j^.:s\J! J.i \ ^akl ü-galdtta mä yislds
;ji,LÄÄAv-« 012I3 -JÜI 0(3 ivana lli wd'if ma-staiinds
^/i,i3,o i qJ^^'J JjJ tinzili ta/idi dardürma
I O Mädchen, die du am Fenster bist, - wer das Gefrorene ißt,
der läßt nicht davon. 3 Und ich bin's, der [hier] steht, ich warte nicht.
4 Komm herab und hole Gefrorenes!
In V. 2 steht ^akl für ^dkil (bzw. imkil). Die Form galdtta, oben
in Nr. 138 galdta, scheint individuell zu sein wie in diesen Versen
(Nr. 141 ff.) dardürma neben dandurma oben Nr. 138 u. 139.
144. i^^xlJi -5 , ^JÜLj c>-j Lj yä bitte ydlli fi l-bäläkon
j._j-JI clXj ^Jiy^* ^c^ /^^^^ wesiifi bid'- il-yom
^j^\ i-j^i ^lxiJ5 oU>-3 wikydt is-sdlä waiya s-som
*->a.j>.L\J! ^0^^^ , ^JiÄj tinzili takdi \d-\dardürma
^ O Mädchen, die du auf dem Balkon, - schau und sich das Neue
von heute! 3 Beim Gebet mitsamt dem Fasten, 4 mögest du herab-
kommen und das Gefrorene holen I
145- j-j.Li*^J! |Vj.5 , ^ULj \:^ uj yä bitte ydlli jö* is-sutiih
Äj i3u£ tiU-« eV.A«-«.if il-miske miiiiiik ''ammdl ijüh
^.,! ^5» ,JJ.^\ ^astdnna ivalla arüh
*./ijjijiA,J! ^^J<J^■ J^j c^'^t) '^'i^i-näbl tinzili takdi d-dardiirma
^ O Mädchen, die du auf dem Dach, - Moschusduft strömt von
dir aus. 3 Soll ich warten oder gehen.'* 4 Beim Propheten, komm herab,
hole das Gefrorene!
146. ^jJuLc ^A -iiü v.:j/.j Lj yä bitte ydlli min '■abdin
,->^^\ \_^5>Lo ^».J J».s ^idl labiiki sahb it-tin
\/i.j.o CkzA ^3jji ''anzil ''dhud dardürma
^ O Mädchen, das du von *Abdin bist, - spricli zu deinem Vater,
dem Besitzer von viel Land: 3 »Ich will hinabgehen und Gefrorenes
holen.«
204
E n ii o L i 1 1 m a n n ,
Nach Sidqi bedeutet ,tin hier »viel Land, großes Gut«. Der Ge-
brauch erinnert an die Verwünschungsformcl am Schlüsse der lydisch-
aramäischen Bilinguis, in der es heißt, daß die Frevler ,tin umin ver-
lieren sollen; vgl. meine Lydian hiscriptions iSardis. Vol. VI) S. 23, A,
Zeile 8.
147.
ä.xkO.O Lj i3l«-5l ^la-ii-S
iwa.^O LJ ^\
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i-#.S> ,.,X ( C^jJwE^' Lx
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Lj ■i)ö\
^-\.jJ)vP» i-yJV '-^J V'
1^^ o^
-j-'
'f.y/a /-'«/ yä aardürma
> 2 g(?£;a^ y« dardürma
3 ;;/ä tiz^alis min hayddik yä beda
4 is-sa^de heil ^ayädiki
5 mä tiz^alU tnin hamdrik yä
hamrä
6 da l-warde zaiyin liaddeki
7 mä t iz^'alis min sawddik yä söda
b
^Lla-o^^Juc .*^*"5' i^\
^S.j^Xj^ Oj,^ ^.^k!i\ fj> 8 da l-ku/d sauwid ''eneki
Lraö lj ^^Läo ^ jji;.>.Xcj.j L» 9 mätiz^alisminsafdrikyäsäfra
^^xilc JiLLs- j*.^J!_5 >_>JLij! b 10 ö?a /-^m/^ wil-hamm[e] liatit.
''alekl
j^.jij»'^!! Qjjj^ i3j-ÄJ *-^y^ II weiiirga'- mVül wenüzin il-
^aiizdn
i^j.^i:Jc^ XAiaAAJ! 12 il-beda mag-süsa zaiy il-gir
'■al-hltdn
_jl«>vJl lXäc .\.*.^^JÜI ijTj \^.cc«.iA) L*j>JL 13 ivil-haynra mag-susa zaiy il-
lahma '-and il-gazzdr
j^.,lA-otJL£ ♦i'jJI (Cj *..Ä^xiotv« \Ju2.l\^ 14 wis-safra mag-süsa zaiy il-
kurkum 'al-'iddn
j.L.5=väJI l\äc ^^äJ5 ;jjj i(..ii^,iJw bOj.A^iU 15 wis-söda magsüsa zaiy il-fahm
'-and il-fahhäm
!-4.s> xcAb 5-«.>*w.JI L«.]» 16 ivelamma s-samra halaha
hanira
L4..V. Lj ti)LX.j<^.j q/! ^i>.ica Lj 1 7 }'« hakt man yähdik yä samra
148.
JsuJiJI
^^.,-.^^.5 Q-yLv.».J! ^yh ^cc^jotj 18 /w .tid is-sinin farhdn
i^Aj^y) Lj iJa.^s T ""i-y./« yä dardürma
iJ^<\'S Lj iiV>Li^j ^/« 2 mhi tuknik ya thina
LA.J 5 J;;^^-^:^ o'*r'^^^ l5; 3 '^^^^ H-gämüs iharta' ji wus/
il-g-il
\*-^5,j ii)>jis^ ^3 4 loemin ruf'ik ya-rfaiya'a
Joj^Lc v_ÄUiLJt Jo^^ii (j:j 5 ^aiy il-gertd in-ndsif 'al-hel
ioo.0 o Lj *i:i^xi 6 'zX-^a yä dardimna
147. 'f Sahne, herrlich, o Gefrorenes! 2 Elegant, o Gefrorenes! 3 Zürne
nicht ob deiner Weiße, o du Weißes: 4 das Glück ist in deiner Hand.
5 Zürne nicht ob deiner Röte, o du Rotes: ^ das ist die Rose, die
Arabische Straßenausrufe. ■ ^Qt
deine Wangen schmückte! 7 Zürne nicht ob deiner Schwärze, o du
Schwarzes: ^ das ist die Schminke, die deine Augen schwärzte.
9 Zürne nicht ob deiner Gelbe, o du Gelbes: ^° das sind Kummer und
Sorge, die bei dir weilen. " Doch nun wollen wir uns in der Rede
wenden und wollen die Worte [anders] wägen. ^- Das Weiße ist wert-
los wie der Kalk an den Wänden, "3 und das Rote ist wertlos wie ein
Stück Fleisch beim Schlachter, ^4 und das Gelbe ist wertlos wie
Farbe aus Gelbwurzelstöcken, ^5 und das Schwarze ist wertlos wie
die Kohle bei dem Köhler. ^^ Doch was das Braune angeht, das ist
eine rote Dattel. ^7 Glücklich, wer dich erhält, o Braunes ! i8 Er wird
alle Jahre lang froh leben.
148. I Sahne, o Gefrorenes! 2 Wegen deiner Dicke, du Dicke, 3 bist
du wie ein Büffel, der mitten auf dem Felde umherläuft. 4 Und wegen
deiner Schlankheit, du Schlanke, 5 bist du wie ein trockener Palm-
zweig auf der Wand. — (> Sahne, o Gefrorenes!
Zu gösdl (Z. 2) vgl. oben zu Nr. 42 sowie Jacob, Türk. Literatur-
geschichte I, S. 31. Manchmal ruft der Eisverkäufer auch ganz türkisch
kaimak dardurma gözdl (so nach Sidqi). Wenn die Aussprache kaimak
richtig ist, so muß sie in neuerer Zeit individuell übernommen sein,
da man sonst durchaus qaimaq erwarten müßte, auch in Ägypten. Daß
in Nordsyrien türkisches v auch als arabisches »^ übernommen wurde,
ist selbstverständlich, da dort auch im Türkischen das q ganz ähnlich
wie arabisches q gesprochen wird. Um den Ausdruck des türkischen
Wortes innerhalb des Arabischen wiederzugeben, habe ich ein fran-
zösisches Wort im Deutschen gebraucht. — • In Z. 1 1 ist eine typische
Übergangsformel des Erzählungsstils gebraucht: nirga^ m?ül; so heißt
es in Mprchen oft nirga'^ bil-kaldm oder nirga^ bin-nass wil-kaldm.
147 und 148 wurden' mir als das Lied desselben Verkäufers be-
zeichnet. Ich habe sie getrennt, da beide ganz verschiedenen Inhalt
haben, und da 148 1 einen neuen Gesang zu beginnen scheint. Es ist
aber möglich, daß derselbe Verkäufer, nachdem er in Nr. 147 die ver-
schieden gefärbten Teile des Gefrorenen nach ihren guten und schlechten
Eigenschaften besungen, indem er ihre Farben symbolisch deutete,
sich in 148 an die umstehenden Mädchen wendet und nun deren Dicke
und vSchlankheit »symbolisch« deutet. Dann würde 148 1, der Ausruf,
der sonst am Anfang oder am Schlüsse steht oder auch als Einleitungs-
und Schlußformel das ganze Lied einrahmt, hier zur Bezeichnung des
Abschnittes dienen.
haiyd'' il-mesamsim Der Verkäufer von Sesamgebäck.
149. ^t^kA^ _j.JL5> Lj .,U^^A«.^ii I ''il-mesamsimdn yä hilw weminsdn
*,v^4-w./» Lj 2 yä mesamsim
2Q5 Enno Littmänn,
' ^.j^L^j U ^LwJLa^Jl 3 Hl-mefallisdn mä yis*aldn
(j^Jiil\ n-J:^^ ''^ Lry^^^ L^J^b 4 ^^'^^^ hü-fulus mä tistihi'' n-nufüs
^.Av..,«.,«^ 'uj . 'Uii/a wj jJb» L 5 yä /^^/a; yä minsdn yä inesamsim
Sj^k:>^^\ Q/s ^i> ,w*^4-^Ji 6 Hl-niesamsim gdi min istambül
jj.^i w^JLc ^ 7 /i '^Va^ hanniir
^O^JSIS _j.JL^I ^i u^^Ji-Sj i^ 8 mä yaklüs illa l-hüw il-gandür
I Sesamgebäck — o süß und lecker! ^ O Sesamgebäck. 3 Die
bankrotten Leute fragen nicht danach. 4 Aber wer bei Geld ist, [kauft],
was seine Seele gelüstet. 5 O süß, o lecker, — o Sesamgebäck. '^ Das
Sesamgebäck kommt aus Stambul, 7 in Kästchen von Kristall. ^ Das
ißt nur der Schöne, der Fesche!
Die Form mesamsimdn ist wohl nur des Reimes auf minsdn wegen
gewählt. Letzteres, das ich hier durch »lecker« übersetzt habe, wurde
mir als mahjü? = kimiyis erklärt. In Z. 3 kann yis'aldn, dessen
Endung auch wieder durch den Reim beeinflußt ist, sowohl aktivisch
wie passivisch gefaßt werden. Im ersteren Falle heißt es dann »sie
fragen nicht danach, weil sie es nicht kaufen können«; im zweiten
Falle »sie werden nicht gefragt, es wird ihnen nicht angeboten, weil
sie es doch nicht kaufen«.
In Z. I und 5 ist w stimmlos, d. h. also ein schwach hörbares bi-
labiales /. In Z. 5 ist diese Pausalform am Platze, da hinter dem Worte
/lilw eine kurze Pause ist. In Z. i jedoch erwartet man etwa kih-
üminsän; die Form in meiner Umschrift ist eben dadurch entstanden,
daß beim Diktieren eine Pause gemacht wurde. Vgl. oben , zu Nr. 14.
H. Ausrufe aus Tanta.
1 50. J^iUJI J , ^Lj I ydlli fi l-'-aldli
J^ tiU^ ^i\w*^.Ji3 2 wil-miske minnik ildll
^aj^ Lj v3u«! JLLjOo 3 ma//ülll ''ummdl yä ''enl
Juu, ,JLä£^ ui^JLx.ii 4 sag-galti "aHi wehdli
j^aj^ Lj ^LoI J.l:ü.A> 5 ma/lülll ''ummdl yä '■enl
, *;^jl dUi*liJ 6 hitaha^ik il-hannür
^iuaJI «0^.*.^- ü! 7 ^ana hammüda [z-]zugaiyar
.»j«.>otil 7iC>yts^ Lil^ 8 wana hammüda l-gandur
iS±=>- f,»S dO v^jLi» 9 gäyib-lik körn galdtta
._j.>Lj wJli ^ ^o fi Hlab hannür . . .
«wOjOjO Lj »hJ;:>Ji 1 1 ''iSia yä dardürma
I 0 die du auf dem Söller bist, 2 und von der Moschusduft aus-
strömt, 3 guck doch heraus, na also, o mein Lieb! 4 Du hast meinen
Verstand und meinen Sinn berückt. 5 Guck doch heraus, na also, mein
Lieb, 6 mit deinem Teller von Kristall! 7 Ich bin Hammüda, der
I
Arabische Straßenausrufe.
^07
Kleine; ^ ich bin Hammüda, der Fesche. 9 Ich bring dir einen Haufen
von Gefrorenem '° in Kästchen von Kristall .... " Sahne, o Ge-
frorenes !
151. /*t^^'j5 (^Joww Lj üJÜlj I yallä yä sidi hrähim
^ -5 ijLiiVxJl ,c^ß 2 tirmi l-^agd[y)iz fi bir
.^ -^-^ f-^^}^ i3>Ä^J3 3 witta^''al ''alehim bihagar kebir
^j^lXi näääJI ^s j.jL^vxJl ^iJ 4 lä'inn ü-^agd{y)iz fi l-jitna Satrin
^^^-^äJU^ ij^*.^l ^5 Ju^S i3j.ij3 5 wetül in-nahär fi s-säms mitla"a/nn
/ iJLx^Ju ^^..jUaJ! ^S\ 6 '^akl in-namäiyjis bil-nia''dlt'
OjIjUJLj ijL5^*il ^S\*, 7 we'^akl il-^agd{y)is bil-mag-drif
^.AAi^Lc j.jL>\.*J! j^ 8 nom il-'^agd{y)iz ^al-/msir
^.j-Aw^iLc (j^jU>ü1 ,^3 9 wenom in-namd{y)is ^as-serir
iWjO^o Lj \Ii^3 10 'w/a yä dardürma
I Wohlan, o Herr Ibrahim, - wirf die alten Weiber in einen Brunnen
3 und beschwere sie mit großen Steinen; 4 denn die alten Weiber sind
erfahren im Klatschen, 5 und den ganzen Tag liegen sie in der Sonne.
^ Das Essen der jungen Mädchen [geschieht] mit [feinen] Löffeln, 7 aber
das Essen der alten Weiber mit [groben] Holzkellen. ^ Das Schlafen
der alten Weiber [findet statt] auf der Strohmatte, 9 aber das Schlafen
der jungen Mädchen auf dem Bett ^° Sahne, o Gefrorenes!
In Z. 5 hat Sidqi ^w^+Ail geschrieben, aber is-säms diktiert;
letztere Aussprache kommt in neuarabischen Dialekten häufiger vor.
Das Wort nämüsa (Mücke), plur. namdyis, erklärte er als »junges,
hübsches weibliches Wesen«. Me. vergleicht den deutschen Ausdruck
»netter Käfer«.
152. baiyd'- fül süddni ki-fan/a Hsmu '■amm isher Der Verkäufer von
Erdnüssen in Tanta, namens Onkel Isher.
^plo^.
Ij . ^io,
^y'>~^^^ a^^ *-^^-
j
\xi»..JU Lj ».jji>»XA Lj
^Laa.,1 qxj e'
Ul
N>.aX.J! ^a -PJc*.if
\.=>
Lf
,j*.äJI Li! ^3^Äj &.>^^>kUj!
JLäJi ^JlLi 10
^yijA J'.AJSC'JI ,..Li ...1. II
^Jyj^iji \X,
O'
cv
ya sdddni ya sdddnl
rigli u>ag''ddni
^iimiiiak hihva Idkiii ''agbddni
siffit-immak bin isnddni
''ahsan mü-lahm id-dddm
ya mlühiya ya mlühiya
ga l-madhi min il-geba
8 m'a' /abaßen wetubstya
9 il-mulühiya tu' Cd: ^ana n-nntl
''atla^ il-''aVa binabbütl
win kdn il-hel marbn/i
U'
.Äc tJ^A^ iJl.svJ 12
-^3-^Jua L.
x*..:>
J S .AAi3£>
lahillu biramJe ^enaiya
ya hdera ya mlüljiya
2oS Enno Litt mann,
-xiJ> jcl Li! ^^üj r. -äJt^ 14 wiPar^ fül ^ana iz-zdmhl
-a;^ q/o r-biy^ ^5 ^äuimrüni min gdmhi
(^l3._J) '»ixls! ^5 ^^Ii5>^ 16 imhaUüni ji dbd' wdrdl
x;uuo,*JLi ^ij^jOJ^ 17 we^addamüni lil-'^aramb"iya.
^ 0 du aus dem Sudan, o du aus dem Sudan! ^ Mein Fuß tut mir
weh. 3 Deine Mutter ist süß, na und gefällt mir. 4 Die Lippe deiner
Mutter ist an meinem Zahn 5 besser als das Fleisch vom Lamm ^ O
Judenmalve, o Judenmalve! 7 Es kam der Erstaunte aus der Ferne;
^ er verschlang zwei Teller und eine Schüssel. 9 Die Judenmalve spricht:
»Ich bin eine Seefahrerin. ^° Ich steige zur Burg hinan mit meiner
Keule. " Und wenn die Pferde angebunden sind, ^^ so löse ich sie
mit einem Winke meiner Augen.« ^3 O du grüne, o Judenmalve! '4 Und
der Kürbis spricht: »Was ist meine Schuld? ^5 Man hat mir in die
Seite ein Loch gebohrt ^'^ und hat mich auf rosenrote Teller gelegt,
^7 und mich den Beduinen angeboten.«
In Z. I ist das ü von süddni ganz ausgefallen wegen der überlangen
Dehnung der zweiten Silbe. — • Die Formen ivag''dni (2) und ^aghdnl (3)
sind feminine Partizipien («ji:^!^, und x^s-Lc) mit dem Verbalsuffix der
I . Person. -^ In Z. 3 und 4 sind die Formen ^ummak und immak gleich
hintereinander gebraucht. — In Z. 5 ist lahm i4-ddni vielleicht von
mir verhört für lahmä d-ddnt, da im arabisch geschriebenen Texte
&..»..5\iJI steht. - — In Z. 7 soll madhl nach Sidqi »Unglückskerl« be-
deuten (etwa gleich sonstigem medahwi), also von dahja abgeleitet sein,
da die Frau von ihrem Manne öfters als makrüh (etwa = »das Ekel«)
rede. Ich habe jedoch pj^a in seiner gewöhnlichen Bedeutung ge-
nommen. — ■ In Z. II steht war^w/z natürhch nur des Reimes wegen. —
In Z. 14 steht iz-zambi für eh zamhi. — Z. 11 dhd' für ^afhd^ (bzw. itha')
mit Ausfall des ersten Vokals und partieller Assimilation des / an das
h. — Die Form ^arambHya in Z. 17 ist ganz ungewöhnlich. Sie soll
nach Sidqi gleichbedeutend mit '^arab sein. Falls sie = ^arabiya ist,
so haben wir ein b mit dem auch sonst vereinzelt im Neuarabischen
vorkommenden "-Nachschlag; das ist ein Laut {b"), der mehr an
einheimische afrikanische Sprachen erinnert. Jedoch die Einschiebung
eines Nasals wäre in diesem Worte sehr auffällig.
Der Sinn des ganzen Zwiegesprächs zwischen Judenmalve und
Kürbis ist mir, wie ich im AWO ausgeführt habe, nicht, klar geworden.
Es ist mir jetzt aber wahrscheinlich, daß das Ganze voller Zweideutig-
keiten ist, die der Ägypter sehr liebt, und daß auch Judenmalve und
Kürbis eigentlich eine andere Bedeutung haben, zumal c .ä »Kürbis«
und c .'i »inivit feminam« dieselben Wurzelkonsonanten haben. Diesen
Dingen im einzelnen nachzugehen, bleibe der Skatologie überlassen.
Arabische Stiaßenausrufe.
209
153. Lied des liinnis in Tanta.
xo
w/.A^»
/*~M>t
^•yj.jjtj^\ j^>jäJLc x^;<Ui2
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..uJCJI
rj
.^j.Ai^ijl oLxxJS
^^^ Vj Lh
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I
2
J
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5
6
7
8
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J.PI iJM.i5* 10
J.55I i^l II
^!o j.5>! 12
^Jü! ^\ j,s>\ 13
is.xJL,s> j 'ä.JL^ 1 4
\Äx*^ l^oL» 1 5
JJtÄ^j ^J^^» 16
i^a^js^jI \>wj |jA«.A>- 1 8
*.JLo» ^»JLxÄj 5.AAJ 19
Jftji bj'i.s> LÄJLi>o L>;j>o 20
NaIx
.U> J/
LJ
a^
^i^ ».xli.Äj L-LäJ t^ 21
hinnis heeh
smälla ^aleeh
sa*^afü-lu win-ttabl ya-^ydl
mesahmafkü* si&dr wikhdr
sala '^an-iiäbl ^aleeh
Stißi t gär tu ba'it ^adde ^eeh
min dihku '^al-Hyäl iz-zu-
g-aiyarin
vä rabhe halli l-ahmar il-kehir
^illt bigib il-''iydliz-zugaiyarin
hinnis ^ahö
il-beh-aho
^ahö ddr
'ahö isma//a ''aleeh
mit duhlitu
^ddü Sayn'-itu
willl yistagal ydkul hamdm
willi mä yiUagaUi ydkul
barä/is wiHdin
hinyiis bi{h) il-gamü
ibf hinikla wemallin
dahna dahanna hart il-me-
jallistn
la bi'na bi^dsara mala biH^rin
^ Hinnis Bey, 2 Gottes Schutz über ihn, 3 klatscht ihm, beim Pro-
pheten, ihr Kinder! 4 Na, wart, ich will euch, klein und groß! 5 Be-
tet zum Propheten um seinetwillen! <> Seht, wie viel seiner Waren sind,
7 weil er mit den kleinen Kindern scherzt. ^ O Herr, behüte das große
Rote, 9 das die kleinen Kinder bringt. »° Hinnis, da ist er. " Der
Bey da ist er. ^- Jetzt dreht er sich um. ^3 Gottes Schutz über ihn.
^4 In seiner Hochzeitsnacht ^5 zündet ihm die Kerze an! ^^ Wer arbeitet,
bekommt Tauben zu essen; ^7 wer nicht arbeitet, bekommt Schläge
mit Pantoffeln und Maulschellen. ^^ Hinnis Bey, der feine, ^9 ver-
kauft für Nickel und Millieme. -» Da sind wir nun in die Bankrotten -
Straße gekommen; ^i wir verkaufen nicht um halbe Pfennige noch um
Pfennige !
Der Kopte hinnis (d. i. Johannes) verkauft von seinem hölzernen
Handwagen Kerne, Rösterbsen, Erdnüsse und »Glückspakete« mit
allerlei Süßigkeiten. Er hat immer cin£ Schar von zwanzig bis dreißig
Kindern hinter sich; den Titel »Bey« hat er sich natürlich selbst bei-
Islam X. 14
2iÖ EnnoLittmanii,
gelegt. Das h in bSh ist deutlich hörbar, daher im Plural behdt; vgl. in
Tigre be^ = Bey.
Z. 4 : saJiTYiat bedeutet hier dasselbe wie ndk. Der Ausdruck wird
aber kaum schlimmer empfunden sein als bei uns der oben gegebene. ■ — ■
Z. 8: ü-ahmar ü-kebir bedeutet farg. — Z, 17: bartüia, plur. barä/is
ist ein »alter Pantoffel«. Jlä »Ohrfeige«; vgl. Dozy, s. v. — Z. 19:
nikla ist ein Zwei-Millieme- Stück, also = 4 Pfennige, mallim »Millieme«
wird meist (mit Dissimilation des zweiten in) maliin gesprochen. —
Z. 21: ^asara und '^iSrm sind kleine Kupfermünzen [hiirdd), erstere im
Werte von I4, letztere im Werte von Vq Millieme.
II. Ausrufe aus Ägypten und Sj'^rien, nach Lane, Wetzstein
und Kremer.
154. '-alek ü-''iwad yä möläi Dir liegt die Vergeltung ob, o Herr!
Frühlingsgurken; Damaskus.
155. yä tisrinl, yä henä O vom November, o gesegnete Mahlzeit!
156. yä türini, il-henä lemin ye''U 0 vom November, gesegnete
Mahlzeit dem, der's erlebt!
157. min ben ü-lübyä Zwischen den Lubien gepflückt!
Die Ausrufe 1 5 5—1 75 beziehen sich auf Novembergurken ; Damaskus.
158. /ariye we-bdride we-mäddät ji l-lel Zart und frisch, und sie hat
sich in der Nacht gestreckt!
Gurkenart [qitte); Damaskus.
159. /aiyib we-hdmid faiyir ''arajak gar muht id-din Gut und sauer!
Vertreibe deine Appetitlosigkeit, Nachbar des Muhji ed-Din. ■
160. se lilldh yä sälihin Etwas für Gott, o ihr Frommen!
Nr. 159 und 160: Saure Gurken; Damaskus.
161. id-ddim alldh, alldh id-daim Der Dauernde ist Gott, Gott ist der
Dauernde!
Lattich; Damaskus.
162. muwaisame we-suhne wi'-nd^ime, lelak yä barmekl Tätowiert und
warm und weich, [dies ist] deine Nacht, o Barmekide!
163. megöhar yä humynus Edelsteine, o Rösterbsen!
Nr. 162 und 163: Rösterbsen; 162 Damaskus, 163 Alexandrien.
164. yä mesälli l-galbdn yä libb 0 Tröster des Sorgenvollen, o Kerne!
165. il-libb il-me/iammas Geröstete Kerne!
165 a. mu/mmmas yä libb Geröstet, o Kerne!
164 — 165 a: Melonenkerne; 164 und 165 Cairo, 165 a Alexandrien.
166. melldsi yä hilü Auf der Zunge zergehend, o süße!
167. mäwärdi yä hilü [Wie] Rosenwasscr, o süße!
Süße Granatäpfel; Damaskus.
Arabische Straßenausiufe. 211
i68. ^a/imar yä hahes Rote, o Melonen!
169. hamra we-z?ä wärdi Rot und ihr Rand ist^ rosig!
170. yä mal ydfä 0 Frucht von Jaffa! — Vgl. Nr. 317.
171. mal sahyä Frucht von Sahyä!
172. mal zbhie wi-zbendt Frucht von Zt)ene und Zbenät!
Wassermelonen; Damaskus.
173. ^allä yehauwiiiha yä lamün Gott mache sie leicht, 0 Zitronen!
Zitronen; Cairo.
174. '^asal yä hurtu^än '■asal Honig, o Apfelsinen, Honig!
Apfelsinen; Cairo.
175. heya lldh därejä Gott lasse Därejä leben!
Weintrauben; Damaskus.
176. yä ^umm is-sämdt yä ndfi^a 0 Mutter der Male, o Nützliche!
Kaktusfeigen; Damaskus.
177. mädäd yä embdhi mädäd Hilfe, o Schech von Embäba, Hilfe!
178 tirmis embdba yig-lib il-löz Die Lupinen von • Embäba über-
treffen die Mandeln! — Vgl. Nr. 80, 80a, 242, 321.
179. yä mahla bunaiy il-bahr 0 wie süß ist der kleine Sohn des Stromes !
Nr. 177 — 179: Lupinen; Cairo.
180. heya Ißh ir-rasid Gott lasse Rosetta leben!
Zypergrasknollen [kabb il-'^aziz)] Damaskus.
181. W/a/i yehün il-hain Gott ist treulos gegen den Treulosen!
182. "al/dh ^abilak yä hdhi Gott zieht dich zur Rechenschaft, o du
Treuloser!
Nr. 181 und 182: Dragun; Damaskus.
183. yä justu' mumallah 0 Pistazien, gesalzen!
184. kullu maldn Alle voll!
185. mdl haleb, yä fustu^ Früchte von Aleppo, o Pistazien!
Nr. 183 — 185: Pistazien; Damaskus.
186. lelak yä barmekl [Dies ist] deine Nacht, o Barmekide!
Gerösteter Hanf; Damaskus.
187. mdl ir-ruhebe, yä tamr Früchte von ir-Ruhebe, o Datteln!
188. yalli '-adil it-tamr 0 du, die den Datteln gleicht!
Nr. 187 und 188: Rosinen; Damaskus.
189. mdl (lalbim '*abyadyä baH Früchte von Halbün, weiß, o [vom] Ba'al !
Feigen; Damaskus.
190. gimmez yä Hnab Sykomorenfeigen, o Weintrauben!
Sykomorenfeigen; Cairo.
190 a. gimmez ir-ra/l bi-nikla Sykomorenfeigen, das Rotl zu zwei
Milliemes! Cairo nach Me.
191. yä rU/eb. 0 reife [Datteln]! Weiße Maulbeeren; Damaskus.
14*
^i^ Enno Littmanii,
192. tut sdmi Maulbeeren von Damaskus!
Schwarze Maulbeeren; Damaskus.
193. in-nöbe kill hahh il-ds Jetzt ist die Myrtenbeere süß geworden!
Myrtenbeeren; Damaskus.
194. kull ''a^da higassa Jeder Biß um ein Würgen 1
195. ^aslak jiHak [Wie] deine Natur, [so] dein Tun!
196. yä muddwi l-'^alil ddwl "alUak O Arzt des Kranken, heile deinen
Kranken !
197. yä ^umm il-^alil ddwl '■alilik O Mutter des Kranken, [heile] deinen
Kranken!
194- — 197: Quitten; 194 — 196 Damaskus, 197 Ägypten.
198. sumr, sumr ü-härriye, hendt il-härriye Braune! Braune der Wüste!
Töchter der Wüste!
Trüffeln; Damaskus.
199. yä kalim O milder [Gott].
1 99 a. yä haleh 0 Milch !
Milch; Damaskus.
200. ü-warde kdn Sök min '^arä* in-näbi fattah Die Rose war ein Dorn;
vom Schweiße des Propheten blühte sie auf!
Rosen; Cairo.
201. rawdyih ü-genna yä tamre henna Düfte des Paradieses, o Reseda!
Reseda; Cairo.
202. iugl it-tor yä hendt Werk des Stiers, o Mädchen!
Baumwollzeug; Cairo.
203. nehaiyin iz-zen Wir wahrsagen das Schöne!
203 a. Über die Rufe der Wahrsagerinnen vgl. noch Newbold, Journ.
oj the Roy. As. Soc. 16, S. 285: »*Come, ye that desire to foresee your
destiny! the past and the future shall be revealed unto you*, or in
shorter phrases, such as *Come and see your fortunes* c>^ä c^^ JL*j
vi>s.i^JI (Taali, taali, shuf tel bakht) etc.« Statt suft würde man eher
süf oder teiüf erwarten; aber vielleicht ist iujt i. Person, d. h. »ich
habe [dein] Glück gesehen«. Ferner Lane, II, S. iii: »*I perform
divination! What is present, I manifest! What is absent, I mani-
fest! &c.* They mostly divine by means of a number of shells . . .«
Dazu stimmt der Ausruf, den P. Kahle mir mitteilte: nehaiyin [iz-\zen
hil-ivada'- »Wir wahrsagen das Schöne aus den Muscheln«. Vgl. auch
unten Nr. 291 f.
204. ni/mur il-g-dib Wir bergen das Verlorene!
Rufe der Wahrsagerinnen in Ägypten. — Kremer hat nidmor,
es ist aber wohl das Verbum /amar gemeint; das / kann vor m leicht
wie (j? lauten.
Arabische Straßen ausrufe. 21 1
205. yä ''auwai allä 0 vergelt's Gott!
Wasserträger; Cairo.
206. yä ''afsdnnä, is-sebil O unser Dürstender, Opfertrank!
•207. sebü yä '■atsdn ''an ruh in-näbl wü-Hmdm 'all wü-hasan wü-hosen
yä 'a/sdn sehil Opfertrank, 0 Dürstender, für die Seele des Pro-
pheten und des Imäm *Ali und des Hasan und des yosen! 0
Dürstender, Opfertrank!
208. gaffar alldh danbak, yä sd/iib is-sebil Verzeihe Gott deine Sünden,
0 Spender des Opfertranks!
208 a. sebil alldh yä 'atsdn ü-genna wü-magfira lak yä sdliib is-sebil
Opfertrank, o Dürstender! Das Paradies und die Verzeihung
mögen dir zuteil werden, o Spender des Opfertranks!
209. rahim alldh wälidek yä sdhib is-sebil Erbarme sich Gott deiner
Eltern, o Spender des Opfertranks!
Die Form rahim ist literarisch; es ist möglich, daß der musebbil
sie gebraucht hat, da ja gerade Wörter der religiösen Sprache öfters
auch im Volksmunde ihre hterarische Form beibehalten; vielleicht geht
sie aber auf Wetzstein zurück.
210. fi l-genne maqdmak yä sdhib is-sebil Im Paradies sei deine blei-
bende Stätte, o Spender des Opfertranks!
211. il- fädle lil-jadil wil-genne lil-muwahhidin hanian lak, yä sdhib
is-sebil Der Überrest dem Freigebigen und das Paradies den
Einheitsbekennern! Gesegne dir's Gott, o Spender des Opfer-
tranks!
Nr. 206 — 211: Ausrufe des musebbil; 206, 208, log— 211 aus Da-
maskus, 207 aus Ägypten, 208 a aus Cairo. Me. hat den Anfang
von 208 a, sebil alldh (yä) 'atsdn, in Cairo täglich am Ezbekije-Garten
gehört.
212. bärrid 'ala qalbak itfi l-hardra Erfrische dein Herz, lösche die
Hitze!
Zuckerwasser, Limonade und Fruchtwasser; Damaskus. — Vgl.
unter Nr. 304, 325.
213. mu'allal yä zmläd Gut geklärt, mein Kind!
214. wihydt abük mu'allal Beim Leben deines Vaters, gut geklärt!
215. berauwiq id-däm Es reinigt das Blut!
Nr. 213 — 215: Rosinenwasser; Damaskus.
216. bdlak snünak Nimm deine Zähne in acht!
Fruchteiswasser; Damaskus. — Vgl. unten Nr. 305.
Der Plural snün (statt des gebräuchlichen sndn) ist mir nur aus
diesen Ausrufen bekannt; vgl. Nr. 311.
217. yä razzdq yä kerim — yä fattdh yä 'alim O Allernährer, o All-
21 A EnnoLittmann,
gütiger, — o Erschließender, o Allwissender! — Vgl. unten
Nr. 301.
218. sulfänl yä ka'-k mal il-gadä Königlich, o Brezel! Vormittags-
speise!
219. ferämüs yä ka'-k Gut ausgebacken, o Brezel!
220. mal haleh yä ndHm Ware von Aleppo, o weiche!
Nr. 217 — 220: Brezeln; Damaskus.
220 a. ^alldh ir-rdziq yä herdziq Gott ist der Ernährer, o Beraziq!
220 b. ^akl is-snünü Schwalbenspeise!
Nr. 220 a und 220 b beziehen sich auf die berdziq »dünne, mit
dibs (Traubenhonig) oder Butter bestrichene und mit Sesam {simsum)
bestreute Weizenbrote«; Wetzstein, S. 517, in AWO nicht aufge-
führt; Damaskus.
221. ^awaid alldh ü-käräm Vergeltung Gottes [belohnt] die Mild-
tätigkeit !
Gardaqa, eine Art Weizengebäck, das im Ramadan gegessen
wird; Damaskus.
222. hdda Hlak yä sahn Dies gehört dir, o Fastender!
223. hdda 'umil lis-sdim Dies ist für den Fastenden gemacht!
224. suherak yä sdim Deine Morgenspeise, o Fastender!
suher steht hier für sahür, d. i. die Mahlzeit, die man während des
Ramadan kurz vor der ersten Morgendämmerung einnimmt.
225. yd-mä ^arakük bil-lel yä ma'rük O wie hat man dich in der Nacht
geknetet, o Knetbrot!
Nr. 222 — 225: Knetbrot, Fastenbrot; Damaskus.
226. bimismdr yä haldwa Für einen Nagel, o türkischer Honig!
Türkischer Honig; Cairo.
III. Ausrufe aus Cairo nach Seetzen III, S. 233— 237 1).
227. Sdmi wi-rfaiya'- Syrische und schmale [Gurken]!
ruft der Gurkenverkäufer.
228. kirdtl, yä figl, hirdtl Von gepflügtem Land, o Rettiche, von
gepflügtem Land!
[ruft der,] der Steckrüben verkauft.
Seetzen schreibt harrdthy; daher wäre vielleicht eine fellachische
kardil anzusetzen. Es ist denkbar, daß der Steckrübenverkäufer seine
Ware im Ausrufe mit Rettichen vergleicht; s. AWO, S. 416. Wahr-
scheinlich liegt aber irgendein Versehen vor.
ij Die etwas altertümliche Schreibweise Seetzen's war in meinem Manuskripte
bei wörtlichen Zitaten beibehalten ; sie ist jedoch in der Druckerei, soweit es möglich
war, nach den neuesten Vorschriften geändert worden.
Arabische Straßenausrufe. 21?
229. himl ü-bagl Eine Maulticrlast!
ruft der Salatverkäufcr.
230. sdmi yä tum samt Syrisch, o Knoblauch, syrisch!
ruft der Lauchverkäufer.
231. yä mulühiya hil-qadah 0 Judenmalven nach der Kanne!
ruft, der diese verkauft.
Die »Kanne« beträgt 2,12 Liter.
232. hirdtl yä fül ganf in-näda Von gepflügtem Lande, o Saubohnen,
gelesen im Morgentau!
ruft der, der grüne Bohnen in Hülsen verkauft.
Über hirdtl vgl. Nr. 228; statt ndda hat Seetzen nidda; das kann
fcllachische Aussprache [nida] sein. — Vgl. oben Nr. 31.
233. saHdl yä ''ads Oberägyptische, o Linsen!
ruft der Linsenverkäufer. — Vgl. oben Nr. 34.
234. yä maldna 0 Kichererbsen!
ruft der Verkäufer von grünen Linsen in ihren Hülsen.
Seetzen und Fleischer fassen das Wort melldne in der Be-
deutung »voll«. Ich glaube sicher, daß maldna Cicer arietinum (oben
Nr. 35, 36) gemeint ist.
235. meg-öhar yä hummus Edelsteine, o Rösterbsen!
[ruft,] der geröstete Kichern verkauft — Vgl. oben Nr. ^y.
236. burüllusi Aus Burullus!
ruft der, der Wassermelonen verkauft, weil die von Burlos be-
rühmt sind.
Über die Form des Namens vgl. die Bemerkungen von Fleischer
(Bd. IV, S. 457 f-)-
237. min hälädl Von meinem Dorfe!
ruft der Händler saurer Limonen.
238. qrenl yä leimün qrenl Aus Kren, o Limonen, aus Kren!
[ruft,] der süße Limonen (von Kren) verkauft.
239. saqqit turmiga hi-gedid Eine Sukkadenscheibe für einen Gedid !
der dünne Scheiben von den großen Zitronen verkauft, die Scheibe
für einen Schdid, eine Kupfermünze, wovon 10 auf i Para gehen.
240. Hlahi yä zebib Hlabi In Schachteln, o Rosinen, in Schachteln!
der Rosinen verkauft.
241. bis-sibah yä bdla/i An Rosenkränzen, o Datteln!
Aufgereihte Datteln, wie ein Rosenkranz.
242. turmus yä {e)mbdbl Lupinen, o Embäbl!
Lupinen von dem Dorfe Embäbe.
M. E. ist eher der Schech von Embäbe angerufen; vgl. oben Nr. 80,
177-179 in AWO, unten Nr. 321.
2 i6 Enno Littmann,
243. Sardniq muhammas, yä habh ü-^aziz u hummus we-hdza l-lihb
el-mu/iammas, il-löz yä libh ahyad Gerösteter Hanfsame, o liabb
il-*Aziz und Rösterbsen, und dies sind geröstete Kerne, [wie]
Mandeln, o weiße Kerne !
ruft ein Mann, der verschiedene Samen, nebst Mandeln usw.,
umherträgt, die von den Weibern und Kindern häufig gegessen
werden.
Über sardniq s. Fleischer, Bd. IV, S. 459 f. Es ist wahrschein-
lich, daß der Mann, der dies Naschwerk verkauft, auch Mandeln dabei
hat. Im Ausrufe dient il-l6z aber der Form nach eher zur Anpreisung
der Melonenkerne.
244. yä binduq '^ala l-löz 0 Haselnüsse auf Mandeln!
ruft, der Haselnüsse, Cherrüb [d. s. Johannisbrotfrüchtej, Man-
deln, Rosinen, Feigen verkauft.
Vielleicht hegt ein Versehen bei Seetzen vor. Dr. Bilharz
(Bd. IV, S. 458) sagt: »j_^JÜt JLc 'iO^X^ U rufen die Verkäufer von
Lupinen, g**^ J. Es soll bedeuten, daß sie" den Wohlgeschmack von
Mandeln und Haselnüssen vereinigt besitzen.« Letztere Erklärung
ist mir wahrscheinlicher.
245. hil-qadah yä ruzz ahyad Nach der Kanne, 0 weißer Reis!
ruft der Reisverkäufer.
246. yä kusbura bil-qadah O Koriander, nach der Kanne!
[ruft,] der getrockneten Koriander, Wiesenkümmel, Fenchel usw.
verkauft.
247. bahrt bahrt Vom Meere, vom Meere!
ruft der Fischhändler. — Vgl. oben Nr. 94.
248. qa^ds sämin [Zahlreich wie] Spreu, fette!
ruft, der Salzfische verkauft.
Statt qasds ist vielleicht qusds (bzw. qisds) zu lesen; die Bedeutung
des Wortes ist m. E. am ehesten so aufzufassen, daß der Haufe von
kleinen Salzfischen {fesih) mit einem Haufen Spreu verglichen wird.
249. ba/drih ndsif Trockener Rogen!
[ruft,] der getrockneten Botarich (Fischrogen) verkauft.
250. sämin yä qöqa^ Fett, o Erdschnecken!
der eßbare Erdschnecken verkauft.
251. mildh il-müdh Schöne Küken!
ruft, der kleine Küken verkauft. Vgl. oben Nr. 102.
252. is-simdn il-bett Die fetten, im Hause aufgezogenen!
der große Hühner verkauft.
Über die Form bett s. oben Nr. 79 u. Fleischer, Bd. IV, S. 456.
Arabische StraßenaXisrufe. 217
253. sabdhna ahyad Unser Morgen sei weiß!
ruft der Milchverkäufer.
»Weiß« = »glücklich«; Anspielung auf die Farbe der Milch.
254. yä läbän saß 0 reine Milch!
ruft der Buttermilchverkäufer.
Über die Bedeutung von läbän und /lalib s. AVVO zu Nr. 105 ff.
255. /aiyib yä läbän Gut, 0 Milch!
ruft, der sehr saure Buttermilch verkauft.
256. ^asal bir-rafl Honig, nach dem Rotl! *
ruft, der Sirup verkauft.
257. yä '■äsür imbdrak yä me'-a mbdraka O gesegnetes *Aschür, o
gesegneter Styrax!
ruft derjenige, der eine Art gesegnetes Räucherwerk zehn Tage
lang im Monat Mohärram verkauft. Der Käufer beräuchert sich
damit zu Hause, um wider böse Augen sicher zu sein (man glaubt
nämlich, der BHck einiger schade).
Vgl. dazu Fleischer in Bd. IV, S. 460.
258. hadrä yä hinna Grün, 0 Henna!
[ruft,] der Henna herumträgt.
259. bü-weba yä müh Nach der Webe, o Salz!
ruft der Salzverkäufer.
Eine Webe faßt 33 Liter. Gewöhnlich spricht man heute malh in
Cairo; die alte Form müh scheint sich hier im Dialekt des Verkäufers
erhalten zu haben.
260. yä sdtir 0 Beschützer!
ruft der Seifenhändler.
D. i. Anruf an Gott.
261. nd''im yä duqdq ndHm Fein, o Lupinenmehl, fein!
ruft, der dies verkauft zum Händewaschen, wozu es besser als
Seife sein soll.
262. '^alä dawdtak yä gab all Zu deiner Pfeife, o Bergtabak!
ruft der Tabakverkäufer.
Vgl. Fleischer, Bd. IV, S. 460.
263. hdza libdn yä bandt Dies ist Libän, o Mädchen!
ruft derjenige, der den Lebbän zum Kauen der Weibspersonen
verkauft. Sie bedienen sich desselben auch wie des eingedickten
Honigs, um etwaige Haare von den Backen zu reißen, indem sie
denselben darauf klebea
264. maqassdt stambüll yalli muwassitni l-maqassdl Stambuler Besen !
O du, die du bei mir die Besen bestellt hast!
_ ruft, der eine Art kleiner Besen verkauft.
2[8 EnnoLittmann,
Fleischer, Bd. IV, S. 462, hielt das Wort moassitny für verhört;
auch im Orient habe ihm niemand darüber Auskunft geben können.
Das ist seltsam. Es ist m. E. sicher Partiz. II von ^ao» mit Feminin-
endung und Suffix. Vor dem Suffix wird die Femininendung des
Partizips im Ägyptisch-Arabischen meist zu a; doch kommen in den
abgeleiteten Stämmen auch Formen, wie hier, mit -t vor; vgl. Will-
MORE, 2. Aufl., S. 100, und Spitta, S. 241. Die Konstruktion mit
doppeltem Akkusativ ist ungewöhnlich; man erwartet ''al-maqaSsdt.
265. hädi l-qufja l-'^amüla Dies ist der schön gearbeitete Korb!
[ruft], der eine Art von Körben, von Dattelblättern und Reis-
stroh verfertigt, verkauft.
Das Wort ».ly^s^ wird meines Wissens sonst ^umüla gesprochen;
doch Seetzen hat hier stets a oder ä in der i. Silbe.
266. hdsa santahür yd bandt Das ist Santabür, ihr Mädchen!
ruft das Weib, das feine Kattunleinwand verkauft.
267. il-hüs yä ü-hüs Schilfrohr, o Schilfrohr!
ruft der, der das starke Schilfrohr, ein gewöhnliches Brenn-
material, herumträgt.
268. gill is-sejl Sommermistfladen!
ruft derjenige, der bereitete Mistfladen für die Haushaltungen zum
Brennen verkauft.
W^arum gerade die Sommerfladen angepriesen werden, ist bei
Fleischer, Bd. IV, S. 455, ausgeführt.
269. halabl yä hagara Aleppinisch, o Pfeifenköpfe!
ruft der Pfeifenkopfhändler.
Die Form hagdra wohl dialektisch für higdra.
270. il-ket ir-rufaiya'', mahärim '^amüla, dikak ''amüla Feiner Zwirn!
Taschentücher, schöne Arbeit! Hosenbänder, schöne Arbeit!
der Schnüre, Hosengürtel usw. verkauft.
271. Jelli bella meschkalihl ruft, der allerhand kurze Waren auf
seinem Kopfe herumträgt, z. B. Scheren, Messer, Korallen,
Kämme, Ringe usw.
Fleischer, Bd. IV, S. 459, erklärt, s^lc Ju^a ^j lj^^-
o du, der du ohne Kamm bist, her zu ihm! Das ist natürhch möglich; aber
sicher ist mir diese Erklärung nicht. Das zweite Wort kann auch büläh
sein, und in dem dritten sind viele Abtrennungs- und Lesemöglich-
keiten enthalten. Eine sichere Erklärung vermag ich vorläufig nicht
zu bieten.
272. qindwl yä qulal Aus Kene, o Wasserkrüge!
ruft, der Trinktöpfe verkauft.
Vgl. Fleischer, Bd. IV, S. 461.
Arabische Stiaßenausrufe. 2 IQ
273. qidra s-samannüdl Kochtopf von Samannüd!
ruft, der weißes, grobes Töpfergeschirr von Szemraenüd verkauft.
Vgl. Fleischer, Bd. IV, S. 461.
274. yd-mä yiHdz il-bet, yd kibrit O was das Haus bedarf, o Schwefel!
ruft der Schwefelfadenhändler.
275. süf yd g-azzäldt Wolle, o Spinnerinnen!
ruft, der Wollengarn verkauft.
276. skemle '■amüla, manfada ''amüla, gutl qulal ■'amiUa, tabliya ^amüla
Schemel, schöne Arbeit! Aschbecher, schöne Arbeit! Krug-
deckel, schöne Arbeit! Tabletts, schöne Arbeit!
der neue, kleine, orientalische Tischchen, hölzerne Tellerchen, um
die Tabakspfeifen darauf auszuklopfen, die Deckel zu den Trink-
töpfen und hölzerne Bretter, worauf man das Brot zu den Back-
öfen trägt, verkauft.
277. yd '-aztz o Mächtiger!
ruft der Pfeifenreiniger. — Anruf an Gott.
278. [n]inza/i il-hir Wir reinigen den Brunnen!
ruft der Brunnenreiniger.
Das [n] ist von mir ergänzt.
279. baim/i na'-ammir, qafa na'-ammir, gurbdl na'-ammir; man/ml
na'-ammir, munfdh na'-ammir Kummen bessern wir aus! Schüs-
seln bessern wir aus ! Feine Siebe bessern wir aus ! Grobe Siebe
bessern wir aus! Blasebälge bessern wir aus!
der alte große, hölzerne Kummen, dergleichen kleine Siebe von
ledernen Riemen und von Pferdehaaren und Blasebälge ausbessert.
280. sahn na'-ammir, sidtaniya na'-ammir, fingdn na'-ammir Teller bes-
sern wir aus! Porzellannäpfe bessern wir aus! Tassen bessern wir aus!
der porzellanene, fayencene usw. Teller und Schüsseln und Kum-
men, wenn sie zerbrochen sind, imgleichen Kaffeetassen ausbessert.
281. yd lafif O Milder!
ruft der Mistsammler, welcher allerhand Abfall zum Heizen der
Bäder sammelt. — Anruf an Gott.
282. mahrama qasab lü-bt Gestickte Tücher zum Verkauf!
Juden, welche alte, mit Silber gestickte Tücher aufkaufen, um
das Silber zu schmelzen.
283. qizdz mekassar lil-be' Zerbrochenes Glas zum Verkauf!
der zerbrochenes Glas kauft.
284. nukdla lil-be'- Mehlabfall zum Verkauf!
der Dust (den Abfall von gemahlenem Getreide) aufkauft.
285. raml yd /dlbe raml Sand, o die du Sand wünschest!
der Streusand verkauft.
220 Enn o Littmann ,
286. il-lafl yä 'diza /-/aß Walkererde, o die du Walkererde gebrauchst!
der eine Art Walkererde verkauft, welche schwangere Weiber essen,
womit sie in den Bädern die Köpfe waschen und die Hände.
287. we-häza ha^ar iz-zindd Und dies ist der Feuerstein!
der Feuersteine verkauft.
288. /i'/m aqwa Sein Werk ist sehr stark!
ruft der Wasserverkäufer.
Doch vgl. die andern Ausrufe oben Nr. 125, 205 — 211.
289. yä gänl O Allreicher 1
ruft der Verkäufer von Süßigkeiten. — Anruf an Gott.
290. [n]ißa/i il-fdl Wir eröffnen das Wahrzeichen!
rufen die Wahrsagerinnen.
Seetzen hat jiftach; das könnte sich auf Gott beziehen; doch
glaube ich, daß am ehesten hier die i. Pers. Plur. zu lesen ist.
291. il-ku/d '■dl, nibsar ü-a/ildm, gdib nebäsSir, bandt tie/ahhar Spieß-
glanz, herrhcher! Wir schauen die Träume, das Geheime ver-
künden wir, Mädchen beschneiden wir!
ruft ein Weib, das Köhhel verkauft, Träume auslegt, wahrsagt
und Mädchen beschneidet.
292. nedu^ wi-n/ahhar Wir tätowieren und beschneiden!
Nach F. Kahle und M. Meyerhof. Dies ist ein anderer Ruf der
Zigeunerinnen, der hier eingefügt sein möge, da er sich an 290 und 291
anschließt. Vgl. oben Nr. 203.
IV. Ausrufe aus Jerusalem nach Bauer und Spoer.
baiyd'- it-tuffdh Der Apfelvcrkäufer.
293. yä baiydri wil-moi\ye] ^alek gdrye yä baiydrl 0 du aus dem be-
wässerten Garten! Und das Wasser fließt zu dir! 0 du aus
dem bewässerten Garten!
Spoer, S. 186.
baiyd'' ü-burdPdn Der Apfelsinenvcrkäufer.
294. sardb il-'aUdr yä buräe'^dn yä mdl ydfä yä burde^dn O Trank
des Spezereienhändlers, o Apfelsinen, o Ware aus Jaffa, o Apfel-
sinen!
. Spoer, S. 186. — Vgl. Nr. 317.
baiyd'- is-sabr Der Verkäufer von Kaktusfeigen.
:295. 'ala lldh ig-gabr yä sabr Bei Gott ist der Lohn, o Kaktusfeigen!
Spoer, ebd. D. i. der Lohn für den Verlust, den der Verkäufer
erleidet, wenn er so billig verkauft.
Arabische StraÖenausrufe. 25 1
296. sabdh ü-^dfye, yä Hn, u-^'ala lldh ig-gaher, yä saber Morgen des
Wohlgelingens, 0 Feigen, und bei Gott ist der Lohn, o Kaktusfeigen 1
Baue;r, S. 238.
haiyd^ ig-gummez Der Verkäufer von Sykomorenf eigen.
297. bdlami yä gummez dh yä lak,t in-näda, mä ^a/ddk yä bdlami, yd-mä
za'sa*at ü-baldbü ^a-^ummak yä mhdnna Balamische, o Syko-
morenfeige! Ach, Lese des Morgentaus, wie süß bist du, o Bala-
. mische! Wie oft haben die Nachtigallen auf deiner Mutter ge-
sungen, o Hennagefärbte!
Spoer, S. 186. Baiamt erklärt Spoer als »noble«; nach Dozy,
s. V., ist es eine besondere Sykomorenart. Die »Mutter« ist natürlich
der .Baum [sag-ara).
Der Maulbeerenverkäufer.
298. balah yä tut, ''ahmar yä tut, willl boklak mä bimüt Datteln, o Maul-
beeren ! Rot, o Maulbeeren ! Und wer dich ißt, wird nicht sterben !
Bauer, S. 238.
Der Verkäufer von Weißdornfrucht (Crataegus monogyna).
299. za^rür i^-gäbal ZaVür-Äpfelchen des Berges!
yd-mä hamal O wie oft hat er getragen!
■ Bauer, S. 238.
baiyd^ il-hubz Der Brotverkäufer.
300. hubz suhun ir-reg-if ib-matlik Heißes Brot, der Laib für einen
Metallik!
Der Metallik (von den deutschen Soldaten in der Türkei »Schmet-
terling« genannt) hat den Wert von 10 Para.
Spoer, S. 186.
baiyd^ ü-ka^k Der Brezelverkäufer.
301. yä fättdh, yä '■alim, yä razzd\ yä kärim O Erschließender, o All-
wissender, o Allernährer, o Allgütiger!
Bauer, S. 238. — Vgl. Nr. 217, 336.
302. yä al/dh, yä kärim, yä gäni — ka^k suhun 0 Gott, o Allgütiger, o
Allreicher! Heiße Brezeln!
Spoer, S. 185.
baiyd'- [*?>'] is-süs Der Verkäufer von Süßholzwasser.
303. barrid ju^ddak ya mSauimb wü-kästen ib-matlik ndhye ktir Kühle
dein Herz, o Erhitzter! Und zwei Gläser für einen Metallik,
sehr gut zubereitet !
Spoer, S. 185. — ■ Vgl. Nr. 128, 32Ö.
222 Enno Litt mann,
Der Verkäufer erfrischender Getränke.
304. barrid '^ala^albak, ya msauwib Kühle dein Herz, o Erhitzter!
Bauer, S. 239. — Vgl. Nr. 212, 325.
305. barrid {hallt) snünak, yä walad, hdda mal is-Sdm Kühle (süße)
deine Zähne, o Knabe, dies ist Ware von Damaskus!
Bauer, S. 239. — Vgl. Nr. 216, 329, 330.
306. '^asal, yä harrüb, mtälläg Honig[süß], o Johannisbrot [wasser],
mit Eis gekühlt!
Bauer, S. 239. - Vgl. Nr. 328.
307. ^ardb il-lamiui, diindurma, yä büz Limohcnwein, Gefrorenes, o Eis!
Bauer, S. 239. Im Original steht sarräb bü-lämün; doch halte ich
obige Lesung, namentlich in Hinblick auf Nr. 126 oben, für richtiger.
baiyä^ g-azl ü-bändt Der Verkäufer von Mädchenfäden.
308. g-azl ü-bändt, wü-be'-a bi''asara, bihauwin{h)a al/dh\ Mädchenfäden,
und kosten eine Aschara! Gott wird sie (d. i. den Verlust der
Münze) erleichtern!
Bauer, S. 238.
.309. gazl ü-bändt ü-be'^a bi'^asara, bi''auwid alldh ta'^dl u-dü^ yä balds
ü-bta bimatlik Mädchenfäden kosten eine Aschara! Gott wird's
vergelten. Komm und schmecke, ach umsonst ! Kosten einen
Metallik!
Spoer, S. 185.
Die »Mädchcjifäden« sind eine in Fäden gezogene, weif3e, lockere
Süßigkeit. Eine Aschara ist Yi Piaster, also 10 Para, oder ein Metallik.
. baiyd'' ü-ka^kabän Der Verkäufer von Zuckerstangen.
310. /idlli hallt yä nd^im, ü-be^a bi-matlik yd/lä, ydllä\ Versüße, ver-
süße, o du Feiner! Kosten einen Metallik, los, los!
Spoer, "S. 185. — Vgl. Nr. 330.
3 1 T . hallt sunünak, yä walad, hddt haldwü ii-Sdm u^aiyi/ ^ala ^ummak
yä walad Versüße deine Zähne, o Knabe! Dies ist Süßigkeit
aus Damaskus ! Und rufe deine Mutter, o Knabe !
Spoer, S. 185. Vgl. Nr. 330.
baiyd'' is-sahlab Der Verkäufer von Sahlab.
312. sahlab suhun Heißer Sahlab!
Spoer, S. 185. — ■ Sahlab ist nach Spoer »heatcd milk thickened«,
nach Me. eine schleimig- milchige Emulsion aus den Wurzelknollen
verschiedener Knabenkraut-(Orchis-)Arten. Die Lexika geben auch im
Deutschen das Wort »Salep«; es ist mir unbekannt.
Arabische Straßenausrufe. 22 'X
haiyd'' id-dundurma Der Verkäufer von Gefrorenem.
313. du7idurma, yä dundurma, wü-be^a bi-matlik, dundurma Gefrorenes,
o Gefrorenes ! Es kostet einen Metallik, Gefrorenes !
Spoer, S. 185. Ebenso Bauer, S. 238.
314. yä binti ydllt ^as-su/ü/i 0 mein Mädchen, die du auf dem Dache,
fistrt willa ^arüh Kaufst du oder soll ich gehen.»*
wihydt hauwa w-ddam u-nüh Beim Leben Evas und Adams und
Noahs,
tistrt minm dundurma Kaufe von mir das Gefrorene!
Bauer, S. 238 f. — Vgl. oben Nr. 139.
V. Ausrufe aus Jerusalem nach Mielck.
315. ^yi Lj ^^>.jLi näbit yä fül
Keimend, o Saubohnen!
Vgl. Nr. 33 a. ■ — Diese Bohnen kommen aus dem syrischen Tripolis
nach Jerusalem; sie werden etwa zwei Tage in Wasser geweicht, bis
sie anfangen, schwach zu keimen, dann gesalzen und mit Petersilie
gegessen.
316. ^JU/i Lj .ij bizr yä memällah
Kerne, o gesalzen!
Vgl. Nr. 43, 44, 164—165 a.
317. Ls'uj 3^ mal ydjä
Ware aus Jaffa!
Ruf des Apfelsinenverkäufers. — Vgl. Nr. 294. In Damaskus
(Nr. 170) werden die Wassermelonen aus Jaffa angepriesen.
318. ...LiJ-j Lj jCwJ! ,.^a A.s>-\ a/ilä min is-sukkar yä burd'dn
Süßer als Zucker, 0 Apfelsinen! — Vgl. Nr. 6;^.
319. >w».a£ Lj ^Äjj zeni yä 'anab
Herrlich, o Weintrauben!
320. ,jv^/«,j Lj ^-Xt^ (j^/<i.j turmus memällah yä turmus
Lupinen, gesalzen, o Lupinen!
321. :_j.JU! qa ^c^^ Lr'«y-» ^J y^ turmus a/ila mnü-löz
O Lupinen, süßer als Mandeln !
Vgl. Nr. 80, 80 a, 177 — 179, 242. ■ — Mielck schreibt ,/urmus mit /;
diese Aussprache wird durch das folgende r entstanden sein.
322. j^^ Lj yä '■CS
b Brot!
Das gewöhnliche Wort für »Brot« ist in Syrien und Palästina
liub[i)z. Auch nach Mielck rufen die Kinder auf der Straße [lubäz
oder hubä-dz
224 Enno Littmanü,
323. iuio,s ^arise
Arische! (D. i. Sahne mit Zucker.)
324. j^_jjuaii.c iJüu -jwJbuül ^^jjLxJuc ^as-säbiin in-näh ilsi yallä '^assäbün
Her zur Seife aus Nabulus, wohlan, her zur Seife!
Vgl. Nr. 116.
325. vilJiiwr oj ^— yii^ uj ya msauwih barrid 'a-^albak
0 du, dem heiß ist, kühle dein Herz!
Ruf des Wasser- und Limonadeverkäufers. — Vgl. Nr. 212, 304.
326. ^J*.J^ >.j J«-v.%x: 'asal yä süs
[Wie] Honig, 0 Süßholz [wasser] ! — Vgl. Nr. 128, 303.
327. |.lJiJ! S^ -j V3^-^ harrüb yä mal is-sdm
Johannisbrot [wasser], 0 Ware aus Damaskus!
328. ^-i> -j -^JLj täl£- yä harrüb
[Wie] Eis, o Johannisbrot [wasser] ! — Vgl. Nr. 306.
329. ^iU->Lw (jrAP haddi sndnak
Beruhige (erfrische) deine Zähne!
330. »i)J,.^v. ^5> halli snünak
Versüße deine Zähne!
Nr. 329 und 330 sind die Rufe der Verkäufer von erfrischenden
süßen Getränken; vgl. Nr. 305. Aber nach Mielck ist 330 der Ausruf
des Verkäufers von nir^allal, einer besonderen Art von Süßigkeit; dazu
vgl. Nr. 311. In Nr. 213, 214 bedeutet mu'-allal jedoch nach Wetz-
stein »gut geklärt« und bezieht sich auf Rosinenwasser. — Vgl. auch
Nr. 216.
331. ^_A-JL<^o yijyi Bjjj boza boza b-halib
Bosa, Bosa mit Milch!
Die Aussprache mit 0 (wie im Türkischen) ist hier auch für das
Arabische bezeugt; zu büza vgl. Dozy s. v.
332. 'sOjL 8j^^ gazöza bar de
Kaltes Selterwasser!
Da in Syrien und Palästina (mit Ausnahme der Dialekte, in denen
• zu g wird) meist kein g gesprochen wird, ist kazöza wohl die ge-
wöhnlichere Aussprache.
333. _/.JL<\.vw sahld-db
Salep! — Vgl. Nr. 312.
334. JyJLxJI g^\j^^ JyJ^5 cäJ^ bisfi l-g-alü u-bihyi l-'aUl
Es heilt den Durstigen und macht den Kranken gesund!
Ausruf der Verkäufer von Melonen und Getränken. — Vgl. aber
Nr. 196, 197.
Arabische Straßenausriifc.
225
335. ^^4.^i d^y ka'k bi-simsum
Brezel mit Sesam!
D. s. mit Sesamkörnern bestreute Brezel.
336. *.jy Lj yä kärhn
0 Allgütiger!
Ausruf des Brezel Verkäufers; vgl. Nr. 217, 301, 302. Mielck's
Gewährsmann behauptete, kärim bedeute hier »Brezel«, da diese
immer morgens früh ausgerufen würden zur Zeit, wo man sonst den
Allgütigen anrufe. Dies ist, wie M. richtig erkannt hat, von dem Manne
erfunden, nur um eine Erklärung zu geben.
337. KjJi\jt.\\ jj.Li ftür ü-'äfye
Frühstück der Gesundheit!
Ausruf des Verkäufers von Brezeln und gemahlenen zaUar (Thy-
mian), die zusammen gegessen werden.
338. \«.Eu ndHme
Feingebäck!
Nach Mielck's Gewährsmann ist nn'ime ein süßes Gebäck aus
ganz feinem Mehl.
339. *.Aw.*Av^j »3^L=> /laldwe h-simsum
Türkischer Honig mit Sesam!
Nach MiELCK wird die I/nlnwe zum größten Teil aus Rückständen,
die bei der Sesamölbcreitung übrig bleiben, hergestellt.
340. jj:^^ifij biHäim
Bakläwa!
Das ist das bekannte, im Orient auch von den Europäern gern
gegessene süße Schichtgebäck.
341. xj^j tamri-iye-e
Tamrije!
Tamrije soll nach Mielck's Gewährsmann eine Art von Süßiglceit,
die aus feinem Mehl, Zucker, Butter, Mandeln und Nüssen hergestellt
wird, bezeichnen, hier im Ausruf aber allgemeiner Ausdruck für Süßig-
keiten sein.
342. J^^c Lj j.JL> (diu yä 'asal
Süß, o Honig!
343. Nj-Iii! oLJL<\JuP _;..;;; y*ü -j (^-1:^- ^^ny yä ims sn hnl-me/iallayat
it-tariye.
Hierher, ihr Leute, was sind das für frische Süßigkeiten!
344. ^I^jJLä^j ivji>jJi.i? Js^i Lj. wayä baläs hal-bca b-matllk
Wie geschenkt ! Kostet [nur einen] Metallik!
Zum »Metallik« vgl. oben Nr. 300, 309, 310.
Islam X. . ( 5
220 Enno Littmahü,
345. ^>^j! olJl>uJI ^jj.? yt-o ^ ^>j^t Lj yä gasim lä tingarr hon
il-me/iallaydt it-faiyibe
O Unwissender, laß dich nicht [anderswo] betrügen, hier
gibt es die guten Süßigkeiten!
Nr. 342 — 345 werden ganz allgemein für Süßigkeiten gebraucht.
346. V . j^.ivj d^JLc 'alek hid-do*
Komm und koste!
347. ji./>JiJL£. iJÜwj yal/ä 'al-Hrmus
Auf zum Knuspern!
Nr. 346 und 347 werden ganz allgemein gebraucht, hauptsächlich
aber wohl für Gebäck und Süßigkeiten.
Zum Schlüsse sei noch darauf hingewiesen, daß Socin in der
ZDMG. Bd. 37, S. 211 — 215 eine Anzahl von arabischen Ausrufen aus
Mopul veröffentlicht hat, die zwar in manchen Punkten von den ägypti-
schen und syrischen abweichen, aber doch auch wichtiges Vergleichs-
material bieten. Hierauf sowie auf die folgenden vier Ausrufe machte
mich Herr Dr. Mielck freundlicherweise aufmerksam. Diese vier sind
nur in Obersetzung gegeben; die arabischen Originale ließen sich jedoch
nach Nr. 206-211, 220 a und b herstellen.
L. Bauer, Volkslehen im Lande der Bibel, 1903, S. 30: Ausruf des
Wasserträgers :
»Belebe dein Herz von diesem Trank! O du Durstiger, trinke
umsonst Wasser, frisches Wasser!«
Der Verkäufer einer Art dünner, mit Butter oder Weinbeermus
bestrichener und mit Sesam bestreuter Brote ruft :
»Gott ist der Ernährer, o Schwalbenspeise!», d.h. es ist eine
delikate Speise für Damen, die mit Schwalben verglichen werden.
A. Forder, Daily Life in Palestine, London 1912,
S. 86: »Water for nothing, come ye thirsty ones and drink freely!«
S. 87 : »Cold, cold, drink and bc satisfied, it is free, come and
drink!« t
Aus Landberg, Critica Arabica I, S. 69 wäre nachzutragen: »*.Üi
J\.z>- oü.^^»[Gott ist der Vergelter, der Helfer] rufen die Verkäufer von
Süßigkeiten an den Festtagen in Kairo.« Gott, den »Helfer« {gäbir),
ruft auch der Verkäufer von Hammelköpfen (oben Nr. 89) an. Viel-
leicht hängt die Bezeichnung des Brotes als jw.> ol und jl> *i (vgl.
Lane, s. V. ji\.:>.\ mit den Ausrufen zusammen.
..-*■■'
Über kä!-k (Nr. 217 — 220, 301, 302, 336), beräziq (220a, b), ^nrdaqa
(221), ma'-ruk (235) und die Siebe (279) ist die Arbeit von Mielck,
Arabische Straßenansrufe. 22^
Terminologie und Technologie der Müller nnd Bäcker im islamiscJien
Mittelalter zu vergleichen.
Obwohl ich in dieser Arbeit die älteren, in der arabischen Literatur
verstreuten Ausrufe nicht herangezogen habe, möchte ich doch auf
das schöne Lied des Sklaven Verkäufers in looi Nacht (ed. Macnagh-
TEN Bd. I, S. 291, ed. Kairo 1325 A. H. Bd. I, S. ijgi.) hinweisen,
ferner auf die noch älteren Beispiele, die Goldziher in der WZKM,
Bd. 16, S. 136 gedeutet hat. Als einziger Vergleich aus einem ganz
andern Lande des Orients sei das Lied des indischen Mi Ich Verkäufers
angeführt, das sich bei R. Tagore Das Postamt, Leipzig o. J., S. 35 f.
findet :
»Saure Milch, saure Milch, gute feine saure Milch
Vom Sennerdorf, vom Land des Pantschmura- Berges am Ufer
des Schamli.
Saure Milch, gute saure Milch !
Am frühen Morgen treiben die Frauen die Kühe unter die Bäume,
daß sie in einer Reihe stehen, und melken sie, und am Abend stellen
sie die Milch auf, daß sie stockt.
Saure Milch, gute saure Milch!«
'5*
Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Martin Hartmann,
geh. q. Dczeml)er 51 zu Breslau, gfest. 5. Dezember 19 zu Berlin.
Er war kein typischer deutscher Professor, weder in seinem Wesen noch in seinem
Schaffen. Er war überhaupt kein Typus, sondern stand unter eigenen Gesetzen: ein wilder
Trieb aus dem so wohlgeordneten und zurechtgeschnittenen französischen Garten der
pLEiscHERSchen Schule. Man kann ihn den Tagesschriftsteller unter den deutschon
Orientalisten nennen, nicht weil er auch Zeitungsartikel schrieb, nicht weil er auch in
seiner wissenschaftlichen Produktion gern in den Ton des Feuilletons oder gar des politi-
schen Leitartikels fiel, nein, sondern deshalb, weil ihn stets das gerade Aktuelle, das Aller-
neuste interessierte, und weil er, als ob der Setzer auf ihn wartete, bis ins hohe Alter schnell
fertig mit dem Worte war und seine Artikel noch feucht in die Druckerei sandte. Das ist
in der Journalistik eine Notwendigkeit, in der Wissenschaft ein Verhängnis. Es ist auch
M.\RTiN Hartmanns Verhängnis gewesen. Aber es entsprach nun einmal seinem Tempera-
ment, seiner geistreich schnell zupackenden Art, seinem inneren Drang, den Fluß des
Lebendigen wissenschaftlich zu meistern, solange er noch wirklich Fluß war. Er konnte
nicht, wie es s nst Gelehrtenart ist, aus dem Parkett oder aus der Loge von fern die Ent-
wicklung auf der Bühne verfolgen, er sprang auf die "Bühne selbst, agierte mit und kriti-
sierte das Stück schon nach dem ersten oder zweiten Akte. Ging das Spiel weiter, fiel ihm
Neues ein und immer wieder Neues, er hängte es an das eben Geschriebene an; wissen-
schaftlich lebendig, wie er war, sah er immer neue Perspektiven, und im Handumdrehen
wurde aus einem Aufsatz ein Buch. Nichts ist für ihn charakteristischer als sein Werk
^Die arabische Frage« mit 92 Seiten Text, 500 Seiten Anmerkungen und 31 Seiten Be-
richtigungen. Dabei Tagespolitik und schwer gelehrte philologische und archäologische
Ausführungen aneinandergeschweißt. Ausgangspunkt die arabische Bewegung in Syrien
und in Jemen, genau wie seine Chinastudien in Der Islamische Orieyit Bd. I von den Boxer-
unruhen und dem Chinafeldzug, seine Unpolitischen Briefe aus der Türkei (id. Bd. HI) von
der jungtürkischen Revolution und seine Missions- und Afrikastudien von einer aktuellen
kolonialpolitischen Diskussion ausgingen. Überall greift er mit dem scharfen Rüstzeug
seiner großen geistigen Gaben und seiner staunenswerten sprachlichen und realen Kenntnisse
in die Debatte ein.
Nun ist die Aktualität seiner Produk'ion geschwunden; dadurch wirkt ihr Stil, ihr
Ton noch unerträglicher, als er es schon mitten im Tagesstreit war. Das darf der Chronist
eines Toten ruhig sagen, nachdem er als Kritiker dem Lebenden seine Meinung nicht ver-
hehlt hat (ARW XV, 535 und seine Antwort im Vorwoit zu Islam, Misston, Politik 1912).
Es ist nicht schwer und nicht einmal ungerecht, über die Mehrzahl seiner Bücher den Stab
zu brechen. Aber sind es wirklich nur aufgeputzte Zeitungsartikel und gedruckte Notiz-
bücher mit Exkursionen in die mannigfaltigsten Wissensgebiete, die ihn zur Zeit der
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 229
Niederschrift gerade beschäftigten? Auch ein Tagesschriftsteller kann im geistigen Leben
der Nation eine große Rolle spielen, oft eine größere als ein trockener und gediegener
Gelehrter. Martin Hartmann hat eine Rolle gespielt; er ist nicht wegzudenken
aus der Orientalistenwelt des deutschen Kaiserreiches. Aber auch an rein
gelehrter Forschung hat er darüber hinaus Erhebliches geleistet, und der objektive Chronist
muß sich die doppelte Frage vorlegen: Was hat er in seiner Zeit bedeutet und was bleibt
von seiner Lebensleistung?
Was hat er in seiner Zeit bedeutet ? Da darf man nicht an seine Bizarrerien denken,
an seine vielen kleinen Schwächen und Absonderlichkeiten. Auch diese haben ihre Ak-
tualität verloren. Vor unserem Geiste steht ein Mann, der eine tiefe Tragik in sich trug. Es
ist die Tragik des Wissenden, der sich im Sinne der gesehenen Ziele zu vollenden sucht,
dem aber die eigene Anlage die Vollendung versagt. Je mehr sich seine immer wachsende
Leidenschaft auslebt, desto weiter entfernt er sich von der geahnten Vollendung seines
Wesens und seiner Leistung. Von vornherein verschloß ihm sein Temperament den Weg
zum künstlerischen Maß der Dinge. Darunter hat er aber wohl kaum gelitten, aber was
er unter Schmerzen mit ganzer Seele suchte, war: Wertung und Synthese. Eine richtige
Wertung der Dinge aber braucht nüchterne Prüfung. Ira et Studium sind dabei schlechte
Berater. Martin Hartmann aber haßte und liebte, und zwar elementar. Er verurteilte
ebenso schnell und ebenso unbegründet, wie er sich begeisterte. Ebenso tief war sein Be-
dürfnis nach Synthese, aber seine Schlüsse waren oft gezogen, ehe die Prämissen feststanden.
Seine Ungeduld bei der Beschaffung der Unterlagen ließ ihn intellektuell zu falschen Syn-
thesen und ethisch zu falschen Wertungen gelangen. Und das fühlte er, er wechselte ehrlich
und bescheiden — ■ was er im Grunde war — die Position, sobald er seinen Fehler erkannte;
aber er erkannte ihn nicht immer, legte sich dann aber um so leidenschaftlicher auf seinen
Standpunkt fest. Das Schlimmste war, daß er überall wertete und Schlüsse zog, auch
wo es gar nicht hingehörte, daß er das Kleinste gleich zur gesamten Weltanschauung in
Beziehung setzte, daß er nicht nur Forscher, daß er Prediger sein mußte. Daher jenes
Schillernde und Aggressive, das alle seine Arbeiten kennzeichnet. Die tiefste Tragik aber
lag darin, daß er im höheren Sinne sowohl in der Synthese wie in der Wertung unproduktiv,
aber von einem unstillbaren Drang nach Produktion beseelt war und deshalb von tausend
Seiten Gedanken herbeiholte und die oft geistreiche Mischung des Reproduzierten für
schöpferische Produktion hielt. Er suchte zeitlebens den delphischen Gott, aber sein
Temperament und seine Anlagen hatten ihm seinen Platz im Zuge des orphischen Gottes
gewiesen. Wie ein Bacchant durchraste er die weite Welt des Geistes, maßlos, bizarr,
ein Schrecken für den Zuschauer, aber ihn trieb doch ein Gott. Die höheren Weihen freilich
hat er weder vom orphischen noch vom delphischen Gotte empfangen.
So war es denn auch nicht seine Persönlichkeit, die wirkte. Seine Bedeutung lag in
der unendlichen Füll? von Anregung, die von ihm ausging. Man ärgerte sich
oder man lächelte über ihn, je nach Einstellung und Temperament, aber man lernte von
ihm. Wo waren denn in Deutschland im ausgehenden 19. Jahrhundert die Orientalisten,
die einen Blick für die Probleme des zeitgenössischen islamischen Orients Iwtten, der
doch gerade damals für Deutschland so wichtig zu werden begann? Gewiß, man war aus
der FLEiscHERschen Ära heraus, man wußte, daß'A'ischa auch noch etwas anderes war als
ein Partizipium der ersten Form, N()I,deke und Wellhausen hatten der Reahenforsehung
Bahn gebrochen, und große ausländische Gelehrte, wie Goldziher und Snouck Hurgrünje,
begannen sich durchzusetzen, aber vom modernen Orient studierte man bestenfalls die
Dialekte. Martin Hartmann war in Deutschland der erste und lange Zeit der einzige,
der die staatliche Gestaltung, die politischen Kämpfe, die kulturellen Verhältnisse des mo-
dernen Orients in den Bereich seiner Studien zog und ihre Betrachtung aus der Domäne
230
Kleine Mitteilungen und Anzeigen,
des reinen Journalismus in die Höhenlage wissenschaftlicher zeitgeschichtlicher
Forschung zu heben versuchte.
Gewiß ist ihm das nicht immer geglückt, aber er sah die Probleme und weckte bei
andern die Lust, ihnen nachzugehen. Ich werde nie den großen Eindruck vergessen, den
ich als junger Mann von den ersten Heften seines Islamischen Orients empfing. Auf der
Universität hatte ich kein Wort von diesen Dingen gehört. Der moderne Islam war nach
der Schulmeinung »erstarrt« und wissenschaftlich uninteressant. Dazu kam die Abneigung
der Philologen gegen jede soziologische wie zeitgeschichtliche Betrachtung. Politisch
war der Gelehrte schon den heimischen Problemen gegenüber uninteressiert, und der Philo-
loge nun gar war eben Historiker, das keimende neue Leben selbst der eigenen Nation bHeb
ihm fremd. Konnte man da von deutschen Orientalisten dem modernen Orient gegenüber
eine andere Stellungnahme erwarten ? Mir ging damals eine neue Welt auf, und ich werde
diese Dankesschuld M.\rtin Hartmann gegenüber niemals vergessen. Ich habe später
die Schattenseite seiner Arbeitsweise deutlich genug empfunden, namentlich wenn man
sie mit der Snouck Hurgronjes verglich, der aber eben kein Deutscher war und mehr
den Problemen der holländischen Kolonialpolitik nachging. Als akademischer Lehrer habe
ich stets die zeitgenössischen Probleme in Kollegform behandelt und sehr viel Zeit darauf
verwandt, aber ich muß hier bekennen, daß ich mich nur selten und ungern auch literarisch
auf diesem Gebiete betätigt habe. Hier schreckten mich die Spuren Martin Hartmanns,
dessen Schwächen ich stets voll erkannte, ebenso stark wie mich sein Vorgang auf dieses
Gebiet hinauslockte. Er hatte den Mut, seine Haut zu Markte zu tragen, wohl ohne
zu ahnen, wie berechtigter Kritik er sich damit aussetzte, aber Anerkennung verdient se'n
Vorgang unter allen Umständen. Gewiß mag Sensations-, mag Aktualitätslust bei ihm
eine Rolle gespielt haben, aber er sah doch die Probleme und machte auf sie aufmerksam,
während alle andern sie entweder überhaupt nicht sahen oder aus Angst vor dem Zorn
der Zunft über Journalismus und Dilettantismus den Kopf lieber in den Sand steckten.
Hier Hegt Martin Hartmanns historisches Verdienst, hier liegt der Vorzug
seiner Tagesschriftstellerei.
Freilich war auch er nur langsam dazu gekommen. Auch er wurzelte, wie es ja auch
unerläßlich ist, in der Sprache. Als ei nach vollendeten Studien in Breslau und Leipzig
mit 24 Jahren im Dienste des Reiches nach Konstantinopel und Syrien ging (1875 — 87),
da widmete er sich zunächst dem Einleben in die Landessprache. Aus dieser Zeit stammt
sein Arabischer Sprachführer (1880), der wenigstens in seinem syrischen, d. h. eben dem von
Martin R\rtmann verfaßten Teil ganz vortrefflich ist. Auch blieb er noch lange als ge-
treuer Schüler Fleischers mit rein philologischen Aufgaben beschäftigt, was um so merk-
würdiger war, als er seit Herbst 1887 als Lehrer am Seminar für orientahsche Sprachen in
Berlin wirkte. Besonders die Metrik hatte es ihm angetan. Seine Hebräische Verskitnsl
(1894), sein Metrum und Rhythmus {iS()6) und endlich sein Buch Das arabische Strophen-
gedicht I Das Muwa'ssah (1897) sind dessen Zeuge. Der Realienforscher tritt uns zuerst
in seinem Buche Bohtan (1897), das man fast ein salname dieser Landschaft nennen kann,
entgegen, aber erst am Ende des Jahrhunderts und von da ab immer stärker bricht der
Erforscher zeitgenössischer Zustände bei ihm durch. Im gleichen Jahre beginnt der
Islamische Orient zu erscheinen, in dem auch die Lieder der libyschen Wüste und The Arabic
Press of Egypt herauskommen (1899). Bei der Aufnahme dieser Lieder dachte er natürlich
zunächst an Dialektforschung, aber sein Interesse ging weit darüber hinaus, und mit seinem
Buch über die arabische Presse Ägyptens setzte er bewußt seinen Fuß auf Neuland. Kein
Mensch hatte sich bisher um die zum Teil sehr ephemere Presse Ägyptens bekümmert,
und doch gibt es wohl keine bessere Quelle für die Reaktion des Orients auf das Vordringen
der, um mit Hartmann zu reden, »fränkischen« Gedankenwelt als die Druckerzeugnisse
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 2 ■? I
der orientalischen Tagesliteratur. Mit welchem Aufgebot wissenschaftlicher Kräfte gehen
wir heute dem Prozeß der Hellenisierung des Orients nach, aus Steintrümmern und Pa-
pyrusfetzen suchen wir uns ein Bild dieses welthistorischen Prozesses zu rekonstruieren;
um die mindestens ebenso gewaltige geistige Auseinandersetzung zwischen dem niodciuen
Europa und dem islamischen Orient kümmert sich aber kein Mensch. Die wichtigsten
Quellen und Dokumente läßt man achtlos zugrunde gehen, teils weil man diese brennende
Frage nicht sieht, teils weil die wissenschaftliche Forschung erst reizvoll zu werden scheint,
wenn die Forschungsobjekte nur noch in Bruchstücken vorliegen. Man nennt das dann
den »historischen Abstand«, den man haben muß, um die Dinge richtig zu beurteilen.
Nun Martin Hartmann hatte den Mut, hier gegen den Strom zu schwimmen, er sah, was
nottat, er suchte zu retten und zu erhalten, solange es noch etwas zu retten und zu erhalten
gab. Gott sei Dank hat sein Vorgang Schule gemacht, aber das Verdienst gebührt ihm.
Auf der Berufungsliste einer deutschen Fakultät hat er unter diesen Umständen natürlich
nie gestanden.
Seit der Wende des Jahrhunderts steht Martin Hartmann nahem ausschließlich
in zeitgeschichtlicher Forschung. Überall geht er dabei in vergangene Zeiten zurück und
sucht das Vorhandene als historisch Gewordenes zu begreifen. Seine Aufsätze sind Legion.
Die Arbeitskraft dieses Mannes war staunenswert. Vier Gebiete sind es, die ihn immer
und immer wieder beschäftigen, der zentralasiatische (russisch-chinesische) Islam, die
arabische Frage, jungtürkische Politik und Literatur und der afrikanische Islam und
sein Ringen mit dem missioniei enden Christentum. Obwohl er bei seinen Ausführungen
häufig von den Forschungen anderer ausgeht, verläßt er sich doch nirgends auf seine Vor-
gänger, zieht überall die Quellen heran und kommt dabei vom Hundertsten ins Tausendste.
Nirgends will er abhängig bleiben, sprachUche Hemmungen stören ihn nicht. Er lernt
im reifen Mannesalter noch Russisch und Chinesisch, er baut seine türkischen Kenntnisse
aus, ja er steigt selbst in die Probleme des ihm ganz fremden zentralafrikanischen
Islam herein; wenn er auch hier am wenigsten tief gräbt, so sucht er doch, zu eigenen
Resultaten zu gelangen (MSOS. XV (1912); Islam, Mission, Politik 1912). Über seiner
ganzen Arbeit steht dabei das Motto des Materialsammelns, aber er versucht, seinem Wesen
getreu, auch gleich zu gruppieren und in Kategorien einzuordnen. Seine Bedeutung liegt
zweifellos auf dem Gebiete des Stoffsammeins und der Stoff analyse, während
er bei der Konstruktion, bei der Systematik seinem ganzen Wesen nach versagen mußte.
Nun ein paar Beispiele zum Beleg.
Über die Probleme des chinesischen Islam wird man sich kaum irgendwo so gut
orientieren können wie in seinen Schriften, beginnend mit dem ersten Bande seines Islami-
schen Orients über seinen Artikel China in der E. I., seine zahlreichen kleineren Aufsätze
über seine Turkcstanreise 1902/03 im MSOS., RMM. 1908 Nr. 6 und sein Buch Chinesisch-
Turkestan. Geschichte, Verwaltung, Geistesleben und Wirtschaft, Halle 1908, bis zu seiner
letzten größeren Abhandlung über dies Thema in WI I. (1913) 178 — 210. Dort sind
auch noch andere Arbeiten von ihm zitiert, die offenbar nicht mehr erschienen sind. Da-
neben verfolgt er unermüdlich alle Schwankungen der modernen Geschichte der
arabisch sprechenden Länder der Türkei; er beginnt mit einem wichtigen Aufsatz
über die '■Arabijje, gibt dann sein schon erwähntes Buch über Die arabische Frage heraus
dessen archäologische Teile hier nicht zu erörtern sind, schreibt Reisebriefe aus Syrien
(1913), verfolgt in ungezählten Artikeln und Analysen alle Phasen der englischen Arabien-
politik, die Streitigkeiten der arabischen Beduinenfürsten — ich nenne nur seine wirklich
wertvollen Inhaltsangaben nach Perr Anastases Liighat el-'arab. In diesen Analysen
liegt überhaupt eines seiner Hauptverdienste. Das gilt besonders auch für das türkische
Problem. Die Stoffmassen, die er hier bezwang, lösten die Bewunderung aller NutZ'
2-^2 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
nießer seiner Arbeit aus. Man durchblättere nur seine Sammelreferate Der Islam 1907
(MSOS. 1908), Der Islam 1908 (id. 1909), Die neuere Lileralur zum Türkischen Probion
(Zeifschr. f. Politik III [1909]), und dann seine bibliographische und kritische Leistung in
Die Welt des Islams. Diese Zeitschrift der von ihm begründeten »Deutschen Gesellschaft
für Islamkunde« hat in den Jahren ihres Bestehens nahezu von ihm gelebt. Alle auf die
Türkei bezüglichen Ereignisse vor dem Kriege und besonders während desselben, die
islamischen Kriegsurkunden, die parlamentarischen Verhandlungen, die Erzeugnisse der
türkischen Moderne, diese ganzen vielgestaltigen Fragen sind hier von ihm mit großer
Sachkunde behandelt. Besonders der neueren türkischen Literatur galt während seiner
letzten Lebensjahre sein Hauptinteresse. Er schöpfte dabei nicht nur aus Büchern, sondern
stand in lebendigem Austausch mit den zahlreichen Orientalen, die das Schicksal des
Krieges nach Deutschland führte. In bezug auf die Türken war er aus einem Saulus ein
Paulus geworden. In seinen Schriften vor 19 14 war er ein leidenschaftlicher Türkenhasser,
wohl weil er aus seiner syrischen Zeit sich eine besondere Sympathie für die unter türki-
schem Joche seufzenden Araber bewahrt hatte. Noch seine Unpolitischen Briefe aus der
Türkei (la\. Or. Bd. III, 19 10) — übrigens eine höchst poHtische Sammlung von wild durch-
einandergewürfelten, zum Teil sehr interessanten Reisenotizen — atmen einen wenig
türkenfreundlichen Geist. Man hat ihm seine spätere Türkenbegeisterung von manchen
Seiten verdacht. Es war keine Charakterlosigkeit; dies schnelle Umlernen lag gerade in
seinem Charakter.
Seine Vielseitigkeit und Produktivität steigerte sich von Jahr zu Jahr; er war uner-
müdlich und lebte schließlich ausschließlich seiner wissenschaftlichen Arbeit. Die Zahl
der Bücher, die er in seinen letzten Lebensjahren herausbrachte, ist beträchtlich. War
er mit dem Alter persönlich milder geworden, so atmen seine Bücher bis zuletzt den stürmi-
scheft Geist seiner Jugend. Manche davon wären besser ungeschrieben geblieben; denn
leider ließ er sich aus dem Bedürfnis nach Synthese und Wertung auch zu zusammenfassen-
den und systematischen Darstellungen veranlassen, denen er einfach nicht gewachsen war.
Es wäre ein Werk der Pietät, die Restauflage seines Handbuchs Der Islam, Geschichte,
Glaube, Recht (1909) einzustampfen (vgl. meine Kritik in ARW XV, 535). Auch seine
Fünf Vorträge über den Islam (1912) sind nicht viel höher zu bewerten. Immerhin sind dies
populäre Zweckschriften. Ernster nehme ich seinen Beitrag zur Kultur der Gegenwart II, 2,
Die islamische Verfassung und Verwaltung (1911). Dies wundervolle Thema ist zwar
in einer etwas höheren Tonlage behandelt; aber der Sachverständige legt diesen unglück-
seligen Versuch, nicht genügend beherrschte Historie in eine mißverständliche Systematik
hineinzupassen, mit tiefer Trauer aus der Hand.
Je weniger sie ihm lag, um so stärker zog ihn in den letzten Jahren gerade die Syste-
matik an. Vor allem hatte es ihm die soziologische Betrachtung angetan. Alle
seine späteren Arbeiten führen ein eigentümliches Gesellungsschema durch: Geschlechts-
gesellung, Volks- bzw. Sprachgesellung, Wirtschaftsgesellung, Vorstellungsgesellung. Aus
Kampf und Verbindung dieser Gruppen erwuchs ihm Kultur und Staat. In der Einleitung
seines Buches Islam, Mission, Politik hat er sich offen darüber ausgesprochen, woher ihm
die Anregung hierzu gekommen war. Sie stammt aus A. Geyers Philosophischer Ein-
leitung in die Rechtswissenschaften in v, Holtzendorffs Realenzyklopädie. »Nicht daß
ich seine Gruppen nur einfach anempfand. Ich arbeitete vielmehr die ganze Materie selb-
ständig durch, und immer wieder von neuem. Die soziologische Fachliteratur habe ich
dabei weniger beachtet.« Martin Hartm.\nn suchte geradezu mit Leidenschaft nach
Gesetzen des historischen Geschehens. Mit Recht fühlte er aber, daß bei dem gegenwärti-
gen Stande der Gesellschaftswissenschaft das Hauptgewicht auf die beschreibende Tätig-
keit, d.h. auf dic-Soziographie zu legen sei. Sein eigener Forschungstrieb führte ihn aber
Kleine Mitteilungen und Anzeigen 233
darüber hinaus zur Gliederung. »Mir reihen sich die Einzeltatsachen, kaum daß sie mir
klar vor der Seele stehen, zusammen, und zwar so, daß ich dem Gesamtbilde auch formell
einen Ausdruck geben muß.« Dabei kennt er deutlich die Gefahren des Synthcseübens.
Die Gefahren liegen nach zwei Seiten: einmal in Richtung des immerwährenden Neuauf-
bauens von Synthesen, die sich jagen, ohne daß eine von ihnen gründlich durchgearbeitet
wird, zweitens in Richtung auf das Sichverbohren in eine Synthese und ihre schablonen-
hafte Zutodehetzung. Er. glaubte, diese Gefahren zu vermeiden; seine Fachgenossen
dürften anders gedacht haben, wenn auch niemand außer dem Schreiber dieses Nachrufs
Widerspruch erhob. Soziologische x\rbeit pflegt in Philologenkreisen nicht lioch im Kurse
zu stehen. Ich widersprach,, weil ich die Wichtigkeit solcher Betrachtungsweise voll aner-
kenne; nur war und bin ich der Meinung, daß solche Kategorien in Erscheinung treten
sollen wie das Gefühl in einem lyrischen Gedicht, unausgesprochen und doch jedem Leser
gegenwärtig. Martin Hartm.\nns System war an sich nicht schlecht, aber in seiner Er-
finderfreude hetzte er es derartig zu Tode, daß man vor lauter Gliederung und Einschachte-
lung den lebendigen Zusammenhang der Dinge aus dem Auge verlor, und das Leben nicht
erklärt, sondern verwirrt wurde. Und konnte schon der orientalistische Fachmann nichts
damit anfangen, um wieviel weniger der Laie, dem doch die Mehrzahl seiner soziologischen
Betrachtungen gewidmet war.
Anerkannt aber muß werden, daß hier ein großes Wollen vorlag. Mortalibus nil
ardui est — diesen Horazischen Satz hat er bewahrheitet. Er schrak vor keiner Arbeit
zurück, aber auch vor keinem Problem. Je größer- beide waren, um so mehr reizten sie ihn.
x\uch hier ging sein Temperament mit ihm durch. Menschlich hat es etwas Ergreifendes,
zu sehen, wie dieser Mann, dem das Leben nicht viel Rosen auf den Lebenspfad gestreut
hatte, der zeitlebens aus Sorgen und engen Verhältnissen, familiären und dienstlichen
Hemmungen nicht herauskam, mit nie ermüdender Kraft um ein Gesamtbild des Lebens,
um eine Weltanschauung rang. Hinter all seinem Haß gegen Kirche und PfaiJentum stand
in letzter Linie ein Gottsucher und hinter seiner ermüdenden Gesellungsscholastik regte
sich die unbefriedigte Sehnsucht nach innerer Harmonie. Er bekannte sich zur materialisti-
schen Geschichtsauffassung, aber er war ein Idealist. C H. Becker.
Joseph von Karabacek,
geb. 22. September 1845 ^^ Graz, gest. 9. Oktober 191S zu Wien.
Konnte man Martin Hartmann als den »Tagesschriftsteller«, so muß man Kara-
bacek als den »Cortegiano« unter den deutschen OrientaHsten bezeichnen. Sein Cha-
rakterbild wird in der Geschichte nicht schwanken. Daß er mehr Hofmann als Gelehrter
war, stand lange fest, nur die Rücksicht auf die Wiener Akademie, an deren Spitze er
20 Jahre lang stand, verhinderte, daß dieses Urteil schon bei seinen Lebzeiten offen aus-
gesprochen wurde. An Kritik hat es ihm freilich nicht gefehlt. Man mochte sie in so liebens-
würdige Formen kleiden, wie es Max van Berchem oder Otto von Falke getan haben,
man schlug derber drein wie Enno Littmann, Friedrich Sarre, Eugen Mittwoch und
der Schreiber dieser Zeilen, immer aber blieb ein Rest von Reserve, weil jeder Kritiker es
nur mit einem Sonderfall zu tun hatte, zu einer Würdigung der GesamtpersönHchkeit aber
kein Anlaß vorlag; und die wissenschaftlichen Körperschaften, die in erster Linie dazu
berufen waren nach dem Rechten zu sehen, aus falscher Kollegialität oder höfischen Rück-
sichten schwiegen und nur im Stillen die Faust ballten. Es gibt keine höfischen Rück-
2 •34 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
sichten mehr, und der x\nlaß ist gegeben, ein Fazit zu ziehen. Historische Würdigungen
sind keine Jubiläumsredeii, und die wissenschaftliche Ehrlichkeit fordert ein offenes
Wort.
Er war ein Cortegiano — ich wähle mit Absicht die alte Schreibweise des Wortes;
denn er war kein moderner Typ. Seinem Wesen und seiner Stellung zur Wissenschaft nach
gehörte er ins 16. oder 17. Jahrhundert. Er war ein wissenschaftlicher Glücksritter, der
mit der Wissenschaft sein Glück erjagt hat wie seine älteren Wesensgenossen mit der Kunst
oder der Politik. Es waren keine Renaissancepäpste und italienische Kleinfürsten, an
deren Höfen er sich sonnte, sie hießen Graf Hoyos, Prince PhiHpp de Saxe Cobourg et
Gotha, Erzherzog Rainer, um nur einige zu nennen. Man braucht garnicht in den Ku-
lissenklatsch hineinzusteigen, die Lektüre seiner wissenschaftlichen Arbeiten genügt, um
ein vollkommen klares Bild seiner Persönlichkeit zu erhalten;' denn er spricht dort sehr
viel von sich und seinen fürstlichen Patronen. Ein stattlicher, vornehmer Mann mit den
vollendeten Formen des österreichischen Aristokraten und der bezwingenden Liebens-
würdigkeit des Wieners. Dazu ein Mann von Geist, Kenntnissen und Bedeutung. Er hatte
einen bewundernswerten Scharfsinn, einen klaren Blick für das Interessante, Abseits-
hegende, Ungewöhnliche. Seine Belesenheit war staunenswert, seine Darstellung häufig
geschmackvoll, wenn auch mit einer Hypothek von Eitelkeit belastet, die literarisch sich
in selbstgefällige Breite umsetzte und nur deshalb ertragen wurde, weil seine Selbstsicher-
heit etwas Hypnotisches hatte, in den meisten Fällen ihn niemand kontrollieren konnte,
und die Autoritätsgläubigkeit unter Kollegen ja eines der Hauptcharakteristiken des kriti-
schen Zeitalters zu sein scheint. Der Kernpunkt seiner glänzenden Anlagen war seine
Phantasie, eine schranken- und hemmungslose Phantasie. Ihr verdanken wir manch
Wertvolles, aber noch viel mehr geradezu Unsinniges, die Entzifferung einiger griechischer
Namen über Figuren als geschlossene Inschrift, die Erklärung von Arabesken als Inschriften,
die Entdeckung und Erklärung garnicht vorhandener lateinischer Texte auf griechisch-
arabischen Papyrusprotokollen, lateinische Münzen eines südarabischen Gegenpropheten
Muhammeds, um mich auf diese berühmten Beispiele zu beschränken. Alles aber ist immer
äußerst gewandt aufgemacht, unendliche Belegstellen und Parallelen meist aus schwer
oder garnicht zu kontrollierendem Quellenmaterial, dabei mit apodiktischer Sicherheit
vorgetragen. So ist z. B. die Lesung der Arabeske mit dem Motto des Hafizverses: »Sprich
entweder als ein Kenner oder schweige, kluger Mann« eingeleitet {^Persische Nadelmalerei
Siisandschird S. 119). Dabei war jedes Stück, das er zum Ruhme seiner Principi und zu
dsm seinen veröffentlichte, ein Unicum, das Historiker korrigierte, alte Vorurteile umstieß,
alles auf den Kopf stellte und vor allem ein£ grenzenlose Bewunderung für den erstmaligen
Entzifferer auslöste, der durch den Urwald von Irrtümern, Schreib- und Ziselierfehlern
die lichtbringende, bahnschaffende Schneise schlug. Dabei die unnachahmliche Geste des
großen Mannes, wenn irgend jemand einen leichten Zweifel zu äußern wagte. Da er auf
dem paläographischen und archäologischen Gebiet so ziemlich allein arbeitete bzw. auf
dem unveröffentlichten Material saß, ohne jemand heranzulassen, konnte man leicht den
Kürzeren ziehen, und er nutzte jede Gelegenheit aus, seine überlegene Sachkunde vor aller
Welt wie einen rocher de bronce zu stabilisieren. Er hat damit selbst sehr kritische und
sehr sachkundige Vertreter der Nachbargebiete irregeführt. Schon in seinen Ersthngs-
schriften in den 60er und 70er Jahren ist diese Grundrichtung seines Wesens mit Händen
zu greifen, im hohen Alter wird sie geradezu krankhaft, und man fragt sich nur, ob man
sich mehr über diese wilden Orgien einer gewissenlosen Phantasie oder über die Langmut
der Kollegenwelt wundern soll, die sich das alles gefallen ließ und ruhig zuschaute, wie
dieser Mann von Stufe zu Stufe stieg, 1869 Privatdozent, 1874 Extraordinarius, 1884
Ordinarius, 1888 ordcntHches Mitglied der .\kademie, 1898 ihr ständiger Sekretär, 1899
0
Kleine Mitteilungen und Anzeigen, 235
Direktor der Hofbibliothek wurde, vom Hofratstitel, Orden und Adelsprädikat ganz zu
schweigen.
Nun, das liegt alles hinter uns. Fragen wir nach dem Bleibenden. Versuchen wir,
nüchtern und ruhig sein literarisches Schaffen nachzuprüfen. Worin liegt trotz allem und
allem die historische Bedeutung seines Wirkens?
Sein Hauptverdienst war die Förderung und zum Teil Begründung eines Kreises
von Disziphncn, die man am besten als »historische Hilfswissenschaften« zusammenfaßt.
Damit schuf er auf orientalistischem Gebiet etwas Neues. Er begann mit Münzkunde
und Epigraphik, Gebiete, auf denen er erhebliche Vorläufer hatte, warf sich dann auf
archäologisch-kunstgeschichtliche Forschung, insbesondere Textilienkunde —
auf letzterem Gebiet galt er lange als einzige orientalistisch geschulte Autorität — , um
schließlich der Begründer der arabischen Papyrologie und Erforscher der Geschichte
des Papiers zu werden. Auf allen drei Gebieten sind die oben geschilderten Licht- und
Schattenseiten seiner Arbeitsweise mit Händen zu greifen, aber es geschah mit Fug und
Recht, daß er bei seiner Ernennung zum Professor der orientalischen Geschichte auch die
Hilfswissenschaften in seinem Lehrauftrag zugeteilt erhielt.
Seine ältesten Münzstudien erschienen in der von C. W. Huber und ihm i86q
begründeten Numismatischen Zeitschrift und den etwas älteren Wiener numismatischen
Monatsheften und befassen sich mit den Kufischen Münzen des Johanneums in Graz (1868),
der Geschichte der Kupferwährung unter Sultan Suleimän IL, Spanisch-arabisch-deutschen
Nachprägungen für Polen, einem Gigliato des jonischen Turkomanenfürsten Omar Bey, einem
Gigliato des karischen Turkomanenfürsten Urchän-hey, Den angeblichen AEO-M(VMsen
arabischer Prägung. Es folgen auf der gleichen Linie seine Kritischen Beiträge zur lateinisch-
arabischen Numismatik, die, von de Saulcy und Lavoix entdeckt, ihn bis in sein hohes-
Alter beschäftigt und seine Phantasie zu märchenhaften Lesungen angeregt hat. Man
erinnere sich der famosen Musailimamünzen, die auf dem Stockholmer Orientalistenkongreß
und dann in der auf Karabacek zurückgehenden Publikation Ciiriosites Orientales de mon
Cabinet nmnismatique des Princc Philipp de Saxe Cobourg et Gotha (1891) der über-
raschten Orientalistenwelt vorgestellt wurden und noch 1908 als Hauptbeweisstückc für
das Lateinische in den arabischen Papyrusprotokollen erscheinen (vgl. darüber ZA.
XXH, 182). Er behandelt weiter schon 1869 die später oft besprochenen Ortokiden-
münzen unter dem Titel Über muhammedanische Vicariatsmünzen und Kupferdrachmen des
12. — 13. Jahrhunderts. Man sieht, er umfaßt das weite Gebiet der islamischen Münz-
kunde. Die meisten der genannten Schriften sind auch im Selbstverlag separat erschienen.
Ich bin auf diesem Gebiet nicht Fachmann genug, alle seine Lesungen und Thesen zu be-
urteilen, aber wo ich nachgeprüft habe, fand ich bestenfalls ein geistreiches, literarisch gut,
archäologisch aber völlig ungenügend fundamentiertes Hypothesengebäude, mit dem
ernste Wissenschaft sich wohl hüten sollte, zu rechnen.
Für seine epigraphische Tätigkeit ist charakteristisch sein Buch Beiträge zur
Geschichte der Mazjaditen (Leipzig 1874), das der Interpretation einer Steinschrift von
Bosra gewidmet ist. Von dieser Lesung ist bei der endgültigen Publikation der Inschrift
durch Max VAN Berchem, Inscriptions /lratß5(fe5y^ie(InstitutEgyptien, Memoires III, 436)
so gut wie nichts geblieben. Die Zweckbestimmung, die Namen, die Worte, alles ist falsch
gelesen, es bleiben auch hier wieder nur einige literarische Notizen historischer Art. Die
Gerechtigkeit gebietet allerdings zu sagen, daß er zu dieser endgültigen Lesung auch noch
Wichtiges durch einen späteren .\ufsatz (ZDMG. XXXI, 135) beigetragen hat.
So fragwürdig bei dieser intuitiv-phantastischen Methode seine Einzelresultate auch
waren, so ist er doch — und das ist ein- historisches Verdienst — der Erste gewesen,
<ler die archäologische Betrachtung in einen großen historischen Zu-
2 ■56 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
sammenhang gestellt hat. Seine Ziele waren unzweifelhaft wegweisend. Was später
die emsige und solide Lebensarbeit Max van Berchems ausgeführt, hat er zuerst gefordert
und versucht. Schon 1875 hat er sich in einem Aufsatz Merkmale zur Bestimmimg sara-
zenischer Kunst- und Industriedenkmäler grundsätzhch über die Beziehung zwischen Epi-
graphik, Geschichtsquellen und Kunstgegenstand geäußert, nachdem er bereits 1870 und
seinem Aufsatz Liturgische Geivänder mit arabischen Inschriften aus der Marienkirche in
Danzig (Mitteilungen des K. K. Österr. Museums für Kunst und Industrie, 1870, Nr. 56
und 59) einen Vorstoß in das bis dahin unerforschte Gebiet des 7ir äzwesens unternommen
hatte, auch hier aber, ebne in der Sache selbst Recht zu behalten. Er machte aber hier,
wie z. B. auch in der epigraphisch \ erfehlten Pubhkation Eines Damascenischen Leuchters
des 14. Jahrhunderts (Repert. f. Kunstwiss. I, Heft 3) auf Probleme aufmerksam, an denen
man bisher vorbeigegangen war, wie z. B. auf das orientalische Ritterwesen, die futuwwa,
die Heraldik, über die er eine Arbeit ankündigte, von der aber nur der unglückliche W^x-
such. Zur orientalischen Altertumskunde I: Sarazenische Wappen (vgl. dazu Islam H, 201)
erschienen ist. Das Beste, das auf diesem archäoiogisch-kunsthistorischenGebiet
von ihm vorliegt, ist sein viel zitiertes Buch Die Persische Nadelmalerei Susandschird
(Leipzig 1881). Auch hier wieder ist die eigentliche These des Buches (Bestimmung eines
Teppichs und Lesung seiner gar keine Schrift darstellenden Arabesken) ganz unhaltbar;
aber das im Kommentar beigebrachte Material zeugt von einer enormen Belesenheit und
einer großzügigen Fragestellung, so viele Nebenresultate auch hier wieder unrichtig sind
(vgl. z. B. die von 0. von Falke, Kunstgeschichte der Seidenweberei H, 62 widerlegte Da-
tierung auf S. 144). Karabacek hat nicht nur das Material, Textur, Geflecht, Knüpfung,
Farben und Dessin geprüft und Uterarisch zu belegen versucht, er geht der Terminologie,
der Geschichte des Teppichwesens, der Chronologie, der Symbolik, den historischen, wirt-
schaftlichen und kulturellen Beziehungen nach — kurz, in der Fragestellung leistet er
eine bahnbrechende Arbeit, aber die Resultate sind großenteils verfehlt, und zwar verfehlter,
als sie bei dem gleichen Material ohne die KARABACEKsche Phantasie und Selbstsicher-
heit unschwer zu erzielen gewesen wären. Aber gewiß ist, daß er frühzeitig paläogra-
phisch wie archäologisch und historisch vieles gesammelt und manches auch angeschnitten
hat, was spätere besonnenere Arbeiter im Verlaufe ihrer eignen, von ihni völlig unabhän-
gigen Studien auch gesehen und richtiger und begründeter dargestellt haben. Karabacek
hat in späteren Jahien, als er an der Spitze der Hofbibliothek mehr Hofmann als Ge-
lehrter geworden war, nicht mehr die Zeit gehabt, all das herauszubringen, was er in sei-
nen arbeitsreichen Jugendjahren in Aussicht genommen und zum Teil begonnen hatte.
Kam dann jemand anders mit einer Arbeit heraus, die ein Gebiet streifte, über das er
auch Sammlungen besaß, so empfand er das als eine unerlaubte Jagd auf seinem Revier
und wollte gern noch schnell seine Prioritätsansprüche anmelden. Daß er dabei gerade
auf kunstgeschichtlichem Gebiet sehr bedenkHche Methoden angewandt hat, beweist die
Diskussion über Riza-i Abbasi (ed. Sarre und Mittwoch) im H. Bande dieser Zeit-
schrift, wozu man auch Littmanns Besprechung in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 1917,
Nr. II u. 12, S. 601 ff., vergleichen wolle.
Nicht minder charakteristisch für diese keinem andern etwas gönnende Art Kara-
BACEKs war seine Mitarbeit bei der großen Akademiepublikation des von Musil ent-
deckten Wüstenschlosses Ku$ejr 'Amra (Wien 1907). Musil gab den Reisebericht und
schilderte den historischen Hintergrund. Am Schluß desselben merkt man deutlich, daß
der Entdecker die Entstehung des Schlosses allein in omajjadischer Zeit für möglich hält.
Er darf es aber nicht aussprechen, weil Karabacek, der epigraphische Fachmann der
Akademie, die Lesung der Inschrift und die archäblogische Bestimmung des Baues an sich
gerissen hatte. Entziffern konnte zwar auch er die Inschrift nicht, aber er las sie eben,
r
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. ^■iy
Und auf Grund seiner aller Vernunft hohnsprechenden Lesung mußte er zu einer viel
späteren Datierung des Baues kommen. Durch die Zusammenarbeit von Littmann und
NÖLDEKE sind dann Inschrift und Bilddeutung einwandfrei im Sinne der MusiLschen
Vermutung festgestellt worden. Die ganze Publikation ist' trotz ihrer prachtvollen Aus-
stattung, auch abgesehen von Karabaceks Mitarbeit, ein historisches Dokument, zu
welchem Unfug ein eifersüchtiger Akademieklüngel fähig ist. Die Hauptschuld aber trägt
Karabäcek, über dessen Beitrag in ZA. XX, 355 ff., das Nötige gesagt ist.
Wenn man die ganze, im Vorstehenden genannte Literatur wieder einmal im Zu-
sammenhang gelesen hat, fällt es schwer, die nötige Objektivität dem Anstifter so viel
wissenschaftlichen Unheils gegenüber zu bewahren. Immerhin ist es auf dem dritten
großen Arbeitsgebiet Karabaceks, der arabischen Papyrologi e, möglich, ohne unwahr
zu sein, dem Verstorbenen ein Wort des Dankes und der Anerkennung nachzurufen. Er
hat nun einmal den Strom der arabischen Papyri nach Wien geleitet, er hat seine höfischen
Beziehungen im Dienst der Wissenschaft ausgenutzt und die schöne Sammlung des Pa-
pyrus Erzherzog Rainer in der K. K. Hofbibliothek geschaffen. Ich darf auf die ein-
gehende Würdigung und Zusammenstellung seiner Publikationen verweisen, die ich in der
Einleitung zu Papyri Schott-Reinhardt I (Heidelberg 1906) gegeben habe. Karabacek hat
das Material gesammelt und erhalten, er hat darauf bei jeder Gelegenheit aufmerksam
gemacht und interessante Bruchstücke daraus veröffentlicht — • er hat aber 30 Jahre lang
verhindeit, daß dieseganz einzigartigen Urkunden wissenschafthcher Bearbeitung wirklich
zugänglich gemacht wurden. Jede Kontrolle war unmöglich. Seit mehr als 25 Jahren sind
Lichtdrucktafeln der wichtigsten Stücke hergestellt, abersie waren zu seinen Lebzeiten eben-
sounzugänglich wie die Originale. Abgesehen von einigen veröffentlichten Brocken, war man
auf den Führer durch die Ausstellung angewiesen, der kurze Inhaltsangaben enthält. Wollte
man auf diesem Gebiet überhaupt arbeiten, so mußte man den Führer zitieren. Niemand
hat das so häufig getan wie ich, niemand hat den Nutzen dieses Buches, an dem auch bei
den frühislamischen Papyri Wesselv ungenannt, aber entscheidend mitgearbeitet hat,
so oft hervorgehoben; aber gerade deshalb fühle ich mich verpflichtet zu sagen, daß m. E.
die einstige Veröffentlichung der Papyri selbst eine Katastrophe für diesen Führer bedeuten
wird. Die ganze Unsolidität und Phantasterei der KARABACEKSchen Arbeitsweise liegt in
diesem Buch allerdings noch unter dem Schleier, aber ich habe ihn an einigen Stellen lüften
können, und seitdem ist mein früherer Glaube an diesen Führer dahin. — Weil ich mir
nicht denken kann, daß dieser Mann, der überall, wo man ihn kontroUieren kann, sich so
unzuverlässig erweist, auf einem andern Gebiete unumstößliche Resultate geschaffen hat,
steheich auch seinen großen Arbeiten zur Papiergeschichte in den von ihm heraus-
gegebenen großen Sammelbänden der ■Mitteilungen aus der Sammlung der Papyrus Erzherzog
Rainer skeptisch gegenüber, obwohl mir nicht bekannt ist, daß ihre Resultate bisher angefoch-
ten wären. Meines Wissens hat sich aber auch noch niemand eingehend damit beschäftigt.
Noch nicht berührt sind endUch in meiner Würdigung des Papyrologen Karabacek seine
späteren Veröffentlichungen über Die arabischen Papyrusprotokolle {Zur Orientalischen
Altertumskunde II, S. B. 1908), die sich im wesentfichen mit mir auseinandersetzen und
auf die ich in ZA. XXII,' 166 ff. ausführlich eingegangen bin'). Für sie gilt das gleiche,
das oben über Susandschird gesagt ist.
Anderthalb Jahre sind seit dem Tode Karabaceks verflossen; es hat sich aber noch
niemand bereit gefunden, eine wissenschaftliche Würdigung seines Lebenswerks und seiner
') Zur Frage vgl. neuerdings V. Gardthausen in Zeiischr. des deul sehen V er eins für
Buchwesen u. Schrifttum 1919, Nr. 9/10, S. 97 ff. u. H. I. Bell inj. of Hell. Stud. XXXVII
C1917) p. 56—58.
S'^B Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Persönlichkeit zu schreiben, jedenfalls ist mir, abgesehen von einigen rein formalen Zeitungs-
notizen, nichts derartiges zu Gesicht gekommen. Es ist bezeichnend, daß niemand dies
Bedürfnis empfand. Gerade wer ihm wohl wollte, schwieg. Unseie Zeitschrift hätte sich
aber durch Verschweigen der Geschichte gegenüber mitschuldig gemacht. De mortuis
nil nisi vere. C. H. Becker.
Friedrich Schwally^)
war geboren am lO. August 1863 zu Butzbach in Oberhessen. Er entstammte kleinen
Verhältnissen, sein Vater war Eisenbahn-Lademeister; er verlor ihn früh, und die Mutter
mußte sich mühsam mit ihren zwei Kindern durchs Leben schlagen. Er hat früh Armut
und Entbehrung kennengelernt; als Gymnasiast und Student war er stets darauf ange-
wiesen, durch Privatstunden sich fortzuhelfen.
Er besuchte zunächst die Volksschule und die höhere Bürgerschule seiner Vater-
stadt, dann das G^Tnnasium in Darmstadt und verließ dies 1883 mit dem Zeugnis der
Reife. In Gießen hat er 31/2 Jahre Theologie und Orientalia studiert. Bernhard Stade
hat ihn hier besonders angezogen und in ihm die Liebe zum Alten Testament und zu den
Orientalia geweckt. Nach bestandenem Fakultätsexamen ging er 1887 nach Straßburg,
vor allem um bei Nöldeke seine philologischen Kenntnisse zu vertiefen und erweitern.
Sein Ziel war, sich dem Alten Testament zu widmen. 1888 wurde er in Gießen auf Grund
einer alttestamentlichen Arbeit»), die von Stade als Referenten beurteilt wurde, zum
Dr. phil. promoviert, erwarb 1889 ebendort die Fakultas für das höhere Lehramt für Reli-
gion, Hebräisch und Deutsch, war kurze Zeit ak Hilfslehrer am Ludwig-Georgs-Gym-
nasium in Darmstadt tätig und beabsichtigte sich in Halle für das Fach des Alten Testa-
ments zu habilitieren. Zwei Arbeiten werden seine wissenschaftliche Befähigung dazu
erweisen: »Das Buch Ssefanjä, eine historisch-kritische Untersuchung« 3) — auf Grund
dieser Arbeit wurde er 1891 in Gießen zum Lic. theol. promoviert — , und i>Das Lehen
nach dem Tode nach den Vorstellungen des alten Israels und des Judetitums, einschließlich
des Volksglaubens im Zeitalter Christi«, Gießen 1892. Der in dieser Schrift versuchte Nach-
weis, daß die jüdische Eschatologie nicht aus der »Offenbarungsreligion «, sondern aus
dem semitischen Heidentum stamme, fand keine Gnade vor der Hallenser Fakultät. Die
Arbeit wurde wegen ihrer Resultate als Habilitationsschrift nicht angenommen. Das
war eine bittere Enttäuschung für Schwallv und wurde der Anlaß, daß er sich nun ganz
wesentlich den Orientalia widmete. 1893 hat er sich in Straßburg für das Fach der semiti-
schen Sprachen habilitiert. Die alttestamentlichen Studien hat er aber auch später nicht
vernachlässigt. Davon zeugt, abgesehen von kleinere'n Aufsätzen 4), die seinem Lehrer
Stade bei seinem 25jährigen Professorenjubiläum gewidmete Arbeit ^Semitische Kriegs-
0 Ich habe Schwally persönlich nur flüchtig gekannt. 1904 suchte er mich in Kairo
auf, 1914 sah ich ihn in Halle und dann in Gießen wieder. Mir standen für die folgende
Skizze Gießener Universitätsakten und eingehende Mitteilungen von Frau Prof. Schwallv
zu Gebote.
*) Die Reden des Buches Jeremia gegen die Heiden XXV. XLVI— LI untersucht,
= ZAW. VIII 1888, S. 177-^214.
3) Erschien in ZAW. X 1890, S. 165—240.
4) Miszellen, ZAVV. XI 1891, S. 169^183, 253-— 260; Zur Quellenkritik der histori-
schen Bücher, ZAW. X 1892, S. 153— 161; Die Rasse der Philister, Z. f. wiss. Tlieol. XXXIV
1890, S. 103--8, 255; Über einige palästinische Völkernamen, ZAW. XVIII 1898, S. 126
bis 148; Lexikalische Studien, ZDMG. LH 1S98, S. 132— 148, 511 f.; LIII 1899, S. 197
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. ^-^O
altertümer I, der heilige Krieg im alten Israel«, Leipzig 1901, in der er den Versuch macht,
unter Beibringung eines reichen ethnologischen Materials, in das er sich sehr gut einge-
arbeitet hatte, Erscheinungen und Einrichtungen im alten Israel zu erklären, davon zeugt
die mit Stade gemeinsam vorgenommene Bearbeitung der Königsbücher (Th£ Book of
Kings, critical edition of the Hehrew Text printed in colors . . . with notes; Leipzig, London,
Baltimore 1904), davon zeugen ferner neben einer Fülle von Einzelrezensionen ') die
Sammelreferate, die er für das Archiv für Religionswissenschaft über (alte) semitische Reli-
gion im allgemeinen, israelitische und jüdische Religion erstattet hat ^). »Ich habe immer
den Eindruck gehabt, daß seine erste und tiefste Liebe doch dem Studium des Alten Testa-
ments galt«, so schreibt mir seine Gattin. Als er 1906 Stade während seiner Krankheit
und nach seinem Tode vertreten hatte, hat die theologische Fakultät in Gießen ernst-
haft den Gedanken erwogen, ob sie Schwally als Stades Nachfolger vorschlagen sollte.
ScHWALLY wäre damals noch gern bereit gewesen, wieder Alt testamentler zu werden.
Es ist aus der Sache nichts geworden; aber seine Ausführungen mit Bezug darauf an die
theologische Fakultät, auf deren Anfrage hin, sind für seine Stellung zum Alten Testa-
ment sehr charakteristisch, und ich führe einiges daraus hier an: »So notwendig es auch
ist, daß der Vertreter eines akademischen Lehrfaches eben diese Disziplin in den Vorder-
grund seines wissenschaftlichen Betriebes stellt, so darf man sich doch keiner Täuschung
darüber hingeben, daß alle größeren Fortschritte in der alttestamentlichen Wissenschaft
von Mäimern ausgegangen sind, welche zugleich bedeutende Orientalisten waren (Hein-
rich Ewald, Eduard Reuß, Carl H. Graf, J. Wellhausen, A. Kuenen, B. Stade). Einzig
und allein durch fortgesetztes Studium der semitischen Literaturen und Altertümer, so-
wie der Religionsformen des Erdkreises kann sich die alttestamentliche Wissenschaft
auf der Höhe halten, die sie durch Wellhausen und Stade erreicht hat. . . . Ich würde
keine Veranlassung haben, meine Überzeugungen einer Revision zu unterziehen. Für
mich ist auch die primitivste Religion weder eine Kuriosität, noch eine pathologische
Erscheinung, sondern ein Ausfluß des der menschlichen Psyche angeborenen Dranges,
das hinter der sichtbaren Welt stehende Geheimnis des Göttlichen zu erfassen, und damit
eine Vorstufe zu der Religion, welche der Menschheit die höchsten sittlichen und idealen
Güter garantiert.«
In Straßburg hat er 8 Jahre lang der Universität angehört. Es waren für ihn stille
Arbeitsjahre. 1895 hat er sich verheiratet; der sehr glücklichen Ehe sind zwei Töchter
entsprossen. — Bald nach seiner Habilitation veröffentlichte er das >>Idioticon des Christ-
lich-Palästinischen Aramäisch« (Gießen 1893). Im übrigen beschäftigten ihn die Vorarbeiten
zur Herausgabe des Kitab al-makäsin wa-l-masäwl des Ibrahim b. Muhammad al-
BaihaqT, eines von den Adab-Werken, in denen Personen und Ereignisse unter dem
doppelten Gesichtspunkte der anziehenden und abstoßenden Züge behandelt werden.
Baihaqls Werk ist wohl der älteste Repräsentant dieser Literaturgattung. Mehrfache
Reisen, nach Leiden, Paris, London, Berlin, waren dafür notwendig. 1900 erscliicn die
bis 201; Einige Anmerkungen zum Buche Hioh, 7.AW- XX 1900, S. 44 — -48; Die biblischen
Schöpf toigsberichte, ARW. IX 1906, S. 159 — 175; Die aram. Papyri von Elephantine, OLZ.
XV 1912, S. 160—170; Zum hebr. Nominalsatz, ZDMG. LXVIII 1914, S. iii— 117.
■) In der Theol. Literaturzeitung war er von 1888 ab bis zu seinem Tode ein sehr
eifriger Rezensent; Rezensionen von ihm erschienen ferner in DLZ., später im Lit. Zentral-
blatt, in OLZ. und ARW.
^-) Bd. VIII 1905, S. 275-285; IX 1906, S. 500-515; XII 1909, S. 555—573; XVI
1913, S. 233-^252; XIX 1916, S. 347^382, dies die letzte Arbeit, deren Fertigstellung
er noch erlebt hat.
2aÖ Kleine Mitteilungen und Anzeiget^,
erste Lieferung des Werkes, 1902 lag es fertig vor. Die Preußische Akademie der Wissen-
schaften hatte eine namhafte Unterstützung für die Drucklegung des Werkes bewilligt.
ScHWALLY widmete das Werk de Goeje, Goldziher und Nöldeke, und wollte mit dieser
Widmung »öffentlich Zeugnis ablegen, wieviel der Lehrling dem Rate und der Hilfe dieser
Meister verdankt«. Er hat sich mit dieser Ausgabe vortrefflich als Arabist eingeführt. 1900
wurde er zum außerordentlichen Professor in Sträßburg ernannt, 1901 auf das neubegrün-
dete Extraordinariat für semitische Sprachen an seiner Heimatsuniversität Gießen berufen').
13 Jahre hat er hier als Lehrer und Forscher gewirkt ^). Als er im Jahre 1906 den
Ruf auf den neubegründeten Lehrstuhl für Arabisch an der muhammedanischen Hoch-
schule zu Aligarh (Indien) abgelehnt hatte, wurde er persönlicher Ordinarius, und zum
I. April 1908 wurde seine Professur zum etatsmäßigen Ordinariat umgewandelt.
Noch in Straßburg liegen die Anfänge für das Werk, das so recht eigentlich als
ScHWALLYs Lebenswerk angesprochen werden kann, und das ihn während der Gießener
Zeit und später bis an sein Lebensende beschäftigt hat: die Neubearbeitung von Nöldekes
»Geschichte des Qoräiis«. 1860 war dies von der Pariser Akademie preisgekrönte Werk er-
schienen. 1898 stellte sich das Bedürfnis nach einer Neubearbeitung heraus, und da Nöl-
deke selber diese nicht mehr übernehmen wollte, schlug er Schwally dafür vor. Ein-
gehende Studien insbesondere der umfangreichen, seit 1860 zugänglich gewordenen Hadlth-
Literatür waren notwendig. Daneben lag Schwally daran, den Orient kennenzulernen,
zumal Kairo, das Zentrum der islamischen Gelehrsamkeit, zog ihn an. In den Jahren
1903 und 1904 hat er sich je 3 Monate lang im Frühjahr in Ägypten, hauptsächlich Kairo,
aufgehalten. Über seine Arbeiten dort hat er in eingehenden Berichten an das hessische
Ministerium, das ihm Reiseunterstützungen bewilligt hätte, Auskunft gegeben. 1903
mußte er zunächst die Volkssprache erlernen; daneben widmete er sich handschriftlichen
Studien auf der Khedivial-Bibliothek und erlernte zuerst in der Azhar-Moschee, dann
bei Privatlehrern die Technik und Theorie der Korän-Lesekunst. 1904 hat er diese Studien
fortgesetzt. Er hat diesmal zeitweise bei einem arabischen Gelehrten gewohnt, dessen Haus
von europäischen Einflüssen frei war; durch ihn fand er Eingang in andern muslimischen
Häusern und hatte Gelegenheit zu manchen wertvollen Beobachtungen 3). »Der Haupt-
zweck der beiden Reisen, die Sammlung der Materialien zur Geschichte des ^oräns, darf,
soweit Ägypten in Betracht kommt, als erreicht bezeichnet werden«, so schreibt Schwally
an das Ministerium.
1909 erschien der erste Teil seiner Neubearbeitung von Nöldekes Geschichte des
Qoräns\ er enthält den Abschnitt: Über den Ursprung des Qoräns, und stellt sich als eine
sehr gründliche, besonnene Arbeit dar. »Die Bearbeitung hat sich sehr lange hingezogen«,
so schreibt er in der Vorrede, »weil ich unter der Last anderer literarischer Aufgaben und
einer vielseitigen Lehrtätigkeit 4) mich der Qoränforschung nur mit großen Unterbrechungen
") Von Publikationen aus der Straßburger Zeit erwähne ich noch den Überblick
über die semitischen Kulturvölker Vorderasiens in der 4. Auflage von Hellwalds Kullitr-
geschichte I 1896 (399—496); Die Kultur des Islams im Mittelalter, ebenda Bd. III 1897
(235-352); Das Verhältnis von Mnhammedanern, Juden und Christen im heutigen Tunis,
ARW. II 1899, S. 252—258; — Zur Theorie einiger Possessiv- und Objektsuffixe im Syri'
sehen, ZDMG. LI 1897, S. 252— 255; »Zur ältesten Baugeschichte der Moschee des^Amr in
Altkairo«, in der Straßburger Festschrift zur XLVI. Vers, deutscher Philologen und
Schulmänner 1901.
*) Er ist von Gießen aus oft zu Vorlesungen und Vorträgen in Frankfurt a. M. heran-
gezogen worden.
3) Vgl. »Aegyptiaca«, Schwall Ys Beitrag zur Nöldeke- Festschrift, 1906, S. 417— 424.
4) Die Vertretung Stades (s. 0. S. 239) fiel in diese Zeit.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. ^j^j
widmen I<onutc.« Auch durch eine Studienreise Schvvallys nach der Türkei im Sommer
1908 war der Druck um '/j Jahr aufgehahen worden. Das Werk ist Goldziher und Snouck
HuRGRONjE ^) gewidmet, denen er sich zu besonderem Danke verbunden .bekennt. »Der
zweite Teil einschließlich der literarischen Einleitung soll im nächsten Jahre erscheinen«,
so heißt es in der Vorrede. Inzwischen waren fast 10 Jahre vergangen, ohne daß dies Ver-
sprechen eingelöst war. Man wußte, daß Schwally bis zuletzt mit größtem Eifer an dem
Manuskript dieses Teiles, ^Die Sammlung des Qoräns«. enthaltend, gearbeitet hat -). Mir
schrieb er zuletzt im Juli 19 18, daß er immer noch mit der Reinschrift des Manuskripts
beschäftigt sei, und seine Gattin schreibt mir, daß er bis Weihnachten, bis an die äußerste
Grenze der Möglichkeit noch täglich daran gearbeitet habe, und daß bis zum Tage vor
seinem Tode seine Gedanken bei seiner Arbeit waren. Glücklicherweise hat sich heraus-
gestellt, daß er das Manuskript so gut wie druckfertig hinterlassen hat. Es ist im Herbst
1919 erschienen, und hat die darauf gesetzten Erwartungen wahrlich nicht enttäuscht 3).
Seine Reise nach der Türkei, die er schon für 1907 plante, aber erst im Sommer 1908
zur Ausführung brachte, sollte der Erlernung der türkischen Umgangssprache und dem
Studium der Bewegungen innerhalb des türkischen Islams nach ihrer religiösen, nationalen
und kulturellen Seite dienen. Er hat sich hauptsächlich in Konstantinopel aufgehalten
und hat hier mit Snouck Hurgronje zusammen 4) die ersten denkwürdigen Zeiten der
türkischen Revolution mit erlebt. Von seinen Eindrücken, die er damals erhielt, hat er
später im Anschluß an Martin Hartmanns »Unpolitische Briefe aus der Türkei« in der
Frankfurter Zeitung 5) berichtet. Seine Hoffnung, in Konstantinopel alte Qoränhand-
schriften studieren zu können, hat sich nicht erfüllt. Doch hat er die allerdings für seine
Ausgabe wohl nicht sehr belangreiche Ibn Sa'd-Handschrift der Bibliothek Weli-eddln
Efend'i in Stambul eingesehen.
Die Herausgabe eines Teiles der Tabaqät des Ibn Sa'd war Schwallys nächste
größere Arbeit. Auf ihn war die Bearbeitung von Bd. II, 2 gefallen: »Letzte Krankheit,
Tod und Bestattung Muhammeds nebst Trauei'gedichten über ihn; Biographien der Kenner
des kanonischen Rechtes und des Korans, die zu Lebzeiten des Propheten und in der folgen-
den Generation in Medina gewirkt hatten.« Die Ausgabe erschien 1912. Er war für diese
Arbeit durch seine KLoränstudien besonders geeignet. Die Anmerkungen zeugen von seiner
guten Kenntnis und sorgfältigen Verarbeitung der Hadith-Literatur 6).
Im Frühjahr 1912 hat er seine letzte Orientreise unternommen. Sein Ziel war wieder-
um Ägypten. »Zwei Aufgaben, denen ich mich bis jetzt nur gelegentlich widmen konnte,
sind nunmehr erst in ihrer ganzen Wichtigkeit von mir erkannt worden: i. Die Aufnahme
') Diesem war er besonders in Konstantinopel persönlich nähergetreten.
') In der Sachau- Festschrift, Berlin 1915, S. 321 — -325 veröffentlichte Schwali.y
»Betrachtungen über die Ko)-ansanimlung des Abu Bekr«.
3) H. Zimmern in Leipzig, der Schwager Schwallys, hat das Werk durch die Presse
geführt, A. Fischer die Korrekturen mitgelesen. Den dritten Teil des Werkes, »Die
Lesarten des Qoräns« betreffend, hatte Schwally noch kaum ernstlich in Angriff genommen.
Für ihn ist in G. Bergsträsser ein Bearbeiter gewonnen, so daß das Werk wohl in einigen
Jahren vollständig vorliegen wird.
4) Vgl. Snouck Hurgronjes Studie »Jong-Tjirkije, Herinneringen tiit Stambol,
25. Juli bis 23. September 1908, in de Gids iQoq, Nr. i. Schwally war von Anfang August
bis Ende Oktober in Konstantinopel.
5) »Gedanken über die Zukunft der Türkei«, Nr. 133 vom 15. Mai 1910.
^) Von andern Publikationen Schwallys aus der Gießener Zeit kenne ich: Zum
arabischen Till Eulenspiegel, ZDMG. LVI 1902, 3.237!.; Planetennamen in Wolframs
Islitn X. l5
^ä2 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
der muhammedanischen Heiligengräber und des Kultus, der an ihnen geübt wird, 2. das
Studium der Sitten und Gebräuche von Beduinen und Fellachen«, so hatte Schwally
am Schlüsse seines Berichtes über seine zweite Reise an das Ministerium geschrieben, und
diese Worte geben wohl das Programm für seine diesmaligen Studien in Ägypten ab. Was er
von diesem Programm erreicht hat, hat er in seiner Arbeit »Beiträge zur Kenntnis des Lebens
der mohammedanischen Städter, Fellachen und Beduinen im heutigen Ägypten«, niedergelegt').
Zum I. April 1914 wurde Schwally als Nachfolger von Schulthess nach Königs-
berg berufen. Nicht ganz 5 Jahre hat er dort wirken können. Die Zeit ist, abgesehen von
seiner Lehrtätigkeit — er hat zeitweise auch türkische Kurse in Danzig abgehalten —
ausgefüllt gewesen mit Arbeiten an der Geschichte des Qoräns.
Ein Herzleiden hatte sich seit einiger Zeit bei ihm ausgebildet. Hervorgerufen durch
übermäßige Anstrengung des Herzens in früheren Jahren, durch vielleicht allzu eifriges
Schwimmen, Turnen, Reiten, Wandern, war das Leiden beschleunigt und verschlimmert
worden durch die Unterernährung während des Krieges. Dazu hat er, ein glühender Patriot,
unter dem Zusammenbruch des Vaterlandes seelisch sehr gelitten. Die letzte schwere
Leidenszeit — seit Anfang November, als das Leiden anfing, rapide Fortschritte zu machen,
fühlte er, daß es mit ihm zu Ende gehe — hat er mit großer Standliaftigkeit und Geduld
getragen. In der Nacht von 4. zum 5. Februar ist er dann nach fünfwöchentlichem sehr
schwerem Krankenlager am Herzschlag verschieden.
Zur Charakteristik seiner Persönlichkeit gebe ich seiner Gattin das Wort. Sie schreibt:
Mein Mann hatte Freude am Leben; seine liebste Erholung waren Fußwanderungen, deren
er in jeden Ferien mehrere unternahm. So hat er den Schwarzwald, die Vogesen, den
Vogelsberg, Taunus und die Rhön durchwandert — allein, den Rucksack auf dem Rücken.
Er hatte eine wahrhaft unverfälschte, tiefe und reine Freude an der Natur, an Wald und
Feld und Berg und Tal. Auch die Pflanzen und Blumen am Wege interessierten ihn. Vor
allem zog ihn immer das Studium des Volkes an. Die Dialekte, die örtlichen Eigentüm-
lichkeiten der Bevölkenmg interessierten ihn, und diese Beobachtungen schienen von
besonderem Reiz für ihn zu sein, ob es sich um Ägypten oder den Vogelsberg handelte.
Er übernachtete gewöhnlich in kleinen Dörfern, oft in den allerprimitivsten Wirtshäusern,
fuhr auch mit besonderer Vorliebe vierter Klasse. »So«, meinte er, »lernt man Land und
Leute am besten kennen.« . . In seinem ganzen Auftreten, auch in seiner Kleidung und
ganzen Lebensweise war er von größter Einfachheit und Schlichtheit. Er machte an Be-
quemlichkeit und Komfort des Lebens gar keine Ansprüche. Sonst hätte er auch schwer-
lich das Leben im Orient bei den Muhammedanern ertragen können, wo es Entbehrungen
und Unbequemlichkeiten mehr wie genug gab. Er war eine sehr lebhafte, ausgesprochene
Persönlichkeit und machte aus seiner Meinung kein Hehl.
Gießener Kollegen, die ihn näher kannten, haben mir alles dies bestätigt; sie rühmen
ihn als einen sehr zuverlässigen, aufrichtigen und wahrheitliebenden Menschen. Er hat
sich hier wie in Königsberg eine sehr geachtete Stellung erworben. P. Kahle.
Parzival, Zeitschr. f. deutsche Wortforschung III 1904, S. I40ff.; Noch einmal die Brief-
taube (interessante Ergänzungen zu einem Aufsatze von F. KLUGE-Freiburg) Frankf. Ztg.
Nr. 25 vom 26. Januar 1906. — Die einheimischen Juden Abessiniens (im Anschluß an
Jacques FaVtlovitch, Quer durch Abessinien, meine zweite Reise zu den Falaschas) Frankf.
Ztg. Nr. 41 vom 10. Februar 191 1. — Ein neues afrikanisches Semitenvolk} (Kritik von
M. Merker, Die Masai^ Ethnograph. Monographie eines ostafrikan. Semitenvolks, Berlm
1910) in Frankf. Ztg. Nr. 235 vom 25. August 1911.
') Vgl. hierüber das Referat Beckers im Islam IV 19 13, S. 210.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 243
Zu S. 156.
G. Bergsträsser und G. Levi Della Vida machen niicli auf den Übersetzungs-
fehler Zeile 30 ff, aufmerksam. Es muß natürlich heißen : Ein Dichter hat scherzhaft einen
schönen Knaben angegriffen, indem er sagt: »Als Chälid ging, war seine »Ware« 90 Dirhem,
und als er zurückkehrte, war sie nur noch ein Drittel davon«. Das ist eine feine Pointe
und ein verborgener obszöner Angriff, denn er sagt damit, daß der Genannte Chälid
»eng« ging und »weit« wiederkam.
G. Levi Della Vida schreibt ferner:
Eines der ältesten Zeugnisse über das arabische Fingerrechnen befindet sich m. VV.
in der Stelle Ibn Sa'd (f 230) III i, 5610— n. »Der berühmte Gefährte Muhammeds
Hudaifa b. al-Jamänl bildete bei der Meldung der Ermordung des Chalifen 'Otmän
(35 h.) einen Ring mit der Hand, wie man es zum Ausdruck der Zahl 10 zu tun pflegt,
und sagte darauf: ,So ist im Islam ein Riß gemacht worden, den kaum ein Berg aus-
zufüllen vermöchte I ' ') «.
Zur symbolischen Bedeutung der arithmetischen Fingerstellungen läßt sich noch eine
Stelle aus den Mcvzü'-ät cl-'ulüm des Tasköprüzäde i, 470 anführen. Von (dem
Koranlescr) Qälün wird erzählt: Er sagte: So oft ich bei Näfi' las, machte er die
Fingerstellung 30 und sagte zu mir qalon I qalon ! d. h. »gut! gut!« Der Verfasser
sagte : »Mit der Fingerstellung 30 ist gemeint, daß man die vier F'inger einschlägt und
den Daumen aufrichtet. Sie pflegen nämlich, wenn sie eine Handlung, die von einem
Menschen ausgeht, schön finden, diese Fingerstellung einzunehmen und mit dem Daumen
auf die Person hinzuweisen und so ihren Beifall auszudrücken.« Daß Näfi' die griechischen
Worte -/aXov xaXov braucht, erklärt sich angeblich daraus, daß der Urahne des (^älün ein
unter 'Omar kriegsgefangener Grieche war.
Zu S. 133,26. tuffäh weiwei sind offenbar Apfel des Wa([wäqbaumes (^^ > g >y)i
auf dem neben gewöhnlichen Früchten bekanntlich auch Tiere und Menschen wachsen.
H. Ritter.
Im IX. Bande S. 253 des Islam erschien eine i>Groß7uarddn eine selbständige
türkische Pi-ovinz«. betitelte kleinere Mitteilung Prof. G. Jacobs, in der festgestellt wird,
daß Ungarn unter der Türkenherrschaft in fünf und nicht in vier Verwaltungsbezirke
(ej'alet) geteilt war. (Der fünfte Verwaltungsbezirk war Nagyvarad (Großwardeinj. Diese
auf Grund Evlia Cselebi's schon länger vermutete Feststellung gelang Jacob mit Hilfe
einer türkischen Urkunde. Der richtigen Erkenntnis stand für Jacob lange Zeit hindurch
eine Bemerkung Salamon's {^Ungarn im Zeitalter der Türkenherrschaft S. 235) hindernd
im Wege, wo fünf Verwaltungsbezirke angeführt, aber als der fünfte der bosnische an-
gegeben erscheint. Der Verwaltungzbezirk Nagyvarad blieb hier unerwähnt.
Für die ungarische Geschichtsforschung ist die Anzahl der Ejalets schon lange
keine Streitfrage mehr. Durch das publizierte überaus reiche historische Material ist
Großwardein als fünfter Verwaltungsbezirk so allgemein bekannt, daß diese feststehende
historische Tatsache selbst in dem für die unteren Klassen der Mittelschulen heraus-
gegebenen historischen Handatlas von Kogutowicz Aufnahme finden konnte.
') »wÄsc lAäc c'*-'^. "^^^"^ 1 4^^3 iiÄX^ XäjiAp» jLs .jL^äc J.xä L^i
CJ-
Die Stelle ist jetzt in Caetanis Annali dell 'Islam 8,192 (35a. h.§ 93) übersetzt;
wo auch auf L. 'A. 11. 348,9—11 und auf Parallelstellen bei Buhärl verwiesen wird.
2AA Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Warum Nagyvärad bei Saiamon unter den Ejalcts nicht angeführt erscheint, ist
bei genauerem Zusehen leicht zu verstehen. Die Feststellungen Salamon's bezichen
sich auf den Anfang des 17. Jahrh., Nagyvärad ist aber erst 1660 von den Türken
erobert worden, folglich konnte Nagyvärad als fünfter Verwaltungsbezirk am Anfang des
17. Jahrhunderts nicht angeführt werden.
Schade, daß Herrn Prof, Jacob bei seinen ungarisch historischen Forschungen nicht
genügende ungarische Quellen zur Verfügung stehen. Wären ihm die Bände III, IV,
und V der in den 60 er Jahren erschienenen Türkisch-ungarischen Staats-Urkunden-
sammlung {Törökmagyar kort ällamokniänytdr) bekannt gewesen, so hätte er sich die
Mühe ersparen können, eine Frage zu lösen, die längst schon befriedigend beant-
wortet ist.
Budapest, 17. März 1920. Dr, Franz Zsinka.
Zur Futuwwa.
Hermann Thorning hat in seiner wertvollen Arbeit über das islamische Vereins-
wesen interessante Aufschlüsse über die muhammedanischen Ritter-(Futuwwa-)bünde
gegeben. Zwar behandelt er vornehmlich die in den Handwerkerzünften verbiederte
Form dieser Gesellschaften, doch ist das, was er, im wesentlichen nach einer Tübinger
Handschrift, über den alten, vom Zunftwesen noch weniger berührten Futuwwabund
mitteilt (S. 188 ff.), genug, um uns ein Bild von diesen in ihrer Form so merkwürdig an
unsere studentischen Korporationen erinnernden Gemeinschaftsbildungen zu geben.
In Ergänzung zu seinen Ausführungen sei hier auf den Abschnitt Futuwwa der
persischen Enzyklopädie Nafcfis e!-funüu fi masä^il el-'uj'ün des Amull (zwischen 735
und 742 d. H.) hingewiesen, dessen Inhalt uns gewisse wesentliche Charakterzüge dieser
Bünde verständlicher macht als die Auszüge aus der Tübinger Handschrift, deren Kenntnis
wir Thorning verdanken. Literarisch muß der Abschnitt bei ÄmulI übrigens irgendwie
mit Thornings Quelle zusammenhängen. Es handelt sich um Kapitel 6 bis 11 des Ab-
schnitts über Mystik (in meiner Handschrift Fol. 118 v. Z. 9 ff.). Der Inhalt der einzelnen
Kapitel soll im Folgenden dargestellt werden, doch aus Zweckmäßigkeitsgründen in einer
etwas andern Reihenfolge, als sie das Original bietet. Kapitel 6 und 9 seien als besonders
charakteristisch vorangestellt.
Kapitel 6 handelt über den Begründer der Futuwwa, Abraham, der deswegen der
Vater der »Ritter«, abu ^l-fitjän. genannt wird. Gott ist sein Freund und Pir. Abraham
ist es der die Mühen der Reise und der Wildnis, die Traurigkeit des Aufenthalts in der
Fremde neben der Lust der Liebe zu Gott gering und nichtig achtete, Vaterland und
Freundschaft um seinetwillen verließ und die Götzen zerstörte. Er ist der Begründer der
Sitte des Gastmahls und der geseUigen Vereinigung. Er erreichte in der Futuwwa eine
solche Höhe, daß er sich auf Gottes Geheiß selbst zur Schlachtung seines Sohnes Ismail
anschickte, und beseligt durch den bloßen Klang des Namens seines Freundes alles hingab,
was er besaß. — Abraham besaß in seinem Alter große Güter, so daß der Eizengel Gabriel
sich wunderte, wie er diesen Reichtum mit seiner Frömmigkeit vereinigen könnte. Da
sprach der Höchste zu ihm: »Mag er auch noch so viel Güter besitzen, sein Herz ist doch
bei mir- wenn du willst, so versuche ihn«. Da stieg Gabriel in der Gestalt eines Peri herab
zu Abraham und sprach mit schöner Stimme den Namen des Allerhöchsten aus: »Der
Hochgepriesene, der Heihge, der Herr der Engel und des Geistes!« Da ward Abraliam
er<^riffen, er kam hervor und sprach: »Mein Leben gebe ich hin für den Namen des Freundes,
»
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 245
sag es doch noch einmal!« Da sprach Gabriel: »Gib mir ein Drittel von allem, was du
hast, so will ich den Namen wiederholen«. Da schenkte ihm Abraham ein Drittel von aller
seiner Habe, und Gabriel sprach dieselben Worte noch einmal. Da ward die Ergriffenheit
Abrahams noch heißer, und er sagte: »Alles, was ich habe, sei dein, nur sage es noch
einmal!«
Der zweite »Ritter« ist Josef, dann folgen Muhammed und Ali, der qiißji juluiuwcl.
Von letzterem ging die Futuwwa auf seine Kinder und auf Sclmän und Safwäu über. Alles
das wird mit Koran, Hadit und Ätär belegt.
Kapitel 9 handelt von der Annahme der Futuwwa {der ahzi fiUimwct). Daraus sei
hervorgehoben die Legende von der Einsetzung der Bundeszeremonien durch den Pro-
pheten; die wohl als die eigentliche Gründungslegende des Bundes zu gelten hat. '
Als einst der Prophet mit einigen der Genossen zusammensaß. kam ein Mann und
berichtete, er habe eben in einem Hause einen Mann und eine Frau Unzucht treiben sehen,
er habe die Tür zugeschlossen und erwarte nun den Befehl des Propheten über die An-
gelegenheit. Mehrere Genossen bieten sich an, nach dem Rechten zu sehen, doch Mu-
hammed lehnt alle ab bis auf Ali. Dieser geht dann auch hin und öffnet die Tür, schließt
aber dabei die Augen zu und kehrt zurück mit der Meldung, er habe nichts gesehen.
Muhammed wußte aber durch sein prophetisches Wissen, wie Ali die Untersuchung geführt
hatte, und sprach zu ihm: »Du bist der Ritter dieser Gemeinde.« Darauf forderte er einen
Becher mit Wasser und etwas Salz, nahm von diesem eine Handvoll, schüttete es in den
Becher und sprach: »Das ist das Gesetz« (serVa), und nahm zum andern Male eine Handvoll
Salz, schüttete es wieder in den Becher und sprach: »Das ist die Wahrheit« {haq'iqa)^).
Dann gab er den Becher AH zum Trinken und sprach : »Du bist mein Freund {refiqi), mein
Freund ist Gabriel, und Gabriel ist der Freund Gottes«. Dann umgürtete er ihm die Hüften
und bekleidete ihn mit dem izär mit den Worten: »Ich habe dich vollendet, o Ali« (akmal-
luka) und befahl darauf Selmän, aus der Hand Alis zu trinken, dann hieß er den yadifa
el- Jemäni aus Selmäns Hand trinken. »Die heutigen Gebräuche des Umgürtens und
Hosenanziehens und Bechertrinkens gehen hierauf zurück.«
Könnte die Geschichte von Abraham isoliert noch als ein Ausdruck rein religiös-
mystischer Gedanken aufgefaßt werden, so betont die Gründungslegende noch eine be-
sondere Seite des Bundes: es handelt sich in ihr offenbar um die Darstellung der enthusi-
astischen Freundschaft. Abraham gibt für den bloßen Klang des Namens^ des ge-
liebten Freundes seine ganze Habe hin. Daß dieser Freund in diesem Falle Gott ist, bildet
ein Verbindungsglied zur Mystik; Ali aber ist der Vertreter eines Ideals, bei dem die un-
bedingte SoHdarität, das bedingungslose Eintreten für einen andern Menschen, auch wo
dieser mit seinen Handlungen gegen allgemeingültige sittliche Normen verstößt, gefordert
wird. Diese Antinomie zwischen allgemeingültigen Normen und der unbedingten liebenden
Bejahung des andern und der daraus abgeleiteten Pflicht des unbedingten Eintretens für
ihn ist abervon jeher als das eigenthche Problem der Freundschaft empfunden worden.
Dies Problem wird im Altertum z. B. von Theophrast diskutiert, vgl. Gustavus Heyl-
I3UT, De Theophrasti libris Tiepi cptXta?, Diss. Bonn 1876, nach ihm von Cicero im Laelius
Kap. II f., wo dieser die Frage natürlich in dem Sinne beantwortet, daß das Interesse
des Staates über aller Freundschaft stehen müsse. In späterer Zeit wird das Problem
z. B. von Montaigne in seinem Essay über die Freundschaft (I 27) behandelt. Dich-
terisch ist es z. B. bearbeitet worden von Carlo Gozzi im »Triumph der Freund-
schaftn, wo der Freund sich nicht scheut, ungesetzliche Mittel zur Befreiung des
') Über die Bedeutung dieser Ausdrücke s. Thouninc; a. a. 0.
2a6 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
gefallenen und mit Recht mit Strafe bedrohten Freundes anzuwenden, bis schließUch der
Vertreter des Gesetzes selbst sich für überwunden durch solche Treae erklärt usw. Auch
Shakespeares Stück: Die beiden Veroneser gehört hierher.
Nun ist da, wo diese Freundestreue gefordert wird, so auch in dem Futuwwabunde,
der ja die in der Legende verletzte Keuschheit als eines seiner Haupttugendideale aufstellt,
die Meinung offenbar nicht die, daß man das Allgemeingültige dem Freunde zuliebe preis-
geben solle. Die Antinomie wird vielmehr in der lebendigen Synthese gelöst. Es handelt
sich hier doch wohl um jene sitthche Einstellung zum andern: »Voraussetzung ist der
Glaube an den andern, daß ihm, und der Glaube an mich, daß mir das Suchen des All-
gemeinen entscheidend sei, aber nicht das Suchen eines Allgemeinen, das gleichsam
irgendwo als Formel auffindbar sei, sondern des Allgemeinen, das die individuelle Gestalt
des einzelnen in Entfaltung ist« (K. Jaspers, Psychologie der IVeltanschauungcn 1920,
S. 144 f.). Es ist der Gedanke der Freimaurerei in der Zauberflöte: »Und ist ein Mensch
gefallen, hilft Liebe ihm zur Pflicht«.
Diese enthusiastische Einstellung zwischen Männern und Jünglingen, die irgendwie
auch eine Beziehung zum erotischen Triebleben hat, scheint nun von je her eine bedeut-
same Rolle in allen jenen Bünden und Vereinen gespielt zu haben, in denen sich Männer
mit Männern und Jünglingen in der Form der Männerbünde ') zusammengeschlossen
haben. Dieser Gesichtspunkt ist neuerdings von Hans Blüher in dem Buche Die Rolle
der Erotik in der männlichen Gesellschaft (Jena 1917— 19) hervorgehoben worden.
Sicher geht Blüher zu weit, wenn er nun alle männliche GeseUigkeit auf diese erotischen
Triebe zurückführen will. Es gibt eben doch noch andere Triebrichtungen und Ein-
stellungen, die den Menschen zum Menschen treiben, aber daß jene leidenschaftliche
Einstellung, die zwar mit Erotik zusammenhängt, aber durch diesen Ausdruck in
dem engen Sinne, wie man ihn gemeinhin versteht, doch nicht erschöpfend charak-
terisiert wird, tatsächlich in den verschiedensten Graden und Abstufungen bei solchen
Gesellschaftsbildungen wie Ritterorden, studentischen Vereinen usw. normalerweise
wirksam ist, läßt sich, wie mir scheint, nicht bezweifeln -).
Es liegt nun in der Natur der Sache, daß auf der einen Seite diese »enthusiastische
Einstellung« die edelsten und geistigsten Formen annimmt, auf der andern Seite aber
leicht der Triebbeitrag stärker hervortreten kann, und die reine SinnHchkeit zur Herrschaft
kommt. Die Vorwürfe, die im Orient gegen die Futuwwabunde, im Abendlande z. B. gegen
manche Ritterorden erhoben worden sind, werden dem Sachverhalt häufig nahe ge-
kommen sein. Dieses Doppelgesicht der Liebe tritt ja auch in der Mystik deutlich
hervor (für den Orient vgl. dazu Goldziher in dieser Zeitschrift IX, 144 f.).
Den einzelnen Zeremonien wird eine bestimmte symboHsche Bedeutung beigelegt.
Der Trunk aus dem Becher ist ein Hinweis auf das »natürliche Wissen« (^ilmi fiir'i), denn
zu der »reinen Natur« (sefäi fitret) soll der Jüngling zurückkehren. Das Salz bedeutet
die Mäßigung oder Harmonie (^edäUt, iHidäl), denn ohne sie kommen die Tugenden nicht
zur Wirkung 3). Das Umgürten bedeutet die Tapferkeit und Selbstüberwindung, das
Anlegen des izär die Keuschheit und Bezwingung der Fleischeslust, die durch die Be-
deckung der Scham angedeutet wird.
1) Vgl. ScHURTZ, Altersklassen und Männerbünde.
2) Blühers Quellen heßen sich leicht vermehren. Über die Brüderhebe und das
Ritual des Aufnahmekusses z. B. der Freimaurer vgl. Wilhelm Begemann, Vorgeschichte
und Anfänge der Freimaurerei in England, Berhn 1909, Bd. \, S. 66, 122, 2^1 usf. und
Sarsena oder Der vollkommene Baumeister, 7. Aufl., Leipzig 1859, S. 91, 136, 142.
3) Dem Ursprung dieser Gedanken nachzugehen, ist hier nicht der Ort.
Kleine Mitteilungen und Anzeiget!. 247
Es wäre nicht unmöglich, daß auch bei diesen symbolischen Zeremonien, wie sie bei all
solchen Bünden stets beliebt gewesen sind (so in besonders reicher Ausgestaltung bei den
Freimaurern) eine Beziehung zur Erotik aufgedeckt werden könnte ^), doch sei das hier
dahingestellt.
Die Zeremonie des Anlegens des izär heißt tekmJl, Vollendung. Das Wissen ('ihn)
wird nach unserm Text bei den Bündlern na sar, die Praxis Qamal) qadem genannt. Die
Praxis der Futuwwatugenden wird aber hoch über das theoretische Wissen gestellt. Wer
nur nazar hat ohne qadem, wird gering geachtet, man nennt ihn sustqadem, »lax in der
Praxis«. Da nun die erste Tugend, die der »Ritter« üben muß, die Keuschheit ist und
diese Beziehung zu den »unteren Dingen« (asäfil) hat, ist das Ordenskleid der Ritter
der Schurz. Dem gegenüber ist der Sinn der Mystik das Fortschreiten in den Regionen
des Lichts, den »oberen Dingen«, darum tragen die Sufis als Ordensabzeichen die Mütze.
Bei den Mystikern ist es Sunna, das Haupt zu scheren, bei der Futuwwa aber nicht. Das
kommt daher, daß die Futuwwa aus dem Erwerben von Tugenden und Vorzügen {jaza'il
wemakärim) besteht und daher das »Vorhandensein« {ivngüd) und den Schmuck {zineL)
verlangt, die Mystik aber aus »Entfernung und Abtrennung« (Jegrid wetefrld) besteht und
daher das »Verschwinden« (fand) verlangt. Das Ende der Futuwwa ist somit der Anfang
der wüäjel, und sie ist ein Teil der Mystik {tasawwuf), wie die wüäjet ein Teil der nubuwwet.
Hier ist eine deutliche Trennung von und doch ein Verbundensein mit dem Sufitum aus-
gesprochen. Auf die enge Beziehung zum Sufitum weist mit Recht R. Hartmann ZDMG
LXXfl, 193 ff. hin. Wenn in diesen Zeilen die Aufmerksamkeit vornehmlich auf den
Charakter desFutuwwabundes als eines Freundschaftsbundes gelenkt wird, so muß man sich
doch bewußt bleiben, daß die Verschmelzung mit der Religion natürUch im Orient, wie
überhaupt auf primitiverer Stufe, besonders stark ist, so daß ein rein weltlicher Typ über-
haupt nicht zur Entfaltung kommt. Alle diese Dinge stehen in religiösem Lichte und
werden religiös gewertet. Die Scheidung weltlich-religiös ist ja modern. Es kam hier nur
darauf an, durch Beleuchtung der einen Seite das psychologische Verständnis dieser Bünde
zu fördern.
Kap. 10. Über die besonderen Ausdrücke (istilä^ät), deren sich die
»Ritter« bedienen.
Sowohl im Geheimbundwesen Afrikas sowie in der Freimaurerei und ähnlichen Ver-
einigungen finden wir eine besondere Nomenklatur technischer Ausdrücke, eine Art Geheim-
sprache. Die Form und die Organisation der Futuwwabünde weist eine merkwürdige Ähn-
lichkeit mit denen der deutschen studentischen Verbindungen auf. Ich hebe zur Ergänzung
von Thornings Ausführungen (a. a. O. S. ig5 ff.) einiges hervor, das gewiß als Ausdruck
der psychologischen Verwandtschaft dieser Bünde mit den studentischen Vereinsbildungen,
betrachtet werden darf.
Der »Leibbursch«, kebtr, wird auch pider, »Vater« genannt, der »Leibfux« piser,
»Sohn«. Andere Namen sind Seiti, muqaddam, qäid, »Familienpapst«, ab, ras el-kizb usw.
') Auf primitiver Stufe treten solche Dinge, z. B. bei den Prüfungen, denen die
Novizen in den Initiations- und Pubertätsriten unterworfen werden, mitunter kraß hervor.
Vgl. z. B. Josef Meier, Djer Glaube an den inal und den tutana vurakit bei den Eingeborenen
im Küstengebiet der Blanchebucht, Anthropos 1910, 95 ff., Alex Arnoux, Le ciilte de la
Societe Secrete des Imandwa au Ruanda, ib. 1912, 529 ff., 1913, iioff., 754 ff. Hierher
gehören auch manche Dinge aus dem studentischen Pennalismus. Vgl. hierzu die von
ScHULZE-SsYMANK, Das deutsche Siudententum, Leipzig 1910, zu At^schnitt 7 des ersten
Teiles zitierte Literatur. Über das ganze Problem vgl. auch Rfik, Die Pubertätsriten der
Wilden, in Probleme der Religionspsychologic, Leipzig und Wien 1919.
2^g Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Die Perser Sagen pisqadmi. zeHmi qaum heißt' der, dem sich alle unterordnen. Er hat
die.Pflicht, dauernd den Geist der Verbindung durch Ermahnungen und Ansprachen und.
Erwähnung der Futuwwatugenden und ihrer Grundsätze auf der Höhe zu halten. Das
entspräche also etwa dem ersten Chaiglerten, der die »Prinzippauken« zu halten hat.
refiqän, Freunde, sind zwei Personen, die zu demselben bait, derselben Untergruppe,
gehören. Auch diejenigen, die zu einem Leibburschen oder Leibgroßvater gehören,
nennt man so. Heute aber wird mit repq nur der Leibfux (piser) bezeichnet. Sie nennen
den Leibburschen sä/nb »Herr«, musäjü heißt der »Conleib«, d. h. der, der von demselben
Leibburschen den Becher getrunken hat. Man nennt diese auch 'adilän. Mit demselben
Namen bezeichnet man auch die, die denselben Leibgroßvater haben, also im Verhältnis
von Vetter zu Vetter zueinander stehen, derkes ') ist einer, der früher einmal die »Ritter-
schaft« besaß, »das ist aber jetzt anders geworden« -).
naqil (im Text steht taqbil) ist ursprünglich einer, der von einem Leibgroßvater oder
einem Leibburschen (zu einem andern) übergegangen ist. Heute bezeichnet man so einen,
der zu einem Dimittierten (bätiP) übergegangen ist.
wekÜ ist einer, dem der kebir (Bursch, Leibbursch) für eine bestimmte Handlung,
wie Umgürtung, Vollendung, Dimission, Gericht und dergleichen oder dauernd (mutlaq)
Vollmacht gegeben hat.
yiaqlb ist der, den der Präside {ze'-imi qaum) zur Besorgung der äußeren Angelegen-
heiten der fitjän ernennt; er ist der Vermittler zwischen ihnen in jeder Angelegenheit wie
ein «Dragoman« {bemesäbei tergumän). (Das entsprit-ht etwa dem dritten Chargierten.)
sedd ist die Umgürtung der Hüften zur Prüfung und Aufnahme in die Futuwwa, um den
Neuling zu erproben und dann zu »vollenden«. Diese »Vollendung« besteht in der Be-
kleidung mit den Hosen {seräunl) bzw. dem Schurz (isär) oder der Schmückung mit Waffen.
Sie kann vor oder nach dem sedd stattfinden (das klingt nicht sehr wahrscheinhch), wenn
der kebir den Fuxen würdig befindet, serb ist die Zuteilung zu einem Leibburschen,.
dem man dabei aus dem Salzwasserbecher zutrinkt. Der sedd würde also, wenn man den
Vergleich durchführen wollte, etwa der Rezeption, der serb der Leibburschenwahl, der
tekmll der Burschung entsprechen.
muhäzara ist die gesellige Vere".nigung zum Trunk, die »Kneipe«, a/t^ besteht darin,
daß der kebir dem Fuxen {sagtr) die Futuwwa wieder entzieht wegen eines Tadels, den er
an ihm gefunden hat. ramj ist die Ausweisung eines Fuxen wegen eines Tadels. Sie ist
ohne Gericht und Schuldbeweis unzulässig (Dimittierung). muhäkeme ist die Gerichts-
verhandlung über Streitigkeiten vor dem Präsiden oder einem von beiden Gegnern aner-
kannten Richter, 'at't, Tadel, Fehler, ist eine Übertretung, die entweder die Dimittierung
nach sich ziehen kann (kabä^ir) oder nur eine Herabsetzung zur Folge hat (saga'ir). ivaqf
ist das Verbot für einen Angeklagten, an der geselHgen Vereinigung mu/iäzara teilzu-
nehmen, bis seine Schuld oder Unschuld erwiesen ist. Dieses Gerichts- und Strafwesen
hat sowohl bei den studentischen Korporationen wie bei dem Freimaurerwesen seine
Parallelen.
dahr (?) besteht darin, daß der Leibbursch seinen Leibfuxen einem andern Burschen
schenkt.
Kap. 7 handelt von dem Ehrenrang (seref) und den Vorzügen (faztlel) der Fu-
tuwwa, dem Ziel ihres Nutzens (gäjeti menfe'et), ihren Grundlagen (mabä)n weusül)
und ihrer Vollkommenheit [kemäl).
•) So wohl auch bei Thorning 203 statt dejis zu lesen.
^) ? Nicht ganz sicher.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 24Q
Der Rang einer Wissenschaft richtet sich nach dem ihres Gegenstandes. Der Gegen-
stand der Futuwwa aber ist die menschliche Seele, die, solange sie bei ihrer natürlichen
Reinheit bleibt (ivaqtiki her sefäi fifreti his mände häsed) '), das höchste aller Geschöpfe ist.
Ihr Nutzen aber besteht in der ewigen Seligkeit, der Nähe Gottes und dem guten Rufe,
die die guten Eigenschaften, aus denen die Futuwwa eigentlich besteht, ihrem Träger
einbringen, ferner darin, daß der}»Ritter'< stets fröhlichen Gemüts ist, daß er mitfühlt
mit den Geschöpfen Gottes und ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht wie etwas Selbst-
verständliches (ht tehelluf). Und wie er selbst nach der Erreichung der Vollkommenheit
strebt, so hilft er auch den Freunden in diesem Streben weiter.
Es folgen dann mehrere Tugendkataloge. Die Grundlage der Futuwwa beruht auf
sechs Eigenschaften, die schon Ali festgesetzte hat: Treue, Redlichkeit, Freigebigkeit,
Demut, gutmeinender Rat 2), Rechtleitung, Reue. Daneben wird eine Reihe von vier
Tugenden aufgestellt: Keuschheit, Tapferkeit, Wei.sheit und Mäßigung. Bedeutung und
Rangordnung dieser Tugenden wird ausführlich dargelegt.
Kap. 8 handelt über die Vorbedingungen der Futuwwa (der sara'ili isti^-
dädi futmowet).
Sieben Eigenschaften sind zur Aufnahme in den Futuwwabund erforderlich:
I. Das männliche Geschlecht. 2-/3. Volljährigkeit und Vollbesitz der
geistigen Kräfte (beides ofTenbar aus dem Fiqh übernommen). 4. Frömmigkeit.
c. Körperliche Gesundheit und ebenmäßige äußere Erscheinung, da ab-
schreckende Häßlichkeit sich mit der Tugend (fazllet) nicht verträgt (das griechische
xaXoc xc<Y0t5fo?-Ideal ist in diesem Zusammenhang besonders charakteristisch). Es folgt
eine Aufzählung körperlicher Gebrechen, die die Aufnahme in den Bund unmöglich machen.
6. Muruwwet. Diese vieldeutige Eigenschaft wird hier als das Befreitsein der reinen
"N ztur (fiiref) von allen animalischen und körperhchen Beimischungen erklärt. 7. Scham-
haftigkeit.
Kap. II. Über die besonderen Eigenschaf ten der )>RitteT« (de r hasä^isi
fitjän). Dieses Kapitel ergibt gegenübei dem von Thorning angeführten nichts wesent-
lich Neues. Es werden alle möghchen Tugenden als spezielle Futuwwa eigenschaf ten auf-
geführt. Charakteiistisch ist das treue Festhalten am Bund und das strenge Hüten des
Geheimnisses, das uhter Umständen mit Schlägen und Züchtigungen erzwungen wird.
■ Es ist das das Mittel, »Verleumdung und Anfeindung durch' die Toren« zu verhindern zur
»Bewahrung der Ehre«. Geheimnistuerei, als Schutzmaßnahme begründet, scheint eine
charakteristische Eigenschaft aller Männerbünde zu sein.
Mitleid und Hilfe wird für die Armen und Schwachen der Gläubigen, Härte gegen
die Ungläubigen gefordert.
Hervorgehoben wiid auch die Tugend, dem Feinde zu vergeben und Unrecht mit
Wohltat zu vergelten.
Die sittlichen Ideale der Charitas, die Erweiterung der Freundes- bzw. »Brüder«liebe
zur allgemeinen Menschenliebe, das Sich-gegenseitig-weiterhelfen zur Vollkommenheit, die
Vergebung für den Feind erinnern teils an die europäischen Ritterorden, teils an
freimaurerische Ideen. Vgl. z. B. die schon oben genannte Arie des Sarastro aus der von
Emanuel Schikaneder für seinen Logenbruder Mozart gedichteten Oper: Die Zauber-
flöte, »In diesen heiigen Hallen« usw. Das zugrundeliegende Erlebnis ist deutlich: Der
liebende Mensch fühlt bei aller Konzentrierung seiner Liebe auf die geliebte Person überall
*) s. 0. S. 246.
*) nasi/iet.
Islam X. 17
250
Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
seine Liebe wachsen, Welt und Menschen leuchten ihm überall auf (Jaspers, a. a. 0.
S. 115). So kann jene Stimmung entstehen, in der der jatä »stets fröhlichen Gemütes ist
und nutfühlt mit den Geschöpfen Gottes und ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht wie
etwas Selbstverständliches« (s. 0. S. 10). Natürlich soll nicht geleugnet werden, daß bei
dem mystisch beeinflußten Futuwwabund auch hier die rehgiöse Einstellung von wesent-
licher Bedeutung sein kann, aber wer vermöchte da zu scheiden?
Daß fututvwa geradezu Freundschaft, Freundestreue bedeuten kann, scheint mir
auch aus der von Goldziher ZDMG 69, 203 Z. 25 behandelten Stelle aus Ibn Hazms
Tauq el-hamäma hervorzugehen. Aus dem Zusammenhang ergibt sich deutlich, daß
Ibn Hazm den Wert seiner Freundschaft zu dem Adressaten seiner 7-isäla hervorheben
will. »Wer keine Freundschaft halten kann, wird auch nicht fromm sein können«
(Korrekturzusatz). H. Ritter.
AUTORENVERZEICHNIS.
Die kursiven Zahlen bedeuten, daß der betreffende Autor an dieser Stelle als Mitarbeiter
erscheint.
Babinger 134 — 146, 157 bis Jacob 243 — 244
160.
Becker 228—238.
Brass / — 7J.
■Clemen ibi — iTy.
Hartmann 228 — 233.
Hess T4 — 86.
Huart 150—153.
Jensen 146 — 150.
Kahle 238 — 242.
Karabacek 233 — 238.
Littmann //<? — 22-j.
Mordtmann /j/ — löo.
Ritter 120—133, 134—136,
243, 244—230.
Ruska 8^ — iig, 154 — 156.
Schwally 238 — 242.
Schwarz 130 — 133.
Seybold /J7.
Thorning 244 — 250.
Zsinka 243 — 244.
t
DER ISLAM
ZEITSCHRIFT
FÜR GESCHICHTE UND KULTUR
DES ISLAMISCHEN ORIENTS
HERAUSGEGEBEN VON
C. H. BECKER in BERLIN
UND /
H. RITTER IN HAMBURG "*'
MIT UNTERSTÜTZUNG DER
HAMBURGISCHEN WISSEN-
SCHAFTLICHEN STIFTUNG
«>
\
I ELFTER BAND Tj
.s^
MIT 2 KARTEN ^L ^ . ^
BERLIN W. 10 UND LEIPZIG 1921
VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER VERLEGER
WALTER DE GRUYTER & Co.
VORMALS G.J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG - j. GUTTENTAG, VERLAGS-
BUCHHANDLUNG GEORG REIMER — KARL J. TRÜBNER - VEIT & COMP.
HAMBURG: C. BOYSEN
Inhalt des elften Bandes.
I. Aufsätze und Berichte:
Seite
Babinger, f., Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simaw i
GoLDZiHER, I., Zwischen den Augen 175
Herzfeld, E., Khorasan. Denkmalsgeographische Studien zur Kulturgeschichte des
Islam in Iran. (Mit 2 Karten) 107
Ritter, H., Aserbeidschanische Texte zur nordpersischen Volkskunde 181
WiEDEMANN, E. und Hauser, f., Über eine PalasttUre und Schlösser nach al-(iazari.
Mit 37 Abbildungen im Text 213
IL Kleine Mitteilungen und Anzeigen:
Goldziher, I,, Verhältnis des Bäb zu früheren Süfi-Lehrern 252
Heepe, M., Eine Parallele zu der islamischen Zwischenheirat 265
HoROViTZ, J., Andrae, Tor, Die Person Muhammeds in Lehre und Glauben seiner
Gemeinde. Stockholm 1918. VI u. 401 S 277
— — Noch einmal die Herkunft des Isnad 264
Jacob, G., Teschebbüs-i-schachsi, muharriri Tahir el-Mewlewi, Istambol 1330 (221 S.) 259
— — Türkische Sittenpolizei im 16. Jahrhundert 254
Nöldeke, Th., Siddiqi, A., M. A., Dr. phil., Studien über die persischen Fremd-
wörter im klassischen Arabisch. Göttingen 1919, 118 S., 8° 267
Strothmann, R., Cornelis van Arendonk, De opkomst van het zaidietische Imamaat
in Vemen. Leiden, Boekhandel en Drukkerij vorheen E. J. Brill, 19 19, XVI
u. 348 S 270
Taeschner, f., Darstellungen aus »Leila und Madschnun« unter den Zeichnungen
Riza Abbasis 266
Wensinck, A. J., Arabische Traditionssammlungen 283
III. Autorenverzeichnis. 284
Schejch Bedr ed-dm, der Sohn des Richters
von Simäw.
Ein Beitrag zur Geschichte des Sektenwesens im altosmanischen Reich.
\'on
Franz Babinger.
Inhalt:
Vorwort i Zusammenfassung 55
Das osmanische Reich um 1400 4 Bedr ed-dln's Lehre 64
Schejch Bedr ed-din's Leben 19 Bedr ed-dm und die Safawijja 78
Die osmanischen Berichte 26 Die kleinasiatischen Sektenbildungen
a) Anonymus Giese 28 (Qizilbaschen, Tahtadschis usw.) . . 91
b) 'Äschiqpaschazäde 35 Anhang: : .
c) NcschrT 38 a) Die silsila des Schejchs Bedr
d) IdrTs 42 ed-dln 102
e) Lutfl 49 b) Schejch Bedr ed-dln als Schrift-
Der Bericht des Dukas 52 steller 105
VORWORT.
Den Anstoß zu vorliegender Abhandlung gab eine Anregung
Carl Brockelmann's, der mir empfahl, einmal den »Stylariern«
meine Aufmerksamkeit zuzuwenden, nachdem mir schon einige
Wochen früher Richard Hartmann geraten hatte, »die Derwisch-
aufstände in Kleinasien auf ihre vermutlich wirtschaftlichen Grund-
lagen« zu untersuchen. Je mehr ich mich mit dem Gegenstand be-
schäftigte, desto klarer wurde mir, daß eine Darstellung der ge stigen
Bewegungen im osmanischen Reiche zu den dringlichsten Aufgaben
für einen Geschichtschreiber gehörte, der jenem Volk seine Teilnahme
zuwendet und der seine gewaltige Geschichte als etwas anderes be-
trachtet denn eine »Historia derer Potentatum«, die lediglich in
»Kriegs- und Friedensläuften« aufzugehen habe. Josef v. Hammer,
bis heute der einzige wirkhche Bearbeiter osmanischer Reichs-
geschichte, stak noch zu sehr in der Befangenheit und im Geiste der
türkischen Quellen, ganz abgesehen davon, daß die geschichtliche Ar-
beitsweise seiner Zeit noch nicht die Forderung stellte, über die Motiv-
Islam XI. I
Franz Babinger,
reihen des Pragmatismus hinaus höhere Formen der Zusammen-
fassung geschichthcher Vorgänge aufzusuchen. Wenigstens nicht für
die Geschichte des Morgenlandes, wo überhaupt erst die Quellen müh-
sam erschlossen werden mußten, ehe man die Geschichtschreibung
zu hohen Formen der Auffassung und der künstlerischen Darstellung
entwickeln konnte. Es ist eine auffallende, aber gewiß erklärliche
Erscheinung, daß die mächtigen geistigen Strömungen, die im osma-
nischen Reiche Jahrhunderte hindurch Gärungsstoffe schufen, in der
Geschichte des Islams so gut wie unberücksichtigt geblieben sind.
Ganz gewiß zu Unrecht. Erst die Arbeiten Georg Jacob's über die
»Bektaschijje und venvandte Erscheinungen << haben die Aufmerksamkeit
auf diese Gebiete etwas gelenkt, ohne bis heute übrigens zu einer
zusammenfassenden Darstellung anzuregen. Die vorliegende Studie
soll gleichsam einen Baustein hierzu liefern und zeigen, ein wie dank-
bares Feld sich hier dem Religionsgeschichtler eröffnet. Ich habe
des öfteren von dem bei morgenländischen Geschichtschrcibern so
beliebten istiträd Gebrauch gemacht, in der Annahme, damit keinen
unnötigen Ballast übernommen zu haben.
Mannigfache Förderung verdanke ich vor allem J. H. Mordt-
MANN (Schaffhausen) und F. Giese (Breslau). Jener hat mir frei-
gebig aus dem reichen Schatz seiner Kenntnis der osmanischen
Kulturgeschichte mitgeteilt, dieser hatte die vorbildliche wissenschaft-
liche Selbstlosigkeit, mir das Ergebnis einer jahrzehntelangen müh-
seligen Forschung mit der Erlaubnis zur Verfügung zu stellen, davon
vor der Drucklegung der eigenen Arbeit Gebrauch machen zu dürfen.
F. Giese hat mir auch bereitwilligst eine Abschrift des betreffenden
Abschnittes aus dem Werk des osmanischen Anonymus gefertigt,
dessen Herausgabe ihn seit Jahren beschäftigt und von dessen hoffent-
lich baldiger Veröffentlichung die osmanische Geschichtsforschung
die belangreichsten Ergebnisse erwarten darf. Schließlich gedenke
ich dankbaren Sinnes brieflicher Mitteilungen vor allem Ignaz Gold-
zmER's, der mir über manchen strittigen Punkt freundlichen Auf-
schluß erteilte. Was ich seinen islamkundlichen Arbeiten, vor allem
seinen wahrhaft klassischen »Vorlesungen über den Islam« gerade in
vorliegender Abhandlung zu danken habe, ist leicht erkennbar. Ohne
sie wären wohl auch diese Seiten kaum zu dem geworden, als was
ich sie vielleicht betrachten darf: als eine bescheidene Vorarbeit zu
weiteren Untersuchungen auf einem Feld der Islamforschung, das mir
reichsten Ertrag zu versprechen scheint.
In der vorliegenden Darstellung kam es mir ausschließlich darauf
an, die geschichtlichen Fäden einer merkwürdigen Bewegung auf-
Schejch Bedr ed-dln, der Sohn des Richters von Simäw. o
zuzeigen. Deren psychologische Voraussetzungen und Grundlagen
klarzulegen, lag um so weniger im Plane dieser Arbeit, als die seelischen
Zustände der Träger dieser Bewegung, von persischen Gedanken er-
griffener kleinasiatischer Osmanen, zunächst wenigstens unerf aßt bleiben.
Immerhin: Lehren und Vorstellungen sind in Glaubenssachen nicht
das Ursprüngliche, sondern ein Erleben ganz anderer Art. Eine Über-
tragung und Anwendung vorzugsweise auf die islamischen Sekten-
bildungen und Gilden etwa gewisser Aufstellungen, wie sie in Heinrich
ScHURTz' (f 1903) grundlegendem soziologischem Werk »Altersklassen
und Männerhündea (Berlin, 1902)1) und in Hans Blüher's bedeut-
samem Buche »Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesell-
Schaft« (Jena 1919), zumal im zweiten, »Familie und Männerbund«
behandelnden Teil des Werkes (vgl. dazu desselben Verfassers kleinere
Schrift »Familie und Männerhund«, Leipzig 191 9) enthalten sind,
müßte m. E. zu überraschenden Ergebnissen und Aufhellungen führen.
Schon in früheren Darstellungen, vor allem in den Studien R. A.
Nicholson's u. a., schimmert eine Ahnung davon durch, was gött-
liche Verehrung eirfes Meisters bedeutet. So ist es sicherlich weder
die bequeme Lehre des Sefewiden Ismä*Il noch seine gutmütige Dick-
leibigkeit gewesen, was jene gewaltige Glaubensbewegung hervorrief
und ihr solch unheimliche Trieb- und Werbekraft verlieh. Daß diese
abgöttische Verehrung des lebendigen Meisters leicht an die Imäm-
Schwärmerei der Schi'a anknüpfen konnte, ergibt sich ohne weiteres.
Jedem aufmerksamen Leser etwa der persischen (vgl. z. B. Cl. Huart's
Übersetzung der Manäqih al-'-ärijin (= Käschif al-asrär wa maßa'- al-
anwär) des Schems ed-din Ahmed Efläkl »Les Saints des Der-
viches Tourneurs«, LBd., Paris 1918) oder osmanischen Lebensbeschrei-
bungen (vgl. etwa das von Rud. Tschudi hrsgg. Wiläjetnäme des
Hädschim Sultan im 17, Bande der Türk. Bibliothek (Berlin
1914) jener sog. mystischen Schejche drängt sich diese Wahr-
nehmung von selbst auf. Und es ist, woran mich Hellmut Ritter
erinnert, gewiß kein Zufall, wenn Liebeslieder des Häfiz von den
Mewlewl einfach auf den Ordens- Schejch bezogen werden. Der *A1I-
oder Husejn-Kult aber leitet zwanglos und unmittelbar auf das
Süfitum über. Daher ist der Zusammenhang des Derwisch-
wesens mit der Schi'a in keiner Weise etwa zufällig,
sondern hat seine notwendigen seelischen Gründe. Unter derlei Ge-
sichtspunkten gesehen, liefert gerade die hier geschilderte Bewegung
lehrreiche und schlagende Belege. Der seltsame Schmerzensruf »Komm,
') Vgl. dazu seinen nachgelassenen Aufsatz i'>Die Janitscharem in den PJB. 112. Bd.,
Berh'n 1903, .S. 450 — 479, zumal S. 455-456,
i PrahzBabihofer,
Väterchen Sultan !« ist psychologisch betrachtet zweifellos dasselbe,
wie wenn etwa die Hungernden brüllen: »Veni, Domine Jesu, veni !«
(vgl. das zpyoo, v.opu Ir^aou am Schlüsse der Offenbarung Johannis),
nur daß sich hier die \'erehrung dem lebenden Meister und selbst-
redend dessen nach dem Abscheiden fortlebender Gestalt zuwendet.
Und auch die Leugnung des Todes ist natürlich wiederum aus solchen
religiösen »W'unschmotiven« erwachsen. Mit diesen wenigen Andeu-
tungen mag es sein Bewenden haben. Ich schließe in der Hoffnung,
hiermit einen bescheidenen Beitrag zur Geschichte des vielgestaltigen
und in seinem Wesen noch lange nicht geklärten islamischen Sekten-
wesens geliefert zu haben und Mitforscher zu Sonderuntersuchungen
im angedeuteten Sinn anzuregen.
Würzburg, am 8. November 1919.
DAS OSxMANISCHE REICH UM 1400.
Es ist eine für die europäische Turkologie beschämende Fest-
stellung, daß sie uns bis heute noch eine Ausgabe der ältesten os-
manischen Dichter und Geschichtschreiber schuldig geblieben ist. Das
»Wunderbuch« (gharib-iiäme) des alten geheimsinnigen 'Aschiq-
pascha (1271 — 1322), das uns doch in einer stattlichen Reihe guter
Handschriften (davon allein fünf in Deutschland und Österreich)
überliefert vorliegt, ist bis heute noch ungedruckt; und für das
Verständnis und. die Beurteilung der älteren osmanischen Reichs -
geschichte unerläßliche Quellen, wie der »Weltenspiegel« [dschihän-
numä) des Mehmed Neschri sowie die »Geschichte des Stammes
Osman« [fa'rik-i äl-i ^Osinän) des Muhji ed-din Dschemäli harren
noch ihres Erschließers. Wenn man von Th. Nöldeke's vor sechs
Jahrzehnten besorgter Teilausgabe (ZDMG, 13. u. 15. Bd., 1859,
1861) absieht, sind wir für beide Werke bis jetzt auf die mehr als
400 Jahre zurückliegende, freilich brauchbare Überarbeitung^)
des wackeren Westfalen Löwenklau angewiesen, die darum trotz-
dem nicht den Anforderungen neuzeitlicher Geschichtsforschung
mehr zu genügen vermag. Was wir von der Türkei selbst zu erwarten
haben, wenn wir hier auf ihre Unterstützung bauen, hat mit unange-
nehmer Deutlichkeit die von dem Hilfsbuchwart am Kaiserlichen
Museum zu Stambul, 'Ali Bei, veranstaltete Ausgabe des (ieschichts-
') In den f>Annalt's<i des Löwenklac liegt, wie J. H. Mordtmann erwiesen hat.
die abgekürzte Fassung des Muhjl ed-dln Dschemäli vor, während die Historiae teils
eine andere, vollständigere Gestalt des Muhjl ed-dln (cod. Verantianus), teils Neschri
und 'Aschiqpaschazädc (cod. HaniwaMianus) wiedergeben.
Schcjch licdr cd-diu, der Sohn des Riclilcrs von Siniäw. c
Werkes des biederen Derwisch 'Äschiqpaschazäde gezeigt, die,
von gröbsten Fehlern und Verstößen wimmelnd, einer eitlen und
selbstgefälligen Vorstellung zuliebe, sich auf eine Handschrift stützt,
die an letzter Stelle hätte als Grundlage genommen werden dürfen.
Man vermißt hier so sehr die Beobachtung der einfachsten Regeln-
wissenschaftlichen Ausgabeverfahrens, daß man nach dieser völlig
mißlungenen Probe der von Stambul seit Jahren drohenden Ver-
öffentlichung des Neschrl nur mit sehr gemischten Gefühlen ent-
gegensehen darf^).
Solange aber solche notwendige \'orarbeiten mangeln, wird es
unmöglich sein, sich ein klareres und schärfer umrissenes Bild der
geschichtlichen Vorgänge im osmanischen Reiche zu machen, wo noch
so manches Ereignis, in falscher, entstellter oder einseitiger Gestalt
überliefert, dringend der Berichtigung und Ergänzung bedarf. Es
hieße die Zuverlässigkeit der alten osmanischen Geschichtsquellcn
überschätzen, wollte man auf ihnen allein das Gebäude einer geschicht-
lichen Darstellung des yorsellmischen Zeitalters errichten. So sehr
Neschri und Muhji ed-din vor allen andern vielleicht durch die
schmucklose, kindlich-treuherzige Art ihrer Berichterstattung ange-
nehm berühren, so sehr sind sie gewiß dabei von dem Bestreben ge-
leitet, in ihren Jahrbüchern nichts zu vermelden, was dem Ansehen
und der Größe des muslimischen Glaubens und des angestammten
Herrscherhauses abträglich werden könnte. Diese parteiliche Haltung
kommt dann in der osmanischen Geschichtschreibung offen und
unverkennbar zum Ausdruck, wo es sich um einen amtlichen, vom
Sultan bestellten Reichsgeschichtschreiber handelt, der die bedenk-
liche und oft lebensgefährliche Aufgabe zugewiesen erhielt, die Helden-
taten des osmanischen Hauses in möglichst glühenden Farben der
staunenden Nachwelt zu überliefern. Bekennt doch der erste Reichs-
historiker [waq^anüwisy-), der persisch schreibende Mewlänä Hekim
ed-din Idris (st. 926/1520) in der Einleitung zu seinen »Acht Para-
diesen« {hescht behischt) ganz unverhohlen, daß er bei der Abfassung
dieses Buches sich zum Leitsatz gemacht habe, mit Verschweigung
aller unlöblichen hur die für die Herrscherfamilie rühmlichen Taten
zu erzählen (vgl. J. v. Hammer, Geschichte des osmaii. Reiches I, 66).
Das ist der Grundzug in der Darstellung aller osmanischen amt-
«) Vgl. Milll tetebbü'-ler medschinfi\isi\ II. Bd., S. 171 — 190 (Stambul 1331/1915),
daüu M. Hartm.-vnn in Der Islam, VIII (191S), S. 325 — 326.
-) somit wäre z. B. Silzmigsber. der K. Bayer. Akad der Wiss., phil.-hisl. Kl. XXI\'.
. Band, (München 1909) G. Jacob's Ansicht in seiner »Bektaschi/j'e«, S. 9, Anm. 5 zu be-
richtigen. Vgl. dagegen sciion J. v. H.\.mmlk, GdOR, IX, S. XXI, Anm. a,
f. Franz Fl aljinger,
liehen Geschichtschreiber bis herauf in die neueste Zeit. So erwüchse
gewiß über viele Begebenheiten ein völlig entstelltes Bild, wenn uns
darüber nicht auch europäische Quellen Hilfe böten, Quellen, die seit
dem i6. Jahrhundert glücklicherweise in einer reichen Fülle fließen,
• der für die frühere Zeit eine leider nicht immer ausgiebige Bestätigung
und Ergänzung der von den einheimischen Historikern überlieferten
Vorkommnisse gegenübersteht. Zumal die byzantinischen Bericht-
erstatter, die uns vor allem mit ihren Angaben über die Ereignisse
des 15. Jahrhunderts zustatten kommen, liefern eine hocherwünschte
Fundgrube für die Kenntnis der damaligen Verhältnisse. Und Schrift-
steller wie Kritobulos, der mit einer höchstens für die Gegenwart
nicht mehr verblüffenden Dehnbarkeit vaterländischen Empfindens
und Gewissens sich und seine Feder ohne Zögern und Scham in den
Dienst der osmanischen Eroberer stellte i), bedeuten glücklicherweise
eine Einzelerscheinung. So muß das Werk des Johannes Dukas,
dessen Wahrheitshebe und geschichtliche Treue mit Recht über allem
Zweifel erhaben ist 2), als eine der wertvollsten Ergänzungen zu den
osmanischen Quellen betrachtet werden, der wir heute nicht mehr
entraten könnten. Dazu tritt noch ein Umstand, der für die über-
ragende Bedeutung der byzantinischen Geschichtswerke für die Ge-
schehnisse jener Tage ins Gewicht fällt: die an den leuchtenden Vor-
bildern des griechischen Altertums geläuterte und geschulte sachliche
Geschichtsauffassung. Wenn es beim Verständnis einer Zeit darauf
ankommt, sich vor allem über den Geist und die Mittel klar zu werden,
in denen das Geschlecht auf die Einzelperson wirkte, so wird dieses
Ziel nur sehr unvollkommen durch die Erschließung lediglich der osma-
nischen Quellen erreicht, bei denen die eigene Meinung um sa mehr
zurücktritt, in je größerer Abhängigkeit der Schreiber von den Per-
sonen steht, deren Wirken zu schildern er sich zum Vorw^urf genommen.
Freihch wird man, was gerade für das 15. Jahrhundert von höchstem
Belang wäre, die Einbeziehung etwa wirtschaftlicher Grundlagen in
die Geschichtsbetrachtung auch bei den Byzantinern vergebhch
suchen. Immerhin ist man durch die verschiedenen, voneinander
unabhängigen Berichte der byzantinischen Quellen" in die angenehme
Lage versetzt, aus der besonders in bezug auf gleichzeitige Ereignisse
meist übereinstimmenden Darstellung den Schluß auf die Richtigkeit der
Angaben zu wagen. Es muß dann der Anwendung neuzeitlicher For-
1) Vgl. K. Krumbacher, Geschichte der byzant. Literatur, 2. Aufl., München 1897,
S. 306.
2) Vgl. Jules Berger de Xivrey im XIX. Bd. der Memoires de V Institut de France,
Academie des Inscriptions et Beiles Lettres. S. 21.
Schejch Bcdi ed-dln, der Solm des Richters von Simäw. .7
schungsgrundsätze vorbehalten bleiben, daraus für die Geschichts-
auffassung im modernen Sinn das Brauchbare und Wichtige von dem
Unglaubwürdigen und überflüssigen Beiwerk reinlich zu sondern.
Zum Unterschied von der Selbständigkeit der byzantinischen tragen
für jene Zeiten die osmanischen Berichte das Merkmal auffallender
Abhängigkeit voneinander, ein Umstand, dem in der Hauptsache
Idris die Seltenheit seiner handschriftlichen Überheferung zuzu-
schreiben haben dürfte. Durch rednerischen Schmuck in einer hin
und wieder bis zur Unverständlichkeit des Textes führenden Form
gekennzeichnet, hat er, was die Schilderung nackter Tatsachen an-
langt, späteren Darstellungen weichen müssen. Diese bloßen Tatsachen
wurden von seinen Nachschreibern, wie etwa *Ä1I, Lutfi Pascha, vor
allen Sa*d ed-din und Solaqzäde, ausgeschrieben und der Wort-
schwulst allein reichte nicht hin, eine mehrmahge Vervielfältigung
seines Werkes zu rechtfertigen. Daraus erklärt sich die auffallende
Seltenheit von Abschriften des persischen Werkes, dessen türkiscfier
Übersetzer nicht einmal dem Namen nach bekannt geworden ist^).
So dankbar nun die schon wegen der Quellenkritik lohnende Auf-
gabe wäre, einmal die Abhängigkeit der osmanischen Geschichts-
quellen untereinander aufzuzeigen, so unmöglich bleibt ein solches
Unternehmen bis zur Veröffenthchung kritischer Textausgaben. Heute
kann höchstens an Einzelbeispielen anschaulich und lehrreich erhärtet
werden, wieweit sich diese gegenseitigen Beziehungen erstrecken. Eine
solche Beweisführung allein verlohnte vielleicht die Mühen einer
Untersuchung, wenn nicht dabei zu ihrer Rechtfertigung und Empfeh-
lung die Gewißheit beitrüge, dadurch für die bisherige Kenntnis
mancher geschichtlicher Vorgänge obendrein belangvolle Ergänzungen
und Feststellungen zu gewinnen. So mußte es mir als eine dankbare
Aufgabe erscheinen, gerade jetzt jenen merkwürdigen Gesellschafts-
bewegungen Aufmerksamkeit zuzuwenden, die im ersten Viertel des
15. Jahrhunderts in Kleinasien das Gefüge der jungen, kaum ge-
festigten osmanischen Herrschaft zu erschüttern drohten und die mit
ihren Bestrebungen eine in mehr als einer Hinsicht auffallende Über-
einstimmung mit Erscheinungen der Gegenwart zeigen, wo sich Wand-
lungen des öffentlichen Fühlens und Wollens vollziehen, die gänzlich
aus dem Rahmen geradliniger Entwicklung herausfallen. Einer
Hoffnung wird man sich dabei freilich entschlagen müssen, die tieferen
Gründe aufzudecken, die den Boden für eine solche Bewegung schufen.
I) Vgl. JA. IV. Bd. (1824), S. 35, Anm.; J. v. Hammer, Gesch. des osm. Reiches, I,
S. XXXV; IX, S. 188—189; G. Flügel, Die ar., pers. und türk. Handschr. der K. K. Hof-
bibliothek zu Wien, II. Bd., S. 217.
Q FianzBabinger,
Jeder dauernde Druck auf die Volksseele erzeugt Spannungen, die
sich schließlich mit ungeheurer Wucht entladen und in ihrem blinden
Wüten durch keine Vernunftgründe mehr gelenkt werden können.
Hält es für einen heutigen Forscher — Irrenarzt oder Geschicht-
schreiber — schon schwer, sich über die Ursachen, der gegenwärtigen
Umwälzungen restlos klar zu werden, so schwindet nahezu jegliche
Aussicht auf genauere Ergründung der seehschen Unterlagen einer
sozialen Bewegung, die sich, in kleinerem Ausmaße und weitab unserer
Zeit und unserer Vorstellungswelt, in einem Lande vollzog, dessen
zeitgeschichtlichen Hintergrund in geistiger und wirtschaftlicher Hin-
sicht ein Dunkel deckt, das zu hellen für alle Zeiten wohl unmöghch
bleiben wird. Trotz alledem wird sich unter Anziehung verwandter
Erscheinungen im Morgenland vielleicht ein Bild gewinnen lassen,
das dem wirklichen Sachverhalt in den Hauptzügen wenigstens nahe-
kommt. Soviel darf jedenfalls behauptet werden, daß die bisherigen
Darstellungen jener seltsamen Vorgänge, wie sie uns J. v. Hammer,
JoH. WiLH. Zinkeisen und N. Jorga geben, den Einblick in die
inneren Ursachen vermissen lassen, soweit sie sich überhaupt nicht
bloß auf die W^iedergabe der Berichte des Johannes Dukas und
Sa*d ed-din's beschränken. J. W. Zinkeisen hat als bisher ein-
ziger und erster daran Betrachtungen geknüpft, die Beachtung ver-
dienen, da sie im Gemälde des Zeitbildes einige gutgeführte Striche
enthalten (I, 473 — 474). Ganz mit Recht ist dort erstmals betont
worden, daß der anatolische Aufstand weit größere Gefahren als die
kleinlichen Händel mit den turkmenischen Fürsten und den byzan-
tinischen Städten brachte, und daß er tief in das innere Leben des
osmanischen Reiches eingriff, wobei mehr die moralischen als die mate-
riellen Grundlagen des großherrlichen Thrones gefährdet wurden. Auch
dürfte die Schlußfolgerung richtig sein, daß die gewaltigen Umwäl-
zungen des beginnenden 15. Jahrhunderts, der Mongolensturm unter
Timur-lenk und die Bruderkriege nicht nur ein Kampf roher Kräfte
gewesen sind, sondern daß das Elend der Zeiten, Not und Verzweif-
lung im Volke der Osmanen eine Spaltung der Geister hervorgerufen
hatte, die schließlich zu jenen verhängnisvollen Auswirkungen führte.
Beim geschichtlichen Verstehen erhebt sich über allem die For-
derung, den »Geist der Zeiten zu begreifen«. Und mehr denn anderswo
gilt im Morgenland Faustens Abwandelung der Wagnerschen Worte:
»Das ist im Grund der Herren eigner Geist«.
Die Schlacht auf der Ebene von Tschamurlu (5. Juli 141 3) und
der Siegeseinzug des Sultans Mehemmed L in Adrianopel hatte nur
Schejch Beeil cd-din. der Sohn des Richters vou Simäw. g
scheinbar das Werk der Wiederherstellung der alten osmanischen
Reichsherrlichkeit vollendet. Die Wunden, die ein zehnjähriger Bruder-
streit und der gewaltige Tatarensturm dem kaum gefestigten Staats-
körper geschlagen hatten, schienen nach glücklich überstandener
Krise freihch zu vernarben. Europa wenigstens, soweit es der »Schatten
Gottes auf Erden« traf, bot das Bild einer dem Heilverlauf zuträghchen
Ruhe. Nur in Asien, der Wiege der osmanischen Macht, dauerte das
Wetterleuchten an, das als Vorbote nahender Gewitterstürme den
Großherrn warnend in seine Nähe zog. Mehemmed Beg von Oaramän
hatte, die Kämpfe der Söhne Bäjazids des Wetterstrahls schlau nützend,
die Abwesenheit des osmanischen Oberherrn wahrgenommen, die
Fahne der Empörung zu erheben und raubend und plündernd in die
Gegend von Brussa und in Hodäwendkjär einzufallen. Brussa, die
ehrwürdige und geheiligt-^ Ruhestätte der osmanischen Sultane, wurde
halb in Asche gelegt und der Grabesfriede Bäjazids frevlen Mutes
gestört. Auch Dschunejd, der alte Empörer und Herr von Smyrna,
hatte die Grenzen des ihm zugewiesenen Landstriches mutwilhg über-
schritten und sich wider den Großherrn erhoben. Den gebrochenen
Frieden und Brussas Grabschändung zu strafen, zog Mehemmed
eilends nach Asien. Er erschien zunächst vor den Mauern Smyrnas,
das sich nach zehntägiger Belagerung dem großmütigen Sieger ergab.
Dschunejd erhielt Verzeihung, sein Land freilich ein alter Diener des
osmanischen Hauses, der abtrünnige Alexander, Schischman's von
Widdin Sohn und bisher Statthalter von Samsün, während Dschunejd
durch die Verleihung der Statthalterschaft Nikopoli an die ferne Donau
versetzt und so zunächst unschädlich gemacht wurde. Dann kehrte
sich Mehemmed wider Oaramän. Alle asiatischen Vasallen wurden
aufgeboten, in eigener Person oder durch Vertreter mit ihrem Heer-
bann am Straffeldzug teilzunehmen. Der geleistete Widerstand war
bald gebrochen. Die stärksten Festen des Landes, wie Aqschehir,
Bejschehir, Sejdischehir, gingen an den Sultan verloren, der bereits
vor den Toren Oonias stand, als der Oaramäne um Frieden bat. Bald
nach Abzug des in langen Regenwochen zermürbten Belagerungs-
heeres brach er ihn von neuem. Der alte Empörer fiel wiederum ver-
heerend in osmanisches Grenzland ein, mißhandelte die wehrlosen
Bewohner und kehrte mit fetter Beute hinter die Mauern von Oonia
zurück. Mehemmed, den damals gerade die Belagerung der Küsten-
stadt Dschäniq am Schwarzen Meer beschäftigte, wandte sich in Eil-
märschen nach Süden und zwang mit Hilfe seines getreuen Wesirs
Bäjazid Pascha den Oaramänen zu endgültiger Botmäßigkeit. Ganz
Anatolien schien sich wider den Großherrn zu empören. Nur das Ge-
lO
Franz Babinger,
biet Isfendijärs, des Herrn von Oastamuni, lag im Frieden. Mehemmed
verteilte trotzdem diese Herrschaft zwischen ihrem bisherigen Be-
sitzer, der Oastamuni und Bakir-kjüresi behielt, dessen Sohn Qäsim-
Bei, dem er Kjangri zuwies, und dem osmanischen Reich, dem Tosia
und Oaledschiq zufiel, ohne offenbar auf selten des stark geschmä
lerten Isfendijär ernsten Widerstand zu treffen. Die im Land umher-
ziehenden Turkmenen mußten als ständige Urheber von Unruhen
aller Art nach Europa übersiedeln und die Gegend um Filibe und
andre spärlich bewohnte bulgarisch-griechische Gebiete bevölkern i).
In Amasia wurde an Stelle eines einfachen Sandschak Bejs der minder-
jährige Thronfolger Muräd zum Statthalter ernannt und Brussa, der
alte Hofsitz, einem Stadthauptmann untergeordnet. Kaum war in
Asien die Ordnung wieder notdürftig geschaffen, als im Sommer 141 5
der falsche Mustafa {dösnie M.) im Verein mit Dschunejd auf bulga-
rischem Boden erschien und seine Ansprüche auf den Thron der Os-
manen geltend machte. Mirgea, der Beherrscher der Walachei, der
Kaiser von Byzanz, der verstoßene Oaramäne und der unzufriedene
Isfendijär hatten mit dem bequemen Thronanmaßer einen Bund ge-
bildet, der sich kein geringeres Ziel gesteckt hatte, als die Macht und
die Einheit des osmanischen Reiches gründlich und für alle Zukunft
zu vernichten.
So stritten sich die Großen um die Herrschaft im Lande. Der
kaum geheilte Körper des osmanischen Staatswesens wand sich an
allen Enden in krankhaften Zuckungen. Eine Fehde, von der Laune
eines dieser Fürsten angezettelt, löste die andere ab — überall heller
Aufruhr und ernster Widerstand gegen den osmanischen Oberherrn.
Es hält nach alledem nicht schwer, sich ein ungefähres Bild von dem
Seelenzustand einer Bevölkerung zu machen, die zum Zeugen dieser
ständigen Kämpfe und Streitigkeiten und zum Teilnehmer wider
Willen gemacht wurde. Die ohnehin geringe Sicherheit war in allen
Landen völlig gewichen. Wußte man ja kaum, ob nicht das heute
mühsam bestellte Feld am kommenden Morgen von den Rossen der
Plünderer zertreten werde, ja nicht einmal über die staatHche Zuge-
hörigkeit konnte man im klaren sein, wo doch die Landschaften dau-
ernd die Herren wechselten. Das einfältige, im starren Glauben der
•) Noch heute heißen nach Georg Rosen in Ersch-Grubkr, Allg. Enzykl. II, 37,
S. II, 5. Anni. diese turkmenischen Einwanderer bei der mazedonischen Bevölkerung
»Konari«, d. i. »Qonier«, wenn hier nicht, wie ich vermute, Verwechslung mit bulg.
KOHapL {koniar), d. i. »Pferdehirt« vorliegt. Vgl. dazu »Tatar-Bazardschiq« als Orts-
namen Über ihre Mundart interessante Angaben bei Ewlijä III. 357 ff., vg! dazu III,
172 ff.
Schejch Bedr cd-din, der Sohn des Ricliters von Simä-w. I i
Altvordern erzogene türkisch-anatolische Bauernvolk mußte so not-
wendig unter dem Druck ewiger Nöte und trostlosen Elends seelisch
erschlaffen und zermürben. Boten im Innern Kleinasiens ^), das von
der Berührung mit der Außenwelt ehedem wie heute noch so gut wie
abgeschlossen war, bei der Bevölkerung die angeborene Stumpfheit
und der ererbte Knechtsinn, gepaart mit der Ergebenheit in den
Willen Allahs, wie ihn der väterhche Glaube lehrte, gleichsam hin-
reichende Bürgschaft gegen eine triebhafte Erledigung der Daseins-
kämpfe in Gestalt von Massenunruhen, so war das Küstenland, wo
die Welten des christlichen Abendlandes und des muslimischen Ostens
sich begegneten und in ständiger Fühlung und Berührung standen,
notwendigerweise geistigen Strömungen ausgesetzt. Der Zündstoff
war hier leichter und schneller bis zu einer Menge angesammelt, die
nach Entladung drängte. Dazu tritt ein gewichtiger Umstand, der
gerade in diesen Strichen ungleich leichter als im Landesinnern zu
Aufwallungen der Volksseele beitragen mußte: die völkische Zu-
sammensetzung der klcinasiatischen Küstenbewohner. Die Verschmel-
zung der osmanischen Eroberer mit der Stammbevölkerung vollzog
sich zweifellos nur langsam. Den Wünschen der neuen Herren war
zunächst mit der Annahme des Islam 2) Genüge geschehen. Die Blut-
^) Die Verhältnisse in Kleinasien in fr ü hosmanischer Zeit bedürfen noch sehr der
Klärung. Seit A. D. Mordtmann (f 1879) ist hier so gut wie nichts geleistet worden;
das 1916 erschienene Werk »The foundation of the Ottoman Empire. A History of Ihe Os-
manlisiip to the death of Bayezid I. (1300 — 1403)« aus der geschäftigen und beängstigend
vielseitigen Feder des Amerikaners Herbert Adams Gibbons enttäuscht in jeglicher Bezie-
hung, da es ohne jede Kenntnis der Urquellen geschrieben ist. Dringend zu wünschen wäre
z. B. eine Untersuchung über die vier Klassen (isÄjLi:>) von Gästen (müsäfir), in die nach
'Äschiqpaschazäde, Stambuler Druck S. 205, Rüm eingeteilt war: die ghäzijän-i Rüm,
die ahijän-i Rüm, die abdälän-i Rüm, die badschijän-i Rüm. Vgl. dazu Gelehrte Anseigen
der Kgl. Bayr. Akademie der Wissenschaften, 1860, S. 289 — 293, wo A. D. Mordtmann
zum erstenmal den Text behandelt und verdeutscht, ferner derselbe in P. Bkown's »The
Dervishes«., S. 141 — 142. Gerade diese Stelle ist höchst wichtig für die Frühgeschichte der
Bektaschijje; für deren Kopfbedeckung (bökme clif tädsch, vgl. dazu J. v. Hammer, GdOR
I, 581) Sp. 291 in Gel. Anzeigen 1860 findet sich in 2. Z. v. 0. der Ausdruck «i)-j vi »weiße
Mütze« (bürkl).
-) Wichtig wäre die Feststellung, wann der Islam beim Stamme 'Osmän's sich
durchsetzte. Die auffallende Tatsache, daß 'Osmän, im Gegensatz zu seinem Vater (Er-
toghrul), seinen Vatersbrüdern (So nqur, Gündoghdu, Dündar) und selbst seinen
Brüdern (G ü n d ü z Alp, Sarüjatü (so wohl gegen Z)5CÄi7jflMHHmä, 621, 675 ff. : ^Jü j^.L*o
zu lesen)) als erster einen echt mushmischen Namen führte, scheint mir fast dafür zu
sprechen, daß 'Osmän, der vorher wohl ebenfalls einen alttürkischen Namen trug, um
1290 etwa zuerst den Übertritt zur Sunna vollzog. Der von Th. Nöldeke vor einem
Halbjahrhundert mit Recht als auffällig bezeichnete Umstand, daß 'Osmän's Großvater
Sülejmänhieß (vgl. ZDMG., XHI. Bd., S. 182, 5. Anm., S. 183), findet vielleicht jetzt
seine zwanglose Erklärung; vgl. unten S. 32, i. Anm.; denn das biblische Salomon ist
12
F I n n /. B a b i n g c I ,
Vermischung hatte damals schwerhch die Rassenmerkmale der Ein-
geborenen zu verdrängen vermocht. Wie leutzutage noch, ja in viel
höherem Maße bevölkerte den kleinasiatischen Meeressaum jener
griechische Menschenschlag, der seit Jahrhunderten seine Blutreinheit
im wesenthchen bewahrt hatte ^). Die lebhafte Sinnesart, die geistige
Regsamkeit, die heißblütige Anlage dieses Stammes stand in schroffem
■Gegensatz zur unbeholfenen, urwüchsigen, jeghcher geistigen Beweg-
hchkeit fremden Natur der Bewohner des Innern. Dort waren nicht
einmal die Keime eines bodenständigen Geisteslebens erkennbar. Das
Volk, im rauhen Kriegsdienst erzogen, klebte an der Scholle, soweit
es nicht die Waffen trug, und bezeugte in seiner Gesamtheit keinerlei
Teilnahme für die höheren Ziele der Menschheit. An den wenigen
Fürstenhöfen freilich, vor allem zu Oonia, und später zu Brussa, ver-
einigte sich wie in Brennpunkten ein Bildungsleben, das sich an per-
sischen Vorbildern ohne jede eigene Zutat erhielt. Schon der Sel-
dschuqensultan *Alä' ed-din Kaiqobäd hatte in seiner Hauptstadt
einen ansehnhchen Kreis persischer Dichter und Gelehrter um sich
versammelt. Lange vor dem Mongolensturm hatten bekanntHch des
eroßen Dscheläl ed-din Vater sowie der Sohn dort gasthche Aufnahme
und fürsthchen Schutz gefunden. Oonia war zur Pflegestätte per-
sischer Bildung und persischen Glaubens geworden. Im ganzen "Land
entstanden Moscheen, Medresen, Derwischklöster vor allem jener Ge-
nossenschaft, die Dscheläl ed-din ihre Gründung verdankte. Man
nährte damit freilich eine Schlange am Busen. Immer mächtiger
wurde der Einfluß, den das Derwischtum auf das öffentliche Leben
nahm, und die von ihm getragene schwärmerische religiöse Richtung,
wie sie im Süfismus ihren Ausdruck fand, gewann immer mehr an
Boden-). Von ihrer Ausbreitung läßt sich aus dem Berichte Ibn
Battüta's, der im Jahre 733 d. H. (1333 n. Chr.) von der Küste
Qaramäns quer durch Kleinasien nach Sinöb pilgerte, ein anschau-
liches Bild gewinnen. Er traf eine über ganz Anatolien verstreute Art
von Vereinigung, die er mit ^.j.^l\ :<.1^\, »Brüderschaft der jungen
Tvcute« bezeichnete '^<] und in der man unschwer einen jener männer-
natürlich ebenfalls hierher zu stellen. iMeilich hieß 'Osniän's Sohn und Nachfolger Urhan.
als letzter Triiger eines nichlniuslimischen Namens im Hause der Osmanen.
') Vgl. über das Griechentum Kleinasiens der damaligen Zeit die erweiterte Jenaer
Doktorschrift von Albert Hugo Wächtü::;, Der Verfall des Griechentums in Kleinasien
im XIV. Jahrhundert. Leipzig 1903.
-) Über die ,..jJ> jo .-t'-J^ »heretic myrmidons« im Seldschuqenreich vgl. die sehr
interessanten Angaben von E. G. Brovvnk im IRAS. 1902, S. 572 ff.
3) Vgl. Voyages d' Ibn BaloiUah, hrsg. von Ch. Defrkmery und B. R. S.-\nguinetti,
Paris 1859, II. Bd., S. 260 ff. ; S. 282 ff., dazu A. v. Kremer, Geschichte der herrschenden
Schejch Bedr ed-dm, der Sohn des Richters von Simäw. f-i
bundartigen Derwischorden wiedererkennen kann, die bis heute im
osmanischcn Reiche sich erhalten haben ^). Zugleich erhellt aus den
Angaben des arabischen Reisenden, daß damals jene Glaubensspaltung,
die in späteren Tagen einen in rücksichtsloser Verfolgung der Der-
wische sich äußernden Haß hervorrief, noch nicht zutage getreten
war. »Der Islam war noch zu jung in Kleinasien, und das Volk, das
dort sein Träger und Verfechter war, die turkmenischen Stämme,
war ein rohes, unverdorbenes Hirtenvolk, das keine Ahnung davon
hatte, welcher gefährliche innere Gegensatz zwischen dem ortho-
doxen Islam und der poetischen Schwärmerei der persischen Süfis
eigentlich bestand. Der dortige Klerus, größtenteils turkmenischer
Nationalität, war ein wenig gelehrter und deshalb auch weniger streit-
süchtiger, behäbiger Stand von gemütlichen Dorf- und Landgeist-
lichen, die, zufrieden mit ihrer durch reiche Spenden der Fürsten
und des Volkes abergläubische \"erehrung höchst erfreulichen Stel-
lung, noch lange nicht das Bedürfnis fühlten, Ketzer zu verbrennen «.2)
Dazu stimmt denn auch sehr gut die Schilderung Ibn Battüta's
Ideen des Islam.';, Leipzig i8öS, S. 450 ff., sowie neuerdings H. Thorning, Beiträge zur
Kennfnis des islam. Vereinswesens, im 16. Bd. der Tiirk. BibL, Berlin 1913, S. 214. Vgl.
dazu J. V. Hammer's im JA., V. Reihe, 6. Bd., .S. 2S9 vertretene Ansicht, die »achija
al-fitjänn sei ein Ritterorden gewesen. Es kann mit Sicherheit angenommen werden,
daß dieser ausgesprochene Männerbund erst im 14. Jahrhundert aufkam. Wenigstens ist
in den Auszügen aus dem gewaltigen Sammelwerk »Masähk al-absär ß mamälik al-amsär«
des Ibn Fadl ."Mläh al-'Omarl (st. 748/1348 als Staatssekretär zu Damaskus an der
Pest), die Etienne Quatremere im XIII. Band der Notices ei exlraüs des maniiscrits de
hl Biblioth^que du Rot, Paris 1838, S. 151-^384 veröffentlicht hat, in dem auf Kieinasien
bezüglichen Teil (S. 334 ff.) mit keinem Worte cla\ 011 wie überhaupt \om Derwischwesen
die Rede. Jljn l'a dl-AUäli halle drei Gewährsmänner, nämlich den Bericht des Abu
M-fadl 'Abd Allah ibn al-'l'ähir über den Feld/.ug des Mamlukensultans Baibars I.
Bunduqdärl (st. 676/1227), des Schejchs Haidar Trjän ( ? « . ',. J -£ ») sowie des
Freigelassenen des (OHH- «/-/.■(!/;?■(- Bahädur MuMz/.T. genannt Ha I a ban ( ..Lxlj =^ türk.
.. ,Ljj1.J, d. i. grof'i. dick, stark, also wohl sein or. Spitzname, nialjlas), eigentlich Dome-
nic[hin]o Doria, eines Sprossen des uralten genuesischen Adelsgeschlechtes und Sohnes
des Taddeo Doria (vgl. a. a. (). S. 347, wozu ich verweise auf M. Amaki's wichtige Ab-
handlung fiAl-'T'marl, Condizioni degli Stall chrisliani dell 'Ocridenle« usw. im XI. Bande
der Atti della K. -Accad. dei Lincei, Rom, 1882/83, auch als SA. (XV, 23 Ss., dazu 3 Ss.
aggiunte e corresioni) sowie auf die .anzeige Raffaei.e SxARRAnnA's iiu Arch. stör, sicil.,
VIII. Bd., S. 222 — 224, Palermo. 1883). Es darf angenommen werden, daß wenigstens
einer dieser Berichterstatter jener auffallenden Erscheinung gedacht halte, es müßte
denn sein, daß in Ibn Fadl A lläh's Werk an anderer Stelle da\:on die Rede geht. Leider
ist es noch ungedruckt.
■) Vgl. dazu »Associatiovs de jeiines gens chez les 'l'urcomans d'Anatolie« des Pariser
Soziologen G. Papili.aiu.t in der Revue de l'Ecole d' Anthropologie, XIV. Bd., Paris 1906
S. 369 — 372 (unsäglich naiv!).
-) V^gl. .-\. v. Kremer, Gesell, der herrsch. Ideen, S. 440 45'».
I^ FranzBabinger,
von der ungestörten Behaglichkeit und beschauHchen Ruhe, die über
dem Lande lag. Freilich traten, je mehr das Derwischwesen im Ein-
fluß zunahm, der sich schließlich sogar auf die Thronfolge erstreckte ^)
und der einem aus dem Kreise jener Schwärmer sogar zum Fürstentum
verhalf ^), hin und wieder Gegensätze und Unruhen auf, die mehrmals
einen bedrohlichen Anstrich trugen 3). Diese Auflehnungen gegen die
Staatsgewalt hatten indessen keine weiteren Folgen, und äußerlich
änderte sich nichts an den behaglichen Zuständen, als das Land aus '
den Händen der Seldschuqen vorübergehend in mongolische Abhän-
gigkeit geriet. Im Gegenteil; damals scheinen sich die Schleusen, die
Anatolien mit fast ausschließlich aus Khoräsän zuströmenden Ge-
lehrten und süfischen Predigern überschütteten, erst voll geöffnet zu
haben. Hat man ja nicht ohne Grund vermutet, daß die Dschingis-
khäniden trotz ihrer Zugehörigkeit zum Islam dem Süfitum gar nicht
ablehnend gegenüberstanden 4).
Auch die osmanische Herrschaft brachte keinen Wandel in der
Behandlung der persischen Derwische und Gottesgelehrten. Schon
0 Vgl. J. V. Hammer, Gtrsch. des osman. Reiches, I. Bd., S. 152 ff.; A. v. Kremer,
a. a. 0. S. 449.
-) nämlich dem Derwisch Nur Süfl, der sich Selefke's bemächtigte und später, mit
dieser Burg und der Umgegend behehen, als Ahnherr des Qaramänengeschlechtes den Os-
manensultanen viel zu schaffen machte. Er soll von Geburt ein Armenier, nach andern
Quellen ein Jude gewesen sein. Vgl. dazu J. v. Hammer, a. a. 0. I 195. Der Qaramäne
Nur .Süfl stand übrigens mit Baba Iljäs im Bunde.
3) Über Derwischunruhen im seldschuqischen Qonia vgl. z. B. Taschköprüzäde's
Schaqaiq al-nu^mänlja, türk. Ausgabe des Medschdl, Stambul, 1869, S. 23, wo von
einer geplanten Derwischempörung unter Ghijäs ed-din (634 — 657 = 1236 — 1259) die Rede
ist, in die 'Äschiqpascha's Großvater Baba Iljäs verwickelt wurde. Es fand eine große
Metzelei unter den Süfls statt. Vgl. dazu E. J. W. Gibb, History of Oltoman Poetry, I,
S. 177, 4. Anm., ferner M. Tu. Houtsma, Reciieü des iextes relatifs a Vhistoire de Seld-
joncides, IV. Bd., S. 227—230 (Baba Ishäq), Leiden 1902. — Über spätere Derwisch-
empörungen soll noch die Rede gehen. Hier sei nur an den großen Derwischaufstand
erinnert, der 1527 in Qaramän ausbrach und den ein angebhcher Abkömmhng des
Häddschi Bektasch, Qalender-oghlu, leitete (vgl. PetschewI, Td'rtfy, I. Band, S. 120
(Stambul 1283), J. v. Hammer, GdOR., III, 67 ff.), ferner an die offenbar von den Persern
geschürte Auflehnung des y>ma/idt«. Dscheläll (darnach dschelält= Aufruhrer, vgl. Sämi,
Qdmüs-i türkt, Stambul, 1317, S. 478 c!) zu Turchal westl. Toqat im Spätwinter 1520.
Vgl. Sa*d ed-din, II, 384 ff.; Solaqzäde, S.414, bes. M. Sanuto, niarii, XXVIII. Bd.,
Sp. 409 (wichtig!).
4) Vgl. V. D. Smir.noff, Les vers diis )}Seldjouk« et le christianisme iure. Actes du
XL congres international des orientallstes, IIL section, Paris 1899, S. 143 ff. Smirnoff
handelt über die religiöse Grundlage der bekannten Seldschuqenverse im Rabäbnäme und
bespricht unter anderem auch die Frage, welchem Glauben Timur angehört habe. Er
kommt dabei zu dem Ergebnis, daß er sich zu irgendeiner Sekte bekannte, die dem Süfitum
nahestand,
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw. I c
*Osmän, der Begründer des Hauses, schuf Herbergen und Moscheen,
während sein Nachfolger Urhan die Derwische ausgesprochen be-
günstigte und in seiner neuen Hauptstadt ein Dcrwischkloster nach
dem andern errichten Heß '). In Brussa hauptsächhch blühte ein reges
geistiges Leben, dessen Förderer jene persischen Mystiker waren, die
immer neuen Zuzug vom Osten erhielten. Beim Lesen der Lebens-
beschreibungen des Taschköprüzäde ergibt sich die auffallende Fest-
stellung, daß sich in jenen Zeiten eine ungewöhnlich große Zahl von
persischen Einwanderern, heiligmäßigen Männern und Glaubenslehrern
am Hofe der Osmanenherrschcr einfand und dort offenbar gastliche
Aufnahme fand. Wir sind über die Ausbreitung des Schi'itentums in
der Frühzeit der osmanischen Herrschaft leider nur sehr ungenügend
unterrichtet. Soviel läßt sich jedoch mit Sicherheit behaupten, daß
wenigstens in gebildeteren Kreisen weite Schichten ihm anhingen und
sogar einzelne Teilfürsten Kleinasiens sich offen zu ihm bekannten.
So wird wohl nicht ohne Grund von den Aidin-oghlu die Zugehörigkeit
zum Schritismus vermutet. Das gewöhnliche Volk freilich stand
ihm, zunächst wenigstens, fremd gegenüber. Das Süfitum stellte
viel zu hohe Anforderungen an das Denken und die geistige Beweg-
lichkeit, wie sie in der Natur des arischen Persers begründet liegt,
dem Wesen des trägen, geistig stumpfen Turkmenen um so ferner
liegen mußte. Weiter ab von den Sammelstätten geistigen Lebens,
bebaute damals ein Menschenschlag die Fluren Anatoliens, unbe-
kümmert um jede höhere Regung, ausgestattet mit einer verschwom-
menen und unklaren Vorstellung von Gott und der überirdischen Welt,
die damals auch mit der Lehrmeinung des sunnitischen Islams nur
wenig gemeinsam gehabt haben mochte. Der zur Herrschaft gelangte
Islam, verquickt mit türkischem Volkstum, trat indessen als Staatsord-
nung auf: der Türke war der Herr, der Nichttürke Sklave. Durch An-
nahme des Islams erwarb dieser sich mit dem herrschenden Glauben
die herrschende Volkszugehörigkeit, ein Vorgang, der nicht immer und
überall die religiöse Überzeugung, ja nicht einmal das Verständnis
dafür im Gefolge gehabt haben wird. Auf die Begriffslosigkeit des
einfältigen Bauernvolkes pochend durchzogen Scharen die Lande, die,
als Derwische zu einer der unzähligen Genossenschaften vereint,
weniger das Ziel eines gottgefälligen Lebens als die Ausbeutung der
biederen Landleute zur Fristung ihres untätigen Daseins vor Augen
0 Vgl- J- V.Hammer, Gesch. des osm. Reiches, I, 105 ff. — Der Name Keschisch-daghi,
d. h. sMönchsberg«, zu dessen Füßen Brussa liegt, erinnert zweifellos an die vorislamischc
Zeit, da keschisch (vgl. ar. qasis) nur für den christlichen Mönch oder Priester gebraucht
wird. Vgl. die Geschichte des Namens {dschebel ruhbäu ja'in keschisch daghi) bei Ewlijä
II, 29, dagegen aber Lelnci.avius, Histor, Musulm., Sp. 199, 6.
jß F'ranz Babin.^er,
hatten. Wie gut ihnen das gelang, zeigen die Schilderungen abend-
ländischer Reisender, die uns ein anschauliches Bild von dem Treiben
dieser Gesellen geben. Sie traten hin und wieder als Verkündjer neuer
Lehren auf und verhetzten das zu notdürftiger staatlicher Einheit
zusammengeschlossene Volk wider Herrscher und Herrschertum. So
war es schon im alten Seldschuqenreich gewesen, so wiederholt es
sich im Verlaufe der osmanischen Geschichte bis herauf in das 19. Jahr-
hundert.
Um die Wende des 15. Jahrhunderts zeigte sich allmählich, wie
gefährlich der Landesruhe die Gastfreundschaft werden müsse, die
man den Fremdlingen aus dem Osten lange Jahre hindurch gewährt
hatte. Die Gegensätze des schi'itischen Süfismus, der in einer Reihe
von Derwischorden, mit Bestimmtheit aber in dem mächtigsten unter
allen, dem der Bektaschis, seinen Niederschlag und Rückhalt gefunden
hatte, mit der herrschenden sunnitischen Richtung des Islams traten
immer deutlicher und bedenklicher in die Erscheinung. Eine Sekte
nach der anderen schoß, Pilzen gleich, aus dem Boden. Es sei hier
nur an die um 1400 entstandene Halwetije erinnert, die unverkennbar
schi'itisches Gepräge trug. Sogar die Dichtkunst hatte sich in den
Dienst der fremden Gedankenwelt gestellt. NesTmi, sein Schüler
Refi*i ^) und der gotteslästernde Temcnnäji verherrlichten in ihren
Liedern die Geheimlehre jenes Fadl Aliäh aus Astaräbäd, die in seinen
Hurüfl (Buchstabendeuter) genannten Anhängern eine unheimhche Ver-
breitung gerade um das Jahr 800 (1397-98) herum gefunden haben
muß, die freilich sowohl ihrem Gründer wie Nesimi*) das Leben kostete.
Während, im Grunde das Süfitum bloß auf einen innerlichen Aufbau
des religiösen Lebens abzielte, fanden sich genug Vertreter, deren
Meinung in einer grundstürzenden Erfassung und Umgestaltung des
islamischen Glaubensgcfügcs gipfelte. Zunächst drohte schon ein
Umstand gefährlich zu werden; die Erkenntnis der Belanglosigkeit,
ja Gleichgültigkeit der Glaubensform gegenüber der großen heiligen
Wahrheit, zu deren Erstrebung der ganze Entwicklungsgang des Süfi
hindrängte 3), fand mehr als einmal in öffentlichen Kundgebungen
■) Vgl. über sie E. J. \V. Gibb, History of Oüoman Poetry I. S. 336 ff. — Über
Temennäil, vgl. J. v. Hammer, GdOD. I. 214 ff.
^) Neslml, aus NesTm bei Baghdäd, wie das lahalliis besagt, hieß eigentlich Sejjid
'Imäd ed-dln; vgl 'All, Künh ül-ahbär V, 240.
3) Vgl. den Vers: »Weder Christ bin ich noch Jude noch Muslim« bei Dscheläl ed-
din Rüml. I. GoLDZiHER, Vorlesimgen über den Islam, Heidelberg iqio, S. 170.
Außer *Omar-i Haj jäm u. a. äußert sich ähnlich auch der qalender Turäbl (vgl. Ewlijä
I» 385) aus Qastamuni, der Lehrer des unglücklichen Prinzen Dschcm (st. 900/1495); vgl.
den Vers bei E. J. \V. Gibp, Hist. of Ott. Poetry, II, 368.
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw. ( '■
einen bedrohlichen Ausdruck. In der Seele des die Vereinigung mit
der Gottheit Suchenden verlor die Verschiedenheit der Bekenntnis-
formeln und der Glaubensübungen jegliche Bedeutung. Unter diesem
Gesichtspunkt, nicht etwa aus der Annahme einer Hinneigung zum
Christentum ^), scheinen mir jene Tatsachen aufgefaßt werden zu
müssen, die in der Literatur sich erhalten haben.
Zu alledem tri.tt noch ein weiterer Umstand, der dem auf sun-
nitischer Grundlage errichteten osmanischen Staatsgebäude bei einem
Überhandnehmen der schiStischen Richtung besonders gefährlich
werden mußte, jener Glaube an den dereinstigen Welterlöser, der am
Ende der Zeiten als Imäm Mahdl erscheint, um die 'Welt von allem
Unrecht zu befreien und das Reich des Friedens und der Gerechtigkeit
aufzurichten. Es ist dies der sogenannte »verborgene Imäm«, dessen
Wiedererscheinen der gläubige Schi'ite heute noch erwartet. Die
Forschungen G. van Vloten's ^), Chr. Snouck Hurgronje's 3) und
neuerdings I. GoLDzmER's4) haben deutlich aufgewiesen, welche Rolle
die Erwartung jener messianischen Person innerhalb des Schritentums
spielt. Während im sunnitischen Islam die Mahdihoffnung nicht in
die Glaubenslehre übergegangen ist, gibt schon der Grundgedanke des
SchiStismus den günstigsten Nährboden für die Pflege des radsclfa-
Gedankens ab. Stellt sich doch diese Glaubensrichtung von allem
Anfang an als ein Einspruch »gegen die durch die ganze Islamgeschichte
laufende • Vergewaltigung und Verdrängung des göttlichen Rechts
durch die Rechtsberaubung des zur Herrschaft allein befugten Ge-
schlechtes der 'Aliden« (I. Goldziher, a. a. 0. S. 232) dar. Entfaltete
sich also von vornherein der Mahdiglauben gleichsam als »Lebensnerv
des gesamten schi*itischen Systems« (GoLDzmER, a.a.O. S. 232), so
mußten das öffentliche Leben und seihe Verhältnisse in Kleinasien jener
Tage den Anhängern des Süfitums als ein glatter Bruch mit den ide-
alen Forderungen, die sie ihre Lehre stellen hieß, als eine »fortgesetzte
') So srhciiil (;. Jacob die Vorkommnisse zu verstehen; vg\.Tiii-k. Bibl. IX. Bd., S. 24.
Ferner seine Bekiaschij je, München, 1909, S. 31. — Ich verweise besonders auf den Ab-
schnitt »SchT'itentum im Bektaschismus« S. 38 ff. Sein Einfluß ist indessen offenbar viel
grüßer gewesen und liat nicht allein die Bektaschijjc erfaßt. - - VölHg unberücksichtigt
bei der Bektaschijje-Forschung bheb bisher leider das unbetitelte, dem Häddsclil Bek-
lasch selbst zugeschriebene türkische Süfi-Werk, das Ch. Riicr, Ca/. 0/ Tiirkish Mss.,
London 1888, S. 246 a mit gewohnter Gründhchkeit beschreibt.
-) Vgl. Rechri-ches siir la domination arabe, Ic chiitisme et les croyances messianiques.
Verhaudelingen der KovinJdi.jke Akademie van We/enschapen le Ainsferdiun, Afdeeling Letter-
kinide, Deel I, No. 3, 1894.
3) In der Revue coloniale internationale, 1886. V^gl. da/u J. Darmkstetf.k, Le Mahdi
depiiis les origines de V Islam. Paris 1885.
^) Vorlt's^ingcn über den Islam, S. 232 u, ö.
Islam XI. ,
jg Franz ßabingef,
Versündigung gegen die Religion und die soziale Gerechtigkeit« er-
scheinen. Dazu trat noch die im Wesen wohl auch buddhistische
Auffassung, daß für den vollendeten Mystiker, für den auf der höchsten
Stufe der Heiligkeit angelangten Gottesmann die Schranken des be-
stehenden Gesetzes fallen und er sie nicht mehr zu beobachten ver-
pflichtet sei ^). Was Wunder, wenn in der unendlichen Not und Drang-
sal jener Tage ein Mann erstand, der mit seiner Lehre und seinem
Einfluß glaubte ihr Halt gebieten zu können und die Zahl jener echten
und falschen Propheten um einen vermehrte, die das Morgenland,
ihre eigentliche Heimat, seit Jahrtausenden hervorgebracht hat?
Soviel sei zunächst über das geistige und gesellschaftliche Leben
im jungen Osmanenreiche Kleinasiens bemerkt.
Auf diesem finstern Zeitgrund malet sich
Ein Unternehmen kühnen Übermuts
Und ein verwegener Charakter ab.
Mit dem Umsichgreifen des Süfitums, das, trotz seiner Abhän-
gigkeit vom Schritismus, mit seiner religiösen Verträglichkeit einen
schroffen Gegensatz zur Unduldsamkeit des rechtgläubigen Schriten-
tums darstellt, nahm in breiteren Volksschichten die Verehrung für
jene heiligen Männer zu, die mit ihren Lehren und religiösen Weihe-
liedern — es sei auf die nlähi« der verschiedenen Derwischorden ver-
wiesen 2) — einen solchen Einfluß gewannen, daß der Oor'än und sein
Verfasser gleichsam in den Hintergrund traten und gedrängt wurden.
Zuvörderst sei an jenes Vorkommnis in Brussa erinnert, wo zur
Zeit Bäjazids des Wetterstrahls, etwa um 1400 herum, auf öffentlichem
Markt ein Schwarmgeist auftrat, der den 285. Vers der zweiten Oor*än-
Sure »La nufarriqu haiym ahadin min rusulihi« dahin deutete, daß
man Muhammed nicht über Jesus stellen dürfe 3). Dies blieb sicherlich
J) Vgl. A. V. Kremer, (lesch. der herrschenden Ideen, S. 256.
-) Über die ilähl's vgl. J. v. Hammer, Gesch. der osm. Dichtkunst III, 196, 404; vgl.
ferner M. Hartmann, Unpol. Briefe aus der Türkei, Leipzig 1910, S. 218. Eine Unter-
suchung über die ilähVs, vor allem Jünus Emre's und Hudäjl's, steht leider noch aus.
Deutsche Bibliotheken verwahren sehr wichtige hsl. Unterlagen. Ich stelle 7.usam:nen:
Wien, Katalog G. Flügel's I, 705, 711, III, 129, 412, 492; Gotha, Katal. W. Pkutsch,
S. 15, S. 32, S. 185; Göttingen, Katalog III. Bd., S. 477 (U.S. turc. 15I).
^) Vgl. Qastamunili Latifl, Tezkire, Stambul 1314, S. 56. In der Verdeutschung
von Thom. Chabert, Zürich 1800, S. 52; J. v. Hammer-Purgstali., Gesch. der osman.
Dichtk., I, S. 68; E. J. W. Gibb, History of Ottoman Poetry I, S. 232 ff. Es ist nicht sicher,
ob der Redner ein Araber war. 'All sowohl wie Essejjid Ismä'Il Beligh Brusewi,
Schejch Bedr cd-dln, der Sohn des Richters von Simaw. lg
kein Einzelfall ^). Aus dem eben angezogenen scheint mir unverkennbar
jener Süfi-Gedanke herauszuleuchten, daß alle Glaubensformen und
alle Offenbarungen »nur Lichtstrahlen einer einzigen ewigen Sonne
seien, daß alle Propheten nur in verschiedenen Sprachen dieselben
Prinzipien des Ewigguten und Ewigwahren vorgetragen und ver-
kündigt hätten, deren Urquelle die Weltseele, die Gottheit sei« 2).
SCHEJCH BEDR ED-DlN'S LEBEN.
Die Hauptquelle für die Lebensgeschichte Bedr ed-dln's bilden
die bekannten »Anemonenrosen, betreffend die Gelehrten des *osma-
Ta^rib-i Brusa jä^od güldeste'i rijäz-i Hrfän, Brussa 1302, bezeichnen ihn ausdrück-
hch als persischen Kaufmann. Vgl. E. J. W. Gibb, a.a.O. S. 233, i. Anm.; Jos.
V. Hammer, a. a. 0. I, 68, 3. Anm. Das Wesentliche dabei ist, daß er offenbar kein
Türke war.
*) So trat drei Monate nach dem großen Derwischaufruhr in Qaramän zu Stambul
ein Ketzer namens Qäbid (natürlich ein Perser von Geburt, wie in 'Atäji's Nachtrag
(zejl) zu den SchaqäHq, Stambul 1268, S. 88—89 zules^n ist' auf, der ebenfalls Jesus nicht
unter Muhammed stellen wollte. Er wurde, nachdem es der Zungenfertigkeit der tür-
kischen 'Ulemä nicht gelungen war, ihn zu widerlegen, auf Geheiß des Großherrn am 28.
Oktober 1527 hingerichtet. Vgl. Mouradgead'Ohsson, Tableau defEmpire Ottoman I, 154;
Petschewi, Ta^rilj, Stambul 1283, I, S. 124; J. v. Hammer, Gesch. des osm. Reiches IV,
S. 69; kurze Zeit darauf, im Jahre 1561, trat der Schejch Hamza mit der gleichen
Lehre an die Öffentlichkeit. J. v. Hammer, a. a. 0. IV, S. 236. Fast der gleiche Fall wird
unterm 6. Juni 1573 von Stef. Gerlach, Tage-Buch, Frankfurt 1674, S. 22 berichtet.
Ich verweise bei dieser Gelegenheit auf einige verborgene europäische Quellen über die
hurüfija. Nicht Nicolas de Nicola y, wie man bisher vermutet zu haben scheint
(vgl. z. B. E. J. W. Gibb, Hist. of Ott. Poetry I, S. 356 ff.), sondern der Genuese
Giovanni Antonio Menavino, der jahrelang in türkischer Sklaverei schmachtete
und auch am Sultanshof lebte, Heferte die Hauptquelle für das türkische Derwisch-
wesen um 1540. In seinem 1548 erstmals zu. Florenz erschienenen, nachmals un-
gemein häufig übersetzten »Trattato de' cos umi e vita de' Tiircht«, von dem noch die Rede
sein wird (s. unten S. 59), spricht er ausdrücklich von Nesiml und bezeugt: »per haver
letto parte de suoi libri, ho compreso chiarmente come egli teneva molto la parte della
Christiana fede«. Hundert Jahre später berichtetder Schwabe Hans-Jakob Breuning
v. Buchenbach (f 1612), sicherlich unabhängig von Menavino und seinen ungezählten
Nachschreibern, in seinem seltenen Wanderbuch »Orientalische Reyss« (Straßburg 1612)
von seinen Erlebnissen in der Türkei i. J. 1579. S. 60 spricht er von den »horise (Jiurife,
wobei s aus lang-f = f verdruckt; die süfiler nennt er »czotiler«), welche dafür halten/ das
ein jeder in seinem Glauben selig werde /diese aber werden verbrennet als Ketzer /Auff-
wiegler vnd Meutmacher«; vgl. jedoch dazu Christ. Richer, De rebus Turcarum. Paris
1540, S. 74 oben. — Das )>AzamiaH des Nicolas de Nicolay (aus Menavino) ist natür-
lich nicht Amasia, wie E. J. W. Gibb vermutet (I, 357, 3. Anm.), sondern 'adschemi, d. h.
persisch. — Ebenso erklärt sich sehr einfach » Adzamisches Land« in ZDPV, XIX. Bd.
(1896). S. 116, 22. Z. V. 0.
*) Vgl. darüber A. v. Kremer, Gesch. der herrschenden Ideen S. 438, *** Anm. mit dem
Auszug aus 'A b d al-wahhäb al-Schä*räni's f>M-ba^ir al-mawrüdv, Kairo 1278, S. 29.
20 Franz ßabingef,
nischen Reiches' {schaqäSq al-nu'-mänlja fi^ulamä al-dawla al-^ostnd-
ntja)« des Mollä Taschköprüzäde (st. 968/1560). Wenn ich im
folgenden der türkischen, vom Mollä Mehmed el-Medschdi
(st. 999/1590) besorgten Übertragung, die 1269 zu Stambul gedruckt
wurde, und nicht dem in zwei völlig übereinstimmenden Ausgaben ^)
vorliegenden arabischen Text folge, so geschieht dies wegen der größeren
Ausführlichkeit der Übersetzung, die uns aus einem wohl verloren
gegangenen Werk Ibn 'Arabschäh's wenigstens einige wichtige
Angaben überliefert -).
Bedr ed-din Mahmuds) b. Isrä'il b. *Abd al-*Aziz entstammt
1) Am Rande von Ibn Hallikän's Wafajät al-a'jän wa anbei* ahiä'' al-zamnn.
Büläq, I. Bd., S. iii ff. (1209) — ebenda in der Ausgabe vom J. 1300, S. 54.
*) Nämlich in den »Halsketten des Rates« {'uqüd al-nasl/ta), deren Benutzung
Taschköprüzäde ausdrücklich erwähnt und die er auch in der Lebensbeschreibung
des Ibn 'Arabschäh (S. 74 der türk. Übers.) anführt. Das Werk, das offenbar eine
Art Selbstleben darstellt, wäre schon deshalb als Quelle für die Lebensgeschichte Bedr
ed-dln's besonders wichtig und wertvoll, weil Ibn «Arabschäh zehn Jahre hindurch
(gjj — 325; vgl. Taschk. a. a. 0. S. 74 oben) Prinzenerzieher am Hofe Sultan Mehemmeds
zu Adrianopel war und so die ganzen Ereignisse aus nächster Nähe miterlebte. Es ist mir
nicht gelungen, in einer europäischen Sammlung eine Handschrift der »'Uqüd (so und
nicht »Uniqüd«, wie Taschk. schreibt, -wird zu lesen sein) al-nasi/ia« nachzuweisen.
3) Gelegentlich einer Durchsicht der in Taschköprüzäde's Werk aufgeführten
Namen fiel mir auf, daß sich bei den mit ed-dln zusammengesetzten alqäb (hu(uh) immer
gewisse Entsprechungen des 'a/aw nachweisen lassen; ich führe (aus Taschk.) einige
dieser Paare an: Bedr ed-din Mahmud (vgl. Taschk. S. 71, 323, 401, 467 (zweimal), 507),
'Alä'ed-dln 'AH, Husäm ed-din Husain (oder Hasan!), Muhji ed-din Mehmed, Muslih ed-din
Mustafa, Schems ed-din (auch Schihäb ed-din) Ahmed, Tädsch ed-din Ibrahim, Sinän
[ed-din] Jüsuf. Zum letzten Namenpaar vgl. Ferheng-i Schu'i'in II, Bl. 95 r u. d. W. sivän:
»Die zweite Bedeutung (von si>:äi) ist Jüsuf, d. h. man nennt die, die Jüsuf heißen, auch
Sinän«. Dies ist freilich richtig (vgl. z. B. die SiegeUnschrift bei J. v. Hammer-Purgstall,
Die Siegel der Araber, Perser und Türken, Wien 1850, S. 44; ferner Gesch. des osm. Reiches
III, 745 und Staatsverfassung, II, 336, Anm. *. Sinän ist 'sehr häufig der Name christ-
licher Abtrünniger, die ursprünghch wohl Josef hießen), allein der Grund dieser Zusammen-
stellung wird damit keineswegs beleuchtet. J. H. Garcin de Tassy kommt auch in der
Neuauflage seines erstmals 1854 im. JA. erschienenen »Memoire sur les noms propres et
les titres miisitlmans«, Paris 1878, auf diese Tatsache nicht zu sprechen und erwähnt nur
»une Sorte de regularite pretentieuse« bei den a'läm. Die Bildungen mit ed-ain sind dort
weniger ausführiich als bei G. Flügel in Ersch's und Gruber's Allg. Enzyklop. II. Sekt.,
12. Teil (Lpz. 1835), S. 161, I. Anm. zusammengestellt. Sie waren bekanntlich im Sel-
dschuqenreich besonders behebt und auch ein Qaramänbej und Enkel jenes NOr-.">üfi, der
nach dem Sturz der Seldschuqenmacht von Qonia i. J. 1308 unumschränkter Herrscher
von Laranda, Qonia und Umgegend ward und das Reich seines Großvaters befestigte,
führte .den Namen Bedr ed-dln Mahmud (678/719= 1279/1319). Vgl. dazu Max van
Berchem in BA VI, i (1909) S. 115, Anm. ('Ali = 'Alä' ed-dln?, ebenda S. 121). Sehr
belangreich sind nun in diesem Zusammenhang die Mitteilungen I. Goldziher's aus dem
Sittcnspiegel des um 904 d. H. in den östlichen Islamländern reisenden Eiferers 'Ali
b. Maimün al-MaghribI (st. 917/151 1) in ZDMG. XXVIII, 1874, S. 306. Er hält
Schejch Bcdr cd-dln, der Sohn des Richters von Siniäw.
21
einem Geschlecht, das zu dem altangesehensten des seldschuqischcn
Reiches zählte ^). Sein Vater Isrä'il soll ein leiblicher Neffe des Sultans
*Alä' ed-dln -) gewesen sein. Man hat sicher ganz grundlos die Richtig-
keit dieser Angabe in Zweifel gezogen. Schon der auffallende Name
Isrä'ils), den bekanntlich einer der Söhne Seldschuqs trug, spricht eigent-
lich dafür. War ja doch die Verwendung christlich'er und jüdischer Namen,
wie Mihä'll, Jünus, Müsä, die sich wohl mit der Nachbarschaft der
sich darin über die ketzerische Unsitte auf, an Stelle der alten, gutgläubigen Namen neue,
prangende Bezeichnungen zu setzen, so etwa statt ^luhammed stets Schems ed-dln,
statt Abu Bekr Taql ed-dln zu sagen. Ein Vergleich mit diesen und weiteren
von 'All b. Maimün gegebenen Proben zeigt jedoch, daß, falls diese Beispiele niclit
willkürlich gewählt sind, die gleichzeitigen osmanischen Namenführungen nicht etwa als
Ersatznamen aufgefaßt werden können, sondern als nebeneinander bestehende und
verwendete Namenpaare. Eine wichtige Stelle über die Verwendung der Namen auf
cd-din im allgemeinen gibt Ibn Battüta II, 363, 6 (Pariser Druck). Zu den 'Abbäsiden-
titeln, wo Namen auf cJ-diii und id-daida ehrenhalber sogar mittels Briefen (vgl. A. v.
Kremer, Herrsch. Ideen, S. 417: Hartwig Derenbourg, Onsama ibn Monnkidh, iin cinir
Syrien (Usäma b. Munqid) I. Bd., S. 15, 2. A. (Paris, 1889) verliehen wurden, vgl.
I. GoLDZiHER, Aliih. Sütdieu II, 60, Ibn Haldün, Mitqaddima, Paris 1863, S. 190,
neuerdings Ibn al-QalänisI, History of Damasciis 363 ;i=i^ a. h. hrsg. vonH. F. Amed voz,
Leiden 1908, S. 74,2; 85,3; ferner Kitäb al-Wuz.irä, The historical remains of Hiläl
al-Säbi. Hrsg. v. H. F. Amed .oz, Leiden 1904). Die I/iste der miidäfät bei Namen auf
cd-din und id-daula dürfte mit der Zusammenstellung von G. Flügel, a. a. 0., noch lange
nicht erschöpft sein; vgl. einen besonders krassen Fall bei G. Weil, Gesch. d. Chal. III,
54 und 78, ferner Ibn al-Atlr, Chronicon, hrsg. von C. J. Tornberg, IX. Bd., 313,
A. v. KKEMEk, a. a. 0., S. 418.
') Sämtliche \'orhandenen Lebensbeschreibungen Bedr ed-dln's gehen auf Tasch-
köprüzäde zurück. Außer der Skizze, die sich auf S. 39 im Werke Brusali Mehmcd
Tähir's, »Osniänl' viii^el/ifleri« (Stambul 1333) findet, verdienen die übrigen kaum
Beachtung. Nur der Merkwürdigkeit halber sei bemerkt, daß in der bekannten Sammlung
des Ahmed Dschewdet Pascha, »Qisas-i enbijä we teivärih-i fiülefän (häufig zu
Stambul gedruckt), auch Bedr ed-dln Aufnahme gefunden hat, und zwar im 12. Heft {*::>■).
^) Darnach ergäbe sich etwa folgender Stammbaum:
'Izz ed-dln Kai Kä'us II, st. 1260
I
Ferämes
'Alä' ed-din Kai Qobäd III.,
der letzte Rüm-Seldschuqc,
st. 1307.
*Abd al-'aziz 'Abd al-nurmin
Isrä'il
Mu'ajjcd
Schejch Bedr ed-d in Mahmud
3) C. Brockelmann, Geschichte der arab. Literatur II, 224^ schreibt ebenso wie [M. Tu.
Houtsma] Em. des Islam II, S. 416 a, irrig Ismä'Il statt Isrä'Il,
22 Franz Babinger,
christlichen Völkerschaften des Kaukasus hinreichend erklären läßt,
eine eigentümliche Gepflogenheit des Seldschuqenvolkes ''■).
Bedred-din's Vater lebte in Simäw^), einer kleinen Stadtf im Bezirk
von Kutahja, und wurde, als die Festung von Muräd I, eingenommen
und dem osmanischen Reich einverleibt wurde' 3), vom neuen Herrn
in seiner Eigenschaft als Herr [mir], Stadtvogt {wäli) und später als
Richter {qädl) bestätigt. In diesem Ort kam Bedr ed-din — das Jahr
ist unbekannt — zur Welt, nach Stand und Wohnsitz des Vaters trug
er fast stets nur den Namen »Sohn des Richters von Simäw«4), Die
Eltern führten den Knaben in die Anfangsgründe des Wissens ein
und lehrten ihn den Qor'än, den er bald auswendig wußte und so
sich den Ehrennamen eines Mfis beilegen durfte. Dann vermittelte ihm
Mewlänä Schähid, vermutlich ein Perser (der Name ist außer arabisch
auch persisch und bedeutet »Geliebter«), die allgemeinen Wissen-
schaften, und Mewlänä Jüsuf unterrichtete ihn in Sprach- und Stil-
kunst. Ein Vetter seines Vaters (der Sohn von dessen Oheim), Mew-
länä Mu'ajjed ben *Abd al-mu*min, brachte den Jüngling nach Ägypten,
*) Vgl. dazu N. Jo?GA, Geschichte des osman. Reiches I. Bd., S. 26. Nach anderer
Annahme hegt in den bibUschen Namen noch eine Erinnerung an das früher unter den
Türkstämmen im Semirjetschensk sehr verbreitete Christentum vor, wofür die von Abraham
Chwolson veröffenthehten Grabinschriften sprechen. Vgl. W. Barthold in den Zapiski
Vosiocnago Otdelenija Imperatorskago russkago Archaeologiceskago Obscestva, St. Petersburg
1894, S. 18 ff.
*) So lautet der Name richtig; in der Regel liest man die längere und wohl arabische
Form »Simäwnä«, die sich m. E. aus einer der bekannten Bildungen mit dem griech. e(; -|-
Akkus. des klassischen Namens Synaus erklären läßt. — Das Städtchen hegt 132 km süd-
westhch von Kutahja, 176 km südHch von Brussa. Vgl. V. Cuinet, La Turquie d'Asie
IV, 222. Heute ist S. eine ärmhche Siedlung mit mehreren Moscheen, die wegen ihrer
Inschriften Beachtung verdienten. Der englische Reisende William John. Hamilton
besuchte und beschrieb 1836 Simäw. Vgl. dessen »Researches in Asia Minor, Pontiis and
Annenia«, London 1842, II. Bd., S. 124 sowie C{ivis) L{iber) H(amburgensis) (= A. D.
Mo dtmann) in Das Ausland, 1855, S. 614. — Es hegt offenbar eine Verwechslung mit
semäwi (=semä'l) »himmUsch« vor. Samäwa heißt ein Ort nw. von Basra. — Simäw
ist übrigens der Geburtsort mehrerer für das islamische Glaubensleben bedeutender
Männer, vgl. 'Äschiqpaschazäde, ta^rik, S. 224: Schejch *Abd Allah Ilähi
(st. 896 h) und Schejch Qara Scheins ed-din, vgl. über ihn Ewlijä, Sejä/ietnäme
III, S. 377.
3) Über dieEroberung des Städtchens vgl. 'Aschiqpaschazäde, ta^rilj, S. 57, 3.
Der Ort wird ebenda S. 224, 4 nochmals genannt. Heute noch finden sich auf einem kleinen
Hügel unweit davon die Reste der einstigen Befestigungsanlage. Vgl. Karl Buresch,
Alis Lydien, Leipzig, 1898, S. 142 — 144; Th. Wiegand, Reisen in Mysien in Athenische
Mitteilungen, XXIX. Bd., (Athen 1904), S. 324 (Abbildung).
4) In der Form »ibn qädi Simäwnä« bzw. »Simäwnä qä^Isi oghlu«; darnach bildete
man »SimawnaoghU« (J. v. Hammer, I, 378), Samabune, Samobuna, Samobunogh
bei LÖWENKLAU).
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw. 2^
WO er seine Kenntnisse vertiefen sollte. Faid Allah, ein Schüler des
Mewlänä Fadl Allah zu Qonia, wurde dort vier Monate lang sein
Meister. Dann starb dieser und Bedr ed-din wandte sich darauf an-
geblich zu dem berühmten Gottesgelehrten und Weltweisen 'Ali b.
Muhammad al-Dschurdschäni (740/816 H. = 1339/1413), der ihn vor
allem in der Erkenntnislehre unterwies. Dann genügte er der Glaubens-
pflicht mit einer Pilgerfahrt nach Mekka. Nachdem er an dieser hei-
ligen Stätte den dort lehrenden Schejch Zaila'i ^) gehört hatte, kehrte
er nach Kairo zurück und wurde Schüler des Schejchs Akmal ad-din 2).
In dessen Gesellschaft traf er, wie Taschköprüzäde im Leben Ai-
dinli Häddschi Pascha's 3) (eigentlich Hidr b. *Ali b. Hattäb, vgl.
Taschk., a. a. 0. S. 74) berichtet, diesen gefeierten Arzt und Gesetzes-
gelehrten. Inzwischen war die Kunde von Bedr ed-din's umfassender
Bildung und Weisheit an denHof Faradsch's, des Beherrschers Ägyptens
und Sohnes des Sultans Barqüq, gedrungen, der ihn zu sich beschied
und seinen Unterricht genoß. In jene Jahre fällt dann die Bekanntschaft
mit Sejjid Husejn aus dem armenischen Achlät, einem damals hochange-
sehenen süfischen Mystiker 4). Leider ist über das Leben und Wirken die-
') Es ist nicht klar, ob es sich um Fahr ad-din 'Osmän b. 'All b. Mihgän-
al- Bär'I az-Zaila*I handelt, der schon 705/1305 nach Kairo kam, dort Mufti und hana-
fitischer Rechtslehrer wurde. Er starb freilich schon 743/1342. Vgl. C. Brockelmann,
GdaL, II, 78.
2) Gemeint ist wohl Muh.b. Malimüd Akmal ad-din al-Baibartl, st. 786/1384,
der Ijanafitische Gelehrte. Vgl. C. Bkockelmann GdaL, II, 80.
3) Vgl. über ihn Mehmed Tähir, Aidin wiläjetine mensüb meschd'ii} ^ulemä
schu^arä muwenichln ive altihänin terädschim-i ehwäli. Stambul 1324, S. 174 — 177; Si-
dschill-H 'osmäiil II. Bd., S. 94; J. v. Hammer, Gesch. des osm. Reiches, I. Bd., S. 351, 630;
ders., &esch. der osman. Dichtkuns', I. Bd., S. 73; Th. Menzel in EI, II, 218, wo indessen
aus dem Studiengenossen Bedr ed-d!n (hier Bedr al-din Sihävi!) ein Lehrer gemacht wird.
Vgl. ferner E. J. W. Gibu, History of Ottoman Poetry, I. Bd., S. 260, i. Anm.
4) Vgl. über Sejjid Husejn von Achlät die knappen Angaben in Häddschi
yallfa's Dschihännumä, Stambul 1145 (1732), S. 412 — 413 (in M. Norberg's latein. Über-
setzung I. Bd., S.600), sowie J. v. Hammer, GdOR, III, 675. Ewlijä Tschelebi,
Sejäheinäme IV, 134 ff. schweigt darüber. Darnach mußte sich sein Grab zu Achlät,
seiner Geburtsstadt am Nordwestufer des Wansees, dem alten Hofsitz der armenischen Kö-
nige, befinden. Dazu stimmt nun freilich schlecht die Behauptung, daß Bedr ed-dln ihn in
Ägypten gehört habe und ihm nach seinem Tode in der Vorsteherschaft des Süfl-Klosters
folgte. Ich lese im IV. Buche des Scherefnäme (vgl. Ausgabe von F. B. Charmoy,
Cherel-ndmeh, II, i, S. 221) in der Verdeutschung von H. A. Barb, Siizuugsberichte
der philos.-histor. Klasse der Kaiserl. Akademie der Wissen schajlen, XXXII. Bd.,
1859, Wien 1860, S. i6r, folgende höchst merkwürdige, auf Husejn bezügliche Stelle:
». . . Wegen der durch Dschengis Chan's [richtig: Timur's] Heeresmacht in Iran und Turan
hervorgerufenen Wirren und Umwälzungen, die er durch seine Seherkraft vorausgewußt
hatte, verließ er vor dem Ausbruch der Unruhen mit 12 000 [!] Familien, seinen Jüngern
und Anhängern, Angehörigen und Freunden, die Heimat und begab sich nach Ägypten,
2A F r a n z H a b i n g e r ,
ses Mannes, der von entscheidendem Einfluß auf Bedr ed-din geworden
sein muß, fast nichts überliefert. Er stand im Rufe eines großen Kab-
balisten, der sich auch beim Volke durch die Vorhersage der Mon-
golenverwüstungen ^) einen Namen machte. Von ihm wurde Bedr
ed-dln schließlich in einen Süfi-Orden aufgenommen, dem Sejjid yusejn
vorstand; von ihm erhielt er dann auch die idschäza. Mit solchen
Vollmachten ausgerüstet, verließ er zunächst Ägypten und begab sich
nach Täbris. Dort machte er, so wird berichtet, die Bekanntschaft
Timur-lenk's. In einer Versammlung von *Ulemä überraschte er den
fragestellenden Fürsten durch seine schlagenden Antworten, die alle
umsitzenden Gelehrten schuldig geblieben sein sollen. Mit Lobsprüchen
und Geschenken überhäuft, entließ ihn Timur. Bedr ed-din zog dann
über Bitlls an den Wansee und von dort abermals an den Nil. Hier
traf er wieder seinen alten Lehrer Husejn, und nach dessen bald er-
folgtem Tod ward er selbst Vorstand des Süfi-Ordens, dessen Vorstand
[pir] Sejjid Husejn gewesen war. Freilich nur für kurze Zeit. Denn
schon nach sechs Monaten begab er sich nach Haleb, hierauf nach
Qonia und schließlich nach Tire in Kleinasien 2). Damals soll er vom
wo er bis zum Hintritt des Landesfürsteii verweilte. Sein ehrwürdiges Grab befindet sich
daselbst, und noch jetzt existiert in Kairo ein Viertel, welches das Quartier der Achlater
heißt.« Diese Nachricht ist auch für die Geschichte des Süflsmus in Ägypten von
größtem Belang und verdient eine genaue Nachprüfung. Sujüti, der in seinem »ffusn
al-muhäiara fi ahhär misrwa ^l-Qähtra«, Kairo 1299, I- Bd., S. 292, eine Liste der in Ägyp-
ten tätig gewesenen süflschen Mystiker gibt (vgl. C. H. Becker's wichtigen Artikel in der
Enz. des Isl., II. Bd., S. 21 b— 22a), erwähnt ihn nicht. Diese »Flucht nach Ägypten« muß
in der arabischen Literatur ohne Zweifel einen starken Widerhall gefunden h^ben. Solche
Massenauswanderungen mit offenbar religiösen Beweggründen finden sich mehrfaclvin der
islamischen Geschichte. Es sei an die 10 000 — 12 000 Turkmenen vom Weißen Berg (Aktam)
erinnert, die sich zur Zeit Hülägü's und des Paläologen Michael i. J. 1264 (662 d. H.) in Beß-
arabien (»dobrudschische Tatarei«), Baba-dagh und sogar in der Nähe Adrianopels unter
Anführung eines gewissen Saru Saltuq dede (»dede« deutet wohl auf einen Ordens-
schejch!) niederließen. (Vgl. darüber die noch ununtersuchte Wiener Hs. lOOi, II, Bl. 109
V — 117 r des Schähnämedschl Sejjid Loqmänl). Flüchtig behandelt bei J. v. Hammer,
GdOR. I, 122; II, 143; III, 202; VIII, 354; vgl. seine Gesch. der osni. Dichtkunst II, 259,
2. Anm. Der Darstellung des Loqmän hegt das ^Ughuz-näme zugrunde, auf das er sich
mehrfach bezieht. Vgl. G. Flügel, Wiener Hss. II, 225, ferner Ewlijä Tschelebi,
Sejähetnäme, III, 368 sowie den Text bei W. Lagu?, Seid Locmani . . . exccip'a, Helsing-
fors 1854, S. 7 ff. — Verschlossen blieb mir die bulgarische Arbeit von I. K. Dimitroff
»Die türkische Einwanderung in die Dobrudscha im 13. Jahrhundert« im X. Band (kniga)
i\cx Spisanie na Bulgarskata Akademija na naukite, Sofia, 1915.
■) Die gleiche Voraussage findet sich bei Cl. Huart, Les saints des dervichcs lourneiirs.
Paris, 1918, I. Teil, S. 9, 15, wo Behä ed-din Weled, der Vater Dschcläl ed-din
Rümi's, ebenfalls den Mongolensturm, natürhch Dschingiskhäns, vorher sagte und darauf-
hin ebenfalls (aus Khoräsän) auswanderte!
-) Jetzt Hauptstadt des Liwä Aidln, damals wohl gerade Hofsilz des geßüchleten
Schejch Bedr ed-diti, der Sohn des Richters voö Simaw. 25
Statthalter von Chios ^), dem er im Traum erschienen war, auf diese
Insel eingeladen worden sein und ihn zum Islam bekehrt haben. Bald
darauf sah ihn Adrianopel, wo er seine Eltern noch am Leben fand.
Als Müsä Tschelebl, Bäjazids Sohn, im Jahr 813 (1410) auf den Thron
gelangte, übertrug er Bedr ed-din das hohe Amt des Heeresrichters
von Rumelien^). Die oberste Würde des Gesetzes bekleidete Bedr
ed-din allerdings nur kurze Frist, wie ja auch Muräds Gewaltherrschaft
bald ein Ende nahm. Immerhin gewann er, zumal in Rumelien, durch
sein gewaltiges Wissen und sein hohes Amt 3) mächtigen Eintlufi auf
die Bevölkerung, für deren Nöte und Wünsche er während seiner
Amtstätigkeit ein besonders eingehendes Verständnis bewiesen haben
muß. Mit Müsäs Entthronung im Juli 141 3 verlor er zwar nicht das
Leben, sondern wurde, offenbar wiegen seiner Bedeutung als Gelehrter,
begnadigt, mußte aber mit einer monatlichen Pfründe' von lOOO ^os-
mäni [aqtsche) 4) sich nach Isniq in Kleinasien in die Verbannung
begeben 5).
Für die fernere Tätigkeit Bedr ed-dm's, die mit seinem Aufenthalt
in Isniq erst jene wichtige Wendung nahm, sollen die osmanischen
Geschichtsquellen nunmehr zu Wort kommen. Das unscharfe Bild,
das sie hiervon geben, wird dann in erfreulicher Weise durch die An-
gaben des byzantinischen Chronisten Dukas deutlicher und klarer
gemacht werden.
Aidln-oghlu (vgl. J. v. Hammer, GdOR. I, 221). Vgl. Häddschl yalifa's Dschihän-
11U11U1, S. 636 (Übers. M. Norberg II, 425).
■) Chios stand in jener Zeit unter genuesischer Oberhoheit. Iii den Werken von
A. M. Wlastos (Hermupolis 1840) und K. N. Kanellakis (Athen 1890) ist dieses Ereignis
einer Bekehrung des christlichen Fürsten (Giustiniani?, vgl. Karl Hopf in Ersch und
Gruber's Allg. Enzyhl. I, 68, S. 308 ff.) nicht angeführt. Vgl. dazu J. v. Hammer, GdOR.
1, 631, Anm. **, eine Annahme, der schwerlich beizupflichten ist.
0 V^g'- 'Äschiq paschazäde, Ta^r'ifi, S.73. Gleichzeitig mit ihm wurde Mihäl-oghlu
Mehmed Bej zum Bejlerbej ernannt. Ebenda S. 82 ff.
3) Unter dem Khahfat und in andern islamischen Staaten war die oberste Würde
der *Ulemä nicht die des miifll, sondern die des obersten Landesrichters (qädt ^l-gudäl),
und auch im osmanischen Reiche schreibt sich der Vorrang der miift'is über die Heeres-
richter {qäd'i 'asker) erst seit Mehemmed II. (1451 — 1481) her, der dem w/(//i der Haupt-
stadt zuerst den Vorrang über alle andern mttfiTs des Landes und den Titel eines Schejch
ül-isläm einräumte. Vgl. J. v. Hammer, Des osmanischen Reiches Staatsverwaltung, II. Bd.,
S. 373 (Wien 181 5).
4) Über diese Währung vgl. E. J. W. Gibb, Hist. of Oll. Poetry I, 262.
5) J. v. Hammer, Gesch. des osman. Reiches I, S. 350, behauptet unter Bezug auf
'.\lT, daß B. »mit einer RichterstcUe von hundert Aspcrn täglichen Ertrages« beliehen
wurde, was völlig unwahrscheinlich klingt. Die Höhe der Einkünfte, drei Asper zu einem
Aqtsche gerechnet, deckt sich zwar genau mit der oben bezeichneten Summe, allein das
Amt eines gewöhnliclicn Richters wird B. schwerlich von Mehemmed I. zugemutet
worden seiu. Vijl, dazu '.Vschitjpaschazäde, Tah-lb, S. 84.
20 K r a n z B a b i n g e r ,
DIE OSMANISCHEN BERICHTE.
Nach dem eingangs über die osmanischen Geschichtsquellen des
15. Jahrhunderts Gesagten bliebe nicht viel mehr übrig, als diese selbst
zu Wort kommen zu lassen. Sie tragen das Gepräge einer unent-
wickelten, kindlich-einfachen Darstellung, wie sie allen Geschichts-
schreibungsversuchen derber, urwüchsiger Völker eignet. Die ein-
zelnen Ereignisse werden fast zusammenhanglos oder nur mit »episch-
typischen Motiven« nebeneinandergestellt ^), und das Bedürfnis, sie
zu einer Einheit zusammenzufassen und in ihrer Abfolge eingehender
zu begründen, mit andern Worten den inneren Willenszusammenhang
der einzelnen Taten, das Pragma, zu suchen, stellte sich damals noch
lange nicht ein. Da das gewöhnliche Leben dieser Osmanen in harter
Bindung von Geschlecht zu Geschlecht dahinlief, konnte auch von
einem Verständnis wechselnder Zustände und damit von einem tie-
feren Begreifen geschichtlicher Vorgänge bei weitem nicht die Rede
sein. Menschlich bedeutend erschien nur das außerordenthche Schick-
sal des Herrschers, der aus der gewöhnlichen Gemeinschaft heraustrat.
Und so war es, wie bei aller ursprünglichen Geschichtschreibung,
die Feier, die Verklärung der überragenden Persönlichkeit des Sultans,
die das eigenthche Leben der geschichtlichen Erinnerung jener Tage
ausmacht. Hewärik« oder »menäqib-i äl-i ^Osmän«, die »Geschichten,
die Tugenden des Stammes 'Osmans« benannten die alten Chronik-
schreiber ihre Aufzeichnungen. Diese Richtlinien, die die Verherr-
lichung und Verhimmelung der Person des Großherrn als die höchste
Form der Auswirkung geschichtlichen Sinnes vorschrieben, sind aller-
dings auch in späteren Jahrhunderten leitend gewesen. Aber im Laufe
der Zeit wuchs die Geschichtschreibung aus der Vorstellungskraft
jener kümmerlichen Formen zu einer erfreulichen Höhe empor und
entwickelte sich gleichzeitig zu höherer künstlerischer Darstellung.
Freihch, die Geschichtschreiber, die hier in den Kreis der Betrachtung
gezogen werden, lassen alle diese Kennzeichen einer Steigerung der
geschichtlichen Auffassung vermissen; auch die eitle Wortmacherei eines
Idris vermag sie nicht vorzutäuschen, und aus dem lächerlichen Wort-
schwall schimmert in jeder Zeile die Dürftigkeit der Vorstellungswelt,
die sich mit persischem Wortgeklingel und billigen Sprüchen notdürftig
verkleidet. Einen erfreulichen Gegensatz hierzu stellen die älteren
Berichte dar, die bar jeden Schwalles die Tatsachen vermelden. Es
ist bezeichnend für den Geschmack der Nachfahren, daß diese später
in völlige Vergessenheit gerieten, besonders als Sa'd cd-din mit dem
') Z. B. bei Ncschrlals oIjÜC»- »Eri.ählungen«, die hin und wieder von wäjLIaJ
»Anekdoten« unterbrochen werden.
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw, 2/
Ansehen, das seine berühmte »Krone der Geschichten« sich im Laufe
der Zeiten dank seiner (nach den Begriffen der damaligen Osmanen)
stihstischen Formvollendung erwarb, jene alten Berichte der Ver-
gessenheit überantwortete, noch bezeichnender, daß Ijjäddschi
yalifa diese alten Werke als §>\*^, als »leer, unbegründet« hin-
stellen konnte ^). So kam es, daß erst in unseren Tagen, und zwar in
Deutschland, jene überaus wertvollen Quellen wieder ans Licht
gezogen wurden und ihrer allmählichen Ausgabe und damit der wissen-
schaftlichen Erschließung entgegensehen dürfen. Die Namen des
*Äschiqpaschazäde, des Neschri und des Muhjl ed-din sind
heutzutage wieder zu verdienten Ehren gelangt und hoffentlich wird
die Zeit nicht mehr fern sein, wo ein glücklicher Fund uns in den
Besitz der verschollenen ftMenäqih-i äl-i ^Osmäna des Ja^jschi faqih^),
des Sohnes Iljäs, des Imäms Or|ians, setzt. Von allergrößter Be-
deutung für die Kenntnis der altosmanischen Geschichtsquellen ist
einstweilen eine Feststellung, die dem mühseligen Fleiße und der ein-
dringlichen Forscherarbeit Friedrich Giese's verdankt wird und
von der hier zum erstenmal, dank dem Entgegenkommen dieses Ge-
lehrten, kurzer Vorbericht erstattet werden kann.
Das Werk des Richters von Adrianopel, Muhji ed-din Dsche-
mäli (st. 1550), das in einer großen Anzahl von Abschriften 3) auf euro-
päischen Büchersammlungen vertreten ist, stellt sich darnach als
eine Zurechtstutzung und Weiterführung eines Ungenannten, dessen
Bericht im Jahre 1490 schließt, bis zum Todesjahr Muhji ed-din' s
(1550) dar. Dieser »Anonymus«, dessen Veröffentlichung F. Giese
I) Vgl. Lexicon bibliogr. II, S. iii, Nr. 2154. Die Verdeutschung G. Flügel's, Wiener
Hss., II, 206 (»alt, verloren gegangen« wohl nach J. v. Hammer, GdOR. I, XXXIII) für
^^i»ist falsch. J. H. Mordtmann bemerkt ganz mit Recht (Islam X, S. 160): »Die naive
Darstellungsweise dieser osmanischen Logographen entspricht ja allerdings nicht dem .Stil
der offiziellen ,..Lwv-j ».i \xi^, läßt aber dafür um so klarer den sagenhaften Charakter
der osmanischen Urgeschichte hervortreten, während SaM ed-din und seine Abschreiber
daraus pragmatische Geschichte zurechtgemacht haben, ein Verfahren, auf das viel mehr
die Bezeichnung ^?!^ paßt.«
-) Vgl. über Jahschi z.B. 'Äschiqpaschazäde, Stambuler Druck S. 7^1; ferner
die Vorrede der von J. H. Mordtmann entdeckten 'Aschiqpaschazäde-Handschrift
auf der Dresdener Bibliothek, cod. turc. Nr. 60, die im Druck fehlt. Vgl. über diesen Fund
Mordtmann's Bemerkungen im Islam, X. Jg.. S. 159.
3) Handschriften befinden sich u. a. in Berlin Nr. 207 (Pertsch, Kai. S. 233), Wien
Nr. 1000 (Flügel, Kai. II, S. 223), München, cod. turc. 32, 83, Gotha, cod. turc. 150,
Britisches Museum, Ch. Rieu, Catalogite of turkish mss.., S. 46 b und S. 251 b. Luioi Bo-
XELLi hat in den Rendiconti della Reale Accademia dei Lincei, classe di scicnze morali,
storicheefüologükeY. Reihe, IX. Bd. (Romaigoo), S.423ff., »Di wiacronacalurca del 1500«
aus einer früher im Besitz Emilio Teza's, jetzt in der Accademia dei Lincei befindlichen
Handschrift Auszüge veröffentlicht.
28 F r anz Bab i nge r ,
beschäftigt, ist mithin etwas älter als *Äschiqpaschazäde und
Neschri. Nun ergibt sich aber weiter, daß bis in die Regierung
Muräds II. (1421) hinein diese drei genannten, vor allem aber *Äschiq-
paschazäde und der GiESE'sche Anonymus, fast gleichlautende Be-
richte enthalten und sowohl in der Anlage wie im Aufbau nahezu
übereinstimmen, während sie in den späteren, offenbar selbsterlebten
Jahren voneinander abweichen. Somit muß ein älteres Geschichts-
werk angenommen werden, das jene ausgeschrieben haben und das
sich in großen Teilen fast textgenau wiederherstellen heße. Dieses
Werk müßte unter der Regierung Muräd's II. (1421 — 1451) entstanden
sein; meine briefhch geäußerte Vermutung, daß es sich hier um die
»menäqibn des Jahschi faqih handle, begegnet nach F. Giese Schwie-
rigkeiten.
Für den vorliegenden Zweck ist nun die Tatsache von Belang,
daß der Bericht über den -.^y> des Schejchs Bedr ed-dln sich noch
unter diesen gemeinsamen Stücken befindet, wodurch sein geschicht-
licher Wert beträchtlich erhöht wird. Unmittelbar darauf beginnen
die Abweichungen. Der Text des »Anonymus Giese« ist am besten
in zwei Wiener Handschriften erhalten: A. F. 251 (Flügel, Kat. II,
207, Nr. 983) und A. F. 445 (Flügel, a. a. O. S. 208). Wie eine von
mir vorgenommene Vergleichung mit der in Gotha befindlichen, von
U. J. Seetzen erworbenen neueren Abschrift des Anonymus ergab
(W. Pertsch, Kat. S. 121, Wien 1864, cod. turc. 149, Bl. 29 b, 10. Z
(Mitte) bis Bl. 30 b, 3. Z. v. o.), handelt es sich hier um eine neuzeit-
liche Überarbeitung mit freilich geringen textlichen Änderungen und
Vermeidung vor allem veralteter Ausdrücke; eine Feststellung, in-
wieweit die Kopenhagener Handschrift des Anonymus (vgl. Codices
Orientale s hihi, regiae Hafnensis, pars III, Hafniae 1857, S. 55, Nr. X)
abweichende Lesarten bietet, war trotz mehrfacher Bemühungen
nicht möglich.
DER WORTLAUT DES »ANONYMUS GIESE«:
\;JLj5 ^>Aj! ^s!ru=Lfi «.>j.b'^_^ »Jo^J^vX^ Ä-^j^ ^J^''^ ^^j^j^>^ ^^^Äii/ox
^.kÄjL*n/i 15^"^ öiAijj^t tJ^j'^3 i3»t (^^i^ iu^j »,s f^O'.^^yS' ^yO^\ ij^^^i_»
KjJJS L.i;Ls- (^Oy _.ixAJ.J j.'^<^ y^j^ j^O^cXJj» Xj.J^il' (jj^LI jj'Yri'-^'j' l^^-'"'
0 fehlt in W. ^) W' ö^:^\.
Scliejcti Bedr ed-dln, der Sohn des Rictiters von SimaW. 20
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J'l^s' ^p .i^^y^ ^JAJCtLL) ^j;-^^ l5-^-^^ >-^b' (^oJ . . «.j »wJiJvt .Uj( (v^Xj!
-^ , • ^ ^ •• -^^ t> ^•
( ^jji'^ (^ L^'^^^ ' ;^A^0 \5o^^ j.jO;».-»-w 4.5o (-X^^:^^ ...ILii^ ..ji-Xi-i? J.J
(*°-^3;i> ('^^^jJLSri ,Vl:>^Xj^ JjJ> (J^^ii/5 dUy« (*^lXj c5->"|;i l->Cj cv^i^j _5
') -.ÄjJ» 0»!» fehlt in Wi, steht aber in allen andern Hss.
^) \V, fehlt ji?, Berliner Hss. der MuhjT cd-dln und der Kodex Emii.io Teza's
(1831 — 1 013) haben ^j:^.^, ebenso Wiener Hs. A. F. 25t.
i) Dieser Ausdruck findet sich bereits bei Dscheläl cd-dTn Rü mj, vgl. J. A. Vul-
LF.KS, Lex. Pers. I, 580; 10. Z. v. u., 8. Z. v. u.
4) \V: xL.iAx.
5) Gerundiv von iiL«J'^i, das »belagern« bedeutet. Nichl in den \Y(hierbüchern,
sehr häufig in aUosnianischen Texten.
<>) Statt Q^jj^O L5^j^' ^^^ ^^' '^^J-:'. O^j-V^-
7) W fehlt ^tfic^! ^.M^/toLS Ni.L4»w.
s) W fehlt LjCj bis J,L>.
')) ^jL:>-) ältere Form für *.j'u^), ebenso ^j^Aji.
"*) Über die Bedeutung ^2(r?7^5cAist zu bemerken, daß es für Erscheinen eines großen
Eroberers, Propheten gebraucht wird, also durchaus nicht den Sinn »Empörung« usw.
zu haben braucht. V'gl. dazu I. Goi-dziiier, ZDMG. LX. Bd., S. 219, i. Z. — Vgl. S. 42, i. A.
AQ Franz B ab ingefj
jsXif ^\<y .^^ ji^>^"5 o»co ix^\*\ s^-ij j^j-^ d*^ J^J^ c^^^ e?j»^j^
N:>Vxb',_j.J (^,_*=^ L5^J'' -73;^ LäiiAa/a i(.4S.J^_^_jj «.JvaäJAjI^JvAJ^I ,v'^J (^j^'^^^'
^!j t\Äi' (j:00 ^0(.^L<:OaÄ> |*.ÄJ 0^i> ^^3! ij:>->>^j5 (j:l\,:Cu;;( ^:>»^.i> i^UwäIias^
J Ab ii.>oLj v^J^' jr^V-^ o.j^jcVj ^Xi^ (.>Ai> jj:^;^^ l5^^^ O'^'^j^ '^ ^'"^^
^O^^,^ ■^l\ C-X^^^kA ^.<j1 ^^.JC^c ^^'-s ^^^=^ ^^^^ ^3^ j-^-^^3^ £^^
iA.«.js="^/« ^LlaLw (j;Ails &AAv>-*.i" J»^-w ^JaIeLIp »_^P ^__».j ^-v=> Lä/^^jS ^jr^\
,.XLLh »-.»-x^ JajVI^ ^>^Jo «lAÄS-i? s-c; (^^OjA-b' -Jt ^Ui> (^cJUXit
Ich gebe davon folgenden Verdeutschungsversuch:
»Zur Zeit, da Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von
Simäw (im folgenden stets mit »SdRvS« abgekürzt), unter Müsä
Heeresrichter war, befand sich bei ihm als kjaja ein gewisser (so ge-
nannter) Bürklüds-che Alusfafä. Als man den Schejch nach Isniq ver-
wies, begab sich B. M. nach Aidin-eli 4), von dort zog er weiter und
ging nach Oaraburun. Über diese Gegend brachte er viel Unheil,
Aidin-eli zog er auf seine Seite. Er sann alle möglichen Listen aus
(oder: er verbreitete allerlei unsinniges Zeug), ließ sich — Gott be-
hüte 1 — Prophet nennen und redete noch viele Torheiten wie diese.
Als der SdRvS, Schejch Bedr ed-din, auch dies vernahm, daß B. M.
Erfolg habe, floh er aus Ismq und begab sich zu Isfendijär, Während
') , ifiJ^S heißt in älteren Texten gewöhnlich »sich jemand anschließen«, »jemand
gehorchen«.
-) W fehlt «w^S^ ^_cO, ,3 L->N.i^ Xi^kA.
3) Gehört zu / iM^i.
■4) Bei den alten Schriftstellern hatAidin-eh, Mentesche-eli usw. noch dieBedeutung
»Land der Aidln-oghlu« , »Land der Menteschc-oghlu« usw. Man übernimmt daher am
besten den türkischen Ausdruck. (J. H. Mordtmann.)
Schejch Bedr ed-diti, der Sohn des Richters von SimSw. <> t
er sich bei Isf. aufhielt, bestieg er eines Nachts ein Schiff und setzte
nach der Walachei über. Von dort zog er in das Aghadsch denizi;
jedenfalls, so sagt man, stand er mit B. M. im Einvernehmen. Sultan
Mehemmed sandte seinerseits den Bäjazid Pascha und seinen Sohn
Muräd nach Oaraburun, B. M. hatte in diesen Gegenden sich Macht
verschafft und sein Haupt erhoben. Es hatten sich 2000—3000 Leute
um ihn geschart. Nachdem Bäjazid Pascha und Sultan Muräd nach
Oaraburun gekommen waren, trafen sie mit B. M. zusammen. Es
kam zu einem gewaltigen Kampf. Auf beiden Seiten wurden viele
Leute getötet. Schließlich schlugen sie den B. M. dort auch kurz und
klein (rissen in Stücke). Sie vernichteten also jenes Volk, besetzten
jenes Land und verteilten die Landschaft als Lehen unter die Knechte
des Herrschers. Bäjazid Pascha kam nach Manissa und traf dort noch
den Torlaq Hü Kemäl. Auch dieser hatte mit 1000 — 2000 Anhängern
die Leute ständig mit großen Redensarten verführt. Auch diese zer-
streuten sie. Den Torlaq Hü Kemäl erwischten sie mit einigen Jüngern
und hängten ihn auf. Andererseits war Sultan Mehemmed von Seres
gegen Salonik gezogen, und während er es belagerte, war der SdRvS
aus dem Aghadsch denizi hervorgebrochen und entsandte einige un-
selige süß, daß sie in die Ebene von Zaghra gingen und dem Volke
vorredeten: »Von nun an ist die Herrschaft mein und der Thron ist
mir gegeben worden, mich heißt man den König, (den) Mahdi. Ich
will die Fahne entrollen und mich erheben !«, sagte er. Diese süfl
gingen nun in die Ebene von Zaghra und forderten (das Volk) auf.
Es kam auch, gehorchte und schloß sich ihm an. Dann stand B. M.
auf. Als er von dem Aufstand des B. M. gehört hatte, sprach er:
»dieser ist nur mein Diener !« Und er selbst erhob sich auch. Zu
dieser Zeit war (aber) B. M. noch nicht umgekommen. Als Schejch
Bedr ed-din aus dem Aghadsch denizi herausgetreten war, hatten sich
viele Anhänger von unseligen süß freiwillig [ujitb) ihm angeschlossen
und sich um ihn gesammelt. Als er unter Müsä Tschelebi Heeres-
richter war, hatte er mehrere Stellen verliehen und so waren manche
Leute ihm zugetan; sie kamen alle zu ihm. Hinterher aber sahen sie:
»an dem Werk dieses Mannes ist nichts Gutes«, und so gingen sie alle
auseinander, kaum einer blieb. Sultan Mehemmed hörte dies und sandte
viele Leute aus. In der Gegend von Zaghra trafen sie (ihn), faßten
(ihn) und brachten ihn zum Sultan Mehemmed nach Seres. Da fragte
Sultan Mehemmed: »Was sollen wir mit diesem Mann anfangen? Ist
wohl eine Sünde dabei, wenn man diesen umbringt?« sagte er. Die
Padischahe jener Zeit waren eben so rechtschaffene Leute ^), daß sie
*) musulmän ist hier natürlich nicht wörtlich, sondern im bildlichen Sinne zu fassen,
3^
l^'ranz Babingei',
(selbst) derartige Unheilstifter und Aufrührer zu töten nicht übers
Herz bringen konnten. In jener Zeit ^) war nun ein großer Gelehrter
mit Namen Mewlänä liaidar. Der war aus Persien gekommen. Der
tat den Ausspruch (gab das fetwa) »sein Blut (zu vergießen) ist erlaubt,
sein Gut (ihm zu nehmen) ist verboten«, sagte er. Auf dessen Wort
hin hängte man ihn mitten in Seres auf einem Marktplatz vor einem
Laden auf und schaufelte ihm dort ein Grab.«
Wie bereits angedeutet, deckt sich der Bericht, den das Geschichts-
werk des Muhji ed.-din Dschemäli gibt, wortwörtlich mit dem
vorliegenden. Wie J. H. Mordtmann (vgl. Der Islam, X. Bd. (1920)
S. 159 ff.) nachgewiesen hat, liegt im sog. cod. Verantianus, den .der
Westfale Hans Löwenklau -) aus Amelsbüren sowie schon sein
Vorarbeiter Johannes Gaudier, genannt Spiegel, seinen wohl-
bekannten »Historiae Miisulmanae Turcorum« (Frankfurt a. M. 1591)
zugrunde gelegt hat, eine Übersetzung der Jahrbücher des Muhji
ed-din vor. Es ist als Beweis für die oft gerühmte Treue der Über-
tragung Löwenklau 's und zugleich als Probe für eine künftige kri-
tische Ausgabe dieses osmanischen Geschichtschreibers sicherlich
nicht ohne Wert, die Leistung des westfähschen Edelmanns auf ihre
Zuverlässigkeit zu prüfen. Ich setze deshalb den Wortlaut, wie ihn
die angezogene Ausgabe aufweist, hierher:
Spalte 464—467: Fuerat id temporis Scheiches Bedredin, iudicis
Semaunae filius, Musae viventis adhuc Casi-asker .... Is quemdam
a secretis habuerat, Burgluzen Mustapham. Sed quum extincto Musa,
deportatus esset Sultani Muhametis iussu Bedredin Isnicam . . ,
velut in exsilium: statim Burgluzes Mustapha se contulit in Aidinensem
provinciam, et Cara-borum , quibus in regionibus valde mul-
wo es »rechtschaffen, ehrlich, i'rnmin, biederherzig« bedeutet. Schon H. Löwicnklat hat
es in dieser Bedeutung verstanden: »Musuhnani vel justic.
') Dieser zweimahge Ausdruck »jener Zeit« ließe fast vermuten, daß es sich um eine
weit zurückliegende Spanne handle. Vielleicht hat man deshalb ein Einschiebsel aus
späteren Jahren anzunehmen?
-) Über Hans Löwenki.al- fehlt leider eine gründHche lebensgeschichtliche Unter-
suchung. Er ist als der Begründer der türkischen Studien in Europa zu betrachten. Vgl.
darüber den sehr guten, freilich gerade diesen Zweig seiner umfassenden Tätigkeit nur wenig
berücksichtigenden Aufsatz von [Ad.] Horawitz im 18. Bande, S. 488 ff. der Allg. Deutschen
Biographie, dazu mein Stavibitler Biichcesen im i8. Jahrhundert, I^eipzig 1919, S. 29, ferner
meinen Aufsatz ))Die türkischen Studien in Europa bis sunt Auftreten Josef v. Hammer-
Pnrgstalls«. in der Welt des Islam, VII. Jahrg., Berlin, 1919, S. 108. — Heute trägt noch
eine zur Gemeinde Amelsbüren (südl. Münster) gehörige Bauerschaft sowie ein dabei
hegender Gutshof den Namen Loevelingloe. Der letzte war früher als »curtis Ludelvinclo,
Lodevinglo« ein Amtshof des Domkapitels von Münster. Dort ist Hans Löwrnklau
^533 gi'boren.
i
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw. ■? -^
tarum Murailucarum^), hoc est haeresium auctor exstitit. Adeoque
Burgluzes hie tantum effecit, ut Aidincnsis ad ipsum deficeret ager
universus. Ritus excogitabat novos et insolentes, seque pro viro sancto
gerebat, et foeda quaedam alia non pauca profercbat in medium,
a receptis ahena. Ouum vero Scheiches Bedredin, iudicis Semaunae
filius, hunc Burgluzen Mustapham intellexisset armatum, ahquid
mohri: etiam ipse Nicaea profugit, et Isfendiarem begum adiit. Ubi
tempus ad aliquot ipso haerente, forte contigit, ut navis quaedam in
noctu solveret, trans mare nigrum in Valachiam itura. Conscendit
hanc Bedredin, et in Valachiam transvectus, silvam adiit, quam in-
colae vulgo Mare arborum vocare solent. Interea Burgluzes ille Mu-
stapha regionum superius indicatarum populos sibi prorsus adiunxit.
Itaque Suitanus Muhametes Baiasitem bassam, cum filio suo, Sultano
Murate, Caraborum misit; ut hominis seditiositumultum compeseerent.
Profecti sunt hi, quod imperatum esset a Sultano, facturi. Sed eorum
locorum incolae tanta veneratione ac benevolentia prosequi Burgluzen
Mustapham ceperant; ut etiam mota seditione, ipsorum ad tria milia
Burgluzen armati sectarentur. Nihilo minus progressi Caraborum
Baiasites bassa, et Suitanus Murates invasere Burgluzen, et -acri ho-
minem proeho cum suis adorti sunt, quo magnus hominum ab utraque
parte numerus caesus fuit. Tamdem vulneratus Burgluzes aufugit,
quem persecuti Muhametici non vivum cepere, sed occiderunt. Simul
iisdem regionibus recuperatis, militibus suis, et aliis ministris illic
timaria donarunt.
Hoc motu sopito, Manissam .... cum cxercitu Baiasites bassa
properavit, ibique monachum sive religiosum Musulmanum reperit,
Torlacem Hudin Gemalim se nominantem, qui et ipse hominum ad
dua milia collegerat, ac secum habebat, omnes sui ordinis ac profes-
sionis, videlicet Torlaccs. Hi passim furiose grassabantur et vias
publicas infestabant. Ouapropter et ipsos adgressus Baiasites bassa,
dissipavit; et Torlacem Hudin-Gcmalim, eiusque discipulum quemdam,
vivos in potestatem redactos, suspendio necavit.
Interim Suitanus Muhametes opidum Siros vel Seres adiit . , .
et hinc movens Selenicam sive Thessalonicam circumfusis copiis
obsedit, magnoperc conclusos urgens, ut urbem per deditionem potiri
posset.
Bedredin vero, Semaunae iudicis filius, e Mari arborum egredi
volens, aliquot improbos et sceleratos Sophilaros, sive devotos et reli*
') == / aJLol^, d. i. Heuchlerei, Glcißncrci.
Islam XI.
'^i t'rabzBabingei'j
giosos specie tenus, ante se misit in planitiem Zagorensem, cum mandato,
ut dicerent: Imperium Scheichi Bedredini deinceps datum esset, regi-
umque thronum ipsi debere: begos et proceres omnes ab eo stare:
decrevisse vexillum extollere, reque ipsa demonstrare, quod verbis
nunc polliceatur. Fecere Sophilari, quod facere iussi fuerant, et Za-
goram ingressi, populos earum regionum ad Bedredinis partes invi-
tarunt, nee alienos ab hoc motu repererunt, quum Bedredinem secu-
turos se profiterentur. Pervaserat eo rumor de Burgluzis Mustaphae
successibus in regione Aidinensi. Ouamobrem seipsum efferens Scheiches
Bedredin, hunc sibi dumtaxat aiebat loco famuli operam navasse.
Prodiit tamdem ex arborum mari Bedredin cum satis magno secta-
torum comitumque numero, et cum Sophilaris impostoribus; aliquot
etiam se cum eo coniungentibus ex illorum ordine, quibus ipsa regionis
erat illius commissa gubernatio. Cur autem hi partes illius amplecte-
rentur, causa quaedam erat huius modi; qui ante hoc tempus, adhuc
superstite Musa Zelebi, quum ipse Casis-askeris sive iudicis maioris
munere fungeretur, compluribus officia cadilicatuum sive iuris dicundi,
pro auctoritate sua concesserat: ideoque valde multi eum amabant,
et discipulos ipsius se profitebantur, iamque adeo veniebant, uti cum
eo se coniungerent. Sed animadverso denique, quam huic motui nihil
omnino inesset boni; sua sponte sie eo deserto dissipati fuerunt, ut
hominum manus sane perexigua cum co maneret. Suitanus autem
Muhametes, quum hoc intellexisset; satis magnas eo copias suorum
misit, qui Zagorensem in agrum profecti, captum Bedredinem Serras
ad ipsum adduxerunt. Tum vero Suitanus inquirere primum voluit,
Cjuidde Bedredine statuendum esset: occidendus, nee ne, videretur:
et talem interficiendo, peccatum ahquod, nee ne committeret. Nimirum
eins temporis Padischachi sive reges, adeo Musulmani vel iusti erant,
ut hominem tantis obnoxium pollutumque sceleribus de medio tollere
prius, quam alios consuluissent, non auderent. Aderat autem illic id
temporis Talismanus [^ dänischmend!)'^) quidam, vir doctus, cui nomen
erat Mevlana Chaidar, ac venerat istuc ex Aiamiorum vel Azamiorum
regione, quo nomine Turcis Persae veniunt. Is more Musulmano Fetfam,
sive sententiam, pronuntiavit huiusmodi : iure quidem hunc adfici posse
capitis supplicio, sed nullo iure facultates eidem ademtum iri. Qua-
propter Mevlanae Chaidaris' pcrmissu Serris, intra opidum, quadam in
taberna suspensus fuit.
') Über den Ausdruck »/alismiwid iüt i>tiänischmettd« vgl. schon J. v. Hammer, Gesch.
des osm. Reiches X, 707; dazu J. H. Mordtmann, MSOS., Westas. Abtlg. V. Bd. (1902),
S. 166.
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw. 6 t
DER BERICHT DES 'ÄSCHIOPASCHAZÄDE.
In der Zeitfolge ist sodann der Bericht *Äschiqpaschazäde's
anzuführen. Auf die Wiedergabe des türkischen Wortlautes kann mit
Rücksicht auf den Stambuler Druck verzichtet werden. Ich begnüge
mich damit hier lediglich, einige offenbare Versehen und Fehler richtig-
zustellen und mehrere bessere Lesarten auf Grund der vatikanischen
Handschrift ^) zu geben. Es mag an dieser Stelle daran erinnert
werden, daß 'Äschiqpaschazäde als Sohn eines gewissen Salmän
der Enkel des ältesten osmanischen Dichters *Äschiqpascha (st. 3. Nov.
1332) ist, der seinerseits der Sohn des Mulili.s, also der Enkel des be-
rühmten, mehrmals erwähnten Schejch Iljäs aus Khorasän ist. Die
ketzerischen Ansichten freilich, die sein Urahn geäußert hatte, waren
bei 'Äschiqpaschazäde längst einer gut-sunnitischen, herrscher-
treuen Gesinnung gewichen.
Zum Druck, S. 91 — 93, wäre folgendes zu bemerken, wobei
ich die Zeilen der Stambuler Ausgabe beziffere und die Überschriften
j.Ü2i als Zeilen zähle; S. 91, 9 entspricht S. 196, 4 der vatikanischen
Handschrift 2) :
S. 91, 9 fehlt- ^^c^l ^^Lij
S. 91, 12 (jJuL^
S. 91, 14 nach j^o^oo folgt noch -sjcs-ij „i
S. 92, 2 fehlt oC;o
S. 92, 6 statt ^.^j^^j} ^ys^ -- ^.,_j.:>>^^s*
s. 92, 9 ij^j ■
S. 92, 12 bCww
S. 92, 16 (_^ij^j»i statt tiJcXj.S
o , .
S. 92, 17 X^^jh statt 1*,:^^CI
S. 93, I ^,Sy, statt Lil^^
S- 93, 6 j^5uXJLy*>.>.s
S. 93, 9 nach j^UJb folgt, noch ^i
S. 93, II das erste Mal _^ix^, das zweite Mal ".L^i
') Den offenbar sehr wertvollen Dresdener Kodex des 'Äschiqpaschazäde (vgl.
oben S. 27, 2. Anm.) konnte ich leider nicht zuni Vergleich heranziehen, da Hand-
schriften von dort zurzeit nicht verliehen werden.
-) Die Lesarten der vatikanischen Handschrift verdanke ich der Liebenswürdigkeit
Frikdrich Giese's.
3*
q< Franz Habinger,
S. 93, 12 ^äi^'
Außerdem ist stets \>^4iy geschrieben.
Deutsch lautet der Bericht, mit Weglassung der überflüssigen
Verse, folgendermaßen:
»Als der SdRvS nach Isniq ging, begab sich Mustafa in die Land-
schaft Aidin und von dort nach Oaraburun. In diesem Bezirk verübte
er viel Scheinheiligkeit und viele Leute dieser Gegend zog er auf seine
vSeite. Er brachte es zuwege (so geschickt dahin), daß er sich schließ-
lich Prophet nennen ließ. Als der SdRvS von dem Erfolge des Bürk-
lüdsche Mustafa hörte, floh er aus Isniq, begab sich zu Isfendijär
Bej, bestieg dort ein Schiff und verfügte sich in die Walachei. Dort
angekommen, ging er nach Deli Orman; er war jedenfalls im Einver-
nehmen mit Bürklüdsche Mustafa. Sultan Mehemmed Khan sandte
den Bäjazid Pascha und seinen Sohn Muräd Khan aus, bei Oaraburun
trafen sie mit B. M. zusammen, so entstand ein gewaltiger Kampf,
auf beiden Seiten fielen viele Leute; zuletzt hieben sie den B. M. in
Stücke, suchten das Land ab, brachten um, wer den Tod verdiente,
und verteilten das Land als Lehen unter die Knechte des Herrschers.
Bäjazid kam wiederum nach Manissa, fand dort den Jorlaq Hü Kemäl
und knüpfte ihn dort auf. Sultan Mehemmed Khan begab sich nach
Seres, um auf Salonik zu marschieren. Andererseits war der SdRvS
nach Deli Orman gekommen, sandte einige süfl in die Bezirke und
ließ verkünden: kommet, von jetzt ab ist das Herrschertum mein und
mir Untertan. Wer eine Landpflege [smidschaq] begehrt, der komme,
wer eine Vogtei [subaschiliq) haben will, der komme; überhaupt, jeder,
der einen Wunsch hat, der komme ! Er erklärte, ich bin auferstanden,
m diesem Land bin ich Khalife, Mustafa ist in Aidln-eh aufgestanden,
sagte er; der ist auch mein Diener, sagte er. [Das behaupten die jet-
zigen süfl auch, daß sie sagen, wir sind Derwische! Bei Gott! sie
sind keine Derwische ^)!] Unser Schejch ist auferstanden, wir werden
noch Herren, sagten sie. ♦
In Deli Orman erwarb er großes Ansehen, weil er eine An-
zahl Landpflegen und Vogtcien und. viele -) hatte und
J) Dieser Satz hat natürlich nur als Bemerkung des 'Äschiqpaschazäde (oder
des Abschreibers?) Sinn; ich habe diese Einschaltung daher in Klammern gesetzt.
*) Der Ausdruck c^^Lj, wie ihn der Herausgeber des Stambuler Druckes stets
schreibt, lautet in der vatikanischen Handschrift ^.X^^j^I^. Seite aS* , 5 des gedruckten
Textes gibt eine Anmerkung, die Erklärung ^r*-i'»-J* = i^^^*-^'^' °^ ""'* Recht, muß
Sclicjch Bcdr cd-dln, der Sohn des Kicliters von Sinuiw. ß^
Lehensträger, die, als der SdRvS bei Müsä Heeresrichter war, ein
Lehen ohne weiteres erhalten hatten. Es gab aber Leute, die sahen :
bei der Sache dieses Mannes ist nichts Gutes. Sie ergriffen den SdRvS
und schleppten ihn nach Seres zu Sultan Mehemmcd. Mewlänä ^aidur,
der eben aus Persien als gelehrter Mann gekommen war, (den) fragten
sie: »Wie verhält es sich mit diesem Manne.^« »Das ist ein gelehrter
Mann«, sagte Mewlänä Haidar, »sein Blut (zu vergießen) ist erlaubt,
sein Gut (ihm zu nehmen) ist verboten.« Da führte man ihn ab und
hängte ihn mitten im Bazar vor einem Laden auf. Dann nahm man
ihn ab und seine unreinen Schüler begruben ihn.«
Wie nun ein Vergleich mit der lateinischen Übersetzung ergibt,
die Hans Löwenklau in seinen »Annales Sultanorum Osmanidarumv.
(editio altera, Francofurdi, 1596) auf S. 23 sowie in der Verdeutschung
in »Newe Chronica Türckischer Nation« (Frankfurt am Main, 1590)
auf Seite 18 — 19 bringt, handelt es sich hier doch wohl nicht um den
verkürzten Text des Muhji ed-din, etwa den »ersten Entwurf« (J. H.
Mordtmann) dieses Geschichtswerkes, sondern um eine freiere Über-
tragung des Berichtes 'Äschiqpaschazädc's. Ich lasse den lateini-
schen Wortlaut folgen:
S. 23, 8: Interca dum his rebus intentus erat Muchemetes, in
Anatolia seditio quaedam coorta fuit, auctore Burgluze Mustapha, qui
Scheichis Bedredinis quondam oeconomus fuerat. Et Scheiches ille
Bedredines, uti supra diximus, apud Musam Cadilescheri munus ges-
serat, Isnicae deinceps exsulare iussus. Hie ergo Mustaphas in agrum
Aidinensem profectus, magnam ibi seditionem excitavit: persuasis
incolis, ut ipsius potestati se permitterent, et Imperium lubentes acci-
perent: nomen Interim prophetae mentitus, ut eo facilius res novas
moliretur. Ubi de hoc motu Isnicae Scheiches Bedredines accepisset,
oeconomi videlicet sui res tantum incrementi sumere: mox Isnica
relicta fugam arripuit, et Isuendiarem adiit. Apud hunc quum ali-
quamdiu substitisset, navim conscendit, et itinere maritimo Valachiam
petiit. Suitanus autem Muchemetes intellecto, habere iam Burgluzam
Mustapham selectorum militum ad tria milia: copias suas in cum,
duce Sultano Murate filio, misit. Is ubi, Baiasite bassa expeditionis
dahingestellt bleiben. Die bekannte übliche Bedeutung von ^^^Lj (von ^lj) »Be
3 y
reicherer«, »Schieber« kommt hier natürlich nicht in Frage. ^>»_j.J, ^Xs^-:), ^.-\:>-»J>
(immer so vokalisiert) findet sich sehr häufig in geschichtlichen Texten und auch bei
Sa'd ed-dln. Dieser gebraucht es I, 375, 16 und 37S, 4 v. u. mit ^_4•^'^'^'i^ ((^len »Ren-
nern und Brennern« Jos. v. Hammer's) zusammen. — Vgl. Müli letcbbüHer medsch-
)nü\isi II, 180.
^g Fr-anzBabingcr,
socio, cum exercitu ad defectionis auctorem pervenisset: accidit, ut
impetu repentino se invicem invaderent, et manus tarn animose con-
sererent, ut illo proelio ingens hominum multitudo caderet. Tamdem
Burgluzes Mustaphas, in frusta concisus periit. Hac de illo, et com-
plicibus, obtenta victoria: rediit ad pristinum imperium omnis ea
ditio, distributa deinceps inter Sultani Muchemetis milites. His rebus
gestis, Baiasites bassa cum Sultano Murate Manissam duxit exer-
citum: quo ipso etiam in loco quidam erat homo seditiosus, Torlaces
Huggiemal, stipatus bis mille viris, qui cum sectabantur. Hos quum
Baiasites adsequutus fuisset, terga dare coegit, et ipsum Torlacem,
cum aliis aliquot coniuratis captum, ibidem suspendio necari iussit.
Interim profectus Serras Suitanus Muchemetes, eam civitatem occu-
pavit: et cum animo suo constitit, Salonicam quoque militum coronam
circumdare. Durante vero Serrensis urbis obsidione, Scheiches ille
Bedredines, quem in Valachiam profugisse diximus, Romaniam in-
gressus, aliquot sophilarios ante se misit in agrum Zagorensem, vulgo
persuasuros, imperium Scheichi Bedredini divinitus esse destinatum.
Saltim paucos intra dies adventum eins praestolarentur, Quum ergo
Scheiches Bedredines iam propius ad eos accederet, magnus sedi-
tiosorum numerus ad ipsum confiuxit, et illörum quoque non pauci,
quos imperante Musa beneficiis obnoxios in magistratu sibi reddiderat,
dum apud illum Cadilescheri officio fungeretur: ita quidem, ut hominum
copiis non contemnendis cinctus esset. Verum iidem animadverso,
minirne felicem futurum, motus illius exitum: Bedredine deserto, etiam
arma, quae sumserant, deposuerunt. Harum turbarum accepto nuntio,
insignem exercitum in agrum Zagorensem Suitanus Muchemetes ex-
pedivit: qui Scheichem Bedredinem ibi deprehensum ceperunt, et
captum Serras ad Sultanum Muchemetem adduxerunt. Erat apud
Sultanum magnae quidam doctrinae vir, nomine Mevlana Cheider,
oriundus e Parthia, unde se ad Muchemetem contulerat, qui eum pro
viro sancto colebat, et a latere suo numquam discedere patiebatur.
Is hanc sententiam tulit, ut • capitis quidem supplicium Scheiches
Bedredines lueret: sed minime tamen fisco facultates ipsius adph-
carentur. Suitanus ergo Muchemetes, hac in eum lata sententia,
poena suspendij apud Serras hominem adfecit. Postea vero, quam
exspirasset, cadaver eins de patibulo detractum, et terrae mandatum
fuit.
DER BERICHT DES MEWLÄNÄ NESCHRI.
An dritter Stelle muß der BerichtNcschri'saus Germian (Ewlijä,
I, 247, 5 v. u.) folgen. vSeine Entdeckung und Erschheßung wird dem
Schejch Bedr ed-dln, der Sohn des Richters von Simäw. ^g
Spürsinn Walter Friedrich Adolf Behrnauer's (1827 — 1890) ver-
dankt, der in seinen »Quellen für serbische Geschichte aus türkischen Ur-
kunden« (Wien 1857) zum erstenmal Auszüge ausNeschri lieferte und
auf S. VI auch einige Lebensnachrichten über ihn zusammenstellte. Weite-
ren Kreisen wurde dieser türkische Geschichtschreiber erst durch die
VeTöffenthchungen Th. Nöldeke's im XIII. und XV. Bd. der ZDMG
bekannt. Was Nöldeke vor 60 Jahren über die Darstellungsweise
Neschri's sagte, hat natürlich heute noch Gültigkeit. Eine Gesamt-
ausgabe des Werkes ist bis jetzt nicht erfolgt. Dem nachstehenden
Text liegt die sehr gute Wiener Handschrift^) des »Dschihännumä«
H. 0. 15 auf der Wiener Hofbibliothek (vgl. G. Flügel, Katalog II, S. 209
zucrrunde. Auf Bl. is8b (bzw. !1. r), 3. Zeile von unten heißt es also:
.^^\ i^-U*Ur ^_5^^'« Js^^^wc j^.,LLaL* id^i* 3»5 xS^-J^l ^^-j'i; ^^^
^y (-(^o-P io ^JLi^' ^^wv^/^s'-i iu.U^ ^Ju5 ^^\ |..*j [Bl. I59''J
j^JyJ:^x^-w NÄ^^l o^^j"' O"^^ NsJ^ -i'' QulaLw ^-^^.X/*^ (jr^-^ -i^^^^
^J_,JwL5 ^j^~i^ 1 ^Uxj^. C'H-'S^' V->^' c3^'-^ l?^ y;'-5 -"^^-j-t^ *;^ "^'^
Ojj:^ i.>UPÄx! .j^s>'J\ t_f^^^ V-^:^' ^ry«!^--^ <^Ji^^ "-jrJ ^^3' y;-^3^^
ti)w:^jj^! . ^\ ^J^2i^ .^-^^-^ xJ^L^^ •lF"-^^^ j^-f'*^ »-^-^H' i^^ »^-J^.J^
_lc! ,.,jot — ^^J x'i^Lil V^>o xx^i" ^.,AJ5 ^-J,U a^,.jj^-Lft^5 Vj-^'-^
_?>J .ilJ^ .^JjAiO *j;j*' '«^*-r:>^j_J^ ijrJ-^-T? ^jH-^ l5'^'^ vA.«.^^«
, »Aii *o! V ».>- ...vAÄ^s..^ -AJ't d^*-> xxJla^ .^A..cij».j ^— ';'• *^ 5 3 ^ ^r*
') Ich mochte nicht verfehlen, auch an diesem Orte der stets entgegenkommenden
Leitung der Wiener Hof bibliothek für die Erlaubnis zur Herstellung von Licht-
bildern der einschlägigen Handschriften, für die tadellose Fertigung der Schwarzweiß-
aufnahmen aber dem trefflichen Hofphotographen S. Schr.\mm (Wien, V. Bez., Nikols-
dorfer Str. 7 — 11) angelegentlichst zu danken.
=) Wohl für 1 cjJ_jO verschrieben.
AQ Fr a n z B a b i nge r ,
^ ; <?kAAiÄ^>-0 J)^Äj.:jJ >3 ^L&l ^ ^£»1 ~M*.Xj:Cl\Ii \j»L*.AW ..AS-ä^ <J> 1 £c\jk-w»i3
i^ c**>y^it i^^^ J'-^^^i^'^J' ^ ^i>-:^**^ c^'fr^ iM'-^-^^^^3 rj'A-^W^^ aJ-*.:^üj
icX,«Jil vA/aä *jCbo ,i tJ -^^ »lAÄ-il j ^sa^" e^»J x^J, ^5' -J'j)^ iOuLj L«i
JLjojlT »a*.5\a! ^LiiLw slM-iuw «— AJj-ö -JLc^l -jw*-ytoüj »J.'l**w n^^ jä*«!
...ÜaL« .^jOj^O j-Xa5> Ü^^ l5"^J^3 tXUJiJlo ji J^JS {ij^ ^^iX^.^lc.
.lX-cL=> J'wo 'w/il A^l> (JUä dV-Jj^ Uyi i^J^^ ^*->*^^ ^^^ [B^- Jöoa]
^jJLcj! -.w-jutoLs iu»U.A« ,')i->^^ lS'-Vj^ l£?^ '^^ L^^^ »J^J-^ 3 ^joij
•w*-L> »Xo ,M>AJ^ *^^Jj .JvX>! ,b«> 8Ai5'.? iM^^ -^ v_jjs.L! »J-.b
.i*}»\ vi^*jO «y J,«-Xj! iViü JLäajuo v_aj!^ ,m«^-^^ •5'^i';
In deutscher .Übersetzung lautet Neschri's Erzählung (ui^jK^-)
etwa folgendermaßen:
»Erzählung des Aufstandes des SdRvS in Rümeli und des Bürk-
lüdsche Mu§tafä zu Oaraburun: Es wird überliefert 5) : Zu jener
') Die Schreibung ;-a-w entspricht der Schreibung ;.*« auf den Münzen jener Zeit,
die daneben auch \^.*^^ j^-** aufweisen (J. H. Mordtmann).
*) Mir unverständlich; etwa (^Ji»*oOl »schamlose«? _j,Uj! weisen die mir zugäng-
üchen Wörterbücher nicht auf.
3) = 'yy*^ d. i. soeben, gerade.
4) für ,Jii(^>\jö.
5) Über den Ausdruck iü^-ÄJ^I u:^j!». und seine Bedeutung bei Neschrl vgl.
Th. Nöldeke, ZDMG. XIII, S. 177 und 185, 5. Anm.
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw, 4I
Zeit, da Sultan Mehemmed den Müsä Tscheleb! erledigt hatte, hernach
den SdRvS, der des Müsä Tscheleb! Heeresrichtcr gewesen war. Der
Sultan hatte ihm aber ein Ruhegehalt angewiesen und ihn nach Isniq
verbannt. Dieser SdRvS hatte einen kjaja, den man B. M. nannte.
Der begab sich nach Oaraburun, stiftete viel Lug und Trug an und
brachte den größten Teil von Aidln-eli auf seine Seite, gab sich dort
für einen heiligen Mann {well) aus ^) und predigte dem Volke die Lehre
der ibä/ia^), bis daß er in den Landen berühmt ward. Als der SdRvS
das hörte, entfernte er sich und begab sich zu Isfendijär, bestieg dort
ein Schiff, setzte in die Walachei über, verfügte sich von dort nach
dem Aghadsch dehizi und nahm dort seinen Sitz. Mit B. M. aber
stand er im Einvernehmen. Sultan Mehemmed entbot nun den Bäjazid
Pascha wider den B. M., (d)er begab sich nach Oaraburun, sie ge-
rieten aneinander, ließen sich in einen "hitzigen Kampf ein, auf beiden
Seiten gingen viele Leute zugrunde. Schließlich ging B. M. mitten
im Kampfgetümmel unter, und jenes Land ward von den Unruhe-
stiftern gesäubert. Darauf ging Bäjazid Pascha nach Manissa, fand
dort den Jorlaq Hü Kemäl und ließ auch diesen mit einem seiner
Jünger am Halse aufknüpfen. Um jene Zeit war Sultan Mehemmed
nach Seres gekommen, er hatte die Absicht, gegen Salonik vorzugehen.
Andererseits aber hatte der SdRvS, der in den Aghadsch denizi ein-
gedrungen war, einige irregeleitete Lumpen von süß in die Umgegend
entsandt und verkündet: »Von nun ab kommt zu mir, denn das Herr-
schertum ist mir gegeben worden, und es ist Recht, daß ich der Khalife
auf Erden 3) bin. Wem eine Landpflege oder eine Vogtei frommt, der
trete auf meine Seite, jeder, mag er irgendeinen Wunsch haben, komme;
') Eigentlich: er erhob Anspruch auf wild ja, d. i. Eigenschaft eines ^» (sc.) skJ)
*) ibä/ia, wörthch Preisgabe, vor allem dessen, was (bisher) verboten war. Die J.^'
^>"l.Jj.M sind gesetzfeindliche, glaubensfreiheitliche Leute; persisch nennt man sie bi
schar' = gesetzlos. Ein Teil der .Süfi's (der andere ist bä schar' = mit Gesetz) bekennt sich
zu diesem Grundsatze der Verwerfung aller Gesetzlichkeit und sittHchen Ordnung (vgl.
JA. 1877, 1.76; J\.\- GhazäU, al-muiiqid ttün al-daläl). Eine geschlossene Einheit stellen
sie natürUch nicht dar. Tiefsinnige .5■^■£/^'s (Kuschairl voran, aber selbst Ibn 'Arabi,
SuhrawardI u. a.) befehden die ibäka. Vgl. dazu I. GoLDzmER, Muhammedanische
Studien II, 291 (Halle, 1890) und Vorlesungen über den Islam, 1910, S. 167, ferner E. Sell,
The faith of Islam, Madras 1880 S. 95; Richard Hartmann, Die Frage nach der Herkunft
und den Anfängen des Siifliums, im /5/aw VI (1916), S. 70, außerdem ZDMG. LII. Bd.,
S. 476 — 479 (gute Angaben). — Über ibähijja vgl. noch E. G. Browne, JRAS. XXXIX
(1907), S. 536 (Jurther noleson . . . Hurüfls): ibähiyya, or communists (meaning probably the
Mazdakites), and the progenitors of the Hurüfls.
3) »Khalife auf Erden«, die wörtliche Übersetzung des arabischen O-Si^! J^ 'iisLAs>
vgl. dazu unten S. 72 die Stelle aus SuhrawardI.
A2 Franz Babinger,
ich bin von nun ab der große Eroberer ^). Auch Bürklüdsche Mustafa
hat sich in Aidin erhoben, der ist auch mein Jünger, meinetwegen
hat er sich erhoben,« sagte er. Dann bheb er im Aghadsch denizi,
und vieles Volk sammelte sich um ihn und eine große Menge von allen
Lumpen und Gaunern {ewbäsch) und Dummköpfen [edschläf, v. dschüf),
die auf Erwerb (Einnahmen) ausgingen (?) ^), und solchen, denen er,
als er bei Müsä Bej Heeresrichter gewesen war, Lehen verliehen hatte
— die hatten alle sich bei ihm versammelt. Als aber die, die sich
bei ihm befanden, sahen, daß bei keinem seiner Werke etwas Gutes
sei, daß er nach der Herrschaft trachte, da ergriffen sie sofort den
SdRvS und brachten ihn nach Seres zu Sultan Mehemmed. In jenem
Jahrhundert lebte ein gelehrter Mann, der eben aus Persien gekommen
war, der sich Mewlänä Haidar nannte! Er befand sich bei Sultan
Mehemmed. Den fragte der Sultan Mehemmed: »Was ist die (recht-
liche) Lage eines Mannes, der eine Tat wie diese verübt hat? Und
dazu ist dieser ursprünglich ein [dänischmend) Gelehrter,« sprach er.
Mewlänä Haidar sprach 3) : »Nach dem Gesetz ist seine Tötung er-
laubt, aber sein Gut (ihm zu nehmen) ist verboten !« sagte er. Und
er selbst gab noch im gleichen Sinn [öile) ein Gutachten ab, darauf
brachte man den SdRvS auf den Marktplatz von Seres und hängte
ihn vor einem Laden auf. Nach ein paar Tagen kamen einige von
seinen unreinen Schülern und bestatteten ihn. Noch heutzutage
[also um 1480/90] gibt es in jener Gegend Anhänger von
ihm. Von ihnen erzählt man sich seltsame (wunderliche)
Geschichten, die wiederzugeben nicht angängig ist.«
DER BERICHT DES IDRlS.
An letzter Stelle möchte ich den wohl um 151 5 entstandenen
Bericht des Idris4) vorführen, wie ihn die türkische Übertragung des
^) sä/nb fyurüdsch, »großer Eroberer (so!), EmpöBer«, vgl. darüber die Wörterbücher,
z. B. Zenker, II, 406, 3. Sp.; Kelekian u. d. W. hiirüdsch; JRAS. 1896, 294, A.
^) So möchte ich den Ausdruck i;i)».4Xj! (\^K2^\!i =;) J^x2.>'o wiedergeben, der
freilich auch ebensogut einen andern Sinn in sich schließen kann.
3) ^^(AxjI nicht von ^WäjI »machen«, sondern von dem altertümhchen , i+^J'
(= ajittnaq) »sprechen«, das sich noch im osttürk. (i3L««Xj| »reden« erhalten hat.
4) ÜberMewlänä Idris Hekim ed-din aus Bitlis vgl. das IV. Buch des Scherefnäme
in der Verdeutschung von H. A. Barb, Sitzungsberichte der Kais. Ak. der Wissenschaften,
philos.-hist. Kl. 1859, Wien, 1860, S. 153. Er war der Sohn des »Mystikers« Husäm ed-din,
der zur Schule des Schejch 'Ömer Jasir gehörte. Er diente zuerst als Kanzleibeamter bei
Jii'qüb, Ucni bolin des Uzua Husan (st. 896/1490/91). Sultan Bäjazid zog ihn 907 (1501) an
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw. 4^
unbekannten Verfassers bietet; ich benütze dabei die von J. v. Hammer
mit großen, langjährigen Mühen erworbene') Handschrift der Wiener.
Hofbibhothek (H. o. i6b). Die Darstellung findet sich in der 26. Er-
zählung des V. Paradieses im zweiten Buch der »Hescht bihischt«
(Bl. 196^ ff.). Einzelne Schreibfehler sind hier verbessert:
«*}o^4^wfl ^jjJkI^ jC^i ^"^i "^^j*^ al^Aö ^'^i [Bl- 195 ^, 4- Z. V. o.]
-/ l_? ■:> -1^ •• _T^ • ^" -> (^-<> J^ .... ••>
seinen Hof, wo er auch unter Selim verblieb. Er begleitete diesen auf dem Feldzug gegen
Persien und ergriff in Selims Auftrag von Kurdistan Besitz. An der Spitze eines kur-
dischen Heeres schlug er die Perser, seine eigenen Landsleute, eroberte Märdln, ver-
handelte wegen der Einverleibung von al-Ruhä (Edessa) und Mausil und befestigte die
innere Ordnung des Landes. Auch an der Eroberung Ägyptens nahm er teil und feierte
Selim in einer überschwenglichen Lobrede, um ihn für seine Ratschläge zur Ver-
waltung Ägyptens gefügig zu machen. Er starb zu Stambul im gleichen Jahre wie Selim,
nämlich im Du'I-hiddscha 926 (beg. 12. Nov. 1520), vgl. Sa'd ed-dln, lädsch ül-tewärlif
II. Bd., S. 566. Taschköprüzäde-Medschdl, Schaqä'iq al-fiu'mänTja, S. 327 ff.
(S. 328, 8. Z. v. 0. Todesjahr ganz allgemein »in den ersten Regierungsjahren Sultan Sülej-
mäns« angegeben!). Die anderslautenden Angaben, wie etwa bei Sämi, Qämüs iil-a'läm,
11. Bd., S. 811, bei E. J. W. Gibb, HisL of Ott. Poetry, H. Bd., S. 267, Anm. sind alle
irrig. Derselbe Idrls ließ übrigens bei der Eroberung von Märdin alle Rotkappen der
Schi'iten an einem bestimmten Ort zusammentragen, wo er sie mit Schimpf und Spott
in die Senkgruben der Stadt werfen Heß. Vgl. darüber den Bericht des Fortsetzers
von Idris' »Heschi bihischt«, seines Sohnes, des Defterdärs' Abu M-fadl Muhammed
(st. 987/1579) in der Wiener Handschrift 994, IV (Flügel, II, 219) auf Bl. SS.
0 Vgl. J. v. Hammer's bewegliche Klagen im JA. IV. Bd., S. 35, Anm., ferner
Gesch. des osman. Reiches I. Bd., S. XXXV sowie IX. Bd. S. 188 — 189. — Über die Selten-
heit der Hss. der »heschi bihischt« vgl. die sehr gewissenhaften Angaben in Maulawi * Abd
al-Muqtadir's Catalogue of ihe Arabic and Persian Mss. in the Oriental Public Library at
Bankipore. VI. Bd., Patna, 191S, S. 203 ff., wo S. 204 die übrigen IdrTs-Handschriften
verzeichnet sind. In Europa sind nur drei vollständige Abschriften des persischen Originals,
vorhanden, nämlich im Britischen Museum (vgl. Ch. Rieu, Pers. Mss., I. Bd., S. 216)
in der Bodleiana (vgl. H. Ethe u. Ed. Sachau, Cat. Nr. 311) und auf der Univers. -Bibhothek
zu Uppsala (vgl. C. J. Tornberg, Catal. S. 191). Vgl. dazu W. Pertsch, Kalal. der pers.
Hss. zu Berlin S. 440; H. Ethe, Catal. of Persian 7nss. . . . India Office, Oxford, 1903,
Nr. 571; W. H. MoRLEY, Historical Mss. in Arabic and Persian, London, 1854, S. 142 — 143-
Häddschi lialifa, Ux. bibl. IL Bd., S. iio; VI. Bd., S. 216. — Dem Kolophon nach
zu schließen, ist die in der Oriental Public Library zu Bankipur verwahrte
Idris-Handschrff t von der Hand des Verfassers.
AA FranzBabinger,
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»Os.xftA5» xär c.-s ,..jsj,Li5 aJU.:> v—jJ.I .^jJ:.^ nL! oIolc ■•,!*;> 8js.i!fcsl.
') Qor'än, II, 258—259. -) Qor'än, XXXIX, 19. 3) Qor*än, VI, 90.
4) C^or'än. XXXIll, 21.
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw. 45
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iAj:-)U 'l<8) .[ ciAiji ,.,'i»».x-»» ^ic ,., ^..>^u) \x^5 ,1^.-:''» ^•:i>- xiJwj ,..l*j1
lA^i iAäjiAJS ,uXj -j\ÄAv^^i , vaxJ \Li \.''l.«.xX3> ^iijLxJiAj ^i>t3 L^Lj
A.A.C Sfcji.^ iJ, ».i A/a Ixi ..Jlji3,».Äi \JLlaJLv u>«''iA5* xijf ^jLxS , q\^S-* J^t!.
OL>ia;> iA.4..i=^v« ..ju-iJUv ^XiUJ^i ,_j_i*> *X^*>^ -a^i^SJ^A J«.5>3 ,_»..^«^ -CCöL''
»>AÄä», Oji^ l^ia^-l <f>uO Ä^l^ O""^ il-««^£ i*)J-^^"^ ^^^^ •,j*-'«'-T? if^"^
') Iliti- i.st :ils() auch 'l'orlaq Hü Kemäl in Zusammenlinntj mit Rcdr ed-d!n ge-
bracht iiml aiillerrlrni der Ausdruck ,c'j> "cbraiicht.
^g Franz Babinger,
J.ÜLO *JLji ^^'XS ^yjs^^'^ »iUu/i iS ^^J> (^vXxA3 ü^_j./i ^J^J^^ t^^Uas
JLäc CJlaXä/9 e^^ '^''^ ^J^ l5^"^L?^ V^*^3^ Q'frf:*^ »^X^HUOjlxA^
iju . ^ LAi£ ^^^j qS ov^-j jo>u Jo>^, ^ic ^-»^ i*^y'- (*^^^
A^l vjj.^i' xLi (.Jw x:piwÜi>iD ^js^wj.^=U3 c:^t\s> (^s^SLS ^ÄcU^s»-
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') sol, V. Hammer's Quelle, siehe unten S..61, i.A.
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw.
49
0-5"^^' ^^j'^iAXjI ^.,!ij^ »S^=> ^^iiJ! ^S-\ ^=^j ^\ oJ_,5 yLxa ;^-,Ij^.^ L*iü5
übersieht man das öde Wortgepränge, in dem ein großer Verbrauch
an Bildern und dichterischen Stellen die verschwommene Kenntnis der
geschichthchen Tatsachen notdürftig verbirgt, so wendet sich der
Bhck gerne der schlichten Sprache der anderen Geschichtschreiber zu,
die ohne leeres Reimgeklingel und Gerede die Ereignisse schildern,
wie sie auf ihren nüchternen Sinn wirkten. Idris hat deren Kenntnis
um keinen Deut bereichert, auch keine neue Beleuchtung hierfür ge-
wonnen. Erst Sa*d ed-din hat, offenbar auf Grund weiterer Quellen
schriftlicher und mündlicher Art, einige neue Gesichtspunkte hinzu-
gefügt (I. Bd. S. ril ff.); Neschri und besonders Idris sind da-
neben seine hauptsächlichsten Unterlagen. Auf ihnen fußt wiederum
§olaqzäde (S. rc— m), der vor allem Sa'd ed-din stellen-
weise wörthch ausgeschrieben hat^). Lutfi Pascha (st. 957/1550),
dessen Tewänk-i äl-i '■Osmän weit weniger bekannt sind als sein be-
rühmtes Äsajnäme, lehnt sich wiederum auch in der Sprache eng an
Neschri an, ohne dabei eine neue Tatsache hinzuzufügen.
DER BERICHT DES LUTFl PASCHA.
Trotzdem scheint es mir zur Beurteilung des Stiles i^utfi Pa-
schas ratsam, die auf Bedr ed-din bezüghche Stelle seines Geschichts-
werkes nach der Wiener Hs. [tewäri/f-i äl-i '■Osmän) H. o. 17 a, Bl. 21,
4. Z. V. 0, bis Bl. 21 b. 7. Z. V. o. im Urtext und in Verdeutschung
vorzulegen. Daß Lutfi Pascha mehr schwert- als federgewandt
war, hat schon J. H. Mordtmann in der Anzeige der verdienstvollen
R. TscHUDi'schen Ausgabe des Asafnäme (ZDMG LXV. Bd. (191 1),
5. 602) betont. Man wird daher die verschiedentlichen Verstöße wider
Sprachlehre und Stil nicht etwa einem sorglosen Abschreiber, sondern
dem Pascha selbst zuschreiben dürfen. Der Satzbau ist besonders am
') Die kurräsa der Handschrift T. 23 (M. 1506) I, fol. 5 r der Breslauer Stadtbücherei
(vgl. C. Brockelmann, Verzeichnis der arab., pers., tiirk. und hebr. Hss. der Stadibibliothek
s-u Breslau, Breslau, 1903, S. 34) enthält weiter nichts als eine wörtHche Abschrift der Er-
zählung des Sa' d ed-dln, die mit dem Druck genau übereinstimmt. C. Brockelmann
hatte die Güte, mich auf die Handschrift aufmerksam zu machen, der FreundHchkeit
B. Meissner's verdanke ich eine von seinem Schüler Dr. II. Schaeokk gefertigte Abschrift
der kurräsa
Islam Xr, .
^Q t'ranz ftabingetj
Anfang sehr holperig; es fehlt das Zeitwort bzw. der Nachsatz; qalschan
ist hier nicht etwa Mittelform von qatschmaq, sondern das alte, jetzt
noch mundartliche (europ. Türkei) Bindewort »als«.
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»
Scliejch Bedr ed-rlin, der Sohn des Richters von .'^imS^v. cj
»Als der Sämüna-oghlu zu Müsäs Zeiten Heeresrichter war, hatte
er einen kjaja mit Namen Bürklüdschc Mu§tafä. Als (er bei diesem
Aufruhr fortgegangen?), kam er nach Qaraburun in Aidin-eli. Der
Bewohnerschaft dieser Gegend bereitete er viel Ungemach; ja, er
sprach sogar — Gott bewahre! — dieser (d. i. Bedr ed-din) ist der
Prophet! und verübte gar manche ähnliche unsinnige Taten, gewann
in dieser Landschaft viel Ansehen und erhob sein Haupt. Da zog
Sultan Muräd mit dem Bäjazid Pascha aus, sie stießen mit dem B. M.
zusammen, hatten einen gewaltigen Kampf, und auf beiden Seiten
fielen überaus zahlreiche Leute. Schließlich hieb man den B. M. in
Stücke, vernichtete die Aufrührer in jener Landschaft und besetzte die
Gegend. Unweit Manissa aber versetzte der Jude Torlaq Kemäl mit
ein- bis zweitausend Jorlaq's mit Pauken und Trommelgctön die
Landschaft in Aufruhr. Man drang vor, ergriff jene, und den Juden
Torlaq Keniäl knüpfte man, nachdem man ihn erwischt hatte, auf. Der
Sohn des Richters von Sämüna, Schejeh Bedr ed-din, blieb indes nicht
in Isniq, (sondern) begab sich zum Isfendijär-oghlu. Dort verweilte er
eine Zeitlang, und eines Nachts bestieg er ein Schiff und begab sich
in die Landschaft Walachei. Von der Landschaft Walachei aus betrat
er das Aghatsch denizi, und von A. d. brach er auf, sandte einige
unselige süft in die Ebene von Zaghra, um das Volk für sich zu ge-
winnen (durch die Worte): »Von nun ab ist die Herrschaft mein, der
Thron ist mir gegeben worden!« Diese sü/is kamen in die Ebene von
Zaghra und forderten das Volk auf. Viele darunter ließen sich über-
reden, und es versammelte sich viel Anhang bei jenen süfts. Auch
hatte er zur Zeit, da er unter Müsä Tschelebi Heeresrichter war, einige
Untergebene {nä*ib's) und Freunde; die stellten sich alle ein und ver-
einigten sich bei ihirf. Später aber sahen sie »bei seinem W^erk ist
nichts Gutes«!, zerstreuten sich,- und kaum einer blieb. Als Sultan
Mehemmed, der gerade Salonik angriff und belagerte, diese Kunde
vernahm, entsandte er viele Leute; die trafen ihn in der Gegend von
Zaghra, ergriffen ihn und schleppten ihn nach Seres vor Sultan Me-
tiemmed. Sultan Mehemmed fragte: »W^is sollen wir mit diesem
Menschen anfangen.^' Der hat so vielen Aufruhr angezettelt. Ist etwa
eine Sünde dabei, ihn zu töten.''« Die Padischahe jener Zeit waren
solch rechtschaffene Leute, daß sie selbst Aufwiegler, die derartige
Verbrechen verübt hatten, zu töten sich scheuten. Aber es befand sich
in jener Zeit ein großer Gelehrter, Halil (so !) nannte man ihn. Dieser
gab' das Gutachten »sein Blut usw.« (Vgl. S. 37, 7.) Auf dessen Aus-
spruch hängte man ihn in Seres auf.«
4*
r2 Franz Babingfcr,
DER BERICHT DES DUKAS.
Schon oben wurde betont — die Kenntnisnahme der osmanischen
Quellen wird diesen Eindruck gewiß gefestigt haben — , daß es um
die Kunde des Wesens jener Aufstandsbewegung nicht allzu gut be-
stellt wäre, wenn wir nicht in der Schilderung des [Johannes] Dukas
für sie eine besonders wertvolle Ergänzung und Bestätigung besäßen.
Besonders wertvoll deswegen, weil seine Angaben sich auf Berichte
von Augenzeugen stützen und er überdies selbst ganz in der Nähe
des Schauplatzes seßhaft war. Wohnte er doch in Phokäa, Smyrna
gegenüber, wo er um 1450 dem dortigen genuesischen Podestä als
Geheimschreiber diente ^). Dazu tritt als weiterer wichtiger Umstand
seine unbedingte Zuverlässigkeit. »Seine Wahrheitsliebe ist zweifellos,
und an Genauigkeit steht er hoch über Chalkondyles, « sagt K. Krum-
bacher von Dukas mit Recht 2). Ich gebe im folgenden eine Ver-
deutschung 3) des Abschnittes auf Grund der von Immanuel Bekker
besorgten Ausgabe der »Historia Byzantina« (Bonnae 1834, S. Ul-
li 5) 4). In der Erzählung äußert sich besonders deutlich jene »leb-
hafte Anschauung und dramatische Bewegung« (K. Krumbacher),
die man seinem in einem »temperierten« Volksgriechisch abgefaßten
Geschichtswerk als besonderen Vorzug nachrühmt.
»In jenen Tagen erstand ein gewöhnhchcr türkischer Bauer in
der Berglandschaft, die am Eingang des Jonischen Meerbusens liegt
und im Volksmunde Stylarion 5) geheißen wird; sie liegt im Osten der
>) Vgl. Karl KKVMHAdiKu, Geschichte der hyzanlitu'scheu Lilernliir, 2. Aufl., Mün-
chen 1897, S. 305.
^) K. Krumbacher a. a. 0. S. 306. ' •
3) Ich weiche in mancher Hinsicht von der Übersetzung K. DiETF.Rini's in dessen
^Byzantinischen Quellen zur Länder- und Völkerkuiidea (Leipzig 1912), II. Bd., S. 47 iL
7))Ein türkischer Kommunist«) ab.
4) Zum Text ist zu bemerken, daß S. 112, 14 wohl (!>: w/. 'i-^-v/ l'ür ■/.r/X o'V/. j'st'.v zu
lesen ist. S. 114, 8 ff.: ctOaGav"; -/.cd -/.por/^^ctv-E; sind wohl nominativi absoluti; Satz-
gegenstand sind die Türken, zu ■rMz?j'])h^:!'x.^ die Derwische. Vgl. 114, 22 ff.
5) Vgl. WiLH. ToMASCHEK, Ztiv histor. Topographie von Kleinasien im Mittelaller,
Sitzungsberichte der philos. -histor. Klasse der Kais. Ak. der Wiss., 124. Bd., Wien, 1891,
S. 30: »Der Kalkstock des Mimas (heute Boz dagh. FB.) endet im Norden mit der Mf/.c(iv7
w.pct, türkisch Qaraburun (auf späteren PortolanenCalaborno). Die Seekarten verzeichnen
nahebei die Landmarke C. Stilari (Stilar, Stelar, Stellar)«. Auch Coriolano Cippico erwähnt
in seinem Bericht über die Unternehmungen des venedigischen Seehelden Pietro Mocenigo
(1472/74) »unluogo che ora si chiama Stilari«. Vgl. G. S.\thas, Docimenis inedits, VLLBd.,
S. 275. — Abbildungen der Gegend gibt A. Philippson', Reisen und Forschungen im west-
lichen Kleinasien, 2. Heft, 172. Ergänzungsheft zu Peterwaiin's Mitteilungen, Gotha 191 1,
Abb. 10 u. II. Vgl. S. 46.
Schejch Bedr ed-diu, der Sohn des Dichters von Simäw. C2
Insel Chios gegenüber. Jener predigte nun den Türken die freiwillige
Armut und lehrte, außer den Frauen müsse alles Gemeingut sein,
wie Lebensmittel, Kleider, Zugvieh und Ackergerät. »Ich« , so sprach
er, »bediene mich deiner Behausung wie der meinigen, du der meinigen
wie der deinen, mit Ausnahme der Frauen.« Als er das Landvolk zu
diesem Glauben hingerissen hatte, suchte er sich mit List auch die
Freundschaft der Christen zu verschaffen. Er gab die Losung aus,
daß jeder Türke, der den Gottesglauben der Christen leugne," selbst
gottlos sei. Alle seine Gesinnungsgenossen pflegten die Christen, denen
sie begegneten, gastfreundlich aufzunehmen und wie Sendboten Gottes
zu ehren. Er selbst aber schickte täglich Boten an die Behörden und
an die geisthchen Obern von Chios und gab ihnen seine Ansicht kund,
daß niemand völlig des Heils teilhaftig werde außer durch .Überein-
stimmung mit dem christlichen Glauben. Damals hauste auf der Insel
ein alter kretischer Mönch in dem Turlot! ^) geheißenen Kloster. Zu
diesem sandte nun der falsche Priester zwei seiner Jünger, Derwische,
mit geschorenem und unbedecktem Haupte, unbeschuhten Füßen,
mit einem einzigen Gewände angetan, durch die er ihm folgendes zu
wissen tat: »Ich lebe das nämliche Büßerleben wie du, und den gleichen
Gott, dem du dienst, verehre auch ich; und ich weile bei dir, indem
ich nachts lautlos (die) Wogen des Meeres überschreite. « Vom falschen
Priester betört, begann der echte selbst Unsinn über jenen zu ver-
breiten, mit den Worten: »Als ich auf Samos -vveilte, führte jener mit
mir zusammen ein Einsiedlerdasein. Nun kommt er jeden Tag zu
mir herüber und spricht und verkehrt mit mir. « Und noch andere
WunderHchkeiten gab er in meiner Gegenwart mir, dem Schreiber, zum
besten. Der obengenannte Sohn des Schischman, der von Mehemmed
zur Verwaltung der Landschaft eingesetzt war, brachte eine Streit-
macht gegen jenen falschen Priester auf und rückte gegen ihn vor.
Allein er vermochte nicht durch die Engen des Stylarion vorzudringen.
Die Stylarier aber, geschlossen über 6000 Mann stark, besetzten die
unzugänglichen Engpässe und vernichteten Schischman und mit ihm
sein ganzes Heer. Von nun anhob die ganze Schar, die dem Bürklüdsche
Mu§tafä (ricp/XitCta Mouatacpa) — ■ so hieß er nämlich — anhing,
gestärkt in ihrem Glauben an den Betrüger, seinen Namen über die
der Propheten. Sic gaben die Weisung aus, das Haupt nicht mit der
^) Ich kann diese monJ auf keiner der mir zugänglichen Karten wiederfinden; be-
kannthch führen die griechischen Klöster meistens zwei Namen, einen nach dem Ort und
einen nach dem Heihgen, dem sie geweiht sind. Vgl. etwa A. Karawa: ToTroyfiattia-rrj^vrjao'J
.X'.o'j. Chios 1866.
-A Franz Babinger,
zarkula (CoifxouXa i) genannten Mütze zu bedecken, nur ein einziges
Gewand umzutun, unbedeckt zu leben und den Christen mehr als den
Türken zugetan zu sein.
Nunmehr befahl Mehemmed dem Statthalter von Lydien, *Ali Bej,
mit allen Streitkräften Lydiens und Joniens gegen die Stylarier vor-
zugehen. Diese besetzten abermals die Eingänge zu dem Gebirge.
Und als der größte Teil der gegnerischen Heeresmacht in jene Schluchten
einmarschiert war, wurde er von den Bauern völlig aufgerieben,
so daß 'All Bej kaum in Begleitung weniger nur mit Mühe
nach Manissa sich rettete. Als Mehemmed von diesem Geschehnis
Kunde erhielt, sandte er seinen erst zwölf Jahre alten Sohn Muräd
dorthin und gab ihm als Begleiter den Minister (Vertrauten) 2) Bäjazid
bei, mitsamt dem thrakischen Heere. Dieser bot die ganze Streitmacht
Bithyniens, Phrygiens, Lydiens und Joniens auf und brach mit starken
Kräften in jene unwegsamen Gegenden ein. Wer da in den Weg kam,
ward schonungslos niedergemäht, Greise und Kinder, Männer und
Frauen. Kurzum, jedes Alter wurde unbarmherzig hingeschlachtet,
bis man zu dem Berg selbst vordrang, den die Derwische (eigentlich
»Einröcke«, monochitones) zur Festung gemacht hatten. Es ward
erbittert gekämpft, wobei unzählige Krieger Muräds fielen. Schließlich
aber ergaben sich die Derwische samt dem falschen Priester. Sie
wurden ergriffen und gefesselt nach Ephesos geschleppt. Dort fand
man indessen jenen Betrüger, nachdem man ihn mit allerhand Martern
gefoltert hatte, unerschütterlich und nicht von seinem Wahn abzu-
bringen. Man band ihn an ein Kamel auf ein Kreuz gespannt, mit
ausgebreiteten Händen, mit Nägeln auf dem Brett 3) befestigt und ließ
») Gemeint ist das pers.-türk. W ort zcr-kuläh (s^U.;); vgl. darüber J. v. Hammer,
Geschichte des osm. Reiches I, 179, 596; ferner Du Gange, Glossarium ad scriptores mediae
et infimae Graecitatis I, 458 (Lugd. Batav., 1686) und Joh. Leunclaviüs, Pand. Histor.
Türe. cap. 21, S. 120. Vgl. dazu Dukas, 23. Abschn., S. 134, wonach man zwischen weißer
().£Uxo-/p02) und purpurner (xoxxtvoßa^e;) zarkula bei den Osmanen unterschied.
') Der Ausdruck ii.e jct^ojv wurde teilweise mißverstanden. Vgl. die ital. Übertragung
bei Bekker (der einfach »mesazonta« sagt) a.a.O. S. 409: mesagio (mit Anlehnung an
das ital. »messaggio«?). Noch K. Dieterich a. a. O. II, 48, 10 gibt ihn mit »der schon in
mittleren Jahren stand«, wieder! In Wirklichkeit bedeutet er »Mittelsperson, Zwischen-
träger, Vermittler«, dann aber »Minister«. J. v. Hammer hat ihn ganz gut mit dem türk.-
arab. miäbe jindscki « verglichen (Gesch. des osm. Reiches I, 636), mit dessen Sinn er sich
buchstäbUch deckt, freihch zu Unrecht eine Übersetzung des türk. Ausdruckes ins Griechi-
sche vermutet. In späterer Zeit sehr häufig (vgl. z. B. Phrantzes 200, 22; 230, 17), findet '
er sich schon bei früheren byzant. Schriftstellern, wie ja ähnhche Begriffe auch andere
Sprachen haben (vgl. das lat. Internuntius I). Vgl. dazu J. v. Ham^jer, Staatsverwaltung,
II. Bd., S. 58. Ferner Dukas, S. 227, 14 ff.
3) cavfc, ein Strafholz, an das die Verbrecher angebunden, auch wie an ein Kreuz
üugenagelt wurden, findet sich schon bei Herodot VII, 33, IX, 120 erwähnt.
Schcjch Bedr cd-din, der Sohn des Richters von Simä\
55
ihn im Triumph mitten durch die Stadt tragen. Seine Anhänger aber,
die die Irrlehren ihres Meisters nicht abschwören wollten, wurden vor
dessen Augen insgesamt niedergeschlagen ^). Aus ihrem Munde vernahm
man nur die Worte uiede sul/än, erisch«^) (Texs'aouXxav spv^?), das heißt:
»Vater Sultan, komme herbei !« Unter diesen Rufen erlitten sie freudig
den Tod. Eine Zeitlang war übrigens unter seinen Anhängern die
Ansicht verbreitet, er sei nicht tot, sondern lebe noch. An diesem
Wahn hielt auch jener Mönch fest, mit dem ich über diese Gescheh-
nisse sprach. Als ich ihn nämlich befragte, was er davon halte, gab
er mir zur Antwort, jener sei gar nicht gestorben, sondern auf die Insel
Samos hinübergezogen und führe dort sein altes Leben weiter. Ich
schenkte indessen diesem Unsinn weder Glauben noch machte ich mir
darüber Gedanken. Bäjazid zog nun mit dem jungen Muräd durch
Asien und Lydien und ließ alle Türkenmönche, die er, in freiwilliger
Armut lebend, antraf, unter Foltern hinrichten.«
ZUSAMMENFASSUNG.
Soweit diese Quellen. Versuchen wir aus ihnen ein ungefähres Bild
der ganzen Vorgänge sowie der äußeren und inneren Merkmale der
Lehre Bedr ed-din's zu gewinnen !
Der Schejch, so hörten wir, war, wohl noch im Sommer 1413,
mit einem ansehnlichen Gehalt im weltabgeschiedenen Isniq zur Ruhe
gesetzt worden. In der Stille dieses kleinasiatischens Städtchens
mögen dann seine schriftstellerischen Arbeiten ihren Fortgang ge-
nommen haben, mag er tätig für die Verbreitung seiner Glaubens-
anschauungen gewirkt haben. Zu denen, die sich ihm wohl schon
früher mit Leib und Seele verschrieben hatten und vermutlich mit
ihm die Verbannung teilten, gehört jener Bürklüdsche Mustafa, der
in der Bewegung dann eine so führende Rolle spielen sollte. Was
nun zunächst den Namen belangt, so ist er mit Sicherheit nicht Börek-
lüdsche 3) oder gar »Böräklidji«, wie die »Enzyklopädie des Islam« II,
") Vgl. dazu JRAS. XXXIV. Bd (1902), S. 42 — 43, wo der Tod des Assassinen Ahmed
b. 'Attäsch in Isfahän geschildert wird: »His hands were bound, and mounted on a camel,
he was paraded through the streets of Isfahan, where more than hundred thousand men,
women, and children turned out to see him, pelling him with dirt and dust, and mocking
him in scornful ballads. . . Then hc was crucified for seven days, and, so he hung there,
they fired arrows at him, and afterwards burned his body.« *
-) Vgl. über diese Worte S. 4 und 70.
3) Diese Schreibung geht offenbar auf J. v. Hammkk zurück, »böi-ek« heißt »Kuchen«,
tibürk« aber »Kappe, Mütze« (vgl. J. v. Hammek, GdOR. I, 90), ein altes, gemein-
türkisches Wort (vgl. W. Radloff, Vers, eines Wb. (UrTspr. IV, 1302, 1397, 1699, 1887,
Ewlijä III, 358, 6), so daß also •Dbürklüdschc« etwa der »kleine Kappenmann« bedeutet.
56 P'ranzBabinger,
416 will, sondern Bürklüdsche zu lesen. Dafür spricht einmal die
von Dukas überlieferte Form ricpxXtrCta (S. iil), und schon der alte
Hans Löwenklau hat die türkische Form richtig mit lyBurgluzea
(vgl. cap. 79 ff. der Annales, ed. altera, Francof. 1596, S. 23) wieder-
gegeben. Von seinem Vorleben schweigen die Berichte, doch wird er
stets als »ket^uda«, »kjaja«, also etwa als »Sachwalter«, »Hofmeister«
(Löwenklau) Bedr ed-din's bezeichnet, da dieser noch als Heeres-
richter von Rumelien Dienst tat. Auch über seinen Bildungsgrad
ist nichts bekannt, doch ist anzunehmen, daß die Worte iSkutt^; xal
aypoixo; bei Dukas diesem nicht völlig gerecht werden. Man wird
in ihm am besten einen jener Sendlinge [dä^l, Berufer, Einlader, vgl.
EI-) I) 933) sehen, deren Treiben August Müller im ersten Bande
seines Werkes »Der Islam im Morgen- und Abendland« (Berlin, o. J.)
auf S. 589 — 590 so überaus anschaulich geschildert hat. Soviel steht
jedenfalls fest, daß Bürklüdsche Mustafa, vermutlich im Frühjahr
1416, sich nach dem westlichen Kleinasien in die Landschaft Aidin
begab und dort für die Lehre seines Herrn und Meisters zu werben
begann. Die Zahl derer, die sich ihm anschloß, ist abweichend über-
liefert, doch ist anzunehmen, daß sie 5000 überschritt. Der Zulauf
muß stark und anhaltend gewesen sein, und Mustafa war sich wohl
seiner Sache sicher, als er Aidin verließ und sich nach Qaraburun,
jener Halbinsel
uTTEVspöe Xi'oio Tiap' r^v£}i,oavTa Miixavca
» im Osten von Chios, am Fuße des stürmischen Mimas«
(Homer, Od. HI, 172).
begab.
Dort war gleichsam sein Hauptquartier, ein unwegsames, leicht
zu verteidigendes Stück Erde, wenn man an der engsten Stelle des
Vorgebirges sich etwa zur W'ehr setzte. Von hier aus suchte er nun
Fühlung mit der weltlichen und geistlichen Obrigkeit von Chios, das
damals unter Genuas Oberherrschaft stand. Welch tiefere Gründe für
diese Anbahnung von Beziehungen vorlagen, bleibt unklar. Wir er-
innern uns, daß schon Bedr ed-din einmal auf der Insel weilte, aller-
dings, so melden die muslimischen Berichte, um den re^is der Insel
Daß Bürklüdsche zu lesen ist, geht außerdem aus der hsl. Überlieferung hervor, wo mchr-
msft ausdrücklich i.:>-AS ^%^ (mit (jlamma und dscJiezme in der i. Silbe) geschrieben steht.
Ganz falsch ist natürlich der an sich denkbare Name t>Jüreklüdsche«, wie ihn der Stam-
buler Druck des *Äschiqpaschazäde S. 90 ff. gibt, was der »kleine Beherzte« besagen
würde. Diese Schreibung findet sich übrigens schon vorher z. B. im Naqd ül-tcwärih,
Starabul, 0. J., S. 415. — Wie ich sehe, scheidet J. v. Hammer gar nicht zwischen bürk
und börek; vgl. GdOR. I, 90 und VII, 201.
Schejch Bcdr ed-din, der Sohn des Richters von Simaw. ty
zum Islam zu bekehren. Die Vermutung liegt nahe, daß der Schejch
selbst damals bereits Verbindung mit den dortigen Christen suchte
und die geschäftige Einbildungskraft der islamischen Schriftsteller
daraus ein Wunderwerk [karäma] Bedr ed-dm's machte. Wie dem
auch sei, das ketzerische Treiben muß bald bedrohliche Formen ange-
nommen haben und dem Großherrn zu Ohren gedrungen sein. Er
scheint zunächst ihre Macht wesentlich unterschätzt zu haben; denn
weder Schischman noch der Statthalter von Saru^an und Aidm, 'Ali
Bej vermochten Mustafa und die Seinen niederzuzwingen '). Die dop-
pelte Niederlage mahnte den Sultan zu tatkräftigeren Maßnahmen.
Sein alter Vasall Bäjazid Pascha 2), in dem er in schweren Tagen
einen erprobten Berater und Helfer gehabt, erhielt die Weisung mit
dem jungen Thronfolger Muräd, der im fernen Amasia die Statthalter-
würde bekleidete, ein Heer aus allen Teilen des Reiches aufzubringen
und gegen die Neuerer mit allen Mitteln und eiserner Härte vorzu-
gehen. Wie es ihm nach vielen Verlusten, die selbst die osmanischen
Quellen eingestehen, schließlich gelang, ihrer Herr zu werden, hat
Dukas mit besonders lebhaften Farben dargestellt. Mustafa ward
ergriffen und, wie die türkischen Berichte besagen, gleich in Stücke
zerrissen, nach Dukas aber nach Ajasoluq 3) gebracht, dort ans Kreuz
geschlagen und öffentlich zur Schau gestellt. Von dieser Todesart
wie über die seltsamen Worte, unter denen Mustafas standhafte An-
hänger frohen Muts ihr Leben dahingaben, wird noch die Rede sein.
Bäjazid Pascha aber suchte die Lande ab und rottete ohne Erbarmen
alle aus, die sich zur neuen Lehre bekannten. Dabei wird eines Mannes
namentlich gedacht, jenes »Torlaq Hü Kcmäl«, der in Manissa etwa
1000 — 2000 Leute um sich geschart hatte. Über ihn wie über seine
Zugehörigkeit zu Bedr ed-dln's Anhang verlautet nichts. Dennoch
verlohnt es sich, bei seiner Person etwas zu verweilen, weil sie ein
besonders deutliches Beispiel für die bekannte Tatsache liefert, daß
sich aus kleinen Versehen oft größere geschichtliche Irrtümer ergeben
können. Was zunächst den Namen betrifft, so wird er in den greu-
lichsten Verrenkungen überliefert. Während die älteren Quellen fast
stets »Hü din« als vermutlich einzigen Kern des ganzen Namens haben,
') Es ist gewiß bezeichnend, daß die osmanischen Berichte die zweimahge Niederlage
der Soldaten des Großherrn mit Stillschweigen übergehen.
-) Mehemmed verdankte Bäjazid Pascha sogar den 'Jhron, da ihn dieser aus dem
Schlachtgetümmel von Angora in Sicherheit brachte. Er war um 8i6 Beglerbeg von Rum-
eiien und später, vor seinem Nebenbuhler Ibrähim Pascha, Großwesir des Reiches.
3) JüRüA hat in der falschen Meinung, daß Palatscha, das bekannthch an Stelle des
alten Milet steht (vgl. I, 323), = Ephesos sei, ihn nach Palatscha schleppen lassen. Vgl.
T, 141 dagegen.
e 8 F r a n 7. B a b i n g e r ,
weisen drei von den angezogenen Handschriften (vgl. oben S. 52)
die Form (j-o^.^, ;VÄMii auf i), in derwir jedoch eineoffenbare Verlesung
aus ^^jij _j.S> werden sehen dürfen. Solaqzäde hat ihn, man möchte
meinen aus Witz, zu .^jO^i* hodbin verstümmelt [ta^ri^ S. 135), was
bekannthch im Persischen »selbstsüchtig, stolz, dünkelhaft, hoff artig«
bedeutet; ebenso unrichtig ist dann auch sicher die Schreibung tyhüd
ben kemäl«, der wir bei Sa'd ed-din (I, 298) begegnen. Schheßlich
wäre noch der Wiener Hs. 985 zu gedenken, wo >>j^« überhaupt
fehlt. Was der Name besagt — etwa »ER ist dlna} — , bleibt wohl
für alle Zeiten ein Rätsel. Immerhin, J. v. Hammer (I, 378) hat seinen
Träger zum Juden gestempelt, Zinkeisen (I, 479) ist vorsichtiger,
JoRGA (I, 376) schweigt überhaupt davon. Dagegen hat noch der
ungenannte Verfasser in der Enz. des Islam H, 416 daraus für die
Bewegung den Schluß gezogen, daß »sich auch Juden und Christen
daran beteihgten«, freihch auch gemeint, daß der Name »wenig jü-
disch« klingt^). Das Bcdenkhchste hat v. Hammer's Irrtum indessen
damit gezeitigt, daß jener Persönlichkeit in der Geschichte der Juden
in der Türkei gleichsam eine, wenn hier auch unerfreuliche Rolle zu-
geteilt wurde, wie M. Franco's )>Essai sur l'histoire des israelites
de V Empire Ottoman<( (Paris 1897, S. 30, wo auf die französische
Übersetzung des HAMMER'schen Werkes II, 181 ff. verwiesen wird)
und schlicßhch das hebräische Werkchen des Salomon A. Rozanes,
»Dibre jeme Israel be-Togarmaa (Husiatyn 1907, I. Tl., S. 15), recht
deutlich beweisen. Was im übrigen die beiden anderen Beinamen
»/orlaq^)« und »kemäli« belangt, so lassen sich über sie gleichfalls nur
Vermutungen äußern. »/orlaq« ist ein altes türkisches Wort, das
ursprünglich wohl die Bedeutung »nackt« hatte, woraus sich dann die
weiteren wie »nicht angekleidet«, »jung«, »bartlos«, »Neuling«, »Füllen«
entwickelt haben mögen. Nun bezeichnet aber »lorlaqlar « eine Der-
wischsekte, der wir in abendländischen Reiseberichten zum erstenmal
0 Vgl. Qämüs ül-a'läni von Sämi I, 1254 c, wo noch die Form '«:J^>- ('^üt) steht;
vgl. EI. II, 416: Hui, sowie Zenker, II, 944: hüd = Juden.
-) Wie ich nachträglich höre, hat Abraham Danon in der von ihm geleiteten, nun-
mehr eingegangenen spaniolischen Zeitung // Progresso, Adrianopel 1888, ausführlich über
diesen Kemäl gehandelt. — kemaliko (über diese Bildungen vgl. Ewlijä III, 121, oben)
ist nach J. H. Mordtmann ein häufiger spaniolischer Judenname, zumal in Salonik.
3) Vgl. W. Radloff, VWT III, 1186; Schejch Sülejmän Efendi's cagat.-osman.
Wörterbuch, hrsg. von Ign. Kunos, Budapest, 1902, S. 194. Die Grundbedeutung von
torlaq ist wohl »unwissend«, »unerfahren«, »wild«. Dies erhellt aus der Zeitwortableitung
torlan- (Radloff) »wild«, »unbändig«. Hieraus ist zu schheßen, daß torla-q eine Zeitwort-
ableitung von *torla- ist, wie qatschqalaq »hin und her laufend« von qatschqala- »hin und
li erlaufen«, jumschaq »weicli« \oi\ jmnscha- »weich werden« usw. Vgl. dazu Gabriet, Balint,
Kaznni-tatär nyelvlär, Budapest, 1875, S. 3.
vSchejch Bcdr ed-dln, der Sohn des Richters von Simäw. -q
bei Giov. Ant. Menavino in dessen oben S. 19, i. A. genanntem »Trat-
tato«, in der Folge aber bei einer Unzahl weiterer Wandererzählungen
begegnen, die sich indessen hier alle auf Menavino's Angaben stützen.
So hat unter Dutzend andren jener Nicolas de Nicolay alle An-
gaben, die der Genuese über die türkischen Mönche macht, wörtlich
abgeschrieben, und sein vielgerühmter Bericht kann hierfür wenigstens
nicht mehr den Wert einer ursprünglichen Quelle beanspruchen, den
man ihm so gern, vorab in Frankreich und England (vgl. E. J. W.
GiBB, Hist. of Ott. Poetry I, 357 a), angewiesen hat ^). Der Versuchung,
jenen Hü din einfach als Mitglied dieser Sekte anzusprechen (vgl.
xliJ,^ i<^^ -^ ^'^ Text des Anonymus) zu widerstehen, legt indessen
die Tatsache nahe, daß »/jßwä/t« (vgl. Solaqzäde, S. 135, 10: JLJ'uy,
»kemäliler «) ^) einen ähnlichen Sinn zu haben scheint. Löwenklau,
der übrigens hier auch fast wörtlich Menavino folgt, führt die »hug-
giemales« [Fand. Hist. Türe, c. 171, S. 188, Nezve Chronica S. 332:
Huggiemallar) ausdrücklich als Sekte an. Geht man indessen der Vor-
lage nach, so findet man dort die Schreibung »giomailer«, bei N. de
Nicolay aber »geomahers«, was bei den beiden Romanen aber eher
ein »dschemäli« als )>kemälu< erschließen läßt. Man darf daher an-
nehmen, daß Löwenklau eben mit Bezug auf jenen »Hü Kemäl«,
wie er ihn heißt, jene neue Sekte folgerte und ihr den Namen dieses
vermeintlichen Gründers gab 3). Genug davon.
Während also Mustafas Werbungen offenbaren Erfolg zeitigten,
') Nicolas dk Nkoi.ay, »Navlgations et peregrinalionsa ((jft \erlegt und übersetzt:
Lyon 1568, Antwerpen 1576, 1577, 1586; deutsch: u. a. Antorff 1576) enthalten gute
früher einmal fälschlich dem Tizian zugewiesene Stiche, darunter solche der vier Derwisch-
arten. Eine Abbildung des (!) »Torlaces Dervisius« findet sich bei J. J. v. Boissard, »Vi.tae
et icoYics Sultanorum«, Francof., 1596, S. 95.
-) Der Beachtung wert ist die Tatsache, daß die hsl. tHjcrlicferuiig mehrmals die
Form »kemäli« (nicht Akkusativzeichen I) hat, womit also fast die Zugehörigkeit ausge.
sprechen sein könnte. Vgl. die f>Kem.alislev « von 1020!
3) LöwENKLAii'soffenbarer Irrtumhatsichbisins 18. Jahrhundert hinein verschlepi)t;
denn noch in Zedlek's Großem ö niversal-Lexikon 'Ü.Y.ll, S. 297 werden die »Huggiemallar«
genannt. — Zu bemerken wäre hier noch, daß Löwenklau als andere Bezeichnung der
»Torlaqlar« den Namen »Durmischler« anführt. Wenn man ihn nicht etwa mit jenem
Durmusch-dede in Verbindung bringen will, der, halb irrsinnig, zu ROmili Hisär eine Zelle
bewohnte und von den vorbeifahrenden Schiffern um Rat befragt wurde, im übrigen aber
im Rufe der Heiligkeit bei der Bevölkerung stand (vgl. Ewlijä I, 454, 455, bes. 458, 459,
dazu hadlqal ül-dschewämi', H. Bd., S. 125 IT., (h)ch lebte darnacli Durmusch-dede
wohl später), muß er wohl ungeklärt bleiben. Bei dieser Gelegenheit sei dann noch auf die
J'atsachc verwiesen, daß im Anschluß an Angaben des Marino Bec(h)ichemi aus Skodra
in Albanien bei den Nuchschreibern und Übersetzern des Mknavino (auch bei Löwenklau)
die Bemerkung sich fliulil, dir l'iil,u[lar seien jener Derwischonleu gewesen, der vom
Sultan mif Feuer und Schwert ausgerottet wurde.
50 FranzBabinger,
verließ Bedr ed-din auf die Kunde hiervo^i den Ort seiner Verbannung
und begab sich nach Sinöb zu Isfendijär. Nach kurzem Aufenthalt
bei diesem alten Erbfeind des Hauses Osman brachte ihn ein Schiff
über das Schwarze Meer nach der Walachei, zu Mirgea, dem jeder
willkommen war, der zu den Gegnern der osmanischen Macht zählte.
Daß der Schejch sich mit ihm ins Benehmen setzte, erscheint
zweifellos, wenn auch die alten Quellen hierüber schweigen, Sa*d
ed-din und Solaqzäde bezeugen sie dafür ausdrücklich (I, S. 297
bzw. S. 134, 10 V. u.). Sein erstes Ziel war nach diesen beiden Quellen
Silistr(i)a an der Donau, dann wandte er sich in das südlich davon
liegende Waldland, das nach den osmanischen Berichten »Aghatsch
dehiz(i)<( ^), nach andern, neueren »Deli orman«, »Narrenwald« hieß.
Die Bezeichnung ist denn auch heute noch einem Landstrich gebheben,
der sich von Razgrad etwa in südöstlicher Richtung am Nordhang
des Balqans entlang zieht. Hier hauste Bedr ed-din mit den Seinen,
die alle Berichte ausdrücklich als »süfi<f- und als »mürid« bezeichnen,
von hier aus setzte er sich mit Bürklüdsche Mustafa ins Benehmen
(ein deutlicher Beweis für die zielbewußte Ordnung !), von hier aus
entsandte er schließlich seine Boten in die umliegenden Gebiete, vor
allem jenseits des Balqans in die Ebene von Zaghra. Dort erinnerte
man sich noch gut des wohltätigen Heeresrichters von Adrianopel,
der vielen mit Verleihung von Lehen und sonstigen Beweisen des Ent-
gegenkommens gefällig gewesen war. Seine Hoffnung, gerade aus
diesen Kreisen Anhänger zu gewinnen, täuschte ihn offenbar nicht.
Denn der anfänghche Zustrom scheint nicht gering gewesen zu sein.
Bedr ed-din's Treiben konnte demnach nicht lange verborgen bleiben,
um so weniger als Sultan Mehemmed nicht allzuweit von diesem
Schauplatz, in Seres, jenseits des Rhodopegebirges, zu Felde lag, in
der Absicht, den falschen Mustafa in Salonik einzuschheßen und unge-
fährlich zu machen. Der qapudschi baschi Elwän Bej ^) ward beauf-
tragt (§olaqzäde S. 135, 9 v. u.), gegen die Aufrührer vorzugehen.
Er hatte leichtes Spiel, wie es scheint; Verrat und Unmut über den
Schejch, dessen Verheißungen manchem wohl zweifelhaft erschienen
I) Aghatsch Denizi, wörtlich »BaummeerC, ist eine nicht seltene Bezeichnung für
große Waldungen, Urwald. So heißt heute noch ein großer Wald bei Isniid im nö. Teil
der Halbinsel Qodscha-eli so, außerdem an der Südküste des Schwarzen Meeres eine baum-
reiche Landschaft. Vgl. 'All Dschewäd, Dschografiia lughati, u. d. W; Sä ml bej,
Qämüs ül-aHäm I, S. 224. Vgl. ferner J. Ph. Fallmerayer, Geschichte des Kaisertums
Trapezimt, München, 1827, S. 294.
-) Elwän Bej, in dessen Familie das Ami des Obersttruchsessen {tschäschnegir baschi)
erblich war, war eine bei Mehemmed angesehene Persönlichkeit; er diente noch unter
Muräd, vgl. v. Hammer I, 41S ff.
Scliejch Bedr cd-din, der Sohn des Riclitcrs von SiniSw. 6l
sein mögen, taten das ihre. Von seinen eigenen Leuten ward er den
Kriegern des Großherrn ausgeliefert und nach Seres vor den Sultan
geschleppt. Man nahm ihn in strenges Verhör. Die größten Gesetzes-
gelehrten, die im Hoflagcr versammelt waren, wurden um ihre Meinung
befragt und ebenso Mewlänä Burhän ed-din Haider ben Muhammed^),
der kurz vorher aus seiner persischen Heimat Herät an den Sultanshof
gekommen war. Sein Gutachten [fetma) ))qani /laläl, mäli //arämdir«^)
gründete sich auf eine yadis-Stelle 3), deren Wortlaut Idris über-
liefert (vgl. Sa'd ed-din I, 299, 5 v. u.) ^^JLc jVr*> {'^(^j'^^*. (^^^'^ CT'*
tiyLülh ^cU> (V^^j _5 (5^5'LAac /^.^j ^^^\ uV.j^.j Oo>i_5 J^>j auf deutsch:
»Wer, während eure Sache einig ist unter der Führung Eines Mannes,
zu euch kommt mit der Absicht eure Einigkeit zu zerstören und
eure Gesamtheit zu zerstreuen, den tötet.« So mußte Bedr ed-din
am Galgen mitten auf dem Marktplatz von Seres die Kühnheit seines
Unternehmens mit einem schimpflichen Tode büßen ^). vSeine Habe
1) So lautet der Name, nicht »Said«, wie v. Hammer I, 378 (nach IdrTs) will (was
mit Rücksicht auf seine Bemerkung gegen V. Bratutti's »unverantwortliche Auslassung«
;uif S. 636 etwas komisch wirkt). Burhän ed-din Haider verfaßte mehrere Werke,
darunter eine Erläuterung zu Hatib's (st. 739/1338) idä/i f'i U-ma^änl wa 'l-bajän, zu
Zamahschari's Qor'än-Kommentar kaschschäf 'an haqa'iq sowie eine Erklärung der
sirädsch'ija. Er starb S30/1427 und hinterließ einige Schüler, von denen Mollä Hosrew
und Käfijedschi Mehmed Efendi die bekanntesten sind. Vgl. Taschköprüzäd e,
Obers, des Medschdl S. 83. Mewlänä Haidar war selbst Schüler des großen Rechts-
gelehrten Sa'd ad-dln Afas'üd b. 'Omar al-TaftäzänT (st. 792/1390). Vgl. Brockf.l-
MANN, n, 215.
2) Vgl. dazu Maximilian Enc.kr, »Mav.'nh'i coiisÜlu'ioirs poli/icae«, I3oimae 1853,
S. 99 über die l'nverletzlichkeit der Güter im Islam; der Satz *-i.;'»^ ^Äij ^3 tindct sich
auch bei anderen Rechtsgelehrten.
3) Diese Überheferungsstelle, die sich im sa//i// des AFuslim im hitäb al-amära (1\ ,
285 der Ausgabe mit der Erläuterung Nawawl's, Kairo, 1283) findet, richtet sich gegen
-Anstifter von politischen Umwälzungen, die gegen die Würde des einen anerkannten Ge-
meindehauptes {amir, imäm, halJja) zielen. — Vrdlig falsch ist natürlich die Verdeutschung,
die V. Hammer I, 636 gibt.
4^ ^1 = Sache, besonders bezogen auf das staatliche f. eben, sn daß man es fast
mit Staat übersetzen könnte.
5) La^xÜ / 'iLXu. eigentlich »denStabzerbrechen«,bedeutct immerdic Übereinstimmung
zwischen den Teilen eines Ganzen zerstören. Vgl. I. Goi.dziher, J'orli'sitrigcn iiht'r den.
Islam S. 230.
6) Taschköprüzädc, übers, von Medschdl, führt einige Begleitumstände des
Todes an (S. 73, am Rande): aJcSj^l^ .\ÄJli="v! o.*wLxav ;^c.i.j.Anr> -^^^ \i ^, Js-».J ^äi/a
_jjO »*j^lä jL^j si>oii , ^XjI ^— ^i»! ui^^uX.j| IviLj» i^-,'-'»^ (^T'*; y^*^ j^ ''■^^^^
52 Franz Babingef,
wurde gemäß dem jetwä an die Hinterbliebenen verteilt, sein Leichnam
von seinen Jüngern abgenommen und in Seres beigesetzt. Noch heute
zeigt man im Westviertcl des mazedonischen Städtchens sein Grab^).
Als sich Bedr ed-din's Todestag zum 500. Male jährte, dröhnte
in die stille Einsamkeit seiner Ruhestätte der Donner der Geschütze.
Im Anschluß an diese Darstellung muß billigerweise gleich die
Frage entschieden werden, in welches Jahr die geschilderten Ereig-
nisse fallen. Der Versuch, eine zeitliche Feststellung hierfür zu ge-
winnen, ist bereits von J. v. Hammer (I, 635) sowie von J. W. Zink-
eisen (I, 481, Anm.) unternommen worden. Wenn beide zu einem
fast richtigen Ergebnis gelangen, so ist dies einem glücklichen Zufall *),
JLjAjI v^>.i.A3 8, «./«^^ iWs=^'< kjj «! ,., ».AW.J.J .c*^'-' ^J>-i-^ P -**
Darnach müßte also Bedr ed-din etwa vorher einem Schlaganfall erlegen sein. Die
Angaben stammen aus den 'Uqüd al-nasT/ia« des Ihn 'Arabschäh, der übrigens bei
Isfendijär mit Bedr cd-dTn gelegentlich eines viedschlis zusammengetroffen war. Ibn
'Arabschäh war also, wie schon oben S. 20 angedeutet, genauer mit dem Schejch be-
kannt, und die Auffindung seiner Selbstbiographie wäre schon mit Rücksicht auf eine
weitere Klärung dieses Falles von größtem Belang. Es steht zu vermuten, daß sie in
irgendeinem Sammelband (tnedschmü^a) auf einer der Stambuler Büchereien liegt.
I) Vgl. Petros N. Papageorgiu in d&r Byzantin. Zeitschrift, III. Jahrg., Leipzig
1894, S. 294: Wj 'j -d^K /etT«t £v Isfipott; o-jTty.w;«. Dort steht weiter (ich gebe die Ver-
deutschung des neugriechischen Textes): »Zum Schluß erwähne ich das an derselben Ost-
mauer liegende Grab des Asf/^iarj, türkisch denvlsch-biifiar{i) [also eigenthch »Derwisch-
Brunnen«] und das außerhalb der Nordwestmauer gelegene, gewöhnUch Mewlane (Msß-
/.0!V£), türkisch meidewi-fiäne [vgl. zoc'isvs = qahwe-häne\ genannte Haus der bekannten
Sekte, wie eines auch in Salonik außerhalb der Nordwestmauer hegt.« Bei dieser Gelegen-
heit verweist der Verf. auf Edmondo de Amicis, CostantinopoU (franz. ('bersetzung, Paris,
J883, S. 403), eine seltsame Naivität. — In Seres ist übrigens ein Stadtviertel heute noch
nach »Bedr cd-dTn bej« (Beof/cSoiv ij-etj) benannt. Leider macht P. N. Papageorgiu
keine näheren Angaben über Grab und Kloster. Ob der russische (?) Nachtrag zu dieser
Abhandlung von A. Papadopulos-Kerameus im I. Jahrg. (Petersburg 1894), S. 673
bis 683 der »Viznniijskij Vrenieiinik« hierüber etwas bringt, ist mir unbekannt. Auch die
alten Reisewerke, von denen für diese Gegend wohl heute noch das beste und ausführ-
lichste das von Esprit-Marie Cousini';rv (1747 — 1833), »Voyage dans la Macedoine«.
(Paris 1831, 2 Bde.) sein dürfte, schweigen sich darüber aus.
-) Das Hauptbeweisstück liefert sowohl v. Hammkr wie Zinkeisen ein vom Jesuiten
Makc-Antoine Laucier (1713 — 1769) überlieferter Bericht des Admirals Loredano über
die von ihm gewonnene Seeschlacht bei Gallipoli am 29. Mai 1416, wonach der osmanische
Admiral das Erscheinen einer türkischen Flotte in diesen Gewässern mit der Besorgnis be-
gründet und entschuldigt, daß der Empörer Mustafa Truppen übersetzen möchte. Beide
hJiben die Meinung geäußert, daß hier nur Bürklüdsche Muftafä in Frage komme, da der
sog. falsche Mustafa erst viel später aufgetreten sei. Zinkeisen hat übcrcjies, wovon bei
Schejch Kedr ed-dln, der Solni des Richters von SimSw. 63
nicht aber einer wirklichen Zeitermittlung zuzuschreiben. Ihre Be-
rechnungen stützen sich auf die in allen Berichten wiederkehrende
Mitteilung, daß Mehemmed sich damals gerade zur Belagerung von
Salonik anschickte, ferner auf die von Dukas überlieferte Angabe
von Muräds Alter. Die höchst wertvollen Urkundenveröffentlichungen,
die Josef Gelcich und Ludwig v. Thalloczy 1887 zu Budapest
unter dem Titel »Raguza es Magyarorszdgösszeköttetiseinek okleveltdraa
unternommen haben, geben uns jetzt die Mittel an die Hand, eine
einwandfreie und ziemlich nahe Zeitbestimmung zu treffen. In einem
Schreiben vom 25. Dezember 1416 (S. 265) heißt esu. a. : »ad presens
nullus exercitus est in regno Bosnc et Rasie (=Rasciae, Serbien),
quia eorum (nämlich »Teucrorum«, wie es dort stets für »Türken«
heißt) Imperator est occupatus Salonichi circa obsidionem
fratris ipsius, qui erat in Vlachia, cui Imperator Constantinopolitanus
(nämlich Emanuel von Byzanz) favorem exhibet.« Daraus ergibt
sich also mit Sicherheit, daß Salonik, wo der flüchtige dözme
Muslafä bei dem Zwingherrn Andronik [Aufnahme gefunden hatte
(vgl. N. JoRGA, Gesch. des rumän. Volkes, I, 302, Gotha 1905), zu
Winterbeginn des Jahres 141 6 belagert wurde. Diese Bestimmung
wird in erwünschter Weise durch den Umstand gesichert, daß Muräd
damals tatsächlich gerade 12 Jahre zählte, eine Angabe, der als einer
ungefähren an sich nicht allzuviel Gewicht beizumessen wäre, wenn
sie etwa um einige Jahre abwiche. Muräd II. ist indessen nach Häd-
dschi yalifa, Taqwlm et-tewärih, Stambul, 1 146/1733 i. J. 806 h (beg.
Laugier nichls zu lesen ist, ohne weiteres angenomn cn, daß die Truppen »nacli Europa«
übergesetzt werden sollten (I, 481, A). Nun verbreiten die ra^usäischen Urkunden auch über
dieses Ereignis, wenigstens über den Zeitpunkt, helles Licht. Unterm 18. August 141 5
meldet nämlich ein Bericht (S. 251): ». . . duo barones imperatoris Teucrorum aufugerunt
ab eo ad f rat rem siiim Mustapha, qui moratur in Vlachia et cxindc exiernt cum
dictis baronibus et depredatus fuit in contrata Bulgaric.« Wenn auch das nach-
folgende gewissenhafte »que tarnen non sunt nobis ccrta<' zur Vorsicht gemahnt, so kann
sich dies höchstens gegen die dargestellten Einzelheiten, unter keinen Umständen gegen die
unbezweifelbare Tatsache richten, daß im Sommer 141 5 jener falsche Mustafa in der Wala-
chei sein Unwesen trieb. S. 216 wird unterm 12. Oktober 1416 eine andere auf Mustafa
bezügliche Nachricht gegeben: »At Mustapha, frater dicti Crixie (= Mehemmed), videns
ipsum Crixiam defulcitum gentibus, venit cum aliquibus Teucris secum colligatis et ali-
quibus Vlachis voivode Mirce usque in regnum Bulgarie, quod regnum continue vastat et
dextruit.« Somit läßt sich für die Tätigkeit des falschen Mustafa die Zeitspanne Sommer
1415 bis zum Winter 1416/17, wo er in Salonik gefangen gesetzt wurde, einwandfrei er-
schließen. — Mirgea L, der Alte, der Große (cel Marc, cel Bätrin) zubenannt, starb nach
den serbischen Chroniken ai; 31. Januar 1418, nachdem er seit 1386 die Walachei beherrscht
hat'te. Vgl. Sludii si docitmente privatoare la Isioria Romämlor. Bukarest 1903, IlT. Bfl.,
S. III— IV. Mit dessen Hilfe halte diKinr Mii^faf,' seine Lnufl>:iliii ])egonnen.
g_, PranzBabingef.
21. Juli 1403) geboren, war mithin 818 (= 1415/16J im bezeichneten
Alter.
Aus diesen Belegen läßt sich also mit völliger Sicherheit folgern,
daß Bedr ed-din's Schilderhebung und Untergang in die Sommer-
und Wintermonate des Jahres 141 6, was genau dem Jahre 819 (beg.
I. März 141 6) der muslimischen Zeitrechnung entspräche, zu verlegen
sind. Somit ist die Angabe Häddschl Halifas, der das Er-
eignis erst in das vorletzte Regicrungsjahr Mehemmeds, also 823, ver-
legt, unbedingt zu verwerfen, ebenso die Vermutung Zinkeisen's,
dessen Berechnungen das Jahr 141 8 ergeben (I, 481). Am nächsten
kommt der Richtigkeit noch Ibn 'Arabschähs, von Taschköprü-
zäde-Medschdi überlieferte Angabe 820 (beg. 18. Febr. 1417), während
die arabischen Ausgaben dieses Werkes »ungefähr 818« zeigen, mithin
etwas zu früh ansetzen ^).
BEDR ED-DIN'S LEHRE.
So endete das Leben dieses' bedeutenden Mannes, so scheiterte
sein und seiner Jünger Plan, seine staatsumwälzenden Lehren in
weitere Kreise des Volkes zu tragen. Die Frage, worin diese bestanden,
zu beantworten, begegnete den größten Schwierigkeiten, wäre nicht
jener Bericht des Dukas auf die Gegenwart gekommen, in dem sich
die einzigen Andeutungen darüber finden. Die osmanischen Quellen
vermeiden mit unverkennbarer Absicht auch die oberflächlichsten An-
gaben. Beim Versuch, die Angaben des byzantinischen Gewährs-
mannes zu einem ungefähren Bild zu vereinigen, wird man zweck-
mäßig zwischen den äußeren und inneren Formen der Lehrmeinung
Bedr ed-din's scheiden müssen. Bürklüdsche Mu.stafä redete der frei-
willigen Armut das Wort und lehrte, daß außer den Frauen 2) alles
Gemeingut werden müsse, den Christen gegenüber sei Duldsamkeit zu
beweisen und ihr Glaube müsse dem Islam gleichgestellt werden.
Äußerlich unterschieden sich die Anhänger Bedr cd-din's durch eine
1; Die sonstigen türkischen Quellen geben ganz abweichende Zeitbestimmungen,
z.B. Brusali Mehmed Tähir, »Opuanli miPeUifleri, Stambul 1334, S. 391: 823 (wohl
nach Häddschl Hallfa); Sidschill-i 'opnäiii, II, 11: 825 (^ 1422I).
2) Der Versuch, Weibergemeinschaft herzustellen, ist durchaus in islamischen
Staaten mehrfach unternommen worden, so bei den 'übaid Allah. Vgl. R. Dozy's Aus-
gabe des »Idn-AäMrt. Histoire de P Afrique et de rEsfagne«, I. Band, S. igofi"., Leiden
184S. Damit erledigt sicli ohne weiteres die nicht gerade geistreiche Bemerkung
J. W. Zinkfisen's, I, 476, I. Anm. über die »Achtung der Unverletzlichkeit des Ha-
rems«. Von Islam ist hier wie dort nicht die Rede.
Schejch Bedr ed-dln, der Sohn des Richters von Simäw. 65
von der landesüblichen völlig abweichende Tracht: sie gingen mit ge-
schorenem, unbedecktem Haupt, unbeschuhten Füßen, trugen nur ein
einziges Gewand und lebten unter freiem Himmel, also nicht in festen
Wohnsitzen. Das ist in Kürze alles, was Dukas hierüber be-
richtet. Das auffallendste Merkmal ist der unverkennbar kommu-
nistische Zug, der dieser Lehre angehaftet zu haben scheint. Trotzdem
ist es sehr fraglich, ob man darin eine Erscheinung wird erblicken
dürfen, wie man sie in kommunistischen Bewegungen seit dem grauen
Altertum bis herauf in die allerjüngste Zeit beobachten kann. Auch
die Länder des Islams sind von solchen Bestrebungen nicht freige-
blieben, und es ist eine auffallende Tatsache, daß sie ein Sondermerkmal
sunnafeindlicher, vor allem schi*itischer Strömungen sind. Die Durch-
führung der Gütergemeinschaft auf streng islamischer Grundlage ist
freilich undenkbar ^). Denn von einer Aufhebung und Vergesellschaf-
tung des Eigenbesitzes kann schlechterdings niemals in einem Glauben
die Rede sein, in dem das Pflichtalmosen, das zakät, als Beisteuer zu
den Bedürfnissen der Gemeinde, eine direkte Vermögensabgabe dar-
stellt und somit eine Grundlage des ganzen Staatswesens bildet, in
einem Glauben schließlich, in dem eingehende Bestimmungen über
Erbteilung und andere vermögensrechtliche Verhältnisse getroffen
sind; setzt ja der Qor'än schlechterdings die Bewahrung des Familien-
zusammenhangs voraus. Konnte also im Gefüge des zöf^c/iwi'- Staates
niemals eine derartige Bewegung gedeihen, so lassen sich andrerseits
bei schl'itischen Bewegungen häufig kommunistische Züge feststellen.
Es sei nur an die Qarmaten erinnert. Unlängst hat C. van Aren-
DONK über kommunistische Ansichten bei dem Qarmatenführer in
Südarabien 'Ali b. Fadl gehandelt {»De opkomst van het zaiditische
Imamaatin V ernenn, Leiden 1919, S. 302)2). ^\\q diese Versuche, eine
Gütergemeinschaft herzustellen, sind islamfeindliche Gegenströmungen,
Etwas anderes ist der kommunistische Grundzug, sobald es sich um
eine Art Brüderschaft, einen Orden handelt. Hier tritt der Eigen-
besitz völlig in den Hintergrund; mit der in diesen ^w/f-Gemeinden
') Das Auftreten Muhammeds unter einem sozialistischen, aber nicht eben kom-
munistischen Gesichtspunkte zu erklären, hat bekanntlich Huuert Grimme in seinem
•»Leben Muhammeds«^ I, 14 ff. (Münster 1892) versucht; diese Begründung des zakät hat
aber Chr. Snouck Hurgronje in einem eigenen Aufsatz in der RHR., 30. Jahrg., Paris
1894, S. 158 ff. mit guten Gründen widerlegt.
^) Tu. NöLDEKE hat vor gerade 40 Jahren in einem volkstümhchen Aufsatz »Orien-
talischer Sozialismus«, Deutsche Rundschau, XVII. Bd., Berlin 1879, S. 284 — 291 einige
bemerkenswerte Fälle zusammengestellt; die beste Darstellung der Bäbak-Bewegungen und
damit zusammenhängender Erscheinungen findet sich bei E. G. Browne, »A literary
history of Persia from the ear liest times until Firdnwsi«, London 1902, S. 323 — 336,
Islam XI. , c
66 FranzBabinger,
vertretenen Gleichgültigkeit gegen die Außenwelt ^) und ihr Urteil geht
eine Sorglosigkeit in der Ernährung und des Lebensunterhaltes Hand
in Hand, Anschauungen, die sich an der Grenze kommunistischer
Wünsche bewegen z)- Nicht viel anders steht es wohl mit der angeb-
lichen Christenfreundschaft der »Stylarier«. Der Ausdruck der Über-
zeugung des süfl, daß gegenüber dem Hauptziele, zur Erkenntnis der
Gotteseinheit [tawhid) durchzudringen, die verschiedenen Glaubens-
übungen alle Bedeutung verlieren, ist in der süfischen Literatur wohl
nie klarer und eindeutiger zum Ausdruck gebracht worden als in
jenem Vierzeiler des eigentlichen Begründers dieser dichterischen
Spielart, des Freundes und Zeitgenossen Avicennas, Abu Sa'id
b. Abu'1-Hair, den Herman Ethe bekannt gemacht hat:
»Solang' Moschee und Medrese nicht ganz in Schutt und Trümmer gehn,
Wird freier Gottesmänner Werk auch wirkungslos in Nichts vergehn.
Solange Glaub' und Götzentum nicht auf ein Haar sich ähnlich sehn.
Wird auch kein einz'ger Erdensohn als echter Muslim je bestehn.«
Man wird also 3) vielleicht gut daran tun, in diesen vermeintlich christ-
1) Vgl. darüber die %vichtigen Mitteilungen I. Goldziher's in seinen »Maierialien zur
Entwicklungsgeschich/e des Süflsmiis« in WZKM, XIII. Bd., Wien 1899, S. 42 f.
2) Ich verwei.se in diesem Zusammenhang auf kommunistische Erscheinungen mit
religiöser Grundlage: Bekannt sind die Schwärmereien des »Paukers von Niklashausen*
Hans Böhm (hinger. 19. 7. 1476 zu Würzburg) oder die Unternehmungen des Schwärmers
Thomas Münzer im 16. Jahrhundert, weniger beachtet aber dife kommunistischen Bestre-
bungen in Frankreich, die, von dem Grundgedanken ausgehend, die Worte der Bibel an-
wendete, um mit ihnen die Grundlagen der bestehenden Gesellschaft, Eigenbesitz und
FamiUe, anzugreifen und im Namen Christi die Gemeinschaft der Güter, die Erhebung
der niederen Klassen auf den »Trümmern des Privateigentums«, die Gleichheit des mate-
riellen Lebens unter dem »Banner des Evangeliums« zu fordern, der aber zugleich betonte,
daß alle privaten Umgestaltungen nicht durch Gewalt und umstürzlerische Störungen,
sondern allein durch die Liebe und Verwirklichung des Gedankens der Brüderlichkeit vor
sich gehen dürfe. Diesen Kommunismus predigte der Priester F. R. deL.^mennais durch
seine aufsehenerregenden Schriften »Paroles d'un croyani« (1834) und »Le Hvre du peuple«
(deutsch Leipzig 1905) und besonders C. Pecqcei'r in seinem Hauptwerk »De la republi-
que de Dieu« (1844).
3) Wörtlich lautet das rubäH folgendermaßen: Solange Moschee und Medrese nicht
verwüstet sind, wird der qalender Werk nicht erfüllt sein; solange Glaube und Unglaube
nicht eins sind, wird kein Mensch in Wahrheit Muslim sein. Vgl. Sitzungsberichte der
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw. 67
liehen Bestrebungen, wie sie ja auch Georg Jacob für Bedr ed-din's Be-
wegung anzunehmen scheint (vgl. Türk. Bibl, IX. Bd., S. 25), eher
das Bestreben zu erbhcken, die zwischen Islam und Christentum be-
stehenden Gegensätze auszugleichen ^). Die angebliche Versicherung
Bürklüdsche Mustafä's dem chiotischen Einsiedler gegenüber, daß er
zu dem nämlichen Gott bete, dem jener diene, erinnert denn doch zu
stark an Gedanken, wie sie in der süfischen Literatur, vor allem aber
bei den Hurüfi's sich linden.
Ein Umstand darf sodann bei der Beurteilung der religiösen Zu- ,
stände Anatohens in jener Zeit niemals außer acht gelassen werden,
die unumstößliche Tatsache des Fortlebcns von Glaubensvorstellungen
aus vorislamischer, ja vorchristlicher Zeit. Der harte Kampf um den
Boden Kleinasiens, den der Islam gegen das Christentum führte, hat nahe-
zu neunhundert Jahre gewährt. Mit jenem denkwürdigen Jahr 641 n.
Chr., wo muslimische Araber in Kilikien einfielen, setzte er ein; 15 16,
wo Selim der Grausame auf seinem Eroberungszug unerbittlich streng
die letzten Reste sunnafeindlicher Bewohner zur Annahme seines
Glaubens zwang, war das Schicksal des Landes als dar ül-isläm für
alle Zeiten besiegelt. Es versteht sich aber ohne weiteres, daß mit
dem äußerlichen, erzwungenen Bekenntnis zum Islam nicht sofort alle
ehemaligen Glaubensansichten zum Opfer gebracht oder ausgerottet
werden konnten, daß vielmehr ein großer Teil davon in mehr oder
minder entstellter Gestalt mitübernommen ward und weiterlebte.
Kleinasien ist eigentlich der klassische Boden für solche
Glaubensvermengungen, und der Begriff »permanence of religion«,
den der bedeutende Kenner dieses'Erdstriches, Sir William Mitchell
Ramsay 2) prägte, läßt sich an besonders klaren und anschaulichen
K. Bayr. Akad. der Wiss., phil.-hist. Kl, 1875, II, S. 157; Ign.Goldziher, Vorles., S. 172. —
Es ist gewiß der Beachtung wert, daß hier ausdrücklich von Derwischen (Wandermönchen)
die Rede ist, die keinen festen Wohnsitz haben, folglich auch keine Moscheen besitzen.
So wird auch im Qarmatenreich von sunnitischer Seite die Errichtung einer Moschee aus-
drücklich begründet; vgl. M. J. de Goeje, La fin de Pempire des Carmathes du Bahrein,
im JA. 1895, S- 4-
») Vgl. über Ihn »ArabTs (Muhjl ed-dlu), des mit Bedr ed-dln verglichenen
Freigeistes (vgl. unten S. 102), ganz ähnliche Anschauungen M. Schreiner in ZDMG. LH.
(1898), S. 522 unten.
*) Vgl. William M. Ramsay's Rede lecHirc über -»The War 0/ Moslem and Christian
for the possession of Asia Minor <ü, S. 281 — 301 der von ihm herausgegebenen Studies
in the History and Art of the Eastern Provinces of the Roman Empire, Aberdeen 1906,
femer seine y>Impressions of Turkey during a iwelve years' wandcritigv., London 1897,
S. 102 ff. Lesenswert ist in diesem Zusammenhang aAich R.'s Aufsatz -»The geographical
conditions deterinining history and religion in Asia Minor«, im XX. Bande des Geo'
graphical Journal, London 1902, S. 257 — 282, sowie die neueste Schrift aus Sir William's
5*
6g Franz Babinger,
Beispielen in der Geschichte Anatoliens erhärten. Denn gerade dort
haben sich zum Teil uralte, heidnische Überlieferungen mit unheim-
licher Zähigkeit bis auf die Gegenwart verschleppt. Der überaus
lehrreiche Abschnitt »The permanence of religion at holy places in
Western Asian in Ramsay's »Pauline and other Studies in Early Chri-
stian History« (London 1896) mag jedem, der nicht im Lande selbst
fast auf Schritt und Tritt diese Wahrnehmung machen durfte, einen
deuthchen Begriff davon geben, welche Fülle volkstümlicher rehgiöser,
örthch unausrottbarer Vorstellungen (vgl. Sejjidi Ghäzi usw.!)
sich dortzuland aus vorislamischen Tagen erhalten hat. Das ausge-
zeichnete, nachgelassene Werk von Ernst Lucius, Wie Anfänge des
Heiligenkults in der christlichen Kirche« (Tübingen 1904), gibt davon
eine Unmenge von Belegen. So darf es also gar nicht verwundern,
wenn im kleinasiatisch-osmanischen Derwischwesen noch gewisse
christliche Sitten, Anschauungen, Symbolismen in meist recht ver-
derbter und wenig verstandener Form an vorislamische Zeiten gemahnen.
Die religiös unentwickelte, urwüchsige Aufmachung des dortigen Der-
wischtums kam der Erhaltung und Begünstigung solcher Bestandteile
besonders entgegen und zustatten. Schon die Gliederung solcher
Brüderschaften, übrigens lauter ausgesprochener Männerbünde, ist
besonders in Kleinasien seit alten Zeiten heimisch und behebt. Auch
hier hat Sir W. M. Ramsay erwiesen, »that Brotherhoods were a re-
markable feature of Anatolian society both in ancient and mediaeval
times« (vgl. sein Werk »The Cities and Bishoprics of Phrygia«, Oxford
1895/97, L Bd., S. 97, IL Bd. S. 359, 630, sowie die wertvolle Abhand-
lung über die csvoi TsxjiopsTot [Tekmoreian guest-friends] in den Studies
in the History and Art of the Eastern Provinces of the Roman Empire,
Aberdeen 1906, S. 305, bes. S. 318).
So dürftig nun im Grunde die obigen Angaben des Dukas über
die Lehrsätze Bedr ed-din's, als dessen Sprachrohr Bürklüdsche
Mustafa zu betrachten sein wird, auch sind, so ausführlich werden
sie bezüglich der äußeren Aufmachung jener Leute. Das geschorene,
unbedeckte Haupt ist dabei wohl besonders auffallend. Im Be-
richte des G. A. Menavino wird, wo von den türkischen Sekten
die Rede geht, sowohl von den »Derwischen« (worunter bei M. ohne
allen Zweifel die Bektaschis oder eine ganz nahverwandte Sekte ver-
standen werden muß) behauptet, daß sie »di tutto il resto ignudi
senza alcuni peli per tutta la persona« einhergehen, Mnd auch von den
Feder i>The Intermixlure of Races i>i 'Asia Mitior. Sonic of its Caiises and Effects« in den
Procecdings of the Brit. Academy, VII. Bd. London, o. J. [= 191 7, 64 Ss.], deren Kenntnis
ich der Freundlichkeit ihres Verfassers verdanke.
Schejch Bedr ed-dln, der Sohn des Richters von Simäw. 69
»Torlaqlar« behauptet derselbe Berichterstatter, daß sie sich mit ge-
schorenem Kopfe (con la testa rasa) zeigen. Die Bartlosigkeit ist über-
haupt eine wenigstens in gewissen Brüderschaften beobachtete Sitte ^);
ich erinnere an den Vers des Temen näji, des Genossen des liurüfi
Nezimi ^) :
JLÄ5 JwJwS jj jO^-f^ j'Xi\j^L:> jä jj ÜC-
Süfi, werde ein Qalender, komm, zupf aus das Haar, den Bart dir,
Dies ist eine Schhnge für dich, dieser Schnickschnack (Nichtigkeit)
geht vorüber.
E. J. W. GiBB bemerkt dazu in seiner History of Ottoman Poetry
I, 385: »The comparison of hair to a snare (because of the threads of
the latter) is common.« Ich möchte dazu indessen j^ljj.^ über-
tragen, d. h. als sittliche Falle fassen; Haar und Bart bilden eben den
Schmuck des Mannes, dessen sich der Süfi zum Zeichen seines ent-
haltsamen Büßerlebens begibt. Es ist wohl kein Zufall, daß hier ebenso
wie im obigen Vierzeiler wiederum von den »qalender« die Rede ist.
Diesem Aufzug entspricht völlig die Weisung, »unter freiem Himmel«
(d(3x£TCYJ) zu wohnen, wodurch die Besitzlosigkeit und die freiwillige
Armut, deren Pflege ihnen die Lehre auferlegt, wohl den sprechendsten
Ausdruck findet. Bedeutet die ^irqa, das Gewand, in dem wir viel-
leicht den Rock des li-ovo/ttcuv bei Dukas wiedererkennen dürfen,
bildlich »Armut und Weltflucht« (-vgl. I. Goldziher, Vorlesungen
S. 165), so kennzeichnet das Bestreben, ohne Eigentum zu leben, noch
deutlicher den Grundzug eigentlichster §üfigesinnung, wie sie Ruwaj m
s
bei QuBchairi umschreibt: i^^Lv^^äJI i^Aa:>' cy^ Ac ^-y^ ^_5j.*aÄil
.Uxi>^l^ (jijjxxil ^.'J^ j^ij^l^ ^iÄJu ^^.<^\^ ^Lä:c5^I_5 ß^'~i was
R. A. Nicholson im JRAS, 1906, S. 340, also übersetzt: »tassawuf
is based on three quahties: a tenacious attachment to poverty and
indigence; a profound sense of sacr fice and renunciation; and absencc
of self-obtrusion and personal volition«. (Quschairi, Risäla, Kairo
1287, S. 148, letzte Zeile.)
I) Vgl. dazu die Neschrl-Stelle in ZDMG., XV. Bd., S. 356: ^^iliLv. » ^S^LiO
v_^j^l , a.;ia\ »wJJ^ifcj, d. h. »indem er (nämlich Mentesche-oghlu) sich Haar und Bart
scheren ließ und (so) ein isohiq (d. i. Wandermönch, Derwisch, vgl. Zenker, I, 54 b, u.
d. W. / iLÜ.1, 3 [das hier aber doch wohl taArif von , ä..i:LC ist, zumal ar. , ä.i:^£, 'aschq
im Osman. meist Hschq gesprochen wird!]) wurde«.
J) Vgl. J. V. Hammer, Gesch. der osm. Dichtkunst I, 215, mit ganz falscher Ver-
deutschung.
70
P'ranz Ba binger,
In der Gepflogenheit, barhäuptig zu erscheinen, darf man wohl
die Absicht erkennen, sich in schroffen Gegensatz zum sunnitischen
Türken zu stellen, den der weiße Kopfbund, der Turban, schon
weithin kennthch macht. Die Kopfbedeckung ist bekannthch im Morgen-
land ein deutliches äußeres Kennzeichen der Glaubenszugehörigkeit,
früher eine viel strenger geübte Sitte als etwa heutzutage ^).
Im Zusammenhang damit muß noch jenes sonderbaren Gebetes
gedacht werden, dessen Wortlaut Dukas übermittelt hat: ttdede
suUän erisch !«, d. i. »Väterchen Sultan, komme !«. Man hat es bisher,
wie es scheint, auf Bürklüdsche Mustafa bezogen. (Vgl. EL, I, 976
unter dede Sultan] ferner II, 416: »den (= B. M.) seine Anhänger
Dede Sultan zu nennen pflegten«). Wenn auch das Ansehen, das jener
Bürklüdsche Mustafa bei seinen Anhängern genoß — galt er ihnen
doch schließlich als Prophet [pejghamher] wie seinen Gegnern als dad-
dschäl (vgl. Sola qzäde, 134) — , sehr groß gewesen sein muß, so scheint
hier doch das Haupt der Sekte, nämlich Bedr ed-din, darunter ver-
standen werden zu müssen. Davon wird noch die Rede sein, und hier
sei nur an die eigenartige Form des Gebetrufes eine kurze Bemerkung
geknüpft, da sie religionsgeschichtlich*) nicht ohne Belang sein dürfte.
J. H. MoRDTMANN vcrwcist mich auf eine auffallende Parallele, die
in der bekannten, oftmals zu Stambul gedruckten (1281, 1286, 1306)
Abhandlung »Mizän al-haqq fi ihtijär al-akaqq« sich findet. In dieser
Schrift werden Glaubensstreitfragen 3) jener Zeit zur Sprache gebracht,
I) Vgl. dazu I. GoLDZiHER, »Die Entblößung des Hauptes«, im Islam VI, S. 301 ff.,
besonders S. 313. — Kein Nichtmuslim durfte es wagen, sein Haupt mit weißem Stoff zu
umwinden; seine Kopfbedeckung bestand aus schwarzen oder dunkelbraunen Binden,
Hauben und Mützen (qalpaq). Vgl. J. v. Hammer, Des osman. Reiches Staatsverfassung,
I, 442, 443; Gesch. des osmayi. Reiches HI, 17, VH, 268; VIII, 191.
-) Wie schon eingangs bemerkt wurde, liegt hier ein psychologisch bemerkenswerter
Vorgang vor: wie etwa in der Apostellehre (Didache) das uralte, dramatisch aufgebaute
Stoßgebet (A. v. Harnack, »vota suspiranticm des Tertullian) x6pt£ r^.aüiv, ep/ou die Ge-
meinde schließlich in den Augenblick der Wiederkunft Christi versetzt, so ist auch hier
die Hoffnung auf des vergötterten Schejchs Nähe so lebendig, daß den Blutzeugen dieser
Schrei entfährt. Das nächste und besonders deutiiche Seitenstück liefert, wie gesagt,
der Schluß der Johannes-Offenbarung (vgl. dazu Hebr. 10, 37) sowie das {xapavaSa im
I. Kor., 16, 22, wo bekanntlich aotpäva + 9a (= aram. f^n NJID; ^- '• »unser Herr,
T T -T
komme!«) zu scheiden ist.
3) Eine ausgezeichnete Inhaltsangabe findet sich bei Charles Rieu, Catalogue of
Turkish Manuscripts in the British Museum, London, 1887, S. 254; vgl. G. Flügel, Die
arab., pers. und türk. Handschriften der Wiener Hofbibliothek II, S. 267. Die höchst
interessante Abhandlung bespricht eine Reihe strittiger Punkte, wie das Tabakrauchen,
Kaffeetrinken, den Reigen der »mystischen Mönche« usw., lauter Fragen, die damals zu
argen Parteiverfolgungen zwischen den Rechtgläubigen und den »Mystikern« geführt
hatten (vgl. darüber J. v. Hammer, GdOR. V, 163 und besonders V, 528 ff.).
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw. 71
und yäddschi Halifa sagt sich darin wenige Monate vor seinem
Tod von seinem ersten Lehrer, dem starrgläubigen Eiferer Qädizäde
los. Ganz am Schlüsse des Büchleins (im Druck v. J. 1306 (1888),
Sammlung des Ebu'z-z;jä, No. 71, S. 132, oben), wo von dem Streit
des Qädizäde gegen den naqs« ((ja'i.) und »dewn*. (^j) der Der-
wische die Rede ist, heißt es wörtlich:
_^P !»00 ^LjcLijj (ji^ !aOO ^e^^Jr^ \J^. j^^^^ ^^»Oj jilÄJL> iO-i^"
»Die sämtlichen Chalweti und Mewlewi und Friedhofswächter ^)
waren seine Feinde geworden. Die tahta depenler (d. i. also die Chal-
weti) und Flötenspieler (d. i. die Mewlewi) schrien »Komm Toqlu Dede!
Komm Boqaghili Dede !« und hörten nicht auf, jede seiner Predigten
aufs heftigste zu schmähen und zu verhöhnen.« Die Fälle sind über-
raschend ähnlich, und es wäre von großem Wert, einmal diesen Der-
wischrufen nachzugehen; bezüglich des türhedär Xoqlu Ibrahim Dede
verweise ich auf die »Hadlqat ül-dschewämi' « I, 143 (Stambul 1281),
über den Boqaghili Dede, der übrigens ein auffallendes Seitenstück
zu dem christhchen Heiligen Andreas darstellt, hat Friedrich Schra-
DER in seinem hübschen Buch über »Konstantinopel« (Tübingen 191 7)
S. 94 — 95 anziehend gehandelt und weiteren Forschungen vorgearbeitet.
Die angedeutete Ansicht, daß sich »Dede Sultan« auf Bedr ed-din
beziehe, leitet von selbst auf die Frage, was eigentlich der große Rechts-
gelehrte und Schejch mit seinem Auftreten bezweckt haben mag. Am
nächsten läge die Vermutung, daß er im Bunde mit den unzufriedenen,
in ihrem Besitz stark geschmälerten Kleinfürsten wie Dschunejd,
Isfendijär und Mirgea stand. Dafür sprächen die ausdrückliche Er-
wähnung seiner Beziehung mit Isfendijär und Mir^ea und schließlich
auch die offenbar versuchte Verständigung mit den christlichen Be-
hörden von Chios; die älteren osmanischen Berichte schweigen sich
über ihre Meinung völlig aus, und gerade da, wo von, den Absichten
Bedr ed-din's gesprochen ist (fast immer in direkter Rede !), zeigen
sich auffallende Abweichungen in den Quellen. Das ist sicherlich kein
reiner Zufall. Man wird in der Annahme nicht fehlgehen, daß der
älteste Bericht, nämlich der des Anonymus, den geschichtlichen Tat-
bestand am unverfälschtesten wiedergibt, in zweiter Linie wäre dann
') maqber bektschüeri »Grabeswächter« lautet heute noch der Name eines Derwisch-
klosters bei Stambul. Vgl. Zenker II, 870 a u. d. W. maqber.
72 Franz Babinger,
jenes des *Äschiqpaschazäde zu gedenken. Hier ergibt sich nun
die höchst überraschende Tatsache, daß sich Bedr ed-din im ersten
Fall als »König, Mahdi« im zweiten aber als »kalifa« bezeichnet haben
soll. Die späteren Berichte vermeiden beide Ausdrücke und sprechen
ganz allgemein von pädischähliq und bejlik. Religiöse Führer pflegen
im islamischen Orient von den Zeiten Muhammeds an bis auf Leute
vom Schlage *Osman Dan Fodio's (vgl. Der Islam, X, i ff.) nur
allzuoft auch eine politische Rolle zu spielen. Bedr ed-din mit den
Betrügern und falschen Propheten in eine Linie zu stellen, wie
sie die Geschichte des Islams in so stattlicher und bunter Fülle auf-
weist i), muß aber doch wohl die Achtung vor seinen unzweifelhaft
gewaltigen geistigen Fähigkeiten abhalten, die ihn schwerlich auf die
Abwege eines gemeinen Verbrechers oder eines Narren geraten lassen
konnten. Seinem ganzen Auftreten wird ein tieferer, seinen Lehr-
ansichten zugrundeliegender Antrieb die Kraft gegeben haben. Suh-
rawardl, der »Jünger der Geisterwelt« und Begründer einer eigenen,
entweder nach ihm »Suhrawardija« oder nschräqijün«, auch >mür-
ha^schija« (die »Lichtspendenden«, »Illuminaten«) genannten Sekte, ist
der Verfasser eines »kikmat al-ischräq« betitelten Werkes, in dem sich
die »Einflüsse zweier ganz verschiedener Kulturkreise in phantastischer
Weise zu einer wunderhchen Mischung von Philosophie und Mystik«
vereinigen. Alfred v. Kremer hat daraus in seiner t)Geschichte der
herrschenden Ideen des Islams <( (S. 92 ff.) Auszüge veröffentlicht, aus
denen einige Stellen hier Platz finden mögen. Dabei mag auf die
Tatsache Gewicht gelegt werden, daß sich die sog. silsile, also wohl
auch die Lehransichten Bedr ed-din's mit der Suhrawardi's lange
Reihen hindurch begegnen (vgl. Anhang S. 103). »Die Welt war nie
ganz ohne Philosophie und ohne einen Mann, der sie pflegte und den
Beweise und offenkundige Tatsachen als solchen kennzeichneten.
Dieser ist der Stellvertreter Gottes auf Erden« [halifat alläh ji "l-ard) ^).
Kurz darauf (S. 94) heißt es weiter: »Denn ein Theosoph findet sich
stets auf Erden vor, und er ist höher berechtigt als der spekulative
Philosoph, um so mehr, als das Vikariat Gottes {^iläfa) nicht unbesetzt
bleiben kann. Unter dieser Herrschaft verstehe ich aber keine Gewalt-
herrschaft, sondern der Imäm, der zugleich Theosoph ist, kann öffent-
*) Vgl. darüber den lehrreichen Abschnitt bei al-Abschlhl (Ibschaihi) im 76. Ab-
schnitt seines Werkes »Al-muslarraf fi kullfann mustazraf n in einem der zahlreichen Kairoer
Drucke (1272, 1304, 1305, 1306, 1308) oder in der Übersetzung von G. Rat (Paris, 1899).
Außerdem vgl. A. v. Kremer, Gesch. der herrsch. Ideen usw., S. 188: »Politische Abenteurer
als Propheten«.
-) Vgl. dazu den Ausdruck ^.P.-<A^ ^^j^ri j^. ^^' Neschrl, oben S. 41.
Schejch Bedr ed-dln, der Sohn des Richters von Simaw. 7-2
lieh die Herrschaft übernehmen und ausüben oder auch insgeheim ^) . . . .
Kommt nun wirklich die politische Macht in seine Hand, so ist sein
Zeitalter lichterfüllt^ ).« Es ist ein bekannter, im Verlauf der isla-
mischen Geschichte bis in die jüngste Vergangenheit herein sich oft
wiederholender Fall, daß der Glaube an den Mahdi dazu diente, politisch-
rehgiösen Empörern in ihren auf den Sturz des Bestehenden gerichteten
Absichten als Rechtfertigung zu dienen, und daß der Mahdigedanke
gleichsam einen Lebensnerv des schi'itischen Systems darstellt, ist
eingangs bereits angedeutet worden. Die Vorstellung vom verborgenen
Imäm führte im Laufe der Zeit zur Ansicht, daß nicht bloß in Mit-
gliedern der Familie *Ali's sich Gott verkörpere, sondern daß auch ge-
wöhnhche Sterbliche von Gott mit der Imämwürde ausgestattet werden
könnten; diese seien dann seine Stellvertreter auf Erden, die höchste
Gewalt in göttlichen und weltlichen Dingen in ihrer Person vereinigtens).
Ob der Seldschuqide Bedr ed-dln sich in diesem Sinn zum Mahdi berufen
fühlte oder ob er seinen Stamm gar auf *alidischen Ursprung glaubte
') Über diese aqfäb handelt ausführlich und zuverlässig der überaus gewissenhafte
osmanische Geschichtsschreiber Mustafa b. Ahmed 'All ( ^JLc, st. 1599), der bekannte
Verfasser des künh ül-atbär, im ersten bäb seiner sehr wichtigen, bisher ganz unbeachtet
gebliebenen türkischen Abhandlung über die verschiedenen Heiligenklassen ()>sketch of
the hicrarchy of the Spiritual war[[]d<( , Ch. Rieu) /liljet üi -ridschäl (d. i. d Schmuck der Männern),
von der die Berliner Staatsbibliothek eine leider beschädigte (vgl. W. Pertsch, Türk. Hss.,
S. 75, Nr. 38 aus H. F. v. Diez' Nachlaß), das Britische Museum eine vollständige Abschrift
aus S. DE Sacy's Besitz (vgl. Ch. Rieu, Cat. of Turk. Mss., S. 19, Or. 3292) verwahrt.
J. v. Hammer's Bemerkung, GdOR., I. Bd., S. 585, Anm. ** zu S. 115, ist natürlich Ver-
wechslung, da 'Äli's, übrigens 1316 zu Stambul gedruckte (55 Ss.), heft medschlis nur die
Belagerung von Szigetvar (1566) betreffen. J. v. Hammer hatte aber sicherlich die eben
angezogene Berliner Sammel-Hs. »Diez Fol. 13, IV« vor Augen.
-) SuhrawardI selbst hat niemals seine in der »Philosophie der Erleuchtung« aus-
gesprochene Ansicht vom Imämat in die Wirklichkeit umzusetzen versucht; kaum 38 Jahre
alt, machte er auf Betreiben der Strenggläubigen zu Aleppo i. J. 587 (1191) Bekanntschaft
mit dem Henker. Sein Grabmal ist noch heute dort als das des »getöteten SuhrawardI«
(SuhrawardI al-maqtül) außerhalb des Bäb al-faradsch in nächster Nähe des Christen-
viertels zu sehen. Offenbare Verwechslung bei E. Herzfeld und F. Sarre, Ar chäol. Reise,
in. Bd. (1919), S. 179, wonach sich das Grabmal dieses berühmten SuhrawardI zu
Baghdäd befindet. Der Name al-manqül ist zwar wohl auch dort al-maqtül zu lesen,
doch hegt hier die so häufige Vermengung mit einem andern SuhrawardI (vgl. IbnHalli-
kän, hrsg Wüstenfeld, Nr. 823 und 507) vor, der »ebenfalls als Sufi und Schriftsteller
bekannt war und auch in gelindem Geruch des Wundertuens stand;«. Vgl. Th. Nölueke,
Das arab. Märchen vom Doktor und Garkoch, in den Abh. Pr. Ak. d. W., Berlin, 1891, S. 4,
Anm. Vgl. noch A. v. Kremer, Miltelsyrieii und Damaskus, Wien 1853, S. 69. Natür-
lich wird S. vom Volk als Wundermann und Heiliger verehrt. Vgl. oben das über Muhjl
ed-din Gesagte S. 102, i. Anm.
3) Vgl. dazu A. V. Kremer, Geschichte der herrsch. Ideen, S. 378; I. Goldzuier, Vor-
lesungen über den Islam, Heidelberg 1910, S. 231.
•JA Kranz Babinger,
zurückführen zu können, steht nicht fest; es ist mir unbekannt, in-
wieweit etwa die Seldschuqen sich solcher Herkunft rühmten i). In
diesem Zusammenhang scheint nun auch die Anrede »Sultan« ihre
Lösung zu finden^). Man wird ihn im Kreis seiner Anhänger als den
Herrscher, den Sultan verehrt haben, und mit welcher Zähigkeit man
von der Rechtmäßigkeit dieser Würde Bedr ed-din's überzeugt war,
beweist des Dukas Schilderung von den standhaft ertragenen Martern
seiner Jünger. Die Umstände, unter denen Bürklüdsche Mu§tafä
sein Leben hingab, erinnern nicht nur hinsichtlich der Todesart 3) an
') Die bildlichen Darstellungen in der seldschuqischen Kunst Kleinasiens,
vor allem zu Qonia (vgl. die häufigen »tschär Mß's« !) sind doch recht verdächtig, und es
will mir scheinen, als ob wenigstens die letzten Rüm-Seldschuqen der Schi'a näher-
standen, als man gemeiniglich annimmt. Vgl. dagegen Friedr. Sarre, Reise in Klein-
asien, Berlin, 1896, S. 68.
^) Sultan muß an sich nicht auf weltliche oder geistliche Herrschaft hinweisen,
sondern kann ebensogut ein Kosenamen sein. So hieß jener langlebige Zeitgenosse des
Häddschi Bektasch, der mit ihm aus Khoräsän eingewandert war, ja auch (qidemli) Dede
Sultan. Vgl. Ewlijä, III, 368, 8 ff. Sämtliche, vorab die älteren und mit dede zusammen-
gesetzten Derwischnamen tragen ein altväterhches, naives Gepräge. Ewlijä verwendet
sehr oft suUän zur Bezeichnung berühmter Schejche. Vgl. z. B. II, 52, 7. Z. v. u., 200, 10 v. u.
3) Georg Jacob hat in seinen »Beiträgen zur Kenntnis der Bekiaschijje«, Türkische
Bibliothek, 9. Bd., Beriin 1908, S. 25,. an die Tatsache, daß »das Oberhaupt jener Der-
wische, welche den großen Aufstand erregt hatten, dede Sultan, in Kreuzesform an ein
Brett genagelt« wurde, die zunächst bestechende Folgerung geknüpft: »Die Strafe zeigt,
daß man die Bewegung als Abfall zum Christentum auffaßte«, und zur Stützung seiner
Ansicht den voa Ibn Dänijäl überlieferten Fall herangezogen, daß unter Baibars ein
Weinverkäufer gekreuzigt wurde, weil der Wein als christliches Getränk galt (vgl. G. Jacob,
Geschichte des Schatteniheaters, Berlin 1907, S. 36). Nun lautet die Stelle bei Dukas wört-
lich also (S. 114, 14 — 17): TOTE CTotupiuaavTEs a'JTOv, xcti in'.&EVTs; xotfxi^.w ixTeTa|i.£va?
r^(uv xis ytlpoLi Tre-epovrjtjisva; dv savi'ji oti xtüv 7]Xu>v, £&piaij.p£'j3av aütov Iv jxeso) ttj;
TToXeu);. Wie man sieht, geht aus ihr nicht unmittelbar hervor, daß Bürklüdsche Mustafa
»gekreuzigt« wurde. Sodann wäre wohl an die Tatsache zu erinnern, daß sich bei den
morgenländischen Völkern mit der lateinischen oder griechischen Form des Kreuzes (hier
käme überhaupt höchstens das sogenannte Andreaskreuz (x)in Frage), durchaus nicht der
Begriff dieser Form der Todesstrafe verbindet. Die Kreuzigungsstrafe wird im Orient
gewiß in der Weise gedacht und ausgeführt worden sein, wie sie für die Römer bei Th.
MoMMSEN-, Römisches Strafrecht, Leipzig 1899, S. 918 — 921 dargestellt wird. Darnach
wurde dem angekleideten Verurteilten die Gabel (Jurca) auf den Nacken gelegt und die
Arme an den beiden Händen festgebunden, weiter die Gabel und auf ihr der Körper an
einem auf der Richtstätte errichteten Pfahl hinaufgezogen und an diesem auch die Füße
festgebunden. Das Schlagwort ist deshalb auch bei der Kreuzigung »suspendere«,
was dem arabischen »_JLo (vgl. das talmudische zh'i'^ J-L- Saalschütz, Mosaisches
Rech! II, 470) entspricht. Im Islam gründet sich die Kreuzigungsstrafe auf Qor'än V, 37.
Die Strafformen sind bei den Islamvölkern schon in alter Zeit von den weltlichen Richtern
im Widerspruch mit den kanonischen //udüd ausgeführt worden, und über willkürliches
Strafverfahren klagen ja die kanonischen Buchgelehrten unaufhörHch (vgl. I. Goldziher,
Streitschrift des Gazäli gegen die Sekte der Bäfinijja, Leiden 1916, S. 94). BezügHch der
i
Schejch Redr cd-din, der vSohn des Kichtcis von Simäw. 75
jenen berühmten Wollkrcmpler [al-hallädscK) yusain Mansür,
dessen Hinrichtung i. J. 309 zu Baghdäd unter den fürchterhchsten
Folterqualen stattfand, die er bis zum letzten Atemzug gleichfalls
mit bewundernswertem Mut über sich ergehen ließ ^). Gerade dieser
Umstand läßt vermuten, daß eine starke Zauberkraft in den Lehren
des Meisters enthalten war, die ihren Bekennern bis zum Äußersten
an «ihnen festzuhalten die Stärke gab. Sie wurden denn auch schwer-
lich mit dem Schejch zu Seres begraben. So darf es nicht überraschen,
daß, wenn auch nur kärgliche, Nachrichten vorhanden sind, die von
einem Fortleben der Lehre Bedr ed-din's Zeugnis geben. Hier ist zu-
nächst jener geheimnistuerischen Andeutung Neschri's zu gedenken,
die besagt, daß noch in seinen Tagen in jener Gegend Jünger Bedr
ed-din's lebten; über sie raune man sich wunderhche Mären zu, von
Kreuzigung wird es den Richtern nieht schwer gewesen sein, die Fälle, in denen sie ver-
hängt wurde, auf den in jener Qor'änstelle erörterten Straffall zurückzuführen. Als Muster-
beispiel gilt wohl der Fall al-Hallädsch {Avlb, hrsg. von M. J. de Goeje, Anm. 100—109);
vgl. L. Massignon, Quatre textes inedits relaiifs ä Halladj, Paris 1914,
wo übrigens die Berichte über die Hinrichtung stark auseinanderlaufen, vgl. S. 13 — 14,
23, 24, 25, 35, 51, 52). Darüber, wie die Strafart vollzogen wurde, herrscht überhaupt
in der Literatur Meinungsverschiedenheit, schon selbst in der Deutung des Qor'än-Verses
(nämlich, ob die dort erwähnten Strafen wahlweise zu verstehen oder der Einsicht des
Richters anheimgestellt seien). Auch darüber, wie sie ausgeführt wird:
(Qastalläni zu Buhärl, Mn/iärihiui, ganz am Anfang; Baidäwl, zur Stelle, Za-
mahschari, zur Stelle; Tabarl, Tafs'ir). In den meisten Fällen bestand die islamische
»Kreuzigung« darin, daß der Körper eines schon getöteten Menschen an einem Pfahl oder
einem Baumstrunk (pu\.>), auch wohl an einer Mauer festgemacht und so dem Schimpf
preisgegeben wurde. Vgl. Qor'än XX, 74, wo i^i..o neben J.Är gebraucht wird; ferner
The Kämil of al-Mubarrad, ed. by Wm. Wright, Leipzig 1892, S. 709, 710.
v_^JIao wird sogar von einem zur Schau gestellten Kopf gebraucht. Vgl. Tabarl,
II, 1714, 13, i&rntx Maverdii consiiiuitones politicae, hrsg. von Max Enger, Bonnae 1853,
S. 105; A. V. Kremer, Kulturgeschichte I, 545. Die Strafe oavt'ot Tipoaostv ist uralt; vgl.
Plutarch, Ferikles 28; eine der Kreuzigung entsprechende Strafe war Iv (upos) tyj saviSt
o£iv; vgl. dazu Aristoph., Thesmoph., 931, 940.
I) Beachtung verdient auch die Tatsache, daß B.s Jünger meinten, ihr Meister sei
nicht gestorben, sondern führe sein altes Leben weiter. Das nämlich wird z. B. auch von
al-Hallädsch behauptet (vgl. R. Dozy, Het islamisme, Haarlem 1863, S 218). Auch von
SuhrawardI geht die Sage (vgl. A. v. Kremer, Miltelsyrien und Damaskus, Wien 1853,
S. 69), ebenso von Muhammad ibn al-Hanafija (vgl. Schahrastänl, hrsg. von
Th.Haarbrücker I, 168), und vom letzten Imäm Hasan al-'Askerl heißt es, er sei in einem
unterirdischen Gange verschwunden, um am Ende der Zeiten wiederzukehren und die Welt
zu beherrschen. A. v. Kremer, Gesch. der herrsch. Id., S. 378. — Über den Auferstehungs-
glauben vgl. auch Graf v. Gobineau, Les religions et les philosophies dans l'Asie centrale,
Paris 1866, S. 314, 250.
70 Franz Ba bin«; er,
denen man aber nicht näher reden dürfe. Viel wichtiger als diese
knappe Bemerkung ist indessen ein längerer Bericht des Arabers
Qutb ad-din^), der 990/1582 als Mufti zu Mekka starb; sein be-
kanntestes Werk ist die von F. Wüstenfeld herausgegebene »Ge-
schichte der Stadt Mekka und ihres Tempels <( [Die Chroniken der Stadt
Mekka, III. Bd., Leipzig 1857), wo er bereits unter der Regierung
Muräds Bedr ed-din's gedenkt (vgl. a. a. 0. S. 255). Weit ausfürhr-
hcher sind nun die x\ngaben über ihn in seinem nur handschrift-
lich überlieferten »munta/iab al-td'ri/i «, das in einer sehr guten Abschrift
in Leiden (Ms. Leid. arab. 2010) vorhegt. Sind auch Qutb ad-din's
Mitteilungen nur mit Vorsicht zu benutzen, soweit sie osmanische
Verhältnisse betreffen, so ist im vorliegenden Fall die Erzählung so
durchsichtig, daß der geschichtliche Kern leicht aus seiner sagenhaften
Hülle herauszuschälen ist. Sie lautet nach der Leidener Handschrift
(Bl. 97 b, 5. ZI. bis Bl. 98 a, 2. ZI.) 2) wörthch also:
^VJLCj LutoÜJ »JüL ^^\S ^^ 8-i>! iJU-jJl O-Aoil .^*Sji Xajo LgJ. c^Uäj KxAaä
«.A-w _j.j5:vi iyo^J^ j.yiii Ifi;^ dU*«» X.^\ l^'i ^-yS■ *..wÄJ Ljü.j ^a ^.i ^'i
bj »J i3wÄ5 »yol ^ (^ij »Jj xi üij ^jLci.4-1! qa UaJ^v.Ä ^Li^x^Ls io»»3' ^
»J>.>» viA.jj> xJL*aJ 8^U L.i;.L:> i^\ ..liil^ — !l J«w,wS äj 0-«I U s^jüli^j
liUi j^c ^.^.jl;.»? I^>.*=vj» »jjt/Uj qI io:£.U^_5 '*3^y^ '^^j' *^^ f*^ ^"^
')Qutb ad-dln al-Nahrawäll, geboren 91 7/1 511, war fast sein ganzes Leben lang
im fernen Mekka ansässig, weilte aber zweimal zu Studienzwecken in Stambul, wie er
ausdrücklich in seinem Bericht erwähnt, nämhch 943/1536 und 956/1557 (vgl- den arab.
Text bei Wüstenfeld S. 534). Über Qutb ad-dln und seine Arbeiten vgl. C. Brockel-
mann, Arab. Lit.-Gesch., II, 381. C. B ockelmann hat mich auch auf diesen höchst
belangreichen Bericht des Qutb ad-dln durch die Auszüge gebracht, die er im II. Bande
seiner Arah. Lü.-Gesch. auf S. 225, i. Anm. gibt.
*) Die Abschrift danke ich der bereitwilligen Freundlichkeit C^R flis van Aren-
donk's zu Leiden, wofür ich ihm auch an diesem Orte herzlich danken möchte.
3) von mir ergänzt; das [Geklammerte] fehlt in der H|.
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von SimSw. 77
^JLc O^Xi ÄJtsi», o-jij L\.i»i liÜiÄJ ».jOAcI ^1:^^ -iLs lÄ^ ^ÄxIasI S^'i»,
(j«3^ii>bSI^ A5»l iüJi j.S> |}.i by ^1 ijo' \J<S ^xJLc oL'i J^aJ=> tvX^3 tiUö
•i.LjiJb lX;uÜj_5 M-xIäc- »LiüL5> \\ ^^^ S^'>S> r^'''^*^ -LjXi»^ O^J q^ ^.^X^^i^
^Ls ...Li' L*i \&Ji Q-J^ftil |V«^r=" '-^^äi^-Ji ry ^Jj d)^5"ö qc i^.j j.^_»
-5 (»3-^^ ''^^'•^ ^ÄÄ/i ^J!_»| c"*«5^ Ä.\^^M -*"g"i^3 \Äi>i ,.^ji |*-§.>«'« xcL^.^
^5 [Bl. pS-"*] Aääxj ij;<Äil ;^c.Lj<;^j .^1 oLäa«! j.^3, i ^r'^"^' -^^^.^^W^ Li.>ac
(/ [Zeitangabe fehlt]
Danach hätte mithin, um den Inhalt kurz wiederzugeben, Bedr
ed-din zu Adrianopel freiwilhg auf das Amt des Heeresrichters ver-
zichtet und sieben Jahre lang als Büßer unter der Erde zugebracht.
Dann sei er in der Walachei als Prophet erstanden und habe in Kürze
gegen dreitausend Jünger um sich geschart. Der Sultan, dessen Miß-
trauen dadurch erweckt worden sei, habe einen »tschausch« entboten
mit der Weisung, Bedr ed-din hinzurichten. Dieser habe sich indessen
aus freien Stücken ausgeliefert, sei getötet worden, worauf seine Leiche
seine Anhänger nach Seres brachten, wo sie über seinem als Heiligtum
verehrten Grab ein ansehnliches Kloster errichteten und seine Lehre
im freigeistigen Sinn entstellten (vgl. Brockelmann, a. a. 0. H, 225,
I. A.). Das Wichtigste ist wohl die Meldung, daß in Seres ein Kloster
aus Jüngern Bedr ed-din's bestand» und dazu stimmt in einer auf-
fallenden Weise die Mitteilung des Brusali Mebmed Tähir Efendi,
daß er mit eigenen Augen zu Seres in einem Kloster das menäqib-näme
Bedr ed'din's gesehen habe ^). Das Grabmal Bedr ed-din's, das sich bis
in die Gegenwart erhalten hat, steht indessen gesondert, und ein Der-
wischkloster, angebhch der Mewlewl, befindet sich nach dem Zeugnis
des oben erwähnten neugriechischen Schriftstellers außerhalb der Stadt
I) Vgl. jedoch F. Wüstenfeld, Chroniken von Mekka, III. Bd., S. 255, wo als Sterbe*
jähr »aIa« vom selben Qutb ad-dln angegeben wird.
*) Vgl. dessen »'Osmänli mWellifleri, Stambul 1333, S. 39: ^5^80;^-^««
-g Franz Babinger,
an der Nordwestmauer. Ob dieses mit dem der Anhänger Bedr ed-d!n*s
einerlei ist, müßte eine Untersuchung ergeben, die sicherhch lohnend
wäre ^). Ob allerdings in diesem Kloster noch die Überlieferungen an
die Vergangenheit, die ein halbes Jahrtausend zurückliegt, wachge-
halten werden, ist mehr als fraglich. Politisch haben die Klosterinsassen
heute schwerhch mehr die Ziele der alten Ordensjünger. Diese, weit
entfernt, die Lehren ihres zum Märtyrer gewordenen Herrn und Meisters
nicht politisch zu erproben, erscheinen ein halbes Jahrhundert nach
dem Drama von Seres plötzhch in einem regen Zusammenhang mit
einer Bewegung, die damals noch in bescheidenen Anfängen stak, mit
der Zeit aber zu einer Kraft und Stärke gedieh, die den Bestand des
osmanischen Reiches und damit des rechtgläubigen Islams im nord-
westlichen Asien und Europa aufs bedenklichste bedrohte, der Herr-
schaft des persischen Sefewidengeschlechtes.
BEDR ED-DIN UND DIE SAFAWIJJA.
Im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts lebte zu Erdebil =) im
nördlichen Äserbeidschän ein großer Süfi-Schejch namens Safi ed-din
«) Vgl. darübei- BZ., III. Jg., Leipzig 1894, S. 224. — Während der letzten Bogen-
durchsicht erhalte ich eine ausführliche Zuschrift vom Direktor der Kaiserlich Osmanischen
Museen, Exzellenz Halll Edhem Bej, d. d. Stambul, 16. Sept. iq20, der ich folgende,
ihm von Mehmed Tähir Bej freundlichst gelieferte Angaben entnehme: Das tekke zu
Seres, das dem Orden der Qädirl angehört," befindet sich tatsächlich im Westviertel
der Stadt und ist aus Holz erbaut. Es liegt unweit einer Orta Mezärliq DschämiH geheißenen
Moschee. Daneben steht die iürbe des Schejchs Bedr ed-dln, ein Steinbau mit einer Pyra-
mide, wie bei den seldschüqischen künbed^s. Eine geschichtliche Inschrift oder ein ia'rih
hat Tähir Bej nicht gesehen, weder am gemauerten Grabe noch an der Tür. Über der
Tür dagegen ist, in Marmor gemeißelt, lediglich nachstehender Aadlt zu lesen: ^jJ^'S iji
k-Jiil J^i -y^ LJ-oü-v-lS •j^'i^i ^5 Die Bevölkerung von Seres spricht wenig von
Bedr ed-din; man darf 'somit sagen, daß der Schejch im Volksmunde nicht weiterlebt.
Nur gegenüber der Eski Dschdttii\ hinter einem Barbierladen, zeigt man heute noch den
Platz, wo er gehenkt worden sein soll. — Der /ladTi klingt sehr neu und uftkanonisch.
2) Eine gründliche Quellengeschichte der Sefewiden fehlt noch gänzlich, obschon
darüber eine überaus reiche Literatur in europäischen und orientalischen Sprachen vor-
handen ist. Die engen staatlichen und kaufmännischen Beziehungen, die vor allem Italien
(Venedig, Pisa) mit Persien im 16. Jahrhundert und schon früher verbanden, haben eine
reichhaltige Aufklärungsliteratur hervorgerufen, über die übrigens schon Charles Schefer
im Vorwort zur Neuausgabe von P. Raphael du Mans' »Estat de la Ferse en 1660*
(Paris, 1890) wertvolle Mitteilungen gemacht hat. Ich verweise auf dieses Werk und bringe
im folgenden einige Nachträge und Ergänzungen: Schon Uzun Hasan schickte nach der Lagu-
nenstadt und Heß zur Abwendung der gemeinsamen Türkengefahr um Schießpulver, Geschütze
und Stückknechte bitten. Man erfüllte seinen Wunsch und sandte das Kriegsgerät unter
der Führung zweier Edelleute, des Ambrosio Contareni und des Josaf.\t Barbako nach
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richter?; von Simäw. 79
Abu Ishäq, der seinen Stamm auf 'Ali's Enkel Müsä *1-Käzim, den
Persien. Beide hinterließen Berichte, von denen der des J. Barbaro der wertvollere ist.
Er erschien erstmals erst 1543 zu Venedig in der Aldo'schen Druckerei, wurde oft auf-
gelegt und übersetzt. Zu warnen ist vor der lateinischen Übertragung des Nürnbergers
Jakob Geuder von Herolzberg (vgl. J. Beckmann, Lit. der älteren Reisebeschreibungen
I. I, S. 190, Göttingen 1807; J. G. Hager, Geogr. Büchersaal, 1764, f, 704), der leider mehr-
mals gedruckt und sogar von P. Bizaro in dessen Sammlung »Historia Reruni Persicarum«,
Frankfurt 1601, ff. übernommen wurde. In P. Bizaro's Werk sind die wertvollsten Er-
scheinungen über Persien, freilich alle in lateinischer Übersetzung, bequem zusammen-
gestellt. Über JoSAFAT Barbaro vgl. man Giornale de' letterati d'Iialia XXVIII, 139 (dort
(Grabinschrift des 1494 Gestorbenen), über sein Leben und sein Werk ebenda XVIII, 406.
Weit wertvoller und wichtiger als diese Wanderberichte sind die Aufzeichnungen
eines Konstantinopler Edelmannes, des Kantakuzenen Theodor Spandugino, dessen höchst
gewissenhafte und kaum zu berichtigende Angaben in einem Aufsatz »Fzto di Sach Ismael
et Tamas Re di Persia chiamati Soffi, nella quäle si vede la cagione della controversia, che e
tra il Turco e il Soffii'- Er wurde von Francesco Sansovino in die Sammlung WelV
Historia vniversale delV origine et imperio de' Turchi«, Venezia MDLXIIII auf S. 97 b
bis 105 b aufgenommen. Dort ist auch (S. 72 b ff.) desselben Verfassers Abhandlung über
die Türken abgedruckt, von der Charles Schefer nach einer auf der Pariser Bibliotheque
Nationale befindlichen Handschrift eine selten beachtete Neuausgabe u. d. T. »Theodor
Spandouyn Cantacasin, Petit Traide de V origine des Turcqz« (Paris 1896, 18°; auch bei
C. Sathas, Documents inedits relatifs a l'Histoire de la Grece [Venedig] 1890) veranstaltet
hat. Etwa gleichzeitig, aber unbedeutender sind des Bischofs von Nocera, Paolo
GioVio, »Commentarj delle cose de' Turchi« (Venedig 1541, Vorrede bereits vom 22. Januar
1531; vorher schon lateinisch von Francesco Negri, Paris 1538), die F. Sansovino
neuerdings herausgab. Viel ■wichtiger sind dagegen des Caterino Zeno »De i commentarii
del viaggio in Persia« Venedig 1558 (vgl. Neudruck bei Pl. Zurla, Dissertazioni intorno ai
viaggi e scoperte setteyitrionali di Nicola ed Antonio fratelli Zeni, Venezia 1808; ferner
X. Bd. der Annales de Voyages de Malte-Brun). Beachtung und Verwertung verdienen
ferner des Portugiesen Pedro Teixera »Relaciones de origen, descendencia y succession de
los reyes de Persia y de Harmus«, Antwerpen (Amberes) 1600; P. Telxera weilte lange
auf der Portugiesenbesitzung Hormuz (1604), und seine Angaben über die »sofi« sind beson-
ders beachtenswert (vgl. jedoch Notices et extraiis IX, i, S. 131 ff.; ferner S. Jak. Baum-
garten, Nachrichten von einer Halleschen Bibliothek, VI, 302 ff.). Für den gleichen Zweck
kommt in Frage des Joh. Laur. Ananl\s »U universale, Fabrica del Mondo«. (Venedig
1576, 1583, 1596, mit guten Angaben) und endlich die ungedruckten Nachrichten »DcH'
origine, vita et facti d'arme del Gran Sophi, al Dogie di Venetia, per un inaestro Giovanni
RoTTA, nel 1505, di marzo« auf der Biblioteca Nazionale zu Neapel (Standort MS. X F 50).
Der Verfasser ist offenbar derselbe wie der des höchst seltenen Büchleins ttVita, costiimi
e statuta di sofi«, das o. J. zu Venedig erschien. Für die spätere Zeit kommt des Rovreiter
Arztes Giovanni Tommaso MiNADoi'(t 1615) ■»Historia della guerra fra Turchi e Persiani
dal 1577 al 1585 (Venezia 1588, lateinisch bei Bizaro a.a.O., deutsch Frankfurt a. M.
1592), die als Bericht eines Augenzeugen (M. war sieben Jahre lang Arzt bei den veneziani-
schen Levantekonsulaten) besonderen Wert beanspruchen darf. Einschlägig ist ferner
des GiAN Maria Angiolello aus Vicenza »Historia Turchesca di G. M. A. Schiavo et altri
Schiavi delV anno 1429 sin al 1513«, die in einer Pariser Handschrift (Bibl. Nationale, fonds
ital.No. 1238) vorhegt und deren Ausgabe durch die von J. Ursu (Jassy) 1909 zu Bukarest
besorgte nicht erledigt ist. Vgl. darüber nunmehr die these von Jean Reinhard, »Essai
gQ Franz Babinger,
sur J.-M. Angiolello« (Angers 1913), die, obwohl ohne jede Kenntnis der osmanischen
Quellen geschrieben, doch Beachtung verdient und zur Untersuchung anregen sollte, ob
nicht die »Hisforia iurchesca« etwa eine Übersetzung eines frühosmanischen Geschicht-
schreibers ist. »Breve narratione della viia etfatti del signor Usuncassano per Giovan' Maria
Angiolello« enthält der II. Band von Ramusio's i,N avigationi e viaggi«, Venedig 1559,
S. 66 ff. Ohne jeden Geschichtswert ist die erdichtete »Histoire de Mehemet IL, eynpereur
Ottoman, enrichie de lettres originales, traduiies du grec et de l'arahe, sur des manuscrits trouves
a Constaniinople«, par M. B *** de M **^'S Paris, Duchesne, 1764, 2 Bändchen in 12°, im
gleichen Jahr und Format einbändig nachgedruckt, unter dem Titel »Lettres turques, histori-
ques et politiqnes, ecrites, taut par Mehemet II, empereur ottoman, que par ses generaux, ses
suÜanes, im de ses ambassadeurs, et Usum-Cassan, rot de Perse (I), son conlemporain, tra-
duites du grec et de l'arahe, avec de notes et une histoire de la vie de ce conquerant«, par M. ß ***
de M***. Wenn N. Jorga in seiner Osmanischen Geschichte II, 168, 2. Anm., dieses lächer-
liche, schon im Titel als solches kenntliche Machwerk »zu vergleichen« rät und es gleichsam
so zum Wert einer geschichtUchen Quelle erhebt, obendrein als Verfasser »Barbier du (I)
Mesnard« bezeichnet (gemeint war natürhch Casimir Barbier de Mevnard, 1827 — 1908!),
so beweist dies aufs neue seine unglaubhche Sorglosigkeit und den Mangel an Kritik in
seinem Buche. Der wirkUche Verfasser ist ein nicht weiter bekannter Franzose namens
Belin de Monterzi, über dessen Lebensumstände auch die Biogr. Univ., nouv. ^d., III, 534
gar nichts bringt.
Vielleicht die klarste und unmittelbarste Vorstellung des ungeheuren Eindruckes,
den das Erscheinen des neuen Propheten, des i>Sophn<, und die unheimhch rasche Aus-
breitung seiner Lehre im Abendlande hervorrief, zugleich wohl aber auch die wertvollste
zeitgenössische europäische Quelle für den künftigen Erforscher der Frühgeschichte der
§afawijja liefern die Tagebücher {diarii), die der venezianische Senator Marino Sanuto
in den Jahren 1496 — 1533 mit unsäglichem Fleiße niederschrieb und die nunmehr in 59
starken Quartbänden 1879— 1902 zu Venedig im Druck erschienen. Diese gewaltige
Chronik enthält in Gestalt eingestreuter, meist an den Consiglio de' . Pregadi gelangter
Briefe und Berichte (relazioni) venezianischer Baili, Levantekonsuln und Kaufleute eine
Überfülle bis heute gänzlich unverwerteter Nachrichten über Ismä'il und seine Erfolge
(vgl. z. B. IV, Sp. 487 ff. ; 500 ff. usw.; genaue Register am Ende jedes Bandes).
Aus der arabischen Literatur macht Franz Teufel in ZDMG. XXXV, 91 einige
wertvolle Angaben. Vgl. ferner Paul Hörn in E. Kuhn's und W. Geiger's Grundriß
der iranischen Philologie, Straßburg 1904, II. Bd. auf S. 586—587, wo einige Mitteilungen
aus Petersburger Handschriften gegeben werden. Die kostbare Bücherei des Schejch
Safi ed-dln wurde nämlich 1827 von General Paskewitsch nach Petersburg überführt; ihre
genaue Durchforschung ist m. W. noch nicht erfolgt, und ich bin nicht sicher, ob die von
P. HoKK durchsuchten Hss. überhaupt ihr angehören.
Eine »Liste der Manuskripte aus der Moschee des Scheich Seji zu Ardebil«, nämlich der
166 vom Grafen Suchtelen nach Petersburg verschleppten Handschriften, veröffentUchte
Chr. M. V. Frähn im »Petersburger Journal«, 1829^ Nr. 138 (vgl. dazu JA., new series,
vol. II, 1830, S. 78). — Vgl. iemer E. B. Olliver, The Safwi Dynasty of Persia, JASB.
LVI. Bd., S. 37 ff. (Kalkutta 1887), ferner E. D. Ross, Early years of Shäh Ismä'il, Straß-
burger Doktorschrift, 1896 (abgedruckt im JASB. 1896, S. 253 ff.; vgl. dazu JASB.
1902, S. 170). — Sehr wichtig für die Frühgeschichte der Sefewiden scheint die silsilnf
an-nasab as-Safawijja zu sein, von der eine Hs. aus dem Nachlaß von Sir A. Houtum-
ScHiNDLER (f 1916) in den Besitz E. G. Browne's überging. Vgl. dessen klassische, hier
leider nicht mehr verwertete »History of Persian Literature linder Tartar Dominion (A. D.
1265 — 1502)<(, Cambridge, 1920, S. 474 und 484.
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw. 8l
Sohn yusejn's, zurückführte i). Er segnete im Gerüche der Heüigkeit
am 12. September 1334 das Zeithche und fand am Orte seiner Wirk-
samkeit ein heute noch vorhandenes, als berühmtes Heihgtum ver-
ehrtes Grab. Auch der Sohn Sadr ed-din, der Enkel Hodscha 'Ali
sowie der Urenkel Schejch Ibrahim saßen auf dem Teppich beschau-
lichen Daseins, ohne die breitere Öffentlichkeit mit ihren Wünschen
und Ansprüchen zu behelligen. Der Ruf ihres heiligmäßigen Lebens-
wandels drang sogar bis nach Brussa an den Sultanshof, von wo all-
jährHch reiche Gaben und wohlgefüllte Beutel nach Erdebil abgingen
(vgl. 'Äschiqp. S. 264). Schejch Dschunejd, Ibrähim's Sohn, indessen
trat mit politischen Umtrieben an die Öffentlichkeit, die so bedenklich
wurden, daß ihn Dschihänschäh, der Fürst des Weißen Hammels,
dem auch Erdebil Untertan war, des Landes verwies. Er floh zu Uzun
Hasan, dem Herrn des Schwarzen Hammels, der ihm nicht nur gast-
liche Aufnahme gewährte, sondern auch seine Tochter Hadidscha
Begum (aus der Ehe mit Katharina (»Despina Katon«), einer christ-
lichen Prinzessin) ^) zur Frau gab. Eines Tages erschien nun Schejch
Dschunejd zu Oonia im Kloster Sadr ed-din's 3), dem damals gerade
Schejch 'Abd al-latif 4) vorstand. Er machte dem Ankömmling schwere
Vorwürfe wegen seiner sonderbaren Glaubensansichten {iHiqäd) und
bezeichnete ihn als Ketzer. »Mit dieser Lehre bist du ein Ungläubiger
[kjäjir) geworden, jeder, der sich dir mit diesem Glauben anschließt,
wird auch ein Ungläubiger !«, lautete der Bannspruch des rechtgläubigen
Schejchs (vgl. *Aschiqpaschazäde S. 265 ff.) 5). Dschunejd hielt
es für geratener, Qonia den Rücken zu kehren. Hören wir, was
'Äschiqpaschazäde^) hierüber berichtet:
») Vgl. S. DE Sacy, in Notices et extraits, IV, 276, note e; Melanges asiatiques, I, 543;
P. HoRN im Grundriß für iran. Philologie, II, 586. Es ist bemerkenswert, daß auch Häddschl
Bektasch vom Imäm Müsä'l-Käzim seine Abstammung herleitet. Vgl. 'All, künh ül-ahbär,
V. Bd., S. 52 — 58. Er hieß darnach eigentlich Sejjid Muhammad b. Muhammad b. Ibrähim
NTschapürl. Todesjahr nach 'All Rif'at, Z,^(g/^ä^^.■ ^aVi^i/c, III, 75ist 738 (== 1337); dies ist
aber, wie schon 'All Rif'at, Mträt iil-meqäsid, ^. 180 zu lesen ist, nur ^j,Lj ^J^it^ des
Wortes XaävuÄXj.
*) Sie war eine Tochter des Großkomnenen Kalo-Joannes (IV.); vgl. J. Ph. F.'^llme-
i^AYER, Geschichte des Kaiser thums von Trapeziint, München 1827, S. 259 ff.
3) Schejch .Sadr ed-din (qonewT, »von Qonia« zubenannt), genauer Abu 'l-maTdl
Mehmed b. Ishäq, war der Schüler und Schwiegersohn des großen Freigeistes Muhjl
ed-din, genannt Ibn 'ArabI (st. 1240) und starb 671 (1272/73) zu Qonia, wo sein Grab
noch heute, ganz in der Nähe des Bahnhofs, gezeigt wird (vgl. E wli j ä III, 27). Im ersten
Stockwerk derTürbe befindet sich eine kleine Bücherei, bei deren Durchsicht ich im Oktober
1918 übrigens keine bemerkenswerten Handschriften vorfand.
•() Vgl. über ihn Hadlqat ül-dscheu'ämi'- I, 153, 10. Z., Ewlijü, II, 50.
5} Vgl. dazu des Herausgebers 'Ali Bej Vorwort S. 0
<>) In der arabischen Geschichtslitcratur ist dieser dt-nkwürdige Zug Dschuucjds
Islam XI. 6
g-> Fl an z B ab i nger,
»Sobald der Morgen graute, verließ Schejch Dschunejd Oonia,
ging von dannen und begab sich in die Landschaft Warsaq. Schejch
*Abd al-latif sandte dem Oaramän-oghlu Ibrähim-bcj Nachricht, er
schrieb ihm einen Brief des Inhalts: »Das Ziel dieses Schejchs Dschunejd
ist nicht Süfigesinnung [süflliq), er hat das heilige Recht verletzt und
verlangt nach Herrschaft!«, also sagte er. Unter diesen Umständen
gab Oaramän-oghlu auch dem Herrn von Warsaq i) Meldung mit dem
Wortlaut: »Ergreift den Schejch Dschunejd!« Nachdem er aus Warsaq^)
einige Leute an sich gebracht hatte, ging er auf und davon. In der
Gegend von Aleppo begab er sich nach dem Dschebel Arsüs 3), im
Arsusgcbirgc befand sich ein verfallenes Ungläubigenschloß 4). Dies
begehrte er von Biläl-oghlu 5), setzte es wieder instand und machte
sich eine Wohnung daraus. Dort verweilte er nun einige Tage. Da
versammelten sich nun bei ihm einige Leute des Sohns des
Richters von Simäw aus Rümeli und anderswoher einiges Gelichter.
In Aleppo befanden sich Jünger [münd] des Mewlänä Ahmed Bekri
sowie des *Abd el-kerim Halife Schejch ^Zejn ed-din^) (st. 870); die
nach Nordsyrien, soweit ich sehe, nicht erwähnt. Als Quelle kommt, da das Ereignis
sicherlich nach Maqrizl's Tod (1442) fällt, vor allem dessen Schüler Abu*]-Mahäsin
in Betracht, der bekanntlich eine äußerst fruchtbare Chronistentätigkeit entfaltete. Die
nitdschrm az-zähira f'i muhlk Misr al-Qähira, die nur teilweise gedruckt vorliegen (»y^Hwa/««,
Forts. V. W. Popper) erwähnen den Vorfall ebensowenig wie al-manhal al-säfT wa ''l-mustawfi
ba'-d al-Wäfi (nach frdl. Mitteilung von Prof. R. GEVER-Wien, der die dortige Hs. Flügel
1173, Bl. 263 bis 273 (Dschaqmaq) einzusehen die Güte hatte. Die am ersten aufschluß-
reiche Fortsetzung von Maqrizl's as-sulük lima^rifat diiioal al-mulük, nämlich die //awädi/
ad-duhür fl miidTji 'l-aijäm -a'a "sch-schiihür, ist in der Berliner Abschrift 9462 leider unvoll-
ständig, in der Londoner (Brit. Mus. Add. 23, 294) mir unzugänglich. Ibn Ijäs erwähnt
Dschuneid nicht, asch-Schihna. den haleberOrtschronisten(starb 1485, Werkenur hsl.).
habe ich nicht eingesehen.
') Unter Warsaq ist hier natürhch nicht der Tatarenstamm dieses Namens, sondern
sind diegleichnamigen Turkmenen im bergigen Kilikien zu verstehen; vgl. Jos. v. Hammer,
II, 262, über die dortigen Fürsten ebenda II, 294. Vgl. Dschihävnumä. 61 1, 19. Z.
2) Vgl. G. T. Minadoi bei P. Biz.\ro, Hist. Rer. Pers. S. 530: Hujus novitatis author
exstitit Sexchiunus, vel ut ciarius ejus nomen exprimamus, Siec Giunetus; hie sapientis
et sancti nomen sibi sumpsit et subditis sibi gentibus, natura inconstantibus et superstitiosis
persuadcre conatus, primos illos Mahemetis successores contra jus et aequitatem, Princi-
patus dignitatem usurpasse, eaque Alyum defraudasse, qui justitiae et modestiae laude
clarus haeres legitimus extiterat, hunc solum in precibus invocari volebat, eique honorem
debitum restituerc, et priores tr'es tamquam damnatos et improbos eo spoliare cupiebat.
3) Gemeint ist der Dschebel Arsüs, ein Gebirgsstock am Golf von Iskenderün.
4) Ungläubigenschloß, gemeint ist natürlich eine verfallene Kreuzfahrerburg, ver-
mutlich das bekannte Sarepta, das der Atäbeg 'Imäd ed-dln Zengl, der Vernichter des
Fürstentums Edessa, im Jahre 1129 schleifen ließ. Heute As-saret.
5) Wer mit Biläl-oghlu (Pjn Biläl) gemeint ist, blieb mir unbekannt.
6) V<fl. über ihn Hadiqat iil-dschr.vämi'- I, 153. 10. Z., Ewlijä.II, 52, 7 v. u.
Schejch Bedr ed-din. der Sohn des Richters von Simaw. g^
schickten zum Sultan von Ägypten Dscluiqmaq (st. 1453) die Botschaft:
»In deinem Land ist der daddschäl^) erstanden!« Der Sultan von
Ägypten gab dem Statthalter von Aleppo die Weisung: »Auf, mit der
Truppe von Haleb nimm ihn gefangen !«. Der Statthalter von Haleb
war aber gerade krank und drang nun in den uki liädschib -) von
Aleppo; und so zogen sie aus wider den Schejch Dschunejd. Sie töteten
etwa 70 Leute des Schejch Dschunejd, worunter sich 25 Leute des
Sohns des Richters von Simäw befanden. Er selbst ergriff die
Flucht, begab sich nach Dschäniq 3). »Wer mich haben will, soll mich
in Dschäniq suchen!«, sagte er.«
Wenige Jahre nach diesen Vorgängen, wohl 860 (1456), fiel Dschu-
nejd im Kampf gegen Halil, den Herrn von Schemacha. Sein Sohn
Haidar 4)j wohl nach 'Ali's Beinamen (Tabar!, Annales I, 3466, 14)
so geheißen, trat sein fragwürdiges Erbe an. Hatte der Vater schon
zahlreiche Anhänger gewonnen, so vermochte' der Sohn ein ansehn-
liches Heer zusammenzustellen, das er durch eine einheitliche Kopf-
bedeckung, jenes berühmte Uädsch-i Haidar«, aus scharlachrotem
') Über den Begriff des daddschäl, des islamisclien Antichrist, vgl. EI., I, S. 924.
Der Ausdruck schließt übrigens nicht immer eschatologische Beziehungen in sich; er ist
ganz gewöhnliche Bezeichnung für Fälscher, Lügner und Betrüger. Auch hadIt-Erfinder
pflegt man als daddschä! zu bezeichnen. Vgl. I. Goldziher, Muhammed. Studien, II,
«. 133, I74-
2) uhi /lädschib, eigentlich der große Kämmerer; hädschib -w&x im Khalifat von Bagh-
dad, Syrien, Ägypten und Spanien die gewöhnliche Bezeichnung für Wesir, ersten Mi-
nister. Hier ist Jiädschib wohl der »Vertreter des Statthalters«, vgl. M. Sobernheim in
El., II, 219.
3) am Schwarzen Meer, vgl. oben S. 0.
4) Haidar ist ein ausgesprochen persisch-schritischer Name geworden. Damit hängt
vielleicht der Löwe als Wappentier des persischen Reiches zusammen, wie ja /mz^iarz seit
den .'^efewTden geradezu als »königlich persisch« verwendet wird. Vgl. dazu M. Sanutü,
dian'i, IV, 300, 11 v. u. Aufgefallen ist mir an den in John P. Brown's tüchtigem,
viel Stoff bietendem Buch über »The Dervishes« (London 1868) enthaltenen Derwisch-
bildern, die unverkennbar auf morgenländische Vorlagen zurückgehen, die häufige, fast
zusammenhanglose Beigabe von Löwen. Vgl. z. B. S. 57, 83, 148. Damit könnte sehr
wohl der 'alTdische Zug ausgedrückt sein. Derselbe amerikanische Verfasse»- erwähnt auch
haidari als ärmelloses (lewand (vest without sleeves) bei den Bektaschi's (S. 147), womit
man die »haidertje« genannte Mütze der Mewlewl's zu Qonia vergleiche. — Diese Benennung,
der irgendein zauberhaftes Motiv zugrunde liegen dürfte, hatte ihre Seitenstücke, so
etwa, wenn die Bektaschi's (nach P. Brown, The Dervishes, London, 1867, S. 147, 148)
die Ohrringe /lasam und husajni, oder (S. 140, 151) den Hüftenstrick qamberijje (nach
Qambar, dem Lieblingssklaven *AlI's!) benennen. (So scheint mir auch das bysyr selmän
in der von H. Ritter mitgeteilten '■atäbe aus Amära {Der Islam, X. Bd., S. 128, oben)
erklärt werden zu müssen. Die Rolle, die Selmän färisi spielt, ist bekannt. Slimänl
(Name des Zaubersteins Onyx, natürlich nach Salomon so geheißen), wie ich zuerst
dachte, ist schon des Reimes wegen nicht möglich.)
6*
§4 Franz Babinger,
Wolltuch kenntlich machte, das später zu dem Spottnamen der schi-
*itischen Perser bei den Türken [qizil hasch ^)) wurde. Auch er galt als
») Über den Ursprung der »bonnets rougesi( des Morgenlandes laufen noch die sonder-
barsten Anschauungen und Zweifel selbst in Fachkreisen um, so daß eine kurze Darlegung
des Sachverhaltes vielleicht nicht' ganz ohne Wert ist. An dem Vorhandensein einer
scharlachroten Kopfbedeckung für die Anhänger Haiders kann unter gar keinen Umständen
gezweifelt werden. Dafür sprechen allein die zahllosen europäischen Reisebeschreibungen, die,
teilweise gänzlich voneinander unabhängig,'stets das Gleichelberichten; auch die morgenlän-
dischen Quellen sprechen davon. Als besonders lehrreich setzeich eine Stelle aus Löwen-
KLAu's »Türkischen Histoviena (cap. 188) hierher: ». . . gebeut diese newe Religion der
Sophilar vnter andern / man solle das Haupt nit aus eim Pracht vnd Hoffarth mit solchen
einin bünden zieren / sondern nur schlechte Hauben aus Wollen / so nit köstlich / die
Köpf damit zu bedecken und zurichten lassen. Vnd demnach eine solche wollene Haube /
die bei den Persern jetzt wider die Gewohnheit andrer Muslime / im Brauch 12 Falten hat
Ivnd das arabische Wort enasser (isnä 'aschar) soviel bedeutet als 12 / so haben sie auch
einen andern Namen bekommen enasserler / d. i. die zwölffarbigen. Weil sie auch
solche Hauben nur roth gefärbt tragen /so hat man sie auch Kisilbaschler genannt« (S.347).
Vgl. dazu im cap. 81 (S. 241): ». . . man solle das Haupt nit aus Pracht vnd Hoffarth mit.
Bünden aus Leinewand umwickeln / wie die Türken pflegen / sondern zum Beweis der
Demut und Eingezogenheit die Häupter nur mit Hauben aus wollen bedecken. (Vgl. dazu
noch Adam Wenner, Ein gantz neie' Reysebuch . . ., Nürnberg, 1622, S. 84.) Ich verweise
dazu auf ganz ähnhche Darstellungen bei G. T. Minadous in P. Bizaro's Sammlung S. 331 ;
Ad.\m Olearius, Vermehrte Moscowitische vnd Persianische Reisebeschreibung, 1656, V. Buch,
10. Hptst., S. 581; 0. Dapper, Beschreibung des Königreichs Persien, verdeutscht durch
J. Chr. Beer, Nürnberg, 1681, S. 73. — In den Quellen wird ausdrücklich hervorgehoben,
daß die Kopfbedeckung, offenbar nach den kriegerischen Mißerfolgen Haidars, außer Ge*
brauch kam und später erst wieder verwendet wurde. Sie wird in orientalischen Berichten
stets tädsch-i Haidar »Haidar-Krone« genannt (vgl. E. D. Ross, The early years of Shah
Ismä^tl, Straßburger Doktorschrift, 1896, abgedruckt im JRAS. 1896, S. 253). Ohne un-
mittelbaren Zusammenhang behaupten zu wollen, verweise ich auf die sonderbare Tat-
sache, daß die hohen Mützen der Mewlewis »//aiderije-i scherif« genannt werden; vgl.
F. Sarre, Reise in Kleinasien, Berlin 1896, S. 32. Am auffallendsten ist jedoch die ÄhnHch-
keit mit der zwülfzwickeligen sikke der Bektaschis; vgl. G. Jacob, Bektaschijje, S. 40. Der
Ausdruck )>enasser« könnte sich natürlich auch auf die »Zwölfer- Schl'iten« (kj^c LoI)
an sich beziehen, obwohl die zwölf, Falten der Mütze dazu zweifellos in Beziehung stehen.
Diese sollte ursprünglich offenbar einen Gegensatz zum weißen, meist aus feinem Leinen-
stoff gefertigten Kopfbund der Türken, überhaupt der Sunniten darstellen; die Ge-
meinde des Haidar glich ursprünglich eben völlig einem Derwischorden, und die
gemeinsame Kopftracht sollte die einzelnen Glieder zusammenfassen. Die Vor-
schriften, die Ismä'Il erließ und die wohl auch schon sein Vater zur Geltung gebracht hatte,
erinnern sehr stark an gewisse Ordensvorschriften bei Derwischen. Bei zunehmender An-
hängerschaft der Sefewiden kam natürlich auch die eigenartige Kopftracht, die nur bei
einer kleinen Gemeinde Sinn und Bedeutung haben konnte, in Wegfall. Später wurde denn
auch, wie sich einwandfrei schon in der europäischen Literatur verfolgen läßt, der Aus-
druck »Kizilbasch« zum Spott- und Schimpfnamen für die schi'i tischen Perser; er ist ja
ebenso, wie die türkische Mehrzahlform »enasserler« bei Löwenklau beweist, türkischen
Ursprungs. Mit Kizilbaschi, auch Kizilbascha, Kizilpascha, bezeichnete man .später den
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simaw. 85
großer Schejch und Heiliger. Aber sein Ansehen, das er auch nach
außen hin durch Erlangung der Herrschermacht festigen wollte, ging
bald mit ihm in der unheilvollen Schlacht bei Täbzerän im Juli 1488
im Kampfe gegen den Herrn von Schirwän verloren.
Dafür hinterließ er in seinem jüngeren Sohn Ismä'U einen Nach-
folger, dessen erstaunlicher Tatkraft es gelang, das von seinen Ahnen
erträumte Reich zur Wirklichkeit werden zu lassen. Sechs Jahre
seiner Jugend verbrachte er in stiller Zurückgezogenheit in Gilän bei
dessen Fürsten Hasan Khan. Und als er 1499 aus seiner Verborgenheit
heraustrat, hatte er kaum mehr als 300 Anhänger um sich. Er ent-
faltete eine unermüdliche Werbetätigkeit, entsandte dä'Vs in alle
Gegenden, und gar bald gelang es ihm, den kleinen Stamm gewaltig
zu mehren. Aus einer kleinasiatischen Landschaft vor allem strömten
ihm Leute in Massen zu: aus Tekke-eli und Hamid-eh (im Südwesten
Anatohens am Golf von Adalia). Eine höchst merkwürdige und
seltsam vernachlässigte und unbeachtete Erscheinung. Dort
hatte ein Schejch Sadr ed-din eine starke Gemeinde geschaffen, von Tim.:r
Gnade für sie erlangt i) und sie vor Versklavung bewahrt. Seit jenen
Schah von Persien. Vgl. A. v. Le Coq im orientalischen Archiv«, III. Jahrg., 1913, S. 64
sowie F. Babinger, ebenda S. 144—145; über den Ausdruck »KasuU im Ung rischen
für »Persien, persisch« vgl. F. Babinger im A-Iagyar Nyelvür XLII. Jahrg., 1913, S. 251
bis 253: »A perssH jelent'ö kazul szoröl« (= über das (ung'r.) Wort ))kazul«= Persien).
In diesem Zusammenhang verweise ich auf die noch nicht genügend geklärte Bezeichnung
)>zarkula«, die schon bei byzant. Schriftstellern begegnet und deren Verwendung im os-
manischen Heer J. v. Hammer, Gesch. des osm. Reiches I, 179, 596 auf Muräd I. (1372)
zurückführt; der ganze Bericht klingt jedoch mehr unwahrscheinlich und verdient eine
Nachprüfung. Schon das persische Wort sollte zur Vorsicht mahnen. Über die »Haidar-
Krone« vgl. noch D. Kantemir, Geschichte des osman. Reiches, deutsche Ausgz.he, S. 200.
Als besonders wichtig für die Geschichte der »Haid r-Krone« möchte ich die überaus
seltene Schrift des Arztes Giovanni Rota, »Vita, costumi e staiura di sofi((hezeichnen, die
0. J. (i. Hälfte des 16. Jahrhunderts) zu Venedig erschien. Einen Abdruck sah ich 1912
auf der Bibhoteca Nazionale Marciana (Palazzo della Zecca) zu Venedig, wo ich mir den
Titel vermerkte. Vgl. desselben Verfassers hsl. Arbeit oben S> 79, Anm. Daß die os-
manischen Truppen d mals eine weiße Kopfbedeckung trugen, geht unzweifelhaft
aus einer von J. v. Hammer I, 421 (unten) auf Grund übereinstimmender türkischer
Berichte gemachten Mitteilung hervor. Unbegreiflich ist nach dem Gesagten die Äuße-
rung J. v. Karabacek's in seiner gewiß höchst wertvollen und von mühsamem Fleiß
zeugenden Studie über »Abendländische Künstler zu Konstantinopel«, Denkschriften der
Kais. Akad. der Wiss. zu Wien, 62. Bd., S. 87, 4- Anm. Die angezogene Stelle beweist
doch im besten Fall nur, daß eine lädsch geheißene Kopfbedeckung schon früher bezeugt
ist, keineswegs aber die eigenartige, zwölfzwicklige Rotkappe der Sefewiden. Vgl. M.
Sanl'To, diarii, IV, 482 oben (bareta rossa!); V, 196 LZ (barete longe rosse).
>) Das ist gewiß kein Zufall, ebensowenig wie wenn etwa derselbe Timur auf Bitten
Uodscha Nasr ed-dln's dessen Wohnort Aq Schehir verschonte; vgl. Ewlijä, III,
16 £E {Der Islam, V, 219).
§5 FranzBiibiuger,
Tagen waren die Bewohner jenes Landstriches »persischen Schejchenmit
besonderer Vorliebe zugetan« (J. v. Hammer, GdOR II, 344, nach des
Richters von Aleppo Dschannäbi^)[st. 999/1590] Ta'rih). Von hier aus
zogen Scharen (daher Tekkelü!) nach Lähidschän zu Ismä'il. Welche
Belohnung harrte ihrer dort? Mit welchen Verheißungen vermochte
Tsmä*il solchen Zulauf zu bewirken? Theodor Spandugino-) 3) ist einer
I) Vgl. darüber die Handschrift A. F. 12 (469) der Wiener Hofbibliothek, Bl. 68 r
bis 70 im ta^rlfi des Dschannäbl mit höchst belangvollen Angaben über die Frühgeschichte
der süfl von Erdebil. Unter Schejch Sadr ed-din kann selbstverständlich nicht der oben
erwähnte (st. 1273) gemeint sein, sondern vielleicht eher Sadr ed-dln von Erdebll. Ich
vermute indessen, daß hier irgendeine Vermengung vorhegt, worauf mich folgende Stelle
in P. BiZARo's '»Rerum Persariim Historia«, Frankf. 1601, S. 266 bringt: qui (= Dschunejd,
»Guines«) tantam et praeclaram sibi in toto Oriente doctrinae sanctitatisque opinionem
conciliavit, ut Tamerlanus ipsum innosceret, eique petenti ad triginta captivorum millia
dono dederit, quos ille in sua secta probe institutos, fiho Sicaidero (Schejch Haider!) tradidit.
(Vgl. A. Müller, Islam II, 347.) Aus zeithchen Gründen kann natürlich Dschunejd
mit Timürlenk nicht zusammengetroffen sein, indessen steht soviel fest, daß die Lehre
der süfl von Erdebil seit langem eine starke Anhängerschaft in Tekke und Hamid besaß.
Eine Untersuchung hierüber wäre überaus lohnend und ergäbe die wichtigsten Aufschlüsse
über die Sekten Kleinasiens. Pedro Teixeira hat in seinen »Relaciones d'el origen, de-
scendencia y succession de los reyes de Persia, y de Harmuzo usw. (En Amberes, MDCX),
S. 368 gar diese »gracia concedida de Teymurlangh a Xeque Safy« erwähnt, was aus
zeitlichen Gründen schon unmöghch ist. Wie mir Herr Dr. Karl Äusserer an der Wiener
Hofbibhothek auf mein Bitten mitteilt, hat Jos. v. Hammer willkürHch jenen Schejch
Sadr ed-din »aus Qonia« stammend bezeichnet, obwohl in seiner Quelle, dem genannten
Berichte des Dschannäbi S. 133 (fol. 68 v) und S. 134 (fol. 68 r) mit keinem Wort
davon die Rede ist. L. Langles in J. Chardin, Voyages, X. Bd., S. \^^ (Paris 1811):
2000 Qurtschi d. i. Kurden (vgl. qürdscht =^ Leibwache des Schahs!).
*) Wichtig und auffallend mit dem Wortlaut des (späteren) Berichtes von Theodor
Spandugino übereinstimmend ist die Schrift des artium doctor Giovanni Rota, die erst-
mals 1508 (zu Venedig?) u. d. T. »ia vita del Sophi: Re de Persia et de Media et de molti
altri regni et paesin (40) erschien und um 1515 als »La vita: costumi: et statura de Sofi: Re
de Persia et de Media et de molti altri Regni et paesi« usw. in 8° nachgedruckt wurde. 151 5
kam (zu Augsburg?) eine Verdeutschung »Das Leben vnd gewoiiheyt vnd gestalt des Sophy
kunigsz der Persien« usw. in 4"^ (davon zwei Abdrücke auf der Bayr. Staatsbibliothek zu
München , Standort: 4° -Hist. As. 428). Unter den deutschen Flugschriften, die das Auf-
kommeo und die Macht der .'^efewiden behandeln, sei hier hervorgehoben »Von dem neilwen
pro/phete in Persia Sophey geniit. V/'i von seiner geburt Auch von sei/t Kriege vfi mechti-
gem gewalt« (Bayr. Staatsbibliothek: 4" Hist. As. 838 und 4° Sc. Mil. 6); weitere führt
J. v. Hammer, Gesch. des osman. Reiches X, S. 67, Nr. 137, 138, 143, 144, 145, 148 ff. auf.
Außer den oben erwähnten (S. 79) »Relaciones« des Pedro Teixeir.\ sei hier noch auf
J. P. Tercier's »Memoire sitr l'origine de la dynastie des Sophi en Perse, du nom de Kizil
hasch, ou Tete rouge, que les Pures donnent aux Persans, et de Vinimitie, qui regjie entre les
deux Naiions« auf S. 754 — 779 der Mem.oires de Liiterattire, tires des registres de V Academie
Royale des inscriptions et helles leltres, 24. Bd., Paris 1756, sowie auf Silv. de S.\cv's »No-
tices et extraiis d'un manuscrit syriaque, ecrit a la Chine et de deux »iss. persans con-
tenant les vies des Sofis«, Paris 1841 verwiesen.
3) Ich setze die höchst interessanten Mitteilungen Spanduginos hierher (S. 98b in
Scilcjch Bedr cd-din, der Solin des Richters von Siniäw. 87
der wenigen, die über Lehre und Leben Ismä'Il's Nachrichten geben,
aus denen ein ungefähres Bild sich herstellen läßt. In Ismä'il's und
der Seinen Augen galt Geld und Rangordnung nichts, und alles kam
nur auf die Hingabe an den neuen Glauben an. »Senza stipendio
alcuno«, ohne jeglichen Sold leistete man ihm Heeresdienst. Ismä'il
vertrat die Forderung einfachsten gemeinsamen Lebens und freigebig-
ster Almosenausteilung i). Das sunnitische Verbot, Wein zu trinken
und Schweinefleisch zu essen, verwarf er, weil 'All, sein Abgott, es
unmöglich gebilligt haben könne; er selbst ging hierin mit seinem
Beispiel voran, indem er Schweinefleisch aß -). Es scheint mir höchst
wahrscheinlich, daß Ismä'il außer altpersischen Anschauungen eine
Reihe von christlichen Gebräuchen, selbstverständlich in veränderter
der Sammlung des Sansovino, Veaezia 1568): »e quanto al mangiar della carne di porco,
diceva Ali ch'anchor ch'ii Profeta ordinasse che non se ne dovesse mangiare come perniliosa,
che perö e lecito mangiarne a chi ella non fa male. Perche le cose che enlrano per la bocca
non dannano I'anima, ma quelle che escono. l'er questo i Soffiani mangiono carne di
porco, stanno in continue vigilie et orationi et sono huomini piu caritatiW. Sach Ismael
primo Re de Persi per quanto ho potuto intendere mangiö sempre carne di jiGrco et quando
vcnne in rotta cou l'Imperador de Turchi nel tempo di Baiasit et Condichiar (= chodä-
vcndkjär) .Selim faceva allevar qualchc porco grosso et gli metteva il nome dello Imperador
Turco et chiamavalo il Condichiar Baiasit.« — Vgl. ferner S. 99 a: »debbono
viver in poverta et in astinentia del cibo et con continue vigihe et orationi, anchor
che tal cosa per loro male si osservi. — Zur Erhärtung des Gesagten seien noch zwei Stellen
aus der Schrift des Giovanni Rota (nach der deutschen Übersetzung, vgl. S. 86, 2.Anm.)
angeführt : (Schah Ismail) »Trinckt wein / aber verporgner weyss / vn isst schweyne fleisch«.
Ferner: »Man sagt das der gesprochen Sophi seye vast ein gutter freundt der Christen/ vnd
des glaubens/vnd das er fuert mit jme den Patriarchen von Armenia/mit xdll münchen
vnd priestern/ Vnd zwayntzig tausent redlicher man Anneni / welche er die vmb jn helt/
vnd wo er sich bclcgert/so macht er zerreyssen die nuischee/ vh die kirchen der Christen
lest er steen / Drinckt wein / emsiger weyss zum mall / wie wir /isst schweyne lle}^sch . . .«,
ferner Bl. 9 a: »anpeten das Creutz/ als do thut der Sophi / Vnnd was er gewindt/das
ist der gantzen gemayn/Er geet on ein Baret auff dem haubt / vnd ein man
von wenig wortten vnd dem aller grösten ansehen.« — Marino Sanüto, diarii, IV, 355:
»sua [d. i. Ismä'ils] secta, ch'e una certa rcligiune catholicha a Ihor modo . . ,«! Man
begreift nach all dem Gesagten nun sehr leicht die »Christenfreundüchkeit« der Anhänger
Jk'dr cd-dln's wie überhaupt den christlichen Einschlag in diesen Lehren.
') Vgl. ü. Dapi'kr, Beschreibung des Königreichs Persien. Nürnberg, 168 1, S. 114:
. . . tun das Gelübd der Arnuit / und empfangen täglich ihre Almosen am königlichen Hofe/
Sie leben in Gemeinschaft unter einem Haubt Basci-Sufi genannt.
-) Da in der jetzigen schl'tischcn Lehre an dem Verbot, Schweinefleisch zu essen,
streng festgehalten wird, ergibt sich schon daraus die bereits angedeutete Tatsache, da«
die Lehre der siljVs von Erdebil in vieler Hinsicht Bestimmungen enthielt, die heute nicht
mehr in der schi'itischcu ( ilauljcnslehre Geltung halien. Schweinefleischgenuß wird übri-
gens (freilich ohne Lehrbegründung) auch bei nordafrikanischcii, nichtschi'itischeir Mus-
imen festgestellt. Vgl. ZDMG. XL, 40; vgl. dazu .\\v.. Moii.i i'.kas, I.f Maroc iiicoinni
II, 492. Paris 1899 (frdl. Hinweis I. Goldziher's).
gS Franz Rabinger,
und seinen Zwecken angepaßter Form, übernahm ^). Er stand den
Christen offenbar wohlwollend gegenüber; »non aborisse la religione
christiana, « sagt Jani Laskaris ausdrücklich von ihm, und schon
seinem mütterlichen Urgroßvater redete man Christenfreundlichkeit
nach -). Der gutmütige, lächelnde, dicke Ismä*il gewann so im Nu
die Herzen von Tausenden. »Unter lOOOO Menschen war er«,
so schreibt Th. Spandugino, »auch in Verkleidung noch als König
erkennbar 3). <( Das Volk betete ihn geradezu an und verehrte in
ihm einen Gottgesandten 4), eine milde, gerechte und volkstümliche
Politik sicherte ihm die dauernde Gunst seiner Untertanen. Seine Lehre
griff immer weiter um sich und faßte vor allem in Kleinasien Boden.
Besonders in Tekke und Hamid vermehrte sich Ismä'il's Gemeinde
zu bedrohlicher Stärke. Dort war es auch, wo Ende April I5I05) plötz-
lich ein gewöhnlicher, aus Bazardschiq bei Elmadschiq ^unweit Adalia)
gebürtiger Türke, der Sohn eines gewissen Hasan Halife, erstand.
Er hatte jahrelang in der Weltabgeschiedenheit eines von ihm ge-
leiteten Klosters gelebt, das ihm sogar Sultan Bäjazid hatte errichten
lassen. Derselbe Großherr half ihm mit einem jährlichen ausgiebigen
Ehrensold über die Nöte des Lebens hinweg, der Ruf seines heiligen
Lebenswandels drang in alle Lande und lockte, vor allem aus der
Umgebung, Tausende frommen Landvolkes nach der zäwija des Wunder-
mannes. Reiche Gaben strömten ihm zu. Mit der Zeit begann er aus
seiner Zurückgezogenheit herauszutreten und flammende Reden zu
führen. Das Ende der osmanischen Herrschaft sei nahe, redete er
den Leuten vor, sprach von dem ihm durch Gottes Fügung dereinst
verliehenen Schwert und einer Herrschaft der Frommen, der Reinen
0 Vgl. z. B. die sonderbare Taufsitte bei O. Dapper, Beschreibung des Königreichs
Persien, deutsch von J. Chr. Beer, Nürnberg i68i, S. I2i. Man wußte später nicht mehr,
was diese Besprengung mit Wasser (»Ab Pascian«, »Abrizan«) bedeute und ob sie etwa
christlichen Ursprungs sei. Zu äbrizän vgl. Vullers I, 8 b.
») Vgl. Cod. lat. Monac. i8 770, Fol. 192 der Münchener Staatsbibliothek wo Uzun
Hasan geschildert wird »crucem in humero dextro deferens, christianorum amicissimus«.
— Vgl. M. Sanuto, diarü, IV, 500, ganz unten (wichtig!).
3) Vgl. Spandugino a. a. O. S. 137 b: fra dieci mila anchora che egli fosse travestito
si conoscerebbe per re. Vgl. dazu S. 98 b : era adorata dalla sua gente per Profeta. Bezeich-
nend ist die Schilderung des zu Reliquien zerrissenen Gebetsteppichs, auf dem Ismä'll
gestanden hatte.
4) Die Behauptung H. Löwenklau's {Hist. Musulm. Türe. Sp. 652, 37 flE.), daß die
Münzen Ismä'lls auf der Vorderseite die Aufschrift lä ilähnilla'lläh Mu/iammad rasül u^lläh,
auf der Kehrseite die Worte Ismä^il hallfat alläh (»Ismail vicarius Dei«) tragen, läßt sich
an den bekannten Stücken, wie sie etwa der Catalogue of Coins of the Shahs of Persia in
ihe British Museum, London 1887, von Reginald Stuart Poole, bringt, nicht erweisen.
Vgl. M. Sanuto, diarü, VI, 303 und 304.
5) nach Sa'd cd-din, II, 162 am 'Äschürä (!) 926,
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters \:on Simaw. 3o
und der wahren Gläubigen; für alle bestehe die Notwendigkeit unbe-
dingter Unterwerfung unter den Gedanken dieses segensvollen, gott-
gefälligen Werkes.
So gelang es Baba Schäh-quli, wie sein Name lautete ^), das Land-
volk zu betören und die Landschaft in hellen Aufruhr zu versetzen ^).
Gar bald wütete ein fürchterhcher Bauernkrieg im Südwesten Klein-
asiens, schwere Kämpfe entbrannten, in denen der Großwesir, der Häm-
ling 'All Pascha im Juli 151 1 auf dem sog. Tschibuk-Felde bei Sarim-
saqliq das Leben ließ. Auch das neue, unter dem Albaner Jünus-Bej
zusammengezogene Heer vermochte der Aufständischen nicht Herr zu
werden, und erst nach wochenlangem, erbittertem Streit gelang es,
Schäh-quli mit den Seinen nach Persien abzudrängen, wo sie von
ihren Glaubensbrüdern freudig empfangen wurden. Sengend und
brennend durchzog diese Schar Anatolien, und der ihr vorangehende
Ruf der Grausamkeit und Unrnenschlichkeit schlug auch den stärkeren
Gegner in wilde Flucht. Hier zeigte sich, wie unklug Bäjazid 3) ge-
') Das Vorstehende nach H. Löwenklau's Historiae musulmanae Tiircorutn ...,
Spalte 661 ff., der hier wohl aus Muhjl ed-din schöpft. Die Hauptstelle lautet: »Cepit
enim aliquando sectatores et discipulos suos adloqui, subdolisque verbis ostendere, jam
destinatum felicitati stirpis Osmaneae tempus effluxisse, nee amplius eam in illo rerum
humanarum fastigio permansuram. Imminere mutationem maximam, qua totius orbis
imperium ad se perventurum esset. Gladium sibi divinatus datum iri, quo populos uni-
versos suo subjecturus esset imperio.« Was nun den Namen und die Herkunft betrifft, so
gründen sich obige Angaben auf die Löwenkl.a.u vorgelegene osmanische Quelle. Nach
andern Angaben war sein Vater ein gewisser Qara-bijiq (Schwar/2(er Schnurr)bart); vgl.
J. V. Hammer, GdOR. H, 355), Schäh-quli dürfte späterer Beiname sein, aus dem die
Türken Schejtän-quli (Teufelsknecht) machten. »Schah« ist hier m. E. als »König« kat ex-
ochen, d.h. als'Alizu fassen. Namen wie gerade "^All-quli, Imäm-quli waren damals sehr häu-
fig. Vgl. 0. Dapper a. a. 0. iio a, wo solche Namen erwähnt werden. Höchstwahrscheinlich
stand Seh. mit Ismä'Il seit langem in Verbindung, wenn auch vielleicht die Nachricht,
daß er dessen Lehrer gewesen sei (vgl. D. Kantemir, Gesch. des osman. Reiches, deutsche
.Ausgabe S. 196 ff. ; darnach [Jean-Francois] de Lacroix, Abrege chronologique de
l'histoire oäomane, I, 324 ff. (Paris 1768) nicht den Tatsachen entspricht. Die von Kantemir
erzählte, von de Lacroix nachgeschwätzte Geschichte über Seh ist natürlich eine türkische
Entstellung, die Mitteilung von der Anwendung des iaHlq an Stelle des 7ieslii bei den Persern
aber vielleicht doch der Nachprüfung wert. — In andern Quellen (vgl. P. Bizaro a. a. O.
S. 267 u. ö.) wird er »Techelles« genannt, worin natürlich »daddschäl« zu suchen ist. Über
die Beziehung Seh. zu Ismä'Il vgl. man Spandugino a. a. 0. S. 102 a: il Soffi (= Ismä'il)
mandö venti mila de suoi con un capitano chiamato Scilanculi . . . contra Baiasit. — Vgl.
dazu E. D. Ross im JRAS, 1896, S. 328, wo es natürlich Tekke-eli und Rüm-eli heißt.
-) Schäh-quli erkannte den »Sohn Erdeblls« als eine Gottheit an (vgl. Sellm-näme
des Kurdendichters Schükrl, Wiener HS. 1007, Bl. 64 a [Flügel II, 229]) und bezeichnete
sich selbst als den »Khalifen der Zeit und den Mahd! des Zeitalters« (vgl. Sellm-näme des
Keschfi, Wiener Hs. 988, Bl. 76 b [Flügel II, 211]). Vgl. Der Islam VI, 408.
') In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß im Jahre 1492 (897) ein qalender
QO F r a n z B a b i n g c r .
handelt hatte, als er im Jahre 1502, statt ihnen den von Ismä'il ver-
langten freien Durchzug nach Persien zu gewähren, die »Fanatiker«
von Tekke und Hamid zu Paaren treiben ließ und sie, vorab ihre
Schejche, als Siedler in die europäischen Provinzen, vor allem aber
in die eben eroberten Städte Modoni und Koroni auf Morea bringen
ließ ^). Mit um so zäherer Festigkeit hingen sie an der neuen Lehre,
um so reger mag der Zulauf gewesen sein.
So entstand aus einem Derwischbund das schi'itische Perserreich.
Freilich führte Ismä'il, vor allem aber sein Sohn und Nachfolger
Tahmäsp, noch jahrelange schwere Kriege wider die verhaßten Os-
manen im Westen, und auch von den im Osten seßhaften Üzbegen
ward er hart bedrängt^). Allein nichts, auch nicht die grausamen,
von Selim befohlenen Metzeleien unter den Schi'iten, vermochten
das Werk der silfi von Erdebil in Trümmer zu schlagen.
Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, daß Bedr ed-din
und die Seinen in engem Zusammenhang mit der neuen, allerdings erst
zwei Menschenaltcr nach ihm erstarkten Lehre, wie sie Ismä'il und
schon seine Vorfahren verfochten und durchsetzten, gestanden hat,
so dürfte der Auszug aus *Äschiqpaschazäde's Geschichtswerk, vor
allem aber der Fall des Schah -quli, ihn erbracht haben. Die Anhänger
des Sohnes des Richters von Simäw gehörten mit zu den ersten, die
mit Einsetzung ihres Lebens die Ansprüche Dschunejds auf den Thron
vertraten, in Schäh-quli glaubt man bis in die Einzelheiten Bedr ed-din
wieder zu erkennen. Und wenn er mehr Glück bei seinem Auftreten
hatte als jener, so verdankte er dies außer seiner größeren Anhänger-
schaft vielleicht der größeren Schlauheit, mit der er zu Werke ging.
Hatte er doch jahrelang den Großherrn über sein Treiben und seine
Absichten zu täuschen vermocht, so sehr, daß er ihm eine zäimjahautc
einen Mordversuch auf Bäjazid unternahm, den die Leibwachen des Großherrn zu dessen
Heil abwehrten. Vgh Jos. v. Hammer, GdOR. H, 303.
0 Vgl. Spandugino a. a. 0. S. 103 a: Baiasit . . . elesse tutti i letterati e dotti del
paese che si trovaväno nella Natolia, sospetti della setta Soffiana, e gli confino nell 'estrcmc
parti della Morea et delF Albania; vgl. dazu Paolo Giovio, De Fatti ühistri di Selivi Im-
perator de Turchi bei F. Sansovino a. a. 0. S. 398 ff. Auch die_ türkischen Geschicht-
schreiber erwähnen dies,e für den Schl'itismus in Südosteuropa höchst belangvolle Zwangs-
verweisung (vgl. später S. 92), so .'folaqzäde, ia^rih, S.317. Vgl- J- v- Hammer, 6W0i?. H,
345 (nach Sa'd ed-din). Vgl. unten S. 92, 2. Anm.
2) Daß sich der Haß vor allem gegen die Sunniten kehrte, bekundet deutlich folgende
Stelle aus O. Dai>per, der natürlich aus einem Reisebericht schöpft. S. 114: Dann die
Türken hassen die Persianer aus diesen Vrsachen dermaßen, daß es Gott / nach ihres Mufti
Vorgeben/ ein angenehmerer Dienst ist / einen Persianer lot zu schlagen /als 70 Christen/
aus Liebe zur Mahometanischen Religion. Dergleichen hassen die Persianer ihren Gcgcii-
part/ die Türken \ielniu]ir/ und halten sie vor viel ungläubiger als die Christen,
Scbejcli Bctlr cd-dln, der Soliii des Kichteis von Siinaw. qi
und Jahresgaben sandte; ja der Sohn Bäjazid's, Qorqud, kam in
eigener Person, um den heihgen Schejch mit seinem Besuch zu be-
ehren (Leunclavius, Historiae musulm. Turcarum S. 66i).
Und tritt nicht die Lehre Bedr ed-din's in allen Zügen, die uns von
ihr bekannt, in den Forderungen auf, die Ismä'il und wohl schon seine
Ahnen stellten und später so verheißungsvoll in die Tat umsetzten?
Armut, gemeinsames, einfaches Leben, Verträglichkert gegen Christen,
alles das hatte lange vor Schah Ismä'il schon Bedr ed-din gepredigt,
und es ist gewiß kein Zufall, wenn wir den gleichen Anschauungen
später bei IsmäMl's Gemeinde begegnen.
DIE KLEINASIATISCHEN SEKTENBILDUNGEN.
Überblicken wir nunmehr die geschilderten Verhältnisse in ihrem
Zusammenhang, so ergibt sich zunächst die bemerkenswerte Tatsache,
daß zu Beginn des i6. Jahrhunderts ein überraschend großer Bestand-
teil der kleinasiatischen Bevölkerung sich zu einer Glaubensform be-
kannte, die im schroffen Gegensatz zur herrschenden Staatsreligion
stand und die ich im folgenden schlechtweg als schritisch, besser viel-
leicht 'alidisch bezeichnen wilD). Ein venedigischer Bericht vom 8. April
1514 (vgl. N. JoRGA, II, 327, Ahm.) veranschlagt die Zahl der schi-
*itischen Anatolier auf »quatro quinti de tuta la Natolia«, auf vier
Fünftel ganz Kleinasiens. Das mag übertrieben sein, an der unheimlichen
Ausbreitung dieser Glaubensform in den asiatischen Teilen des tür-
kischen Besitzes ist aber nicht zu zweifeln. »Cujus regio, ejus religio,«
der mittelalterliche Grundsatz kirchlicher Bodenverfassung> hat im
Morgenland seit alters gegolten und im Gegensatz zum Westen niemals
seine Anwendung verloren. Zur Zeit, da Kleinasien sich in eine Unzahl
1) Ob damit der in Kleinasieii (Qonia!) ungemein häufig anzutreffende Lowe an
i.slamischen Bauten (vgl. den allen Besuchern des Bektaschiklostcrs Sejjidi Ghazi wohl-
bekannten Marmorlöwen am Torbau des Tckke (Abb. bei K. Wulzinger, Drei Bektaschi-
Klösler Phry^itnis, Berlin 1913, S. 561) etwa in Zusammenhang zu bringen ist, bleibe
zur Fragestellung empfohlen. Der Löwe als Wappentier in der Seldschuqenzeit und
ais Bestandteil des Namens (»Arslan«) gehört auch hierher. Über den Ursprung des
kleinasiatischen Löwen ließe sich wohl ein Buch schreiben; sein eigentlicher Ursprung ist
bis heute unerklärt, und es handelt sich bei den islamischen Beispielen wohl um die religiöse
Anpassung an ein uraltes Motiv Es sei schließhch noch auf das persische schlr^ d. i. Löwe,
in Namen hingewiesen, z. B. Mir 'All öchlr Newä'I, aus Hcrät, des größten osttürki-
schen Dichters Namen; ebenso hieß auch der Slaiunivater der kleiiiasiatisclien Teil-
lürslcn Germian-oghlu, vgl. EI, IL Bd., S. 139. Einen Arslan 'AU erwähnt
K. ScHRADEk, Ko)isla)ili)w[)el, Tübingen 1917, S. 86. 'AU wird bekanntlich als »Löwe
(lottes« usw. (xUi J\.Ä».l, l'A.i* '■f-A) bezeichnet. — Vgl. zu haidcri (oben S. 83,
4. Aiim.) etwa huinäjün^ d. i. »kaiserlich«, das, nach K e m ä 1 p a s chazäd c , auf den
Glucksvogel Z('«//<(7 (Künigsgeicr) zurückgehen soll. ). \. IIwimkk, Fttitdgrtdhn des Or'unts,
III, 47 (Seldschuqenfalke.').
g 2 Kr ;i n /. H a b i n g; c r .
mehr oder minder großer Herrschaften ghederte, deren Bestand erst in
der Mitte des 15. Jahrhunderts wesenthch vermindert ward, war er
dort gewiß in voller Geltung. Leider sind wir zwar über die Bekenntnis-
form der einzelnen Teilfürsten noch sehr im unklaren. Immerhin kann
aber mit höchster Wahrscheinlichkeit behauptet werden, daß, wie
bereits angedeutet wurde (S. 15), die Aidin-oghlu sich zum Schi'iten-
tum bekannten; und es ist mehi' als bloße Mutmaßung, wenn von
den Oaramän-oghlu dasselbe angenommen wird. War doch ihr
Gründer jener Nür[ed-din]süfi, dessen Herkunft zwar geheimnisvolles
Dunkel deckt, dessen Beziehungen zum 'alidischen Süfitum aber
eigentlich schon sein Name erkennen läßt. Im Zusammenhang mit
diesem Umstand gewinnt auch die Tatsache eine eigentümliche Beleuch-
tung, daß mit ihm jener Baba Iljäs im Bunde stand, dessen seltsames
Unwesen ich als Ausfluß schi'itisch-politischer Strömungen betrachten
möchte, die damals schon, wenn auch nur vereinzelt, an die Oberfläche
traten, bei der vermutlich noch kleinen sie stützenden Gemeinde in-
dessen über die Bedeutung örtlicher Unruhen nicht hinausgelangten.
Ein Hauptherd der *alidischen Umtriebe war, wie außer Frage steht,
das Gebiet südwestlich von Oaramän, jene Landschaften, die damals
noch den Tekke-oghlu und Hamid-oghlu gehorchten. Von hier aus,
so hörten wir, holte sich Ismä*il Verstärkung seiner Anhängerschaft,
hier war seit langem der schi'itischen Lehre e-in fester Boden geschaffen.
Zwar wanderten diese »Fanatiker«, wie sie die osmanischen Berichte
nennen, zu Tausenden nach Gilän aus, um Ismä^il's Scharen zu mehren,
zwar wütete der Großherr mit erbarmunglsoser Härte gegen sie, indem
er sie in großen Scharen zusammen mit ihren Schejchen nach den
europäischen Gauen des Reiches verpflanzte ^) ; den Kern wird auch
die rücksichtsloseste Maßnahme nicht auszurotten vermocht haben.
Und in der Tat, noch in der Regierungszeit Sülejmäns des Prächtigen
ging gerade aus jenen Landschaften — die Quellen sagen: aus Qara-
^) Über die Zwangsverschickung vgl. G. Rota's Bericht: ». . . trib er (= künig Baisit)
auss von Natalia alle die jehen/die do offenlich waren vo seiner (Schah Ismail's) sect vnd
Religion /die waren bey zehen tausend /vnd beazychnet (!) die vnter das angesicht/ auff
das sie von yederman wurde erkant/ verschickt sie in Romania / aufT das sie nit möchten
on grosse beschwert sich versameln / vn taylt auss in mancherley orter /weyt einen vom
andern /das was in die aussersten grennitz Grecia / Albania / Bossina / vnd Seruia/. Vnd
mir ist gesagt worden von eim Turcken einer wirdigen person / das er deren gesehen hab
in Modan« (d. i. Modoni auf Morea). — Vgl. dazu M. Sanuto, diarii, IV, 309 (i. J. 1502):
Et questo (= Bäjazid IL), perche vede e nel suo paese molti di questa secta. dei quäl non
cessa de far passar continuamente de la Natoha su la Grecia, e manda quelli in le parte
di Modon (= Modoni, Methoni), Coron (= Koroni), 'Nepanto (= Lepanto) e Albania.
E una compassion veder li strazzi hanno questi tali, con lor moglie e fioli; non e mai zorno,
che non passi de la Natolia su la Grecia 100 e (= 0?) 200 fameie.
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw. Ql>
man — eine eigentümliche, von Qalender-oghlu, einem Nachfahren
des yäddschi Bektasch (vgl. Petschew!, ta'rUi I, 120, Stambul 1283
[hier der Stammbaum!]; Leunclavius, Histor. musulm. Turcorum,
Sp. 762ff. ; J. V. Hammer III, 67 ff.), geleitete Bewegung aus, deren
schi'itisches Gepräge trotz der wohl wirtschaftlichen Veranlassung außer
Frage steht. Die Zahl der Mitläufer dieses Derwischs wird von den
osmanischen Berichterstattern übereinstimmend auf mehrere Tausend
angegeben; ))tschiplaq, tschirlaq, uschaq, /orlaq« werden sie verächtlich
von ihnen genannt. Wir begegnen also wiederum jenen /orlaqlar, die
schon 100 Jahre vorher zu Bedr ed-din's Zeiten in ganz ähnlicher
Weise von sich reden machten. So stand es im Westen Anatoliens.
Über den östlichen Teil, wo im unmittelbaren Anschluß an das schi-
*itische Perserreich der *alidischen Wühlerei fast nichts im Wege stand,
nahm die Verbreitung der Schi*a und ihres volksfreundlichen und
kastenfeindlichen Zugs mit Riesenschritten zu. Mehmed Kjätib
Za*im erzählt in seinem 982/1574 verfaßten ))Dschämi^ ül-tewärlli«
schon von Schah Ismä*Il, daß sich ihm bei der Gründung seiner Herrschaft
gewisse Turkmenenstämme anschlössen; die Üstädschlü, Tckkelü,
Schämlü (syr. Zuzug?), Resäwa, Du'1-qadr und die Oädschären (aus
denen dann das heutige Perserhaus hervorging) werden dabei nament-
lich aufgeführt. (Vgl.JRAS, 1896, 328, 2.Anm.) Auchim Aufruhr des Qa-
lender-oghlu i) spielen, wie Ferdi^) in seinem »toVz/z-z sul/än Sülejmän«
berichtet (vgl. J.v. Hammer, GdOR III, 68), gewisse Türkenstämme (Bo-
zuqlu, Tschitschekli, Aqdsche-qojunlu, Mas'Odlu) eine freilich zweifel-
hafte Rolle. Soviel darf als sicher gelten, daß weite Gebiete der öst-
lichen Reichsgauesich nicht zur sunnitischen Glaubensform bekannten.
Solch gewaltige Fortschritte müssen als das Ergebnis einer langen
und planmäßigen Werbetätigkeit betrachtet werden; sie können un-
möglich über Nacht Zustandekommen. Als ihre Förderer sind denn
jene süfischen Männer zu betrachten, deren Auftreten bereits in def
Mitte des 13. Jahrhunderts geschichtlich feststeht. Die Heimat der
meisten war vermutlich Aserbeidschan, vor allem Tebriz und Erde-
bil, wo schon in alter Zeit süfi-/iäne's 3) gestanden haben dürften.
Zuerst kamen sie einzeln, siedelten sich an und wußten sich gar bald
*) Über einen zweiten, aus Angora stammenden Aulrüiirer gleichen l^aniens, det
genau 80 Jahre nach diesem Qalender-oghlu, nämlich im Frühjahr 1607, Anatolien unsicher
machte, vgl. J. v. Hammer, GdOR. IV, S. 400 ff.
*) Nach J. V. Karabacek ist FerdI ein Deckname für Sülejmän's des Prächtigen
Sohn Mustafa. Vgl. Zur oriental. Altertumskunde^ VIT. Heft, SBAk. Wien, 1917.
3) Vgl. darüber 0. Dapper a. a. 0. S. 117, wo von den süfi-bäne's in Erdebll, Tebriz
und Isfahän (sicher spätere Gründung im Zusammenhang mit den »Abdallen« (jijs.J)) die
Rede ist.
QA V ranz B ab i n g e )• ,
eine gläubige Gemeinde zu sichern, die sich ihnen und ihren Lehren
mit Haut und Haaren verschrieb. Allerorten entstanden jene zäwije
geheißenen Klausen, in denen sie ein eingezogenes Leben führten, im
weiten Umkreis ihres stillen Wirkens den Schein der Heiligkeit ver-
breitend. Eine andere Art verabscheute das seßhafte Dasein, jene
Oalender ^), die von Ort zu Ort wanderten und von dem gutmütigen
I) Der Name »qalender« (qarandari hei Ibn Battuta I, 6i) ist, soviel ich wenig-
stens sehe, nicht befriedigend erklärt. Es ist nicht angängig, ihn von jenem SchejchQarendal
abzuleiten (vgl. S. de Sacv, Chrestomathie arahe I, 263 ff., Paris 1826; ebenda I, 2S2, 12;
looi Nacht, hrsg. von Macnaghten, Kalkutta 1839, I, S. 66; E. J. W. Gibb, Hist. of Ott.
P. I, S. 357, Anm; Mouradgea d'Ohsson IV, 629; vgl. dazu [J. F.] de Lacroix, Abrege
htsiorique I, S.320: »il (le Santon Kalenderi) avoit la tete nuel«). Ob der N^ame irgendwie
mit dem Tonwerkzeug zusammenhängt, das Gg. Host, Nachrichten, von Marokos und Fes,
Kopenhagen 1781, S. 258 erwähnt (vgl. dazu J. HumberTj Guide de la conversation arabe,
Paris u. Genf 1838, S. 98) und das gewöhnlich »qarinda« oder t>qalandärH genannt wird,
ist jedenfalls nicht sicher. Vgl. R. Dozv, Sttppl. II, 340. Die Annahme, daß das Wort
türkischer Herkunft sei, dürfte schwerlich einer genaueren Untersuchung standhalten.
Schon indische süfi des 13. Jahrhunderts führten es als Bestandteil ihres Namens, und an
eine Entlehnung aus dem Türkischen wird hier nicht gedacht werden können. Vielleicht
ist das Wort, ebenso wie das noch lange nicht sicher gedeutete »derwTsch« indischen Ur-
sprungs, wie denn die indische Herkunft des Derwischtums und die indische Beeinflussung
der von ihm vertretenen Anschauungen kaum fraglich sein dürfte. Man hat sehr wohl
die Tatsache beachtet und gewürdigt, daß die buddhistische Werbarbeit sich weit in das
Reich der Mitte hinein erstreckte und dort Boden faßte, ohne (trotz A. v. Kremer und
t. Goldziher) vielleicht genügend zu bedenken, daß diese gewaltige geistige Welle, die
sich an der chinesischen Mauer nicht brach, schwerlich im Hindukusch an ihrer Aus-
breitung nach Westen ein unüberwindliches Hindernis. gefunden hat. Von der beschau-
lichen Form, wie sie sich in der Zurückgezogenheit hinter Klostermauern kundgibt, bis
zur frommwütigen Entartung, wie sie sich in dem von so vielen europäischen Reisenden
geschilderten Gebaren der Bettelmönche äußert, zeigt denn doch zu auffallende Ähnlich-
keit mit gleichartigen Erscheinungen der buddhistischen Glaubenswelt, als daß hier mit
reinen Zufälligkeiten gerechnet werden dürfte. Um nur auf einen vielleicht nicht hin-
reichend beachteten Punkt die Aufmerksamkeit zu lenken, sei an die Rolle erinnert, die
die Anwendung berauschender Mittel, vor allem des Hanfes, im Derwischwesen spielt und
die schon im frühindischen Mönchtum bezeugt zu sein scheint. Vgl. die Schilderungen
des Georgiewit.sch (um 1540): Exigentes elemosynam tarn a Christianis quam a Turcis
Alahici (== Allah itschün) petentes, quod significat, propter Deum. Hi devorata herba
Maslach (heute noch in Ägypten Bezeichnung für den Hanftrank) vocata, in rabiem aguntur,
adeo ut per pectus totum in transversum vulnus ducant, itidem per brachium vel nullo
dolore dissimulato et fungum arborum incensum capiti, pectori, manui superpositum non
removent, donec in cineres resolvatur«. Vgl. dazu die ganz ähnlichen Schilderungen des
G. A. Menavino über die »herba spolverizata chiamata Asseravi (= esrär, die türkische
Bezeichnung für diese Opiumart)«. Bei den »Hanfessern«, den schi'itischen Assassinen
spielte das nämliche Berauschungsraittel bekanntlich eine gewaltige Rolle. Vgl. über den
Opiumgenuß bei den Türken im 16. Jahrh. J.Wier, De praestigiis Daemonum. Basel 1556.
2. Aufl. — Über die qalender vgl. man noch John P. Brown, The Dervishes. London 1868,
S. 241, wo behauptet wird, daß qalender »eitel Gold« bedeute (in welcher Sprache? [=türk.
Schejcli Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simiiw. gc
Landvolk unbedenklich um »'Ali's willen« ^) Almosen erbettelten.
Georg Jacob hat in seiner Abhandlung über die »Bektaschijje« vom
»schi*^itischen Element« (S. 38 ff;) in diesem Orden gesprochen und
damit zum erstenmal eine leider vereinzelt gebliebene Untersuchung
für eine besonders in Kleinasien heimische Mönchsart geliefert 2). Es
steht außer allem Zweifel, daß eine ebenso eindringliche Begründung
der andern, in Anatolicn angesiedelten Derwischsekten das gleiche
Ergebnis brächte. Eine nur oberflächliche Prüfung der Halwctije,
der Naqschbendije, der Mewlewije sowie der Oädirije zum Beispiel,
wie ich sie im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit unter-
nommen habe, hat in überraschender Fülle 'alidische Grundzüge in
diesen Verbänden erkennen lassen. Über die schi'itische Werbetätigkeit
in Kleinasien lassen sich schwer genauere Anhaltspunkte finden.
Aber nichts spricht vielleicht so sehr für die musterhafte Gliederung
und den Zusammenschluß, zugleich freilich auch für die unheimliche
Verbreitung, wie die unbestreitbaren Tatsachen, daß damals geheime
Fäden Tausende von Kilometern spielend überbrückten. Ismä'il stand
mit seinen Glaubensgenossen am Golf von Adalia in ständiger, sicherer
Fühlungnahme, als er im weiten Osten am Kaspischen Meer weilte,
sein Großvater Dschunejd erhielt, wie \\ir vernahmen, am Dschebel
Arsüs Verstärkung durch Anhänger Bedr ed-din's, die, wenn man sie
auch nicht in Rumelien suchen will, jedenfalls weit jenseits des T^urus
saßen. Diese Umstände sprechen mehr als vieles andere für ein völlig
zuverlässiges Verbandswesen. Sie dürfen aber nicht zu dem Trug-
(/cil, d. i. 'lauter'?]). Eine sehr beachtenswerte Schilderung eines Qalender-Klosters zu Bagh*
däd (wohl des gleichen, dem schon Karsten Niebuhr, Reisebeschreib im g II, 297, einen Be-
such abstattete) liefert George Thomas Keppel, 6. Earl von Albemarle (1799 — 1891) in
seinem »Personal narrative of travels in Babylonia, Media, Assyria and Scyihia« (London 1 827),
1, 157: darnach soll das im Westteil von Bagdad gelegene Kloster vonHärün ar-RaschId be-
gründet worden sein, was offenbar falsch ist. Der englische Reisende beschreibt die Insassen
als Landstreicher, die als Bettler das ganze Morgenland durchzögen und ein zügelloses, aus-
schweifendes Leben führten. In ihrem Schejch, der auf einem Tigerfell sitzend (man vgl. deli
posl-nischin, den ¥c\h'\i.ztr (/)0.?/cÄ'f) der Mewlewls und Bektaschls!) mit allerlei Gefäßen,
Straußeneiern, Waffen und andern Geschenken umgeben war, fand der Engländer einen
schlauen Betrüger, seine Derwische trugen Onyxsteine als Segenzauber (dies erinnert
wiederum an die /fi/fw genannten Zaubersteine der Bektaschls und den Gül-telstein (pelenk)
der MewlewTs!). Felsbildwerke oberhalb der Schirln-Quelle am Täq-i Büstän heißen im
Volksmunde die »drei Qalender«.
') Vgl. G. A. Menavino, der erzählt, daß die Derwische »Sciaimer Daneschine« um
Almosen betteln. Nicht leicht erkennbar, aber zweifellos lautet der Ausdruck
»Sckäh-i-märddn 'ischqine«, d. h. 'Ali zuliebe, schäh-i märdan, König der Männer, ist eine
der Bezeichnungen für 'AU, vgl. Vui.lers II, 393.
-) Hier sei daran erinnert, daß auch Häddschi Bektasch sich 'alldischer Herkunft
rühmte; vgl. Türk. Bibl. XVII. Bd., S. 4; Ahmed Rif'at, mirät ül-tneqäsid, S. 181.
Q^ Franz Babinger,
Schluß verführen, daß etwa unter den verschiedenen ^w/t- Verzwei-
gungen (Orden), die sich über ganz Kleinasien verbreiteten, völlige
Einhelligkeit in allen Glaubensfragen bestand. In ihnen sind gewiß,
je nach der Lehre der Ordensgründer, in denen sie ihren Meister und
Führer verehrten, abweichende Auffassungen hervorgetreten. Diese
bedingen dann an sich eine Verschiedenheit der Bräuche und Übungen,
in denen sich die äußere Betätigung des dem tasawivuf geweihten
Lebens ausspricht. Bei aller Abweichung der in den einzelnen SüfT-
brüderschaften beobachteten Regeln vereinigt jedoch alle ein gemein-
schaftliches Band, das sich, verneinend ausgedrückt, in einer Ablehnung
der sunnitischen Richtung des Islam kundtat. Diese idschmä'--i€m^-
lichen Bestrebungen richteten sich in Kleinasien naturgemäß in erster
Linie gegen die Träger und Stützen der Sunna-Gemeinde, gegen das
Haus 'Osmän. In ihnen mußten sie ihre geschworenen Erbfeinde
erblicken. So überwogen gar bald im kleinasiatischen Süfitum po-
litische Gesichtspunkte die religiösen. Das alte Schauspiel, das sich
im arabischen Süden am klarsten mit der Geschichte des Omajjaden-
hauses belegen läßt, wo es in der Mitte des 8. Jahrh. den Nachfahren
des 'Abbäs leichten Spiels gelang, den durch schi'itische Hetze und
Wühlarbeit wohlvorbereiteten Sturz des Herrschergeschlechtes zu
vollführen — es drohte im osmanischen Reiche einen verhängnisvoll
ähnlichen Ausgang zu nehmen. Zwar war es Sellm L ') gelungen, mit
Anwendung des Vollmaßes jener Grausamkeit, der er seinen Beinamen
]awus verdankt, nach fürchterlichem Blutbad unter den Schi'iten
seines Reiches dem drohenden Verderben Schranken zu setzen 3). Es
1) Derselbe .Selim — übrigens der einzige bedeutende Dichter des Hauses 'Osmän
— schrieb seine Verse nicht etwa türkisch, sondern persisch; ein Beweis, wie sehr man
im Banne Persiens stand. Der bekannte Spruch: ))Her kirn oqiir färisi / Gider dinin jarisi«
galt sicher damals schon. Vgl. ZDMG. 60, 97.
*) Ich behalte die Darstellung der Schi'a im osmanischen Reich einer besonde-
ren Studie vor und bemerke hier nur, daß die schl'itische Neigung der kleinasiatischen
Bevölkerung auch andern Beobachtern aufgefallen ist. So erwähnt einmal der berühmte
A. Gh. van Busbeek ausdrücklich in seinen »Vier Türkischen Sendschreiben«: »populi illi
asiatici religionem imperiumque Othomanorum gravate (ungern) ferunt« und ein venedigi-
scher Botschaftsbericht besagt gleichfalls ausdrückhch, Busbeek's Äußerung mittelbar
bestätigend und erklärend : »la maggior parte dei Turchi e inclinata al Sofi, perche vedono
e intendono come son ben trattati li suoi sudditi da lui« (d. i. »der größere Teil der [ana-
tolischen] Türken neigt dem König von Persien zu, weil sie sehen und merken, wie gut
seine Untertanen von ihm behandelt werden«). Vgl. Eugenio Alberi, Relazioni degli
ambasciatori Veneti al Senate, III. Reihe, i. Bd.: Relazioni degli Statt Ottomanni, S. 86 ff.,
Firenze 1855. — Vgl. dazu M. S.\nuto, diarii, IV, 313, ferner IV, 406 (Oktober 1502):
De li progressi del quäl (= Ismä'ii) dice, come i caramani (= Qaramän-oghlu) e tutti quell 1
de Sexsuar (= Schehsimär) se hanno fati de la sua setta. A presso, comme a la volta de
Charasseri (= [Afiün'] Qara J^isär) l'e intrato nel paese del turco tre zornate; et che quel
Schejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw. 07,
für alle Zeiten zu bannen, war erst seinem Nachfolger beschieden, der
den mit wechselndem Kriegsglück geführten Kampf wider den per-
sischen König mit einem Sieg für die osmanischen Waffen zum Abschluß
brachte. Damit war auch in Kleinasien für alle Zukunft eine aussichts-
reiche Förderung der *alldischen Sache zur Unmöglichkeit geworden.
Das Land war überdies aus dem Besitz jener Teilfürsten in die Hände
einer noch viel größeren Zahl von Herren übergegangen, jener Lehens-
träger, die die Treue zum osmanischen Hause durch augenfällige
Beweise bekundet hatten. Damit zerfiel naturgemäß der Zusammen-
halt, der in ganzen schi'itischen Gemeinden am nachhaltigsten ge-
sichert gewesen war. Ewlijä Tschelebi, der in der Mitte des 17. Jahr-
hunderts Kleinasien nach allen Richtungen bereiste, gibt mit seinen
Schilderungen ein recht getreues Bild der damahgcn Zustände. Ge-
wissenhaft verzeichnet er bei den verschiedenen, auf der Wanderung
berührten Orten, daß die Einwohnerschaft aus »qisübaschlar«, »schäh-
sewenler« ^) bestehe. Ihre Zusammenstellung ergäbe eine ungefähre
Vorstellung der religiösen Verhältnisse im Anatolien seiner Zeit. Das
Volk bekehrte sich, soweit es vom rechten Pfad abgewichen war, wohl'
bald zur Sunna. Nur versprengte Reste derer, die mit einer dem
Schritentum von jeher eigenen Zähigkeit sich an ihren alten Glauben
klammerten, vermochten sicft zu halten. Die Gebirge, wo sie dem'
allgemeinen Verkehr und damit der Verfolgung am ehesten entzogen
waren, bildeten ihre hauptsächhchsten Zufluchtsstätten. Dort konnten
sie ungestört ihren alten Bräuchen leben.
Ignaz Goldziher hat mit gewohnter Schärfe und einzigartiger
Klarheit im 60. Bande der ZDMG. (S. 213 ff.) ))Das Prinzip der taqijja
im Islam« behandelt, d. h. erörtert, wie sich die islamischen Glaubens-
gelehrten zur Frage stellen, ob es unter dem Drucke der das Leben
und die Sicherheit bedrohenden Gewalt der herrschenden Staatsmacht
gestattet ist, sein eigenes, dieser widerstrebendes Bekenntnis zeitweihg
zu unterdrücken und sich äußerhch zu den Formeln zu bekennen,
gegen die man im Innern verdammenden Einspruch erhebt 2), Es
paese li da obedientia. Ferner V, 466: clie nel payse di questo signor (= des Sultans),
molti seguitano la secta dil dicto Sofis.
') Die Schähseivenler verdienen eine genauere Untersuchung, wobei zu bestimmen
wäre, ob der Name wirklich im Sinne J. v. Hammer's VII, 335 und nicht etwa als 'Ali-
Verehrer (*Ali= schäh, vgl. oben S. 89, t. Anra. ; vgl. 'All-ilähl!) zu fassen ist. Vgl. Ord
och Bild, Kopenhagen 1013, S. 297 — 307.
-) Über die üble Beeinflussung, die durch diese Verheimlichung (kelinän') im schi'iti-
schcn Islam in einer widerlichen Heuchelei sich äußert, handelt auch schon J. A. Graf
V. GoBiNEAu in seinen »Les religions el les philosophies dans V Asie centrale«. Paris 186;
(auch 1900^, S. 15 — 21; vgl. M. Hartmann, DLZ. 1906, Sp. 298.
Islam XI. 7
og Franz Babinger,
versteht sich von selbst, daß der Zwang, ein Geheimnis aus seinem
wahren Glauben zu machen und ihn in einer feindlichen Umgebung
in Wort und Tat zum Scheine zu verleugnen und unter Umständen
die Zugehörigkeit zu der herrschenden Irrlehre vorzutäuschen, nur bei
den Anhängern einer unterdrückten Glaubenspartei voll zur Geltung
kommen kann. I. Goldziher hat an einer Fülle von Beispielen, die
vor allem der schi^itischen Literatur entnommen sind, veranschaulicht,
wie der Versuch, dieses Vorgehen zu rechtfertigen, in den Schriften
des schi*itischen Glaubensgesetzes besondere Abschnitte hervorgerufen
hat, die in sunnitischen Büchern vergeblich gesucht würden, und ge-
zeigt, daß nach der schi*itischen Lehrmeinung die Verdienstlichkeit des
inneren Kampfes, den der durch das ^a^/y'/a- Verhalten hervorgerufene
falsche Schein dem Gemüte des ehrlichen Gläubigen verursacht, dem
dschihäd gleichgeachtet wird (a. a. O. S. 221). Diese taqijja ist in
Persien, vor allem in sunnitischer Umwelt, zu einer sittlichen Seuche
ausgeartet und hat den allgemeinen Geist des Islams in verhängnis-
voller Weise beeinflußt. Um so mehr kommt diese Sucht, das eigent-
liche Bekenntnis zu verheimlichen, ketniän zu üben, im osmanischen
Reiche oder gar in christlichen Ländern zur Entfaltung. Darf man
nun von vornherein mit der Tatsache rechnen, daß heute noch in
Kleinasien Überreste einer ehemals schi^tischen Bevölkerung sich in
die Gegenwart gerettet haben, so wird man auf der Suche nach ihnen
in erster Linie seine Aufmerksamkeit jenen seltsamen Gebilden zu-
wenden, die unter dem Namen der Qizilbaschen, der Zeibeken und
schließlich der Tachtadschis seit langem die Teilnahme der europäi-
schen Reisenden auf sich gezogen und zu den seltsamsten Vermu-
tungen Anlaß gaben. Eine eingehendere Untersuchung hierüber kann
nicht im Rahmen dieser Arbeit liegen und es kann darauf um so leichter
verzichtet werden, als schon Georg Jacob sie als die der Bektaschijje
verwandten Erscheinungen mitberücksichtigt hat; der schi*itische
Grundzug wäre freilich noch besser hervorzuheben und zu untersuchen.
Was zunächst die Qizilbaschen, die Rotköpfe, belangt, so ist über ihre
Zugehörigkeit zum Schi'itentum wohl kein ernsthafter Zweifel möglich,
die sind ohne Frage Reste jener Anhänger Ismä^il's, denen sogar noch
der Name ihrer eigenartigen Kopfbedeckung geblieben ist. F. Grenard
hat im JA., X, 3 (Paris 1904), S. 511 ff., ausführlich über »Une secte
religieuse d'Asie Mineure, les Kyzylbachsa gehandelt. Alles bis in
Einzelheiten entspricht noch jenen Sitten und Bräuchen, die Ismä'il's
Anhänger beobachteten, dasgleiche darf von den *AlI-ilähi's^) behauptet
') ^gl- V- MiNORSKij's Maleriaiix pour servir a l'etude des croyances de la secle per-
sane, dite les Ahle-Haqq ou 'All-üähi. I. partie: introduclion, textes et iraduction. Moscou
191 1 (33- Ve öffentlichung des Lazareff sehen Inst, für orient. Sprachen).
Schejch Bedr ed-dln, der Sohn des Richters von Siniaw. g^
werden (vgl. EI, I, 307), die freilich weniger in Klcinasien auftreten,
in ihrer Gliederung dafür aber um so mehr Ähnlichkeit mit verwandten
Sektengebilden aufweisen; schon der Name »'Ali-Vergötterer« besgigt
alles. Die an sich befremdliche Tatsache, daß auch in Europa, in
Bulgarien und Albanien Qizilbaschen leben, erklärt in hinreichender
Weise die oben erwähnte Verschickung der Schl'iten aus Tekke und
yamid unter Bäjazid II. In ihnen wie in sonstigen, in Albanien ^),
Bosnien usw. zu treffenden Sekten und Orden haben wir ohne Zweifel
Reste jener zwangsweise angesiedelten Schiiten Kleinasiens zu suchen.
Was schließlich die Tachtadschis^) betrifft, so stützen sie in besonders
') In Albanien sind die schritischen Bektaschis besonders zahlreich. Der ältere
Bruder des Sämi Bej Fräscherl (1850 — 1904), Na'Tm H. Fräscherl (1846 — 1900),
hat 1898 ein gewaltiges, 10 000 bau umfassendes Trauergedicht auf den Tod Husejns
t>Kerbeläja« zu Bukarest veröffentlicht, mit dem angeblichen Zweck, die Bektaschis für
ein vaterländisches Hochziel zu begeistern; schon der Name des Gedichtes spricht für sich.
Hiermit erklärt sich übrigens das Rätsel in G. Jacob's Bektaschijje, S. 11, Nr. 15. Es
ist auffallend, daß das Werk, das gleichzeitig mit dem Heldengedicht »Iskender Befa
(ebenfalls etwa 10 000 baii umfassend) von dem nämlichen Verfasser erschien, 1909 nir-
gends in Deutschland aufzutreiben war. Für die Geschichte des Bektaschismus kommt
dies Buch natürlich nicht in Frage, dagegen seine alban. Schrift (32 Ss., Bukarest, 1896)
Flclore e Bektasignct. — Über die bulg. Qizilbaschen vgl. Nachsatz S. 106.
^) Vgl. J. H. MoRDTMANN, ))Die heutige Türkei« in Wier Vorträge über Vorderasien
und die heutige Türkei«, Berlin 1917, S. 100. Die Tachtadschis geben sich als rechtgläubige
Muslims aus, sind aber bei diesen als arge Ketzer verschrien. Vgl. zu den Schilderungen
V. Luschan's die Darstellung, die 0. Dapper nach Pedro Teixera in seiner »Beschreibung
des Königreichs Persien«, Nürnberg 1681, S. 115 über die »ehl el Tabquid/ Leute der
Wahrheit /Gewißheit« (gemeint ist ahl al-taiv/nd, »Bekenner der Gotteseinheit«, wie sich
auch die Nusajrier nennen; vgl. I. Goldziher, Vorlesungen S. 257) gibt: »sie lieben und
ehren sich untereinander gar hoch / und bedecken sich die Weiber / wie die andern Mahome-
tanerinnen thun/ nicht vor den Männern / die ihrer Sect zugethan sind /sondern gehen
untereinander sehr vertraulich und liebreich um /und gehorchen ihren Häubtern / die sie
auf Persisch pir/das ist Alter nennen /nicht allein mit großer Ehrerbietung/ sondern
teilen ihnen auch von ihren Gütern /wann sie es von nöthen haben / williglich mit«.
Die Tachtadschis werden übrigens auch ^tschepnl« oder »tschetni« genannt. Tschepni
kommen auch in der Landschaft Trapezunt vor, wo sie schon zu Ende des 14. Jahrhunderts
genannt werden. Vgl. J. H. MordtmaNn a. a. O. S. loi, Anm. Ob und wie diese 'l'C^TivtSai
am Schwarzen Meer mit denen im westlichen Kleinasien zusammenhängen, müßte eine
Untersuchung erweisen. Bekanntlich führen die Tachtadschis bei den sunnitischen
Türken den Spottnamen tschir.igh söndürenler, Lichtauslöscher. Diese Bezeichnung teilen
sie indessen, was nicht allgemeiner bekannt zu sein scheint, mit ähnlichen, ebenfalls schl'iti-
schen Sektengebilden. So werden die 'AU ilähl in Lüristän, von denen Sir Robert Ker
Porter in seinem »Geographical menioir of Persia«, S. 141, Anm., mitternächtliche Schwelge-
reien und die Bezeichnung »charagh kuschan« (vgl. das persische tschirägh kuschtän (p^^
^}kmJ) »Licht auslöschen!«) meldet, auch so geheißen. Sik Henry Ravvlinson, der sie
ebenfalls besuchte und denselben Namen angibt, betrachtet sie als -Überreste älterer jüdi-
scher Siedler, von denen tatsächlich Benjamin von Tudela (12. Jahrhundert) Kunde
-7*
I oo Frapz Babinger,
auffallender Weise meine Vermutung, daß es sich um Überbleibsel
von Anhängern Ismä*irs, um 'Aliden, handelt. Oder ist es ein Zufall,
daß gerade sie sich in besonders auffallender Zahl in jenen alten Stamm-
sitzen, im heutigen Sandschaq Adalia und um Oaramän, meist oben
in weltentlegenen Bergen erhalten haben? F. v. Luschan hat über
diesen eigenartigen Bevölkerungsbestandteil eine Untersuchung ange-
stellt, die das 13, Hauptstück seiner »Reisen in Lykien, Milyas und
Kibyratis« (Wien 1889, daraus im 19. Bd. des Arch. für Anthrop.,
Braunschweig 1891, S. 31 ff.) bildet, und ist zu dem sonderbaren Er-
gebnis gekommen, daß es sich um Urbevölkerungsrückstände handelt.
Seine Beweise, die sich in der Hauptsache auf anthropologische Fest-
stellungen (Schädelmessungen usw.) gründen, scheinen für unsere
Zwecke wenig stichhaltig. Um so wichtiger sind seine Mitteilungen
gibt. Vgl. Notices usw., 36, 110. Zu Adana-köi, einem Dorf im Dijäla-Tal, traf Claudius
James Rich ebenfalls »Lichtauslöscher«, denen er auch in Tuz-churmali (Wilajet Mossul)
begegnete. Vgl. Narraiive II, 284 — 287 bzw. I, 25 — 37. — Selbst im Hindukusch-Gebiet
lassen sich »Lichtauslöscher« nachweisen: Leutnant Alexander Burnes traf in den süd-
lichen Pässen von Bäm-i dschihän (Hindukusch) Anhänger eines glaubenswütigen MoUa
an, der eine 'AU ilähl benannte Schar um sich zu sammeln im Begriff stand (vgl. Travels
into Bokhara, London 1834, I, 178 (es handelt sich um Hazära's, über die man Abu '1-fadl
'Alläml's A'ln-i Akbari. Ausgabe von Fr. Gladwix, London, 1800, II, 163; Ausgabe
von H. Blochmaxn, Kalkutta, 1870, S. 454; ferner Sir M. A. Stein, Ancient Geography
of Kashniir, Calcutta 1899, S. 130, vergleiche). — J. Brant kennt ebenfalls die »Licht-
aüslöscher« auf dem Wege nachQizil aghatsch in Kurdistan und meinte die Dudschik-Kur-
den, die im Norden des Muräd im armenischen Gebirge hausen, zählten zu der Qisilbasch
genannten Sekte. Vgl. seine »Notes« im Journal of Royal Geogr. Society, X, 3, S. 354. — Die
Sunniten bezeichneten und bezeichnen eben alle sich nicht zu ihrer Glaubensmeinung
bekennenden Sekten, vorab die schi'itischen Übertreiber (ghulät) als »Lichtauslöscher«,
wofür ich übrigens mehrmals aus türkischem Munde den Ausdruck Uschiragh p(ü)f((
(_ÄJ pi-^, wobei »p(ii)f« das Verlöschen des Lichts lautnachahmend darstellen soll!)
gehört habe. Eine ähnliche Erscheinung wie die Tachtadschis sind die Zeibeks, die
vor allem um Brussa und Smyrna herum angetroffen werden, eine kriegerische und unbot-
mäßige Bergsippe, die durch ihre absonderliche Tracht — unverhältnismäßig hohe Fese
und kurze Kniehosen, die den größten Teil der Beine unbedeckt lassen — sich von der
Umwelt unterscheiden. Vgl. J. H. ^Mordtmann a.a.O. S. loi. Eine Untersuchung
über sie fehlt.
In diesem Zusammenhang muß jener seltsamen Linobambakoi gedacht werden,
denen man auf der Insel Zypern, hauptsächlich um Paphos, begegnet und die eine sonder-
bare islamisch-christliche Mischerscheinung darstellen. Vgl. R. L. N. Michell, »A Muslim
Christian Sect in Cypriis« in The Nineteenth Century, London 1908, S. 751 ff. (vgl. G. Jacob,
Bektaschijje, 1909, S. 30); neuerdings H. Charles Lukach, The Fringe of the East, London
1913. Es wäre nicht undenkbar, daß es sich um Flüchtlinge aus Tekke und Hamid handelt,
die dann später sich ihrer christlichen Umgebung in ihren Sitten etwas anpaßten. Liegt
doch Zypern in nächster Nähe von Kilikien.
Vgl. dazu noch des Reverend G. E. White Aufsatz »The Alevi Tiirks of Asia Minor«
in Contemporary Review, 104. Bd., London 1913, S. 690 — 698.
Schejch Bedr ed-din, der Sohn der Richters von Simäw. IQI
über die Gebräuche der Tachtadschis, aus denen schon Georg Jacob
ihre Zugehörigkeit zu den Bektaschis glaubte erschheßen zu sollen.
Das tertium comparationis ist indessen auch hier der *alidische Grund-
zug. Ich selbst habe sowohl in Qonia wie in Qaramän (Frühjahr 191 8)
aus dem Munde verständiger Türken für die Tachtadschis die Bezeich-
nung ^alewi gehört und J. H. Mordtmann, der ihnen übrigens wieder-
holt bei Smyrna, also Bedr ed-din's einstigem Wirkungskreis, begegnete,
hat vom Polizeichef zu Aidin einmal dieselben Angaben erhalten ^).
Zuletzt möchte ich noch an jene, in der europäischen Literatur
m. W. völlig unbeachtet [gebliebenen akiler (JLi-!) in der Gegend
yon Angora erinnern, mit denen sich Ahmed Tewfiq in einem Auf-
satz, in der Revue historique, puhliee par V Institut cf Historie Ottomane,
IV. Jahrg., Stambul 1913, auf S. 1200 — 1204 befaßte^). Auch sie ge-
hören wohl zu den eben erwähnten Gebilden, und die Frage verdient
ernstliche Erwägung, ob hier nicht etwa ein Rest jener ahVs sich erhalten
hat, von denen Ibn Battüta eine so merkwürdige Darstellung hinter-
lassen hat; würde sich diese Annahme bestätigen, so fiele ein helles
Licht auf das Gepräge dieser ahijjat al-fitjän und die mit ihr zusammen-
hängenden futuw'wetnäme'9. Um zum Schluß zu kommen: alle diese
Gebilde bekennen sich äußerlich zum sunnitischen Islam, ein Umstand,
der nach dem über die taqijja Gesagten schwerlich bedenklich stimmen
kann. Auch ist es nach den Erfahrungen der allgemeinen Religions-
geschichte eine häufig beobachtete Erscheinung, daß sich solche Sekten-
verkümmerungen für] Glaubensvermengungen empfänglich erweisen
(I. GoLDZiHER, Vorlesungen S. 257), womit sich die Einverleibung ge-
wisser christlicher Elemente vor allem in einer christlichen Umwelt
zwanglos erklärt.
Das Derwischtum verkümmerte in Kleinasien immer mehr und
sank zuletzt zu einer politisch völlig belanglosen Einrichtung herab,
die fern dem Treiben der Welt in der Abgeschiedenheit der Klöster
sich auswirkte und für das Staatswesen ungefährlich bleiben mußte.
Der Fall des Schejch Mehmed Nijäzl (el-Misri) 3) ist wohl das
0 Vgl. Vier Vorträge über Vorderasien, Berlin, 19 17, S. 100.
2) Vgl. dazu Sa'd ed-dln, tädsch iU-tewärih, I. Bd., S.68, 13. Z. v. c; V.Bratutti,
Chronica, Vienna, 1649, S. 79; Ewlijä, ed. J. v. Hammer (1850), II, 229. '
3) Nijäzl ist der Stifter eines nach ihm benannten Derwischordens (vgl. Ign. Mou-
RADGEA d'Ohsson, TabUau de VEmpire Ottoman, IV. Bd., S. 626). Er wurde wegen seiner
Predigten, die ihm einen bedrohlichen Anhang verschafften, für politisch gefährlich er-
achtet und endete im doppelt zweideutigen Ruf eines Unruhestifters und Heiligen. Er
war der Sohn eines Naqschbendl und wurde in den Lehren dieses Ordens erzogen, wurde
-später Qädirl, dann Chalwetl, lebte 20 Jahre in der Verbannung und starb im Redscheb 1 105
(beg. 26. Febr. 1694), vgl. Raschid, ta^rih l, S. 86, 193. Er galt den gleichzeitigen
JJ32 Franz Babinger,
letzte Glied in der Kette jener Erscheinungen, die dem Bestand des
osmanischen Reiches verderbhch zu werden drohten. Die ■>)kelimät-i
dschejrlje«, die sich dieser Süflschejch in seinen stark besuchten Pre-
digten gestattete und die ihm lange und wiederholte Verbannung ein-
trugen, klingen wie eine Erinnerung aus alten Tagen, wo das Süfitum
in Kleinasien politisch wirksam zu werden begann, erscheinen wie
ein schüchterner Versuch, die alten Lehren wieder in breite Volks-
schichten hineinzutragen und die mittlerweile festgefügte Einheit des
Reiches anzutasten. VonNijäzi, dem Geheimnisvollen, stammt denn
auch jener Vers auf Bedr ed-din, worin er den alten Schejch von Simäw
in eine Linie mit dem Freigeist Muhji ed-din (ZDMG, LH, 516 ff.)
stellt, dessen stillfriedliche Grabstätte am Fuß des Dschebel Qäsiün
in Sälihije heute noch das Ziel frommer Pilger und starrgläubiger
Mushme bildet^) — ein sprechendes Beispiel für die Verknöcherung und
Geistlosigkeit des Islam in Syrien — , jenes matlä!', mit dem ich meine
Darlegungen schließen möchte:
.o\o,'» ,Jo,'ufij! (V3«.*iS , -;w>J LJ,0
ANHANG.
DIE SILSILE DES SCHEJCHS BEDR ED-DlN.
Me^med Tähir gibt in der Lebensbeschreibung des Schejchs
Bedr ed-dln in seinem leider noch unvollständigen Werk über die
»Osmanischen Schriftsteller« {'■osmänli mu' ellijleri, Stambul 1333) auf
S. 39/40 die silsile Bedr ed-dm's, leider ohne seine Quelle zu nennen.
Bei der Sorgfalt und Genauigkeit indessen, die fast alle, meist lebens-
geschichtlichen Arbeiten dieses .weit über den Durchschnitt der osma-
nischen Wissenschafter hinausragenden, mir persönlich wohlbekannten
und oft mit Nutzen befragten Schriftstellers auszeichnen, darf unbe-
denklich die Glaubwürdigkeit seiner Vorlage angenommen werden^).
europäischen Schriftstellern, wie D. Kantemir, als heimlicher Christ (vgl. de Lacroix,
in der Verdeutschung von J. G. W. Schulz III, 405), wovon natürlich keine Rede sein
kann. Vgl. dazu oben S. 66.
') Vgl. A. V. Kremer, Miüelsyrien und Damaskus, Wien, 1853 und Topographie von
Damaskus II, S. 25, Wien 1855. — Ein alter Araberschejch, dessen Sunnatreue über jeden
Zweifel erhaben war, stand mit mir am Grabe Muhjl ed-dln's und pries in überschweng-
lichen Worten seine — des zindtql — Frömmigkeit. i>kibrlt al-a/imar« (»roter Schwefel«,
etwa unser »Stein der Weisen«) nannte er ihn.
-) Vgl. Martin Hartmann, Unpolitische Briefe aus der Türkei, Leipzig 1909, S. 17S
oben; ferner ebenda 94 ff., 158, 173 ff., 177 ff-. 217, 21S, 244.
Schejch Bcdr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw. IO3
Mehmed Tähir Efendi, der übrigens jahrelang in Salonik als
Leiter des dortigen Militärgymnasiums wirkte, also in nächster Nähe
von Seres lebte, hat, wie er selbst erklärt, an Ort und Stelle im Der-
wischkloster über Bedr ed-din Erkundigungen eingezogen. Dort sah
er das menäqib-näme Bedr ed-dln's (vgl. S. T']), dort dürfte er auch die
»Kette« {mpostolical succession«, D. B. Macdonald) der Lehrvorfahren
des Schejchs ermittelt haben.
Ich gebe zunächst Mehmed Tähir 's Reihe der Ordenshäupter:
Schejch Bedr ed-din, liusejn von Achlät, Abu '1-fath as-sa'ldi,
Abu Madjan maghribi, Abu '1-barakät, Abu M-fadl baghdädi, Ahmed
Ghazäll, Abu Bekr ncssädsch, Abu M-Qäsim, Abu 'Ali kjätibi, 'Ali
Da'üdbäri (!), Dschunejd baghdädi. ')
Wenn ich in der Lage bin, nachstehend eine eingehende Erklärung
der süsile zu liefern, so danke ich dies vor allem der tätigen Mithilfe
Richard Hartmann's in Leipzig, der mir auf diesem Gebiet mit
seinen einschlägigen Kenntnissen die schätzbarsten Dienste geleistet hat.
Es ergibt sich darnach folgende berichtigte und erläuterte Reihe:
1. Dschunejd aus Baghdäd, der berühmte Mystiker, starb 297/909;
vgl. EI, I. Bd., S. II 10; al-Hud^schwiri, Kaschj al-mahdschüh,
hrsg. R. A. Nicholson, London 1911, S. 128 ff.
2. Abu 'Ali Ahmed b. Muhammad ar-Rudbäri, starb 322/934; vgl.
al-Quschairi,<2^mä/a/^'^7mdJ^/a;ya^e'^£;M/, Ausgabe Kairo, S. 30;
Scha'räni, Tahaqät kubrä, Ausgabe Kairo 1305, I. Bd., S. 91;
Ahmed Hilmi, Hadiqat ül-eidijä, 3. Heft: Suhraiverdlje,
Stambul 1318, S. 4; Ibn al-Atir, chronicon, ed. C. J. Torn-
BERG, VIII, S. 222; Ibn Hallikän, Biogr. Dictionary, cd.
by Bn. Mac Guckin de Slane, I. Bd., S. 86, No. 4 (Paris
1843); al-Hudschwiri, a. a. O. S. 157.
I) Da, wie aus der oben S. 78 wiedergegebenen Mitteilung Mehmed Tähir Bej's
hervorgeht, das tekke zu Seres, das heute noch die Erinnerung und Überlieferung an Schejch
Bedr ed-dTn hoch- und wachhält, dem Orden der Qädirl angehört, so darf man vielleicht
daraus auch einen Zusammenhang der Lehre B.s mit der des 'Abd al-Qädir aus Gllän
(starb 561/1166) erschließen. Ich verweise daher zunächst auf die silsile der Qädirijje in
'Atäji's Nachtrag (?e]l) zu Taschköprüzäde's schaqa'iq an-nii^mäuijja, Stambul 1268.
S. 65 unten, wo als plr Dschunejd von Baghdäd, später (S. 66 oben) auch Muhji ed-din
und .Sadr cd-dln von Qonia erscheinen. Die dort S. 61 — 66 gegebenen, bisher nicht
weiter beachteten seläsil (Xer Naqschbendijje, yalwetijje, Zcjnijje, Mewlewijje, Bejrämijje,
Qädirijje und Rifa'ijje sind wegen der osmanischen 5/75i7t'-Konslruktion gerade in
diesem Zusammenhang von Bedeutung. Vgl. dazu Ign. Mouradjea A'Ohsson, Tableaii
V. Band S. 619 sowie Häddschi yallfa, Dschihännümä S. 360. Über die Qädirijje,
die einst im osmanischen Reiche eine sehr bedeutende Rolle spielte, fehlt leider jegliche
neuere und gründliche Untersuchung.
1 04 FranzBabinger,
3. Abu *Ali b. al-kätib, starb nach 340/951; vgl. al-Quschairi,
a.a.O. S. 32; Scha*räni, a.a.O. I, 96; A. Hilmi, a.a.O.
S. 7; al-Hudschwiri, a. a. 0. S. 158 ff,
4. (fehlt in der silsile bei Mehmed Tähir und ist zu ergänzen):
Abu *Osmän al-maghribi, starb 373/983; vgl. al-Quschairl,
a.a.O. S. 35; Scha*räni, a.a.O. S. 104; al-Hudschwiri,
S. 169 ff.
5. Abu *1-Qäsim *Ali al-Gurgäni, starb 450/1058 oder 469/1076 (in
der silsile des Ghazäli bei Mustadä az-Zabidi, Ithäf.
Ausgabe Kairo VII, 247 (vgl. R. Hartmann, Al-Quschairi's
Darstellung des Süfitums, Berlin 1914 [Türk. Bibl. 18. Bd.),
Tafel am Schluß ; A.Hilmi, a.a.O. S. 12; Dschämi, Nafahät
al-uns, hrsg. von W. Nassau Lees, Kalkutta 1859, S. 347 ff.
6. Abu Bekr nessädsch (Weber) starb 487/1094; vgl. A. Hilmi,
a. a. O. S. 14 ff.
7. Ahmed Ghazäli, starb 51 7/1 123; vgl. A. Hilmi, a. a. 0. S. 16 ff.;
Dschämi, a.a.O. S. 426 ff.
8. Abu '1-fadl Ibrahim aus Baghdäd.
9. Abu '1-barakät aus Baghdäd.
10. Abu Sa*id aus Andalusien.
11. Abu Madjan Schu*aib b. al-Husejn aus Andalusien, starb 594/
II 97; berühmter Mystiker, vgl. EI, I, 104; Barges, Vie du
celebre marabout Cidi Abou Medien, Paris 1884.
12. Abu '1-fath as-sa'idi.
13. yusejn aus Achlät, 'vgl. oben S. 23, 4. Anm.
Wie Ahmed Rif'at's »Mirfat ül-maqäsid, Stambul, S. 31, zeigt,
läuft Bedr ed-din's silsile mit der des Abu '1-IIasan^Schädili (st. 656/
1258), dem Gründer der bekannten, nach ihm benannten Schädilija-
Sekte, bis Abu Madjan zusammen^); dabei ist freilich zu bemerken,
daß anderwärts ganz andre Reihen für die Schädilija gegeben werden
(vgl. z. B. Hodscha Ahmed Hilmi, Hadlqat ül-ewlijä, 7. Heft;
ferner 0. Depont und X. Coppolani, Les conjreries religieuses musul-
manes, Alger 1897, sowie L. Rinn, Marabouts et Khouans, Paris
1887). Gleich lautet auch, wenigstens nach A. liilmi, a. a. O., 3. Heft,
bis herauf auf Ahmed Ghazäli die silsile der Suhrawerdije; aber
wie wenig man hierauf Wert legen darf, beweist, daß das, was bei
A. yilmi als silsile der Suhrawerdije erscheint, in al-Badri al-
Oaschschäschi's (st. 1660) Buch »Al-simf al-madschid al-dschämi^ li
saläsil« (Haidaräbäd 1 327) auf S. 76 ff. als silsile der Halwetije zu lesen ist.
') Auch die silsile der Sa'adlje ist von Dschunejd bis Abu Madjan gleichlautend.
Vgl. Ahmed Rif'at a.a.O. S. 30.
I
Schejch Bedr ed-dln, der Sohn des Richters von Simäw. 105
SCHEJCH BEDR ED-DlN ALS SCHRIFTSTELLER.
Den ersten Versuch einer Zusammenstellung der Werke ;Bedr
ed-dln's enthält Carl Brockelmann's »Geschichte der arabischen Lite-
ratur«, n. Bd., S. 224. Unabhängig davon hat Mehmed Tähir
Efendi in seinen »Osmanischen Schriftstellern« a,ui S. 39 eine neuerliche
Zusammenstellung davon gemacht und wertvolle Ergänzungen ge-
liefert; was Taschköprüzäde gibt, ist ebenso unvollständig wie
ungenau. Ich bringe im folgenden das Bekannte, ergänzt durch
eigene Feststellungen, wieder.
Bedr ed-din hat, wie Mehmed Tähir a.a.O. auf Grund seiner
Forschungen im Derwischkloster zu Seres mitzuteilen in der Lage ist,
38 Schriften verfaßt, die sich alle in Seres befinden dürften^).
Das Hauptwerk, das einzige übrigens, das über den handschrift-
lichen Zustand hinaus geriet, ist das »Dschdmi'' al-fusülain«, ein Hand-
buch für den praktischen Gebrauch des hanafitischen Richters, das
Bedr ed-din i. J. 814/1411 vollendete und das i. J. 1300/01 (1883/84)
in zwei Ouartbänden (I, 262 Ss.; II, 264 Ss.) in der Staatsdruckerei
zu Büläq gedruckt wurde 2). Das Werk ist in zahlreichen Abschriften
vorhanden, von denen C. Brockelmann a. a. O. einige aufzählt. Die
von Bedr ed-din rührende Urhandschrif t des Kommentars ver-
wahrt die Bücherei der Schehzäde- Moschee zu Stambul.
Auch sind mehrere andere Erläuterungen dazu geschrieben worden,
die ebenfalls teilweise bei C. Brockelmann verzeichnet sind.
Nach den Wissenschaften gliedern sich die weiteren Werke B.'s
folgendermaßen:
') Diese Angaben werden zu guter Letzt in erwünschter Weise durch Mitteilungen
Tähir Bej's im Schreiben Exz. HaJll Edhem Bej's (vgl. oben S. 78, i. Anm.) ergänzt:
Die Nachricht, daß Bedr ed dTn 38 Werke verfaßt habe, entnahm mein Gewährsmann der
im Qädirl-Kloster zu Seres aufbewahrten, anonymen i>menäqibnäme4 betitelten Handschrift,
in der ausführlich vom Leben und Treiben des Schejchs Bedr ed-dln die Rede gehen soll.
Außer den in *05wÄ«/i mü'ellijleri namhaft gemachten Schriften vermochte Tähir Bej
keine weiteren ausfindig zu machen, selbst der tafstr (d. i. nur al-qidüb), der das wichtigste
Werk des Schejchs sei, ist nirgends nachzuweisen gewesen, und Tähir Bej vermutet, m. E
ganz mit Recht, daß die meisten erreichbaren Schri ften des Schejchs ihres ketzerischen
Inhalts wegen verbrannt worden sind. Die Hauptquelle für Bedr ed-dln's
süflsche Lehre enthalten die jc'är/rfä^ von denen ein Druck vorhanden sein soll.
[Leider konnte ich bis jetzt weder dessen Erscheinungsort noch -jähr ermitteln.] Wichtig
ist auch die dazugehörige Erläuterung von Haririzäde Kemäl Efendi [gemeint ist wohl
Sejjid Kemäl ed-dln Harlri].
i, , ^) Auf der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin unter der Standnummer Libri
in Or. impr. Arab. 1227, 4° vorhanden.
I06 Franz Babinger. Scliejch Bedr ed-din, der Sohn des Richters von Simäw.
1. schar h: i. dschämi^ al-fusülain; 2. dschämi^ al-fetäwl.
II. fiqh: la/ä'if al-ischärät, vgl. C. Brockelmann a.a.O.
III. taf sir : nur al-qulüb, nicht bei Brockelmann.
IV. tasawwuf: i. tschirägh al-jutüh. 2. scharh-i ^aw* [s^yo)-
3. masarrat al-qulüb, nicht bei C. Brockelmann, eine Hand-
schrift davon befindet sich in Leiden; vgl. Catalogus codd. or.
Bibl. Acad. Lugduno-Batav., V. Bd., hrsgg. v. M. J. de Goeje,
Leiden 1873, S. 23. 4. wäridät^), die wichtigste der süfi-
schen Schriften B.'s, aus der die meisten Auf-
schlüsse über seine Süfl- Ansichten zu gewinnen
sein dürften. Das Werk fand starke Beachtung und wurde
häufig erklärt. Von türkischen Erläuterern seien angeführt:
Schejch IlähP), Schejch Jawsi*), Nur ed-din-zäde
und Hodscha Mehmed Nur al-*arabi (vgl. Mehmed
Tähir a. a. O. S. 39, 3. Anmerkung). Die Leidener Bibliothek
besitzt übrigens auch davon eine gute Handschrift; vgl.
M. J. de Goeje, Catai, V. Bd., S. 233). 5. '^uqüd al-dschawähir
(so [= Halsketten] und schwerlich ^unqüd == Trauben, wie
Taschköprüzädc schreibt, dürfte zu lesen sein !).
Die Titel der übrigen 29, wohl kleineren Schriften Bedr ed-din's
waren noch nicht festzustellen.
Nachsatz: Nachträglich erst finde icli bei J. C Jirecek, Das Fürstenthum Bul-
garien, Wien, 1891, S. 141 folgende, meine obigen Darlegungen blitzartig beleuchtende
Angaben über die bulgarischen Qizilbaschen: Zwischen den Türken in des
Umgebungen von S t ara-Z agor a , im Balkan bei Karnobad und in den Landschaften
D e 1 i o r m a n und Gerlovo sind mohammedanische Sectirer zerstreut, welche man K y z y 1 -
basi nennt. Nach den Erzählungen der Bulgaren sind sie ein ruhiges, ackerbau-
treibendes Volk, genießen Wein ohne Gewissensbisse, lassen ihre Frauen un-
verschleiert einhergehen, betrachten das Bl ut ver gi eß en als sündhaft, halten
sich für etwas Besseres als die übrigen Türken und kümmern sich überhaupt wenig
um die Vorschriften des Korans. — Es ist ganz gewiß kein Zufall, daß diese Sektierer
in der nämlichen Gegend (Deli-Orman, Eski-Zaghra) sich aufhalten, in der sich Bedr
ed-din herumtrieb und Zulauf hatte, von der überraschenden Übereinstimmung dieser
Sitten mit denen der Sefewijje und Bedr ed-dinijje ganz abgesehen. Und es ist kein
Zweifel mehr, daß hier eine der merkwürdigsten Bewegungen in der ganzen sozialen
und religiösen Geschichte des Islams vorliegt.
') Über den Begriff -n'äridäl vgl. R. Hartmann in der Türk. Bibliothek, XVIII. Bd.
S. Soflf.; Der Islam, VII. Bd., S. ii8.
*) Vgl. darüber oben den arabischen Text des Qutb ad-dln.
3) Mehrere Erläuterungen zu diesem Werk wie zum Dschämi' al-fusülain sind auch
in einzelnen Stambuler Buchsammlungen vorhanden, so nach Mehmed Tähir, a. a. O.
S. 39, vor allem wohl in der Dämäd Ibrählm Pascha-Medrese. Das Verzeichnis
(defter) der 1175 Werke umfassenden Büchere« dieser medrese ist mir zurzeit leider nicht
zugänglich (Stambul, 13 12, 4° 87 Ss.).
Khorasan.
Denkmalsgeographische Studien zur Kulturgeschichte des Islam
in Iran.
Von
Ernst Herzfeld.
(Mit 2 Karten.)
.W.V.I
»Khorasan ist der Köcher Allahs, aus dem er einen Pfeil
schießt, wenn er einem Volke zürnt.«
»Keine Fahne wurde je von KhoräsAn aus entfaltet in der
Unwissenheit oder im Islam, die zurückgesclilagen worden wäre,
ehe sie ihr Ziel erreicht hatte.« Muhammad').
Eränshahr wird seit Khosro I. in vier Spähpatschaften eingeteilt:
I, Kost i khwarbarän, die Westgegend, 2. Kost i nemrozh, die Süd-
1) Diebeiden Hadith stehen bei Yäqüt II 410, 11 ss; Bakbier de Meynard über-
setzte das zweite: »Toutes les sectes sorties, avant ou apres l'islamisme, du Khoragän,
ont cte et seront repoussees jusqu'ä ce qu'elles perissent«. Ich fragte Snouck Hurgronje,
der mir schrieb: »Ihre Übersetzung ist ganz zweifellos die richtige. Die Konstruktion ist
ganz gewöhnlich und unzweideutig, und nur Mangel an Vertrautheit mit der arabischen
Syntax hat B. de Meynard zur falschen Wiedergabe veranlassen können.« A. J. Wen-
siNCK schrieb: »Sie haben den Sinn von C^J.S in der fraglichen Tradition ganz richtig
erfaßt. M. E. ist folgenderweise zu übersetzen: ),>Nie ist, in vorislamischer oder islamischer
Zeit, eine Fahne aus Khorasan hervorgerückt, welche zurückgeschlagen wurde, bevor sie
ihr Ziel erreicht hatte.« Vielleicht gehört der Satz zu den sogenannten Fahnentraditionen,
welche im Zusammenhang stehen mit der 'abbasidischen Propaganda wider die Omayyaden
in Khorasan.« Endlich und nicht am wenigsten schreibt J. Goldziher: »Das Hadith
ist natürlich 'abbasidisches Tendenzfabrikat. Abu Muslim ist ja Khorasani, und seine
PropagandaTgeht von Khorasan aus. Ein hierzu gehöriges Hadith habe ich in Muh. Sind. II
127 benutzt. Der in Frage stehende Spruch bei Yäqüt wäre nach meiner Ansicht zu
deuten: »Es ist keine Fahne weder in der DjTdiiliyya noch im Islam aus Khorasan ausge-
gangen und wäre zurückgewiesen worden, ehe sie ihr Ziel erreicht hätte.« Das »Zurück-
bringen« der Fahne hätte keinen rechten Sinn; die Eroberer kehren ja mit der Heeresfahne
jQg Ernst Herzfeld,
gegend, 3. Kost i khoräsän, die Ostgegend, 4. Kost i apäkhtar, die
Nordgegend, auch Kost i Käfkoh, das Kaukasos-Gebirge genannt.
Zu Kost i khoräsän zählt Moses von Khorene:
I. Hamadhän, ap. Hagmatäna, gr. 'Exßatava,' hd. Hamadän, besser zu Apikhtar
gerechnet. — 2. Komish, gr. k(o(i.iarjVT,, hd. Dämghän. — 3. Gurgän, ap. Wrkana, gr.
'Vp-/dvta, hd. Asträbäd. — 4. Aprshahr, hd. Neshäpür >). — 5. Marw, ap. Margush, hd.
Marw. — 6. Marw i rodh, hd. BäläMurghäb. — 7. Harew, ap. Haraiva, gr. 'Apala, hd. Herät.
— 8. Katashan, später Qädis bei Herät. — 9. Nisäk i miyänak, das »mittlere Nisä«, im
Wendidäd I, 8 zwischen Mouru und Bäkhdhi (Marw und Balkh), hd. Maimana. — 10.
Apshin, Hauptort von Ghartch i shär, oder Ghartchistän, am Oberlauf des Murghäb. —
II. Tälakän, südl. Maimana. 24 Fars. östl. Marw i rodh, 38 sw. Shäpürkän. — 12. Gozgän,
Gegend von Shibarghän (Shäpürkän). — 13. Andaräba, hd. Indaräb am Nordabhang
des Hindükush. — 14. Kuwäst (?). — 15. Rüb, auch Rübistän, hd. Rüi am Khulm-Fluß. —
16. Zam, hd. Karki am Oxus (Djaihün-Amu Darya). — 17. Peroz-näkhtcher, ein Dorf
bei Balkh. — 18. Diz i Awäza (?), in Bokhärä? — 19. (Wal)wälizh, hd. Qunduz. — 20.
Gatchak in Gozgän unweit Balkh. — 21. Äsän oder San, etwa 2 Fars. östl. Shibarghän. —
22. Bahl i bämik, ap. Bäkhtra, gr. BaxTpct, hd. Balkh. — 23. Tirmidh, an der Mündung
des Zämil oder Käfirnighän in den Amu Darya. — 24. Tcharmangän, gegenüber Tirmidh. —
25. Bämikän, hd. Bämiyän am Hindükush. — 26. Diz i roin, das mythische Eisenschloß,
später mit Paikand, der alten Hauptstadt von Bokhärä identifiziert ^).
Nach Ya'qübi, Historiae 1 201, unterstanden dem Isbahbadh
von Khoräsän:
I. Neshäpür, 2. Herät, 3. Marw, 4. Marw i rodh, 5. Päriyäb, zwischen Maimana und
Shibarghän, 6. Tähqän, 7. Balkh, 8. Bukhärä, 9. Bädhghes, nördl. Herät, 10. Bäward,
älter Äbeward, gr. 'ATraouapxTtxrjvi^, östl. Darragaz, bei der Bahnstation Lutfäbäd, 11.
Ghartchistän, 12. Tos, hd. Mashhad i Ridä, 13. Sarakhs, hd. desgl., 14. Gurgän 3).
Eine noch weitere Ausdehnung gibt dem Begriff Khoräsän Ba-
lädhüri, gegen den Yäqüt mit Recht polemisiert, da er nicht den
historischen oder geographischen Begriff, sondern nur eine vorüber-
nicht zurück. Außerdem würde ja J, in diesem Sinne 'zurückgeben' bedeuten und
es fehlte in jedem Falle ein Komplement dazu (. . . ^\ OJ^). Freilich setze ich zu
allem Vorhergehenden ein *JLc.! »S1\^ hinzu.« — F. Babinger macht mich auf das Werk
aufmerksam von Gerlof van Vloten, De opkomst der Abbadden in Chorasan. Leiden
1890, wo p. 132 über die schwarzen Fahnen der Abbasiden aus Khoräsän gehandelt wird.
I) Es bestand in früh arabisch er Zeit nach b. Rusta aus: i. Ustuwä, gr. 'AaxauTjVT,,
mong. Ustüw, hd. Khabüshän, Kütchän; 2. Arghiyän, hd. Djädjarm; 3. Asparä'in, hd.
Isfaräin: 4. Guwain, hd. desgl.; 5. Baihaq, hd. Sabzawär; 6. Pusht, hd. Turshiz; 7. Rukh,
hd. desgl.; 8. Bäkharz, hd. desgl.; 9. Zham, hd. Turbat i Shaikh Djäm; 10. Zäwa, hd.
desgl.; II. Zozan, SW. v. Khwäf; 12. Ashpand, hd. Asfand; 13. Khwäb, hd. Rüi Khäf.
-) Vgl. Mar QUART, Eränsahr n. d. Geogr. d. Ps. Moses XorenacH, Göüing. Abhandl.
NF. HI, 2 1901. — W. ToMASCHEK, Zur histor. Topographie v. Persien, Wiener Sitz.-Ber.
eil, 1 1883.
3) Vgl. E. Bretschneider, Mediaeval Researches from Rastern Asiatic Sources;
Trübner's Oriental Series 1910 und S. Beal, Si-yu-ki, Buddhist Records of the Western
World 1906.
Khorasan. IO9
gehende Verwaltungseinheit der ersten islamischen Zeit zur Grundlage
nimmt. Darnach wäre Khorasan in vier Viertel geteilt:
I. Aparshahr-Neshäpür, Kohistän, Tabasan, Herät, Püshang, Bädhghes, Tos-
Täbarän; 2. Marw i shähigän, Sarakhs, Nisä, Äbeward, Marw i rodh, Tälakän, Khwärizm
und Amol, letztere beide am Djaihün-Amu Darya; 3. westlich des Djaihün ein Streifen
\on 8 Farsakh Tiefe, Fariyäb, Gozgän, das obere Tokhäristän, Khast, Andaräba, Bämiyän,
Baghlän, Wälitch die Stadt des Muzähim b. Bistäm, Rustäk Bjl, Badhakhshän das Tor
nach Tibet, während Andaräba das Tor nach Kabul war, Tirmidh östl. Balkh, Tchaghäniyän,
das untere Tokhäristän, Khulm, Simingän, 4. Mä warä al-nahr, d. i. Transoxania mit
Bukhärä, Shäsh (Tchätch), Turarband,' Soghd-Kiss, Nasaf , Rübistän, Usrüshana-Sutrishna,
Sanäm-Qal'at Muqanna*, Samarkand.
Geographisch ist also der Begriff Khorasan genau umschrieben.
Die Einzelheiten sind aus arabischen, persischen und chinesischen
Schriftstellern wohl bekannt '). Bukhärä, Nr. 8, steht so allein und
fällt so völlig heraus, daß seine Nennung auf einem Irrtum beruhen
dürfte. Die Grenzen sind: im W. östl. Teheran bei den »Kaspischen
Toren« beginnend die östlichen Teile des Elburz-Gebirges, die SO.-
Ecke des Kaspischen Meeres, die heutige russisch-persische Grenze
am Atrek, die transkaspische Bahn bis etwa Lutfäbäd; weiter eine
Linie durch die Wüste, die Oasen von Tadjand und Marw einschließend,
zum Amu-Darya bei Karki, der Amu-Darya selbst bis etwa Hazret
Imäm, dann westlich von Badakhshän nach S. in die Gebirge bis zum
Kamm des Hindükush, von da nach W. umbiegend den hohen Kamm
des Hindükush und seiner westlichen Fortsetzer entlang, südhch an
Herät vorbei, zu einem Salzsee an der afghanisch-persischen Grenze,
weiter durch Kohistän südl. Khäf und Turshiz und am Nordrande
der großen Dasht i kawir-Wüste zum Ausgangspunkte an den Kaspi-
schen Toren zurück 2).
In einer Reihe von Werken der -»Lehrkanzel Strzygowski«, die
jüngst erschienen oder deren Erscheinen angekündigt ist 3), wird
dieses Land als die eigentliche Heimat der persischen und der isla-
mischen Kunst verkündet, und weit darüber hinaus als »die Quelle
des Schöpferischen« überhaupt, als ein »Angelpunkt der Kunstge-
schichte«, von dem die Ausstrahlungen auf die gesamte abendländische
1) Vgl. Le Strange, Lands of the Eastern Califaie, Cambridge Geogr. Series 1905.
2) Karten: Map of Persia (in 6 sheets), comp, in the Simla Drawing Office, Survey
of India, i : i 013 760, 1897. — Persia & Afghanistan, Keith Johnston's General Atlas
März 1914, I : 4311 000. — Map of Afghanistan, based on Survey of India maps, ca.
1913, I : 2027520. — Carte d'Asie des franz. Generalstabes, i : i 000 000, 1901, 1902
u. 1904; Blätter Asterabad, Khiva, Merv, Herat, Nour Ata, Boukhara, Maimcne, Tash-
kent, Pamir und Caboul. — Riissische 20 Wersi-Karte von Persien 1 : 840 000.
3) Strzygowski, Altai-Iran und Völkerwanderung; ders., Armenien und die Bau-
kunst Europas; — Diez, Churasanische Baudenkmäler und kleinere Artikel von Strzy-
gowski, Diez und Glück.
l IQ ErnstHerzfeld,*
Kunst seit der Völkerwanderungszeit von bestimmendem Einfluß ge
Wesen seien. Es wird also wieder einmal die »Fahne von Khoräsän
entfaltet«, wie einst in der Unwissenheit oder im Islam. Das Werk
von Ernst Diez, Churasanische Baudenkmäler Bd. I, bei Dietrich
Reimer 191 8 erschienen, von dem ein zweiter Band mit der »fach-
männischen Verarbeitung« angekündigt ist, ist der unmittelbare An-
laß dieses Aufsatzes. Es ist Zeit zu prüfen, was Khoräsän für die
iranische und islamische Kultur und Kunst bedeutet. Wird das
Panier von Khoräsän wieder sein Ziel erreichen, oder zürnt uns nur
Allah, daß er wieder einen Pfeil aus diesem Köcher schießt.?
Zum ersten Male erscheint Khoräsän in der Geschichte in den
Inschriften des Dareios, in Bistün § 6 (519 — 518 v. Chr.), in Perscpolis
(um 518/17), und in der Grabinschrift von Naqsh i Rustam (486) ^).
Drei iranische Völker bewohnen es : die Parthava, Haraiva und Bäkh-
trish. Ihnen entsprechen drei Verwaltungsbezirke, Satrapien. Nach
§ 35 — T^y der Bistün- Inschrift schließt die Satrapie Parthien unter
Vishtäspa auch Varkäna, Hyrkania-Gurgän, ein; Margush-Marw ge-
hörte nach § 38 — 39 zu Baktrien unter Dädarshish. Die Namen stehen
in den Völkerlisten, welche Auszüge aus amtlichen Tributlisten, bzw.
aus den in den Verwaltungsämtern geführten Satrapienlisten darstellen.
Ein solches Dokument ist uns, wenn auch sehr entstellt, in Herodot's
Satrapienliste (III 89^ — 96) erhalten. Drei Satrapien von Herodot
fallen in den Bereich von Khoräsän: XI KctofTCioi, IlaocJtxai, IlavTi-
|iaöot und Aotpsixai, XII BaxTptavol fA^XP' Ai^Xäv, XVI : nap{>oi,
Xopdojxtoi, So-^Soi und 'Apeiot. Eine auf den Vergleich mit den
Dareios- Inschriften gegründete Kritik ergibt in Wahrheit die drei
Satrapien: i. Parthava und Varkäna, d.i. llapöoi, Ilauaixai, navxi'ixaBot,
Attpsixai, das engste Khoräsän (Neshäpür-Aparshahr) und Gurgän;
2. Haraiva, d. i. 'Apeiot, Herät und Bädhghes; 3. Bäkhtrish und
Margush, d. i. Raxtpiavoi [asxP^ Ai^Xäv, Afghanistan nördl. des
Hindükush und Marw, wobei das »bis zu den Aigloi« eine Übersprin-
gung nebensächlicher Namen der ursprünglichen Liste bedeutet. Die
Listen des Dareios sind ausgesprochen geographisch geordnet; sie be-
ginnen stets mit den drei Stammlanden Persien, Medien und Elam,
dem Kern des Weltreichs. Im übrigen geben sie nur eine nach histo-
rischen und psychologischen Gründen getroffene Auswahl aus den
zahllosen Völkern des Westens und des Ostens. Der Osten wird etwas
I) F. H. Weissbach, Die Keilinschriften der Achämeniden, Vorderasiat. Bibliothek
191 1. — • Trautwein, Die Memoiren des Dikaios in Hermes XXV 1890, pg. 527 — 668. —
C. F. Lehmann-Haupt in Klio II, pg. 334 ss. — Eduard Meyer, Gesch. d. Altertums III,
Khorasaii. III
breiter behandelt, als der Westen ^). • Der Westen ist kulturell über-
legen, aber im Osten liegt die ethnische und militärische Kraft des
Reichs, wenn auch nicht der Besitz des Ostens, sondern der der Mitte,
der Straße Babylon-Egbatana, über den Bestand des Reichs ent-
scheidet. So würde man im alten Preußen erst Brandenburg genannt
und dann Ost- und Westpreußen mit mehr Nachdruck beschrieben
haben, als die Rheinprovinz.
Die drei Völker, Parthava, Haraiva und Bäkhtrish, sind auf den
Thronreliefs von Pcrsepolis und Naqsh i Rustam dargestellt ^). Eben-
falls als Baktrier darf man wohl einige der auf den Goldblechen des
Oxus-Schatzes des British Museum dargestellten Figuren ansprechen,
die als Adoranten mit dem zoroastrischen Barsom-Bündel in der Rechten
auftreten, sofern sie nicht etwa Sogdcr sein sollten 3). Ihre kriegs-
mäßige Ausrüstung hat uns Herodot im Heereskataloge (VII 6i — loo)
anläßlich Xerxes' Heerschau bei Doriskos überliefert. Die drei
Völker bilden darnach in Gestalt, Tracht und Ausrüstung eine eng
geschlossene Gruppe. Ethnisch sind sie Iranier im engeren Sinne,
wie auch die Meder und Perser, und wie diese sind sie im 6. Jahrhdt.
V. Chr. bereits Ackerbauer, die in Dörfern und schon in einigen Städten
[vardana] wohnen; Vispauzatish und Patigrabana werden erwähnt.
Eng verwandt und auf der gleichen Kulturstufe erscheinen die Sogder
und wohl die Khorazmier. Die auch noch iranischen Völker dagegen,
welche die Perser als Sakä, die Griechen als 2xuf>at bezeichneten,
waren noch Nomaden und Viehzüchter. Die Berichte des Alexander-
zuges lassen dies Verhältnis noch zweieinhalb Jahrhunderte später
deutlich erkennen, und diese lange Friedenszeit muß ja Fortschritte
im Wege der Seßhaftigkeit erzeugt haben. Seither ist jahrtausendelang
Welle über Welle von mittelasiatischen Völkern über das turkesta-
nische Zweistromland dahingerollt, hat die nomadische sakische wie
die ackerbauende iranische Bevölkerung verdrängt und vernichtet; nur
in abgelegenen Hochtälern des Pamir haben sich Reste von ihnen rein
und mit eigener Sprache erhalten, die Ghaltcha, welche die Pamir-
Dialekte sprechen 4).
Alexander betritt Khoräsän bei der Verfolgung des fliehenden
Dareios gerade im Augenblick von dessen Ermordung. Der neue
Herrscher läßt die Verwaltung des Reichs zunächst bestehen. Die
') Eduard Mi:vi:i; in Sakuic-Hcuzfüld, Iranische Felsreliefs pg. 19 — 21.
^) Sarre-Herzfkld, Iranische Felsreliefs, Berlin igio, Abb. 5 — 11.
3) Al. Cunningham, Relics from ancient l'ersia in JASB., L. 1881 3 — 4 und LII
1883 pg. 64 s, 258 s. —0. M. Dalton, The Treasure of Ihe Oxus by order of the Trustees 1905.
4) W. Geiger, Die Pamir-Dialekle xmGrundr. d. Iran. Philol. Bd. I Kap. VIII, 1901.
112 ErnstHerzfeld,
Satrapie Parthien gibt er dem Parther Amminapes, welchem Tlepolemos
als kommandierender General an die Seite gestellt wird. Bald darauf
wird der frühereSatrap Phrataphernes wieder in sein Amt eingesetzt.
Auch Hyrkanien gehört weiter zu Parthien. Schon unter Dareios war
Tapurien, später Jabaristän, das unwegsame Hochgebirgsland des
Elburz als besondere Satrapie abgetrennt; (der alte Satrap Autophra-
dates behält sie und bekommt die Amardoi, hd. Amol, dazu. Die
Hauptstadt von Parthien ist Hekatompylos (Gegend Dämghän-Shäh-
rüd) i), andere Städte sind Tape und Zadrakarta, die Hauptstadt
Hyrkaniens. Die Satrapie Areia steht unter dem Satrapen Satibar-
zanes, ihre Hauptstadt ist Artakoana, ein anderer Ort Susia. Drangiana',
ap. *Dranga, das Zranga der Inschriften, wird ihm zugeteilt, das ist
die nicht mehr zu Khoräsän gehörige Landschaft um den See von
Sistän, noch im arabischen Mittelalter Zarang geheißen. Die Satrapie
Baktria hat Artabazos, Hauptort ist Baktra-Balkh, andere Orte sind
Drapsaka, etwa Ounduz, Aornos, mit Khulm gleichgesetzt, und
Zariaspa ^).
Die Teilungsverträge der Diadochen bringen zunächst keine große
Änderung. In Babylon 323 erscheinen die Satrapien Parthien mit Hyr-
kanien, Baktrien mit Sogdien, Areia mit Drangiana vereint. Tapurien
ist vielleicht schon unter Alexander zu Parthien geschlagen. In Tri-
paradeisos 321 tauscht Nikanor Areia mit Baktrien, Philippos Bak-
trien mit Parthien, für Phrataphernes. Unter Seleukos Nikator aber,
erfolgt eine große Änderung: anstatt der 21 asiatischen Satrapien
werden 72 eingerichtet. Unter Antiochos III. scheint das alte System
nochmals hergestellt worden zu sein. In sehr viel späterer Zeit aber
tritt die Vielteilung, die natürlich tiefe innerpolitische Gründe hatte,
wieder auf.
I^er Hellenismus bedeutet für diese östlichen Länder eine kultu-
relle Umwälzung, die im Sinne von E. R. Bevan mit der Europäi-
sierung des heutigen Orients oder der Kolonisation unerschlossener
Länder verglichen werden muß. Die Ausstrahlungszentren sind die
große Zahl von Städten oder Kolonien, die Alexander selbst und
Antiochos I. dort gründeten 3). Von Alexander rühren u. a. her Alexan-
') Vgl. HouTUM-ScHiNDLER in Z.' f.' Erdkunde 1877 pg. 217. — ■ W. Tomaschek, 1. c.
pg. 81. — Marquart, Beiträge z. Gesch. v. &rän II 2iss, 40 — 45. — Kiessling bei'PAULY-
WissowA s. V. Hekatompylos. — Geiger im Grundr. pg. 391.
*) Vgl. F. V. Schwarz, Alexanders d. Gr. Feldzüge in Turkestan, Stuttgart 1906. - —
Tomaschek, Centralasiat. Studien I, Sogdiana, Wiener Sitz.-Ber. 1877.
3) Vgl. das erste Kapitel von E. R. Bevan, The House of Seleukos 1902 und das
Kap. XIII Iran. — J. G. Droysen, Die Städtegründungen Alexanders und seiner Nach-
Khorasan. .113
dreia Margiane (Marw i rodh) und Alexandreia Areion (Herat); von
den 75 von Antiochos gegründeten Städten lagen überwiegend viele
in diesen östlichen Teilen. Im Jahre 323 meldeten sich allein 20 000
Fußleute und 3000 Reiter, alles frühere Soldaten, zur Kolonisation
von Baktrien. Dort und in Sogd gründete Antiochos nach Justinus
12, nach Strabon 8 Städte. Einige andre erwähne ich hier: in
Parthien Kalliope, Pherai, Apameia, Mysia, Hekatompylos ; in Hyr-
kanien Eumeneia; in Areia Achaia, Artakoana, Alexandreia, Soteira;
in Marw Alexandreia oder Antiocheia Margiane. Die Oase Marw wird
mit einer Mauer umgeben.
Auch wer nicht anzunehmen geneigt ist, daß die große Zahl dieser
Anlagen im Osten einen Grund darin hatte, daß dort die Städte spär-
lich waren, muß zugeben, daß jedenfalls die Hellenisierung gerade
dieser Länder den Seleukiden besonders am Herzen lag. Als Anti-
ochos III. seinen graecobaktrischen Gegner Euthydemos in Baktra
belagert, bewegt dieser durch die Drohung, die nördlichen Nomaden
zu Hilfe zu rufen, wodurch die griechische Kultur Baktriens vernichtet
werden würde, Antiochos zu einem günstigen Friedensschluß. Diese
Anekdote ist in ihrem symbolischen Werte wahr. Der Same der helle-
nischen Kultur fiel in Ostiran auf einen jungfräulichen x^cker: daher
ging die Saat besser auf, als in Westiran. Das ist die Zeit, wo Khorasan
zum ersten Male schöpferisch wirS. Von dem hellenisierten Khorasan
geht die tiefe Einwirkung auf alle Künste Asiens aus. Ohne die rich-
tige Einschätzung dieser Tatsache wird man die Gandhära-Kunst und
überhaupt die buddhistische und die manichäische Kunst nie begreifen.
Alexanders indische Eroberungen hatten die Seleukiden bald auf-
gegeben. Sie begnügen sich stattdessen mit Bündnissen mit dem
neuen Königreich Magädha. 311 — 02 ist Megasthenes Gesandter bei
Tchandragupta, 280 — 76 Daimachos bei Amitraghäta. Vierzehn Jahre
darauf nimmt der große Asoka den Buddhismus an. Auch Baktrien
halten die Seleukiden nicht länger. Unter Antiochos IL Theos, 261 — 46,
macht sich Diodotos von Baktrien zum König und erwirbt dazu Sog-
diana und Margiana. Damit hört die alte Einheit Khoräsäns auf, und
es entsteht der Riß, der bis zur islamischen Eroberung nicht mehr
dauernd überbrückt werden konnte.
Zwischen das Griechentum im östlichen Khorasan und die west-
iranischen Provinzen schiebt sich gleichzeitig das neu entstehende
iranische Reich der Arsakiden ^). Für das Verständnis der kulturellen
iolger, Beil. I zu Gesch. d. Hellenismus III: Gesch. d. Epigonen 1877. — Die Artikel Baktra,
Bdktriane, Baktrianoi, Baktros, Areia, Areiosn&w. von Tomaschek bei Pauly-wissowa.
") Vgl. A. V. GuTSCHMiD in der Encyclop. Brit. s. v. Persia, section II Greek & Par-
Islam XI. 8
114 ErnstHerzfeld,
Bedeutung Khoräsäns ist das von größter Bedeutung. Die Gründer
der Dynastie, die Brüder Arsakes und Tiridates, sind vom Stamm
der dahischen Parner. Die Ursitze der Daher waren am Syr und am
Aral-See. Aber schon lange bevor i. J. 259 v. Chr. Arsakes sich zum
Herrscher machte, hatten die Daher die Ebenen Hyrkaniens am
Atrak und die nördlich anstoßenden Steppen östlich des Kaspischen
Meeres eingenommen, die noch in arabischer Zeit nach ihnen den
Namen Dahistän tragen ^). Sie waren Nomaden und sind immer ein
Reitervolk geblieben, das mit Bogen und Panzer zu Pferde kämpfte.
I. J. 248/47, dem Beginn der parthischen Ära, wird Arsakes ermordet;
Tiridates fällt in Parthien ein, wird in 'Aactax in 'Aa-caurjVT^, d. i. Kha-
büshän-Kütchän zum König ausgerufen, besiegt und tötet den seleu-
kidischen Satrapen Andragoras von Parthien und nimmt ganz Parthien
um 241 in Besitz. Von dieser Reichsgründung auf dem Boden der
alten Satrapie Parthien geht der politische Name des parthischen
Reichs aus. Ethnisch haben die Arsakiden und ihr Volk mit den alten
Parthava nichts mehr zu schaffen. Ganz Hyrkanien vergrößert das
Reich. Tiridates nimmt den Titel Großkönig an, damit bereits das
Programm der Herrschaft über ganz Iran, der Rechtsnachfolge der
Achämeniden aufstellend. Er schließt ein Bündnis mit Diodotos von
Baktrien gegen die Seleukiden und gründet die Stadt Dara oder Dareion
in Apawarktikene, Äbeward^). Er stirbt 211/10.
Antiochos HI. macht dies Königtum noch einmal von sich ab-
hängig, zieht gegen Euthydemos von Baktrien und schließt mit diesem
206 Frieden. Aber als er nach seiner Niederlage gegen Rom 187 in
Elam getötet wird, ist das Schicksal Ostirans besiegelt. Das Parther-
reich wächst. Schon Phraates I. (f 171 v. Chr.) siedelt die unter-
worfenen Marder f'Ajxapoot, Amol) an den Kaspischen Toren an, d. h.
auch Choarene-Khwar und Komisene-Komish waren schon parthisch.
Sein Nachfolger Mithradates I. 171 — 138 ist der Begründer des Groß-
reichs, der Erfüller des schon von Tiridates gesetzten Zieles. Zuerst
macht er Eroberungen im Osten: Areia und angeblich bis zu den
Grenzen Indiens. Wenn das wahr ist, so war es ephemer; denn um
161 dringen nach chinesischen Quellen die Sai oder Sök, die Saken der
Achämeniden, aus dem westlichen Zentralasien in das Kabul-Tal vor
fhia7t Empires. — Mommsen, Rom. Gesch. V, Kap. IX. — F. Justi, Grundr. d. iran. Phil.
Bd. II, III Gesch. IV A Alexanders Nachfolger tmd die Herrschaft der Parther. — Tomaschek
bei Pauly-Wissowa s. v. Daai.
') Vgl. A. Herrmann, Alte Geographie d. unteren Oxusgebietes in Gott. Abhandig.
NF. XV 4 1914.
^) P. M. Sykes, Seventh Journey in Persia, in Geogr. Journ. 45, 1915, pg. 357 — 371,
betrachtet die Kala Märän, die Schlangenburg, als das Dara des Tiridates.
Khorasan. 1 1 C
und dehnen sich dann sowohl nach dem Indus, wie nach dem alten
Drangiana hin aus. Um 147 unterwirft Mithradates das seit Alexanders
Tod unabhängige atropatenische Medien, Ädharbaidjän, und dringt
sogleich bis Babylonien vor, Seleukeia erobernd. Die Versuche der
Seleukiden, diese alte und größte Griechenstadt wieder zu erobern,
scheiterten. Der große König war zugleich Reichsgründer und Gesetz-
geber der Parther. Die Nachrichten der griechischen Literatur, die
Denkmäler und die Münzen der Parther lehren, wie völlig sich die
Parther der griechischen Kultur hingaben. Griechisch ist die Sprache
der Münzen, der seltenen Inschriften und des Rechts; griechisches
Theater, griechische Bildhauerei sind bezeugt '). Griechisch bleibt
auch die Verfassung der großen Städte wie Seleukeia. Erst allmählich
verkümmert das vom Westen losgelöste Griechentum und weicht einer
ziemlichen Barbarei. Nicht allein die nichtiranische Abstammung der
Arsakiden und nicht etwa ihre mangelhafte zoroastrische Orthodoxie,
sondern ihre griechische Zivilisation ist es, die ihre ganze Epoche den
späteren Persern im Lichte der Fremdherrschaft erscheinen läßt.
Über die Gliederung des Reichs sind wir durch Isidoros von
Charax (Muhammera am Shatt al-*Arab) und Plinius gut unter-
richtet. Isidoros beschreibt die Reichspoststraße, die cxadixot
riap&ixoi. Das Reich ist geteilt in die »oberen« und »unteren« Sa-
trapien:
Die oberen liegen im Westen: i. Mesopotamia und Babylonia; 2. Apolloniatis an
«ler unteren Diyäla; 3. Chalonitis.hd. Sarpul-Hulwan;4. Karine, hd. Kirind; 5. Kambadene,
ap. Kampada, hd. Kirmänshähän; 6. das obere Medien, hd. Hamadän; 7. das untere oder
rhagianische Medien, hd. Rai bei Tehrän. Die unteren Satrapien sind: 8. Choarene, hd.
Khwär östl. der Kaspischen Tore; 9. Komisene, hd. Komish; 10. Hyrkania, hd. Gurgän-;
1 1. Astauene, hd. Kütchän; 12. Parthyene, hd. Neshäpur; 13. Apawarktikene, hd. Abeward;
14. Margiane, hd. Marw; 15. Areia, hd. Herät; 16. das Land der Anauer mit der Haupt-
stadt Phrada oder Phra, hd.'Parah südl. Herät; 17. Zarangiane, hd. Sistän am Hämün-
See; 18. Arachosia oder Weiß-Indien, hd. Afghanistan südl. des Hindükush am Mittellauf
des Helmand. 10 bis 13 bilden also das alte Parthava und Varkäna, 14 ist ein Teil von
Bäkhtrish, 15 bis 17 gehören zu Haraiva, dem schon Alexander Drangiana angegliedert
hatte, 17 und 18 gehören nicht mehr unter den Begriff Khorasan, sondern unter Nemrozh.
Diese Gliederung läßt noch deutlich die Vielteilung der großen
alten Satrapien durch Seleukos Nikator erkennen. Auf diese geht
auch die Teilung der ap. Satrapie Zranka in l. 'Avaucuv yßpa. am
Fara rodh, nördl. des Hämün i Helmand; 2. Zapa^^iavri, mit Zapiv,
I) Zu den literarischen Nachrichten der griechischen und römischen Schriftsteller
kommen heute die Awramän-Dokumente mit ihren überraschenden Aufklärungen, vgl.
E. H. MiNNS, Parchmenis of the Parthian Period from Avroman in Kurdistan in J. of Hell.
Stiid. 1915 pg. 22 — 65, und A. Cowley, The Pahlavi Document from Avroman, im JRAS.
1919, April, pg. 147—154.
8
jl6 Ernst Herzfeld,
hd. Zarang ^) und Köpox, d. i. Karkoe mit seinem berühmten Feuer-
tempel ^); 3. Uapal-ay.r^vr^y Rodhbär, Hauptort SqaX. Dieses war zu
Isidoros' Zeit bereits ein selbständiges Reich der Saken, daher auch
^>xxaa-avri genannt, später Sagistän, hd. Sistän. Im letzten Drittel
des I. Jhdt. Chr. stand es unter der Dynastie des Gundofarr, einem
Zweige des parthischen Hauses Suren; erobert war es von dem Reich
der Saken im Pandjäb aus. Den Namen Gundofarrs, des einen der
Heiligen drei Könige und Beschützers des Apostels Thomas, ver-
ewigt die Stadt Tovoocpapeia, d. i. Ounduhar, hd. Kandahar, das alte
'Ake^dvoptia 'Ipa/toTÜiv. Diese war die Hauptstadt von Arachosia,
ap. Harakhwatish, bei Isidoros Xopoyodo, ar. ar-Rukhkhadj. Mit den
Gebieten von Fara, Zarang und ar-Rukhkhadj, also dem mittleren
Afghanistan, reicht das Partherreich im Osten über das Gebiet von
Khoräsän hinaus. Ihm fehlt von altem iranischen Besitz: Baktrien
und Sogd, die Paropamisaden, Indien und das eigentliche Sakastane,
das südliche Afghanistan. Erst recht Balütchistän. Die erstgenannten
Länder bleiben griechisch-baktrische Staaten bis zum Beginn der
großen Völkerwanderung, die vom Tärimbecken ausgeht.
In Mittelasien sitzen in der Morgendämmerung seiner GeschichteS),
im 3. Jhdt. V. Chr. nördl. vom Hoang-ho die in Shen-tsi und Shan-tsi
beheimateten Hiung-nu. Der Name heißt »Sklaven der Hiun, Hun«
und ist eine chinesische Umdeutung von Hiun, Hun, d. i. ind. Huna,
gr. Xouvot, Oouvoi. Ihre Nachbarn im SW. sind die Yüetshi, die in
der zweiten Hälfte des 3. Jhdts. nahe am chinesischen Gebiet, im N.
der Provinz Kan-su saßen. Ihr alter Name it hguet-(t)shi oder Goat-
shi. Nordwestlich von ihnen dehnen sich die nomadischen Wu-sun
über ein weites Gebiet aus. Am Lop-nor sitzen die Lau-lan. Westlich
der Wusün am Issik-kul sitzen die Sai, alte Aussprache Sök (ö zwischen
a und o), das sind die ind. Saka, ap. Sakä. Im J. 178 v. Chr. schickt
der Hiung-nu-Fürst Mokduk einen Brief an den Kaiser von China
mit der Meldung, er habe die Yüetshi vernichtet, die Lau-lan, Wu-sun
■) Lage: von Djuwain ausgehend drei kleine Tagesreisen entweder erstens nach
Näd 'Ali, wo Ruinen, Smith bei Goldsmith, East. Fersial 298 s, vgl. Bellew, Front the
Indus to tJie Tigris 1874, — oder zweitens nach Zähidän undQäsimäbäd, zusammenhängend
mit Djalälabäd, wo jüngere Ruinen.
2) ToMASCHEK, Hist. Topogr. I 69 ss. — Marquart, &ränsahr 197 s. — G. Hoffmann,
Syr. Akten pers. Märtyrer Nachtrag pg. 281 ss.
3) Hauptqu eilen : Fa-Hian und Hiuen-Tsiang, beide bei Beal, I.e. — Wang
Yen-tebei Stan. Julien in JA. 1847 IX. — Ma-Tuan-Lin bei d'Hervey de st. Denys,
Ethnographie des peuples etrangers a la Chine I, Orientaux 1876. — Vgl. Sten Konow, Same
documents relating lo the ancient history of the Indo-Scythians in JRAS. 1920, i, pg. 156 ss. —
J. Marquart, Entstehung 11. Wiederherstellung d. armen. Nation, Berl. 1920, pg. 5 s. a. Anm. !,
• Khorasän. I I7
und viele andere Völker dem Hiung-nu-Reich einverleibt. Ein Rest
der Yüetshi flüchtet in das Nan-shan Gebirge am Südrand des Tarim-
beckens, genannt die »kleinen Yüetshi«. Die andern, die »großen«
greifen die Wu-sun an, und erobern ihr Land. Weiterziehend stoßen
sie auf die Saken. Die Saken setzen sich nach Süden in Beivegung:'
zuerst nach Kashghär, dann über den Pamir ins Kabul-Tal, und einer-
seits nach Indien ins Pahdjäb, ein Zweig sogar bis zur Indusmündung,
andererseits aber nach Sistän. Um 160 v. Chr. nimmt Kun-mo, der
Fürst der Wu-sun Rache; er vertreibt die »kleinen Yüetshi« nach
Westen und gründet ein Reich von Urumtshi bis zum Issik-kul. Die
kleinen Yüetshi überschreiten den Syr-darya nach Sogd und weiter
den Amu-darya und erobern Ta-hia, d. i. Tokharistän, Balkh. Soweit
die chinesischen Berichte.
Die Griechen nennen andere Namen. Strabon XI 8, 2 spricht
von den "löiot oder 'Aaiavoi', Toxapoi und SotxotpauXoti, Pompeius Trogus
bei Justinus 41 von den Saraucae und Asiani, 42 von den »reges
Thocarorum Asiani interitusque Saraucarum«. Die Yüetshi der Chi^
nesen entsprechen den 'Asioi-Asiani der Griechen. In chinesischen
Quellen tritt der Name der Tocharer als Tu-hu-lo erst im 4. christl.
Jahrhdt. auf, vorher werden sie Ta-hia genannt. Diese Eroberung
Baktriens, die um 160 beginnt, ist um 126 schon längst entschieden;
die letzte Nachricht über die Griechen in Baktrien stammt aus dem
Jahre 140 v. Chr. Von nun an rollt eine Völkerwelle nach der anderen
über diese Länder hin. Das Griechentum versinkt. Aber gerade hier
nimmt Volk auf Volk den Keim griechischer Kultur auf. Anderer-
seits ist Baktrien eng mit Indien verbunden und vom Buddhismus
missioniert worden. Der griechische König Menandros ist der Milinda
der Buddhisten. So entsteht in Baktrien und verbreitet sich von da
aus die seltsame Kultur, in der sich indischer Gedanke und griechische
Form vermählen.
Wie einst die Perser das Mederreich, so stürzen um 225 v. Chr.
die persischen Sasaniden das Partherreich. Wir wissen von der Reichs-
gründung nur wenig, bis einmal die Entzifferung der Paikuli- Inschrift
mehr Licht darüber verbreiten wird i). Wie in den Dareios- Inschriften
Pdrsa Uta Mdda immer gepaart als Stammlande genannt werden, so
in der Paikuli- Inschrift sechsmal Pars ut Parthav. Von den östlichen
Gebieten treten auf: der Khwärizmänshäh und der Küshänshäh. Nach
') Herzfeld, Die Aufnahme des sasanidischen Denkmals von Paikuli in Berl. Abhdlg.
1914; die Blöcke 24 u. 53 der arsakidischen Version enthalten den Satz: '\ ^H^ IH^N^
njnr pJDXD nO Dmn bV iniS'n, d. i.: »Die Götter gaben die Maje-
stät und das Reich (und ) dem Geschlecht der Sasaniden«.
I l8 Ernst Herz feld ,
Tabari I 820 hat sich der König der Küshän, d. i. Balkh-Baktricn,
freiwilhg Ardashir I. unterworfen; nach dem Briefe des Tannasar,
des Mobedh's Ardashir's, der das Awesta sammelte, auch der König
von Khwärizm, Weiter kommen vor: ein *"1DX, König der ?WliBJ<,
ein Berawän, König der Spandawartän und Päradän (d. i. Uapaor^vT^
in Gedrosia-Balütchistän), Bagdat, Herr der PlilN'PT'f, bzw. TiNZ
Herr der pttTn^blT, in welchem J. AIarquart den König Kaitu
<ies Ardashir-Romanes erkennen möchte, ein IIJT . . . Herr der JN2i'?inD,
und Varasmän, Herr der Mekän. Eine oft erwähnte Gestalt ist der
Sakänshäh. Es ist bisher nicht zu ersehen, welche von ihnen als Feinde,
Bundesgenossen oder Satrapen auftreten.
Unter Shäpür II. 3i(> — -379 erscheint im Osten ein neues Volk,
die Chioniten, die mit den Küshän verbündet den Kampf gegen Iran
aufnehmen. Eine Lehnshoheit über Baktrien besteht nicht mehr.
Unter Yezdegerd I. 399 — 420 kommt der Feind von Norden: ein Tchöl
genannter Türkenstamm aus der Gegend nördl. von Marw und aus
Dahistän. Die Nordgrenze von Gurgän und Parthav wird durch Be-
festigungen gesichert. Auch Bahräm V. 420 — 438 kämpft mit »Türken«.
Sein Bruder Narse wird als »Markgraf gegen die Küshän« eingesetzt.
Marw, Marw i rodh, Harew, Bädhghes und Sagistän sind die Ost-
marken. — Yezdegerds' IL (438 — 457) und Peroz' Regierung (459 —
484) sind angefüllt mit Kämpfen gegen die kidaritischen Hunnen, bis
diese endlich in das Gandhära-Gebiet nach Peshäwar weiterziehen.
Ihnen folgen die Hephthaliten, Haital der Araber, denen damals viel-
leicht Tälakän abgetreten wurde. Sie besiegen Peroz vollständig.
Die Kadischäer okkupieren Harew, Püshang und Bädhghes. Ihr Name
bleibtinMoses vonKhorene's Katashan-Qädis. Kawädh L, 489 — 531.
unter dem eine Zeitlang der Kommunismus des Mazdak angenommen
wurde, verbündet sich mit dem mächtigen Hephthalitenreiche gegen
die neu von Norden einfallenden sabirischen Hunnen. Khosro I.
Anosharwän, 531 — 579, soll den fernen Süden wieder gewonnen haben:
Bost, Arrokhkhadj, Zäbulistän, Tokhäristän und Sind. Wenn diese
Nachricht wahr ist, so war es nur vorübergehend. Harew, Bädhghes
und Püshang hielt er, Tälakän war die Grenze. Unter Hormizd IV.,
579 — 590, dringen die Hephthaliten bis Harew und Bädhghes vor.
In siegreichem Gegenstoß kommt Bahräm Tchobin bis über den Oxus.
Kurz vor 616/17 kämpfen die Küshän unter einem König hephtha-
litischer Abstammung, unterstützt von dem souveränen Khäqän der
Türken, gegen den iranischen Feldherrn Smbat, einen Armenier.
Tokhäristän bis Tälakän, auch Bädhghes und Harew gelten dabei
als Feindesland, Marw i rodh ist die äußerste persische Provinz. Bei
Khorajjin. I I 9
der islamischen Eroberung um 652 — 708 ist ebenfalls Marw i rodh
die äußerste iranische Provinz unter einem marzbdn, Markgrafen;
Bädhghes und Püshäng stehen unter einem »Großen« t^DI, vazurg;
Herät gehört den Haital; Gozgän, Tälakän und Päriyäb zuTokhäristän ').
Mit geringen Schwankungen hat sich also die Ostgrenze bei Tä-
lakän, die nur wenig östlicher lag als die heutige Ostgrenze Persiens,
seit dem Beginn der Partherzeit nicht verändert. Gelegentlich war
sie sogar bis zur heutigen Grenze zurückgeschoben. Die Kluft, die
mit der Aufrichtung des graeco-baktrischen Königreichs und des Groß-
königtums der Arsakiden in Ostiran sich auftat, blieb bis zur ara-
bischen Eroberung unüberbrückt. Der fernere Osten bildete nie einen
integrierenden Bestandteil des parthischen oder gar des sasanidischen
Reichs. Die westhche Hälfte von Khoräsän, die heutige Provinz
Khoräsän, war seit Mithradates I. die östUche Grenzmark. Sie war
der Schauplatz jahrhundertelanger Kämpfe, fast ohne Unterbrechung,
mit immer neuen Horden mittelasiatischer Barbaren. So sehr da-
durch ihre pohtische und mihtärische Bedeutung wuchs, so waren das
gewiß nicht die Bedingungen, unter denen in diesen Ländern eine
eigene, tiefe und große Kultur geschaffen wurde, der man eine Fern-
wirkung über ganz Eur<ppa hin zuschreiben dürfte. Die Verhältnisse
liegen genau wie in Mesopotamien, diesem unglücklichen, durch
jahrhundertelange Kämpfe zwischen Persern und Römern zerfleischten
Lande. Wenn also in Khoräsän Denkmäler der parthischen und sasa-
nidischen Zeit völlig fehlen, so hat das gute historische Gründe. Da
spielt kein Zufall der Erhaltung. Der kulturelle Schwerpunkt ist in
diesen Epochen nach Babylonien und dann nach der Persis, Färs,
verlegt. — Auch nach der arabischen Eroberung tritt zunächst keine
Ruhe ein, Saif sagt bei Tabari I 2709: »Sagistän blieb weiter das
bedeutendere der beiden Länder (nämlich Sagistän und Khoräsän)
und blieb die schwierigere der beiden Grenzen und die an Truppen
zahlreichere, bis zur Zeit des Mu*äwiya«. Die Bedeutung des Landes
war eine politische und militärische, keine kulturelle. Aus diesem
Lande hat tatsächhch der züfnende Gott ein Volk nach dem anderen,
wie einen Pfeil aus seinem Köcher auf die Menschheit entsandt.
In der frühislamischen Zeit 2) ist Khoräsän das ferne Gebiet, in
') Zur Geschichte der Sasaniden: die genannten Werke von Makqi;art. — lu. Nöj.-
DEKE in Enc. Brit. s. v. Persia III. section. — Ders. Gesch. d. Perser it. Araber z. Zt. der
Sasaniden, aus d. Chron. d. Tabari, 1879. — A. Christensen, IJempire des Sasanides,
Kopenh. Akad. 1907.
^) Vgl. iMARQUART, iränsahr. — Weil, Gesch. d. Chalijen 3 Bde. 1846. — A. Müller,
Der Islam im Morgen- und Abendland, bei Oncken 1885. — W. Muir, The Caliphate, ist
Rise, Decline, and Fall. 3. .\ufl. 1898.
I-2Ö Ernst Perzfeld,
dem sich alle ethnische, politische und religiöse Opposition gegen den.
Islam sammelt. Das und nicht seine schönen Bauten, seine hohe
Industrie, ist der Grund, warum die Abbasiden ihr unterirdisches
Wühlen gegen das uma^'yadische Khalifat in diesem Lande beginnen
lassen. Nicht in den Ländern, die unter dem neuen Weltreich zu
höherer Blüte denn je gelangen, sondern dort, wo es der Bevölkerung
schlecht geht, wo die größte Unzufriedenheit angehäuft ist, finden sie
ihre Anhänger. Als die Bürgerkriege zwischen Kais und Kelb, Nord-
und Südarabern, und die Aufstände der Khäridjiten das Umayyaden-
reich von Spanien bis China dem völligen Verfall nahegebracht haben,
halten sie die Zeit für gekommen, loszuschlagen. Am 25. Ramadan
129 (9. Juni 747) entfaltet ihr gewissenloser Agent Abu Muslim in
Safedhang bei Marw die schwarze Fahne der Abbasiden, und genau
drei Jahre später wird Marwän IL, der letzte Umayyade, auf der
Flucht in Ägypten ermordet. Nach diesen Ereignissen ist unser als
Motto gewählter Ausspruch Muhammads zweifellos in abbasidischem
Sinne gefälscht. Der »Blutvergießer« al-Saffäh hatte das abbasidische
Khalifat aufgerichtet. Es gibt keine Gründe dieser politischen Ereig-
nisse wegen der Provinz Khoräsän irgendwelche kulturelle Über-
legenheit auf dem Gebiete irgendeiner Kunst über andere Provinzen
Irans oder des übrigen islamischen Reichs zuzuschreiben. Im Gegenteil.
Um zur Macht zu gelangen, hatten die Abbasiden sich in unglaub-
lich verschlagener Weise der alidischen Propaganda in Iran bedient.
»Herrschaft für das Haus des Propheten, für die bani Häshim«, war
ihre Losung; darunter verstanden die Aliden die wahren Erben des
Propheten, die Abbasiden aber sich selbst. Zu diesem Ziele hatte i. J.
104/722 Muhammad, der Vater des Saffäh, die beiden Häuser durch
Heirat verbunden. Unter dem heuchlerischen Kriegsruf »Rache für
'Othmän«, »Rache für Husain«, wurden die Aliden veranlaßt, die
Siege der Abbasiden zu erringen. Im Besitz der Herrschaft aber nehmen
diese den gnadenlosen Kampf gegen das Haus des Propheten auf.
An der blutigen Tragödie dieses Hauses, dessen letzter Sproß, der
zwölfte Imäm, der Mahdi, i. J. 264/87^ in Samarra verschwindet,
erwächst der Schiismus. Sanguis martyrum semen eCclesiae ! In den
Betrogenen und Ohnmächtigen entsteht ein leidenschaftliches religiöses
Gefühl. Persien ist der Fruchtboden dieser Entwicklung. Alles was
hier an Opposition gegen das Arabertum als Rasse, gegen den ortho-
doxen und mu*tazilitischen Islam als Religion, gegen die illegitime
Abbasidenherrschaft als Staatsform noch lebte, verbindet sich dieser
neuen Religion. So entsteht mit der schiitischen Religion zugleich
der persische Nationalismus. Und Ostpersien, Khoräsän ist der Mutter^
Khorasan. 121
leib, in dem die neue Religion und die neue Nation heranwachsen.
Die Versuche der Tähiriden, Khorasan vom abbasidischen Khalifat
zu lösen, symbohsieren die Geburtsstunde, die Zeit der Saffariden,
Samäniden und Buyiden die Kindheit des Schiismus. In dieser Zeit
und nur in dieser erblüht das neue geistige Leben Persiens, Mahmud
von Ghazna, Firdosi, Berüni sind die Namen, die diese Blütezeit
auf pohtischem, künstlerischem und wissenschaftlichem Gebiet be-
zeichnen. Die frühsten Denkmale islamisch-persischer Baukunst ver^
künden laut und deutlich, daß die bildenden Künste sich gleichzeitig
mit der Dichtung und Wissenschaft entfalten. Das ist die Zeit, wo
Khorasan zum zweiten Male schöpferisch wird. Und wie sich die
Verse Firdosi 's über Iran hinaus die östliche Hälfte der islamischen
Welt erobern, bis zum Mittelmeer hin, so tut es in der Folgezeit die
geschwisterliche persische Kunst mit dem Seldjukenreich. Erst die
orthodoxe Reaktion, die aus dem durch die Kreuzzüge aufgerüttelten
Gewissen des arabischen Islam erwächst, sperrt mit Nur al-din und
Saladin die syrisch -ägyptischen Länder wieder völlig für die persische
Kultur. Auch nach Osten sendet Khorasan seine Strahlen aus: das
älteste Denkmal türkischer Sprache, das Kudatku-Büik, der Fürsten-
Spiegel aus dem ersten islamischen Reiche des zentralen Turkistan,
spiegelt den Einfluß des Shähndme wieder.
Damit sind wir an der Grenze der Neuzeit mit diesem historischen
Überblick angelangt. .Was der Islam nach den Seldjuken geschaffen
hat, liegt klar vor uns: die gegenseitig befruchtende Berührung der
Frankenländer mit Syrien und Ägypten in der Kreuzzugszeit, die Zu-
sammenfassung ganz Asiens unter den Djingizkhaniden, die Ent-
stehung der großen Nationalstaaten Rußland, Persien, China, Indien
aus dieser asiatischen Einheit, das osmanische Reich und das sefewi-
dische Persien, die Aszendenz Europas über Asien. Für unsere Unter-
suchung der kunstschöpferischen Bedeutung Khoräsäns und ihrer
Fernwirkung bei der Entstehung der islamischen und mittelalterlich-
europäischen^^Kunst, kommt das letzte Jahrtausend nicht mehr in Frage.
Es wäre eine schiefe Parallele, wollte man die kulturelle Bedeutung
Khoräsäns der gräkobaktrischen oder der frühislartiischen Periode in
das hohe Altertum einfach zurückspiegeln. Der ferne Osten war
durch Hellas' Umarmung fruchtbar geworden; Buddhismus, Mani-
chäismus und Christentum hatten eine merkwürdige Kulturmischung
geschaffen. Ganz Asien bildet den Hintergrund zu diesem Bilde, wirkt
durch den Brennpunkt Khorasan hindurch. Im hohen Altertum da-
gegen liegt hinter Khorasan das Chaos, die Finsternis von Nomaden-,
Jäger- und Fischervölkern; es ist das Ende der Welt.
122 Ernst Herzfeld,
Für die Frage der künstlerischen Kultur Khoräsäns ist es auch
ganz gleichgültig, ob Baktrien, Rhages oder Media Atropatene die
Heimat Zoroasters war, ob seine Zeit der des Dareios und seines Vaters
Hystaspes näher oder ferner lag. Die Frage der Urheimat des Zoroa-
strismus ist alles andere als der Beantwortung nahe. Vor kurzem noch
neigte sich die Schale zugunsten des Ostens: Andreas lokalisierte,
wenn ich mich seines Vortrags in Kopenhagen recht entsinne, den
Gäthä-Dialekt in Sogd oder Bukhärä. Marquart will das mythische
Airyanam waedjo in Khwärizm erkennen. Aber nachdem schon Breal
1862 aus der Sprachstufe (Bäkhdhi zwischen Bäkhtrish und Bakhl-
Balkh) die Jugend der Völkerliste des Wendidäd erkannt hat, geht
es längst nicht mehr an, sie für den Beweis des östlichen Ursprungs
des Awesta zu verwerten '). Die neuesten Fortschritte in der Ent-
zifferung der Boghazköi- Inschriften aber verschieben wieder das ganze
Problem der arischen Wanderung und damit vielleicht auch der Heimat
des Zoroaster^). Jedenfalls ist diese Frage hier ohne Einfluß; die
gleiche Sachlage beim Christentum und Buddhismus: Christi Geburt
und Nazareth sind nicht Geburtsstunde und Heimat der christlichen
Kunst, noch ist Kapilavastu und der Geburtstag des Buddha Heimat
und Geburtstag der buddhistischen Kunst. Kultur und Zivilisation
in Iran sind viel älter als der Zoroastrismus, viel älter als das Eindringen
der Iranier in das nach ihnen benannte Land.
Ist die Frage nach Zeit und Heimat Zoroasters für unsere Pro-
bleme unwesentlich, so ist es ein logischer Fehler, und ein vollendeter
Widerspruch gegen alle Tatsachen, den zu diesem Zweck im Osten
Irans angesetzten Kult des Mithra von dort nicht über das Mittelmeer,
sondern über Transkaspien und Südrußland nach Westeuropa führen
zu wollen. Mithra ist wie Varuna, Anahit und andere eine Urgottheit
der Arier; siehe die Boghazköi- Inschriften. Der alte Zoroastrismus
hat diese uralten Kulte nicht beseitigen können, wie die achämeni-
dischen Inschriften lehren. Mithrasdienst gab es also im Westen wie
■) A. Herrmann, 1. c. pg. 43 schreibt: »Khwärizm ist der Name für die Landschaft.
Den Namen des Volksstammes, der dort ursprünglich wohnte, hat neuerdings F. C. Andreas
mit geographischen und sprachlichen Gründen in dem Airyanem Vaedjo des Awesta er-
wiesen, indem er hier das Heimatland der späteren Alanen des Abendlandes wieder-
erkannte« (nach einem ungedruckten Vortrage auf dem Kopenh. Oriental. Kcngr. 1909).
Die Art dieses mündhchen isnäd charakterisiert Andreas. Für erwiesen halte ich nichts.
— Vgl. ferner Breal, JA. XIX 1862, pg. 490 ss. — Geldner und Jackson imGnmdr. d.
iran. Phil. II pg. 32 — 39 u. 621 s. — Ed. Meyer, Gesch. Bd. II i. Aufl.
^) f- Jensen, Indische Zahhvörler in keilschrifthittitischen Texten, Berl. Sitz.-Ber.
1919. — E. Forrer, Die acht Sprachen der Boghazköi- Inschriften ebd. 1919. — G. Hüsing,
Widewdad 1. und die Heimat des Awesta, Miti. d. Geogr. Ges. Wien 1919, 9.
Khorasan. I23
im Osten des Reichs. Der Fels von Bistün, ar. ^^.^ycw^, gr. BaYi'sxavov
opo?, ap. *Bagastäna, ist der »Götterort«, der Sitz des Gottes xax'
E$ox>jv, des Mithrai). Aber eine Welt, und zwar die hellenistische, trennt
diesen in der Achämenidenzeit nachlebenden arischen Urkult von
jenem synkretistischen Kult, der in der römischen Zeit sich über das
ganze Reich verbreitet und mit dem Christentum um die Weltherr-
schaft ringt,
II. Die Denkmäler.
In Urzeiten, in die wir heute noch nicht mit dem Licht historischer
Daten hineinleuchten können, nämlich vor 3000 v. Chr., sitzen am
Westrande des iranischen Plateaus Völker, die uns Denkmäler hinter-
lassen haben. Etwas was sich zugleich an Alter und Wert mit der
Keramik, den Siegeln und anderen Kleinfunden der ältesten Schichten
von Susa messen könnte, ist bisher nicht einmal in Sumer bekannt
geworden. Es ist noch nicht zu erkennen, ob alle Volksstämme, die
uns um diese Zeit und während des III. Jahrtausends an den ira-
nischen Westgrenzen begegnen, rassenmäßig verwandt sind. Von
einem großen Teil ist es wahrscheinlich, daß sie zur einheitlichen
Urbevölkerung Vorderasiens gehören ^).
Im Alluvium des Kärün und Karkhä, einer in die iranischen
Randgebirge vorspringenden Bucht des tertiären Meeres, dessen Rest
der persische Golf ist, liegt Elam, und wahrscheinlich anstoßend in
den östlichen Bergen, dem heutigen Bakhtiyäri-Gebiet, Ansan (oder
Anzan, As§an, also wohl Antchan), schon in der Mitte des III. Jahr-
tausends z. Zt. des Gudea von Lagas und Dungi von Ur erwähnt. Im
12. Jhdt. erscheint dieses Königtum mit Susa vereint; cunkik Ancan
SuSunka, König von Antchan und Susa, ist der Reichstitel 3).
Nördlicher sitzen die Ka§sü. Sie werden zuerst um 1904 erwähnt,
wo sie Rim-Sin den König von Larsa, König von Sumer und Akkad,
gegen den König von Babel, Sam§u-iluna, den Sohn des Hammurapi',
unterstützen. Nachdem dann an den Personennamen der Keilschrift-
urkunden das Eindringen einzelner Angehöriger dieses Volkes in das
babylonische Kulturland beobachtet werden kann, folgt 1760 v. Chr.,
') Vgl. Marquart, Entst. d. arm. Nal. über Bagravan, Npat u. a.
^) Vgl. die neuen Forschungen von E. Littmann über die Sprache der Inschriften
von Sardis Publ. oj the Americ. Soc. for the Excav. of Sardis vol. VI, I. Leyden 19 16. —
JoH.SvNDWAhi., Die einheim. Namen der Lykier, Beih.d. Klio 1913. — Hrozny und Weidner
über die yatti-, Bork u. Messerschmidt über die Mitanni-Sprache; Hüsing über das
Eiamische und Kossäische. — v. Luschan lehrt eine sehr weitgehende ethnische Einheit.
3) G. Hüsing, Einheim. Quellen z. Gesch. Elams, Assyr. Ribl. XXIV. Bd. 1916.
124
Ernst Herzfei d
sehr bald nach und offenbar im Zusammenhange mit einem Vorstoß
der kleinasiatischen Khatti, die Invasion der Kassü in Babylonien:
Gandus richtet die Kassü-Dynastie von Babylon auf, die bis 1185
das von ihnen Kardunias, Gottesgarten, genannte Reich beherrscht.
Die Titel »König der vier Weltteile, König von Sumer und Akkad,
König von Babylon« zeigen die Babyionisierung der Eindringlinge.
Der alte, einheimische Titel, den die Könige daneben führen, ist:'
»König von Padan und Ahvan« und »König der Guti«. Ahvan ist
gut bekannt, es hieß bis in jüngste Zeit ^ulwän. Padan war ihm
benachbart. Die Kassü saßen also von Elam bis zur großen Heer-
straße Babylon-Egbatana. Noch beute trägt der an Altertümern
reiche Gau Baksä am Westrande von Lüristän ihren Namen: Bä-
Kussäye, das Kossäerland. Sie sind identisch mit den Kossäern der
Griechen im Zagros. Ihre Sprache ist uns außer aus ihren persönlichen
und geographischen Namen durch ein altbabylonisches Glossar bekannt ^) .
An der großen Heerstraße sitzen ferner die Lullu, vielleicht ur-
sprünglich an der mittleren Diyälä. Sie treten zuerst unter Naräm-Sin
von Agade auf, und seine wundervolle Stele, die den Höhepunkt der
sumerisch-altbabylonischen Kunst bezeichnet, verherrlicht gerade
seinen Sieg über die Lullu in ihren östlichen Gebirgen. In diese Epoche
gehören drei Felsreliefs von Sarpul-Hulwän, deren eines, das mit der
entzifferten Inschrift, den König Annubanini der Lullu nennt. Götter,
Sprache, Schrift, Tracht, Waffen sind babyionisiert: die Kunst ist ein
Zweig der sumerisch-babylonischen. Um 2300 führt Dungi von Ur
drei Kriege gegen diese Lullu ^).
Ihre Nachbarn sind die EUi, vielleicht am Oberlauf des Karkhä
sitzend. Weiter nördlich folgen die Güti. Sargäni-sarri, der Vater
des Naram-Sin, besiegt sie, sein Sohn darüber hinaus die im Hochland
selbst hausenden Manda-Nomaden. Auf die Dynastie von Agade folgt
im Gegenstoß eine Invasion der Güti in Babylonien. Wir wissen wenig
davon, vier oder fünf Königsnamen der Zeit von 2350 — 2300 v. Chr.,
darunter ein Lasirab, der babylonisch schreibt, aber nicht im akka-
dischen, sondern im amoritischen, bzw. assyrischen Dialekt. Der geo-
graphischen Lage gemäß, machen sich hier schon die Einflüsse der
0 ^S^- Eduard Meyer's Gesch. d. Altertums, die ich hiermit ein für allemal zitiere.
-^ Vgl. F. Delitzsch, Die Sprache der Kossäer 1884. — Ders., Wo lag das Paradies}
1881. — M. Streck, Armenien, Kurdistan imd Westpersien n. d. babyl.-assyr. Keil-
inschriften in ZA. XIII— XV.
-) Und gegen Simurrn, Siwurru, welches Meissner, OLZ. XXII 1919 3/4 mit Zabban^
Altynköprü gleichsetzt. Dieses setze ich wieder gleich Sotopaxai des Alexanderzuges bei
Strabon und gleich Siher der Tabula Peuiingeriana, syr. Sharqart, Shärqat mit vielen
Varianten, vgl. Sarre-Herzfeld, Archäol. Reise Bd. II Kap. Sindjär.
Khorasan. . 1 25
anderen semitischen Völker geltend. Ihre Götter sind Istar und Sin.
Das Bildnis der Anunit von Sippar verschleppen sie nach Arapha,
das darnach ihr eigentlicher Sitz ist. Im Güti-Lande liegt der Berg
Nisir, wahrscheinlich der heutige Pir *Omar Gudrun, nördl. Sulai-
mäniyya, nach assyrischer Legende das Apobaterion der Arche Noah.
Darnach wären die Güti in dem an Altertümern reichen Shahrazür
zu suchen ^).
Im Übergangsgebiet zwischen dem iranischen Hochland und den
assyrischen Ebenen liegt das Land Har§i oder Hur§itum, unter Dungi
ein Vasallenstaat von Ur, später unter eigenen Königen, von denen
Puhia, Sohn des Asiru, uns eigene Denkmäler hinterlassen hat 2). Der
Mittelpunkt von Harsi ist das heutige Tuz-Khurmatü. Ferner Madqa,
welches Asphalt, Kimas, welches Kupfer für Gudea's Tempelbau
liefert. In der Gegend von Karkük liegt das Reich des Königs Kisari
von GanharS). Die Reiche von Urki§ und Nawar gehören auch in dies
Gebiet; ihr König Arisen trägt, wie Kisari, einen Mitanni-Namen,
gehört also jener Urbevölkerung des nördlichen Mesopotamien an, die
mit den Kassü und den Khatti Verwandtschaften aufzuweisen scheint 4).
Noch weiter im N. und 0. Irans ziehen die Manda umher.
Von drei Zentren aus dringt in dieser ältesten weltgeschichtlichen
Epoche des Orients, die vor dem Auftreten der Völker indogermanischer
Sprache liegt, die Zivilisation in Iran ein, und zwar folgt sie den großen
und seltenen Heerstraßen. Es ist eine alte, treffende Beobachtung
Rawlinson's, daß alle iranischen Denkmäler an großen Straßen liegen.
Die Geographie der Denkmäler lehrt uns also die Wege der Ausbreitung
der Zivilisation in diesem Lande.
>) Ptolemaios' Landschaft \AppazaxiTt?, das nördlichste Gebiet von Assyria, oder
aber seine Stadt ^Appa-a im Süden; vgl. Herzfeld, T/fpogr. d. Landsch. am Tigris usw.
im Memnon 12 pg. 221 s. — Andreas bei Paulv-Wissowa s. v. Aluaka. — Tiglath-Pileser
III. -unterstellt kossäische Grenzgebiete von Elam dem assyrischen Statthalter von Ar-
rapha. Darnach muß dies ganz im Süden des osttigritanisch-assyrischen Gebietes gesucht
werden. 'AppaTra/lxt;, "Appa-a und Arrapha können nicht getrennt werden (gegen
meine frühere Anschauung), und Ptolemaios irrt, indem er die Arrhapachitis in den
Norden von Assyria setzt und von Arrhapa trennt. — Ich war lange in Sulaimäniyya
und mache mir den Vorwurf, nicht nach Legenden des Pir 'Omar geforscht zu haben.
Als Apobaterium der Arche gilt der islamischen Legende und der christhchen nach meist
der Djabal Djüdi, der Mallato Dagh oder der Ararat.
^) V. ScHEiL, Extrait d'une lettre in Receuil d. trav. rel. ä la phil. et ä Varch. eg. et
ass. Bd. 16 pg. 186 u. Bd. 19 pg. 61. — Ders., Une saison de fouilles a Sippar in Mem. de
Vinst. au Caire pg. 14. — F. Thureau-Dangin, Inscript. de Sumer et Accad. pg. 172.
3) Vorderas. Schrifldenkm. d. Berl. Museen I 32.
4) F. Thureau-Dangin, Tablette de Samarra in Rev. d'Assyr. et d'Arch. Or. IX i.
1912: die Angabe der Herkunft stammt nur von Händlern und trifft sicher nicht zu.
1 26 Ernst Herzfeld,
Das erste Zentrum ist Elam, die Ebenen unweit des Persischen
Golfes. Von da aus wird Antchan und das KaSsü-Land zivilisiert. Die
Denkmäler sind:
1 . In der Ebene von Mälamir die Felsreliefs von Shikaf ta i Salmän^
Kul i Fir'aun und von Shahsuwär ^).
2. Die Funde aus den Grabungen von Mussiän Tepe der Dele-
gation en Perse, die den ältesten Schichten von Susa entsprechen. An
Mussiän Tepe und seine Nachbarhügel schließen sich die Gruppen der
Hügel um Badrä und Baksä an 2).
3. Die Funde der Schürfungen Stolze's in Tul i pä i tul bei Reshahr,
südl. Büshir 3), dem alten Liyan. Ähnliche beschriftete Ziegel von
elamischen Bauten soll es in Ganäwa und Ahräm, Küstenorten des
Golfs, geben; eine Anzahl von kleinen Teils habe ich auf meiner Route
zwischen Behbehän und Telespid verzeichnet 4).
Das zweite Zentrum ist Babylonien, und von ihm aus strahlt die
alte Kultur in die Täler der Diyäla und des liulwän-Flusses hinein, der
Hauptstraße nach Egbatana folgend. Die Denkmäler sind:
4. Die drei Reliefs von liulwän: a) die Siegesstele des Anubänini,
mit der entzifferten Inschrift: der König, den Fuß auf den besiegten
Feind setzend, vor der Göttin I§tar, die ihm zwei weitere gefesselte
Feinde heranführt. In einer unteren Zone eine Reihe von sechs gefes-
selten Feinden. Schurz und Sandalen des Königs, seine Kappe, Hals-
kette und Armringe, sein Bogen und sein Krummholz, das Gewand
der Göttin, ihr Sternsymbol, ihre Hörnerkrone, entsprechen ganz der
sumerisch-akkadischen Weise der Zeit Naräm-Sin's; erst recht die
künstlerische Komposition und die reife Ausführung, b) Das Relief
mit der unentziiferten Inschrift: der König, den Fuß auf den besiegten
Feind setzend, vor ihm« das Symbol des Mondgottes, c) Das Relief
ohne Inschrift: der König vor der Istar] anbetend. Hinter dem Re-
') M. DiEuLAFOY, Fouilles de Suse in Rev. Arch. 36 serie V pl. XXIV Kul i Fir'aun.
• — Delegation en Perse III App.: G. Jecquier, Description du site de Malamir, Aquarelle
nach Skizzen von J. de Morgan, also sehr unzuverlässiges Material, pl. 27 — 30 Kul i
Fir'aun, pl. 31 — 33 Shikafta i Salmän. — Ebenda V. Scheil pg. 102 ss. und pl. LXIII
u. LXIV Inschr. d. Hanni. — Entdeckt von Layard, A descript. of the province of Khu-
zistan in JRGS. 1846 XVI pg. 70 — 80. — Ders. Early Advent. 1887 II pg. 11 — 14; —
seine Texte im Iten Rawl. — Perrot-Chip iez V 2 fig. 462 u. 464, Zeichnung v. St. Elme-
Gautier nach Photogr. Houssay.
*) Deleg. en Perse VIII: J. E. Gautier u. G. Lampre, Fouilles de Moussian. —
Bedrä= Beth Duräye, Baksä = Beth Kussäye, vgl. Layard, JRGS. 1846 pg. 71 u. 97.
— G. Hoffmann, Syr. Akt. pg. 67 u. 69.
3) Schürfungen von 1876, kurzer Bericht im Tag 16. Juli 1903 Nr. 327, sonst nichts.
— HüsiNG, Quellen: die Texte aus Liyan.
4) Herzfeld, Reise durch Luristan, Arabistan und Farsm Petertn. Mitt. 1907 III u. IV.
Khorasan. 127
lief a) ist hoch oben im Felsen der Eingang zu einer Höhle sichtbar,
vielleicht zum Grabe des Annubänini (ununtersucht) ^).
5. Das ältere Relief des Tar (?)-X-dun(?)-ni von Hören- Shekhän:
König, den Fuß auf einen besiegten Feind setzend, ein zweiter Feind
um Gnade flehend; Tracht, Lendenschurz und Kappe, ist sumerisch,
der Schmuck, Halsband mit Anhänger semitisch, ebenso die Waffe,
Bogen und Köcher. Die sehr zerstörte Inschrift ist akkadisch. Zeit:
älter als Naräm-Sin (?) ^).
6. Ein Relief zwischen Kifri und Darband i Giaur, bei einer Pe-
troleumquelle: ein Krieger, 3— 4 m hoch, mit Helm, in Kampfstellung,
in der R. Schwert, die L. mit Bogen auf der Brust, zwei kleinere be-
siegte Feinde 3).
7. Ziegel vom Bau des Puhia von Hursitum von einem Fels über
dem Aqsu bei Tuz-Khurmatü 4).
8. Die Gruppe der Ruinenhügel, die sich die ganze Straße nach
Egbatana entlang ziehen und in den Ebenen von Kirmänshähän,
Dinawar, Kangawar, Asadäbäd eine große Dichte erreichen.
Das dritte Zentrum ist Ninive, bzw. das uralte Arbela. Sein
Einfluß wirkt in das Shahrazür-Gebiet, oder die Straße über Rawänduz
und den Kel i shin-Paß entlang in das Gebiet südlich des Urmiya-Sees.
Denkmäler sind:
9. Eine große Zahl von Ruinenhügeln in den Gebirgsebenen von
Köi Sandjaq, Ränia (besonders dieses selbst) und Kala Dizzä.
10. Eine große Zahl im Gebiet von Tshamtshamäl, Sulaimäniyya,
Shahrazür (der bedeutendste Bakiräwä) und Sitak, östl. des Göizhe
Kuh, auch im Meriwän-Gebiet östl. des Awramän 5).
11. Ruinenhügel südl. des Urmiya-Sees, wie Tashtepe, Shahr i
werän ^).
12. Die beiden Kel i shin-Stelen, zeitlich schon in die zweite welt-
geschichtliche Epoche nach dem Auftreten der Tränier gehörend.
') Flandin & CosTE, Perse Ancienne Bd. I. — J. de Morgan, Mission scient. en
Ferse IV i 1896 pg. 161 ss. — Sarre-Herzfeld, Irayi. Felsreliefs pg. 192 ss. und neue
Aufnahmen in meinem Thor von Asien. Berlin 1920. Tfl. I — IV.
2) DE Morgan, Mission und L. Berger, Rev. d' Assyr. II 115 ss. — Entdeckt von
H. Rawlinson JRGS. IX pg. 31.
3) Nach Jacquerez bei Scheil, Sippar pg. 14.
4) Ebenda; ein weiterer Ziegel im Louvre aus Karkük gekauft.
5) Karten, von mir 19 16 — 17 aufgenommen, Druck in Vorbereitung.
6) Tashtepe: Rawlinson, JRGS. X 1840 pg. 12 s. — Nach W. Belck, Beiträge
s. all. Geogr. it. Gesch. Vorderasiens 1901 pg. 90 hat ein Missionsinspektor Faber vor 1899
die Felsinschrift, wie andere wanische Inschriften, absprengen lassen und nach Europa
verschleppt. — Shahr i Werän: Rawlinson, ebenda [pg. 38. — de Morgan, Mission,
Rech. Arch. chap. IX pg. 293 s.
J28 ErnstHerzfeld,
Das erste Auftreten der Iranier kurz nach der Mitte des zweiten
Jahrtausends in Mesopotamien, wie es sich allmähhch immer mehr
aus den Inschriften von Boghazköi enthüllt, läßt vermuten, daß der
ganze Osten schon damals in Bewegung war. Vielleicht sitzen die Meder
und Perser bereits hinter den Kassü. Die erste Erwähnung aber findet
sich erst wesentlich später, bei Salmanassar II. 860 — 824. Er besiegt die
Amadai und die Parsua, Meder und Perser ^), erobert eine Unzahl
ihrer »Städte«, mahdzäni, die unter einzelnen »Stadtherren«, hazanndti,
stehen. Ein Häuptling mit dem medischen Namen Kundaspi kommt
i. J. 854 in Kummukh-Kommagene vor. Unter Asarhaddon häufen
sich die iranischen Namen, auch der Stamm der Gimirri-Kimmerier
tritt auf. Unter Tiglathpileser III. um 738 finden wir den Häuptling
Kuätaspi, wieder in Kommagene. Nicht von Babylon, sondern von den
Ländern, in denen sie uns hier zuerst begegnen, also von den Uber-
gangsgebieten von Mesopotamien nach Kleinasien, von Armenien und
endlich von Assur geht die Zivilisierung der Iranier aus. In diesen
Jahrhunderten rivalisiert das armenische Reich von Urartu mit Assur.
Dieses Reich und seine Kultur sind für die iranische Kunstentwicklung
bestimmend geworden -). Unter Sargon 722 — 705 sind die Iranier, zu
denen außer Medern und Persern auch noch die Zikirtai, ap. Asagarta,
gr. SaYotptiot, die Saparda, (1yd. Sfard, gr. Sapost?), die Asguzä,
gr. SxuOai, ap. *Skutcha, gekommen sind, schon eine imminente Ge-
fahr geworden. Die Vernichtung des Reichs von Urartu durch die
Assyrer hat den eigenen Untergang beschleunigt. Wohl noch vor 715
gründet Deiokes, der Daiaukku der Inschriften Sargons,' — diese
Identität scheint mir sicherer als alle Daten des künstlichen Systems
der herodoteischen, wie der ktesianischen Überlieferung — , Egbatana,
die spätere Hauptstadt des geeinten Mederreichs. Der Sturm der
Kimmerier und Skythen ergießt sich über ganz Kleinasien und einen
großen Teil der südlichen Länder. Kyaxares von Medien zerstört 606
Ninive und richtet mit der Besiegung der Skythen das medische Welt-
reich auf 3).
Auch aus dieser Frühzeit der Geschichte Irans haben wir einige
Denkmäler, die über Weg und Art der Zivilisation weittragende Auf-
schlüsse geben. Das Zentrum oder die Zentren, von denen sie ausgeht,
sind Urartu und in zweiter Linie Ninive. Die Denkmäler sind:
13. Drei urartäische Stelen: Die von Tashtepe in der Ebene von
') Nach Mar QUART ist Parsua ursprünglich nur Landschaftsname.
^) Herzfeld, Urartäische Bronzen in d. Festschr. f. Lehmann-Haupt, 1921.
3) Zur medischen Geschichte: Ed. Meyer, \. c — F. Justi im Grundr. H pg. 406 — 13.
Auch J. V. Prasek, Gesch. d. Meder u. Perser in Handb. d. alt. Gesch. (mit Vorsicht !).
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Zu.Der Islam" Band XI.
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Karte dei' Bauten und Baunachrichten dei- islamischen Zeit in Iran.
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Khorasan.
129
Miyänduäb südöstl. des Urmiya-Sees; die von Kel i shin auf dem
3000 m hohen Paß, und die von Topzäwa in ihrer Nachbarschaft, unweit
des Dorfes Sidikän^). Die drei Denkmäler stehen mitten in dem Lande,
in dem die Meder und Perser zuerst auftauchen, und sie bedeuten,
daß die hohe künstlerische Kultur des Reiches von Urartu, deren drei
Kennzeichen der Felsenbau, das megalitheOuaderwerkund der Bronze-
guß wie jede Art der Metallurgie sind, sich bereits über diese Land-
schaften ausgedehnt hatte.
14. Die Stadt Musasir, nach Thureau-Dangin im Gau Albägh
am Oberlauf des oberen Zäb, nach Lehmann-Haupt in unmittelbarer
Nähe der Stele von Topzäwa gelegen, mit ihrem Tempel. Das bekannte
Relief aus Khursäbäd stellt die Zerstörung von Musasir durch Sargon
i. J. 715 V. Chr. dar. Der Tempel des Khaldia und seiner Gattin, der
Bagbartu ^), ist ein sechssäuliger Prostylos auf hohem Stylobat. Der
Giebel mit einem Flächenornament wie an phrygischen Felsdenkmälern ;
auf seiner Spitze die Lanzenspitze, das Symbol des Khaldia, als Akro-
terion. An den Säulen und der Rückwand des Pronaos sind bronzene
Weiheschilde aufgehängt. Davor das Bildnis einer Kuh mit saugendem
Kalb, und zweier Torhüter mit hohen Lanzen, und vor dem Stylobat
stehen zwei riesige Becken in kuhfüßigen Gestellen, »welche 80 Maß
Wasser faßten«. Die Häuser der Stadt sind mehrgeschossige, turm-
ähnliche Bauten. Nach Sargons Inschriften war die Beute an bear-
beiteten und unbearbeiteten Metallen unermeßlich. Die Liste der
Statuen, goldenen, silbernen und bronzenen Gefäße, mit Gold und
Edelsteinen inkrustierten Gegenstände, der Werke in Elfenbein, Eben-
holz und Buchsbaum übertrifft alles, was wir nach den reichsten
r
') Rawlinson, 1. c. pg. 20 SS. — Sayce in Academy 5. Aug. 1893 Pg- 1^5 nach Col.
Blau. — De Morgan, Mission pg. 266 ss. — Lehmann-Haupt, Materialien 2. alt. Gesch.
Armeniens und Mesopotamiens, Gott. Abhandig. NF. IX 3 1907 pg. 64. — Scheil, Sippar
pg. 19 nach M. XiiviiNES.
^) So las WiNCKLER. Dann wollte man lieber — ebenso möglich — Bagmastii lesen,
dies als ap. Bagamazda deuten (philologisch richtig) und darin das Urbild des Ahuramazda
sehen. Thureau-Dangin, Huitieme Campagne de Sargon, Mus^e du Louvre, Dep. des
Ant. Gr. 1912, liest wieder Bagbartu, weil der neue Text den Namen als den der Gattin
des Gottes Khaldia bezeichnet, also nicht als männliche Gottheit, wie man früher nach
den Fasten Sargons annahm. Wenn der Name der Göttin Bagbartu iranisch wäre, —
und das ist nicht ausgeschlossen; Justi hat z. B. beide Namensformen als iranische, schein-
bar medische, in sein Iranisches Namenbuch aufgenommen — , so wäre das ein Gegenstück
zum Sonnengott Surias der Kassü, und es würde aus ihm zu schließen sein, das um 715
schon ein starkes iranisches Element sich in diesem Gebiet mit den Chaldern vermischt
und an ihrer Kultur teilgenommen hätte, wie wir es im 14. Jhdt. v. Chr. im nördl. Meso-
potamien, im 9. Jhdt. in Kommagene sehen. Die kulturelle Berührung ist auch ohne
diese Annahme sicher.
Islam XI. q
j^Q ErnstHerzfeld,
Funden aus Babylonien, Assyrien und selbst Wan erwarten könnten ^).
In diese Kultur dringen die Iranier zuerst ein, und gerade diese Dinge
sind es, und ihre Kunstformen, die uns in Medien und Persien wieder
begegnen.
Denkmäler der Meder selbst sind:
15. Das Felsengrab von Fakhriqa unweit Miyänduab. . Eine Vor-
halle mit zwei Säulen zwischen den Wandköpfen (Anten), ein hinterer
Raum, ebenfalls durch zwei Säulen zwischen Wandpfeilern abgeteilt.
Die äußeren Säulen ahmen die Erscheinung einfacher Holzsäulen auf
Steinsockeln (Kegelstumpfform) mit dem Astende des Stammes als
primitivem Kapitell nach ; die hinteren Säulen haben einfache Plinthen
als Sockel und Kapitell. Gebälk und Pfosten bilden Bretterverschalung
nach. Ein Giebel ist nicht dargestellt, aus Arbeitsersparnis, oder weil
das vorbildliche Wohnhaus den ursprünglich anzunehmenden Giebel
schon abgelegt hatte ^).
16. Das Felsengrab Dukkän i Däüd, bei Sarpul-Hulwän. Eine
Vorhalle mit zwei jetzt weggebrochenen Rundsäulen, dahinter der nur
durch eine Tür zugängliche Grabraum. Die Säulen haben drei Plinthen
als Basis, eine als Kapitell. Das Rahmenwerk, die mehrstufige Bretter-
verschalung der Pfosten und des Gebälkes sind besonders sorgfältig
ausgeführt 3).
17. Das Felsengrab von Sahna, zwischen Bistün und Kangawar.
Vorhalle mit zwei Säulen, dahinter abgeschlossener Grabraum, von
ihm aus Schacht zum zweiten, unten gelegenen Hauptgrab. Die Säulen
haben runde Plinthe mit Anlauf als Basis und eckige Plinthe als Ka-
pitell. Das Fasziengebälk umzieht auch die Innenwände der Vorhalle4).
18. Das angefangene Felsengrab bei Deirä südl. Sarpuls).
19. Die drei kleinen Felsgräber von Issakäwand oder Deh i no,
die von der Hausform nur die Faszien-Umrahmung bewahren ^).
1) Musasir: Botta, Monument de Ninive II pl. 141. — Herzfeld, Iran. Felsrel.
pg. 8. — Belck, Verhandl. d. Berl. Anthropol. Ges. 1889 pg. iii s. — Die Inschriften:
H. WiNCKLER, Die Keüschrifitextr Sargons 1889; vgl. Weissbach, ZDMG. 72 1918 1/2 pg.
161 SS. — Thureau-Dangin, Huitieme Campagne und Lehmann-Haupt in Hommel-
Festschrift MVAG. 21 1916 pg. 119 ss. — Herzfeld in Festschr. f. Lehmann-Haupt, 192 i.
2) Rawlinson, JRGS. 1840 pg. 37 s. — De Morgan, Mission chap. IX. — Lehmann-
Haupt, Armenien einst und jetzt, Zeichnung von mir nach L.-H.'s genauer Maßskizze
konstruiert, Tor von Asien, Abb. 4.
3) Flandin u. Coste pl. 210 u. 211. — De Morgan, Mission pg. 299 s. — ■ Herz-
feld, Iran. Felsrel. pg. 61 und neue Aufnahmen in Tor von Asien, Tfl. V — VI und Abb. 3.
4) Tor von Asien, Taf. VII und Abb. 4. — Flandin & Coste, Ferse mod. pl. LXXV.
5) Rawlinson in JRGS. 1839 IX pg. 41.
<>) De Morgan, Mission chap. IX. — 0. Mann, Archäologisches aus Persien im
Gbbus 1903 Nr. 21. — Sarre-Herzfeld, Iran. Felsrel. pg. 6;^.
Khorasan. 1^1
20. Das ähnliche Felsengrab von Surkhädeh südl. von Sarmadj,
. östl. Kirmänshähän, am linken Ufer des Gamäsäb ^).
21. Ein nur von Monteith beschriebener Felsaltar mit acht
Säulen bei So'uqbulaq-Sabla 2).
Schon vor der Aufnahme von Sahna habe ich diese Gruppe als
medisch bezeichnet: Am Dukkän sitzt das Relief Kel i Däüd, ein
Adorant im eng anliegenden Gewand, wie es der letzte König von
Elam, Teumman, auf den Reliefs des Asurbanipal-Palastes und der
vierfiügelige Genius vom Palaste des Kyros in Pasargadae tragen;
auf dem Kopf den iranischen Bashlik, in der Hand ein Bündel von
Zweigen, das Barsom-Bündel der Zoroastrier, welches die Figuren der
Goldbleche des Oxus- Schatzes so oft halten. Das ist also zoroastrisch,
aber vorachämenidisch. In Sahna. schwebt über der Grabestür die
geflügelte Sonnenscheibe, weder in der assyrischen Form des Asur-
Symboles, noch in der daraus abgeleiteten des achämenidischen Ahu-
ramazda, sondern in einer Abart, die kleinasiatischen Symbolen
nahesteht: also wieder zoroastrisch aber vorachämenidisch. In Issa-
käwand steht ein Adorant in achämenidisch-persischem Gewand, aber
mit einer Haartracht, die nur auf dem Bistün-Relief des Dareios,
nicht mehr in Persepolis vorkommt, vor einem Altar, auf dem das
heilige Feuer brennt. Also wieder zoroastrisch und älter als die achä-
menidischen Denkmäler.
Nun sind diese über das Land verstreuten Denkmäler gewiß nicht
die Gräber der medischen Großkönige, die, wenn es sie überhaupt ge-
geben hat — was ja bei Zoroastriern immer ungewiß ist — doch bei der
Hauptstadt Egbatana zu suchen sein würden. Die besprochenen Gräber
liegen entweder im Norden an der Straße von Wan, bzw. Ninive über
den Kel i shin nach dem medischen Hochland, oder aber an der Straße
von Babylon aus, noch in den tiefen Tälern. Sahna allein kommt schon
der medischen Hauptstadt nahe. Aus dieser denkmalsgeographischen
Betrachtung folgere ich, daß die Gräber, von denen Issakäwand das
jüngste ist, in die Zeit vor der Einigung des Reichs und vor der Grün-
dung von Egbatana fallen, als die Einzelstämme noch von eigenen
Fürsten, den hazanndti der Assyrer, beherrscht wurden.
Diese Denkmäler lehren erstens, daß die medischen Iranier den
Felsenbau von den Urartäern übernommen haben. Daher die enge
Verwandtschaft mit den kleinasiatischen Denkmälern, während As-
syrien, geschweige denn Babylonien, solche Dinge nicht kennen. Ferner
lehren sie die Gestalt des medischen Hauses kennen, welches mit dem
I) 0. Mann, 1. c.
^) Nach Monteith bei ^lisee Reclus, Geogr. Univers. IX 253, 1884.
9*
152
Ernst Herzfeld,
Tempel von Musasir aufs engste verwandt ist. Ohne auf die Frage
einzugehen, ob dies Haus von den Ariern in Vorderasien vorgefunden .
oder aber eingeführt ist, betone ich hier die enge Verwandtschaft
zwischen dem medischen «Hause, dem Tempel von Musasir, den pon-
tischen, paphlagonischen und lydischen Hausformen und darüber
hinaus dem troischen Antenhause, dem griechischen Tempel und
litauischen und niedersächsischen Bauernhäusern ^).
Die Zerstörung Ninives durch die Meder ist das Vorspiel der Er-
oberung Babylons durch die Perser. Das achämenidische Reich tritt
als Rechtsnachfolger Mediens, und wie es in dem Titel »König von
Antchan« ausgedrückt ist, auch als der des alten Elam und Antchan
auf. Pärsa, Mäda und Khwadjiya sind die immer zuerst und zusammen
genannten Stammlande der Inschriften. Auch in der Baukunst und
bildenden Kunst ist Persien die Nachfolgerin Mediens und Elams.
Zur Kunst des neubabylonischen Reiches finden sich kaum Beziehungen,
und die Beziehungen zu Assyrien, das ja räumlich und zeitlich durch
das medische Reich getrennt ist, sind nur mittelbare. Die kurze Ent-
wicklung dieser einheitlichen, fast monotonen Kunst, die ein letztes
Mal das Erbe des alten Orients zusammenfaßt und viel Eigenes ihm
hinzufügt, von ihrer ersten in Pasargadae (Kyros) zu ihrer zweiten in
Persepohs (Dareios und Xerxes) vertretenen Stufe, ist hier unwesent-
lich. Mit ihren ersten Denkmälern ist diese Kunst bereits fertig und
auf ihrem Höhepunkt.
An Denkmälern achämenidischer Baukunst kennen wir 2):
1. Die Festungstore, die in Assyrien und Babylonien kein Vorbild
haben.
2. Die Audienzpaläste, apaddna: in Pasargadae breitrechteckige,
in Persepolis quadratische, hypostyle Hallen, mit einer Vorhalle an
der Front und je einer an beiden Querseiten. Das Apadäna ist aus
dem medischen Hause entwickelt und steht in der Ausbildung seiner
Säulenhallen in Beziehung zu kleinasiatisch-nordmesopotamischen
Hausformen.
3. Die Wohnpaläste, hadish, tacara, im vorderen Teile Vorhalle
') Vgl. G. Hirschfeld, Paphlagon. Felsengräber, Berl. Abhandig. 1885. — F. von
Reber, Die phrygische Felsendenkmäler, Münch. Abhdlg. 1897. — E. Brandenburg,
Neue Untersuchungen im Gebiet der phryg. Felsenfassaden, ebenda 1906. — Kannenberg
im Globus LXVII 1895. — I^- Leonhard, Paphlagonia 1915. — Perrot, Explor. de la
Galatie. — Benndorf, Ursprung der Giebelakrolerien, Österr. Jahresh. II 1899. — Unver-
öffentl. eigene Aufnahmen aus Litauen. — Das Niedersächsische Bauernhaus in Hannover
und Holstein.
*) Vgl. Stolze, Persepolis und Sarre-Herzfeld, Iran. Felsrel, auch M. Dieulafov,
L' Art Antique de la Perse.
Khorasa».
133
und quadratischen, hypostylen Saal, im hinteren Teil einen kleinen
Innenhof mit Wohnräumen darum enthaltend. Eine spezifisch ira-
nische Bauform.
4. Felsengräber mit der Front eines Hauses, nämlich der Palast-
front, entwickelt aus den medischen Felsengräbern und dem medischen
Hause.
5. Die außer Übung gekommene, urtümliche Hausform, die sich
im Grabe des Kyros erhalten hat, von nordischem Ursprung.
6. Das gleichzeitige Wohnhaus der Persis, dargestellt in den Grab-
türmen von Pasargadae und Naqsh i Rustam, ein dreigeschossiges,
turmähnliches Haus, in einer Art von Holzfachwerk errichtet, nicht
unähnlich den auf dem assyrischen Relief dargestellten Häusern von
Musasir.
Handwerklich finden wir in diesen Denkmälern: l. Den Felscnbau,
wie in Medien und Urartu und sicher von da übernommen. 2. Das
meisterhafte, megalithe Ouaderwerk, wie in eben jenen Ländern
und in Kleinasien, das in Assyrien nicht heimisch geworden ist. 3. Die
Orthostaten-Technik in zwei Stufen: in Pasargadae die alte nord-
mesopotamisch-assyrische Weise der Wandsockelplatten, in Perse-
polis die daraus abgeleitete persische Weise der ardastdna, der mono-
lithen Türen, Fenster und Wandnischen, verwandt mit der Technik
von Boghazköi und heute noch nachlebend in den tdktcha^s der per-
sischen Häuser. 4. Mauerwerk aus Lehmziegeln oder Bruchsteinen,
zusammen mit Ouaderfundament und ardastdna, oder aber mit Holz-
fachwerk: Eckpfosten, Türrahmen, Fenster und Gebälk aus Holz,
Dinge, die weder in Babylonien noch in Assyrien, wohl aber in Klein-
asien vorkommen. 5. Der große Holzsäulenbau: Nur der eine Palast
von Pasargadae, das Tor und das große apaddna von Persepolis haben
Steinsäulen, die anderen Bauten — das ursprüngliche — Holzsäulen;
die Basen sind immer aus Stein. An architektonischen Profilen hat
die ältere Stufe von Pasargadae und Naqsh i Rustam eigenartige, mit
kleinasiatischen Formen (Lykien, Galatien) verwandte, typische Holz-
profile ^), die jüngere von Persepolis aber ägyptisierende Formen, die
aus dem syrisch-aramäischen Kunstkreise übernommen sind. Die
Schmuckformen der Säulen gehören ebenfalls diesem Kunstkreise an,
der auch in der Kunst Vorderasiens die xotvVj dieser Zeit war.
Auch die Themata der Skulptur sind eng begrenzt ^) : die Reste
') Lanckoronski, Städte Pamphyliens und Pisidiens I pg. 76 ss, Sillyon, Bd. II.
pg. 187 SS, Syrt. — Benndorf und Niemann, Reisen in Lykien und Karien. • — Petersen
und V. LusCHAN, Reisen in Lykien, Milyas und Kibryatis.
*) Herzfeld, Pasargadae in Klio VIII i ; und Iran. Felsrel. pg. 133 — 146.
134
Ernst Herzfeld,
von Pasargadae halten sich noch in der Überheferung der assyrisch
aramäischen Skulptur; die von Persepolis behandeln, sämtHch in
einem inneren" Zusammenhange, das persische Neujahrfest, das Mithra-
käna: i. Der Löwe, der den Stier überfällt, das allgemein -orientalische
astrologische und wohl auf das Tagesdatum bezügliche Motiv. 2. Die
feierlichen Tributzüge und die Garden, die sie erwarten, ein Gegen-
stand, den die assyrische Kunst in dieser Entwicklung nicht kennt,
der aber in Karkhemish dargestellt wird. Dazu einzelne Garden
an den Toren. 3. Diener mit der Vorbereitung des Festmahls beschäftigt
und in ähnhcher Tätigkeit: Vorbereitung eines Festmahls auch schon
in Kul i Fir^aun bei Mälamir. In den Türen Torhüter im Dienst,
gelegentlich der König selber mit Begleitung ins Freie tretend. Als
Attribute werden der Sonnenschirm und der Wedel aus dem Schweif
eines Wildochsen (assyrisch und aramäisch) nachgetragen, ferner
Näpfe mit Myrrhen und ein Tuch (iranisch), in der Hand hält der
König stets eine Lotosblume (aramäisch und assyrisch). 4. Der thronende
König und die großen Audienzen: kommt in kleinerem Umfange auch
auf assyrischen und aramäischen Reliefs vor, in ausgebildeter und
auch formal ganz ähnlicher Gestalt aber am Kul i Fir'aun in Mälamir.
5. Der König im Kampf mit vier Ungeheuern, ein wohl spezifisch
zoroastrischer Gedanke, formal abgeleitet aus alt-, nicht neubaby-
lonischen Motiven; dazu der König als Löwenwürger, Werethragna,
das altbabylonische Gilgamesh-Motiv.
Die Stier- und Menschstier-Kolosse, laniassu, an den Toren sind
aus Assyrien und ganz Nordmesopotamien bekannt; sie fehlen in Baby-
lonien. Sie haben nahe formale Beziehungen zu urartäischen Bronzen.
Die Darstellung auf den Königsgräbern, der König als Anbeter vor
dem Feueraftar, über dem Ahuramazda schwebt, schließt sich an die
Adoranten der Gräber von Kei i Däüd und Issakäwand an, auch in
Mälamir und öulwän kommen schon ähnliche Motive vor. — Endlich
das Triumphrehef des Dareios in Bistün ist unmittelbar durch das
Triumphrelief des Annubänini beeinflußt.
Unter den ästhetischen Grundsätzen ist die epische Zerlegung eines
großen Vorganges in Einzelbilder hervorzuheben. Die Einzelbilder
werden wiederum in Zonen und zwar in umrahmte Streifen geteilt,
und diese bei großer Länge durch Baumdarstellungen (Zypressen) in
Abschnitte zerlegt. Das ist nicht die assyrische Weise, erst recht
nicht die letzte der Asurbänipal-Zeit, die rein malerisch große Kom-
positionen zusammenfaßt, auch nicht die ältere der Sargon-Zeit, die
noch mit mehreren Streifen arbeitet, aber sie hängt mit dieser mittelbar
zusammen; das Rahmenwerk, das als ornamentales Prinzip in der
Khorasan. I 3 3
assyrischen Kunst vorliegt, findet nähere Analogien in den hettitisch-
-aramäischen Reliefs, wie Saktchegözü, Karchemish. Wirklich vor-
gebildet ist die persische Weise genau in Mälamir, im Elamischen.
Die Fertigkeit, mit der die achämenidische Kunst ins Leben tritt,
und ihre zahlreichen Beziehungen zum Nordwesten Vorderasiens
machen die Forderung, daß sie nur eine Fortsetzung der medischen
Kunst ist, zur Gewißheit. Die geringen Architekturreste, die man
aus Egbatana kannte, und die die französische Mission von Hamadän
unter Fossey 1913/14 dazu fand, ähneln den achämenidischen Werken
so sehr, daß ihre zeitliche Unterscheidung schwer ist. Hier tritt die
Schilderung ein, die Polybios von dem alten Egbatana aufbewahrt hat :
ein Palast von sieben Stadien Umfang, alle Säle aus Zedern- und Zy-
pressenholz ausgeführt, und alles Holz mit silbernen und goldenen
Blechen ummantelt, die Dächer mit Silberplattcn gedeckt. Also der
gleiche hypostyle Säulenbau, wie in Persepolis. Die Menge an kost-
baren Metallen entspricht ganz der unerhörten Beute an Edelmetallen,
die Sargon aus Musasir fortführt. In Persepolis sieht man an den Re-
hefs noch die Spuren der echtgoldenen Armbänder, die die Königs-
figuren einst trugen. Die überreiche Verwendung von (vergoldeter)
Bronze paßt so genau zu dem möbelartigen Charakter der Formen
des Holzsäulenbaus, daß gar kein Grund ist, die Schilderung bei Poly-
bios für maßlose Übertreibung zu halten.
Festzuhalten ist: der Holzsäulenbau und die Hausform sind in
Medien und in Persien die gleichen. Wer je Persepohs und Isfahän
gesehen hat, dem wird sich der Gedanke aufgedrängt haben, ob ein
Zusammenhang zwischen der achämenidischen und der sefewidischen
Bauweise möglich ist. Den Beweis für diesen gcradhnigen, durch eine
lange Überlieferung vermittelten Zusammenhang fand ich in Kur-
distan. Hier ist zunächst als ganz sicherer Boden festzulegen: die
gesamte Baukunst und Bildhauerei Irans bis zur Zeit Alexanders d. Gr.
hat sich ohne irgendwelche Teilnahme der östlichen Provinzen allein
auf dem Boden der westlichen entwickelt, in voller Einheitlichkeit,
aus dem was die Iranier bei ihrer ersten Berührung mit den alten
Kulturen in den Gebieten lernten, die an das urartäische und assy-
rische Reich anstießen oder diesen gehörten. Dazu wirkt die älteste
einheimische Kunst, die längst vor den Iraniern von Elam, Babylon
und Ninivc aus in die westlichen Randgebirge Irans eingedrungen ist,
in der altiranischen Kunst in hohem Maße fort.
Aus dem Osten des Reichs gibt es bisher nur zwei Vorkommen
achämenidischcr Kunst. Erstens eine größere Zahl von Stücken des
Oxus- Schatzes im British Museum, oder verwandter Fundstücke in
IßÖ Ernst Herzfeld,
russischem Besitz ^). Bei den romantischen Schicksalen und der
dunklen Geschichte dieses vermutlich aus Kubädiän am Käfirnighän
stammenden Schatzes, ist es nicht verwunderlich, wenn seine Teile
nicht das Bild einer einheitlichen Kunst geben. Meines Erachtens
sind Stücke wie Nr. 2 : Goldstatuette eines Mannes, 7 : Quadriga mit
Mann und Wagenlenker und ebenso das Gegenstück des Lord Lytton,
48: Plakette mit Adoranten, 69: kleine Plakette mit Adoranten, 70:
desgl. einheimische Arbeiten, weil sie Sogdier oder Baktrier darstellen,
wie der Vergleich mit den Thronträgern von Persepolis und Naqsh i
Rustam lehrt. Eine große Zahl von Schmucksachen, wie die Armilla
116, die Armbänder 118, 131 — 38 wird man mit Dalton wegen ihrer
Ähnlichkeit mit den susischen Goldfunden *) für westpersische Ar-
beiten ansehen müssen. Dalton diskutiert eindringend die Frage der
Herkunft der »orfevrerie cloisonnee«, die, abgesehen von vereinzelten
altägyptischen und mykenischen Vorkommen, für die achämenidische
Goldschmiedekunst so charakteristisch ist, und ebenso für die sog.
skythische. Er kommt der Wahrheit schon sehr nahe. Die Heimat
dieser Technik ist das Reich von Urartu, mit seinen Bergwerken und
der blühenden Aletallurgie, von deren Reichtum außer assyrischen
Schilderungen auch im Verhältnis zur Seltenheit der Funde über-
raschend viele und erstaunlich feine Metallarbeiten, darunter eine
Anzahl inkrustierter Bronzen Kunde geben 3).
Die zweite Instanz ist Indien: Die indischen Denkmäler sind nicht
älter als Asoka, also Mitte des 3. Jhdts. v. Chr. 4); denn mit ihm erst
fängt der Steinbau an: Vorher liegt die steinlose Zeit, der reine Holzbau.
Die ersten Steindenkmäler dieser mittelindischen Schule sind reich
an Architekturdarstellungen, und in ihnen herrscht der »persische
Stil«. Die nicht zu verkennenden Formen des achämenidischen
Säulenbaus haben die indische Architektur der vor Asoka liegenden
Zeit beherrscht. Daß sie nicht etwa umgekehrt von Indien abhängen,
0 Vgl. pg. III, Anm. 3.
^) Delegation en Perse XIII 1912: Ceramique peinte de Suse etc. par E. Pottier,
J. DE Morgan u. R. de Mecquene.m.
3) H. F. B. Lynch, Armenia II pg. 61 ss. — Lehmann-Haupt, Maierialien pg. 84 — 104,
die Nr. 14 — 16, 20—28. — Layard, Ninive and Babylon pg. 177 ss. — Die Nr. 18 u. 22
des Oxus-Schatzes, und 278 von Smirnoff, Argenterie Orientale zähle ich auch zu der
urartäisch-medischen Gruppe; andere Stücke stehen unerkannt in etruskischen Museen.
Vgl. mein L'rarl. Bronzen in Festschrift f. Lehmann-Haupt 1921.
4) Adjantä. Amaräwati, Anurädhapura, Barähat, Gayä und Säntchi. Die neue Zeit-
ansetzung für Säntchi bei John Marshall, A Guide to Sänchi, Calcutta 1918. Die
Bewegung zieht auch China in ihre Kreise; siehe die in Setchuan entdeckten Felsgräber
der Mission Gilbert de Voisions etc. in JA. iie s6rie, 6, 1915, pg. 281 — 306.
-Kliorasan. 12?
lehren die älteren medischen und kleinasiatischen Felsengräber. Auch
der unter Asoka vor sich gehende Übergang zum Steinbau ist sicher
unter persischer Einwirkung geschehen; und da die Felsarchitektur in
Indien noch jünger ist, so könnte auch sie über Iran aus ihrer natür-
lichen Heimat, dem alten Kleinasien nach Indien gewandert sein. In
der indischen Skulptur finden wir als achämenidisch-persische Elemente
eine Reihe von altorientalischen Fabeltieren, die Lebensbäume und
eine Anzahl von Ornamenten, die aus der aramäischen xotvv] der Kunst
des Achämenidenreiches und also in letzter Linie aus Ägypten stammen.
Über das achämenidische Persien aus dem vorderen Orient eingewandert
sind ferner die königlichen Attribute des Sonnenschirmes {hti), der in
seiner Vervielfältigung ein Merkmal der buddhistischen Stupa und Pa-
gode und damit der ostasiatischen Architektur wird, und der Wedel aus
dem Schweife eines Wildochsens. Das ist nicht alles, aber es mag ge-
nügen I). Gandära und Sind waren Satrapien des Achämenidenreiches;
beide Völker erscheinen wiederholt auf den achämenidischen Reliefs,
wie sie auch in Dareios' und Xerxes' Heeren kämpften. Noch bei Issos
steht Alexander eine Elefanten -Truppe gegenüber. Der Grieche Skylax
leitet die Expedition, die Dareios zur Erforschung des Indus und des
Indischen Meeres aussandte, in Zusammenhang mit seinem Bau des
Suez-Kanales und der Eröffnung dieser südlichen Handelsstraßen. Es
ist also nur natürlich, wenn achämenidische Technik und Kunst in
dieser Zeit nach Indien dringt-).
Also in beiden Instanzen, in denen es überhaupt Kunstwerke
achämenidischer Art im Osten gibt, sehen wir, daß die uralte Bewe-
gung, die von Elam, Babylonien, Assyrien und Urartu ausgeht, noch
weiterläuft. Und damit stehen wir auf ganz festen Boden. Das Ver-
hältnis umkehren, hieße das Unerforschte durch das Unerforschliche
erklären wollen 3). Dabei sind diese Dinge eben gar nicht mehr als
unerforscht zu bezeichnen. Dunkel ist erst das Folgende.
Eine Reihe von Grabungen an allen Rändern Irans hat Keramik,
Metall- und Steinobjekte zutage gefördert, die, da sie fast alle ohne
inschriftliche Urkunden vorkommen, nach der Methode der Vor-
geschichte behandelt werden müssen. Die Orte sind: i. Die ältesten
Schichten von Susa und die Hügel um Tepe Mussiän. 2. Präislamische
') Vgl. A. Gkünwedel, Buddhistische Kunst in Indien, Handb. d. Museen zu Berlin
i<.>00. — A. FoüCHER, L'aH greco-buddhique du Gandhdra 1905.
=) Ed. Meyer, Gesch. III § 58—62. — Die kulturellen Beziehungen durch den
Handel sind älter: babylonische Sagen, babylonische Maße, die aramäische Schrift aus
Babylonien sind schon im 9. — 8. Jhdt v. Chr. nach Indien übertragen.
3) S. Reinach, Le mirage oriental in Chronique d' Orient II pg. 518 s.
138
Ernst Herzfeld.
Friedhöfe in Samarra. 3. Teil Halaf bei Rä's al-*ain. 4. Transkaukasien
und Tälish. 5. Muhammadäbäd, Hauptort von Darragaz. 6. Anau
und Alt-Marw. 7. Zhob-Tal in Balütchistän. 8. Tumuli von Bahrain.
Ich führe diese, sich vielleicht über vier Jahrtausende erstreckenden
Funde hier zusammen auf, nicht weil sie ohne weiteres eine Einheit
wären, sondern weil sie einen gemeinsamen Gegensatz zu der sumerisch-
babylonisch-assyrischen Gruppe bilden und alle in einem Ring um
Iran herumliegen. In Iran selbst sind diese Dinge gelegentlich ge-
funden worden, während im sumerisch-babylonischen und assyrischen
Gebiet auch keine Spur davon nachzuweisen ist. Aber es gilt nur,
einige Warnungslichter in diesem Meer der Dunkelheit anzubringen.
Ich setze zunächst die Bestimmung der »Chronologie intrinseque«
des »ersten und zweiten Stiles« der proto-elamischen Keramik von
Susa durch Pottier und de Mecquenem als richtig voraus ^). Aber
schon die Chronologie relativ zu den übrigen Funden von Susa unter-
liegt vielen Zweifeln. Der erste Stil gehört der fünften und tiefsteh
5 m- Stufe des Hügels an. Ein wenig höher erscheinen Alabastren,
gravierte Siegel (Petschafte), die sich zwischen der vierten und dritten
5 m- Stufe häufen und sich mit Töpfereien des zweiten Stiles mischen.
Da treten auch Statuetten, Alabastren und Steingefäße, Bildnereien
in Bitumen und Kalkstein auf, die die engsten Beziehungen zu den
ältesten Kunstwerken aus Sumer haben. Ferner kommen zu den
Petschaften die Siegelzylinder, zuerst in emailliertem Ton, mit Dar-
stellungen, die generell von den sumerischen verschieden sind, später
in Stein und mit sumerisch-babylonischen Darstellungen, zugleich mit
der proto-elamischen Schrift; die eine wesentlich ältere Stufe darstellt,
als die ältesten sumerischen Schriften und die Schrift zur Zeit eben
jener Zylinder. Die Schwierigkeiten häufen sich: das Ende der vierten
und der Anfang der dritten 5 m- Stufe bedeutet bereits die Periode
des Hammurapi', in absoluten Daten 1955—12, in relativen 500 Jahre
jünger als jene Zylinder, über looo Jahre jünger als jene Schriftstufe.
Ferner: In den Hügeln des Mussiän-Gebietes =') tritt der erste und
zweite Stil gemischt auf. Dieser hat nahe Verwandtschaft mit den
Bitumenbildnereien, mehr als der erste, andrerseits auch mit den ältesten
Funden aus Tello, Nippur, Bismäyä. Hier liegen also noch viele unge-
löste Probleme der »Chronologie extrinseque «. Der Grund ist, daß
') Deleg. en Perse XIII 1912: Ceramique peinte de Suse etc. par E. Pottier, J. de
Morgan u. R. de Mecquenem. — Absolut gesichert erscheint mir nicht einmal diese
relative Chronologie.
^) Deleg. en Perse VIII 1905: Fouilles de Moussian par J. E. G.^ütier u. G. L.\mpre,
Pg- 59—148.
Khorasan. IßC^
Jacques de Morgan's stratigraphische Untersuchungen in keiner Weise
der Schwierigkeit eines Gegenstandes wie Susa gerecht werden : Der Hügel
ist ja nicht in wagerechten Stufen gewachsen, und Punkte nahe der
Außenfläche können zwar auf einem Niveau mit dem Kern liegen
und doch viel jünger als dieser sein, oder umgekehrt, Punkte derselben
Tiefenstufe im Innern können viel älter sein, als solche am Außenrande.
Bei der stiefmütterlichen Behandlung der architektonischen Reste,
dem Fehlen jeglicher Pflasterbestimmungen, ohne die doch eine wirk-
liche Stratigraphie eines Hügels ganz unmöglich bleibt, ist es völhg
unklar, ob alle jene Funde unmittelbar über dem am Außenrande des
Hügels gelegenen Friedhof oder aber nur in der gleichen Tiefenstufe
an anderen Punkten gefunden sind. Pottier's Untersuchungen, die
den ersten Stil etwa der Zeit vor 2800, den zweiten der von 2800—2500
zuweisen, sind zunächst als Maximalansetzungen anzusehen. Daran
ändert auch nichts die ersichtlich aus imperialistisch-politischen, nicht
aus wissenschaftlichen Gründen erfolgte Parteinahme — anders läßt
sich derartiges nicht nennen — eines Flinders Petrie für die irr-
tümlichen absoluten Datierungen de Morgan's.
Das Problem wird so schwer, und eigentlich wird erst alles so
problematisch gemacht, dadurch, daß die antike Keramik von Samarra^)
außer allgemeiner ausgesprochener Verwandtschaft mit dem ersten Stil
von Susa auch einige völlig identische Typen enthält, und daß doch
unter ihr daneben aus dem Mittelmeerkreise eingeführte Scherben vor-
kommen, die als mittel- oder spätminoisch zu klassifizieren sind, und
daß auch ein kleiner Eisendolch in einem dieser Gräber gefunden wurde
(von mir selbst). Entwicklungs- und Zeitunterschiede gibt es in Sa-
marra nicht. Die ganze Tiefe des Friedhofes beträgt kaum i m, darüber
liegen unmittelbar die Pflaster der islamischen Häuser, darunter der
gewachsene Konglomeratfels. Die Keramik von Samarra und in ihr
einige Typen, die mit solchen von Susa identisch sind, gehören also
ohne Schwanken in die erste Hälfte des zweiten Jahrtausends v. Chr.
(1500 — 1000) und nicht an den Anfang des vierten (vor 2800).
Dazu stimmen die Gesamtergebnisse der Grabungen von Teil Halaf,
wo sich der Keramik von Samarra nächstverwandte Formen finden und
wo die Keramik doch wie die Masse der Funde dem zweiten Jahrtausend
V. Chr. angehört. In Sumer, Babylonien und Assyrien gibt es nichts
dergleichen. In Assyrien ^) tritt erst sehr spät eine wesentlich andere
I) F. Sarre, Die Klein funde von Samarra im Islam V 2/3 pg. 180 ss.
-) Über T. Halaf briefl. Mitteilungen v. Oppenheim's 1913. — Herzfeld, Topo-
graphie etc. im Memnon I i pg. 95 Abb. 2; bei W. Andrae, Festungswerke von Assur,
DOG. Tfl. LXXXIV und in Sarre-Herzfeld, Archäol. Reise Bd. I pg. 209 s. Abb. 98.
I ^.O Ernst Herzfeld,
bemalte Keramik auf, deren Hauptmotiv, die Palmette in allen Ab-
wandlungen neben einer pseudonaturalistischen Ornamentik deutlich
ihren Zusammenhang mit dem aramäischen Westen und mit dem
Mittelmeerkreis, in letzter Linie mit Ägypten verrät.
Vereinzelte Funde aus NW- Iran, nämhch aus Rhages-Rai ^), be-
zeichnet PoTTiER treffend als ein succedane, einen Ersatz, oder schon
ein Nachleben der susischen Formen, nicht als primitive Kunst. Ganz
schwierig ist die absolute Chronologie der Funde aus Transkaukasien
und dem Jälish '^). In einem Grabe der Eisenzeit in Tülün fand J. de
Morgan einen bronzenen Siegelring, auf dessen Platte ein Steinbock
(nicht Pferd !) in einem abgekürzt gezeichneten Lorbeerkranze graviert
ist. Das ist ein sasanidischer Ring. In einem Dolmen des ersten Bronze-
alters in Kraveladi fand er, nach den Worten "ofai decouvert« wohl
persönlich, ein graues Achatsiegel von einer Form, die zwischen dem
neubabylonischen konischen Petschaft und dem Siegelring steht, mit
einem Buckelochsen darauf. Form und Darstellung sind typisch sasa-
nidisch, und nicht etwa mit de Morgan »achämenidisch« oder sogar
»bisher unklassiert« und daher »bis vor 2500 v. Chr.« anzusetzen.
H, DE Morgan schiebt das Eisenalter in Iran bis 2500 v. Chr. zurück.
Der Vergleich der Bronzeformen, besonders der Dolche mit europäi-
schen, erfordert eine ganz wesentliche Herabsetzung dieser Zahl. Ab-
solute wie relative Datierung sind also völlig unsicher; keinesfalls sind
die von den Findern angenommenen Zahlen möglich.j
In Muhammadäbad in Darragaz fand P. M. Sykes ein unbe-
schädigtes Gefäß und drei Scherben, die, wie er im- Geographical Journal
45, 191 5, Pg- 365 berichtet, den ältesten Töpfereien von Susa gleichen
und auch denen von Anau ähneln.
In Anau und Alt-Marw können allein Hubert Schmidt's Zeit-
ansetzungen in Frage kommen, nicht die von Raphael Pumpelly 3).
Er stellt fest, daß während einige Beziehungen Turkestans zum Westen
(Kleinasien) und Süden (Elam) nachgewiesen werden können, die Ver-
bindungen nach Nordwesten (Südrußland und Europa) sehr dürftig
und selten sind. Im ganzen kommt nicht das hohe Alter der susischen
Funde in Frage. Ich kann mich nur dem Urteil Pottier's anschließen,
das ebenso vorsichtig ist, wie das von Schmidt, nämlich, daß Verwandt-
') Perrot-Chipiez, Hist. de l'art dans l'ant. Bd. V pg. 868 ss.
*) PoTTiER,' Notes sur des poteries du Caucase (fig. i nach Baron de Baye) in Mem.
de la Soc. nat. des Antiqu. LX 190 1. — J. de Morgan, Mission IV i 1896 chap II Recherches
prehist. dans le Tälyche riisse. — Deleg. en Perse VIII Recherches au Tälyche persan en 1901
par H. DE Morgan pg. 251 — 342.
3) Hubert Schmidt, Arclieol. Excavations in Anau and Old Merv, Part. II der Publ.
Nr. 73 der Carnegie Institution of Washington von Raphael Pumpelly.
Khorasan. I^I
Schaft mit Susa vorliegt, und daß diese Keramik eher im Zustande
des Verfalls, als in dem der Entstehung ist.
Erst recht ist Zurückhaltung im Urteil über [die Funde von Balü-
tchistän geboten ^). Schon Salomon Reinach urteilt über den cypri-
otischen Charakter als »une civüisation retardataire ä une epoque qui
n'est pas reculee«. Pottier verweist auf solche »survivance ä longue
portee ou renaissance recente de la poterie peinte« wie in Tunesien ^).
Einen ähnlichen Gedanken äußert Sarre, indem er auf die frühisla-
mische bemalte Keramik von Palästina (Bait Djibrin) hinweist.
Von den Kleinfunden der Tumuli von Bahrain kann man sich
nach den kurzen Beschreibungen von Durand und von Bent kaum
eine Vorstellung machen 3). Vermutlich liegen sie unbeachtet im
British Museum. Aber die megalithen Steingräber in diesen Tumuli
verleugnen nicht ihre Beziehungen zu den Steingräbern und Dolmen
des Tälish. Es erscheint sehr zweifelhaft, ob diese ungeheuer zahl-
reichen Gräber auf der kleinen Insel einer alten einheimischen Be-
völkerung angehörten, oder vielmehr einer Bevölkerung des östlichen
oder westlichen Festlandes. Die frühere Annahme von phönicischem
Ursprung wird man heute kaurri erneuern, denn sie beruhte wesentlich
mit darauf, daß man überhaupt megalithe Anlagen, wie z. B . Malta,
Ba*albek usf. den Phöniciern zuschrieb. Aber bestärkt wird die An-
nahme, daß die Gräber nicht Einheimischen gehörten dadurch, daß
auf einer anderen Insel des Golfes, nämlich auf Khärag, sich ebenfalls
eine größere Zahl von monumentalen Gräbern, diesmal von Felsgräbern,
befinden 4). In der Moschee von Bahrain befand sich der steinerne
Fuß einer Statue mit der babylonischen Inschrift : »Palast des Rimum,
Knechtes des Gottes Inzag . . .« Da man Bahrain mit dem alten
Tilmun, dem hellenistischen TtSXo? gleichsetzt, und der Gott Inzag
gerade als Gott von Tilmun erwähnt wird, so muß die in den Palast
J) Archeol. Survey of India, Annual Report 1904 — 5, Calcutta 1908. — F. Noethling
Z. /. Ethnol. XXX 1898 pg. 460 — 70: Über eine prähistorische Niederlassung im oberen
Zhob-Tal in Baluchistan und das. XXXI 1899 pg. 104 — 07. — Rev. Arch. Ille Serie Nr. 37
1900 pg. 159: Decouvertes au Beloutchistan par Sal. Reinach. — Nur hinweisen kann ich
hier auf die noch unveröffenthchten Beobachtungen vorgeschichtlicher Reste im Pamir,
Wakhkhän-Gebiet und am Helmand durch M. A. Stein.
-) Vgl. Rev. d'Ethnogr. et de Social. II 191 1 pl. XVII ss.
3) Capt. Durand, Bahrain in JRAS. XII 1880. — J. Th. Bent, The Bahrain Is-
lands in the Persian Gulf in Proc. of the RGS. Jan. 1890I. — Vgl. B. Meissner OLZ. 1917
7 pg. 201. — DeUg. en Perse VIII:' Les Tumuli de Bahrain par A. Jouannin pg. 149 — 157.
— E. Sachau, Chronik v. Arbela, Berl. Abhdlg. 191 5, p. 24 s. — Zu den Dolmen und Tumuli
sind die ähnlichen im Gebiet von Minussinsk am Jenissei zu vergleichen, bei A. M. Tall-
gren, Collection Tovosiine, Helsingfors 1917.
4) Herzfeld in Ira7i. Felsrel. pg. 63 — 68 Abb. 23.
IA2 Ernst Herzfeld,
gehörige Statue m. E; in Bahrain selbst verfertigt sein. Die Möglich-
keit ist vorhanden, daß auch die Tumuli in diese Urzeit gehören.
Will man überhaupt aus diesen Materialien Schlüsse ziehen über
die Richtung und die Wege der Entwicklung der frühesten Zivilisation
Irans und seiner Randgebiete, so kann der Schluß nur der sein, daß
die in Elam am Persischen Golf entstandene, mit der sumerischen
eng verwandte, aber nicht identische Kultur sich nach Nordost und
Ost ausbreitete, während ihre Ausstrahlung nach dem von Sumer
abhängigen Nordwest und West weniger bedeutend war. • Das wäre
eine Bewegung, die wohl zusammengeht mit der aus der Betrachtung
der Baukunst und Bildnerei erschlossenen.
Die monumental a^ wenigsten bekannte Epoche Irans ist die
hellenistische, also die Zeit Alexanders, der Seleukiden und der Parther.
Unter Alexander selbst wird vielleicht das achämenidische Leben
einfach weitergelebt. In ihre Paläste, wie in die des Nebukadnezar
ist Alexander eingezogen. Von den Seleukiden kennen wir aus Iran
selbst kaum mehr, als zwei oder drei Denkmäler, trotz der großen Zahl
der von ihnen gegründeten Städte. Es sind das der Tempel von Khurha^)
westl. Käshän, südwestl. Kum, an einer Straße Hamadän — Isfahän:
zwei hohe Säulen dieses ionischen Antentempels stehen noch aufrecht.
Ferner griechische Bildnereien von Dinawar, nw. Kirmänshähän ^).
Im übrigen müssen wir die Vorstellung ergänzen durch die Reste in
den Grenzländern: an Bauten das Theater von Babylon, die Stadt-
mauern von Seleukeia, die Stadtanlage von Sälihiyya; an Skulpturen
und Dekorationen die Gipsornamentik von Babylon und Sälihiyya,
eine Knöchelspielerin aus Seleukeia, ein Herakles aus Assur, In-
schriften und griechische Töpfereien aus Susa 3).
Das einzige bekannte Architekturdenkmal der Arsakidenzeit aus
Iran selbst ist bisher der große Anahit-Tempel von Kangawar 4),
Dazu kommen wenige nicht aufgenommene, nur beschriebene Reste
in seiner Nähe an der großen Heerstraße. Die Vorstellung von dieser
0 Vgl* HouTUM-ScHiNDLER, Eüsteni Persian Irak pg. 97 ss und Tor v. Asien,
Tfl. XVII.
=>) Vgl. Mission en Perse Bd. IV Karte pl. XXVII in chap. VII. — Tor von Asien,
Tfl. XIX.
3) Vgl. KoLDEWEY, Das nnederersiehende Babylon und MDOG. 1904 Nr. 21 pg. 9,
Nr. 22, pg. 4 — 6, 8—10. — Sarre-Herzfeld, Arch. Reise Bd. II für Seleukeia und Säli-
hiyya = 'Aqalqalä. — Die Knöchelspielerin in Tor von Asien, Tfl. XVIII. — Ferner Beleg,
en Perse Bd. I Travaux de Vhiver 1898 — 99 par Jecquier.
4) Flandin u. Coste, 1. c. pl. 20 — 23. — Sarre-Herzfeld, Iran. Felsrel. Tfl. XLVII
u. XLVIII pg. 224 SS.
Khorasan. 143
Architektur müssen wir also wieder erweitern, mit einer gewissen
Reserve, durch die Denkmäler der westlicheren Provinzen des arsa-
kidischen Reiches, nämlich: in Armenien der Tempel von Garni, das
arabische Hatra, Mauern, Tempel, Buleuterion und Häuser der Stadt
Assur-Libanai, die Häuser und Paläste von Nippur, Tello, Tempel
von Warka, einzelne Architekturteile und dekorative Skulpturen von
Ninive, Teil Kushäfund Babylon i).
Auf die Höhlen von Karaftö im zentralen Kurdistan bei Saqyz,
mit griechischer Weihinschrift an Herakles, ferner die von Saukand
bei So'uqbulaq, die von Käfurköili bei Rahna im Lär-Tale des Elburz-
Gebirges und von Ghär im Dirakwand-Gebiet in Lüristän mag hier
dieser kurze Hinweis genügen, da ihre genauere Zeitbestimmung ja
ganz fraglich ist ^).
An Skulpturen der parthischen Zeit besitzen wir die Reliefs
Mithradatcs'.n. d. Gr. und Gotarzes' H. in Bistün: das erste die
Huldigung von vier Würdenträgern vor Mithradates darstellend, in
kolossalem Maßstabe, das zweite ein Reiterkampf, viel kleiner, bei
dem über dem siegreichen Gotarzes die awestische Gottheit vanaißti
uparatdt, die »Siegreiche Überlegenheit«, in Gestalt einer griechischen
Nike schwebt. Beide Reliefs haben griechische Inschrift 3). Diesen
Werken, die in ihrer Gestaltung ganz hellenistisch sind, im Thema der
Huldigung und des Zweikampfes aber iranisch, steht das ebenfalls
parthische Relief eines Reiters mit huldigendem Mann zu Fuß gegen-
über, das unter dem Relief des Annubänini bei Sarpul angebracht ist.
Nur der rohe Versuch, den Faltenwurf des Gewandes darzustellen,
erinnert hier daran, daß es ein Relief aus nachalexandrinischer Zeit
sein muß. Auch die Reiterdarstellung überhaupt, die außerhalb der
griechischen Kunst im Altertum so merkwürdig selten ist, deutet
darauf hin. Von hellenistischem Geist ist kein Hauch mehr zu spüren,
und man würde überhaupt zweifeln, wie das Relief zu klassifizieren
I) Garni: früher bei Texier u. Ker Porter, jetzt bei Strzygowski, Armenien. —
Hatra: die beiden Veröffentl. der DOG. von W. Andrae und meinen Aufsatz in ZDMG.
68 1914. • — Assur: W. Andrae, Festungswerke und MDOG. passim. — Nippur: A. V. Hil-
precht, Explorations in Bible Lands und C. S. Fisher, Excavations at Nippur Bab. Exp.
of the Univ. of Penns. 1905. — Tello: De Sarzec-Heuzey, Decoiivertes en Chaldee und
Commdt. Gros, Nouvelles Fouilles. — Ninive: z.B. George Smith, Assyrian Discoveries
1875 pl- OPP- Pg- 308- — Warka: bis zur vorbereiteten Veröffentl. der DOG. durch J. Jordan
noch W. K. LoFTUs, Travels and Researches in Chaldaea and Susiana 1857. — Teil Kushäf :
Sarre-Herzfeld, Arch. Reise Bd. I pg. 211.
-) Karaftö: Rawlinson, JRGS. 1840 und Ker Porter. ^- Saukand: Rawlinson,
1. c. — Käfurköili und Ghär: De Morgan, Mission.
3) Flandin u. Coste pl. 19 und Tor von Asien, Tfl. XXI— XXIII. — Das parthische
Relief von Sarpul ebenda XXV.
1^^ Ernst Herzfeld,
sei, trüge es nicht eine Inschrift in aramäischen Buchstaben, von
einer Form, die der Chaldaeo-Pehlewi genannten Schrift sehr nahe
steht, und deren erste Worte: ritt'S j n2T "IDHS gerade erkennen lassen,
daß die Inschrift tatsächhch Pahlawik ist, mithin zu den ganz seltenen
Vorkommen dieser Schrift in vorsasanidischer Zeit gehört.
Die Vorstellung der arsakidischen Skulptur muß wieder durch
die westlichen Denkmäler ergänzt werden. Das* sind die Reliefs von
Finik und Qasr Gelli am Tigris nördl. Djazirat ihn 'Omar; zwei ganz
verwitterte Rehefs in *Imädiyya nordöstl. Mosul; die Partherstelen
von Assur; eine große Zahl der Köpfe von Hatra; der Torso einer
thronenden Statue in Rä*s al-*ain; die z. T. sehr schönen Terrakotten
von Kriegern, Reitern, Frauen aus Assyrien und Babylonien, und die
glasierten und reliefierten Sarkophage von Warka ^). Das Material
ist nicht ausreichend, um eine Entwicklung beobachten zu können.
Das gestatten nur die Münzen, und an ihnen sieht man deutlich ein
stetiges Nachlassen der griechischen Einwirkung, aber nicht etwa ein
Aufgezehrtwerden des Fremden durch eine neue oder alte nationale
Kunst, sondern eine vollständige Zersetzung, einen Verfall in bloße
Barbarei.
Die Geographie der parthischen Denkmäler macht, so wenig es
sind, die Annahme wahrscheinlich, daß ähnhch wie im hohen Alter-
tume, die neue Kultur von den Zentren im Westen die großen Straßen
entlang vordrang. Seleukeia am Tigris ist der stärkste Brennpunkt
dieser Ausstrahlungen. Die anderen Städtegründungen der Griechen
aber wirkten in entsprechender Weise.
Die historische Entwicklung muß es mit sich gebracht haben, daß
der Osten Irans, Baktrien, tiefer und reiner hellenisiert wurde, als der
Westen. Nur so sind die hellenistischen Elemente in der buddhistischen
Kunst zu verstehen. Griechische, nicht erst hellenistische Elemente
waren schon früher über das Achämenidenreich nach Indien gedrungen.
Die mittelindische Schule, deren achämenidische Elemente wir schon
erwähnt haben, kennt auch schon den griechischen Helioswagen, Hippo-
kampen, Kentauren und griechische Architekturformen. Die von
Vincent Smith »indo-hellenisch« genannte Schule von Mathura hat
schon den Silen, Herakles mit dem nemäischen Löwen und die Athene
Promachos. Intensiv hellenisiert ist dann die gräko-buddhistische
') Finik und Qasr Gelli: Layard, Niniveh and Babylon pg. 54 s. — Miss G. L. Bell,
Amurath io Amurath fig. 189 u. 190. - — 'Imädiyya: Bachmann, Kirchen und Moscheen
in Armenien und Kurdistan Tfl. I. — Die Statue v. Rä's al-*Ain nach v. Oppenheim in
meinem Tor von Asien, Tfl. XXVI, Terrakotten Tfl. XX. — Die übrigen Dinge in den
großen Ausgrabungswerken,
Khorasan.
H5
Schule von Gandhära. Der Grieche Menandros-Mihnda, 150 — 100
V. Chr., und der Küshän-Kaiser Kanishka, um 120 n. Chr. bezeichnen
die Etappen dieser Entwicklung. Auf Kanishka's Münzen kommt
zuerst die Gestalt des Buddha vor, mit der griechischen Beischrift
BoSoo, die wie der alte Christus-Typus aus dem Sokrates-Typus der
griechischen Kunst abgeleitet ist. Silvain Levy nennt Kanishka
den Clovis von Nordindien, und Foucher fügt hinzu: »Aber ebenso
wie der Franke Clovis nichts bedeutet für die Entwicklung der gallisch-
romanischen Kunst, so hat leicht begreiflich der Türke Kanishka
keinen, unmittelbaren Einfluß auf die der gräko-indischcn Kunst ge-
habt«. Die griechischen Elemente der Gandhära-Skulptur sind u. a. :
Der Zeus-Sakka, der Zeus mit dem Adler-Garuda, Ge »die große Erde«,
der aus dem Palast ausreitende Bodhisatva Gautama, Harpokrates, At-
lanten, Giganten, Silene, Satyrn, Eroten, Tänzerinnen, endhch der Nim-
bus und prinzipiell das Gewand, der Faltenwurf. Grünwedel teilt
die tibetische Legende über die Entstehung der Wellenhnien des
griechischen Faltenwurfes in der buddhistischen Kunst mit: Der
Künstler, der Buddha's Bildnis schaffen soflte, war von seinem Glanz
geblendet. Um ihm sein "Werk zu erleichtern, spiegelte sich Buddha
im Wasser. Das Spiegelbild im Wasser bildete der Künstler nach ^).
Fast noch mehr als die Bildnerei ist die Baukunst von griechi-
schen Elementen durchdrungen. Nicht die Bautypen, die stamhha
oder Idt, die tchaitya, die vihära und siüpa, ■ — die sind indisch. Aber
die Kunstformen der Architektur, Säulen, Pilaster, Kapitelle, Soffiten,
Profile, Akanthosornament und Ranke, und vieles andere sind helle-
nistisch. Die alten Tempel von Kashmir, wie Märtänd, Avantipur,
Pandritan und Payetch lehren das, und in wie hohem Maße die spätere
nicht-buddhistische Baukunst Indiens von ihnen beeinflußt ist, ist
noch kaum studiert ^).
Wenn also bisher auch kein Denkmal der seleukidischen und
arsakidischen Epoche aus Ostiran bekannt ist, so ist doch sehr wohl
') Vgl. A. Grünwedel, Buddh. Kunst. — A. Foucher, 1. c; ferner ders., L'origine
grecque de l'image du Bouddha, Bibl. de vidg. du Mus. Guimet XXXVIII 1913. — P. Brown,
A descriptive Guide to the Depariment of Archeol. & Antiquities, Lahore Museum, Labore
1508. — D. B. Spooner, Handbook to the Sculptures in the Peshawar Museum, Bombay 1910.
2) Foucher, 1. c. — Pbotos Bremer, Labore. — H. H. Cole, lllustraiions of the
ancient buildings in Kashmir, Arch. Survey of India 1869. — Cunningham, An Essay on
the Asian Order of Architecture, JRAS. XVII 1848 pg. 241 ss. — M. A. Stein, Rajatarangini,
a Chronicle of the Kings of Kasmir 1900. Zu Kasbmir auch Arch. Survey of India, Annual
Rep. 1915— 16. — Die letzten Grabungen Sir John Marshall's in Taxila ergaben dort
einen Antentempel griecbischen Stils, Arch. Surv, Ann. Rep. 1913— 14, auch ders. A Guide
to Taxila, Calcutta 1918.
Islam XI. ' 10
146 Ernst Herzfeld,
ZU ahnen, was wir vielleicht einmal durch Grabungen dort kennen
lernen werden, nämlich eine viel intensivere Hellenisierung als im
Westen Irans. Die national-persische Reaktion gegen den Hellenismus
und das Parthertum geht dagegen vom Südwesten, von Färs aus.
Daß das sasanidische Reich und seine Kultur dort wurzeln, ist kein
Zufall, sondern tief begründet. Wenn überhaupt altpersische Über-
lieferung weiterlebte, so war es in diesen abgelegenen, ethnisch reinen
Gebieten von Färs, nicht in Khoräsän an der großen Post-, Heer- und
Handelsstraße des Arsakidenreiches von Seleukeia nach Baktrien und
Indien, die uns Isidoros von Charax beschrieben hat, in einem
Gebiet jahrhundertelanger Kämpfe und Einbrüche barbarischer Völker.
Das erste Mal, wo Khoräsän kulturschöpferisch in Erscheinung
tritt, ist also die gräko-baktrische Epoche. Wollte man diese Vorstel-
lungeinfachauf die Folgezeit ausdehnen, so hieße das eine Grundtatsachc
völlig übersehen : die größere östliche Hälfte des Landes ist dem Perser-
tum ethnisch, dem Zoroastrismus religiös entrissen. Die Buddha-
Kolosse von Bämiyän, das Nauvihär von Balkh, die benachbarten
Höhlenklöster von Haibak und Pandjdih zeugen dafür. Dazu kommen
jetzt vielleicht als Wichtigstes die von M. A. Stein neu entdeckten
Ruinen eines mit Malereien geschmückten buddhistischen Heilig-
tumes auf dem Koh i Khwadja in Sistän ^). Es ist ein längst wider-
legter Irrtum, das Nauvihär, von dem die priesterliche Familie
der Barmakiden stammte, für einen Feuertempel zu halten. Schon
ibn Faqih nennt die märchenberühmten Barmakiden Götzen-
diener, d. h. Buddhisten, vom gleichen Glauben wie die Kaiser von
China und die Käbulshähe. Er erwähnt die hundert Ellen hohe Kuppel
des Tempels mit ihren seidenen Tempelfahnen und den 360 maqsüra,
d. i. den Zellen mit Buddhabildern. Und Yäqüt nennt diese Kuppel
o»w^5, d. i. natürlich «.„»JCwt^SI, die Stüpa. Ganz ausführlich schildert
Hiuen Tsiang dieses Heiligtum von Balkh (Po-ho) und ihm ver-
danken wir vor allem die genauen Angaben über den Buddhismus im
östlichen Khoräsän. Dem Buddhismus gehören Tirmidh — Ta-mi,
Tchaghäniän — Ch*i-ngoh-yen-na, Garma — Hwuh-lo-no, Sumän und Ku-
') Bämiyän schon bei Ritter. — H. H. Hayden, Notes on smne Monuments in
Afghanistan, Mem. of the Asiat. Soc. of Bengal vol. II pg. 341 — 46, 1910. — Burnes,
Voyagc eil Boukhara II 173. — Balkh: Yäqüt s. v. und maräsid 235; Tabari I 2903;
Qazwini 221 ; murüdj Kap. LXVIII; b. Faqih 322; Hiuen Tsiangbei Beal I pg. 43 ss.
— Haibak: Transact. of the R. Institute of British Architect im Anschluß an Phene Spiers,
Sassanian Architecture i. Dez. 1890. — Pandjdeh (am Murghäb bei Herät): Capt. F. de
Laessoe, Caves & Ruins at Penjdeh S.-A. aus JRGS., Jahr ? pg. 583 — 591; comm. by
Sir H. C. Rawlinson. — Marc Aurel Stein's Entdeckungen in Geogr. Journ. 47,
iqi6, pg. 358—64 und 48, 1916, pg. 97—130. 193—229, Abb. 29, 31 u. 32.
Khorasan.
147
lab — Su-man, Kubädiän — Kio-ho-yen-na, Wakhs — Husha, Khottal —
Kho-to-lo, Baghlän — Fo-kia-lang, Rüi-Simingän — Hi-lu-sih-min-kien,
Khulm — Ho-lin, Balkh — Po-ho, Gozgän — Hu-shi-kien, Tälakän — ^Ta-
la-kien, Gatch — Kie-tchi und Bämiyän — Fan-yen-na.
Es wäre auch keine richtige Parallele, wollte man die Bedeutung
Khoräsäns für die *abbasidische und *alidische Sache auch nur in die
sasanidische Zeit zurückprojizieren. In der frühislamischen Zeit waren
Basra, Wäsit, Khüzistan und Shiräz feste Stützpunkte der Umayyaden-
Herrschaft, Khorasan das Land der Gegnerschaft. Um 200 n. Chr.
aber war Pars und nicht Khorasan die Heimat des alten oppositionellen
Persertums, und wie die politische Erstarkung von Pars ausgeht, so
kommt ebenso von da der bewundernswerte geistige und künstlerische
Aufschwung, den Iran unter den Sasaniden nimmt.
So ist es auch die südpersische Schrift und Sprache, die unter den
Sasaniden ganz Iran erobert, und von ihr, nicht von der medischen
oder ostpersischen, stammt die heutige Schriftsprache ab. Und es ist
wieder kein Zufall, sondern tief begründet, daß sämtliche Denkmäler
der Sasanidenzeit in Westiran liegen, und zwar die weitaus größere
Menge in Pars selbst. Denkmälergeographie und Historie stimmen
völlig überein.
Die sasanidischen Denkmäler liegen an folgenden Orten: In Pars
Stakhr, Naqsh i Radjab und Naqsh i Rustam, Hadjiäbäd und Pirüz-
äbäd, Khunaifighän, Däräbgerd, Porg, Parräshband, Barm i Dilak,
Shäpür, Nobandagän, Naqsh i Bahräm. Im Übcrgangsgebiet nach
Khüzistan: Arragan, Tang i Saulak, Darwäza i Gatch, Hong. In
Khüzistan: Susa, Ewän i Karkh, Shushtar, Dizful. Im 'Iräq und Ost-
tigrisgebiet: Ktesiphon, Dastagerd, Qasr i Shirin, Haushkuri, Hulwän,
Paikuli. Weiter an der Straße nach Hamadän: Täq i Girrä, Täq i
Bustän, Bistün, Hadjiäbäd. Vereinzelte Monumente: Isfahän, Rai,
Salmäs nordwestl. des Urmiya-Sees. Also alles im Süden und Westen,
ganz wenig im Nordwesten, nichts im Osten. Dies Fehlen im Osten
könnte aus dort gebräuchlichem, vergänglicherem Material erklärt
werden. Nicht so das Fehlen der Pelsdenkmalc, zu denen sich die
Berge im Osten so gut eignen, wie die im Westen. Das wir nicht vom
Zufall der Erhaltung abhängig sind, wenn wir aus der Übereinstimmung
der erhaltenen Denkmäler und der Geschichte dem Westen die führende
Rolle zuweisen, beweist nun ganz eindeutig die ungeheuer große Zahl
der überlieferten Baunachrichten. Die Städtegründungen sind natür-
lich nicht wie die griechischen Kolonien zu verstehen, sondern bedeuten
die Schaffung von Residenzen, Verwaltungszentren, Heerlagern mit
den dazu gehörigen Bauten. Verschiedene der Nachrichten sind un-
10*
I_4 8 Ernst Herzfeld,
sicher, weil die Identität der amtlichen Benennungen mit den volks-
tümlichen Namen schon früh vergessen war. Einige scheinen auch
bloße Worterklärungen von Städtenamen zu sein. Aber in der großen
Masse steckt der beste geschichthche Kern: der Charakter der Werke,
in denen uns die Nachrichten überUefert sind, zeigt, daß diese im
wesentlichen aus dem Khvatdi-ndmak, der sasanidischen Reichschronik
stammen müssen. Die folgende Liste ist mein Arbeitsmaterial ohne
Anspruch auf absolute Vollständigkeit^):
Äbasgün in Gurgän, Socu7idaht\ Ava.m\a.n, gegründet von Kawädh. Dorn, Caspici pg. 66s.
Abhar, gegr. v. Shäpür II, Yäq.
Ahwäz, d. i. Süq al-Ahwäz oder Khozhistän Wätchär, als Ohormizd-Artashirän, gegr. v.
Artashir I. nach Hamz., Tab., Qut. ; von Hormizd I. nach Shahr^hä S £rdn; nach
Muq. von Shäpür als -^.i^i.tOi^^, daraus wic.iii,<>3 (falsch).
Alishtar, hd. Lishtar, SO. Behbehän, Ruinen eines Feuertempels, Hamd.
Amol in Tabaristän, alter Kuppelbau, Ahmad Räzi.
Ardistin, zw. Käshän und Nä'in InMedien, ,,dort gibt es viele Gebäude der Magier (d. i.
sasanidisch), in jedem Stadtviertel eine Zitadelle, worin. Feuerhaus und Wasser-
leitung". Ist. 202, vgl. Yäq. I 198.
Arragän neben Behbehän als Weh-Ämid i Kawädh zur Ansiedlung der Kriegsgefangenen
aus Amida gegr. v. Kawädh Perozän n. Ha., Tab.. Qut., Shahr., Yäq(Abaz-Qubädh!).
Asadäwädh westl. Hamadän, i Farsakh davon ein Ewän i Kisrä, westl. des Alwand-
Passes, Muq.
Asak zwischen Arragän und Rämuz, dort ein Ewän, gr. Kuppelbau, gegr. v. Kawädh, Yäq.
Ashkar (ob 'Askar Mukramr), gegr. v. Bahräm V. n. Shahr.; 'Askar Mukram als Rustak-
äbädh oder Rustamkarädh von Shäpür IL n. Hamd.
Bahrasir oder Bardasir in Kirmän, gegr. v. Artashir I. n. Eut. und Ha.
Bailaqän, arm. Phaitakarän am Arras, gegr. v. Kawädh (488 — 531); bei Faustos
V. Byzanz (5. sei.) in seiner die Jahre 317 — 370 Chr. behandelnden Geschichte
bereits erwähnt.
I) Vgl. William Simpson, Mud Archiiecture, Trans, R. Inst. Brit. Arch. NS. vol. III
pg. 57 — 80. — Über die Zuverlässigkeit und Quelle der Baunachrichten urteilten so schon
V. GUTSCHMID und XÖLDEKE.
Die Abkürzungen bedeuten: Ath. = Ibn al- Athir ed. Tornberg. — Bai. = Ba-
lädhuri, küdb fidü/t al-buMän ed. Cairo 190 1. — Eut. = Etdychii Annales ed. Cheikho
1906. — b. Faq. = Ibn al-Faqih in Bibl. Geogr. Arab. ed. De Goeje. — Ha. = Hatnzae
Ispahanensis Annales ed. Gottw.^ldt 1844. — Hamd. — Hamdalläh al-Mustawfi
al-Qazwini, Nuzhat al-qulüb, Auszüge in Schefer, Suppl. aw Siassetndtneh, und Le
Str.a-NGE, As. Soc. Monogr. V. 1903; die ed. des Gibb Memorial ist mir noch nicht zugäng-
lich. — Ders., td'rikh i guzida ed. E. G. Browne, Gibb Memorial. — Ist. = Istakhri
n. BGA. DE Goeje. — Mas. = Mas'üdi, tanbih n. BGA. De Goeje. — Ders., miirüdj ed.
Barbier de Meyn.^kd. — Muq. = Muqaddasi n. BGA. de Goeje. — Moses v. Chorene
nach Marqu.'^rt's Eränsahr. — Qut. = Ibn Coteiba's Handbuch d. GeschichU ed. F.
WüSTEKFELD 1850. — Shahr. = Abiyädgär-i-Zarerän, Shatroihä-i-Airän usw. Jivanji
Jamshedji Modi Bombay 1899. — Tab. = Tabari, die große Leidener ed. der Annalen
und die Übersetzung des sasanid. Teils v. Nöldeke. — Yäq. = Yäqut, mu'djam ed.
Wüstenfeld.
Khorasan.
149
Bardha'a, arm. Partav, N. v. Ädharbaidjän, gegr. v. Kawädh, Hamd; nach Moses
Katankatvathsi, Gesch. v. Albanien 33, vom Albaner-König Vache auf Befehl
des Peroz (457 — 484) erbaut und zuerst Perozajjat,] i. e. Flrüzäbäd genannt, vgl.
Hübschmann, Altarm. Ortsnamen, S. 273.
Bär min in Kirmän, Feuertempel des Khosro II. Ha.
Büdh-Artashir, d.i. Mosul, gegr. v. Artashir I. Ha. Tab.
Bukht Artashir, an der Küste, Karnämak IV § 8, NÖLnEKE, Kärn. 46.
B uräzgün zwischen Büshir und Shiräz, nach Buräza, Vater d. Buzurgframatär Mihrnarseh
des Bahräm V. Gor.
Bust in Sagistän, dabei Ruinen Stabl Rustam genannt, Vaq.
Dämghän in Komish, sasanidisches Wasserkastell nach Mus'ir bei Yäq.
Dar-Artashir Aapapxaai; bei Georgios Pisida, gleich Ganzaka in Ädharbaidjän, gegr. v.
Artashir I.
Darband, Mauern von Bäb al-abwäb von Kawädh und Khosro I. Ha., Bai., Tab.
Dastagerd i Khosro oder Daskarat al-malik von Hormizd I. Ha. Qut. Chron. v.
Se'ert; ein anderes D. in Ahwäz Yäq.
Dizful, alt Andimishk, gegr. v. Artashir Päpakän, Yäq.
Dukkän bei Kirmänshähän, Palast des Khosro II. Yäq.
Erän-äsän-kert-Kawät v. Kawädh I. n. Moses v. Chor. Shahr.
Erän-shädh-Kawädh zwischen Hulwän und Shahrazür n. Ha. von Kawädh, gegr.
wahrscheinlich gleich Ostän Shädhqubädh zwischen Tigris und Diyäla.
Eränshahr-Shäpürundfirän-khurra-Shäpür bedeuten Susa und Karkhä de Lädhan,
hd. fiwän i Karkh; Urform: Erän-farrukh-kert-Shahpuhr. Beide von Shäpür II.
gegr., n. Tab., mudjmü; ßrän-kert-Shahpuhr von Shäpür I. n. Shahr.
Furät al-Basra oder Furät Meshän, Phnius: Fora, inschr. <t>OPAe> als Wahmänä-
bädh-Ardashir oder Bahman-Ardashir von Ardashir I. n. Eut. Ha. Qut.
Furdugän in Farahän bei Hamadän, alter Feuertempel n. b. Faq.
Gilgird I'tXt'yepScf, »Schloß der Vergessenheit«, hd. Burg von Susan nördl. Malamir
n. Rawlinson, bei Kedrenos, Agathias, Prokop, Moses, Theophylakt.
Gundeshäpür, ßEvooaaßopojv Theoph., syr. Beth Lapat, hd. Shahäbäd Ruinen, als
Weh-Antiyok i Shahpuhr, Weh-Andew-. . ., Wande-Sh. von Shäpür I. zur An-
siedlung der römischen Kriegsgefangenen aus Antiocheia gegr.; Stadtplan ein
Schachbrett von 8x8 Straßen. Ha. Qut. Sahr. Yäq.
Gür-Firüzäbäd als Artashir-khurra von Artashir I. gegr. Tab. Ha. Qut. Shahr.
Gurgän, Verteidigungsanlage gegen die Hephthaliten, von Peroz; ausgebaut von Kawädh
und Khosro I.
Hafa (Hafna, Hafta), alt ^^ü-isLäP, vgl. assyr. Me-Turnat, uralte Stadt an Nord-
grenze des Sawäd v. Baghdad, von Shäpür IL restauriert n. Yäq.
Hamadän von Yazdegerd I. n. Shahr. sonst allg. von Alexander, z. B. Mas'üdi; Yäq.:
Burg Särü(k) des Därä, der Löwe ein Talisman des Apollonios von Tyana; b. Faq. :
ein Gewölbe des Salomo und die Keilinschriften des Dareios .^sJC^ , i. e. »äsÄJ
genannt, hd. Gandjnäme.
Hawiza, gegr. v. Shäpiar I. n. Hamd.
Hormuz, Hafen von Kirmän, gegr. v. Ardashir 1. Yäq.
150 Ernst Herzfeld,
Hulwän in Mähän (Medien) v. Kawädh zur Ansiedlung von Kriegsgefangenen aus Ämid
(? vgl. Arragän). Tab. Eut. Qut. Yäq.
Hunew-Shäpür in Madä'in von Kawädh Ha.; ein' anderes (Gibä-Shäpür.?) vielleicht
gleich Beth Wäziq, Bawäzidj, Qal'at Djabbär am Tigris B. 0. Assem. III 1311a. i,
II 115, 6; ZDMG. X 155. Hoff.mann, Syr. Akt. 189 und Nachtr., Enz. Isl.
s. V. Bawäzidj.
Isfahän von Alexander, z. B. b. Faq.; Vollendung der Mauern und Tore durch Ädhur-
shäpür i Ädhurmänän unter Peroz, Ha.
Izad-Kawädh-kert = Nehärgur zwischen Shatt al-'Arab und Khüzistän, von Kawädh
gegr. Ha. (überall ist Izad- für Abar-Abaz- usw. herzustellen).
Kai am, alte Festung in Tabaristän, Zeit Khosro's Yäq.
Käriyän im südl. Färs, alter Feuertempel Yäq. b. Faq.
Karkar in Arrän bei Bailakän, gegr. v. Khosro I. Yäq.
Karkh Meshän Xdpa^ ^Tiacfvou, hd. Muhammera , als Astaräbädh-, Astäbädh- oder
Wahishtäbädh-Ardashir, gegr. v. Ardashir I. Tab. Qut. Eut. Ha. Yäq. Fird.
Cod. Sprenger.
Kashkar, zwei Städte in K., v. Peroz n. Qut. vgl. unter Räm i Peroz und Roshan i Peroz.
Kawädh-khurra bei Kärzin in Färs, Kreis Gür, v. Kawädh Tab. Qut.
Käzarün v. Kawädh. Tab. und Shahr.
Khäbür-Kawädh bei Mosul von Kawädh. Ha.
Khatt, Stadt auf Festland Bahrain, Qatif, als Paniädh-Ardashir, gegr. v. Ardashir I.
Tab. Eut. Ha. Qut. Moses.
Kirmän von Bahräm IV^ Kirmänshäh n. Qut., schlechter v. Peroz Kirmänshäh n. Shahr..
besser: Bahräm IV. baut Stadt in Kirmän n. Tab., vermutlich Kirmänshähän
südöstl. Yazd.
Kirmänshähän, dem Namen nach von Bahräm W. Kirmänshäh gegr. Ein Palast auf
1000 Säulen des Kawädh n. Yäq.
Kor eng bei Edhadj in Khüzistän als Wahisht-Hormizd von Hormizd I. Ha.
Ktesiphon, Palast von Shäpür I. b. al-Muqaffa', Brücke Shäpür's IL n. Qut.
Kubädiän in Khotlän v. Kawädh, nur Etymologie.
Kudjiqän, kleine Stadt in Gilän v. Ardashär I. n. Hamd.
Mädruwaspän, d.i. Täq i Girrä, Jagdschloß des Bahräm V. Gor Yäq.
Manärat al-hawäfir, der Hörnerturm, legendäres Jagddenkmal Shäpür's I. Yäq.
b. Faq., Athir, Mirkhond.
Marw, V. Alexander gegr. Ist. Muq. b. Faq.
Marw i rodh, v. Bahräm V. n. Shahr.
Mushaqqar, Kastell auf Bahrain von einem Basak? S. d. Mähb6dh.> z. Z. des Khosro I.
n. Tab.
Nakhtchawän, gegr. v. Bahräm Tchöbin n. Yäq.
Nä'üs al-zabiyya, das Gazellengrab, bei Hamadän, Jagdschloß des Bahräm V. Yäq.
Faq.
Neshäpür, Nisäbür, als New- Shahpuhr gegr. v. Shäpür I. n. Shahr. Ha.; von Shäpür IL
n. Tab. Qut.
Nihäwand, in der Gegend v. N. im Distrikt Vahrämäwand gründet Bahräm V. eine Stadt
n. Shahr. — Die Stadt ist aber viel älter, da sie bereits bei Ptolemaios als
Nuf'üvaväa erscheint.
Nimiwar bei Isfahän, schönster Bau in Lehmziegeln und Lehm. b. Faq.
Khoiasan. I 5 1
Ob oll a 'ATToXoyo?, syr. Remä in Meshän als Shädh-Shahpuhr, gegr. v. Shäpür I. Ha.
Tab. Moses.
Ödjän in Ädharbaidjän, gegr. v. Bidjan S. d. Güdarz, Arsakide, Hamd. vgl. Khadjrän
(Käzarün?) Adjän (Arragän?) und Kard gegr. v. Kawädh n. Shahr.
Perozshäpür, Amm. Marc: Pirisabora, Zosim. BrjpaaßÄpa gleich Anbär am Euphrat,
gegr. V. Shäpür I. n. Ha., von Shäpür H. n. Tab. Yäq. — ein anderes? in Khüzistän
von Shäpür IL n. Qut.
Püshang mit Brücke über den Hare-rodh, gegr. v. Shäpür I. ii. Shahr.
Qantarat Tchihrazädh bei Edhadj, Brücke und Feuertempel von der Mutter Ar-
dashir's I. gebaut, vielleicht mythisch, n. Yäq.
Qasr Bahräm Gor im Dorf Gohasta beiHamadän, Palast in Fels gehauen, wahrscheinlich
natürl. Höhle, n. b. Faq.
Qazwin, gegr. v. Shäpür I. Lubb al-iawdrikh n. Ahmad Räzi und Hamd. Ta'r. Gus. von
Shäpür n. n. Yäq. und b. Faq, erscheint als Festung gegen die Dailamiten in d.
Geschichte Bistäm's, Fird. Tab. Nöldeke pg. 482. Die Namenschreibung ist
arabisiert aus Kasvin, vgl. gr. Knantavi].
Räm i Hormizd Ardashir, hd. Rämuz, gegr. v. Hormizd I. n. Shahr. Ha. Tab., vgl.
Räm-Ardashir oder Rämishn i Ardashir von Ardashir I., Kärnämak und Ha.
Tab. (= Rew Artashir?, vgl. Rishihr).
Räm-Peroz in Hind (?) v. Peroz gegr. n. Ha.; n. Eut. und Cod. Sprenger in Kashkar,
vgl. Kashkar und Rai.
Räm-Shahristän, sasanid. Hauptstadt v. Sagistän Ist.
Rai, eine Stadt bei Rai als Räm Peroz, gegr. v. Peroz, n. Yäq. Muq. Tab.; Fird.: Peroz-
Räm; Qut. ungenau Rai selbst.
Rishihr als Rew-Artashir, gegr. v. Ardashir I. Yaq. Hamd.; n. Nöldeke Tab. nicht
Reshahr südl. Büshir, sondern im NW. vgl. Muq. Ist.
Roshan-Peroz an der Grenze von Sind Ha.; dagegen Tab. zwischen Gurgän und der
Pforte von Tchöl; n. Eut. und Cod. Spr. aber in Kashkar !
Sagistän, eine Stadt in S., gegr. v. Shäpür II. Tab.
Sind, eine Stadt in S. von Shäpür II. n. Tab. Qut., unwahrscheinhch.
Srosh Adhurän, Feuertempel im Gau Djai von Shäpür II. Tab.
Sughdabil in Armenien am Kurr von Khosro I. n. Yäq.
Shädhirwän von Shüshtar, Aquaeduct von römischen Kriegsgefangenen (Valerian)
unter Shäpür I. gebaut, Tab. Ha. Qut. Ist. Muq. b. Rost. Yäq. Hamd.
Shahräbädh-Kawädh zwischen Gurgän und Aprshahr von Kawädh, gegr. n. Ha.
Shahr Kawädh in Färs gegr. v. Kawädh Yäq.
Shahristän i Yazdegerd im Lande der Tchöl, Castrum an der Grenze Gurgäns, von
Yazdegerd I. Syr. Moesinger II, 68.
Shahr Räm Peroz bei Abeward, gegr. v. Peroz.; Khosro I. siedelt dort Tchöl an, vgl.
Shahräm-Peroz in Ädharbaidjän Tab.; Moses, Zamperoz in Khoräsän.
Shäpür in Färs, Ansiedlung römischer Kriegsgefangener durch Shäpür I. Ha. Qut.
Shäpüragän, hd. Shibargän, dem Namen nach von einem Shäpür gegr., vgl. Nöldeke
Tab. pg. 457.
Shäpür-khwast , wo?, gegr. v. Shäpür I. Ha.
Tamis(a) in Tabaristän, Grenze v. Gurgän und Khoräsän, Kunststraße in Ziegeln und
Zement von Khosro I. Yäq.
Tazar zwischen Asadäwädh und Kirmänshähän, ein Schloß eines Khosro, Muq.
152
Ernst Herzfel d ,
'Ukbarä, nöidl. Baghdad, als Buzurg-Shäpür, gegr. v. Shäpür II. n. Ha. Tab.
Waläshgerd, wo?, gegr. v. Kawädh Ha., ein anderes Guläshgerd in Kirmän z. Z. Ar-
dashir's I. nach einem König Baläsh v. Kirmän benannt, Tab.
Weh-Antiyok-Khosro, Weh-Andew-Khosrö oder Rümiya in Madä'in nach dem Muster
von Antiocheia für die verpflanzten Antiochener von Khosro I. erbaut. Tab.
Ha. Qut. usw.
Weh-Ardashir oder Bahurasir in Seleukeia v. Ardashir I., gegr. n. Tab. Ha. Shahr.
Weh-Kawädh oder Bih-Qubädh auch in Seleukeia von Kawädh, var.
Weh- Shäpür, ob gleich Shäpür in Färs?, v. Shäpür I., gegr. Shahr.
Zarang, die Burg halb von Ardashir, halb von Khosro n. Muq.
Von diesen lOO Orten fallen 34 auf Färs, Kirmän und Khüzistän,
27 auf Kurdistan, Djibäl und Ädharbaidjän, 21 auf das Tigrisgebiet,
also 82 auf Westiran. Auf Sistän fallen Bust, Zarang, Räm Shah-
ristän und eine namenlose Stadt. Die letzteren drei sind möglicher-
Aveise identisch, fraglich sind Räm-Peroz und Roshan-Peroz, unwahr-
scheinlich eine namenlose Stadt in Sind. Auf den Südosten entfallen
also nur vier oder fünf Punkte. Auf Khoräsän in weitem Sinne kommen
nur II Ortschaften. Davon ist Kubädiän falsch, Shahr-Räm-Peröz
und Shahräbädh Kawädh ganz fraglich, Shäpüragän nur aus dem
Namen erschlossen. Tamisa ist nur eine Straße, Gurgän und Shahristän
i Yazdegerd sind nur Limes-Anlagen ^). Es bleiben im ganzen der
Masse der westlichen Gründungen gegenüber nur die vier Orte in
Khoräsän: Dämghän, Neshäpür, Marw i rodh und Püshang.
Geschichte, Topographie der Überreste und der Überlieferung
stimmen also völlig darin überein, daß in sasanidischer Zeit die kulturelle
Bedeutung Khoräsäns unwesentlich ist, daß der Schwerpunkt vielmehr
im Südwesten liegt. Inhalt und Wesen der Denkmäler aber ergeben
noch mehr ^).
Die sasanidische Bildnerei kennt nur wenige, bestimmte Themata:
I. Die Belehnung: ein menschgestaltiger Gott, der dem König die
Corona, das Symbol der Herrschaft reicht; beide Gestalten zu Pferde
oder zu Fuß, allein oder vor Gefolge. Das ist das altmorgenländische
Belehnungsmotiv, wie auf dem berühmten kudurru des Merodach-
baladan des Berliner Museums. Die Anwesenheit des Thronfolgers
1) Zu den Limesanlagen vgl. Plinius, Nat. Hist. 6, i2. — Prokop, Bell. Pers. I
106—107, II, 547 und Bell Goth. 4, 3 — Tab. III, 1275, 7 — Ist. 185, 4 — Yäq. I
351, 3. Über den von ihm entdeckten Limes in Sistän und seine Beziehungen zur
cliinesischen Mauer wie zu den römischen Limesanlagen vgl. M. Aurel Stein in Gcogr.
Journ. 47, 1916 p. 313 und 48, 1916 p. 227.
2) Ich benutze im folgenden ein unveröffentl. Ms. »Materialien zu einer mittelpersi-
schen Kunstgeschichten. Die Gegenstände meist bei Flandin u. Coste, Dieulafoy, Stolze,
Sarre-Herzfeld, de Morgan, Herzfeld, Tor von Asien.
Khorasan.
153
auf einigen dieser Reliefs kommt schon am Kul i Fir*aun in Mälamir
vor. Das alte Motiv ist hellenisiert, besonders wo es als Gruppe von
Reitern abgewandelt wird. Schon auf arsakidischen Münzen.
2. Huldigungssbild : der König stehend oder thronend mit hul-
digenden Würdenträgern, Truppen u. dgl. Das Motiv schon auf den
achämenidischen Gräbern und den Audienzreliefs, der Gestus auch in
Kul i Fir^aun. Völlig vorgebildet bereits in Mithradates' II. d. Gr.
Denkmal von Bistün.
3. Triumphe und Tributzüge: Das Urbild sind die Triumphe des
Annubänini und des Dareios. Viele Einzelheiten altmorgenländischer
Beispiele, wie das Treten oder Stehen auf dem besiegten Feind, kehren
unverändert wieder. Der Symbolismus — ■ es sind vielfach keine histo-
rischen Handlungen, sondern reine Symbole magischer Bedeutung — ist
altmorgenländisch. Die Form ist stark hellenisiert: enge Verwandtschaft,
mit römischen Triumphreliefs. Die Tributzüge erscheinen in Assyrien,
im hettitischen Karchemish, in Persepolis und auf römischen Reliefs.
4. Reiterkämpfe: nicht altmorgenländisch, sondern hellenistisch;
völlig vorgebildet im Denkmal Gotarzes' II. von Bistün.
5. Jagden: altmorgenländisches Motiv des hettitischen und assyri-
schen Kreises. Enge Beziehungen zu spätassyrischen Jagdbildern.
6. Opferhandlungen, Klinenszenen: nur im Tang i Saulak^), un-
genügende Aufnahmen. Die Opfer- schließen an achämenidische und
medische, die Klinenszenen an hellenistische Vorbilder an.
Diese Bildnerei ist eine ausschließlich amtliche Kunst, dient nur
der. Verherrlichung des vergöttlichten Königtums. Auch das Religiöse
tritt nur als Staatsreligion, als Kirche auf. Das ist der assyrisch-
achämenidische Geist, noch übertrieben und übertroffen. Jegliche Ver-
breiterung des Inhaltes, Durchdringung des nationalen oder indivi-
duellen Lebens mit Kunst fehlt. Die strenge, bis zum Absoluten vor-
gehende Symmetrie ist eine Übertreibung des achämenidischen Grund-
satzes, der auch* seit Diocletian im Abendlande den Entwurf amt-
licher Themata beherrscht. Die Zerlegung großer Bilder in parallele,
gerahmte Streifen, ist ebenfalls achämenidisch, und liegt schon im Kul
i Fir^aun vor. Die fliehende Perspektive und die Vogelperspektive, die
daneben und durcheinander verwandt werden, sind dagegen aus dem
Hellenismus übernommen. Das Durcheinander widerstreitender Grund-
sätze ungleicher Herkunft lehrt, daß diese Kunst nichts von innen
heraus Gewachsenes, sondern etwas eklektisch Geschaffenes ist. Aus-
drucksmittel ist allein die Gebärde der Haltung, meist durch die Hand
hervorgebracht, nie durch das Gesicht; selten durch den Körper.
') DE BoDK, Travels in Luristan, London 1845.
154 Ernst Herzfeld,
Auch das ist Achämenidentum und Altes Morgenland. Diese Reihe
der Charakteristiken kann beliebig vermehrt werden: nichts in dieser
Bildnerei, das nicht aus der älteren Kunstübung der gleichen west-
lichen Landschaften erklärt würde.
Die Betrachtung der zeitlichen Folge der sasanidischen Felsdenk-
male und ein Überbhck über die Werke der Metallurgie, der Stein -
Schneiderei und der Wirkerei lehren weiter, daß alle diese Künste
keine selbständigen Entwicklungen erlebt haben, sondern daß sie alle,
mindestens seit dem vierten Jahrhundert, in Abhängigkeit von einer
anderen Kunst, nämlich der Malerei standen. Von dieser Kunst ist
uns kein einziges Denkmal erhalten, aber es gibt viele Quellen, aus
denen wir ihre Vorstellung rekonstruieren können: aus der Literatur
wissen wir, daß caedes et bella ihr Hauptthema waren; es gab ein
Gemälde der Belagerung von Antiocheia, der Könige der Erde ver-
sammelt beim König der Könige von Iran und Anirän; die Jagdaben-
teuer des Bahräm V Gor wurden oft gemalt usf. ^). Der Schluß ist
erlaubt, daß alle Themata der Bildnerei, der Metallurgie, der Stein-
schneiderei und der Wirkerei zugleich Themata der Malerei waren, ja
ihr ursprünglich angehörten. Wesentlich ergänzt wird die so gewonnene
Vorstellung durch erhaltene Malereien aus anderen Gebieten, erstens
von frühislamischen Bauten wie Qusair *Amra und Samarra, zweitens
von buddhistischen Malereien aus Turkistan, deren starke persische
Elemente von jeher bemerkt sind und eine gründliche Bearbeitung
erforderten. Die Malerei war — das ergibt die Betrachtung der sasa-
nidischen Kunstdenkmäler in ihrer Gesamtheit — die beherrschende
Kunst im sasanidischen Iran, die einzige, die dauernd geübt wurde
und in der es eine lebendige Überlieferung gab ^).
Gemalt haben schon die Parther. Ich verdanke der Güte 0.
Reuther's die Kenntnis einer imMerkez in Babylon gefundenen Malerei,
der parthischen Schicht, die m. E. einen Sonnenwagen darstellt, also
die Abstammung der späteren astrologischen Darstellungen des Islam
aus dem babylonischen Altertum in gewisser hellenistischer Umbildung
unmittelbar beweist 3). Auch ist der allgemein hellenistische Charakter
der Malereien von Qusair *Amra und Samarra zu deutlich, und selbst
') Vgl. meine Archäologischen Parerga, »Die. Könige der Erde«, in OLZ. 1919, 2.
-) Qusair 'Amra: die vorläufigen Veröffentlichungen von A. Musil, das große Werk
der Wiener Akademie, und Enzyklop. d. Islam s. v. — Samarra: die beiden Vorberichte
von 1912 und 1914.
3) Typus der Darstellung ist wie bei Lanci, Trattato delle simboliche rappresentantf,
zitiert und abgebildet in dieser Zeitschr. Bd. III Tfl. 7 von F. Saxl. — Vgl. Herzfeld,
Thron des Khosro in Jahrb. d. preuß. Kuvstsamml. 1920 i u. 2.
Khorasan.
155
in Turfan noch so erkennbar, als daß wir die sasanidische Malerei, die
ja zwischen diesen Extremen liegen muß, anders denn als hellenistisch
uns vorstellen dürften. Es gibt Dinge, die in den islamischen Malerei-
resten einerseits, in Turkistän andrerseits auftreten und eine spezifische
Verwandtschaft aufweisen. Eine unmittelbare Übertragung vom
einen zum andern kommt nicht in Frage. Viel eher würde man sich
zu dem Trugschluß verleiten lassen, daß solche Dinge beiderseits von
der mittleren sasanidische n Malerei abhingen. Das Richtige ist allein
die Annahme der Stammverwandtschaft : der Hellenismus hat in Gräko-
Baktria die gleichen Formen oder nächstverwandte hervorgebracht,
wie in Seleukeia. Der gräko-baktrische und babylonische Hellenismus
sind Geschwister. Die folgende Generation wird vertreten im Westen
durch die arsakidische Kunst in Seleukeia-Ktcsiphon, Assur, Warka;
im Osten durch begrabene Städte in Sistän, Arachosien und durch
Gandhära. Das sind Vettern. Dem sasanidischen Ktesiphon entspricht
in Iran Stakhr, in Khorasan die Küshän-Epoche. Und deren Erben
sind im Westen Baghdad und Samarra, im Osten Turkistän.
Die Architektur der Sasanidenzeit paßt sich diesem Bilde an.
Die Baudenkmäler sind überwiegend Palastruinen und zwar
Stadt- oder Jagdschlösser: auch die Architektur war eine dem Königtum
dienende Kunst, alles Nichtkönigliche war aus schlechten, vergänglichen
Stoffen gebaut. Eine dieser Ruinen, Tchuär Qapu bei Qasr i Shirin ist
vielleicht als Feuertempel anzusprechen. Einen sicheren Feuertempel
kennen wir nicht. Ein Turm, in Firüzäbäd, in der Art der babylo-
nischen Tempeltürme, kann mit kultischen Bauten zusammenhängen,
kann aber auch andere Bedeutung haben. Ein Denkmalsturm, Paikuli,
trägt vier Königsbüsten und die Inschriften der Reichsgründung. Der
Täq i Girrä könnte auch ein bloßes Denkmal gewesen sein, wenn er
nicht zu einer Jagdschloßanlage gehörte, wie die Grotte des Täq i
Bustän. Außerdem gibt es nur wenige Burgen oder Castren, den Teil
einer Stadtmauer, Dastagerd, ein Straßentor, Darwäza i gatch, und
eine Reihe bedeutender Ingenieurbauten: Wehre, Brücken, Mühlen,
Straßen ').
Der Typus der Paläste schließt sich unmittelbar an die achäme-
nidische Form des tacara an, ersetzt aber die säulengetragene Vorhalle
durch ein Tonnengewölbe, den Ewän, Iwan, und den hypostylen Saal
durch eine Kuppel. Der Turm von Firüzäbäd ist ein altbabylonischer
das Straßentor Darwäza i gatch ein hellenistisch-römischer Typus. Die
Ingenieurbauten sind zuerst von römischen Kriegsgefangenen, später
') DE BoDE, Travels in Lurislan für Darwäza i gatch; die Ingenieurbauten bei
M. DiKULAFOY, L' Art aniique und bei Graadt van Roggen in der Deleg. en Ferse.
156 Ernst Herzfeld,
wohl von Einheimischen ausgeführt worden. Die Wiederverwendung
achämenidischer SpoHen und ganzer Bauteile ist charakteristisch für
den Geist.
Das Handwerk ist durchaus minderwertig. Ein Bruchsteinbau,
der nur durch die brutale Masse seines Mauerwerks und durch die
Qualität des Mörtels hält. Nur im Tigrisgebiet ein ähnlicher Ziegelbau.
Das Mauerwerk war unter Putz verborgen und die Wände mit Stuck-
zieraten oder Malerei überzogen. Die Gipsornamentik ist bereits in
den parthischen Bauten Mesopotamiens und Babyloniens da.
Scheinbar wird die sasanidische Baukunst gekennzeichnet durch
das Gewölbe: sie kennt aber nur das urtümliche Tonnengewölbe in
parabohscher Form über dem Rechteck, und eine ebenso urtümliche
parabolische Kuppel auf Ecktrompen über dem Quadrat. Dieser
Kuppelbau erlebt nicht die geringste Weiterbildung, er bleibt sich
immer gleich, tot. Am Tonnengewölbe machen sich vom römischen
Ingenieurbau ausgehend, Ansätze zu einer Entwicklung bemerkbar:
die Auflösung der Tonne in Gurte mit zwischengespannten kleinen
Quertonnen, Hohlräume Hubesa im Füllmauerwerk, und einmal der
Versuch innerer Strebepfeiler, Versuche, die erst in islamischer Zeit
Nachfolge finden. Auch die spezifische Form der Kuppel auf vier
Ecktrompen über quadratischem Räume finden wir erst unmittelbar
vor der islamischen Zeit nach Armenien und nach der islamischen Er-
oberung allmählich über das ganze Gebiet des Islam übergreifend und
dann erst eine Entwicklung beginnend,' der man sie nach der vier-
hundertjährigen Stagnation in der sasanidischen Zeit kaum mehr für
fähig hält ^).
Urtümlicher Charakter und Entwicklungslosigkeit gerade in der
Periode derjenigen abendländischen Entwicklung, die an die Antike
anschließend diese eben durch den Gewölbebau gänzlich umgestaltet
und zu so vollendeten und geistvollen Schöpfungen, wie die Hagia
Sophia, und über sie hinaus führt, — • urtümlicher Charakter und Ent-
wicklungslosigkeit erwecken Zweifel, ob dieser Gewölbebau wirklich die
sasanidische Baukunst kennzeichnet, oder ob nicht etwa der großen
Masse der Bauten das Gewölbe fremd war, uns aber nur die verhältnis-
mäßig seltenen, gewölbten Bauten als die widerstandsfähigeren über
der Erde erhalten sind. Das halte ich für die richtige Anschauung.
Seit. der medischen Zeit herrschte in West- und Südiran der Holz-
säulenbau. Er herrscht auch heute noch: ich fand das uralte medischc
Haus der Felsengräber mit der Säulenvorhalle zwischen Anten und oft
0 Vgl- meine Besprechung von Strzygowski's Armenien in Wa.smuth's Monatsh.
f. Baukunst 19 19 1/2.
Khorasan.
157
mit dem hypostylen Saal (bei größeren Abmessungen) vom Norden
beginnend in Mäzandarän, auf dem ganzen Wege von Qazwin nach
Hamadän, und zwischen Hamadän und Kirmänshähän, also im ganzen
alten Djibäl; ferner in Saqiz, Bäna, Sardasht, Ränia, Sulaimaniyya,
Shahrazür, Meriwän, Awramän, Rawänsar und Mähidasht, also in ganz
Kurdistan und Ardilän, oder in ganz Medien. Ebenso aber herrscht
der alte Typus vor in Shül, Khullar, Ardakän, Dukühak, den von
einer rein persischen Bevölkerung bewohnten Weinbezirken über Shi-
räz, also in der alten Persis. Wenn der Holzsäulenbau in monumentaler
Ausbildung allgemein in der Safawiden-Zeit, vorher aber höchstens an
timuridischen Bauten auftritt, so beweist das, daß Holzsäulenbauten in
Iran keine längere Lebensdauer als gegen 500 Jahre haben, nicht etwa,
daß vor 500 Jahren etwas Neues entstanden wäre. Den Beweis für
die Lückenlosigkeit des Holzsäulenbaus von der medischen und achä-
menidischen bis in die safawidische und moderne Zeit aber liefern die
Formen der Holzsäulen in Kurdistan: es sind alles Sattelholz-Kapitelle,
mit verschiedener Vorder- und Seitenansicht.' Sie beruhen alle auf der
Grundform des ionischen Kapitells, das ja in Iran an dem hellenistischen
Tempel von Khurha auch in Stein erhalten ist. Deshalb braucht die
Abstammung nicht aus dem Hellenismus zu sein;, denn schon die
achämenidischen Säulenformen gehören eng zu dem sich über ganz
Kleinasien und Armenien, also auch über lonien erstreckenden Kunst-
kreise, so daß das Auftreten ionischer Formen in Iran auf Urverwandt-
schaft beruhen kann. Diese auf dem ionischen Kapitell beruhenden
und aus ihm durch Vervielfältigung der Voluten weitergebildeten Holz-
kapitelle finden sich nun genau so im Felsrelief dargestellt, im Hinter
grund der Grotte des Täq i Bustän. Diese eigentümliche Kapitellform
ist überhaupt erst durch die bäuerlichen kurdischen Beispiele verständ-
lich. Also ist der ganze Holzsäulenbau in gleicher Form wie heute
schon in sasanidischer Zeit monumental belegt, und dann stammt er
auch ohne Unterbrechung aus der achämenidischen Baukunst ^). Der
Holzsäulenbau ist also seit der medischen Zeit bis heute das eigent-
liche Charakteristikum der westiranischen Baukunst.
Daher ist auch in frühislamischer Zeit die Holzsäulenmoschee die
eigentlich persische Form der großen Gemeinde-Moschee 2). Monu-
') Diese Gegenstände sind in meinem Tor von Asien veröffentlicht. Wie immer,
wenn etwas Richtiges gefunden ist, stellen sich sofort Bestätigungen ein: 0. Reuther zeigte
mir Beispiele des Holzsäulenbaus, den die in Ribät 'Amman im Ostjordanlande ange-
siedelten Tscherkessen aus ihrer kaukasischen Heimat mitgebracht haben: sie sind iden-
tisch mit den kurdischen Beispielen. Der Formenkreis umfaßt also auch den Kaukasus.
-) Vgl. Sarre-Herzfeld, Arch. Reise Bd. H Kap. Baghdad (über die Moschee des
Mansür).
jcg Ernst Herzfeld,
mental ist uns nichts erhalten, bis auf die Umsetzung in Ziegelbau in
der Großen Moschee des Mutawakkil in Samarra, weil eben Holzbau
nicht so langlebig ist. Nach literarischen Nachrichten war der Typus
von Baghdad und Basra an bis Bardha*a im Nordwesten, Dahistän,
Neshäpür, Marw i rödh, Khwärizm und Tchaghäniän im Nordosten,
bis Mansüra in Sind und Siräf und *Omän im fernen Südosten und
Südwesten verbreitet. Er lebt noch heute in Bukhära, Soghd und
Farghäna, mit Formen, die die achämenidische Abstammung immer
noch verraten.
Haben wir den Holzsäulenbau als die charakterisierende Bauweise
in Westiran erkannt, so muß der Gewölbebau an den Palästen, dem
wir die Erhaltung gerade dieser Bauten verdanken, etwas Nic)it-
Sasanidisches, von außen Eingedrungenes sein, das sich deshalb nicht
entwickelte, weil es nicht innerlich aufgenommen wurde und nicht
allgemein Wurzel schlug.
Der Gewölbebau kann nur nach Erfindung des bindenden Mörtels
in die große Architektur eingeführt sein ^). Das ist eine fundamentale
Wahrheit. Falsche Gewölbe aus Bruchstein gibt es schon in der euro-
päischen Vorgeschichte; ein vollendeter Gewölbebau in geschnittenen
Quadern ohne Mörtel kommt schon im alten Etrurien vor; Lehmziegel
und gebrannte Ziegel in Lehmbettung werden in Babylonien und
Ägypten seit Urzeiten zu kleinen Wölbungen benutzt. Auch der
Asphalt, mit dem Nebukadnezar die Bogen seiner Türen wölbt, hat
nicht die Eignung zur großen Wölbung. Daneben ist es ein großer
Unterschied, ob unterirdische Wölbungen, bloße Bogen in Mauern
oder aber freie Gewölbe erzeugt werden sollen 2). Alle diese Ansätze
und Vorstufen des Gewölbes können vor der Erfindung des bindenden
Mörtels keine Entfaltung erreicht haben. Diese Erfindung hat der
A^oralexandrinische Orient aber nicht gemacht. Daher behalten folgende
Worte von mir ihre volle Gültigkeit: »Obgleich in Babylonien und
Assyrien und Ägypten das Prinzip des Wölbens von altersher bekannt
Avar und für Untergrundbauten, wie Gräber und Kanalisationen, be-
nutzt wurde, auch im mesopotamischen Kreise in der Form des Tür-
bogens, in Ägypten an Wirtschaftsgebäuden in der Form der gewölbten
Decke auftritt, kommt die Wölbung als raumbedeckendes und raum-
bildendes Element in der großen Architektur vor der den ganzen
Orient mit griechischen Kulturelementcn überschwemmenden und
0 Vgl. J. DüRM, Baukunst d. Römer im Handb. d. Archit. 1905 pg. 192, § 140 Kalk-
mörtel. — R. Delbrueck, Hellenist. Bauten in Latixim, 1912, II pg. 63 — 107.
=) Vgl. Koi.DEWEY, Das -ii iedererst. Babylon pg. 70 u. 92 — 94.
Khorasan. I cg
durchdringenden Zeit des Hellenismus niemals und nirgends vor i).<<
Der große Gewölbebau kann nicht anders als in der ersten hellenisti-
schen Zeit geschaffen sein, da der Hellenismus noch siegreich vor-
drang, nicht vor der asiatischen Reaktion zurückwich, aus den An-
sätzen heraus, die das alte Morgenland der hellenistischen Baukunst
als Anregung darbot. In Italien kommt das älteste opus caementicum,
Kalkmörtel mit Steinbrocken, in Alba Fucens um 300 v. Chr. vor;
dann tritt die Pozzulan-Erde auf. In Griechenland kommt Gipsputz
aus Cyprus an öffentlichen Bauten, nicht im Hausbau, um diese Zeit
vor. Im zweiten Jhdt. v. Chr. taucht er in den Kolonien in Italien auf,
später wird er allgemein. Die parthischen Bauten von Assur, Nippur,
Warka, Tello haben wohl den Mörtel, aber bisher sind dort noch keine
Gewölbe nachgewiesen, noch weniger, ja sicher nicht an den parthi-
schen Bauten von Kangawar und Garni (Armenien). Hatra, die ara-
bische Wüstenstadt an der Peripherie des iranischen Kreises, besitzt
in den letzten Jahrzehnten vor oder den ersten nach Christi Geburt
die ersten Gewölbe auf morgenländischem Gebiet. Aber keine Kuppeln,
sondern ausschließlich kreisförmige Tonnen, selbst über quadratischem
Raum, in einer Zeit, wo die westhchen Länder schon lange die Tonne,
das Kreuzgewölbe, die Hängekuppel und die Kuppel in virtuosem
Quaderschnitt mit Mörtel verwenden 2). Weder die parabolische Tonne
der sasanidischen Bauten, noch die Kuppel über Ecktrompen ist in
Hatra bekannt; und da in Hatra überhaupt der der sasanidischen
Technik ganz unbekannt gebliebene westliche Quaderschnitt verwandt
wird, so steht die Gewölbebaukunst von Hatra außerhalb der par-
thischen oder sasanidischen Baukunst, auf westlichem Boden.
Wenn es also klar ist, daß die sasanidischen Gewölbe auf den
antiken Gewölbebau m seiner Entwicklung bis zur Hagia Sophia
keinen Einfluß ausgeübt haben können, so ist es andrerseits nicht klar,
ob der sasanidische Gewölbebau von dem westlichen irgendwie abhängt
oder ob er vielmehr nur ein Nachleben derjenigen Ansätze ist, die im
Orient schon lange vorhanden waren, und aus denen der Hellenismus
seinen monument^alen Gewölbebau heraus geschaffen hat. Diese Lösung
halte ich für wahrscheinhch . Das Prinzip der sasanidischen Kuppel
ist sehr primitiv, offenbar etwas aus kleinsten Abmessungen bloß Ver-
größertes: ein ländliches Haus, von quadratischem Grundriß, dessen
obere Ecken man mit Brettern oder kurzen Stämmen überbrückt, um
') So schrieb ich 1907/08 in den 1910 erschienenen Iran. Felsreliefs; Strzygowski
Armenien pg. 342 zitiert diese Worte als falsch. Sie sind so wahr, daß ich nichts Besseres
tun kann, als sie nach 12 Jahren zu wiederholen.
2) Vgl. Herzfeld, Hatra, ZDMG. 19 14 pg. 655 — 67.
1 6o Ernst H e r z f c 1 d ,
darauf eine leichte Kuppel, aus einem für die Eckhölzer tragbaren
Stoff, in echter oder falscher Wölbung zu setzen.
Solche Häuser gibt es in Mesopotamien, Süd- und Ostiran und weiter
im mittelasiatischen Turkistän. Zwar gibt es keine Beispiele, die den
Kuppeln von Firüzäbäd (um 220 — 25 v. Chr.) an Alter ghchen, be-
sonders ist alles, was in Khoräsän irrtümlich als sasanidisch be-
zeichnet wird i), keineswegs so alt, sondern um viele Jahrhunderte
jünger, aber der Umstand, daß diese Form im Osten im allgemeinen
Hausbau, im Westen nur neben dem einheimischen Holzsäulenbau
vorkommt, schließt die Annahme einer Übertragung von Westen nach
Osten aus. Die besondere Form der parabolischen Kuppel mit Eck-
trompen über quadratischem Raum wird aus Ostiran schon vor oder
in sasanidischer Zeit nach Westiran gekommen sein. Doch kann man
mit Sicherheit behaupten, daß ein monumentaler Gewölbebau in Ost-
iran, weit über Khoräsän hinaus, vor der islamischen Zeit nicht be-
standen hat. Das verbieten die dort üblichen Baustoffe von vorn-
herein, denn wir befinden uns da im Verbreitungsgebiet des gestampften
Lehms oder günstigstenfalls des Lehmziegels mit Holzwerk, der für den
großen Gewölbebau völlig ungeeignet ist.
Über die topographische Verbreitung der Baustoffe in Iran geben
die frühen arabischen Geographen, besonders Istakhri und Mu-
qaddasi, der Baumeistersohn, gute Auskunft. Die folgende Liste ist
wieder nur mein Arbeitsmaterial, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Abarqüh zwischen Abäda und Yazd, Häuser mit Gewölben wie in Yazd Ist.
Äbasgün, Insel vor der Mündung des Gurgän rüd, Burg aus gebrannten Ziegeln. Muq.
Ädharbaidjän, wohl besonders District Ardabil: Häuser unter der Erde Muq.
Akhsikath in Farghäna am Syr östl. Khokand, unterirdische Wasserleitungen und
Zisternen aus gebrannten Ziegeln, in Gipsmörtel Muq.
Anbär, Vorort von Gozgän, Bauten von Lehm, ti" Ist.
Ardabil, meisten Bauten Lehm (in der Moschee ein Meteorstein).
Aspidjäb an östl. Nebenfluß des unteren Syr, Bauten aus Lehm Ist.
Asfuzär d. i. Sabzawär in Afghanistan, Bauten aus Lehm Muq.
Awärak und Mihrgird in Kirmän, Bauten aus Lehm Muq.
') Vgl. DiEZ, Kunstgeschichte pg. 78: i. achämenidische Kuppeln: der Ibn al-
Balkhi von le Strange, JRAS. 1912, pg. 1—30, aus dem XII. sei. Chr. gibt, wenn er
nicht von einem anderen abschreibt und die Sachlage also auf diese Quelle zutrifft, nur
die örtliche Sage, keine Überlieferung; gemeint sind die drei Fels-Kaleh's bei Persepolis,
darunter die märchenhafte Diz i nipiÄit, die sicher damals so wenig achämenidische
Kuppelbauten besaßen wie heute. Vgl. J. D. Modi in JRAS. 1918 pg. 311— 314. — 2.
Bus i Hör: der unbedeutende Bau hat Spitzbogen, ist also keinesfalls älter als IIL sei.
H. — 3. Tash Ribät: Strzygowski, Armenien II 647 ss »nestorianisches Kloster« nach
Pantusov, in Wirklichkeit sicher nach 1300 n. Chr. — H. Glück, Strzyg.'s Baukunst d. Ar-
menier, in Wasmuths Monatsh. /. Bank. 1919/20 Nr. 11/12 bestätigt durch indische Beispiele
aus FoucHER meine Auffassung; ihre Datierung läßt weite Grenzen, sicher nicht vor 220 Chr.
Khorasan. * jgj
Bädhghes, Bauten aus Lehm Muq.
Balkh, Bauten aus Lehm, auch die Stadtmauern aus Lehm Ist.
Bamm in Kirmän, Bauten aus fein geschlemmten Lehm Muq.
Baratekin in Khwärizm nah am Aral, Bauten aus sehr feinem Lehm Muq.
Bardha*a, älter Partav, nahe der Mündung des Terter in den Kur, N.-Grenze von Ädhar-
baidjän, Häuser von Ziegeln in Gips Yäq. Muq.; Moschee mit Säulen aus Ziegeln
in Gips oder aus Holz.
Bukhärä, Bauten aus Holzfachwerk Lst. Vaq. (Muhammad Narsakhi erklärt den
Namen als vihdra).
Bulghär, Bauten aus Holz und Rohr, d. i. Faschinen Muq.
Dolab, Hauptort von Gelän (Tälish), Bauten von Stein in Gipsmörtel Muq.
Fara in Sistän, Bauten aus Lehm Lst.
Gandjrustäk zwischen Herät und Bälä Murghäb, Bauten aus Lehm Ist.
Ghazni, Bauten meist Holz, Verwendung von etwas was ghashk heißt und ägjrptischem
Mosaik ähnelt, Muq.
Ginangkath in Shash am mittleren Syr, Bauten aus Holz und Lehmziegeln Muq.
Giruft in Kirmän, Bauten aus Lehm, Steinfundamente Muq.
Giza bei Fara in Sistän, Bauten aus Lehm Ist.
Gurgän (Stadt), Bauten aus Lehm Ist.
Guwain in Sistän, Bauten aus Stein Muq.
Hamadän, Bauten aus Lehm Muq.
Herät, Bauten aus Lehm Ist.
Hulwän, Bauten aus Lehm, darunter auch solche aus Stein Ist.
Hormüz am Persischen Golf, Bauten aus Lehm Muq.
Isfahän: Yahüdiyya und Madina, beider Bauten aus Lehm Ist., beste Lehmbauten über-
haupt Muq.
Istakhr, Häuser in Lehm oder Stein in Gipsmörtel, Ist. Yäq.
Itil am Itil-Fluß (Wolga), Zelte aus Holz und Filz, khargdh, nur wenige Bauten aus Lehm,
Sultanspalast aus Ziegeln Muq.
Karükh, größte Stadt nach Herät in H., Bauten aus Lehm Ist.
Karwädikän in Sistän, Grenze von Färs, Bauten aus Lehm Muq.
Kash gleich Kishshsüdl. Samarkand, Bauten aus Lehm und Holz wie in Bukhära Ist. Muq.
Käth-Shahristän, Alt-Khiwä, Moschee mit Holzsäulen auf mannshohen Steinbasen
Ist. Muq.
Katha, d. i. Yazd, unterirdische Häuser, gewölbt Yäq. Ist.
Khottal, Bauten aus Lehm, die Mauer von Mung aus Stein in Gipsmörtel Ist.
Kuhanrüdh in Gelän, Bauten teils aus Stein, teils Filzzelte khargdh Muq.
Küsoe bei Pushang, Bauten aus Lehm Ist. Muq.
Mal in bei Herät, Bauten aus Lehm Muq.
Mansüra in Sind, Bauten aus Lehm und Holz Muq.
Marägha in Ädharbaidjän, Festung aus Lehm.
Marw i rodh. Bauten aus Lehm Ist., Moschee mit Holzsäulen Muq.
Multän in Sind, Häuser wie Siräf am Persischen Golf, d. i. gebrannte Ziegel und Teakholz
Muq.
Islam XI. I I
j52 ' Ernst Herzfeld,
Nakhtchawän, Bauten aus Ziegeln Yäq.
Nih in Sistän, Bauten aus Lehm Muq.
Nihäwand, Bauten aus Lehm Ist.
6fa in Herät, Bauten aus Lehm, Ist. Muq.
'Oman, Moschee aus Stein und Ziegel, Teakholzsäulen Muq.
Pasä in Färs, Häuser aus Lehm und Zypressenholz Muq.
Pushang wie Herät, d. i. Lehm Ist.
Qä'in in Köhistän, Bauten aus Lehm Ist.
Rewand bei Neshäpür, Moschee in Ziegeln erneuert, Muq.
Ribät in Dahistän, altes masdjid mit Holzsäulen Muq.
Saimara in Lüristän, Bauten meist von Stein und Gips Ist.
Sälaqän, eine Station von Bust in Sistän, Bauten aus Lehm Ist.
Salärwand, Gegend von Amol, Häuser aus Lehmziegeln Muq.
Salmäs, NW. des Urmiya-Sees, Burg aus Lehm und Stein Muq.
Samandän am Kaspischen Meer, zwischen Khazar-Fluß und Darband, Bauten aus Holz,
mit Weidenruten verflochten, Giebeldächer Muq.
Samarkand, Bauten aus Holz und Lehm, die Stadtmauern aus Lehm, das Ausgehobene
als Graben Ist.
Sang in Sistän am Gebirge, Bauten aus Stein Muq.
Sarakhs, Bauten aus Lehm, Ist., Moschee mit Dach auf Säulen von gebrannten Ziegeln,
ähnlich Jerusalem, Muq.
Sirgän in Kirmän, Bauten aus Lehm Muq.
Sirwän in Lüristän, Bauten meist Stein in Gipsmörtel Ist.
Süs, Susa, hübsche Moschee auf runden Säulen Muq.
Suwär, am Itil-Fluß, Wolga, Filzzelte khargah Muq.
Tabaristän, Bauten aus Holz und Rohr, Giebeldächer Ist.
Tabas, die beiden, in Köhistän, Bauten aus Lehm, ebenso in Khür und Yunäbidh, -Ist.
Tälakän, Bauten aus Lehm, Ist.
Tirmidh, am Oxus, Bazare mit gebrannten Ziegeln gepflastert Muq.
Tchaghäniän, nördl. Balkh, westl. Tirmidh, hübsche Moschee im Bazar auf Säulen aus
gebrannten Ziegeln ohne Bogen, Muq.
Ushrüsana oder Sutrishna, Satrughna, Hauptort Bundjikath, hd. Uratübe, Bauten
aus Holz und Lehm Ist.
Waihind oder Udabhändapura, Hauptstadt von Gadhära, am Indus, Bauten aus Holz
und Häcksel Muq.
Wurüdhräwar, Bezirk in Kurdistan, Bauten aus Lehm Ist.
Diese Liste, die für alle nachprüfbaren Punkte zutrifft, gibt ein
sehr genaues Bild der Geographie der Baustoffe und damit auch ge-
wisser zu erwartender Bauformen. Ein großer Gewölbebau kann in
Khoräsän und den anderen östlichen Gebieten nicht bestanden haben.
Erst der Islam bringt ihn dorthin mit dem Bau in gebrannten Ziegeln.
Auch das geschieht nicht in der frühesten islamischen Zeit. Das
KJbiorasan. I ^5
•
Fehlen der Denkmäler ist in diesem Falle sehr beredt : denn die ältesten
Denkmäler, eben solche aus gebrannten Ziegeln, erscheinen unmittelbar
vor 400 H./ 1009 Chr. und sind so urtümlich in ihren Formen, daß
wir in ihnen sicher dem Anfang einer neuen Entwicklung nahe sind.
Daß dem so ist und daß in der ersten islamischen Zeit noch die west-
lichen und südlichen Gegenden Irans, wie in sasanidischer Zeit die
baukünstlerisch wichtigeren sind, erhellt aus den zahlreichen Bau-
nachrichten, die ich nicht kürzer als wiederum in einer Liste mitteilen
kann. Die bisher bekannt gewordenen, erhaltenen Bauten gliedre .ich
dieser Liste der literarisch überlieferten Bauten an. Die Zahl der er-
haltenen Bauten ist im Vergleich mit anderen Provinzen des Islam
nicht groß, sondern sehr klein. Ihre Datierung ist, da die Epigraphie
in Persien noch recht wenig gepflegt ist, zum großen Teil recht unsicher.
Die Liste wird wiederum nicht vollständig sein, aber, hoffe ich, keine
wesentlichen Lücken aufweisen ^).
ca. 22/643 Prov Kirmän, Castrum des Mudjäshi* b. Massud al-Sulaml, Feldherrn des
'Abdallah b. 'Amru, Gegend Bamm-Sirgän, Yäq. IV 265, vgl. Weil I S. 95/96.
23;'644 Hamadän, die vorhandene Burg gleich nach der Eroberung benutzt, Stadt
bald darauf neu erbaut,
nach 23/644 Kum, gebaut von Talha b. al-Ahwas al-Ash'ari Yäq. IV 175, vgl. unter
Jahr 83.
nach 24/645 Q az win , Kashwin zum mtsr gemacht durch Sa'id b. al-'xVsi b. Sa'id b. al-'Äsi,
Balädh. 330 ed. Cairo, Grenzveste der Kufenser, nach Yäq. IV 88: Sa'id b. al-*Äsi
b. Umayya.
31/650 — 51 Neshäpür, Eroberung, Bau erster Moschee Yäq. IV 858.
ca. 65/685 — 86/705 Qazwin, Masdjid al-tüth (oder al-nür?) gebaut von Muhammad
b. Hadjdjädj b. Yüsuf mit Inschrift in seinem Namen, Yäq. IV 89, vgl. b. Faq. 283.
83/702 Kum, Stadtanlage von Hadjdjädj b. Yüsuf al-Thaqafi, Yäq. IV 175.
65/685 — 86/705 Arragän, Moschee des Hakam b. Nahik al-Hudjaimi, Statthalters des
Hadjdjädj, Bai. 392, Muq. 425, 2.
65/685 — 86/705 Arragän, Brücke über den Tab von al-Dailami, Arzt des Hadjdjädj
Ist. 152, vgl. Bai. 392, Ruine bei de Bode, Travels in Liiristan I.
65/685 — 86/705 'Askar Mukram, Stadtanlage z. Z. des Hadjdjädj, Yäq. III 676.
5 085 — 86/705 Shiräz, Stadtanlage von Muhammad b. al-Qäsim b. abi 'Äqil, Vetter
des Hadjdjädj, Yäq. III.
ca. 96/714 Shiyän im Rustäk Iskimisht (Ishkamish, Ishkäshm) in Badakhshän, Pamir,
Masdjid des Qutaiba b. Muslim, unter Walid I und Sulaimän.
99/717— 101/720 Bardasir in Kirmän, Alte Moschee des 'Omar b. 'Abd al-'aziz nach
der Chronik von Kirmän und Sinti al-'idd bei H amdall ah.
127/744 — 132/749 Warthän, arm. Vardanakert, im nördl. Ädharbaidjän am Arras
vor Mündung in Kurr, Stadtanlage, gegr. v. Marwän II, Yäq. IV 919, b. Faq. 284.
133/750 Marw, Moschee und Palast des Abu Muslim: i. das Dar al-imära, von Abu Muslim
') Wie bei den obigen Listen gehe ich nicht auf eine Kritik der einzelnen Punkte
ein, die unabsehbar umfangreiche geographische und historische Exkurse benötigen würde,
sondern gebe die Nachrichten nur, wie sie überliefert werden. Aber ich weiß natürlich,
was daran auszustellen ist.
II*
164 Ernst Heizfeld,
erbaut, rückwärts der alten Hauptrhoschee gelegen; darin ein Kuppelsaal, der
noch zu Istakhri's Zeit als Audienzsaal des Gouverneurs diente, aus gebrarmten
Ziegeln .:>! 55? Ellen weit, ^la^l Ka^aj J..c>io -yA L^ .aOxJj, vgl. B. G.
A. Bd. IV Glossar pg. 364. Die Kuppel K^S hatte vier Tore, jedes führte auf
einen aiwdn, Höhenzahlen sind verloren, vor jedem aiwän ein quadratischer Hof,
Ist. 259; Kuppel 50 Ellen hoch, auf jeder Seite aiwdn von 30 Ellen Höhe, 60
Breite, Hamd. im nuzh., vgl. Muq. 310/11; 2. die Moschee von Abu Muslim
Sähib al-daula, Muq. 311.
ca. 136/754 Neshäpür in Khoräsän, Kanzelmoschee, Bau des Abu Muslim, auf Holz-
säulen, später von 'Amru b. al-Laith erneuert, Muq. 316.
zw. 136/754 u. 158/775 Säri in Tabaristän, Hauptmoschee mit Kanzel des Abü'l-Kha.sib
Marzuq, regiert 2^|^ Jahre,' Zeit des Mansür — Yäq. III 491 s. v. täq b. Faq. 310.
zw. 136/754 u. 158/775 Amol in Tabaristän, Hauptmoschee mit Kanzel des Abu'l-
Khasib, Yäq III 791.
zw. 136/754 u. 158/775 Mansüra in Sind, Gr. Moschee von Mansür b. Djamhür al-Kalbi,
Intendant der Umayyaden, Zeit des Saffäh, n. Mas. murüdj I 207 u. n. Hishäm
bei Yäq. Andere Gründungsnachrichten: 'Omar b. Hafs unter Khalifat des Mansür
n. Husain b. Ahmad al-Mu hallabi; Feldherr Mansür b. Qäsim n. Balädh. ;
vgl. Yäq. IV 663. Bau von gebrannten Ziegeln und Stein, groß, mit Säulen von
Teakholz, wie Moschee von 'Oman, Muq. 479.
nach 158/775 Rai, berühmte Gräber nach I.^t. 208:
1. Muhammad b. al-Hasan al-Faqih;
2. al-Kisä'i al-Muqn, gest. z. Z. des Härün; bei b. Faq. 269 statt dessen 'Ali
al-Hamza ;
3. al-Fazäri, der Astronom von Baghdad unter Mansür; bei b. Faq. stattdessen:
abü Artät b. Hadjdjädj b. Artät, der große Baumeister von Baghdad unter
Mansür, gest. z. Z. des Mahdi.
ca. 132/750 — 187/803 Karadj abi Dulaf in Djibäl, Residenz der Barmakiden, Ist. 199.
ca. 158/774 Rai, Stadtanlage von Mahdi z. Z. d. Mansür, mit einem fasU (bebautes inter-
vallum an der Stadtmauer); Gr. Moschee von 'Ammär b. abi'l-Khatib (bei b. Faq.
Khasib) vollendet, laut Inschrift auf ihrer Mauer, Ist. 276, b. Faq. 269.
169/785 Dihibälä oder Radd in Mäsabadhän, Lüristän, Mausoleum des Khahfen Mahdi;
wie mir Ridäquli Khan, Wali des Pusht i Kuh 1913 erzählte, noch heute vorhanden,
Yäq. II 532, 775 und I 230 s. v. Arewgän.
169—70/785—86 Qazwin, Stadtteil Mubärakäbäd, von Mubarak al-Turki, Yäq. IV 89,
b. Faq. . 282.
170/786 — 193/809 Qazwin, Masdjid i Djum'a Kumartash, altes Masdjid i Tüth, von
Härün gegründet bzw. erneuert, mit Inschrift Härün's auf der Mauer, Yäq. IV 89,
b. Faq. 283, vgl. Jahr 65 — 86.
ca. 170/786—180/796 Mansüra in Tabaristän, Stadtanlage mit Bazaren von Abü'l-
dawäniq Khälid b. Barmak, b. Faq. 314.
170/786 — 193/809 Aramboe bei Rai, Moschee des Härün al-Rashid mit Gräbern älterer
Rechtsgelehrter, z. B. des Muhammad b. Hasan al-Shaibäni, Yäq. I 223.
170/786—193/809 Marägha in Ädharbaidjän, Stadt, Mauern und Burg von Khuzaima
b. Khäzim unter Härün b. Faq. 284 s, vgl. Yäq. IV 476.
170/786 — 193/809 Säri, Gr. Moschee z. Z. des Härün von Yahyä begonnen, vgl. Jahr 225,
Chronik des Zahir al-din bei Dorn; dabei hegt Sih Gumbadhän, ein Teil mit den
Gräbern des Iradj, Salm und Tür der Heldensage, vgl. Jahr 446 s. v. Säri.
Khorasan.
165
170/786 — 193/809 Badhakhshän, wunderbare Burg kisn der Zubaida in B., Muq. 303.
170/786 — 193/809 Käshän, Stadtanlage gebaut von Zubaida, Hamd.; nach Saladin Man.
i. J. 184/800? aus welcher Quelle?
^75/791 Tabriz, Stadtanlage von Zubaida, Hamd.
ca. 17S/791 Warthän, vgl. Jahr 127 — 132, Stadtanlage von Zubaida vergrößert, Yäq.
IV 919, b. Faq. 284.
178/794—187/803 Räsht, äußerste Grenze Khoräsäns, 80 Farsakh von Tirmidh, Mauer-
tor gegen Türkeneinfälle von Fadl b. Yahyä al-Barmaki erbaut, der 178 Gouver-
neur von Khorasan wurde und 187 starb, Yäq. II 733.
193/809 Sanabad, zu Nokän gehörig, hd. Mashhad i Ridä, Grab des Harun, var.
198/813 Gurgäniyya, Hauptort von Gurgän, Schloß qasr des Ma'mun beim Bäb Hadj-
djädj, mit dem schönsten Tor bdb in ganz Khorasan, Muq. 288.
198/813 Shiräz im Anfang der Regierung des Ma'mün von Haddäl b. Dirär al-Mazani
erbaut.
198/813 Marw, Schloß qasr des Ma'mün beim Tor Dar Mishkän, Muq. 312.
202/81 j Sanäbäd oder Nokän, Grab des Imäm 'Ali al-Rida b. Müsä al-Käzim, Ist.
257 u. a.
Etwa gleichzeitig Shiräz, Gräber des Ahmad und Muhammad b. Müsä al-Käzim, Hamd
209/824 Urmiya, qasr des Zuraiq b. Sadaqa b. al-Azd b. Faq. 285, vgl. Budge, Thomas
of Margä II 525 Nr. 4.
213/828 — 230/844 Shädhyäkh, Garten des 'Abdallah b. Tähir b. Husain n. d. Chronik
von Neshäpür bei Yäq. III 228, IV 858.
ca. 216/831 — 225/840 Barzand, Barzang in Arrän, Residenz des Afshin im Feldzug
gegen Bäbak, Yäq. I 562, b. Faq. 284.
ca. 220/835 Khabr bei Shiräz, Grab des Sa'id, Bruders des Hasan al-Basri, Yäq. II 3.
vor 225/840 Säri, Gr. Moschee, begonnen von Härün, vollendet von Mazyär b. Karen
unter Mu'tasim, vgl. Jahr 170 — 193, Chron. des Zahir al-din bei Dorn.
232/847 Herät, Todesdatum eines Shaikh Sultan 'Abd al-Walid, Ahmad, Grabbau
V- J. 893/1488 — 912/1506 HoROViTZ, Epigr. Indo-Moslem.
232/847 — 247/961 Marand im nördl. Ädharbaidjän, qasr des Muhammad b. al-Ba'ith
oder Bughaith unter Mutawakkil b. Faq. 285.
232/847 — 247/861 Soghdabil in Armenien am Kurr, Stadtbefestigungen von Ishäq
b. Isma'il unter Mutawakkil, Yäq. III 396.
244/858 Tabriz, Stadt nach Erdbeben von Mutawakkil restauriert.
248/862 — 259/872 Marw, Stadtviertel des Husain b. Tähir II.; Husain regiert nicht,
Tähir II. 230 — 248; Ist. 259.
253/867 Kam, Masdjid i Imäm Hasan gebaut 191/806^7, restauriert von Yahyä b.
Ishäq, HouTu.M-ScHiNDLER, Persian Irak, pg. 64s. n. Kumnäme.
254/868 Qazwin, Gr. Moschee, Bau des Härün, weitergeführt von Müsä Buqa unter
Mu'tazz, Yäq. IV 89, b. Faq. 282.
.254/868 — 265/878 Zarang. Hauptstadt von Sistän, qasr und Burg '■arq des Ya'qüb
b. al-Laith, Ist. 241.
254/868 — 265/878 Zarang, 2 Minarete des Ya'qüb b. al-Laith: ^m^^c iw-a ^ Jö
wi>.>jjt ^ L-JjÄxj L^uÄJ .Lo Q-* ^.s>\* i>UjtÄji ..JSLXa «J^
261/874 Bistäm. Khorasan, Grab des Abu Yazid Taifür b. 'Isä b. Sroshän al-Bistämi,
nicht zu verwechseln mit Abu Yazid b. 'Isä b. Adam al-Bistämi al-saghir, Yäq.
I 623.
-2Ö2/875— 265/878 Gundeshäpür, Residenz und Grab des Ya'qüb b. al-Laith al-.Saffär,
Ist. 245.
j66 Ernst Herz feld,
261/874 — 279/892 Fa/irabr bei Tchärdjüi, Ribät des Nasr b. Ahmad, Nasr I. 261 — 279
oder Nasr II 301 — 331?
265/878 — 9 Kum, Gr. Moschee, von Abu Sadaim Husain b. 'Ali al-Ash*ari vollendet,
HouTUM-ScHiNDLER, Pers. Irak, pg. 64 n. Kumnäme.
265/878 — 287/900 Neshäpür, Moschee des 'Amr b. al-Laith, Muq. 316: »auf runden
Ziegelsäulen, rings um den Hof drei Schiffe, in der Mitte ein verziertes Haus mit
II Türen, auf Säulen von geschnittenem Marmor, Giebeldach, Wände und Dach
(oder Decke) bemalt«.
265/878 — 287/900 Neshäpür, Dar al-imära des 'Amr 605/1208 durch Erdbeben zerstört,
Ist. 254.
265/878 — 287/900 Shiräz, alte Moschee des 'Amr, Hamd.
265/878 — 287/900 Zarang, qasr des 'Amr, Bazar und Krankenhaus, Ist. 241.
275/89i(??) BarfurüshinMäzandarän, »Rabenmoschee«, Saladin Fig. 259, n. deMorgax,
der Bau ist modern, die Tradition ohne Quellenangabe; auch Benjamin, Persia
an the Perstans. London 1887, pg. 347.
278/891 Rai, Moschee des Mahdi von Rah' b. Harthama erneuert, vorher Gefängnis,
unmittelbar nach Erneuerung zerstört, Yäq. II 895.
296/909 — 321/933 Asadäwädh, westl. Hamadän am Alwand, Moschee des Ustädh
Munis, amir al-umarä' unter Muqtadir, n. Hamd.
ca. 300/912 — 330/941 Zarand in Kirmän, Burg qal^a, gebaut von dem Samaniden Abu
'All b. Iliyäs, eher um 300 als um 330, Muq. 462.
ca. 300/912 — 330/941 Bardasir, Brunnen des Abu 'Ali b. Iliyäs, Muq. 462.
um 315/927 Ribät Ab i Shuturän in der zentralen Wüste, das schönste Ribät in
Iran, in Stein und Gipsmörtel, Eisentore, gebaut von Ibn Simdjür Sähib i djaish
Malik al-mashriq, oder Näsir al-daula abü'l-Hasan b. Simdjür, d. i. al-Dahati,
Gouverneur von Sistän unter den Samaniden, Muq.
320/832 — 366/976 Qantarat Khurrazädh (oder Tchihrazädh?) zwischen Edhadj und
Ribät im Bakhtyäri-Lande, Brücke der Mutter Ardashir's L, Weltwunder, wieder-
hergestellt von Abu 'Abdallah Muhammad b. Ahmad al-Qummi, Wazir des Rukn
al-daula Hasan b. Büya, Yäq. IV 189, Layard JRGS. XVI.
339/950 Qazwin, Masdjid i djum'a restauriert, vgl. Jahr 170 — 193.
um 340/951 Karminiyya am Zarafshän zwischen Bukhära und Samarkand, Masdjid
i djämi', mit schönstem Mihräb in Transoxanien, Ist. 314.
344/955 Persepolis, Inschrift des 'Adud al-daula Fanä-Khosro, Silv. de Sacy, Mem
sur div. ant. de la Perse, Nöldeke, Einleitung zu Stolze-Andreas, Persepolis,
b. al-Athir VIII 383 s. Diese Inschrift ist das älteste epigraphische Denkmal
das uns in Iran erhalten ist.
338/949 — 372/982 Shiräz, Stadt Gird i Fanä-Khosro oder Bazär i Amir, eingeweiht
21. Rabi' I. 354, d. i. 27. März 965, Yäq. IV 258, Muq. 430, Qazw. 262, Hamd.
Enthält Burg, Palast und Bibliothek.
338/949 — 372/982 Shiräz, Hospital des 'Adud al-daula, Hamd.
338/949 — 372/982 Band i Amir oder Sikr Fanä Khosro Khurra, Yäq. III 107, Hamd.,
Chardin VIII 236, Morier, Second Journey I 164.
338/949 — 372/982 Ahwäz, Vorstadt Qantarat Hinduwän, 'Adud al-daula reißt alte
Moschee ab und baut wunderbare neue, und Bazare, Muq. 411.
338/949 — 372/982 Rämuz, Moschee und Bazare des 'Adud al-daula, Muq. 413.
338/949 — 372/982 Sirgän in Kirmän, Palast am Bäb Hakim und Moschee des 'Adud
al-daula mit hohem Minaret: L.p-* ^r^^ iw^,Ä.:S=\Ji ^A jL^-ci ^^'j ^J^
j^tXj L«, Muq. 464, Yäq. III 213.
Khorasan. 1 67
33g/949_37 2/982 Kirmänshähän, Palast, dar, des 'Acjud al-daula, Muq. 393.
360/970—71 Shähdiz, Burg in Dailam, Djabal Shahriyär, gebaut von Nasr b. Hasan
b. Feroz al-Dailami, Yäq. III 246.
366/976—77 Kum, Grabkuppel des Muhammad b. Müsä al-Käzim, gest. 22. Rabi' I. 296,
HouTUM-ScHiNDLER, Pers. Irak p. 64 n. Kumname.
367/977 oder 368/978 Ziz am Jäb in Kurdistan, hübsche Moschee inschriftlich datiert
nach Muq. 390.
ca. 366/976— 387/997 Band i Amir: i. Deich von Rämgird, genannt Fakhristän, er-
neuert von Djaläl al-din Djauli Fakhr al-daula, Yäq. s. v. Kurr und Hamd.
2. Damm des Ridä wiederhergestellt von demselben, Hamd.
ca. 366/976—387/997 Naubandagän, Ort restauriert vom Atäbek Fakhr al-daula, Hamd.
Muq. 434 (also vor 375/985)-
ca. 366/976— 387/997 Fakhräbäd bei Rai (identisch mit Tabarak?), gebaut von Fakhr
al-daula b. Rukn al-daula al-Dailami, Yäq. III 855.
zw. 366/976 u. 387/977 Tos, Grab des 'Ali al-Ridä, darüber Masdjid des 'Amid al-daula
Fä'iq, schönstes in Khorasan, Zeit des Samaniden Nüh II. und des Ghaznawiden
Sabuktegin, Muq. 333.
zw. 366/976 u.. 387/977 Mirki in Farghäna, ein Ribät des Amir 'Amid al-daula Fä'iq,
Muq. 275; die Moschee daselbst war zuvor eine Kirche!
373/983 Qazwin, Moschee eines Sähib, buyidischen Ministers, b. Faq. 282.
vor 375/985 Dinawar, Gr. Moschee mit kuppelüberdecktem Minbar und der schönsten
Maqsüra im Lande, Muq. 394.
vor 375/985 Nihäwand, schönste Moschee des Landes, Muq. 393.
vor 375/985 Isfahän, Moschee auf runden Säulen mit Minaret im Süden, 70 Ellen hoch,
ganz aus Lehm, Muq. 388.
375/985 Abhar, Grab des Süfi abü Bakr Muhammad b. Tähir, Zeitgenossen des Shaikh
Shibli, gest. 375.
37g/g8q_388/998 Shiräz, Stadtmauern von Samsäm al-daula b. 'Adud al-daula, Hamd.
388/998—421/1030 Roza bei Ghazni, Minaret des Mahmud !>. Sabuktegin, JASB.
XII part I p. 77; HoRoviTZ, Epigr. Indo-Mosl. p. 88.
397/1006 Gurgän, Gumbadh i Kä'üs, Diez-van Berchem, Taf. IV, V und Abb. 17,
ältestes erhaltenes Baudenkmal des Islam in Iran.
402/101 1 Taifüräbäd, Quartier von Hamadän, Grab des Abü Bakr Jähir b. 'Abdallah
al-Taifüri, auf Friedhof J_i*>iC^J, gest. 402, Yäq. III 571-
407/1016— 41 1/1021 Rädkän in Gurgän, Mil i Rädkän, geb. v. dem Ispahbadh
Abü Dja'far Muhammad Bäwand, Diez - van Berchem, Taf. I— IV, Abb. 16,
zweitältestes erhaltenes Baudenkmal des Islam in Iran.
411/1021 Qazwin, Moschee des Härün vom Amir Abü 'Ali Dja'fari restauriert.
417/1026 Dämghän, Pir i 'Älamdär, Sarre, Denfew. LXXXIV 2 u. Abb. 153— 1 55;
Fräser, Khanikoff, Diez - van Berchem, S. 88 Anm. 6, ich lese auf den Photos:
m
421/9030 Ghazni, sog. Tor von Somna^h, vom Grabe des Mahmud, aufbewahrt im Fort
von Agra, JASB. XII I 1843, p. 76; JRAS. VIII 1846 p. 174 und uned. Photo-
graphie.
421/9030 Ghazni, Grab des Mahmud von Ghazni, Kenotaph und alte Inschrift über
der Tür, JASB. XII I 1843 P- 76; Flury im Islam VII 3/4 P- 214—227.
l68 Ernst Herzfeld .
429/1037 — ^455/1063 Bardasir, Djämi* Barbari? vom Saldjuken-Sultan Toghrul, Hamd.
n. Chronik v. Kirmän.
435/1044 (??) Darband, Bayat (?)-Tor ; Jackson, Omar Khayyam, p. 74 s, kufische
Inschrift, Zeilenteilung falsch gegeben, Abb. läßt Jacksox's Text, der fehlerhaft
scheint, nicht nachprüfen.
435/1043 Tabriz, Stadt nach Erdbeben vom 14. Safar 434 = Sept. 1042 vom Wehsüdän
b. Muhammad Rawadi al-Azdi restauriert, 6000 Schritt Mauerumfang, Hamd. —
Dagegen: al-Wadjnä' b. al-Rawäd al-Azdi baut Palast und Mauer z. Z. des Harun,
Yäq. I 822 ly 476.
436/1044 — 440/1048 Shiräz, Stadtmauern von Malik abü Kälidjär b. Sultan al-daula
b. Büya, Yäq. III 349.
446/1054 Dämghän, Imämzäda Tchildukhtarän, Türinschrift: JyJ.:>0! -yo^i .»J^.»«J
eU^t *JÜ ..jLääx?! .... _».ji nach H.\rtmann; Khanikoff gibt ebenda
das Datum 446; das ist nur möglich, wenn ,.,..iÄ>oi in Wahrheit iLjL.»jiJjl ist,
was in jenem Küfi äußerst ähnlich aussieht. — Ziegelinschrift etwa: i>..^iv-«».Ji
JL,3 *-JLc iJÜi ^J^ jjyx5>Lv ^^'rJ^^ j-?"*^ •*'^' CO ^^y*^ *~ir • • '^'^'^
Sarre, Taf. LXXXIVr. Abb. 156 u. 157.
s. d. S4ri, Salm u Tür (vgl. Sih Gumbadhän), Grab des Husäm al-daula Dailami; Fraseb
p. 44, \^'urde durch Agha Muhammad Shäh abgetragen, vgl. Jahr 170 — 193 s. v. Säri.
vor 457/1065 Neshäpür, Madrasa des Nizäm al-mulk.
nach 459/1067 Tos, Madrasa des Nizäm al-mulk.
vor 463/1071 Mani' in Neshäpür, Moschee, gegr. v. Rä'is abü *Ali Hasan b. Sa*id usw.
al-Mani' (Famihenname), Wazir, gest. in Marw 27. dhü'l-qa'da 463 — Aug. 107 1 .
465/1072 — 485/1092 Rai, Madrasa des Shaikh al- Islam Bäboe unter Sultan Malikshäh;
Moschee Dar i Ähan; um 480 große Madrasa des Tädj al-din Muhammad Kaiki
(geb. unter Toghrul), an der Straße Kulähduzän, n. Zinat al-tnadjälis ed. Tehran,
Ende der ersten Sitzung,
um 480/1087 Warämin, Madrasa des Räzi al-din abü Sa'id n. Zinat al-madj.
465/1072 — 485/1092 (??) Isfahän, Manär i 'Ali (oder 'äli?) des Masdjid i 'Ali, n. Houtum-
ScHiNDLER von Mallkshäh, wohl nur gegründet, der erhaltene Bau jünger, Sarre
p. 75, J. D1EULAF0Y p. 273 (fälschhch Signalturm genannt).
465/1072 — 485/1092 (??) Zafräni, östl. Sabzawär in Khoräsän, Kärwänsarai des Malik-
shäh (?), KIhanikoff p. 325.
481/1088 Herät, Todesdatum des Khwädja 'Abdallah Ansäri, Grab später; Horovitz,
Epigr. Indo-Mosl. p. 94.
ca. 485/1092 Karkar in Ädharbaidjän, Brücke übei; den Arras von Diyä al-mulk al-
Nakhtchawäni b. Nizäm al-mulk; Nizäm starb 485; Hamd.
wohl nach 485/1092 Neshäpür, Madrasa des Wazir abü'l-Muzaffar Fakhr al-mulk
b. Nizäm al-mulk, an welcher al-Ghazzäli lehrte, Yäq. III 561.
vor 494/1100 Marw, Bibhothek des Sharaf al-mulk al-Mustaufi, gest. 194; Yäq. IV 509.
492/1098 — 508/1114 Ghazni, Minaret mit Inschrift des Mas'üd III., JASB. XII I p. 77;
Edw. Thomas, Chronicles of the Pdthän Kings of Delhi, Abb. 95, n. Fergusson,
London 1871, p. 9, vgl. Sarre.
500/1106 — 7 fräyädh oder Iräwa, Grabkuppel des Shaikh abü Nasr al-Iräyädhi, Yäq.
I 418.
500/1106 — 7 Shähdiz = Malik al-qilä', Zitadelle" bei Isfahän, des Sultan Malikshäh
Yäq. III 246.
ca. 500/106— 550/1155 Bistära, Shaikh Bäyazid (abü Yazid), Minaret; ich lese etwa:
Khorasan. l6o
(?)*-v-LS qJ iAJu?» *-ip-Ji vA>^, Sarre LXXXVIII u. 158; Fräser
P- 336; Sykes, Geogr. Journ. 191 1; Diez, Kunstgesch. 91 und unveröffentl.
Photographie,
ca. 500/1106 — 550/1155 oder später? Bistäm, Grabturm neben dem Masdjid i Djum'a,
Sarre LXXXV. Nach Khanikoff ist die Inschrift koranisch; das ist falsch, ich
lese in der unteren Zeile die Worte:. .... Jsj_j^! .... »Lii^UÄ . .
.... ^0^\ ...._» f^-w^Si .... 3 L>JJs.jS ÖL>ji:
ca. 500/1106 — 550/1155 Dämghän, Manär i masdjid i Tchilsutün, Sarre LXXXIII r
und Abb. 151.
ca. 500/1106 — 550/1155 Dämghän, Minaret desDjämi' Imäm Husain, Sarre LXXXIII 1,
Fräser p. 314, Khanikoff: koran. Inschrift.
505/1111 Khosrogird bei Sabzawär, Minaret (manär) gebaut, als Sultan Muhammad
b. Mahkshäh II. unter Sandjar Gouverneur von Khoräsän war; Khanikoff gibt
Datum 505; CuRZON I 270; O'Donovan, Marw Oasis l 428 s; Yate, Jackson 219;
DiEZ - VAN Berche.m, Taf. 12 u. 13,2.
ähnlich Sabzawär, Rest eines Minarets Diez - van Berchem p. 21 s.
511/1117 — 552/1157 Andaräba, 2 Pars. v. Marw, Palast des Sultans Sandjar b.
Malikshnh. regiert in Khoräsän seit 491, Yäq. I 373, sah den Palast um 1225
verfallend.
511/1117 — 552/1157 Marw, 2 Bibhotheken der Gr. Moschee, i. die 'Aziziyya, gegr. v.
*Aziz al-daula abü Bakr 'Atiq al-Raihäni (oder 'Atiq b. abi Bakr), Offizier des
Sandjar, Bibl. mit 12000 Bänden; 2. die Kamäliyya.
514/1120 Amol, Imäm abü'l-Käzim; Melgunoff p. 205; Dorn, Atlas z. Reise n. Mäzan-
dardn, Taf. I 2.
519/1120 (??) Kum, Grabmal am Käshän-Tor, welches?, Datum ohneQuelle bei Saladin,
Manuel.
529/1135 — 530/1136 Djai-Isfahän, Moschee des Härün al-Räshid b. al-Mustarshid
am Zayanda Rüdh, Yäq. II 181.
542/1147 Bukhärä, Manär i Kalyän, Sarre CXXII, Burnes I 303.
543/1148 — 557/1162 Shiräz, Moschee des Sonqor b. Maudüd al-Salghari, Hamd.
552/1157 Marw, Grab des Sultan Sandjar, gest. 552. Turba neben der Gr. Moschee
durch Gitterfenster verbunden, blaue Kuppel, eine Tagereise weit sichtbar, nach
des Sultans Tode von einem seiner Leute gebaut, Yäq. (IV 509) sah das Grab
im besten Zustande, vor seiner Abreise von Marw i. J.. 616. Saladin Fig. 262
Gliche Paul Nadar; Diez, Kunstg. nach Curtis, Turkistdn.
Yor Mitte VI. sei. H. s. d. Firüzäbäd bei Turshiz, Minaret, Sykes vermutet Wacht-
turm, dem widerspricht aber der rehgiöse Tenor der Inschrift. Diez - van Berchent :
V. B.: VII. sei., frühestens Ende VI. sei., D.: X— XI sei. Chr. Ich möchte un-
datierte kufische Inschriften historischen Inhalts grundsätzlich nicht unter die
Mitte des VI. sei. H. herabrücken.
vor Mitte VI. sei. H. s. d. Karat in Khoräsän," Minaret Diez - van Berchem Taf. 12 u. 13.
vor Mitte VI. sei. H. s. d. Käshän, Minaret Jane Dieulafoy p. 198, ganz schmucklos.
vor Mitte VI. sei. H. s. d. Khargird in Khoräsän, Moschee-Ruine, Diez- van Berchem
Taf. 18, 19 u. 30. In den Inschriften ist sicher zu lesen (p. 72): xU-Ii ^rV^ und
^Xx.*jti! i;^.;wJ5 (^Jo JLc, vermuthch ,_.A_jA*ji statt J.^^.♦J5^Ji. — D.:
XIL sei. Chr., v. B.: frühestens Ende VI. sei. H., eher VII. oder noch später;
ich: wegen Titel auf -yjJ^Ay^^ -ysl sicher vor 650, etwa 550 H.
j 70 Ernst Herzfeld,
vor Mitte VI. sei. H. s. d. S^ingbast in Khoräsän, Ribät, Diez - van Berchem Taf. 14 — iS,
Abb. 21 — 23. Kufische Inschrift, van Berchem: Ende VI/XII sei. Y.\te: Arslan
Jäzib 997 — 1028. SvKEs: Eiäz, Wazir d. Mahmud v. Ghazni gründete diese
Bauten als Madrasa und Grab für den Heiligen Mirzä *Abd al-Karim.
vor Mitte VI. sei. H. s. d. Tirmidh, Minaret, Sarre Abb. 229, Inschrift auf Abb. un-
leserlich, vgl. Vergrößerung bei Flury, Islam. Schriftbänder.
Mitte d. VI. sei. H.? Warämin, Achtkantiger Grabturm, J. Dieulafoy 148/49.
Mitte d. VI. sei. H.? Warämin, Grabturm, mandr, 28-kantig, Sarre Abb. 66.
Mitte d. VI. sei. H.? Säwa in Djibäl, Minaret Binder, Kurdistan p. 381.
Mitte d. VI. sei. H. ? Rai, Grabturm E des Planes von Ker Porter, 22-zackiger Plan,
Ziegelbau, Coste pl. LXIII, Sarre Abb. 59, kufische Inschrift, angeblich Grab
des Toghrul Beg, gest. 1063 !
Mitte d. VI. sei. H.? Rai, Grabturm G Ker Porter, Jackson, Persia Fast u. Present
P- 435-
Mitte d. VI. sei. H. ? Rai, runder Bruchsteinturm, heute abgetragen, Coste pl. LXIV,
Curzon I 351, kufische Inschrift, ich lese: sJO^ ^*-*-H -^^ • • • ^^.♦■.■^r
JJL>;il Jyji . . . . il (?)_;*« .... J^-y*J^ y=?-^^ i?^.^i! N>-UJ!
yy^^ ^ xjjjip_» *J bSl\ Jii- (oder J . . . .?) y*<L4-S=^oi (j*;'*s ^.
.... 3 (V) Oww iüLw (Ende des Datums zerstört).
Mitte d. VI. sei. H.? Rai, Turm mit Portal und Zellenkranz, J. Dieulafoy, darnach
Diez, Kunsig. 94.
Mitte d. VI. sei. H.? Isfahän, Imämzäda Jassary(?), J. Dieulafoy p. 315, achtkantig,
kufische Inschrift mit blauer Fayence, ähnlich Nakhtchawän.
Mitte d. VI. sei. H.? Isfahän, Minaret des Shäh Rustam, Coste pl. LIV, kuf. Inschr.,
ich lese etwa: ^m*.:^] . . (?^u^*wl ^j Q^ ^öl^ L.pL>J.J yii . . . *.)-*.^«J
Mitte d. VI. sei. H.? Astaräbäd, Imämzäda 'Abdallah und Fadlalläh, Phot. Nieder-
mayer bei Diez, Kunstg. Abb. 121.
Mitte d. VI. sei. H.? Farsaidja, Grabmal, Coste pl. LXIX. •
556/1160 Simnän in Khoräsän, Bad, Fräser p. 303 s.
ähnlich Simnän, Minaret mit Galerie, Sarre Abb. 152, Hommaire de Hell pl. 88,
Jackson p. 147; nach Fräser p. 303 von Shährokh 880/1475!
557/1162 Nakhtchawän, Mausoleum des Yüsufb. Kuthayyir, Sarre Taf. lu. Abb. i — 3,
J. Dieulafoy p. 24; Jacobsthal, Mittelalt. Backsteinbauten.
ähnhch Warämin, Imämzäda Yahyä, Sarre Abb. 65, J. Dieulafoy 147.
um 550 — 600 (?) s. d. Mil i Nädiri in Sistän, Sykes p. 395 und Abb. zu p. 418.
um 550 — 600 (?) s. d. Mil i Qäsimäbäd, Täte, Front, of Baluchistan Abb. zu p. 224,
ders. Seistän p. 22, 268 ss.
568/1172 — 3 Hamadän, Ildeghiz in der von ihm erbauten Madrasa beigesetzt.
568/1173 — 582/1186 Nakhtchawän, Grabmal der Mu'mina Khätün, erbaut vom Atäbek
Abu Dja'far Muhammad b. Ildeghiz, Ouseley, Travels 1823, IV Fig. 436. Dubois
DE MONTPERIEUX 184O IV p. 10, AtlaS III 22. J. DiEULAFOY p. 25, JaCOBSTHAL
p. 21 Abb. 27, Sarre Taf. II — ^XI und Abb. 4 — 8.
568/1173 — 582/1186 Nakhtchawän, Portal des Ildeghiz, Dubois IV 10, III pl. 22,
Sarre Abb. 9.
572/1176 Qazwin, Mauern von Sadr al-*din Maräghi, Wazir des Sultan Arslan vergrößert
und vollendet, von Mongolen zerstört, Hamd.
Khorasan. 1 7 1
591/1195 — 623/1226 Shiräz, »Neue« Moschee des Atäbek Sa'd b. Zengi, Hamd.
616/1219? Sari, Shähzäda Muhammad Sultan Ridä, Sarre LXXX und Abb. 132,
Melgunoff p. 164, Saladin Mau. Datum ohne Quellenangabe,
ca. 600/1203 — 617/1220 Tos, fälschlich sog. Mausoleum des Ghazzäli, gest. im,
Kiianikoff; Jackson p. 290, Sykes JRAS. 1910 p. 115 ss, Diez-van Berchem
Taf. 19 — 20; nicht vor 600, vermutlich kurz vor der Zerstörung durch Mongolen
1220 gerade zu Yäqüt's Zeit vollendet.
640/1242 Kirmän, Qubba i Sabz, Sykes ioooo miles in Persia p. 194, ähnelt dem Gür
e Mir, Timurs Grab, Meister ein Isfahäni, eine andere Tradition: Seldjuke Mughith
al-din Muhammad 1141 — 1156!
XIII. sei. Chr. Säwa, Abanbar, Binder p. 380 ')•
[...680/1281 Rädkän bei Khabüshän, Mil i Rädkän, D'Allemagne; Diez-van
Berchem Taf. 6 — 8; ich halte diese Ergänzung des Datums, das außer den
erhaltenen Hunderten nur noch eine kurze Zahl enthielt, für allein richtig.
um 700/1300 Kishmar in Khoräsän, Mil oder Manär i Kishmar, Diez-van Berchem
Taf. 6, 9 u. 10.
709/1309 — 716/1316 Hamadän, Gumbadh i 'Aläwiyyän, Coste Abb. p. 50, werde ich
in der Festschrift für E. G. Browne veröffentlichen. . .]
Hiermit breche ich die Liste ab, mit der Eroberung Irans durch
die Mongolen. Für meine Arbeitszwecke besitze ich sie, wie von den
anderen Provinzen des Islam, bis in die moderne Zeit. Für die Pro-
bleme dieser Untersuchung kommt aber schon die Mongolenzeit nicht
mehr in Frage.
Einige Worte zur Erklärung dieser Liste: Über die ersten Städte-
gründungen der Mushme in Iran würde man bei einer Durcharbeitung
des Balädhuri und Tabari vermutlich noch manches finden. Diese
I) Die Liste beruht hauptsächhch auf folgenden Werken: H. d'Allemagne, Du
Khorassan au pays des Bakhtiaris 1911. — H. Binder, Au Kurdistan, en Mesopoiamie
et en Ferse 1887. — Lieut. A. Burnes, Travels into Bokhara 1831 — 33, London 1834. —
Chardin, Voyages en Perse et autres lieux d' Orient Amsterdam 171 1. — P. Coste, Monu-
ments modernes de la Perse Paris 1867. — G. N. Curzon, Persia & ihe Persian Quesiion
1892. — Jane Dieulafoy, La Perse la Chaldee et la Susiane Paris 1887. — B. Dorn Caspia,
Mem. de l'Acad. de St. Petersbourg XXIII 1875. — Dubois de Montpereux, Voyage auiour
du Caucase 1840. — J. Fergusson, History of Indian & Rastern Architectiire 1891. —
J. Fräser, Narrative of a Journey into Khorasan 1825 und The Persian provinces of ihe
southern banks of the Caspian Sea 1826. — Hommaire de Hell, Voyage en Turquie et en
Perse 1854 — 60. — A. V. W. Jackson, Persia Past and Present 1906. — Ders., From Con-
stantinople to the honie of Omar Khayyam 191 1. — E. Jacobsthal, Mittelalterliche Back-
steinbauten zu Nachtschewan 1899. — Ker Porter, Travels in Georgia, Persia etc. 1821. —
N. de Khanikoff, Mem. sur la partie meridiotiale de l'Asie centrale Paris 1862. — G. Mel-
gunoff, Das südliche Ufer des Kaspischen Meeres 1868. — J. Morier, Second Journey
through Persia 1818. — E. O'Donovan, The Merw Oasis 1882. — H. Saladin, Manuel
d' Art Musulman I: Architecture 1907. — F. Sarre, Denkmäler persischer Baukunst 1911.
— F. M. Sykes, Historical notes on Khurasan in JRAS. 1910. — Ders., A sixth Journey
in Persia in Geogr. J. XXXVII 1911. — G. P. Täte, The frontiers of Baluchistan 1909
und Seistan, Memoir on the History etc. of the Country I — III, Calcutta 1910, IV 1912. —
C. E. Yate, Khurasan and S'istan 1900. — G. Wkil, Geschichte der Chalifen 1846.
172 Ernst Herzfeld, ,
ersten mnsdr waren aber Heerlager ohne feste Bauten. Auch in der
frühen Umayyadenzeit sind sie noch ohne jede architektonische Be-
deutung. Das wird erst anders bei den Gründungen des tiadjdjädj.
Für die frühe abbasidische Epoche würde man wohl auch bei Tabari
noch viele Aufschlüsse erhalten. Auch das ist hier entbehrlich: die
universale Kunst dieser Zeit kennen wir von Samarra her. Wie sie
Elemente aller Provinzen des Reichs enthält, so auch persische. Wir
können annehmen, daß die Kunst in den östlichen Provinzen ein-
seitiger war, aber niemals, daß irgend welche großen Errungenschaften,
die Khoräsän besessen hätte, in Samarra gefehlt hätten. Daher können
wir uns sehr wohl eine Vorstellung von den Bauten und Städten machen,
die von Abu Muslim und Mansür an bis zum Ende des dritten Jahr-
hunderts entstanden. Verteilung und Art der Bauten zeigen ein deut-
liches Hervortreten des Nordwesten: Sari, Amol, Mansüra in Mäzan-
darän, Barzand, Warthän, Soghdabil in Persarmenien, Urmiya , Ma-
rand, Tabriz, Marägha, Qazwin in Adharbaidjan, dazu Karadj Abi
Dulaf, Rai, Aramboe und Käshän im *Iräq *Adjami. Der Süden tritt
nur unter Hadjdjädj etwas hervor, der ja von Basra und Wasit aus-
gehend auch Khüzistän und Fars zu einem festen Stützpunkt der
Umayyaden-Herrschaft ausgestaltet. Erst um 133/750 kommt die
erste Nachricht von Bedeutung aus Khoräsän : genau in Übereinstim-
mung mit der Geschichte ist es Abu Muslim, der hier als Anfänger
auftaucht. Und diese Nachrichten von seinem Dar al-Imära mit
Kuppel und vier basilikalen Iwänen, von seiner Kanzelmoschee mit
Holzsäulen in Neshäpür sind allerdings archäologisch von hohem
Interesse: das ist der Typus des Dar al-lmära, den offenbar schon
Hadjdjädj in Wasit eingeführt hatte, und sicher der, welcher von
Mansür in seiner Runden Stadt in. Baghdad angenommen wurde und
der von da nach Samarra und Raqqa (Hiraqla) kam i); und die Holz-
säulen-Moschee, der eigentlich persische Typus der ältesten Gemeinde-
Moschee, wird ebenfalls unter Mansür in Baghdad für seine Große
Moschee gewählt. Die anderen spärlichen Nachrichten aus dem Osten
sind, vielleicht mit Ausnahme von Ma*mün's Bauten in Gurgäniyya,
ohne Folgenschwere.
Das Bild ändert sich stark in der zweiten Hälfte des dritten Jahr-
hunderts : Der Osten und Südosten übernimmt energisch die Führung.
Die Bautätigkeit der Tähiriden in Marw, der Saff ariden in Neshäpür
und Zarang, daneben in Shiräz und Gundeshäpür, endlich die der
Samaniden in Firabr, Tos, Ribat i Shuturän, auch in Zarand und Bar-
dasir zeigt deutlich, wie in dieser Jugendzeit des Schiismus auch auf
') Vgl. Archäol. Reise, Bd. II Kap. Baghdad, unter Palast des Mansür.
Khorasan.
173
baukünstlerischem Gebiet der neue Ansporn zuerst in Khorasan wirkt,
wie der Osten dann den Süden mit in die neue Bewegung hineinzieht.
Es folgen im vierten Jahrhundert die Buyiden: unter ihnen erobert
was da im Osten entstanden ist den ganzen Süden und Westen Irans:
Persepolis, Shiräz, der Band i Amir, Sirgän, Qantarat Khurrazädh,
Ziz, Nobandagän, Rämuz, Ahwäz sind die Etappen dieses Sieges-
zuges für den Süden, Kirmänshähän, Fakhrabäd bei Rai, Qazwin
für den Westen. In der gleichen Zeit erobert die Baukunst von Kho-
rasan unter den Ghaznawiden den fernen Osten: Mirki, Ghazni. Mit
den Ghoriden und den Shäh's von Dehli dringt diese Kunst um die
Wende des sechsten zum siebenten Jahrhundert in Indien ein : Dehli,
Hänsi, Budaun, Gwalior und Bihär.
Die frühen Baunachrichten spiegeln also getreu die ganze poli-
tische und kulturelle Geschichte dieser Zeit. Dieser Einklang beweist,
daß uns nicht etwa der Zufall der Überlieferung und der Erhaltung
täuscht. Am Ende des vierten Jahrhunderts treten die ersten erhal-
tenen Denkmäler dazu und lehren das gleiche. Es ist auch gewiß nicht
ganz unbedeutsam, daß das älteste erhaltene Monument oder Doku-
ment des Islam in Persien die Inschrift des *Adud al-daula von Perse-
polis ist, die erzählt, daß der Herrscher dies Wahrzeichen der alt-
persischen Nationalität besucht und sich die Keilschriften habe über-
setzen lassen. Die erhaltenen Bauten lehren das gleiche, wie die Bau-
nachrichten: die Gumbadh i Kä'üs, der Mil i Rädkän sind über alles
Erwarten jugendliche Werke: es fällt fast schwer, sich vorzustellen,
daß um 400 der Hidjra und 150 Jahre nach der universellen Kunst
von Samarra, Khorasan so einfache, fast nichts voraussetzende Werke
hervorbrachte. Es ist ganz evident, daß die Baukunst, die sich in der
Gumbadh i Kä'üs und im Mil i Rädkän offenbart, nicht auf eine
400jährige Entwicklung zurückbHckt, und daß noch 150 Jahre vorher,
als Samarra entstand, diese Kunst noch nicht geboren war; sonst
fühlte man dort schon ihr Wirken. Mit diesen Monumenten ist man
der Geburt der islamischen Kunst von Khorasan ganz nahe.
Etwas besitzen sie, was sie sowohl von der Kunst der Mitte des
dritten Jahrhunderts, wie von allem Sasanidischen gründlich unter-
scheidet : einen auf einer vorzüglichen Ziegeltechnik gegründeten, aus-
geprägt örtlichen Charakter. Dieser Charakter ist so stark, daß es un-
möglich ist, ihn zu verkennen, wie fern auch der Ort, wie spät auch die
Zeit sein mag, wo diese Kunst verbreitet ward: mit den Seldjuken
nach Baghdad und Rum, mit den Ghoriden nach Dehli. Und auch
in allen Werken der Mongolen lebt noch das Erbe, das Blut dieses
Stammes fort. Diese Festigkeit im Typus hatte ein langes Heranreifen
IjA Ernst Herz feld, Khorasan.
in Abgeschiedenheit und Verborgenheit nötig. Und die besonderen
Eigenschaften konnten nur in jener Zeit und auf dem Boden wachsen,
der vor dem Islam eine Welle mittelasiatischer Völker nach der anderen
über sich hatte dahinroUen sehen, der also vorbereitet war, sobald das
Land einmal zur Ruhe kam, eine ganz örtlich-eigenartige, von allem
Westhchen losgelöste Kultur hervorzubringen. Der Schiismus als
Religion, das Persertum als Nation, die persische Sprache als Ausdruck
ihrer tiefsten und höchsten Gedanken, die persische Kunst und mit
ihr die Baukunst als Auswirkung der kulturschaffenden Kräfte dieses
neuen Volkstums sind alle zusammen und einheitlich in Khorasan im
Laufe des dritten und vierten Jahrhunderts der Hidjra entstanden.
Das ist eine große und bewundernswerte Tat des Persertums.
Man macht sie nicht größer und bewundernswerter, indem man sie
in Zusammenhänge hineinstellt, wie den der Genesis der islamischen
Kunst, die doch im dritten Jahrhundert schon abgeschlossen ist, oder
gar der gesamten europäischen Kunst des Mittelalters, Zusammen-
hänge, in die sie nicht gehört. Was wir sehen und was wir wissen,
hegt klar vor Augen. Nur wem die Quellen dieser Geschichte und
Kultur verschlossen sind, der glaubt eine Gleichung mit vielen Unbe-
kannten zu sehen, die er nicht lösen kann, sondern nur errät. Aber
die Gleichung ist eine einfache und ihre Auflösung einfach und sicher.
Zwischen den Augen.
Von
Ign. Goldziher.
Sofern die Worte TjTj; pD in den Verordnungen in Exod. 13, 9;
Deut. 6, 8; 11, 18 nicht in figürlichem Sinne (s. zu Ende), sondern
auf den sachlichen Gebrauch von Phylakterien [Tefülin) gedeutet
werden, wird in den jüdischen gesetzerklärenden Kreisen die Orts-
bestimrnung »zwischen deinen Augen«^) auf das Anbringen
jenes Kultusmittels »am höchsten Teil des Hauptes« (iplfj) be-
zogen (ifN-lDtr n2i:3 : "rry pD, Sifre Deut. § 35, h. Talm. Me-
nächöth 37 a). Es wird auch die Beziehung der Ortsbestimmung auf
die Mittelstirn (niJD) erwähnt, jedoch als sektiererische Übung ver-
worfen [MUnä, Megillä 3, 6) 2). Das Diadem {\^^), das der Hohe-
priester vorn am Kopfbunde trug, wird als vry. p3 befindlich be-
zeichnet [h. Talm. Kiddüsin 66 a). Diese Deutungen des Ausdruckes
finden eine Analogie an dem entsprechenden arabischen Sprach-
gebrauch, in welchem ».jJ.^^ ,.^ (resp. mit den Pronominalsuffixen
der anderen Personen) in derselben Bedeutung gewöhnlich ist. Dies
tritt besonders hervor in den Nachrichten über An- oder Abwesenheit
s
der sichtbaren Spur der häufigen und intensiven Prostration (o^v.vJI Ji\),
die der Koran 48, 29 als Kennzeichen frommer Personen rühmt (^^U-m«
öj^^^ ß r^j->3 ^^)^)- Bei. Ibn SaM V 346, 5 wird erzählt,
daß man an *Atä b. abi Rabäh wahrgenommen habe Ji\ »-^^ iyfri
1) Auch mit TtJ'^y'pj; i- Kön. 20, 38. 41 ist die Stirn gemeint, wie auch arab. ^^^-Lc
\xÄx£ z. B. Dm'än des Sarlf al-Radi (Bejrul 1307) 540, 10: ^^^ ^^^J^Jix^S
2) Eingehend in A. Eppstein, Eldäd ha-Däni (Preßburg 1891) 174—183 (hebräisch).
3) In einer in eine Totenklage des Hassan über 'Otmän (ed. Tunis 98, Hirschfeld
Nr. XX) eingeschobenen Verszeile (Chiz. ad. IV 118, 12 v. u. TA. s. v. ^^ 257, 11 v. u.).
Vgl. NöLDEKE, Delectus 77 ult. : *J J*:>\-«^il oL?-^^-
Ij5 Ign. Goldziher,
OjiifuJI; noch genauer (ibid. 194, 2) von Chäriga b. Zejd, daß
dessen Prostrationsmal nicht bis zur Nase gereicht habe ^^ <i^^j
während man »zwischen den Augen« des Sa'id b. al-Musajjab nichts
von solchen Spuren bemerken konnte: j^j:p-«Jt Jl\ xjJ-ilc q.-o g*wJ
(ibid. 103, 24). Daß in solchem Zusammenhang »zwischen den
Augen« ^) auf die Stirn zu beziehen sei, wird außerdem aus
Stellen ersichthch, in welchen diese als Ort der Prostrationsmale
bezeichnet wird 2); die Stirn ist: A:>w>^. Der Dichter Abu
Duläma rühmt von sich (Tabari III 541, 8), daß seine Stirn von
m y
vielem sngüd, verwundet ist: iL>j->UMwo JC^x^ ^5^^ cxX-^u«^,. — Chäri-
giten haben von vielem sugüd schwürige Stirnen (Kämil 559» 0-
Ein Enkel des Husejn hat .^iio jj^-J o^^l ß\ iiJtS\^ »J^.«.^ ^^^
(Ibn Sa*d V 237, 18). Von Ibn öämi': »Sj(;j^ o^:>UwJI j^i Jö
[Agäm VI 69, 22) 3), Man vergleicht den durch vieles sug-üd ver-
ursachten Zustand der Stirn mit dem Knie der Ziege y>£. 'LSj *^.§-->
öy:S>^\ Qvo {Tadk. huffä? I 170, 3), wobei ein Dichter speziell die
Ziegen der B. Nasr als Vergleichungsobjekt nennt {TA. s. v. ^^^
X 257, 13 V. u.) 4). In einer wMr^a^Z-Tradition wird erzählt, daß der
Prophet einen Betenden erblickte, der, als er die Prostration vollzog,
seine Stirn verhüllte (aüLg.^^ Jlc ^sS »Aäj wx:^ iA:p-«o); der
Prophet entfernte die Hülle von der Stirn dieses Betenden (Abu
Däwüd, Kit. al-maräsU [Kairo, matb. *ilmijja 1310] 12, ll). Die
angeführten Beispiele erweisen die Gleichung ü-yL^c q^?°^= «^*;»r*^ ,^^-
0 In der Slrat Sejf Will 20,9 O^wJI i^.>oj»j*-JLc ^-J-^' *-L^A^^ oL«^
-) Es wird besonders hervorgehoben, wenn jemand beim sugüd die Erde nicht un-
mittelbar mit der Stirn berührt: {j:oJi\ ^^^^ *-'>^-^^ Q;^ .^ls> CsJi (Ibn Sa'd
VI 83, 20).
3) Man vergleiche zum Gegenstand noch Lammens, Mo'-äwija 353, Zijad ibn abihi
71 (= RSO. IV 223).
4) Für das völlige Unterlassen des sugüd finden wir folgende Gleichnisse von den
Verdammten, die am Gerichtstag das sugüd, das sie im Leben nicht erfüllt hatten, zu leisten
nicht vermögen JyJLftj»*».il Lg-ö ^.,L^ Üui? '\Jsuh ^^^_j.^ 0->^^ ^'^'^^ Rücken stehen
.in gleicher Reihe aufrecht als steckten Spieße in denselben« {Hadit bei Kassäfzv, Su 68,42);
»während die Muslime das sugüd üben, verharren ihre (der Ungläubigen) Rücken wie
o
die rechten Seiten der Rinder« ^,äJ1 ^^L^ f^jy^ ^^ (I/adtthei Ibn Kajjim
al-Gauzijja, Kit. al-salät wamä jalzamu fthä [Kairo 1323] 54,3)«
Zwischen den Aiigtn. lyy
Die Anwesenheit solcher Prosternationsmale waren natürhch als
Bekundungen frommer Werkheiligkeit geschätzt. Selbst bei der
Leichenwaschung ihres verstorbenen Trägers sollen sie mit Aus-
Zeichnung behandelt werden ^).
In manchen islamischen Kreisen legt man Gewicht darauf, wenn
auch nicht durch ein dauerndes Svg'üdim.l, so doch wenigstens durch
zeitweilige Konservierung des Staubes an der Stirn, einen Tag lang
dies Zeichen der vollzogenen Prostration zu bewahren. Von maghri-
binischen Muslimen wird berichtet: »On a grand soin de ne pas s'essuyer
le front apres la prostration et chaque musulman tient ä honneur
de conserver jusqu'au soir la trace de la poussiere sur laquelle il a
appuye sa tetc« (RMM. XI 205). Als Merkmal frömmelnder Heuchelei
wird öfters die dauernde Stig-üdspur an der Stirn von Hypokriten
erwähnt; man möge sich dadurch nicht beirren lassen. Der Spottdichter
Müsä Sahawät (Chalifat des Sulejmän b. 'Abdalmalik) warnt davor,
sich durch ein solches Mal »zwischen den Augen« des Dichter und
Sänger verfolgenden wäli von Medina, Sa'd b. Ibrahim betören zu lassen
(4^. III 122, 13): .IÄ5> iJLye» l^ j!Ä:> \_-.&_>wÄxc Q>jj sJ^j>U« iilj,ij ^^
Es werden Anekdoten darüber erzählt, wie Heuchler solche Male an
ihrer Stirn künstlich hervorbringeti,- um den Anschein der Frömmigkeit
zu erwecken. Vom muhammedanischen Palermo berichtet IbnFIaukal
(ed. DE GoEjE, Bibl. Geogr. arab. II 85, .1), daß man in den dort am
Meeresufer befindlichen zahlreichen ribätät schlechtes Gesindel findet,
die (diesmal gemäß der Koranstelle ,^y::^^ ä) betrügerischer-
weise Prostrationsmale anbringen. Vgl. eine Anekdote bei Husri
(Zahr al-ädäb, a. R. des '^Ikd^ II 15 unten): ein heuchlerischer Asket
j
( ■^j^\.A.j\ oL^JI I vaxj) beschmiert seine Stirn mit Knoblauch, um
an derselben den Schein eines Prostrationsmals zu erzeugen. Ein
ungenannter Kurejschit zu Zeiten des Propheten habe statt des wirk-
lichen svg-üd von der Erde Staub emporgehoben und an seine Stirn
gebracht {Musnad Ahmed I 388). Aber auch von der Naivität eines
unwissenden Beduinen weiß A.sma*! zu erzählen, daß er, ohne Kenntnis
der Beziehung, seine Stirn an der bloßen Erde wund rieb in der Über-
zeugung, daß dadurch ein »gutes Zeichen für einen braven Mann«
entstehe (BejhakI, ed. Schwally 381, 4).
Im selben Sinne werden auch Erscheinungen, die sich an der
Stirn kundgeben, als »zwischen den Augen« Sichtbares bezeichnet.
^) Corpus Juris di Zaid b. 'All ed. Griffini (Nr. 292) 68,3 ^jilXJb *~>.'^'i»
Islam XI. 12
j Tg Igti. G o 1 dzihe r,
Die nur al-nubuwwa, die von Adam her sich durch die Vorfahren des
Propheten forterbt ^), um zuletzt an ihre Bestimmung zu gelangen,
erscheint bereits »zwischen den Augen« des Nizär {LA. s. v. ^jj
VII 59, 4 ff.)- ^^ diese Reihe gehören auch die Sprüche, in welchen
die Rede davon ist, daß gewissen Menschen ihr Schicksal »zwischen
den Augen« aufgeschrieben wird. Die Armut wird nach einem ^adtl
bis zum Auferstehungstag zwischen ihre Augen geschrieben Leuten,
die zum Islam geleitet und im Koran unterrichtet sich dennoch über
Dürftigkeit beklagen 2). Hingegen wird Frommen, die die Zeremonien
des kag-g- mit Andacht und Hingebung vollziehen, neben anderen
Belohnungen auch dies zugesichert, daß »Gott die Armut aus ihren
Herzen reißt und den Reichtum zwischen ihre Augen setzt« (Azraki,
ed. Wüstenfeld 248, 9 &<yUc ^^ ^>Lii5 ^:>JLx>.^). Wer auch nur
mit dem Teil eines Wortes Mithelfer an der Tötung eines Muslims ist,
erscheint am Gerichtstag mit der Aufschrift »zwischen seinen Augen«:
Ein an der Barmherzigkeit Gottes Verzweifelnder [Kassäf zu 4, 95).
Von *Omar wird gesagt, daß der heilige Geist zwischen seinen Augen
lagerte (bei Sibli, Äkäm al-murgän ed. Kairo 138, 13). In solchen
Sprüchen 3) ist stets die Stirn 4) verstanden. Dasselbe 5) gilt vom
Hadlt, nach welchem dem Daggäl »zwischen den Augen« das Wort
Jif in getrennten Buchstaben (^ ö ^i)) eingeprägt ist [Musnad Ahmed
III 206. 211. 229. 249). Die Einzeichnung in losen, aneinander nicht
anschließenden Buchstaben ^) soll die Wichtigkeit des durch" sie ge-
I) Tor Andrae, Die Person Muhammeds in Lehre und Glauben seiner Gemeinde 319 ff.
^) ZDMG. LVII 399, wo noch andere Verweisungen.
3) Auch pleonastisch : die in Gott Befreundeten (iüJ! ^5 j.,_fcJL<OU.i!) erscheinen
im Jenseits iJÜl -.5 ^.j_j.Jw^OUJi s.^_yS> ^Pl>.^ -Iä »w»^.äXa) ,*f^^^i q^j Corpus
Juris di Zaid b. 'Ali ed. Griffini 296, 7.
4) Vgl. auch: der Schimpf bedeckt ÄÄii u^^*" ^^ Na^ä'id ed. Bevan 30 v. 24, auch
^^^ "• y' ibid. 104 v. 47; die Stempel der Schmähsprüche -S^jJiJi (ein weiterer Beleg
zu Ahh. zur arab. Philol. I 93 ff.) haben ihre Spuren auf .-.x>.s>-L:S=^vJi iALs»- ibid. 30 v. 29.
5) Vgl. Ezech. 9, 4 ninüD hV'^ ^/''"^- 7. 3-
^) Dies Moment wird nicht betont in den im Kam al-'ummäl VII Nr. 2023 (Anf.).
2081. 2090. 2097 mitgeteilten /^o^ff^versionen ; in denselben lautet das dem Daggäl »zwischen
den Augen« eingeschriebene Wort: JL5 . Den durch Fürsprache des Propheten ins
Paradies eingelassenen Rechtgläubigen wird »zwischen die Augen« geschrieben: s^m^
xJiin s^lSjLc- (ibid. Nr. 2376). Auf die Stirnen (x^:>. ^5) der Engel sind Gottesnamen
eingeschrieben {Dalä'il al-chejrät [Kaligr. Ausg. Nürl 'Otmän Käjis-zäde, 1305] 146).
Vgl. Nöldeke-i^estschrift 318.
Zwischen den Augen. I yg
bildeten Wortes zu gleichsam pathetischer Wirkung erhöhen. Der-
selbe Vorgang kommt auch bei gesprochenen Worten vor ^).
Noch ein Beispiel aus dem Gebiet der Heilungswunder des Pro-
pheten. Der Gefährte Firäs b. *Amr litt an Kopfweh. Da ergriff der
Prophet ein Stück der Haut »zwischen den Augen« des Leidenden
und dehnte es; darauf wuchs ein Haar an der durch den Propheten
berührten Stelle, und der Kopfschmerz wich von Firäs {Usd al-gäba
IV 177, 3)-
Die Stirnbedeutung des Ausdrucks i>^Ju^ .-vaj bekündet sich
auch in den Nachrichten darüber, daß Christen sich »zwischen den
Augen« bekreuzen 2). Als einer der gegen 'Omar Verschworenen den
Angriff des mit dem Schwert auf ihn eindringenden Rächers verspürt
iuJ^ ^^ ,JLo (Ibn SaM V 8, 16; vgl. ibid. III/I 258, 22)3).
Dem Gedicht, in welchem sich Chälid b. Jazid gegen die Vorwürfe
des Haggäg über dessen Verehelichung mit der Tochter des über-
wundenen *Omajjadengegners Zubejr verteidigt und seine Liebe zu
ihr preist, wurde eine Schlußzeile interpoliert:
^Bist du (Tochter des Zubejr) Muslimin, so bekennen wir uns (mit dir)
zum Islam; wendetest du dich zum Christentum, würden Männer
»zwischen ihre Augen« Kreuze zeichnen« [Ag. XVI 89, 9 v. u.).
Desgleichen finden wir vom Kuß, daß er sich »zwischen den
Augen« vollzieht (^oJ-^ ^-u (c>JL».ä5 Ps. Gähiz, Makäsin ed. van Vloten
245, 13; J^oi ^xj yjü Subki, Tab. Säf. II 81 ult.; vgl. auch
') Subkl, Tab. Säf. II 128, 11 v. u. will der faklh Abu Bekr al-UdanI in einer
rituellen Streitfrage seinen eigenen Standpunkt fest markieren, indem er mit Sonderung
O J o >
der Buchstaben sagt: J ^ O c:^ (wohl (a, da, kaf, larn), d. h. ^ — *.J.
2) Auch v*-:'^^^' f^j^ H^3 ^J^ -A^^i (Legends of Eastern Saints cd. Wkn-
sixcK I 41 (arab.), 10); ^^jS^» JLc Jj^JUis ZDMG. XXXII 375 Anm. 2, /.. (>, eben-
so auch überaus häufig in den Christenepisoden der 'Antarerzählung (ed. Kairo, ma{b.
Serefijje 1306—1311) XIV 34, 4 v.u. XXIX 13, 11; 21, 18; 23, 18; 37, 3 v. u.; 38, 9 v. u.;
48, 19; 59, 4 V. u.; 62, i; XXX 16, 3 v. u.; 24, 6 v. u.; 38 paenult. XXXII 30, 21 (welche
Stellen mir Prof. B. Heller nachweist).
3) Unmöglich ist die auch im LA. s. v. y_^JLo II 47, 7 v. u. aufgenommene Erklärung,
wonach das Subjekt von y_^Lo, das eine Tötungsart bedeutet, der rächende Sohn 'Omars
wäre: >_^>JLxiJLj ^^.Kal\ O.Lo Ji/LS" »jis.s. ^ic 'Vj^ l5'*
igQ Ign. Goldziher, Zwischen den Augen.
AR(W. IV 93, 14 V. u.), d. h. auf der Stirn i). Hierher gehört auch
die Phrase ■^\'^ '^j^ ^^ LU' 8jsJl=> jJ? »er ist (wie) ein Häutchen
zwischen meinen Augen (der Stirn) und meiner Nase«, d. h. er ist mir
imendhch heb und teuer (de Goeje, ZDMG. LXI 458 zu Ibn Sa'd
V'145, 19)- ■■ ■' ;
■■ '' Trotzdem die Beziehung auf die Stirn in diesem Fall kaum an-
genommen werden kann, sei zur einschlägigen Phraseologie noch die
Redensart verzeichnet, mit der die stets parate Gelehrsamkeit charakte-
risiert wird.' Von Ahmed b. Hanbai rühmt sein Biograph (bei Sübki,
1. öj I 200, 13 V. u.), daß »die Wissenschaft der Welt zwischen seinen
Atigen war« so oft man ihm eine Frage vorlegte {^.l^ ^,y[S ^}^^ \3\
.^i L^vAÜ). Ähnhch werden die Fähigkeiten des angesehenen
^V^'
O'
S,äfi*iten, des Kädi Abu Bekr al-Säm.i aus Hamät (400—483), von
seinem Biographen geschildert: [^^^..A.Li!] v^-^i5 ^^\ iüUixXi HaiLs* ^J,b
x.JL.i. ^^"'l^ (Subki, 1. c. III 82, 6). — Eine hgürhche
Anwendung des Ausdrucks stellt auch eine Redensart dar, durch
welche die intensive innerliche Vergegenwärtigung eines Gegenstandes
in der Weise bezeichnet wird, in der der Süfi Abu Hätim -al-asamm
\ox^ seiner G^betandacht spricht: . . ., . . . . »sodann gehe ich m die
Moschee und, vergegenwärtige mir die liarämmoschee (in Mekka)
und setze dei^ ma^äm Ibrahim zwischen meine beiden Augen-
brauen«: (^iAjO».i>.^..ji 5J ,,;wx^ ,0 \.^^9\J> -Liw3 *Attär, Tadkirat al-
auHjä ed. Nicholson I 249, l); in demselben Sinne, wie die zu Anfang
dieses Aufsatzes angeführten pentateuchischen Verordnungen von
einigen besonders von den karaitischen Auslegern mit Berufung
auf. die Analogien in Prov. 3, 3; 6, 21 bildlich gedeutet werden -).
I) Z. B. Jäküt ed. IVIargql. III/I 39, 3. 4 ;^\ La.v*ä.^*9 ^^J^ ^-4"^r=• J^t^ O'*"
ä) Jehuda b. Kurejs bei Jeh. Hadasi Esköl ha-köfer (Koslof 1836) 92 d
Alphab. 242; Menachem b. S a.r ük, Machbeyeth ed. Filipowski (London 1854) 99:
R. Sam. b. Me'ir, Pentateuch-Kommentar zu Exod. 13, 9; vgl. die Polemik des Ibn Ezra
... • t ...'■' -
dagegen z. St. ■ •' "'' '■'• ' '
Aserbeidschanische Texte
zur nordpersischen Volkskunde.
Von
Hellmut Ritter.
Vor einigen Jahren lernte ich in Hamburg zwei Aserbeidschaner
kennen. Der eine war ehemahger Redakteur der Zeitung Fer-
werdin und stammte «aus Urmia, der andere war ein Kaufmann aus
Täbris. Von dem ersteren stammt die unten mitgeteilte kleine Gfe-
schichte vom Molla Jähja aus Isfahan, von letzterem das zweite
Stück »Wie man in Persien heiratet«. Neben dem sprachlich Inter-
essanten, das diese Dialektproben bieten, gewähren sie auch einen
charakteristischen Ausschnitt aus der nordpersischen Volkskunde, der
auch den Nichtdialektologen interessieren wird.
Zur ümschritt sei vorausgeschickt:
Bei dem Mann aus Urmia war die Palatalisierung der Laute k,
c und g, wie bei vielen Aserbeidschanern, sehr weit fortgeschritten,
k klingt fast wie c, c fast wie deutsches z, g fast wie deutsches z
stimmhaft ausgesprochen, ohne daß jedoch eirie vollkommene Deckung
der Laute erreicht würde. Eine genauere phonetische Unter-
suchung vorzunehmen, ist es leider nun zu spät. Umschrieben sind
hier die genannten Laute mit Rücksicht auf das vorhandene Typen^
material mit k, c und g. Bei dem Täbriser Gewährsmann fehlt die
starke Palatalisierung. Der ach-Laut ist durch x, der ich-Laut durch
/ ausgedrückt. Das velare g, das sehr weit hinten gesprochen wird,
ist mit g, das palatale mit g bezeichnet. Das breite offene persische e
ist durch ä, das geschlossene e durch c wiedergegeben. Herr Bagir-
oghli, Täbriser von Vater- und Mutterseite, hatte die Freundlichkeit,
den zweiten Text genau mit mir durchzugehen. Ihm sei an dieser
Stelle bestens gedankt. Der erste Text blieb so, wie er vor 6 Jahren
niedergeschrieben wurde. Er ist nicht ganz frei von Osmanismen
und auch daher nicht so zuverlässig wie der zweite.
1 82 H e 1 1 ni u t R i 1 1 e r ,
I.
Mollä Jähjä.
Bir necä il munnan gabax bir näfär mollä isvahäna wäryd oldi wä
bir necä gün onnan sora basladi xälgä mouizä elämaYa. xäx munun
sözlärin esidmaYa Box mäjil idi, wä gün bägün munun gäläli wä
soukäti iräli gedirdi, hättä bir därägäjä jetisdi ki ona imäm kimin
baxyrdylar. bir necä ai munnan sora oruslux aji jetisdi, wä bu mollä
öz mouizäsindä xälgä xäbär verdi ki : man orusbäiramyn güni sizä
bir müzdä verägaifam, wä jazyn xäbär verin, öz gohumlarijizi^) wä dus-
larijizi iränyn här sährinnän ca^yryn. här käs bumüz däni esidsä, gä-
hännämin oti ona häräm di. xäx basladylar kä^az jazmaxlyya, wä
här nägädär gohumlari wä duslari wä äsnälari var ydi, här sähärdän
däävät elädilär; xuläsä orusbairamyna jaxun isvahända bir milion
irännylar häzyr oldylar. bairamyn güni gördülär sähärdä mämbär
icün jer jox di, wä hes bir elä kücä jox di ki bu xälgi tussun. onun mäm-
bärin götürip därvazadan esijä apardylar wä bir böjüj^ sahränyn zä-
misindä goidylar. bu bir million irännylar wä isvahänyn öz ähH da
buraja gälip, bu mämbärin aträfynda gäm oldylar; mollä mämbärä
cyxdi wä basladi xutbä oxumaxly^a.
bir necä dägä onnan sora iki näfär gavgäzli mäglisin ortasynnan gal-
xyp mämbäräsary gälirdilär. mollä mämbärüstän säslänip dedi : gälmejin,
siz iki gardassyz, birijizin ady mähämmäd wä o birinin ady ähmäd di. olar
gäväb verdilär : sähih di. mollä dedi : siz bäkylysyz wä sizin bir gogä dä-
däiz var ydi bäkyda baggal tukanynda äiläsirdi. bir gün oni bir näfär
adam ■yäfiätän güllälijip öldürirdi wä siz necä väx di onun gätilin axdary-
sys. bäkylylär gäväb verip dedilär:bular hamysi düzdi. mollä dedi: sizin
dädäizi vuran man idim, wä indi sizin haggijiz di gälip mäni öldüräsis.
olar dedilär älbätdä öldüräga-^yx. kici;( gardas iräli gälip molläni
mämbärdän jerä saldi. xälgin icinä hämhämä düsüp, dedilär: dädäizin
gani här necä di verax, bu molläni öldürmejin. mollä dedi: isijiz ol-
masyn, gojun mäni öldürsünnär tä allähynäzäbynnangurtulum. böjü/
gardas dedi: ägär bir million gyzyl versäz öldüraga^yx. kici/ gardas
iltimäs elijip böjü)( gardasa dedi: goi säslänip xälgä xäbär verax, här
käsin gibindä här nä var a-ydan gärädän gyzyldan gümüsdän gätirip
bir jerä tö/sünnä, bälkä'dädämizin gani düzäldir. kici)j gardas säslänip
dedi: gämäät, här näjiz var gätirin tä bälkä bizim dädämizin gani dü-
zälip wä mänim böjü/ gardasym räzi ola. gämäät hügüm gätirip
härnä giblärindä wä üstlärindä var ydi müzäigä elämädilär, arvatdar
syrgälaryni vä bilärsilärini gätirip tö/dülär tä bir därägäjä kimin
') von ^ii
Aserbeidschanische Texte zur nordpersischen V'olkskunde. 183
ki hes bir gape^läri da galmadi. onnan sora kici/ gardas böjü/ gar-
dasdan xäbär aldi ki äjä räzi oldun? böjüx gardas gäväb verdi:
bäli. moUä säsländi dedi: gämäät, man räzi olamam, gärä/ bular
märii öldürälär wä öz gysaslaryni männän alalar, jainki mäni häläl
elijälär tä giämätin günündä allähyn äzäbynnan gurtulum. bu iki
gardas dedilär: bissäni gälbedän häläl elädix, bu gämäätdä sähyddylar.
mollä dedi: cox jax^i. bu iki gardas pullari wä gyzyllari hamsyn gö-
türüp böjüx torbalara doldurup atdara jü^liijüp getdiler. gämäät
molläja täklif elädilär ki cyxsyn mämbärä wä o müzdäni ki väädä .
clämisdi bulara desin. mollä gäväb verdi ki indi cox hästä olmusam,
galsyn in sä alläh sabah dijäräm, indi gedim evdä bir az jatyp rähät
olum. mollä evä getdi gämäät määjüsänä da^yldylar. mollä axsam
gämäät nämäzyna gälmädi. getdilär xäbär aldylar. känis dedi: mol-
Jäja sovux'dejip wä jatypdi. xuläsä, mollä üs gün nämäza gälmädi.
xäx cox nijarän galyp getdilär molläja joluxma^a, nägädär gabsyn
caldylar hes käs gälmädi. gonsudan pälläkan gojup mollänyn häjätinä
(lüsdülär mollänyn evindä bir adam tapbadylar, cox täägüb elijip bu
isdä mätäl galdylar. bäziläri hejäl elädilär ki mollä gäib olup.
bir necä il onnan sora isvahännan bir necä näfär mäkkejä gedip
geidändä muäligä icün öröpaja gäldilär, bir gün bir böjüy^ restoranda
xoräx jejirdilär. birdän gözläri o iki näfär gavgaslija sataödi; gördülär
baslarynda sagga ^) byglaryn burup äiläsiblär. dürüst baxyp gördülär
molläda bularyn janynda di, iräli gälip xäbär aldylar ki bu nä is di?
sän sex jähjä wä bu iki näfär säni öldürän gavgazlylar däjilär? dedilär:
bäli, gäräx sizin kimin äxmäxläri bu gürünän älä salyp wä pullaryni
clärinnän alyp öröpada tämis jerlädä gözäl arvatdarynan kef cäy-
max vä gözäl musi/lär esidmax vä teatrlara vä tamäsaxänalara
gedmax.
Mo IIa Jäh ja.
Vor etlichen Jahren kam ein Molla nach Isfahan und fing nach
wenigen Tagen an, dem Volke zu predigen. Das Volk war sehr be-
gierig, seine Worte zu hören, und sein Ruhm und Ansehen wuchs von
Tag zu Tag bis zu einem Grade, daß sie ihn wie einen Imam betrach-
teten. Als nach einigen Monaten der Fastenmonat kam, sagte dieser
Molla in seiner Predigt zum Volke: Ich werde euch am Bairamtage eine
frohe Botschaft bringen, schreibt und ruft eure Verwandte und Freunde
aus allen Städten Persiens herbei. Jedermann, der die gute Botschaft
hört, dem ist das Höllenfeuer tabu. Da begannen die Leute Briefe
zuschreiben und ludcncin alle Verwandten, Freunde und Bekannten, die
") aus Sapga
i§4
Hellmut Ritter,
sie irgend hatten, aus allen Städten; kurz, als der Bairam nahe war, kamen
in Isfahan eine MiUion Perser zusammen. Als der Tag des Bairam
kam, sah man, daß in der Stadt für die Kanzel kein Platz war, und daß
keine Straße war, die diese Volksmenge hätte fassen können. Da nahm
man seine Kanzel, trug sie aus dem Stadttor heraus und stellte sie
draußen vor der Stadt auf einem großen freien Platz auf. Die Million
Perser und die Einwohner von Isfahan selbst kamen hierhin und ver-
sammelten sich um qlie Kanzel herum, der MoUa aber stieg hinauf
und begann zu predigen.
Kaum waren einige Minuten vergangen, als sich aus der Mitte
der Versammlung zwei Kaukasier erhoben und auf die Kanzel zu-
schritten. Der Molla rief ihnen von der Kanzel herab zu: »Kommt
nicht näher, ihr seid zwei Brüder, einer von euch heißt Mehemmed und
der andere Ahmed«. Die beiden antworteten: »Das ist richtig!« Der
Mölla fuhr fort: »Ihr seid aus Baku und habt einen alten Vater gehabt,
der in Baku einen Gemüseladen hielt. Eines Tages hat ihn unver-
sehens ein Mann mit der Flinte erschossen, und ihr sucht nun seit langer
Zeit nach dem Mörder.« Die beiden Leute aus Baku antworte-
ten: »Das ist alles wahr.« Da sprach der Molla: »Ich war es, der euren
Vater getötet hat, und jetzt ist es euer Recht, zu kommen und mich zu
töten.« Die beiden sprachen: »Gewiß, wir wollen ihn töten!«
Der jüngere Bruder trat vor und riß den Molla von der Kanzel herab.
Da entstand unter der \'olksmenge ein Gemurmel und sie sprachen: »Wir
wollen für das Blut eures Vaters geben, was es auch sei, aber diesen
Molla tötet nicht!« Der Molla sprach: »Mischt euch nicht hinein,
laßt sie mich töten, damit ich frei von Gottes Strafe werde.«
Der ältere Bruder sprach: »Wenn ihr eine Million Goldstücke gäbet,
so werden wir ihn doch töten.« Da wandte sich der jüngere bittend
an seinen älteren Bruder und sprach: »Laß, wir wollen dem Volke
sagen, ein jeder solle alles Geld, das er bei sich hat, weißes, schwarzes,
Gold und Silber, herbringen und auf einen Haufen schütten, vielleicht
wiegt es das Blut unseres Vaters auf.« Darauf rief der jüngere Bru-
der: »Ihr Leute, bringt alles, was ihr habt, damit vielleicht unseres
Vaters Blut aufgewogen wird und mein Bruder sich zufrieden gibt.«
Da stürmten die Leute herbei und gaben ohne zu sparen alles, was
sie in ihren Taschen und Kleidern hatten, die Frauen brachten ihre
Ohrringe und Armbänder herbei und schütteten sie hin, so daß
ihnen auch keine Kopeke mehr übrig blieb. Darauf fragte der jüngere
Bruder den älteren Bruder: »Bist du nun zufrieden?« Der ältere
Bruder sagte: »Ja.« Da rief der Molla: »Ihr Leute, ich aber kann
mich nicht zufriedengeben. Diese Leute müssen mich töten und ihre
Aserbeidschanische Texte zur nordpersischen Volkskunde. j§c:
Blutrache von mir nehmen oder aber mich lossprechen, damit ich am
■iTage der Auferstehung Gottes Strafe entgehe.« Da sprachen ; die
beiden Brüder: »Wir sprechen dich von ganzem Herzen los, diese
Leute hier sind Zeugen«. Der Molla spra'ch: »Gut.« Darauf nahmen
die beiden Brüder das ganze Geld und Gold, füllten es in große Säcke,
luden es auf Pferde und gingen fort. Die Menge aberj forderte den
Molla auf, doch wieder die Kanzel zu besteigen und ihnen die ver-
sprochene frohe Botschaft zu verkünden. Der Molla aber antwortete:
»Ich bin jetzt sehr müde, laßt es anstehen, ich werde sie euch, so Gott
will, morgen sagen; jetzt will ich gehen und mich zu Hause ein wenig
durch Schlafen erholen.« Darauf ging er nach Hause, und die Menge ging
enttäuscht auseinander. Der Molla erschien am Abend nicht zum ge-
meinsamen Gebet. Man ging hin, um anzufragen. Das Mädchen
sagte: »Der Molla hat sich erkältet und hat sich hingelegt«. Kurz
und gut, der Molla erschien drei Tage lang nicht zum Gebet. Das Volk
wurde sehr neugierig, und man ging, dem Molla Krankenbesuch ab-
zustatten. Soviel sie aber an die Tür klopften, niemand kam. Da
stellten sie eine Leiter vom Nachbarn an, stiegen in den Hof des
Molla herab, fanden aber in dem Hause des Molla keinen Menschen,
verwunderten sich höchlichst und zogen unverrichteter Sache ab.
Einige glaubten, daß der Molla (auf geheimnisvolle Weise) ver-
schwunden sei.
Einige Jahre später begaben sich einige Leute aus Isfahan nach
Mekka und auf der Rückkehr zu ärztlicher Behandlung nach Europa
und speisten daselbst eines Tages in einem größeren Restaurant.
Plötzlich fielen ihre Augen von ungefähr auf die beiden Kaukasier,
die sie mit Hüten auf dem Kopfe und gedrehten Schnurrbärten da
sitzen sahen. Als sie recht hinblickten, sahen sie auch den Molla da-
bei, gingen hin und fragten: »Was hat das zu bedeuten.^' Bist du nicht
Schech Jähja und dies die beiden Kaukasier, die dich töten wollten."* «
»Gewiß, « sagten sie, »solche Toren wie euch muß man übers Ohr
hauen, ihnen das Geld aus der Tasche ziehen und sich dann in Europa
an sauberen Plätzen mit hübschen Frauen amüsieren, schöne Musik
hören und in Theater und Schauspielhäuser gehen.«
H.
Iranda evlänmax räsmi.
Bir o-ylan öz nänäsinä dejir: nänä, mäni evländir!
o^lum, sänün näväxdün di ki sän evlänäsän.-* säbr elä ämün gyzi
älijä böiüsün oni sänä alaga-yam.
l86 Hell mut Ritter,
nänä, man ondört jasyndejäm, bäs nä växdä kimin gözätdijim?
älijänün ki on jasi var, usax däi, sänün meilün ossa, vallah hälä
bujün düzäldisän.
OYlum, bilisän ki ämüwün döwläti cox di, ona görä älijejä här
täräfdän elci gälir, müstärisi cox di; ammä gyzün özünün meili var
öz hämsäjalari hagi nägäfün o-^luna gessün, ammä cün hagi nägäfün
o-yli käsyb di, ämün istämir gyzyn ona versün. sän bir il säbr elä ki
gyz on bir jasyna jetssün, man ämünnän danysyram, älijänün meili ol-
masada oni sänä hö/män allam.
nänä, bäs indi ki belä di, bagym bäjimi bujün gärä'/ jollijäsän
L'lcilyYa, mänä bir gyz tapa. man elijä bilmäräm bir il hälä oturam
gözätdijäm ki älijä böiüsün man oni alam, vä hälonki älijänün bir
gözi ceri di, özi da cox cirkin di, man hec oni almaram.
oylum, sän annamysan, ceri da ossa bädtärkib da ossa, o sänün
mälun di; man elijä bilmäräm goijam hagi nägäfün o-^li ja ozgäsi äli-
jäni alyp ämüwün mälyna sähyb ossun.
nänä, sän här sürätdä bagym bäjimi bujün jolla gessün bir necä
jerä, bälkä mänä bir gyz tapa ki häm göcäj'j ola hämdä döwlätdi
ola, vallah mäni öz mcilimä goisala man nä älijäni allam nä da ämü-
mün döwlätin istäräm.
o-ylum, sän biliräm mäni goimasan öz bildy^yHi kimin elijim. bujün
sänün xätirüwä bagün bäjimä dijäräm gessün bir necä jerä clcily^a.
nänä, man oni muni bilmäräm, iki günä kimin mäni gärä/ ev-
ländiräsän; joxsa bas alyp urüsijätä gedäga^am.
oyIuiti, sän allah, belä sözdemäl man özümi öldürräm! ncgä »urüsi-
jätä gcdäga^am«? man dejirdim adamlar kimin säbr elä bes gün,
on gün, bir häftä, ikä') häftä. indi ki istämisän säbr elijäsän, man sa-
bahynan bir gün icindä bir gyz tapaga^am, ammä sora päsman os-
san mänä däxli jox di.
ossun, här nolagax ossun, man iki günnän artyx säbr clijämmäräm.
nänä cayyryr öz gyzi bäjimi, häsänün janynda ona dejir: gärdä§ün
mäni tängä ^ätti^), ^örüsän gegä gündüz mäni bir säat äram goimyr.
bujün nahärun je, get bir ik üs jerä, bälkä bir jaxci gyz gärdäsüwä
tapasan.
bäjim: hahaha! nänä, gärdä§im mänä nä alagax äjä ona bir jaxci
arvat tapam? vallah äjä mänä bir zäri cärgät alsa elä güni bujün ona
bir gyz taparam ki kör gözä goisan acyssun.
') Sandhierscheinungen sind nicht besonders als solche kenntlich gemacht.
^) Für {Tätirdi.
Aserbeidschanische Texte zur nordpersisolun \ ulkskiinde. 187
häsän: ba^, sän mänä man istädy-jfym gyzy tap, sänä zär cärgiit-
(\Än sewai täza cxan madamnan bir Öärsablyx .»Il.uu.
bäjim: mäniiii bu iki ij^iizlärini üstä.
häsän gedir bazara. nänä öz gyzi bäjimä dcjir : gy/.ym, bu 0](lan
annaniyr ki evlänmax o biri iälär kimin adamun ') üz meiliinän olmas.
c'vlänmaxda adam gärä/ hämisä öz sälgäsin goja, dädä nänänün mcili
kimä ossa ona-) ala. man bu o-^lanun a^/yn dada giitirräm. bujüu get
säräbänynun gyzi kccäl fatmanun i-lcily^Nua. n\äii istiräni oni hä-
sänä alam.
bäjim: nänä, sän allali! goi gedim l)ir jaxci gößä/ t^y/ tap) 111 gär-
dä§imä. niän istiräm gcdäni ha^i räsul gilä, tniun gyzi cox xo-
suma gälir.
gyzym, özün bilisän man dcjirdim ki bu iiäsänä bir giis^m.d \(.iax,
da munnan sora evlänmax xusflsunda xmlräilyif-) clämäsiiii. xttb,
bu jolkqa cibi jo/ <^b, gct, gör här kimi bäjänisän al gärdäSüwä.
bäjim öärsabUiiiN j) t.\(l;in ryxyr gcdii tä hagi riisulun fvinä
jet§ir; gajjyni döiür, bir arvad gälir gapyna-) acyr, säläm älcikiim!
älcik ässäläm! bujuruii görax hardan gälisüs?
lu'S vallah, gctmisdini ba/^ara cox jorulimisani hii as sii isiinlim
icäm.
ba^y. sän allah, bujur gäl iöäri!
xer, vallah gediräm jubaiiainniaram, böväxdi, nänämün .\^\"('\ gäli.
sän allall, bujur bujur hälä bir rubux ('■ä)^ jorgunnu-yu al!
bäjim {^crir ota^a, küll'ät gälir rübändin götürsün.
bäjim: xer zähmäl r,"i)(niijiin, cox otura bilm;iräi)i.
külliit: .IX xanym, uLurun bir gilas äärbät iöünl
jox vallah, äärbät iramniiiräni, br\;ix di, allah al uwa rälnnät rläsiiu !
baS-sta xanym!
kiilf;it gi-dir o biri ota^a, hagi räsuhm i;y/yiia ilcin ; \aiiyni,
iiiusdulu^umi wv, jaxci i-löi gäli)).
lia{!S;i riisulun ^y/i: käs säsiin! man istannrani iirä gi'däm.
x.mym, vallah bularun växdi tläi, «^«max täläsir ist ir gissün, sän
grt; i)alLalarun däiS, ^l\ bu Särbäti ajiar!
ha(^i räsuhm j^y/i grrir sand>xänc'jä, t;Uäsi)( pallalaiyu daisu
gälir bir gilas äärbät {^ötüriir aparyr gonaTfa. {Ijcrir ota^a sälam vcrir
aparyr äärbät i goijyr gona^fun gaba^yna.
bäjim: bujurun xanym, nijä zähinät ciäkisüs? man licä räzi däiräni.
') Nacli dunklen Vokalen Genelivcndung t>alil //// K.ild i//. Im I ixi ist //// durdigelllhit.
•) Sielie S. 0 Anni. 1.
l88 Hellmut Ritter,
xer, bu bir zähmät däi!
bujurun oturun xanym!
xer vallah ba^yslijün, isim var.
siz allah! oturun bir säat danysax!
bas-stä! goijun gedim bir cubux gätirim sora gälim.
hagi räsulun gyzi gedir cubux gätirsün, bäjim hagi räsulun ar-
vadyna dejir: xanym mäsallah, nä jaxci ädäbli gyzuz var, nä göcä/
di! allah jaman gözdän hifs eläsün!
xanym, mänimki da elä bu gyz di.
hagi räsulun gyzi cubux älindä väryd olur.
bäjim: xanym siz allah! nijä bu^ädir zähmät cäkisüs? siz mäni
xigälät elädüs!
hagi räsulun gyzi: xanym, bular nä färmäis di? bir cubuYun bu-
jädir täfsih jox di. ba^yslijün, man gediräm mitba^a, isim var.
hagi räsul gyzi cyxyr otaxdan, durur pärdä dalysynda gula7 asyr
görsün munun xusüsunda nä danysagaxla.
bäjim hagi räsulun arvadyna: xanym, bir belä gözäl göcä/
gäbil xänädar gyzi nijä bäs indijä kimin ärä vermämisüs.''
xanym, özün görüsän äli isläj(h di. man onsuz dirilyx elijäm-
märäm, tamam bu evün islärin tä/ ganyna o görär, äjä bir gün o
evdä olmasa, tamam islär tökili galy. joxsa mänim munnan artyx
arzum jox di, hag-a^a da cox arzu elär ki bir särbätün tojun göräidi,
här täräfdän da istijäni var di, ammä hälä ki belä galyp.
bäjim hagi räsulun arvadyna: xanym, man istiräm sizün gyzi
gärdäsimä alam.
hagi räsulun arvadi bäjimä dejir: xanym, hälä cox tez di, hag-
a-fa istir gessün käbläjä, geidmijingä hälä bu xsüsdä danysmax olmas.
xanym, vallah bujün man gedägaYam sal üzü^ jollijim.
vallah mänä däxli jox di, hag-aYa bilär.
dahy man bilmiräm, gedip belä ki dedim sal üzü/ joUijagaYam.
mänim gözüm särbät xanymi tutup, oni gärä/ man gärdäsimä alam.
hälä xudäfis!
xanym, vallah cox tez di, nijä belä täläsisüs.? bir istikan da cai icün,
bir cubux cäkünl
xer xanym, gün günarta di, gäräj^ gedäm xanymym nijäran galy.
xob xanym, man cox isrär elämäräm, indi ki meilüz var täsrif
aparun, ammä xähis eliräm bizi jaddan cxatmijün, man da cox istä-
räm ki sizä gäläm.
xerxanym, bu ävväl dähwä ^) idi, fürsätimdäjox di, joxsa cox oturup
danysaga^ydym. siz mänä cox xos gälisüz, dahi istiräm gedäm.
') Aus däf'ä
Ascrbeidschanische Texte zur nordpcrsischen Volkskunde. i8q
ij,.-; /hagi räsulun arvadi öz gyzi särbäti ugadan ca^yryr: särbät,
g?,, xanyma Tübät gäti, pärdä tut!
, särbät ki indijä kimin gapi dalysynda durup bu söhbätlärä gula^
asyrdi nänäsi ca-^yranda javagga getdi o biri ota-^a, ordan dübärä
jejin gäldi ota^a: xanym, nä büjurusus?
särbät, rübät gäti, xanym istir gessün.
särbät gona7a dejir: xanym nijä belä tez gedisüs? bir säat oturun
danysun!
ba^yslijün, xanyma ärz elädim, elijä bilmäräm artyx oturam, in-
sa,Uah bu säfär gäländä sänä üzü^^ gätiräga-yam, onda cox oturram.
.^^ ; särbät bu sözi esidändä rübändi ki gätirmisdi gona-j-a versün,
atdi bäjimä täräf, gasdi getdi o biri otaxda gizländi. hagi räsul ar-
ya^i bäjimä dejir; xanym siz allah! usa^yun üzün asmijün! görüsüz
negä otanyr gacyr gizlänir.
,, . xanym, munnan sora o arvad olagax, bir necä günnän sora to-
jun. da elärux, da nä vaxda kimin evdä galagax? hälä xudäfis!
xanym säbr elä, sän allah, g"oi gässün pärdä tussun.
hagi räsul arvadi särbäti ugadan ca-j'yryr: särbät! särbät! sär-
b,ät gävab vermir.
gyz! sännänäm, tez ol gäl pärdä tut!
särbät gälir pärdä tutur. bäjim gapydan cxanda särbätün üzün-
nän öpür.
hälä xudäfis xanym!
xudäfiz gälinim!
. . särbät ginä goijyr gacyr, bäjim gedir, hagi räsulun arvadi evdäki
a"(bircäjif) ca:yyryr: ^äräbäni, särbätä gijiß elci gälmi§di, äylün nä
käsir, bular negä adam dyla?
xanym, vallah gärä}( cox jaxci adam olala.
,, säräbäni, istiräm hag-a-^a evä gäländä särbätün xsüsunda da-
nysam, o^lanun bagysynnan cox xosum gäldi. vallah man hag-aYanun
je;rinä ossam, dahy bu säfär bu isi gurtarram. gy? da böiüjüp on.iki
ja^y var, munnan artyx dahy nä gözätdamax?
säräbäni : älbätdä xanym.
säiäb^ni gedir öz isinä. hagi räsului^ ^rvady da gedir öz ota^yna.
bäjim gedir jetsir evä, gapyni döiür, nänäsi gälir gapyna acyr.
bäjimün nänäsi dejir: gä görax gyzym, o-clan . gälmisän ja gys.'* '
nänä, musdulu'i'umi vcr, gärdäsimä bir jaxci gyz tapbysam.
nänä dejir: gyzym, indi ki bäjänisän, bas-stä, bu häftänün icindä
bu isi tamäm eläräm. ammä gärä)( sal üzüx xusüsunda bir jaxci fikf
') aq pircäy = Weißlocke, alte Magd.
jQQ HellmutRitter.
elijax. mänim bir sälym var, ki dädün mänä toi elijändä joUamysdi,
hälä Olli jollijax hagi räsulun gyzyna. ammä üzü/ isi bir az cätin di.
bilmiräm oni negä elijäga^ux. mänim özümün bir älmas üzüjüm var,
amrnä cox kci^ di, cätin ona räzy olala.
• nänä, hälä gärä^ man gedip bir dähvä danysagayam bularun
hammysynun gäräryn onda gojarux.
gegä hagi räsul gälir evä: xanym, nä var nä jox?
hag-a^a, bir zad jox di.
aybircä^ gähväxanadan pärdäni göuzur: hag-a^a, sännän gizlä-
dir, bujünnäri särbät xanyma elci gälmisdi, bir jaxci nägib hör-
mät di. särbät xanymi istir öz gärdäsinä alsun.
hagi räsulun arvadi a-fbircäjä dejir: f-zullux elämä, käs säsün!
sän burda xäbärci garga olmusan?
bäli xanym, nijä gizlädisän? vallah gäräx särbät xanymi ärä verax.
hagi räsul: xob, hälä daava märäkä läzim däi, bir äram tutup
mänä täfsilin nä^l elijün görüm.
hagi räsulun arvadi ävvälinnän äxirä kimin här nä olmusdi nä^yl
elädi, onnan sora dedi: dahy hag-a^a, munnan artyx man elijä bil-
märäm gyzi evdä saxlijäm, böiüjüp jekkä dävä olup.
hagi räsul: äxi hardan istillä? görax nägür adam dyla.
cox jaxci adam dyla. elä bagysi bäjim xanymun oturup dur-
ma^ynnan määlum di. man bilmäräm, bu bir iki gün icindä gyzä nä ki
läzim di gärä^ alasan ki onun gähäzyn düzäldim.
hagi räsul: bu cätin is oldi, mänim bu günnärdä hes pulum jox di,
onnan sora sän gärä^ danysasan görax necä dana üzü^ gätiragaxla,
necä tägä sal, älbätdä gümüs aina guranda ki määlum di, o da öz
jerindä.
hagi räsul arvadi dejir: sabah oli ki o-^lanun bagysi gässün bu-
larun hammysyn danysaga^am, ammä sän, belä ki dedim, här jan-
nan di gärä/ iki günün icindä Särbätün gähäzyna pul sazlijäsän i).
vallah, määttäl galmySam, he§ bilmiräm hardan düzäldäga-
-^am. hälä sän sabahlari sal üzüjün gäräryni goi tä görax negä olur.
jaxci di, man ävväl iki dana üzüj istijägayam, biri cox jaxßi
älmas, o birisi da jägutdan zümürrüddän här birisi olur ossun, ü&
tägä da sal dijäga-^am, biri äsli kismiri, ikisidä kirman säly; görax
bularun altyna girägaxla ja jox.
älbätdä gäräx ^Y^ ^^^^ älmas üzüji da gätirsün, kismiri sal da
gätirsün. man da guvväm gädäri särbätün gähäzyni belä elämijagaifam
ki az ossun, bizim ücün äsbäbe xigälät färähäm gässün. ammä hes
') ^'gl- persisch cäre säz.
Aserbeidschanische Texte zur nordpersischen Volkskunde. loj
bilmiräm mäsälän gähaz nä-j'ädär pul tutagax. man dejiräm otuz
gyrx tümän bäs di.
kisi nä danysysan? otuz gyrx tümän hes gähäzun bir sülsini
görmäs. belä ossa, man bu isün öhdäsinnän gälämmäräm. man elijä
bilmäräm gedäm xälgün basyn gyrxam.
ki nä var? särbätä gähaz läzim di, man ik il di istäräm käbläjä
gedäm düzäldämmiräm!
häsän gäldi evä. bagysi bäjim häsänä dejir: dadas, mänim mu§-
dulu^umi gärä;( veräsän, bir näfär cox jaxci gyz sänä tapbysam. bax
lap özün bäjänän di: gaslari gözläri gärä, a-^zi psteji, burni kici^,
üzi girdä, äl-äja-^y lap kici/, saslari jerdän sürünür. dahy nä basüwa
ayrydym? bir gyz di ki bu sähärdä tajy ^) jox di. ammä biliräm ki
xärgün cox olagax.
häsän: bagy, göcäj ossun, näyädär xärg olagax eibi jox di. sän
mänim väkilim sän.
bäjim: dadas, man ävvälinnän dejiräm, bax, lap lap äsgiji: birdana
jaxci äimas üzü)(, älli tümän gimäti, bir tägä kismiri sal, o da hec
olmasa jetmis tümän gimäti, bir gümüs aina, sdört dästä gumas
paltar, iki das cit paltar, bir gut basmax, bir kisä hännä, bir pätyl
nabat, onnan sora airy xyrymxyrda da määlum di. hälä dadas„ bular
mänim xijälym di, bilmiräm dar nä zyma calagaxla.
häsän: bagy, belä ki sän dejisän mänim elä evimi istisüz jyxasus.
negä ki älly tümännyx älmas üzü/, kismiri sal.'' dar nijä läzim di.''
gänd, nabat, bir iki das paltar, aina, guran, bular düz di, ammä munnan
artyyynun man öhdäsinnän gälämmäräm.
bäjim: dadas, baly^ istijän götün sowux sua gojar. istisän bir
jaxci jerdän arvad alasan, lap äsgiji bu di ki dedim. gäräj^ bir iki
üz tümänä kimin xäs^) gojasan. istämisän, nänünnän da xäbär al.
häsän: dahy man här nä basara bilsäm elijaga^am, ammä sän da
gärä)( belä clämijäsän ki man öhdäsinnän cxammijam.
bu växki väx bäjimüti nänäsi gälir, gälip häsänä dejir: o^lum,
musdulu^umi ver, bagün sänä jaxci bir gyz tapyp, ammä bu särtinän
ki ona vädälädu^un cärsabynan cärgäti alasan.
nänä, jaxci mänä gün a-^lysus 3) ! belä ki bagym dejir, bir zyma
xä§ gabaxda var.
OYlum, älbätdä, toi elijän gärä/ xäs goja.
') tai ist das eine von einem Paar, vgl. osm. tek.
') = xärg:.
3) Der Sinn dieser Redensart ist der in der Übersetzung angegebene. Eine Er-
klärung konnte mir auch Herr Bägiroghli nicht geben.
192
H e 1 1 m u t Ritter,
hälä, nänä, bular gecär, dejiräm, nävax bu isi gurtaragaxsus? .:
OYlum, bu belä bir is däi ki bir gündä basa gässün. adambir belä
alt ailyx olmas. goi, biz bir, säbrinän höwsäläinän bu isi basa gätirax.
nänä, belä ki siz tutmusuz man gärä/ bir ik ai dahy gözätdijäm-.
jox, o-j-lum, ik ai läzim däi; sän sabah get, bagün dijännäri al
gäti evä. dahy sänün isün jox di, biz özürnüz näyädir ki mümkün di
tez basa gätiraga-^ux.
bas-stä, nänä.
sabah häsän gedir bazara, här nä ki läzim di, alyp gätirir ba-
gysyna, bäjim olara aparyp gojur sandyifa, sora cärsab-corablanyr,
gedir ginä hagi räsul gilä, ginä gapyni döiür. bu jol hagi räsulun
arvady gapyna acyr, bäjimi cox i/tirämynan gecirdillä gonav ota^yna.
bäjim dejir: xanym, dedy^ym düz oldi, gälmisäm särbät xanymun
sual gäväbyna. bujün gäräj^ bu isi man gurtaram.
xanym, belä ägäleinän is olmas. gojun bir görax hag-aya nä
dejir. biz hes häzyr däirux. . ^
xanym, negä ki häzyr däirux.'' munun bir täfsili jox di. man indi
gälinimi nisannaram, sora siz da bir iki günä här nä ki läzim di
düzäldisüs.
xanym, bular nä färmäis di.? särbätün hes gähäzy jox di, gärä^
man ägällän bir ikä häftä mäsgul olam ona gähas tutmaya.
harda di särbät xanym.? bujurun gässün, man istiräm onun bar-
niaYyna üzüj^ taxam.
hagi räsul arvadi särbäti ca^yryr. särbät gälir icäri: gyzyrn gäl oti!
särbät istir nänäsinün janynda otusun.
■ bäjim dejir: xanym, bujurun jaxyna!
särbät: jaxci di xanym!
xer, siz allah, bir az gälün gabaifa.
särbät gaba,Ya gäländä bäjim gärdäsi aldyify älmas üzijji taxyr
särbätün barmayyna. onnan sora dejir: xanym, zähmät cä)(^ niänä
bir eubux da gäti müräxxäs olum. •
särbät otaxdan cyxyr,
bäjim hagi räsul arvadyna: xanym, indi bu jol xähi§ eliräm,
siz da dijün görax necä das paltar gärä)( gätirax.
hagi räsul arvadi: xanym, bizdä, vallah, hämisä räsme di: alty
das gumas paltar, dort das cit, üs dana üzü^, iki tägä kismiri sal, bir
tägä kirman sali, üc üs tümändä käbin.
xanym, bugür ki siz dejisüs cätin bu soyda basa gälä, cün bizim
taifada iki üz tümännän artyx indijä kimin käbin käsilmijip. bil-
miräm nänäm muna räzy olagax ja jox.
Aserbeidschanische Texte zur nordpersischen Volkskunde. ig^
xanym, man jalan dcmäräm, man da räzy ossam, hag-aya goi-
mas ki üc üs tümännän äsgi/ käbin käsilä. güni bujünä kimin bizim
taifada hec üc üs tümännän äsgij^ käbin käsilmijip. hag-a^anun gärdäsi
gyzi bülgeis xanymun üc üs tümän käbini di. mänim dajym gyzi
ümme külsüm xanymun da käbini ücüs tümän di. dahy nä ba§uza a-yry-
dym, bu matläb cäräsyz di. bu bizä bir böjü^^ eibe di ki särbätün käbini
öz taituslarynnan ^) äsgij ola. paltar xsüsunda demiräm, oli ki bir
das iki das artyx äsgij ossa, eibi olmija, ammä lap xätirgämäm ki
käbin üc üs tümännän bir dinar äsa'Ya ola bilmäs.
bäjim: xanym, bularun hammysyni gedip xanymynan danysa-
ga^am, gäväbyn da gätirräm sizä, ammä biliräm ki üc üs tümän kä-
binä gärdäsim da räzy ossa xänym cätin räzy ola. vallah, männän
e§idsüz elä muni iki üs tümännyxda basa gätirrux. vallah, bizim tai-
fada indijä kimin iki üs tümännän artyx käbin käsilmijip. .xanymun
da käbini elä iki üs tümän di.
bäjim xanym, sän da elä mänim bir gyzym sän, düzü bu di ki mänim
özümün da cox isrärym jox di käbinün üc üs tümän olmayyna. man
da istiräm tezlyyynan bu is düzässün, ammä neg-elijim.? hag-a^adan
gorxyram, biliräm ki o hes väx räzy olmas särbätün käbini üc'üs tü-
männän äsaya ola.
xanym, bular hammysi bayly di sänün meilüwä.
bas üstä, bäjim xanym, hag-a^a evä gäländä basardy^ymgan
älläsagaYam ki hag-ayany räzi elijim.
xanym, dahy man müräxxäs oluram, da airi färmäisüz nä
mänä di-f*
xanym, dahy bir ärzim jox di. ümid gärä)( alläha baylamax.
äjä gismät ossa, allah annylaryni jazmys ossa, bir birinä jetisägaxla.
bäjim durur, otaxdan cyxanda dejir: xanym, da man müräx-
xäs oluram, xätirgämäm ki insallah bu säfär gäländä tämam islär
gurtulmus olagax, hälä xudäfis!
hagi räsul arvadi: xänym, hes sirnixurannyx xsüsunda danys-
madux.
xanym, da o määlum di, insallah bir iki s günä sirni xurannyyy
da eläsüs, hälä xudäfis!
bäjim otaxdan cyxyr, gähwäxanadan täzadan ota^a täräf geidip
hagi räsulun arvadyna dejir: xanym, ba^yslijün, aina guran nävax
jollijax.'*
gyzym, hälä goi bu sual gävablar bir gurtussun! aina guran jolla-
max cätin däi.
xanym, hälä xudäfis!
») taitus der Altersgenosse.
Islam XI, • M
jgi He Hmut Ritter ,
bäjim gähväxanaclan cyxyr, häjäta je.tisändä hagi räsulun ar-
vädi: xanym, javas gedün, däskäslärüzi jäduzdan cyxatmysus. hagi
räsul arvadi däskäslär älindä gälir bäjimä täräf: xanym, bujurunl
iltifätuz artyx ossun! ba^yslijün, garib, jädyma düsdi hes käbin
käsmax xsüsunda danysmadux. bizim täräfimizdän hagi molla häsän
all a-j-a olagax, sizün täräfüzdän kirn olagax?
xanym, bilmiräm oni da gärä/ hag-a-.'a määjjän elijä. hälä görax
nägür olur.
xudäfis xanym!
xudäfis xanym, mänim dilimdän cox cox sälam xanymuza ärz eHjün!
bas-stä, iltifätuz artyx ossun!
bäjim gälir jetsir gapa a^zyna. ordan hagi räsulun arvadyna
dejir: xanym, siz hes demädüz ki nävax bizä gälägaxsus. xanymym
cox istir ki sizinän bir görüssün.
hagi räsul arvadi bäjimä täräf gälä gälä dejir: xanym, vallah man
özümdä cox istirdim ki xanymunynan görüsax, ammä görüsüs ki bu
is düsüp gaba^a, man gärä/ särbätün gähäziinän mäsgul olam. mun-
nan sora allah goisa cox växlär olagax.
da man bilmiräm xanym, siz allah, härvax basarsus sizdä bizä
bir täsrif gätirün. xudäfis xanym!
bäjim gedir evä, hagi räsulun arvadi da geitir ota^a.
särbät gälir nänäsinün janyna. hagi räsulun arvadi särbätä dejir:
gyzym, sänün isün da az galdi gurtula.
xanym, mänim nä isim?
gyzym, bäjim xanymynan bujün här xsüsda danysdux ki üs gündä
gärä}^ islärün hammysi gurtula. olardan sal, üzüy, bes alty das paltar,
belä ki demisäm, gärä/ gälä.
xanym, älbätdä siz jaxcysin bilisüs, ammä mänim hes zädym
häzyr däi.
gyzym, bularun täfsili jox di, üs gün icindä bularun hammysyni
xälun säräfinän gurtarram.
xanym, sähib ixtiärsus.
särbät cyxyr gähväxanejä, a7bircä)rlärdän xäbär alyr: rü^ija,
hes bilmiräm nysannymun adi nä di, özü nä gür di.
xanym, älbätdä bular nänün hammysyn sorusup bilir. mäslähät
olmasa säni hes vermäzlä.
bäjim gäldi evä, nänäsi häsän evdä oni gözätdirdi. otaya girän
kimin nänäsi dejir: gäl görax gyzym, insallah gurtarmysan, gäl oti
nä^l elä görax!
Aserbeidsclianisclie Texte zur nordpersischen Volkskunde. ige
bäjim cärsab corabyn acyr gälir, nänäsinün janynda oturup dejir:
nänä, härzadda jola gedärux. hagi räsul arvadi cox jaxci nägib adam nä-
zärimä gälir; juxarydan äsaYJja gälännärdän di. hagi räsul dort bes
il munnan, iräli cox bir döwlätdi tägir idi, bir hamamy var idi, bes
alty evi var idi, jaxci mötäbär tigäreti var idi, kirman alis veri&i Var
idi. ammä bir necä ildän bu Jana biöäränün isi bir az äsgi/läsip. här
sürätdä belä ki man görüräm üc üs tümännän äsgij^ käbinä räzy ol-
mijagaxla. mänim näzärimdä käbin üstündä cox dajanmaYa galmäs.
biz ki indi üc üs tümän sajyp vermijagaYux. müntahä bu di: käbin
kä^azynda bir kälmä söz di jazylagax: häsän ki ony alan kimin bo-
samijagax da bu sürätdä nijä biz cox dajanax?
bäjim nänäsi kökälip gyzyna agyxly agyxli dejir: gyz, sän nä
annamaz adamsanl no oli häsän oni bosamijändä.^ här sürätdä üö üs
tümän borgi olar; man istämiräm ki oflum bu jükün altyna gersün.
dünjänun güiru-yi uzun di, bälkä häsän bir gün xosuna gälmädi istädi
gyzi bosasyn, ja hagi räsulun gy^i nänägib cyxdi, o^lum läbidd gäldi
bosasun. o växläri hardan üc üs tümän tapagax.?
nänä, belä ki sän dejisän bu islär hes väcinän düzälmäs. belä
ki man gümän eliräm nä gyz nänägib di nä da häsän oni bosar.
häsän: nänä, bagym düz dejir, bu gür zaddary cox gurtdalama^a
gälmäs. is gälip bura jetsip elä üc üs tümännyx da eibi jox.
nänä: oylum, ixtiär sännän di, ammä bax, man dejiräm, söfa
päsman ossan, soraki päsimannyx da bära bitirmäs.
ossun, nänä, päsman ossam öz boinuma.
cox jaxci oylum, indi ki belä di, bagün dijännäri bujün get al
gäti tä biz da sabah aina guran jollijax.
bas-stä nänä.
häsän gcdir här nä ki bagysi demisdi, bazardan alyr gätirir evä.
bäjim sabahynan gedir hagi räsul gilä, här nä ki gärdäsi almysdi
hammysyn hagi räsul arvadyna näyl elir. onnan sora dejir ki : xanym,
da munnan artyx jubandyrmaya gälmäs. man gediräm sabahlari
aina guran jollijam, siz da bu bir iki gündä sirnixuranny^i elijün ki
onnan sora tezlyyynan käbin käsissün.
xanym, belä ägäleinän olmas. biz hälä häzyr däirux. eibi jox
di, aina guran jollijün biz da sirnixuranny^i elärux, käbin da käsili,
ammä gabaxgan dejiräm hälä bu tezlyxdä tojulmas. äxi özüz bilisüz
man da gärä/ gyzun xyrymxyrdasyn jer be jer elijäm.
älbätdä xanym, düz bujurusus ammä bular o Yädir tul cäj(mäs.
müntahä bir häftädä bular hammysi basa gäli.
här sürätdä xanym, basardy^ymgan älläsaga^am tez gurtaram.
13*
Iq5 HellmutRitter,
xanym, sirnixuranny^i hansi günä gärar gojusus?
vallah, oni da gümä güni, ajun dördindä. bir necä näfär cayyrux,
ammä mänim xijälym cox tüle täfsil vermax däi.
älbätdä xanym, nijä läzim di xälgi tökäsüz bura? elä on ombes
näfär cayyrsuz bäs di.
bäli xanym, gärar muna oldi ajun dördindä sirnixurannyx di.
xanym, käbin käsmäni . nävax istisüz ossun.''
käbin käsmänün isi bir az cätin di. hag-a^einän gärä/ danysax.
täyvirnä baxmax gärä/, säat määjjän elämax. bu häftä ki taht ässuä'')
di, hec olmas. o biri häftä da düsür säfär ajynun äxyryna. vallah hes
bilmiräm nävax bu isi basa gärä/ gätirax.
xanym, man dahy müräxxäs oluram, här nä elisüs tez elijün.
man özüm da räzy olmaram ki käbin käsmä xos säatda olmasun,
ammä bilmisüs xanym, gärdäsim mäni nä täläsdirir. bälkä hagi mirzä
gälil aya istixäre elijä. allah jol versa daha säfär ajynun äxyryna bax-
maifa gälmäs. •
bas-stä xanym, gegä hag-a^einän da dänysaram, gäväbyni sizä
jollaram.
xeili xob, . iltifätuz artyx ossun! man müräxxäs oluram, ammä
xähis eliräm hag-ayanun da boinuna goijun ki käbin käsmäni jubat-
masun, cün ki gärdäsim häsän da toi elijännän sora istir bir märä-
7ejä gessün.
bas-stä xanym, mänim müzäigäm jox di.
xudäfis xanym!
, iltifätuz artyx, cox xos gäldüs!
bäjim gedir evlärinä, ammä kücädän ginä geidir hagi räsul gilä:
xanym ba^yslijün, jädymdan cyxdi, sizä ärz elijäm: sabahlari man
gedaga-j-am hamama. xähis eliräm, hag-a^einän här nä danysmys
ossuz dijün külfät gässün bizä ärz eläsün.
bas-stä xanym!
xudäfis xanym!
bäjim gedir evlärinä. hagi räsul da gegä gälir evä, här nä ki
arvadi bäjiminän danysmysdi hammysynnan xäbärdar olur. ammä
hes väcinän käbin käsmänün säfär ajynun äxyryna düsma^yna räzy
olmyr, cün ki arvadyna dejir: necä dähvä säfär ajynun äxyrynda käsilän
käbinnär bädjümn olup! man hes goja bilmäräm ki särbätün käbini
säfär aji cyxmamy§ käsissün.
hagi räsul arvady hagi räsula dejir: man özüm da räzy olmaram
säfär ajynda käbin käsmä ossun, bujün bäjim xanyma da elä demisäm ki
') »Unter dem Glanz« der Sonne, die Zeit zwischen dem heliakischen Untergang
und Aufgang eines Planeten.
J
Aserbeidschanische Texte zur nordpersischen Volkskunde. igj
käbin käsmäni gojax räbilävväl ajyna. müntahä köräkän bir az täläsir,
älbätdä oni da räzi elijagaxla. indi här zaddan vägib, gyzün gähäzyni
gäräx tezlyyynan jer bejer elämax. hec olmasa bir das färs, s dort
das jorgan dösäjf, bir das köräkänä paltar, mühür gabi, sa-ydisa bir das
paltar, onnan sora cox airi xyrymxyrda ki olari gäräx özüm jer bejer
clijäm. jaxci, jadyma düsdi: bes mezmeji mürYigap, ja hec olmasa
hac sex gabi, bir gut gümüs gääbä, bir gut gülabdan, üs gut sändäl,
iki dana miz, iki dana samavar, biri värso biridä misvar, bir värso
gähvägüs, iki dana böjü/ caidan, dort dana mis mäzmeji, iki gut särbät
tüngi, iki das sirni gabi, vä bulardan sevai cox xyrymxyrdalar ki
indi jädymda däi. bularun hammysi gärä"/ bir häftänün icindä
düzälä.
hagi räsul: mänim ki muzäigäm jox di, här nä man basara bilsäm
alagayam, ammä otax färsi bir az aifyr di, hec olmasa jüz tümän elä
färs tutar. bälkä bir gür elijäsän färs mouguf ola.
särbät ki bu sözlärä gula^ asyrdi, elä söz bura jetsändä ki dädäsi
dcdi: färs bahä di, tärhiinän^) durdi getdi o biri otaifa, baslada
aYlamaya.
hagi räsul arvadi: gördün, gyz negä agy-^ elädi, getdi. man tany-
ram äxir öz gyzymi: tä o öz istädyxlaryni aldyrtmijingän äl cä^mi-
jacax.
hagi räsul agyxli uga säsinän: cog gälät elär, adamun göali cox
zad istär^ ammä gärä/ mümkün ola. mümkün olmijannan sora man
hardan düzäldaga^am?
hagi räsul arvadi ärinä gävab vermämis gedir gyzynun janyna:
gyzym, nä var, nijä belä tutulmusan?
särbät hes gävab vermir. nänäsi gälir jaxyna, äliinän gyzynun
basyn juxari göuzijända görür ki särbät a^lyr. gyzym, nä var? sänä
nä olup nijä a^lysan.''
särbät istir danyssun ammä aylamax boyazyn tutur danysammyr,
ürä/länir, da arty^ aylyr. nänä gyzyni gucaxlyr, üzünnän öpür,
dejir: gyzym hes guss-clämä, biliräm dädän färsi istir boinunnan
salsun, ona görä a^lysan. ammä xätirgäm ol, äjä dädün da almasa,
özüm ölmämimisäm, süzänimi, gärdänbändimi, golbaxlarymi girö
goimali ja satmaly da olmus ossam sänä färs alaga^am.
särbät aylyja-^lyja dejir: nänä, allah säni mänä cox görmäsün,
man biliräm ki sän hes zäduwi mänä müzäigä elämäsän, ammä man
räzy olmaram ki sän männän ötür zaddaruwi giro gojasan. intahäsi
bu di, dädäm almasa färs, man da ärä gedmäräm.
ipS . He Umu t Ritter,
Wie man in Persien heiratet.
Ein Junge sagt zu seiner Mutter: Mutter, verheirate mich!
Mein Sohn, was ist das für eine Zeit für dicb, zu heiraten?
Warte, bis deine Base Ahje groß wird, die will ich dir nehmen.
Mutter, ich bin 14 Jahre alt, wie lange soll ich denn noch warten?
Die Alije ist 10 Jahre alt und kein Kind mehr; wenn du wolltest,
bei Gott, so brächtest du es heute noch in Ordnung.
Junge, du weißt, daß dein Oheim sehr reich ist, deswegen kommen
von allen Seiten die Brautwerberinnen für Alije; es sind viele Lieb-
haber für sie da, aber das Mädchen möchte gern zu dem Sohn ihres
Nachbars Hadji Nedjef gehen; aber da Hadji Nedjefs Sohn arm ist^
will der Oheim sie ihm nicht geben. Warte noch ein Jahr, bis das
Mädchen das 11. Jahr erreicht hat, dann spreche ich mit dem Oheim,
und wenn die Alije auch keine Lust hat, hole ich sie dir mit Gewalt.
Ja Mutter, deswegen aber mußt du nun noch heute meine ältere
Schwester Bäjim^) auf die Brautschau schicken, daß sie mir ein Mädchen
ausfindig macht. Ich kann nicht noch ein Jahr sitzen und warten, bis
Alije groß wird und ich sie dann nehmen kann, außerdem ist die Alije
auf einem Auge scheel und überhaupt sehr häßlich, ich nehme sie auf
keinen Fall.
. Junge, das verstehst du nicht; wenn sie auch scheeläugig und
häßlich ist, so ist sie doch dein Eigentum; ich kann doch nicht den Sohn
von Hadji Nedjef oder irgendeinen anderen die' Alije nehmen lassen,
daß er das Geld deines Oheims kriegt?
Mutter, auf jeden Fall schicke meine Schwester Bäjim heute
fort, daß sie nach ein paar Stellen geht und mir womöglich ein
Mädchen sucht, das hübsch und reich zugleich ist. Bei Gott, wenn
man mich machen ließe, wie ich wollte, ich wollte weder die Alije
nehmen noch des Oheims Geld haben.
Sohn, ich weiß, du läßt mich doch nicht tun, wie ich's für gut
halte. Ich will dir zu Gefallen heute deiner Schwester Bäjim sagen,
daß sie nach ein paar Orten zur Brautschau geht.
Mutter, es ist mir alles ganz gleich, du mußt mich bis über-
morgen verheiraten; wenn nicht, dann mache ich mich auf und gehe
nach Rußland.
Kind, um Gott, sage so etwas nicht! Ich bringe mich um! Was
soll das heißen: »Ich gehe nach Rußland?« Ich meinte, gedulde dich
wie ein vernünftiger Mensch noch fünf oder zehn Tage, ein bis zwei
Wochen. Da du aber nicht warten willst, so will ich dir morgen am
0 r^.
Aseibeidschanische Texte zur nordpersischen Volkskunde. ,^99
Tage ein Mädchen ausfindig machen, iaber wenn du es nachher bereust,
so geht's mich nichts an. , ,
Das mag sein, mag sein was will, ich kann nicht länger als zwei
Tage warten.
Die Mutter ruft ihre Tochter Bäjim und sagt zu ihr in Hasans
Gegenwart: Dein Bruder setzt mir hart zu, du siehst, er läßt mir T^g
und Nacht keinen Augenblick Ruhe. Wenn du heute gegessen hast,
so geh einmal nach zwei, drei Stellen, daß du für deinen Bruder ein
gutes Mädchen findest. •
Bäjim: Hahaha! Mutter, was wird mir der Bruder kaufen, wenn ich
eine gute Frau für ihn finde.? Bei Gott, wenn er mir ein goldgesticktes
Kopftuch kauft, so suche ich ihm noch heute ein Mädchen, von dem
selbst ein bhndes Auge sehend werden soll, wenn man es davorstellt.
Hasan: Schwester, finde mir das Mädchen, das ich wünsche, und
ich kaufe dir außer einem goldgestickten Kopftuch einen Umhang von
allerneuester Mode.
Bäjim: Auf meine beiden Augen!
Hasan geht zum Basar. Die Mutter sagt zu ihrer Tochter Bäjim:
Kind, dieser Junge versteht nicht, daß das Heiraten nicht wie andere
Dinge so geht, wie man selbst Lust hat. Beim Heiraten muß man
immer den eigenen Geschmack unterwegs lassen und die Person neh-
men, die den Eltern gefällt; ich will dem Jungen schon etwas Rechtes
zu schmecken geben. Geh du heute zur Brautschau nach der kah-
len Fatme, der Tochter von Schähräbani. Die will ich für Hasan nehmen.
Bäjim: Mutter, um Gott, laß mich gehen und meinem Bruder
ein gutes und hübsches Mädchen suchen. Ich will zu Hadji Rasuls
gehen, dessen Tochter gefällt mir sehr gut.
Kind, du weißt selbst, ich meinte, wir sollten diesem Hasan eine
Lehre geben, damit er beim Heiraten nicht wieder nach seinem eigenen
Kopfe geht. Aber gut, für diesmal soll es nichts ausmachen, geh und
nimm für deinen Bruder jemanden, der dir gefällt.
Bäjim legt den Straßenumhang an, tritt zum Hause hinaus und
geht, bis sie zum Hause des Hadji Räsul kommt; sie klopft an die
Tür, eine Frau kommt und macht die Tür auf. Friede über Euch!
Über Euch sei Friede, bitte sehr, woher kommt Ihr.''
Nichts, bei Gott, ich war auf den Markt gegangen und bin sehr
müde geworden, ich wollte nur ein wenig Wasser trinken.
200 H e 1 1 in u t Ritter,
Schwester, um Gott, bitte komm herein!
Nein, bei Gott, ich gehe, ich kann mich nicht aufhalten, es ist
spät, meine Mutter wird böse.
Um Gott, bitte sehr, rauche doch eben eine Pfeife und vertreibe
dir die Müdigkeit!
Bäjim tritt ins Zimmer, das Mädchen kommt, um ihr den Schleier
abzunehmen.
Bäjim: Nein, bitte bemüht euch nicht, ich kann nicht lange
bleiben.
Das Mädchen: Ach Chanum, nehmt doch Platz, und trinkt ein
Glas Scherbet!
Nein, bei Gott, ich kann keinen Scherbet trinken, es ist spät,
Gott möge sich deines Vaters erbarmen!
Wie Ihr befehlt, Chanum.
Das Mädchen geht ins andere Zimmer und sagt zu Hadji Räsuls
Tochter: Chanum, gebt mir den Botenlohn für die gute Nachricht, es
ist eine nette Brautschauerin gekommen.
Hadji Räsuls Tochter: Schweig, ich will keinen Mann haben.
Chanum, bei Gott, das ist jetzt nicht an der Zeit, der Gast hat's
eilig und will gehen, geh, zieh dich um, komm und bring dann diesen
Scherbet hinein!
Hadji Räsuls Tochter geht ins Garderobezimmer, zieht sich eilig
um, kommt, nimmt ein Glas Scherbet und bringt es dem Gast. Sie
tritt ins Zimmer, grüßt, trägt den Scherbet und setzt ihn dem Gaste vor.
Bäjim: Aber ich bitte Euch, Chanum, warum macht Ihr Euch
solche Mühe, das ist mir gar nicht recht.
Aber nein, das ist doch keine Mühe!
Bitte, nehmt doch Platz, Chanum!
Nein, bei Gott, entschuldigt, ich habe zu tun.
Um Gott, setzt Euch, daß wir uns ein wenig unterhalten!
Wie Ihr befehlt, laßt mich nur gehen, eine Pfeife holen und
dann wiederkommen.
Hadji Räsuls Tochter geht, um die Pfeife zu holen, Bäjim sagt
zu Hadji Räsuls Frau: Chanum, maschallah, was habt Ihr für eine
nette höfliche Tochter, und wie hübsch ist sie! Gott schütze sie vor
dem bösen Auge!
Chanum, alles was ich habe, ist auch nur dies Mädchen.
Hadji Räsuls Tochter kommt mit der Pfeife in der Hand.
Bäjim: Chanum, um Gott, warum macht Ihr euch solche Mühe.'*
Ihr habt mich ja beschämt!
Hadji Räsuls Tochter: Wie könnt Ihr das sagen.^ Eine Wasser-
Aserbeidschanische Texte zur nordpersischen Volkskunde. 201
pfeife hat nicht so viel zu bedeuten. Verzeiht, ich gehe in die Küche,
ich habe zu tun.
Hadji Räsuls Tochter verläßt das Zimmer, stellt sich hinter den
Vorhang und horcht, um zu sehen, was man über sie sagen wird.
Bäjim zu Hadji Räsuls Frau: Chanum, ein so hübsches und
schönes, fähiges und häushches Mädchen, warum habt Ihr es bisher
noch keinem Manne gegeben?
Chanum, Du siehst selbst, sie hat eine arbeitsame Hand. Ich
könnte ohne sie gar nicht leben, sie besorgt alle Arbeiten im Hause ganz
allein, wenn sie einen Tag nicht zu Hause ist, bleibt alles liegen.
Wenn das nicht wäre, würde ich auch nichts mehr wünschen,
auch der Hadj Agha möchte für die Schärbät gern Hochzeit machen,
sie wird auch von allen Seiten begehrt, aber nun ist es so dabei ge-
bUeben.
Bäjim zu Frau Hadji Räsul: Chanum, ich möchte Eure Tochter
gern für meinen Bruder nehmen.
Frau Hadji Räsul zu Bäjim: Chanum, dazu ist es noch zu früh,
der Hadj Agha will nach Kerbela gehen, und ehe er zurückkehrt,
ist darüber nicht zu reden.
Chanum, bei Gott, ich werde noch heute gehen, Schal und Ring
zu schicken.
Bei Gott, das geht mich nichts an, das ist dem Hadj Agha seine
Sache.
Ich weiß auch nicht, wie gesagt, ich werde gehen und Schal und
Ring schicken. Mein Auge ist nun einmal auf die Schärbät Chanum ge-
fallen, ich muß sie meinem Bruder nehmen. Einstweilen Gott befohlen !
Chanum, bei Gott, es ist noch sehr früh, warum habt Ihr solche
Eile.'' .Trinkt doch noch ein Glas Tee und raucht eine Pfeife!
Chanum, es ist schon Mittag, ich muß gehen, die Mutter wird
ungeduldig.
Gut, Chanum, ich will nicht lange nötigen, wenn es Euch denn
lieber ist, so geht; ich bitte nur vergeßt uns nicht, ich möchte auch
^ern zu Euch kommen.
Nein, Chanum, dies war das erste Mal, und ich habe keine Zeit,
sonst würde ich lange geblieben sein und mich unterhalten haben.
Es gefällt mir sehr gut bei Euch, ich will aber nun auch gehen.
Frau Hadji Räsul ruft ihre Tochter Schärbät mit lauter Stimme:
Schärbät, komm, bring der Chanum den Schleier und halte den
Vorhang.
Schärbät, die bis jetzt hinter der Tür gestanden und gehorcht
hat, geht, als die Mutter ruft, leise ins andere Zimmer und kommt von
2Q2 H eil m u t Ritte r,
da '-wieder schnell ins (Gast-) Zimmer zurück: Chanum, was be-
fehlt Ihr?
Schärbät, bring den Schleier, die Chanum will gehen.
Schärbät sagt zu dem Gaste: Chanum, warum geht Ihr so
schnell? Bleibt noch ein Weilchen und plaudert.
Verzeiht, aber ich habe schon der Chanum gesagt, ich kann
nicht länger bleiben; so Gott will, werde ich, wenn ich wiederkomme,
dir den Ring bringen, dann bleibe ich lange. . j^.
Kaum hat Schärbät diese Worte gehört, so wirft sie den Schleier,
den sie gebracht hat, um ihn dem Gaste zu geben, Bäjim zu, läuft
weg und versteckt sich im anderen Zimmer.
Frau Hadji Räsul sagt zu Bäjim: Chanum, um Gott, beschämt
doch das Kind nicht! Ihr seht, wie sie läuft und sich versteckt!
Chanum, sie soll doch nun Frau werden. Nach ein paarTagen machen
wir Hochzeit, wie lange soll sie denn zu Hause bleiben! Gott befohlen !
Chanum, wartet doch um Gott, laßt sie erst kommen und den
Vorhang halten.
Frau Hadji Räsul ruft Schärbät mit lauter Stimme: Schärbät,
Schä,rbät! Schärbät gibt keine Antwort.
Kind, du bist gemeint, mach schnell, komm, halt den Vorhang!
Schärbät kommt und hält den Vorhang. Beim Hinausgehen
aus der Tür küßt Bäjim das Mädchen.
Gott befohlen, Chanum!
Gott befohlen, mein Bräutchen!
Schärbät läßt wieder alles fahren und läuft weg, Bäjim geht.
.Frau Hadji Räsul ruft die Hausmagd: Schähräbani, es ist wieder
eine Brautwerberin für Schärbät gekommen, was meinst du dazu?
Was sind das für Leute?
Chanum, bei Gott, es müssen sehr gute Leute sein.
Schähräbani, wenn der Hadj Agha nach Hause kommt, möchte
ich mit ihm über Schärbät sprechen, die Schwester des jungen
Mannes gefällt mir sehr. Bei Gott, wenn ich an Hadj Aghas Stelle
wäre, würde ich schon diesmal diese Sache in Ordnung bringen. Das Mäd-
chen ist ja auch groß geworden und I2 Jahre alt, wie lange soll man
denn noch warten?
Schähräbani : Gewiß, Chanum.
Schähräbani geht an ihre Arbeit, und auch Frau Hadji Räsul
geht in ihr Zimmer.
Bäjim geht und kommt nach Hause, klopft an die Tür, die Mutter
kommt und macht auf. Bäjims Mutter sagt: Komm herein, Kind.
Aseibeidschanische Texte zur iipidpeisischen Volkskunde. 2O3
kommst du alsi Junge oder Mädchen? (Hast du Erfolg gehabt oder
nicht?)^
Mutter, gib meinen Botenlohn, ich habe für meinen Bruder ein
schönes Mädchen gefunden.
Die Mutter: Schön, Kind, da es dir gefallen hat, meinetwegen,
dann will ich in dieser Woche die Sache in Ordnung bringen. Aber
wir müssen wegen des Schals und Ringes etwas Gutes ausdenken.
Ich habe einen Schal, den mir dein Vater zur Hochzeit gesandt hat,
den wollen wir Hadji Räsuls Tochter schicken. Aber die Sache mit dem
Ring ist ein wenig schwierig. Ich weiß nicht, wie wir das machen
sollen. Ich habe zwar einen Diamantring, aber er ist recht klein, damit
werden 'sie schwerlich zufrieden sein.
Mutter, ich muß noch] einmal hingehen und mit ihnen sprechen,
dann machen wir das alles aus.
Abends kommt Hadji Räsul nach Hause: Frau, was gibt's Neues?
Nichts Neues, Hadj Agha.
Das Mädchen hebt vom Korridor ^) aus den Vorhang hoch: Hadj
Agha, sie will es dir nur nicht sagen, heute ist für Schärbät eine
Brautschauerin gekommen, ein schönes feines Frauchen. Sie will
Schärbät für ihren Bruder nehmen.
Frau Hadji Räsul zum Mädchen: Mach kein unnützes Geschwätz!
Halt den Mund! Bist du Botenrabe geworden?
Ja aber, Chanum, warum verheimlichst du es? Bei Gott, wir
müssen doch Schärbät Chanum verheiraten.
Hadji Räsul: Gut, nun^laßt aber die Zankerei, haltet einmal Ruhe
und erzählt mir alles eins nach dem anderen!
Frau Hadji Räsul erzählt alles, was vorgefallen ist, vom Anfang
bis zu Ende und sagt dann: Ja, Hadj Agha, ich kann auch das Mädchen
nicht länger im Hause einsperren, es ist schon ein rechtes großes Kamel
geworden.
Hadji Räsul: Wer will sie denn eigentlich haben? Man muß doch
einmal sehen, was das für Leute sind.
Sehr gute Leute sind es. Man sieht es gleich der Schwester Bäjim
an, wie sie sich benimmt. Ich weiß nicht, du mußt in den nächsten
ein, zwei Tagen alles kaufen, was für das Kind nötig ist, damit ich die
Aussteuer zurecht mache.
Hadji Räsul: Das ist eine schwierige Sache, ich habe dieser Tage
gerade gar kein Geld, und dann mußt du auch mal reden, daß man
i) eine Art Vorraum, in dem auch das Gerät zum Katfeekochen steht; daher der
Name »Kaffeezimmer«.
204
Hellmut Ritter,
sieht, wieviel Ringe sie bringen werden, wieviel Stück Schale, natür-
lich auch ein silberner Spiegel und Koran, wie es sich gehört.
Frau Hadji Räsul sagt: Morgen kommt vielleicht die Schwester
des Jungen, dann will ich das alles besprechen. Aber, wie ich schon
sagte, du mußt in zwei Tagen Geld für Schärbäts Aussteuer auf-
treiben, ganz gleich woher.
Bei Gott, ich habe jetzt keine Geschäfte gemacht, ich weiß nicht,
woher ich das auftreiben soll. Mach du erst mal morgen die Sache mit
dem Schal und Ring ab, daß man sieht, was wird.
Gut also, ich werde zuerst zwei Ringe verlangen, einen sehr
guten Diamantring, der andere kann Rubin oder Smaragd sein,
dann werde ich drei Stück Schale sagen, einen aus echtem Kaschmir
und zwei Kirmanschale; wir wollen sehen, ob sie sich darauf einlassen
oder nicht.
Natürlich, wer das Mädchen nimmt, muß einen Diamantring
bringen und einen Kaschmirschal. Auch ich will, so gut ich kann,
die Aussteuer für Schärbät nicht gerade so machen, daß sie wenig wird,
daß wir uns schämen müssen. Aber ich weiß z. B. gar nicht, wieviel
Geld die Aussteuer ausmachen wird; ich meine, 30, 40 Toman wären
genug.
Was redest dii da, Mann ! 30, 40 Toman reicht kaum für ein
Drittel der Aussteuer! Wenn das so wird, dann kann ich die Sache
nicht machen. Ich kan nicht gehen und die Leute so über den Löffel
barbieren!
Was ist denn los.? Schärbät braucht eine Aussteuer, aber ich
will schon seit zwei Jahren nach Kerbela gehen und kann's nicht zu-
wege bringen!
Hasan kommt nach Hause. Seine Schwester Bäjim spricht zu
ihm: Bruder, du mußt mir den Botenlohn geben, ich habe dir ein
wunderschönes Mädchen gefunden. Gib acht, ganz wie du es gern
magst: schwarze Brauen, schwarze Augen, einen Mund wie eine Pista-
zie ^), kleine Nase, rundes Gesicht, Hände und Füße ganz klein,
Haare, die auf der Erde schleifen. Was soll ich dir noch Kopf-
schmerzen machen.^ Ein Mädchen, wie es in dieser Stadt kein zweites
gibt. Aber das eine weiß ich, Ausgaben wirst du viele dabei zu
machen haben.
Hasan: Schwester, wenn es nur hübsch ist, dann schadet es nichts,
wenn es viele Ausgaben kostet. Du bist mein Vertreter.
I) d. h. so niedlich und klein wie die Öffnung der durchs Rösten aufgesprungenen
Pistazie.
Aserbeidschanische Texte zur nordpersischen Volkskunde. 2O5
Bäjim: Bruder, ich will's dir von Anfang an aufzählen, gib acht,
das Allermindeste ist: ein schöner Diamantring, Preis 50 Toman, ein
Kaschmirschal, Preis mindestens 70 Toman, ein silberner Spiegel, drei
vier Tuchkleider, zwei Kattunkleider, ein Paar Schuhe, ein Beutel
Henna, ein Kandiskuchen ^) und dann noch die gewöhnlichen Kleinig-
keiten. Und das, Bruder, ist erst das, was ich mir denke, was die
für eine Flöte blasen werden, weiß ich nicht.
Hasan: Schwester, so wie du da sagst, wollt ihr mich bankerott
machen. Wieso Diamantring für 50 Toman, Kaschmirschal? Wozu ist
das nötig.? Zucker, Kandis, ein bis zwei Kleider, Spiegel, Koran, das
ist recht und billig, aber mehr kann ich nicht aufbringen.
Bäjim : Bruder, wer den Fisch will, taucht sein Hinterteil ins kalte
Wasser. Willst du aus einem guten Hause eine Frau nehmen, so ist das,
was ich gesagt habe, das Allermindeste. Bis zu 2 — 300 Toman mußt
du schon anwenden. Willst du nicht, so kannst du ja auch die
Mutter fragen.
Hasan: Ich will ja auch alles tun, was ich kann, aber du mußt
es auch nicht so machen, daß ich's nicht leisten kann.
In diesem Augenblicke kommt Bäjims Mutter und spricht zu
Hasan: Gib mir den Botenlohn, mein Junge, deine Schwester hat dir
ein schönes Mädchen gefunden, du mußt ihr aber den Umhang und
das Kopftuch kaufen, das du ihr versprochen hast!
Mutter, ihr legt mich schön hinein! Nach dem, was meine Schwester
sagt, ist erst ein Haufen (eine. Flöte) Ausgaben vorher nötig.
Ja freilich, mein Sohn, wer Hochzeit macht, muß Geld ausgeben.
Nun ja, Mutter, das geht ja vorüber, sage ich, wann werdet ihr
die Sache ins Reine bringen.'*
Ja, mein Sohn, das ist keine Sache, die in einem Tage zustande
kommt. In sechs Monaten wird ein Mensch nicht fertig. Laß nur,
mit Geduld und Ruhe werden wir die Sache schon zuwege bringen.
Mutter, so wie ihr die Sache anfaßt, kann ich noch ein, zwei Mo-
nate warten.
Ach was, Junge, zwei Monate braucht's nicht; geh du nur morgen
lün und kaufe, was Bäjim gesagt hat, und bringe es nach Hause.
Weiter hast du nichts zu tun. Wir machen schon die Sache allein
so schnell wie möglich fertig.
Schön, Mutter, wie du sagst.
') eine aus Kandiszucker {ttabat) hergestelhc Süßigkeit in der Form etwa eines
Baumkuchens.
2o6 Hellmut Ritter,
--'«Am Morgen geht Hasan auf den Basar, kauft, was nötig ist; und
bringt es seiner Schwester. Die trägt die Sachen fort und legt sie
in- die Truhe, zieht dann Umhang und Strümpfe an, geht wieder zik
Hadji Räsuls Haus und klopft an die Tür. Diesmal macht Frau
Hadji Räsul die Türe auf. Man führt Bäjim mit großer Höflichkeit
ins Gastzimmer, Bäjim sagt: Chanum, was ich gesagt habe, ist waht
geworden; ich bin gekommen, um wegen Schärbät Chanum zu verhan-
deln, ich muß die Sache heute erledigen.
Chanum, mit solcher Eile geht es nicht. Laß uns erst einmal
sehen, was der Hadj Agha dazu sagt. Wir sind ja gar nicht vorbe
reitet.
Was meint Ihr mit nicht vorbereitet.? Das ist doch keine lange
Sache. Ich verlobe jetzt meine Braut und Ihr bringt dann in ein, zwei
Tagen alles Nötige in Ordnung.
1' Chanum, was soll das bedeuten.-^ Schärbät hat gar keine Aussteuer,
ich brauche mindestens zwei Wochen, um die Aussteuer zu beschaffen.
Wo ist denn Schärbät.? Laßt sie doch bitte hereinkommen, ich
möchte ihr den Ring an den Finger stecken.
Frau Hadji Räsul ruft Schärbät. Schärbät kommt herein: Kind,
komm, setz' dich!
Schärbät will sich neben ihre Mutter setzen.
Bäjim sagt: Bitte, Chanum, kommt doch näher!
Schärbät: Es ist gut so, Chanum.
Nein, bei Gott, so kommt doch ein wenig nach vorn!
Als Schärbät nach vorn kommt, steckt ihr Bäjim den Dia-
mantring, den ihr Bruder gekauft hat, an den Finger. Dann sagt sie:
Chanum, sei so freundlich und bringe mir eine Pfeife, dann will ich
mich verabschieden.
Schärbät verläßt das Zimmer.
Bäjim zu Frau Hadji Räsul: Chanum, ich bitte diesmal, sagt doch,
wieviel Kleider wir geben müssen.
Frau Hadji Räsul: Chanum, bei uns ist es, bei Gott, immer so Sitte:
sechs Tuchkleider, vier Kattunkleider, drei Ringe, zwei Kaschmir-
schale, ein Kirmanschal, 300 Toman Brautgeld.
Chanum, so wie Ihr sagt, wird der Handel schwerlich zustande
kommen, denn in unserer Verwandtschaft ist bisher niemals mehr als
200 Toman Brautgeld abgemacht worden. Ich weiß nicht, ob meine
Mutter damit einverstanden sein wird.
Chanum, ich lüge nicht; wenn ich auch einverstanden wäre,
Hadj Agha gibt nicht zu, daß weniger als 300 Toman Brautgeld ab-
gemacht wird. In unserer Verwandtschaft ist bis heute noch nie we-
Aserbeidschanische Texte zui nordpersischen Volkskunde. 20/
uiger als 300 Toman Brautgeld abgemacht worden. Das Brautgeld
der Nichte von Hadj Agha, Bilkis Chanum, ist 300 Toman, auch
das Brautgeld meiner Kusine Ümmi Kulsum ist 300 Toman. Aber was
soll ich Euch lange den Kopf warm machen, hieran ist einmal nichts
zu ändern. Es wäre für uns eine große Schande, wenn Schärbäts
Brautgeld weniger wäre als das ihrer Altersgenossinnen. Wegen der
Kleider will ich nichts sagen, das mag gleich sein, ein Kleid mehr
öder weniger, aber das weiß ich ganz bestimmt, das Brautgeld kann
keinen Denar weniger sein als 300 Toman.
Bäjim: Chanum, ich will gehen und alles mit meiner Mütter
besprechen und Euch dann ihre Antwort bringen, aber ich weiß, wenn
mein Bruder auch mit 300 Toman Brautgeld einverstanden wäre, die
Mutter wird schwerlich zufrieden sein. Bei Gott, wenn Ihr auf mich
hörtet, dann würden wir es mit 200 Toman ins Reine bringen. Bei
Gott, in unsrer Verwandtschaft sind bis jetzt noch nie mehr als 200
Toman Brautgeld abgemacht worden. Der Mutter Brautgeld ist auch
200 Toman.
Bäjim, du bist ja auch sozusagen mein Kind: um die Wahrheit
zu sagen, ich selbst bestehe ja auch gar nicht so hartnäckig darauf,
daß das Brautgeld 300 Toman sein soll. Ich möchte ja auch gern,
daß diese Sache bald ins Reine kommt, aber wie soll ich es machen?
Mir ist bange vor Hadj Agha, ich weiß, daß der nie zufrieden sein wird,
daß Schärbäts Brautgeld weniger als 300 Toman sein soll.
Chanum, das hängt ganz von deinem guten Willen ab!
Gut Bäjim Chanum, wenn Hadj Agha nach Hause kommt, will
ich tun, was ich kann, daß ich seine Einwilligung bekomme.
Dann will ich mich verabschieden, habt Ihr sonst noch Befehle für
mich.?
Nein, Chanum, weiter hätte ich Euch nichts zu unterbreiten.
Die Hoffnung muß man ja auf Gott setzen. Wenn es das Schicksal
so will, wenn Gott es auf ihrer Stirn geschrieben hat, dann werden sie
sich kriegen.
Bäjim steht auf und sagt beim Hinausgehen aus dem Zimmer:
Dann will ich mich verabschieden, ich bin sicher, wenn ich das
nächste Mal komme, wird, so Gott will, alles erledigt sein. Gott
befohlen!
Frau Hadji Räsul: Chanum, wir haben noch gar nicht über das
Zuckerfest gesprochen!
Das versteht sich ja von selbst, Chanum, so Gott will, macht
Ihr in zwei, drei Tagen auch Zuckerfest, Gott befohlen!
Bäjim verläßt das Zimmer, wendet sich aber vom Flur aus wieder
208 HellmutRitter,
zum Zimmer zurück und sagt zu Frau Hadji Räsul: Verzeiht, Cha-
num, wann sollen wir Spiegel und Koran schicken?
Kind, laß doch nun das Verhandeln sein, Spiegel und Koran
schicken ist ja keine große Sache.
Chanum, denn Gott befohlen!
Bäjim tritt aus dem Flur; als sie gerade im Hof ange-
kommen ist, ruft Frau Hadji Räsul: Langsam, Chanum! Ihr habt
Eure Handschuhe vergessen! Frau Hadji Räsul kommt mit den Hand-
schuhen in der Hand und auf Bäjim zu: Bitte schön, Chanum!
Danke schön! Ach, verzeiht, sonderbar, da fällt mir ein, wir
haben ja gar nicht über die Trauung gesprochen. Von uns aus wird
Hadji Molla Hasan Ali Agha kommen, wer wird es bei euch sein?
Das weiß ich noch nicht, Chanum, das muß der Hadj Agha be-
stimmen. Laß uns erst einmal sehen, was wird.
Gott befohlen!
Gott befohlen, viele, viele Grüße an Eure Mutter!
Danke schön, ich werdis sie ausrichten.
Bäjim kommt bis an die Tür. Von dort aus sagt sie zu Frau
Hadji Räsul: Chanum, Ihr habt gar nicht gesagt, wann Ihr zu uns
kommen wollt. Meine Mutter möchte gern mit Euch Zusammensein.
Frau Hadji Räsul geht auf Bäjim zu und spricht: Bei Gott,
Chanum, ich möchte auch sehr gern mit Eurer Mutter -zusammen'
kommen, aber Ihr seht, daß mir dies dazwischen gekommen ist, ich
muß mich um Schärbäts Aussteuer kümmern. Später werde ich dann,
so Gott es zuläßt, recht oft kommen.
Ich weiß nicht, Chanum, so oft Ihr könnt, müßt Ihr bei Gott zu
uns kommen'. Gott befohlen, Chanum!
Bäjim geht nach Hause, auch Frau Hadji Räsul kehrt ins Zimmer
zurück.
Schärbät kommt zu ihrer Mutter, Frau Hadji Räsul sagt zu ihr:
Kind, deine Sache ist nun bald in Ordnung!
Was für eine Sache, Mutter?
Kind, ich habe heute mit Bäjim Chanum alles besprochen, in
drei Tagen muß alles in Ordnung sein. Es müssen jetzt Schal, Ring,
fünf bis sechs Kleider, so wie ich gesagt habe, von ihnen kommen.
Mutter, Ihr wißt ja, was am besten ist, aber ich habe gar nichts
bereit.
Kind, das hat nichts zu sagen, in drei Tagen mache ich das alles
mit deiner Tante Schäräf fertig.
Ihr habt zu bestimmen, Mutter.
Aserbeidschanische Texte zur nordpersischen Volkskunde. 200
Schärbät geht hinaus in den Flur und fragt die Mägde: Rugie,
ich weiß gar nicht, wie mein Verlobter heißt und was er für ein
Mann ist.
Chanum, deine Mutter hat das gewiß schon alles ausgefragt
und weiß genau Bescheid. Wenn es nicht zum Guten wäre, würden
sie dich sicher nicht geben.
Bäjim kommt nach Hause, wo ihre Mutter und Hasan sie er-
warten. Wie sie zur Tür hereinkommt, sagt ihre Mutter: Komm
her, Kind, laß sehen, hoffentlich hast du die Sache in Ordnung ge-
bracht, komm, setz dich und erzähle!
Bäjim legt Umhang und Strümpfe ab, setzt sich zur Mutter und
spricht: Mutter, wir sind mit allem auf gutem Wege. Frau Hadji Räsul
scheint mir eine sehr gute, feine Frau zu sein; es sind Leute, die
früher sehr reich waren, aber jetzt verarmt sind. Hadji Räsul war
vor vier bis fünf Jahren ein reicher Kaufmann, hatte ein Bad, fünf
bis sechs Häuser, ein schönes und angesehenes Geschäft und hatte
Handel mit Kirman. Seit ein paar Jahren aber ist des Armen Geschäft
etwas zurückgegangen. Soviel ich sehe, werden sie jedenfalls mit wehiger
als 300 Toman Brautgeld nicht zufrieden sein. Nach meiner Meinung
können wir auf das Brautgeld nicht allzusehr drücken. Wir werden
ja auch nicht gleich 300 Toman bar abgezählt bezahlen. Es kommt
darauf hinaus: Auf den Heiratsvertrag werden ein paar W^orte ge-
schrieben: »Hasan wird, nachdem er sie genommen hat, sie nicht
entlassen«, was sollen wir dann noch viel auf die Summe drücken.^
Bäjims Mutter wird zornig und sagt in ärgerlichem Tone zu
ihrer Tochter: Kind, was bist du für ein unverständiger Mensch! Was
wird, wenn Hasan seine Frau nicht entläßt? Auf jeden Fall hat er
300 Toman Schulden auf dem Halse. Ich will nicht, daß meiß Sohn
sich eine solche Last aufbürdet. Der Schwanz der W>lt ist lang,
vielleicht gefällt sie eines Tages Hasan nicht mehr, er will das Mädchen
entlassen, oder es stellt sich heraus, daß Hasans Tochter nicht fein ist,
dann muß sie mein Sohn wohl oder übel entlassen. Wo soll er dann
300 Toman herkriegen.''
Mutter, so wüe du sagst, kommt diese Sache nie zuwege. Ich
meine, weder ist das Mädchen unfein noch wird Hasan sie entlassen.
Hasan: Mutter, die Schwester hat recht, in solchen Sachen darf
man nicht lange herumrühren. Die Sache ist nun mal angefangen
und im guten Zuge, da schaden auch die 300 Toman nichts.
Wie du willst, mein Sohn, aber sieh, ich sage dir, wenn du es
nachher bereust, die Reue hinterher läßt kein Pfropfreis wachsen.
Islam XI. 14.
2IO HellmutKitter,
Mutter, wenn ich's bereuen sollte, so habe ich das selbst zu tragen.
Gut, mein Sohn, dann gehe heute hin und kaufe, was deine Schwester
gesagt hat, damit wir morgen Spiegel und Koran schicken.
Jawohl, Mutter.
Hasan geht und kauft alles, was seine Schwester gesagt hat, auf
dem Basar und bringt es heim. Bäjim'geht am anderen Tage zu Hadji
Räsul hin und zählt Frau Hadji Räsul alles auf, was ihr Bruder gekauft
hat. Dann sagt sie: Chanum, die Sache läßt sich nun nicht weiter
hinausziehen. Ich gehe, um morgen Koran und Spiegel zu schicken,
und Ihr gebt in ein, zwei Tagen das Zuckerfest, damit die Trauung
dann schnell vollzogen werden kann.
Chanum, mit solcher Eile geht das nicht. Wir sind noch gar
nicht fertig. Meinetwegen mögt ihr Koran und Spiegel schicken,
wir können auch das Zuckerfest geben, auch die Trauung läßt sich
vollziehen, aber ich sage gleich im voraus, Hochzeit kann man so
schnell nicht machen. Ihr wißt ja doch auch selbst, ich muß noch
die ganzen Siebensachen des Mädchens in die Reihe bringen.
'Gewiß, Chanum, Ihr habt recht, aber das dauert ja doch nicht
so lange. Das läßt sich in einer Woche längstens erledigen.
Nun, ich werde jedenfalls sehen, so schnell wie ich kann die
Sache zu Ende zu bringen.
Chanum, auf welchen Tag wollt ihr das Zuckerfest festsetzen.!^
Bei Gott, ich dachte Freitag am vierten. Wir laden ein paar
Leute ein, großes Wesen denke ich aber nicht zu machen.
Natürlich, Chanum, wozu braucht Ihr hier eine große Volks-
menge zu versammeln.'' Wenn Ihr lo, 15 Personen einladet, ist's
genug.
Gyt, Chanum, also dabei bleibt's: am Vierten ist das Zuckerfest.
Wann wollt Ihr, daß die Trauung sein soll.^
Ja mit der Trauung, das ist etwas schwierig. Darüber muß ich
mit dem Hadj Agha sprechen. Man muß nach dem Kalender sehen
und eine Stunde festsetzen. Diese Woche ist Neumond, das geht gar
nicht. Nächste Woche fällt auf Ende Säfär; bei Gott, ich weiß nicht,
wann wir die Sache zuwege bringen sollen.
Nun, denn will ich mich auch verabschieden, Chanum, was Ihr
auch tut, macht es schnell. Ich möchte ja auch nicht, daß die
Trauung auf keine günstige Stunde fällt, aber Ihr wißt nicht,
Chanum, wie mich mein Bruder drängt. Vielleicht wählt Hadji Mirza
Djelil Agha einen Tag aus. Wenn Allah erlaubt, brauchen wir uns
um das Ende des Säfär nicht sehr zu kümmern.
Aserbeidschanische Texte zur nordpersischen Volkskunde. 2 I I
Gut, Chanum, heute abend will ich mit Hadj Agha sprechen und
sende euch dann die Antwort.
Gut, danke schön! Ich darf mich dann verabschieden, aber ich
bitte Euch, Chanum, setzt dem Hadj Agha recht zu, daß er die Trau-
ung nicht hinausschiebt, denn mein Bruder Hasan möchte nach der
Hochzeit gern einmal nach Märagha gehen.
Gut, Chanum, ich habe nichts dagegen.
Gott befohlen, Chanum!
Danke, es hat mich sehr gefreut!
Bäjim macht sich auf den Nachhauseweg, kehrt aber von der
Gasse aus wieder um zu Hadji Räsuls Haus: Verzeiht, Chanum, ich
habe etwas vergessen Euch zu sagen: Ich gehe morgen ins Bad.
Bitte, seid doch so gut und schickt das. Mädchen, damit es mir alles
sagt, was ihr mit Hadj Agha besprochen habt.
Schön, Chanum!
Gott befohlen, Chanum!
Bäjim geht nach Hause. Auch Hadji Räsul kommt abends nach
Hause und erfährt alles, was seine Frau mit Bäjim besprochen hat.
Er will aber gar nichts davon wissen, daß die Hochzeit Ende Säfär
sein soll, denn er sagt zu seiner Frau: Wie oft sind Ehen, die Ende
Säfär geschlossen sind, bös ausgegangen.'* Ich kann nicht zulassen,
daß Schärbäts Trauung vollzogen wird, ehe der Säfär aus ist.
Frau Hadji Räsul sagt zu ihrem Manne: Ich bin ja auch selbst
nicht damit einverstanden, daß die Trauung Ende Säfär vollzogen
wird, ich habe auch heute Bäjim Chanum gesagt, daß wir es auf
den Rebi el äwwäl verschieben wollen. Der Bräutigam hat es nur
ein wenig eilig, doch sie werden seine Einwilligung schon erreichen.
Jetzt muß vor allem einmal die Aussteuer für das Kind schnell in
Ordnung gebracht werden. Wenigstens ein Teppich, drei, vier Bett-
zeuge, ein Anzug für den Bräutigam, ein Siegelkästchen, für den
Brautzeugen ^) ein Anzug und dann noch allerhand Kleinigkeiten, die
ich selbst zusammenstellen muß. Gut, da fällt mir noch ein: fünf
Service Vogelschüsseln ^) oder wenigstens Hadschi Schcch Schüsseln 3),
ein Paar silberne Kästchen, ein Paar Rosenwasserbehälter, drei
Paar Stühle, zwei Tische, zwei Samoware, einer aus Nickel (Weiß-
') saydis ist der Freund des Bräutigams, der bei der Trauung zu seiner Rechten steht.
^) vogelförmige Schüsseln, englische Ware.
3) besondere Art großer Schüsseln, nach irgendeinem bekannten Mann im Stadt-
viertel, der einmal etwas mit diesen Schüsseln zu tun gehabt hat, benannt. Russische
Ware. Man sagt so z. B. ron einem großen Pferd: hagi söx atyna benzer.
14*
212 Hellmut Ritter, Aserbaidschanische Texte zur nordpersischen \'olkskunde.
metall), einer aus Messing (Bronze), ein Kaffeekocher aus Nickel,
zwei große Teekannen, vier Tischservice, zwei Paar Limonaden-
karaffen, zwei Behälter für Zuckerzeug und außerdem noch allerhand
Kleinigkeiten, die mir eben gerade nicht einfallen. Das muß alles
in einer Woche zusammengebracht werden.
Hadji Räsul: Ich habe nichts dagegen, werde auch kaufen, was
ich kann, aber der Zimmerteppich ist ein wenig teuer, so ein Teppich
kostet wenigstens hundert Toman. Vielleicht kannst du es einrichten,
daß der Teppich wegbleibt.
Schärbät hat bisher zugehört, als ihr Vater sagt, der Teppich
ist zu teuer, steht sie auf der Stelle auf, geht ins andere Zimmer und
fängt an zu weinen.
Frau Hadji Räsul: [Da siehst du, wie traurig das Kind ist, es
ist weggegangen. Ich kenne ja doch mein Kind: Es läßt nicht nach,
bis es durchsetzt, daß man kauft, was es haben will.
Hadji Räsul mit ärgerlicher lauter Stimme: Da tut sie sehr un-
recht! Des Menschen Herz wünscht viele Dinge, aber es muß auch
möglich sein! Wenn das Ding einmal unmöglich ist, wie soll ich's
denn zustande bringen.'*
Frau Hadji Räsul geht, ohne ihrem Manne zu antworten, zu
ihrer Tochter: Kind, was hast du, warum bist du so traurig?
Schärbät gibt keine Antwort. Die Mutter tritt zu ihr heran und
hebt mit der Hand ihrer Tochter Kopf in die Höhe und sieht, daß
sie weint: Kind, was hast du denn, was ist dir denn geschehen, wa-
rum weinst du.-^
Schärbät will sprechen, aber das Weinen erstickt ihr die Kehle,
so daß sie nicht sprechen kann, sie schluchzt und .weint noch mehr.
Die Mutter streichelt sie, küßt sie aufs Gesicht und spricht: Kind,
sei nicht traurig, ich weiß, dein Vater will sich den Teppich vom Halse
schaffen, deswegen weinst du. Aber sei nur unbesorgt, wenn dein
Vater ihn auch nicht kauft, so bin ich doch noch nicht tot; und wenn ich
mein gesticktes Wandtuch, meine Halskette, meine Armbänder ver-
pfänden oder verkaufen müßte, ich kaufe dir einen Teppich.
Schärbät spricht im Weinen: Mutter, Gott möge dich mir er-
halten, ich weiß, daß du alles für mich gibst, aber das will ich
nicht, daß du für mich deine Sachen verpfändest. Aber das sage
ich, wenn mir der Vater keinen Teppich kauft, dann heirate ich nicht!
über eine Palasttüre und Schlösser nach
al-Gazari.
\'on
E. Wiedemann und F. Hauser.
Mit 37 Abbildungen im Text.
Inhalt.
I. Einleitung.
IL Türe am Königspalast zu Ämicl. i. Übersetzung der Beschreibung Öazarl's.
2. Erläuterung der Beschreibung Gazarl's. 3. Betrachtungen zu den gießtechni-
schen Angaben Gazarl's.
III. Buchstabenschloß für einen Kasten. i. Übersetzung der Beschreibung
Gazarl's. 2. Erläuterung der Beschreibung Gazari's.
IV. Schloß mit vier Riegeln für eine Türe; Übersetzung der Beschreibung
Gazarl's.
V. Anhang. Darstellung einer Gazari-Uhr in einer Miniatur.
I. Einleitung.
Die folgenden Seiten enthalten die Bearbeitung einer Reihe von
Abschnitten des letzten Gebietes [nau^] von Gazarl's Werk über die
Kenntnis der geometrischen, sinnreichen (mechanischen) Anordnungen.
Es handelt sich einmal um eine künstlerisch ausgestattete Türe
an einem Palast zu Ämid, dann um ein kunstvolles Schloß an einem
Kasten und um ein Schloß an einer Türe. Die betreffenden Stellen haben
ein besonderes Interesse, weil sie uns einen Einblick in technische Ver-
fahren der Araber geben und damit auch der Antike, von denen wir ja
im ganzen wenig wissen.
Von den drei uns zur Verfügung stehenden Handschriften ^) enthält
die Beschreibung der ersten Anordnung nur die Oxforder Handschrift;
der Abschreiber der Leidener Handschrift 1025 sagt: »Ich habe das
46. Kapitel, d.h. das erste Kapitel der sechsten Gattung fortgelassen;
•) Oxford, M. S. Grav. 27, Leiden 1025 und 1026; vgl. E. Wiedemann unter Mit-
wirkung von F. Hauser, Über die Uhren hn Bereich der islamischen Kultur. Nova Acta.
Abh. der Kaiserl. Leop.-Carol. Deutschen Akademie der Naturforscher. Band C, Nr. 5,
.S. 55. Halle (Saale) 1915.
211 E. Wiedemann und F. Hauser,
es behandelt die Herstellung einer Türe in der Stadt Ämid, da dieses von
geringem Nutzen ist und der Verfasser bei seinen Ausführungen hierüber
sehr ausführlich ist.« Die beiden andern Stücke finden sich in allen
drei Texten; wir legen aber stets denjenigen der Oxforder Handschrift
zugrunde. Die Abbildungen sind in der früher angegebenen Weise
hergestellt. Wo es nötig war, sind die Konstruktionen durch beigegebene
Zeichnungen erläutert worden.
Reichliche Anmerkungen sollen die Ausführungen Gazari's, die
nicht immer ganz leicht verständlich sind, zugänglicher machen.
Wir wenden uns nun seinem Werk selbst zu i) :
IL Türe am Königspalast zu Amid.
I. Am Schlüsse des Abschnittes, der dem von uns hier behandelten
vorangeht, sagt Gazari:
»Ich will beschreiben, w^as ich hergestellt habe; es ist eine Türe aus
gegossenem Messing«
und fährt dann fort :
') Da mit der vorliegenden Veröffentlichung das ganze Werk Gazari's allgemein
zugänglich gemacht ist, so erlauben wir uns, eine Zusammenstellung der Stellen zu geben.
an denen die einzelnen Teile von uns bzw. dem einen von uns veröffentlicht sind:
1. Gattung. Über die Konstruktion der Uhren, durch die man den Ablauf der gleich-
mäßigen und zeitlichen Stunden kennen lernt (lo Kapitel). Nova Acta, 1. c.
2. Gattung. Über die Konstruktion von Gefäßen und Gestalten, die bei Trinkgelagen
passende Verwendung finden (lo Kapitel). Der Islam Bd. VIII, 1918, S. 55 — 93.
3. Gattung. Über die Konstruktion der Krüge und Tassen zum Aderlassen und
zur Waschung (10 Kapitel). Archiv für Geschichte der Medizin Bd. XI, 1918, S. 22—43.
4. Gattung. Über die Konstruktion der Springbrunnen in Teichen, die ihre Gestalt
wechseln, und über die immerwährenden Flöten (10 Kapitel). Der Anfang ist Berichte der
Wetterauischen Gesellschaft 1908 veröffentlicht, der Rest Amari- Festschrift 1909.
5. Gattung. Über die Konstruktion der Instrumente, die Wasser aus Wassermassen,
die nicht tief sind, und aus einem fließenden Fluß emporheben (5 Kapitel). Beiträge zur
Geschichte der Technik und Industrie, Jahrbuch des Vereins Deutscher Ingenieure 19 18,
Bd. 8, S. 121 — 154.
6. Gattung. Über die Konstruktion verschiedener Gegenstände, die einander nicht
ähnlich sind (5 Kapitel).
a) Über die Herstellung einer Türe ans gegossenem ^lessing am Hause des Königs
in Amid. In der vorliegenden Arbeit.
b) Über ein Instrument, mit dem man einen Kreis durch drei Punkte auf einer Kugel-
oberfläche oder Ebene zeichnen kann und das zum. Konstruieren von spitzen und
stumpfen Winkeln dient. Zeitschr. f. Vermessungswesen, 19 10, H. 22 u. 23.
c) Über ein Schloß mit 12 Buchstaben zum Verschließen eines Kastens. In der
vorliegenden Arbeit.
d) Über vier Riegel auf dem Rücken einer Türe. In der vorliegenden Arbeit.
e) Über eine Kahnuhr. Nova Acta, 1. c. S. 165 u. 166.
über eine Palasttüre und Schlösser nach al-Gazari. 2 I 5
Sechstes Gebiet [nau'-).
Es behandelt verschiedene nicht zusammengehörige Gegenstände;
es zerfällt in 5 Kapitel.
Erstes Kapitel [sakl).
Es behandelt:
Die Türe, die ich aus gegossenem Messing hergestellt
habe, und zwar für den Königspalast zu Ämid 0-
Sie ist das Prunkstück der Werke und um sie zu sehen, schnallt
man die Sättel auf 2). Denn es ist in Wahrheit die Perle, die Waise 3)
und ein Besitz kostbar an Wert. Das Kapitel zerfällt in drei Abschnitte.
Erster Abschnitt {fast).
Ich beschreibe das äußere Aussehen der Türe (Fig. i) 4).
Es ist eine Türe mit zwei Flügeln, die je etwa 18 Spannen (4,5 m) 5)
hoch und je etwa 6 Spannen (1,5 m) breit sind. Die Mittelfläche des
Türflügels besteht aus einem Gitterwerk {sabaka)(') aus zwei Linien-
elementen, einem sechseckigen (= sechsstrahliger Siegelstern, s. w. u.;
Aail musaddas) und einem achteckigen (= achtstrahliger Siegelstern,
1) Es handelt sich um den Palast eines der Urtuqiden Qutb ad-Dln Sukmän IL
(1185— 1200) oder Näsir ad-Din Mahmud (1200— 1222), und zwar wahrscheinlich
denjenigen des letzteren, da für diesen das Werk verfaßt wurde. Bei beiden hatte Gazarl
in Diensten gestanden. Ämid war die Hauptstadt von Dijär Bekr und liegt am Tigris,
da, wo dieser von seiner NS-Richtung scharf nach Osten umbiegt.
2) Diese einleitenden Worte sind in gereimter Prosa verfaßt, daher der blühende Stil.
3) Der Ausdruck »die Waise« (jaiima) wird vielfach für einzig dastehende Kunst-
werke und Juwelen benutzt, vor allem für Perlen, so für eine, die der Chalife 'Abd al-
Malik (687 — 705) besaß (Beiträge XXX, S. 220). Man kann nach Herzfeld etwa al-
durra al-jatlma mit »Die Waisenperle« übersetzen als die größte und kostbarste Perle
in dem System, nach dem der Wert der Perlen bestimmt wurde.
4) Die Figur gibt, wie auch der Text später erwähnt, nur die eine, und zwar obere,
Hälfte eines Türflügels, und zwar^ des ünken. Die Aufschrift lautet: Die Herrschaft ist
Gottes, des Einzigen, des Bezwingers.
5) Nach M. Reinaud, Geographie d' Aboulfeda, Paris 1848, tome I, p. 264 und 265
und andern ist die Spanne gleich der Hälfte einer gewissen Elle zu 24 Fingern. Die Elle
ist zu rund ^jz m zu rechnen, so daß eine Spanne rund V4 m und ein Finger rund 2 cm
gesetzt werden kann. Neben dieser gewöhnlichen Elle (der Elle »der richtigen Hand«)
gibt es noch eine Reihe anderer, die von ihr mehr oder weniger sich unterscheiden. Be-
sonders erwähnt wird die malekitische oder königliche und häschimitische Elle, welche
32 Finger mißt. Auf sie werden 3 Spannen gerechnet. Vgl. u. a. Ibn Rosteh, Bibl.
Geogr. Arab. VII, S. 22.
^) Wörtlich heißt sabaka: »Netz«. Wie der Text zeigt, handelt es sich hier um ein
Linienmuster aus Metallstäben. Wir übersetzen daher sabaka nicht mit »Netz«, sondern
mit »Gilterwerk« oder kurz »Gitter«.
2l6
E. Wiedemann und F. Haus er,
s. w. u.; halt mutamman). Es besteht aus Stäben, deren Breite gleich
einer Fingerbreite ist, es ist aber tiefer (dicker); jeder Stab hat zwei
Randleisten [haffa),
zwischen denen sich
eine runde Mittelleiste
befindet I). In den Mit-
ten von seinen Siegel-
sternen ^) befinden sich
hohle Kuppeln, die mit
Blättern verziert sind,
welche verschiedene Ge-
stalt haben, deren Sten-
gel ebenmäßig (gerade)
gearbeitet [mudmag)
sind. Die Blätter sind
voneinander abgewen-
det {musdaf), und dabei
ist ihr Untergrund [ard]
ziseliert [muharram).
Dann sind dabei noch
(nämlich als drittes
Element; s.u.) mandel-
förmige Gebilde [mu-
lawwaz) 3), die verziert
[manqüs] 4) und mit Sil-
ber und rotem Kupfer
ausgelegt sind [mu-
fa'^'-am) 5) . Das Gitter-
werk umgibt eine In-
Fig. 1.
I) Haizurän bedeutet Rohr, Bambus usw. Hier ist offenbar eine runde Leiste
gemeint.
-) Wörtlich heißt es: »In den Mitten von seinen Siegeln« (iätam; dies ist in erster
Linie eine Zeichnung wie das Pentagramm; hätam Siileimätt), wobei unter »Siegel« die
Zeichnung des Siegels zu verstehen ist. Wir haben hier das Wort mit »Siegelstern« über-
setzt, da es sich um sechs- und achtstrahlige Sterne handelt. Im folgenden bezeichnen
wir die Gebilde in der Regel kurz als »Sterne«.
3) Lauz (Mandel), pers. bädäm, ist in der Ornamentik die gewöhnliche Bezeichnung
für die Raute. Das drachenförmige Viereck wird zitronenschnitteförmige (turn ug) »Raute«
oder auch mandelförmiges Viereck (s. w. u.) genannt.
4) Naqasa: verzieren, bemalen; auch ziselieren usw. Es heißt auch: mit ver-
schiedenfarbigen Metallen belegen.
5) D. h. also : das geometrische Muster der Türe ist aus den drei Elementen : Sechs-
eck, Achteck und mandelförmigem Viereck zusammengesetzt. Über ähnliche derartig
über eine Palasttüre und Schlösser nach al-Gazari.
■17
Schnitt a — b.
Schrift [a, Fig. i) ^) in kufischer Schrift mit ebenmäßigen Buch-
staben. Zwischen den Buchstaben sind ebenmäßige Blätter, der
Untergrund der Blätter ist .ziseliert [und unter der Ziseherung ist
eine Platte aus Messing, die mit feinen Windungen {laff daqiq)^) ge-
schmückt ist. Diese Schrift
unigibt ein polierter [mam-
süh) Rand {h), er besteht aus
Messing und aus rotem Kup-
fer, er ist mit zwei ver-
schiedenfarbigen Blätter(ar-
ten) verziert, einem gelben
Blatt in einem roten Blatts)
und die Spur des Grabens
mit dem Griffel zeigt keinen
Endpunkt 4). Diesen Rand
umgibt ein weiterer Rand
[c) aus gegossenem Messing;
seine Gestalt ergibt sich aus
der Figur.
Auf dem oberen Ende
des Flügels befindet sich eine'
Messingplatte [d), auf der ein
gewölbtes [näti*) 5) Ouerstück
aus gegossenem Messing [e)
angebracht ist; auf ihm be-
finden sich nahe aneinander-
stehende große Nägel (/) von schöner Ausführung.
Muster (sogen. Flechtbandmuster) zur Ausschmückunfj; von Wänden und Mauern, Schein
fensterrt, Fenstern und Türen ist sehr viel zu finden in »Mdsul« von Ernst Herzfeld,
Sonderabdruck aus »Archäologische Reise im Eu[)hrat- und Tigris-Gebiet« von Friedrich
Sarre und Ernst Herzfeld. Dietrich Reimer, Berlin, 1920, S. 230 ff.
') Die Fig. i enthält im Original keine Buchstaben, diese wurden erst von uns
eingesetzt.
-) Laff sind die Spiralcinrollungen bei Ranken usf. In Mositl heißen die Voluten
.in Holzkapitellen malfüf..
3) Nach der späteren Beschreibung wird durch Gießen ein Blättermuster aus »rotem
Kupfer« in einer Messingplatte erzeugt. Es ist also hier wohl gelb und rot miteinander
verwechselt.
4) Gemeint ist wahrscheinlich, daß bei den mit dem Gravierstichel (qalam hat nach
einer späteren Stelle diese Bedeutung) ausgeführten Verzierungen Anfang und Ende
ohne Absatz ineinanderlaufen wie bei einer geschlossenen Kurve.
5) Der Text hat näbita, was zur Not plastisch, reliefiert, vortretend heißen könnte.
Es ist aber wohl zu lesen: >iäti', hervorragend, gewölbt.
Kig. 1 a.
2i8 E. Wiedemann und F. Haus er,
An dem rechten Flügel befindet sich die Anschlagleiste (g),
harazaY), es ist die Nase [auf). Ich beschreibe ihre Gestalt. Ihr Mittel-
stück ist etwa 10 Spannen (2,5 m) lang und hat die Form einer halben
Röhre, an seinen Seiten sind zwei Rohre [haizurän) ^) sowie Bemalung
und ein Teil ist mit Silber ausgelegt. Dazwischen befinden sich eben-
mäßig geformte Blätter. Ihr Untergrund ist ziseliert. Die beiden
Endstücke der Anschlagleiste sind vierkantig. Die Seitenflächen {ganh)
(der Endstücke) sind verziert, aber nicht ziseliert. Die beiden Vorder-
flächen {wagh) (der Endstücke) : jede von ihnen ist mit zwei verschieden-
farbigen Blätterarten verziert, und zwar mit glatten; die eine von ihnen
besteht aus Messing, die andere aus rotem Kupfer. Die beiden Blätter-
arten gleichen einander und haben genau die gleiche Größe; sie
sind ineinander verflochten, wie dies bei den in Holz hergestellten der
Fall ist.
Ich habe nur die (obere) Hälfte eines Flügels abgebildet. Dabei
habe ich nicht danach gestrebt, die Zeichnung vollständig durchzu-
führen 3). Mein Ziel war, die Anordnung darzustellen, damit man das
Ganze verstehe und die Einzelheiten. Man sieht leicht ein, daß es bei
den Figuren und den Darstellungen von körperlichen Gegenständen
Unklarheiten gibt, aber in der Vorstellung (Phantasie; lies tasawwur)
ist es möglich, das eine und das andere zusammenzusetzen, zurTSeite
zu biegen (von der Seite zu betrachten) {tasdif?) und zu zerschneiden
[tagzi^) und gradweise vorzugehen [tadrfg) und das (Darzustellende)
aufzurichten. Die Zeichnungen von allem, was ich dargestellt habe,
sind ebene Darstellungen, an denen das klar werden soll. Ich habe
das Bild von einigem von dem, was ich beschrieben habe, gezeichnet.
Ebenso ist es mit den andern Zeichnungen der Figuren 4).
') Wir übersetzen haraza mit »Anschlagleiste«, da aus dem Ende des letzten Ab-
schnittes des Kapitels folgt, daß es sich um diesen Teil der Türe handelt. Dem Text
zufolge befindet sich die Anschlagleiste an dem rechten Türflügel; sie ist jedoch hier auf
dem linken dargestellt.
2) Zu Rohr vgl. w. oben.
3) Das ganze Gitterwerk ist in der Figur i nur durch einfache Linien dargestellt und
von den Verzierungen der verschiedenen Ränder und Platten sind nur kleine Stücke
wiedergegeben. Eine den Aufbau des Gitters aus einzelnen Stücken (s. w. u.) berück-
sichtigende Rekonstruktion eines Stückes desselben wurde in Fig. i a gegeben. Von
einer Wiedergabe der Oberflächenstruktur der einzelnen Gußstücke (runde Mittelleiste,
Verzierungen; s. w. u.) wurde hierbei zur Vermeidung einer die Klarheit der Zeichnung
beeinträchtigenden Linienfülle abgesehen. Jedoch wurden die Köpfe der eingegossenen
Nägel (s. w. u.) eingetragen. Auf Fig. t a wird auch später wiederholt Bezug genommen
werden.
4) Gazarl will mit diesen Worten wohl dartun, daß es schwierig sei, körperliche
Gebilde zeichnerisch darzustellen, da die Zeichnungen ebene Gebilde sind und somit nur
über eine Palasttüre und Schlössernach al-Gazarl. 219
Zweiter Abschnitt.
Darüber, wie man das Gitterwerk herstellt.
Für das ganze Gitterwerk außer für den Rand schnitt ich drei
Stücke (aus Holz), die als Modelle [mitäl) dienten; einmal die Gestalt
eines sechseckigen Siegels mit spitzen Winkeln (Fig. 2), (dann) eines
achteckigen Siegels mit spitzen Winkeln (Fig. 3) und eines als Ver-
bindungsstück dienenden (wörtlich: eintretenden, mungall) Gebildes,
nämlich eines »mandelförmigen« Vierecks mit spitzem Winkel
(Fig. 4) i). Dann machte ich eiserne Nägel (Fig. 5), die je 4 (quer-
gelegte) Finger lang 2') waren, ihre Köpfe sind nicht flach [muwadda^),
sondern haben die Gestalt eines kleinen Dattelkerns, der sich quer über
das Ende des Nagels legt. Dann drückte ich das sechseckige
Fig. 4- Fig. 5.
Fig. 3.
Modell in Sand ein wie die Gießer [sabbäb) in die Vorrichtungen
zum Gießen. Ich hob das Modell aus dem Sand und steckte in
eine ebene Abbildung gestatten. Demgegenüber sei es der Phantasie möglich, j alle
Einzelheiten zu erfassen, auch, wenn sie in verschiedenen Ebenen liegen. Während
ferner die Zeichnung nur die fertige Anordnung oder das fertige Teilstück zeige, sei es in
Gedanken möglich, schrittweise vorzugehen und den ganzen Vorgang des Aufbaues der
Vorrichtung durchzudenken. Daß Gazari '^trotzdem der zeichnerischen Darstellung
hohen, ja ausschlaggebenden Wert beimißt, geht aus dem Schluß des Kapitels hervor,
wo er sagt, daß das Vertrauen auf das Zeugnis der Abbildung und nicht auf die Be-
schreibung zu setzen sei.
') Die Figuren 2, 3 und 4 zeigen die Ecken der Modelle ganz oder teilweise abge-
stumpft. Diese Abstumpfungen sind' für das Zusammensetzen des Gitters nötig, wie
die Fig. i a) ohne weiteres zeigt. Aus dieser Figur ist auch zu ersehen, daß in den Figuren
2 und 3 die Abstumpfungen nicht ganz richtig wiedergegeben sind. An dem Viereck
mußten drei Ecken abgestumpft sein, während an dem Achteck nur die Hälfte der Ecken
abgestumpft sein mußte und wohl auch nur abgestumpft war. Eine Abstumpfung auch
der zweiten Hälfte der Ecken des Achteckes müßte auch in der Gestalt der betreffenden
Füllung (s. w. unten, Fig. 11 und 12) zur Geltung kommen, was aber nicht der Fall ist.
*) Die Fig. 5 zeigt den Stift dieses Nagels viel zu kurz. Im ersten Abschnitt hatte
es geheißen, daß die Breite der Stäbe eine Fingerbreite betrage. Das Folgende lehrt, daß
der Durchmesser des Nagelkopfes dieses Maß keinesfalls überschreiten durfte. Die Ge-
samtlänge des Nagels ist also, mindestens viermal so groß als der Durchmesser des Nagel-
kopfes. Vermutlich ist zur Raumersparnis der Stift des Nagels verkürzt gezeichnet.
220 E; Wie dem an n und F. Hauser,
die Spur seines »Rückens« im Sand an den Ecken 12 Nägel, so daß
beinahe der (Dattel-) Kern des Kopfes eines jeden Nagels den
Sand berührte, aber doch zwischen ihm und dem Sand ein kleiner
Zwischenraum blieb ^). Dann brachte ich eine Vorrichtung an die
andere (?) 2) und goß das geschmolzene Messing in sie, aber nicht auf die
Köpfe der Nägel. So entstand ein sechseckiger Stern. In derselben
Weise verfuhr ich bei dem Achteck und dem Viereck, bis die für die
zwei Türflügel erforderliche Zahl (von Gußstücken) vollständig war,
und ich richtete alles mit der Feile [mihrad) und dem Schaber [migrad)
und ähnlichem zu. Dann machte ich für jeden Stern eine gewölbte
Kuppel (qubba) aus gegossenem Messing (Fig. 6 und 7), die von den
einspringenden Winkeln des Sterns umgeben wird. Die obere Fläche
Fig. 6.
Fig. 7. Fig. 8. Fig. 9.
der Winkel ist eben, sie erheben sich so hoch wie der Stab {qa^ib) des
Gitters 3). Zwischen den Winkeln des Umfanges der Kuppel und dem
I) Diese Stelle ist niTht recht klar. Sie kann bedeuten, daß der Nagel seitlich
nicht die Wandung der Gießform berührte. Sie kann jedoch auch ein Maß für die Tiefe
des Eindrückens des Nagels in den Sand geben sollen. Der Wortlaut des Satzes in
Verbindung mit der in dem folgenden Satze gegebenen Anweisung, das geschmolzene
Messing nicht auf die Köpfe der Nägel zu gießen, läßt wohl schheßen, daß die Nägel mit
ihren Spitzen in den Boden der Sandform gedrückt wurden, und zwar so weit, daß der
Nagelkopf den Boden der Form noch nicht berührte oder der auf dem Nagelkopf befind-
hche Dattelkern noch ein wenig über die Ebene der Sandoberfläche hervorragte. Bei dem
Gießen mußten die Nagelköpfe frei bleiben. Aus dem fertigen Gußstück ragten dann auf
der Vorderseite die dattelkernförmigen Nagelköpfe und auf der Rückseite die Spitzen der
Nägel hen,-or. Die im ersten Abschnitt erwähnte Form der Oberfläche der Stäbe (zwei
Randleisten, zwischen denen sich eine runde Mittelleiste befand) mußte dann durch me-
chanische Arbeit (Graben, Feilen) hergestellt werden. Durch Gießen hätte sie nur dann
erhalten werden können, wenn die Modelle mit der Oberseite nach unten in den Sand
gedrückt worden wären. Es hätten dann auch die Nägel mit den Köpfen voraus in den
Sand gesteckt werden müssen. Der, Wortlaut des Textes läßt jedoch diese Deutung
weniger leicht zu, wenn man auch in der Feststellung, daß die Nägel in die »Spur des
Rückens« des Modells im Sande gesteckt wurden, einen Anhaltspunkt dafür sehen mag,
vorausgesetzt, daß nicht unter dem »Rücken« wie sonst oft die Rückseite zu verstehen
ist. Über den Zweck der Nägel s. w. u.
-) Hieraus läßt sich vielleicht folgern, daß Gazari mehrere Formen gleichzeitig
herstellte und goß.
3) Dies soll wohl heißen, daß die das Gitter bildenden Stabsysteme keine Krümmun-
über eine PalasttUre und Schlösser nach al-Gazari. 221
Stab des Sterns befindet sich ein Zwischenraum ^). Die Seiten der
Winkel einer Kuppel entsprechen der Seite der Kuppel, wie dies bei
den Tischlern üblich ist hinsichtlich der Füllungen [huswa) ^) der Tisch-
lerarbeiten [kärzuwän) 3). Dann verzierte ich die Kuppel mit ver-
schieden geformten Blättern, wie es die Tischler tun, mit Graben [hafr),
Ziselieren [tangir) und weiß und schw^arz Tupfen [tagzf), wobei auch die
Stengel ebenmäßg gemacht wurden. Ich ziselierte; {harrama) den
Untergrund der Blätter und verwendete darauf die größte Mühe. In die
Mitten der Vierecke brachte ich Füllungen (Fig. lo) mit ebenen Flächen
und senkrechten Seiten, entsprechend der Seite des Stabes. Ihre Höhe
entsprach der Tiefe des Stabes. Dann machte ich dreieckige, sattel-
förmige 4) Füllungen, die zwischen den Sternen und den Vierecken sich
befinden sollten (Fig. ii). Die Höhe einer jeden Füllung war gleich
der Tiefe des Stabes und ihre Seite entsprach der Seite des Stabes.
Fig. lo.
Dann machte ich sattelförmige, geschweifte (wörtlich: gebuckelte
musannam) Füllungen (Fig. 12), die ebene (glatte) Flächen hatten. Sie
kamen zwischen die Sterne und die Vierecke und in die Mitte eines jeden
gen aus der Horizontalebene aufwiesen, sondern ebene Gebilde waren, deren Stärke durch
die Höhe des sie einschließenden Rahmenstabes (s. u.), als welcher der »Stab des Gitters«
dann aufzufassen wäre, gegeben war.
1) Dieser Satz ist unklar. Sein Sinn ist wohl der, daß der Durchmesser des Grund-
kreises der Kuppeln etwas kleiner war als der größte Kreis, der innerhalb des betreffenden
Sterns gezogen werden konnte, so daß zwischen dem Stab des Sterns und dem Fuß der
Kuppel ein Zwischenraum vorhanden war (vgl. Fig. i a).
2) J^uswa haben wir mit »Füllungen« übersetzt.
3) Die Bedeutung des persischen Wortes kärzuivän ließ sich zunächst nicht fest-
stellen; kär bedeutet Werk, zuwän Zunge; es handelt sich wohl um ein besonderes Muster.
Herzfeld glaubt, daß es sich um die feine Schreinerarbeit handelt, die der hier be-
schriebenen Metallgießerei in der Form ähnelt: Ein Gitterwerk aus verzapften Hölzern.
Dies dürfte die »Zungenarbeit« sein. Die Füllungen zwischen den verzapften Stäben sind
dann unter die übergreifenden Ränder der Stäbe gelegt.
4) Als sattelförmig bezeichnet Gazarl diese Füllungen nicht etwa, weil sie sattel-
förmig gewölbt gewesen wären, sondern weil ihre Form derjenigen einer auf dem Boden
ausgebreiteten Satteldecke gleicht. Besser als aus den w. u. erwähnten Figuren 1 1 und 12
läßt sich die Gestalt der Füllungen aus Fig. 1 a ersehen.
222 ^' Wiedemann und F. Haus er,
Dreiecks ^), wie eine aus der Fläche hervortretende Rose. Die Fläche
ist verziert, mit Schwärze grundiert [mahsuww).
Dann machte ich Stäbe, die das Gitterwerk umgaben, um so die
Sterne und die Vierecke vollständig zu machen ^). In ihnen befanden
sich Nägel, entsprechend dem, was wir vorher bei dem Gießen der Sterne
beschrieben haben 3). In diesem Gitterwerk befand sich nicht ein
halber Stern und nicht ein viertel Stern und kein unvollkommenes
Bruchstück, außer den beiden Hälften eines Sterns 4). Ich gebe ein
Bild des sechseckigen und des achteckigen Sterns sowie des Vierecks
und das Bild einer ausgebauchten {muqabbab) Kuppel und das einer an-
deren Kuppel 5) und die Füllung eines Vierecks und eines Dreiecks und
eines Sattels (Figur 6 — 12). Und man verstehe es so, daß jeder Kuppel
jedem Dreieck und jeder Füllung eines Vierecks ein flacher Rand
zukommt, dessen Breite halb so groß ist wie diejenige des unteren Teiles
des Stabes, damit dieser auf den Rändern jeder Kuppel, Füllung und
eines jeden Dreiecks aufsitzt ^).
') Hiermit sind die das Füllstück umschließenden gleichseitigen Dreiecke gemeint,
auf deren Ecken die sechs- und achteckigen Sterne liegen (vgl. Fig. i und i a).
-) D. h. wohl, um die Sterne und die Vierecke zu einer geschlossenen Fläche zu-
sammenzufassen.
3) D. h. wohl, daß die Nägel der Stäbe ebenso eingegossen wurden wie die Nägel
der Sterne.
4) Der Sinn dieser Worte ist wohl der. daß durch den Rahmen kein Stern willkür-
lich zerschnitten, sondern nur ein Stern in zwei Hälften geteilt wurde. Das stimmt mit
der Figur i überein, wo nur der sechseckige Stern halbiert auftritt.
5) In welcher Weise diese beiden Arten von Kuppeln verteilt waren, wird nicht
erwähnt. Es ist dies auch unwesentlich. Bei der Durchführung der Fig. i a wurde ange-
nommen, daß sich die ausgebauchten Kuppeln in den Sternen auf der senkrechten Mittel-
linie des Gitters befanden und die glatten Kuppeln in den zu beiden Seiten dieser Linie
liegenden Sternen.
6) Um die hier geschilderte Konstruktion zu veranschaulichen', wurde in Fig. i a
auch ein Schnitt durch das Gitter gezeichnet. Hierbei mußte eine Annahme über die
Höhe der das Gitter bildenden Stäbe gemacht werden. Der Text sagt von ihr lediglich,
daß die Stäbe höher als breit seien. Die Breite beträgt eine Fingerbreite, also' rund 2 cm.
Eür die Höhe wurden nun 4 cm angenommen, was keinesfalls zu knapp bemessen sein
dürfte. Ferner enthält der Text keine Angaben darüber, ob die Stärke des Randes der
Füllungen in deren Höhe mit einzurechnen sei oder nicht. Hier wurde das erstere ange-
nommen, daß also die Füllungen einschließlich Rand so hoch wie der Stab seien. Dann
ragt der Stab im fertigen Gitter um die Dicke des Randes an den Füllungen über diese
empor. Unter diesen beiden Annahmen, die im übrigen nichts Wesentliches betreffen,
wurde die Schnittzeichnung durchgeführt. Die Nägel wurden hierbei zur Vereinfachung
fortgelassen. Ihre Spitzen würden etwa bis zu der unterhalb des Schnittes befindlichen
gestrichelten Linie reichen. Dagegen wurden in der Schnittzeichnung die runden Mittel-
leisten auf den Gitterstäben berücksichtigt. Wie das ganze Gitter zusammengehalten
wurde, erwähnt öazari nicht. Nach ähnlichen Ausführungen können wir schließen,
über eine Palasttüre und Schlösser nach al-Gazarl.
223
Dritter Abschnitt. Über die Herstellung des Randes aus
Messing und rotem Kupfer.
Dazu nahm ich eine Platte aus Messing und ziselierte [harrama] sie
nach diesem Muster (Fig. 13). Dann machte ich für diese Platte ein
Fig. 13.
unziseliertes Modell aus Holz, das dicker war als sie. Dann nahm ich
von dem Modell einen Abdruck (wörtlich: siegelte ich das Modell ab)
in dem Sand in dem Gießapparat, dann hob ich das Modell ab. Dann
legte ich in seinen Abdruck die ziselierte Messingplatte, schmolz rotes
Kupfer und goß es auf die Platte; es bedeckte sie, und zwar in der Dicke
des Modells. Dann entblößte ich die Fläche der Platte mit der Feile
und dem Schaber. Sie hatte folgende Gestalt (Fig. 14) i).
Fig. 14.
daß es mittels der Nägel auf eine Holztüre aufgenagelt wurde. Wir finden nämlich der-
artige Türen, welche sich bis auf den heutigen Tag erhalten haben. Eine solche in Gazi rat
al-*Omar ist beschrieben von Conrad Preusser in »Nordmesopotamische Baudenk-
mäler« ly. wissenschaftliche Veröffentlichung der Deutschen Orientalischen Gesellschaft,
1911, S. 25, eine andere an dem Mausoleum des 'Aun ad-din in Mosul ist beschrieben
von Ernst Herzfeld a. a. 0. S. 268, 269. In beiden Fällen besteht das Grundmaterial
der Türe aus schweren Holzbrettern, auf welche aus Bronze- bzw. Eisenstäben und
Blechen ein geometrisches Muster aufgenagelt ist. Dazu kommen wohl noch andere
mehr.
') Vorstehende Schilderung bedeutet wohl folgendes: Es sollte eine Messingplatte
hergestellt werden, welche eingelegte Verzierungen aus Kupfer hatte. Dazu wurden aus
einer Messingplatte, welche eine geringere Dicke hatte, als sie das Fertigstück haben sollte,
die Formen der Verzierungen ausgeschnitten. Dann wurde die Messingplatte mit der
Oberseite nach unten in eine Sandform gelegt, der man mittels eines Holzmodells (die
»zweite Platte«) die entsprechende Form und Tiefe gegeben hatte. Hierauf wurde ge-
schmolzenes Kupfer aufgegossen, welches nun die aus der Messingplatte ausgegrabenen
Stellen füllte und zugleich die Platte auf der Rückseite bis zu der gewünschten Dicke
verstärkte. Diese Verstärkung diente dann zugleich zum Zusammenhalten der einzelnen
Stücke der Verzierungen und verhütete so ihr Herausfallen. Nach Fig. 14 zu schließen,
zeigte nämlich der mittlere Teil der Verzierungen rautenähnliche Messingkerne. Diese
mußten vor dem Gießen an die entsprechenden Stellen der Form gebracht und dort ent-
sprechend festgehalten werden. Öazarl erwähnt von diesen Stücken nichts.
224
E. Wie de mann und F. Hauser,
Hierauf paßte ich das Ende einer jeden Platte an das Ende einer
anderen sorgfältig an, ohne sie zu verlöten, sodaß (die Trennungsstelle)
beinahe unsichtbar war. Dann machte ich auf ihnen Zeichen ^). Hierauf
machte ich aus gegossenem Messing Platten, auf deren Rücken (= Ober-
fläche) sich hervortretende {näti') Stellen befinden; auf ihnen sind Nägel
angebracht, wie ich das bei den Stäben hergestellt habe. Das ist ein Bild
einer Platte (Fig. 15). Jede dieser Platten hat einen senkrechten Rand,
von dem einer der Türpfosten [qd^ima) der Türe begrenzt wird.
Pig- '5-
Dann verfertigte ich für die beiden Enden eines jeden Türflügels
ein Querstück aus gegossenem Messing {e, Fig. l), ähnlich einer Rinne
{■mi*zäb)', ihre Länge ist kleiner als die Breite der Türe und ihre Breite
etwa drei aneinandergelegte Finger. Ihre beiden Seiten sind versenkt
(wörtlich: versteckt). Ihre Fläche ist mandelförmig und kunstvoll ge-
arbeitet, um darauf große kegelförmige Nägel anzubringen, die in
Gruben versenkt sind ^) . ■
Dann machte ich für die Enden eines jeden Türflügels eine Messing-
platte 3), die so lang war, wie d^r Flügel breit war, und die
Möglich wäre es auch, daß die Gestalt der kupfernen Verzierungen in die Messingplatte
nur eingegraben wurde und diese dann mit der Oberseite nach oben zum Gießen in die
Form gebracht wurde. Die größere Dicke des Modells bezweckte dann nur das Zustande-
kommen eines sogenannten Gießkopfes, der nach dem Erstarren entfernt wurde. »Dann
entblößte ich die Platte mit der Feile und dem Schaber« ließe sich in dieser Richtung
deuten. Es ist dann jedoch nicht recht klar, warum Gazari die Messingplatte nach dem
Einschneiden der Verzierungen in Fig. 13 gesondert darstellte, da in diesem Falle ein Ein-
setzen von Stücken und somit eine Änderung der Zeichnung nicht möglich war. Man
hätte hier die Messingkeme von vornherein stehen lassen müssen. Man müßte daher für
den'zweitcn Fall annehmen, daß Gazari in Fig. 13 die Messingkerne versehentlich nicht
dargestellt hat und daher die Zeichnung in Fig. 14 wiederholte.
Von den beiden Deutungsmöglichkeiten dürfte die erstere die wahrscheinlichere sein.
') Diese Zeichen dienten wohl als Marken für das Zusammenfügen der Türe,
2) Wir lesen statt »mubakkarät«, was hier keinen Sinn gibt, »murakkabät«: eingefügt,
versenkt.
3) Es ist nicht ersichtlich, ob hiermit die Platte (ei) der Fig. i gemeint ist. Aus der
Angabe, daß sie so lang wie der Flügel der Türe breit war, ließe sich eher schließen, daß
es sich um die Stücke handelt, welche oben und unten den äußersten Rand (c, Fig. i)
der Türe bildeten. Gegen diese Annahme und für die Platte (ä) spricht trotz der dann
falschen Längenangabe die relativ große Breite sowie der Umstand, daß sonst die Platte
(ä) hier nicht erwähnt würde. Die hier bestehende Unklarheit ist ohne Belang.
über eine Palasttüre und Schlösser nach al-Gazari. 22^
etwa eine Spanne breit war. Ich verzierte sie und füllte den Grund der
Bemalung mit Schwarz aus.
Dann machte ich für jeden Flügel einen ringförmigen Klopfer [halqa]
aus gegossenem Messing (Fig. i6). Er hatte die Gestalt zweier Drachen,
von denen der eine dem anderen begegnet ^) und deren Köpfe einander
zugewendet sind. Ihre Mäuler sind geöffnet, als ob sie den Hals und Kopf
eines Löwen verschlingen wollten. Am Löwenkopf und Hals springt
ein Knopf aus Eisen vor, der in die Türe genagelt ist. Die Drachen-
zähne setzen sich in Löcher im Hals des Löwen ein, damit sich der Ring
in ihm bewegt. Die Figur gibt eine Abbildung des Ringes und des
Löwenkopfes (Fig. i6).
Dann stellte ich die Anschlagleiste {haraza, d. i. die Nase) her. Für
ihre Mitte machte ich eine hohle Form aus Wachs, sie hatte in der
Länge die Gestalt eines halben Rohres (anbüb). Der
Rücken ist abgeflacht. Auf dem Rücken machte ich
hervorspringende Stellen aus Wachs und versenkte in
sie Nägel-). Dann brachte ich Ton {.an) darauf, und
zwar im Innern und Äußeren dieser Anschlagleiste.
Mit dem Feuer entfernte ich dann das Wachs aus dem
Ton, wie es die mit solchen Dingen beschäftigten
Handwerker tun. Dann goß ich es mit geschmolzenem
Messing aus, reinigte es von dem Ton und glättete es
mit der Feile und belegte es {naqasa) mit Silber, so
Fig. i6. daß es hell leuchtete und das Licht auf ihm spielte.
Inmitten der hell leuchtenden Stelle 3) befanden
sich verschiedene Arten von Blättern, die Kräutern [kasis) und ähn-
lichem glichen, und von Tierköpfen; ich tupfte die Blätter weiß und
schwarz und schmückte die Stiele und brachte es mit dem Schaber in
Ordnung. Dann nahm ich für jedes Ende der Anschlagleiste ein 4 Span-
nen (i m) langes, gegossenes Stück Messing. Es war vierkantig, nach
dem oberen (bezw. unteren) Ende zu war es dicker als nach dem Körper
der Anschlagleiste zu. Es war auf der Anschlagleiste symmetrisch angeord-
1) Herzfeld schlägt vor, multaqi mit symmetrisch zu übersetzen.
2) Für das Gießen der Anschlagleiste wurde also ein Wachsmodell (eine sogenannte
verlorene Wachsform; s. w. u.) hergestellt, nach dem eine Tonform gefertigt wurde. Die
in das Modell versenkten Nägel wurden mit eingegossen und dienten wohl denselben
Zwecken wie die Nägel in den Sternen.
3) Die Stelle ist nicht sicher übersetzt, sie heißt wohl arabisch:
,»v_5.LJ! cy-ir^^ Lg.JLp Lxfi"!^ ^T^läj.lj iLsaÄJb L^-^ic v:>-^i
Das Wort bärüq ist in den Wörterbüchern nicht zu finden.
Islam XI. 15
226 E. W i e d e m a n n und F. H a u s e r ,
net und auf seinem Rücken waren Nägel und ihre beiden Seiten stiegen all-
mählich empor. Ihre Oberfläche war verziert, es waren Blätter, die Enden
der Blätter waren einander abgewandt [musdaj) und dicht verschlungen
[multafj). Dann brachte ich zwischen diesen Blättern in genau passender
Lage Blätter aus Wachs an, die ihnen ähnlich und genau gleich groß
waren. Ihre Stengel verflochten sich miteinander an einander gegen-
überliegenden Stellen und die Spitzen der Blätter lagen einander gegen-
über. Hierauf legte ich dies in ein großes Gießgefäß im Sand [raml)
und drückte es ein. Dann schnitt ich die Blätter aus Wachs zwischen
den Blättern und, was darüber war, aus und schmolz, was darunter
war, mit dem Feuer; so wurde der Ort des Wachses leer ^). Die Stellen
goß ich mit rotem Kupfer voll. Dann reinigte ich diese Blätter und
stellte sie fertig mit Griffeln {qalam) verschiedener Gestalt und mit
dem Schaber u. s. w. Diese beiden Stücke, es sind die Enden, legte
ich auf den Körper der Anschlagleiste. Die Abbildung der Anschlag-
eistc ist früher in der Abbildung des Türflügels gegeben worden
(Fig. i). Das Vertrauen ist (hier) auf das Zeugnis der Abbildung, nicht
auf die Beschreibung zu setzen. Diese habe ich kurz gefaßt.
Das ist, was wir deuthch klarmachen wollten.
2. Die vorstehende Beschreibung Gaza rl's ermangelt infolge ihrer vielen techni-
schen Einzelheiten etwas der Übersichtlichkeit. Es sei daher kurz ihr wesentlicher Inhalt
zusammengefaßt:
Für den Königspalast zu Ämid hat GazarT eine prächtige, zweiflügelige Türe her-
gestellt. Fig. I zeigt die obere Hälfte des Unken Türflügels und der am rechten Türflügel
befestigten Anschlagleiste.
Der Hauptschmuck dieser Türe war ein geometrisches Muster, das die Füllung der
beiden Flüge' bildete. Dieses bestand aus einem Gitterwerk aus sechseckigen und acht-
eckigen Hauptfl.guren-(Fig. 2 und Fig. 3) sowie aus als Zwischenstücke dienenden Vierecken
fFit^. 4). In diesen Vierecken sowie zwischen den aus ihnen und den beiden andern Gebilden
zusammengesetzten Figuren befanden sich Füllungen (Fig. 10 — 12). In den Achtecken und
Sechsecken waren ebenfalls Füllungen angebracht (Fig. 8 und 9), auf denen sich hohle
Kuppeln (Fig. 6 und 7) befanden. Die Zusammensetzung all dieser Gebilde zu dem Gitter-
werk ist aus Fig. i a ersichtlich. Die Vierecke, Sechsecke und Achtecke wurden aus Messing
durch Gießen in Sandformen hergestellt. In ihre Ecken wurden dabei Nägel mit mandel-
^) Diese Stelle besagt, daß auch hier für das Gießen zunächst ein Wachsmodell und ,
mittels dieses dann eine Sandform angefertigt wurde. In welcher Weise die letztere her-
gestellt wurde, ist nicht ganz klar. Anscheinend wurde sie, soweit die aus Wachs model-
lierten Blätter zwischen und über den Messingblättern sich befanden, also zugänglich
waren, durch Aufdrücken des Sandes, stückweises Abheben der Sandform und stück-
weises mechanisches Entfernen — also nicht nachträgliches Ausschmelzen ■ — des Wachses
sowie Wiederzusammensetzen der abgehobenen Formteile hergestellt. Das Ausschmelzen
des Wachses wurde hier anscheinend nur insoweit angewandt, als ein Abheben der Sand-
form nicht möglich war. Hierdurch sollte das Wachs gespart werden, da ja beim Aus-
schmelzen desselben aus der Form immer eine beträchtliche Menge verloren geht.
über eine Palasttüre und Schlösser nach al-Gazan.
227
förmigen Köpfen eingegossen, welche dazu dienten, diese Gebilde auf einer massiven
Holztüre festzunageln. Die Füllungen wurden dadurch im Gitterwerk festgehalten, daß
sie ringsum an der Unterseite einen Rand besaßen, der halb so breit war wie der die Vier-
ecke, Sechsecke und Achtecke bildende Stab und unter diesem lag (vgl. Fig. i a, Schnitt
a — b). Die Oberfläche des Gitterwerkstabes besaß als Verzierung eine runde Mittelleiste,
die Füllungen waren auf schwarzer Grundierung bemalt, die Kuppeln waren reich —
u. a. mit ziselierten Blättern — geschmückt.
Das Gitterwerk umgab eine Inschrift in kufischer Schrift, zwischen deren Buch-
staben sich wieder Blätterschmuck befand (a, Fig. i).
Um die Schrift lag ein polierter Rand aus Messing mit eingelegten Kupferverzierun-
gen (b, Fig. I und Fig. 14). Diesen Rand umgab ein weiterer aus gegossenem Messing,
der mit Buckeln und Nägeln verziert war (c, Fig. i und Fig. 15).
Auf dem oberen Ende des Türflügels war noch eine reich verzierte Messingplatte
(d, Fig. i), auf der ein gewölbtes Querstück aus gegossenem Messing (e, Fig. i) versenkt
angebracht war. Ein solches Querstück befand sich auch an dem unteren Ende eines jeden
Türflügels. Auf den Querstücken befanden sich nahe aneinander große, kegelförmige,
schön ausgeführte und in Gruben versenkte Nägel (f, Fig. i).
Jeder der beiden Türflügel trug ferner einen ringförmigen Klopfer (Fig. 16) aus
gegossenem Messing, der von zwei ineinander gewundenen Drachen gebildet wurde, die
einen Löwenkopf zu verschlingen schienen.
Die ebenfalls in Fig. i dargestellte Anschlagleiste bestand aus einem halbrunden
Mittelstück, das von zwei Rundleisten, Bemalung, Silberbelag und ziselierten Blättern
geziert wurde, sowie aus zwei vierkantigen, gegen die Türenden stärker werdenden End-
stücken, von denen sich das eine oben, das andere unten befand. Die Seitenflächen dieser
Endstücke waren verziert, die Oberfläche mit Blättern aus Messing und Kupfer reich
geschmückt.
3. Besonderes Interesse verdienen die Ausführungen gießtechnischer Art,
welche Gazarl in dem vorstehenden Kapitel macht; insbesondere deshalb, da er wieder-
holt darauf hinweist, daß die von ihm verwendeten Methoden die bei den Handwerkern
üblichen gewesen sind ').
I) Zum besseren Verständnis der folgenden Betrachtungen sei ein kurzer Überblick
über das Gebiet des Metallgusses gegeben. Wir folgen dabei F. M. Feldhaus, Die Technik
der Vorzeit, der geschichtlichen Zeit und der Naturvölker, W. Engelmann, Leipzig-Berlin,
1914, Spalte 490 ff. sowie E. v. Hoyer, Lehrbuch der vergleichenden mechanischen Techno-
logie, C. W. Kreidel, Wiesbaden, 1897, I- Bd., S. 88 ff.
Das Gießen der Metalle erfolgt in Formen, die in der Regel nach Modellen des zu
fertigenden Gußstückes, in besonderen Fällen mittels Schablonen (z. B. beim Glockenguß)
und auf andere Weise unmittelbar hergestellt werden.
Die sogenannte Formerei zerfällt in zwei Hauptgruppen: in die Bildung der ver-
lorenen Formen und in die Bildung der bleibenden (oder guten, festen) Formen. Die
ersteren werden nach dem Guß zerstört, entweder, weil sie durch die Hitze des eingegossenen
Metalls unbrauchbar geworden sind oder, weil die Entfernung derselben von dem Gußstück
ohne ihre Zerstörung mit großer Unbequemlichkeit verbunden wäre. Die bleibenden
Formen haben mehrere, mitunter sehr viele Güsse auszuhalten und sind demnach so ein-
zurichten, daß sie vom Gußstück ohne Verletzung abgehoben werden können.
Das Material für die verlorenen Formen ist vorwiegend Sand oder Masse (Sand mit
Tonbeimengung) oder Lehm (Ton mit Sand verunreinigt).
Die Sandformerei kann man in zwei Unterarten teilen: Herdformerei und Kasten-
15 *
2^3 E. Wiedemann und F. Haus er,
Wir sehen, wie man für den Guß von Messingstücken, von denen man eine große
Zahl genau gleicher Gestalt benötigte, ein bleibendes Holzmodell fertigte, nach dem dann
die entsprechende Zahl von verlorenen Formen durch Eindrücken in Sand hergestellt
wurde. (Der Ursprung der Sandform ist also in frühere Zeit zurückzuverlegen, als dies
bisher anscheinend geschah; vgl. F. M. Feldhaus, a. a. 0., Spalte 490 u. f., wonach die
erste Verwendung der Sandform auf das Jahr 1708 zurückgeführt wird. Gazarl ver-
faßte sein Werk im Jahre 1206 und fand die Sandformerei bereits in hoher Vollkommen-
formerei. Bei der ersteren wird die Form unmittelbar auf dem Boden (Herd) der Gießhütte
vor dem Schmelzofen gebildet, bei der letzteren in transportabeln Gefäßen, sogenannten
Formkästen (Flaschen, Laden) aus Metall (meistens Gußeisen) oder Holz heTgestellt.
Das Material für die bleibenden Formen ist entweder ein Metall bzw. eine Legierung
oder Stein (Sandstein, Serpentin, Schiefer), seltener Gips, Zement usw. Metallformen
eignen sich infolge ihrer guten Wärmeleitung im allgemeinen nur zum Guß leichtflüssigen
Materials.
Wie bei denFormen, unterscheidet man auch bei den Modellen zwischen bleiben-
den und verlorenen, je nachdem man nach einem Modell mehrere Formen oder nur
eine herstellen kann. Das Material der bleibenden Modelle ist in der Regel Holz oder
Metall (Eisen, Bronze, Messing, Zink, Hartblei). Zur Herstellung der verlorenen Modelle
dienen vorwiegend Lehm, Wachs und Talg.
Auf der Einteilung der Formen und Modelle beruht die Einteilung der Gußarten:
1. Herdguß. Das Metall wird in eine am Boden der Gießerei vor dem Schmelzofen
geformte verlorene (aus Sand, Masse, Lehm) oder dorthin gebrachte bleibende (aus Stein
usw.) Form gegossen. Es handelt sich hierbei meistens nur um einseitige, flache Gußstücke,
bei denen es in der Regel nur auf die Ausbildung der der Form zugekehrten Seite des Guß-
stückes ankommt. Die Form bleibt dann unbedeckt (offener Herdguß). ' Soll aber auch
die obere Seite entsprechend ausgebildet werden (d. h. in der Regel nur eine glatte Fläche
erhalten), so muß die Form bedeckt werden, was meistens durch eine mit Lehm bestrichene
Eisenplatte oder einen mit Sand gefüllten Rahmen geschieht (bedeckter Herdguß).
2. Guß mit verlorenem Modell (sogenannte Wachsformerei). Man stellt ein
Modell aus Wachs oder Talg her, umkleidet dieses innen und außen mit Lehm, trocknet
den Lehm im Feuer, wobei das Wachs oder der Talg ausfließt, und gießt dann in die so ent-
standene Hohlform das geschmolzene Metall.
3. Guß in verlorenen Teilformen. Man verwendet hierzu bleibende (aus
Holz, Metall) oder verlorene (aus Lehm, Wachs, Talg) Modelle.' Das Modell formt man
so in deniFormmaterial (Lehm, Masse, Sand) ab, daß sich keine Teile des Modells in ihm
festklemmen können bzw. daß man die einzelnen Teile der Form von dem Modell abheben
kann. Dies erfordert vielfach neben der Unterteilung der Form auch eine solche des
Modells. Die bleibenden Modelle komplizierterer Gußstücke bestehen daher aus mehreren
Teilen. Nach Fertigstellung der Form wird das Modell aus ihr herausgenommen und dann
die Form aus ihren einzelnen Teilen wieder sorgfältig zusammengesetzt. Nach dem Guß
erkennt man die Berührungsstellen der Formteile an feinen Nähten auf dem Gußstück
(Gußnaht).
4. Guß in bleibenden Teilformen, Kokillenguß. Das Verfahren ist analog
demjenigen in verlorenen Teilformen. Die Teilformen müssen so gestaltet sein, daß sie
sich ohne Verletzung von dem fertigen Gußstück abnehmen lassen. Für gewöhnUch be-
schränkt man sich bei den bleibenden Formen auf den Guß der einfachsten Gestalten, wie
Stangen und Platten, die als Rohmaterial weitere Verwendung finden (z. B. Gold- und
Silberbarren).
über eine Palasttüre und Schlösser nach al-Gazari.
229
heit vor.) Der Formsand befand sich in besonderen »Vorrichtungen zum Gießen«, die
Gazarl später wiederholt als »Gießgefäße« bezeichnet. Sie dürften wohl im Prinzip
den heutigen Formkästen entsprochen haben. Nägel, welche in dem fertigen Gußstück
sitzen sollten, wurden in die Sandform gesteckt und so gleich in das Stück eingegossen.
Der Guß der Messingstücke dürfte ein offener Guß gewesen sein, da nichts von einem
oberen Abschluß der Sandformen erwähnt ist.
Doch kannte Gazarl auch den Guß in geschlossenen Formen. Besonders anschau-
lich schildert er den Guß mit sogenanntem verlorenem Modell, das — wie es auch heute
noch geschieht — aus Wachs geformt wurde, bei der Beschreibung der Anschlagleiste
der Türe. Diese hatte die Gestalt eines halben Rohres. Ihr entsprechend wurde ein Modell
aus Wachs gefertigt, auf das innen und außen Ton gebracht wurde. Dann wurde das
Wachs mit dem Feuer entfernt. Nägel, welche in Ansätzen der Leiste sitzen sollten, wurden
bereits in das W^achsmodell gesteckt, so daß sie nach dessen Ausschmelzen in der Form
saßen und gleich mit eingegossen wurden ').
Weiter schildert Gazarl den Guß von kupfernen Blättern, welche zwischen Blättern
aus Messing und mit diesen verschlungen angebracht werden sollten. Gazarl formte die
Blätter zunächst an Ort und Stelle aus Wachs und drückte dann das Stück mit denMessing-
und Wachsblättern in einem großen Gießgefäß in Sand ein. Dann wurden die Wachsblätter
»zwischen den Blättern und, was darüber war«, ausgeschnitten und nur das, »was darunter
war«, ausgeschmolzen. Wenn auch diese Schilderung nicht ganz klar ist, so dürfte ihr
doch zu entnehmen sein, daß hier anscheinend auch der »Guß in verlorenen Teilformen«
Anwendung fand. Die Stelle dürfte sich wohl kaum anders deuten lassen, als daß die
Form, soweit das Wachsmodell zugänglich war, durch Aufdrücken des Sandes, stück-
weises Abheben der Sandform sowie stückweises mechanisches Entfernen des Wachs-
modells und Wiederzusammensetzen der abgehobenen Formteile hergestellt wurde. Heute
ist der Guß in verlorenen Teilformen der am meisten verwendete. Für Kupfer, Messing
und Bronze benutzt man dabei als Formmaterial jedoch nicht Sand, sondern Lehm. Sand
findet für den Eisenguß Verwendung. (Vgl. F. M. Feldhaus, a.a.O. Sp. 491.)
Bemerkenswert ist auch die Verwendung des Gusses, um in einer Messingplatte Ver-
zierungen (Blätterranken) aus Kupfer anzubringen. Die Form der Verzierungen wurde
in die Platte eingeschnitten. Mittels eines Holzmodells, das dicker als die Platte war,
wurde dann eine Sandform angefertigt, die Platte in sie gelegt und geschmolzenes Kupfer
bis zur Stärke des Modells auf sie gegossen. Es geht aus Gazarl 's Schilderung leider
nicht ganz klar hervor, ob dieser Guß von der Rückseite der Messingplatte her erfolgte —
also die Form der Verzierungen durch diese hindurchgeschnitten war und das bis zur
Stärke des MSdells aufgegossene Kupfer dann zum Zusammenhalten und Festhalten der
einzelnen Stücke der Verzierung und zur V^erstärkung der Messingplatte diente — , oder
ob das Kupfer auf die Vorderseite der Platte gegossen wurde, in welche die Verzierungen
dann nur eingeschnitten waren. Im zweiten Falle bezweckte die größere Dicke des Modells
nur das Zustandekommen eines sogenannten Gießkopfes, der nach dem Guß wieder ent-
fernt wurde. Die größere Wahrscheinlichkeit dürfte die erste der beiden Deutungen haben.
Die Gußstücke wurden bei allen geschilderten Methoden in gleicher Weise von dem
Formmaterial gereinigt sowie mit Feile, Schaber, Griffeln verschiedener Gestalt usw. ge-
glättet und fertiggestellt.
Weitere Angaben über die Gießtechnik bei den Arabern finden sich in E. Wikde-
') Im westlichen Europa stand der Bronzeguß in der sogenannten Wachstechnik
(Wachsformerei) zu Gazari's Zeit bei der Glockengießerei bereits in hoher Blüte. Vgl.
F. M. Feldhaus, a. a. 0. Spalte 462 ff.
2 20 E. VViedemann und F. Haus er,
MANN, Beiträge zur Geschichte der N atitnnssenschaften XX W, Sitzungsberichte der Physi-
kalisch-Medizinischen Sozietät in Erlangen, Bd. 43, 191 1, St. 76 und 77. Es heißt hier:
Zu ihren Apparaten (d. h. der Alchemisten) gehören diejenigen, welche bei den
Goldschmieden und andern Handwerkern bekannt sind, wie al-kür der Ofen, al-bütaq der
Tiegel, al-mä^iq die Mörserkeule, Hammer, ar-räi die Gußform, az-ziqq der Schlauch»
welcher bläst, also der Blasbalg. Dies sind lauter Apparate, welche zum Flüssigmachen
und Schmelzen dienen. Die Gußform ar-rät ist eine Vorrichtung, in welche man die ge-
schmolzenen Metalle, wie Gold, Silber und anderes gießt, sie heißt auch al-misbaka (d. h.
das Instrument zum Hineingießen), sie besteht aus Eisen und hat die Form eines halben
Rohres. Zu ihren Apparaten gehört ferner: al-biit eher büt. Es ist dies ein Tiegel, der an
seinem unteren Ende durchlöchert ist und auf einen andern gesetzt wird. Die Verbin-
dungsstelle zwischen beiden wird mit Ton gut gedichtet. Dann schmilzt man den Körper
(das Metall) in dem oberen Tiegel; es fließt in den unteren, und seine Schlacke (^abaf)
sowie sein Schmutz bleiben in dem oberen. Man nennt dies Verfahren »das Herabsteigen-
machen« (al-istinzät).
Die in diesem Abschnitt erwähnten halbröhrenförmigen Eisenformen dürften zum
Herstellen von Metallbarren gedient haben.
Interessante Mitteilungen über den Material-, insbesondere Metallaufwand, welchen
die Errichtung eines astronomischen Observatoriums erforderte, sowie vor allem über das
Gießen eines für dieses Observatorium bestimmten großen Astrolabringes finden sich in
einem Aufsatz von E. Wiedemann, Zur islamischen Astronomie, der in der Zeitschrift
Sirius Bd. 52, S. 121, 1919, erschienen ist.
Das Observatorium wurde von dem Arzt Abu Sa'id Ibn Qaraqa im Auftrage
des Veziers Afdal erbaut (vgl. Maqrlzi, Kitäb al Chüat Bd. i, S. 202).
Das Hauptstück dürfte ein mächtiger Ring für ein Astrolab (einen Horizontalkreis)
gewesen sein, zu dem rund 100 qinfär (d. i. rund 5000 kg) Metall verwendet wurden. Er
hatte einen Umfang von 30 Ellen (= 15 m) und einen Querschnitt von rund 4 qdm. Die
Gußform {qälib) für den Ring wurde an Ort und Stelle auf dem Bauplatz des Observa-
toriums — dem Plateau al-garf bei der Moschee al-flla, der Elefantenmoschee bei Kairo —
gegraben. Um diese Form errichtete man 10 Schmelzöfen (Jiaraga) mit je zwei Blase-
bälgen'). Jeder Schmelzofen enthielt etwa 11 qintär Kupfer, also alle zusammen
etwas mehr als 100. Man zündete das Feuer nachmittags an und blies es bis zur zweiten
Stunde des nächsten Tages an. Dann kam Afdal und setzte sich auf einen Sessel. Als
die Öfen zum Guß bereit waren, gab Afdal den Befehl, sie zu öfi^nen. An jedem Ofen
I) Schmelzöfen mit Blasebälgen sind bereits sehr alt. Im Gebiete des Sinai standen
schon in vorgeschichtlicher Zeit — tief in das 5. Jahrtausend zurückgehend — im Wadi
Magära (Höhlental) erst einige wenige, alsbald aber zahlreichere kleine Öfen zur Kupfer-
gewinnung, für deren Betrieb der hohe Schmelzpunkt des Kupfers eine künstliche Luft-
zufuhr durch einfache Blasebälge zur unabweisbaren Voraussetzung macht (vgl. E. v.
Lippmann, Entstehung und Ausbreitung der Alchemie, Berlin, Julius Springer, 1919, S. 539).
Ebenso müssen Schmelztiegel bereits in frühester Zeit verwendet worden sein. Auf
ägA'ptischen Wandmalereien zu Karnak wurden im zweiten Jahrtausend v. Chr. kleine,
flache Schmelztiegel dargestellt, die von den Arbeitern zwischen zwei Stäbe geklemmt in
die Trichter der Gußform entleert wurden (vgl. F. M. Feldhaus, a. a. 0. Spalte 970).
Ein anschauliches Bild der Metallurgie der ältesten Zeiten, soweit es sich aus den
vorhandenen Funden und Quellen rekonstruieren läßt, findet sich in Martin Gsell, Eisen,
Kupfer und Bronze bei den alten Ägyptern, archäologisch-metallurgische Abhandlung, Dis-
sertation, Technische Hochschule Karlsruhe, 19 10.
über eine Palasttüre und Schlösser nach al-Gazari. 23 1
befand sich ein Mann. Sie öffneten gleichzeitig die Öfen. Das Kupfer ergoß sich dann
wie Wasser in die Form. In ihr war aber an einer Stelle etwas Feuchtigkeit zurück-
geblieben. Das heiße Kupfer brachte die feuchte Stelle zum Springen, so daß der Ring
hier eine unvollkommene Stelle bekam, was sich zeigte, nachdem er abgekühlt und frei-
gelegt worden war. Af dal waT über das Mißlingen des Gusses sehr erbost, Ihn Qaraqa
beruhigte ihn jedoch mit dem Hinweis, daß man bei einem Instrument von solchen Ab-
messungen, wie es noch nie hergestellt worden sei, zufrieden sein müsse, wenn nach zehn
Versuchen seine Herstellung gelänge. Bei einem zweiten Versuch, zu dem alle Leute,
die mit Kupfer zu tun hatten, zugezogen wurden," gelang dann der Guß. Der Ring wurde
nach seiner Fertigstellung auf die Terrasse der Moschee al-fila emporgehoben. Wir haben
hier einen Herdguß großen Stils vor uns.
Alle arabischen Angaben über die Gießtechnik sind von hohem kulturhistorischem
Wert. Nach Hugo Blümner, Technologie und Terminologie der Gewerbe und Knuste bei
Griechen und Römern, Teubner, Leipzig 1887, Bd. IV, S. 278 ff., beruht unsere Kenntnis
der antiken Gußtechnik lediglich auf Betrachtung und Untersuchung gegossener Metall-
gegenstände und auf der Vergleichung mit der heutigen Technik, während uns die alte
Literatur so gut wie gar keine Einzelheiten bietet O- Diese Untersuchungen lassen u. a.
vermuten (S. 286), daß man sich zum Hohlguß auch im Altertum der sogenannten ver-
lorenen Wachsform bediente. Da die arabische Kultur in weitem Maße auf die Antike
aufbaute, sind die arabischen Angaben auch eine Stütze für die in dem erwähnten Werke
Bi.ÜMNERs niedergelegten Untersuchungen über die antike Gießtechnik. Die dort ausge-
sprochene Vermutung hinsichtlich der Verwendung verlorener Wachsformen in der Antike
findet, wie hier erwähnt sei, ihre Bestätigung wohl auch durch die ScHLiEMANNSchen Aus-
grabungen in Troja (1870— 1894), da man hier u. a. eine gebrannte Tonform fand, welche
wohl nur mittels einer verlorenen Wachsform hergestellt worden sein kann (vgl. F. M.
Fkldhaus, a.a.O. Sp. 491). Fei.dhaus vermutet, daß diese Wachsformerei aus dem
Orient stamme.
Erwähnt sei hier auch, daß in Memphis Gußformen aus Gips und Stein [rechts-
seitige oder zweiseitige (Hohlformen) aus Basalt, Serpentin, Granit, Kalkstein usf. zum
Treiben (ohne Gußkanäle) und Gießen (mit Gußkanälen)] sowie Gipsmodelle usf. gefunden
wurden, welche bereits vor der Zeit der Ptolemäer dort zur Goldgießerei und Gold-
prägerei verwendet wurden. Formsteine der beschriebenen Art fanden sich auch m den
babylonisch-assyrischen Kulturländern; sie sind also sehr alt (E. v. Lippmann,
a.a.O. S. 273 und Th. Schreiber, Die alexandrinische Toreutik, Abh. der philol.-histor.
Klasse der sächs. Ges. d. Wiss. XIV (1894), S. 271 ff.). Ein Teil der Funde deutet auf
die Verwendung der Wachsformerei sowie des Gusses in Teilformen hin.
Anschließend an die letzten Worte des ersten Kapitels leitet
Gazari zu dem folgenden Kapitel über mit den Worten: »Ich will
das, was ich herstellte, beschreiben. Es ist ein Instrument wie ein
Lineal, mit dem man den Mittelpunkt von drei Punkten bestimmt,
die auf einer Kugeloberfläche oder einer dem Horizont parallelen Fläche
J) Diese Feststellung Blümners kann auch heute noch in vollem Umfange als richtig
anerkannt werden, wie uns Herr Professor Dr. E. v. Lippmann in Halle a. S. in liebens-
würdiger Weise mitteilt. Nach seiner Anschauung sind die ÜberHefcrungen aus der Antike
über die Gießtechnik ebenso wie über die meisten technischen Verfahren sehr spärlich
und nichtssagend, da teils die Ausübenden — sehr oft Sklaven — diese Verfahren geheim
hielten, teils die Schriftsteller sie nicht zu vertreten und zu schätzen wußten.
2S2
E. VViedemann und F. Hauser,
liegen; mit ihm bestimmt man auch Winkel.« Diese Vorri'chtung hat
E. WiEDEMANN in Seiner Arbeit Über geometrische Instrumente hei den
muslimischen Völkern, Zeitschrift für Vermessungswesen, 1910, Heft 22
und 23, behandelt.
III. Buchstabenschloß für einen Kasten.
I. Gazari schließt das zweite Kapitel mit den Worten: »Ich will
das, was ich herstellte, beschreiben, nämlich ein Schloß [qafl) aus
Messing an einem Kasten,« und fähit dann fort:
Drittes Kapitel des sechsten Gebietes.
Es behandelt:
Ein Schloß (Riegel, qafl) mit 12 Buchstaben des Alpha-
bets, das zum Verschließen eines Kastens dient.
Erster Abschnitt.
Die früheren Handwerker stellten Schlösser her, die sie unter
Zuhilfenahme von Buchstaben schlössen oder öffneten; es gab solche,
Fig. 17-
bei denen vier Buchstaben auf vier Kreisen, zwei Buchstaben auf zwei
Kreisen und sechs Buchstaben auf sechs Kreisen zum Schließen dienten.
Ich habe einen Kasten hergestellt, auf dessen Deckel ich ein
Schloß, wie ich es beschreiben werde, angebracht habe. Es besteht
aus vier Kreisen, die auf einem länglichen Viereck angebracht sind
(Fig. 17). Innerhalb eines jeden Kreises befindet sich noch ein Kreis
und zwischen ihnen befinden sich 16 Linien und zwischen den Linien
stehen 16 Buchstaben, die die 28 Buchstaben (des Alphabets) ersetzen.
(In der Fig. 17 ist einer dieser Kreise mit Buchstaben gezeichnet.)
Ich gebe ein Bild der Fläche des Deckels, auf ihm befinden sich die
Kreise und die Zylinder {ustuwäna), die mit runden Durchbohrungen
versehen sind. Dies ist das betreffende Bild (Fig. 17).
über eine Palasttüre und Schlösser nach al-Gazari.
233
Für jedes Loch ^) stellt man eine Scheibe (fals) (I) her, die es ausfüllt
und so dick wie der Deckel ist (Fig. 18). Dann zieht man innerhalb
des Randes der Scheibe einen Kreis. Den Zwischenraum zwischen
dem Rand und dem Kreis teilt man durch 16 Linien und schreibt
zwischen sie die 16 Buchstaben. Auf dem Rand der Scheibe bringt
man eine zierliche Mandel [a) 2) an; ihre eine Hälfte befindet sich
auf der Scheibe und ihre andere ragt über deren Rand. Gegenüber
der Mandel bringt man auf dem Rand der Scheibe den Kopf eines
Vogels [b) -) an, um an ihm anzufassen und die Scheibe auf dem Rand
des Deckels zu drehen. Dabei bewegt sich das Ende der Mandel über
den Rand hin wie ein Zeiger für die Teile (des Astrolabs). Diese und
der Schnabel des Vogels verhindern die Scheibe in dem Loch nach
unten zu sinken. Dann bringt man in der Mitte der Scheibe ein weites
Loch an. Dies gibt eine Abbildung davon (Fig. 18) 3). In dem Loch
der Scheibe befestigt man einen Zylinder [satibar = cenher), der aus
Fig. 18.
Fig. 19.
Fig. 20.
m
Figf. 2 I.
ihm heraustritt und das Loch der Scheibe erfüllt. Ein Ende des Zylin-
ders liegt in einer Ebene mit der Fläche der Scheibe, das andere Ende
springt auf der Rückseite der Scheibe vor und hat die mehrfache Dicke
der Scheibe. Der Zylinder wird an der Scheibe angelötet. Die Figur
(19) ist ein zweites Bild der Dicke (d. h. eine Seitenansicht) der Scheibe
und des an ihr befindlichen Zvlinders.
I) Gazarl hat zu erwähnen vergessen, daß die vier innerhalb der zweiten Kreise
(welche die Buchstaben nach innen begrenzen) gelegenen Stücke aus dem Deckel ausge-
schnitten werden.
^) Die Buchstaben sind von uns in die Figur eingesetzt.
3) Hieraus ist zu schließen, daß in Fig. 18 auch das Loch der Scheibe (I) einge-
zeichnet ist. Hierfür spricht auch, daß in Fig. 18 der innere Teil nicht bemalt ist, während
der mit Buchstaben beschriebene Rand bemalt ist, daß ferner in Fig. 20 sowohl der
mit Buchstaben beschriebene Rand, als auch der innerhalb desselben stehen gebliebene
Teil der Scheibe (II) bemalt, dagegen das Loch (c) von Farbe frei ist. Der Durchmesser
des Loches der Scheibe (I) ist demnach gleich oder wenigstens nahezu gleich dem Durch-
messer des die Buchstaben am Scheibenrand nach innen begrenzenden Kreises. (Der innere
Kreis ist doppelt gezogen, was möglicherweise einen kleinen, stehengebliebenen Rand
bedeutet, wenn es nicht nur, wie anscheinend die doppelte Linienführung in den meisten
andern Fällen, eine Andeutung für die Körperlichkeit des Dargestellten oder eine Be-
grenzung für die Bemalung ist.)
2-24 E. Wiedemann und F. Hauser,
Dann stellt man eine Scheibe (II) her, die kleiner ^) als die erste
ist. Innerhalb ihres Randes zieht man auf ihr einen Kreis und schreibt
wiederum zwischen Rand und Kreis die l6 Buchstaben. Durch ihre
Mitte bohrt man ein weites Loch [c). Dies ist eine Abbildung (Fig. 20).
Dann bringt man in dem Loch einen Zylinder an, der nach außen geht
und das Innere des Loches ausfüllt. Sein eines Ende liegt in einer Ebene
mit der Fläche der Scheibe und sein anderes Ende ragt über die Rück-
seite der Scheibe um die vierfache Dicke der Scheibe vor. Auf dem
Rand der Scheibe bringt man eine Mandel [a) an, deren eine Hälfte
auf der Ebene der Scheibenfiäche Hegt, während die andere über den
Rand vorspringt, damit sie über die Buchstaben der ersten Scheibe
hingleiten kann. Gegenüber dieser Mandel befindet sich auf dem
Rande dieser Scheibe ein vorspringender Knopf (b) 2), um an ihm
anzufassen; man dreht (mit seiner Hilfe), nachdem man den Zylinder
der zweiten Scheibe in den Zyhnder der ersten Scheibe eingesetzt hat.
Er dreht sich leicht in ihm. Die Figur (21) gibt die zweite Scheibe mit
ihrem Zylinder wieder. . Nun nimmt man einen Messingstab, der eine
halbe Fingerlänge 3) lang ist und so dick, daß er in den Zylinder der
zweiten Scheibe paßt. Am (oberen) Ende des Stabes befindet sich
eine quergestellte, am einen Ende zugespitzte Mandel. Schiebt man
den Stab in den Zylinder der zweiten Scheibe, so bedeckt die Mandel
die Fläche dieser Scheibe und das Ende der Mandel geht (beim Drehen;
über die auf der Scheibe angebrachten Buchstaben. Die Figur (22)
gibt das Bild des Stabes und der Mandel für sich.
Ich bilde (später) die erste Scheibe in einem Loch [karg) des
Deckels ab, auf ihr befindet sich die zweite Scheibe, in letzterer der
Stab und die Mandel 4).
Ergreift man den Kopf des Vogels an der ersten Scheibe und dreht
sie nach rechts und links, so dreht sie sich mit dem, was sich auf ihr
befindet. Faßt man an dem zweiten Vorsprung der zweiten Scheibe
mit einer Hand an und ergreift den Kopf des Vogels (an der ersten
Scheibe) mit der anderen Hand, damit sich die erste Scheibe nicht be-
wegt, und dreht die zweite Scheibe, so dreht sich diese (mit dem in
ihr befindlichen Stab). Faßt man beide Scheiben an und dreht nur
die Mandel (an dem Stab) so dreht sich diese (allein).
') Ihr äußerer Durclimesser darf, wie aus Späterem folgt, nicht größer als der Durch-
messer des die Buchstaben auf der Scheibe (I) nach innen begrenzenden Kreises sein.
2) Die Fig. 20 zeigt hier wohl irrtümlicherweise ebenfalls einen Vogelkopf. Der
Buchstabe c fehlt in der Originalfigur.
3) Wörtlich heißt es »einen halben Finger lang ist«. Es kann hier nur die Länge
und nicht die Breite des Fingers gemeint sein.
4) Dieser Satz dürfte sich auf die spätere Figur 29 beziehen.
über eine Palasttüre und Schlösser nach al-Gazari. 235
Auf dem Rand des Zylinders, der von dem Rücken der ersten
Scheibe hervorragt, bringt man 16 Einkerbungen [kazz] an, so daß
zwischen ihnen Zähne stehen bleiben. Die Figur {23) gibt die Scheibe;
auf ihr befindet sich der Zylinder samt den an ihm befindlichen Ein-
kerbungen.
Dann verfertigt man eine dritte Scheibe, deren Dicke eine mittlere
ist. Man bohrt in ihre Mitte ein Loch, in welches das Ende des Zy-
linders mit den Einkerbungen sich einsetzt. In diesem Loch befindet
sich in die Quere ein Zahn [tiäb], der nach dem Mittelpunkt der Scheibe-
zu gerichtet ist. In den Rand dieser Scheibe (III) schneidet (ziseliert,
harrama) man einen dreieckigen Ausschnitt gegenüber dem Zahn; dies
ist die Figur (Fig. 24) '). Hierauf führt man diese Scheibe (III) in den
Zylinder der ersten Scheibe ein 2), dabei tritt der Zahn, der an ihr an-
gebracht ist, in eine der Einkerbungen des Zylinders (der ersten Scheibe)
ein, wodurch er untrennbar an deren Stelle festgehalten wird. Die
uU-LUI
o
^^'•?- ^3- Fig. 24.
Fig, 22. & t
Fig. 2;
Fläche der Scheibe (III) entspricht (liegt in einer Ebene mit) dem Ende
des Zylinders.
Dann macht man in den Rand des zweiten Zylinders 16 Kerben,
Ferner macht man eine vierte Scheibe so groß wie die zweite
Scheibe an dem Zylinder der ersten Scheibe 3). Man durchbohrt ihre
Mitte und bringt in ihr einen Zahn an. Schiebt man das Ende des
Zylinders der zweiten Scheibe in das Loch dieser Scheibe (IV), so tritt
es in sie ein, wobei es an seiner Stelle festgehalten wird. Der Zahn,
der in diesem Loch der Scheibe (IV) angebracht ist, tritt in eine Ein-
kerbung des Zyhnders (der Scheibe II). Die Fläche der Scheibe (IV)
liegt in einer Ebene mit dem Ende dieses Zylinders. In dem Rand dieser
Scheibe macht man einen dreieckigen Einschnitt gegenüber dem Zahn.
Man erhält so dieselbe Gestalt wie bei der früheren Scheibe (III).
■) In der Figur fehlt die Abbildung des Zahnes. 'Auch ist die Figur relativ zu
klein.
2) Tatsächlich wird, die Scheibe über den Zylinder geschoben und nur der in ihrem
Loch befindliche Zahn tritt in die Einkerbungen des Zylinders ein.
3) Mit dieser »zweiten Scheibe an dem Zylinder der ersten Scheibe« ist die eben
besprochene Scheibe (III) gemeint.
236 E. Wie de mann und F. Haus er,
Dann stellt man eine andere Scheibe (V) her von der Größe einer
der früheren Scheiben (III und IV). In ihrer Mitte macht man ein
Loch, das so groß ist, daß der früher hergestellte Stab mit der Mandel
an der Spitze hineinpaßt. Innerhalb des Randes macht man 16 Löcher
und schneidet vom Rand aus zu einem der Löcher hin einen drei-
eckigen Einschnitt aus. Die Figur (25) gibt diese Scheibe wieder.
Dann macht man eine Scheibe (VI), die dünner als die Scheibe (V)
ist. In ihrer Mitte macht man ein viereckiges Loch. Den untersten
•Teil des Stabes mit der Mandel macht man vierkantig, damit er in das
Loch eintritt, so daß er seine Stelle nicht verlassen kann. Weiter
bringt man in dieser Scheibe ein Loch an, das gegen die 16 Löcher der
darunter befindlichen Scheibe hin gerichtet ist (d. h. es liegt auf einem
Kreise von demselben Durchmesser wie der der 16 Löcher), falls man
die Scheibe über sie (d. h. die Löcher) fortdreht. Für dieses Loch
macht man einen in ihm festsitzenden Nagel, er dringt mühelos in die
einzelnen Löcher ein. Am Ende des Stabes befindet sich ein länglicher
Schlitz, um einen Vorreiber {faras) ^) in ihn einzusetzen, durch den
das, dessen Beschreibung vorhergegangen ist, festgehalten wird.
Zweiter Abschnitt.
Im Innern des Deckels^bringt man eine Platte [safiha] an (Fig. 26),
die sich auf dessen vier Offnungen legt und ein wenig von ihnen ab-
steht 2). Auf der Platte macht man
in den Mittelpunkten der Öffnungen
im Deckel vier Zeichen und schneidet
an ihren Stellen in der Platte nach
derselben Richtung hin gelegene läng-
liche Schlitze aus. Jeder ist so breit,
daß der Zylinder, der auf der ersten
Scheibe angebracht ist, in ihn hinein-
Fig. 26. ...
geht und sich leicht in dem Schlitz
bewegt 3). Dann bringt man in der Mitte der Platte parallel zu den
vier Schlitzen noch einen Schlitz an, der schmäler 4) als ein jeder von
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I) Faras heißt Pferd. Man gibt dem Vorreiber diesen Namen, da er vielfach (z. B.
bei den Astrolabien) und so auch hier (vgl. Fig. 29) am einen Ende die Gestalt eines Pferde-
kopfes trägt. Vgl. E. WtEDEMANN Und F. Hauser, Über die Uhren im Bereich der.
islamischen Kultur, a. a. 0. S. 45.
-) Dieser Abstand ist nötig, um der später erwähnten Klappe das Ein- und Aus-
treten in das Schloß zu ermöglichen; vgl. Fig. 30 a.
3) Vgl. hierzu die von uns am Ende des Kapitels gegebene Erläuterung.
4) Fig. 26 zeigt diesen Schlitz versehentlich breiter und länger als die vier andern
über eine Palasttiire und Schlösser nach al-Gazari.
237
ihnen ist. Dann zerschneidet man diese Platte so, wie die Figur es
angibt, in zwei Stücke^). Ihr entsprechend ist die Platte mit Schlitzen
versehen und zerschnitten. Dann setzt man in jeden Schlitz des
Deckels die für ihn bestimmten Scheiben. Es sind deren sechs. In
ihnen befindet sich der Stab mit der Mandel, wie er vorher be-
schrieben ist.
Dann macht man ein zierliches, kunstvolles Ohrgehänge [qurt] am
Ende eines Stabes, der dem Stab der Mandel gleicht. Den Mittelpunkt
des Deckels in der Mitte der vier Schlitze durchbohrt man und setzt
in ihn den Stab des Ohrgehänges ein, bis der Ansatz [kursi] 2) des
Stabes des Ohrgehänges die Oberfläche des Deckels berührt, sodaß
das Ohrgehänge sich bewegen kann. Soll es gedreht werden, so kann
es sich drehen. Der Ansatz liegt an der Fläche des Deckels an. Die
Figur (27) gibt das Ohrgehänge an dem Stab 3).«
'i^ ^ ' 7>
a\ , 1 1,3
Fig. 27. Fig 28.
^ms
m
n
Fig. 29.
Dann stellt man eine Scheibe (VII) von mittlerer Größe her und
bringt in ihrer Mitte ein viereckiges Loch an und macht das Ende
des Stabes für das Ohrgehänge vierkantig, sodaß es in das Loch knapp
hineingeht. In das Ende des Stabes macht man noch einen läng-
Schlitze. Er war wohl in Wirklichkeit um ebensoviel kürzer, als er schmäler wie diese war.
Bemerkt sei, daß hier ein kreisrundes Loch dem beabsichtigten Zweck genügt hätte, da
ja die beiden Plattenteile sich nicht übereinander schoben.
') Der zickzackförmige Verlauf dieses Schnittes ist durch -folgendes begründet:
Wie die fernere Beschreibung zeigt, ist es zur Betätigung des Schlosses notwendig, daß
die beiden Plattenhälften beim Verschließen zusammengeschoben und beim Öffnen ein
kleines Stück auseinandergezogen werden. Hierzu dient nun eine kleine Rolle mit vier
Zähnen, die sich in der Mitte des Deckels befindet und mit ihren Zähnen an Stiften auf
den beiden Plattenhälften angreift (vgl. Fig. 30). Um eine möglichst große Kraftwirkung
in der Längsrichtung des Deckels zu erhalten, ist es nötig, daß diese Stifte möglichst weit
seitwärts von der Längsmittellinie des Deckels sich befinden. Dies ist aber hier nur dadurch
zu erreichen, daß der Schnitt durch die Platte entweder in der Mitte versetzt oder in
seinem mittleren Teil schräg gelegt wird. Gazari hat das letztere gewählt. Die Stifte
k und / lagen wohl in Wirklichkeit noch näher der Quermittellinie des Deckels als in
Fig. 30. Es liegt hier eine äußerst sinnreiche Lösung des einmal gestellten Problems vor.
») Vgl. B. Dorn, Mem. de l'Acad. de St. Petersbourg, Bd. IX, Nr. i, S. 27, 1865.
3) Der Stab des Ohrgehänges ist in F'ig. 27 bedeutend zu kurz gezeichnet, j
2.s8
E. \V i e d e m a u u und F. H a u s e r ,
liehen Schlitz, um einen Vorreiber einzusetzen. Auf dem Rand der
Scheibe bringt man vier Zähne an, wie die Figur zeigt. Und dies ist
die Figur (Fig. 28).
Ich beschreibe jetzt genau, wie die Scheiben bei einer Öffnung
übereinander gelagert sind, wobei der Stab mit der Mandel sich in
ihnen befindet und in dessen Ende der Vorreiber steckt, 'der die Scheiben
festhält. Ich gebe das Bild der Dicke der Platte in dem Innern (des
Deckels), der Dicke der einzelnen übereinandergelagerten Scheiben
und der Dicke des Deckels, in dem sich eine Öffnung befindet, in der
%°^^/7/^/^
eine Scheibe liegt; die beiden letzteren sind untereinander gleich (dick).
Es steht (in Figur 29) :
an dem Deckel a,
an der Scheibe (II) J), die sich auf der Scheibe (I) befindet, die in
die Öffnung gelegt ist b,
auf ihr befindet sich die Mandel g,
die Platte innerhalb des Deckels ist {},
die Scheibe auf dem Ende des Zylinders der ersten Scheibe ist li,
die Scheibe auf dem Ende des Zylinders der zweiten Scheibe ist a,
die kleine Scheibe auf (dem Stab) der Mandel ist ?«,
in ihr steckt der Nagel (=Stab) " q,
der Fortsatz des Stabes mit der Mandel ist u,
in seinem Spalt steckt der alles zusammenhaltende Vorreiber . . k.
So verfährt man für jede einzelne Öffnung im Deckel.
') Im arabischen Text heißt es bei der Beschreibung der Figur immer »Dicke der
Scheibe«. Die Figur ist im wesentlichen eine Ansichtszeichnung, zeigt jedoch Ansätze
zu einer Schnittzeichnung. So sind — allerdings an nicht ganz richtiger Stelle — die
Grenzlinien zwischen dem Deckel und der in ihm liegenden Scheibe (I) gezeichnet und ist
der Nagel, welcher von der Scheibe (m) aus in die über ihr liegende Scheibe dringt, einge-
tragen. (Bemerkt sei, daß für letztere Scheibe ein Buchstabe fehlt und daß sich das q
an falscher Stelle befindet. Der Spalt im Stabende (h) für den Vorreiber (k) ist zu breit
gezeichnet.) In Fig. 29 a wurde von uns eine Querschnittszeichnung beigegeben. Vgl.
hierzu auch später.
über eine FalasttUre und Schlösser nach al-(iazan.
239
Ich bilde jetzt das Innere des Deckels ab (Fig. 30):
Auf der Fläche der Platte ist gegenüber jedem der in ihr befind-
lichen Schlitze, in denen sich die Scheiben befinden, eine vorspringende
feste Mandel [a) '), welche die dreieckigen Einschnitte an den Rändern
einer jeden Scheibe genau übereinander festhält (wenn sie in dieselben
geschoben wird). Zieht man die (zwei Teile der) Platte an dem Ohr-
gehänge =) (auseinander), so tritt (an allen vier Schlitzen) die Mandel
in die drei Einschnitte der Scheiben, so daß sich das Schloß öffnet.
Wenn man das große Ohrgehänge, das in der Mitte des Deckels ange-
bracht ist, in entgegengesetztem Sinn 3) dreht, so wird das Schloß
(wieder) versperrt. Dabei steht das Ende der Mandel des Stabes auf
einem der Buchstaben, die auf der kleinen Scheibe angebracht sind,
Fig. 30.
dieser liegt unter der Mandel und das Ende der Mandel dieser Scheibe
'(II) liegt auf einem der Buchstaben der Scheibe (I), welche sich unter
ihr befindet; letztere füllt das Loch des Deckels aus. Das Ende der
Mandel dieser Scheibe (I) liegt auf einem der Buchstaben des Kreises
des Deckels. Jetzt merkt man sich die drei Buchstaben. Der erste
ist derjenige auf der obersten Scheibe. Ebenso ist es bei jedem Kreis
auf dem Deckel, sodaß es im ganzen 12 Buchstaben werden 4) und
vier Mandeln, die auf den beiden Hälften der Platte angebracht sind.
I) Dieser Buchstabe ist im Original nicht vorhanden, er wurde von uns eingesetzt.
-) Mit diesem Ohrgehänge dürften im Gegensatz zu dem im folgenden Satz erwähnten
»großen Ohrgehänge, das in der Mitte des Deckels angebracht war«, die im Schlußteil
des Kapitels erwähnten beiden Ohrgehänge gemeint sein, welche sich an den Stäben
(s. Fig. 30) an beiden Schmalseiten des Deckels befanden.
3) Hieraus läßt sich schließen, daß auch das Öffnen des Schlosses durch Drehen
des Ohrgehänges in der Deckelmitte erfolgen konnte.
4) Zu jeder Öffnung des Schlosses sind an jeder der vier Öffnungen des Deckels je
drei Buchstaben einzustellen, also insgesamt 12.
240
E. Wie de mann und F. Hauser,
Die Platte hat zwei Hälften (a und h, Fig. 30). Auf jedem Schlitz
liegen vier aufeinandergelegte Scheiben [a, b, g, d) ^), deren Ausschnitte
untereinander ir derselben Richtung liegen. Über ihnen liegt eine
kleine Scheibe {e) ^) und der Vorsprung des Stabes mit der Mandel;
an ihm befindet sich der Vorreiber (a) ^). In der Mitte des Deckels
befindet sich das Ende des Stabes des Ohrgehänges. An ihm befindet
sich eine Scheibe mit vier Zähnen am Rand (y, m, e, z). Am Ende
des Stabes befindet sich der Vorreiber (/) ^), der die Scheibe an ihm
festhält. Auf der Platte befinden sich bei jedem Zahn(-paar) zwei Vor-
sprünge (Knöpfe) {k und /) •). An den beiden (inneren) Enden der
zwei Platten (-teile) befinden sich zwei Haken (£~uräb) [q). An den
(äußeren) Enden der beiden Plat-
v/////Jy//M
t^
d
I I.
3:[
\/////y//A
ten(-teile) bei a und h befinden
sich Ansätze in Gestalt von zwei
Ringen {11 und 6) 3). In ihnen be-
finden sich die Enden von Stäben,
in denen sich Vorreiber befinden.
Die beiden Stäbe von ihnen treten
durch zwei Löcher in den Seiten-
(-wänden) des Deckels ein, auf
ihnen steht s.
Auf der einen (Längs-) Seite
des Deckels befindet sich ein
Schlitz, in den man eine Klappe
(»Fallende«, säqita) einführt, die
sich auf ihrer gegenüberstehenden
Schwester 4) bewegt, die auf der Wand des Kastens (so) befestigt"
|/r
^B
Fig. 30 a.
I) Diese Buchstaben und teilweise auch die mit ihnen bezeichneten Konstruktions-
teile fehlen in der Fig. 30, und in der Fig. 29 ist die Buchstabenbezeichnung eine andere,
so daß hier mögHcherweise eine weitere — allerdings überflüssige — Figur fehlt.
-) Von diesen Vorsprüngen ist auf der hnken Seite der mit k bezeichnete falsch
eingetragen. Er muß sich oberhalb des Zahnes m befinden, da es sonst nicht möghch ist,
durch Drehen der Rolle mit den Zähnen (wie dies später geschildert wird) die beiden
Plattenhälften aneinanderzuschieben.
3) Die Buchstaben n und 0 sind von uns eingesetzt.
4) Liest man statt tänija täbita, so würde es heißen »feststehend«, was den Sinn
des Ganzen jedoch nicht ändern würde. Nach dem Wortlaute der Beschreibung handelt
es sich hier um einen Klappenverschluß, wie er noch heute vielfach ähnlich verwendet
wird. Da es heißt, daß sich die Klappe »auf« ihrer Schwester bewege, ist wohl anzu-
nehmen, daß die Anordnung entsprechend der von uns in Fig. 30 a gegebenen Rekon-
struktion getroffen war. Dadurch vfurden durch die Klappe die Schrauben oder Nägel,
mit denen ihre »Schwester« auf der Kastenwand befestigt war, verdeckt, was die Sicher-
heit des Verschlusses erhöhte.
über eine Palasttüre und Schlösser nach al-Gazari. 24I
ist, daß sie (nämlich die Klappe) zwischen den beiden Haken genau
die Mitte hält. Diese Klappe ist durchbohrt, damit in das Loch
die Enden der beiden Haken eintreten können und so den Kasten
verschließen '). Dann bringt man auf beiden jHälften der Platte
gegenüber den drei Einschnitten in den drei Scheiben -), die über-
einandergelegt sind, je eine, dreieckige, vorspringende Mandel an, die
an der Platte befestigt ist. Bewegt man die Platte nach der Seite der
Einschnitte und setzt die Mandel ein, so füllt sie die Einschnitte aus
und die Mandel des Stabes steht gleich mit einem Buchstaben der
obersten Scheibe und die Mandel der obersten Scheibe auf einem
Buchstaben der unter ihr befindlichen Scheibe und die Mandel der
unter ihr befindlichen Scheibe auf einem Buchstaben des Kreises auf
dem Deckel. So stellt man für alle drei Einschnitte (der Scheiben an
jedem der vier Kreise) eine Mandel her, bis die (Zahl der) 4 Mandeln
für die 12 Buchstaben voll ist. Die Köpfe der 4 Mandeln (an den
Stäben) und die 8 Scheiben liegen auf den 12 ausgewählten Buch-
staben. In diesem Fall ist der Riegel geöffnet.
Klar und offenbar ist also: Dreht man das Ohrgehänge in der
Mitte des Kastens nach rechts 3), so vereinigen sich die beiden Hälften
der Platte und die Enden der Haken treten in das Loch der Klappe
ein; dann ist das Schloß verschlossen. Man bewegt nun die Mandeln
von den Buchstaben fort, auf denen sie sich befanden. Dann ver-
drehen sich je die drei Scheiben übereinander. Zieht man nun an den
beiden Ohrgehängen an beiden Seiten des Deckels, so begegnen die
Mandeln (an den Plattenteilen) nicht den Einschnitten der Scheiben
und das Schloß öffnet sich nur dann, wenn man die Köpfe der Mandeln
auf die ursprünglichen Buchstaben bringt, so daß die Einschnitte
') Dieses Eintreten der Haken an den Plattenhälften in das Loch um Ende der
Klappe ist aus Fig. 30 a, insbesondere dem Schnitt A — B, zu ersehen.
2) Diese Ortsbestimmung ist nicht streng logisch, da man die drei Einschnitte natür-
lich an jeder beliebigen Stelle des Kreises zur Deckung bringen kann. Die Mandeln müssen,
wie dies auch die Fig. 30 zeigt, sich auf Linien befinden, welche parallel zu der Längsseite
des Deckels (der Verschiebungsrichtung der beiden Plattenteile) durch die Kreismittel-
punkte gelegt sind. Hinsichtlich der Gestalt dieser Mandeln vgl. auch die Fig. 29 a. Es
waren kleine Säulen mit mandelförmigem Querschnitt. Wegen dieser Querschnittsform
gibt Gazarl dem ganzen Konstruktionsteil den Namen »Mandeln«. Es ist dies eine
Gepflogenheit, die bei arabischen Schriftstellern öfters beobachtet werden kann, daß
irgendein Konstruktionsteil oder eine ganze Vorrichtung nach einem Teil oder der Form
eines Teiles benannt wird. Vgl. z. B. die weiter oben erläuterte Bezeichnung des Vor-
reibers mit »faras«.
3) Wie die Fig. 30 zeigt, muß sich bei der beschriebenen Bewegung von unten
gesehen die Rolle mit den Zähnen nach rechts drehen. Das Ohrgehänge, welches sich auf
der Oberseite des Deckels befindet, ist also hierzu nach links zu drehen.
Islam XI. j^
^,r, E. Wiedemann und F. Haus er,
wieder einander gegenüber stehen. Zieht man dann an den Ohrge-
hängen, so treten die vier Mandeln, die auf den beiden Platten(teilen)
angebracht sind, in die Einschnitte, so daß das Schloß sich öffnen läßt.
Das ist, was wir deutlich klarmachen wollten.
Ich beschreibe jetzt, was ich hergestellt habe, es sind Riegel
[galaq] auf einer Türe.
2. Da die vorstehende Beschreibung des Kastenschlosses durch Gazari trotz ihrer
Ausführlichkeit dem Verständnis gewisse Schwierigkeiten bereitet, was auf die Kom-
pliziertheit der Konstruktion zurückzuführen sein mag, sei der Inhalt des Kapitels in
folgendem wiedergegeben:
Für einen Kasten sollte ein Schloß gefertigt werden, zu dessen Öffnung die Ein-
stellung von 12 Buchstaben nötig war, welche sich auf vier gleich konstruierte Sperr-
vorrichtungen verteilten.
Der Deckel des Kastens, welcher einen einige Zentimeter breiten, senkrechten Rand
besaß, dürfte auf der einen Längsseite des Kastens mit Scharnieren aufklappbar befestigt
gewesen sein. Auf der gegenüberliegenden Seite des Kastens befand sich ein Klappen-
verschluß (Fig. 30 a). Das umgebogene Ende {e) der Klappe {k), welche mittels ihrer
»Schwester« (5) drehbar an der Kastenwand (w) saß, wurde durch einen Spalt im Rande (r)
des Deckels {d) eingeführt. Das umgebogene Klappenende war durchbohrt und wurde
nach Sperrung des Schlosses von zwei Haken {q, es waren Ansätze von hakenförmigem
Grundriß) festgehalten, welche sich an den Hälften (a und h) einer auseinandergeschnitte-
nen Platte befanden (vgl. Fig. 30), die im Deckelinnern der Länge nach verschiebbar an-
gebracht waren und jedenfalls durch am Deckelrande angebrachte Leisten geführt wurden.
Die Sperrung erfolgte in der Weise, daß die beiden Plattenhälften, welche bei geöffnetem
Schloß so weit auseinandergezogen waren, daß das durchbohrte Klappenende zwischen
die beiden Haken {q) treten konnte, nach dem Einsetzen der Klappe zusammengeschoben
wurden. Dieses Zusammenschieben erfolgte mittels einer drehbaren Handhabe von der
Gestalt eines Ohrgehänges (Gazari bezeichnet sie kurz als Ohrgehänge), die außen auf
der Mitte des Deckels sich befand (Fig. 27). Sie saß auf einem Stab von kreisförmigem
Querschnitt, der durch eine kreisrunde Öffnung im Deckel und durch entsprechende Aus-
schnitte in den Rändern der Plattenhälften in das Deckelinnere bis unter die Platte ging.
Hier war er vierkantig und trug eine von einem Vorreiber festgehaltene Rolle mit vier
Zähnen (s, e, j iind m in Fig. 30). Zwischen den Zähnen z und e sowie ; und m (bei den
letzteren in Fig. 30 nicht ganz richtig gezeichnet; vgl. die entsprechende Anmerkung) saßen
auf den Plattenhälften Qi und a) je zwei Stifte {k und /). Drehte man das Ohr-
gehänge auf der Deckelmitte nach links, so wurden, wie aus der Fig. 30 ohne weiteres
ersichtlich ist, durch die Wirkung der Rollenzähne auf die Stifte an den Plattenhälften
diese zusammengeschoben. Drehte man nach rechts, so wurden sie auseinandergeschoben.
Um von dem Druck der Rollenzähne eine möglichst große Komponente in der Längs-
richtung des Deckels zu bekommen, wurde der Schnitt durch die Platte in der Mitte schräg
gelegt. Zum .\useinanderziehen der Plattenhälften dienten außerdem noch zwei »Ohr-
gehänge« an den Schmalseiten des Deckels, die an Stäben {s, Fig.^30) saßen, welche durch
Vorreiber in den Ösen (« und o, Fig. 30) an den Plattenhälften befestigt waren. Zur Ver-
sperrung des Schlosses diente folgende Anordnung: f
Auf dem Deckel wurden 4 Kreise gezeichnet (Fig. 17). Konzentrisch zu diesen
wurden kleinere gezogen. Die Zwischenräume zwischen beiden Kreisen wurden jeweils
in 16 Teile geteilt und in jeden Teil je ein Buchstabe geschrieben. Die innerhalb der kleine-
ren Kreise gelegenen Stücke wurden ausgeschnitten. In jedem der dadurch entstehenden
über eine Palasttüre und Schlösser nach al-Gazarl.
243
vier kreisrunden Löcher befand sich dieselbe Sperrvorrichtung, die vorwiegend an Hand
der von uns beigegebenen Rekonstruktion (Fig, 29 a) erläutert'sei:
In dem kreisrunden Loch des Deckels {d) saß eine Scheibe (5,), die durch einen auf-
gelöteten mandelförmigen Zeiger (;«,) und den Schnabel eines als Handhabe dienenden
\^ogelkopfes (t>) geführt wurde. Auf der Oberfläche der Scheibe war ein Kreis gezogen;
zwischen ihm und dem Scheibenrand standen wieder 16 Buchstaben (s. auch Fig. 18).
Der innerhalb des Buchstabenringes befindliche Teil der Scheibe wurde ausgeschnitten, in
das dadurch entstandene kreisförmige Loch wurde ein Zylinder (s,, Fig. 29 a; vgl. auch
Fig. 19) eingelötet. In das untere Ende des Zylinders (zi) waren entsprechend der Lage
der Buchstaben aui dem Rand der Scheibe (51) 1,6 Kerben (A', , vgl. auch Fig. 23) einge-
schnitten. Der Zylinder (fe,) war so lang, daß er durch einen entsprechenden Schlitz in
der Platte (/?, vgl. auch Fig. 26) — dieser mußte so lang sein, daß er die zum Öffnen und
V'^erschließen nötige Längsbewegung der betreffenden Plattenhälfte gestattete — so weit
nach unten ging, daß die Einkerbungen vollständig auf der Unterseite der Platte (p) lagen.
Dann wurde eine durchbohrte Scheibe (53, vgl. auch Fig. 24) über das untere, gekerbte
Zylinderende geschoben, in deren Durchbohrung sich ein Zahn (wt) befand, mit dem sie
sich in eine der Einkerbungen des Zylinders unverrückbar einsetzte. Gegenüber dem
Zahn («i) befand sich in dem Außenrand der Scheibe (jj) eine dreieckige Einkerbung {ei).
Auf der Scheibe (si) lag eine Scheibe (52), deren Durchmesser dem Lochdurchmesser
der Scheibe {si) gleich war. Die Scheibe {s^) hatte ^ebenfalls einen Buchstabenrand und an
diesem einen mandelförmigen Zeiger (wi) sowie diesem gegenüber einen als Handhabe
dienenden Knopf (o). In der Mitte hatte die Scheibe ein kreisrundes Loch (c, Fig. 20).
In dieses war ein Zylinder (s^, Fig. 29 a\ vgl. auch Fig. 21) eingelötet. Dieser setzte sich
drehbar in den Zylinder (s,) ein und ragte über diesen nach unten um ein der Dicke der
Scheibe (53) entsprechendes Stück hervor. In dieses Stück waren 16 Einkerbungen (^2)
geschnitten, die in ihrer Lage den Buchstaben auf der Scheibe (52) entsprachen. Über
das Ende des Zylinders {^^) schob sich eine durchbohrte Scheibe (54), die mittels des Zahnes
(«2) auf ihm festsaß. Gegenüber diesem Zahn befand sich in der Scheibe eine Ein-
kerbung (^2). •
In die Durchbohrung des Zylinders {z^) setzte sich ein Stab {b) ein, der an seinem
oberen Ende zur Führung sowie als Handhabe und Zeiger die Mandel {m-^) trug. Über
<las untere Ende des Stabes (b) war eine durchbohrte Scheibe- (.S5) geschoben, welche einen
Kreis von 16 — den Buchstaben der Scheibe (52) entsprechenden — Löchern (vgl. Fig. 25)
besaß. Gegenüber von einem dieser Löcher befand sich in dem Scheibenrand die Ein-
kerbung (gj). Unterhalb der Scheibe (55) war der^Stab (b) vierkantig. Es befand sich hier
auf ihm noch eine Scheibe (äö), welche einen Stift (j) trug, den man in eines der 16 Löcher
der Scheibe (55) einsetzen konnte. Dadurch wurde die Scheibe (55) unverdrehbar mit
dem Stab {b) verbunden. Zusammengehalten wurde die ganze Vorrichtung durch den
V'orreiber (r), der sich in einen Schlitz im unteren Ende des Stabes (b) einsetzte. Da die
Scheibe (53) größeren Durchmesser als der Zylinder (^i) hatte und damit auch breiter als
der Schlitz in der Platte (/>) war, so wurde hiedurch zugleich die Vorrichtung in dem
Deckel festgehalten.
An den der Deckelmitte zugekehrten Enden der Schlitze für die vier Sperrvor-
richtungen waren nun auf der Platte bzw. deren beiden Hälften (a und h; vgl. Fig. 30)
kleine Säulen (a, Fig. 29 a und 30) mit mandelförmigem Querschnitt (daher von Gazarl
»Mandeln« genannt) befestigt, deren dem betreffenden Schlitz zugekehrte Seite genau
die Form der einander gleichen Einkerbungen ei, ci und e^ hatte. Diese Säulchen waren
so angebracht, daß man die Plattenhälften nur dann auseinanderziehen — also das Schloß
nur dann öffnen — konnte, wenn die drei erwähnten Einkerbungen ihnen genau gegenüber-
16*
2AA E. Wiedemann und F. Haus er,
standen. Hiezu mußte die Spitze der Mandel (lu.) auf einem bestimmten Buchstaben
des Buchstabenringes auf dem Deckel stehen, die Spitze der Mandel (m^) auf einem be-
stimmten Buchstaben des Buchstabenringes der Scheibe (5,) und die Spitze der Mandel
(m.) auf einem bestimmten Buchstaben des Buchstabehringes der Scheibe (sz). Die Figur
29 a ist so gezeichnet, als hätten sich die drei Mandelspitzen alle in einer Ebene und genau
gegenüber den Einschnitten (e^, e^ und e^) befunden. Dies ist nur aus zeichnerischen
Gründen geschehen. Die Wahl der zum Öffnen nötigen Buchstaben hing, wie ohne weiteres
klar ist, davon ab, in welche Einkerbungen an den betreffenden ZyHndern man die Zähne
(wi und »j) und in welches Loch der Scheibe (55) man den Stift (z) gesetzt hatte. Im all-
gemeinen wird man diese Stellungen so gewählt haben, daß nicht bereits dje geometrische
Konstellation der Mandeln Anhaltspunkte zum Öffnen des Schlosses bot. Auch wählte
man für die vier Sperrvorrichtungen vier verschiedene Kombinationen. Man mußte
demnach für jede der vier Sperrvorrichtungen die drei Mandeln auf bestimmte Buchstaben
einstellen, das waren im ganzen 12 Buchstaben, ehe man das Schloß öffnen konnte. Eine
weitere Sicherungsmöghchkeit bestand darin, daß der Besitzer des Kastens diese 12 Buch-
staben immer von neuem nach Belieben ändern konnte. Er brauchte hiezu nur an jeder
der vier Sperrvorrichtungen die drei Scheiben Sj, 54 und s-^ abzunehmen und in anderer
Lage wieder anzubringen. (Gazari erwähnt von dieser Möghchkeit nichts, sie dürfte
ihm jedoch gegenwärtig gewesen sein.)
Wir haben demnach in diesem Schloß eine äußerst sinnreiche Vorrichtung vor uns..
Schlösser, bei denen Buchstabenringe zur Sicherung dienten, waren in späterer Zeit
im westlichen Europa zum Verschluß von Türen im Gebrauch. Bei diesen Schlössern
waren Buchstabenringe längs der Achse des Schlüsselloches angeordnet, welche in eine
bestimmte Lage gebracht werden mußten, damit man den Schlüssel einführen konnte.
Diese Schlösser mit Buchstabenringen, durch deren Umstellung) man viele Stellungen der
inneren Zuhaltungen erreicht, gelten nach F. M. Feldhaus, a. a. 0. Spalte 969, für eine
Erfindung des 16. Jahrhunderts. Jedoch fand Feldhaus diese Art schon bei dem ItaUener
Fontana um 1420 in seiner Bilderhandschrift zweimal. Wir sehen, daß der Gedanke
der Sicherung von Schlössern — allerdings anderer Bauart und anderer Zweckbestim-
mung — bereits zwei Jahrhunderte (Gazari lebte um das Jahr 1200) und wohl noch längere
Zeit vorher den MusHmen vertraut war.
IV. Schloß mit vier Riegeln für eine Türe.
Viertes Kapitel des sechsten Gebietes.
Es handelt von: vier Riegeln auf der Rückseite einer
Türe.
Es zerfällt in zwei Abschnitte.
Erster Abschnitt .
Ich beschreibe, was ich gemacht habe, nämlich die
Gestalt der Riegel und wie sie in Tätigkeit treten.
Es sind vier Riegel aus Holz oder Eisen auf dem Rücken einer
Türe, sie sind nach den vier Seiten, aber verschieden gerichtet. Sie
werden durch einen SchRissel vorgeschoben und geöffnet. Ein Riegel
öffnet nach rechts, einer nach links, einer nach oben und einer nach
unten. In den vier Riegeln ist keine Stelle, in die ein Bösartiger {/äri/i}
über eine Palasttüre und Schlösser nach al-dazari.
245
•eindringen kann. Ist der Schlüssel aus der (jffnung herausgenommen,
in die er sich einsetzt, um 7ai öffnen und die Riegel vorzuschieben, so
ist niemand imstande, das, was mit dem Verriegeln bezweckt wird,
zu erreichen und die Riegel mit der Hand nach oben oder unten oder
rechts oder links zu bewegen; sie können dann nicht bewegt werden,
weder zum Verriegeln noch zum Offnen. Das Einzige, womit man sie
bewegen kann, ist der Schlüssel. ]
Art der Herstellung. Man fertigt zwei Riegel aus Holz, die
ein klein wenig kürzer sind, als die Türe breit ist, und zwei Riegel, die
ein klein wenig kürzer sind, als die Türe lang ist ^). Die beiden Riegel
für die Breite der Türe haben quadratischen Querschnitt. Auf einem
Drittel der Länge (der letzteren) bringt man ein. Zeichen an und ebenso
im Abstand von 2 zusammengelegten Fingern von seinem Ende. Die
Dicke dieses Riegels machen wir zu 4 zusammengelegten Fingern.
Fisr.
Fig- 32.
An den Zeichen machen wir zwei Einschnitte bis zur iTälfte der Dicke
des Riegels. Dann schneiden wir das, was sich zwischen den beiden
Zeichen befindet, von dem Riegel fort, damit er zurückkehrt ^). Dieses
ist die Figur (Fig. 31). Ebenso verfährt man mit dem anderen (Quer-)
Riegel. Die anderen langen Riegel (d. h. die Längsriegel) macht man
2 zusammengelegte Finger dick und 4 zusammengelegte Finger breit.
In die eine Seite, es ist die der Dicke entsprechende, machen wir Ein-
schnitte, sie bilden dreieckige Zähne, und zwar etwa 10. Das ist das
Bild des einen (Längs-) Riegels (Fig. 32) 3). Den anderen stellen wir
ebenso her. Dann machen wir einen Klotz [libna) aus Holz, er heißt
') Diese Maßangabe ist ungenau. Sie bedeutet nicht, daß die Länge der einzelnen
Riegel der Breite oder Höhe der Türe entsprochen habe. Die Riegel waren vielmehr so
lang, daß sie, wenn das Schloß aufgesperrt war, von dem Schloß aus bis nahe an die ihnen
zukommenden Enden der Türe reichten. Wie lang die einzelnen Riegel dann waren,
richtete sich nach der Lage des Schlosses auf der Türe.
-) Dies bedeutet wohl, damit eine zurücktretende, vertiefte Stelle entsteht.
3) Die Verzahnung ist hier im Verhältnis zur Riegcllänge zu lang gezeichnet, ebenso
wie der Ausschnitt des Querriegels in Fig. 31.
246
E. Wiedemann und F. Haus er,
al-qaflr (Korb), er ist 4 Finger dick ^), in ihn graben wir Rinnen [nahv)^
in die die Riegel in entgegengesetzter Richtung sich einsetzen. Dies
ist die Figur (Fig. 33). Auf den Stellen für die langen Riegel steht
(in Fig. 34) q m und auf denen für die kurzen a ö^). Diese liegen über
Fig- 33-
r
=
1
*• 1
1
c
i r 1
rfp
L
= — =
J
Fig- 34-
den langen 3), damit die kurzen Riegel, falls sie auf den langen aufliegen,,
mit der Fläche des Klotzes gleichstehen. Die Fläche des Klotzes ist
jedoch ein klein wenig höher 4). Die Zähne der Riegel sind nach dem
Mittelpunkt des KJotzes gerichtet. Dies ist ein Bild der 4 Riegel in
dem Klotz, und zwar an den von dem Klotze fortgenommenen Stellen
(Fig- 34)-
Zweiter Abschnitt.
Über die Beschaffenheit der Rolle [bakra], die die
Riegel öffnet und schließt.
Man macht aus gegossenem Messing eine Rolle ohne Rille und
kerbt auf ihrem Umfang dreieckige Zähne mit der Feile ein, deren
Abstand gleich demjenigen der Zähne eines der Riegel ist. Die Dicke
der Rolle sei gleich derjenigen von zwei Riegeln, nämlich vier zu-
■) Es ist nicht möglich, daß dieses Maß nur 4 zusammengelegte Finger (8 cm) be-
tragen hat, da ja der Querriegel innerhalb des Klotzes bereits diese Höhe hatte. Wir-
müssen also annehmen, daß es sich hier um vier geöffnete Finger (vgl. hierzu: Uhren,
S. 47) oder um die Entfernung von Zeigefinger zu kleinem Finger bei ausgespreizten.
Fingern, also um eine Strecke von rund 15 öm handelte.
2) Der Klotz ist also gegenüber der Lage, die er später auf der Türe einnimmt, um
90 Grad gedreht. Dasselbe gilt von der späteren Fig. 36.
3) Es ist dies nicht richtig dargestellt. Nach der Zeichnung würde jeder Riegel
an dem einen Ende unter dem einen ihn kreuzenden und an dem andern Ende über dem
andern ihn kreuzenden Riegel liegen. Eine im wesentlichen richtige Darstellung gibt
Fig. 36. Das »über« ist von der Seite des Klotzes (also der Rückseite der Zeichnung)'
her zu verstehen. Die langen Riegel liegen später unmittelbar auf der Rückseite der Türe..
4) Damit die Riegel ein klein wenig Spielraum haben.
über eine Palasttüre und Schlösser nach al-(",azari. 247
sammengclegte Finger. Man bohrt in die Mitte der Rolle ein mittel-
großes Loch; um dieses Loch befindet si<:h (auf der einen Seite der
Rolle) ein kurzer Zylinder. In die Seite dieses Loches schneidet man
der Länge nach einen kleinen Schlitz. Auf der einen Seite der Rolle
befindet sich ein Fortsatz, ähnlich einer anderen Rolle von kleinerem
Umfang. Ihre Dicke ist 1/, Fingerdicke. Ihren Umfang versehen wir
mit Zähnen wie in der Figur; das ist das Bild der Rolle (Fig. 35). x\uf
ihrem Umfang befinden sich Zähne {b) '). Die Zähne auf der kleinen
Rolle sind a^), und auf dem Loch, in dem sich der Schlitz befindet,
steht g 0- Legt man die (große) Rolle in die Mitte des Klotzes zwischen
die vier Riegel mit Zähnen ^), so treten die Zähne zwischen die Zähne
der vier Riegel. Nun setzt man in das Loch der Rolle einen Schlüssel,
es ist ein runder Stab mit einem feinen Ansatz [sagija). Er erstreckt
sich der Länge nach so lang wie die Dicke der Rolle; so daß er den
feinen Schlitz am Loch der Rolle ausfüllt. Man dreht den Schlüssel,
dann dreht sich die Rolle und stößt jeden Riegel
nach einer der vier Seiten. Für die Zähne auf
der kleinen Rolle am Boden des Klotzes bringt
man eine Arretierung {misqäs) aus Eisen an; es
ist eine fein zugeschärfte {muraqqaq) Spitze [sa-
aija), die wie ein Bogen gekrümmt ist. An (ihrem)
einen Ende befindet sich ein Loch; durch dieses
nagelt man einen Nagel in den Boden des Fig. 35.
Klotzes. Das andere Ende der Arretierung ist
zwischen die Zähne der kleinen Rolle eingesetzt. Llinter der Arre-
tierung befindet sich ein Spalt 3). Wird die Arretierung nach rück-
wärts gestoßen, so entfernt sie sich aus ihrer Lage und ihr Ende
tritt aus dem Zwischenraum zwischen den Zähnen heraus. In der Mitte
der Arretierung befindet sich ein Loch, in das das Ende des Schlüssels
eintritt und sie von den Zähnen entfernt 4), sie dreht sich dann und dann
') Die Buchstaben fehlen in der Fig. 35; sie wurden von uns ergänzt.
=) Bisher war nur von der Verzahnung der Längsriegel die Rede. Die Verzahnung
der Querriegel befand sich an der Schmalseite des stehengebliebenen Mittelstücks.
3) Es dürfte sich hier um einen Spalt handeln, der zur seitlichen Führung der Ar-
retierung diente. In ihm befand sich dann das festgenagelte Ende der letzteren. Eine
derartige Führung war nötig, da sonst die Arretierung bei unbefugten Sperrversuchen
seitlich hätte ausweichen können.
4) Damit bei dem Zurückbiegen der Arretierung keine Klemmung eintrat, mußte
dieses Loch einen etwas größeren Durchmesser besitzen als das Ende des Schlüssels,
welches in 'es eindrang, und mußte sein Mittelpunkt gegenüber dem Mittelpunkt des
Schlüsselloches etwas nach dem festen Ende der Arretierung zu verschoben sein. Vgl.
Fig. 36 a.
248
E. Wiedemann und F. Haus er,
I I
dreht sich das Rad. Das ist ein Bild (Fig. 36) der Arretierung und des
Schlüssels und der Rolle zwischen den Riegeln in der Mitte des Klotzes :
auf den erhöhten Stellen des Klotzes steht b,
auf den beiden langen Riegeln gw^),
auf den beiden kurzen Riegeln d.z^),
auf der Rolle ze;^)^
auf der Arretierung, die getrennt dargestellt ist e,
auf dem Schlüssel a.
Klar und offenbar ist also :
I I Setzt man den Schlüssel
in das Loch der Rolle
und dreht nach rechts, so
wird der Riegel g nach g
zu, m nach m zu, s nach
G zu und d nach d zu ge-
stoßen und die vier Riegel
werden vorgeschoben. Ge-
öffnet wird durch die ent -
gegengesetzte Bewegung.
Um das Ganze fertigzu-
stellen, macht man in die
vier Ecken des Klotzes
Löcher. Ferner macht man
in die Rückseite der Türe
ein Loch, in das sich der
auf der Rolle angebrachte
Zylinder einsetzt, es ist
auch so lang wie dieser.
Dies Loch vollendet man mit dem Bohrer, indem man ein Loch
von kleinerem Durchmesser als das erste bohrt, um den Schlüssel
einzuführen; es geht bis auf die Oberfläche der Türe 3). Man legt
I) Diese Buchstaben fehlen in dex Figur; sie wurden von uns entsprechend nach-
getragen. Die Verzahnung des Riegels (s) ist versehentlich über den Riegel (m) gezeichnet.
Aus welchem Grunde die Enden der Riegel umgebogen gezeichnet sind, ist aus dem Text
nicht ersichtlich. Vermutlich handelte es sich hier um Ansätze oder dergleichen, welche
verhüten sollten, daß man das Schloß so weit drehte, daß die Zähne der Rolle auf den
unbezahnten Teil der Riegel übergriffen und dadurch beschädigt würden. Die zum
Sperren der Türe gehörenden Enden der Riegel mußten sich jedoch über diese Ansätze
hinaus erstrecken. Ihre Lage wurde von uns durch gestrichelte Linien in Fig. 36 an-
gedeutet.
*) Die Rolle ist versehentlich viereckig gezeichnet.
3) An das Loch, in dem sich der Zylinder befindet und das nicht bis an die Türober-
Fig. 36.
über eine Palasttüre und Schlüsser nach al-CJazarl.
249
•die Riegel und (auf ihncnj den Klotz auf die Rückseite der Türe
und nagelt den Klotz durch vier feste Nägel auf ^j,
fläche reicht, schließt eines von kleinerem Durchmesser an, das bis an die Türoberfläche
hindurchgeht und so das erstere »vollendet«.
0 l'^'g- 36 stellt also das Schloß von der Türseite her dar. Die schematische Re-
konstruktion in Fig. 36 a gibt zur Ergänzung einen Schnitt parallel zur Längsseite der
l'üre. Bemerkenswert ist, daß nach der Anordnung der Fig. 36 der Schlitz für den
Schlüsselbart sich nicht senkrecht nach unten (wie bei unseren Schlössern), sondern wage-
recht nach der Seite ansetzt.
In P'ig. 36 a ist:
t die Türe, auf deren Rückseite die SchHeßvorrichtung angebracht ist;
h der auf der Rückseite der Türe befestigte Klotz, in welchem sich die Schließ-
vorrichtung befindet;
d der obere Querriegel;
z der untere Querriegel;
g der — von der Vorderseite der Türe
gesehen — rechte Längsriegel;
w die gezahnte Rolle, welche zur Be-
wegung der Riegel dient;
i der an der einen Seite der Rolle
befestigte Zylinder, welcher sich in
ein entsprechendes Loch in der
Rückseite der Türe drehbar einsetzt;
l das zum Einsetzen des Schlüssels
dienende kleine Locli in der Türe;
rechts von der Hauptzeichnung ist
gesondert eine Ansicht dieses Loches
gezeichnet. Man sieht in ihm das
Loch mit dem seitlichen Schlitz.
welches die Rolle (w) und ihren \ — |_
Zylinder (%) durchsetzt, sowie die
kreisrunde Durchbohrung des Sperr-
rades (5, s. w. u.) und das Loch in
der Arretierung (<% s. w. u.), in das
sich ein Ansatz am Schlüsselende setzt, wenn die Arretierung mit dem
Schlüssel zurückgedrückt wird;
e die Arretierung, welche mit ihrem einen Ende im Klotz festgenagelt ist;
5 . die kleine, auf der Rückseite der Rolle (70) befestigte verzahnte Rolle, in deren
Verzahnung die Arretierung eintritt;
p der Spalt hinter der Arretierung; dieser muß in der Mitte noch eine kleine
Vertiefung haben für das Ende des Ansatzes am Schlüssel, der sich in das
Loch der Arretierung einsetzte;
ü das gesondert gezeichnete Ende des Schlüssels, soweit er sich in die Türe ein-
setzte. Der Bart ist gegenüber dem Schloß um 90 Grad (in die Zeichenebene
herein) gedreht.
Die Wirkungsweise 'des Schlosses ist aus der — wie in der Regel bei allen einfacheren
'Vorrichtungen — sehr kTaren und dabei nicht weitschweifigen Darstellung (jazarl's ohne
weiteres ersichtlich.
a
Fig. 36 a.
2^0
E. W i e d e ni a n n und F. H a u s e r ,
Das ist, \vas wir deutlich klarmachen wollten.
. Hieran schließen sich die Worte :
»Ich will jetzt beschreiben, was ich hergestellt habe; es ist ein
zierlicher Kahn, aus dem man den Ablauf der gleichmäßigen (=,Äqui-
noktial-) Stunden kennen lernt.«
Dieses Kapitel ist das 50. Kapitel des ganzen Werkes von Gazari.
Wir haben es Nova Acta, Abhandlungen der Kaiserl. Leop.-Carol.
Deutschen Akademie der Naturforscher, Bd. C, Nr. 5, Seite 165 ver-
öffentlicht.
Fig. 37-
Nach Daremberg et Saglio. Dictionnaire des Antiqiiites'grecques et romaines, Bd. IV.,
2, S. 1245, ist es nicht unmöglich, daß man bereits im Altertum Vorrichtungen besaß,
bei denen zwei Riegel, ein horizontaler und ein vertikaler, mit demselben Schlüssel bewegt
wurden. Dieses System habe sich an den Türen der Kirche der Heiligen Cosmus und
Damianus in Rom erhalten. Ein Zahnrad, das man mit einem Schlüssel drehte, bewegte •
zugleich einen Schloßriegel und einen Stangenriegel.
über eine Palasttüre und Schlösser nach al-Gazari. 25 L
V. Anhang.
Im Anschluß an die vorstehende Veröffentlichung des Restes von
Gazari's Werk sei eine Miniatur zeichnerisch wiedergegeben (Fig. 37),
welche Herr Professor Würschmidt in Konstantinopel fand und uns
freundlicherweise zur Verfügung stellte.
Diese Miniatur stellt augenscheinlich in künstlerischer Aus-
schmückung eine von Gazari beschriebene Kahnuhr (vgl. E. Wiede-
MANN und F. Hauser, Über die Uhren im Bereich der islamischeiv
Kultur, a. a. 0. 5. 107) mit einem Gebäude und — jedenfalls die Uhr
betrachtenden — menschlichen Figuren im Hintergrunde dar. Die
Unterschiede, welche die Uhr selbst gegenüber der Darstellung Ga-
zari's aufweist, sind nur gering und dürften auf Beschädigung der Vor-
lage bzw. Versehen des Künstlers zurückzuführen sein: die auf "dem
Podium unterhalb des Drachens sitzende Figur mit dem Schreibstift fehlt
in der Miniatur, der Aufbau des Kahnes zeigt nicht nur an der dem Drachen
zugekehrten Seite, sondern auch an der Rückseite die Gestalt eines Vogels-
Zum Schluß ist es uns eine angenehme Pflicht, Herrn Professor
Hell in Erlangen, Herrn Professor Herzfeld in Berlin und Herrn
Professor Ritter in Hamburg für manchen freundlichen Wink,
bestens zu danken.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Verhältnis des Bab zu früheren Süfi-Lehrern.
I.
Professor E. G. Browne hat im JRAS. für 1889 p. 919 die Abhängigkeit mancher
Theorien des Gründers der Bäbi-Sekte von denen des ^luhjl al-dln ihn al-'Arabi
festgestellt (vgl. H. Roemer, Die Bäbi-Behä'l [Potsdam 1Q12] 25). Diese Abhängigkeit
erstreckt sich vornehmlich auf die tiefe Bedeutung, die beide mystische Schwärmer ge-
wissen Buchstaben und Zahlen, namentlich dem Buchstaben bä und den Zahlen 19 und 361
zueignen. Bäb hat den heiligen Charakter dieser Zahlen mit der Formel t --i:- Jo (deren
Zahlenwert 19 X 19 = 361 beträgt) in Verbindung gebracht, an die er in seinem persischen
Bajän die verwickeltesten mystischen Gedankenzüge knüpft. (Vgl. die Einleitung in Les
Mamiscrits persans de V Institut des Langues Orientales, decrits par le Baron V. Rosen
[St. Petersbourg 1886] p. 5, 16 — 21; 6, 1 ff.; Übersetzung in A. L. M. Nicolas, Seyyed
Ali Mohammed dit le Bab, Le Beyan persan I. [Paris 191 1] p- 12. 13.) Er beutet hiefür
die zahlreichen Stellen des Korans aus, in welchen der Ausdruck s- ^ J*3 in Verbindung
mit Aussagen von Gott angewandt ist, namentlich Sure 65. 12, welcher Vers den gesamten
Inhalt des Korans in sich schließe (Browne in seiner Übersicht über den pers. Bajän als
Anhang zur Ausgabe des K. Nukiat al-Käf [Gibb-Series XV] p. LXXXVI). Für die Be-
erdigung von Bekennern seiner Lehre verordnete Bäb. daß Ringe an die rechte Hand der
Verstorbenen gelegt werden mit (nach dem Geschlecht derselben verschiedenen) Inschriften.
als deren Texte von ihm angegebene p ^^ J^j^-Verse verwandt werden (bei Browne ibid.
p. LXXXVIin. Auch ein Werk hatte der Stifter verfaßt u. d. T. ^^ }S ^'U^\
(Browne in JRAS. 1892 p. 494 und desselben Materials for tbe Study of the Bdhi Religion
[Cambridge 1918] p. 206); handschriftlich vorhanden ina Brit. Mus. Or. 5487 — 5490. 5869.
6255 (verschiedene Teile). — Bekanntlich heißen die spärlichen Anhänger der ursprüng-
lichen BäbT-Lehre, die weder nach der einen noch der anderen Seite an der nach dem
Tod des Stifters hervorgetretenen Fortentwicklung derselben und an den im Zusammen-
hang damit eingetretenen Parteispaltungen (ob Behä'i oder Ezeli, 'Abbäs Efendi
oder Muhammed 'Ali) teilnehmen und wohl auch ^om raschen Erscheinen des man
juzhiruhu AUäh nichts wissen wollen: Kull-Sefi d. h. konservative Bekenner des Bajän
(Browne, JRAS. 1909 p. 307, Materials etc. p. 14S. 233).
Es ist mir nicht bekannt, doch halte ich es für wahrscheinlich, daß auch bereits Ibn
al-'ArabI die Bedeutung der obenerwähnten Zahlen an die Gematria der Phrase ^ ^ J^
anlehnt. Als charakteristisch für die mystische Wichtigkeit, die er derselben zuzueignen
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 253*
scheint, kann vor allem auch der häufige Gebrauch gelten, den er in den Futükäi von dem zu-
weilen als solchen nicht erkannten (vgl. ZDMG. 85, 401) Abu-]-'Atähi ja-Vers') J^ ^ß^»
^il '\j\ ».J s^ ^ (Ag. III 143, 9) macht (M. Asin Palacios, Ahenmasarra y sii Escuela
Madrid 19 14] 119)-
Ferner besitzen wir jetzt noch ein deutlicheres Zeichen für die Stelle, die Kuli sef
in der Lehre der früheren islamischen Mystik einnimmt, der sich Ibn al-'Arabi auch
in diesem Fall angeschlossen haben wird. In dem jüngst durch H. S. Nyberg in seiner
trefQichen Upsalaer Dissertation edierten Kitäb \al-tadbirät al-ilähijja ß isläh al-mamlakal
al-insänijja (Kleinere Schriften des Ibn al-'ArabI [Leiden 1919] p. 1031?.), in welchem
sich I. al-'A. mit den Deutungen beschäftigt, die verschiedene Mystiker dem koranischen
Begriff des in die Welt gesetzten »Chalifa Gottes« geben, erwähnt er (p. 125 der Texte)
auch die des Abu-1-Hakim ibn Barragän. Dieser versteht darunter »den in Sure 36, 11
genannten imäm niubln, womit das lauh ma/ifüz gemeint sei, von dem die Bezeichnung als
Kuli sef gebraucht wird im Koranvers 7, 142: ,Wir schrieben für ihn auf die Tafeln von
allem Ding (<:■ ^ Jj' q./o) Ermahnung und Entscheidung für alles Ding {f-^c^ lK^J)« "•
damit sei die »wohlbewahrte Tafel« gemeint. Dies ist der Beweis des Abu-1-Hakim
dafür, daß sie Kuli sef genannt wird. Was ihn darauf geführt hat, ist der Koranvers
(36, li): »Und alles Ding (s-, -^ d-^^) haben wir aufgezählt in einem deutlichen imäm
(Prototyp) usw.«
Ibn al-*Arabi schließt dies Zitat mit der Aufforderung, daß »der Leser darüber
nachdenken und über dessen Wahrheit forschen möge«.
Wir wissen jetzt durch M. Asin Palacios, daß die- Spekulation des I. al-*A. unter
dem Einfluß der Lehren des Ibn Barragän stand. Für sein Verhältnis zu ihm kann auch
die eben angeführte Stelle als Beleg dienen. Von hier aus wird er sich wohl die Kull-Sef-
Theorie angeeignet haben. Auch die aus diesem Ausdruck deduzierte Zahlenmystik wird
wohl auf I. B. zurückgehen, den man ja als Künstler des Zahltn-tstichräg bewundert hat
(ZDMG. 68, 54S f.).
Schließlich kann in diesem Zusammenhang darauf geachtet werden, daß bereits
Ibn Sinä den Kull-Sef-^Qgriü in mystischer Weise verwendet. In seinem Send-
schreiben an Abu Sa'Id b. abi-1-Chejr (das mir nur aus Keskül [Büläk 1288] 355 AT. zu-
gänglich ist) sagt er: ^^'^-*^ '»^^ j-f)^ (l5^^^ O^iCUJ!) »^Ls ^\ Jiu^öl 5öLs
s.^Jj^ J.XJ t^,ü JjCj ^i^j yl-b ^\^ \iLs »^Li5 ^i (357, 7 V. u.).
IL
Auch die Idee eines nach dem Hingange des Bäb dereinst erstehenden man juzhi-
ruhu Allah ist in der früheren Mystik zu finden. Ohne eine ältere Belegstelle hiefür
anführen zu können, berufe ich mich nur auf 'Abdalwahhäb al-Sa*räni's Latffit al--
') Derselbe wird irrtümlich einmal auch dem Lcbid zugeschrieben; vgl. ed. Huber
Bkockelmann, Fragmente 18 v. 2 (vielleicht aus Verwechslung mit 41 v. 9 i-^e^ S^ ^')
An den Vers des Abu-l-'Atähi ja denkt wohl auch Bäb in der Einleitung zum persischen
Bajän mit den Worten: ^-^c^ J»^ ''*"*^ j-> l;^' Ä-S-JW ioi »0^/8,5 Ci^i ^^^
Kosen, ibid. 4, 6 v. u.).
^CA Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
minan (Kairo, matb. Mejmenijja 1321) II 88, 8: 'wsJt ^^ 'i.J>ji üöy>-_yD »JCÄJi ^,1
I. Goldziher.
Türkische Sittenpolizei im 16. Jahrhundert.
Im 9. Bande des Islam S. 2500. hatte ich auf die Wichtigkeit der von Ahmed Ref ik
-aus Stambuler Archiven unter dem Titel Istambol hajaty (Istambol 1333) veröffentlichten
reichen Urkundensammlung hingewiesen und bemerkt, daß ich später im einzelnen auf
das wertvolle kulturgeschichtliche Material zurückzukommen gedenke. Im 3. bis 5. Hefte
der »Deutschen Übersetzungen türkischer Urkunden« Habe ich seitdem (Kiel 1919/20) weitere
Urkunden aus dem Gebiete des Münzwesens, der Wirtschaftsgeschichte, des Bauwesens,
Kunstgewerbes usw. mitgeteilt. Diesmal möchte ich zunächst das kurze 4. Kapitel voll-
ständig übersetzen I). Wir gewinnen aus ihm ein Bild von der sittenpohzeilicheh Organi-
sation und ihren Betätigungen, deren moralischer Ernst nicht zu verkennen ist. In Kon-
stantinopel wurden in den einzelnen Mahallen, welche sich um die Hauptmoscheen ge-
bildet hatten, Ausschüsse gebildet, die aus Beamten der Moschee und sonstigen würdigen
Männern ihrer Gemeinde bestanden. In diesen Sitzungen wurde über die in der Mahalle
zur Kenntnis gelangte Unzucht ein. Protokoll aufgenommen. Die eingesandten Protokolle
sind leider bisher nicht zum Vorschein gekommen; sie waren ausführlicher als die kurzen
Antworten und diese bleiben, weil sie jene als bekannt voraussetzen, in Einzelheiten bis-
weilen unklar. Man ersieht jedoch aus den Antworten, daß man auf alle Formen der Un-
zucht ein wachsames Auge hatte z. B. auf Sklavinnenscheinverkauf, auf angebliche Wasch-
geschäfte, in denen junge Männer verkehrten, auf die Konditoreien in Ejjub, die als
Rendezvousorte dienten, selbst auf einsame Bootfahrten, wobei man freihch bisweilen
zu weit ging. Öffentliche Dirnen wurden zur Feststellung des Sachverhalts gerichtlich
zitiert; wenn sie sich nicht stellten, inspizierte man ihre Behausung und beantragte eventuell
ihre Ausweisung aus der Mahalle. Diejenigen, welche Dirnen heiraten, werden überhaupt
aus der Hauptstadt ausgewiesen. Man rechnet allerdings damit, daß selbst Moscheebeamte
die Dirnen zum zeitweiligen Verlassen der Mahalle während der Inspektion veranlassen.
Solche werden mit rücksichtsloser Bestrafung bedroht, in gleicher Weise die Mutewellis,
die Verwalter frommer Stiftungen, welche die zu den Stiftungen gehörenden Läden an
PseudoWäscherinnen vermieten. Die Inspektoren sind überhaupt beauftragt, die geist-
lichen Beamten auf Kenntnisse und Würdigkeit zu prüfen und eventuell ihre Absetzung
zu beantragen. Es wird sogar gelegentlich gegen alle vorgegangen, welche das rituelle
Gebet unterlassen, kam es doch zu jener Zeit sogar vor, daß man Frauen wegen Fasten-
bruchs ertränkte 2). Namentlich im heiligen Ejjub sollten zweifelhafte Vergnügungslokale
nicht geduldet werden, weil ihr Lärm den Gebetsruf übertöne und der Aufenthalt daselbst
vom Arbeiten und von Kuranvorlesungen abhalte.
Nr. 2 (S. 55—57).
An den Kadi zu Stambul ergeht die Weisung folgendermaßen: Zur Zeit habe ich
-den Befehl erlassen, die Dirnen, welche in den Stadtteilen unsererjHauptstadt Konstantinopel
wohnen, zu inspizieren, die Verhältnisse der Imame jedes Stadtteils und, wo Dschämi's
') Nr. I wurde mittlerweile bereits in Heft 4 der genannten Sammlung veröffentlicht.
^) Hammer, Geschichte des osman. Reichs IV S. 262.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 255
vorhanden sind ■), die von deren Chatibs und Imamen sowie der Muezzins zu prüfen und
diejenigen, welche laut Prüfung die für das Imam- und Chatib-Amt nach dem heiligen
Gesetz erforderliche Fähigkeit nicht besitzen, abzusetzen.
Ich befehle, daß man, wenn Piri — er nehme zu an Würde — von den Tschauschen
meines erhabenen Hofs mit meinem erlauchten Gebot eintrifft, ohne die geringste Verzöge-
rung und Nachlässigkeit in das Gotteshaus jedes Stadtteils, sei es ein Dschämi' oder ein
Mesdschid, gehe und Imam und Muezzins und Leute des Stadtteils versammele und sich
mit der größten Genauigkeit und Sorgfalt erkundige, ob in den Stadtteilen von Dirnen
oder sonstigem verdorbenen und lasterhaften Volk etwas vorhanden sei, sie vorzuführen,
die Dirnen zu arretieren und es zu melden.
Hierauf sollst du die Imame, Muezzins und anderen in irgend einer Weise ermahnen
und ihnen einschärfen, daß, wenn in ihren Stadtteilen eine derartige Dirne ist, sie kommen,
sie anzeigen und ausliefern; so, daß zur Zeit der Inspektion zuerst die Dirnen, welche ver-
schwinden und hernach wieder in ihre Stadtteile kommen, oder aber, die sie beschützen
und nicht anzeigen mögen, angezeigt werden und nie und nimmer, ob es Imame und Muez-
zins oder andere Leute des Stadtteils sind, die Entschuldigung eines einzigen angenommen
werde und du, in wessen Stadt es auch passiere, für sie die gebührende Beschimpfung und
Züchtigung zuerst für den Imam, dann für die Leute des Stadtteils feststehend weißt.
Demnach möge jeder aufpassen, und sie sollen sich vor Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit
in acht nehmen und keinen Augenblick versäumen, sei es bei Auslieferung der zur Zeit der
Nachforschung im Stadtteil befindlichen Dirnen, sei es bei der Ausheferung der später
kommenden.
Die Verhältnisse des Imams jedes Stadtteils sollst du, sowohl was Kuranwissen,
als auch was Religiosität und Redlichkeit anlangt, prüfen und die demnach nicht geeignet
sind, ein Vorbild für die Leute nach dem Gesetz abzugeben, absolut ohne Rücksichtnahme
aufschreiben und zur Anzeige bringen, damit sie abgesetzt werden. Alles in allem: du sollst
diese Angelegenheit nicht nach Weise der anderen Obhegenheiten ausführen, sondern auf
Grund meines Befehls dich in jeden Stadtteil begeben und sowohl die Zustände der Ge-
meinde, als auch seinen Imam und Muezzin gründlich prüfen und die Dirnen, die sich
zeigen, einsperren, danach, wieviel Dirnen eingesperrt sind und ob jede eine Einheimische
ist und Verwandte besitzt, im einzelnen buchen und die Imame, Muezzins und Prediger,
■deren Absetzung nötig ist, gleichfalls buchen und zur Kenntnis bringen. Hüte dich, daß
du jemand in Schutz nimmst.
Auch die im Stadtteil befindlichen Unterlasser ihrer Gebete laß festnehmen unji
ihnen die gesetzliche Züchtigung verabfolgen. Die Imame und Muezzins sollst du ermahnen,
damit du die Leute des Genusses, die auf schlechten Wegen sind, anzeigst.
(Wurde dem als Mubäschir [Amtsdiener] funktionierenden Piri Tschausch übergeben.)
Am 4. Safer 975 (= 10. Aug. 1567).
Nr. 3 (S. c;7).
An den Kadi von Stambul ergeht die Weisung folgendermaßen: Da uns zu Ohren
gekommen ist, daß einige Leute die Dirnen, welche zur Zeit der Inspektion arretiert und
eingesperrt wurden, zu heiraten willens sind, ordne ich an, daß du bei Eintreffen (dieses
Schreibens) diejenigen, welche Dirnen wie jene heiraten, verwarnst, daß sie nach der Ver-
ehehchung nicht in Stambul bleiben, sondern sie nach anderen Orten mitnehmen und
I) Nicht jeder Stadtteil hat ein Dschämi', aber es gab auch dort Imame, bei den
Mesdschids.
256 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
fortziehen, so daß, wenn nach der Verwarnung jenes Genre von Leuten nebst den Dirnen,
die sie genommen haben, in Stambul bleibt, sie wieder eingesperrt werden.
CWurde dem Hadschi Hyzyr Tschausch übergeben.)
Am 5. Redscheb 975 (= 5. Januar 1568).
Xr. 4 (S. 57/8).
An den Kadi von .Stambul ergeht die Weisung folgendermaßen: Da uns zu Ohren
gekommen ist, daß jetzt in Konstantinopel in einigen Läden Waschfrauen aufgetaucht sind
und etliche Lewend ') unter diesem Vorwand in ihren Läden verkehren und zahlreiche
Unsittlichkeiten verübten, befehle ich, daß solche ursprüngliche Wäscherinnen hinfort
nicht in den Läden seien und aufgehoben werden und ordne an, daß bei Eintreffen dieser
Order du ohne jede Verzögerung iind Nachlässigkeit die in der Hauptstadt befindlichen
ilütewellis -) sowohl der kaiserlichen als der sonstigen öffentlichen Stiftungen zitierst und
jeden einzelnen gehörig und eindringlich ermahnst, daß er, wenn in seinen Stiftungen
derartige Wäscherinnen vorhanden sind, sie ohne jeden Verzug austreibe und hinfort
den Weibern keinen Laden mehr einräume. Auf diese Weise (soll) die Wäscherei (erledigt
werden). Du aber mögest nach der Verwarnung beständig aufpassen, und solltest du dem
Befehl zuwider im Laden derartigeWäscherinnen finden, sie bestrafen und die Mütewellis.
welche nach der Verwarnung solchen Frauen Läden einräumen, melden. Diese erhabene
Verordnung sollst du in das Hauptregister eintragen lassen, jetzt und später dem Inhalt
des kaiserlichen Schreibens gemäß verfahren und im Widerspruch zu ihm keine Erlaubnis
erteilen. Diese Angelegenheit wird untersucht und geprüft, so daß, wenn hinfort in einem
Laden eine Wäscherin gefunden wird, keine Entschuldigung angenommen wird. Demgemäß
sollst du Acht geben, bei Ausführung meines kaiserlichen Befehls eifrig sein und keine
Minute verlieren '
Am 21. Zi'1-hiddsche 978 (= 16. Mai 1571).
Nr. 5 (S. 58/q).
An den Kadi von Ejjub ergeht die Weisung: Du hast einen Brief gesandt und be-
richtet, daß die Gläubigen melden, es kämen Benehmen und Übertretungen wider das
Gesetz vor, darin bestehend, daß in den meisten Läden, Bäckereien und Gärten,
welche im Stadtteil »Große Moschee« in der Nähe der neugebauten Medrese und neben der
Elementarschule liegen, sich Ungläubige befinden, die Liederlichkeiten und Ausschweifungen
begehen, Flöte spielen, mit den Füßen stampfen und von der Arbeit des Stadtviertels, der
Kuranlektüre der Frommen, sowie vom Vernehmen des heiligen Gebetsrufs abhalten und
daß in die Kajmak 3)-Verkäufer-Läden etliche Weiber unter dem Vorwand Kajmak
zu essen hineingehen, sich dort aufhalten und Nichtverwandte (verschiedenen Geschlechts 4))
zusammenkommen. Jetzt gehört zu den -«nchtigen religionsgesetzlichen Aufgaben, daß
diese wesentlichen Dinge, welche im Widerspruch zum heiligen Gesetz stehen, verhindert
und aufgehoben werden. In dieser Hinsicht ist keine Nachlässigkeit statthaft. Ich ordne
an, daß du dich dieser Dinge in gehöriger Weise annimmst und hinfort die ungläubigen
sich in ihren obgemeldeten Läden und Gärten nicht aufhalten läßt, sondern sie alle aus-
') Hier wohl nicht in dem Sinne von Matrosen, sondern etwa: zügellose forsche
Burscheu.
-) Verwalter der frommen Stiftungen, welche hier die der Stiftung gehörenden Lädert
vermieten
3) Ejjub kajmagy ist noch heute berühmt.
•)) Die sich sonst nicht sehen und sprechen dürfen.
Kleine Mitteilunofen und Anzeigen.
'ö
257
treibst und sie den Gläubigen übergibst, sowie das Weibervolk, das in die Kajmakdschi-
Läden unter dem Vorwand Kajmak zu essen kommt, nicht dorthin gebracht werden läßt,
betreffs dieses Punktes auch die Ladenbesitzer ordentlich streng verwarnst, sie verhinderst
und aufhebst. Sollte nach der Verwarnung das Weibervolk wiederum in einen Laden gehen,
ohne daß der Ladenbesitzer es hindert, so mögest du jenen eigentlichen Ladenbesitzer
holen lassen, ihn ordentlich züchtigen, in der Ausführung des erlauchten Befehls eifrig
bemüht sein und dich vor Nachlässigkeit hüten. Es ist nötig, diese Angelegenheit geheim
zu behandeln, so daß, wenn die von dir dargelegten Dinge nicht laut dem erlauchten
Befehl verhindert und abgestellt werden, keine Entschuldigung von dir angenommen wird
und du dir einen Verweis zuziehst. Das laß dir gesagt sein ! Darum sollst du dich
kümmern und in Fleiß und Sorgfalt keine Minute ungenutzt lassen.
Am 23. Muharrem 981 (= 25. Mai 1573).
Nr. 6 (S. 59).
An den Ketchuda (Obmann) der Peremedschis ') ergeht die Weisung: Die Peremedschis
sind verwarnt worden, es sollen nicht junge Frauen mit Lewends in die Pereme einsteigen
und spazieren fahren. Da mir nun aber zu Ohren gekommen ist, daß, wenn alte Frauen
von den Armen mittels einer vollen Pereme ans jenseitige Ufer übersetzen wollen, ehrbare
Leute (ehl-i-'yrz ^)) sie daran hindern und den Armen Schwierigkeiten machen, ordne ich
an, daß beim Eintreffen (dieses Schreibens) du dich dieser Sache annimmst und wenn von
den Armen jene Sorte Frauen mit einem vollen Pereme übersetzen will, du Niemand im
Gegensatz zum Herkommen am Einsteigen verhindern und einer Armen Schwierigkeiten
mächen läßt [zerrissen]. Du sollst' dich hüten, daß dem heiligen Gesetz zuwider junge
Weiber mit Lewends in die Pereme steigen und spazieren fahren und die Peremedschis
eindringlich ermahnen [zerrissen] und instruieren.
(Wurde dem Obmann der Peremedschis zugestellt. "i
Am 23. Schewäl 988 (= i. Dez. 1580).
Nr. 7 (S. 59/60).
An S. Exz. den Vezir Mehmed Pascha ergeht die Weisung, desgleichen an die Kadis
von Stambul und Galata: Seither haben die auf dem- Bosporus verkehrenden Pereme-
Boote die alte Form verändert, sind lang und schmal geworden und bedienen sich des
Segels, nehmen Männer und Frauen zusammen an Bord, gehen, weil so viel Leute nicht
getragen werden können, unter und werden die Veranlassung, daß so viel Menschen um-
kommen. Mit dem Geld, das bisher genommen wurde, unzufrieden, laufen sie (die Pere-
medschis) hinter etlichen ehrsamen Leuten, Männern und Frauen, her, verlangen mehr
Geld, sagen Ungezogenheiten und allerlei unziemliche Worte und belästigen sie. Indem
zur Unterdrückung solcher Vorkommnisse, die, wie erwähnt wurde, der Obmann der Pereme-
dschis meldete, die erlauchte Weisung erging, wird jetzt gemeldet, daß jenem erlauchten
Befehl entgegen und dem Herkommen widersprechend schlanke und schmale Peremes ver-
wendet, Männer mit Frauen zusammen befördert und Segel benutzt werden, daß sie mehr
Geld fordern und die Gläubigen belästigen. Ich ordne demnach an, daß beim Eintreffen
') Die Pereme war nach Redhouse ein schweres Boot mit zwei Rudern, veränderte
nach Nr. 7 aber die Form und wurde zum Segelschiff. Der Name von Tr^pafxa Überfahrt
erinnert an »Prahm«, das Ki.uge Seemannssprache (Halle a. d. S. 1911), S. 623, von altslav.
pranui »Fahrzeug« ableitet. Damit dürfte denn auch wohl die basrische Bootbezeich-
nung »belem« zusammenhängen. — Vgl. Deutsche Cbcrsetzungen türk. Urkutiden Nr. 65.
-) Siehe Dozv, Suppl.
Islam XI. j-
2i;3 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
meines Schreibens du dich der Sache gehörig annimmst und in keiner Weise dem Herkommen
widersprechende, unerlaubte, schlanke und schmale Peremes in Schutz nimmst, sondern
sie in Stücke schlägst und die Peremedschis, welche Männer und Frauen zusammen be-
fördern, ernstlich verwarnst und die Peremedschis, welche mit Belästigung mehr Geld
eintreiben, als auf Grund des früheren Erlasses von Muhtesib Tschardagy '), Kasim Pascha,
Topchane, Ejjub Ensari und anderen Anlegeplätzen bestimmt war, verhaftest. Solche
^^ollen an die Galeere kommen und gebührend Strafe erleiden. Sollte uns demnach zu Ohren
l<ommen, daß von neuem ein diesem erlauchten Befehl widersprechendes Verfahren auf-
gekommen sei. so steht es fest daß es nicht nur die Peremedschis sind, sondern sogar die
Obmänner mittun. Demgemäß mögest du die Obmänner ermahnen und in Aufmerksamkeit
und Fleiß keine Minute ungenutzt lassen.
Am 24. Scha'ban qqi (= 12. Sept. 1583).
Nr. 8 (S. 60/61).
x^n den Kadi von Stambul ergeht die Weisung folgendermaßen: Du hast einen Brief
gesandt und folgendes gemeldet: Es kamen zu Konstantinopel von den Bazarleuten,
Sklavenhändlern, Ausrufern und anderen Sachverständigen eine große Zahl in die Ver-
sammlung für religiöse Angelegenheiten. Es brachte nämlich im Gegensatz und Wider-
spruch zum alten Brauch eine Gruppe von den Einheimischen im Namen von etlichen
Weibern und etlichen jungen Sklavenhändlern, indem sie sagten: »Wir wollen mal die
Sklavinnen einiger Muslime und Damen verkaufen«, solche auf den Markt, schlössen öffent-
lich mit einigen Lewends als Käufern den Verkauf ab, erstanden sie um etliche Aktsche
und nahmen sie, um sie zu besehen, in ihr Zimmer fort. Einige Tage hielten sie sie (die
Frauen) und ihre Sklavinnen in ihrem Besitz und gaben sie wieder ihren Eigentümern
zurück; und an ihren Sklavinnen wird wider den Brauch gehandelt.
Auch gibt es einige Ausrufer, welche als Käuferin ihre eigene Frau auf den Markt
bringen und wenn die Sklavinnen einiger Muslime zu versteigern sind, unter einem Vorwand
auf den Fuß schlagen und indem sie sagen: »Eine von auswärts gekommene Dame verlangt
sie« um Geld, das niedriger =) ist als der Preis, den sie wert ist, diese der eigenen Frau übergeben.
Auch gibt es einige Dellale (Ausrufer) ohne Kaution 3), die einige Sklavinnen von
Sklavenhändlerinnen unter dem Namen Bile eskisi (alte Bekannte?) in die Zimmer des
Lewend fortnehmen und etliche verwerfliche Handlungen veranlassen. Es handelt sich
um Ausrufer ohne Kaution und Dirnen, die für die Sklavenhändler, die derartige Unzucht
und Schande anstiften, Antwort erhalten und vei'kaufen.
Danach sollen die Frauen am Sklavenhandel gehindert und Makler ohne Kaution,
die keine ehrbaren Männer sind, aufgehoben werden. Außer Beseitigung ihres Schaderis
für die Allgemeinheit werden auch die Verhältnisse 4) der Sklavenhändler geregelt, und
wir legten unsere Verhältnisse dar, um derartigen verwerflichen Handlungen zu steuern.
Ich ordne an, daß du bei Empfang dich dieser Dinge gehörig annimmst und hinfort
derartige Frauen das Sklavenhändlerinnengewerbe nicht ausüben läßt, sondern sie daran
verhinderst, auch die Dellale ohne Kaution abschaffst, auf eine Art eine Verwarnung er-
gehen läßt und Vorkehrungen triffst, daß Unzucht und Schande in der erwähnten Weise
unmöelich werde.
I) Pers. tschar tak, das Wort bezeichnet einen mit Hilfe von vier Pfosten errichteten
Pavillon
-^ asrhaka ist offenbar aus ascha?y verlesen.
3) Vgl. Istambol hajaly S. 170 Urkunde Nr. 35.
4) Für ahwallaryti lies ahwaüarv-
Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
259
Die nach der Vermahnung nichyt gehorchen und auf solche Weise verfahren und
■übeltun *), sollst du gemäß dem, was die feststehende Satzung fordert, strafen. Welche
Maßregeln du getroffen hast, sollst du uns mitteilen.
Im Scha'bän 991 (= Aug.-Sept. 1583). G. Jacob.
J'eschebbüs-i-schachsi, muharriri Tahir el-Mewlewi, Istambol 1330 (221 SS.).
Unter den türkischen Drucken, welche Herr Faik Beyzade, Lektor des Türkischen
au der Universität Kiel, mitgebracht und mir zu leihen die Güte hatte, erregte obiges im
Abendland noch ziemlich unbekannte Buch meine ganz besondere Aufmerksamkeit. Ob-
wohl ich seit meiner Beschäftigung mit Mehmed Tewfiks Istambolda bir sene stets
starkes Interesse an lehrreichen Schilderungen des Türkentums durch Türken nahm und
■solche für eine Gesamtdarstellung türkischen Lebens sammelte, ist mir bisher doch kaum
ein Schriftsteller begegnet, der, mit solch scharfer Beobachtungsgabe wie Tahir el-
Mewlewi ausgestattet, türkische Verhältnisse mit feinem Humor zu schildern weiß.
Dazu kommt, daß die Schilderung des Literaten- und Journalistenlebens im Orient,
welches hier den Vorwurf bildet, sich für die Interessen des Orientalisten besonders aus-
giebig erweist. In besseren Zeiten hätte ich wohl eine Übersetzung des ganzen Buches
für meine Türkische Bibliothek ermöglicht. Da die Drucklegung des Ganzen nunmehr
ausgeschlossen erscheint, möchte ich wenigstens durch eine Verdeutschung der Exposition
eine Vorstellung von dem reichen Inhalt geben. Die Form erinnert mich vielfach an
Meddahvorträge, wenn auch der Stil verfeinert ist. Wie bei Lüledschi Ahmed und sonst
gibt die Exposition eine Charakterschilderung des Helden der folgenden Abenteuer; auch
hier dürfte es sich um ein Selbstporträt des Verfassers handeln; dafür sprechen die An-
gaben, die mir Herr Faik über die
Persönlichkeit des Autors, seines Leh-
rers, machte. Das Buch ist mit der
Art des Erzählers kongenialen Holz-
•^chnitten von anderer Hand verziert,
\on denen ich drei besonders charak-
teristische der nun folgenden Über-
setzung der Einleitung einfüge:
»Möglich, daß den Dichter Ne-
schati Efendi viele von den geehr-
ten Lesern kennen, da er, weil er
\erschiedene Beschäftigungen hatte,
sich, wenn er von seinem Hause in
sein Bureau ging, sicherlich mit 100
bis 200 Personen begrüßte.
Seit 5 Jahren war er Lehrer an
einer Privatschule. Während er 10
Stunden in der Woche erteilte, war
ihm zurzeit nicht 10 Para zu verdienen
beschieden. Er wußte das und konnte
seinen Freunden gegenüber, die ihm
•ohne Umstände sagten, das beständige Fig. i.
') In der Urkunde soll für üsre Edirne stehen.
17*
200
Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
Umsonstarbeiten sei eine Dummheit, keine ander/ Antwort finden als: »Ihr habt recht,,
aber, wenn sich der Fuß einmal gewöhnt hat, geht man eben« {ajak alyschmyschda gidi-
lijor I)). Sein freundliches Gesicht und seine sanfte Rede, besonders aber, daß er bei den
Prüfungen niemand durchfallen ließ, machte ihn bei seinen Schülern sehr beliebt. Die
Kinder hatten keine Angst vor seinen Stunden und arbeiteten mit Liebe. Begegneten
sie ihm am Morgen oder Abend auf der Straße, machten sie zum Gruß mit einer Be-
grüßungsdrehung halb links, verharrten in Grußstellung und verrichteten ihr Temenna.
Wer von ihnen das Temenna nicht genügend erachtet, läuft, seine Hand zu küssen. Von
den Schülern, die das Wohlwollen des Lehrers erfahren hatten, spricht ein jeder zu seinem
Vater, seinem Vormund und den Nachbarkindern des Stadtteils stolz von ihm; wenn er
ihn zufällig trifft, zeigt er ihnen diesen, leutseligen Lehrer. Auf diese Weise mehrten sich,
ohne daß Neschati Efendi es merkte, die, welche ihn kannten.
[S. C] Er hatte Beziehungen zu einem der hohen Derwischorden 2). Durch diese
Beziehung wurde er mit den Schechen und Derwischen bekannt. So oft er einen solchen
traf, erkundigte er sich auf folgende Weise nach seinem Befinden und Wohlergehen:
»Verehrter, es geht Ihnen, so Gott will, gut?«
»Danke schön, Sie (nazarynyz i)) sind auch gesund, mein Geliebter (schahym)} Der-
Gott derer, die das Ziel erreichen {evenler 4)) sei Euer Beistand, mein Licht!«
[S. ö] Mit einigen begrüßt er sich, indem nach Weise von
LjC^
^^v r
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ijO») c^^x;^/« juX/o .i c>>^«-5
J^
ik-iww A-io ii&.iLi> (ik-jL.
»Daß ich die Hand auf die Brust der Liebe gelegt dastehe, ist dir, mein Geist,
Ein Hinweis, daß dein Platz im Hause des Herzens ist,«
die Finger der rechten Hand ausge-
breitet auf das Herz gelegt werden
und das Haupt von rechts nach links
und nach unten gerade leicht geneigt
wird.
■i>Hu 5) ! Freund« oder »'aschk
olsuiiv (eig. es soll Liebe sein).
»Danke, Verehrter ! Hii. «
Bei einer Behörde war er Sekre-
tär. Von dieser Beziehung stammte
seine Bekanntschaft nicht nur mit den
Kollegen des Bureaus, sondern mit
sämtlichen Beamten des Ministeriums.
Begegnet er einem von ihnen, so
nimmt man auf beiden Seiten den
Stock bzw. Regenschirm in die Unke
Hand. Von weitem öffnet man zwi-
schen Lachen und Lächeln die Lippen
in einem gewissen Grade. Mit den
Worten )yAaah Efe dim«, wobei das
a zu löfacher Länge ausgezogen wird,
beugt sich, als ob etwa von der Erde
Fig. 2.
I) Geläufiges Sprichwort. -) Nach dem Namen des Autors wird man an die Mewle-
wis denken. 3) Eig. Eure Gunst. 4) = Derwische. 5) Ruf der Derwische, cig. Er == Gott,
Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
261
•etwas aufgehoben werden soll '), leicht das rechte Knie und die Hüfte. Nachdem der
rechte Arm auf Grund einer Vorwärts- und Rückwärtsbewegung einen Halbkreis be-
schrieben hat, führt man, wieder vorwärtsgehend, so daß die Hand aus einer Spanne
Entfernung von gegenüber dem Kinn mit der Stirn oder der Fes-Spitze in Berührung
kommt, kein Temenna, sondern ununterbrochene Temennas aus. An diese seltsame Zere-
monie fügen sie die Sätze:
»Mein Herr, Gott gebe Leben!«
»Gott gebe Leben, mein Herr«,
iindem sie die Kunstform der Umstellung (tarJ we-^aks ')) beobachten.
Da bei der Halbkreisbewegung des rechten Armes auch die rechte Körperseite nach
vorn (S. 1) herauszutreten Neigung hat, passiert manchmal, bevor die Hände das Kinn
oder den Fes berühren, ein Zusammenstoß der Köpfe.
Aber diese Begrüßung ist den alten Sekretären eigentümlich. Danach gibt es auch
eine neumodische Art davon, welche den zivilisierten Bejs eigentümlich ist, die so viel
Französisch können, daß sie statt jemek jedim sagen: je suis mange, und Leuten gegenüber,
■denen sie mit Stiefeln mit hohen Absätzen auf die Zehen treten oder mit der Spitze des
in der Hand geschwungenen und mit neumodischem (531 ^Jj' wohl: art nouveau) Griff
versehenen Stockes an die Nase stoßen, in solchem Grade die Kenntnis europäischer Sitte
dokumentieren, daß sie nur im Vorübergehen: »Pardon, mon chere« sagen. Findet mit
•diesen eine Begegnung statt, so wird der rechte Arm sofort noch aus einer Entfernung
von etlichen Klaftern nach vorwärts gestreckt und mit einem Ungestüm, als ob man
geradezu aufeinander losstürzen wollte, werden die Hände gepackt, mit möglichster Kraft
gepreßt und, indem der gesamte Körper erschüttert wird, etliche Male nach unten und
oben geschüttelt, wozu man sagt, sei es auch um Mitternacht:
»Bon jour, mon chere fn
»Bon jour, 'azizim (mein Ver-
•ehrter) !«
»Wie geht es Ihnen?«
»Gut, und Ihnen?«
»So so (^schöjle böjle).«
»Adieu, Efendim.«
»Au revoir (j'^^ij^^)» nioi Bej.«
INachdem wiederum die Hände mit aller
Kraft gepreßt und geschüttelt sind,
setzt man den Weg fort.
So oft Neschati einen von diesen
noch von weitem erblickte, drehte er
sofort den Stein des Karneolrings, den
er am kleinen Finger der rechten Hand
trug, um und rüstete sich, seine Finger
zu schonen, da er sich erinnerte, daß
einmal infolge solch eines Preßverfah-
rens [S. v] '^^^ Rand des Ringes in
seinen Finger schnitt.
Er war in das Persische und die
Literatur leidenschaftlich verliebt. Des-
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^ ^'mm^HI^^ "^B^9T''^'V'^^Mr^ kfll^^H^^i
Fig:- 3-
») Zugrunde lag das Küssen des Saumes (eteklemek).
») S. Mkhrens Rhetorik der Araber, Wien 1853, S. 186.
2^2 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
halb freundete er sich mit den Persern an. Da er es leidlich gut verstand, wollte ei
sich an die Unterhaltung in der Weise gewöhnen, daß er — wie die meisten unserer
Sprachkundigen — diese Sprache mit denen sprach, welche sie nicht zu sprechen Gelegen-
heit hatten. Mit den persischen Tabak-, Tümbeki- (Wasserpfeifentabak-), Tee- und
Papierhändlern hatte er Umgang; ja sogar die Achter ^-Lesehallen frequentierte er.
In früheren Zeiten nahm er von dort sogar die Zeitung Habt iilr-metin (Der feste Strick),
las sie und pflegte Nachrichten von den Liberalen Pei-siens daraus zu entnehmen. Täg-
lich fanden kleine Unterhaltungen auf Persisch statt, z. B.:
»Neschati Efendi! beferinäid kadehi tschai bechartm«. (belieben Sie, daß wir eine Tasse
Tee trinken).
»Ma'dhür därJd, dermände eni, bedebiristän mirewem« (Entschuldigen Sie mich, ich
kann nicht, ich gehe nach der Schule), oder
»Aka, rüznäme-i-mä ämede esit« (Aga, ist unsere Zeitung gekommen?)
»Henüz nejämed, mnidwärem ke ferdä bejäjed.« (Noch ist sie nicht gekommen, ich
hoffe, daß sie morgen kommen wird.)
Am 10. Muharrem ging er unter allen Umständen zur Trauerversammlung {medsch-
lis-i-'azä ^)) .im Walide-Chan. Unter fortwährendem Weinen lauscht er. den rezitierten
Elegien. Bei seiner Heimkehr verdolmetscht und erklärt er sie seinen Begleitern.
Vor Zeiten besuchte er auch ein wenig die Vorlesungen bei der Moschee. Als er den
Izhär 3) las, schrieb er, wie er dem Vortrag des Chodscha über das hatta, das für die Er-
langung des äußersten Endes 4) vorkommt, lauschte, zu dem Beispiel
Akaltii " s-samakata hatta 4) räsahä (ich aß den Fisch, sogar den Kopf),
\\m anzudeuten, wie ihn die speziellen Untersuchungen langweilten, an den Rand seines
Buches den Vers:
.xyi:^-^j\j \».i -j P-_jUÄ <S^:r^ e>-2=\j lS'-^'J-^
(Lange dauerte die Erörterung des Genetivs, o wortreicher Kommentator! Es genügte.,
die Welle des Kummer-Meers bedeckte sogar den Kopf.)
[S. a] Bevor er des Morgens zur Medrese gelangte, sammelte er sich und gab sich
Mühe, die Meinungen der Grammatik-Päpste 5), welche die Behauptung aufstellten, daß
J^ (wa'ada) im Silbenmaß \on derede, LiiaJ (batschan) im Silbenmaß von iawschav,
j^ajo (jansuru) im Silbenmaß von ja'cvriisu Perfekt, Infinitiv und Imperfekt seien, als
falsch zu erweisen. Wenn man jetzt die Bücher aus jener Zeit, welche er aufbewahrt hatte,
ansah, fand man auf jeder Seite höchst merkwürdige Randbemerkungen, Zusätze (niinhü)
und Notizen. [S. S] Sogar folgender über sS^ ('aläka)^) geschriebene Sinnvers zog
den Blick der Aufmerksamkeit an:
I) Persische Zeitung »Stern«.
-) Nur ausnahmsweise findet zu Konstantinopel das Mysterienspiel statt.
3) Jedenfalls Birgewis (gest. 1573) arabische Grammatik Izhär ul-esrär, die zu.
Konstantinopel mehrfach gedruckt wurde.
4) Über das hatta Ihitihäi 'l-gäje = bis auf, sogar s. C.^sp.^ri § 419 Anm. a.
5) sarf midalary, wörtlich: Grammatik-Mollas.
6) Beziehung, Interesse, Liebe.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 263
(Es ist überflüssig, einem andern als dem Antlitz Gottes i) 'aläka zu erweisen, Ich bin
verliebt in die Schönheit des Ewigen, Gott ist Zeuge!)
Auf Grund dieser Notizen erhielt er sogar unter seinen Genossen dam Is den Schrift-
stellernamen Molla Neschati. Mitunter sagte er, auf diese Bücher deutend {bil-iräje):
[S. (.] »Dem Schüler ist die Neuheit des Lehrers und das alte Buch angenehm. So sind
auch meine Bücher ein Beweis dafür, daß das richtig ist.«
j ■^ Tatsächlich hatte er bis zum Miitanwal '^) gesessen, aber kein Diplom erhalten.
Jedoch er besaß erheblich mehr Kenntnisse als viele von jenen, denen die Iftichar-Medaille
an ihre patriotische Brust angehängt war, die als Hamidisches Benefiz ein Goldstück zum
Vorteil ihres Beutels eingesteckt und die Lizenz erhalten hatten, mitunter in einer Woche
10 Tage Vorlesungen haltend. Einmal sagte er zu einem mit der Lizenz versehenen Efendi,
indem er dies tatsächlich bewies und sich mit ihm zu disputieren anschickte: »Mewlana,
Sie haben die Erlaubnis zu dozieren, ich nicht. Wir wollen eins von den Büchern, die
Sie gelesen haben, zur Hand nehmen; wer seine Worte besser liest und seinen Sinn besser
versteht, der soll die Wette gewonnen haben.« Indessen der Angeredete faßte diesen Vor-
schlag scherzhaft auf {tailyja baglajiib 3)) und drückte sich (sawuschmuschdu).
Auch zur Literatur stand er in Beziehung. Da nach seiner Meinung jedes schöne
Wort zur Literatur zählte 4) und er sich frei davon fühlte, daß das AV ort im Verlauf der
Zeit verfaule und verderbe 5), fand er in den Schilderungen sowohl dei' alten als der mo-
dernen Literatur seil e Befriedigung. Die Gazele in mäßigem Grade liebend, näherte er
sich, indem er im Flusse des Spottes und der Satyrenpoesie an Nef'i^) nicht Gefallen
finden konnte, mehr und mehr dem Eschref 7). Beim letzten russisch-japanischen Kriege
setzte er ganz gut sein Schreibrohr in Bewegung S), z. B. :
j^i w^L>- ..^^oCjLj» , ki i^S \XÄJ^ <?-^^ \j*
I) Anspielung auf den oft ziticrlen Koranvers 2, 109, der bei den Mystikern eine
große Rolle spielt.
-) Im Text' steht das Tcschdid fälschlich über dem Ja statt über denij.. Es handelt
<^ich wohl um Taftazänis Scherh el-lekhis el-muiawwal, ein rhetorisches Werk, das den
Lehrstoff für Vorgerückte bildet (s. Ahlw.\rdt Nr. 7191 ff.).
3) Diese Phrase fehlt in den Wörterbüchern.
4) Geht auf seine Schätzung der modernen Literatur.
5) Geht auf seine Schätzung der alten Literatur.
6) Über ihn namentlich Gibb 111, S. 252 ff".
7) Dem vor einigen Jahren verstorbenen Satiriker, s. über ihn Basmadjian, Essai
!iir l'hisioire de la liUeralure ottimcne, Constantinople 1910, S. 218/9.
8) Wie die Türken meist in russcnfcindlichcni und ia])anfrcun<llichcm Sinn.
264 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
(Indem er den Rückzug antreten ließ die besiegte Divnsion,
Fand diesmal Sasulitsch i) nicht den Weg zum Lande der Rettung.
Die Admirale und Generale gehen der Reihe nach dahin,
Du auch, wenn die Reihe an dich kommt, 0 Kuropatkin, sei bereit.)
Georg Jacob.
Noch einmal die Herkunft des Isnad.
Gegen meine Herleitung des Isnad aus der jüdischen Literatur (s. Islam Bd. VIII
S. 39 ff.) erhebt Schwally in seiner Neubearbeitung von Nöldeke's »Geschichte des Qoram
(Bd. II S. 128 f.) eine Reihe von Einwendungen, auf die ich kurz erwidern möchte.
1. »Die Zeugenkette spielte in der Literatur des Judentums niemals die Rolle wie
in dem arabischen Hadith schon am Ende des ersten Jahrhunderts d. H.« Richtig ist,
daß die jüdische Literatur die Zeugenkette nicht mit der gleichen Konsequenz durch-
führt, die sie schließlich in Hadit und Sira erreicht hat. Schwally hebt ja selbst
mit Recht hervor (S. 131, 133 u. ö.), daß sich die unbedingte Geltung des Isnad erst all-
mählich durchgesetzt hat. Die Frage ist aber nicht, woher stammt die folgerichtige Durch-
führung — die sich ohne weiteres als innerislamische Entwicklung erklärt — , sondern
woher stammt die erste Einführung des Gebrauchs der Zeugenkette.
2. »Jener jüdische Gebrauch hat weder innerhalb des Judentums selbst, noch des
Israelitismus eine Geschichte, was fremden Ursprung wahrscheinlich macht.« Es handelt
sich nicht um die Herkunft des jüdischen, sondern um die des islamischen Gebrauches.
Der Islam kann ihn nur aus einem Kreise übernommen haben, in welchem er im 7. oder
8. Jahrhundert entweder noch lebendig oder aus der älteren nationalen oder religiösen
Literatur bekannt war. Es wäre an sich sehr wohl denkbar, daß das Judentum den Ge-
brauch der Zeugenkette ursprünglich aus einer — uns bisher unbekannten — älteren
Literatur übernommen hätte; diese Literatur käme aber als Quelle für den islamischen
Gebrauch nur dann in Betracht, wenn die arabischen Gelehrten des 7. oder 8. Jahrhunderts
aus ihr unmittelbar, ohne jüdische Vermittlung, schöpfen konnten. So wenig wie aus dem
Altertum, kennen wir aber bisher, abgesehen von der jüdischen, eine in diesen Jahrhunderten
in den Ländern Vorderasiens verbreitete Literatur, weiche die Zeugenkette verwendete.
Wie sich übrigens aus dem Buch der Jubiläen VII 38, 39 ergibt, war bereits im zweiten
vorchristlichen Jahrhundert die Zeugenkette, wenn auch in etwas anderer Form, in jüdischen
Kreisen bekannt -).
3. »Die Frage dej arabischen Isnad ist kaum zu trennen von der nach der Herkunft
anderer Eigentümlichkeiten der älteren historischen Literatur der Araber.« Mit einer
petitio principii dieser Art läuft man Gefahr, sich den Weg zur richtigen Lösung zu versperren,
vor allem auf einem Gebiet, auf dem der Synkretismus solche Triumphe feiert wie im Islam.
Wenn wir bedenken, daß in Hadit und Slra — ebenso wie vorher im Qurän — Vorstellungen,
Überlieferungen und Bestimmungen verschiedener Herkunft Eingang gefunden haben,
so sollte uns das warnen, alle Eigenheiten der Form, in welcher dieser Stoff angeordnet und
gestaltet ist, auf eine Quelle zurückzuführen.
') General S.\sulitscii wurde am Jalu Anfang Mai 1904 von Kuroki besiegt.
-) Nach Hippolyt, Philosophnmena V 7 (ähnlich X 9) behaupteten die Naassener
von ihren Lehren, daß sie Jacobus der Marianne überliefert habe und ähnliches kommt
auch sonst vor; doch ist das keine eigentliche Zeugenkette, wie die oben aus dem Jubiläen-
buch angeführte. — Auch die bei Delehaye, Les legendes hagiographiqiies - 80 f. ange-
führten Beispiele, in welchen die Heiligenlegende einem Schüler des Heiligen in den Mund
gelegt wird, gehören nicht hierher.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 2Ö'^
Aber auch Schwai.ly's Versuch, den Isnad aus den Traditionen des altarabischen
Rhapsodentums zu erklären, scheint mir nicht minder verfehlt, als die von ihm erhobenen
.Einwände. Bestünde ein solcher Zusammenhang, so müßte man erwarten, daß der dann
•doch von der Poesie ausgegangene Isnad erst von dort aus auch auf die Prosaberichte
übertragen worden wäre. Nun gebraucht aber Ibn Ishäq, der den Isnad doch schon in
erheblichem Ihnfang verwendet, ihn für Lieder überhaupt nicht. Die lediglich aus Liedern
bestehenden Abschnitte am Ende der Kapitel über die einzelnen Feldzüge entbehren jeg-
lichen Isnads und wo einmal Verse mit Isnad angeführt werden, gilt er nicht ihnen unmittel-
bar, sondern dem Prosabericht, in den sie eingeschaltet sind. Noch Ibn Sa'd geht in
(1er Angabe des Isnad bei Liedern nur sehr selten über seinen unmittelbaren (iewährsmann
hinaus, ebenso wie Ibn Hisäm.
Nach alle dem scheint es mir ausgeschlossen, daß der Isnad von der Überlieferung
■der Gedichte seinen Ausgang genommen habe. Ich halte es für das wahrscheinlichste, daß
er zuerst auf die Muhammad zugeschriebenen Aussprüche übertragen wurde und dann
erst vom Hadit aus in die Slra gelangte, als man daran ging, die volkstümlich überlieferte
Lebensgeschichte des Propheten »wissenschaftlich« zu begründen. Wo es aber auf fort-
schreitende Erzählung ankam, erwies sich der Isnad häufig als ein den Zusammenhrng
störendes Element. Man half sich daher schon früh damit, unter Voranstellung der ver-
schiedenen Isnade eine Anzahl von Berichten zu einer Einheit zu verschmelzen (s. Islam
VIII S. 42), während Wäqidi und Ibn Sa'd die von ihren Vorgängern zusammen-
gestellten Nachrichten über ein Ereignis zunächst zu einem einheitlichen Hauptbericht
zusammenfassen, an welchen sie dann die von ihnen gesammelten Nachträge anschließen
(s. Ibn Sa'd Bd. II Teil I Vorwort S. V). Die Übertragung des Systems des Isnad auf
■die Nachrichten über die Dichter und ihre Lieder gehört erst der späteren Entwicklung an.
Josef Horovitz.
Eine Parallele zu der islamischen Zwischenheirat.
Für die eigentümliche Bestimmung des Koran II, 229!'., wonach eine Frau nach
dreimaligem Taläk erst einen andern Mann geheiratet und dieser ihr auch seinerseits
den X^Jäk gegeben haben muß, damit sie erlaubterweise wieder von dem ersten Manne
geheiratet werden kann, wird von Juynboll, Handbuch des islamischen Gesetzes, Leiden
1910, S. 230 als Entstchungsursache angenommen, daß diese OfTenbarung »wahrscheinlich
■einer Dreimal-Verstoßenen zuliebe, die einen zweiten Mann geheiratet hatte und nachher
die Ehe mit ihrem ersten Manne erneuern wollte«, ergangen sei. Um dieser Vorschrift
gerecht zu werden, hat sich dann der Brauch ergeben, vielfach eine Scheinehe ein-
zugehen, vgl. ebenda S. 231.
Gegenüber dieser rationalen Erkliiruiig möchte ich, ohne irgendwelche Schlüsse
für die Entstehung dieser islamischen Sitte daraus ziehen zu wollen, hier auf die bei
•dem hamitischen Stamme der Fiome in Ostafrika bestehende Sitte einer Zwischenheirat
mit einem stammfremden Mann nach dem Tode des ersten Gatten hinweisen, die zur
nachfolgenden Wiederverheiratung mit einem anderen Stammesangehörigen aus offenbar
magischen') Gründen erforderlich ist.
Nach Beendigung der Trauerfeierlichkeiten lebt die Witwe eine Zeitlang mit
') Bei den Fiome herrscht auch die Leviratsehe in ausgesprochener Form: die
Witwe wird in der Regel vom Mannesbruder geheiratet; aber als Vater der dieser Ehe
entstammenden Kinder gilt der X'erstorbene: »aucli wenn es viele Kinder sind, kommt
niemand sonst als Vater in Betracht«.
205 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
einem Landfremden zusammen, der sich zufällig im Lande aufhält, z. B. einem Rangi —
die Rangi sind ein Bantustamm im Süden von Ufiome — und erst nach Ablauf dieser
Zeit kann sie wieder von einem Fiome geheiratet werden. Es heißt dazu: »Das Böse ist
dann nicht mehr vorhanden.« — Wird sie trotzdem nicht alsobald wieder geheiratet, so
geht sie in die benachbarte Landschaft Iraku oder Umbulu und verbringt dort bei den
stammverwandten Bewohnern dieser Landschaften ein Jahr, nach dessen Ablauf sie in
die Heimat zurückkehrt und dann ohne weiteres wieder geheiratet wird.
Auch ein Mann pflegt nach dem Tode seiner Frau zunächst eine Zwischenehe
einzugehen. Ich besitze aber dazu keine Angaben, daß diese nur vorübergehend ge-
heiratete Frau eine stammfremde sein müßte. Nach einiger Zeit entläßt er sie und
heiratet eine andere, »und diese bleibt daim für immer bei ihm«. M. Heepe.
Darstellungen aus »Leila und Madschnun* unter den Zeichnungen
Riza Abbasis.
Man hat sich bei Genrebildern islamischer Künstler immer zu fragen, ob sie nicht
berühmte Szenen aus irgendeinem Werke der Literatur darstellen. Bekanntlich wurden
die Werke, insbesondere der persischen Klassiker, durch die bildliche Wiedergabe der am
meisten dramatischen Szenen geschmückt. Mit der Zeit bildeten sich, ähnlich wie im
Abendlande für die Szenen aus dem Neuen Testament, für die einzelnen Szenen feste
Schemen, die zu dem künstlerischen Inventar der Buchmaler gehörten und allgemein
bekannt waren. Da die Buchmalerei, die im 15. und 16. Jahrhundert in Persien in hoher
Blüte stand, im Mittelpunkt der künstlerischen Produktion stand, so gab es kaum einen
Künstler, der sie nicht geübt hätte. So kann es uns nicht wundernehmen, wenn wir sehen,
daß Künstler die ihnen geläufigen Szenen auch sonst als Motive für ihre künstlerischen
Erzeugnisse benutzen. Auch Riza Abbasi stand unter dem' Einfluß der Buchmalerei.
S.\RRE, der gemeinschaftlich mit E. Mittwoch in seinem Werke Zeichnungen von Riza
Abbasi (München 1914) die Erzeugnisse dieses Künstlers künstlerisch würdigt und stil-
kritisch untersucht, hat für drei Zeichnungen (Taf. 43, 44 und 46) nachgewiesen, daß sie
aui ältere Vorlagen zurückgehen; auf Taf. 43 scheint , Riza Abbasi diese Vorlage direkt
benutzt, in seinen Stil umgearbeitet und nachher durchgepaust zu haben. Taf. 44 hat
Sarre ferner auch inhaltlich bestimmt als eine Szene aus Firdosi's Schahname dar-
stellend; auch Taf. 43 muß nach der Tracht des rechten Reiters, die ihn als Rüstern charak-
terisiert, eine Stelle aus dem Schahname darstellen. Nach dem oben Gesagten darf uns
dies nicht wundernehmen, und wir können wohl erwarten, daß sich unter seinen Zeich-
nungen noch mehr solche finden, die Skizzen zu Szenen aus Firdosi, Nizami oder
Dschami sind. Mit einiger Sicherheit wird man diese Frage, ob einzelne Zeichnungen
Szenen aus den Klassikern darstellen, erst entscheiden können, wenn einmal die Ikono-
graphie für die einzelnen Klassiker durchgearbeitet ist. Ich selbst will dies für Nizami
tun; vorläufig will ich zu zeigen versuchen, daß zwei der von Sarre veröffentlichten
Zeichnungen Szenen aus Nizami 's berühmtem Liebesepos fiLeila und Madschiun« dar-
stellen, und zwar:
I. Taf. 20 {i>F igür liehe Szene in Landschaft«) stellt eine je nach der Textstelle,
in die das Bild eingeschaltet ist, verschieden deutbare Szene dar: Madschnun erhält mehr-
fach Besuch in seiner Wildnis von einer männlichen Person (von seinem Vater oder von
Naufal). Daß es sich um eine Szene aus ))Leila und Madschnun« handelt, beweisen die
wilden Tiere im Vordergrund. Madscl;inun ist bekleidet, was verhältnismäßig selten, jedoch
nicht ungewöhnlich ist; seine Kleidung besteht, wie immer, Menn er bekleidet dargestellt
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 207
ist, aus einem vorn offenen Überwurf. Er nimmt, wie meist, eine traurig sinnende Stellung-
ein und sitzt, wie gewöhnlich, unter einem Baum. Die männliche Person spricht dringlich
auf ihn ein; der Mann im Hintergrund, ein Begleiter des Besuchers, nagt vor Erstaunen
am Finger. Auch die szenische Verteilung, Madschnun links auf dem Bilde, sein Be-
sucher rechts, ist die gewöhnlichere.
2. Taf. 42, 2 (Kamelreiter mit Lanse) ist ein Stück aus der Szene, die den Kampf
von Naufals Stamme mit dem Stamme der Eltern Leilas darstellt. Da es sich um Beduinen
handelt, wird der Kampf, wie fast immer in den Miniaturenhandschriften, zwischen Kamel-
reitern ausgefochten. Madschnun, der wie auf dem vorigen Bilde bekleidet ist, greift
durch Steinwerfen in den Kampf ein: in den älteren Prachthandschriften (wie in dem
Nizami von 1410/11 Brit. Mus. 27,261 und in dem angeblich von Behzad gemalten
von 1442 Brit. Mus. Add. 25,900) sieht Madschnun untätig dem Kampfe zu; in allen
Handschriften vom Ausgange des 15. Jahrhunderts ab jedoch greift er wie in unserer
Zeichnung in den Kampf ein. F. Taeschner.
SiDDiQi, A., M. A., Dr. phil., Studien über die persischen Fremdwörter im klassischen Arabisch..
Göttingen 1919, 118 S., 8".
Wir haben hier die in gutem Deutsch geschriebene Arbeit eines jungen indischen
Muslims, der schon gründliche Kenntnis des Arabischen und Persischen nach Deutschland
mitbrachte und sich da weiter wissenschaftlich ausgebildet hat. Namentlich hat er während
des Krieges als Schüler von Andreas sowie von Littmann in Göttingen studiert und in
Göttingen auch promoviert.
Die Arbeit bekundet bedeutende Kenntnisse und erstaunhchen Fleiß, der sich schon
in den ausgedehnten Indizes zeigt. Hier und d? tut der Fleiß sogar etwas zu viel, z. B.
o »
im Aufführen von Belegstellen für gar nicht seltene Wörter wie — i-J, lA-w«», w\-i^.
Zuerst führt uns Siddiqi sorgfältig alle arabischen Philologen bis zu Dschawäliqr
vor, die sich mit Fremdwörtern im klassischen Arabisch abgegeben haben. Sie leiten diese
fast immer direkt aus dem Persischen ab, obgleich sie, wie Siddiqi anerkennt (S. 74),.
zum großen, ich möchte sagen zum allergrößten, Teil erst durchs Aramäische vermittelt
waren. Ich kann ihm aber nicht darin zustimmen, daß er. der Tradition folgend, schon
den Ihn 'Abb äs als Sprachforscher hinstellt. Diese Angabe hat m. E. kaum mehr Wert
als die, welche 'All für den Vater der Grammatik erklärt. Selbst wenn Ihn 'Abbäs die
in seiner Schule vorkommende Ableitung des Worte; ,.juaw.J) von ^aw,j wirklich erdacht
hat, so wäre das doch nur ein, freilich sinnreicher, Einfall, keine wissenschaftliche Erkenntnis.
Und die Ableitung des Namens _ji««^ von dem Durchgang (-*.£■) der Israeliten durchs
Meer unter Mose ist nur eine Übertragung der alten Deutung von in^yn ^'^""- '4- '3
für Abraham als ö repdxT,? (weil er den Jordan überschritten hatte).
Ich erlaube mir nun einige Bemerkungen zu Einzelheiten. Daß xl? Süra 20, i, eins-
der CjLxIiäx 0»-.>" *^'^ persisches Fremdwort sei. glaubt S. wohl selbst ebensowenig,
o , -j o ,
wie daß das von ryfr>'J'^ Süra 57, 28 oder >ii^««jp Süra 12, 23 gelte, wennMuziiir i: 80 (nicht
81) das auch als eine Ansicht (JÜb) aufführt (S. 13).
Das persische wie das aramäische g wird bekanntlich fast ausnahmelos arabisch.
258 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
•durch „ wiedergegeben. Dies deutet darauf, daß im 'Iräq _ nicht mehr als g gesprochen
woirde, und da, soviel ich weiß, diese Aussprache auch in keiner Koranschule mehr gilt,
so dürfen wir darauf schließen, daß sie schon zu Muhammeds Zeit in Mekka und Medina
•nicht mehr herrschte. Und doch hat sich die alte Aussprache als g nicht bloß in Ägypten,
•sondern such in einem großen Teile Arabiens noch bis heute erhalten. — So sind auch die
"Formen ^JLx5 und JwJL*5 (S. 67) nicht bloß ursprünglicher denn die allein als ^^yos
geltenden jJLxS und J>.-Jjt5, sondern sie bestehen auch noch in manchen arabischen
Dialekten.
Die Ableitung des Wortes {j^Lkd^ »Blei« von jjo, »zusammenfügen«, weil man
nämlich in einer Bauart Blei statt Gipsmörtel gebraucht habe (S. 39 Anm. i), ist mir sehr
unwahrscheinlich. Namen von Metallen sind in alter Zeit leicht von Volk zu Volk gewandert
und haben dabei auch wohl stärkere Lautveränderungen erlitten. Ich möchte doch an
irgendeinen Zusammenhang von fy^i^ mit pers. ^. \ (* arctc) denken.
Die Nisba -Endung mp. glk, np. j^; (S. 41) erscheint auch im sjr. f.^'c A" = np. ^j^^,
und landschaftlich in besonderer Bedeutung kommt ja noch die alte Form ii^^*fi-\Si neben
der gewöhnlichen ^c;'wj vor, bekanntlich gebildet von dem zunächst auf alle Beduinen
«übertragenen Namen des Stammes s. A3, dessen arabische Nisba ^Lb ist.
Zu S. 42 f. und sonst: man muß sich sehr vor den Worterklärungen des Hamza
Isfahäni hüten, der im Sprachlichen ein anmaßender Dilettant ist.
S. 42 Anm. 6. Persisches »^ kann schwerhch = XJ sein. Vielleicht aber für 1^,
eine denkbare Form = L:\, iJ?
S. 53. Das aramäische {«?n;iDC '^^^^ natürlich einerseits das arabische Jc>wwwe
(wie die ganze I J^vav aus dem aramäischen ^^^ entlehnt), andererseits das persische
Zu S. 57 ist zu bemerken, daß von fremden Eigennamen, die ins Arabische aufge-
o
inommen wurden, wohl nicht bloß (»Lla./AO (aus pers. Vistahm), weil es ganz arabisch aussah,
auch wie ein arabischer Name dekliniert wurde (als Triptoton).
S. 67. Ein arabisches Nomen AjtS ist doch der Pferdename -«mm, und die heutigen
-♦.Ai Jo werden auch einen schon aus dem Altertum stammenden Namen führen. Ferner
-sind c>.-kX**, i}»iy«<, ^-vjäc, J^^j**. ') gut arabisch; s. Ihn Doraid, Ischtiqäq 50 oben;
verstärkte Formen des Diminutivs; wohl alle etwas Verachtung ausdrückend. Zu den
nur in Fremdwörtern vorkommenden Nominalformen gehört übrigens auch i^cLi.
') s_j>.xÄ£. Name eines kleinen Vogels ist eigentlich »Adlerchen«; J^yw., das ich
.auch im Lisän nicht gefunden habe, wird »sehr langsam« heißen: vgl. ^i^JL«, J^ usw.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 200'
S. 69. Die, ich erinnere mich nicht, von wem zuerst, aufgestellte Erklärung voni
fci_ü aus einem angeblichen Eräk ist gevpiß unrichtig. vLc ist echt arabisch und be-
deutet zunächst etwa »Niederung«.
S. 70. Weder läßt sich, wie mir scheint, das arabische ,X.w.c »Lager, Heer« aus-
dem persischen ,\Xi.J, noch dieses aus jenem ableiten. Die Ähnlichkeit muß zufällig
sein. I' J^.w,£ scheint etwa »turbari« zu bedeuten, so daß .X.>m\£ zunächst »turba, unruhiger
--' -^ . . .
Haufe« wäre. Und laskar kommt als Lehnwort aus dem Persischen wenigstens schon ein-
mal bei einem armenischen Schriftsteller »erst nach der i. Hälfte des 5. Jahrhunderts«;
vor (Hübschmann, Armen. Gramm, i, 157), also doch wohl noch ziemlich lange vor der
Zeit, wo das Persische durchs Arabische beeinflußt wurde.
S. 73 usw. Auffallend ist, daß aramäisches und persisches .v bei der Übernahme von
den Arabern meist in 5 verwandelt wurde, während wir doch kaum einen wesentlichen.
Lautunterschied zwischen dem s der genannten Sprachen annehmen können. Ganz konse-
quent ist diese Vertauschung allerdings nicht durchgeführt; vgl. z. B. .Lj-.g.^j .^; .AUlo^
o , , , o -o
aL.ÄJ-^j ,.^4h2Ji3L^ usw. Wir haben m. E. keinen Grund, hierbei an spätere Korrektur
zu denken.
S. 74. Der Verf. konnte nicht gut wissen, wie gering die Autorität des LEVv'schen^
Lexikons hinsichthch der Vokalisation ist. Die dem np. ..L>ji .j entsprechende jüdische
Form ist natürlich njID ^.u vokalisieren und entspricht so, wie auch das arabische
..IXi-J {Agh. 21, 89, 14), der mp. Gestalt des Wortes.
Die geschichtliche Auffassung, die S. 75 ff. dargelegt wird, bietet allerlei Anlaß zu
Einwendungen. Der Verf. stellt sich die dauernde Macht des Sasanidenreichs zu groß
vor. Die Araber 'der syrischen Wüste haben höchstens zeitweise alle unter persischer Ober-
hoheit gestanden und Palästina und das Libanongebiet nur wenige Jahre unter Chosrau IL
»zu einer Satrapie« gehört. Der persische Einfluß hat in jenen Jahrhunderten auch in
'Oman schwerlich je weit über die Küste gereicht, und die Befreiung Jemens von den
Abessiniern hat auch nicht zu einer regelrechten Beherrschung des ganzen großen Landes
im SW. und S. geführt, das so entlegen war, zumal das Reich keine Marine hatte. Ein
tiefer, kultureller Einfluß der persischen Herrschaft in Jemen auf die Araber ist wenig
wahrscheinlich. Waren doch die ^LaJ? in der zweiten oder dritlen Generation nach der
Expedition des Wahriz schon arabisiert. Des geistreichen Blau Phantasien über Einfluß-
des persischen Reichs auf Jemen im 3. und 4. Jahrhundert (S. 81) hätten keine Neubelebung
verdient. So ist gewiß auch die Auffassung der arabischen Ortsbezeichnungen N^i^,
ii^>:i als das persische bese »Wald« (S. 86) unrichtig. Wirkliche Wälder hat es dort zu
Lande in historischer Zeit auch kaum gegeben. Und ^^J^ 'st nicht der Name eines Ortes,
sondern eines arabischen Stammes, dessen Gebiet noch auf neueren Karten als Teil des-
'AsTr-Landes verzeichnet ist. Dagegen, daß Lj*-äj, X^ij vom Namen der Perser (j*j^5,
fw^Ji herkomme (S. 92), spricht schon das aramäische ._a •,■'<• Von der Grundbedeutung
»trennen« hat sich die Bedeutung »scharfes Erkennen, Physiognomik« usw. entwickelt
2 y(j Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
(vgl. (•♦■'^ u. ,\. m.). Ebensowenig möchte ich die verschiedenen Bedeutungen von
<AxP JsJS' ^) vom Namen der Inder ableiten (S. 91) und erst recht nicht den Namen
der arabischen Stadt ..)_:SAJ vom sskr. nagara (S. 88). Von einer Ansiedlung indischer
Kaufleute im arabischen Binnenland, die allein einen solchen indischen Namen er-
klären könnte, haben wir keine Spur und von »Kastenwesen« in Nagrän auch keine.
Als Anhang gibt Siddiqi eine Anzahl Verbesserungen zum Text Dschawäliqi's,
denen ich fast ausnahmelos zustimmen muß ^). Nur kann ich die Änderung ,..Löw.j in
dem seltsamen Verse mit zwei persischen Wörtern nicht annehmen. Ich setze für diese
französische und übertrage den Vers: »indem ich nicht sage »vite«, auf daß mein Gefährte
sich beeile, und »prends« in meiner Brust (meinem Herzen) mir schwer fällt« 3).
o y
Zu Dschawäliql 153, 5 ist, so viel ich sehe, Sach.\u's Verbesserung S. 1S5 X.iüi4.^)
nicht bloß wahrscheinlich, sondern ziemlich sicher.
Der inzwischen in sein Vaterland zurückgekehrte Verf. wird dort ohne Zweifel kräftig
für die Wissenschaft wirken, sollte ihm gleich als einem zu sehr Europäisierten mancher
Widerstand entgegentreten. Möge ihm ein guter Erfolg beschieden sein !
Karlsruhe, im Juni 1920. Th. Nöldeke.
CoRNELis VAN Arendonk, De opko': st van hei Zaidietische Imamaat in Yemen. Leiden,
Boekhandel en drukkerij vorheen E. J. Brill, 1919. XVI u. 348 S.
Drei Ereignisse sind für die Geschichte der Zaiditen richtunggebend geworden: der
Aufstand des Zaid b. 'Ali zu Küfa im Jahre 122/740; die Errichtung der ersten zai-
•ditischen Herrschaft durch den Dä'i Hasan b. Zaid b. Muh. in Tabaristän seit
250/864 und die Gründung des bis heute bestehenden jemenischen Imamats durch al-
Hädi ilä '1-haqq Jahjä b. al-Husain im Jahre 284/897.. Für eine Untersuchung
über die Entstehung des Nordstaates liefern die bis jetzt ai)fL,'efundenen Quellenwerke noch
nicht die hinreichenden Unterlagen. Dagegen ist im Nachtrag zum vorliegenden ^^'erk
(S. 307) eine Arbeit von E. Griffini über Zaid und sein l-'echtsbuch als demnächst er-
scheinend angekündigt und bereits zitiert. Und während man mit großer Erwartung der
Antwort auf die Frage entgegensieht, inwieweit Zaid selbst der geistige Urheber der nach
') Belegt im Lisau.
2) Das ^l».*jl Liai» habe ich allerdings augenblicklich nicht zur Hand, aber daß
Siddiqi ein weit besserer Arabist ist, als es der Herausgeber jenes Büchleins war, versteht
sich von selbst.
3) Für IJj: ist rein persisch i3»: zu lesen; das an bistän gehängte i wird richtig sein.
Ein kurzer Vokal wird durch das Versmaß gefordert, und da liegt das Kasra so nahe wie
als Ersatz für das I'räb in den beiden Bedeutungen von Juts sowie in der als korrekt gelten-
den, im Leben freilich wohl wenig beachteten Umformung der persischen Endung von
Personennamen öje oder öe. Seltsamerweise geben die meisten europäischen Gelehrten
gerade dies, sozusagen in der Luft schwebende, i in Namen wie Sibaivaihi (aus Seböje)
wieder, während doch niemand das wirkliche Präb in 'Omaru, Makkatu, Mu/iammadun
■usw. beibehält. Wie ^Omar usw. soll man daher erst recht Slbawaih schreiben.
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 2/1
ihm benannten Richtung ist, kann man C. van Arendonk den aufrichtigsten Dank ab-
statten für seine gründliche und gewissenhafte Darstellung von Person und Werk des
ersten jemenischen Zaiditenimams.
Die Munifizenz der De GoEjE-Stiftung bot Ar. Raum für eine weitausgreifende Dar-
stellung. Er gibt zuerst einen doppelten Unterbau: die Einleitung bietet einen Abriß der
-alidischen, dann zaiditischen Geschichte bis auf Hädi (S. i — 97), während der Abschnitt
Die Herren von San'ä' im III. Jahrhundert (98 — 114) in das Verständnis der verwickelten
Verhältnisse Jemens zur Zeit seines Auftretens einführt. Ihm selbst, vor allem seinen
Kriegszügen, sind dann zunächst 3 Teile gewidmet: Die Aufrichtung seiner Herrschaft in
Sa'da (115 — 158); Widerstand im Gebiete Haulän und Nagrän (159 — 190) und Hädi in
San'a* und der Kampf mit den Qarmäten (S. 191 — 227). Dann würdigt ein abschließendes
Kapitel AI Hädi als Imavi (S. 22S — 280) seine Persönlichkeit und seine schriftstellerische
Bedeutung.
Seinem eigentlichen Gegenstand durfte Ar. eine ausführliche Skizze über die Schia
nur vorausschicken, wenn er diesem alten Thema neuen Stoff zuführte. Und das ist auf
das reichlichste geschehen. Die Schilderungen der alidischen Aufstände erhalten frische
Farben durch die Ausschöpfung handschriftlicher Quellen, in erster Linie der zaiditischen
Werke, vorab der Imamcnbiographien, aber auch z. B. der tadkirat al-fiawäss des Hane-
fiten Sibt al-GauzT, ferner durch die starke Heranziehung von bislang nur spärlich
oder gar nicht benutzten Bombayer Drucken, den niaqätil des Abu M-Farag al-Isba-
häni, dem k. al-iimda und k. chasa'is wa^ij al-mubin des Imamiten al-Bitriq, dem
imamitischen k. ar-rigäl des Nagäsl und vor allem der erstmaHg durch Snouck Hur-
GRONjES Mekka (s. dort Bd. I, XVIII; 35 ff. u. ö.) näher bekannt gewordenen 'umdat
at-tälib. Den schiitischen Stimmungen und Gedankengängen der alten Zeit wird Ar.
ähnlich wie Fr. Buhl in Alidernes Stilling gerecht durch Wiedergabe auch manch neuer
Klänge aus alten Liedern der Ibn Qais, Abü'l-Aswad ad-Du'äll, Kutaijir und
besonders Kumait und Saijid al-Himjarl (S. 13 ff.). Als neuen Führer durch das
Gestrüpp derjenigen schiitischen Verzweigungen, die von späteren Systematikern der
Zaidija als Teilsekten eingegliedert werden, wählt Ar. die maqäläl al-islöjnijin des As'arl,
die nächst der knappen Aufzählung des Abu 'Isä al-Warräq bei Mas'üdl V, 474
zurzeit unsere .älteste vergleichende Darstellung der islamischen Religionsparteien sind.
Wie in seinem ganzen Werk, so hat auch hier bei der Untersuchung über die Untergruppen
('S. 71 — 86) der Verf. sich sorgfältig bemüht, den gesamten Stoff zusammenzutragen, und
auch abgelegenere W^erke durchsucht: die fusül des Gähiz sowie den Makhül b. al-
Mufaddal an-Nasafi und den Muh. b. Sa'Id al-Azdl (vgl. 69 No. 6 und 71 No. 3).
Da ist es nun bei der Fülle der vielfach verworrenen Nachrichten bezeichnend, daß aus
zaiditischen Werken für die Kenntnis der 3 bis 10 sogenannten zaiditischen Teilsekten
nichts zu gewinnen war. Nicht als ob man ein eigens von einem Zaiditcn verfaßtes
Sektenbuch so stark vermißte, denn die Sektenbücher sind gerade für die Aufklärung
der Zusammengehörigkeit wenig geeignet, und das späte zaiditische k. al-niilal wan.
nihal in der Enzyklopädie des Ibn al-Murtadä ist, da einfacli aus den übliclien ein-
schlägigen Werken entlehnt, nur eine Enttäuschung. Übrigens gibt es von Hädi
selbst und seinem Sohn und Nachfolger Abu M-Qäsim Muh. al-Murtadä eine Aus-
einandersetzung mit den Sekten überhaupt. Sie ist durch Murtadä's Freund, den
unten näher zu bezeichnenden Abu M-Husain at-Tabarl, zusammengestellt zum
k. al-usül. Leider ist Berl. 3395, das allerdings nur [den zweiten Teil enthält, mir
zurzeit nicht zugänglich; ich kann hier nur belegen, daß in der summarischen Auf-
zählung (Fol. 29 b) die Gärüditen, Batriten, Sulaimäniten usw. fehlen. Und kommen
■die Teilsektenführer in zaiditischen Werken gelegentlich \or, dann wird nur ganz all-
272 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
geinein ihre schiitische Gesinnung bezeugt. So zählt Muslim al-Lahgl (s. Ar. X) in
Berl. 9664 Fol. 14 a und 39 a den Hasan b. Sälihund Katlr an-Nawwä' unter denen
auf, die ihre »schiitische Gesinnung aus Furcht vor den Omaijaden und Abbäsiden nicht
zeit^ten«. Daß sie irgendwie dem Verfasser als Häupter einer" zaiditischen Batrija (75)
näher ständen, wird mit keinem Worte angedeutet. Neben ihnen sind u. a. mehrere Männer
genannt, die Ar. in den Beilagen I — IV (S. 281 — 291) nach Klassenbüchern, Nisbenkata-
logen und Überliefererlisten identifiziert, z. B. der Räfidit Muhauwal b. Ibrähim (291)
und sonderbarerweise auch Basir ar-Rahhäl (gegen die Quellen bei Ar. 288 ult.). Daß
keine zaiditische Sonderüberlieferung über eine einstmalige nähere Zusammengehörigkeit
mit jenen Untergruppen besteht, zeigt vielleicht gerade eine Darstellung, in der jene
Führer ausdrücklich innerzaiditische Sektenhäupter genannt werden. Der zaiditische
Apologet aus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts H., Ibn Humaid, zählt im <az<rff/<.
Berl. 4947, im Anschluß an Listensammler, wie DahabI, eine Anzahl von Gelehrten auf,
die er wegen der Verbreitung schiitischer Traditionssätze, Stimmungen, Wissenschaften
und Geschichtsbeurteilungen als zaiditenfreundlich in Anspruch nimmt. Hier kommt
alles auf den Zusammenhang an. ■ Es stehen Salama b. Kuhail, Hasan b. Sälih
und Abu M-Gärüd als' Überlieferer mit je ein paar Zeilen zwischen ausführlich behandel-
ten Männern, ^wie dem Schäfi'iten (s. Ihn Hallikän 626) al-Häkim an-NIsabürl
b. al-Baiji' wegen seines tmistadrak, dem Historiker Tabarl wegen seines k. al-wiläja-
fi iuruq Aadit Gadir (vgl. Ar. 19 No. 2), dem Hanefiten Saibäni wegen seiner Benutzung
des k. as-sijar vom Imam Muh. an-Nefs az-Zakija (Ar. 45) und Säfi'i wegen seiner
Lieder (x\r. 290; weitere Proben bei 'Abdallah b. Zaid al-'AnsI in Berl. 10325, FoL
260 b). Freilich fügt Ihn Humaid dem Namen Salama die Marke bei »von den besten
der Zaidlja<i (¥o\. lOi b) und setzt zu Ibn Sälih und Abü'l-Gärüd das übliche »nach
ihm ist die Sälikija-Gäriidlja — • von der Zaidlja benannt« hinzu (Fol. 102 a und 108 a),
aber der unbefangene Leser kann daraus nicht den Eindruck erhalten, daß er etwa diese
drei als ihm nähere Parteifreunde vor den andern zu sich heraushöbe, eher käme man
nach dem ganzen Tenor auf die Vorstellung, der madhab des Saibäni, d.h. die hane^
fitische Juristenschule sei ein Ableger der zaiditischen. Aber irgendeinen Grund muß die
Eingliederung doch haben. Ar. bietet wohl den richtigen Anhalt. Er meint (S. 29 u. 282)
den Abu M-Gärüd Zijäd b. al-Mundir al-Hamdäni mit Zijäd an-Nahdi (Tab.
II 1711) identifizieren zu können, wie denn auch Ibn Humaid zu seinem Namen hinzu-
fügt: wa qtla Nahdl. Dann wäre er also mit Zaid gefallen. Und das hat man ihm nicht
vergessen. Die Folge ist, daß er in alle Sektenbücher als Zaidit hineingeriet und vielleicht
erst aus diesen als Zaidit in zaiditische Werke übernommen wnirde, und das alles trotz
seiner Imamenlehre (72). Noch weniger wollen seine übrigens in ihren Ansichten sehr zer-
fahrenen (Bagdad!, farq zum Artikel Gär.) Anhänger zu den Zaiditen passen, wenn sie
dem Wiederkunftsglauben huldigen und die von den Zaiditen schroff verworfene mut'a-
Ehe billigen (72 No. 9). Das endgültige Urteil über die Untersekten möge vertagt werden,
bis das Material über Zaid selbst vorgelegt ist. Doch das kann schon jetzt festgestellt
werden: Spätestens seit Anfang des 3. Jahrhunderts, für welche Zeit wir den Lehrtropus
der Zaiditen bei Hädi's Großvater al-Qäsim im wesentlichen abgeschlossen vorfinden,
gehören die Gärüditen nicht mehr zu ihnen. So lange sie aber früher dazu zählten, gab es
eben noch keine wirkliche geschlossene firqat as-Zaidlja. — Ähnlich steht es mit den übrigen
Untergruppen. Bei der Batrija könnte man schon eher ein sachliches tertium compara-
rionis finden: ihre maßvollere Imamatslehre und — wenigstens die Worte — im Aktions-
programm einiger Batriten. Ar. denkt an ein Aufgehen in die Zaidlja (79). Das mag
bei dem einen oder andern zutreffen, wie denn Salama b. Kuhail wegen seines hohen
Alters oder seines Todes vom Vorwurf des Verrats an Zaids Sache freizusprechen ist
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 273
(282). Aber man sieht sonst so gar kein Zusammenarbeiten (78 ult.). So dürfte man.
wohl gerade unter den Batriten bei ihrer Neigung, sich in der Theorie und vor allem in
der Praxis mit den gegebenen Verhältnissen abzufinden, nach den Männern suchen, die
die alidische Frage im sunnitischen Sinne, d. h. durch das tasaiju' hasan, gelöst haben
(vgl. 77). — Sulaimän b. Öarir wird in Ar. 's Quellen nur einmal genannt. Er
habe dem Ja hjä b. 'Abdallah (gest. im Gefängnis des HärQn ar-Raschid) gehuldigt
(291). Doch wird dieser nicht unbestritten als Imam der Zaiditen anerkannt. Hädi's
Gefährte Muh. b. Sulaimän al Küfl übergeht ihn (vgl. slra bei Ar. 117 No. 3),
und Ibn Öarir wird weder von Lahg:I,noch Ibn Hu maid erwähnt. Nur bei Ibn Mur-
tadä und seinem Kommentator an-Nagari finde ich eine kurze Notiz, er habe für einen
Propheten und einen Imam die taqija als unstatthaft erklärt (Berl. 491 1 Fol. 198 a unten).
Hädi's Streitschrift gegen ihn (278 und No. 2) liegt in Mailand. Einer freundlichen früheren
Mitteilung von E. Griffini gemäß heißt es im dortigen Sammelbande von Abhandungen
des Hädi in Ambr. E 413 I Fol. 71 a: k. ar-radd 'alä man za'ama ann al qur^äna qad
dahaba ba'diihu mas^ala ar radd 'alä [Sulaimän] ibn Garlr. Sulaimän ist durch Griffini
hinzugefügt. Über das Verhältnis dieser quaestio »Widerlegung des Ibn Ganr« einmal zu
der im ersten Beiheft des Islam (S. 34 No. i) gegebenen Polemik und andrerseits zu dem
von Ar. (S. 251/52) vorgeführten Buch von der Integrität des Koran wäre eine Aufklärung
auf Grund der Mailänder Handschrift sehr erwünscht.
Nicht minder verworren, aber viel weniger betreten als der Weg zu Hädl als zaiditi-
schem Imarn ist der zu ihm als jemenischem Fürsten. Da ist es ein großes Verdienst des
Verfassers, daß er uns mit den hauptsächlichsten jemenischen Großen bekannt macht,
ehe er auch noch den Zaiditen auf den Schauplatz des allgemeinen ununterbrochenen
Kleinkrieges führt. Ar. 's Unterlagen sind zumeist handschriftliche Werke. Mit welcher
Vorsicht sie zu benutzen sind, mag ein Beispiel zeigen: Bei einer starken Unstimmigkeit
in den Statthalterlisten zu Beginn des III. Jahrhunderts, die übrigens der Verf. an-
sprechend durch eine doppelte Lückenhypothese zu lösen sucht, geht derselbe Hazragi
(Br. II 184) einmal in der kifäja mit der bah^at az-zaman des Ibn al-Magid (Br. N.
zu II 171) und ein andermal im tiräz mit dem k. as-siilük des Ganadi (Br. II 184; s. Ar.
10 1 und No. 4).
Für die Geschichte des Hädi gewinnt man aus seinen eigenen Werken bislang nichts.
Um so mehr ist Selbstgeschautes gesammelt in der slra (Ar. XI— XIII). Ihc scheint mir
an Wichtigkeit zunächst gestanden zu haben eine Schrift des obengenannten Abu '1-Hu-
sain Ahmed b. Mflsä a^-'fabari. Lahg'i zählt sie neben dem k. al-masäblh (Ar.
',08 oben) und der ifäda des Abu Tälib an-Nä^iq namentlich auf unter den Werken
zur »Geschichte der Imame im allgemeinen und des Hädi und seiner beiden Söhne im
besonderen«. In Berl. 9664 Fol. 13 b heißt sie /.', al-mnbr, auf Fol. 38 b fehlen die Punkte
bei n und b (oder ;?). Der Verf. erzählt im k. al-usül (Berl. 395 Fol. 29 b), er habe Ja-
baristän und Choräsän, die Persis, 'Iräq, Syrien, Nordafrika und das Hi|-äz durchwandert
auf der Suche nach dem, der alle Eigenschaften des echten Pro^hetensohnes vereine, bis
er zu §a'da in Mu^i. b. al-Hädi sein Ideal gefunden habe. Auf das Werk des Abu
M-Husain at-fabari folgt das Mailänder^, al-ma^äbik vom Anfang des 5. Jahrhunderts
H., in dem der Abschnitt über Hädi vom Verfasser Abu 'l-'Abbäs al-Hasani be-
gonnen und von seinen Zeitgenossen 'Ali b. Biläl vollendet wurde (RSO. III 572). Sehr
schade ist es um den Verlust des bei Latig;! (a. a. O.) genannten andern Werkes desselben
Abu ' l-'Abbäs al-Hasani. Nach dem im handschriftlichen Befund nicht ganz ein«
deutigen Titel ar-radd 'alä Jsj>LAil lil-f}iläf bain al-Hädi wan-Nä.^ir lil-haqq (d. i. al- Ha-
san al-Utrü§) gab es Aufklärung über das Verhältnis oder vielmehr den Gegensatz des
ersten jemenischen Zaiditenimams zum gleichzeitigen Imam des noch so wenig bekannten
Islam XI. 18
2 74 Kleine Mitteilunsren und Anzeig'en.
nordischen -Zaiditenstaates. An die masalnh reihen sich an die durch Ar. reichlich be-
nutzten i/ärfa, hadffiq al-wardij'a usw^ bis zu den anbä* az-zaman vom Anfang des 12. Jahr-
hunderts H.
Hädi zählte bereits 38 oder 39 Jahre, als er das jemenische Imamat gründete. Über
diese erhalten wir aber nur karge Angaben. Bloß in den gatcähtr wad-diirar in der En-
zyklopädie des Ibn Murtadä finde ich eine Mitteilung, daß er außer, wie auch sonst
bezeugt, nach Däilam auch zum 'Iräq »ausgezogen« sei (Berl. 4894 Fol. 66 b). Sein erster
erfolgloser Versuch in Jemen im Jahre 280/893 wird nur verschämt und nicht ganz zuver-
lässig (ii8 No. i) angedeutet. Für das Imamat selbst ist eine Fülle von Daten und Tat-
sachen gegeben. Die Chronologie macht im allgemeinen keine Schwierigkeit. Es reicht
von Anfang 284 bis Ende 298/897^ — 911. Nur Ibn Murtadä gibt als Todesjahr 299 an,
wenigstens das Berliner Ms. (a. a. 0.), das aber auch andere Ungenauigkeiten aufweist.
Das erste jemenische Zaiditenimamat sieht nun folgendermaßen aus: die Hauptorte treten,
durch die traurig zerrissenen Verhältnisse veranlaßt, auf Grund diplomatischer Verhand-
lungen unter die Herrschaft des Hädi : Sa'da und Nagrän im Jahre 284, San'ä' im Jahre
288. Aber der Versuch zur Durchführung eines wirklichen Regimentes, zur Organisation
des Staatswesens durch Besteuerung (vgl. die Sammdnote 2 auf S. 236), stößt auf Wider-
staiid, und das Imamat löst sich auf in eine ununterbrochene Reihe von Straf zügen. Die
Kampfschilderungen wirken in ihrer absichtsvollen Aufmachung ermüdend (vgl. die
»Trüppenaufstellungen« nach dem Vorbild des Propheten: S. 139 No. 8; 142 No. i; 143
No. I ; 153 No. I u. ö.). Dabei ist in den vorliegenden Werken noch keine von den angeblich
73 Schlachten mit den Qarmäten (S. 222 und No. 8; so auch gawähir a. a. 0.) beschrieben.
Von den jemenischen Großen erweist sich schließlich nur einer, der »König« von San'ä',
Abü'l-'Atähija, als ganz zuverlässig, die getreuesten seiner Truppen sind eine kleine
Schwadron von Tabaristäner Reitern. Als Zeit seiner höchsten Machtentfaltung kann
etwa das Jahr 288 gelten, als er nach dem Einzug in San'ä' wagte, seine Familie nach-
kWnmenzu lassen (198), oder das Jahr 293, als Nagrän kurz zuvor wäeder einmal bestraft
war, Hädi an der Spitze (?) einer antiqarmätischen Koalition wieder einmal in San'ä'
einzog (219) und selbst in die Tihäma hinunterzustoßen wagte (180; 214). Aber die Herr-
schaft in Nagrän war »stets unsicher« (180). Selbst in .^a'da hofft man schon im Jahre 285
Tiaeder auf einen abbasidischen Präfekten (159), will man seine Gefangenen befreien (161)
üiid begellt man während des Gottesdienstes ein Attentat auf ihn (242). Und das Geschick
von San'ä' während des Jahrzehnts von Hädi's erstem Einzug bis zu seinem Tode zeigt
folgendes Bild, das ich im Anschhiß an Ar. nicht ganz ohne Vorbehalt zeichne, d. h. die
Wirklichkeit kann noch um einige Töne bunter sein:
" , 288 Muiiarram: Hädi übernimmt S. von Abu 'l-'Atähija.
,, Gum. I oder 11: H. durch den Ja'furiden 'Abdalqähir b. Ahmed verjagt.
,, Rag: H. erobert S. zurück, das aber von zwei untereinander feindlichen Par-
teien, den Ja'furiden und ihren Klienten, den Tarifiden, feindlichen Verwandten
des Abu ' l-'Atähija, blockiert bleibt.
289 . Gum. II: H. gibt S. auf; Einzug des Tarifiden Ibrahim b. Halaf, der
.nominell die Oberhoheit (?) der Ja'furiden As 'ad und 'ütmän b. abi
'l-Hair^ und zwar diesmal als abbasidischer Statthalter, anerkennt.
290 Gum. I und II: Ergebnislose Bündnisverhandlungen zwischen H. und den
Ja'furiden; H.s vergeblicher Zug gegen S. ; sein Sohn Muh. gefangen. Auf-
.,,--.,, : treten des abbasidischen Generals Kftmr, der von Ibn Halaf gefangen wird.
iih . 29i^^.<^arräh b,. Bisr, Verweser des Ibn yalaf, empört sich gegen diesen und
erobert S.; Kftmr befreit sich. In S. Kämpfe zwischen Ja'furiden und
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 275
Kftmr; beide beanspruchen die abbasidische Statthalterschaft; Kftmr fällt;
die Ja'furiden As'ad und 'Utmän b. abl M liair Herren von S.^,., ,,.
292 S. durch Ibn ^alaf bedrängt. 'Utmän empört sich gegen As'ad und
wird verjag.
293 Muharram: der Qarniät 'Ali b. Fadl erobert S.
Rab. II: Husain b. Kaijäla, Klient der Ja'furiden, besetzt S.
Gum. II: Gemeinsamer Einzug des H., der Ja'furiden und anderer Großen.
294 Muharram: Ibn Kaijäla gegen H.; Flucht des H.; Herrschaft des As'^d
b. Ja' für.
„ Rag. : Rückkehr des Qarniäten Ibn al-Fadl nach S.
297 Sa'b: Vertreibung der Qarmäten; Einzug des Muh. b. H. in S.
„ j-iauw. Muh. b. H. gibt S. auf; Rückkehr der Qannäten.
„ Ende Sauw. Abzug der Qarmäten. Rückkehr von Ibn KaiJ9,la und
Garrä^.
„ Du '1-h. Rückkehr des As'ad b. Ja'fur als Lehnsherrn der Vorgenannten.
298 S. unter den Ja'furiden; Streit zwischen den KHenten; Ibn Kaijäla ver-
treibt den Garräh.
Als Hädi starb, war er bereits wieder uf Sa'da beschränkt. Wohl hat er Herrscher-
recht aufgeübt; es gibt Münzen von ihm (196). Aber aus den vorgelegten Quellen erhält
man keine Auskunft, inwieweit Hädl seine Jemeniten zu Zaiditen gemacht ha:t.i Wohl
sieht man einen Großen zum Zeichen des Anschlusses an ihn die schiitisch-zaiditische
Gebetsruf formel annehmen (S. 149); aber die Bewohner von San'ä' sind gegen jede »Neue-
rung« und wollen bei der »Gesamtheit« bleiben (276 No. 8). Wohl hört man von der Ein-
setzung von Statthaltern und Richtern, die nach seinem System verwalten und Recht
sprechen sollen, aber diese sind mit ihm. gegangen wie gekommen. Gerade der Erfolg
bUeb ihm versagt, der seiner Lebensarbeit erst den rechten Sinn gegeben hätte: die Zer-
rissenheit Jemens durch Weckung eines neuen, religiös-pohtischen Zusammengehörigkeits-
gefühls zu überwinden (vgl. z. B. 153; 184 No. 3; 189). Kulturarbeit hat er nicht leisten,
nicht einmal seine Moschee in Sa'da fertigbauen können (227). So sieht der unbefangene
Leser in dem ersten jemenischen Zaiditenimam keine andere politische Größe als i» den
sonstigen HäuptHngen Jemens. Anders die zaiditischen Quellen, besonders die slra/, Sie
sind gehalten im Stil der Prophetenbiographien und der magäzt-Bü.c'her. Und der ver-
herrlichende'Ton ist durch Ar., der gern hinter ?eine Quellen zurücktritt, gut erhalten,
wie denn auch der Verf. mit bester Sprachkenntnis aus den nicht immer leicht zu lesenden,
meist nur in Einer Abschrift vorliegenden Quellen verschiedene Proben von den einge-
:treuten Liedern Hädi's bietet. Weite Abschnitte der Biographien lesen sich wie eine
absichtsvolle Zusammenstellung von geschichtlichen Belegen zu den Rechtsbüchern.
Diese Beispiele zeigen zwar an Hädi's tatsächlichem Bemühen die Wirklichkeit des Ge-
setzes, aber für die Praxis der nachgeordneten Stellen kann schon weniger gebürgt werden
(236 No. 6), und beim Volke blickt die »Gebrechlichkeit« des Islam überall hindurch (123
No. 4 und Beil. V, 292/3). Die Balharlt von Nagrän behaupten, zu keinerlei Abgabe ver-
pflichtet zu sein (183). Wein (s. Index), Weiber und Knaben (137 No. 9; vgl. auch 191)
sind starke Motive. Die Sitte, dem Gast für die Nacht die weibUchen Angehörigen zu
überlassen (149 No. 4), bezeugt für das 11./17. Jahrhundert auch die Vita des Imam a.1-
Mutahhar al-Gurmüzi aus dem westlichen Gebiete von Nagrän (Berl. 9744 Fol. 49 b;
kürzer als bei Ar. 149 No. 4 und mit nisa'ahiim statt »Tochter und Schwester«). Mit
dem besonderen Blick auf die einschlägigen Rechtsgrundsätze wird in den Quellen die
Kriegfühnmg des Hädi gezeichnet. Hier werde lieber die einfache Tatsache bßfent:
Wie er als Fürst das Streben nach Popularität in das nach Hoheit umleitete (239.-rr24i)i
276 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
so schritt er nach dem Versuch, die ersten Widerstände durch Milde zu brechen (133),
zu rücksichtsloser Schärfe fort: Wohnungen werden zerstört, Bäume umgehauen, Dorf
für Dorf vernichtet (135, 155, 169,. 171 usw.). Gerade hierbei ist es besonders schade, daß
uns außerzaiditische Quellen nicht begleiten. Denn naturgemäßiiiaben alle diese »Straf-
züge« noch lange nachgehallt in Anklagen auf Verletzung des Kriegsrechtes. Manchmal
hört man selbst in zaiditischen Werken die Stimme der Gegner, z. B. bei dem Recht-
iertigungsversuch für den Imam Mahdl (erschlagen 656/1258) wegen seiner Grausamkeit
gecen die Bätiniten (sehr ausführlich in Berl. 9741 S. 282 f.; zur Beurteilung der damah-
gen Zaiditen vgl. Snouck Hurgronje, Mekka I 34). Aufgefallen ist mir in den Bio-
graphien dieser späteren Imame, daß die Zaiditen gegenüber den Feinden oft kurzweg
als »die Muslime« bezeichnet werden. Das bedeutet doch: der Kampf gegen die Feinde,
die dem Namen nach alle Muslime sind, wird nicht als quäl al-biigät, Bekämpfung der
Empörer, sondern als gihäd gegen die Ungläubigen aufgefaßt. Das führt auf die Frage
des iekflr, d. h. welche Muslimgruppen man als muslimisch nicht anerkennen kann. Sie
bedarf, als für die gesamte innerislamische Stellung der Zaiditen ausschlaggebend einer
besonderen Untersuchung.
Das günstige Bild, das die Biographen von Hädl zeichnen, erhält noch seine
besondere Tönung durch die auch von Ar. reichlich nachgezeichneten hagiographischen
Züge. Sie kennzeichnen freilich weniger den Imam als die Bevölkerung. Auch in Jemen
war der Aberglaube, dieser Ersatz für den »gebrechlichen« Glauben; nicht immer wähle-
risch. Mit tiefer Inbrunst verehrte man z. B. später auch das nach dem üblichen Moschus-
geruch duftende Grab des eben erwähnten, von seinen eigenen Leuten abgesetzten und
später gefallenen Imam Ahmed b. al-Husain al-Mahdi (fjazragl, 'iiqüd lu^hi'ija .
144). Von Hädi's Prophetengabe Heß sich übrigens auch noch Mas'Odl (IV 50) einige
dreißig Jahre nachher erzählen. Die Würde seines heihgen Blutes mag ihm wohl gelegent-
lich gegenüber einfachen Leuten unter seinen Feinden in sowieso schon für sie heikel
gewordenen Lagen zum Erfolg verholfen haben (144), aber z. B. das einzige, was er nach
zwölfjährigem Ringen um Nag-rän davonträgt, ist der Hohn auf »Allah's Zorn und des
Propheten Fluch« (188). In einem Punkte hebt sich das erste jemenische Zaiditenimamat
recht wohltuend von manchem späteren ab und auch von vielen andern alidischen Herr-
schaften: Hädi, der früher selbst versucht hatte, sich in das bereits bestehende zaiditi-
sche Reich des Nordens einzudrängen, hat in Jemen 'keinen alidischen Mitbewerber zu
bekämpfen brauchen, wenn er auch mit den Ränken und der Begehrlichkeit, wie mit der
Indolenz seiner Verwandten vom heiligen Blut seine Erfahrungen machen mußte (244 f.).
Ist nun Hädl bei aller Unvollkommenheit seiner politischen Schöpfung der Gründer
eines Zaiditenstaates? Ich möchte die Frage bejahen, aber nur unter gleichzeitigem
Hinweis auf seine schriftstellerische Tätigkeit. Sie schuf für einen engeren Kreis seiner
Getreuen die Norm des Zusammenhaltes und bot für die weitere Zukunft den autoritativen
Halt, das geistige Mittel zum Durchhalten. Ar. bietet (251 — 278) sehr dankenswerte
Inhaltsangaben seiner allerdings wenig originalen staatsrechtlichen und theologischen
Werke. Echtheitsfragen werden schon insoweit aufgeworfen werden müssen, als die
Niederschriften, Zusammenstellungen und Schlußredaktionen vielfach durch Fremde
besorgt sind. Das auch dem Zaid b. 'Ali zugeschriebene k. tatbit al-imäma fällt außer
in der »Art der Beweisführung« (258) auch durch den Stoff selbst stark neben Hädi's k. ß
tatbit al-imäma ab (vgl. die beiden Dispositionen bei Griffini in RSO. III 93 Mitte und
Ar. 253 Mitte). In diesem letzteren findet sich wieder die echt zaiditische Inkonsequenz,
daß man in der Deduktion stets haarscharf bis an die Ungläubigkeitscrklärung des Abu
Bekr und 'Omar herangerät (besonders 254; 256), ohne daß diese in einem positiven Aus-
sagesatz ausgesprochen wird. Seine mu'tazilitische Theologie nimmt HädT wie die Zai-
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 277
diten überhaupt als Erbgut des hl. Hauses in Anspruch (277 No. i). Merkwürdig ist, daß
Abu M-Husain at-Tabarl unter den zu meidenden Sektierern auch den mu'tazil^
saidT neben dem tnu'lazili 'tihnänl nennt (Bcrl. 3395 Fol. 29 b).
Von den Gegnern des Hädl dürfen die Qarmäten ganz besonderes Interesse bean-
spruchen. Aber wenn dieser Name auftaucht, geht mit den meisten Erzählern die Phan-
tasie durch. I'nd wenn die den Ereignissen zunächstsleheiide slra ausdrücklich Fälle
bezeugt, in denen sie nicht getötet haben, so fügen spätere das stereotype »Morden und
Frauenschänden« hinzu (217 No. 7). Und wo sie vom Wciberschlachten zum mindesten
schweigt, trägt man das reichlich nach, der eine mit der Angabe von einigen 300, der
andere von 4 Tausenden umgebrachter Frauen (223 No. 5). Ar. trägt in Beil. V (S. 302
bis 306) das Material über ihre Ethik und Theologie zusammen. Es ist gestimmt auf den
Vorwurf, daß sie »alles Erlaubte verboten und alles Verbotene erlaubten« {sira bei Ak. 302).
Man wird die Erinnerung an die Enthüllungen bei Origenes xcztct KeXaou oder Mi nu cius
Felix im Octavius(hQs. 8 — 10) nicht los. Geglaubt wird diese ganze chronique scandaleuse
noch heute in Jemen. Gerade die gröbsten Dinge, daß Ibn FadI die Moscheen zu Pferde-
ställen machte und seine Leute die Weiber schlachten ließ, damit sie durch sie nicht vom
Krieg zurückgehalten würden, hatten sich dem Gedächtnis des I-Cibsi (Br. II 502) ein-
geprägt; und sie hat er 1293/1S76 in den laß^if as-samja niedergeschrieben (Berl. 9746
Fol. 3b). Wertvoller ist der Beitrag des Lahgi zu ihrer Gotteslehi-e. Man erkennt
deutlich, daß es sich um Emanationen handelt (205, besonders Z. 4 und 5 oben, 3 unten).
Freilich macht ilire schillernde wechselnde Benennung: künl (femininum bloß wegen
Rhythmuszwang.'') (306 oben) = sabiq^= 'aql (305) ihre Identifikation mit den gnostischen
Aeonen noch sehr unsicher. Noch Lahgl lagen Qarmätenschriften »in sehr großer Zahl«
vor (305 p. u.). Die anbä* ao-zaman verweisen auf eine Predigt mit Glaubensbekenntnis
von Ibn al-Fadl (303). Wir können einstweilen nur mit Ar. (306) auf Aufklärung
durch die Mailänder Bätinija-Werke hoffen; auch die seit Ajilwardt reichlich vermehrte
Berliner Sammlung von Drusenschriften könnte noch wichtige Beiträge liefern zur
Kenntnis der Gnosis, der ein Muslim sch(.n deshalb leicht verfallen kaim, weil sein inkon-
sequenter Prophet den Einen Gott in vielen Himmeln übernahm.
Noch manche Epoche des späteren Zaiditentums ist durch ausführliche Quellen
belegt; für einige steht auch das so notwendige Korrektiv nichtzaiditischer Werke bereit.
Und über Kay, Yaman hinaus bedürfen noch so viele Abschnitte der Geschichte des mus-
limischen Südarabiens der Untersuchung. Dabei darf und wird (vgl. 226 No. 7) die ge-
wissenhafte Arbeit van Arendonks nicht fehlen. Einstweilen werde ihm lebhaft gedankt
für dies Bild des Hädi. Wenn auch an den Ausmalungen der Biographen manche Ab-
striche vorzunehmen waren, so blieb er doch eine kraftvolle und nicht unsympathische
Erscheinung: ein unermüdlicher Krieger und frommer Muslim, ein berechnender Staats-
mann nicht ohne das Bewußtsein einer höheren Berufung, ein gebildeter Araber mit täti-
gem geistigem Interesse. Snolck Hurgronjk, der so manchen Aliden von mehr als
zweifelhaftem Charakter scharf gezeichnet hat, wurde dieses mit spürbar warmherziger
Anteilnahme geschriebene Werk über einen Aliden seltener Art als Doktordissertation
vorgelegt. K. .St rothmann.
.\ndrae. Tor: Die Person Muhammeds in Lehre und Glauben seiner Gemeinde. Stockholm
1918. VIU.401S. (= Archives d'dtudes orientales publiees par J. A. Lundell. Vol. 16).
Die Zeiten liegen hinter uns, in denen man vom Islam sagte, er sei im hellen Licht
der Geschichte enstanden. Zwar besitzen wir eine fast unabsehbare Fülle von Nachrichten
278 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
über das Leben seines Stifters, aber was von ihnen nach Abzug alles Verdächtigen und
Gefälschten übrig bleibt, bezieht sich fast ausschließlich auf die raedinische Zeit und die
politische Betätigung Muhammeds; über seine Frühzeit, die eigentlich religiös schöpferische
Periode, wissen wir nur sehr wenig. So wenig unsere Quellen uns instand setzen, ein klar-
umrissenes Bild des Propheten zu zeichnen, so sehr sie uns im Unklaren darüber lassen,
worin das Geheimnis seiner Persönlichkeit bestanden habe, für ihre außerordentliche An-
ziehungskraft liefert uns die Bereitwilligkeit, mit der so viele hervorragende Männer sich
der Führung Muhammeds unterwarfen, das unantastbarste Zeugnis. Während die Schilde-
rungskunst der Nachlebenden die wahre Eigenart seines Wesens nicht festzuhalten ver-
mocht hat, verlangten die Massen der neubekehrten Gläubigen nach einem Bilde von dem
Stifter ihres Bekenntnisses, das die Wirklichkeit weit hinter sich lassen mußte. So begann
denn früh eine Idealgestalt die geschichtliche Erscheinung des Propheten zu verdrängen,
eine Gestalt, an deren Weiterbildung und Umformung dann viele Generationen und die
verschiedensten Richtungen innerhalb der Gemeinde gearbeitet haben. Mag diese Ideal-
gestalt auch mit der geschichtlichen Wirklichkeit nur wenig gemein haben, so ist sie doch
selber eine Macht geworden, von der Jahrhunderte lang starke religiöse und sittliche
Wirkungen ausgegangen sind und heute noch ausgehen.
Andrae unternimmt es in seinem Buche zu zeigen, welche Kräfte zusammengewirkt
haben, um aus dem mekkanischen Propheten, der nichts zu sein beanspruchte, als der
Übermittler der auf ihn einströmenden himmlischen Offenbarungen an seine arabischen
Landsleute, den Wundertäter, Fürbitter, Seelenführer und präexistierenden Übermenschen
zu formen, als der er seit Jahrhunderten im Bewußtsein der Gläubigen lebt. Der geschicht-
liche Muhammed bleibt somit im wesentlichen außer Betracht, aber doch nicht ganz, denn
es gilt zunächst zu zeigen, welche Stellung Muhammed selbst seiner Person innerhalb des
von ihm gestifteten Glaubens zugewiesen hat. Diese Frage erörtert A. in der Einleitung
(7 — 25)^ wobei er darauf hinweist, daß der spätere Prophetenkult immerhin gewisse Selbst-
zeugnisse Muhammeds wenigstens als Anhaltspunkte für seine Zwecke verwerten konnte.
Denn mit der Rolle des bloßen ÜlDermittlers, dessen Person völlig hinter der ihm über-
tragenen Aufgabe zurücktritt, begnügt sich Muhammed in seiner medinischen Zeit nicht
mehr ganz; seine politisch-militärischen Erfolge geben ihm die Gewißheit, daß er in wunder-
barer Weise in Allahs Schutz stehe. In der Forderung, Allah und seinem Gesandten zu
gehorchen, bricht sein erhöhtes Selbstbewußtsein durch, und die Verschmelzung, welche
seine ekstatischen Erfahrungen mit seinem normalen Seelenleben eingehen, führen ihn
schließlich dazu, das, was er selber wünscht, als Allahs Willen anzusehen. Die Sonder-
stellung, welche er für sich in der Reihe der Gottgesandten beansprucht, kommt in seiner
Selbstbezeichnung als »Siegel der Propheten« zum Ausdruck (Sura 33*°).
Im ersten Kapitel »Die Prophetenlegende« (S. 26 — 91) charakterisiert Andrae
zunächst die Tätigkeit der Qussäs, der gewerbsmäßigen Sagenerzähler, die sich früh der
Gestalt Muhammeds bemächtigten. Spuren ihrer Art finden sich in der legendarischen
Prophetenbiographie, die wir in ihrer ältesten uns erhaltenen Form in dem Werk des
Ibn Ishäq besitzen, wenn auch in ihm die »wissenschaftliche« Behandlungsweise, die
sich des Isnad bedient, bereits überwiegt. Die Qussäs nahmen wenig Rücksicht auf die
religiösen Grundsätze des Islam und bedienten sich, ohne an ihrer fremden Herkunft Anstoß
zu nehmen, der mythologischen Vorstellungen, welche ihrem Geschmack oder dem ihrer
Hörer zusagten. Als unverdächtige Zeugnisse für die Schätzung, in welcher damals die
Gläubigen den Propheten hielten, dürfen also ihre Schilderungen nicht angesehen werden;
aber sie haben ihrerseits bei der Umformung des ursprünglichen Glaubens entscheidend
mitgewirkt. Von den einzelnen Episoden der wunderbaren Lebensgeschichte Muhammeds
nach der Darstellung der Sira werden von A. insbesondere die Geburlsgeschichte behandelt
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 279
(29—39), die Himmelfahrt (39—46), Speise- und Wasserwunder (46—48), Heilungswunder
(48—52), die Herzensreinigung (52—55) und die Mondspaltung (55—57)- Die Haupt-
quelle, aus welcher die Erfinder der Muhammedlegende schöpften, findet A. in den Mythen
und Märchen des hellenistischen Kulturkreises, die ihnen zumeist durch Vermittlung
jüdischer und christlicher Kanäle zuflössen, wie sie durch christliche Vermittlung — apo-
krjrphe Evangelien und verwandte Schriften — auch mit buddhistischen Elementen be-
kannt geworden waren. Aber es fehlt auch nicht an altarabisch-heidnischen Einschlägen,
als welche sich vor allem die Berichte über die Herzensreinigung erweisen. Daneben hat
die Sira auf dem Boden des Islam selber erwachsene Bestandteile in Form von lediglich
aus den koranischen Worten herausgesponnenen Erzählungen aufgenommen, von denen
die Mondspaltung das berühmteste Beispiel ist. Nach einiger Zeit tauchen dann mono-
graphische Darstellungen der Wundergeschichten auf. die den Titel ■odaläil an-nitbuwwa«
führen und deren älteste von ai-Gähiz stammt; unter den späteren Werken dieser Art
sind die wichtigsten die des Baihaqi und des Abu Nu'aim, die beide näher charakte-
risiert werden. Im Gegensatz zu diesen Schriften, in welchen der überlieferte Stoff lediglich
in Rubriken untergebracht erscheint, dient er in dem besonders hochgehaltenen Sifä des
Qäd! 'Ijäd zum Ausgangspunkt für dogmatische Erörterungen. Auch die Gestalt, welche
die Muhammedlegende in diesen und ähnlichen Werken der späteren Zeit angenommen
hat, wird von A. eingehend untersucht, insbesondere die Geburtslegende (61 — 68) und
die Himmelfahrt (68—85). Von den Parallelen, welche für die spätere Ausgestaltung der
Geburtslegende herangezogen werden können, sind die buddhistischen die bemerkens-
wertesten und hier ist auch unmittelbare Entlehnung nicht ausgeschlossen, wobei ^auch
an bildliche Darstellungen gedacht werden könnte. Keines der wunderbaren Ereignisse
aus dem Leben des Propheten nimmt in den Erörterungen der Dogmatiker einen breiteren
Raum ein, als die Himmelfahrt, die von den einen realistisch, von den anderen als Traum-
gesicht aufgefaßt wurde; nicht minder umstritten war die Frage, ob Muhammed Allah
von Angesicht zu Angesicht gesehen habe. Noch bedeutsamer ist die Himmelfahrt für
das System der Sufls geworden, die ihre eigenen ekstatischen Erlebnisse oft in den Versionen
der prophetischen Himmelfahrt entnommenen Ausdrücken schildern und die Erlebnisse
des Propheten auf die Geheimnisse ihrer eigenen Seele deuten. Auch die Heilwunder des
Propheten sind in besonderen Monographien behandelt worden.
Das zweite Kapitel (S. 92 — 123) ist dem Wunderbegriff der islamischen Theologie
gewidmet. Dieser geht aus von dem Wunder, das allein aus dem Quran als solches begründet
werden kann, dem r',?«s, der die Menschen außerstande setzt, etwas dem göttlichen Buche
Gleiches hervorzubringen. Mit dem Problem des t\'ßs befaßt sich der as'aritische Theologe
.\bü Bakr al-Bäqilläni (gest. 430) in einer Monographie, deren Gedankengang A.
wiedergibt. An den i'-i^äz knüpft auch der Terminus uiu'iiiza an in dem spezifischen Sinn,
den die Theologen mit ihm verbinden und dessen konstituierende Merkmale nach al 'Igl
dargestellt werden. Auch im Islam sind die ursprünglich so eifrig als Stützen des Glaubens
:iufgegriffenen Wunder später von dem rationellen Denken als schwere Fesseln empfunden
und es sind verschiedene Versuche unternommen worden, sie den Gebildeten annehmbar
zu machen. Die Mu'taziliten nähern sich der Lösung Humes, die älteren .\s'ariten machen
von den Wundern, ohne sie zu leugnen, wenig Aufhebens, während die späteren sie mit den
Waffen der Scholastik zu verteidigen suchen.
■ Die Lehre von der Unfehlbarkeit des Propheten bildet den Inhalt des dritten Kapitels
(S. 124 — 174). Die Tendenz, Muhammed von sittlichen Mängeln reinzuwaschen, macht
sich schon in der Sira bemerkbar, ist aber dort noch nicht stark genug, um die entgegen-
gesetzten Nachrichten vollends beiseite zu schieben. Am unbequemsten ist ihr die Episode
von der vorübergehenden Anerkennung der drei mekkanischen Göttinnen durch den Pro-
28o Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
pheten, die man später durch Unterschieben edler Motive ihrer Anstößigkeit zu entkleiden
suchte, bis schließlich ihre Geschichtlichkeit gänzlich verworfen wurde. Leichtere Ver-
fehlungen Muhammeds hat dagegen die Orthodoxie in Übereinstimmung mit den korani-
schen Selbstzeugnissen zugegeben, während die Mu'taziliten, und ähnlich die späteren
As'ariten, ihrem Moralismus entsprechend strengere Maßstabs an den Überbringer der
Offenbarung anlegen. Noch viel weniger können sich Mystiker aller Richtungen damit
abfinden, daß der Prophet auch nur aus Versäumnis oder Vergeßlichkeit gesündigt hab^;
sie sprechen ihn von jeder Sünde und jedem Makel frei. Sein Sündenbewußtsein ist ledighch
der Widerschein, den der Wechsel seiner Erlebnisse in der Welt der Geheimnisse, in seiner
Seele hervorruft: ein mystischer Zustand erscheint ihm mit einem folgenden verglichen als
Finsternis und Mangel.
.Im vierten, »Die Person des Propheten und die Sunna« überschriebenen Kapitel
CS. 175 — 228) geht A. davon aus, daß die Sunna als Schöpfung Muhammeds im Bewußtsein
der Gläubigen in einer engeren Beziehung zu seiner Person stehe als der Quran. Liebe zur
Sunna ist Liebe zum Propheten und die Geltung, die der Traditionalismus gewonnen hat,
ist der Verehrung seiner Person sehr förderlich gewesen. In der Nachahmung des Propheten
kommt keineswegs nur rituelle Ängstlichkeit zum Ausdruck, sondern nicht minder der
Eifer, sich durch Anhänglichkeit an ihn hervorzutun. Vor allem gilt er auch als Vorbild
für das ganze Gebiet des sittlichen Lebens, wenn auch das Bewußtsein, daß es sich bei
seinen Vorzügen nicht sowohl um selbsterworbene Tugenden handelt, als um von Allah
verliehene Gaben, das Streben, es ihm nachzutun, nicht zu seinem vollen Recht kommen
läßt; es tritt zugunsten des Wunsches in den Hintergrund durch Häufung aller Vor-
züge auf sein Haupt, seinen Ruhm zu mehren. Eine größere Wirkungskraft hat das
Idealbild des Propheten bei den Sufis entfaltet, denen er durch seine Armut und Demut
durch das Ertragen von Spott und Verachtung, durch seine Versöhnlichkeit, Milde und
Barmherzigkeit, durch seine tätige Menschenliebe den Weg weist, auf dem sie ihm zu folgen '
versuchen.
Das fünfte Kapitel behandelt unter der Überschrift »Die Person des Propheten und
die Frömmigkeit« (S. 229 — 289) die Stellung, die Muhammed als Mittler zwischen den
sündigen Menschen und dem barmherzigen Gott einnimmt. Anspruch auf die Fürbitte des
Propheten verleiht nach älterer Anschauung die bloße Zugehörigkeit zu seiner Gemeinde;
erst später kommt der Gedanke zur Geltung, die Verehrung seiner Person sei der sicherste
Weg, seiner Fürbitte teilhaftig zu werden. Als dem dem Throne Allahs am nächsten Stehen-
den gebührt ihm besondere Ehrfurcht, die ja auch Allah selbst den Gläubigen als ihre Pflicht
eingeschärft hat; freilich darf diese Verehrung nicht Formen annehmen, welche das mono-
theistische Bewußtsein zu trüben drohen. Eine Art kultischer Verehrung des Propheten
stellt der ihm geltende Segenspruch dar, der schon im Quran (Sura 3336) geboten wird und
früh eine feste Stelle im Gebet erhalten hat, aber auch sonst bei verschiedenen Gelegenheiten
als besonders verdienstlich und wirkungsvoll gilt.
Den Gegenstand des sechsten und letzten Kapitels (S. 290—390) bildet »die Ent-
stehung des Prophetenkults«. Der Prophet der orthodoxen Auffassung, soweit wir sie bisher
kennengelernt haben, bleibt trotz aller ihm zugeschriebenen Wunder und seiner Makel-
losigkeit ein bloßer Mensch, im Gegensatz zum Imam der Schi'iten, der die Zü^e des deio;
ä'vof.u)7:o; an sich trägt. Hauptsächlich durch sufische Vermittlung ist aber dann diese
schiitische Lehre auf den Propheten übertragen worden, was zunächst an dem Offen-
barungsbegriff dargelegt wird. Das Wissen der Imame als eine Emanation des göttlichen
Überflusses, das sich auch auf das Vergangene und das Verborgene erstreckt, finden wir
ähnlich in der sufischen Gnosis wieder, wo es als »Schauen« bezeichnet wird; andererseits
stimmt nach den Sufis das offenbarte Wissen des Propheten im wesentlichen mit der Er-
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 28 I
kenntnis der Mystiker überein, von dem es sich freilich dem Grade nach unterscheidet.
' Während der Wali als Schatten des Propheten gilt, wird dieser selbst als Schatten Allahs
bezeichnet und ist seinem inneren, den Menschen verborgenen Wesen nach wahrhaft gött-
lich. Auch die Lehre von der Präexistenz des Propheten hat durch schiitische Einflüsse
Eingang in den orthodoxen Islam gefunden. Das vorweltliche Wesen Muhammeds wird
als Licht vorgestellt und diese Lichtsubstanz, die sich von Adam her auf ihn weiter-
vererbt hat, schließt in seiner geschichtlichen Person den Zyklus der Offenbarung (bzw.
leitet nach Schiiten und Sufis in den Imamen und Qutben neue Zyklen ein). Auch der
Logos als Weltschöpfer ist, wenn auch der Prophet selbst nicht als Logos bezeichnet wird,
durch schiitische Vermittlung (die Lehre vom tawjld) den Sufis vertraut: bei extremen
Mystikern, wie Ibn al-'Arabl nimmt der Prophet geradezu die Stelle des die Welt er-
haltenden und durchdringenden Logos ein. Und wenn es auch zu einer mit der christlichen
Logosspekulation vergleichbaren Weiterbildung_ nicht gekommen ist, so gilt doch auch
im volkstümlichen Sufismus Muhammcd nicht nur als der absolute Vermittler aller Gottes-
offenbarung, sondern auch als der alleinige Vollstrecker der göttlichen Allmacht, die Ver-
körperung von Gottes Immanenz in der Schcpfung. Für das persönliche Verhältnis, in
welchem die Mystiker zum Propheten stehen, ist die Stellung des nnind zu seinem saifi
maßgebend geworden. Der Prophet ist das Vorbild aller Mystiker, ihr unmittelbarer und
allgegenwärtiger höchster saih und die sufische Gnosis eine auf ihn zurückgehende Geheim-
lehre; im Zusammenhang damit steht es, wenn die Visions oder Traumerscheinunp' des
Propheten als mystische Weihe aufgefaßt wird. Im Gegensatz zu den orthodoxen Gläubigen
ist der Sufi nicht damit zufrieden, an die Wahrheit der Offenbarung zu glauben und ihrem
Übermittlev seine Ehrfurcht zu bezeugen; der Glaube wird zur Liebe. Diese Liebe ist
ähnlich wie in der Schi'a die Treue zu den Imamen, wertvoller als alle guten Werke und
bringt Vergebung von allen Sünden. Sie durchzieht vor allem die Religion der Massen
und gibt sich in der dem Grabe und den Reh'quien Muhammeds bezeugten Verehrung
kund sowie in der Inkubation in der Grabesmoschee und in der Rezitation von Litaneien
und Liedern zu seinem Ruhme. Insbesondere sein Geburtsfest, der Maulid an-nabi, der im
siebenten Jahrhundert als eine damals eingeführte bid'a erwähnt wird, bietet Gelegenheit,
solche panegyrischen Gedichte vorzutragen. Auf den Maulid näher einzugehen, versagt
sich Andrae im Hinblick auf die zu erwartende Bearbeitung der von E. Graefe hinter-
lassenen Materialien.
Es konnte sich bei dieser Übersicht über den Inhalt von A.s Buch nur darum handeln,
in großen Zügen den Gedankengang der einzelnen Abschnitte wiederzugeben; es war nicht
möghch, die in seinem Werke aufgespeicherte Fülle von Einzelerkenntnissen auszuschöpfen
noch auch die mehr an der Peripherie seines Themas liegenden Punkte nur zu erwähnen,
denen A. ebenfalls seine Aufmerksamkeit schenkt. Schon die umfassende Behandlung
des eigentlichen Themas stellt eine außerordentliche Leistung dar, aber das Buch bietet
noch mehr als der Titel erwarten läßt: nicht nur darin, daß es, wie bereits erwähnt, auch
den geschichtlichen Muhammcd in den Kreis seiner Betrachtungen zieht und wertvolle
Beiträge zur Psychologie seiner Persönlichkeit liefert, sondern auch dadurch, daß es die
Zusammenhänge zwischen Schi'a und Sufismus sowie die hellenistischen Elemente inner-
halb der islamischen Gnosis aufhellt und so unsere Einsicht in die islamische Entwicklung
überhaupt, wesentlich vertieft. Auch das sei noch ausdrücklich hervorgehoben, daß es,
abgesehen von Hadit und Sira, von der europäischen Forschung nur sehr stiefmütterlich
behandelte, wenn überhaupt beachtete Gebiete der arabischen Literatur sind, die Andrae
für seine Darstellung ausbeutet; in welchem Umfang, davon legt das Verzeichnis der be-
nutzten Werke (S. 319 ff.) Zeugnis ab.
Nur auf ein Gebiet möchte ich zum Schluß noch hinweisen, das bei A. so gut wie ganz
Islam XI. ,
282 Kleine Mitteilungen und Anzeigen.
unberücksichtigt geblieben ist, die mit Muhammad zeitgenössische und die frühislamische
Poesie. Die Auffassung von der Person des Propheten, welche diese Lieder wiederspiegeln,
hätte immerhin zur Ergänzung dessen, was Hadit und Sira bieten, herangezogen werden
können. Nur geringe Ausbeute liefern freilich die Verse, welche lediglich Muhammeds
Freigebigkeit, Vertragstreue und Tapferkeit rühmen, ihn im wesentlichen als typischen
Sajjid feiern (siehe z. B. Hudail ed. Kosegarten Nr. 127 Usaid Ibn Abi Ijäs; I. His.
964 Mälik Ibn Namat). Bemerkenswerter ist es schon, wenn Mälik Ibn 'Auf (bei
I. His. 879) ihm auch ein Vorauswissen der zukünftigen Dinge zuschreibt, wie man es
ähnlich auch von dem Kähin erwartete:
wa matä tasa? jubbirka ^ammä fl gadi.
Aber mehr in Übereinstimmung mit der Auffassung, die Muhammed selber von seinem
Beruf bekundete, befindet sich ein anderer Dichter, Ibn Luqaim, wenn er die Gläubigen
auffordert (I. His. ösö'S):
wa lä ias'alühu 'amfa gaibin mnraggami.
Wenn endlich al-A'sä Muhammed einen »Propheten« nennt (I. His. 256-), »der sieht
was Ihr nicht sehet«, so weist er damit auf die Visionen hin, welche sein prophetisches
Selbstbewußtsein begründeten und will vielleicht auch den Unterschied zwischen solchen
Visionen und denen der heidnischen Seher hervorheben.
Auch wo ihre Echtheit zweifelhaft ist oder sogar ihre Unechtheit feststeht, sind
diese Lieder für uns nicht ohne Wert, vor allem, wenn ihre Aufnahme in das Werk des Ibn
Ishäq ihre Herkunft aus dem ersten islamischen Jahrhundert oder den ersten Jahrzehten
des zweiten verbürgt. Denn auch die untergeschobenen Lieder zeigen immerhin gewisse im
Hadit der älteren Zeit nicht ganz in der gleichen Weise hervortretende Nuancen. Schon
ScHWALLY hatte darauf aufmerksam gemacht (s. seine Anmerkungen zu Ibn So'd Bd. II
Teil II S. 918), daß in den Trauerliedern auf Muhammed nichts so häufig begegne wie die
Bezeichnung des Propheten als »Licht«, eine Bezeichnung, die der Quran nur für .Vllah
(Sure 2455) und für die Offenbarung (Sure 648) verwende. Wenn auch, wie Goldziher
hervorhebt (ZA. 223^8), die in diesen Liedern gebrauchten Vergleiche nichts mit der von
ihm zuerst bei Kumait nachgewiesenen Lehre von der Lichtsubstanz zu tun haben, so
zeigen doch die den zeitgenössischen Dichtern zugeschriebenen Verse, wie sehr das den
Propheten kennzeichnende oder als Offenbarung herabgekommene Licht die Geister be-
schäftigte. 'Abdallah Ibn az-Ziba'rä nennt (I. His. 827) als Kennzeichen des Pro-
pheten »das helle Licht und das Siegel«, während Hassan Ibn Täbit {Bizäna I 109;
in dem entsprechenden Gedicht des Diwan LCIV ed. Hirschfeld fehlt der Vers) von dem
»Siegel aus Licht« spricht und Ka'b Ibn Mälik (I. His. 6333) das Licht dem Propheten
folgen läßt:
ßna^-r-rasühi sihäbuii [umma jatha'-uhu nüriin vmdl^vn lahu fadlun '^ala-s-suhuhi.
Es handelt sich hier überall um dasselbe Licht, das die Asaditin zwischen den Augen von
Muhammeds Vater erkannt (I. His. loi, dort gurra) und das dann von Muhammeds Mutter
ausging, als sie den Propheten unter dem Herzen trug (I. Hi.^. 102).
Auch über die Stellung, welche Muhammed an Allahs Throne einnehme, machen
sich diese Dichter bereits ihre Gedanken. So sagt al-'Abbäs Ibn Mirdäs (s. Garir
Diwän II 174):
»Er steht oben über dem Thron unseres Gottes,
aber der Ort AUähs ist höher und erhabener.«
Und derselbe 'Abbäs nennt Muhammed (s. Agänl, zweite Ausgabe XIII 63'7) »den ersten
Fürsprecher, den letzten Gesandten, der den Engeln antwortet«, wie auch Sawäd Ibn
Qärib {Gamhara 31, nach Ibn Ishäq) ihn anruft:
Kleine Mitteilungen und Anzeigen. 28 ^
wa-kun II safVan jauma lä du Safä^attn
siwäka bi-mugnin 'an Sawädi bni Qäribi.
Von der Fürsprache Muhammads spricht auch schon Hassan Ibn Täbit bei I. His.
712^ = Diwan CXXXII, während der Quran sie noch nicht kennt, wie auch Andrae hervor-
hebt (S. 235).
Manche unter den Trauerliedern auf den Propheten sind endlich auch darum nicht
ganz ohne Bedeutung, weil sie — wie z. B. ein dem Hassan zugeschriebenes (I. Hi s. 1022) —
wohl die ältesten uns erhaltenen Versuche einer zusammenfassenden Charakterschilderung
Muhammads darstellen.
Auf Andrae's Ausführungen über dieQussäs und die STra (S. 27 f.) hoffe ich in einem
anderen Zusammenhang zurückzukommen. Hier möchte ich nur noch darauf hinweisen,
daß die bei A. aus Ibn Sa'd belegte Legende von dem zum Schlachten bestimmten und
vom Propheten vom Tode erretteten Kamel (S. 51) jüdischer Herkunft ist (s. Horovitz,
Spuren griechischer Mimen 86); daß Gleiches von der Erzählung von Muhammeds Gebet
um Regen gilt (S. 52), welche auf die Ta'-anit 19 a überlieferte Legende von Höni ham-
me'aggel (s. auch Josephus, Aniiquitates XIV 2, i) zurückgeht, und daß die Ängstlichkeit
vor dem Töten lebender Wesen (S. 50) bei den Jainas noch weiter geht als bei den Bud-
dhisten; namenthch die von A. aus a8-Sa*ränT zitierten Legenden könnten jainistischer
Herkunft sein. Josef Horovitz.
Arabische Traditionssammlungen.
3. Mitteilung.
1. Seit der zweiten Mitteilung {Der Islam IX, S. 119) haben folgende Herren sich
zur Mitarbeit bereit erklärt: Dr. C. van Arendonk (Leiden); Rev. R. Bell (Beattock,
Schottland); Rev. J. Robertson Buchanan (Culross, Schottland); A. Fück (Frank-
furt a. M.); W. Heffeninc, (Frankfurt a. M.); Rev. Brockwell King (Toronto); F.
Krenkow (Quorn, England); Prof. Laughlin (Toronto); Prof. Dr. A. Schaade (Ham-
burg); Dr. A. SiDDiQi (Aligarh, Britisch-Indien); F. Taoutel (Paray-le-Monial, Frankreich);
T. H. Weir (Glasgow). Trotz dieses dankenswerten Zuwachses der Mitarbeiteranzahl
bleiben neue Kräfte sehr erwünscht.
2. Vom Text des Bukhäri sind große Teile bereits behandelt worden; nahezu
alle Kapitel sind jetzt in Bearbeitung. Von den anderen Sammlungen sind einzelne Partien
fertig gemacht worden.
3. Es hat sich herausgestellt, daß der Text des Dar im! in wenigstens einer orien-
talischen Edition existiert, welche den Ausgaben, in welchen die anderen Autoren be-
arbeitet werden sollen, nicht nachsteht. Es schien somit Herrn Professor Snouck Hurgronjk,
auch wegen der hohen Druckkosten, besser von einer Neuausgabe abzustehen.
Was eine eventuelle Edition des Ibn Mädja anbelangt, muß ein abschließendes
Urteil noch zurückgehalten werden.
Leiden, August 1920. A. J. Wensinck.
s.M(
AUTORENVERZEICHNIS.
Die kursiven Zahlen bedeuten, daß der betreftende Autor an dieser Stelle als Mitarbeiter
erscheint.
Andrae 277 — 383. [Herzfeld 707-/77. Sarre 266 f.
Arendonk 270—277. ^ Horovitz 264/., jjy — 2,Ss. Schwally 264 f.
Siddiqi 267 — 270.
Babinger i-ioö. Jacob --jy— ^y, 2^^-264. gtrothmann 270-277.
Goldziher 7 7J—/<yo, ^j^ bis Mittwoch 266 f,
2J4-
Hauser 3is — 2ji.
Heepe aöjf.
Nöldeke 267 — ■>7o.
Ritter iSj — 212.
Tacschner 266 t.
Wensinck »A'j».
Wiedemann 21J — 2^1.
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY