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}
•FR.OMTHEUBRARYOF-
• KONRAD ' BURDACH •
^
DER
DIE WISSEmilFT,
VORTRAG
GEHALTEN IN DER SORBONNE AM 29. MÄRZ 1883
VON
EBNEST (BENAN.
KRITIK DIESES VORTRAGS VOM
AFGHANEN SCHEIK DJEMMAL EDDIN
UND
ERNEST RENAN'S ERWIDERUNG.
^f^^^f^r^f^^^^^^^^^^^^f^f^
AUTORISIRTE ÜEBERSETZUKG.
-•#^-
BASEL.
Verlag von M. Bebnheim^
1883.
BURDACH
Der Islam und die Wissenschaft.
Meine Damen und Herren!
Auf die wohlwollende Aufmerksamkeit mich stützend,
welche diese Zuhörerschaft mir so oft schon geschenkt,
wage ich es heute, einen selir schwierigen Gegenstand
vor Ihnen zu behandeln, der unsern ganzen Scharfsinn
herausfordert, und an den man entschlossen herantreten
muss, wenn man aus dem Nebelmeer von Vermuthungen
und ungefähren Ergebnissen die Geschichte zu klarer
Erscheinung bringen will. Was in der Geschichte stets
zu Missverständnissen führte, das ist der Mangel an
Genauigkeit bei Anwendung von Wörtern, welche
Nationen und Eassen bezeichnen. Man spricht von
Griechen, Römern und Arabern, als ob diese Wörter
Menschengruppen bezeichneten, die immer mit sich
selber identisch gewesen; man thut es, ohne dabei die
Veränderungen in Bechnung zu bringen, welche die
Folge kriegerischer, religiöser und sprachlicher Erobe-
rungen , der Mode und der mannigfaltigen Strömungen
mS^'SG^O
_ 4 —
sind, welche die Geschichte der Menschheit durchziehen-
Die Wirklichkeit gestaltet sich nicht nach so einfachen
Kategorien. Wir Franzosen z. B. sind Römer der
Sprache, Griechen der Civilisation, Juden der Religion
nach. Die Rasse als solche, von höchster Wichtigkeit
für den Beginn der Geschichte einer Nation, verliert
ihre Bedeutung in dem Maasse als die grossen universal-
geschichtlichen Thatsachen : griechische Civilisation,
römische Eroberung, germanische Eroberung, Christen-
thum, Islam, Renaissance, Philosophie, Revolution gleich
zermalmenden Walzen über die frühesten Varietäten der
Menschenfamilie hinweggehen und sie in mehr oder
minder homogene Massen zusammendrängen. Ich möchte
es versuchen, mit Ihnen eine der grössten Ideenverwir-
rungen zu entwirren, die auf diesem Wissensgebiete
begangen werden, ich meine die Ungenauigkeit, die in
den Bezeichnungen enthalten ist : arabische Wissenschaft,
arabische Philosophie, arabische Kunst, muselmännische
Wissenschaft , muselmännische Civilisation. Aus den
schwankenden Ideen, die man sich über diese Begriffe
machte, entstehen zahlreiche falsche Urtheile und in der
Praxis manchmal sogar sehr schwere Irrthümer.
Jede Person, die nur einigermassen an dem Geistes-
leben unserer Zeit theilnimmt, erkennt deutlich die^
gegenwärtige Inferiorität der mahomedanischen Lander,
den Niedergang der vom Islam beherrschten Staaten^
die geistige Nichtigkeit der Rassen, die einzig und allein
ihre Kultur und ihre Erziehung jener Religion verdanken
Wer immer im Orient oder in Afrika gereist ist, dem
musste die Wahrnehmung sich aufdrängen von der that-
—
sächlichen Geistes-ßeschränktheit eines wahrhaft Gläu-
bigen, von jener Art eisernen Keifens, der um sein
Haupt geschlagen ist und dasselbe der Wissenschaft
geradezu verschliesst, es unfähig macht, irgend etwas
zu lernen, irgend eine neue Idee in sich aufzunehmen.
So wie es in seine Keligion eingeweiht ist, um das
zehnte bis zwölfte Lebensjahr, wird das muselmännische
Kind, das bis dahin zuweilen noch ziemlich geweckt
war, plötzlich fanatisch, von jenem Dünkel gesättigt,
es besitze Alles, was ihm als die absolute Wahrheit gilt,
wie über ein Vorrecht über das glücklich, was gerade
seine geistige Inferiorität ausmacht. Dieser dumme
Hochmuth ist das Laster, welches das ganze Sein des
Muselmanns bestimmt. Die scheinbare Einfachheit seines
Gottesdienstes flösst ihm eine wenig gerechtfertigte
Verachtung vor den andern Eeligionen ein. Ueberzeugt,
dass Gott Glück und Macht nach seinen unergründlichen
Eathschlägen austheilt, ohne auf Kenntnisse noch auf
persönliches Verdienst einen Werth zu legen, hat der
Muselmann die tiefste Verachtung vor der Bildung, der
Wissenschaft, vor Allem, was wir das europäische
Geistesleben nennen. Dieses durch den mahomedanischen
Glauben ihm eingeprägte Vorurtheil ist so mächtig, dass
alle Unterschiede der Rasse und der Nationalität durch
die einzige Thatsache der Bekehrung zum Islam ver-
schwinden. Die Berbern, die Bewohner des Sudan, die
Tscherkessen, die Afghanen, die Malaien, die Egypter»
die Nubier, welche Muselmänner geworden, sind keine
Berbern, keine Afghanen, keine Egypter u. s. w. mehr,
es sind Muselmänner. Persien allein macht eine Aus-
— 6 —
nähme, es hat seinen eigenen Genius sich zu erhalten
gewusst; denn Persien hat innerhalb des Islam sich
seinen besondern Platz gewahrt, es ist im Grunde viel
mehr schiitisch als muselmännisch.
Um die traurigen Folgerungen abzuschwächen, die
man aus diesem so allgemeinen Factum gegen den
Mahomedanismus zu ziehen geneigt wäre, möchten viele
Personen uns überzeugen, dass jener Niedergang viel-
leicht doch nur eine vorübergehende Erscheinung sei«
Um über die Zukunft zu beruhigen, berufen sie sich auf
die Vergangenheit; die jetzt so gesunkene muselmännische
Civilisation, sagen sie, strahlte ehemals im blendendsten
Glänze. Sie besass Gelehrte und Philosophen; sie war
Jahrhunderte lang die Beherrscherin des ^christlichen
Abendlandes. Warum sollte das was gewesen, nicht
wieder sein können? Gerade auf diesen Punkt möchte
ich die Untersuchung lenken. Hat es in WiiMichkeit
eine muselmännische Wissenschaft, oder mindestens eine
vom Islam anerkannte, vom Islam geduldete Wissenschaft
gegeben P
In den Thatsachen, die gewöhnlich angeführt werden,
liegt gewiss ein ganzes Theil Wahrheit. Ja, etwa vom
Jahre 773 ab bis gegen die Mitte des dreizehnten Jahr-
hunderts, das heisst während eines Zeitraumes von
ungefähr 500 Jahren, gab es in mahomedanischen Län-
dern Gelehrte, sehr hervorragende Denker. Man kann
sogar sagen, dass während jenes Zeitraumes die maho-
medanische Welt, was die Geisteskultur betrifft, der
christlichen Welt überlegen war. Es ist jedoch noth-
wendig, diese Thatsache genauer zu betrachten, um
— 7 —
nicht irrthümliche Schlussfolgerungen aus ihr zu ziehen.
Es ist nothwendig, die Geschichte der Civilisation im
Orient von Jahrhundert zu Jahrhundert zu verfolgen,
um die verschiedenen Elemente wohl zu unterscheiden,
die jene momentane üeberlegenheit herbeigeführt, welche
bald darauf in eine scharf ausgeprägte Inferiorität
umschlug.
Das was man Philosophie oder Wissenschaft nennen
darf, liegt dem ersten Jahrhundert des Islam vollständig
fern. Der Islam, als das Ergebniss eines religiösen
Kampfes, der seit mehreren Jahrhunderten sich fort-
spann und das Geistesleben Arabiens beherrschte, ist
unter den verschiedenen Formen des semitischen Mono-
theismus tausend Meilen von alle dem entfernt, was
man Eationalismus oder Wissenschaft zu nennen pflegt.
Die arabischen Reiter, die sich der neuen Religion an-
schlössen, sich ihrer wie eines Vorwandes zu Eroberungen
und Plünderungen bedienend, waren zu ihrer Zeit gewiss
die ersten Krieger, aber sicherlich die geringsten Philo-
sophen der Welt. Ein orientalischer Schriftsteller des
dreizehnten Jahrhunderts, Abulfaradj, der über den
Charakter des arabischen Volkes geschrieben, drückt
sich wie folgt aus: „Die Wissenschaft dieses Volkes,
diejenige, auf die sie stolz war, bestand in der Wissen-
schaft der Sprache, in der Kenntniss ihrer Eigenheiten,
des Versbaues, der gewandten Prosa-Darstellung . . .
Was die Philosophie betrifft, so hat Gott diesem Volke
nichts davon verliehen, es auch nicht zu dieser Wissen-
schaft befähigt." Das ist vollkommen richtig. Der
nomadische Araber, der literarisch begabteste, ist zugleich
— 8 —
unter allen Menschen der am Mindesten zum Mystizis-
mus, zu tiefen Betrachtungen Angelegte. Der religiöse
Araber, wenn er die Dinge sich erklären will, begnügt
sich mit einem Gott als Schöpfer und unmittelbaren
Lenker der Welt, der sich den Menschen durch eine
Eeihe von Propheten offenbart. So lange der Islam in
den Händen der arabischen Rasse, d. h. unter den vier
ersten Kalifen und unter den Omajjaden war, entstand
desshalb auch in seinem Schoosse keine geistige Bewe-
gung profanen Charakters. Omar hat nicht, wie dies
so oft wiedererzählt worden, die Bibliothek zu Alexan-
drien verbrannt. Zu Omar's Zeit war diese Bibliothek
nahezu verschwunden. Das Prinzip aber, das er in der
Welt zum Siege führte, war in Wirklichkeit das der
Vernichtung der gelehrten Forschung und der so mannig-
faltigen Thätigkeit des Geistes.
Alles änderte sich, als um das Jahr 750 Persien
zur Herrschaft gelangte und die Dynastie der Abassiden
über diejenige der Omajjaden den Sieg gewann. Das
Centrum des Islams fand sich nun in die Region
des Tigris und des Euphrat verlegt. Dieses Land aber
war noch besät von den Ueberresten einer der glänzend-
sten Ci vilisationen , die der Orient gekannt, derjenigen
der persischen Sassaniden, die unter der Regierung von
Khosroes Anuschirwan den Gipfel ihres Ruhmes erreicht
hatte. Kunst und Gewerbfleiss bestanden seit Jahrhun-
derten in jenen Ländern. Khosroes unterstützte auch
noch die intellektuelle Thätigkeit. Die Philosophie,
aus Konstantinopel veijagt, fluchtete sich nach Persien,
Khosroes Hess die Schriftwerke Indiens übersetzen.
— 9 —
Die nestorianischen Christen, welche den beträchtlichsten
Theil der Bevölkerung ausmachten, waren mit der
griechischen Wissenschaft und Philosophie betraut, die
gesammte Heilkunde lag in ihren Händen, ihre
Bischöfe waren Lehrer der Logik, waren Geometer.
Man lese die persischen Epopöen nach, die ihre Lokal-
farbe den Zeiten der Sassaniden entlehnt haben: wenn
Küstern eine Brücke bauen will, so lässt er einen
D j a t h a 1 i k kommen , (einen Katholikos , Name der
Patriarchen oder Bischöfe der Nestorianer), der die
Dienste des Ingenieurs verrichtet.
Der fürchterliche Völkersturm, den der Islam erregt
hatte, brachte auf ein Jahrhundert diese schöne iranische
Entwicklung zum Stillstand. Die endlich sur HeiTSchaft
gelangten Abbassiden schienen aber den erloschenen
Olanz der Khosroes erneuern zu sollen. Die Revolution,
welche dieser Dynastie zum Throne verhalf, war von
persischen Truppen unter persischen Führern gemacht
worden. Die Gründer der Dynastie, Abul Abbas und
namentlich Mansur sind immer von Persem umgeben.
Es sind dies gewissermassen wiedererstandene Sassaniden ;
die vertrauten Käthe, die Lehrer der Prinzen, die obersten
Minister gehören zu den Barmekiden, einer altpersischen,
sehr aufgeklärten, dem Nationalkultus der Parsi treu
gebliebenen Familie, die erst spät und ohne Ueberzeu-
gung zum Islam übertrat. Die Nestorianer umgaben
sehr bald diese wenig glaubenseifrigen Khalifen und
wurden auf Grund einer Art ausschliesslichen Privile-
giums deren Leibärzte. Eine Stadt, die in der Geschichte
des menschlichen Geistes eine ganz besondere Bolle
— 10 —
spielt, die Stadt Harran, war heidnisch geblieben und
hatte sich die gesammte wissenschaftliche Ueberlieferung
des griechischen Alterthums treu bewahrt; sie lieferte
der neuen Schule eine beträchtliche Anzahl von Gelehrten,
die den offenbarten Religionen fremd gegenüber standen,
namentlich tüchtige Astronomen.
Bagdad erhob sich als die Hauptstadt dieses wieder
erstandenen Persiens. Die Sprache der Eroberer konnte
nicht verdrängt, auch die Religion derselben nicht ganz
und gar verleugnet werden; immerhin war der Geist
dieser neuen Civilisation ein wesentlich gemischter.
Parsi und Christen gewannen die Oberhand; die Ver-
waltung, besonders die Polizei, war den Christen über-
lassen. Alle jene glänzenden Khalifen, die Zeitgenossen
unserer Karolinger, Mansur, Harun al Raschid, Mamun
sind kaum Muselmänner. Sie bekennen sich äusserlich
zur Religion, deren Häupter, ja Päpste sie sind, wenn
man sich so ausdrücken darf; ihr Sinn aber ist nicht
dabei. Sie sind überaus wissbegierig, besonders nach
ausländischen und heidnischen Dingen; sie befragen
Indien, das alte Persien, Griechenland namentlich. Bis-
weilen, das ist freilich wahr, führen die moslemitischen
Pietisten sonderbare Reaktionen bei Hofe herbei; der
Khalife wird zeitweise devot und opfert seine ungläu-
bigen oder freidenkerischen Freunde. Dann weht wieder
der Wind der Unabhängigkeit, der Khalife ruft seine
Gelehrten und Vergnügungs-Genossen zurück, zum
schrecklichen Aergemiss für die puritanischen Musel-
männer; von Neuem beginnt das freie Leben.
So erklärt sich die so eigenthümliche und anziehende
— 11 —
Civilisation Bagdad's, deren zaul^erhafte Bilder sclioni
bei dem Gedanken an die Märchen von Tausend und
Eine Nacht vor unserer Phantasie sich entfalten; eine
seltsame Mischung von offizieller Strenge und heimlichem
Sichgehenlassen. Es ist das Alter der strebsamen Jugend
und des Leichtsinns zugleich, wo die ernsten und die
heitern Künste dank der Protektion von leichtlebigen
Regenten blühen, die allen religiösen Fanatismus
belächeln, wo der Freigeist, obgleich stets den grausam*
sten Strafen ausgesetzt, bei Hofe gesucht und mit
Schmeicheleien überhäuft wird. Unter der Regierung
dieser Khalifen, die bald tolerant, bald gegen ihren
Willen als Verfolger auftraten, entwickelte sich der
freie Gedanke. Die Motecallenim oder Disputantea hielten
Sitzungen ab, in denen sämmtliche Religionen nach den
Gesetzen der Vernunft geprüft wurden. Wir besitzen:
ge Wissermassen das Protokoll einer solchen von einem
Strenggläubigen veranstalteten Sitzung. Erlauben Sie
mir, Ihnen dasselbe nach der Uebersetzung des Herrn
Dozy vorzulesen:
Ein Gelehrter aus Kairoan fragt einen frommen
spanischen Theologen, der die Reise nach Bagdad
gemacht hatte, ob er während seines Aufenthaltes in
dieser Stadt den Sitzungen der Motecallenim beigewohnt
habe. „Ich habe zwei Sitzungen beigewohnt," erwidert
der Spanier, „aber ich habe mich wohl gehütet, ein
drittes Mal hinzugehen." — „Und warum?" fragte der
Andere. — „Urtheilet selber," antwortete der Reisende.
„Der ersten Sitzung, an welcher ich theilnahm, wohnten
nicht blos Muselmänner jeder Gattung, Orthodoxe und
- 12 —
Heterodoxe bei, sondern auch Ungläubige, Gebers,
Materialisten, Atheisten, Juden, Christen; kurz allerlei
Ketzer. Jede Sekte hatte ihr Oberhaupt, welches mit
der Vertheidigung ihrer Ansichten beauftragt war, und
jedes llal, wenn eines dieser Oberhäupter in den Saal
trat, erhoben sich alle andern in ehrerbietiger Weise,
und Niemand nahm wieder seinen Platz ein, bevor der
neu Hinzugetretene sich nicht niedergelassen. Der Saal
war bald übervoll, und als man sah, dass die Versamm-
lung vollzählig war, ergriff einer der Ungläubigen das
Wort: „Wir sind hier versammelt, um der Wahrheit
„nachzuforschen," sagte er. „Ihr Alle kennt die Bedin-
„gungen. Ihr Jluselmänner werdet keine Beweisgründe
„aus eurem Buche anführen, oder solche, die sich auf
„die Autorität eures Propheten stützen; denn wir glauben
„weder an das eine noch an den andern. Ein Jeder
„muss sich auf die Beweisgründe beschränken, die er
„aus seiner Vernunft geschöpft" Allgemeiner Beifall
folgte diesen Worten. „Ihr begreift," setzte der Spa-
nier hinzu, „dass nachdem ich solches gehört, ich in
diese Versammlung nicht zurückkehrte. Man schlug
mir vor, eine andere zu besuchen ; aber dort begegnete
ich demselben Aergemiss."
Eine wahrhaft philosophische und wissenschaftliche
Bewegung war die Folge dieser vorübergehenden
Abstumpfung der orthodoxen Strenge. Die syrischen
^christlichen Heilkünstler , die Fortsetzer der letzten
griechischen Schulen waren in der peripathetischen
Philosophie, der Mathematik, der Heilkunde und der
Astronomie sehr bewandert. Die Khalifen brauchten sie
— IS —
als üebersetzer der Encyklopädie des Aristoteles , des
Euklid, des Galen, des Ptolemäus, kurz der gesammten
griechischen Wissenschaft, wie man sie damals besass,
in's Arabische. Kührige Köpfe, wie z. B. Alkindi,
begannen über die ewigen Probleme nachzudenken, zu
denen die Menschheit, ohne sie lösen zu können, stets
zurückkehrt. Man nannte sie Filsuf (Philosophos) und
seit jener Zeit wurde diesem Fremdwort eine üble
Bedeutung beigelegt, als etwas, das dem Islam fremd
ist. Filsuf wurde bei den Moslemin zu einer verhäng-
nissvolleu Benennung, die oft den Tod oder doch Ver-
folgung nach sich zog wie die Bezeichnung als Zendik
und später Farmassun (Franc-MaQon , Freimaurer). Es
entstand nämlich der vollständigste Rationalismus im
Schoosse des Islam. Eine Art philosophischer Gesell-
schaft, die sichlkhwan es-safa (Brüder der Aufrichtigkeit),
nannte, unternahm die Herausgabe einer philosophischen
Encyklopädie, die wahrhaft bemerkenswerth ist ihrer
Weisheit und der Höhe ihres Gedankenfluges wegen. Zwei
ausgezeichnete Männer, Alfarabi und Avicenna, nahmen
alsbald den ßang der grössten Denker ein, die jemals
gelebt haben. Die Astronomie und die Algebra gelangen,
in Persien namentlich, zu bedeutender Entwicklung.
Die Chemie setzte ihre lange heimliche Arbeit fort, die
sich nach aussen hin durch erstaunliche Eesultate, wie
die Distillation, vielleicht auch die Erfindung des Schiess-
pulvers offenbart. Das mahomedanische Spanien folgt
dem Orient in diesen Studien, die Juden werden dabei
zu ref»*Hamen Mitarbeitern. Ibn-Badja, Ibn-Tofail,.
Averroes erheben das philosophische Denken im zwölften
— 14 —
Jahrhundert zu einer Höhe, auf welcher man dasselbe
seit dem Alterthum nicht gesehen hatte.
Dies ist die Gesammtsumme der Philosophie, die
man gewöhnlich als die arabische bezeichnet, weil sie
arabisch geschrieben ist; in Wahrheit aber ist sie
griechisch-sassanidisch. Noch richtiger wäre es, griechisch
zu sagen; denn das eigentlich befruchtende Element
von alle dem kam aus Griechenland. Griechenland war
die einzige Quelle des Wissens und des richtigen Den-
kens. Die Ueberlegenheit Syrien's und Bagdad's über
das lateinische Abendland rührt nur daher, weil man
dort der griechischen Ueberlieferung viel näher war als
hier. Es war leichter einen Euklid, einen Ptolemäus.
Aristoteles in Harran oder Bagdad aufzutreiben als in
Paris. Ja, wenn die Byzantiner minder eifersüchtige
Hüter der Schätze hätten sein wollen , die sie in jenem
Augenblick gar nicht lasen; wenn es schon vom achten
oder neunten Jahrhundert an Männer wie Bessarion oder
die Laskaris gegeben hätte ! Dann hätte man jenen sonder-
baren Umweg nicht zu machen brauchen, auf welchem
die griechische Wissenschaft im zwölften Jahrhundert
über Syrien, Bagdad, Cordova, Toledo zu uns gelangte,
Jene Art geheimer Verseilung aber, welche will, dass
wenn die Fackel des menschlichen Geistes in den Hän-
den eines Volkes erlischt, schon ein anderes Volk
dastehe, um sie zu übernehmen und wieder anzufachen,
sie gab einen ganz ausserordentlichen Werth der sonst
wohl bescheidenen Arbeit jener armen Syrer, jener ver-
folgten Filsufs, jener Harrianer, die ihr Unglaube in
Acht und Bann der damaligen Gesellschaft that. Durch
~ 15 -
jene arabischen Uebersetzungen der griechischen Werke
der Wissenschaft und Philosophie erhielt Europa den
zur Entfaltung seines Genius nothwendigen Gährstoff
der antiken Tradition.
Und in der That, während Averroes, der letzte
arabische Philosoph, zu Marokko in Gemüths verdüsterung
und von der Welt verlassen dem Tode entgegensah,
war unser Abendland im schönsten Erwachen aus langem
Geistesschlaf. Abälard hat schon den Kuf des neu
erstandenen Rationalismus ausgestossen. Europa hat
seinen Genius erkannt und beginnt jenen herrlichen Auf-
schwung, der mit der voUstäudigen Unabhängigkeits-
Erklärung des Menschengeistes abschliessen soll. Hier
in Paris , auf diesem Hügel Sainte-Geneviöve , erstand
ein neues sensorium für die Arbeit des Geistes.
Was noch fehlte, waren die Bücher, die reinen Quellen
des Alterthums. Auf den ersten Blick will es scheinen,
dass es natürlicher gewesen wäre, sich an die Biblio-
theken von Konstantinopel zu wenden, wo die Original-
handschriften lagen, als zu oft mittelmässigen Ueber-
setzungen in einer Sprache zu greifen, die wenig zur
Wiedergabe des griechischen Gedankens geeignet war.
Die religiösen Zwistigkeiten hatten aber einen bedauerns-
werthen Gegensatz zwischen der griechischen und der
Jateinischen Welt geschaften, den der unheilvolle Kreuz-
zug von 1204 nur noch steigerte. Ueberdies besassen
wir keine Hellenisten, Wir mussten noch drei Jahrhun-
derte warten, bis uns ein Lefövre d'Etaples, ein Bud6
geschenkt wurde.
In Ermangelung der wahren, der authentischen
»^
— 16 —
giiechischen Philosophen, die in den byzantinischen
Bibliotheken ruhten, musste man sich nach Spanien
begeben und dort eine schlecht übersetzte, verfälschte
griechische Wissenschaft holen. Ich will von Gerbert
niclit sprechen, dessen Reisen unter Muselmännern noch
sehr dem Zweifel unterliegen. Seit dem elften Jahr-
hundert aber ist Konstantin der Afrikaner seiner Zeit
und seinem Lande an Kenntnissen voraus, weil er eine
museimännische Erziehung genossen hat. Von 1130 bis
lioC lässt ein regsames, in Toledo unter dem Patronat
des Erzbischofs Eaymond gegründetes CoUegium die
wichtigsten Werke der arabischen Wissenschaft in's
Lateinische übersetzen. Seit den ersten Jahren des
dreizehnten Jahrhunderts hält der arabische Aristoteles
seinen Siegeseinzug in der Pariser Universität. Das
Abendland hat seiner vier bis fünf Jahrhunderte alten
Inferiorität sich entledigt. Bis dahin war Europa wissen-
schaftlich den Moslemin tributpflichtig. Noch um die
Mitte des dreizehnten Jahrhunderts schwankt die Waage.
Etwa vom Jahre 1275 ab werden zwei Bewegungen
augenscheinlich: einerseits sinken die mahomedanischen
Länder in den traurigsten intellektuellen Abgrund;
andrerseits tritt Westeuropa entschlossen in die grosse
Bahn der wissenschaftlichen Erforschung der Wahrheit,
eine ungeheure Kurve, deren Weite noch nicht gemessen
werden kann.
Wehe dem, der dem menschlichen Fortschritt nicht
mehr dient! Er wird fast sofort verdrängt. Nachdem
die sogenannte arabische Wissenschaft ihren Lebens-
keim dem lateinischen Abendland eingeimpft hat, ver-
— 17 —
schwindet sie. Während Averroes in den lateinischen
Schulen eine Berühmtheit erlangt, die fast derjenigen
des Aristoteles gleichkommt, wird er bei seinen Eeli-
gionsgenossen vergessen» Schon nach dem Jahre 1200
ungefähr gibt es keinen einzigen arabischen Philosophen
von Bedeutung mehr. Die Philosophie war stets im
Schoosse des Islam verfolgt worden, bis dahin aber ohne
vollständig unterdrückt werden zu können. Vom Jahre
1200 ab ist die theologische Eeaktion ganz und gar
siegreich. Die Philosophie wird in mohamedanischen
Ländern abgeschafit. Die Geschichtsschi-eiber und Poly-
graphen sprechen noch aus der Erinnerung von ihr, und
zwar aus böser Erinnerung. Die philosophischen Hand-
schriften werden vernichtet, sie werden selten. Die
Astronomie wird nur noch geduldet, insofern sie dazu
dient, die Himmelsrichtung zu bestimmen, nach welcher
man zum Gebet sich wendet. Bald übernimmt gar die
türkische Rasse die Führerschaft im Islam und lässt in
allen Dingen ihren vollständigen Mangel an philoso-
phischem und wissenschaftlichem Geiste erkennen. Von
diesem Augenblick an verzeichnet der Islam, einige
seltene Ausnahmen, wie Ibn-Khaldun abgerechnet, keinea
weitblickenden Geist mehr ; er hat die Wissenschaft und
die Philosophie getödtet.
Ich habe nicht gesucht, die Rolle der grossen soge-
nannten arabischen Wissenschaft herabzusetzen, die eine
80 bedeutungsvolle Epoche in der Geschichte des mensch-
lichen Geistes bezeichnet. Man hat von ihrer Origina-
lität auf einigen Gebieten , namentlich auf dem der
Astronomie eine übertriebene Ansicht gehabt; man darf
2
- 18 —
nun nicht in's andere Extrem verfallen und sie allzusehr
entwerthen. Zwischen dem Verschwinden der antiken
Civilisation im sechsten Jahrhundert und der Geburt
des europäischen Genius im zwölften und dreizehnten
gab es eine Periode, welche die arabische genannt
werden darf, weil während derselben die üeberlieferung
des menschlichen Geistes sich auf den dem Islam zuge-
fallenen Eegionen fortgepflanzt hat. Und was hat diese
sogenannte arabische Wissenschaft wirklich arabisches
an sich? Die Sprache, nichts als die Sprache. Die
islamitische Eroberung hatte die Sprache des Hedschas
bis an das Ende der Welt getragen. Es ging mit dem
Arabischen wie mit dem Latein, das im Abendland zum
Ausdruck von Gefühlen und Gedanken diente, die mit
dem alten Latium nichts gemein hatten. Averroes,
Avicenna , Albateni sind Araber , wie etwa Albert der
Grosse, Roger Bacon, Francis Bacon, Spinoza Lateiner
sind. Es liegt ein eben so grosses Missverständniss
darin, die arabische Philosophie und Wissenschaft auf
Rechnung Arabiens zu setzen, als wollte man die
gesammte christlich-lateinische Literatur, alle Scholas-
tiker, die ganze Renaissance, die ganze Wissenschaft
des sechszehnten und zum Theil des siebenzehnten Jahr-
hunderts auf Rechnung der Stadt Rom setzen, weil dies
alles latein geschrieben ist. Sehr merkwürdig in der
That, dass unter den sogenannten arabischen Philo-
sophen und Gelehrten nur ein einziger, Alkindi, arabischen
Ursprungs ist, alle übrigen sind Perser, Transoxiner,
Spanier, Männer aus Bokhara, Samarkand, Cordova,
Sevilla. Nicht nur sind es keine Araber der Herkunft
— 19 -
nach, sondern auch ihr Geist hat durchaus nichts Ara-
bisches. Sie bedienen sich des Arabischen, diese Sprache
aber ist ihnen eine Fessel, wie das Latein für die Denker
des Mittelalters eine Fessel war, die sie sich so gut es
ging zurecht legten. Das Arabische, das sich so sehr
für die Poesie und eine gewisse Art von Beredtsamkeit
eignet, ist ein sehr unbequemes Werkzeug für die Meta-
physik. Die arabischen Philosophen und Gelehrten sind
im Allgemeinen sehr schlechte Schriftsteller.
Jene Wissenschaft ist nicht arabisch. Ist sie wenig-
stens mahomedanisch ? Ist der Mahomedanismus für
jene rationellen Untersuchungen irgend eine Stütze
gewesen? In keiner ^Veise. Jene schöne wissenschaft-
liche Bewegung war ganz und gar das Werk von Parsen,
Christen, Juden, Harraniern, von Ismaeliten und Maho-
medanern, die innerlich gegen ihre eigene Eeligion
empört waren. Von den orthodoxen Moslemin hat sie
sich nur Flüche zugezogen. Mamun, derjenige unter
den Khalifen, der am meisten Eifer für Einführung der
griechischen Philosophie entfaltete, wurde erbarmungs-
los von den Theologen verdammt; die Unglücksfälle,
welche seine Regierungszeit trübten, wurden als Strafen
Gottes für die Duldung bezeichnet, welche gegen fremde,
mit dem Islam unverträgliche Lehren von ihm geübt
wurde. Es war nicht selten, dass man, um die von
den Imans zur Empörung gereizte Menge zu beruhigen,
die Bücher über Philosophie und Astronomie auf öffent-
lichen Plätzen verbrannte oder in die Cisternen warf.
Diejenigen, welche mit solchen Studien sich beschäftigten,
wurden Zendiks (Ungläubige) genannt ; man misshandelte
— 20 —
sie auf der Strasse , man zündete ihre Häuser an und
oft Hess die Behörde, der Menge zu gefallen, sie sogar
hinrichten.
Der Islam hat in der That die exakte Wissenschaft
und die Philosophie stets verfolgt; er hat sie schliess-
lich erstickt. Nun sind in dieser Beziehung zwei Perio-
den in der Geschichte des Islam zu unterscheiden; die
eine von dessen Beginn bis zum zwölften Jahrhundert;
die andere vom dreizehnten Jahrhundert bis auf unsere
Tage. In der ersten Periode ist der Islam von Sekten
und einer Art Protestantismus, dem Motaselismus durch-
setzt, und viel schwächer organisirt und weniger fana-
tisch als in der zweiten Periode, nachdem er in die
Hände tartarischer und berberischer Völkerschaften
gefallen, plumper, roher und geistloser Kassen. Der Moha-
medanismus hatte das Eigenthümliche, dass ihm von seinen
Anhängern eine fortwährend wachsende Gläubigkeit ent-
gegenkam. Die ersten Araber, die sich der Bewegung
anschlössen, glaubten kaum an die Sendung des Pro-
pheten. Zwei oder drei Jahrhunderte lang wird der
Unglaube kaum verhüllt. Darauf kommt die absolute
Herrschaft des Dogmas, ohne irgend welche Trennung
des geistigen und des weltlichen Theils, eine Herrschaft
mit Zwangsgewalt und körperlichen Züchtigungen denen
gegenüber, welche die Gebote des Islam nicht erfüllen;
ein System, das in se ner Bedrückung einzig und allein
von der spanischen Inquisition über troffen worden ist.
Die Freiheit wird nirgends schwerer verletzt als durch
eine soziale Ordnung, in welcher das Dogma unbeschränkt
das bürgerliche Leben beherrscht. In modernen Zeiten
_(
— 21 —
liaben wir nur zwei Beispiele einer solchen Herrschaft
kennen gelernt : einerseits die muselmännischen Staaten,
andrerseits den ehemaligen Kirchenstaat, als der Papst
noch eine weltliche Macht ausübte. Und man muss
«agen, dass das weltliche Papstthum sich nur über ein
gar kleines Ländchen erstreckte, während der Islam auf
weite Gebiete unseres Globus drückt und daselbst die
"dem Fortschritt feindseligste Idee erhält, diejenige des
auf eine vermeintliche Offenbarung gegründeten Staates,
die Idee des die Gesellschaft beherrschenden Dogmas.
Die Freisinnigen, welche den Islam vertheidigen,
kennen ihn nicht. Der Islam ist das nicht mehr wahr-
nehmbare Band zwischen Geistigem und Weltlichem;
er ist die Herrschaft eines Dogmas, die schwerste Kette,
welche die Menschheit jemals getragen. In der ersten
Hälfte des Mittelalters, ich wiederhole es, hat der Islam
die Philosophie noch geduldet, weil er nicht anders
konnte ; er konnte nicht anders, weil er ohne Zusammen-
hang, weil er nicht ausgerüstet war mit Schreckens-
werkzeugen. Die Polizei befand sich in den Händen
der Christen und war wesentlich mit Verfolgung der
unbotmässigen Aliden beschäftigt. Eine Menge Dinge
schlüpften zwischen die Maschen dieses ziemlich lockern
Netzes hindurch. Doch als der Islam über glaubenseifrige
Massen verfügte, erstickte er Alles. Eeligiöse Schreckens-
herrschaft und die Heuchelei waren an der Tagesord-
nung. Der Islam war liberal, als er schwach war; er
war gewaltsam, als er stark war. Eechnen wir ihm
also das nicht 2ur Ehre an, was er nicht hat hindern
können. Den Islam wegen der Philosophie und Wissen-
— 22 —
Schaft ehren, die er nicht bei ihrem ersten Auftreten
sofort vernichtete, das Messe die Theologen wegen der
Entdeckungen der modernen Wissenschaft ehren. Die
abendländische Theologie hat nicht weniger Verfolgungen
geübt als diejenige des Islam. Allein sie hat ihr Ziel
nicht erreicht, sie hat den modernen Geist nicht erwürgt^
wie der Islam den Geist der Länder, die er eroberte.
In unserem Occident hat die theologische Verfolgung
nur in einem Lande gesiegt: in Spanien. Dort hat ein
entsetzliches System der Unterdrückung den wissen-
schaftlichen Geist getödtet. Beeilen wir uns übrigens
mit der Erklärung, dass dieses edle Land sicher seine
Wiedergeburt erleben wird. In den mahomedanischen
Ländern hat sich das ereignet, was sich in Europa
erfüllt hätte, wenn es der Inquisition, wenn es Philipp 11.
und Pius V. gelungen wäre, den Menschengeist zum
Stillstand zu zwingen. Offen gestanden : es wird mir
schwer, den Leuten dafür zu danken, dass sie das Böse,
das sie beabsichtigten, nicht auszuführen vermochten.
Nein, die Religionen haben ihre grossen und ihre schönen
Stunden, wenn sie trösten und die schwachen Seiten
unseres armen Menschenthums stützen; doch soll man
ihnen keine Höflichkeiten sagen für Alles, was ihnen
zum Trotz entstanden ist, was sie nicht haben hindern
können. Von den Leuten, die man ermordet, erbt man
nicht; man soll die Verfolger nicht mit dem verherr-
lichen, was sie verfolgt haben.
Und gerade das/thut man, wenn man dem Einfluss
des Islam eine Bewegung zuschreibt, die trotz des Islam,
gegen den Islam entstanden ist, und die der Islam zum
\
— 23 —
Glück nicht hat verhindern können. Dem Islam einen
Avicenna, Avensoar, Averroes zur Ehre anrechnen, das
hiesse den Katholizismus mit Galilei verherrlichen. Die
Theologie hat Galilei Zwang angethan, sie war doch nicht
stark genug, ihn zu überwinden; das ist kein Grund,
ihr desshalb zu grossem Danke verpflichtet zu sein. Ich
bin weit entfernt von jeder Bitterkeit gegenüber irgend
einem der Symbole, in welchen das menschliche Gewissen
Beruhigung gesucht bei Erforschung der unlösbaren
Probleme, welche das Weltall und sein eigenes Schick-
sal ihm darbieten. Der Islam als Eeligion hat schöne
Theile. Niemals bin ich, ohne lebhaft ergrilfen zu wer-
den, ich möchte sogar sagen, ohne ein gewisses Bedauern,
kein Moslim zu sein, in eine Moschee getreten. Für die
menschliche Vernunft aber ist der Islam schädlich gewesen.
Die Geister, die er dem Lichte verschlossen, waren ihm
ohne Zweifel schon durch ihre eigenen inneren Grenzen
verschlossen ; er hat aber den freien Gedanken verfolgt,
ich sage nicht leidenschaftlicher, aber doch wirksamer
verfolgt als andere religiöse Systeme. Aus den von ihm
eroberten Ländern hat er ein jeder Geisteskultur unzu-
gängliches Gebiet gemacht.
Was in der That den Muselmann wesentlich kenn-
zeichnet, das ist der Hass der Wissenschaft, die Ueber-
zeugung, dass die Forschung unnütz, frivol, ja fast gott-
los sei: die Wissenschaft als Eingriff in die Attribute
Gottes, die Geschichtswissenschaft, weil sie als Beschäf-
tigung mit den dem Islam vorausgegangenen Zeiten zu
den ehemaligen überwundenen Irrthümem zurückführen
könnte. Ein merkwürdiges Zeugniss hiefur bietet der
— 24 —
Scheik Rifaa, welcher mehrere Jahre als Almosenier der
ägyptischen Schule in Paris gewohnt hatte und nach
seiner Rückkehr nach Egypten ein Werk voll der son-
-derbarsten Beobachtungen über die französische Gesell-
schaft schrieb. Seine fixe Idee ist, dass die europäische
AVissenschaft namentlich wegen ihres Prinzips von der
Unveränderlichkeit der Naturgesetze von Anfang bis zu
Ende eine einzige Ketzerei ausmache ; und vom Gesichts-
punkte des Islam aus, das muss man zugeben, hat er
nicht ganz unrecht. Ein oifenbartes Dogma bildet stets
«inen Gegensatz zur freien Forschung, die ihm zu wider-
sprechen vermag. Das Ergebniss der Wissenschaft endet
damit, nicht das Göttliche auszuschliessen , aber doch
stets zu entfernen, es zu entfernen, sage ich, von der
Welt der speziellen Thatsachen, in der man es zu sehen
glaubte. Die Erfahrung verdrängt das Uebernatürliche,
schränkt dessen Gebiet ein. Das Uebernatürliche aber
ist die Grundlage aller Theologie. Der Islam, indem er
die Wissenschaft als seine Feindin betrachtet, ist nur
consequent; es ist aber gefahrlich, gar zu consequent
zu sein. Der Islam ist dies zu seinem Unglück gewesen.
Indem er die Wissenschaft tödtete, tödtete er sich
selbst; verurtheilte er sich in der Welt zu einer kläg-
lichen Inferiorität.
Wenn man von dem Gedanken ausgeht, dass mensch-
liche Forschung ein Angriff auf die Rechte Gottes sei,
so gelangt man unvermeidlich zur Geistesträgheit, zum
Mangel an Genauigkeit, zur Unfähigkeit, genau zu sein.
Allah aalam, „Gott weiss besser, was daran ist,"
das ist das letzte Wort bei jeder muselmännischen Dis-
cussion. Während der ersten Zeit seines Aufenthaltes
in Mosul wünschte Herr Layard, als Mann der wissen-
schaftlichen Beobachtung, einige Angaben über die
Bevölkerung der Stadt, über ihren Handel, ihre geschicht-
lichen üeberlieferungen zu besitzen. Er wandte sich
an den Kadi, der ihm folgende Antwort sandte, deren
Uebersetzung ich einer befreundeten Person verdanke:
„0 mein berühmter Freund, o Freude der Lebenden!
Was Du von mir verlangst, ist zugleich unnütz und
schädlich. Obgleich ich alle meine Tage in diesem Lande
verbracht habe, so ist es mir doch niemals in den Sinn
gekommen , die Häuser zu zählen , noch mich um die
Zahl ihrer Bewohner zu bekümmern. Und nun die Frage,
wie viel Waaren der eine wohl auf seine Maulthiere
packt, der andere in seiner Barke unterbringt, das ist
in der That ein Gegenstand, der mich in keiner Weise
angeht. Was die Vorgeschichte dieser Stadt betrifft,
•Gott allein weiss es, er allein könnte sagen, mit wie
viel Irrthümem die Einwohner derselben vor deren
Eroberung durch den Islam voll gepfropft waren. Für
uns wäre es gefährlich, sie kennen zu wollen.
„0 mein Freund, o mein Lamm, suche nicht das zu
wissen, was Dich nicht angeht. Du bist zu uns gekom-
men und wir haben Dich willkommen geheissen; gehe
wieder fort in Frieden! In Wahrheit: alle Worte, die
Du zu mir gesprochen, haben mir nicht im Geringsten
wehe gethan ; denn derjenige, welcher spricht, ist Einer,
und derjenige, welcher zuhört, ist ein Anderer. Nach
der Sitte der Männer Deines Volkes hast Du viele Laiid-
ischaften durchwandert, und doch hast Du das Glück nir-
— Ä —
ireiids gefandeiL Wir al)er TGott sei gelobt!) wir sind
hier geboren nnd wir wünschen nicht, Ton hier fort
zn ziehen.
.Höre, mein Sohn, efs gibt keine Weisheit gleich
derjenigen, an Gott zn glanben« Er hat die Welt
geschaffen. Sollen wir darnach streben, ihm gleich zu
kommen, indem wir suchen, in die Geheimnisse seiner
Schöpfungen zn dringen? Sieh jenen Stern, der dort
oben nm jenen andern Stern kreist; betrachte wieder
einen andern Stern, der einen Schweif nach sich zieht
und so Tiele Jahre braucht, zu kommen, und so viele
Jahre, sich zu entfernen. Lass ihn, mein Sohn : derjenige,
dessen Hände ihn gebildet haben, wird ihn schon leiten
nnd lenken.
„Doch, Du wirst vielleicht sagen: „O Mann, ziehe
„Dich zurück, denn ich bin gelehrter als Du, und ich
„habe Dinge gesehen, von denen Du nichts weisst!*^
Wenn Du meinst, dass diese Dinge Dich besser gemacht
als ich bin, so sei mir doppelt willkommen; ich aber,^
ich danke Gott, dass ich danach nicht forsche, was ich
nicht zu wissen brauche. Du bist in Dingen unterrichtet,
die mir gleichgültig sind, und was Du gesehen hast,
ich verachte es. Wird Dir ein umfassenderes Wissen
einen zweiten Magen schaffen, und Deine Augen, die
fiberall hin sich senken und Alles durchstöbern, werden
sie Dir ein Paradies aufspüren?
„O mein Freund, wenn Du glücklich sein willst, so
rufe: „Gott allein ist Gott!'' Thue nichts Böses, dann
wirst Du weder die Menschen noch den Tod furchten,
denn Deine Stunde wird kommen/
— 27 —
Dieser Kadi ist ein grosser Philosoph in seiner Art.
Folgendes aber ist der Unterschied: Wir linden den
Brief des Kadi reizend , er aber würde Alles , was wir
hier sagen, abscheulich finden. Für eine Gesellschaft
übrigens, nicht für den Einzelnen, sind die Folgen einer
solchen Weltbetrachtung verhängnissvoll. Von den beiden
Konsequenzen, zu welchen die Abwesenheit wissenschaft-
lichen Geistes führt, Aberglaube und engherziger Dog-
matismus, ist die zweite vielleicht schlimmer als die
erste. Der Orient ist nicht abergläubisch, sein grossem
üebel ist der engherzige Dogmatismus, der sich gewalt-
sam der ganzen Gesellschaft aufdrängt. Zweck der
Menschheit ist nicht die Euhe in einer Gott ergebenen
Unwissenheit, sondern die erbarmungslose Bekriegung^
des Falschen, der Kampf gegen* das Böse.
Die Wissenschaft ist die Seele einer Gesellschaft;^
denn die Wissenschaft ist die Vernunft. Sie erzeugt
die militärische und die gewerbliche üeberlegenheit-
Sie wird eines Tages die gesellschaftliche Ueberlegen-
heit erzeugen, ich will sagen einen Gesellschaftszustand,,
in welchem die Summe von Gerechtigkeit, welche mit
dem Wesen des Universums verträglich ist, auch gewährt
wird. Das Wissen stellt die Kraft in den Dienst der
Vernunft. Es gibt in Asien Elemente der Barbarei,,
denjenigen ähnlich, welche die ersten muselmännischen
Heere und jene grossen Völkerstürme eines Attila oder
Dschingis-Khan erzeugten. Die Wissenschaft versperrt
ihnen den Weg. Wenn Omar, wenn Dschingis-Khan
auf eine gute Artillerie gestossen wären, so hätten sie
den Saum ihrer Wüste gewiss nicht überschritten.
— 28 —
Man muss sich bei momentanen Verirrungen nicht auf-
halten. Was ist nicht bei ihrem ersten Auftreten gegen
4ie Schusswafien gesagt worden? Und doch haben sie
Vieles zum Siege der Civilisation beigetragen. Was
mich betrifft, ich habe die Ueberzeugung, dass die Wis-
senschaft gut ist, dass sie allein Waffen gegen das Böse
liefert, welches man mit ihnen vollbringen kann, dass
4ie Wissenschaft nur dem Fortschritt dient, ich habe
hier den wahren Fortschritt im Auge, denjenigen, der
unzertrennlich ist von der Menschenliebe und der Freiheit.
^
Kritik des Afghanen Djeininal Edi.
^^^ß^ß^ß^f^ß^r^^^^^^^^^^^*^*^*^*^*^*^^
— 31 —
Vorwort des Uebersetzers.
Vorstehender in der Sorbonne gehaltener Vortrag des
Herrn Eenan kam zuerst im „Journal des D^bats" zur
Veröffentlichung. An dasselbe Blatt richtete einige
Wochen später ein Mohamedaner, der Afghane Djemmal
Eddin*) ein Schreiben, in welchem der gelehrte Orientale
die Vertheidigung seiner Glaubensgenossen gegen den
Vorwurf, dass sie Feinde der Wissenschaft seien, unter-
nimmt. Wir lassen seine werthvoUe Auseinandersetzung
und darauf die Antwort des Herrn Eenan hier folgen.
^) Der Scheik Djemmal Eddin, 1848 in Kabul geborcD, stammt
aas einer fürstlichen Familie. Nachdem er seine Stadien in Kabul
abgeschlossen, betheiligte er sich zu Gunsten des Emirs Afdal Khan
an einem der häufigen Bürgerkriege seines Landes. Der Emir wurde
geschlagen und Djemmal Eddin flüchtete sich nach Indien und von
dort nach Konstantinopel. Der Sultan ermächtigte ihn , in der Aja
Sophia und in der Moschee Achmed^s religiöse Vorträge zu halten;
aber Djemmal Eddin erbitterte durch seine freisinnigen Lehren die
Ulemas so sehr, dass er die türkische Hauptstadt verlassen musste.
Er kam nun nach Kairo und wurde Lehrer der Philosophie bei den
Zöglingen der Moschee del Ashar. Als in Egypten eine nationale
und zugleich liberale Parthei auf der Scene erschien, trat Djemmal
Eddin als politischer Kedner auf. Er machte es sich zur Aafgabe,
die Pläne Englands auf Egypten an^s Licht zu ziehen und vor ihnen
zu warnen, was seine Verhaftung durch die egyptischen Behörden
und seine gezwungene Uebersiedlung nach Indien zur Folge hatte,
wo er zwei Jahre lang unter englischer Polizeiaufsicht verweilte.
Djemmal Eddin lebt seit Anfang dieses Jahres in Paris, er trägt
die Tracht eines Ulema.
Das Schreiben Djemmal Eddins war in arabischer
Sprache abgefasst und an den Direktor des „Journal
des Dfebats" gerichtet. Es lautet in der Uebersetzung ;
Ich habe in Ihrem sch&tzenswerthen Blatte einen in der Sor-
bonne vor einer anserlesenen Zahörerschaft gehaltenen Vortrag über
den Islam and die Wissenschaft gelesen, einen Vortrag des grossen
Philosophen unserer Zeif, des berühmten Herrn Renan, dessen Ruf
das ganze Abendland erfüllt und bis in die entlegensten Theile des
Morgenlandes gedrungen ist. Da dieser Vortrag mich eu einigen
Betrachtungen anregte, so nahm ich mir die Freiheit, dieselben in
diesem Briefe zu formuliren, den ich die Ehre habe, Ihnen mit der
Bitte zuzusenden, ihm in den Spalten Ihres Blattes die erbetene
Gastfreundschaft zu gewähren.
Herr Renan hat einen bis jetzt dunkel gebliebenen Punkt in
der Geschichte der Araber aufhellen wollen und auf deren Vergan-
genheit ein lebhaftes Licht geworfen, ein Licht, das vielleicht die-
jenigen ein wenig irre macht, welche ihre besondere Verehrung einem
Volke gewidmet haben, von dem man gewiss nicht sagen kann, dass
(
— 33 —
es den Platz und Rang, den es einst in der Welt eingenommen, sich
unrechtmässig angeeignet. So hat denn auch Herr Renan, glaubea
wir, nicht gesucht, den Ruhm der Araber, der ja unzerstörbar ist,,
zu zerstören; er hat sich bestrebt, die historische Wahrheit zu ent-
decken und sie denjenigen zur Kenntniss zu bringen, die sie nicht
keiiuen, gleichwie denjenigen, welche in der Geschichte der Völker,
und namentlich der Civilisation, die Entwicklung der Religionen
erforschen. Ich beeile mich, von vornherein anzuerkennen, dass^
Herr Renan dieser so schwierigen Aufgabe in wunderbarer Weise
gerecht geworden ist, indem er gewisse Thatsachen beibrachte,,
welche bis heute unbeachtet geblieben waren. Ich finde in seiner
Rede bemerkenswerthe Betrachtungen, neue Gesichtspunkte und
einen unbeschreiblichen Reiz. Indessen, ich habe nur eine mehr
oder weniger getreue üebersetzung seines Vortrages vor Augen..
Wenn es mir gestattet w&re, ihn im französischen Text zu lesen,,
so hätte ich wohl tiefer in die Gedanken dieses grossen Weisen ein-
dringen können. Möge er meinen ehrerbietigen Gruss als eine ihm
gebührende Hochachtung und als das aufrichtigste Zeichen meiner
Bewunderung empfangen. Ich muss bei dieser Gelegenheit ihn^
sagen, was Al-Mutenaby, ein Dichter, der die Philosophen liebte^
vor einigen Jahrhunderten an eine hochgestellte Persönlichkeit
schrieb, deren Thaten er verherrlichte: „Empfange, ** sagte er zu
ihm, ndas Lob, das ich Dir zu geben vermag; nöthige mich nichts
Dir das Lob zu ertheilen, das Da verdienst
Der Vortrag des Herrn Renan enthält zwei Hauptpunkte. Der
ausgezeichnete Denker hat sich zu beweisen bestrebt, dass die maho-
medanische Religion ihrem eigentlichen Wesen nach der Entwick-
lung der Wissenschaft widerstrebe, und dass das arabische Volk
seiner Natur nach weder den metaphysischen Wissenschaften noch
der Philosophie zugeneigt sei. Diese kostbare Pflanze, scheint Herr
Renan zu sagen, verdorrt in mahomedanischen Händen, wie unter
dem glühenden Hauch des WQatenwindes. Nachdem man den Vor-
trag zu Ende gelesen, drängt sich Einem indessen die Frage auf,
ob das üebel einzig und allein von der mahomedanischen Religion
selber oder von der Art und Weise ihrer Verbreitung in der Welt,.
8
- 34 -
vom Charakter, den Sitten und natürlichen Anlagen der Völker her-
rühre, die jene Religion angenommen oder denen sie gewaltsam auf-
gedrängt worden. Die Kürze der ihm zugemessenen Zeit hat ohne
Zweifel Herrn Renan gehindert, diese Punkte aufzuklären. Die
Krankheit besteht desshalb nicht weniger, und wenn es nicht leicht
ist, die Ursachen derselben genau, durch unwiderlegliche Beweise
zu bestimmen, so ist es noch schwieriger, das Heilmittel anzugeben'
Was den ersten Punkt anbetrifft, so sage ich, dass keine
Nation bei ihrem Beginn fähig ist, sich tou der reinen Vernunft
leiten zu lassen. Von schreckhaften Vorstellungen heimgesucht,
denen sie sich nicht zu entziehen vermag, ist sie unfähig, das Gute
vom Bösen zu unterscheiden, das was ihr Glück auszumachen ver-
möchte von dem zu sondern, was die unversiegbare Quelle ihrer
Leiden und Missgeschicke sein kann. Sie versteht es mit einem
Worte nicht, weder zu den Ursachen hinabzusteigen noch die Wir-
kungen zu erkennen.
Diese Lücke erlaubt es nicht, dass man sie durch Gewalt oder
durch Ueberredung dazu führe, das zu thun, was ihr am meisten
zum Vortheil gereichen würde, noch sie von dem fernzuhalten, was
ihr schädlich ist. £s konnte desshalb nicht anders sein, als dass
die Menschheit ausser ihrem Kreise einen Zufluchtsort, eine fried-
liehe Stätte suchte, wo ihr beunruhigtes Gewissen Ruhe finden
konnte, und so entstand ihr irgend ein Erzieher, der, wie ich oben
gesagt, weil er nicht die nöthige Macht besass, sie zu zwingen, dass
sie den Eingebungen der Vernunft Folge leistete, sie in das Unbekannte
leitete und ihr die weiten Horizonte eröffnete, in denen die Einbil-
dungskraft sich so gern bewegt, und wo die Menschheit, wenn nicht
die völlige Befriedigung ihrer Wünsche, so doch wenigstens ein
unbegrenztes Gebiet für ihre Hoffnungen gefunden hat. Und da die
Menschheit bei ihrem Ursprung die Ursachen der Ereignisse, die
unter ihren Augen vorgingen, nicht kannte, das unergründliche
Räthsel nicht zu lösen vermochte^ so war sie nothwendig gezwungen,
die Rathschläge ihrer Lehrer und die Befehle zu befolgen , welche
diese ihr gaben. Dieser Gehorsam wurde ihr im Namen des
höchsten Wesens auferlegt, dem jene Erzieher alle Ereiguisse zu-
— 35 —
ficlirieben, ohne dass es gestattet war, deren Nützlichkeit oder Schäd-
lichkeit zu erörtern. Das ist ohne Zweifel das schwerste und demü-
thigendste Joch für den Menschen, ich erkenne es wohl, doch kann
man nicht leugnen, dass s&mmtliche Nationen durch diese religiöse
mahomedanische, christliche oder heidnische Erziehung aus dem
Zustande der Barbarei herausgetreten und so einer höheren Gesittung
entgegengeschritten sind.*)
Wenn es wahr ist, dass die mahomedanische Religion ein Hin-
d^rniss für die Entwicklung der Wissenschaften ist, kann man desshalb
auch behaupten, dass dieses Hinderniss nicht eines Tages verschwinden
wird? Worin unterscheidet sich die mahomedanische Religion in
diesem Punkte Ton andern Religionen? Alle Religionen sind in-
tolerant, jede auf ihre Weise. Die christliche Religion, ich will
sagen die Gesellschaft, welche ihren Ideen und Lehren folgt und
die sie nach ihrem Bilde gestaltet hat, ist aus der ersten Periode
hervorgegangen, welche ich so eben angedeutet habe. Später frei
und unabhängig, scheint sie rasch auf der Bahn des Fortschritts
und der Wissenschaften voranzukommen, während die muselmän-
nische Gesellschaft sich noch nicht von der Vormundschaft der
Religion befreit hat. Wenn ich nun aber bedenke, dass die christ-
liche Religion um mehrere Jahrhunderte früher in der Welt aufge-
treten ist als die mahomedanische, dann kann ich mich der Hoffnung
nicht entschlagen, dass auch die mahomedanische Gesellschalt eines
Tages dazu gelangen wird, ihre Fesseln zu brechen und entschlossen
auf der Bahn der Civilisation fortzuschreiten nach dem Beispiel der
abendläridischen Gesellschaft, für welche der christliche Glaube trotz
seiner strengen Gesetze und seiner Intoleranz kein unüberwindliches
Hinderniss gewesen ist. Nein, ich kann nicht gestatten, dass diese
Hoffnung dem Islam geraubt werde. Ich vertheidige hier vor Herrn
■*) Ob der gelehrte Afghane wohl Lessing's „Erziehung des
Menschengeschlechts^^ kannte, als er obige Zeilen niederschrieb? Es ist
nicht wahrscheinlich Um so interessanter ist die Uebereinstimmung seines
Gedankenganges mit demjenigen des grossen Deutschen. Anmerk. des
Uebersetzers.
— 36 —
Renan nicht die Sache der mahomedanischen Keligion, sondern die-
jenige mehrerer hundert Millionen Menschen, die ihm zufolge ver<
urtheilt wären, in der Barbarei und Unwissenheit fortzuleben.
In Wahrheit hat die mahomedanische Religion die Wissen-
schaft zu ersticken und ihre Fortschritte zu hindern sich bemüht.
Es ist ihr gelungen, die geistige oder philosophische Bewegung zu
hemmen und die Geister von der Erforschung wissenschaftlicher
Wahrheit abzuhalten. Ein solcher Versuch, wenn ich mich nicht
täusche, ist auch seitens der christlichen Religion gemacht worden
und die verehrten Häupter der katholischen Kirche haben meines
Wissens die Waffen noch nicht niedergelegt. Sie fahren fort, mit
Eifer gegen das zu kämpfen, was sie den Geist des Schwindels und
des Irrthums nennen. Ich kenne die Schwierigkeiten alle, welche
die Moslemin zu überwinden haben werden, um dieselbe Stufe der
Civilisation zu erreichen, da ihnen der Zutritt zur Wahrheit auf
philosophischem und wissenschaftlichem Wege untersagt ist. Ein
wahrhaft Gläubiger soll sich in der That Ton Studien abwenden,,
deren Ziel die wissenschaftliche Erkenntniss ist, von denen über-
haupt jede Erkenntniss nach einer in Europa gültigen Ansicht ab-
hängt. An das Dogma, dessen Sklave er ist, wie ein Ochse an ilen
Pflug gespannt, muss er ewig in derselben ihm von den Auslegern
des Gesetzes vorgezeichneten Furche einherschreiten. Dazu noch
überzeugt, dass seine Religion alle Moral und alle Wissenschaften
in sich enthalte, schliesst er sich ihr auf das Entschiedenste an und
bemüht sich durchaus nicht, über sie hinaus zu gehen. Wozu sich
in fruchtlosen Anstrengungen erschöpfen? Wozu soll es ihm nützen,
nach Wahrheit zu forschen, wenn er die Wahrheit ganz zu besitzen
glaubt? Wäre er etwa glücklicher an jenem Tage, an dem er den
Glauben verloren, dass alle Vollkommenheit in der Religion liegt,
die er ausübt, und nicht in einer andern? So verachtet er denn die
Wissenschaft. Ich weiss das, aber ich weiss auch, dass jenes moha»
medanische oder arabische Kind, von welchem Herr Renan uns in
130 kräftigen Zügen ein Bildniss gibt, und das in vorgeschrittenem
Alter n^in Fanatiker wird, voller Hochmuth das zu besitzen, was e&
für die absolute Wahrheit ansieht,^ einer Rasse angehört, die ihr
— 37 —
Auftreten in der Welt nicht aliein durch Feuer und Schwert, son-
dern durch glänzende und fruchtbringende Thaten bezeichnet hat,
welche ihren Geschmack an der Wissenschaft, an allen Wissenschaften,
die Philosophie mit inbegriffen, bewiesen, mit welcher, ich muss es zu-
geben, sie freilich nicht lange in Frieden zusammengelebt
Jetzt bin ich zu dem zweiten Punkt gelangt, den Herr Eenan
mit nicht zu bezweifelnder Autorität in seinem Vortrag behandelt
hat. Jedermann weiss, dass das arabische Volk, als es noch im
Zustande der Barbarei war, sich auf die Bahn des intellektuellen
und wissenschaftlichen Fortschritts begeben, und darin mit einer
Raschheit sich fortbewegt hat, die nur mit derjenigen ihrer politi-
schen Eroberungen zu vergleichen ist. Denn im Zeitraum eines
Jahrhunderts hat es fast sämmtliche griechische und persische Wis-
senschaften, die sich während mehrerer Jahrhunderte auf ihrem
heimischen Boden laiigsam entwickelt hatten, angeeignet und aBsi-
milirt, gerade so rasch, wie es seine Herrschaft über die arabische
Halbinsel bis zu dem Himalaya-Gebirge und den Pyrenäen ausdehnte.
Man kann sagen, dass während dieser ganzen Periode die
Wissenschaften erstaunliche Fortschritte bei den Arabern und in allen
ihrer Herrschaft unterworfenen Ländern machten. Rom und Byzanz
waren damals die Hauptstätten der theologischen und philosophi-
schen Wissenschaften und zugleich das leuchtende Gentrum, man
möchte sagen der Sammelpunkt aller menschlichen Kenntnisse. Seit
mehreren Jahrhunderten auf der Bahn der Givilisation , durcheilen
Griechen und Röm^r mit sichermr Schritt das weite Gebiet der
exakten Wissenschaft und der Philosophie. Und doch kam eine
Zeit, wo ihre Forschungen aufgegeben, ihre Studien unterbrochen
wurden.
Die Denkmäler, die sie der Wissenschaft errichtet haben,
stürzen ein, ihre kostbarsten Bücher gerathen in Vergessenheit Die
Araber, bei aller Unwissenheit und Barbarei, in welcher sie ursprüng-
lich sich befanden, nahmen das auf, was von gesitteten Nationen
aufgegeben worden war, sie belebten die erloschenen Wissenschaften
wieder, entwickelten sie and Terliehen ihnen einen Glanz , den sie
vorher nie besessen hatten. Ist das etwa Licht das Anzeichen,
— 38 —
ja der Beweis Ihrer natQrlichen Liebe zu den Wissenschaften?
Wahr ist, dass die Araber den Griechen ihre Philosophie entlehnten ,
wie sie den Persern abnahmen, was deren Rahm im Alterthum aus-
machte. Diese Wissenschaften aber, die sie durch das Recht der
Eroberung sich angeeignet, sie haben sie entwickelt, ausgedehnt^
aufgehellt, yervollkommnet, Tervollständigt und mit auserlesenem
Geschmack, mit seltener Bestimmtheit und Genauigkeit logisch
geordnet. Und dann: die Franzosen, die Deutschen und die Eng-
länder wareu Ton Rom und Byzanz nichs to weit entfernt, wie die
Araber, deren Hauptstadt Bagdad war. Es war ihnen also leichter,
die wissenschaftlichen Schätze auszubeuten, welche in jenen zwei
grossen Städten vergraben lagen. Sie haben in dieser Richtung
nichts gethan bis zu dem Tage, wo die Fackel der arabischen
Givilisation auf dem Gipfel der Pyrenäen erschien und ihr Licht*
ihren Glanz über das Abendland ergoss. Die Europäer haben
den ausgewanderten, arabisch gewordenen Aristoteles wohl aufge-
nommen; aber sie dachten nicht an ihn, als er noch in seinem
griechischen Gewände in ihrer Nachbarschaft ruhte. Ist das nicht ein
zweiter, nicht minder augenscheinlicher Beweis Ton den intellektuel-
len Vorztlgen der Araber und ihrer natürlichen Liebe zur Philo-
sophie. Nach dem Sturze des arabischen Reiches im Orient wie im
Occident, verfielen freilich die Länder, welche die leuchtenden Herde
der Wissenschaft geworden waren, wie Irak und Andalusien, in Un-
wissenheit und wurden die Centren des religiösen Fanatismus. Aus
diesem traurigen Schauspiel darf nicht geschlossen werden, dass der
wissenschaftliche und philosophische Fortschritt im Mittelalter nicht
dem damals herrschenden arabischen Volke zu verdanken war.
Herr Renan lässt ihm übrigens diese Gerechtigkeit zu Theil
werden. Er erkennt an, dass die Araber Jahrhunderte lang den
Herd der Wissenschaften gehütet und in Gluth erhalten haben.
Gibt es eine edlere Aufgabe für ein Volk? Doch während er aner-
kennt, dass etwa Tom Jahre 775 der christlichen Zeitrechnung an
bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, das heisst während
ungefähr fünfhundert Jahren, es in den mahomedanischen Ländern
Gelehrte, sehr hervorragende Denker gegeben, und dass die maho-
— 39 —
medaDiBche Welt w&hrend jener Periode der christlichen Welt an
intellektueller Kultar überlegen war, sagt Herr Benan^ dass die
Philosophen der ersten Jahrhunderte des Islam, sowie die Staats-
männer, die sich zu jener Zeit auszeichneten, gross tentheils aus dem
Harran, ans Andalusien und aus Persien stammten. Es gab unter
ihnen aber auch Männer von jenseits des Oxus und Priester aus
Syrien. Ich will die glänzenden Eigenschaften der persischen Ge-
lehrten nicht leugnen, noch die schöne Rolle übersehen, die sie in
der arabischen Welt gespielt; indessen möge mir die Bemerkung
gestattet sein, dass die Harranier Araber waren und dass die Araber,
als sie Spanien und Andalusien besetzten, damit nicht ihre Nationa-
lität verloren; sie sind Araber geblieben. Die arabische Sprache
war mehrere Jahrhunderte vor dem Islam diejenige der Harranier*
Die Thatsache, dass sie ihre alte Religion, den Sabäismus, beibe-
halten haben, soll nicht sagen, dass sie der arabischen Nationalität
nicht angehörten. Die syrischen Priester waren ebenfalls der Mehr-
zahl nach ghassanische, zum Christenthum bekehrte Araber.
Was Ibn-Bajah, Ibn-Roschd (Averroös) und Ibn-Taphail be-
trifft, so kann man nicht sagen, dass sie nicht ebenso gut Araber
waren wie Al-Eindi, weil sie nicht in Arabien selbst geboren sind,
namentlich wenn man in Betracht zieht, dass die N'itionen sich nur
durch ihre Sprachen von einander unterscheiden, und dass, wenn
diese Unterschiede verschwänden, die Nationen gar bald ihren ver-
schiedenen Ursprung vergessen würden. Die Araber, die ihre Waffen
in den Dienst der mahomedanischen Religion gestellt und zugleich
Krieger und Apostel gewesen, haben ihre Sprache nicht den Besieg-
ten aufgedrängt und überall, wo sie sich niedergelassen, haben sie
dieselbe mit eifersüchtiger Absicht für sich bewahrt. Ohne Zweifel
hat der Islam in die Länder, die er durch Waffengewalt eroberte, seine
Sprache, seine Sitten und seine Doktrin verpflanzt, und diese Länder
haben sich seither seinem Einfluss nicht entziehen können Ein
Beispiel hievon ist Persien. Vielleicht aber, wenn man bis zu den
Jahrhunderten vor dem Erscheinen des Islam zurückginge,
fände man, dass die arabische Sprache damals den persischen
Gelehrten doch nicht völlig unbekannt war. Die Ausbreitung des
-- 40 —
Islam hat ihr in der That einen neuen Aufschwung gegeben und
•die zum Islam bekehrten persischen Gelehrten machten sich eine
Ehre daraus, ihre Bücher in der Sprache des Koran zu schreiben.
Die Araber dürfen sich keineswegs mit dem Ruhme schmücken, der
jenen Schriftstellern zukommt; wir glauben aber, dass sie dessen
gar nicht bedürfen, sie haben berühmte Gelehrte und Schriftsteller
in hinreichender Anzahl unter sich aufzuweisen. Was würde ge-
schehen, wenn man, bis zu den frühesten Zeiten der arabischen
Herrschaft zurückgehend, Schritt vor Schritt den Weg der ersten
Gruppe verfolgte, aus welcher das erobernde Volk hervorging, das
«eine Macht über die Erde ausbreitete; wenn man, Alles ausschlies-
«end, was dieser Gruppe oder ihrer Nachkommenschalt n cht ange-
hört, weder den Einfluss in Betracht zöge, den sie auf die Geister
ausgeübt, noch den Anstoss, den sie den Wissenschaften gegeben?
Käme man bei solchem Verfahren nicht dazu, den erobernden Völ-
kern keine anderen Verdienste noch andere Tugenden zuzuerkennen,
äIs diejenigen allein, die aus der materiellen Thatsache der Erobe-
rung entspringen? Alle besiegten Völker würden dann ihre geistige
Autonomie sich zuschreiben, sich allein allen Ruhm aneignen, so
dass kein Theil daion von der Macht in Anspruch genommen wer-
den dürfte, welche die vorhandenen Keime befruchtete und entwickelte.
Demnach würde Italien zu Frankreich sagen, dass weder Mazarin
noch Bonaparte dem letzteren Lande angehört haben; Deutschland
oder England würden ihrerseits die Gelehrten sich gut schreiben,
die, nach Frankreich übergesiedelt, daselbst den grossen Ruf der
•öfifentlichen Lehrstühle, der französischen Wisserschaft erhöht haben.
Die Franzosen ihrerseits würden den Ruhm der Abkömmlinge jener
-erlauchten Familien für sich in Anspruch nehmen, die nach Auf-
hebung des Edikts von Nantes nach allen Ländern Europa^s aus-
-wanderten. Wenn nun doch alle Europäer desselben Ursprungs sein
sollen, 80 darf man mit gleichem Rechte behaupten, dass die Harra-
oier und Syrer, welche Semiten sind, auch zur grossen arabischen
Familie gehören.
Bei alle dem ist freilich die Frage gestattet, wie es wohl ge-
kommen, dass die arabische Givilisation , nachdem sie einen so leb«
— 41 —
haften Glanz über die Welt verbreitet, plötzlich erloschen ist, warum
jene Fackel seither sich nicht neu entzündet und warum die ara-
bische Welt stets in tiefe Finsterniss gehüllt bleibt
Hier tritt uns voll und ganz die Verantwortlichkeit der maho-
medaniscben Beligion entgegen. Es ist klar, dass diese Religion
überall da, wo sie sich festgesetzt, d^e Wissenschaften zu ersticken
gesucht, und sie ist in diesem ihrem Zweck wunderbar vom Despo-
tismus unterstützt worden. Al-Siuti erzählt, dass der Khalife AI-
Hadi in Bagdad 5000 Philosophen hat abschlachten lassen, um die
Wissenschaften in muselmännischen Ländern bis auf die Wurzel
auszurotten. Wenn man auch annimmt, dass jener Geschichts-
schreiber die Zabl der Opfer übertrieben, so steht darum nicht
minder fest, dass jene Verfolgung stattgefunden, und es ist dies ein
Schandfleck für die Geschichte einer Religion wie für die Geschichte
eines Volkes. Ich könnte aber in der Vergangenheit der christlichen
Religion analoge Thatsachen auffinden. Die Religionen, mit welchem
Namen man sie auch bezeichnen möge, gleichen sich alle. Keine
Verständigung, keine Aussöhnung ist zwischen den Religionen und
4er Philosophie möglich. Die Religion auferlegt dem Menschen
ihren Glauben, während die Philosophie ihn ganz oder zum Theil
davon befreit. Wie will man nun, dass sie sich unter einander ver-
stehen? Als die christliche Religion in den bescheidensten und ver-
führerischsten Formen in Athen und Alexandrien einzog, wie
Jedermann weiss, die wichtigsten Centren der Wissenschaft und der
Philosophie, war es ihr erstes Bestreben, so wie sie sich in
jenen beiden Städten befestigt hatte, sowohl die exakte Wissenschaft
wie die Philosophie zu verdrängen, indem sie beide unter dem Ge-
strüpp theologischen Gezänkes zu ersticken suchte, um an ihrer
Stelle die nicht zu erklärenden Mysterien der Trinität, der Incar-
nation und der Transsubstantiation zn erklären. So wird es ewig
bleiben. Jedes Mal, wenn die Religion das üebergewicht hat, wird
sie die Philosophie verdrängen. Das Gegentheil findet statt, sobild
die Philosophie als oberste Herrin waltet So lange die Menschheit
lebt, wird der Kampf zwischen dem Dogma und der freien Forschung,
«wischen Religion und Philosophie nicht aufhören, ein heftiger
— 42 -
Kampf, in welchem, wie ich befürchte, der Triumph nicht auf Seiten
des freien Gedankens sein wird, weil die Vernunft der Menge nicht
zusagt und ihre Lehren nur von auserlesenen Intelligenzen begriffen
werden, weil auch die Wissenschaft trotz all ihrer Schönheit die
Menschheit nicht ganz befriedigt, die nach einem Ideal dürstet und
gern in dunkeln und fernen* Regionen schwebt, welche die Philo-
sophen und Gelehrten weder zu schauen noch zu erforschen yer-
mögen.
Djemmal Eddin, Afghane.
Erwiderung Ernest Renan's.
Man hat mit dem ihnen gebührenden Interesse die sehr ver-
ständigen Reflexionen gelesen, zu denen mein letzter in der Sorbonne
gehaltener Vortrag dem Scheik Djemmal Eddin die Veranlassung
gegeben. £s ist ausserordentlich lehrreich, die Denkweise des auf-
geklärten Asiaten in ihren aufrichtigen und ureigenen Darlegungen
also kennen zu lernen. Wenn man die mannigfaltigsten Stimmen
anhört, die yon allen Seiten des Horizonts uns erreichen, so gelangt
man zu der üeberzeugung, dass wenn die Religionen die Menschen,
trennen, die Vernunft sie einander nähert, und dass es im Grunde
nur eine und dieselbe Vernunft gibt. Die Einheit des menschlichen
Geistes ist das grosse und tröstende Ergebniss, das aus d^m fried-
lichen Zusammenstoss der Ideen sich darstellt^ wenn man die gegen-
theiligen Aussprüche der sogenannten übernatürlichen Offenbarungen
bei Seite lässt. Die Liga der verständigen Geister des ganzen Erd-
balls gegen den Fanatismus und Aberglaube n wird scheinbar nur
von einer unbedeutenden Minorität gebildet. Im Grunde ist dies die^
einzige dauerhafte Liga, denn sie stützt sich auf die Wahrheit, und
sie wird schliesslich den Sieg gewinnen, nachdem die rivalisirenden
Fabeln sich in Jahrhunderte langen ohnmächtigen Konvulsionen er-
schöpft haben werden.
Vor ungefähr zwei Monaten machte ich die Bekanntschaft de&
Scheik Djemmal Eddin. *) Wenige Personen haben einen lebhafteren
*) Obige Zeilen sind am 18. Mai 1883 geschriebta worden. (Anm. d. Uebers.)>
»- 44 —
Eindruck auf mich gemacht. Die Unterhaltung, die ich mit ihm
gehabt, führte mich wesentlich zu dem Entschluss, als Thema mei-
nes Vortrages in der Sorbonne die Beziehungen des wissenschaft-
lichen Geistes zum Islam zu wählen. Der Scheik Djemmal Eddin
ist ein Afghane, der von den Vorurtheilen des Islam völlig frei ge-
worden; er gehört jenen kräftigen Rassen des oberen, an Indien
grenzenden Iran an, in denen der arische Geist noch so energisch
unte- der dünnen Hülle des officiellen Islam fortlebt. Er ist selber
der beste Beweis jenes grossen Axioms, das wir so oft proklamirt
haben, dass die Religionen daswerth sind, was die Rassen werth sind,
die sich zu ihnen bekennen. Die Freiheit seines Denkens, sein edler und
offner Charakter überzeugten mich, während ich mit ihm mich unter-
hielt, dass gfwissermassen auferstanden ich in inm einen meiner
alten Bekannten von Angesicht zu Angesicht sali, Avicenna, Averroes,
oder einen andern jener grossen Ketztr, die fünf Jahrhunderte lang
die Ueberlieferung des freien Menschenthuras vertreten haben. Der
Kontrast war besonders auffallend für mich, wenn ich seine über-
raschende Gestalt mit dem Schauspiele verglich, das die mahomeda-
nischen Länder diesseits Persiens darbieten, Länder, in denen der
philosophische Wissensdrang so selten ist. Der Scheik Djemmal
Eddin ist der schönste ethnische Protest gegen die religiöse Erobe-
rung, den man nur anführen könnte. Er bestätigt das, was die in-
telligenten Orientalisten Europa^s oft gesagt haben , dass nämlich
Afghanistan, Japan etwa ausgenommen, das Land ist, welches am
meisten von den wesentlichen Bestandtheilen dessen besitzt, was wir
-eine Nation nennen.
Ich sehe in der gelehrten Abhandlung des Scheik nur einen
Punkt, in welchem wir wirklich nicht übereinstimmen. Der Scheik
erkennt die Unterscheidungen nicht an, welche die historische Kri-
tik uns bei jenen grossen complexen Thatsachen zu machen nöthigt,
-die man mit den Worten Reiche und Eroberungen bezeichnet. Das
römische Reich, mit welchem die arabische Eroberung so Vieles
gemein hat, machte aus der lateinischen Sprache bis zum sechs-
zehnten Jahrhundert das Organ des menschlichen Geistes im ganzen
Occident. Albertus Magnus, Roger Bacon, Spinoza haben lateinisch
— 45 —
geschrieben. Sie sind nichtsdestoweniger darum doch keine Roma-
nen. In einer Geschichte der englischen Literatur gibt man Beda.
und Alcuin einen Platz, i)i einer Geschichte der französischen Lite-
ratur Gregoire de Tours und Ab61ard. Gewiss verkennen wir nicht
den Einfinss Roms in der Geschichte der Civilisation, ebenso wenig
als wir den Einfluss der Araber verkennen. Diese grossen mensch-
heitlichen Strömungen aber wollen analysirt sein. Alles was latei-
nisch geschrieben worden ist, gehört nicht in die Huhmeskrone
Roms; Alles was griechisch geschrieben worden, ist nicht hellenisches
Werk; Alles was arabisch geschrieben worden, nicht arabisches Er-
zeugniss; Alles was in christlichem Lande entstanden, ist nicht die
Wirkung des Ghristenthums; Alles was in islamitischen Ländern
erzeugt wurde, nicht die Frucht des Islam. Dieses ist das Prinzip,,
das der tiefsinnige Geschichtsschreiber des mahomedanischen Spa-
nien, Reinhard Dozy, dessen Verlust in diesem Augenblick von dem
gelehrten Europa beklagt wird, mit so seltenem Scharfblick zur-
Anwendung brachte. Die Unterscheidungen dieser Art sind durch-
aus nothwendig, wenn man nicht will, dass die Geschichte ein Ge-
webe von nur ungefähren Linien und von Missverständnissen sei-
Nach einer Seite hin habe ich dem Scheik ungerecht erschei-
nen mögen, indem ich jenen Gedanken nicht hinreichend entwickelt
habe, dass jede geoffenbarte Religion zur Widersacherin der positiven
Wissenschaft wird, und dass das Christenthum in dieser Beziehung den
Islam nicht zu beneiden hat. Das steht ausser Zweifel. Galilei ist.
vom Katholizismus nicht besser behandelt worden als Averroes vom
Islam. Galilei hat die Wahrheit in einem katholischen Lande ge-
funden, trotz des Katholizismus, wie Averroäs trotz des Islam in
mahomcdaniscbem Lande philosophirt hat. Wenn ich bei diesem
Punkte nicht länger verweilte, Bo rührt dies daher, weil meine An-
sichten hierüber bekannt genug sind, als dass ich noch nöthig hätte,
auf dieselben vor einem Publikum zurückzukommen, das mit meinen
Arbeiten vertraut ist. Ich habe es oft genug gesagt, um es nicht
mehr bei jedem Anlass wiederholen zu müssen, dass der menschliche
Geist sich von jedem Glauben an übernatürliche Dinge befreien
mass, wenn er an seiner wesentlichen Aufgabe, dem Aufbau der
— 48 —
und ihre bedenklichsten Nachtheile yerlieren. Alles das ist zur
Stande noch eine Utopie, es wird in der Zukunft Wirklichkeit sein.
Wie wird sich nun jede Religion unter der Herrschaft der Freiheit
verhalten, die nach vielen Vor- und Rückw&rtsbewegungen fttr die
menschlichen Gemeinschaften zum Gresetze werden muss ? Ein solches
Problem ist nicht in wenigen Zeilen zu prQfen. In meinem Vortrag
habe ich blos eine historische Frage behandeln wollen; Der Scheik
I)jemmal Eddin scheint mir wichtige Argumente zu meinen Haupt-
tliesen beigebracht zu haben: „W&hrend der ersten Hälfte seines
Bestehens hinderte der Islam die wissenschaftliche Bewegung nicht
auf mahomedanischem Boden sich geltend zu machen ; während der
zweiten Hälfte seines Bestehens erstickte er in seinem Schoosse die
wissenschaftliche Bewegung, und das zu seinem eigenen Unglück.*'
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