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Full text of "Der Islam und die Wissenschaft: Vortrag gehalten in der Sorbonne am. 29 ..."

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} 



•FR.OMTHEUBRARYOF- 
• KONRAD ' BURDACH • 



^ 





DER 





DIE WISSEmilFT, 



VORTRAG 

GEHALTEN IN DER SORBONNE AM 29. MÄRZ 1883 

VON 

EBNEST (BENAN. 




KRITIK DIESES VORTRAGS VOM 

AFGHANEN SCHEIK DJEMMAL EDDIN 

UND 

ERNEST RENAN'S ERWIDERUNG. 



^f^^^f^r^f^^^^^^^^^^^^f^f^ 



AUTORISIRTE ÜEBERSETZUKG. 



-•#^- 



BASEL. 

Verlag von M. Bebnheim^ 
1883. 



BURDACH 






Der Islam und die Wissenschaft. 



Meine Damen und Herren! 

Auf die wohlwollende Aufmerksamkeit mich stützend, 
welche diese Zuhörerschaft mir so oft schon geschenkt, 
wage ich es heute, einen selir schwierigen Gegenstand 
vor Ihnen zu behandeln, der unsern ganzen Scharfsinn 
herausfordert, und an den man entschlossen herantreten 
muss, wenn man aus dem Nebelmeer von Vermuthungen 
und ungefähren Ergebnissen die Geschichte zu klarer 
Erscheinung bringen will. Was in der Geschichte stets 
zu Missverständnissen führte, das ist der Mangel an 
Genauigkeit bei Anwendung von Wörtern, welche 
Nationen und Eassen bezeichnen. Man spricht von 
Griechen, Römern und Arabern, als ob diese Wörter 
Menschengruppen bezeichneten, die immer mit sich 
selber identisch gewesen; man thut es, ohne dabei die 
Veränderungen in Bechnung zu bringen, welche die 
Folge kriegerischer, religiöser und sprachlicher Erobe- 
rungen , der Mode und der mannigfaltigen Strömungen 



mS^'SG^O 



_ 4 — 

sind, welche die Geschichte der Menschheit durchziehen- 
Die Wirklichkeit gestaltet sich nicht nach so einfachen 
Kategorien. Wir Franzosen z. B. sind Römer der 
Sprache, Griechen der Civilisation, Juden der Religion 
nach. Die Rasse als solche, von höchster Wichtigkeit 
für den Beginn der Geschichte einer Nation, verliert 
ihre Bedeutung in dem Maasse als die grossen universal- 
geschichtlichen Thatsachen : griechische Civilisation, 
römische Eroberung, germanische Eroberung, Christen- 
thum, Islam, Renaissance, Philosophie, Revolution gleich 
zermalmenden Walzen über die frühesten Varietäten der 
Menschenfamilie hinweggehen und sie in mehr oder 
minder homogene Massen zusammendrängen. Ich möchte 
es versuchen, mit Ihnen eine der grössten Ideenverwir- 
rungen zu entwirren, die auf diesem Wissensgebiete 
begangen werden, ich meine die Ungenauigkeit, die in 
den Bezeichnungen enthalten ist : arabische Wissenschaft, 
arabische Philosophie, arabische Kunst, muselmännische 
Wissenschaft , muselmännische Civilisation. Aus den 
schwankenden Ideen, die man sich über diese Begriffe 
machte, entstehen zahlreiche falsche Urtheile und in der 
Praxis manchmal sogar sehr schwere Irrthümer. 

Jede Person, die nur einigermassen an dem Geistes- 
leben unserer Zeit theilnimmt, erkennt deutlich die^ 
gegenwärtige Inferiorität der mahomedanischen Lander, 
den Niedergang der vom Islam beherrschten Staaten^ 
die geistige Nichtigkeit der Rassen, die einzig und allein 
ihre Kultur und ihre Erziehung jener Religion verdanken 
Wer immer im Orient oder in Afrika gereist ist, dem 
musste die Wahrnehmung sich aufdrängen von der that- 



— 



sächlichen Geistes-ßeschränktheit eines wahrhaft Gläu- 
bigen, von jener Art eisernen Keifens, der um sein 
Haupt geschlagen ist und dasselbe der Wissenschaft 
geradezu verschliesst, es unfähig macht, irgend etwas 
zu lernen, irgend eine neue Idee in sich aufzunehmen. 
So wie es in seine Keligion eingeweiht ist, um das 
zehnte bis zwölfte Lebensjahr, wird das muselmännische 
Kind, das bis dahin zuweilen noch ziemlich geweckt 
war, plötzlich fanatisch, von jenem Dünkel gesättigt, 
es besitze Alles, was ihm als die absolute Wahrheit gilt, 
wie über ein Vorrecht über das glücklich, was gerade 
seine geistige Inferiorität ausmacht. Dieser dumme 
Hochmuth ist das Laster, welches das ganze Sein des 
Muselmanns bestimmt. Die scheinbare Einfachheit seines 
Gottesdienstes flösst ihm eine wenig gerechtfertigte 
Verachtung vor den andern Eeligionen ein. Ueberzeugt, 
dass Gott Glück und Macht nach seinen unergründlichen 
Eathschlägen austheilt, ohne auf Kenntnisse noch auf 
persönliches Verdienst einen Werth zu legen, hat der 
Muselmann die tiefste Verachtung vor der Bildung, der 
Wissenschaft, vor Allem, was wir das europäische 
Geistesleben nennen. Dieses durch den mahomedanischen 
Glauben ihm eingeprägte Vorurtheil ist so mächtig, dass 
alle Unterschiede der Rasse und der Nationalität durch 
die einzige Thatsache der Bekehrung zum Islam ver- 
schwinden. Die Berbern, die Bewohner des Sudan, die 
Tscherkessen, die Afghanen, die Malaien, die Egypter» 
die Nubier, welche Muselmänner geworden, sind keine 
Berbern, keine Afghanen, keine Egypter u. s. w. mehr, 
es sind Muselmänner. Persien allein macht eine Aus- 



— 6 — 

nähme, es hat seinen eigenen Genius sich zu erhalten 
gewusst; denn Persien hat innerhalb des Islam sich 
seinen besondern Platz gewahrt, es ist im Grunde viel 
mehr schiitisch als muselmännisch. 

Um die traurigen Folgerungen abzuschwächen, die 
man aus diesem so allgemeinen Factum gegen den 
Mahomedanismus zu ziehen geneigt wäre, möchten viele 
Personen uns überzeugen, dass jener Niedergang viel- 
leicht doch nur eine vorübergehende Erscheinung sei« 
Um über die Zukunft zu beruhigen, berufen sie sich auf 
die Vergangenheit; die jetzt so gesunkene muselmännische 
Civilisation, sagen sie, strahlte ehemals im blendendsten 
Glänze. Sie besass Gelehrte und Philosophen; sie war 
Jahrhunderte lang die Beherrscherin des ^christlichen 
Abendlandes. Warum sollte das was gewesen, nicht 
wieder sein können? Gerade auf diesen Punkt möchte 
ich die Untersuchung lenken. Hat es in WiiMichkeit 
eine muselmännische Wissenschaft, oder mindestens eine 
vom Islam anerkannte, vom Islam geduldete Wissenschaft 
gegeben P 

In den Thatsachen, die gewöhnlich angeführt werden, 
liegt gewiss ein ganzes Theil Wahrheit. Ja, etwa vom 
Jahre 773 ab bis gegen die Mitte des dreizehnten Jahr- 
hunderts, das heisst während eines Zeitraumes von 
ungefähr 500 Jahren, gab es in mahomedanischen Län- 
dern Gelehrte, sehr hervorragende Denker. Man kann 
sogar sagen, dass während jenes Zeitraumes die maho- 
medanische Welt, was die Geisteskultur betrifft, der 
christlichen Welt überlegen war. Es ist jedoch noth- 
wendig, diese Thatsache genauer zu betrachten, um 



— 7 — 

nicht irrthümliche Schlussfolgerungen aus ihr zu ziehen. 
Es ist nothwendig, die Geschichte der Civilisation im 
Orient von Jahrhundert zu Jahrhundert zu verfolgen, 
um die verschiedenen Elemente wohl zu unterscheiden, 
die jene momentane üeberlegenheit herbeigeführt, welche 
bald darauf in eine scharf ausgeprägte Inferiorität 
umschlug. 

Das was man Philosophie oder Wissenschaft nennen 
darf, liegt dem ersten Jahrhundert des Islam vollständig 
fern. Der Islam, als das Ergebniss eines religiösen 
Kampfes, der seit mehreren Jahrhunderten sich fort- 
spann und das Geistesleben Arabiens beherrschte, ist 
unter den verschiedenen Formen des semitischen Mono- 
theismus tausend Meilen von alle dem entfernt, was 
man Eationalismus oder Wissenschaft zu nennen pflegt. 
Die arabischen Reiter, die sich der neuen Religion an- 
schlössen, sich ihrer wie eines Vorwandes zu Eroberungen 
und Plünderungen bedienend, waren zu ihrer Zeit gewiss 
die ersten Krieger, aber sicherlich die geringsten Philo- 
sophen der Welt. Ein orientalischer Schriftsteller des 
dreizehnten Jahrhunderts, Abulfaradj, der über den 
Charakter des arabischen Volkes geschrieben, drückt 
sich wie folgt aus: „Die Wissenschaft dieses Volkes, 
diejenige, auf die sie stolz war, bestand in der Wissen- 
schaft der Sprache, in der Kenntniss ihrer Eigenheiten, 
des Versbaues, der gewandten Prosa-Darstellung . . . 
Was die Philosophie betrifft, so hat Gott diesem Volke 
nichts davon verliehen, es auch nicht zu dieser Wissen- 
schaft befähigt." Das ist vollkommen richtig. Der 
nomadische Araber, der literarisch begabteste, ist zugleich 



— 8 — 

unter allen Menschen der am Mindesten zum Mystizis- 
mus, zu tiefen Betrachtungen Angelegte. Der religiöse 
Araber, wenn er die Dinge sich erklären will, begnügt 
sich mit einem Gott als Schöpfer und unmittelbaren 
Lenker der Welt, der sich den Menschen durch eine 
Eeihe von Propheten offenbart. So lange der Islam in 
den Händen der arabischen Rasse, d. h. unter den vier 
ersten Kalifen und unter den Omajjaden war, entstand 
desshalb auch in seinem Schoosse keine geistige Bewe- 
gung profanen Charakters. Omar hat nicht, wie dies 
so oft wiedererzählt worden, die Bibliothek zu Alexan- 
drien verbrannt. Zu Omar's Zeit war diese Bibliothek 
nahezu verschwunden. Das Prinzip aber, das er in der 
Welt zum Siege führte, war in Wirklichkeit das der 
Vernichtung der gelehrten Forschung und der so mannig- 
faltigen Thätigkeit des Geistes. 

Alles änderte sich, als um das Jahr 750 Persien 
zur Herrschaft gelangte und die Dynastie der Abassiden 
über diejenige der Omajjaden den Sieg gewann. Das 
Centrum des Islams fand sich nun in die Region 
des Tigris und des Euphrat verlegt. Dieses Land aber 
war noch besät von den Ueberresten einer der glänzend- 
sten Ci vilisationen , die der Orient gekannt, derjenigen 
der persischen Sassaniden, die unter der Regierung von 
Khosroes Anuschirwan den Gipfel ihres Ruhmes erreicht 
hatte. Kunst und Gewerbfleiss bestanden seit Jahrhun- 
derten in jenen Ländern. Khosroes unterstützte auch 
noch die intellektuelle Thätigkeit. Die Philosophie, 
aus Konstantinopel veijagt, fluchtete sich nach Persien, 
Khosroes Hess die Schriftwerke Indiens übersetzen. 



— 9 — 

Die nestorianischen Christen, welche den beträchtlichsten 
Theil der Bevölkerung ausmachten, waren mit der 
griechischen Wissenschaft und Philosophie betraut, die 
gesammte Heilkunde lag in ihren Händen, ihre 
Bischöfe waren Lehrer der Logik, waren Geometer. 
Man lese die persischen Epopöen nach, die ihre Lokal- 
farbe den Zeiten der Sassaniden entlehnt haben: wenn 
Küstern eine Brücke bauen will, so lässt er einen 
D j a t h a 1 i k kommen , (einen Katholikos , Name der 
Patriarchen oder Bischöfe der Nestorianer), der die 
Dienste des Ingenieurs verrichtet. 

Der fürchterliche Völkersturm, den der Islam erregt 
hatte, brachte auf ein Jahrhundert diese schöne iranische 
Entwicklung zum Stillstand. Die endlich sur HeiTSchaft 
gelangten Abbassiden schienen aber den erloschenen 
Olanz der Khosroes erneuern zu sollen. Die Revolution, 
welche dieser Dynastie zum Throne verhalf, war von 
persischen Truppen unter persischen Führern gemacht 
worden. Die Gründer der Dynastie, Abul Abbas und 
namentlich Mansur sind immer von Persem umgeben. 
Es sind dies gewissermassen wiedererstandene Sassaniden ; 
die vertrauten Käthe, die Lehrer der Prinzen, die obersten 
Minister gehören zu den Barmekiden, einer altpersischen, 
sehr aufgeklärten, dem Nationalkultus der Parsi treu 
gebliebenen Familie, die erst spät und ohne Ueberzeu- 
gung zum Islam übertrat. Die Nestorianer umgaben 
sehr bald diese wenig glaubenseifrigen Khalifen und 
wurden auf Grund einer Art ausschliesslichen Privile- 
giums deren Leibärzte. Eine Stadt, die in der Geschichte 
des menschlichen Geistes eine ganz besondere Bolle 



— 10 — 

spielt, die Stadt Harran, war heidnisch geblieben und 
hatte sich die gesammte wissenschaftliche Ueberlieferung 
des griechischen Alterthums treu bewahrt; sie lieferte 
der neuen Schule eine beträchtliche Anzahl von Gelehrten, 
die den offenbarten Religionen fremd gegenüber standen, 
namentlich tüchtige Astronomen. 

Bagdad erhob sich als die Hauptstadt dieses wieder 
erstandenen Persiens. Die Sprache der Eroberer konnte 
nicht verdrängt, auch die Religion derselben nicht ganz 
und gar verleugnet werden; immerhin war der Geist 
dieser neuen Civilisation ein wesentlich gemischter. 
Parsi und Christen gewannen die Oberhand; die Ver- 
waltung, besonders die Polizei, war den Christen über- 
lassen. Alle jene glänzenden Khalifen, die Zeitgenossen 
unserer Karolinger, Mansur, Harun al Raschid, Mamun 
sind kaum Muselmänner. Sie bekennen sich äusserlich 
zur Religion, deren Häupter, ja Päpste sie sind, wenn 
man sich so ausdrücken darf; ihr Sinn aber ist nicht 
dabei. Sie sind überaus wissbegierig, besonders nach 
ausländischen und heidnischen Dingen; sie befragen 
Indien, das alte Persien, Griechenland namentlich. Bis- 
weilen, das ist freilich wahr, führen die moslemitischen 
Pietisten sonderbare Reaktionen bei Hofe herbei; der 
Khalife wird zeitweise devot und opfert seine ungläu- 
bigen oder freidenkerischen Freunde. Dann weht wieder 
der Wind der Unabhängigkeit, der Khalife ruft seine 
Gelehrten und Vergnügungs-Genossen zurück, zum 
schrecklichen Aergemiss für die puritanischen Musel- 
männer; von Neuem beginnt das freie Leben. 

So erklärt sich die so eigenthümliche und anziehende 



— 11 — 

Civilisation Bagdad's, deren zaul^erhafte Bilder sclioni 
bei dem Gedanken an die Märchen von Tausend und 
Eine Nacht vor unserer Phantasie sich entfalten; eine 
seltsame Mischung von offizieller Strenge und heimlichem 
Sichgehenlassen. Es ist das Alter der strebsamen Jugend 
und des Leichtsinns zugleich, wo die ernsten und die 
heitern Künste dank der Protektion von leichtlebigen 
Regenten blühen, die allen religiösen Fanatismus 
belächeln, wo der Freigeist, obgleich stets den grausam* 
sten Strafen ausgesetzt, bei Hofe gesucht und mit 
Schmeicheleien überhäuft wird. Unter der Regierung 
dieser Khalifen, die bald tolerant, bald gegen ihren 
Willen als Verfolger auftraten, entwickelte sich der 
freie Gedanke. Die Motecallenim oder Disputantea hielten 
Sitzungen ab, in denen sämmtliche Religionen nach den 
Gesetzen der Vernunft geprüft wurden. Wir besitzen: 
ge Wissermassen das Protokoll einer solchen von einem 
Strenggläubigen veranstalteten Sitzung. Erlauben Sie 
mir, Ihnen dasselbe nach der Uebersetzung des Herrn 
Dozy vorzulesen: 

Ein Gelehrter aus Kairoan fragt einen frommen 
spanischen Theologen, der die Reise nach Bagdad 
gemacht hatte, ob er während seines Aufenthaltes in 
dieser Stadt den Sitzungen der Motecallenim beigewohnt 
habe. „Ich habe zwei Sitzungen beigewohnt," erwidert 
der Spanier, „aber ich habe mich wohl gehütet, ein 
drittes Mal hinzugehen." — „Und warum?" fragte der 
Andere. — „Urtheilet selber," antwortete der Reisende. 
„Der ersten Sitzung, an welcher ich theilnahm, wohnten 
nicht blos Muselmänner jeder Gattung, Orthodoxe und 



- 12 — 

Heterodoxe bei, sondern auch Ungläubige, Gebers, 
Materialisten, Atheisten, Juden, Christen; kurz allerlei 
Ketzer. Jede Sekte hatte ihr Oberhaupt, welches mit 
der Vertheidigung ihrer Ansichten beauftragt war, und 
jedes llal, wenn eines dieser Oberhäupter in den Saal 
trat, erhoben sich alle andern in ehrerbietiger Weise, 
und Niemand nahm wieder seinen Platz ein, bevor der 
neu Hinzugetretene sich nicht niedergelassen. Der Saal 
war bald übervoll, und als man sah, dass die Versamm- 
lung vollzählig war, ergriff einer der Ungläubigen das 
Wort: „Wir sind hier versammelt, um der Wahrheit 
„nachzuforschen," sagte er. „Ihr Alle kennt die Bedin- 
„gungen. Ihr Jluselmänner werdet keine Beweisgründe 
„aus eurem Buche anführen, oder solche, die sich auf 
„die Autorität eures Propheten stützen; denn wir glauben 
„weder an das eine noch an den andern. Ein Jeder 
„muss sich auf die Beweisgründe beschränken, die er 
„aus seiner Vernunft geschöpft" Allgemeiner Beifall 
folgte diesen Worten. „Ihr begreift," setzte der Spa- 
nier hinzu, „dass nachdem ich solches gehört, ich in 
diese Versammlung nicht zurückkehrte. Man schlug 
mir vor, eine andere zu besuchen ; aber dort begegnete 
ich demselben Aergemiss." 

Eine wahrhaft philosophische und wissenschaftliche 
Bewegung war die Folge dieser vorübergehenden 
Abstumpfung der orthodoxen Strenge. Die syrischen 
^christlichen Heilkünstler , die Fortsetzer der letzten 
griechischen Schulen waren in der peripathetischen 
Philosophie, der Mathematik, der Heilkunde und der 
Astronomie sehr bewandert. Die Khalifen brauchten sie 



— IS — 

als üebersetzer der Encyklopädie des Aristoteles , des 
Euklid, des Galen, des Ptolemäus, kurz der gesammten 
griechischen Wissenschaft, wie man sie damals besass, 
in's Arabische. Kührige Köpfe, wie z. B. Alkindi, 
begannen über die ewigen Probleme nachzudenken, zu 
denen die Menschheit, ohne sie lösen zu können, stets 
zurückkehrt. Man nannte sie Filsuf (Philosophos) und 
seit jener Zeit wurde diesem Fremdwort eine üble 
Bedeutung beigelegt, als etwas, das dem Islam fremd 
ist. Filsuf wurde bei den Moslemin zu einer verhäng- 
nissvolleu Benennung, die oft den Tod oder doch Ver- 
folgung nach sich zog wie die Bezeichnung als Zendik 
und später Farmassun (Franc-MaQon , Freimaurer). Es 
entstand nämlich der vollständigste Rationalismus im 
Schoosse des Islam. Eine Art philosophischer Gesell- 
schaft, die sichlkhwan es-safa (Brüder der Aufrichtigkeit), 
nannte, unternahm die Herausgabe einer philosophischen 
Encyklopädie, die wahrhaft bemerkenswerth ist ihrer 
Weisheit und der Höhe ihres Gedankenfluges wegen. Zwei 
ausgezeichnete Männer, Alfarabi und Avicenna, nahmen 
alsbald den ßang der grössten Denker ein, die jemals 
gelebt haben. Die Astronomie und die Algebra gelangen, 
in Persien namentlich, zu bedeutender Entwicklung. 
Die Chemie setzte ihre lange heimliche Arbeit fort, die 
sich nach aussen hin durch erstaunliche Eesultate, wie 
die Distillation, vielleicht auch die Erfindung des Schiess- 
pulvers offenbart. Das mahomedanische Spanien folgt 
dem Orient in diesen Studien, die Juden werden dabei 
zu ref»*Hamen Mitarbeitern. Ibn-Badja, Ibn-Tofail,. 
Averroes erheben das philosophische Denken im zwölften 



— 14 — 

Jahrhundert zu einer Höhe, auf welcher man dasselbe 
seit dem Alterthum nicht gesehen hatte. 

Dies ist die Gesammtsumme der Philosophie, die 
man gewöhnlich als die arabische bezeichnet, weil sie 
arabisch geschrieben ist; in Wahrheit aber ist sie 
griechisch-sassanidisch. Noch richtiger wäre es, griechisch 
zu sagen; denn das eigentlich befruchtende Element 
von alle dem kam aus Griechenland. Griechenland war 
die einzige Quelle des Wissens und des richtigen Den- 
kens. Die Ueberlegenheit Syrien's und Bagdad's über 
das lateinische Abendland rührt nur daher, weil man 
dort der griechischen Ueberlieferung viel näher war als 
hier. Es war leichter einen Euklid, einen Ptolemäus. 
Aristoteles in Harran oder Bagdad aufzutreiben als in 
Paris. Ja, wenn die Byzantiner minder eifersüchtige 
Hüter der Schätze hätten sein wollen , die sie in jenem 
Augenblick gar nicht lasen; wenn es schon vom achten 
oder neunten Jahrhundert an Männer wie Bessarion oder 
die Laskaris gegeben hätte ! Dann hätte man jenen sonder- 
baren Umweg nicht zu machen brauchen, auf welchem 
die griechische Wissenschaft im zwölften Jahrhundert 
über Syrien, Bagdad, Cordova, Toledo zu uns gelangte, 
Jene Art geheimer Verseilung aber, welche will, dass 
wenn die Fackel des menschlichen Geistes in den Hän- 
den eines Volkes erlischt, schon ein anderes Volk 
dastehe, um sie zu übernehmen und wieder anzufachen, 
sie gab einen ganz ausserordentlichen Werth der sonst 
wohl bescheidenen Arbeit jener armen Syrer, jener ver- 
folgten Filsufs, jener Harrianer, die ihr Unglaube in 
Acht und Bann der damaligen Gesellschaft that. Durch 



~ 15 - 

jene arabischen Uebersetzungen der griechischen Werke 
der Wissenschaft und Philosophie erhielt Europa den 
zur Entfaltung seines Genius nothwendigen Gährstoff 
der antiken Tradition. 

Und in der That, während Averroes, der letzte 
arabische Philosoph, zu Marokko in Gemüths verdüsterung 
und von der Welt verlassen dem Tode entgegensah, 
war unser Abendland im schönsten Erwachen aus langem 
Geistesschlaf. Abälard hat schon den Kuf des neu 
erstandenen Rationalismus ausgestossen. Europa hat 
seinen Genius erkannt und beginnt jenen herrlichen Auf- 
schwung, der mit der voUstäudigen Unabhängigkeits- 
Erklärung des Menschengeistes abschliessen soll. Hier 
in Paris , auf diesem Hügel Sainte-Geneviöve , erstand 
ein neues sensorium für die Arbeit des Geistes. 
Was noch fehlte, waren die Bücher, die reinen Quellen 
des Alterthums. Auf den ersten Blick will es scheinen, 
dass es natürlicher gewesen wäre, sich an die Biblio- 
theken von Konstantinopel zu wenden, wo die Original- 
handschriften lagen, als zu oft mittelmässigen Ueber- 
setzungen in einer Sprache zu greifen, die wenig zur 
Wiedergabe des griechischen Gedankens geeignet war. 
Die religiösen Zwistigkeiten hatten aber einen bedauerns- 
werthen Gegensatz zwischen der griechischen und der 
Jateinischen Welt geschaften, den der unheilvolle Kreuz- 
zug von 1204 nur noch steigerte. Ueberdies besassen 
wir keine Hellenisten, Wir mussten noch drei Jahrhun- 
derte warten, bis uns ein Lefövre d'Etaples, ein Bud6 
geschenkt wurde. 

In Ermangelung der wahren, der authentischen 



»^ 



— 16 — 

giiechischen Philosophen, die in den byzantinischen 
Bibliotheken ruhten, musste man sich nach Spanien 
begeben und dort eine schlecht übersetzte, verfälschte 
griechische Wissenschaft holen. Ich will von Gerbert 
niclit sprechen, dessen Reisen unter Muselmännern noch 
sehr dem Zweifel unterliegen. Seit dem elften Jahr- 
hundert aber ist Konstantin der Afrikaner seiner Zeit 
und seinem Lande an Kenntnissen voraus, weil er eine 
museimännische Erziehung genossen hat. Von 1130 bis 
lioC lässt ein regsames, in Toledo unter dem Patronat 
des Erzbischofs Eaymond gegründetes CoUegium die 
wichtigsten Werke der arabischen Wissenschaft in's 
Lateinische übersetzen. Seit den ersten Jahren des 
dreizehnten Jahrhunderts hält der arabische Aristoteles 
seinen Siegeseinzug in der Pariser Universität. Das 
Abendland hat seiner vier bis fünf Jahrhunderte alten 
Inferiorität sich entledigt. Bis dahin war Europa wissen- 
schaftlich den Moslemin tributpflichtig. Noch um die 
Mitte des dreizehnten Jahrhunderts schwankt die Waage. 
Etwa vom Jahre 1275 ab werden zwei Bewegungen 
augenscheinlich: einerseits sinken die mahomedanischen 
Länder in den traurigsten intellektuellen Abgrund; 
andrerseits tritt Westeuropa entschlossen in die grosse 
Bahn der wissenschaftlichen Erforschung der Wahrheit, 
eine ungeheure Kurve, deren Weite noch nicht gemessen 
werden kann. 

Wehe dem, der dem menschlichen Fortschritt nicht 
mehr dient! Er wird fast sofort verdrängt. Nachdem 
die sogenannte arabische Wissenschaft ihren Lebens- 
keim dem lateinischen Abendland eingeimpft hat, ver- 



— 17 — 

schwindet sie. Während Averroes in den lateinischen 
Schulen eine Berühmtheit erlangt, die fast derjenigen 
des Aristoteles gleichkommt, wird er bei seinen Eeli- 
gionsgenossen vergessen» Schon nach dem Jahre 1200 
ungefähr gibt es keinen einzigen arabischen Philosophen 
von Bedeutung mehr. Die Philosophie war stets im 
Schoosse des Islam verfolgt worden, bis dahin aber ohne 
vollständig unterdrückt werden zu können. Vom Jahre 
1200 ab ist die theologische Eeaktion ganz und gar 
siegreich. Die Philosophie wird in mohamedanischen 
Ländern abgeschafit. Die Geschichtsschi-eiber und Poly- 
graphen sprechen noch aus der Erinnerung von ihr, und 
zwar aus böser Erinnerung. Die philosophischen Hand- 
schriften werden vernichtet, sie werden selten. Die 
Astronomie wird nur noch geduldet, insofern sie dazu 
dient, die Himmelsrichtung zu bestimmen, nach welcher 
man zum Gebet sich wendet. Bald übernimmt gar die 
türkische Rasse die Führerschaft im Islam und lässt in 
allen Dingen ihren vollständigen Mangel an philoso- 
phischem und wissenschaftlichem Geiste erkennen. Von 
diesem Augenblick an verzeichnet der Islam, einige 
seltene Ausnahmen, wie Ibn-Khaldun abgerechnet, keinea 
weitblickenden Geist mehr ; er hat die Wissenschaft und 
die Philosophie getödtet. 

Ich habe nicht gesucht, die Rolle der grossen soge- 
nannten arabischen Wissenschaft herabzusetzen, die eine 
80 bedeutungsvolle Epoche in der Geschichte des mensch- 
lichen Geistes bezeichnet. Man hat von ihrer Origina- 
lität auf einigen Gebieten , namentlich auf dem der 
Astronomie eine übertriebene Ansicht gehabt; man darf 

2 



- 18 — 

nun nicht in's andere Extrem verfallen und sie allzusehr 
entwerthen. Zwischen dem Verschwinden der antiken 
Civilisation im sechsten Jahrhundert und der Geburt 
des europäischen Genius im zwölften und dreizehnten 
gab es eine Periode, welche die arabische genannt 
werden darf, weil während derselben die üeberlieferung 
des menschlichen Geistes sich auf den dem Islam zuge- 
fallenen Eegionen fortgepflanzt hat. Und was hat diese 
sogenannte arabische Wissenschaft wirklich arabisches 
an sich? Die Sprache, nichts als die Sprache. Die 
islamitische Eroberung hatte die Sprache des Hedschas 
bis an das Ende der Welt getragen. Es ging mit dem 
Arabischen wie mit dem Latein, das im Abendland zum 
Ausdruck von Gefühlen und Gedanken diente, die mit 
dem alten Latium nichts gemein hatten. Averroes, 
Avicenna , Albateni sind Araber , wie etwa Albert der 
Grosse, Roger Bacon, Francis Bacon, Spinoza Lateiner 
sind. Es liegt ein eben so grosses Missverständniss 
darin, die arabische Philosophie und Wissenschaft auf 
Rechnung Arabiens zu setzen, als wollte man die 
gesammte christlich-lateinische Literatur, alle Scholas- 
tiker, die ganze Renaissance, die ganze Wissenschaft 
des sechszehnten und zum Theil des siebenzehnten Jahr- 
hunderts auf Rechnung der Stadt Rom setzen, weil dies 
alles latein geschrieben ist. Sehr merkwürdig in der 
That, dass unter den sogenannten arabischen Philo- 
sophen und Gelehrten nur ein einziger, Alkindi, arabischen 
Ursprungs ist, alle übrigen sind Perser, Transoxiner, 
Spanier, Männer aus Bokhara, Samarkand, Cordova, 
Sevilla. Nicht nur sind es keine Araber der Herkunft 



— 19 - 

nach, sondern auch ihr Geist hat durchaus nichts Ara- 
bisches. Sie bedienen sich des Arabischen, diese Sprache 
aber ist ihnen eine Fessel, wie das Latein für die Denker 
des Mittelalters eine Fessel war, die sie sich so gut es 
ging zurecht legten. Das Arabische, das sich so sehr 
für die Poesie und eine gewisse Art von Beredtsamkeit 
eignet, ist ein sehr unbequemes Werkzeug für die Meta- 
physik. Die arabischen Philosophen und Gelehrten sind 
im Allgemeinen sehr schlechte Schriftsteller. 

Jene Wissenschaft ist nicht arabisch. Ist sie wenig- 
stens mahomedanisch ? Ist der Mahomedanismus für 
jene rationellen Untersuchungen irgend eine Stütze 
gewesen? In keiner ^Veise. Jene schöne wissenschaft- 
liche Bewegung war ganz und gar das Werk von Parsen, 
Christen, Juden, Harraniern, von Ismaeliten und Maho- 
medanern, die innerlich gegen ihre eigene Eeligion 
empört waren. Von den orthodoxen Moslemin hat sie 
sich nur Flüche zugezogen. Mamun, derjenige unter 
den Khalifen, der am meisten Eifer für Einführung der 
griechischen Philosophie entfaltete, wurde erbarmungs- 
los von den Theologen verdammt; die Unglücksfälle, 
welche seine Regierungszeit trübten, wurden als Strafen 
Gottes für die Duldung bezeichnet, welche gegen fremde, 
mit dem Islam unverträgliche Lehren von ihm geübt 
wurde. Es war nicht selten, dass man, um die von 
den Imans zur Empörung gereizte Menge zu beruhigen, 
die Bücher über Philosophie und Astronomie auf öffent- 
lichen Plätzen verbrannte oder in die Cisternen warf. 
Diejenigen, welche mit solchen Studien sich beschäftigten, 
wurden Zendiks (Ungläubige) genannt ; man misshandelte 



— 20 — 

sie auf der Strasse , man zündete ihre Häuser an und 
oft Hess die Behörde, der Menge zu gefallen, sie sogar 
hinrichten. 

Der Islam hat in der That die exakte Wissenschaft 
und die Philosophie stets verfolgt; er hat sie schliess- 
lich erstickt. Nun sind in dieser Beziehung zwei Perio- 
den in der Geschichte des Islam zu unterscheiden; die 
eine von dessen Beginn bis zum zwölften Jahrhundert; 
die andere vom dreizehnten Jahrhundert bis auf unsere 
Tage. In der ersten Periode ist der Islam von Sekten 
und einer Art Protestantismus, dem Motaselismus durch- 
setzt, und viel schwächer organisirt und weniger fana- 
tisch als in der zweiten Periode, nachdem er in die 
Hände tartarischer und berberischer Völkerschaften 
gefallen, plumper, roher und geistloser Kassen. Der Moha- 
medanismus hatte das Eigenthümliche, dass ihm von seinen 
Anhängern eine fortwährend wachsende Gläubigkeit ent- 
gegenkam. Die ersten Araber, die sich der Bewegung 
anschlössen, glaubten kaum an die Sendung des Pro- 
pheten. Zwei oder drei Jahrhunderte lang wird der 
Unglaube kaum verhüllt. Darauf kommt die absolute 
Herrschaft des Dogmas, ohne irgend welche Trennung 
des geistigen und des weltlichen Theils, eine Herrschaft 
mit Zwangsgewalt und körperlichen Züchtigungen denen 
gegenüber, welche die Gebote des Islam nicht erfüllen; 
ein System, das in se ner Bedrückung einzig und allein 
von der spanischen Inquisition über troffen worden ist. 
Die Freiheit wird nirgends schwerer verletzt als durch 
eine soziale Ordnung, in welcher das Dogma unbeschränkt 
das bürgerliche Leben beherrscht. In modernen Zeiten 



_( 



— 21 — 

liaben wir nur zwei Beispiele einer solchen Herrschaft 
kennen gelernt : einerseits die muselmännischen Staaten, 
andrerseits den ehemaligen Kirchenstaat, als der Papst 
noch eine weltliche Macht ausübte. Und man muss 
«agen, dass das weltliche Papstthum sich nur über ein 
gar kleines Ländchen erstreckte, während der Islam auf 
weite Gebiete unseres Globus drückt und daselbst die 
"dem Fortschritt feindseligste Idee erhält, diejenige des 
auf eine vermeintliche Offenbarung gegründeten Staates, 
die Idee des die Gesellschaft beherrschenden Dogmas. 

Die Freisinnigen, welche den Islam vertheidigen, 
kennen ihn nicht. Der Islam ist das nicht mehr wahr- 
nehmbare Band zwischen Geistigem und Weltlichem; 
er ist die Herrschaft eines Dogmas, die schwerste Kette, 
welche die Menschheit jemals getragen. In der ersten 
Hälfte des Mittelalters, ich wiederhole es, hat der Islam 
die Philosophie noch geduldet, weil er nicht anders 
konnte ; er konnte nicht anders, weil er ohne Zusammen- 
hang, weil er nicht ausgerüstet war mit Schreckens- 
werkzeugen. Die Polizei befand sich in den Händen 
der Christen und war wesentlich mit Verfolgung der 
unbotmässigen Aliden beschäftigt. Eine Menge Dinge 
schlüpften zwischen die Maschen dieses ziemlich lockern 
Netzes hindurch. Doch als der Islam über glaubenseifrige 
Massen verfügte, erstickte er Alles. Eeligiöse Schreckens- 
herrschaft und die Heuchelei waren an der Tagesord- 
nung. Der Islam war liberal, als er schwach war; er 
war gewaltsam, als er stark war. Eechnen wir ihm 
also das nicht 2ur Ehre an, was er nicht hat hindern 
können. Den Islam wegen der Philosophie und Wissen- 



— 22 — 

Schaft ehren, die er nicht bei ihrem ersten Auftreten 
sofort vernichtete, das Messe die Theologen wegen der 
Entdeckungen der modernen Wissenschaft ehren. Die 
abendländische Theologie hat nicht weniger Verfolgungen 
geübt als diejenige des Islam. Allein sie hat ihr Ziel 
nicht erreicht, sie hat den modernen Geist nicht erwürgt^ 
wie der Islam den Geist der Länder, die er eroberte. 
In unserem Occident hat die theologische Verfolgung 
nur in einem Lande gesiegt: in Spanien. Dort hat ein 
entsetzliches System der Unterdrückung den wissen- 
schaftlichen Geist getödtet. Beeilen wir uns übrigens 
mit der Erklärung, dass dieses edle Land sicher seine 
Wiedergeburt erleben wird. In den mahomedanischen 
Ländern hat sich das ereignet, was sich in Europa 
erfüllt hätte, wenn es der Inquisition, wenn es Philipp 11. 
und Pius V. gelungen wäre, den Menschengeist zum 
Stillstand zu zwingen. Offen gestanden : es wird mir 
schwer, den Leuten dafür zu danken, dass sie das Böse, 
das sie beabsichtigten, nicht auszuführen vermochten. 
Nein, die Religionen haben ihre grossen und ihre schönen 
Stunden, wenn sie trösten und die schwachen Seiten 
unseres armen Menschenthums stützen; doch soll man 
ihnen keine Höflichkeiten sagen für Alles, was ihnen 
zum Trotz entstanden ist, was sie nicht haben hindern 
können. Von den Leuten, die man ermordet, erbt man 
nicht; man soll die Verfolger nicht mit dem verherr- 
lichen, was sie verfolgt haben. 

Und gerade das/thut man, wenn man dem Einfluss 
des Islam eine Bewegung zuschreibt, die trotz des Islam, 
gegen den Islam entstanden ist, und die der Islam zum 



\ 



— 23 — 

Glück nicht hat verhindern können. Dem Islam einen 
Avicenna, Avensoar, Averroes zur Ehre anrechnen, das 
hiesse den Katholizismus mit Galilei verherrlichen. Die 
Theologie hat Galilei Zwang angethan, sie war doch nicht 
stark genug, ihn zu überwinden; das ist kein Grund, 
ihr desshalb zu grossem Danke verpflichtet zu sein. Ich 
bin weit entfernt von jeder Bitterkeit gegenüber irgend 
einem der Symbole, in welchen das menschliche Gewissen 
Beruhigung gesucht bei Erforschung der unlösbaren 
Probleme, welche das Weltall und sein eigenes Schick- 
sal ihm darbieten. Der Islam als Eeligion hat schöne 
Theile. Niemals bin ich, ohne lebhaft ergrilfen zu wer- 
den, ich möchte sogar sagen, ohne ein gewisses Bedauern, 
kein Moslim zu sein, in eine Moschee getreten. Für die 
menschliche Vernunft aber ist der Islam schädlich gewesen. 
Die Geister, die er dem Lichte verschlossen, waren ihm 
ohne Zweifel schon durch ihre eigenen inneren Grenzen 
verschlossen ; er hat aber den freien Gedanken verfolgt, 
ich sage nicht leidenschaftlicher, aber doch wirksamer 
verfolgt als andere religiöse Systeme. Aus den von ihm 
eroberten Ländern hat er ein jeder Geisteskultur unzu- 
gängliches Gebiet gemacht. 

Was in der That den Muselmann wesentlich kenn- 
zeichnet, das ist der Hass der Wissenschaft, die Ueber- 
zeugung, dass die Forschung unnütz, frivol, ja fast gott- 
los sei: die Wissenschaft als Eingriff in die Attribute 
Gottes, die Geschichtswissenschaft, weil sie als Beschäf- 
tigung mit den dem Islam vorausgegangenen Zeiten zu 
den ehemaligen überwundenen Irrthümem zurückführen 
könnte. Ein merkwürdiges Zeugniss hiefur bietet der 



— 24 — 

Scheik Rifaa, welcher mehrere Jahre als Almosenier der 
ägyptischen Schule in Paris gewohnt hatte und nach 
seiner Rückkehr nach Egypten ein Werk voll der son- 
-derbarsten Beobachtungen über die französische Gesell- 
schaft schrieb. Seine fixe Idee ist, dass die europäische 
AVissenschaft namentlich wegen ihres Prinzips von der 
Unveränderlichkeit der Naturgesetze von Anfang bis zu 
Ende eine einzige Ketzerei ausmache ; und vom Gesichts- 
punkte des Islam aus, das muss man zugeben, hat er 
nicht ganz unrecht. Ein oifenbartes Dogma bildet stets 
«inen Gegensatz zur freien Forschung, die ihm zu wider- 
sprechen vermag. Das Ergebniss der Wissenschaft endet 
damit, nicht das Göttliche auszuschliessen , aber doch 
stets zu entfernen, es zu entfernen, sage ich, von der 
Welt der speziellen Thatsachen, in der man es zu sehen 
glaubte. Die Erfahrung verdrängt das Uebernatürliche, 
schränkt dessen Gebiet ein. Das Uebernatürliche aber 
ist die Grundlage aller Theologie. Der Islam, indem er 
die Wissenschaft als seine Feindin betrachtet, ist nur 
consequent; es ist aber gefahrlich, gar zu consequent 
zu sein. Der Islam ist dies zu seinem Unglück gewesen. 
Indem er die Wissenschaft tödtete, tödtete er sich 
selbst; verurtheilte er sich in der Welt zu einer kläg- 
lichen Inferiorität. 

Wenn man von dem Gedanken ausgeht, dass mensch- 
liche Forschung ein Angriff auf die Rechte Gottes sei, 
so gelangt man unvermeidlich zur Geistesträgheit, zum 
Mangel an Genauigkeit, zur Unfähigkeit, genau zu sein. 
Allah aalam, „Gott weiss besser, was daran ist," 
das ist das letzte Wort bei jeder muselmännischen Dis- 



cussion. Während der ersten Zeit seines Aufenthaltes 
in Mosul wünschte Herr Layard, als Mann der wissen- 
schaftlichen Beobachtung, einige Angaben über die 
Bevölkerung der Stadt, über ihren Handel, ihre geschicht- 
lichen üeberlieferungen zu besitzen. Er wandte sich 
an den Kadi, der ihm folgende Antwort sandte, deren 
Uebersetzung ich einer befreundeten Person verdanke: 

„0 mein berühmter Freund, o Freude der Lebenden! 
Was Du von mir verlangst, ist zugleich unnütz und 
schädlich. Obgleich ich alle meine Tage in diesem Lande 
verbracht habe, so ist es mir doch niemals in den Sinn 
gekommen , die Häuser zu zählen , noch mich um die 
Zahl ihrer Bewohner zu bekümmern. Und nun die Frage, 
wie viel Waaren der eine wohl auf seine Maulthiere 
packt, der andere in seiner Barke unterbringt, das ist 
in der That ein Gegenstand, der mich in keiner Weise 
angeht. Was die Vorgeschichte dieser Stadt betrifft, 
•Gott allein weiss es, er allein könnte sagen, mit wie 
viel Irrthümem die Einwohner derselben vor deren 
Eroberung durch den Islam voll gepfropft waren. Für 
uns wäre es gefährlich, sie kennen zu wollen. 

„0 mein Freund, o mein Lamm, suche nicht das zu 
wissen, was Dich nicht angeht. Du bist zu uns gekom- 
men und wir haben Dich willkommen geheissen; gehe 
wieder fort in Frieden! In Wahrheit: alle Worte, die 
Du zu mir gesprochen, haben mir nicht im Geringsten 
wehe gethan ; denn derjenige, welcher spricht, ist Einer, 
und derjenige, welcher zuhört, ist ein Anderer. Nach 
der Sitte der Männer Deines Volkes hast Du viele Laiid- 
ischaften durchwandert, und doch hast Du das Glück nir- 



— Ä — 

ireiids gefandeiL Wir al)er TGott sei gelobt!) wir sind 
hier geboren nnd wir wünschen nicht, Ton hier fort 
zn ziehen. 

.Höre, mein Sohn, efs gibt keine Weisheit gleich 
derjenigen, an Gott zn glanben« Er hat die Welt 
geschaffen. Sollen wir darnach streben, ihm gleich zu 
kommen, indem wir suchen, in die Geheimnisse seiner 
Schöpfungen zn dringen? Sieh jenen Stern, der dort 
oben nm jenen andern Stern kreist; betrachte wieder 
einen andern Stern, der einen Schweif nach sich zieht 
und so Tiele Jahre braucht, zu kommen, und so viele 
Jahre, sich zu entfernen. Lass ihn, mein Sohn : derjenige, 
dessen Hände ihn gebildet haben, wird ihn schon leiten 
nnd lenken. 

„Doch, Du wirst vielleicht sagen: „O Mann, ziehe 
„Dich zurück, denn ich bin gelehrter als Du, und ich 
„habe Dinge gesehen, von denen Du nichts weisst!*^ 
Wenn Du meinst, dass diese Dinge Dich besser gemacht 
als ich bin, so sei mir doppelt willkommen; ich aber,^ 
ich danke Gott, dass ich danach nicht forsche, was ich 
nicht zu wissen brauche. Du bist in Dingen unterrichtet, 
die mir gleichgültig sind, und was Du gesehen hast, 
ich verachte es. Wird Dir ein umfassenderes Wissen 
einen zweiten Magen schaffen, und Deine Augen, die 
fiberall hin sich senken und Alles durchstöbern, werden 
sie Dir ein Paradies aufspüren? 

„O mein Freund, wenn Du glücklich sein willst, so 
rufe: „Gott allein ist Gott!'' Thue nichts Böses, dann 
wirst Du weder die Menschen noch den Tod furchten, 
denn Deine Stunde wird kommen/ 



— 27 — 

Dieser Kadi ist ein grosser Philosoph in seiner Art. 
Folgendes aber ist der Unterschied: Wir linden den 
Brief des Kadi reizend , er aber würde Alles , was wir 
hier sagen, abscheulich finden. Für eine Gesellschaft 
übrigens, nicht für den Einzelnen, sind die Folgen einer 
solchen Weltbetrachtung verhängnissvoll. Von den beiden 
Konsequenzen, zu welchen die Abwesenheit wissenschaft- 
lichen Geistes führt, Aberglaube und engherziger Dog- 
matismus, ist die zweite vielleicht schlimmer als die 
erste. Der Orient ist nicht abergläubisch, sein grossem 
üebel ist der engherzige Dogmatismus, der sich gewalt- 
sam der ganzen Gesellschaft aufdrängt. Zweck der 
Menschheit ist nicht die Euhe in einer Gott ergebenen 
Unwissenheit, sondern die erbarmungslose Bekriegung^ 
des Falschen, der Kampf gegen* das Böse. 

Die Wissenschaft ist die Seele einer Gesellschaft;^ 
denn die Wissenschaft ist die Vernunft. Sie erzeugt 
die militärische und die gewerbliche üeberlegenheit- 
Sie wird eines Tages die gesellschaftliche Ueberlegen- 
heit erzeugen, ich will sagen einen Gesellschaftszustand,, 
in welchem die Summe von Gerechtigkeit, welche mit 
dem Wesen des Universums verträglich ist, auch gewährt 
wird. Das Wissen stellt die Kraft in den Dienst der 
Vernunft. Es gibt in Asien Elemente der Barbarei,, 
denjenigen ähnlich, welche die ersten muselmännischen 
Heere und jene grossen Völkerstürme eines Attila oder 
Dschingis-Khan erzeugten. Die Wissenschaft versperrt 
ihnen den Weg. Wenn Omar, wenn Dschingis-Khan 
auf eine gute Artillerie gestossen wären, so hätten sie 
den Saum ihrer Wüste gewiss nicht überschritten. 



— 28 — 

Man muss sich bei momentanen Verirrungen nicht auf- 
halten. Was ist nicht bei ihrem ersten Auftreten gegen 
4ie Schusswafien gesagt worden? Und doch haben sie 
Vieles zum Siege der Civilisation beigetragen. Was 
mich betrifft, ich habe die Ueberzeugung, dass die Wis- 
senschaft gut ist, dass sie allein Waffen gegen das Böse 
liefert, welches man mit ihnen vollbringen kann, dass 
4ie Wissenschaft nur dem Fortschritt dient, ich habe 
hier den wahren Fortschritt im Auge, denjenigen, der 
unzertrennlich ist von der Menschenliebe und der Freiheit. 



^ 



Kritik des Afghanen Djeininal Edi. 



^^^ß^ß^ß^f^ß^r^^^^^^^^^^^*^*^*^*^*^*^^ 



— 31 — 

Vorwort des Uebersetzers. 

Vorstehender in der Sorbonne gehaltener Vortrag des 
Herrn Eenan kam zuerst im „Journal des D^bats" zur 
Veröffentlichung. An dasselbe Blatt richtete einige 
Wochen später ein Mohamedaner, der Afghane Djemmal 
Eddin*) ein Schreiben, in welchem der gelehrte Orientale 
die Vertheidigung seiner Glaubensgenossen gegen den 
Vorwurf, dass sie Feinde der Wissenschaft seien, unter- 
nimmt. Wir lassen seine werthvoUe Auseinandersetzung 
und darauf die Antwort des Herrn Eenan hier folgen. 



^) Der Scheik Djemmal Eddin, 1848 in Kabul geborcD, stammt 
aas einer fürstlichen Familie. Nachdem er seine Stadien in Kabul 
abgeschlossen, betheiligte er sich zu Gunsten des Emirs Afdal Khan 
an einem der häufigen Bürgerkriege seines Landes. Der Emir wurde 
geschlagen und Djemmal Eddin flüchtete sich nach Indien und von 
dort nach Konstantinopel. Der Sultan ermächtigte ihn , in der Aja 
Sophia und in der Moschee Achmed^s religiöse Vorträge zu halten; 
aber Djemmal Eddin erbitterte durch seine freisinnigen Lehren die 
Ulemas so sehr, dass er die türkische Hauptstadt verlassen musste. 
Er kam nun nach Kairo und wurde Lehrer der Philosophie bei den 
Zöglingen der Moschee del Ashar. Als in Egypten eine nationale 
und zugleich liberale Parthei auf der Scene erschien, trat Djemmal 
Eddin als politischer Kedner auf. Er machte es sich zur Aafgabe, 
die Pläne Englands auf Egypten an^s Licht zu ziehen und vor ihnen 
zu warnen, was seine Verhaftung durch die egyptischen Behörden 
und seine gezwungene Uebersiedlung nach Indien zur Folge hatte, 
wo er zwei Jahre lang unter englischer Polizeiaufsicht verweilte. 
Djemmal Eddin lebt seit Anfang dieses Jahres in Paris, er trägt 
die Tracht eines Ulema. 






Das Schreiben Djemmal Eddins war in arabischer 
Sprache abgefasst und an den Direktor des „Journal 
des Dfebats" gerichtet. Es lautet in der Uebersetzung ; 



Ich habe in Ihrem sch&tzenswerthen Blatte einen in der Sor- 
bonne vor einer anserlesenen Zahörerschaft gehaltenen Vortrag über 
den Islam and die Wissenschaft gelesen, einen Vortrag des grossen 
Philosophen unserer Zeif, des berühmten Herrn Renan, dessen Ruf 
das ganze Abendland erfüllt und bis in die entlegensten Theile des 
Morgenlandes gedrungen ist. Da dieser Vortrag mich eu einigen 
Betrachtungen anregte, so nahm ich mir die Freiheit, dieselben in 
diesem Briefe zu formuliren, den ich die Ehre habe, Ihnen mit der 
Bitte zuzusenden, ihm in den Spalten Ihres Blattes die erbetene 
Gastfreundschaft zu gewähren. 

Herr Renan hat einen bis jetzt dunkel gebliebenen Punkt in 
der Geschichte der Araber aufhellen wollen und auf deren Vergan- 
genheit ein lebhaftes Licht geworfen, ein Licht, das vielleicht die- 
jenigen ein wenig irre macht, welche ihre besondere Verehrung einem 
Volke gewidmet haben, von dem man gewiss nicht sagen kann, dass 



( 



— 33 — 

es den Platz und Rang, den es einst in der Welt eingenommen, sich 
unrechtmässig angeeignet. So hat denn auch Herr Renan, glaubea 
wir, nicht gesucht, den Ruhm der Araber, der ja unzerstörbar ist,, 
zu zerstören; er hat sich bestrebt, die historische Wahrheit zu ent- 
decken und sie denjenigen zur Kenntniss zu bringen, die sie nicht 
keiiuen, gleichwie denjenigen, welche in der Geschichte der Völker, 
und namentlich der Civilisation, die Entwicklung der Religionen 
erforschen. Ich beeile mich, von vornherein anzuerkennen, dass^ 
Herr Renan dieser so schwierigen Aufgabe in wunderbarer Weise 
gerecht geworden ist, indem er gewisse Thatsachen beibrachte,, 
welche bis heute unbeachtet geblieben waren. Ich finde in seiner 
Rede bemerkenswerthe Betrachtungen, neue Gesichtspunkte und 
einen unbeschreiblichen Reiz. Indessen, ich habe nur eine mehr 
oder weniger getreue üebersetzung seines Vortrages vor Augen.. 
Wenn es mir gestattet w&re, ihn im französischen Text zu lesen,, 
so hätte ich wohl tiefer in die Gedanken dieses grossen Weisen ein- 
dringen können. Möge er meinen ehrerbietigen Gruss als eine ihm 
gebührende Hochachtung und als das aufrichtigste Zeichen meiner 
Bewunderung empfangen. Ich muss bei dieser Gelegenheit ihn^ 
sagen, was Al-Mutenaby, ein Dichter, der die Philosophen liebte^ 
vor einigen Jahrhunderten an eine hochgestellte Persönlichkeit 
schrieb, deren Thaten er verherrlichte: „Empfange, ** sagte er zu 
ihm, ndas Lob, das ich Dir zu geben vermag; nöthige mich nichts 
Dir das Lob zu ertheilen, das Da verdienst 

Der Vortrag des Herrn Renan enthält zwei Hauptpunkte. Der 
ausgezeichnete Denker hat sich zu beweisen bestrebt, dass die maho- 
medanische Religion ihrem eigentlichen Wesen nach der Entwick- 
lung der Wissenschaft widerstrebe, und dass das arabische Volk 
seiner Natur nach weder den metaphysischen Wissenschaften noch 
der Philosophie zugeneigt sei. Diese kostbare Pflanze, scheint Herr 
Renan zu sagen, verdorrt in mahomedanischen Händen, wie unter 
dem glühenden Hauch des WQatenwindes. Nachdem man den Vor- 
trag zu Ende gelesen, drängt sich Einem indessen die Frage auf, 
ob das üebel einzig und allein von der mahomedanischen Religion 
selber oder von der Art und Weise ihrer Verbreitung in der Welt,. 

8 



- 34 - 

vom Charakter, den Sitten und natürlichen Anlagen der Völker her- 
rühre, die jene Religion angenommen oder denen sie gewaltsam auf- 
gedrängt worden. Die Kürze der ihm zugemessenen Zeit hat ohne 
Zweifel Herrn Renan gehindert, diese Punkte aufzuklären. Die 
Krankheit besteht desshalb nicht weniger, und wenn es nicht leicht 
ist, die Ursachen derselben genau, durch unwiderlegliche Beweise 
zu bestimmen, so ist es noch schwieriger, das Heilmittel anzugeben' 

Was den ersten Punkt anbetrifft, so sage ich, dass keine 
Nation bei ihrem Beginn fähig ist, sich tou der reinen Vernunft 
leiten zu lassen. Von schreckhaften Vorstellungen heimgesucht, 
denen sie sich nicht zu entziehen vermag, ist sie unfähig, das Gute 
vom Bösen zu unterscheiden, das was ihr Glück auszumachen ver- 
möchte von dem zu sondern, was die unversiegbare Quelle ihrer 
Leiden und Missgeschicke sein kann. Sie versteht es mit einem 
Worte nicht, weder zu den Ursachen hinabzusteigen noch die Wir- 
kungen zu erkennen. 

Diese Lücke erlaubt es nicht, dass man sie durch Gewalt oder 
durch Ueberredung dazu führe, das zu thun, was ihr am meisten 
zum Vortheil gereichen würde, noch sie von dem fernzuhalten, was 
ihr schädlich ist. £s konnte desshalb nicht anders sein, als dass 
die Menschheit ausser ihrem Kreise einen Zufluchtsort, eine fried- 
liehe Stätte suchte, wo ihr beunruhigtes Gewissen Ruhe finden 
konnte, und so entstand ihr irgend ein Erzieher, der, wie ich oben 
gesagt, weil er nicht die nöthige Macht besass, sie zu zwingen, dass 
sie den Eingebungen der Vernunft Folge leistete, sie in das Unbekannte 
leitete und ihr die weiten Horizonte eröffnete, in denen die Einbil- 
dungskraft sich so gern bewegt, und wo die Menschheit, wenn nicht 
die völlige Befriedigung ihrer Wünsche, so doch wenigstens ein 
unbegrenztes Gebiet für ihre Hoffnungen gefunden hat. Und da die 
Menschheit bei ihrem Ursprung die Ursachen der Ereignisse, die 
unter ihren Augen vorgingen, nicht kannte, das unergründliche 
Räthsel nicht zu lösen vermochte^ so war sie nothwendig gezwungen, 
die Rathschläge ihrer Lehrer und die Befehle zu befolgen , welche 
diese ihr gaben. Dieser Gehorsam wurde ihr im Namen des 
höchsten Wesens auferlegt, dem jene Erzieher alle Ereiguisse zu- 



— 35 — 

ficlirieben, ohne dass es gestattet war, deren Nützlichkeit oder Schäd- 
lichkeit zu erörtern. Das ist ohne Zweifel das schwerste und demü- 
thigendste Joch für den Menschen, ich erkenne es wohl, doch kann 
man nicht leugnen, dass s&mmtliche Nationen durch diese religiöse 
mahomedanische, christliche oder heidnische Erziehung aus dem 
Zustande der Barbarei herausgetreten und so einer höheren Gesittung 
entgegengeschritten sind.*) 

Wenn es wahr ist, dass die mahomedanische Religion ein Hin- 
d^rniss für die Entwicklung der Wissenschaften ist, kann man desshalb 
auch behaupten, dass dieses Hinderniss nicht eines Tages verschwinden 
wird? Worin unterscheidet sich die mahomedanische Religion in 
diesem Punkte Ton andern Religionen? Alle Religionen sind in- 
tolerant, jede auf ihre Weise. Die christliche Religion, ich will 
sagen die Gesellschaft, welche ihren Ideen und Lehren folgt und 
die sie nach ihrem Bilde gestaltet hat, ist aus der ersten Periode 
hervorgegangen, welche ich so eben angedeutet habe. Später frei 
und unabhängig, scheint sie rasch auf der Bahn des Fortschritts 
und der Wissenschaften voranzukommen, während die muselmän- 
nische Gesellschaft sich noch nicht von der Vormundschaft der 
Religion befreit hat. Wenn ich nun aber bedenke, dass die christ- 
liche Religion um mehrere Jahrhunderte früher in der Welt aufge- 
treten ist als die mahomedanische, dann kann ich mich der Hoffnung 
nicht entschlagen, dass auch die mahomedanische Gesellschalt eines 
Tages dazu gelangen wird, ihre Fesseln zu brechen und entschlossen 
auf der Bahn der Civilisation fortzuschreiten nach dem Beispiel der 
abendläridischen Gesellschaft, für welche der christliche Glaube trotz 
seiner strengen Gesetze und seiner Intoleranz kein unüberwindliches 
Hinderniss gewesen ist. Nein, ich kann nicht gestatten, dass diese 
Hoffnung dem Islam geraubt werde. Ich vertheidige hier vor Herrn 



■*) Ob der gelehrte Afghane wohl Lessing's „Erziehung des 
Menschengeschlechts^^ kannte, als er obige Zeilen niederschrieb? Es ist 
nicht wahrscheinlich Um so interessanter ist die Uebereinstimmung seines 
Gedankenganges mit demjenigen des grossen Deutschen. Anmerk. des 
Uebersetzers. 



— 36 — 

Renan nicht die Sache der mahomedanischen Keligion, sondern die- 
jenige mehrerer hundert Millionen Menschen, die ihm zufolge ver< 
urtheilt wären, in der Barbarei und Unwissenheit fortzuleben. 

In Wahrheit hat die mahomedanische Religion die Wissen- 
schaft zu ersticken und ihre Fortschritte zu hindern sich bemüht. 
Es ist ihr gelungen, die geistige oder philosophische Bewegung zu 
hemmen und die Geister von der Erforschung wissenschaftlicher 
Wahrheit abzuhalten. Ein solcher Versuch, wenn ich mich nicht 
täusche, ist auch seitens der christlichen Religion gemacht worden 
und die verehrten Häupter der katholischen Kirche haben meines 
Wissens die Waffen noch nicht niedergelegt. Sie fahren fort, mit 
Eifer gegen das zu kämpfen, was sie den Geist des Schwindels und 
des Irrthums nennen. Ich kenne die Schwierigkeiten alle, welche 
die Moslemin zu überwinden haben werden, um dieselbe Stufe der 
Civilisation zu erreichen, da ihnen der Zutritt zur Wahrheit auf 
philosophischem und wissenschaftlichem Wege untersagt ist. Ein 
wahrhaft Gläubiger soll sich in der That Ton Studien abwenden,, 
deren Ziel die wissenschaftliche Erkenntniss ist, von denen über- 
haupt jede Erkenntniss nach einer in Europa gültigen Ansicht ab- 
hängt. An das Dogma, dessen Sklave er ist, wie ein Ochse an ilen 
Pflug gespannt, muss er ewig in derselben ihm von den Auslegern 
des Gesetzes vorgezeichneten Furche einherschreiten. Dazu noch 
überzeugt, dass seine Religion alle Moral und alle Wissenschaften 
in sich enthalte, schliesst er sich ihr auf das Entschiedenste an und 
bemüht sich durchaus nicht, über sie hinaus zu gehen. Wozu sich 
in fruchtlosen Anstrengungen erschöpfen? Wozu soll es ihm nützen, 
nach Wahrheit zu forschen, wenn er die Wahrheit ganz zu besitzen 
glaubt? Wäre er etwa glücklicher an jenem Tage, an dem er den 
Glauben verloren, dass alle Vollkommenheit in der Religion liegt, 
die er ausübt, und nicht in einer andern? So verachtet er denn die 
Wissenschaft. Ich weiss das, aber ich weiss auch, dass jenes moha» 
medanische oder arabische Kind, von welchem Herr Renan uns in 
130 kräftigen Zügen ein Bildniss gibt, und das in vorgeschrittenem 
Alter n^in Fanatiker wird, voller Hochmuth das zu besitzen, was e& 
für die absolute Wahrheit ansieht,^ einer Rasse angehört, die ihr 



— 37 — 

Auftreten in der Welt nicht aliein durch Feuer und Schwert, son- 
dern durch glänzende und fruchtbringende Thaten bezeichnet hat, 
welche ihren Geschmack an der Wissenschaft, an allen Wissenschaften, 
die Philosophie mit inbegriffen, bewiesen, mit welcher, ich muss es zu- 
geben, sie freilich nicht lange in Frieden zusammengelebt 

Jetzt bin ich zu dem zweiten Punkt gelangt, den Herr Eenan 
mit nicht zu bezweifelnder Autorität in seinem Vortrag behandelt 
hat. Jedermann weiss, dass das arabische Volk, als es noch im 
Zustande der Barbarei war, sich auf die Bahn des intellektuellen 
und wissenschaftlichen Fortschritts begeben, und darin mit einer 
Raschheit sich fortbewegt hat, die nur mit derjenigen ihrer politi- 
schen Eroberungen zu vergleichen ist. Denn im Zeitraum eines 
Jahrhunderts hat es fast sämmtliche griechische und persische Wis- 
senschaften, die sich während mehrerer Jahrhunderte auf ihrem 
heimischen Boden laiigsam entwickelt hatten, angeeignet und aBsi- 
milirt, gerade so rasch, wie es seine Herrschaft über die arabische 
Halbinsel bis zu dem Himalaya-Gebirge und den Pyrenäen ausdehnte. 

Man kann sagen, dass während dieser ganzen Periode die 
Wissenschaften erstaunliche Fortschritte bei den Arabern und in allen 
ihrer Herrschaft unterworfenen Ländern machten. Rom und Byzanz 
waren damals die Hauptstätten der theologischen und philosophi- 
schen Wissenschaften und zugleich das leuchtende Gentrum, man 
möchte sagen der Sammelpunkt aller menschlichen Kenntnisse. Seit 
mehreren Jahrhunderten auf der Bahn der Givilisation , durcheilen 
Griechen und Röm^r mit sichermr Schritt das weite Gebiet der 
exakten Wissenschaft und der Philosophie. Und doch kam eine 
Zeit, wo ihre Forschungen aufgegeben, ihre Studien unterbrochen 
wurden. 

Die Denkmäler, die sie der Wissenschaft errichtet haben, 
stürzen ein, ihre kostbarsten Bücher gerathen in Vergessenheit Die 
Araber, bei aller Unwissenheit und Barbarei, in welcher sie ursprüng- 
lich sich befanden, nahmen das auf, was von gesitteten Nationen 
aufgegeben worden war, sie belebten die erloschenen Wissenschaften 
wieder, entwickelten sie and Terliehen ihnen einen Glanz , den sie 
vorher nie besessen hatten. Ist das etwa Licht das Anzeichen, 



— 38 — 

ja der Beweis Ihrer natQrlichen Liebe zu den Wissenschaften? 
Wahr ist, dass die Araber den Griechen ihre Philosophie entlehnten , 
wie sie den Persern abnahmen, was deren Rahm im Alterthum aus- 
machte. Diese Wissenschaften aber, die sie durch das Recht der 
Eroberung sich angeeignet, sie haben sie entwickelt, ausgedehnt^ 
aufgehellt, yervollkommnet, Tervollständigt und mit auserlesenem 
Geschmack, mit seltener Bestimmtheit und Genauigkeit logisch 
geordnet. Und dann: die Franzosen, die Deutschen und die Eng- 
länder wareu Ton Rom und Byzanz nichs to weit entfernt, wie die 
Araber, deren Hauptstadt Bagdad war. Es war ihnen also leichter, 
die wissenschaftlichen Schätze auszubeuten, welche in jenen zwei 
grossen Städten vergraben lagen. Sie haben in dieser Richtung 
nichts gethan bis zu dem Tage, wo die Fackel der arabischen 
Givilisation auf dem Gipfel der Pyrenäen erschien und ihr Licht* 
ihren Glanz über das Abendland ergoss. Die Europäer haben 
den ausgewanderten, arabisch gewordenen Aristoteles wohl aufge- 
nommen; aber sie dachten nicht an ihn, als er noch in seinem 
griechischen Gewände in ihrer Nachbarschaft ruhte. Ist das nicht ein 
zweiter, nicht minder augenscheinlicher Beweis Ton den intellektuel- 
len Vorztlgen der Araber und ihrer natürlichen Liebe zur Philo- 
sophie. Nach dem Sturze des arabischen Reiches im Orient wie im 
Occident, verfielen freilich die Länder, welche die leuchtenden Herde 
der Wissenschaft geworden waren, wie Irak und Andalusien, in Un- 
wissenheit und wurden die Centren des religiösen Fanatismus. Aus 
diesem traurigen Schauspiel darf nicht geschlossen werden, dass der 
wissenschaftliche und philosophische Fortschritt im Mittelalter nicht 
dem damals herrschenden arabischen Volke zu verdanken war. 

Herr Renan lässt ihm übrigens diese Gerechtigkeit zu Theil 
werden. Er erkennt an, dass die Araber Jahrhunderte lang den 
Herd der Wissenschaften gehütet und in Gluth erhalten haben. 
Gibt es eine edlere Aufgabe für ein Volk? Doch während er aner- 
kennt, dass etwa Tom Jahre 775 der christlichen Zeitrechnung an 
bis zur Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, das heisst während 
ungefähr fünfhundert Jahren, es in den mahomedanischen Ländern 
Gelehrte, sehr hervorragende Denker gegeben, und dass die maho- 



— 39 — 

medaDiBche Welt w&hrend jener Periode der christlichen Welt an 
intellektueller Kultar überlegen war, sagt Herr Benan^ dass die 
Philosophen der ersten Jahrhunderte des Islam, sowie die Staats- 
männer, die sich zu jener Zeit auszeichneten, gross tentheils aus dem 
Harran, ans Andalusien und aus Persien stammten. Es gab unter 
ihnen aber auch Männer von jenseits des Oxus und Priester aus 
Syrien. Ich will die glänzenden Eigenschaften der persischen Ge- 
lehrten nicht leugnen, noch die schöne Rolle übersehen, die sie in 
der arabischen Welt gespielt; indessen möge mir die Bemerkung 
gestattet sein, dass die Harranier Araber waren und dass die Araber, 
als sie Spanien und Andalusien besetzten, damit nicht ihre Nationa- 
lität verloren; sie sind Araber geblieben. Die arabische Sprache 
war mehrere Jahrhunderte vor dem Islam diejenige der Harranier* 
Die Thatsache, dass sie ihre alte Religion, den Sabäismus, beibe- 
halten haben, soll nicht sagen, dass sie der arabischen Nationalität 
nicht angehörten. Die syrischen Priester waren ebenfalls der Mehr- 
zahl nach ghassanische, zum Christenthum bekehrte Araber. 

Was Ibn-Bajah, Ibn-Roschd (Averroös) und Ibn-Taphail be- 
trifft, so kann man nicht sagen, dass sie nicht ebenso gut Araber 
waren wie Al-Eindi, weil sie nicht in Arabien selbst geboren sind, 
namentlich wenn man in Betracht zieht, dass die N'itionen sich nur 
durch ihre Sprachen von einander unterscheiden, und dass, wenn 
diese Unterschiede verschwänden, die Nationen gar bald ihren ver- 
schiedenen Ursprung vergessen würden. Die Araber, die ihre Waffen 
in den Dienst der mahomedanischen Religion gestellt und zugleich 
Krieger und Apostel gewesen, haben ihre Sprache nicht den Besieg- 
ten aufgedrängt und überall, wo sie sich niedergelassen, haben sie 
dieselbe mit eifersüchtiger Absicht für sich bewahrt. Ohne Zweifel 
hat der Islam in die Länder, die er durch Waffengewalt eroberte, seine 
Sprache, seine Sitten und seine Doktrin verpflanzt, und diese Länder 
haben sich seither seinem Einfluss nicht entziehen können Ein 
Beispiel hievon ist Persien. Vielleicht aber, wenn man bis zu den 
Jahrhunderten vor dem Erscheinen des Islam zurückginge, 
fände man, dass die arabische Sprache damals den persischen 
Gelehrten doch nicht völlig unbekannt war. Die Ausbreitung des 



-- 40 — 

Islam hat ihr in der That einen neuen Aufschwung gegeben und 
•die zum Islam bekehrten persischen Gelehrten machten sich eine 
Ehre daraus, ihre Bücher in der Sprache des Koran zu schreiben. 
Die Araber dürfen sich keineswegs mit dem Ruhme schmücken, der 
jenen Schriftstellern zukommt; wir glauben aber, dass sie dessen 
gar nicht bedürfen, sie haben berühmte Gelehrte und Schriftsteller 
in hinreichender Anzahl unter sich aufzuweisen. Was würde ge- 
schehen, wenn man, bis zu den frühesten Zeiten der arabischen 
Herrschaft zurückgehend, Schritt vor Schritt den Weg der ersten 
Gruppe verfolgte, aus welcher das erobernde Volk hervorging, das 
«eine Macht über die Erde ausbreitete; wenn man, Alles ausschlies- 
«end, was dieser Gruppe oder ihrer Nachkommenschalt n cht ange- 
hört, weder den Einfluss in Betracht zöge, den sie auf die Geister 
ausgeübt, noch den Anstoss, den sie den Wissenschaften gegeben? 
Käme man bei solchem Verfahren nicht dazu, den erobernden Völ- 
kern keine anderen Verdienste noch andere Tugenden zuzuerkennen, 
äIs diejenigen allein, die aus der materiellen Thatsache der Erobe- 
rung entspringen? Alle besiegten Völker würden dann ihre geistige 
Autonomie sich zuschreiben, sich allein allen Ruhm aneignen, so 
dass kein Theil daion von der Macht in Anspruch genommen wer- 
den dürfte, welche die vorhandenen Keime befruchtete und entwickelte. 
Demnach würde Italien zu Frankreich sagen, dass weder Mazarin 
noch Bonaparte dem letzteren Lande angehört haben; Deutschland 
oder England würden ihrerseits die Gelehrten sich gut schreiben, 
die, nach Frankreich übergesiedelt, daselbst den grossen Ruf der 
•öfifentlichen Lehrstühle, der französischen Wisserschaft erhöht haben. 
Die Franzosen ihrerseits würden den Ruhm der Abkömmlinge jener 
-erlauchten Familien für sich in Anspruch nehmen, die nach Auf- 
hebung des Edikts von Nantes nach allen Ländern Europa^s aus- 
-wanderten. Wenn nun doch alle Europäer desselben Ursprungs sein 
sollen, 80 darf man mit gleichem Rechte behaupten, dass die Harra- 
oier und Syrer, welche Semiten sind, auch zur grossen arabischen 
Familie gehören. 

Bei alle dem ist freilich die Frage gestattet, wie es wohl ge- 
kommen, dass die arabische Givilisation , nachdem sie einen so leb« 



— 41 — 

haften Glanz über die Welt verbreitet, plötzlich erloschen ist, warum 
jene Fackel seither sich nicht neu entzündet und warum die ara- 
bische Welt stets in tiefe Finsterniss gehüllt bleibt 

Hier tritt uns voll und ganz die Verantwortlichkeit der maho- 
medaniscben Beligion entgegen. Es ist klar, dass diese Religion 
überall da, wo sie sich festgesetzt, d^e Wissenschaften zu ersticken 
gesucht, und sie ist in diesem ihrem Zweck wunderbar vom Despo- 
tismus unterstützt worden. Al-Siuti erzählt, dass der Khalife AI- 
Hadi in Bagdad 5000 Philosophen hat abschlachten lassen, um die 
Wissenschaften in muselmännischen Ländern bis auf die Wurzel 
auszurotten. Wenn man auch annimmt, dass jener Geschichts- 
schreiber die Zabl der Opfer übertrieben, so steht darum nicht 
minder fest, dass jene Verfolgung stattgefunden, und es ist dies ein 
Schandfleck für die Geschichte einer Religion wie für die Geschichte 
eines Volkes. Ich könnte aber in der Vergangenheit der christlichen 
Religion analoge Thatsachen auffinden. Die Religionen, mit welchem 
Namen man sie auch bezeichnen möge, gleichen sich alle. Keine 
Verständigung, keine Aussöhnung ist zwischen den Religionen und 
4er Philosophie möglich. Die Religion auferlegt dem Menschen 
ihren Glauben, während die Philosophie ihn ganz oder zum Theil 
davon befreit. Wie will man nun, dass sie sich unter einander ver- 
stehen? Als die christliche Religion in den bescheidensten und ver- 
führerischsten Formen in Athen und Alexandrien einzog, wie 
Jedermann weiss, die wichtigsten Centren der Wissenschaft und der 
Philosophie, war es ihr erstes Bestreben, so wie sie sich in 
jenen beiden Städten befestigt hatte, sowohl die exakte Wissenschaft 
wie die Philosophie zu verdrängen, indem sie beide unter dem Ge- 
strüpp theologischen Gezänkes zu ersticken suchte, um an ihrer 
Stelle die nicht zu erklärenden Mysterien der Trinität, der Incar- 
nation und der Transsubstantiation zn erklären. So wird es ewig 
bleiben. Jedes Mal, wenn die Religion das üebergewicht hat, wird 
sie die Philosophie verdrängen. Das Gegentheil findet statt, sobild 
die Philosophie als oberste Herrin waltet So lange die Menschheit 
lebt, wird der Kampf zwischen dem Dogma und der freien Forschung, 
«wischen Religion und Philosophie nicht aufhören, ein heftiger 



— 42 - 

Kampf, in welchem, wie ich befürchte, der Triumph nicht auf Seiten 
des freien Gedankens sein wird, weil die Vernunft der Menge nicht 
zusagt und ihre Lehren nur von auserlesenen Intelligenzen begriffen 
werden, weil auch die Wissenschaft trotz all ihrer Schönheit die 
Menschheit nicht ganz befriedigt, die nach einem Ideal dürstet und 
gern in dunkeln und fernen* Regionen schwebt, welche die Philo- 
sophen und Gelehrten weder zu schauen noch zu erforschen yer- 
mögen. 

Djemmal Eddin, Afghane. 



Erwiderung Ernest Renan's. 



Man hat mit dem ihnen gebührenden Interesse die sehr ver- 
ständigen Reflexionen gelesen, zu denen mein letzter in der Sorbonne 
gehaltener Vortrag dem Scheik Djemmal Eddin die Veranlassung 
gegeben. £s ist ausserordentlich lehrreich, die Denkweise des auf- 
geklärten Asiaten in ihren aufrichtigen und ureigenen Darlegungen 
also kennen zu lernen. Wenn man die mannigfaltigsten Stimmen 
anhört, die yon allen Seiten des Horizonts uns erreichen, so gelangt 
man zu der üeberzeugung, dass wenn die Religionen die Menschen, 
trennen, die Vernunft sie einander nähert, und dass es im Grunde 
nur eine und dieselbe Vernunft gibt. Die Einheit des menschlichen 
Geistes ist das grosse und tröstende Ergebniss, das aus d^m fried- 
lichen Zusammenstoss der Ideen sich darstellt^ wenn man die gegen- 
theiligen Aussprüche der sogenannten übernatürlichen Offenbarungen 
bei Seite lässt. Die Liga der verständigen Geister des ganzen Erd- 
balls gegen den Fanatismus und Aberglaube n wird scheinbar nur 
von einer unbedeutenden Minorität gebildet. Im Grunde ist dies die^ 
einzige dauerhafte Liga, denn sie stützt sich auf die Wahrheit, und 
sie wird schliesslich den Sieg gewinnen, nachdem die rivalisirenden 
Fabeln sich in Jahrhunderte langen ohnmächtigen Konvulsionen er- 
schöpft haben werden. 

Vor ungefähr zwei Monaten machte ich die Bekanntschaft de& 
Scheik Djemmal Eddin. *) Wenige Personen haben einen lebhafteren 



*) Obige Zeilen sind am 18. Mai 1883 geschriebta worden. (Anm. d. Uebers.)> 



»- 44 — 

Eindruck auf mich gemacht. Die Unterhaltung, die ich mit ihm 
gehabt, führte mich wesentlich zu dem Entschluss, als Thema mei- 
nes Vortrages in der Sorbonne die Beziehungen des wissenschaft- 
lichen Geistes zum Islam zu wählen. Der Scheik Djemmal Eddin 
ist ein Afghane, der von den Vorurtheilen des Islam völlig frei ge- 
worden; er gehört jenen kräftigen Rassen des oberen, an Indien 
grenzenden Iran an, in denen der arische Geist noch so energisch 
unte- der dünnen Hülle des officiellen Islam fortlebt. Er ist selber 
der beste Beweis jenes grossen Axioms, das wir so oft proklamirt 
haben, dass die Religionen daswerth sind, was die Rassen werth sind, 
die sich zu ihnen bekennen. Die Freiheit seines Denkens, sein edler und 
offner Charakter überzeugten mich, während ich mit ihm mich unter- 
hielt, dass gfwissermassen auferstanden ich in inm einen meiner 
alten Bekannten von Angesicht zu Angesicht sali, Avicenna, Averroes, 
oder einen andern jener grossen Ketztr, die fünf Jahrhunderte lang 
die Ueberlieferung des freien Menschenthuras vertreten haben. Der 
Kontrast war besonders auffallend für mich, wenn ich seine über- 
raschende Gestalt mit dem Schauspiele verglich, das die mahomeda- 
nischen Länder diesseits Persiens darbieten, Länder, in denen der 
philosophische Wissensdrang so selten ist. Der Scheik Djemmal 
Eddin ist der schönste ethnische Protest gegen die religiöse Erobe- 
rung, den man nur anführen könnte. Er bestätigt das, was die in- 
telligenten Orientalisten Europa^s oft gesagt haben , dass nämlich 
Afghanistan, Japan etwa ausgenommen, das Land ist, welches am 
meisten von den wesentlichen Bestandtheilen dessen besitzt, was wir 
-eine Nation nennen. 

Ich sehe in der gelehrten Abhandlung des Scheik nur einen 
Punkt, in welchem wir wirklich nicht übereinstimmen. Der Scheik 
erkennt die Unterscheidungen nicht an, welche die historische Kri- 
tik uns bei jenen grossen complexen Thatsachen zu machen nöthigt, 
-die man mit den Worten Reiche und Eroberungen bezeichnet. Das 
römische Reich, mit welchem die arabische Eroberung so Vieles 
gemein hat, machte aus der lateinischen Sprache bis zum sechs- 
zehnten Jahrhundert das Organ des menschlichen Geistes im ganzen 
Occident. Albertus Magnus, Roger Bacon, Spinoza haben lateinisch 



— 45 — 

geschrieben. Sie sind nichtsdestoweniger darum doch keine Roma- 
nen. In einer Geschichte der englischen Literatur gibt man Beda. 
und Alcuin einen Platz, i)i einer Geschichte der französischen Lite- 
ratur Gregoire de Tours und Ab61ard. Gewiss verkennen wir nicht 
den Einfinss Roms in der Geschichte der Civilisation, ebenso wenig 
als wir den Einfluss der Araber verkennen. Diese grossen mensch- 
heitlichen Strömungen aber wollen analysirt sein. Alles was latei- 
nisch geschrieben worden ist, gehört nicht in die Huhmeskrone 
Roms; Alles was griechisch geschrieben worden, ist nicht hellenisches 
Werk; Alles was arabisch geschrieben worden, nicht arabisches Er- 
zeugniss; Alles was in christlichem Lande entstanden, ist nicht die 
Wirkung des Ghristenthums; Alles was in islamitischen Ländern 
erzeugt wurde, nicht die Frucht des Islam. Dieses ist das Prinzip,, 
das der tiefsinnige Geschichtsschreiber des mahomedanischen Spa- 
nien, Reinhard Dozy, dessen Verlust in diesem Augenblick von dem 
gelehrten Europa beklagt wird, mit so seltenem Scharfblick zur- 
Anwendung brachte. Die Unterscheidungen dieser Art sind durch- 
aus nothwendig, wenn man nicht will, dass die Geschichte ein Ge- 
webe von nur ungefähren Linien und von Missverständnissen sei- 

Nach einer Seite hin habe ich dem Scheik ungerecht erschei- 
nen mögen, indem ich jenen Gedanken nicht hinreichend entwickelt 
habe, dass jede geoffenbarte Religion zur Widersacherin der positiven 
Wissenschaft wird, und dass das Christenthum in dieser Beziehung den 
Islam nicht zu beneiden hat. Das steht ausser Zweifel. Galilei ist. 
vom Katholizismus nicht besser behandelt worden als Averroes vom 
Islam. Galilei hat die Wahrheit in einem katholischen Lande ge- 
funden, trotz des Katholizismus, wie Averroäs trotz des Islam in 
mahomcdaniscbem Lande philosophirt hat. Wenn ich bei diesem 
Punkte nicht länger verweilte, Bo rührt dies daher, weil meine An- 
sichten hierüber bekannt genug sind, als dass ich noch nöthig hätte, 
auf dieselben vor einem Publikum zurückzukommen, das mit meinen 
Arbeiten vertraut ist. Ich habe es oft genug gesagt, um es nicht 
mehr bei jedem Anlass wiederholen zu müssen, dass der menschliche 
Geist sich von jedem Glauben an übernatürliche Dinge befreien 
mass, wenn er an seiner wesentlichen Aufgabe, dem Aufbau der 



— 48 — 

und ihre bedenklichsten Nachtheile yerlieren. Alles das ist zur 
Stande noch eine Utopie, es wird in der Zukunft Wirklichkeit sein. 
Wie wird sich nun jede Religion unter der Herrschaft der Freiheit 
verhalten, die nach vielen Vor- und Rückw&rtsbewegungen fttr die 
menschlichen Gemeinschaften zum Gresetze werden muss ? Ein solches 
Problem ist nicht in wenigen Zeilen zu prQfen. In meinem Vortrag 
habe ich blos eine historische Frage behandeln wollen; Der Scheik 
I)jemmal Eddin scheint mir wichtige Argumente zu meinen Haupt- 
tliesen beigebracht zu haben: „W&hrend der ersten Hälfte seines 
Bestehens hinderte der Islam die wissenschaftliche Bewegung nicht 
auf mahomedanischem Boden sich geltend zu machen ; während der 
zweiten Hälfte seines Bestehens erstickte er in seinem Schoosse die 
wissenschaftliche Bewegung, und das zu seinem eigenen Unglück.*' 



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on the date to which renewed. 

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