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JUN 22 1900
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Der Krieg
Von
Johann von Bloch.
Uebersetzung des russischen Werkes des Autors:
Der zukünftige Krieg
in seiner technischen, volkswirthschaftlichen und
politischen Bedeutung.
Band I.
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BERLIN 1899.
Puttkammer Sc Mühlbrecht.
Buchhandlung für Staats- und Rechtswissenschaft.
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Der Krieg.
Johann von Bloch.
Uebersetzung des rnssisehen Werkes des Autors:
Der zukünftige Krieg
in seiner tecliiiisclien, volkswirthschaftUchen und
politischen Bedeutung.
Band I.
BERLIN 1899.
Futtkammer & Müblbreoht.
BuchhaudluDg nir SMats- und Rechtswissenschaft
Beschreibung
Kriegsmeehanismus.
Johann von Bloch.
BERLIN 1899.
Puttkammer St Mühlbrecht
Buchhandlung für Slaiitg- und Rei^htswisÄeuschaft.
Y^J Inhaltsverzeichnis.
Seite
Schilde und Panzer gegen die Wirkungen der feindlichen
Kugeln 241-250
Deckungen durch Schanzen und Feld-Befestigungen:
Einteilung der Befestigungen. — Die Technik der eiligen Be-
festigungen. — Feldbefestigungen. — Verteidigung yon
Flüssen und Brücken. — Hülfsmittel fiir die Devenslye im
Felde. — Sohlussfolgerungen 254—279
Bedeutung und Bolle der Karallerie:
Numerischer Bestand der Kayallerie und sein Verhältnis zur
Stärke der Infanterie. — Mobilisation und Vorbereitung der
Kavallerie zu Einbrüchen in Feindesland (Grenzdetachements-
Krieg). — Urteile über die Umgestaltung der russischen
Kayallerie und über den Grenzdetachements-Krieg. — Der
Kundsohafterdienst und die dabei vorkommenden Kavallerie-
Kämpfe. — Beteiligung' der Kavallerie an den Haupt-
Attaken. — Die Kosaken und ihre Taktik. — Requisitionen.
— Schlussfolgerungen 283—354
Taktik der Artillerie:
Die Folgen der Vervollkommnung der Artillerie. — Vergleich
der Wirkung des Infanterie- und Artilleriefeuers. — Kraft
der modernen Geschütze im Vergleich zu den früheren Ge-
schützen. Der Einfluss der Vervollkommnungen der Ge-
schütze auf die Artillerie-Taktik. — Einfluss des rauch-
schwachen Pulvers auf die Taktik der Artillerie. — Be-
kämpfung eines durch Schanzen gedeckten Feindes. — Die
Entfernungen des Artillerie-Gefechts. — Katastrophen in
Folge der Anwendung von Sprengstoffen. — Zukunftsbilder
der Artillerie-Taktik. — Schlussfolgerungen 357—477
Die InfaiitHrie im Kampfe 481—668
Historische Skizze der Entwiokelung der Infanterie-Bewaffiiung
und deren Einfluss auf die Taktik. — Die Taktik Napoleons
und deren Einfluss bis zum Krimkriege. — Die Abhängigkeit
der zukünftigen Taktik der Infanterie von der Beschaffenheit
und der numerischen Stärke der Armeen, aber auch von
der allgemeinen Befestigung der Grenzen und der Kampf-
stellungen. — (Numerische Stärke und Beschaffenheit der
Truppen. — Die Grenzbefestigungen) 481—531
Die Befestigung künftiger Schlachtfelder. — Vorschriften für
den Aufinarsch zum Gefecht und die Gefechtsführung. —
(Das französische Gefechtsregiement. Der Angriff auf befestigte
Stellen im Sinne des deutschen Reglements) 532 — 550
Wechselwirkung der Infonterie und Artillerie. — Abhängigkeit
der Gefechtsordnung der Infonterie von den Geschützen. —
Der Angriff der Infanterie. — (Entfernungen für das Infanterie-
feuer. — Der russische reglementmässige AngriflF, nach General
Skugarewsky. — Der französische vorschriftsmässige Angriff) . 550—603
Inhaltsverzeichuis. VII
Seite
Die Erstürmimg der Sohanzen. — Künstliohe Hindernisse. —
(Minen. — Strasse nversperrung [abatis]. — Barrikaden. —
Palissaden und Faschinen. — Spanische Reiter, Palissadenzäune,
Crous-Foot, Barbed-Wire. — Escarpen und Contreeskarpen. —
Wolfsgruben. — Drahtnetze 603—624
Der Bigonettangriff. — Die Überlegenheit an Streitkräften im
Gefecht als taktische Aufj^abe. — Zerstörung von Schanzen
durch die Th&tlgkeit der Mörser. — UmüMSung statt Front-
angrifDsi. — Nachtgefechte. — Schlnssfolgerungen 624—668
Einige Worte zur Einleitung.
Die Naturforscher behaupten, dass sich in der Erd- Atmo-
sphäre zeitweilig die Anwesenheit des sogenannten kosmischen
S^aubes geltend macht. Derselbe übt seinen Einfluss auf die
Farbe des Himmelsgewölbes, ftlibt die Strahlen der Sonne mit
Blutfarbe, dringt in unsere Wohnungen und Lungen, wirkt
unheilvoll auf die Organismen und lässt selbst auf den jung-
fräulichen SchTieegipfeln der Berge seine Spuren zurück.
In ähnlicher Weise liegt es über dem öflfentlichen und
privaten Leben des modernen Europas wie ein Vorgefühl, dass
das konsequente Anwachsen der Rüstungen entweder zum Kriege
führen muss, der flir Besiegte und Sieger verderblich und
vielleicht sogar der Gesellschaftsordnung gefUhrlich werden
kann, oder über die Völker furchtbare Wirren bringen wird.
Ist diese Unruhe, die sich der Geister bemächtigt hat,
die Folge einer einfachen Täuschung, des krankhaft erregten
Nervensystems des modernen Menschen oder liegen derselben
sehr reale Möglichkeiten zu Grunde?
Eine kategorische Antwort wird schwerlich Jemand auf
diese Frage zu erteilen wagen. Wünschen dürfte wohl Jeder,
dass die Befürchtungen, welche das Anwachsen der Rüstungen
hervorruft, ein Schemen bleiben, der mit der Zeit zerflattert,
aber alle diese Wünsche dürften allein nicht im Stande sein,
die Verkettung aller Umstände, welche die Rüstungen hervor-
rufen, abzuändern, solange nicht, nach einem Ausdruck von
X Einleitung.
ThÜneiis, *) eine Zeit eintritt, wo die Interessen des Vaterlandes
und der Menschheit einander nicht ausschliessen, so lange nicht
der Grad der Kultur erreicht ist, wo diese Interessen unter
einander solidarisch werden.
Dem Anschein nach wird die Menschheit noch liicht so-
bald bis zu dieser Stufe gelangen. Die Verderblichkeit des
Krieges unter den jetzigen Verhältnissen ist an und für sich
Jedem einleuchtend, aber diese Erkenntniss ist noch keine ge-
nügende Bürgschaft daflir, dass der Krieg nicht plötzlich,
gleichsam zufällig, sogar im Gegensatz zu der öffentlichen
Meinung aufflammt. Unwillkürlich kommen uns die Worte
eines grossen Denkers**) in den Sinn, dass „inmitten der Eitel-
keit der Welt der Dummheit immer ein grösseres Feld der
Thätigkeit offen steht als dem Verstände und dass der Leichtsinn
immer mehr Einfluss ausübt als die Überlegung".
In dem gegebenen Falle ist dieses Wort um so eher an-
wendbar, als es dem überlegenden Verstände weniger leicht
gemacht ist, sich in der Lage der Dinge, die sich jäh ver-
ändert, zurecht zu finden. Die Schnelligkeit in der Veränderung
der Verhältnisse bildet den charakteristischen Zug unserer Zeit.
Jetzt gehen im Laufe einiger Jahre in den materiellen Existenz-
verhältnissen und den geistigen Strömungen der Masse ein-
schneidendere Veränderungen vor als in früheren Zeiten vielleicht
im Laufe eines ganzen Jahrhunderts. Diese grosse Beweglichkeit
des modernen Lebens ist bedingt durch die steigende Verbreitung
der Bildung, die Thätigkeit der Parlamente, Associationen, der
Presse und durch die Wirksamkeit der neuen Verkehrsmittel.
Unter dem Einflüsse dieser Verhältnisse leben die Völker geistig
nicht nur ihr eigenes, sondern auch ein fremdes Leben ; die Er-
oberungen des Geistes, die ökonomischen Fortschritte des einen
Landes spiegeln sich materiell und geistig in der Bevölkerung
der anderen Länder wieder, der geistige Gesichtskreis der
Völker hat sich geöffnet, sich ausgedehnt, wie das erwachende
*) „Der isolirte Staat."
**) Odysse-Barot: „Philosophie de Thistoire". pag. 20.
Einleitung. XI
Auge, das endlos sich breitende Meer; die Geister der ge-
samten Kulturwelt sind in beständiger Bewegung.
Jede Veränderung, auf materiellem wie geistigem Gebiete,
erwirbt sich ihr Bürgerrecht erst nach einem Kampfe der neu
auftretenden Elemente mit den bis dahin herrschend gewesenen.
Obgleich die Kriege für die einzelnen zivilisirten Staaten
keine häufige Erscheinung sind, so zeigen doch die statistischen
Daten für den gesamten Erdball, dass vom Jahre 1496 vor
Christi Geburt (Abschluss des Amphictyonen-Bundes) bis zum
Jahre 1861 nach Christi Geburt, d. h. auf einen Zeitraum
von 3357 Jahren nur 227 Friedensjahre entfallen und 3130
Kriegsjahre oder mit anderen Worten, auf ein Friedensjahr
13 Kriegsjahre.*) Auf Grundlage der Geschichte, bietet dem-
nach das Leben der Völker das Bild eines ununterbrochenen
Krieges, der gleichsam als der Normalzustand erscheint.
Die Lage hat sich jetzt in Vielem geändert, aber die
Überreste des Alten setzen den Kampf noch immer mit dem
Neuen fort. Die alte Staatsordnung hat einer Ordnung ganz
anderer Art Platz gemacht. Siey^s hat die alte Ordnung vor
den Reformen mit einer umgestürzten auf der Spitze stehenden
Pyramide verglichen und erklärt, dass man dieser Pyramide
eine natürliche Lage geben, sie auf ihre Basis stellen müsse.
Diese Forderung hat sich kann man sagen, in dem Sinne er-
füllt, dass das Sraatsgebäude in der That gegen früher eine
unvergleichlich breitere Grundlage erhalten hat, dass es auf
den Rechten und dem Einfluss der Millionen aufgebaut ist,
die den sogenannten dritten Stand bilden.
Es ist natürlich, dass, je grösser die Zahl der Stimmen
ist, die auf den Gang einer Sache von Einfluss sein können,
desto komplizirter auch die Gesamtheit der Interessen wird,
die Berücksichtigung erheischen. Die ökonomische Umwälzung,
welche die Anwendung der Dampfkraft hervorrief, hat un-
erwartet die Beziehungen zwischen den einzelnen Ländern der
*) Leer: „Encyclopädie der Kriegs- und Marine -Wissen Schäften". 1885,
Bd. II. Lieferung 2. S. 296.
XII Einleitung.
Welt ganz neu gestaltet, hat in jedem Lande die einzelnen
Klassen und Schichten der Bevölkerung entweder bereichert
und stärker gemacht oder geschwächt und ruiniert, je nachdem
die neuen Verhältnisse den einzelnen Ländern und ihren Be-
völkerungsgruppen eine grössere oder geringere Teilnahme an
der neuen Verteilang von Einkünften, Kapital und Einflusj
gestatteten.
Bei der grossen Anzahl der Stimmen, aus denen sich in
unserer Zeit die öjSentliche Meinung zusammensetzt, bei der
Verschiedenartigkeit der von ihnen vertretenen Interessen müssen
auch die Ansichten über den Militarismus und das Ziel des-
selben: den Krieg, sehr verschieden sein. Die vermögenden
Klassen, insbesondere diejenigen, deren Bedeutung und Besitz
sich bei der früheren Verteilung der Macht, den früheren
Erwerbsverhältnissen fixirt hat, d. h. die Schichten, welche
man herkömmlich konservativ nennt, sind geneigt, die geistige
Bewegung gegen den Militarismus mit den Bestrebungen zur
Umstürzung der gesellschaftlichen Ordnung in einen Topf zu
werfen. Hierbei wird zuweilen den Erscheinungen zweiten
Grades, die bald vorübergehen, allzugrosse Bedeutung beigelegt
und die gefilhrliche Gärung der Geister nicht von der Stimme
völlig realer Bedürfnisse unterschieden, welche durch die im
Leben erfolgten Veränderungen hervorgerufen sind. Ueber-
haupt würdigt man in den oberen Schichten die Bedeutung
der Reaktion gegen den Militarismus, die unzweifelhaft in den
Massen vor sich geht, nicht genügend.
Andererseits ziehen in den unteren Schichten die Personen,
welche auf die Geister der Massen einzuwirken suchen, mit
noch grösserem Leichtsinn und selbst mit bewussten Ver-
drehungen kurzer Hand aus den neuen Bedingungen die
extremsten Schlussfolgerungen und Maximen, negieren alle er-
worbenen Rechte und streiten allzuwillkürlich dem grössten
Teil der bestehenden Gesellschaftsordnungen die Existenz-
berechtigung ab. Um mit ihrer Agitation Erfolg zu haben,
versprechen sie den Massen weit mehr als überhaupt irgend
j
Einleitung. XIII
welche andere Gesellschaftsformen geben können. Um die
Massen gegen den Militarismus zu erregen, legen diese Agi-
tatoren ohne jegliches Bedenken den Gegnern egoistische Motive,
rein persönliche Berechnungen unter, mag auch der Gegner
einer aufrichtigen Überzeugung folgen.
Obgleich die Massen sich nicht mit einem Schlage irgend
welchen theoretischen Erwägungen hingeben, sondern gewöhn-
lich nur unter dem Einfluss eines bestimmten Notstandes, einer
Leidenschaft wirken, so unterliegt es doch keinem Zweifel, dass
jene Agitation, die sich an sie von der Parlamentstribüne wendet
wie von den Rednerpulten der Klubs oder Volksversammlungen
und insbesondere auf dem Wege der Presse, doch immer tiefer
in die Massen eindringt und in ihnen allmählich die Geflihle
herausarbeitet, die im Moment einer durch den Krieg hei'vor-
gerufenen Not sie zu Thätlichkeiten hinreissen können. Der
Militarismus ist jetzt für diese Propaganda das Hauptmittel zur
Agitation und zugleich das sichtbare Ziel, auf dessen Ver-
nichtung man hinarbeitet, während in Wirklichkeit nicht nur
der Militarismus, sondern auch die ganze jetzige Ordnung ver-
nichtet werden soll.
Bei dieser Sachlage, d. h. bei der für alle Länder Europas
ruinierenden Konkurrenz in der beständigen Steigerung der
Rüstung, bei der Gefahr für die Gesellschaft, die unter dieser
für alle gemeinsamen Last emporwächst, müssen sich die leiten-
den Kreise, muss sich die ganze gebildete Gesellschaft ernst-
haft bemühen, sich über folgende Fragen klare Rechenschaft zu
geben: Wie wird sich der Krieg bei den heutigen Kriegsmitteln
gestalten? Wird es möglich sein, mit den Millionen-Heeren die
gegenseitige Vernichtung zu erzielen, wird es möglich sein, diese
Massen dahin zu bringen, die ganze Wirkung dieser Mittel zu
ertragen, welche die heutigen Kriegswaffen, die furchtbaren
Sprengstoffe üben? Wenn man sich nun bei der Prüfung all
dieser Verhältnisse etwa sagen müsste: nein, der Krieg ist unter
solchen Verhältnissen unwahrscheinlich, die Massenheere werden
die Verheerungen, die in den künftigen Schlachten stattfinden
XIV Einleitung.
müssen, nicht aushalten, die Völker werden nicht den Hunger
und die Sistierung der gesamten Produktionsthätigkeit, die den
Massen den Lebensunterhalt bietet, ertragen, wenn, sagen wir,
der Schluss ein solcher wäre, dann würde mit vollster Deutlich-
keit die alle gleich interessierende Frage gestellt werden können:
warum erschöpfen die Völker mehr und mehr ihre Kraft in der
Anhäufung solcher Zerstörungsmittel, die nicht in Aktion treten
können? Warum verzehren sie sich in den Vorbereitungen zu
dem Titanenkriege, der doch nur eine Chimäre bleibt, warum
arbeitet die europäische Menschheit in ihrer Mitte einen solchen
SprengstoflF aus, dessen Wirkung mächtiger als Dynamit sein
kann, eine Kraft, die schon nicht bloss Festungen, nicht bloss
Städte, sondern die Gesellschaft selbst zerstören kann?
Es ist ganz natürlich, dass seit längerer Zeit schon in
den westeuropäischen Ländern in allen Schichten der Gesell-
schaft teils noch rein theoretische, teils bereits praktische Be-
strebungen hervortreten, deren Ziel es ist, den Krieg aus
der künftigen Geschichte der Menschheit zu streichen. Philo-
sophen und Philanthropen, Staatsmänner und revolutionäre
Agitatoren, Dichter und Künstler, Parlamente und Kongresse
betonen immer stärker und stärker die Notwendigkeit, das
Blutvergiessen und den durch Kriege hervorgerufenen Notstand
zu beseitigen.
Es gab einen Moment, wo die Proteste gegen den Krieg
anscheinend eine praktische Bedeutung zu gewinnen anfingen,
aber die Revanchebestrebungen — eine Folge der Einigung
Deutschlands — haben die öffentliche Meinung umgewandelt.
Nichtsdestoweniger ist der Gedanke geblieben und ftlhrt fort
auf die Geister zu wirken. Die Stimmen der Gelehrten, die
gegen den Krieg gerichteten Bestrebungen der Philanthropen
haben natürlich auch bald unter den niederen Bevölkerungs-
schichten Widerhall gefunden, aber eine jede Idee stellt sich
anders dem aufgeklärten Geiste, anders dem einfachen Menschen
dar, welcher letztere wohl die Folgen sieht, aber nicht die
Ursachen, von sozialen Erwägungen nichts begreift, sich
Einleitung. XV
von der historischen Notwendigkeit keine Vorstellung macht.
Im Halblicht des ungenauen Wissens entstehen so die phan-
tastischen Schatten, die von Agitatoren immer mehr aus-
genutzt werden.
Der Krieg ist jetzt in Folge der ausserordentlichen Fort-
schritte der Waffentechnik, der hochgesteigerten Pi'äzision der
Feuerwaffen und ihres enormen Vernichtungsvermögens furcht-
barer geworden. Vom nächsten grossen Kriege kann man als
von einem Rendez-vous des Todes sprechen! Dazu kommt
noch, dass die Verproviantierung und die Sicherstellung der
Millionen-Heere gegen klimatische Unbill unerhört schwer
fallen wird. Einige Militärschiift steller sprechen allerdings die
Ansicht aus, dass die gesteigerte Feuergeschwindigkeit die Zahl
der Fehlschüsse, nicht der Treffer vergrössem wird, dass das
Blutvergiessen sich mithin vermindere, insofern der Kampf
zwischen den Gegnern auf grösseren Entfernungen vor sich
gehen wird, dass Kavallerie -Attacken und Bajonettangriffe beim
heutigen Umfange und der Heftigkeit des Feuergefechts unwahr-
scheinlich geworden sind und dass endlich bei der jetzt üblichen
grösseren Ausdehnung der Gefechtslinie und bei den nötig ge-
wordenen Deckungen im Gelände den einzelnen Truppenteilen
der Rückzug leichter gemacht werden wird. Aber selbst wenn
wir alles dies, was noch gar nicht erwiesen ist, zugeben, so
unterliegt es doch keinem Zweifel, dass bei den jetzigen furcht-
baren Waffen der Eindruck der Schlacht auf die Truppen an
und flir sich weit stärker sein wird als früher und dass das
rauchschwache Pulver diesen Eindruck noch vertiefen wird.
Infanterie- wie Artilleriefeuer haben eine bisher unerhörte
Wirkung erreicht, die Hülfeleistung für die Verwundeten ist in
Folge der Treffweite der neuen Waffen schwieriger geworden.
Zudem wird der kaum bemerkbare Pulverrauch den noch in
Reih und Glied Verbliebenen die entsetzlichen Folgen des
Kampfes nicht mehr verhüllen; jetzt wird es heissen, vorwärts
gehen, und zwar angesichts der ganzen vernichtenden Wirkung
der einschlagenden feindlichen Geschosse.
XVI Einleitung.
Bei der Beurteilung des künftigen Krieges ist zudem im
Auge zu behalten, dass der gegen früher weit schrecklicher
gewordenen Feuertaufe nicht altgediente Mietstruppen unter-
liegen werden, welche den Krieg als Handwerk erlernt haben,
sondern Massen friedlicher Bürger, welche direkt vom Pfluge,
Webstuhl, aus dem Komptoir und vom Schreibtisch aus unter
das Gewehr treten müssen.
Hieraus ergiebt sich, dass auch die physischen Bedingungen
des Krieges jetzt ganz andere sein werden.
In unserer Zeit ist es überhaupt schwieriger, Heroismus
hervorzurufen; der Skeptizismus hat nicht nur die oberen
Schichten ergriffen, sondern schleicht sich auch bei den Massen
ein. Demnach kann man hauptsächlich nur noch auf die Macht
der militärischen Disziplin zählen, doch auch zur Aneignung
dieser Disziplin ist eine gewisse Zeit erforderlich. Marschall
Soult erklärte, dass der Soldat zwei Jahre nötig hat, den
häuslichen Herd, die Familie zu vergessen, und dann zwei weitere
Jahre, damit sich in ihm der echt soldatische, kriegerische
Geist entwickele; die jetzige Mobilmachung und das jetzige
System der Reserven und des Landsturms aber schaffen ein
Heer, das grösstenteils aus Leuten besteht, die eben erst ihre
bürgerliche Beschäftigung, ihr Haus, ihre Familie verlassen
haben.
Der Gedanke an die Erschütterungen, von denen der
künftige Krieg begleitet sein wird, an die furchtbaren für
diesen Krieg in Bereitschaft gehaltenen Mittel wirkt augen-
scheinlich als erschwerendes, aufschiebendes Gegenmoment trotz
der gespannten Völkerbeziehungen in gewissen Fragen.
Andererseits kann aber die derzeitige Lage nicht an-
dauern. Die Völker seulzen unter der Last des Mihtarismus.
Europa steht vor der Notwendigkeit, der produktiven Volks-
kraft immer neue und neue Milliarden ftir Kriegszwecke zu
entziehen. Kaum ist man mit der Einführung des Klein-
kalibergewehrs fertig geworden, so hat die Technik bereits
einen neuen Schritt vorwärts gethan, und es unterliegt keinem
EinleituDg. XVII
Zweifel, dass die Grossmächte bald genötigt sein werden, zu
Gewehren noch kleineren Kalibers überzugehen, deren Durch-
schlagskraft fast die doppelte Stärke aufweist und welche ge-
statten, den Soldaten mit einer noch grösseren Zahl von
Patronen auszurüsten. Gleichzeitig ist man in Frankreich und
Deutschland bereits zur Herstellung neuer Kanonen und Mörser
geschritten, bei welchen die volle Kraftäusserung des modernen
rauchschwachen Pulvers zur Anwendung gelangen wird.
Milliarden sind zudem für Marinezwecke verausgäbt und
müssen angesichts der rapiden Fortschritte und Neuerungen
in Bau und Ausrüstung von Kriegsschiffen verausgabt werden.
Angesichts dessen, was vor unseren Augen in Deutschland,
Italien und Oesterreich vor sich geht, müssen wir uns die Frage
stellen: wird die Fortsetzung der beständigen Ansprüche an die
Landesvertretungen um neue Rtistungsmittel möglich sein, ohne
ernste innere Erschütterungen herbeizufilhren ? und weiter die
Frage: wird die weitere Vervollkommnung der WaflFen nicht eine
direkte Unmöglichkeit des Kri^gführens schaffen, wenigstens
für die Länder, wo eine hohe Kultur den Werth des Lebens
eines jeden Bürgers beträchtlich gesteigert hat?
Der künftige Krieg wird demnach nicht nur einen quan-
titativen Unterschied in der numerischen Stärke der Heere auf-
weisen, sondern auch einen qualitativen in Bezug auf Stimmung
und geistige Einflüsse, die früher weit schwächer zur Geltung
kamen.
Darum wird es, wie gesagt, notwendig sein, dass die
Machtkreise und die gebildete Gesellschaft ernstlich sich die
Fragen vorlegen, ob es unter den heutigen Verhältnissen über-
haupt möglich sein wird, den Zweck des Krieges zu erreichen,
die ungeheueren Armeen zu verwalten und zu unterhalten,
endlich, selbst wenn das geUngt, die Millionenheere lange den
furchtbaren Gefahren auszusetzen und unter den Fahnen zu
erhalten?
Dazu kommen dann noch die nicht minder furchtbaren
wirtschaftlichen und sozialen Erschütterungen in Folge der
ßloch, Der Krieg. I. II
XVni Einleitung.
Einberufung fast der gesammten männlichen Bevölkerung, der
Stockungen in Handel und Industrie, der ungeheueren
Teuerung, Aufhören des Kredits, der Budgetschwierigkeiten,
der Schwierigkeit des Unterhalts der zurückbleibenden Teile
der Bevölkerung. Und endlich — wenn in Folge der all-
gemeinen Erschöpfung der Krieg eingestellt wird — werden
die Soldaten, die ja zum Teil aus sozialistischen Distrikten
stammen, gutwillig sich entwafl&ien lassen?
Daher scheint uns, dass der Versuch einer populären
Darlegung der modernen Kriegsmittel und der Folgen, welche
der Krieg nach sich ziehen würde, dazu beitragen könnte, die
allgemeine Aufmerksamkeit nach dieser Richtung hinzulenken,
die öffentliche Meinung zu ernüchtern, den Friedensbestrebungen
aller Staaten Vorschub zu leisten. Das ist die Bedeutung
unseres bescheidenen, in diesem Sinne unternommenen Versuchs.
Jedoch ein Werk, das alle diese Fragen berührte, giebts
weder in der russischen, noch in der westeuropäischen Litteratur.
Das einzige, man kann sagen, klassische Werk, das einiger-
maassen unseren Anforderungen entspricht und auftnerksam ge-
lesen zu werden verdient, ist das Buch des Barons von der
Goltz: „Das Volk in Waffen." Aber dieses Werk ist vor Ein-
führung der neuen Bewaffnung und des rauchschwachen Pulvers
geschrieben und hellt ausserdem ungenügend den Einfluss der
Kriegstechnik auf das ökonomische und soziale Leben auf.
Diese Lücke ist aber so bedeutsam, dass auch das von der
Goltz 'sehe Werk fast gar keine praktische Bedeutung für die
europäische Gesellschaft besitzt.
Unter den heutigen Lebens- und Kriegsbedingungen aber
wäre es ein frevelhafter Leichtsinn, ein Verbrechen geradezu,
sich in einen Krieg zu stürzen, ohne alle jene Begleit-
erscheinungen und Folgen des Völkerkampfes im eigenen und
in den fremden Staaten sich klar gemacht zu haben.
Jedoch die Erwägung der kriegstechnischen Seite allein
würde noch nicht genügen. Anders, als in früheren Kriegen,
wird im Zukunftskriege nicht der Sieg allein entscheidend
wer...
Einleitung. XIX
sein, sondern auch — das Zerfallen des ganzen Kriegs-
apparats selbst.
In den letzten 25 Jahren haben sich in der Art der
Kriegsoperationen solche Veränderungen zugetragen, dass der
ZukunA»krieg den früheren gar nicht mehr gleichen wird.
Die Vervollkommnung der Waffen, die Einführung von Spreng-
geschossen und kleinkalibrigen Gewehren, die einen weit
grösseren Patronenvorrat für den einzelnen Soldaten er-
möglichen, die Wirkungen des rauchschwachen Pulvers, das
nichts verhüllt und Vieles erkennen lässt, der Umfang der
Operationen der Millionen -Heere — das Alles veranlasst
Militär- Autoritäten, wie Graf Moltke, Gen«*ral Leer und
Andere, vorauszusagen, dass der künftige Klrieg Jahre lang
währen wird.
Aber werden da nicht unter den heutigen politischen,
sozialen und wirtschaftlichen Verhältniss^-n in dem einen Lande
früher, in dem anderen später. Zustände eintreten, die die
Fortsetzung des Krieges unmöglich machen, ehe er noch
seinen Zweck erreicht hat? Das ist eine ungeheuer wichtige
Frage, die aber die Militärschriftsteller höchstens nur ganz
flüchtig zu streifen pflegen.
Und werden nicht auch aus denselben Gründen die auf
Bündnisse beruhenden Kombinationen zu nichte werden, weil
eben der eine oder andere Staat nicht in der Lage sein wird,
den Krieg fortzuführen?
So sind die rein militärischen Fragen überall mit ökono-
mischen eng verknüpft. Aber die Militärschriftsteller betrachten
den Zukunftskrieg immer nur vom Standpunkt des Zweckes
aus, die Armee des Gegners zu vernichten, ohne je genauer
die sozialen und ökonomischen Kriegswirkungen ins Auge zu
fassen, während andererseits auch die national-ökonomischen
keine einzige ausreichende Untersuchung dieser Wirkungen
geliefert haben, einfach deshalb nicht, weil sie ihrerseits mit
dem Wesen der Klriegstechnik , des gesamten Krlegsapparats
nicht vertraut sind, Zufall vom Gesetz nicht zu unterscheiden
II*
XX- Einleitung.
vermögen und so keine klare Vorstellung von Ursache und
Wirkung gewinnen können.
Vor fünfundzwanzig Jahi'en war es verhältnismässig leicht,
den nächsten Krieg zu charakterisieren, seinen möglichen Verlaut
zu bestimmen, seine Resultate und Folgen vorauszusehen. Hier-
zu hatte man nur nötig, die letzten zwei bis drei internationalen
Feldztige zu studieren, in die Formeln der damals wirkenden
Kräfte und stattgehabten Verluste und Perturbationen die neuen
der ins Auge gefassten Zeit entsprechenden Daten einzutragen,
und man empfing dann annähernd richtige Resultate.
Während der letzten Jahrzehnte sind aber in der Kriegs-
kunst nach jeder Richtung hin grosse Veränderungen, ja man
kann sagen, sogar volle Neubildungen erfolgt. Ein völliges
Verstellen der Kriegsverhältnisse ist jetzt um so schwieriger,
als man einerseits Angriff- und Abwehrmittel anwenden wird,
deren Wirkung praktisch noch nicht erprobt ist, und man
andererseits die Kriegführung auch nicht mehr als etwas rein
Mechanisches ansehen kann wie früher, wo man den psychischen
Faktoren keine besondere Bedeutung beilegte, weil die Truppen
zuerst aus geworbenen, dann aus langgedienten, mit einem
Wort aus Berufssoldaten bestanden.
Der berühmte Feldherr des 18. Jahrhunderts, Moritz von
Sachsen, sagte: „Die Kriegskunst ist mit einem Schatten be-
deckt, innerhalb dessen sich keine sicheren Schritte machen
lassen; Grundlage des Kriegshandwerks sind Routine und
Glaube — Kinder des Unbewussten."
Gegenwärtig ist es bereits unmöglich geworden, mit der
Routine auszukommen. Die Kampfv^erhältnisse haben sich nicht
nur im Vergleich zu den Kriegen des 18. und der ersten Hälfte
des 19. Jahrhundei ts , sondern auch zu den letzten Feldztigen
derart veiändert, däss die bewährtesten Truppenführer sich dieser
Wahrnehmung nicht mehr entziehen können. General Lewall
sagt: „Die Kriegskunst bildet sich immer merklicher zu einer
Wissenschaft aus; Wissen, intellektuelle Entwickelung und bürger-
liche Tugenden erwerben immer grössere Bedeutung und drängen
Emleitung. XXI
den Wagemut und physische Vorzüge auf den zweiten Plan."
Wie auf den übrigen Gebieten des Wissens, so ist es auch hier
sehr schwierig, sich inmitten der Erscheinungen zu orientieren,
welche den Beginn einer neuen Epoche repräsentieren. Aber je
schwieriger diese Aufgabe, desto mehr interessiert und lockt sie
die Geister an.
Ein heutiger Denker des zivilisierten und weniger als andere
Staaten vom MiHtarismus infizierten Englands, Bagehot, sagt:
„Der Fortschritt der Kriegskunst ist die bemerkenswerteste und
grossartigste Erscheinung in der Geschichte der Menschheit.**
Der Krieg hat jetzt in der That die Form des Kampfes
ganzer Nationen angenommen, die ein breit angelegtes kom-
pliziertes Leben leben. Umfang und Aufgaben des heutigen
Krieges entsprechen daher auch dieser Kompliziertheit und
zudem sind die Waflfen und Kampfesmittel der Jetztzeit so-
zusagen das letzte Wort schöpferischer Erfindungskraft des
Menschen.
Elemente des Waffenganges in künftigen Kriegen sind alle
moralischen und geistigen Mittel der Nationen — Gefühl,
Charakter, Geist und Willen — die ganze Macht der modernen
Kultur, alle technischen Vervollkommnungen. Die modernen
Kriegsmittel sind kulturelle Früchte der zivilisiei-ten Welt und
verdienen es deshalb auch, der ganzen Gesellschaft bekannt zu
werden. In Mittel- und West-Europa hat denn auch, besonders
seit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, das Interesse an
militärischen Fragen in allen Gesellschaftskreisen Eingang ge-
funden.
Die Militärschriftsteller schliessen aus der Praxis früherer
Kriege, dass die Hauptgrundlagen des Kriegswesens wenigstens
in ihren allgemeinen Zügen der Bevölkerung bekannt sein
müssen, welche bei Beginn der Feindseligkeiten in den Reihen
der Armee stehen wird und von deren Thätigkeit der Ausgang
des Feldzuges abhängt.
Aber sie müssen sich klar machen, dass einmal fast die
gesamte Zahl der Erwachsenen unter die Fahnen gerufen
XXII Einleitung.
werden wird, und sich Rechenschaft ablegen von den volks-
wirtschaftlichen Folgen einer solchen Maassnahme.
Das Interesse am Kriege, an dessen voraussichtlichem Ver-
laufe und dessen Resultaten ist gewiss vorhanden, aber es fehlen
die Daten, aus denen man sich wenigstens einen annähernden
BegriflF von dem verschaffen könnte, was durch den Krieg in
technischer und volkswirtschaftlicher Hinsicht bewirkt werden
wird. Die Folge davon sind irrige Ansichten. Ist aber die
Gesellschaft derart unvorbereitet auf eine Erscheinung, die
Europa plötzlich überraschen kann, so ist das nicht ohne
Gefahr.
Einerseits urteilt man über den künftigen Krieg noch
immer nach Erzählungen von früheren Kriegen, wo die tech-
nischen Mittel weit mangelhafter waren als jetzt, Strategie
und Taktik weit einfacher, das Ueberge wicht der Zahl, der
Ausbildung, der Bewaffnung nicht so erdrückende Faktoren
bildeten wie jetzt, wo Tapferkeit allein hinreichte nicht nur
zum Siege über eine grössere Zahl, sondern zuweilen auch
über die bessere Bewaffnung. Andererseits hat man wohl
von den Fortschritten der Waffentechnik gehört, sich aber
nicht mit dem Eindruck bekannt gemacht, welchen sie auf
dem Schlachtfelde hervorbringen müssen, weshalb weder dem
moralischen Zustande des Volkes, mag es auch diesem oder
jenem Kriege abgeneigt sein, noch der Stimmung der Truppen
selbst Bedeutung beigelegt wird.
Wie das Volk sich aber zum Kriegsgedankeii in diesem
oder jenem Falle stellt, ist von sehr grosser Bedeutung. Sehr
schön hat dies der veistorbene russische, sehr talentvolle
General Fadejew in folgenden Sätzen zum Ausdruck ge-
bracht: „Die Meinung des Volkes von seiner eigenen Macht
hat einen grossen JEinfluss auf den Gang seiner politischen
Angelegenheiten; diese Meinung ist nicht selten ausser-
ordentlich leichtsinnig und unbegründet, und die Folgen des
Irrtums lasten schwer auf dem Schicksal des Staates. Im
Allgemeinen wird angenommen, dass selbst die militärischeu
Einleitung. XXIII
Elementarfragen Eigentum der Spezialisten bilden und der
Gesellschaft fremd bleiben können, aber wenn der Augenblick
kommt, seine Meinung über Krieg und Frieden auszudrucken,
die Mittel des Erfolges abzuwägen, so seid überzeugt, dass von
zehn Militärs, die als die besten Richter in dieser Sache gelten,
neun die Meinung der gesellschaftlichen Mitte, in der sie leben,
wiedergeben. So wird die Gesellschaft, die gewöhnlich mili-
tärischen Fragen fremd ist, die gründUch weder den Zustand
der Streitkräfte des Staates noch auch ihr Verhältnis zum
gegebenen Kampfe kennt, in wichtigen Fällen bis zu einem
hohen Grade Richter und entscheidender Faktor über diese
Fragen. Sich von dem Einfluss der öflfentlichen Meinung in
dergleichen Sachen zu befreien, ist ein Ding der UnmögUchkeit. "
Bereits in einigen früheren Werken beschäftigten wir uns
mit dem Einfluss, den der Kjieg auf Russland ausüben könnte.
Das führte uns dazu, in der Gesellschaft mehr Kenntnisse von
den Folgen eines grossen Krieges unter den heutigen inter-
nationalen Beziehungen verbreiten zu wollen. Dabei über-
zeugten wir uns aber bald davon, dass das nur möglich wäre,
wenn man erst selbst das Wesen des ganzen modernen Ej*iegs-
apparats studiert habe.
Der grossen Schwierigkeit dieser Aufgabe wohl bewusst,
suchten wir daher zunächst einen Autor, der die gesamte
technische Seite ausführlich genug dai'gelegt hätte, um seine
Darlegungen und Ausfuhrungen und sachgemässen Angaben
zum Fundament der ganzen Untersuchung zu machen. Jedoch,
wie schon erst erwähnt — das Suchen blieb vergeblich.
Darum mussten wir uns an die Quellen selbst wenden, d. h.
an die militärischen Instruktionen für Friedens- und Kriegs-
zeiten.
Hier aber stiess man auf eine neue Schwierigkeit.
Jede Armee hat bekanntlich besondere Reglement« über
die Truppenübungen im Frieden und die Vorbereitung des
Heeres für seine Verwendung auf dem Schlachtfelde. Wir hielten
es für möghch, uns auf den Vergleich dieser Reglements und
XXIV Einleitung.
Lehrbücher der Taktik und Strategie mit denen, die vor zwanzig
Jahren gebraucht wurden, zu beschränken, als wir jedoch aus
den jetzt in den Kriegsnkademien gebrauchten Werken all-
gemeine Schlussfolgerungen ziehen wollten, gerieten wir wie
mit einem Schlage in ein Gewirr unvereinbarer Widersprüche
und zwar von solchen, die nicht bloss dem Nicht Fachmanne
bedenklich erscheinen mussten. Selbst in den einzelnen Heeren
der verschiedenen Staaten giebts einen Wust von Vorschriften,
Abänderungen und abermaligen Neuerungen. In der fran-
zösischen Armee giebts sogar ein bissiges Wort von „ordre,
contreordre, d^sordre" zur Kennzeichnung dieser Sachlage.
General Luze, ein trefflicher Spezialist, sagt*) über Frankreich :
„Wer hat sich nicht über die Verschiedenheit der Ansichten in
den Lehrbüchern unserer Schulen gewundert, und zwar die Ver-
schiedenheit in Fragen, welche Avesentliche Regeln der Taktik
betreffen? Stimmen etwa die Kenntnisse, die den Infanterie-
Offizieren in den unteren Schulen übermittelt werden, mit den
Lehren der höchsten Kriegs-Lehranstalt tiberein? Entspricht die
Lehre dieser höchsten Anstalt den Kursen der angewandten Schule
(Ecole d'application)? Aendern sich nicht häufig die Ideen, die
von den Kathedern der höchsten Lehranstalt verkündet werden,
in der entschiedensten Weise? Es ist dies ein Chaos von Be-
griffen und Prinzipien, die einander bekämpfen, und aus diesem
Kampfe bricht kein Lichtstrahl hervor. Man darf sich daher
darüber nicht wundem, dass die Offiziere sagen: wozu studieren,
mögen erst die Lehrer unter einander Uebereinstimmung er-
zielen ! "
Und der talentvolle russische Militärschriftsteller, General
Skugarewski, bemerkt mit Recht, dass die Instruktionen vor allem
praktischen Wert haben müssen und nicht an Einseitigkeit leiden
dürfen.
Indessen haben wir uns in den letzten Jahren als Mitglied
verschiedener Kommissionen, an deren Beratungen auch hohe
Militärpersonen teilnahmen, davon überzeugt, dass selbst die
•) Ktudes de tactique. Paris 1890.
Emieitung. XXV
hervorragendsten Fachleute auf dem Gebiete des Militärwesens
nicht zur vollen Einsicht derjenigen Erscheinungen gelangt sind,
die bei einem Kampf, in welchem sich Heere von zwei und
noch mehr Millionen Soldaten gegenüberstehen, sich zeigen
werden. Die militärischen Fachkenner schöpfen ihre Ansichten
aus den Erfahrungen früherer Kriege, deren Geschichte sie
eingehend studieren; da sie ausserdem durch ihren Dienst in
Anspruch genommen werden, so ist ihnen auch gar nicht zu
verdenken, wenn sie sich mit verschiedenen Bethätigungs-
formen jener Evolution, die sich auf dem wirtschaftlichen und
sozialen Gebiete vollzieht, nicht befassen können und auf diese
Weise zu nicht ganz richtigen Schlüssen gelangen.
Es giebt auch speziell militärische Probleme, in Bezug auf
welche sich die Meinungen der militärischen Autoritäten wider-
sprechen und sich nicht in eine endgiltige Schlussfolgerung
zusammenfassen lassen. Diejenigen Streitfragen aber, die bei
der theoretischen Behandlung des Themas und nicht aus der
Praxis heraus entstanden sind, geben nicht selten zu so diametral
entgegengesetzten Ansichten Anlass, dass es nur dem Kriege
allein Überlassen werden muss, an ihnen eine harte Kritik zu
üben; es ist jedoch bisweilen ziemlich wichtig, auch diese An-
sichten kennen zu lernen. Man muss aber berücksichtigen,
dass manche hervorragende Kenner der militärischen Dinge
ihre Ansichten nicht immer unumschränkt — mit Rücksicht
auf ihre Stellung im aktiven Dienste — äussern können. Sie
äussern sich also über die Wirkungen der Handfeuerwaffen und
bemerken manches in Bezug auf die Schwierigkeiten, die infolge
des grossen Bestandes der modernen Armeen für die Heeres-
verwaltung und Intendantur entstehen, es bleibt aber von ihnen
die Frage unberührt — wie hoch stellen sich dabei die Aus-
gaben und Einnahmen und wie lange Zeit würden die Heere
und die Völker den auf den neuen Grundlagen geführten Krieg
zu ertragen im Stande sein, wenn er — wie dies namhafte
Autoren, namentlich Moltke und General Leer, voraussetzen,
— von einer langen Dauer wäre?
XXVI Einleitung.
Die jüngeren militärischen Autoren sind weniger zurück-
lialtend und sehr pessimistische Ansichten sind bei ihnen nichts
Seltenes. Doch bleiben diese Ansichten ohne jeden Einfluss
auf die älteren Autoren, die bekanntlich die Aeusserungen aus
jenen Kreisen gering zu schätzen pflegen und die der Meinung
sind, man solle die Zuversichtlichkeit in der Armee heben und
alles das vermeiden, was auf den künftigen Krieg einen zu
düsteren Schatten werfen könnte. Dieses System scheint uns
jedoch unzulässig zu sein, denn man wird doch zugeben, dass
denjenigen unerwarteten Vorkommnissen, die die ungünstigen
Folgen nach sich ziehen, nur auf die Weise vorgebeugt werden
kann, dass man ihrer in voller Bereitschaft harrt.
Das waren ungefähr die Erwägungen, die uns zu dem Versuch
bewogen haben, den zukünftigen Krieg nach allen Richtungen
liin in seinem ganzen Umfange zu beleuchten. Dieser erste Ver-
such ward in einer Artikel-Serie verwirklicht, die im Jahre 1892
in der zu Warschau in polnischer Sprache erscheinenden Zeit-
schrift „Biblioteka Warszawska" veröffentlicht wurde.
Im Jahre 1893 erschien im „Russkij Westnik^ in
10 Heften eine russische Übersetzung dieser Arbeit und zwar
unter dem Titel: ,,Der zukünftige Krieg, seine wirtschaftlichen
Ursachen und Konsequenzen.***)
Die mihtärisch-technische Seite in dieser Arbeit ist nach
den Untersuchungen neuester Autoritäten auf diesem Gebiete
bearbeitet worden. Das Ergebnis unserer Arbeit war nach den
Aeusserungen vieler Personen, darunter vieler höchstgestellter
Militärs, insofern günstig zu nennen, als sie — weil sie eben
von keinem Fachmann verfasst worden — sowohl ihrem Inhalt
als ihrer Form nach, dem grossen Publikum weit zugängHcher
geworden ist, als jene der Fachlitteratur, die uns als Quelle
diente. Einzelne Teile derselben Arbeit wurden in französischen
und deutschen militärischen Fachzeitschriften veröffentUcht; so
namentlich in den „Jahrbüchern für deutsche Armee und
Marine" und in der „Revue des Cercles Militaires**,
♦) „Russ. Wostnik", Jahrg. 1893, Bd. 2-11.
[^JT ^*'
Einleitung. XXVII
Im Laufe der VeröflFentlichung dieser Arbeit sind uns von
verschiedenen Seiten zahlreiche Bemerkungen und kritische
Aufsätze zugegangen. Manche von ihnen rührten von be-
kannten Militär -Schriftstellern her, manche hatten hervor-
ragende aktive Militärs zu Verfassern, manche endlich rührten
von französischen Bürgern her. Im Laufe der nächstfolgenden
fünf Jahre haben wir dann alle unsere Mussestunden der Ver-
vollständigung unserer Arbeit gewidmet. Wir haben uns bemüht,
alles das eingehend zu studieren und darzulegen, was mit den
Mitteln zur Kriegführung und mit den darauf bezüglichen An-
sichten der theoretischen und praktischen Kenner des Militär-
wesens zusammenhängt; wir liaben namentlich auch eine genaue
Untersuchung der sozial-wirtschaftlichen Bedingungen, die beim
Beginn des zukünftigen Krieges, während desselben und nach
demselben hervortreten werden, für geboten erachtet.
So entstand das vorliegende sechsbändige Werk.
Der erste Band behandelt die Ausrüstung der Truppen
und die Bedeutung der verschiedenen Waffengattungen, der
Kavallerie, Artillerie und Infanterie. Der Organisation, Stärke,
Verwaltung und Operation der Armeen ist der zweite Band ge-
widmet, unter Berücksichtigung aller politischen, geographischen,
technischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen des
Zukunftskrieges und zwar dabei in Bezug auf alle Hauptmächte.
Mit dem Seekriege in allen seinen Ausdrucksformen, der Be-
deutung und Entwicklung der modernen Flotten beschäftigt
sich der dritte Band.
Diese drei Bände bilden zusammen den ersten Teil des
Gesamtwerkes, denn in ihnen ist der Krieg zu Lande und
zu Wasser mit allen seinen Mitteln und Operationen einer ein-
gehenden Untersuchung unterzogen worden.
Diesem militärisch-technischen Teile schliesst sich dann der
zweite sozial-wirtschaftKche an, der aus zwei Bänden besteht,
dem vierten und fünften.
Die wirtschaftlichen Erschütterungen und Verluste, die der
Krieg mit sich bringen wird, die Berechnung der Kriegskosten
XXVIII Einleitung.
und die Darstellung der Mittel zu ihrer Deckung, die Ver-
proviantierung der Armeen und ihre Versorgung mit Waffen,
Munition u. s. w. — das ist Gegenstand der Untersuchungen,
die im vierten Band angestellt werden. Eine Darstellung
der Bestrebungen zur Beseitigung des Krieges in der Ver-
gangenheit und Gegenwart, der Bedeutung der sozialistischen
und anarchistischen Propaganda gegen den Militarismus, der
Bedeutung der Bevölkerungs-Zunahme, der politischen Ursachen
kriegerischer Konflikte und der Wahrscheinlichkeit dieser, endlich
der Frage von den vermutlichen Menschenverlusten, dem
Charakter der Verwundungen, den Mitteln der Krankenpflege
und militär-ärztlicher Hülfeleistung — ist der fünfte Band
gewidmet.
Band VI giebt dann nochmals eine gedrängte Übersicht
der ganzen Arbeit und zieht die Schlussfolgerungen daraus.
Die Fachkenner des Militär wesens werden wohl unsere
Arbeit, und speziell denjenigen Teil,* welcher den technischen
Fragen gewidmet ist, wahrscheinlich streng beurteilen und uns
teilweise eine zu sehr ins Detail gehende, teilweise oberflächliche
oder allzu populäre Behandlung zum Vorwurf machen. Wir
haben jedoch nicht für Spezialisten, sondern für das Publikum
geschrieben und vorausgesetzt, dass einem grossen Teil dieses
Publikums das Militär- und Kriegswesen sogar in seinen Grund-
zügen unbekannt ist. Gleichzeitig glauben wir durch vertieftes
Studium der Frage und der einschlägigen Litteratur es soweit
gebracht zu haben, dass wir den Lesern von Durchschnitts-
bildung und vielleicht auch manchem militärisch gebildeten
Leser manche Erscheinungen des Krieges in einer zugänglichen
Form dargeboten haben, was ja übrigens selbst den Spezialisten
nicht immer glückt. Es wird uns auch der Vorwm'f wohl
nicht erspart bleiben, dass wir uns mit der Zusammenstellung
verschiedener Ansichten über militärische Fragen befasst haben,
ohne unmittelbare Fühlung und praktische Erfahrung auf diesem
Gebiet zu haben. Wir konnten jedoch keine andere Auswahl
treffen. Wir mussten die Ansichten der verschiedenen Autoren
Einleitung. XXIX
in Bezug auf die Kriegstechnik kennen lernen, weil wir anderen-
falls nicht im Stande geweseti wären, die Bedingungen, unter
denen der Krieg stattfinden muss, zu erklären und die Grenzen
zwischen der Wirkung dem Naturgesetze untergeordneter Kräfte
und des unberechenbaren Zufalls festzustellen.
Da aber unsere Spezialität nicht das militärische, sondern
das volkswirtschaftliche Fach ist, so mussten wir eben in einer
Arbeit, die nicht Fachleuten gewidmet ist und die nicht die
Klärung von Streitfragen, sondern die Feststellung des Sach-
verhalts im Auge hat, alle Ansichten und alle Gesichts-
punkte samt ihren Konsequenzen gleichmässig beachten. Er-
munternd wirkten auf uns in dieser Beziehung folgende Worte
des Obersten Chwala: „Es giebt keinen besonderen militärischen
Verstand; in jeder Untersuchung ist nur der allgemein mensch-
liche Verstand nötig; es existiert auch keine besondere taktische
Logik — es giebt nur eine natürliche Kette von Ursachen und
Wirkungen, auf die sich jede beliebige grosse intellektuelle
Kombination sttitzen kann."*) Es würde uns eigentlich sehr
freuen, wenn unsere Arbeit kritische oder faktische Berichtigungen
veranlassen würde. In der bekannten, auch in deutscher Ueber-
setzung vorhandenen Schrift von General Woyde über den
preussisch- französischen Krieg von 1870 wird Willisens Be-
hauptung zitiert, dass das Wesen des Krieges durch das
Studium früherer Kriege in der vollen Ruhe der Gelehrten-
stube inmitten der Bücher und Karten am besten zu ergründen
ist; sogar derjenige, der einst mitgekämpft hat, könne den Krieg
gründlich nur durch vervollständigendes theoretisches Studium
kennen lernen. Wir wollen darauf hinweisen, dass in dieser
Lage die Mehrzahl der militärischen Schriftsteller jüngerer
Generation sich befindet. Die französische und die deutsclie
Armee haben Krieg in Europa bereits seit 27 Jahren, die öster-
reichische seit 31 Jahren, die russische seit 20 Jahren nicht
mehr geführt. Es befinden sich in diesen Armeen sogar
*) „Allgemeine Betrachtungen über Entschluss, Plan und Führung im
Gefecht." Milit. Journal „Minerva" 1893.
XXX Einleitung.
wenige Offiziere, die mitgefocliten haben. Sehr zahlreiche
in solcher Stellung befindliche Personen, die ihnen die Ent-
scheidung in wichtigen nulitärischen Fragen auferlegt, können
sich eher nur auf ihre theoretische Fachbildung, als auf
eigene Erfahrung stützen. Ihre Lage ist demgenfiSss unserer
Lage analog; der Hauptunterschied besteht darin, dass sie
ihre Fachkenntnisse in der Schule, auf den Polygonen und bei
den Manövern erworben haben, während wir sie acht Jahre
fortgesetzten mühsamen Untersuchungen zu verdanken haben.
Es kann sein, dass in unserer Arbeit auch Irrtümer vor-
kommen; sie werden jedoch keineswegs der Art sein, dass
sie unsere Schlussfolgerungen umstossen könnten. Das zu
hoffen glauben wir insofern berechtigt zu sein, als weder die
Kritik, noch diejenigen sehr autoritativen Fachleute, die unsere
Arbeit, noch bevor sie abgeschlossen war, durch Publikationen
in russischen und ausländischen Monatsschriften und Zeitungen
kennen gelernt haben, uns auf irgend welche wichtige Mängel
aufmerksam gemacht haben.
Wir wollen noch hinzufügen, dass wir insofern im Vorteil
waren, als wir eine Untersuchungs-Methode gewählt haben, die
in der Anwendung statistischer Daten und ihnen entsprechender
graphischer Darstellungen bestand.
Wir haben uns immer auf genaue statistische Zahlen
gestützt und unsere bisherigen Veröffentlichungen*) geben uns
vermutlich das Recht, die Ansichten der militärischen Autoren
zusammenzustellen, zu vergleichen und aus diesen Ansichten
Schlüsse zu ziehen, geschweige denn mit dem Kriege zusammen-
hängende wirtschaftliche Fragen zu behandeln.
*) „Russische Eisenbahnen in Bezug auf die Ausgaben und Einnahmen der
Exploitation, den Transportwert und Frachtbeförderung." Petersburg 1875. —
„Die wirtschaftliche Lage Russlands in der Gegenwart und in der Vergangenheit"
(„Westnik Jewsopy" August 1887.) — „Einfluss der Eisenbahnen auf die wirt-
schaftliche Lage Russlands." Petersburg 1878. — „Die Finanzen Russlands im
XIX. Jahrhundert." Petersburg 1882. — „Finanzen des Zarthums Polen." —
„Meliorationskredit und Lage der Landwirtschaft im Vergleich mit den anderen
Staaten." — „Die Verschuldung des Grundbesitzes im Zarthum Polen." Peters-
burg 1894.
Einleitung. XXXI
In der Behandlung der politisch-sozialen Probleme spielen
die Zahlen die erste Rolle, weil sie den Forscher vor allzu
subjektiven Ansichten und Irrtümern bewahren.
Wir glaubten auf dem Gebiete des Militärwesens die
wissenschaftliche Methode der Zahlen anwenden zu müssen,
obwohl militärische Schriftsteller, mit wenigen Ausnahmen, das
vermeiden. Sie bringen meistens wohl die Hauptdaten, ohne
aber auf Grund dieser zu Schlussfolgerungen zu gelangen.
Deshalb haben wir überall, wo es nur irgend möglich war, die
Formeln, die von den Fachmännern betreffs der Geschütze,
Handfeuerwaffen und vieler anderer technischen Fragen auf-
gestellt worden sind, zu der Beurteilung der wahrscheinlichen
Resultate gebraucht. Dieses Verfahren haben wir vielleicht in zu
weitgehendem Maasse angewendet, weil wir aus diesen Formeln
alle Schlüsse, die aus ihnen unserer Meinung nach zu ziehen
waren, gezogen haben. Dabei haben wir aber stets den Leser
darauf aufmerksam gemacht, dass die wirklichen Kriegsresultate
vielfach von den Resultaten, die auf dem Paradeplatze und im
Manövergelände erreicht werden, abweichen. Ein jeder kann
schliesslich den Wert solcher Berechnungen bestimmen, indem
er die Daten, die ihnen zur Grundlage dienten, selbst beurteilt.
Wir wollen noch hizufügen, dass die vorliegende Arbeit
das Ergebnis eines im Laufe von acht Jahren fortgesetzten
Studiums der militärischen Litteratur und aller sozialen und
wirtschaftlichen Probleme, die mit dem Krieg im Zusammenhang
stehen, darstellt. Da die Drucklegung, je nachdem einzelne Ab-
schnitte fertig waren, mehr als zwei Jahre beansprucht hat, so
musste vieles ergänzt werden. Die Technik schreitet so schnell
fort, dass, ungeachtet solcher Ergänzungen, manche ihrer
neuesten Errungenschaften erst in den Schlussbetrachtungen
gewürdigt werden konnten, da sie seinerzeit in den entsprechenden
Kapiteln unberücksichtigt bleiben mussten.
Wir haben die Regel befolgt, wenn eine neue Entdeckung
durch eine Zeichnung erläutert werden konnte, oder wenn die
Ergebnisse dieser oder jener wirkenden Kraft graphisch dar-
XXXII Einleitung.
zustellen waren, die entsprechende Tafel unmittelbar im Text
oder aber in den Beilagen zu den einzelnen Kapiteln folgen
zu lassen. Wir glaubten auf diese Weise im Interesse des
Lesers zu handeln, welchem so die Mühe des Nachschlagens
in einem besonderen Anhange erspart bleibt. Daraus hat sich
jedoch die Schwierigkeit ergeben, dass die neuesten Zeichnungen,
die sich in dem Anhang zu jedem einzelnen bereits gedruckt
vorliegendem Kapitel befinden, nicht mehr im Text selbst be-
sprochen werden konnten.
Johann von Bloch.
■ ■ ■ ■ ^
I.
Die Feuerwaffen.
Allgemeine Bemerkungen liber das Schiessen.
Die einfachsten täglichen Beobachtungen überzeugen uns, dass jeder ^»1»
Gegenstand, der vertikal oder unter einem Winkel in die Höhe geworfen im inftieeJn
wird, allmählich die ihm mitgeteilte Bewegungskraft in der gegebenen ^^^ l°^*"
Richtung verliert und endlich auf die Erde niederfällt. Die Physik lehrt,
dass im luftleeren Räume die Schnelligkeit des Falles der Körper nicht
von ihrer Form, Grösse oder ihrem spezifischen Gewichte abhängig ist.
Das eiserne Geschoss und die leichte Feder, die von gleicher Höhe fallen,
würden gleichzeitig den Erdboden erreichen, wenn es möglich wäre, den
Widerstand der Luft, welcher ihrem Fallen entgegensteht, auszuschliessen.
Die Theoretiker, die sich mit dem Studium der Wirkung der Artillerie-
Geschosse beschäftigt haben, bestätigen, was bereits Galilei behauptet
hatte, dass die von den Geschossen beschriebene krumme Linie eine völlig
regelmässige Parabel sein würde, wenn nicht der Widerstand der Luft zu
überwinden wäre, und dass bei dieser Voraussetzung die Schnelligkeit
des Falles proportionell dem Quadrate der Zeit und damit der durch-
messenen Entfernung zunehmen würde. ^)
So würde ein frei fallendes Geschoss, wenn der Luftwiderstand
nicht zu überwinden wäre, sich der Erde nähern: 2)
im Lauf 1 Sekunde 4,90 Meter
„ „ 2 Sekunden 19,60 „
j? » ^ n 44,1U ,«
?? «4 j? iOjW „
Die Schnelligkeit des Falles unter dem Einflüsse des Luftwiderstandes
steht in Abhängigkeit von der Form des Geschosses und ist der Wider-
stand nicht der gleiche für alle Geschwindigkeiten.
Die Mehrzalil der Theoretiker nimmt an, dass der Widerstand der Emflas« de»
Luft für sehr kleine und für grosse Geschwindigkeiten proportional ihren widewtandes.
*) Leer: „Encydopädie der Kriegs- und Marine Wissenschaften".
') „R^gl^ment sur l'instruction du tir". Paris 1883.
• 1*
4 I. Dip Feuerwaffen.
Quadraten ist, dagegen für mittlere bedeutend schneller wächst als das
Quadrat der Geschwindigkeit, 8)
Zur genaueren Bekanntschaft mit dieser Ei-scheinung haben wii-
klarzulegen, was ein Schnss eigentlich ist.
Durch den Schlag des Hahnes auf das mit einem Sprengstoff an-
gefüllt« Zündhütchen entzündet sich dieser Sprengstoff und teilt, wie dies
hei den frnlieren Gewehren der Fall war, dem Pulver seinen Fnnken mit,
oder aber es entsteht durch den Stoss der Nadel in eine im Inneni der
Patrone befindliche Zündmasse eine Explosion des in der Patrone be-
findlichen Pulvere, wohei das Pulver sich chemisch zersetzt und augen-
blicklich in einen gasförmigen Zustand übergeht. Da das Gas in Folge
seiner Elastizität bestrebt ist, rasch ein sehr grosses Volumen einzunehmen,
so entwickelt sich im Gewelirlauf bei der Explosion des Pulvers ein
Dmck von einigen Tausend Atmosphären Starke und hei der Explosion
von Pyroxylin ein noch grösserer Druck. Ein bedeutender Teil der Kraft
dieses Drackes, der in den festen Wänden des Laufes Widerstand findet,
wendet sich auf das Heraustreiben des Geschosses, welches bei Anwendung
gewöhnlichen Pulvers mit der Geschwindigkeit von 450 bis 500 Metern in
der Sekunde aus dem Gewehr herausgeschleudert wird, aus den Gewehren
neuen Systems aber unter der Anwendung von rauchschwachem Pulver mit
einer Schnelligkeit von 600 Metern und mehr in der Sekunde herausfliegt.
Durch den Schuss wird das Geschoss in der Richtung der Mittellinie
des Gewehrlaufes heransgetrieben; da es aber sofort der Wirkung der
Schwerkraft der Erde und des Widerstandes der Luft anheimfällt, so
beschreibt das Geschoss unter dem Einflüsse dieser beiden Kräfte, nach
dem Maasse seiner Entfernung vom Gewehrlaufe und der Verminderung der
ihm mitgeteilten Anfangsgeschwindigkeit, eine kininime Linie, eine Kurve.
Nachstehende Zeichnung zeigt die Bewegung des Geschosses A.
Bei dem Fluge des Geschosses erscheint die eine der Kräfte, nämlich
dei Luftwiderstand, als eine (Irösse, die sich je nach der Form des Pro-
jektils, seinem Querschnitte und Gewicht« sowie der Geschwindigkeit seines
Fluges lind der Bewegung der Luft verändert. Ein Geschoss z, B., welches
») „Encyclopädie der Kriegs- uncl Marinowissensclmften", Bd. I, S. 316.
AUgemeine Bemerkungen über das Schiesseti. 5
ia 10 Sekunden 1800 Meter durchfliegt, müsste nach theoretischer Ee-
rechnnng eine Fallhöhe von 490 Metern haben, in Wirklichkeit jedoch
kommt dessen Fallhühe nur auf 282 Meter.
Diese Difierenz ist eine Folge des Luftwiderstandes, dessen Wirkung
hei grossen Distanzen bedentend, bei kleinen dagegen kaum merkbar ist.
So beträgt diese Differenz bei 500 Metern Entfernung nur 0,(i3 Meter.
Der Verlust der Fluggeschwindigkeit durch den Luftwiderstand ist
so bedeutend, dass die Geschwindigkeit, welche im Moment des Schusses
für das neue französische Lehel-Gewehr mit rauchschwacher Pulverladung
610 bis 620 Meter in der Sekunde beträgt, im weiteren Verlaufe pro
Sekunde nur noch ausmacht:'*)
mf 200 Meter Flug 48? Meter
! auf 1200 Meter Flug 233 Meter v.,i..i
„ 400 „ „ 3M ,
„ 1400 , ^221 „ ,ll'!Z
, 600 , „ 318 „
„ 1600 „ „ 206 „ j „^;.,
, 800 ,. „ 283 ,
„ 1800 „ ^ 191 „ >• Wo-
, 1000 , „ 269 ,
, 2000 „ , 178 , ■■■""""
Noch der Durchfliegiing von Metern Schnelligkeit in MeU-m
(üTod der Terminderung der Anfangsgeschwindigkeit des Oeschossfluges (GIO bis
620 Meter pro Sekunde) in Folge der Luftreibung.
Wir bemerken, dass Geschosse aus Gewehren mit rauchschwacher
Palverladung die Kraft tötlichen Treffens noch auf 3200 Meter, bei gunstigen
Verhältnissen sogar auf 4000 Meter Distanz besitzen, Artilleriegeschosse
bis zu 10000 Metern,
Wenn die Schwerkraft nicht existierte, so würde die Flugbahn des
Geschosses eine gerade Linie bilden nnd dasselbe \vürde bei hoiizontalem
*) „L'aim^e militaire". 1S90.
I. Die Feuerwaffen.
Fluge auf ebenem Terrain auf mehrere Tausend Meter alles ihm Be-
gegnende treffen. Da es schwer anzunehmen ist, dass es auf einer solchen
Entfernung, während die Truppen für das Gefecht zusammengezogen
werden, keinem einzigen Soldaten begegnen sollte, so würde fast jedes
Qeschoss ein lebendes Ziel treffen. Zum Glück geht es in der Wirklich-
keit anders zu.
Warum beim Je Weiter das Ziel entfernt ist, desto grössere Flugzeit gebraucht
weiteRrtf«- das Geschoss, desto stärker unterliegt es der Wirkung der Schwere.
™*o^8^ahir ^*^** dasselbe nun nicht in allzu naher Entfernung zu Boden nieder-
J»«»»"^ «1««* fällt, muss man seiner Bahn, zur Erreichung weiterer Strecken, eine
Richtung unter einem etwas aufwärts gehenden Winkel geben; die
Schwerkraft hemmt den Aufstieg des Geschosses und dasselbe beginnt
sich zu senken, um an beabsichtigter Stelle niederzufallen. 0)
wird.
*) Auf folgender Zeichnung, die wir Om^ga: „L'art de combattre" entlehnen,
ist die Flugbahn eines Projektils dargestellt, welches aus dem bis 1876 in der
französischen Armee gebrauchten Gewehre auf 200 Meter Distanz mit gew^öhn-
lichem Pulver abgefeuert wird.
Schass
auf 200 Meter.
Hieraus ist ersichtlich, dass bei der Ditetanz von 200 Metern die Geschoss-
bahn fast in horizontaler Linie liegt und das Geschoss im Stande ist, auf dieser
ganzen Ausdehnung zu treffen.
Ein Projektil dagegen, welches einen 300 Meter entfernten Mann en^eichen
soll, muss in einer so gerichteten konvexen Linie abgefeuert werden, dass es
für einen nur 150 Meter entfernten Mann ungefährlich ist, wie dies aus nach-
stehender Zeichnung erhellt.
Schass
aaf 300 Meter.
Allgemeine Bemerkungen über das Schiessen.
Dieselbe durch die gleichen Gründe bedingte Erscheinung geht auch
mit dem Wasser vor, das man aus einer Giesskanne auf den Boden giesst.
Der Strahl fasst um so weiter, je stärker man die Giesskanne nach vorn
neigt und je höher man ihre Dille hält, letzteres jedoch nur bis zu einem
gewissen Grade, denn würde der Giessende die Dille der Giesskanne in
vertikale Höhe bringen, so würde das Wasser sich über ihn selbst
ergiessen.
So richtet man auch den Lauf des Gewehres oder Geschützes etwas
aufwärts, aber nur bis zu einem gewissen Winkel, und je höher bis zu
dieser Grenze der Lauf gerichtet ist, desto weiter wird das Gewehr oder
Geschütz schiessen.
Mit einem Wort, je weiter das Ziel entfernt ist, desto mehr muss Folgen
die Flugbahn des Geschosses konvex sein, d. h. sich über die Zielhöhe irnrve.
erheben. Das Geschoss wird demnach den grössten Teil seines Weges
in einer solchen Höhe von der Erde durchfliegen, in der es keine treff-
baren lebenden Ziele giebt; je kürzer dagegen die Entfernung bis zum
Ziele ist, desto niedriger kann man das Projektil abschiessen und auf einer
desto grösseren Strecke seines Weges vermag es alsdann zu treffen.
Es ist begreiflich, dass eine allzu bedeutende Konvexität der vom
Geschoss beschriebenen Linie dessen Durchschlagskraft vermindert, da,
je weiter das Geschoss fliegt und ein je grösserer Teil der ihm mit-
geteilten Triebkraft auf die Bekämpfung der Schwerkraft aufgeht, die
bleibende Durchschlagskraft um so geringer wird. Ein etwas grösserer
Wenn man aus demselben Gewehre nach einem 800 Meter entfernten Ziele
schösse, so würde das Geschoss, wie nachstehende Zeichnung zeigt, für einen auf-
recht stehenden Soldaten erst nach Zurücklegung von 772 Meter gefahrlich werden,
im Ganzen also einen Raum von 28 Metern bestreichen. Den Kavalleristen
kann es schon nach Zurücklegung von 715 Meter treffen; den ganzen übrigen
Kaum würde es in einer Höhe durchflogen haben, wo Niemand treff-
bar ist.
««&w»«-
Scbaflfl
auf 800 Meter.
8
I. Die Feuerwaffen.
Schusswinkel ist zuweilen aber erforderlich nicht so sehr wegen der
Treftweite, als wegen der Möglichkeit über Hindernisse, wie Uneben-
heiten des Ten-ains, Baumanpflanzungen, Gebäude u. s. w. hinweg-
zuschiessen.6)
Ranchschwaches Pulver nnd sonstige Sprengstoffe.
Das Um eine grössere Fluggeschwindigkeit des Geschosses zu erzielen,
°!nd B^inr haben die Techniker Mittel zur Vergrösserung der Kraft, welche das
voraüge. Geschoss aus dem Lauf des Gewehres oder Geschützes herausschleudert,
zu suchen begonnen, wobei man in den letzten Jahren, dank der Ent-
wickelung der Chemie, völlig neue Bahnen eingeschlagen hat. Man hat
nämlich eine Art Pulver erfunden, das sich durch seine chemische Zu-
sammensetzung von dem bisher gebräuchlichen unterscheidet, über eine
®) Die nachfolgenden Zeichnungen stellen Fälle solcher Art dar. Von einer
Anhöhe oder Tragleitor aus hat der Offizier den Feind hinter einem Hain in
einer Distanz entdeckt, die aus früheren Messungen bekannt ist oder momentan
festgestellt wird. Dann findet das Schiessen unter dem entsprechenden Winkel
statt und trifft voll und ganz die feindliche Abteilung, die hinter der Deckung steht.
^^"■^-^^i^ir"-^ --.
Ebenso vermag der Schütze, der auf der einen Seite eines Hügels steht,
fttno auf der anderen Seite des Hügels befindliche Person zu treffen, wenn er
den Schuss unter einem gewissen Winkel abfeuert.
Diesen Umstand müssen auch friedliche Bewohner in Betracht ziehen und
sich nicht unbedingt auf den Schutz verlassen, den Haine, Gebäude oder Terrain-
unebenheiten darbieten. Aber das sind einzelne Ausnahmefälle. Im Allgemeinen
gilt die Regel, dass, je geringer die Konvexität der Gesohossbahn ist, je mehr
sich dieselbe der horizontalen Linie nähert, desto stärker die Wirkung des
Scliusses ist.
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Banchschwaches Pulver und sonstige Sprengstoffe.
bedeutend grössere Stärke verfügt und endlich die Eigenschaft besitzt, bei
den Schüssen weit weniger Rauch zu entwickeln.
Wie der grösste Teü aller Erfindungen, so ist auch dies rauch- zusammen-
Setzung
schwache Pulver teils das Resultat langer Forschungen, teils des Zufalls, de« früheren
Schon lange beschäftigte man sich mit dem Gedanken, dass in der Her- ^"^'*"-
Stellung des gewöhnlichen Pulvers, welches bekanntlich eine mechanische
Mischung von 10 % Schwefel, 16% Kohle und 74 % Salpeter bildet,
Verbesserungen unumgänglich seien. Etwas mehr als Vö dieses Pulvers,
nämlich 43 %, verwandelt sich nach der Explosion in Gase.i) Die übrige
Quantität der Pulver-Zusammensetzung büdet feste krustenartige Aus-
scheidungen in Form von Russ, welche im Lauf sitzen bleiben, oder von
Rauch, der in die Luft fliegt. Dies ist die Ursache des Verschmutzens
der Waffe, welche sich dabei zugleich erwärmt und zeitweise manchmal
gerade in den entscheidendsten Momenten der Schlacht für den Gebrauch
untauglich wird. Ausserdem sind die Kämpfenden von einer undurch-
dringbaren Rauchwolke umgeben.^)
Früher als die anderen Sprengstoffe ist das Nitroglycerin erfunden Nitroglycerin
und Dynftinit.
worden. Dieses wird durch eine allmähliche Zufügung von Glycerin zu
einem Gemisch von Schwefel- und Azotsäure erhalten und durch die darauf
erfolgende Auswässerung der chemischen Verbindung, um die Spuren der
0 „15 Vorträge über die Wirkungsfähigkeit der Geschütze". S. 115.
') Seit 1846 ist eine Art Materialien aufgetaucht, aus denen man in ver-
schiedener "Weise kombinierte chemische Verbindungen herzustellen begonnen
hat. Zu diesen Verbindungen werden Azotsäure und verschiedene organische
Stoffe gebraucht, und so gewann man die bekannte Schiessbaumwolle, Nitro-
glycerin, Pikrat, Kalium u. s. w. Besonders zahlreiche Versuche sind seit 1856
mit Schiessbaumwolle gemacht worden, wobei man jedoch in Folge der
allzu starken Wirkung des neuen Sprengstoffes wenig befriedigende Resultate
erzielte; erst in jüngster Zeit hat sich dieses geändert.
Der Hauptgrund für die eifrige Anstellung solcher Forschungen war nicht
so sehr der Wunsch, die Sprengfähigkeit des vorhandenen Pulvers zu verstärken,
als vielmehr die Notwendigkeit, den beim Gebrauch desselben auftretenden Un-
bequemlichkeiten zu begegnen, besonders die starke den Horizont verhüllende
Rauchen tw^ckelung zu beseitigen.
Die neuerdings erfolgte Anwendung von Kartätsch- und Schnellfeuer-
geschützen zur Verteidigung der Schiffe gegen Torpedoböte erforderte für
das Wirksamwerden dieser Verteidigung die Anwendung rauchlosen oder
w^enigstens rauchschwachen Pulvers, da andernfalls jeder Nutzen des Schnell-
feuers zweifelhaft werden mussto. Von den Rauchwolken, die ein grosses Schiff
umhüllen, können sonst die Torpedoböte Nutzen ziehen, um sich demselben
unbemerkt zu nähern. Deshalb hat zuerst die See- Artillerie für ihre Bedürfnisse
möglichst rauchloses Pulver verwandt, imd erst nachdem man sich von den
ballistischen Vorzügen desselben überzeugt hatte, entstand die Frage, dasselbe
auch für das Landheer zu verwerten.
10 I- Bie FPuerwaffen.
Sänre zu entfernen. Dies ist eine fettartige Flüssigkeit, die sich bei
lOö R. kondensiert. Sie ist ansserordentlirh giftig und explodiert leicht
durch Stosa oder Reibung und verwandelt sich hierbei ohne Rückstand in
Gase. Deshalb wird nicht reines Niti-oglycerin vei-wendet, sondern man
sättigt damit einen bestimmten zu Pulver verwandelten Stoff, der dasselbe
leicht aufnimmt, z. B. Kohle, gilt gebrannte)- Ziegel, Kalk n. s. w. In
dieser Form erhält der .Sprengstoff den Namen Dynamit.
Schiessbanmwolle (Pyroxylin) wird gewonnen, indem man BanmwoU-
abfälle mit einem Gemisch von Azotsänre und Schwefel durchtränkt.
Solche Baumwolle enthält 15% Wasser in sieh und ist für die Hantierung
mit derselben und beim Transport sehr gefahrlich.
Nach der Trocknung, worauf das Pyroxylin nur noch 3% Wasser
enthält, fän^ es von einer Flamme Feuer und verbrennt allmählich.
Flamme der Seliieasliauni wolle.
Bei der Entzündung mittelst Knall-QnecksUbers erfolgt eine Kxplosion.
Aus Pyroxylin wird ein zum Schiessen tauglicher Stoff gewonnen,
indem man dasselbe zur Hälfte mit Salpeter mischt und darauf presst.
Alsdann schneidet man das,selbe für Gewehrpatronen.
BauchschwiLches Pulver im Blatt.
Baachschwaches FnlTer nnd sonstige Sprengstoffe. H
Für die Verwendung in Geschützen wird Pyroxylin in Form kubischer
Stücke hei^eatellt, die je nach Bedürfnis zerteilt werden.
y
^
itanchschwaches Pulver für Kanonen.
Dieses rauchschwache oder fast rauchlose Pulver glebt einen be- tuatu
sonderen Anla.ss zur Beunruhigung hinsichtlich des Chai-akters und der ^7v«""
Gefahren des künftigen Krieges. '"'kh""
Eine bedeutende Anzahl von Militärschriftsellern ist der Ansicht, «hruL
dass sich mit Einfdhrang des neuen Pulvers die Schlachttechnik völlig
umwandeln wird und dass das neue Pulver eine grössere Kevolntion im
Kriegswesen hervorrufen durfte, als es die Erfindung des alten Pulvers
vermocht hatte, weil dasselbe erstens eine mehrere Mal stärkere Kraft
bei der Ehtplosion entwickelt nnd weil zweitens bei der Anwendung
des früheren Pulvers der beim Schiessen entstehende Bauch jeder der
kämpfenden Seiten den Standort und die Bewegungen des Gegners anzeigte,
während jetzt zur Feststellung des Standortes des Gegners nur Gehör-
eindrücke übrig bleiben, die bekanntlich bei weitem nicht so genau sind,
wie die Beobachtung mit dem Ange. Ausserdem bildete der Rasch häufig
eine undurchdringliche Deckung. Endlich werden auch die früher über
das Schlachtfeld sich ausbreitenden Rauchwolken femer nicht mehr alle
Schi-ecken des Kampfes verhüllen.
Das erste rauchschwache Pulver ist im Jahre 1886 in der französischen
Armee und darauf allmählich auch bei den anderen Armeen eingeführt
worden. Jeder Staat produziert dies Pulver nach einem besonderen
Rezept; gegenwärtig zählt man bereits viele Sorten desselben, aber diese
Sorten bilden alle nnr verschiedene Kombinationen derselben Grundstoffe.
Nitrocellulose ist der Gnindstoft' der verschiedenen rauchlosen Pulver-
arten, d. h. dieselben bestehen aus einem organischen Stoffe, der mit
Azotsänre bearbeitet ist, und unterscheiden sich von einander nur durch
die Art der Zubereitung und verschiedene Beimischungen.
Die Abbildungen in der umstehenden Beilage ze^en uns die ver- Abbiuui,
schiedenen in der englischen Armee angewandten Pulversorten. ™^"h
12 !• I^ie Feuerwaffen.
Vermehrte Alle Eigenschaften des rauchschwachen Pulvers erklären sich durch
entwicMnng dcsscu chemischcu Bestand. Ein Kilogramm gewöhnlichen Pulvers erzeugt
^p^ivers" ^^^ ^^^ Explosion nur 270 Liter gasförmiger Produkte, dieselbe Quantität
des neuen rauchlosen Pulvers dagegen 859 Liter.
schneuigkeit Noch bemerkenswerter ist der Unterschied zwischen dem neuen und
Verbrennung dcm altcu Pulvcr durch die Zeitdauer, die zur Verbrennung desselben
"^puiTera ^ erforderlich ist. Ein Kilogramm gewöhnlichen schwarzen Pulvers erfordert
für seine Verbrennung i/ioo Sekunde, dieselbe Quantität rauchschwachen
Pulvers dagegen nur Vöoooo Sekunde. s) Letzteres entwickelt dabei eine
höhere Temperatur, wodurch für den Schützen die Gefahr, sich Brand-
wunden zuzuziehen, grösser wird. Das frühere Pulver entwickelte bei
der Explosion eine Temperatur von 2500^ C, das Nitroglycerin dagegen
würde, wenn es rein angewendet werden könnte, eine Temperatur von
73000 entwickeln.4)
H&Dgei Das frühere Vorurteil, das nur noch in wenigunterrichteten
*?uwere" Kreisen herrscht, dass das neue Pulver sich in den Niederlagen schlecht
halte und leicht verderbe, wird unter Anderem dadurch widerlegt, dass
das frühere einmal nass gewordene Pulver zum Gebrauch untauglich wird,
während rauchschwaches Pulver, welches einige Tage unter Wasser ge-
legen hat und dann bei Sonne und Luft getrocknet ist, seine früheren
Eigenschaften wiedergewinnt. Gegen das neue Pulver spricht daher nur
seine verhältnismässig teure Herstellung und die Entwicklung seiner
hohen Temperatur bei der Explosion.
Grad Was die Rauchschwäche des neuen Pulvers betiifft, so lagert auf
achwfiche. kleinen Distanzen bis zu 300 Metern der Kauch des Gewehrfeuers über
der Schützenlinie in der Form leichten Dunstes, etwa wie dies bei einer
brennenden Cigarre bemerkbar ist, aber bei Entfernungen über 300 Meter
wh*d derselbe mehr und mehr unsichtbar.
Selbst der beim Salvenfeuer entstehende Rauch hindert die Schützen
nicht, die entferntesten Gegenstände wahrzunehmen. Der vom neuen
Pulver erzeugte Geschützdampf bildet für die Bedienung kein gi'össeres
Hindernis als der Rauch der Infanterie-Salven, aber auch der Rauch
des feindlichen Geschützfeuers kann auf gewöhnlicher Schussweite,
selbst bei heftigem Artillerie-Gefecht nicht mehr wahrgenommen werden.
Statt dessen tritt jedoch häufig ein anderer Umstand ein, der den Aus-
gangspunkt und die Richtung des Schiessens verräth, nämlich die Luft-
bewegung, welche durch die gewaltige Kraft der Explosion entsteht.
') „Das alte und das neue Pulver". Lepsius 1891.
*) „Vorträge über die Wirkung« fähigkeit der Geschütze".
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RauchschwacheB Pulver und sonstige Spreugstoffe. 13
Diese Luftbewegung wirbelt nnter gewissen Bedingnngen einen Stanb
auf, der unvergleichlich stärker ist als bei dem früheren Pulver.-^)
Das Geschützfener ist, wenn das Geschütz nicht maskiert ist, auf Fen«
4000 Meter Entfernung sichtbar. Es ist selbst dann sichtbar, wenn die X ■•
Geschütze hinter dem Kamm einer Anhöhe, aber nicht tiefer als 3 Meter ^^"j,*^
anter demselben, postiert sind. Sind die Geschütze 6 Meter unter dem
Kamm aufgestellt, so ist ihr Feuer in keinem Fall sichtbar.
') Der grösseren Anschaulichkeit wegeo geben wir zwei Zeichnungen
(aus „Annöe Scientifitjue Figuier", 1891), welche Salven mit gewühnlichem und
mit rauchschwachem Pulver darstellen.
Salve mit gewühnlichei
J4 I. Di« FeuerwaiFen.
In der Nacht ist das Feuer des Schusses bei dem neuen Pulver
zweimal heller als bei dem alten. Im Allgemeinen verräth sich eine
Batterie, die mit dem neuen Pulver schiesst, vorzugsweise durch den
Feuerstrahl.
Schall beim Der Schall bei dem Schusse mit dem heutigen Pulver beträgt 0,9
mit n^em des Schalls des früheren Schusses ; dabei ist er kürzer, schärfer und
^^''' markierter.6)
Bei der Verwendung des rauchschwachen Pulvers ist die Triebki-aft
der Geschosse bedeutend grösser geworden.
Einflass Dic Tragweite der neuen Gewehre bei Anwendung des
plüTeTauf rauchschwachen Pulvers erreicht 4200 Meter, während das
^J^^rfr**® Feuer aus den früheren Gewehrtypen bei der Ladung mit
der Schüsse. »^ ^ '^
Salpeter-Pulver nur bis 1775 Meter für wirksam gelten kann.
Was aber besonders wichtig ist, das ist der Umstand, dass die gi^össere
oder geringere Triebkraft auch auf die grössere oder geringere Krümmung
der Linie, welche von dem Geschoss beschrieben wird, von Einfluss ist.
Von dem Grade dieser Krümmung hängt aber die Länge der Strecke ab,
auf welcher das Geschoss nicht über Manneshöhe fliegt, und folglich
seine Bahn todbringend ist. Es ist klar, dass, je grösser diese Strecke
ist, desto wirksamer der Schuss sein wird, desto geringere Bedeutung
ein Irrtum bei der Bestimmung der Distanz haben wird, da die be-
trächtlichere Grösse des dem Treffen ausgesetzten, bestrichenen Raumes
auch eine grössere Ungenauigkeit im Zielen gestattet.
EiDflass Ausserdem wird bei Anwendung des rauchschwachen Pulvers eine
PttTvere"auf g^össcrc Treflfwahrscheinliclikeit erlangt, sowohl in Folge der grösseren
wahrwiTeTn -^^f^^^S^geschwindigkeit des Geschosses als auch wegen der Möglichkeit,
lichkeit. eine Waffe kleineren Kalibers zu verwenden.
Bei dem Einzelschiessen aus gleichwertigen Gewehren giebt das
neue Pulver 44% Treffer, während das frühere nur 34% gab; bei dem Salven-
schiessen giebt das neue Pulver 42% Treffer, das alte 36%, der Unter-
schied zu Gunsten des rauchschwachen Pulvers beträgt mithin beim
Einzelschiessen 29%, beim Salvenschiessen 17%.
LaduuRs- Die grössere Explosionskraft des neuen Pulvers giebt die
d^Muen Möglichkeit, dasselbe im Vergleich zu dem früheren Pulver
Pulvers für nach Gewicht in einer dreifach geringeren Quantität zu
einen Schass. ,,>,i .-i/.
verwenden, und da auch das Geschossgewicht für die neuen Gewehre
vermindert ist, so kann der Soldat eine grössere Anzahl von Patronen
bei sich führen.
*) Michnewitsch : „Einfluss der neuesten technisclien Erfindungen auf die
Taktik".
Rauchschwaches Pulver und sonstige Si)rengstoife. 15
Was die Sprengmaterialien anbetrifft, die für Bomben, Minen und
andere Mittel verwandt werden, die zur Zerstörung von Deckungen dienen
sollen, so sind in letzter Zeit Stoffe erfunden worden, die eine immer
grössere Sprengkraft aufweisen. Aus der Zahl derselben sind besonders
bekannt: Melinit, Ekrasit, Roburit, Panklastit, Kinelit, Pyroxylin-
pulver u. s. w.
In der cliemischen Zusammensetzung aller dieser Stoffe ist Pikrin-
säure, welche deren Sprengkraft im Vergleich zu der Kraft des früheren
Pulvers um das Vierfache vergrössert, enthalten.
Wenn man zur Vergleichung die potentielle Kraftäusserung des ge- expiobIv-
wohnlichen Kriegsgewehrpulvers als Einheit annimmt, so ergiebt sich, verechiedeüer
dass die Kraftäusserung einiger anderer Sprengzusammensetzungen bei •'^°^«'»»'*«»-
derselben Quantität die Kraftäusserung des Pulvers in folgendem Maasse
übertiifft:
Nitroglycerin 2,2
Ammoniak-Pikrat mit Ammoniak-Salpeter . . 1,7
Trockenes Pyroxylin 1,5
KaU-Pikrat 1,1
Kriegspulver 1,0
Der Druck, welchen bei Zersetzung des Sprengstoffes die Gase auf
die Wände eines abgeschlossenen Raumes ausüben, wird die Kraft des
Sprengstoffes genannt. Bei der Wirkung der Sprengstoffe in der Praxis
bedingt die Schnelligkeit des Wachsens des Druckes den Charakter der
Explosion. Wenn die Explosion sich in einer so kurzen Zeitspanne voll-
zieht, dass der wenn auch kurzdauernde Druck zu gross ist, so tritt ein
Zerreissen der Objekte, ihre Zersplitterung, ähnlich der Wirkung eines
gewaltigen Hammerschlages ein. Eine solche Zerstückelungs-Explosion
wird Granulier-Explosion genannt, und die Sprengstoffe, die solche Wirkung
hervorbringen, heissen granulierende Sprengstoffe. Hierhin gehören das
Nitroglycerin, Pyroxylin und andere Präparate. Stoffe dagegen, wie das
gewöhnliche Pulver, welche bei analogen Verhältnissen nicht so schnell
Gase entwickeln, dass das Geschütz unter dem Druck derselben zerreisst,
werden zu der beim Schuss zu bewirkenden Explosion verwandt. Es
werden so detonierende und explodierende Sprengstoffe unterschieden.
Mit ihnen, wie mit dem gewöhnlichen Pulver, lässt sich eine befriedigende
Granulier - Explosion nicht erzeugen, wohl aber können granulierende
Sprengstoffe durch Abschwächung des Anwachsens des Druckes, durch
Veränderung ihrer physikalischen Eigenschaften u. s. w. eben so wirken
wie Wurfsprengstoffe.
Der Unterschied der granulierenden und der Schuss-Explosivfähigkeit
der einzelnen Sprengstoffe bestimmt sich danach, wie schnell in ihnen
16 I- Dip Feuerwaffen.
die sogenannte Erplosion ersten Grades oder die Detonation hervor-
gernfen werden kann. Wicht^ ist der Umstand, wie leicht ein Stoff
detoniert , weniger wichtig dagegen die Fähigkeit , bei EntzUndnng
dnrch einen erwärmten Körper zu explodieren, wobei ein weit geringerer
Drnck als bei der Detonation erzielt wird. Die Explosionen mittelst
Entzündung heissen Explosionen zweiten Grades.')
Ans den Versuchen von ßoux und Sarrean über die Detonation nnd
Entzündbarkeit der einzelnen Sprengstoffe, ei^iebt sich, wenn wir die
Kraft des gewöhnlichen Pulvers in Detonation nnd Entzündbarkeit als
Einheit ansetzen, folgende Stufenleiter:
Detonation Entzündbarkeit
Nitroglycerin li,3 4,8
Komprimiertes Pyroxylin 1,5 3,0
Pikrinsäure 1,2 2,0
Pikrat-Kali 1,2 1,8
Gewöhnliches schwarzes Pulver . . 1,0 1,0
Graphisch ausgedrückt erhalten wir folgendes Bild:
Vorgleiche de« raucbschwachen Pulvers mit dem gewöhnlichen Polver.
Das Geheimnis der einzelnen Sprengstoffe raht übrigens nicht in
der chemischen Zusammensetzung derselben, sondern in der technischen
Herstellung der Greschosse und in der Fähigkeit, mit dem Material um-
zugehen, da die Gefahr bei der Anfertigung nnd Aufbewahrung dieser
Sprengstoffe sehr gross ist. 8)
Aüiiicht Deshalb ist der berühmte französische ( 'hemiker Berthelot der Ansicht.,
"'üb«"" ^^^ J^"^ exaltierten Leute, welche da glauben, dass mittelst Dynamits
Anwandgng eiue Revolutionspolitik zur Umbildung der (lesellschaft zn fuhren sei, sich
sprenestaiTe. irren. Natürlich kann die Kraft der Explosivstoffe für verbrecherische
Unternehmen persönlicher Natur verwertet werden, aber für allgemeine
Ziele ist sie in den Händen einzelner Personen untauglich. Solche Ziele
0 Sabudski: „Herstellung und Eigonachaften der verschiedenen Pulver".
Petersburg 1893.
') „Revue nouvelle".
Die Hand-Feuerwaffe. 17
erfordern kostspielige Vorbereitungen und Geschosse, die nur besonders
organisierte und gründlich ausgebildete Mannschaften auszunutzen und
zu handhaben verstehen. Solchen Aufgaben ist nur der Staat selbst
gewachsen, welcher allein fähig ist, derart komplizierte Mechanismen
zu schafiTen und zu überwachen.
Das letzte Wort in Bezug auf Sprengstofie ist jedoch noch nicht
gesprochen worden.
General Wille 9) sagt sehr richtig, dass^ wenn auch Manche es füi- in Awaicht
nötig hielten, uns zu versichern, dass mit der Einfuhrung des rauch- verbeaserang
schwachen Pulvers schon der Gipfel der Vollkommenheit erreicht sei, man g ^J^^^
doch im Auge behalten müsse, dass dieses Pulver erst vor fünf Jahren
von Frankreich eingeführt worden sei und dass wir uns in Bezug auf
dasselbe genau in derselben Lage befinden, wie vor 600 Jahren unsere
Vorfahren in Bezug auf das Gemisch von Schwefel, Salpeter und Kohle,
an dem sich der Franziskaner Berthold Schwarz die Nase verbrannte.
Die vervollkommneten technischen Hilfsmittel gewährten uns natürlich
die Möglichkeit, schneller fortzuschreiten als unsere Vorfaliren, aber
dennoch sei die weitere Vervollkommnung des rauchschwachen Pulvers
noch eine Frage der Zukunft.
Und in der That, die Erfindungskraft bleibt nicht eine Minute
stehen! Obgleich alle Heere bestrebt sind, die erzielten Resultate geheim
zu halten, so geben doch die bereits bekannten Thatsachen Gnind zu
der Annahme, dass in künftigen Kriegen, besonders wenn dieselben noch
einige Jahi'e auf sich warten lassen, welche zur weiteren Vervollkommnung
der Fabrikation der Sprengstofie nötig sind, Vernichtungsmittel von
solcher Kraft in Anwendung kommen werden, dass Konzentration der
Truppen im offenen Felde oder unter dem Schutz von Deckungen und
Befestigungen unmöglich und dadurch auch der ganze gegenwärtig für
den Krieg vorbereitete Apparat untauglich werden wird.
Die Hand-Feuerwaffe.
Trotz aller Erfindungen und Vervollkommnungen auf dem Gebiete
der Artillerie wii-d die Infanterie, wie in frühem Zeiten, so wahrscheinlich
auch in Zukunft, der entscheidende Faktor für militärische Erfolge bleiben.
») „Das Feldgeschütz der Zukunft''.
Bloch, Der cakftnftige Krieg. 2
13 I. öie Feuerwaffen.
Bedeutang Die techiüsche Brauchbarkeit des Gewehres und seine Handhabung
Gewehnw- im Gcfecht bleiben in funktioneller Abhängigkeit; die Technik ei-findet
^®**®™''»®"- oder verbessert eine Waffe, diese verändert die taktischen Formen des
Kampfes. Die gegenwärtigen und nacheinander folgenden VeiToUkomm-
nungen der Waffen haben nicht nur die Leitung der Heere im Kampfe
verändert, sondern auch noch bedeutend kompliziert.
In früheren Zeiten, wo der Fortschritt in der Kriegstechnik nur
langsam erfolgte, konnte man aus den Erfahrungen der bisherigen Kriege
sich ein Bild des nächsten entwerfen, gegenwärtig aber liegt die Sache
ganz anders. Nach übereinstimmend kompetenter Beurteilung können
alle Verbesserungen in der Waffe im Laufe von fünf Jahrhunderten,
d. h. seit Erfindung des Pulvers, sich an Bedeutung nicht mit denjenigen
vergleichen, die seit dem letzten Kriege gemacht sind. Freilich behaupten
viele militärische Schriftsteller, dass in künftigen Kriegen die Verluste
kaum grösser, vielleicht sogar geringer ausfallen werden.
Man sagt, dass, wenn die Gegner gleich gut treffende Gewehre
haben, das Schiessen wiederum nach Maassgabe der früheren weniger
vollkommenen Gewehre erfolgen werde. Man verliert ebensoviel Leute
und die Bedingungen eines besonnenen Feuerns werden dieselben sein,
d. h. unbedeutende.
Man würde durch dreimal rascheres Schiessen dreimal mehr Leute
töten können, Avenn es nicht dreimal schwieriger sein würde, Ruhe zu
bewahren.
Not- Als Beweis dafür werden Verlustzahlen aus den vorhergegangeneu
xQveri^dger Kricgeu augcführt, wobei indessen irrtümlich verfahren wird, da über die
^®^|^'J^*^° Verluste der Neuzeit bisher noch die bezüglichen statistischen Angaben
des Krieges, fehlen. Bekanntlich sind erst um die Mitte dieses Jahrhunderts in
Preussen systematische Verlustlisten möglichst bald nach der Aktion
durch die einzelnen Truppenteile, zusammengestellt worden. In anderen
Heeren sind Verordnungen über Anlage von Verlustlisten erst nach dem
Kriege 1870/71 ergangen, eine zuverlässige Kontrole über die Zahl der
Toten, Verwundeten und Vermissten gab es bis dahin nicht. Die Heer-
führer hatten freien Spielraum hinsichtlich der Angabe über die Verluste
innerhalb ihrer Korps.
üeberläufer waren früher weniger selten als heute, weshalb deren
Abgang, um den guten Ruf der Truppe zu schonen, allgemein mit
auf die Gefallenen und Verw^undeten übertragen Avurde, wodurch sich die
Zahl der vor dem Feinde Gebliebenen und Kampfunfähigen dann noch
erhöhte. So fand der Sieger Gelegenheit, seinen Euhm zu steigern, anderer-
seits der Unterlegene eine erwünschte Entschuldigung seiner Niederlage.
Die Hand-Feuer^'affe. 19
Bei den nationalen Massenheeren der Jetztzeit, welche zum grossen
Teile nicht aus Berufssoldaten bestehen, gewinnt die Verlustfrage in
Zukunftskriegen ungemein an Bedeutung. Für ein richtiges Verständnis
derselben bedarf es eines anschaulichen Bildes von der früheren Be-
waffnung und Taktik der Heere. Nicht minder wichtig ist die Frage, ob
das heutige Kleinkalibergewehr als Grenze der erreichbaren Vollkommenheit
anzusehen sei, oder ob es, wie vielfach behauptet wird, noch nutzbarer
gemacht werden könne, wodurch die Kriegführung alsdann beinahe un-
möglich werden wurde.
In der Vergangenheit bedurfte die Einführung von Verbesserungen U"-
, nnterbrochen
langer, oft nach Jahrhunderten zählender Penoden, und nur langsam Bystema-
brachen sich technische Neuerungen Bahn. In unserer Zeit dagegen voukomm*^
erfolgen nicht allein Verbesserungen, sondern auch Erfindungen, welche ^^^"^^^^
eine vollständige Umbewaffnung erforderlich machen, in stetig wachsender Feuerwaffe.
Geschwindigkeit, ohne dass man ein Ende solcher Bestrebungen abzusehen
im Stande wäre. Schon verlautet es, dass, wenn im allgemeinen Gang
der Dinge nicht binnen sehr kurzer Zeit radikale Veränderungen
eintreten, Europa unausgesetzt vor der Notwendigkeit stehen wird,
der produktiven Volkskraft neue Milliarden für Kriegszwecke zu
entziehen.
Kaum ist man mit der Einführung des Kleinkalibergewehres fertig
geworden, so hat die Technik bereits einen neuen Schritt vorwärts
gethan, und es unterliegt keinem Zweifel, dass die Grossmächte bald
genötigt sein werden, zu Gewehren noch kleineren Kalibers über-
zugehen, deren Kraft sehr bedeutend dem jetzigen deutschen Gewehre
überlegen sein würde.
Um uns darüber klar zu werden, inwieweit die vorausgesagten
Notwendigkeiten wirklich eintreten können, und ob dieselben den Krieg
bei den neuen Kampfmitteln, wenn nicht unmöglich, so doch unwahr-
scheinlich machen würden, müssen wir uns darüber Rechenschaft geben, ob
die bei den jetzigen Gewehren erzielten Vervollkommnungen mit Hilfe
zufalliger Entdeckungen erreicht sind, oder ob dieselben das Resultat
systematischer in dieser Richtung erfolgender Gedankenarbeit von Tech-
nikern und Gelehrten bilden, da in letzterem Falle noch weitere Vervoll-
kommnungen der Waffe wahrscheinlich in Aussicht stehen.
Infolgedessen erscheint es geboten, nicht allein den Stand der
heutigen Bewaffnungsfrage darzulegen, sondern auch mit einschlägig
prüfendem Blicke in die Vergangenheit zurückzuschauen. Um jedoch
den Leser nicht zu überbürden, soll im Texte nur der Hauptsaclie
gedacht, dagegen alles, was den geschichtlichen Teil anbetrifft, in die
Beilagen aufgenommen werden.
9*
20 !• I^iö Feuerwaffen.
1. Geschichtliche Entwickelung der Hand-Feuerwaffe.
Das Pulver und dessen Wirkung sind schon seit beinahe 2000 Jahren i)
bekannt — dennoch reichen die geschichtlichen Nachweise über den
ersten Gebrauch von Hand -Feuerwaffen nicht weit, jene über die An-
wendung von Geschützen etwas weiter. Während z. B. bestimmt nach-
gewiesen ist, dass die Tartaren unter dem Chan Battu in der Schlacht
bei Liegnitz (Wahlstadt) am 16. April 1241 gegen die Polen und Schlesier
Feuergeschütze gebrauchten, wodurch sie die bereits verlorene Schlacht
wieder gewannen, giebt ein italienisches Werk den ersten Gebrauch der
Hand- Feuer waflfen tür das Jahr 1331 an, ohne über deren Verwendung
bestimmte Auskunft erteilen zu können.^)
In Deutschland besagen nach den „Quellen zur Geschichte der
Feuerwaffen" des germanischen Museums die ersten sicheren Nachrichten,
dass sich im Jahre 1344 beim Erzbischofe von Mainz ein Feuerschütz
befand. Auffällig ist es, dass übef 100 Jahre vergingen, ehe eine grössere
Anwendung der Hand-Feuerwaflfen stattfand, obgleich es, besonders den
Städten, doch verhältnismässig leicht werden musste, sich solche zur Ver-
teidigung zu beschaffen. Bei dem 1427 gegen die Hussiten in Böhmen
einrückenden 80000 Mann starken Heere befanden sich nur 200 Hand-
büchsen, und bei einem Zuge der Brandenburger gegen Stettin 1429
kamen auf 1000 Mann nur 50 Büchsenschützen.
oeschicut- Somit fallen die Anfange der Hand-Feuerwaffien in das XIV. Jahr-
AnfilgVder huudert. Es kommen 1365 (Tafel I, Fig. I), fast 150 Jahre nach Bekannt-
Fener*w»ffeii ^^^^^^ ^^^ ScMesspulvcrs, Haudrohre mit Stützgabelverbindung auf, um
Tafel L das Jahr 1381 Büchsen mit Holzschäftung (Fig. 11) . Diese Waffen wurden
Pig. L IL meist durch 2 Mann bedient, von denen der eine die Kichtung bestimmte,
luiLiv. ^^Y andere das Abfeuern besorgte. Auch finden sich Handrohre, welche
zugleich als Streitaxt gebraucht werden (Fig. III), sowie 1393 Hand-
rohre mit Anbringung einer rechtsseitlichen Zündpfanne mit Deckel zum
Schutze des Pulvers in der Pfanne. (Fig. IV.)
LnnieD- Bei dcu Feuerwafleu der Fusstruppen, noch viel mehr aber für Be-
rittene musste das Abfeuern mittelst der in der Hand gehaltenen Lunte un-
bequem erscheinen, weshalb auch 1423 eine Verbesserung vorerst dadurch
erreicht wurde, dass man an der rechten Aussenseite des Schaftes ent-
weder vor oder hinter der Zündpfanne ein gekrümmtes, bewegliches
^) General Susane: „His^ir© ^^ rArtillerie frangaise".
») Maresch: „Waffenlehre für Offiziere aller Waffen", Wien 1873.
Tafel I.
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Geschichtliche Entwickeluhg der Hand-Feuerwaffe. '21
Eisenstäbchen, den sogenannten Hahn oder Drachen, anbrachte, dessen Pig. T.
Kopf zwei flache Lippen bildeten, zwischen welche die Lunte eingeklemmt
und mittelst des unteren Endes des pivotirenden Hahnes auf die Zündpfanne
geleitet wurde. (Fig. V.)
Zum Schutze der meist um den Gewehrkolben gewundenen Lunte Fig. TL
bedeckte man das glimmende Ende derselben mit einem Zylinder von
Blech, dem sogenannten Luntenverberger, einer angeblich holländischen
Erfindung. (Fig. VI.)
Bei den mangelhaften Verkehrsmitteln und der vorherrschenden Ge-
heimniskrämerei dieser Zeit ist es erklärlich, dass die Fortschritte un-
gleiche und langsame Verbreitung fanden, und daher auch nicht befremdend,
dass nach mehr als einem Jahrhundert noch Handrohre ohne Luntenschloss
vorkommen, wie sich Aehnliches im Verlauf der Geschichte unvermeidlich
wiederholt.
Es werden zu dieser Zeit auch schon Pistolen mit Luntenschloss „,^"J*
Pistolen.
gebraucht.
Bei so mangelhafter Einrichtung erscheint es nicht wunderbar, wenn
die Engländer 1471 Bogen und Pfeil den Feuergewehren vorziehen, angeb-
lich wegen geringerer Schussweite und zeitraubenden Ladens der letzteren.
Die englischen Barden prophezeiten sogar den Untergang Englands, wenn
man die Feuergewehre statt der Bogen einführe.
Man schoss mit dem Bogen sowohl rascher als sicherer.
Im Jahre 1516 wurde zu Nürnberg das Radschloss erfunden, welches Pig. VI
in hohem Grade sinnreich konstruiert war. (Fig. VlI.)
Das Radschloss zeigte sich dem Luntenschlosse weitaus überlegen. V"^>«"«™nK
der Zftndang
Die Zündung war bei demselben entschieden sicherer als bei dem Lunten- anrch
schlösse, wo man vor dem Gebrauche stets nachsehen musste, ob die ^lef ßla"^
Lunte auch richtig auf die Pfanne traf; auch war die Entzündung inso- ^cwoases.
fern ruhiger, als der Hahn beim Abzüge nicht niederschlug, sondern früher
schon auf die Pfanne gedrückt wurde; endlich war die Lunte vermieden,
die namentlich für Eeiterei manche Unbequemlichkeiten verursachte. Als
Nachteile des Radschlosses wären anzuführen : das beschwerliche und zeit-
raubende Aufziehen des Rades; das leichte Abstumpfen oder Abspringen
des Schwefelkieses; die rasche Verschmutzung des Rades, infolge
der unmittelbaren Berührung mit dem Zündkraut, wodurch der Gang des
Rades erschwert und eine öftere Reinigung desselben notwendig wurde;
endlich die erhöhten Unkosten.
Hieraus erklärt es sich, dass das Radschloss keine allgemeine An-
wendung fand; es wurde fast nur von der Reiterei und von fürstlichen
22 !• I^iö Feuerwaffen.
Leibgarden geführt, während das Fussvolk überwiegend bei dem Lunten-
schloss verblieb.
Zur Zeit Leonhard Fronspergers (1556) waren die Hakenbüchsen je
nach Ansicht des Büchsenmachers sehr verschiedener Art, da der
Mann sich seine Waffe meist aus eigenen Mitteln anschaffen
musste, ehe er zur Kriegszeit dem Heere einverleibt wurde; doch
machte sich überall eine Verminderung des Kalibers, selbst bis auf
17 mm bemerklich.
Musketen. ^i^ wurdcu auch die Gabeln zu den Hand-Feuerwaffen, nunmehr
•■ Musketen genannt, vervollständigt. (Fig. Vin.)
Kammer- Bemerkeuswcrt ist es femer, dass schon gegen die zweite Hälfte des
ladangen.
Pjg DL ■^^- Jahrhunderts Hakenbüchsen mit Kammerladung gebraucht wurden.
(Fig. IX.)
Orgel- In der Mitte des XVI. Jahrhunderts wird der Orgelgeschütze
Erwähnung gethan. Manche Autoren rechnen dieselben zu den Hand-
Feuerwaffen, obwohl diese Annahme durch nichts gerechtfertigt erscheint,
weil diese Geschütze niemals vom Fussvolke geführt wurden, auch nicht
wie die Hand-Feuerwaffen geschattet waren, vielmehr ausschliesslich von
der Artillerie gebraucht wurden. Die Orgelgeschütze bestanden aus einer
gewissen Anzahl starker Handrohre, welche nebeneinander auf einem mit
Rädern versehenen Gestelle oder Bocke befestigt waren.
Fig.XiLXL Die Ladung war eine beschwerliche und zeitraubende, weshalb
diese Maschinen nicht Erfolge aufweisen konnten. — Wegen der grossen
Zahl von Schüssen, die ein solches Geschütz nach einander abgab, hiess es
auch Geschrei- oder Hagel-Geschütz. (Fig. X. und XI.)
Beginn Bei deu ersten Hand-Feuerwaffen war von Zielvorrichtungen keine
""""htnnjen Spur; crst in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts kamen Stand visiere
TIC
den^plner- ^ou verschiedcuer Gestalt in Gebrauch, noch später scheint das Korn in
geweuren. Anweuduug gckommeu zu sein, welches anfanglich aus einem viereckigen
Stück Eisen bestand und erst gegen Ende des XV. Jahrhunderts eine
spitze Form erhielt. Um diese Zeit richtete man auch das Augenmerk
auf eine Verbesserung des Schaftes, indem man durch dessen Abschwächung
den Kolben schuf, um eine bessere Anlehnung des Gewehres an die Schulter
zu eimöglichen, und für den Ladestock eine Nute anbrachte. Die Be-
festigung des Laufes geschah mittelst Stifte, welche durch am Laufe
befindliche Oesen griffen; ausseitLem wurde die Bodenschraube des Laufes
zu einem Schwanz verlängert, durch den die Schwanzschranbe ging.
Bii^ikngein. Auch war man erst gegen Ende des XV. Jahrhunderts von dem
(xebrauche eiserner Kugeln gänzlich abgekommen und wendete bleierne
oder mit Blei umhüllte Kugeln an. .
Patronentafel.
mi. 1851).
1817.
■s.
GeschichÜiclie Entwickelung der Hand-Feuerwaffe. 23
Die Feuerwaflfen erwiesen sich trotz aller Verbesserungen dennoch
als so mangelhaft, dass zu Ende des XV. Jahrhunderts, um 1496, in
Spanien erst Vs, in Deutschland Vg? ^^ Frankreich Vio der Fusstruppen
damit versehen waren.
Was die Taktik des Fussvolkes betrifft, so erzählt Olivier de la Taktik de«
' FasBvolkes.
Marche in seinen Denkschriften: „dass dasselbe die Reiterei keineswegs
gescheut habe, sondern je drei Mann zusammen gestanden seien, ein
Pickenier, ein Armbrust schütz und ein Büchsenschütz,
die ihr Handwerk so wohl verstanden und auf solche Weise sich
wechselseitig zu unterstützen gewusst hätten, dass der Feind ihnen nichts
habe anhaben können".-"^)
Wie langsam sich aber die Hand-FeuerwaflFe Eingang verschaffte, i^ngsamkeit
der
Sieht man auch daraus, dass englische Bogen- und Armbrustschützen noch Feaenrafren-
bei der Belagerung von Rey 1627 aufti-aten, ja noch 1814 folgten dem ^'°"^*'™"^-
russischen Heere nach Frankreich berittene Bogenschützen, wie Basch-
kiren, Kalmücken u. s. w.
Man darf darüber freilich nicht erstaunen, wenn man sich die für
Tragfähigkeit und Schiessgebrauch gleich beschwerliche, umfangreiche
Ausrüstung eines damaligen Musketiers vergegenwärtigt.
In der Schlacht von Pavia 1525 gehörte zu dessen Ausrüstung Feidkneg«
ausser der Muskete die Musketengabel, eine etwa anderthalb Meter scbieL
lange hölzerne Stange mit Spitze und mehr oder minder primitiver ""^^^^^^
Eisenzinke, in welche das Gewehr beim Schiessen und Präsentieren — Mnaketier«
^ m d. Schlacht
durch Hutabnahme und Reverenz ausgeführt — eingelegt wurde; dann vonPavia
mehrere an einem Lederbandelier hängende — in der Regel 12 — hölzerne
gedrehte Büchsen mit der für den einzelnen Schuss abgemessenen Pulver-
ladung und Pfropf, während das Zündpulver für die Pfanne in einem
eigenen Pulverhom und die Kugeln nebst Requisiten in einer ledernen
Kugeltasche verwahrt blieben. Von den zur Ausrüstung weiter ge-
hörenden etwa vier Metern Lunte trug der Musketier die Hälfte gerollt
am Kugeltaschriemen, die andere Hälfte in Bereitschaft in der linken
Hand; — beim Marsche durften nur gegen 10 Mann per Kompagnie
die Lunte brennend erhalten und rechnete man auf die Stunde 60 bis
70 Centimeter Länge.
Das Laden (Patronentafel, Fig. 1 und 2)*) erfolgte beim zünftigen Mus- Patronen-
ketier ohne Kommando, aber in umständlicher Weise. Die Muskete schief vor ^, Wel
Fis 1 IL 2
dem Leibe haltend, entnahm er vorerst dem Kngelbeutel die Kugel, die er ^'
*) Maresch: „Waffenlehre**.
*) Zeichnung entnommen aus Marescli: „Waffenlehre**.
24 I« ^*6 Feuerwaffen.
vorläufig in den Mund steckte, entleerte dann eine Holzbüchse in den Lauf,
setzte mittels des Ladstockes einen Pfropf darauf, liess die Kugel in den
Lauf rollen — der Spielraum war ebeü darnach — , setzte einen zweiten
Pfropf darauf und brachte dann sein Gewehr mit Hilfe der Musketen-
gabel, die er in die Erde steckte, in eine horizontale Lage. Jetzt konnte
die Pfanne geöffnet, ausgewischt, mit frischem Pulver versehen, die
Lunte in den Hahn eingeklemmt und auf ihre Länge zugepasst werden
— dann erfolgte Abblasen der Lunte und Feuerabgabe.
EinfloBs Es ist einleuchtend, dass so unvollkommene Feuerwaffen bei feuchter
feachter
witierang. Wittemug versagcu mussten.
Bei der Expedition Karls V, gegen Algier 1541 wirkte das an-
haltende Regenwetter dermaassen auf die Büchsen der Hakenschützen —
auf deren Leistungen der Eegent so grosse Hoffnungen gesetzt hatte — ,
dass von hundert kaum eine losging, und die Truppen Karls V. von den
türkischen und maurischen Bogenschützen schimpflich zui*ückgeschlagen
wurden. (Leonh. Fronspergers Kriegsbuch.)
Hinteriftd.- Bemcrkeuswcrt bleibt es, dass zu dieser Zeit Hinterlader gebraucht
Gewehre ' ^
im XVI. Jahr- wurden. (Tafel ü, Fig. XH.)
hundert.
Tafel n, ^^ deren Ladung wurde ein Querkeil herausgenommen , dann ein
Pig. XIL senkrechter Keil A (zugleich Visier) ausgehoben , die Kammer nach rück-
wärts herausgezogen, mit der Ladung versehen, wieder eingeschoben
und mittelst beider Keile befestigt.
Die Kammer war mit einem Zündloch versehen, welches mit dem-
jenigen des Laufes übereinstimmte.
Rednzierang Vcrsuche zur Gewichtsvermiuderung wurden unternommen.
der
öewicht«. In der niederländischen Armee reduzierte man 1599 das Kaliber
der Muskete von 8 Kugeln per Pfund auf 10, dasjenige der Hakenbüchse
von 16 Kugeln per Pfund auf 20.
Die Muskete wog mit Gabel 16, die Hakenbüchse 10 Pfund.
Mit jedem Jahi'zehnt vermehrte sich aber die Zahl der Hand-Feuer-
waöen, so dass dieselben gegen Ende des XVI. Jahrhunderts ebenso zahlreich
wie die Piken waren, ja sogar zwei Drittteile dieser betrugen. Diesem
Fortschritte folgten dann vielfache Aenderungen.
Anfiuige Auch ein Versuch, Magazingewehre einzufühi-en , wurde um diese
der Magazin- rr 'j. a.
gewehre. Zcit uutemommen.
Pig. Zm. -^^ 25. Mai 1584 stellte Nicolaus Zurkinden in Bern Schiessproben
mit einer Büchse an, welche so beschaffen war, dass aus ein und dem-
selben Eohre in ununterbrochenem Anschlag nach einander mehi*ere
scharfe Schüsse abgefeuert werden konnten. (Revolver-Büchse, Fig. XIII.)
Tafel II.
^^^
Geschichtliche Entwickelung der Hand-Feuerwaffe. 25
Dem Ende des XVI. oder Beginn des XVII. Jahrhunderts gehört Re^oirer-An-
eine Revolverbüchse mit Luntenschloss an, „Drehling" genannt. (.DreLUug-).
„Revolver" ist der spätere, in Amerika aufgetauchte englische Aus-
druck für „Drehling". Die Bayern führten 1645 gezogene Büchsen ein.
1624 hatte Gustav Adolph neue, leichte, nur 10 Pfund wiegende schnsa-
Musketen mit 2V2löthigen Kugeln eingeführt, welches Kaliber bis 1811
beibehalten wurde. Die Schussweite betrug 300 Schritt. Dem
Beispiele dieser Gewichtsverminderung der Hand-Feuei-waffe und deren
sorgfältigeren Einrichtung folgten bald Frankreich, Deutschland und
England, und legte man nun auch der vermehrten Beweglichkeit wegen
nach und nach die Schutzwaffen ab.
Zur Beurteilung der Feuergeschwindigkeit der Muskete dienen Feoer--
folgende Anhaltspunkte: ^^'ktuln^**
Die schwedischen Musketiere schössen bei Kinzingen 1636 mit
verhältnismässig bemerkenswerter Schnelligkeit, pro Mann nicht unter
sieben mal in acht Stunden, die Musketiere des Herzogs von Weimar
1638 in der Schlacht bei Wittenbergen, welche von Mittags 12 Uhr bis
Abends 8 Uhr dauerte, während der ganzen Kampfzeit sieben mal.
1644 werden in Schweden und Frankreich, nachdem der Gebrauch , anfange
ddrPatronen-
der Patrone allgemeine Verbreitung gefunden hatte, die „Patronen- uschen.
taschen" aus gebranntem Leder — zunächst für detachierte Soldaten —
eingeführt; sie fassten 12 Patronen, später bis 40.
Auf die Erfindung des Radschlosses folgte als bedeutender Fort- Erfindang
schritt diejenige des Schnapphahnschlosses als Uebergangsmechanismus odersteiA-
zum Batterie- oder Steinschloss. "'"""'*•
Letzteres erfuhr 1648 eine weitere wesentliche Vervollkommnung; Pig.xiy
Nuss und Stange erhielten ein Widerlager in einem zweiten kleinen *• ^W.
Schlossblatt (der Studel), wodurch ein leichteres Spiel der beweglichen
Teile herbeigeführt wurde, auch Batterie und Pfanndeckel (nach spanischer
Art) vereinigt wurden. (Steinschloss, französisches Mod. 1648, Fig. XIV.
und XV.)
In Frankreich fand 1641 — 1642 eine Neuerung, von grosser Be- Binfahrnng
d. Bi^onnets.
deutung durch das Bajonnet (Fig. XVI) statt. Pig.XVL
Das aus den obigen Erfindungen hervorgegangene
Bajonnetgewehr, „Flinte" genannt, verdrängte bald die bisher
übliche Muskete, führte zur raschen und gänzlichen Beseitigung der
Infanterie -Pike und wurde mit dem Beginne des XVIII. Jahr-
hunderts als die nunmehrige üniversalwaffe der Infanterie überall ein-
geführt.
26 ^ I^'® Feuei-waffeu.
Das Bajonnet war zweischneidig, mit Stichblatt und Holzgriff ver-
sehen, um am Gewehre als Stoss- und Schneidewaffe, in der Hand als
Schwert branchbar zu sein. Der eiserne Eiug uraschloss den Gewehrlauf,
während die Feder, in einen zweiten am Lauf angebrachten Ring ein-
tretend, die Beiwaffe am Laufe festhielt.
Abschftffunjr 1699 wurde in Österreich, 1703 in Frankreich, 1721 in Russland
j>eiin Fasa- uud Schwedcu die Abschaffung der Pike (Spiess) angeordnet, doch sollten
''^^^' die schwedischen Truppen auch fernerhin damit geübt werden. 1736
kehrten sogar die russischen Truppen im türkischen Kriege zur Ver-
wendung der Pike zurück, gaben solche 1740 aber wieder auf.
^"s^Hi*^" Lautmann gab 1729 in Petersburger Denkschriften an, es sei
geschosse. Vorteilhaft, mit „elliptischen Flintenkugeln" zu schiessen, die hinten eine
Vertiefung hätten, weil die nachströmende Luft in diese Höhlung eindringe
und den Trieb der Kugel dadurch bedeutend vermehre; dieselben sollten
eine sehr grosse Eindringungskraft haben, besonders wenn man sie aus
gezogenen Läufen schiesse und mit Gewalt eintreibe. Derselbe sagt weiter:
„Um einem Lauf einen unbemerkbaren Zug zu geben, setzt man an die Zug-
stange der gewöhnlichen Ziehbank einen Feilkolben, dessen Durchschnitt
elliptisch ist, und zieht so eine elliptische Vertiefung spiralförmig ins
Rohr; man schmirgelt dann das Rohr noch aus."
Damit war der Gedanke der Anwendung von Spitzgeschossen mit
Expansionshöhlung aus Läufen mit gewundenen Zügen ausgesprochen, was
zu neuen Bestrebungen Anregung gab. Indessen bedurfte es vieler Jahre,
bis diese Versuche praktisch sich verwerten Hessen.
Einfahrnnff Dcm Bedürfuissc eines schnellen und wohlunterhaltenen Feuers
'^"^ ^™** kam man zuerst in Preussen durch Einführung der eisernen Ladestöcke
metaiioneii 1730 uach. Unmittelbar darauf kommt die Anwendung metallener
Lodestockes.
Ladestöcke auch m der Schweiz auf, und zwar aus Stahl, mit einem
Auszieher versehen.
Hinter- luzwlscheu betrieb man meder, namentiich in Frankreich, Versuche
stlt^^h^B- ™* Hinterladungs-Steinschlossgewehren. (Fig. XVH und XVEI.)
w^'^Tvii ^^ Endresultat der Fortschritte der Entwickelungsperiode seit Er-
n. XTHL fi^^^^? des Batterieschlosses kann das französische Infanteriegewehr,
Ffiizös. Mod. 1777/1800 (Fig. XIX) gelten. Schloss nach Mod. 1648; Ladestock
gewehr.*^ vou Stahl uiit Gewinde und Stossteil; Bajonnet dreikantig mit Hülse
ng. XDL und Ring; Normalgewicht der Waffe 5 Kilo.
Gefechte- Die Taktik aller europäischen Heere war damals mit geringen
'Abweichungen dieselbe; es waren durchgehends die Grundzüge der
preussischen Lineartaktik durchgedrungen, obwohl dieselbe in Frankreich
an Folard und Menil -Durand, welche die Kolonne bei der Infanterie
^
^m va ■ VkM
Geschichtliche Entwiokelong der Hand-Feuerwaffe. 27
eingeführt wissen wollten, entschiedene Gegner gefunden hatte. Was
diesen gelehrten Didaktikern nicht gelang, das entstand infolge der
Eevolution, die eine Neugestaltung der Verhältnisse und unmittelbar
durch dieselben eine Neugestaltung der Taktik folgerichtig herbeiführen
musste. Das zerstreute Gefecht und die Kolonne, diese Gefechts-
formationen des XVI. Jahrhunderts, gelangten wieder zur Geltung. Doch
auch die Linie wurde für gewisse Fälle beibehalten, um erforderlichen
Falls ein Massenfeuer abgeben zu können.
Bald stellten jedoch die Engländer, 1794, ein neues Gewehrraodell Gezogene
auf (übereinstimmend mit dem französischen) und nahmen für Schützen
gezogene Büchsen an.
Eine der bedeutendsten Erfindungen wurde 1788 durch die Er- Krflndnngr
^ des Knall-
findung des „Knallquecksilbers" gemacht. Praktische Anwendung fand qaeckaiibers
diese Erfindung aber erst nach mehr als dreissig Jahren. ßerthefot
Napoleon I. pflegte Kommissionen zur Piiifung der Bewaffnung (1800)
zu ernennen, eine solche ordnete die Einführung des Gewehrmodells
1777/1800 an.
Gleichwie die Hakenbüchse das Handrohr, die Muskete dieAnnfthmeein.
Hakenbüchse verdrängt hatte, so musste auch die Muskete dem nun- fraaz6>iMeheii
mehrigen leichteren Infanteriegewehr (Fusil) weichen. Eine leichtere 'ge"^™^
Infanteriewaffe war erreicht, und die Einführung des zuverlässigeren (J»"\> ^^^j
' ^ " Napoleon I.
Feuerechlosses und des Bajonnets verdrängte nun die noch vor-
handenen Piken und anderen älteren Waffen, einschliesslich der Schutz-
waffen.
Nach Annahme wesentlicher Vereinfachungen war das freie Laden Einfahrang
von Papier-
aus dem Pulverhorn oder den am Bandelier hängenden Patronen ab- patronen
gekommen, und es wurden Papierpatronen gebraucht. Hülse und Kugel ""^^j^^iuf^
wai-en von bedeutend kleinerem Umfange als das Bohrungskaliber, "^^JJ*"''^"^
beide glitten nach Entfernung des Verschlusspfropfens in den Lauf modus.
hinab.
Beim Schusse flog die Kugel mit der angelötheten Hülse hinaus,
häufiger aber scheint nur der Deckel abgerissen worden zu sein, und die
geborstene Hülse blieb im Laufe stecken.
Die vom Gusshalse befreite Kugel war in die Papierhülse ein- Patronen-
gebunden, darauf zuerst das Musketenpulver als Ladung und dann *■*•!
ein feineres Pulver (Mehlpulver) zum Aufschütten auf die Pfanne gelagert.
(Patronentafel Fig. 4 und 6.) Bei Karabiner-Patronen vom Jahre 1777 für
Passkugeln (zum genaueren Schiessen mit weniger Spielraum) versuchte
man das Pfannenpulver besonders unter die Kugel einzubinden,
28 I- I^i® Feuerwaffen.
Zum Laden wurde der Umbug der Papierhttlse mit Hilfe der Zähne
abgerissen, zuerst das Zündpulver vorsichtig auf die Pfanne gebracht, der
Deckel geschlossen, dann der Eest des Pulvers in den Lauf des nun
schief gegen links gestellten oder zwischen die Füsse genommenen
Gewehres geschüttet und die Kugel nebst Papierumhüllung mittels des
Ladstockes daraufgesetzt.
Bei der wirklichen Aktion geschah die Feuerabgabe nicht mehr aut
einzelnes Vorzählen, sondern nur auf das erste Aviso: „Chargieren!" —
und die Kommandos: „Fertig — Schlagt an — Feuer!"
Der unaufhörliche Drill, sowie die sich mehrenden Verbesserungen
an Munition und Waffe befähigten die geschicktesten Leute, in der Minute
dreimal zu feuern — mit dem Gewehr vom Jahre 1784 selbst fünf- bis
sechsmal — , wobei die Zahl der gegen - den Feind abgeschossenen Pro-
jektile noch durch Anwendung, von Kartätschpatronen erhöht wurde.
Kartitsch. Dicse bestaudcu aus 3 bis 4 kleineren Kugeln im Gesamtgewichte
des kalibermässigen Geschosses, welche mit in das Patronenpapier ein-
gebunden waren.
Die Ausrüstung des Infanteristen betrug 24, später 36 Kugel- und
6 Kartätschpatronen (Kriegs-Archiv, Kinski-Akten 1760).^)
Man hatte jedoch vier und ein halbes Jahrhundert gebraucht, um die
Hand-Feuerwafle auf ihre derzeitige Konstruktionsstufe zu bringen, welche
eine auf dem ganzen Kontinent so zu sagen gleichmässige wurde, nach
dem Vorbilde des französischen Gewehrmodells von 1777/1800 und noch
— mit wenigen Veränderungen — sich während der ersten Hälfte des
XIX. Jahrhunderts erhielt.
Ein Beispiel Auf rationelle Uebungen in Verwertung der Schusswaffe war man
"J^^*JJ^{?*^ wenig bedacht, wogegen auf das „Abrichten"' und „Dressieren" des
liehet ude- Mannes in anderen Eichtungen viel Mühe verwandt wurde. So z. B. ent-
roethode
tu Ende des hielt ciuc im Jahre 1790 erschienene „Anweisung zur Waffenübung für
"^Tundert^ den schweizerischen Kanton Solothurn" folgende Reihe von Kommandos
zur Ladung: „Ladung in 12 Tempos: 1. Ladt — Gewehr; 2. Pfann —
auf; 3. Ergreift — Patron; 4. Oeffnet — Patron; 6. Pulver auf — Pfann ;
6. Schliesst — Pfann; 7. Schwenkt — Gewehr; 8. Patron in — Lauf:
9. Zieht aus — - Ladstock; 10. Stosst — Ladung; 11. Ladstock — Ort;
12. Schulterts — Gewehr."
Sodann „geschwinde Ladung", ohne Tempos ausgeführt. Anmerkung :
„Die Ladung soll nur einmal gestossen werden; wenn man mit Pulver
ladt, soll man niemals zwei Patronen auf einander laden, denn es könnte
*) Zoiclmungen nach: „Die Entwickelung der Hand-Feuerwaffon im öster-
reichischen Heere**. Von Hauptmann Anton DoUeczek.
Geschichtliche Entwickelung der Hand-Feuerwaife. 29
das Gewehr versprengen nnd ist scharf verboten; dass man sicher seye,
ob der Schuss lossgebrannt, muss man nnr sehen, ob nach dem Schuss
Ranch aas dem Zündloch kömmt. ^
Die Leistungen der Schusswaffe waren aus mehrfachen Ursachen rrfmitiver
StandpuDkt
höchst dürftig. Hinderlich wirkte der grosse Spielraum der Kugel im der Hand-
Rohre, ohne welchen die Waffe wegen des Ansetzens von Pulverrück- ^^°n!^^^"
ständen nicht längere Zeit brauchbar war, die unregelmässige Pulverladung ^"J^^J^.
durch Aufschütten des Zündpulvers auf die Pfanne aus dem Inhalt der hunderts.
Patrone, wobei bald mehr bald weniger für die Ladung verwendet wu^de,
oft absichtlich wenig, um den Rückstoss zu vermindern. Diese Unregel-
mässigkeit wurde noch dadurch gefördert, dass durch das Ausbrennen
des Zündloches bald mehr bald weniger Pulvergase diesem entströmten,
so dass oft von dem Pulver, das die Patrone enthielt und das meistens
die Hälfte des Kugelgewichtes betrug, nur noch sehr wenig zur effektiven
Wirkung auf die Kugel ührig blieb.
Erklärlich ist es daher, dass füi; ballistische Verhältnisse, mobile
Visiere auf verschiedene Distanzen u. s. w., der Boden noch unfruchtbar
war, das Bedürfnis noch nicht gefühlt wurde.
Dazu kam der schädigende Einfluss voi^ Nässe auf die Stein- Wirkung
der N&88e tMt
Schlossgewehre, so dass z. B. durch den heftigen vom 26. zum 27. August steinaohioss-
1813 und an letzterem Tage (Schlacht bei Dresden) anhaltenden Regen «®''®^'^-
dieselben fast gänzlich unbrauchbar geworden waren, welchem Umstände
es auch hauptsächlich zugeschrieben wird, dass die österreichische In-
fanterie bei Mockritz trotz aller Anstrengung und Aufopferung dem
ungestümen Andringen der Franzosen unter Murat unterlag.
Obwohl 1807 in England ein Patent auf ein Perkussionsgewehr ge-
nommen wurde, so machte doch die Vervollkommnung der Perkussions-
zündung keine raschen Fortschritte.
Der nötigen Einfachheit einer Umänderung des Steinschlosses zum pig. xXL
Gebrauch von Zündpillen entsprach wohl am meisten das 1821 bei den
dänischen Jägern zuerst zu grösseren Versuchen angewendete System ;
Perkussionsschloss für Zündpillen, Dänemark 1821. (Fig. XXI.)
Im Jahre 1818 erfand Joseph Egg in England die Zündhütchen, Einführung
welche in demselben Jahre auch in Frankreich eingeführt wurden. Perknssions-
(Fig. XX.) n °^XT
Die Perkussionszündung veranlasste nun allerorts Versuche, welche
den grossen Vorteil dieser Zündweise augenscheinlich machten.
Was die Zahl der Versager bei Steinschlossgewehren betrifft, so er- verBager bei
gaben die französischen Proben von 1811 für 100 Schüsse (wobei immer gewehreT
nach 30 Schüssen ein neuer Stein) 20,3 Versager (Nichtzündung des Pulvers
30 !• I^iö Feuerwaffen.
auf der Pfanne) und 10 Abblitzer (das verbrannte Zündpulver teilte sich
der Ladung nicht mit). Vei^leichsversuche über Versager zwischen Stein-
und Perkussionszündung ergaben 7 resp. 3%.
FranwB. Frankreich stellte 1822 ein neues Gewehrmodell auf, welches von
Perkomions-
schiosB- demjenigen von 1777/1800 nur wenig abwich; die hauptsächlichste Aen-
p^*" j Jli derung bestand in Apöerung des Perkussionsschlosses für Zündhütchen.
Französisches Infanteriegewehr, Mod. 1822. (Fig. XXIL)
Im Feldzuge gegen Algier (1^29) bediente man sich bereits der Per-
^ kussionsbüchsen, und fand die Vorzüglichkeit dieser Zündweise allgemeine
Anerkennung und Einführung.
Dr ^*^ b -^^^^ folgte die epochemachende Erfindung des Zündnadelgewehrs
Zöndnadel- VOU DrcySC.
gewahr and
Beioeepoche- Sciu crstcs Zünduadelgcwehr mit Vorderladung fand noch keine
Ehi^h?aiig Aufnahme ; später gelang es jedoch dem Erfinder, und zwar 1836, das System
' ^Hee'^*°'' ^^^' Hinterladung damit zu vereinigen sowie die hierzu geeignete Zündmasse
herzustellen, so dass sich nun Preussen veranlasst fühlte, mit dem neuen
Dreyse'schen Zündnadelgewehre eingehende Versuche anzustellen, denen
die Annahme dieses Modells füi die preussische Infanterie sogleich folgte.
Als 1846 bei den damit abgehaltenen Proben in Spandau viele Nadeln
brachen oder sich verbogen, wurde die neue WaflFe wieder in Frage ge-
stellt. 1848 bewährte sich dieselbe indessen gegen die sächsischen und
badischen Aufständischen und erwies bei den 1850 in Potsdam und Spandau
von Neuem vorgenommenen Versuchen sowohl in Treffsicherheit als Feuer-
geschwindigkeit volle üeberlegenheit.
Tafel m, Das preussische Zündnadelgewehr (System Dreyse) geben wir in
Pig. XXm Tafel HI, Fig. XXIII und XXIV.
n. XXIY.
Patronei- ^^^ Patrone des preussischen Zündnadelgewehres ist eine Einheits-
tafel patrone. (Patronentafel Fig. 6.)
Fii 6
*' ' Zwischen Geschoss und Pulver liegt ein Pfropf aus gepresstem
Papier (Zündspiegel); derselbe nimmt in seiner vordem Höhlung das
eiförmige Geschoss (Langblei) auf, während eine Vertiefung im Zentrum
der hintern Fläche des Spiegels die Zündpille enthält.
Ziel- Wie schwierig es war im Vergleich mit den heutigen Waffen richtig
zu zielen, zeigen folgende Ziel Vorschriften :
Zielen auf 100 m 40 cm unter den Treffpunkt oder auf das Knie des Gegners ;
,, 150 „ 20 „ ,, „ „ „ „ d. Unterleib d. Gegners ;
,, 180 ä 225 m auf den Treffpunkt;
,, 225 a 300 „ über den Nagel des auf das untere Band gesetzten
Daumens ;
Tafel m.
Geschichtliche Entwickelung der Hand-Feuerwaife. 31
Zielen auf 300 ä 375 m über das gekrümmte Gelenk des aufgesetzten Dau-
mens;
„ 375 ä 450 „ „ den Nagel des aufgerichteten Daumens;
„ 450 ä 625 „ „ denselben, etwas höher gerückt;
„ 525 ä 600 ,, „ denselben, noch höher gerückt.
Die UnZuverlässigkeit solcher Zielmethode spricht von selbst, was
jedoch bei der sonstigen Leistung der Waffe ziemlich gleichgiltig war.
In der Folge umschloss Pulver, Ztindspiegel und Geschoss eine über Patronen-
der Geschossspitze gebundene Papierhülse. (Patronentafel Fig. 7, 8, 9.) ^^»^ ^
Die 1849 eingeführte Zündnadelbüchse, sowie das Zündnadelgewehr ^ g^
Mod. 1862 waren vom Mod. 1841 nur ganz unwesentlich verschieden; der
Lauf des Mod. 1862 war aus Berger'schem Gussstahl und bronziert; Messing-
gamitur; dreikantiges Bajonnet.
Die Leistungsfähigkeit des Zündnadelgewehres im Schnellfeuer be- g^h^®",*%^j^
trug etwa 5 Schuss per Minute (Normalleistung). der
Der französische Hauptmann Minie hatte 1849 ein nach ihm be- bewehre.
nanntes Spitzgeschoss mit Expansionshöhlung und Treibspiegel hergestellt:
Spitzgeschoss von Mini6.
Die Geschosshöhlung, nach vom konisch sich verengend und mit „***"*!:
einem eisernen schüsseiförmigen Treibspiegel (Culot) versehen, sollte den geachosse.
Eintritt des Geschosses in die Züge des Laufes vermöge des Pulvergases
bewirken, das Culot hatte die Bestimmung, das Zerreissen des so ge-
höhlten Geschosses zu verhindern und durch sein Vordringen die Ex-
pansion nach Erfordernis zu begünstigen.
In Eussland wurden zu Ende der vierziger Jahre Versuche mit st*ndder
^ Bewatrnaug
Kammerladung und dem preussischen Zündnadelgewehre gemacht, die aber in Rus«und.
ungünstig ausfielen, und nachdem die Russen im Krimkriege 1854 — 56
durch die französischen, zwar langsamer schiessenden, aber gezogenen
Gewehre bedeutend gelitten hatten, legten sie geringeren Werth auf die
Feuergeschwindigkeit, wendeten vielmehr ihre Bemühungen der Trag-
weite und Treffsicherheit zu.
Ihre Hand-Feuerwaffen teilten sich in Infanterie- und Schützen-
gewehre.
Das Infanteriegewehr (Perkussionszündung) Mod. 1845 war dem
fi'anzösischen analog, mit einem Noimalkaliber von 18 Millimeter.
1854 wurden versuchsweise 20000 glatte Infanteriegewehre gezogen.
Die Umänderung wurde nicht fortgesetzt, dagegen schon Ende 1854
die Beschaffung neuer glatter Gewehre eingestellt und das Modell eines
gezogenen Infanteriegewehres angenommen; dasselbe ist vom bisherigen
von 1845 äusserlich nur unwesentlich verschieden.
34 !• I^J^ Feuerwaffen.
Pig. XXVI, Infenteriegewelir, Mod. 1866 (Chassepot) eingeführt und 1869 laut System
IL ¥rSlL ^^^^^^^ modifiziert. (Fig. XXVI, XXVII und XXVIII.)
Patronen- Die Patrone zum Chassepot-Gewehr Mod. 1866 (Patronentafel, Fig. 10)
W«l ist eine Einheitspatrone ohne Selbstdichtung; die die Pulverladung um-
"*• ^^' schliessende Papierhülse ist über eine Pappscheibe gefalzt, deren untere
das Zündhütchen in ihrem Zentrum fasst, dessen Oeffnung von einem
Papierblättchen gedeckt ist.
Bei Beginn des Krieges 1870/71 hatte Frankreich etwa 1037 000
solcher Chassepot-Gewehre.
RiiNUeiie In ßussland wurde 1867 ein Zündnadelgewehr von Carl6 und Sohn
Gewehr-
Reformen adoptiert, wclchcs der Hauptsache nach schon 1849 von S. Knika, einem
Wa.^ TTiT Pistolenfabrikanten in Wolin (Böhmen), konstruiert gewesen sein soll und
n. TTT damals ein eisernes Spitzgeschoss mit Bleimantel schoss : Russisches Zünd-
nadelgewehr, Mod. 1867. (Fig. XXIX. und XXX.)
Diese vom Obersten Weltischtschew konstruierte Patrone ist eine
Einheitspatrone ohne Selbstdichtung, deren Bodenliderung in ihrem Zentrum
die Zündkapsel aufnimmt; Minie-Geschoss mit Treibspiegel.
Pig. XXXI Die Feuergeschwindigkeit wird — in Reih und Glied — mit fünf
n. XXXn. sehuss per Minute, im Einzelfeuer mit acht bis neun Schuss angegeben. —
Im Jahre 1869 führte Rnssland das Krnka-System ein (Fig. XXXI und
XXXII), liess jedoch dasselbe auf Gnind angestellter Versuche bald fallen
und wandte sich dem System Berdan zu.
a. Zur Unterscheidung von einem spätem Berdan'schen Modelle wird
dasselbe mit No. 1 bezeichnet.
b. Für Neuanschaffungen ersetzte Oberst Berdan das gewöhnliche
Perkussionsschloss durch das einfachere Spiralfederschloss.
c. Die Patrone desselben hatte die beträchtliche Vereinfachung, nur
noch aus zwei Teilen — Hülse und Zündhütchen — zu bestehen.
Tafel IV, Die Extra-Spannbewegung und das mangelhafte Auswerfen beein-
Fig.XXXin trächtigten die Feuergeschwindigkeit, daher auch dieses Modell nach An-
IL XXXIV. f^^^jg^j^g ^,^^ gQQQQ g^g^j^ j^ j^j^j.^ jggg ^^^ Ki-nka-System, und dieses
im Jahre 1871 der Konstruktion Berdan No. 2 (Tafel IV, Fig. XXXIU
und XXXIV) weichen musste.
Patrone zum Berdan-Gewehr No. 2: Zentralzündung; Hülse samt
innerem Bodenfutter und Zündhütchen aus geprägtem Messingblech;
Fettpfropf hinter dem Geschossboden; Geschoss und Pfropf in Papier-
umhüllung.
Einflass Was Frankreich anbetrifft, so hatte 1870 der deutsch-französische
von "eTo" Ki'ieg neben den Vorzügen des Chassepot-Gewehres , Mod. 1866, auch
dessen Mängel gezeigt. I'nmittelbar nach Beendigung des Krieges ordnete
Tafel IV.
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Automatische Pistole
(System Borchardt).
Revolver, System A. Garcia-Reinoso.
ErläHteruHgeH iimslehemi.
Bd. I. BlnngM li»l S«lta S5
Revolver, System A. Garcia-Reinoso.
Bei dem Revolver, System A. Garcia-Reinoso, wird das Laden und das
Auswerfen der abgeschossenen Patronenhülsen selbstthätig bewirkt.
Das Magazin, welches auf der linken Seite am Schlossbehälter angebracht
wird, enthält fünf Patronen; diese werden nacheinander in die Trommel ein-
geführt und die leeren Hülsen in der Reihenfolge des Abfeuerns ausgeworfen.
Durch ein einmaliges Anziehen des Abzuges wird eine Patrone abgefeuert,
die Hülse der vorhergehenden ausgeworfen und eine neue in die Trommel
geschoben.
Diese Resultate werden erreicht, ohne diese Schusswaffe einer der wert-
vollen Eigenschaften des gewöhnlichen Revolvers zu berauben, sodass man sie
auch wie einen solchen benutzen kann; ladet man Trommel und Magazin, so
hat man 10 Schuss — also doppelt so viel, wie bei diesem — zur Verfügung,
und kann die Patronen aus der Trommel abschiessen, die des Magazins aber
bis zum Moment des Bedarfs aufbewahren. Das ist ein sehr grosser Vorteil
für eine derartige Waffe, welcher ausschliesslich diesem System eigen ist.
An Stelle eines Kolben kann man am Revolver den Halfter befestigen.
Es ist dies ein einfaches, innen mit leichtem Blech bekleidetes Lederfutteral,
welches vorne, unter dem Leder verborgen, einen federnden Haken zum Fest-
klammern am Revolvergriff besitzt.
Lässt man das Futteral am Lederriemen über die Achsel hängen, so ist
der Revolver wie jeder andere zu verwenden, befestigt man es am Griff, so
kann man von der Schulter schiessen, indem man die Waffe mit einer oder
beiden Händen hält; beim Loslassen bleibt er alsdann wie ein Karabiner am
Schulterriemen hängen.
Ein flüchtiger Blick auf die Zeichnung genügt, um die Art der Benutzung
und die bedeutenden Vorteile dieses Revolvers von allen anderen erkennen
zu lassen.
Resultate der Schiessversuehe in Obemdorf
ßber 100 Ueter über 1000 Meter
tun 1 September 1896. am 17. Juni 1896.
Schnellfeuer, 100 Schüsse. 30 Schüsse.
Vertikal-Streuung 5,65 Meter.
Vertikal-Streuung 53 Centimeter.
Horizootal- - 42 „
4,15
= " = -iSiv = = = =
Geschichtliche Entwickelung der Hand-Feuerwaffe. 35
der französische Kriegsminister eine genaae Untersuchung über das Ver-
halten der französischen Hand-Feuerwaffen und deren Munition an, und es
konstatierte die üntersuchungskommission das Bedürfnis einer Verbesse-
rung des Gewehrmodells von 1866 und insbesondere seiner Munition.
Die neuen Waffen (System Gras) erhielten die Benennung : Infanterie-,
Kavallerie- und Artilleriegewehr, Mod. 1874; die umgeänderten Waffen
erhielten die Benennung: Infanterie-, Kavallerie- und Artilleriegewehr,
Mod. 1866/74. — In Bezug auf Konstruktion unterscheidet sich das
Mod. 1874 von demjenigen von 1866 hauptsächlich in Verschluss, Visier,
Patrone und Beiwaffe.
Seit 1886 sind hauptsächlich Magazingewehre meist kleineren Kalibers i>»« zeit der
m den verschiedenen Heeren eingeführt worden. Die Patronen zum Mag»«n.
Magazingewehre haben, wie alle neuen Patronen, Hülsen, welche aus i^^^l-
Messingblech gezogen sind. (Patronentafel, Fig. 11 und 12 zeigen den tafel
Bau und zugleich die Kaliberverkleinerung zwischen 1883 und 1888.) Pig.UiLl2.
Der erste Schritt in dieser Richtung war im Jahre 1886 die Ein-
führung des Lebel-Gewehi-es in der französischen Armee. Darauf wurden
Magazingewehre eingeführt: 1888 in Deutschland und Oesterreich, 1889
in Italien, Belgien, der Schweiz und Dänemark, 1890 in der Türkei, 1892
in Spanien, 1893 in den Niederlanden und Rumänien. Eine Uebersicht
der ballistischen Daten der Hauptstaaten über Hand-Feuerwaffen seit 1840
geben wir in der umstehenden Beilage; wir entnehmen diese Daten dem
Werke des preussischen Kriegsministeriums über die Wirkung und kriegs-
chirurgische Bedeutung der Hand-Feuerwaffen.
Als einen noch lebenden Repräsentanten dieser Gattung geben wir, Neuestes
preuBsiBChes
bevor wir zu eingehenderer Besprechung übergehen, in Fig. XXXV, Mag»zin-
XXXVI und XXXVn die Zeichnungen des Magazingewehrs Mod. 1891. «rx^Y
Heute finden bereits viele Militärschriftsteller, dass die Klein- XXXYI
kaliber - Magazingewehre ein so kräftiges Verteidigungsmittel bilden, ^ ^^^"*'
dass das Endziel jeder Schlacht — der entscheidende Angriff — , soweit
Stärke und Vorzüge der beiderseitigen Heere annähenid gleich sind und
das Terrain nur einigermassen eben ist, — und natürlich wird der in der
Defensive sich haltende Gegner immer ein solches zu finden suchen —
beinahe undurchführbar wird, und dass selbst bei bedecktem und durch-
schnittenem Gelände der Erfolg des Angriffs immer sehr problematisch
bleibt.
Wenn man den Versicherungen nicht anzuzweifelnder technischer Eretrebnng
VOIlGowollTGll
Autoritäten Glauben schenken will, so wird mit Einführung von Gewehren möglichst
noch kleineren Kalibers mit gesteigerter Triebkraft und mit Vermehrung Kaublre^in
der Patronenanzahl, welche der Soldat bei sich zu tragen hätte, der *^"^ ^°\^«"
3* fühniog.
36 I- ^i'^ Fpui^rwafien.
Krieg in den heutigen Verhältnissen, d. h. der Kampf zwischen Millionen-
Heeren fast unmöglich werden.
Inwiefern diese Voraassetzung begründet ist, ist schwer zc ent-
scheiden, es nnteriiegt jedoch keinem Zweifel, dass die systematischen,
auf VervoUkommtinng der Waffen gerichteten Bemühungen der Gelehrten
nnd Techniker bedentende Besultate noch erzielen dürften.
2. Das Kleinkaliber-Magazingewehr.
Die „Einlader" sind bereits im Kriege erprobt worden, die Magazin-
gewehre der neuesten Typen haben jedoch ihre Probe erst unter Verhält-
nissen bestanden, welche noch nicht zu endgiltigeu Schlüssen berechtigen.
Y.rKi8ici.e Nichtsdestoweniger kann der Vergleich der Einlader mit den mit
«"i hentif«" ranchschwachem Pulver geladenen Magazingewehren einen Begriff von der
n^ei Bedentang der heut^en Bewaffnung der Infanterie in künftigen Kriegen
Micha mit geben. "Wir nehmen hierzu die am meisten bekannten Typen.
•chwMhim Nachstehende Zeichnung zeigt die Einrichtung des deutschen Gewehi'-
g.wen'Vind n«>dells, welches im Jahre 1888 zur Annahme gelangte. Dieselbe ist dem
Werke Holzner's „Moderne Kriepgewehre" (Wien 1890) entlehnt.
Einrichtung lies deutschen Gewehres (Moil. 1888J.
Wie weit das heutige Kleinkalibergewehr der deutschen Armee
,_ qualitativ höher steht als das im JaJire 1870 gebrauchte Zündnadel-
gewehr, zeigt folgende graphische Darstellung der Geschoss-Fhigbahn
auf einer Distanz von fiOO Meter.
g
s
Uebersicht über die Hauptarten der Hand-Feuerwaffen
von 1840 bis 1893.
Bezeichnung
Staat
Lauf-
weite
mm
Gewicht
An-
fODgS-
scnwin-
digkeit
m
Ro-
tation
des
Gewehrs
d. Ge-
wehrs
kg
d. Pa-
trone
des Ge-
schosses
« 1
Mini^, Mod. 42
Frankreich
1
18,25
4,0
36
284-3 1(^
300
155
Zündnadel, Mod. 41
Preussen
15,43
4,65
40
31
420
AptiertesZundnadel, Mod.72
Preussen
15,43
4,35
30,5
32
43,3
21,5
25
25
350
480
Chassepot, Mod. 66
Frankreich
11,0
4,050
420
764
Infanterie, Mod. 71
Deutschland
11,0
1
4,515
430
782
Martini- Henry, Mod. 71 . . .
England
11,43
3,976
50
30
378,9
660
Berdanll, Mod.72
Russland
10,7
4,383
40
42,2
43,8
1
24
390
732
Werndl, Mod. 73/77
Oesterreich
10,9
' 4,192
24,03 ;
432
595
Gras, Mod. 74
Frankreich
11,0 1
4,210
25 ,
430
1
782
Werder, Mod. 75
Bayern
11,0
4,27
43,3
25
14,7
15,0
430
782
Mod. 88
Deutschland
7,9
3,8
27,3
640
2660
Lebel, Mod. 86
Frankreich
8,0
4,18
29.5
630
2627
Mannlicher, Mod. 88/90 . . .
Oesterreich
8,0
4,41
28,5
15,8 1
620
2480
Mannlicher Carcano, Mod. 91
Italien
6,5
3,78
22,5
10,5
700
2770
Mauser, Mod. 89
Belgien
7,65
3,9
28,6
23,46
14,2
610
2440
Dreilinien, Mod. 91
Bussland
7,62
4.3
4,50
13,68
13,9
15,43
610-620
2580
Lee-Metford MustII,Mod.89
England
7,7
28
30
27
630
2475
Krag- Jörgen sen, Mod. 89 . .
Dänemark
8,0
1
, 4,3
620 !
2066
Mauser, Mod. 90
Türkei
7,65
' 3,9
4,3
13,8
13,7 :
1
652
2608
Schmidt, Mod. 89
Schweiz
7,50
27,5
600
2220
Mauser, Mod. 92
Spanien
7,0
3,9
1
24,3
22,45
11,2
10,5
1 10,34
16
720
3315
Mannlicher, Mod. 93
Niederlande
6,5 1
4,1
3,95
730
1
3830
Mannlicher, Mod. 93
Kumänien
6,5
22,74
35,5
' 720
520
3600
Kropatschek
Portugal
8,0
i
4,54
1
1900
Einffigen bei Seit» 36,
Das Kleine oliW-hag^in^webr. 37
Was die anderen VorzUge des deutschen Kleinkalibergewehres im *
Vergleich zu dem Zöndnadelgewehre anbetiilft, so hiingt folgende graphische k
Darstellung dieselben zum Ausdruck. *«„ zdaä-
Vad. 1870.
Q Zündnadelgewelire Mud, 1870
Von den Grossmächten ist Russland später als die anderen Staaten
ZOT Einführung der Magazingewehre und zugleich damit auch des rauch-
schwachen Pulvers geschritten. In Folge dessen hatte Russland die Möglich-
keit, von den neuesten Erfahrangen und Vervollkommnungen Nutzen zu
ziehen. Wie Professor Potocki erklärt, hat darum das mssische Gewehr
keinen der Mängel des französischen, deutschen') oder österreichischen
Magazingewehres, d. h. die mssische Armee, zu deren Glücke der Krieg
bisher nicht ausgebrochen ist, wird in kurzer Zeit mit einer vollkommneren
Feuerwaffe ausgerüstet sein als die Heere der meisten anderen Staaten.
Das neueste russische Gewehr besitzt dem früheren Berdan-Gewehre
gegenüber, wie Professor Potocki ausführt'), folgende Vorzüge: es wiegt .
1,26 Kilogr. weniger als das jetzige russische Gewehr, seine Treffsicherheit ^l
übertrifil die des frühereu Gewehres um 100 •*/(), die Durchschlagskraft
ist am 200% gestiegen, die Treffweite um 50 "/o, die Schussschnelligkeit
am 20''/o. Ein anderer Forscher, Professor Michnewitsch*), findet noch
bedeotendere Unterschiede zwischen dem neuen und dem früheren Gewehre;
derselbe ist der Ansicht, dass die Treffweite 3 mal grösser ist, die Treff-
sicherheit i/jmal giösser, die Schussschnelligkeit 300/o his 50% grösser.
Diese Vorzüge fuhren Professor Michnewitsch zu dem Schluss, dass es
möglich ist, dem Gegner mit Hülfe des Kleinkalibergewehrs 21/4 mal
stärkere Verluste als mit dem früheren Gewehre zuzufügen.
>) !□ der „Toctique de demaiti" sagt Coumes, dass der Lauf des deutschen
Gewehres sich ia Folge der Schüsse ausweitet und in kurzer Zeit zum Gfhrauche
untauglich wird. S. 112.
*) Siehe „Militär- Wochenblatt".
*) „Einiluss der neuoRteii technischen Urftmlungen auf die Taktik des
Krieges".
38
I. Die Feuerwnffen
. ''"■ Folgende graphische Darstellung giebt nns die Mßglichkeit, die
■»•ciiuik Eigenschaften der russischen 3-Linien -Kleinkalibergewehre (7,6 MilH-
nld mJ^I^b metsr) mit den 4 -Linien -Beidan -Gewehren (10,1 Millimeter) zn ver-
""i^b" gleichen.
Noch PoUioki : Noch Michnewitech :
Vorzüge Jer russischen Kleinkalibergewehre (S-Linien)
(4-L)nieD) in Proienten.
r den Berdan-Ge wehren
Und was nicht minder wichtig ist, das weniger umfangreiche Geschoss
für das nene Gewehr ist auch von geringerem Gewichte.*)
.^"- Die allmähliche Vermindemng des Gewichtes der Gewehi^eschosse
j« oawithLiist aus folgender graphischen Darstellung sichtbar:
Gewicht der Geschosse in Gramm.
Ta^iisioii Da auch das Gewehi' selbst im Gewichte verändert ist — es wiegt
d«r 4,3 Kilogramm, während die ganz alten russischen Hand-Feuerwaffen 10 bis
"'iSu™^' 12,5 Kilogramm wogen — , so ist der Soldat im Stande, bis 150 Patronen
mit sich zn führen. Indem derselbe zu der Zeit, wo die Infanterie mit dem
gezogenen 7-Linien-Gewehre ausgerüstet war, nicht mehr als 40 Patronen
mit sich geführt hatte, beim Uebergang zum G-Linien-Kaliber 60, bei dem
Uebergang zum 4-Linien-Kaliber 84*), so kann er nunmehr fast 4 mal
mehr Schüsse abgeben als in früheren Zeiten.
*) Die in dieser Hinsicht erzielten Resultat« sind bemerkenswert; das
Gowehrgeschoss, welches bis 1830 50 Gramm wog, wiegt jetzt nur 15 Gramm.
'') Polwcki: „Die Artillerie". Ausgabe 1892.
Das Kleinkatiber-Magazingewehr.
39
Ausserdem ist, da, wie bereits nachgewiesen, der bestrichene Raum
in Folge der bedeutenderen Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses und
seiner gestreckteren Bahn grösser geworden ist, auch die Kiaft des neuen
Geschosses wirksamer geworden. Die Vemichtungsmechanik, welche sich
in den Händen eines jeden Soldaten befindet, ist daher im Vergleich zu
früher wohl noch weit mehr gestiegen, als die Professoren Potocki und
Michne witsch annehmen.
Es ist jedoch zu bemerken, dass hinsichtlich der Vorzüge, die sich
aus der Anwendung des Magazins auf die Schnellfeuergewehre ergeben,
noch bis jetzt nicht alle Militärschriftsteller gleicher Ansicht sind. Viele
derselben erklären, dass die Anwendung des Magazins zu einem weniger
sicheren Schiessen und damit zu einer unnützen, unproduktiven Patronen-
verschwendung führen werde.
Angesichts der grossen Wichtigkeit dieser Frage müssen wir die
Gründe anführen, auf welche sich eine derartige Ansicht stützt.
Die beim Schiessen angestellten Berechnungen haben ergeben, dass
der Soldat aus dem Berdan-Gewehr ohne Ruhepause im Laufe einer Viertel-
stunde 148 Schüsse abzugeben, d. h. eine für jeden Kampf mehr als ge-
nügende Anzahl von Geschossen zu entsenden im Stande ist, wobei auch
die Treffsicherheit der Schüsse eine bedeutende sein kann.
Was die in Russland bezüglich der Schnelligkeit und Treffsicherheit
angestellten Schiessversuche betrifft, so haben dieselben folgende Resultate
* Anzahl Von ihnen trafen
der abgefeuerten Projektile ins Ziel
Bei der Ladung nach jedem Schuss . 1259 66 %
Bei dem gleichzeitigen Schiessen aus
Magazingewehren 2608 61%
Maximnm
der Schflsse
ohne Paase.
Vergleich
der
Schnelligkeit
und Treif-
sioherheit
der Magazin-
gewehre mit
Einzelladern.
Anzahl der abgefeuerten Projektile
Treffer in Prozenten
1258
2506|
Gewehre, die nach jedem
Schma geladen werden
Magazingewehre
65\
6I\
Vergleich der Schnelligkeit und Treffsicherheit des Schiessens aus Gewehren, die nach
jedem Schuss geladen werden, und aus Magazingewehren.
Das Uebergewicht in der Zahl der abgefeuerten Geschosse ist augen-
scheinlich auf Seite des Magazingewehres, was aber die Trefier anbetriJSt,
so sind die Resultate für die Magazingewehre um 4 % weniger befriedigend.
^) A. J. Draschkowsky : „Zur Frage über die Magazingewehre".
40 ^' ^i® l^'euerwatfen.
Nach Ansicht vieler Müitärschriftsteller darf jedoch dem Umstände
der grösseren TreiFsicherheit von Schüssen bei der Methode des jedes-
maligen Ladens nicht eine allzn grosse Bedeutung beigelegt werden.
AutoritatiTer Wir haben bereits die Wort^ eines Sachkenners angeführt: „Wenn
Ausspruch
über die Eucr Gegucr ein ebenso gut treffendes Gewehr wie das Eunge hat, so
^^hrnügen ^ wird Eucr Schiessen wiederum nur nach Maassgabe des Schiessens ans
Infanterie- ^qj^ früheren weniger vollkommenen (lewehre geschehen können. Man
Feuer-
gefechta. Verliert ebensoviel Leute und die Bedingungen der Kaltblütigkeit
werden dieselben sein, d. h. unbedeutende.
„Wenn man dreimal rascher schiessen, dreimal mehr Leute tödten
kann, so wird es dagegen dreimal schwieriger sein, Kaltblütigkeit zu
bewahren." 7)
Vorzüge Der Hauptvorzug des Magazingewehres besteht darin, dass es den
der M&gftzin-
gewehre. Schützcu iu kritischeu Momenten nicht mit dem Laden belästigt in
Momenten, wo die grösstmögliche Zahl von Schüssen nötig ist, wo die
vollste Kaltblütigkeit erfordert wird, damit durch fieberhafte Hast nicht
Schaden geschieht. Der VoiTat aft Patronen im Magazingewehr giebt
die Möglichkeit, ruliig den Angriff des Feindes abzuwarten und ihn auf
eine nahe Entfernung heranzulassen, was den sich defensiv verhaltenden
Truppen in bedeutendem Grade Selbstvertrauen einflösst und ihre Kalt-
blütigkeit aufrecht erhält.
Ebenso gehen auch die angreifenden Truppen kühner in den
Kampf, wenn sie wissen, dass im gegebenen Moment die Ladungen bereit
sind, um den Feind zu überschütten. Dieser moralische Vorzug des
Magazingewehrs bildet einen Hauptgrund für seine Einführung, trotz der
negativen Resultate bezüglich der Treffsicherheit.
Gehobonea In dcr gegebenen Frage hat man rein moralische, aber sehr schwer-
Selbst- ,
vertrauen des Wiegende Faktoreu abzuwägen. Professor Pawlow^) sagt, dass sogar
dem*ji^weiiig ^^1^^ Uebungsschiesseu in Friedenszeiten der mit dem neuen Gewehre
G wehHus- ^w^'^S^^ild^t^ Soldat ungern zu dem alten greift; so sehr fühle er schon
gerüstet jctzt deu IJuterschied zwischen beiden Gewehren.
Es ist nicht nötig, erst noch nachzuweisen, dass im Kriege solche
Empfindungen die Massen unvergleichlich stärker beherrschen werden.
Omega berichtet, dass in Algier, nach dem erst teilweisen Ersatz
der (xewehre Mod. 1842 durch Chassepot - Gewehre , sich die Zuaven
solche für ihr eigenes Geld anschafften. Bei der Belagerung von Metz
zu sein.
0 A. K. Piisyrowski: „Erforschung? des Kampfes nach dorn Werke dos
Obrist de Pick". AVnrschaii 1893.
*) „l^>bor die Hedeutun^ der BewafTmin«^ der Armee mit den Kleinkaliber-
gewehren".
Das Kl?iiitaliber-Maga.KLng;ew(>l>r, 41
Dafamen die preussisehen Wach- und Vorposten ausser ihren eigenen
Gewehren anch die von den Franzosen in der vorhergegangenen Schlacht
erbeuteten Chassepot-Gewehre mit sich. Als Illustration giebt Omega
zwei Zeichnungen, die wir ilim entlehnen.
8oldat«D, die sich mit dem beesereii Gewehre versehen halten.
Während des Krieges 1877 spielte sich derselbe Vorgang in der
rn.'^siscben Armee ab; mit der Erbeutnng türkischer Gewehre fühlte der
Soldat instinktiv, dass das bessere Gewehr im Gefecht das Ueber-
gewicht giebt, wie sehr man ihn auch vom Gegenteil zu überzeugen
suchte.
Es ist unzweifelhaft, dass ein Mangel an Kaltblütigkeit bei den ßetnehiBng;
früheren Gewehren und dem früheren Pulver, wo die der Schasswirkung FsoergohcM
unterliegende Sti'ecke äusserst begrenzt war, auf die Verminderung der ^"„^„'J^
Verluste von bedeutendem Einfluss gewesen ist.^) Aber es bleibt fraglich, ■^«i" ■»"•'-
viie sieh die Verhältnisse femeihin gestalten werden, wo bei einer Distanz '^^'J'Z
VOD ca. 500 Metern (und, wenn die lYuppen mit noch vollkommneren Ge- **" ^'""
wehren ausgerüstet sein werden, wovon wir später sprechen wollen, auch
von 800 Metern) eine Umstellung des Visiers unnötig sein wird, weil
jedes Geschoss im Stande ist, den Gegner auf der ganzen Strecke zu
treffen, sofern man um- bei sehr nahen Entfemungen das Gewehr leicht
nach onten neigt, bei ferneren Distanzen auf Kopfhöhe richtet. Wird
sich nicht zwischen den kämpfenden Truppen eine unüberschreitbare Zone
*) Hoenig: „Unteraiichungcti Giier dio Taktik der Zukunft". S. 264.
42
I. Die Feuerwaffen.
bilden, die in Folge der Dichtigkeit und Kraft der von naher Distanz
fallenden Kugeln kein lebendes Wesen zu überschreiten im Stande
sein wird?
Vergleich Zur bessereu Orientierung über diesen so wichtigen Gegenstand
der Rasanz ,
des neaen uiüsseu Wir uus vou der Grösse der im wirksamen Schussbereich bei
mit
den früheren ^^^ Verschiedenen Gewehrsystemen liegenden räumlichen Strecke Rechen-
Berdaa- schaft gcbeu können. Folgende graphische Darstellung zeigt anschaulich
den bestrichenen Raum bei den neuen russischen Gewehren, welche mit
rauchschwachem Pulver geladen werden, und bei den Berdan-Gewehren,
für welche gewöhnliches Pulver verwandt wdrd.^o)
Im wirksamen Schussbereich
liegende räumliche Strecke
in Schritten.
Im wirksamen Schussbereich
liegende räumliche Strecke
in Schritten.
gewSkilicbem Pulver geladeie
Bardan-Sewehre.
2790
2800
2487
13
2500
dadeie Sewebre.
1978
22
2000
11
1989
1460
40
1500
20
1480
600
600
130
470
900
99
1000
62
938
0
2500
0
2800
eladeii
B
Entfernung in
Schritten.
(100 Schritte =
76 Meter.)
Vergleichnng der der Schusswirkung bei den Kleinkaliber- und bei den Berdan-
Gewehren unterliegenden Strecken.
") M. Jerogin: „Schützen-Distanzmesser".
Die Bedeutung der modernen Schiessübungen. 43
Hieraus ist ersichtlich, dass bei nahen Entfernungen bis zu 600 Schritt
beim Schiessen aus dem neuen Gewehre der wirksame Schussbereich
4 mal gi-össer ist als beim Berdan - Gewehr, bei einer Distanz von 600
bis 1000 Schritt um die Hälfte grösser, bei einer solchen von 1600 bis
2000 Schritt um das Doppelte grösser, während von 2500 Schritt an über-
haupt kein Vergleich mehr möglich ist, da die Berdan - Gewehre bei
Gebrauch des früheren Pulvers nicht so weit treffen.
Diese theoretischen Angaben über die Länge des bestrichenen Kaumes
erfahren in der Praxis durch die beträchtlich ausgebreitete Streuung der
abgeschossenen Projektile eine bedeutende Aenderung.
Bevor wir aber von dieser Bedeutung der Geschossstreuung sprechen,
scheint es uns nötig, mit wenigen Worten der praktischen Friedens-
übungen zu gedenken, welche vorgenommen werden, um die Eigenschaften
der Feuerwaffe kennen zu lernen und um gleichzeitig die grösstmögliche
Wirksamkeit des Feuers unter den verschiedenen Verhältnissen, welche
im Kriege vorkommen können, annähernd festzustellen, zumal wir in der
Folge wiederholt von diesen so gewonnenen Schiessresultaten zu sprechen
haben w^erden.
3. Die Bedeutung der modernen Schiessübungen.
Ueber die Vernichtung, welche mit den vervollkommneten Waffen BedentuBg
in den zukünftigen Kämpfen erzielt werden wird, sucht man meist durch untorscuede
Vergleiche der technischen Unterschiede in der heutigen Bewaffnung mit A^budin«
der Bewaffnung in den vorhergegangenen Kriegen ein Urteil sich zu ^«' Trappen.
bilden, und Schlüsse werden durch viele Fachmänner gezogen, dass, je
vollkommener die Waffen sein werden, desto weniger Ruhe die Kämpfenden
bewahren werden, desto schlechter wird gezielt werden, die Verluste dem-
nach annähernd dieselben bleiben werden. Es wird in den meisten Fällen
jedoch der Unterschied, welcher zwischen dem Grade der Ausbildung, sowohl
der allgemeinen intellektuellen wie der speziellen technischen der Truppen
besteht, nicht in Anrechnung gebracht.
Man vergisst leicht, dass heute der Gemeine fast durchgängig geistig
mehr entwickelt ist, als es in früheren Zeiten die Mehrheit der Offiziere
war. Ausserdem werden für die Ausbildung im Fechten und Schiessen Lehr-
mittel gebraucht, welche in der Vergangenheit beinahe gar nicht in An-
wendung kamen. Die Tum- und Schiessvereine sind Neueinführungen;
44
1. Die Feuerwaffen.
die Anzahl der für die Einübung der Schützen zur Disposition ge-
stellten Patronen ist eine unverhältnismässig grössere als in der Ver-
gangenheit.»
Die Bedeutung der grösseren Intelligenz und Einübung bei den
heutigen Waffen, wo jedes Projektil auf Distanzen, auf denen sich das
Gefecht hauptsächlich abspielen wird, bis 4 Mann treffen kann, und wo
man für den Kampf durchbrochenes Gelände suchen wird, kann nicht
Beispiele Iioch gcuug gcschätzt wcrdeu. Wir wollen auf folgenden vier Zeich-
^legekiciStTf ^^"S^^ die Wirkung regelrechter und weniger regelrecht abgegebener
und weniger Schüsse darstellen.
regel reckt
abgegebener
H(^liüd9e.
'1' ^
Bedeutung regelrechter und weniger regelrecht abgegebener Schüsse.
In allen Heeren werden die grössten Anstrengungen gemacht, die
Ausbildung der Infanterie in deren Hauptkampfmitteln auf die denkbar
höchste Stufe zu bringen, und dies auf dem denkbar besten Wege.
^) Das Munitions - Ausmaass für feldmässigas Schiessen an scharfen
Patronen beträgt:
im deutsehen Heere 45
im österreichischen Heere 70—90
im französischen Heere 82
im italienischen Heere 83 — 88
im russischen Heere 104
^^^r
Die Bedpatun^ dpr modernen SrhiesBübungen. 45
Die Verhältnisse der Versnchsscliiessen und der Uebungen anf den 7"^^"^
Schiessfeldern und Polygonen werden das Laste Beispiel abgeben. «hiuMn
Die Uebnngs-Polygone weiden so eingerichtet, dass sie eine mögliclist «•«'Te"«"-
annähernde Vorstellnng geben von den verschiedenen Verteidigungsmitteln
wie den Hindernissen flir die Truppen während des Marsches oder Haltens,
beim Schiessen aas Geschötaen sowohl in der Feuerstellung als im An-
fahren gegen Infanterie- nnd Kavallerie-Abteilungen, die sich in anf-
(relöster oder in Massenformation halten u. s. w. Alles dies sind Verhält-
nisse, welche die Art des Feuers nnd die TrefiFwahrscIieinliclikeit zu
^ändern vermögen, welche aber in der Vergangenheit beinahe gar nicht
berücksichtigt wuMen.
Es ist angebracht, bezüglich dieser Fi'agen in gewisse Details ein-
zugehen, die auf nachstehender Zeichnung des Polygons in Fontainebleau
zur Darstellung gebracht sind.') l
Verhältnisse des Versuchs- und Uebuiiff
') Colone! Hennebert; „T^a Noture'' 1893.
46 !• I^iö Feuerwaffen.
pusiiflche Als Verteidigungsmittel oder als Hindernisse dienen z. B. auf dem
der im^BraBt- t'ebungs-Polygon in Fontainebleau Brustwehren aus Erde und eine ge-
*kom»eid7n^^^^^''^®"^ Kedoute mit gebrochener Linie, armiert mit nachgebildeten
lebenden und Festungsgeschützen. Auf der Zeichnung ist diese Redoute mit dem
toten Ziele.
Buchstaben B bezeichnet. Weiter befinden sich auf dieser Zeichnung ein
Dorf mit einer Kirche (A), ein Gehöft (H) und einige Wände anderer
Gebäude. Das Dorf wird durch unangestrichene Bretter dargestellt, die
Wände der Gebäude durch Bretter, die auf Stangen geschlagen und weiss
angestrichen sind. Ihr oberer Teil ist roth angestrichen und soll den
Kamm der Wand bezeichnen. Ein Rechteck von gelber Farbe stellt die
Thiir dar. Für den Betrachter aus der Feme ist dies ein wahrei^
Panorama.
Auch Truppen (einzelne Leute und ganze Truppenteile) werden stehend
und sich bewegend dargestellt. Aus einem Brettchen von schwarzer Farbe
ist die Figur eines knieenden Schützen ausgeschnitten; dieselbe ist an
einer in die Erde eingeschlagenen Stange befestigt. Eine Reihe solcher
Silhouetten stellt die Linie einer in knieender Stellung befindlichen
Schützenabteilung dar, eine ebensolche Reihe, die unter dem roten
Oberteil der Wand befestigt ist, stellt die Verteidiger der Befesti-
gung dar.
Drei dünne schwarze Bretter von 1,33 Meter Höhe sind so aufgestellt,
dass das eine derselben sich gegen die anderen auf 30 Centimeter neigt.
Dieses stellt einen Soldaten in voller Höhe neben den knieenden dar.
Wenn man mehrere solcher Bretter vereinigt, so bringt man eine Reihe
stehender Infanterie (D) zur Darstellung; löst man sie in eine Kette auf,
so kann man sie der grösseren Anschaulichkeit halber mit alten üniform-
stücken bekleiden. Ueberhaupt kann man durch verschiedene Grup-
pieiTingen dieser Gebilde allerlei Truppenformationen zur Darstellung
bringen.
BewegHch- Um schuelle Veränderungen der Ziele zu bewerkstelligen, hat man auf
Zielgebilde, dem Polygon drehbare Apparate mit Scheiben, welche eine Infanterie-
abteilung vorstellen (C). Der Apparat ist folgendermaassen konstruiert : auf
einer hölzernen Walze, deren Enden in hölzernen Röhren liegen, und die
man mit Hilfe von Hebeln dreht, werden aus starkem *]isendraht gefertigte
Konturen menschlicher Figuren befestigt, die mit einem schwarzen Ge-
webe bekleidet sind. Diese Walze ist perpendikulär zur Schiessrichtung
aufgestellt, befindet sich aber nicht auf der Oberfläche der Erde, sondern
in der Tiefe eines Grabens, welcher den Querschnitt eines auseinander-
gezogenen V hat. Auf diese Weise Averden vor den Schüssen sowohl
die Walze als auch die Scheiben (Figuren) geschützt, bis die Drehung der
Walze stufenweise das eine oder das andere Objekt in die Höhe bringt;
Die Bedeutung der modernen Schiessübungen. 47
sodann geben die Hebel der Walze eine neue Wendung, womit sich auf
ihr eine neue Reihe von Scheiben erhebt. Diese werden von Leuten,
Uie vor den Schüssen gedeckt sind, mit Hilfe von Drahtseilen verbessert
oder abgenommen.
Das Polygon in Fontainebleau hat 8 solcher drehbaren Apparate,
deren jeder 20 Meter breit ist und eine Infanteriereihe vorstellt.
Diese Apparate sind hintereinander auf einem Raum von 1800 Meter Tiefe
placiert. Demnach kann man, wenn man den einen Apparat gleich hinter
dem andern dreht, die Bewegung des Angreifers markieren, welcher
fortgesetzt sprungweise vorgeht. So wird ein sich bewegendes Ziel ge-
schaffen.
Im Uebrigen sind hierfür auf dem Polygon auch noch andere Vor-
richtungen vorhanden, um die ununterbrochene Bewegung eines Truppen-
teils darzustellen. Eine solche bewegliche Scheibe (F) besteht aus einer
Achse, die in zwei Blöcken oder zylindrischen Balken liegt. An der
Achse sind vertikale Rahmen mit auf ihnen horizontal befestigten Stangen
aufgesteDt, auf denen Figuren von Infanteristen oder Kavalleiisten
befestigt werden. Mittelst eines Taues wird ein solcher Apparat von
einem Pferde, das sich ausserhalb der Schusslinie befindet, vorwärts oder
rückwärts gezogen.
Für diese Apparate und ihre Bewegungen besteht ein besonderes
Kommando. Da diese Operationen während des Schiessens erfolgen
müssen, so befinden sich die betreffenden Mannschaften in besonderen,
absolut sicheren Deckungen aus Stahl. Wir fügen hinzu, dass sich auf
dem Polygon ein Telephon befindet, mittelst dessen über den Gang und
die Resultate des Schiessens an maassgebender Stelle berichtet wii'd.
Hauptmann J. Bihäli^) unterzieht der Vergleichung in den ver-
schiedenen Heeren
1. den Unterricht im Zielen,
2. „ „ „ Anschlagen,
3. „ ,, „ Abziehen,
4. „ „ in den kombinierten Uebungen
in verschiedenen Körperstellungen, „mit Bajonnet", auf Schiessgeschwindig-
keit; es sind dies 4 Faktoren der Schiessausbildung, deren Resultate in
einer, ihrem Werte nach aufsteigenden Ordnung (von I—IV) berechnet,
folgendes Bild ergeben:
3) „Die Schiess -Vorschriften der fünf bedeutendsten Heere Europas".
Wien 1893.
48
I. Die Feuerwaffen.
Im Heere
Als Einzelresultate des Unterricht«
im
Zielen
stufe
I
IV
II
III
V
im
Anschlag
Stofe
I
III
II
IV
V
im
Abziehen
Stafe
I
II
IV
III
V
in den
kom-
binierten
Uebungen
Stufe
I
III
IV
III
V
Als
Gesammt^
resultat
Einheiten
4
12
12
13
20
Italiens
Erankreichs
Russlands
des deutschen Reiches . . .
Oesterreich-Ungams ....
Nach dieser üebersicht steht die Schiessausbüdung im österreichisch-
ungarischen Heere am höchsten — der Verfasser ist ein östeiTeichischer
Offizier, dies wird man im Auge behalten müssen — ; dass die Ausbildung im
italienischen Heere auf der niedrigsten Stufe steht, darf bezweifelt werden.
4. Geschossstreuung und Distanzbestimmung.
Natürliches Beim Scliiesseu in einer und derselben Visierhöhe bewegen sich
sogonaMten' die Gcschosse in Folge der Verschiedenheiten in den Gewehreinrichtungen,
^Bün^dX ^^^ Unterschiedes in der Kraftäusserung der Ladung, vor Allem aber in
Folge der Verschiedenheit im Zielen und im Eückstoss beim Abfeuern,
nicht ausschliesslich in der ballistischen Fluglinie, d. h. der Kurve, welche
der Richtung des Laufs der Gewehre entspricht, sondern bilden ein
„Bündel". 1) Der Ausbreitungsraum der niederfallenden Geschosse hat
das Aussehen einer sich in der Schusslinie ausdehnenden Ellipse.
. ^^ *) Einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die Abweichungen in der Schuss-
der Schflne richtung hat auch der Seitenwind. Der Grrad dieser von den Entfernungen und
durch der Heftigkeit des Windes abhängenden Abweichungen wird durch folgende
den Wind, giffern ausgedrückt.
Schwacher
Mittlerer
Starker
Sfnrm
Wind
Wind
Wind
OtUl 111
Entfernungen
G e s c h w i
6—8 Meter
Me
n d i g k e i t
10—12 Meter
te r
3—4 Meter !
18—20 Meter
Meter
100
0,03
0,06
0,10
0,15
300
0,12
0,30
0,50
1,00
600
0,45
1,15
2,15
4,75
1000
1,45
4,10
8,00
18,00
1300
•2,90
8,25
16,00
36,50
1500
4,20
12.00
24,00
54,00
1800
7,00
20.00
40.00
1
91,00
Sehiessresultate des 7-Millimeter-Gewehres
(System Mannlicher)
auf dem Sehiessstand in Oberndorf im Februar 1895.
Entfernung 300 Meter.
Entfernung 500 Meter.
Entfernung 800 Meter.
Entfernung 1500 Meter.
Gttschossstreuuug und DistanzbeEtimmung.
49
Praktische Versache lehren, dass die Länge dieser Ellipse, d. h. die
äussersten Abweichungen von der geraden Richtung, teilweise von dem
Grade der Schiessfertigkeit des einzelnen Mannes, dagegen nnr sehr
wenig von der Distanz abhängen.^)
•)DaspraktischoStudiiimderReaultacedo3triegsmäsHigenU6bung8gchie8aens "nipp'«-
auf dem Polygon zerfällt jetzt in Beobachtungen zweierlei Art: die Bestimmung der coiciioMe
Gruppierungen, welche die Geschossspuren auf Flachen, welche für die Aufnahme "' nicif
aller abgefeuerten Geschosse ausreichen, bilden, und die Ermittelung derjenigen
Zahl von Geschossen, welche in Scheiben verschiedener Grösse, den Formationen
der Truppenteile aller Waffengattungen entsprechend, getroffen haben.
So giebt z. B. die gekrümmte Fläche des Schiessens eine Gruppe von
Flugbahnen, die sich in der Schussrichtung erweitern. Diese Gruppierung nennt
man bsim Uebungaschiessen „Bündel", dessen Projektion auf der Schiessflächo
folgendes Bild zeigt.
Eine bestimmte Zahl der von einem Manne abgefeuerten Schüsse bildet ein
„Bündel"* nach Form eines Homs, dessen Hals dem Schützen zugeAvandt ist. Bei
dem Schiessen einer ganzen Abteilung hat das Bündel die Form einer Garbe.
Der Vertikaldurchschnitt des Bündels in einem beliebigen Punkte giebt eine
vertikale Gruppierung der Geschossspuren auf der Scheibe.
Der Durchschnitt der Flugbahnen mit der Bodonflache bildet eine horizontale
Gruppierung der von den Geschossen auf dem Boden gelassenen Spuren.
Folgende Zeichnungen zeigen die Geschossbahn auf naher und weiter CeBcho.s-
Entfernung. ^ ^^^ .......^ """•"'
Geschossbahn auf nahen Entfernungen.
GeschoHshnhn auf weiten EnlffimunK*
«eh, D«! iDkGnrtige Krieg.
50
I. Die Feuerwaffen.
^^^n""^^ Wenn man nur das „Herz" der beschossenen Fläche berücksichtigt,
abgefeuerter d. h. den Gürtel, in den etwa 60 % der abgefeuerten Geschosse einschlagen,
so bewegt sich dessen Länge zwischen 115 und 190 Meter. Für Gewehre
kleineren Kalibers bedeckt nach französischen Mitteilungen (8 Millimeter-
Kaliber, Mod. 1886) die grössere Hälfte der Schüsse bei der Visierhöhe
auf 600 Meter auf dem Boden einen Streifen, dessen Länge zu beiden
Seiten des Visierpunktes je 80 Meter beträgt. Da die Rasanz dieses
Gewehres die Möglichkeit bietet, Ziele von Manneshöhe auf einer Aus-
dehnung bis zu 620 Meter zu treffen, so kann bei einem Massen-
schiessen und der Visierhöhe auf 600 Meter ein Ort wirksam auf einer
Ausdehnung von 780 Metern beschossen werden (ein Resultat der gemein-
samen Wirkung von Rasanz und Streuung).
Demnach kann man sagen, dass beim Schiessen die Distanz von
700 Metern die Grenze bildet, bis zu welcher man sich um das Messen der
Entfernung nach einem Ziele von Manneshöhe nicht sonderlich zu bemühen
Spnreunetz Um die Bedeutung, welche das Gesetz der Gescliossstrouung hat, deut-
***' fn"^***" Hoher zu erklären, geben wir eine Zeichnung, welche im Durchschnitt die Bahn
2400 Meter, der Geschossö und das Netz der von ihnen auf dem Boden hinterlassenen Spuren
darstellt, und zwar beim Schiessen nach dem Ziel von 2400 Metern aus den
französischen Gewehren Mod. 1874, deren ballistischer Wert etwa dem der
Bordan-Gewohre gleichkommt.
Durchschnitt der Geschossbahn.
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Netz der Geschossspuren auf dem Boden.
Wir sehen, dass, obgleich das Schiessen nach einem Ziele stattfand, dessen
Entfernung bekannt war, so dass das Visier richtig gestellt werden konnte,
dennoch die Geschosse schon bei 2100 Metern einzuschlagen begannen, also volle
300 Meter vor dem Ziel; ein Teil derselben fiel 100 Meter hinter dem Ziel
nieder und ausserdem wich die Geschossstreuung nach rechts und nach links
bis zu 50 Metern ab.
üeschosssbreuuDg und DislAnzbcstimniiiiig.
Ijrancht. Für grössere Eutfemmigeu geben französische Versuche folgende
Angaben'):
Breite des GUrtels,
Was den
Entfernung
in Metern')
der 50 Vo Geschosse
enthält,
Länge
der Trefflinie i
Summa
der Ijeiden
Prozentsatz
in Metern
Treffzonen
auamacht
800
110
55
165
20
1000
100
35
136
13
1200
88
•24
112
9
1400
80
17
97
7
1600
76
13
89
5i
1800
74
10
84
4t
2000
72
8
80
4
Hie graphischen Darstellung dieser Resultate giebt folgendes Bild:
Entfemnng in Hetem.
Lern (Trade, "•» ^<
n Gewehre
irnnng des
1 treftbare
Juan soiiie aenicen, aass i>ei einer so
Baum, Aet von den Geschossen der verTollkommneten Waffe der kriegerische
Kleinkalibergewehre in der Entfer- ^„, ,,, , , „,. ■_
nung getroffen wird, in Prozenten. Erfolg nicht mehr von den persönucheß
Eigenschaften des Soldaten, der eigentlich
nar zu einer passiven Kraft herabgedriickt wäre nnd das vorzügliche
Todeswerkzeug einfach in Thätigkeit zu setzen hätte, abhängen werde.
Es könnte scheinen, dass bei dieser Thätigkeit in Massen, bei der von
Sekunde zu Sekunde sich wiederholenden Ueberschüttnng mit Geschossen
eines Raumes, auf welchem dieselben eine Unzahl Opfer finden müssen, die
') Omega: „L'art de combattrc".
*) 1 Meter = ca. 1,4 Schritt, alsi
1000 Meter = 1400 Schritt.
52 !• I^»e Feuerwaffen.
Persönlichkeit der Leute fast auf Null herabsinke und ihr Kampf auf
dem Schlachtfelde fast völlig in einen Kampf mechanischer Kräfte,
welche nur zufällige Resultate heiTorbringen, verwandelt werde.
In Wirklichkeit pflegt dies jedoch nicht ganz so zu sein.
Fortdaaernde Vor Allem trefifeu die Geschosse auch bei den neuen Gewehren, wie
des^richtigel wir dics bereits ausgeführt haben, nur auf einer gewissen Ausdehnung. Die
Khf^M ^ßtroffene Fläche nimmt mit der Entfernung zu, die Zahl der Geschosse
auf bestimmter Fläche ab. Die Bestimmung der Entfernung vom
Feinde ist daher auch bei Anwendung des neuen Gewehres
von ausserordentlicher Wichtigkeit.
Nichts aber ist schwieriger als das richtige Schätzen der Distanz,
nichts weniger verlässlich als das Auge! Weder Uebung noch in-
strumentale Distanzmesser können Fehlerlosigkeit garantieren.
Beispiel In Sewastopol war es im Laufe von zwei Monaten unmöglich, mit
""^"iicw ™ ^^^ Fernrohr Distanzen von 1000 bis 1200 Metern zu bestimmen, weil das
DiBtanx- Einschlagen der Projektile nicht sichtbar war. Im Laufe von drei Monaten
schätzang
während der war es uumögUch, nach den Schiessbeobachtungen, obgleich man genau
Beiageran? ^^^j^ ^^^ Reglement verfuhr, die Entfernung einer Batterie.zu bestimmen,
Sewastopol, -yvelche nuv 500 Meter entfernt war und einen einzelnen Hohlweg be-
herrschte. Nach zwei Monaten hatte man zwei auf 500 Meter ab-
gefeuerte Treffer beobachtet. Diese Distanz wurde allseitig auf reichlich
1000 Meter geschätzt, während sie in Wirklichkeit nur 500 Meter betrug,
was sich nach Einnahme der Stadt bei Aenderung des Beobachtungspunktes
deutlich ergab, ö)
HiifamitM Das einfachste Hilfsmittel ist die Schrittmessung. Bei einiger Hebung
*"" [|j|[**[r° und der Fähigkeit, Irrtümer zu korrigieren, kann man auf diese Weise
scbftteen. Entfernungen bis auf V50 oder bis 2% genau bestimmen. Wenn die Ent-
fernung nicht durch Schritte auszumessen ist, so berechnet man dieselbe
nach den Durchschnittsziffern kleinerer Entfeniungen, welche in einer
gewissen Anzahl von Minuten durchmessen werden können. 6) Aber die
Praxis zeigt, dass hierbei Irrtümer bis zu V4 der ganzen auszumessenden
Entfernung mit unterlaufen.
Die Distanzschätzung nach dem Grade der Sichtbarkeit des Gegen-
*) A. K. Pusyrewski: „Erforschung des Kampfes nach dem Werke des
Obrist de-Pick". Warschau 1893.
®) Gewöhnlich nimmt man an, dass ein Mensch in der Minute 93 Meter
macht, in einer Stunde 4,3 Kilometer, ein Pferd in der Minute 96 Meter, in einer
Stunde 5,4 Kilometer im Schritt, im Trab in einer Minute 240 Meter, in einer
Stunde 10,7 bis 12,8 Kilometer.
Geschossstreuulig und Distanzbestimmutig. 53
Standes ist das rationellste von allen Mitteln, die Entfernung durch
Augenmaass zu bestimmen. 'O
Bei Bestimmung des Grades der Genauigkeit einer Entfeiiiungs-
schätzung durch Augenmaass wrd gewöhnlich angenommen, dass „der
wahrscheinliche Irrtum einer Distenzschätzung durch Augenmaass 15% der
wirklichen Entfernung beträgt". Nach den in der russischen Armee be-
stehenden Bestimmungen über die Anforderungen an die Leistungen der
Truppen im Distanzschätzen nach Augenmaass wird die Ausbildung für
gut befunden, wenn die Irrtümer bezüglich der wirklichen Entfernung
10% und weniger betragen, s)
Hieraus ist ersichtlich, dass die Genauigkeit der Methode, Distanzen Die nisunz-
nach Augenmaass zu bestimmen, nicht sehr gi'oss ist; nur für mittlere l^n«^
Entfernungen, welche 1000 Schritt nicht übersteigen, kann man den wahr- ^'**^'^jj"JJ^"
scheinlichen Irrtum auf nicht über 10% annehmen. Eine grössere Ge-
nauigkeit der Bestimmung lässt sich praktisch nicht erzielen, weil der
Irrtum in den Grenzen zwischen 7 und 66 % der Distanz schwankt.
Folglich darf man niemals von der Richtigkeit der erhaltenen Bestimmung
sich für überzeugt halten. 9)
0 Dasselbe ist in der französischen und italienischen Armee angenommen, Element«
wobei der Gang der Ausbildung in beiden Heeren fast der gleiche ist Die Benrteiiang
Klarheit, d. h. der Grad der Deutlichkeit des Gegenstandes und seiner Bestand- der
teUe vermindert sich mit der Entfernung. Dietimzen.
Wenn die DeutHchkeit des Gegenstandes sich streng proportional der Ent-
fernung ändern würde und nicht durch Nebenwirkungen beeinflusst wäre, so
liessen sich, bei diesem Hilfsmittel leicht Eegeln für die Bestimmung der Ent-
fernungen durch Augenmaass aufstellen.
In Wirklichkeit aber sind die Momente, welche die deutliche Sichtbarkeit
eines Gegenstandes bedingen, sehr veränderlich. Der Grad der Beleuchtung des
Gregenstandes, der Hintergrund, auf welchen er sich projiziert, atmosphärische
Verhältnisse, die Stellung der Sonne zum Gegenstande und zur Person, welche
die Entfernung bestimmt, die Jahreszeiten, der topographische Charakter der
Oertlichkeit, die Bebauung derselben, — alles dies sind Umstände, die auf den
Grad der Deutlichkeit eines Gegenstandes grossen Einfluss haben.
*) M. Jerogin: „Schützen-Distanzmesser".
') Ausser der Distanzschätzung durch Augenmaass existiert noch die Seh&tznng
Methode, Entfernungen nach dem Schall der Schüsse, vorzugsweise solcher von ^^^
Geschützen zu bestimmen. nach
Bei einer Temperatur von 0*^ R. und bei Windstille durchläuft der Schall ^«^ Schaii.
in der Sekunde 333,3 Meter. Die Geschwindigkeit des Lichtes dagegen ist im
Vergleich zu der Geschwindigkeit des Schalles sehr gross (etwa 302 000 Kilometer
in einer Sekunde), so dass bei kleinen Entfernungen von wenigen Kilometern das
Erscheinen eines Lichtstrahles momentan bemerkt wird. Hieraus ergiebt sich,
dass, wenn man die Zeitspanne zwischen dem Momente der Rauch orscheinung
und dem Momente, in welchem der abgefeuerte Schuss hörbar wird, berechnet,
54 L ^iö Feuerwaffen.
Von welcher Bedeutung dieser Umstand aber ist, erhellt daraus,
dass beim Schiessen auf 1000 Meter Distanz, wenn man die Streuung der
Geschosse nicht in Betracht zieht, der bestrichene Raum nur 136 Meter,
d. h. 13% der Entfernung, bei 2000 Meter Distanz aber gar nur 4%
derselben beträgt.
5. Vergleich der Durchschlagski^aft der Geschosse.
Die erhöhte Die Gcschosse aus den neuen Gewehren sind nicht nur deshalb ge-
BphfaTdTr fahrbringender, weil sie auf grössere Entfernungen treffen, sondern auch
fuTneu"^ deshalb, weil ein und dasselbe Geschoss auf nahe Entfernung gegen B Mann
Gewehren, kampfunfähig macheu kann, und noch 2 bis 3 Mann bei 800 bis 1200 Metern
Entfernung trifft. Hieraus folgt, dass ein Vordringen in Kolonnen von
weit grösseren Verlusten begleitet sein muss als das Vordringen in einer
Reihe. Grosse Verluste werden natürlich nur in dem Falle stattfinden,
wenn der Kampf auf einem ebenen, der Deckungen ermangelnden Terrain
vor sich geht. Einer der Gegner wird natürlich immer ein solches Terrain
zu wäMen suchen, wie die Beispiele der Schlachten bei Problus, Mars la
Tour, St. Privat und Loigny zeigen, welche auf Flächen von 16 Kilometer
Ausdehnung vor sich gingen, i) Betrachten wir die Bedeutung dieses
Faktors etwas näher. Bei den Proben über die Durchschlagskraft der
Geschosse wird gewöhnlich angenommen, dass ein Geschoss, welches ein
einzölliges Fichtenbrett durchschlägt, genügende Kraft hat, um einen
Mann oder ein Pferd aus der Schlachtlinie zu beseitigen (zu töten oder zu
verwunden).
Professor Pawlow giebt folgende Daten über piketweise angestellte
dieses in Sekunden ausgedrückte und mit der Schallgeschwindigkeit multipli-
zierte Intervall die Entfernung bis zu dem Punkte angiebt, von dem aus der
Schuss ertönte.
Aber auch bei der Bestimmung der Entfernung nach dem Schall ist Ge-
nauigkeit nicht leicht zu erzielen, da die Schallgeschwindigkeit keine bestimmte
Grösse bildet, sondern von verschiedenen zu berücksichtigenden Verhältnissen
abhängt, wodurch die Sache natürlich kompliziert wird. Dafiir ist dieses in der
Nacht einzige Hilfsmittel für die Distanzbestimmung sogar genauer als diejenigen,
welche am Tage angewendet werden. Die liauchschwachheit des Pulvers hat
hierauf keinen Einfluss und die Wahrscheinlichkeit, dass nächtliclie Kämpfe im
künftigen Kriege häufiger eintreten werden, erhölit noch den Wert des Distanz-
schätzeiis vermittelst der Differenz in der Licht- und Schallgeschwindigkeit.
0 Hoenig: „Untersuchungen über die Taktik der Zukunft".
Vergleich der Durchschlagskraft der Oeschosse.
65
Schiessprolien') gegen einzöllige Fichteübretter; aus diesen Versuchen ist
ersichtlich, welche Dnrchschlagskraft die alteji nnd neuen Gewehre haben : *"
Das neue
Gewehr (Gesclioss mit
Melcliiorbekleidung)
Bretter
Das
BerJan-Gewehr
Meter
auf 1680
„ 480
Bretter
2 bis
Das Berdan-Gewehr
1 l>iä 3
3 n 15
ider Versuch
wurde zu anderer
Zeit und mit einer
kleineren Anzahl von
Geschossen gemacht,
{durchschnittlich
33 bis 33 einzöllige
Bretter.
iB neue Gewehr
Hieraas ist ersichtlich, dass die Anzahl der Bretter, die durch Projektüe
aus dem Berdan-Gewehr durchschlagen werden, schon bei 480 Metern
nicht gross ist, nnd dass im Allgemeinen das Mantelgeschoss eine weit
beträchtlichere Anzahl von Brettern durchschlägt. Die Durchschlagskraft
wächst mit der grösseren Nähe des Zieles.
Was die Tiefe des Geschoss-Eindringens in kompakte Holzstüeke
betrifft, so ergeben angestellte Versuche folgende mittlere Eindriugungs- ''^^
fähigkeit der Geschosse: '"^
bei dem Schiessen auf längliche Balken (Lagerbalken)
mit dem mit dem
Berdan-Gewehre neuen Gewehre
auf 480 Meter 14,0 Centimeter 71,5 Centimeter
„ 160 „ 19,9 „ 123,6
') „Ueber die Bedeutuog der Bewaffnung der Armee mit dem Klein-
kolib erge wehr".
I. D[e Feuerwaffen,
bei dem Schiessen anf Querbalken
mit dem
Berdan-Gewelire
auf 480 Meter 11,4 Centimeter
160
1B,B
mit dem
neuen Gewehre
46,8 Centimeter
75,6
^ Der gewaltige Unterschied in der Dnrchschlagsfähigkeit der Gfeschosse des
nenen Gewehres nnd des Berdan-Gewehres erklärt sich dadurch, dass der
Druck, der sich im Kanal des Gewehrlaufes beim Entzünden des rancb-
schwachen Pulvers moderner Gewehre entwickelt, auf 2600 Atmo-
sphären (für das Lebel -Gewehr) berechnet wird, während der mittlere
Druck der Pulvergase im Laufe des Berdan-GEewehres nur 1500 Atmosphären
gleichkommt,
.r Wichtig ist es auch, dass die neuen Projektile eine Stahtamhüllung,
ii, gleichsam eine Panzerung') besitzen, die es bewirkt, dass das Geschoss
Holz durchdringt, ohne plattgedrückt zu werden, wenn es nicht im Holze
auf einen Ast stösst, während die einfachen Bleigeschosse bei dem Anprall
auf harte oder leicht zerfallende Gegenstände platt gedrückt werden und
eine pilzähnliche Form annehmen.*)
*) Zum Vergleiclie geben wir e
und des neuen russischen Gewehres.
i Abbildung der Patronen des frülieren
*) Abbildung von Veränderungen abgefeuerter Gescliosse.
Form der Oeschosse
nacli dem Aufacldag.
(Früheres Gescihosa.)
Verschiedene Gesehoss-Typen.
■ ■ i i
1. Geschoss mit mehreren Spitzen oder Ecken.
2. Geschoss mit Spirale.
3. Geschoss mit Stahlspitze.
4. Explosiv-Geschoss.
5. Segment-Geschoss.
6. Präzisions-Geschoss.
Geschosse in halber Grösse:
1. Deutschland, Gewehr Modell 88.
2. England, Gewehr Lee-Metford von 1889.
3. Oesterreich, Mannlicher-Gewebr 1889.
4. Belgien, Maaser-Gewehr Modell 1889.
5. Dänemark, Gewehr Krag-Jorgenson Modell 1889.
6. Spanien, Gewehr Freier-Bruhl 1871—1889.
7. Spanien, Mauser-Gewehr 1892.
8. Frankreich, Chassepot-Gewehr 1866.
9. Frankreich, Gewehr Gras 1874.
10. Frankreich, Lebel-Gewehr 1886.
11. HoUand, Gewehr Beaumont-Vitali 1871—1887.
12. Holland, Mannlicher-Gewehr 1892.
13. Italien, Gewehr Vetterli-Vitali 1870-1887.
14. Italien, Mannlicher-Gewehr 1892.
15. Norwegen, Gewehr Jarmann 1885.
16. Rumänien, Mauser-Gewehr 1892.
17. Russland, 3-Linien'Gewehr 1891.
18 Schweden, Remington-Gewehr 1867—1889.
19. Schweiz, Gewehr Rubin-Schmitt 1889.
20. Türkei, Mauser-Gewehr 1889.
Durchschnitt des Gewehrs und der Pistole System Männlicher.
Die Kleinkalibergewehre im chilenischen Kriege. ,57
Es ist natürlich, dass auch die Kraft der neuen Geschosse, zu ver-
wunden, eine ganz andere sein wird, wie die der früheren.
Nach Dr. Bruns durchschlägt das Projektil auf 100 Meter vier
bis fünf Glieder, wenn es auch die härtesten Menschenknochen zu durch-
schlagen gehabt hatte; auf 400 Meter verwundet es drei bis vier, auf 800
bis 1200 Meter immer noch zwei bis drei Glieder. 0)
Häufig werden die Mantelgeschosse deformiert — es entstehen
Stauchungen und allerlei Formen von Spaltungen und Zerreissungen,
wie die beigegebenen Abbildungen zeigen. ß) Die alsdann erzeugten
Beschädigungen bedingen viel schwerere Verletzungen.
6. Die Kleinkalibergewehre im chilenischen Kriege.
Die Kleinkalibergewehre sind bis jetzt im Kriege nur unter anormalen ^*« ver-
Wendung der
Verhältnissen zur Verwendung gelangt. . xieinkauber-
Während des Bürgerkrieges in Chile im Jahre 1891 war eine Brigade i« "^rflge
der Konstitutionstruppen mit Gewehren des Mannlicher-Sy stems (8 MiUi- ^"^i^"/^*^
meter-Gewehr, Mod. 1888) ausgerüstet, aber diese Truppen bestanden der »eiben.
Mehrzahl nach aus unausgebildeten Leuten, die man in aller Eile, etwa
zwei Wochen vor dem Ausbruch des Krieges, zusammengebracht hatte
und kurze Zeit darauf verwendete.
Auf 9926 Kombattanten kamen 3446 Stück solcher Gewehre, und
der Gegner, d. h. die Truppen des Diktators, hatten in den zwei Schlachten
bei Concon und Placilla einen Verlust von 1774 Toten und 3237 Ver-
wundeten, d. h. insgesamt einen Verlust von 6011 Mann.i)
Die Besichtigung der Verwundeten und Toten ergab, dass in dem
Heere des Diktators von je 100 Getroffenen 66 durch Kugeln aus dem
Mannlicher-Gewehr getroffen waren, wovon man sich leicht aus der Form
und Beschaffenheit der Wunden überzeugen konnte.
Obgleich also unter den verwendeten Gewehren nur ein Drittel Hindert
^ Kleinkaliber
neue waren, so kam doch auf dieses letztere die Hälfte der Treffer, 2) brachten
82 Mann
ausser Oe-
*) Doktor Bruns: „Die Geschosswirkung der neuen Kleinkaliber- ^Gewehre"
gewahre". 1889. bioa 34.
ß) „Ueber die Wirkung und kriegschirurgische Bedeutung der neuen Hand-
Feuerwaffen". Berlin 1894.
^) „Die Entscheidungskämpfe im chilenisclien Kriege 1891. Nach amtlichen
Berichten". Wien. 1892.
') Coumes: „Tactique de demain".
58 1. Die FeuerwafPen.
d. h. mit 344ß neuen Gewehren wurden 2806 Mann getroffen. Die
durch Kleinkalibergewehre verursachten Verluste betrugen demnach über
82 %, oder anders ausgedrückt, je 100 mit dem neuen Gewehr bewaffnete
Soldaten setzten 82 Mann der Gegner ausser Gefecht. Dui^ch die übrigen
6479 Gewehre wui'den 2205 Mann kampfunfähig gemacht, d. h. je 100 mit
alten Gewehren ausgerüstete Soldaten setzten 34 Gegner ausser Gefecht.
Growes Was das Zahlenverhältnis der Getöteten zu den Verwundeten
verMUnia anbetrifft, so berechnet Dr. Habart, 3) dass in der Schlacht bei Concon in
«ewteton ^^^ Armee Balmacedas, gegen welche neue Gewehre zur Anwendung kamen,
das Verhältnis der Toten zu den Verwundeten ein gleiches, in der Schlacht
bei Placilla dagegen 1 : 2,57 war. Uebiigens sei bemerkt, dass den deut-
lichsten Beweis der hervorragenden Bedeutung verbesserter Gewehre
die Schlacht von Königgrätz (1866) liefert, wo sich das Verhältnis der
Toten und Verwundeten preussischer zu österreichischer Seite wie 1 : 2,7
herausstellte.
Wenn wir annehmen, dass das Verhältnis der im chilenischen Kriege
Getöteten für den Gesamtverlust bei beiden Gewehrsystemen das gleiche
war, so erhalten wir folgendes Bild. 4)
Durch Gewehre fiüheren Systems
Durch Mannlicher-Q-ewehre .
Zahl der Verwundeten und Gretöteten auf je 100 Gewehre.
Demnach war die Wirkung des Kleinkalibergewehrs, obwohl sich
dasselbe in den Händen der Soldaten erst kurze Zeit befand, eine un-
geheure. Ein Augenzeuge erzählt:
Beispiel „Das Salvenfeuer und selbst das Einzelfeuer vermochte auf 480 und
weiieichend. «elbst auf 800 Meter das Feld zu säubern und den Angriffsoperationen
3^10™ ^^^ Feindes Halt zu gebieten. Nach Aussage von Gefangenen, die auf
Wirkung des dem Schlachtfeldc befragt wurden, brachte das auf 600 Meter gegen
gewehres^r Schützen, welchc sich in aufgelöster Formation am Ufer des Flusses
Aconcagua bewegten, gerichtete Feuer noch unter den 1000 bis
1600 Meter hinter der Schützenlinie postieiien Reserven Verwirrung
hervor."
*) Hoenig: „Untersuchungen über die Taktik der Zukunft". Auflage 1894.
*) Im Kampfe waren: 3446 Manul icher-Gewehre + 6479 Gewehre früheren
Systems = 9925 Gewehre. Getötet wurden 1774, verwundet 3237 Mann, und
zwar durch die neuen Gewehre durch die alten Gewehre
getötet 993 = 29 o/o 781 = 12 o/o
verwundet 1814 = 53 o/o 1423 = 22 o/o.
Die Kleinkalibergewehre im chilenisclien Kriege. 59
„Der durch die Schnelligkeit und Treffsicherheit des Gewehrfeuers
erzielte Eindruck war entsetzlich; unter den Truppen des Diktators
wurden gleich nach der ersten Scldacht Aeusserungen laut, dass sie sich
nicht weiter schlagen würden, dass es den Soldaten ganz gleich wäre, auf
der Stelle niedergeschossen oder vom Feinde wie eine Kaninchenheerde
vernichtet zu wei-den. Von den 10000 Mann, die Balmaceda am 21. bei
Concon hatte, nahmen an der Schlacht bei Placilla nur noch 2000 bis
3000 Mann Teil, und auch diese liefen sofort auseinander, sobald der
Feind das P'euer aus einer Entfernung von 1000 bis 1200 Metern eröffnete.
Umgekehrt hatten die Konstitutionstruppen in der Schlacht bei Concon
ein solches Vertrauen zu ihrer Waffe gewonnen, dass sie in derselben
gleichsam einen Talisman zu besitzen glaubten und einem weit zahl-
reicheren Feind kühn entgegen gingen."*)
Da diese Resultate hier und da angezweifelt werden, so kommen
wir bei Auseinandersetzung der vorkommenden Verluste nochmals darauf
zurück.
Bei der Treffweite der neuen Kleinkalibergewehre wird es schliess- wegen
lieh schwer, ja vielleicht ganz unmöglich werden, die Reserven bis auf Treir bereichs
2000 Meter an die Schützenlinie heranzuholen. Dieser Umstand kann auf jj^,^^^^j.^^^
die Kampftaktik von grossem Einflüsse sein, umsomehr, als die Projektile gewehre«
des heutigen Kleinkalibergewehres, wie bereits gesagt, selbst auf 1200 Meter gteiung der
Entfernung noch einige hinter einander postierte Linien durchschlagen, f^n?»
was schon allein die von ihnen hervorgebrachte Wirkung erklärt. ^von^t^'
Hoenig führt beispielsweise folgenden Fall an: bei Nürschan (ani ,.^j**^J°^"^^
20. Mai 1890) gab ein Kommando von 16 Mann auf 30 bis 80 Schritt weiben
mflssen.
Entfernung fünf Salven auf Arbeiter ab (grösstenteils wohl in die Luft).
Hierbei trafen 10 Kugeln in die Masse und erzielten 32 Treffer,
so dass ein Geschoss 3 bis 4 und auch 5 Mann traf Sieben Personen
blieben auf der Stelle tot, sechs starben nach einigen Tagen, die übrigen
genasen. 6)
Der Vergleich des Zifl'ernverhältnisses der Getöteten zu den Ver-
wundeten in den verschiedenen Kriegen seit dem Krimkriege giebt
folgende Resultate: 7)
*) Diese Stelle ist dem Werke von Coumes : „Tactique de demain" entlehnt,
welcher die Beschreibung eines Augenzeugen der Sclilacht aus dem „Progres
Militaire" wiedergiebt.
*) Hoenig: „Untersuchungen über die Taktik der Zukunft". Berlin 1894.
0 B. Pawlow: „üeber die Bedeutung der Umbewaffnung der Armee mit
den Kleinkalibergewehren".
6Ö
1. Die Feuerwaffen.
Yerh<nis Einfluss der Beschaffenheit der Feuerwaffe auf das Verhältnis
Ge^toten ^^^ Getöteten zu den Verwundeten.
SU den
Yermindetei
i
Auf je 100 Getroffene
in den ver-
■
schiedenen
Getötet
Verwundet
getötet
verwundet
Kriegen.
Vo
«/o
Im Krimkriego (1854-1856):
bei den Franzosen . . .
8250
39000
17,5
82,6
bei den Engländern . . .
2755
12094
18,6
81,4
lui italienisch. Kriege (1859):
bei den Franzosen . . .
2536
17054
13,0
87,0
bei den Oesterreichern . .
5 400
26 000
17,2
82,8
lui nordamerikanisch. Kriege
(1861-1865)
44 238
278 886
13,7
86,3
(nach Fischer)
111312
507 917
18,0
82,0
Im deutsch - französischen
Kriege (1870-1871):
bei den Deutschen . . .
17 572
94764
15,6
84,4
Im russisch-türkisch. iLriege
(1877-1878):
in Bulgarien in der russi-
schen Armee ....
11905
43 386
21,5
78,5
Im chilenischen Kriege (1891):
bei den Truppen des Dik-
tators
1774
3 237
35,4
64,6
bei den Konstitutions-
truppen
701
1658
29,7
70,3
Wie diese Tabelle zeigt, betrug bis zum chilenischen Kriege die
Ziffer der Getöteten 13% bis 21,6% der Gesamtzahl der überhaupt
Getroffenen. Erst im chilenischen Kriege gestaltete sich bei den Truppen
des Diktators, die teilweise (34%) dem Feuer des Kleinkalibergewehres
ausgesetzt waren, das Verhältnis der Getöteten zu den Verwundeten
wie 36 zu 66, während dasselbe bei den Konstitutionstruppen, gegen
welche alte Gewehre in Vei-wendung gekommen waren, gleichfalls wie 30
zu 70 war.
Wären sämtliche Konstitutionstruppen mit Mannlicher - Gewehi-en
Zfthi der ausgerüstet gewesen, so würde unter gleichen Verhältnissen die Differenz
Getöteten nicht 6,7%, soudem 19,77 % betragen haben, d. h. im Gesamtverluste der
in künftigen
Kriegen. Truppcu dcs Diktators würde die Zahl der Getöteten der Zahl der Ver-
wundeten fast gleichgekommen sein nämlich 49,4% der Kämpfenden be-
tragen haben.
Wenn man die oben angeführten Angaben der in den 6 letzten
Kriegen Getöteten und Verwundeten graphisch darstellt, so tritt noch
Wahr-
scheinlicbe
Die Kleinkalibergewehre im ohilenisehen Kriege. Ql
deutlicher hervor, um wieviel die neuen Gewehre trotz ihi-es kleinen
Kalibers gefährlicher sind als die frühereu Gewehre.
Diese Angaben leiden allerdings an dem Mangel, dass in ihnen die
Verletzungen dnrch Artilleriegeschosse und durch die blanke Waffe mit
eingeschlossen sind, dadurch aber ändert das BUd sich nicht wesentlich,
da die überwiegende Zahl der Verletzungen, wie dies später gezeigt
werden soll, durch Infanteriefeuer erfolgt.
62
I. Dip Feuerwaffen.
«wX"!.- 7. Geschoss Wirkungen aus Gewehren verschiedener
zahl der Yer-
wnnduagen TVPBD.
durrh ein *' ^
""m»"«i* ** Wir haben schon hervorgehoben, dass die Perknssionskraft der neuen
geschoss. Geschosse mit Umhüllungen, der sogenannten Mantelgeschosse, bei An-
wendung des rauchschwachen Pulvers die Kraft der früheren Projektile
bedeutend übertrifft und dass die neuen Geschosse hierbei weit weniger
ihi'e Form verändern.
Es ist demnach sehr natürlich, dass ein und dasselbe Geschoss
mehrere Verletzungen hervorbringen kann.
Dr. Bruns^) giebt folgende Ziffern über das Treffen ein und desselben
Entfernung Anzahl der Verletzungen
100 Meter 4 bis 5 Mann
400
von 800 bis 1200 Metern .
w
>*
• •
2 „ 3
»<
M
Grapliisch ausgedrückt, erhalten wir hierfür folgendes Bild
Minimum
Entfernung
in Metern
Maximum
Anzahl der Verletzungen durch ein Projektil.
darch-
schlagen
haben.
Gefährlich- Hoenig^) bestätigt es, dass die in Frankreich mit dem Lebel-
keifc der
Verletzungen Gewehre uud in Oesterreich mit dem Mannlicher-Gewehre angestellten
GelchoMe, Pfobeu dicselbeu Resultate ergeben haben. Weiter führt derselbe, auf
welche be- ^^YiQ Arbeit des Dr. Habart gestützt, eine ganze Reihe von Fällen aus
reite Körper
der Praxis an, welche darthun, dass ein und dasselbe Geschoss 3 bis
4 Mann verwundet, dass tötliche Verletzungen noch bei Entfernungen
von 2400 Metern vorkommen und dass die weiteren Verletzungen durch
Geschosse, welche bereits einen menschlichen Körper durchschlagen
haben, von einer den ersten Verletzungen gleichen Gefähi'lichkeit sind.
Viele Sachverständige erklären jedoch, dass die durch KleinkaJiber-
geschosse verursachten Wunden durchaus weniger gefahrlich und leichter
heilbar sein werden als es die früheren waren. Nach dem deutschen
„Militär -Wochenblatte'' sind die durch das Mannlicher-Gewehr verursachten
*) Dr. Bnnis: ,,Die Geschosswirkung derneiien Kleinkalibergewehre^'. 1889.
2) ,,Untersiichimg(^n über die Taktik der Zukunft".
Geschosswirkungen aus Gewehren verschiedener Typen. 63
Wunden entweder unbedingt tötlich oder heilen ohne jede Komplikation und
sind von Schmerzen nicht begleitet. Es sei vorgekommen, dass die Knochen
durch Kugeln sogar aus grossen Entfernungen durchlöchert worden seien,
aber die Heilung der Durchbohrung sei glatt verlaufen, die Wände der
Oeffnung seien nicht zerrissen worden, das Blei sei nicht in der Wunde
geblieben, welch letzterer Umstand die Schwere der Verwundung gewöhn-
lich vergrössere.
Unter dem Eindrucke des merkbaren Unterschiedes zwischen den Kann d. neue
. Kleinkaliber-
durch alte und neue Gewehre verursachten Verwundungen hat sich dertjewehr oine
Terminus „humane WaiFe" gebildet, aber praktische Proben mit dem ^"^ "^^n^**^*
neuen Gewehre haben gezeigt, dass man die Wunden, welche die neuen ''erden?
Mantelgeschosse bewirken, durchaus nicht „human*' nennen kann. desoinVrai-
Zu Bielsk in Oesterreichisch-Schlesien wurden bei Unruhen 18 Per- subsantes
Professoni
sonen durch Geschosse aus Mannlicher - Gewehren verwundet. Man Dr. v. coier.
brachte die Verwundeten sofort ins Hospital, wo ihnen alle mögliche ärzt-
liche Hilfe zu Theil wurde. Aus dem Berichte hierüber ist es ersichtlich,
dass die Pflege der Verwundeten und die Verhältnisse, unter denen sich
dieselben befanden, derartig waren, wie sie auf dem Schlachtfelde kaum
zo erzielen sein würden. Trotzdem starben vier der Verwundeten.
Eine Erklärung für diese Erscheinung kann man in einem auf Ver- ^*««j^|'^n
fügung des französischen Kriegsministeriums im Jahre 1888 veröffentlichten tnmimschen
Gutachten der französischen Medizinischen Akademie finden. 3) Wenn jX^lmZ
der Schuss auf eine nähere Entfernung als 300 Meter erfolgt war und
besonders bei einer noch geringeren als 200 Meter, so waren an den
AVunden Explosivspuren wahrnehmbar — ein Zerreissen. der weichen
Teile, wobei eine zuweilen sogar ausserordentlich starke Durchlöcherung
der Muskeln stattfand; auch die Knochen waren, was jedoch nicht immer
der Fall war, beschädigt; wo der Schuss bei der grössten Fluggeschwindig-
keit traf, waren die Knochen unbeschädigt. Wenn aber das Geschoss
eine, wenn auch nur kleine Veränderung in seiner Form erleidet, wenn
der Mantel zerreisst und der Kern sich in Stücke zerteilt, ^welche in der
Wunde stecken bleiben, so wird die Gefahr und die Qual, welche die
neuen Projektile verursachen, eine andere.
Da aber bei der ausgezeichneten TreftTähigkeit der modernen Ge-
wehre sowie der entscheidenden Bedeutung des heutigen Feuergefechtes
die Schützenlinien auf möglichst nahe Entfernungen heranzukommen
gezwungen sein werden, um den Feind zu verjagen, so wächst damit
auch die Wahrscheinlichkeit schwerer Verwundungen.^)
') Coumes: „Tactiqiie de demain" 1891, S. 675 u. 676.
*) „Archives de in<^dccine et de phannacios militaires pubJieos par ordre
du ministro de la guerro". Bd. XII. 1888.
64 ^' ^^^ Feuerwaffen.
Neueste Untersuchungen haben aber leider bewiesen, dass auch auf
grössere Entfernungen die Verwundungen nicht weniger schwer sein
werden.
^ikihkdt*" ^^ ^^® neuen Geschosse auch auf grössere Entfernungen (bis zu
bedeatender 1500 Metern) deu menschlichen Körper leicht dmxhdringen, so werden Ver-
"^**' letzungen der wichtigen Organe meist einen tötlichen Ausgang haben;
Verletzungen anderer weniger wichtigen inneren Organe werden häufiger
vorkommen, wobei reichlichere Blutung und Bluterguss in das eine oder
das andere innere Organ stattfinden wird. In Folge der gestreckten
Flugbahn, d. h. bei dem grösseren besti'ichenen Räume wie in Folge der
Steigerung der Durchschlagskraft der Geschosse können überdies durch
ein Projektil mehrere Kombattanten kampfunfähig gemacht werden. 0)
Kawigehe Viele Gelehrte, sagt Professor Pawlow,^) besonders auch in Russland
Aatoreo be-
st&ti^a die (Professor Morosow, Doctor W. Popow) sind gleichfalls der Ansicht,
m^n^Lr **ss die vernichtende Wirkung der Kleinkalibergeschosse eine furchtbare
Kleinkaliber- seiß Wird.
gescnoue.
Den wesentlichsten Unterschied in dieser Hinsicht bedingt die ver-
schiedene Entfernung der Schüsse. Professor Pawlow^) giebt folgende
^"[^^^*'*^^*^ Uebersicht der verbreitetsten Ansichten über diese Frage: ,,Man ist jetzt
verRfihieden- in der KiiegscUrurgie übereingekommen, die ganze Distanz der Geschoss-
wunduDgen bahu bls zur äussersten Grenze der Verwundungen in vier Zonen zu teilen.
oLim^ Z^^ ersten Zone gehören die Wunden, die Rupturcharakter aufweisen,
bereieh der mj^ umfangi'eicher Zerstörung der Gewebe, des Hiinschädels, der Knochen
baiin in uud der Organe, die Flüssigkeit enthalten. Diese Zone wird von vielen
teut^werdf^ Autoren „Zone- des hydraulischen Druckes" genannt. Besonders weisen die
Ausgangsteile der Wunden Rupturcharakter auf. Bei den früheren Pro-
jektilen ohne Umhüllung rechnete man diese Zone bis zu 400 — 500 Metern
Distanz, für die neuen Mantelgeschosse beschränken einige Chirurgen
(Delorme, Chauvel) diese Zone auf 300 und sogar auf 200 Meter."
,J)ie zweite Zone entspricht wohl auch noch einer sehr lebendigen
Geschosskraft, aber die Wunden haben hier einen reinen Durchschlags-
charakter. Sogar feste Knochen weisen durchlöcherte Kanäle mit mehr
oder weniger langen Rissen ohne scharfe Absonderung von Splittern auf.
In den weichen Geweben sind diese Kanäle besonders rein. Die Grenze
dieser Zone reicht für die frühern Projektile bis zu 1000 Meteni, für die
heutigen Mantelgeschosse bis zu 1400 und 1500 Metern.**
*) „Oesterreichisches Armeeblatt'^ 1891: „Wirkung von Gowehrgeschossen
auf den monschlichen Körper".
^) E. Pawlow: „TTobor die Bedeutung der Bewaffnung mit dem Klein-
kaliberge\ve]ir**.
GeSRhosBwirkungcn aus Gewi-hren verleb iurViier TyiH-n. 65
„Die dritte Zone weist ernstere KnochenbeschÄdignngen auf,
nämlich bedeutendere Risse and Rupturen der anliegenden Gewebe.
Für einfache Bleigeschosse ist die äusserste Grenze dieser Zone 1500
bis 1600 Meter; für Mantelgeschosse beginnt sie erst mit 1600 Metern
und reicht annähemd bis zu 2000 Metern. Da die I^ojektile in diesem
Rayon bei dem Anprall auf festere Körper zwar nicht mehr die
Regelmässigkeit des Fluges bewahren, aber doch noch einen bedeutenden
Vorrat an Kraft besitzen, so haben die Wunden in dieser Zone grössten-
teils keine regelmässige kanalartige Form.*'
„Die letzte, die vierte Zone, wird Kontusionszone genannt, obwohl
auch in diesem Rayon in den weichen Geweben rinnenartige Wunden,
Schusskanäle von grös.serer oder geringerer Länge und selbst Knochen-
verletzungen in Form einfacher Frakturen oder Risse vorkommen
können. Die Endgrenze der Beschädigungen dieser Art ist für die
früheren Geschosse etwa 2000 Meter, für die neuen Mantelgeschosse
"2400 und selbst 3000 Meter. Demnach wäre für die neuen Geschosse
die zweite Zone ungefähr doppelt so weit wie für die früheren, während
die dritte Zone der früheren vierten entspräche."
Diese Angaben, graphisch dai^estellt, mit Durchschnittsziffern fiir '
jede Distanz, z. B. fiir 2400 bis zu 3000 Meter, durchschnittlich 2700 Meter, .
ei^ben folgendes Bild: ^°
f
Frühere Geacliosse. Nene Geschosse,
Uistanzeinteilung der Ocschosabahn (in Metern) nach dem Charakter der Verwundungen.
Jedoch erbleichen alle diese Schrecknisse vor den Resultaten, welche
durch die Medizinal-Abteilung des Prenssischen Kriegsministeriunis, unter
Leitung des Chefs derselben, Professor Dr. von Coler, auf Grund zum
ersten Male genau wissenschaftlicher, mit deutscher Gewissenhaftigkeit
und Gründlichkeit dnrcbgeführter Versuche, erzielt worden sind.
Fast alle vorhergegangenen Versuche sind mit reduzierten Ladungen
zur Ausführung gekommen, d. li. dass man z. B. — nm die Entfernung
von 1800 Metern zu studieren ^ von der Nähe .schoss, aber statt 2,70 Gramm
Pulver nur 0,65 dazu nahm. In Folge dessen erhielt man zwar dieselbe
Bloeb, Dar nktifügs Kri«[. £l
ßg I. Die Feuerwaffen,
Anschlagskraft, aber die Geschosse hatten nicht die gleiche Rotations-
geschwindigkeit.
Auf die erlangten furchtbaren Resultate werden wir später, bei
Berechnung der wahrscheinlichen Zahl der Toten und Verwundeten,
zurückkommen ; hier wollen wir nur des Berichtes erwähnen, welchen der
obenerwähnte Generalstabsarzt Dr. von Coler, dem medizinischen Kongress
in Rom erstattet hat. '7)
Diese Versuche haben völlig widerlegt, was bisher von dem ver-
hältnismässig „humaneren" Charakter der neuen Projektile gesagt worden
war; auf allen Entfernungen sind die durch jetzige Geschosse verursachten
Verwundungen unvergleichlich schwerer als es die durch die früheren
Geschosse bewirkten waren.
Eingangs- Es ist Wahr, dass bei Entfernungen unter 600 Metern in die
gehrH^n, Wuudcn wcnigsteus nicht Stücke von Kleidungsstoffeu hineingetrieben
Ausgange ^'erdeu, da sich dieselben unter der Wirkung des noch in voller Kraft
trichter- aufschlageuden Projektils in Atome verwandeln; die Geschosswirkung
°'^"*'^' auf den Körper ist jedoch entsetzlich; sie ist der Wii'kung von Spreng-
stoifen ähnlich. Die Knochen werden durchaus nicht, wie man bisher
fälschlich annahm, vom Projektile wie von einer Ahle durchstossen, zer-
splittern vielmehr in kleine Stückchen, welche innerhalb des ganzen
Organismus wie unter der Wirkung einer Dynamitladung umhergeworfen
werden. Die Eingangsöffnung des Geschosses ist sehr klein, ja kaum be-
merkbar, ihr Ausgang ist aber sehr bedeutend. Das Projektil durchbohrt
nicht nur einen Körper, sondern durchschlägt zwei und drei Körper und
Pnive- bleibt erst im vierten stecken, Leber, Herz, Nieren werden von demselben
"m^c" zu Pulver verwandelt, andere innere Teile, desgleichen auch Muskeln, in
Organe und fitücke zcrrisseu. Dic Extremitäten werden vom Geschosse, sofern es auf
einen Knochen stösst, zerstört; Wunden am Kopf, an Hals und Leib sind
immer tötlich. Eine Wunde in der Brusthöhlung kann den Tod venirsachen,
selbst wenn das Geschoss nur zwischen der Lunge durchgegangen ist
und weder das Herz noch eines der grösseren Blutgefässe beruhigt hat.
Bei Entfernungen über 600 Meter ist die Wirkung dieser Projektile schon
weniger tötlich; jedoch bringen die in den Leib treffenden auch hier
grosse Zerstörungen hervor. So haben 49 Verwundungen des Unterleibes
auf 700 bis 1600 Meter Distanz 160 innere Rupturen in Blase und Magen
hervorgebracht. Die Durchschnittszahl der offenen von einem Geschosse
verursachten Wunden war 3, die höchste Ziffer 8. Auf bedeutenden Ent-
feiTiungen zerstört das Geschoss den Kleidungsstoff bereits nicht mehr,
sondern bringt häufig (12 % der Wunden) Stücke desselben in die Wunden,
^) „La France militaire".
Geschosswirkungen aus Gewehren verschiedener Typen.
67
was diese noch verschlimmert, da sich auf den Kleidungsstoffen aller
Wahrscheinlichkeit nach viele Mikroorganismen befinden.
Von 1000 Meter Entfernung an werden die Knochen gleichmässig
durchschlagen, bieten aber hierbei das Büd strahlenförmiger Bisse nach
allen Seiten von der Eingangsöfitnung der Wunde. Sogar bei 1600 Metern
Distan;5 hat das neue Projektil unter 40 % beobachteter Fälle bedeutende
Knochenbrüche hervorgebracht, mit Zersplitterung der Knochen in kleine
Stücke, die bisweilen an ihrer Stelle verblieben, bisweilen aber auch in den
Körper hineingetrieben wurden und hierbei gleich einer Scheere wirkten,
so dass bereits bei einer Schnelligkeit des Geschosses von 300 Metern in
der Sekunde die Gewebe des Körpers von demselben durchbohrt wurden.
Hierzu kommt, dass ein in den Körper eingedrungenes Geschoss mit
Stahlumhüllung seine Form verändert und häufig kleine, scharfe Splitter
giebt, welche die Gewebe zerreissen. Ueberhaupt zeigen die angestellten
Versuche, dass die frühere runde Kugel und selbst das längliche Geschoss
von 1870 im Vergleich mit dem jetzigen feinen und zierlicheren Projektil
mit Nickelumhüllung sozusagen „gutmütig" waren.
Obgleich die Angaben des General-Stabsarztes Prof. Dr. v. Coler für
eine graphische Darstellung eigentlich nicht gut verwertbar sind, so ver-
suchen wir es Angesichts der Wichtigkeit des Gegenstandes dennoch, eine
solche zu bringen.
strahlen-
förmige
Bisse der
Knochen.
Bande
Geschosse
viel
gutmütiger.
Die Deidimg
nicht gefährlich | 600 Meter
Bio Knochen
Graphische
^^^ Darslellang
12"/o bringt Stücke der Kleidung in die Wanden ""1 1600 Met. ^"
HHH^i^HH^^^^^^^^^HB^^iH^H^BBMMH^i^B^J Grausamkeit
der
zersplittern
1000 Meter
Wunden.
Durchschlagen mit 40 */o Knochenrisseu
Die inneren Teile
des Körpers
zerrissen
I 600 Meter
Leber, Herz, Nieren zu Pulrer venrandelt
1600 Met.
1600 Met.
Die Oeflnnng der
Wnnden
0,8 Centimeter EingangsÖiFnung
Ausgangsöifnung (12 bis 18 Centimeter) | 15 Ceiltimot.
Temperatnr der
Kngel
Minimum I 70 ^
Maximum
] 350 0
Die Oefahr
unbedingte
600 Meter
grosse
] 1600
Met.
Die Dnrchsclilacskraft
der Kngel
Minimum 1 3
Maximum
]«
Gi*aasamkeit der "Wunden durch Mantelgeschosse nach den Forschungen
des deutschen General-Stabsarztes Prof. Dr. v. Coler.
5*
68
I. Die Feuerwaffen.
Aendernng
der ehinirgi-
BcbenTli&iig-
keit sowie der
sanit&ren .
Maaes-
Bfthmen bei
Pflege der
Yerwandeten,
io Folge einer
Terftnderten
Krieg-
ffthmng.
In Folge aller dieser Umstände muss der künftige Krieg natürlich
auch in militär-medizinischer Hinsicht sich von den früheren Kriegen
unterscheiden, und zwar schon deshalb, weil sich mit der Aenderung der
Kriegführung auch der Charakter der ärztlichen Hilfe, besonders in den
vorderen Feldlazarethen ändern muss.
Je länger z. B. die Verwundeten auf dem Schlachtfelde werden liegen
bleiben müssen, desto wahrscheinlicher ist ein höherer Prozentsatz der
Todesfälle durch Verblutung, nochmalige Verwundung u. s. w. Die Zahl
der tötlichen Wunden wird ohne Zweifel zum Teil von der Zeit, zu
welcher die Hilfeleistung erfolgen wird, abhängen.
Wenn wir von den Verhältnissen des modernen Kampfes sprechen
werden, werden wir zeigen, dass gerade in Folge der Vervollkommnung
der Waffen und insbesondere der Geschütze die rechtzeitige Hilfeleistung
auf dem Schlachtfelde selbst, wenn nicht besondere Vereinbarungen ge-
troffen werden, in den meisten Fällen unmöglich sein wird.
8. Veraltung der jetzigen Gewehre und finanzielle
Resultate der neuen Umbewaffnung.
schätzang Das Gewehr, über welches die heutigen Heere verfügen, wird sich
v1>racwed^ iii jeder Hinsicht um Vieles stärker erweisen, als die in früheren Kriegen
"®'^ ^^®^'" gebrauchten Gewehre. Professor Hebler, eine der ersten Autoritäten
für Infanterie-Bewaffnung, giebt folgende vergleichende Tabelle über den
Weil; der in den einzelnen Staaten eingeführten Gewehrsysteme, wobei
als Vergleichseinheit der Wert des preussischen Mauser-Gewehres, Modell
1871 = 100 gesetzt ist:i)
Spanien .
England .
Schweiz .
Belgien .
Türkei ,
Russland
Deutschland
Oesterreich
Bulgarien
Frankreich
Dänemark
Portugal .
Schweden
7,0 Millimeter-Kaliber = B80
7,7
7,5
7,6
7,6
7,6
7,9
8,0
8,0
8,0
8,0
8,0
8,0
>i
?i
,1
M
r
r
„
71
?1
,1
^1
«
521
619
B16
516
512
474
440
440
433
411
410
393
>) „Das kleine Kaliber". Zflrich 1894.
Veraltung der jetzigen öewehre und ^nanzielle Resultate der neuen Umlaewaffnung. ß^
Diejenigen Hand-Feuerwaffen, bei welchen die wirkliche Gesamt- Prof.Hebier'8
leistungsfähigkeit 600 tibersteigt, nennt Professor Hebler „Waffen der Gewehre
I. Ranges"; solche, bei denen diese Leistungsfähigkeit zwischen 400 .^^^^'^Q^g^^t.
und 500 liegt, „Waffen II. Ranges"; endlich diejenigen, bei welchen jene j^^^^^'^J"
Leistungsfähigkeit geringer als 400 ist, „Waffen III. Ranges".
So erhält er folgende Rangordnung der jetzigen Kleinkaliberwaffen
mit Rücksicht auf ihre praktische Brauchbarkeit.
Spanien .
Belgien .
Türkei .
Deutschland
England .
Schweiz .
Russland
Frankreich
Dänemark
Portugal
Oesterreich
Bulgarien
Schweden
Waffen I. Ranges:
7,0 Millimeter-Kaliber = 580
7,6 „ = 516
7.6 „ = 516
Waffen 11. Ranges:
7,9 Millimeter-Kaliber = 474
7.7 „ = 469
7.5 „ = 467
7.6 „ = 461
8,0 „ = 433
8,0 „ = 411
8,0 „ = 410
Mauser
Lee-Metford
Schmidt
Lebel
Kropatschek.
Waffen in. Ranges:
8,0 MiUimeter-KaUber = 396
8,0 „ =396
8,0 „ =354
}
Mannlicher.
Das Streben nach Vervollkommnung der Gtewehre hat aber noch ^<>^
sehreitende
keineswegs ein Ende gefunden, im Gegenteil, vor uns wiederholt sich Besaitate
die Erscheinung, dass, wenn eine neue Umwaffnung kaum vollendet ist dir"wJffln-
und die Truppen erst im Begriffe sind, den Gebrauch der neuen Waffe *«<^^"»^-
sich anzueignen, die Technik bereits wieder einen Schritt vorwärts gethan
hat, einen Schritt, welcher neue Aenderungen hervorruft und mit neuen
noch unmässigeren Ausgaben droht, als ob dieselben bezweckten, den
Krieg zuletzt fast undenkbar zu machen. Wir haben schon gesagt, dass
die Treibkraft des neuen rauchschwachen Pulvers drei- bis viermal stärker
ist als die des früheren Pulvers; aber diese Kiaft wird noch nicht voll
ausgenutzt, da zur Ladung des Gewehres nur ein Teil des früher
erforderlichen Pulverquantums verwandt wird.
Je bedeutender die Explosionskraft des Pulvers ist, desto stärker
kann natürlich die Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses sein, desto grösser
die Treffweite und Rasanz des Schusses. Die Triebkraft der neuen Gewehre
70 I- I^iö Feuerwaffen.
ergiebt eine Geschossgeschwindigkeit von 620 Metern in der Sekunde;
dieselbe kann aber auf 1000 Meter gesteigert werden, und bei gleichzeitiger
Steigerung der Durchschlagskraft des Geschosses wird es möglich sein,
dessen Umfang zu verringern, weil angenommen wird, dass auch ein
kleineres Projektil, w^enn es nur mit einem festen Mantel versehen ist,
genügt, um selbst mehrere Personen, die hintereinander stehen, kampf-
unßlhig zu machen.
Nachdem in Russland das 7,62, in Italien gleichzeitig das 7 Milli-
meter-Kaliber angenommen war, begann man im Auslande Gewehre von
6,5 Millimeter-Kaliber herzustellen. Mit solchem Gewehre ist jetzt ein
Teil der italienischen, niederländischen, schwedischen, norwegischen und
rumänischen Armee bewafi'net. Aber man bleibt lüerbei nicht stehen.
Der schon genannte Professor Hebler empfiehlt auf Grund seiner Versuche
mit Geschossen von 6,0, 6,6 und B,0 Millimetern, einstweilen das 5 Milli-
meter-Gewehr, weist aber auf die Möglichkeit hin, das Gewehrkaliber
noch mehr zu verringern.
Voraussicht- „Im allgemeinen Prinzip", sagt er, „ist der Durchmesser des Laufes
Einführong auf dcu kleinsten Umfang zu beschränken, welcher 'noch genügend ist
weTüwen*' *^^ Gcgucr duTch eiu Geschoss auf beträchtliche Zeit kampfunfähig zu
oewehrkaiib. machen. Die Grenze liegt hier in jedem Falle noch weit niedriger als
als das des '
6 Miiumeter- B Millimeter. Es ist wahr, die Anfertigung von Läufen mit dem
oowehres. g;^^^^^ 4 q^^j. 3 Millimeter ist auch jetzt schon möglich, hat
aber noch grosse Schwierigkeiten zu überwinden. Jedoch ist es
durchaus wahrscheinlich, dass in späteren Jahrhunderten der Durchmesser
des Gewehrlaufes weniger als B Millimeter betragen wird." 2)
Eine andere Autorität, der preussische General Wille, teilt die An-
sicht des Professors Hebler, dass B Millimeter-Gewehre zulässig sind und
spricht weiter die Ueberzeugung aus, dass die Technik sehr bald aller
Schwierigkeiten Herr werden wird. Er erinnert daran, wie häufig die
Ansichten der Theoretiker schon praktisch überflügelt worden sind und
fügt hinzu: falsche Pi^opheten sind diejenigen, welche jetzt aussprechen:
nee plus infra — , und so wird es sein, weil die Vorzüge der kleinen
Kaliber allzu grosse sind und die Technik allzu mächtig ist, um nicht die
ihr entgegenstehenden Hindemisse zu überwinden.
Nach Prof. Dcr russische Professor Potocki schreibt gleichfalls im Journal
^„^j^f j|-,d „Raswjedtschik" Folgendes: „Viele Militärtechniker schlagen vor, das
das Kalibor Gcwehrkalibcr bis auf 6 Millimeter (2 Linien) herabzusetzen. Das Bohren
pewehres solclicr Läufc bietet bereits gegenwärtig wenige Schwierigkeiten; das
BimumltlT Kaliber, bei welchem das Projektil aufhört, den Mann für längere Zeit
licgun.
-) (Jonoral Wille: „Das kleinsio Gowelirkalibor". Berlin 1893.
Veroltung der jetzigen Gewehre und finanzielle Eesultate der neuen Umbewaffnung. 7 1
kampfanfahig zu machen, ist bis jetzt noch nicht durch die Praxis fest-
gestellt, aber auf alle Fälle kann man sagen, dass es unter
5 Millimeter liegen wird. Das einzige Hindernis, welches einer
weiteren Verminderung des Kalibers und einer entsprechenden Ver-
grösserung der Anfangsgeschwindigkeit der Geschosse entgegen treten
kann, ist der ausserordentliche Druck der Pulvergase auf die Wände des
Kanals."
„Nach dem zu ui'teilen, was bereits beim rauchschwachen Geschütz-
pulver erreicht ist, bei welchem die stärkste Spannung den Durchschnitts-
druck nicht mehr als 1,5- bis 1,7 mal überschreitet, lässt sich hoffen,
dass ähnliche Resultate auch bald für das Gewehrpulver eraielt sein
werden. Dann wird es auch möglich sein, ein Infanterie-Gewehr her-
zustellen, welches dem Projektile von etwa 4,3 Gramm Gewicht eine
Geschwindigkeit von ungefähr 1000 Metern in der Sekunde mitteilen wird.
Bei den Schnellfeuer -Geschützen ist es bereits geglückt, solche Ge-
schwindigkeit zu erzielen."
In seinem Werke „Das kommende Feldgeschütz" führt General
Wille an, dass bei den Gewehren des Fabrikanten Daudeteau bereits eine
Anfangsgesch^^indigkeit von 810 Metern erzielt ist.
Auch die Versuchskommission der nordamerikanischen Marine hat in
sich schon für ein 6 Millimeter-Gewehr entschieden. Das Geschoss soll wird"^^ *
8,75 Gramm, die Ladung 2,14 Gramm wiegen. Die Anfangsgeschwindig- ® ^'ew^hr^'
keit ergiebt 731,5 Meter. Das Material des Laufes ist Nickelstahl. "**«inein a«
Der Berichterstatter der „Jahrbücher für deutsche Armee und Marine" gefertigten
bemerkt ganz richtig, dass der Vorgang von hoher Bedeutung ist, in- Etnflibrung
sofern er eine weitere, so rasch kaum erwartete Reduktion des Kalibers »klangen.
der Hand-Feuerwaflen darstellt, nachdem die zuletzt getroffenen Ent-
scheidungen an der Grenze von 6,5 Millimeter stehen geblieben waren.
Der Berichterstatter der Militär -Zeitschrift „Minerva" geht in seinem
Berichte über Fortschritte auf technischem Gebiet des Jahres 1893 noch
weiter und sagt: Das Verfolgen der einschlägigen Literatur des Vorjahres
führt den aufmerksamen Leser zu dem Schlüsse, dass wir nicht nur
theoretisch, sondern auch bei den praktischen Versuchen zu einem
5 Millimeter-Gewehre gelangt sind, dessen ballistische Leistungen jene
des 8 Mfllimeter- Gewehres weit übertreffen. Die Konstruktionsfrage
scheint demnach gelöst zu sein. .
Im Falle eines Krieges wird die grosse Mehrzahl der Soldaten mit ueteriegen-
Gewehren von 7,5 Millimetern oder einem etwas grösseren Kaliber be- ß Muiimeter-
waffnet sein. Wenn man den Wert dieses Gewehres mit dem des ^^^^*^*^^^^* ^^
5 Millimeter-Gewehres vergleicht, so ergiebt sich, dass letzteres um 23% Kaliber.
dem ersteren überlegen ist. Die Bedeutung des neuen Gewehres für
I« ErTolga
72 I- ßie Feuerwaffen.
den künftigen Krieg tritt aber noch charakteristischer hervor, wenn man
das Hebler-Gewehr nicht mit den Kleinkalibergewehren, sondern mit den
Zttndnadelgewehren, die noch im Kriege 1870 gebraucht wnrden, ver-
gleicht. Ein solcher Vergleich ergiebt, dass das 6 Millimeter- Gewehr
mehr als ISmal wirksamer sein wird. Im Vergleich mit dem Maaser-
Gewehre (Mod. 1871) soll das Hebler'sche 6 Millimeter-Gewehr, wenn
man seinen Worten glauben soll, fast 6mal wirksamer sein.
Um die Erfolge der Technik in dieser Hinsicht noch deutlicher
hervortreten zn lassen, geben wir nachstehende graphische Darstellnng.
Di» Diese Schätznng des 6 Millimeter -Gewehres bei Professor Hebler
voBftge a« mag sogar stark Übertrieben sein und einstweilen nnr rein theoretischen
^'g"«h«" Wert haben, in jedem Falle aber kann der gewaltige Vorzng der Klein-
bHt«k*ii kalibergewehre sowohl in ballistischer Hinsicht als auch in Betreff der
MKiti^h^ grosseren Leichtigkeit von Gewehr und Patronen keinem Zweifel
^^"kX unterliegen.
'•''="'"' In voller Aasrüstnng ist der russische Infanterist bei ein nnd dem-
nBdzo- selben Gesamtgewicht der Patronen verseilen:
Uhdde aimt
„icuioberou bei dem Berdan-Gewehre mit. ... 84 Patronen')
■uitiirtD^g. bei den neuen Gewehren mit. , . . 150 Patronen.*)
') In den aualändischeo StAaten hat der Infanterist bei ein und demselben
(losam (.gewicht der Patronen;
iti Üesterreich-Ungarn und der Scliweiz . . . 100 Patronen
„ England 115 „
,. Belgien und Frankreich 120 ..
„ Deutsi^hland und der Türkei 150 „
„ Italien 192 „
Vergleich des 7,66 Millim.-Gewehres
mit dem neuesten 5 Millim.-Mausergewehre (Sohiesspulverladung 2,16 g).
Sohnelligkeit des Geschosses in Metern.
7,66 UtUim.-Oewebr. 5 Uillim.-Oewelir.
6« 1216
Durehsohlagskraft.
Eindringen in aus Eindringen i
geacbnittenea Eicbenliolz. Entfernung
1^
2*t
381'
9309
Veraltung der jetzigen Gewehre und finanzielle ^Resultate der neuen Umbewaffnung. 73
Aber bei den 5 Millimeter-Gewehren vergrössert sich die Zahl der vorteil einer
rdi ch G f A II
Patronen ohne Steigerung der Belastung bis zu 270, d. h. verdoppelt patrouen-
sich beinahe. Wenn letzterer Umstand auch nur der einzige Vorzug des ^eTMaMiL
5 Millimeter-Gre Wehres wäre, so würde derselbe doch schon völlig hin- ^ö^™
' ° 5 Millimeter-
reichen, um unter dem Drucke der heutigen politischen Verhältnisse die Gewehre.
Einführung des neuen Gewehres zu veranlassen. Ein Bataillon, welches
bei gleicher Gepäckbelastung dem Gegner mit doppeltem Patronenvorrat
gegenubertritt, wird nicht fürchten, sich zu verschiessen ; es wird einem
Krater gleichen, der Massen von Projektilen ausspeit.
Die Kosten des 7,6 Millimeter-Gewehres kann man auf 8B Francs Kosten
berechnen, die einer Patrone auf 10 Centimes. Wir nehmen an, dass das bewaffnunj?.
neue 5 Millimeter-Gewehi' im Ganzen gegen 120 Francs kosten wird, der
Preis der Patrone der gleiche bleibt und der Patronenvorrat für jedes
Gewehr etwas weniger als den vierfachen Bestand umfassen wird, d. h.
1000 Stück, die Umänderungskosten für Aufbewahrung und Transport
der Patronen pro Gewehr etwa 20 Francs betragen.
Nach den vom deutschen Kriegsministerium für den Eeichstag auf-
gestellten Berechnungen setzt sich die Infanterie der einzelnen Mächte
auf Grund der gegenwärtig geltenden Wehrgesetze zusammen:
in Italien aus 1 267 500 Mann
„ Oesterreich „2062 000 „ *)
„ Deutschland „3600000 „ s)
„ Frankreich „ 4 150 000 „
„ Eussland „4656000 „
Für die Umwaflfnung der Infanterie allein wären also erforderlich:
für Italien 304 Millionen Francs
„ OesteiTeich 495 „ „
„ Deutschland 864 „ „
„ Frankreich 996 „ „
„ Russland .... . . . . 1093 „ „
Insgesamt . . 3752 Millionen Francs.
In der graphischen Darstellung geben diese Ziffern folgendes Bild:
(Siehe die graphiselie Darartellnng auf der folgenden Seite oben.)
Hier entsteht nun die Frage: wird es möglich sein, so bedeutende
und sich noch steigernde Ausgaben für die Schlagfertigkeit der Heere
zu machen? und ferner: wird die durch die Forderung unerträglicher
*) Darunter 300 000 Mann Reserve.
*) Mit Ausschluss von 300000 Mann vergünstigter Reserven.
I. Die Feuerwaffen.
t 5 Millimeter-Gewehren
Opfer liervorgerufene Unzufiiedenheit nicht eine übermächtige werden?
Wenn endlich breiten Schichten der Bevölkerung die Vorzüge des neuen
Gewehi-es bekannt sein werden, wenn man erfahren haben wird, dass in
den Armeen jeder Soldat mit 270 Patronen aasgerüstet sein wird, welchen
Eindruck wird dies, sobald darch die beständige Propaganda die Be-
deutung verstanden wird, in sozialdemokraüschen Kreisen, überhaupt
inmitten jener Elemente, welche mit der ganzen gegenwärtigen politischen
Ordnung in Westeuropa im Kampf liegen, hervorbringen?
»nMichts- Auf Grund der bisherigen Erfahrungen sind wir, wie schon erwähnt,
Birtb^Kon, zu dem Schlüsse berechtigt, dass die auf Vervollkommnung der Waffen
^"k'vw'"" gerichteten Bemühungen noch nicht abgeschlossen sind, und dass danach
bi. nt t. gestrebt wird, das Gewehrkaliber bis auf die von Hebler und Potocki
aMiu'mttsr vorgescMageueu Grenzen, d. h. auf 4 und vielleicht sogar auf 3 Millimeter
la'Teta^n. herabzumindem.
Es ist wahr, der Verwirklichung dieser Bestrebungen stehen noch
bedeutende technische Schwierigkeiten entgegen, aber die schnellen Er-
folge der Technik in der Vergangenheit bürgen dafür, dass ihr auch
dieses gelingen wird.«)
') Wir finden in „Scionces militaires" die Beschreibung eines neuen, voo
Mannesmaon erfundenen Verfalirens, einen G-ewehrlauf liorzii stellen, welcher
sich bedeutend widerstand sfdliiger zeigt als die durch andere Fabrikation sart.on
erhaltenen Gewehr! äufo. Diese grosse Widerstandsfähigkeit muss maa der
inneren Struktur der Röhrenmasse zuschreiben, welche aus schiclitweise gerollten
und von einer Schicht zur andern aich wieder kreuzenden Fasern gebildet wird.
Ausserdem scheidet das fortgesetzte Walz verfahren yormögo der innigen Mischung
der Masse alle Fehler, welche im Innern des ursprünglichen Zylinders entstehen
können, aus.
Bisher hat man Röhren mit äusseren Durchmessern zwisclion 0,005 Metern
und 0,040 Metern gewalzt — in einem Kaliber von der Stärke eines Stecknadel-
kopfes bis zu 0,985 Metern im äusseren Durchmesser und in einer Länge, die
27,43 Meter erreicht hat. Man hoiTt bei der zunehmenden Vervollkommnung
der Mannes mann 'schon Walzwerke Röhren noch bedeutenderen Durchmessers
herstellen zu können.
Vorschläge npaer Vervolltommnungen. 75
Ein solches Gfewelir wird in noch höherem Maasse das jetzige i'»'™""-
übertreffen, als dieses den alten Gewehren sich überlegen gezeigt hatte, mit gieithem
Die Verminderung des Gewichtes des Gewehres und die Verkleinening i,d "„thie-
des Kaliber« bis auf 4 Millimeter gestattet das Tragen eines Patronen- oewX-
von-ats von 380 Stück, bis auf 3 Millimeter das Mitsichfüliren eines «j-i»"'«'-
VoiTats von 675 Stück Patronen; ausserdem wird die gestrecktere
Geschossbahn einen weit gi-össeren bestrichenen Kaum ergeben, d. h. das
Gewehrfener auf die feindlichen Linien ohne Üistanzvisier viird nicht, wie
jetzt, auf einer Strecke von 600 Metern, sondern auf einer Strecke von
mehr als 1000 Metern wirksam sein.
Die Vorzüge der grösseren Leichtigkeit der Gewehre und der er- s»''«"
giebigeren Rasanz bei Seite lassend, bieten wb' in graphischer Darstellung flBropiUfbBn
nnr den Vergleich der bei den verschiedenen Gewehrkalibem zulässigen „ii^J^^to,
Patronenanzahl , also der einer und derselben Gewichtseinheit ent- . •^"»j""
sprechenden Anzahl Patronen. «n KaiiiKir.
KinfnliniDg
PatronenanKalil mit gleichem Gewicht. ^
Angesichts solcher Vorzüge ist es sehr wahrscheinlich, dass in ab-
sehbai-er Zeit wiederum neue Gewehre kleineren Kalibers werden eingeführt
werden. Führt solche auch nur eine einzige Grossmacht ein, so werden die
anderen Mächte genötigt sein, ohne Rücksicht auf die Folgen für ihre Bud-
get das Gleiche zu than, und so werden die fünf obengenannten Mächte,
von deren Willen es abhängen würde, den Rüstungen Stillstand zu ge-
biet«ii, auf einmal gegen 2—3 Milliarden Mark zu verausgaben haben.
9. Vorschläge neuer Vervollkommnungen.
Gegenwärtig dürfte man kaum zu behaupten wagen, dass bei den venocb*
heutigen Fortschritten der Wissenschaft nicht neue hochbedeatsanie gamtigste
Vervollkorarannngen und Neuerungen in der Waffentechnik eintieten q^*^^"
werden, es sei denn, dass der hierzu gegebene Antrieb beim Schwinden
der bezüglichen Nachfrage von selbst wirksam zu sein aufliören würde.
76
I. l)ie Peuei^vaffen.
Professor Hebler hat Studien über die absolut günstigste Fonn füi*
Vollgeschosse unternommen und giebt in einer Tabelle die günstigsten
Resultate an. Die Hauptergebnisse sind folgende:
B em erk u ngen
Deutsohland Mod. 71
(Maaser). 1
Normales Geschoss
^8
Is
11
2 o
tili
■
OB ;-\l-i
•2'i'^ 8
llll
1
Hebler Mod. 91.
Normales Geschoss
'S. * 8
5 Sä
■ .. M
Kaliber MiUim.
11,0
7,9
7,9
7,9
5,0
5,0 1 5,0
Gewicht des Geschosses Gramm
25,0
14,5
13,0
11,4
5,8
5,2
4,5
Wirksame Scliussweite . Meter
1601
2127
2633
3500
2330
3081 . 4094
Endgeschwindigkeit . . Meter
132
150
189
268
166
225 1 320
Durchschlagskraft gegen
1
weiches Tannenholz . Centim.
5,5
7,4
10,5
18,6
9,0
14,8 1 25,8
Totalschussweite
(a = 30«) Meter
2951
3816
4815
6675
4138
5606
7742
Wirküche Flughöhe, bei
senkrechtem Schuss . Meter
984
1272
1605
2225
1379
1869
2581
Erfindung Mau sieht, wie bedeutend die Unterschiede sein könnten, i) Aber
geachoBsen Professor Hebler blieb bei diesen Studien nicht stehen; er teilt mit,
•chwidiMg ^^^ ®^ ^^^^ wichtige ballistische Aufgabe gelöst, nämlich für die
des Luft. Hand -Feuerwaffe Eöhrengeschosse erdacht habe, welche längs der
Zylinderachse durchbohrt sind, d. h. einen länglichen, durchgehenden
Kanal haben, welcher den Widerstand der Luft gegen den Flug des
Geschosses erheblich vermindert.
Beechreibong Dieses Projektü hat zu beiden Enden eine kegel- oder bogenartige
Einrfcbtung FoHu, ähulich der Form der Geschosse für Zündnadelgewehre, während
"^d'r'h"'*" der innere Kanal im hinteren Ausgange trichterförmig erweitert ist. In
lassenden diescu Trichter wird ein Zapfen eingeführt, der sich auf einer festen
esc osse. pappgßjjgijjg befindet, auf welche von hinten der Druck des aufflammenden
Pulvers wirkt. In Folge des Druckes der Gase hält sich diese Scheibe
mit dem Zapfen in dem Kanal des Geschosses, solange dasselbe im
Gewehrlaufe verbleibt. Beim Verlassen desselben, sobald der Druck der
Gase aufhört, stösst die entgegenkommende Luft die Scheibe zurück,
und das Geschoss fliegt mit geöffnetem Kanal, die Luft durch sich
hindurchlassend, weiter.
Bis zu welchem Grade bei einer solchen BeschaiFenheit des Ge-
schosses der Widerstand der Luft gegen dessen Flug sich vermindern
0 „Das kleinste Kaliber". Zürich 1894.
Photographische Darstellung des Gesehossflug-es.
Sohematische
Darstollun^ dßr
LuUbewegung'
vor einem
fliegenden Gesehoss.
aa. Vordere Lurtwelle
in Form einer Pa-
bb. Bintere Luftwelle,
welche sich mehr
der geradim Linie
nähert.
(,J»h[t,flrh«r tat die deutnsli«
Arme* nnd Mlrise.- «blund-
Uie heutige Moment-Photographie, die in letzter Zeit bedeutend vervoll-
kommnet wurde, diente auch dazu, Geschosse im Fluge aufzunehmen.
Die neuesten Versuche in dieser Richtung wurden von den Professoren
Boys und Mach ausgeführt, und die erhaltenen Resultate sind von ausserordent^
lichem Interesse. Wir geben hier eine Abbildung einiger interessanter Auf-
nahmen der genannten Herren in verschiedenen Augenblicken, beim Schiesspn
aus Kanonen und Gewebren.
Abbildung 1 zeigt die Luftströmung, welche beim Verlassen der Mündung des
Geschützes die Schallwelle zerstört.
Abbildung 2 stellt die .Luftströmung dar, welche unter einem Druck von
40 Atmosphären aus der Mündung des Geschützes ausgest^issen wird.
Abbildung 3 zeigt die Lufl, die Pulvergnse und das Gesehoss vor dem Gewehrlauf.
Abbildung 4 zeigt die aus dem Gewehrlauf ausgetriebene Luft, hinter der das
Gesehoss folgt.
Abbildung 5 zeigt die Schallwelle, welche auf den Schuss folgt.
Abbildung 6 zeigt das an beiden Enden zugespitzte Gewehrgeschoss während
des Fluges bei Ö20 m Anfangsgeschwindigkeit.
Vorschläge neuer Vervollkommnuiigen.
77
muss, zeigt die folgende Zeichnung, welche den die Geschossbahn be-
gleitenden Luftkegel darstellt. 2)
Prof. Hebler nahm also an, dass die Luft,
wenn ihr die Möglichkeit gegeben wird, die im
Projektil gemachte Oeffnung zu durchströmen,
einen geringeren Widerstand gegen die Be-
wegung des Geschosses ausüben wird, was die
geradere Richtung der Flugbahn des Geschosses
zur Folge haben muss. Die TreiFlinie bei einer
Distanz von 1000 Metern Rasanz sollte sein: Ansicht d. Geschosses während
bei dem 11 Millimeter-Mauser-Gewehre (Mod. seiner Bewegung mit dem
1871) — 20 Meter, bei dem 7,5 Millimeter- L^ftkeg^i.
Gewehre (Mod. 1888) und seinem jetzigen Geschosse — 42 Meter, bei
demselben Gewehre mit dem leichten Hohlgeschosse — 218 Meter und
bei dem neuesten 5 Millimeter-Gewehre und dem leichten Hohlgeschosse
bereits 400 Meter, d. h. sie ergiebt eine Länge, die 20 mal grösser ist
als bei dem Gewehre von 1871, und lOmal grösser als bei dem jetzigen
deutschen Gewehre.
Des besseren Verständnisses halber wollen wir nach dem neuesten suhi-How-
Werke von Prof. Hebler s) die Zeichnung von 3 Patronen in nattti'licher „St Hewer.
Grösse und einem vergi-össerten Durchschnitte geben.
Deutsche Patrone, Mod. 88 (Stahl-Hohlgeschoss).
(Sifllie aaeh die folgende Seite.)
Die Einführung dieser Geschosse wird nach Hebler keinerlei Ver-
änderung in dem jetzigen Bau der Gewehre erfordern, sondern nur die
zwischen ihnen bestehenden Verhältnisse ändern.
Es entsteht natürlich die Frage, welchen Wert die vorgeschlagene
Aenderung haben kann. Zunächst berechnete Prof. Hebler die „Güte**
2J „La Nature"*.
') „Das kleinste Kaliber".
I. Die Feuerwaffen.
"Vorschläge neuer Vervollkommnungen.
79
fftr Mantelgeschosse; wenn man dieselbe für das 11 Millimeter-Gewehr
Mod. 71 mit 100 bezifiert, so ergiebt sich Folgendes :
7,9 Millimeter-Gewehr 88 mit der jetzigen Patrone: 474
7,9 „ 88 ,
schwerem Hohlgeschoss : 1873
7,9
5
B
5
n
88
88
88
88
,, leichtem „ 2240
, gewöhnlicher Patrone: 1429
, schwerem Hohlgeschoss: 5213
,, leichtem „ B662
desgl. mit ganzer Hülsenfüllung: B842
,,Es ist jetzt also möglich, durch Einführung des Kmka-Hebler-
Hohlgeschosses die Leistungsfähigkeit der Kleinkaliberbewaffnung auf
das Fünffache und beim üebergang auf die 5 Millimeter -Kaliber sogar
auf das Zwölffache zu steigern!"
Die Mantelgeschosse erwiesen sich nicht praktisch und Prof. Hebler
setzte an Stelle derselben das aus einem Stück hergestellte, nicht mehr
ans Kern und Mantel bestehende Hohlgeschoss, aber selbstredend nicht
aus Hart- oder Weichblei, Zink oder Zinnzink, sondern aus widerstands-
fähigerem MetaD, also Stahl. Den Wert dieser neuen Geschosse giebt
folgende Zusammenstellung, die wir dem Werke des Generals Wille ent-
nehmen.4)
Boden iende
Steigerung
d. Leistungs-
fähigkeit
des
Kleinkaliber-
gewehres bei
Anwendung
von Stahl-
Hohl-
gesehossen.
5 mm -Gewehr
5 mm - Gewehr
Deutsches Gewehr 88
mit schwächerer
mit stärkerer
Patrone
Patrone
G
60 Bestrichener .So i< et
0
JSf Bestrichener
«-§ lli ►
.2 ® ' d _
9
Bestrichener .So ^e
a
Baum gegen S> 2 ; S a ^
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SP S 1 S 'S «D
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m
m
m 1 m cm 1 m
m m 1 m 1
cm m
m 1 m m
cm
m
500
703
93 0,24
960
— ' 171 ',0,20
11171 -
1
238 0,15
1000
629' 200 212
5621 123 130
ii 1
75 il,09
60 , 2,76
48 (5,53
38 9,76
878'
804 i 233
1
1
246
143 0,89
1027' - ' — 201 '
0,66
1500
119' 2,19
945
869
308
326
170
1,61
2000
502
449
83
88'
62'
1
735
163
173 i 100 '4,28
127 ' 84 ' 7,35
215
228!
1
144'
3,12
2500
59
672'' 120
799 162 171
1 1
1221
5,33
Mit der Aenderung der ballistischen Eigenschaften hat natürlich
auch wieder die „Güte" eine beträchtliche Verschiebung erfahren; für das
deutsche Gewehr 88 ist dieselbe zwar — gegenüber dem leichten Mantel-
Hohlgeschosse — um eine Kleinigkeit gesunken (von 2240 auf 2205) ; aber
*) „Fortschritt und Rückschritt des Infanteriegewehrs".
80
I. Die Feuerwalien.
was will das sagen? Hat sie doch für das 5 IVIillimeter-Gewehr von 5842
bis 6805 bezw. 7453 zugenommen; mit der „stärkeren" Patrone ist also
diese Waffe dem deutschen Gewehre Mod. 71 fünfundsiebzigfach überlegen!
Enorme g^jj solches Stahlgeschoss wird, selbst auf weite Entfernungen,
rang alle im Felde vorkommenden Deckungen durchdringen. Der üebergang
"hom- zum Stahl-Hohlgeschosse, sagt Professor Hebler, dürfte voraussichtlich für
ge8cho8808. ^1^ heutigen Kleinkaliberwaffen schon in verhältnismässig ganz kurzer
Zeit erfolgen, und so würde die höchste mögliche Leistungsfähigkeit der
jetzigen kleinkalibrigen Militärgewehre recht bald erreicht werden. Der
grosse Wert der Hebler'schen Erfindung liegt in der ungemein ver-
grösserten Rasanz. Es kann demnach schon gegenwärtig bei einer
Distanz von 1000 Metern die Trefflinie um das Fünffache erhöht, d. h.
von 42 auf 218 Meter gebracht werden.
Vergleich der Offenbar wird demnach die Idee Hebler's nicht von der Tagesordnung
Leietnngs-
fiihigkeit von verschwinden; wenigstens befürwortet er dieselbe mit dem früheren Eifer
gesehoesen ^^^ stützt sic durch ueuc Versuchc und Berechnungen.
mit Kanal-
gescliosaeii. VoUgeschosse Geschosse mit einem Kanal
Maoser-Gewehr
Lebel-Gewehr 1886 . . .
5 Millimeter-Gewehr . . .
400
Länge der Trefflinie bei einer Distanz von 1000 Metern.
vereacha Weuu Hebler richtig urteilt, so wäre die Einführung des neuen
gwciios^ii in Geschosses nur noch eine Frage der Zeit. Jedoch ungeachtet dessen,
Amerika. ^^^ Versuche mit Hohlgeschossen schon im Jahre 1874 angestellt worden
sind, ist man bis jetzt zu keinem definitiven Resultat gekommen. Seitens
des Nordamerikanischen Kriegsdepartements in Frankford -Arsenal*) mit
dem Hohlgeschosse unter vergleichsweiser Heranziehung des Dienst-
gewehres Mod. 92 angestellte Versuche sind nicht günstig ausgefallen.
Das Hohlgeschoss stand an Trefffahigkeit dem älteren ganz erheblich
nach. Es zeigte sich eine merklich raschere x^bnahme der Geschwindig-
keit, sodass die prätendierte Abnahme des Luftwiderstandes beim Hohl-
geschoss eine Täuschung zu sein scheint. In trockenes Eichenholz auf
1 Meter von der Mündung drang das Hohlgeschoss 7 Zoll, das Normal-
geschoss aber 16,5 Zoll ein. Die Vorteile des Hohlgeschosses würden
hiernach nur in der Verminderung des Gewichtes der Munition und in
der Verflachung der Bahn auf näheren Entfernungen bestehen.
*) „Jahrbücher für die Deutsche Armee und Marine". Band 94. Heft III.
März 1895.
Vorschläge neuer VervoUkonmmuiigen. gl
Das Oesterreichische Militär -Komit6 hat ebenfalls Pi-oben mit den Meinung
Hohlgescliossen des Professor Hebler angestellt. reichisoiien
Die Versuche erstreckten sich auf Ermittelung der Geschoss- ^omuTa
geschwindigkeit, der Ordinaten der Bahn von 4B0 Meter und auf das ^^^^j^^^^""
Verhalten des Geschosses beim Eindringen in Rotbuchenholz.
Der Bericht zieht nachstehende Folgerungen aus den Versuchen:
das Hohlgeschoss hat vor dem gleichgeformten und belasteten Voll-
geschosse weder einen Vor- noch Nachteil in der Bahnrasanz, hinsichtlich
des Durchschlagsvermögens ist bei dem Hohlgeschosse das Verhalten
ungünstiger als beim Vollgeschosse. Das leichte Hohlgeschoss — Stahl-
geschoss — steht dem schweren selbst bei den kleinsten Entfernungen
und trotz der grösseren Anfangsgeschwindigkeit nach.
Aber wieviele noch embryonische Verbesserungsentwürfe werden ZT^raofto-
aossiehten.
Sich an der Hand der modernen Wissenschaft und bei den regen Be-
strebungen nach Vervollkommnung der WaiFen in der Folge verwirklichen !
Jedenfalls steht heute fest, dass das jetzige Dienstgewehr der Haupt- venuohe
Staaten schon überwunden ist. Dasselbe bildete nur einst einen kurzen den ^nesten
Ruhepunkt zwischen zwei schnell fortgeschrittenen Etappen des zeitgemässen ^«'^®^"^
Gewehres, nämlich zwischen dem von 11 bis 8 Millimetern und dem zwischen
8 und H 1/2 Millimetern Kaliber. Die letztere Etappe ist heute fast überholt.
Ein Vergleich dieser Kaliberstufen in Bezug auf Geschwindigkeit
und Gestrecktheit der Bahn ergiebt:
Die 11 mm- Waffen schiessen mit einer Geschwindigkeit von 420 bis 450 m
Die Versuche in Italien liefern den besten Beweis füi' die Vorzüge
des neuen 6,5 Millimeter-Gewehres vor dem älteren Vetterli-System.
Mittleres Yerh<nia beim Schnellfeuer Yetterll-Gewehr 6,6 Millimeter-Gewelir
Trefferprozente 100 130
100 Schützen in einer Minute Troller . 100 166
Gleiches Patronengewicht 100 178
Das 5 Millimeter-(Tewehr liefert aber noch viel günstigere Resultate
und das Ai-meehlatt nennt dieses Gewehr „unser Zukuiiftsgewehr".^)
Wenn die Neuerungen vervollkommnet und von den meisten der
heutigen Heere angenommen sein werden, wird man um so mehr Grund
haben, sich zu fragen: wird bei den jetzigen Massenheeren genügende
Standhaftigkeit vorhanden sein, um auf so weitreichende Entfernungen
ununterbrochen ein vernichtendes Gewehrfeuer auszuhalten, und wird der
glücklichste Krieg im Stande sein, die Verluste, welche er mit sich
bringen muss, auszugleichen ?
^) LöbeU's „Militärische Jahresberichte" 1804.
Bio eh, U^T rakftnftige Krieg. 6
82 !• J^i© FeuerwaiFen.
10. Selbstlader- und Aluminiumgewehre.
Es sind neue Systeme von Selbstladergewehren aufgetaucht, welche in
Bezug auf Feuerschnelligkeit die jetzigen sogenannten Magazingewehre
weit hinter sich lassen und dieselben verdrängen dürften, i)
Die Bei diesen neuen Gewehren wird der Rückstoss ausgenutzt. Das
Selbstlader-
gewehre, Gcwehr ladet sich nach dem Schusse von selbst; der Rückstoss wirkt
Eiiirfchtung ^^^ einen besonderen Mechanismus, welcher aus dem Gewehre die Hülse der
und ausser- abgeschosscuen Patrone heraustreibt und an ihre Stelle eine neue Patrone
gewönnliciio ^
Feuer- ciuschaltet. Das Gewehr ist immer geladen; sobald es abgeschossen wird,
gesc^™ lg- Y^^Q^ gg gj^jj damit zugleich von neuem. Man kann mehrmals schiessen,
ohne das Gewehr von der Schulter zu nehmen und ohne Zeit und Mühe
auf das Laden zu verwenden.
Die Erfindung ist praktisch noch nicht vei-wertet worden, aber die
Anwendung wird nicht auf sich warten lassen. Wichtig ist schon der Um-
stand, dass der Gedanke praktische Anwendung gefunden hat. Es liegen
bereits eine stattliche Reihe von Modellen vor.
Die bisher vorliegenden Modelle von Selbstladern sind nach vier
grundsätzlich verschiedenen Systemen konstruiert, teils mit beweglichem,
teils mit festem Laufe versehen.
Äbsprecheude Die Gegner der Selbstlader sagen zwar: ,,Wir erzielen schon heute
i*n Betrefft siebzchu Ms fünfundzwauzig gezielte Schüsse in der Minute und fünfund-
^'olb'rauchr dreissig bis fünfzig als mechanische Schnellfeueiieistung! Und da will
der man uns nun gar mit selbstspannenden und -ladenden Waffen kommen, die
gewehre. iu ciuer Minutc an hundertzwanzig Schuss oder noch mehr abgeben sollen !
Was wird bei diesem Geknalle aus Zielen und Trefien? Wie lässt sich
die unentbehrliche Ruhe und Manneszucht im Feuer bewahren? Woher
sollen bei solcher Vergeudung des Schiessbedarfs die nötigen Patronen
kommen? Muss denn der Lauf mit aller Gewalt in ein Stück glühenden
Stahls verwandelt werden? Können die im Gefecht ohnehin schon so
stark angespannten Muskeln und Nerven des Durchschnittsmenschen diese
unaufhörliche, rascheste Folge von heftigen Entladungen, Stössen und
Erschütterungen überhaupt aushalten, ohne gänzlich zu versagen?"
Alle diese Fragen sind sicherlich durchaus berechtigt, und es kann
gar keinem Zweifel unterliegen, dass eine straff erzogene und gut geführte
Truppe höchst selten — fast niemals — in die Lage kommen wird, auch nur
die Schnellfeuerleistung unserer jetzigen Waffen bis zu ihrer äussersten
Grenze auszunutzen. In der Regel \\^rde dies die Erreichung des tak-
tischen Zweckes nicht fördern und durch den beschränkten Patronenvorrat
*) Skugarewski: „Angriff der Infanterie".
fi
Selbstlader- und Aluminiumgewehre. g3
sich von selbst verbieten. Aber die Sache muss noch von einem anderen
Gesichtspunkte aus betrachtet werden : die Handhabung und der Gebrauch
des Kiiegsgewehres muss möglichst einfach sein, die Kraft, Achtsamkeit
und Verstandesthätigkeit des Schützen thunlichst wenig in Anspruch nehmen,
und die Selbstlader erfüllen in hohem Maasse diese Bedingungen. 3)
Es wird voraussichtlich nicht lange währen, und die europäischen ^^/^^J*
Heere werden wieder zu einer Umwaffnung schreiten. Natürlich werden i»der.
sich, meint Professor Skugarewski, wieder Leute finden, welche den Nutzen
der Selbstlader vom taktischen Gesichtspunkte aus bestreiten und Gründe
für die Nutzlosigkeit und den Schaden eines allzu schnellen Schiessens,
Gründe gegen den Schiessmissbrauch anzuführen wissen werden, aber
nichtsdestoweniger wird die Macht der Verhältnisse die Armeen zwingen,
auf dem abschüssigen Wege einer NeubewaiFnung weiter zu gehen.
Es kann doch einem Zweifel nicht unterliegen, dass beim Schiessen
aus Selbstladern der Schütze, wenn er dieselbe Anzahl Patronen wie aus
den jetzigen Gewehren verschiesst, weniger wie bislang ermüden wird,
weil er sich die Handhabung des Ladens erspart, und da er dabei viel
mehr Kaltblütigkeit bewahren kann, so wird auch die Anzahl Treffer
eine viel grössere werden.
Mögen die Selbstlader als Kriegswaffe eine Zukunft haben oder Technische
nicht, der Gedanke, welcher ihnen zu Grunde liegt, ist jedenfalls grossartig \^^^^
und bewundernswürdig. ^gewehf^
Gewiss hatte die Waffentechnik schon vordem erstaunliche Erfolge «»^ kanfuge
Yerwertang
ZU verzeichnen. Ein chemisches Gemisch in so verschwindend kleinen deweiben.
Dosen, dass erst fünf bis acht Gewehiiadungen zusammen das Gewicht
eines einfachen Briefes erreichen, wird gezwungen, in einem kleinen
metallenen Bolzen von wenigen Gramm so viel Kraft und Arbeit auf-
zuspeichern, dass dies winzige Körperchen dicke Baumstämme, starke
Mauern, stählerne Platten glatt durchschlägt und noch auf Tausende von
Metern einen Mann ausser Gefecht setzt. Das ist unstreitig eine gewaltige
Leistung.
Aber noch weit mehr bedeutet es, wenn man jenen kleinen Dämon,
die winzige Ladung Pulver, mit vieler Kunst und List durch einen ver-
hältnismässig sehr einfachen Mechanismus auch als fleissigen und flinken
Handlanger des Schützen dienstbar gemacht und ihn genötigt hat, neben
und gleichzeitig mit der Erfüllung seiner Aufgabe als Würger und Ver-
nichter noch die Arbeit des Oeffnens, Spannens, Ladens und Schliessens,
kurz die gesamte Bedienung der Waffe bis auf das Zielen, Abdrücken
^ Greneralmajor R. Wille: „Fortschritt und Rückschritt des Infanterie-
gewehrs''. Berlin 1894
6*
84
I. Die Feuerwaffen.
Aasdaaer
und taktisohe
Oesetaioklich-
keit
des Soldaten
werden darch
leichtere
Bewaflhniig
Q.Ansrüstang
erheblich ^e-
f5rdert;
wamm nieht
OewehrUafe
ans
Alnmininm
oder
ans deeeen
Legieningeu
herstellen?
Kosten
einer
Patronen-
yerftnderang.
und Kastenfüllen, mit unübertrefflicher Sicherheit und Schnelligkeit zu
vemchten. Es ist dies ohne Zweifel ein technischer Fortschritt ersten
Ranges, der abermals einen voUgiltigen Beweis für die unerschöpfliche
Ei-flndungs- und Gestaltungsgabe talentvoller Männer liefert, ein Fort-
schritt, dem auf die Dauer auch die praktische Anerkennung und Ver-
wertung schwerlich versagt bleiben wird.^)
Weiter hat man unter den auf der Tagesordnung stehenden Grewehr-
vervollkommnungen auch noch die Annahme eines leichteren Metalles als
Stahl in Betracht zu ziehen. Vom Soldaten wird im Kampfe Energie ge-
fordert; kann er aber dieselbe äussern, wenn er übermässig beschwert
ist? Zwei Pud (32,76 Kilogramm) — sagt Skugarewski — lässt sich
leicht aussprechen, aber selbst das Kameel wird im Kriege bei Futter-
mangel mit nicht mehr als sechs Pud (98,28 Kilogramm) beladen!
Die Einführung von Gewehren aus Aluminium, dessen spezifisches
Gewicht nur 2,67 beträgt, also etwa so schwer wie ordinäres Glas ist,
muss daher eine dringende Frage der nächsten Zukunft bilden. Man
wird ohne Zweifel eine entsprechende Metalllegierung herstellen und die
Technik wird auch für diese Frage eine befriedigende Lösung finden.
Was die Ausrüstung des Soldaten anbetrifft, so wird in Zeitschriften be-
sprochen, dass jetzt schon alle Metallteile und Patronenhülsen in Deutsch-
land durch Aluminium ersetzt werden sollen.^)
Aber bei den Millionenheeren, welche in Zukunft ins Feld zu lücken
haben werden, erfordert auch die geringste Umarbeitung Millionen. Die
Kosten für ein neues Gewehrsystem sind von uns schon berechnet worden
Sehen wir nunmehr zu, welche Ausgaben nötig wären, um nur die
Patronen zu verändern, wobei wir den Preis einer Patrone des Systems
Hebler oder einer Aluminiumpatrone auf 12 Pfennige annehmen und
voraussetzen, dass pro Mann ein Patronenvorrat von 200 Stück an-
gefertigt wird. In diesem Falle würden sich die Ausgaben für die
Veränderung der Patronen pro Mann auf 24 Mark stellen. Die dies-
bezüglichen Gesamtausgaben betragen mithin für die einzelnen Länder:
Anzahl
der Gewehre
»
für Italien . .
Oesterreich
Deutschland
Frankreich
Russland .
1267 Tausend
2062
3600
4150
4566
n
77
»
Summe der Ausgaben
in Mark D. Rw.
30,4 Millionen
49,6
86;4
99,6
109,3
n
n
Insgesamt 376,2 Millionen.
*) „Fortschritt und Rückschritt des Infanteriegewehres**. Berlin 1894.
*) Skugarewski: „Angriff der Infanterie".
Schlussfolgeningen über die Hand-lFeiierwaffe. 35
Obwohl diese Summe annähernd eine halbe Milliarde Mark beträgt,
so ist doch bei dem heutigen Rüstungsfieber, wie Graf von Caprivi es
nannte, die Gewährung einer solchen Ausgabe sehr wohl möglich; damit
wird dann wieder eine Aenderung der Taktik nötig werden und die
Lage sich also noch mehr komplizieren.
11. Schlussfolgerungen über die Hand-Feuerwaffe.
Es giebt Militärschriftsteller, welche erklären, dass die furchtbare ^•'^«» »*«^
° ' ' EinfAhnmg
Vemichtungskraft des jetzigen Gewehres gewissermaassen dadurch der neuen
paralisieii; wird, dass sie den Soldaten der Kaltblütigkeit und somit der aTwachten*
Fähigkeit beraubt, die heutige Waffe voll auszunutzen. werde^n?
Nehmen wir eine Weile an, dass die jetzt weittreffende Schnellfeuer-
waffe, welche einen rasanten Schuss auf fast 600 Meter Distanz abgiebt
und welche es erlaubt, 600 Meter für den Schuss als nahe Entfernung anzu-
sehen, während bei dem deutschen Zündnadelgewehre im Kriege 1870 nur
200 Meter als solche galten; nehmen wir selbst an, dass die künftige treff-
sicherere Waffe, deren bestreichende Geschossbahn bei drei- bis vierfach
grösserer Dui^chschlagski-aft schon bei 1000 Meter eintritt, dennoch im
Kampfe selbst sich nicht verderblicher erweisen würde als die früheren
Gewehre : — eine so wenig wahrscheinliche und offenbar rein willkürliche
Annahme würde den Erfahrungen widersprechen, welche der chilenische
Krieg geliefert hat. Man hat mit der neuen Waffe Resultate erzielt,
deren Wert man durch Deutungen wohl abschwächen kann, jedoch
niemals bis zu dem Grade, um zu erklären, dass auch bei den Eigen-
schaften des heutigen Gewehres die gleiche Zahl von Geschossen nur
eine gleiche Zahl von Mannschaften wie in früheren Schlachten kampf-
unfähig machen wird.
Die Zahl der Gewehrschüsse, die auf jeden aus der Gefechtsfront ^^^ der Ge-
scheidenden Soldaten kam, war ungefähr folgende: auf einen"
Getroffenen
m den Kriegen . unseres Jahrhunderts bis 1859 . . . 143 in früheren
im Kriege 1864 gegen Dänemark (preussisches Heer) . 66 Kriegen.
in demselben Kriege in der Schlacht bei Lundby . . . 8V2
im Kriege 1866 im preussischen Heere 66—38
im Kriege 1870 im deutschen Heere 164
im Kriege 1870 im französischen Heere:
nach Riviferes 49
nach Montlusan 102
86 !• I^»« Feuerwaffen.
^Pata^nen-^ Trotz des gTosseu Unterschiedes zwischen diesen Angaben, widerlegt
Vorrat itot keine einzige derselben die Annahme, dass der heutige Patronenvorrat
v«rIichtuSg des Soldaten (100 bis 160 Stück) durchaus genügt, um durch jeden derselben
vorausehen. ^euigsteus ciueu Gegner kampfunfähig zu machen. Noch beim Gebrauche
der früheren Gewehre sprachen die Militärschriftsteller die Ansicht aus,
dass, wenn überhaupt der Verlust des Gegners weniger als 7 Mann auf
1000 Schüsse betrage, es gar nicht zu schiessen lohne, i)
Erwägungen, Hieraus ergiebt sich, dass unter bestimmten Verhältnissen eine
ob die Qegner
im Stande gegenseitige Vernichtung der beiden feindlichen Kräfte nur durch
'^'^'^duloh''" (Jewehrfeuer möglich sei, insofern sich die dem Soldaten zur Verfügung
Gewehrfeuer steheudeu Patroueu auf 220 Stück berechnen lassen und bei einer
gegenseitig
bis rar Yei- weiteren Verminderung des Kalibers der Soldat 380 und sogar
b^ettmpfen" 67B Patroueu mit sich führen wird. Man muss zudem im Auge be-
halten, dass der jetzige Trieb nach Vervollkommnung der Waffen auch
weiterhin noch Fortschritte in der Steigerung der Treffsicherheit und
überhaupt der Wirksamkeit des Feuers bringen wird. Auch in früheren
Fortschritte Zeitcu bUcb man nicht stehen: die allmählichen Verbesserungen sowohl
in der
Steigerung üi der Bewafinuug als in der Schiessausbildung der Truppen erhöhten
Wirkung' beständig die Feuerwirkung. Interessante Angaben in dieser Hinsicht
finden wir in einem uns vorliegenden Dokumente'^); dieselben ermöglichen
es, die Treffsicherheit des Feuers in den russischen Schützenbataillonen
in zwei Epochen zu vergleichen, welche 17 Jahre von einander entfernt
liegen. Wir geben diese Notizen in folgender graphischen Darstellung:
1857 1874
Meter
Vergleiche
zwischen
1867 n. 1874.
tiiiiitililiiJHiiiiliiH::!^::^:::!:::::::::::::!::::::::::::::
450
Treffer beim Schiessen der aktiven SchützenbataiUone in Prozenten.
So sehen wir, dass bei einer Entfernung von 450 Metern die Zahl
der Treffer im Jahre 1867 25%, im Jahre 1874 schon 69%, d. h. fast
dreimal mehr betrug.
Wahrschein- Es ist ZU bemerken, dass das Feuer besonders gegenwärtig, wo jedes
inlmei^er Projektil auf Distauzeu, auf denen sich das Gefecht hauptsächlich abspielen
^we^ wird, bis 4 Mann treffen kann, furchtbare Verheerungen anrichten muss.
ranchlosen Das Geheimhalten eines beabsichtigten Angriffes ist heutzutage
0 „Müitar. Wochenblatt" 1881. Seite 453.
') „Dienstthätigkeit des Herzogs von Mecklenburg- Strelitz in Russland".
Petersburg 1887.
Scblussfolgerungen über die Hand-FeuerwafPe. 87
weit mehr erschwert wie früher, denn der Rauch verschleiert nicht mehr
die Angriflfsrichtung; auch bedarf der Angreifer eines Geländes, das die
Bewegung seiner Massen und das Zusammenwirken der drei Waffen ge-
stattet. Der Verteidiger dagegen wird, wenn er das Vorgelände ge-
nügend rekognoszierte, mit ziemlicher Bestimmtheit voraussagen können,
von wo aus der Einbruch versucht werden wird. Nun soll aber nach
Ansicht kompetenter Militärschriftsteller für die grosse Entscheidungs-
schlacht der Zukunft die Einleitung voraussichtlich Tage lang dauern.
Und da- trotz weittragender Feuerwaffen die Entscheidung so wie
früher in der Nähe des Feindes wird fallen müssen, so werden die Ver-
luste, die man erleiden wird, um sich auf diejenige Entfernung an den
Gegner heranzuarbeiten, von der aus die Feuerüberlegenheit zu erringen
sein wird, eminent grosse sein.
Wie sehr bei einer solchen Sachlage das Fehlen des dichten Rauches
die todbringende Wirkung des Gewehrfeuers steigern wird, kann am
besten folgendes Beispiel illustrieren.
„Wer hat nicht Gelegenheit gehabt zu beobachten", schreibt ^^l»*^«™'»«
General Duguesme, „wie sich vor der Linie der schiessenden Abteilung reauitate
eine Rauchwolke erhebt, welche die Leute bis zu dem Grade deckt, dass maak^rende
aUe auf sie gerichteten Schüsse unrichtig und ziellos geschehen? Ich j^j|J®J^^°°
habe dies selbst in der Schlacht bei Caldero erfahien. Als ich bemerkte, (Berichteines
dass auf dem Unken Flügel einige Bataillone, welche den Befehl zum dee Generals
Sammeln erhalten hatten, stehen blieben und ein reihenweises Feuer ^"«^"•■"^^
begannen, begriff ich, dass sie dasselbe nicht lange würden unter-
halten können und ritt auf sie zu. Die feindliche Linie war unsichtbar.
Durch den Rauch konnte man kaum das Blinken der Bajonnete und die
Spitzen der Grenadierhelme wahrnehmen, und zwar trotz der nahen Ent-
fernung bis zum Gegner. Zwischen den kämpfenden, durch eine Boden-
vertiefung getrennten Parteien, lagen nicht mehr als 45 Meter, aber beide
konnten einander nicht sehen. Weder ich, noch meine zwölf berittenen
Ordonnanzen wurden verwundet, auch sah ich unter den Soldaten
Niemanden, der vom feindlichen Feuer gelitten hätte. "S)
Nun aber werden die Truppen in allen Heeren mit Waffen ganz „^'»•'«^i^?*-
** ^ lieber Abrias
anderer Wirkungskraft bewaffnet sein. Um einen Begriff davon zu geben, der Tre«F-
bis zu welchem Grade die neueste Feuerwaffe einen vervollkommneten Yfit dlm*
Mechanismus darstellt, stellen wir zunächst einige Vergleiche an. Von ^^^^^'^
den Pfeilen, welche der Bogenschütze auf 100 Meter Entfernung ab- scbütxen bis
K fl ARflll ORB A
sandte, trafen einer auf 100, von den Kugeln aus dem glattläufigen d^ beatigen
Gewehre 6 auf 100, von den Geschossen aus dem gezogenen Gewehre 30, ^gewehres!'
') Pusyrewski: „Erforschung des Kampfes**.
88 I- Die Feuerwaffen.
ans dem Chassepot-Gewehre 50, aus den Gewehi'en neuesten Modells 70
auf 100. Das glattläufige (rewehr war also 6mal wirksamer als der
Bogen, das Gewehr der nenesten Systeme etwa 12mal wirksamer als
das glattläafige Gewehr.
In der graphischen Darstellung tritt die Bedentung dieser Ko6fficienten
noch klarer hervor.
unMnchitd« WaR die Schnelligkeit des Schieasens, folglich auch die Anzahl der
seknauiEksit abgefeuerten Geschosse betrifft, so stellt sich der Vei'gleich folgender-
sehit^eu«, maassen: bei dem gezogenen Gewehre, das von vorn geladen wnrde,
kamen auf die Minute nur 21/2 Schüsse, bei dem ersten Hinterlader-
gewehre, dem Dreyse'schen Zündnadelgewehre, jedoch schon 5 bis 6
Schlisse; die einladigen nenesten Schnellfenergewehre, wie z. E. das teil-
weise noch jetzt in der russischen Armee gebräuchliche Berdan-Gewehr,
ermöglichen bereits 1 0 bis 12 Schüsse, die Magazingewehre 16 bis 20 Schüsse
in der Minute.*)
sd,,M- Wenn wir für die graphische Darstellung die Darchschnittsziflei-n
' taiMB in* nehmen, so erhalten wir folgendes Bild :
J>r HinnM. „ . ,
BchQBsgeschffindigkeit in einer Minute.
Nun aber muss bemerkt werden, dass die Technik der Vervoll-
kommnung der Feuerwafien ihr letztes Wort noch nicht gesprochen hat. In
unserer Zeit erfolgen die Erfindungen mit stetig wachsender Schnelligkeit
und es ist kein Ende derselben abzusehen.
L«ifw.nik«ii Die erste Hand-Feuerwaffe, eine Art Hakenbüchse mit Lunte, wurde
»iidlningsB in Frankreich erst 150 Jahi'e nach Erfindung des Pulvers eingeführt
ij>Dg<nii«it. ij Oiiii^ga: „L'art da combattre". S. 16.
ScMnssfolgernngen über die Hand-Feuerwaffe.
89
(couleuvrines k main 1380—1630); bis diese Waffe sich in das Feuerstein-
gewehr umwandelte, waren 173 Jahre verflossen (1530 — 1703); bis zur
Einführung von Pistons vergingen 139 Jahre (1703—1842); der Ersatz
des glattläufigen Gewehres durch das gezogene Gewehr war erst nach
weiteren 15 Jahren erfolgt (1842—1867).
In den Krieg von 1859 rückten die Franzosen noch mit Gewehren
des Typus von 1777 aus, nur dass derselbe durch Zugabe einer Eöhre für
das Piston und durch Windungen im Laufe verändert war. Aber schon
seit 1867 sind bei den Franzosen Gewehre dreier Systeme, eines nach
dem anderen aufgetaucht: das Chassepot-Gewehr, das Gras-Gewehr und
das Magazingewehr Lebel, welch letzteres man jetzt schon als veraltet
ansieht und zu dessen Umarbeitung man sich bereits anschickt, wenn
man den Mitteilungen des Blattes „L'Echo de l'armee" Glauben schenken
will, „lieber das System des abgeänderten Gewehres soll schon ent-
schieden worden sein und dasselbe ist versuchsweise an die Truppen
ausgegeben, aber die Zeitung teilt natürlich die Einzelheiten seiner Ein-
richtung nicht mit, sondern beschränkt sich auf den Hinweis, dass das
neue Magazin 12 Patronen zugleich fasst. Die neu geschaffene Waffe
wird die offizieUe Benennung: „Gewehr, Mod. 1886—1893" tragen."^)
Es kann indessen keinem Zweifel unterliegen, dass, wenn im all-
gemeinen Gange der Dinge nicht binnen sehr kurzer Zeit radikale Ver-
änderungen eintreten, auch diese Gewehi-e für untauglich werden erklärt
werden und man sie durch 6-, vielleicht sogar durch 5-Millimeter-Gewehre
ersetzen wird.
P^olgende graphische Darstellung giebt ein deutliches Bild davon,
mit welcher Schnelligkeit im Vergleich mit der Vergangenheit sich gegen-
wärtig die Umbewaffnung vollzieht.
Basehheit
der
XJmbewsff-
BOBgea
in der Jetet-
seit.
Hakenbüchse mit Lunte . .
■
U\hO
Feuerstein-Gewehr
^^HnRmm
Glatte Piston-Gewehre . . .
1
|_uuua
Gezogene Piston-Gewehre .
15
MiMHHa
Gezogene Stutzer
P
Chassepot
Ig
Schnellfeuergewehr Gras .
:|l2
Lebel-Gewehr, Typus 1883.
6
Vergleich
der Perioden
der Um-
bewaffnnngen
in der
firnnzösiseben
Armee.
173
Perioden des Bestehens der verschiedenen Gewehrsysteme der
französischen Armee, in Jahren ausgedrückt.
0 No. 157 des russischen railitärisclien Fachblattes „Raswjedtscliik", Jahr-
gang 1893.
1. Dia Fenerwoffen.
Einige Mitteilungen über französische Gewehre werden ans einen
in ot«hM loch klareren Begrilf von den Verbessemngeii und der Bedentung der-
j2f«V™ s«^^° »eben.
Bezeichnung
der Wall'e
Jahr
Kaliber
Gewicht
aewir,ht
nuchwindig-
Tteff-
■lohetheft
HlllIiiietAr
Kilofrini»
Onnir
llat«r
Meter
Muskete ....
1600
18,0
7,500
1 rund
50,0
240
230
Flinte
1777
17,5
4,400
26,6
450
200
^
182a
17,5
4,398
1
28,6
450
200
„
1857
17,8
4,330
1 lünglich
32,0
350
690
^
1866
11,0
4,200
25,0
420
1200
1874
11,0
4,200
1 .
1
25,0
450
1800
Nicht ohne Interesse wird nebenstehende Zeichnung der Durch-
schlagskraft der Geschosse auf 20 Meter Entfernung sein, nach Angaben
der Belgischen Staats - Gewehrfabrik bezw. der „Revue de l'Annöe
Beige". 6)
Wir sehen deutlich, wie die Durchschlagskraft zugenommen hat,
die heutige Kugelform dagegen anverändert bestehen bleibt.
T«ffftwg. Was die Treflfähigkeit der Gewehre anbetrifit, so lassen wir eine
ur OBwikn nach der „Revue de l'Armöe Beige" iUr die Antwei-pener Ansstellung
Hit 177T bearbeitete üebersicht folgen.
Waffenfabrik des Belgischen Staates.
(Flinten, Karabiner, Musketen, Pistolen und Rovolvor.)
Probeschiessen auszuführen am Schiessstande:
auf Eatfemung von 1000 Metern (Flinten, Karabiner, Musketen).
Flinten-Mod. 1777. Flinten-Mod. 1841. Karabiner-Mod. 1848.
Maassstab 1 : 40.
') Die Zeichnung ist in '/<-Grös3e gemacht.
SoUussfblgeriuigeii über die Hamj-Penerwaffe.
Einige Itallistiäche Da-
ten werden uns die voi- ■
gegangenen Vei-ändenin-
gen noch genauer er-
läutern,
Das Uewicht der Kogel
betrug
1777
27 Gramm
1841
27 „
1848
49 ,
18^
47 r
1867
^ ,
1868
25 „
1889
14 ,
Die SchDelligkeit des
Schiessens v/ae in der
Mimte:
1777 . . . li/^Schass
1841 .
l'/s .
1848 .
1% .
1863 .
l'h ,,
186? ,
12
186« .
12
1889
25
8|
» » (W A ff ff i
Anfangsgeschvind igheit
490
615
710
Schuss.
Fluahöhe
weite
Buf halber' Entfernung
500
3,0
1,6
1,0
600
4,7
2,5
1,6
800
9,9
5,4
3,5
1000
18,1
10,1
6,7
1200
30,2
10,2
12;?
i M
1600
70,3
37 J5
36,3
n
1800
100,7
53,0
53,61)
o2
■S-S
1'
2000
92
166
202
o a d a Q D I
') Jjflbell: „Militärische Jahrestieriehte'' 1
I. Di« Fpuerwaffen,
FlinUm-Moa. 1853.
Flinten-Mod. 1867.
Maassstab 1 : 40.
T™ffsi.:ii.^ Ein oberflächlicher Blick genügt, um die bedeatenden Unterschiede
)uaüu^.jg- in der Treffwahrscheinlichkeit zwischen den Gewehren, welche im letzten
•riMben dentsch-französischen Kriege angewendet wurden, nnd den heatigen zu
di< otaii«rt konstatieren. Bei der jetzigen Kriegfilhrang werden die Offiziere eine
inirhisn«. noch vicL grOsscre Bedeatang als in der Vergangenheit haben, nnd die
Ersetzung derselben im Kiiege wird eine der Hanptschwierigkeiten sein.
B«dtüt<.Di — Im künftigen Kriege wird man das Sprichwort „tel chef, teile armße"
"fn^.'"^in „tel cadres, teile armöe" umwandeln müssen. Schon im deutsch-
französischen Kriege war der Verlast der Offiziere ein sehr bedeutender.
Zu Ende des dentsch-französischen Krieges standen an der Spitze der
Bataillone und Halb -Bataillone Reserve -Offiziere und selbst Feldwebel.
Im nezember 1870 hatte eine ganze bayerische Division nnr einen
einzigen Hauptmann der Linie aufzuweisen, s)
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die ver\'ollkömmneten
Waffen, die Bauchlosigkeit, die Einschärfung der Vorschriften in allen
Armeen, hauptsächlich auf Offiziere zu zielen, und die Verwendung von
Scharfschützen, welche vor der Front als Jäger sich vorfinden werden,
für den zukünftigen Krieg eine besondere Bedeutung erhalten.
pi» Und wenn wir noch hinzufügen, dass der jetzige Infanterist un-
t^K dia° verhältnismässig besser eingeübt ist, nnd die das Feuer leitenden Organe
"'urteH"" •"•*' ausgezeichneten Gläsern versehen sein werden, so werden wir' die
dM Kriec« Erklärung dafür erhalten, warum eine so grosse Anzahl Schriftsteller die
HuKeia tu Undnrchführbarkeit eines grossen europäischen Krieges ins Auge fasst.
'"'' Auf noch einen Unterschied mit der Vergangenheit müssen wii' die
Aufmerksamkeit lenken.
' Bis zur neuesten Zeit bestand ein ungünstiges Verhältnis der Pulver-
ladung zur Waffe. Der Schuss erzeugte einen so heftigen Rückstoss und
Backenschlag, dass der Schütze meist nach 10 bis 12 Schuss eine
•) V. d. Gkiltz. „Das Volk in Waffen".
SohlussfolgeruBgen über die Hand-Feuerwaffe. 93
geschwollene, wenn nicht gar blutende Backe davontrug. Wo sollten da
die Lust und der Eifer zum Schiessen herkommen!
Weiterhin muss bemerkt werden, dass die Reparaturen der Waffen vergleich
der Verein-
und deren Reinigung die Wirkung sehr behinderten. Noch im Jahre 1851 fachung
bedurfte der schweizerische Scharfschütze gemäss Ordonnanz zu seinem AuBT^tnug
Stutzer: 1 Kugelmodell, 1 Giesslöffel, 1 Schraubenzieher mit Kamin- jg^l^^'^j^g^ß
Schlüssel, 1 Kugelzieher, 1 Lappenzieher, 1 Wischer, 1 Stutzerzapfen, ^
1 Raumnadel mit Kettchen, 2 Vorratskamine und 1 Vorratskorn nebst
den 60 Pulverpatronen, 60 mit Futter umwickelten Geschossen und.
78 Zündhütchen.
Zum heutigen Repetiergewehre fühlt der Schütze mit: 1 Schrauben-
zieher, 1 Wischkolben, 1 Borstenwischer und Patronen; sein Gewehr ist in
weniger als einer Minute zum Reinigen zerlegt und die Abgabe von
16 gezielten Schüssen in der Minute ist keine aussergewöhnliche Leistung.
Die TreflEtähigkeit des glatten Perkussionsgewehres dieses Jahrhunderts
ist auf 200 Meter analog derjenigen mit der heutigen Waffe auf 800 Meter
und darüber.
Die Tragweite des Geschosses überhaupt und dessen hinreichend
verwundbare Wirkung beträgt mindestens das 3- bis 4fache gegenüber
den früheren Geschossen.
Vergleichserhebungen über Versager ergaben (1871) 6,60 Prozent vergieichb-
erbebung^en
beim Steinschlossgewehre, 0,40 Prozent bei der Perkussionszündung und aber
0,07 Prozent bei der Metallpatrone mit Randzündung, wobei noch in ^•"***''
Betracht kommt, dass die heutige Patrone unempfindlich gegen Feuchtig-
keit und andere äussere Einwirkungen ist.
Da ausser den Gewehrprojektüen auch die Artilleriegeschosse im Ver- Kann
hältnis zu früher von einer unvergleichlich grösseren Wirksamkeit sein **^ Krug^*'
werden, so erheben sich wohl Zweifel, in wie weit die Nerven der ^g^*"^^^* J"
unter den Fahnen befindlichen Millionen, welche nur eine kurze Dienstzeit ^^^^
earopäiscben
aufzuweisen haben, das verheerende Feuer aushalten werden, dessen M&cbt«
sich wiederholende Wirkung fortdauern wird, bis jede ungedeckt yQj.. •"*'''^®^^®"-
gehende Abteilung vernichtet sein wird. Weiter fragt es sich, ob der
künftige Krieg, wenn er auch furchtbare Menschenhekatomben verschlungen
haben wird, auch nur einige der Avichtigsten internationalen Streitfragen
wird lösen können.
Die Mehrzahl derjenigen, welche militärische Fragen entscheiden,
antwortet mit „Ja". Hat man aber nicht diese so optimistischen An-
sichten lediglich einem Beharrungsvermögen zuzuschreiben, welches be-
sonders den in den Traditionen der Vergangenheit lebenden Militärs die
Einsicht verschliesst , dass Kriege nach einigen Jahrzehnten unmöglich
werden können? Unbewusst werden allgemeine Urteile auf Grund histo-
94 !• ^^^ Feuerwaffen.
rischer Forschungen und Vorstellungen über die früheren, mit Berufs-
soldaten geführten Kriege gemacht; mit Soldaten, welche, von militärischem
Geiste durchdrungen, in geschlossenen Kolonnen dem Feinde zu Leibe
gingen, wo Ellbogen an Ellbogen stiess, wo jedes Glied hinter sich
andere, in nächster Nähe folgende Glieder hatte, wo nichts übrig blieb
als vorwärts zu gehen, vorwärts aus Furcht vor Schande und Strafe und
endlich aus Besorgnis, in das Feuer der eigenen Kameraden zu geraten.
Wir wissen es wohl, dass auch jetzt schwere Strafen nach Art des
altrömischen Kiiegsgesetzes festgesetzt sind, dass Soldaten, w^elche zu fliehen
beginnen oder im Kampfe ihre Waffe fortwerfen, mit dem Tode bestraft
werden. Das heutige österreichische Kriegsgesetz erkennt gleichfalls
auf Erschiessen wegen Feigheit, welche sich im Verlassen der Geschütze,
Fortwerfen der Gewehre, Flucht in der Schlacht, Zögerung, aus der be-
festigten Position herauszutreten, offenbaren würde ; sind ganze Truppenteile
feige gewesen, so soll die Todesstrafe jeden zehnten Mann treffen. Dieses
Gesetz giebt ebenso wie das römische bei gefährlichen Lagen jedem
Kommandeur das Recht, Soldaten, die sich feige zeigen sollten, mit dem
Tode zu bestrafen.
Die Kriegsgesetze der anderen Nationen enthalten mehr oder
weniger ähnliche Bestimmungen. So setzt z. B. das italienische Gresetz
Todesstrafe für Feigheit Angesichts des Feindes fest, das deutsche für
Feigheit während der Schlacht. 9) Aber fortan werden die einzelnen
Truppenteile von einander getrennt, in aufgelöster Formation stehen,
wobei die Aufsicht weniger möglich ist.
widempnich ßcl dcu tiefcu Wurzclu, welche in gewissen Sphären der Militarismus
Ewisclieii dem
Militarismus gescWageu hat, beschäftigt sich die Phantasie besonders der höheren
Gji^d.z^it.^^^^rs nur ungern mit dem Bilde des modernen Kampfes. Man lässt
die Frage eines Widerspruches zwischen der Vorbereitung von immer
furchtbareren Vernichtungsmitteln und der Einberufung fast der -ganzen
erwachsenen Bevölkerung unter die Waffen, offien, — eines Widerspruches
gegen den Geist der Zeit, der sicli immer entschiedener gegen den
Militarismus ausspricht.
Proudiion'8 Schon Proudhou hat gesagt : „Der Soldat, der für das Vaterland in
Aensserang
Aber den Kampf geht, muss sich über sich selbst erheben, nicht nur mit Energie
"S^dM* und Tapferkeit, sondern auch mit Tugend bis zur Heiligkeit."
und deren An- Nchmcu wlr au, dass bei der Mehi-zahl der heutigen Soldaten sich
Wendung anf
die iient« in's diese Tugeud wirklich finden wird. Aber auch dann entsteht die Frage:
*Tnipper inwieweit wird bei der Zerstreuung der Truppen auf grossem Räume, bei
der aufgelösten Gefechtsart, welche beim heutigen Vernichtungsvermögen
^) Dangelmeier: „Militärische Abliandlungen". Wien 1893.
Schlussfolgerungen über die Hand-Feuerwaffe. 95
der Gewehr- und Artüleriegeschosse unvermeidlicli ist, die Einzel-
persönlichkeit, nicht mehr von der kompakten Masse getragen, sondern
weit mehr sich selbst überlassen, im Stande sein, im Kampfe bis znr
Selbstlosigkeit zn handeln?
Alles dies gewährt keinen tröstlichen Ausblick. Der aufs höchste
angespannte Wetteifer in den Vorbereitungen zum Kriege — ein Wett-
eifer, der diesen bewaffneten Frieden selbst gewissermaassen in einen
wenn auch unblutigen, aber nichts desto weniger zerrüttenden Krieg ver-
wandelt hat — wird, je länger er dauert, eine desto schwerere Last bilden
und kann zudem noch durch die soziale Gährung kompliziert werden,
welche im Westen Europas nicht zum Stillstand kommt.
Wie schwer aber auch dieser Wetteifer auf den Staatsbudgets lasten Notwendig-
mag, kein Staat Europas kann in dieser Beziehung hinter den Nachbarn aasgMetzten
zurückbleiben. Indem Europa seine Rüstungen bei der jetzigen Schnellig- if^^emSie
keit in den Vervollkommnungen der Technik fortsetzt, wo eine Erfindung »«^ff««»«-
die andere jagt und die Bedeutung der vorhergehenden verringert oder
gar aufhebt, nähert es sich mehr und mehr einer Katastrophe, deren
Resultat nicht abzusehen ist.
Die Sache spitzt sich offenbar zu einem arithmetischen Exempel zu: i«*der Krieg
was kann Europa theurer zu stehen kommen? der Krieg, der unvermeid- bewafroete
lieh sein dürfte, sobald eine Macht die andere in den Rüstungen überflügelt, kosSjieUger
oder der bewaffnete Friede? ^ *«»*
nationalen
Gegenwärtig, wo alle Völker Europas die allgemeine Wehrpflicht ein- wohwand?
geführt haben und im Stande sind, jeden Augenblick fast die ganze waffen-
fähige Bevölkerung unter die Fahne zu rufen, wo alle Völker „Gewehr
bei Fuss" stehen und gleichsam nur auf einen Anlass warten, sich auf-
einander zu stürzen und den Gegner zu vernichten — „saigner ä blanc",
wie sich Fürst Bismarck einmal ausdrückte — , wer kann es da wagen,
einem Volke zu raten, abzurüsten oder wenigstens auf weitere Neuerungen
in der Bewaffnung zu verzichten?
Hierzu muss die Erkenntnis von der Unerträglichkeit der jetzigen ^^^ soidat
* mnati die ihn
Lage allgemein werden, müssen die Fragen, die mit dem künftigen Kriege erwartenden
zusammenhängen, allseitig geprüft werden. Uns scheint es, dass Hoenigi<>) ^^^IT
völlig Recht mit der Forderung hat, die Truppen nicht über die gewaltigen ^®"*"-
Verluste in Unkenntnis zu halten, welche die Schlachten der Zukunft
bringen, da dies das einzige Mittel ist, einer Panik vorzubeugen und
einigemiaassen die Stimmung der Truppen zu beherrschen. Nur auf
diesem Wege kann sowohl in die breiten Schichten der Gesellschaft wie
auch in die leitenden Kreise endlich die Ueberzeugung dringen, dass in
^^) „Untersuchungen über die Taktik der Zukunft". 4. Aufl. 1893,
96 !• ^i^ FeuerwaiFen.
nicht ferner Zukunft die Völker nicht mehr im Stande sein werden, Kriege
zu ertragen. Inzwischen sind die Anstrengungen der modernen Technik
zur weiteren Vervollkommnung der ohnedies schon furchtbaren Bewaffnung
so energisch, dass E. von Vogue anlässlich der letzten Pariser Weltaus-
stellung folgende Aeusserung thun konnte: „Die Industrie für das Töten
bildet jetzt einen blühenden Handelszweig; sie blüht in einem solchen
Maasse, dass, wenn man die Grallerien auf dem Marsfelde sieht, welche
die Metallurgie einnimmt, man sich wohl fragen darf: bildet nicht das
auf der Esplanade des Invalidenhauses aufgeführte Gebäude einfach Ab-
teilungen einer Kriegsausstellung?"
Endresniut Es Wäre schöu, wenn sich eine von Kapitän Nigot bei diesem
inilitari/cliep Anlasse ausgesprochene Ansicht bestätigte: „inmitten aller dieser Todes-
RftBtongen ^^^kz^yj^gQ keimt dennoch ein tröstlicher Gedanke empor; vielleicht erfindet
ihrer Vervoll- ^e Wisseuschaft eudUch so mörderische Werkzeuge, fähig, das moralische
Komm-
nungen- der Wesen des Meuscheu derart zu erschüttern, dass jeder Krieg unmöglich
wird, und dass demnach die Vervollkommung der Kriegsmittel selbst zu
einem allgemeinen Frieden führen würde".
Vielleicht wird auch unsere Arbeit in dieser Hinsicht ein Scherf lein
beitragen, indem sie in den folgenden Teilen zeigt, dass gegenwärtig,
wo der Krieg die Form des Kampfes ganzer Bevölkerungen annimmt,
welche ein breites, kompliziertes Leben leben, auch mit dem Geiste der
ganzen Bevölkerung gerechnet werden muss.
Der künftige - Gcfühle, Charakter, Verstand und Wille der Massen sind jetzt
^^Td^^ bereits derart dem Kriege abgeneigt, dass ein solcher fast undenkbar
p**"*- J^y"^" wird, und es dürfte dies um so mehr der Fall werden, wenn neue Er-
EuropM flndungen neue Vervollkommnung der Kriegsmittel zur Folge haben
' werden. Eines ist gewiss, dass ein künftiger europäischer Krieg gewaltige
Folgen haben und von dem grössten Einflüsse auf die politische Ordnung
Europas sein wird. Auf den Charakter des Krieges selbst aber werden
den schwerwiegendsten Einfluss die von uns behandelten Vorzüge der
neuen Waffe und des neuen Pulvers ausüben: Rauchlosigkeit, Treffweite,
Rasanz und Durchschlagskraft.
Bevor wir an die Prüfung der Wirkung jener von uns oben
beschriebenen Waffe gehen, müssen wir uns ein Bild von den VervoU-
kommungen machen, welche in der Artillerie seit dem letzten Kriege erfolgt
sind, da gegenwärtig mehr als je Infanterie und Artillerie gemeinsam
werden wirken müssen und erfolgreiche Schlachten nur von diesen beiden
Hauptwaffen der Armee gemeinsam ausgefo(*hten werden können.
Artillerie-Greschütse und Geschosse. 97
Ärtillerie-Oeschtitze nnd Geschosse.
Die Hand-Feuerwafie hat sich im Lanfe der letzten Jahrzehnte nach
drei Seiten hin vervollkommnet, nämlich durch Verbesserung der Hinter-
ladung, Einführung des Magazins und Verkleinerung des Gewehrkalibers.
Ausserdem ist die Kugel mit einer Nickel- oder Stahlumhüllung versehen
worden. Diese Umstände brachten überall eine mehrmalige Umbewaffhung
der Infanterie mit sich. Die Feldgeschütze dagegen haben seit 1880
keine grösseren Veränderungen in der Konstruktion erfahren, sondern
nur teilweise Verbesserungen; erst in jüngster Zeit tritt die Frage
bezüglich radikaler Veränderungen im Geschutzwesen hervor.
Die Resultate der schon durchgeführten Verbesserungen im Artillerie-
wesen erscheinen ^o bedeutend, dass nicht wenige Fachmänner die Mög-
lichkeit der Führung eines regelrechten Krieges ohne unertragbare Opfer
heute bereits für zweifelhaft erachten.
Macht die Vervollkommnung dieser Waflfe, wofür alle Wahr-
scheinlichkeit spricht, noch weitere Fortschritte, so dürfte ein Krieg
zwischen den europäischen Grossmächten geradezu als ganz undenkbar
erscheinen.
Damit der Leser sich von der bereits eingetretenen und der noch
zu erwartenden Weiterentwickelung in der Armierung der Artillerie eine
Vorstellung bilden kann, dürfte es, wie wir dies bereits bei Besprechung
der Hand-Feuerwaffen gethan haben, geboten erscheinen, die wichtigsten
und charakteristischen Momente der Entwickelung der Artillerie, sei es
auch nur flüchtig, ins Auge zu fassen. Dies allein wird uns die Möglich-
keit gewähren, die Rolle, welche diese Waffengattung bei dem gegen-
wärtigen Stande der Technik zu spielen bestimmt ist, nach Gebühr zu
würdigen.
Unserem Dafürhalten nach wird erst diese Kenntnis uns das er-
forderliche Material an die Hand geben, um die Fragen zu würdigen und
zu beantworten: Ist bei der gegenwärtigen Entwickelung der Technik
der Krieg im Stande, die grossen internationalen Fragen zu entscheiden ?
Werden die Verluste der kriegführenden Teüe, noch bevor die erhofften
Resultate erreicht wurden, auf der einen und der anderen Seite nicht
derart ins Ungeheure gewachsen sein, dass der Abschluss des Friedens
sich als unbedingt geboten herausstellen wird, ohne dass diejenigen inter-
nationalen Streitfragen, welche den Krieg heraufbeschworen, gelöst worden
sind? Die heutigen ungeheuren und ruinierenden Vorbereitungen zum
Kriege kann man also mit einer Sisyphusarbeit vergleichen.
Bloch, Der zak&nftige Krieg. 7
98 !• ^i© Feuerwaffen.
1. Geschichtliche Entwickelung der Geschütze.
a) Die Geschütze bis zum XVIII. Jahrhundert.
Früheste Als früheste Zeit für den Gebrauch der Feuerwaffen wird das Jahr
GebrancheB 618 V. Chr. augefühil;, wo in China unter der Regierung des Taing-Ofi
Feuerwaffen. I^^^^^^&^schütze angcwcndct w^urden. Ausserdem lässt sich das Vor-
Tafel V, kommen kleinerer Geschütze dieser Art — Jingals genannt — auf mehr
Hg- IV- als 300 Jahre vor unserer Zeitrechnung zurückführen (Tafel V, Fig. IV). i)
Erstes Das ScMesspulver wurde in Deutschland^) schon zu Anfang des
puiver in XIV. Jahrhuuderts fabrikmässig bereitet und dennoch wurden noch lange
an . 2^j^ nachher im Kriege ausser den Hand-Feuerwaffen — Wurfmaschinen,
Pig. L n Katapulte und Ballisten gebraucht (Tafel V, Fig. I bis III), welche Steine
n. HL yon einigen hundert Pfund Gewicht auf mehrere hundert Schritte werfen
konnten. Selbstverständlich forderte man von den ersten Feuergeschützen
eine mindestens gleiche Leistung. Daher bekamen diese ein grosses KaUber
und wurden so gewichtige Maschinen, dass sie nur mit der grössten
Schwierigkeit bewegt werden konnten; man nannte sie Mortiere, Bom-
Pig. V bis barden und Büsten. (Tafel V, Fig. V bis IX.) Die geringe Kraft des
^ noch dürftigen Pulvers und die sehr mangelhafte Widerstandsfähigkeit
der Geschützrohre erlaubten lange Zeit nicht, den zuerst üblichen Stein-
kugeln eine für das Breschelegen der Mauern genügende Geschwindigkeit
und Stosski'aft zu geben; auch waren die Steinkugeln nicht hart genug
Erste eiserne uud zerscheUtcu am Maucrwcrk. Jedoch um 1400 wurden eiserne
°^* *"' Kugeln für die Geschütze eingeführt und allmählich verdrängten diese die
steinernen Geschosse.
Nicht ohne Interesse ist es, zu bemerken, dass der Gebrauch ge-
schmiedeter eiserner Vollkugeln älter ist als die Anwendung des Pulvers ;
gegossen wurden eiserne Vollkugeln zuerst in Aarau 1378; ebenso bediente
man sich glühender Kugeln als Brandgeschosse schon 1472. Spuren
Sporen eisemcr Hohlprojektüe sind schon im XTV. Jahrhundert zu finden
eiserner
Hohl- doch wurde ihr Gebrauch erst im XVI. Jahrhundert allgemeiner. Aus
Projektile, rjr^^^ ^^^^ ^^^^ hergestellte kleine Hohlkugeln, mit Pulver gefüUt, warf
man 1523 aus freier Hand, und nannte diese Geschosse Handgranaten.
Die Füllung der grösseren Hohlprojektüe, Granaten und Bomben, bestand
anfänglich bloss aus Pulver, später nebst diesem auch aus Brandsatz-
stücken, und für die Bomben auch aus kleinen Granaten und Bleikugeln.
*) Thierbach: „Die geschichtliche Entwickelung der Hand-Feuerwaflfen".
Dresden 1886.
') Es bestanden Pulvermühlen: 1340 in Augsburg, 1344 in Spandau und
1348 in Liegnitz.
Tafel V.
V
1330—1400
f^Eyn.OTa-s>TT^:^am:
( Eriäiitaungen umstehend,)
Eisflgea iei Salt* «
Erläuterangen zu Tafel Y.
Fig. I, II (Altertum). Katapulte: grosse Armbruste, deren Sehnen mittelst einer
Kurbel gespannt wurden und die Pfeile (darunter auch Feuer- oder Brand-
pfeile) fortschleuderten.
Fig. III (Altertum). Balliste, "Wurf oder Schleudermaschine: eine Vorrichtung
aus Balken und Strickwerk, mittelst welcher die Objekte (Steine, Brand-
körper bis zu 500 Kilo Gewicht) auf 200 bis 300 Meter in bogenförmiger
Richtung über Mauern geworfen wurden.
Fig. IV. Hinterlader uralter Zeit, welcher bei Ausgrabungen auf der Insel Java
gefunden worden, von Bronze; bei 82,5 Centimeter Seelenlänge und 23 Milli-
meter Kaliber zwei angegossene Schildzapfen, mit denen er im Gestelle
oder einer Art Lafette gelegen hat. Die Kammer trägt oben zwei Henkel
als Griffe für das Ausheben aus der Hülse, sowie das Zündloch mit einer
kleinen Pfanne. Quer durch die rückwärtige Verlängerung des Rohres
(eine Art Hülse, in der die Kammer befindlich) geht ein vierseitiger Aus-
schnitt für einen Keil, welcher das Kammerstück in das hintere Ende des
Rohres einpresst. Dieser Keil ist mittelst eines Kettchens mit dem Rohre
festbeweglich verbunden.
Fig. V, 1346. Geschützrohr (mit getrennter Kammer, Hinterladung) im Museum
zu Namur, ca. 1 Meter lang, aus zusammengefügten Eisenstäben, mit
eisernen Reifen gebunden.
Englisches Geschützrohr nach Froissard aus der Schlacht bei Crecy.
Aus zusammengefügten Eisenstäben, mit eisernen Reifen gebunden; Ladung
von der Mündung des konischen, sich nach hinten verengenden Rohres.
Die erforderliche Richtung gab man dem Rohre durch Eingraben oder
Unterlagen und verrammte das Bodenstück zur Verhinderung des Zurück-
weichen s.
Zur Ladung bediente man sich einer Ladschaufel für loses Pulver,
das schon in früher Zeit zuvor abgewogen und in Säcke verpackt wurde,
die man später dem Rohrkaliber anpasste und, wenn geladen, mittelst
einer Nadel vom Zündloch aus durchstach. Das Zündloch wurde mit Mehl-
pulver gefüllt und anfänglich mittelst einer glühenden Kohle, später mittelst
einer Lunte (an einem Zündstock befestigt) die Zündung bewerkstelligt.
Fig. VT, VII, 1400. Rohr aus Gusseisen (1380—1400), welches mit seinem unteren
vierseitigen konischen Zapfen in die Stirnseite eines Holzblocks eingesetzt
wurde und Rohr aus Bronze gegossen.
Fig. VIII. Mörser, im hinteren Teil eine Verengung, durch welche ein begrenzter
Raum entsteht zur Aufnahme des Pulvers.
Fig. IX. Englische Kolubrine, aus Bronze gegossen.
Die Geschütze bis zum XVlii. Jahrhundert. 99
Die Entzündung der Sprengladung in den Hohlgescliossen geschah schon
ursprünglich durch Brandröhren, in ihrer Einrichtung den jetzigen
ähnlich.^)
Die Geschützfabrikation verbesserte sich im Anfang des XV. Jahr- Tafel VI
hunderts. Es wurden Büchsen aus Eisenguss verfertigt, welche auf looo"*^^^
Schritt Entfernung schössen. Jedoch bis zur Mitte des XV. Jahrhunderts
wurden sie überhaupt nur auf Wagen gebraucht (Tafel VI, Fig. X, XI).
Die damalige Kriegführung, wie aUbekannt, bestand hauptsächlich '^^^^^_®'
in Aufstellung von Wagenburgen. Bei dem damaligen Stande der Artillerie bargen.
musste der letzte Angriff auf die Wagenburg durch das Fussvolk geschehen,
so dass also bei Verteidiger und Angreifer das Bedürfnis nach Fussvolk in
grossem Maasse vorhanden war. Erst in der zweiten Hälfte des XV. Jahr-
hunderts war die Artillerie bezüglich Wiikung und Beweglichkeit soweit
vorgeschritten, dass ihr gegenüber die Wagenburgen verschwinden
mussten. Das Schweizer Fussvolk focht zuerst ohne Wagenburg, doch
bediente es sich im Laufe des ganzen XV. Jahrhunderts der Schusswaffe
nur in geringem Maasse; für seine Stellung in tiefen Haufen war die
Bewaffnung mit Hellebarden und langen Spiessen, mit Schlachtschwert
und Morgenstern, ohne Schild, die vordersten Glieder im Harnisch, das
Maassgebende, daher noch gegen Ende des XV. Jahrhunderts das Ver-
hältnis der Schuss- zur blanken Waffe bei den Schweizern sich wie 1 : 5
gestaltete.
Für den Angriff von befestigten Plätzen werden schon schwere Ge- Pig. XIL
schütze aus Bronze gebaut.*) (Tafel VI, Fig. XH.) Jedoch ihr Gebrauch
konnte kein allgemeiner werden.
Zu ihrem Transporte waren 59 Pferde erforderlich, nämlich: 12 für Tmnsport
schwerer
das Rohr, 16 zu den Blockwagen, 4 für den Haspel, 6 für den Schirm, GeacMtM.
20 zum Führen der 15 Steinkugeln, je drei auf einem Wagen, samt
2V2 Zentner Pulver (14 Pfund oder 7 Kilo per Schuss) und 1 Pferd für
den Büchsenmeisterwagen mit seinen sechs Büchsenknechten, und deren
Handgerät.
Das, soviel bekannt, älteste europäische Bronzegeschütz von mehr <^®^j°^*« ^®'
schweren
als gewöhnlicher Grösse wurde im Jahre 1408 (also noch drei Jahre vor Geschütz«.
der „Faulen Mette" von Braunschweig) zu Marienberg in Sachsen ge-
gossen; sein Gewicht betrug ungefähr 130 Zentner.
Siebzig Jahre später liess Ludwig XI. von Frankreich, der in seinen
unaufhörlichen Händeln mit England und Burgund die gewichtige Ueber-
redungsgabe der „ultima ratio regis" hinlänglich würdigen gelernt hatte,
») MüUer: „Waffenlehre". 1859.
*) „Die Biesengeschütze des Mittelalters und der Neuzeit" von R. Wille.
Berlin 1870.
7*
100 I. Die Feuerwaffen.
ZU Paris, Tours, Orleans und Amiens die sogenannten „Zwölf Pairs von
Frankreich" giessen, welche eine 500 Pfund schwere Steinkugel (der ein
Kaliber von ungefähr 22 Zoll entsprechen würde) über 5000 Meter weit
schössen. Einer dieser Pairs zersprang übrigens beim Anschiessen und
tötete seinen Giesser, Namens Jean Mocqu6, nebst noch 14 Leuten.
Die Kolubrine (coulevrine) von St. Dizier hatte einen Seelendurch-
messer von 20^/4 Zoll und schoss eine Granitkugel von mehr als 4 Zentner;
die kalibermässige Eisenkugel würde 11 Zentner gewogen haben.
susisaM Im Kreml zu Moskau befinden sich mehrere Geschütze von ausser-
Monstr«-
gesehflfcx. ordentlichen Grössenverhältnissen; das grösste ist die „Zar - Puschka",
oder die „Kaiserkanone," ein Rohr mit Kammer, welches 1586 vom Meister
Andreas TschachoflF gegossen wurde, 780 Zentner wiegt, 35 Zoll Seelen-
durchmesser hat und 6,30 Meter lang ist.
Dies sogenannte Geschützrohr, obgleich als solches nur ein kolossales
Schaustück, das wahrscheinlich niemals einen Schuss verfeuert hat und
vielleicht schon von vornherein gar nicht zum wirklichen Gebranch be-
stimmt war, ist doch als Gussstück, namentlich in Anbetracht der Zeit
seiner Entstehung, höchst interessant und bewundernswürdig.
Immer reichhaltiger wurden die Geschütze aus gegossenem Eisen
und Bronze, so dass zu Beginn des XV. Jahrhunderts Geschütze aller
Formen %und Gewichte vorgefunden wurden. Man hatte die ganze Skala
der Kaliber erschöpft, von den Rohren, welche 100 -Kilogramm -Kugeln
Schossen, bis zu den Mörsern und Bombarden, welche Steinkugeln von
600 Kilogramm Gewicht schleuderten. Diese Verschiedenheit lag in der
Natur der Geschosse; denn die Kanonen schössen Bolzen, Brandpfeile,
steinerne, eiserne, bronzene, bleierne Kugeln, Feuerballen, glühende
Steine, Granaten, Kartätschbüchsen, die mit Bleikugeln gefüllt waren,
oder Steinsäcke. Die Anwendung der Artillerie konnte aber dennoch
keine nutzbringende sein.
Pig. Zm. Die Geschützrohre waren auf schwerfälligen Gerüsten, wie aus den
beiliegenden Zeichnungen ersichtlich ist, befestigt, und erst in der zweiten
Hälfte des XV. Jahrhunderts brachte man unter den Schiessgerüsten vom
Räder an und befestigte hinten zwei Handhaben (Taf. VI, Fig. XUI),
bei sehr schweren Stücken auch eine Winde, um das Gerüst bewegen und
richten zu können.
Enrter Deu erstch rationellen und umfassenden Gebrauch vom Vertikalfeuer
Gemach des machte Sultan Muhamed 11. im Jahre 1463 bei der Belagerung von Kon-
^feal^ stantinopel, als die genuesische Flotte hinter den Mauern von Galata
Schutz gegen das Feuer seiner Kanonen gefunden hatte; schon der zweite
Wurf des Mörsers brachte ein feindliches Schifi zum Sinken. Wie langsam
aber in dieser Zeit die Kenntnisse sich fortpflanzten, zeigt schon der
Tafel VI.
(Erlätttenmgen umstehend.)
Erläuterungen zu Tafel Tl.
Fig. X. Kanonsattel wagen für leichte Kanonen.
Fig. XL Wagen zum Transport von leichten Mörsern.
Fig. XII. Riesengeschütz Mohameds Tl., welches Kugeln auf 1500 Meter schoss,
aber zur Fortbewegung 30 Wagen-Untergestelle, welche durch 60 Ochsen
gezogen wurden und 250 Männer zum Ebnen der Wege und Herstellung
der Brücken brauchte. Das Geschütz jedoch konnte nicht mehr als 7mal
am Tage geladen werden.
Fig. XIII, 1476. Kolubrine von der Artillerie Carl des Kühnen, welche von den
Schweizern in der Schlacht bei Granson genommen wurde; das Rohr ist
aus schmiedeeisernen Stäben zusammengesetzt und hat keine SchQdzapfen.
Fig. Xllfa. Zubehörstücke, die beim Laden der Geschütze gebraucht wurden.
Mit dem Wischer wurde die Seele gereinigt, mit der Ladeschaufel
das lose Pulver in die Kammer des Rohrs gebracht. Entgegengesetzt
dem Borstenende hat der Wischer einen Kolben, mittels dessen die
Geschosse an den Boden des Rohrs gestossen werden. Weiterhin
sehen wir einen Luntenstock, der zum Abfeuern des Geschützes benutzt
wird und Instrumente zum Entladen des Geschützes. Mit der Vogelzunge
sollen eingeklemmte Geschosse gelüftet, mit dem Lumpen- und dem
Dammzieher Pfropfen, Pulvorbeutel u. s. w. aus dem Rohr gezogen werden.
Die Notschraube dient zum Ausziehen von hölzernen Spiegeln, das
Visitiereisen zum Untersuchen des Rohrs in Bezug auf etwa darin befind-
liche fremdartige Gegenstände.
Fig. XIV, 1500. Italienisches Geschütz kleinen Kalibers, dessen Richtmaschiue
aus einem prismatischen Holzstück besteht, welches zwischen dem Rohr-
sattel und der eigentlichen Lafette nach vor- und rückwärts bewegt und
in korrespondierenden Einschnitten fixiert wurde.
Fig. XV, 1509. Falkonetlein der Maximilianischen Artillerie, mit dachförmigem
Kasten zwischen den Lafettenwänden zur Aufnahme der Munition und
Zubehörstücke.
Fig. XVI, 1550. Feldschlange, sehr lang, mit einem Pfund Pulver geladen
schoss sie eine Kugel von einem Pfund.
Fig. XVII, 1500. Deutscher Mörser, 20-Pfünder mit Lafette, mit Verengung im
Hinterteil zur Aufnahme des Pulvers, die Schildzapfon sind bereits an
den Boden verlegt.
Fig. XVIII, 1560. Französischer Pulverkarren.
Die Geschütze bis zum XVllL Jalirhaiicleit.
101
Umstand, dass man in Frankreich das Mörserfeuer erst im Jahre 1634
durch den englischen Ingenieur Malthus kennen lernte, obwohl gegen Ende
des XV. Jahrhunderts die Artillerie wesentlich fortgeschi-itten war.
Es herrschte 6lne Verschiedenheit des Kalibers, von der wir uns Pig. XIV
heute nur schwerlich einen Begriff machen können. Die Doppelkanone war *^' ^'^
mit 35 Pferden, die Feldschlangenkanone mit 23, die schwere Kolubrine
mit 17, die mittlere mit 7 Pferden bespannt, die schweren Falkonets
hatten 2 , die leichten nur 1 Pferd , bis Karl VUI. und Maximilian I.
in der Artillerie Frankreichs und Oesterreichs eine Umformung vor-
nahmen. Die Kaliber der schweren Stücke wurden kleiner und für das
Schiessen mit Eisenkugeln geeignet (Tafel VI, Fig. XIV bis XVI); die
mittleren Kaliber erhielten mehr Beweglichkeit, um sie auch ins Feld
führen zu können. Mörser wurden zwar mitgeführt, aber ihr Gebrauch
war sehr beschi^änkt wegen ihrer Unbeweglichkeit und Bauart (Tafel VI,
Fig. XVn). Nicht weniger charakteristisch ist der damalige Pulver-
transport (Tafel VI, Fig. XVHI).
Aber als man in der Mitte des XVI. Jahrhunderts entdeckt hatte, Experimente
zur
dass die längeren Geschütze eine grössere Schussweite geben als die Feststellung
kürzeren, geriet man wieder ins Extrem, indem man Schlangen einführte, der*Geaciiüte-
die 50 Kaliber lang waren. Erst später fand man, dass die übergrosse ~^'*'
Länge der Geschütze der Schussweite ebenfalls nachteilig sei: man suchte
nun durch allmähliches Abschneiden das richtige Längenverhältnis für die
Geschützrohre zu finden.
Ein Bild von dem damaligen Zustande der Artillerie ergiebt sich
aus folgenden Angaben über die 1588 nach Flandern entsandten Geschütze.
Gewicht
Küo
Dorohmesser
des
Geschützes
Centimeter
Gewicht
des
Geschosses
Kilo
Gewicht
der
Pulyerladunp;
Kilo
Halbe Kanonen .
Kalikrine
Halbe Kalikrine
Sacra
Minion
Falkonet
3000
2000
1500
750
550
400
16,30
13,70
11,10
8,50
7,80
5,90
15
9
4,5
2,5
2,2
1,2
14
9
4,5
2,5
2,2
1,2
Jedoch charakteristisch wai-, dass zur Bedienung der Geschütze M&ngei
der
bis zur Mitte des XVIII. Jahrhunderts keine Bespannung vorhanden war, Bespannung
sondern gemietete oder requirierte Pferde, Ochsen, Maulesel genommen "^es
wurden. Sehr oft aber kam es vor, dass während der Schlacht die ^JJ^^ertJ!'"
102 I- I>ie Feuerwaffen.
Fuhrleute mit oder ohne Zugtiere entflohen, die Kanoniere hilflos
zurücklassend.
Fortaciuitte Erst der Anfang des XVn. Jahrhunderts bezeichnet einen grossen
in der
Ladung der FortSChritt.
06eehütu.
Pig. xm ^^ ^^ dahin so umständliche Laden mit der Schaufel, wozu eine
Tafel Vn, ganze Reihe sehr komplizierter Gerätschaften nötig war, wie aus unserer
Pig. XIZ Zeichnung ersichtlich ist (Tafel VI, Fig. XIII), wurde abgeschafft und statt
^"' dessen die Pulverladung in Beutel gefüllt eingeführt. Auch führte man
Kartätschen ein, welche zuerst unter dem Namen Hagel, Hagelgeschoss
bekannt, aus Kieselsteinen, Stücken alten Eisens etc. bestanden und aus
Steinböllem, Mörsern und Haubitzen ohne irgend eine besondere Ver-
bindung geworfen wurden. Es war ein Fortschritt, als sie in eine
Umhüllung von Eisendraht eingefasst wurden .6) Es wurden noch Ketten-
und Stangenkugeln gebraucht (Tafel VII, Fig. XIX). Um sich das damalige
Artilleriewesen zu veranschaulichen, vergegenwärtige man sich, dass eine
Unzahl Handgriffe zur Bedienung des Geschützes notwendig, welche gar
nicht zu umgehen waren. Einen Begriff kann uns das französische
Geschütz (Tafel VII, Fig. XX) geben. Man kann sich also nicht wundern,
wenn Ergebnisse, wie die in der Schlacht bei Nördlingen (1646), noch als
befriedigend erscheinen mochten, dass nämlich seitens der Artillerie
dreimal gefeuert und das vierte Mal geladen war.
Durch- Noch andere Ursachen wii'kten lähmend auf die Entwicklung der
^G^ohQte-*' Thätigkeit der Artillerie ein und so musste das bunte Durcheinander
«*^^--, d^r verschiedensten Geschützäai;en auf dem Schlachtfelde mannichfache
iSf TTHT- Störungen hervorbringen. Bemerkt sei, dass nach den Angaben von
Montecuculi die kaiserliche Artillerie in der zweiten Hälfte des XVII. Jahr-
hunderts zwei Hauptgattungen von Geschützen hatte: solche mit
zylindrischer und solche mit glockenförmiger Bohrung; zu den ersteren
gehörten Kanonen und Kolubrinen (Tafel VTI, Fig. XXI), zu den zweiten
Kanonen, Steinbüchsen, Mörser und Petarden. Eiserne Lafetten fangen
an, gebaut zu werden (Tafel VII, Fig. XXII und XXIII) und Kartätschen-
Karren kommen in Gebrauch. (Fig. XXIV.)
Die Typen waren so zahlreich, dass es als ein grosser Fortschritt
angesehen wurde, als gegen Ende des XVII. Jahrhunderts Frankreich
die Zahl der Kaliber auf sechs reduzierte, welche gleiche Rohrlänge
erhielten.
*) Die ersten Kartätschen, Steinsäcke oder Korbhagel (Panier pour pierrier),
waren nichts anders, als von "Weidenzweigen nach dem Kaliber des Stein-
mörsers geflochtene Körbe, die eine Anzahl Kieselsteine fassten, und, auf einem
hölzernen Spiegel befestigt, geworfen wurden.
Tafel VU.
am
xxm
XX vm
{Erliiulerungen umstrJtend.)
Erläuterungen zu Tafel TII.
Fig. XIX. Ketten- oder Stangenkugeln. Es sind 2 Kugeln durch eine Kette und
2 andere Kugeln durch eine Stange verbunden. Weiterhin sind 2 auf-
einander passende Halbkugeln an einer Stange mit Gelenk befestigt. Kam
ein derartiges Geschoss aus dem Rohr und flogen die beiden Kugeln einiger-
maassen gleichmässig nebeneinander, so sollten diese durch die Stange
oder Kette den zwischen ihnen liegenden Raum bestreichen und gefährdeten
so das Ziel auf einer grösseren Breite, als es jeder einzelnen möglich ist.
Die "Wirkung war aber eine sehr unsichere, da die Stange häufig brach,
überhaupt auch nicht auf eine Regelmässigkeit der Bewegung gerechnet
werden konnte. Im Landkriege verschwand die Kettenkugel schon mit
dem Ausgang des XVII. Jahrhunderts.
Fig. XX, 1568 — 1609. Französisches Geschütz mit Gabeldeichsel, die am Lafetten-
schwanz befestigt und während des Feuems längs der Lafettenwände um-
gelegt wurde; um im Gefecht das Geschütz vorwärts nach damaliger Sitte
zu bewegen, war vom am Stirnriegel ein Seil befestigt und während des
Feuerns um das Rohr gewunden.
Als Richtmaschine diente allgemein ein einfacher Holzkeil, der auf
dem mittleren Riegel und einem davor befindlichen Bolzen seine Stütze
fand. Die Bespannung bestand bei den leichteren Kalibern aus 4, bei dem
12-Pfünder aus 6 Pferden.
Fig. XXI, 1650. Französischer 12-Pfünder (1650—1700).
Fig. XXn, 1713. Eiserne Festungs-Laffete (dänische).
Fig. XXIII, 1713. Feldgeschütz, 3 pfundiges (dänisches), mit scfiimiedeeiserner
Lafette, nach modernen Prinzipien konstruiert
Fig. XXIV, 1720. Kartuschkarre.
Fig. XXV, 1750. Oesterreichisches Geschütz, durch Verringerung der Metallstärke
und Weglassen von Zierraten erleichtert; mit Munitionskasten und Ketten.
Die Lafette ist an einen Vorderwagen angehängt, somit das Geschütz
zu einem vierräderigen Fahrzeug umgestaltet.
Fig. XXVI, 1777. Rohr nach Gribeauval's System.
Fig. XXVIT. Rahmlafette, aus zwei aufeinandergesetzte Bohlen hergestellt.
Die hohen Wände ruhen am vorderen Ende auf einer Achse mit
zwei Speichenrädem, am hinteren Ende auf einem Blockrad. Alle drei
Räder haben auf dem nach hinten aufsteigenden Rahmen Führung.
Letzterer dreht sich um einen am Vorderteil angebrachten Zapfen und
bewirkt zugleich die Drehung des ganzen Geschützes. Die Bedienung
wird durch diese Einrichtung in jeder Weise erleichtert, doch verbietet
sich ihre stete Anwendung durch die Kompliziertheit der ganzen Kon-
struktion und die Schvnerigkeit der Aufstellung.
Fig. XXVIII. Hebevorrichtung.
Die Geschütze bis zum XVliL Jahrhundert. ]^03
Ein weiterer Fortschritt in der Bedienung der Geschütze bestand
darin, dass am Anfang des XVIII. Jahrhunderts das Ueberschmieden der
Kanonenkugeln, um sie runder, glatter und dichter zu machen, in
Oesterreich und Bayern eingeführt wurde, welches Verfahren dann auch
in Frankreich Aufnahme fand.
Charakteristisch für diese stagnierende Zeit ist, dass noch 1732 in
der französischen Artillerie 15 zöllige Steinmörser gebraucht wurden.
Um Mitte des XVm. Jahrhunderts wurden Verbesserungen und »«deutender
neue Einrichtungen in den Artillerien geschaffen, durch welche diese der
Periode gekennzeichnet ist. Dies geschah von Seiten hervorragender seit Mitte
Männer — in Deutschland Friedrich II., Fürst Wenzel Liechtenstein, und xvnwahr-
in Frankreich Gribeauval. Sie leiteten die artilleristische Aufbesserung tanäertB.
und schufen ganz neue Systeme. Als Typus wollen wii* ein öster- "^' ^^'
reichisches erleichtertes Geschütz auffuhren (Tafel VII, Fig. XXV).
In der österreichischen Artillerie wurde unter den Bemühungen
Liechtensteins eine grössere Beweglichkeit der Geschütze durch Ver-
ringerung der Metallstärken und Verkürzen der Rohre erlangt, und da-
durch die Möglichkeit gegeben, Protzen mit entsprechendem Munitions-
vorrate mitzuführen.
Die grösste Reform in der Artillerie bahnte jedoch Gribeauval in 6rii>e»nTfti
Frankreich an, als er erster Generalinspektor der Artillerie wurde (1777), Frankreich.
indem er sein Prinzip, beim Artilleriematerial nach dessen Verwendung Wg.IIYI
Feld-, Festungs-, Belagerungs- und Küstengeschütz zu unterscheiden "'^^•"•
und es danach auch zu konstruieren, endgiltig durchführte.
Das seit dem Jahre 1766 angebahnte System (Tafel VIT, Fig. XXVD,
welches seinen Namen nach Gribeauval führt, umfasste: 24-, 16-, 12- und
8 zöllige Festungsgeschütze; 12-, 8- und 4 zöllige Feldgeschütze; 8 zöllige
Belagerungshaubitzen; 6zöllige Feldhaubitzen; 12-, 10- und 8zöllige
Mörser und — was beinahe unglaublich scheint — der Steinwurf wurde
beibehalten.
Gribeauval führte zugleich statt der unbequemen Holzlafetten
(Tafel Vn, Fig. XXVEI) Eisenlafetten und die Vereinigung von Pulver-
ladung und Kugel (Kartusche) ein, auch statt der Beutel- ausschliesslich
Büchsenkartätschen. Jedes Kaliber erhielt Kartätschen mit gi'ossen und
solche mit kleinen eisernen Schroten.
Zu derselben Zeit aber hatte die Vervollkommnung der Infanterie-
Feuerwaffe, der ausgedehnte Gebrauch der Plänkler das Gleichgewicht
zwischen Infanterie juind Artillerie gestört, und wenn diese ihren Platz
behaupten wollte, wurde es zur unbedingten Notwendigkeit, eine grössere
Beweglichkeit der Feldgeschütze und die Erweiterung ihrer Wirkung auf
grössere Entfernungen zu erreichen.
X04 L «^i^ Feuerwaffen.
^<
Einffliiniiig ^i^Q bedeutende Neuerung führte Friedrich n. ein, indem er 1759
reitenden die Formierung einer reitenden Batterie von 6 pfundigen Kanonen verfügte.
duTcii Der Gebrauch reitender Artillerie war wohl nicht neu, da man schon im
Friedrich n. XVI, und XVII. Jahrhundert ihre Anwendung und ihre Vorteile kannte.
Die preussische Einrichtung bietet jedoch gegenüber dem früheren Ge-
brauche reitender Artillerie den Unterschied, dass Friedrich U. nicht
einzelne von Reitern bediente Geschütze, sondern einen Truppenteil schuf.
Diesem Beispiele folgten bald aUe anderen Mächte.
b) Fortschritte der Artillerie vom Begiane des
XIX. Jahrhunderts bis 1850.
B<v- In der Periode der Revolutionskriege begann man in Frankreich,
Napoleons I. um dcu dringendsten Anforderungen zu entsprechen, die Geschütze füi*
J^ketang ^^ ^^^^ Kriegführung bequemer und wirksamer herzusteUen.
Artuierie. ^^® Feld -Artillerie wurde in die Regiments- und in die Reserve-
Tafel VH (Positions-) Artillerie gegliedert, 140 Kompagnien sollten 846 Geschütze
''^'•??^ bedienen.
Im Jahre 1796 teilte Napoleon Bonaparte die Feld -Ai*tillerie den
Infanterie-Divisionen zu, einschliesslich die 6 zölligen Haubitzen, welche
sich früher in der ReseiTe befanden, weshalb ihre Zahl vermehrt wurde.
Aber als diese Geschütze mit den Kanonen in einer Linie auftraten,
machte sich ihre Mangelhaftigkeit sogleich fühlbar.
Bis zur Zeit Friedrichs des Grossen wurden Schlachten schon
mehrere Tage zuvor vorbereitet, beide Gegner suchten sich des Vorteils
einer guten Stellung zu versicheni. War eine solche gefunden, so ver-
stärkte man sie schleunigst durch Feldbefestigungen und lüstete diese
Erdwerke mit Geschützen aus.
Dann erwartete man den Angriff des Gegners oder ging, wenn man
sich stark genug fühlte, zum Angriff aus der Stellung vor. Hierbei, wie
auch bei der Vei-teidigung, suchte man der Artillerie eine möglichst
dominierende Feuerstellung zu verschaffen, welche meist während des
ganzen Gefechts innegehalten wurde. Ein preussisches 25 pfundiges
Geschütz von 1800 zeigt uns Tafel Vm, Fig. XXIX, und Fig. XXX
eine englische Feldhaubitze aus derselben Zeit.
Friedrichs des Grossen Siege verursachten bei allen Mächten eine
Aenderung des Artilleriematerials. Die nach dem System Gribeauval
konstiniierten Geschütze waren bereits erleichtert und beweglicher gemacht,
so dass die französische Feld -Artillerie 1789 über ein brauchbares, auch
für schnellere Bewegungen geeignetes Material verfügte.
Tafel Vffl.
XXX isoT
IMl
xxxm XXXIV XXXV
xxxvni
{Erläaterungen vmiteienil.}
Erläuterungen zu Tafel VIII.
Fig. XXIX, 1800. Ein preussisclier 25-Pfimder.
Fig. XXX, 1800. Eine englische Feldhaubitze von 1800. Die beiden Wände der
Lafette, welche das Rohr tragen, reichen nur bis kurz hinter das letztere
und setzen sich in Gestalt eines einzigen Blockes nach dem Schweif zu
fort. Man nannte derartig eingerichtete Lafetten — Blocklafetten. Der
Vorderwagen, Protze genannt, ist bereits mit einem Kasten versehen, der
Munition aufnimmt und zugleich als Sitz dient.
Fig. XXXI, 1803. Das Napoleon'sche Geschütz. Die Bohrung hatte keine Kammer
und einen senkrecht auf die Rohrachse gestellten Stossboden; das Rohr-
gewicht lag zwischen 600 und 620 kg; die Lafette war eine Blocklafette
mit Protzring, vorn hatte sie zwei kurze Seitenwändo, in denen die Schild-
pfannen sich befanden.
Fig. XXXII, 1807. Rotations-Raketen, mit Hohlgeschoss armiert, welche 1807
eingeführt und späterhin (1857) verbessert wurden, g ist das Geschoss,
unter demselben befindet sich eine Aushöhlung, Rotationskammer IT, mit
vier Rotationslöchem o. Die Raketenhiilse besass am vorderen Ende den
Massivsatz Af, im rückwärtigen Teile den Triebsatz Z mit der Durch-
bohrung Ic. Das Anbrennen des Zünders erfolgte durch eine Stoppine
welche in dem von einem Rotationsloche zur Geschossspitze laufenden
Kanal lag.
Das Raketen -Geschütz bestand aus dem Fussgestell F^ der Richt-
maschine Q, dem Raketenlauf L und dem Beschwerer B. Zum Abfeuern,
diente anfanglich ein Perkussionsschloss mit Abziehkette; später kamen
Friktionsbrandel , für welche der Lauf rückwärts einen Zündkanal besass,
in Gebrauch.
Der Feldzug von 1866 stellte heraus, dass die Wirkung dieser Raketen
doch nicht den gesteigerten Forderungen an die Artillerie zu entsprechen
vermochte, weshalb sie später aufgegeben wurden.
Fig. XXXIII, 1861. Oosterreichisches eisernes Rohr und Batterie -Lafette
System 1861.
Fig. XXXIV, 1861. Depressions -Lafette, um unter sehr grossen Senkungen
(Depressionen) zu feuern.
Fig. XXXV. Die hohe Batterie -Lafette (15 cm) unterscheidet sich von der ge-
wöhnlichen Batterie- Lafette wesentlich durch den eisernen Aufsatz, in
welchem sich die Schild pfannen samt Deckeln für den Schiessgebrauch
des Rohres befinden.
Fig. XXXVI, 1863. Gezogene 7-Centimeter-Vorderlad-Gebirgskanone aus gewöhn-
licher Bronze nach Methode des Massiorgusses erzeugt
Fig. XXXVII, 1863. Gezogene 8- und 10-Centimeter-Feldkanone aus Bronze, nach
derselben Methode erzeugt.
Fig. XXXVIII, 1863. Hohlgeschosse Mod. 1861 aus Gusseisen, einwandig und
am zylindrischen Teile mit einem Bleimantel &, umgeben.
An letzterem befinden sich wulstartige Erhöhungen, deren Durchmesser
so gross ist, wie jener der gezogenen Bohrung in den Zügen. In das
Mundloch des Geschosses wird der Hinterlad-Perkussionszünder Mod. 1861
eingeschraubt; in das seitwärts befindliche Vor steckerloch kommt der
Vorstecker v.
Die Zündschraube z und der Vorstecker werden erst unmittelbar vor
dem Laden eingesetzt: bis dahin ist die Öffnung für die Mundlochschraube
und das Vorsteckerloch mit Papierpfropfen geschlossen.
Fortschritte der Artillerie vom Beginne des XlX. Jahrhunderts bis 1850. 105
Das von Napoleon vorgeschriebene sogenannte System des
Jahres XI umfasste kurze 24pfiin(lige Kanonen, lange und kurze 12pfundige
und 6 pfundige Kanonen, Spfündige Gebirgskanonen, 24zöUige Haubitzen
und 24 zöllige Mörser. Später traten 6 zöllige Haubitzen und Mörser hinzu,
und während der Kriege des Kaiserreichs an Stelle der Feldkanonen
12- resp. Spfündige Kanonen; auch wurden fahrende Kavallerie-Batterien
eingeführt.
Bemerkenswert aus dieser Epoche ist, dass der Wohlfahrts-Ausschuss Aangedehnte
Veraache
Versuche mit Hohlgeschossen angeordnet hatte, die in den Jahren 1794 mit
und 179B sehr geheimnisvoll betrieben worden waren. Es wurden ^^^^^^'^fif'^"-
140000 Hohlkugeln und 54000 Brandkugeln in die Häfen geschickt, um
die Flotte damit zu armieren. Da man sich aber gegen die Gefährlichkeit
dieser Geschosse nicht genügend gesichert hatte, so sprach sich eine
Marine -Kommission (1802) gegen den Gebrauch der Hohlgeschosse auf
Schiflfen aus, und es blieb einer späteren Zeit vorbehalten, diese Frage
zu lösen.
Die immer von neuem anfangenden Kriege der Republik und des
Kaiserreiches behinderten die gedeihliche Fortentwickelung der Artillerie.
Die 1803 durch Napoleon I. eingeführten Geschütztypen (Tafel VHI, Pig. XXXI
Fig. XXXI) beruhten auf Grundsätzen, welche in einer längeren Friedens- ^ KXIL
Periode erst hätten erprobt werden müssen, während die kriegerischen
Zeiten zu Ueberstürzungen drängten. Schon 1810 trat auf Befehl des
Kaisers eine Kommission zusammen, um das obige (nur teilweise zur Ein-
führung gelangte) System abzuändern. Als jedoch die anderen Mächte
keine bedeutenden Aenderungen vornahmen, wurde durch Napoleon die
Reform der Artillerie ebenfalls lässig betrieben. Bemerkenswert aus
dieser Zeit ist die Einführung von Rotationsraketen mit Hohlgeschossen
(Tafel Vm, Fig. XXXH).
Das österreichische Feldartillerie - System blieb ohne erhebliche
Aenderungen auf dem Standpunkte, den es im Jahre 1763 durch den
Fürsten Liechtenstein erhalten hatte, und das preussische auf dem Stand-
punkte des Königs Friedrich H.
Den ersten Anstoss zu einer Umformung des Artilleriematerials Neue
KanoneD-
gab England 1822, indem es neue Typen von Kanonen und Haubitzen and
schuf, welche zweckmässige Blocklafetten hatten und sehr beweglich ^"^jl^J*"""
waren. Die Batterien hatten 6 Geschütze, darunter je eine Haubitze. J» England
' '' seit 1822.
Ausserdem führte England zwei neue Gescliossarten ein, nämlich (1807)
Raketen und Shrapnels.
In Preussen richtete sich nach Beendigung des Befreiungskrieges Nachfolge
anderer
die Aufmerksamkeit vielfach auf das englische System, was zu dem Staaten.
Material von 1842 führte. Indessen war in jener Zeit die Panik vor einer
106 ^ ^^^ Feuerwaffen.
besseren Waffe der anderen Staaten nicht so gross wie heute und die
letzten Geschütze alter Konstruktion schieden erst 1862 und 1853 aus
der preussischen Feld-Artillerie.
Für die russische Artfllerie war es das Jahr 1838, welches wesent-
liche Aenderungen im Feldgeschütz-System brachte.
In Oesten-eich entwarf man, als die mittlerweile erheblich ge-
steigerte Wirkung der Hand-Feuerwaffen endlich zu einer Umbildung des
Systems gezwungen, 1860 ein neues Feldgeschütz-System, das sogenannte
„Projekts-Material", welches aber erst unmittelbar vor Annahme der
gezogenen Geschütze zur teilweisen Einführung gelangte.
GasMiserne Eine Neueruug von grösster Wichtigkeit wurde aber durch Frank-
Boinb60- ^
kauonen ia rcich augcbahut, und zwar durch Paixhans, welcher von 1809 ununter-
""*''■ brochen Vorschläge machte, Bombenkanonen aus Gusseisen von schwerem
Kaliber und einem Bohrungsdurchmesser von 7, 8 und 10 Zoll her-
zustellen. Nachdem die ersten zu Brest ausgeführten Versuche
(1824) mit einer 80 pfundigen Bombenkanone günstig ausfielen, wurden
1836 die 80-Pfünder auf vielen französischen Kriegsschiffen ein-
geführt.
sknpnei. Eiuc zwcite nicht minder wichtige Neuerung im Artilleriegeschoss-
wesen betraf das vom Oberst Shrapnel aufgestellte Prinzip der Spreng-
geschosse. Die schon in früheren Jahrhunderten gebrauchten, mit Blei-
kugeln und einer Sprengladung gefüllten Hohlkugeln boten in ihi-er
Wirkungsart nichts Eigentümliches dar, da ihr Sprengmoment — wie
jener der gewöhnlichen Hohlkugeln — nicht beherrscht war. Oberst
Shrapnel ergriff die Idee (1803), diese Geschosse vor dem Ziele und in
geAvisser Höhe über demselben krepieren zu machen, um die Kugelfüllung
in einer Garbe gegen dieses zu treiben. Der Hauptaccent der ganzen
Frage lag offenbar in der Herstellung eines zur richtigen Zeit entzünd-
baren Zünders; jene grossaitige Bewegung auf diesem Gebiete bekam
einen mächtigen Impuls nach vorwärts, als Bonnann (1835) das Prinzip
des lingförmigen Zündersatzes erfand.
Wie langsam aber die Bemühungen noch in der ersten Hälfte
unseres Jahrhunderts im Vergleich zu heute sich fortpflanzten, ersieht
man daraus, dass die Engländer bereits in den spanischen Kriegen
(1807—16) vielfach auf Entfernungen von 450 bis 1250 Meter Shrapnels
angewandt hatten, Frankreich aber hatte noch im Jahre 1850 die
Shrapnelfrage unerledigt gelassen und Preussen besass bis zum Jahre
1840 überhaupt keine Shrapnels in der Ai-tillerie -Ausrüstung.
scUig- Einen weiteren Fortschritt bildete die Anwendung von Schlagröhrchen
fud^imtommit fulminantem Zündsatze (1830).
Zlüidflati.
Gheschüize und Geschosse. — Uebergangsperiode von 1850 bis 1800. 107
Hierdurch erst wurde die Artillerie der Notwendigkeit enthoben,
im Feuergefechte stets mit brennender Lunte versehen zu sein; die
Zündung wurde nun leichter, präziser und sicherer.
Ungeachtet dessen blieb der Stand der Artillerie noch ein sehr
mangelhafter.
Beim Gebrauch von Kugeln oder Granaten im flachen Bogen galten
im Felde als grösste Entfernung, auf welcher noch ein nennenswertes
Eesultat zu erwarten war, für die schweren Kaliber 1200 Meter, für die
leichten 1000 Meter; darüber hinaus gebrauchten die deutschen Artillerien
den minderwertigen Rollschuss und Rollwurf.
c) Uebergangsperiode von 1850 bis 1860.
Die besonders in der Ausnutzung des Tirailleurgefechtes vor- ^"
" " gezogenen
geschrittene Taktik, namentlich aber der ausgedehnte Gebrauch gezogener oeweiire ais
Gewehre, welche eine Annäherung auf wirksame Entfernungen (zu da- «, ^^^^
maliger Zeit grösste Tragweite des direkten Schusses mit Vollkugeln ^«'*^jj'***«
1800 Meter, mit Hohlkugeln 600 Meter) allzu gefährlich machten, mussten Artuiene.
nicht bloss auf die Verwendung, sondern auch auf die Bedeutung der
Artillerie einen grossen Einfluss ausüben und zu vielseitigen Re-
formen führen. Das Jahrzehnt 1850/60 erscheint deshalb auch als das
entscheidende für die Entwicklung der modernen Artillerie, welche in
dieser Zeit die grössten Anstrengungen zur Herstellung eines um so
dringender gebotenen neuen glatten Feldgeschützes machte, als durch
Steigerung der Kartätschen- und Shi*apnelwirkung die Vollkugel, nach
Aufgeben der tiefen Gefechtsstellungen, bedeutend an Wert verloren hatte.
Es erschien somit angezeigt, sie durch die Granate zu ersetzen, onw^t-
was zui' Konstruktion von Granatkanonen führte, unter denen das fran-
zösische Modell vom Jahre 1849 den hervorragendsten Platz einnahm,
und von erleichterten resp. verkürzten 12-Pfündem.
Die französische Armee in der Krim war durchgehends mit dem
neuen Material versehen.
Von dem Verlust, den die Artillerie im Allgemeinen durch Ein-
führung der gezogenen Gewehre erlitten hatte, fiel ein bedeutender Teil
besonders auf die reitende Artillerie. Die Entwertung des Kartätsch-
schusses, dessen Gebrauch sie gleichsam als ihre Domäne betrachtet
hatte, musste alle von dieser Truppe gebotenen Vorzüge zu nichte machen.
Auch den Raketen schenkte man mit Bezug auf erhöhte Wirkung
eine gesteigerte Aufmerksamkeit.
Inzwischen entwickelte sich langsam das gezogene Geschütz als AUmihiiche
Vertreter des neuen Prinzips, welches die Hand-Feuerwafien zu so be- wickeiung
deutender Höhe erhoben hatte. Gichütew."
X08 ^ -^^^ Feuerwaffen.
Bahn- Die Konstruktion von gezogenen und von Hinterlade-Geschützen ist
brechends
Leistungen Seit Jahrhunderten oftmals versucht worden; zahlreiche Quellen weisen
cavaius. ^^ Existeuz von Rohren aus früheren Jahrhunderten nach, in welchen
sich entweder gerade oder selbst spiralförmige Einschnitte (Züge) befunden
haben. Schon im XV. und XVI. Jahrhundert tauchten sie unter dem
Namen „Kammerbuchsen, Keüstücke, Keilgeschütze'* auf. Die Herstellung
einer wirklich brauchbaren Konstruktion scheiterte aber an den Un-
vollkommenheiten der Technik, so dass man die sich darbietenden
Schwierigkeiten für unüberwindlich hielt. Diese Hindernisse des neuen
Prinzips überwand zuerst mit praktischem Erfolge der sardinische
Artillerie - Major Cavalli (1833), welchen die Regierung autorisierte,
22 Haubitzen herzustellen. Cavallis Geschütz schoss mit 4 Kilogramm
Ladung ein 30 Kilogramm schweres Geschoss auf 3500 Meter.
Gezogene In Folge des Krimkrieges waren auch in Frankreich Versuche
^ and
la-pfttndep mit gezogenen Geschützen angestellt worden (1855). um rasch zu einem
Franbeich. gedeihlichcu Resultat zu gelangen, beauftragte Napoleon den Präsidenten
des Artillerie-Komitees, General .de La Hitte, mit der Konstruktion
uud Erprobung eines Feldkalibers. Auf Grund der Versuchsergebnisse
von 1856 wurde entschieden: der4-Pfünder solle mit einem Geschoss von
4 Kilogramm als Feldgeschütz, daneben gezogene 12-Pfünder in geringer
Zahl eingeführt werden. Die Herstellung der neuen Geschütze wurde 1858
angesichts des drohenden Krieges mit Oesterreich mit solcher Energie
betrieben, dass im italienischen Feldzuge 1859 schon 32 Batterien ge-
zogener 4-Pfünder und 4 Batterien gezogener 12-Pfünder auftreten
konnten, welche so gute Dienste leisteten, dass in der Zeit 1859/60
das französische System in den meisten Artillerien mit geringen
Aenderungen angenommen wurde. Vorläufig waren nur England und
Preussen hiervon ausgenommen.'
Wenn sich dennoch im italienischen Kriege die Ueberlegenheit der
gezogenen Geschütze über die österreichischen glatten Geschütze nicht
derart bekundete, wie man zu erwarten berechtigt gewesen, so findet
dieser Umstand seine Erklärung darin, dass die Ueberweisung der
neuen Waffe an die Truppen wegen Mangel an Zeit ohne jede Instruktion
erfolgen musste. Grösstenteils empfingen die Batterien das neue Material
erst in Toulon, Marseille oder Lyon am Tage der Einschiffung oder des
Abmarsches, so dass weder Offiziere noch Mannschaften von der Ver-
wendung die geringste Ahnung hatten.^
vorattge der Dic uach dem Kriege angestellten Vergleiche zwischen den glatten
G^Mcitttee und gezogenen Geschützen ergaben indessen folgendes Resultat.
vor ___
den glatten.
0 Fürst Hohenlohe: „Das gezogene Geschütz" 1860.
Die Feld-Artillerien nach 1866 bis zur Anwendung des rauchschwachen Pulvers. \(jQ
Das gezogene Geschütz bietet statt der vorherigen Unsicherheit
eine grosse Wahrscheinlichkeit des Treffens auf alle Distanzen bis
1800 Meter.
Ueber die genannte Distanz hinaus wird die Sicherheit des Treffens
zur Wahrscheinlichkeit, aber noch immer in .so erhöhtem Maasse, dass
sie die der glatten Geschütze auf deren nächsten VoUgeschoss-Distanzen
um 450 bis 600 Meter übertrifft.
Die bedeutende Wahrscheinlichkeit des Treffens nimmt mit derPig-XXXVl
Zunahme der Entfernung nur in dem Maasse ab, als das Zielobjekt durch yttviil
diese dem menschlichen Auge so klein erscheint, dass man nicht mehi-
sicher sein kann, das Geschütz wirklich gut gerichtet zu haben, denn
das Geschütz schiesst genauer, als das menschliche Auge sieht. Die
Typen der in Oesterreich infolge dieser Versuche eingeführten Geschütze
zeigen uns auf Tafel VIH die Fig. XXXVI u. XXXVH, und Fig. XXXVIU
die damaligen gusseisemen Hohlgeschosse.
d) Die Feld -Artillerien nach dem Jahre 1866 bis zur
Anwendung des rauchschwachen Pulvers.
Der Krieg von 1866 führte zum ersten Male eine grössere Zahl E«t»n»iig6
grössere Yer-
gezogener Geschütze ins Feld. Auf einer Seite standen vornehmlich die wenduuK
österreichischen Vorderlader, 688 Geschütze (ausserdem 58 sächsiche gwl^neu
Hinterlader preussischer Lieferung). Auf der anderen Seite standen ^^^^*^®^
641 preussische Hinterlader. Dazu kamen auf beiden Seiten noch glatte, isee.
und zwar kurze 12-Pfünder, ausserdem 15 - Centimeter - Haubitzen
(Erfurter Ausfall-Batterie) etc. Zusammen 422 glatte Geschütze.
Letztere leisteten im Feldzuge so gut wie nichts, sie waren den
gezogenen gegenüber machtlos und zum Nahkampf gegen andere Waffen
nur in wenigen Fällen gekommen. Doch auch die gezogenen (Hinterlade-)
Geschütze hatten nicht die — allerdings übertriebenen — Ei'wartungen
erfüllt, welche auf ihre Wirkung gesetzt worden waren. Diese erwies
sich gegen Feldbefestigungen und Erddeckungen als unzureichend.
Bei Beginn des Krieges 1870—1871 gab es in der französichen Feld- ^/^"^f J"
Artillerie Bronzekanonen und 25 läufige Mitrailleusen. Die Wirkung der oussstahi-
Geschütze war wenig befriedigend. den
Bis zum Jahre 1870 war das stärkste der französischen Feldgeschütze, "bmhä^*"
wie wir schon angegeben haben, die 12-Centimeter-Kanone, deren Granaten ^"""^f. "°^
22 Sprengstücke ergaben. traiuensen.
Dagegen war in Preussen die gesamte Artillerie mit gezogeneu
Gussstahlgeschützen versehen, 1718 an der Zahl, deren Vorzug vor den
französischen Geschützen in einer besseren Konstruktion der Geschütze
HO I. Die Feuerwaffen.
und Greschofese bestand, was in grösserer Treffsicherheit und Geschoss-
wirkung derart zu Tage trat, dass die Wirkungsfähigkeit der fran-
zösischen Geschütze völlig abgeschwächt wurde.
Nichtsdestoweniger waren die Preussen mit ihrer Artillerie nicht
ganz zufrieden; sie war .gegen Schützenketten, besonders in durch-
setztem Gelände, von geringer Wirkung. Die Ursache dieses Uebelstandes
war besonders ungenügende Rasanz der Flugbahn, geringe Anfangs-
geschwindigkeit und mangelhafte Einrichtung der Geschosse. Eine weitere
Erfahrung brachte der deutsch-französische Krieg, nämlich, dass die neuen
Gewehre vermöge ihrer Kraft und Treflfweite den Angriff gegen in fester
Stellung stehende Infanteriemassen, ohne Hilfe der Artillerie als äusserst
riskant erscheinen lassen. Ueberall machte sich nun das Bestreben geltend,
auch die Kraft und Treffweite der Geschütze zu steigern. Dies konnte
natürlich nur durch Steigerung der Anfangsgeschwindigkeit der Geschosse
erreicht werden, wozu der Widerstand des Geschützrohres gegen den Druck
der Pulvergase vergi'össert werden musste.
Be- Die zu dieser Zeit geraachten Fortschritte in der Fabrikation des
^e www- Tiegelstahls nach dem Martin Siemens -Veifahi'en gaben der Industrie die
ftw^k^t Möglichkeit, mit Hilfe von bis dahin unerhört kräftigen Dampfhämmern
derGeschftteeund hydrauUscheu Pressen Geschütze von enormer Widerstandsfähigkeit
XU steirera.
ZU schaffen.
Die Krupp'schen Gussstahlkanonen-Etablissements konnten 1847 nur
das 3-Pfünder-Kaliber liefern; 1867 begann Krupp die Fabrikation von
Schmiedestahl-Kanonen (Canons frettes) und lieferte Stücke, deren Kosten
pro Stück bis 2 Millionen Mark betragen.
Zur Veranschaulichung dieser Fabrikation, sowie um einen Rückblick
in frühere Zeiten zu werfen, geben wir in der nebenstehende Beilage
einen Vergleich der Konstruktion verschiedener älterer 7 zölliger Rohre
mit einem neuen englischen Rohre (Konstruktion Elswick) und zugleich
ein Bild der äusserst mühsamen Arbeit der Verstärkung eines 6 zölligen
englischen Rohres.
Preussen war es, welches sich wieder vermöge der Krupp'schen Werke
an die Spitze der Bewegung stellte und ein neues Geschützmodell
schuf, wobei vornehmlich auf Wirkung bei grossen Distanzen gesehen
wurde.
Nach dem Versuche vom 20. Oktober 1873 verhielt sich auf
1500 Meter die Granatwirkung der alten zu jener der neuen Geschütze
wie 1 : 2,6, bei den Shrapnels wie 1 : 3. Weiterhin erzielte man die
Verbesserung der Munition und suchte ein Einheits- Feldgeschütz zu
schaffen. Dieser Aufgabe bemächtigte sich die Privatindustrie, und die
rastlose Konkurrenz der verschiedenen Werke erzeugte bald eine
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I 1
Geschütze und Geschosse. — Stand und Fortschritte der Jetztzeit. J]^}
ganze Reihe von neuen Typen und Verbesserungen. Die Regierungen
wurden überschwemmt mit ModeDen von Feldkanonen, SchneDfeuer-
kanonen, Mörseni für Feld-Artilleiie, vervollkommneten Shrapnels und
Sprenggranaten. Besonders warf sich, da die EinsteUung leichter Wurf-
geschütze in die Feld-Artillerie immer mehr Bedürfnis wurde, die Industrie
auf den Bau kurzer Kanonen und leicht transportabler Mörser grösseren
Kalibers.
Diese an sich selbst schon bemerkenswerte Bewegung bekam ein
besonderes Grepräge durch die Erfindung des neuen Pulvers.
Durch das Kleinkaliber hatte sich das Verhältnis der Infanterie-
bewaffnung und des Feldgeschützes zu Ungunsten des letzteren ver-
schoben, und es entstand für die Artillerie die Lebensfrage, ob sich die
Störung des Gleichgewichts ausgleichen lassen werde.
Die Anwendung des neuen Pulvers und der neuen Sprengstoffe gab
zwar der Artillerie ebenfaDs die Möglichkeit gi'össerer Kraftäusserung,
doch nur bei genügender Widerstandsfähigkeit des vorhandenen Materials.
Unzählige Versuche fanden statt, unter Anwendung des neuen Pulvers
bei den vorhandenen Kanonen grössere Anfangsgeschwindigkeiten zu er-
halten, ebenso gab es Vorschläge, Entwürfe und Ausführungen von neuen
Feld- und Positionsgeschützen wie auch Schnellfeuerkanonen, wobei die
Ansicht, das Shrapnel als Hauptgeschoss zu verwenden, allgemein
Boden fand.
Teilweise werden auch schon Geschütze neuerer Typen in den
Armeen eingeführt, ungeachtet der Gefahr, durch verbesserte Kon-
struktionen anderer Mächte überholt zu werden, da für die Anfertigung
„des Geschützes der Zukunft" noch eine Menge offener Fragen vorliegen.
2. Stand und Fortschritte der Jetztzeit.
Die Geschütze teilen sich nach ihrer speziellen Bestimmung in Einteiiuug
der
Feldgeschütze, Gosciiütee.
Gebirgsgeschütze,
Belagerungsgeschütze,
Festungsgeschütze,
Küstengeschütze und
Marine- oder SchifFsgeschütze.
Endlich rechnet man zu den Geschützen auch noch die Mitrailleusen ve«chieden-
oder Kartätschgeschütze. " der**
Wie gross die Verschiedenartigkeit der Typen der heutigen Geschütze q^^^^,
ist, davon können folgende Abbildungen uns einen üeberblick geben. *yp«»-
112
I. Die Feuemroffen.
Wir geben zuerst in nebenstehender Beilage das Büd der Ansstellni^
des Gescliiltzsystenis „Canet" auf der Pariser Ausstellung: von 1889. •)
Weiterhin folgt ein Vergleich der Grösse der Geschosse, s)
VerRleLchtin^ der GrSsae Her G«ichosse.
knwni'.as Die grflssteu Geschosse werden ans Belagerangs-, Festnngs-, Küsten-
BiMm- nnd Seepeschtttzen abgefeuert, welche gewaltige Dimensionen haben und
i«chi»HB. besondere Vorsichtsmaassregeln erfordeni, damit das Geschützrohr den
Druck der Pulvergase aushält. Um wenigstens einen BegriflF von der Art
der Befestignng der Wände dieser Giganten zn geben, bringen wir den
Querschnitt eines Geschützes von 16 Met«r Länge, welches die italienische
Regiemng bei Krupp besteUt hat. Ans diesem Geschütz, das mit 486 Kilo-
gramm Pulver geladen wird, kann ein Geschoss von 1050 Kilogramm
Schwere ali^efenert werden.
:C"
fPl
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Qaerschnitt eines Kruppschen Geschützes von 16 Met^r Läng*'.
Ein einziges solches Geschütz kostet l'/a I*'» ^ Millionen Francs.
°- Von den so verschiedenen Geschützarten interessieren uns vorzugs-
weise diejenigen, welche zum Gebrauch bei der Feldarmee bestimmt sind.
') Dredge „The moilern French Artillery".
') Die Zeichnungen sind von uns nach den Angsben von Om4ga:
combattre" und „Sciences militaires, Artillerie" zuaammengesMllt.
Geschütze und Geschosse. — Stand und Fortschritte der Jetztzeit.
113
also die Feldkanonen und Mörser, wie auch Kartätschgeschütze. Von den
Festungs-, Maiüne- und Küstengeschützen werden wir später sprechen. Die
Feldkanonen sind zur Beschiessung der Truppen des Gegners bestimmt und
gelten für um so wirksamer, auf je weitere Distanz sie diese Beschiessung
auszuführen vermögen und je giösser die dabei erzielte Rasanz sein kann.
Die Flugbahn, die Treffweite und vernichtende Wirkung der Bedingungen
für die
Geschosse, welche diese Geschütze entsenden, hängt von der Form des Wirkung der
Geschosses und der Einrichtung des Rohres ab, am meisten aber von
der Kraft, welche die Ladung entwickelt. Damit eine allzu rasch sich
entwickelnde Gasspannung nicht das Geschütz selbst schädigt, hat man
begonnen, die Rohre länger zu machen und ein langsam verbrennendes
Pulver zu gebrauchen; das Wesen der Feldgeschütze hat sich aber seit
1870 wenig verändert und ist mehr oder weniger allgemein bekannt, so
dass eine Beschreibung nicht erforderlich ist.
Seitdem den russischen Batterien bei Plewna und in anderen Feld- ^"»«« ^«*"
Beschiessung
Stellungen des russisch -türkischen Krieges Truppen hinter so starken stark
Deckungen entgegentraten, dass man diese Deckungen weder mit den Trap^'pe^^^
vorhandenen Feldgeschützen durchschlagen, noch auch die hinter den-
selben vorhandenen Truppen mit Shrapnels oder Granaten treffen konnte,
sondern die Ankunft von schweren und Steilfeuergeschützeu abwarten
mnsste, um Erfolg zu erzielen, ist die Frage des Beschiessens stark-
gedeckter Truppen eigentlich ununterbrochen in Fluss geblieben. Viele
behaupten, dass man derartige Werke im Feldkriege nicht nur dann
finden werde, wenn man, wie die Russen bei Plewna, dem Gegner Zeit
liesse, sie zu schaffen, sondern bei der jetzigen Ausstattung der Truppen
mit Instrumenten zum raschen Aufwerfen von Erddeckungen auch sogar
im Bewegungskriege. Die Manöver haben deutlich gezeigt, dass auch in
kürzester Zeit sich Deckungen schaffen lassen, hinter die man mit dem
Shrapnel nicht fassen kann, und in den letzten Jahren sind, wie die
neueren „Feldpionier -Vorschriften" und die „Anleitungen für Feld-
befestigungen" beweisen, noch Kopfdeckungen hinzugetreten, welche eine
Shrapnelkugel und, wie wir gleich bemerken wollen, auch die Splitter
der Sprenggianate nicht durchschlagen. Die Feldgeschütze aber sind
Flachbahngeschütze mit grosser Rasanz, also kleinen Einfallswinkeln der
Geschosse, so dass man mit Vollgeschossen die Kopfdeckungen nicht
treffen, also auch nicht zerstören kann.
Um Truppen hinter starken Deckungen zu treffen, besitzt die neatsche
deutsche Feld -Artillerie seit 1888 eine Sprenggranate, die, mit starker gmnaten^zur
Sprengladung versehen, ihre Geschosssplitter unter steilen Einfallwinkeln ^^"'^3°^^"^
hinter die Deckung bringt. Aber selbst jiach der deutschen „Schiess- »ockungen.
Vorschrift für Feld -Artillerie** hat dieses Geschoss eine sehr geringe
Bloch, Der zaicünftige Kriege- S
114
I. Die Feuerwaffen.
Feld-
gesoliftU-
Tiefenwirkung, d. h. es muss ein sehr genaues Einschiessen stattfinden,
wenn man hinter die Deckung gelangen will, das Greschoss also wirksam
werden soll.
Je grösser die Entfernung aber ist, um so schwieriger wird dieses
Typen zur genaue Einschiessen und hinzukommt, dass doch erst konstatiert werden
*"^geil"*^ muss, ob die Splitter des Geschosses sichere Kopfdeckungen durch-
Decbingen. gchlageu. Solche Kopfdeckungen sind, sobald einige Zeit zur Verfügung
steht, leicht herzustellen. Man könnte also in die Lage kommen, gegen
vorbereitete Stellungen des Gegners erst das Eintreffen von Geschützen
der Belagerungs-ArtiUerie abwarten zu müssen, die entweder die Deckung
zerstören, oder aber die Kopfdeckungen von oben einwerfen. Das kann
nicht als vorteilhaft angesehen werden, Zeit ist oft entscheidend für den
Ausgang einer Schlacht ; die Feldarmee muss also Geschütze zur unmittel-
baren Verfügung haben, um mit solchen feldmässigen oder vorbereiteten
Deckungen bald fertig zu werden.
Steilfeuergeschtitze giebt es zwei Arten. Die Mörser, die mit sehr
stark gekrümmter Bahn sich besonders gegen hinter Deckung befindliche
Ziele eignen und ihre Geschosse von oben einwerfen, dagegen für die
Verwendung gegen freistehende Truppen sich nicht eignen, weil sie eine
lange Flugzeit (während welcher eine Truppe den Standort leicht ändern
kann) und keinen brauchbaren Shrapnelschuss haben. s)
Unterschied ») Zum Verständnis für die nicht militärischen Kreise bedarf es einer Er-
^ ^^ klärung über den Unterschied des Kanonen- und Mörsorschusses.
und Diesen Unterschied erläutern folgende Zeichnungen („Leitfaden für Unter-
Möraer- nciit in der Waffenlehre an den königlichen Kriegsschulen", Berlin 1888):
Kanonenschuss.
Mörserschnss.
Auf der ersten Zeichnung ist der Flug einer Granate dargestellt, welche
die sich von N. nach O. bewegende Infanterie treffen würde; die zweite Zeich-
nung verdeutlicht jene Kurve, in welcher das Mörsergeschoss sich bewegt, um
einen hinter der Deckung sich befindenden Gegenstand zu treffen.
GesohütKe und üesuhosse. — Stand nnd Fortsoliritte der Jetztzeit-
Auf beifolgender Zeichnung sehen wir einen modernen Feld-
mörser.
Feldm5i«er.
Eine andere Art von Steilfenergeschiltzen sind die Haobitzen. Diese
haben eine weniger gekrümmte Bahn als die Mörser; die Krümmung ist
aber doch noch stark genug, um Kopfdecknngen mit Vollgeschossen zu
treflen ; sie besitzen ausserdem einen gaten Shrapnelschnss, mit dem man
die gedeckten Truppen treffen und den man auch gegen freistehende
Truppen gebrauchen kann.
Während der Mörser also lediglich Spezialzwecken dient, kann die
Haubitze auch für die offene Feldsehlacht in Rechnung kommen, was
natürlich von grösster Bedeutung ist.
Die in Frankreich konstruierte Feldliaubitze hat 12 Zentimeter
Dnrchmeaser und feuert dieselben Granaten, wie das 12-Centimeter-
Bel^erungsgeschütz und auch Rhrapnels eines speziellen Typus. Die
Feuergeschwindigkeit ist eine ausserordentliche, weil der Rnckstoss fast
gänzlich angehoben ist.
GreHsn
raUgkeil
Um diese Wirkungen ku erreichen, werden Feldkanonen länger als die
HSrser, ivie die Durchschnitte zeigen („Sciences militaires, Artillerie"), verfertigt.
I. Die Feuerwaffen.
Franiosisclie Feldhaubitise.
Bei ÄusfUlirun^ des Schnsses gleitet der Körper des Geschützes C
darch Reibung in den Zapfenträger D. Die Lafette setzt sich aus zwei
Teilen zusammen, nämlich:
1, das Gestell A , das die Achse trägt und sozusagen die Funktion
der plate-fonne erfüllt, und
2. die eigentliche Lafette B, welche aaf dem Gestell ruht und sich
nm eine Angel bewegen kann, die gegen den Vorderteil der
bes^^Q plate-forme placiert ist.
Der Riickstoss ist heinahe gänzlich beseitigt in Folge des präzisen
Spiels einer hydropneumatischen Bremse G, deren Warzen-Stamm P mit
dem Fenerscldunde durch ein Metalistück H verbunden ist, welches eine
Verlängerung des Bodenstückes bildet. In dieser sinnreichen Vorrichtung
wird die Kraft des Rückstosses aufgehoben:
1. durch den Widerstand einer Flüssigkeit (tilycerin), die sieh rasch
durch einige Otfnungen verbreitet,
2. dnrch den Di-uck einer Gasmasse , welche unverzüglich das
Geschützstück in seine Stellung zurückbringt.
Das Richten des Geschützes erfolgt wie bei .jedem ?>ldgeschntz.
Man richtet es zunächst im Groben vermittelst des Höhenmessers und
des Guidon. Nach dem ersten Schosse vollendet man die Richtung in
der Direktion, indem man den Volant E stellt, in der Höhe, indem man
die Kurbel des Apparates F dreht. Die Operation des Richtens vollzieht
sich sehr schnell, vorausgesetzt, das.s das Lafettengestell seine Stellung
nicht verändert und das Geschütz sich immer in dem Moment seiner
Rückkehr en batterie ungefähr gerichtet befindet.*)
*) Colone! Honnehert : ,,La Naturo''.
Die französische 12 Centimeter-Feldhaubitze.
Geschütz mit Larette.
Gesohülzrohr mit dem hydropneumatisohen Kompressorium.
w
^
Längsschnitt durch des h yd ropneu malische Kompressorium.
Protze und Kugelkasten.
ErläuteruHge» umstehend.
Bd. I. ELnngen b«i Sgil« 11&
Die Lafette einer 120 rarn-Kanone setzt sich aus einem oberen und einem
unteren Teil zusammen. Der untere Teil (a) besteht aus den beiden Lafetten-
wänden und deren Verbindungstoilen, welche hinton aus einigen Querstangen,
in der Mitte aus einer Platte, welche für den oberen Teil als Auflager dient,
und vorne aus einem Kasten für den Kuppelbolzen sowie aus der knieformig
gebogenen Achse besteht. Den oberen Lafettenteil bilden ebenfalls zwei
Lafetten wände, welche hinten — oben und unten — durch Verbindungsplatten,
vorne durch die Schildzapfen des Rohres verbunden werden. Ein weiteres Ver-
bindungsglied ist eine trichterförmige Platte, welche auf den Kuppelbolzen des
unteren Lafettentoils aufgesetzt wird. Auf der Lafette befinden sich Vor-
richtungen zum Heben und Senken, zum horizontalen und vertikalen Richten
des Geschützrohres und zum Hemmen der Kanone.
Das Geschützrohr besteht aus drei Stahlschichten; dem Mantel M, dem
Innenrohr K und dem Ring S, welcher nur das Bodenstück uraschliesst; um
den Mantel ist ein Bronzeüberzug F gelegt. Der Schildzapfen P stellt die Ver-
bindung des Rohres mit der Lafette, der Ring G die Verbindung mit dem
Rekuperator des hydropneumatischen Kompressoriums her. Die Oese 0 dient
dazu, das Rohr während des Marsches ail der Lafette zu befestigen.
Das hydropneumatische Kompressorium besteht aus dem Stahlzylinder B,
welcher mit Gel gefüllt ist und dem Bronzezylinder L, welcher das Luft-
reservoir F enthält und mit der hohlen Kolbenstange R des Kolbens K ein
Ganzes bildet; Zylinder L und Rohr F werden durch den Ring G miteinander
verbunden. Die Leere der Röhre R wird von der Leere des Zylinders L durch
die Scheidewand W, welche dicht an die Innenw^ände dos Luftroservoirs F an-
schliesst, getrennt Das Ventil V weicht durch den Druck der Flüssigkeit,
welche in die Kolbenstange hineingetrieben wird, zurück, wird aber, sobald
dieser Druck aufhört, durch Federkraft sogleich wieder gegen die Ausgangs-
öffnung der Röhre gepresst.
Qeschütee und Geschosae, — Stand und Fortschritte d^r Jptztzeit. 117
Weiterhifl geben wir anch das Bild einer von Gruson gebauten o™»™-
12-0entiineter>8clmellfeuerhanbitze. kuut».
GruBon -BchnellfeuprhftubitB«.
Alle Feld-Ai-tülerien sind mit gezogenen Hinterlade-Kanonen ans-
gerüstet.
Bei denselben findet man grösstenteils den Keüverschluss (Rnnd-
oder Flachkeü); nnr in Frankreich und England ist ein Nchranben-
verschlnss eingeführt.
Das Material der Rohre ist Bronze {Stahlbronze) oder Gnssstahl.
Eine Anzahl von Feldgeschützen, unter einem Kommando vereinigt, "
wird in der Artillerie Batterie genannt. Diese bildet die taktische Einheit
der Feld-Artillerie und wird als solche mit einer Anzahl Munitions- und
Vorratswagen versehen.
Jl8 1. t)ie t'euerwatfen.
Aniahi der Jetzt ist jede Batterie in Deutschland mit 9, in Frankreich mit 9
wagen In den (dic reitende Batterie mit 8), in Russland mit 12 Munitionswagen ver-
der Ter- sehcu. lu Folge desseu kann die deutsche Batterie in einer Schlacht 808,
"*^Ltodw*" ^^® französische 852, die russische 900 Schüsse abgeben, ohne zu der in
Kolonnen nachgeführten Eeservemunition zu greifen. Aber auch diese
Schusszahl gilt für noch nicht genügend, und die deutsche Artillerie
hält es für nötig, die Zahl der Ladungen pro Batterie bis 1290 zu
bringen. ^)
Auss.er den Kanonenbatterien werden in neuerer Zeit auch Mörser-
batterien mit ins Feld geführt werden, ß)
Bauutiedie Nach dlcseu Erklärungen können wir zur Angabe der ballistischen
über die Datcu Über die in den verschiedenen Staaten eingeführten Feldgeschütze
gJd^fitee schreiten.
der TAT- (Siehe die Tabelle auf der folgenden Seite.)
BcMedenen
oroeam&cbte. ^j^ lasscu zudem iu der nebenstehenden Beilage die als typisch zu
betrachtenden Zeichnungen einer Feldkanone und eines Mörsers folgen.
Tafel II9 Wir haben eine russische Feldkanone und einen Mörser gewählt,
?n'^fv *^ diese wegen der Einrichtung ihrer Lafetten bemerkenswert, und
* bei vielen anderen Staaten ebenfalls in Anwendung gekommen sind
(Tafel IX, Fig. I, H, HI u. IV).
Für den Leser müssen wir jedoch einige erklärende Worte voraus-
schicken.
Die Entladung des Gewehres erzeugt, wie es aus dem praktischen
Leben bekannt ist, einen Rückstoss. Bei grosser Ladung des Gewehres
ist dieser Rückstoss so stark, dass er einen Backenschlag verursacht.
Bei dem Geschütz mit starken Ladungen, die heute verwendet
werden, würde der Rückstoss, wenn er frei erfolgte, das Geschütz
zurückwerfen und nicht allein bei jedem Schuss eine neue Aufstellung
erfordern, wodurch Raschheit des Schiessens und TreflFfähigkeit be-
einträchtigt würden, sondern auch in kurzer Zeit die Lafette unbrauch-
bar machen.
Laffeten- Die Lafettcufrage hat demnach ausser dem technischen noch ein
anderes grösseres Interesse, nämlich das der Treffsicherheit.
*) „Militärische Jahresberichte für 1891." S. 376.
*) Sauer: „Ueber den abgekürzten Angriff gegen feste Plätze."
Tafel IX.
(Erläuterungen umstehend.)
Erlänternngen zu Tafel IX.
Fig. I u. III. Feldgeschütz, russisches. Die Rohre der Feldgeschütze sind ent-
weder Obuchow'sche Stahlrohre mit durchgi'eifender Futterröhre und Schild-
zapfenring oder gussstählerne Rohre nach System Krupp.
Der Verschluss ist derselbe, wie bei den deutschen Feldgeschützen.
Fig. IL Feldlafetten, russische. Die Feldlafetten sind eiserne Wandlaffeten nach
der Konstruktion des russischen Obersten Engelhardt.
Die Lafette besteht aus zwei Teilen; der eigentlichen Lafette L und
dem Fahrgestelle G, welche beide derart miteinander verbunden sind, dass
beim Schusse der Stoss des Rohres nicht direkt auf das Schiessgerüst,
sondern durch eine Puffervorrichtung F und den Mitnehmern M indirekt
auf dieses übertragen wird, wodurch nicht bloss das ganze System geschont,
sondern auch der Rücklauf infolge der Wirkung des Puffers bedeutend
vermindert wird.
Der Puffer besteht aus 2 durch eine eiserne verzinnte Scheibe getrennten
Kautschukplatten JP, welche im Lafettenkasten zwischen dessen vorderer
Wand und der Stossplatte eingelegt sind, und den 2 Pufferschrauben hh\
letztere sind mit ihren augenformigen Köpfen auf den Bolzen aufgezogen
und durchgreifen die Traverse. Beim Schusse wird die Lafette vom
Rückstoss zurückgeworfen, wobei die Pufferschrauben durch den Quer-
bolzen festgehalten und hierdurch die Kautschukplatten so lange zu-
sammengedrückt werden, bis die Pressung der Platten stark genug ist, um
den Widerstand des Fahrgestelles zu überwinden; von diesem Momente
an bewegen sich Lafette und Fahrgestell vereint nach rückwärts, und
indem sich die Kautschukplatten wieder ausdehnen, wird dem Rücklaufe
teilweise entgegengewirkt.
Mit Ausnahme der Kavallerielafetten sind sämmliche Feldlaffeten mit
Achssitzen versehen.
Fig. IV. Feldmörser, russischer. Der Foldmörser hat ein stählernes Mantel-
rohr M mit Rundkeilverschluss von gleicher Einrichtung wie die Feld-
kanonenrohre; das Kaliber des Rohres beträgt 15*24 cm, die Länge
9 Kaliber, das Gewicht 460 kg.
Die zugehörige Räderlafette ist Eisenkonstruktion System Engelhardt;
an derselben sind zu bemerken: die Richtmaschine, welche aus einem am
rechten Schildzapfen befestigten Zahnsektor S und der Schraube ohne
Ende i samt Handrad h besteht und die Kautschukpuffer Ar, mittelst
welcher die Achse in den Achslagern elastisch gelagert ist; die Stütz-
vorrichtung 5, welche in der Feuerstellung die Achse trägt und hierdurch
die Räder vollkommen entlastet, während des Fahrens jedoch nach auf-
wärts gedreht und an den Lafetten wänden festgemacht ist, endlich das
Protzöhr o zur Verbindung mit der zugehörigen Protze.
Die Protze enthält in einem Kasten aus Stahlblech 12 Geschosse und
18 Patronen und ist zum Aufsitzen von drei Mann eingerichtet.
Die Munition der Feldmörser besteht aus Kartuschen, Fugassenbomben
und Diaphragma-Shrapnels.
Bei den angegebenen Vorrichtungen an der Lafette rollt der Mörser
nach dem Schusse nur um 2 Zoll zurück, so dass ein Zurückrollen so gut
wie gar nicht stattfindet. Ausserdem hat es der Erfinder durch ent-
sprechende Vorrichtungen an der Lafette ermöglicht, dass das Geschütz
gleichzeitig gerichtet und geladen werden kann, wodurch das Schiessen
sehr beschleunigt wird.
Cxeschütze und Geschosse. — Stand und ^ortsclxritte der Jetetzeit.
119
Ballistische Angaben betreffend die Feldgeschütze der
europäischen Grossmächte.
Oesterr.-
Ungam.
9 cm
Feldkan.
Md. 1875*)
Deutsch-
land.
9 cm
schwere
Feldkan. i
Konstr.73
u. 73/88
1
Italien.
Frank-
reich.
Rosaiand.
1
1
7 cm 9 cm
leichte schwer
9 cm
Feldkan.
Mod. 1874
lOb.ämiiraill.
1
Kaval-
, lerie-
leichte
Bat-
terie-
1
Feldk
Mod.74
anone
Mod.81
!
Kanone, Mo(
1. 1877
en
Beim Schieflsen der
Granat
e n
|, Granat
Anfangs-
1
1
geschwindigkeit
Gm
2000m
448 •♦)
262
442
i 432
1
t
256
455
.
273
' 455
1
287
1 412
1 265
442
374
End- f
268
273
265
geschwindigkeit\
4000m
2000 m
217
208
1
190
13
210
13
228
, 206
1
212
214
öOProz. Langen-/
19
1 17 '
' 19
23
24
21
Streuung auf
4000m
47
29
26
32
1 32
42
1
33
52
50Proz. Breiten- /
2000m
2,3
1,8
1,9
1
1,7
1
1 1,8 ,
2,2
1,2
1,6
Streuung auf \
4000m
11,0
5,4 ,
1
1,9
6,1
1,7
8,5
4,2
1,8
9,2
4,8
2,0
6,7
50Proz. Höhen-/
2000 m
2,0
M'
i 2,5
2,4
Streuung auf
4000m
2000m
4000m
1
17 1
5
m 1
10,0
17
9,6
15
4
10,2
17
6
9,2
18
6
13,0
8,9
19,8
Bestrich. Raum f
fQr 1,8 m Ziel- <
hohe auf [
16
6
21
6
15
5
Grösst«
1
m
m
» i
m
1
1 »
m
m
Schussweite
4500
6500 1
5400
4000 „
7000 1
1
6400
6400
stück
5335
Anzahl der Kugeln
Siflck
1
stück
stück
stück 1
stück '
1
stück
stück
und Shrapnels
165 1
262 '
109
176 1
160
165
165
340
Geschütze in einer
1
1
ii
1
1
Batterie
6
6 ;
6
6 '
6 1
6
8
8
Wagen
19 ■
19 ;
17
15 !
18 :
30
29
33
Bedienung der Batterie
1
1
(Mann)
183 '1
175
175
116 ;i
194
210
234
266
Pferde der Batter
ie . .
215 !
ii
150 ''
1,
154
166 '
i:
161
242
174
200
*) Die Angahen für das Feldgeschütz Mod. 1875 sind auf das hisherige 7 mm Geschütz-
pidver basiert. — Die Angaben für das Feldgeschütz Mod. 1875/90 fehlen wegen des neu-
einznfohrenden Nitroglycerinpulvers.
**) Diese Zahl bedeutet, dass das Geschoss in der ersten Sekunde 448 m zurücklegt und
nach Durchfliegen einer Strecke von 2000 m noch eine Geschwindigkeit von 262 m pro Sekunde
besitzt.
120 ^' ^^® Feuerwaffen.
3. Schnellfeuerkanonen.
^ Nach Anwendung des rauchschwacheii Pulvers konnte die Aus-
strobuBgen
zur Env- nutzuug der Schnellfeuerkanonen eine intensive werden. Seit Einführung
wickdnng ^^j, Hinterlader hat auf ballistischem Gebiet eine stetige Entwicklung
•Jh^ndi ^^öwohl in Ausdehnung der Feuerwirkung wie in Ausnutzung der Zeit
keit stattgefunden und schliesslich zu Ergebnissen geführt, denen selbst unsere
an technische Ueberraschungen gewöhnte Generation staunend gegen-
übersteht. Geradezu unheimlich ist die Wirkung des Schusses, dessen
Knall mit dem folgenden in blitzschneller Aufeinanderfolge fast zu einem
einzigen knatternden Ton zusammenfallt.
Feuer- In der österreichischen Instruktion wird angenommen, dass man bei
^keubii* der Bremsvorrichtung gegen den Rückstoss 4 Schüsse in der Minute ab-
t^™w^ geben kann, ohne dass das Geschütz wieder vorzurücken ist, aber dies
^o'- ist nur möglich, wenn es sich nur um eine ungefähre Feuenichtung
für die handelt; sonst kann man selbst bei günstigen Umständen nur auf 2 Schüsse
Lafetten. ^^ ^^^ Miuute rechueu. Wenn eine Batterie von 6 Geschützen 8 bis 10
Schüsse in der Minute abgiebt, so gilt dies schon für eine nicht
unbedeutende Feuergeschwindigkeit; demnach braucht jedes 'einzelne Ge-
schütz 46 bis 36 Sekunden Zeit, um einen Schuss abzugeben, i)
Ausserdem ist nicht ausser Acht zu lassen, dass der Gebrauch von
Bremsen gegen den Rückstoss die Lafetten stark in Mitleidenschaft zieht.
Diese wurden gebaut, als man bei Anwendung des gewöhnlichen Pulvers
auf besondere Vorkehrungen für ein schnelles Schiessen nicht Bedacht
zu nehmen brauchte, weil Schnellfeuer einen gewaltigen Pulverdampf und
damit ein zeitweises Einstellen des Schiessens verursacht, sofern nicht
ein günstiger Wind weht.
In Anbetracht alles dessen ist man gegenwärtig bemüht, Schnell-
feuergeschütze grösseren und kleineren Kalibers herzustellen, die eine
grosse Anzahl Schüsse in der Minute mit geringem oder ohne Rücklauf
geben und nicht jedesmal neu gerichtet zu werden brauchen.
Erwartete Dj^ Schnellfeuerkauonen als Feldgeschütze sollen grosse Vorteile
Schnellfeuer- bringen: die Möglichkeit eines raschen Schiessens aus einem einzigen
Geschütz, einen Gewinn an Zeit in Folge raschen Ladens, den man für
eine sorgfältigere Visierstellung benutzen kann, und die Oekonomie an
Aufstellungsraum, weil in Ansehung der Zahl der Schüsse eine einzige
Schnellfeuerbatterie zwei bis drei gewöhnliche soll ersetzen können.
Ausserdem sollen die Schnellfeuerkanonen gute Dienste leisten dufch
*) Oberst von Scharner.
I
l
I
Schnellfeuerkanonen.
121
die grosse Anzahl der Geschosse und ihre Treö'sicherheit, und die Geschoss-
karren des Gegners zur Explosion zu bringen. Welchen Einfluss die
Versorgung der Heere mit einer bedeutenden Anzahl von Schnellfeuer-
kanonen auf die Taktik haben wird, das kann nur der nächste Krieg
selbst darthun.
Thatsache aber ist, dass in allen Heeren Schnellfeuerkanonen
der verschiedensten Arten vorhanden sind.
Auf dem Schiessplatz von Sandy Hook fanden am 1. Juni 1894
Versuche mit 6 pfundigen Schnellfeuerkanonen (Kaliber 67 Millimeter,
Geschoss 2,72 Kilogramm) statt.
Die Ergebnisse der Feuergeschwindigkeit zeigt folgende Tabelle:
Benennung
der
Schnellfeuerkanono
Driggs - Schröder
Hotchkiss . . .
Skoda ....
Sponsel ....
Maxim -Nordenfeit
Zahl der Schüsse
in
d. erst. Minute 3 Minuten
34
28
24
24
20
83
83
55
73
65
Nachstehende Tabelle zeigt das Verhalten der vier Konkurrenz-
geschütze bei früheren Versuchen.
Driggs- 1
Schröder
Sponsel
Maxim-
Nordenfelt
1 Hotchkiss
1
Hin. Sok.
1 Hin. Sek.
Nin.
Sek. j
Hin.
Sek.
Zeit für 100 Salven .
■ ■
4
35 '
4
59
4
1
41
4
26
Zeit zum Zerlegen
des
Mechanismus . .
• •
37
44
—
3P/s
56
Zeit zum Zusammensetzen
des Mechanismus .
• •
1
30 »A
1
1
56
1
9
1
46
Die TreffTähigkeit wurde auf 914 Meter, 1828 Meter und 2743 Meter
ermittelt, und hier stand Driggs -Schröder voran, es folgten Maxim-
Nordenfelt, Hotchkiss, Sponsel. Driggs -Schröder hatte auf der mittleren
Distanz 4 Schuss in demselben Loch.
Was die Feuergeschwindigkeit anbetrifft, so trug Hotchkiss den
Sieg davon. 2)
Bei der grossen Anzahl von Typen und Verschiedenheit der Kaliber Hauptrypen
können wir nur einige der Haupttypen angeben. schneiifeuer-
geechfttze.
*) Löbell: „Militärische Jahresberichte" 1894.
1. hie Feiierwafl'i^n.
Wir beginimii mit der Hotchkiss-Kanone, deren "Zeichnung folgt;^
i- Schnell i'fuerkanone.
Schnellfenernde Hotclikiss-Kanonen werden in den verschieden-
artigsten Grössen gebaut. Wir geben die Zeichnung der 6 gebräuchlichsten
(rrössen mit dem Bemerken, dass Schnellfeuergeschütze bis zu 20 Centini.,
welche 4 Schnss in der Minute abgeben, gegenwärtig gefertigt werden.*
Verschieden artigkeit der ÖulmeUfeuerkanonen.
M.U11. Wir müs.sen bemerken, dass zu den Schnellfeuerkanonen, aber auch
zu grosseren Geschützen Metallkartus<Oien ver\vandt werden. Wenn man
ihnen vielfach abgeneigt ist, weil ihnen Schwere, Preis, Schwierig-
keit des Transports und der Handhabung bei Einlieitskartnschen zum
Vor^vurf gemacht werden, ferner auch weil die in der Batteiie umher-
liegenden HilLsen die Manns<^hafteii gefiihrden , falls sie durch ein-
schlagende (Geschosse umhergescldeudert werden, so werden sie doch
vielfach verwendet.
') Dredge: „Moderne Artillerie".
*J Löbell; „Militärische Jahresbericht*" 1894.
s
s
J6
2 5 «1 I -s
'-d SP -S ■* -- P "K J
■^ "^ ö^ C N s s
tn
n bal Saita ISä
Schnellfeaerkauonen .
Im Folgenden geben wir ein Bild der heut« gebranchten Metall-
kartnscJien von 6V2WS zu löUentimetern (.System Uanet), sowie äer(n!eschosse.
h -Tql^>
E
:eeheb>-
E
^EmE£>r
MetftllkartuEchen für SchneDfeufirkanonen.
Qesohosse der tichnellteiierliaiioiien.
J24 ^ Die Penerwftffen.
Wir därfen nicht vei^essen , dass jedes dieser Geseliosse mit
Explosivstoffen gefüllt wird nnd zmn Zerspringen in viele hnndert TeUe
bestimmt ist.
Ti Coli- In Belgien haben die AVerke von John Cockerill in Seraing eine
sciiiniihn»r-7.6-Centimeter-Schnel]fenerkanone nach den Entwürfen der Gesellschaft
8r°"m Nordenfeit in Paris hergestellt, mit welcher auf dem Schiessplatze der
NorfeüWi. lYerke Veranche angestellt worden sind. Nach der „Revne de l'arm^e
beige" (Mai 1893) wiegt das Rohr 40O Kilogramm; die Lafette ist geteilt,
die Oberlaffete hat 30 Centimeter Rücklauf, sie ist mit einer Reibnngs-
bremse versehen, mit Zahnwerk und rückwirkender Feder. An der
Unterlafette ist noch eine Pflngschaar angebracht, ansserdem hat sie
Radschnhe. Die mit 48 Schnss ansgerüstete Protze wiegt 649 Kilo-
gramm, das gesamte Fahrzeug 1697 Kilogramm. Als Geschosse dienen
Granaten, Segmentgranateu nnd Sbrapnels, welche in kupfernen Hülsen
enthalten sind.
Bei den Versuchen kam das Geschütz nach jedem Schnss genau in
seine Anfaugsstellnng zurück. Radschohe und Pflugschaar graben sich
in die Erde ein. Die Richtnng bedurfte geringer Nachhilfe. ^ Neuerdings
erzielte man auf festem Boden mit leichter Sanddecke bei einem (leschoss
von 4,7 Kilogramm den gänzlichen Wegfall des Rücklaufs, das Geschütz
nickte im Gegenteil einige C'entimeter nach vorn.
Dwhwpii Es ist noch zn bemerken, dass zum Schutz der Schnellfeuergeschütze
BAnsiihMr- vor feindlichen Geschossen Deckungen vei-schiedener Systeme hei^erichtet
kküBHii. ^rgf^ß], ^\g Beispiel fiii- solche Deckung geben wir eine Zeichnung aus
den „Sciences militaires, Artillerie."
Durch Panzpning geschätzt« SchnellfenprkanoDe.
Es werden auch Panzerlafetten gebaut, die viel mehr Sicherheit bieten.
Wii" geben eine solche schwerster Gattung, wie sie auf den Gruson'schen
Werken auf einen Wagen gestellt ist und fortgefahren wird.
1.
^^^ >
• • ■ ■
■ - m
■
•
•■ *
613
560
540
564
600
525
520
530
500
523
337
338
318
307
324
313
314
316
314
311
32,8
38,7
35,0
28,9
27,8
33,1
31,9
30,5
32,7
27,6
2,4
2,47
2,3
2,4
2,4
?
2,1
2,14
2,1
2,2
?
2355
?
?
2200
2500
2000
?
?
?
530
630
624
563
650
690
655
420
557
520
936
960
1000
980
980
1050
995
780
957
820
3,3
3,70
3,15
2,70
2,73
2,87
2,80
3,87
2,61
3,13
116,0
108,2
101,1
99,3
97,3
85,3
88,6
110,1
84,5
96,0
185
—
—
—
—
250
2,31
2,75
914
767
—
—
575
650
700
800
813
580
1850
1727
1555
1700
1695
1580
1770
1400
36
36
—
35
35
35
48
30
36
6,23
i
9,0
—
—
6,9
7,85
7,18
7,48
7,2
1
: 224
324
—
241
276
344
224
259
24,5
42,2
—
41,9
42,5
~-
44,1
27,6
44,6
500
304
27,6
2,09
647
947
2,41
78,7
159
+ 63
667
1614
50
6,5
325
48,7
Schnellfeaerkanonen.
Fahrbare Panzerlafettn für fjn« 5^-LVntimet<T-S.-liiii;llfeuerkBntiiie.
Diese Geschütze können einerseits vom Wagen aus als Feld-
geschütze feuern, ohne dass die Pferde abg:espannt werden, andererseits
aber werden sie in die Erde eingegraben oder aneh in vorbereitete Stellungen
eingefahren, so dass nur noch das drehbare Dacli mit der Kanone sichtbar
bleibt. Der Kanonier im Innem ist nicht nur gegen Shrapnels, sondern
sogar gegen Granaten ans Feldgeschützen dnrch den Panzer gesicliert
und kann also seinen Gegner in aller Ruhe anfs Korn nehmen.
Erwägt man, dass die Schnellfeuerkanone in Folge ihres einfachen Feotr-
Versehlusses bequem bis 26 Schnss in der Minute abgeben kann, so^'^üd*/
erscheint die fahrbare Panzerlafette mit yehnellfenerkanone als eine ^"J^'^'J'^^'
furchtbare Waffe.
A
126 !• I^J^ Feuerwaffen.
^Mti^'e^ Die von der Fabrik hergestellten Rohre sind ans geschmiedetem
Konstniirtion TicgelgussstaW mit senkrechtem Keilverschlnss (Selbstspannnng) gefertigt
Schnellfeuer- und erhalten Einheitspatronen. Das Eohr mht in den Schildzapfen-
tanone. pfannenlagem der Rohrträger (C), welche mit dem Deckel fest verbunden
sind. Es ragt durch eine Öffnung des letzteren über den oberen Rand
des Cylinders fort und etwa 70 Centimeter aus demselben heraus. Das
Heben und Senken des Rohres (+ 10 und — B^) wird durch eine Richt-
schraube bewirkt, die Seitenrichtung aber durch Drehen des auf
3 Rollen ruhenden Deckels genommen. Um hierbei Kraft zu sparen,
ist ein mittelst Handrads (F) zu drehendes Getriebe (K) angebracht,
welches auf einem Zahnkranzrade am Boden fortschreitet. Für den
bedienenden Mann ist ein Sitz (G) hergerichtet, ein zweiter Mann bringt
die Munition aus den an der Wand rings umher aufgestellten Kasten
aa
herbei. Für Dampfabzug ist durch eine verschliessbare Öffnung (Ä) am
Scheitelpunkt des Deckels gesorgt, auch für die Beobachtung der Schüsse
ist eine besondere Öffnung vorhanden. Das Drehen des Deckels, dem
das Rohr folgt., ermöglicht es, dieses und die Scharte, also den schwächsten
Punkt des Panzers, dem feindlichen Feuer während eintretender Feuer-
pausen zu entziehen.
panzerBtarke Die Pauzerstärke der fahrbaren 3,7-Oentimeter-Lafette ist so be-
der
fahrbaren messeu, dass sie nicht nur gegen Gewehr- und Shrapnelfeuer oder
Lafetten.
Granatsplitter, sondern in ihrer stärkeren Konstruktion auch gegen
Granaten der leichtesten Kaliber von Kanonen und Mörsern Schutz
gewährt. Bei den 3,6-Centimeter-Lafetten ist die Panzerstärke so be-
messen, dass man sich Sicherheit gegen die Geschosse der üblichen
Belagerungsgeschütze versprechen kann, abgesehen allerdings von Brisanz-
geschossen, von denen sie bei günstigem Auftreffwinkel zerstört werden.
Durch Auf Stellungsart und Versenkung wird man sie aber dem Anblick
des Feindes und dem Zielen so entziehen können, dass die meisten Treffer
wohl Zufallstreffer sein würden. Hiernach ist es begreiflich, dass man
bei der Einstellung in die verschiedenen Artillerien den Kalibern von
über 5 Centimetern den Vorzug vor den kleineren gegeben hat. Nachdem
die Grossstaaten vorangegangen waren, hat man auch in Rumänien,
Bulgarien (5,7 (Zentimeter), Dänemark (5,3 Centimeter) u. s. w. Schnell-
feuerkanonen in fahrbaren Panzerlafetten eingeführt, in letztgenanntem
Lande auch bemerkenswerterweise ein versenkbares Panzertünnchen
tür 7,5-Centimeter-Schnellfeuerkanonen.
Vorzage der Die Vorzüge der fahrbaren Panzergeschütze bestehen, abgesehen
PaLe""* von der Sicherheit der Bedienung und der Feuergeschwindigkeit, kurz
geechütze. g^sagt darfu, dass durch eine einfache Drehvorrichtung der schnelle
Zielwechsel und das Feuern nach allen Seiten gestattet, dass bei Ver-
Schnellfeuerkanonen. 127
wendnng rauchlosen Pulvers eine Beobachtung der Schüsse aus dem
Innern ermöglicht und dass in Folge der guten Deckung und bei Vor-
handensein der erforderlichen Munition eine hohe Feuerbereitschaft
gesichert ist.
Die Nachteile kommen hauptsächlich im Feldkriege zur Geltung. Nachteile
Sie bestehen in dem verhältnismässig immerhin hohen Gewicht, ver- panrer-
bunden mit seiner ungünstigen Verteilung und in Folge dessen be- »®''°^**''®
schränkter Transportfähigkeit, so dass Stellungswechsel im Gefecht aus-
geschlossen ist. Auch die Beobachtung und Feuerleitung dürfte in den
Verhältnissen des Feldkrieges für den Granatschuss so schwierig sein,
dass man von diesem wenigstens nur in wenigen Fällen wird Gebrauch
machen können.
Mit einer von den Krupp'schen Werken gelieferten fahrbaren vereuohe mit
Krnpp'scheu
5,7 -Zentimeter -Panzerlafette fanden Prüfungen im Dezember 181)2 auf fahrbaren
einem Schiessplatz bei Konstantinopel vor einer Kommission von tür- ^TO^tor-*
kischen Offizieren statt. Es handelte sich um Beschiessen verschiedener /**""'■■
lafetten.
feldmässiger Ziele mit Kinggranateu, Shrapnels und Kartätschen. Die
Ergebnisse waren sehr günstig. In einer Minute Hessen sich, ohne
nachzurichten, 20 bis 25 Granaten oder Kartätschen bezw\ 15 Shrapijels
verfeuern. Die ausgerüstete Lafette mit Eohr wiegt 2487 Kilogramm,
mit dem zum Fahrbannachen dienenden Wagen 3K50 Kilogramm, es
werden % Patronen mitgeführt. Zuglast pro Pferd, je nachdem 4 oder
6 Pferde Bespannung, 1050 bezw. 700 Kilogi-amm.
Mit Kartätschen auf 200 Meter wurden gegen 3 hinter einander
stehende Infanteriescheibeii (Sturmkoloiine) H() scharfe Treffer (auf
240 Kugeln) pro Schuss erzielt. Gegen eine Tiefkolonne von 5 Scheiben
auf 2400 Meter und eine Kompagniekolonne von 3 Scheiben auf 1100 Meter
wurden mit Ringgranaten je 28 scharfe Treffer pro Sehuss, mit Shrapnels
22 bezw\ 40 scliarfe Kugeln, entsprechend einem Prozentsatz der Füllung
von 28 bezw. 45,5 erzielt. Von den 215 Schützen der Tiefkolonne waren
203 gleich 94,4%, von den 120 Schützen der Kompagniekolonne sämt-
liche getroffen.
Was die Mitrailleusen-Revolverkanonen anbetrifft, so haben wenige verschiedene
Feuerwaffen so viel verschiedene Beurteilungen erfahren wie die ech&tzang
Mitrailleusen. Besonders viel wurde und wird über den am meisten t«üieu8en-
vervollkommneten Typus: die Maxim-Mitrailleuse gestritten. Mit ihrer ^J^^^^^"'
einfachen, sinnreichen und auf das Prinzip der Ausnutzung des Rück-
stosses zum automatischen Herausweifen der Hülse, zum Wiederladen
und zum Abfeuern der aufeinander folgenden Schüsse begiündeten Kon-
struktion, in Folge deren 600 Kugeln in der Minute abgegeben werden
können, lenkt« sie. wie ganz natürlich, die Aufmerksamkeit aller Staaten
auf sich.
«•■'■- Wir geben hier die Zeichnung einer Maxini-Mitrailleuse.
Maxim-M itnülle tisc.
" Die Kartuschen fiir die Maxim-Kanone, Kaliber 37 Millimeter, sind
eine nach der anderen auf einer Leinwandrolle aufgelegt und werden in
das bewegliche Bodenstück des Geschützes dun-li dessen Mechanismus
eingeführt, den eine Hebestange dirigiert. Laden und Abfeuern des
Geschützes geschieht lediglich durch Ausnutzung des Rückstosses, welcher
in genialer Weise dazu benutzt wird, durch den Rückschlag des ab-
gefeuerten Geschosses das nächste ausznlösen. Die ganze Geschütz-
bedienung besteht aus einem „Richtmeister". Derselbe kann den Schuss
abgeben, indem er für jeden Schuss den Drücker in Bewegung setzt oder
den Mechanismus, der automatisch schiesst, indem dje Kraft des Rück-
stosses die Hebestange zwei für jeden Schuss erforderliche Halb-
wendungen machen lässt.
Es geschieht dies auf folgende Weise: Für den ersten Schuss giebt
der Richtmeister selbst der Hebestange die Wendung mittelst des Grifies
und führt die erste Kartusche in den Kanal des „Bodenstückes". Darauf
drückt er auf den Drücker, und der Schuss erfolgt. Bei dem Anstritt
des ersten Geschos.ses zwingt die Kraft des Rückstosses das Bodensttick
zurückzugleiten, wobei die Hebestange zwei Halbwendungen maelit. Bei
der ei-sten stösst das zurückgeliende Bodenstück die Hülse ans, die vom
ersten Schuss zurückgeblieben ist und eniiii^ingt die neue Kartusche, bei
Feld-Batterie bei Maget-Killa.
Maxim- Kanonen im Kampfe.
SchneUfeuerkanonen. 129
der zweiten Halbwendang der Hebestange wird die Hülse aas dem Boden-
stück heramgeworfen , die neue Ladung tritt in den Kanal, während
das Bodenstück selbst an seine Stelle zurückgeht u. s. w.
Für die automatische Wirkung des Mechanismus ist es also nur
nötig, das Geschütz zu richten und beim ersten Schuss selbst Hand an-
zulegen; das Weitere besoi^ dann der Rückstoss, aber nur soviel Mal, als
Kartuschen auf der Rolle sind. Die Thätigkeit des Mechanismus wird
durch den Richtmeister unterbrochen; dieser reguliert auch die Schnellig-
keit des Fenerns; sie erreicht bis 200 Schuss in der Minute, d. h. mehr als
3 Schuas in der Sekunde. Wird die Thätigkeit des Geschützes zur Ver-
besserung der Richtung unterbrochen, so muss das (Jeschütz wieder mit
der Hand geladen werden.
Maxim-MitrailleaBe in Thätigkeik
Maxim hat auch derartige Geschütze mit dem Kaliber 47 und ".li».-
57 Millimeter hergestellt und probiert jetzt, wie verlautet mit Erfolg FGhi*d»»D
eine Kanone vom Kaliber 125 Millimeter. Ksiibt».
Die Ergebnisse der Versuche in den verschiedenen Staaten waren
jedoch im höchsten Grade ungleich und die neue Mitrailleuse wurde
Gegenstand langathmiger Erörterungen und häufig übertriebener, teils
günst^er, teUs ungünstiger Besprechungen.
Bei den in Oesterreich im Jahre 1888 mit einer 11-Millimeter- owur-
Mitrailleuse angestellten Versuchen versagte nach 8000 Schuss der Lade- venncha nii
mechanismns und es musste mit einer anderen Mitrailleuse weiter gefeuert Mii^iiLn».
wei-den. Die Beschädigung des Mechanismus war nur eine geringfügige,
130 ^' ^^^ Feuerwaflfen.
trotzdem musste aber die WaflFe nach London zurückgeschickt werden.
Mit einer anderen 8-Millimeter-Mitraüleuse konnte keine grössere Feuer-
geschwindigkeit als 400 Schnss in der Minute erzielt werden , und dabei
wurde das Rohr so heiss, dass die Kugeln zu schmelzen begannen. Das
Wasser in dem Mantel übte daher keine abkühlende Wirkung. Auch
diese Mitrailleuse wurde dem Konstrukteur zurückgesandt, und das
„Armeeblatt" zog beim Berichte über diese Versuche den Schluss, dass die
Waffe mit ausgenutztem Rückstoss, wenn auch sehr sinnreich, doch nicht
für Kriegszwecke geeignet sei, und dass die mehrläufige Mitrailleuse,
wie die Gatling-Mitrailleuse, den Vorzug verdiene.
ver- Im Jahre 1889 wurden bei Thun in der Schweiz vergleichende Ver-
gleiohende
veninciie suchc zwischeu der U-Millimeter-Maxim-Mitrailleuse und der 7,5-Milli-
dersdiweiz meter-Gardeuer-Mitraüleuse angestellt, und die erstere für die Befesti-
dM Mw*im S^^S^n des St. Gotthard gewählt, weil man Schweizer Zeitungen zu-
und folge ihre Ueberlegenheit bezüglich der Treffgenauigkeit, der Stabilität
Mi*rlim>Me. der Richtung, der Feuergeschwindigkeit und der Einfachheit der Be-
dienung anerkannt hatte.
Einfahrang Am Eude desselben Jahres führt England die Maxim-Mitrailleuse
Maxim- ein und giebt sie 12 Infanteriebataillonen (jedem zwei). In die deutsche
fn^^Zt Marine ist die Maxim - Mitraüleuse 1892 eingeführt. Doch hat sie in
Schlechte deu vou Bülow im Kilimandscharogebiet geführten Kämpfen den auf sie
Bewährung ,
derselben in gcsetzteu Erwartungen nicht nur nicht entsprochen, sondern sich sogar
'^' Marint*" überaus schlecht bewährt.
Bestrebungen lu dem Maassc, iu welchem die konstruierende Firma allmählich
Aar VArfm
Firma dcu Mcchauismus behufs Beseitigung der beim Schiessen zu Tage tretenden
BeeeiS' n ^^ängel uud Ueberwinduug der Transportschwierigkeiten verbessert hat,
der 211 Tage schciueu dicsc jcdoch in Aufnahme zu kommen.
getretenen
Mängel. Auch unter ungünstigen Geländeverhältnissen ist es, besonders
gegen einen Abhang, der aUmählich ansteigt, möglich, das Feuer zu
regulieren, indem man zuerst das Ziel sich zu bewegen veranlasst und
dann mit Schnellfeuer überschüttet.
Resolute der Bei ciuer der ersten Schiessübungen auf bekannte Entfernungen
Übungen mit gegen Fcldzielc , als man die neuen Waffen erst wenig kannte, wurden
traiuensen. folgcudc bemerkenswerte Resultate erreicht:
(Siehe die Tabelle auf der folgenden Seite.)
Steigende Bis jctzt hat das Haus Maxim an 41 Regierungen und Kolonial-
dw iil^m*- gesellschaften Mitrailleusen geliefert ; in 39 Fällen sind die Geschütze
tmiHetsen. ^^^ "^^^ ^^*' ^®^^" ^^^ Bclagerungskrieg bestimmt.
Mitrailleusen.
(System Nordenfeld.)
(System Hotschkiss.)
ßjj o (w 99222? ^'*^^^?!22^^2^^^2i
(PatronenbandO
|y-:tfV*-n'- ^.',v
■g
s
I
4]
Schnellfeuerkanonen.
131
Zielen
Anzahl
der
Scheiben
Schuss-
zahl
Dauer
des
Anzahl
Feuers
der
in Se-
Treffer
kunden
A-nga.Vi1
der ge-
troffenen
Scheiben
Infanterie in Kolonnen . . .
in Schützenlinien ....
in Linie in geschlossener
Ordnung
in Zugkolonnen-Linie; Ent-
fernung zwischen der
Kolonne etwa 60 Meter .
Artillerie
100
95
40
120
76
200
400
630
800
1030
200
200
197
299
400
25
25
67
25
181
«MMV
458
267
73
42
39
91
66
Nunmehr ist in der Schweiz beschlossen worden, dass jedes Kavallerie- zuteüungdor
regiment drei Maxim-Mitrailleusen mit einem Munitionswagen zum Trans- nitniue'l^eii
port von 10- bis 15000 Reservepatronen und ein aus 1 Offizier, 4 bis g^welLr
5 Unteroffizieren und 12 Gemeinen bestehendes Personal mit 26 Pferden Kav»ii«ri«.
erhalten soll.
Die der Kavallerie zugeteilten Mitrailleusen bezwecken, die Feuer-
kraft dieser Waffe, wo dieselbe auch immer auftreten mag, zu ver-
mehren.
Diese Waffen bieten ein äusserst kleines Ziel und können in
jedem Gelände sich gedeckt halten, so dass der Feind schwer die
Richtung, aus welcher er Feuer erhält, wird feststellen können. Die
Wirkung des Feuers auf bekannte Entfernungen ist, besonders gegen
tiefe Ziele, eine im höchsten Grade mörderische. Sie gestattet daher
der Kavallerie, überraschend nach einem unvermuteten Feuer in Aktion
zu treten.
Weiterhin sind in der französischen Armee Revolverkanonen ein- Kevower-
kanonen.
geführt.
Dieselben bestehen aus sechs Rohren, die sich mit Hilfe eines
Mechanismus um eine zentrale Achse drehen, die in der Trommel hinter
dem Bodenstück des Geschützes placiert ist und durch einen drehbaren
Griff in Thätigkeit gesetzt wird. Die Kartusche besteht aus einem Ge-
häuse, welches die Pulverladung enthält und einem an diesem Gehäuse
befestigten Körbchen mit 24 runden Kugeln aus starkem Blei. Das Gewicht
der Kartusche ist ungefähr 1 Kilogramm, das Gewicht der Kanone selbst
etwa 500 Kilogramm, das Gewicht der Lafette 600 Kilogramm.
9*
134
I. Die Feuerwaffen.
Ballistische
Daten fftr
oebirpi- Zosammenstellang :
geschatze.
Ballistische Mitteilungen über Gebirgsgeschütze giebt folgende
Ballistische Angaben betreffend die Gebirgsgeschütze der
europäischen Grossmächte.
[er
Oetterreioh-
Ungara.
Italien.
Frankreich.
Rusaland.
7 cm
Mod. 1875
7 cm
Mod. 1881
8 cm
Mod. 1868
2V>'
Mod. 1883
Beim Sckiessen d
G r a n 1
k t • n
Anfangs-
geschwindigkeit
Om
298')
256
257
275
End-
geschwindigkeit
3000 m
155
143
190
198
50 Prozent Tjängen-
streuung auf
3000 m
63
43
27
34
50 Prozent Breiten-
streuung auf
3000 m
9,9
8,1
13,0
6,4
50 Prozent Höhen-
streuung auf
3000 m
10,4
23,9
10,4
11,5
Bestrichener Raum j
für 1,8 m Zielhöhe l
auf [
1000 m
2000 m
24
9
19
7
20
9
20
9
Grösste Schussweite
m
3000
m
3850
Stack
109
m
4300
n
4260
Anzahl der Kugeln und Shrapnels
Stack
65
Stack
120
Stack
100
Gewicht des Geschützes (KUogr.)
Zahl der Geschütze in der Batterie
Bedienung der Batterie (Mann) . .
Bespannung der Batterie (Pferde)
1105
4
111
67
1112
6
286
148
1158
6
160
94
8
306
206
Seit Einführung der Gebirgsgeschütze, deren neueste von 1883 sind,
hat man schon wieder nicht unbedeutende Fortschritte gemacht. Statt
nun dem Leser Zeichnungen von älteren Typen vorzuführen, weisen wir
für jetzt auf eine Abhandlung über die Krupp'sche Ausstellung in Chicago,
*) Diese Zahl bedeutet, dass das Geschoss in der ersten Sekunde 298 Meter
zurücklegt und nach Durchfliegen einer Strecke von 3000 Metern noch eine Geschwindig-
keit von 155 Metern per Sekunde besitzt.
A
u
Tafel X.
I n m IV V
VI vn VIII
(Erläuterungen umstehend.)
SnRlnn bei Stite 1».
Erläuterungen zu Tafel X.
Fig. T. Granate, englische aus abgehärtetem Gusseisen, System Palliser.
Fig. II und IV. Hohlgeschosse. Geschosse zum Zerstören von Befestigungen
und Gebäuden und, falls sie zur Erde niederfallen, Verwundung von Mann-
schaften durch Sprengstiicke.
Fig. III. Die Zeichnung stellt eine Kartusche der 28-Centiineter- Küstenkanone,
bestehend aus seidenen Beuteln, die mit prismatischem Pulver gefüllt
und — wenn sie nicht in eigenen Kartuschbüchson aufbewahrt werden —
mit Rebschnüren und Zwimbändern netzartig verschnürt, weiter am Boden
mit einer eigenen Anfeuerungsöffnung versehen sind. Zur leichteren Hand-
habung bei dem gewaltigen Kaliber wird die ganze Pulverladung in
2 Beutel gefüllt.
Eine Anzahl von Kartuschen ist an zwei gleichgewichtigen Teilen
zusammengenietet, welche mittelst einer leicht zu lösenden Bindfaden-
verschnürung verbunden sind, damit die Hälfte als Wurfladung, wozu
gewöhnlich weniger Pulver genommen wird, benutzt werden kann.
Um starke Schutzwehren zu durchschlagen, werden Panzerbomben aus
gegossenem Metall (Eisen oder Stahl), welches einer schnellen Abkühlung
ausgesetzt war, verwandt, die gleichfalls mit einem Sprengstoff gefüllt sind.
Fig. IV. Minengeschoss.
Fig. V. Ein Krupp'sches Hartguss-Hohlgeschoss. Aussen ist der Bleimantel h
angelötet; die Ausnehmungen an der Spitze dienen zum Erfassen des
Geschosses mit der Geschoss- Hebzange. In den Hohlraum wird ein
Säckchen mit Sprengladung durch das Bodenloch eingebracht und dieses
sodann mittelst der Verschlussschraube v samt Bleiring geschlossen.
Die Geschosse haben keinen Zünder, da die Sprengladung beim Treffen
und Eindringen des Geschosses in den Panzer zur Explosion gelangt.
Fig. VI. Eine mit Schiessbaumwolle gefüllte Granate.
Fig. VII und Vlll. Geschosse mit Explosionstoffen geladen.
Die verschiedenen Stoffe, die hierzu verwandt werden, bestehen einer-
seits z. B. aus Schwefelsäure, andererseits aus Nitro-Naphtalin, -Phenol,
-Benzin oder -Xylol.
Die Sprengbestandteile werden in besonderen Glas- oder Porzellan-
gefassen gehalten, welche dauerhaft genug sind, um beim Transport oder
bei sonstiger Handhabung nicht zu zerbrechen. Der grösseren Gefahr-
losigkeit wegen umhüllt man diese Gefässe noch mit Filz und Guttapercha
oder schützt sie auf andere Weise vor Stössen.
Statt dieser einzelnen Gefässe werden auch bewegliche Zwischenwände
angewandt, welche das Gefäss für die verschiedenen Bestandteile abteilen.
In beiden Fällen ruft ein Zerschlagen des Gefässes eine Vermischung der
Bestandteile und damit eine Explosion hervor. Bei den Shrapnels be-
finden sich die Sprengmaterialen in geladenen Bohren, welche mittelst
des Zündloches explodieren.
ZanA^r. 135
Schiessresnitate enthaltend, hin, auf welche wir später zurückkommen
werden. 1)
Erwähnt wird noch einei' durch die Krupp'schen Werke in Chicago K"pp'"i*«
anagestellten Merkwürdigkeit, nämlich einer durch Menschen tragbaren luoie.
3,7 Centimet«r-Bu8chkanone, welche im Kolonialkiieg gebraucht wird; das
Rohr wiegt nur 40 Kilogramm, die Lafette 46 Kilogramm, die Kartuschen
670 bezff. 720 Kilogramm.
5. Zünder.
In früheren Zeiten war die Wirkung des Geschosses sehr schwach f«™ ^m
und nur langsam traten auf diesem Gebiet Fortschritte hervor. Das j^j^^i j^
Material der Geschosse ist meist Eisen, diese selbst sind rund und Ht. L
kleiner als das Kaliber des Rohres, um hinein- ^t'flli'"'
gestossen werden zu können. Später setzte man die fj^ HL
Kugel in den halb ausgehöhlten Spiegel, verband sie
mit der in einem Beutel enthaltenen Palverladnng
(Kartusche) und hatte so den Kugelschuss. Noch später
nimmt die Höhlung einer Bombe Pulver auf. welches
durch den Zünder (Tafel X Mg. I) entzündet wii-d.
Letzterer, wie nebenstehende Zeichnung zeigt, ist
eine Holzi-öhre, deren Bohrung mit einem ver-
dichteten Gemenge von Salpeter, Schwefel und
Mehlpulver gefüllt ist; ein Mundloch (Zündertafel
Fig. ni) der Bombe nimmt den Zünder auf.
Ursprünglich wurde der Zünder mit der Hand angesteckt (Zünder- Amt^ken
tafel, Fig. II), was später überflüssig wurde, weil die Entzündung der nider-"
Ladung ausreichte, den Zünder mit anzubrennen. Kur müssen die Seelen- tald
wände über das Geschoss hinausragen, weil sonst die Gase auf ihrem "*• "•
Wege zum Zünder abgekühlt werden. Die Bombe zerspringt, sobald
durch den Zünder die darin enthaltene Ladung Fener fSngt und wirkt
dann durch ihre Sprengstücke.
Allmählich vervollkommnet sich die Form der Geschosse, welche Fprm md
eine längliche Fonn annehmen, im hinteren Teil zylindrisch, im ja,Ö„"hZe
vorderen zugespitzt. Sie zerfallen in zwei Gattungen, solche, deren g°™*'t°'
Höhlung nui' mit Pulver gefüllt ist, und andere, welche ausserdem
I) E. Montbaje: „Krupp k rExposition de Chicago de 1893". („ReTue de
l'ArmÄe Beige".)
Zünder.
136 !• I^ie Feuerwaffen.
kleinere Geschosse in sich aufnehmen. Erstere werden Granaten,
letztere Shrapnels oder Granatkartätschen genannt. Granaten wirken
teils als ganze Geschosse, teils im zerteilten Zustande, im letzteren sowohl
durch ihre Sprengstticke, als durch die Zerstörungskraft des ein-
geschlossenen Pulvers. Platzt eine Granate über der Erde, so wirkt jedes
einzelne Stück des Mantels als Projektil für sich. Dringt sie unzerteilt in
eine Erdbrustwehr, eine Mauer u. s. w. ein, so wirkt die Pulverladung des
krepierenden Geschosses als Mine, indem sie die Erde, resp. das Mauer-
werk auseinanderreisst. Das Shrapnel soll sich jedesmal in einer gewissen
Entfernung vor dem Ziele zerteilen; die kleinen Geschosse gehen dann
streuend auseinander und überschütten einen grösseren Raum.
^^"•*™^*''' Die Zündung der im Geschoss enthaltenen Pulverladung erfolgt
zAndera. mechauisch durch den Zünder, der auf zwei verschiedene Arten kon-
taW " ^*™^^ ^^^^ kann. Will man die Zerteilung des Geschosses nach einer
pig, T. bestimmten Zeit herbeiführen, so wird es mit einem Zünder versehen, der
einen verdichteten, gleichmässig abbrennenden Satz enthält. Dieser fängt
im Kohre Feuer; je nach dem Zeiti*aum, nach dessen Ablauf das Geschoss
platzen soll, ist die Wegstrecke, welche das Feuer im Satze zurücklegt,
ehe sich die Flamme dem Pulver im Geschoss mitteilt, entsprechend gross
einzurichten- Bei den Geschossen der glatten Geschütze sahen wir bereits
den Zünder in Gestalt einer mit Satz vollgepressten Holzröhre. Je nach
der Länge, auf die man diese Röhre abschnitt, war die Brennzeit eine ver-
schiedene. Das Abschneiden musste natürlich vor dem Einsetzen des
Zünders in das Geschoss erfolgen. Damit war aber eine die Bedienung
des Geschützes wesentlich verlangsamende Manipulation, nämlich ausser
dem Abschneiden auch das jedesmalige Befestigen des Zünders im Geschoss,
verbunden. Für den Gebrauch mit alten Vorderladern war diese Methode
noch möglich, da genügender Raum vorhanden war, damit die durch-
ströDienden Gase die Satzröhre entzünden konnten. Das Entflammen
der Kartusche erfasste sogleich die Spitze des Zünders. Als aber
Hinterlader in Gebrauch kamen, wurde dies einfache System wii-kungs-
los, denn das Gas konnte nicht mehr zuströmen. Der kurhessische
Aiiiillerielieutenant Breithaupt konstruierte nun einen bereits im Geschoss
befestigten Zünder, welcher für jede Brennzeit eingerichtet werden konnte
(Zündertafel Fig. V). Diese Erfindung diente zum Ausgang der modernen
Zünder, ohne welche die Ai-tillerie nicht zu einer so furchtbaren Ver-
vollkommnung gekommen wäre.
Um uns aber die Zünderwirkung deutlich zu machen, müssen wir
die Sonderheiten der Einrichtung des Apparates in Betracht ziehen, da
von- deren mehr oder weniger regelrechter Konstruktion nicht nur die
Wirksamkeit der Schüsse, sondern auch die Sicherheit der eigenen Truppen
Zündertafel.
m Jv
IX X
(Erläuterimgen umstellend.)
EiBttten bei BeiU
Erläuterungen zur ZündertafeL
Fig. I. Zünder erster Zeit, bestehend aus einem Holzrohre, dessen Bohrang mit Pulver angefüllt
wurde; durch Abschneiden konnte die Brennzeit reguliert werden.
Fig. IT. AnstecKun^ des Zünders durch den Bombardier.
Fig. m. Gh*anate mit brennender Limte.
Fig. IV. Bomben, konzentrische und exzentrische.
Fig. V. Erster Zeitzünder, welcher im Geschoss befestigt werden konnte und für Brennen ein-
gerichtet war.
Fig. YJ, Preussisches Perkussionsgeschoss (1870) mit Zünder.
Fig. Vn. Oesterreichische Zünder zur Entzündung der Sprengladung, zum Schutze gegen äussere
Einflüsse durch eine Verkappung gedeckt.
Fig. Vni. Segment einer Granate von 187o.
Fig. IX u. X. Boters Zeitzünder. Das Pulver, welches die Explosion bewirken soll, ist im zentralen
Kanal enthalten. Die Aussenseite des Zünders ist derart bezeichnet, dass sich die Län^ der
Brennzeit der Pulverkomposition in Zeiteinheiten eingeteilt findet. Um den Zünder zu richten,
genügte es, ein Loch durch die gewünschte Abteilung in die Komposition zu bohren.
Fig. XI. Der Perkussionszünder Mod. 1875 besteht aus Mundlochschrauoe m, Zündsohraube a mit
Zündhütchen 0, dann aus Zünderhülse A, in welcher sich die zwei Schlägerteile befinden, von
denen der untere u die Zündnadel n und die kupferne Versicherungshmse v trägt. Letztere
hat einen durchlochten Boden und an ihrem Umfange acht aufgebogene Lappen, auf welche
der obere Schlägei*teil o aufsitzt und hierdurch die Zündriadel von dem Zündhütchen entfernt
hält. Beim Schusse bleibt der obere Schlägerteil vermöge der Trägheit seiner Masse zurück,
streift die Lappen der Versicherungshülse aus und schiebt sich auf den unteren Schlägerteil
auf; beim Aufschlag des Geschosses fallen die vereinigten Schlägerteile vor, die Zündnadel
trifft das Zündhütchen und die Flamme desselben zündet die Sprengladung des Geschosses.
Fig. Xn. Oesterreichische Brandel zum Entladen der Geschütze, um der Gefahr des Durchbrechens
der Gase vorzubeugen. Beim Gebrauche wird das Brandel in das Zündloch eingesetzt und
durch Niederdrücken der Schliessklappe des Brandellagers im Zündlochstollen eingeschlossen;
wird sodann am Beibedraht des Brandeis ein kräftiger Zug ausgeführt, so entzündet sich der
Friktionssatz, ferner das Scheibenpulver und die PulverMung; hierbei wird durch die ent-
wickelten Gase die Brandelhülse gegen die Wände des Zündloches, der Boden des Reibers
gegen den Boden der Brandelhülse gedrückt und dadurch ein gasdichter Abschluss des Zünd-
loches bewirkt.
Fig. XIII. Fi'anzösischer Feld - Doppelzünder Mod. 1880 und 1884. Der Zünder ist vor dem Schusse
und hat folgende Einrichtung: Der bronzene Zündkörper c enthält in seiner unteren Kammer
den Perkussionszünder „Budin'", oben trägt er den Zünderteller, in welchen der bronzene
mit einer im Gewinde des Zapfens ausgeschnittenen mit Kompulver gefüllten Binne g kom-
muniziert; von der Kinne ^ fünrt^n drei Kanäle z zum Perkussionsapparat. Oben enthält der
Zapfen die Nadel n und den Kapselträger 7, welche beide durch die Spiralfeder x auseinander-
gehalten werden. Im Kapsel träger befindet sich die Zündpille samt Schlagladun^, deren
Flamme bei der Explosion durch die Kanäle y den aussen aufgesetzten, aus kompnmiertem
Pulver erzeugten Ring d entzündet. Der Satzkonus 6 (Zinnlegierung) besitzt aussen eine
spiralförmige Kinne, in welche das bleierne Satzröhrchen eingelegt ist; er wird durch die Ver-
schliissplatte o derart fixiert, dass das untere Ende des Satzringes mit seinem eingesetzten
Kupferröhrchen A über den Nullpunkt der Tempiereinteilungt»n und mit dem Feueneitungs-
kanale h in Verbindung stecht. Das Satzröhrchen ist mit Pulversatz gefüllt, von welchem 13 mm
eine Sekunde brennen. Der messingene Tempiermantel m hat aussen von 0 bis 20 numerierte
Tempieröffnungen, deren gegenseitige Abstände einer Brenndauer von einer Sekunde ent-
sprechen; ausserdem ist noch eine nicht numeriert-e Oeffnung 7", durch welche die bei der
Verbrennung der Schlagladung und des Ringes d gebüdeten Gase entweichen sollen. Soll der
Zünder als Fallzünder wirken,^go entfällt jede weitere Behandlung desselben vor dem Schusse
und er funktioniert dann wie der Budin'sche Zünder bei den Hohl geschossen. Soll er jedoch
als Zeitzünder wirken, so muss er voreret tempiert werden. Besteht die Brenndauer in ganzen
Sekunden, so überzeugt man sich zunächst, ob der Zeigerstrich und der Nullstrich der Ein-
teilung am Tempiermantel übereinfallen, durchsticht hierauf mit dem Tempierbohrer durch
die betreffende Tempieröffnung die Satzröhre und den Satzkonus. Besteht die Brenndauer
überdies in Zehntel-Sekunden, so wird vorerst der Tempiermantel entsprechend der Ein-
teilunfif gedreht und festgestellt. Beim Schuss fallt der Zündstift n zurück und der Zündsatz
explodiert; hierdurch entzündet sich die Schlagladung, dann der Satzring dy durch dessen
Flamme wieder durch die beim Teinpieren im Satzkonus erzeugte Oefl'nung die Entzündung
der Satjsröhre eingeleitet wird. Letztere brennt nach beiden Richtungen gleichmässig ab, bis
durch das Kupferröhrchen A das Feuer durch den Feuerleitungskanal und die Kanäle s end-
lich zur Schlagladung im Perkussionsaj) parate d(*s Geschosses gelangt.
Fig. XIV u. XV. Elektrische Brandein. Um die Gefahr des Hinauswerfens der Brandein beim Ent-
laden der Geschütze zu beseitigen und die Explosion der Gase aufzuhalten, wurde die Elek-
trizität zum Entladen benutzt.
Fig. XVI. Elektrische Beleuchtung zum Richten der Geschütze für Nachtgefechte, nach „Lloyd and
Hadcock Artillery".
Zünder.
137
abhängt, wie wir dies in der Folge darthan werden, wenn wir ein Büd
der voraussichtlichen Thätigkeit der Artillerie auf dem Schlachtfelde ent-
werfen.
Um wirksam zu sein, muss der Zünder, wie wir soeben angegeben
haben, so eingerichtet sein, dass die durch ihn hervorgerufene Explosion
des Geschosses an der dazu vorausbestimmten Stelle stattfindet, d. h. dort,
wo nach Berechnung des Schiessenden die vernichtende Wirkung erfolgen
soll. Ein derartiges Eesultat geben die jetzt gebräuchlichen Zünder, die
seit dem deutsch-französischen Kriege im Lauf der letzten 20 Jahre
eine bedeutende Vervollkommnung erfahren haben.
In der französischen Artillerie waren bei Beginn des Krieges Tempir- und
1870—1871 Bronzekanonen von 4-, 8- und 12 pfundigem Kaliber vor- zünder."^
banden und 25 läufige Mitraüleusen. Die Kanonen schössen mit gewöhn-
lichen (einwändigen) Granaten, Shrapnels und Kartätschen. Bei Beginn
des Feldzuges waren die Granaten und Shrapnels mit Tempirzündem
zweifacher Stellung versehen; man konnte also nur auf zwei Ent-
fernungen eine präzise Geschosswii'kung erzielen. Aber was noch
schlimmer, die Zünder funktionierten häufig weit vom Ziele, weshalb sie
bald bei Granaten und teilweise bei Shrapnels durch Perkussionszünder
(Demarais) ersetzt wurden, i) welche das Geschoss auf beliebiger Ent-
fernung, sobald es nur irgend einen Widerstand findet, zerspringen lassen.
Dies war schon sicherer, aber häufig wirkte das Piston der Röhre nicht,
oder wenn es wirkte, so geschah es gerade im Moment des Aufschls^s
auf den Boden, wobei, falls der Boden nur einigermaassen locker war,
das Geschoss sich einwühlte, fast ohne Sprengstücke zu geben. 2)
In der ganzen Kampagne 1870 haben die Preussen fast ausschliesslich vw^«adniig
° i- o yQH Granaten
emwändige Granaten mit Perkussionszündern angewandt (Zündertafel mit
Fig. VI); weil die Shrapnels mit Perkussionszündung in Preussen schon "JdTra"^
1866 in Ermangelung brauchbarer Tempirzünder abgeschafft waren. *",^^*^*
Kartätschen kamen nur in ganz unbedeutendem Maassstabe zur Ver- Zfinder-
wendung.
Es wurden durch die deutsche Artillerie verfeuert:
tafel
Fis.TL
von preussischen Geschützen
von bayerischen Geschützen
von sächsischen Geschützen .
Granaten Shrapnels Kartätschen
99,80 o/o - 0,20 o/o
9B,19 o/o 4,40 o/o 0,14 o/^
88,88 o/o 11,04 o/o 0,08 %
0 Potocki: „Artillerie". Lieferung 2.
') Om^ga: „L'art de combattre".
138 I- I^i^ Feuerwaffen.
Zfinder- Die gewöhnlichen Granaten waren noch von guter Wirkung gegen
Pi*^TO. ^^S^d^^^^ Truppenmassen (auf Entfernungen von 1500 Meter bis
2500 Meter, andernfalls waren die Einfallwinkel zu gross), gegen Bäume
und Steinwände ; aber gegen Schützen, welche örtliche Deckungen hatten,
war die Wirkung der Granaten unbedeutend. Die in der österreichischen
Armee angewandten Zünder zeigt in der Zündertafel Fig. VII.
Preußische Nachdem aber die Zünder vervollkommnet wurden, zeigten die
Probe- ' ^
BchiMsen in Preussen stattgefundenen Probeschiessen mit Shrapnels, gegen Truppen
"ztader-" in den verschiedensten Formationen angewandt, eine 6 bis 10 Mal grössere
tafel Wirkung, als Granaten (Zündertafel Fig. VIH). Auf die Bedeutung dieser
Hg, Vm Schiessversuche werden wir später zurückkommen.
Konatniirtion j)[q Koustruktiou der Apparate zur Erzeugung der Explosion in
der Appar&te
z. Enengung Geschosscu gehört zu den kompliziertesten Aufgaben der artilleristischen
ExpiosTon in Techulk, uud es ist äusserst schwierig, diese Mechanismen in einer
oenchosaen. allgemein verständlichen Form zu beschreiben.
Zfinder- Die in der Zündertafel enthaltenen Zeichnungen Fig. IX bis XVI
PlgT^j^lgUnd deren Erklärungen werden ein genügendes Bild von dem jetzigen
XVL Stande entwerfen.
züDder jm allgemeinen wollen wir nur erwähnen, dass Zünder von dreierlei
dreierlei Art
(Tempir-. Art gebraucht werden :
Perknesiosfi-
and Zünder 1, Züuder, die nach einem bestimmten Zeitabschnitt wirken,
Wirkung). mit gewöhnlich bis zu 15 Sekunden Brennzeit, aber für Mörser
und Haubitzen sogar bis zu 30 Sekunden Brennzeit. »)
2. Perkussionszünder, welche die Explosion bei der Begegnung mit
einem äusseren Widerstund herbeiführen^ d. h. durch den Auf-
schlag auf den Boden, den Anprall an ein Geschütz, Erdauf-
schüttung u. s. W-
3. Zünder von doppelter Wirksamkeit, die die Explosion
entweder zu einer bestimmten Zeit hervorbringen oder auch
früher beim Aufschlag auf einen äusseren Gegenstand.
verwendungr Perkusslouszündcr werden gebraucht, wenn Tempirzünder (d. h.
perkoMione- Zünder für die Explosion binnen einer bestimmten Zeit) aus irgend
welchem Grunde ihren Zweck nicht erreichen.
Stellen wir uns z. B. vor, dass der Feind sich in einer Entfernung
von 1200 Meter befindet. Das treffsicher abgesandte Geschoss darf nicht
höher als 10 Meter fliegen. Zu Ende seiner Bahn fliegt es fast die Erde
berührend. Damit aber die Explosion bedeutende Resultate ergiebt, muss
sie in einer gewissen Höhe erfolgen, denn im entgegengesetzten Fall
*) „Lloyd and Hadcock Artillery".
Zünder.
139
hindert jede Unebenheit des Terrains die tödliche Wirkung der Kugel-
nnd Splittergarbe. Unter solchen Verhältnissen scheint es zweckmässiger
einen Perkussionsztinder in Anwendung zu bringen. Die Granaten mit
einem solchen Zünder explodieren gewöhnlich unmittelbar im Moment
des Niederfallens auf die Erde, und da sie von ihr bis zu einer gewissen
Höhe abspringen, so hängt in diesem Falle die Höhe, in der die Explosion
erfolgt, von dem Einfallwinkel des Geschosses ab.
Aus der folgenden Zeichnung ist ersichtlich, welche Wichtigkeit
eine richtige Direktion des Schusses besitzt. Die Granate, die von der
Erde in der Richtung mc abgesprungen ist, würde die feindlichen
Truppen mit allen ihren Splittern treffen, während bei dem Abspringen
in der Richtung mb die Explosion kaum einen Schaden anrichten
würde.
-^a
^A.
, Y-
ci
"--?-
Bedeutung der Richtung der Geschosse.
Es muss jedoch bemerkt werden, dass bei festem Boden die meisten
Sprengstücke und Kugeln noch weiter gehen; bei weichem und durch-
schnittenem Boden aber stecken bleiben.
Fei-ner findet die Anwendung der Perkussionszünder statt gegen
Steinwände und dergleichen Objekte. Ihr Gebrauch ist auch noch nützlich
zur Erprobung der Treffsicherheit, wenn man zu wissen wünscht, ob die
Geschosse bis zum Ziel oder darüber hinaus fliegen.
Ueber den Grad der Treffsicherheit des Schiessens versichert man Methode der
sich am besten vermittelst des Aufschiagens des (jeschosses auf den Erd- '*" ^^r '''*
boden, da ein solches gewöhnlich von einer Staubwolke begleitet ist, mit ^^I^Treff/
der sich mehr oder weniger Rauch vermischt. Wenn das Geschoss nicht rfcherheitdes
Scbiessens.
das Ziel erreicht hat, so verhüllt die Wolke das Ziel, im anderen Fall
hebt sich das Ziel auf dem weissen Rauchfonds ab.
Der Deutlichkeit wegen geben wir umstehend eine Zeichnung,
welche diese Methode der Probeschüsse erläutert.
140
L Bie Fenerwaflten.
Dazu treten Fälle ein, wo es am vorteilhaftesten ist, Zünder von
doppelter Wirksamkeit zu verwenden, d. h. solche, die zugleich Tempir-
wie Perkussionszünder sind.
^..^M^A
■d^ '
--- -ar--
Gescboss, welches das Ziel nicht erreicht hat.
Geschoss, welches das Ziel übergangen hat.
Begulär entsandtes Geschoss.
6. Geschosse.
Nun sind wir in den Stand gesetzt, einem Vergleich der Geschosse
unter einander näher zu treten.
Haopt- Die Geschosse für moderne Geschütze können nach 3 Haupt-
"^ der anwendungen eingeteilt werden :
1. gegen Panzer,
2. Minengeschoss gegen Befestigungen,
3. gegen lebende Wesen
und sind zu diesen Zwecken verwendbar.
L
Tafel XI.
XI Xll
(ErliMilerutigen ufitetekend.)
Erläuterungen zu Tafel XL
Fig. X. Englische Granate (Star shell).
Fig. XI. Shrapnel.
Fig. XII. Leichtes russisches Shrapnel, welches ein Stossspiegelshrapnel darstellt.
Die gusseiserne Hülse enthält den mit Ausnehmungen versehenen Füll-
ladungsraum und die Sprengladungskammer; auf dieselbe ist oben der
messingene Kopf mit vier Schräubchen befestigt. Das leichte Feldshrapnel
enthält 165, das schwere 340 Bleiantimonkugeln, deren Zwischenräume
mit Schwefel ausgegossen sind. In das Mundloch wird der Felddoppel-
zünder eingesetzt.
Fig. XI ir. Stahlshrapnel (Russland), ist ein Hülsenshrapnel mit messingenem
Kopfe; der Innenraum ist durch einen napfförmigen Stossspiegel, welcher
die Sprengladung enthält, geteilt; das stählerne Kommunikationsröhrchen
umschliesst eine konische Röhre, welche die gleichmässige Lagerung der
mit Schwefel umgossenen Fiillkugeln ermöglicht (100 Stück Bleiantimon-
kugeln). In das Mundloch kommt der Zünder.
Fig. XIV. Kartätsche, besteht aus der zinkblechernen Büchse -ff, die unten durch
den Stossspiegel s aus Zinkguss und den zinkblechemen Zwischenboden z
und oben durch den zinkblechernen Deckelspiegel d geschlossen ist.
Die Büchse ist mit Zinkkugeln gefüllt und mit Schwefel ausgegossen,
der Wulst w begrenzt das Einführen der Kartätsche in das Geschosslager.
Fig. XV. Brandgeschoss, unterscheidet sich von dem 15-Centimeter-Hohlgeschoss
in seiner äusseren Einrichtung nur durch die drei Brandlöcher f, die mit
Brandsatz und Stoppinen gefüllt und aussen mittels einer rot angestrichenen
Verpflasterung p verwahrt sind.
Das Brandgeschoss ist mit Brandsatz gefüllt und zur leichteren Ent-
zündung mit einer Anfeuerung versehen; in das Mundloch wird der Per-
kussionszünder eingeschraubt.
Fig. XVI. Leuchtballon. Die in Österreich-Ungarn bei den glatten Wurf-
geschützen eingeführten Feuerballen sind ovale, mit Louchtsatz gefüllte
Säcke aus Doppelzwilch, oben im Mundloch h mit einer Aufloderung zur
Entzündung des Leuchtsatzes und am entgegengesetzten Ende mit der
eisernen Stossplatte 8 zur besseren Widerstandsfähigkeit gegen den Stoss
der Ladung versehen und aussen mit einer Leine netzartig umschnürt.
Die Leuchtballen der grösseren Kaliber erhalten, um vom Feinde nicht
ohne Gefahr ausgelöscht werden zu können, an der Stossplatte eine kloine,
scharfgefüllte Hohlkugel fc, und ringsum von aussen eine Anzahl Mord-
schläge m, kurze, zugespitzte, mit einer Bleikugel geladene Gewehr-
laufstücko, welche sich nach Maassgabe der Verbrennung des Leucht-
satzes entladen.
Fig. XVII. Die Alarmstangen oder Fanale sind Holzgestelle, die aus einer
Stange mit mehreren runden Scheiben bestehen, auf welchen letzteren leicht
entzündliche und mit weit sichtbarer Flamme brennende Materialen ge-
schichtet werden; letztere bringt man mit einer Feuerleitung in Ver-
bindung und umgiebt sie zum Schutze gegen Witterungsein flüsse mit
einem Strohmantel. Die Alarmstangen dienen hauptsächlich als Nacht-
signale (seltener als Tagsignale) und müssen auf erhöhten Punkten so
aufgestellt werden, dass man sie auf eine für den beabsichtigten Zweck
genügende Entfernung brennen sehen und von anderem zufalligen Feuer
leicht unterscheiden kann.
Fig. XVIII, XIX, XX. Die Signalraketen bestehen aus einer starken Papier-
oder Blechhülse, mit einem rasch brennenden Triebsatze vollgeschlagen,
vom mit einer Leuchthaube aus Eisenblech versehen, welche mit ver-
schiedenartigen Leuchtkörpern wie Sterne, Schwärmer etc. gefüllt ist Zwar
noch im Gebrauch, werden diese Leuchtraketen bald den elektrischen
bezüglichen Vorrichtungen weichen müssen.
Geschosse. \^l
Die Munition besteht bei allen Feldgeschützen aus Hohlgeschossen Monmon.
(Granaten) und Shrapnels. Die meisten Feldartillerien führen über- w?^
dies Kartätschen, einige auch Brandgeschosse mit. (Tafel XI, Fig. XIV il'xv.
und XV).
An Ladungen sind entweder nur Schuss- oder nebst diesen auch Lad"»?-
Tafel X.
Wurfladungen vorhanden, welche gewöhnlich in seidene Kartuschbeutel «j- ^
geschüttet (Tafel X, Fig. HI), entweder gewöhnliches schwarzes oder in
neuerer Zeit rauchschwaches Pulver umfassen.
Beinahe alle Geschosse werden heute mit Sprengstoff in wenigen sprengttoff-
oder grösseren Quantitäten gefüllt. a. oeJhowe.
Geschosse zu Panzer- und Befestigungsbeschiessungen werden inöewiiosBesur
Tafel X, Fig. I, n und V dargestellt. b^JS^«^
Diese werden hergestellt nach zwei Grundsätzen, in Gusseisen mit pig. tu
einer harten Spitze, oder als Stahlgeschosse. IVbliVL
Grosse Bedeutung wird den modernen Minengeschossen zu-
geschrieben (Tafel X, Fig. IV und VI).
Ausserdem hat man in letzter Zeit begonnen, Geschosse herzustellen, Fig. Tu u.
die mit zwei derart beschaffenen Stoffen gefüllt werden können, dass nur ^^
erst bei deren Verbindung die Entzündung erfolgt (Tafel X, Fig. VH
und Vin.)
Von den verschiedenen komplizierteren Granaten, welche Vorzugs- g«wi»08»6
weise gegen lebende Ziele Verwendung finden, geben wir die Zeichnungen lebendezieie.
der am meisten angewandten Arten auf Tafel X, Fig. IX, und Tafel XI, S**^?'
Fig. X bis xm. SSi ^
Das Nachtgefecht wird sich in künftigen Kriegen anerkannter- .^^rin
maassen anders gestalten als in der Vergangenheit, weil die in Folge
der Vervollkommnung der Infanterie-Schusswaffen schon auf weite Ent-
fernungen geradezu vernichtende Feuerwirkung der Infanterie durch die
Dunkelheit auf die nächsten Entfernungen beschränkt wird, diejenige der
Artillerie in sehr vielen Fällen entweder ganz ausgeschlossen oder auf
Kartätschenschussentfemungen ebenfalls eingeschränkt wird. Freilich
hat man auf dem Festlande auch für die letztere Waffe, für den Positions-
krieg, Mittel und Wege gefunden, bestimmte Schussrichtungen schon bei
Tage festzulegen, um das Feuer auch während der Nacht nicht ganz
einstellen zu müssen. Dennoch wird dadurch, selbst bei elektrischer Be-
leuchtung des Vorgeländes, einerseits die Bedienung sehr verlangsamt,
andererseits die Geschütze und Kanoniere dem feindlichen Feuer sehr
ausgesetzt, ohne dass die Treffsicherheit dadurch eine besonders zu-
verlässige würde, weil eben das Eichten über Visier und Korn bei mangel-
142 ^' ^^<* Feuerwaffen.
hafter Beleuchtung sehr unsicher wird. Für den Feldkrieg werden sehr
oft aber auch diese Mittel versagen.
Tafel H, Es werden demnach nicht selten Leuchtballons (Fig. XVI), Alarm-
bi' X? s^^^S®^ (^*g- ^^11) ^^^ Signalraketen (Fig. XVIII bis XX) zur An-
wendung kommen.
^dV/iTohi*" Die grössten Schussweiten der Hohlgeschosse reichen auf Ent-
geechoBse. femungeu bis zu 6000 Metern, und bei den neueren Feldgeschützen noch
auf viel grössere.
dei^s^reL ^^® Anzahl der Kugeln und Sprengstücke des krepierenden Shrapnels
stücke im ist in den einzelnen Artillerien Europas ungleich. Die französischen Ge-
"'^'^^' schösse kleineren Kalibers (80 Millimeter) zerspringen in 182, die
deutschen (78 Millimeter) in 160 bis 165, die italienischen (70 Millimeter)
in 109 Stücke,
streben Jn letztcr Zeit werden grosse Bemühungen gemacht, um einheitliche
einheitiioben Geschosse gcbraucheu zu können,
esc ossen. SelbstverständUch ist dies nur zu erlangen, wenn ein einheitliches
Geschützkaliber geschaffen wird.
7. Schlussfolgerungen
über Artillerie - Geschütze und Geschosse.
Ein Rückblick auf die Entwickelung der Feldartillerie zeigt, dass seit
der ersten Anwendung des Pulvers bis zum XIX. Jahrhundert die Geschütz-
systeme nur sehr langsam verbessert wurden. Ungeachtet dessen, dass
bei der ünyollkommenheit der Leistungen F'ortschritte viel leichter zu
erzielen waren, blieb die Wirkung der Kanonen eine sehi; unbedeutende.
Erst die zweite Hälfte des XIX. Jahrhunderts bringt grossen Wechsel
und kurze Lebensdauer der Geschützsysteme mit sich.
Das letzte glatte preussische Geschützsystem bestand bis zur Ein-
führung der gezogenen Hinterlader im Jahre 1859 17 Jahre.
Das französische System von 1828 wurde 1853, also nach 25 Jahren,
durch die Granatkanone ersetzt, die schon nach 6 Jahren durch die
gezogenen 4-Pfünder verdrängt wurde.
In Russland wurde das 1838 geänderte System im Jahre 1852 zum
grossen Teile wieder geändei't, und im Jahre 1859 das System der
gezogenen Vorderlader angenommen.
Dynamit- Kanone (System Sims-Dudley)'.
a:)
py...,.
i A
&f
I». V
I
Schlussfolgerimgen über Geschütze und Geschosse. 143
Die meisten übrigen Artillerien nahmen neue, oder stark geänderte
glatte Artilleriesysteme in der Zeit von 1830 bis 184D an. Mehrere
führten in den 50 er Jahren den Ersatz durch Granatkanonen ein. Fast
Alle gingen aber in den Jahren 1859 bis 1861 zum gezogenen Vorder-
lader über. In den meisten Fällen betrug also die Lebensdauer der
glatten Systeme rund 20 Jahre, in einigen Artillerien gegen 30 Jahre,
die der Granatkanonen indess nur 5 bis 6 Jahre.
Das in Preussen 1859, in Belgien 1861 angenommene Hinterladungs-
system bestand bis 1873 bezw. 1878, also 14 bezw. 17 Jahre. In den
deutschen Artillerien, die dies System von vornherein annahmen, bestand
es ebenfalls bis 1873, etwa 12 Jahre.
Die angenommenen Vorderladungssysteme bestanden in Frankreich
bis 1870/71, wo das System Reffye Platz grifl, also 12 Jahre (das
Letztere bestand nur 6 Jahre) ; in Russland, in der Schweiz, den kleinen
deutschen Staaten und in Spanien bis 1867 oder 1868, also im Mittel nur
7 bis 8 Jahre; in Oesterreich bis 1875, also 16 Jahre. In den Nieder-
landen und in den nordischen Staaten stieg die Lebensdauer auf 18 bis
20 Jahre. — Für die jetzt bestehenden neuen Systeme ist die Lebens-
dauer in Deutschland 21, in Oesterreich 19, in Dänemark und Italien 18^
in Frankreich und Russland 17, in Spanien und Belgien 16, in der
Schweiz 15, in den Niederlanden 14, in Schweden 13 Jahre.
Und nun steht ein neuer Wechsel bevor. Die rein artilleristischen
und ballistischen Fragen gehen wohl ihrer Lösung entgegen oder sind
schon teilweise geklärt; was zu thun bleibt ist mehr technischer
Natur und Aufgabe der Alles wagenden und mit Erfolg versuchenden
Technik, i)
General Müller^) erklärt, dass die Frage „wo ist das Geschütz schwierige
der Zukunft?" nicht nur sehr schwierig, sondern geradezu unmöglich zudeizuknan»-
beantworten sei. Ausserdem bestehe für den Staat, der mit Einführung ^"®^*''®*-
eines neuen Materials beginnt, die Gefahr, durch verbesserte Kon-
struktionen überholt zu werden.
Die Schw^eiz, welche in neuerer Zeit mehrmals in der Gewehrfrage Konirarrens-
tonangebend war, hat im Frühjahr 1893 einen Wettbewerb ausgeschrieben, *"*"de/
dessen Bedingungen auf ein Schnellfeuergeschütz hindeuten. schweu.
^) „Die Wirkung der Feldgeschütze".
') „Die Entwicklung der Feldartillerie in Bezug auf Material, Organisation
und Taktik von 1815 bis 1892. Mit besonderer Berücksichtigung der preussischen
und deutschen Artillerie auf Grund dienstlichen Materials dargestellt von
H. Müller, Generallientenant z. D." Zwei Bände. Beriin 1893.
144 ^' ^^^ Feuerwaffen.
Im Vordergründe des Interesses stehen also die Schnellfeuer-
geschütze. Es hat den Anschein, als ob bei der wohl kaum noch zu
verschiebenden Umbewaflfnung der Feld-Artillerie — die sich demnächst
einer erneuten Umwälzung in der InfanteriebewaiFnung gegenübersehen
wird, ohne in den Grundzügen ihrer Geschtitzkonstruktionen Fortschritte
gemacht zu haben — ein ganz hervorragender Werth auf das Schnell-
feuer gelegt werden dürfte. Die Erfolge der japanischen Marine mit
diesem Geschützsystem werden ihre Einwirkung auf die Land-Artillerie
nicht verfehlen.
Die Herstellung der Schnellfeuergeschütze ist bereits beim Kaliber
von 20 Centimeter angelangt. Ein solches Geschütz, das vier Schuss in
der Minute abgiebt, soU bei Armstrong in Elswick hergestellt sein.«)
^•"« Frankreich will neue Feldgeschütze einführen, jedoch sind bisher
Feld- noch keine Zeichnungen veröffentlicht worden.
geschütse.
Die neuen Feldgeschütze sollen ein Kaliber von 75 Millimeter
haben, in drei Jahren fertig hergestellt sein und 324 Millionen Francs
kosten.*)
Die Granaten dieses Zukunflsgeschützes sollen 5 bis 6 Kilo
wiegen, also weniger Gewicht haben als die Geschosse der jetzigen
80 Mülimeter-Kanonen. Die Feuergeschwindigkeit soll 4 oder 5 Schuss
pro Minute betragen, der Rückstoss sehr verringert werden. Wenn auch
nach jedem Schusse neu gerichtet werden muss, so wird der Rücklauf
des Geschützes doch gering genug sein, um das ermüdende und zeit-
raubende Vorbringen desselben in die Feuerstellung zu vermeiden. Das
Schiessen kann daher nach Bedarf sehr schnell ausgeführt werden. Die
neuen Geschütze sollen einen Sicherheits-Apparat erhalten, um das zu
frühzeitige Abfeuern zu vermeiden, was man bisher bei den jetzigen
Geschützen nicht in befriedigender Weise ausführen konnte.
Jedoch die Technik ist noch zu keinem Abschluss gekommen.
Haterui Nickclstahl einerseits, Drahtumwickelung andererseits sind die
für
Hereteiiang beiden Grundlagen für Erzeugung von Rohren, welche grossem Gas-
***' roitfe.***^ druck gewachsen sind. Man spricht beim Nickelstahl bereits von
IB 000 Atmosphären Druck. Es würde damit der Steigerung der Geschoss-
geschwindigkeiten, die bereits bis 1100 Meter geht, ein gewaltiger Vor- j
Schub geleistet, nicht minder dem Betrag an lebendiger Kraft aus der
Einheit des Rohi'gewichtes. )
*) Löbell: „Militärische Jahresberichte". 1894.
*) „Progres militaire".
Die neuesten Geschosse
für die Krupp'sehen 7,5 Centimeter- Geschütze.
Granate. Shrapnel. Kartätsche.
Längssohnitt
t-j»
Patronenmantel.
Bd. I. einfeg« bei Stile iU.
Schlussfolgerungen über (beschütze und Geschosse. 145
Ein neues, flir gewisse Artilleriezwecke geeignetes Material ist
das als reines Metall hergestellte Chrom in seiner Verbindung mit
Aluminium, wobei sich grosse Vorzüge vor den jetzt verwendeten
Materialien herausstellen sollen.
Inwieweit die Feldhaubitzen dui-ch die Erfolge der Japaner mit
derartigen Geschützen beim Angriff auf Port Arthur die Zahl ihrer An-
hänger vermehrt sehen werden, bleibt abzuwarten. Jedenfalls hat der
Nimbus, Welcher die Sprenggranate aus Feldkanonen als Ersatzmittel
für das Wurffeuer im Felde umgab, wesentlich abgenommen.*)
Die Geschossgeschwindigkeit wird bei dem Feldgeschütz der nächsten
Zukunft wohl nur eine massige Zunahme erfahren, dagegen wird man
einen Hauptwerth auf die Lösung der Geschossfrage selbst legen.
Das Shrapnel mit Doppelzünder kann schon jetzt als Hauptgeschoss shr»pnei mit
angesehen werden«), die Granate ist mehr in den Hintergrund getreten. xünTw:
Hanpt-
Als Hilfsgeschoss ist diese aber in verschiedenen Artillerien bei- geechoas.
behalten; sie soll lebende Ziele dicht hinter Deckungen treffen, zugleich ^l^-.
gegen tote Ziele wirksam werden. Für ersteren Zweck hat sie den
Doppelzünder, da der Sprengpunkt nahe der deckenden Krete und ober-
halb dieser liegen muss. Doch ist die Bedeutung der Sprenggranate
gegenüber lebenden Zielen nicht überall gewürdigt, so in Frankreich, wo
sie nur für tote Ziele berechnet ist.
In der Konstruktion des Shrapnels sind grosse Fortschritte ge- Fortachritte
macht, so z. B. mit der Verwendung von Stahlmaterial für den Geschoss- strapnei-
körper, wodurch ein grösserer innerer Raum gewonnen wurde und (jje ^^"*™''*^^"-
Füllung mit einer grösseren Zahl von Kugeln aus Hartblei möglich ge-
worden ist; ferner mit der Ausstattung mit raucherzeugenden Mitteln zur
Erleichterung der Beobachtung und Anwendung sehr vollkommener Doppel-
zünder, zugleich Fertigzünder.
Es erübrigt nur noch, die Wirkung der Sprenggranate in den P'o.we». ^«»
Mechanismus mit aufzunehmen, um zum Einheitsgeschoss zu gelangen, gMchoase».
doch ist dies bis jetzt ein ungelöstes Pi'oblem.^)
Hilfs-
gMchOM.
*) Löbell: „Militärische Jahresberichte". 1894.
«) LöbeU: „Müitärische Jahresberichte". 1893.
0 Die neuesten deutschen Shrapnels haben eine sehr dünne Wandung
und in Folge dessen einen sehr grossen inneren Kaum; das Material der Hülle
ist Stahl, und diese besteht aus dem cylindrischen Geschossteil und dem auf-
schraubbaren Boden. Als Füllung dienen Hartbleikugeln, in deren Zwischen-
räumen ein raucherzeugendes Mittel gelagert wird, das sehr günstige Beob-
achtungsverhältnisse herbeiführt und die Kugeln in fester Lagerung erhält. Die
Bloch, Der zakflnftige Krieg. 10
146 I' ^^® Feuerwaffen.
Wie wir schon gesagt haben, bereitet Rauchmangel in vielen Fällen
grosse Hindernisse und zieht schwere Folgen nach sich.
Bomben zar Nun wird mitgeteilt, dass ein Franzose, Rougier, zur Ladung be-
vorRauch- sonderer Bomben ein Pulver erfunden haben soll, das er das „Revanche-
entwickeiung. pyjygpM uenut. Eiue mit diesem gefüllte Bombe, die vor der feindlichen
Schützenkette explodiert, soll den Schützen durch eine Rauchsäule von
20 Meter Breite und 10 Meter Höhe jede Aussicht nehmen. Ein halbes
Kilogramm des in der Bombe enthaltenen Materials brennt und raucht
10 Minuten.
Ein Oberst der englischen Marine-Artillerie, Creose, hat gleichfalls
ein Pulver zusammengesetzt, das einen ungewöhnlich dichten Rauch pro-
duziert, wie die in Gegenwart des deutschen Kaisers bei dessen letztem
Besuch in England angestellten Versuche ergeben haben. Der Erfinder
hat Papierhülsen von 18 Zoll Länge und 2 Zoll Dicke hergestellt, die mit
einer Flüssigkeit gefüllt sind, welche unter starker Rauchentwickelung
brennt.
Hinter dem durch die brennenden Hülsen hervorgebrachten Rauche
soll es Schützen ermöglicht werden, sich den ins Auge gefassten Punkten
möglichst Verdeckt zu nähern.
.Heaiende Die dcutscheu militärischen Fachblätter teilen noch mit, dass die
™"* " * Franzosen sogenannte ,,Sirenen" oder „heulende Granaten" erfunden
hätten, welche beim Durchschneiden der Luft ein furchtbares Pfeifen von
Sprengladung ist wie bisher in der Kammerhülse angebracht Das Geschoss
liefert etwa 300 Kugeln und Sprengteile. Es hat den Doppelzünder. Um den
Zünder thätig werden zu lassen, bedarf es der Entfernung eines Vorsteckers
und als Brennzünder selbstredend noch der Einstellung des Satzringes, dessen
Einteilung von 300 bis 4500 Meter reicht. Auch nach Entfernung des Vor-
steckers soll der Zünder noch immer eine bedeutende Sicherheit des Transports
gewähren, so dass mit geladenen Geschützen gefahren werden kann. Gegen
gedeckte Ziele hat die Feldartillerie die Sprenggranate, ein einwandiges Geschoss
von grosser Metallstärke, das ebenfalls aus Stahl besteht. Die Sprengladung ist
ein besonderer Stoff und in einer besonderen Büchse gelagert, um chemische
Veränderungen durch Berührung von Zünder- und Geschossmetall auszuschliessen.
Es ergiebt sich eine sehr grosse Zahl von Sprengstücken der verschiedenartigsten
Gestalt und Grösse, etwa 500 an der Zahl. Die Stücke der Sprenggranate wirken
hauptsächlich durch ihre seitliche Ausbreitung, vermöge deren sie Ziele dicht
hinter Deckungen zu treffen im Stande sind; es bedingt dies die Lage des
Sprengpunktes in der Luft. Erfolgt das Krepieren beim Aufschlag, so fliegen
die Stücke nach allen Seiten auseinander. Neben dem Shrapnel als Haupt-
geschoss und der Sprenggranate als Hilfsgeschoss figuriert noch für be-
schränkte Fälle die Kartätsche, die in geringer Zahl in der Ausrüstung vor-
handen ist.
Schlussfolgerangen über Geschütze und Geschosse. 147
sich geben, was auf die Pferde und auch sflt die Nerven der Soldaten
nachteilig einwirken soU.
Wenn diese Erfindung praktisch verwertbar wäre, so könnten
grosse Beunruhigungen der Truppen in der Nachtzeit stattfinden.
So haben wir eine ganze Reihe erstklassiger Vervollkommnungen ^i\r^^r
vor uns und müssen gestehen, dass das Kriegsmaterial ein ganz anderes voukomm-
geworden ist, als es in den früheren Kriegen war. werferden
Die erzielten Vervollkommnungen werden aber mit voller Klarheit weg ganz
erst dann gewürdigt werden können, wenn wir weiterhin die Geschütze g^^Zn.
im Kampfe darstellen werden.
-—■¥■
IG'
IL
Die Hilfsmittel.
Hilfsmittel nnd deren Anwendung.
Die in jeder Hinsicht verbesserten Wafien, die in hohem Grade er- Bewe«
YerwertaDg
folgte Vervollkommnung der Geschosse sind noch nicht alles, was der der Knegs-
erfinderische Geist des Menschen ersonnen hat, um eine möglichst grosse ^**'*'"****'-
Zahl von Menschen kampfunfähig zu machen und dadurch dem Gegner
Niederlagen zu bereiten. Es existiert noch eine ganze Eeihe von Hilfs-
mitteln, die in künftigen Kriegen eine so wichtige, häufig sogar ent-
scheidende Bedeutung haben werden, dass sie selbst auf die Grundsätze
der Kriegskunst, welche sich durch die Erfahrungen früherer Kriege
herausgebildet haben, von Einfluss sein können.
1. Innere Verbindung in der Armee.
Die gewaltigen bewaffneten Massen, welche die einzelnen Mächte schwierig-
keit der
aufstellen werden, müssen sich in Gruppen, d. h. in einzelne Armeen offenhaitang
teilen, welche auf verschiedenen Kriegstheatem operieren. Für jedes Jndn^In.
dieser aus mehreren Armeekorps bestehenden selbständigen Heere ist ein
weit ausgedehntes Gelände erforderlich. Schon dieser eine Umstand
erschwert die Verbindung der einzelnen Truppenteile sowohl unter sich
als auch mit dem Höchstkommandierenden und selbst mit den Stäben der
Korps, der Divisionen u. s. w. ausserordentlich. Parallel hiermit laufen auch
andere Nachteile. In Folge der geringen Rauchentwickelung des neuen
l^vers wird das Schlachtfeld übersichtlicher, als in früheren Kriegen
daliegen. Dieser Umstand wird zwar einerseits den berittenen Offizieren
und Ordonnanzen, welche Befehle zu überbringen haben, das Auffinden
des Weges erleichteni, andererseits aber ist die Gefahr für sie weit
grösser geworden und zwar um so mehr, als man in allen Heeren besondere
Schützen ausschliesslich dazu ausbildet, derartige Ueberbringer von Mel-
dungen ausser Gefecht zu setzen. In Folge dessen wird es ausserordentlich
schwierig, bisweilen sogar ganz unmöglich sein, Befehle und Meldungen
in der früheren Art und Weise zu übermitteln. Ordonnanzen zu Fuss
sind stets der geringen Schnelligkeit wegen, mit der sie ihre Aufgaben
152 H- I>ie HüfsmitteL
erfüllen können, für wenig geeignet befunden worden und werden bei
den Forderungen der neuen Taktik und bei den heutigen Massenheeren
kaum noch in Betracht kommen.
Man hat deshalb auf andere Mittel bedacht sein müssen.
a) Fahrräder.
^F^rra/w Auf einem guten Wege gelingt es selbst einem geübten Reiter
dameibe ' ulcht, eiueu erfahrenen Radfahrer einzuholen, i) da dieser im Stande ist,
^chtbM. ohne jede Ermüdung 12 Kilometer in der Stunde zurückzulegen, mit An-
strengung — 18, und mit höchster Anspannung — 24 Kilometer. Der
Radfahrer hat weiter vor dem Reiter den in diesem Falle wichtigen
Vorzug voraus, dass er weniger bemerkbar ist. Das Fahrrad ist nicht
teurer als ein Pferd, erfordert zudem weder Futter noch Dressur; die Be-
weglichkeit und Ausdauer des Radfahrers stehen der des Pferdes nicht
nach; ersterer hat es weit bequemer und leichter, sein Fahrrad zu ver-
lassen und es zu verbergen, und für Rekognoszierungszwecke eine Anhöhe
zu gewinnen als der Reiter in dieser Beziehung mit seinem Pferde fertig
wird. Wenn man auf dem Fahrrad nicht immer die Strecken passieren
kann, die für ein Pferd noch passierbar sind, so vermag der Radfahrer
dafür vielfach sein Rad über solche Strecken zu führen oder zu tragen, die
ein Reiter nur mit grosser Mühe passiert oder über die er nicht einmal
sein Pferd zu fuhren vermag. Was Gräben und Zäune anbetrifft, welche
das Durchschnitts-Kavalleriepferd nimmt, so bringt über solche auch jeder
Radfahrer sein Rad hinweg. 2) Angesichts dessen ist in vielen Heeren in
Aussicht genommen, in künftigen Kiiegen Radfahrer für den Ordonnanz-
dienst zu verwenden.
^°^«^"^** Im Fahren auf sogenannten „Stahlrossen" werden fast in allen
fahren. Hecreu Unteroffiziere und Mannschaften in der erforderlichen Anzahl aus-
gebildet. Das erste Beispiel hierfür gab Frankreich, wo während der
Verteidigung Beiforts im Kriege 1870/71 wegen Mangels an Kavallerie die
Befehle durch Radfahrer befördert wurden. Um dem Leser klar zu machen,
welche Bedeutung man den Radfahrern beilegt, führen wir die Aufgaben
an, die 1889 in England den unter Major Skobi stehenden Radfahrern
gestellt wurden. 3) Sie hatten: 1. die Karten zu verbessern und die Wege
vor Annäherung des Feindes auszukundschaften ; 2. auf Befehl des Höchst-
kommandierenden mit starken dazu ausgebildeten Kommandos Eisen-
bahnlinien zu zerstören; 3. die Obliegenheiten des Rekognoszierungsdienstes
in den vom Feinde besetzten Gegenden zu erfüllen, und im Verein mit
0 Figuier: „Ann^e scientifique".
'■^) Michne witsch: „Einüiiss der neuesten technischen Erfindungen".
') Stadelmann: „Das Zweirad". Berlin 1893.
Radfahrer-Detaehement
Detaohement in der Bewegung.
Transport der Fahrräder.
Aufmarsch zum Gefecht.
Bd. I. Elingai )i*i SgiM 153.
Zusammenlegbares Fahrrad.
Soldat, welcher ein Fahrrad trägt
fid. I. Elnrii» bal SviU IBS.
Innere Terbindims iu der Armee. — Fahinder. ]^53
KavallerJe dessen Bewegnngen zn beobachten, beim Vorrücken des Feindes
aber nach den bedrohten Stellen zn eilen, ihn aufzuhalten and sich dann
allmählich zurückzuziehen. — Nach dem Bericht des Majors Skobi haben
die Radfahrer alle diese Aufgaben befriedigend gelöst.
Die Engländer haben mit grossem Erfolg Radfahrer auch für den
Transport von chirurgischen Instrumenten, Medikamenten, von Verband-
materia! u. s. w. verwendet, sowie iur die Beförderung von Lebensmitteln
und Munition and selbst für Fortschaffang Verwundeter vom Scblachtfelde.
In Frankreich finden gegenwärtig Eadfahrer-Abteilnngen sogar ganz »wong ic
selbständig fllr den Rekognosziemngs- und Sicherheitsdienst Verwendung, hbnr-
Dies hat sich als so praktisch erwiesen, dass bei den Bataillonen frei- ''*""""^*
willige Radfahrer -Abteilangen, bestehend ans 1 Offizier, 2 Unteroffizieren,
26 Gemeinen und 1 Hornisten gebildet sind. Derartige Abtheilungen sind
bei 32 Bataillonen organisiert worden. Man wiU sogai" die Radfahrer
am Kampfe selbst teilnehmen lassen, wie nachstehende Zeichnnng zeigt:'*)
Teünahme von Radfahrern am KEimpfe.
Die Kommandos bilden dadurch, dass sie die FahiTäder nach oben
umstürzen and die Räder in raschen Umlauf versetzen, leicht nnd schnell
Sehutzwehren, über die fast kein Pferd hinwegkommt und hinter
denen sich eine Handvoll
guter Schützen leicht einer
weit zahlreichei-en Kavallerie
erwehren kann.
In einem künftigen '';
Kriege werden nicht nur die
dem Publikum bereits wohl-
bekannten Fahrradarten auf-
treten, sondern unzweifelhaft
auch verschiedene von neuer
Einrichtung. In Frankreich
z. B. haben Versuche mit den Vierrad.
*) „Encyclop^diü des connaissnnces militaires''.
;lg4 ^ ^^^ Hflftmittel.
sogenannten Tandems oder Vierrädern für zwei Personen stattgefnnden,
von denen eine Person volle Aktionsfreiheit hat, ebenso auch mit Viei-
rädern fUr drei und selbst für zwanzig Personen. Die angestellten Ver-
suche haben ergeben,
dass sich diese Modelle
für die oben erwähnten
militärischen Ziele Hehr
nützlich erweisen.
inrtnikti«. Im Jahre 18«i hat
Ridhknr. die frauzflsische Regie-
ning eine Instruktion erlassen, in welcher auf die Notwendigkeit für
die Armee hingewiesen ist, im Felde über 3000 Radfahrer ans den Unter-
offizieren und Mannschaften der Reserve und der Territorial -Armee ver-
fügen zu können. Diejenigen, welche in dies Radfahrerkorps aufgenommen
werden wollen, müssen eigene Fahrräder zweifachen Modells besitzen:
ein „bicyclette de ronte" odei' „de demi-ronte".
Miiiui- Charles Dilke äussert sieh über die Radfahrer, welche er bei den
ii TU- französischen Manövern im Jahre 1891 sah, dahin, dass die Unteroffiziere
"li'^™." befähigt erschienen, die Verbindungen aufrecht zu erhalten nnd Befehle
zu übermitteln, deren Deutlichkeit und Genauigkeit nichts zu wünschen
übrig Hess ; deshalb übertrug man ihnen anch immer häufiger den
Ordonnanzdienst. Um ihre Bewegungsfreiheit möglichst wenig za be-
hindern, führten sie keine Wafien. In Oesterreich wird in der „Wiener
Neustadt" eine Spezialschule für die Ausbildung von Militär-Radfahrern
errichtet; in Deutschland wUl man für sie noch mehr thun. Die Re-
gierung lässt dem Radfahrsport eine bedeutende Förderung angedeihen.
namentlich an der russischen (Jrenze, in der Voraussetzung, dass die
militärischen Rad -Kundschafter im Stande sein werden, gegnerischen
Kavallerie-Patrouillen Hindernisse in den AVeg zu legen.
verebigBig In Italien sind Versuche gemacht, den Kadfalii'e.rdienst mit der
f>kr»r mtt Tanbcupost zu verbinden, um die von ihnen gesammelten Nachrichten
uÜb."»"^!. schnellstens dem Stabs-Quartier bezw. den Truppenteilen zu übermitteln.
Jeder Radfahrer führt eine gewisse Zahl von Tauben mit sich und übei-
sendet durch diese alle ihm wichtig erscheinenden Naclirichten. Bei
dem ersten Versuch wurden die Tauben 10 Kilometer weit fi)rt-
geführt and kehrten, nachdem sie freigelassen waren, s(^hon nach
wenigen Minuten zu ihren Taubenschlägen zurück. Diese Tauben
wurden paai-weise in leichten, wenig Haum beaTispruchenden Käfigen
aus Blech oder Leinewand transportiert. Der Nutzen einei- solchen
Verwendung der Tauben ist .augenscheinlich.
Radiärer in der n^sisohen Armee während der Manöver.
um ■■
» >••_•■ ■■ '
Innere Verbindung in der Armee. — Tauben. 155
Nach der „Revae militaire" wurde in Eussland im Jahre 1891 be- Radfahrer in
stimmt, dass jedes Infanterie-Regiment 8 Radfahrer ausbilden muss, jedes
Schützenbataillon 4. Ausserdem muss jedes Regiment über mindestens
2 im Radfahren geübte Offiziere verf&gen können.
Es ist dem Allen gegenüber wohl nicht mit Unrecht darauf auf-
merksam gemacht worden, dass bei schlechter Bodenbeschaflfenheit, in
sumpfigen Gegenden etc., der Reiter immerhin dem Radfahrer überlegen
sein werde.
Sehr interessant erscheint daher der Bericht über die grossen ^^^^^
bei
Manöver in Böhmen und Mähren 1894. 0) Dort wird nämlich mitgeteilt, a. Manövern
dass, obgleich der erdige, teils lehmige, durch den Regen aufgeweichte ond^M*hren
Boden und die Steigungen des Mittelgebirges die Leistungen der Rad- ^®**-
fahrer in ganz besonderer Weise erschwerten, demungeachtet sie Touren
als Ordonnanzfahrer zuiücklegten, welche die von Ordonnan^reitern weit
übertrefien. So legte ein Lieutenant in bergigem Terrain hin und zurück
ca. 12 Kilometer in 36 Minuten zurück. In dem für weitere Ordonnanz-
ritte bestehenden normalen Reisetrab hätte der Ordonnanzreiter hierzu
1 Stunde bis 1 Stunde 20 Minuten gebraucht und im reglementsmässigen
Trab (ohne Schritteinlage) 48 Minuten. Ein Anderer legte trotz etwas
beschädigten Rades die 60 Kilometer lange Strecke hin und zurück in
4 Stunden zurück, wozu der Kavallerist im Reisetrab 5 bis 6 Stunden
gebraucht hätte. Ein Dritter fuhr querfeldein 10 Kilometer in 19 Minuten,
wozu ein Kavallerist im Reisetrab 60 bis 60 Minuten und im reglements-
mässigen Trab 44 Minuten gebraucht hätte. Derselbe Offizier legte auch
eine Nachttour zurück, zusammen 23 Kilometer, bei teilweise starkem
Gegenwinde in 1 Stunde 5 Minuten, eine Tour, welche ein Ordonnanz-
reiter in nicht unter 2 Stunden bewältigt hätte.
b) Tauben.
Das Orientierungsvermögen der Tauben gehört zu den merk- Erfahrnngen
würdigsten, und bisher noch unaufgeklärten Erscheinungen der Natur. Tauben.
Tauben, die in Eisenbahnwagen, folglich in geschlossenen Behältnissen,
1600 Kilometer weit fortgebracht wurden (Versuche zwischen Madrid und
Lüttich) haben es vermocht, sich zu ihrem Taubenschlag zurück zu
finden. Noch erstaunlicher sind folgende Versuche. Von 9 Tauben, die
man im Jahre 1886 in London auffliegen Hess, kehrte eine nach ihrem
heimatlichen Schlage in Boston zurück, die zweite flog bis New- York, die
dritte bis Pensylvanien. Bei dieser bemerkenswerten Fähigkeit der Tauben
spielt die Schärfe ihres Gesichtssinnes eine bedeutende Rolle und Hebung
*) „Reichswehr" 1895.
156 n. Die Hil&mittel.
verstärkt diesen den Tauben angeborenen Instinkt noch in hohem Grade.
?**^!5^*^« In vielen Ländern hat sich eine besondere Art des Sports — der Tanben-
des Tauben- '^
■porta. Sport — entwickelt und schon recht grosse Bedeutung erlangt. Die Möglich-
keit, den besonderen Instinkt der Tauben auszunützen, wird durch deren
^dee Fiif M^* ungewöhnliche Flugschnelligkeit noch verstärkt. Bei günstigen atmosphäri-
schen Verhältnissen, d. h., wenn weder Gegenwind, noch Regen und Nebel
vorhanden sind, beträgt die mittlere Schnelligkeit des Taubenfluges 70 bis
dTuil^hVr ^ Kilometer pro Stunde. Im Jahre 1878 fand ein Wettflug deutscher
nnä und belgischer Tauben statt. Man Hess sie in Eom auffliegen; die
Traben, vou üinen ZU durchmessende Entfernung betrug 1430 Kilometer; die atmo-
sphärischen Verhältnisse wai*en äusserst ungünstig. Die erste deutsche
Taube kehrte nach ihrem Taubenschlag in Aachen nach 9, die zweite
nach 10 Tagen zurück; die erste belgische Taube langte in Brüssel nach
11 Tagen an.
In Folge dieser Umstände hat man schon lange daran gedacht, die
Tauben als Brief boten zu verwenden, die in Kriegszeiten, besonders bei
Belagerung von Festungen unersetzliche Dienste leisten könnten; jedoch
erst die zunehmenden Vorkehrungen für künftige Kriege, alle Mittel zur
Erreichung von Vorteilen auszunutzen, haben eine weitgehende Organi-
sation der Taubenpost hervorgerufen.
DieTanben Schou bcl der Belagerung von Paris hat die Luftpost keine
Beiairerang uuwichtige Rolle gespielt; 634 Tauben wurden von dort in Luftballons
p^?. mitgenommen und demnächst freigelassen ; von diesen kehrten 100 Tauben
zurück und manche machten diesen Weg bis 10 Mal. Die Luftpost hatte
für die damals von aller Welt abgeschnittene Stadt eine gewaltige Be-
deutung, erzielte aber nur relativ befriedigende Resultate, hauptsächlich
deshalb, weil sie erst nach Eintritt der Belagerung eingeführt und nicht
genügend vorbereitet war.
w6n^!*kit Immerhin musste man zu der Ueberzeugung gelangen, dass die
miiiuriseher Tauben Während des Krieges wichtige Dienste leisten können und
Bta'uonen. ^^ zur Erfindung des lenkbaren Luftballons unersetzbar sind. Des-
halb begann man in allen Staaten die Entwickelung des Militäitauben-
sports zu pflegen und Kriegsposttauben-Ötationen einzurichten.
Die Bedeutung der Taubenpost wird teilweise dadurch abgeschwächt,
dass man nur dressierte Tauben und diese nur innerhalb einer bestimmten
Ortsgrenze gebrauchen kann.
^Til'*° Während der Belagerung von Paris verfuhr man mit den Depeschen
Mndnnsr nnd auf folgeudc Weisc: man druckte alle Depeschen in der Form von
den"ja1iilB Zeitungsspaltcu auf ein Blatt und photographierte sie sodann unter
1870/71. gQ bedeutender Verkleinerung, dass sie zu lesen nur mit Hilfe einer
starken Loupe möglich war. In Tours wurde die Verkleinerung bis zu
Iimen> VerbindnUg in der Arrofle, — Tauben. 157
eiaem mikroskopischen Maassstabe ausgedehnt. Die tägliche Depeschen-
sammlung hatte die Grösse des vierten Teils einer gewöhnlichen Spielkarte
and wurde aaf einem Blatt von Kolodiom-Papier versandt, das nnr einige
Centigramm wog.
Dies Blatt warde gerollt nnd in eine Feder gelegt, die dann an ^'^''''•'""'k
einer der Schwanzfedern der Tanbe befest^t wurde, wie dieses aus DepeMb«i,,
folgenden Zeichnungen sichtbar ist.')
Art der BefeBtigling von Depeschen
Die Depeschen werden nach Empfang in ein Sonnen- oder elektrisches i««"b »ob
Mikroskop eingestellt und anf der Schirmwand abgelesen. Die Zeichnung
auf der folgenden Seite stellt Offiziere dar, welche sich in dem Lesen
solcher Depeschen iiben.s)
Eine Tanbe hat 20 solcher Blätter getragen, die alle zusammen j,^™^^.
weniger als 1 Gramm (Vis Lot) wogen und annähernd bis 300 000 Buch-
staben, d. h. fast einen ganzen Band gewöhnlichen Druckes enthielten.
Solcher Depeschen sind ans Paris an 100000 entsandt, was beim Druck
mit gewöhnlicher Schrift eine recht stattliche Bibliothek abgeben würde.
Bei der Tauben-Dressnr wird eine gewisse Stufenfolge beobachtet; ^^'^"'-
zMnächst lÄsst man sie Entfernungen von 7 bis 8 Kilometer durchfliegen;
wenn sie diesen Weg in völlig grader Richtung nnd mit grösstmöglicher
Schnelligkeit zurücklegen , müssen sie längere Strecken fliegen (bis
200 Kilometer). Uebersteigt die Entfernung nicht 140 Kilometer, so
kehren alle Tauben zurück; je länger der Weg ist, eine desto grössere
Zahl der geflügelten Boten geht verloren.
In Frankreich schreibt das Gesetz vor, der Armee bei Beginn t««'«''!«'»-
eines Feldznges auch alle Privat-Posttauben, deren Zahl sich auf etwa '""iT °"
160000 Stück beläuft, zur Verfügung zu stellen. Die deutsche Regierung p^'^"^^
tiat Militär-Taubenschläge an sehr vielen Orten eingerichtet: in Berlin, J°*..
Köln, Strassburg, Metz, Würzbni^, Wilhelmshafen, Kiel, Danzig,
Schwetzingen (bei München), Thom und Posen. Jeder Taubenschlag
') „Encyclopödie des connaissances militaires".
•) „Gartenlaube".
158 H. Die Hilfsmittel.
enthält 400, der Tliorner gar 1000 Tanben. Ausserdem existiereii in
Dentschland 350 Gesellschatlen. welche der ßegieruiig im Bediirfnisfatle
an 50 000 Tauben zur Verfügung stellen können.
In Oesterreich wurde der erste Verein für Taabensport 1878 ge-
gründet; 2 Jahre darauf wurde die erste Kriegsposttanben-Station in
Komorn, im Jahre 1882 eine ebensolche Station in Krakau eingerichtet.
Dem Vernehmen nach besteben solche Stationen auch schon in Wien,
Linz, Olmütz and an anderen Plätzen.
Die Regierungen erweisen auch den Privatliebhabeni des Tanben-
sports T^nterstützuiig, um im Kriegsfalle von ihnen Tauben zn erhalten.
Offiziere und Militärbeamte, welche Posttauben zu züchten und zu
dressieren wünschen, erhalten alle Mittel zum Unterhalt der Tauben und
zur Einrichtung von Taubenschlägen. An Privatpersonen überlassen die
Regierungen Tanben der besten Rasse zn dem Vergtinstigungspreise von
1 bis 10 Franks pro Stück. Die Eisenbahnen ihrerseits sind verpflichtet,
die Tarife für Passagiere, welche in Angelegenheiten des Taubensports
reisen, zu ermässigen.
TM»«iiport j,, Rnssland ist das Interesse für die Taubenpost zuerst im Jahre
Biuina. 1874 rege geworden. Es bildeten sich einige Gesellschaften von Lieb-
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Innere Verbindung in der Armee. — Tauben. 159
habern des Taubensports und das Kriegsministerium setzte eine gewisse
Summe zur Einrichtung von Stationen in Warschau aus. Die Dressur
der Tauben stiess aber auf Schwierigkeiten: die russischen Tauben waren
zu schwach, um grosse Wege zurückzulegen, die aus Belgien eingeführten
gingen zu Grunde, weil sie das rauhe Klima nicht ertragen konnten.
Erst die im Jahre 1886 aus Ingenieuren und Liebhabern des Tauben-
sports eingesetzte Regierungskommission beseitigte diese Hindernisse. Im *^"*^**"*
Jahre 1888 wurden auf Verfügung des Ingenieurbezirks fünf Posttauben- RegienmgB-
Stationen geschaffen: in Brest, Warschau, Nowo-Georgijewsk, Iwangorod lTimö"
und Luninez. Auf jeder Station werden soviel Tauben gehalten, dass im
Bedürfnisfalle an 2B0 ausgesandt werden können. In Festungen sind diese
Stationen dem Kommandanten unterstellt, in den übrigen Orten dem Chef
des Bezirksstabes. Ausserdem besteht in Brest-Litowsk schon eine Ein-
richtung, um die Rasse der Tauben zu verbessern und die unter den
gegebenen Verhältnissen zum Postdienst tauglichen Tauben auvszubildeu.-'*)
Aus dem Gesagten geht hervor, dass es allen Staaten möglich Bwtimmong
erscheint, die Verbindung zwischen den einzelnen Teilen der Armee mit TaabanpoBt.
Hilfe der Taubenpost aufrecht zu erhalten, desgleichen zwischen den
Festungen und der Feldarmee. Die betreffenden Stationen haben ihre
Tauben auszutauschen (man transportiert sie in besonders dazu ein-
gerichteten Körben), die, sobald sie in Freiheit gesetzt werden, zu ihrem
ständigen Aufenthaltsort zurückkehren.
In der französischen Armee zweifelt man einigermaassen an der skeptiziama»
der
Möglichkeit, die Dienste der Tauben in kritischen Momenten bei Märschen, Franzosen.
Schlachten und Belagerungen ausnutzen zu können. Bei den letzten
grossen Manövern hatte jede Kavallerie-Division einen Korb mit Tauben
zur Verfügung, jedoch Offiziere und Soldaten waren der Meinung, dass
bei etwaigem Mangel an Esswaaren die Tauben in den Suppenkessel
kommen könnten. 4)
Umstehende Karte macht uns mit der Entwickelung des Netzes
der Taubenpost-Strassen in Mittel-Europa bekannt.
Sobald es sich um die Verbindung belagerter Festungen — z. B. '''."^p^f,''/*
Warschau's — mit der Aussen weit handelt, entsteht sogleich die «inor
Frage: in welchen Verhältnissen werden sich die Bewohner während wirechTr»!.
einer Belagerung der Stadt befinden? Es unterliegt keinem Zweifel, dass
die Regierung die Benutzung von Taubenposten auch Privatpersonen ge-
statten wird. Die Einwohner würden in schweren Tagen der Belage-
*) Wir entlehnen diese Mitteilungen einem Artikel von D. Pankewitsch
im „Wojenny Ssbornik": „Stand des Posttaubenwesens in Europa".
*) Hennebert: ,.L'art militaire et la science".
160
IL Die Hilfemittel.
NetB der 1 W 7
Taiib«npoit *\fs.,/--'-"^
in
Mitteleuropa.
Karte des Netzes und der Wege der Taubenpost in Mittel-Europa.
rung die Möglichkeit eines derartigen Verkehrs mit Orten, zu welchen
\Yarschan in besonders engen Beziehungen steht, wie mit Ljublin, Sjed-
letz, Lomscha u. s. w. mit Freuden begrüssen. Es versteht sich von selbst,
dass mit dem Moment der Kriegserklärung alle privaten Posttauben unter
strenge Regierungskontrole zu stellen sind.
In jedem Falle ist die Entwickelung des Taubensports besonders
fiir Warschau sehr wünschenswert, da in einem künftigen Kriege eine
Belagerung der Stadt immerhin möglich erscheint.
c) Elektrische Telegraphen und Telephons.
^jt^ . Im Gelände der Kriegsoperationen wird man, nach deren Be-
wendiglceit "
nad ginn, demnächst auf dem Schlachtfeld selbst zeitweise Telegraphen-
temJoS^* Verbindungen herzustellen haben. Schon im Kriege 1870 fand der Telegraph
Telegraphen- ^j^^ Weitgehende Anwendung im deutschen Heere. Den Kriegszwecken
wndangen. dieuteu B23 Stationen mit 23 330 Kilometer Leitung. Jetzt, wo die Heere
noch stärker geworden sind, ist die Frage, die Einheitlichkeit der
Operationen zu sichern, noch brennender geworden. Wenn der Höchst-
kommandierende heute nicht schnell von allen Teilen der Armee Mel-
dungen erhalten kann, so dass sich die Bewegung der Truppen ihm so
deutlich darstellt, wie die Züge auf einem Schachbrett, so wird ihm die
Führung, me weitreichend sein geistiger Gesichtskreis auch sein mag,
dennoch sehr erschwert werden.
Feld-Telegraphendienst in der deutsehen Armee.
(Legen «tnes Feld-Telegraphen durah eine Pionier-Abteilung.)
Neue Vorposten-Telegraphen.
Bau einer neuen Linie.
Elektrische Strom -Batterie. Abbau einer Telegraphenlinie.
M. 1. Binftgen Ul Saite II
Telephon- und Telegraphendienst in der fHnzösischen Armee
(während des Manövers).
Ein Posten am Telephon.
Schmalspurige Eisenbahn und Feld-Telegraph.
Innere Verbindung in der Armee. — Telegraphen und Telephons. IQl
Zum Bau von Telegraphenlinien stehen Mnnitionswagen mit den ^^^^j°*
nötigen Materialien zur Verftig^g, d. h. mit Leitungsdrähten, Batterien taiefnphsn.
und Apparaten. Die Feldstationen werden häufig nur für ein%e Stunden
errichtet und sodann eingepackt und weitergeführt. Für Verbindungen auf
kleine Entfernungen wird man in der Armee Drahtvorräte benutzen,
welche die Soldaten im Tornister tragen kOnnen.
Nachstehende Zeichnungen stellen die Einrichtung eines Feld-Tele-
graphen mit Wagen und das Telegraphieren auf dem Posten dar.
Einrichtung eines Feldtelegrapheu
Ausserdem werden Vorbereitungen getrofien, um Telephone in
grossem Maassstabe zu verwenden.
Beifolgend geben wir eine Zeichnung, die eine französische Abteilung l«»" '•»
darstellt, welche mit dem Legen von Telephonleitungen beschäftigt ist. idi»^!
Lpgen von TelephonleitunRen.
162 IL Die HO&mtteL
Bas vorstehende Bild ist so klar imd dentlich, dass es einer weiteren
Erklärang nictit bedarf. Die Mer gebotene kleinei'e Zeidinang zeigt uns
einen Telephonapparat mit einer beträchtlichen
Menge von Reserve-Leitungsdraht. Der Apparat
wird vom am Gürtel getragen, wie wii- das aaf
dem umstehenden grossen Bild bei einer der
Figoien sehen, die Leitungsdrähte mit sich führen.
' Auf ein völlig reguläres und zuverlässiges
1. Funktionieren der Feldtelegraphen nnd -Tele-
phone ist jedoch nicht zu rechnen. Selbst während
der Manöver in Oesterreich am Tejaflusse zer-
rissen die Soldaten beständig die Drähte an
den schnell hergestellten Linien. Während des
Lärms und des Dranges der wirklichen Schlacht
aber wird die Benutzung der Feldtelegraphen und
-Telephone jedenfalls in noch erhöhtem Maasse erschwert sein.
Apparat mit Bes^rvedraht.
d) Optische Apparate.
BrfentoBd -^ij. haben schon wiederholt darauf hingewiesen, kommen übrigens
der opÜKheu ° °
KomnaDi- darauf auch noch in den folgenden Kapiteln zorlick, dass die beständige
Verbindung der einzelnen Arraeeteile untereinander eine der wichtigsten
Bedingttugen ist, von denen der Erfolg auf dem Schlachtfelde abhängt.
Im Zukunftskriege werden zu den früheren Verbindungsmitteln ausser den
Telegraphen und Telephonen auch optische Signale hinzutreten. Die Ver-
wendung der optischen Signale ist so alt wie der Krieg selbst, jedoch
deren systematische Verwendung wird in dem Zukunftskriege in nie
dagewesenem Maasse vorkommen.
KomBui- Der französische Kriegsminister hat im Juni 1886 eine Instruktion
T«miiMM über die Aufrechthaltung der gegenseitigen Verbindungen mit Hilfe von
zeicbBD. gßjiiijgjj erlassen. Darin ist unter Anderem gesagt, dass die bei jedem
Truppenteil für eine bestimmte Anzahl von Mannschaften eingeführten
Hebungen, durch Signale miteinander in Beziehung zu treten, den Heeren
ein neues, vollkommen einfaches Mittel bieten sollen, welches im Be-
dürfnisfalle alle anderen Mittel ersetzen kann.
Die S^ale werden aus Strichen und Punkten nach dem System
des Telegraphen-Apparats „Morse" zusammengesetzt nnd jeder Truppen-
teil hat eine bestimmte Anzabl von Zeichen zur Verfügung.
Am Tage werden die S^ale mittelst quadratischer Schilde weiter-
gegeben, oder, wenn's an solchen fehlt, mit Hilfe anderer Apparate.
Das Signalschild soll unter gewöhnlichen Verhältnissen auf 1000 Meter
Entfernung sichtbar sein.
Der optische Telegraph im Manöver.
Die Semaphorsystsme in der deutsehen
Armee:
Gebrauch. zusammengeklappt.
Der optische Telegraph auf dem
Beobachtungspunkt.
Park und Bedienungsmannschaft eines optischen Telegraphen in den
französischen Manövern im Jahre 1894.
Bd. 1. Elnnrns twi a<
Innere Verbindung in der Armee. — Optische Apparate. X63
Eine Reihe yon Zeichnangen, welche wir in der Beilage beifugen, sig»»«-
geben ein Bild davon, auf welche Weise die Signale bei Tag nnd Nacht ^a«"'
übermittelt werden.i) «dL«i>ut..
Der Licht-Telegraph, der in seiner Konstruktion komplizierter ist
und spezielle Vorkehrungen erfordert, hat in der letzten Zeit gleich-
falls grosse Fortschritte gemacht. Mit Hilfe optischer Gläser kann man
die Strahlen, welche von irgend einem leuchtenden Körper ausgehen
(wie in folgendem Bilde gezeigt wird, von einer Lampe), fixieren.
Licbt-Signalapparati.
4 nEncyclop^die des connaiasances militaires", und „Traite de Töl^graphie
optique applifiiiöe aux Arts militaires" par R. von Wetter.
134 n- ^e Hil&mitFteL
Das Licht wird anf den Punkt konzentriert, mit welchem die Ver-
bindtmg erfolgen soll, und man empfängt sodann mit Hilfe farbiger Gläser
und Wandschirme eine grosse Anzahl von Signalzeichen, welche man
dnrch starke Femrohre anf sehr grosse Entfernung wahrnehmen kann.
ErTuknDK«!! DiB OcsterTeicher stellten im Jahre 1859 mit Hilfe des optischen
i'o ism" Telegraphen einen regelmässigen Nachrichtenverkehr zwischen den
4«'ob^t Festungen Mantna und Verona her, die B5 Kilometer von einander ent-
Hugtn. fernt sind. Die grOsste Verbreitung geniesst jetzt von dieser Gattung
der Apparat des Oberst Mangin, der aus zwei Teilen besteht, einem
„Absender" und einem „Empfänger". Im ersten Teil, im „Absender",
ist die Lichtquelle plaziert, eine Lampe oder ein grosser die Sonnen-
strahlen konzentrierender Spiegel -Reflektor.^)
Es wild behauptet, dass mit Hilfe eines Rohres von 0,45 Meter
Durehmesser, welches von einer Petroleumlampe Licht empßlngt, man bei
günstigen atmosphärischen Verhältnissen auf Entfernungen von 80 bis
100 Kilometer wirken kann.
Fruisiuciu Hennebert behauptet, dass in Frankreich heliographische Apparate
gnipfa«. auf BO— 60 Kilometer Entfernung wirken, andere auf 90—130 Kilometer
und bei klaren Tagen sogar bis 200 Kilometer.*)
HeliograpliiBoher Apparat in Funktion,
Ausserdem wei-den noch eine ganze Reihe von Apparaten gebaut,
die für den Nachtdienst bestimmt sind.
• Das Urnmmond'sche Kalklicht, auch Kreidelicht genannt, ist be-
sondei-s wichtig. Es ist nächst dem elektrischen das hellste Licht, das
dadurch erzeugt wird, dass man einen Kreidestift durch einen starken
Strom brennenden Wasserstoffgase.s in weissglülienden Zustand versetzt.
Zu Signalzwecken befindet er sich in einer auf einem Stativ befestigten
') „BibliotböquB dos actiialit<;s scii'ntifuiues".
') Hennebert; „L'art militairo et la scienco". Ea -will uns aber .scheinen,
dass die Uebennittelung optiHclier Signale auf so grosse Entfernungen wie 200 Kilo-
metur wabrscheinlich nur bei Eiuricbtung von Observatorien auf AabShen und
überhaupt nur bei ganz besonders günstigen Terrain- und Luftverhaltniasen
möglich ist.
Innere Verbindung in der Armee. — Optische Apparate. 165
Laterne mit zwei starken Linsen, die duixli eine Druckvonichtnng rasch
geschlossen und geöffnet wiixl, so dass durch einen leichten Druck Licht-
blitze erzengt, Punkte und Striche signalisiert werden können.
Die Wirkung des Kreidelichtes erstreckte sich in dunklen Nächten,
selbst bei ungünstigen LuftveHiältnissen, bis auf 30 Kilometer, doch ist
es unter günstigen Verhältnissen, wie in Südafrika, noch auf 67 Kilometer
Entfernung verwandt worden. Seine intensiven Blitze sind sogar bei
Tage noch aof verhältnismässig grossen Entfernungen sichtbar.
Nachstehendes Bild zeigt die Verwendang der Kreidelicht-Signal-
lateme in der russischen Armee.*) ■
Verwt^ndung der Kreideliclit-Sigiiallaternc in der ruasisciien Armee.
Da Nowogeorgijewsk von Warschan nur 27 Werst (etwa 30 Kilo- Brfent««
meter), Iwangorod von Warschau 84 Werst (ca. 90 Kilometer) entfernt 181,^*"^""
so werden diese Festungen bei Unterbrechung ihrer Kommunikation durch ''^^^'
den Feind im Stande sein, mittelst Liebtsignalen zn verkehren, was '""!«*•»
der Feind nicht hindern kann. Brest ist von Warschau 200 Werst '''^
(ca. 214 Kilometer) entfernt; folglich ist bei Einrichtung von nur einer
Zwischenstation ein heliographischer Verkelir auch zwischen diesen
Festungen möglich. Es muss jedoch bemerkt werden, dass die An-
wendung derartiger optischer Telegraphen viel Mühe and Grenauigkeit
erheischt.
*) Aus der „Leipziger Illuatrierten Zeitung", I
166 n. Die Hilfsmittel.
Charles Dilke hat sich bei den französischen Manövern davon über-
zeugt, dass der Heliograph trotz guten Wetters wegen ungeschickter
Handhabung nur massigen Erfolg hatte.
^m'^^mi"** ^ deutschen Heere hat man Signalversuche mit einem so starken
ButMD. Magnesia-licht gemacht, dass selbst die Sonnenstrahlen nicht störend
wirken konnten. Bei günstigen Verhältnissen können derartige Signale
auf 50 Kilometer Entfernung wahrgenommen werden, wenn Konstruktion
und Ausführung der Lampe völlig tadellos sind und mit ihr sehr vorsichtig
umgegangen wird. Im entgegengesetzten Fall wird das Magnesia-Band
nicht brennen und der Uhrmechanismus, der dies Band allmählich ab-
wickelt, zu wirken aufhören.
NeuMte Es vcrstcht sich von selbst, dass auf die Abstellung dieses Miss-
Fortschritte. °
Standes nicht wenig Mühe verwandt worden ist. Eine deutsche Firma hat
z, B. dem Kriegskomitee eine neue Lampe für die Signalisation vorgestellt,
bei der zur Erzeugung des Lichtaufflammens das Magnesium nicht in Form
eines Bandes, sondern in Pulverform zui- Verwendung kommt. Dies
Pulver verbrennt momentan im Focus des Reflektors mit Hilfe des
Pulverisators und der dazu eingerichteten Spirituslampe und so wird ein
blendendes Licht erzielt.*)
e) Hunde.
Kriegaknnde Schou die Altcu habeu in ihren Kriegen Hunde verwandt, um mit
in der Ver- ° '
gangeniieit. deu dcr feindlichen Linie nächstliegenden Punkten Verbindungen zu unter-
halten. Die zu übermittelnden Depeschen u. s. w. gab man den Hunden
zugleich mit der Speise zu fressen, tötete die Hunde am Bestimmungsort
und entnahm den Eingeweiden ihren Inhalt. Ende des 17. Jahrhunderts
wurden auf den Grenzposten in Dalmatien und Kroatien Hunde darauf
dressiert, das Herannahen der Türken anzuzeigen. Man richtete sie ab,
bei dem Anblick muselmännischer Soldaten zu bellen und Hinterhalte
ausfindig zu machen.
KriftgBhunde In unserer Zeit ist der Gedanke, Hunde für Kriegszwecke zu ver-
in niuerer
Zeit wenden zuerst in Deutschland aufgetaucht. Darauf überzeugten sich die
Oesterreicher in Bosnien und der Herzegowina praktisch davon, dass sich
Spürsinn und Witterung der Hunde für Kriegszwecke verwerten lassen.
Die anderen Heere sind dem Beispiel dieser beiden Staaten gefolgt.
Dreisor Yon Wir gcbcu aus der „Militär-Zeitung" einige interessante Details
hunderin Über die Dressur* der Hunde. In der deutschen Armee gewöhnt man
Deatwjhiand. ^j^ Hundc darau, sich gegen Personen in fremdländischer Uniform miss-
trauisch zu verhalten und ihr Vorhandensein anzuzeigen. Jede Schützen-
^) „Neue müitär. Blätter". 1892 Bd. VI.
Kriegshunde.
Hunde der russischen Armee.
Hunde der franiösisohen Armee.
1. I. Eiin«u bei Bfilt
Innere Verbindung in der Armee. — Hunde. 167
kompagnie dressiert zwei oder drei Hunde für den Rekognoszierungsdienst.
Bei der Lagerwache befinden sich viele solcher Hunde und ein Hund wird
dem weit vorgeschobenen Posten mitgegeben. Dieser Hund trägt ein
eisernes leichtes Halsband, an welchem ein Ledertäschchen befestigt ist.
Wenn der Posten in der Nähe etwas Verdächtiges bemerkt, lässt er den
Hund los, um zu erkunden, ob sich Freund oder Feind naht. Der Hund
erkennt schon von Ferne, mit wem er es zu thun hat und kehrt zurück ;
aus seiner Haltung, seinem Bellen schliesst der Posten, ob ihm irgend
welche Gefahr droht oder nicht. In der Nacht muss der Posten aus dem Taktik
für Unnde.
Geknurr des Hundes erkennen, ob der Feind sich vorwärts bewegt, auf
einer Stelle steht u. s. w. Dann zieht sich der Posten entweder zurück,
um dem Führer Meldung zu machen oder bleibt auf seinem Platze,
schreibt seine Meldung und steckt sie in das am Halsbande des Hundes
befestigte Täschchen. Dieser bringt dann die Meldung ins Lager.
Wenn der Feind sich in grösserer Anzahl nähert, so schickt der Chef
der Avantgarde zum Vorposten einen anderen Hund, welcher die In-
struktion überbringt, was zu thun ist. In jedem Falle erregen die
Warnungen des Hundes Aufmerksamkeit und mahnen zur Vorsicht.
Nach Märschen oder Gefechten werden die dressierten Hunde zur
Aufsuchung von Marodeurs, Verirrten und Verwundeten verwandt. Beim
Aufsuchen der Verwundeten, die bereits ihr Bewusstsein verloren, sind
erstaunliche Resultate erzielt; der hierauf dressierte Hund steht bei dem
Verwundeten und bellt so lange, bis Hilfe erscheint.
Die russische und die französische Armee haben gleichfalls dressierte HnndÄdrewiir
in BüMland
Hunde. Schon im Jahre 1887 hatte bei den Manövern des 9. französischen und
Armeekorps jedes Regiment vier Hunde. Um die Witterung und Spür- ^"°*^"*®'*'
kraft jedes Hundes festzustellen, wurden zwei oder drei Leute aus-
geschickt, welche sich bemühten, den Posten festzunehmen, oder ohne
Geräusch durch die Wachen zu schleichen. Diese Versuche wurden sofort
entdeckt; der gut dressierte Hund knurrte, aber bellte nicht. Auch
das Ueberbringen von Befehlen und Meldungen führten diese Hunde
trefflich aus.
Wenn das Regiment marschiei-t, so müssen die Hunde an der Koppel
geführt werden, da sie sich sonst auf jeden stürzen würden, der nicht die
ihnen bekannte Uniform trägt.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Hunde bisweilen sogar dorthin
vordringen können, wohin der Soldat niemals gelangt; sie laufen sehr
rasch, ohne jedes Geräusch und sind im Stande die schwierigsten Hinder-
nisse zu überwinden und verhalten sich gegen das Pfeifen der Kugeln
in der Regel völlig gleichmütig.
I
Igg n. Die Hilfsmittpl.
Änf nachstehender Zeichnaug sehen wir einen Hnnd, der bei den
Manövern Verwondete aufsacht
Hund, der auf dem Schlachtfelde VenvunJete aufsucht.
sibvKb* Die Verwertung von Hnnden im Kriege hat jedoch aucli ihre
d« sienii« schwache Seite. Wie klug und wohldressiert ein Thier auch sei, anf
*H^nd«." Alles lässt es sich nicht eindressieren. Durch die Hunde kann zu-
weilen im Lager ein ganz unnützer und liänfig sogar schädUclier
Ällarm entstehen; sie können zuweilen ein unnützes Bellen erheben,
wenn sich ihnen ein unbekannter Mensch, ein fremder Hund, ein Hase
nähert ü. s. w.
ün- Jedoch trotz aller Missstände, welche die Verwendung von Hunden
" *i.Df " im Kriege haben kann, ist es unmöglichj auf sie zu verzichten, um nicht
die Hand» jjjjjgp jgjjj Gegner zurückzubleiben. Jedes nene Vorzüge bietende Mittel
Tenwhisn, gjchert, wenu es nur auf einer Seite gebraucht wii'd, dieser nicht nur
den unmittelbaren Erfolg, sondem übt gleichzeitig auf der anderen Seite
eine schädigende Wirkung auf die Haltung der Truppe aus.
Die in Tours 1889 vorgenommenen Versuche liaben ergeben, dass
Hunde das beste Mittel zur Aafrechterlialtung der Kommunikation sind.i)
') „Sciences militairos".
Kriegfshunde in der deutsehen Armee.
Ein Detachement mit Hunden Bmpßingt Weisungen vor den Manövern.
Hunde mit Munition.
(Hunde führen der Qefechtelinie Munition zu.)
Innere Verbindung in der Armee. — Photographisclier Apparat. 169
Es koukurrierten Kavalleristen, Radfahrer und dressierte Hunde. ^®'^
, vergleich der
Die erste Prüfung geschah bei einer Entfernung von 6 Kilometern auf Tauben,
ebenem Wege. Zuerst kamen die Hunde in 14 Minuten an, obwohl sie Hunde^und
unterwegs noch eine Minute zur Löschung des Durstes verwandt hatten ; ^J*^^^^.
die Eadfahrer langten in 15 Minuten an, die Kavalleristen auf Pferden kations-
von mittlerer Schnelligkeit in 24 Minuten, wobei sie Vs des Weges im
Schritt, 2/8 ™ Trab gemacht hatten.
Bei der zweiten Pi-üfung waren 3 Kilometer zurückzulegen: für
Kavalleristen und Hunde direkt mit Durchschneidung eines Feldes, für
Eadfahrer auf ebenem Wege. Die Hunde kamen in 7 bis 8 Minuten an,
die Radfahrer in 8 bis 9 Minuten, die Kavalleristen in 16 Minuten.
Wenn wir alle Mittel der Feldkorrespondenz, darunter auch die Erforderliche
Taubenpost, mit einander vergleichen, so ist die mittlere Zeitspanne, die zur znrack-
für die Durchmessung von 1 Kilometer nötig ist, folgende: ^kuÖLSJT
Für Posttauben 1 Minute
„ Hunde 2 Minuten
„ Radfahrer (gut ausgebildet) .... 3 „
„ Militäipferde im Galopp 3 „
n » n T-Täb 4 „
Graphisch ausgedrückt erhalten wir für die Zeit, welche zur Ueber-
mittelung der Feldkorrespondenz auf 1 Kilometer Entfernung nötig ist
(in Minuten) folgendes Bild.
Posttaubon
,_ i
3
3
Hunde
Z- 1~__ _ _ , . - ~
- 2
Radfahrer
_r- .:::— . ■ -— -. _-^ :
— __: - _
Militärpferde im Galopp
_^-
__- -
Militärpferde iiu Trab. .
^ _
— t— — --
^ -
1
- — — -- — ^ —
1
Tauben sind demnach die besten Boten; ihre Verwendung jedoch Poigerongeo.
macht, wie bekannt, besondere Verhältnisse und Vorkehrungen nötig,
welche sich nicht immer und überall in gleicher Weise schaffen lassen;
auch die Verwendung von Hunden ist nicht immer gleichmässig günstig;
Reiter stehen den Radfahrern nach, so dass man sich ersterer viel
weniger als in früheren Zeiten bedienen wird.
f) Photographische Apparate.
Bei der Uebermittelung von Nachrichten im Kiiege kommt es natür- schwierig-
lieh vor Allem darauf an, dass sie genau und deutlich sind. Die persön- in der ueber-
lichen Eindrücke des zur Kundschaft ausgesandten Boten, seine Gefühle, ^^y^^?^„
seine subjektive Stimmung können auf die von ihm zu übermittelnden Nachrichten.
170 II- I^ie Hilfsmittel.
Nachrichten einwirken and anter Umständen die Thatsachen nicht im
richtigen Licht und nicht mit der nötigen Deatlichkeit zor Darstellnng
hringen. In allen Heeren nimmt man dahev behufs genaaer Uebermittelnng
der vorgefnndenen Zustände zu speziell dafüi- eri'andenen mechanischen
Vorrichtungen seine Zuflucht.
rT'hil^h. Offiziere oder Unteroffiziere, welche sich mit der Position des
Aifniknia Feindes bekannt machen sollen, verfügen über einen photographischen
ibiBdiiciun Apparat. Wegen der voranssichtliclien Wachsamkeit der feindlichen Posten
Poiiuon. jjjjjjjj gjjjjj ^gj. Rekognoszierende jedoch nicht lange auf einer Stelle auf-
halten, ohne sich grosser Gefahr auszusetzen; er wird durch Gebüsche
und unter Benutzung anderer Deckungen sich an die Stelle heranschleichen
müssen, von wo aus er einen kleinen Teil der feindlichen Position er-
blicken kann. Dann wird er eine Reihe von Momentphotographien auf-
nehmen und diese mit dem Hände seiner Truppe zuschicken. Hier
wird man die mit Hilfe des Sonnenlichts skizzierte Abbildung, nach-
dem diese hervorgerufen worden ist, dnrch ein Sonnen- oder starkes
Licht -Mikroskop auf einen Wandschirm übertragen und die Beschaffen-
heit des Geländes genauer kennen lernen, als sie der kunstreichste
Topograph bei den günstigsten Bedingungen wiedei^eben könnte. Nach-
folgende Zeichnungen gehen Bilder der photographischen Apparate, i)
Photograpbischer Apparat.
TaniniKUf Uuläugst slud vervollkommuete photographische Apparate erfunden
gnphiKhir (photosphöres), die an Fahrrädern befestigt nnd von so einfacher Kon-
'Su struktion sind, dass sie leicht und schnell vom Fahrrad abgenommen
F»hrtM»rB. jjj)^ YQjj einer Stelle zur anderen gebracht werden können. Der zur
Rekognoszierung ausgesandte Radfahrer wird mit dem Apparat aus-
gerüstet und erhält zur Reserve einige Kästchen, Jedes mit zwei Negativen.
Zur Anfnalime zweier Bilder genügt eine halbe JOnute. Auf 30 Schritt
Entfernung bedürfen die Objektivs keiner Regulienuig mehr und alle
') Heonebert: ^'art militaire et la Bcience".
Innere Verbindung in der Armee. — Photographischer Apparat.
171
Einzelheiten der Ansicht treten bei günstiger Beleuchtung genügend
relief artig hervor. Folgendes Bild zeigt uns einen Hund, die Aufnahmen
zum Kommando tragend. 2) Das
empfindliche Negativ hat vor dem
Netzhäutchen des Auges den Vor-
zug, dass es Allesvordem Objektiv
Befindliche bis auf die kleinsten
Details aufnimmt und genau und
unverändert bewahrt. Dadurch
haben der Truppenbefehlshaber
und sein Stab die Möglichkeit,
eine sie interessierende Position
genau und ruhig zu untersuchen
und das Ergebnis ihrer Beob-
achtungen zu kontrollieren, ohne
Hände zar
üeb«r-
sendnng tob
Anfnahmen.
Hund, Negative tragend.
befürchten zu müssen, dass sie sich in Folge von Irrtümern oder Versehen
der Rekognoszierenden auf irrigem Wege befinden.«)
Gegenwärtig sind zur Aufnahme von grossen Entfernungen auch Tele-
objektivs erfunden, mit deren Hilfe unter günstigen Bedingungen Photo-
graphien auf 10 Kilometer Entfernung in V20 Sekunde aufgenommen
werden können. Aufnahmen werden gemacht nicht nur auf Glas, sondern
auch auf durchsichtigen Celluloidplatten (Films). Obgleich die Teleobjektive
nur kleine Flächen aufnehmen, so kann man doch bei allmählicher Drehung
der Kammer auf dem Celluloidbande eine ganze Reihe von Darstellungen
erhalten, die sich, etwa nach Art eines Panoramas, aneinanderschliessen.
Die auf folgender Seite gegebene Zeichnung *) veranschaulicht photo-
graphische Aufnahmen mit Hilfe des Teleobjektivs und nach gewöhnlicher
Methode. Die Teleobjektivs werden aller Wahrscheinlichkeit nach in der
französischen Armee eingeführt werden. Für die deutsche xArmee ist die
Herstellung solcher Teleobjektivs den bekannten Optikern Stengel und
Dalmeyer übertragen.
Trotzdem kann die Photographie im Kriege keine besonders aus-
gedehnte Anwendung finden, da ihre Benutzung zur Rekognoszierung der
Positionen in der Nacht oder bei Regen, Nebel, Schneefall und wenn sich
die Gegenstände im Schatten befinden, oder die Sonne blendet, völlig
unmöglich ist.
Aber die neueste Technik ist noch weiter gegangen; gegenwärtig
nimmt man Geländeteile mit Hilfe eines kleinen an einem Luftdrachen
') Jupin: „Les chieos militaires".
3) Charles Lavanvelle: „Recoimaissances photographiques". Paris 1892«
*) Die Zeichnung ist aus der „Revue universelle" 1894 entlehnt.
Tel»-
objektiv«.
Vergleich
gewöhnlicher
nnd tele-
objek-
tivisoher
Aufnahmen.
Un-
snverlftssig-
keit der
Photographie
im Kriege.
Photo-
graphische
Aufnahmen
dorch
Lnftdrachen.
II. Die Hilfsmittel.
Bild dnrah
Vergleich der Aufiinhmen A mit Teleotjeküv und B nach gewöhnliclier Methode.
befestigen pliotograpliisclien Apparats anf, dessen Konstruktion derartig
ist, da.ss er seinen Standplatz niclit verändert. Das Objektiv öfi'net sich
mittelst einer Sthnnr, die sich in den Händen des Aufiielimenden befindet.
Auf diesem Wege wird man sicliere Aufnahmen der feindliclien Positionen
weit schneller erhalten, als mit Hilfe von Fesselballons.
Indessen nur die Zukunft kann uns zeigen, inmeweit die erzielten
Resultate den gegenwärtigen Anforderungen entsprechen.
Mittel zur Beobaclitung. — Bewe^iche Observatorien. 173
2. Mittel zur Beobachtung von Truppen-
bewegungen.
Alle oben beschriebenen Mittel sind noch nicht im Stande, den ein- "«i-
zelnen Teilen der Armee die volle MiJglicIikeit einer Verbindung nnter "'"nL"
einander and der Sammlung von Nachrichten über den Feind zu sichern, ^bMhtau^
Die Vervollkommnung der Waffen hat die Kämpfer von einander entfernt, ''^"'
so dass die Schlachtfelder sich jetzt 20 bis 30 Kilometer weit auseinander- jetiigei. ver-
ziehen , wobei auch keine Baccherscheinung die gegnerische SteUung a„ K^°i.
venät. Schützenketten veracldeiern und decken die einzelnen Auf-
stellnngen. Man muss nach der nur unzuverlässigen und in Bezug auf
Entfernungsbestimmung schwer kontrolierbaren SchalMchtnng der Schüsse
sich zn orientieren suclien. Ohne Kenntnis der Entiemung aber lässt
sich weder für Gewehre noch fiir Kanonen das Visier stellen. In Folge
dessen müssen die heutigen Armeen über bewegliche Observatorien ver-
fügen, von denen aus die Kommandierenden die Positionen und Be-
wegungen des Feindes und gleichzeitig auch die der eigenen Truppenteile
beobachten können.
a) Bewegliche Observatorien oder Ausluge.
Nicht jede Oertlichkeit, in Einriciimiig
welcher während des Krieges zu vorweBdong
oi)erieren sein wird, ist an Terrain- polttHsr
erhohnngen reich, die als Ob- Trepp«ii omi
servationspunkte dienen können ;
daher wird man häufig zu künst-
lichen Aasingen seine Zuflucht nehmen
Die bezüglichen Proben hahfen
ein b&stimmtes Eesuttat ergeben.
Alle Armeen verfügen über Leitern,
denen ähnlich, welche die Feuer-
wehr gebraucht , oder über leicht
transportable Gerüste aus leichten
Stangen.
Die Leiter bestellt aus drei
aoseinanderscliiebbaren Teilen und
wird auf einem besonderen Gefährt
transportiert. Dei- Kundschafter
findet auf der Höhe der fjeiter
eine Plattform mit Geländer und Obaervationsieiter.
TL Die Hilfsmittel.
Observationsgerüst.
ein Pnlt für Apparate and Zeichen-
instrumente. Mit Hilfe von Hanögriffen
schiebt die Bedienung die Leiter aus-
einander und bringt so den Beobachtenden
auf die erforderliche Höhe.
Die Tru ppen , welche sich aus vor-
bereiteten Stellungen zu verteidigen haben,
bauen besondere höhere und umfangreichere
Obsei-vatorien.
Die hier gegebenen Zeichnungen solcher
Ausluge haben wir den Werken: Hennebei-t,
„L'art militaire et la science", Brunner,
„Feldbefestigung" und aus dem russischen
„Ingenieur-Jonmal" entlehnt.
Observationsausluge .
flichsBdber-
Die Observatorien, besonders die beweglichen und leiterai-tigen,
können ihrer Konstruktion nach nicht allzuhoch sein; von ihrer Höhe
vermag das Auge nur einen unbedeutenden Raum zn überblicken, so dass
' sich ihrer hauptsächlich nur die Führer kleiner Truppenteile bedienen
werden.
Die Heerführer müssen durchaus die Möglichkeit haben, aus der
Vogelperspektive grosse Ausdehnungen überblicken zn können, wozu
Luftballons dienen, an deren Vervollkommnung auch für Kriegszwecke
man eifrig arbeitet.
Feld-Observatorien.
Mittel zur Beobachtung. — Luftballons zur Observation. 175
b) Luftballons zur Observation.
Die Rolle der Luftballons im künftigen Kriege wird, wie wir ^°**^®^
weiterhin darlegen werden, vor allen Dingen darin liegen, dass es mit Lanbauons
ihrer Hilfe möglich sein wird , sich über die äusserst zerstreuten Nachrichten-
eigenen und feindlichen Positionen zu orientieren. Lieutenant Brough »™™^"°?-
sagt: „In den Kriegen der Zukunft, wo beide Seiten mit gewaltigen Massen-
heeren auftreten und die Front der Kampflinie sich auf eine sehr grosse
Strecke hin ausdehnen wird, wird man mit Hilfe der Luftballons solche
Nachrichten über die Kräfte und die Lage des Gegners erhalten, zu deren
Einziehung die Kavallerie in den meisten Fällen sehr empfindliche Verluste
erleiden müsste, ganz abgesehen davon, dass selbst bei den günstigsten
Bedingungen diese Nachrichten doch weniger genau wären".
Luftballon-
Arten.
Die Luftballons pflegen dreierlei Art zu sein:
1. sogenannte Ballons captifs, die mit Tauen befestigt und mit
einem eigenen Generator versehen sind,
2. freie Luftballons und
3. lenkbare Luftballons.
Die Luftballons werden aus einem besonderen Seidenstoffe (Ponghee- L^JJ^^iiJ^g
Seide) hergestellt, welcher auf beiden Seiten mit Lack bedeckt ist. Der
Stoff wird dadurch für Gase weniger durchdringbar gemacht, so dass
der Luftballon in 24 Stunden nur B % des in ihm eingeschlossenen Gases
verliert.
Die Ballons haben gewöhnlich 10 Meter im Durchmesser, ihr Um- ^«"^^^"^k
fang beträgt 500 bis 600 Quadratmeter. Das Aufsteigen des Luftballons be- notwendigen
Hebekraft.
ruht darauf, dass der Ballon mit einem Gase gefiUlt wird, das bedeutend
leichter als Luft ist, vornehmlich mit Wasserstoff- oder Leuchtgas (ur-
sprünglich füllte man die Ballons mit erwärmter Luft). Die Intensität
dieser Kraft ist gleich der Differenz zwischen dem Gewicht des ganzen
Ballons (samt Vorrichtungen und Insassen) und dem Gewicht desselben
Luftvolumens.
Die Eechnung ist sehr einfach. Ein Kubikmeter Luft wiegt an-
nähernd 1,290 Kilogramm, dasselbe Volumen Leuchtgas nur 0,680 und
Wassergas 0,09 Kilogramm. Ein Kubikmeter Leuchtgas ist also 0,61 Kilo-
gramm leichter als Luft, ein Kubikmeter Wasserstoff 1,2 Kilogramm,
d. h. ein Ballon von 600 Kubikmeter Umfang wird 366 Kilogramm leichter
sein als Luft, wenn er mit Leuchtgas gefüllt ist, und 720 Kilogramm
leichter bei der Füllung mit Wasserstoff. Diese Ziffern würden die Heb-
kraft des Luftballons ausdrücken, wenn das Gewicht der Stricke, der
176 n. Die Hilfsmittel.
Gondel u. s. w. gleich. Null wäre. Um eine genaue Vorstellung von dem
wirklichen Gewicht zu erhalten, muss man die Summe der Schwere der
erwähnten Gegenstände von der Hebkraft des Ballons an und für sich
abziehen.
^"^^ra*""^ Aus den angeführten Ziffern ist ersichtlich, dass zur Füllung des
puiung der Ballous am Besten Wasserstoffgas verwandt wird, da dieses Gas als das
leichteste eine doppelt so grosse Hebkraft giebt. In fast allen Heeren
wird deshalb vorzüglich Wasserstoffgas gebraucht, welches das Leuchtgas
völlig verdrängt hat.
Da das Gewicht des Luftballons gewöhnlich bis zu 250 Kilogi-amm
geht, und das Gewicht von zwei Personen etwa 150 Kilogramm beträgt,
so erhebt sich der mit Wasserstoff gefüllte Ballon mit einer Kraft, die
320 (720 — 400) Kilogramm gleichkommt.
Das Gas zur Füllung des Ballons wird entweder am Aufstiegs-
orte hergestellt oder schon fertig in metallenen Eöhren-Eeservoirs mit
dem Ballon mitgeführt. Im erstem Falle kommt vorzugsweise der Gene-
rator (Apparat zur Herstellung des Gases) System „Yon " und „Lachambre"
in Anwendung.
Der G». Der Generator besteht aus einem Metallgefäss; in dieses schüttet
Generetor.
man Eisenfeilspäne und verschliesst es dann hermetisch ; darauf führt man
von unten in den Apparat eine Wasserlösung von Schwefelsäure (im Ver-
hältnis von 1 : 6 oder 1:9). Während einer Stunde erzeugt der Apparat 200
bis 250 Kubikmeter Wasserstoffgas, so dass zur Füllung des Ballons etwa
2V2 Stunden Zeit nötig sind. Der Generator erfordert: Schwefelsäure
3000 bis 3200 Kilogramm, Eisenfeilspäne 2000 bis 2500 Kilogramm und
gegen 40000 Kilogramm Wasser. Wie aus diesen Ziffern ersichtlich ist,
werden die Armeen grosse Mateiialvorräte mit sich zu führen haben.
Kosten Die Ausgabeu für Füllung eines Ballons betragen bis 700 Mark,
' die täglichen Nebenausgaben 40 bis 50 Mark. Das Gewicht des zur Gas-
herstellung dienenden Apparats beträgt 2900 Kilogramm.
Gefesselte Die Ballons werden mit Hilfe einer Winde gefesselt gehalten, die
durch eine besondere Dampfmaschine in Bewegung gesetzt wird. Wenn
der Ballon sich bis zur grössten Höhe erhoben hat, d. h. der ganze Strick
sich abgewickelt hat, so sind zehn Minuten erforderlich, um den Ballon
wieder zur Erde herabzubiingen.i)
Wir geben nebenstehend Zeichnungen des Apparates zur Herstellung
des Gases sowie der Winde.
') Aus dem Werke: Espitalier, „Les ballons".
Oasb
1
FQU
D
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G
Mittel zur Beobachtung. -
Appanit zur Herstellung von Gas. Winde für Luftbaltona.
Zum Transport einer ganzen Feldstation von Lnftballons fianzö-sischen Tmuport
Systems sind 10 bis 15 Trainwagen nötig; ist eine Gegend w.'-..!Serarm, LnnbliioB.
so ist auch noch ein Wasservorrat mitzuführen.
Auf nachstehender Zeichnnng stellen wir die Art des Transports von
Luftballons dar, die auf den französischen Manövera von 1892 znr An-
wendung gelangte.
Die englischen Luftballons nnteischeiden sich von dein in Frankreich '
angenommenen System. Ihre Hülle wird aus einer besonders i)räparierten
Haut hergestellt; sie sind weit leichter, tragen aber nur einen Passagier.
178 II- I*ie Hilftmitfel.
An stelle des Apparats zur Herstellung von Gas wird bei ihnen fertiges
Gas verwandt, das in besondere Köliren gepresst wird, so dass die Nähe
von Wasser nicht erforderlich ist und die Fiillang des Ballons im Ganzen
eine Viertelstunde dauert. In der deutschen Armee zieht man daher
diese Ballons vor.
Die eisernen oder stählernen Resei-voirröhren haben einen Quer-
schnitt von 13 Centiinet«r und eine Länge von 21/3 Meter; die Wanddicke
beträgt 3 Millimeter; das dann enthaltene Gas hat eine dem Druck von
100 bis V20 Atmosphären entsprechende Dichtigkeit.
Nachstehende Zeichnung illustiiert die Füllung des Ballons beim
!' Manöver.
Die Fahr/enge, auf denen sich die Röhren befinden, stehen neben
dem Ballon und eine Röhre nach der andern wird dnrch einen Schlauch
mit dem Innern des Ballons in Verbindung gesetzt. Der Luftballon ist
als schon zur Hälfte gefüllt abgebildet, nud da die Füllung gleichzeitig
von fünf Stellen aus erfolgt, so kann sich der Ballon in längstens einer
Viertelstunde bereits erheben.
.^si^^'rr'^^' _, „ ^f' -:.- '.-.^im^
Füllung des Ballons.
r Beobachtang. — Litttballons cur Observation.
Auf solche stellen, wohin das Fahi-zeug mit Röhren in Folge seiner
B. auf Bei'ge oder auf sandige
Schwere nicht gelangen kann, wie i
und mit Steinen besäete Meeresufer
(die Versuche mit Fesselballons
sind aach anf Kriegsschiffen an-
gestellt), wü'd das Gas in kleinen
Ballons übergeführt, wie neben-
stehende Zeichnung darstellt; die
kleinen Ballons werden mit dem
grossen Ballon in Verbindung ge-
bracht und latisen in letzteren
hinein ihr Gas aasströmeo.
Auf der umstehenden Zeich-
nung erblicken wir einen Ballon,
der beim Manöver aufgestiegen
ist und nunmehr wieder zur Erde
herabgezogen wird. Dieser Ballon
soll am nächsten Tage noch einmal
aufsteigen.
Deshalb lässt man ihn
zum grösseren Teil in eine tiefe
Grube hinunter und bedeckt
diese mit Erde. Die Feuchtig-
keit des Bodens giebt dem Ga^e
eine grössere Dichtigkeit and
vermindert die Menge des durch
die Umhüllung des Ballons aus-
strömenden Gases.
Vor dem neuen Aufstieg
werden dann einige Köliren Gas
hinreichen, am die verloren ge-
gangene Quantität zu ersetzen.
Gömig schreibt, dass man
in Rnssland einen Luftballon her-
stellt (von MO Kubikmeter Vo-
Inmen), zu dessen Füllung mit
fertigem Gas 160 Röhren erforderlich .sind. Ausserdem hat dem Ver-
nehmen nach der russische Ingenieur Latscliinow bedeutende Ver-
besserungen sowohl in der Konstruktion der Winden als auch in der
Gasherstellung eingeführt.
12*
Zuführung von Gas in kleinen Ballons.
IgO n. Sie Hilfinnittel.
GOrnig versichert, dass die Erfindungen Latscliinows die volle An-
erkennong der mssischeu Militär- nnd Gelehrtenkreise gefunden haben,
was ihren hohen Wert bezeuge.^)
KoDHrriniDg
d» GUH.
■■DgglxLer
Mit Erde umgebener Boilon.
OtguiHtin 1) Die MilitÄr-Zeitung „Minerva" berichtet auf Grund von Mitteilungen
«ehtüfthrt in ^^^ Kapltäna Kowanko, daes der in der rusaiscben Armee verwandte Fesselballon
Bnuiud. sich mit 3 Pasaagieren auf 470 Meter Höhe erheben kann, wobei Auf- und Abstieg
vermittelst Winden, die durch Dampfkraft bewegt werden, in woniger als fünf
Minuten erfolgen kaim. Bei einer solchen Hohe kann man unter gewöhnlichen
Verhältnissen ein Terrain von 8 Kilometer im Durchmesser überblicken, bei
günstigen Verhältnissen der Bodonflguration und der Beleuchtung bis 16 Kilo-
meter im Durchmesser, auf dem Meere aber vom Ufer aus eine doppelt so
grosse Fläche.
Ausser dem Lehr-LuftaeJiiffcrpark existieren in Rusalaad Festungs-Liift^
Mittel zur Beobachtung. — Luftballons zur Observation. 131
Betrachten wir nnn die Vorteile, welche Heerführer und Armeen
von den Lnftballons haben können.
Schon im Jahre 1861 hat während des nordamerikanischen Bürger- ^^^**
krieges ein Luftballon bei Richmond Dienste geleistet. Ihre Rolle bei Verwendung
der französischen Armee in den Kriegsjahren 1870/71 ist bekannt; Luftbauona.
besonders zahlreiche und wichtige Dienste haben sie Paris geleistet.
Als sich Paris jeder Verbindung mit der Aussenwelt vollständig jj^'^pjjj?'''?^
beraubt sah, ein Durchschleichen durch die Belagerungstiiippen absolut J»iire
undenkbar war, die Telegraphenkabel im Seinewasser von den Deutschen
vernichtet und zum Auffangen von unter dem Wasser in Geßussen ver-
sandten Depeschen und Briefen von den Deutschen Netze ausgespannt
waren, da blieb der Stadt Paris nur noch ein Mittel für den Verkehr
mit der Aussenwelt übrig — der Luftballon. Vom 23. September 1870 bis
zum Tage der Kapitulation sind aus Paris 64 Luftballons mit 91 Passagieren
und 363 Posttauben ausgegangen. Die ausgegangenen Depeschen und
Briefe repräsentierten ein Gewicht von 9000 Kilogramm. Von den Tauben
kehrten B7 nach Paris zurück mit etwa 100000 Depeschen und Briefen.
Die gewöhnlichen Post-Luftballons mit Gondel wogen je 10 Zentner; jeder
konnte eine Last von 19 Zentner tragen und sich 2300 Meter hoch
erheben. Gambetta und General Kemtry verliessen am 7. Oktober mittels
Ballon Paris; ihr Ballon landete zuerst bei Craües Angesichts einer
preussischen Wache, welche den Ballon für einen preussischen hielt und auf
ihn erst dann Feuer abgab, als die Insassen in Erkenntnis ihres In-tums
Ballast auswarfen und sich wieder zu erheben begannen. Gambetta wurde
durch eine Kugel an der Hand verwundet. Der Ballon ging später
in Montdidier nieder. Mittelst Ballons wurde auch am 22. Dezember ein
Offizier zu General Chanzy mit der Nachricht gesandt, dass Paris nur
noch für 4 Wochen Mundvorrat habe. Von 64 PostbaUons gelangten B6
glücklich an's Ziel; B wurden von den Deutschen aufgefangen, 2 gingen
spurlos verloren, wahrscheinlich im Meere, 1 wurde nach Norwegen ver-
schlagen. Dieser hatte 1500 Kilometer in 15 Stunden zurückgelegt.
Die Deutschen hatten im Kriege 1870/71 mit Luftballons wenig neutBche
Glück. Im September 1870 wurden in Köln Luftschiffer-Kommandos zu Re- L^ftbaiionii
kognoszierungen bei der Belagerung Strassburgs gebildet. Nach ver- ^J^yo/n'
schiedenen unglücklichen Versuchen stieg endlich am 24. September ein
Ballon auf, der übrigens nur eine Person mitführen konnte, aber ein
schifFerabteüungen in Warschau, Ossowza, Iwangorod und Nowogeorgyewsk.
Was die beweglichen Luftschifferparks betrifft, so ist in Russland die Frage über
das nötige Material noch nicht entschieden. („Militärische Verwendung von
Fesselballons im Allgemeinen und Thätigkeit der Militar-Luftschiffer in Russ-
land", 1893. Zusammengestellt nach den Artikeln des „Russki Invalid".)
X32 ^- ^i^ Hilfsmittel.
Starker Wiiid und dichte Nebel hinderten die Ausführung genauer Beob-
achtungen, obwohl sich der Ballon bis zu einer Höhe von 116 Meter erhob.
Trotzdem konnte der Rekognoszierende bruchstückweise die entferntesten
Befestigungen sehen und sich davon überzeugen, dass die Zitadelle in der
Stadt bereits in Trümmern lag. Darauf versuchte man abermals einen
Ballon auszurüsten, jedoch umsonst. An dem Tage, wo es gelang, ihn mit
Gas zu füllen, ergab sich Strassburg. Die Luftballons wurden nun nach
Paris gesandt, aber auch dort glückten die Versuche mit ihnen nicht, so
dass die Kommandos bald aufgelöst wurden.«'^)
Ballons im Während des Krieges Brasiliens mit Paraguay besichtigte der
Biiiaiiiiicheii brasilianische General Saksias täglich von einem Luftballon aus das feind-
Kneg«. jj^j^^ Lager.
Fehlen von Aufmcrksamkcit verdient der erstaunliche Umstand , dass die
Ballons '
im Kriege russische Armee im Kriege 1877/78 von Luftballons gar keinen Gebrauch
1877/78. jjjg^jjj-g gg unterliegt keinem Zweifel, dass, wenn die russischen Truppen-
kommandeurs bei Plewna Luftballons zu ihrer Verfügung gehabt hätten,
Gang und Resultat der Angriffe, besonders bei dem denkwürdigen Sturm
vom 30. August ganz anders gewesen wären.
Kriegs- Jetzt siud aller Wahrscheinlichkeit nach bereits alle Armeen in ge-
jeteteeit. nügcuder Weise mit Luftballons ausgerüstet, die bei stiller Witterung in
8 bis 10 Minuten bis zu einer Höhe von 600 Metern steigen können. In
der deutschen Armee hat man sich jedoch mit dieser Höhe nicht begnügt
und bereits Luftballons eingeführt, welche, wie die bei den Manövern 1893
angestellten Versuche zeigen, bis zu 1800 Meter steigen können. Treten
starke Winde ein, so muss sich der Luftballon herablassen; beträgt die
Schnelligkeit des Windes 7 bis 8 Meter in der Sekunde, so kann sich
der Ballon nur in einer Höhe von 100 Meter halten.
Bei klarer Witterung kann man in 600 Meter Höhe mit Hilfe
guter Fernrohre vom Luftballon aus eine Fläche von 15 Kilometer Radius
mit dem Auge umfassen und auf dieser Fläche die Stellung der Truppen
wahrnehmen. Vor dem Beobachter liegt das Schlachtfeld wie eine Karte
ausgebreitet; er bemerkt alle Sonderheiten der Bodenbeschaffung, er sieht
die Stellung und die Bewegungen der feindlichen Kolonnen, er kann über
die Absichten des Gegners ein Urteil gewinnen.
Versuche Viclc Vcrsuche mit Luftballons sind bei französischen Manövern
mit Ballons
bei den angestellt worden. Die Berichte hierüber finden wir in dem Werke von
''i",fö\^rn'^ „Ueber Fesselballon-Stationen ".4)
') „Die Verwendbarkeit des Luftballons in der Kriegführung". Lavergne-
Poguilhen, „Militärisches Wochenblatt". 1886.
*) Wien, 1892.
Neue Methode zum raschen Auftteigen und Senken eines Fessel-
ballons im deutschen Heere.
Diese Methode besteht im Auf- und Abwickeln eines Taus von einer Trommel.
Bei diesem Verfahren wird auf dem Tau ein Dlouk angebracht, durch den 30 Taue
gezogen sind. An diesen Tauen ziehen die Leute und lauTen heim Aufsteigen des
Ballons vom Ballon zum Anker und beim Senken des Ballons vom Anker zum Ballon,
wobei das Tau auch auf die Trommel aufgerollt wird.
Mittel zur Beobachtung. — Luftballons zur Observation. 183
Wir zitieren aus ihm folgende Sätze: „Der Bewegungsraum der
feindlichen Truppen wurde auf 13 Kilometer Entfernung, durch die
erzeugten Staubwolken bemerkt. Das eigene im Marsch begiifiene Korps
hatte man beständig vor Augen. So wurde die schwierige Aufgabe
gelöst, von einem Mittelpunkte aus die ganze Truppenmasse zu leiten;
der Kommandierende empfing jede Minute Mitteilungen von einem Stabs-
offizier, welcher von der Gondel des Luftballons aus alle Vorgänge ver-
folgte". . . . „Bei Aulnoy benachrichtigte man den Korpskommandeur,
dass der gegen seine Position gerichtete Vorstoss nur ein Scheinangriff
sei und die Vorbewegung gegen eine andere Seite maskiere. Bei
Colombey weilte der General Marquis Gallifet 2V4 Stunden in der
Gondel des Luftballons und leitete von hier die Bewegungen des ganzen
Heeres. Die Front hatte eine Längenausdehnung von 12 Kilometern und
eine Tiefe von 3 bis 9 Kilometern. General Gallifet beherrschte diese
bedeutende Ausdehnung, obwohl der Ballon sich nur 400 Meter erhob."
Seitdem hat die LuftschilFfahrt bedeutende Fortschritte gemacht, vewoche
bei
In der deutschen Armee steigen die Ballons, wie schon gesagt, bis zu rassischen
1800 Meter Höhe. Bei geringerer Aufstieghöhe werden die Erfolge natür- *"^^®™"
lieh auch kleiner sein. So war bei den grossen Manövern bei Saflawa
im August und September 1893 der Kommandierende mit den Diensten der
Luftballons nicht zufrieden. Ein Kommando von 4 Offizieren und 20 Unter-
offizieren und Mannschaften mit 150 Fahrzeugen, die hauptsächlich zum
Transport der nötigen chemischen Materialien (Eisenfeilspäne, Schwefel,
Wasser) bestimmt waren, war an Ort und Stelle erschienen. Schon die
Kompliziertheit dieses Trains musste natürlich die Unzufriedenheit des
Generals Dragomirow erregen. Er erhob sich selbst im Ballon, gab aber
sein ungünstiges Gutachten dahin ab, dass die aufgestiegenen Ballons dem
Feinde die eigene Position schon auf 20 Kilometer Entfernung verraten»
während man die Stellung des Gegners nur auf 8, bisweilen nui' auf
5 Werst überblicken könne. Nach seiner Meinung können die Luftballons
eine einigermaassen wertvolle Rolle nur im Festungskriege spielen.
Dieser verhältnismässige Misserfolg lässt sich aber vielleicht durch
die schlechte Beschafi'enheit des Ballons und die geringe Aufstieghöhe
— nur 300 Meter — erklären.
Nach der Ansicht Duburauts würde das Vorhandensein von Luft- i-unbaiions
ballons auf den Schlachtfeldern von Waterloo und Saint -Privat ganz bei
andere Schlachtresultate geliefert haben. Bei Waterloo würden die Fran- I^^^privat^
zosen rechtzeitig Blücher's Herannahen bemerkt haben , bei Saint-Piivat „ »^^«'•^
° ' Besaltate er-
wären die französischen Truppenführer in Folge besserer Kenntnis von «engt habeu.
den deutschen Streitkräften im Stande gewesen, möglicherweise der
Schlacht schliesslich eine andere Wendung zu geben.
184 U- I>ie Hilfsmittel.
Schulung Obschon sich dem Auge des Beobacliters vom Luftballon aus eine
vieler
offlziere Sehr bedeutende Fläche erscliliesst, erscheint häufig die Orientierung über
oLlfiting^en. ^^® Positioncu vou einem einzigen Ballon aus schon deshalb unmöglich,
weil die gewaltigen Truppenraassen sich in Länge und Breite über
ungeheure Flächen hinziehen. Jetzt muss bei der deutschen Armee in
jedem Regiment ein Offizier fähig sein, vom Fesselballon aus Beobachtungen
anzustellen und im Notfalle selbst freie Aufstiege zu unteniehmen. In
Berlin und München befinden sich Schulen für Luftschiflffahrt, zu welchen im
Sommer je 2 Offiziere von jedem Regiment kommandiert werden. Es ist
folglich unzweifelhaft, dass man in Deutschland zur Umschau über die
eigenen und feindlichen Positionen eine grosse Anzahl von Luftballons
verwenden wird, welche sich von verschiedenen Punkten des Schlachtfeldes
aus erheben.^) Es versteht sich, dass die Beobachtung von verschiedenen
Punkten aus und durch verschiedene Leute nicht völlig gleiche Resultate
ergeben kann, wenn sie auch noch so sorgfältig ausgeführt wird. Eine
richtige Kombination und das Fassen zweckentsprechender Entschlüsse
werden daher hauptsächlich vom Auffassungsvermögen und von der
Orientierungsfähigkeit abhängen,
voniige des ßig yor Kurzcm haben die Schwankungen des Ballons bei starkem
ia Zigarren- Wlude die Bcobachtungeu ausserordentlich erschwert. Jetzt jedoch sind
auch diese Schwierigkeiten beseitigt. Im Frühling 1894 sind in Berlin
Versuche mit einem Luftballon von der Form eines an beiden Enden
zugespitzten Zylinders erfolgt, der so konstruiert ist, dass der Beobachter
selbst bei den stärksten Luftbewegungen in Ruhe bleibt.
c) Signalisation vom Fesselballon aus.
Gefewoita Ausscr dicscu taktischen Diensten hat man noch im Auge, vom
Be- Fesselballon aus den Erfolg des Feuers der Truppen zu beobachten
obachtnng ^^^^ dicscs durch entsprechende Mitteilungen zu leiten. Derartige Ver-
GeBchosse. suchc siud lu Deutschland, Frankreich, Russland, England und Italien
gemacht.
Optische Man wird zu diesem Zweck vom Luftballon aus auch optische Signale
Signale
yom geben müssen. „Engineering" schrieb schon i. J. 1883: „Unlängst sind in
Ballon aoa. pg^pjg Versuchc gcmacht, die Luftballons von innen aus zu erleuchten. Der
Zweck dieser Versuche ist, einen glänzenden Gegenstand von grosser Di-
*) Gemesfc in seinom von uns zitierten Werke sagt: „Man denkt irriger
Weise, dass die Rollo der Luftballons im Kriege sich nur auf den Aufstieg eines
einzigen Ballons bei Beginn der Schlacht zur Besichtigung der Positionen be-
scliränken wird; bei der heutigen Ausdehnung der Kampflinio, bei der Treffwoite
des heutigen Geschützes lässt sich aber von einem Ballon aus die Kampflinie in
ihrer Tiefe und Länge nicht genügend überblicken".
Mittel zur Beobachtung. — Signalisation vom Fesselballon aus* lg5
mension zu erhalten, was die Möglichkeit geben würde, Telegraphenzeichen
auch während der Nacht zu übermitteln. Diese Ballons, die etwa
2 Meter im Durchmesser und ein Volumen von fast 100 Kubikfass hatten,
waren aus sehr durchsichtigem Papier hergestellt worden. Den Ballon liess
man an einem Strick steigen, in den 2 Kupferdrähte eingeflochten waren.
Im Innern des Ballons befand sich eine elektrische Lampe, die ihn mit
starkem Licht erleuchtete. Durch beständige Unterbrechung des Stroms
konnte man auf diesen optischen Telegi^aph das System des Morse'schen
Telegi'aphen-Alphabets anwenden; ein längeres Unterhalten des Lichts
entsprach einem Strich, ein kürzeres dem Punkt."
„In England wurden 1889 Versuche mit einem für optische Signale <^^^^^^
bestimmten Ballon angestellt. Der „Elektrotechnische Anzeiger" ver- aia
sichert, dass es mit diesem Ballon möglich war, Telegraphenzeichen ^^^*^'*^*"'
sowohl bei Tag wie bei Nacht auf sehr weite Entfernungen zu übermitteln.
Wichtig erscheint der Umstand, dass der ganze Ballon mit allem Zubehör
und seinem Telegraphenapparat nur 20 Kilogramm wiegt, daher ohne
Mühe von einem Menschen getragen werden kann".^)
Espitalier^) sagt, dass die Pariser Versuche offenbar bewiesen hätten, ö»^
dass es bei Beleuchtung des Ballons von Innen aus unmöglich sei, sich auf Sichtbarkeit
mehr als 18 Kilometer Entfernung mit einander in Verbindung zu setzen. ^" deichen.
Der Lichtquell lasse sich jedoch an der Aussenseite des Luftballons in
freier Luft anbringen; in diesem Falle vermindere sich zwar der Umfang
des leuchtenden Körpers, dafür steige aber, was weit wichtiger sei, die
Intensität der Lichtstärke.
„The Journal of the Royal United-Service Institution" hat im März-
heft des laufenden Jahres einen Bericht von Erik Stuart Bruce mit
redaktionellen Anmerkungen gebracht. Dort finden wir, dass Luft-
ballons von 4200 Kubikfuss Volumen, mit Glühlämpchen versehen, sich
als völlig zweckentsprechend erweisen und dass mit Hilfe solcher Ballons
bei im Jahre 1887 zu Antwerpen angestellten Versuchen der belgische
Kriegsminister mit dem 6 Kilometer entfernten General Wouvermans
Nachrichten austauschen konnte. Die seitdem erfolgten Verbesserungen
gestatten bei nicht allzu ungünstigen Verhältnissen eine Signalisation auf
18 Kilometer Entfernung.
Die umstehenden, der „Science illustrfee" entlehnten Zeichnungen Deutsche
illustrieren die von deutschen Truppen auf Helgoland angestellten Heigound.
Versuche.
0 Das Zitat ist aus einem Artikel im „Wojenny Ssbornik",: „Stand der
Militärluftfahrt^.
') Espitalier: „Les ballons".
n. Die HiUbmibtel.
IS
i
Signalisfttionsversuche r
1 Luftballons.
BatohiauaiK ßg wäTc 610 aiger Fehler zn glauben, dass der Feind ruhig den
Lii(ni.iion.. Anstrengangen des Gegners zusehen wird, sich mit seiner, des Feindes,
Stellung bekannt zu machen und so seine Unternehmungen lahm
zu legen.
Alle Armeen verfugen bereits über Geschütze, die zur Beschiessnng
von Luftballons bestimmt sind.
Mittel zur Beobachtung. — Freie Luftballons. Ig7
Die soeben gegebene Zeichnung stellt ein zu diesem Zweck kon-
struiertes Geschütz dar.
Wir müssen hinzufügen, dass einen Luftballon herabzuschiessen
durchaus nicht so schwierig ist, wie dies auf den ersten Blick scheinen
dürfte. Bei den in Russland bei Ishora angestellten Versuchen fiel der
dem Militär -Luftschifferpark gehörige Luftballon „Jastreb" nach dem
elften Schusse zur Erde herab. ») Nicht nur Artilleriegeschosse, sondern
auch Flintenkugeln können Luftschiffem bei einer Höhe von unter
3600 Meter (SVs Werst) gefährlich werden. Aber die Erfahrung lehrt,
dass der von einer Flintenkugel durchschossene Ballon ähnlich dem Fall-
schirm, ohne Gefahr für die Insassen langsam niedersinkt.
Jedenfalls werden sich die Fesselballons nicht allzulange Angesichts ßwciies
des Feindes aufhalten, da ausserdem schon etwa IB Minuten zur Vor- "nnd^^"
nähme der Rekognoszierung völlig genügend sind. Im Laufe dieser Zeit ^^™n'"
werden die Ballons — man kann dies fast mit Gewissheit annehmen — ^- .
umgänglich.
volle Freiheit der Bewegung haben. Um uns hiervon völlig zu überzeugen,
wollen wir die Vorgänge betrachten, wenn sich ein Luftballon über dem
Schlachtfelde zeigt. Vor Allem ist anzunehmen, dass eine gewisse Zeit
vergeht, ehe man ihn bemerkt; sodann dürfte aller Wahrscheinlichkeit
nach nicht sofort das geeignete Geschütz zum Beschiessen des Ballons
bei der Hand sein. Es wird Zeit erforderlich sein, um die betreffenden
Befehle zu geben, die Entfernung zu messen, das Feuer zu regulieren.
Bis alle diese notwendigen Vorbereitungen getroffen sind, zieht die mit
der Dampfmaschine betriebene Winde, auf welcher das den Ballon haltende
Tau aufgewunden ist, denselben rasch zur Erde nieder und sechs Pferde
transportieren ihn schleunigst nach einem anderen Punkte des Schlacht-
feldes. Die ganze Frage gipfelt darin, ob die Luftballons genügend ver-
vollkommnet sind, um mit ihnen erfolgreich manövrieren zu können.
Sachkundige Schriftsteller beantworten diese Frage bejahend.
d) Freie Luftballons.
Die Fesselballons finden im Kriege nur in Ermangelung von etwas Lenkung
Besserem Verwendung. Freie lenkbare Luftballons würden offenbar weit Lnitbaiion».
grössere Dienste leisten. Alle Mächte arbeiten demnach unablässig an
der Lösung dieser Aufgabe. Versuche, freie Luftballons lenkbar zu
machen, endigten indessen bis zum Jahre 1884 ergebnislos. Erst am
9. August dieses Jahres unternahmen Kapitän Renard und sein Mitarbeiter
Krebs die bekannte Fahrt mit dem umstehend abgebildeten Ballon
•) Hoernes: „Fesselballon".
n. Die Hilfsmittp).
„Fi-ance", der einen vorher bestimmten Weg einhielt und den Luftschiffem
ermöglichte, zn dem Ausgangspunkt znrückzukehren.
Der BaJImi „Fraiico" von Ri'nard und Krobs,
viniieka »it Der Ballon „France" war seiner Fomi nach den gewiihnliclieii
tuRMton Luftballons anähnlich. Seine Länge betrug 50,40 Meter (165 Fass), sein
,F«.o>-. Durchmesser 8,40 Meter (28 Fuss), sein Rauminhalt 1864 Kubikmeter. Der
hintere Teil des Luftschiffes war spitzer als der vordere, so dass es im
Allgemeinen an die Form rasch schwimmender Fische erinnerte. Dieser
Ballon war mit einem Seidennetz überzogen; das aus Bambusrohr gefer-
tigte und mit Seide überzogene Boot hatte eine I^nge von 33 Meter
(108 Fuss), so dass die Luft, ohne Widerstand zu finden, auf der gleich-
massigen Oberfläche dahingleiten konnte.
AiiTiKUiBg. Der Apparat, um den Ballon in Bewegung zu setzen, bestand aus
einer Schraube mit 2 Flügeln von 7 Meter (23 Fuss) im Durchmesser; die
Schraube rotierte vor dem Boote auf einem Zylinder aus Eisenblech, der
durch eine Maschinerie mit einem dynamo -elektrischen Motor verbunden
war. Als elektrischer Generator wurde eine Batterie sehr starker von
Eenard erfundener Elemente angewandt. An dem Hinterteil des Luft-
schiffes war ein Steuer aus Seide befestigt, welches ermöglichte, den
Ballon in einer bestimmten, beständigen Richtung zu halten oder diese
zu verändern.
T.rT.11. Jm Jahre 1885 waren nene Versuche mit dem vervollkommneten Luff^
.OB isM, ballon angestellt worden; man verminderte die Schwere seiner oberen Teüe,
wodurch es möglich wurde, noch einen dritten Luftschifier in das Boot
zn nehmen und die Schnelligkeit der Bewegungen genau auszumessen.
Ohne diese Messungen, welche sich nur auf experimentiellem Wege an-
stellen lassen, wäre es nicht möglich, die Kraft des Widerstandes gehau
zu bestimmen, welche die Luft der Bewegung solcher länglichrunden Luft-
ballons entgegenstellt.
IGtlel zur Boobftchtuns. — Freie Lnftbeilons.
Marschrünten der Fahrten, die von Luftballons im Jahre 1885 von Pfiria aus
(Au St4dalm>iui: .Dts LgltochltFrifart-.)
Seilen wir zn, welche Bedingungen erfüllt werden müssen, damit «•^'■'«''»s"'
ein freier LnftbaUon sich lenkbar erweist nnd ein bestimmtes Ziel er- L.nkb.tkeii
reicht. Bei völlig ruhigem Wetter kann ein mit einer Schraube ver- i,nftb"ioiii.
sehener Ballon offenbar in jeder beliebigen Richtung vorwärts bewegt
werden; wenn aber Wind weht, so muss die Kraft, welche den Ballon
in Bewegung setzt, stärker sein, als der Andrang des Windes. Hier
handelt es sich um ganz dieselbe Erscheinung wie auf dem Wasser beim
Fahren gegen die Strömung; Rnder oder Rad müssen dem Boote eine
grössere Schnelligkeit mitteilen, als diejenige, welche die Strömung des
Wassei's besitzt.
In den Luftschichten wird die Erfüllung dieser Aufgabe dadurch ki"""" ^"
ungemein ersehwert, dass die Strömungen in verschiedenen Hohen sowohl w'näs»"
der Kraft wie der Richtung nach ungleichartig sind. Der Bau des Eiffel-
turmes, welcher eine Höhe von 303 Meter hat, ermöglichte, in dieser
Hinsicht interessante Versuche anzustellen und die erhaltenen Re-
sultate mit den Beobachtungen der Pariser meteorologischen Station zu
vergleichen.
Man überzeugte sich, dass an durchschnittlich hundert Tagen im
Jahre die mittlere Schnelligkeit des Windes in der Höhe von 303 Meter
— 7,5 Meter (24,6 Fuss) in der Sekunde beträgt. Das Minimum der
190 n. Die Hüfsmittel.
Geschwindigkeit hat der Wind um 10 Uhr Morgens (etwa 6,4 Meter =
17,6 Fuss), das Maximum um 1 Uhr Nachts: 8,76 Meter (28,7 Fuss).
windw- j)jg Gelehrten, welche sich mit Fragen der Luftschiflffahrt beschäf-
keiten. tigeu, siud ZU dem Schluss gekommen, dass in einer Höhe von 600 bis
ICXX) Meter, d. h. derjenigen, bis zu welcher sich gewöhnlich Militär-
luftschiffer erheben, der Luftballon eine eigene Schnelligkeit von 9 bis
11 Meter (29— 36 Fuss) in der Sekunde besitzen muss; andernfalls wäre
er 2/s des Jahres überhaupt nicht im Stande Fahrten zu unternehmen.
In höheren Schichten ist eine Schnelligkeit von 14 bis 16 Meter (46,9 bis
62,4 Fuss) nötig.
Renard's Luftballon „La France" verfügte nur über eine Schnellig-
keit von 6,60 Meter (21,3 Fuss). Die Erfahrung lehrte jedoch, dass in
700 Fällen von 1000 die Schnelligkeit des Windes eine geringere war.
Hieraus ergiebt sich, dass von den mit „La France" unternommenen
Fahrt-en 70% gelingen konnten, wie es auch wirklich der Fall war.
Die Lösung der Frage von der Lenkbarkeit des Luftballons erhielt somit
eine genaue Gmndlage; es erwies sich als durchaus notwendig, die
Kraft, welche den Ballon treibt, genügend gross zu gestalten. Es
verlautet, dass man gegenwärtig schon Luftballons bauen kann, die
eine Schnelligkeit von 10 bis 12 Meter (33 bis 38 Fuss) besitzen.
Renard's Reuard hat der französischen Akademie der Wissenschaften mit-
ueaes Luft-
schiff, geteilt, dass das neue Schiff des Erfinders 3200 Kubikmeter Wassergas
fasst und einen Motor von 36 — 40 Pferdeki'aft trägt, was die Möglichkeit
giebt, dem Ballon eine Schnelligkeit von 10 Meter (33 Fuss) in der Sekunde
mitzuteilen.
Versuche In Russlaud werden auch Versuche mit der Lenkbarbeit des Luft-
iu KusslAud.
ballons angestellt. So sind in Gura-Kalvaria Proben mit einem mit Motor
versehenen Ballon von länglich runder Form angestellt worden, und wie
verlautet, mit Erfolg.*)
Neue Vor- Das letzte Wort in der Lnftschifffahrt ist indessen noch nicht
rtchtungen
fftr die gesprochen und beständig erscheinen neue Vorschläge, um die noch vor-
LeukbMkeit j^andenen Schwierigkeiten zu beseitigen.
bäUous. j^ ^^^ „Revue des inventions nouvelles" sind Zeichnungen neuer
Vorrichtungen für die Lenkung von Ballons abgebildet. Wir geben sie
nebenstehend wieder.
Die Flügel sind paarweise verbunden und schlagen in der Luft ab-
wechselnd; sie haben die Form von Flügeln der Wasserheuschrecke
Oibellula) und bestehen aus leichten an einer festen Achse angebrachten
^) Loben : „Jahresberichte", 1894.
Mittel zur BeobEtchtung. — Freie Luftballons.
191
Platten von einer mit Lack überzogenen Materie. Der Vorteil dieses
Motors bestellt darin, dass er in der Mitte der Oberfläche des Ballons
wirkt, d. h. dort, wo der Widerstand am stärksten ist. Der Erfinder be-
hanptet, dass diese Flügel eine dreifach stärkere Wirknng ansähen als
die Schranbe.
Flg. 1. Fig. 1.
Luftballon mit Flügeln.
Fig. 1 ze^ die einzelnen Bestandteile der Flügel; Fig. 2 den
Längsschnitt and den Halbanfzng des Ballons, Fig. 3 den Querschnitt
des Ballons und Fig. 4 die Gesamtfomi desselben.
Der Luftballon besteht aus zwei Zylindeni, zwischen denen ein freier
Raum gelassen ist, die aber durch einen inneren Schlauch mit einander
verbunden sind, was die Gleichheit des Drucks des Gases in ihnen sichert,
wenn sie .sich in horizontaler Lage befinden. Sobald aber der Ballon sich
192 n. Die Hilfsmittel.
nach der einen oder anderen Seite neigt, schliesst sich der Schlauch so-
gleich durch eine Klappe, so dass das Gas nicht ganz in den oberen Teil
des Apparats übergehen kann, was das Gleichgewicht in dessen Thätigkeit
stören würde. Die Stoffhülle dieses Luftballons ist dieselbe wie bei
anderen Ballons.
Der Ballon ist ein „gradflüglicher", d. h. mit Flügeln nach Form
derer von Insekten versehen, welche sich fächerartig zusammenlegen
und auf dem Prinzip der Nachahmung des Vogelfluges beruhen. Er
entspricht den von Renard über die Thätigkeit der Flügel bei den
Vögeln geäusserten Ansichten, aber die mit ihm angestellten Versuche
waren insofern nicht erfolgreich, als er sich nicht gegen den Wind
bewegen kann.
Die Wissenschaft hat jedoch in der letzten Zeit so gewaltige und
völlig unerwartete Erfolge erzielt, dass die 1885 erhaltenen Resultate
schon als veraltet gelten müssen.
Hoifinmgen Eiustweileu hat sich die Hoffnung, Ballons lenken zu können, noch
spesiaiisien uicht realisiert, aber die Spezialisten sind überzeugt, dass eiji volley' Erfolg
bezüglich j^ naher Zukunft erreicht wird. Leo Deckst) giebt die in einem öffentlichen
'''*^LuS^*"' Vortrag gesprochenen Worte des Ingenieurs wieder, welcher zuerst einen
■ciiiflFfahrt Ballon gebaut, der einen bestimmten Weg durchmass und zum Ausgangs-
punkte zurückkehrte : „Die Zeit ist nicht fem, welche eine eigene Ali; von
Schiffen sehen wird, welche in der Luft dahin schweben ; einige, schwerer
als die Luft, werden zum raschen Flug auf grosse Entfernungen dienen;
andere, welche leichter, aber ebenfalls lenkbar sind, werden in kleineren
Entfernungen mit geringerer Schnelligkeit und nur bei stillem Wetter
verkehren." Nach populär gehaltenen, aber doch streng wissenschaft-
lichen Werken werden die lenkbaren Ballons einen elektiischen Motor
haben.
Eiekfcrischo So wird der Motor des Ballons „La France" durch die Batterie
dIJT ^^^^d ^^ Bewegung gesetzt, welche die leichteste von allen sein soll und
maschinell uur ein Gcwlcht von 25 Kilogi'amm zur Entwickelung einer Pferdekraft
LuftbaiioM. während einer Stunde hat. Was die Akkumulatoren betrifft, so ist ihr
Gewicht auf die Hälfte des der früheren Akkumulatoren reduziert,
welche als die vollkommensten galten. Man spricht aber bereits
von so leichten und dabei so starken Dampfmaschinen, dass dieselben
ohne Unterbrechung oder Schwächung bei dem Gewicht von nur 13 Kilo-
gramm (d. h. dem halben Gewicht fiii' elektrische Motoren) eine Pferde-
kraft im Laufe einer Stunde entwickeln können.
>) „Revue seien tifique" 1893 No. 20.
Ufi
Bd. I. Elnrogw bsi S«lta IBB.
H)tt«l znr Beobochtong. — Freie Loftballons. ] 93
Wir geben im Nachstehenden aus der „Revae scientifique" die i-«<«>«"1ob
Zeichnung eines Ballons, der mit einem so leichten Dampfmotor ans- Dun^fDotor
gerostet ist.
Anscheinend ist noch eine weitere Gewichtsverminderung der
Motoren möglich. Nach Mitteilnng des Ingenieurs Maxim ist es ihm
gelungen, einen fliegenden Apparat mit einer Dampfmaschine von nur
4 Kilogramm Gewicht anf eine Pferdekraft nnd eine Stunde Arbeit her-
zustellen, welche bis 200 Pferdekräfte entwickeln kann. Wenn man die
Materialien für die Thätigkeit der Maschine (Wasser, Feuerung, Schmier-
öle) hinzurechnet, so wird die Maschine 10 bis 11 Kilogramm auf eine
Pferdekraft und eine Stunde Arbeit wiegen.
Dieser Apparat der Zukunft („Aeroplan") sieht folgendermassen aus :
194 n. Die HUfsmittel.
^^eu^lTor^^ Nach der Berechnung Maxim's kann ein solcher fliegender Apparat
Fing- im Laufe von 10 Stunden bei einer Geschwindigkeit von 20 Meter (65 Fuss)
apparate. .^ ^^^ Sckunde, also 72 Kilometer (67,5 Werst) in der Stunde mehr als
350 Kilogramm (2IV2 Pud) Last tragen, ungerechnet Kohle und Wasser,
welche für die Thätigkeit des Apparats erforderlich sind. Mit den künftigen
Luftballons, welche in der Stunde 40 Kilometer (37V2 Werst) zurücklegen
und ohne Unterbrechung 10 Stunden hindurch fliegen können, wird man
den Weg zwischen Paris und Marseille (650 Kilometer = 603 Werst in der
Luftlinie) in 16 Stunden durcheilen können, indem man nur einmal Halt
macht, um sich mit Kohle und Wasser zu versorgen. Auf dem „Aeroplan"
dagegen, von welchem Maxim spricht, wird man diesen Flug in 9 Stunden
ohne Aufenthalt durchführen können. „Derartig sind — schreibt Leo
Decks zum Schluss — die Eesultate, welche man in absehbarer Zeit ohne
weitere Ei-findungen, lediglich durch Vervollkommnung der schon jetzt
bekannten Methoden der Luftschiflfahrt erwarten kann."
Die „Militär-Zeitung" 6) versichert, dass auch der vor fast zehn
Jahren von Eenard und Krebs hergestellte Ballon jetzt so vervollkommnet
sei, dass man bei Windstille mit ihm Fahrten von 320 bis 400 Kilometer
(300 bis 375 Werst) bei einer Schnelligkeit von 40 Kilometer (37,5 Werst)
in der Stunde ausführen kann. Als Motor dieses Luftballons dient eine
vorn befestigte Schraube, die durch eine Maschine in Bewegung gesetzt
wird, bei welcher die Dampfkraft dui'ch irgend ein Gas ersetzt ist. Hinten
befindet sich das Steuer.
wottflüge ^s Beweis dafür, dass sich in dieser Hinsicht bei entsprechender
der
Luftschiifer. Sachkenutuis gewisse Eesultate erreichen lassen, dienen die Wettflüge von
Luftschiffern, die in Frankreich, Belgien und England häufig unternommen
sind. Es wurde gefordert, dass gleichzeitig abgelassene Luftballons an
einem gewissen Punkte zugleich anlangten, der sich im Gebiet der Wind-
richtung befand und vorher auf der Karte vermerkt war. Die Thatsache,
dass französische Luftschifl'er (Godard) wiederholt die ersten Preise ge-
wannen, einen Weg von 60 bis 100 Kilometern (66 bis 93 Werst) zurück-
legten und sich nur 3 bis 5 Kilometer (3 bis 4,5 Werst) von den Punkten
entfernt niederliessen, die das Ziel ihres Fluges waren, kann unmöglich dem
reinen Zufall zugeschrieben werden.
Besichtigung Beispiele für die Verwendung von Luftballons zur Besichtigung feind-
der
Feinden- Uchcr Stellungen sind auch aus früheren Zeiten vorhanden. Während des
Btoiiangen uordamerikanischeu Bürgerkrieges durchschnitt ein Luftschifler der Süd-
^"^^iüL^^"^ Staaten (La Mountain) das Tau eines ßeobachtungsballons bei Washington,
besichtigte die Lage der Nordtruppen, erhob sich höher und kehrte unter
6) No. 28. April 1893.
ans.
Mittel zur Beobaclitung. — Freie Luftballons. I95
Benutzung eines günstigen Windes mit wichtigen Nachrichten zu den
Seinigen zurück. Bei der Einnahme von Yorktown gab ein anderer Luft-
schiflfer dem Chef der Artillerie mittelst Telegraphendrahts von der Gondel
aus Nachrichten über die Stellung der feindlichen Geschütze und An-
weisungen für die Richtung der Geschütze. "0
Alles dieses beweist, dass die in der Luftschifffahrt erzielten Erfolge Einfloas auf
sehr ernste Aufmerksamkeit verdienen; solange aber die Praxis nicht und
zeigt, dass die Luftballons bei den stärksten Winden und selbst bei ^*'*'®»*^-
Stürmen im Stande sein werden, sich frei zu bewegen, wird ihre Ver-
wendung im Kriege noch immer grossen Zufälligkeiten unterworfen sein.
Da es jedoch anscheinend keinem Zweifel mehr unterliegt, dass bei
stillem Wetter Luftballons sich 10 Stunden halten und in der Stunde
40 Kilometer (37,5 Werst) zurücklegen können, so können die Rekognos-
zierenden 100 bis 200 Werst vor ihren Truppen das Gelände beobachten.
Der Nutzen von Luftballons auf dem Schlachtfelde ist natürlich gross,
noch grösser aber ist er, wenn man mit ihrer Hilfe rechtzeitig Nach-
richten über die Stellung des Feindes erhält und auf Grund dieser
verfügen kann, wie die eigenen Truppen in vorteilhaftester Position auf-
zustellen sind. So wird der Luftballon nicht nur zur Entscheidung taktischer,
sondern, was noch wichtiger, auch strategischer Aufgaben dienen, ß)
Um die Bedeutung der Luftballons noch zu verstärken, beabsichtigen .Aufnahmen
Techniker, die Ballons nicht nur zur Besichtigung der feindlichen peindes-
Stellungen, sondern auch zu photographischen Aufnahmen zu verwenden. »*«ii«^on
Die Praxis hat gezeigt, dass man sowohl von Fessel- wie von freien ®*"^"*'-
Ballons photographische Geländeaufnahmen machen kann, was ohne Frage
von grosser Bedeutung ist. Es hat sich ergeben, dass in 1100-Meter-
Höhe bei einer Windschnelligkeit von 6 Meter in der Sekunde Aufnahmen
von Baulichkeiten ausgezeichnet gelingen und Strassen, Flüsse, Eisen-
bahnen sich als Streifen darstellen.
Zur Probe geben wir auf der folgenden Seite eine solche photo-
graphische Aufnahme, welche Tissandier kürzlich vom Ballon aus ge-
macht hat.
Die über Paris in der Höhe von 605 Meter aufgenommene und hier
heliographisch^) wiedergegebene Photographie ist von der wünschens-
wertesten Deutlichkeit; sie ist bei einem Aufstiege am 19. Juni 1885
angefertigt worden.
0 Lavergne-Pogailhen : „Militär- Wochenblatt". 1886.
*) Michnewitsch: „Einfluss der neuesten technischen Erfindungen".
*) „Sciences appliquöes k Tart militaire".
13*
n. Die H3&iaittel.
FhotoKiuplüe, die über Paris in der Hölie vod (i05 Meter abgenommen ist.
""m^ Der photograpMsche Apparat war am Rand des Korbes befestigt
lOB uEd drehte sich anf einer vertiltal gestellten Axe {siehe Zeichnung).
Apparat zum Fhotographieren Tom Luftballon sua.
Tf-AM 2nr Einschiebniig einer neuen Platte und Aufnahme waren nur
Anruhms. li/g Sekunden erforderlich. Während der Zeit des Fluges über Paris
von Autenil nach der Porte Saint -Martin (von 1 Uhr 40 Minuten bis
Mittel zur ^Qlbaclitimg. — tVeie tiuftballons. l§t
2 Uhr 12 Minuten) sind 5 völlig deutliche photographische Ansichten
aufgenommen worden.
Auf Seite 198 geben wir aus „Nature"io) die Zeichnung einer photo- a«*"*»«
Yon
graphischen Ansicht, welche im Jahre 1886 zu Paris von einem Militär- Parfs von
Luftballon aus aufgenommen worden ist, der aus dem Park von Medonc Höhe.
bei einer Windstärke von 10 Metern (32,8 Fuss) in der Sekunde aufstieg.
Im Moment der Aufnahme befand sich der Ballon in der Höhe von
600 Metern über den „Champs Elys6es". In der Mitte der Zeichnung lässt
sich der Triumphbogen „Etoüe" und die Richtung der dahin führenden
Strassen leicht erkennen. Der Verfasser des Artikels, Tissandier, sagt,
dass auf dem Original alle Gegenstände völlig deutlich und sogar die
einzelnen Bäume wahrnehmbar sind.
Es ist zu bemerken, dass zur Erzielung einer deutlichen Aufnahme ß^^insrnngen
° , . _ j und Wert
der Ballon sich nicht höher als 2—3 Kilometer über der aufzunehmenden der
Oertlichkeit befinden darf.^i) Nach dem Zeugnis der Spezialisten kann ^''^'^"•°'
maii jedoch jetzt auch auf weit grössere Entfernungen photographieren.
Im vergangenen Jahre sind Vergrösserungen von Negativs einer An-
sicht gemacht, welche von der Höhe des Montblanc aus mit Hilfe von
6 Teleobjektivs aufgenommen wurde. In diesen Aufnahmen konnte man
die Gesichter der im Chamounix-Thal wandelnden Personen erkennen.
Es ist demnach bereits möglich, photographische Aufnahmen von einer
solchen Höhe oder Entfernung aus zu machen, welche kein Schuss erreicht.
Da weiter bei der sogenannten Moment-Photographie die Kammer nur den
200. Teil einer Minute, d. h. etwa 1/3 Sekunde geöffnet zu sein braucht,
so hindern auch die Schwankungen des Luftballons nicht die Deutlich-
keit der Aufnahmen. Dazu erlauben die jetzigen Apparate auf sogenannten
Films (Celluloids) zwei Ansichten, eine nach der andern, mit unglaublicher
Schnelligkeit aufzunehmen. Mit einem Wort, die Photographie vom Luft-
ballon aus hat bereits solche Fortschritte gemacht, dass die bei günstigen
atmosphärischen Bedingungen von der Flughöhe aufgenommenen Ansichten
an. Deutlichkeit und Reinheit denen, welche auf dem festen Erdboden
gewonnen werden, nicht nachstehen.
Es giebt auch besonders zum Zweck des Photographierens erbaute vewnciie mit
Fesselballons mit selbstthätigen, d. h. mit solchen Apparaten, die in Aktion schwebenden
treten, sobald der Ballon eine bestimmte Höhe erreicht. Solche photo- ma"i^en
graphische Ballons haben in England schon im Jahre 1884 sehr günstige ^J-^^J«^^^^^
Eesultate ergeben. ^2) Man hat auch versucht, Geländeaufnahmen mit graphiBcher
Anftiahmen.
10) „La Nature", 1886 No. 705.
") „Les baUons k la guerre". Paris 1892.
") „Les ballons k la guerre". Paris 1892.
It. Die Hilftouttel.
Photographie, die in der Höhe von 500 Uetem über Paris bei Wind abgenommen ist.
Hilfe photographischer Apparate zu gewinnen, die unter kleinen Ballons
angehängt sind, wobei man den Apparat von unten mit Hilfe der
Elektrizität dirigierte.
seibiithitiie In Chatham hat der Ingenieur Major Elsledom im Jahre 1884
gnphbeh» bemerkenswerte Resultate erzielt. Er Hess Fesselballons ohne Passagiere
in'ßi^imd. «teigcn, die mit selbsthätigen photographischen Kammern versehen waren.
Sobald der Ballon eine bestimmte Höhe erreichte, trat der Apparat in
Aktion und auf dem Negativ wurde ein Bild erzeugt; mithin sind die
Versuche als geglückt zu erachten.
Ainiiiinie Die vom freien Ballon aus im .Jahre 1886 anf den Manövern des
oeitnden. &■ frauzösischcn Armeekorps von Major Fribour, dem Chef der photo-
graphischen Abteilung bei dem geographischen Depot der französischen
Armee, angestellten photographischen Versuche ergaben Aufnahmen von
ungewöhnlicher Genauigkeit, von denen bei einer l'/afachen Vergrössemng
vorzügliche Abdrücke erzielt wurden.
Mit Hilfe einiger Apparate auf einem Ballon lässt sich demnach
eine ganze ßeihe topographischer Abbildungen herstellen zur Aufstellung
eines genauen Planes des Geländes.
Uöglichkeit, Geschosse von den LnftbsHons zu schleudern. 199
3. Möglichkeit, Geschosse von den Luftballons
zu schleudern.
Es ist wohl natürlich, dass das Vorhandensein von Luftballons b™u^-
schon lange auf den Gedanken geführt hat, gegen den Feind von der LonbriiÖD«
Höhe ans zu wirken. Schon im Jahre 1848 warfen die Oesterreicher ""■
gegen Venedig von Luftballons ans Bomben mit Uhr-Mechanismen. Es
ist jedoch klar, dass erst die Vervollkommnung der Luftballons und die
Erfindung von Sprengstoffen, welche stärker sind als Pulver, derartigen
Unternehmungen einen gewissen Erfolg sichern können.
Die Verwendung der Luftballons für solche Zwecke hat jedoch einst- BaaLngoBgen
weilen, da die Lenkung derselben noch nicht sicher ist, keine praktischen ".n.
Eesultate geliefert. In jedem Fall müssen die Insassen eines solchen *"^"'•■
angreifenden Ballons mit den
Gesetzen der Meteorologie
und der Luftschiiffahrt gut
Bescheid wissen. Sonst
könnte es sich ereignen, dass
die vom Luftballon ans ge-
worfenen Geschosse nur den
eigenen Truppen Schaden zu-
fügen. Der moralische Ein-
druck eines sich über den Be-
lagernden erhebenden Ballons
muss dagegen um so gewalti-
ger sein , als diese nicht wissen
können, wo der Ballon sein
Sprenggeschoss auswerfen
wird. Vom Lnftschiffer hängt
es ab, unter Anpassung an
Elchtnng ^nd Kraft des (.„^ÄiSf^ÄIU,.
Windes die Fluglinie so zn
berechnen, dass sie über die wichtigsten Bauten der Festung geht, von
ihm hängt es ab, das Geschoss dorthin zu weifen, wo es nötig ist.
So lange aber noch nicht endgiltige Methoden zur genaueren Lenkung
des Fluges ausgearbeitet sind, kann man sich auch noch nicht auf den
Luftballon als auf ein Angriffsmittel und eine Waffe verlassen.
In Amerika werden Versuche gemacht, zum Werfen von Dynamitbomben ^«""fh« mit
lenkbare Luftballons des Systems General Rüssel Thayer zu verwenden, werftn .0=
In den „Sciences appliqnfies ä l'art militaire" finden wir die Beschreibung
200 n. Die Hilfsmittel.
folgender in Amerika ersonnenen Vorrichtung: ein kleiner Ballon, der eine
Last von 50 bis 250 Kilogramm hebt, hat unter sich an einem Haken ein
Pulvergeschoss, an welches an einem Strick ein Torpedo angehängt ist.
Sobald der Ballon über dem ins Auge gefassten Punkte steht, wird das
Pulver im Geschoss vermittelst eines elektrischen Stromes entzündet,
verbrennt den Strick und der Torpedo fallt nieder. Der Autor des Artikels
hält diese Methode bei der geringen Treffwahrscheinlichkeit für unpraktisch.
Aber auch diese Methode kann vervollkommnet werden. Der französische
Luftschiffer Lhoste warf, wie man erzählt, vom Luftballon aus Korkkugeln
auf die im Hafen von Bordeau befindlichen Schiffe und traf fast immer
das Ziel. Ein völlig erfolgreiches Werfen gi-össerer Lasten vom Ballon
aus lässt sich jedoch einstweilen nur durch das Zusammenwirken von
zwei Luftballons erzielen ; auf dem einen, der die Rolle des Motors spielen
wird, werden sich Leute befinden, während die Geschosse auf dem anderen
plaziert sein werden*
Gegen- Allen Auzeicheu nach ist der Moment der Verwendung der Luft-
waitager ^
Stand aar ballous zum Werfen von Explosivstoffen sehr nahe. Die in dieser Hinsicht
fahrt*und erreichten Erfolge sind so gross, dass es anscheinend nur noch eines
^°2^^i^*' öinzig^n genialen Kunstgriffs bedarf, um das Ziel zu eneichen. Die
Aufgabe selbst ist, wie wir gesehen haben, ganz genau formuliert, was
in diesem Falle natürlich sehr wichtig ist.
Lufibauon Kaiser Wühelm hat seiner Zeit auf Gesuch der Berliner Universitäts-
Kftiser
Wilhelms. Professoren mit dem berühmten Helmholtz an der Spitze, eine Geldbeihilfe
zu dem Bau eines Ballons gewährt, welcher 6000 Kilogramm (305 Pud)
Gas fasst und folglich eine Last von 5000 Kilogramm hebt.
Wichtigkeit Wenn wir annehmen, dass davon auch nur 2000 Kilogramm (122 Pud)
derLöanng ' o \ /
der auf Dynamit entfallen, so ist klar ersichtlich, von welchem Einfluss ein
fahit-Fnlge. solcher Faktor auf den Ausgang des Krieges und somit überhaupt auf
die Möglichkeit der Kriegsfühning sein muss.
Die Wissenschaft hat jedoch in der letzten Zeit ganz neue Bahnen
betreten.
Im vorigen Jahre wurde im Britischen Verein der Oxforder Uni-
versität ein Vortrag gehalten über einen Luftballon, den der bekannte
Konstrukteur der Schnellfeuergeschütze und Mitrailleusen, Hiram S. Maxim,
ersonnen hat. Die Lords Kelvin und Ragleigh, in England sehr bekannte
Gelehrte, äusserten:
8. Maxim's ^Die Versuche, welche Herr Maxim während der letzten vier Jahre,
Haschine. iu deu Zwischeuräumeu seiner geschäftlichen Thätigkeit auf dem Gebiete
seiner wohlbekannten selbstthätigen Schnellfeuergeschütze angestellt hat,
haben als Ergebnis erzielt die Konstruktion einer Maschine von ganz
Mögliolikeit, Geschosse von den Luftballons zu sohleudera. 201
riesigen Dimensionen, die mit einer Fülle mannigfaltiger, höchst wichtiger,
wissenschaftlich hedeatsamer Instromente versehen ist."
Maxim' s Klagmasohine.
Form der Maschine mit ihrem Rumpf aas leichtem Stahlgeröst, bedeckt ,
mit Segeltuch, and ihrer ungehenreu oberen Luftfläche von 2000 Quadrat-
fuss, die ergänzt wird durch fünf engere Spreiten von Segeltuch auf
beiden Seiten.
Znm Treiben der Zwillingsschrauben von 17 Fuss 10 Zoll Durch- i
messer wurde- eine Doppel-Compound -Maschine von 300 Pferdekraft,
leichtester Konstruktion, verwendet, getrieben durch Dampf, der erzeugt
wird durch Verbrennung von Gasolin in einem keilförmigen, röhren-
artigen Kessel, welch' letzterer mit beschleunigter Zirkulation versehen
und fähig ist, mehr Wasser als irgend ein anderer bis jetzt erbauter
desselben Gewichts zu verdampfen
Der Kessel wird von dem Dach der Kabine getragen und der Motor
steht auf einem Gestell von einigen Fuss Höhe, um das erforderliche
Niveau der Schraubenachse zu erreichen, üeber dem Ganzen breitet sich
ein Aeroplan aus von 150 Quadratmetern. Er ist 16 Meter breit, wozu
uoch an jeder Seite em Flügel von 12 Metern kommt, so dass die Gesamt-
breite 40 Meter beträgt. Zwei andere Flügel sind an der Basis der
Gondel angebracht und in verschiedenen Höhen können noch drei weitere
Paare dazwischen befestigt werden. Das Ganze wird von einem Gestell
oder Gerüst ans Stahlrohren und metallischem Tauwerk getragen, das
durch vorzüglich gearbeitete Holzrahmen gesteift wird. Die Flügel sind
ganz fest angebracht, können aber auf- und abklappen, was durch zwei
Horizontalsegel vorn und hinten bewirkt wii-d; sie werden durch Taue
and durch ein Ead auf dem Dache der Gondel geleitet. Was die
202 H- I>ie Hilfsmittel.
horizontale Fortbewegung betrifft, so wird sie durch zwei Schrauben
erzielt. Der Apparat wiegt leer 800 Kilogramm.
BM«itote ^s 4as Gas bei den Versuchen bis zu einer Druckstärke von
der Vereaene.
310 Pfund auf den Quadratzoll gestiegen war und die Schrauben eine
Stosskraft von über 2100 Pfund aufwiesen, da schoss die Maschine vor-
wärts mit der reissenden Geschwindigkeit von vierzig Meilen in der
Stunde, und nach einem Vorrücken um 300 Fuss zeigte der Dampfmesser
einen Druck von 320 Pfund auf den Quadratzoll.
Aber in diesem Augenblick verhakten sich die Schrauben in dem
Gerüst, das die Bahn einrahmt, einer der Arme gerieth aus seiner
Stellung heraus, das Ganze wurde aus der Flugbahn herausgeschleudert
und wurde durch andere Teile des Gerüstes zum Stillstand gebracht.
Die Maschine stürtze sodann mit ihrer Mannschaft, aber glücklicherweise
auf unbebauten Boden, so dass sie nicht allzuviel Schaden erlitt. Aber
damit hält Herr Maxim sich noch keineswegs für überwunden; vielmelir
nimmt er seine Versuche aufs Neue auf.O
fiadflvtiiBff Nach Ansicht des Erfinders, die von den obengenannten Autoritäten
Jil<iune f£ bestätigt wird, ist die Leistungsfähigkeit dieser Maschine, als einer Kriegs-
£^g. Maschine, von solcher Bedeutung, dass sie für Festungswerke, Schiffe und
Armeen weit wichtiger ist, als die eventuelle Ueberlegenheit des Feindes
in Bezug auf Waffenausrüstung.
Der Verfasser einer deutschen Broschüre sagt: „Wer In der Luft den
Herrn spielen kann, der hat den Feind in seiner Hand, beraubt ihn durch
Zerstörung von Brücken und Wegen der Verkehrsmittel, legt seine Magazine
in Asche, versenkt seine Flotte, trägt Verwirrung in die Reihen seiner
Armee und vernichtet diese in der offenen Schlacht und auf dem Rückzuge".
Die Phantasie der Engländer ruht in dieser Hinsicht nicht.
In einem den zukünftigen Krieg Englands behandelnden Werke
wird nebenstehendes Bild der Vernichtung einer Invasionsarmee gegeben.
Jedenfalls scheint eine Gefahr sehr nahe zu sein, gegen welche die
Welt nicht gleichgiltig bleiben kann.
zvkimftB- Das Ende unseres Jahrhunderts zeichnet sich durch Versuche mit
"* der lenkbaren Schifffahrt sowohl in der Atmosphäre als auch in den
Tiefen des Ozeans aus. Der Einfluss, welchen zu Lande der Flug lenk-
barer Luftballons auf den Gang eines Krieges ausüben kann, ist ebenso
schwer vorherzusehen als die Folgen der Wirksamkeit unterseeischer
Fahrzeuge auf den Meeren. Welchen Zwecken wird der Luftballon in
einem zukünftigen Kriege dienen?
0 Piguier: „L'ann^e scientifique et industrielle", 1895.
Vernichtung einer Armee vom LuHballon aus.
Die Beleuchtung Eur Kriegszeit. 203
Wird er als photographischer Kundschafter oder als militärische i*''»»»*»«»«
kAnnen
Luftpost verwandt werden? Wiid er in seiner Gondel Vemichtungs- KrjagfahMiig
Werkzeuge und Sprengstofie führen? Bietet sich vielleicht der Welt das '"lllllSen.^
Schauspiel eines Krieges in der Luft, wo ein Ballon den anderen angreift,
ja vielleicht ganze Schwadronen von Luftballons mit einander kämpfen
and auf die Erde Luftschifie und mit ihnen deren totbringende Geschosse
herabschleudem?
Wenn wir in Wirklichkeit so weit sein werden, wird die Schifffahrt
in den Wolken eine Annäherang der alten an die neuen Weltbegriffe
anbahnen.
4. Die Beleuchtung zur Kriegszeit.
Der Charakter der gegenwärtigen Ausrüstung und Taktik ist ein ^^^
derartiger, dass, wie wir bald beweisen werden, die Notwendigkeit ein- nAohtueiier
ti-eten wird, Angriffe, wie überhaupt verschiedene Operationen auch zur ^'***^"*"-
Nachtzeit auszuführen. In Folge dessen liegt das Bedürfnis vor, die
Belenchtungsmittel zu vervollkommnen und sie den Zwecken des Kiieges
anzupassen. So sind jetzt in allen Armeen Petroleumfackeln eingeführt;
ihr Licht ist jedoch sehr schwach und kann nur eine sehr begrenzte
Anwendung finden.
Seit lange werden neben anderen Mitteln für Kriegszwecke Raketen aiu und
mit Hülsen aus Zinkblech verwandt, welche von der einen Seite ge- kommnete
schlössen und mit Brennstoffen (Salpeter, Schwefel, feines Schiesspulver,
Schwefelantimon) angefüllt sind, die, so lange sie brennen, leuchten.
Sobald die genannten Stoffe in Brand geraten, entzündet sich das Zink
ebenfalls. Eine solche Hülse leuchtet während 12—15 Minuten in einem
Umkreise von 100 Meter.
In den deutschen Militärkreisen spricht man von Raketen, welche
auf 10—11 Sekunden eine Fläche von 700 Meter (328 Faden) Länge und
500 Meter (234 Faden) Breite, vom Punkte des Aufstiegs der Rakete
gerechnet, beleuchten können. Mit Hilfe dieser Raketen wird es möglich
sein, eine Gegend auf IV4 Werst Distanz von der eigenen Stellung in
Augenschein zu nehmen. Selbst eine einzige Rakete ist zur Erzielung
dieser Wirkung genügend.
B»k«ten.
Kaket«. („Waffenlehre".)
a. Die Hilfsmittel.
Wirkung einer Rakete. (Bnjadewslij: „Eursos der Artillerie".)
Aus Mörsern können 10-, 8- und ö^/aZöUige Leuchtkugeln abgefeuert
werden, die den Vorzog haben, dajss ihre Wii-kung durch den Feind nicht
gestört werden kann.
DieFiillnng, aus Sal-
peter, Schwefel niid Peeh
bestehend, leuchtet bei den
10-zölligen Kugeln 3 Minu-
ten, bei den 8-zöUigen
1 Minute 40 Sekunden und
bei den kleinsten 1 Minute
lang.
Die nebenstehenden
Zeichnungen derartiger
Lenchtkngeln sind so klar,
dass sie keiner weiteren
Erklärung bedürfen.
Ausserdem werden
vor den Stellungen der
Truppen Patronen mit
bengalischem Feuer aus-
gestreut, welche sich, so-
bald man auf sie tiitt,
entzünden, ein starkes
Licht verbreiten und anf
diese Weise die Bewegung
des Feindes zu erkennen
geben. Allein in . Anbe-
tracht der Vervollkomm-
nungen in den derzeitigen
Beleuchtung mittelst Hand-Seheinwerfers.
Dos Licht im Haad Scheinwerfer wird erzeugt, indem man ein im Mittel-
punkte des versilberten parabolischen Keflektors angebrachtes Platin ostückc he n
durch eine Stichflamme bis zur Weiasglut erhitzt. Der Apparat wiegt zusammen
mit seinem Behälter nicht mehr als SVa Kilogramm und kann bequem auf der
Schulter getragen werden. Im Behälter ist Platz für den Handgri ff, den
Reflektor und eine Gummibirae zum Anblasen. Der Griff wird mit einem
mineralischen Brennöl, welches bis nahe an das Piatina dringt, angefüllt und
trägit die Gummibirne; ein Druck auf dieselbe ruft einen Luftstrom hervor,
welcher eine Stichflamme auf das Piatina lenkt und dieses zum Glühen bringt.
Dieser Scheinwerfer giebt ein blendendes Licht, welches auf eine Ent^
fernung von löO Meter zu lesen erlaubt und noch auf 200 Meter einen Platz
von etwa 50 Quadratmeter hell erleuchtet. Das Licht leuchtet, so lange man
auf die Birne drückt und so lange noch Gel im Griff ist; ist dieser ganz geriillt,
30 reicht das Oel für eine Stunde ununterbrochenen Brennens aus.
Die Beleuchtung kut Kriegazeit. 2^
Angrifis- und Verteidigungsmitteln, sowie anch in Anbeb-acht der Erforder-
nisse der derzeitigen Taktik sind alle diese mehr oder weniger geist-
reichen, aber nur anf kurze Zeit wirksameu Mittel unzulänglich; die
Aufgabe gipfelt in der Hauptsache darin, ein starkes, ständig brennendes
Licht zu besitzen.
Die Neuzeit besitzt nun in dei- Elektrizität eine Quelle des Lichtes, ^J,"'^f
welche sich den Anforderungen des Krieges vollständig anzupassen vermag; «irttrischen
die Schwierigkeit ist aber die, dass der Transport des Dampfmotors, nebst
der entsprechenden Ladung Kohlen und der dynamo-elektrischen Maschine
mit Umständen verknüpft ist und eine grosse Zugkraft erfordert., während
doch die Lichtquelle möglichst beweglich und durch schnellen Transport
auf jeden Punkt iiberfiihrbar sein muss, wo sie sieh nötig erweisen sollte.
B«l«sehtiiBg,
Lokomobile mit Dynamomaschine für elektrische Beleuchtung.
In dieser Beziehung ist aber schon sehr viel geschehen. Gegenwärtig i"*!«»»'
baut man Lokomobilen, welche nur 2000 Kilogramm (122 Pud) wiegen n^L
und 40 bis 45 Kilogramm (2 bis ^U Pnd) Kohlen in der Stunde ver- "'"''''
brauchen. Das Licht, welches vermittelst Dynamomaschinen erzeugt wird,
die durch diese Lokomobilen getrieben werden, besitzt eine Stärke von
4000 Carcelles-Lampen oder von 35000 Kerzen.')
Die „Revue du Cercle Militaire" teilt die Resultate mit, die bei
Manövern erzielt wurden. Der Scheinwerfer ermöglichte, auf 5000 Meter
Entfernung Hänser zn sehen, auf 3000 Meter die Bewegung der Truppen
genau zu verfolgen.
') „Militärische Blütter".
206 U. Die EilfamitteL
ss^toi.erf.f Beistehende Dlnstration stellt einea aoldien falirbaren Scheinwerfer,
Hugin}. nach dem System Mangin, dar.
Scheinwerfer (System Mangin) auf einem Wagen montiert.
Ausserdem werden anch lenkbai-e Scheinwerfer zoin Beleuchten und
Signalisieren gebaut. Wir bringen auf Seite 207 Zeichnungen eines
Scheinwerfers nur zu Beleuchtungszwecken nnd eines solchen, der auch
zum Signalisieren eingerichtet ist.«)
wirkui i«r Es zeigte sich bei den erwähnten Manövern, dass mit Hilfe
sdwb." dieser Apparate auf Entfernungen von 800 Metern die kleinsten Be-
"•''"■ wegungen der Truppe erkannt werden konnten. Indem man die Stellung
des Trägers verändert, lässt sich die Weite des Strahlenbundels nnd
somit der Umfang des beleuchteten Platzes regeln. Mit Hilfe des frei
beweglichen Apparats kann der Beobachter das Strahlenbündel nach
Belieben lenken, mit dem Scheinwerfer in Bezug auf Höhe und Rich-
tung nach Wnnsch in verschiedenen Schnelligkeitsgraden operieren nnd
andererseits im gegebenen Moment plötzlich alles in Finsternis versinken
lassen.
>) Wetter: „Traiti de T^Hgraphie optique".
Die Beleuchtung eut Krjegsieit. 207
Hierbei kann nicht genag die Wirkung des Scheinwerfers auf die
Truppe beachtet werden, wie das konstatiert werden konnte: Plänkler,
die plötzlich vom Lichtstrom überflutet wurden, suchten sich nach allen
Richtungen hin zu decken und den Arbeitern wurde es unmöglich, etwas
Nutzliches zu thon.
Scheinwerfer (System Mangin}, mlttelat Leitungsdrähten in Betrieb zu setzen.
Zum besseren Verständnis geben wir auf der folgenden Seite ein
vom Scheinwerfer beleuchtetes Feld.
In den Festungen wurde znr Beleuchtung nächtlicher Arbeiten, zur
Beobachtung der Bewegungen belagernder Truppen, sowie endlich zur
Erleichterung des Schiessens in der Dunkelheit bis jetzt am meisten die
dynamo-elektrische Mascliine von Siemens gebraucht, welche man zu-
sammen mit dem Motor unter einem festen Gewölbe aufstellte; die Laterne
aber plazierte man auf den Festungswällen oder an ii^end einem anderen
erhöhten Punkte.
Es ist interessant, dass das elektrische Licht die Ausführung nacht- ''J'J'^'
lieber Arbeiten um Befestigungen herum nicht nur deshalb möglich macht, bei
weil es die Dunkelheit vertreibt, sondern auch deshalb, weil die bei dem- ^^"^^Vg,
selben Arbeitenden noch durch eine dichtere Schicht Finsternis gedeckt
sind, welche sie den Augen des Feindes verbirgt. Die Garbe elektrischen
Lichts dient gleichsam als Schirm und dem Feinde entzieht sich, was
hinter diesem Schirm geschieht.
tL Die Hilfsmittel.
Die Btileuchtiin^ Eur Krie^zeit. 309
In der letzten Zeit werden aber noch leichtere Dynamo-Motoren ^^^^^^j^,
and transportable Scheinwerfer gebaat, welche für den Felddienst be- »«-
stimmt sind. Solche Scheinwerfer sollen besitzen :b) uuub.
Frankreich 872 Italien 366
England 920 Russland ^0
Oesterreich 127 Deutschland 220
Der sehr bemerkenswerte Aufsatz des Kommandanten Ricardo ««w<|imb
Äranaz, veröffentlicht im „Memorial de Artilleria" (September 1891), «LktriKk*»
enthält einen Bericht aber die mit einem Apparat von 6000 Carcels ^*'^*'
(100 Ampferes) gemachten Versnche, wobei man in einer Entfernung von
Das SohieBsen bei elektriscbem Licht
400 Metern sehr deutlich die Bedienung eines Geschützes, einen Soldaten
zu Pferde, einen Fasssoldaten etc. sehen konnte.
Bei BOOO Metern Entfernung erblickte man mit dem Femrohr alle ^'Vj^. ^'
Einzelheiten eines Hauses;
bei eOOOMeteiTi — das Palais royal — Cuartel de la Mantera;
bei 6500 Metern — das Cnartel Madelo;
endlich bei 9000 Metern — den Turm der Ecole d'Aiguiöre, obwohl
der Lichtstrahl die ganze Atmosphäre von Madrid zu durchdringen hatte.
') „Uevue du Corde militaire", t894, No. 47.
Block, »«rtnkdiirLige Krieg 14
210 H- I>ie Hüfsmittel.
FeBseibaiioiw jj^jj versuchte Fesselballons > die eine hängende Lampe tragen,
leuohtQiigs- ZU benutzen. Der Elektrizitäts-Erzeuger befand sich auf der Erde; der
nrec en. ; g^j^^^ gelangte zur Lampe durch eines der drei Kabel , welche den
Ballon festhielten.
Bei einer Leuchtkraft von 6000 Kerzen konnte man eine Fläche
von BOO Metern genügend für praktische Verwendung beleuchten. Die
durchschnittliche Beleuchtung des Bodens ist in diesem Falle Veo Kerzen-
Meter, d. h. ungefähr soviel, als mit einer Kerze auf 8 Meter Distanz
erreicht wird.
Die kombinierte Verwendung mehrerer Ballons würde demnach
gestatten, ein bedeutendes Feld zu beleuchten, wo man dann ebenso
gut wie bei hellem Tage manövrieren könnte. 4)
Beuatznogr ^.ber die Elektrizität hat auch ihre Nachteile; das elektrische
des
eiektrinchen Licht darf uicht beständig leuchten, weil dies dem Feinde ermöglichen
^^ ' würde, die Unebenheiten des Geländes an den unbeleuchteten Punkten,
wo die Dunkelheit noch undurchdringlicher wird, auszunutzen. Schliesslich
würde ein beständiges Licht dem Feinde einen Anhaltspunkt dafür bieten,
in welcher Richtung er zu schiessen hat, und ihm dadurch seine Aufgabe
erleichtem. Die Feuer sind nicht früher anzuzünden, als bis sich der
Feind in Schussweite befindet. Dann wird man alle Vorteile auf seiner
Seite haben; indem man den Feind mit dem grellen Licht blendet, wird
man selbst das Ziel sehen und die volle Möglichkeit haben, auf eine Ent-
fernung von 1500 Metern den Erfolg seines Feuers zu beobachten.
Vor- Bei den im Jahre 1891 in Spanien angestellten nächtlichen Schiess-
ere ^^ngen y^^g^jj^^jj jjj(; elektiischer Beleuchtung schössen 3 Batterien und 2 Kom-
°*Attoktn*" pagnien nach beleuchteten Schilden, welche Kolonnen vorstellten, aus
»»* einer Entfernung von 3000 Metern (3 Werst) und nach einzelnen Figuren
Licht, noch von 1500 Metern (1^/2 Werst). Nach dem urteile der Offiziere war
die Schnelligkeit und der Erfolg des Artilleriefeuers am Tage wie in der
Nacht gleich, die Infanterie aber schoss Nachts nur auf kleine Ent-
fernungen vollkommen befriedigend. 5)
Von nicht weniger grosser Bedeutung werden die elektrischen
Scheinwerfer für das Signalisieren sein.
B®- In Paris stellte man eine ganze Reihe von Versuchen an, von Luft-
lenchinngs-
vereache ballons aus den Eiffelturm zu beleuchten und umgekehrt, vom Turme aus
Eifflitann. <iiö Umgegend behufs Aufsuchung der Ballons und Anknüpfung von Ver-
bindungen mit ihnen zu beleuchten. Die erzielten Resultate wurden
nicht veröffentlicht.
*) „Revue du Cercle Militaire", 1894, 25. November.
*) Hoenig: „Die Taktik der Zukunft".
Verkehrsmittel e
Wir bringen hier eine Abbildnng, welche einen ungefiihren Begriff ^''J*'^
von den angewandten Methoden giebt.
5. Verkehrsmittel zur Kriegszeit.
Bei den gegenwärtigen Vernichtungsmitteln wird sich der zurück-
weichende Feind zweifellos bemühen, hinter sich die Wege zu zei'Stören.
Die heute an Trnppenzahl so starken Armeen wird aber keine Gegend
lange im Stande sein, mit ihren ebenen Erzeognissen zu ernähren.
Auch für den Kampf sind die Verkehrsmittel von grosser Bedeutung.
Da der Erfolg im Kriege zum grössten Teil von den Verkehrsmitteln
abhängt, so moss man im Stande sein, natürliche Hindemisse Überwinden
zu können, insbesondere die häufigen und ernsten, welche Gewässer in
den Weg stellen. Stehende Brücken geniigen nicht.
Eine besondere Aufmerksamkeit wird daher auf die Wiederher-
stellung vernichteter Kommunikationsmittel und auf die Enichtnng neuer
verwandt werden müssen, um den Armeen Alles für sie auf dem Kriegs-
schauplatze Notwendige zuführen zu können.
'
212 n. Die HüfsmitteL
a) Wasser -UebcrgÄnge.
YenehiadeBe Dj^ verschiedenen Arten von Floss-Uebergängen werden gewöhnlich
»rteii. bezeichnet durch den Namen der Träger, also Schiffs-, Bock-, Floss-
Brücken, Hänge-, Pfahl-, Schanzkorb -Brücken, Wagen -Biiicken.
Werden mehrere Systeme verbunden, so heissen die Brücken Misch-
Brttcken.
Britekeobu Seit £[en ältesten Zeiten haben die Armeen die verschiedensten
bei
den BAmeriL Artcu vou Brückeu gebaut. Man benutzte leichte Kähne nicht bloss zum
Transport auf gewöhnliche Weise, sondern auch um mit ihnen Brücken
herzustellen. Diese Boote wurden, wie das andere Gepäck auch von
Saumtieren getragen, und was man sonst zur Herstellung der Brücke
brauchte, wurde mit Leichtigkeit aus dem nächsten der damals noch
zahlreichen Wälder beschafft. Solche Brücken wurden schon tausend
Jahre vor unserer Zeitrechnung gebraucht. Cäsar war der erste, der
ganze wohleingerichtete Brückenbauparks mit sich führte (Kähne, die
aus einem Gestell aus Weidenruten bestanden, das mit Tierfellen tiber-
zogen wurde). Die römischen Armeen benutzten femer auch ausgehöhlte
und ausgebrannte Baumstämme. Mit solchen Hilfsmitteln wurden bis
zum IV. Jahrhundert gi'osse Flüsse, wie der Tigris, der Euphrat, und
andere noch überschritten.
Diese Vorkehrungen entsprachen den damaligen Armeen. Vom
V. Jahrhundert an, seit dem Verfall des römischen Kaiserreichs, begannen
die Brückenbauparks allmählich zu verschwinden, wie später im Mittel-
alter ja eigentlich auch organisierte Armeen. Die Parks für den
Brückenbau beginnen erst wieder im dreissigjähiigen Kriege auf-
zutauchen.
BrtckenbM j)[q Veränderung des Proviantwesens und der Kampfesart ge-
Mittauitor. stattete nicht die Verwendung leichten Materials; man bediente sich
schwerer Barken von mehr als 2000 Kilogramm Gewicht, die auf Wagen
von 3360 Kilogramm Gewicht mit einer Bespannung von 12 bis 14 Pferden
weitergeschafft wurden. Aber die Beweglichkeit dieser Hilfsmittel war
nicht von Bedeutung und sie blieben bis zur Hälfte des XVII. Jahr-
hunderts im Gebrauch, da ja auch die militärischen Operationen selbst
sich nur sehr langsam vollzogen. Auch die Artilleriegefahrte zeichneten
sich durch dieselbe Ungefügigkeit und schweres Gewicht aus. Als man
aber einmal erkannt hatte, dass Schnellmärsche und hohe Manövrier-
fähigkeit der Truppen ein vortreffliches Mittel waren, den Feind zu
schlagen, suchte man die Artillerie beweglicher zu machen, nicht aber
auch den Train, der häufig zu spät kam, oder die Operationen ver-
langsamte.
Verkehrsmittel zur Kriegszeit. — Wasser - Uebergange. 2l3
Doch auch das natürlich wurde eingesehen und zwang zar Herrichtung uebergaou
sa leichten
leichter Briickenparks. Die Holländer machten damit 1672 den Anfang; Braeken.
dann folgten die Franzosen mit der Benutzung von Blech und Kupfer.
Ganz Europa fuhi-t dann Brückenbauequipagen ein (Spanien, Frankreich,
Portugal — Kupfer-Pontons; Holland, Preussen, Sachsen, England —
Blech-Pontons; Eussland — solche aus Segeltuch; Oesterreich — au3
Leder, Holz, Blech); aber sie sind noch immer sehr gewichtig und zogen
gewöhnlich mit der Nachhut.
Jedoch diese leichten Brückenvorkehrungen hatten ihre schlimmen
Seiten ; man konnte über solche Flüsse, wie der Po, der Rhein, die Donau,
mit starker Strömung, keine Brücken mehr schlagen, da diese nicht
widerstandsfähig genug waren. Auch war das metallene Material nicht
ganz zweckentsprechend; es litt beim Transport und die Blech-Pontons
rosteten.
Zwanzig Jahre vor der französischen Revolution wurde in Frankreich f^^,^,,^
das Gribeauvarsche System angenommen, das aus Eichenholz-Pontons syttem.
bestand und während der ersten Kriege zur Zeit der Revolution und
Napoleons angewandt ward. Napoleon überschritt mit den Gribeauval'schen
Brücken 1806 die Donau. Der Park war so schwer, dass man ihn
zurückliess und in Wien verkaufte.
Sodann entschloss man sich in Frankreich zu sehr leichten Blech-
Pontons. Mit einigen Veränderungen acceptierten auch andere Mächte
dieses Material. Ein Bild in der Beilage illustriert den Stand der Frage
in dieser Zeit am besten.
Gegenwärtig besitzen alle in militärischer Hinsicht wohlorganisierten o^g^n-
Staaten Spezialtruppen, meist Pontoniere genannt, ausgerüstet mit Wagen, stand,
auf welchen die zur Herstellung der Flussübergänge erforderlichen Boote,
Ober- und Unterbaugegenstände, Explosivstoffe, Werkzeuge und was sonst
noch nötig, mitgeführt werden.
In Deutschland befinden sich bei jedem Armeekorps 34 Wagen und Deatechund,
ausserdem verfügt jede Division über 14 Wagen. Die Boote sind aus
galvanisiertem Eisenblech hergestellt.
Bis zum Jahre 1893 hatte man in Oesterreich-Üngam Brückenparks oesterreich-
Ungun.
der Avantgarde und die normalen Parks. Jene wurden dann durch
leichte Parks ersetzt, welche ermöglichen, längere Brücken herzustellen.
Diese leichten Parks zerfallen in zwei Divisions-Equipagen. Die Zahl
der Normal-Parks wurde vermehrt und in der Verteilung der Bedienungs-
mannschaften und des Materials auf die verschiedenen Parkeinheiten
gewisse Veränderungen ausgeführt. Die österreichisch-ungarische Armee
zählt zur Zeit 60 Brückenparks. Im Prinzip ist jedem der 14 Armeekorps,
die zum Bestände der Operations -Armee gehören, ein leichter Park, der
214
n. Die Hilfsmittel.
Frankreich.
Italien.
Rasaland.
aus zwei Divisions-Equipagen besteht, zugeteilt. Die 46 Normalparks
sind nach Bedürfnis unter den Armeen und Armeekorps verteilt. Die
Boote bestehen aus Stahlblech.
In Frankreich bestehen 19 Armeekorps-Brückenparks und 4 Armee-
Brückenparks. Die ersteren bestehen aus zwei Divisionen, einem Reserve-
und einem Regiments-Zug; die anderen aus vier Divisionen, einer Doppel-
Reserve und einem Doppel -Regiments -Zug. Die Boote werden aus
Fichtenholz hergestellt.
Das italienische Heer besitzt 12 Armeekorps - Brückenparks (zu
46 Wagen mit je 4 Pferden). Die Boote sind aus Lärchenholz gebaut.
Ausserdem giebt es noch Brückensektionen bei den Sappeur-Kompagnien.
In Russland soll jedes Armeekorps einen Park von 61 oder 62 Wagen
erhalten, darunter 62 Sturzkarren (6 Pferde). Im Einzelnen verteilen sich
die Wagen und Boote folgendermaassen : 30 SturzkaiTen No. 1, ein Vorder-
Halbboot, kleine Balken und Eichenbohlen; 6 Sturzkarren No. 2, ein Vorder-
Halbboot und Böcke; 12 Sturzkarren No. 3, 4 Vorder-Halbboote, 8 Mittel-
Halbboote, Stützen, verschiedene Zubehöre; 4 Sturzkarren No. 4, ein
Mittel-Halbboot und Takelwerk; die 9 oder 10 Hilfswagen tragen die
Werkzeuge, um die Brücken zu bauen, die Eisenbahnen zu zerstören
oder auszubessern. Dazu kommen noch 10 oder 11 Wagen der Intendantur
(Patronenkisten, Lebensmittelwagen, ein Wagen für die Kasse und die
Archive, ein Ambulanz- und ein Apothekenwagen). Jedes Spezialtruppen-
Bataillon kann eine Schiffsbilicke von 216 bis 311 Meter und eine Brücke
auf Böcken von 47 Metern bauen. In Kriegszeiten behält das BataDlon
zwei Kompagnien, aber der Park kann in 4 Abteilungen geteilt werden,
von denen jede über die notwendigen Mittel verfügt, um eine Brücke von
circa 60 Metern herzustellen.
Jedes Bataillon auf dem Kriegsfusse hat 123 Wagen, davon 102 vom
Brückenbau-Park. Die Boote werden aus 1,6 Millimeter dickem Eisen-
blech hergestellt, i)
Es würde zu weit führen, wollten wir uns auf eingehende Be-
schreibung der auf den einzelnen Kriegsschauplätzen ausgeführten Fluss-
übergänge einlassen.
uebe»icht Die auf der folgenden Seite gegebene Zusammenstellung wird uns
überifAnge ciueu genügenden üeberblick über solche Operationen in diesem Jahr-
xix.j"hrh. hundert bieten.«)
') Wetter: „Passages des cours d'eau", 1894.
') Wetter: ^Passages des cours d'eau et Ponts militaires", 1894.
Verkehrsmitt«! z<ir EriegsEeit. -
Synoptisch-namerische üebersicht über die Haupt-TJebergäEge
der Armeen Über Gewässer von 1789—1881.
Benutzte Systeme.
Die Taktik
Anf
SchiffB-
oder g
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der Operationen.
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Epochen
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8
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10
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4
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1815-1881»)
5
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2
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3
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5
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12
4«
10
44
10
1870-1871 .
4
671»
11
1
22
1
~
6
3
1
3«
~
~
14
1
>) D«r dsotiiili-f»iiiOiiicli9 Er]*; sieht nilgencknsb.
b> DuoBtv so wUnDd der Bolugeniii« tdb Firla. (Die Ziffern Mlgen ai* Zihl dar Brteken, nlclit
der Opentionen u, die mitunter I, s nnd « Brücken eiftrdeiMB.)
c) D«niBt«r 1 ur W«ge».
d) BetoBden dar yam 9s. SepMmbgr IBTO, fibor die Mune. »r > BtOskn der Puleei Armao.
e) Drei Hai bei den V«derierteii Im emBrlteBltcbui Kriege, «ta Mal bei den Kiuaea in EriKkrles.
In allen Armeen finden weitgehende Versuche und Uebnngen statt ^or-
hinsichtlich des raschen Uebersehreitens von Flüssen mit einem zu «r
diesem Zwecke in Anwendung kommenden schwimmenden Material ver- ,^tLt''
schiedenster Art.
Zum Uebersetzen über einen Flass führen die Armeen, wie wir
schon gezeigt haben, Schaluppen, Pontons, Böcke, Gerüste und Vor-
richtungen zum Bau von Flössen mit sich.
Wir wollen zum besseren Verständnis nur ein Paar Typen an- ''^^
fuhren. — Die folgende Abbüdnng*) zeigt eine französische, schon im Beheigpre».
Jahre 1853 eingeführte Schaluppe, welche keiner näheren Erläuterungen
Französische Sehalappe (Mod. 1853).
') „EncyclopMie cles connaisaances militaires".
216
It. Die HilfsOutt^l.
"TT""* ' Ausseiilem werden in der franzüsisclien Ai-mee noch zusammen-
seiuinppaB. legbope Schaloppeii (chaloupe pliante), System Tellier, gebraucht, deren
Längs- und Querschnitt in nachstehenden Abbildungen gezeigt wird.
ZoaanuuenlegbBre Schalupp« (System Tellier).
Die gebräuchlichsten Formen von Böcken und die Art ihrer Äuf-
stellnng auf Booten zeigt uns folgende Zeichnung.
BöukH uiid deren Aufstellung auf BoottTi,
sokBKiKgkoit Bei den angeführten, in jeder Armee vorhandenen Mitteln werden
*". BAA^mit staunenswerter Schnelligkeit Brücken hergestellt.
r
Verkehrsmittel zur Kriegazeit. — Woaaer-UubergänKe. 217
Wir geben in der Beilage die Abbildung der Herstellung einer Pfahl- "^°^^""
Jochbrücke über die Oberspree darch preussjsche Garde-Pioniere, ausser-
dem im Folgenden den Bau einer Pontonbrücke über die Donau bei Krems
ausgeführt von österreichischen Manövertrappen.
Herstellung einer Pontonbrücke von österreichischen Manövertruppen.
Die Brücke von 688 Meter (320 Ssashen) Länge war von Pionieren "'
in einem Bestand von 6 OWzieren und 280 Soldaten im Laufe von
2 Stunden aufgeiührt worden. Selbstverständlich können solche Friedens-
leistungen nicht als Maassstab für Kriegszeiten dienen. Jedenfalls aber
mass anerkannt werden, dass Flussubergänge mit einer in der Vergangen-
heit jiiclit bekannten Schnelligkeit bewerkstelligt werden können.
218
rr. nifi Hilfsmittel.
"b^*"" "i ■^"^ Booten, Gerüsten und Böcken werden auch kombinierte Brücken
B«fcen. beigestellt, wie folgende Typen, welche wir als Beispiel anführen, zeigen
mögen.
Boot«u und Böcken,
Es wird aber versucht, noch leichter transportierbare Mittel zu
Fluss-Uebergängen herzustellen. Von getötetem Rindvieh wird die Haut
in der Weise abgezogen, dass sie als eine Art .Schwimmtonne verwandt
werden kann; Häute, die einem frisch getöteten Rind abgezogen sind,
können sofort zur Ueberfahrt benutzt werden. In der russischen Armee
nennt man solche Häute „Burd,juk".*)
Zwei Abbildangeii, die wir der Zeitschrift „La Nature" entnehmen,
veranschanlichen die Art der Anfertigung von Burdjaks nnd deren An-
wendung in der Praxis.
Art der Anfertjgunf; v
*) Burdjuk bedeutet eigentlich einen Schlauch aus Leder, namentlich aus
Ziegenleder, der im Kaukasus zum Transport von Wein etc. benutzt wird.
Verkehrsmittel xne Kaingszuit, — Wap
Das Üebersetzen auf Burdjuks.
In der „Annee scientifique" linden wir weiterhin eine interessante '
Beschreibnng eines Flnssübergangs. Erfinder ist der mssisclie Offizier
Apostolow; die Versuche würden im Jahre 1890 von einem Kosaken-
Regiment ausgeführt.
Aus getheei-tem Segeltuch und ans zusammengelegten und in be-
sonderer Weise verbundenen Lanzen wird eine Art grosses Boot her-
gestellt, auf welchem man Pferdegeschirr und Bagage transportieren kann,
die Pferde legen die Strecke über den Fluss schwimmend zurück. Auf
diese Weise konnten sogar Feldkanonen mit sämtlichem Zubehör über-
gesetzt werden.
Die Bestandteile eines solchen Bootes sind so leicht, dass es 4 Mann
ohne besondere Schwierigkeit tragen können.
In der englischen Armee bedient man sich ebenfalls der Lanzen
zum üebersetzen über einen Fluss, indem man aus ihnen mit Hilfe
wasserdichter Säcke Flösse herstellt, wie dies aus der umseitigen Ab-
bildung^) ersichtlich ist.
') Diese Abbildung iat dem Journal of TJnited Service Institution of
India" Jahrg. 1893 entnommen.
n. Die Hüfcmittel.
3 Laneen und Tasserdicbten Säcken.
Es mu3s noch eines Bootes zn Ueberfahrten Erwähnung geschehen,
welches von Kapitän Tschernow erfanden ist und ebenfalls wichtige Dienste
leisten kann. Es folgen die Abbildungen.
Boot (System Tschernow).
Überzogen ist; seine Ergänznngsteile bilden zusammensetzbare Holz-
rahmen und eine geringe Anzahl leichter Holzstangen. Das Gesamt-
gewicht eines solchen Bootes beträgt etwa 70 Kilogramm (4 Pud) seine
Länge 6 Meter (8 Arschin), seine Höhe V^ Meter (12 Werschok); es
finden in ihm 14 Personen Platz, transportiert wird es auf dem
Munitionswagen. Das Boot kostet ca. 50 Mark (23 Knbel) and wird in
der Werkstatt des 137. russischen Linien-Infanterie-Regiments angefertigt.
Es kann in 6 Minuten zusammengestellt und in S bis 10 Minnten aas-
einandergenommen und transportfertig befestigt werden. Auf solchem
Boote durchruderten 14 Mann die Wolga bei einer Strombreite von 250 Faden
in 5 Minuten hin und in 10 Minuten hin und zurück, wobei zwei Mann
am Ruder und einer am Steuer thätig waren. Die Menge des während
dieser Zeit ins Boot eingedrungenen Wassers betrug nur einen halben
Jt«'
Zelt-Boote.
^ '\yiJ~AM^
iBt^fe^g ^^^äU
Bd.I. BmlBgra Wi Seit« Sl.
Verkehrsmittel zur Kriegszeit. — Wasser -Uebergänge.
221
Aus solchen Booten stellt man aach Flösse her, indem man zwei ^««w aus
Segeltnchboote mit Hilfe von Stangen verbindet. Die Leichtigkeit dieser booten.
Boote erlaubt, sie von Menschen transportieren zu lassen; bei der Ein-
fachheit der Konstruktion können die Boote in vielen Fällen, wo es gilt
über einen Fluss oder See zu setzen, eine wesentliche Hilfe leisten.
Ein Floss aus zwei Segeltuchbooten bietet vor den einzelnen Booten
den Vorzug grösserer Widerstandsfähigkeit gegen das Wasser. Auf einem
solchen Flosse können 12 Mann vollständig gefahrlos übersetzen.
Sowohl das Segeltuchboot als auch das Floss erscheinen in Folge
ihrer grossen Tragkraft, Widerstandsfähigkeit und leichten Zusammen-
setzbarkeit als wichtige Hilfsmittel zur Ueberfahrt, zumal sie immer
zur Verfügung der Truppen stehen. 6)
In der deutschen Armee werden Fluss -Ueberschreitungen auf aus ^^
deatachen
Zelten hergestellten Flössen geübt, wie das Bild in der Beilage zeigt. Fauboote «r
Weiterhin werden auch Faltboote, bestehend in schwimmbereitem Zu- ^* *"**
Stande aus einem Gerippe von hochkantig gestellten Holzlatten, die am
Bug und am Hinterteil des Bootes zusammenlaufen und auf seiner Aussen-
und Innenseite von einem Doppelüberzug aus wasserdichter, gelbbraun
gefärbter Leinwand umspannt werden, verwendet.
Folgendes Bild zeigt uns ein derartiges Faltboot im Plane und
Durchschnitt. 7)
Faltboot (Plan und Durchschnitt).
Von Metall gefertigt sind nur die Beschläge, Charniere, die beiden verweuduug
am Bug und Hinterteil angebrachten Eückeneinlagen, sowie zwei die Faltboote.
Borde anseinanderhaltende Spreizen. 6 Mann vermögen ohne jede An-
strengung bequem mit je einer Hand das Boot von der Stelle zu tragen.
Die Boote lassen sich mitsamt dem Leinwandüberzuge zusammen- und
auseinanderfalten, zu- und aufklappen, wie etwa ein Bügelportemonnaie.
Man kann das Faltboot, je nach Bedarf, als einiges Ganzes oder
als zwei kleinere Nachen herrichten; letzteres, indem man die beiden
Endteile zusammenfügt, das vorn und hinten abschliessbare Mittelteil
aber allein für sich verwendet. Die auseinandergenommenen Teile je
zweier Boote werden auf einem zweispännigen Latten wagen verladen;
«) Woenny Sbomik: „Ueber Schiflffahrt and Flussüberschreitungen''.
') Wetter: „Passages des cours d'eau", 1894.
222
II, Die HiliBmittel,
das Abladen nnd Fertigmachen der Boote nimmt einen Zeitraum von
kanm 3 Minnten in Änsprnch.
Das nachstellende Bild stellt einen Flussiibergang mittelst solcher
<■ Faltboote dar, oder vielmehr zunächst die Manipulation der Zusammen-
faltnng der Boote.
Flussübergung mittelst Faltbooten (Zusfimmenfalten der Boote),
Ausserdem werden in den Armeen Kautsclmkflösse verwandt, welche
aus Säcken von dickem Baumwollenstoff zusammengesetzt sind, welcher
innen und aussen mit vulkanisiertem Kautschuk bedeckt ist. Scliou zur
Zeit des noidamerikanischeu
Krieges kamen solche Flösse
zur Anwendung, Sie bestellen
ans einzelnen Abteilangen,
welche ans den erwähnten
Sä(^ken gebildet werden, von
denen jeder eine Röhre zum
Aufblasen mit Luft und einen
Krahn zum Verschliessen
dieser Röhre besitzt. Der
Rumpf wird aus Balken und
Stangen gebildet. Mit 30 solcher Rümpfe, in denen sich je drei auf-
geblasene Säcke nebst zwei VeibindungsbÖcken befinden, kann man
. S.ig .
Ein FloBs auf Kautscliuksäolien,
Verkehrsmittel zur Kriegszeit. — Wasser -Uebergänge.
223
eine schwimmende Brücke von 182. Meter (85 Ssashen) Länge her-
stellen. Das Unpraktische einer solchen Brücke besteht aber darin, dass
sie nicht im feindlichen Feuer aufgeführt werden kann, da schon einige
Kugeln hinreichen, um die Säcke zu durchbohren und dadurch zum
Sinken zu bringen.
Schwimmende Brücken werden auch aus Petroleumfassern errichtet ; ß^ckeu an»
Fässern.
Über die Fässer kommt ein Steg, wie dies aus folgender Abbildung er-
sichtlich ist.
Milii !|!|li' lllii: IUI!' !ii!ii!l!!l!l r I lii
Brücke auf Petroleumfassern.
Eine solche Brücke ist nur auf einem Flusse mit langsamer Strömung
verwendbar, und nur auf einem schmalen Flusse kann man es wagen,
sie auch angesichts des Feindes herzustellen. Die Kugeln durchbohren
sogleich die Fässer, in welche dann Wasser eindringt, so dass die
Brückenteile untersinken. Aber manchmal ist es für Angriffszwecke
genügend, wenn eine Kompagnie Schützen übersetzt. In diesem Falle
kann man eine solche Brücke auch unter dem Feuer einer allerdings
schwachen Infanterieabteilung herstellen.
Die französische Kavallerie stellte Versuche mit dem Bau ähnlicher BracJ^e^^ »«^
Säckeu
schwimmender Brücken nicht auf leeren Fässern, sondern auf mit Stroh
und leichtem Keisig gefüllten Säcken aus wasserdichter Leinwand an.
Die Erfolge der Kavallerie hängen hauptsächlich von ihrer Bewegliclikeit
und der UebeiTaschung ihres Angriffs ab. Deshalb ist es unter Anderem
wichtig, ein Mittel ausfindig zu machen, welches ihr erlaubt, ohne
besondere vorbereitende Arbeiten und Vorkehrungen die ihre Bewegung
hindernden Flüsse zu passieren. Diesem Zwecke entsprechen bis zu einem
gewissen Grade die schwimmenden Brücken auf Säcken aus wasserdichter
Leinwand. Das 11. französische reitende Jägerregiment machte zur Zeit
der Herbstmanöver den Versuch mit einer solchen Brücke, und dieser
Versuch, welcher auf der Saöne, bei Chemilly, angestellt wurde bei
einer Strom-Breite von 75 Metern (3B Ssashen), erwies sich als vollkommen
fQr
Kavallerie.
224 U- I>ie UUfBinittel.
gelungen. Die Soldaten nahmen dfis Pferdegeschirr aaf die Schulter und
überschritten die Brücke, indem sie dabei die schwimmenden Pferde am
Zügel führten, wodurch sie gegen einen möglichen Verlust der Tiere
gesichert waren. Das Joch solcher Brücke besteht aus zwei Stützbalken,
welche von einander einen Al)stand von 1 Met«r (3,5 russ. Fuss) haben.
Ueber diese flihren Holzleitem, welche wieder von den vorerwähnten
Säcken getragen werden und von 10 zu 10 Metern (4,7 Ssashen) durch
Querbalken verbunden sind. Die ganze Brücke wird am Ufer, zusammen-
gesetzt, dann, nachdem sie aaf das Wasser gelassen ist, aufgerichtet
und befestigt; zuletzt wird der Bretterbelag aufgelegt.
Brücke auf Säcken ana wasserdichteui Leinen.
Die Versuche haben gezeigt, dass, wenn das gesamte Material zum
Bau einer solchen Brücke am Flussufer zusammengebracht ist, eine halbe
Schwadron hinreicht, um in einer Viertelstunde 24 Meter (11 Ssashen) dieser
Brücke hei-zustellen. Das Jonmal „Revue de Cavalerie" erinnert bei der
Beschreibung dieser Brücke daran, dass aus ähnlichen wasserdichten
Säcken Flösse und Prahme beigestellt werden, welche sich auch fiir
grössere Truppenteile als Ueberfahrtsmittel tauglich erwiesen hätten.
b) Eisenbahn -Brtlckenbaa.
A^'J^L ^'® Eisenbahnen bilden gegenwärtig eines der wichtigsten Kriegs-
Memwuiing mittel. Indem sie die Möglichkeit bieten, die Urlauber rasch zo sammeln
Eit«i»iiBu. und die Truppen schnell an den Grenzen zu konzentrieren, haben sie
die Operationen mit Menschenmassen, folglich die Schaffung von Massen-
heeren erleichtert.
Verkehrsmittel zur Kriegszeit. — Eisenbahn-Brückenbau. 225
Ohne Eisenbahnen wäre die Verpflegung der heutigen Millionen-
heere undenkbar.
Einen sehr wichtigen Dienst' leisten die Eisenbahnen auch darin,
dass sich Dank ihnen bei Truppenbefördenmgen die Verluste der von
ihren Standorten nach den Sammelpunkten übergeführten Mannschaften
bedeutend vermindern.
Um diese Bedeutung richtig zu würdigen, braucht man sich nur vor- vergleich
zustellen, dass z. B. ein Bataillon im Laufe von 24 Stunden 600 Kilometer schneuig-
weit befördert werden kann, d. h. eine 20 mal grössere Entfernung zurück- ^®***
legt als beim Fussmarsch und sich dabei die volle Fähigkeit bewahrt,
unverzüglich in den Kampf zu treten.
Die Folge verstärkten Eisenbahnbaues für die Kriegführung muss ^^^««°
also darin bestehen, dass die Truppen gezwungen sind, sich nicht von veret&rkten
den Eisenbahnlinien zu entfernen, obgleich sie dadurch dem Feinde be^utan^'
es erleichtem, ihre Bewegungen vorauszusehen. Auf die Benutzung der
ff
Eisenbahnen angewiesen, können die Truppen nicht mehr so leicht
wie früher die Richtung ihrer Bewegung verändern. Damit ist auch
die Notwendigkeit grösser geworden, die eigenen Bewegungen zu decken
oder rechtzeitig diejenigen des Feindes zu behindern.
Es ist demnach natürlich, dass der sich zurückziehende Teil grosses ^^^^^^
Interesse daran haben wird , die Eisenbahnen zu zerstören , der vor- etorang ud
rückende Feind aber daran, den Verkehr so rasch wie möglich her- hentouwg.
zustellen.
In Folge dessen hat die Unterbrechung der Bahnverbindung durch ^^^^^
Sprengung von Brücken eine grosse Bedeutung. Um nur ein Beispiel tob
anzuführen, erwähnen wir, dass im Januar 1871 die Franzosen die Eisen- nb^rtTn.
bahnbrücke über die Mosel sprengten und die Verbindung durch die
Bahn erst nach 17 Tagen und auch dann nur deshalb wiederhergestellt
wurde, weil zu diesem Termin der Verkehr auf der nördlichen Bahnlinie
eröfinet wurde. Wenn dies nicht gewesen wäre, würde sich die deutsche
Armee in einer höchst unbequemen Lage befunden haben. Die Technik
musste also dahin streben, Mittel zur schnellsten, wenn auch nur pro-
visorischen Wiederherstellung demolierter Eisenbahnübergänge ausfindig
zu machen.
Im Kriege werden Seilbrücken in Anwendung kommen. Das russische 8«iitrücken.
Journal „Ingenieur" teilt mit, dass ein talentvoller Militär -Ingenieur,
Hauptmann' Gisclard, einige Arten von Seübrücken erdacht habe, welche
sogar in Friedenszeiten wesentliche Dienste leisten können. Die Kon-
struktion solcher Brücken ist so einfach und leicht, dass man im
kritischen Moment mit den einfachsten und leicht zu beschaffenden
Mitteln auskommen kann.
Bloch, Der snkliiiftige Krieg. 15
226 n. Die Hilfemititel.
I Zar YeraDschaulichnng geben wir nachstehend eine Abbildung, aaf
der eine Hängebrücke mit parabolischen Seilen, die nnterhalb ihres beweg-
lichen Teils angebracht sind, dargestellt ist. Anstatt dass die Bretter-
diele an den Seilen befestigt ist, wird sie auf ihnen durch anfgepresste
Stutzen gehalten. Änsserdem nnterliegt das ganze System einer ebenso
grossen horizontalen Spannung als bei Kettenbrücken,
Alle Brückenteile bestehen ans Stahl -Drahtseilen und hölzernen
Stützrahmen.
Hängeade Seilbrücke.
UngidarcliHlialH.
Aber natürlich sind solche Vorrichtungen nur füi- Brücken mit
kleinen Lichtweiten zu gebrauchen.
Verkehrsmittel zur Kriegszeit. — Eisenbahn-Brückenbau.
227
Wie gross die Fortschritte sind, welche die heatige Ingönieurkanst »rtcken.
im Brackenbaa grösseren Stils erreicht hat, geht aus den folgenden Eiffei.
4 Abbildungen heiTor, welche die Aufstellung fertiger Brücken nach dem
System Eiffei über einen Fluss veranschaulichen.
I.
'i-
r--"''" — -T '*^'^ ^
|l|^jjjj|^l^l|itjQgX32r^^^3^
•*---- --H
y^i^
'^^^ — Arm»'"-
IL
*A*0
III.
tSjoa . ^
IV.
Das Schlagen einer fertigen Brücke (System Eiffei).
Diese Zeichnungen entsprechen den 4 Stadien der Brückenauf Stellung, sudien
de«
banes.
Zeichnung I stellt die fertige Brücke dar, wie sie auf dem okkupierten Brücken-
Ufer aufgestellt ist, Abbildung 11 und ni dieselbe Brücke, zum Teil über
den Fluss gerückt, wobei der Brückenteil, welcher sich noch auf dem
„eigenen" Ufer befindet, derart belastet wird, dass er im Stande ist, den
anderen Teil in schwebender, unbefestigter Lage über dem Wasser zu
erhalten. Abbildung IV stellt die auch schon am gegenüberliegenden
Ufer befestigte Brücke dar. Eine solche Brücke hat übrigens nur 24 Meter
15*
228
n. Die EQlfsmittel.
Beiregliehe
Stahlbrfloke
(System
Henry).
(11 Ssashen) Länge. Die angestellten Versuche haben ihre Dauerhaftigkeit
erwiesen.^)
Zum Uebersetzen über breitere Müsse baut man Brücken anderer
Art. In „Ann6e scientifique" findet sich die Beschreibung einer beweg-
lichen, ausserordentlich leichten Stahlbrücke, einer Erfindung von Oberst
Henry, die auf der Weltausstellung von 1889 die Aufmerksamkeit auf
sich lenkte. Eine solche Brücke von einer Höhe von 7 Meter (3 Ssashen)
und einer Länge von 92 Metern (48 Ssashen) in 2 Bogenteilen wurde in
30 Stunden montiert; das Schlagen der Pfahle selbst geschah in 80 Minuten.
Alle Brückenteile waren aus dem besten Stahl verfertigt und über-
aus sorgfältig gearbeitet, so dass das Netz der Dreiecke sich durch Kraft
'^Tsyetel*'' und bemerkenswerte Festigkeit auszeichnete; dabei machten weder die
Aufstellung noch das Hinüberwerfen sonderliche Schwierigkeiten. Eine
Abteilung von Sappeurs legte bei Soutiers eine solche Brücke über den
Fluss Var und es hat sich gezeigt, dass sie ebenso dauerhaft, wie eine
stehende Brücke.
Yennclie
mit dem
Sotalttgeu
Henry).
trs^
Profil einer Brücke (System Henry)
und Diogramm ihrer AufsteUung auf Pföhlen.
Nötige Zeit Allein die Kettenglieder der Brücke, welche bei Soutiers erbaut war,
ZQin
Aufbauen, wareu nur je 20 Meter (3,3 Ssashen) lang. Nun fragte es sich: Ist das
System Henry bei der Breite eines Flusses z. B. von 50 Metern (23 Ssashen)
anwendbar? Sappeurabteilungen, welche den Auftrag erhalten hatten,
einen Versuch zu machen, erbauten ungeachtet dessen, dass sie einen
^) „Sciences appliqu^es & i'art militaire" p. 569.
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Auf eingebohrten Pföhlen gebaute Brücke.
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Terkehramittel zur Kriegezeit. — Eigenbahn-Brückenbau.
derartigen Äaftrag znm ersten Male aositUirten, die BrUcke in 3i Standen,
nachdem zu ihrem Aufschlagen IB Stunden verwendet worden waren.
Somit zeigte es sich, dass man Dank der Erfindung des Oberst Henry
den Truppen binnen etwa 48 Stnnden den Uebergang über einen Fluss von
50 Metern Breite sicher stellen kann. Man setzte diese Versuche auf
dem Versailler Polygon in Gegenwart des Militärgonvemeurs von Paris,
General Sanssier, fort. Es wurde in 30 Standen eine Brücke erbaut,
welche 7 Meter (3 Ssaslien) hoch und 92 Meter {43 Ssashen) lang war,
bei zwei Kettengliedern von 47 Meter {22 Ssashen) Länge. Zum Legen
dieser Brflcke genügte ein Zeitraum von 1 Stunde und 20 Minuten.
Wir verweisen auf das vorstehende Profil einer solchen Brücke und
das Diagramm ihrer Änfstelluag auf Pfählen.
Um einen Begriff von den verschiedenen gebräuchlichen Arten der
Stahlbrücken zu geben, entlehnen wir dem Werke Henry's „Fonts et
Viaducs mobilisables", Paris 1891, folgende zwei Zeichnungen, die Auf-
stellung von Brücken aus transportablen Stahlteilen betreffend.
PmU
(ajitHeniT).
Qnerschiutt der Teile eines
transportablen Brückenkopfes.
(TotoUiöIie 12 Meter.)
Querschnitt eines Brückenkopfes
(gemischter Typna) Teretärkt durch
transportable Stohlt^ile.
230 ^ ^'^ HÜJämittel.
Tmmjwrt j^ Amerika stellt man fertige Brücken her, welche mittelst der
Brnokiii Elsenbabu nach ihrem Bestimmungsorte gesandt werden, so dass die
'" *'"'"*■ ganze Arbeit im Zusammenstellen besteht. Beifolgende Zeichnting zeigt,
wie eine solche fertige Brücke transportiert und wie sie über den Flnss
gelegt wird.
Diese Zeichnung haben wir dem Jonrnal „La Natnre" entnommen.
Solche Brücken wurden in Amerika zeitweilig bei der Kunstruktion neuer
Eisenbahnlinien gebraucht. Allein der Verfasser des Artikels sagt: „In
den europäischen Staaten, wo ja Alles für die Zwecke der Grenz-
verteidignng verwendet wird, wii'd auch dieses Brückensystem mit Nutzen
für Kriegszwecke angewandt werden."
"Jwe ^'^ „Revue de l'arm^e beige" bietet die nachfolgende Zeichnung
irktn einer Art von transportablen Biücken nach dem System Brochotzky,
uuij' welche von der rnssisclien Regierung in der Fabrik Cockerille in Seraing
bestellt waren. Diese Brücken zeichnen sich dadurch ans, dass alle Teile.
welche in das hölzerne Gestell münden, eine geradlinige Form haben
miiasen, ohne die I^änge von 5 Metern oder ein Gewicht von ]'25 bis
145 Kilogramm zu überschreiten. Ansserdem werden ihre znsammen-
legbaren Teile ohne Anwendung von Bolzen befestigt.
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Bd. L Elnfflgus bei S«ita 380.
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Küf-
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Verkehrsmittel zur Kriegazeit, — Zerstörung von Eisenbahnen. 231
Die Brücke wird mittelst Walzen oder, noch einfacher, an Stricken z*iJJ[»""
herabgelassen. Um eine solche Brücke nach dem System Brochotzky a« schii«»ii
von 30 Metern Länge zu schlagen, genügte ein Zeitraum von 3 Stunden. * "äj,u<m ''
Und bei einer geschickten Unterlage von Rollen unter die über das »""'«'"'■r-
Wasser zu schleppenden Teile kann das Schlagen der Brücke auch auf
einen Zeitraum von anderthalb Stunden verkürzt werden.
c) Zerstömiig von Eisenbahnen.
Die Anwendung von Eisenbahnen für Kri^szwecke brachte eine T^rwonannf
völlige Umgestaltung der Kriegführung mit sich. Der Krieg wird schneller EiHJhBlii.eii
und mit grösserer Energie gefUhi-t.
Im Kriege von 1806 rückte die Avantgarde der russischen Ai-mee ^J^'l'?'"'
in Polen zu der Zeit ein, als die preussische Armee schon bei Zoal
geschlagen war (cf. Höpfner, Krieg 1806/7). Der polnische Aufstand
begann am 29. November 1830, während die prenssischen Truppen sich
erst Anfang Februar 1^1 in genügender Anzahl in der Nähe von
Brestlitowsk gesammelt hatten, am die Grenzen des Königreiclis Polen
überschreiten zu können. Als im Juni 1815 die Armee der Allürten an
den Rhein gelangte, erfolgte schon in den Niederlanden der entscheidende
Schlag. Dagegen überschritten die prenssischen Truppen im Jahre 1870
die französische Grenze schon vor Ablauf von 3 Wochen nach dem Beginn
der Mobilisation, und im Laufe von 28 Tagen nach Beginn der Feind-
seligkeiten war die französische Armee schon in 7 grossen Schlachten
geschlagen und der Kaiser gefangen.
Der vornehmste Vorteil, welchen die Eisenbahnen darbieten, ist die jj^''^"„.
bedentende Beschleunigung der Mobilisation und der Beförderung der ii»i"i»n.
232 n. Die Hilfemittel.
Truppen an die Grenze. Früher waren Monate zur Konzentration der
Armeen nötig, ehe die kriegerischen Aktionen beginnen konnten, heut-
zutage kaum Wochen.
Die Eisenbahnen stellen die Beförderung der Reservearmeen und
die Zurttckbeförderung der Kranken und Verwundeten sicher; sie bilden
die Hauptlinien zur Verbindung des Heeres mit dem Vaterlande; sie er-
möglichen es, den einzelnen Armeen zu helfen, da grosse Truppenmassen
in kurzer Zeit von einem Ort zum anderen befördert werden können,
wie es öfters im Kriege von 1870 vorkam.
B«aiivaBff pj^ Leistungsfähigkeit der Eisenbahn hängt davon ab, ob die
Leiitnns:». Eisenbahnlinie ein oder zwei Geleise hat. In letzterem Falle gewährt
^EiMoUbn^sie den grossen Vorteil, dass, während auf dem einen Geleise die Be-
DoppeigeieiB. jfg|,^jgj.^jjjg ^^j. Truppeu an ihren Bestimmungsort vor sich gehen kann,
davon völlig unabhängig auf dem anderen die entladenen Waggons
zurückkehren können. Allein eine Linie mit zwei Geleisen bietet nur in
dem Falle einen wirklichen Vorteil, wenn sie überall in ihrer ganzen
Länge in dieser Art konstruiert ist. Ueberhaupt kann die Linie nur
dann Nutzen bringen, wenn sie völlig selbstständig und in ihrer ganzen
Ausdehnung von der gleichen Leistungsfähigkeit ist.
ftw^kST Ungeachtet der ungeheuren Bedeutung der Eisenbahnen werden
eines wir uns nicht länger mit diesem Gegenstande beschäftigen, da dieses
von*ioo°bi^ Verkehrsmittel dem Publikum genugsam bekannt ist. Es genüge, wenn
110 Aehsen. ^jj. hinzufügen, dass ein Militärzug, welcher aus 100 bis 110 Achsen
besteht, 1 Bataillon oder IV2 Schwadronen oder 1 Batterie aufzunehmen
im Stande ist.
Im Jahre 1866 beförderte in Oesterreich eine eingeleisige Bahn bei
Unterbrechung des bürgerlichen Verkehrs binnen 24 Stunden 8 Züge
(zweigeleisig 12 Züge); im Jahre 1870 steigerte sich die Leistung auf 12,
beziehungsweise 18 Züge für den Tag, und heute rechnet man in Frankreich,
wo die Militärzüge statt mit Stations- mit dem Zeitintervalle von je
10 Minuten aufeinander folgen sollen, auf den Tag und bei einem Geleise
schon 18 bis 20 und bei zwei Geleisen 40 bis 50 Züge. Die Leistung
des Eisenbahntransports verdient nach diesen Daten eine ganz bedeutende
genannt zu werden.
Vor- Zur Verteidigung und eventuell zur raschen Zerstörung von Eisen-
bereitnngen
fttr Yer- bahueu haben sich alle Staaten vorbereitet.
wendang nnd
zerat^rnng lu deu grösscreu Brücken und Kunstbauten werden in besondere
EiMn™hiien. S^^igii®*^^ Einschuitteu Sprengkammern angebracht, die Wasserver-
sorgungsstationen können im Laufe von ein Paar Minuten in die Luft
gesprengt werden.
Geschütz auf einer gepanzerten Eisenbahn-Plattform.
(Proboachiessen vor Lord Bereaford in Newhaven 1894.)
, Verkehrsmittel zur Krieemeit. — Zeratöninp von Eisenbahnen. 233
Anf den Schieuett werden sich gepanzerte Zöge and Batterien fort- "»^»t»
bewegen, znm Angriff und zur Verteidigang mit schweren, sehr weit
tragenden Geschützen ausgerüstet
Folgendes Bild zeigt uns einen gepanzerten E^enbahnzng.
0«paiizerl«r Eisen balinzug.
Weiterhin geben wir in der Beilage das Bild des anf einer ge- E"k"«»«
panzerten Eisenbahn-Plattform aufgestellten Geschützes, wie es sich bei g»cJiiii»« mf
dem vor Loi-d Beresford in Newhaven 18M vorgenommenen Probeschiessen ,1.«^™,°^
darstellt.
Ausserdem werden für die Benutzung der Eisenbahnen auch die »°^
gewöhnlichen Geschütze sehr gefährlich werden. Untenstehende Zeichnung a.r vomioht
zeigt die durch Artillerie auf den Oberbau einer Strecke mit zwei 'd«r*K»^
Geleisen hervorgebrachte Wirkung. Fe^hf/^V
'Wirkung der Artjllerie auf den Oberbaa der Eisenbahn.
234 Q- I^ie Hil&mitbel.
wikTHiiaiB- ^gf rasche Wiederherstellung von Eisenhahnen ist also nicht viel
dar B.tri.1«- zu rechnen.
bnobn^n. ÄDsserdem können, in Anbetracht des ranchlosen Palvers, der
Kraft der Explosivgeschosse und überhaupt bei den heutigen Methoden
der Kriegsfühning, ungeachtet aller Vorsichtsmaassregeln für die ßilcken-
decknng der Eisenbahnen, sehr leicht Betriebsunterbrechungen hervor-
gebracht werden.
RDci«- Die Eisenbahnen stellen ein so sprödes, leicht zu beschädigendes
Kriegt Kommunikationsmittel dar. Zu Ende des deutsch -französischen Krieges
waren für die Eückendecknng der deutschen Armee 145712 Mann nebst
5946 Pferden und 80 Geschützen bestimmt.
Bei den gegenwärtigen Zerstörnngsmitteln würde eine unverhältnis-
mässig grössere Kraft nötig werden.
k^r^^ht ^'^ *"®^ führt dahin, dass die Armeen grosses Interesse haben
i™«- werden , die Anzahl der Eisenbahnlinien zu vei^össem. In allen
Ahne" Staaten werden Vorbereitongen zur raschen Herstellung von leicht
transportablen Eisenbahnen getroffen.
d) Baa von Feld-Eisenbahnen.
VeWtahnl" Folgende Zeichnung stellt das Legen eines schmal sparigen Schienen-
Frukmioh. stningcs Während eines Manövers in Frankreich dar.
Leguiig einer Fpidbahn.
Die deutsche Armee hat eine grosse Anzahl von Schienen, Be-
n festigungen, Eisenbahnschwellen und beweglichem Material für solche
■ Zwecke vorrätig. Das dort angewandte transportable Eisenbahn-
geleise hat eine Breit« von 60 Centimetern (23,6 Zoll) und besteht aus
(jliedem von einer Länge von 2 bis 5 Metern (6,5 bis 16,3 Fuss). Die
Einspurige Eisenbahn (System caiiie«.
M. L Elaragan bal Stitt 2E
Verkehrsmittel zur Kriegszeit. —- Bau von Feld- Eisenbahnen. 235
Waggous, doppelte, haben eine Länge von 3 bis 4 Metern (9,8 bis
13 Fuss), eine Breite von 1,3 Metern (4,3 Fuss) mit Wänden von einer
Höhe von 50 bis 60 Centimetern (19,7 bis 23,6 ZoU). Jeder Waggon ist
mit getheertem Segeltuch versehen. Ein Waggon kann eine Ladung
von 32 Säcken Fleischkonserven und 32 Säcken Reis aufnehmen.
Das Geleise wird mit Steigungen bis 4 Prozent (1 : 25) , bei kurzen ^ w^mga
^ ^ \ y 7 daner trans-
Strecken sogar 10 Prozent (1 : 10) gelegt. Man nimmt an, dass man unter portabler
günstigen Bedingungen 10 Kilometer (9,4 Werst) innerhalb 16 Stunden Ersparin,?
wird mit Schienen belegen können. Berechnungen zu Folge macht die ^^/J„'^h
bewegende Kraft auf einem solchen Geleise Vi6 derjenigen aus, welche ««■
für Grundweg, und Vs derjenigen, welche für Chausseewege erforderlich
ist. Die Arbeit, für welche man auf der Chaussee 30000 Pferde brauchen
würde, werden auf dem Geleise 6000 Pferde leisten; folglich wird die
Kraft von 24 000 Pferden gespart.
Man nimmt ferner an, dass man auf einer Operationslinie von ^^Jj^jj*^'
300 Kilometern (281 Werst) 1800 Kilometer (1687 Werst) Eisenbahnschienen po'^we
brauchen wird, wozu noch 200 Kilometer (187,5 Werst) für Weichen und
Ladungsgeleise hinzukommen, also im Ganzen 20(X) Kilometer (1875 Werst)
Schienen und 18000 Waggons, was einen Kostenpreis von 24 Millionen
Mark ergiebt; diese Summe ist kaum für die Konstruktion eines Weges
von 120 Kilometer (112,5 Werst) gewöhnlichen Schlages hinreichend und
würde sich wahrscheinlich als ungenügend für die Wiederherstellung
einer zerstörten Bahnlinie zu Kriegszeiten erweisen, welche übrigens
meistens zu spät in Angriff genommen wii'd.
Die Zeichnungen des Schienengeleises und des in Deutschland ^«""^•^« ™**
angewandten beweglichen Materials (siehe Seite 236) sind so klar, dass portablen
sie keine weiteren Erklärungen bedürfen.
In Oesterreich assignierte man in den Jahren 1887 und 1888 Spezial- \^^'
kredite im Umfange von 2100000 Gulden, behufs Anschaffung von oe«terreicb-
Material und Fahrtrain für transportable Eisenbahnen für 350 Kilo- 7ü*r"'
meter. bewegliche
EisenDabnen.
Allein das war nur ein Teil der Kosten, welche man für trans-
portable Eisenbahnen veranschlagt hatte; die Gesamtsumme berechnet
man auf 36(X)000 Gulden, w^odurch die Anschaffung von 600 Kilometer
transportabler Eisenbahnen mit dem unumgänglich nötigen Fahrtrain
ermöglicht wird. (Die Kosten für einen Meter wurden auf 6 Gulden
berechnet, von welchen 3 aufs Material und 3 auf den Fahrtrain-
Bestand kommen.) Auf Rechnung dieser Summe wurden laut Kosten-
anschlag für aussergewöhnliche Ausgaben des Kriegsbudgets Oesterreich-
üngarns für 1890 4(X)000 Gulden behufs Anfertigung transportabler
Eisenbahnen assigniert.
II. Dip HilfsmitM-l.
Sfhipnpn und bewegliches Material einer transportablen Eisenbahn.
e) Mascbinen znni Transport von Lasten.
Weit verbreitete Befiirchtangen bezüglich der Schwierigkeiten, mit
welchen die Verproviantierung einer nach Millionen zählenden Armee zu
* Kriegszeiten verbunden sein wird , flihrten zu Ermittelnngen Über die
Konstruktion solcher Dampfmaschinen, welche den Transport von Lasten
auf gewöhnlichem, d. h. nicht auf Schienenwegen erleichtern könnten.
Endgültige Resultate ergaben, dass derartige Reisemaschinen
/machines routi^res) auf ebenem Wege 10 vierspännige Foorgons (Pack-
wagen) ziehen können, auf schlechtem ungefähr die Hälfte und dass sie
nicht nur deshalb beqnem anwendbar sind, weil sie eine grosse Last
ziehen, sondern auch deshalb, weil sie Tag und Nacbt ohne Änfenthalt
benutzt werden können.
> Diese Maschinen sind jetzt so veiToUkommnet, dass sie sogar auf
den schlechtesten Wegen anwendbar sind, über Sand, Schnee und Eis
[. gehen, ja bei geschickter Leitnng auf dem unebensten Terrain fonktionieren
können. Sie können gute Dienste leisten in Festungen, bei Armiemngs-
oder Desarmierim!?s-Arbeiten, bei Belagerungen, hei dem Transport
von schweren Geschützen und Geschossen, sowie Vorräten aller Art
Zar Erleichterung der Befrachtung auf Eisenbahnstationen und
Niederlagen sind diese Maschinen am Vorderteil mit einem Krahn versehen.
Plattform zur Beförderung breitspuriger Eisenbatinwagen auf
schmalspurigen Bahnen.
Beförderung der breitspurigen Wagen auf den Plattformen.
Längssohnitt.
Bd I. ElDflgei b«[ 8«lta St
Maschinen zur Lasten-Beförderung auf ehaussierten Wegen.
.f
Transportmaschinen für Personen und Lasten.
Verkehrsmittel zur Kiiegszeit. — Maschinen zum Transport von Lasten. 237
Ferner gewähren sie auch noch den Vorteil, dass sie als Lokomobilen Möglichkeit
Transpoit-
för verschiedene mechanische Arbeiten verwendet werden können. Jetzt maschinen
konstruiert man einige dieser Maschinen in der Art, dass sie bei Be- Lolomotweu
seitigung der Räderbandagen sogar auch wie Lokomotiven auf Schienen- ^^^^j,^^^
geleisen rollen können.
In Deutschland wurde eine Lokomotive, System: Boller, zu einer
derartigen Maschine umgearbeitet, welche auf gewöhnlichem Wege fünf
15 Centimeter-r (6 zöllige) Geschütze auf Plattformen und die gesamten
Laffeten dieser Geschütze transportierte. Der Versuch gelang aus-
gezeichnet.
In England sind Maschinen, System Eweling-Poster, im Grebrauch. ^^'^"^^^^.^
In Frankreich sind sie noch mit elektrischen Apparaten, behufs Be- England,
leuchtung des Weges, versehen. "Ld^*"
In Russland wurden ebenfalls zwei derartige Maschinen schon im ^''^^"^
Jähre 1876 Versuchen unterworfen, eine nach dem System Eweling-Poster,
die andere nach dem System Fowler. Man prüfte sie auf gewöhnlichen
Wegen, bei den Manövern in Krasnoje-Sselo, und noch spezieller im
Lager von Ust-Ishora. Sie mussten steüe Abhänge erklimmen, auf den
schlechtesten Wegen gehen und verschiedene Evolutionen ausführen, wobei
jede eine Artillerie-Batterie zog.
Im Winter 1876/77 erwarb die russische Regierung 12 solcher
Reisemaschinen, und zwar: 6 System Eweling-Poster, 3 Kleiton, 2Molzen
aus Brjanisk und eine Fowler.
Man bildete aus ihnen einen Park unter Aufsicht eines Stabsoffiziers
und seines Gehilfen, eines Lieutenants. Mit dem Park war eine kleine
Werkstätte für Reparaturen vereinigt, bestehend aus 2 Feldschmieden mit
je 3 Schlossern, welche mit den nötigen Instrumenten versehen waren.
Die nimmer rastende Technik arbeitet heute eifrig an der Vervoll- Neueste ver-
snolio in
kommnung der Strassenlokomotive. In dem für 1894 ausgeschriebenen Frankreich.
Wettbewerb in Frankreich, an welchem 23 Erfinder teilnahmen, wurde
festgestellt, dass IB der Konkurrenten in Ronen mit einer wirklichen Ge-
schwindigkeit von mehr als 12,4 Kilometer in der Stunde eintraten. Der
Wettbewerb ergab weiter, dass der Dampfmotor weit hinter dem Gasolin-
motor zurückbleibt. Der Gasolinwagen ist fortan zu praktischer Ver-
wendung gelangt. Die Apparate werden jeden Tag vollkommener, Dank
der Erfahrung, die man macht, die Unbequemlichkeiten und Hindernisse
schwinden, die Mechanismen vereinfachen sich und der Petroleumwagen
geht all' der Vervollkommnung rasch entgegen, deren er überhaupt fähig.^)
0 Figuier: „Revue scientifique et industrielle", 1895.
238 II- I>ie HUfsimttel.
6, Schlussbemerkungen.
^TifaTutd' ^^^ -Betrachtung der Hilfsmittel, welche die Armeen auf dem Felde
machen den der kriegerischen Operationen anwenden werden, führt uns aufs neue zu
derbiicher. cbcn dcuselben Schlüssen, welche sich auch aus den vorhergehenden Ab-
schnitten ergaben: niemals haben sich die Staaten zu einem Kriege so
gründlich vorbereitet wie jetzt, niemals wurde eine solche Masse von
Mitteln beschafft, um dem Feinde Verluste an Mannschaft und Vermögen
zuzufügen. Ueberall werden gleichartige Vorbereitungen getroffen, dabei
wird das Gleichgewicht unter ihnen aufrecht erhalten; so ergiebt sich
kein Vorzug für irgend eine Seite, und gleichzeitig wächst die Ver-
nichtungsfahigkeit des Krieges für alle in gleicher Weise.
. D" Allerdings versteht es sich von selbst, dass diejenige Seite be-
oine schwere, deutend im Vorteil sein wird, welche über eine grössere Zahl von
bewütigelde intelligenten Kräften zu verfügen haben wird. Der Krieg hat auf-
ew^n S^l^ört, ein einfacher, mit physischen Kräften geführter Zweikampf zweier
Armeen zu sein. Gegenwärtig ist der Krieg eine Kunst im wahren
Sinne des Wortes, und zwar eine schwere und inhaltsreiche Kunst,
welche der Hilfe der Wissenschaft nicht entbehren kann. Die Armee
muss das Schlachtfeld mit allen technischen Vervollkommnungen aus-
gerüstet betreten, allein dabei wird der Vorteil auf der Seite sein, wo
man alle diese neuen Hilfsmittel auf rationellere Weise gebrauchen wird.
In allen Ländern arbeitet der menschliche Verstand unermüdlich an
solchen Erfindungen, welche behufs Erhöhung militärischer Leistungs-
fähigkeit den Gebrauch aller Naturkräfte, Fähigkeiten der Menschen und
Tiere, Eigenheiten der Pflanzen und Metalle ermöglichen. Wehe dem,
der nicht mit den Fortschritten der militärischen Kunst mitzugehen im
Stande sein wird, es sei denn, dass sich die jetzigen politischen Be-
ziehungen ändern.
Wird die Zudem wird man nicht nur Geschosse von einem weit entfernt
Nerrenlrnft
aoareichen? steheudeu Fciudc zu besorgen haben, sondern man wird auch die
Regionen der Luft, auf welche wir früher mit Ruhe und Hoffnung
blickten, fürchten müssen. Sogar von dort aus wird uns der Gegner mit
Vernichtung bedrohen. Welche Nerven werden dazu nötig sein, um nach
den Mühen des Tages noch den nächtUchen Alarm ertragen zu können?
Und welcher Art wird die Belohnung sein, welche die Völker als Resultat
aller dieser Mühen schliesslich erlangen werden? Das ist wohl eine der
wichtigsten Fragen für die ganze Menschheit.
ni.
Schilde und Panzer,
Schilde und Panzer gegen die Wirkungen der
feindlichen Engeln.
Die Verstärkung der tötlichen Wirkung des Gewehrfeuers stellte ß"<*«" ^•^^
die Frage der Erfindung von Schutzmitteln dagegen auf den ersten Plan, mitteiii gegen
In einigen Armeen machte man Versuche mit beweglichen Schilden, mit toinduoiie
welchen man die angreifenden Truppen behufs Schutzes vor den feind- ö«w«5»rfwo'.
liehen Kugeln versorgen wollte. Derartige Schilde sollten die Soldaten
tragen oder vor sich her fahren. Man machte auch Versuche mit Panzern,
die aus einem Stofi verfertigt waren, welcher für die feindlichen Kugeln
undurchdringlich sein sollte. Dann wollte man die Soldaten mit solchen
Panzern versehen.
Allein alle diese Versuche ergaben, wie wir gleich zeigen werden,
keine befriedigenden Resultate.
1. Schilde.
Sofort nach der Einführung des Ohassepot-Gewehres in der fran-
zösischen Armee begannen viele Militärschriftsteller die Behauptung auf-
zustellen, dass das neu eingeführte Gewehr ein Anstürmen gegen den Feind
von der Front aus unmöglich mache und dass der vom Gewehrfeuer
bestrichene Raum nicht zu überschreiten sei. Eben seit dieser Zeit begann
man verschiedenartige Schutzmittel gegen die feindlichen Kugeln für die
angreifenden Truppen zu erdenken und zu versuchen.
Im Jahre 1869 machte der Kapitän Ganniers den Vorschlag, vor
den angreifenden Linien Schilde aus Metall als Deckungen gegen die
feindlichen Kugeln aufzustellen, i)
0 Arthur de Ganniers: „La tactique de demain. Cuirasse pare-balles et
boucliers".
Bloch, Der Bokünftige Krieg. 16
Metall-
Bohirme,
System
Ganniers.
242 ^^ Schilde und Panzer.
Fast gleichzeitig damit tauchte das Projekt der KugelscUrme (^cran
pare-halles) auf. Ihre Einrichtung ist ans beifolgender Zeichnung
ersichtlich.
Engelschinu Clermont-FerTaii.
EinriBhoing Dieser Schirm besteht aus zwei 1 Meter (3,3 Fuss) hoben und Va Meter
Mkimu breiten Metallschilden, welche in einer Entfernung von 30 Centimetem
Fml (1 Fuss) von der Erde an der Achse eines Rades im Durchmesser von
1,1 Meter befestigt sind. Ein jeder geschlossene Schirm soUte 8 Soldaten,
welche in 4 Reihen aufgestellt sind, decken.
Anfänglich betrachtete man diese Erfindung in Ofözierskreisen mit
einem gewissen Hohn und gab ihr den Namen eines „Heilpllasters fUr
Weiber". Jedoch die in den Kriegen von 1870 und 1877 gemachten Er-
fahrungen veranlassten die militärischen Autoritäten, sich mit dem Ge-
Koisi- danken einer künstlichen Deckung ernsthafter zu befassen. Im Jahre 1880
srttaiD EM- projektierte der dänische Kapitän Hollsteiu eine neue Art von Kugel-
'""^ schirm (bouclier pare-balles), der 2 Meter (6,5 Fuss) hoch und 1 Meter
(3,3 Fnss) breit war, nnd aus zwei Metallplatteu bestand. Eine solche
Deckung mnsste notwendigerweise genügend dick und dementsprechend
schwer sein. Der Gebranch dieser Schirme auf dem Sdilachtfelde
schien ans dem Grunde erschwert, da ja in Wirklichkeit die Dicke
des Scliildes nicht geringer als 6 Millimeter (0,2 ZoU) sein musste und
dennoch keinen sicheren Schutz bot; allein die Verteilung solcher
Metallplatten auf zwei ergab das Resultat, dass die Kugel, welche
das erste Hindernis durchschlagen hatte, soviel an Kraft verlor, dass
sie das zweite nicht mehr zu durchdringen vermochte. Versuche, welche
mit dem ll-MÜlimeter- (0,43 ZoU-) Gewehre gemacht wurden, bestätigten
dieses vollkommen.
*■'- Es scheint, dass die Erfindung des Kapitäns HoU8t«in nicht
Dintnutk. spurfos vcrschwundeu ist. Im Jahre 1882 assignierte die dänische Re-
itmuJ'o'rtaM» gierung 75000 KroncH behufs Anstellung von Versachen and Erwerbung
SchUde. 24ä
transportabler Schilde für die Soldaten. Seitdem ist die I[raft der
Geschosse gewachsen, ungeachtet dessen aber wurde in das Budget für
1893/94 noch eine ausserordentliche Ausgabe von 26000 Kronen für
ebendenselben Gegenstand aufgenommen mit der Erklärung, dass die
dänische Eegierung im Prinzip die Erfindung HoUstein's anerkenne
und die Anfertigung derartiger Schilde angeordnet habe; dass sie aber
in der dänischen Armee vorläufig nm* in beschränkter Anzahl würden
verwendet werden. 2)
Die Versuche, Schutzschilder zu bauen, machten in der Militärwelt ^^®|;!f^""-
' ' System
einiges Aufsehen. Der französische Kapitän Lebrun kehrte zu dem Lebnm.
Gedanken des Kapitäns Ganniers zurück und arbeitete dessen Projekt
den heutigen praktischen und technischen Forderungen entsprechend um.
Sein Apparat besteht aus zwei Aluminiumplatten, die 2 Meter (6,6 Fuss)
hoch, 1 Meter (3,3 Fuss) breit und 4 bis 5 Centimeter (1,5 bis 2 Zoll)
dick sind. Das Gewicht des ganzen Schildes übersteigt nach der Aussage
des Erfinders nicht 40 Kilogramm (gegen 2V2 Pud).
In der österreichischen Armee bildete man behufs Untersuchung ^^^^
dieser Frage eine ganze Kommission, deren Meinung jedoch bis jetzt reichischen
Milit&rkreiso
nicht zu Gunsten der neuen Erfindung ausfiel. Der Fusssoldat, welcher an der zwecic-
in seinen Bewegungen frei ist, kann viele natürliche Deckungen, welche ^^^^^^
durch die Unebenheiten des Bodens gebüdet werden, benutzen, kann mi»*™»-
liegend auf der Erde kriechen, sich hinter Bäumen, in Kanälen u. dgl.
verstecken.
Das alles wird für den Schützen, welcher vor sich einen grossen
Schild führen muss, zui- Unmöglichkeit.
Gegenwärtig siud, wie es scheint, ausser in der dänischen Armee iMos^^^ita-
*^ ' sciiiime ein
auch in der belgischen derartige Schilde eingeführt und man hat geeignetes
die Hoffnung auf die Möglichkeit der Anwendbarkeit transportabler fof^^nerie.
Deckungen zum Schutz gegen Kugeln noch nicht fahren lassen. In den
übrigen Armeen ist der Gedanke an die Verwirklichung dieser Aufgabe
gänzlich aufgegeben wegen der Unbequemlichkeiten, welche mit dem
Gebrauch dieser Schilde verbunden sind, da diese die Bewegungen
der Soldaten erschweren und femer auch der Durchschlagskraft der
Kugeln, welche sie treffen, keinen genügenden Widerstand leisten. Von
diesen Nachteilen abgesehen, darf man auch nicht vergessen, dass
diese sich bewegenden Schilde ein vortreffliches Ziel für das feindliche
Artilleriefeuer abgeben, gegen welches sie selbstverständlich keine Schutz-
wehr büden können.
«) „Müitär-Zeitung" No. 7, Februar 1894.
16 ♦
244 TTT. Schilde tmd Panzer.
r>"todIuJd ^^ Deutschland betrachtet man alle diese beweglichen Deckungen
gegen uud ihren Nutzen im Kampfe mit vollem Misstrauen. Löbell äussert
Mhime. sich iu deu „Militärischen Jahresberichten" offen: „Unsere Meinung ist
die, dass wir dieselben bei unseren Feinden vorfinden möchten".
Doch wie, werden wir nicht am Ende im zukünftigen Kriege
wirklich Soldaten sehen, welche sich, gleich den Rittern des Mittelalters
mit Panzern bekleidet, in den Kampf begeben?
2. Panzerbekleidung.
vennche. Die Erfindung solcher Stoffe, welche keine Kugel hindurchlassen,
einen fftr
Kugeln hat sich bis jetzt nicht bewährt. Da aber der Gregenstand höchst wichtig
ari,X. ist» s« ^^ «r hier, wenn auch in Kürze, zu beleuchten sein.
e^flfden ^^^ Gcdauke an die Möglichkeit der Erfindung einer solchen Stoffes,
welcher bei verhältnismässiger Leichtigkeit die Eigenschaft der Undurch-
dringlichkeit für Kugeln besitzt, ist durchaus nicht neu. Bekanntlich hielt
schon Moritz von Sachsen es für gut, zu diesem Zwecke ein Grewand aus
in Essig bearbeitetem Leder zu tragen. Der Marschall Soult (zur Zeit
der Restauration) Uess Kürasse aus Metall mit Matratzen, welche mit Füz
aus Asbest gestopft waren, anfertigen, und zur Zeit der Regierung Louis
Philipps stellte er verschiedene derartige Muster vor. Dieser Art von
Projekten müssen auch die Vorschläge eines Perucice, Duvernais, Robert
u. A., die Soldaten mit kugelsicheren Korsets zu bekleiden, beigezählt
werden.
Ungeachtet dessen, dass diese Erfindungen damals gegen das frühere
Gewehr einen gewissen Schutz gewähren konnten, so gewannen sie
trotzdem in militärischen Kreisen keine Bedeutung, Das jetzige vervoll-
kommnete Gewehr aber macht den Ei'findem eines Schutzpanzers noch
mehr Schwierigkeiten und hat gleichzeitig das Bedürfnis nach einer
Schutzwehr gegen die Kugeln vermehrt. Aus diesen Gründen kann man
jetzt ein besonders eifriges Bemühen wahrnehmen, einen kugelsicheren
Panzer herzustellen.
oeeter- Im Jahrc 1887 meinte man in Oesterreich, dass diese Frage schon
reiohische
searn- durch die Erfindung des Ingenieurs Carl Seam, bestehend aus einer
Panzer-Matratze, gelöst sei. Und diese hielt in der That die Kugeln
aus dem llkalibrigen Gewehr auf. Allein es zeigte sich, dass eine
Kugel aus dem Karabiner Mannlicher, welcher an Stelle des früheren
Mauserge wehrs getreten war, mit Leichtigkeit die Seam'sche Matratze,
in einer Entfernung von 500 Metern (234 Ssashen) durchschlägt.
Panser.
/
/
Panzerbekleidung. 245
Panier.
Bald darauf durchflog ganz Eui*opa die Kunde, dass man in Deutsch- ^^^®"
land einen Stoff verfertigt habe, welchen eine Lebel- Gewehrkugel nicht
durchdringen könne. Selbstverständlich musste die Kunde von einer
derartigen Erfindung Sensation hervorrufen. Wie sollte man sich denn
auch nicht wundern über eine kugelfeste Uniform, die, wie man sagte,
aus einem Stück Zeug im Gewichte von nur 6 Pfund (in Wirklichkeit
war das Gewicht dreimal so gross) besteht, und einen schusssichereren
Panzer abgiebt als ein eiserner 12 Millimeter dicker Schild! — Allein
namentlich unsere Zeit hat die Leute an Wunder glauben gelehrt, welche
die Wissenschaft vollbringt, und im Vergleich mit der Anwendung, welche
Dampf und Elektrizität erfahren haben, wäre es wohl auch nicht wunder-
bar, falls man eine derartige Uniform erfunden hätte, von welcher die
Kugeln aus dem kleinkalibrigen Gewehr abspringen oder in der sie nach
Verlust ihrer Kraft stecken bleiben.
Der Erfinder dieses Stoffes war Heinrich Dowe, ein kleüier Schneider verenche
mit dem
in Mannheim, aus Westfalen gebürtig. Wenngleich die Kugeln that- dow»-
sächlich durch den Dowe'schen Panzer, mit dem man eine Gliederpuppe
bekleidet hatte, drangen, so zeigten sie danach doch einen abgeplatteten
Zustand. Nach vielfachen Vervollkommnungen dieser Erfindung legte
Dowe eine soldatische Uniform mit eingesetztem Panzer vor, an welcher
man in Refferthal Versuche ausführte. Die Reihenfolge dieser war
folgende: eine Kompagnie Schützen, aus Unteroffizieren bestehend, schoss
auf Gliederpuppen, welchen man den Dowe-Panzer angelegt hatte, an-
fanglich aus einer Entfernung von 400 Metern (187 Ssashen), dann aus
einer Entfernung von 200 Metern (93 Ssashen).
Nach eiQer Reihe von Versuchen ergab sich folgendes Resultat:
1. Die aus eiaer Entfernung von 400 Metern abgeschossenen Kugeln
eines Mannlicher-Gewehrs blieben in der Materie des Panzers
stecken, wobei sie ihre anfängliche Form verloren hatten.
2. Dieselben Kugeln, aus einer Entfernung von 200 Metern abge-
schossen, brachten auf der inneren Oberfläche des Panzers eine
Wölbung von 2 Millimeter (0,08 Zoll) hervor.
Diese Resultate übertrafen alle Erwai1;ung und gaben Anlass dazu,
dass man auf weitere Vervollkommnung des Panzers hoffen konnte.
Die Industrie wandte in der Voraussicht grossen Gewinns ihre
Aufmerksamkeit der Erfindung Dowe's zu und das Handelshaus Wolman
in Berlin erwarb sie für einen hohen Preis.
Es taucht die berechtigte Frage auf, worin die Widerstandskraft
besteht, welche die Materie des Panzers dem Fluge der Kugel mit
einem gewissen Erfolg entgegenstellt. Anfangs war nur bekannt, dass
246 ^I- Schilde und Panzer.
die Materie des Panzers eine Art Filz von 3 Centimeter Dicke sei ; eiD
Qaadratmeter dieses Stofies sollte nicht melir als 3 Eilogramm (7Vg Pfand)
wiegen.
Allein die anfänglichen Vermutangen erfällten sich, wie es scheint,
nicht ganz. In Berlin hatte Dowe den von ihm erfundenen Panzer zur
Besicht^Dg des Publikums ausgestellt.
Nachstehende Zeichnang stellt ans diesen Panzer dar, wie er vom
Erfinder selbst voif^efUhrt wird.
l Der Panzer hatte eine Dicke nicht
von 3 sondern von 5 Centimetem,
war mit Plüsch überzogen nnd schien
einem Kopfkissen nicht nnähnlich.
Auf der Zeichnung ist er in der
Form dargestellt, welche er nach den
Schiessversnchen hatte. Er war in
einem hölzernen Gestell, welches vom
oflen war, aufgehängt nnd mit einem
Leinwandüberzug umgeben, welcher
den Zweck hatte, das Aufschlagen
der Kugeln bemerkbar zu machen.
Die hintere Wand des Gtestells war
geschlossen, damit man sehen konnte,
dass die den Panzer treffenden Kugeln
keine Spnr auf der von ihm geschützten
Stelle hinterlassen hatten. Die grossen
LScher im Panzer, welche man auf der
Zeichnung sieht, sind von Bleikugeln
hervorgebracht, während die kleinen
Löcher mit zerrissenen Rändern,
welche gleichsam von Motten ans-
gefressen erscheinen, von den Kugeln
des neuesten kleinkalibrigen Gtewehrs,
Mod. 1888, herrühren. Auf dem Boden
des Gestells unter dem Panzer liegen
einige aus ihm genommene Kngdn,
während der Panzer selbst sich fort-
während langsam drehte, um von
Dowe-PBnwr. *llen Seiten sichtbar zu sein. Die
Dicke des Panzers betrug, wie oben
erwähnt, B Centimeter, und der Erfinder äusserte, dass er ihn nicht
zur RUstnng iUr die Soldaten bestimmt habe, wie man fälschlich annehme,
Panzerbekleidung. 247
sondern für eine zuverlässige Schntzwehr des Soldaten in liegender
Stellung halte.
In Berlin stellte man im April des laufenden Jahres Schiessversuche schiee».
mit dem Dowe-Panzer an in Gegenwart von ungefähr 25 Offizieren der durch
Artillerie, des Ingenieurkorps und des Greneralstabes. Man stellte den autontäten.
Panzer, welcher an einen eichenen Klotz angelehnt war, in schräger
Stellung auf einen Tisch, so dass seine Oberfläche mit der des Tisches
einen stumpfen Winkel bildete. Auf diese Art wollte man sich davon
überzeugen, ob die Kugeln im Panzer stecken bleiben oder von demselben
unter gleichem Winkel abspringen. Man schoss aus einer Entfernung
von 10 Schritt 14 mal; die Kugeln trafen verschiedene Stellen, teilweise
die äussersten Ränder des Panzers. Sie blieben im Panzer stecken und
auf der Innenseite des Panzers hatten sie nicht die geringste Spur
hinterlassen.^)
In einer unlängst erschienenen Broschüre 2) bestimmt Dowe selbst P^^^^J.
" über die
auf folgende Weise die Bedeutung, welche sein Panzer erhalten könne: Bedentnng
„Meine anfangliche Meinung, dass der Panzer den Soldaten vor den pUm«.
Kugeln schützen wird, indem er sich auf der Brust desselben befindet,
erscheint nicht zweckentsprechend, da wir ja in einem zukünftigen
Kriege überhaupt nicht stehend schiessen werden; wir werden uns
vielmehr auf der Erde kriechend weiterbewegen, wie die Indianer. Der
hinter einer Deckung befindliche Soldat bietet dem Gewehrfeuer nur den
Kopf dar, aber auch diesen kann er in einem Gesträuch verbergen. In
diesem Sinne, als eine kugelfeste Kleidung, ist also der Panzer nicht
nötig. Allein unter Sachkennern hat sich jetzt die Meinung verbreitet,
dass man aus meinem Panzerstoffe kleine transportable Verschlage ver-
fertigen kann, welche die Truppen mit sich führen und welche dem Fuss-
soldaten an Stelle der aus Erde aufgeworfenen Deckungen dienen können.
Der Vorzug dieser Panzerverschläge vor letzteren besteht darin, dass
man sie schneller aufstellen kann und dass sie überdies für die Kugeln
undurchdringlich sind."
Doch kann der Dowe-Panzer als Panzer oder Kürass nach der
Meinung des Erfinders der Kavallerie dienen, da sein Gewicht für ein
Pferd unbedeutend ist, femer auch für die Geschütze. Denn da. Dank
der Schussweite der neuen Gewehre, die Fusstruppen in vielen Fällen auf
Entfernungen schiessen werden, wie sie die Artillerie anwendet, so ist
für die die Gijschütze bedienende Mannschaft ein Panzerschild, der über
dem Geschütze angebracht ist, von grosser Wichtigkeit. Mit seiner Hilfe
1) „Allgem. Miütär-Zeitung", 28. April 1894.
*) Dowe: „Mein schusssicherer Panzer". 1894.
248 ^* Schilde und Panzer.
einhalten die Batterien die Möglichkeit, in der Nähe oder in mittlerer
Entfernung zu schiessen, ohne das Gewehrfeuer fürchten zu müssen.
Schliesslich kann der Dowe-Panzer nach der Meinung des Erfinders
dem Sanitätspersonal während des Verbindens und Zurücktransportierens
von Verwundeten im Gefecht, sehr gute Dienste leisten.
Die Anwendung seines Panzers, sagt Dowe, sei umsomehr möglich,
als es gegenwärtig gelungen sei, sein Gewicht von 8 Kilogramm auf 6 zu
erniedrigen, und bei maschinenmässiger Verfertigung stehe wahrscheinlich
noch eine Herabsetzung bis zu 5 Kilogramm (10 Pfund) ohne Verlust für
die Dauerhaftigkeit des Panzers bevor. Der Preis des Panzers, welcher
14 Mark bei Einzelverfertigung beträgt, kann bei Engros-Verfertigung
bis auf 9,33 Mark erniedrigt werden.
^ßTi^Jd*" Dowe ging sodann nach England, um seine Experimente dort zu
wiederholen, zunächst vor dem Herzog von Cambridge, sodann öflfentlich,
im Alhambra - Theater. Zur Verwendung gelangte das Kriegsgewehr
Lee Martin, mit Nickelkugeln und rauchlosem Pulver, dessen Wirksamkeit
dargethan wurde, indem man mit einem Schuss einen Baum durchbohrte.
Sodann wurde vor einer Glasplatte ein kleines Polster, etwa 10 Centimeter
dick, das einem Fechterwams glich, aufgehängt: das war der famose
Dowe-Panzer. Es wurden drei Schüsse abgegeben. Die Kugeln blieben
stecken.
Endlich schnallte Herr Dowe sich sein Wams um, stellte sich
mit geschlossenen Beinen, die Hände hinter den Eücken haltend auf und
liess, ohne zu zucken, drei Schüsse auf sich abgeben. Er zog den Panzer
dann aus und zeigte, dass die drei Kugeln in diesem steckten.
vermntimgen ^as aber die Zusammensetzung des Filzes, aus welchem der Panzer
über die
Beniandteue gemacht ist, betrifft, so existieren bis jetzt darüber nur Vermutungen.
Dowt^chen Mau wies auf die seidene Heede hin, auf den Cement, welcher zwischen
panxerrtoflFeB. ßijjßjj^ Drahtuetz aus Stahl oder Aluminium sich befindet, allein that-
sächlich weiss man darüber nichts.
Doch das Geheimnis kann nicht lange verborgen bleiben, da bei
den jetzigen Mitteln zur Untersuchung die Geheimnisse der Industrie
sich nicht lange halten können.
Sehr bald . schon erhielt Herr Dowe in einem Herrn Loris einen
Konkurrenten. Das war ein bekannter amerikanischer Schütze, der auch
einen schussfesten Panzer produzierte. Die Herren Gastine-Renette und
Guinard benutzten ihre besten Büchsen und konnten den Panzer doch
nicht durchbohren, selbst nicht mit Militärkugeln von einer Anfangs-
geschwindigkeit von 610 bis 630 Metern in der Sekunde. Man hatte
namentlich das 7,7 -Millimeter Lee Metford -Gewehr benutzt, das auf
Panzerbekleidung. 249.
100 Meter 0,82 Meter dickes Tannenholz, atif 10 Meter 0,97 Meter dickes
Holz derselben Gattung durchschlug. Auf solche Entfernungen bestand
auch der Loris-Panzer die Probe. Mehr noch: das Resultat war das
gleiche auch bei Benutzung einer kleinkalibrigen Kugel von 6,5 Millimeter,
die eine Geschwindigkeit von 860 Meter in der Sekunde hat und 1,70 Meter
dicke Holzbohlen durchbohrt. Besonders interessant erscheint, dass die
Kraft der Kugel im Panzer sich verliert; die Wirkung des Aufschlags
wird paralysiert, die entwickelte Hitze herabgesetzt und die Gestalt der
Kugel bleibt fast unverändert. Auch das Gewicht dieses Panzers ist
beträchtlich — 4^/2 Kilogramm.
Der Loris- Panzer scheint ausschliesslich aus komprimierten Webe-
stoffen hergestellt zu sein.
Uebrigens hat der Büchsenschmied Daudeteau in Vannes jüngst
mit einem von ihm konstruierten Gewehr Versuche angestellt, die
dalün geführt haben, den Loris-Panzer zu durchbohren, s)
Man kann leicht voraussehen, dass im Falle der wirklichen Be- /»^t^che
verwenaang
Währung eines Panzers auch sofort Bekleidungen verfertigt sein werden, der Panier
bald darauf aber wird eine neue Entdeckung in der Chemie, in Art eines pchJLiiich.
neuen verhältnismässig stärkeren Pulvers, jede Bedeutung des Panzers
vernichten.
Zu unserer Zeit sind dergleichen unerwartete Dinge nicht selten.
Dasselbe ereignete sich mit der Erfindung Seam's, welchem die Ver-
vollkommnung seiner Schilde insofern nicht gelang, als sie die Schüsse
des neuen 7 -Millimeter-Gewehrs nicht aushalten konnten. Wenn mithin
die Erfindungen Dowe's und Loris' auch in der That praktische Ver-
wendung fanden, woran gezweifelt werden kann, so ist dennoch, da die
von den Leuten getragenen Schilde ein bequemes Ziel für die Artillerie
abgeben würden, ihre militärische Bedeutung sehr zweifelhaft. Aller
Wahrscheinlichkeit nach ist dies eine der vorübergehenden Erfindungen,
wie sie unsere Zeit nicht wenige aufzuweisen hat.
Wer hätte vor 50 Jahren voraussagen können, dass gegen Ende
des XIX. Jahrhunderts die Panzer plötzlich das Ziel der Erfindungskunst
werden, so dass ernsthafte Leute über diese Denkmäler des Altertums,
welche man schon auf ewig in die Rumpelkammer verwiesen hatte, nach-
denken, sprechen und schreiben würden.
Es fehlt aber auch nicht an Schriftstellern, welche die ganze Panzer-
frage ins Lächerliche ziehen.
*) „L'Ann^e scientifique et industrielle", par Figiiier, 1895.
I III, Solulde und Pnnzer.
^^ So wurde n. Ä. folgendes Karikaturbild durch Crawfoi-d McFall
veröffeatlicht.
Karikaturbild über Panzerrerwendung im Felde.
Die Erfindung des Schiesspulvers machte Panzer, Harnische u. dgl.
unnütz, allein seine weitere Vervollkommnung regte von Neuem die alte
Idee an, dem Geschützfeuer eine Panzerbedeckung entgegen zu stellen.
Jedoch, die Truppenbeweglichkeit würde zu sehr abnehmen, und die
Soldaten wären dann ein derartig bequemes Zielobjekt für die Artillerie,
dass sie durch diese noch rascher vernichtet würden, als durch das
Infanteriefeuer.
f
IV.
Deckungen und Schanzen.
Deckungen dnrch Schanzen nnd Feld-Befestignngen.
Der zokünitige Krieg wird sich vor den früheren nicht nnr durch »oue
dtf Defensive
ein vervollkommnetes Gewehr, rauchloses Polver und verschiedene neue im kunfugen
Hilfsmittel auszeichnen, sondern auch dui-ch die Rolle, welche hier der ^'^**^*'
Deckung durch Erdaufwtiife zufallen wird und welche eben durch die
Fortschiitte in der Technik der Geschütze und Gewehre bedingt ist.
Doch aUe stimmen darin überein, dass ungeachtet dieser Fortschritte,
welche den Angiiff erschweren werden, die Oflensive immerhin ihre Be-
deutung im Kriege behalten wird. Welches Reglement man auch nehme
— das russische, deutsche, österreichische oder italienische — tiberall
wird empfohlen, bei den Truppen den Geist der Initiative, des Angrifls
zü entwickeln.
Allein auch darin herrscht allgemeine Uebereinstimmung, dass ^'^'^l^®/"
es auch einer mehrfach überlegenen Streitkraft nicht leicht sein werde, deckungen.
den Gegner, welcher hinter regelrecht konstruierten Erddeckungen sitzt,
daraus zu vertreiben, vorausgesetzt auf beiden Seiten die gleiche Be-
waflfnung, das gleiche Verständnis und den gleichen Mut. j
Ein paar Zahlen werden uns davon leicht überzeugen. Schützen- schiei»-
'^ *-' venaclie mit
linien, deren einzelne Figuren mit 1 Schritt Abstand von Mitte zu Mitte oeweiiren.
aufgestellt sind, werden von 100 Schüssen getroffen r^)
Entfernung
Stehende Schützen
(Scheiben)
Kopfscheiben
300 Meter
28
10
6
2,6
4
800 Meter
1,4
1200 Meter
0,75
0,25
2000 Meter
0 General Rohne: „Beurteilung der Wirkung beim gefechtsmässigen
Schiessen''. „Mmtär- Wochenblatt", 1895.
254
IV. Deckungen und Schanzen.
KhSH* Was die Shrapnelschüsse betrifft, so sind als Durchschnittsleistung
Treffer pro Schuss zu erwarten:
Schussweite in Metern:
500
1000
1500
2000
2500
Stehende Schützen
Kopfscheiben
7,4
0,9
6,5
0,8
5,9
0,7
7,7
1,0
6,9
0,8
Schwierig- Man hat viel darüber geschrieben, ob überhaupt der Frontalangriff
Iceiten dos
Frontal- mögUch Sei, und einige Autoren haben sogar den Gedanken geäussert,
angriifes. ^^^ ^^^ Zukünftige Krieg aus einem Kampfe um eine unzählige Reihe
verschanzter Positionen bestehen werde.
L Einteilung der Befestigungen.
deokiS eil ^^^ Wirksamkeit der Verschanzungen aus Erde ist längst bekannt.
Die grosse Bedeutung der Erdwälle gegen das Artilleriefeuer wurde be-
sonders von dem berühmten Totleben bei der Verteidigung Sebastopols
bewiesen. Das in der Beilage beigegebene Bild zeigt uns, welche
bedeutende Eolle beim Angiiff und der Verteidigung die Schaufel und
die Haue gespielt haben. 2) Seit dieser Zeit kamen die Erddeckungen
wieder zu Ehi'en. Noch mehr aber wurde die Nützlichkeit leichter Feld-
schanzen zum Schutze auch gegen das Feuer der Infanterie zur Zeit des
nordamerikanischen Sezessionskrieges anerkannt, als man anfing, schnell-
schiessende Gewehre, wenngleich noch grossen Kalibers und sehr wenig
vollkommener Systeme, zu verwenden.
Krd- Damals warfen die Truppen 35—50 Centimeter (14—20 Zoll) hohe
deckniigen
im Erdauläschüttungen auf, welche sich ganze Werst weit hinzogen, ungeachtet
"""niadfen dcsscn, dass die Truppen kein Schanzeninstrument bei sich hatten. Man
8ez6«iioii8. gj.^|j ^Q "ErAe mit Säbeln, Bajonetten und Kesseln, oder auch direkt mit
den Händen. Wir wollen eins der interessantesten Beispiele nach der
Beschreibung des bekannten General Longstreet hervorheben, s) Als
Mac-Clellan mit der 110000 Mann starken Nordarmee auf Richmond zu
marschierte, verlegte ihm bei Williamborg nur eine 11000 Mann starke
Division der Südarmee unter General Magruder den Weg. Magruder
verschanzte sich schnell, und da er nur über eine wenig zahlreiche
kriege.
«) „The Crime War".
*) „Das Gefecht im Beginn des Sezessionskrieges". V. Scheibert: „Jahr-
bücher für deutsche Armee und Marine".
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Einteilung der Befestigungen. 255
Artillerie zu verfügen hatte, so stellte er in vielen ScMessscharten nur
Baumstämme auf, welche Kanonen vorstellen sollten. Allein Mac-Clellan,
grosse Verluste befürchtend, entschloss sich nicht, diese Verschanzungen
anzugreifen. Unterdessen hatte der berühmte Anführer der Südarmee,
General Lee, welcher das Kommando über die Truppen in Virginien
führte, Eichmond befestigt und liess Magruder den Befehl zugehen, die
Position bei Williamborg aufzugeben und auf Eichmond zu zu marschieren.
Longstreet erhielt damals den Auftrag, den Abzug zu decken, hielt sich
in den Verschanzungen einen ganzen Tag gegen den angreifenden Gegner
und zog dann selbst ohne Verluste ab.
Nach dem Vorgange des nordamerikanischen Krieges begann man ^^^
Verschanzungen aus Erde auch in den europäischen Kriegen anzuwenden, i» den
Zu derartigen Deckungen nahmen die Oesterreicher im Jahre 1866 ihre nnamo/Ti.
Zuflucht, welche Gewehre hatten, die von der Mündung aus geladen
wui'den, während die Preussen Hinterlader führten. Ferner wurden Erd-
verschanzungen bisweilen im Kriege 1870/71 sowohl von den Deutschen,
als auch von den Franzosen im Falle eines Angriffs von der Front auf-
geworfen. Seitdem überzeugte man sich noch mehr von dem grossen
Nutzen, welchen derartige Deckungen nicht nur gegen das Gewehr-,
sondern auch gegen das Ailiilleriefeuer gewähren.
Allein gegenwärtig, wo die Kriegskunst, was die Erdverschanzungen ^^^ ^^
angeht, die Erfahrungen des Krieges 1877/78 bei der Verteidigung von in dem
Plewna, zum Vorbild nehmen muss, kann man mit Wahrscheinlichkeit Krie^.°
erwarten, dass die in der Defensive befindliche Seite auch auf oflfenem
Felde sogai* angesichts des schnellsten Aufmarsches der angreifenden
Kräfte dennoch leichte Verschanzungen aufwerfen wiid, und dass ihre
Anwendung auf dem Schlachtfelde schon keine Ausnahme mehr sein wird,
sondern im Gegenteil ein ganz gewöhnliches Verfahren der Truppen,
welche einen Angrifi auf eine eben von ihnen eingenommene Position im
ofienen Felde erwarten.
Die französische Instruktion vom 23. März 1878 lautet: „Die Be- ^»"''^•*«»^«
. , Iiustraktion
festigungen im Felde hatten immer eine grosse Bedeutung, aber seit der von ists
Einführung der Schnellfeuer-Geschütze sind sie eine solche Macht und fMu^n^n
ein solches Hilfsmittel im Kriege geworden, dass sie immer nützlich und ^"^ ^®^®-
oft unumgänglich notwendig sind. Bei der Verteidigung gleichen sie die
geringere Zahl der Truppen auf einem gegebenen Punkte aus und beim
Angriff ermöglichen sie es, die Verteidigungsarbeiten des Feindes zu
zerstören oder diese gegen ihn anzuwenden, nachdem man sich seiner
Position bemächtigt hat."
Damit die Truppen, welche eine gegebene Oertlichkeit besetzt halten, Anforderung
irgend eine Deckung haben, ohne selbst der Möglichkeit, ihre Gewehre Deckungen.
256 ^' I^eckung^n und Schanzen.
ZU gebrauchen, beraubt zu sein, sind zwei Bedingungen zu erfüllen:
erstlich muss eine Deckung vorhanden sein, welche den in der Defensive
Befindlichen dem Auge des Angreifers entzieht und zweitens ein Hin-
dernis, welches den Angreifer im entscheidenden Moment des Angriffs
aufhalten kann.
DeatBche Die Deckungeu selbst müssen möglichst unbemerkbar sein. So er-
Yorschrifton
Yon i8»8 teilen die unlängst (6. April 1893) in Deutschland hinsichtlich der Be-
de^AMwid festigungen im Felde erlassenen Regeln die Vorschrift, diese Deckungen
oortitSkeik möglichst niedrig und unbemerkbar zu machen. „Die Defensive muss
fttr Anlage aus dcu Vorteüeu, welche ihr die vergrösserte Entfernung, von welcher
DeokillSyen. »US die Schlacht beginnt, und das Fehlen des Rauches geben, welcher
sie dem Feinde unsichtbar macht, den grösstmöglichsten Nutzen ziehen.
Die Deckungen sollen nicht vor erhöhtem Terrain, welches der Feind
am ehesten bemerkt, wie vor Waldessäumen und Dörfern, angelegt
werden. Je mehr Vorteile derartige Bodenverhältnisse für die Orien-
tierung des Gegners darbieten, je wahrscheinlicher es ist, dass er sie
benutzen wird, desto gefährlicher ist es, dort auch nur die geringste
Deckung zu plazieren; da das Fernrohr sie sogleich entdeckt, die Lage
bekannt wird und dann die Artillerie an ihr Zerstörungswerk gehen
kann. Bei der Auswahl des Platzes muss man die Aussichten, welche
sich dem Feinde darbieten, erraten und die Verteidigungsarbeiten an
derartigen Stellen plazieren, wo wii' selbst, falls wir uns der gegebenen
Position nähei-ten, sie am wenigsten vermuten würden."
Die Hindemisse, welche dem Angriffe des Gegners entgegengestellt
werden können, sind dreifacher Art: zeitweilige^ halbbeständige und be-
ständige
Die Bedeutung, welche jede dieser Befestigungsarten hat, kann man
am besten aus Beispielen erkennen, die zugleich auch auf den Nutzen
der Verteidigungswerke und die wichtige Rolle, welche die Fortifikations-
ai-beiten im zukünftigen ICriege spielen werden, hinweisen.*)
Beiapieie Am 6. August 1870 sah das 2. französische Korps, welches die
deutoch- Position Spichem einnahm, dass auf seiner Abzugslinie im Thal eine
'^Krieg ^üT föüidliche Abteilung mai'schierte. Doch der General Frossart, welcher
ytü^'s^w ^^ Möglichkeit einer solchen Bewegung vorausgesehen hatte, hatte schon
werken, vorhcr die Aufführung von Schanzen auf dem Kannichenberg, welcher
dieses Thal beherrscht, angeordnet. Diese hielten nur die Sappeur-
kompagnie, welche sie aufgeworfen hatte und noch 200 Mann Fuss-
soldaten, welche eben hinzugekommen waren, besetzt. Allein auch diese
*) H. Plenix: „Manuel complet de fortification". Paris 1890.
Einteilung der Befestigongen. 257
unbedeutenden Kräfte genügten, um die Vorwärtsbewegung der Deutschen,
welche den Eückzug der Franzosen bedrohten, aufzuhalten.
In eben demselben Jahre zog sich die französische Armee am
18. August auf Metz zurück und nahm bei Amanvilliers Stellung. Es
fehlte den Truppen an Schanzzeug, dazu war auch die Zeit kurz be-
messen; trotzdem gelang es den Franzosen, an einigen Punkten auf dem
linken Flügel Gräben und Brustwehren aufzuführen und an diesen
Punkten, welche von den Truppen des 2. und 3. Korps gut verteidigt
wui-den, wurde der feindliche Angriff abgeschlagen.
Die Arbeiten, welche in den beiden bezeichneten Fällen ausgeführt /*}!«« ^
^ festigangeii
wurden, fallen in das Gebiet der auf dem Schlachtfelde hergestellten des schi*cht.
^^^ ^A I n Hfl
Verschanzungen (fortiflcation de champ de bataüle), welche durch die Ein-
fachheit der Mittel und die Kürze der dazu erforderlichen Zeit und endlich
durch den Umstand charakterisiert werden, dass sie gegen den gelegentlich
angreifenden Feind auf dem Schlachtfelde angewendet werden. Diese
Befestigungen nennt man „eilige", da sie eben im Angesicht des Feindes
improvisiert werden.
In den ersten Tagen des Januar 1871 erhielt der General von Werder,
welcher die Belagerung der Festung Beifort leitete, die Nachricht von
dem Anmärsche der Armee des General Bourbaki behufs Aufhebung der
Belagerung. Da er selbst nur 43000 Mann zur Verfügung hatte und
wusste, dass er es mit 4 französischen Korps zu thun haben werde, so
befestigte Werder die Stadt Montbeliard und die Linie Lisaine stark,
indem er auf den neuen Werken grosskalibrige Geschütze aufstellte, welche
er aus seinem Belagerungspark genommen hatte; mit Hilfe dieser
Verteidigungsarbeiten hielt er im Laufe zweier Tage (den 16. und
16. Januar) die Angriffe der Franzosen aus und schlug sie sieghaft
zurück.
Li diesem letzteren Falle stand mehr Zeit zur Ausführung der zeitweuigre
Arbeiten zur Verfügung, allein die vorhandenen Mittel waren nicht festignngen.
gross und es wurden nur Feldbefestigungen aufgeführt, wenngleich sie
ungleich bedeutender waren als diejenigen, welche einige Stunden vor
der Schlacht oder während dieser aufgeführt werden können. Das waren
zeitweilige Befestigungen, welche sich von den auf dem Schlachtfelde
aufgeführten bedeutend unterscheiden, allein doch nur für den gegebenen
Moment bestimmt sind.
Das dritte Beispiel bilden die Befestigungen, welche von Osman ^^^^J^Jf"
Pascha um Plewna herum ausgeführt wurden. Plewna selbst war keine Beweis yon
befestigte Stadt, doch indem Osman Pascha die günstige natürliche Lage
benutzte und starke Werke aufführte, verwandelte er Plewna in ein
Bloch, Der zukllnftige Krieg. 17
25g IV. Deckongen und ßcbaoEen.
befestigtes Lager, in welchem er sich 41/3 Monate mit 60000 Mann und
100 Geschützen ge^en die mssische Armee hielt, welche zeitweilig
110000 Mann stark war, sowie über mehr als 500 Geschütze gebot, unter
denen sich noch viele Belagerungsgeschütze befanden.
Die Zeichnung einer Plewna-Kedonte wird ans am Besten ihre Kon-
struktion und Bedentung erläntern.'')
Plewna-Bedout«,
Diese von den Türken aufgeführten Vei-schanznngen fallen in die
Kategorie der „halbbestäudigen'', deren hervorragende Eigenschaften
'' darin bestehen, dass man sie zum Schutze gegen grosse Trappenmassen
and nicht nur gegen die Feld-, sondern teilweise auch gegen die Be-
lagernngs-Artillerie errichtet, während sie andererseits doch nur das zeit-
weilige Bedürfnis im Auge haben.
' Schliesslich giebt es „beständige Befestigungen", welche ihre Be-
.. deutung für immer belialten. Die Kunst der beständigen Fortiflkation
gebietet bereits über alle von der Gegend dargebotenen Mittel und lehrt
solche Festungen oder Einzelforts auffuhren, welche der stärksten Be-
lagernngs-ArtÜlerie standhalten können. Festungen werden an solchen
Punkten errichtet, deren Besitz von der grössten Wicht^keit ist, sowohl
was die Zurückschlagung des feindlichen Ansturms als auch die Sicher-
stellung der Möglichkeit, zur Offensive nberaugehen, betrifft.
') Brackenbury; „Fielil Works".
Die Technik der eiligen Befestigungen. 259
2. Die Technik der eiligen Befestigungen.
Die eiligen, d. h. Angesichts des Feindes improvisierten Verteidigungs-
arbeiten sind Erdaufwerfungen , welche von den Fusssoldaten und der
Kavallerie mit Hufe eines Schanzeninstruments, welches diese Truppenteile
mit sich führen, hergestellt werden. Mit diesen Verteidigungsarbeiten
werden wir uns jetzt beschäftigen.
Wir geben nun die Stärke an, welche die Deckungen nach An- deutsche
° ' " Normen fftr
Weisung der neuesten Instruktion fiir die deutsche Armee haben sollen st&rke nnd
im Verhältnis zu dem Material, aus welchem sie verfertigt werden, und euiger Ver-
den Geschützen, gegen welche sie Schutz gewähren sollen. ***wSe^
Gegen Gewehrkugeln: 2 Centimeter (0,8 Zoll) dicke Stahlplatten;
50 Centimeter (20 Zoll) Ziegel; 75 Centimeter (30 Zoll) Sand; 1 Meter
(39 Zoll) gewöhnliche Erde; 1 Meter Tannen- und Fichtenholz; 60 Centi-
meter (24 Zoll) Eichenholz; 2 Meter (6,6 Fuss) Rasenstücke, Torf- oder
Sumpf erde; 2 Meter fest gestampfter Schnee; 5 Meter (16,4 Fuss) Korn-
garben; 20 Centimeter (8 Zoll) Doppel wände aus Brettern, zwischen
welchen Schutt liegt.
Gegen Artilleriegeschütze und zwar gegen Shrapnel- und Granat-
splitter der berittenen Artillerie; 40 Centimeter bis 1 Meter (16 bis 39 Zoll)
Erde, ein 5 Centimeter (2 Zoll) dickes Holzdach; der Fuss-Artillerie :
1 Meter (39 Zoll) Erde, ein 10 Centimeter (4 Zoll) dickes Holzdach; gegen
ganze Shrapnels oder Granaten der reitenden Artillerie: 1 bis 2 Meter
(39 bis 78 Zoll) Erde, 1 Meter (39 Zoll) Ziegel, 8 Meter (26 Fuss) Schnee;
gegen ganze Geschosse der Fuss-Artillerie : 3 bis 4 Meter (10 bis 13 Fuss)
Erde. Einen zuverlässigen Schutz gegen ganze Geschosse bieten nur
unter dem Niveau der Erde befindliche Räume; Feldschanzen können
gegen solche Geschosse überhaupt keinen genügenden Schutz gewähren.
Die relative Stärke der Deckungen gegen Flintenkugeln, Shrapnels
und Granaten stellen wir auf der folgenden Seite graphisch dar.
a) Werkzeuge für Schanzarbeiten.
In einem französischen Regiment zu Fuss sind 1028 Instrumente Werktage
° für Sehanz-
für Schanzarbeiten vorhanden ; darunter 840 Werkzeuge zur Ausführung arbeiten
von Erdarbeiten und 188 zur Zerstörung.*) fr^z'ösischeii
Armee.
0 Eine französische Kompagnie besitzt an "Werkzeugen für Schanz-
arbeiten 1 Spaten und 2 Schaufeln, welclie die Mannschaft mit sich führt, alles
Uebrige befindet sich im Bequisitenwagen.
17*
SUrkadu
Daakugvi
IV. Deckosgeix nnd Sobanceo.
Belative Stärke der Deckungen in Metern.
CUgen Flmtenkngels.
Gegen Shrapnel- and Oranateplitter der berittenen Artillerie.
Gegen Shrapnel- und QranfttBplitter der Fnss-Artillerie.
Gegen gonxe Sfarapnels und Oranttten der berittenen Artillerie.
Gegen ganie Sbrapnels nnd GranBiten der IFuss-ArtiUerie.
w*rkHiic> In (jer rassischen Armee kommen anf jede Infanterie-Kompagnie
uMhin 80 kleine Schanfeln nnd 20 Beile, welche die Lente mit sich Ülhren nnd
„^^^ ausserdem sind im Regimentstrain vorhanden:
Fttr Jeda Vbr du
Hacken ... 3 48
Brechstansen . 1 16
Spaten .... 3 48 31 496
PItr J«d> FBr da*
KnmpagBl« guu BagioiaDt
Grosse Schaufeln 16 256
Beile 8 128
3 48
f
Eilige Befestigungen. — Werkzeuge für Schanzarbeiten.
261
Auch in den übrigen Armeen ist ungefähr eine solche AnzaM von
Werkzeugen vorhanden. Ausserdem sind mit Schanzzeug auch noch
die Kavallerie-, Artillerie-, die Sappeur- und Ingenieurparks versehen.
Für unsere Zwecke wird es genügen, dass wir uns nur mit der
Betrachtung der Arbeiten, welche die Fusssoldaten ausfuhren, beschäftigen.
Vor allen Dingen müssen wir uns mit ihren Werkzeugen bekannt
machen.
Diese sind zusammenlegbar, damit die Soldaten sie beständig mit
sich fuhren können. Folgende Zeichnungen geben uns einen Begriff
von den gebräuchlichsten Werkzeugen und von der Art, wie sie getragen
werden. 2)
t
*
k
•i«r
Hack«. Spftten. BeU.
Schaaizwerkzenge für die Fasssoldaten.
Breohirtaage.
Abbildung
der
Scbans-
werkseiig«
der
Inftuiiteri«.
Tragweise der Schanzwerkzeoge.
') „Manuel pour P^rection des travaux de campagne". Paris 1889.
264
IV. Deckungen nnd Schanzen.
Abbildung
der Ein-
decknngen
gegen
Artillerie-
fener.
von oben zu schützen, die über den Laufgräben angebracht sind. Wir
führen ans dem neuesten ,,Handbuch für die deutsche Armee^, die be-
treffenden Anweisungen an.
Zahlreiche und leicht zu konstruierende Eindeckungen sind einer
kleineren Zahl grösserer und stärkerer vorzuziehen. Man verfertigt sie
aus überall leicht aufzufindendem Baumaterial, wie z. B. Thoren, Thüren,
Brettern, leichten Balken, Zaunpfählen etc. Man konstruiert z. 6. eine
Eindeckung aus 5 Centimeter (2 Zoll) dicken Brettern, auf welche noch
eine 1 bis 2 Meter (3 bis 6 Fuss) dichte Erdschicht gelegt wird. Dieses
Dach wird von Pfählen gestützt, wobei diese Stützen, falls sie 10 bis
16 Centimeter (4 bis 6 Zoll) dick sind, in einer Entfernung von 2 bis
4 Metern (6 bis 13 Fuss) von einander stehen können; falls sie dünner
sind, so müssen sie enger aneinander gerückt werden. Ein solches Dach
hält Shrapnels und Granatsplitter aus. Giebt man ihm eine Neigung,
beispielsweise von 12<>, d. h. in der Weise, dass die Stützen 20 Centi-
meter (8 Zoll) auf 1 Meter (3 Fuss) Entfernung niedriger als die Basis
des Daches sind, welches in der Brustwehr selbst befestigt ist, so hält
es den Schlag einer ganzen Kugel eines gewöhnlichen Geschützes (d. h.
nicht eines Mörsers) aus, das aus einer Entfernung von nicht weniger als
3000 Metern gegen 3 Werst) abgefeuert wird.
Folgende zwei Zeichnungen stellen derartige „Eindeckungen" dar.
Eindeckung gegen Artilleriefeuer.
Eindeckung unter der Brustwehr gegen Artilleriefeuer.
EiBfiuh«Ei]i. Allein auch in schon vorhandenen Gräben können die Schützen sich
u BciMn einigermaassen Deckung verschaffen, indem sie sich mit dicken Brettern,
^"^wSir' Thüren, Thoren etc. bedecken, wie folgende Zeichnung zeigt.
Eilige Befeatägungen, — Schanzen für Oeaobütze.
Eindeckung vermittelst Brettern, Thüren etc.
c) Schanzen für Geschtttze.
Die Brustwehren sind als Deckung der Geschütze ebenfalls sehr Bnutwj™
wichtig. Bei Versacben, die man in Oesterreich ansfhhrte, fielen bei tmiiari*.
100 Schüssen 49 Kngek auf die Brustwehr and blieben in den Anf-
schüttungen stecken. Die Höhe der Deckungen fiir die Artillerie darf
nicht mehr als 0,8 Meter (31 Zoll) höher als die Rchnssriclitung der Ge-
schütze sein. Folgende Zeichnung*) giebt das Profil einer solchen Ver-
schanzung (Querschnitt der Brustwehr durch die Ambrasur).
Deoknng für Feldgeschütze.
Wir geben ausserdem den Plan und zwei Durchschnitte von „^J^JJJI,
Deckungen für Schnellfeuergeschütze, welche durch Vergrösserung der
Dimensionen in der englischen Armee auch för Feldgeschütze verwendet
werden. 6)
Deckungen für Schnellfeuergeschütze.
iLeitfaden in der Feldbefestigung".
') Brunner:
•) Brackenbury: „Field "Works".
266
IV. Deckungen und Schanzen.
Folgendes Bild zeigt uns die Bedienung eines gedeckten Geschützes
hinter Erdaufwurf und hinter einer Mauer.
Bedienung eines gedeckten Geschützes.
d) Schanzen fhr die Kavallerie.
De^ngen jfan errfchtet Schanzen auch für die Kavallerie, wie aus nach-
fftr die '
K»v*ii«rie. folgender Zeichnung ersichtlich ist.?)
*Mi
t" / SOI
Deckung für die Kavallerie.
3. Feld-Befestigungen.
Badeuundere Bedeutendere Befestigungen werden in folgenden Fällen aufgeführt:
■ciuiBiniigeii. wenn man die Deckung der Truppen vor einer erwählten Position sicher
stellen will; ferner falls die Streitkräfte des Feindes sehr bedeutend sind;
endlich, wenn die Position, aus welcher der Feind vertrieben ist, sofort
befestigt wird, damit die ihn verfolgenden Abteilungen in ihr Deckung
finden, falls infolge eines neuen feindlichen Ansturms die Position nicht
mehr zu halten ist.
a) Gruppen von Verschanzungen.
sehaiuen- Die äussere Form der Schanzen-Gruppen ist verschieden. Sehr oft
Gnipp6n und _ . ,
Aofrtdiang braucht man winkelförmige Lonetten oder Hai b-Redoaten , welche die
dttOMchttt» PJ.QJJJ ^^^ ^g Flanken decken.
iwbchen
Uuien.
0 „Manuel des travaux de fortification".
i
Feld-BefesUgungtin,
Aus folgender Zeichnung») erhellt auch die Art und Weise der Anf-
stellnug der Geschütze zwischen den Verschanzungen.
^'
,^ * (^
^
a VersohuiEnngen und An&telliuig der Oescliätce mischen ihnen.
b) Befentigaag von HOlien.
Auf folgender Zeichnong'') zeigen vir die Lage der Befestigungen i*e» '" ^
gegen einen Feind, der über eine zahlreiche Artillerie zu verfügen hat.
Angesichts des Angriffs i
c) Redouten.
In Oertlichkeiten, welche von allen Seiten oflen sind, können voll-
ständig geschlossene Redonten konstruiert werden, deren Umrisse von den
Ortsverhältnissen abhängig sind.
HD c^ t} O
(SLeha DDcb di< Mgcnds Seit»)
') „Manuel de guerre": „Le Combat". Paris 1890.
') Omega; „L'art de combattre" und Brackenbury: „Field Works".
IV. Deckungen und Schanzen.
Doch im künftigen Kriege wird raan Angesichts der Stärke der
neuen Geschlitze derartige Kedonten, weil sie gleich bemerkt werden
können, nur in Aasnahmefällen errichten. Vor den Werken, wenn es die
Zeit und Mittel erlauben, werden Hindernisse meist aus Draht errichtet
werden.
Folgendes Bild wird uns von dem Bau einer derartigen Redoute
eine Yorstellung geben.
Bedoate mit DrahthindemiBseu.
d) Rückendecknngen.
^«*^"' Zur Verteidigung gegen Umgehungen von der Flanke oder vom
dsnh «I- ß&cken aus werden die Verschanzangen mit einander verbanden oder,
irt„ ," falls die Umgehung vom Rücken aas durch einen Wald verhindert wird,
Mh>l»i*. ^^"1*11 Verschanzungslinien errichtet, wie dies die erste Zeichnung auf
folgender Seite darstellt
Feld'Befestigtmgen,
Auf kupiertem Terrain, wo der Feind die Position unter dem Tminiri.«
Schatz natürlicher Bodenanehenheiten nrngehen oder hinter ihr in einer HUednun
derartigen Nähe anftanchen kann, dass man seinen Anstorm dnrch n
G^schUtzfeaer nicht mehr aufhalten können wird, vereinigen die in der
Defensive befindlichen Truppen verschiedene Arten von Verschanzungen.
So beschiesst z. B. auf der zweiten Zeichnnng Verschanzung I den Weg,
welcher in der Richtung der eingenommenen Position läuft; sie ist
deshalb errichtet, weil die ßedonte n diejenigen Strecken des Weges,
welche eine Einbiegung machen oder in einen Schlnss Übergehen oder
sich hinter einem HUgel befinden, nicht beschiessen kann, unterdessen
gestatten Redonte II und Verschanznng HL keine Umgehnng der Position
von der andern Seite.
Befesti^ng einer OerUJohkeit dxach ver-
schiedene Arten von yeTscbanEimgen.
Die Linien der Verschanzungen and Feld-Befestigungen haben bis-
weilen eine beträchtliche Ausdehnung. Um einen ungefähren Begriff von «
ihrer Ausdehnung za geben, genüge es, wenn wir anißhren, dass die
ßedoutenlinie für eine Kompagnie Fusssoldaten gewöhnlich 140 Meter
(65 Ssashen) lang ist.
e) TJebereinanderliegende Verschanzniigen.
Wenn die örtlichen Verhältnisse die Aufführung mehrerer hinter-
einanderliegender Verschanzungen gestatten, so wird gewöhnlich die erste li^öä» v«.
Linie in der Höhe des Erdniveaus, die zweite 50 bis 100 Meter (23 bis"
46 Ssashen) hinter ihr und die dritte wiederum 50 bis 100 Meter hinter
dieser, jedes Mal in entsprechender höherer Lage hergestellt.
Aof diese Weise ermöglicht man die Aufstellung der Schützen
hintereinander und ein schichtweises Feuern.^)
') Springer: „Handbuch für Offiziere des Generalstabes".
270 ^- Deckungen und ScbaoEen.
Allein diese Anlage gehört schon za den schwieriger auszDführenden
Fortifikationsarbeiten, welche gewöhnlich nnter Aiileitnng von Spezialisten
aosgeftihrt werden.
Beispielsweise geben wir eine Zeichnnng von Verschanznngen, welche
österreichisch-preussischen Kriege i
Vri™'-" Pidohl bei Sadowa aufgeführt wurden.
Uebereinand erliegende Verschanzungen.
4. Verteidigung von Flüssen und Brücken.
^ Um di^enigen Arten der Feld-Befestigungen, welche nnter anderem
»n ssbnu auch zuF Verteidigung von Flössen, Fnrten und Bracken dienen, an-
n™ Brtcw schaulich zu machen, geben wir beifolgende Zeichnung, welche die
Arbeiten darstellt, die behufs Verteidigung von Flüssen und der über
diese führenden Brücken ansgefiibrt werden.')
Befestigungen zum Schatze von Flüssen und Brücken.
') „Trawaux de Champ de bataille". 1891,
Yerteidigung von Flüssen und Brücken. 271
Irgendwelche geschlossene Feld-Befestigungen, Redouten und Halb-
redouten, welche ebenfalls Schanzen heissen, werden überhaupt auf den
wichtigsten Punkten der Schanzenlinien, welche als Deckung für die
Schützen dienen, errichtet und für eine oder zwei Kompagnieen bestimmt.
Doch muss bemerkt werden, dass in der militärischen Literatur die Be^«»^«
. gegon die
Meinung vorherrschend zu werden beginnt, dass solche Schanzen schmzwerke,
unpraktisch sind. Es handelt sich eben darum, dass sie, wie künstlich die Konzen-
sie auch den örtlichen Verhältnissen, den Unebenheiten des Bodens ^^^iJ^
u. s. w. angepasst sein mögen, trotzdem zuviel Platz einnehmen, ^'"J^^j^^
um unbemerkt zu bleiben. Sobald aber eine Schanze das Ziel der ennögiiohen.
Artillerie geworden ist, bringt es eben ihre Insichabgeschlossenheit mit
sich, dass die Wirkung der auf sie gerichteten Geschütze möglichst
stark wird, und man sie nicht lange halten kann.
In einem in bergiger Gegend geführten Kriege können die Ee-
douten oder Schanzen ebenfalls von Nutzen sein, da sie zur Verteidigung
von Uebergängen und Etappenpunkten dienen.
Was die Zeit anlangt, welche zur Aufschüttung der Schanzen ^otr^^^^^
wendig ist, so führen wir die französische Instruktion von 1892 an. voa sdumr-
30 bis 60 Minuten sind je nach der Beschaffenheit der Werkzeuge und (n^i a«
der geschehenen Verteilung derselben erforderlich, um einfache Trancheen 'J^^jJ^"
mit einer Brustwehr von SOCentimetem (2,6Fuss) Kammdicke aufzuführen;
4B bis 90 Minuten für die Ausführung einer normalen Tranchee mit einer
80 Centimeter (2,6 Fuss) dicken Brustwehr und 2 bis 2^/2 Stunden zur
Errichtung einer verstärkten Tranchee mit einer 2 Meter (6,B Fuss)
dicken Brustwehr, welche bis zu einem gewissen Grade Schutz gegen
Artilleriegeschütze gewährt.
Zur Ausführung eines Werkes in der Form einer hinten offenen
Halbredoute mit einer 3 Meter (10 Fuss) dicken Brustwehr und einer
Kammlänge von 100 Metern (46 Ssashen) und einer verstärkten Tranchee
von ungefähr 20 Metern (9 Ssashen) zur Placierung der Eeserve sind
309 Mann, welche 2 Stunden arbeiten, erforderlich. Falls aber auch eine
Deckung des offenen Teils durch zwei 3B Meter (16 Ssashen) lange
Trancheen erforderlich ist, so sind noch 50 Mann mehr nötig.
Zur Ausführung dieses festen Baues bedarf es schon solcher Werk-
zeuge, wie sie nur im Regimentstrain vorhanden sind.
Die österreichische Instruktion besagt, dass man, falls 100 mit den ^^^'-
, reichiscae
nötigen Instrumenten versehene Arbeiter zur Disposition stehen, ent- iMtroktion
sprechend der Stärke des Profils (Durchschnitts, Seitenwand) dauerhafte z*eitd»ne*
Schanzen im Laufe von 3 V2 Ms 7 Stunden aufwerfen könne. 'Vrte^"'"
rv. Deokungen nnd SohejiKeti.
5. Hiifemittel für die Defensive im Felde.
^^\ Unabhängig von den in Eile anfgeschütteten oder dauerhafteren
■it Feld-Befestigungen werden die Truppen selbstverständlich alle durch die
.ihttSlIS-Oertlichkeit selbst gegebenen Deckungen: wie Bodenunebenheitea,
TtrhtitBUH. Schluchten, Gebäude, Wald a. s. w. sich zu Nutze machen. Am Waldes-
saum dienen gefällte nnd haufenweise in einer Keihe zusammengelegte
Bäume als Deckung. Diese muss man hinter den stehen gelassenen
Bäumen placieren, so dass die Befestigungslinie nicht bemerkt werden kann.
*pm^ Hinter ihnen im Walde eine Brustwehr ganz aus Erde herzustellen,
utErdtnndist schwer; dafür kann man aber die mangelnde Dichtigkeit des Erdwalls
■ttmiiiam. durch mOgüchst viele dicke Stämme und Stobben, welche in die Erd-
aufschüttung eingerammt werden, ersetzen. AUein bei der Einschlagskraft
der heutigen Kugeln darf eine solche Brustwehr gemischter Zusammen-
setzung nicht weniger als 1 Meter (3 Fuss) dick sein.
Beistehende Zeichnung stellt das Bild einer solchen Brustwehi- dar.
BruBtwehr ans Erde und BaumstSmmen.
FruioiiHiia Djg l^nzOsische Instruktion vom 15. November 1892 beschreibt eine
BantiuK audcre Methode für die Benutzung des Waldes zum Schutze gegen den
"D^n'i^"' Feind. „Um den Wald zur Deckung zn benutzen", sagt die Instruktion,
i>MkML ^jimgs man Bäume nnd Sträucher am Saume etwa 3 bis 4 Meter (10 bis
13 Fuss) in den Wald hinein stehen lassen; hinter diesem Gürtel und
gleichlaufend mit ihm muss man einen Durchhau von 4 bis 5 Meter (13 bis
16 Fuss) durch Fällung der kleinen Bäume und Stehenlassen der grossen
herstellen. Hinter der Blende, welche durch die Böschung gebildet wird,
ist eine Tranchee zu errichten, und falls die Baumwurzeln dies nicht
zulassen, ist eine Brustwehr anfeuschütten, welche durch die gefällten
kleinen Bäume zu verdecken ist."
Falls die Ausdehnung des Waldes beträchtlich ist, so genügt es,
Deckungen an den hervorragendsten Waldesstreifen zn errichten. In den
Zwischenräumen sind Barrikaden aufzuführen, nm so den Angreifer länger
Neue Arten von Feldbefestigungen.
Beispiel einer Gefaohtsstellung einer schweren Batterie Von langen Geschützen
mit Bedeckung äuroh Infanterie.
a, Uüiine Maskierung zur Verbergung der Hindernisse.
b, Maskierung, um eine vertiefte Battoria zu verbergen.
c, Infanterie -Abteilung.
(1. Batterie fBr Geschütze, welche vun hoher Lafette feuern.
6. Höbe und dichte Maskierung im Hintergrund der Front-
Batterien zur Verbergung der Kehl -Stellung.
f. Flanken - Batterien.
g. Infanterie -Wache.
h. Vorbereitetes Terrain.
i. Kebl-Wache.
(Die Abbildung ist der „Schweiz. Zeitschrift für Artillerie und Genie" 1397 entnommen.)
Bd. I. Finffl^en bei Salt
Vertheidigungs - Blenden.
Wege und Eiseubahneu.
'
I
* * i
♦in
n
'iii
''
n
Uil&mitt«! für die Defensivs im Felde. 273
unter dem Feuer zu halten UDd ihm den Zugang zu erschweren. Allein
zwischen den Waldstreifen and den Barrikaden muss man den Wald
lichten, um den Verteidigern auch den Weg zum Angriff offen zn lassen.
Folgende Zeichnung giebt ein klares Bild der Methode, den Wald ik*!'"«»«
als Deckung zu benutzen.') wiia-
Flui dH na tlainan Blimin
gtlloktMan WaldH. Erlultana WalibOiebiuig. Flu du VoMIdlgnnt.
Methode den Wcdd als Deckimg zu benatzen.
Ausserdem wird man Öfter als früher Blenden aus allerlei Gegen- H.rrt^mn
TOD Blfliidni
ständen herstellen, deren man gerade habhaft werden kann, wie aus •« »«-
mit Erde gefüllten Säcken, Oeflechten aus Holz und Faschinen, Balken, 3^°"
Bäumen, Wege- und Eisenbahn-Einschnitten und -Aufschüttungen, ■'*^"'-
Hänsei-n u. dei^l.
Es werden ebenfalls Hindemisse Tor der Verteidigungslinie, als
Minen, Geflechte, Pallisaden, Spitzbäume, AVolfsgruben, Netze aus ge-
zogenem Draht etc. angewandt werden.
Daven aber werden wir bei der Beschreibung der Angriffe und
der Verteidigung der Positionen und Schanzen durch die Infanterie zn
reden haben.
6. Folgerungen.
Die AustShrnng von Deckungen auf dem Sehlachtfelde oder die'^^^*™*
Arbeiten der „eiligen Fortifikation" unterliegen einigen allgemeinen Regeln, F^d-
ausaerdem hängen sie in jedem gegebenen Falle, bei jeder Oertlichkeit, ^''""«■"^
von den vorhandenen Verhältnissen und den damit in Einklang stehenden
Anweisungen des Kommandeurs ab. Daher zerflUlt die Theorie der Feld-
■) nSciences mililaires", Supplements: „Fortiflcation de champ de bataiUe".
Blieb, Dn nküaftlfa Erldf. 18
274
IV. Deckungen und Schanzen.
Die Verroll
kommnang
der
Befestigung nach dner bei den Deutschen angenommenen Bestimmung in
„formelle" und in „anwendbare Feldbefestigung". Die Theorie giebt nur
die hauptsächlichsten Begeln, die Hauptsache hängt von der Orientierung
an Ort und Stelle ab.
In dem Maasse, wie die Vervollkommnung der Schiessgewehre fort-
schreitet, verstärkt sich die Ansicht, dass es für den am Kampfe teil-
swgert'd!^ nehmenden Truppenteil nicht genügend sei, allein die Vorteile, welche
BedürftiiB die örtlichen Verhältnisse bieten, zu benützen, sondern dass es unum-
nach
Deekangen. gängUch notweudig, seine Zuflucht noch zu Deckungsarbeiten zu nehmen.
Haben . die Truppen' die gewählte Position inne und erwarten sie
den Angriff des Gegners, oder ist der Feind aus seiner Position vertrieben
und wird eine Befestigung dieser während des Stillstandes des Kampfes
nötig, so werden die Truppen mit Beil, Hacke und Spaten arbeiten
müssen. Wie und zu welchem Zwecke man arbeiten muss, diese Frage
entscheidet der Kommandierende, da ja die Arbeiten mit dem Ziele, das
er sich gestellt hat, in Einklang stehen müssen.
Das Feuer ist beim Angriff auf die hervorragendsten Punkte gerichtet,
allein es kann nur dann sicher wirken, wenn die Feuernden selbst in
genügender Sicherheit sind. Um die Verhältnisse der OerÜichkeit sicher
überschauen und bestimmen zu können, welche Deckungen nötig und wo
sie anzulegen, sind ohne Zweifel Kenntnisse, Erfahrung, ja sogar Talent
nötig, und zwar nicht nur allein bei dem Kommandierenden, sondern
auch bei den die Arbeit Ausführenden, bis zum Unteroffizier hinunter,
welcher unmittelbar die Höhe und Stärke der Deckung auf dem gegebenen
Punkte bestimmt.
zuBammen- jn Löbell's „Militärische Jahrbücher" finden wir folgende Bemerkung:
wirken
von Sappeurs Der BcscMuss des russischen militärischen Ingenieurkomit6s verdient
infrnterie. Beachtung, nämlich, dass die Fusstruppen in der Ueberwindung von Hinder-
nissen geübt werden müssen, da nur die erworbene Fertigkeit und über-
einstimmendes Handeln der Fusssoldaten mit den Sappeuren bei rationeller
Anweisung der kommandierenden Personen, vom Unteroffizier an, den
Erfolg sicher stellen können. Die Kriegskunst wird immer mehr zur
Wissenschaft und um mit den Fortschritten in der Technik Schritt halten
zu können, ist ein immer grösseres Niveau von Intelligenz bei allen
Stufen der Kommandierenden erforderlich.
Zukünftige Somit unterliegt es keinem Zweifel, dass im kommenden EMege auf
feider dem Schlachtfelde zählreiche kleine Deckungen aus Erde nach Art der^
werden wie jjaulwurfshügel werdcu aufgeschüttet werden, welche der Feind aus der
MauiwurftH Femc nicht wird bemerken können, und von wo aus gute Schützen die feind-
bedeckt sein, ücheu Linien mit Auswahl beschiessen werden, indem sie selbst in relativer
Sicherheit sowohl vor dem Gewehrfeaer als auch sogar vor dem Feaer
der Artillerie sich befindeu.
Ungeachtet der Unwahrscheinlichkeit des Faktums, dass irgend
ein Sandhaafea deo todbriogendeB Spreoggranaten und Shrapnels ein
Hindernis darbieten konnte, sind solche Verschanznngen doch in der
That das sicherste - Schutzmittel gegen jene. Dies erklärt sich sehr
gkU Sln-
Wie oben erwähnt, wendet die Artillerie bei bedentenderen Ent-
fernungen vor allem Shrapnels an. Diese Art von Geschossen, welche in «piittia
eine Menge kleiner Splitter auseinanderfliegen, besitzt gegenüber Hinder-
nissen eine sehr unbedeutende Durchschlagskraft. Sogar ein nicht besonders
starker Erdwall gewährt den hinter der Brustwehr versteckten Soldaten
schon einen ausgezeichneten Schutz. Der hinter dem Wall befindliche Mann
ist, falls er nicht den Kopf über das Profil der Aufschüttung erhebt, für
die Wii'kung des Shrapnels fast unerreichbar, wie man dies ans bei-
folgender Zeichnung ersieht.i)
Schanze snm Schutz gegen Shrapnel?.
Daher ist zum Schutze gegen Shrapnels, wie wir das schon früher
bemerkten, nur eine ebensolche Stärke des Erdwalls erforderlich, wie sie
zum Schutze vor GJewehrkngeln errichtet wird; allein zum Schutze gegen
die Granaten der Feldariällerie muss man stärkere Erddeckungen aufführen.
Hieraus ziehen wir den Schlnss , dass das Feuer der Artillerie die ,^°|^^°'"^
hinter den Verschanznngen befindlichen Soldaten zwar keiner unmittel- v»rart.u™
baren Gefahr aussetzt, sie aber doch zur Unbeweglichkeit verurteilt; B,«i.'nä.
denn falls der Schütze behufs Zielens den Kopf über einen Teil der^^;^"^^^
Brustwehr liervorstreckt, ist er sogleich der Gefahr ausgesetzt, wenn bew^iich.
dei- Feind bis auf 1000 Meter (eine Werst) herangekommen ist.
Bis zum Augenblick des Angriffs bleiben die Verteidiger der ersten
Schanzenlinie unbeweglich hinter dem Walle und unter seiner zuveriässigen
') Langlois: „L'artillerie de campagne". Paris 1
276
rV. Beokungen und Schanzen.
Schwierig-
keit für die
Artillerie,
sich bei gut
angelegten
Deckungen
Aber
die Stellung
dee Feindes
xa
orientieren.
EinftLhmng
von Mörsern
and
Bomben-
geschossen
gegen Ver-
schanznngen.
Geringe
Schussweite.
Deckung, wie das die Türken in den Jahren 1877/78 thaten, als sie in den
Trancheen sitzend so lange warteten, bis der Ansturm der angreifenden
Infanterie sie dazu zwang, die Eedouten zu besetzen.
Die in der Reserve befindlichen Abteilungen entfernen sich noch
weiter nach hinten, decken sich durch die natürlichen Bodenunebenheiten
und nehmen ihre Zuflucht zu liegender Stellung, um der Wahrscheinlich-
keit, getroffen zu werden, zu entgehen.
Bei einer solchen Anordnung der Verteidigungslinie hat es die
angreifende ArtiUerie mit der Orientierung nicht leicht. Sie ist nur die
Linie der Verschanzungen zu erblicken im Stande, falls diese unge-
nügend durch Rasen, Zweige oder auf irgend eine andere Art verdeckt
sind. Sie kann nur irgendwelche schwarze Punkte, welche hinter der
Brustwehr erscheinen, erblicken, als welche die Silhouetten der Offiziere,
welche die Bewegungen des Feindes beobachten, erscheinen. Doch das
alles bietet ein allzu unsicheres Ziel dar und daher sind die allzuhäufigen
verschwenderischen Schüsse, welche meistens ihr Ziel verfehlen, unter
diesen Umständen nur ein Verlust an Geschossen. Nur in dem Falle, wenn
die Verteidiger, Angesichts der drohenden Annäherung der vorgehenden
Infanterie, hinter dem Walle hervorkommen müssen, um durch Schnell-
feuer den Angriff abzuschlagen, kann ihnen das ArtiUeriefeuer einen
wirklichen Schaden zufügen.
Aber an der Entwickelung der Technik arbeiten allzuviel gelehrte
und begabte Spezialisten, als dass man gegen jedes Verteidigungsmittel
nicht sogleich ein neues Angriffsmittel ersinnen sollte; so hat man jetzt
gegen die Verschanzungen die Mörser und Haubitzen in der Armee
eingeführt.
Es wird behauptet, dass die mit ihnen angestellten Versuche, von
denen wir später reden werden, ergaben, dass die Zerstörungskraft der
neuen Geschosse sich derartig vergrössert hat, dass sie auch eine moralische
Wirkung auf die Verteidiger ausüben und diese veranlassen können, die
Deckung früher zu verlassen, ohne den entscheidenden Angriff abzuwarten. 2)
Allein Mörserbatterien giebt es wenige, und sie können, falls man
dem General Wille („Das kommende Feldgeschütz") Glauben schenken
soll, nur in einer Entfernung von 3 Küometern (3 Werst) wirken und
sind eben dadurch bei der Treffsicherheit der jetzigen Feldgeschütze der
Vernichtung von weiteren Distanzen aus ausgesetzt. In Folge dessen
werden in einer grossen Zahl von Fällen die Schanzen dennoch eine zu-
verlässige und notwendige Deckung gewähren.
*) Kapitän Grabenschtschikow: „Sappeur- und Artillerie versuch.e", „Wojenny
Ssbornik".
Folgerungen. 277
Allein die Anwendung von Deckungen im Felde hat auch ihre Nachteu«
schwachen Seiten. Daebrngen.
So erblicken viele sie in Folgendem:
1. sie berauben den Verteidiger der Initiative, indem sie ihn
an einen Ort fesseln, während der Angreifende immer über
die Wahl des Moments und der Richtung des Angriffs ver-
fügen kann;
2. der Verteidiger, welcher sich hinter einer Deckung befindet,
ist bisweilen mehr um die Beschützung seiner selbst vor
den feindlichen Geschossen besorgt, als um das Schiessen
auf den Feind;
3. dem Gtefühle der Selbsterhaltung nachgebend geht eine ge-
wisse Anzahl der Leute ungern aus ihren Deckungen heraus,
um auf den Feind anzustürmen.
Daraus folgt, dass die Verschanzungen auf den Gang der Schlacht Emngung
068 8i6ff6S
nur dann eine nützliche Einwirkung haben können, wenn die in der De- sohuessuch
fensive Befindlichen sich in der That bemühen werden, dem Feinde Ver- Xroh*!«-^
luste beizubringen, wenn sie dreist die Gewehre auf den Kamm der ^^^J^**^
Brustwehr legen und ohne zu eilen zielen werden, wenn sie schliesslich «nd
zu jeder Zeit bei der ersten Möglichkeit bereit sein werden, die «am l^s,
Deckungen zu verlassen mxi zum Angriff überzugehen, welcher allein den
Sieg gewährt.
Angesichts der oft vorhandenen Notwendigkeit einer schnellen Auf- ^^J^J*"^^.^
führung von Schanzen hat es eine überaus wichtige Bedeutung, inwieweit einer guten
die Soldaten sich die Kunst der Ausführung von Erdarbeiten zu eigen atr Tropfen
gemacht haben. Wenn man anerkennen muss, dass Hacke, Brechstange ^^^^ ^
und Spaten dem stärksten Artüleriefeuer einen Schutz entgegenstellen "beiten.
können, so wird augenscheinlich derjenige das Uebergewicht über seinen
Gegner erlangen, wer diese Werkzeuge besser zu handhaben versteht.
■
Den besten Euf in ganz Europa haben die Italiener als ganz i^|fj»w
° ^ nnd Russen
besonders gute Erdarbeiter, welche man daher gern zur Ausführung üb
der Aufschüttungen beim Anlegen von Eisenbahnen nimmt. '0 Der russische wahrend* de^
Soldat legte auf diesem Gebiete glänzende Beweise von Verständnis und ^^^«^ i^'^.
Ausdauer bei Aufführung und Verteidigung von Schanzen schon zur Zeit
der Belagerung von Sebastopol ab.
Doch zur Zeit des Krieges von 1877 machte man überhaupt von
den natürlichen Fähigkeiten der russischen Soldaten und von den in
früheren Kriegen erworbenen Erfahrungen geringen Gebrauch. Die Vor-
*) „Travaux de champ de bataille". 1891,
278 IV. Deckungen und Schanzen.
i
teile, welche man aus der Position mittelst ihrer Verstärkung durch
Verschanzungen ziehen konnte, wurden zu wenig in Betracht gezogen,
allein die Schuld trifft hier durchaus nicht die einzelnen Ausfuhrenden.
In der Abteilung Skobelew's bei Plewna waren im Ganzen 3B Sappeure
und nicht ein einziger Ingenieurofftzier vorhanden. Die Infanterie war
nicht mit den entsprechenden Instrumenten versehen, und oftmals musste
sie mit grossen Spaten und überhaupt mit so unpraktischen Schanzen-
instrumenten arbeiten, dass Skobelew darüber Klage führte, dass die
Soldaten diese Instrumente auf die gestürmten Positionen hinwerfen
mussten, um sie des Oefteren durch irgend ein Eücheninstrument zu
ersetzen.*) Die bedeutenden Verluste, welche der russischen Armee zu-
gefügt wurden, muss man eben dem umstand zuschreiben, dass die
Armee über keine genügende Anzahl von Werkzeugen zum Schanzenbau
zu verfügen hatte.
Bedantang „ Allciu dessenuugeachtet", sagt der preussische Greneral Boguslawsky,
" der "°* „legten die russischen Soldaten eine ungewöhnliche Befähigung für Erd-
^;[~^Sr" arbeiten an den Tag. Die schnelle Aufführung der Schanzen, die StiUe
und Ordnung, welche während der Ausführung der nächtlichen Forti-
fikationsarbeiten herrschte, legen Zeugnis von einer ungewöhnlichen
Fertigkeit und Disziplinierung dieser Truppen ab."
Allein eine noch grössere Bedeutung als das Verständnis der
Soldaten, wird die Leitung der Arbeiten haben.
Die Verschanzungen sind für die Infanterie eine ebenso grosse
Notwendigkeit geworden, wie der Panzer für die Kriegsschiffe.
Doch mit den Verschanzungen ereignete sich dasselbe, wie mit der
Panzerung der Kriegsschiffe. Gleichwie im Verhältnis zu der grösseren
Stärke der Panzer immer grössere Geschütze und Geschosse erfunden
wurden, so verändern sich auch die Verschanzungen augenscheinlich, den
veränderten Verhältnissen der Angriffe und der Vervollkommnung der
Gewehre und Geschütze entsprechend.
oeftiireii Wie derartige Erdbefestigungen, welche regulär und dem Charakter
anric^tlff der Oertlichkeit entsprechend angelegt sind, einen grossen Einfluss auf
"dbifJitt- ^^^ Erfolg der Verteidigung ausüben, so können im Gegenteil erfolglos
gongen, ausgcführtc FortiBkationsarbeiten sogar schädlich wirken, indem sie die
|i Thätigkeit der übrigen Abteilungen behindern und dem Feinde zu einer
versteckten Umgehung des Gegners oder zur Konzentration seines
k
i
Feuers verhelfen.
'i I ^) General Kuropatkin: „Thätigkeit der Abteilungen des General
'^ i Skobelew".
Folgerangen . 279
Auf diese Weise wird es in einem zukünftigen Kriege zur Ver- ^" '*^**««
antwortlichkeit der militäiischen Oberbefehlshaber auch gehören, dass diese aiier
im Stande sind, sich die durch die Oertlichkeit gegebenen Deckungen hüftn^Si
zu Nutze zu machen und sie rasch zu befestigen, allein unter der ^^"^^'^^^J'"
Bedingung, dass man stets bereit ist, zur geeigneten Zeit sie zu inteuigenten
verlassen und aus der Defensive zur Offensive überzugehen. Um diese einzeiira °
schwierige Aufgabe glücklich auszuführen, dazu wird Angesichts der ^**'*"*^'
Schussweite des heutigen Gewehr- und Artilleriefeuers ein noch grösseres
taktisches Talent als früher nötig sein, welches indess desto häufiger
im Heere zum Vorschein kommen wird, je mehr Kräfte der entwickelten
intelligenten Klasse der Armee zugeführt werden. Man kann annehmen,
dass die taktischen Fähigkeiten der Kommandeure in allen europäischen
Armeen auf gleicher Höhe stehen, allein die Fähigkeiten der niederen
ausführenden Organe hängen durchaus von dem Niveau der Kultur in dem
einen oder anderen Volke ab und mithin muss das Maass der Forderungen
damit im Einklang stehen.
V.
Die Kavallerie.
I
18*
|i
li
:
I
AhMB^B^
Bedeutnng und Rolle der Kavallerie.
Man kann heute als gewiss annehmen, dass unmittelbar mit Miiit&riache
° ' und wirth-
Beginn des Krieges Kavallerie- Abteiinngen einer der kriegführenden sciiaftiiche
Mächte in das feindliche Gebiet vordringen werden, um einerseits die ^'^^J^J'*"^
Mobilisation und Konzentration der gegnerischen Truppen zu erschweren, ^»^»i»«"«-
andererseits auch die Verkehrsmittel, die Proviant-, Munitions-Magazine
u. s. w. zu vernichten.
Ausserdem wird sich die Kavallerie sowohl in dem eigenen Lande,
wie auch in dem Gebiet des Feindes mit Requisitionen beschäftigen, d. h.
mit der Beschaffung von Lebensmitteln und aller derjen^en Gegenstände,
die zur Befriedigung der Bedürfnisse der Armee erforderlich sind, so dass
der Kavallerie von vornherein ein reger Verkehr mit der Bevölkerung
des Landes zufallt.
Es versteht sich von selbst, dass von der Art und Weise der Thätig-
keit dieser Spezialwaffe in hohem Grade sowohl die Form der Beziehungen
des Feindes zu den Einwohnern, als auch das Maass aller auf ihnen
lastenden Kriegsbürden abhängen wird.
Demnach verdienen die oben besprochenen zwei Formen der Thätig-
keit der Kavallerie ebensosehr vom militärischen als auch wirtschaftlichen
Standpunkt besondere Aufmerksamkeit.
Um aber in das ganze Wesen des Krieges, seine Entwickelung,
seinen Gang einzudringen, dürfen auch die anderen rein taktischen Auf-
gaben der Kavallerie nicht ausser acht gelassen werden, wie z. B. Siche-
rung des Heeres, indem dieses mit Kavallerie -Abteilungen wie mit
einer Art Schutznetz umgeben wird, Ennittelung möglichst genauer und
vollständiger Nachrichten über den Feind, endlich Versuche, die feindliche
Kavallerie zu sprengen und zu vernichten und damit die Pläne der
eigenen Heeresleitung zu fördern.
■J-.
284
V. Die Kavallerie.
1. Numerischer Bestand der Kavallerie und sein
Verhältnis zur Stärke der Infanterie.
Kriegrntirke Yor allem gedenken wir festzustellen, wie stark die Kavallerie ist,
nach dem
nuitirisehen Über welche die uns hier interessierenden Staaten verfügen können, wobei
der Vergleich von der Anzahl der Schwadronen ausgeht. Als Quelle
dienen uns die Ziffern des russischen „Militärkalenders" i) für 1891, dessen
Verfasser alle neuesten Generalstabsausgaben zur Hand hatte, um die
Kriegsstärke der europäischen Staaten zu berechnen. Die Angaben über
den Friedensetat sind dem „Gothaischen Kalender" für 1894 entnommen.
Zahl
der Schwadronen
(Hmtir-Kalender)
Zahl
der Schwadronen
nach dem
Friedensetat
(GothaisdLer Kalender)
Deutschland
Oesterreich
601
431
145
465«)
345»)
168
Italien
Zusammen
Frankreich
ßussland
1177
573
1186
978
446
?
Zusammen
Rumänien
Türkei
1759
69
195
Bariheieme Etwas audcre Ziffern führt Barthelem^) an. Nach seiner Berechnung
reeiuaiigen. ist die Schwadroneuzahl der einzelnen Staaten folgende:
Reguläre
Kavallerie
nach dem
Friedensetat
Schwadronen
Reserve-,
Landwehr-
und Landsturm-
Kavallerie
Schwadronen
Im Ganzen
Deutschland
Oesterreich
Italien
372
252
147
465
181
24
837
433
171
Zusammen . . .
771
670
1441
■
0 Kalender, herausgegeben von Oberst Dobrshinski.
«) Nach dem Militärkalender 601.
*) Nach dem Miütärkalender 431.
*) H. Barthelem: „Armöe militaire et maritime^. 1892.
Numeiisoher Bestand der SayaUerie,
285
•
Reguläre
Kavallerie
nach dem
Friedensetat
Schwadronen
Reserve-,
Landwehr-
und Landsturm-
Kavallerie
ijchwadronen
Im Ganzen
Frankreich
\ Kosaken ....
440
348
313
250
174
582
690
522
895
Zusammen . . .
Rumänien
Türkei
1101
12
196
1006
52
»
2107
67
196
Wenn wir die Schwadronenzahl der regulären Kavallerie nach dem Kriegaaurke
in Prosenten
Friedensetat gleich 100 setzen, so erhalten wir für die Kriegsstärke der der
Kavallerie in den einzelnen Staaten folgende Ziffern : auf 100 Schwadronen ^Jj^^.
des Friedensetats kommen bei Stellung der Armee auf den Kriegsfnss
(nach Angaben Barthelem's) :
in Deutschland
„ Oesterreich
M Italien . .
225
172
116
in Frankreich
w
Russland
{
regul. KavaU. ,
Kosaken . . .
167
150
286
zusammen 187
in Eumänien .
„ der Türkei .
zusammen 191
633
100
Angesichts der Wichtigkeit der Aufgaben, welche der Kavallerie ^^«'^
zufallen und in Berücksichtigung des ümstandes, dass die Erfüllung Mit is?«.
dieser Aufgaben gegenwärtig weit schwieriger ist, als in früheren Zeiten
(eine Folge des neuen Pulvers und der neuen Bewaffnung), musste man
erwarten, dass diese Waffe in demselben Verhältnis vermehrt werde,
wie die übrigen Waffengattungen.
Indessen steht die Sache ganz anders; während die Infanterie be-
ständig und rasch verstärkt worden, sind die Ziffern für die Kavallerie
bei den neuesten Heeresverstärkungen im allgemeinen die gleichen
geblieben.
In Folge dessen hat sich die Anzahl der berittenen Truppen im
Verhältnis zu den übrigen Waffengattungen relativ vermindert, wie
folgende Daten ergeben:
V. Die Kavallerie.
1; Anzahl
1 Anzahl
1 dpr Mannachaflen
Länder
der KftvaUerie
Länder
. der Kavallerie
■1 auf lOOOMann Infant
lauflOOOMannlnfant.
ii 1874 1
1891
k 1874
1891
Buasland . . . .
. . ■ 165 1
93
England ....
7&
74
Frankreich . . .
. . 1 106
71
Oeaterreich . .
.; 73
&0
Deutschland . .
... 102
66
Italien
50
31
Graphisch dargestellt stellen sich diese Ziffei-n folgender Weise:
1S74 1891
Anzahl der Uannschaften der Kavallerie auf 1000 Mann Infanterie.
unMiM Demnach ergiebt sich beim Vergleich der Jahre 1874 und 1891,
miDdenmg dass sich relativ die Kavallerie in einigen Staaten mehr, in anderen
k.™i"mi.. weniger vermindert, nirgends aber das frühere Verhältnis bewahrt hat.
Die Erklämng hierfür ist nicht scliwer. „Der Hauptwert der
Kavallerie — sagt der französische Schriftsteller General Jung') —
liegt in der Schnelligkeit der Bewegungen nnd der Kiaft des Stosses.
Diese Eigenschaften hängen niclit so sehr von dem Reiter, wie von dem
Pferde ab. Das Pferd ist die Haiiptwafte für den Reiter, wie es das
Gewehr füi' die Infanterie, das Gesclilitz für die Artillerie ist. Die Wafle
der beiden letzteren Trnppengattungen ist ansserordentlich vervollkommnet
worden und wird noch immer weiter vervollkommnet, während das Pferd
dasselbe Geschöpf geblieben ist, das es za den Zeiten Alexanders von
Mawdonien, Bayards und Napoleons war".
Thwris i« Wenn nun aber auch die Anzahl der Kavallerie im Verhältnis zu den
d«i Feindet- audereu Truppengattnngen relativ geringer geworden ist, so kann sie
'™^*'' in künftigen Kriegen doch eine gewichtigere Rolle spielen, als in früheren,
wenn nämlicli die so oft ausgesprochene Ansicht verwirklicht wird, da.ss
es der Kavallerie vor allem obliegen wird, mit Streifritten in das feind-
liclie Land nach Art der einstigen Tartaren-Einfälle den Krieg zn beginnen.
') „Strati'gie, tactique et politique". S. 7.
Mobilisation und Yorbereitung zu Einbrüchen in Feindesland. 287
2. Mobilisation und Vorbereitung
der Kavallerie zu Einbrüchen in Peindesland
(Grenzdetachements-Krieg).
Jede Armee, welche früher schlagfertig als der Gegner ist, wird ^J^ ^^l'
bestrebt sein, die Mobilisation des letzteren soviel wie möglich zu er- MoMiiMtion
schweren. In früheren Zeiten dachte niemand hieran, weil der Heeres-
bestand ein ganz anderer wai-, aber jetzt, wo eine gewaltige Menschen-
masse unter die Fahnen berufen wird mit dem Augenblick, wo der Krieg
anfängt, als auch nach Beginn der Operationen, ist es von grosser Wichtig-
keit, dem Gegner die Mobilisation zu erschweren. Dem Kriege Preussens
mit Oesterreich im Jahre 1866 ging eine diplomatische Krise von einigen
Wochen voraus, und während dieser Zeit wurden die einzelnen Korps
allmählich mobilisiert und je nach ihrer Kriegsbereitschaft zur Grenze
vorgeschoben. Bei dem deutsch - französischen Kriege des Jahres 1870
wurde die Mobilmachung beider Heere auf einen Schlag angeordnet, die
des französischen durch das Dekret vom 15., die des deutschen durch die
Mobilmachungsordre vom 16. Juli.
Die einzelnen Teile der deutschen Kavallerie wurden 1870 durchaus ?**"^" ^
maennsg der
nicht in gleicher Weise mobilisiert. Je nach der Bedeutung der ver- deuuchen
schiedenen KavaJlerie-Eegimenter für die Eröffnung der Kriegsoperationen im Kriege
waren auch verschiedene P'risten für ihre Bereitstellung zum Feldzug ^®^***
angesetzt. Ein Teil der Kavallerie hatte mit dem Gegner vom ersten
Beginn der Mobilisation Fühlung zu gewinnen; hinter diesen vor-
geschobenen Kavallerie -Abteilungen fungierte ein anderer Teil der
Kavallerie gleichsam als Scliirmwand, um für die erste Zeit den Feind
aufzuhalten; der übrige Teil aber hatte sich bei den anderen Waffen-
gattungen zu befinden und mit diesen zugleich an der Grenze ein-
zutreffen. Diese verschiedenen Verhältnisse bedingten auch drei Formen
der Mobilisation : die an der Grenze postierte Kavallerie wurde mobilisiert,
ohne das Eintreffen ihrer Reserven abzuwarten; die weiter rückwärts
gelegenen Teile kompletierten sich mit Reserven, jedoch unter Zugninde-
legung solcher Fristen, dass sie nicht später als am lünften Tage marsch-
bereit sein sollten, die im Innern des Landes stehenden Kavallerie-
Regimenter wurden weniger rasch, in Zeit von 7 bis 14 Tagen,
mobilisiert.
Die Franzosen begannen ihre Truppentransporte an die Grenze "°^^^'
schon am 16. Juli, indem von diesem Tage an das im Lager von Chalons bei den
befindliche zweite Armeekorps in die Gegend von St. Avold (westlich von '*"*^'®°*
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288 ^- ^ie Kavallerie.
Saarbrücken) befördert wurde. Sie waren sehr viel früher mit grösseren
; 11 Heeresmassen an der Grenze, als ihre Gegner. Ihre Trappen trafen hier
jedoch nur in Friedensstärke ein und hatten erst an der Grenze ihre
Mobilmachung zu vollenden. Demnach hätte die französische Kavallerie
den Versuch machen können, die deutsche Mobilmachung in den der
Grenze nächstliegenden Provinzen zu verhindern. Aber diese Kavallerie
war für derartige Aufgaben durchaus nicht vorbereitet, was dem deutschen
Generalstabe wohl bekannt war. Moltke schrieb am ersten Mobil-
machungstage 1870 an den Stabschef des vorzugsweise beim Grenzschutz
beteiligten achten Armeekorps: „Nur wenn die Franzosen, ohne mobil
zu machen, vorgehen, werden sie uns zuvorkommen. Im Falle eines
'ß solchen strategischen Ueberfalls kommt es darauf an, das Vordringen
' des Feindes von der Grenze aus gegen den Ehein zu verlangsamen."
Es ist begreiflich, dass man vor allem bemüht ist, den Teil der
Grenze zu schützen, wo man den Angriff grösserer Truppenmassen
erwartet, und einstweilen weniger bedrohte Gegenden offen lässt.
sohntat Demnach verwandten die Deutschen bei Beginn des Krieges 1870
der ddntaolieD
Qrenie 1870. besondere Aufmerksamkeit auf den Schutz des südlichen Teils der
deutsch-französischen Grenze. Der deutsche Gteneralstab hatte sich im
Interesse des Zusammenhaltens der Kräfte zur Ansammlung der ge-
samten Heeresmacht in der bayerischen Pfalz und nordöstlich von
Saarlouis entschlossen, wiewohl man befürchten musste, dass die im Ober-
Elsass angesammelten französischen Streitkräfte in Süddeutschland ein-
fallen würden, in der Hoffnung, dadurch die süddeutschen Staaten zu der
Trennung von Preussen zu bewegen. Moltke ging hierbei von der Ansicht
aus, dass gerade in einem mit allen deutschen Heereskräften aus der
Pfalz nach dem Unter-Elsass und nach Lothringen geführten Angriff die
sicherste Abwehr selbst eines erfolgreichen Einfalls der Franzosen in
Süddeutschland zu suchen sei. Deshalb hielt es die deutsche Heeresleitung
für möglich, die ganze 160 Kilometer lange Grenzstrecke von Kastatt bis
Basel unbesetzt zu lassen, i)
1 Der Schutz dieser Grenzstrecke blieb den Zivilbehörden und einer
fliegenden Kolonne unter dem Kommando eines Obersten überlassen, dem
vorgeschrieben war, zur Erhaltung seiner Truppenabteilung möglichst
zurückhaltend zu operieren.
Jetzige Seit den Kiiegsiahren 1870—71 wurden alle Maassregeln ergriffen,
Fordernngen ,
Ar um die Mobilisation und Konzentration der Kavallerie noch früher zu
iSbuSlSrii. v^ll^^^ß^ » als dies im Kriege 1870/71 geschah. Der Austausch von
Mannschaften und Pferden zwischen den ausrückenden und Eeserve-
*) Oberst Cardinal von Widdern : „Der Grenzdetachementskrieg". Berlin 1892.
Mobüisation und Vorbereitung ssu Einbrüchen in Feindesland. 289
Schwadronen wird ohne die geringste Verzögerung vor sich gehen; da
ferner die Eegimenter nur in der Nähe von Eisenbahnlinien postiert sind,
können auch Reserven und Ersatzpferde im Laufe einiger Stunden bei
ihnen eintreffen.
Die Einberufung der Reserven ist bedeutend vereinfacht; die ^"j^*®"*
namentliche Einberufung wird durch den Anschlag von Erklärungen nentBchiand.
einer allgemeinen Einberufung ersetzt, durch welche Maassregel zwei
ganze Tage Zeit gewonnen werden. Im Notfalle werden den Reserven
zur Ordnung ihrer Angelegenheiten statt 48 nur 24 Stunden Zeit gegeben
werden. Was die Kompletierung der Regimenter mit Pferden betrifft,
so spielt diese kaum eine Rolle, denn schon die Friedensstärke er-
möglicht, jede Schwadron auf 130 bis 136 Pferde zu bringen, so dass,
um das ganze Regiment auf Kriegsfuss zu setzen, nui' noch 80 Pferde .
nötig sind.
Man kann annehmen, dass die Mobilisation der Kavallerie künftig
mindestens um 3 Tage schneller vor sich gehen wird, und dass diejenigen
Kavallerie -Regimenter, welche nicht unverzüglich ausrücken, zwischen
dem dritten und fünften Tag vom Moment des Mobilisationsbeginns zum
Ausrücken fertig sein werden.
Frankreich folgte dem deutschen Beispiele, und der grösste Teil ^'"»twich.
der Kavallerie wird in sofortige Aktion treten können; man will die
Infanterie-Divisionen nur mit Reserve-Kavallerie ausstatten. 2)
Russlands gesamte Kavallerie soll nach deutschen Angaben an ^j^^J^'.^
seinen westlichen Grenzen postiert sein und vor die Front genommen BnMi»nd.
werden. 2) Ausserdem wurden die berittenen Grenzwächter vollständig
militärisch organisiert, so dass sie jeden Augenblick in Feindesland ein-
rücken können.
Es ist klar, dass die Kavallerie um so sicherer Erfolge erzielen ^*^^°®"*fi^^«*'
wird, je grösser ihre Beweglichkeit ist. Deshalb beschäftigt man sich in Kayauene-
allen Armeen unablässig mit der sorgfältigsten Ausbildung von Pferden tm^^^e
und Mannschaft nach dieser Richtung hin. Schon im Kriege 1870/71 ^®^^-
wurden hierin bemerkenswerte Resultate erzielt. So z. B. legte eine
Schwadron deutscher Dragoner, welche Fühlung zwischen zwei Korps
herstellen sollte, in 36 Stunden 200 Kilometer (186 Werst) zui-ück, wobei
die Hälfte des Weges in hügeligem Gelände unter leichtem Plänkelfeuer
mit dem Feinde geritten wurde und im Laufe von I2V3 Stunden keine
Fütterung stattfand, s)
2) Löbell: „Militärische Jahresberichte für 1895**.
3) „Wojenny Ssbomik", Kritik des Widdern 'sehen Werkes durch General
Ssuchotin.
Bloch, Der zakflnftige Krieg. 19
290
V. Die Kavallerie.
i
Manöver jjj Frankreich machte die Kavallerie bei den letzten grossen
Frankreich, Manövcm 64 Kilometer pro Tag, ohne sonderlich an Tauglichkeit zur
Erfüllung weiterer Aufgaben zu verlieren.
Rasaland. ^ Drygalski, der bekannte deutsche Militärschriftsteller, sagt ,4)
dass in Eussland üebungen in plötzlichen Einfallen ernste Aufmerk-
samkeit geschenkt wird. Dasselbe bestätigen auch französische Quellen.
Die „Revue militaii-e" führt an, dass während der gi'ossen Manöver im
Königreich Polen eine ca. 600 Pferde starke Abteilung im Laufe von
44 Stunden an 200 Kilometer zurücklegte.
Leistungen j^och lehrreicher als die üebungen in Friedenszeit sind Beispiele
niBsisohen vou Lcistungeu russischer Kavallerie im letzten Türkenkriege von 1877/78.
1877/78. Wir wollen einige der hervorragendsten und eigentümlichsten anführen.
Der bekannte Schipka-Zug des Generals Gurko fällt nicht ganz unter
den Begi'iff des Einbruches in Feindesland, des „Raid", welche Bezeich-
nung sich seit dem nordamerikanischen Bürgerkriege in der militärischen
Sprache hierfür eingebürgert hat. Der „Raid" ist eine Reiteraufgabe, die
einer beweglichen, ganz selbständigen Abteilung übertragen wird, die jäh
und unerwartet über den Feind heiiällt, zerstört, was zerstörbar ist, die
Verbindung unterbricht u. s. w.
Die Abteilung Gui'ko's bestand ursprünglich aus IOV2 Bataillonen,
44 Schwadronen, 38 Geschützen und einer Abteilung berittener Pioniere,
im Ganzen aus 8000 Mann Infanterie und gegen 4000 Mann Kavallerie;
mit der später hinzugekommenen Reserve (1. Brigade der 9. Infanterie-
Division) 16 000 Mann.
Die Expedition dauerte 3 Wochen, vom 12. Juli (Ausmarsch aus
Tirnowo) bis zum 6. August, wo der grösste Teil der über den Balkan
gegangenen Truppen den Rückzug beginnen musste. General Gurko
führte eigentlich die Avantgarde, welche ihre Aufgabe vollkommen löste;
aber hinter der Avantgarde folgte keine Hauptmacht, weil die unvorher-
gesehenen Kämpfe bei Plewna die Vorwärtsbewegung des russischen
Heeres hemmten. Wäre nicht der unerwartete Widerstand Osman Paschas
gewesen, so wäre das 8., 9. und 12. Armeekorps unmittelbar hinter Gurko
nach Rumelien vorgedrungen und der Friede wäre wahrscheinlich rasch
in Adrianopel diktiert worden.
Die von General Gurko befehligte Avantgarde, welche unerwartet
mit der eiligst von der montenegrinischen Grenze angerückten Armee
Suleiman Paschas zusammenstiess, musste sich, da sie keinen Rückhalt
hatte, zurückziehen.
*) „Die russischen Somnierübungeu". Berlin 1884.
Mobilisation und Vorbereitung zu Einbrüchen in Feindesland. 291
Den Charakter des „Kaid" verleiht der Expedition des Generals
Gurko nur der Umstand, dass sie unerwartet über den Balkan einbrach,
Schipka nahm, dem Feind in den Rücken fiel, hierbei Schwierigkeiten
geographischer und klimatischer Natur überwand, trotz der auf Schritt
und Tritt sich darbietenden Hindernisse kühn vorwärts ging, Eisen-
bahnen, Telegraphen u. s. w. zerstörte, Adrianopel selbst in Schi-ecken
setzte und dann noch feststellte, dass eine neue feindliche Ai'mee auf dem
Kriegsschauplatz erschienen war, deren Vordringen und Konzentrierung
gleichzeitig verhindert wurden.
Selbstverständlich erforderte die Erreichung aller dieser Resultate . Ausdauer
im Ertragen
ganz besondere Anstrengungen. Erwähnt mag hierbei noch werden, dass der
die unter Gurko operierende Heeresabteilung aus 3 Regimentern regulärer ^*™p"®''
Kavallerie und 2 Kosaken-Regimentern bestand. Bei der Wiederkehr
nach Tirnowo waren die Pferde so stark mitgenommen, dass sie ganz
dienstuntauglich geworden.
Wenn wir hören, was der preussische General von Keller über die
Abteilung Gurko's und besonders über den Balkan-Zug berichtet, so be-
greifen wir leicht, bis zu welchem Grade die russische Kavallerie zum
Ertragen von Strapazen fähig gemacht werden kann.
Das, was die Truppen an jenem Tage leisteten, übertraf fast jeden ueber-
Begriff von Menschenkraft. Um diese Leistung genügend zu schätzen, An-
reicht die Vorstellung von der Länge des dui'chmessenen Weges nicht im ""^^^^«^'"^
Entferntesten aus ; erst die Erkenntnis, welche ungeheuren Schwierigkeiten ^^^^'''
hierbei zu überwinden waren, giebt ein richtiges Bild. An diesem Tage
sind von den Truppen 20 Kilometer zurückgelegt w^orden. Drei Meilen
Balkanabhänge hinauf und hinunter! Wieviel Mühe und Anstrengung
jedes einzelnen Soldaten schliesst diese Ziffer doch ein! Der Marsch
erfolgte während einer unerträglichen Hitze, und dabei hatten die
Truppen noch schwer zu arbeiten, indem sie Geschütze und Munition
mit sich führten. Besonders die Fortschaffung der Geschütze erforderte
unglaubliche, übernatürliche Anstrengung. Die Reiterei sass ab und half
unablässig den Pferden die Geschütze weiter ziehen, welche jeden Augen-
blick umzustürzen und in einem Abgrund zu verschwinden drohten.
Wirklich rollten auch 2 Geschütze mit Leuten und Bespannung einen steilen
Abhang hinunter. Stellenweise wurde die Weiterschaffung der Geschütze
ausschliesslich der Infanterie übergeben.
Mit Recht schrieb der Herzog von Leuchtenberg in seinem Rapport :
„Man kann ohne Uebertreibung sagen, dass unsere Geschütze und
Munitionswagen auf den Schultern unserer Soldaten über den Balkan
transportiert worden sind."
19*
292 '^- I*'* KaTOUerie.
Einen annäheiiideii Begriff vom Schipka-UebergaQg kann uns fol-
o»^ät»n gendes Bild geben.')
BeUpta-PuL
Transpott von Geschützen über den Sdupka-Paäü.
Als das beste Beispiel fiir die Fähigkeit des rassischen Soldaten,
Strapazen zu ertragen, führt derselbe preussiache General von Keller die
Thatsache an, dass bei diesen unglaublichen Anstrengungen dennoch die
ganze Abteilung das Tschunda-Thal am dritten Tage völlig kampfiähig
erreicht habe. Diese Thatsache spreche für sich selbst.
'^'äl*i Bemerkenswert!! sind auch die Resnitate der Winterexpedition des
if a««n>ig Generals Strnkow, besonders wenn mau die geringe Stärke seiner Ab-
187*.* teilnng berücksichtigt. Strnkow rückte am 14. Januar 1878 an der
Spitze von 9 Schwadronen aus, machte nirgends Halt nnd blieb erst, in
Folge des Waffenstillstandes vom 1. Febrnar, bei Tschatalda, fast im
') CassoU : „History of the Russo-Turkish War".
Mobilisation und Vorbereitung zu Einbrüchen in Feindesland. 293
Angesicht Konstantinopels stehen. General Strukow warf sich so
zwischen die auf dem Rückmarsch befindlichen türkischen Abteiinngen,
welche ohne Anfrechterhaltnng der Fühlung mit ihrem Gros marschierten
und bewirkte mit seiner kleinen Abteilung, dass russische Truppen dort
auftauchten, wo man sie am allerwenigsten erwartete, wodurch sich natür-
lich weithin Schrecken und Bestürzung verbreitete. General Strukow
nahm Adrianopel, eine Stadt von etwa 120000 Einwohnern, die Achmed
Ejnb Pascha preisgegeben hatte, obwohl letzterer über 8000 Nizams,
60 Geschütze und eine recht beträchtliche Abteilung Baschibozuks verfügte.
Der „Raid" Strukow's hatte noch die Bedeutung, dass zahlreiche türkische
Abteilungen (Hassan Pascha und Abdul Kerim Pascha), welche sich auf
Adrianopel zurückzuziehen gedachten, ihre Marschrichtung änderten und
nach Osten auswichen.
Obwohl die Hilfe, die General Strukow überall von der bulgarischen
Bevölkerung erfuhr (besonders durch Uebermittelung wichtiger Nach-
richten), ihm seine schwierige Aufgabe in vielem erleichterte, so gehört
doch seine Unternehmung, wie der Verfasser des Berichts bemerkt, zu
den kühnst geplanten und glücklichst durchgeführten, welche die Ge-
schichte überhaupt kennt.
Gegenwärtig sind die Ansprüche an die Rolle der Kavallerie noch B^«"*ong
grösser geworden. Um die Kraft dieser WalFe zu vergrössem, werden zateiianj
den Kavallerie-Abteilungen Schnellfeuergeschütze beigegeben. seimliifeaer.
Diese sind dermaassen gebaut, dass sie auf Pferden transportiert ^ **""*
werden können. Das Zusammensetzen bedarf nur einiger Minuten. Auf
der folgenden Seite geben wii- Zeichnungen, welche diesen Transport und
das Zusammensetzen erläutern.
Besonders die russischen Militärautoritäten setzen auf ihre Kavallerie K^^and
besitifc
grosse Holfnungen. Ausserdem ist ja diese Kavallerie zahlreicher, als in die »bi-
aDen übrigen Staaten. In Russland kommen auf je 1000 Mann Infanterie x^rauerie.
27 Berittene mehr als in Deutschland, 19 mehr als in Oesteireich, 22 mehr
als in Frankreich, 43 mehr als in Italien und 62 mehr als in England.
Ausserdem bilden die Kosaken ein sehr wertvolles und besonders
bei einem langwährenden Kriege unerschöpfliches Kavallerie-Material. Die
Zahl der Kosakentruppen in Kriegsstärke betrug zum 1. Januar 1888 :6)
Offiziere Unterchargen
Im europäischen Russland 3 176 133 493
Im asiatischen Russland 438 22 311
Insgesammt 3 613 15B 804
*) Freiherr von Tettau: „Die Kosaken-Heere". Berlin 1892.
V. Die KaTallerie.
Zasammengtisetztes OeBObütz.
Transportiorang Hi^a Gesohützcs.
Der Listeubestand der Kosakentruppen war zu dieser Zeit folgender:
Offiziere Unt^rchargeu
Im enropäischen Rnssland 3 795 '261 987
Im asiatischen Rnssland 304 39197
Insgesanimt 4 189 301 184
also einschliesslich dei' Offiziere überhaupt 305373 Maoo.
Mobilisation und Vorbereitung zu Einbrüchen in Feindesland. 295
Ans diesen Angaben ist zu ersehen, dass die Kosakenbevölkerung
im Notfalle ausser dem von der Eegierung geforderten Sollstande (Kriegs-
stärke) noch etwa 600 Offiziere und 130000 Mann im Alter von 18 bis
38 Jahren zu stellen vermag.
Trotzdem werden in Russland noch Ansichten laut, welche eine Forderungen
noch
weitere Vermehrung der Kavallerie fordern. General Ssuchotin und die g^aaerer
Anhänger seiner Theorien fordern die Formierung von noch 170 000 Mann ^*™^™°*
Kavallerie. Sie sind der Ansicht, dass Russland, welches 20 Millionen i^ßn*j^\^^
Pferde besitzt, eine Million Pferde aufstellen könne, und dann doch
nur 6% des gesamten Pferdematerials für Kavalleriezwecke bestimmt
sein würden.
In diesem Falle hätte Russland über 2V2nial mehr Kavallerie zu
verfugen, und diese Reitermasse könnte sich gleich einem Orkan in
das Land des Feindes stürzen. Wie England als Seemacht par excellence
gelte, so könnte Russland das Land der Kavallerie par excellence genannt
werden, wofür ja schon die Kosaken als glänzendes Beispiel dienten.
Folglich müsste Russland auch alle Vorteile, die sich unmittelbar aus
dessen natürlicher Lage ergeben, ausnutzen.
Der oben zitierte bekannte deutsche Militärschriftsteller A. Drygalski zweck:
Vanrflatnng
sagt: Es sei offenbar, dass diese vorzugsweise an den Grenzen postierten des Peind«»-
Reitermassen nicht so sehr für Abwehrzwecke bestimmt sind, wie für ^*°^"^
Zwecke eines angreifenden Vorgehens in Feindesland. Dieses erhelle
noch mehr aus den beständigen Hinweisen aller russischen Militär-
schriftsteller darauf, dass geniale Heerführer stets den Angriff der Ver-
theidigung vorgezogen hätten und dass die russische Kavallerie die
Verwüstung des Feindeslandes hauptsächlich bezwecken soD.
In den deutschen Militärkreisen haben die in der russischen uawandiung
in Dra^ODor.
Kavallerie durchgeführten Umformungen einen grossen Eindruck ge-
macht. Die Umwandlung der gesamten regulären Kavallerie in Dragoner-
Regimenter und die Verteilung der Kosaken - Regimenter auf die
Divisionen der regulären Kavallerie, ebenso wie auch der Umstand, dass
die Grenzwache derart umgeformt wurde, dass sie sich von der eigent-
lichen Kavallerie nur wenig unterscheidet und sofort nach Ausbruch des
Krieges in Feindesland einfallen kann, wurden sehr eingehend besprochen.
Nach diesen Veränderungen zu urteilen, wird der russischen
Kavallerie in künftigen Kriegen eine hervorragende Rolle zufallen. Die
russischen Kavalleriemassen, welche mit Handfeuei'waffen ausgerüstet sind,
die dem Infanteriegewehr nicht nachstehen, können schon zu einem Zeit-
punkte in das Gebiet des Gegners einbrechen, wo dessen Armee noch in
der Mobilisation begriffen ist und weite Landesteile noch nicht militärisch
geschützt sind; sie haben damit die Möglichkeit, die Verbindungslinien
296 V. Die Kavallerie.
zn unterbrechen, Brücken, Tunnels, Stationen, ebenso Magazine, Auf-
speicherungen von Getreidevorräten etc. zn zerstören, und überhaupt in
dem wirthschaftlichen Leben des feindlichen Landes Verwirrnngen hervor-
zDrufen, deren Folgen sich kaum berechnen lassen.
In dieser Art Thätigkeit wird die Kavallerie in Friedenszeiten in
allen Ländern, und besonders in Kussland, geübt. Gegenstand der
n. Uebungen sind: Zerstömng von Eisenbahnen bis zu 20 Werst Aus-
dehnang, der dazu gehörigen Stationseinrichtungen, Brücken u. s. w.,
Empfang and Absendung von Depeschen, Abfangen feindlicher Depeschen
und Herstellung von Telephonverbindungen.
Die Unterbrechung von Eisenbahnlinien wird geübt dnrch Sprengungen,
zn deren Ausführung jedes Kavallerie-Regiment neben den verschiedensten
anderweitigen fiandwerkszeugen eine Anzahl von Sprengpatronen —
Pyroxilin — aaf Packpferdeii mit sich führt.
Folgendes Bild, der „Leipziger Illustrierten Zeitung" entnommen,
zeigt uns eine Unterbrechung einer Eisenbahnlinie.
Unterbrechung von Eiaenbalmlinit'n durcli Anneetlragoner.
in'itt ^^^ betreflende Kommando reitet möglichst unbemerkt und gedeckt
•nbihii- an die Strecke des Bahngeleises, womöglich eine Kurve, heran, wo die Zer-
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EUmg»!) bei Seite »T.
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MobiliBatioD und Vorbereitnug zu Einbrüchen in Feindesland. 297
stüraiig ausgeführt werden soll und hält dann in angemessener Entfernung.
Während aan hier ein Teil mit den Packtieren gedeckte Anfstellung nimmt,
jagen die übrigen, in einzelne Nummern geteilt — je zwei bis drei Reiter
— fäcbei-förmig sich ausbreitend, in raschester Grangart an das Bahn-
geleise vor, um auf entsprechend langen Strecken ihr Zerstömngswerk
ohne Zeitverlust zu beginnen. Pyroxilinpatronen werden in Abständen
Ton einem Meter mit eingesetztem Zünder an der äusseren Seite .zweier
znsammenstossender Schienen aufgestellt, mögliehst fest mit Erde verdämmt
nnd in Brand gesetzt. Da die zum Zünden gehörige Zündschnur nur lang-
sam fortbrennt, haben die Reiter vollauf Zeit, sich anf 200 Meter and
darüber zu entfernen und damit in Sicherheit zu bringen.
Das Sprengen der BiTlcken, besonders der grossen eisernen, bedarf
aber schon grösserer Sachkenntnis. In der Beilage geben wir das Bild der
Sprengung einer hölzernen
Brücke durch Zöglinge der
französischen Kavallerie-
schule, sowie eine Darstellung
der Uebungen zur Legung
von Dynamitpatronen behufs
Sprengung einer grossen
eisernen Brücke.
Haud in Hand mit der ?
Zerstörung des Schienen- u
geleises und der Brücken
pflegt denn auch immer die
Unterbrechung der Bahn-
telegraphen zu gehen.
Zur Ansfiihrung dieser
und anderer Zerstörungs-
arbeiten werden der Ka-
vallerie Sappeure zugeteilt
Nebenstehendes Bild zeigt
einen russischen Dragoner
mit aufgesessenem Sappenr
^lcht selten ist es auf __
besonders wichtigen und ,. ~ /■ < " '
^ Dragoner m t ttufgesecBenem bappeur
verkehrsreichen Linien \on
grosfei Bedeutung Kenntnis von den auf diesen umlaufenden Depeschen
des Gegneis zu erhalten sie abzufangen nnd auf solche Weise Einbbck
m die feindlichen Maassnahmen zu erlangen Man bedient sich hierzu
des Kavallene Telegraphen (Telephon), indem man diesen in die
298 V. Die KftvalleriP.
feindliclie Linie einschaltet. Mit solchen Apparaten ist, wie in anderen
Staaten, auch in Russland jedes Karaüerie-Regiment ausgerüstet.
Li<t>i>g«n Man hat nämlich, da das Telephon beim Sprechen Missverständnisse
lindLisheB uicht ausschliesst, wen besondere Eigentümlichkeiten der Stimme und
>«p«»iuii. ^Q^gprache beim Absender ebenso schwer ins Gewicht fallen wie die
Schärfe des Gehörs beim Empfänger, auch für das Teleplion im Feld-
dienst die Morse - Zeichen in allen Armeen eingeführt, zumal man ihnen
r feindlichen Depesche mit dem Kavallerie-Telegraphen (Telephon).
Urteile über den Grenzdetacheinent-s-Krieg. 299
weit grössere Zuverlässigkeit zuschreibt und ihre Erlernung nicht auf
unüberwindliche Schwierigkeiten stösst. Das Telephon ist zu diesem
Zweck mit einem Morse - Schlüssel verbunden, dessen laute Schläge im
Telephon aufgefangen und nach dem Gehör abgelesen werden.
Selbstverständlich ist das Abschreiben von Feindesdepeschen nur
dann zu ermöglichen, wenn es einer weit vorgedrungenen Kavallerie-
Patrouille gelungen sein wird, sich hinter die gegnerische Kavallerie
unbemerkt in den Telegraphen einzuschalten, denn es wird wohl Niemand
im Kriegsfalle die zum Gegner führenden Telegraphenlinien bestehen
lassen.
Nebenstehendes Bild zeigt uns das Auffangen einer feindlichen
Depesche mit dem Kavallerie-Telegraphen (Telephon). '0
Diese Hebungen der russischen Kavallerie mussten natürlich die Möglich«
Nachbarstaaten beunruhigen und die verscliiedensten Mutmaassungen, An- mowi- °'
sichten und Befürchtungen, besonders in Deutschland, hervorrufen. Soweit Do"!Jtchfaid.
sich die Sache übersehen lässt, steht in der deutschen Armee die Ueber-
zeugung fest, dass, auf welcher Front der Krieg auch ausbrechen möge,
die Initiative der Operationen immer Deutschland dank seiner schnellen
Mobilisation zufallen wird, d. h., dass die deutschen Heere den Feind in
dessen eigenem Land w^erden angreifen können. Von dem Vorhandensein
dieser Ansicht zeugen nicht nur die Aeusserungen aller deutschen Schrift-
steller, welche die Frage des zukünftigen Krieges berühren, sondern auch
die von der Regierung im Reichstag abgegebenen Erklärungen. Die
direkte und natürliche Folge einer solchen üeberzeugung ist daher, dass
die Frage der Kavallerie-Raids fast ausschliesslich von dem Gesichts-
punkt betrachtet wird, inwiefern sie die Mobilmachung stören können.
3. Urteile über den Greiizdetachements-Krieg.
Im Jahre 1883 erscliien in No. 93 der „Allgemeinen Militär-Zeitung" Artikel:
ein Artikel unter dem Titel „Ostpreussen und der Tartaren-Ritt'V) der" anraTr*"
allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Der Verfasser bleibt mit ^*^t'!""
eingehendem Ernst bei der Frage über die „Raids" der russischen
Kavallerie stehen. Die deutsche Kavallerie werde durch die russische
reguläre Kavallerie hinlänglich beschäftigt w^erden und deshalb nicht im
^) „Leipziger Illustrierte Zeitung".
^) Da ^r die Nummer des zitierton Organs nicht zur Hand haben, geben
wir ein Referat des Artikels nach dem Buche des Antisarmatikus: „Von Berlin
und Wien nach Petersburg und Moskau und zurück".
200 V. Die Kavallerie.
Stande sein, sich noch mit 40000 bis 50000 Mann irregoiärer Kavallerie
abzugeben. Diese letztere könne, wenn sie sich in kleine Abteilungen
auflöse, in einigen Tagen grosse Strecken verwüsten, die Verbindung
stören und gleichzeitig in den nahe gelegenen Wäldeni Unterschlupf finden.
voracMftge ^jg zuverfässigcs Mittel dagegen wird empfohlen, auf der Grenz-
xar Zarflck'
weirang der lluie rechtzeitig Dämme und Faschinen herzustellen. Gruben zu legen und
"alid?-*!" Anschüttungen aufzuführen, femer die Bahnlinien mit Domengebüsch zu
bepflanzen und vor dem Kriege an die ganze Bevölkerung Waffen zu
verteilen und selbst Frauen und Kinder mit Revolvern auszui-üsten.
Ohne solche Vorsichtsmaassregeln würde, wie der Verfasser des beregten
Artikels warnend hervorhebt, nicht einmal der Landsturm Zeit fiinden,
sich zu sammeln; tausende von Feuersbrünsten würden von allen Seiten
aufflammen und die Eisenbahnlinien an vielen Stellen unterbrochen
werden. Mit Anbmch des Tages würden sich die ßaubschaaren in
den WäJdem bergen, um Nachts wiederum ihre Verwüstungsarbeit auf-
zunehmen, hierbei immer weiter und weiter ausgreifend. Wenn die
östliche Bevölkerung nicht irgendwelche Schutzwehren gegen diese
„ßaids" errichten werde, so könne die russische irreguläre Kavallerie
in voller Freiheit auf dem preussischen Gebiete hausen.
skobeiew'B Weiter wird in dem Artikel der „Allgemeinen Militär-Zeitung" aus-
^'xrieg- *' gefühi't, dass die mssische Regierung diese Form der kriegerischen Ope-
fthrang. Nationen gutheisse; Beweis hierfür sei die seineraeit von dem verstorbenen
General Skobelew ausgesprochene Ansicht, dass der Krieg mit Deutsch-
land im „asiatischen Stil** geführt werden müsse. Es ist überflüssig näher
auszuführen, dass diese Erklärung in Deutschland emsthafte Befürchtungen
hervorgerufen hat und dass die Regierung sich Mühe gab, die hierdurch
bewirkte allgemeine Beunruhigung zu dämpfen.
Browhftre: Etwas spätcr, im Jahre 1884, erschien eine Broschüre unter dem
wir Ton dur Titel : „Was haben wir von der rassischen Kavallerie zu erwarten? "'-*)
jJj^^Srrio M welche die Sache in einem ganz anderen Licht darstellt. Der unbekannte
erwarten-. Verfasscr berechnet die russische Kavallerie auf 170 000 Pferde, die deutsche
auf 67 949 Pferde. Nach seinen Ausführungen jedoch werden die russischen
Kavalleriekräfte in Folge der schlechteren Mobilisationsverhaltnisse und des
schlechteren Zustandes der rassischen Wege zu Beginn des Krieges niemals
die deutschen Kavalleriekräfte übersteigen; andererseits stehe die Orga-
nisation der deutschen Kavallerie weit höher als die der russischen. Die
„Raids" der russischen Kavallerie könnten nicht über den Grenzgürtel
') Hannover 1884. Sainte-Chapelle in seinem "Werke: „Les tendances de
la cavalerie russe" nennt als Verfasser dieser Broschüre den preussischen
Hauptmann Dewall.
Urteile über den Grenzdetachements-Krieg. 301
hinausgehen; im schlimmsten Fall könnten sie zwei Tagemärsche weit
über die Grenze vordringen; weiter hinaus würden sie entschiedenen
Widerstand finden. Die Deutschen könnten sich mit dem Gedanken an
die Möglichkeit eines solchen „Raid" um so eher aussöhnen, als ein Einfall
nur dann ernste Folgen nach sich ziehen würde, wenn unmittelbar hinter
der Kavallerie genügende Trappen nachfolgen würden, um das Gelände zu
besetzen; dieses sei jedoch bei der Langsamkeit, mit der die russische
Mobilisation nur vor sich gehen könne, nicht zu befürchten, und übrigens
sei das beste Verteidigungsmittel — das Eindringen des deutschen Heeres
in das russische Gebiet. Der Verfasser kritisiert sodann die Reform
der rassischen Kavallerie. Seiner Meinung nach entspricht die Be- ^'»-
« genfigondss
waffnung nicht ihrer Bestimmung und ebenso erscheint ihm die Methode pferde-
des Zureitens der Pferde von zweifelhaftem Wert. Was die QuaUtät "^^t^Ln '
der Pferde selbst anbetreffe, so könnten die regulären Regimenter über K»v«uerie.
ein durchaus tüchtiges Pferdematerial verfügen, da für die Garde
Steppenpferde im Werte von 200 bis 300 Rubel, für die übrige Kavallerie
im Werte von 125 Rubel beschafft würden, während dagegen die
Kosakenpferde nur selten zu einem höheren Preise als 60 bis 76 Rubel
pro Pferd erworben würden. Im Dienst zeichne sich das Kosakenpferd
durch eine grosse Fähigkeit im Ertragen von Strapazen aus und sein
Bau mache es zum Muster eines leichten Kavalleriepferdes, mit dem
man allenfalls nur das ungarische Pferd vergleichen könne. Demnach
bestehe jetzt die ganze rassische Kavallerie, abgesehen von den
Garde-Kürassieren, nur aus leichten Reiter-Regimentern. Weiter lügt
der Verfasser hinzu, dassman allerdings der russischen Pferderasse
besondere und ihr eigene Vollzüge zugestehen müsse. Das Kirgisenpferd
z. B. nähre sich einzig von Gras; im Winter verschaffe es sich in der
Steppe selbst sein Futter und ertrage ebenso leicht 45^ R. Wärme wie 40<>
Kälte. Man könne es sofort von der Steppenheerde, dem „Tabun", fort-
nehmen, satteln und zum Reiten verwenden; einen Hufbeschlag habe
dasselbe gar nicht nötig; es ertrage erstaunlich leicht Ermüdung und
höchste Anspannung und laufe zudem rasch ; derartige Pferde würden den
Mustertypus für ein Soldatenpferd abgeben, wenn sie sich mit gleichem
Erfolge auch in geschlossenen Formationen verwenden Hessen, was doch
immer Hauptsache bleiben müsse. Man brauche gar kein besonderer schlechte
Schalung.
Anhänger der schweren Kavallerie, voraehmlich der Kürassiere, zu sein,
um einzusehen, dass, da bei jedem Stosse die Schwerkraft entscheidet,
es der russischen Kavallerie bei ihren Vorzügen und ihrem reichen
Pferdematerial schlecht ergehen könne, da sie keine oder fast keine
Aussichten habe, die Attake eines Feindes auszuhalten, der mit stärkeren
und Dank ihrem geschickten Zureiten gleichmässig gehenden und folg-
302 V. Die Kavallerie.
sanieren Pferde beritten sei. In der russischen Kavallerie lasse gegen-
wärtig das Zureiten der Pferde viel zu wünschen übrig. Das Kosakenpferd
mit seinem schwachen Rücken sei am allerwenigsten für ein regelrechtes
Zureiten tauglich. Eine Kavallerie aber — ruft der Verfasser pathetisch
aus — , in welcher die Kunst des Reitens so niedergehe und der kavalle-
ristische Geist sich völlig verflüchtige, wie dies immer mehr und mehr bei
der russischen Armee hervortrete, müsse zuguterletzt jede Bedeutung als
solche einbüssen.
Atta^en in j)ej. Verfasscr legt auch den Uebungen der russischen Kavallerie,
Fomaüon, welche bei ihr Fähigkeit zu raschen Dauerleistungen entwckeln sollen,
deuteYhor- kciuc besouderc Bedeutung bei. Alle diese Offiziersrennen, die bisher
"''ftihrtw'' die Eigenschaft einer gewissen Freiwilligkeit an sich getragen, in
letzterer Zeit aber für fast alle Kavallerie- Offiziere pflichtmässig geworden,
so dass im Jahre 1884 von insgesamt 2121 Offizieren sich 1744 an den
Rennen beteiligt, hätten nicht viel zu besagen. Der Verfasser fragt,
welchen Wert diese sogenannten „Ausflüge" zur üebung im Ertragen
von Strapazen hätten, was die Akrobatenkunststücke bedeuten sollten,
die unter den Kosaken in Mode gekommen seien und doch nur an den
Zirkus erinnerten. Alle derartigen Thorheiten in den kavalleristischen
Uebungen führen nach der Meinung des Verfassers der Broschüre zu
nichts. Die Stärke der deutschen Kavallerie beruhe in dem Selbst-
vertrauen, das jeder Reiter auf seinem Pferde empfinde. Nur bei regel-
recht dressierten Pferden sei eine Attake in geschlossener Formation
denkbar; zugleich sicherten aber auch die so lenksamen deutschen Pferde
dem Kavalleristen den Sieg im Einzelkampf.
^*bidbt^^ Schliesslich spricht der Verfasser noch seine Ansicht dahin aus,
Haoptsaohe. dass mau nicht zweien Herren dienen könne und dass diejenigen, welche
die Kavallerie zu zwei einander prinzipiell widersprechenden Aufgaben
gebrauchen wollten, damit die Kavallerie nach beiden Richtungen hin zu
einem Nichts reduzierten. Niemand bestreite es, dass die Kavallerie
in gewissen Fällen auch der Feuerwaffe bedürfen könne, dennoch aber
bleibe der Fusskampf für die Kavallerie ein Ausnahmefall. Alle Be-
strebungen, alle Anstrengungen seien in Deutschland darauf gerichtet,
dass die Kavallerie auf dem Kriegs theater im Stande ist, Attaken
trotz aller modernen Vervollkommnungen der Bewaffnung auszuführen.
Alle Exerzitien, alle Arbeit an der Kavallerie wäre nur durch den einen
Gesichtspunkt bestimmt, dass die Attake für die Kavallerie die conditio
sine qua non ihrer Bedeutung bleibt. Diejenige Kavallerie, welche sich
unfähig fühlte, gegen irgend eine andere Waffengattung einen Stoss
auszuführen, würde ihre Kosten nicht einbringen und sich zu einer
Truppe zweiter Klasse degradieren.
Urteile über den Grenzdetachements-Krieg. 303
Einige Jahre später, 1888, erschien in Deutschland eine neue Bro- ßroBci^re:
schüre unter dem Titel: „Das russische Schreckgespenst", deren Aufgabe raräuciie
gleichfalls war, auf die erregten Gemüter beruhigend zu wirken. g^p^st-.
Der Verfasser fragt, warum Russland, ein an Herden so reiches
Land, nicht Pferde von höherem Wuchs für seine Kavallerie auswähle und
ist auch mit der Antwort sofort bei der Hand. Dies geschehe deshalb, weil
Eussland gar nicht darnach verlange, eine Kavallerie zu besitzen, sondern
sich mit einer „berittenen Infanterie" begnüge. Angriffe zu Fuss von
der Flanke und im Rücken des Feindes gälten als Hauptaufgabe der
gegenwärtigen russischen Kavallerie; das Pferd höre auf, als „Waffe" zu
dienen und bilde nur noch ein Mittel für rasche Fortbewegung. Der
russischen Kavallerie liege ob, zu Fuss in der ersten Linie zu kämpfen,
da man in russischen Militärkreisen glaube, dass die Zeit der Kavallerie-
Attaken schon vorüber sei. ;
Der Verfasser ist mit dieser Auffassung nicht einverstanden, sondern
nennt sie irrig und falsch. Gerade die jetzige Kampfesweise der
Infanterie in aufgelöster Linie biete der Thätigkeit der Kavallerie ein
weites Feld und sichere ihr den Erfolg.
Gewissermaassen absichtlich wird der Umstand ausser Acht gelassen,
dass es bei den jetzigen weittragenden Waffen völlig undenkbar ist, in
grösseren Massen an die Infanterie nahe heranzugehen.
Weiter heisst es, dass zu Anfang des Kiieges Russland nicht Mangel der
, rassisclieii
mehi- Kavallerie zur Verfügung haben wird als Deutschland, und dass .berittenen
in jedem Fall Deutschland und Oesterreich zusammen, selbst wenn
gleichzeitig der Kampf auf der westlichen Front nötig wäre, dennoch
mindestens gegen Russland die gleiche KavaUeriemasse aufstellen
könnten, wenn nicht eine grössere. Es sei folglich klar, dass von einer
Ueberschwemmung Deutschlands durch russische Kosakenhorden, wovon
in letzter Zeit so viel phantasiert worden, gar nicht die Rede sein könne.
Es sei wohl wahr, dass einige Divisionen der russischen Reiterei nicht
•
weit von der deutschen Grenze stationiert seien, aber deswegen habe
Deutschland doch entschieden nichts zu fürchten. Selbst wenn sich
diese Reiterei dazu entschliessen würde, über die deutsche Grenze ein-
zubrechen, so könnten mit Hufe des musterhaften, gerade für solche Fälle
berechneten deutschen Eisenbahnnetzes augenblicklich so viel Truppen
konzentriert werden, als erforderlich wären, diese selbstbewussten
Wagehälse dorthin zurückzujagen, von wo sie gekommen. Einmal hätte
Jemand auf diese Möglichkeit die Aufmerksamkeit Moltke's gelenkt, aber
nur die lakonische Antwort erhalten: „Ich weiss es". Wenn aber Moltke
dieses geAvnsst und die von ihm ergriffenen Maassregeln für völlig ge-
nügend gehalten, so habe man eben nichts Schlimmes zu besorgen.
InflEUiterie'
304 V. Die KavaUerie.
Widerlegung Ein Artikel des Oberstlieutenants des Generalstabes Rausch von
seile durch Traubeuberg, in dem in Petersburg erscheinenden militärischen Fachblatt
Traab^erg. ,, Wojenuy Ssbornik"^), bringt eine Erwiderung auf die obigen Ausstellungen
an der russischen Kavallerie. Eausch von Traubenberg weist nach, dass
die russische Kavallerie, dank der sechsjährigen Dienstpflicht, sich mit
jeder anderen Kavallerie messen kann und ausserdem im Kampfe zu
Fuss die Kavallerie anderer Mächte zu übertreflFen im Stande ist.
Drygaieid Fcmcr müsscu wir hier bemerken, dass der schon öfter erwähnte
Wert der dcutschc Kritiker A. Drygalski in seinem Werke über den Zustand der
™Iai^e russischen Armee durchaus nicht die Ansichten der von uns zitierten
hervor, deutschcu SchriftstcUer teilt, sondern der Meinung ist, dass die Thätig-
keit der russischen Kavallerie in künftigen Kriegen überaus ernsthaft in
Betracht gezogen werden müsse, da die von ihr erreichten Erfolge wirklich
grossartig seien."*)
widdem'8 Recht pcssimistisch sieht der Oberst Cardinal von Widdern in seinem
»Der Grenz- unlängst erschienenen Werke: „Der Grenzdetachements- Krieg" die Lage
mMte^ 3,n, in der sich bei einem Kriege die Grenzgebiete Preussens befinden
Krieg-, werden. Er erwägt die Möglichkeit von „Eaids" der russischen Kavallerie,
wobei er ihre Leistungsfähigkeit auf Grund der Manöver würdigt, die im
Jahre 1876 in Eussisch-Polen unter Beteiligung von 41/2 Kavallerie-
Divisionen, d. h. von 73 Schwadronen, mit 54 Geschützen der reitenden
Artillerie stattgefunden.
Vor Allem richtet er seine Aufmerksamkeit auf die von dem
Kommandierenden der Kavallerie erlassenen Instruktionen, bezüglich des
Angriffs auf die in der Mobilmachung begriffenen Garnisonen, welche be-
sonders folgende Gesichtspunkte hervorheben: Besitzergi*eifung von allen
Königlichen Kassen und Magazinen, Telegraphen- und Poststationen, Ver-
nichtung der Proviant- und Artillerie -Vorräte des Feindes, Beschlag-
nahme des rollenden Eisenbahnmaterials, falls keine Möglichkeit vorliegt,
die Bahnlinien für Invasionszwecke zu benutzen, Zerstörung der Bahn-
geleise und Brücken und der Knoten - Telegraphenstationen. Weiter
empfehlen die Instruktionen die Foimierung selbständiger kleiner Reiter-
Abteilungen, welche alle Depots für Truppenformierungen zu vernichten
und sich der Kavallerieremonten wie aller Transportmaterialien zu
bemächtigen hätten.
Friedens- Eiue solchc fliegende Abteilung wurde aus Petrikau nach den
raechen" Weichselübergaugsstellen ausgesandt. Die Entfernung von Petrikau bis
Zerstöreu
von Feindes-
landen.
*) Wir geben das E,esum6 dieses Artikels nach Sainto-Chapelle : „Tendances
de la cavalerie russe", S. 71.
*) „Zur Orientierung über die russische Armee". Berlin 1892.
Urteile über, den Grenzdetachements-Krieg. 305
dorthin beträft in der Lnftlinie 120 bis 160 Eilometer und von da bis
zum Distrikt der Warschau - Petersburger Eisenbahn 30 bis 80 Kilo-
meter.
Wenn man diese Entfernungen auf preussisches Gebiet überträgt,
so würde ein solches Streif korps von der Grenze aus bis nach Kreuz,
einem Knotenpunkte der Berlin-Thomer Eisenbahn, ferner nach Crossen
a. 0. oder bis Liegnitz in Schlesien keine längere Strecke zurück-
zulegen haben.
Die russische Abteilung legte am ersten Tage 40 Kilometer zurück,
in den zweiten 24 Stunden mit nur einer 2- bis 3 stündigen Ruhepause
120 Kilometer, also in 2 mal 24 Stunden 160 Kilometer, und dies über
durchweichte Wiesen und durch sumpfige Wälder hindurch. Die Hafer-
ration betrug dabei nur 3 Gametz (etwa 12 Pfund) und alle Pferde, bis
auf eins, kamen in guter Verfassung an.
Der Verfasser weist ferner darauf hin, wie schwierig es sei, eine sciiwierig-
solche fliegende Abteilung abzufangen (in dem gegebenen Fall waren hierzu AbfLagimg
alle Maassregeln getroffen), ja selbst nur zuverlässige Nachrichten über '•^J;^'
ihre Bewegungen zu erhalten. So erhielt die feindliche Seite — die
Ostabteilung der Manövertruppen — von ihren Aufklärungs-Reitem die
Nachricht, dass der Gegner die Weichsel an Punkten zu überschreiten
suche, welche von den ständigen Uebergangspunkten 46 bis 50 Kilometer
entfernt waren, während der Gegner thatsächlich den Strom bereits
36 Stunden früher überschi'itten hatte, als diese Nachricht eintraf.
Es ist klar, bemerkt der Verfasser, dass es leichter ist, fliegende
Abteilungen zu organisieren und auszusenden, als ihnen den Weg zu
verlegen, wofür ja auch die „Raids" in dem nordamerikanischen Kriege
ein Beweis waren.
So lehiTeich aber auch der Manöverplan war, so machte sich wahr-
in ihm doch eine empfindliche Lücke geltend. Die fliegende Ab- verichtuag
teilnng wurde in dem Moment zurückgerufen, wo die allgemeine g^^^^'^^ ^
Lage der Parteien sich verändert hatte, und so ist nicht nachzuweisen
gewesen, in welcher Lage sich weit vorgerückte Streifkorps befinden
werden, wenn sie ihren Rückweg auf bereits erschöpften Pferden an-
treten müssen. Oberst von Widdern weist auf die Schwierigkeiten
hin, denen Streifkorps, die sich so tief in das feindliche Gebiet
hineingewagt, begegnen müssen, sobald sie sich in ein Netz feindlicher
Abteilungen aller Waffen verwickelt sehen, welche sie in den Biwaks über-
fallen, ihnen keine Ruhe lassen, sie nötigen, sich durch foi-tgesetzte
Absendung von Mannschaften zu Aufklärungszwecken nach den Flanken
zu schwächen und sie dann in dem so geschwächten Bestände an-
Bloeh, Der sakünftige Krieg. 20
306 ^* ^^0 Kavallerie.
greifen, wobei einzelne Rekognoszierungs- Abteilungen auch sehr leicht
die Fühlung verlieren und zu Grunde gehen können.^)
Aufopferung . Demnach gelangt Oberst Widdern zu dem Schluss, dass im All-
der ans-
geaandten gemeinen das weite Vortreiben von Kavallerie-Abteilungen in das Innere
pediti^non. ^^s feindlichen Landes die unvermeidliche Aufopferung vieler von ihnen
bedeutet, aber in Russland seien in Folge der ungeheueren Ausdehnung
des Reiches die Begriffe über Entfernungen besonders bei der Kavallerie
„etwas anders als bei uns". In Russland, fügt er hinzu, giebt es viele
Dragoner und Kosaken und so entscheidet man sich dort zur Aufopferung
einzelner Abteilungen wahrscheinlich leichter als bei uns.
Mittel Widdern weist nicht unmittelbar auf die Schutzmittel gegen feind-
sur Abwehr
der üeber- Uchc Kavallerie-EinfäUe hin, aber aus seiner Darlegung ergiebt sich, dass
widd^ er es für geboten hält, unverzüglich den Landsturm aufzubieten, wo etwa
ein solcher Einfall zu fürchten ist und dass er auch auf die Mitwirkung
der Zivilbehörden, aller Beamten und Grensdarmen für den militärischen
Nachrichtendienst rechnet. Er erinnert daran, dass während des polnischen
Aufstandes von 1863 die Chefs der an der Grenze postierten preussischen
Truppenteile ihre besonderen Kundschafter auf russischem Gebiet hatten;
auf verschiedenen Punkten längs der Grenze waren auch geschickte
Offiziere zur Sammlung und Uebermittelung solcher Nachiichten postiert
worden. Besondere Dienste hätten hierbei gewandte Offiziere geleistet,
die des Polnischen oder Russischen mächtig gewesen wären und es so
vermocht hätten, unverdächtig mit Kaufleuten und Reisenden Unter-
haltungen anzuknüpfen. Wie weit es auch in Zukunft nötig sein werde,
solche Offiziere (natürlich unter Ablegung der Uniform) über die russische
Grenze zu senden, werde von der besonderen Lage abhängig sein.
Endlich hält der Verfasser die Bildung beweglicher Kolonnen für
zweckmässig, um so den Operationen der feindlichen „Raids" zu begegnen.
Eine Ueberschreitung der Grenze durch kleine Abteilungen sei kaum zu
verhindern und „je näher die diesseitigen Posten an der Grenze selbst
stehen, desto leichter vermag der Feind sie zu durchbrechen, namentlich
solange den Patrouillen die Ueberschreitung der Landesgrenze noch nicht
Beiepiei aus ») Der Verfasser fahrt ein Beispiel aus dem Kriege von 1870 an. Wahrend
*•" ^*^ der verstärkten Grenzschutzperiode vor Beginn der kriegerischen Operationen
wurde nur eine württembergische Aufklärungs-Patrouille, aus 4 Offizieren und
5 Dragonern bestehend, zu einem auf 2 Tage und 2 Nächte berechneten Streif-
ritt auf französisches Gebiet entsendet. Aber der Maire von WÖrth machte
hiervon einem französischen Chasseur-Regiment Mitteilung, welches eine
Schwadron aussandte. Die Patrouille wurde vernichtet, so dass nur ihr Führer
Graf Zeppelin auf dem Pferde des von ihm niedergeschossenen französischen
Wachtmeisters entkam.
Urteile über den Grenzdetachements-Krieg. 307
gestattet ist." Demnach rät er an, wenigstens die Infanterie-Aufstellungen
soweit von der Grenze selbst zurückzuhalten, dass die kleineren oder
grösseren Kavallerie-Abteüungen (einzelne Züge bis Schwadronen) noch
Zeit finden, den Einmarsch feindlicher Kräfte dem Infanterie-Eückhalt
rechtzeitig zu melden.
Die Frage von einem Kriege zwischen Russland und Oesterreich ^?^JJJJ^^
datiert nicht erst seit gestern; sie bildet schon lange ein unerschöpfliches stimmen
Gesprächsthema. Obwohl die thatsächliche Lage der Dinge nicht im ruwiKhe
Geringsten alle diese Befürchtungen eines Angriffes von Seiten Russlands ^«^«»^ii«
bestätigt hat, da die russischen Rüstungen nur durch die Kriegs-
vorbereitungen der westlichen Nachbaren hervorgerufen sind, so ist
nichtsdestoweniger die Befürchtung eines Zusammenstosses in der öffent-
lichen Meinung beständig wach erhalten worden.
Im Jahre 1866 gab der österreichische Feldzeugmeister von Kuhn
eine Schrift über den Gebirgskrieg heraus, in der die Verteidigungs-
mittel gegen Russland erörtert wurden; desselben Inhalts sind auch zwei
andere Aufsätze, die des Ungarn Karolay „Die strategische Verteidigung"
(1868) und die eines unbekannten östen-eichischen Offiziers „Ideen über
unser militärisches Verhältnis bei einem Kriege mit Russland".
Feldzeugmeister von Kuhn, der das Verhältnis zwischen den beiden ^ ?^^ J^^
Staaten vom Standpunkt ihrer Lage und militärischen Stärke betrachtet, oesterreich
gelangt zu dem Schluss, dass Russland von Oesterreich nicht angegiiffen vertheiarjen
werden kann. Nach seiner Ansicht hat Oesterreich zunächst das Ver- **"*•
teidigungssystem zu befolgen. Die Berge, d. h. die Karpathen, bildeten
für Oesterreich gewissermaassen einen Wall, dessen Einnahme dem Feinde
nicht wenig Zeit und Mühe kosten würde; mit jedem Schritt, der den
Feind von seiner Operationsbasis entferne, wüchsen für ihn immer neue
Schwierigkeiten empor, die Armee zu unterhalten und zu ergänzen, und
mittelst geschickter Manöver würde Oesterreich im Stande sein, die ent-
scheidende Minute, abzuwarten. Wenn diese für Oesterreich günstig aus-
falle, dann sei der Moment zum Uebergang zur Offensive gekommen,
die zurückzuschlagen der Feind nicht mehr kräftig genug sein werde.
Alle österreichischen Militärschriftsteller bis zum Jahre 1870 haben sich
fast einmütig dahin ausgesprochen, dass Oesterreich einen Krieg mit
Russland nur in der Defensive fuhren darf
Nach 1870/71 sind in den internationalen Beziehungen Veränderungen J^^^^^^^
vorgegangen, die sich jedoch lange Zeit hindurch sozusagen Niemand zum in Folge des
Bewusstsein brachte, und die deshalb am politischen Horizont auch fast ^"ilTo.''°''
unbemerkt vorübergingen.
In einer Abhandlung „Oesterreich-Ungarn in einem Ki-iege gegen
Russland" (1871) kritisiert der Verfasser das Werk des Generals Fadejew
20»
308 V. Die KavaUerie.
„Stärke und militärische Praxis Eusslands'' und erklärt, vorzugsweise bei
den Schlüssen, zu denen General Fadejew kommt, verweilend, es für nötig,
dass man ernstlich daran denken müsse, einem rassischen Einfall zavor-
zukommen.
H»yinerie'« j^ Jahre 1872 trat der Oberstlieutenant des Generalstabs Haymerle,
entgegen- ''
geeetste eiu Brudcr des einstigen Ministers des Auswärtigen, mit einem seiner
M nnng. ^r^j^ yj^j besprocheueu Werke „üeber das strategische Verhältnis Russ-
lands und Oesterreichs" hervor, worin er dem Gedanken eines Angriffs
auf Russland und sogar der Einnahme Petersburgs Ausdruck gab.
^^SL^flir*' Hier begegnen wir bereits der offen ausgesprochenen Hoffnung, dass
»uföBter- Oesterreich im Notfalle Unterstützung beim jungen Deutschen Reich
verhÄltnL»«. finden werde, welches mit Hilfe Russlands seine Einigung gefunden.
Als in Russland der Berliner Vertrag Missvergnügen heiTorrief,
beeilten sich Oesterreich und Deutschland diesen Umstand auszunutzen,
indem sie jeden feindlichen Journalartikel, irgend welche Zeitungs-
bemerkung als einen Akt von grosser politischer Bedeutung hinstellten.
waiuiofen Uuter diescu Umständen mussten die Reformen in der russischen
über
rasdiiehe KavaUcrie in Oesterreich starken Eindruck machen. Das Werk des öster-
K»T»iiene. ^^^(.ijigciien Oberst Walthcr von Wallhofen „Die russische Kavallerie in
ihrer neuesten Entwickelung, verglichen mit der österreichischen", legt
Zeugnis von dieser Stimmung ab.
BoBBiuida Russland, so heisst es in diesem Werke, habe während der Friedens-
Reiter-
Regimenter zclt bedeutende Kavalleriemassen an die westlichen Grenzen geschoben,
WMtg^ue. ^^ ihrer Organisation und Ausbildung nach zu völlig selbständigen
Operationen fähig wären. Diese Reiterregimenter wären dazu bestimmt,
unmittelbar nach der Kriegserklärung über die Grenze einzubrechen, da
sie im Stande, sich nicht nur mit der feindlichen Kavallerie zu messen,
sondern auch sich ohne Zaudern auf die ersten ihnen entgegentretenden
Truppenabteilungen zu werfen, welcher Waffengattung diese auch an-
gehören würden. Es unterliege keinem Zweifel, dass ein Einfall der
russischen Kavallerie in Galizfen verhängnisvolle Folgen nach sich ziehen
könne; die Kavallerie werde Eisenbahnen und Telegi-aphen zerstören, die
in der Nähe der Grenze belegenen Proviantmagazine ausräumen u. s. w.
Streng genommen, rechneten die Russen auf eine unthätige Gleichgiltigkeit
seitens der Einwohner, während die österreichische Kavallerie die Auf-
gabe haben werde, allen Einfallen entgegenzuwirken; ihre Minderheit
an Zahl könne zwar durch rechtzeitige Infanterieverstärkungen aus-
geglichen werden, aber dennoch werde die österreichische Kavallerie
ihrer Aufgabe nur dann gewachsen sein, wenn sie sich dazu in ge-
ziemender Weise während der Friedenszeit vorbereite.
Urteile über den Greiusdetachements-Krieg. 309
Ueber diese Frage kennen wir noch die Ansicht eines anderen ^*»«f '><>'•''■
österreichischen Müitärschriftstellers, des Majors des Genetalstabs nber die
G. Ratzenhof er. 6) Es sei sehr möglich, sagt Ratzenhofer, dass Rnssland n^he"
ein gewisses Sinken des kavalleristischen Geistes seiner Armee dadnrch ^™"«rf®-
hervorgebracht habe, dass die ganze Reiterei in Dragoner umgewandelt,
dem Typus der Kosakentruppen genähert und mit Flinte und Bajonett aus-
gerüstet wurde, wobei in den Kavallerie-Uebungen besonderes Gewicht auch
auf den Fusskampf und die Treffsicherheit mit der Schusswaffe gelegt wii-d.
Indessen werde doch die Frage eines Niedergangs der russischen Kavallerie
so lange offen bleiben, bis die Erfahrung eines grossen europäischen Krieges
die Richtigkeit der gegen die Refonn der russischen Kavallerie gerichteten
Kritik bestätigt und den bedenklichen Prophezeiungen der Anhänger von
Säbel und Lanze eine thatsächliche Unterlage gegeben habe. Es unterliege
dagegen keinem Zweifel, dass Oesterreich in erster Linie nur 286 Schwa-
dronen mit 43 000 Pferden aufzustellen vermöge, Deutschland 460 Schwa-
dronen mit 69000 Pferden, Russland aber 562 Schwadronen mit 83000
Pferden. Im weiteren Verlauf des Krieges könne Oesterreich flir die zweite
Linie nur noch 77 Schwadronen aufstellen, Deutschland 72, Russland da-
gegen noch ohne jede Schwierigkeit B26 Schwadronen mit 77 000 Pferden.
Demnach werde dieser letztere Staat im Stande sein, gegen den Feind eine
gewaltige, geradezu erdrückende Masse von 160000 Reitern loszulassen.
Das Uebergewicht der russischen Kavallerie, die an Zahl die öster-
reichische 3 mal übertreffe, ihre Unterbringung längs der Grenze schon
während der Friedenszeit, der besondere Charakter ihrer Bewaffnung
könne für Oesterreich furchtbare Folgen haben. Der Gang der Mobil-
machung könne gehemmt werden, die österreichische Kavallerie werde
der Möglichkeit beraubt werden, von ihrem Rekognoszierungs- und
Transportwesen Nutzen zu ziehen; andererseits werde die Bewaffnung
der russischen Kavallerie und die Masse der ihr zur Verfügung stehenden
Geschütze es dieser gestatten, nicht nur von jeder beliebigen Seite
gegen das feindliche Operationsgebiet vorzudringen, sondern sich auch
an gewissen Punkten festzusetzen; die russische Kavallerie könne selbst-
ständig Positionen einnehmen und sie bis zum Erscheinen der Infanterie
behaupten.
Weiter wirft Major Ratzenhofer die Frage auf, welchen Erfolg die vorrtge
russische Kavallerie bei einem Zusammenstoss mit der österreichischen «iSiitoiioi
im Handgemenge haben könne, falls die Zahl auf beiden Seiten die gleiche ^^^«'*«-
sei. Diese Frage entscheidet er zum Vorteil der österreichischen Kavallerie,
') G-. Ratzenhofer: „Die Konsequenzen der russischen KavaUeriereform
für uns". (Organ der militarwissenschaftlichen Vereine, 1885.)
310 V. Die Kavallerie.
da das Hauptziel, auf welches bei den Oesterreichern alle Uebungen der
Mannschaften und ebenso auch die Dressur der Pferde gerichtet sei, in
dem Angriff bei geschlossener Formation bestehe.
Die Reorganisatoren der russischen Kavallerie fühlten deren Schwäche
in dieser Hinsicht und geständen offen die Absicht ein, sogar auf offenem
Felde zum Feuergefecht zu greifen. Bei der Begegnung mit der feind-
lichen Kavallerie werde die russische Reiterei absitzen und gleichwie die
Infanterie zu feuern beginnen. Die Pferde dienten nur zur Elrleichterung
und Verkürzung des Weges, im Kampfe dagegen werde der rassische
Kavallerist nur von den Vorzügen der Infanterie -Verwendung Grebrauch
machen.
Major Ratzenhof er schliesst seine Arbeit mit den Worten: selbst
wenn man annähme, dass die neue Richtung den militäiischen Geist der
russischen Kavallerie verändere und bis zu einem gewissen Grade herab-
gedrückt habe, so unterliege es doch keinem Zweifel, dass die in derselben
dui'chgeführte Reorganisation Oesterreich noch recht viel Sorgen bereiten
könne und daher ernstlich mit derselben zu rechnen sei.
Zu grosse Aus dleseu Anführungen ersehen wir, dass auch die österreichischen
minderang Schriftsteller in ihren Ansichten über die Bedeutung der rassischen Ka-
deT Konten vaUerie nach deren Reform auseinandergehen und teilweise ganz irrige
Anschauungen aussprechen, wie z. B. die, dass den Kosaken eine genügende
militärische Qualifikation und Fähigkeit, sich mit einem regulären Gegner
zu messen, abzuerkennen sei.
Frühere, gleichfalls westliche Schriftsteller haben die Eigenschaften
der Kosaken sehr hoch gestellt.
Professor Bei dcr Beurteilung eines sofortigen Vorgehens seitens der rassischen
Kiembowski gavaUerie — sagt Professor Klembowski — wollen Russlands voraussicht-
wirknng der \{qi^q Gegner nicht zugeben, dass die rassische Kavallerie weiter als zwei
nusisohen
Kavaiieriei Tagemärscho m Feindesland eindringen könne; ihre ganze Thätigkeit
werde sich auf die Zerstörang einiger Eisenbahnen und TelegraphenUnien
und die Wegnahme von 4 bis B Proviant- und Munitions-Niederlagen
beschränken.
Aber selbst ein so partieller Erfolg werde, nach dem eigenen
Zugeständnis der Deutschen, ihre Mobilisation um 1 bis 2 Tage ver-
zögern, und zwei Tage seien in einer Periode, wo die Zeit nach
Stunden gezählt wird, kein unbedeutender Gewinn, den man veraach-
lässigen könne.
Kundschaftsdienst und Kavallerie-Kämpfe. g|X
4. Der Kundschaftsdienst und die dabei vorkommenden
Kavallerie-Kämpfe.
Charles Dilke, der ehemalige englische Minister, der an den Manövern Diue'.
"Mfltfinng
in Frankreich im Jahre 1892 teilgenommen, meint, dass bei einem Kriege über erste
zwischen Frankreich nnd Deutschland dieses den Vorzug der schnelleren ^*°*^®-
Mobilisation haben werde nnd die ersten Aktionen in der Umgegend
von Nancy in Gefechten zwischen deutschen Kavallerie-Äbteüungen und
der trefflich ausgebildeten französischen Infanterie bestehen werden,
welche mit äusserster Zähigkeit jedes Gebäude, jeden Zaun, jeden Bach,
jedes Wäldchen verteidigen dürfte. Die deutsche Kavallerie könne nicht
auf Erfolg rechnen, da das rauchschwache Pulver sie verhindern werde,
sich über die feindlichen Kräfte zu orientieren.
Und wo wird denn die französische Kavallerie sein ? Aller Wahr- Frawörische
scheinlichkeit nach wird ihr dieselbe Aufgabe überwiesen werden wie der Kavauerie.
deutschen, d. h. das Eindringen in das feindliche Gebiet. „Die französischen
Chasseur-Bataillone, die keinen Divisionen zugeteüt sind, werden in der-
selben Zeit die Operationen ihrer Kavallerie unterstützen." Aber es
unterliegt keinem Zweifel, dass auch die französische Kavallerie in Deutsch-
land dieselben Schwierigkeiten und denselben Widerstand finden wird
wie die deutsche Kavallerie in Frankreich.
Unter den auf einander stossenden Kavallerie - Abteilungen werden Einige Tage
sacli
die Gefechte beginnen. Ein Teil der Kavallerie wiid sich von der Ge- Ausbrach
sammtmasse absondern und sich in kleine fliegende Abteilungen auflösen. //JJJi^f^
Man kann erwarten, dass einige Tage nach Eröffnung der Kriegsoperationen "cii<>» *^e'
sich Freischaaren-Abteilungen durch das feindliche Heer durchschleichen in Ländern.
und im Innern des feindlichen Landes, 100 und mehr Kilometer von der
Grenze entfernt, auftauchen werden. Selbstverständlich werden viele von
ihnen einen solchen Wagemut teuer zu bezahlen haben und nicht ohne
bedeutende Verluste die Eückkehr zu ihren Truppenteilen ermöglichen
können.
Diesen Teil der Kavallerie kann man, wenn auch nicht für völlig Wichtigkeit
verloren, so doch jedenfalls auf lange Zeit hin selbst nach ihrer Rückkehr Kundschafte
für ungeeignet zur Teilnahme an den weiteren Kriegsoperationen erachten. ^^^Jj^^^^^
Wir haben jetzt die Operationen der übrigen Kavallerie zu betrachten, KaTaiiene.
die an den „Raids" nicht Teil nimmt. Wir beginnen begreiflicherweise
mit einer der wichtigsten Funktionen der Kavallerie, dem Kundschaftsdienst,
diesem „Auge und Ohr des Heeres". Klausewitz nennt das Sammeln von
Nachrichten über den Feind die Basis, auf welcher alle Kriegsoperationen
aufgebaut sind. Die Nachrichten, was der Feind zu unternehmen be-
312 V. Die KayaUerie.
absichtigt, sind der Ausgangspunkt für das Fassen irgend welcher
Entschlüsse.
oh"*Ee- ^^ französische Feldreglement i) bestimmt die Aufgabe der Kavallerie
gienent f olgeudermaasseu i Die Oertlichkeit zu besichtigen, feindliche Kavallerie-
Abteilungen ausfindig zu machen und zurückzuschlagen, Nachrichten zu
liefern, — und spricht die Ueberzeugung aus, dass hierbei auch bedeutendere
Kämpfe erfolgen werden, deren glücklicher Ausgang der Kavallerie er-
lauben werde, bis zur Hauptmacht des Feindes vorzudringen,
unumging- j)iq deutscheu Schriftsteller schärfen gleichfalls unablässig die Regel
lichkeit der ^ ^
Prtfang ein: „Die ganze Kavallerie voraus". Der Anfangsplan eines Feldzuges wird
^^uillJf^ a^ Grundlage gewissermaassen theoretischer Daten über die Beschaffen-
heit der Wege, die feindlichen Kräfte, über Vorräte u. s. w. aufgestellt.
Wenn man alle diese Verhältnisse und umstände als genügend erforscht
annimmt, so wird die Wahrscheinlichkeit der Bewegungen und Absichten
des Gegners erwogen. Da aber jene Daten sich als irrig oder ungenau
erweisen können, so muss man sich bestreben, diese Voraussetzungen
gründlich zu prüfen und scharf allen Bewegungen des Gegners zu folgen,
solange hierzu die Möglichkeit vorliegt und die komplizierte Maschine
der Vereinigung der Truppen auf dem vorgezeichneten Kriegstheater
noch nicht in Gang gesetzt ist. Es kann sich leicht ereignen, dass der
anfängliche Plan teilweise oder selbst von Grund aus je nach neu er-
haltenen, zuverlässigeren Nachrichten abgeändert werden inuss.
Gr(^8er« Obgleich auch früher stets eine schnelle und unverzügliche Ueber-
Anfordernng
au mittelung der erhaltenen Nachrichten gefordert wurde, so vermochte doch
schneuigkeit ^.^ Versäumuis hierin nicht so verhängnisvolle Folgen nach sich zu ziehen
^"ü^^^" wie jetzt, wo das eben erst mobilisierte Heer bereits nach wenigen Tagen
mittelung. seine Bewegung beginnt und selbst die unbedeutendsten Veränderungen
in den auszuführenden Verfügungen Unordnung und Verwirrung hervorrufen
können. Gegenwärtig, wo die einzelnen Staaten gewaltige Summen auf
den Bau und die Verbesserung der Wege verwandt haben, werden
wahrscheinlich alle Truppendislokationen zu Beginn des Feldzuges mit
ungestümer Schnelligkeit erfolgen. Wichtig ist auch, dass jetzt bei der
Treffweite des neuen Geschützes die Schlachten von grösseren Entfernungen
Fehlen des aus beginnen werden. Das Fehlen des Eauches auf dem Schlachtfelde
K&QCllBS
wird nicht die Möglichkeit gewähren, sich irgendwie zu orientieren; der
Kommandeur, der plötzlich seine Leute fallen sieht, wird wissen, dass er
angegi'iffen ist, aber kein Pulverdampf wird ilim anzeigen, von welcher
Seite der Feind kommt und wie zahlreich er ist. Die Lage des auf
diese Weise überraschten Kommandeurs wiid nach der rein psychischen
*) „Sörvice des armöes en campagn©".
Kundschaftsdienst und Kavallerie-Eämpfe. 313
Seite lun entsetzlich sein. Mehr als je sind jetzt die Worte Napoleons
richtig: „Kien ne donne plos de coarage et n'^claii-cit plns les id^es qne
de bien connaitre la position de son ennemi". Gerade der Kavallerie
Hegt es ob, die Bewegungen und Absichten des Feindes aufzuklären.
Für den Eekognosziemngsdienst ist gewissermaassen der Spürsinn des
Jagdhundes und viel Sachverständnis erforderlich. Aber der moderne
Eavallerie-O^zier wird aach gerade hierfür erzogen.
In welcher Weise sich die Aufgabe uunnterbrochener Eekognoszierung *rt mt
der Kavallerie zu vollziehen hat, lässt sich am besten aus dem betreffenden Anffohnug
französischen Reglement ersehen.^ fuia^a»-
Die Kavallerie -Division bestimmt für Kekognoszierungen zwei ""<"-k"--
Schwadronen, welche sich in Streifpatrouillen und deren ReseiTen
teilen; die Kette dieser dehnt sich 30 bis 40 Kilometer aus und die
Aufsicht über sie wird von den Rekognoszier-Offizieren geQbt.
Folgendes Bild zeigt ans eine englische Husaren -Patrouille im
Manöver.
Englische Husaren-Patriiuille iiu Manöver.
Die Patrouillen folgen dem Feind vor der Front und in den Flanken;
verdächtige Punkte werden durch Rekognoszierongen sondiert, dann folgt
in geschlossener Formation die ganze Kavallerie-Abteilnng, die zu ihrem
*) „Service des
314 T. Die Kavallerie.
Schutz gleichfalls von Streifwaehen umgeben ist. Dies ist der Theorie
nach die vorschriftsgemässe Bewegung.
FotiMtioMB Folgendes Bild zeigt uns die Formationen der Kavallerie-Patrouillen
*-
Ao5
Sobald die Streifpatronillen melden, dass sie auf eine feindliche
Masse gestossen sind, reitet der Führer der Abteilung sofort der an-
') General Clery: „Minor Tactits", Loodoii 1893.
KondscbDAadieDst und Kavallerie -Kämpfe. 315
gegebeaea Richtung zu, am die Stellang zu .erforschen und zwar allein,
um die Anwesenheit seiner Abteilung nicht zu verraten.
Damit die erlangten Nachrichten rasch nberinittelt werden, übt '''•'•■l''™*
man die Eavallene heute aach im Telephonlegen. mitt^iiiDe
So stellte zum Beispiel eine Olfiziers-Patronille, die aus einem g™Mii,n
Offizier und drei Unteroffizieren bestand, von denen der Telephon- ^g^^^^
Apparat und Drahtrollen von 1000 Meter Länge getragen wurden, eine
Telephon-Leitung zwischen Berlin nnd Potsdam (über 30 Kilometer) im
Laufe von noch nicht vier Stunden her.
Folgendes Bild zeigt uns diese Uebnng.
Legen von TelephonleitungeQ durch Kavallerie.
Allgemeine Rekognoszierungen erfordern noch mehr Energie nnd
Knnst als das Aufsuchen der feindlichen Reiterei.
Den zahlreichen Rekognosziei-ungs-Patrouillen müssen ganze Schwa^jjj^^"^^^,^
dronen folgen. Hierbei verändert sich die Art des Kampfes und das n"»«™
Magazin-Gewehr übernimmt seine Rolle, Um sich durch die Schutzkette Hünen
durchzuschlagen und die Hauptmacht des Feindes zu erreichen, muss die '°„\""^'
Kavallerie schon in Massen wirken und Geschütz und Gewehr in Tliätig-
keit bringen. Ein unerwartetes Feuer kann einen ausserordentlich starken
Eindruck hervorbringen. ^) Es wird behauptet, dass durch dieses Mittel
*) A. Aubier: „Du röle strat^gique et tactiqiie do la cavolerie".
316 V. Die Kavallerie.
die Kavallerie dem Hauptkpmmandierenden einen sicheren Weg weisen
kann und das Wort Friedrichs des Grossen wahrmachen: eine gute
Kavallerie entscheidet das Schicksal der Kampagne.
Goita über In dem bekannten Werke von der Goltz' „Das Volk in Waffen"
den Beko- "
gnosxienuipi Werden einige Gedanken zur Frage des Rekognoszierungsdienstes bei-
gebracht, die, wenn sie auch vor Erfindung des rauchschwachen Pulvers
ausgesprochen sind, doch Beachtung verdienen,
tieron" ^^ ^^^ Lehrbüchcm, sagt von der Goltz, werde gewöhnlich viel
Schwierig- davon geredet, dass gute Offiziere mit wenigen Rekognoszierungstruppen
durch die erste Postenkette des Feindes dringen, seine Flanken umgehen
und sogar im Rücken seiner Hauptmacht Rekognoszierungen vornehmen
müssen. Solche Thätigkeit sei sehr nützlich, aber auch sehr schwer, da
ja auch der Gegner sich bemühe, von seiner Kavallerie denselben Gebrauch
zu machen. Ausserdem erforderten derartige Unternehmungen von den
damit Beauftragten neben einer ungewöhnlichen Tapferkeit auch noch ein
ungewöhnliches Orientierungs- und Anordnungsvermögen und ungewöhn-
liches Glück. Demnach sei es unmöglich, Berechnungen auf solche
Unternehmungen zu gründen, obwohl jede Kavallerie danach strebe, sich
gerade in dieser Richtung ihrer Thätigkeit auszuzeichnen. Es sei ausser-
ordentlich wichtig, den Gegner überall zu suchen, eine vereinzelte Meldung
könne niemals volle und genaue Kunde bieten. Eine Meldung zusammen-
zustellen sei eben so schwierig wie einen Befehl zu redigieren. Sehr
wichtige Resultate ergebe die Befragung der Einwohner. Von grösseren
Truppenbewegungen verbreiteten sich immer Nachrichten, und es sei
zuweilen geradezu rätselhaft, wie diese Nachrichten trotz der Verbindungs-
MftUonsie hcmmungcn so schnell umliefen. Die Bewohner der Umgegend von Metz
lichkeiteii. hätten Kunde von dem Herannahen Mac Mahons zum Entsätze Bazaine's
gehabt, als noch keine der Schlachten geschlagen, welche der Katastrophe
von Sedan vorhergingen. In diesem Falle sei der Volkscharakter der
betreffienden Bevölkerung in Rechnung zu ziehen. Von einem Engländer
oder Russen sei jede beliebige Nachricht weit schwieriger zn erfahren als
von dem geschwätzigen Franzosen oder Italiener. Auf offenbare Verräter,
die bereit wären, wichtige Nachrichten mitzuteilen, brauche man gar
nicht zu rechnen. Bei einer jeden Befragung werde irgend etwas mit-
geteilt, das dem Befragten als harmlose Nachricht erscheine, aber aus
hundert solcher unschuldiger Einzelheiten lasse sich doch etwas Wichtiges
gewinnen.
Erfordeniii In jedem Fall erfordert der Kundschafterdienst eine bedeutende
geistiger geistige Entwickelung der damit beauftragten Personen.
Begabung. Gcueral Kuropatkin sagt bei Beschreibung der Kämpfe um Plewna,
dass während des Krieges 1877/78 der Rekognoszierungsdienst trotz
Kundscliafbsdieiist und Eavallerie-Kämpfe. 317
einer zahlreichen Kavallerie unhefriedigend oder gar nicht ausgeführt
wurde.
Auch im deutschen Heere, das auf seine Kavallerie stolz ist, sind
Fälle vorgekommen, dass der Rekognoszierungsdienst völlig versagte.
Von einem derartigen Fall berichtet Woyde in seinem Werk „Siege und
Niederlagen im Kriege 1870". Nach seiner Meinung hätten die beiden
bedeutendsten Schlachten in diesem Kriege, die von Vionville und
Gravelotte, trotz der vorzüglichen Kräfte der Deutschen diesen in Folge
der Nichtbeobachtung des Rekognoszierungsdienstes verloren gehen
können; nur Dank der ungeschickten Operationsweise der französischen
Generale sei dieser Fall nicht eingetreten.
Zum Schlüsse führen wir noch die Ansicht von der Goltz' über die HinderniMe
HindeiTiisse füi- die gegenseitige Feststellung der Lage der Gegner an. FoBtsteUong
Nichts sei schwieriger, als eine richtige Abschätzung des Wertes der ^^pj^dL.
empfangenen Nachrichten. Die Kiiegsgeschichte bleibe hauptsächlich bei
den Meldungen stehen, welche in der Folge Bedeutung erwarben. Wenn
man sie aber jetzt in ihrer ursprünglichen Form lese, sei es nicht leicht,
sich vorzustellen, wie es möglich war, aus diesen Meldungen das Richtige
zu entnehmen. Deshalb sei grösstenteils der Erfolg nicht durch Aus-
nutzung einer einzigen glücklichen Nachricht, sondern durch das Verständnis,
aus einer grossen Zahl von Nachrichten Nutzen zu ziehen, zu erreichen.
Ein solches Beispiel führt von der Goltz an. Der Belagerungsarmee BrÄhnmgen
fttts dem
von Metz sei ein Luftballon mit vielen Tausend kleiner auf Seidenpapier Kriege mo.
geschriebener Briefe in die Hände gefallen. Anfangs hätte es geschienen,
dass sich aus ihnen nichts Wichtiges ermitteln lasse, aber nachdem
die Listen der Adressaten dieser Briefe zusammengestellt, habe man
hierdurch die Möglichkeit gewonnen, sich eine Vorstellung von der Ver-
teilung der Lager innerhalb der Forts zu bilden. Ausserdem ergaben
sich wertvolle Schlüsse über die Stimmung der Belagerten. — Die
Kritik der empfangenen Nachrichten, belehrt uns von der Goltz weiter,
muss es verstehen, nicht nur die thatsächliche Richtigkeit der einzelnen
Nachrichten abzuschätzen, sondern sie auch in ein System zu bringen.
Es kann leicht sein, dass selbst die deutsche Kavallerie sich bei Beginn
eines Krieges nicht auf der Höhe ihrer Aufgabe zeigen wird. Hierüber
bemerkt der Hauptmann des Generalstabs Liebert Folgendes: Der
französisch -deutsche Krieg habe mit einem sehr beredten Vorfall be-
gonnen. Drei deutsche Korps seien bei Weissenburg auf eine französische
Division gestossen und hätten diese nach hartnäckigem Kampfe aus ihrer
Position gedrängt. Trotzdem der Kampf um 2 Uhr Nachmittags zu
Ende gewesen, wären die geschlagenen französischen. Tnippen spurlos
verschwunden. Eine Dragoner-Patrouille habe nur gemeldet, dass die
318 V. Die Kavallerie.
Division nicht auf der grossen Strasse den Rückzug angetreten. Es blieb
demnach völlig unaufgeklärt, ob sie sich nach Bitsch oder nach Wörth
gewandt, unwillkürlich erhebt sich hier die Frage: wo war denn aber
die deutsche Kavallerie? Es geschah dies zu Anfang des Feldzuges, als
die Kavallerie noch nicht durch die Erfahrung Wachsamkeit gelernt
hattet).
Einmal sagte Marschall Bazaine dem preussischen Offizier, der ihn
aus Metz nach Wilhelmshöhe begleitete (nach den Worten des offiziellen
Berichts): „Drei Umstände waren die Ursache des Sieges der Preussen:
Disziplin, Artillerie und die Kavallerie-Rekognoszierungen. Alle diese
drei Bedingungen wurden bei uns vernachlässigt."
^M- , Nach den Worten des französischen Militärschriftstellers Oberst
gezeicanete
LeistttiiffeD Bony „war den zurückweichenden französischen Truppen im Jahre 1870
KaTOiierie*'' die feludliche Kavallerie fortwährend auf den Fersen. Sie folgte allen
unseren Bewegungen, jedem unserer Schritte unermüdlich, machte plötz-
liche Ueberfalle und vermied offene Gefechte. Als wir in den Thälem
der Champagne unseren Plan plötzlich änderten, hatte der Gregner
unsere Spur nicht für lange verloren; mit Hilfe seiner Kavallerie
hatte er uns bald wieder aufgefunden, und seitdem verlor uns die
feindliche Reiterei nicht mehr aus dem Auge; sie bedrohte uns stets
in den Flanken und verbarg uns so die Bewegungen der feindlichen
Truppen. Als wir nach Chene-Populeux kamen, hielt sich der Feind von
uns in solcher Entfernung, dass die vordersten Abteilungen seiner
Kavallerie ihm um 10 Meilen voraus waren. In dem Maasse aber, wie
wir von^'ärts rückten, begegneten uns kleine Trupps von 5 bis 6 Patrouille-
Reitern, die gar nicht besonders eilig davonritten, um, erst sobald ihnen
unsere Absichten klar geworden sind, von allen ihren Wahrnehmungen
Mitteilung zu machen. Sobald wir versuchten, sie zu verfolgen, retteten
sie sich in der Richtung auf ihre Abteilung zu, die fähig war, uns
Widerstand zu leisten, und dieser Widerstand war derartig, dass er uns
hinderte, die Postenkette zu durchbrechen und uns der feindlichen
Armee zu nähern. Ueberhaupt operierte die preussische Kavallerie so
ausgezeichnet, dass wir uns gewissermaassen inmitten für uns auf-
gestellter Netze bewegten, mit denen man uns immer mehr und mehr
umwickelte".^)
Darum war Moltke völlig berechtigt zu sagen, dass die Deutschen
ihre Siege dem „Schulmeister" verdanken, denn zur selbständigen Thätig-
5) „Militär-Wochenblatt" 1883.
*) „Militär -"Wochenblatt" 1881: „Untersuchungen über den Wert der
Kavallerie in dem Kriege der Neuzeit".
Kundschafbsdienst und Kavallerie-Kämpfe. 319
keit in einzelnen Eekognoszierungs-Abteüungen sind vor aUem ent-
wickelte und des Lesens und Schreibens kundige Leute erforderlich.
In dem zukünftigen Kriege wird die Kavallerie mit neuen Schwierig- schwierig-
*^ ^ keiten für die
keiten in Folge der Einflihrung der neuen BewaflFnung und des rauch- Kavallerie
schwachen Pulvers zu kämpfen haben. Damit sich der Leser einen Begrifi ^ k^ege
von den Veränderungen bilden kann, welche in Folge der Vervollkommnung *Neuwff-'
der SchiesswaflFe eintreten werden, und wie diese Veränderungen auf die »^^ng and des
ranch.IoBeii
Bedeutung und Rolle der Kavallerie wirken, müssen wir die allgemeine PoiYe«.
Form der Thätigkeit zweier feindlicher Heere skizzieren, wie sich solche
theoretisch darstellt, d. h. abgesehen von allen möglichen unvorher-
gesehenen Zufälligkeiten.
Die ersten Kavalleriegefechte können unmittelbar nach EröfEnung des
Feldzuges stattfinden. Sobald der Krieg erklärt ist, geht die Mobilisation
und Zusammenziehung der aktiven Heeresabteilungen vor sich, welche mit
einer Kavallerie-Schutzkette umgeben werden, damit sie der Feind nicht
Hals über Kopf überrascht. Endlich sind die Korps formiert, die Ver-
bindung zwischen ihnen hergestellt und die Armee kriegsbereit.
Die Seite, der es glücken wird, hierin dem Gegner zuvorzu-
kommen, wird über weit günstigere Umstände für die aktive Krieg-
führung verfügen.
Unmittelbar mit Beginn der Truppenvereinigung muss die Kavallerie ^|J
dem Blicke des Feindes alles entziehen, was in der Armee vor sich geht, ais vorhut
vor Allem natürlich ihre Bewegungen. Ist die Zusammenziehung beendet,
so übernimmt die Kavallerie ihre zweite Rolle: die Bildung der Vorhut
für die Armee. Die Aufgabe jeder Avantgarde ist, der Hauptmacht Zeit
zu sichern, um von der Marsch- zur Kampfordnung überzugehen. Daher
muss die vorausgesandte Kavallerie von der Nahe des Feindes so recht-
zeitig Nachricht geben, dass die Truppen Zeit finden, die entsprechenden
Stellungen einzunehmen.
Auf der folgenden Seite geben wir den Aufstellungsplan einer Art und
Kavallerie-Brigade, welche die Front eines Armeekorps deckt. 7) der n^kang
Hieraus erhellt, wie wichtig es ist, die Kavallerie so weit als Ameekorp».
möglich vorzuschieben. Alles dies führt zu dem Schlüsse, dass die
gesamte Kavallerie, sofern sie nicht für einzelne Truppenteile un-
entbehrlich ist, vorauszusenden ist, damit die zum Schutze der Armee
bestimmte Vorhut möglichst geschlossen auftritt. Hierin herrscht unter
allen Militärschriftstellern Einigkeit, und bei den deutschen ist es sogar
zum geflügelten Wort geworden: „Die Reitermassen stets voraus".
0 General Clery: „Minor Tactics'*.
1
320
Y. Die Kavallerie.
Avantgardeii Dem Ziffcrbestaiide der jetzigen Armeen entsprechend , kann die
Avantgarde aus 5 bis 7 Kavallerie-Divisionen bestehen, s)
UnTer-
meidliolie
ziuammen- ZQ Sammeln, SO zuverlässig ist, wie die der direkten Rekognoszierungen.
'*^*** Das Auffangen von Briefen, Zeitungsnachrichten, Meldungen von Spionen,
Wir haben schon davon gesprochen, dass keine Methode, Nachrichten
Deckung eines Armeekorps durch eine Kavallerie-Brigade.
alles dieses ist zweifelhaft. Selbst sich aufmachen muss man und den
Feind „betasten". Aber da der Feind sich in ähnlicher Weise schützt,
so sind Kavalleriegefechte unvermeidlich, denn jede Seite wird Ver-
suche machen, die Vorpostenkette des Gegners zu durchbrechen, um sich
*) Tschitschagow: „Organisation der modernen Reiterei".
Kundschaflsdienst und Kavallerie-Kämpfe. 321
dem Kern seiner Truppen zu nähern und deren Absichten zu erforschen.
Falls die Eeiterei, die sich längs der feindlichen Front zerstreut, Erfolg
hat, stellt sie die Länge dieser Front fest; die kleinen Eekognoszierungs-
Abteilungen, welche die Flanken umreiten, bemühen sich, genau die
Stärke der Front festzustellen. In jedem Falle darf die Kavallerie
keine einzige Bewegung des Feindes aus dem Auge lassen.
Der das Schlachtfeld behauptende Sieger wird offenbar im Stande
sein, mehr Nachrichten aus Briefschaften u. s. w. der Getöteten und durch
Befragen der Verwundeten zu erlangen; ausserdem kommt ihm noch
Stärkung des eigenen Geistes und eine gewisse Niedergedrücktheit des
Gegnera zu Gute.
Wir wollen diese Sachlage noch an der Hand des talentvollen Schrift- ^«""«J»«
^ stimmen
Stellers Tschitschagow betrachten, aus dessen Werk wir schon Auszüge «ber
angeführt haben. Nach seiner Ansicht lässt sich der Zusammenstoss opention^
einer Armee, die genügend Kavallerie hat, mit einem kavaUerielosen
Gegner dem Kampfe des Sehenden mit dem Blinden vergleichen. Wie
stark letzterer auch sein mag, er wird immer der Besiegte bleiben.
Deshalb hat auch Odysseus, der den Cyclopen zu besiegen strebte, den-
selben zuerst geblendet. Ueber die Ansichten und Ueberzeugungen,
welche in dieser Frage in der russischen Armee herrschen, können wir uns
aus dem kürzlich erschienenen Werk des Kapitäns Dubrowin informieren,
welcher hinsichtlich der russischen leichten Reiterei folgende Erwägungen
anstellt: Nach Meinung Dubrowin's wird mit dem Moment des Beginns
der Kriegsoperationen die Eeiterei vorausgeschickt werden, sowohl um
zu rekognoszieren, als auch um über die feindliche Kavallerie herzufallen.
Wenn sie diese zurückdrängt und die Eeihen der feindlichen Infanterie
eiTeicht, so wird von diesem Augenblick an die Front des Gegners nicht
mehr unbekannt bleiben. Die Kavallerie wird beständige Zusammenstösse
mit der Vorhut des Feindes haben, wird die Wegeverbindung schützen,
die Flanken der eigenen Armee verteidigen und die des Gegners bedrohen.
Ausserdem wird sie viele andere strategische Aufgaben zu erfüllen haben,
während es ihr kaum gelingen dürfte, in die Tiefe der Stellung der
feindlichen Truppen einzudringen. Natürlich ist hierbei nur von den
KavaUeriemassen die Rede, da die leichten Rekognoszierungs-Abteilungen,
deren Bestimmung es ist, ihre Aufgabe zu lösen, ohne sich auf gegen-
seitiges Hin- und Herschiessen einzulassen, sich durch die Linie der
feindlichen Front durchschlagen können und müssen, obgleich auch ihre
Rolle in Folge der vielen Neuerungen im Heerwesen weit schwieriger
sein wird als früher.
Die Würdigung dieser Schwierigkeiten ist ein Gegenstand des Streites ^*^f-
unter Spezialisten, bei deren Ansichten wir etwas stehen bleiben müssen.
Bloch, Der sakILnftige Krieg. 21
322 ^' ^i« Kavallerie.
Etafloas Der Einfluss des rauchschwachen Pulvers auf die Rekognoszierungs-
■ohwMiieD taktik ist unbestreitbar.
^^'"- In dem Werke des Oberst B.») finden wir hinsichtlich dieses
Einflusses ein entscheidendes Urteil: „Es unterliegt keinem Zweifel,
dass mit Einführung des rauchschwachen Pulvers sich die Rekognos-
zierungstaktik wesentlich verändern muss, und dass für den Spezial-
zweck der Rekognoszierung von Oertlichkeiten und Truppenanzahl die
Kavallerie nicht ganz geeignet erscheint. Stellen wir uns in der That
eine regelrecht postierte Avantgarde vor mit ihren Piquettketten, die
hinter Erhöhungen, hinter Bäumen, Zäunen und anderen Gegenständen
aufgestellt sind, hinter denen der Mann sich verbeißen kann, die
ihn aber nicht hindern, selbst zu sehen und zu schiessen. Stellen
wir uns nun weiter eine Kavallerie-Abteüung vor, die sich mit der
grössten Vorsicht vorwärts bewegt, um gerade diese Avantgarde zu
rekognoszieren. Welche Angaben wird sie im Stande sein über sie
einzusammeln? Im besten Falle wird es ihr glücken, annähernd zu
bestimmen, von welcher Seite der Feind kommt; sie wird aber nicht
im Stande sein, die Entfernung zu erkennen oder auch nur zu mut-
massen, von der aus sie beschossen wird, denn ob eine Kugel von 200,
600, 1000 und noch mehr Meter Entfernung kommt — sie wirft in gleicher
Weise den Mann aus dem Sattel. Bei der neuen Wafle liegt gar keine
Berechnung darin, feindliche Rekognoszierungstrupps auf nahe Entfernung
heranzulassen ; es ist im Gegenteil nützlicher, das Feuer von der weitesten
Entfernung zu beginnen. Auf 400 bis 500 Meter kann ein Piquett sein
Feuer gegen die Reiter-Patrouillen eröffnen, ohne Furcht selbst gesehen
zu werden."
„Selbst eine Infanterie-Abteilung kann nur mit der grössten Mühe
die Aufgabe der Rekognoszierung lösen; in jedem FaUe kann aber eine
solche weit eher hinter natürlichen Unebenheiten des Bodens oder er-
höhten Gegenständen Deckung suchen; sie kann solche Stellen und Pfade
passieren, wo nicht einmal mehr der einzelne Reiter, geschweige denn
ein Reitertrupp sein Durchkommen findet."
Wichtigkeit Angesichts dessen kommt der Autor zu dem Schluss, dass gegen-
dftr iO"
teiiektaeuen wärtig der Erfolg der Rekognoszierungen nicht so sehr von dem zahl-
wiokeiimg. reichen Vorhandensein der Kavallerie, wie von dem Grade ihrer Ent-
wickelung in intellektueller Hinsicht abhängen wird. Diese Bemerkung
verdient um so ernstere Berücksichtigung, als bereits in allen Heeren
eine gewisse Anzahl von Soldaten vorhanden ist, die im Knnstschiessen
ausgebildet sind, und die bei Zuteilung zur Vorhut die feindlichen
®) Le colonel B. : „La poudre sans fumöe et ses cons^quences". 1890 Paris.
Kandsohaftsdienst und EaTaUerie-Eämpfö.
Rekognoszierangen verhindern und zugleich selbst den Knndschaftsdienst
ausüben werdeu.
Bis zu welchem Grade bei dem jetzigen Gewehr und dem rauch- »«^k™ m
schwachen Pulver der einzelne Soldat gefilhrlich werden kann, zeigt ein i«i n*nen
aus dem deutsch-französischen Kriege im „Wojenny Ssbomik" mitgeteiltes ''^™'
Beispiel.
„Ein französisches Bataillon, das hinter der niedrigen Mauer eines
Parkes Deckung gefunden hatte, führte ein lebhaftes Feaergefecht
mit einer Abteilung Baiern, Einer der Baiern kletterte auf einen Baum
und begann zwischen den Zweigen hindurch auf die Franzosen zu feuern,
ein Opfer nach dem anderen niederstreckend, und erst als der Ranch ihn
verriet, wurde er vom Banme herabgeschossen. Wie aber würde es sein,
wenn statt eines Kanstschützen anf dem Banme ihrer mehrere sässen und
wenn diese mit raachschwachem Pulver schössen?"
Eine neue Gefahr für die Kavallerie-Rekognoszierungen ist durch ^^'•^nt
die Radfahrer entstanden, welche geübt werden, mit grossen Schnell^- Kinii«]*-
keiten den Truppen vorauszueilen und Hinterhalte, wie unser Bild zeigt, ^"""'"•"■
Bad&hrer im Hiaterhalt gegen Kavallerie-Patrouillen.
324 ^' ^^® Kavallerie.
Tb Feneriinie j){q i)ei den Maiiövem der letzten Zeit mit dem neuen Pulver
Naehnohten
nur durch gemachten Erfahrungen bestätigen die obigen Befürchtungen.
Teiepaph j^^^ Verfasser des in der „Reichswehr" abgedruckten Berichts lO)
Telephon bemerkt, dass das Aussenden von Ordonnanzen und das Erscheinen von
mOglicn. ^
solchen mit Nachrichten aufhören müsse, sobald die Truppen in die
Feuerlinie treten. Dann bleiben für Mitteilungen nur der Telegraph, das
Telephon und die für den Nachrichtendienst dressierten Hunde. Indessen
hat die Legung von Telegraphendrähten ihre Unbequemlichkeiten, da
Menschen und Pferde daran stossen, sie zerreissen und so die Verbindung
stören.
Das Hauptmittel zur Gewinnung von Nachrichten bleiben also wie
in früheren Zeiten, immer Patrouillen und Eekognoszierungen. Die
Patrouillen werden sich aber, wie Professor Langlois ausführt, mit der
grössten Vorsicht bewegen müssen und auch nicht immer genügende
Nachrichten mitteilen, sondern sich bisweilen Uebertreibungen zu Schulden
kommen lassen, was Angesichts der Gefahr auch natürlich ist. Die
Rekognoszierungs-Abteüungen gestehen nicht gern zu, dass sie vor un-
bedeutenden Truppenteilen den Rückzug angetreten haben, ein Umstand,
der den Rekognoszierungsdienst schädigen muss.
un- In Rücksicht auf die ungenügenden Nachrichten, welche der Rekognos-
NMhrichten, Zierungsdienst ergeben kann, werden im künftigen Kriege wahrscheinlich
jUnJfrt'die J^^^^ Schlacht längere Einleitungsoperationen (periode d'engagement)
sohucbten- vorangehen. Beide Seiten werden zunächst gewissermaassen tastend
operieren. Die Entschlossenheit des Kommandierenden kann wohl den
entscheidenden Moment beschleunigen, den Feind in Verwirrung setzen,
aber trotz des Sprichwortes „audaces fortuna juvat" führt Kühnheit allein
nicht immer zum Erfolg.
I"» Die Wahrheit wird wie gewöhnlich wohl auch hier in der Mitte
Fenerbereich
mass hegen. Am genauesten stellt die Sache die von dem französischen
^"^^"* technischen Komit6 ausgearbeitete Instruktion für die Infanterie dar:
gnoezieren. j)jß Kavallcrio — heisst es dort — kann über Stellung und Stärke des
Feindes Nachrichten nur im Allgemeinen und grossen Ganzen (sommaire-
ment) ermitteln. Für die Gewinnung genauer und ausfuhrlicher Daten
muss die Rekognoszierung durch Infanterie-Abteilungen eintreten." Bei
den letzten Manövern sah man bei einer genügenden Annäherung an den
Feind von Kavallerie-Rekognoszierungen ab; die weiteren Rekognoszie-
rungen fielen dann der Infanterie zu.
*°) „Kritische Beleuchtung der Schlussmanöver 1891 bei Weidhofen an
der Thaya".
Kavallerie-Attaken. g25
5. Kavallerie-Attaken.
Wir haben gesehen, dass es bezweifelt wird, ob die Verwendung verschieden-
der Kavallerie für Rekognoszierungszwecke in Zukunft ebenso möglich xnsiohuüi
sein wird als früher. Andere gehen noch weiter und leugnen, dass **'*^' ^"*^®"*
die Kavallerie in den Schlachten selbst durch Ausführung von Attaken
irgend welche wichtige Bedeutung erlangen wird.
Schon in den letzten Kriegen, bevor noch das Gewehr so vervoll- in den letzten
kommnet war und die Truppen in Herstellung von Schanzen und Erd- mmmI^
deckungen eingeübt waren, wurde die Kavallerie zu Massen-Attaken nur "f^J^*
selten verwendet, und in der That, wie im Kriege von 1866 die Schlachten
der Preussen ohne grosse Beteiligung der Artillerie gewonnen wurden, so
die im Ki-iege von 1870/71 im Allgemeinen ohne grosse Beteiligung ihrer
Kavallerie.
Jede bedeutende Vervollkommnung der Feuerwaflen strebte stets vervou-
danach, die Wirkung der Kavallerie auf dem Schlachtfelde zu beschränken, der Feuer-
Es wai» zu Friedrich des Grossen Zeiten nichts Ungewöhnliches, dass auf ^egTe^rden
beiden Seiten durch Kavallerie -Attaken ganze Bataillone zersprengt ^^^v^^^
wurden. Zur Zeit Napoleons I. wurde wohl auch Kavallerie, wenn er- Kavauerie.
forderlich, gegen Infanterie verwandt, aber ihre Wirkung ward stark
abgeschwächt, da sie nur selten frischer Infanterie gegenüber Erfolg
hatte. Und die modernen Verbesseiiingen der Feuerwaflen haben nur
bezweckt, in dieser Eichtung die Grenzen immer enger zu ziehen. Aber
andererseits führt die moderne Fechtweise mitunter zu derartigen Zu-
ständen der Erschöpfang und Unordnung der Infanterie, dass es der
Kavallerie auch beschieden sein wird, in weit ausgedehnterer Weise
Verwendung zu finden als je zuvor.
Um auch hier die Möglichkeit zu geben, ein Urteil über die einander
widerstreitenden Ansichten zu gewinnen, wollen wir zunächst den Lesern
einiges Material liefern, um sich davon einen BegnS machen zu können,
welche Eolle der Kavallerie im modernen Kampfe wirklich zufallen kann.
Zu diesem Zwecke müssen wir aber bis zur Vergangenheit zuiiickgreifen.
In den Kriegen unter Friedrich dem Grossen machte die Kavallerie Kavallerie-
einen sehr grossen Teü der Armee aus. Bei Kollin z. B. war die Takuk
preussische Kavallerie ebenso zahlreich wie die Infanterie. Sie wurde „fg^^^^Mt
häufig mit grossem Erfolge gegen die Infanterie in verschiedenen Stadien
des Kampfes verwendet. In der Schlacht bei Rossbach eröffneten die
Seydlitz'schen Schwadronen die Aktion, indem sie die feindliche Kavallerie
zurückwarfen und dann die Infanterie angriffen und zersprengten. Bei
Zomdorf hat die russische Kavallerie zweimal die preussische Infanterie
326
V. Die Kavallerie.
Schlaoht
bei Zomdoil
geworfen und in dem einen Fall IB, im anderen 13 Bataillone auseinander-
gesprengt; und zweimal entschied auch die preüssische Kavallerie den
Gang der Schlacht, indem sie die feindliche Infanterie zum Weichen
brachte.
Die Aktion der Kavallerie in der Schlacht bei Zorndorf stellt fol-
gendes Bild dar.
Bruuseru
Aiissejv .
Kavallerie-Angriff bei Zomdorf 1758.
In einem früheren Stadium der Schlacht hatte eine rechtzeitige
Attake der russischen Kavallerie acht Bataillone der Preussen auf dem
linken Flügel zersprengt und 26 Kanonen erbeutet. Nach dem Angriff
formierte sie sich auf ihrem Standort in der früheren Ordnung, d. h. in zwei
Kolonnen von 20 und 12 Schwadronen, die ganz nahe neben einander
aufgestellt waren.
General Seydlitz, der die Kavallerie auf dieser Flanke kommandierte,
brach mit 23 Schwadronen gegen die Russen auf und griff, fünf Schwa-
dronen in der Front, den rechten Winkel der rechten russischen Kolonne
an, während die übrigen 18 Schwadronen als Succurs folgten und in zwei
Detachements geteilt, den Eussen in die Flanke und Nachhut fielen.
Die Russen-Kolonne wartete den Angriff ab und der Stoss war derartig,
dass sie ganz zersprengt wurde und nicht mehr auf dem Schlachtfelde
erschien. Die linke Kolonne flüchtete sich darauf hinter die Infanterie
zurück.
Napo- ^ber die wachsende Beweglichkeit des Fussvolkes und die Ver-
Kavauerie- vollkommnuug der Feuerwaffen brachten es mit sich, dass die Kavallerie
für die Infanterie allmählich immer weniger furchtbar wurde. Bei
Austerlitz waren die französischen Kavallerie-Attaken gegen die Infanterie
der Russen ohne Erfolg. Bei Auerstädt versuchten die verzweifelten
Bemühungen der starken und zahlreichen preussischen Kavallerie ver-
geblich Marschall Davoust's Infanterie zu zersprengen. Bei Esslingen
hielten die österreichischen Bataillons-Kolonnen den heftigsten Angriffen
EaTaUerie-Ättaken, 337
der Kavallerie Bessiere's Stand. Aehnlich warea die Erfahrungen bei
Borodino, Quatre Bras, Waterloo, wo die Kavallerie in grossen Massen
energisch, aber vergeblich eingesetzt wurde, um die Infanterie nieder-
zuwerfen.
Die Veränderungen, welche seit der Fridericianischen Zeit bis zum
Krimkriege stattgefunden haben, werden an der Attake der englischen
Kavallerie in der Schlacht bei Balaklava, dargesteUt durch das folgende
Bild, von Militärschriftstellem als typisch angeführt.*)
Eavallerie-AiigriS bei Balaklava.
In dieser Schlacht erhielt General Scarlett den Befehl, mit acht di»-
Scliwadronen von einem Pnnkte des Schlachtfeldes nach einem anderen ''"der"
der türkischen Infanterie zu Hilfe zu eilen. AnSrir
Er brach mit den Inniskillings , den Grey- nnd den 6. Garde- *" ß«'''»^*
Dragonern auf und befahl den 4. Garde-Dragonern nachzukommen. saiituwik
Sein Weg führt« durch ein Thal, das links von einem 7- bis 800 Yards
entfernten Plateau umsäumt wurde. Hier tauchte plötzlich eine rnssische
Eeitermasse von 2- bis 3000 Mann auf und bewegte sich perpendikulär
auf die Flanke des Scarlett'sehen Zuges zu. Der General beschloss sofort
anzugreifen.
') OeuerEil Cleiy: „Mmor Tactics''.
328
V. Die Kavallerie.
AtUken
bei
Fig. I zeigt uns den Marsch der Engländer vor der Attake und
Baiakiam Fig. 11 die Attske der schweren Kavallerie.
Fig.L
fr
Fig. n.
0^-
Vi'2'^iS^^WLaa iTmiiskiaimgg
4
Einieiheiten Zur Haud hatte er die zweite Schwadron der Inniskülings und die
der
Begegnung, zwei Schwadrouen der Greys; die erste Schwadron der Inniskülings war
etwas voraus und somit zu seiner Rechten, die B. Garde-Dragoner eben-
falls zur Rechten, etwas mehr rückwärts (vgl. Fig. I). Als er seine Linie
formiert hatte, standen die drei erstgenannten Schwadronen im ersten
Glied, die erste Schwadron der Inniskillings rechts im Rücken, die
B. Garde-Dragoner ebenso links (vgl. Fig. II).
Die russische Kolonne setzte ihren Marsch fort bis auf 400 Yards
vor Scarlett und hielt dann. Die Front der Kolonne war nun weiter aus-
gedehnt durch Aufstellung einiger Schwadronen auf jeder Flanke.
Kavalleiie-Attaken. 329
Die britische Streitmacht, die diese Kolonne angreifen sollte, zählte
400 bis 600 Mann, wovon gegen 300 in der Front.
General Scarlett führte die erste Linie und griif das Zentrum der
Kolonne in Frontstellung an, durchbrach die Reihen der Bussen und
drang in das Zentrum ein. Die Schwadronen der Russen auf den Flanken
schwenkten nun seitwärts zum Zentrum ab, um so die Engländer zu
umzingeln. In diesem Moment kamen die Königs-Dragoner auf den Platz
und griffen den rechten Flügel der Russen an, während dieser gerade die
Schwenkung ausführte. Die äusseren Reihen dieses Flügels waren aus-
einandergesprengt als die inneren die Bewegung noch fortsetzten. Die
6. Dragoner kamen nun den Grey's zu Hilfe und stiessen auf denselben
Flügel in Flanke und Rücken. Während derselben Zeit griff die erste
Schwadron der Inniskillings den linken Flügel der Russen an, als er seine
Schwenkung fast vollzogen hatte. Inzwischen waren auch die 4. Dragoner
da und jagten vorwärts, brachen in das Zentnim der rechten Flanke der
russischen Kolonne ein und drangen weit vor. Die russische Kolonne er-
griff nun die Flucht. Bei Balaklava, wie einst bei Zomdorf, nach circa BuMiacheis
100 Jahren, hatten die Russen denselben Fehler begangen, den Kavallerie- be^ngene
Angriff abzuwarten und die Kolonne als eine Gtef echtsformation zu betrachten. ^®'*^®'-
Das Verhängnisvolle eines Wechsels der KavaUerie-Aufstellung im
Bereich des Feindes zeigte sich ebenfalls bei Balaklava, als die russischen
Flügel bei ihrem Schwenkungsmanöver von der englischen Kavallerie
erreicht und geworfen wurden.
Zwölf Jahre später, in der Schlacht bei Nachod (1866), war die schimcht
preussische Kavallerie-Brigade Wnuck, die aus den 1. Ulanen und 8. Dra-
gonern bestand, nahe bei Wysokow aufgestellt, als 6V2 österreichische
Schwadronen auf dem Platze erschienen. Die Oesterreicher waren mit
31/2 Schwadronen in einer Linie formiert, deren Flanken als Nachhut je
eine Schwadron links und rechts rückwäi-ts folgte, wie folgendes Bild zeigt.
CK -0
Kavallerie-Angriff in der Schlacht bei Nachod.
Die preussischen Ulanen sprengten gegen die Oesterreicher vor Bedeutung
und als ihre linke Flanke von der rechten Nachhut -Schwadron der "J^l*""
330 "V^- Die KavaJlerie.
Oesterreicher bedroht wurde, eilten die Dragoner zur Hilfe herbei.
Während nun die österreichische Linie gegen die Ulanen ebenfalls in
der Front vorging, wurden diese Letzteren von der österreichischen
linken Nachhut-Schwadron in der rechten Flanke angegriffen, so dass
die Oesterreicher zunächst im Vorteil waren. Da aber sprengte eine
preussische Schwadron, die auf der Skalitzer Chaussee daherritt, heran
und fiel den Oesterreichem in die linke Flanke, während inzwischen
die 8. Dragoner gegen deren rechte Flanke vorgerückt waren. Das ent-
schied den Kampf zu Gunsten der Preussen. Die Oesterreicher räumten
das Feld mit Hinterlassung zweier Standarten.
Aus dieser Aktion ergiebt sich, wie wichtig es ist, dem Feinde die
Flanken abzugewinnen und dass der Erfolg auf dessen Seite sein wird,
welcher zuletzt Schwadronen zu diesem Zwecke zur Verfügung hat. Die
Oesterreicher, zuerst glücklich im Kampfe, wurden geschlagen, als es den
Preussen gelang, ihnen in die Flanken zu fallen.
DeaiMhe In deu Schlachten des Krieges 1870 spielte die Kavallerie die
*i87o. * wichtigste Eolle am 16. August bei Mars la Tour.
B«aiiie*s Marschall Bazaine hatte vor, sich unter Zurücklassung der not-
" mit wendigsten Besatzung in Metz mit seinen fünf Korps behufs Vereinigung
)£uy]^oii jj^^ Mac-Mahon auf Chälons zurückzuziehen. Diese Absicht wurde der
Tereinig«!!. deutscheu Heeresleituug am 14. August klar, als von der ersten Armee
die französischerseits stattfindende Eäumung des rechten Moselufers
gemeldet ward. Es galt nun, an diesem wie an den folgenden Tagen den
Gegner festzuhalten. Piinz Friedrich Karl überschritt mit einem Teil
seines Heeres die Mosel südlich von Metz, während Steinmetz mit seiner
ersten Armee dem Feinde östlich von Metz bei den Dörfern Neuilly und
Colombey eine siegreiche Schlacht lieferte, deren Verlauf die daselbst
fechtenden feindlichen Korps zwang, hinter den Werken der Festung
Schutz zu suchen. Die deutsche Heeresleitung glaubte, dass es jetzt im un-
mittelbaren Moselgebiet nicht mehr zu ernsten Kämpfen kommen werde, und
so erhielt das Gros der Ai*mee des Prinzen Friedrich Karl den Auftrag, am
andern Morgen von Nov6ant aus direkt westwärts an die Maas zu
marschieren, jedoch zwei Armeekorps zur Sicherheit nördlich gegen die
Strasse Metz-Verdun, und zwar über die Orte Gorze und Thioncourt,
vorzuschicken.
Annutuoiig Der Abmarsch des französischen Hauptheeres war verzögert worden;
** b^i* " Bazaine*s Heer stand am 16. Morgens in und bei den westlich von Metz
Man la Tour, gelegenen Dörfern Mars la Tour, Vionville, Kezonville erst zum Abmarsch
bereit da. Nun musste wiederum der Versuch gewagt werden, den
Marschall festzuhalten. Das zur zweiten deutschen Armee gehörige und
mit dem 10. gemeinsam über Gorze-Thioncourt dirigierte 3. preussische
Klntttan 1x1 SalM 1!
Kavallerie-Attaken. 331
Armeekorps unter General von Alvensleben stiess Morgens um 10 Uhr
auf den Feind, dessen Kavallerie zunächst durch Geschutzfeuer zurück-
gejagt wurde. Ein wüthender Kampf entbrannte um den Besitz der
genannten Dörfer, ein Kampf, um so gefährlicher für die Preussen, als
die andern Teile der ^weiten Armee erst nach und nach zur Hilfe herbei-
eilen konnten. Schon sah sich der linke AngrifEsflügel bei Mars la Tour
von den verteidigenden Franzosen zurückgedrängt, da musste die Reiter-
brigade Bredow, 7. Kürassiere und 16, Ulanen, der hart bedrängten ^^^*^^«^^
Infanterie Luft schaflFen. Die Attake durchbrach die vordersten Reihen Brigad©
des Korps Canrobert; aber dann stiessen die todesmuthigen Reiter auf
unüberwindliche Uebermacht, sie mussten wenden, und noch nicht ein
Dritteil der Braven kehrte hinter die Reihen der preussischen Flügel in
Mars la Tour zurück. Und wieder erfolgte zur Rettung des Fussvolks
ein Todesritt, diesmal von den preussischen Gardedragonem unternommen. Todesritt
der preuBS.
Beide Attaken hatten den gewünschten Erfolg; die letzte entschied that- ctarde-
sächlich die Schlacht, die nach zwölfstündigem Ringen, freilich unter ^"**"®'-
blutigen Verlusten, zu Gunsten des deutschen Angreifers endigte. Der
Abmarsch Bazaine's war abermals verhindert worden.
In der Beilage zeigt uns den Todesritt am 16. August bei Mars la Tour
eine Zeichnung, welche die „Leipziger Illustrierte Zeitung" nach dem
Gemälde von Louis Braun brachte. Wir ersehen, dass Kavallerie-Attaken
noch im Kriege 1870 grosse Dienste leisteten.
Der Kampf der Kavallerie gegen Kavallerie nimmt sich aber anders
aus. General Posyrewski sagt: „Der Kavalleriekampf ist mehr als der Kampf
der Infanterie eine Sache moralischen Muths und der Geistesgegenwart."
„Ein wirklicher Zusammenstoss existiert niemals: der moralische zusammi^n-
stossex isiiert
Eindruck des einen der Gegner wirft immer den anderen ein bischen früher, niemals.
ein bischen später und sei es auch erst in der Entfernung einer Nasen-
länge um ; vor dem ersten Säbelhieb ist die eine Partei schon geschlagen
und wendet sich zur Flucht. Durch einen wirklichen Zusammenstoss
würden beide Teile vernichtet werden."
„Die wii'kliche Attake von beiden Seiten würde eine gegenseitige
Vernichtung sein, in der Praxis aber verliert der Sieger kaum einen Mann.
Man sagt, dass in dem Kampf bei Eckmühl auf einen gefallenen franzö-
sischen Kürassier 14 österreichische gekommen sind, die im Rücken ver-
wundet waren. Etwa nur deshalb, weil letztere ohne Panzer waren?
Nein, deshalb, weil sie den Rücken kehrten, um Hiebe zu empfangen".^)
Was die Frage der Formierung der Kavallerie zum Angriff betrifft, Forniierangr
so ist Folgendes zu bemerken: Kavallerie
__^ zmn Angriff.
') A. K. Pusyrewski: „Untersuchung über den Kampf*, Warschau 1893.
332 ^' ^i^ Kavallerie.
Die Schlacliten von Zomdorf und Ansterlitz können als typisch für
die Epochen betrachtet werden, wo die Kavallerie unter Friedrich dem
Grossen resp. Napoleon auf ihrem Höhepunkte stand. Bei Zomdoif griff
die preussische Kavallerie mitunter in zwei, mitunter in drei Linien an.
Einmal nur griff SeydUtz in einer Linie an, aber der Moment war sehr
kritisch und die Gelegenheit günstig für das Wagnis, den Feind zu um-
zingeln. Die Linien wurden eine hinter der anderen formiert und meist
mit 250 Yards Abstand. Bei Ansterlitz machte Kellermann's Division neun
Angriffe. Sie bestand aus zwei Brigaden zu zwei Regimentern, ein,
höchstens zwei Regimenter in der ersten Linie, während die übrigen in
der zweiten oder in Reserve standen. Die übrigen Divisionen der fran-
zösischen Kavallerie machten ihre Attaken in der Regel in zwei Linien,
zwischen denen der Abstand meistens 250 Yards betrug.
*"*" Der Abstand ist erforderlich, damit die rückwärts stehende Linie
xwiaehaa den rechtzeitig helfend einspringen kann. Aber er darf nicht so klein sein,
*lSui!" dass, wenn die Frontlinie umkehrt, dadurch die Aktion der üebrigen
paralysiert wird. Auch beim Manövrieren muss genug Platz bleiben, so
dass beim Angriff der Yorstoss kräftig genug ausfällt. In der Schlacht
bei Soorin, 1745, waren die 50 Schwadronen der österreichischen Kavallerie
in drei Linien formiert, in Abständen von bloss 20 Yards. Von feind-
licher Kavallerie angegriffen, wich die erste Reihe auf die zweite zurück,
diese auf die dritte und schliesslich das Ganze in wilder Unordnung auf
die Infanterie. Damit der Angriff möglichst wirksam ist, muss die letzte
Strecke im schnellsten Tempo geritten werden.
Frage, ob Gcucral Clcry») sagt, dass gegenwärtig die normale Formierung der
**oder ' Kavallerie in der Aufstellung in zwei Gliedern besteht, obschon entgegen-
•*"jj^f„"' gehalten wird, dass bei vielen erfolgreichen Attaken die zwei Glieder
sich zu einem verschmolzen . haben, ehe der ZusammenpraU erfolgte,
sodass die vorherige Bildung eines zweiten GHedes in solchen Fällen
allerdings später sich als unnötig erwies.
Aber es ist nicht zu übersehen, dass die Kavallerie -Attake anstrebt,
die Reiterreihen aufzulösen und dass, wenn das zweite Glied nicht zur
Hand, die entstandenen Lücken sofort auszufüllen, die ganze Linie des
festen Zusammenhangs verlustig geht» der gerade die Stärke des Angriffs
ausmacht. Deswegen ist das Zwei -Gliedsystem allgemein angenommen.
FUnken- Da ÜB Flaukcu die schwache Seite der Kavallerie bilden, so muss
"*^" * der angreifende Teil stets suchen, den Feind in ihnen zu fassen. Das
ist ein Hauptprinzip, weil der dabei zu erzielende Erfolg meist von aus-
schlaggebender Bedeutung ist.
•) „Minor Tactics".
I
•3
Bd. I. Elnffinu bui f
EaTallerie-Attoken. 833
Folgendes Bilä zeigt nns die in den englischea Manövern geübte '
Attake auf Artillerie.
ktteke aiif Artillerie.
Die Vei-wendnng der Kavallerie bei den Manövern, welche das Bild *"^g^
einer Zakunftsschlacht darstellen sollen, wird folgendermaasen geschildert:
..Während die Infanterie sich schon entwickelt hat, konzentriert
sich die Kavallerie anf einer der Infanterie-Flanken ansser Schnssweite
und hj^lt sich in Bereitschaft, bis es dem Höchstkommandierenden an-
gemessen erscheint, sie je nach dem Verlanf des Grefechts in einer
bestimmten Kichtang vorzuschicken. Bei allen Veränderungen in der
Stellung folgt aber ausserdem die Kavallerie der Infanterie und achtet
sorgsam auf den Eintritt des Moments, wo sie am Kampfe teilnehmen
kann. Sie mnss sich hierzn auch ans eigener Initiative entschliessen, da,
wenn sie nur Befehle erwartete, ihre Thätigkeit zum grössten Teil eine
verspätete sein würde. Daher moss der Moment des Eingreifens der
Kavallerie in den Kampf, sei es zur Verstäikung des allgemeinen Vor-
gehens, sei es zum Schutz der einen oder anderen Abteilung, von der raschen
und energischen Initiative des Führers der Kavallerie abhängen."*)
Hören wir nunmehr die Gegner der Verwendung von Kavallerie- "«gosr a«
massen anf dem Schlachtfelde. Ein Militärschriftsteller dieser Bichtnng, tod
*) „Rögles gönörales pour l'emploi dos trois armes dans 1© combat". Bureau ""•"•»■
du chef d'i]tat-Major gänäral de l'armee italienne. Paris 1891.
334
T. Die Kavallerie.
Kapitän Nigot, schreibt: „Es ist wahr, Alles schant mit Entzücken auf
die nngestümen Kavallerie-Attaken während der Manöver, wenn Regiment
anf Regiment dahinfliegt wie ein anwachsender Strom, der alle Hinder-
nisse mit sich fortreisst. In diesen vorwäitsstiirmenden Massen nnter-
scheiden wir einzelne Eeiter-Bilder: die Lanze voi^estreckt, den Kopf
niedergebogen, den Hals vorgebeugt; sie fliegen dabin wie Eins mit
ihren Rossen, ein wahrer aUzerstörender Wirbelwind. Aber nein, das
sind sie nicht, bei der heutigen Waffe ist das nur trügerisches Blendwerk."
» Um nns davon zu überzeugen, brauchen wir nur einen Blick anf
die Tabelle zu werfen, welche das Resultat des Bataillonsfeuers anf die
^ in zwei Reihen vorgehende Kavallerie enthält;5)
Auf 800 Meter treffen von 100 Kngeln ... 21
700
600
500
400
300
100
100
100
100
100
100
100
') Es sei bemerkt, daas diese Schiesaresultate unter der Wirklichkeit sehr
ähnlichen Verhältnissea erzielt werden. Folgendes Bild zeigt uns z. B. die
KavaUerie-ZielobJekte der deutschen Armee.
Auf ScblitUu bewegliche Si^heibeubilder.
Wir ersehen, dass die Zielobjekte auf beweglichen Schlitten angebracht
sind, um die Kavallerie- Allüren darzustellen. Den Mechanismus haben wir schon
auf Seite 44 bis 48 näher beschrieben.
Bd. I. Eiiflran liri Silla 83S.
KaTallerie-Attalen.
Graphisch ausgedrückt, erhalten wir folgendes Bild:
Meter Entfemnng Verluste in Prosenten
tun HMu
bringt
4U K«lter
Terlnste der Kavallerie Ton einem Bataillonsfeuer in Prozenten.
Diese Ziffern führen eine beredte Sprache; sie zeigen, dass ein
Bataillon von 800 Mann mit einer einzigen Salve anf 300 Meter 424 Eeiter
von den Rossen hemnterschiesst. Wenn aber das Bataillon das Feuer von til'^^u
800 Meter an eröfinet und es nnimterbrochen bis zu 100 Meter fortsetzt,
so könnte es von der anruckenden Kavallerie 2656 Mann ausser Gefecht
setzen, d. h. es wäre im Stande, einige Kavallerie-Regimenter zu vernichten,
die hinter einander vorgehen, s)
Mit dieser Ansicht stimmen nicht alle Militärschriftsteller überein. Duk ihrer
Einer bebt hervor, dass die Kavallerie dreimal schneller als die Infanterie ^ ,°u ue
vorrücken kann und in Folge dessen auch dreimal weniger dem Gewehr- ,^'^''1^^*
feuer ausgesetzt ist und dass, obgleich der Kavallerie eine dreimal i-ot^wr.
grössere Wahrscheinlichkeit drohe, dass Pferd oder Reiter getroffen iniuMHe.
werden, die Schnelligkeit ihrer Bewegungen diesen Umstand doch aus-
gleiche, sodass die Kavallerie während der Attake nicht mehr Leute
verliei-e als die Infanterie.
Oberst Wallhofen erklärt sogar, dass die Kavallerie beim Galopp
500 Meter (eine halbe AVerst) in einer Minute durchreiten könne und
während dieser Zeit von 100 Kugeln nicht mehr wie eine treffen könne.
Man kann jedoch annehmen, dass in dieser Behauptung die Schnelligkeit
des Reiters etwas übertrieben ist. Man braucht dazu nicht Militär zu
sein, um einzusehen, dass die Kavallerie auf unebenem Boden bei nn-
■ gleichen Kräften der Pferde, in geschlossener Formation und mit schwerer
Ausrüstui^ nicht dieselbe Schnelligkeit entfalten kann -nie auf dem Kenn-
platz. Und in der That erklären auch verschiedene Fachleute, dass die
') Capitain L. J. Nigot: „Les grandes questiona du jour".
336 ^* ^ie Kavallerie.
Entfernung, welche das Pferd bei geschlossener Formation in einer Minnte
durchmessen kann, nur 340 und beim stärksten Galopp nur 440 Meter
beträgt. 7)
Eriumingen g^ stehen wir abermals zwischen zwei einander entgegengesetzten
die veriurte. Ansichten, und übernehmen es natürlich nicht, selbst die streitige Frage
zu entscheiden. Wir erlauben uns nur, einige Daten aus der Praxis an-
zuführen. In Frankreich gilt als Eegel, dass die dem Feuer ausgesetzte
Kavallerie 2V2- bis 3 mal grössere Verluste erleidet, als bei sonst gleichen
Verhältnissen die Infanterie und dass deshalb die Kavallerie im Feuer
nicht unbeweglich halten darf. Selbst die Streifkorps halten das Feuer
auf einer kürzeren Entfernung als 800 Meter nicht aus, da die Zahl der
durch eine Salve aus 100 Gewehren Verwundeten hier 8 beträgt, während
bei der Infanterie unter gleichen Verhältnissen nur 3 Mann aus der Front
ausscheiden.
BoSJ^.'ver ^^ ^^ allgemein angenommen, dass die Anzahl der Treffer bei der
loflten^Aban Kavallerfe dreimal so gross ist, als bei Schützen.
dS^ig^te*«. Legt, man dies Verhältnis der Berechnung zu Grunde, so ergiebt
sich, dass nach den Tabellen von General Hohne 8) entfallen wären auf:
800 Meter 30 Treffer (nach Nigotte 21)
600 „ 63 „ ( „ „36)
300 „ 86 „ ( „ „63)
xindestotaiid Iq Folgo desscu gilt es in Frankreich als erwiesen, dass sich die
der
K»y»ierie Kavalleric während der Schlacht nicht weniger, als 3600 Meter vom Feinde
Moo Mete/ eutfeiTit ZU hslteu hat und nur gegen Ende des Kampfes näher vorrücken
gegenw&iüg. j^anu, aber auch nicht näher als auf 1000 Meter, wenn sie nicht durch das
Artillerie- und Infanteriefeuer vernichtet werden will. So sehen wir, dass,
wenn wir selbst eine Schnelligkeit des Kitts von 600 Metern in der Minute
als möglich zugeben, die Kavallerie doch 7 Minuten und auf der kürzesten
Entfernung, gegen Ende der Schlacht, noch immer 2 Minuten gebrauchen
würde, um auf die Infanterie einhauen zu können. Aber es ist klar, dass
während dieser Minuten bei dem Schnellfeuergeschütz, dem rauchschwachen
Pulver und dem grossen Ziele, welches die Kavallerie für die Feuer-
wirkung darbietet, ein beträchtlicher Teil der Geschosse sein Ziel treffen
0 Omega: „L'art de combattre". — In der russischen Kavallerie wird
folgende Schnelligkeit angenommen:
im Schritt 8,9 Meter in 1 Minute,
„ Trab 213,3 „ „ 1 „
„ Galopp 284,4 „ „ 1 „
•) „Beurteilung der Wirkung beim gefechtsmässigeri Schiessen** im
„MiUtar-Wochenblatt**, 1895.
Kavalleiie-Attaken. 337
mass. Und wenn auch nur der zehnte Reiter vom Sattel herunter-
peschossen ist, wird dies etwa nicht den Angriff hemmen?
Aehnliche Ansichten werden auch in der deutschen Armee laut, «lorf«»»-
schein aus der
Der Verfasser der „Militärischen Essays" K. V. (I. Heft 1861 „Ueber den vergangen-
Wert der Kavallerie in den Kriegen der Neuzeit" und in dem unlängst Vi^ifidMe*
erschienenen IV. Heft „Die Taktik der einzelnen Waffen") — wie ver-
lautet, ein preussischer General — behauptet, dass in Folge der ruhm-
reichen Traditionen des siebenjährigen Krieges auf die Kavallerie heute
noch ein Glorienschein falle, welcher den realen Verhältnissen schon
längst nicht mehr entspreche und dass das deutsche Heer 30000 bis
40000 Mann zu viel an Kavallerie zum Zwecke von Attaken mitführe,
was nur auf Kosten der Feuerwaffen geschehe, den strategischen Auf-
marsch verzögere und die Versorgung der vorrückenden Armee erschwere.
Aber auch die überzeugten Verteidiger der Kavallerie wissen ihre Ansichten
.^ der
Gründe ins Feld zu führen. Der Pulverdampf habe niemals die Erfolge Verteidiger
der
der Kavallerie gefördert; im G^enteil, die grössere Klarheit des Schlacht- K»vauerie-
feldes lasse jetzt leichter erkennen, an welchem Punkte die Infanterie ^*'*^®**-
schlaff wird und wo die Kavallerie einzusetzen hat, um die Schlacht zu
entscheiden.^)
Ein anderer deutscher Militärschriftsteller schreibt: Bis jetzt haben
die Infanterie -Abteilungen nur deshalb nicht vor dem Sturm der
Kavallerie-Attake gezittert und sich aufgelöst, weil der Rauch diese bis
zur letzten Minute unsichtbar machte. Wenn aber das Schlachtfeld nicht
mehr in Pulverdampf gehüllt sein wird, wird der Eindruck der kavalle-
ristischen Massenattake ein so gewaltiger sein, dass die Infanterie
weit schlechter schiessen und vielleicht sogar überhaupt nicht Stand
halten wird.
Aber zu allen Zeiten hat ein Kavallerie -Angriff der Inf anterie ^»"o«»« ^p'«'
bei
grosse Opfer gekostet. Als Seydlitz, dieses Musterbild eines Reiter- K*v«iierie-
führers, die russische Infanterie bei Zomdorf zum zweiten Mal angriff, ^^üw ^-'^
verlor er, wie Wallhofen ausführt, innerhalb einer Stunde 21 Prozent ▼«"«eidlich,
seiner Kavallerie, denn von seinen 61 Schwadronen (7000 Reitern)
blieben 78 Offiziere und 1267 Mann auf der Wahlstatt. Die in zwölf
Gliedern geordneten russischen Infanteriemassen, deren erste Glieder
auf den Knieen lagen und die Bajonette fällten, empfingen die Reiterei
mit einem derart heftigen Kleingewehrfeuer, die russischen Batterien
schmetterten derart verheerend in die feindlichen Reitermassen hinein,
dass ganze Reihen der tapferen Kavallerie beim Anritt zusammen-
®) „Wird das rauchschwache Pulver die Verwendbarkeit der Kavallerie
beeinträchtigen?" Berlin 1890.
Bloch, Der zakUnftige Krieg. 22
/
338 V- I>ie Kavallerie.
stürzten und von vornherein Unordnung einzureissen begann. Aber
Seydlitz, der entschlossene Führer, der seine Reiter kannte, kommandierte
noch einmal: Marsch! Marsch! — und die russische Infanterie wurde
überritten und niedergehauen, da der russische Soldat nur sterbend seine
Waffe niederlegte.
Opferbereite Auch heutc uoch, wie ZU Sejdlitz' Zeiten — fahrt der Darsteller
mnM Biegen, fort — wifd die Kavalleiie, wenn sie in möglichst ausgiebiger Starke und
in günstiger Richtung zielbewusst und rücksichtslos im richtigen Moment
eingesetzt wird, gleich einer vernichtenden Springflut über den über-
raschten Gegner hereinbrechen können, Alles niederwerfend, was nicht
ihrer vernichtenden Bahn ausweicht. Aber nur unter einer Bedingung:
die Kavallerie selbst muss von der Unwiderstehlichkeit ihrer Angriffe
fest überzeugt sein und sie selbst muss daran glauben, dass ihr heute
wie ehedem Nichts widerstehen kann, dass sie die Schlacht entscheidet,
wenn sie nur will, wenn sie zu allen Opfern bereit ist.
„Die Kavallerie darf niemals zu lange warten, sie würde sonst zu
spät kommen .... Vom Generalissimus erhält die Kavallerie ihre all-
gemeinen Instruktionen und ist dann frei, den günstigen Moment zur
Attake zu wählen." Dies stimmt ganz mit dem von uns angeführten
italienischen Reglement überein. Wallhof en fügt hinzu: das französische
Kavalleriereglement sagt sehr richtig, dass der Führer der Kavallerie nie
vergessen darf, wie von allen zu begehenden Fehlern nur ein einziger
entehrend ist, nämlich die Unthätigkeit. lo)
Beimwankeii ^uch bei deu frauzöslscheu Militärschriftstellern finden wir der-
der feindlich. ,
Linien artige Ansichten vielfach vertreten. „Die Schlacht — schreibt einer von
omhiw ihnen — ist jetzt vor allem ein Kampf mit der Schusswaffe. Wenn er
K T»u rie stundenlang auf derselben Stelle fortdauert, wird schliesslich eine doppelte
entooiieiden. Anzahl Truppeu an ihm beteiligt gewesen sein. Auf beiden Seiten sind
viele Offiziere aus der Front geschieden, die sich selbst überlassenen
Kommandos halten sich nur noch durch die militärischen Eigenschaften
ihrer Soldaten. Die vorgeschobenen Truppenteile setzen den Kampf bis
zur Erschöpfung fort, die Lücken, die das Feuer reisst, werden durch
Reserven ergänzt und zuletzt bildet die Gefechtslinie ein Gemisch ver-
schiedener Regimenter und Waffengattungen, welches sich immer mehr
vergrössert und je nachdem die Kräfte sich erschöpfen und der Mangel
an Offizieren hervortritt, zur allmählichen Auflösung führt. Das ist der
Moment, kenntlich durch das Wanken der feindlichen Linie, in welchem
sich die Kavalleriemasse unverzüglich auf den Feind werfen muss. Dann
*®) Oberst von Wallhofen: „Die KaYallerie in dem Zukimfbskriege". Ra-
thenow 1891.
Kayallerie-Attakec. 339
wird es auch gleichgiltig sein, welche Waffe der erschlafften Infanterie zu
Gebote steht, ob Magazin-Gewehr, Feuerstein-Gewehr oder einfach Heu-
gabeln." ^i) Seine Ansicht belegt der Verfasser mit Beispielen aus den
Kriegen in Algier und er beruft sich auch auf die Aeusserungen des
Grenerals Dragomirow über die Vernichtung der englischen Quari-6s durch
die Zulus bei Tamanie.
Aber gerade im modernen Schlachtenverlauf wird es immer schwie- schwierig-
keit
riger den Moment zu finden, den die Kavallerie mit Erfolg benutzen den Moment
kann. So bemerkt von der Goltz, dessen Werk „Das Volk in Waffen" wir ^''^^^^^''
vielfach zitiert haben, sehr richtig, dass allerdings jede Schlacht solche ^nehmen.
Episoden biete, dass man sie aber bei den jetzigen Entfernungen leichter
bei den eigenen Truppen, als in den Reihen des Feindes wahrnehme.
Weiter komme es vor, dass die beim Feinde eingetretene Erschöpfung
weitaus zu hoch veranschlagt werde. Im Kriege 1870 hätten sich
französische Kavallerie -Abteilungen mehr wie einmal todesmutig auf
erschütterte deutsche Infanterie geworfen und wären dennoch durch das
Feuer der Letzteren vernichtet worden. Eine ßeitermasse bilde ein zu
bedeutendes Ziel, um im wirksamen Bereich des Gewehrfeuers oder der
Shrapnels aushalten zu können.
Ferner führt der Verfasser aus, dass man die Augenblicke der vergleich
Schwäche beim Gegner nur in der vordersten Schützenlinie wahrnehme, dwJe*tS^eu
bis aber auf Grund dieser Wahrnehmung der Befehl zum Vorgehen der ^^^yer.
Kavallerie erteilt. sei, könne die Gunst des Augenblicks mittlerweile gangenheit
schon entschwunden sein, ßeitermassen, welche sich bewegten, fielen
immer durch den von ihnen aufgewirbelten Staub sehr leicht auf und zögen
alsbald alle Geschosse des Feindes auf sich. Die Artillerie könne gegen sie
die grössten Schussweiten ausnützen, die Geschosse der Infanterie höben
sich bis zu 600 Meter Entfernung überhaupt noch nicht um volle Eeiterhöhe
über die wagerechte Visierlinie. Die Pferde seien zwar seit den Zeiten des
siebenjährigen Krieges besser geworden und könnten im schnellen Durch-
laufen grosser Strecken mehr ertragen, aber diese Steigerung habe doch
nicht gleichen Schritt mit der Steigerung der Feuerwirkung gehalten.
Ehedem wäre die Gefechtsfähigkeit der Infanterie gebrochen gewesen, wenn
man ihre geschlossene Ordnung über den Haufen warf und sie zerstreute,
heute fange sie eigentlich mit dem Zerstreuen an; jede kleine Gruppe bilde
in sich ein verwendbares Ganzes und selbst der einzelne Mann tühle sich
nicht wehrlos, so lange er noch Patronen besitzt. Das Verhältnis der In-
fanterie gegenüber der Kavallerie sei ein vollkommen anderes geworden.
") „La cavaUerie et l'artillerie en face de l'armeiiient actuel de rinfanterie".
Paris 1892.
22*
340 V. Die KavaUerie.
Seydlitz, Ziethen, Driesen, Gessler hätten ihre Schwadronen 800 Schritt
vom Feinde bereit halten, für ihre Person noch auf die Hälfte dieser
Entfernung heranreiten und den Moment erspähen können, wo die Linien
ins Schwanken kamen. Dann hätte es sich nur dämm gehandelt, die
Infanterie zunächst an einer Stelle zu brechen und nun die ganze
zusammenhängende Schlachtlinie aufzurollen. Jetzt sei der Erfolg un-
endlich schwieriger. Selbst die überrittene Infanterie werde nicht ausser
Kampf gesetzt, sondern ihr Feuer nur unterbrochen. Die Kavallerie
wiederhole zwar ihre Angriffe, wobei sie sich durch den Schleier von
Staub zu decken suche, aber wenn auch dieser Umstand und zuweilen
ein hügeliges und bedecktes Gelände die Plötzlichkeit ihres Erscheinens
begünstige, so werde doch dadurch nur selten die grosse Ueberlegenheit
des Infanteriefeuers ausgeglichen.
Flucht Sodann bemerkt von der Goltz noch, dass man ganz umsonst hoffe,
ZV Pferde ' °
leichter die Kavallcrie dahin zu bringen, sich in der Schlacht dem Verderben
als 111 Foae. g^j^^gQ auszusetzeu wie die Infanterie, und fügt erklärend hinzu, dass
manchmal in einer verzweifelten Lage auch die Infanterie davonreiten
würde, wenn sie nur Pferde hätte. „Die bewundernswerte Hartnäckig-
keit ihres Widerstandes, die uns mitunter in gerechtes Erstaunen setzt,
beruht zum Teil darauf, dass sie sich eben wehren muss oder verloren
ist. Sich des Bosses zu bedienen; um dem Tode zu entrinnen, hat für
unser menschliches Gefühl etwas so Natürliches, dass wir eine Flucht
zu Pferde für viel weniger schimpflich halten als eine Flucht zu Fuss."
Fehler der DJe Erfahrung der nächsten Kriege wird offenbar den Militärschrift-
nusiBchen
K»Tftiierie- stellem, welche bezweifeln, dass die Kavallerie in der Schlacht grosse
KA^Jn. Bedeutung haben kann, mehr Beweisgründe an die Hand geben. General
Kuropatkini2) findet bei der Beschreibung der Thätigkeit der russischen
Truppen bei Plewna, dass sowohl Kavallerie als auch Artillerie die
Infanterie nicht in der genügenden Weise unterstützten. Kavallerie wäre
wohl zahlreich vorhanden gewesen, aber man habe sie verzettelt und
ihr nicht die entsprechende Thätigkeit zugewiesen, und so sei für
Rekognoszierungen und für das Aufrechthalten der Verbindung zwischen den
einzelnen Truppenteilen ungenügend gesorgt worden. Gleichwohl fügt Kuro-
patkin hinzu, dass gänzlich auf Kavallerie-Attaken, besonders Schwadrons-
und Eegiments-Attaken zu verzichten ein Ding der Unmöglichkeit sei.
Entstehende Gcucral Kuropatkiu, welcher im Allgemeinen der Thätigkeit der
Kavallerie etwas kritisch gegenübersteht, fuhrt gleichwohl die ßuhmes-
thaten der Kavallerie bei Lowtscha an, wo sie Infanterie attakierte und
") Wir entnehmen diese Stelle dem Buche von Sainte-Chapelle : „Les
tendances actuelles de la cavalerie russe". Paris 1886.
Kavallerie-Attaken. 341
Schanzen nahm und ferner im kritischen Moment des 11. August beim
Schipka, wo zwei Kosaken-Ssotnien abstiegen, ihre Pferde nach Grabowo
zur Herbeiholung der Schützen zurückschickten und selbst im Verein mit
dem OreVschen Regiment, nur noch durch eine Gebirgsbatterie unterstützt,
den Durchbruchsversuch der Türken so lange aufhielten, bis das An-
langen der Schützenabteilung auf den ihr entgegengesandten Kosaken-
pferden es den russischen Truppen gestattete, nunmehr ihrerseits zum
Angriff überzugehen. Aber im Allgemeinen wäre die Thätigkeit der
Kavallerie schwach gewesen; sie hätte gewissermaassen ein Zusammen-
treffen mit Infanterie gefürchtet. Dem Mangel an Tapferkeit können wir
diese Erscheinung nicht zur Last legen, da der Bestand aller Teile der
russischen Armee ein überaus gleichmässiger ist und die Infanterie Bei-
spiele eines so zähen Widerstandes aufzuweisen hatte, dass ihre Verluste
40 bis 75% betrugen (in einigen Rotten bei Plewna in den Tagen des
30. und 31. August), d. h. also mitunter 3 Soldaten auf 4. Zu der Annahme,
dass in der Kavallerie ein anderer Geist geherrscht habe, liegt kein
Grund vor. Es lässt sich die Frage aufwerfen, ob im gegebenen Fall die ^^^^j^J*'
Kavallerie nicht im HinbKck auf die türkische Schnellfeuerwaffe das ßciinenfeuer-
Bewusstsein der Nutzlosigkeit der Kavallerie-Attaken empfand. Auch **^*
hier lässt sich eine Aeusserung Kuropatkin's verwerten, der bemerkt, dass
die Soldaten zuweilen nicht recht draufgehen, nicht aber deshalb, weil
sie sich an Zahl für zu schwach halten, auch nicht in Folge der von ihnen
schon erlittenen Verluste, sondern angesichts noch weiterer Verluste.
Deshalb erscheint es natürlich, dass die Kavallerie, welche weder hin-
knieen noch sich niederlegen noch auch hinter kleinen Terrain-Erhöhungen
decken konnte, sondern dem Massenfeuer offen gegenüberstand, weniger
Selbstvertrauen bewies als die Infanterie.
Uebrigens hatte auch die deutsche Kavallerie in dem Kriege 1870, ^erinat
keine besondere militärische Bedeutung. Die Verluste der Infanterie Kavauerie
in diesem Kriege betrugen 17,6%, die der Kavallerie nur 6,3%, Mit
anderen Worten, bei der Infanterie waren die Soldaten der Gefahr etwa
dreimal mehr (die Offiziere noch darüber) ausgesetzt als bei der Kavallerie. '
Die Fachmänner sind auch darin nicht einig, ob für die Kavallerie Uneinigkeit
ob ItUBOn-
Massen-Attaken oder Attaken in kleineren Abteilungen vorzuziehen sind, oder
Es wird der Gedanke ausgesprochen, dass bei Teilung der Kavallerie
in kleinere Abteilungen jede einzelne von ihnen leichter den Moment zur
Attake erspähen und sich bis zur Ausführung besser verborgen halten
kann. Andere dagegen erklären, dass, wenn die Attake nötig ist, die-
selbe möglichst stark und massiv sein muss und die Einzelwirkungen
kleiner Abteilungen ebensowenig einen Ersatz für sie bilden können, wie
etwa verschiedene Imbisse für das Mittagessen.
342
V. Die Kavallerie.
Mawen- jjs scheüit uüs, dass die Thätigkeit der Kavallerie, besonders aber
möglieh die Massen - Attaken , noch aus anderen Gründen im zukünftigen Krieg
Artiiferi». auf grosse Hindemisse stossen werden. Die Wirkung der Geschütze ist
'*''*'' so gross geworden, dass die Verluste ein regelrechtes Vorgehen hemmen
werden. Wir wollen ein paar Daten anführen:
Engiiache Nach iu England gemachten Versuchen wurden von einem Regiment
YoiBaciia mit
shrapneis. in Schwadrou-Kolounen auf 2070 Meter, wobei der Abstand zwischen den
einzelnen Schwadronen je 7 Meter betrug, während die gesamte Front-
länge 28 Meter, die Tiefe 36 Meter ausmachte, nach 36 Schüssen mit
Brennzündern und Shrapnels folgende Resultate erzielt :i8)
Durchgeschlagene Scheiben 397
Stecken geblieben in den Scheiben .... 131
Angeschlagen 984
Ausser Gefecht gesetzte Figuren 182
Gnuon*8ohe jfach deu iu den Gruson'schen Werken angestellten Schiessversuchen
Schi 668-
verenohe mit 5,7-Centimeter-Geschützen wurden 12 Schüsse mit Kartätschen gegen
K»TXrie- drei Scheiben, jede von 20 Meter Länge, welche heranbrausende Kavallerie-
koionnen. Kolonucu auf 200, 250 uud 300 Meter vorstellten, abgegeben.
Die Resultate sind aus folgendem Bilde ersichtlich:
J6l
/S0^
.J»^
*') Müller: „Wirkung der Feldgeschütze**.
:3.
■1
I i*
-^-9^
sz
szr
g
^
^
^;-
-^-
S
■V
Die Kosaken und ihre Taktik. 343
Von den 2640 Engeln schlugen ein 1155, nämlich
in die Scheibe I 531 Kugeln,
„ „ „ n 363 „
„ „ „ m 261 „
Die gesamten 12 Schuss waren in 56 Sekunden abgegeben, w) Bei ^"^
Knipp*8c]ior
7,6-Centimeter-Geschützen ist die Wirkung eine noch stärkere. Bing-
Das Bild in der Beilage zeigt uns die Wirkung von 9 Schüssen
mit 7,5 Centimeter Krupp'schen Ringgranaten gegen drei 50 Meter lange,
2,7 Meter hohe Scheiben auf 2000 Meter Entfernung.
Diese Stimmen über die grossen Gefahren der Massen-Attaken der zentrenter
Kosaken-
Kavallerie haben der Frage, ob nicht im zukünftigen Krieg die zerstreute angriff auf
Form des Angriffs, wie sie von den Kosaken geübt wird, grosse ^ordli^
Erfolge erzielen wird, eine solche Aktualität verliehen, dass wir diese
nicht unerwähnt lassen können.
6. Die Kosaken imd ihre Taktik.
Sainte-Chapelle i) tritt energisch für die Kosaken ein und stützt sich ^«J*«"
*^ ° Anrichten
hierbei vorzugsweise auf die Urteile von Schriftstellern, welche die nber den
Möglichkeit gehabt, sich mit deren guten Eigenschaften und ihrer Taktik Koilk™
auf den Schlachtfeldern genau vertraut zu machen. Er führt Beispiele
aus dem Krimkrieg und dem polnischen Aufstande von 1830 an.
„Alle Offiziere", — sagt Sainte-Chapelle — „die an dem Orientkrieg Kneg isia.
unter dem ersten Kaisen-eich teilgenommen, gestehen einmütig die ge-
waltigen Verdienste zu, welche die Kosaken Eussland geleistet. Das
steht auch völlig im Einklang mit den Aeusserungen der klassischen
Militärschriftsteller."
„Ich habe schon" — schreibt de Brac — „von den Kosaken gesprochen
und sie für eine vorzügliche Truppenart erklärt, und ich wiederhole
dies nochmals. Manche Offiziere, die keinen Krieg mitgemacht oder wenig-
stens im zweiten Treffen gestanden haben, halten es für ihre Pflicht,
sich über diese Eeiterei mit einer gewissen Geringschätzung auszusprechen,
aber glaubt ihnen nicht! Ungerechtigkeit gegen den Feind ist eine un-
**) „Revue de rArtülerie Beige".
0 „Les nouvelles tendances de la cavalerie russe".
344 ^' ^e Kavallerie.
würdige und fehlerhafte Methode; das Mittel zur Besiegimg des Feindes
liegt nicht in Verspottung des Gtegners, sondern darin, dass man ihn
studiert, sich gründlich mit ihm bekannt macht. Welche hohe Meinung
hatten so erfahrene Heerführer von den Kosaken, wie die Marschälle
Soult, Gerard, Closel, Maeson, die Generale Moran, Lalleman, Pajole,
Colbert, Corbineau, Lamarque u. A. Man frage endlich alle wirklichen
Offiziere, und sie werden euch sagen, dass eine leichte Kavallerie ihre
Aufgabe geradezu vollkommen erfüllt, wenn sie gleich den Kosaken die
ganze Armee in unermüdlicher Wachsamkeit mit einem undurchdring-
lichen Schutznetz umgiebt, den Feind in beständiger Unruhe erhält, ihm
häufig empfindliche Schläge zufügt und sich selbst solchen nur selten
aussetzt."
Betrachten wir nun diese Kosakentaktik, den Gegenstand so vieler
Meinungskämpfe, etwas näher!
KoMken- Die Klassiker der Kavallerie halten es für ein Axiom, dass die
taktik.
Attake der regulären Kavallerie nur dann auf Erfolg rechnen kann,
wenn sie „en masse" erfolgt. Deshalb ist in allen militärischen Leitfaden
der Satz zu finden, dass die Macht der Kavallerie-Attake auf der Kraft
des Stosses beruht und hierbei von zwei Faktoren abhängt: von der
Masse und der Schnelligkeit.
Hieraus folgt, dass, je stärker und schneller die Pferde sind, sie
desto mehr Angiiffsfähigkeit besitzen. Die Kosaken dagegen attakieren
in breiter Front, in eine Kreislinie, sogenannte „Lawa", auseiuander-
gezogen.
»u'^fMht^ Die Lawa ist eine den Kosaken eigentümliche und daher in das
form russische Reglement aufgenommene Gefechtsform, bei der ein Teil der
^** **"* Truppe, ein Glied formierend, sich in eine lange Linie mit Abständen
zwischen den einzelnen Reitern auflöst, während der andere Teil als
Reserve geschlossen folgt. Auf ein kurzes Kommando des Führers stiebt
alles mit rasender Schnelligkeit auseinander und stürmt mit lautem
Geschrei dem Feinde entgegen, bis plötzlich kurz vor dem Gegner die
Pferde wie auf Kommando herumfliegen, die Reiter, an der inneren
Pferdeseite hängend, eine Salve abgeben und ventre k terre zurückjagen.
Die Reiter sitzen dabei verkehrt auf dem Pferde, Schuss auf Schuss den
Verfolgern entgegensendend. Unmerklich drängen sich die Reiter auf den
Flügeln zusammen, um mit Blitzesschnelle zum zweiten Mal abzuschwenken
und dem zur Verfolgung aufgelösten Gegner überraschend in Flanke und
Rücken zu fallen.
Gewissermaassen eine Vorübung für diese Lawa (Schwärmattake)
bildet die Dschigitowka.
Die Kosaken und ihre Taktik.
Folgende Abbildung zeigt die Ansführnng dieses kriegerischen iSpiels
durch Kosaken von dem 5. donischen Regiment.
Aasfülirung der Dschigitowka durch Kosaken des 5. donischen Regiments.
Die Dschigitowka ist der Fantasia der orientalischen Reitervölker
nachgebildet und bezweckt, den Reiter dreist und gewandt zu machen.
Sie vereint daher Uebnngen im Hauen und yehiessen vom Pferde mit
solchen im Voltigieren, Aufheben von Gegenständen von der Erde, Stehen
anf dem Pferde u. s. w. in jeder, selbst der schnellsten Gangart. In
neuester Zeit hat General Gnrko die Dschigitowka auch bei den Garde-
nnd Armee-Kavallerie-RegimenteiTi des seinem Kommando unterstellten
5,, G., 14. und 15. Armeekoi-ps eingeführt. 2)
') Aus der „Leipziger lUuBtrierten Zeitung".
346
V. Die Kavallerie.
Gegner
der .Lawa*
Verteidiger Hören wir, was zu Gunsten der Lawa gesagt wird. „Den Erfolg" —
der „liftwa" ■
sagt General Martynow*) — „erzielt nicht das Heer, welches in grösserer
Ordnung attakiert, sondern das, welches den Schlag mit grösserer Ent-
schiedenheit führt. Demnach verbürgen nur die innere Ueberzeugang
und Gewissheit des eigenen Vorzugs der Kavallerie einen sicheren Erfolg
bei dem Zusammenstosse mit dem Gegner. Sind beide Parteien in dieser
Hinsicht gleich stark, so wird diejenige den Sieg davontragen, welche
es versteht, den Flankenangriff mit dem Frontangriff zu vereinigen,
insbesondere aber diejenige, welcher es gelingt, den Feind vom Rücken
aus zu fassen. Haben die Gegner eine Front von gleicher Ausdehnung,
so ist es wenig wahrscheinlich, dass es einer Partei gelingt, auf den
Flügel der anderen zu stossen. In solchem Falle hat die Attake mit
auseinandergezogener Kampfordnung nach der Taktik der Kosaken (en
lave) viel Aussicht auf Erfolg,"
Hiergegen lassen sich andere Stimmen folgendermaassen vernehmen:
Es sei richtig, dass die Attake in aufgelöster Schlachtordnung ihre gute
Seite habe; sie habe aber auch ihre Mängel; sie erfordere ein geeignetes
Feld, die Truppe zerstreue sich und der Zusammenhalt der Linie gehe
verloren. Eine unter solchen Verhältnissen ohne Ordnung und Huhe aus-
geführte Attake könne keine grosse Stosskraft entwickeln. Die Attake
in aufgelöster Ordnung sei ursprünglich iur die Kosaken nur ein Gebot
der Not gewesen: ohne Ausbildung, ohne die geringste Vorstellung von
der geschlossenen Formation hätten sie sich auf die EoUe von irregulären
Kundschaftern beschränken müssen. Eine lange Kriegserfahrung, besonders
in den Jahren 1812 und 1815, habe ihnen dann den Erfolg auch in den
Kämpfen mit der feindlichen leichten Kavallerie gesichert. Aber sie hätten,
von diesem Punkte ausgehend, die Folge für den Grund genommen und
auf die Thatsache hin, dass sie beständig zur Attake in aufgelöster Reihe
vorgingen — wobei in Wirklichkeit nicht ihre Kampfweise, sondern ihre
persönlichen Eigenschaften den Sieg über den Feind davongetragen —
eine irrige Vorstellung über die von ihnen gepflegte Methode der Attake
gewonnen.
EingUederige Die Anhänger der Kosakentaktik bemerken hierauf, dass das Ideal
Fonnfttion
bei neuen der Kosakeu stets darin bestanden habe und noch bestehe: die grösst-
^^ möglichen Erfolge bei möglichst geringen Verlusten zu erreichen. Nur
scheiniich. hierdurch erklärten sich auch die Attaken in eingliedriger Formation.
Eine Truppe, die zweigliedrig vorgehe, sei mehr der Wirksamkeit des
Feuers ausgesetzt, besonders jetzt bei der Kraft und Treffweite der
modernen Geschosse. In der geschlossenen Formation könne auch nur
0 Wir zitieren nach Sainte-Chapelle.
Die Kosaken und ihre Taktik. 347
das eine erste Glied kämpfen, was mit einer Verminderung der Kom-
battanten nm die Hälfte gleich bedeutend sei. Wenn die Attake nicht
glückt, so werde das zweite Glied bei seinem Rückzüge und seiner Auf-
lösung nur dem ersten Gliede hinderlich sein, der Gefahr zu entgehen,
und wenn der Feind die Zurückweichenden verfolge, so werde er es sehr
bequem haben, auf die formlose Masse der einander hindernden
Kavalleristen einzuhauen.
Es versteht sich von selbst, dass wir bezüglich dieser einander
widerstreitenden Ansichten keine Entscheidung fällen können; wir haben
es nur für angemessen erachtet, unsere Leser mit diesen vei^schiedenen
Urteilen bekannt zu machen.
Was die aufgelöste Kosakenformation anbetrifft, so ist sie heute
schwerlich weniger rationell als früher. Jetzt setzen im Durchschnitt
einen Reiter ausser Gefecht: auf eine Entfernung von 200 Meter
2V2 Flintenkugeln, von 400 Meter 7 und von 600 Meter 16 Flinten-
kugeln. 4) Es ist genügend, in die geschlossenen Reihen nur einige
Shrapnels zu senden, welche durch einige Salven eines auch nur schwach
von Infanterie gedeckten Geschützes unterstützt werden, um die Massen-
attake zum Stillstand zu bringen.
Anlässlich des Streites über die Kosakentaktik lenken wir die Auf- ^' ™°*
gegen
merksamkeit des Lesers auf folgenden Fall. Die „Jahrbücher für die sawenfener
deutsche Armee und Marine''^) brachten einen Bericht, wonach General ""^^
Gurko, als die X. Kavallerie-Division aus einem Walde herausgetreten war
und von zwei Kosaken-Ssotnien mit Salvenfeuer vom Pferde aus empfangen
wurde, seinen scharfen Tadel über eine derartige Kampfweise aus-
gesprochen und für die Folge die Wiederholung eines derartigen Unfugs
verboten habe. Der Berichterstatter fügt hinzu, dass diese Bemerkungen
offenbar gegen die Ausführungen des General Ssuchotin sprechen, welcher
für die Anwendung des Salvenfeuers vom Pferde Seitens der Kavallerie
eingetreten sei.
Was die Frage über die Bedeutung der Kosaken in dem zukünftigen Tettaus
Kriege anlangt, so kommt Tettau in seinem kürzlich erschienenen Werk^), EoBaken.
das sich auf zahlreiche Artikel des „Wojenny Ssbornik" und insbesondere
auf die vom General Choroschin ausgesprochenen Ansichten stützt, zu
dem Schluss, dass von hervorragenden militärischen Fähigkeiten oder
kiiegerischen Neigungen bei den jetzigen Kosaken nicht mehr die Rede
*) „Tableaux de tir dresses k Töcole du champ de Chalons pour le fusil". 1886.
*) Wir zitieren nach dem Artikel im „Armeoblatt" No. 1 vom März 1893:
„Bemerkungen zu den Manövern im Militärbezirke Warschau".
^) „Die Kosaken-Heere", Berlin 18d2.
348
y. Die Kavallerie.
sein kann. Dafür hätten sie andere, für den Soldaten hocherwünschte
Eigenschaften : grosse Genügsamkeit nnd Anspruchslosigkeit, Fähigkeit zu
langen Märschen nnd zum Ertragen schwierigen Lagerlebens, Geduld und
Ausdauer. Auch jetzt noch besitze der Kosak eine grosse Vertrautheit,
mit dem Pferde umzugehen, aber doch nicht mehr so wie früher. Erstlich
nehme die Zahl solcher Kosaken ab, die von Kindheit an mit dem Pferde
förmlich verwachsen wären, zweitens schwänden auch die wertvollen
Eigenschaften des Kosakenpferdes in Folge der Zerstückelung des Grund-
besitzes und des Sinkens der Pferdezucht mehr und mehr, so dass die
heutigen Kosakenpferde im Allgemeinen nicht mehr den Anforderungen
an die Kriegstüchtigkeit einer regulären Kavallerie entsprächen. Für
seine Wirtschaft brauche der Kosak viel eher Ochsen als Pferde, letztere
aber verwende er in den seltensten Fällen, ausschliesslich zum Eeiten.
Die Eigenschaften des Kosaken und seines Pferdes Hessen die
Kosakenreiterei auf dem Schlachtfelde nur als minderwertig er-
scheinen, dagegen sei sie von hohem Wert für den sogenannten „kleinen
Krieg".
KoBaicen j^ ^^u bcldeu Ictztcu russischcu Feldzügen sei die Eolle der
im YerikU im °
Kriege 1868. Kosakentruppeu wenig hervorragend gewesen. Während der Nieder-
werfung des polnischen Aufstandes von 1863, zu welcher das Donsche
Heer 45000 Reiter stellte, habe sich, wie ein russischer Artikel aus-
führt, ein Niedergang in der Frontausbildung und Ausrüstung der Don-
Kosaken bemerkbar gemacht: verrostete Gewehre und Säbel, in der
Pferdeausrüstung an Stelle der Riemen Stricke. Die kleinen kraftlosen
Pferde bewiesen deutlich den Niedergang der Pferdezucht in den Stanizen.
Von den Reglements hätten die Untermilitärs und selbst die Offiziere
wenig Kenntnis gehabt und einige Truppenteile gar auch von Disziplin
wenig gewusst.
Kriegi877/78. Währcud des Krieges 1877/78 vermochten die Kosaken, wie der-
selbe russische vom deutschen Verfasser zitierte Artikel ausführt, ihren
alten Ruhm nicht zu behaupten, weil die Kosakenabteilungen vereinzelt
verwendet und zum Kampfe in ungenügender Anzahl geführt wurden.
Uebrigens lässt sich nach derselben russischen Quelle erwarten, dass,
wenn alle in den letzten zwanzig Jahren zur Verbesserung der
Organisation und Ausbildung der Kosakentruppen ergriffenen Maass-
regeln ihre Früchte tragen werden, die Kosaken in einem zukünftigen
Kriege eine bedeutendere Rolle werden spielen können.
KeorgÄiii. Unter den für das Kosakenheer ergriffenen Reformmaassnahmen
der Kosaken- stchon ÜB Bcstrebungen obenan, den Bildungsgrad der Kosakenoffiziere
**'^ zu heben. Er war bisher im Durchschnitt bei den meisten Kosaken-
Regimentern weit niedriger als bei den regulären Truppen.
^
Die Kosaken nnd ihre Taktik. 349
So sind nach den Daten des Professor Eödinger „Ueber Kompletierung ▼•'«leich
der Büdang
der Armee in der Periode 1881 bis 1890" 41% der Gresamtzahl der der Koeaken-
jungen Offiziere der regulären Armee aus Kriegsschulen hervorgegangen, ^'"*""-
59% aus Junkerschulen, während bei den Kosakentruppen sich ein so
günstiges Verhältnis nur in der Artillerie und den in der Garde
stehenden Regimentern findet, indem der Prozentsatz der aus den Kriegs-
schulen hervorgegangenen Offiziere in den Kosaken-Batterien 85%, in
dem Leibgarde-Kosakenregiment 70 % beträgt. In den übrigen Kosaken-
truppen ist dieser Prozentsatz aber weit niedriger als in der regulären
Armee; so beträgt er in den Don'schen, den Kavalleriedivisionen zu-
geteilten Regimentern 30%, in den Don'schen Regimentern, welche
Kosakendivisionen bilden, B%, in den Regimentern des Uralschen
Kosakenheeres 22%, des Orenburg'schen Kosakenheeres 29,5%, des
Astrachan'schen Kosakenheeres 8,9%. Alle übrigen Offiziere haben ihre
Bildung in den Junkerschulen erhalten, ein kleiner Teil gar nur häus-
liche Bildung.
In Anbetracht dieser Verhältnisse, und da auch die Kosakenjugend
selbst nach einer soliden militärischen Büdung strebte, wurde in der
Mitte der 80 er Jahi-e in Nowotscherkask das Don'sche Kadettenkorps
gegründet, dessen Zöglinge gleich denen der übrigen Kadettenkorps nach
Beendigung des Kursus in die Kriegsschule eintreten. Um ihnen die
Aufnahme in die Kriegsschule zu sichern, wurde im Jahre 1890 bei der
Nikolai-Kavallerie-Schule in Petersburg eine besondere Kosaken-Ssotnie,
aus 120 Junkern bestehend, gebildet.
Einstweilen aber liegt noch die Hauptbedeutung der Kosaken in ihrer
grossen Zahl.
Sie können 670 Ssotnien stellen, und wenn man auch einen Teil ^f«»p*-
bedentang
für eine etwaige Verwendung im Kaukasus und in Transkaukasien in der KoMken
Abzug bringt, so bleiben für den eui*opäischen Krieg noch immer ziS!'"
500 Ssotnien zur Verfügung, und wie man auch über den militärischen
Wert dieser Truppenteile denken mag, so büden diese 500 Ssotnien doch
eine schwerwiegende Ergänzung zu den 340 Schwadronen der russischen
regulären Kavallerie.
Rassische Schriftsteller haben den Gedanken ausgesprochen, dass
man eine gewisse Zahl der Kosakenregimenter den Infanterie -Ab-
teilungen zuteilen möge, die übrigen Regimenter aber zu besonderen
Kosaken -Divisionen zusammenfassen, so dass ihre Kommandeurs sie
zu selbständigen Unternehmungen verwenden könnten. Nur dann würden
sich solche Heldenthaten der Kosaken wiederholen, wie die kühne Attake
Orlow-Denissow's bei Tarutino im Jahre 1812, wobei 40 französische
350 ^- ^^® Kavallerie.
Geschütze erbeutet wurden, oder die glänzende Beteiligung des Atamans
Platow an der Verfolgung der Franzosen, bei der ganze französische
Abteilungen gefangen genommen wurden.
Nur dann werde der alte Ruhm der Kosaken seine Auferstehung
feiern.
7. Requisitionen.
Aufgaben der Wichtiger als je ist jetzt die Aufgabe der Kavallerie, das Heer mit
bei Ee- Lebensmitteln zu versorgen. Schon Montecuculi sagte, dass „Hunger
qniaitioneii. g^^jj^ecklicher ist als Eisen und der Mangel an Vorräten mehr Heere zu
Grunde gerichtet hat als die Schlachten selbst". Ueber die Schwierigkeit
der Armeeverpflegung ist auch in früheren Zeiten geklagt worden. So
schiieb Friedrich der Grosse: „Wieviel Mühe ist doch erforderlich, um
die jetzigen zahlreichen Heere zu sammeln, zu unterhalten und in
Bewegung zu bringen! Das sind auf Eroberung gehende Völker-
schaaren ... die glänzendsten Pläne des Heerführers sind eitel, wenn
er nicht zuvor die Verpflegung seiner Soldaten sicher gestellt hat".
Diese „Völkerschaaren", von denen Friedrich redet, erscheinen im Ver-
gleich zu den zahllosen Massen, welche in unserer Zeit in den Kampf
treten, wie eine Handvoll Eegimenter. „Die Lieferanten werden bis-
weilen nicht im Stande sein, die allerdringlichsten Bedürfnisse zu
befriedigen und ebenso wird es bei schnellen Veränderungen in der
Tmppenstellung unmöglich sein, Vorräte direkt zu kaufen. Und so wird
es notwendig werden, zu Requisitionen Zuflucht zu nehmen", i)
Die Aufgabe, auf dem Wege der Requisition die für das Heer
nötigen Vorräte, Fuhren, Pferde, Tuche, Instrumente, Arzneien, Gelder etc.
zusammenzubringen, wird hauptsächlich der Kavallerie obliegen; zudem
hat ja auch sie die gleichen Bedürfnisse.
verbaitniiwe jjn Kricgc 1870 litt die deutsche Kavallerie, dank dem Reichtum
im Kriege
1870. des von ihr besetzten Gebiets, an Fourage und Verpflegung keinen
Mangel. Vor Paris verpflegte sie sich teilweise aus der Umgegend, teils
durch weiter ausgedehnte Fouragierungen. Die nach der Loire und dem
Südwesten, in der Stärke von 136 Schwadronen mit 18360 Pferden
gesandte Kavallerieabteilung, verpflegte sich die ganze Zeit hindurch
selbst, indem sie dazu in d^ reichen Provinz Beauce genügend Mittel
fand; ebenso konnte es die nach den Norddepartements gesandte
Kavallerie (32 Schwadronen mit 14320 Pferden) machen. Vor Paris
0 G^n^ral Leval: „ißtudes de guerre. Tactique de ravitaillement".
Schlussfolgerungen. 361
waren 10630 Pferde und 318000 Mann der Belagerungsarmee zu
verpflegen. 3)
Aber das waren Ausnahmeverhältnisse, wie solche nur der Reich- ^®?^"f'
mittel-
tum Frankreichs schuf. In anderen Ländern, die entweder ärmer sind «usteiiung -
"lanptaafgab
der
Kayallerie.
oder wo die Bevölkerung grösseren Widerstand leistet, wird diese ^"^^^'^ **
Aufgabe weit schwieriger sein. Die Kavallerie, die der Armee voraus-
geht, wird die Einwohner zur Sammlung, Vorbereitung und selbst zur
Verarbeitung der für das Heer nötigen Gegenstände zwingen und in
den betreffenden Orten bis zum Anlangen der Infanterie-Avantgarde
bleiben müssen. Die Erfüllung dieser Aufgabe wird grosse Umsicht
erfordern und durchaus nicht gefahrlos sein, da die Kavallerie nach den
verschiedensten Seiten hin kleine Abteilungen auszusenden haben wird,
und die Organisation besonderer Schtitzenabteilungen zur Bekämpfung
der Kavallerie-„Eaids" diese Aufgabe erschweren wird. Die bürgerliche
Bevölkerung des Landes wird auch weit grösseren Verlusten und
Gefahren ausgesetzt sein, als in früheren Kriegen.
Zu der eigentlichen Verpflegungsfrage werden wir noch zurück-
kehren ; an dieser Stelle haben wir nur auf die Eolle hinzuweisen, welche
die Kavallerie hierbei spielt, eine Rolle, in der manche Militärschriftsteller
fast die Hauptbedeutung der Kavallerie in den EMegen der Zukunft
erblicken wollen.
8. Schlussfolgerimgen.
Trotz der Schwierigkeiten, welche jetzt die Verwendung der Wichtigkeit
Kavallerie im Kampfe darbietet, wird die Notwendigkeit der Kavallerie *' »T *^
von Allen anerkannt. Sogar diejenigen Militärschriftsteller, welche über ^^*®"®'
die Rolle der Kavallerie im Kampfe abfällig urteilen, leugnen nicht, dass
der Kavallerie in gewissen Fällen doch Aufgaben von höchster Wichtigkeit
zufallen. Aber jetzt ist mehr wie je die von Napoleon aufgestellte Regel
zutreffend, dass die Kavallerie zahlreichere und besser ausgebildete
Kadres besitzen muss als die anderen Waffengattungen. Mehr als
früher wird jetzt von der Kavallerie Schnelligkeit im Beginnen, und
Beharrlichkeit im Begonnenen gefordert.
Bei Beginn des Krieges selbst, wo Alles von der Schnelligkeit der ^s^"»
Zusammenziehung der Truppen und davon abhängig ist, dass ihre Be-
wegungen nicht gehindert werden, wird die Kavallerie gewissermassen
*) Oberst Köhler anti E. V.: „Untersuchungen über den Wert der
Kavallerie in den Kriegen der Neuzeit".
352 V. Die Kavallerie.
den Dienst eines Schntznetzes leisten. Die Kavallerie wird die kriege-
rischen Operationen eröffnen; sie wird zuerst die Grenze überschreiten
und „Raids" unternehmen, um die Mobilmachung des Feindes und dessen
Aufmarsch zu stören; diese „Eaids" werden ausser den wirthschaft-
lichen Folgen für das betroffene Gebiet auch noch das mit sich bringen,
dass der Feind genötigt sein wird, die entscheidenden Operationen zu
beschleunigen und so von seinem ursprünglichen Plane abzugehen, wjö
wiederum auch auf die Operationsweise des Angreifers von Einfluss sein
muss. Auf beiden Seiten wird der Generalstab nicht im Stande sein,
alle die Zufälligkeiten vorauszusehen, die hierbei entstehen können.
RekognoBsie- Fcmcr wird die Thätigkeit des Rekognoszierens doch immer in be-
rangen.
deutendem Maasse der Kavallerie verbleiben, obwohl die jetzigen Ver-
hältnisse ihr diese Aufgabe sehr erschweren.
^^ Endlich wird die Sorge, die Armee mit Vorräten zu versorgen und
qaiBitionoD.
ihre verschiedenen Bedürfnisse in Feindesland zu befriedigen, Avenn
auch nicht ausschliesslich, so doch zum grössten Teil der Kavallerie
obliegen.
V*'- Die Kavallerie hat jene entscheidende Gefechtsrolle, welche sie mit
minderang
der Gefechte- SO grossem Glauze zur Zeit der Lineartaktik ausgeübt, durch die neuere
""*' Taktik teilweise eingebüsst. Die Kavallerie hat aufgehört, eine schlachten-
entscheidende Waffe zu sein.
Der heutige Kampf haftet an den Bedeckungen des Geländes und
giebt daher an und für sich der Kavallerie selten Gelegenheit zum Ein-
greifen vor gefallener Entscheidung. Ausserdem ist durch die neue Be-
waffnung die Widerstandskraft der Infanterie in hohem Grade gewachsen,
der Grundsatz der Gliederung nach der Tiefe macht die Möglichkeit eines
Angriffs ungedeckter Flanken zur Seltenheit, und die Verwendung un-
abhängiger, selbständiger Gefechtskörper, von denen ein jeder gesonderi^n
Widerstand leisten kann, macht das Niederreiten ganzer Schlachtlinien
überhaupt sehr unwahrscheinlich, i)
Transport- Eingreifen in das Gefecht, Niederreiten geworfener, im freien Felde
befindlicher Infanteriemassen, Ueberraschungen feindlicher Schützenlinien
u. s. w. werden nicht sehr oft vorkommen. Aber die Kavallerie wird
sich dadurch nützlich erweisen, dass sie unerwartet Truppenteile überfallt,
die sich in Marschordnung befinden oder Transporte begleiten. Schon
Moritz von Sachsen sagte: ganz unvermutet attakierte Leute verlieren den
Kopf — das ist ein allgemeines Gesetz des Krieges.
Kav^rie Eiuc gcwisse Bedeutuug kann die Kavallerie auch in den Fällen
Niederlagen, haben, WO der eine Teil eine empfindliche Niederlage erlitten hat. Dann
^) General Meckel.
SchliLssfoIgerungen. 353
vermag die Kavallerie, die sich während der Schlacht in Reserve gehalten
hat, jeder Seite Dienste zu leisten : ohne sie vermag der Sieger seinen Erfolg
nicht giiindUch auszunutzen, ohne sie würde der Besiegte im ersten Moment
keinerlei Deckung für seinen Rückzug haben.
Demnach eröffnen, wie die Fachleute ausführen, Kavallerie-Opera-
tionen die Schlacht und aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie diese
auch beschliessen. Dieser Umstand ist um so wichtiger, als jetzt starke
Bedenken laut werden, inwieweit die künftigen Schlachten selbst über-
haupt entscheidend sein werden. Auf dem Wege des eventuellen Rückzugs
werden wahrscheinlich die verschiedensten Schutzmaassregeln getroffen
sein, und vor dem Rückzuge selbst werden sich, wo nötig, noch neue
Schanzen aufwerfen lassen. Die geschlagene Armee wird die nächsten
Positionen einnehmen und sich bemühen, dem andrängenden Gegner
neuen Widerstand entgegenzusetzen, und umsomehr, als dieser bei dem
Sturme der früheren Stellungen grössere Verluste erlitten haben wird,
als der Teil, welcher, besiegt,, das Schlachtfeld räumte. Ausserdem wird
— und dies ist die Hauptsache — die grosse räumliche Ausdehnung des
Schlachtfeldes, wo entsprechend der Schussweite der modernen Geschütze
die einzelnen Stellungen einige Kilometer von einander entferat sind, es
dem zurückweichenden Teü ermöglichen, die Truppenverstärkungen zu-
sammenzuziehen und sich so abermals zu decken.
Aus allem Gesagten ist ersichtlich, dass die Rolle der Kavallerie
sehr bedeutend bleibt. Professor General Leer spricht in seiner „An-
gewandten Taktik" sogar die Ueberzeugung aus, dass die Hauptbedingung
des Erfolges zu Beginn des Krieges eine zahli^eiche und gute Kavallerie
ist, die schon in Friedenszeit völlig mobil sein muss.
Damit aber die Kavallerie ihre Bestimmung befriedigend erfüllen ^*j^^°®
kann, muss sie auserlesene Offiziere und geschickte Führer haben. Aus geschickter
Allem, was wir dargelegt, erhellt die hohe Bedeutung, welche bei dem * ™"*"
komplizierten modernen Kriegsmechanismus einer geschickten Führung
nicht nur des gesamten Heeres und der grösseren Heeresteile, sondern
auch selbst der kleinen Abteilungen beizumessen ist.
Diesem Erfordernisse zu genügen wird in allen Armeen mit Eifer
gearbeitet. In der deutschen Armee, sagt General von Bissing^), wurden
in der fast 25jähiigen Friedenszeit die vielseitigen Erfahrungen des
Krieges 1870/71 zur Richtschnur auch für das, was von der Kavallerie
geleistet werden soll. Mit rastlosem Eifer suchte und sucht man nach
-) „Ausbildung, Führung und Vorwondung der Roitoroi", im „Militär-
Wochenblatt" 1895.
Bloch, Der zakünftige Krieg. 28
354 V. Die Kavallm«*.
den Vorbedingangen ihrer zukünftigen Verwendungsfähigkeit and ihrer
entscheidenden Mitwirknng znm Siege.
Vier bis fünf neue Eeglements wm-den erlassen, welche die An-
forderungen der Ausbildung immer mehr steigerten. Die Reit-Instruktion
erlitt eine vollständige Umarbeitung in ähnlichem Sinne. Die neue Feld-
dienst-Ordnung beschäftigt sich in eingehendster Weise mit den Aufgaben
der Kavallerie und stellt gegen früher ganz andere Bedingungen an ihr
Können auf.
Aus allem diesem erhellt, dass der zukünftige Krieg nicht nach den
Ergebnissen der früheren Kriege beuilheilt werden kann. Die Leistungen
der Kavallerie werden in vielem ganz andere als in der Vergangenheit
sein, und wir stehen vor noch nicht dagewesenen und komplizierten
Erscheinungen.
Fragen, wie die über den Unterschied in der Kavallerie-Ausrüstung,
über die Eigenschaften des Pferdematerials, die Beschaffenheit des
Sattels u. 8. w. bei den verschiedenen Armeen lassen wir bei Seite. Im
grossen und ganzen wird der rein materielle Teil wahrscheinlich in allen
Armeen auf der gleichen Höhe stehen. Alles wird von dem Verständnis
abhängen, diese Mittel praktisch auszunutzen. Das Alltagsleben lehrt uns,
dass ein schlechter Arbeiter seine Arbeit unbefriedigend ausfühii:, auch
wenn er die besten Werkzeuge zur Hand hat, während ein verständiger
und entwickelter Arbeiter auch mit einem weniger vollkommenen Arbeits-
gerät etwas Treffliches zu schaffen vermag.
So sind auch der Kavallerie völlig geschulte, fähige Offiziere von
Nöten; besonders aber bedürfen die Kosakentruppen solcher Offiziere,
da zu deren Bestand weniger entwickelte Elemente gehören (in den öst-
lichen Kosakenheeren) und die Art des Kosakendienstes in Friedens-
zeiten nicht eine genügende Anzahl altgedienter Unteroffiziere heranbildet,
welche in der Schlacht für ihre gefallenen Offiziere eintreten könnten.
f
VI.
Taktik der Artillerie.
Die Taktik der Artillerie und die Folgen
der Vervollkommnungen.
Noch vor Erfindung des rauchschwachen Pulvers und des neuen
Kleinkaliber-Gewehrs zeigte sich mehr als einmal die fibermächtige Wirk-
samkeit des Gewehrfeuers, weshalb die französische Kommission, welche
die Kriegsinstruktionen für die Armee auf Grund der 1870 gesammelten
Erfahrungen umarbeiten sollte, zu dem Schluss kam, dass der Angriff
gegen eine in fester Stellung stehende Infanterie in der Zukunft erfolglos
bleiben kann, selbst wenn er durch das Eingreifen der Artillerie vor-
bereitet wird. Jetzt seit Einführung der neuen Waffe ist das, worüber
sich früher noch streiten liess, zur Gewissheit geworden. Eine Infanterie,
die sich zu verteidigen versteht, kann überhaupt ohne Hilfe der Artillerie 0
aus einer festen Position nicht geworfen werden, auch wenn sie nur über
halb soviel Gewehre verfügt wie der Angreifer. Aber ein erfolgreiches
Auftreten der Artillerie zur Erschütterung des Gegners ist abhängig von
dem feindlichen Artilleriefeuer, welches diese Wirkung paralysieren kann.
In Folge dessen lässt sich fast als mathematisch gewiss annehmen,
dass der Beginn einer Schlacht auf beiden. Seiten durch Artillerie ein-
geleitet werden wird.
Die Artillerie derjenigen Armee, welche die Offensive ergreift, wird
ihi-e Thätigkeit damit beginnen, die Artillerie des Gegners zu vernichten
oder wenigstens zu schwächen; alsdann erst wird sie im Stande sein,
sich auch gegen die feindliche Infanterie zu wenden. Dieser Umstand
führt logischei'weise zu der Notwendigkeit, eine zahlreiche Artillerie
zum Angriff wie zur Verteidigung in erster Linie zu haben. Diese
Notwendigkeit ist für beide Seiten die gleiche. Deshalb werden
Quantität und Qualität der auf dem Schlachtfelde wirkenden Geschütze
Notwendig-
keit
der ArtiUerie
car Er-
Bclifltterung;
fester
Infanterie-
positionen.
Einloitang
der Schlacht
durch
Artillerie.
0 nl'^Ai'i^oi^o de campagne.'
358 VI. Taktik der ArtUlerie.
in hohem Grade auf den Ausgang der Einzelschlachten von Ein-
fluss sein.
Einwirkung AbcF uoch viel Wichtiger ist es, dass Dauer und Resultat des
aes bentigen "
Artiuerie- Krieges fortan aller Wahi'scheinlichkeit nach in hohem Grade von der
vTikeheer^* Wirkung der Artillerie abhängen werden. Geschütze wie Geschosse
haben sich, wie schon erwähnt, gegen früher so radikal vervollkommnet,
dass die durch Artillerie verursachten Verluste ungeheuer gross sein
werden, weshalb es sich fragen dürfte, ob die jetzigen Volksheere im
Stande sein werden, das heutige Artüleriefeuer zu ertragen.
Zur Beurteilung des modernen Gebrauchs der Artillerie im Felde
müssen wir einen Blick auf die Vergangenheit werfen.
1. Stückzahl und Wert der Geschütze.
drstttcSThi -^^^ unserem Jahrhundert anhaftende Tendenz zum Fortschritte
derGesciiütee dürfte auscheiueud zur Annahme berechtigen, dass im Laufe der Zeit
den Perioden das Streben, Geschütze zu verwenden, immer mehr wachsen wird, da diese
u.^1874^91. als mechanische Werkzeuge (besonders bei ihrer jetzigen Vervollkomm-
nung) zu ihrer Bedienung ein sehr kleines Mannschaftsmaterial erfordern,
und das demnach das Geschütz in den Schlachten die Infanterie immer
mehr ersetzen wird, weil die Verwendung der letzteren eine weit
grössere Verausgabung des kostbarsten Kriegsmaterials — der Mann-
schaften — bedingt.!)
Indessen liess sich in jüngster Zeit eine geradezu umgekehi'te
Erscheinung wahrnehmen. In der Periode 1859 bis 1874 wuchs die
Gesamtzahl der Geschütze in den Heeren der europäischen Hauptstaaten
um 88 o/o, während dies Wachstum von 1874 bis 1891 auf 38 % zurück-
ging; in der Infanterie dagegen findet für diese beiden Perioden
gerade das umgekehrte Verhältnis statt; ihr Anwachsen stieg von 24%
auf 54%.
stückiahi Wenden wir uns im Einzelnen den hiemach in den verschiedenen
der Gesclilitze _ .
in den euro- Staaten erfolgteu Veränderungen in den Feldartilleneen zu und markieren,
Ha^tetol!ten.um das Bild reliefartiger zu gestalten, noch das Jahr 1884, so erhalten
wir, wenn wir die Anzahl der Geschütze im Jahre 1874 gleich 100 setzen,
die in der nebenstehenden Tabelle gegebenen Ziffern füi- die vergleichende
Bestimmung der Stückzahl der Geschütze.
Hieraus ersehen wir, dass die Gesamtzahl der Geschütze der sechs
Kontinentalmächte sich im Laufe von 17 Jahren um 4745 vergrössert hat,
oder, mit anderen Worten, dass das durchschnittliche jährliche Wachstum
0 Die Verluste des deutschen Heeres im Kriege 1870 betrugen in der In-
fanterie 17,6 ®/o, in der Artillerie nur 6,5 ^/q.
Zahl der Geschütze in den Landarmeen.
1869 18M
Fnakreieh, BoaslAnd
*■■■■■■■■■■'• «■■■■■■■■■■■■■■■■■!■ ai
■■■■■■■•■■■■■■■■■■■■■■■■■■■^■■■■■■1
*■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■!
8824
Deutschland. Oesterreioh
und Italian
•■■■■■■■■■»■■■■■■■■■■■■■■■■■■
■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■•■■■■■
7324
1873/4
18t«
5392J
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Firnnkreich, Rnssland
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8824
Deatsehland, 06«t«rreioh
and Italien
7324
Vernichtungskraft der Geschütze in den Jahren 1896 bis 1898
im Verhältnis zu denen aus dem Jahre 1870.
Typus von 1870.
100«/,
100"/,
Frankreich
Deatsehland
Typus von 1896.
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Typus von 1870.
Typus von 1898.
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faBIBBBBBBBIBB
23200 V,
8400 V.
RH. I. KinfBiTAn h«! Rtk'ttn XVi.
Stückzahl und Wert der Geachützp.
359
während dieser Periode etwa 2% ausmacht. Innerhalb dieser Periode
jedoch ist die Anzahl der Geschütze im ersten Jahrzehnt nm 3148
gewachsen, d. h. nm 2,5 % jlLhrlich. In den letzten sieben Jahren ist die
Zahl der Kanonen nar nm 1597 Stück gewachsen, d. h. um 1,4% im Jahre.
AtiBfllil der Geschütze filr
die Kriegsstarke
1874 1 1884 1 1891
Prozents
1874 1 1884
atz
1891
Kusaland
Frankreich
3604
2 328
3 769
4 410
3992
4576
100
100
104
189
110
195
In beiden Staaten . .
Deutsch land
Oeaterreich
5 932
2 658
1784
8179
2 998
1580
8 568
3 598
2072
100
100
100
138
113
88
144
135
116
In beiden Staaten . .
4 442
1120
4 578
1532
5 670
1624
100
100
103
136
128
145
In den Dreibund-Staaten
Türkei
5 562
804
6110
1152
7 294
1176
100
100
110
143
131
146
In allen 6 Staaten . .
12 293
15 441
17 038
100
125
138
Wenn wir graphisch einen Vergleich in Bezug auf die Jahre 1
and 1891 darstellen, erhalten wir folgendes Bild:
Anzahl der Geschütze für die Kriegsstärke.
Russland speziell verfügte im Jahre 1874 über eine grössere Anzahl .'^"^[J'".
von Geschützen als jeder der übr^en Staaten, aber seitdem ist die Ver- inBoBiand
mehrung langsamer vor sich gegangen, so dass sie in 10 Jahren insgesamt
nnr ifi % ansmachte. Dies bedeutet ein öi/jmal geringeres Anwachsen
der russischen Artillerie als das Gesamtwachstum in derselben Periode.
In den folgenden 7 Jahren hat sich die Zahl der Geschütze in Eussland
360 ^I- Taktik der ArtiUerie.
verhältnismässig stärker vergrössert (6 %), ohne jedoch den Umfiing
dieses Wachstums in den Nachbarstaaten zu ttbertrefien.
W^*" Die angeführten Ziffern erhalten erst ihre richtige Beleuchtung, wenn
jm Artäiieri« wir sie den in der Infanterie vorgegangenen Veränderungen gegenüber-
ühawi'e. Stellen.
Geschützanzahl auf 10 000 Mann 1874 1884 1891
in Russland 21 16 12
„ Frankreich 13 23 12
„ Deutschland 20 18 12
„ Oesterreich 16 16 10
„ Italien 13 20 10
„ England 8 — 11
„ der Türkei 14 19 13.
Graphisch die Bedeutung zwischen 1874 und 1891 darstellend,
erhalten wir folgendes Bild:
1874. 1891.
2t E
Oeschüt^anzahl auf 10000 Mann.
LujuBBn Hieraus ist ersichtlich, dass, wenn wir nur die letzten 20 Jahre ins
jwTrtnl^* Auge fassen, die Hauptsteigerang der Kriegskräfte nicht auf die Artillerie,
'«?« !r«^s^°'i^™ auf die Infanterie entfällt.
iDbDUri*. Worin liegt nun der Grand für diesen Widersprach gegen die
Gesamtrichtung des 19. Jahrbunderts? Hängt er mit dem neuesten Fortr
schritt der Kriegskunst und den Grundlagen der künftigen Taktik zo-
sammen? Oder hat man etwa den Grund darin zn suchen, dass sich die
nötigen Geldmittel für die Vermehrung der Artillerie schwer finden lassen'?
Letztere Annahme erscheint als die allerwahrscheinlichste, denn es
kann nicht bezweifelt werden, dass die gesetzgebenden Versammlungen
weit geneigter sind, der Regierung für den Kriegsfall die Einberufung
zahlreicher Reserven zu bewilligen als sofort Kredite anzuweisen zum Kauf
von neuen Kanonen, Pferden und für sonstige Ausgaben, die mit der
Vermehrung der Artillerie zusammenhängen, denn im ersten FaUe stehen
Stückzahl und Wert der Geschütze. 361
nur bedingte Opfer beim Ausbrach des Krieges bevor, von dessen Möglich-
keit zwar alle reden, die man sich aber doch nur als gering vorstellt, im
zweiten Falle aber handelt es sich um sofortige Budgetbelastung, und
diese ist heute unverhältnismässig grösser, als in der Vergangenheit.
Russland und die Türkei folgten der Bewegung. Einer Bewilligung
der Ausgaben durch die Volksvertretung bedurften sie freilich nicht,
aber andererseits waren ihre Mittel beschränkt und mussten sie über-
zeugt sein, dass die anderen Staaten mit einer unverhältnismässigen
Vergrösserung der Geschützanzahl bald folgen würden und das Macht-
verhältnis doch dasselbe bliebe. Trotzdem hatten sie kein Interesse,
eine Ausnahme zu bilden.
Am Anfang unseres Jahrhunderts^) betrugen die Kosten für: KoetenpreiH
1. eine 12 pfundige Kanone (1000 Küogramm schwer) oesc^iitze
Kanone mit Lafette und Protze 1320 Thlr. Anfcng
3 Munitionswagen loO „ iiunderts.
120 Kugelschuss und 80 Kartätschen ...... 826 „
22 Pferde mit Geschirr 1430 „
11 Montierungen für die Stückknechte 165 „
16 Montierungen für 2 Unteroffiziere und 14 Artille-
risten ä 12 Thlr 196 „
Waffen für diese 16 Mann 96 „
6 Zelte mit Zubehör 72 „
4285 Thlr.
Hierzu die Kosten der Reservelafetten, Bordwagen,
Trainbedienten bei der Batterie etc. auf jedes
Geschütz verteilt 250 „
zusammen . . 4535 Thlr.
2. eine 6 pfundige Kanone (1200 Pfund schwer) 2680 Thlr.
3. eine 3 pfundige Kanone (650 Pfund schwer) 1783 llür.
Die Anschafiungskosten einer 7 pfundigen Haubitze wurden auf
230f) Thlr. berechnet, es kosteten nämlich:
das 800 Pfund wiegende Rohr 400 Thlr.
die Lafette und Protze 280 „
2 Munitionswagen 100 „
100 schalte Granatschuss 151 ,,
25 Kartätschenschuss 123 „
12 Brand- und Leuchtkugeln 36 „
Uebeitrag . . 1090 Thlr.
«) Scharnhorst: „Handbuch für Offiziere". 1 Thaler = 3 Mark D. K.
362 TL Taktik der Artillerie.
Uebertrag , . 1090 Thlr.
14 angescliin-te Pfei-de 840 „
Montiu' fiir 7 Knechte, 105 ^
desgl. für 12 Mann Bedienung 144 ^
Gewehre für letztere . . , 190 ,.
zusammen . . 2309 Thlr.
d«?'°hat!'8 ^'"' ^^'* ^^^ Kjiege.s zwischen den nord- und sUdameiikanischeii
.nrzek.i« Staaten (1864) kosteten die Kanonen allein:»)
Mrg"W-s. Äimstrong ans Selimiedeeisen lOVi Jioll Dnrchm. 9000 Doli. = 12900Thlr.
Krnpp ans (inKsstalil ... 9 „ „ 10 125 „ = 14512 „
n « » ... 15 „ „ 29400 „ -42170 ,.
KoBUupnia Der Obetst Otto hat in einer Broschüre nachgewiesen, dass die in
Kmmm- den FreiheitsJaiegen an Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der
"it"vtti- Artillerie ansgezahlten Gehälter so viel betragen haben, dass sich der
heit.irri.iE.lL nachwelslich verfeuerte Schnss auf 30 Thlr. berechnen lässt. Rechnet
man hierzn noch die Ausrüstung an Material und Pferden, die Verpflegung
von Mannschaften nnd Pferden, so kostete der Schnss mindestens
50 Thaler.
/"«""h"" ^^'^ ^^^ Preise aber weiter .stiegen, macht uns folgender Ver-
".. neosrer glclch klar:*)
Ein 27 Oentimet«r (10,6 Zoll) französisches Geschütz kostete
imi^imi 17100 Francs
1870 2iJ700 „
1870—1881 34000
1875 107 700
1881 80000
Wenn wii' graphisch diese Zahlen daistellen, erhalten wir fol-
gendes Bild:
s 10.6-Cfntimft*T-GcsphätKi's
') "Wille: „Die Ripsen gesch atze". 1870.
•) Dredge: „Modem Frencli Artillei'j'". London 1892.
Stückzahl vmd Wert der Geschütze. 363
Es werden nun Zweifel erhoben, ob die Bereitstellung sogar dieser j^^^'jjj^^jf;^
beschränkteren Anzahl von Geschützen möglich sein wird. pieüeranff
In allen Staaten erfolgt die Kompletierung der Geschütze mit \JLn'
Mannschaften und Pferden erst während der Mobilisation. Den numeri- K'*««^^*"-
sehen Unterschied des Friedens- und Kriegsetats wollen wir an einem
Beispiele erläutern,
In Frankreich besteht in Friedenszeiten die Korps -Artillerie aus Friedens-
und
zwei Regimentern, die eine Brigade von 2600 Mann und 1600 Pferden Kriegseut
bilden. Nach dem Kriegsetat werden beide Ziffern auf 6000 gebracht. inFmnkrmrh.
Die Kompletierung der fehlenden Pferde, 4500 Stiick, erfolgt durch
Requisition; was die Kompletierung der Mannschaftsziffer durch 3500 Mann
anbetrifft, so stellt neun Zehntel die Reserve der aktiven Armee ; zu dem
letzten Zehntel werden Handwerker und Sappeurs genommen.
Es werden also zugeführt beinahe 60% Mannschaften aus der Re-
serve und auf ein geschultes Pferd werden drei von der Zivilbevölkerung
entnommen.
Auf die bei der Mobilisation eintretenden Mannschaften ist nicht ^^^7®''
viel zu rechnen. Man wird in den meisten Fällen Leute zur Bedienung die Artillerie,
heranziehen, die längst das Eingelernte vergessen haben und Mann-
schaften aufs Pferd setzen müssen, welche von der Sattelung und
Lenkung nichts verstehen.
Das bei der Mobilisation der Artillerie nötige Pferdematerial wii'd
ebenfalls Mängel aufweisen.
Von je 1000 im Lande vorhandenen Pferden sind für den Krieg Erforder-
•' ° licliee Pferde-
ZU nehmen: materialftlr
in Russland 13 d«» ^^^«
in den eln-
„ Frankreich 102 Minen
„ Italien 100 '''°'""-
„ Oesterreich 43
„ Deutschland 111
Auf den ersten Blick dürfte es scheinen, dass filr keinen Staat
besondere Schwierigkeiten vorliegen, von je 1000 Pferden etwas über
100 Pferde für Kriegszwecke zu nehmen.
Aber das Beispiel Frankreichs im Jahre 1870 liefert den Beweis,
dass es trotz aller Anstrengungen anstatt 2370 nur 1700 Geschütze
gegen den Feind zu verwenden gelang, weil statt der erforderlichen
51 000 Pferde nur 32 000 beschafft werden konnten.
Der „Schulmeister" wird besonders im Anfange der Kampagne Wichtigkeit
eine bedeutende Rolle spielen. Je gebildeter, je intelligenter ein Volk in Intelligenz,
seiner Gesamtheit ist, desto grössere Chancen hat es, für seine Geschütze
eine bessere Bedienung bei der Mobilisation zu erhalten. Was den
364 TI- Di» Taktik der ArtUlprie.
Wert der Geschütze anbetrifft, so wird viel darnber gestritten, welclie
Staaten die besten und \virksamsten Feldgeschütze besitzen.
d'^w^ Die dentschen Artilleristen behaupten, dass das deutsche schwere
iti Feldgeschütz den Leistungen der Geschütze der grösseren Artillerien
teils gleichsteht, teils überlegen ist.
Kapitän Moch hält das französische 90-Millimeter-Geschütz fllr das
mächtigste und die dadurch gegebene Ueberlegenheit für ganz erwiesen.
Oberst Engelhardt hat dagegen das russische leichte Feldgeschütz
für das beste erklärt.
Nach Longridge glauben die Engländer in ihrem 12-Pfünder C/84
das beste Geschütz der Welt zu besitzen.
Unwillkürlich wird durch diese Aussprüche, sagt General Müller*),
der Gedanke an Nathans Erzählung von den drei Ringen wachgerufen,
das mit der Nutzanwendung schliesst:
„Es strebe von euch ein Jeder um die Wette, die Kraft des
Steins in seinem Kinge an den Tag zu legen!"
Wart Um aber positive Daten zu erlangen, wollen wir den durch General
"«cfcsSe* Müller aufgestellten Vergleich für den Wert der Shrapnelschüsse an-
Angenommen, eine deutsche Batterie gebrauche zur Erreichung
einer bestimmten Wirkung 30 Shrapnelschüsse (240 Kilogi-amm Geschoss-
gewicht), so würde unter obiger Voraussetzung dazu nötig haben:
eine russische 10,67-('entimeter-Batterie 24 Schüsse (300 Kilogr.),
eine französische Batterie 36 Schüsse (312 Kilogramm),
eine österreichische und eine leichte russische Batterie je
48 Schüsse (340 Kilogramm),
eine englische 12pfHndige Batterie C/84 47 Schüsse (2(i7 Kilogi'.).
v«rgi.t«h Graphisch ausgedrückt, erhalten wir folgendes Bild.
Nihi«deii«n Anzahl der Schüsse Geschütze Qoscliossgewichtein Eilogranmi
Vergleich der 'Wirkcingeii von ShrapnelgescliossBii in den verschiedanen
St««ten für einen gleichen Effekt,
') „Die Wirkong der Feldgeschütze".
Trefifeicherheit der deutsehen Shrapnels in Meter.
13 g schwere Kugel, T^pus vom 11g schwere Kugel, Typua
Jahre 1882. Entfernung in Meter. vom Jahre 1891.
400 282
' t9
ünfltm M Stttt sei.
Wirkung des Infanterie- und Artilleriefeuers.
365
Wir ersehen aus allem Gesagten, dass als wahi'sclieinlich angenommen
werden kann, dass die heutigen Feldgeschütze unter normalen und sonst
gleichen Verhältnissen zur EiTeichung einer gleichen Wirkung annähernd
denselben Werth haben.
2. Vergleich der Wirkung des lufaiiterie-
uud Artilleriefeuers.
Die vernichtende Wirkung der Artilleriegeschosse erhellt am besten
aus dem Vergleich der Ziifer der durch Geschütz- und durch Gewelurfeuer
getroffenen Mannschaften. Versuche zur Erlangung von diesbezüglichen
Ergebnissen sind in Frankreich (bei Chalons) und in der Schweiz gemacht
worden, wobei man in der Schweiz die verheerende Kraft der Granate
gleich 100 Schüssen aus dem Gras-Gewehr Mod. 1874 gemessen hat. Als
Ziel diente eine Front, welche einer Infanterie -Kompagnie entsprach.
Die Versuche haben ergeben, dass bei Distanzen von mehr als 1000 Meter
ein einziger Kanonenschuss wirksamer ist als 100 Gewehrschüsse.
Auch hinsichtlich der Trefiweite und Ti^efisicherheit haben die
Geschütze einen Vorzug vor den Gewehren.
Der Unterschied zwischen der Entfernung, auf welche 90 Milli-
meter-Geschütze (7000 Meter) und 155 Millimeter-Geschütze (9500 Meter),
und der, auf welche mit gewöhnlichem Salpeterpulver geladene Gewehre
treffen, ist graphisch durch folgende Zeichnung ausgedrückt, die wir
dem bekannten Werk von Omega: „L'art de combattre'* entlehnen.
Versuche mit
der Wirkung
derArtillerie-
geschosse.
Vergleich
derTreffweite
der Geschütze
o. Gewehre
(DietanK).
90-Mlllimeter-Ge8chütz.
9S00
166-Uilliinetor-Geschütz.
Vergleich der Treffweite der Geschütze und Gewehre.
Die Treffweite kann übrigens nur dann wirklichen Wert vergleich
° der Troff-
beanspruchen, wenn sich dabei nicht der andere Vorzug des »Schiessens: Sicherheit
j«^m/r'i i^'i. «ji der(i08chütze
die Treffsicherheit, vermindert. und Gewehr«.
366
VI. Taktik der Artillerie.
Die Wirksamkeit sowohl des Artillerie- wie des Gewehrfeuers wird
am besten durch die Flachbahnfähigkeit des Geschosses dargethan, von
welcher die Grösse des bestrichenen Raumes abhängt, d. h. jenes Teils der
Schusslinie, auf welcher das Geschoss in M^nneshöhe sich bewegt. Die
bestrichene Strecke beträgt für die Flugbahn eines Kanonen-Geschosses,
welches auf 1800 Meter Entfernung vom Ziele, unter Anwendung des
gewöhnlichen Pulvers abgefeuert wird, 24 Meter, während sie für das
Geschoss eines Nicht -Kleinkaliber -Gewehres nur 5 Meter beträgt; beim
Artilleriefeuer beginnt ein so gering bestrichener Raum erst beim Schiessen
von 4600 Meter Distanz an.
Hieraus folgt, dass der Kanonenschuss eine weit grössere Treff-
sicherheit hat.
Die nachstehende Zeichnung aus demselben Werke von Om6ga
illustriert diese im Vergleich zum Gewehrschuss grössere Treffsicherheit
des Kanonenschusses. Für den Gewelu'schuss liegt schon bei einer
Entferaung von 2400 Metern die Wahrscheinlichkeit einer weit grösseren
Abweichung vom Ziele vor als dies bei Kanonen-Geschossen auf 4000 imd
selbst auf 7000 Meter der Fall zu sein pflegt.
Ueberhaupt ist die wahrscheinliche Abweichung vom Ziel beim
Schiessen aus Geschützen sehr gering. Für eine Entfernung von
1000 Metern übersteigt sie beim Schiessen aus 90 Millimeter-Kanonen
nach der Seite nicht 70 Centimeter und nach der Höhe nur 9 Meter, bei
einer Entfernung von 7000 Metern nicht 9,30 Meter seitwärts und 24 Meter
in der Zielhöhe.
Gewehnchnis.
KanouenscIiBss.
Vergleich der Treffsicherheit der Artillerie- und Gewehrschüsse.
Kampfwort Ocsterreichische Schiessversuche bei Brück 1886, welche zum Zwecke
einer Batterie
und des Vergleiches der Wirkungen einer schweren Feldbatterie zu 8 Ge-
Konipagnie. g^^jj^^^eu uud einer sehr gut ausgebildeten Jäger-Kompagnie von 210 Mann
veranstaltet wurden, ergaben bei einer Entfernung von 750, 1135 bezw.
Wirkung des Infantei'ie- und Ai'tilleriefeuers.
367
1500 Metern und bei 460 Figuren das folgende auf nachstehender Tabelle
gezeigte Resultat:
Ent-
Treffer
Ge-
Feuer
fernung
Verf eu e rt
in
troffene
Meter
Summa
Figuren
750
112 Granaten
820
333
der Batterie
1125
4 Granaten
1256
367
<
je 6 Minuten lang
78 Shrapnels
«j ^
1500
4 Granaten
66 Shrapnels
462
204
der Jäger-Kompagnie 1
je 3 Minuten lang |
750
3011 Geschosse
315
174
1125
1722 Geschosse
132
93
Wenn wii' diese Verhältnisse grapliisch darstellen, erhalten wir
folgendes Bild.
8 Geschütze
in 6 Minuten
Distanz
Meter
210 Gewehre
in 3 Minuten
333
367
204
750
Wk
174
1125
93
1500
Vergleich der "Wirkungen von 8 Geschützen mit der von 210 Gewehren,
ausgedrückt in der Anzahl der getroffenen Figuren.
Was die Vergleichsversuche bezüglich der Schusswirkung der bis '^^J»^»«?
Ende der 80 er Jahre gebräuchlichen Gewehre, mit Geschossgeschwindig- vergieich»-
keiten von etwa 450 Metern gegenüber der Artillerie bei etwa gleicher ,wi^"en g«-
Entfernung anbetrifft, so können folgende Sätze aufgestellt werden. ö!^^r^
Schon auf 1000 bis 1100 Meter verspricht eine Feldbatterie so viel Endender
Wirkung, wie ein Bataillon von 1000 Gewehren. f_!'''f?.'!^*"
Eine kriegsstarke Kompagnie kann aber auf Entfernungen von ®®^®^'«-
1000 bis 1200 Meter eine Batterie verhältnismässig schnell zum Schweigen
bringen und unter besonders günstigen Umständen auch noch auf
1400 Meter gute Wirkung erreichen, wenn ihr die Entfernungen bekannt
sind und sie nicht durch gegnerisches Infanterie- oder Ai'tiUeriefeuer
behindert wird. Die Artillerie wird demnach Entfernungen unter
1000 Meter im allgemeinen vermeiden müssen.
368
VI. Taktik der Artillerie.
Ver-
Bchiebang
dor Verhält-
nisse
zwischen
Geschtitz and
Gewehr
durch Ein-
fflhrang des
S-Millimeter-
Kalibers.
Ver-
besHerungen
in der
Granaten-
konstraktion.
Das deutsche Reglement sagt: „Im Gefechte gegen Artillerie ist zu
beachten, dass dieser Waffe die Ueberlegenheit des Feuers auf weiten
Entfernungen beiwohnt. Erst von 1000 Meter an gleicht sich das Ver-
hältnis aus; auf nähere Entfernungen gewinnt die Infanterie die Ueber-
legenheit."
Nach der Schiessvorschrift von 1887 sollte auf Entfernungen über
800 Meter nur ausnahmsweise gegen Ziele von grosser Ausdehnung ge-
schossen werden.
Die dargelegten, zwischen Gewehr und Geschütz bestehenden Ver-
hältnisse wurden durch die Annahme der Gewehre von 8 -Millimeter
Kaliber mit Geschossgeschwindigkeiten von mehr als 600 Metern zu
Gunsten dieser Gewehre verschoben.
Zur Klarlegung der Sachlage haben in vielen Armeen wieder Ver-
gleichsversuche zwischen Geschütz und Gewehr stattgefunden, und es
kann angenommen werden, sagt General Müller i), dass der Bereich der
Gewehrwirkung um 200 bis 300 Meter erweitert worden ist, während fiir
die Artillerie die Grenze des Vorgehens gegen Infanterie um das gleiche
Maass eingeschränkt, also auf 1200 bis 1300 Meter festgesetzt werden
muss. Die Bedingungen und Verhältnisse, unter denen im Ernstfalle
gefeuert wird, werden eine Verminderung dieser Zahlen herbeiführen.
Welche Bedeutung aber die Verschiebung der Verhältnisse zwischen
Gewehr und Geschütz haben wird, wird uns klar werden, wenn wir uns
die Wirkung der Artilleriegeschosse näher ansehen.
Die bei der Konstruktion der Granaten ausgeführten Verbesserungen,
welche wir angedeutet haben, sind so grossartig, dass alle Vergleiche
mit den entsprechenden Geschossarten, welche in den früheren Kriegen
angewendet worden, unhaltbar sind.
Langlois^) giebt, um den Unterschied zu vergegenwärtigen, folgende
Zusammenstellung :
Im Jahre 1870 zersprangen die Granaten je nach ihrer Art in
19 bis 30 Stücke, gegenwärtig zerspringen sie mindestens in 27, höchstens
in 240 Stücke.
Mindestens
27
1870
1891
Höchstens
»i« 4*1*
tutim
11«: S:ti:t:i::!5««i:::5:itt;:::!tt}!:!l:::i:::!:J5«:::::!:
240
Vergleich des Zerspringens der Granaten nach der Anzahl der Sprengstücke.
0 „Die Wirkung der Feldgeschütze".
') „Artillerie de campagne". Paris 1892.
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Einfagen bei Seite 869.
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Wirkung des Artillerie- und Gewehrfeuers.
369
Um aber die Bedeutung der stattgefundenen Veränderungen zu be-
greifen, müssen wir die Grundrisse und Trefferberge der Flächen, welche
durch Granatschttsse getrofl'en werden, veranschaulichen.
Folgendes Bild zeigt uns die Wii'kung von je drei Schüssen aus Wirkung
8,4-Centimeter-Geschützen auf 2000 Meter gegen 3 Scheiben. 8,4-centi-
meter-
Oesehütee.
SifA. Ckü' B^^cm. ^CAHAbcA^^M*.
9000 /MV
Wir ersehen schon aus diesem Bilde, wie ungleichmässig die Treffer- T"ffer-
Verteilung stattfindet. Zur besseren Veranschaulichung geben wir den
Durchschnitt von 2 Scheiben 1,8 Meter hoch, 20 Meter Abstand, auf
welche von einer Entfernung von 800 Metern aus 6-Centimeter-Geschützen
IB Einggranat-Schüsse abgefeuert wurden. •'^)
^&H9tv icX>4AJb4A/\, \im, Aocik/, 20m^ £l^o{cuu).
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10
Auch bei einer grösseren Anzahl von Schüssen bleibt die Verteilung
der Treffer eine ungleichmässige, wie das Bild in der Beilage, welches
die Wirkung von 40 Schüssen mit Doppelwand -Granaten aus neuen
*) Müller: „Wirkung der Feldgeschütze".
Bloch, Der sakfinftige Krieg.
24
370 VL Taktik der Artillerie.
östeiTeichischen 8,7-Centimeter-FeldJcaEoneE gegen drei 1,8 Meter hohe
Scheiben anf 2000 Meter Entfenmng veranschaulicht.
wiikDBt itt Da im künftigen Kriege statt Granaten hauptsächlich Shrapnels znr
Verwendung kommen werden, so müssen wir ans ihre Wirkung etwas
näher ansehen. Wir haben schon erklärt, dass feindliche Truppen
am ergiebigsten durch kleine Sprengstücke und Kugeln ausser Gefecht
gesetzt werden, welche sich nach dem Sprengen des Geschosses zer-
streuen. Für diesen Zweck sind speziell die Shrapnels bestimmt.
Um die bevorstehenden Neuernngen benrteüen zu kfinnen, muss
man sich über die Wirkung der Granate und des Shrapnels klar sein,
wie beide Geschosse zerspringen und mit Sprengstücken nnd Kugeln
einen Raum überschütten.
^nM*' ^'^ *°^ ^^'^ „Waffenlehre"*) entlehnten Zeichnungen stellen dar:
oiuuien- erstere die Explosion der Granate nach dem Aufschlagen auf dem Erd-
Eijioidm. jjjj^jgj^ yjj^ ^jg Streuung der Sprengstücke, die zweite den Explosions-
bereich der Shrapnels.
n der Granfite und AusHtreuung ihrer Splitter.
Explocionsbereic^li der Shrapnels.
Die Granatstücke streuen kegelartig, unter einem Winkel von
60 bis 90 Grad, je nach der Kraft der Ladung und der Umdrehungs-
geschwindigkeit der Granate im Verhältnis zu der Endgeschwindigkeit
ihres Fluges.
^ufd""" ^^ Streuwirkung des Shrapnels macht eine Zeichnung aus dem
siinpui- Werke des Oberst Marcillon^) klar, die nachstehend die Streuung von
*) Berlin 1891.
') „Modificationn h appoiter h. la tactique de rartillerie."
Wirkung des Artillerie- und Gewehrfeuera.
Kugeln und Sprengteüen der Shrapnels, welche ans einer Entfernung von
2000 Metern abgefenert sind, veranschanlicht.
Trefffläche bei der Shrapnel-Expli
Wir sehen, dass das Shrapnel sich zerteilt, nachdem es 30 Meter vom
Sprengpunkt durchmessen hat; bei 52 Meter ist die Ansbreitnng seiner
Kugeln uud Sprengstiicke noch nicht gross, bei 160 Meter ist deren Aus-
breitung aber bereit« eine solche, dass die AVirkung des Shrapnels seiner
Bestimmung entspriclit.
Die bestrichenen BodenÜilchen werden bei den Shrapnels mit voUer "
Spreiiggarbe als ganz geschlossen angenommen nnd zugleich in acht
einzelne Zonen zerlegt, wie Fig. 1 zeigt.
Die bestiichene Flache des Shrapnels mit hohlem Kegel wird etwa,
wie in Fig. 2 angenommen und ui sechs Zonen geteilt
372
VI. Taktik der Artillerie.
Der „Wert der Gefahr" wird für eine Zielhöhe von 1 Meter nach
einer besonderen Methode, und zwar für jede der oben bezeichneten
Zonen besonders, berechnet.
Geföhrdete ^g Wcrtc für die gesamte gefährdete Zone, welche die Zerstömngs-
bei ver- kraft odcr den absoluten Wert des Shrapnels darstellen , werden be-
Ent- iCt-llllot.
fernnngeu.
Für die Entfernung von
1500 m
2500 m
3500 m
4500 m
Für die vollen Shrapnels
Für die hohlen Shrapnels
3387
1616
1779
953
1147
964
757
864
Die vollen Shrapnels sollen demnach auf kleine Entfernungen den
hohlen enorm überlegen sein; auf etwa 4000 Meter scheinen beide in
Bezug auf Zahl der Treffer ziemlich gleich zu stehen.
Vergleiche der Spuren von 1000 Gewehrkugeln, welche von Schützen
in Bataillonsfront abgefeuert sind, mit der Wirkung der Shrapnels haben
gezeigt, dass ein einziges Shrapnel einen Raum von doppelter Länge und
dabei nicht geringerer Breite beherrscht. Die Versuche haben weiter
ergeben, dass diese Geschosse jetzt eine Streuung von 800 Metern Länge
und 400 Metern Breite erreichen.
streuuug»- Auf dcr nachsteheudeu Zeichnung ist der Streuungskegel eines
shrapneiB. Sbrapucls dargcstcllt, wie solcher 1879 in Calais an der sandigen Meeres-
küste beim Schiessen aus einem 9-Centimeter-Geschfitz beobachtet wurde,
wobei jedes Quadrat der Zeichnung 100 Meter Seitenlänge vorstellt.
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•
• •
•
Streuung eines Shrapnels auf dem Sande.
Grundrisse Die Wirkuug der Shrapnels wird uns aber noch klarer werden aus
Streugarben, folgcndeu Büdem, welche die Grundrisse der durch die Streugarben
4.
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4^
■1 J-
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■ ■ • ■ 1
S' • • . • •' •
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■»•X? ** ^»'0 »* ^«'0 » * *»«!p ** ■**«'» *« '"•"o * • ^••V >« *•** »« *»»1P »
Eänfftiran bei Seite 87S.
Wirkung des Artillerie- ood Gewehrfeuers. 373
getrofienen und gefährdeten Flächen durch ein einziges 8,4-Centuneter-
ROhren-Shrapnel (Fig. 1) nnd durch ein Bodenkammer -Shrapnel (Fig. 2)
darstellen.
Die Wirknng von 8 Schüssen mit 7^-Centimeter-Bodenkammer-
Sbrapnels anf 2000 Meter gegen drei Scheiben, Infanterieziele darstellend,
zeigt nns das Bild in der Beilage.
Eine natürliche Folge dieser Strenni^ von Kugeln and Sprenpr- ^J^"^
stücken ist eine verhältnismässige Herabsetzung ihrer Durchschlagskraft, ftiiigk.it der
in Folge dessen Shrapnels auch nur gegen Tnippenkörper zni- Ver- aoTgig^l
Wendung kommen. In einer gewissen Höhe explodierend und dem- \"J'^"
nach von Terrainunebenheiten unabhängig, ist das Shrapnel ans grosser
wie kürzerer Entfernung gleich wirksam, wenn nur eine genügende
Triebkraft der Sprengstücke erhalten bleibt, um Leute nnd Pferde so zu
trefien, dass sie aus der Front ausscheiden müssen.
Wir haben schon betont, dass die Anfangsgeschwindigkeit der Ge- j^,' AnSi''.
Schosse gegenwärtig die Grundlage für die Bestimmung des Wertes der gwi*.rii.dig-
Handfeuerwaffe abgiebt, da von ihr die Neigung der Flugbahn und die aJ.\om.
Durchschlagskraft abhängt.
Dasselbe gilt auch bis zu einem gewissen Grade von der Anfangs-
geschwindigkeit der Artillerie-Geschosse, denn ihre Kraft zu verwunden
hängt hauptsächlich von der Fluggeschwindigkeit ab, welche das Geschoss
im Moment der Explosion noch besitzt. Es kann nicht bezweifelt werden,
dass die Artillerie-Technik ohne Zögern ans dem rauchschwachen Pnlver
Nutzen ziehen wird, da es eine 3 — 4 mal grössere Sprengkraft besitzt
als das gewöhnliche Pulver.
374 VI. Taktik der Artillerie.
Bedeatung Und in dcF That wird zum Forttreiben der Geschosse rauchschwaches
der Spreng^-
kpaft der Pulvcr angewandt, während Granaten und Shrapnels nicht mit Pulver^
^xlT sondern mit Melinit oder Sprengbaumwolle geladen werden, in Folge
dessen die Geschosse, wie in Deutschland stattgefundene Versuche zeigen,
in eine weit grössere Anzahl von Stücken zersprengt werden, so dass
dasselbe Geschoss, welches bei gewöhnlichem Pulver 37 Stücke
gab, jetzt deren bis 800 giebt. Eine gusseiserne Bombe von
37 Kilogramm Gewicht, die mit Pulver geladen ist, explodiert
in 42 Teile, bei der Ladung mit Sprengbaumwolle dagegen in
1204 Stücke.6)
Vergleich Pulver Pyroxüin
der Spreng-
krait
der Pulver- 37
u. Pyroxilin-
ladung.
42
Bomben
Shrapnels MHlllmjItnlliliiilllliliitl^ I90A
Vergleich der Zahl der Sprengstücke bei der Ladung mit Pulver und mit
Pyroxilin.
Hierbei fragt es sich jedoch, ob die Sprengpartikel bei einer so
weitgehenden Zerstückelung des Geschosses noch die genügende Kraft
entwickeln werden, den Gegner zu verwunden?
Notwendige Profcssor Lauglois hat berechnet, dass eine Kugel aus einem
Minimal-
geachwindig- artilleristischen Sprenggeschoss, um den Soldaten sogleich kampfunfähig
d. Geechosee, ZU machcu, ciuc Miiümalgeschwindigkeit des Fluges von 77 Metern in der
um Mann- Sekuude für die Bleikugel von 15 Gramm haben muss, während für die
scharten and ^ '
Pferde Stahlkugcl vou 10,6 Gramm (welche dabei die gleiche Grösse hat wie die
setzen. Blcikugcl) die Minimalgeschwindigkeit nicht weniger als 91 Meter in der
zn
Sekunde betragen darf. Um ein Pferd ausser Dienst zu setzen, muss
die Minimalgeschwindigkeit 166 resp. 175 Meter betragen. Es ist be-
greiflich, dass das Anprallen des Geschosses um so kräftiger sein wii-d,
je bedeutender die Triebkraft (Wirkung der Ladung) d. h. je bedeutender
die Anfangsgeschwindigkeit ist.
Steigerang ßeim ScMesseu selbst von 3000 -Meter -Distanz mit den jetzigen
der Kraft. '' ^
Geschossen, die eine Anfangsgeschwindigkeit von ca. 640 Meter haben,
beträgt die Anschlagskraft noch immer 260 Meter, so dass demnach die
von Bomben und Granaten selbst von mehr als 30(X)-Meter-Distanz aus-
gestreuten Kugeln noch Menschen und Pferde töten werden. Auch ist
zu bemerken, dass jetzt die Anfangsgeschwindigkeit der (Geschosse
bereits 8(X) Meter erreicht, demnach also im künftigen Kriege noch über-
raschendere Resultate zu erwarten sein werden. Was den Flug der
Sprengstücke und Kugeln betriflFt, die nach Zerspringen des Geschosses
^) Langlois: „Artillerie de ciiinpagne."
"Wirkung des ArtOlerie- und Gewehrfeuers. 375
ausgestreut werden, so sind sie nicht nor in der Nähe der Explosionsstelle
wirksam, sondern fliegen und treflFen bei der nunmehrigen Anfangs-
geschwindigkeit auf EntfeiTiungen von 200 Metern von dem Sprengpunkt
und darüber.
Es war für die Beurteilung des zukünftigen Krieges von besonderer Materielle
Wichtigkeit, dass wir uns die Grösse der Fläche verdeutlicht haben, welche wirknngen
von den Artillerie-Geschossen bestrichen werden wird, da wir uns in der gescwr
Folge häufig nicht nur auf den Unterschied in den materiellen Ver-
wüstungen berufen werden, welche die Geschosse künftig im Vergleich
zu früher im Gebiet des von ihnen beherrschten Raumes hervorbringen
werden, sondern auch auf die moralische Wirkung, welche demnächst
durch die Geschosswirkung auf die Truppen ausgeübt werden muss.
Ausserdem aber kommt noch der Umstand in Betracht, dass bei st"»"«"^^-
der gegenwärtigen zerstreuten Kampfordnung die Wirkung der Geschosse
ganz von ihrer Streuung abhängig sein wird. Es können Lagen vor-
kommen, wo beim Angrifi derartige Verluste entstehen können, dass die
Nerven der Stürmenden sie nicht ertragen werden.
General Müller giebt uns folgende Erfahrungssätze für die Wirkung
der gebräuchlichen Geschosse.
Beim Schiessen mit 8,7-Centimeter-Granaten gegen eine Kompagnie ^||j['2^f "
ist die Zahl der getroftenen Mannsbreiten nachstehende: Auf 1150 bisaie wijknng
1500 Meter sind durch 20 Granatschüsse ausser Gefecht gesetzt im Mittel oxaDrten.
Ve Ms Vs der Zahl der liegenden Schützen,
i/ö bis V4 V der knieenden Schützen,
% n der stehenden Schützen,
V2 n des stehenden Soutiens,
V7 bis Ve n des stehenden Gros.
Auf 2400 Meter sind durch 28 Schüsse ausser Gefecht gesetzt :
^/7 der Mannsbreiten der stehenden Schützen,
V? n n des „ Soutiens.
Da die Trefipunkte meist hinter der Schützenlinie lagen, wurde die
Wirkung gegen die Soutiens wesentlich gesteigert, so dass auf 1100 bis
1500 Meter von der ganzen Zahl der liegenden, der knieenden Schützen
und der Mannsbreiten des Soutiens durch 20 Schüsse etwa »/g ausser
Gefecht gesetzt worden sind.
Es lässt sich annehmen, dass bei zweckmässiger Feuereinteilung die
ganze Schützenlinie und das Soutien auf 1100 bis 1500 Meter durch etwa
40 Schüsse, auf 2400 Meter durch 36 bis 40 Schüsse ausser Gefecht gesetzt
worden wären. Diese Zahlen, bemerkt General Müller, haben aber nur
376
VL Taktik der Artillerie.
bedingte Gültigkeit, denn sie hängen natürlich durchaus von dem mehr
oder minder genauen Einschiessen ab.
Erfahnings- \yas die Erfahmngssätze für den Shrapnelschuss betrifft, so lassen
shnipneiB. sich uach Greneral Müller aus Versuchen, die mit 30 bis 36 Meter langen,
1,7 Meter hohen, in je 20 Meter Abstand aufgestellten Scheiben angestellt
wurden, für den einzelnen Schuss folgende Mittelzahlen ableiten, die den
Prozentsatz der scharf treffenden Sprengteüe und die getroffenen Manns-
breiten bezeichnen:
Wirkung
einer
Batterie
gegen
Sohfltzen-
linien.
Entfernung
Meter
1500
2000
2500
Scharf treffende
Sprengteile auf der
ersten Scheibe
19 0/0
11 o/o
6 bis 8 o/o
Getroffene Mannsbreiten auf der
ersten bis dritten
Scheibe
ersten Scheibe
14 bis 18
14 bis 18
10 bis 14
40 bis 48
38 bis 44
30 bis 36
Auf 3000 Meter Entfernung und darüber nimmt der Prozentsatz an
matten Treffern stark zu, ein Beweis, dass die den Sprengteüen im
Sprengpunkt gegebene höhere Geschwindigkeit bald unter das erforder-
liche Maass herabsinkt.
General Rohne giebt folgende Berechnung der Wirkung einer
Batterie gegen Schützenlinien, wobei die Dauer des Einschiessens auf
1/2 Minute und die Feuergeschwindigkeit auf 10 Schuss in der Minute
angenommen wurde. '^)
Ent-
fernung
Zeit
Stärke der beschossenen Schützenlinie.
80 Schützen
120 Schützen
160 Schützen
Ziel
Ge-
Ge-
Ge-
Treffer
troffene
Figuren
Treffer
troffene
Figuren
Treffer
troffene
Figuren
Meter
Minuten
Prosent
Prozent
Prozent
800
2V2
45
43
45
31
1
i 45
24
Brustscheibe *
1000
1200
3V>
5V2
59
88
52
67
59
88
39
52
59
88
31
42
■
1500
7V>
112
75
112
60
112
50
800
2V2
80
63
80
49
80
40
Rumpf-
1000
3V2
105
73
105
58
105
48
Scheibe
1200
5V2
154
85
154
73
1 154
62
■
1500
7V.
202
92
202
82
202
1
72
^) General Rohne : „Beurteilung der Wirkung und über Stellung von Auf-
gaben beim gefechtsmässigen Schiessen^ im „Militär -Wochenblatt", 1895,
Treffsicherheit von je 50°:o deutscher Geschütze
mit Schlagröhre.
Mot™ i„ M.iT Ziellang. in Mettr.
13.2 60
Mit Distanzröhre.
19.3
Kraft der modernen G-eschütze.
377
Diese Zahlen stammen aas den Schiessergebnlssen der deutschen
Armee. Selbstverständlich können die Resultate bei den anderen Heeren
abweichende sein.
Um die ffi'osse Bedeutung der Ausbildung der Artillerie-Mannschaften Kinflusa dor
" Ansbildnng
und der Leitung klar zu legen, wollen wir noch auf folgende Ergebnisse der Mann-
j -rr 1 n 1 1 . schalten auf
der Versuche aufmerksam machen: dem schuas.
Von 100
Granaten
Shrapnels
sind beobachtet Prozent
richtig
fraglich
falsch
richtig
fraglich
falsch
62,5
25,6
8,9
62,7
31
6,3
69,3
23,8
6,9
63,7
31,7
4,6
79,3
14
6,7
69
23,7
7,3
65,7
25,5
•8,8
55,2
39,2
5,2
Von 100 vor dem Ziele beobachteten
Shrapnels waren
richtig
fraglich
falsch
68
26
6
1
Von 100 hinter dem Ziele beob-
achteten Shrapnels waren
richtig
fraglich
falsch
1
1
41
33
26
3. Kraft der modernen Geschütze im Vergleich
zn den früheren Geschützen.
In den zu Anfang unseres Jahrhunderts geführten Kriegen wurde Treir-
. -r^ 1 wabrechein-
angenommen, dass ein 18 Fuss hohes, 24 Fuss breites Rechteck von iichkeit
1150 MeteiTi Entfernung (1680 Schritt) aus nur von einem Sechstel der d^^j^r-*
Kugeln mit einiger Wahrscheinlichkeit getroffen werden könnte.^) hunderta.
Ueber die thatsächlich zu erwartenden Wirkungen des damaligen '^g^jf^^'*'
eine so hohe Bedeutung habenden Kartätschschusses macht Schamhorst
*) Scharnhorst.
378 ^' Taktik der Artillerie.
folgende Angaben: Wenn man in einem nicht sehr nnebenen Terrain
gegen eine bietteme Wand mit Kartat^schen feuert, jede Bachse zn
41 Knireln nnd jede zu soviel Lothen. als die Kanonenkugel Pfunde wiegt,
m trifft man mit dem
12-Pffinder auf 750 Meter \
6 „ „ eOO „ [ mit ungefähr 7 Kugeln.
3 „ „ 490 „ I
Iliese Kugeln treffen zwar die bretteme Wand, aber bei weitem
nicht die Hälfte dringt durch die 19.7 bis 26,2 Millimeter starken Bretter
von Tannen- oder Fichtenholz; die übrigen haben zum Teil nicht soviel
Kraft, dass sie noch eindringen, sie können daher nur Kontusionen ver-
ursachen.
£ine Infanterielinie ist ungefähr 1,9 Meter hoch, und 6s würden sie
also bei der oben erwähnten Entfernung nur BV4 Kugeln treffen.
Dies ist der Effekt in nicht ganz unebenem Terrain; in sehr
unelienem ist er dagegen noch weit geringer, und mehrere Versuche
haben den Verfasser überzeugt, dass, wo wegen Unebenheiten des Terrains
kein Eicochettieren der Kugeln stattfand, nur die Hälfte der Kugel-
anzahl in die Wand eindrang. Dagegen ist die Wirkung aber auch auf
völlig ebenem und hartem Boden wieder bedeutend grösser.
Hierbei ist übrigens nun noch vorausgesetzt, dass jedesmal die zu
der Distanz passende höhere Richtung gewählt ist; wird diese verfehlt,
so ist auch natürlich die Wirkung um Vieles geringer.
/leriBge Die thatsächliche Wirkung der Hauptgeschosse der heutigen Feld-
d«r««ciio»-geschtitze, der Granaten und Shrapnels, hat ebenfalls den Streugeschoss-
i. Krii"u>ir. Charakter. Wir werden aber bald sehen, wie gross die Unterschiede sind. 2)
Die im Krimkriege in Gebrauch gewesenen glatten Geschütze waren
in ihren Leistungen den zu Anfang des Jahrhunderts gebrauchten wenig
überlegen.
Das Aufgeben der Tiefengefechtsstellungen hatte den Wert der
Vollkugeln bedeutend herabgesetzt, die Steigerung der Kartätschen und
Shrapnelwirkungen blieb aber immer noch eine unbedeutende.
Die schon nach den Erfahrungen des Krimkrieges gebauten glatten
Geschütze lieferten ebenfalls wenig befriedigende Resultate.
Wenig bo- Die bei den Schiessübungen der österreichischen Truppen in den
Kasiütato Jahren 185f) und 1857 gegen 2,7 Meter hohe, 36 Meter lange, in Abständen
Erfahrenden ^^'^ ^"^»^ Mctem aufgestellten Scheiben erreichten Trefferzahlen für den
t**! ^^chiiss mit Shrapnels mit tempierbarem Zünder waren folgende:
(pebiDten . -- ._
glatten (le-
•chatt«. ') Müller: „Die Wirkung der Feldgeschütze".
Kraft der modernen Geschütze. 379
Entfernung
H«tM
6-Pfnnder
leichter
12-Pfünder
leichte schwere
Haubitze
450 bis 600
26 bis 30
90 bis 100
130 bis 150
150 bis 160
675 „ 750
20 „ 24
80 „ 90
80 „ 100
130 „ 140
876 „ 900
16 „ 20
50 „ 70
110 „ 130
900 „ 1050
60 bis 70
90 „ 100
1126 „ 1200
20 . 40
70 „ 80
In den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts, betrug die Anzahl
TreflFer in eine 6 Fuss hohe und 90 Fuss breite Bretterwand von
100 vSchüssen auf 1100 Meter (1600 Schritt) im Bogenschuss bei der
6pfundigen Kanone nur 16. Der Rollschuss sogar konnte nur auf nicht
mehr als 1360 Meter (1800 Schritt) abgegeben werden. Mit Shrapnels gegen
9 Fuss hohe und 90 Fuss breite Bretterwände konnte man auf 730 Meter
(1000 Schritt) aus dem Gpfündigen Feldgeschütz nur 16 ausser Gefecht
setzende Treffer von einem Schuss erhalten. Ueber 900 Meter (1200 Schritt)
waren die Shrapnels des 12 pfundigen Feldgeschfitzes schon zu wenig
ergiebig, da nur 28 ausser Gefecht setzende Treffer von einem Schuss
erzielt wurden. »)
Mit der Einführung der gezogenen Geschütze hat sich aber die Fortschritt
durch
Sachlage verändert. Einführung
gezogener
Gegen ein Rechteck von 30 resp. 60 Schritt wurden Treffer erzielt oeschütie.
bei einer Entfernung von 1600 Metern (2000 Schritt) aus einer schweren
16 Centimeter-Granatkanone — glattes Geschütz 13 %, gezogenes 77 %.
Also die Trefffähigkeit .vergrösserte sich 6 Mal. 4)
Nach den Angaben des Generals Müller lieferten also die Versuche
mit gezogenen Feldgeschützen bis zum Anfang der 70 er Jahre den
Beweis, dass die Grenzen der Wirksamkeit der gezogenen Geschütze in
folgendem Maasse erweitert worden waren.
Der an die Stelle des Kugelschusses getretene Granatschuss hatte o«»«™!
die Grenze für die grössten anwendbaren Schussweiten von 1200 Metern die erweiterte
bis gegen 3000 Meter, die Grenze für die Gebrauchsentfernungen von " Tn *'
1000 Metern bis auf etwa 1800 bis 1900 Meter, die für die entscheidende S'T^l*"
' Geechfttxe.
Wirkung von 600 Metern bis auf etwa 1200 bis 1500 Meter hinaus-
geschoben.
Der Shrapnelschuss hatte wegen des nicht länger brennenden
Zünders etwa 2200 Meter als grösste Schussweite, 1800 Meter als Ge-
') Abhandlung über das Sohiessen und Werfen von Geschützen, Berlin 1855.
*) Maudry: „Waffenlehre".
^
880 ^^ Taktik der Artillerie.
brauchsentfernung und 1500 Meter als obere Grenze für die entscheidende
Wirkung.
Durch den Granatschuss waren also die grössten anwendbaren
Schussweiten etwa 2V2 Mal, die Gebrauchsentfemungen beinahe doppelt
so gross geworden als früher.
Der Shrapnelschuss hatte seinen Wirkungsbereich auf doppelte
Entfernung gebracht, und erreichte die früher für die Entscheidung in
Betracht kommende Kartätschwirkung auf vier- bis fünffacher Entfernung.
Durch den Wegfall der Vollkugeln wurde die zerstörende Wirkung
gegen Geschütz- und Wagenmaterial bedeutend herabgedrückt. Schon im
Kriege 1866 waren die Materiakerstörungen sehr unbedeutend, und im
Kriege 1870/71 hatte die gesamte preussische Artillerie (1278 Geschütze)
nur 2 demontierte Rohre, 14 demontierte Lafetten und 7 zerschossene
Protzen; 11 Protzen flogen in die Luft.
Der Wert des Kartätschschusses war noch mehr herabgedrückt
worden; seine Wirkung reichte nur bis 600 Meter, während die der
Gewehre sich schon auf 600 Meter für die Artillerie sehr empfindlich
fühlbar machte.
So war der Verbrauch von Kartätschen im Kriege 1870/71 ver-
schwindend klein.
Obschon im Kriege 1870/71 die damals auf der Höhe der Zeit
stehenden preussischen Geschütze selbst ohne Shrapnels Alles und teil-
weise sogar mehr geleistet hatten, als man erwartet hatte, wurde nach
dem Kriege doch noch eine Wirkungssteigerung verlangt.
Gniwiciceiaucr Es bcgauu eine neue von uns schon in dem Abschnitt „Artillerie-
dee Geechttt»- ^ ^
Wesens Geschütze und -Geschosse" dargestellte Periode in der Entwickelung der
seit 1870. (jßschütz- und Geschosskonstruktionen.
Um dem Laien ein konkretes Bild von den erzielten Resultaten
zu geben, seien ein paar Vergleiche angeführt.
Wirksamkeit Lauglois stcllt folgcudc Vergleichuug der neuen Feld- Granaten,
der heoUgen »-»»-*«
«nd die aus 90 Millimeter - Feldgeschützen abgefeuert werden, mit den
^*' Frtd*"*" Granaten auf, die im Kriege des Jahres 1870/71 aus den früheren
gescbfitze. schwersten Geschützen (120 Millimeter) abgefeuert wurden.
Nehmen wir an, eine Batterie von 90-Millimeter-Geschützen soll
in eine Wand von 2 Meter Höhe eine Bresche von 20 Meter Breite
schiessen.
Eine Batterie solchen Kalibers kann leicht 6 gut gerichtete Schüsse
in der Minute abgeben; für die gegebene Aufgabe sind demnach
is8/g = 22 Minuten erforderlich; fügen wir noch 8 Minuten für das Richten
Kraft der modernen Greschütze.
381
hinzu, so kann die Bresche in Vs Stande gelegt sein, wozu gegen
150 Schüsse erforderlich sein werden.
Oniwien nit
Kageln des
00-Millimeter-
Kalibera
Frflliera
gewöhnUche Gnoaten
▼om
la-Centimater-Kaliber
Wahrscheinliche Höhenabweichung . . .
Faktoren der Wahrscheinlichkeit des Treffens
Wahrscheinlichkeit, die Wand zu treffen .
Zahl der Schüsse für die Einschiessung . .
Zahl der Schüsse nach Verbesserung der
Richtung
Gewicht der abgefeuerten Geschosse (Kilo-
gramm)
Zahl der geleerten Munitionswagen . . .
Erforderliche Zeit nach Verbessserung der
Richtung
1,60
0,62
0,30
28
130
1104
2
23 Min.
5,00
0,20
0,10
40
280
3360
6
1 Std. 33 Min.
Die Betrachtung dieser Tabelle — fügt Langlois hinzu — zeigt,
welches Interesse diese Angaben im taktischen Sinne haben.
Wenn wir sie graphisch ausdrücken, so erhalten wir folgendes G"pfc"ciier
Besultat:
I
Frühere Geschütze.
Heutige Geschütze.
Höhenab we ichaog.
0.10
m
il
Wahrscheinlichkeit,
die Wand za treffen.
O^Q
Wirksamkeit
der heutigen
und
der früheren
Feld-
geschütze
beim Bresche-
Bchiessen.
6
I
93
40 I
li
Zahl der Schüsse für
die Einschlesaang.
Zahl der Schüsse naoh
Terbeeeerter Biehtnng.
Gewicht d. abgefeaeri.!
Geschosse i.Kilo-Tans.
Zahl der geleerten
Mnnitiona wagen.
!NaohVerbe88.d. Rieht
erforderl. Zeit in Min.'
{28
Fwmi
u
Ergebnisse zur vergleichenden Bestimmung der Wirksamkeit der heutigen und der
früheren Feldgeschütze zur Legung einer Bresche von 20 Meter Breite in eine Wand
von 2 Meter Höhe.
382 VI. Taktik der Artillerie.
Wir sehen, dass dort, wo früher ein Aufwand von 6 Munitions-
wagen mit Geschossen erforderlich war, jetzt deren 2 genügen und dass
für die einzelnen Thätigkeiten jetzt nur 1/4 der Zeit erforderlich ist, die
bei den 1870 gebrauchten Geschützen nötig war. Die Treffwahi-schein-
lichkeit für das Schiessen aus den neuen Geschützen ist 0,30, während
sie für die alten Geschütze 0,10 betrug,
ver- ^fl[Q gesagt, ist die Spannung, welche sich bei Entzündung des
d6B Gewicht. neuen Pulvers entwickelt, dreimal stärker als die frühere. In der Be-
^ui^i"* fürchtung, dass die Wände des Geschützrohres und des Verschlusses
'*^»udi-^**' ^^^* genügend stark sein werden, hat man mit Einfuhrung des rauch-
Dohwachen schwachcu Pulvcrs das Gewicht der Ladung bedeutend vermindert.
Pulvers.
In Frankreich z. B. wendet man statt 1900 Gramm des früheren
Pulvers, 420 Gramm des neuen an.^) Demnach sind augenscheinlich das
Artillerie-Material, die ganze technische Organisation und selbst die
Schusstafeln unverändert geblieben, weil Anfangsgeschwindigkeit Rasanz
und Weite der Flugbahn blieben.
Anzeichen sprechen jedoch auch dafür, dass vielleicht doch nicht
Alles unverändert geblieben ist. Der Krieg kann leicht Ileberraschungen
bringen !
Geaerai wiue Der prcussische General Wille ß) sagt hinsichtlich der künftigen Vervoll-
fiber die
künftigen kommuungen der Artillerie-Technik etwa Folgendes : „Es ist die Meinung
kol^aogen Verbreitet, dass die Möglichkeit eine Anfangsgeschwindigkeit der Geschosse
'"'"'tic'hnit**" ^^^ 800 und 1000 Metern statt der jetzigen von 374 bis 455 Metern 7)
zu erreichen ein rein theoretischer Wunsch sei. Unlängst noch konnte
eine solche Meinung als richtig gelten, aber seit Einführung des rauch-
schwachen Azotpulvers ist die Möglichkeit, diese Geschwindigkeit zu erzielen,
nicht nur wahrscheinlich, sondern sogar unzweifelhaft, und dies umsomehr,
als die Herstellung des Azotpulvers sich fast täglich veiTollkommnet." Es
ist eine nicht mehr zu bezweifelnde Thatsache, dass die Firma Krupp
für Geschosse von 108 Kilogramm Gewicht eine Anfangsgeschwindigkeit
von 700 Metern in der Sekunde garantiert, doch besteht auch die Mög-
lichkeit, eine Schnelligkeit der Geschosse von 800 und von 1000 Metern
zu erreichen. Sehen wir nun, welchen praktischen Nutzen diese Vervoll-
kommnung bringen wird. General Wille projektiert die Herstellung von
7-Centimer-Geschützen und zeigt, dass bei einer Anfangsgeschwindigkeit
der Geschosse von 800 Metern die Treffweite und Wirksamkeit des Schiessens
*) Nach anderen Quellen werden anstatt 100 Gewichtseinheiten dos früheren
Pulvers — 38 des neuen angewandt.
«) „Das Feldgeschütz der Zukunft." Berlin 1891.
^) Ardouin-Dumaret: „L'arm^e et la flotte de 1891 a 1892."
f
Kraft der modernen Geschütze. 383
die jetzt erreichten Eesultate bedeutend übertreffen wird. Die Geschosse
solcher neuen Geschütze werden auf Entfernungen von 3400 bis 6000 Metern
eine solche Geschwindigkeit besitzen, wie sie jetzt bei Entfernungen von
nicht mehr als 1000 und 3000 Metern erreicht wird.») General Wille be-
rechnet, dass die treffbare Fläche sich bei der Anfangsgeschwindigkeit
von 1000 Meter vergrössert:
bei der Distanz von 1000 Metern um 210 %
. „ „ „ 2000 „ „ 1.330/0
« „ „ „ 3000 „ „ 890/0
Das Werk des Generals Wüle, dem wii* diese Angaben entlehnen, hat AUpmeiuer
EiodmcK
in den Kreisen der ausländischen militärischen Fachkenner einen tiefen der Aaa-
Eindruck hervorgerufen und Anstoss zu einem Meinungsaustausch gegeben, 'wuu^a!"
wie er über einen militärischen, speziell artilleristischen Gegenstand kaum
seines gleichen hat. Das Interesse für diesen so hochwichtigen Gegen-
stand ist weit über die Fachkreise hinausgedrungen. Die Vergangenheit
des Generals, seine hohe Stellung, seine grosse Autorität als Militär-
schriftsteller berechtigen zu der Annahme, dass seine Voraussetzungen
schwerwiegende Gründe haben. ») Dann aber hat man zu fürchten,
dass, sobald eine Grossmacht sich zu weitgehenden Veränderungen
in ihrer Artillerie - Bewaffnung entschliesst, die anderen Staaten ihr
wohl oder übel werden folgen müssen, was wiederum zu einem gewaltigen
Anwachsen der Ausgaben für Eüstungszwecke führen und eine fieber-
hafte Thätigkeit der Erfinder auf dem Gebiet neuer Vervollkommnungen
hervorrufen wird.
Schon jetzt erklären manche Militärschrif tsteller, lo) dass der einzige
Grund für die Unentschlossenheit bezüglich der ümbewaffnung der
Artillerie nicht die Furcht vor einmaligen ausserordentlichen Ausgaben
ist, sondern die Sorge, dass die Nachbarstaaten unverzüglich nachfolgen,
vielleicht sogar noch weitergehende Vervollkommnungen einführen werden.
Diese Befürchtung führt dazu, dass alle bezüglichen Veränderungen streng
geheim gehalten werden.
Früher oder später jedoch wird es glücken, den Vorhang zu lüften ^""®^®"
und alsdann wird der Wetteifer von Neuem beginnen. Gleichwie man Bevorstehen
aus einzelnen Erscheinungen eine bevorstehende Umwälzung im Organismus 'miwer**
bisherigen
Teohnik.
^) Die russischen Batteriegeschütze geben eine Anfangsgeschwindigkeit von
374 Metern, die leichten von 442 Metern, die der reitenden Artillerie von 412 Metern.
®) Wir bemerken, dass Professor Potozki den Ansichten Wille's zustimmt
und erklärt, dass die Anfangsgeschwindigkeit des Greschosses bis auf 1000 Meter
gebracht, d. h. die jetzige fast verdoppelt werden kann.
***) Capitain Moch: „Notes sur le canon de campagne de Tavenir." Paris 1892.
384 VL Taktik der ÄrtiUerie.
vorhersehen kann, so lässt sich aach aas manchen Anzeichen aaf das nahe
Bevorstehen eines Braches mit der bisherigen Technik schliessen.
In Deutschland eröffnet der Reichstag immer grössere Kredite fUr
die Umbewaffnung der Artillerie; ausserdem werden noch BeiUrchtungen
laut, dass die Regierung ffir diesen Zweck auch andere ihr zur Verltlgang
stehende Mittel verwendet. Femer verlautet aus der Fachpresse, dass in
Deutschland für die neuen Kmpp-Oeschütze Roburit-Ladungen eingeführt
werden.
Endlich haben wir schon wiederholt daran erinnert, dass die mensch-
liche Erfindungskraft unbegrenzt ist.")
Von der weiteren Anwendung der Kraft des rauchschwachen
Pulvers lässt sich vielleicht schon in naher Zeit ein Resultat er-
warten, wonach alle Mächte genötigt sein weiden, ihren so kostspieligen
Krapp- ") Als weiterea Beweis wollen wir folgendes aafiihreii: Auf der Auastellung
In chiago ^'* Chicago befand sich ein Erupp-Ge3chüta, dessen Geschosse, wie die von
Krupp herausgegebene Broschüre erklärt, Zielobjekte auf 20 Kilometer Diatanz
zu treffen vermögen. Dieses Geschütz wiegt 3844 Kilogramm und hat einen
Durchmesser von ca. 35 Centimeter. Zur Ladung mit dem 237 Kilogramm
w^iegenden Geschoss kommen 126'/i Kilogramm Pulver in Anwendung. („Uevue
Encyclopödique". 1893.)
Krapp- Die Krupp'sche Fabrik stellt femer gigantische Kanonen zum Schutz
"^^^^^'der Elbe-Forts her, Ihre Länge beträgt 14 Meter, das Gewicht einer jeden
112400 Kilogramm. Das Gewicht des Geschosses ist 1000 Kilogramm, der
Ladung 410 Kilogramm; die grösste Treffweite beträgt SSÖO Meter bei einer
Anfangsgeschwindigkeit von 600 Metern. Auf 1000 Meter Distanz durchschlägt
die Granate eine Fanzerplatte von 100 Centimetem. Dieselbe Fabrik stellt auch
24-Ceiitimeter- Geschütze her, dadurch bemerkenswert, dass sie auf dem Meppen-
schon Schiessplatze die Mas im altreff weite von 20 000 Met«m ergeben haben. Das
Schiessen ging mit Granaten von 215 Kilogramm Gewicht bei einer Lodung von
llö Kilogramm vor sich. Bei dem Uöhenwinkel von 40'^ war der hiichste Punbt
der Flugbahn des Geschosses von der Erde 6540 Meter entfernt. („L'Echo de
rArm6e.)
Wir wollen die Abbildung geben. (Monthay: „Krupp k l'Exposition do
Chicago" 1894.)
Krafb der modernen Geschütze. 385
Artillerie-Apparat durch einen neuen zu ersetzen, der an Treffweite,
Fluggeschwindigkeit der Geschosse und Treffisicherheit den früheren weit
hinter sich lässt.
In dieser Hinsicht scheint der Anfang schon gemacht zu sein, ^J^^*??^'
worauf folgende Vorgänge hindeuten. Auf Befehl des Generals Varnet, verrou-
Kommandeurs des 17. französischen Armeekorps, hat Oberst Marcillon FrankJdch!"
den Offizieren der Garnisonen von Montauban und Toulouse Vorträge
gehalten. Der offenbar mit allen Geheimnissen der Artillerie-Technik in
Frankreich vertraute Oberst sagte: „In dem Augenblick, wo es sich
zeigen wird, dass unsere Geschütze eine geringere Treffweite
haben, als irgendwelche andere, können wir ohne jede Schwierigkeit
die Treffweite der Schüsse erhöhen, ohne die Geschütze oder Geschosse
zu verändern." Marcillon sieht dabei nicht nur die Möglichkeit der Ver-
vollkommnung voraus, sondern ist davon vöDig überzeugt. Er sagt
direkt: „on ne serait pas embarrasse" u. s. w. Weiter folgen in der
gedruckten Darlegung Punkte zur Bezeichnung der hier ausgefallenen
mündlichen Erläuterungen des Obersten, welche als Kriegsgeheimnis von
der Veröffentlichung ausgeschlossen werden müssen. In anderen Werken
über diese Frage finden sich ähnliche Hinweise.^^) Was aber noch
wichtiger ist, die Debatten der französischen Deputiertenkammer über das
Marinebudget im Jahre 1892 haben gezeigt, dass Frankreich bereits zu
einer Umarbeitung der Geschütze geschritten ist und dass die bei der be-
treffenden Prüfung erhaltenen Resultate sehr befriedigend ausgefallen sind.
Nichtsdestoweniger werden, wie aus denselben Debatten hervorgeht,
zur vollen Ausnutzung der Kraft des rauchschwachen Pulvers neue
Schnellfeuergeschütze des Typus 1891 hergestellt, die je nach ihrer Fertig-
stellung die umgearbeiteten Geschütze ersetzen sollen.
So stehen wir zweien Thatsachen gegenüber: die Geschütze werden
vervollkommnet, wobei eine doppelt so grosse Anfangsgeschwindigkeit
gewonnen wird als früher, und zugleich damit werden neue, noch voll-
kommenere Geschütze in Arbeit genommen.
Aber wenn man auch nicht die neuen, noch nicht eingeführten Ver- Wichtigkeit
vollkommnungen in Betracht zieht, sondern nur diejenigen, welche bereits bisherigen
praktische Anwendung gefunden haben, so lässt sich doch schon sagen, oeschü^
dass die Wirkung der Artillerie im künftigen Kriege eine ganz andere ''®'^^^*^*'^°"
sein wird, als in den letzten Kriegen.
Die Gesamtheit der kleinen partiellen Vervollkommnungen, die im
Einzelnen vielleicht kaum bemerkbar sind, hat etwas ganz Neues ge-
") „Artillerie moderne".
Bloch, Der zakttnftige Krieg. 25
386 VI. Taktik der ArfciUerie.
schaffen. Die Geschütze entsprechen hente ihrer Aufgabe weit mehr.
Sie werden einer aus den früheren Kiiegen bekannten Kanone ebensoviel
oder ebensowenig gleichen, wie ein gut gehaltenes und fein dressiertes
Pferd einem kaum zugerittenen.
Wir haben es bei unserem Vergleich wohl mit einem und demselben
Thiere zu thun, aber das geschulte Pferd ist fiir den Reiter weit be-
quemer und wird wegen seiner durcli Uebung gewonnenen Lenksamkeit
weit mehr leisten können.
^dSf 6to*^' Professor Langlois berechnet die Steigerung der Kraft des Artillerie-
nmg der feuers Seit dem Kriege 1870 auf Grund praktischer Erfahrungen folgender-
Artiuerie- maasscu: die heutigen Geschütze werden den Feind auf offenem Felde
»elrisTo ^^^ *^^ gleichen Anzahl abgefeuerter Geschosse Bmal mehr treffen als im
Jahre 1870.
Da aber die jetzigen Geschütze in einer gewissen Zeit 2V2- ^^^
3 mal mehr Geschosse abfeuern können als die früheren, so folgt daraus,
dass sich die Kraft des Artilleriefeuers seit 1870 um das Zwölf- bis
Fünfzehnfache gesteigert hat.
Graphisch ausgedrückt geben diese Ziffern folgendes Bild:
Kraft des
Oescliossee.
•••«•••»•«••*••••••»••••••••••••••••«•••••••••••'•»•'•••••••••••••■••■■
500%
SohneUigkeit |iri]iiiiininiiimiimiimiiiiiii4H 07c o/
des Sclüeauiu. imitllllllllllllTmillllinilMlHm ^'» Aj
Prozent der Wirkung der heutigen Feldgeschütze bei Ansetzung der Wirkung
der Geschütze von 1870 — 100 (nach Langloi»).
um die Bedeutung des neuen gegebenen Faktors voll zu würdigen,
muss man noch folgende seit dem Kriege 1870 eingetretenen Aenderungen
in Erwägung ziehen.
AnzftU der Jetzt ist jede Batterie in Deutschland mit 9, in Frankreich mit 9,
Manition»-
wagen lu Eusslaud mit 12 Munitionswagen versehen. In Folge dessen kann die
e^le^Mn doutsche Batterie in einer Schlacht 8(50 Schüsse abgeben, die fran-
Batterien. zöslsche 852, die russische 900. Aber auch diese Anzahl der Schüsse
gilt für noch nicht genügend, und die deutsche Armee hält es für ilire
Aufgabe, den Batterie-Munitionsbedarf bis auf 1290 zu erhöhen, i^)
Wird die Anlässlich dessen kann wohl gefragt werden : wird die Nervenki'aft
Nerrenkralt
ausreichen? der heutigeu Masseuheere ausreichen, um gegen einen mit so furchtbaren
Geschützen ausgeiüsteten Feind vorzugehen?
") „Militärische Jahresberichte für 1891." S. 376.
Kraft der modernen Geschütze. 387
Es ist sehr schwierig, eine kategorische Antwort; auf diese Frage
zu geben, da keine Erfahrungen vorliegen, und man Schlüsse nur aus
Friedensübungen ziehen kann.
Was das Geschütz aber als Maschine in der Hand des Menschen
im Gefechte leistet, wird immer sehr verschieden sein von den Leistungen
bei einem unter normalen Verhältnissen durchgeführten Versuche und
auch von den Erfolgen eines blos ungefährlichen üebungsschiessens. Die
Fertigkeit des Menschen in der Bedienung der Geschütze, in der Beob-
achtung der Schüsse und in der Handhabung des ganzen Schiessverfahrens
kann auf dem Schlachtfelde eine ganz andere werden. Unbestreitbar
erscheinen folgende Faktoren:
Die Feldgeschütze können ihre vernichtende Wirkung, ohne die noch schusswoite
der Feld-
erwarteten Verbesserungen zu berücksichtigen, bei der Ladung mit rauch- geachütie,
schwachem Pulver nach Meinung vieler Fachmänner auf eine Entfernung
von bis zu 7000 Metern ausüben.
Die Schussweite kann übrigens nur dann auf wirklichen Wert
Anspruch machen, wenn dabei die anderen Schiessbedingungen: Schnellig-
keit, Treffsicherheit und Stärke des Schusses keine Veränderung erfahren.
Die Artillerie hat bekanntlich auch in dieser Hinsicht seit dem Kriege 1870
eine grosse Vervollkommnung erzielt.
Die Feuergeschwindigkeit der Artillerie vnri im zukünftigen Kriege ^euei-
sehr bedeutend werden. Nach dem neuesten russischen Artillerieerlass keit.
können 4 bis 5 Schuss in der Minute abgegeben werden, wenn man
sich in der gewöhnlichen Weise auf Entfernungen unter 3000 Metern
einschiesst; über 3000 Meter werden 3 Schuss angenommen. Bei dem
abgekürzten Einschiess verfahren, wie es in der Schiessvorschi'ift an-
gegeben ist, gegen ein weniger als 150 Meter entferntes Ziel kann die
Feuergesch\vindigkeit einzelner Batterien bis auf 6 Schuss gesteigert
werden. Nachdem man eingeschossen ist, soll die Batterie von 8 Ge-
schützen 8 bis 12 Schuss, die Batterie von 6 Geschützen 6 bis 9 Schuss
in der Minute abgeben; diese Feuergeschwindigkeit darf aber nicht
länger als 5 Minuten andauern, da sonst ein Munitionsmangel eintreten
könnte.
Um einen Begriff von den Fortschritten zu geben, die in Bezug J'^«^««*^^*«»«
mit Krupp-
auf Leistungsfähigkeit der Geschütze gemacht worden sind, folgen Kanonen,
auf den nächsten Seiten in Fig. I. bis V. einige Abbildungen von Probe-
schüssen mit Krupp'schen Kanonen, welche in Meppen abgegeben
worden sind.
Fig. I. zeigt uns das Treffergebnis von 17 Schüssen, abgegeben aus
einer leichten 7,5-Centimeter-Gebirgskanone auf 1000 Meter Entfernung.
25*
388
VL Taktik der Artillerie.
Fig.I.
Treff-
ergebniflse
der Ittiditen
7,6-Centiin.-
Gebiigs-
kanone anf
1000 Meter.
cm cm
250 225 200 175 150 125 100 75 50 26 0 25 50 76 100 125 150 175 200 225 250
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em tm
Treffergebnis von 17 Schüssen einer T^Centimeter-Gebirgskanone. (10. Mai 1884.)
Zahl der schon abgefeuerten Schüsse: 202. — Entfernung: 1000 Meter.
Wir ersehen, dass die Abweichungen vom Mittelpunkt des Zieles
in der Höhe einen Meter und in der Seitenabweichung 1,76 Meter nicht
übersteigen.
Fig. n. zeigt uns das Treffbüd von 10 Probeschüssen aus einer
Krupp'schen 7,6-Centimeter-Schnellfeuerkanone, abgegeben in einer halben
Minute auf 1000 Meter Entfernung.
Bemerkenswert ist der Umstand, dass bei 2000 Meter Entfernung
beim gezielten Feuer die Abweichung in der Höhe nur 60 Centimeter, in
der Breite 36 Centimeter beträgt.
Die Hälfte der Schüsse befindet sich in einer Fläche von 102 Centi-
meter Höhe und 60 Centimeter Breite.
Ein derartiges Resultat zeigt uns Fig. HI.
f
Kraft der modernen Geschütze.
389
Fig.n.
9n OIB
260 2S5 200 175 160 125 100 76 60 85 0 26 60 76 100 126 160 176 900 226 2S0
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Treff-
ergebnisse
der
7,6-C6ntiiD.-
Scbnellfaner-
kftnone saf
1000 Meter.
du
TrefFergebnis von 10 Schüssen einer 7,5-Centimeter-Sohnellfexierkanone. (1889.)
Entfernung: 1000 Meter.
Femer geben wir in Fig. TV, das Ergebnis von 20 Schüssen (Spreng-
granaten von 16 Kilogramm), welche anf 1000 Meter Entfernung von einer
10,B-Centimeter-Kanone abgegeben wurden.
Die Höhenabweichung betrug 28,6 Centimeter, die Seitenabweichung
26,25 Centimeter. 60 % Treffer häuften sich in einem Ziele von 48,2 Centi-
meter Höhe und 42,7 Centimeter Breite.
Fig. V. endlich zeigt uns das Resultat von 10 Schüssen (eben-
falls Sprenggranaten von 16 Kilogramm) aus demselben 10,6-Centimeter-
Geschütz, nachdem schon 1800 Schüsse abgegeben waren.
Die Höhenabweichung betrug hierbei 23,6 Centimeter, die Seiten-
abweichung 29,8 Centimeter. 50% Treffer häuften sich in einem Ziele
von 39,9 Centimetem Höhe und 60,4 Centimetern Breite.
390
VI. Taktik der ArtiUerie.
Fig. in.
Treff-
ergebniMe
der
8,7-Centiin,-
Kanone saf
2000 Meter.
cm cm
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260 226 200 175 150 125 100 76 50 25 0 26 50 75 100 125 160 175 200 225 250
cm dB
Treffergebnis von 5 Schüssen eines 8,7 -Centimeter- Geschützes. (1891.)
Zahl der schon abgefeuerten Schüsse: 31. — Entfernung: 2000 Met-er.
Notwendig-
keit
der Fähigkeit
and Kalt-
blfltigkeitdes
richtenden
Mannes zar
Erreichung
günstiger
Schiess-
resnltato.
Es ist selbstvei:ständlich, dass schon auf Uebimgsplätzen die er-
zielten Resultate keine so günstigen sein können, noch weniger aber
im Gefecht. Die Befilhigung und das kalte Blut des richtenden Mannes
werden eine bedeutende Rolle spielen.
Die bei den kriegsmässigen Schiessübungen der preussischen Artillerie
bis zu Anfang der achtziger Jahre vorgekommenen Streuungen sind nach
Rohne's Angaben im Durchschnitt doppelt so gross, wie die in den
Schusstafeln angegebenen. Es stellte sich danach für die Granaten beim
schweren Feldgeschütze für eine Entfernung von 1000 bis 2500 Meter
die Treff fähigkeit im Mittel wie folgt, i^)
") Das schwere Felclgeschiitz existiert in der deutschen Fei dar tiller ie
nicht mehr.
Kraft der modernen Greschütze.
391
Fig. rv.
em cm
2&0 S26 200 176 150 126 100 76 60 26 0 26 60 76 100 126 160 176 200 226 260.
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Treffergebnia von 20 Schüssen einer lO^-Centimeter-Kanone, (1880.)
Entfei-nung: 1000 Meter.
Treff-
ergebnisae
der
10,6-Ceiitim.-
Kanone anf
1000 Hdter.
Es wurden erreicht bei
richtiger Flugbahnlage 30,6 Prozent Treffer
V2 Sechzehntel Grad falscher Lage 23,2 ,. „
Selbst unter normalen Verhältnissen und bei ausgesuchten Richt-
kanonieren zeigen sich grosse Unterschiede in den Eichtfehlem. Es ist
nachgewiesen, dass bei denselben Zielverhältnissen einzelne Richtkanoniere
in allen (also in 100 Prozent) Fällen, andere in nur 55, 66 oder 80 Prozent
aller Fälle Treffbilder erzielten, die den Anforderungen der Schnsstafel
genügten, i^)
") Müller: „Wirkung der Feldgeschütze".
392
YL Taktik der Artillerie.
Figy.
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en em
Treffergebniß von 20 Schüssen einer lO^Centimeter-Eanone. (9. August 1890.)
Entfernung: 2000 Meter.
Die Treflfresültate eines Probeschiessens können also nicht den
Verhältnissen des Krieges entsprechen, sie sind als Maximalleistungen
anzusehen.
Höhen- Das russische Artilleriejoumal von 1889 nimmt die Streuung für
itrenancf der , ,
Geschfltie eiuc Batterie doppelt so gross an als wie die für ein Geschütz.
ond krieg.- Geucral Müller stellt eine Berechnung der Unterschiede im Schiessen
s°chie«el »^^^» **e "^ a«f der folgenden Seite geben.
Wenn wir die Tabelle ansehen, so müssen wir doch anerkennen,
dass mit der Vergangenheit kein Vergleich gezogen werden kann. Die
Trefffähigkeit ungeachtet der Unterschiede zwischen friedens- und kriegs-
mässigem Schiessen muss bei den heutigen Geschossen vernichtende Re-
sultate liefern.
Kraft der modernen Oeschütze.
393
Wir müssen noch im Ange behalten, dass, je grösser die Menge Hnao«
der Fener-
der geschleuderten Munition in gewissen Kampfeslagen sein wird, desto seimeiii^keit
fui'chtbarer die Wirkung werden kann. Die Versuche haben gezeigt, "richeAeil
dass bei den modernen Greschützen der Einfluss der grösseren Schnellig-
keit des Feuers auf die Treffsicherheit nur unbedeutend ist.
Schweres Feldgeschütz C/73
Krupp'sches 8,4 Centüneter-
Geschütz
Differenz
Differenz in Prozenten der
Streuung des 8,4 - Centi-
meter-Geschützes . . .
Mittlere Höhenstreuung auf 1000 Meter
des
einzelnen
Geschützes
Centiineter
des
Geschütz-
Systems
Centiineier
bei Fehlem
d. Bedienung
von halber
Grösse
C«atimeter
70
42
38
90
99
60
39
65
129
102
27
26
bei kriegs-
mässigem
Schiessen
C«iktim«ter
194
177
17
10
Zu Ende der 60 er Jahre fanden zur Entscheidung der Frage des .
Einflusses der Feuerschnelligkeit bei der Artillerie-Schiessschule Versuche
statt, wobei je drei 9-Centimeter-Batterien mit Granaten C/64 auf 900 Meter
im gezielten und im Schnellfeuer gegen drei Scheibenwände feuerten.
Nach Witte („Artillerielehre" 1872, Seite 130) war das Ergebnis folgendes:
Gezieltes Feuer: 135 Schüsse = 4830 Sprengstücke gaben 35 % Treffer,
Schnellfeuer: 109 Schüsse = 3012 Sprengstücke gaben 28% Treffer.
Verhältnis an Treffern aller Sprengstücke also = 5:4.
Gegenwärtig giebt die Krupp'sche Fabrik über den Einfluss des 8«J»MDf»»»«
und
Schnellfeuers auf die Streuungen der Einzelgeschosse für das 6-Centimeter- streuang.
Geschütz folgende Zahlen an.
Der Baum für 50% Treffer beträgt bei 1000 Meter Entfernung:
Höhe Breite
Centimeter Centimeter
Gewöhnliches Feuer .... 67 &3
Schnellfeuer 104 70
T /Rft / Gewöhnliches Feuer .... 67 72
' l Schnellfeuer 88 70
6-Centimeter-
Eanone
L/30 {l
Diese Unterschiede nach Höhe und Breite erscheinen also un-
bedeutender als in der Vergangenheit.
'
394 ^* Taktik der Artillerie.
Der Einflass der VerTollkommnangen der Geschütze
auf die Artillerietaktik.
Aiiftngiiciie Qemz sichere Angaben über Gteschtitzverwendung finden wir
liegen den schon im Anfange des 14. Jahrhunderts, aber die ritterlichen Vorurteile,
Arunirie.*' welche bis zum 16. Jahrhundert den Adel vom Kriegsdienste zu Fuss
fern hielten und so die Entwickelung der Infanterie erschwerten, haben
ihren Einfluss noch bei weitem nachhaltiger zu Ungunsten des Artillerie-
dienstes geltend gemacht. Ein echter Edelmann, der seiner Würde damit
schon viel zu vergeben glaubte, wenn er vom Pferde stieg und sich unter
die Gemeinen, welche die Infanterie bildeten, mischte, konnte sich nicht
soweit erniedrigen, Dienste zu thun, deren Ausführung nicht nur Kennt-
nisse, sondern sogar Handfertigkeit in mechanischen Künsten erforderte.
Die Fortschritte der Artillerie sind immer eng mit denen der
Infanterie, zu welcher sie gerechnet und als eine Spezialität, als welche
sie angesehen wurde, verbunden gewesen.
DieArtuiirie ßig ^um XVI. Jalu'hundert waren die Artilleristen zünftig; sie
DM sam
ivi. jalir- lernten den Gebrauch des Geschützes, die Verfertigung der Kunstfeuer
nLäwu^^ ü- s. w. als ein Handwerk, über das sie auch von ihrem Meister einen
Lehrbrief erhielten. Mit diesem versehen, wanderten sie dahin, wo eben
Krieg war und nahmen dort Dienste, wo man sie am besten bezahlte.
Sie wurden als Offiziere betrachtet und standen nur allein unter
dem Zeugmeister. Am angesehensten waren die, welche mit Mörseni
und Kunstfeuem umzugehen wussten; sie Messen Feuerwerker und
bekamen vierfachen Sold. Fast gleichen Rang mit ihnen hatten bei
gleichem Solde die Büchsenmacher, welche die schweren Belagerungs-
stücke bedienten, während die Feldschützen, die bloss aus Feldschlangen
und kleinem Geschütz schössen, nur doppelten Sold erhielten. Karl V.
scheint der Erste gewesen zu sein, der die Artilleristen in ordentliche
Kompagnien formierte, und sie als ständige Truppengattung organisierte.^)
Entwicke- ludcm die Artilleristen, als Elite und bahnbrechende Männer des
"ttfierieia Nichtadels, immer zweckentsprechendere und handlichere Waffen er-
'g'J^^g^f" fanden , sie selbst erprobten und dann unter den Fusstruppen ein-
waffen- büi'gerteu, haben sie von Tag zu Tag die Bedeutung der Infanterie
gesteigert, sie auf das Niveau derjenigen der Kavallerie erhoben und den
Adel dahin gebracht, dass er zwischen den beiden Waffengattungen keinen
Unterschied mehr fand. Dies Resultat war seit dem 16. Jahrhundert
0 Hoyer: „Artillerie 1808."
^mt
Einfluss der Vervollkommnungen der Geschütze. 395
erreicht, dem Zeitpunkte, von welchem ab die Artillerie unter Vorbehalt
der Handhabung komplizierter und wirksamer Maschinen anfangt, sich
selbstständig zu entwickeln und der Grund zu ihrer Organisation als
dritte Waffengattung gelegt wird, mit der Bestimmung, auf dem Schlacht-
felde den entscheidenden Schlag zu führen, die ultima ratio zu sein. 2)
Die Schuss weite der primitiven Kanonen war sehr gering, be- Sfi»a88weite
, • der primi-
schränkter als diejenige der meisten alten Kriegsmaschinen. Man war «Ten
also genötigt, die Batterie sehr nahe vom Ziele aufzustellen. Die ersten
Karthaunen (Canons) hatten 500 Schritt zum Kernschuss und 1000 Schritt
zum Visierschuss. — Die Karthaunen schössen zwar 48 Pfund Eisen, aber
obgleich 21 Pfund feines Pulver angewandt wurden, war die Wurfs-
kraft so unbedeutend, dass der Gebrauch grosser Schilde oder tragbarer
Sturmdächer allgemein war.-^
Was musste geschehen, damit die wahren Feuerwaflen grosser ^'^<>'?®'^"«
. 7 ' ° fUr die Yer-
und kleiner Art die Wurfmaschinen und Bogen beseitigten? — Als aringung
Handwaffen mussten diese fähig sein, eine tötliche Kugel bis zu einer mMciüMn
Entfernung zu tragen, auf welcher alle Wurfgeschosse, welche durch ^"J^^hTe"
Bogen, Armbrust oder Schleuder geworfen wurden, aufhörten gefährlich Feuerwaffe.
zu sein, d. h. auf eine Distanz von 100 Metern. — Was die Kanonen
betrifft, so mussten diese steinerne oder eiserne Kugeln weiter tragen,
als die Maschinen im Stande waren, — zum Beispiel ein Gewicht von
10 Kilogramm auf 500 Meter. — Ausserdem mussten die Arkebusiere und
Kanoniere ebenso leicht und schnell als einst die Bogenschützen und die
Bedienung der Wurfmaschinen schiessen können. — Vor allem aber, und
dies war der schwierigste Punkt der Frage, musste alles so kombiniert
werden, dass die mit den neuen Gewehren ausgerüsteten Leute nicht
sich selbst, statt ihrer Feinde schädigten.
Die Schiessgeschwindigkeit wurde in Folge der hölzernen „gar- 7"'
gousse", an welche die Kugel gebunden war, vergrössert. Man gelangte der schies«-
dahin, schneller als die Masketiere zu schiessen und gab im Gefecht an^TeUdw*^
acht Schüsse ab, während letztere nur sechs abfeuerten. Kanonen.
') General Sazanne: „Histoire de rArtillerie fran^aise."
') Ein naives Bild schüdert die artiUeristische Thätigkeit jener Zeit. Ein ^^1"*"
ristische
von seiner Frau begleiteter Kanonier hat sich tollkühn mit seinem Material am Mani-
Fqss einer Mauer niedergelassen, welche ganz mit Bogenschützen besetzt ist, pulationen
die auf ihn zielen. Er hat eben angefangen, sein Sturmdach nach Art der ^^^^^ ^eit
Steinklopfer, die sich bei ihrer Arbeit vor Sonne und Wind schützen wollen,
aufzustellen. Den Pfeilen der Bogenschützen ausweichend, hat er hinter seinem
Sturmdach ein tiefes Loch gegraben, dessen Nutzen bald ersichtlicli wird.
Inzwischen hat sich seine Frau im Schutze des Sturmdaches niedergelassen und
396
VL Taktik der Artillerie.
Die Artillerie naiuu in dem Maasse an Wichtigkeit zn, al^ die
Infanterie, in Folge der zahlreichen Kriege des Jahrhunderts, aus Miliz-
soldaten sich ei^änzte, welche entweder dem eigenen Herde entrissen
oder gegen Uiren Willen als nnbäxtige Jünglinge eingereiht worden waren.
Diese Soldaten hatten dnrchaus keinen moralisehea Muth, und um hier-
gegen Hülfe zu schafien, vermehrte man mehr und mehr die Zahl der
Kanonen, bis man, wie bei Malplaquet, 1709, 58 Stück in einer Batterie
aufgestellt hatte,
r Seitdem die Steinkngeln in der Mitte des XV. Jahrhunderts dui-ch
eiserne verdrängt und gnsseiseme Rohre verfertigt wurden (1550), begann
dla aafHkti- —
TarhtltBisM
■alt dam bläst mit aller KrEift
ivm. jui-
tragbaren Ofen, der den glQhenden Eiseospiess
oder die brennende Kohle liefern boII, nm die Kanone abzufeuern. Nachdem
das Loch nach Outdünken gegraben,
stellt der Kanonier am Pusse des
Sturmdaches einen Holablock auf, um
auf diesem das Geschützrohr zu
lagern, legt letzteres darauf, richtet,
iadet, schüttet Pulver in das Zündloch
(lumi^re), ergreift das Ende des Bind-
fadens, der ihm in höchst primitiver
Transmission dazu dient, die Schuss-
lade zu heben, giebt seiner Frau ein
Zeichen, damit sie ihm das Glüfaelsen
(boute-feu), welches zünden soll,
reiche und sich verstecke, und ver-
schwindet dann selbst im erwähnten
Loche.
Seine Bewegung ist ihrer Geheim-
tbuerei wegen sehr interessant.
Klit der linken Hand sieht er langsam
den Bindfaden, bläst dann auf die in
der Rechten gehaltene Kohle, zündet
die Lunte an und , während diese
brennt, eilt er in die Tiefe der
schützenden Höhle, ohne den Bind-
faden, der die Schueslade offen hält,
loszulassen.
Angesichte unserer heutigen furcht-
baren und schnellwirkenden Feuer-
waffen und deren Gebrauch, müssen
wir über die Ruhe dieses braven
Mannes lächeln.
uoB«B MI Die Zeichnung zeigt uns eine Kanone* oder sogenannte Bombarde mit
"•« iiT. Schirmdach, aus der zweiten Hälfte des XIV. Jalu-hunderts und das Laden mit
.hriiudnt*. glühenden Kugeln.
Das Laden mit glühenden Kugeln.
Emfluss der Vervollkonunuungen der (reschützp. 397
die Artillerie sich allmälich za einer selbständigeB Waffe zn ent-
wickeln,*) wenn sie aach erst im XTIII. Jahrhundert zur taktischen
Bedentang g:elangte. Von da ab jedoch beeinflnsste sie die Gefechts-
verhältnisse, g&b den einzelnen Phasen des Kampfes eine nene Phy-
siognomie nud wirkte durch geschickte Terrainbenntzung auf den Yerlaaf
der Schlachten entscheidend ein.
In der prenssischen Armee, sowie in der französischen waren nach
nnd nach Artillerietrappen eingeführt worden.
Der grosse Park, dem man die Kanonen entnahm, hatte den^'
Artilleriebrigaden Platz gemacht. Gewöhnlich bestand jede Brigade
aus zehn 12pfündigen Kanonen. >)
Diese Brigaden waren der Infanterie be^egeben. Das Gespann
führte die Kanonen herbei, sobald man sich aber in einer Entfernung
von BOO Schritt vom Feinde befand, verschwand es hinter dem Fussvolk
und die Kanoniere schoben ihre Kanonen selbst weiter.
Folgende Bilder zeigen uns die Bespannung und das Vorschieben '
der Kanonen, sowie das Zubringen der Kngeln und des Pulvers.«) b.
') Im Jahre 1671 formierte Ludwig XIV. das erste Artillerie - Regiment,
indem er die schon früher von ihm geschaffenen Aitillerie-Kojnpagnien in einen
Körper zusammenzog und ihnen Arbeiter-Kompagnien beigab. 1684 entstand
in Frankreich das erste Bombardier-Regiment.
') 12 Pfund. Man versuchte anfangs Stücke leichteren Kalibers anzu-
wenden, aber man gab diesen Gedanken auf.
') Practised in the Warres of the United Netherlandes — The Principles
of the Act Military.
Z9H VL Taktik a«r Artili^ne.
' Ttr* An>^r den Kanonen wmden anch Hanbitzen znr Zerstdnmg von
YifTweiUma^ Veni^rlianzangen oder materiellen Hindemisssen verwandt.
I>ie Kanonen wurden in Zwi^henränmen von ungefähr 50 Schritt
aufjjrepflan^et. Auf 350 Sehritt schoss man mit Kartätschen, näherte sidi
dann bu znr Wirknngszone des Kleingewehrfeners nnd unterhielt das
?>aer znr Unterstötznng de.s Infianterie-AngrifEs.
Diefte Taktik gestattete eine enge Verbindung des Artflleriefeners
mit dem der Infanterie, welche nnn zaversiehtlieher anftrat. aber der
Feind nahm viele fje.schutze.
v«f»iMaMir König FMedrich IL hielt es für notwendig, gegen das Vorurteil der
M ül>ertriel;enen Bedeutung des Verlustes eines Geschützes einzuschreiten:
f rMrfeh ih ^^^^^ ^^^^ ^^--j^^ Micht gethau hat, sagte er, ist der Verlust des C^eschötzes
ehrenhaft.
Mufnkmou Da Friedrich IL seiner Kavallerie zu feuern verboten hatte, be
Aruiwit. reitete er ihre Attake durch Feuer vor. Zu diesem Zwecke liess er
vielfach Grenadier-Bataillone bei den Flügeln der Kavallerie postieren;
al>er noch ein besseres Mittel wendete er an, indem er diese schnelle
Waffengattung durch Artillerie begleiten liess, welche beweglich genug
war, zu folgen; so entstand die „reitende Artillerie"*, weil die bedienenden
Kanoniere zu Pferde sassen, eine bemerkenswerte, später von allen
Armeen nachgeahmte Schöpfung.^
Aber im Allgemeinen hatte die Artillerie in geringerem Maasse
als die Infanterie und Kavallerie aus den beharrlichen Anstrengungen
Friedriclis, die Manövrierföhigkeit zu erhöhen, Vorteil gezogen. Die Ge-
spanne wurden noch requiriert, was jeden Gedanken an schnelle und
wohlgeordnete Vei-werthung und Bewegung ausschloss.«)
luuonflibMr Die Feinde Friedrichs des Grossen gebrauchten die Artillerie viel
Qe brauen
<iar Artillerie rationeller. Friedrich II. charakterisiert die Gefechtsfiihrung der Oester-
mIUiu der
Feinde
FriedricliN 11,
**Fe^de*' reicher (1758) in einem Brief an General Fouqu6 folgendermaassen :
„Wir haben während des ganzen Krieges die österreichische Armee,
stets in drei Linien formiert, von dieser furchtbaren Artillerie unterstützt
gesehen. Die Flanken sind mit Kanonen gespickt wie besondere Zita-
dellen. Jeder kleine Vorsprnng wii'd benutzt, um Geschütze aufzustellen,
die das Terrain unter Kreuzfeuer nehmen, so dass es gleiche Schwierig-
keiten bietet, eine solche Position anzugreifen oder eine Festung zu
stürmen."
0 Homerkenswert ist es, dass übrigens Peter der Grosse schon vor ihm,
lind somit ganz zuerst, reitende Artillerie einführte.
*^) Waldor de Heusch: „La Tactique d'autrefois."
Einfluss der Vervollkommnungen der Geschütze, 399
„So muss man denn das System einer zahlreichen Artillerie annehmen,
wie hinderlich dasselbe auch sein mag. Ich habe die unserige bedeutend
vermehi-t und das wird den Mängeln unserer Infanterie abhelfen, die sich
nur verschlechtern kann, je mehr der Krieg sich in die Länge zieht." 9)
Wir haben die von Gribeauval vorbereiteten materiellen Mittel verwendungr
der Artillerie
bei der Beschreibung der Geschütze kennen gelernt und Napoleon I. ver- durch
stand es, der Artillerie eine geniale Verwendung auf dem Schlachtfelde ^*p**^^° '•
zu geben. Der einstige Hauptmann Bonaparte der Belagerung von Toulon
blieb sich während seiner ganzen glänzenden kriegerischen Laufbahn
darin treu.
Als Napoleon Bonaparte 1796 das Kommando der italienischen Armee
erhielt, fand er nur wenig Ai-tillerie vor. Die Schlachten der Revolution
waren bisher fast ausschliesslich von Infanterie geschlagen; es entsprach
dies der Notwendigkeit des Massenaufgebots und zugleich dem revolutio-
nären Drange nach möglichst freier Selbstthätigkeit, welcher in der aus-
gedehntesten Anwendung des Schützengefechts seinen Ausdruck fand.
Napoleon machte indessen selbst von der geringen Artillerie in seinen
italienischen Feldztigen einen vortreflFlichen Gebrauch. Sie bereitete in
kleinen Massen vereinigt bei Lodi, bei Castiglione und Rivoli in den
entscheidenden Momenten das Vorgehen der anderen Waffen sehr wirk-
sam, d. h. so vor, dass kein Zusammenstoss stattzufinden brauchte, der
Feind vielmehr dem blossen Drucke nachgab, i^)
Immerhin blieb die ArtUlerie während dieser Zeit in einem sekundär K*uonon nur
taktischen Verhältnis zur Infanterie und Kavallerie; sie diente nur den '^wtzeo.
Gefechtszwecken der anderen Waffen, war also immer noch ein bloss
unterstützendes Element. Ueber die hauptsächliche Vei"wendungsart der
Artillerie, nämlich über die vorbedachte, leichte und rasche Herstellung
„konzentrierter Artillerieaufstellung" für den Entscheidungs- und Ver-
nichtungsakt scheint Napoleon während seiner ersten Kriege noch nicht ein-
gehend orientiert gewesen zu sein, wenngleich er schon im Jahre 1801 einen
grossen Fortschritt zur Hebung der taktischen Brauchbarkeit der Artillerie
durch Abschafi'ung der von l^nternehmern gestellten Bespannung that und
Ersatz hierfür durch einen militärisch organisierten Train schaffte.
Erst die schlimmen Erfahrungen von Eylau und Friedland (1807)
brachten den Kaiser zu der Erkenntnis, dass die der Artillerie inne-
wohnende Zerstörungskraft in höherem Sinne verwertet werden müsse,
als durch Beiordnung zu den anderen Waffen.
^) Maresch: „WafFenlehre".
^^) Ueber den Einfluss der Feuerwaflfen auf die Taktik.
400 ^- Taktik der Artillerie.
Artiiiwu! ^^® Katastrophe von Aspern, wo das Korps von Lannes beinahe
Hadflen- vemlchtet wurde und die in engem Eaume konzentrierte französische
alitmgrtl. Armee durch die österreichische Artillerie höchst empfindliche Verluste
erlitt, bezeichnet den Ursprung jener grossartigen Artillerie - Massen-
verwendung, welche die Napoleon'sche Schlachtenpraxis von Wagram an
charakterisiert. Nach dem Feldzuge von 1809 schuf er sich durch zahl-
reiche Vennehrung der Gardebatterien eine Zentral-Reserveartillerie von
126 Geschützen und gab nach und nach jedem Arraeekoi^ps eine Artillerie-
reserve.
Weiterhin vermehrte Napoleon durch Wiedereinführung der Regiments-
artillerie die Geschützzahl um ein Drittel und erhob dadurch das Ver-
hältnis, welches bisher in den französischen Armeen rücksichtlich der
Geschützzahl bestand, von 2 auf 3 pro 1000 Mann.
Aber immer mehr noch stieg während der Herrschaft Napoleons die
Anzahl der Geschütze und ihrer Bedienung, so dass schliesslich am
30. März 1814 die Aiüllerie, ohne die 25 Kompagnien der Artillerie-
Veteranen und der Küstenwächter, 178 Kompagnien mit 80 273 Mann, und
alles miteingerechnet 103000 Mann betrug, ^i)
Enorm« Zu- Dje enoHue Zunahuie des Artillerie-Materials war nicht etwa durch
nähme der
Kanonen, die Ausdehuung des französischen Territoriums, oder die Bedürfnisse
der neuen militärischen Operations-Formen, noch dadurch zu erklären,
was man die materiellen Bedingungen, im Gegensatz zu den moralischen,
nennen kann. Das Anwachsen der Artillerie und das Aufhören des
Gleichgewichts zwischen ihrem und dem allgemeinen Bestände der
Armee, datiert von 1809. Die Kaiserliche Armee von 1809 war nicht
mehr die „grande arm6e", obgleich sie noch immer diesen Namen
führte. Die Soldaten von Rivoli, von Zürich, von Hohenlinden und
von Marengo hatten mit ihrem Blute die Siege von Austerlitz, von
Jena, von Eylau und von Friedland reichlich bezahlt und die unheil-
vollen Feldzüge in Spanien hatten den Kaiser gezwungen, die Zahl
seiner Truppen zu verdoppeln, zu verdreifachen und einen jeden
seiner alten Graubärte durch vier junge Reki*uten zu ersetzen.
Die »11- Der Kaiser kannte den Unterschied, der zwischen einem Soldaten
mäUicheYer-
achiechto- uud einem Nichtsoldaten besteht. Da er sich gezwungen sah, den Krieg
Me^h^. mit einer Armee, welche mehr Leute als Soldaten enthielt, fortzusetzen,
"^^Jj^jj*' steigerte er die Verwendung der Geschütze, um dem Rekruten Ver-
schen Heere trauen zu geben oder ihn wenigstens zu betäuben. Der Sieg von
*ftr*Te Wagram wurde mühselig errungen; vielleicht nur wegen einer genialen
dwA^Si^! Eingebung Napoleons, der in einem theatralischen Manöver jene Batterie
") General Suzanne: „Histoire de PArtillerie fran^aise".
Einiluss der Vervollkommnungen der Geschütze. 401
von 100 Feuerschlünden auffahren liess, deren Beispiel eine Plage aller
Armeen Europas und eine über allen Budgets schwebende Drohung
werden sollte.
Die Feldzuge in Russland und Sachsen führten, indem sie die Ver-
nichtung der Veteranen vollendeten, an deren Stelle junge Rekruten
traten, eine neue übermässige Verstärkung der Artillerie herbei und
brachten die Zahl ihres Personals auf die vorerst angegebene Höhe.
Man könnte fragen, welchen Wert diese Artillerie haben konnte, da sie,
wie die übrige Armee, notwendigerweise aus Konskribierten bestand.
„Auf diese heikle Frage habe ich nur eine Antwort bereit" — sagt
General Suzanne^^) — ^^der Kaiser wusste, dass der Kanonier, welches
auch das Motiv dieses moralischen Phänomens sein mag, ob Instinkt,
Vorurteil, Ehrgefühl oder Erziehung, sein Geschütz nicht verlässt; er
stirbt neben ihm oder wird mit ihm genommen. Das war immer so und
wird, hoffe ich, immer so sein!"
Nach dem Untergang der Infanterie in Russland hatte der Kaiser
1400 Geschütze aufstellen wollen; das waren beinahe B Stück auf je
1000 Mann der 300000 Kämpfer, die er im Frühjahr 1813 zusammen-
bringen konnte. Nach den Verlusten, die sie bei Lützen, Bautzen, Kulm
und Dresden erlitten hatte, kämpfte die französische Artillerie bei
Leipzig während zweier Tage mit 600 Kanonen gegen die 900 Geschütze
des verbündeten Europa.
Die Wirkung der Geschütze war aber, wie schon angedeutet wurde,
sehr gering.
Die Leistungsfähigkeit der Geschütze im erstell Viertel des J^tr- ß^'^ "it^!"
hunderts beruhte auf der Wirkung der Vollkugeln, Granaten und öMchütee im
TT- J.-X 1 !• Viertel
Kai'tatschen. dee
Die Vollkugeln wurden zur Einleitung und Durchführung des "^^^^Jjj,'"
Kampfes auf gi^össere Entfernungen gegen die feindlichen Kolonnen und
zum Demontieren der Geschütze mit genügendem Erfolge verwendet.
Es ist bekannt, dass durch ein Geschoss mitunter in den tiefen Kolonnen
10, 20 oder noch melir Leute ausser Gefecht gesetzt wurden. Auch
die Wirkung gegen das tote Material der feindlichen Artillerie war meist
nicht unbedeutend.
Die Granaten wui-den, ausser gegen Truppen, besonders zum Be-
schiessen von Gehöften, Oertlichkeiten und verdeckten Zielen ver-
wendet.
Die Kartätschen waren, sowohl beim Angiiffe wie bei der Ver-
teidigung, das Geschoss für den Nahkampf und die Entscheidung, ihre
'0 General Suzanne: „Histoire de 1' Artillerie frangaise".
Bloch, Der sakfinftige Krieg. 26
402 VI. Taktik der Artillerie.
Wii-kung war in der That bei der starken Geschützladung und dem
hohen Kugelgewichte entscheidend.
Es ist daher begreiflich, dass bei der langsamen Ladeweise und
der geringen Wirkung der Gewehi*e, die auf Entfernungen von mein- als
200 Meter wenig zu fürchten waren, die Artillerie beim Angi'iffe gegen
die Infanterie bis auf 300 Meter und noch darunter herangehen, und ein
entscheidendes Kartätschfeuer eröffnen konnte.
Sireben «»ch j)^^ Verhältnis von Wirkung und Beweglichkeit der Geschütze
möglicher wurdc durch die Erfahrungen der Kriege mit Frankreich in ein
^Ih de? Extrem gedrängt; teilweise geschah dies durch die beweglicher gewordene
MfKl)*uin I^^J^^iJ^ ^^^ Infanterie. Das Streben nach grösstmöglicher Beweglichkeit
ihrer Wirk- blieb im WacJiseu, ja man ging bald über das zulässige Maass hinaus,
trotzdem von urteilsfähiger Seite hervorgehoben wurde, „dass der erste
Grundsatz für die Artillerie die Wirkung bleiben müsse", ^s)
Die Artillerie Napoleou III. hatte, gleich seinem Onkel, eine Vorliebe für die
im Krim-
kriege. Artillerie, deren Wesen er mit Eifer studiert hatte. Er wollte für die
Geschütze dieselbe Verbesserung herbeiführen, welche fiir das Gewehr-
feuer durch Einführung der gezogenen Läufe erreicht worden war.
Aber in der französischen Armee waren die Grundsätze Napoleons
bezüglich Verwendung der Artillerie noch zui* Zeit des Krimkrieges die
heiTSchenden und sie wurden an der Alma, wie an der Czernaja und bei
den Stürmen auf die Karabelnaja befolgt.
Was die Verwendung der Artillerie russischerseits anbetrifit, so war
sie in Folge der technischen Mängel nur eine sehi* mangelhafte.
Urteil Der k. k. F.-Z.-M v. Hauslab, in Bezug auf Vei-wendung der Feld-
von Hw8i»b. artillerie gewiss eine Autorität, äusserte sich folgendermaassen über den
Krimkrieg : **)
„Die Verbündeten mussten aus weiter Entfernung ihre Streitkräfte
nach der Krim überschiffen und konnten daher nicht mit stärkerer Macht
auftreten. Anders war es bei den Russen. Diese schickten, um die
Gegner zu überbieten oder wenigstens ihnen gleich zu bleiben, ein ganz
normal zusammengesetztes Armeekorps nach dem anderen hinab. Jedes
Korps hatte seine Artillerie, seine Reiterei, aber — die Kosaken ab-
gerechnet — auch nicht mehr. Hätten sie letztere beide Waffen, an
denen sie Ueberfluss hatten, und worin es die Alliierten ihnen niemals .
gleich thuu konnten, von mehreren Aimeekorps zusammengezogen und a
^*) Maiidry: „Waffenlehre".
**) „Jahrbüclier für die deutsche Armee und Marine": „Betrachtungen
über die Dauer der künftigen Kriege und deren Mittel".
Eiiifluss der Vcrvollkoimiiuuugeu der Geschütze. 403
hinabgeschickt, so würde der Erfolg vielleicht ein ganz anderer
gewesen sein."
Oesterreich, welches in den Krieg beinahe hineingezogen wurde, ^^Xu^%
und voraussah, dass es bei der durch den Frieden von Paris neu- Hebungg-
▼oreiiehe der
geschaffenen Lage in längerer oder kürzerer Zeit in einen Krieg mit Artiuerie
Sardinien verwickelt werden würde, beeilte sich, seine Geschütze um- ™h^tm'
zuändern. Krimkriege.
Ueber die Grenzen der zulässigen grössten Gebrauchs- und der
entscheidenden Schnssweiten lässt sich auf Grund der Versuchsergebnisse
Folgendes sagen.
Es konnten für den Kugel- und Granatschuss der leichten bezw.
schweren Kanonen und Haubitzen angenommen werden als
grösste Entfernungen .... 1050 bezw. 1200 Meter
noch brauchbare Entfernungen . 900 „ 900 „
Die mehrfach schwankenden Ansichten über die grössten anwend-
baren Shrapnel-Schuss-Entfemungen setzten in den fünfziger Jahren für
die leichten Kanonen und Haubitzen 900 Meter, für die schweren 1050 Meter
als Grenzen fest.i^)
In Frankreich beeilte man sich im Jahre 1858, in Voraussicht des ^» H'**«-
' ^ Bronze-
Krieges mit Oesterreich, die Bronce-Kanonen nach dem System La Hitte kanone in
umzugestalten, so dass die französische Armee 1859 den Feldzug mit
einem Kriegsmaterial eröfinen konnte, das demjenigen Oesterreichs be-
deutend überlegen war. Die Franzosen hatten 40 Batterien gezogene
Kanonen von 4 und an 20 Batterien Feld-Haubitzen von 12 Geschützen.
Projektile von zylindrisch-gewölbter Gestalt hatten die sphärischen
Kugeln ersetzt; endlich war der Shrapnelschuss, d. h. der Kartätschschuss
auf weite Entfernungen, eingeführt worden.
Der doktrinäre Sinn deutscher Taktiker brachte es glücklich zu Stande, ^^^^^^
die einfachsten Grundsätze Napoleonischer Taktik zu verwischen, und an DoictriMris-
deren Stelle im ganzen Feldzug von 1859 ein teils falsches, teils kom- wendung
pliziertes System von Verhaltungs- und Ausnahmeregeln zu setzen ^ß)^ ^w^^rtniem
obgleich doch das Auftreten der österreichischen Artillerie im Kriege ««b« "69.
mit den Ungarn im Jahre 1849 bei Raab, Szöreg (93 Geschütze) und
Temesvar (114 Geschütze) schöne Beispiele der Bildung und Verwendung
grosser Artilleriemassen geliefert hatte, wobei freilich zu bemerken ist,
dass diese Schlachten überhaupt reine Artillerieschlachten waren.
Die grössere Tragweite, Treffsicherheit und Durchschlagskraft der
gezogenen Handfeuerwaffen brachten die Artillerie in eine missliche Lage.
^^) Müller: „Die Wirkung der Feldgeschütze**.
^«) Maresch: „Waifenlehre".
26*
404 VI. Taktik der ArtiUerie.
dMHiSter^ -^ Preussen hatte man, wie in Frankreich, wichtige Verän-
i^aang derungen im Artilleriematerial vorgenommen. Aber man hatte eine
Kalone*- andere Richtnng verfolgt; man brachte bei der Kanone die Hinterladung
xSl^n^n *n *^ ^^^ sobald um 1868 die ersten Vei-suche mit gezogenen Kanonen
preoaBen. gemacht worden waren, versuchte man die bestehenden Geschütze ent-
sprechend umzugestalten.
Der Erfolg der französischen gezogenen Kanonen bei Solferino 1859
beschleunigte die Lösung dieser wichtigen Frage, und noch ehe dieser
Feldzug beendet worden war, wurde Befehl gegeben, 300 gezogene
Kanonen fertigzustellen.
Bisher, sagt Fürst Hohenlohe in seinen „Briefen über die Ai1;illerie",
war der durch die glatten Geschütze auf 1000 Schritt (750 Meter) erlangte
Erfolg so unsicher, dass die Artilleristen zu sagen pflegten: „Der erste
Schuss ist für den Teufel, der zweite für den lieben Gott und der dritte
erst ist für den König."
Dies bedeutet, dass auf 750 Meter Distanz ein Ziel von 30 bis 40 Meter
Breite und 2 Meter Höhe nur vom dritten Teil der abgegebenen
Schüsse erreicht wurde.
Bei Entfernungen von 1250 bis 1500 Meter war man schon absolut
ausser Schussbereich der Artillerie.
Heutzutage ist man bei doppelt so grossen Entfernungen noch nicht
aus dem Bereich des Artüleriefeuers.
PreuMiscLe Als 1864 der Krieg gegen Dänemark ausbrach, war schon ein
1864 u. 1866. Drittel der preussischen Feldartillerie mit gezogenen Geschützen aus-
gerüstet, auch hatte man als leichtes Geschütz bereits den Vierpfünder
eingesteUt.
Im Jahre 1866 besass jedes Armeekorps 4 Batterien gezogener
Sechspfünder und 4 Batterien gezogener Vierpfünder, jedem Armeekorps
verblieben aber noch 6 Batterien glatter Kanonen,
ueberiegen- j^j^u hatte auf dics Material übertriebene HoflEhungen gegründet.
heit der « o o
österreicid- Jedoch dcu Sicg brachte nur die bessere Führung und das Zünd-
Arüuerie uadelgewehr; der Ai'tillerie hatte sich die österreichische als überlegen er-
gegenftber diesen,
der preussi-
schen Das Werk des preussischen Generalstabes über den Feldzug 1866
"i86*6." sagt: „Die (preussische) Infanterie focht fast ganz allein, sie fand geringe
Unterstützung an der Kavallerie und der grösste Teil der Artillerie verblieb
in Stellungen, aus welchen sie auf das eigentliche Gefechtsfeld nicht zu
wirken vermochte. Dem gegenüber nützten die Oesterreicher, bei voller
Freiheit ihrer Bewegungen, alle Waffen aus, und konnten die
ganze Ueberlegenheit ihrer Geschützwirkung zur Geltung
bringen."
Einflüss der Veryollkommnungen der Geschütze. 405
Langlois^T) berechnet die Schussweite in Metern:
Oesterr. Geschütze Preuss. Geschütze
4 pfundige .... 1760 4 pfundige .... 2500
8 „ .... 975 6 „ .... 2380
Die preussischen Kanonen waren also vollkommener, jedoch ver-
stand man nicht den Vorteil auszunützen.
Die Anzahl der in der Schlacht von Königgrätz beteiligten Geschütze, Artiueri« in
stundenweise geordnet, ergiebt: von
Geschütze KöniggräU.
österreichische preussische
8 Uhr 8 12
9 „ 32 12
12 „ 80 18
1 „ 80 26
2 „ 80 38
2V« „ .80 74")
Man kann wohl kaum einen schlagenderen Beweis für die Un-
voUkommenheit der Anwendung der Geschütze jener Zeit beibringen.
Heute würde eine Artillerie, die numerisch dem Gegner so nachstände,
sofort zum Schweigen gebracht werden.
Derselbe Langlois sagt: „Die Verwendung der preussischen Artillerie
im Jahre 1866 war in technischer wie in taktischer Hinsicht gleich
fehlerhaft gewesen; man hatte die Folgen der neuen Bewaffnung nicht
begriffen."
Aber es zeigt wieder dieselbe Erscheinung: den Fehlem wird
nachgeforscht und diese werden dann gutgemacht.
Nach den Ereignissen von 1866 erkannte man in Preussen die ver-
, grÖBserung
Notwendigkeit eines höheren Kommandos, eines taktischen Gruppen- der
kommandos, um das Zusammenwirken der Kräfte zu sichern, das allein, Ei^heuln
besonders bei der Artillerie, gute Resultate herbeiführen kann. Von da datiert ^®'J^®^*""
die Vergrösserung der taktischen Einheit, d. h. die Bildung einer zweckmässig Artillerie
organisierten „Abteilung", die im Kriege 1870 so grosse Dienste geleistet hat.
In Preussen (und in anderen deutschen Staaten) wurde durch den Aasscbeiden
der glatten
Krieg von 1866 der letzte Zweifel an der Notwendigkeit einer gänzlichen aeeehatce
Ausscheidung der glatten Geschütze beseitigt. Im April 1867 wies die j^reuL^Ln
preussische Feldartillerie schon ausschliesslich gezogene Geschütze auf. ^ !j*|^-.
In der Epoche von 1866 bis 1870 begnügte man sich nicht damit, die
Prinzipien der taktischen Verwendung dieser Waffe festzustellen, sondern
^^ „Artillerie de campagne.^
*•) Langlois: „Artillerie de campagne."
406 VI. Taktik der Artillerie.
man entwickelte die Schiessinstruktion, yervollständigte das Material und
studierte mit Sorgfalt das Problem des Munitionsersatzes auf dem
Schlachtfelde und die Munitionsversorgung der Kolonnen im Armeepark.
Endlich hatte man in Preussen auch noch die Verwendung der Ab-
teilung oder Gruppe von 3 bis 4 Batterien, wie vorhin schon erwähnt,
als taktische Einheit auf dem Schlachtfelde eingeführt, ^d)
, ^*t ^ In Frankreich wurde dagegen das Material La Hitte als jedem
Artillerie im anderen tiberlegen betrachtet und man behielt es bei, aber vervollständigte
ege 1870. ^^^ verbesserte es noch, um sich seiner während des Feldzuges von 1870
gegen die deutschen Heere zu bedienen.
„Bei Beginn des Krieges 1870—1871 waren in der französichen
Feldartillerie Bronzekanonen von 4-, 8- und 12 pfundigem Kaliber vor-
handen und 25 läufige Mitrailleusen. Die Kanonen schössen. mit gewöhn-
lichen (einwändigen) Granaten, Shrapnels und Kartätschen. Granaten
und Shrapnels waren zuerst mit Zeitzündern von zweifacher Stellung
versehen, welche häufig weit vor dem Ziele ztindeten; sie wurden aber
bald bei Granaten und teilweise auch bei Shrapnels durch Perkussionszünder
(Demarais) ersetzt, die Wirkung der Geschütze erfuhr hierdurch indessen
nur eine geringe Steigerung. "20)
Bis zum Jahre 1870 war das stärkste der französischen Feldgeschütze
die 12 Centimeter-Kanone, deren Granaten ca. 22 Sprengstücke ergaben.
Ungenügende Auf 3000 Meter Entfemuug schoss dies Geschütz mit einer Ziel-
Abweichung von etwa 400 Meter Distanz und 3,60 Meter Richtung. Die
Granaten waren mit einem Zeitzünder versehen, der bei Stellung auf
kleine Distanz von 1300—1500 Meter oder bei SteDung auf grosse Distanz
von 2500 — 2800 Meter zündete. Alles dies war wenig wirksam.
Falls die Zündung bei Distanzen von weniger als 1300 Meter oder
von 1600 — 2600 Meter erforderlich war, musste man ricochetieren, was
natürlich den Flug des Geschosses hemmte und dessen Krepieren noch
vor dem ins Auge gefassten Ziel zur Folge hatte. Ausserdem veränderte
beim Aufschlagen des Greschosses der kleinste Stein auf dem Wege
oder jedes andere Hindernis die Richtung. Deshalb wurde im Kriege
1870 der Raketenzünder durch den Perkussionszünder von Demarais
ersetzt, welcher das Geschoss in beliebiger Entfernung, sobald dasselbe
nur auf dem Boden aufschlug, krepieren Hess. Dies war schon sicherer,
aber häufig wirkte das Piston der Röhre nicht, oder wenn es wirkte, doch
nicht gerade im Moment des Aufschiagens auf den Boden, sodass falls der
") Waldor de Heusch: „La Tactique crautrefois."
^) Potozki: „Artillerie", Lieferung Tl.
:liinf*n b«l Saltt 107.
Einduss der Vervollkommnungen der G^escliütze. 407
Boden nur einigermaassen locker war, das Geschoss sich einwühlte, fast
ohne Sprengstücke zu geben. 21)
In Preussen war die gesarate Artillerie schon vor dem Kriege "®^J^**®""
mit 4- und 6pfündigen gezogenen Gussstahlgeschützen versehen, deren der deutachen
Vorzug vor den französischen Geschützen während des deutsch -fran- 1870.
zösischen Krieges deutlich zu Tage trat. Dieser Vorzug bestand sowohl
in der besseren Konstruktion der Geschütze und Geschosse (grcissere
Treffsicherheit, Granaten mit Perkussionszündung) als auch in ihier
rationelleren Verwendung.
In Folge dessen war die deutsche Artillerie der französischen ent-
schieden überlegen, was sich in allen Schlachten bethätigte.
Der deutsche offizielle Bericht über den Feldzug von 1870—1871
stellt mit lobenswerter Unparteilichkeit die Wirkungslosigkeit des Feuers
der französischen Batterien fest, die mit der deutschen Artillerie den Kampf
nicht aufnehmen konnten. Von der Schlacht bei Spicheren sprechend,
sagt oben zitiertes Werk, dass die französische Artillerie mit höchst
mittelmässigen Erfolgen schoss.
Bei Wörth besetzten die Franzosen die Anhöhen. Das Feuer ihrer ^ Wirkung
derdeatacneu
Artillerie, von der ein Teil (48 Kanonen) in Reserve gehalten wurde, war Artuierie bei
vollkommen ohnmächtig. Schon von 9V2 Uhr Morgens an konnten die
Deutschen 108 Geschütze auffahren, die bis zum Augenblick des Angriffes
fortwährend in Thätigkeit waren; so konnte die deutsche Artillerie
10 Stunden lang die Stellung des Feindes in Ruhe beschiessen. Ihre
Kanonade war dementsprechend äusserst wirksam. Gleich zu Beginn
mussten die Mitrailleusen die Stellung räumen. Die französischen
Batterien hielten das Feuer aus, erzielten aber beinahe keine Resultate,
denn die meisten Granaten, welche in der Nachbarschaft der deutschen
Geschütze zur Erde fielen, krepierten nicht. (G. E*-M' All*, I«' partie, I«'
volume p. 226 et 227.)
Somit sahen die Franzosen, dass ihre Kanonen keinerlei Wirkung
erzielten, und während des Kampfes wurden die 108 deutschen Kanonen
noch um 127 Stück vermehrt. Diese furchtbare Artillerie schleuderte,
indem sie sich fortwährend näherte, 19704 Geschosse.
Der General von Boguslawski^), ein hochverdienter Taktiker, Kom-
mandeur des 50. Infanterie-Regiments, welches sich so tapfer und mit so
viel Zähigkeit schlug, dass es mehr als den dritten Teil seines Bestandes
verlor, erklärt: „Die Wirksamkeit unserer Artillerie im Kampfe gegen die
'*) Om^ga: „L*art de combattre**.
»») „NoiiveUes l^]tiides sur la Bataille de Woerth", par von Bo^iislawski,
G enerallieuteuant.
408 VI- Taktik der Artillerie.
der Franzosen war enorm. Während einer Stunde konnte das Zentrum
des Feindes keine einzige Granate entsenden. Die französische Infanterie
muss gleichfalls gelitten haben. 2«)
st&rke der \\rir dürfeu aber nicht vergessen, dass zugleich ein anderer, noch
und mächtigerer Faktor wirkte : die Ueberzeugung von der faktischen üeber-
b^e^wX legenheit der Deutschen.
Wir wollen darauf hin die Zahl der Truppen, die am Kampfe teilnahmen
und die in der Nachbarschaft des Schlachtfeldes standen, ansehen. 34)
Bataillone Schwadronen
Infanterie Kavallerie Batterien
Schlachtfeld
Franzosen 67 36 22
Deutsche 84 39 4ß
In der Nähe des Schlachtfeldes
Franzosen 18 9 6
Deutsche 44 63 M
Also insgesamt
Franzosen 76 44 28
Deutsche 128 102 80
Die Artillerie Au dcr Stelle, WO der preussische Generalstab von der Schlacht bei
Graveiotte. Gravelottc uud dem Angriff auf die Ferme Saint-Hubert spricht, konstatiert
er gleichfalls die Ohnmacht der Verteidigungsartillerie.
Man liest Seite 741, 1. Theil, Band 11:
Der Feind zögerte nicht, mit seinen bei Point du Jour wohl auf-
gestellten Geschützen durch ein äusserst heftiges Feuer zu antworten.
Granaten, Shrapnels, Kartätschen regneten ohne ünterlass auf diesen
Teil des Schlachtfeldes, brachten jedoch fast gar keine Wirkung
hervor.
Die deutsche Artillerie hatte allen erwünschten Erfolg. Wir lesen
Seite 769 desselben Bandes:
Von diesen neuen näherliegenden Positionen aus nahm die Artillerie
das Feuer wieder gegen dieselben Punkte des gegenüberliegenden Plateaus
mit augenscheinlichem Erfolge auf. Die Geschütze, welche der Feind dort
zeigte, wurden kampfunfähig gemacht oder zum Rückzug gezwungen,
so dass bald einige der preussischen Batterien ihrem Feuer die Richtung
gegen St. Hubert geben konnten.
") Beiheft zum „Militär -Wochenblatt" 1872. Alt u. Lehmann: „Die
deutsclie Artillerie in den 25 Schlachten."
**) Langlois: „Artillerie de camy)agne".
Einfluss der Vervollkommnungen der Geschütze. 409
Die Schlacht von Sedan war schliesslich auf den entscheidenden scji^cw ▼<»>»
Sedan —
Punkten eine Artillerieschlacht mit ungleichen Waffen. Deutscherseits Arünerie-
traten auf: 599 Geschütze, welche 66568 Greschosse verfeuerten. ^ **
Den besten Beweis von der Ohnmacht der französischen Artillerie
können uns aber wohl wieder Zifiem liefern.
Im Zweikampfe der Artillerien konstatieren die von Hoftbauer und
Leo 25) gemachten Erhebungen bei 420 Batterie-Engagements als demontiert
deutsches Material nur 6 Lafetten, 8 Protzen, 1 Munitionswagen, 36 Räder
und 6 Verschlussapparate.
Mit Recht sagt also „rAvenir militaire", 1. März 1892: „Man muss -Y,^^f"*'
^^ " ' " militaire"
den Lehren von 1870 misstrauen. Die preussische Artillerie hatte leichtes über die xr-
Spiel gegenüber unseren ohnmächtigen Geschützen, die mit ihren Projektilen Krii^rTiwo.
das unwirksamste Kriegsmaterial waren, das je existiert hat."
Wenn man den Charakter der Schlachten des Feldzuges 1870/71
ihrer Anlage und ihrem Verlaufe nach, sowie die Beteiligung der
Artillerie an ihnen studiert, so wird man finden, dass diese zur selbst-
ständigen Durchführung des Kampfes nur bei Wörth, Gravelotte, Noisse-
ville (2. Tag) und Sedan eingegriffen hat.
Im weiteren Verlaufe des Feldzuges war die übriggebliebene und
die neu formierte französische Armee schon im Zustande des Niedergangs
und auf deutscher Seite eine solche Uebermacht vorhanden, dass die voll-
ständige Ausnutzung der Artillerie eine noch viel grössere Bedeutung hatte.
Jedenfalls kann nicht geleugnet werden, dass in allen Gefechten
seitens der deutschen Truppenführer die Artillerie vortrefflich gebraucht
wurde.
Die Resultate des Krieges waren so erstaunlich, dass alle Mächte Verbesserung
der
mit grosser Hast an die Verbesserung der Geschütze und der Art ihrer aeschtttee in
IT :i • allen Staaten
Verwendung gingen. seit i87o.
Ueberall führte man neue Geschütze ein. Deutschland 1873—1888,
Oesterreich 1875, Italien 1874—1881, Frankreich 1877, Russland 1877—1879.
Diese Zeitpunkte der Einführung vervollkommneter Modelle haben
ihre besondere Bedeutung.
Als Bismarck im Jahre 1876 die Absicht gehabt haben soll, Frank-
reich zum zweiten Mal niederzuschmettern, hatte in Deutschland schon
eine Reform der Artillerie stattgefunden, während Frankreich und Russ-
land eine solche noch nicht in Angriff genommen hatten.
Dies sollte sich an Russland, als der Krieg mit der Türkei 1877 ^"- ^
^ *^ genügende
ausbrach, schwer rächen. russische
Artillerie im
Kriege 1877.
**) Waldor de Heusch: „De l'occnpation des positions dt'fensives d'apres.**
Hoffbauer: „Die deutsche Artillerie."
410 VI. Taktik der Artillerie.
In den Gefechten und Schlachten des russisch-töikischen Krieges
hat die Artillerie durchschnittlich nicht jenen Einfluss ausgeübt und die An-
griffe der Infanterie nicht so "wii'ksam vorbereitet, als man hätte erwarten
sollen ; die meisten Gefechte machen den Eindnick, als ob die Mitwirkung
der Artillerie auf ihren ganzen Verlauf keinen nennenswerten Einfluss
gehabt hätte. Der Grund dieser Erscheinung liegt hauptsächlich darin,
dass die Artillerie ihrer Aufgabe nicht gewachsen war.
Die Notwendigkeit der raschesten Umänderung des Greschützmaterials
trat sofort nach den ersten Kämpfen klar zu Tage, und so wurde Krupp
in Essen mit der Herstellung von 1100 Gussstahlkanonen beauftragt,
während 1700 Kanonen auf der Obuchow'schen Fabrik angefertigt
wurden. 36)
Di« bi»- Diese kurze Uebersicht über die Verwendung der Geschütze
nerige Ver- ,
wendang d«r zeigt uus, dass eiu Vergleich mit der Gegenwart zu irrigen Schlüssen
ennögUcM «ihren muss.
's^hiSlir Nicht allein die Wirkung jedes einzelnen Geschützes war un-
i« B«ng »uf verhältnismässig schwächer, als sie im künftigen Kriege sein wii'd,
im zukuDfui- sondern auch die Anzahl der Schüsse wird in Folge der gemachten Ver-
kriege. ^^ggermig eine ganz andere sein als in der Vergangenheit.
Eine Vergleichung der in den einzelnen grösseren Sclilachten ver-
brauchten Geschosse seit dem Jahre 1869 mit den Anforderungen, welche
militärische Autoritäten für den Zukunftskrieg stellen, wird uns den Beweis
hierfür liefern.
suüstik des Artilleriemunition, welche pro Geschütz im Laufe einer
Tttrbruciu Schlacht verbraucht wurde:^)
fftr die
Artuierie in 1859 Frauzoscu Solfcriuo 53
schuchuii. lo^O „ Rezonville 61
1870 „ Saint-Privat 58
1813 Preussen Gross-Görschen 68
1813 „ Bautzen 56
1813 „ Gross-Beeren 38
1813 „ Katzbach 35
1813 „ Dresden 16
1814 „ Paris 47
1815 „ Ligny 47
'*) „Skizze der Umbowaffnung in der heutigen Artillerie". Petersburg 1889.
'0 «Bevue de TArmöe Beige" : „De la Reduction du Cliarroi dans los Batteries
de Campagne", d'aprös Ploix: „Le Service a l'arriero dans rArtillerie". —
„Revue d'Artillerio". Fevrier 1884. — Wille: „Ueber die Bewaffnung der Feld-
Artillerio".
I
I
i
Einüuss der VervoUkommnungen der Geschütze. 411
1815 Preussen Waterloo 41
1870 „ Wörth 40
1870 „ Borny 18
1870 ,, Rezonville (Vionville oder Mars la Tour) ... 88
1870 „ Gravelotte (St. Privat oder Lignes d'Amanvillers) 63
1870 „ Sedan B7
18B9 Oesterreicher Magen ta 14
1859 „ Palestro 32
1859 „ Solferino ' . . 29
1864 „ Ober-Selk 22
1864 „ Oeversoe 47
1864 „ Veüe 19
1866 „ Trautenan und Soor 76
1866 „ Nachod 63
1866 „ Skalitz 36
1866 „ Königinhof und Schweinschädel 28
1866 ,. Münchengrätz 17
1866 ,, Gitschin 42
1866 „ Kukus und Salney 30
1866 „ Königgrätz .69
1866 „ Blumenau 70
1866 „ Custozza 48
1866 Sachsen Königgrätz 28
Artilleriemunition, pro Geschütz während der ganzen Dauer Art"ierie-
munition
des Feldzuges verbraucht: proGeschüte.
1859 OesteiTeicher 32,5
1864 „ 29
1866 „ 95,6
1866 „ auf dem Kriegstheater in Böhmen 107
1866 „ „ Italien 48
1866 „ „ Deutschland .... 55
1866 Sachsen 20
186(] Preussen (gezogene und glatte Kanonen) während des
ganzen Feldzuges 40
1866 ,, (gezogene Kanonen) 57
1866 ,, auf dem Kriegstheater in Böhmen (gezogene und
glatte Kanonen) 38
1866 „ auf dem Kriegstheater in Böhmen (gezogene
Kanonen) 66
412 VI. Taktik der Artillerie.
1866 Prenssen auf dem Kriegstheater in Deutschland (gezogene
und glatte Kanonen) B4
1866 „ auf dem Kriegstheater in Deutschland (gezogene
Kanonen) 62
1870—71 Prenssen, Badenser und Hessen 199
1870—71 Baiem 260
1870—71 Sachsen 162
1877—78 Bussen 12B
Aus diesen Ziftem ergibt sich, dass der Munitionsverbrauch be-
deutend im Steigen begriffen ist.
iMgXoia Dass die moderne Bewaffnung der Infanterie mit dem kleinkalibrigen
TorauBsicht- Kepctiergewehr unter Anwendung des rauchschwachen Pulvers, sowie die
Aufiwd dadurch bedingte teilweise Aenderung in der Truppenführung die Thätigkeit
an Artillerie- ^^1- Feldartülerie im Kampfe stark erhöhen muss, unterliegt keinem Zweifel ;
mnnitioii .
im nftehsteii wlc Weit aber die Mutmaassungen m dieser Hinsicht gehen können, zeigt
Kriege, f^jg^j^^^ Schätzuug, wclchc Obcrst Langlois im zweiten Bande seines
im Jahre 1892 erschienenen bemerkenswerten Werkes 28) mitteilt: „Der
Aufwand an Ärtilleriemunition im nächsten Kriege wird unsere über-
triebensten Erwartungen übersteigen. Wir nehmen, um uns in engen
Grenzen zu bewegen, an, dass man blos 100 Schüsse auf die Batterie
und auf die Kampfstunde rechnen darf; in zwei Tagen zu 8 Kampf-
stunden wird man also 1600 Schüsse per Batterie oder 267 Schüsse
per Kanone abgeben, was gerade der Ausgabe der beiden Schlachttage von
Leipzig gleichkommt; und dieser Aufwand darf uns nicht wundern" ....
Indem er weiter eine Verteilung unter die verschiedenen Munitionsstaffeln
eines Armeekorps angiebt, schlägt Langlois vor, die Batterie mit neun
Munitionswagen bestellen zu lassen, wie in Frankreich, was 141 Schüsse
per Geschütz ausmacht,
seusohten- Und Weiter sagt der genannte Verfasser: „Wer könnte zu behaupten
8 bi8*4 Tage, wageu, dass die Schlacht nicht 3—4 Tage dauern, dass der Verbrauch nicht
500 Schüsse per Geschütz in diesem Zeitraum übersteigen wird? Selbst-
verständlich kann man hoffen, dass derartige Zahlen nicht erreicht werden,
aber die elementarste Vorsicht gebietet, uns auf derartige Anforderungen
vorzubereiten — 9000 Schüsse per Batterie in 4 Schlachttagen."
starke Zu- Dazu bcmcrkt er aber unstreitig ganz richtig: „Die menschliche
"*an"dir Energie hat ihre Grenzen und wir glauben nicht, dass sie gross genug
"&I!?^e.^** ist, um zwei Heere während vier aufeinander folgenden vollen Tagen im
Kampfe zu erhalten. Man kann annehmen, dass die Hälfte oder
•®) L' Artillerie de Campagne en liaison avec les autres armes, par le
Colonel Langlois, professeur k l'Ecole superieure de guerre, Paris 1892.
Eiiifluss des rauchschwachen Pulvei-s. 413
wenigstens der dritte Teil dieser 3000 Schüsse gegen die feindliche
Artillerie gerichtet sein wird, welche ebenfalls mit 1600 oder 1000 Schüssen
antworten wird. Was bleibt aber wohl nach solchem Schiessen von einer
Batterie übrig?"
Die Antwort darauf kann keinem Zweifel unterliegen, wenn wir f"*"^*
die Wii'kung der neuen Geschosse ins Auge fassen. , gefecht-
Bei General Rohne^^) finden wir hierüber sehr bemerkenswerte Bemannung.
Angaben. Er erklärt: Um die Hälfte der Bemannung einer freistehenden
Batterie ausser Gefecht zu setzen, werden benötigt, auf 2000 Meter Ent-
fernung — 33 Schuss, auf 3000 Meter — 47, auf 4000 Meter — 90 Schuss.
Gegen Batterien hinter Werken wird man selbstverständlich auf eine
höhere Schusszahl rechnen müssen.
Einflnss des ranchschwachen Pnlvers anf die
Taktik der Artillerie.
Bei unseren Ausführungen über das rauchschwache Pulver haben ^Jg'jjj^*^"
wir schon seine Eigenschaft hervorgehoben, dass nämlich in der für ^^
Artillerieschüsse gewöhnlichen Entfernung der Pulverdampf nicht wahr- des »uck-
genommen werden kann. *pIiw^*"
Das frühere Pulver bezeichnete mit dem Moment der Feuereröffnung
deutlich die Stelle, von der aus die Schüsse erfolgten, und obwohl es die
Schützen selbst den Augen des Gregners entzog, so bildete doch auf jedem
Schlachtfelde die Rauchlinie das Ziel für die Richtung des feindlichen
Feuers, mit einem Wort, in jedem gegebenen Moment wurden die Geschütz-
linien durch den sichtbaren Pulverdampf bezeichnet.
Mit Einfuhrung des neuen Pulvers ist eine solche Bestimmung teil-
weise schwierig, teilweise gar unmöglich geworden, da nur die Spreng- fewt
ladung einen Zusatz von Schwarzpulver enthält, welches einen tief-
dunklen Rauch erzeugt und es gestattet, das Einschlagen der Geschosse
zu beobachten. In allen anderen Fällen kann man über die Richtung der
Schüsse nur noch mit Hilfe des Gehörs urteilen, aber nach Ansicht der
Fachmänner kann die Bestimmung nach dem Gehör niemals die früliere
Orientierung vermittelst des Auges ersetzen.
Raaeh-
orieniining
'•) General Kohne : „Beurteilung der Wirkung beim Schiessen" im „Militär-
Wochenblatt", 1895.
414 VI. Taktik der Artillerie.
Bed«ainiig Glelchwohl legen nicht alle Militärschriftsteller dem Unterschiede,
der " ,
Feaers&uie. welcher durch das Fehlen des Rauches auf dem Schlachtfelde gegen früher
bedingt wird, besondere Bedeutung bei. Obwohl in Wirklichkeit der
Rauch v,on dem „rauchlosen" oder, richtiger ausgedrückt, rauchschwachen
Pulver auf weitere Entfernungen hin nicht sichtbar sei, so ersetze ihn
.doch die Feuersäule der verbrennenden Gase, die bei jedem Schusse
auf gi-össere Entfernungen noch deutlicher sichtbar sei, als bd dem
fiiiheren Pulver. Nach diesem Feuerschein könne Bäan auf drei Kilometer
Entfernung nicht nur die Position der Artillerie, sondern auch die Zahl
ihrer Geschütze genau bestimmen. Demnach werde, sagen die einen,
trotz des mangelnden Rauchs des neuen Pulvers jeder Kanonen-
schuss der Beobachtung zugänglicher als früher, nur mit dem Unter-
schiede, dass man beim früheren Pulver die Position der feindlichen
Artillerie mittels der Rauchwolke bestimmte, während sie jetzt die bei
jedem Schusse auftretenden Feuersäulen bezeichnen. Hierauf wird aber
erwidert, dass man in vielen Fällen die Batterien hinter einer Deckung
postieren wird, um die Feuersäulen unsichtbar zu machen. Zu diesem
Zweck brauche man nur die Geschütze 6 Meter hinter einer Deckung von
Brustwehrhöhe aufzustellen, das Feuer werde dann unter keinen Umständen
mehr sichtbar sein. Dass eine derartige Stellung der Geschütze ihre
grossen Nachteile hat, unterliegt keinem Zweifel, und dennoch spricht die
Wahrscheinlichkeit dafür, dass man im zukünftigen Krieg zu solchem
sozusagen indirekten oder gedeckten Schiessen gezwungen sein wird.i)
niu**aitem ^^^^^ gebeu auf der folgenden Seite nach der „Revue Encyclop6dique**
und neuem Abbildungen der Schüsse mit dem alten und neuen Pulver.
Pnlver. ^
Schwierig- In jedem Falle ist es seit Einführung des rauchschwachen Pulvers
Truppin- sogar schou bei den Friedens -Manövern in Folge der grossen Flächen,
bewogungen {^ Folge der zerstreuten Ordnung und des Suchens nach Deckungen weit
zu erkennen. . ^ "
schwieriger geworden, die Truppenbewegungen zu erkennen und die
eigenen Truppen von denen des Gegners zu unterscheiden. 3)
Grössere Ge- Dicser Umstaud ist bei Berechnung der Möglichkeit der Verluste
Ah r dang
der in zukünftigen Kriegen ebenfalls in Rechnung zu ziehen. Was den
bldietung. direkten Einfluss des neuen Pulvers auf die Geschützwirkung betiitft,
so ist noch zu bemerken, dass die Anwendung des rauchschwachen
Pulvers die Gefährdung der Geschützbedienung bedeutend vergrössert
hat. Früher blieb sie dank dem dichten Pulverdampf unsichtbar. Der
Dampf hinderte wohl das Zielen, aber auch die feindlichen Schützen
0 Michnewitsch: „Ueber den Einfluss des Kalibergewehrs auf die Heeres-
taktik."
') Charles Dilke: „Les armees frangaises".
a
o
in
o
EJnSusR des muuhscli wachen Palvera. 415
vermochten liierbei nicht die Geschützmaimschaft geuaa aufs Kom zq
nehmen. Obwohl das rauchschwache Pulver, wie schon erwähnt, auch
gegenwärtig beim Schiessen ans GfescWltzen immerhin noch verhältnis-
mässig mehr Ranch erzeugt als Gewehrfener, so verschwindet doch dieser
Dampf fast unmittelbar nach dem Schusse, nnd die Artilleriebedienung
ist nicht mehr vor direkten feindlichen Kemschüssen geschützt.
Alt« Piil«r. Geschützkampf. RMciBcliwKhes Pnlvor.
Alle Gründe, die man zu Gunsten der Aufschüttung von Erd-"*'
decknngen bei der Infanterie anführt, wovon schon die Rede war, recht- i
fertigen gleichfalls die. Wahl gedeckter Positionen für Artillerie. Jedoch '
zieht das Exerzier-Reglement der deutschen Artillerie die Anwendung '
des direkten Schiessens vor und lässt das gedeckte Schiessen nur
dann zu, wenn das erstere je nach Lage des Kampfes oder des Terrains
unmöglich erscheint.
Die Möglichkeit der Dnrchfühmng dieser Bestimmung der deatschen
Schiessvorschrift wird jedoch von verschiedenen Seiten stark angezweifelt.
— Bei dem jetzigen Feuer der Geschütze würden auf wiiksame Ent-
fernung (jedenfalls noch bei 3000 Metern) Batterien selir bald dorch Verinst
ihrei- Bedienung kampfunfähig werden.»)
') „Journal des Sciences MUitaires": „Röle de l'Artillerie dana le combat
de Corps d'Arnii'^e."
416 VI. Taktik der Artillerie.
^ wöobei^"^^ Das ,,Militär-Wochenblatt" widmet der Prüfung der Vor- und Nach-
biatt- über teile, welche durch Anwendung des indirekten iSchiessens für die Feld-
^edeckto)* Artillerie erwachsen können, einen offiziellen Artikel. Der Autor billigt
Schiessen. yoHkommen die von der deutschen Instruktion aufgestellte Regel und
lässt ebensowenig die übertriebene Vorliebe gewisser Ai-tilleristen für
gedecktes Schiessen zu, als die vorgefasste Meinung anderer, die in
dieser Schiessweise nur ein wahres Versteckspiel sehen wollen und der
Artillerie den Vorwurf machen, sie wolle sich den von anderen Waffen-
gattungen mutig ertragenen Verlusten entziehen.
Es würde ein Irrtum sein zu glauben, sagt der Autor, dass die ge-
deckten Positionen die Artillerie vollständig vor den Schüssen des Feindes
bewahren würden; die grossen Massen, die man heutzutage verwendet,
verstecken sich nicht so leicht; wenn es auch den Batterien durch einen
ausnahmsweisen Zufall gelungen sein sollte, ihre Position einzunehmen,
ohne von der feindlichen ArtiQerie, den Vorposten oder Patrouillen ge-
sehen worden zu sein, werden sie doch ihie Gegenwart sogleich bei
Beginn des Feuers verraten. Der Kanonendonner, das Explodieren der
Geschosse, sowie die gleichzeitigen Nachrichten über die wahrscheinliche
Marschrichtung des Angi-eifers werden fast immer dem Feinde die Anhöhe,
hinter der die Masse der Ai-tillerie Position genommen hat, anzeigen.
Es bleibt trotzdem nicht minder wahr, dass die Verluste geringer
sein werden, als wenn sich eine Batterie ungedeckt aufstellt oder eine
„halbgedeckte" Position einnimmt, in welcher bloss die Geschützmün-
dungen den Gipfel überragen, denn, wenn der Gegner auch annähernd
die Stellung der Batterie selbst kennt, so kann er doch nicht wissen, wo
deren Munitionswagen und weitere Wagenstaifeln aufgestellt sind.
J^""' Es ist selbstverständlich, dass Berechnungen angestellt worden sind
rechnungen, o o
zeitond Über die Zeit und Patronenanzahl, welche nötig sein werden, um eine
eine^B^tteri^ Batterie durch lufanteriefcuer ausser Gefecht zu setzen. General Rohne ^j
G^chk ^^» ^^® ^^ Bedienung einer Batterie einschliesslich Offiziere, fnter-
sa setzen, offizicrc uud Manuschafteu an den Munitionswagen auf etwa 50 Mann
veranschlagt werden kann, und wenn die Hälfte davon ausser Gefecht
gesetzt ist, kommt die Batterie ausser Thätigkeit. Um dieses zu erlangen,
sind auf
800 Meter 50 X 14,3 oder 715 Patronen
1200 „ 50X35,1 „ 1755
1500 „ 50X56,1 „ 2805
1800 „ 50X80 „ 4000
erforderlich.
*) General Kohne: „Die Beurteilung der Wirkung beim gefochtsmässigen
Schiessen", im „Militär -Wochenblatt" 1895.
Einfluss des rauchschwachen Ptilvers. 417
Die zum Verfeuern dieser Schusszahl nötige Zeit wird sich nach
■
der ZaM der in Thätigkeit tretenden Gewehre richten. Die Frontbreite
einer Batterie beträgt etwa 100 Schritt; rechnet man dementsprechend
100 Gewehre und setzt folgende Feuergeschwindigkeiten voraus:
bei einer Entfernung von 800 Metern 3,6 Schuss in der Minute
,, 1200 „ 2,6
„ 1600 „ 1,6 „
„ 1800 „ 1,0 „
so braucht man auf
800 Meter rund 2 Minuten
1200 „„ 7 „
1600 „ „ 18«/4 „
1800 „ „ 40 „
Ist die Zahl der feueraden Gewehre gi-össer, so braucht man
natürlich weniger, ist sie geringer, mehr Zeit.
Wir stehen aber vor einer offenen Frage, deren Wichtigkeit für
den zukünftigen Krieg später noch betont werden muss.
Es darf ausserdem nicht vergessen werden, dass beim Schiessen 2f?.®??'*
*^ ^ MöglicBKeit
mit rauchschwachem Pulver die feindlichen Schützen die volle Möglich- ftrfeinduche
keit haben, sich der Batterie des Feindes zu nähern, hinter Unebenheiten .ich an
des Bodens Deckung zu suchen und ohne durch den Pulverdampf verraten ^^^^ "
zu werden, die ganze Geschützbedienung und -Bespannung ausser Gefecht
zu setzen.
Bis zu welchem Grade bei dem jetzigen Gewehr und dem rauch- ^^I*"f.'l
schwachen Pulver der einzelne Soldat gefahrlich werden kann, zeigt ein keit de»
aus dem deutsch-französischen Kriege mitgeteiltes Beispiel. Ein fran- soid»ton*b^i
zösisches Bataillon, das hinter der niedrigen Mauer eines Parkes Deckung ^^^^7 «tS?
gefunden hatte, führte ein lebhaftes Feuergefecht mit einer Abteilung lo^n
Bayern. Einer der Bayern kletterte auf einen Baum und begann zwischen
den Zweigen hindurch auf die Franzosen zu feuern, ein Opfer nach dem
anderen niederstreckend, und erst als der Rauch ihn verriet, wui-de er
durch einige Salven vom Baume herabgeschossen. — Wie aber würde
es sein, wenn statt eines Schützen auf dem Baume ihrer mehrere sässen,
und wenn sie mit rauchschwachem Pulver schössen?
Die bei Manövern mit rauchschwachem Pulver gemachten Err
fahrungen bestätigen, dass durch Bäume und Büsche verdeckte Schützen
auf eine Entfernung von 400 Metena nicht zu entdecken sind. Vor einer
solchen Entdeckung aber kann bei geübten Schützen jeder Schuss ein
Opfer kosten.
Bloch, J>tt sakflnftige Krieg. 27
i*U
41g VI. Taktik der Artillerie.
«^^"« Seit jener Zeit ist das Gewehr bedeutend verbessert worden;
nm ausserdem sind gegenwärtig in allen Heeren spezielle sogenannte „Jagd-
dei FtinAm Kommandos" geschaften, die aus Leuten bestehen, welche trefflich auf weite
konmdM E^^^fern^M^K^ii zu schiessen verstehen und besonders darin geübt sind, sich
unbemerkt an das Ziel heranzuschleichen. Es ist klar, dass für derartige
Kommandos die Aufgabe, sich an eine Batterie heranzuschleichen und die
Geschützbedienung niederzuschiessen. keine besonders grossen Schwierig-
keiten bildet. Man kann bestimmt behaupten, dass alle Armeen speziell für
das Beschiessen der Bemannung der feindlichen Geschütze ausgebildete
Schützen gewissermaassen als Schutzkette vorausschicken werden. Die
französischen, deutschen und österreichischen Heere verfügen über eine
genügende Anzahl solcher Leute. Es ist bekannt, dass für die Entwicke-
lung des Schützensports in Deutschland, Frankreich, Oesterreich und der
Schweiz jährlich bedeutende Summen verausgabt werden und dass die
Bevölkerung dieser Staaten eine Menge trefflicher Schützen aufweist.
Auch in der russischen Armee bestehen bei den einzelnen Truppenteilen
besondere „Jagd-Kommandos".
oeoiirdaDg Weuu also furchtbare Opfer vermieden werden sollen, so darf die
durch die ^ '
Stellang Artillerie auf dem Schlachtfelde nur in günstiger Position erscheinen.
bedingt
Um zu veranschaulichen, dass die Gefahrdung von der Stellung
der Artillerie abhängt, geben wir nebenstehend einige Bilder von
Artillerie - Zielen.*)
^«""kei"/ ^^^^ sogar ganz gedeckt stehende Geschütze müssen, soviel es an-
der Deckung geht, durch Schutzketten ihrer eigenen Infanterie verteidigt werden,
öoimuketten. Vorausrennen und Stellungsänderungen werden gegenwärtig mit sehr
grosser Gefahr verbunden sein.
Jedenfalls ist die Thätigkeit der Artillerie von nahen Entfernungen
aus (bis 1000 Meter) fast unmöglich geworden, und auch auf weitere
Entfernungen (bis 2400 Meter) kann sie leicht durch Infanterie im Schach
gehalten werden. Nur bei Entfernungen über 2400 Meter wird angenommen,
dass die ArtiQerie, welche durch Infanterie wirksam gedeckt wird, eine
gewisse Aktionsfreiheit erhält.
^ibd^m*' Deshalb erübrigt die Frage: wird die Artillerie gegenüber dem
Jetzigen ver- jetzigen vcrvollkommueten Gewehr ihren Vorrang behaupten? Diese
^^neton" Frage kann nur ein künftiger Krieg entscheiden, um so mehr, als die
gfgwttber ^^^^^ Verbesserungen der Gewehre die Gefahrzone noch vergrössern
die Artillerie werdCU.
den Vornng
behaupten Wio wir schou ausgeführt, müssen in Zukunft die Schlachten mit
llni den ^inem mörderischen Artillerie-Zweikampf beginnen.
künftigen ~ . . -
entafheWbM. *^ General Rohne: „Das Schi essen der Feldartillerie", Berlin 1881.
Einfloss des rauchschwacheu Pulvers.
419
Artillerie -Ziele.
Die Artillerie muss, soll sie den Infanterieangriff wirkungsvoll
vorbereiten, vorher die feindliche Artillerie genügend geschwächt
haben, um sie dann mit nur einem Teil der eigenen Geschütze nieder-
halten zu können. Anderenfalls würde sie sich der Gefahr aussetzen, selbst
durch die feindlich^ Artillerie vollständig in Schach gehalten zu werden,
ehe sie noch die Vorbereitungen zum Angriff der Infanterie beendigen
konnte, und der Erfolg dieses letzteren würde hiermit in Frage gestellt.
Es wird also das sicherste Mittel, den Feind ausser Stand zu ß<«*"»
der Scblacht
setzen, seinen Angriff auszuführen, darin bestehen, seine Artillerie zu durch
beschäftigen und ihr so die Vorbereitungen dieses Angriffes unmöglich z^l"^^f.
zu machen. Beide Gegner haben also ein gleiches Interesse daran, sich
dieses Vorteils zu versichern und deshalb entschlossen ihre Artillerie vor-
zuführen, um gleich anfangs Ueberlegenheit zu erhalten. Die beiden
gegnerischen Artillerien werden somit dazu gebracht, sich zu suchen
und sich gegenseitig anzugreifen, sodass in Zukunft noch mehr als in der
Vergangenheit alle Schlachten mit einem energischen Artilleriekampf er-
öffnet werden.
27*
420 ^^ Taktik der Artillerie.
/
^^^^ Bei gleichen Kräften wird eine so rasche beiderseitige Vemichtong
luH uMm- stattfinden^ da8S die Geschütze als nie dagewesene Grössen zn betrachten
******^*' «ind. General Rohne^ steUt folgende Frage:
^Welche Wirkung ist gegen eine vorschriftsmassig besetzte Batterie
dm QtmmiM (50 FigOTen) in 10 Minuten auf 2500 Meter von einer feindlichen Batterie
"**■•' zu erwarten?**
Bechnet man für das Einschiessen 3 Minuten, so bleiben 7 Minuten
fiir die Wirkung; pro Minute 6 Schnss giebt 42 wirksame Schuss zu je
2,0 Treffer. Danach wurde man auf 84 Treffer und 40 getroffene Figuren
rechnen dürfen«
Vorausgesetzt ist hierbei völliges Gelingen des Einschiessens und
richtige Verteilung des Feuers auf das ganze Ziel. Wer diese Ergebnisse
mit solchen Angaben vergleicht, die auf statistischem Wege gefunden
sind, wird höchst wahrscheinlich erkennen, dass sie meist höher als die
letzteren sind. Das ist sehr natürlich, da in den statistischen Zusammen-
stellungen auch solche Schiessubungen Aufnahme gefunden haben, bei denen
das Einschiessen misslang. In vielen Fällen, wo die Sprengi^eiten günstig
waren, fallen natürlich die Resultate erheblich höher aus. In 10 — sage
zehn — Minuten auf 2500 Meter Entfernung ist schon die Möglichkeit der
beiderseitigen Vernichtung vorhanden — und selbstverständlich wird der
Ausgang dieses Kampfes einen vorwiegenden Einfluss auf den weiteren
^Lia^r ^^^^^^ ^®^ Schlacht haben ; denn von dem Siege oder der Niederlage
ArtiiM« seiner Artillerie wird für jeden der beiden Gegner entweder die Mög-
**Er»rrff«i" lictkeit, einen weiteren Infanterieangriff vorzubereiten und somit die
*•' ^•"*'^* Möglichkeit der Offensive überhaupt, oder die Unmöglichkeit, diesen
Angriff vorzubereiten und, als Eonsequenz davon, die Notwendigkeit
sich zur Defensive zu entschliessen, abhängen.
BediDg«Dge& Was den Ausgang des Artilleriekampfes selbst aubelangt, so wird er
gftn«tiges vor allem von der Anzahl der Geschütze, die jeder der beiden Gegner
^ A^'uerit'" sogleich in die Kampf linie stellen kann, abhängen. Daher rührt die Not-
kampfo«. wendigkeit, die Bildung und Dislokation der Kolonnen so zu regulieren,
dass man gleich zu Anfang der Aktion über die Gesamtzahl der Geschütze
verfügen und fiüher, als der Gegner, mit der Beschiessung beginnen
kann. Es wird also wünschenswert sein, dass der Artilleriekampf nach
Möglichkeit den Charakter einer Ueberraschung trägt und er in jedem
Falle rasch und auf weiteste noch wirksame Entfernung geführt wird.
unt«raciif«d In früheren Zeiten war wohl auch das Gleiche der Fall, da aber
mit . '
der Yer- damals die Kämpfer sich in verhältnismässig naher Entfernung von
gftDgenheit
*) Genersd Rohne: „Militär-Wochenblatt", 1895.
Bekämpfong eines durch Schanzen gedeckten Feindes. 421
einander befanden, das Feuer jedoch, wie wir gezeigt haben, verhältnis-
mässig schwach war, so konnten die Resultate der gegenseitigen
Beschiessung durch Geschütze nicht solche Bedeutung haben, wie sie jetzt
gewinnen werden, wo die Tragweite der modernen Feldgeschütze,
ohne noch die Veränderungen in Anschlag zu bringen, welche in Folge
der Steigerung der Anfangsgeschwindigkeit der Geschosse eintreten
können, so ausserordentlich verstärkt worden ist.
Bekämpflmg eines durch Schanzen gedeckten Feindes.
Der zukünftige Krieg wird sich auch durch den tiefgehenden Einfluss ^^^^*-
auszeichnen, welchen das Aufsuchen von Deckungen gegen das Feuer des im
Gegners ausübt. Die Schaufel ist heute für den Krieger ebenso un- '^Kril^r"
entbehrlich wie das Gewehr, und wie schon betont wurde, ist die Erd-
deckung zu einer Lebensfrage geworden.
Die neuen Eeglements und Feldpioniervorschriften aller Armeen unndrfa»iii-
legen besonderen Nachdruck auf die Vorteile, welche die Verteidigung aus Fiachuim-
rasch herzustellenden, mit zahlreichen gedeckten Unterständen aus- geg^M-
gestatteten Schanzen gewinnen kann. An diesen gedeckten Unterständen ^•«^^«•^
scheitert die Shrapnel-, Splitter- und Vollgeschosswirkung des Flachbahn-
geschützes. Eine nur über FlachbahngeschMze verfügende Feldartillerie
kann also diese Deckungen nicht zerstören, daher auch den Angriff der
Infanterie nicht entsprechend vorbereiten. Femer müssen Flachbahn-
geschütze ihr Feuer gegen die anzugreifenden Teile der feindlichen Stellung
einstellen, sobald sich die eigene Infanterie diesen Teilen auf 400 Meter
Entfernung genähert hat. Eine nur über Flachbahngeschütze verfftgende
Feldartillerie kann also in der kritischesten, entscheidendsten Gefechts-
phase, in welcher die Infanterie, gegenüber der vernichtenden Kraft des
heutigen IQeingewehrfeuers, der Hilfe von Seite ihrer Artillerie am alier-
dringendsten bedarf, jene nicht mehr unterstützen, i)
Die russische Armee im Kriege 1877/78 verfügte nur über Flach-
bahngeschütze, und General Totleben bemerkt, dass man vor Plewna
einen ganzen Tag zu schiessen hatte, um nur einen einzigen durch
Schanzen gedeckten Türken ausser Gefecht zu setzen.^)
') General Müller: „Die Wirkung der Feldgeschütze."
') „MilitÄrische Betraclitungen über den russisch- türkischen Krieg.**
422 ^- Taktik der Artillerie.
Wenn beide Gegner sich sofort bei Beginn des Feldzngs mit
Schanzen umgeben und beiderseits den Angriff des Gegners abwarten
würden, so würde sich die geschichtliche Thatsache zwischen Gustav
Adolph und Wallenstein wiederholen, die sich 1632 bei Nürnberg beide
verschanzten und ihre Siegeshoffnungen auf ein geduldiges Warten und
die Erschöpfung des Gegners setzten.
Einfftimuig Man suchte nach Mitteln, solche rasch mit der Schaufel ausgeführte
orsern. ^Q.g]gg^jj]jßj^gfßgt^jjjg^jjM q^^j. ^q^Jj jjjj.^ Bcsatzungeu mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit auf Erfolg angreifen zu können. Die unermüdliche
Technik unserer Zeit schuf daher ausser den schon bestehenden Feld-
haubitzen auch ambulante Mörser, welche in die Feldartillerien eingestellt
wurden.
Basriseke j){q Hauptbediugungen, denen ein Geschütz dieser Art entsprechen
16-Conuiii.'
M6»er. muss, genügende* Beweglichkeit , um den Feldtruppen folgen zu können,
genügend grosses Kaliber, um grosse Projektile zu schleudern, schienen
sich schwer vereinigen zu lassen, bis die durch Russland erfolgte Einfühining
eines nach den Angaben des Generals Engelhardt konstruierten 15-Centi-
meter-Mörsers bewiesen hat, dass diese Aufgabe auf praktische Weise zu
lösen war.s)
Nach Sciences Militaires „Artillerie" soll dieser Mörser insgesamt
455 Kilogramm wiegen und Bomben von 33 Kilogramm und Shrapnels
von 37,50 Kilogramm werfen. Die Anfangsgeschwindigkeit beträgt
250 Meter. Diese Mörser, die auf Räderlafetten mit gewöhnlicher Be-
spannung gefuhrt werden, schiessen auf eine Entfernung bis zu 3 Kilometer
mit einem Stahl-Shrapnel, der mit 700 Kugeln, jede 4,2 Gramm schwer,
gefüllt ist, und mit einer Bombenmine, die etwa 6 Kilogramm Pulver enthält.
Beim Bogenschiessen treffen diese Geschosse Leute, die sich an der innern
Böschung einer Brustwehr von 7 Fuss Höhe befinden; die Bombenmine,
die in einer 7 Fuss hohen Brustwehr von 12 Fuss Dicke explodiert,
macht eine Bresche von etwa 5 Fuss. Die frisch aufgeschütteten Traversen
stürzen in Folge der Wirkung einer oder zweier Bomben ein. Am vorteil-
haftesten ist es, auf Brustwehren mit vollen Ladungen zu schiessen.
Treff- Nach dem Beispiele Russlands wurden nun Feldhaubitzen und
aicherhait
der Mörser. Mörser iu allcu Staaten angeschafft.
Die Wirkung der Mörser giebt uns folgendes Bild eines Probeschusses
der Gruson -Werke ^) aus einer 12-Centiraeter-Haubitze mit Granaten und
Shrapnels auf 3000 Meter Entfernung, ß)
») „Skizze der Reformen in der Artillerie von 1868 bis 1877."
*) „Revue d'ArtiUerie."
*) «Revue de FArm^e Beige," 1890, Tome IIT.
^
Bekämpfung eines darch Schanzen gedeckten fremdes.
423
Probeschuss aus einer l^-Centimeter-Haubitze.
Es waren B Scheiben, welche die Besatzung darstellen sollten, auf- ^f"^ ^^
' *^ ^ schlössen mit
gestellt. Diese wurden vollständig zerstört. Die Haubitze soll in einer 12-centim.-
Minute 8 bis 12 Granaten verfeuern und demnach in einer Minute den
Feind niit 196 Kilogramm Geschossen überschütten können.
Das französische 1893 erschienene „Eeglement sur le Service des Mörser in
^ den ver-
bouches k feu de sifege et de place" enthält über Mörser und Haubitzen schiedenen
folgende Angaben:
Gewicht von
Kaliber
cm
gross te
Schussweite
m
Gewicht
der Geschosse
Spreng-
granate
kg
Minen-
Rohr
kg
Lafette
kg
granate*)
kg
Haubitze ....
Mörser ....
Kanone ....
1040
2080
5750
1450
2080
5750
15,5
22
27
6600
5400
6500
40
98
170
44
110
228
Die Schweiz schaffte sich 12,B-Centimeter-Mör8er an, England noch
leichtere, die nur ein 12-Centimeter-Kaliber haben.
Bulgarien hat nach der „Kölnischen Zeitung" 9-Centimeter-Feld-
haubitzen bei Krupp bestellt, welche derart in die Feld -Artillerie ein-
gestellt werden sollen, dass jedes Regiment 4 Kanonen- und 1 Haubitzen-
Batterie zählt.
In Deutschland wurden aber IB-Centimeter-Haubitzen eingestellt, so
dass die bespannte Feld -Artillerie jetzt drei 15 -Centimeter- Geschütze
hat mit Eohrgewichten von 670, 754 und 1076 Kilogramm, also viel
^) Obus oblonge.
424 ^^' Taktik der Artillerie.
leichtere als die in der französischen Armee, welche ebenfalls mit leichten
Haubitzen und Mörsern versehen ist.7)
Zerstörung». j)[q Jjj Deutschlaud angestellten Schiessversuche ergaben, dass die
kraft der , ,
Spreng- ueueu Mörser gegen gedeckte Truppen unverhältnismässig stärker wirken
"' als die gewöhnlichen Feldgeschütze. Aus einer Entfernung von 1700 Metern
warf eine Batterie solcher Mörser 100 Sprengbomben, welche es der
Infanterie unmöglich machten, sich innerhalb der Verschanzung zu halten,
deren eine Seite zerstört wurde.
Yersnche, Jedoch weuu auch das Gewicht der Haubitzen und Mörser bedeutend
mögliojut .
leicht träne- herabgesetzt wurde, so werden sie trotzdem in vielen Fällen viel zu schwer
M?ree?«n s^ii^j ^m allerorteu zur Bekämpfung der durch die Infanterie aufgeworfenen
''**"'*™**'*"- Erddeckungen bei der Hand sein zu können. Ob der zukünftige Kiieg
nicht wieder ganz leichte durch ein Pferd oder durch Menschen trag-
bare Wurfgeschütze in Massen aufweisen wird, ist eine Frage, die schwer
zu beantworten sein dürfte. Jedenfalls fängt die Technik an, dieser Auf-
gabe näherzutreten.
Krnpp'eohe Die Krupp'scheu Werke stellten in Chicago einen Mörser aus,
Mörser
Ar Bosch- für Busch-Kriegführungen bestimmt, welcher nur 50 Kilogramm wiegt
fn^rut^en. ^ud desseu Bohrung 370 Millimeter lang ist.
Die Lafette besteht aus zwei zusammengeschraubten Teilen auf einer
Plattform. Lafette und Plattform wiegen 48 Kilogramm. Zwischen den
beiden Teilen der Lafette ist ein Zahnrad angebracht, welches in die
Zähne eines an dem Geschütze befestigten Zahnwerks eingreift; dies ist
der Richtungsapparat.
Die Plattform, welche Mörser und Lafetten trägt, hat vier Handhaben
und kann leicht von vier Mann getragen werden, da das Ganze nur
98 Kilogramm wiegt.
Das Geschütz schleudert eine gusseiserae Kugel von 4 Kilogramm 300,
eine Stahlgranate von 4 Kilogramm 300, eine Minengranate von 6 Kilo 500
und ein Shrapnelgeschoss von 4 Kilogramm 300.8)
sehwierig- go wird mau dahin geführt, auf dem Schlachtfelde Mörser und
ftberaii Haubitzen von höherem Kaliber anzuwenden, als man bis jetzt für den
dMtam^en Feldkrfeg verwandte, andererseits wird nach leichteren Typen gesucht,
„ J"^' und es ist sehr schwer vorauszusehen , welche Folgen dies für die Kriege
yerfagang EU ^
haben, uach sich ziehen kann. Bei dem jetzigen Stande der Technik wird
behauptet, dass es beinahe ein Ding der Unmöglichkeit sei, mit den
Mörsern ebenso schnell bei der Hand zu sein,' als Erddeckungen auf-
geworfen werden können. In Folge dessen bleibt die Frage von ihrer
0 In der bespannten Feld -Artillerie kommen ausserdem die 12-Centimeter-
Kanone und der 21-Centimeter-Mörser vor.
") Monthays: „Krupp a TExposition de Chicago. linixelles 1894."
i
Bekämpfung eines durch Schanzen gedeckten Feindes. 425
Zerstörung im Zukunftskriege durch Haubitzen und Feldmörser eine
offene.
Wegen der Wichtigkeit dieser Frage müssen wir etwas näher darauf vonug«
eingehen. Die Verteidiger der Mörser führen folgendes an: Feidmöreer.
1. Das Steilfeuer (tir courbe) der Feldmörser wird der Artillerie
erlauben, die Werke bis zum Augenblick des Angrifies zu
beschiessen, ohne furchten zu müssen, die Angriffstruppen zu
treffen. 9)
2. Die Gewalt der Explosion der Granaten wird einen bedeutenden
moralischen Eindruck auf die Verteidiger machen.
3. Das Eichten wird durch die beim Krepieren des Geschosses
erzeugte Eauchmasse erleichtert.
4. Die Wirkungen der Brisanzgeschosse in den Erdwerken werden
in Folge der bedeutenden inneren Ladung des Projektils gross
genug sein, um Feldwerke einzuwerfen und um Deckungen
zu zerstören. ^
5. Die aus Mörsern geschleudei-ten Shrapnels werden in einem
solchen Fallwinkel niederschlagen, dass die Deckung durch
Parapets (parapets de campagne) für die Verteidiger gleich
Null sein wird.
Gegenüber diesen Vorteilen behaupten die Gegner folgendes: Wegen Nachteil«
der
des Gewichts der zu verwendenden Projektile werden die Mörser nur mit Mömer.
einer geringen Zahl von Ladungen versehen werden können.
Dies ist aber um so bedenklicher, als nach den im Winter 1888/89
stattgehabten ausgedehnten Schiess versuchen der Artillerie -Schiessschule
und Artillerie-Prüfungs-Kommission das Einschiessen ein sehr schwieriges
ist. Schon mit kurzen 12-Centimeter-Kanonen waren bei voller Ladung
durchschnittlich 13, bei verminderter 18 Schüsse zum Einschiessen erforder-
lich. Mit Gebrauchsladung waren die kurzen 12-Centimeter-Kanonen im .
') Der bekannte österreichische Oberst v. Wuitsch, ein hervorragender
Ballistiker, ist ein Vertreter dieser Ansicht, wonach die Einführung eines Feld-
wurfgeschützes zur Beschiessung der gedeckten Ziele nicht nur gewünscht,
sondern für notwendig erachtet wird, weil das in den letzten Stadien der Schlacht
unvermeidliche Ueberschiessen der eigenen Truppen mit Flachbahngeschützen
für zu gefahrlich gehalten wird, namentlich, wenn die Feldgeschütze der Zukunft
noch rasantere Bahnen erhalten als die jetzigen. Oberst v. Wuich ist der
Meinung, dass das Ueberschiessen der Infanterie in unebenem Gelände gegen-
wärtig von 1500 Meter an möglich sei, dass diese Entfernung aber bei flacheren
Bahnen grösser werden müsse, v. LöbelPs Jahresbericht über Militärwesen:
„Taktik der Feldartillerie.'' 1894.
426 ^I« Taktik der Artillerie.
Shrapnelschusse bei kleinen Sprengweiten dem Feldgeschütze in Bezng
auf Zahl der Treffer und getroffenen Figuren teilweise nicht unwesentlich
überleben. Die Ueberlegenheit ging aber mit Zunahme der Sprengweiten
mehr und mehr auf die Feldkanone über. Der Streuungskegel der
12-Centimeter-Shrapnels hatte wenig über 100 Meter Tiefe, lo)
EngiiBcbe A.US euglischeu Versuchen geht hervor, dass, um eine aus fester
Yersache
gegen Erde bestehende Brustwehr von 3,65 Meter Kronenbreite und 2,15 Meter
Brortwehren. jjQj^^ ZU zcTStöreu, mau für ein Schiessen auf 1100 Meter wenigstens
50 gewöhnliche Granaten pro Meter der Brustwehr rechnen muss. Wenn
man nun zugiebt, dass die Brisanzgranate fünfmal stärker ist als die
entsprechende gewöhnliche Granate, so braucht man, um eine solche Brust-
wehr zu rasieren, unter den oben angegebenen Schiess-Bedingungen
10 Geschosse auf den laufenden Meter zerstörten Erdwerks. Auf dem
m
Schlachtfeld aber wird es den Batterien schwer fallen, sich auf mehr als
1500 Meter dem Ziel zu nähern, um ein Zerstörungsschiessen vor-
zunehmen. Ausserdem wird die Brustwehr nicht immer sichtbar sein;
auch werden die Brustwehren nicht^ immer, wie bei dem englischen
Werke, aus fester Erde bestehen, die den Explosivwirkungen am wenigsten
Widerstand leistet; endlich ist die Treffsicherheit der Brisanzgranaten
geringer als die der gewöhnlichen Granaten. Aus diesen Gründen dart
angenommen werden, dass die Zahl der Brisanzgianaten, welche eine
Feldbrustwehr zerstören sollen, mindestens 16 auf den laufenden Meter
betragen muss, und selbst bei dieser Berechnung ist man sicher weit
hinter der Wahrheit geblieben.
ün- Unter diesen Bedingungen kann man auf eine gewisse Entfernung
^^ratoig eine halbwegs bedeutende Verschanzung nur bei bedeutendem Munitions-
MMitf olL- verbrauch zerstören : der ganze Vorrat eines Armeekorps würde nötig sein,
vertMuoh. um bemerkbare Eesultate zu erzielen, und selbst dann kann die Deckung
doch noch stark genug bleiben, um im entscheidenden Momente von der
Verteidigungs-Infanterie besetzt zu werden.
Die Artillerie kann also das Brisanzgeschoss nicht als geeignetes
Mittel zur Zerstörung von deckenden Erdwerken auf dem Schlachtfelde
betrachten. 11)
Aus Allem kann man nur den einen sichern Schluss ziehen, dass
jetzt bereits bei den modernen europäischen Armeen vervollkommnete
Feldmörser eingeführt sind, welche bisher ausschliesslich für regelrechte
'®) Jahrbücher für die deutsche Armee : Die Entwickelung der Feldai*tillerie
von 1815 bis 1892.
") Revue de TArmöe Beige. E. Janotte: l^tude concemant Tiniluence des
engins nouveaux sur le champ de bataille.
i
I
Die Entfemangen des ArtÜleriegefechts. 427
Festungsbelagernngen verwandt worden, dass aber ihre Anzahl nicht
gross genug ist nnd sein kann.
Die moralische Wirkung, wenn auch nur auf dem Manöverfelde, also ijö^ji^he
bloss als sozusagen theatralische Vorstellung, machte in Frankreich auf die der Mörser
Truppen einen erschütternden Eindruck, da es allen bekannt war, dass franiösiMhen
ebenso fürchterliche Mordmaschinen auch in allen anderen Ländern ^^^^ö^«™-
eingeführt worden sind. Die Frage aber, ob Erdschutzwerke, die zur
Deckung der Truppen vor dem mörderischen Infanterie- und Artillerie-
Feuer dienen sollen, sich bei der geringen Anzahl der neuen Geschütze
unwirksam und alle Hoffnungen auf Verminderung der Verluste des An-
greifers trügerisch erweisen werden, bleibt offen. Jedoch werden mit
jedem Tage neue, immer mehr Vernichtung schaffende Erfindungen
gemacht und wie erst der wirkliche Stand der Dinge in einem
zukünftigen Kriege sein wird, kann niemand vorhersagen. So wird
zum Beispiel von Versuchen mit Geschossen mit Ekrasitfüllung be-
richtet, welche, gegen 100, 250 und 500 Mann vorstellende Palisaden
auf Entfernungen von 300, 750 und 1200 Meter geworfen, bei der Ex-
plosion — die gesammte Mannschaft trafen. i2) Es existieren aber noch
andere bis jetzt wenig erforschte Ursachen, welche in Folge der An-
wendung des neuen Explosivstoffs die Schrecken des künftigen Krieges
bis zu einem unerhörten Umfange verstärken können.
Die Entfernungen des Artilleriegefechts.
Die Kriegskunst steht gegenwärtig in Bezug auf die Artillerie vor
ganz neuen Kampfbedingungen und namentlich wurde eine noch nicht oft
dagewesene Durchschlagskraft der Geschosse, ungeheure Schnelligkeit
und beinahe mathematische Treffsicherheit erzielt.
Wenn beim Handgewehr mit einer gewissen Berechtigung ange- sohüesweiton
einst and
nommen wird, dass die Friedensübungen keine sichere Schlüsse für den jew.
Krieg zugeben, weil die nötige Euhe zum Eichten fehlt, so ist diese Ein-
wendung für die Artillerie nur im geringsten Teil anwendbar. Der
Artilleiiekampf sollte logischer Weise von den technisch grösst zulässigen
Entfernungen aus beginnen.
Ein Blick in die Vergangenheit wird den ganzen gewaltigen Unter-
scliied zwischen einst und jetzt klar machen.
") Witte, nacli Löbell's Jahresberichten.
428 '^l- Taktik der Artillerie.
Im XVI. Jahrhundert war ein Kernschuss aus Kanonen nur auf
360 Meter möglich und der Visierschuss auf 700 Meter. Noch in den
dreissiger Jahren unseres Jahrhunderts schrieb der Prinz August von
Preussen vor, dass in der Eegel mit Sechspf ändern niemals weiter als
auf. 1500 Schritt (1100 Meter) und mit Zwölfpfündern als auf 1800 Schritt
(1360 Meter) geschossen werden soll. Als gute, wirksame Schussweite
wurden 630 bis 770 Meter angenommen.
Decker'Bohe c. V. Decker giebt 1832 folgende Entfemungstabelle :
tabeiu^rfT 200 Schritt (150 Meter) Mörderische Wirkung der kleinen Kartätschen,
1882. goQ ^^ Gewöhnliche Schussweite des Kleingewehrs,
400 „ Eröffnung des Tirailleurfeuers,
600 „ Anfang der grossen Kartätschen,
600 „ Grenze der Haubitz-Kartätschwirkung; Anfang
der Bogenwürfe mit kleiner Ladung,
800 „ Grenze der grossen Kartätschen bei leichtem
Geschütz, Visierschussweite der Feldkanonen,
1000 „ (750 Meter) Grenze der Kartätschen der schweren Feld-
kanonen,
Gute wirksame Schussweite der Feldkanonen,
Anfang der Rollschüsse,
Grenze der Aufsatzschüsse,
1100
»
1200
n
1400
n
1500
n
1800
«
n n n
(1360 Meter) Grenze d. Rollschüsse unter gewöhnl. Umständen.
Drei Jahrhunderte hindurch sind die Unterschiede, kann man wohl
sagen, ganz minimale.
Die verwendbaren Schussweiten der gezogenen Geschütze aber in
der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts sind um mindestens 2000 bis
2500 Meter grösser geworden.
Wirkung«- Während des deutsch-französischen Krieges erstreckte sich die
GrmDai-imd Wirkungssphäre:
^^'im 1- Für den Granatschuss
deatach- hei ^jeni g-Centimeter-Geschütz bis 3800 Meter
mnsofiflcnen
Kriege. „ „ 12 „ „ „ 4000 „
„ „ 15 „ „ mit 2 Kilogramm Ladung
und Langgranaten „ 4400 „
„ „ Ib „ „ mit 2,25 Kilogramm La-
dung und Granaten . „ 4600 „
„ „ kui'zen 15-Centimeter-Geschütz mit 1,1 Kilogramm
und 305/16^ Erhöhung „ 4370 „
und bei dem 21-Centimeter- Mörser Konstruktion/70 mit
3,5 Kilogramm Ladung und 46^ Erhöhung „ 3990 „
Die Entfernungen des Artilleriegefechts. 429
2. Für den Shrapnelschuss
bei dem 9-Centiineter-Geschütz von 0 bis 2200 Meter
» « 12 „ „ M 0 „ 2200 „
Die Ansichten darüber, welche Entfernungen mit Bezug auf Wirkung ve««wedeii-
bei den heutigen Geschützen als thatsächlich zulässig angesehen werden AMicbten
dürfen, gehen weit auseinander. Die Ergebnisse der Friedensversuche mr sh^pnei-
können dafüi- nicht ohne weiteres als Anhalt dienen. Es muss dazu die "^*'?1
Herabminderung der Wirkung in Betracht gezogen werden, wie sie auf Eutfemung.
dem Schlachtfelde, teils durch die mit den grösseren Richtfehlem auch
eintretende Vergrösserung der Streuungen der Sprengpunkte, teils durch
die ungünstige Bodenbeschaffenheit und schwierigen Beobachtungsverhält-
nisse bedingt wird.
Im Jahre 1881 hielt Major Bode bei Vorlage eines doppelt wirkenden
Etagenzünders die Ausdehnung der Shrapnelschussweiten bis zu 6000 Meter
für nötig, und die Artillerie-Prüfungs-Kommission trat dieser Ansicht im
wesentlichen bei. Das Kriegsministerium dagegen hielt etwa 4000 Meter
Schussweite für völlig ausreichend, und im Jahi-e 1884 erhielt die Frage mit
Annahme des Feldshrapnelzünders, Konstruktion/83, dessen Wirkung nur
bis 3600 Meter ausreichte, einen vorläufigen Abschluss.
Die meisten übrigen Artillerien nahmen in den achtziger Jahren
ebenfalls länger brennende Zünder an; die grösste Shrapnelschussweite
lag zwischen 2600 und 3600 Meter; für die französischen 90-Millimeter-
Geschütze ging sie bis zu 6000 Meter.
Die Ansichten darüber, bis auf welche Entfernung mit Rücksicht auf
genügende Wirkung der Shrapnelschuss verwendet werden könne, waren
ebenfalls sehr verschieden.
Jedenfalls sehen wir aber, dass seit dem deutsch -französischen _ ^.•f ^
Kriege, im Laufe also eines Vierteljahrhunderts, die Fortschritte grösser o^gchütx
gewesen sind als die, welche im Laufe von beinahe vier Jahrhunderten ^"soh«*^"
gemacht wurden. Man sehe sich nur die folgende Tabelle an, welche '^•***°-
einen Ueberblick über die in der französischen Armee befindlichen Ge-
schütze und deren grösste Schussweiten giebt.*)
Jedoch werden diese Schussweiten wohl schwerlich zur praktischen
Anwendung kommen.
Nach den Versuchsergebnissen kann auf dem Schlachtfelde, selbst ^rj®****^®
gegen breite und tief stehende Infanterieziele, die Wirkung der Granaten weit«ii für
auf 3500 Meter nur eine zufällige sein, die zudem eine grosse Anzahl von ^'•"•***'
Schüssen erfordert.
») LöbeU: „Militärische Jahresberichte für 1894".
430
VL Taktik der Artillerie.
-
Rohr
La-
fette
Geschosse
•
a
'S
M
CeBÜ-
meter
KsUber
43
Kilo-
1
Kilo-
gnmm
Spreng-
grniAte
Shrapnel Minengnnate
Grösste
Schass-
weite
Meter
Geschtitzart
•
f
Kilo-
gramm
1
S
Kilo-
gramm
1
O
KUo-
gramm
KUo-
gnam
Kanone . . .
n ...
Haubitze . . .
9,5
12
15,5
27
27
15,4
706
1200
1040
1250
1450
1450
18
40
12,3
19
41
?
?
44
2
4
12
7450
8970
6600
3000 Meter bilden die äusserste Grenze für die Anwendung des Granat-
schusses gegen grössere Truppenmassen und gegen Artillerieziele. Die
Verwendung von Granaten auf solche Entfernungen ist um so weniger
zu rechtfertigen, als ihnen die Shrapnels auf 2600 bis 3000 Meter sehr
bedeutend überlegen sind. Die sichere Beobachtungsmöglichkeit reicht
bei Granaten für gewöhnlich nur auf Entfernungen bis zu 3000 Meter.
Deneitige Die Angabe der Schusstafeln für die Shrapnels werden gewöhnlich
weiten f&r bis zur Greuze der Zünderbrennzeit ausgedehnt.
starapneie. ^^ Gruud der Versuchsergebnisse konnte für den Ernstfall, bei
nicht zu ungünstigen Verhältnissen Folgendes angenommen werden.
Die Wirkung des Röhren-Shrapnels ist gegen stehende Infanterie-
ziele von grösserer Ausdehnung auf 2500 Meter sehr gut, auf 2000 Meter
und darunter vernichtend. Gegen kleinere Infanterieziele, teils stehende,
teils liegende, ist die Wirkung auf 2500 Meter noch gut, auf 2000 Meter
recht gut. Dasselbe gilt von Artilleriezielen.
Aus der zweiten Stellung auf 1500 bis 2000 Met^r Entfernung, die
somit zu wählen ist, kann zweifellos die Entscheidung schnell und voll-
ständig erreicht werden. 2)
Mörderische Die Wii'kuug der Granaten und Shrapnels wird bei Entfernungen
von Granaten unter 2000 Meter so mörderisch, dass unter Umständen schon 16 bis
shnpneie. 20 Schuss zum VeiTiichten einer ganzen Batterie genügen. Die geringste
Entfernung, die für diese Zwecke einzunehmen wäre, beträgt 1500 Meter.
Taktische Rücksichten können allerdings zur Einnahme noch näherer
Stellungen zwingen.
Kartiteehen. Die Kartätschc kommt beim Nahgefecht bis auf 300 Meter Entfernung
zur Verwendung. 8)
*) Müller: „Die Wirkung der Feldgeschütze".
') MüUer: „Die Wirkung der Feldgeschütze^.
J
Die Entfernungen des Artilleriegefechts. 481
Die Neigung, die thatsächlich vorhandene grössere Wirkungssphäre
der Waffe in manchen Gefechtsstadien ansznnatzen , liegt nahe. Die
Absicht, das Feuer auf grosse Entfernungen zu eröffnen und einen
wirklichen Artilleriekampf zu führen, findet aber ungeachtet alles oben
Gesagten sehr viele Verteidiger.
In dem Werke des französischen Professors Coumfes*) werden die Typiaohe
Enfc-
typischen Entfernungen, aus denen der Geschfitzkampf beginnen kann, femangen
folgendermaassen bestimmt: eSiüteka»^.
„Die moderne Artillerie wird im Stande sein, ihr Feuer gegen die
feindlichen Positionen in einer Entfernung von 6500 und selbst 6000 Metern
zu eröffnen. Vor allem wird sie sich die Zerstörung der Deckungen und die
Beschiessung der vom Feinde eingenommenen Positionen angelegen sein
lassen müssen. Sobald sie sich auf 4000 Meter genähert hat, wird sie zur
Aktion gegen die feindliche Artillerie schreiten und von 3000 Meter an
bereits beginnen, ihr Feuer gegen Kavallerie und Infanterie zu richten.
Die Operationen der Infanterie werden aller Wahrscheinlichkeit nach bei
2000 bis 1800 Metern Entfernung beginnen. Ehe die Infanterie vor-
rückt, werden die besten Schützen vorausgeschickt werden. Zwischen
1500 und 1000 Metern Entfernung wird diese Bewegung angesichts des
mörderischen Artilleriefeuers und der Salven der angegriffenen Infanterie,
welche zudem nunmehr im Stande ist, sicher zu zielen, besondere Vorsicht
erfordern."
„Von 1000 Meter Entfernung an wird die Artillerie der beiden Gegner
bereits aufhören, der Infanterie gefährlich zu werden. Die beiden
Artillerien werden sich dann auf ein gegenseitiges Bombardieren zu
beschränken haben und sich hüten müssen, durch ihr Feuer die eigene
Infanterie zu schädigen. Hat sich endlich die Entfernung zwischen der
beiderseitigen Infanterie auf 500 Meter herabgemindert, so wird die
Artillerie genötigt sein, ihr Feuer einzustellen."
In der deutschen Armee jedoch beabsichtigt man vielleicht, wenn j,^*2*h
auch die von uns citierten Angaben und Reglements anders lauten , den ttw die
SDt-
Kampf von noch beträchtlicheren Entfernungen ans zu beginnen. femungeu
Artille
feaer.
Der bekannte Führer der deutschen Artillerie im Kriege 1870,"^^'**"''"*"
Fürst Hohenlohe, erklärt, dass man bei den jetzigen Geschützen das
Feuer in 7000 Metern Entfernung beginnen kann — und auch bei
dieser Distanz trifft die Hälfte der (Jeschosse ein Ziel von 15 Schritt
Breite; „wenn man folglich eine Batterie gegen einen Weg von 15 Schritt
Breite aufstellt, so könnte diese alle auf dem Wege in einer Entfernung
von vollen 7000 Metern befindlichen Infanteriemassen glatt fortrasieren,
*) Coum^s: „Tactique de demain".
432 VI. Taktik der Artillerie.
und das Feuer wäre so wirksam, dass es niemand in den Sinn kommen
würde, diesen Weg zu benutzen".*)
Langioifl Nicht alle Müitärschriftsteller in Frankreich schreiben der Wirkung
ana Gnrko
gegren zu dcs Artilleriefeuers von so grosser Entferaung aus besondere Bedeutung zu.
fC^nflirSo spricht sich Professor Langlois gegen die Ansichten des Fürsten
^"fMw**^ Hohenlohe aus ; für ihn haben die Ausführungen des Generals Gurko grösseres
Gewicht. Dieser äussert sich über die auf seinen Befehl vorgenommenen
Schiessproben auf grössere Entfernungen hin (bis zu 4270 Metern),
dass man die Batterien wohl im Schiessen auf solche Entfernungen üben
müsse, zugleich aber jedem Artilleristen zum Bewusstsein zu bringen
habe, dass ohne besonders wichtigen Anlass von solchen Distanzen aus
zu schiessen eine Schande sei. Es handle sich nicht darum, die ganze
Kraft der Geschütze aufzubieten, sondern dem Gegner soviel Schaden
als möglich zuzufügen und es sei klar, dass das Feuer von einer kleinen
Entfernung weit wirksamer wäre als von einer grösseren, etwa der doppelten.
„Eine Schande", — wiederholt Langlois. Wir wollen diesen Aus-
spruch, der so überaus richtig ist, im Gedächtnis behalten. Das Wort,
dass es das Kennzeichen einer schlechten Infanterie ist, aus zu grosser
Ferne zu schiessen, gilt auch für die Artillerie.
Möglichkeit, Wir müssen hier jedoch bemerken, dass, obgleich Langlois das
onrto'B Urteil des Generals Gurko in seinem erst kürzlich erschienenen Werke
gegTnw4rt?g anführt, es schon im Jahre 187B gefällt ist und somit nicht klar
«modi- jgt Q]y General Gurko dasselbe auch noch heute unterschreiben würde.
nzieren und. ^
Es fragt sich, ob sich seitdem nicht soviel neue Umstände geltend
gemacht haben, dass sie unter die Kategorie der „besonders wichtigen
Anlässe" zu rangieren wären. In jener Zeit trugen auch die Gewehre noch
nicht mit Erfolg bis 3000 Meter wie jetzt,
iioraluch« Wenn es mit den heutigen Geschützen auf B bis 7 Kilometer
Wirkung des °
Penew auf Eutfemung uoch SO ziemlich möglich ist, dem Feinde Verluste bei-
^■^ zubringen, wie Fürst Hohenlohe behauptet, so stellt man sich unwill-
fernungen. kürüch dlc Frage, warum bei günstigen Terrain Verhältnissen und den
jetzigen Beobachtungsmitteln kein Gebrauch von dieser Eigenschaft des
neuen Geschützes gemacht werden sollte.
Beispiel fttr Es muss berücksichtlgt werden, dass nicht alle Geschosse, die ihr
*° der™ Ziel verfehlt haben, verloren sind. Eine gewaltige Fläche bestreichend,
*idrkunr werden sie die zufällig dort befindlichen Leute in Schrecken setzen und
gewissen Eindruck hervorrufen. Die Soldaten werden noch fem von
dem Feinde beginnen, nervös zu werden und sich zu zerstreuen. Ver-
^) Lettres aiir T Artillerie.
'
Die Entfernungen des Artilleriegefechts. 433
luste, die in Folge des Femfeuers entstehen, üben auf die Soldaten einen
weit niederschlagenderen Eindruck aus, als die auf nahe Distanzen er-
littenen. Skugarewski^) erzählt, dass in einer der Schlachten des Feldzuges
von 1877 ein Soldat durch eine Flintenkugel in einer Entfernung von
2 Werst von dem Feind verwundet wurde. Einige Tage habe man hiervon
in der ganzen Truppe gesprochen und einander den Platz gezeigt, wo die
Verwundung erfolgte, und darüber ganz die anderen Stellen vergessen,
wo einige hundert Mann verwundet oder getötet waren.
Infolge der Möglichkeit, mit Shrapnels und Granaten zu schiessen, ^^^^j^^^^j^
welche bei der Explosion mit ihren Sprengstücken und den Kugeln «r «le
grössere Flächen bestreuen, werden die Truppen schon von weiten Ent- sciTon^bd
femungen an sich in mehr oder weniger aufgelöster Formierung bewegen f^ra^gen"!^
müssen. Hier bereits spielt die Frage von der Tapferkeit und überhaupt ««w-ter
der Nervenkraft der Soldaten eine EoUe. Werden sie genug davon TOKngehen.
besitzen, um eine so lange Zeit unter feindlichem Feuer vorwärts
zu gehen? Heute ist's noch eine offene Frage, welches Volk nach dieser
Richtung hin vorzugsweise standhaft sein wird.
Bei dem alten Gewehrsystem begann das Gleichgewicht zwischen ^•'f^*^*'^ ^^
Gewehr^
Gewehr- und Artilleriefeuer bei 600 Metern Entfernung, späterhin hat sich und
das Verhältnis zwischen Artillerie- und Infanteriefener erst auf 1000 Meter Jeuer""^
Distanz ausgeglichen, wie das deutsche Reglement direkt sagt; gegen-
wärtig seit dem Kleinkalibergewehr und der Anwendung des neuen
Pulvers hat sich der Bereich der Gewehrwirkung um 200 bis 300 Meter
erweitert, während für die Artillerie die Grenze des Vorgehens gegen
Infanterie auf 1200 bis 1300 Meter festgesetzt werden muss?), sodass die
Wirksamkeit des Artilleriefeuers über das Gewehrfeuer immerhin das
Uebergewicht haben wird.
Aber die Artillerie hen-scht auf den Schlachtfeldern nicht absolut. .?*t*5T,'**'
die Artillerie
Wenn es der Infanterie gelingt, sich der Artillerie zu nähern und gegen >>«* N&her-
sie das System der konzentrierten Gewehrsalven zur Anwendung zu i^anteril''
bringen, so dürfte die Thätigkeit der Artillerie schwierig und selbst
unmöglich werden. Schon im Kriege von 1870 ist es vorgekommen,
dass das Gewehrfeuer der französischen Infanterie trotz seiner damaligen
Mängel die preussischen Batterien zum Rückzuge zwang, s)
Während des russisch-türkischen Krieges von 1877 wurden über die »«"Js^iie
russische Artillerie gleichfalls Klagen laut, dass sie nicht immer ihrer un-
Bestimmung entspreche. In dem Werke des Generals Pusyrewski: „Die znslmmfn-
— — — wirken
ß) Skugarewski: „Infanterie-Attake".
der Artillerie
und
■') Müller: „Die Wirkung der Feldgeschütze". Infanterie
8) Michnewitsch: „Einfluss der neuesten technischen Erfindungen". im Türken-
Block, Der sokünftige Krieg. 28
434 V^' Talttik der Artillerie.
russische Armee vor dem Kriege 1877'' wird der russischen Artillerie
vorgeworfen, dass in ihr bis dahin die irrige Ueberzeugung geherrscht
habe, als Grundlagen für das Zusammenwirken mit den anderen
Waifengattungen im Kampfe nur die ballistischen Eigenschaften der
Geschütze in Rechnung ziehen zu müssen, nicht aber auch die all-
gemeinen, insbesondere die moralischen Bedingungen. Demnach habe
sich die Artillerie damit begnügt, entfernte Positionen einzunehmen und
sei nur in seltenen FäDen mit der Infanterie näher an den Feind heran-
gegangen.
Es ist aber doch die Frage, ob nicht schon damals die Artillerie
angesichts dessen, dass die türkischen Truppen mit Magazingewehren
ausgerüstet waren, es für unmöglich hielt, näher an den Feind heran-
zugehen.
^o'^^n«" General Kuropatkin teilt diese Meinung nicht; er findet die unter
der Ansicht, vielcu Artilleristen und auch bei höheren Führeni verbreitete Ansicht, dass
Artiü!^rie *im die Artillerie im Wirkungsbereiche des Gewehrfeuers ihre Position nicht
^wei^?" zu behaupten vermöge, irrig. Diese ii-rige Meinung sei Schuld daran,
den Gewehr- ^agg während des Krieges 1877 das Streben geherrscht habe, die Artillerie
feners ihre
Position dem Feinde nur soweit zu nähern, dass sie immer noch der Wirkung des
behrapten Gcwehrfeuers entrückt bliebe. Von solchen Prinzipien geleitet, seien die
könne, russlscheu Batterien bei Plewna, wenn die Infanterie zum Sturme vor-
ging, grösstenteils in ihren entfernten und gefahrlosen Positionen verblieben.
Oft sei auch der Fall eingetreten, dass während feindlicher Attaken bei
vermindertem Gewehrfeuer die Batterien, sobald sie nur einige Leute
verloren, aus ihren Positionen gewichen wären und die Infanterie in der
kritischesten Lage im Stich gelassen hätten.
Nach den Worten des Generals Kuropatkin, dessen Urteil übrigens
oft für allzu streng gehalten wird, wurde vor dem Stui'me von Plewna eine
Artilleriebeschiessung während 4 mal 24 Stunden geplant, aber der Mangel
an Geschossen und der mangelhafte Zustand vieler Geschütze habe die
Ausführung dieser Absicht sogar am Tage des Sturmes selbst verhindert.
Hannekeu Der preusslschc General von Hanneken^) teilt diese Ansicht nicht ganz.
Verteidiger Er Sagt, dass wirkUch zu Anfang der Operationen gegen Plewna Fehler
Artillerie- bcgaugeu scieu, dass dann aber die Stürme jedesmal nach allen Regeln
Operationen flurch Artilleric-Feuer vorbereitet wurden und dass, wenn hierbei keine
Tor Plewna. '
günstigen Resultate erzielt wurden, dies nur daran gelegen habe, dass
8B 000 Mann nicht genügten, um eine Armee von 60 000 Mann, die hinter
Befestigungen stand, zum Rückzug zu veranlassen. Uns scheint, dass
^) „Militärische Betrachtungen über den russisch-türkischen Krieg''.
Die Entfemungeu des Ai*tiHeriegefechts. 435
die Thätigkeit der Artillerie in jenem Kriege nur dann richtig benrteilt
werden kann, wenn man die Mittel berücksichtigt, die ihr zur Verfügung
standen.
Die Thätigkeit der Artillerie muss durch den Grad von Zutrauen
bedingt sein, welches diese zu ihren Geschützen hat. Man darf nicht
ausser Acht lassen, dass die russische Artillerie jener Zeit, mit geringer
Ausnahme, wirklich unter dem Niveau der türkischen stand. Erst seit
1877 sind Bestellungen auf weittragende Geschütze gemacht worden, und
zwar wurden bei Krupp 1100, bei der Obuchow'schen Fabrik 1700 bestellt.
Diese Geschütze wurden erst nach Beendigung des Krieges geliefert.
Um sich einen Begriff von der Verfassung der russischen Artillerie ueberiegen-
zu machen, die 1877/78 gegen die Türken ins Feld geführt wurde, genügt «rkisciieii
die Erwähnung der Thatsache, dass die Typen dieser Geschütze dem im'^Kriege
Jahre 1866 angehörten. Die Anfangsgeschwindigkeit ihrer Geschosse betrug i«"/^»-
für kleinere Kaliber 1000 Fuss (264 Meter), für grössere Kaliber 1050 Fuss
(277 Meter) in der Sekunde, während in der Folge die Anfangs-
geschwindigkeit bei den neuen Geschützen fast die doppelte war.
Auch darauf ist Rücksicht zu nehmen, dass es damals der Artillerie ^j^«f^
an Ofuieren
an genügend ausgebildeten Offizieren mangelte. In der Periode von in dw
1863 bis 1867 schied jähi'lich ein grösseres Kontingent von Offizieren "ZSiteH?
aus (von 40 bis 200 jährlich), als hinzukamen. Erst seit 1868 begann in ""^ri^**"'
Folge von Eefonnen der Zugang von Offizieren zu überwiegen, so dass
jährlich die Ziffer der neueintretenden Artillerie -Offiziere um 22 und
bis zu 266 wuchs. i<>) Erst nach dem türkischen Kriege wurde dem Bildungs-
grade der Artillerie - Offiziere volle Aufmerksamkeit zugewandt und
eine Reihe wesentlicher Reformen unternommen, um die Zahl der Ai-tillerie-
Offiziere, die eine höhere Schule absolviert, zu steigern. Gegenwärtig sind
die Mehrzahl der Artillerie-Offiziere Leute von Spezialbüdung und sie
haben gleichzeitig auch über ein Material zu verfügen, das sich von dem
des Krieges 1877 äusserst vorteilhaft unterscheidet.
Selbstverständlich wird aber die Wirkung der Geschütze nicht ^^^*J«^8^"*
allein von den Offizieren, sondern in einem gewissen Grade auch von der Wirkung der
Schiessausbüdung der Bedienung abhängig sein. von der
General Müller") sagt aber, dass über die eigentliche Schiess- .„^gt^jj"„
ausbildung der verschiedenen Artillerien , d. h. über ihre Leistungen auf der Monn-
dem Schiessplatze oder gar im Gelände, so gut wie nichts bekannt ist.
Er behauptet, dass nur einige Aeusserungen über diese Fragen erwähnungs-
werth seien.
^^) „Skizze der Keformen in der Artillerie von 1868 bis 1877".
") «Wirkung der Feldgeschütze".
28*
436 VI. Taktik der Artillerie.
Im Novemberhefte des rassischen ,,Wojennyi Sbornik" von 1893
werden die Resultate von Schiessttbungen besprochen. Nach Angabe
des Inspizienten der Schiessergebnisse und nach Aeusserungen des
Generals Dragomirow soll das Schiessen der russischen Feldartillerie
nicht auf der erwünschten Höhe stehen. Die Oberleitung der Schiess-
übungen in taktischer wie in rein technischer Hinsicht wird getadelt.
Die russische ßgi cluem kriegsmässigcn Schiessen , wo 48 durch Figuren dar-
Schiess-
aosbiidang. gcstcUte Gcschtitze in drei Gruppen das Ziel bildeten, wurden für jeden
abgegebenen Schuss auf 3000 Meter nicht mehi- als 0,7 Treffer erreicht
und die nur von wenigen Batterien erreichte grösste Feuergeschwindigkeit
betrug 7 bezw. 5 Schüsse in der Minute pro Batterie.
In einigen Aufsätzen wird ausgesprochen, die Technik der heutigen
Artillerie stehe immerhin höher als ihre Taktik; die ballistischen Eigen-
schaften der Geschütze und ihre Beweglichkeit ständen höher als die
Kunst des Schiessens und des Manövrierens; endlich seien die feld-
mässigen Eigenschaften des Materials besser als die kriegerische Aus-
bildung der Artillerie-Truppenteile und ihrer Kommandeure. Dies sind
Urteile des Generals v. Baumgarten.
In einem anderen Aufsatze vom Oktober, betreffend die Ausbildung,
heisst es: „Die Technik selbst schreitet immer vorwärts, ohne sich
darum zu kümmern, ob das Personal, die lebende Bedienung der Kriegs-
mittel im Stande ist, mitzukommen. So erreicht die Tragweite der
heutigen Geschütze 6 Werst (über 6 Kilometer); das Auge des Menschen
kann aber das Ziel nur bis auf 2 Kilometer gut erkennen, und selbst
mit den besten optischen Instrumenten vennag man Gruppen von Leuten
nur bis auf 3 Werst (3300 Meter) zu unterscheiden. Da erscheint es ganz
müssig, die Richtmannschaften noch für weitere Entfernungen auszubilden."
ueber die Den Bemerkungen über das Verhältnis der Technik zur Ausbildung
Hälfte der
Eintretenden muss clue um SO grösserc Aufmerksamkeit geschenkt werden, als 60%
""gebudet der Mannschaften bei der Mobilisierung neu einberufen werden.
Katastrophen in Folge der Anwendung
Yon Sprengstoffen.
ExpioeiT- Beim Lesen solcher Werke, welche mehr oder weniger aus-
weiobes'im führlich die Anwendung von Sprengstoffen für Kriegszwecke behandeln,
^^llg^biuk föUt es auf, dass deren Verfasser entweder ganz von den Gefahren
wirkt
Katastrophen in Folge der Anwendnng von Sprengstoffen. 437
schweigen, welche auf dem Schlachtfelde für die eigenen Truppen bei
dem Transport und der Verwendung solcher Brisanz- und anderer Ge-
schosse, die mit grossen Quantitäten Sprengladungen gefüllt sind, entstehen
können, oder in seltenen Fällen diese Frage nur mit der grössten Vorsicht
berühren.
Die Ursache dieser Erscheinung liegt wohl teilweise darin,
dass die betreffenden Militärschriftsteller gegenwärtig, wo die Frage,
welche Zufälligkeiten bei dem Gebrauch von Sprengstoffen entstehen
können, noch nicht vöUig klargestellt ist, es nicht für geziemend halten,
Schlussfolgerungen zu ziehen, weil die Anwendung von Sprengstoffen
im Feldkriege noch ein ungelöstes Pioblem ist.
Der Verfasser einer sehr bemerkenswerten Studie, welche die „Revue
MHitaire" in einer ganzen Reihe von Artikeln brachte, sagt hierüber:
„Was die Lösung des Problems der sehr heftig wirkenden und sehi-
brisanten Pulvermischungen betrifft, die zum Zersprengen sehr harter und
widerstandskräftiger Objekte nötig sind, so ist sie nicht leicht zu finden und
wir denken nicht, dass trotz der entgegengesetzten mehr oder weniger inter-
essierten Behauptungen irgend welche Macht vollkonmien und* definitiv
sich f&r eines der heftigen Explosionsmittel entscheiden wird."
Wir bewegen uns thatsächKch in einem circulus vitiosus. Wenn
das Pulver den Stössen und Reibungen und hiermit auch der Hitze einen
sehr grossen Widerstand entgegensetzt, so ist es offenbar schwer zum Ex-
plodieren zu bringen und erfordert demnach eine sehr starke Zündkapsel.
Aber dann erwartet dieses undisziplinierbare Pulver keinen Befehl
und explodiert.
In den letzten Jahren sind in der That grosse Fortschritte gemacht vwJ»«*"-
liehnng der
worden. In Bezug auf Sicherheit und Wirkungsfähigkeit sind bemerkens- unfaiie.
werte Schiessversuche auf verschiedenen Uebungsplätzen mittelst mit neuen
Sprengstoffen angefüllter Brisanzgeschosse ausgeführt worden unter der
Leitung auserlesener Offiziere, die von einem ganz speziellen Personal
unterstützt wurden und unter Anwendung aller minutiösen Vorsichts-
maassregeln, welche dergleichen Versuche erfordern. Aber ist diese
Schiessweise zur Stunde in das Gebiet der Praxis übergegangen,
wenigstens, was die sehr heftigen Explosivmittel betrifft? Ist man heut-
zutage sicher, ein bestimmtes Explosivmittel entdeekt zu haben, welches
dem Stosse vollständig widersteht und ebenso vollständig im ge-
wünschten Augenblick explodiert?
„Das Amtsgeheimnis, der schützende Schleier", fragt ein Fachmann,
J. Toumay, „mit welchem man die Versuche (und manchmal die Unglücks-
falle) umgiebt — was sind sie schliesslich anderes, als ein stilles, nicht
438 ^i- Taktik der ArUllerie.
kompromittierendes Eingeständnis der Schwierigkeiten, anf die man stiess,
und der Unsicherheit des Erfolgs?" i)
England Das Land, welches ausführliche Berichte über Unfälle mit Explosiv-
veröffentucht Stoffen liefert, ist England. In den jährlichen Zusammenstellungen der
^ rnftuo**^ Inspektoren finden wir beinahe jedes Jahr eine ganze Reihe von Unfällen
mit Explosiv- yerzeichnet, welche bei der Fabrikation und dem Transport der
Stoffen.
Explosivstoffe und Zünder stattgefunden haben, zugleich aber auch den
Beweis dafür, dass mit Fehlem behaftete Zünder ungeachtet aller Vor-
sichtsmaassregeln dennoch an die Truppen geliefert werden. *)
Eindrack Diescr Gegenstand erscheint so wichtig, dass wir trotz der Schwierig-
dor Rftti^
Strophen, kcitcu, welchc er bietet, nicht umliin können, ihn zu berühren, und wenn
auch unser Urteil nicht auf Kompetenz Anspruch machen kann, so ist es
doch unumgänglich, es laut werden zu lassen, da bis jetzt der Eindruck
nicht in Berücksichtigung gezogen ist, den bei den einzelnen Völkeni
Katastrophen hervorrufen würden, welche unter den eigenen Truppen
im Felde durch Sprengstoffe erfolgen.
starke Zuuächst woUeu wir, der von uns befolgten Methode gemäss, anf die
In der SchlussfoJgeruugen derjenigen Autoren hinweisen, welche über die Gefahren
'TrtiUeriV" sprechen , die beim Gebrauch von Sprengstoffen auf dem Schlachtfelde
a^T- entstehen können. In der „Conference sur Tartillerie de campagne"^)
bomben, finden wir zu dieser Frage folgende interessante Angaben: Die Einführung
des rauchschwachen Pulvers fand bei den französischen Artilleristen
allgemeine Billigung, während die Einführung von Brisanzgeschossen
(obus torpilles) auf viele Gegner stiess.
Die Gegner der Verwendung dieser Art Geschosse heben den Um-
stand hervor, dass ihr Wirkungskreis äusserst beschränkt ist (15 Meter),
während die durch Shrapnelsplitter gebildete Garbe eine elliptische Fläche
von 200 Meter Länge und 60 Meter Breite überschüttet. Weiter werden aus
Sicherheitsrücksichten in diesen Brisanzgeschossen nicht die Apparate
angebracht, die zum Hervorrufen der Explosion dienen, und überhaupt
hat man zu ihnen so wenig Vertrauen, dass derartige Sprenggeschosse
bei Uebungen nicht verwandt werden.
Weiter — so führt derselbe Autor aus — wird geplant, den Ex-
plosions-Apparat in diesen Geschossen abzuändem und deshalb hat man
sich bisher nicht entschlossen, die gegenwärtigen Zünder an den Ge-
schossen anzubringen, da dann eine Veränderung dieser riskant wäre.
^) J. Toumay: „ifetude siir les poudres et explosifs consideres au point
de vue des destructions militaires". 2"»« Partie.
^) „Annual Report of H. M. Inspectoi-s of Explosives". 1891, Seite 31.
3) Paris 1892.
i
Katastrophen in Folge der Anwendung Ton Sprengstoffen. 439
Wie bekannt, ist die Losschraubung des Apparats immer gefährlich, aas
welchem Material das Sprenggeschoss auch bestehen mag.
So äussert sich über diese Gfeschosse ein französischer Artillerist,
der den Offizieren einer anderen Waffe Vorlesungen hält. In der That
kennen derartige Befürchtungen noch weit ernster werden. Um uns
davon zu überzeugen, wollen wir dieser Frage etwas näher treten.
In der französischen Armee werden leichtere Sprenggeschosse in ^•"'"'''^
einer Stückzahl von 75 in einem speziell für diesen Zweck gebauten beim
Wagen transportiert. ^) .oii™«^^
Diese Geschosse sind gelb angestrichen und unterscheiden sich ^"^ °'"'"'
ausserdem von den übrigen Geschossen durch eine besondere Form
damit sie auch im Dunkeln erkannt werden. In Deutschland werden
die Si)ren^eschosse aus Sicherlieitsgründen ebenfalls abgesondert von den
Explosions-Apparaten geführt und das Anbringen der letzteren am Ge-
schosse geschieht während des Ladens des Geschützes,
Es ist sehr natürlich, dass wähi-end des Kampfes, wo sich der
Truppen ein erregter Zustand bemächtigt, nur Ansnahmenaturen ihre
gewiilmliche Kaltblütigkeit beibehalten.
In dem amerikanischen Bürgerkrioge wurden auf dem Schlachtfelde "'J^'"^.""
Tausende von Gewehren aufgefunden, welche doppelt, dreifach und manche k«ni»ci
sogar bis an das Ende des Laufes mit Patronen vollgestopft waren.*) Bla"^ÖD
In der englischen Marine, in welcher teilweise Kanonen als Vorder- ^°J}'^
lader gebaut sind, kam es nicht selten vor, dass sie doppelt geladen """fi-n
wurden und beim Abbrennen platzten. Die fürchterlichen Verheerungen, pnuuoBi
welche das Platzen der Kanone des Panzerschiifes „Thunderer" ver-^^^^'^^,
m'sachte, gaben Anlass, Vei-suche in Woolwich (1880) mit einer anderen '•
Kanone vom „Thunderer" anzustellen.
Die Doppelladung und Zerstöningskraft sind ans den beifolgenden
Bildern ersichtlich. 6)
Doppeltgelikdene Kanone zum Versuch.
•) Geoeral Wille: „Das Feldgeschütz der Zukunft". S, 9
') Nigotte: „Lea grandea questions de jour".
') Brasaej: „The British Navy",
VI. Taktik der ArtUlerie.
8chus8 aiis der doppeltgeladenen Kanone des „Thunderer",
Wenn bei so einfaehen Manipulationeü, wie das Laden, derartige
Verstösse vorkommen, was wird erst bei den Manipulationen mit 'Ex-
plüsivgeschossen geschehen, welche die grösste Genauigkeit erfordern,
nm regelrecht und sicher ausgeführt zu werden.
oteiiie Aber nehmen wir sogar an, dass die Geschosse immer ohne Unfall
AbfeoBro der mit den dazu gehörigen Explosionsapparaten schon etwas vor der Aktion
^wh°i^. oder am Kampfplatz selbst versehen werden, dass ferner das Geschütz
völlig richtig und mit aller Vorsicht geladen ist, so bleibt dennoch das
Abfeuern des Schusses übrig, und damit st«hen wir vor der Möglichkeit
einer neuen grossen Gefahr.
^'^^^e Um uns von dem Grade dieser Gefahr einen Begriff zu machen,
EipiMii- müssen wir nns die Einrichtung der Brisanzgeschosse genauer ansehen,
'"' °""' Nehmen wir hiei-für die stäiksten von ihnen. Diese „höllischen" Ge-
schosse bestehen aas einem langen Stalilzylinder, dessen Inneres mit
Melinit, Eoburit, Ekrasit oder irgend einem anderen Sprengstoff angefüllt
ist. Alle diese Materitilien zeichnen sich, wie schon gesagt ist, von ein-
ander hauptsächlich durch die verschiedenartigen Beimischungen and die
Methoden ihrer Herstellung ans. Natürlich wird in das Geschoss eine um
so grössere Quantität des Sprengstoffes hineingehen, je dünner die Wände
dar OhcIiii»-
i^u'''»" Werden hierbei bestimmte Grenzen überschritten, so vermag der
" Zylinder den Druck des Schusses nicht ausznhaiten; er platzt und es
"erfolgt eine vorzeitige Explosion des Geschosses. Aber selbst wenn die
Stahlwände genügend dick sind, kann in Folge irgendwelcher Mängel
in der Herstellung oder aus anderen Gründen ein Platzen ein-
treten. Im Allgemeinen wird von dem Stahl, der zn diesen Zylindern
^
':s
Katastrophen in Folge der Anwendung von Sprengstoffen. 441
verwandt wird, gefordert, dass er einen Druck von 4000 Atmosphären
ausMlt, aber aus der Praxis ist bekannt, welche Irrtümer bei Prüfungen
dieser Art vorfallen, und deshalb sind trotz aller möglichen Vorsichts-
maassregeln unerwartete Unglücksfälle nie ausgeschlossen. In jedem
Falle erhält das Geschoss während des Schusses infolge der Wirkung
der Gase einen starken Stoss, welcher vielleicht nicht an und für sich
eine Explosion herbeizuführen vermag, aber doch die Zylinderwände ver-
biegen und dadurch eine Explosion des in ihnen enthaltenen Sprengstoffes
mit allen ihren Folgen herbeiführen kann.
Im Fall einer Explosion beschränkt sich nach Meinung der Tech- ^**'^« «1°®'
niker die direkte Wirkung der Gase auf einen nicht allzugrossen Raum Explosion,
— 15 Meter — , aber ihre Explosion entwickelt eine solche Stärke, dass
sie in einem gewissen umfang Geschütze, Menschen, Pferde u. s. w.
fortreisst. Dass die Gefahr der Explosion des Geschosses im Geschütz-
rohre nicht vollständig beseitigt ist, beweisen die Vorsichtsmaassregeln,
welche der Explosion vorbeugen sollen.
In dem neuesten englischen Werke über Artillerie lesen wir ö«^fcrj)ei
Folgendes: 7) „Grosse Sorgfalt muss bei Herstellung gewöhnlicher Gra- gewöhnlicher
naten angewandt werden, um einer vorzeitigen Explosion im Geschütz- '*"* "'
röhre vorzubeugen. Wenn die Granaten geladen werden, müssen sie im
Innern vollkommen glatt sein, da schon die geringste Rauhheit genügen
könnte, eine Explosion zu verursachen. Bei dem Abfeuern der Granate
aus der Kanone sichert die Stahlbekleidung der Granaten am besten
gegen jede Rauhheit , welche Reibungen erzeugen könnte ; aber auch alle
Arten gewöhnlicher Granaten müssen so konstruiert werden, dass die
inneren Wände glatt sind."
Die Zünder sind überdies in Beutel zu legen und bei diesen Vorsichts- Not-
maassregeln dürfte keine vorzeitige Explosion zu befürchten sein. Reibungen
Wenn englische Autoren so bedachtsam urteilen, so hat dies triftige Granate nnd
Gründe für sich. Unfälle sind nicht selten und können nicht ver- ^^JJJJhJ^^.
heimlicht werden. Wir wollen aber die Folgen einer solchen Explosion
näher ins Auge fassen.
Die Schweizer Artillerie hat im September 1891 mit Granaten, deren , vewnche
der Schweizer
Sprengladungen aus Weisspulver, einem brisanten Stoffe bestehen und Artiuerie
unter Verwendung eines 12-Centimeter-Gussstahl-Geschützrohrs Versuche Wirkungen
angestellt, um zu untersuchen, welche Wirkung derartige Granaten, wenn ^^^^^^^^^
sie im Geschützrohr oder nahe vor demselben krepieren, auf das Geschütz Explosion
yon Spreng-
bezw. seine Bedienung ausüben. Mitteilungen darüber finden sich im ladangen.
') „Lloyd and Hadcock", Artillery 1894, its Progress and present condition.
\
1 Folge der Anwendung y
Pul ver-Explosion,
Auch mit dem alten Salpeter- Pulver, dessen Gefährlichkeit ver- *"°^""
hältnismässig weit geringer war, haben sich' Katastrophen ereignet, urothea
trotzdem die Beobachtung von Vorsichtsmaassregeln durch lange Praxis h,u„jto,
und erschöpfende Regeln den Heeren weit mehr in Fleisch und Blut über- ,^"^j,
gegangen war. ueh««!.
So ereignete sich 18B9 der Fall, dass ein Protzkasten in die Luft ^iJ'
Üog, wobei die daneben stehenden beiden Bedienungsmannschaften getötet
444
VI, Taktik der Artillerie.
Konpllilait-
mit dar
Veipiclisi
modsmai
OtKhOHl
wurden. Die Unteisuchnng stellte als Ursache der Explosion fest, dass
die Werg-Verpackung der Kartuschen im Protzkasfcen in Unordnung ge-
kommen war, weshalb sich die Kartnschbentel stellenweise durchgerieben
hatten und loses Pulver zwischen die Risenmunition gefallen war. In
Folge der Stösse beim Fahren erfolgte dann die EntzUndnng.
Wenn sich derartige Unialle schon mit den früheren Geschossen
ereignen konnten, so wäre es unlogisch, in Abrede stellen zu wollen,
dass bei den jetzigen viel gefährlicheren Stoffen Explosionen nicht viel
häufiger eintreten konnten. Um die Komplizieitheit der Verpackung der
Geschosse beim Transport und bei ihrer Herausnahme für den Gebrauch
zu zeigen, geben wir folgende Zeichnung aus dem „Leitfaden für den
Unterricht in der Waffenlehre".
Protze des deutacheii Gescbützea.
Popkung der deutBchen Geachoase.
FmuduiHii« In der französischen Armee haben die Befürchtungen hinsichtlich
der der Möglichkeit von Unglücksfällen bei dem Transport von Ladungen
einzuführen, welche sich dadurch auszeichnet, dass die Kästen beseitigt
sind, und in jede Seite der Protze Geschosse eingestellt werden, welche
Katastrophen in Folge der Anwendung von Sprengstoffen. 445
durch Brettclien (planchettes porte annements) festgehalten werden; die
Brettchen sind mit einer besonderen Sprangfedervorrichtung versehen,
welche jedem Schlage Widerstand leistet, wie dieses nachstehende Zeich-
nung zeigt. 9)
Kasten zum Transport von Geschossen und Ladungen in Frankreich.
Lehrreich ist folgende Geschichte der Explosion einer Protze im Jahre ^■i'.''"'
1877. Die Türken hatten sieh augenscheinlich verschossen. Plötzlich ertönte F.tron.
ein furchtbares Krachen, nnd eine gewaltige Pnlverraudisänle hüllte die jj^t",'
Batterie ein. Im ersten Augenblich konnte niemand begreifen, was auf der
Batterie geschehen war; alle .schauten mit dem Ausdrnck der Ungewiss-
heit bald anf die Batterie, bald auf die Nachbarn, als suchten sie nach
einer Krklämng. Man fühlte, dass sich etwas Schlimmes, Entsetzliches
ereignet hatte. Der gleich darauf durch die feindlichen Eeihen lanfende
dumpfe Ruf „Allah" bestätigte das Vorgefühl: auf der Batterie war etwa
BO Schritt von Sr. Hoheit dem Grossfürsten Sergei Alexandrowitsch der
Protzkasten explodiert.
Augenzeugen dieses blutigen Ereignisses erzählten später, dass, als
sich der Ranch nach der Explosion verzog, und man wieder die Möglich-
keit gewann, sich umzublicken, die ganze Gegend mit kleinen Spähnen
und Granatsplittern besä«t war und auf der Explosionsstelle selbst drei
verwundete nnd ein kontusionierter Artillerist und zehn getötete und
verwundete Pferde lagen. Von dem Protzkasten wai' nichts übrig
geblieben; alle seine Teile waren durcheinandergewürfelt oder davon-
geflogen, i^*)
Die jetzigen Sprengmittel sind in jedem Falle viermal stärker als
äaa fiühere Pulver.
') „Reglement sur le aervice des canons".
'**) «Die Bustschuker Abteilung des OrossfürsteD Thronfolgers im Kriege
18T7/78".
I
446 VI. Taktik der Artillerie.
Gefibriich- In einem der nenesten Werke über diese Materiell) finden wir fol-
Artiuerie- gende Angaben in Betreff der Gefährlichkeit einiger in der Artillerie für
sprengstoflFo. gj^g^^^geschosse verwandten Sprengstoffe:
pyroxyiin. Pyroxylin, das nicht in Wasser aufgelöst ist, verbrennt in offener
Luft, ohne eine Explosion hervorzubringen. Von Stoss und Reibung
leicht entflammend, bringt es im geschlossenen Räume Explosionen hervor.
Es zersetzt sich recht leicht. In Folge dessen ist bei seinem Transport
die äusserste Vorsicht erforderlich. Es wird in flüssigem Zustande in
Holz- oder Metallkasten transportiert, wobei man es vermeidet, diese der
Wirkung der Sonne auszusetzen.
Melinit ^nf Melinit wirken Kälte und Wärme nicht ein. Von einer Flamme
entzündet, verbrennt es in der Luft langsam wie Harz und sondert
einen dicken Rauch aus. Eine Explosion, die in der Nähe von Melinit
erfolgt, bringt auch dieses zur Explosion, die von starkem Geknatter
und schwarzem Rauch begleitet ist. Die Melinitentzündung bringt eine
gigantische Erschütterung und einen ungeheuren Luftdruck hervor, wenn
man auch die Kraft dieser Explosion nicht übertreiben darf. Die Ex-
plosionen teilen sich eine der anderen mit, ohne eine direkte Berührung
zu erfordern. Die Entfernungen, auf welche sie sich fortpflanzen können,
variieren unter dem Einfluss verschiedener Bedingungen. Die Ueber-
tragung ist natürlich auf um so grössere Entfernungen möglich, je
stärker die ursprüngliche Explosion ist, je kompakter und fester der
Boden, auf dem das Melinit lagert.
Die Herstellung, Aufbewahmng und Benutzung der Minengeschosse,
mit welcher dieser Substanzen oder anderen, wie Pikrinsäure, Ekrasit,
Roburit und wie alle die Brisanzpulver genannt werden, sie auch geladen
werden mögen, sind daher mit grossen Gefahren verknüpft.
uniiiögiich- Gefüllte Granaten können nicht mehr entladen werden, da diese
Iceit, gefQlIte
Granaten Operation weder praktisch noch überhaupt möglich ist. Das Aufbewahren
ZU enuaden. solcher Kriegsmunition in Magazinen kann Anlass zu Unglücksfallen und
zu Veränderungen geben, die den Wert oder die Kraft der Sprengladung
vermindern.
unmöglich- In jedem Fall sind die jetzigen Sprengstoffe gefährlicher als das
in Frieden«- frühere Pulver. Es fragt sich also, ist es überhaupt möglich, alle er-
übi^he forderliche Vorsicht zur Verhütung von Explosionen zu beobachten
^de"^Mln^*** bei den tausenderlei unerwarteten Zufälligkeiten und Bedürfnissen der
pniationen Krfcgszeit, bei dem ungeheuren Munitions-Transport, wie solcher fortan
" sto^ffen*'' nötig sein wird, und bei der gegen früher unvergleichlich gestiegenen
Krie^^M ^®» ^t ^^^ i^^^^ ^^^^^ ^^^ ^^^^ gehen muss? Sehr viele militärische
beobachten.
^*) E. Coralys: „Los explosifs", Paris 1893.
Katastropheu in Folge der Anwendung von Sprengstoffen. 447
Autoritäten behaupten indessen, dass die Versuche so gewissenhaft und
unter so starken Anforderungen gemacht werden, dass man die in den
Feldarmeen eingeführten Brisanzstofie in Wahrheit als nicht allzu gefahr-
bringend betrachten kann.
Jedoch behaupten, wie wii* gesehen, andere sehr ernste Fachmänner,
besonders Chemiker, ganz das Gegenteil.
Ehe daher nicht erfahrungsmässig begi'ündete Ergebnisse vorliegen,
hat man hinsichtlich des Gebrauchs der neuen Explosionsmittel die
grössten Befürchtungen zu hegen.
Zahlreiche Beispiele zeigen, dass sich beim Transport von Explosions- ".^f/**??"!'
stoßen Unglücksfalle auch dann ereignen können, wenn alle nur erdenk- Transporten
baren Vorsichtsmaassregeln beobachtet werden. In San Francisco wurden spwng-
einmal vom Dampfer „Pacifique" 2 Fässer Dynamit, jedes von 4 Kubik- ""^^^ta""
fuss, ausgeladen, unmittelbar nach der Ausladung erfolgte aus unbekannten Beobachtung
Ursachen eine Explosion, durch die ein Teü der Stadt zerstört und eine vondcht^
Menge Menschen getötet wurde, w) «aaeregei...
Wenn eine Explosion von im ganzen 8 Kubikfuss Dynamit schon
so schreckliche Folgen haben konnte, was ist dann erst zu erwarten,
wenn gewaltige Mengen Sprengstoff zur Explosion kommen.
Beim Transport von Schiessbaumwolle, welche heute hauptsächlich als , i>«'
Sprengladung benutzt wird, können bei bedeutenden Temperaturver- von
änderungen ebenfalls grosse Gefahren entstehen. In früheren Zeiten, wo ^"mutoin*
das Zubereitungsverfahren noch nicht so vervollkommnet wie heute war, ^olkelcht
aber wo auch mehr Freimut in den Aeusserungen herrschte, hat Payen wfdie
gefunden, dass — wenn Schiesswolle, sei sie noch so gut bereitet und
noch so rein, auf 50 bis 60 Grad erhitzt wird — eine langsame aber
kontinuierliche Zersetzung eintritt, welche von selbst zur Explosion
führt (explosion spontan6e). Pelouze konstatierte dieselbe Thatsache für
Temperaturen von 60 bis 70 Grad.
Wichtige Resultate haben die in England durch eine Kommission Kagiieche
" Yersnche
unter Vorsitz des Generals Sabine ausgeführten Versuche ergeben. in Bezng auf
Man fand, dass bei 100 Grad C. in offenen oder geschlossenen ^^^'^'^^^^J""'*'
Gefässen eine rasche Zersetzung eintrat, die in einigen Stunden zur T«™pej»t"r
Explosion führte; bei 90 Grad war die Zersetzung massiger und selbst schieaewoiie.
nach 46 stündiger Einwirkung nicht gefährlich; bei Temperaturen von 66
bis 6B Grad zeigten sich wohl Symptome einer Veränderung, doch war
der gewöhnliche Prozess der Reinigung von Säuren genügend, der Schiess-
woUe einen von dem ursprünglichen nur wenig differierenden Zustand
wiederzugeben.
") Radiwanowski, N.: „Pulver, Pyroxylin und Dynamit".
448 ^' Taktik der Artillerie.
Dagegen ergaben die Versuche mit grossen gelagerten SchiesswoU-
quantitäten (wobei das Verhalten der Schiesswolle in warmen geschlossenen
Lokalitäten beobachtet wurde) nach einigen günstigen zwei bedenkliche
Resultate. Bei einem Versuche erhitzte sich die in Metallkästen ver-
packte SchiesswoUe, nachdem sie drei Monate hindurch täglich mehrere
Stunden einer Temperatur von ungefähr 50 Grad ausgesetzt war, derart
im Innern, dass man den Versuch einstellte. Bei einem zweiten analogen
Versuche entstand eine nicht unbedeutende Explosion, i^)
unrejrei- Dass auch bei dem heutigen vervollkommneten Verfahren Unregel-
mässigkeit
und Nach- mässigkclteu und Nachlässigkeiten vorkommen können, besonders während
^ Krie^" der Kriegszeit, wo Mangel an guten Arbeitskräften eintreten muss, ist
^f". ^ nicht unwahrscheinlich, und dass bei Einwirkung der Sonne auf Behälter,
vermeidlich. ' ^
in welchen Pyroxylin transportiert wird, Temperaturen über 56 Grad sich
entwickeln können, kann als recht wahrscheinlich angenommen werden.
Einfchisgen Jedoch vicl wichtigcr noch ist, dass während des Kampfes
der Oranaten ^ ' ^
in Munition, das Eiuschlagen einer Granate oder ihrer Teile, obwohl Protzen und
Munitionswagen aus Eisenblech hergestellt werden (in Russland) oder
einen äusseren Panzer erhalten (in Frankreich), so dass ihr unproduktives
Gewicht 100 auf 100 beträgt, genügt, um eine Explosion hervorzurufen. Aber
wenn man auch die Möglichkeit zugiebt, die Wagenwände zu verstärken,
so würde damit die Gefahr doch nur vermindert, nicht beseitigt sein,
denn gegen ganze Geschosse und grössere Teile derselben kann es keinen
Schutz bei Feldprotzen geben, und weiterhin, beim Herausnehmen der
Ladungen und Geschosse aus der Protze steht diese offen, und der Auf-
schlag auf das Geschoss selbst kann ebenfalls eine Explosion bewirken.
Bei der heutigen Vervollkommnung der Geschütze muss die hieraus ent-
stehende Gefahr sehr in Betracht gezogen werden.
^hSfdw' ^^ haben schon ausgeführt, dass auf den Schiessplätzen Deutsch-
Granaten lands von 100 Granaten die Hälfte auf 4000 Meter Entfernung ein Ziel von
MMitio^ 6,2 Meter Breite und 25 Meter Länge traf.
^ *** Da ausserdem die Schnellfeuer- und Eevolvergeschosse mehr als
400 Gramm wiegen, so steht ihrer Füllung mit Sprengstoffen nichts im
Wege. Ein einziges solches Projektil (der Feind wird aber natürlich
streben, ihi-er Tausende gegen den Munitionsbehälter zu richten) genügt,
um die oben beschriebene Zerstörung herbeizuführen.
scUesB- Die Sicherheit des Treffens aus Schnellfeuer-Geschützen haben wir
Tonnche mit
der schon gezeigt; was die Revolverkanonen betrifft, so ist deren Treffsicherheit
^^^J^^ heute eine noch mehr bemerkungswerte. Um einen Beweis zu Uefem, geben
kanone. _
") Maresch: „Waffenlehre, Schiess- und Sprengpräparate". Wien 1872.
Eataetrophen in Folge der Anwendung von Spreiigatoffen
wir Diagramme von einer ÖT-MDlimeter-Hotchkiss-Revolverkanone,") welche
6 Pfand wiegende Geschosse, volle oder mit Explosivstofien gefüllte Granaten
oder ShrapneLs nnd Kartätschen mit 80 Kugeln gefüllt, verfeuerte.
Die Kanone macht 6 Umdrehungen in der Minute. Es wui-de auf 15, f*'*^"""'
50, 350, 670 und 1000 Yards Entfemnng geschossen. .anneh« »
sT-umi-
No. 1: ein Umdrebungsäatz. No. 2: ein Uradrehnngssatz. No. 3: ein ümdrebungssatz. mstar-
% Umdrehongssata. No. 5: ein Umdreliimgasate. Eine Salve v
Sohiessversuche mit der üT-MiUimeter-HotchkiBS-Eevolverkanone.
Sobald also der Standort der Geschütze und der MuoitioB entdeckt
ist, wird man eine ganze Eeihe von Geschossen dorthin richten, so dass
wohl eine oder die andere Piotze getroffen werden dürfte. Das nächste
Bild zeigt uns eine Abteilung englischer Infanterie auf dem Manöverfelde
in Thätigkeit gegen eine feindliehe Batterie mit ihren Manitionskästen.
In der Kriegsgeschicht« finden sich viele Beispiele für die Explosion i*)
von Protzen und Munitionswagen in Folge der Axtüleriewirknng, aber da
») Dredge: „Moderne ÄitUlery".
") Ba explodierten: Munitions wagen Protze B
in der Schlacht bei Wörth 1 —
„ „ „ „St. Privat — 1
„ „ „ „ Amiens — l
„ ,, „ .. Villiera-Champigny . . — 2
„ „ „ „ Beifort — 1
Alt nnd Lehmann: „Die deutsche Artillerie in den fünfundzwanzig Seh lachten
and Treffen des Krieges 1870/71.
Blich, Du »Unftiga Krieg. -9
TL Taktik der ArtiDene.
Englische Infanterie in Tbätigkeit gegen eine feindliche Batterie.
diese bisher nicht Sprenggeschosse von solcher Wirkung enthielten, wie
die der jetzigen, so liegen anch noch keine Beispiele der jetzt möglichen
Folgen einer derartigen Katastrophe vor.
■>•• Man kann sich aber leicht den Eindruck vorstellen, welchen die
lUfliitakell
ftnhttartr erste derartige Katastrophe auf Heer und Volk ausüben wird. An Stelle
"^^Jt"der früheren Ermutigung, welche eine in der Nähe befindliche Artillerie
^*'^^'J^"den Truppen einflösste, wird diese jetzt ein Element der Beunruhigung
Knnitian - bilden; diese aber wird ihren Einfluss auf die moralische Haltung der
i^st Kämpfenden ausüben, welche nach Ansicht der Fachmänner auch fernerhin
S^'n»»' ^^^^ grosse Rolle spielen wird.
»■* Diese Eindrücke werden auch ober die Grenzen des Schlachtfeldes
o«MUKh>n.
hinaus wirken, besonders wenn man den Charakter der westeuropäischen
Gesellschaft und den Bestand des Heeres in Berücksichtigung zieht.
Nachrichten über wiederholte Katastrophen können leicht ünrnhen
heiTorrufea. Es ist zn bemerken, dass die ökonomischen Wirren nnd
moralischen Erschütterungen, welche während der Mobilmachung entstehen
können, in Frankreich in gewisser Art erforscht sind, aber die ZoiUllig-
keiten, die anf die öfientliche Stimmung von Einfluss sein können, sind
hierbei nicht genügend berücksichtigt.
Ueberhanpt erscheint eine Mobilmachung in Ländern, welche auf einer
gewissen Kulturstufe stehen und deren Industrie stark entwickelt ist,
ohne dass man besondere Bücksichten nähme, nicht gut denkbar. Der so
Zukunftsbilder der Artillerie-Taktik. 451
komplizierten Maschine der heutigen Gesellschaftsordnung plötzlich ^^ «w«»-
wArbgen
massenhafte Arbeitskräfte zu entziehen, erscheint eigentlich ganz un- Hoen»-
möglich. Eine plötzliche Einberufung könnte bedenkliche Folgen nach "teM^tn
sich ziehen. Daher sind die Nationalökonomen der Ansicht, dass ^*"*®°
' grosse
Deutschland sowohl wie Frankreich ihre Heere nur allmählich mobilisieren v«rioiite
O&luiuigoii
können. Zu dieser Frage werden wir übrigens noch zurückzukehren hervor-
haben bei Beleuchtung der Frage, aus welchen Berufskreisen sich die ^""^•"*
Heere der einzelnen Länder zusammensetzen. Doch soll gleich bemerkt
werden, dass, wenn bei fortlaufender Einberufung nur die älteren Jahr-
gänge zurückbleiben und nun Nachrichten über die Katastrophen
kommen, welche die neueingeführte Bewaflnung über das Heer gebracht
hat, in den Familien dieser ältei-en Jahrgänge unzweifelhaft Proteste
erhoben werden und vielleicht auch Gährungen zu Tage treten dürften,
die zu dämpfen die Eegierungen Frankreichs und Deutschlands vielleicht
nicht die nötige Kraft haben würden.
Natürlich werden diese Befüi'chtungen nicht allseitig geteilt. Man ^/'®^^f
nimmt die normalen Opfer des Krieges so ungeheuer hoch an, dass «chaftuchen
zufällige Katastrophen zu der Zahl dieser Opfer natürlich nur einen ' "°"*'
kleinen Prozentsatz liefern. Was die öffentliche Stimmung betrifft, so
werde in dieser Hinsicht die Presse eine gewaltige Bedeutung haben,
da man aber diese in Kriegszeiten fest am Zügel halte, so würden die
gewöhnliche Polizei und Gensdarmerie durchaus genügen, um Gährungen
niederzuhalten.
Unsere Meinung hierüber werden wir weiterhin aussprechen. Un-
zweifelhaft ist es, dass der Krieg patriotische Begeisterang entfacht und
zeitweilig sogar die Agitation des Sozialismus erdrücken kann. Aber
wenn die Begeisterung der Verzweiflung Platz gemacht hat# oder sich
auch nur abgeschwächt hat, und statt dessen Klagen über die furchtbaren
Opfer und die Verstärkung der Steuerlast sich erheben, dürfte sich dann
nicht jene für die bestehende Ordnung so gefährliche Stimmung zeigen, der
Heine in seinem berühmten Gedicht von den schlesischen Webern so meister-
haft Ausdruck leiht?
Znknnitsbilder der Artillerie-Taktik.
Nunmehr haben wir die Möglichkeit, den allgemeinen Einfluss der Haupipnnkt6
neueingefnhrten Verbesserungen auf die künftige Thätigkeit der Artillerie schnttes in
näher ins Auge zu fassen. Aruiiwie
Die Hauptpunkte des seit den letzten Kriegen stattgefundenen ^^^'f^J^^^
Fortschritts bestehen in Folgendem: Kriegen.
29*
452 VL Taktik der Artülerie.
Grössere ballistisclie Leistungsfähigkeit und Tragweite der Geschütze,
vermehrte Feuerschnelligkeit, Steigerung der Strenwirkung der Geschosse
bis zur wirklichen Massenwirkung, zweckmässige Organisation zur Bildung
von Artilleriemassen, Erkenntnis der ausschlaggebenden Wirkung dieser
Massen, vermehrte Gewandtheit in ihrer Formierung.
Alle diese Elemente haben die der Artillerie eigenthümliche Zer-
störungskraft qualitativ und quantitativ bedeutend erhöht und die E!r-
reichung einer wahren Massenwirkung durch das einzelne Geschoss und
eine grosse Geschützzahl in dem Sinne sehr begünstigt, dass die Erreichung
des Hauptkampfzweckes: die grösste Wirkung in kürzester Zeit, mit
geringstem Munitionsaufwande auf jedem Teüe des Schlachtfeldes zu er-
zielen, gegen früher ganz gewaltig gefördert worden ist.i)
^Mhritto^ Diese Fortschritte bedingen vor allem weit höhere Anforderungen
im Artillerie, an dic Ausbfldung und Disziplin der Führer und des einzelnen Mannes.
wesen
bedingen Kapitän Martynow sagt in seinem besonders talentvoll geschriebenen
^^MWnng'^^^Werke^), dass auf dem militärischen Gebiet eben genau dasselbe vor
"dw^Fühw^ sich gegangen ist wie auf jedem andern, wo im Dienste der Maschinen
nnd gearbeitet wird. Bei Werkzeugen einfacher Konstruktion hängt der
Mnnnea.*' Erfolg der Arbeit ausschliesslich von den persönlichen Eigenschaften des
Arbeiters ab, von seinem Verständnis, seiner Geschicklichkeit, Findigkeit,
Energie u. s. w. ; in dem Maasse, wie die Werkzeuge sich verbessern, wie
die Maschinen allmählich immer vollkommner werden, verlieren die
persönlichen Eigenschaften des Arbeiters immer mehr ihre Bedeutung.
Mit jedem neuen Schritt der Technik vermindert sich allmählich der
Grad der Bedeutung der persönlichen Eigenschaften des Arbeiters. Wir
können dieser Meinung beistimmen, aber natürlich nur mit dem Vor-
behalt, dass entsprechend ausgebildete und talentvolle Leiter des Ganzen
und in genügender Anzahl vorhanden seien.
^ot- Da nun die Vervollkommnung des Kriegsmechanismus ohne Unterlass
wendigkeii,
die Trappen fortdaucrt, so tauchen freilich nicht unbegründete Befürchtungen auf, dass
reciiteeitig ^.^ Vorrangsstelluug auf technischem Gebiete bald diesem, bald jenem
bedeutenden gt^at^ anheimfalle. Angesichts der beständigen Verbesserungen im Ge-
änderangen schützwcseu entsteht daher die Frage, ob nicht auch der Fall eintreten
in der
Bewaifnnng köunc, dass währcud des Krieges selbst eine solche sich geltend machen
^machen. ^^^ ^^^^^ ^er kriegführenden Parteien Vorteil bringen könnte.
Jedenfalls weist die Geschichte des Kriegswesens die Notwendig-
keit nach, bei derartigen bedeutenden Aenderungen in der Bewaffnung
^) General Müller: „Die Wirkung der Feldgeschütze".
•) Kapitän Martynow: „Die Strategie in der Epoche Napoleons und in
unserer Zeit". 1894.
en
Zukonftsbilder der Artillerie-Taktik. 453
'— ßadikaländerungen in den AngriflF- und Abwehr-Mitteln — recht-
zeitig auch die Truppen an diese Neuerungen zu gewöhnen, wenn nicht
schlimme Folgen eintreten sollen.
Aus der Zahl lehrreicher Beispiele wäre besonders eins hervorzuheben, i^hrwichw
vorgelieii
Im Kriege 1870 übertraf bekanntlich das damalige Chassepot- Gewehr die der
deutschen Gewehre. Anfangs erlitten die deutschen Truppen furchtbare *gege/"
Verluste, erst später machten es sich die deutschen Truppen, durch die i/^*^j^_
Erfahrung rasch belehrt, zur Regel, einen Infanterie-Angriflf nur vor- «««iMbe
zunehmen, wenn der durch Artilleriefeuer genügend vorbereitet war, Gewehr.
das sich zunächst auf die französische Artillerie richtete. Erst als
sich das Feuer, nachdem die französische Artillerie unschädlich gemacht
war, gegen die französische Infanterie gewandt und deren Widerstands-
fähigkeit erschüttert hatte, ging das Gros des Heeres, das sich bis dahin
ausserhalb der Gefechtslinie gehalten hatte, vor und entwickelte sich
zum Gefecht. 8)
Gegenwärtig hat sich gegen 1870 die Bedeutung einer solchen Kampf-
vorbereitung noch bedeutend gesteigert. Von den Folgen aber, welche
dieser Artillerie-Zweikampf haben wird, kann man sich nicht einmal an-
nähernd eine Vorstellung machen.
Es ist zu bemerken, dass die Artillerie in Friedenszeiten sich wegen schwierig-
Keit fftr die
des Mangels an ausgedehnten Schiessplätzen grösstenteils auf weit ge- Arüuerie,
ringere Distanzen im Schiessen übt als auf solche, von denen aus sie ^ [f^n^
im Kriege das Feuer eröffnen wird. schiess-
» flhnngen auf
Natürlich müssen in Folge dieses Umstandes bei allen Heeren af^n^n
taktische Modifikationen eintreten; die werden aber um so geringer »^«^»i*««-
sein, je höher die Ausbildungsstufe der Offiziere ist, d. h., je gewandter
diese sind, sich selbst und die Mannschaft an neue Vorkommnisse
zu gewöhnen, welche ihnen bisher aus der Praxis und den Uebungen
der Friedenszeit unbekannt geblieben. Insofern die Artillerie -Offiziere
aller Armeen ihrem Bildungsgrade nach zu den höheren Schichten militä-
rischer Intelligenz gehören, wird eine plötzliche Aenderung der taktischen
Formen ihnen keine grossen Schwierigkeiten bieten. In jedem Falle kann
jedoch erst das wirkliche Schlachtfeld zeigen, wie schnell und bis zu welchem
Grade ein tüchtiger Offizier sich zu orientieren und in die neuen Bedingungen
zu finden vermag. Dem Umstand haben bereits die KriegsschriftsteUer aller
Länder ihre volle Aufmerksamkeit zugewandt. So sind u. A. Stimmen zu
Gunsten von Reglements -Aenderungen laut geworden, um die Artillerie
an das Schiessen auf grössere Entfernungen zu gewöhnen und ihr grössere
') Colonel Om6ga: „L'art de combattre''.
454 VI. Taktik der Artillerie.
Selbständigkeit zu verleiten. In dieser Beziehung geht Deutschland mit
nachahmungswertem Beispiel voran.
sei^- Sobald die deutsche Artillerie mit der feindlichen den Kampf beginnt,
8t&ndigkeit . tr -^ j
derdeatflchenist Sie vou dem Korps- oder Divisions-Kommaudeur unabhängig, während in
im'SJ^pfe Frankreich Korps -Artillerie und Divisions -Batterieen immer direkt dem
***d«^*' ^^^PS"> ^^SP- ^®™ Divisions-Kommandeur untergeordnet bleiben. Ebenso
franiösiBchen ist es auch iu der russischen Armee. Weiter schreiben die Instruktionen
rosSIcheu vor, dass jeder Stellungswechsel der Batterien, welcher auf den allgemeinen
Artiuerie. Q-aj^g ^es Gefcchtes Einfluss haben kann, nur auf Anordnung des AbteUungs-
Kommandeurs erfolgen darf. Hier mag indessen die Frage erlaubt sein,
ob nicht eine Vorschrift dieser Art bei den neuen Kampfverhältnissen zu
sehr binden und die Initiative lähmen dürfte.
Bflsondere Bcsoudcrs für die russische Armee dürfte es angebracht erscheinen,
Grande, °
in der dcu Artillerie-Offiziereu mehr Selbständigkeit einzuräumen, weil in Folge
'Trmee*" dcr durch die Benutzung des hier kürzlich eingeführten rauchschwachen
*®J^^^ Pulvers bedingten Veränderung in den Angriffe- und Abwehr-Distanzen,
gr«ABere falls eiu Krieg in kurzer Zeit entstehen würde, Schwierigkeiten sich zeigen
keiteinzu- könueu, derer die Artillerie - Offiziere eher Herr werden dürften als die
riumen. Offiziere anderer Wafien.
Wenn in den ausländischen Armeeü den Kommandeuren der Artillerie
eine grössere Selbständigkeit gewährt wird, so dürfte kein Grund vor-
handen sein, ihnen eine solche in der russischen Armee vorzuenthalten.
Da aber andererseits die Artillerie nur eines der Mittel zur Erreichung
des Hauptzweckes bildet, so kann man füglich nichts dagegen einwenden,
wenn die Verfügung auch über diese Waffengattung in den Händen der
obersten Truppen-Befehlshaber bleibt. In jedem Falle indessen muss die
Wahl der besten Mittel zur Ausführung der Anweisungen den Kom-
mandeui'en der Ai-tillerie -Abteilungen selbst überlassen werden. Dies
ist in Russland um so nötiger, als bei der Mobilmachung der Armee,
wo die Einberufung sich auf alle Stände erstreckt, ein gewisser Teil der
Reserve-Offiziere, namentlich in der Artillerie, in Folge seiner höheren
Bildung sich fähiger zeigen wiid, als in den anderen Waffengattungen.
^höhe!r ^^^ ^^ Kriegserfahrung betrifft, so steht die russische Artillerie
Kriege- in dieser Hinsicht ein klein wenig höher als die anderen, da sie in ihren
^'in der* Roiheu viele Offiziere zählt, welche an dem türkischen Feldzug 1877/78 und
an den mittelasiatischen Kämpfen teilgenommen haben , während die
französischen und deutschen Heere seit 1870 grössere Kriege nicht zu be-
stehen hatten und die österreichischen und italienischen gar zum letzten Mal
1866 im Felde standen, unbedeutende Expeditionen wie die der italienischen
Armee nach Abessynien und der Franzosen nach Cochinchina und Dahomey
können hier nicht in Betracht kommen.
mesischen
ArtiUerie.
Znknnfbsbilder der Artillerie- Taktik« 455
Es ist zu bemerken, dass sich die Artillerie gegenwärtig wieder in .5,*® .
' o o o Artillene
einem üebergangsstadimn befindet. Die neuesten Vervollkommnungen au«r under
sind so zahlreich, dass es ganz unmöglich ist, sie in vollstem Umfange auf \ich*
das schon vorhandene Material anzuwenden. Demnach steht in naher Zeit ff^^n^^^ig
in oinem
eine Umbewaffnung der Artillerie mit neuen Geschützen bevor, welche in uebergang».
ihren verschiedenen Teilen von den jetzigen Typen wesentlich abweichen
werden. So lässt die Verwendung des rauchschwachen Pulvers bei den
modernen Greschützen eine genügende Steigerung der Anfangsgeschwindig-
keit nicht zu, weil weder Rohr noch Lafette darauf eingerichtet sind. Die
neue Triebkraft vermag nur bei den Geschützen des neuen Systems voll zur
Anwendung zu kommen. Bei dem jetzigen leidenschaftlichen Wetteifer
aUer Staaten in der Bewaffnungsfrage ist es undenkbar, dass sie nicht
danach streben sollten, in Ausnutzung der durch das rauchschwache
Pulver gebotenen Kraft einander möglichst schnell zuvorzukommen, um-
somehr, als hiermit auch eine Beschleunigung des Schiessens selbst ver-
bunden ist.
Seinerzeit ist bei der letzten Umbewaffnung der Feld-Artillerie die i>*« i«*»*»
Bedeutung der Feuergeschwindigkeit nicht genügend gewürdigt worden; T)ew»ffanjig
zudem hat sich mit Einführung grösserer Geschosse auch der Rückstoss "hat die *
der Geschütze bedeutend verstärkt, was eine gewisse Verlangsamung des !^//*p*J^.
Schiessens zur Folge hat. Die zur Abschwächung des Rücklaufs ein- ««Bciiwindig-
geführten Bremsen beseitigen diesen Missstand nur zum kleinsten Teil, genftgend
Noch wichtiger aber sind die gegenwärtigen Kampfbedingungen, «f®'^'**«^
wonach die Batterien unbemerkt heranzuführen und reichlich mit Munition
zu versorgen sind, damit der Gegner mit Geschossen überschüttet
werde, bevor er noch dazu kommt, Widerstand zu leisten. Bei der Ver-
schiedenheit der einzelnen Geschütztypen und der Schwere der Geschosse,
wovon schon die Rede war, ist zu befürchten, dass auf dem Schlacht-
felde Schwierigkeiten entstehen können, weshalb in der Artillerie dringend
die Möglichkeit einheitlicher Geschütztypen und Beseitigung der allzu
schweren Geschosse gefordert wird.
Seit 1891 ist man in Deutschland und Oesterreich zu einem Kaliber ^^rtmerie-
Reformea in
Übergegangen; ausserdem bemüht man sich in Deutschland, neue Typen Deutachiand
für den materiellen Teü der Feldartillerie herzustellen und ein Universal- OMteJrdcii
Geschoss einzuführen. ■•** "•^•
Die Schnellfeuerkanone bietet die Möglichkeit, in einer bestimmten J^"*5! ^^
Zeit bei geringstem Munitionsverbrauch die grösste Wirkung zu erreichen, kmone.
weil dies Geschütz doppelt soviel Eisen gegen den Feind entsendet als
die anderen Feldgeschütze (die Schnelligkeit ist 4 mal grösser, das
Geschoss 2 mal leichter, die Wirkung 2 mal stärker); da ferner jedes
Geschoss bei der Explosion eben so viel Rauch erzeugt wie die jetzige
456 ^^' Taktik der Artillerie.
Kartätsch -Granate und deshalb die Wolke über dem Ziel 4 mal grösser
sein wird, wodurch das Schiessen erleichtert wird; endlich weil das
geringere Gewicht des ganzen Systems die Möglichkeit giebt, die Ge-
schütze unbemerkt näher an den Feind heranzubringen.*)
In Folge dessen sind die Anstrengungen fast aller Mächte darauf
gerichtet, Schnellfeuergeschütze zu schaffen, welche 10 bis 40 Schüsse
in der Minute ohne Rücklauf geben und daher nicht nach jedem Schuss
gerichtet zu werden brauchen.
Höhe der ^ie gross abcr die Ausgaben sind , welche im allgemeinen für die
bewaffnnng Umbewaffhung der Armee erforderlich sind, zeigt die bei der Bilanz
Annw'er- ^cs frauzösischeu Kriegsministeriums für 1889 angestellte Taxe der
forderlichen ^PUjQß.yQj^l^t^ Das Artillerie -Material hatte danach einen Wert von
1523776761 Francs (d. h. über IV3 Milliaiden).^)
Gegenüber so gewaltigen Ausgaben müsste mau annehmen, dass eine
Umbewaffhung der Artillerie in naher Zukunft wenig wahrscheinlich ist.
Nene Es wurdc jcdoch schon darauf hingewiesen, dass man in Frankreich
in zu einer Geschützumformung geschritten ist, um die volle Kraft des
o"d"d^ren^ ueueu Pulvcrs ausnutzen zu können. Ausserdem werden dort Geschütze
KoBteu. neuer Art eingeführt, welche je nach ihrer Fertigstellung zum Ersätze
der aus den alten Geschützen umgearbeiteten bestimmt sind. Und jüngst
wieder teilte der „Progres Militaire"^) mit, dass das neue französische
Geschütz 7,5 Centimeter Kaliber hat und 4 bis 5 Schuss in der Minute
geben wird, dabei fast mit Aufhebung des Rücklaufs. Die Herstellung
dieses Geschützes soll 382 Millionen Francs kosten und in 3 Jahren
beendet sein.
steigen Dicsc Angaben dürften umsomehr Wahrscheinlichkeit für sich
Treffflachen habeu, wcü Autoritäteu, wie General Wille behaupten, dass die Treff-
den^nUen Aächeu der neuen Geschütze steigen:
oeechttteea. ^j^i ciucr Entfcmung bis 1000 Meter um 210 Prozent
„ 2000 „ „ 133
„ „ „ „ ««vrw „ „ J.v*^ „
„ „ „ „ €)UUÜ ,^ ,, 0*7 „
*) Michnewitscli : „Einfluss der neuesten technischen Erfindungen".
*) Nicht uninteressant sind auch die Werte der anderen Vorräte, in
Millionen ausgedrückt (in abgerundeten Ziffern): Uniformstücke und Lager-
utensilien 466 Millionen, die Remonte- Abteilung 117 Millionen, Proviant -Vorräte
99 Millionen, das Hospitalwesen 53 Millionen, Ingenieurmaterial 55 Millionen,
Pulver- und Salpeter -Vorräte 30 Millionen, Pourage -Vorräte 23 MiUionen, der
Train 20 Millionen, das topographische Ressort 25 Millionen, der Telegraph
3 MilL; über 1 Mill. Francs kommt noch auf jeden der folgenden Titres: Zentrale
Kriegsverwaltung, Generalstab, Quartierungs-Ressort, spezielle Kriegsschule, poly-
technische Schule. Auf die Militär-Luftschifffahrt entfallen 954000 Francs.
G) 3. März 1894. No. 1392.
Zukunftsbilder der Artillerie-l'aktik.
46?
Graphisch dargestellt ergiebt das folgendes Bild.
1000 Meter
mm
1
■ 1 1 ■UM
3000 Meter
SHB S
^|IS3\
8000 Meter i
1 Wiüi
loMi
1
vvjo
Treffflächenvergrösserung der neuen Geschütze.
M\
Die seinerzeit aus Berlin gekommene Nachricht, dass in Deutschland ^"^^^/",
neue Kredite für Umwaffnungszwecke gefordert werden, musste natürlich für die
Befürchtungen wachrufen. Wozu eigentlich die 110 Millionen Mark be-
stimmt sind, die in das Budget 1892/93 für Verstärkungen der Artillerie
eingetragen sind, weiss niemand genau.
Das „Berliner Tageblatt" teilte mit, dass bei Krupp neue Stahl-
kanonen bestellt seien, die zu der Zeit fertig sein sollten, wo ein gewisses
Geschütz, mit welchem noch Versuche gemacht würden, als verwendbar
befunden werden würde. Zu dieser Meldung fügte das „Berliner Tageblatt"
noch hinzu, dass mit Verwirklichung der neuen Verbesserungen die
deutsche Artillerie die erste in. der Welt sein werde. „Alle übrigen
werden zurückgedrängt sein und keine Bemühungen werden ihnen
helfen, uns in dem Vorrange einzuholen, den wir über sie erworben
haben."
Es mag sein, dass diese Worte eine einfache Zeitungsprahlerei sind, ^^^^^^^j,
aber in jedem Falle sind sie auch dann nicht zur Herabminderung be- "
sorgter Erwartungen geeignet. Inzwischen fürchten sich die einzelnen "^formungen
Staaten, an partielle Umformungen zu gehen, da jede Zweiheit hier das " ^^*°*
moralische Selbstvertrauen ins Schwanken bringt. „Der Wert einer In-
fanterie," sagte Friedrich der Grosse, „ist von dem Vertrauen abhängig,
welches sie zu ihrer Waffe hegt. Wenn ein Teil der Armee mit einer
verbesserten Waffe ausgerüstet wird, der andere die bereits gebrauchten
erhält, so wird letzterer glauben, dass er ungerechter Weise geopfert
wird und der Geist dieses letzteren Armeeteils wird niemals der gleiche
sein wie bei den privilegierten Heeresteilen."
Aber auch ohne weitere Neueinführungen ist im Vergleich zu dem, /«i^^fitte
^ ^ der Artillerie
was 1870 war, ein gewaltiger Fortschritt gemacht worden. Die tot- «eit i87o
bringende Wirkung der Geschosse, welche jetzt gegen früher mindestens '"weitere"'*
auf doppelt so grosse Entfernung treffen und deren Wirksamkeit jetzt n«'»«'^"«»»«"-
8 mal stärker ist als früher, wird eine ganz andere sein als 1870. Die
Schlachten der Zukunft werden unter anderen Verhältnissen und anders
stattfinden als jetzt. Die Treffweite der Geschütze erreicht bereits
7000 Meter. Der Angreifer wird folglich von einer gewaltigen Entfernung
468 VI. Taktik der Artillerie.
aus mit seiner Artillerie den Kampf aufnehmen, nm der Infanterie das
Vorrücken zn ermöglichen.
Die Umbewaflfnung der Infanterie und die allseitige Einführung des
rauchschwachen Pulvers haben die Kampf bedingungen so verändert, dass
die Artillerie wie auch die übrigen Truppengattungen ihre Organisation,
Ausbildung und Taktik bedeutend umgestalten müssen. Diese Not-
wendigkeit wird sich natürlich mit der Einführung von Geschützen des
neuesten Typs noch steigern. Man klagt, dass darauf noch zu wenig
Rücksicht genommen wird. So z. B. wird behauptet, dass schon gegen-
wärtig in den meisten Armeen bewegliche Mörser eingeführt seien, die der
Festungs- Artillerie oder leichten Belagerungsparks zugeteilt, teilweise
auch in besondere Batterieen gegliedert sind, dennoch aber sind mit der
Wirkung dieser Mörser die Korps- und Divisions -Kommandeure, die
berufen sind, den Kampf zu leiten, noch wenig bekannt.
Gefthriich- Angesichts der Möglichkeit, dass die angreifenden Truppen auf
üober- weite Entfernungen hin unter mörderischem Gewehrfeuer vorgehen müssen,
dOT^dTen^n ist die ünterstützuug der Artillerie unbedingt erforderlich, und deshalb
^'"d^^ wird ein Schiessen der Artillerie über die Köpfe der eigenen Soldaten
niohBien Mnweg weit häufiger als früher eintreten. 7) Ein derartiges Feuern gehört
schon heute zu den schwierigen Aufgaben des Krieges, und bei den neuen
mit noch grösserer Anfangsgeschwindigkeit ausgestatteten Geschützen
wird man es zu den allerschwierigsten Aufgaben rechnen müssen. Bei
der Hast, welche, wie erst gezeigt wurde, unumgänglich notwendig sein
wird, und bei der häufigen Anwendung indirekten Zielens kann das Ueber-
schiessen der eigenen Truppen sehr gefährlich werden, s) besonders, wenn
man noch dazu in Erwägung zieht, dass in der Konstruktion der Spreng-
geschosse iigend eine Ungenauigkeit nicht ausgeschlossen werden und
demnach eine vorzeitige Explosion entstehen kann. — Dazu kommt noch,
dass das Schiessen auf den entfernten Gegner bei aufgelösten Formationen
und in Geländen, welche hauptsächlich als Schlachtfelder dienen werden,
noch eine andere grosse Schwierigkeit bietet. Es wird nämlich häufig schwer
sein, zu entscheiden, ob man eigene oder feindliche Truppen vor sich hat.
Schwierig- Eiii sehr lehrreiches Beispiel für einen solchen Fall führt General
kBit
die eigenen Kuropatklu au. Die Entfernung, welche die Türken von der dritten Batterie
Trappen
von
den feind- T) ^Manuel de guerre". Combat: Nach den Schiesstabellen wird das
^nnter-*^ Schiessen über die Häupter der Truppen noch dann erlaubt, wenn die Geschosse
scheiden, in einer Höhe von 10 Metern gehen. Demnach kann bei einer Entfernung des
Ziels auf 1450 Meter das Schiessen beginnen, wenn die eigenen Truppen von
dem Geschütz 277 Meter entfernt sind und muss eingestellt werden, wenn sie
auf 290 Meter an den Feind herangegangen smd.
*) Skugarewsky: „Angriff der Infanterie".
Schlussfolgerongen. 459
der 9. Artillerie-Brigade trennte, betrug im Ganzen 2400 Meter, nnd der
Batterie fiel die Aufgabe zu, den Gegner in Flanke und Rücken zu be-
schiessen. Als der Befehl zum Feuern kam, entstand zwischen den
Offizieren der Batterie ein lebhafter Meinungsaustausch; einige er-
klärten, dass man nicht türkische, sondern russische Truppen vor sich
habe. Angesichts dieses Zweifels wollte Niemand die Entscheidung auf
sich nehmen, und so wartete man erst die zur Aufklämng der Frage aus-
geschickten Leute ab. Es erwies sich, dass man Türken vor sich hatte;
darüber war aber eine halbe Stunde vergangen und die Gelegenheit
verpasst, dem in eine dichte Masse zusammengekeilten Gegner einen be-
deutenden Verlust zuzufügen.
Nun entsteht die Frage, ob die neu herangezogenen Reserven und ihre
Angehörigen sich vergegenwärtigen werden, dass Verluste durch Unglücks-
falle die aus dem eigenem Lager stammen im Kriege unvermeidlich sind,
oder ob diese Leute rasch mit Beschuldigungen zur Hand sein werden.
Schlassfolgenuigen.
Welches sind nun die endgiltigen Resultate aller besprochenen so ^adgiitige
. , . T-r , o Resultate der
äusserst wichtigen Veränderungen l erfolgten
Ver-
Seit dem letzten Kriege haben die Trefl'weite und todbringende /^denmgen
Wirkung der Sprenggeschosse, wie schon gesagt, sich sehr be-*° uni^
trächtlich vergrössert. Am meisten sind die Shrapnels verbessert, ^^J^""*
deren Kugel- und Sprengstückgarbe sich verfünffacht hat. Wir haben G««c»»üt>e.
schon davon gesprochen, dass in allen Armeen Feldmörser eingeführt
sind, die mit Melinit gefüllte Geschosse zu werfen vermögen. Ausser-
dem sind in fast allen Heeren Schnellfeuergeschütze eingeführt, bei
deren Verwendung der früher hinderliche Rauch fortfällt und auch kein
Rücklauf der Geschütze mehr stattfindet, der jedesmal eine Erneuerung
der Richtung erforderte. So ist es möglich geworden, selbst ungesehen
den Feind, sowie er bemerkbar wird, bei gleichzeitiger in der Ver-
gangenheit ganz unbekannter Treffsicherheit mit einem wahren Geschoss-
hagel zu überschütten.
Unter Berücksichtigung der Kampfverhältnisse kommt General
Müller zu folgenden Schlüssen.
460 ^' Taktik der Artillerie.
Wirkung jjit 28 Granatschüssen sind ausser Gefecht gesetzt von einer
der Granaten ^
und Kompagnie auf 2400 Meter Entfernung
Shrapnels
»egen 5/^ der Mannsbreiten der stehenden Schützen,
V? n » n Soutiens.
lufanterie.
Eine jede Batterie kann heute im Verlaufe einer Viertelstunde in
einer Entfernung bis zu 200Ö Meter jeden stehenden Gegner von nicht über
150 Meter Frontbreite kampfunfähig machen. Sie kann unter 2000 Meter
jede Infanterie-Abteilung zum Stehen bringen.
Infanterieziele von der Grösse, wie sie einer Batterie zugewiesen
werden können, teils aus knieenden und liegenden Schützen, teils aus
stehenden Soutiens und Gros bestehend, können auf Entfernungen bis zu
1500 Meter schon durch 24 Gianat- oder 12 bis 16 Shrapnelschüsse
zur Hälfte ausser Gefecht gesetzt werden, während von stehenden
Schützen mit Soutien auf etwa 2500 Meter durch 36 bezw. 24 Schüsse
bis zu ö/g der Mannschaften ausser Gefecht gesetzt werden können.
Hiernach ist das Granat- und das Shrapnelfeuer auf Entfernungen bis zu
2000 Meter gegen Infanterie vernichtend zu nennen. Diese Angaben
weichen nur sehr unbedeutend von den schon von uns angeführten Be-
rechnungen des Generals Eohne ab.
Um sich nicht gänzlicher Vernichtung preiszugeben, werden die
Truppen in zerstreuter Ordnung und möglichst geheim in den Uneben-
heiten des Terrains Deckung suchen oder, wie Maulwürfe die Erde auf-
wühlend, heranschleichen müssen,
^kliten* Bei den grossen Entfernungen, von welchen aus der Artilleriekampf
bei Unter- beginnen wird , bei der Nothwendigkeit von Umgehungen , um dem
von Fre"un^d FrontaugrilF auszuweichen, bei den geringen Unterschieden in der
nnd Feind, gegenwärtigen Bekleidung und ihrer Unkenntlichkeit derselben nach
längerem Gebrauch, sowie der durch das rauchlose Pulver bedingten
grösseren Schwierigkeit, Nachrichten über die Bewegungen des Feindes
durch Ordonnanzen zu erhalten — sobald die Truppen in der Feuerlinie
sich befinden wei-den — wird die Unterscheidung von Feind und Freund,
ungeachtet der Ferngläser, welche alle Artillerie-Offiziere mit sich fuhren,
sehr schwierig sein.
Schon bei Friedensmanövern kommen Verwechselungen oft vor.
Es werden daher Befürchtungen laut, dass im zukünftigen Kriege die
Truppen nicht wenig von den eigenen Geschützen zu leiden haben
werden.
oefuiren Allgemein ist bekannt, dass das Bewusstsein, durch eigene Ge-
für die 7 o
Bedienung schützc beschosseu werden zu können, zu den peinlichsten Eindrücken
'•^~^^**'" gehört.
Schlussfolgeniiigen. 4g ]^
Auch die Leitung und die Lage der die Geschütze bedienenden
Mannschaft und Pferde ist ganz anders geworden.
Obwohl das rauchschwache Pulver bei Greschützen verhältnis-
mässig doch mehr sichtbaren Eauch erzeugt als Gewehrfeuer, so ver-
schwindet er aber doch, da er dem Dampfe ähnlich sieht, fast unmittelbar
nach dem Schusse, und die Artilleriebedienung ist somit nicht mehr durch
den Rauch vor feindlichem Feuer geschützt.
Als im wesentlichen zutreffende Mittelzahlen für die Wirkung von ^ß«-
recnoiiDgeD
Shrapnels mit etwa 180 bis 200 Sprengteilen gegen Artillerieziele können der Aiu»er-
nach General MüUeri) folgende gelten. seteuD^ wcii
Müller.
Scharf treffende Scharf getroffene
Sprengteüe Mannsbreiten
auf IBOO Meter . . . 8—10 Prozent 8—9 Prozent
„ 2000 „ ... 7 — 8 „ 5 — 6 „
„ i%)UU ,« ... 0,0 „ ö 4 „
Der gegen Artillerieziele auf 2600 Meter Entfernung erreichte Satz
von 3,5 Prozent scharf treffender Sprengteile bezw. 3 bis 4 Mannsbreiten
erscheint, wenn die Zahlen absolut betrachtet werden, sehr klein, denn
es kommen auf je 100 Sprengteüe nui- IV2 bis 2 getroffene Mannsbreiten;
relativ sind die Zahlen aber sehr hoch, denn das bedeutet, dass durch
3 bis 4 Schüsse die Mannschaft eines Geschützes, durch 20 Schüsse die einer
ganzen Batterie ausser Gefecht gesetzt werden kann. Aber auch ein
einziger Schuss kann, wie Versuche beweisen, alle aicht Mann der Bedienung
ausser Gefecht setzen. 2)
Protzen und Wagen einer abgeprotzten Batterie müssen behufs
Deckung mindestens 150 Meter hinter den Geschützen stehen.
Artillerie kämpft auf Entfernungen bis zu 2000 Meter duellailig; eine
Entscheidung ist in kurzer Zeit zu erwarten. Ueber 2000 Meter ist der
Kampf verlustreich, aber er kann nicht bis zur Kampfunfähigkeit des
Gegners durchgeführt werden.
Diese Eesultate scheinen aber zudem noch sehr optimistisch auf- b«-
, reohniiDgen
gefasst zu sein. Laut Berechnung des Generals Bohne kann sogar auf des Genenüs
2500 Meter eine Batterie durch eine andere Vö itirer Mannschaften ein- ^^°®'
büssen.«)
Die Gefahr, dass die Geschütze durch Mangel an Bedienung
unwirksam werden, liegt nicht allein in der Artilleriewirkung.
0 „Die Wirkung der Feldgeschütze". Seite 174.
*) „Die Wirkung der Feldgeschütze". Seite 50.
^) Beurteilung der Wirkung beim gefechtsmässigen Schiessen.
462 VI. Taktik der Artülerie.
®'»- Um die gegenwärtige Vervollkommnung des Gewehrs und den
von .Jagd- Rauch beim Schusse auszunützen, sind gegenwärtig m allen Heeren
**"w*Be.°'' spezielle sogenannte „Jagd-Kommandos" geschaffen, die aus auserwählten
"^"dw'*"''^ Mannschaften bestehen, welche darin geübt sind, sich unbemerkt an das
Artillerie. Ziel heranzuschlcichen. Man kann bestimmt behaupten, dass alle Armeen,
speziell um sich die feindlichen Geschütze vom Leibe zu halten, gewisser-
maassen als Schutzkette solche Freizügler vorausschicken werden.
Dieser Umstand verdient um so grössere Aufmerksamkeit, als die
Thätigkeit der Artillerie sich nicht nur gegen lebende Ziele, sondern
auch gegen auf dem Schlachtfelde aufgeworfene Schanzen und Feld-
befestigungen wird richten müssen und demnach der Feind schon im
Voraus die Stellung der feindlichen Batterien sich berechnen kann.
Feidb^ Die gegenwärtige Vervollkommnung der Waffen hat dem Angi'eifer
swingen SO grossc Schwierigkeiten bereitet, dass aller Wahrscheinlichkeit nach
"Sertn-*" die Heere Dank der Ausstattung der Truppen mit Werkzeugen und ihrer
^GMcWtafe" Einübung im Feldbefestigungsbau jeden Hügel, jede Falte des Terrains
als Stützpunkt auszunützen suchen werden.
Dies bedingt ein näheres Herangehen der Geschütze an den Feind
und hierdurch wird es leichter Hinterhalte zu legen, die bei dem geringen
Rauch des Pulvers äusserst gefährlich werden können,
schieaa- j«fach deu Worten Hoenig's*) haben beim Probeschiessen in Grenoble
Grenoble. auf 2000 Meter Entfernung von 300 Kugeln aus den Lebel-G^wehren —
60, d. h. der sechste Teil in Schilde getroffen, welche den Batterieflächen
gleich kamen.
Hoenig bemerkt hierbei, dass bei Distanzen auf 2000 Meter IGVs %
Treffer sogar für gewöhnliche Schützen als kein befriedigendes Resultat
gelten können.
In einigen General Rohne berechnet, wie schon angeführt, dass 100 Schützen
Minuten ' ^
werden eiuc Batterie kampfunfähig machen auf 800 Meter Entfernung in 2 Minuten,
nimer ^uf 1200 Motcr iu 7 Minuten, auf 1600 Meter in 18 Minuten.*)
^«etet* Dazu kommen dann noch in allen Armeen die Jagdkommandos,
werden. Da CS aber genügt, 10000 solcher ausgewählter Schützen zu haben, um
vor der Front der Armee eine ganze Kette aufzustellen, so ist
es nicht schwierig, eine solche Anzahl Leute mit einem noch besseren
als dem jetzigen Gewehr auszurüsten, nämlich dem 6 -Millimeter-
Gewehr, dessen Vorzüge wir schon beschrieben haben. Wenn wir
auch annehmen, dass die Anfertigung solcher Gewehre sich noch allzu
*) „Untersuchungen über die Taktik der Zukunft". Vierte Ausgabe. 1894.
S. 244.
*) „Beurteilung der Wirkung beim gefechtsmässigen Schiessen", 1895.
Schlussfolgerangen. 463
teuer stellt, um mit ihnen ganze Armeen zu versehen, so können aber
die einzelnen Staaten doch sicher einige zehntausend Stück von ihnen
einführen, ohne allzugrosse Ausgaben auf sich zu nehmen. In der öster-
reichischen Armee finden gegenwärtig Prüfungen des 6-Millimeter-Gewehrs
statt, jedoch bereits eines anderen noch besseren Typs, als der von uns
beschriebene. 6)
Aber lassen wir die weitere Verbesserung des Gewehres bei Seite , Wirkung
der Schfltzen
und bleiben wir bei der Wirkung des von einer Schützenkette vor der gegen
Armeefront gegen die Artillerie gerichteten Feuers stehen. Setzen wir ^'f^ueJ!*^
hierbei voraus, dass die Jäger nicht ein 5-, sondern das 6,B- Millimeter-
Gewehr haben werden (letzteres ist in der italienischen, rumänischen und
niederländischen Armee eingeführt). Auf 1000 Meter und sogar bis auf
500 Meter, bis zur Artillerie-Schutzkette, heranzuschleichen, kann keine
grossen Schwierigkeiten bieten. Die Schtttzenabteilungen können auf
einer solchen ^Distanz mit voller Ruhe operieren ; die Artillerie wird aus
dem einfachen Grunde nicht auf sie schiesen, weü das Fehlen des
Rauches den Platz ihres Hinterhaltes nicht verraten wird ; demnach lässt
sich also auch annehmen, dass ihr Feuer beinahe gleiche Resultate geben
wird, wie auf dem Polygon in Friedenszeiten.
Nach dem französischen Reglement werden pro Geschütz 6 Mann Be-
dienung gerechnet, wobei zugegeben wird, dass sich im äussersten Fall
mit 3 Mann auskommen lässt. "0 Es fragt sich nun, ob der Moment
bald eintreten kann, wo in der Artillerie des Gegners mehr als 3 Mann
auf ein Geschütz aus der Front scheiden werden. Es ist klar, dass
selbst bei einer geringen Anzahl auserlesener Schützen, welche auf die
Geschützbedienung schiessen, eine sehr kurze Zeit genügt, um die Artillerie
zum Schweigen zu bringen.
Gegen einen so gefährlichen Feind wie die Jäger, die sich hinter ^^^j^'»"?
natürlichen Deckungen (Bäumen, Gesträuch, Gräben, Hügel) oder hinter Hinterhalte,
künstlichen, schnell aus Erde aufgeführten, festgesetzt haben, giebt
es kein anderes Mittel, als das gleiche, d. h. gegen ihre Ketten auch ge-
wissermaassen Jagd zu machen.
Wir führen wieder die Meinung Hoenig's an 8): „Schon in dem ^*^'J^^'**
Kriege 1870/71", sagt er, „fürchteten unsere Artilleristen das Feuer der gegen isto.
weittragenden Chassepots mehr als die französische Artillerie, und die
Chassepots verursachten ihnen weit mehr Schaden als die Geschütze des
Gegners, die den unseren bedeutend nachstanden. Bei dem künftigen
^) Wille: „Die kommenden Feldgeschütze". Berlin 1893.
0 Reglement sur le Service des canons de 80 et de 90 p. 42.
®) „Untersuchungen über die Taktik der Zukunft".
464 VI. Taktik der Artillerie.
Kriege werden wir uns Geschützen gegenübersehen, die von gleicher Qualität
sind wie die unseren, und hieraus folgt, dass die Lage unserer Artillerie
noch weit schwieriger sein wird als in dem Kriege 1870/71. Unsere
Infanterie dagegen ist jetzt mindestens nicht schlechter bewaffnet als die
Infanterie, welche uns entgegentreten wird, d. h. sie wird sich folglich
in besseren Verhältnissen befinden als in dem letzten Kriege. Aus dem
Einen wie dem Anderen fliessen nach meiner Ansicht (fährt Hoenig fort)
zwei Ergebnisse:
uimmging- i Dj^ Artillerie muss gi-ündücher als früher die Stellung des
der Deckung Gegners erforschen, ehe sie in die Kampfzone eintritt, und
sobfitaen- 2. die Flanken und die Front der Artillerie müssen durch bedeutende
ketten, yorgeschobenc Schützenketten gedeckt werden. Wenn auch nur eine
dieser Vorsichtsmaassregeln ausser Acht gelassen wird, so könnte 'sich
unsere Artillerie zu Beginn des Kampfes in noch schlechteren Verhält-
nissen befinden, als diejenigen waren, unter denen die Artillerie unseres
9. und 7. Korps bei Gravelotte wirkte. Das damalige Beispiel dient als
eine direkte Warnung!"
„Wenn aber die vorhergehende Rekognoszierung des Gegners Seitens
der Artillerie genügend war und wenn sie vor dem Gewehifeuer des
Gegners durch eine wenigstens auf 500 Meter vorgeschobene Infanterie-
kette gedeckt ist, welche beide Regeln immer für taktische Gesetze
galten, dann kann die Artillerie aus dem Fehlen des Rauches vor den
Batterien grossen Nutzen ziehen. In ihre Positionen einrückend und
nach Möglichkeit gedeckt und durch Gewehrfeuer nicht beunruhigt kann
sie bei glücklicher Beobachtung und Leitung sich schneller einschiessen
als die Artillerie des Gegners und eine entscheidende Wirkung üben."
Feaerkon- nj^ sogeuanutc Konzcutration des Feuers auf die wichtigsten
Kentrfttion bei 770 o
nachlosem Puukte schicu blshcr mehr eine theoretische Aufgabe als eine praktische
Möglichkeit. Die Rauchsäulen verhüllten so sehr die grossen Artillerie-
linien, dass weder von der Beobachtung, noch der Prüfung der Richtung
noch von der Leitung grosser Artüleriemassen in Wirklichkeit die Rede
sein konnte und folglich auch die Resultate ihrer Wirkung dem-
entsprechend geringe waren. Jetzt haben sich die Verhältnisse völlig
geändert. Aber es ist begreiflich, dass es der Artillerie dennoch nicht
gelingen wird, durch ihr Feuer das Feld von einer tüchtigen Infanterie
zu säubern, die sich in Terrainfalten und Unebenheiten festgesetzt hat.
Vertreiben kann diese ebenfalls nur Infanterie."
^keit^dlr ^^^^ *^® Gegner hinter ihren Deckungen zu erspähen ist nicht leicht.
schftteen- Es ist uicht unmöglich, dass man sich hierzu der Hilfe von Hunden bedienen
anefildi^zn wird uud dcr Kampf der Schützenketten der Kriegsführung der amerika-
machen. jjig(.hen Rothäutc gegen die ersten europäischen Ansiedler ähnlich wird.
Schlnssfölgemngen. 465
Aber wie dem anch sei, nm das Feld von den Schützen zu reinigen,
ist nicht wenig Zeit erfordevHch, nnd Zeit — sagt ganz mit Eecht General
Dragomirow — ist Alles; langsame Praktiken sind nicht am Platz; man
mnss anf einmal und hurtig zugreifen.
Wenn hierbei die Erfiillnng der Hauptaufgabe der Artillerie erschwert "'•
wird, nämlich: die Artillerie und die Positionen des Gegners von weiter «tuho
Entfernung aus zn bescbiessen, ao gestaltet sich der andere Teil der ,ait,n""„^
Aufgaben der Artillerie; der zur Attake vorgehenden Infanterie Unter- ^■"'"
stutzung zu gewähren, noch schwieriger. Damals, wo die Gefährlichkeit
des Infanteriefeuers sich nur auf 200 — 300 Meter erstreckte und auch
nur auf einige Minuten, konnten die Batterien gleich hinter ihrer
Infanterie folgen, aber jetzt ist das fast anmöglich geworden.
In einem Befehl an die Garde und die Truppen des Petersbui^er MUitär-
Bezirks (10. Mai 1893) heisst es bezüglich der Thätigkeit der Artillerie:
„Wie Alles in dem heutigen Kampfe mit strengem Vorbedacht "•'«>"«' *«
ausgeführt werden muss, nm zu vermeiden, dass Irrtümer mit grossen t«.
Opfern verbessert werden, so mnss auch die Artillerie anf dem Schlacht- *^"^«**-
felde direkt in der geeigneten Position erscheinen, um überflüssige und
so gefilhrliche Stellungswechsel zu vermeiden."
Um dem Leser einen Begiifi' von der Grösse der Gefahr der Stellungs-
wechsel deutlicher zu machen, geben wir das Bild einer abprotzenden
englischen reitenden Batterie.
EngliBcha Batterie beim Abprotzen.
466 ^' Taktik der Artillerie.
Es kann also nicht Wnnder nehmen, dass es bei der heutigen Waffe
für die Artillerie äusserst schwierig, und vielleicht sogar äusserst riskant
sein muss, selbst auf grösserer Entfernung von der Linie des Cregners
eine neue Stellung zu nehmen.
Der Grad So ist selbst der Grad der möglichen Wirksamkeit der Feldartillerie
der
wirkwimkeit in den verschiedenen Fällen noch eine unbekannte Grösse,
»rtiuerie. Ungcachtet dessen hat jede Artillerie durch ihre Fähigkeit, das
^^^Sae*^^ Operationsfeld bis zu Entfernungen zu erweitem, die dem Gewehrfeuer
anbeunnte uuzugänglich siud, clue bcsonderc Bedeutung erhalten.
Grösse.
Die in Bezug auf das Gewehr gemachten Fortschritte haben die
Oflensive immer mörderischer gemacht und eben dadurch die Defensive
begünstigt.
Trotzdem wird heute wie ehedem die Infanterie vorgehen müssen,
um eine Entscheidung herbeizuführen.
Bedeatang Ohne dlc Artillerie aber, welche den Infanterieangriff wirkungsvoll
der ,
Geschütze bei vorbereitet, wird ein Siegen unmöglich werden. Um dieArtiUene ausser
Kämpft'* Stand zu setzen, die Vorbereitung des Angriffs vorzunehmen, muss diese
bedingungen. a^j^g^riffen uud zur Selbstverteidigung gezwungen werden.
Die beiden gegnerischen Artillerien werden somit dazu gebracht,
sich aufzusuchen und gegenseitig anzugreifen.
Die Resultate dieses Kampfes werden vor allem von der Anzahl
der Geschütze, die jeder der beiden Gegner sogleich in die Kampflinie
stellen kann, und ihrem Verhältnis zu den Grewehren abhängen.
iBBahi der Dic Anzahl der Geschütze betrug auf 10 000 Mann Infanterie (nach
10000 mmü den Kriegsstärken der Staaten berechnet) :
In^terie. 1874 1891
In Russland 21 12
„ Frankreich 13 12
„ Deutschland .... 20 12
„ Oesterreich 16 10
„ ItaUen 13 10
„ der Türkei 14 13
Abnahme Wir schcn, dass in Russland, Deutschland und Oesterreich das
der
Geeobfltesahi Verhältnis der die Infanterie unterstützenden Geschütze sich seit 1874
eeit 1874. jj^jj^^g ^^ ^[q Hälfte Verringert hat. Nur in Frankreich ist dieses
Verhältnis beinahe das gleiche geblieben.
Worin liegt nun die Ursache dieses Widerspruchs gegen die
Gesamtrichtung des XIX. Jahrhunderts, den mechanischen £räften den
VoiTang zu gewähren?
SchlussfolgeniDgen. 467
Als Napoleon I. infolge der nnheilvoUen Feldzüge in Spanien ge- ^^^
zwangen war, die Zahl seiner Truppen zu verdoppeln und zu verdreifachen m&snge
und seine Graubärte durch junge Soldaten zu ersetzen, steigerte er sofort a^^^ifS^rne
die Anzahl der Geschütze von 20 auf 30 pro 10 000 Mann, um den jungen 1^^^^
Truppen Vertrauen zu geben oder sie wenigstens zu betäuben. zeiun er-
Die Feldzüge in Russland und Sachsen, wo die Veteranen vollends unl'Siner
vernichtet wurden und an deren Stelle junge Eekruten traten, führten „^tft^htf'en
eine neue Verstärkung der Artillerie herbei. Napoleon stellte beinahe infi»nterie
Yertniaen
50 Geschütze pro 10000 Mann auf. Man könnte sich fragen, welchen eincnflömen.
Wert diese Artillerie haben konnte, da sie notwendigerweise wie die
übrige Armee, meist nur aus Rekruten bestand. Auf diese heikle Frage
antwortet General Suzanne, wie schon erst bemerkt wurde: „Der Kaiser
wusste, dass der Artillerist — welches auch das Motiv dieses moralischen
Phänomens sein mag, sei es Instinkt, Vorurteil, Ehrgefühl oder Erziehung —
sein Geschütz nicht verlässt; er stirbt neben ihm oder wird mit ihm
genommen."
Die Verhältnisse, unter welchen der Beginn zukünftiger Feldzüge ^>»«
vor sich gehen wird, sind denen aus der Zeit der letzten Jahre der Feld- setznng
Züge Napoleons I. — in Bezug auf die Zusammensetzung der Heere •— sehr ^^^^^'^^
ähnlich. Die Mehrzahl der Truppen wird aus einer zu den Waffen berufenen *^//'^f^JJ°
Bevölkerung bestehen, welche zwar vor längerer oder kürzerer Frist Napoleon»
eine Zeit lang unter den Waffen gestanden, aber noch an keinem Kriege
beteiligt war, seit Jahren ihren friedlichen Beschäftigungen nachging und
dadurch ganz ausser Uebung kam.
Ausserdem darf man nicht vergessen, dass, da die Gefechts- unachon
ausdehnung eine unverhältnismässig grössere geworden, und den Geschützen Geechüt«-
die in der Vergangenheit kaum vorgekommene Aufgabe bevorsteht, den ••^^•^°***""-
Gegner von grossen Entfernungen aus in seinen festen Stellungen zu
vernichten oder so in Schach zu halten, dass er den angreifenden Truppen
keinen Widerstand leisten kann, das Verhältnis der Stückzahl der Ge-
schütze zu den Gewehren stärker geworden sein müsste als es in der
Vergangenheit war. Wir sehen aber gerade das Gegenteil.
Der Grund für diese Anomalie scheint teilweise in der Scheu vor
den grossen Ausgaben zu liegen, welche für Vermehrung der Artillerie
erforderlich sind, teilweise in der Schwierigkeit, in genügender Anzahl
geschulte Mannschaften bei der Mobilisation erhalten zu können.
Es müssen ohnedies ftti- die ietzige Geschützzahl bei der Mobilisation Hoher
_ , R»K AI -r^i» j Prozente»!»
der Artillerie 60 % Mannschaften aus der Reserve und 7B % Pferde von angeechuuer
der Zivilbevölkerung entnommen werden. schiften
Die Vervollkommnung der Geschütze bedingt vor AUem weit höhere ^i^^^^J^^ion
Anforderungen an die Ausbildung und DiszipUn des einzelnen Mannes, der ArtuieHe.
30 •
468 ^- TaMk der Artillerie.
yJ^ou ^^® schon gezeigt, wird das Feuer von sehr grossen Distanzen aus
kommnnng gegen Sehr wenig sichtbare Feinde — infolge der Entfernung und der
Gesehfitea Deckuug Muter Terrainfalten, Anhöhen und Feldbefestigungen — beginnen.
* aIJ! rüchT ^^^ Vorgehen der eigenen Infanterie zum Angriff ist Angesichts dessen,
»n die dass das unter mörderischem und dabei unsichtbarem Gewehrfeuer ge-
des schehen muss, die Unterstützung der Artillerie unbedingt erforderlich,
^^l^^ und deshalb wird ein Schiessen der Artillerie über die Köpfe der eigenen
Soldaten hinweg weit häufiger als früher eintreten,
üeber- Nach dcu Schiesstabellen wird das Schiessen über die Häupter der
der eigenen Truppcu uoch dauu erlaubt, wenn die Geschosse in einer Höhe von
Trappen, jq Mctem flicgeu.
Demnach kann bei einer Entfernung des Ziels von 1450 Metern
das Schiessen beginnen, wenn die eigenen Truppen von dem Geschütz
277 Meter entfernt sind und braucht erst eingesteUt zu werden, wenn sie
auf 290 Meter an den Feind herangekommen sind.
Ein derartiges Feuern gehörte immer zu den schwierigen Aufgaben
des Kl ieges. Bei der Hast, welche gegenwärtig unumgänglich notwendig
sein wird, bei der häufigen Anwendung indirekten Zielens der grossen
Anzahl aus der Uebung gekommener Reserve-Offiziere und Mannschaften,
sind grobe Fehler unvermeidlich. Das üeberschiessen der eigenen Truppen
wird desto gefahrlicher werden, da die heutigen Geschosse meist mit
Sprengstoffen gefüllt sind.
Die kleinste Ungenauigkeit, welche in der Konstruktion der Zünder
ihren Gnind hatte, oder in Folge Transports, Lagerung, chemischer Ver-
änderungen und atmosphärischer Einflüsse eingetreten ist, kann eine vor-
zeitige Explosion hervon-ufen.
EinBcMessea Dazu kommt uoch, dass das Beschiessen des entfernten Gegners
im Friedet mclst bci aufgclöstcu Gliedern und in Geländen, welche hauptsächlich
''üiiuSMn.*^ ^^s Schlachtfelder dienen werden, stattfinden wird; es wird also häufig
schwer sein, zu entscheiden, ob man die eigenen oder die feindlichen
Truppen vor sich hat.
Auch ist der Umstand nicht zu übersehen, dass die Artillerie in
Friedenszeiten sich wegen Mangels an ausgedehnten Schiessplätzen
grösstenteils auf weit geringere Distanzen im Schiessen übt, als auf solche,
von denen aus im Kriege das Feuer sich eröffnen lässt.
Die Offiziere und die Mannschaft werden also zuerst sich an
Distanzen gewöhnen müssen, welche ihnen bei den üebungen in der
Friedenszeit bisher unbekannt geblieben sind.
Man kann also dei^enigen Stimmen, welche daran zweifeln zu
können glauben, dass die heutige Artilleriemannschaft, die wie gesagt
Sohlussfolgerungen. 469
aus 60 % Neuemberofener bestehen wird, diesen Anforderungen gewachsen
sein werde, eine gewisse Berechtigung nicht absprechen.
Es treten aber andere nicht minder wichtige Umstände zu dem
Allem hinzu, welche Befürchtungen für das Schicksal der Heere im
nächsten Kriege hervorrufen.
Beinahe alle Geschosse werden heute mit Sprengstoff in grösseren ^.J^^«^*"«.
oder kleineren Quantitäten gefüllt, und die Explosion des Geschosses soll Stoffen ud
an der dazu vorausbestimmten Stelle stattfinden.
Zu diesem Zwecke beruht die Wirkung der Doppelzünder z. B. darauf,
dass in den Zündern Vorrichtungen angebracht werden, welche erst nach
einer gewissen Zeit oder durch den Stoss beim Aufschlag in Wirkung
treten. Damit die Vorrichtung nicht vorzeitig in Aktion tritt, werden die
Zündnadeln von den Zündhütchen meist durch Federn gestreut gehalten.
Die Sicherheit des ganzen Mechanismus besteht also in den Vor-
richtungen, welche das vorzeitige Aufschlagen der Apparate auf die
Schlagladung verhindern sollen.
Nun aber können durch fehlerhafte Konstruktion, falsche EinsteDung,
Losgehen der Federn beim Transport, Stösse bei der Ladung und beim
Durchgange des Geschosses durch die Gewinde, und endlich durch Be-
rührung zwischen Zünder und Geschossmetall — wodurch chemische Ver-
änderungen entstehen — vorzeitige Explosionen bewirkt werden.
Bis zur Stunde ist noch kein Explosivmittel entdeckt worden,
welches vollständig dem Stosse widersteht und nur im gewünschten
Augenblicke wirkt.
Im Falle einer Explosion beschränkt sich nach Meinung der Tech- Expioiions-
^ ° folgreo.
niker die direkte Wirkung der Gase auf einen nicht allzu grossen Raum,
aber die Explosion entwickelt eine solche furchtbare Kraft, dass sie in
einer gewissen Ausdehnung Geschütze, Menschen, Pferde u. s. w. auf
grosse Entfernungen fortschleudert.
Das Krepieren von Geschossen im Rohre ist nicht weniger gefährlich. G«fahren
Mit Granaten und 12-Centimeter-Geschützen veranstaltete Versuche haben KwpiereM
gezeigt, dass das Rohr in mehr als 20 Stücke zerspringt, Lafette und oese'hoMen
Räder werden vollständig zertrümmert, letztere in einen Hauten von »" ^'»'•
Splittern verwandelt. Die Bruchstücke des zerstörten Rohres erreichen
Gewichte bis zu 166 Kilogramm und werden auf Entfernungen bis zu
90 Meter vor bezw. hinter, und 107 Meter seitlich der Geschützaufstellung
fortgeschleudert.
Nun wollen wir uns die Folgen von derartigen Explosionen näher
betrachten. Das Schiessen aus Geschützen geht grösstenteils in Gruppen
von einigen Batterien vor sich. Bei den üblichen Zwischenräumen von
470 ^- Taktik der Artillerie.
20 Metern zwischen den Geschützen kann eine Explosion zum mindesten
3 Geschütze mit ihrer gesamten Protzmunition erfassen.
Die Teile der zerstörten Materialien werden hierbei, wie die Er-
fahrungen zeigen, im Umkreise umherfliegen und die Trümmerstücke
können neue Verwüstungen durch neue Explosionen hervormfen.
Uebrigens entsteht noch die Frage, ob nicht schon diese Explosionen
allein in Folge der Lufterschütterung (Detonation) unter günstigen Ver-
hältnissen wieder neue Explosionen bewirken können.
TwuiBport- Es muss uoch der Gefahren beim Transporte erwähnt werden.
'' ""' Das Pyroxylin zerset2rti sich sehr leicht. Es wird in flüssigem Zustande
in Holz- oder Metallkästen transportiert, und grosse Gefahr entsteht,
wenn es der Wirkung der Sonne längere Zeit ausgesetzt wird.
Das Melinit soll sich zwar in Folge der Einwirkung von Kälte und
Wärme nicht verändern, aber eine Explosion, die in der Nähe von
Melinit erfolgt, ruft bei ihm ebenfalls eine Explosion hervor. Die
Explosionen teilen sich einander mit, ohne eine direkte Berührung zu
erfordern. Die Entfernungen, auf welche sie sich fortpflanzen können,
variieren unter dem Einfluss verschiedener Bedingungen. Die Ueber-
tragung ist auf um so grössere Entfernungen möglich, je stärker die
ursprüngliche Explosion ist, je kompakter und fester der Boden, auf dem
das Melinit lagert.
Beim Dynamit, welches zur Zerstörung von Brücken und dergleichen
mitgeführt wird, entsteht ebenfalls, in Folge der Einwirkung von Kälte
und Wärme, eine langsame, aber kontinuierliche Zersetzung, die mit
einer Explosion (explosion spontan6e) endigt.
ver- Wenn aber noch dazu Mängel der Verpackung vorkommen, so wird
'Mtagef die Gefahr sehr gross.
Auch mit dem alten Salpeterpulver, dessen Gefährlichkeit verhältnis-
mässig weit geringer war, haben sich Katastrophen ereignet, trotzdem
die Beobachtung von Vorsichtsmaassregeln in Folge langer Praxis und
Dank den umfassenden Vorschriften den Heeren weit mehr in Fleisch
und Blut übergegangen war.
So ereignete sich sehr oft der Fall, dass Protzkasten in die Luft
flogen. Die Untersuchungen stellten als Ursache der Explosion fest,
dass unter anderen auch solche Fälle vorkamen, wo die Wergverpackung
der Kartuschen im Protzkasten in Unordnung gekommen war, weshalb
die Kartuschbeutel stellenweise durchgerieben waren und loses Pulver
zwischen die Eisenmunition fiel. In Folge der Stösse beim Fahren er-
folgte dann die Entzündung. Zu alledem kommt noch hinzu, dass starke
Stösse beim Auffahren der Geschütze die mechanischen Vorrichtungen
Schliissf olgerongen. 471
der Zünder verderben und die Schlägerteile beim Loswerden die Zünd-
hütchen zerschlagen können.
Stellen wir uns vor, eine Batterie erhält den Befehl, im feindlichen ö«^^'«^
beim
Feuer eine Position einzunehmen. Obgleich ihr der Kommandeur mit vorgehen
seiner Begleitung voraussprengt, so lässt sich doch nicht sogleich er- ^\ber
kennen, inwieweit der Weg zur Position Unebenheiten bietet, ob sich ^i^YeraiMe
Gräben odei' grössere Steine vorfinden. Wenn derartige Hindemisse die
Bewegungen der Artillerie hemmen würden, so müsste diese auf jede
Unterstützung der Thätigkeit der Infanterie verzichten. Gewöhnlich
entscheidet man sich in solchen Fällen, wie Gefechtsberichte erweisen,
über das Hindernis hin wegzufahren, da eine Verzögerung unmöglich
ist, selbst wenn man dabei riskiert, statt mit 6, zuerst nur mit 3 oder
4 Kanonen in die Feuerstellung einzurücken, was schliesslich auch noch
als ein Erfolg gilt.
Es fragt sich nur, was wird bei den hierbei unvermeidlichen Stössen
geschehen, falls die Munitionswagen Geschosse enthalten, welche mit
Sprengmaterial angefüllt sind?
Es wird darauf geantwortet, dass die Friedensversuche einen Erfolg
garantieren, da diese unter den grössten voraussichtlichen Schwierig-
keiten gemacht werden. Aber diese Versuche wurden ja mit Munitionen
angestellt, welche vollständig in Ordnung und nicht vielleicht schon
Monate lang durch die Kampagne mitgenommen worden waren.
Selbstverständlich werden im Anfang des Feldzuges die Gefahren
am grössten sein. Eine strenge Auswahl wird nicht stattfinden können.
Zur Geschützbedienung und Leitung werden 60 % Resemsten genommen
werden müssen, von denen viele längst das Erleinte vergessen und von
den in letzter Zeit erst aufgekommenen Explosivgeschossen bei den
Uebungs-Einberufungen wenig gehört haben.
Ausserdem werden aber, wie gezeigt wurde, Explosionen auch durch ^^^^'
feindliche Geschosse bewirkt werden können. Munition».
Die Geschosse der Schnellfeuergeschütze wiegen mehr als 400 Gramm aes Gegners
und werden mit Sprengstoffen gefüDt. Ein einziges solches Projektil ^^^^^^^^
(der Feind wird sicher bestrebt sein, ihi'er Tausende gegen die Munitions- "» bringen,
behälter zu richten) wird genügen, um eine Explosion hervorzurufen. Die
Treffsicherheit ist heute eine staunenswerte.
Sobald also der Stand der Geschütze und der Munition entdeckt ist,
wird man eine ganze Eeihe von Geschossen gegen sie abfeuern, so
dass wohl eine oder die andere Protze getroffen werden dürfte. In der
Kriegsgeschichte finden sich viele Beispiele für die Explosion von Protzen
und Munitionswagen in Folge der Artilleriewirkung, aber da bisher diese
Fahi'zeuge nicht Sprenggeschosse von solcher Wirkung enthielten, wie
472 ^ Taktik der Artillerie.
die jetzigen sind, so liegen auch nor Beispiele unbedeutender Kata-
strophen vor.
Moraiuek« Man kann sich leicht den Eindruck vei^egenwärtigen, welchen die
6er erste grosse Katastrophe auf Heer und Volk ausüben wird. Die in der Nähe
i^JllJlJ^^jJJ^ befindliche Artillerie, welche iriiher auf die Truppen nur ermutigend
wirkte, wird nunmehr für sie ein Element der Beunruhigung werden.
Diese Eindrücke werden auch über die Grenzen des Schlachtfeldes
hinaus wirken, besonders wenn man den Charakter der westeuropäischen
Gesellschaft und den Bestand des Heeres in Berücksichtigung zieht.
Nachrichten über allzu grosse Verluste können leicht Unruhen hervor-
rufen. Bei fortlaufender Einberufung werden nur die älteren Jahrgänge
zurückbleiben, und wenn nun Nachrichten über die Katastrophen kommen,
welche die neueingeführte Bewaffnung über das Heer gebracht hat, so
werden in den Familien dieser älteren Jahrgänge unzweifelhaft Gährungen
zu Tage treten, die der ganzen gesellschaftlichen Ordnung gefahrlich
werden können.
stfmniMi Die Anwendung von Explosivstoffen kann demnach nicht allein unter
AÜSendang dcm Feinde furchtbare Verheerungen anrichten, sondern auch für die eigenen
ExptodY- Truppen gefährlich werden. Gegen die Anwendung der Explosivgeschosse
gMehoiMD. lassen sich denn auch viele Stimmen vernehmen. Oberst Thoumas sagt: 5)
„Die durch die moderne Wissenschaft erfundenen neuen Explosivstoffe,
wie Melinit, Dynamit u. s. w., sind eines loyalen Kampfes zwischen
zivilisierten Nationen unwürdig und werden uns zum Barbarentum zurück-
führen". Er verlangt, dass diese Elemente widerlicher Schlächtereien aus
unseren Armeen entfernt würden, denn sie seien ebenso demütigend für den
Sieger als für den Besiegten und verwandelten das Schlachtfeld in ein
mörderisches und grausames Schlachthaus.
Not- Unabwendbar werden die Verluste in Folge des Artilleriefeuers
InSJ^wr* beträchtlich grösser sein als in früheren Kriegen, wo z. B. während des
^direh* zweiten französischen Kaiserreichs eine anhaltende Kanonade gewisser-
Artuiari©- maassen den obligatorischen langen Prolog zum Drama vorstellte; aber
ab in diese Kanonade entschied nichts: die Verluste waren auf beiden Seiten
Kriegen. S^^^S'^ kclue Artillerie vernichtete die des Gegners. Die Kanonade diente
eher als gegenseitige Rekognoszierung, während welcher beiderseits die
Q^fechtsdisposition entworfen und die Mittel zu ihrer Ausfühning vor-
bereitet wurden. Die Artillerie bemühte sich hauptsächlich, gegen die
Infanterie zu wirken, die Beschiessung der gegnerischen Artillerie versprach
geringe Resultate und brachte die Entscheidung nicht näher.
ö) „Oü s'arretera-t-on?" Paris 1895.
SchlussiolgeruDgen. 473
Aber schon 1866 zeigt sich der Artilleriekampf etwas wii'ksamer.
Die preussische Artillerie bemühte sich konsequent, das gegen ihre Infanterie
gerichtete Feuer der österreichischen Geschütze auf sich zu lenken, was aber
selten gelang. Die Schlachten begannen auch damals von beiden Seiten
mit einem Artilleriekampf, jedoch noch ohne grosse Verluste. Dasselbe
wiederholte sich auch im Kriege 1870. Der Artilleriezweikampf erwies
sich nur in seltenen Fällen verderblich, und zwar nur, wenn die
Nähe der Positionen eine rasche Entscheidung herbeiführen musste, oder
wenn auf einer Seite eine entschieden bessere Stellung genommen war
(bei Nachod), oder ein un verhältnismässig besseres Material, wie es
die deutsche Armee hatte, ausschlaggebend wirkte, und ausserdem ein
numerisches Uebergewicht (bei Sedan) vorlag. In solchen FäUen
gelangte diejenige Artillerie, welche sich in weniger günstigen Verhält-
nissen befand, thatsächlich nicht einmal dazu, ihre Batterieen wirken
zu lassen.
Aber was früher nur in Ausnahmefällen eintrat, wird jetzt Regel
werden: auf der einen oder anderen Seite wird in kurzer Zeit der
Artilleriekampf beendet sein: die gewaltige, dem Geschützfeuer unter-
liegende Fläche beeinträchtigt das Schiessen, die vernichtende Wirkung
der neuen Geschosse erfordert von den Befehlshabern in weit höherem
Grade als in früheren Kriegen besondere Umsicht, besondere Be-
fähigung.
Wie im modernen Kampfe alles nur streng überdacht geschehen
darf, wenn man furchtbare Opfer vermeiden will, so . darf auch die
Artillerie auf dem Schlachtfelde nur in günstiger Position erscheinen
und hat überflüssige und sehr gefahrliche Stellungsänderungen zu ver-
meiden. ^^)
Die Hoffnungen, dass die Truppenverluste gar nicht oder nur wenig we
von den Vervollkommnungen der Bewaffnung abhängig sein werden, ** aws*^*"'
können sich, wenn wir in die Vergangenheit zurückblicken, als trügerisch ^" eri"?^ *^
erweisen. 7*"iF ™
der VeryoU-
Bei dem Gewehrfeuer wai' es noch möglich, sich damit zu trösten, kommnong
dass, je vollkommener der Mechanismus, desto höhere Schiessausbildung Bewatoqng
nötig sei, so dass schliesslich das Scjiiessen aus dem vervollkommneten g^!J|*^^^^j^
Gewehr von denselben Bedingungen abhängig ist wie bei dem weniger »ind
vervollkommneten, aber bezüglich des Geschützfeuers kann von einem beiügikh der
solchen Trost gar nicht die Eede sein. trt^rilicb.
^°) Befehl an die Truppen des Gardekorps und des Petersburger Militärbezirks,
aus dem Werke von Michnewitsch : „Einfluss der neuesten technischen Er-
findungen.^
474
VI. Taktik der Artillerie.
Der Richtkanonier des Geschützes, der zudem teilweise durch
dieses gedeckt ist, braucht nur eine Minute hindurch kaltblütig zu
sein, um das Geschütz gut zu richten. Wie sehr auch sein Puls Wopten
mag, er kann, wenn er will, die Visierlinie richtig stellen; und das
einmal gerichtete Geschütz bleibt bis zum Moment des Schusses un-
beweglich. i\)
In dem Feldzuge 1H()() waren, wie wir schon ausgeführt, die öster-
reichischen (beschütze besser als die preussischen , und doch war das
Resultat derartig, dass die Gesterreicher durch Artilleriefeuer nur 5 Prozent
verloren, die Preussen aber KJ Prozent, d. h. mehr als 3mal so viel. Das
moralische Tebergewicht der preussischen Armee vermochte also den
Mangel an Technik nicht auszugleichen.
Vergleich Im Jahrc 1870 dagegen stand die deutsche Artillerie höher als die
dsT K riefe
1866 u. 1870. französische und begann den Kampf stets aus möglichst grossen Ent-
fernungen. Als Resultat sehen wir, dass z. B. in der Schlacht von
Gravelotte die Verluste durch Artilleriefeuer betrugen:
auf deutscher Seite .... 2,7 Prozent,
auf französischer Seite ... 25 ,,
d. h. der Verlust der Franzosen war fast zehnmal grösser.
Graphisch dargestellt erhalten wir nach Vorstehendem folgen-
des Bild:
Vollkommeneres Geschütz.
Mangelhafteres Geschütz.
Oesterreicher
• •
«
Deutsche 2»i*ji)
1866
, *• ff !••>•
Preussen
ruminnm
m
1870
Franzosen
w%
Artiu,ri«- Es wTirde schon gesagt, dass nach Angaben des preussischen
im deutlich- Generalstabes die französische Artillerie den Kampf mit der deutschen
fr».*5«8ch«Ljj.^,^^ bestehen konnte.
Ausserdem hatte nach den ersten blutigen Schlachten und der
Gefangennahme der alten ausgedienten Soldaten des Kaiserreichs die
deutsche x\rmee mit minderwertigen Kontingenten zu kämpfen, und
dennoch waren die Verluste der deutschen Artillerie an Menschen nicht
unbedeutend.
Nicht weniger als 413 Offiziere und 4991 Mann der deutschen
Feld-Artillerie haben geblut,et; weitere 19 Offiziere und 1090 Mann sind
") Pusyrewski: „Erforschung des Kampfes".
Sohlassfolgerungen. 475
Erankheiten znni Opfer gefallen. Fast nnglaablicb erscheinen die
Verluste einzelner Batterien, wenn man sich rerg;egenwärtigt , dass der
fechtende Teü einer Batterie nur 4 Offiziere und 62 Mann beträgt.
Zehn Batterien verloren von dem Effektivbestand von 40 Offizieren
— 32, von dem Effektivbestand von 620 Mann — 612.
Besonders hervorgehoben zu werden verdient, dass die grossen \'er-
laste hauptsächlich stattfanden, so lange die französische Armee iiocli
nicht vollständig aufgelöst war; so z. B. verlor die 4, schwere Batterie des
Regiments No. 9 am 18. August 1870 bei Amanvillers in der Schlacht hei
St. Privat fast ihren ganzen Mannschafts-Bestand (B Offiziere, 45 Mann,
49 Pferde) in wenig mehr als einer Viertelstunde.!*)
Ist man nicht berechtigt, zn fragen, was wäie geschehen, wenn der
Krieg mit ebenbürtigen Truppen und bei der heutigen Bewaffnung sich
lange hingezogen hätte'.
Angenommen, es finde sich für die Infanterie genügendes Menschen- "'• ^"^'^
material vor, so kann man dasselbe doch nicht von der .\rtilleriemann- ks,».« mr
Schaft sagen. Die heutigen mit Explosivgeschossen feuernden Geschütze Acitiiwie
zu bedienen nnd über die Köpfe der eigenen Truppen zu feuern, wird man *""«•'
doch nicht ungeschulten und nngeübten Mannschaften zutrauen können! u-«n«h«-
Noch ist zu bemerken, dass die Verwundungen durch Artillerie- Folge babeu.
Geschosse ganz besonders ernste sind. In dem Kriege 1877 erlagen von
den Verwundeten in der russischen Donau-Armee:
den Verwundungen durch Gewehrkugeln . . . 20,9 % d^?"7
den Verwundungen dnrch Artillerie-Geschosse . 52,9 % -iind.Bgw
den Verwundungen durch die blanke Waffe 5,1! %i») ArtnÜne-
Graphisch dargestellt erhalten wir folgendes Bild:
VerwimduDgen mit tötlichem Auxgonge in Prozenten.
In Folge der so verschiedenartigen Entwickelang und Vervoll-
kommnung der Artillerie ist ihre Keuerleitung und die Sorge, sie auf
") „Zur Geschichte der französischen und deutschen Artillerie in den
PeldBÜgen 1866 und ISZO,'?!", Beiheft zum „Militär-Woühenblntt" 1S73.
") Pawlow: „Ueber die Bedeutung der Bewaffnung der Armee mit dem
Kleinkalibergewehr''.
476 ^^^- Taktik der Artillerie.
dem Schlachtfelde rechtzeitig mit Geschossen zu versehen, sehr schwierig
geworden, zumal noch die beständige Gefahr vorliegt, dass durch Er-
schütterungen oder Stösse Explosionen der Geschosse erfolgen.
A^ Jeder Mechanismus erfordert für seinen Gebrauch um so intelligentere
h&ngigkeit
der Menschenkräfte, je komplizierter er ist. Diese Regel passt besonders
dll^ArtüiVrie a^ die Artillerie gegenüber der Meinung derjenigen Autoren, welche
°."^*^V?? erklären, dass die Wii'ksamkeit dieser Waffe nur von ihrer materiellen
der Qualität
d. oeechütie, Beschaff enheit abhängt; der Erfolg werde von der Anzahl und dem Gewicht
rAnsbüdung der Geschosse abhängen, welche man in einer gegebenen Zeit gegen
Vchiftirr d^^ Feind entsenden kann.
Aufgabe Die Rolle der Artillerie wird in Zukunft um so schwieriger sein, da
*' das*"*' von ihr hauptsächlich verlangt wird, das Vertrauen der Infanterie zu
^^^r^ steigern, weil diese ohne die Gefolgschaft von Geschützen nicht gern
influiterie vorgehcu wird.
m steigeriL *
Und in der That dürfte die Infanterie, die im künftigen Kriege
einen ebenbürtigen Gegner angreift, vernichtet werden, wenn sie nicht
durch Artillerie unterstützt wird.
ywfe» Und so stehen wii' abermals vor der verhängnisvollen Frage, die
^heuti^en' wir erst später werden ganz beantworten können: Ist bei der gegen-
^^i^ wärtigen Technik ein Kiieg überhaupt auf so lange Dauer möglich,
möglich Bind, dass internationale wichtige Fragen zur Entscheidung gebracht werden
können?
Diese Frage ist um so angebrachter, als auch hinsichtlich des Fort-
schritts der Artillerie die Kriegskunst noch nicht ihr letztes Wort ge-
sprochen hat. Wie in den übrigen Zweigen der Kriegstechnik, so findet
auch in der Vervollkommnung des Artilleriegeschützes ein ununter-
brochener Fortschritt statt.
Es erscheinen immer neue und neue Geschützsysteme, welche die
früheren an Treffweite, Treffsicherheit und Geschossgeschwindigkeit weit
hinter sich lassen.
In jedem Falle muss zugegeben werden, dass die Einführung des rauch-
schwachen Pulvers und der Sprengstoffe als Kriegsmittel, welche das Ende
unseres Jahrhunderts charakterisiert, die mörderische Wirkung des In-
fanterie- und Artilleriefeuers ausserordentlich verstärkt hat. Diesem Um-
stände steht nur der andere einigermaassen ausgleichend gegenüber, dass
die Schlachten auf grösseren Flächen als bisher stattfinden werden, wo-
durch die Möglichkeit eines Rückzuges erleichtert wird.
Aber auch trotzdem taucht doch immer wieder die Frage auf: Ist
es unter den jetzigen Verhältnissen möglich, einen entscheidenden Krieg
durchzuführen?
Schlussfolgerungen. 477
Es ist unzweifelhaft, dass anch minder tapfere Soldaten in ge- waohBen
schlossener Ordnung gegen die feindlichen Positionen vorgehen werden, oppodtion
Wenn aber nach den ersten totbringenden Salven die Glieder sich lösen, ufSJ^ria^^^g
dann dürfte jetzt häufiger als früher, die Erscheinung des sogenannten
„Massendrückertums" sich zeigen. Die Höhe des persönlichen Mutes
muss unter dem Einfluss des gegenwärtig grösseren Wohlstandes, der
Freiheit, Kultur und Bequemlichkeiten des Lebens, welche eine Ver-
weichlichung zur Folge haben, mit jedem Jahre abnehmen.
Andererseits aber steigt mit jedem Tage die gewaltige Bedeutung
der mechanischen Zerstörungswerkzeuge. Es darf also nicht Wunder
nehmen, dass die Opposition gegen den Militarismus wächst, immer breitere
Schichten erfasst und an dem lockeren Gebäude der Vorstellungen von
der Unvermeidlichkeit des Krieges nagt.
VII.
Taktik der Infanterie.
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BS^
i
Die Infanterie im Kampfe.
Die heutige Taktik stellt sich vor Allem als das Resultat der Er-
fahrungen dar, die in den unserer Zeit nächstliegenden Kriegen gemacht
sind. Als die Fortschritte der Kriegstechnik noch verhältnismässig lang-
samer vor sich gingen, war es nicht schwierig, si<5h von der Praxis der
Vergangenheit leiten zu lassen. Ganz anders aber liegt die Sache
gegenwärtig. Das heutige Gewehi' übertrifft das Zündnadelgewehr, das
im Kriege 1870 im Gebrauch war, an Treffweite fast 4 Mal, an Schiess-
schnelligkeit , Durchschlagskraft und Ausdehnung des Bestreichungs-
feldes 3 Mal, an Treffsicherheit IV2 Mal.
Bei einem so bedeutenden Unterschiede zwischen dem Zündnadel-
gewehr und dem heutigen Gewehr stellt dieses letztere gewissermaassen
einen ganz neuen Mechanismus dar. Ein solcher Unterschied existierte
kaum zwischen den Pfeilen der Bogenschützen und den Kugeln des
Steinsehlossgewehres, das ganze Jahrhunderte hindurch im Gebrauch war.
Ausserdem werden auf die Veränderung der Infanterietaktik auch
noch andere Verhältnisse von Einfluss sein, welche die Macht des neuen
Gewehres unterstützen. Die Möglichkeit, dank den Eisenbahnen eine
gewaltige Truppenzahl zu konzentrieren und alles Erforderliche an den
Ort der Kriegsoperationen zu schaffen, die Möglichkeit, durch Telegraph,
Telephon und Signale rasch Befehle auf weite Entfernungen hin zu über-
mitteln , werden ebenfalls ihre Kolle spielen. Andererseits ist aber auch
die Unzuverlässigkeit aller dieser Mittel in der Nähe des Feindes ins Auge
zu fassen, die Schwierigkeit der Rekognoszierungen auf dem rauchfreien
Schlachtfelde bei der Treffweite der Gewehre und Geschütze. Wenn wir
weiter die Verwendung neuer Hilfsmittel ins Auge fassen, sich über die
feindlichen Positionen Klarheit zu verschaffen: den Luftballon, die mannig-
fache Anwendung der Elektrizität, so müssen wir sagen, dass dies Alles
neue Mittel sind, über deren Einfluss wir vor der praktischen Erprobung
in einem neuen Kriege nicht urteilen können.
Bloch, Der snkünftige Krieg. 31
Die heutige
Taktik als
Resultat der
Erfahrungen
der letzten
Kriege.
Das heutige
Gewehr.
Andere
Ginflüsse auf
die Ver-
Andernng
der Taktik.
482 ^^^^ Taktik der Infanterie.
Du much- Endlich ist noch ein mächtiger Faktor in Eechnung zn ziehen, der
PniTer. füT dic Infanterie mit einem Male die Bedingungen der Offensive und der
Defensive verändert hat, dessen Bedeutung sich gegenwärtig aber noch
nicht genau feststellen lässt: das rauchschwache Pulver. Alle Kom-
binationen und Bewegungen, die sich auf das Vorhandensein von Rauch
gründeten, der früher zu Beginn jeder Begegnung mit dem Feinde als
Richtschnur diente, sind bei dem Gebrauch von rauchschwachem Pulver
unmöglich geworden.
Das Hervortreten aller dieser neuen Bedingungen für den Krieg
innerhalb einer kurzen Zeitspanne und der Mangel an praktischer Er-
fahrung haben in militärischen Kreisen viele unvereinbare Widersprüche
in Bezug auf die wesentlichsten Fragen der künftigen Infanterietaktik
hervorgerufen.
Wir wollen uns bemühen, den betreffenden Meinungskampf hier zu
beleuchten, indem wir uns von den Ansichten der Spezialisten in
militärischen Fragen leiten lassen.
1. Historische Skizze des Einflusses der Bewaffnung
auf die Taktik.
Die Instruktionen, die der Infanterie für den Kriegsfall gegeben
werden, ziehen vor Allem die Kraft der WafiFe in Rechnung. Den Er-
fahrungen, die aus der Praxis der früheren Kriege gewonnen sind, fügen
sich Verbesserungen an, entsprechend den in der Bewaffnung eingetretenen
Veränderungen.
In früherer Zeit wurden auf Grund der Erfahrung der letzten Kriege
Schlüsse gezogen, mit denen die Truppen für ihre Vorbereitung zu einer
künftigen Thätigkeit wie mit unerschütterlichen Wahrheiten rechnen
konnten. Wenn Zweifel entstanden, so bezogen sich diese doch nur auf
Fragen von mehr nebensächlicher Bedeutung.
EinfluM Seit der Zeit des letzten Krieges hat aber die Bewaffnung sich so
ßliwaffn^g radikal geändert, dass Zweifel gerade hinsichtlich der allerwesentlichsten
auf Offensive pYagen entstanden sind: der Offensive und der Defensive. Selbst die Er-
DefeMiva. fahruugen der beiden letzten Kriege von 1870/71 und 1877 können nach der
Meinung vieler hervorragender Militäi'schriftsteller für den künftigen Krieg
nur als abschreckendes Beispiel dienen, i) Historische Hinweise darauf,
dass auch in der Vergangenheit gerade so wie jetzt zwischen den einzelnen
0 LöbeU: „Militärische Jahresberichte" für 1894: „Taktik der Infanterie".
— Oberst Keim. G-eneral Scherff : „Kriegsgeschichtliche Lehren der Neuzeit". —
Hoenig: „Taktik der Zukunft".
L
Historische Skizze des Einflusses der Bewafihang auf die Taktik. 48S
Kriegen die Bewaffnung sich vervollkommnet hat und dass auch früher
gerade so wie jetzt pessimistische Voraussagungen furchtbarer Schwierig-
keiten nicht fehlten, welche indessen nicht eintrafen, — solche historische
Hinweise, wie gesagt, lassen sich nicht halten, weil noch niemals seit
Erfindung des Pulvers der Krieg soviel räthselhafte Seiten geboten hat.
Die neuen Veränderungen, die besonders auf dem Gebiete der Be-
waffnung der Infanterie erfolgt sind, übertreffen durch ihre Bedeutung
alle diejenigen, welche in den Zeitabschnitten nicht zwischen zwei,
sondern zwischen vielen Dutzenden von Kriegen erfolgt sind.
Um den Vorwurf des leeren Phrasentums zu vermeiden, gaben wir Notwendig-
keit des
einen historischen Abriss der in der Bewaffnung der Infanterie erfolgten vergieieht
Vervollkommnungen bei der Abteilung „Hand-Feuerwaffen", so dass wir '7hlrt*°
jetzt uns darauf beziehen können. Viele werden natürlich in diesem Teil "°^ J«***-
unserer Arbeit nichts Neues finden, aber für die grosse Mehrzahl selbst der
militärischen Leser dürfte bei der hen'schenden Meinungsverschiedenheit
eine populäre Nachforschung in der Vergangenheit nicht unnütz erscheinen.
Man darf nicht übersehen, dass auch recht gut bekannte Wahrheiten ver-
gessen werden. Seit dem letzten grossen Kriege in Europa sind 19 Jahre
verflossen; in den Keihen der Armee ist nur noch eine kleine Zahl von
Offizieren vorhanden, welche Kriege mitgemacht haben; für den grössten
Teil der Offiziere sind die Vorstellungen vom Kriege gleichsam nur ein
Spiegelbild dessen, was auf den Uebungsplätzen und bei den Manövern
vorgeht, aber können diese Bilder eine wirkliche Vorstellung von dem
geben, was im wirklichen Kriege vorgehen wird, wo das jetzt Niemand
schreckende Getöse und das Zählen der Schüsse bei den Attaken durch
die Manöverschiedsrichter — durch die Wirkung reeller und nicht mar-
kierter Kugeln und Geschosse ersetzt wird?
Das Unerwartete ist das Gefahrlichste. Ausserdem müssen die Haupt- »otweiidig-
' keit der
grundlagen des Kriegswesens der Bevölkerung bekannt sein, welche sich Kenntnis
im Falle des Krieges in den Keihen der Armee befinden wird und von granduiet
deren Thätigkeit der Ausgang des Krieges abhängt. Es genügt nicht, ^^^~^^^
dass nur die im aktiven Dienst stehenden Offiziere und Soldaten wissen, ^* ^er
womit sie in dem künftigen Kriege zu rechnen haben. In die Reihen
der Armee werden in gewaltiger Masse Offiziere und Soldaten der Reserve
und Landwehr treten, die im Laufe vieler Jahi^e an militärischen
Uebuiigen nicht teilgenommen haben. Jeder von ihnen hat ein Interesse
daran zu wissen, wie die neuen Kampf bedingungen sich an ihm oder den
ihm Nahestehenden fühlbar machen werden.
Die Einen urteilen über den künftigen Krieg noch nach den Er-
zählungen über die früheren Kriege, wo die technischen Mittel weit
schwächer waren als jetzt, Andere, die wohl etwas von den Vervollkomm-
31*
484 ^^^» Taktik der Infanterie.
nungen der Bewaffnung gehört, aber sich damit nicht gründlich bekannt
gemacht haben, würdigen die Bedeutung der erfolgten Veränderungen
nicht hinreichend, weil sie nicht die Möglichkeit haben, Vergleiche mit
der Vergangenheit anzustellen.
Einflnas der Und deunoch hat die Ansicht des Volkes über seine eigene Macht
öffentliohen
Meinung, «ineu grosseu Einfluss auf den Gang seiner politischen Angelegenheiten,
wenn auch in militärischen Kreisen die üeberzeugung herrscht, dass selbst
die militärischen Grundfragen eine Spezialität bilden und daher der Ge-
sellschaft fremd bleiben können. General Fadejew dagegen führt aus,
dass, wenn die Zeit kommt, seine Ansicht über Krieg und Frieden zu
äussern, die Mittel für den Elrfolg abzuwägen, doch von zehn Militärs,
die als die besten Richter in dieser Sache gelten, neun die Ansicht der
gesellschaftlichen Mitte, in der sie leben, wiederholen werden. Und das
ist ganz natürlich, denn es ist unmöglich, sich in solchen Sachen von
dem Einfluss der öffentlichen Meinung zu befreien.
Die Anfange der Hand-Feuerwaffen fallen in das XIV. Jahrhundert;
jedoch waren dieselben von so mangelhafter Einrichtung, dass es nicht
wunderbar erscheint, wenn die Engländer 1471 Bogen und Pfeil noch den
Feuergewehren vorziehen, angeblich wegen geringerer Schussweite und
zeitraubenden Ladens der letzteren. Die englischen Barden prophezeiten
sogar den Untergang Englands, wenn man die Feuergewehre statt der
Bogen einführe.
Zu Ende des XV. Jahrhunderts, um 1496, waren in Spanien
erst i/s, in Deutschland Ve» i^ Frankreich Vio der Fusstruppen damit
versehen.
Taktik Was die Taktik des Fussvolkes betrifft, so erzählt Olivier de la
ra EÜdldes Marche in seinen Denkschriften, „dass dasselbe die Reiterei keineswegs
hradertT gescheut habe, sondern je drei Mann zusammengestanden hätten, ein
Pikenier, ein Armbrustschütz und ein Büchsenschütz, die
ihr Handwerk so wohl verstanden und auf solche Weise sich wechsel-
seitig zu unterstützen gewusst hätten, dass der Feind ihnen nichts habe
anhaben können".
Wir woUen zuerst durch nebenstehendes Bild aus „L'Art de com-
battre" von Om6ga einen Begriff von dem taktischen Aufbau zu Anfang
des XVI. Jahrhunderts geben.
soj^ge ^^ ^^^^ ^^ ^^ *^^ Taktik, als der 30jährige Krieg (1618—1648)
Krieg- begann, an welchem ganz Europa, mit Ausnahme von Russland und
Gast AdSl>hfl Polen, Anteil nahm und der in der Entwickelungsgeschichte der Kriegs-
w^rlktiir ^^^'^^ von gewaltigem Einfluss sein musste. Als Schöpfer neuer Ord-
nnd Truppen- nungen iu der Taktik und der Truppenorganisation trat Gustav
Organisation. . , , , «
Adolph auf.
Marsch- und Kampfordnung* im XV. Jahrhundert.
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Rd. I. EinfUgen bei Seito 484
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Historische Skizze des Einflusses der Bewaffnung auf die Taktik. 485
Die Infanterie zu Ende des XVI. Jahrhunderts zerfiel, wie gesagt,
in Pikeniere {Lanzenträger) und Musketiere,
Gustav Adolph führte in seinem Heere leichtere Musketen ein, ver- i-ioht««
minderte ihr Kaliber, beseitigte die Gabel, führte Papierpatronen ein, plj,t-'
welche hinten im Lederranzen getragen wurden, beschränkte die Anzahl '■'"'"■■
der Griffe beim Laden, die bis 99 gingen and vergrösserte die Zahl der
Musketiere. 3)
Was aber noch wichtiger ist, das schwedische Heer Gustav Adolphs ^,^,^
stellte ein Volksheer dar, das sich nach dem System der Militär-Kolonieen Ha., «in
ergänzte (die Könige gaben den Soldaten Grundstücke zum Besitz und
Schlacht tei Pavia.
befreiten sie von Abgaben), während in den übrigen Staaten zn Anfang
des 30jährigen Krieges ständige Heere überhaupt nicht existierten. Im
Falle eines Krieges wurden die Heere durch eine unregelmässige Kon-
skription oder durch Einberufung der bewaffneten Volksmassen gesammelt,
hauptsächlich aber durch Anwerbung von Leuten, die den Krieg wie ein
Handwerk betrieben. Nach Beendigung des Ki-ieges wurden diese
Truppen nach Hause entlassen. Bei einem derartigen System standen
die Kompletlerung der Armee, ihre moralische Qualität sehr niedrig, was
*) Michnewitsch : „Geschichte der Kriegskunst".
486 '^^IL Taktik der Infanterie.
natürlich auf die Disziplin und die Art der Verwendung der Truppen im
Kampfe von Einfluss sein musste.
Es ist deshalb nicht wunderbar, dass Gustav Adolph füi* seine dis-
ziplinierten, gut ausgerüsteten und ausgebildeten Truppen andere, weit
kompliziertere taktische Methoden einführen konnte und ein entschiedenes
üebergewicht über seine Gegner hatte.
, Die Infanterie formierte sich in Marschkolonnen zu 6 Gliedern und
zui- Zeit des Kampfes infolge Verdoppelung der Reihenstärke zu
3 Gliedern. Die Kavallerie formierte sich statt in 6 Gliedern, wie dies
früher war, in 3 und teilte sich hierbei der grösseren Beweglichkeit halber
in kleine Abteilungen. Die grösste Beweglichkeit aber wurde der Ar-
tillerie gegeben, welche die Möglichkeit erhielt, ihre Positionen während
des Kampfes zu verändern und nach allen Eichtungen zu schiessen, was
sie früher nicht vermocht hatte, s)
Erkenntiii« Profcssor Michuewitsch^) schildert die taktische Kunst Gustav
weldigkeit Adolphs folgeudermaasseu: eine schwache oder fast gar keine Reserve,
de/stlSljii, ®^ Parallel-Stoss mit der ganzen Front, das Fehlen einer entscheidenden
stehende Konzeutratlon der Kräfte auf dem wichtigsten Punkte des Schlachtfeldes.
za haben. Aber die Wirksamkeit Gustav Adolphs im 30jährigen Kriege hatte noch
die Bedeutung, dass man in den meisten Staaten zu der Erkenntnis der
Notwendigkeit gelangte, stehende Heere zu haben, den Krieg metho-
disch zu führen und die Heere auf dem Kriegstheater regelrecht zu unter-
halten.
Einführnnfir In Frankreich fand 1641—1642 eine Neuerung von grosser Bedeutung
des Bajonnets
in Frank- durch Einführung des Bajonnets statt.
Bajonnetr Das aus den obigen Erfindungen hervorgegangene Ba-
.FiIntY-. Jonnetgewehr, „Flinte" genannt, verdrängte bald die bisher übliche
Muskete, führte zur raschen und gänzlichen Beseitigung der Infanterie-
Pike und wurde mit dem Beginne des XVIII. Jahrhunderts als die nun-
mehrige UniversalwaflFe der Infanterie überall eingeführt.
P". Der 30jährige Krieg hat den Grund zu dem System der grossen
Krieg die steheudcu Heere gelegt und infolge davon auch zu einer umfassenden
^*«nr eT-"^ militärischen Organisation nicht nur in Kriegs-, sondern auch in Friedens-
'stohTifden' Zeiten. Unter Ludwig XIV. hatte P>anki*eich im spanischen Erbfolge-
Heere, krieg schon ein Heer von 350000 Mann, Oesterreich ein Heer von 130000
Mann und selbst Brandenburg besass unter dem Grossen Kurfürsten
ein stehendes Heer von ca. 30000 Mann. Die Truppen wurden nach
Friedensschluss bereits nicht mehr entlassen, was die Organisation
') Omega: „L'art de combattre".
*) „Geschichte der Kriegskunst".
HandgrifTe beim Laden und Feuern im XVII. und XVIII. Jahrhundert.
1. Marsch mit der Gabel In der Hand.
2. Maisch mit der an die Muskete geheiikt«a
üabeL
3. Nimm, das Gewehr von der Schulter.
4. Streck aus das Gewehr.
5. Leg.dic Gabel an das Gewehr.
6. Nimm die Lunte ab.
7. Blas die Kohie ab.
8. Drück die Lunte ein.
9. Versuch die Lunte.
10. Achtung, blas an und üffue die Zünd-
cfanne.
11. Fertis.
12. Feuer.
13. Niimn ab dait Gewehr, leg die Gabel au.
14. Nimm die Lunte ab.
15. Nimm die Lunte in die Finger.
16. Blas die Pfanne ab.
Handgriffe beim Laden und Feuern im XVII. und XVIII. Jahrhundert.
17. Schütte Pulver auf die Pfanne
la, Hchliesse die Pfenne.
19. Schüttele ans tose Pulver ab.
20. BliLs das lose Polvei ab,
31. Präsentier das Gewehr.
■22. Häng die Gabel au.
■2.1. Oeffne die Patrone.
24. Lade das Gewclir.
2Ö. Zieh den Ladatock aus.
. Stampf die Ladung nieder.
-o). Nimm den Lndstook heraus.
29. Fass den Ladstock kurz.
%. Steek den Ladstock an Ort,
31. Nimm das Gewehr eut Hand.
S2- Das Gewehr zur rechten Hand und r
die Oabel in die linke.
Historische Skizze des Einflusses der Bewaffnung auf die Taktik. 487
einer ständigen oberen Heeresverwaltung erforderte und die Einheit-
lichkeit in der Bewaflnung und Ausbildung der Mannschaften nach sich
zog. Die früheren Regimenter repräsentierten ein jedes den Charakter
ihrer Provinz, hatten ihre Gewohnheiten und üeberlieferungen, gehörten
sogar direkt den vornehmen Edelleuten, den Chefs, in Frankreich
„propri6taires" genannt, die sie aus ihren Unterthanen zusammenstellten.
Gustav Adolph verpflegte seine Aimee durch regelmässige Zufuhr verpflegruiig
aus den Magazinen. Dieses System wurde darauf in ganz Europa ein- dura zuführ
geführt und während des Krieges blieb die Linie der Proviantmagazine jit^inen. '
in einer Entfernung von 6 Tagemärschen hinter den Truppen. Seit der
Zeit, wo die Armee zwar nicht ihren ganzen Verpflegungsvorrat mit sich ,
führte, der durch Requisitionen ergänzt wurde, aber doch eine reguläre
Verpflegung erhielt, veränderte sich auch die Strategie. Die Truppen
wurden weniger beweglich, da hinter ihnen die Linie der Vorräte folgen
musste, zugleich aber gewann auch die Umgehung des Gegners, das Ab-
schneiden desselben von seiner Kommunikation eine besondere Bedeutung.
Die Langsamkeit der Bewegungen hinderte eine energische Verfolgung
des in der Schlacht besiegten Gegners. Und obgleich seit der Einführung
der stehenden Heere nicht mehr soviel Zeit durch Einberufung der be-
waffneten Volksmassen verloren wurde und die Kompletierung der Truppen
in regelrechter Aushebung vor sich ging, so zogen sich doch infolge
dieser Umstände die Kriege noch immer mehrere Jahre hin, ohne zu
entscheidenden Resultaten zu führen.
Professor Michnewitsch^) sagt über den taktischen Aufbau jener i^»"B»*«^iio»
Zeit folgendes: „Seit der Einführung des Bajonnet- Gewehrs wurde das Einheit nach
Bataillon (500 bis 800 Mann stark) endgütig die taktische Einheit und *^"^^"^«
zugleich bildeten sieh beständige feste Beziehungen zwischen den b^**»»»«*«»-
Bataillonen und den administrativen Einheiten: dem Regiment und der
Kompagnie. Die Hauptkraft der Infanterie sah man in der möglichst
starken Feuerentwickelung ausgeschlossener Formation; ein Bajonnet-
angriff wurde selten und ungern vorgenommen und er versprach auch
nicht Erfolg, da man ausser dem sich entfaltenden Bataillon, welches
das stärkste Feuer ermöglichte, eine andere Kampfformation dei' In-
fanterie nicht kannte. Seit Einfuhrung des Gewehrs und der Verbesserung
des Ladens, wodui'ch das Laden und das Feuer schneller wurden, for-
mierten sich die Bataillone in 4 und 3 Gliedern ; die Linie als Formation
zum Kampf sich entfaltender Bataillone wurde allgemeine Regel".
Professor Michnewitsch bemerkt auch, dass der Bestand der stehenden unterschiede
^ zwischen den
Heere sich von den einstigen bewaffneten Haufen auch in moralischer «tehenden
^ Heeren und
den frftheren
Söldner-
*) „Geschichte der Kriegskunst". ^'•"'ö>»-
488 ^^^* Taktik der Infanterie.
Hinsicht unterschied. In den ständigen Dienst begannen jetzt bei der
Werbung Leute zu treten, welche die Arbeit nicht liebten und durch die
Uniform und die Hoffnung auf ein ungebundenes Leben angelockt wurden.
Infolgedessen wurde es notwendig, strenge Maassregeln zur Aufrecht-
haltung der Disziplin zu ergreifen, und man gelangte zu der Praxis der
erniedrigenden Sti*afen. Diese Strafen verdarben die schon eingestellten
ordentlichen Leute und hielten andere von dem Eintritt in den Dienst,
besonders bei der Infanterie, ab.
^"üT^"' Weiterhin erfolgte eine bedeutende Umwälzung in der Kriegskunst
Kriegikiiait duTch Friedrich den Grossen. Dieser führte viele Verbesserungen in
Fri^rieh allen Teilen der Heeresorganisation ein; im Kampfe gab er der
den orosMn. Peuorwirkung den Vorzug, verstand aber auch das Andrängen auf
den Feind auszunutzen. Durch die Einführung des eisernen Lade-
stockes förderte er ein beschleunigtes Laden. Ueberhaupt gab Friedrich
dem Feuer seiner Infanterie eine weit grössere Schnelligkeit und der
Kavallerie verbot er, vor der Attake zu schiessen; diese ging mit ge-
schwungenem Säbel direkt im Galopp vor. Die gegen ihn operierende
österreichische Kavallerie ging im Trab zur Attake, machte auf 30 Schritt
Entfernung Halt, gab eine Salve ab und attakierte alsdann.
Der gesamten Artillerie verlieh Friedrich grössere Beweglichkeit;
er führte aber ausserdem noch die leichten reitenden Batterien für die
Avantgarde ein, um an den Operationen der Kavallerie -Abteilungen
teilzunehmen. Die Infanterie war in Regimenter zu zwei Bataillonen
geteilt, das Bataillon zu 1000 Mann; jedes Bataillon hatte 6 Kompagnien,
darunter eine Grenadier-Kompagnie.
Forrnfttion Die Infanterie formierte sich in drei Gliedern mit der Grenadier-
der
preoMiMhen Kompaguie auf der Flanke unter rechtem Winkel zur Front.
BfttaiUon«
im Kampt
Kampfformation des pretissisohen Bataillons.
Die ganze Armee formierte sich in der Kampfordnung in 2 Gliedern
mit der Reserve: im Zentrum die Infanterie, die Kavallerie auf den
Flanken ; die Infanterie formierte sich in der Kampf Ordnung in entfalteten
Bataillonen mit Intervallen zwischen ihnen. Beide Flügel der Infanterie
wurden durch eine Grenadier-Kompagnie gedeckt, senkrecht zur Front-
Historisclie Skizze des Einflusses der Bewaffiiung auf die Taktik.
489
linie. Von den beiden Kavallerie-Linien nahm die erste als „Wand**
Stellung, d. h. ohne Intervalle, die zweite entfaltete sich mit Intervallen,
die der Front der einzelnen Kavallerie-Abteilungen der aufgestellten
Linie gleich waren.
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Kampfformation des preussischen Heeres unter Friedrich 11.
Die Artillerie wurde in unregelmässigen Massen in der Front oder
auf den Flanken der Infanterie postiert, die reitende Artillerie bei der
Kavallerie. Die Reserven postierten sich in geschlossenen Kolonnen
hinter dem Zentrum der einzelnen Truppenteile.
Wie vorhin schon erwähnt, war das Magazin-System der Tmppen- Verpflegung
vei'pflegung seit dem 30jährigen Kriege in allen Heeren eingeführt. An FHedncb ii.
diesem Systeme hielt auch Friedrich n. fest, da er aber immer die
Offensiv-Strategie befolgte, strebte er darnach, sich von der Langsamkeit
in den Bewegungen zu befreien, welche mit diesem System verknüpft ist.
Seinem Train fügte er die Fuhren der örtlichen Bewohner hinzu, ver-
stärkte die Tagesmärsche der Transporte und richtete bewegliche Maga-
zine mit Brodbäckereien ein. Auf diese Weise gewann er die Möglich-
keit, sich 200 Werst und weiter von der Basis der Hauptniederlagen zu
entfernen. Entsprechend dem Ofiensivsystem seiner Strategie drang
Friedrich II. in das Gebiet des Gegners ein und strebte bei dem Zu-
sammentreffen mit dessen Heer nicht nach partiellen Erfolgen, sondern
dii-ekt nach der Vernichtung des Gegners. 6)
Die Siege Friedrichs hatten zum Resultat, dass man in den anderen Eia^^hnin?
Heeren seine taktischen Formen mit sklavischer Beobachtung der aus- takutehen
Formen
Friedrichs IL
8) Der preussische Infanterist schoss 3 mal schneller als die Soldaten der™™^^^^
französischen und der Eeichsarmee (3 Schüsse in der Minute, gegen 1 Schuss, Heeren,
nach den Worten des Generals Paris).
490 ^^- Taktik der Infanterie.
einandergezogenen Linien einzoführen begann. In Franki'eich gab es
während der ganzen Zeit zwischen dem 7jährigen Kriege und der
Eevolution eine eifrige Polemik über die Vorzöge der auseinander-
gezogenen Foimation zur Verstärkung des Feuers oder der Formation
der geschlossenen Massen, d. h. von Kolonnen mit grösserer Tiefe als
Breite. Die neueste Taktik beginnt mit der Revolution. 7)
Der Einflüss der Begriffe von der Bedeutung der Manöver war im
ganzen XVIH. eJahrhundert ein gewaltiger. Griesheim«) stellt in seinem
Reorganisationsprojekt fiir die polnische Armee als Muster die Armee
Friedrichs auf, weist aber schon damals auf die grosse Wichtigkeit guter
Offiziere und alter Soldaten hin.
Jedoch kann man, sagt Griesheim, die Frage aufwerfen: wozu alle
diese Ausgaben und Komplikationen? Unter Sobieski war dies Alles
nicht nötig, und ging nicht doch Alles besser? Aber die Sache liegt
darin, dass jene Zeit vorbei ist und die europäischen Heere sich verändert
haben: jetzt entscheiden weder die Zahl noch die Tapferkeit der Soldaten,
sondern die Kunst der Generäle und die Fähigkeit der Truppen, die
erforderlichen Bewegungen auszuführen, das Schicksal der Schlachten.
Weitere TJuterdesseu wurden die Bemühungen zwecks Verbesserung der Hand-
zar Feuerwaffe fortgesetzt; es fanden sogar Versuche statt, Hinterlader her-
^dtJ*H»JS-* zustellen. Nach der Erfindung des Perkussionsschlosses war das beste
Feuerwaffen. Grewehr ZU Aufaug des Jahrhuuderts das französische des Typus 1777 — 1800
mit dem Perkussionsschlosse des Typus 1648, stählernem Ladestock mit
Schraube und Ende für die Ladung und dem dreiseitigen Bajonnet mit
Zapfen und Ring. Das Normalgewicht dieses Gewehrs betrug 6 Kilo-
gramm (I2V2 rassische Pfund).
2. Die Taktik Napoleons und deren Einflüss bis zum
Krimkriege.
Einführung Die Heerc der französischen Republik bestanden aus unerfahrenen
anfgeiöflten Soldatcu, die Unfähig waren, sich im Feuer in geschlossener Formation
ortnnig ^^ halten und in Kolonnen anzugreifen. Das führte von selbst zur
(Schftteen- aufgelösten Formation, der zerstreuten Schützenmasse, etwa in der Art
^) Om^ga: „L'art de combattre".
*) Griesheim: „Projekt der Reorganisation der polnischen Armee vom
Jahre 1789".
Die Taktik Napoleons und deren Einfluss bis zum Krindaiege. 491
der jetzigen Avantlinien. Die Praxis zeigte, dass diese Kampfordnnng
ihre Vorzüge hatte: das Fener der in verschiedenen Entfernungen vom
Gegner zerstreuten Schützen erwies sich weit wirksamer als das glieder-
weise Feuern, die aufgelöste Kampfordnung verminderte die Verluste und
die aufgelösten Linien hatten eine solche Länge, dass sie naturgemäss
die Flanken des Gegners umfassten und durch diese Bedrohung in den
Reihen des Feindes Verwirrung hervorriefen.
Im Uebiigen hatte auch schon der Krieg zwischen den aufständischen Nene An-
nordameiikanischen Kolonien und England den Vorzug eines gut gerichteten "dte Taku"
Feuers und eines energischen Vorgehens selbst bei unregelraässigen Erfahratgen
Formationen gegenüber der Linien-Taktik des Paradeplatzes gezeigt, in *™ »»«"-
welche in Preussen das Operationssj^stem Friedrich 11. ausgeartet war. Befreinng»-
Die englischen Truppen folgten der „gelehrten" preussischen Linien-Taktik *"*^*'
und ebenso auch die deutschen Kontingente, welche England von dem Kur-
fürsten von Hessen und anderen deutschen Fürsten gemietet hatte. Die
amerikanischen Insurgenten dagegen waren Landleute, unbekannt mit
der Kriegskunst, unbekannt mit jeder Art künstlicher Formation, aber
von Energie durchdrungen, und unter ihnen gab es nicht wenig vor-
treffliche Schützen und Jäger, die in dem Kampf mit den Indianern ihre
Stählung und Gewöhnung an das Feldleben empfangen hatten. Der Sieg
verblieb nicht der Linien-Taktik und der methodischen Schulung, sondern
der Kraft der Energie und dem Geist der Initiative.
Die nach Europa zurückgekehrten Theilnehmer an dem amerikani-
schen Freiheitskriege, die Franzosen Lafayette und Rochambault, die
Polen Kosciuszko und Pulawski, und andere Freiwillige aus den ver-
schiedensten Nationalitäten brachten neue Ansichten über die Taktik
nach Europa mit.
Die Kampfformation der Truppen der französischen Republik stellte Kampf.
sich demnach als eine dichte Schützenkette mit geschlossenen Infanterie- der Trap^n
Reserven dar. Die Schützenkette, welche gegen den in lange kompakte ^^^^^^echen
Linien formierten Feind vorging, fügte diesem grossen Schaden zu, und «ep«^««^-
bei den ersten Anzeichen von Verwirrung in seinen Reihen machte die
ganze Armee in der Formation, in welcher sie sich befand, d. h. die
Infanterie mit der Schützenkette voraus, die Reserve in Kolonnen,
einen allgemeinen Angriff" mit dem Bajonnet und die Kavallerie eine
Attake auf die in Verwirrung geratenen dünnen Linien des Feindes.
Bei der gleichförmigen Bewegung auf der ganzen französischen Front
sah der Gegner nicht voraus, gegen welchen Punkt seiner Linie der
Hauptschlag erfolgen würde und der Angriff der dichten französischen
Kolonnen durchbrach fast immer die aufgelöste, nur auf die Feuerwirkung
berechnete Formation des Gegners.
492
Vn. Taktik der Infanterie.
Die Formation der republikanischen Truppen ist auf folgender
Zeichnung dargestellt:
Cölotnes de baUiirort
Rea«ry»
Kampfordniing der Franzosen der Bepublik.
Aenderang
der Taktik
gegenüber
irregnlftrer
Kayallerie.
Mannig-
faltigkeit
der Schlaeht-
formationen
Napoleons.
Die Taktik der Revolutionsheere ist von selbst entstanden. Die
vorderen Linien gingen einfach deshalb in aufgelöster Formation, weil
die Truppen nicht in methodischen Formationen ausgebildet und uner-
fahren waren; weiter wurde der Massen -Verstoss in der Form, wie die
Masse in der Reserve stand, direkt durch den Enthusiasmus der jungen
Soldaten hervorgerufen; sobald die Revolutions-Regimenter ein Schwanken
in den Linien des Gegners bemerkten, wurden sie unaufhaltsam zum
Massen-Angriff fortgerissen. Diese Taktik war ganz dazu geschaffen,
einen sichern Sieg über methodisch aufgestellte dünne Linien davon zu
tragen, welche ihre Salven abgaben und unbeweglich dastanden, als er-
warteten sie den Ansturm der Franzosen.
Diese Taktik eignete sich auch Napoleon an, und dank ihr wurden
unter der Republik alle die Siege bei Arkola, Rivoli u. s. w. davon-
getragen. Suworow operierte deshalb erfolgreich gegen die Franzosen,
weil er seine Linien nicht allzusehr auseinanderzog und selbst bei der
ersten günstigen Gelegenheit zum Bajonnetangriff schritt.
Aber in Egypten änderte Napoleon
seine Taktik deshalb, weil er es hier vor-
zugsweise mit Massen irregulärer Kavallerie
zu thun hatte. Er stellte seine Infanterie
in grossen Quarr6s auf, in deren Mitte er
den Lazareth-Train plazierte.
Angesichts der Erfolge, welche die
Anwendung der repubKkanischen Taktik
erzielt hatte, gab Napoleon, dem diese
Erfolge vorzugsweise angehörten, den
Aufstellungen seiner Truppen grosse Ent-
wickelung, indem er die Thätigkeit aller
Das I^apoleonische Quarrt
in Egypten.
Die Taktik Napoleons und deren Einfluss bis zum Krimkriege. 493
Waffengattungen konzentrierte. Die Schlachtformationen Napoleons
waren sehr mannigfaltig. Friedrich ü. und seine Nachfolger stellten
ihre Truppen beständig in einer bestimmten, als Typus angenommenen
Ordnung auf; Napoleon dagegen war, so zu sagen, in der Taktik
Opportunist; selbst seine Armeekorps hatten nicht einen Normal-
bestand wie jetzt; ihre Zusammensetzung und ihre Stärke waren ver-
schieden je nach der Rolle, welche er einem jeden Korps zuwies und je
nach dem Grade des Vertrauens, das er zu den Korpsführem hegte.
Bisweilen änderte er die Zusammensetzung der Korps im Laufe des Feld-
zuges ab, bisweilen sogar vor der einen oder andern Schlacht.^)
Die in Korps geteilte Infanterie, welche Marschälle befehligten,
operierte im Kampfe in Divisionen oder Brigaden, beständig den Bajonnet-
angriff ins Auge fassend. Die Kavallerie teilte sich ebenso in Korps und
stand unter dem Oberkommando Murat's; zur Attake ging sie in grossen
Massen vor, welche alles auf ihrem Wege Befindliche hinwegfegten. Die
Artillerie operierte gleichfalls in Massen von 100 Geschützen und mehr.
Solche Konzentration der Kräfte jeder Truppengattung in Massen Kon-
trug nicht wenig zu den grossen Siegen Napoleons bei. Aber obwohl die dw "rX
Massenwirkung der französischen Infanterie, welche hauptsächlich in ge- ^^^.JlpJJlJ!*"
schlossenen Kolonnen attakierte, lange Zeit für die Gegner ein uner- e^^^^^-
wartetes Manöver war und den Franzosen glänzende Siege gab, so wurde
sie doch schliesslich durch die Konzentration des ganzen feindlichen
Artilleriefeuers auf diese Infanteriemassen paralysiert, wobei die tiefen
Infanterie-Kolonnen starke Verluste erlitten. Die Gegner Napoleons be-
gannen gleichfalls mit Artillerie- und Kavallerie-Massen zu wirken.
Aber ausser der Revolutionsmethode der Taktik und dem angeborenen weitere
Ursftchen fOr
militärischen Genie Napoleons trug zu seinen Erfolgen nicht unbedeutend Napoleon,
auch seine revolutionäre Verachtung nicht nur jeder traditionellen Form peSönlfcher
und Methodik, sondern auch jedes Rechtsbegriffs gegenüber Allem bei, ^'*-
was die Wirkungen der Kraft einengen konnte. Es ist begreiflich, dass
man im Kriege vor Allem beständig zur Gewalt seine Zuflucht nahm,
aber doch nur bis zu gewissen Grenzen. Eine solche Auffassung des
Krieges, dass derselbe mit einem Mal alle im Frieden bestehenden gesetz-
lichen Beziehungen aufhebt — eine Auffassung, die auch in unserer Zeit
gilt — ist zuerst gerade durch diesen Cäsar der Revolution eingeführt.
Die vorhergehende Epoche hatte für Alles, sogar für die Anwendung
von Gewalt, ihre genauen Regeln, sogar zu viel Regeln. Dies war die
Epoche der Einförmigkeit, der Formalistik, der strengen Richtung der
säuberlich zugestutzten Reihen, wo der Schritt jedes Mannes die Augen
^) „La tactique d'autrefois". — „Revue de Tarm^e beige".
J. ■■^^■.-■^,-_--.-,-
^4 VIL Taktik dar In&otene.
aaf rieb zog, die Zeit der gepuderten ZQpfe, des Zeremonialmarsdies und
den Kanzleigeut^ in den Heeren. Den Soldaten betrachtete man damals
nicht a\» einberufenen Bekmten, der bald durch einen neuen ersetzt wird,
Hondem geniBserman^n alt^ KronKgut, da.s man ebenso ökonomisch aus-
smgeben hatte wie Geld. Das in der erst unlängst befreiten bäuerlichen
Bevölkerung nrK:h schwach entwickelte Nationalgefnhl und Bewusstsein
der persönlichen Würde wurde durch die strengsten Massregeln der
liisziplin, durch das beständige Zusanunenhalten der Heere in ge-
schlossenen Massen, durch kleinliche Formen für jede Thätigkeit erstickt.
Tnpp«- Da« Magazin-System .sicherte zuverlässige Verpflegung und zugleich
dsrek 41« auch die Beobachtung der Disziplin; das Znsammenfassen der blassen
"*•***"*' auf den Märschen und im Bivouak verhinderte das Desertieren, die
taktische Offensive in ausgezogenen Linien ermöglichte den Komman-
deurs zu sehen, wie «ich jeder Truppenteil, jeder Mann hielt. Alles dieses
stand in logischer Verbindung mit der FormaUstik.
s«ifpi«i« Heflner erzählt, dass im Jahre 1806 die preussischen Truppen der
i\n\p^^ Hauptarmee in der Nacht vom 11. auf den 12. Oktober neben grossen
vonrtite «Im» Nlexlcrlagen gefällten Holzes ihr Lager hatten und — froren, dass sie am
ABw«iiBB( folgenden Tage noch kein Holz zum Kochen der Speisen angewiesen er-
itoBotooBf halten hatten und das» man sich erst dann entschloss, für das Heer von
(MOffln«D. jjgg^j^ Vorräten Gebrauch zu machen, als die Soldaten zur Selbsthilfe
ihre Zuflucht nahmen und die nächsten Bäume abzuhacken begannen.
Weiter teilt er mit, dass in diesen schweren Tagen absolut kein Hafer für
die Pferde vorhanden war, während sich in dem Rathaus zu Jena reiche
HafeiTorräte befanden. Aber trotzdem dass die Franzosen schon heran-
nahten, hielten es die Führer der Armee für ihre Pflicht, zuerst nach Weimar
an eine der herzoglichen Hauptverwaltungen zu schreiben und um die Er-
laubnis zum Ankauf des Nötigen zu bitten. Welche Antwort hierauf er-
folgt ist, wissen wir nicht, bekannt aber ist, dass der Hafer unterdessen
in die Hände des P'eindes gefallen war und die französischen Pferde die
praktische Entscheidung dieser verwickelten Frage auf sich nahmen.
ao«the Und doch war der Intendant des Herzogs von Weimar kein einfacher
Mensch und sicher kein Pedant; es war dies nämlich kein anderer wie
der (ireheimrat und Staatsminister von Goethe, der „hohe, schöne Mann",
wie ihn einer der Augenzeugen beschreibt, „welcher in der gestickten Hof-
uniform, gepudert, mit Beutel und dem schönen Degen das Aussehen eines
rechten Ministers hatte und vortrefflich die Würde seines Banges aufrecht
hielt".3) Noch wunderlichere Dinge erzählt lOausewitz über diese Zeit.
*) llintorlaasone Schrifton von F. v. Marwitz. Berlin 1852. IL S. 11.
Das Zitat ist aua v. d. Goltz: „Das Volk in Waffen".
«4
Die Taktik Napoleons und deren Einfluss bis zum Krimkriege. 49&
Als die preussischen Truppen nach der Schlacht bei Austerlitz schon Requisition
, preusslscher
2 Tage ohne Speise geblieben waren und am diitten Tage, gänzlich vor Trappen
Hunger erschöpft, sich einem reichen Dorfe näherten, da liess Prinz gg^l^h/Jei
August von Preussen für seine fast bis zum Tode erschöpften Grenadiere ^"*«'^**-
Lebensmittel apf dem Requisitionswege sammeln, wie dieses jetzt im
Kriege überall geübt wird. Die Bauern erhoben ein entsetzliches Geschrei,
und bald begann ein alter Stabsoffizier der Garde, der über diese Requi-
sition in heftigen Unwillen geriet, dem Prinzen zu demonstrieren, dass
ein derartiges Raubsj^stem nicht zu den Gepflogenheiten der preussischen
Armee gehöre und ihrem Geiste zuwider sei.
Dafür hatte General Kaikreuth, der zeitweilige Kommandeur der ^''^^«'•^J
' ^ des Generalf
Armee, Tags zuvor folgenden Befehl erlassen: „Den Truppen Brod zu Kaikrenth.
geben und bei Mangel von Brod — Geld, um solches zu kaufen." Dabei
war an Proviantwagen gar nicht zu denken, und Geld war auch nicht da,
so dass Prinz August mit Recht bemerkte, dass dieser Befehl gleich-
bedeutend mit dem Befehle wäre: „Gebt den Leuten Geld, welches wir
nicht haben, damit sie sich dort Brod kaufen können, wo solches zu
kaufen unmöglich ist"
Napoleon liess sich weder durch die Traditionen, noch durch
die Formalistik, noch durch die Rechtsbegriffe behindeni. Im Kriege
erkannte er nur ein Gesetz an — die Notwendigkeit. Er schreckte selbst
davor nicht zurück, die eine oder die andere Abteilung durch neu-
trales Gebiet zu führen, wenn dieses zur Umgehung des Feindes er-
forderlich war.
Es wurde schon bemerkt, dass die Gegner Napoleons es endlich er- ^^^^il^riire
lernten, den Angriff seiner Massenkolonnen durch Konzentration des aerMwsen-
Artilleriefeuers zu neutralisieren, welches unter jenen furchtbare Ver- Kapou"***
leons
heerungen anrichtete. Als Beispiel führen wir die Disposition des a J oeg^ew
Angriffs bei Wagram'an. durch Kon-
seotretion
des Artillerie-
feuere.
0*t»'fUif»% d'ftt^nter^ic de^lo/r^s
l ■ firffimfnfs de ca^^erte en colonne cc/ree p*'es^eac^ons
^^trjfi'/frr^sjf^
S^TjiMons tfrpfoyes
Formation der angreifenden Kolonne bei Wagram.
■B
496 VII. Taktik der Infanterie.
Napoleon attakierte die Oesterreicher mit 32 Bataillonen und
24 Schwadronen in folgender Ordnung: auf dem rechten Flügel der
entfalteten Bataillone stand eines hinter dem andern in Distanzen von
6 Schritt, auf dem linken die Brigade in geschlossener Kolonne divisions-
weise, im Zentrum 8 entfaltete Bataillone, dahinter die 24 Schwadronen
in geschlossenen Kolonnen regimenterweise, unterstützt durch 6 auf-
gelöste Bataillone.
Die geschlossene Kolonne von 8000 Mann unter Führung des Mar-
schalls Macdonald wurde durch das feindliche Artillerie- und Gewehr-
feuer vernichtet; 6600 Mann blieben auf dem Platze, die übrigen wurden
durch das Eintreflen der Divison Davoust gerettet, welche auch das Geschick
der Schlacht entschied.»)
IrrMlirj^ Wenn wir den Gang der weitern Schlachten der Periode des Kaiser-
angriff« relchs betrachten, so können wir nicht umhin zu bemerken, dass die
N^ieoM. Franzosen ihre Siege um den Preis immer grösserer und grösserer Opfer
erkaufen mussten. Das erklärt sich einfach; indem sie beständig mit
verschiedenen Gegnern Krieg führten, lehrten sie diese allmählich die
Manöver kennen, durch welche die Schlachten gewonnen wurden. Aber
in dem Maasse, wie die Feinde selbst in dieser für sie schweren Schule
Fortschritte machten, musste Napoleon zu immer stärkeren Mitteln, zu
immer grösseren Opfern greifen. In Folge dessen trieb er immer häufiger
trotz des feindlichen Feuers seine dichten Infanterie -Kolonnen zum
Bajonnetangriff oder sandte Kavalleriemassen vor und verstärkte die Ar-
tillerie zu Massenwirkungen. Das Letztere wurde schon deshalb not-
wendig, weil die Konskriptionen endlich die Blüte der Bevölkerung er-
schöpft hatten und der Bestand der Armee im Kampfe weniger zuverlässig
wurde.*)
Infanterie- Charakteristisch in dieser Hinsicht waren auch seine Maassregeln in
Attoke bei ^
waterioo. sciuer letzteu Schlacht, nämlich bei Waterloo. Nachdem Jeröme die
Attake auf Hain und Schloss Germont gegen die rechte Flanke
Wellingtons geführt hatte, wurde die Attake auf die linke Flanke der
Engländer zuerst durch das Feuer von 70 Geschützen vorbereitet, find
dann wurden absatzweise, von links nach rechts, die Brigaden und 3 Divi-
sionen des Korps Erlon vorgeschoben, bataillonsweise in 9 und 8 Gliedern
aufgelöst, eine hinter der andern. Die Engländer eröffneten auf diese
dichten Kolonnen ein furchtbares Feuer, welches ihr Vorgehen zum Stehen
brachte; die englische Kavallerie warf sich auf sie und würde sie er-
drückt haben, wenn nicht die französische Kavallerie die englische von
•) Om^ga: „L'art de combattre**.
*) „La tactiqne d'autrefois". — „Revue de TArm^e beige".
IBH
Die Taktik Napoleons und deren Einfluss bis zum Srimkriege. 497
beiden Seiten umfasst hätte, wobei die englischen Regimenter die Hälfte
ihrer Eeiter auf dem Platze Hessen.
Nach dem Missgeschick der Massen-Infanterie-Attake, die gewaltige EiMeteen der
Opfer kostete, befahl Napoleon Ney 40 Schwadronen Kürassiere gegen das naeh
Zentrum der feindlichen Positionen zu werfen ; die Kürassiere hieben sich ^*"^'°8^*°-
teilweise in die Reihen der englischen Infanterie ein, aber das Gewehr-
feuer auf nahen Distanzen zerrüttete diese Kavalleriemasse. Darauf
führte noch Kellennann mehrmals 77 Schwadronen zur Attake und aber-
mals mit demselben Resultat, da Napoleon keine freie Infanterie mehr
hatte, um diese Attaken durch Grewehrfeuer gegen das feindliche Feuer
zu unterstützen. Daiauf befahl Napoleon Ney, den Feind mit allen übrig
gebliebenen Infanteriekräften, einschliesslich der alten Garde, zu attakieren,
um, koste es, was es wolle, Wellington zu werfen, da sich in der Ferne
schon Abteilungen Blüchers zeigten, welche Napoleon jedoch nicht für die
Avantgarde einer ganzen noch unlängst geschlagenen Armee hielt. Aber
die Hauptkräfte Blüchers rückten heran. Der Deutlichkeit wegen wollen
wir zeigen, in welcher Form das Korps Erlon angriff, bevor Ney die
Macht der Engländer zu brechen vermochte.
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Formation des Korps Erlon bei Waterloo.
Das Beispiel Napoleons hatte auch in anderen europäischen Heeren Müitiriwhe
Nachahmung sowohl in Bezug auf die Taktik als auch in Bezug auf die in anderen
militärische Organisation hervorgerufen. ®*****°*
Die beste militärische Reform hatte Preussen durchgeführt, indem
es 1814 die allgemeine Wehrpflicht einfühi-te mit der Teilung des Heeres
Blocli, Der inkAnftiKe Krieg. 32
498 Vn. Taktik der Infanterie.
in ein stehendes Heer und die Landwehr 1. und 2. Aufgebots. In Oester-
reich, wo früher die Dienstzeit des Soldaten widerruflich war, wurde sie
auf 14 Jahre festgesetzt und die obligatorische Wehrpflicht, jedoch nicht
für alle Stände, eingeführt; die Werbung wurde abgeschafft und eine Land-
wehr gegründet.
In Russland waren die priveligierten Stände von der Rekrutierung
frei und die Dienstzeit war eine 10jährige. Unter Nikolai I. fing man an,
die Soldaten auf mderruflichen Urlaub zu entlassen und die faktische
Dienstzeit war eine 16jährige. Die russischen Regimenter hatten zur
Zeit der Napoleonischen Kriege 3 Bataillone, jedes zu 4 Kompagnien, und
waren etwa 1000 Mann stark. In der Folge wui'de ein viertes Reserve-
Bataillon eingeführt.
ver- Wir wollen jetzt einige Daten über den weiteren Gang der Ver-
di^" besserungen in der russischen Feuerwaffe geben. Nach der allgemeinen
F^Mrwiffe. Annahme des Infanteriegewehrs des französischen Musters 1777 bis 1800
machten die Schüttung des Pulvers aus dem Hörn und das Herausnehmen
der Kugel aus dem Sack dem Gebrauch von Papierpatronen Platz. Bei der
Ladung wurde das hintere Ende der Patrone abgebissen. Dank der ver-
stärkten Uebungen wurde die Anzahl der Schüsse in der Minute auf 5
und selbst auf 6 gebracht. Es wurden auch Kartätschpatronen gebraucht,
in welche statt einer grossen Kugel 3 bis 4 kleinere von verschiedenem
Gewicht gelegt wurden. In die Patrone wurde zuerst eine geringe
Quantität Pulver zur Reserve geschüttet, welches nach dem Abbeissen
des Bodens der Patrone auf die Zündpfanne fiel. Das führte zu dem Uebel-
stand, dass, je nachdem, wieviel Pulver sich aus der Patrone ausschüttete,
die Kraft der Ladung sich veränderte. Die Patrone mit der Kugel
passierte frei im Laufe, da das Geschoss von bedeutend kleinerem Kaliber
war als der letztere, was die unvermeidliche Anhäufung von Kohle an
einigen Stellen des Laufes zur Folge hatte.
Erfiiidimgder Die Eutdcckung des Knall -Quecksilbers durch den französischen
"* Chemiker Bertholet im Jahre 1788 führte nach 30 Jahren zur Erfindung
des Pistons. Dieses wurde von dem Engländer Josef Apom im Jahre
1818 vorgeschlagen und sogleich in der englischen und der französischen
Armee und bald auch in allen anderen eingeführt.
N<mM fhui- Frankreich stellte 1822 ein neues Gewehrmodell auf, welches von
intotorie- demjenigen von 1777/1800 nur wenig abwich; die hauptsächlichste Aen-
oewehr 182S. ^j^pußg bcstaud iu Adaptiemug des Perkussionsschlosses für Zündhütchen.
(Französisches Infanteriegewehr, Mod. 1822.)
DrejwBchei Weitere Vervollkommnungen waren die Einführung gewundener
Züodoftdel-
gewehr in Gcwehrläufe und die Hinterladung der Gewehre. Das Zündnadelgewehr,
Preoasen.
Die Taktik Napoleons uud deren fiinfluss bis zum Krimkriege. 499
das von hinten geladen wird, wurde 1836 von Dre3^se vorgeschlagen und
1841 in der preussischen Armee eingeführt.
Die russischen Infanterie -Gewehre dieser Zeit zerfielen in Linien- ^»\
rasaMOnen
und Schützen-Gewehre. Die gezogenen Gewehre wurden zuerst (seit 1854) H»ndfeuer-
bei den Schützenabteilungen eingeführt. Das glattläufige Linien-Gewehr dTierzeit
des Musters 1845 war französischen Typus und hatte das 18,3-Millimeter-
Kaliber. Zuerst versuchte man die glattläufigen Gewehre mit Geschoss-
zügen zu versehen, kam aber hiervon bald ab, und erst zu Ende des Jahres
1854, als der Krimkrieg schon in vollem Gange war, wurde das Muster
des neuen gezogenen Gewehrs bestätigt.
Und so traten die russischen Truppen in den Krimkrieg mit dem
glattläufigen Gewehr, dessen Kugeln, wie Graf Kisselew in seinen
Memoiren sagt, auf der halben Entfernung von der feindlichen Linie
nur den Staub aufwirbelten, während die gezogenen Gewehre der Ver-
bündeten noch bis in die Reserven hineinschlugen. Ausserdem war auch
die Taktik in der russischen Armee die frühere, noch auf die Wirkung
der glattläufigen Gewehre berechnete geblieben, während man es jetzt
mit einem Gegner zu thun hatte, der über eine weit bessere Waffe, d. h.
das gezogene Gewehr, verfügte. Der türkische Krieg Russlands in den
Jahren 1828 bis 1829, der polnische Krieg von 1830 bis 1831, der Aufstand
Schleswig -Holsteins gegen Dänemark in den Jahren 1848 bis 1850, die
italienischen Feldzüge Radetzki's und der russisch-ungarische Feldzug
waren ohne irgend einen merkbaren Einfiuss auf die Taktik ge-
blieben.
Im Krimkriege verfügten die Franzosen bereits über neue taktische ^^^J," ^^
Methoden, die durch das gezogene Gewehr bedingt waren. Obgleich dieM«*^»<>dender
Franzosen bei der Attake noch nicht Kompagnie-Kolonnen aufstellten, so Krimkriege™
wandten sie doch beständig die aufgelöste Formation an, deren Vorzug '"y^^enel'*'
vor den tiefen Kolonnen der russischen Truppen sofort zu Tage trat. ^^^^^J»^«-
Die Engländer folgten freilich der alten Taktik und erlitten nur des-
halb nicht Niederlagen, weil auch der Gegner mit veralteten Methoden
operierte, s)
Die Taktik der französischen Truppen war folgende: die Infanterie
formierte sich in 2 Bataillonslinien, jede zu 3 Gliedern, die von einander
40 Meter abstanden; die Intervalle zwischen den Bataillonen betrugen
24 Schritt, Intervalle zwischen den Kompagnien bestanden nicht. Die
grosse taktische Formation wurde durch die Division aus 12 Bataillonen
hergestellt, 6 in der ersten, 6 in der zweiten Linie, wobei die Reserven
häufig aus einer anderen strategischen Einheit gebildet wurden.
*) Boguslawski: „Die Fechtweise aller Zeiten".
32'
500 '^^H- Taktik der Infanterie.
In den Intervallen der Bataillone nahm die Artillerie Stellung;
4
die Kavallerie placierte sich selbständig auf einer der Flanken der
Divisionsformation.
n lo
Formation der französischen Division in 2 aufgelösten Linien.
Für den Angriff auf dem Marsche formierte sich die Division in
Bataillonslinien in Massen oder Kolonnen in 2 Linien mit Intervallen von
24 Schritt, eine von der anderen mit halben Abständen.
6 S 4 S S 1
11 11 10 9
Formation der französischen Division in 2 Bataillonslinien in Massen«
Eine von den 2 Bataillonslinien in Halbteiltmg.
So beschaffen war die in der französischen Infanterie angenommene
Kampfordnung. Im Krimkriege jedoch begannen die Franzosen die For-
mation in 2 Gliedern anzuwenden.
K»inpf- In dem Werke „Prfecis historique de Tinfanterie fran^aise"^) wird
*^' ™ die zu jener Zeit gebräuchliche Kampfordnung in der russischen Armee
™ArmM° folgendermaassen beschrieben: die Grundformation in der Infanterie war
zur Zeit des (He dreigliedrige. Auf das Bataillon kamen nur 96 Tirailleurs (Scharf-
schützen), die übrigen waren im Schiessen in zerstreuter Formation nicht
ausgebildet. Die Kampfordnung für die grossen Truppeneinheiten war
durch das Reglement vorgeschrieben, gewissermassen ein Misstrauens-
beweis für die persönlichen Fälligkeiten der Führer.
Diese Kampfordnung, der die Kraft des russischen Gewehrs zu
Grunde gelegt war, hätte offenbar, um grosse Menschenverluste zu ver-
meiden, angesichts des Vorzuges der feindlichen Waffe abgeändert werden
«) Paris 1891.
Die Taktik Napoleons und deren Einfluss bis zum Krimkriege. 501
müssen, aber das war mit dem Eeglement unvereinbar, und so blieb sie,
wie der französische Autor hervorhebt, bis zu Ende des Krieges bestehen.
Die Folge hiervon war, dass das von der Infanterie bewiesene Stand-
halten zu ausserordentlichen Verlusten führte. Eine Episode aus der
Schlacht an der Alma spricht deutlich genug.
Nachdem die Division Canrobert sich auf dem hohen Terrain ent- ^«1^*« *«'
rasfliBcnen
wickelt und die Division Napoleon die Alma durchschritten hatte, gingen Infanterie in
auch die Engländer zum Angriff vor. Im russischen Zentrum zurück- »raer Ai^a!
geschlagen, hatten sie zwar einen Bajonnetangrift der Russen abgewiesen
und sich hierbei eines Batterie -Epaulements bemächtigt. Ein neuer
Bajonnetangriff der russischen Infanterie aber warf sie nicht blos aus der
Schanze wieder hinaus, sondern trieb sie auch, in schon beginnender Un-
ordnung, der Alma -Brücke zu. Inzwischen formierten die Franzosen
schnell eine Batterie von 24 Geschützen und fassten die russische
Infanterie in der Flanke, wodurch besonders das tapfere Regiment
Wladimir litt, das fast alle seine höheren Offiziere verlor und endlich ins
Wanken kam. Von den Engländern, die sich wieder gesammelt hatten,
verfolgt, setzten sich die Trümmer des tapferen Regiments in der eben
von ihnen zurückgewonnenen Schanze fest und behaupteten sich da-
selbst im konzentrischen Feuer der Franzosen und Engländer, als der
allgemeine Rückzug befohlen wurde.
Das Regiment hatte ausser seinem Kommandeur 3 BataiUons-
kommandeure, 14 Rottenkommandeure, 30 Subalternoffiziere und 1900 Ge-
meine verloren. Im Ganzen betrug der Verlust der Russen an diesem
Tage: 23 Stabs-, 170 Ober-Offiziere und mehr als 6600 Gemeine. Die
Verbündeten verloren nach ihren eigenen Angaben 3300 Mann, wovon der
grösste Teil auf die Engländer kam.
Die speziellen Ursachen des unglücklichen Ausganges dieser Schlacht ünachen iw
waren: die numerische Ueberlegenheit der Verbündeten und die unter- En«ent
bliebene Verstärkung der russischen Stellung durch fortifikatorische Nach- ^i^^n^°
hilfe. Ausserdem sprachen aber hier auch die allgemeinen Gründe mit,
die bei anderen Schlachten während dieses Krieges ebenfalls hervortraten :
die Ungleichheit in der Bewaffnung und in der Ausbildung der Truppen.
Während in den westeuropäischen Heeren schon damals die Haupt-
aufmerksamkeit auf die Ausbildung im Schiessen gelenkt war, überwog
in der russischen Armee noch immer die mechanische Genauigkeit in den
Frontexerzitien, die Thätigkeit in dichten Massen und der Glaube an die
Suworow'sche Tradition von der Unüberwindlichkeit des Bajonnets, mit
einem Wort, es herrschten hier Verhältnisse, welche den neuen angesichts
des verbesserten Gewehrs zu machenden Forderungen nicht mehr ent-
sprachen.
502 ^^I- Taktik der Infanterie.
Wie sehr die in der rassischen Armee angewandten taktischen
Methoden ihren Zweck verfehlten, zeigt deutlich folgende Zeichnung,
die wir dem Werke von Om^ga „L'art de combattre" entnehmen.
Diese Zeichnung veranschaulicht die Angrifisordnung der russischen
Truppen in einer anderen Schlacht, der Schlacht hei „Tschernaja
Rjetschka".
Angriffsordnung (ier msaischen Tmppen in der Schinclit bei Tschemajn Kietachkn.
^'"'tl'" ''■t' Angesichts der russischen und italienischen Batterieen, die anf dem
RjetaebkiL hohen Uttkcn Ufer postiert waren, rttckt die russische Infanterie in dichten
Kolonnen gegen den Flnss vor, um den Feind in der rechten Flanke zu
fassen und ihn nach links dem Meere zu hinzudrängen. Aber das Artillerie-
feuei' von den feindlichen Positionen (besondeis von den italienischen)
nnd selbst das Infanteriefeuer bei seiner verhältuismässigen Treffweite
der gezogenen Gewelire rief unter den russischen Kolonnen solche Ver-
heerung hervor, dass, wie der französische Autor nach den Worten von
Augenzeugen versichert, die Franzosen selbst nicht gleichmüthig anf
dieses Bild blicken konnten. Er fUgt hinzu, dass gegenwärtig die
russischen Militärs erstaunt darüber sind, wie man auf den Gedanken
Die Taktik Napoleons und deren Einflnss bis zum Krimkriege. 503
kommen konnte, in einer solchen Schlachtordnung, vor sich einen Fluss,
auf erhöht liegende Positionen einen Angriff zu wagen.
Früher ward schon erwähnt, dass die praktische Erfahrung die ^^-^^J^"»«?
russische Regierung noch vor Beendigung des Krimkrieges veranlasste, sich gewgenen
, 06weim in
mit der Einführung des gezogenen Gewehrs in möghchst kurzer Fnst zu sasaund.
beschäftigen.
In denselben Fehler, wie die russischen Truppen in den Jahren 1853 ^^^^^
bis 1866, verfielen auch die Oesterreicher im Kriege von 1859 mit Frankreich Taktik nacii
EinfOhrang^
und Sardinien, nur in umgekehrtem Sinne. Die Oesterreicher hatten d«r
gleichfalls nicht ihre Taktik mit der neuen Waffe und den damals in %°^nd-*°
den andern Armeen bereits eingeführten Methoden in Uebereinstimmung Fo^^^waffen.
gebracht. Die Oesterreicher besassen gezogene Gewehre, vertrauten aber
zu viel auf deren Wirkung und hielten sich deshalb systematisch in der
Defensive; ausserdem hatten sie auf die Verwendung von Tirailleurs nicht
genügend Wert gelegt. Die Franzosen hatten sich aus ihren Kriegen
in Algier die Praxis eines beständigen offensiven Vorgehens angeeignet:
sie entwickelten hierbei die Schützenmassen soweit, dass die ganze erste
Kampf linie sich in Schützenketten auseinanderzog, welche, auf dem Boden
liegend, den Feind mit Kugeln überschütteten, während die Bataillone
der zweiten Linie sich zu Sturmkolonnen zusammenschlössen. Endlich
verstanden es die Oesterreicher nicht, ihre Taktik derart abzuändern,
um irgendwie den Vorzug der französischen gezogenen Geschütze zu
paralysieren. Die Artilleriegeschosse der Franzosen flogen Dank der
Treffweite der Geschütze über die Köpfe der ersten feindlichen Linien
hinweg, schlugen in die B^serven ein und brachten dort gewaltige Ver-
luste hervor.
Wirkung der gezogenen G-eschütze bei Magenta.
Ihrerseits hatten sich die Franzosen aus den Erfahrungen der weitere ver-
Oesterreicher überzeugt, dass das damalige, obgleich auch schon gezogene nung des
Gewehr, die Infanterie allen gezogenen Geschützen gegenüber in eine zu ^°^°«"ili
ungünstige Lage versetzt und sogleich nach dem Kriege von 18B9, welcher Frankreich,
vor Eroberung des Gebiets von Venedig in Folge der Mobilmachung des
preussischen Heeres eingestellt wurde, beauftragte Napoleon IH. ein
besonderes Comite damit, die Frage der Vervollkommnung des Gewehrs
zu prüfen.
504 Vn. Taktik der Infanterie.
KinfiüiraBg des Sucheii iiach einem neuen Gewehrtypus dauerte in Frankreich
dos
ciuuwepot. bis 1866, wo das Gewehr des Musters Chassepot eingeführt und im Jahre
ew« «. jggg ^^^ ^^^ System Schmit etwas verändert wurde. Zu Beginn des
Krieges 1870/71 besass Frankreich 1 037 000 Chassepot-Gewehre.
Krieg der Der Krieg zwischen den Süd- und Nord-Staaten der Nordameri-
Nord^tai^D kanischen Republik in den Jahren 1861 — 1865 ist sehr lehrreich, da zu
in Amerika, ^f ^ng ^j^g Kricgcs keiue der beiden Seiten über reguläre Truppen ver-
fügte. In der ersten Schlacht bei Buls-Run wandten sich die kurzer Hand
gesammelten Freiwilligen der Nordstaaten vor den Truppen des Südens,
welche über einige Führer mit militärischer Bildung verfügten, rasch zur
Flucht. Aber der Krieg selbst schafft Soldaten und Heerführer. In
diesem Kriege kamen einige neue technische Hilfsmittel zur Verwendung.
Die geringe Ausbildung beider Heere, ihre geringe Beweglichkeit ver-
anlassten die häufige Verwendung von Feldschanzen. Die Schlachten
waren langwierig, blutig und wenig entscheidend. Den bemerkens-
wertesten Zug in diesem Kriege bieten die Kavallerie -Raids auf weite
Entfernungen hin, bei welchen die Kavallerie, indem sie selbständig
operierte, durch die Feuerwaffe wirken musste, was in der Folge auch
in den europäischen Heeren Anlass zur Aenderung der Bestimmung der
Kavallerie gab.^)
Krieg der Der Krieg der Preussen und Oesterreicher gegen Dänemark bot vor
'oester- allem eine solche Ungleichheit der Kräfte, dass auch ohne den Vorzug
"dil" nSeT ^^^ Bewaffnung und der taktischen Methoden die Verbündeten das kleine
1864. dänische Heer natürlich hätten erdrücken müssen. Es ist jedoch zu be-
merken, dass das üebergewicht der preussischen Zündnadelgewehre über
die dänischen von der Mündung aus zu ladenden Gewehre, in diesem
Erfolge dee Kriege klar zu Tage trat. Ein Beispiel hierfür nehmen wir aus der
ZQndnadel- o --ü f
gewehn. Schlacht bci Lundby. Eine zur Attake vorgehende Kolonne von 200 Dänen
geriet unter das Feuer von nur 70 preussischen Zündnadelgewehren, die
in 10 Minuten 760 Kugeln abschössen, und verlor in dieser Zeit die
ganze Hälfte ihres Bestandes. In der Angriffsweise in dichten Kolonnen
folgten die Dänen nur dem Beispiel der Oesterreicher. Der Vorzug des
Zündnadelgewehrs zeigte sich besonders bei dem Sturm auf die Düppeler
Schanzen, wo die angreifenden Verbündeten nur 1180 Mann verloren, die
sich in den Verschanzungen haltenden Dänen — 5000 Mann.
Die Oesterreicher gingen gegen die Dänen erfolgreich in tiefen
Kolonnen vor, aber dies nur deshalb, weil die dänische Infanterie un-
genügend ausgebildet und, wie schon erwähnt, noch mit von der Mündung
aus zu ladenden Gewehren bewaffnet war. Der Erfolg in diesem Falle
^) Boguslawski: „Die Fechtweise aller Zeiten".
Die Taktik Napoleons und deren Einfloss bis zum Krimkriege. 505
bestärkte die österreichischen Generale in ihrer üeberzeugung von dem
Vorzug der Attake in Massen, die ihnen das Beispiel der Franzosen im
Jahre 1859 gegeben hatte. Aber diese Ansicht hat sich als völlig falsch
herausgestellt, als es sich um den Angriff eines mit dem Zündnadelgewehr
ausgerüsteten Gegners handelte. Im Kriege 1866 mit Preussen warfen Krieg isce
swischon
sich die Oesterreicher auf den Gegner beständig in Massen-Attaken, aber Preassen und
die Zündnadelgewehre brachten ihren dichten Kolonnen die grössten Ver- ^~**'"**'^-
luste. Der preussische Generalstab hatte es verstanden, aus den Bei-
spielen der Jahre 1867 und 1869 rechtzeitig den Schluss zu ziehen, dass
die Attake unumgänglich mit Hufe einer starken Kette von Scharfschützen
auszuführen sei, die durch Kompagnie-Kolonnen unterstützt werden. Zu-
gleich hatte das preussische Kriegsministerium erkannt, dass der Haupt-
wert des Infanteriefeuers in ununterbrochenen Salven besteht, deren
Möglichkeit von der Ladeschnelligkeit der Gewehre abhängt. Diese Auf-
gabe war dui'ch die Einführung des Zündnadelgewehres, das von hinten
geladen wird, in der preussischen Armee gelöst worden.
Noch vor dem Kriege von 1866 mit Oesterreich formierte sich die MaMeiwtos«
, u. B^jounet-
preussische Infanterie zu Attaken bereits m Kompagnie- und Halb- angriff
bataiUons-Kolonnen, die Oesterreicher aber fuhren fort, vor allem an die leTzand'-
Kraft des Massenstosses und an den Bajonnetangriff zu glauben. Obgleich JJ^j^®'"!^/
die österreichischen Offiziere Zeugen des Vorgehens der Preussen in dem
dänischen Kriege waren, so blickten sie doch in ihrem Vorurteil mit
Verachtung auf die „gelehrten" taktischen Methoden ihrer Verbündeten.
Diese letzteren sahen gleichfalls die österreichische taktische Eoutine in
der Praxis, und nachdem sie bald aus Verbündeten Oesterreichs zu dessen
Feind geworden waren, verstanden sie es, ihre Erfahrung in jeder Hin-
sicht auszunutzen. Und wirklich wurden in den Schlachten von 1866
die geschlossenen attakierenden Kolonnen der österreichischen Infanterie
von einem ununterbrochenen Feuer der Zündnadelgewehre überschüttet
und trotz der ganzen Wucht ihres Andrangs hielten sie doch, selbst wenn
sie die Positionen des Gegners erreicht hatten, endlich nicht aus, ge-
rieten in Unordnung und zogen sich unter einem unerschöpflichen Hagel
der preussischen Kugeln zurück.
Eine andere Sonderheit der preussischen Taktik war ihr Streben, Fianken-
/» T> • • angriffe —
auf die Flanken des Gegners zu wirken und ihn zu umfassen. Bei einer Sonderheit
starken Wirkung des Frontfeuers fand diese Taktik auch schon im^XnTa'kük.
Jahre 1866 ihre Rechtfertigung. In der Schlacht bei Königgrätz ent-
wickelte sich die Umfassung des Gegners charakteristisch auf das erste
Kommando aus dem konzentrischen Aufmarsch der preussischen Armee
gegen die Oesterreicher. Die österreichische Armee, 216000 Mann
stark, war am 1. Juli vom Feldzeugmeister Benedek bei Königgrätz zu-
506
YH Taktik der Infanterie.
sehiMht bei jgammengezogen. Die preussische Armee, 220000 Mann stark, stand an
diesem Tage mit ihren Hauptmassen auf der Linie Smidar-Gradlitz. Am
folgenden Tage überzeugten sich die Preussen davon, dass sehr
bedeutende Kräfte der Gestenreicher noch vor der Elbe standen.
Im preussischen Stabe wurde nunmehr folgende Disposition getroffen.
Die 1, Armee geht gegen die Front der österreichischen Truppen vor,
deren Stand man hinter dem Flusse Bystritz annahm, die 2. preussische
Armee attakiert ihre rechte Flanke und endlich geht die Elb- Armee
gegen ihre linke Flanke in der Richtung auf Nachanitz vor. Die öster-
reichische Armee entfaltete sich am Morgen des 3. Juli auf der Linie
Prim-Lipa-Gorenowes.
Die von beiden Seiten um IIV3 Uhr Morgens eingenommenen
Positionen sind auf der folgenden Zeichnung angegeben.
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^i
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5C
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itofiooä
Eampfistellang der Gegner bei Königgrätz.
Die Stellang der dsterreichleobeii Corps (C) und Dirieionen (D) ist becelchnet mit
die der prenasisclieii mit
Gegen 4 Uhr Nachmittags machte sich das volle Zurückweichen der
österreichischen Armee entschieden bemerkbar. Die Verluste der Oester-
reicher in dieser Schlacht betragen — 44000 Mann, daranter 13000, die
Die Taktik Napoleons und deren Einfluss bis zum Krimkiiege. 507
gefangen genommen wurden, so dass auf ihre 216 000 Mann — 2OV2 %
Verlust kamen; der Verlust der 220000 Mann starken Preussen (von
denen jedoch nur 160000 Mann wirklich an der Schlacht teilgenommen
hatten) betrug 9000 Mann, d. h. 4 %.»)
Hier wollen wir erwähnen, dass die Resultate der Kriege der Jahre Einffthrung
d68
1864 und 1866 sofort auch das russische Eriegsressort veranlassten, im zAndnadei-
Jahre 1867 das Ztindnadelgewehr einzufuhren. Die russische Armee hatte '^^"^^ *°
im Jahre 1860 gezogene Pistongewehre , welche bis 6,5 Schuss in der ™**/,'J;I'"
Minute gaben. Was das Prozentverhältnis der Treffer mit diesem Ge-
wehr anbetrifft, so ergab sich Folgendes:
Schiessergebnis:
auf Schritt 100 200 300 400 600 600 700 800 900 1000 1100 1200
Trefferprozente 100 99 97 94 94 84 84 75 65 64 44 ' 37
Aber nach den Erfahrungen des dänischen und des preussisch- ^**^"
österreichischen Krieges wurde in der russischen Armee das Carley-
Gewehr, das auf dem früheren Grieck- System beruht, angenommen. Dieses
war das Zündnadelgewehr des Musters 1867. Die von dem Obrist
Weltischtschew tiir dieses Gewehr konstruierte Patrone enthielt das
Mini6-Geschoss in sich. Die Schiessschnelligkeit dieses Gewehrs in der
Front war 8 bis 9 Schüsse in der Minute. Darauf wurde im Jahre 1869
zur Umarbeitung der früheren Gewehre nach dem neuen Crieck- System
geschritten; der grösste Teil der Truppen der westlichen und südlichen
Bezirke erhielt auch diese neuen Gewehre, die weitere Umarbeitung der
vorhandenen Gewehre wurde aber eingestellt und im Jahre 1871 be-
schlossen, das ganze Heer allmählich mit einem noch schneller feuernden
Gewehr von verhältnismässig kleinem Kaliber, dem Berdan- Gewehr, ^^^^'
auszurüsten. Eine gewisse Anzahl wurde bei dem Erfinder des Gewehres
bestellt und mit diesen ersten Berdangewehren zunächst die Truppen des
Gardekorps ausgerüstet. Um aber die ganze Armee mit ihnen zu ver-
sorgen, wurde ein Umbau der Tula'schen Waffenfabrik in Angriff ge-
nommen. Der Krieg von 1877 traf, wie bekannt, die russische Armee mit
Ausnahme des Gardekorps noch mit dem alten Gewehr.
Napoleon III. bereitete sich bekanntlich seit dem Jahre 1866 zum , y<>'-
"^ bereitangen
Kriege mit Preussen vor, aber nichtsdestoweniger hatte man es in der ^^^^"^^
französischen Armee nicht verstanden, sich die Lehren des Krieges "»» Kriege
' ° gegen
von 1866 zu Nutze zu machen. PreuBeen.
In der Instruktion über die Operationen auf dem Schlachtfelde n«««!»-
fltmktioB fQr
propagandierte Marschall Niels als Grundidee die Bajonnet-Attake mit Bi^oiuiefc-
starken Kolonnen, mit einer kleinen Anzahl von Tirailleurs von 2 Kom- ^^^^'
®) Boguslawski: „Die Fechtweiso aller Zeiten^*.
508 Vn. Taktik der Infanterie.
pagnien von jedem aas 6 Kompagnien bestehenden Bataillon. Diese
Direktiven wurden in Broschürenform in Metz gedruckt und im Jahre
1870 unter die Offiziere verteilt. Noch schlimmer aber war, dass die
französischen Offiziere, die nichts als ihre Routine besassen, sich nicht
darüber klar zu werden vermochten, was eigentlich in diesen Direktiven
als das Wichtigere hingestellt wurde: die Aussendung eines Drittels der
Mannschaften in die Schützenketten und der Beginn der Attake erst
nach einer genügenden Wirkung ihres Feuers oder die Unumgänglichkeit,
hauptsächlich in starken Kolonnen zur Attake zu gehen.
Mitraii- In der französischen Artillerie waren Mitrailleusen eingeführt, aber
die Art ihrer Thätigkeit wurde so geheim gehalten, dass die Artillerie-
Bedienung mit der Verwendung dieser Geschütze nicht genügend vertraut
war. Im Allgemeinen führte die Feld -Artillerie Geschütze des Systems
la Guittot, die weit trugen, aber von der Mündung aus geladen wurden
und in Bezug auf Treftsicherheit nicht befriedigten.
verbease- In der Armcc des Norddeutschen Bundes hatte man sich schon die
rangen in der
dentschen Ncuerungen angeeignet, welche für die Franzosen in dem Kriege 1870
Armee, mj^j^ai^et warcu. Die deutsche Infanterie wai* freilich bei dem Zünd-
nadelgewehr geblieben, welches dem Chassepot-Gewehr bedeutend nach-
stand und nur die bairische Infanterie war mit Selbstladem des Systems
Werder ausgerüstet, aber in der Artillerie waren nicht nur glattläufige
Kanonen und Haubitzen, sondern auch vervollkommnete Hinterlader-
Geschütze vorhanden; die Geschosse bestanden aus Granaten und
Kartätschen, Shrapnels wurden nicht mitgeführt, ö)
Noch grössere Bedeutung hatte die neue Taktik der deutschen
Artillerie, deren Thätigkeit in den Schlachten zum entscheidenden Faktor
wurde, während ein Kavallerienetz, dass der Hauptarmee voranging, die
strategischen Erfolge vorbereitete, lo)
wichügstes Als höchstes taktisches Prinzip galt im deutschen Heere die Regel
PrinJp Im „getrennt marschieren, vereint schlagen". Diese Regel war keine neue
^Hwre*" Erfindung, faktisch hatte sie schon Napoleon I. angewandt und Moltke
gab diesem Prinzip entsprechend den Verhältnissen der Neuzeit (Massen-
heere, Richtung und Endpunkte der Eisenbahnen) nur noch grössere Ent-
wickelung. Die hohe militärische Bildung der preussischen Generale, das
Vertrauen des Hauptführers zu ihrer selbständigen Initiative und die gute
Ausbildung der Truppen rechtfertigten die Anwendung der erwähnten
Regel sowohl 1866 wie 1870 vollkommen.
*) Boguslawski: „Die Fechtweise aller Zeiten".
^^) Waldor de Heusch: „Tactique d'autrefois".
Die Taktik Napoleons und deren Einfiuss bis zum Krimkriege.
509
Getrennt zu marschieren war unerlässlich , da es unmöglich war,
längere Zeit hindurch Massen von 500000 bis 600000 Mann eng bei ein-
ander zu halten sowohl mit Eücksicht auf deren Verpflegung und Unter-
kunft als auch wegen der Schwierigkeit und Langsamkeit der Vorwärts-
bewegung gegen den Feind, wenn die Heere allzu nahe, eines bei dem
andern, stehen. Eine gewisse Ausdehnung der Front erscheint uner-
lässlich sogar bei der Vorwärtsbewegung getrennt operierender Ab-
teilungen. Dies sei durch eine Zeichnung erläutert.
Getrennt
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— vereint
schlagen.
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Form der Konzentration 2sum Kampfe.
Nehmen wir an, die Abteilung marschiert in 4 Kolonnen A, B, C, D,
entdeckt den auf der Linie E postierten Gegner und wünscht sich auf
der Linie FG zu konzentrieren, um ihn anzugreifen.
Wenn wir alle sonstigen Bedingungen gleichsetzen, so ist für die
Abteilung, die in der genannten Ordnung marschiert, nicht mehr, sondern
wahrscheinlich weniger Zeit fiir eine solche Konzentration erforderlich,
als wenn sie in einer einzigen Kolonne MN gegen E vorrückte lyid es
unternähme sich auf FG zu konzentrieren, indem sie sich zu dieser Linie
aus der Tiefe heraus entfaltete. Ausserdem kann sich bei einer breiteren
Marschfront die Abteilung leichter vorwärts bewegen, bequemer Rast
halten und ihre Verpflegung erhalten.
510 VII. Taktik der Infanterie.
Kampf- In der grossen Kampftaktik des deutschen Heeres sind einige eigen-
dentgcheo artige Züge gerade in den Kriegsjahren 1870/71 besonders reliefartig
1870/71. hervorgetreten. Der Hauptzug war das Bestreben, das Heer des Gegners
von den Flanken zu umfassen. Ein Beispiel für diese Methode hatte
schon das Jahr 1866 bei Königgrätz gegeben. Eine solche Umklammerung
des Feindes entwickelte sich bisweilen schon aus der strategischen
Ordnung selbst, das heist aus den Richtungen, in denen die verschiedenen
Korps der deutschen Armee vorrückten.
Eine wirklich beabsichtigte Konzentration zum Kampfe, welche sich
schon häufig bei Napoleon fand, pflegte bei den Deutschen nui* in seltenen
Fällen stattzufinden. Gewöhnlich entwickelten sich die Schlachten derart,
dass die Spitzen der Marschkolonnen unter feindliches Feuer gerieten
und dann die einzelnen Teüe der Armee, einer nach dem andern, in
Aktion traten. Häufig ereigneten sich auch die sogenannten improvisierten
Schlachten, die durch ein unerwartetes Zusammenstossen der Truppen-
massen erfolgten, wie dies bei Vionville der Fall war, oder durch das
Vorgehen einer einzigen Division, ja auch eines Brigadegenerals, welcher
fand, dass er unter den gegebenen Umständen die Pflicht hätte, den
Kampf zu beginnen. Beispiele eines solchen Schlachtänfangs sind Spichem,
Wörth, Colombey.
Eigene Ent- Ausführliche Dispositionen zur Schlacht wurden fast niemals ge-
derHe*eT"nd geben, es wurde einfach in grossen Umrissen das Ziel der ganzen Be-
Korpefuhrer. ^^gjjjj^g^ die Orduuug uud Art ihrer Ausführung vorgeschrieben. Das
Uebrige wurde der selbstständigen Entscheidung und Initiative der Heer-
und Korps-Führer überlassen.
Wir haben bereits gesagt, dass schon Königgrätz als Beispiel für
die neueste deutsche Taktik der Umklammerung des Gegners diente.
Aber ein noch markanteres Beispiel, einen noch glänzenderen Erfolg stellt
Sedan dar, wo das Heer des Gegners endgültig in der Mausefalle sass
und sich das beispiellose Faktum der Gefangennahme von mehr als
100000 Mann auf dem Schlachtfelde ereignete.
Schlecht bei Am hervorragendsten in den Operationen nach einem genau be-
^^^^ ' stimmten Plane und hinsichtlich des Zusammenschlusses der einzelnen
Heeresteüe vor dem Kampfe erscheint die Schlacht bei Gravelotte. Hier
ist gerade die Kampftaktik schaif hervorgetreten, ii) In dieser Schlacht
dokumentierte sich endgültig die Kraft des ununterbrochenen Infanterie-
feuers im Kampfe und einem solchen Feuer gegenüber die Unverlässlich-
keit des Bajonnet-Angrifis, welcher gerade seit dieser Zeit nur noch eine
zweitklassige Bedeutung hat. Es stellte sich die Unmöglichkeit heraus,
") BoguslawRki: „"Dio Fechtweiso aller Zeiten'*.
Gesamtansicht von St Privat
Ansioht des Sohlaehtfeldes bei St Privat
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Die Taktik Napoleons und deren Einfluss bis zum Krimkriege.
511
die in Kolonnen oder in Reihen formierte Infanterie selbst auf einer
grossen Entfernung der Feuerwirkung auszusetzen. Um dies zu iDustrieren,
führen wir eine Episode aus der Schlacht von Gravelotte, nämlich bei
St. Privativ) an, welche den Ausgang dieses Kampfes entschied. Das
Dorf St. Privat diente als Stützpunkt der rechten Flanke der Franzosen.
An. dem Kampfe um dieses Dorf nahmen deutscherseits die erste
preussische Garde -Infanterie -Division und die Truppen des sächsischen
Korps teil. Der Verlust der deutschen Truppen betrug 13 Prozent der
Gesamtzahl der Kombattanten.
Prinz August von Württemberg hatte den von Teilen des 6. fran- o^^f^^^ ^^
zösischen Korps besetzten Ort vor sich. Die französischen Schanzen
waren bereits zwei Stunden hindurch von 200 Geschützen als Ein-
leitung des Sturmangrifies beschossen worden und das Dorf brannte.
Der Prinz, der den Moment zum Sturm gekommen hielt, schickte zwei
Abteilungen vor: die 4. Brigade der preussischen Garde, die unter General
von Kessel von St. Elias vorrückte, und die ganze erste Garde-Division,
welche General von Pape von Sainte-Marie aux Chfenes führte.
Die Attake der Garde
erfolgte um B Uhr Nach-
mittags. Die preussischen
Truppen entwickelten sich
auf einer Front von circa
1500 Metern in 3 Echelons.
Die Distanzen zwischen den
Linien betrugen etwa 100
Meter; demnach betrug die
ganze Tiefe der Formation
etwas mehr als 200 Meter.
Hieraus ergiebt sich, welch
furchtbare Verluste die
preussische Garde bei dem
Vorgehen von 1500 Metern
auf dem glacierten offenen
Abhang der Höhen von St.
Privat erleiden musste.
Wir geben neben-
stehend den Plan dieser
Schlacht um etwa 6V2 Uhr
Abends.
j JJMU MukAf,tOM9COM0.
Plan der Schlacht bei St. Privat,
") Arthur de Launier: „Latactiqiiededemain". „Revue Contemporaine". 1893.
512 VU. Taktik der Infanterie.
Die Trümmer der französischen Truppen, die sich noch auf der
nordwestlichen Grenzscbeide von St. Privat hielten und das Vordringen
der dichten Massen der preussischen Kolonnen wahrnahmen, eröffneten
schon bei der Annäherung des Feindes auf 1200 Meter ihr Feuer, einfach
aus dem GefiUil der Selbsterhaltung und entgegen dem Kommando der
Offiziere, welche selbst noch ungenügend die ganze Wirksamkeit der
neuen Waffe kannten.
Furchtbare Die Frauzoscu schosseu leidenschaftlich, eüig, fast ohne zu zielen,
Verluste der ? o? 7
Deuisciien. Und clu Wahrer Kugel -Platzregen schlug das leichte Glacis entlang, auf
dem sich die Sturmkolonnen erhoben, mit ihrem Hurrah die Luft durch-
dringend, die von dem Staub der zahllosen Ricochettes der französischen
Kugeln voll war. Aber als endlich nach einem verzweifelten Schiessen
von zehn Minuten die Franzosen aus Mangel an Patronen ihr Feuer zu
vermindern begannen, da war das feindliche „Hurrah" bereits verstimimt.
Die Franzosen sahen, wie in einer Entfernung von circa 600 Metern die
preussische Garde wie erstarrt stand, wie die Truppen weder zum Vor-
gehen, noch zum Rückzüge Kraft fanden ; dieselben hatten im Laufe dieser
zehn Minuten 6500 Unteroffiziere und Mannschaften und 240 Offiziere,
d. h. etwa den dritten Teil ihres Bestandes verloren.
Und dieses war vorzugsweise das Resultat des Gewehrfeuers, da
damals die französische Artillerie der deutschen nachstand, weil erstere
irriger Weise nicht in Massen, sondern in einzelnen Batterieen und sogar
Halb-Batterieen operierte. Aber die Chassepot-Gewehre, soweit sie bei
Eröffnung des Feuers auf 1600 Meter trafen, übten eine verheerende
Wirkung umsomehr, als der Angreifende die letzten 1500 Meter unter
dem vereinigten Feuer der Artillerie und Infanterie durchmessen
musste. Es ist begreiflich, dass unter solchen Verhältnissen die früheren
Methoden des Sturms nicht mehr tauglich waren, nämlich das Vorgehen
in der Kolonne, die vor sich eine Schützenkette hatte, die ihr den Weg
säuberte, sich sodann auflöste und die Kolonne zum Bajonnetangrift
vorliess.
Die Treffweite und die wenn auch im Vergleich zu den jetzigen
Gewehren beschränkte Feuerschnelligkeit eines Gewehrtyps wie des
Chassepots zwangen den Angreifer, zu anderen Methoden überzugehen,
um den Gürtel eines verstärkten feindlichen Feuers zu passieren.
MMsregein Der vcrstorbeue Kaiser Wilhelm I. erliess nach den ersten Schlachten
mider^p des Jahrcs 1870, die den Deutschen eine Menge Toter und Verwundeter
der Verluste. ^Qg^eteu, "deu Bcfehl vom 21. August 1870, in welchem er darauf hinweist,
dass eine Verminderung der Verluste sich erwarten lasse „von ver-
ständigen Anordnungen der Offiziere, ihrer geschickten Ausnutzung des
Die Taktik Napoleons und deren Einfluss bis zum Krimkriege. 513
Terrains, einer gründlicheren Vorbereitung der Attaken und der Anwendung
von den Umständen mehr entsprechenden Formationen."
Die Deutschen, die eine bessere ArtiDerie als die Franzosen, dagegen Eröffnnng
schlechtere Gewehre aufzuweisen hatten, fingen nunmehr den Kampf von *" dnrc"^ ^
möglichst grossen Entfernungen mit ihrer Artillerie an, und in allen ^^"«'^®-
Schlachtbeschreibungen begegnen wir dem mit den Worten eingeleiteten
Moment: „nach einer erfolgreichen Thätigkeit der ArtiDerie — "* Sie
bemühten sich, sich möglichst ausserhalb des Wirkungskreises des fran-
zösischen Gewehrs zu halten, das weiter trug als das Zündnadelgewehr.
Wenn sich die Entfernung durch das Vorgehen der einen oder andern
Seite verminderte, so dass die Chassepot-Gewehre bereits wirkten, so
bemühten sich die Deutschen, diese Entfernung möglichst rasch noch mehr
abzukürzen, indem sie entweder die Franzosen noch näher heran Hessen
oder selbst vorrückten, so dass auch die Zündnadelgewehre wirksam
wurden, wodurch der Vorzug der französischen Gewehre aufgehoben
wurde. Die Franzozen verfielen während des ganzen Krieges nicht
einmal auf dieses Manöver und Hessen sich so ihren Vorteil entgehen.
Es muss hinzugefügt werden, dass bei denjenigen deutschen Truppen-
teilen, welche diese Taktik anwandten, sich die Verluste sofort bedeutend
verminderten.
Besonders reliefartig tritt der Unterschied bei der Attake auf das Kampf bei
Dorf le Bourget bei Paris hervor, wo die mittlere Kolonne, die nach ^ ^^"»•*-
alter Manier vorging, sehr bedeutende Verluste erlitt, die linke Kolonne
aber, die nach der neuen Methode operierte, keinen grossen Verlust
hatte. 18)
Hoenigi*) findet, dass die Ursache der früheren um 90 % höheren
Verluste darin gelegen, dass man sich von den Formen des Exerzier-
platzes nicht genug losgemacht, femer in der schlechten Vorbereitung
und der ungenügenden Bekanntschaft mit der Armee des Gegners, in der
fehlerhaften taktischen Form der Operationen, in der Unfähigkeit einer
bedeutenden Zahl der höheren und niederen Führer.
Aus der Praxis des Krieges 1870/71 wurden, wie wir schon gesagt am der
haben, folgende Hauptlehren gewonnen: 1. der Hauptvorzug ist das Krieg«»*^
Uebergewicht der Feuerstärke; 2. die Uebertragung des Kampfes auf die ^ onlew
Schützenketten ist der Regulator des ganzen Schlachtenmechanismus ; die Hauptiehren.
Attake repräsentiert sich als ein vorwärts bewegendes Feuer; 3. es ist
notwendig, die Schützenkette beständig zu verstärken, zunächst, um das
Feuer-Uebergewicht zu erlangen, sodann zur Erhaltung dieses Vorzuges;
^•) Skugarewski: „Infanterie- Attake".
^ „Taktik der Zukunft", Seite 51 u. 111.
Bloch, Der zukünftige Krieg. 33
514 Vn. Taktik der Infanterie.
nur diese Bedingung sichert bei den jetzigen Kampfmitteln der Abteilung
die Möglichkeit, sich dem Feinde zu nähern; 4. die gelöste Foimation ist
hierbei unumgänglich, damit die Schützen natürliche Deckungen benutzen
und allzubedeutende Verluste vermeiden können.
EinAHniBtr "Was die Bewafinung anbetrifft, so hat der Krieg von 1870/71 gezeigt,
6i]lM 1I6116II ,
o«we]ire8 in dass das Chassepot-Gcwehr bei allen seinen Vorzügen vor dem deutschen
'*" ^ ' Zündnadelgewehr doch viele Mängel hatte. In Folge davon wurde
sofort nach Beendigung des Krieges im französischen Kriegsressort eine
Kommission ernannt, um einen vollkommeneren Gewehrtypus zu ermitteln.
Auf Grund der Arbeiten dieser Kommission wurde 1874 das Gras-Gewehr
angenommen.
EinfUmiDg Aber bald wurde bei der Umbewaffnung aller europäischen Heere
gewehre ciucm wirklichcu Schnellfeuergewehr der Vorzug gegeben, den klein-
mit Ueinem 1 i»i •_ -»r ^ • v.
Kaliber, kalibrigcu Magazingewehi'en.
Lew- Der erste Schritt in dieser Richtung war im Jahre 1886 die Ein-
führung des Lebel-Gewehres in der französischen Armee. Darauf wurden
Magazingewehre eingeführt: 1888 in Deutschland und Oesterreich, 1889
in Italien, Belgien, der Schweiz und Dänemark, 1890 in der Türkei, 1892
in Spanien, 1893 in den Niederlanden und Rumänien.
^"j , Die Lehren der vorhergehenden Kriege waren in der russischen
Insbrooli dei o o
Kriege« Armee bei dem Kriege von 1877 nicht rechtzeitig genug berücksichtigt
oSKi 1877 worden. Man hatte sich sowohl mit der Umbewaffnung der Infanterie,
f^^''^ als auch mit der Aneignung der neuen taktischen Methoden verspätet.
der Torher- Dcr Krieg traf die Infanterie in diesen beiden Beziehungen in einer
Iri^nwh Uebergangsform. Auf die Wirkung des Ansturms allein verliess man
nügend w ^^^^ bcrcits uicht mehr, aber dieses drückte sich erst in der allmählichen
werthet Vcrsorguug der Infanterie mit Berdan-Gewehren aus (seit 1869) und in
der beginnenden Umformung der Regimenter, die aus 3 Bataillonen
bestanden (das Bataillon zu B Kompagnieen) in Regimenter mit vier
Bataülonen (das Bataillon zu 4 Kompagnieen). Demnach wurden in die
BataiDone die fünften Kompagnieen aufgenommen, d. h. die Kompagnieen,
aus denen sich früher die Tiraüleurkette zusammensetzte, und man
begann alle Leute in den Regimentern in den Operationen in aufgelöster
Front und überhaupt in den neuen Kampfmethoden auszubilden, aber
auch diese neue Frontausbildung war vor Beginn des Krieges nur in den
Gardetruppen und in den kaukasischen Divisionen vollendet.
BerdMi- Mit dem Berdan-Gewehre waren damals das Garde- und das Grenadier-
S^t übJrau Korps , einige an der westlichen Grenze stehende Infanterie-Divisionen,
eingefftlirt g^^^ ^^ Schützeubrigadc bewaffnet, von den auf dem europäischen
Kriegsschauplatze gegen die Türken zur Verwendung gelangten Truppen
etwa 34%; die übrige Infanterie führte in Europa nach dem System
Die Takf^ik Napoleons und deren Einfluss bis zum Krimkriege. 515
Krnka, in Asien nach Carley zu Hinterladern umgestaltete Gewehre, i*)
Die einen wie die andern waren aus den früheren Vorderladern in Hinter-
lader umgearbeitet. Wenn das Feuer der türkischen Infanterie den
Russen schon empfindliche Verluste beibrachte, erreichten die Schüsse
aus dem russischen Gewehr die Türken noch nicht. Die Anzahl der
Schützen war auch gering. Die Ermahnungen der Feldwebel: „Zielt
höher, wenn's nicht trifft, fünf Schüsse gehen verloren, der sechste
sitzt . . . ", waren wenig geeignet, die Leute zu trösten. i^) Bei dieser
Sachlage blieben die taktischen Methoden in der russischen Armee noch
weit hinter den früher in Westeuropa üblichen zurück. Die damalige
Taktik der Attake beschreibt General Pusyrewski^^) f olgendermaassen :
„Für den Kampf wurde von der Kompagnie eine Korporalschaft (d. h.
V4 der Kompagnie) in die Kette ausgesandt, der übrige Teü blieb als
Reserve etwa 300 Schritt zurück. Die Kette bestand aus Gliedern von
je 4 Mann,
Bei dem Angiiff liefen die Schützen je 26 bis BO Schritt von einer ^^^
Deckung zur andern vor und näherten sich so dem Feinde auf BO damaia.
bis 100 Schritt; sodann wurde das Signal zur Attake gegeben und von
50 Schritt ging man unter Hurrah mit dem Bajonnet vor. Wenn die
geschlossene Masse, die auf das Signal „Attake" unaufhaltsam vorgerückt
war, sich der Kette näherte, öffnete letztere vor ihr die Front, lehnte
sich an ihre Flanken und ging unter Gewehrfeuer mit vor. Glückte das
Unternehmen, so trat die Kette wieder vor die Front und eröffnete ein
verstärktes Feuer auf den zurückweichenden Feind".
Die Attaken zeichneten sich ebenso sehr durch Tapferkeit wie durch
eine ungenügende taktische Vorbereitung aus, die alle typischen Züge
formaler oberflächlicher Friedensübungen trug.
Im Allgemeinen blieb die Taktik der russischen Truppen auf die
Stosskraft berechnet. Die Bataillone, Regimenter, Brigaden gingen zur
Attake in enger Front, wobei die einzelnen Linien nahe hinter einander
folgten.
Der türkischen Infanterie hatte in Bezug auf ihre Ausbildung die i>ie türkische
, Infantorio
französische zum Vorbüde gedient. Bei der Ausbildung wurden besonders nach fr»n-
das Schiessen und der Felddienst vernachlässigt, wofür jedoch der v^budr
türkische Soldat eine vorzügliche Fähigkeit besitzt. Er ist von Hause »««««^iwet.
") Stoecker- Pascha: „Bemerkungen über den russisch -türkisclien Krieg
1877/78** im „Militär- Wochenblatt" 1892. — „Die russische Armee vor dem Kriege
1877" und „Bericht des Kriegsministeriums".
") „Die Ruschtschuker Abteilung des Grossfürsten Thronfolgers im tür-
kischen Kriege 1877/78". Seite 211.
^^) „Die russische Armee vor dem Bjiege des Jahres 1892".
33 •
516 '^^- Taktik der Infenterie.
aus an das Schiessen gewöhnt und vermag sich schnell im Grelände zu
orientieren. Deshalb hatte diese Vernachlässigung bei den alten Feuer-
waffen auch weniger Bedeutung. Die grosse Mehrzahl der türkischen
Infanterie erhielt das neue Martini-Peabody-Gewehr erst vor dem Kriege,
so dass es die Soldaten jetzt zum ersten Mal in die Hand nahmen und
deshalb auch nicht verstanden, alle seine Vorzüge auszunutzen. Sie
legten meist den Hauptwert auf das schnelle Schiessen, und da die aus
dem Stegreif geschaffenen Traineinrichtungen eine bemerkenswerte Thätig-
keit entfalteten und Patronen ohne Verzögerung und im Ueberfluss zu-
Ausser- gestellt wurdcu, so musste der ausserordentliche Munitionsverbrauch
^MuitiJL^' seitens der türkischen Truppen überraschende Wirkungen hervorbringen.
Terbreuoh j^ Folge dcsscu wurde nach dem Kriege viel über den „Geschosshagel"
turwachen ^gj. türkischcn Infanterie verhandelt; die den türkischen nahezu eben-
Truppen.
hurtigen russischen Berdan- und rumänischen Peabody-Gewehre hatten
nicht die gleichen Erfolge zu verzeichnen, weü sie gegen einen Feind
zur Verwendung gelangten, der sich in Deckungen befand.
Uebrigens hat ein deutscher Militärschriftsteller die Ansicht aus-
gesprochen, dass die grossen Verluste der russischen Truppen bei den
Stürmen auf Plewna noch nicht als Beweis für den Vorzog des Massen-
feuers dienen können, da die Frage nicht klargestellt ist, ob die sich in
der Defensive haltenden Gegner nicht eben solche Resultate hätten er-
zielen können, wenn sie bei einem geringeren Aufwand von Geschossen
aus näheren Distanzen geschossen hätten, i^)
Einfttiining In jedem Falle dürfte die Erscheinung des türkischen „Geschoss-
feuergewehre hageis" wohl die Einfuhrung der neuen Schnellfeuer -Gewehrtypen in den
ErachLttn europäischen Heeren beschleunigt haben. ^^)
de« Die Verteidigung Plewnas hat noch eine sehr wichtige Lehre hin-
.oescho^ sichtlich der schnellen Aufführung von Feldbefestigungen gegeben, die
bee^eraigt d^r^^f bercchuet sind, der Infanterie einen genügenden Schutz zu
bieten.
Wichtigkeit ^|)er das Beispiel Osman-Pascha's hat auch gezeigt, wie gefährlich es
befegtigang. ist, sich allzulauge in solchen Befestigungen zu halten, üeberhaupt erhellt
aus den Erfahrungen des deutsch -französischen und des letzten russisch-
türkischen Krieges, dass die Auffühi-ung von Feldbefestigungen in den
künftigen Kriegen eine grosse Rolle spielen wird. Diese Befestigungen
haben vorzugsweise den Charakter von Erdschanzen (Schützengräben),
denen befestigte Batterie -Positionen oder an gewissen Stellen errichtete
geschlossene Schanzen als Stützpunkte dienen.
") Boguslawski: „Die Fechtweise aller Zeiten".
^*) Stoecker- Pascha: „Bemerkungen über den russisch -türkischen Krieg".
Die Taktik Napoleons und deren Einflnss bis zum Krimkriege. 517
-
Die russischen Truppen vermochten nicht, gleich den deutschen im ^[JJ^^^jfjJ^'
Jahre 1870, bis zu einem gewissen Grade den Vorzug der Bewaffnung Bewaffnung
durch neue taktische Methoden auszugleichen. Die Taktik der russischen "" "^ ent"*^
Truppen blieb fast unverändert die frühere, und so musste der Vorzug "J^y^che*
der türkischen Waffe sich in seiner ganzen Kraft geltend machen. Der Mawnahmen
der
Verfasser der Geschichte der Infanterie -Taktik, der den Sturm auf Plewna raasischen
beschi-eibt, ao) giebt unter Berufung auf General Kuropatkin folgende ^"eSiche""^
Charakteristik :
„Alle hegten die Hoffnung, dass die Vorarbeit der Artillerie die
feindliche Infanterie schon genügend erschüttert und die Befestigungen
genügend beschädigt habe, um den Sturm erfolgreich erscheinen zu lassen.
In Wirklichkeit war die Sache ganz anders : die russische Infanterie fand
bei dem Vorrücken gegen die Schanzen und Tranch6en dieselben völlig
genügend verteidigt.
„Der Stoss der russischen Infanterie war energisch ; überaD ging sie ^^J^^
auf die nächsten Entfernungen an die tüi^kischen Linien heran, aber
nachdem sie ohne Schwanken Distanzen von 1000 bis 1200 Metern durch-
messen, musste sie, unter der Wirkung des Feuers kraftlos geworden,
Halt machen. Eine neue Anstrengung brachte sie wohl noch etwas
vorwärts, aber sie besass nicht mehr die Kraft zum entscheidenden Sturm.
Nachdem diese tapferen Truppen noch eine Zeit lang das Feuer standhaft
auagehalten und selbst darauf geantwortet, warfen sie sich rückwärts und
kehrten fast mit derselben Schnelligkeit zu ihren Positionen zurück, mit
der sie gegen die türkischen Stellungen vorgegangen waren. Die Verluste
waren überall furchtbare ; sie gingen selbst bis zur Hälfte der Mannschaft
und für die Offiziere zuweilen auch bis zu zwei Drittel des Bestandes.
Nur auf einem Punkt, auf der linken Flanke, hatten die Russen einen
zeitweiligen Erfolg dank dem sie schützenden Nebel und der Energie des
Generals Skobelew. Sie bemächtigten sich dort" zweier Redouten und der
diese verbindenden Laufgräben. Aber obgleich diese Positionen nur
von 3 bis 4 schwachen türkischen Bataillonen (kaum 500 Mann) geschützt
wurden, hatte Skobelew, um seinen Erfolg zu erzielen, alle seine Truppen
einschliesslich der Reserven engagieren müssen, nämlich 18 Bataillone,
d. h. 12000 bis 13000 Mann, so dass nach einem heldenmütigen Kampfe
von fast 30 Stunden vom 11. auf den 12. September n. St. , die russischen
Truppen, die keine Verstärkungen erhielten, endlich die Positionen nach
einigen Attaken der Türken, die ihre Reserven zusammengezogen, räumen
mussten und demnach ohne Nutzen einen Verlust von gegen 6000 Mann
erlitten hatten.
*°) „Historique de la tactiquo de rinfanterie fran^aise".
518 '^^- Taktik der Infanterie.
„Dieses Beispiel" — bemerkt der französische Autor — „zeigt, dass
für einen Sieg selbst die Opferung der Hälfte der eigenen Truppen nicht
genügt; ein solcher Verlust muss durch ein seiner Wichtigkeit ent-
sprechendes Resultat wett gemacht werden und der Kommandierende
muss noch stark genug bleiben, um die einmal genommenen Positionen
festzuhalten. Auch Pyrrhus hat ja über die Römer einen Sieg davon
getragen, aber derselbe kam ihm so teuer zu stehen, dass sein Heer
nicht im Stande war, den Feldzug fortzusetzen und Italien verlassen
musste."
üMwect Nach Ansicht desselben französischen Schriftstellers beförderte die
der * Vorliebe der russischen Truppen für die Regeln der Friedensmanöver
™a^'Sr ^^^» sozusagen, der Platz -Paradeformen ihr Erleiden von Verlusten in
Begein der hohem Gradc. „In den meisten Fällen", sagt er, „gingen die Russen zur
Friedens*
mttöTerge- Attake iu einer tieferen Aufstellung vor als die war, in der Griechen und
^drtit'^ Römer gegen einen doch nur mit Bogen und Schleuder bewaffneten Feind
vorzugehen wagten. So wurde die Schipka -Attake dui-ch Kompagnie-
Kolonnen in zwei Linien ausgeführt, die kaum durch eine Handvoll Schützen
gedeckt waren. Obwohl die Ausbildung in der gelösten Formation damals
schon im russischen Heere eingeführt war, so hatten sich doch noch nicht
völlig die Begriffe geklärt, inwieweit die Taktik sich unter dem Einfluss
der Schnellfeuerwaffe ändern musste. Ja, auch noch gegenwärtig
finden sich in der russischen Armee Anhänger der Suworow'schen
Tradition." ^
Noch reliefartiger und überzeugungSTOller hebt General Kuropatkin
die ünzweckmässigkeit der Taktik hervor, indem er u. A. ausführt:
„Der grösste Teil der Regimenter führte sofort 10 Kompagnieen in die '
Kampflinie, so dass nur B in der Reserve blieben. Die Aufstellung der
Kompagnie -Kolonnen in zwei Linien hatte zwischen den einzelnen
Kompagnieen zu kleine Intervalle. Das ganze Regiment, das sich in
Kampf Ordnung formierte, bot eine allzu kompakte Masse dar, die eine
relativ kleine Front und eine noch kleinere Tiefe hatte. Anstatt die
Front breiter zu nehmen und Angriff" und Kampf in Kompagnieen zu
führen, wobei die Kompagnie die Kampf-Einheit gewesen wäre, bildete
diese Einheit im Zentrum das Regiment, und die Kompagnieen büssten
grösstenteils in dem zwar ungestümen, aber unordentlichen Vorgehen
und dem noch unordentlicheren Rückzug die ihnen nötige Selbständigkeit
ein."2i)
hldll^ Aus den oben für verschiedene Armeen angeführten Beispielen von
inÄnterie- ™ Kampf begangenen Fehlern ist ersichtlich, dass die Hauptbedeutung
thÄtigkeitauf
die Schützen-
linie über- 81) Thätigkeit der Abteilung des Generals Skobelew bei Plewna.
gegangen. / -o o
bD
6
CD
T3
S
43
Abhängigkeit der Taktik von der Beschaffenlieit der Armeen. 519
der Thätigkeit der Infanterie auf die Schützenlinien übergegangen ist,
welche jetzt durch ihr Feuer nicht nur die Attake vorbereiten, sondern
sie auch ausführen. Früher dienten die Schützen den angreifenden
Kolonnen nur als Deckung, jetzt nehmen sie selbst die erste Stelle ein.
So ist nach einem treffenden Ausdruck des österreichischen Hauptmanns
Gorsetzki die Infanterie-Attake ein „vorgehendes Feuer" geworden, und
da nun die Kombination des Vorgehens und des Feuerns nur in der ersten
Schlachtlinie erzielbar ist, so ist klar, dass in dem künftigen Kriege
die Art und die Leitung des Feuers die Hauptbedeutung haben wird.
3. Die Abhängigkeit der zukünftigen Taktik
von der Beschaffenheit und der numerischen Stärke
der Armeen,
aber auch von der allgemeinen Befestigung der Grenzen
und der Kampfstellungen.
Um die wichtigsten Aufgaben der Infanterie im Felde zu erläutern, AUgomeiner
muss man zuerst auf den allgemeinen Charakter ihrer Operationen m inÄntene-
einem zukünftigen Kriege einen Blick werfen. Operationen.
Vor allem ist es augenscheinlich, dass eine gleiche Energie beim
Angrifi (in strategischem wie in taktischem Sinne) auf beiden Seiten
sich nur in Ausnahmefällen zeigen kann. In der Regel wird bei jeder
Operation die eine Seite sich offensiv zeigen, und die andere den Angriff
des Gegners abwarten, um die Attacke abzuschlagen und dann nach
Möglichkeit zur Initiative, d. h. zum Angiiff, überzugehen.
In den Felddienst-Ordnungen aUer Armeen wird beharrlich auf die
Vorzüglichkeit der ofiensiven Kiiegsführung hingewiesen und die Ueber-
zeugung eingeflösst, dass ein kühner und geschickt geleiteter Angriff den
Gegner vernichten muss. Aber dieselben Reglements lehren, wenn sie
von der Verteidigung handeln, dass diejenigen Truppen, welche ihre
Kaltblütigkeit zu bewahren und den gegenwärtigen Forderungen der
Kriegskunst entsprechend das Feuer zu leiten wissen, die Gewissheit
haben können, dass sie durch abwartendes Verhalten nichts verHeren
und den Angreifer zurückwerfen werden.
Indessen ist es klar, dass einen in aUen FäUen unbedingt sich er-
gebenden Vorzug weder Angriff noch Verteidigung versprechen kann.
Der Vorteü der einen oder andern Operationsart hängt bei gleicher Be-
520 Vn« Taktik der Infanterie.
waflftmng von dem Bestand der Truppen und von örtlichen Bedingungen
ab. Die allgemeinen Bemerkungen der Reglements jedoch verfolgen
mehr das Ziel, die üeberzeugung vom Erfolge sowohl beim Angrift
wie bei der Verteidigung den Truppen einzuflössen, wenn das eine
oder andere System richtig gewählt und mit sinngemässer Energie durch-
geführt wird.
JoffJ^i^e -^^^ müssen wir ein wenig bei der näheren Erklärung derjenigen
und der Voiiieüe verweilen, welche Angriff und Verteidigung theoretisch bieten,
d. h. indem wir die für beide Teile gegebenen Bedingungen als mehr
oder weniger gleich voraussetzen.
Nach der Ansicht der überwiegenden Mehrzahl der Militärschrift-
steller hat die Vervollkommnung der Artillerie- und Infanterie-Schiess-
waflen, wie auch die Ausbildung der Truppen im Aufwerfen leichter
Schanzen und Felddeckungen überhaupt in der Hauptsache namentlich
der Verteidigung Vorteile gebracht. Aber der Verteidiger hat noch
andere Vorzüge. Ihm ist es leichter, die Aufstellung seiner Truppenteile
zu verbergen. Bei reichlich vorhandener Zeit kann er seine schon aus-
geführten Befestigungsarbeiten maskieren, kann einige Abteilungen in
der Front und den Flanken vorschieben, um den Angreifer über die
Stellung seiner Hauptkräfte irre zu führen; er kann die wichtigsten
Punkte vor seiner Front besetzen und endlich zahlreiche Infanterie-
Patrouillen ausschicken sowohl zur Verhinderung der Aufklärungs-
maassnahmen des Feindes, als zur Erlangung von Nachrichten über
dessen Bewegungen und Streitkräfte.
Schwierig- Dieser, der angreifende Gegner, muss in möglichst entwickelter
der offeneiTe. Frontlinie vorrücken, um Nachrichten über den von ihm angegriffenen
Feind zu erlangen. Beim Vorrücken vertreibt er die vorgeschobenen Auf-
klärungs-Abteilungen der Verteidigung und muss sich bemühen, letztere
an möglichst vielen Punkten zur Ei-widerung seines Feuers zu zwingen,
um die Breite ihrer Stellung und Besetzung teils mit einzelnen Gruppen,
die nur zur Deckung vorgeschickt sind, teils mit ihren Hauptkräften zu
erfahren.
Aber da der Angreifer zur Erfüllung dieser forcierten Auf-
klärungsaufgabe nur mit Teilen seiner Avantgarde operieren kann, so
werden diese der Gefahr ausgesetzt, unter das überlegene Feuer der
vorher entwickelten Kräfte der Verteidigung zu kommen, und während
sie in verlängerter, schwacher Linie sich vorwärts bewegen, können sie
durch einen plötzlichen Vorstoss der einen oder andern zur Verteidigung
gehörenden Giiippe hier und da zurückgeworfen werden.^)
1) „Applikatorische Studie über den Infanterie- An griff", Wien 1895.
Abhängigkeit der Taktik von der Beschaffenheit der Armeen. 521
Ausserdem wird beim Verteidiger die Einheit des höheren Kom- weiure
mandos leichter bewahrt; bei ihm erhält die bedeutend geringere Zahl ver-
seiner Unterführer eine selbständige Thätigkeit. Die Versorgung des ^^^^^f-
Heeres mit Kriegsbedarf und die Zuführung der vorhandenen Reserven
wird bei der Verteidigung erleichtert, da nur eine bestimmte Linie zu
schätzen ist und es bei einer etwaigen Vorwärtsbewegung nicht nötig
ist, sich zu trennen, sich zu zerstreuen, sich zu vermengen, die Richtung
zu ändern, an einer Stelle den Vorstoss zu verstärken, an . anderer zu
verringern, wie dies bei jedem Angrifl unvermeidlich ist. Die Verteidigung
hat sogar auch ausserhalb der taktischen Bedingungen gewisse Vorteile.
Die Verpflegung der Truppen, ihre Ergänzung durch Mannschaften und
Pferde, die Zufuhr der mannigfaltigen Bedürfnisse, alles dies ist mehr
gesichert.
Die Disziplin ist bei der Verteidigung viel leichter aufrecht zu er-
halten als beim Angriff. Durch das Feuer der jetzigen Schiesswaffen
kann der Verteidiger alles, was sich vor seinen Linien befindet, in der
Zeit niederwerfen, während der Angreifer den breiten Gürtel des tod-
bringenden Feuers durchschreiten muss. Auch die Bedingungen, welche
vom Gelände und von befestigten Punkten gegeben werden, dienen dem
Verteidiger zum Vorteil.
Bedeutungsvoll ist auch der Umstand, dass die Stimmung der Be-
völkerung gewöhnlich dem Verteidiger vorteilhaft ist.
Die bei allen Staaten des Kontinents eingeführte allgemeine Wehr- Materi»i der
pflicht schafft Armeen aus Leuten, die kaum eine formale Dienstausbildung
erhalten und keinen militärischen Geist sich angeeignet haben, die sich
von dem Zusammenhang mit ihren Familien keineswegs losgemacht und
von ihrem friedlichen Beruf sich nicht losgesagt haben. Die Mobilisierung
aber ergänzt die Truppen noch mit Leuten, die auch zu ihrer Zeit keine
genügende Ausbildung genossen oder eine derartige durchgemacht haben,
welche den neuen Kriegsbedingungen nicht mehr entspricht.
Ein bedeutender Teil der Offiziere bei den mobil gemachten Truppen
— die Reserve-Offiziere — wird nur die notwendigste militärische Aus-
bildung besitzen.
Und so kann man sagen, dass die Infanterie mehr aus Leuten be-
stehen wird, die Gewehre tragen, als aus wirklichen Soldaten. Gerade
so wird die moralische Tüchtigkeit im Kampfe bei den Truppen auf
derselben Höhe stehen wie beim Volke selbst. Auf diesen Punkt kommen
wir noch in einem besonderen Abschnitt zurück, der speziell dem „Geist
der Armeen" gewidmet ist. Hier woUen wir nur bemerken, dass bei dem
gegenwärtigen Bestand der Truppen die Stimmung der Volksmassen im
Kriege eine viel grössere Bedeutung als bisher erhalten muss. Und ihre
522 ^^^' Taktik der Infanterie.
.!>*• Stimmung wird von den Zielen des unternommenen Krieges selbst ab-
der hängen. Die Stimmung der Masse in dem Lande, das dem Angrifl aus-
^*i8t^d^°* gesetzt ist, wird sich energisch in der Verteidigung der nationalen
lort^iih^ Territorien und Güter bethätigen. Der angi^eifenden Seite aber wird es
zukommen, mehr oder weniger illusorische Vorspiegelungen materieller
Vorteile oder Befriedigungen des nationalen Ehrgeizes zu ersinnen, da
es eine positive Rechtfertigung eines Angriffskrieges überhaupt nicht
geben kann.
So giebt es zweifellos viele Vorzüge auf Seiten der Verteidigung.
voniige des ^jj^r mau muss auch diejenigen Vorteile in Erwägung ziehen, welche
der Angriff gewährt. Die Anhänger dieser Operationsart gestehen, dass
sie mit grösseren Opfern verbunden ist., aber sie versichern, dass sie ihre
sehr bedeutenden Vorzüge hat. Bei Gleichheit der Kräfte hat der An-
gi'eifende schon den grossen Vorteil, dass er mehr bewusst handelt: ihm
gehört die Initiative bei den Operationen, er schafft jene Verhältnisse,
mit denen die Verteidigung rechnen muss, und in seinen Reihen herrscht
eine grössere Begeisterung der Truppen als in den angegriffenen.
Ueber alles aber stellt ein Schriftsteller folgenden Vorzug: „Die
Attake kann die Verteidigung ermüden. Kann denn angenommen werden,
dass eine Abteilung, die im Verlaufe, sagen wir, von anderthalb Tagen
beständig bedroht und Tag und Nacht durch die leichten Batterien und
Gewehi-salven des mit allen Anzeichen des sofortigen Beginnes des An-
griffs vordringenden Feindes beständig beunruhigt ist, auf ihren Linien
aushält?"
„Man wird sagen, dass sie von anderen Truppenteilen abgelöst wird.
Aber ganze Massen zu einer solchen Passivität zu verdammen, die dem
Gegner verschiedene strategische Kombinationen erlaubt, dazu dürfte sich
wohl kein Kommandeur entschliessen. Dieser in moralischem Sinne
deprimierenden Verteidigung kann nur durch einen Schlag gegen den
Gegner, wenn auch durch ein Handgemenge, ein Ende gemacht werden."
„Vor allem muss, wenn man die Frage theoretisch betrachtet, der
Angreifer in Quantität oder Qualität der Truppen dem Verteidiger über-
legen sein. Andernfalls wird er selbst die Rolle der Verteidigung wählen. "2)
a) Nnmerische Stärke und Beschaffenheit der Trappen.
Wechsel Ton Es ist allgemein bekannt, dass ein jedes Land seine Zeit der Waffen-
Nitderi^on. erfolge hattc, in der seine Truppen durch Mut und geschickte Führung
sich auszeichneten, und dass in späteren Epochen frühere Sieger oft
Mangel militärischen Geistes und Unfähigkeit zeigten.
^) Fürst Hohenlohe: „Ueber Infanterie".
Abhängigkeit der- H^aktik von der Beschaffenheit der Armeen. 523
Die Erweiterung der Kenntnisse nnd die näheren Wechselbeziehungen unmögiich-
der VöTker beseitigten eine allzu grosse Verschiedenheit in der Bewaffnung, Qoaiitftt»-
den andern Mitteln und Vorbereitungen zum Kriege. Die Ungleichheit U"J®J^*//J^
in dieser Beziehung ist jetzt, kann man sagen, sogar unbedeutend. Daher
ist es, theoretisch gesprochen, nicht möglich, unter den Heeren der ver-
schiedenen europäischen Länder so grosse Qualitätsverschiedenheiten an-
zunehmen, dass sie den Vorzug aufwiegen könnten, den die Besetzung
einer befestigten Stellung gewährt.
Auf Grund internationaler Verträge und im Sinne der Kriegslage Europuaciie
selbst muss man bei der Beurtheilung eines zukünftigen Krieges in tinationen.
Europa die Möglichkeit eines Kampfes zwischen den Armeen des Drei-
bundes einerseits und denen Eusslands und Frankreichs andererseits im
Auge haben. Andere politische Kombinationen braucht man hierbei nicht
in Anschlag zu bringen, da sie keine hervorragende Bedeutung haben.
Aus der ganzen Reihe der zahlenmässigen Zusammenstellungen, zawen-
TerhÄltnis
welche wir in dem Abschnitt von der „numerischen Stärke der Armeen** zwiseiieii den
geben, ergiebt sich als Hauptresultat, dass die vereinigten Kräfte Russ- DrXandes
lands und Frauki-eichs an Zahl denen des Dreibundes fast gleich kommen. ^»^/«^
Wenn man aber nur die Anzahl der völlig ausgebildeten Mannschaften fran-
in Betracht zieht, d. h. den Bestand derjenigen Streitkräfte festsetzt,
welche für den Angriffskrieg tauglich sind, so wird sich auf Seiten des
Dreibundes eine schon etwas merklichere Ueberlegenheit zeigen.
Wenn man aber diejenigen Streitkräfte zusammenzählt, die im Er-
satz vorhanden sind, im Hinblick auf die Führung eines Verteidigungs-
krieges, zu welchem auch weniger ausgebildete Truppen tauglich sind,
so kommen wir zu dem Resultat, dass die Ersatztruppen Russlands allein
diejenigen der Dreibund-Mächte anderthalb Mal übertrefien.
Daher wird bei einem Verteidigungski'iege Russland allein eine
Truppenzahl aufstellen, die zum Widerstand gegen die vei einigten Armeen
des Dreibundes genügt.
Aber die Wahl der einen oder anderen Operationsart hängt nicht scimeiiigkeit
der deutschen
nur von der Zahl der Truppen ab, sondern auch von der Erfüllung der fiowi-
Mobilisierungs- und Konzentrationsbedingungen, die für die verschiedenen "JJ^e^Ffi^"^^
Staaten nicht gleich sind. Wenn man den Militärschriftstellern glauben
darf, so ist die Mobilmachung in Deutschland schneller beendet als in
Russland und als in Frankreich. Folglich muss man zugeben, dass im
Anfang des Krieges die deutschen Truppen im Verein mit denen, welche
Oesterreich und Italien in der ersten Zeit werden stellen können, in be-
deutenderer Zahl im Staatsgebiet des Gegners erscheinen werden.
Daher stammt natürlich die Vermutung, dass Deutschland im Falle
eines Krieges nach zwei Fronten sich entschliessen wird, im Anfang mit
524 '^^ Taktik der Infanterie.
allen Kräften sich anf einen der Gegner zu werfen und dann im Falle
besserer Aussichten unter Einstellung der Operationen in der einen
Front mit Hilfe der Eisenbahnen seine Armeen nach dem entgegen-
gesetzten Kriegstheater zu verlegen.
. Aber diese Frage ist nebensächlich bei der Betrachtung der Taktik
der Infanterie, mit der wir jetzt beschäftigt sind.
Indessen ist es zweifellos, dass die Folgen, welche aus der Schnellig-
keit der deutschen Mobilmachung entstehen, in Frankreich wie in Russ-
land in Betracht gezogen sind.
b) Die Grenzbefestigungen.
Fortechritte Frankreich hat während eines Vierteljahrhunderts in der beständigen
franz Juichen Bcsorgnls gelebt, dass es irgendwie in militärischer Hinsicht von Deutsch-
Befertigiuig. jg^jj^ überholt werden könnte. Dazu trug deutscherseits die fortwährende
Wiederholung der Behauptung bei, dass die deutsche Armee sich schneller
als die französische konzentrieren könne und dass nur die Offensive dem
Geiste der deutschen Truppen entspreche. Es war kein Wunder, dass
die Franzosen alle möglichen Anstrengungen machten, um ihr Land
gegen Angriffe zu sichern. In den letzten zehn Jahren wurden allein in
Frankreich fast zwei Milliarden Franks auf Befestigungen verwendet.
Die Franzosen zeigten bei der Bearbeitung der Fragen, die mit der Ver-
teidigung von Gebietsteilen verbunden sind, die ihnen zu Gebote stehende
Feinheit in der Auffassung der Dinge und jene Einbildungskraft, die
mannigfache Zufälligkeiten voraussehen lässt.
Der Charakter der Befestigungen im östlichen Frankreich hat sich
vollständig verändert. Den Platz der früheren, von fem sichtbai-en
Festungen oder isolierter Forts, Redouten, Halbmondschanzen u. s. w.,
welche bei den jetzigen Belagerungsmitteln leicht zu umgehen und sogar
zu nehmen wären, haben Bodenerhebungen eingenommen, dem Auge
kaum sichtbar, unter einer Decke von Basen und Gesträuch, wo flache
- Schiessplätze verborgen sind, weitläufige kasemattierte Räumlichkeiten,
starke Verteidigungsstellungen, die alle Durchgänge durchschneiden, alle
Anhöhen krönen.
Diese kolossalen Hohlbauten, welche mit ungeheuerlich starken Gte-
schtitzen versehen und durch tiefe Erdschichten und Backsteingewölbe
geschützt sind, können Massengarnisonen aufnehmen.
Bedeatang Noch vor dem Begüin der Feindseligkeiten werden in den Zwischen-
Redoaten. räumeu zwlschcu diesen dauerhaften Befestigungen Feldredouten ent-
stehen, die in Wäldchen und Weingärten versteckt und mit Drahtnetzen
umgeben sind, wie folgende Abbildung zeigt.
Abhänsi^keit der Talctik von der Beschaffenheit der Armeen.
Bedoute mit Netz-TIinzBunmig.
Derartige Redooten werden inmittea des sie Dingeljenden Geländes
schwer za unterscheiden sein, Sie sind dazu bestimmt, den sich kon-
zentrierenden Armeen als Stützpunkte zu dienen, und falls der Feind
solche Punkte umgeht, werden Freischärler-Abteilungen aus ihnen hervor-
kommen, die ihn im Eäcken angreifen und die Offensiv-Armee in ernste
Gefahr bringen können.
Doch dies ist noch nicht alles. Die gegenwäiligen ungeheuren wichugkeit
Lagerbefestigungen können ganze Armeen in sieb aufnehmen, deren Logari»r»ii-
Teile die Möglichkeit haben werden, gegen den Angreifer weit über die ^''"'°'
Linie desjenigen Geländes vorzurücken, welches dieser za besetzen be-
absichtigt, ihn anzugreifen und mit Hilfe ihrer allmählich ins Gefecht
geführten Verstärkungen ihn vielleicht zurückzuwerfen und auf diese
Weise den von ihm vorausgesehenen Verlauf der Operation völlig zu
ändern.
Uebrigens war es nicht schwer, die Befestigung Frankreichs auf uonsiiga
die Höhe der Vollkommenheit zu bringen. Die Strassen für den Durch- «t nt
zng der Truppen aus Deutschland sind schmal, ihr Boden ist dui'ch An- ^^'^^j""«
höhen gedeckt, von Thälern und Flüssen durchschnitten, in den Dörfern'"!^'"''*''
steinerne Hänser, die Felder mit geflochtenen, nicht selten gleichfalls ans
Steinen aufgeführten Umfriedigungen umgeben.
Wenn man den Beschreibungen der östlichen Grenzbefestigung
Frankreichs glauben darf, so wird an den Hauptstrassen, die zu ver-
626 ^'II' TakUk der Infanterie.
melden nnmOglkh ist, auch nicht eine Mauer vorhanden sein, die dem
Befestigiingsplan des Geländes nicht angepasst worden wäre. Bei dem
laachschwachen Palver kann die Verteidigung aas Decknngen hinter
Bänmen. Faschinen oder Haufen von Säcken, die mit Kide gefüllt sind,
Balken n. s. w, dem Angreifer sehr grosse Verluste zufügen. In jedem Falle
branclit er nicht wenig Zeit, sich den Weg zn ehnen.
In den Beilagen geben wir verschiedenartige Darstellungen von
Deckungen, ' wie man sie anwenden wird (siehe anch Beilage zn S. 273).-')
Sogar Landhäuser und Gebäude werden in Verteidignngspankte
verwandelt werden, die erst zn erstürmen sind. Um hiervon einen Begrifl
zu geben, bringen wir hier die Dai-stellung der Verteidigung eines Land-
liauses (Le Butard) vom Jalire 1870.
L«Bulard. Paria 1870.
hBpu. ^"
A\^
Verteidigung eines Landhauses.
■ h''""d ^^^ französische Felddienst^Ordnung sieht sogar die Notwendigkeit
ArtiUBrie der Hinzuziehung von Artillerie gegen ähnlich befestigte Häuser vor.
bXft'^ ^* wird darin geradezu gesagt, dass der Angriff auf bewohnte Gebäude
"*""■ von der Artillerie vorbereitet werden muss, und dass nach Zerstßnmg
der äusseren Umgebung, wie sie auch sein möge, die Linie der Infanterie
um Barrikaden und Häuser herumgehen und in das Zentrum der An-
siedelung eindringen mnss.
In den französischen Manövern wurden Versuche mit solcher Er-
stCiminng von Gebäudekomplesen gemacht.
') Brackenbury: „Field Works'*, und Malet: „Handhook of Pield Training".
Abh&ngigkät der Taktik voq der Besohntfenhait der Anneea. 527
Der Anschaulichkeit wegen bringen wir hier die folgende Abbildung,
welche gerade einen solchen Angrifi darstellt.*)
Angriff auf befestigte Gebäude in den französischen Mauöveni.
Wenn man die Wirkung des rauchschwachenPulvers nnd die furchtbare *^'^'
Dnrchschlagskraft der jetzigen Infanteriegeschosse bedenkt, so muss man dwucii-
gestehen, dass ein ähnlicher Angriff teuer zu stehen kommen wird. zXon^""
Ausserdem mnss man in Erwägung ziehen, dass die grosse Menge von *"*e«-
Decknngen aller Art, die durch das Land zerstreut sind, die Bewegung
der OfFensiv-Armee verzögern muss, und dass die Notwendigkeit, fortr
während sich den Weg zu ebnen, und die Unvermeidlichkeit der Zerstörung
ganzer Ortschaften dem Kriege den Charakter einer besonderen Erbitterung
auf beiden Seiten verleihen wird.
Aber auch unabhängig von materiellen Verlusten, früheren wie neuen,
wird in einem künftigen Kriege mit Deutschland eine besondere Er-
*) Die Abbildung ist dem ia Paris erschienenen „Militäriaclien Album"
entnommen.
528 ^^' Taktik der Infanterie.
bitternng auf Seiten der Franzosen durch die Niederlagen des Jahres 1870
bedingt sein, Schläge, die der Kriegsruhm Frankreichs damals erhielt.
Man muss folgenden Ausspruch in gewissem Grade als richtig an-
erkennen, obwohl er aus dem Lager des Gegners kommt: „Bei andern
Völkern bilden Nationalstolz und Ruhmsucht nur eine Leidenschaft, aber
bei den Franzosen bilden sie die hauptsächliche, vorheiTSchende Leiden-
schaft." 0)
Anwendang j)[q MiUtärschriftsteller weisen noch auf die in einem künftigen
Kriege wahrscheinlich häufige Anwendung von Minen hin, die in die
Erde oder in die vor dem anrückenden Feinde verlassenen Gebäude, in
Brücken u. dgl. gelegt werden. Die Vervollkommnung der verschieden-
artigen Minen und der Mittel zur Erzeugung von Explosionen wird dahin
führen, dass schon in der Friedenszeit auf den Wegen, welche der Feind
benutzen kann, verschiedene Vorrichtungen zur Anlegung von Minen und
Torpedos werden getroffen werden. «) Ohne diesem Umstände Bedeutung
beizulegen, verweisen wir nur darauf als ein Zeichen dafür, dass die zu
einem künftigen Kiiege sich Rüstenden nicht die Absicht haben, in den
Mitteln besonders wählerisch zu sein.
Wir bringen in den Beilagen Abbildungen aus dem Werke Omegas,
welche eine solche Art minierter Fallen dai'stellen, und auch die Ansicht
einer Minen-Explosion.
Frankreich» Weuu dlc deutschc Armee unter Ausnutzung ihrer schnelleren
Defensive.
Mobilisierung in französisches Gebiet eingerückt ist, so wird Frankreich
unter dem Druck der Verhältnisse und infolge seiner Aufwendungen die
Defensive wählen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass in Frank-
reich alle Entfernungen bei Zeiten ausgemessen sind, und ausserdem Pläne
und Material zu schneller Aufführung von Feldbefestigungen und zur
Versorgung der Truppen mit Kriegsmitteln und allem andern Bedarf im
voraus beschafft sind.
veniorgnngs- Aber ulcht wcnlgc Sorgen werden dem Oberbefehlshaber, der in
frage , «-»'-»
der offen«iy- feindliches Gebiet einrückt, bereitet durch die Versorgung von einer
»™ee. jjyjjQ^ ^j^^j jQgjjj. Soldaten mit Verpflegung, Pulver, Munition, Pferden
und dergl., welche zur Ergänzung des allmählichen Abgangs ohne Unter-
brechung vor sich gehen muss. Diese Versorgungsfrage kann auf die
Wahl von Zeit und Ort für Operationen Einfluss haben. Zur Sicherung
des Rückens müssen Massregeln ergriffen werden, damit der Gegner die
Verbindung nicht abschneiden kann. Schon im Kriege 1870 mussten die
5) Preussischer Generalstab : „Der deutsch-franzosisclie Krieg 1870", heraus-
gegeben von J. Maslow.
*) Om^ga: „La defense du territoire frangais".
Land-Torpedos.
1. Selbstexplodierend er Torpedo: A. Kammer.
— B. Zünder. — K.u.M. Mechanismus zum
Erzeugen der Eiplosion.
2. Selbsteiplodierender Torpedo anderer Art:
A.u.B. MecbanUmus zur Hervorbringung
der Explosion. — C, Pulverkanuner. ~ D,
Zünder,
8, Gewöhnliclio Flnttemiine : A. Kammer. —
B. Schacht. — C. Ziinderleitung.
4. Bombcninine: A. Zünderleitune. — B.
Bomben. — C. Ladung. — D. KJsle mit
den Bomben.
Explosion eines Torpedos.
Abhängigkeit der Taktik von der Beschaffenheit der Armeen. 529
Deutschen zur Sicherung der Eisenbahnen grosse Anstrengungen machen. "0
Um so schwieriger wird diese Aufgabe künftig sein, wenn die deutsche
Armee nicht den Gegner vierfach an Zahl übertrifft, sondern auf Streit-
kräfte stösst, die ihr an Quantität wie an Greist und Bewaffnung
gleich sind.
Das Beispiel der Kriege aus früherer Zeit kann hier nicht genügende Vergleiche
« o j^£^ frtUierer
Hinweise geben, schon deshalb, weil die Massen, welche am Kriege teil- zeit
nehmen werden, gewaltig zugenommen haben. Wenn ^. B. im Jahre 1869
ein Krieg zwischen dem Dreibunde und Frankreich und Russland aus-
gebrochen wäre, so hätte sich der ganze Betrag an Kriegstruppen auf
5 230 000 Mann belaufen. Gegenwärtig würde die Totalsumme beider Seiten
17 600 000 Mann betragen.
Allerdings hat sich seit jener Zeit das Eisenbahnnetz vergrössert,
wodurch für jede Armee die Proviantzufuhr aus ihrer Heimat erleichtert
wird, aber es fragt sich noch, ob man im Kriege auf diese Zufuhr wird
rechnen können, wo die Verbindungen zui' See abgebrochen sind, und da
kein Land in Europa ausser Russland und Oesterreich-Ungam imstande ist,
die Bevölkerung mit eigenem Getreide zu ernähren. Eine wenn auch nur
temporäre Verzögerung der Zufuhr, z. B. infolge Verkehrsstörungen durch
Anhäufung von Truppenzügen oder feindlichen Maassnahmen gegen die
Eisenbahnen, wird genügen, um auch die angreifende Armee in eine
kritische Lage zu bringen.
Wir haben jetzt hauptsächlich in der Voraussetzung eines Einfalls ^.^«'0
der deutschen Truppen in Frankreich geurteilt. Aber man darf eine komi)in»tion
andere Kombination nicht ausser Acht lassen, nämlich die, dass der De^c^nd
deutsche Stab es vorziehen könnte, aktive Operationen, die den Krieg ^^^ ^
entscheiden werden, an der Ostgrenze zu entwickeln, und sich im Westen
auf die starke Linie zu verlassen, welche mit den Rhein-Festungen und
Metz dem Angriff der Franzosen widersteht, obgleich die deutschen
Schriftsteller beständig wiederholen, dass die deutschen Truppen in Frank-
reich sein werden, bevor noch die Franzosen genügende Streitkräfte ge-
sammelt haben. Aber man darf nicht daran zweifeln, dass auch in
Deutschland für den Fall eines Einfalls aus Frankreich alle Massregeln
zur Befestigung der Westgrenze getroffen sind.
Was Italien anlangt, so wird Frankreich aller Wahrscheinlichkeit Frankreich
nach dagegen defensiv operieren, in Anbetracht der natürlichen Hinder-
nisse und der vortrefflichen Befestigungen an der Alpengrenze und der
Riviera, und zudem noch in Anbetracht des Umstandes, dass, wenn die
^) Zum Schutze der deutschen Armee im Rücken waren 1870 abkommandiert:
145 712 Mann mit 5945 Pferden und 80 Geschützen.
Bloch, Der zakftnftige Krieg. 34
530 ^^^ Taktik der Infanterie.
Italiener auch in den Süden Frankreichs einrückten, dies dennoch die
zentrale Stellung der französischen Armee nicht bedrohen würde.
DeatflchUnd Denselben Schwierisrkeiten, denen die Franzosen auf deutschem
gegen "
RuMiand. Gebiete begegnen würden, würden die Deutschen auch beim Einrücken
über die Grenzen Russlands begegnen. Es ist zweifellos, dass an den
Grenzen alles gethan worden ist, um den Boden für den Empfang des
Feindes vorzubereiten. In grösserer oder geringerer Entfernung von den
Operationslinien des Gegners oder an diesen Linien selbst, an Verbindungs-
punkten und besonders an Flüssen sind starke, befestigte Lager geschaflfen :
Kowno, Goniondz, Warschau, Nowogeorgiewsk, Zegrz, Iwangorod, Brest,
Luzk, Dubno, Rowno, welche den Angreifer durchaus aufhalten und be-
engen müssen.
Aber noch bevor der Feind erreicht wird, müsste im Bereich der
Festungen eine Reihe von Schlachten in einem Gelände geliefert werden,
das im Voraus für den Kampf vorbereitet ist, und müssten die provisorisch
befestigten Punkte mit Sturm genommen werden.
Für die aktive Verteidigung sind im Bereich der befestigten Lager
die Punkte an den Flussübergängen befestigt und strategische Eisen-
bahnen und Chausseen gebaut, welche die Möglichkeit gewähren, die
Truppen zur Verteidigung schnell zu konzentrieren und mit allem Nötigen
zu versehen, während der Angreifer auf schlechten Wegen, durch Wälder
und sumpfiges Gelände wird marschieren müssen, an denen das Land so
reich ist.
Als nicht weniger wichtig stellt sich die natürliche Verteidigung
Russlands dar, und schliesslich wird seine Ausdehnung und die geringe
Ertragsfähigkeit gewisser Landstreifen im äussersten Falle einen scythi-
schen Krieg zu führen gestatten. Die Generale, die 1812 Russland zum
Siege verholfen haben, „Hunger" und „Kälte", werden auch heut noch
die taktischen Gesichtspunkte beeinflussen.
Getreide- Aber was am wichtigsten ist, zur Führung eines ähnlichen Krieges
mangel in . , , .
Dcutechiand. ist Zeit uötig. Und diese wird Deutschland nicht zm- Verfugung stehen.
Dieses Land bedarf zu seiner Verpflegung einer so bedeutenden Menge
eingeführten Getreides, dass es durch Abschneidung der Land- und See-
verbindungen sehr bald einer Volksnot gegenüberstehen wird.
Deshalb muss man den möglichen Kombinationen auch die hinzu-
fügen, dass Deutschland es vorziehen wird, den Angriff Russlands ab-
zuwarten.
zaatand der Schou gleich uach dcm Kriege 1870/71 war in Preussen die Auf-
deutschen
otgrenze. mcrksamkcit auf die Verstärkung der nord-östlichen Festungslinie ge-
richtet. Seitdem haben die Arbeiten bis in die letzte Zeit nicht auf-
Abhängigkeit der Taktik von der Beschaffenheit der Armeen. . 531
gehört, und jetzt sind die Verteidigungslinien, die sich auf die Festungen
stützen, reichlich mit Personal und Material zur Führung einer aktiven
Verteidigung versehen. Alles, was zur Auffuhrung provisorischer Stütz-
punkte an den Grenzen nötig ist, ist gleichfalls vorbereitet. Ausserdem
ist die grosse Zahl strategischer Eisenbahnen in solchem Zustande, dass
sie die Landesverteidigung völlig sichern.
In Oesterreich werden zum Schutze gegen Italien die Zugänge in ^^^j^ij^^
die Thäler Tirols von Befestigungen neuester Art eingeschlossen. Nicht nnd
weniger stark ist die italienische Grenze gesichert. So beseitigt auch ^ *'' *
nicht das bestehende Bündnis die gegenseitige Kampfbereitschaft. Gegen
Russland hat Oesterreich starke Festungen bei Krakau und in Przemysl,
und für den Fall eines siegreichen feindlichen Einfalls sind alle nötigen }
Vorbereitungen zur Gegenwehr getrofien. I
Auch der Nachbar Oesterreichs , Russland, hat die notwendigen
Befestigungen und Stützpunkte zur Verhinderung eines österreichischen
Truppen-Einmarsches, wenn es sich entschliessen sollte, gegen das ge-
nannte Reich die Defensive zu wählen.
Wie daher die Krieg&pläne auch sein mögen, ein jeder Teil, der B^rfeg».
den Krieg in das Gebiet des Gegners verlegt, wird dort furchtbare Mittel aiiw L^der.
zum Empfang der Angriffsarmee bereit finden. Die Staaten haben un-
zählige Millionen verausgabt, um trotz der Verschiedenheit in der
Schnelligkeit der Mobilmachung nicht von allzu grossen Vorzügen der
gegnerischen Angriffskräfte überrascht zu werden.
Die getroffenen Vorbereitungen haben den Zweck, den Gegner zweck
wenn nicht an der Grenze selbst, so doch in den der Grenze nahen Ge-
bieten aufzuhalten. Inzwischen muss die Kavallerie beider Theile —
diese Voraussetzung haben wir im zweiten Abschnitt erwähnt — selbst-
ständig in das feindliche Gebiet einfallen, dort alles zerstören, was dem
Kriege dienen kann, und diese oder jene Truppenteile des Gegners an
solchen Punkten zum Kampfe zwingen, die nicht befestigt sind und die
sie selbst wählt.
Alles dies stellt zusammengenommen entweder die Hineintragung
völlig neuer Elemente in die Kriegsführung oder eine so grosse Um-
gestaltung und so ungeheure Zahlenerhöhung der früher aktiven Streit-
kräfte dar, dass in früheren Kriegen nichts Aehnliches zu sehen war.
Und welche Bedeutung diese neuen Mittel für die Taktik der Infanterie
haben können, das wollen wir jetzt erklären.
34'
532 '^^^ Taktik der Infenterie.
4. Die Befestigungen künftiger Schlachtfelder.
umflug Ein künftiger Krieg muss znm Teü den Charakter eines Kampfes
festi^^n. mittelst der Anfführung von Befestigungen annehmen. Aber diese Be-
festigungen werden nicht nur in dem Gelände an der Grenze oder nicht
weit von der Grenze entstehen, sondern die Schlachtfelder selbst werden
ein anderes Aussehen, als sie es früher hatten, erhalten.
Wichtigkeit In dem Abschnitte dieses Werkes, welcher der Belehrung über
. (g^j^g^^^en und Feldbefestigungen gewidmet ist,i) war darauf hingewiesen,
dass die Auswahl der Punkte für die Befestigung und die Entscheidung
für die eine oder andere Art der letzteren eine sorgfältige Prüfung er-
fordert, da nicht entsprechende Bauten und Sperrungen sich als Hindernis
erweisen und geradezu gefahrlich für denjenigen werden können, der sie
aufgeführt hat.
Aber zu sorgfältigen Studien, Ausmessungen und Aufnahmen der
Grenzgebiete hatten alle europäischen Reiche 25 Jahre Zeit, und si«
haben natürlich die besten Kräfte der Kriegswissenschaft darauf ver-
wandt. Deshalb darf man auf keiner Seife grobe Fehler für möglich
halten noch zugeben, dass ein Reich auch in dieser Beziehung besser als
ein anderes gerüstet sei, wie es der Fall hätte sein können, wenn
man das ganze Befestigungssystem in kurzer Frist hätte improvisieren
müssen.
Einfkche Was die einfachsten Feldarbeiten betrifft, so haben wir an anderer
fiirinftinteri^ Stelle gezeigt, dass sie sich leicht ausführen lassen, seitdem die Truppen
Artiuerie. "^^ Schauzzcug vcrsehcu und an solche Arbeiten bei den Lageiübungen
gewöhnt sind. So wirft eine Kompagnie mit Hilfe des Schanzzeugs ihrer
Mannschaften in 21/2 Stunden einen Wall auf, der für eine Schützenkette
von 250 Schritt Länge ausreicht. Auch für eine kleine Schanze von
100 Schritt Länge, die eine Kompagnie decken kann, ist nicht mehr
Zeit nötig.
Grössere Walle oder Schanzen zur Deckung für Infanterie oder
Artillerie nehmen schon mehrere Stunden, aber nicht mehr als acht in
Anspruch. Da jetzt auch die Abteilungen der Artillerie mit Schanzgerät
versehen sind, so kann jede Batterie selbst in dieser Zeit eine für ihre
Geschütze genügende Deckung aufführen,
sobneuere Dicse Schnelligkeit in Befestigungsarbeiten war in früherer Zeit
g^iTfrSfr. undenkbar. Allerdings wurde gesagt, dass Totleben die Erdbefestigungen
von Sewastopol improvisiert habe. Ohne seine Verdienste schmälern zu
woUen, welche die Kunst der Verteidigung von Festungen vervoU-
•) S. Feldbefestigungen S. 253—279.
Befesiagtmgen künftiger Schlachtfelder. 533
kommnet haben, müssen wir gleichwohl bemerken, dass er dazu mehrere
Monate Zeit hatte. Osman- Pascha hatte das von ihm besetzte Plewna
stark befestigt, aber auch er hatte dazu fast zwei Monate, die Zeit nach
dem dritten Sturm ungerechnet.
Hier kann die numerische Zusammenstellung der Ingenieurtruppen veAwtnis
im Verhältnis zur Infanterie nach dem Friedens - Etat der verschiedenen teehniflcheB
Armeen von Interesse sein. Zu den Ingenieurtruppen werden Sappeure, ^Sf^riT^
Pioniere und Pontoniere gerechnet. Deren giebt es in den Armeen (das
Bataillon zu 4 Kompagnien gerechnet):
Kussland ... auf 1040 Inf.-Bat. 25 Pion.-Bat. = 41
„ 711 „ „ 23 „ >? = 31
Deutschland
Oesterreich
Italien . . .
Rumänien .
•
Frankreich .
„ 462 „ „ 16 „ „ = 31
„ 346 „ „ 13*/4 „ „ = 26
„ m „ „ 4 „ „ = 26
„ 684 „ „ 26 „ „ = 22
1
1
1
1
1
1
Aber ein bekannter Militärschriftsteller, der belgische Greneral
Brialmont, hält anch das letzte Verhältnis für nicht genügend. Er rät
nicht 2n dem Verhältnis von 1 Pionier zu 22 Infanteristen, sondern von
1 : 16. Der General Kfllichen geht noch weiter und will 1 : 13.
Bemerkenswerth ist die besondere Sorgfalt, die man in Deatschland '»rf»»«»»
auf die Feldpionier-Thätigkeit verwendet. Erst im Jahre 1890 war dort Feidpioaier-
eine neue Feldpionier-Vorschrift für die Infanterie eingeführt, und jetzt D^ta^Jhuna!
ist sie durch eine andere ersetzt, erstens deshalb, weil man die darin
enthaltenen Vorschriften über die Herstellung von Befestigungsarbeiten
als schon veraltet erkannte, und zweitens, weil man gegenwärtig die
Infanterie zur selbständigen Herstellung solcher Feldarbeiten anleitet,
ohne Mitwirkung technischer Truppen und ohne die überflüssigen Ingenieur-
Künsteleien. 2)
Es wird nicht unnütz sein zu erwähnen, dass die Truppen in allen B«dentang
Armeen zur Herstellung leichter Feldschanzen verschiedener Art an- tMgungen
geleitet sind, zu deren Aufführung einige Minuten erforderlich sind, aber yj^iiafger.
dann können diese allmählich verstärkt werden, so dass der Verteidiger
immer genügend Zeit zur Befestigung seiner Stellung haben wird. Die
Vorzüge, welche Feldbefestigungen, wenn auch nur leichter Art, gewähren,
sind zu bedeutend, als dass der Verteidiger sie nicht sollte benutzen
wollen. Die Truppen, die zum Angriff schreiten, sind in diesem Augen-
blick fast schutzlos, während der Verteidiger sie schon aus gi'össerer
Entfernung mit einem sehr wirksamen Feuer überschüttet. Die Angreifer
») LöbeUfl „Militärische Jahresberichte", 1894.
534 VII- Taktik der Infanterie.
können nur zeitweise Halt machen und aus irgend welchen naturlichen
Deckungen schiessen, wie hinter Bodenerhebungen, Bäumen, Steinen u.s.w.
Die Angriflslinien, welche eine nach der andern folgen, können mit
ihrem Feuer die vor ihnen Angreifenden unterstützen. Aber gleichwohl
müssen auch diese Linien sich allmählich den Stellungen nähern, wobei
sie zu feuern aufhören, während der Verteidiger, der seinerseits hinter
Schanzen liegt, das Feuer beständig und mit allen seinen Kräften unter-
halten wird. 5)
5. Vorschriften für den Aufmarsch zum Gefecht und
die Gefechtsführung.
Folgen der Aus ciucr auch uur obei'flächlichen Durchsicht der Abschnitte über
Bewaffnung, die ueue Bewaffnung und die Geschosswirkungen der Artillerie kann der
Leser die Ueberzeugung gewinnen, dass ein künftiger Krieg in vielen
Beziehungen den vorangegangenen, darunter auch dem letzten zwischen
regulären Truppen, dem Feldzuge 1877/78, nicht ähnlich sein wird.
Die Gewehre kleinen Kalibers, deren Durchschlagskraft 6 bis 10 Mal
grösser ist als die der früheren, die Geschütze, welche die früheren
Kanonen 20 Mal an Feuerwirkung und Treffweite überragen, das rauch-
schwache Pulver, die verschiedenen vorher unbekannten Kriegsgeschosse
und Vorrichtungen, die Ausbildung der Truppen in schneller Aufführung
von Erdarbeiten, alles dies sind neue Elemente für den Kampf, Be-
dingungen, die seinen Einfluss komplizieren.
Bedenken Je komplizierter diese Bedingungen und je vollkommener die Be-
&ftihrang waffnuug ist, umsomehr Erfahrung und Ausdauer wäre von Offizieren
^i^d^Mail" ^^* Mannschaften zu fordern. Aber schon jetzt haben drei Viertel der
Schäften, aktiveu Offiziere keinen Krieg mitgemacht und kennen ihn nur aus
Manövern und Büchern. Und wann auch immer ein Krieg entstünde, so
werden in den Reihen der Armeen ^/g des ganzen Bestandes Reserve- und
Ersatzleute bilden.
Bedeutung Iß Vergangenen Zeiten, wo es möglich war, sich nach den Lehren
eines
unerwarteten früherer Kricgc ZU richteu, und wo alle Methoden bei Angrüf und Ver-
mfmenu teldlgung durch Vorschriften und Instruktionen bis ins Einzelne festgesetzt
waren, genügte irgend ein wichtiger, unvorhergesehener Umstand, um
den Gang des Gefechts zu verändern und diesen oder jenen Truppenteil
einer unerwarteten Gefahr auszusetzen. Aber wie sehr vergrössert sich
3) General Brackenbury: „Field -Works", und Malet: „Handbook of Field
Training".
Yorschrifben fiir den Aufiaaarsch zum Gefecht. 535
die Wahrscheinliclikeit und die Bedeutung eines jeden unerwarteten Er-
eignisses heutzutage bei dem rauchschwachen Pulver, welches die Er-
kennung der gegnerischen Bewegungen erschwert, und bei der jetzigen
Bewaflnung, dank welcher ein ganzer Truppenteil, der plötzlich unter eine
Salve des wirksamsten Feuers kommt, in einem Schwanken von höchstens
zehn Minuten vollständig Mann für Mann vernichtet werden kann.
Deshalb sprechen gewisse Kriegsmänner von grosser Autorität die Bedentong
Meinung aus, dass es bei einer künftigen Kriegsftthrung nicht möglich iu-
ist, allgemein verbindliche Vorschriften und Grundsätze aufzustellen, und "*"^'^''®''-
dass die Befolgung solcher in allen FäUen obligatorischer Vorschriften
bisweilen die schlimmsten Folgen haben kann.
Hierbei verweilen wir deshalb, weil es im Ernstfälle ganz anders
sein wird als in den Manövern, deren Lehren man bei der Zusammen-
stellung von Vorschriften benutzt. Wenn an Stelle der Jalonneure mit
Fähnchen, die den Gegner markieren, oder auch an Stelle der entgegen-
gesetzten Truppenabteüung, die musterhaft schiesst, Massen erscheinen,
die wirkliches Feuer abgeben, dann wird die Unmöglichkeit, die eine
oder andere Bewegung in Uebereinstimmung mit den Vorschriften
auszuführen, sich viel eher zeigen, als sie von den Schiedsrichtern im
Manöver anerkannt wird.
Der Einwurf, dass die jetzigen Vorschriften mit voller Kenntnis der
neuen Geschosswirkungen und aller gegenwärtigen Gefechtsbedingungen
aufgestellt sind, erweist sich schon deshalb als nicht stichhaltig, weil
keine Vorschriften die Grösse der Verluste oder die Zahl der Minuten
voraussehen können, nach der man die Schlachtordnung oder die unter-
nommene Bewegung verändern muss. Aber wenige Minuten werden
dazu genügen, dass der Truppenteil zurückgeht, doch nicht mehi- ganz
wie im Manöver, sondern nur die unversehrt gebliebene Hälfte.
Da wir von Gefechtsregeln sprechen, wollen wir das französische Gründe m
di6 An-
Reglement als Beispiel anführen. Dazu veranlassen uns folgende Um- fthnmg de«
stände: erstens wui-de das rauchschwache Pulver und das MeinkaUbiige ^"jere^nto"
Gewehr in der französischen Armee früher als in den andern eingeführt,
und zudem kann man zugeben, dass ihr Reglement auf einen grösseren
Schatz wenn auch nur von Friedenserfahrungen gegründet ist; zweitens
wird in Russland das rauchschwache Pulver erst noch eingeführt, und
im deutschen Heere ist den Offizieren, nicht nur den im aktiven Dienst
stehenden, sondern auch denen des Beurlaubtenstandes, streng verboten,
ihre Meinung über militärische Dinge zu äussern; die englische Armee
ist den übrigen unähnlich, weil sie aus Berufssoldaten besteht, die sich
für Geld anwerben lassen, und in Italien treten wenige selbständige
militärische Versuche hervor, und auch diese halten sich haupt-
536 ^^11- Taktik der Infanterie.
sächlich an das, was in andern Ländern bearbeitet oder festgesetzt
worden ist.
In Frankreich allein ist bei dem Vorhandensein aller neuesten Ver-
vollkommnungen kraft des nationalen Temperaments, der Gewohnheit und
der Staatsfonn selbst die Bedingung vorhanden, dass militärische Fragen
oflen und allseitig ohne die Gefahr irgend welcher unangenehmer per-
sönlicher Folgen von Kennern beurteilt werden. Auf Grund dieser Er-
wägungen wollen wir hauptsächlich bei dem französischen Reglement
verweilen,
a) Das französische Gefechtsreglement.
mstorisow Die Vorschriften für die Gefechtsführung waren erst im Jahre 1883
nach einem sorgfältigen Studium der Wirkungen des Gewehrs, Modell
1874, erschienen, wobei schon zum Teil die Veränderungen berücksichtigt
wurden, welche seit der Ausgabe des.Lebel-Gewehrs (Modell 1886) an
die Truppen nötig waren. Darauf wiirden vier Jahre lang Beobachtungen
über die Wirkung des neuen Gewehrs angestellt und im Jahre 1890
erschien die sogenannte provisorische Instruktion für die Gefechtsführung.
Ent- Aber bevor wir zur Besprechung der in dieser Instruktion vor-
deT Gefecht», gesehenen Gefechtsformationen schreiten, wird es, glauben wir, nicht
^i^^^jj^®' unnütz sein, ein Bild von der Entwickelung der Infanterie zu geben,
wenn sie aus der geschlossenen Tiefkolonne zum Angriff in die Gefechts-
front übergeht.
Front, und Währcud dcs Vormarsches kann die Front und die Tiefe der
Tiefen*-
mudeiinuDg. Eolonue verscMedeu sein, muss aber in den bekannten Grenzen bleiben.
Die Front kann bis 232 Meter betragen, und zwar 210 Meter Gefechts-
front und 22,5 Meter für die Halb-Intervalle im Bataillon.
Die Tiefe der Kolonne kann bis auf 300 Meter gebracht werden ;
aber das ist die grösste Entfernung zwischen den Staffeln in der Bewegung.
Den Kompagnieführern bleibt es überlassen, zur Verminderung der Ver-
luste den Abstand und die Zwischenräume rechtzeitig zu verändern,
aber ohne dass der Aufmarsch der Kompagnie die Grenzen von 232 und
300 Metern überschreitet, welche für Front und Tiefe der Kolonne fest-
gesetzt sind.
Während das aus vier Kompagnieen bestehende Bataillon nach Maass-
gabe der Annäherung an den Feind dem Feuer ausgesetzt ist, verringert
es allmählich mehr und mehr seine Tiefe und entwickelt die Front.
Verhaltender In Bczug auf dcu Begiuu des Gefechts ist gesagt, dass die Infanterie
oefecit " "^^ der Avantgarde die Artillerie deckt und, indem sie sich nach Möglich-
keit auf 1500 Meter nähert, sich bestrebt, nicht nur gegen die feindliche
Infanterie zu operieren, sondern auch ihre Salven auf deren Batterieen
zu konzentrieren. Im gegebenen Augenbliek fasst der Befehlshaber den
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Bd. L Elsncan tii Silts CBT.
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Vorachritten für dec Attfinarach zum Gefecht. 537
Entschlnss, eatweder auf den Angriff zn verzichten oder ihn mit allen
Kräften za filhien. In ersterem Falle giebt er der Infanterie das Signal
znm ßückzng, während die Artillerie mit ihrem Fener die feindliche In-
fanterie niederhält; in letzterem zieht er zur Unterstützung der schon
ins Gefecht geführten Teile die Reserven zusammen. Xach Möglichkeit
wird Verstärkung des Angrifls mit frischen. Truppen gefordert, nnd dieser
beginnt bei 600 Metern, wenn man annehmen kann, dass die Ausdauer
des Gegners schon etwas gebrochen ist- Die Teile, die am Schiessgefecht
teilgenommen, schliessen sich an den Flanken mit den frischen, zum ent-
scheidenden AngriS anrückenden Truppen zusammen.
Die Kompagnie formiert sich in der Entfemnng von 1500 Metern ebi-
zum Gefecht und schickt eine oder mehrere Abteilungen zur Bildung einer 'dt'"*
Schützenlinie zunächst in geschlossener Ordnung aus. Bei 1400 bis 1200 "»"p^""
Metern Entfernung vom Feinde entwickelt sich die Abteilung in Halb-
Abteilungen, diese bei 1200 bis 1000 Metern in Züge, und bei 1000 bis
800 Metern lösen sich die Zugs in Schützenschwärme auf, aber nur in
dem FaUe, wenn das Gelände offen und das Feuer bedeutend ist.
Weiter unten bringen wir aus der „Illustration" (18. Jnli 1891) die *i.biHu.g«i
Abbildung der Aufstellung eines Bataillons zum Gefechtssehiessen in den
französischen Manövern, und in den Beilagen zeigen wir die Abbildung
der Entwicklung der Infanterie g^en Plewna nnd drei Zeichnungen ')>
von denen die erste die Aufstellung eines auf 3000 bis 1600 Meter zum
Angrifi gehenden Bataillons nach der französischen Instruktion ze^t,
die zweite die Aufstellung eines Bataillons, das auf IBOO bis 100 Meter
znm Angrifi schreitet, nnd die dritte den Angriff eines Bataillons auf
600 Meter Entfemnng.
Aufstellung eines BataillonB zum Sohiesagefecht in den franEösisohen Manövern.
^) Die Zeichnungen sind entlehnt aus den Werken: „Manuel de guerre"
und „Le combat", Paris 1S90.
538 "^^II- Taktik der Infanterie.
Die weiteren Phasen des Angriffs werden wir nach dem Werke des
Generals Ferron darstellen 2).
spranjrweiaee ^j){q angreifenden Bataillone gehen im Schnellschritt, nur auf Kom-
Vorgehen. ,
mando Halt machend, in der Richtung des jeder Abteilung angegebenen
Angriffsziels. Die Schützenlinie mit den Reserven hinter sich läuft von
800 Metern an 200 Meter vor. Nach diesen ersten 200 Metern folgen
einige Minuten zur Erholung, worauf die Schützenlinie auf ein gegebenes
Zeichen sich von neuem in Bewegung setzt und weitere 200 Meter
vorläuft."
„Indem man so die Vorwärtsbewegung fortsetzt, kann man, sagt
General Ferron, die moralische Stimmung der Truppen fördern, denn die
Soldaten bewahren unter sich ein Band, mit dessen Hilfe man die Kühn-
heit bis zum wirklichen Paroxysmus steigern kann."
„Nach einer kurzen Pause giebt Trommelschlag und Hornblasen das
Signal zum Ansturm, und die Truppen laufen schnell weitere 200 Meter vor."
In der neuen französischen Instruktion stellt sich als das Wichtigste
die Gefechtsaufstellung in einer Linie dar, femer die Abschaffung der
SpezialSchützen und die Eröffnung des Feuers auf weite Entfernungen.
Polemik Aber die angegebenen Angriffsarten riefen lebhaften Widerspruch
l^iTma^ hervor. Es wurde berechnet, dass der direkte Angriff auf Stellungen in
den bezeichneten Formen selbst unter den günstigsten Bedingungen jedes
Mal so viel kosten würde, dass ein derartiger Angriff sich als geradezu
unmöglich herausstellen würde.
Frage nacii Alle Reglemcuts stimmen darin überein, dass die Stellungen des
der^^Angriff»- Geguers bis zum Beginn des Angriffs in engerem Sinne durch ein richtig
trappe, geleitetes und wirksames Feuer dazu vorbereitet werden müssen.
Die Truppen, welche zu dieser einleitenden Beschiessung des
Gegners bestimmt sind, müssen hinreichend stark sein, damit die lieber-
legenheit des Feuers gesichert ist.
In Bezug hierauf wai* im „Progrfes militaire" folgende Frage auf-
geworfen: „Wie gross muss bei einem gegebenen Bestände der Ver-
teidigungstruppe die Angriffstruppe sein, damit sie trotz der Verluste,
die sie beim Vorgehen erlitten, bei einer Annäherung auf 32 Meter, wo
sie schon die Möglichkeit hat, mit dem Bajonett anzugreifen, der ersteren
an Zahl nicht nachstehe?"
^ Zur Entscheidung dieser Frage stellt der „Progrfes militaire"
derselben, folgcudc ßerechnuug an.
Auf 100 Mann, welche die Schanzen besetzt halten, muss der An-
greifer, um auf 25 Meter dieselben Kräfte zu haben, bei der jetzigen
') General Ferron: „Quelques indications pour le combat", Paris 1891.
Vorschriften für den Aufinarsch zum Gefecht. 539,
Feaergeschwindigkeit and der Easanz der Flagbahn folgende Anzahl
liaben:
Im Beginn der Entfernung von 500 Metern 637 Mann
«400 „ 613 „
« « „ „ 300 „ 575 „
„ r » ^ „ 200 „ 502 ^
»100 „ 342 „
« 50 „ 182 „
-, 26 „ 100 „
Im Sinne des Gefechts ist nicht so sehr der Umstand wichtig, ^
dass bei 637 Mann 537 werden kampfunfähig werden, als es äugen- b««
scheinlich ist, dass, wenn von 6 Mann nur einer auf die Entfernung von
25 Metern herankommen könnte, keiner bis dahin kommen wird, weil
viel trüber der EUckzug beginnen wird. In Anbetracht der Belehiung,
die diese Berechnung gewährt, geben wir hier auch eine graphische
Daistellung davon, nnd zwar nm so eher, als zwei angesehene rassische
Schriftstellers) sie ohne Widersprach beibringen.
5
Anzahl der Angreifer, die durch 100 verachanzte Soldaten kampfunfähig werden.
Daher würde der Angreifer, wenn er sich streng an die angeführte
Berechnung hielte, 6 bis 7 Mal stärker als der Verteidiger sein müssen. ■
In Wirklichkeit aber wird er einen noch bedeutenderen Ersatz von
Leuten haben müssen. Der französische Autor bemerkt, dass die Ziffern
der Verluste auf den verschiedenen Entfernungen auf Grund der Er-
fahrungen mit dem gefechtsmässigen Schiessen aufgestellt sind, welches
die Anzahl der Kageln angiebt, die nötig sind, um einen Mann in der
^ Michnewitsch: „Der Einfluss der neuesten technischen ErEndungen
auf die Taktik des Krieges", und Skugarewski: „Der Angriff der lafonterie".
540 ^^ Taktik der Infanterie.
Schützenlinie zutreffen. Aber wenn die ganze Abteilung, die siehzaäeni
allmählich verdichten moss, anruckt, so ist klar, dass Kugeln, die bei
einem vorbeigegangen sind, andere treffen werden, die zur Ergänzung
hinten folgen. Ausserdem muss man, wenn der Boden günstig ist, auch
die Prellschüsse berechnen. Endlich ist in der erwähnten Berechnung
auch der Umstand nicht in Erwägung gezogen, dass das jetzige Hein-
kaliber-Geschoss auf kurze Entfernungen mehrere Menschen durchbohrt.
„Wenn wir daher", so schliessrt derselbe Schriftsteller, „annehmen, dass
vor dem Angriff selbst d^r anrückejide Teil gleichwohl im Vergleich zur
Verteidigung einen doppelten Bestand haben muss, um auf die Stellungen
Salven abzugeben, die zur Vorbereitung des Sturms genügen, so kommen^
wir zu diesem Resultate: Damit eine Abteilung unter Feuer in ofienem
Gelände eine gut verteidigte Stellung erreichen kann, muss sie einen
Bestand haben, der wenigstens achtmal die Zahl des Gegners übertrifft."
Da man aber unmöglich zugeben kann, dass sich in der Gegenwart
bedeutende Unterschiede in der Zahl der aufs Schlachtfeld geworfenen
Truppen zeigen könnten, so sind die angeführten Vorschriften nur für
theatralische Schauspiele, die Manöver genannt werden, nützlich.
Eimteuff j)ie Macht der öffentlichen Meinung veranlasste das Kriegsressort,
KommiMion. eiuc besoudcrc Kommission zur Prüfung der oben erwähnten Vorschiiften
einzusetzen, zu deren Verfügung die Uebungslager von Chälons und eine
Infanterie-Brigade gestellt wurden.
Darauf wurde der Kommissionsbericht allen Korpskommandeuien
mitgeteilt und deren Antworten gingen an den höchsten Kriegsrat.
urteüe Wü" gcbeu dic Uebersicht dieser Antworten.*) Es wurde bestätigt,
kommui. dass dic Verteidigungsmittel sich verstärkt haben, und dass infolge dessen
danten.
eine sorgfältige vorhergehende Aufklärung der Streitkräfte und der
Stellung des Gegners notwendig ist. Es wurde anerkannt, dass die Be-
nutzung natürlicher Deckungen sehr richtig ist, und dass jeder Soldat
darin geübt sein muss, und der Anführer jedes Truppenteils muss, wissen,
wie er unter den verschiedenartigen Bedingungen des Geländes zu
handeln hat. Dörfer, überhaupt Wohngebäude bieten weujg Aussicht auf
Verteidigung, da die Artillerie es sehr schnell unmöglich machen wird,
sich in ihnen zu halten. Dasselbe gilt von Gärten und Wäldchen.
Aber grosse Wälder bieten sogar gegen starkes Artilleriefeuer eine
wichtige Deckung.
Schanzarbeiten werden mehr und mehr notwendig sein und in ihrer
schnellen Herstellung muss jeder Soldat ausgebildet sein. Die Infanterie
eröffnet das Feuer auf grössere Entfernuiigen, welche seine Wirksamkeit
^) „Encyclop^die des scien<!es militaires".
Vorschrijpben für den Aufinarsch zum Gefecht. 541
gestatten, and giebt es in Salven ab, wodurch Kontrole des Zielens und
Regulierang im Patronenverbrauch ermöglicht wird. Für Infanterie wie
für Artillerie ist es nötig, einen aufgepflügten Boden zu vermeiden, da
das Feuern auf ihm den Staub erzeugt, der den sich lange nicht ver-
teilenden Rauch des fiiiheren Pulvers ersetzen kann. Die Feuerabgabe
auf grössere Entfernung erfordert geschickte Schützen und entsprechende
Erhöhung des Zielens. Sehr wichtig ist die ununterbrochene Versorgung
mit Munition, da ihr Verbrauch reichlich sein wird.
Die Exaft des jetzigen Infanteriefeuers hat demselben eine so grosse Aufgabe der
Vit 1i rar
Bedeutung für den Gang des Gefechts gegeben, dass die in die vorderste
Linie geschickten Truppenteile nur von ihren unmittelbaren Anführern
geleitet werden dürfen. Im Verhältnis zu ihnen muss die Aufgabe des
Kommandeurs sich auf die fortwährende Zuschickung neuer Verstärkungen
beschränken. Sobald der Kommandeur einer Division, einer Brigade
oder eines Regiments sein letztes Bataillon in die erste Linie geschickt
hat, ist auch die Kommandofuhrung dieses höheren Befehlshabers zu
Ende; ihm bleibt nur übrig, mit seinen Leuten zu gehen und ihnen
ein Beispiel zu geben.
Bezüglich der Resultate des gefechtsmässigen Erfahrungsschiessens, verloste der
welches den Grad seiner Gefährlichkeit für die angreifenden Truppen ^inie*°
bestimmen sollte, wurde nur bekannt, dass die Kommission die wahr-
scheinlichen Verluste der Schützenlinie, wenn die Schützen zwei Meter
von einander entfernt sind, in folgender Berechnung annahm:
Bei der Entfernung von Mit dem Gewehr 1874 Mit dem Gewehr 1886
200 Metern 24 o/o 32 o/^
400 „ 12 o/o 160/0
600 „ 60/o 80/o
800 ^ 30/0 60/0.
. Versuche wurden auch mit mehr vervollkommneten Gewehren als
Modell 1886 angestellt, und gleichzeitig alle Neu-Eii;iführungen und Ver-
vollkommnungen in der Artillerie erprobt.
Die mitgeteilten verschiedenen Ansichten führt der Verfasser der
Schrift: „Nouvelle tactique de combat", Paris 1892, nach drei Schulen vor.
Die alten Soldaten geben die Ansicht nicht zu, dass die neue Be- Angichten
waffnung bedeutende Veränderungen des Verfahrens auf dem Schlacht- aiten schuie.
felde fordert. Sie meinen, dass zwar bei der vervollkommneten Be-
waffiiung das Gefecht gegen früher auf weitere Entfernungen beginnen
wird, aber dass dann gleichwohl beide Seiten den Gegner sehen und
nahe mit ihm zusammentreflen werden, so dass es nicht nötig ist, die
Vorschriften wesentlich zu ändern, und alles wie bisher in der Haupt-
542 ^11- Taktik der Infanterie.
Sache von dem Blick eines fähigen und energischen Kommandeurs ab-
hängen wird. Um daher allzu grosse Verluste abzuwenden, wird es
genügen, den ,.getährlichen" Gürtel möglichst schnell zu durchlaufen;
aber die jetzige Schlachtordnung tauge auch für die Zukunft.
Die «weite Dj^ z Weite Schule besteht auf der Ausdehnung der Front, d. h. auf
Schule. ° '
der möglichst grossen Entwickelung der Linie. Sie empfiehlt die häufige
Anwendung von Feldarbeiten und vorgeschobenen Linien, die Gefechts-
aufstellung auf gi'össere Entfernungen, die Eröffnung des Feuers mit
Salven auf bedeutende Entfernung, beim Sturm der Stellungen die Auf-
stellung zum Angriff auch in der Entfernung von BOO und sogar
600 Metern.
Die Endlich die dritte, „die junge" Schule richtet ihre besondere Auf-
jange Schule. J o
merksamkeit auf die Mittel der Aufklärung und Ueberblickung der
feindlichen Aufstellung, aber bezüglich der Schlachtordnung macht sie
gewissermaassen einen Schritt rückwärts, indem sie auf die Kraft der
Feuerwirkung bedacht ist und deshalb einige Geschlossenheit anrät. Um
die Verluste zu verringern, wird empfohlen, in offenem Gelände über-
haupt nicht Halt zu machen, sondern in gymnastischem Schritt von
einer natürlichen Deckung unter sorgfältiger Ausnutzung zur anderen zu
laufen,
ünaicherheit Die Befürchtuug einerseits, dass jeder Tag einen Krieg bringen
sTruktion^. könnte, andererseits der häufige Wechsel der Ministerien hatten die Folge,
dass noch vor der Beendigung der Kommissionsarbeiten und der Revision
des ganzen Kriegszustandes teilweise Verbesserungen in den Instruktionen
gemacht wurden.
Die so geschaffene Lage charakterisiert Abel Vangler in einer
französischen Zeitschrift 0) f olgendermaassen :
„Vorschriften folgen auf Vorschriften, unaufhörlich werden Er-
gänzungs- und Erläuterungs-Artikel, Bemerkungen und Verbesserungen
hinzugefügt. Daher kommt das Gefühl der Ungewissheit; man weiss
nicht, nach welcher Seite man sich wenden soll. Die Verhaltungsbefehle
lösen sich so häufig ab, dass man sie selbst im Augenblicke ihrer Be-
kanntmachung nicht als etwas Abgeschlossenes ansehen kann. Sie er-
scheinen unter den Benennungen: „Projekt eines Reglements" oder
„provisorische Instruktion". Dann erscheint die zweite Ausgabe der-
selben Vorschriften, aber mit Verbesserungen, wobei im Texte gewisser-
maassen beiläufig angezeigt wird, dass der Kriegsminister es für not-
wendig erkannt hat, die anfängliche Fassung eines Aitikel zu verändern.
Aber wenn nun die Aenderungen zu häufig w^erden, so bringt das, auch
*) „Revue encyclop^dique", 15. Juli 1895.
Vorschriften für den Aufmarsch zum Gelecht. 543
wenn sie zum besten dienten, gleichwohl die Gemüter in Verwirrung . . .
In der Armee existiert die Redensart: „Ordre, contre-ordre, dßsordre".
Weiter erklärt der Autor, dass jetzt eine neue Felddienst-Ordnung zu- ^^^^^
sammengestellt ist, in welcher indessen vieles aus der vom Jahre 1883
beibehalten, aber auch Wichtiges verändert oder ausgelassen ist. So
wurde im vorigen Reglement der Angriff als eine allmähliche Vorwärts-
bewegung in Staffeln, d. h. in aufgelösten Schützenlinien definiert, welche
eine die andere unterstützen soUen. Hierbei blieb die Frage offen: In
welchen Maassnahmen soll sich diese allmähliche Vorwärtsbewegung
äussern, welche als letztes Ziel den Stoss auf den Gegner hat? Anstatt
zu erklären, wodurch und wie die Unterstützungen ersetzt werden soUen,
die allmählich in die vorderen Linien einrücken, übergeht es das neue
Reglement vom Jahre 1894 einfach mit Stillschweigen."
Aber es fragt sich, warum diese Unterstützungen, welche der Reihe ^J^j^^^^^
nach eine jede die Linie ergänzen, die sich vor ihr befindet, in der
französischen Armee für nötig gefunden wurden, wie sie bisher auch in
anderen Armeen füi- nötig gefunden werden. Ist etwa mit dem Jahre 1883
das französische Gewehr in Bezug auf Zielen und Feuergeschwindigkeit
von den Gewehren anderer Armeen übertroffen worden? Oder hat sich
die Zahl der Patronen verringert, welche die Mannschaften haben?
Oder ist die Wirkung feindlicher Artillerie gefährlicher geworden? Oder
kann man endlich erwarten, dass der Gegner weniger als früher für
schnelle Herstellung von Schanzarbeiten sorgen wird? Das sind Fragen,
die im Hinblick auf die unverständliche Auslassung einer so wichtigen
taktischen Hinweisung im französischen Reglement den Spezialisten vor-
gelegt werden.
Aber die Veränderlichkeit der Vorschriften zeigt sich nicht in der
französischen Armee allein. Wir wollen uns jetzt zur deutschen In-
struktion wenden.
b) Der Angriff anf befestigte Stellungen im Sinne des deutschen
Reglements.
In Deutschland sind in der neuesten Zeit nicht so ausführliche "^T -
^ herrechende
Vorschriften und Regeln für die Gefechtsführung festgesetzt worden, wie Neigung zum
die, welche bei der französischen Armee eingeführt sind. Die Siege von ^"^ *
1870 haben die deutschen Kiieger an den Gedanken gewöhnt, dass sie
auch in künftigen Kiiegen immer die Offensive in strategischem wie
taktischem Sinne ergreifen werden. Die Ausführung von Attaken
empfing in der Ausbildung der Infanterie eine vorherrschende Bedeutung,
„obwohl vielfach Stimmen laut wurden, welche die durch die neue Be-
waffnung gesteigerte Stärke der Defensive hervorhoben".
544 ^^^' Taktik der Infanterie.
▲ngriffBart Tjn Jahre 1872 sah man den Angriff nach einem Muster üben,
vom
johre 1872. welches ungefähr folgendes Bild darbot: Zwei Schützenlinien folgten
hintereinander, dann Untersttttzungstrüpps in geöffneter Linie oder in
Sektionen auseinandergezogen, das zweite Treffen in Linie aufmarschiert,
die einzelnen Züge in Sektionen oder Reihen abgebrochen, endlich die
Reserve in Kolonnen. Die verschiedenen Glieder des ersten Treffens
sollten sich allmählich einschieben und so die Schützenlinie in Sprüngen
vorwärts tragen."
Gefecht«- Durch kaiserücheu Erlass vom Jahre 1873 wurde die normale Gre-
formation
Ton 1878. fechtsformation des Bataillons m den Kompagniekolonnen festgesetzt, die
sich in Sektionen formieren, wobei vorgeschrieben wurde, dass die Kom-
pagnien ebenso unmittelbar in der Hand des Bataillonskommandeurs
sein müssen, wie die Bataillone in der Hand des Regimentskommandeurs sind.
^" Aber im Jahre 1876 wurde ein neues Reglement eingeführt, welches
' Beglement ,
i87e. nach dem Ausspruch des Generals v. Janson^) die Bedeutung des Exerzier-
platzes auf die Einübung der Gefechtsformen beschränkte, während die
Anwendung nach der jedesmaligen Bodengestaltung im Terrain gezeigt
werden sollte. Aber hierbei bestimmte dieses Reglement keinerlei neue
Maassnahmen für die Angriffsführung.
Entstebang ludesseu zcigtc das gefechtsmässige Uebungsschiessen den Kom-
des neaea
Begiements. mandeui'en die gewaltige Kraft, welche das Feuer schon bei dem dama-
ligen Gewehr besass, und veranlasste sie, verschiedene Angriffsformen
zu ersinnen. Gegen diese Versuche trat der General von ßronsai-t auf,
indem er nachwies, dass auch das giltige Reglement die Gefechtsbereit-
schaft der Truppen genügend sicherte. Indessen machte man sich seit
dem Jahre 1880 im Kriegsministerium an die Ausarbeitung eines neuen
Reglements ; aber die Sache zog sich bis 1888 hin, als Kaiser Friedrich EQ.
von den Korpskommandeuren Bericht hierüber forderte. Die darauf ein-
gesetzte Kommission arbeitete in demselben Jahre ein Reglement aus,
nachdem schon das Gewehr Modell 1888 und das rauchschwache Pulver
eingefühi't war. In dem neuen Reglement waren nur die Hauptprinzipien
festgesetzt, indem das Nähere bei ihrer Anwendung dem Ermessen der
Kommandeure anheimgegeben wurde. Infolge dessen wird auch dieses
Reglement von vielen nicht als genügend anerkannt.
Gang ^lY woUeu deu Leser nicht mit den numerischen Veränderungen
dos Angriiu ^
auf eine iu der Verteilung der Angriffstruppen ermüden, da die Grundlage der
suuuJS^ Gefechtsordnung gleichwohl die Schützenlinie mit Unterstützungstrupps
und Reserven und dann die zweite Gefechtslinie oder das Haupttreffen
®) General v. Janson: „Die Entwickelung unserer Infanterie -Taktik seit
unserem letzten Kriege" („Militär- Wochenblatt" 1895).
Vorschriften für den Aufmarsch zum Gefecht. 545
geblieben ist. Aber wir wollen nach der Erklärung des Generals von
Janson den Gang des Angriffs auf eine befestigte Stellung in Ueberein-
Stimmung mit dem neuen deutschen Reglement wiedergeben.
Die Stellung, in der sich die Verteidigung verschanzt, wird derart ^^'J^^^^jf
gewählt, dass sie einen bedeutenden Kaum beherrscht, den der Angreifer Vorbereitung
unter Feuer durchschreiten muss. Mag daher der Angreifer seiner Ge- ^^^atwiT^'
fechtsgliedemng und einheitlichen Formation eine noch so geringe Tiefe a^^*"«"«-
geben, er kann den Angriff der Infanterie nicht ohne weiteres auf die
frontale Stellung fuhren. Auch die Umfassung ist kein unfehlbares Hilfs-
mittel, denn je mehr sich der Angreifer entwickelt, um so leichter wird
es dem Gegner sein, irgend einen Punkt der Angriffslinien mit den
Reserven zu schlagen, und überdies läuft die Sache schliesslich wieder
auf einen frontalen Angriff hinaus. Deshalb ist zunächst die Beschiessung
durch Artülerie notwendig, und diese ist nur durch Ueberlegenheit über
das der Verteidigung zur Verfügung stehende Artilleriefeuer möglich.
Sind die Schützengräben und Verteidigungsschanzen der Stellungen mit
Eindeckungen versehen, so bedarf der Angreifer sogai- der Unterstützung
der bespannten Geschütze der Belagerungsartillerie, um jene zu durcli-
schlagen.
Erst nach dieser Vorbereitung beginnt der Infanterieangriff, indem Ami&herong
1 ^'^ ^ö"* Feind.
die Schützenlinie in eine so nahe Entfernung von der Stellung gebracht
wird, als die Wirksamkeit des Infanteriefeuers erfordert. Die Zahl der
Gewehre in dieser Schützenlinie muss nach Möglichkeit auch die Ueber-
legenheit des Gewehrfeuers der Angriffslinie über das der Verteidigung
erringen.
Aber diese Annäherung an einen Gegner, der hinter starken AnaftiirnBg
Deckungen liegt und auf vorher eingeschossene Entfernungen feuert, ist
überaus schwierig und kann sogar der Arbeit zweier Tage bedürfen.
Am ersten Tage wird der Angreifer bis an die Grenze des Feuer-
bereichs der feindlichen Artillerie heranrücken, und mit Beginn der
Dunkelheit bis auf wirksame Infanterieschussweite schwächere Abteilungen,
etwa Kompagnien, vorschieben, welche er den vorher bestimmten Teilen
unter Aufrechterhaltung des Grundsatzes der Tiefengliederung entnimmt.
Die vorgeschobenen Teile nehmen die Richtung nach geeigneten Punkten
des Geländes und verschanzen sich sogleich. Die Entfernung der
besetzten Punkte vom Gegner lässt sich nicht festsetzen, da sie von der
Beschaffenheit des Geländes abhängt, von der grösseren oder geringeren
Dunkelheit, welche die Annäherung begünstigt, und ferner davon, ob der
Feind vorbeugende Maassnahmen im Vorgelände trifft oder nicht.
Die gewählten Stützpunkte geben die Linie an, von der aus am Vorbereitung
nächsten Tage der Sturm anzusetzen ist. Daher sind gleich nach der ^^^ ^^™®'-
Bloch, Der snkünftige Krieg. 35
546 ^^* Taktik der Infanterie.
Besetzung jener mehr oder weniger gedeckten Punkte starke Schutzen-
schwärme in die Lücken zwischen den Stützpunkten einzuschieben, und
zwar möglichst noch in der Dunkelheit, damit auch diese Abteilungen
noch ungehindert Deckungen für sich aufwerfen können. Mit dem Tages-
licht wird dann sogleich ein starkes Schützenfeuer auf die Verteidigung
beginnen. Zum Beginn des Sturmes müssen die hinteren Staffeln schon
an die vorderste Linie herangeführt sein, um den Kampf zur Entscheidung
zu bringen.
Peinliche jjier liegt die Hauptschwierigkeit der Lösung der Aufgabe. Selten
Sitoation
der hinteren tritt der Fall clu, dass auch die folgendeu Staffeln, die noch vor Tages -
Staffel«^ grauen an die Schützenkette herangeführt sind, natürliche Deckungen,
sogenannte tote Winkel, im Gelände finden werden. In den meisten Fällen
werden vielmehr diese Staffeln ohne Deckung bleiben und dann wird ein
peinlicher Moment eintreten. Von Tagesanbruch an werden diese Teile
schutzlos unter dem Gewehrfeuer des Feindes und unter den Artillerie-
geschossen stehen, welche er über die Köpfe seiner Schützen hinweg-
schleudert; sie werden einige Zeit unthätig dastehen, entweder weil es
dem Feuer der Angreifer noch nicht gelungen ist, die Stellungen für den
Angriff vorzubereiten, oder weil die für den Sturm festgesetzte Zeit noch
nicht gekommen ist.
B«- Wenn deshalb Helligkeit der Nacht (Mondschein, Sommernacht) be-
sehrftnkong \ 7 /
der ziehungsweise Schneebedeckung des Geländes zu erwarten ist, oder wenn
AM&hlrnng. ^cr Fclud elektrischcs Licht benutzt, so genügt es in diesem Falle, bei
Beginn der Nacht die vordersten Stützpunkte mit Schützenkompagnien
oder Zügen zu besetzen, und in deren Lücken sind erst unmittelbar vor
Tagesanbruch stärkere Schützenschwärme einzuschieben; endlich sind die
hinteren Staffeln erst unter dem Schutze des Feuers der Schützenlinie
in der Absicht vorzuziehen, damit in demselben Augenblick, in welchem
jene Staffeln die Schützenlinie erreichen, der Sturm auf die Stellung mit
allen dazu bestimmten Kräften beginnen kann. Eine Reserve muss in-
dessen zurückbehalten werden sowohl zum Widerstand gegen Gegenstösse
der Verteidigung auf den einen oder anderen Punkt des Angriffs als zur
Durchführung des etwa stockenden Sturmes.
Ob es gelingen wird, den Sturm ohne Halt durchzuführen, wird von
der Entfernung und der Widerstandskraft abhängen, welche die Ver-
teidigung an den Tag legt. Aber in jedem Falle muss man sich nament-
lich zur Aufgabe machen, die Stellung mit einem Mal zu nehmen.
Verhaltender In den AugenbUckeu, wo die angreifende Schützenlinie gezwungen
und der Ist Halt ZU macheu, giebt sie Feuer ab. Während sie darauf dem feind-
unterftthrer. y^j^^jj Fcucr ausgcsctzt ist, macht sie ganz von selbst zum mindesten an
einigen Stellen einen neuen Sprung nach vorn, nicht nach Maassgabe
Vorschriften für den Au&iarsch zum Gefecht. 547
irgend eines taktischen Schemas, sondern einfach unter dem Zwang des
feindlichen Feuers. Die Initiative der Unterführer bestimmt den Moment
der weiteren Vorwärtsbewegung; sie machen auch diejenigen Punkte der
Stellung ausfindig, wo die Verteidigung nachlässt, und veranlassen ihre
Leute zum Vordringen. Es ist wünschenswerth, dass eine der rück-
wärtigen Abteilungen sich vorher in die Linie einschiebt, aber niemals
dürfen die Mannschaften zum entscheidenden Angriff auf geschwächte
Verteidigungspunkte veranlasst werden, bevor alle zum Sturm bestimmten
Abteilungen herangekommen sind.
Ob die im Anfang vorgeschobenen und in Deckungen liegenden Feueruater-
Schützen zum allgemeinen Sturm hinzugenommen werden müssen oder d» Angrüfs
ob sie möglichst lange durch ihr Feuer die stürmenden Teile unter- 'itfonterie!
stützen und dann als Rückhalt für etwaige Rückschläge der Verteidigung
ihnen folgen sollen, hängt von den Umständen ab. Das eine kann man
besonders sagen, dass eine dauernde infanteristische Feuerunterstützung
des Angriffs neben der Thätigkeit der Artillerie um so erwünschter ist,
als die zurückgebliebene Hauptmasse der Artillerie bei Beginn des
Sturmes, um den Ihrigen nicht Verluste zu bringen, nicht mehr auf die
Stellung feuern kann und dann gezwungen ist, ihr Feuer auf die Ver-
bindungen des Gegners zu richten.
Nach diesen Erläuterungen wendet sich General v. Janson zu der Bedeutung
Bedeutung, welche die Reserve in der Hand des obersten Führers hat. feindlichen
Hindemisse vor der Front der Stellung können durch technische Mittel eiMtoiT^ng.
beseitigt oder durch Annahme angemessener Formationen weniger wirk-
sam gemacht werden. Ungewiss aber bleibt es, ob ein Schweigen des
feindlichen Feuers ein Zeichen der Niederkämpfung ist, oder ob sich
dahinter die Absicht verbirgt, die Angreifer auf nahe Entfernung heran-
zulassen und mit gesammelten Kräften dann im entscheidenden Augen-
blick ein vernichtendes Feuer auf die Anrückenden zu eröffnen. Es ist
demnach sehr schwer zu bestimmen, wann eine Stellung zum Sturm völlig
vorbereitet ist und wann die hinteren Staffeln zum Angriff heranzuziehen
sind. Freilich hört man jetzt auch die Vermutung, dass die Feuer-
einstellung der Verteidiger und ihre Unthätigkeit unter dem Schutz der
Deckungen aus einer Nervenerschütterung infolge der entsetzlichen Detona-
tionen der schweren Geschosse hervorgehen könne. „Aber wii- haben'*,
bemerkt der deutsche General, „keine Berechtigung, den Gegner für
schlechter zu halten als uns selbst, und selbstredend muss für uns der
Gedanke an die Möglichkeit solcher Zustände ausgeschlossen sein."
Die Schwierigkeit, einen Angriff unter den jetzigen Verhältnissen Benutzung
der
auszuführen, veranlasst denselben Schriftsteller zuzugeben, dass man die Naohteeit.
Nachtzeit benutzen kann, nicht nur um die vorderen Stützpunkte mit
35*
548 VIL Taktik der Infanterie.
Schützen zu besetzen und demnächst die übrigen Teile an sie heran-
zuziehen, sondern geradezu zur Durchführung eines unerwarteten, laut-
losen Ueberfalls der Stellung mit ungeladenem Gewehr. Diese Absicht
ist nur möglich, wenn man erreicht, dass noch am Abend vorher auf
Seiten der Artillerie sich entschiedene Feuerüberlegenheit zeigt, dass die
vorgeschobenen Posten der Verteidigung schon zuiückgeworfen sind, und
dass endlich die Entfernung von der Stellung nicht gross ist. Dagegen
aber spricht erstens die Gefahr der Unordnung beim Angrifi in der
Dunkelheit und zweitens die Wahrscheinlichkeit verhängnisvoller Folgen
in dem Falle, dass der Gegner die Bewegung rechtzeitig bemerkt. Schon
die Manöver zeigen, dass es der Sturmkolonne nicht leicht ist, die genaue
Marschrichtung festzuhalten.
dM"Ii^ff8 ^^^ Untersuchung der Angriff smaassnahmen, welche man in der
nach dem doutscheu Armee anzuwenden beabsichtigt, zeigt, dass die taktischen
itogiement Vorschrifteu, die übrigens heutzutage fast bei allen Armeen in den Feld-
dienst-Ordnungen für die Infanterie eingeführt sind, in der Hauptsache
der Taktik der Napoleonischen Zeit entnommen sind, wo die Grewehre
glatte Vorderlader waren und wo nach kurzem Geplänkel das Gefecht
durch Bajonettangriff entschieden wurde. Solche Angriffsarten entsprechen
schon weniger der Epoche des kleinkalibrigen Magazingewehrs. "0
Bückbiicic, In den oben gegebenen Voraussetzungen wird die Thätigkeit der
Artillerie als Hauptstütze anerkannt, aber zugleich wird hier gezeigt,
dass sie nicht im Stande ist, den Sturm aufrecht zu erhalten; sodann
wird zwecks Annäherung an den Gegner und Aufschüttung von Deckungen
auf das Dunkel der Nacht gerechnet und zui* Angriffsführung zwei Tage
angenommen.
Indessen behaupten einige Militär -Schriftsteller, dass künftige
Schlachten 3, 4 und sogar 8 Tage») dauern und auf ungeheuren Räumen
sich vollziehen werden. Andere Spezialisten finden es überhaupt
für unwahrscheinlich, dass wir zu der Epoche der Belagerungen
zurückkehi'en werden. Belgrad, Mantua, Plewna können sich wieder-
holen.
Möguohkeit Es ist sehr leicht möglich, dass der Angreifer bei der Unmöglich-
BchUewanff kcit, ciueu entscheideudeu Sieg zu erringen, sich bemühen wii*d, den
des Gegners. Y^ij^i da, WO QY ihu fludct, cinzuschliesseu, indem er selbst Schanzen
aufführt und demnächst, um die Zufuhr zu verhindern, Ausfälle zu machen
anfängt, bis die Belagerten ausgehungert sind. 9)
») Löbell: „Militärische Jahresberichte", 1894.
•) „Progrös militaire", 1891. — „R^flexions ä propos des grands manoeuvres".
») Hoenig: „Die Taktik der Zukunft".
Vorschriften für den Anfinarsch zum Gefecht. 549
Ueberhaupt darf man der Thatsache, dass die deutschen Kriegs- Aiter der
Schriftsteller sich vorzugsweise für die Offensive aussprechen, noch nicht
die unbedingte Bedeutung zuschreiben, dass man darin eine Art neuer
Wahrheit sieht, die die Kriegswissenschaft gebracht hat. Jene wirk-
lichen Vorteile des Angriffs, auf die sie sich berufen, und besonders den
Umstand, dass dem Angreifer die Initiative gehört, dass er gleichsam
der Kriegsordner und der Eigentümer des Schlachtfeldes ist, dass in
seinen Eeihen sicherlich grössere Begeisterung herrscht — diese Vorteile
hat der Angriff immer geboten, sogar in jenen Zeiten, als die Heere mit
Bogen und Schwertern bewaffnet waren. Darin liegt nichts Neues.
Aber gerade alles das, was neu ist, alle Vervollkommnungen der vonM«-
Bewaffnung und Umwandlungen im Bestand des Heeres sprechen mehr "off^ive"
zum Vorteil der Verteidigung und machen es wenig wahrscheinlich, dass
irgend eine Armee sich entschliessen sollte, immer unbedingt den Angriff
vorzuziehen. Selbst die Anhänger dieses Systems versichern, dass die
erste Bedingung eines Erfolges beim Angriff auf eine befestigte Stellung
die Feuerüberlegenheit ist. Aber wenn dies ein allgemeiner Grundsatz
ist, so stellt sich ja als Endresultat heraus, dass man zum Erfolg im
Kriege mehr Truppen und vollkommnere Waffen haben muss als die,
über welche der Gegner verfügt.
Aber erstens versteht sich das von selbst und macht in Wirklich- Feoerfiber-
keit keinen Grundsatz aus, und zweitens gestatten gerade die neuesten zafmii. nicht
Bedingungen gar nicht, auf eine derartige beständige Ueberlegenheit der "^^ ^**»'*p-
Kräfte und Waffen zu rechnen. Die deutschen Autoren nehmen im gegebenen
Falle nicht kritisch genug Bezug auf die Erfolge der deutschen Truppen
in den letzten drei Kriegen, Erfolge, die ihnen die Ueberzeugung von
den Vorzügen des Angriffs eingeflösst haben. Daraus, dass die Ver-
bündeten den Dänen und die Deutschen den Franzosen an Streitkräften
überlegen waren, und daraus, dass die Preussen bessere Gewehre als
die Oesterreicher und bessere Artillerie als die Franzosen hatten, folgt
durchaus noch nicht, dass es möglich ist, die Feuerüberlegenheit als all-
gemeines Prinzip aufzustellen, welches man gegen die jetzigen Armeen
Eusslands und Frankreichs anwenden müsste. Allerdings kann Ueber-
legenheit an Kraft und Geschützzahl gegen eine Stellung oder im Ge-
fecht eintreten, aber das wird Zufall sein und nicht das Resultat eines
allgemeinen Prinzips. Als allgemeingiltigen Grundsatz muss man nach
der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in allen Ländern und bei
dem unablässigen Wetteifer aller in der Bewaffnung den annehmen, dass
die Kräfte beider Teile in einem grossen europäischen Kriege fast gleich
sein werden, sowohl an Truppenmassen überhaupt als an Geschützzahl
und Wert der Bewaffnung.
550 ^^' Taktik der Infanterie.
B«d«iik«i Wenn daher den deutschen Truppen bedingungslos zum Angriff ge-
g^Of OB ulB
offenswe. rateu wird, so heisst dies ein Prinzip aus Verhältnissen herleiten, die
nicht mehr existieren und sich nicht wiederholen können, es sei denn im
Kriege einer Grossraacht mit Staaten zweiten Eanges. Wenn man femer
diejenigen Vorteile in Erwägung zieht, welche die neuesten technischen
und andere Hilfsmittel der Verteidigung gegeben haben, und besonders
die Möglichkeit, den Gegner aus starken Deckungen auf ausgedehntem
Gtelände zu schlagen, die grössere Bequemlichkeit, Ersatz und Verpflegung
für die ungeheuren Truppenmassen herbeizuschaffen und die Armeen
durch neue Kontingente zu ergänzen, endlich die bessere Aussicht auf
Erhaltung der Disziplin, so wird es zweifelhaft sein, ob es möglich ist,
diese Vorteüe immer zu verschmähen und ihnen unbedingt die Initiative
und die Begeisterung in den Angriffsreihen vorzuziehen. Die Wahr-
scheinlichkeit, die Ti-uppen beim Angriff hinzureissen, ist schon deshalb
weniger anzunehmen, weü in die Armee immer mehr Leute kommen, die
der Krieg aus ihrer Friedensbeschäftigung losreisst, und weil die Offiensive
immer mehr Opfer fordert. Zudem darf man auch die neuere Erscheinung
nicht ausser Acht lassen, dass in die Volksmassen Mittel-Europas zum
Teil Theorieen eindringen, die weder der Begeisterung für den Angriffs-
krieg noch der Hinreissung zur Attake unter dem mörderischen Feuer
einer starken Verteidigungsstellung förderlich sein können.
In der weiteren Darstellung wollen wir uns angelegen sein lassen,
den Leser mit den verschiedenen Seiten der Aufgabe bekannt zu machen,
welche der Infanterie in einem künftigen Kriege zufällt, damit der Leser
selbst die Möglichkeit erhält, sich persönlich in den oft nicht überein-
stimmenden Meinungen etwas zu orientieren, welche die Fachmänner
äussern.
6. Wechselwirkung der Infanterie und Artillerie.
Nachteil Wir haben die Ansichten von Autoritäten angeführt, welche von
flbermftssiger
Beifie- dem Nachteil einer übermässigen, obligatorischen, allgemeinen Regle-
meatierang j^^^ntjej.mjg fj^ Saclicn der Kriegsführung völlig überzeugen. Es ist
natürlich, dass für Angriff und Verteidigung in jedem einzelnen Falle
mannigfache Bedingungen verschiedenen Grades eintreten werden, und
dass diese auf die Wahl dieser oder jener Mittel und Formen der
Operation einen gewissen Einfluss ausüben müssen.
^?*- Aber durch diese Erwägung wird für die Armeen keineswegs die
bestimmter Notwendigkeit widerlegt-, allgemeine theoretische Anweisungen zu be-
Prinzipien.
Wechselwirkung der Infanterie und Artillerie. 561
sitzen, welche nach Maassgabe der in jedem Falle gegebenen Umstände
angewandt werden sollen. Anderenfalls würden die Kommandeure in
verschiedenen Teilen einer und derselben Armee sich an verschiedene
taktische Ansichten halten, und folglich würden ihre Anforderungen an
die Untergebenen und die Ausbildung der Truppenteile selbst ver-
schieden sein.
Indessen wechseln die Befehlshaber, und bei der Mobilmachung
selbst werden in den Reihen der Armee 2/3 bis 5/4 der Offiziere von der
Reserve sein, und nach den ersten Schlachten wird sich der Bestand der
Offizierkorps noch bedeutender verändern. Notwendig aber ist, dass in
ihren Ansichten über Operationsai-ten etwas Gemeinschaftliches ist, und
es ist undenkbar, dass jeder von ihnen nur diejenigen Gesichtspunkte
mit sich trägt, die er von seinem früheren Vorgesetzten gelernt hat. Die
Notwendigkeit, in aufgelöster Kampf Ordnung zu operieren, die durch
die Beschaffenheit des jetzigen Gewehrs bedingt ist, verleiht der Initiative
der Unterführer grössere Bedeutung. Daher ist es sehr wichtig, dass
sie nicht nur gewisse allgemeine Regeln kennen, sondern überhaupt mit
der E[riegstheorie möglichst bekannt sind.
Die Zeiten sind vorbei, wo theoretisches Wissen nur für Artillerie- Bedeutung
tbeoretisdier
und Ingenieuroffiziere als notwendig galt, und die Vorbereitung der Sub- EenntniMe.
altemoffiziere zu persönlicher Initiative höchstens bei der Kavallerie als
wünschenswert bezeichnet wurde. Die heutigen Kriegsbedingungen sind
derart, dass die Vorbereitung zur Initiative für den Infanterieofftzier
äusserst notwendig ist. Professor Coumfes drückt sich sogar folgender-
maassen aus: „Zui* Kommandierung der Infanterie auf dem Schlachtfelde
wird soviel Wissen nötig sein, dass man unter 500 Offizieren in keiner
Armee 100 finden wird, welche eine Kompagnie ins Feuer führen könnten".
Dabei darf man nicht vergessen, dass die bedeutende Mehrzahl der
höheren Offiziere im gegenwärtigen Bestand der Armeen nicht in der
Schlacht ist.
Es wird freilich auch die Meinung laut, dass unter dem Eindruck Festeetamg
" Toa Normal-
des jetzigen verheerenden Feuers die Unterfuhrer in den vorderen Linien oefechts-
nicht imstande sein werden, überlegt und kaltblütig zu handeln, und dass ^™* '*"*''^
es deshalb notwendig ist, für verschiedene FäUe zweckmässige Formationen
und Gefechtsarten festzusetzen und die Truppen darin auszubilden, so
dass diese Formationen und Bewegungen in der Schlacht nach der
Gewohnheit ausgeführt werden und den Unterführern das Nachdenken
und auch die Notwendigkeit ersparen, längere Kommandoworte hervor-
zubringen, i) Doch giebt die Mehrzahl der deutschen Militärschriftsteller
1) „Applicatorische Studie über den Infanterie- Angriif*, Wien 1895.
552 Vit. Taktik der Infanterie.
Überhaupt die Möglichkeit der persöalichen Initiative bei der Wahl der
taktischen Formen in Uebereinstimmung mit den Forderungen des Augen-
blicks zu. Aber man muss hinzufügen, dass die deutschen Schriftsteller
diese Fähigkeit gerade den deutschen Offizieren und auch Unteroffizieren
zuerkennen. In dieser Leichtigkeit, die taktischen Formationen zu verändeiii,
welche durch das höhere Niveau der Bildung und speziellen Vorbereitung
der Offiziere bedingt ist, zeigt sich besonders der wichtige Vorzug, den
die deutsche Armee vor andern haben wird.
üebrigens bezieht sich dies nur auf die Auswahl unter den For-
mationen, welche den Mannschaften schon bekannt sind, und nicht auf die
Erfindung einer solchen, in der die Soldaten nicht ausgebildet sind. So
bemerkt der englische General Clery, dass der Gedanke an die Impro-
visierung irgend einer neuen Gefechtsordnung während der Schlacht reine
Illusion ist. 3)
sohrtokuiur ^^ ^^^ ^^^^ Gesagtcu geht heiTor, wie wichtig die Frage ist, ob
auf die die hcutzutagc vorgetragenen Regeln den gegenwärtigen Kriegsbedingungen
°*'*^**"^*°' entsprechen. Während wir uns schon vier Jahre lang mit der Unter-
suchung der mit einem künftigen Kriege verknüpften Fragen beschäftigen
und uns mit den wichtigsten Arbeiten der jetzigen europäischen Litteratur
bekannt gemacht haben, in denen man Hinweise auf die wahrscheinlichen
Kriegsbedingnngen finden kann, nehmen wir nur die Zusammenstellung
der maassgebenden Ansichten und bei der nicht seltenen Uneinigkeit der
Autoren die Aufstellung einiger logischer Folgerungen aus dieser Diflferenz
auf uns. Da aber unsere Untersuchung keine spezielle Bestimmung hat,
so können wir in jedem Abschnitt und unter Weglassung vieler besonderer
Ausführungen und Details nur die Hauptsache berühi-en.
So dürfen wir, da wir von der Taktik des Infanteriegefechts
sprechen, nur bei der Operation der Hauptkräfte verweilen und dann bei
der Voraussetznng der gegenseitigen Bereitschaft zum Kampf, d. h. der
Absicht einerseits, eine Schlacht zu liefern, und andererseits, sie an-
zunehmen. Zufällige Zusammenstösse, Scharmützel zwischen kleinen Ab-
teilungen und sogar Avantgardengefechte, soweit sie nicht zur Operation
der Hauptkräfte gehören, sind wir gezwungen, bei Seite zu lassen.
Zusammen- Da dic Truppcu aller Waffen an der Schlacht teilnehmen, so haben
iwiachen wir der Zusammenwirkung aller einen besonderen Abschnitt mit der
Infanterie Uebcrschrift „Auf dem Schlachtfelde" gewidmet. Jetzt beschäftigen wir
Artinerie. ans Hut dcn eigentlichen Operationen der Infanterie. Seit der Zeit der
Vervollkommnung der Waffen und der dadurch erforderlich gewordenen
häufigen Anwendung von Verteidigungsarbeiten hat . sich die Verbindung
2) General Clery: „Minor Tactios**.
Abhängigkeit der Gefechtsordnung der Infanterie von den Geschützen. 553
und gegenseitige Abhängigkeit unter den durch Feuer wirkenden Truppen,
d. h. zwischen Infanterie und Artillerie, verstärkt. In früheren Zeiten
konnte die Infanterie die Hilfe der Artillerie gegen Infanterie wenigstens
im Felde entbehren. Heutzutage ist bei einer einigeimaassen frühzeitig
vorbereiteten Verteidigung des Gegnera die Hilfe der Artillerie bei der
Operation der Infanterie gegen die gewöhnlichen Verschanzungen not-
wendig. Andererseits tragen die neuen kleinkalibrigen Gewehre so
weit und ist ihre Feuergeschwindigkeit ein so wichtiger Faktor im
Kampfe, dass selbst die Taktik der Artillerie unter dem Einfluss
der sehr erhöhten Bedeutung des Infanteriefeuers sich teilweise ver-
ändern wii*d.
Bei der Behandlung der Operationen der Infanterie ist es daher
notwendig, sie nach zwei Gesichtspunkten zu betrachten, und zwar:
1* wann Infanterie von Artillerie unterstützt wird, und 2. wann Infanterie
ohne Hilfe der Geschütze operiert.
7. Abhängigkeit der Gefechtsordnung der Infanterie
von den Geschützen.
Der Einfluss der Artillerie auf Anordnung und Gang des Gefechts Tn^imfi
zeigt sich vor allem in der Vergrösserung der Ausdehnung des Schlacht- Arüuerie-
feldes, d. h. derjenigen Entfernungen, auf welche das Gefecht beginnt. «•"°^««»«-
Das Maximum der Tragkraft der Geschosse ist in den verschiedenen
Armeen nicht gleich und von der Reihenfolge der Einführung dieser oder
jener Muster abhängig. Als Beispiel führen wir aus dem vorhergehenden
Teil unserer Arbeit i) folgende Daten über die französischen Geschütze an:
Die weitesten Schüsse gaben:
9-Centimeter-Geschütze Modell 1874 auf 7000 Meter
*^P n n n n n «400 „
12 „ „ „ „ „ 8970 „
Aber diese Höchstentfernungen des Geschützfeuers können im F»ge
nach ddr
ganzen auf dem Schlachtfelde nicht angewandt werden, darin stimmen wirksame«
alle überein. Auseinander gehen die Meinungen in der Frage nach der geetottendcn
grössten Entfernung, auf die eine vorteilhafte Kanonade beginnen kann. ^^"J^"
}) „Taktik der ArtiUerie^ S. 430: 15,5-Gentiiiieter-Haubitzen schiessen auf
6600 Meter.
554 ^^^ Taktik der Inianterie.
Diese tYage hat fiir den Ärtilleriekampf beider Teile die allergrösste
Bedeatang, mit welchem aller Wahrscheinlidikeit nach jede Schlacht be-
ginnen wird^ nnd der im vorhergehenden Abschnitt erwähnt ist. Hier
sind die Ergebnisse des Artilleriefeners für nns gerade in Hinsicht auf
die Operationen der Infanterie wichtig.
K««k Fünft Forst Hohenlohe, Kommandenr der preossischen GardeartiUerie im
7000 u»ur. Kriege 1870, ein sehr angesehener Kriegsschriftsteller, stellt den Grund-
satz auf, dass man bei den jetzigen Geschützen das Artilleriefener Ton
7000 Metern Entfernung an beginnen kann, weil schon bei dieser Distanz
die Hälfte der Geschosse ein Ziel von 15 Schritt Breite trifft. „Wenn
man folglich, sagt Fürst Hohenlohe, eine Batterie gegen einen Weg von
15 Schritt Breite aufstellt, so könnte eine solche Batterie alle auf diesem
Wege in einer Entfernung von vollen 7000 Metern befindlichen Infanterie-
massen glatt fortrasieren, und das Feuer derselben würde so wirksam
sein, dass es Niemand in den Sinn kommen würde, diesen Weg zu be-
nutzen. "2)
v«rwhied«n- Die Mcinuttg des französischen Schriftstellers, Professors Coumes*^),
i>bt»n^ weicht von der vorhergehenden schon bedeutend ab. Er findet, dass man
m^^n'ttiT ^^ Feuer gegen feindliche Stellungen auf 5500 bis 6000 Meter beginnen
Artillerie- kann, dass es aber nicht möglich ist, es gegen Kavallerie und Infanterie
feaer.
weiter als auf 3000 Meter zu richten. Der englische General Clery*) sagt,
dass in der britannischen Armee die Maximaldistanz wirksamen Feuers
auf 5000 Yard (4570 Meter) und darüber veranschlagt ist. General
Müller^), in dessen Ansicht man einen Anklang an die in den deutschen
Kriegssphären herrschende Ueberzeugung sehen kann, sagt, dass 3000
Meter die äusserste Feuergrenze für Granaten gegen bedeutende Ab-
teilungen und Artillerieziele bilden, während die Entfernungen für
Shrapnelfeuer überhaupt bis an die Grenze reichen, wo der Zünder
verbrennt,
orftndedafür. Dicse SO grossc Verschiedenheit in den Distanzbestimmungen des
Artilleriefeuers geht natürlich nicht aus technischen Gründen hervor,
denn, wie oben gesagt, tragen die Feldgeschütze bis 7400 Meter, sondern
aus der Verschiedenheit der Ansichten über die Entfernung, auf die das
Feuer in dem Grade wirksam sein kann, dass es sich lohnt, Geschosse
zu vei^enden, ohne dem Gegner den Gedanken beizubringen, dass nur
gefeuert wird, um ihn zu erschrecken.
') „Briefe über Artillerie".
') Coumös: „Tactique de demain".
*) „Minor Tactics**, 12. ed. 1893, S. 363.
*) „Die Wirkung der Feldgeschütze".
J
Figuren, welche als Scheiben für das Uebungsschiessen im
deutschen Heere dienen.
Rumpr.
Bmst .
Kopf .
^J«^
X^ ' —
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1 ..._^
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OewÖhnl. Erdbodea
Sand
SleiDmauer . .
Granitst«ine . .
Eiserne Platte .
Abbild. 1. Figuren, welche beim UebungascblesseD als Scbeiben dienen.
„ 2. Flugbahnen bei verschiedeneu Stellungen des Visirs, Entfernung 500 Meter.
n '6. Bau der Feldberestigungen.
Abhängigkeit der Grefechtsordnung der Infanterie von den Geschützen. 555
Es ist klar, je grösser die Entfernung, um so geringer ist die Trefi- . ^^*°*%^^
Sicherheit. Wir wollen die im vorhergehenden Abschnitt 6) angeführten shrapneia.
Zahlen in Erinnerung bringen, welche die unbedingte Wirkung (puissance
destructive) des Shrapnels für jeden getroffenen Gürtel darstellen :
Entfernungen
1500 Meter 2500 Meter 3500 Meter 4500 Meter
für Diaphragma - Shrapnel 3387 1779 1147 757
für Shrapnel mit Zentral-
zünder 1616 953 964 864
Die angeführten Zahlenverhältnisse, welche den Grad der Shrapnel-
wirkung bei verschiedenen Feuerentfernungen angeben, haben für
Spezialisten die grösste Bedeutung.
In einem Artikel des „Militär-Wochenblatts" 7) erwähnt der bekannte ^^^ ^«'
Schies»-
deutsche Militärschriftsteller, General der Artillerie Rohne, dass zum »oBbiidiing
Vorschlage von Offizieren für die Auszeichnungen, welche Kaiser de^tecben
Wilhelm ü. für die beste Schiessleistung truppenweise versprochen hat, ^""^•
nötig war, Grundlagen für die Beurteilung der Resultate auszuarbeiten,
und dass der genannte General zu diesem Zwecke auf Grund der auf
den Schiessplätzen gesammelten Erfahrungen die Belege für die flöhe
der Anforderungen zusammengestellt hat, welche man in Bezug auf das
Infanterie- wie Artilleriefeuer an die Mannschaften stellen muss.
Die Ausbildung besonders geschickter Schützen ist deshalb wichtig,
damit in der vordersten Linie Leute sein können, die fähig sind, mit
Erfolg auf die Geschützbedienung und die Artillerieoffiziere des Gegners
zu zielen. Das Preisschiessen ist in der deutschen Armee entwickelt;
denen, die im Schiessen sich ausgezeichnet haben, werden Schnüre auf
dem Watfenrock verliehen, welche dem auf der Brust getragenen Abzeichen
in der russischen Armee entsprechen.
In den Anlagen geben wir Abbildungen der Figuren, welche als
Scheiben für das Uebungsschiessen dienen.
General Rohne hat sich seit dem Jahre 1881 speziell mit der Ver- oenena
Rohnes
gleichung der Schiessresultate beschäftigt und seine Schrift über diesen Studien.
Gegenstand hat die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Wir
benutzen deshalb die Darstellungen seiner Arbeiten ») in ausgedehntem
Maasse weiter.
«) „Taktik der Artülerie" S. 372.
0 1895, drittes Heft. „Ueber die Beurteilung der Wirkung und über
Stellung von Aufgaben beim gefechtsmässigen Schiessen der Infanterie und Feld-
Artillerie" von H. Rohne. (Siehe die Aom. 8 anf der folgenden Seite.)
556
Vll. Taktik der Infanterie.
sohies». General Bohne erklärt, dass die von ihm mitgeteilten und von uns
rssnltate mit
shrapnei. Mer anzufilhrenden Treffer nach den Versuchen mit Muster-Schützenlinien
gesammelt sind; dabei waren ganze Schiitzenflguren in Abständen von
je einem Schritt (0,8 Meter) von dem Mittelpunkt jeder Figur auf-
gestellt.
Von je
1 Shrapnei waren
folgende
Treffer
Entfernung
ZQ vermerken:
Ziele
in
Metern
Sprengweite in Metern:
50
100
150
200
250
500
22,2
11,1
7,4
5,5
4,4
Stehende
1000
19,6
9,8
6,5
4,9
3,9
Schützen
1500
2000
17,8
16,4
8,9
7,7
5,9
4,7
4,4
3,5
3,5
2,6
2500
15,1
6,9
4,1
2,5
2,0
Es hat also bei einer Entfernung von 2500 Metern jedes Shrapnei
IB bis 2 Treffer.
Im Durchschnitt aber muss man annehmen, dass jedes Shrapnei
Treffer nach folgender Tabelle haben wird:
Stellung und Teile der Figurenscheiben
Entfernung in
Stehende
Halbgedeckte
Liegende
Metern
Schützen:
Schützen :
Schützen :
Kopfscheibe
ganze Figur
Kumpf Scheibe
Brustscheibe
500
7,4
3,4
1,9
0,9
1000
6,5
3,0
1,7
0,8
1500
5,9
2,7
1,5
0,7
2500
7,7
3,5
2,0
1,0
2500
6,9
3,1
1,8
0,8
Folglich wird jedes auf 2500 Meter abgeschossene Shrapnei im
Durchschnitt 7 Mann ausser Gefecht setzen.
*) Hohne (Gen.-Major), „Das Schiessen der Feld-Artillerie unter Berück-
sichtigung der für die preuasische Artillerie gültigen Bestimmungen", 1881.
Andere Schriften desselben Autors: „Beispiele und Erläuterungen zu dem
Entwurf der Schiessregeln für die Feld-ArtiUerie," 1882. Dasselbe 1883. — „Die
Feuerleitung grosser Artillerie verbände, ihre Schwierigkeiten und die Mittel, sie
zu überwinden," 1886. — „Das Artillerie-Schiessspiel. Anleitung zum applika-
torischen Studium der Schiessvorschrift und zur Bildung von Schiessbeispielen.**
— „Studie über den Shrapnelschuss der Feld-Artillerie".
Abh&ngigbeit der Gefechtsordnung der Infanterie von den Geschützen. 557
Die vorstehendea Angaben des Generals Rohne haben nns die ß'^^"""^
^föglichkeit gegeben, noch die unten folgende zahlenmässige Bestimmung gsturiich
der relativen Gefahr zu geben, welche die Shrapnels dem ungedeckt ■ ' *■
dastehenden Soldaten and dem hinter Schanzen gedeckten bringen, . wobei
die Treffer der ganzen Figur zn 100 genommen sind.
Entfernung
in Metern
Ganze Figur
Liegend
Kopf
600
100"/.
46,0»;.
25,7 •/.
12,2'/.
1000
lOOO/o
46,2 V.
26,2«/.
12,3»..
1600
100«/.
45,8«/.
25,4"/.
11,9»/.
ajoo
lOOo/o
45,6»/.
26,0«/.
13,0«/.
2600
100»/.
44,9«;.
26,1"/.
11,6«/.
Bei der Wichtigkeit dieser Vergleichung bringen wir sie no(
folgender graphischer Dai-steDung:
Grösse der Gefahi der Shrapnels
für den halbged eckten, liegende» und bloss den Kopf zeigenden Soldaten.
(IM« Tnffer beim nigwlackt ilshsidaB Solditsn in IDO gHanmeu.)
Entttnuiig
im tiatani:
ioo<v
lon
1001.
1001.
4n
*5.b:i.
46.i'|.
M.9"!,
Aus den gebrachten Be- ^'^'^j^t
legen geht hervor, dass die««'»'" '"
Artilleriegeschosse schon anf ordnaag
eiueEntfemangvoü2500Met.
dem Gegner bedeutende Ver-
luste beibringen kOnnen, auch
wenn er sich in Schützen-
linie entwickelt hat. In der
558
Vri. Taktik der Infontorie.
.1(K)0
1500
2000
2&00
2Ö.J1,
26^1.
261.
26.it
Liagndar SsldsL
500
f'i
1000
r ^
1500
lii
2(X»
2500
l2.iT.
12.A
lli'l.
13-i,
II.].
Marschordnung aber ist ein Mann
vom andern höchstens 0,38 Meter ent-
fernt, und infolge dessen mnss auch
bei dieser Ordnnng die Treffgefahr
des Shrapnels annähernd im gleichen
Verhältnis, d. h. 21/5 Mal zu-
nehmen.
Sie wird noch mehr zunehmen,
wenn ^vir uns einige Reihen Soldaten
hintereinander vorstellen. In Bezug hieranf
finden wii' Belege bei einem österreichischen,
gleichfalls sehr schätzenswerten Militürschrift-
steller, dem Oberst Regenspnrgski. Nach
seinen AVorten hat das Erfahrungsschiessen
in Oesterreich und Frankreich gezeigt, dass
bei mittleren Entfernungen die in ge-
schlc^isener Ordnung marschierenden Ab-
teilungen einen zweimal grössei'en Verlust
erleiden als die in aufgelöster Oi'dnung mit
einem Schritt Abstand gehenden; und die in zwei geschlossenen Reihen
marschierenden erleiden einen viermal grösseren Verlust, s)
[^ Die Bedeutung dieser letzten Zahl wird anschaulich klar aus der in
den Anlagen gebrachten Abbildung des Sturms auf die Spicherer Höhen
bei Saarbrücken am 6. August 1870.'") Wird bei den jetzigen Ge-
schützen und Gewehren ein ähnlicher Angriff möglich sein? Jedes
Shrapnel hätte jetzt zehnfache Opfer getroften, und jede Kugel hätte
bei einer Trefifläche von 500 Metern das Maximum, d. h. 3 bis 5 Mann
gefunden. tJm aber genauer die Grösse der Gfefahr zu bestimmen,
müssen wir auch die Zeit in Erwägung ziehen, die nötig ist, um dem
Gegner grösseren oder geringeren Schaden zuzufügen. Die Feuer-
wirkung einer Batterie gegen eine Kompagnie von 160 Schützen berechnet
General Rohne einschliesslich der zum Einsclüessen notwendigen Schösse
folgendermasseii; (6i.h. d« i.<ib.iurteii«id. T»b.ue.>
Daraus ist ersichtlich, dass eine Batterie, die in einer Entfernung von
löOO Metern aufgestellt ist, in T'/a Minuten von einer Reihe (wenn auch
mit einem Schritt Abstand) liegender Schützen ein Drittel kampfunfähig
machen wird, und bei halbgedeckter Stellung fast die Hälfte. AA'eiter oben
*) nStudiea über den taktischen Inhalt des Exerzierreglements ffir die K. K.
Fiisstruppen". Wien 1892,
'") Die Abbildung ist der Kriegs-Jubiläunisnummer der „Allgeii
Leipziger Illustrierten Zeitung" entnommen.
Abhängigkeit der Gefechtsordnung der Infanterie von den Geschützen. 559
Wirkung einer Batterie gegen eine Linie von 160 Schützen. Wirkung
einer
Batterie anf
ver-
schiedene
Eni-
femnngen.
Grosse der Ziele
Entfernung
in Metern
Zeit in
Minuten
Treffer
®/o Figuren
getroffen
Brustscheibe (bei liegender j
800
1000
2V»
3V2
45
59
24
31
Stellung) 1
1200
1500
5Va
71/2
88
112
42
50
Rumpfscheibe (bei halb-
4
800
1000
2V2
31/2
80
105
40
48
bedeckter Stellung) |
1200
1500
5V2
7V2
154
202
62
72
haben wir gezeigt, dass die Treff kraft (puissance destructive) eines hohlen
Shrapnels bei einer Entfernung von 1500 bis 4500 Metern das Ver-
hältnis von 1616 : 864 bietet, d. h. sich nicht ganz um die Hälfte ver-
ringert. Daraus folgt, dass man auch auf diese Entfernungen, wenn nur
keine Hindernisse in der Aufstellung des Ziels vorhanden sind, dem
Gegner wenn auch geringere, so doch ansehnliche Verluste beibringen
könnte.
General Müller sagt, dass „die Truppen, um sich nicht gänzlicher
Vernichtung preiszugeben, in zerstreuter Ordnung und möglichst geheim
in den Unebenheiten des Terrains werden Deckung suchen oder, wie
Maulwurfe die Erde aufwühlend, werden heranschleichen müssen." Die
Eeglements aber erklären nicht, bis zu welchem Grade dies möglicli ist.
Man kann daher fragen: Ist dies Schweigen unwillkürlich oder be-
absichtigt?
Zugegeben, dass auf die Entfernung von 4000 Metern nur der
vierte, sogar der fünfte Theil jener oben genannten Treflerzahl eintreten
wird, so wird auch in diesem Falle die Artillerie nicht auf die Feuer-
abgäbe verzichten, es sei denn, dass der Kommandeur überzeugt ist, man
könne, ohne vom Gegner bemerkt zu werden, näher an ihn herangehen
und sicherer gegen ihn operieren. Deshalb erweist sich die oben an-
geführte Ansicht des Fürsten Hohenlohe, dass die Artillerie in künftigen
Schlachten schon auf eine Entfernung von sieben Kilometern das Feuer
eröffnen wird, durchaus nicht als Phantasie.
Es muss noch bemerkt werden, dass auch von denjenigen Ge-
schossen, die das aufs Korn genommene Ziel verfehlt haben, bei weitem
nicht alle verloren sind, wenn sie auch ohne unmittelbare Wirkung ge-
blieben sind. Alles erschreckend und eine gewaltige Fläche bestreichend,
werden sie schon aus der Ferne Unruhe in den Reihen erzeugen. Ver-
schalt vor
dem Fener,
Feuer-
eroihinng anf
weite Ent-
fernungen.
Moralische
Bedeutung
nicht
treffender
Geschosse.
560 ^^- Taktik der Infanterie.
luste, die durch das Feuer eines fem stehenden Gegners verursacht
werden, wirken in moralischem Sinne viel deprimierender als die auf
nahe Entfernungen beigebrachten. Ueberhaupt ist es wahrscheinlich
genug, dass man das Geschützfeuer schon auf weite Entfernungen er-
öfinen wird. Das Augenraaass kann täuschen, aber der Konmiandeur
wird keine Minute versäumen wollen, wenn sich ihm irgend eine Wahr-
scheinlichkeit fiir ein Resultat bietet. Mit Geschossen sparen wird er
schwerlich, um so mehr als die Armeen, wie an anderer Stelle bemerkt
ist, im Ueberfluss damit versehen sein werden. Wir wollen hinzufügen,
dass der Teil, welcher einen Verteidigungskrieg führt, die Bequemlichkeit
haben wird, die Munitionsdepots zeitig einzurichten.
Nunmehr gehen wir zu den Hilfsmitteln selbst über, mit denen die
Artillerie die Infanterie unterstützt.
Vor- In (jer österreichischen Felddienst-Ordnung wird folgender all-
bereitang des
inf«iteri<>- gemeiner Grundsatz aufgestellt: „Der Artillerie ist die Möglichkeit und
*dS^h" Zeit zu geben, dem Infanterie-Angriife entsprechend vorauarbeiten. Ohne
Artillerie. Feuerüberlegenheit hat der Angriff keine Aussicht auf Erfolg". Auch
hier wird von der Feuerüberlegenheit gesprochen. Wenn aber der
Gegner eine gleiche Artillerie hat, so wäre aus diesem Grundsatz zu
folgern, dass in diesem Falle der Infanterie-Angriff keinen Erfolg ver-
spricht.
Daher wird die erste Aufgabe der angreifenden Artillerie die Ver-
nichtung der gegnerischen sein, und erst danach kann sie ihr Feuer auf
die feindliche Infanterie richten. Daraus geht die Notwendigkeit hervor,
in erster Linie eine zahlreiche Artillerie zum Angriff wie zur Verteidigung
zu haben.
dOTG^hüte- Wenn wir aber das Verhältnis der Zahl der Geschütze zu der
»hl rar Truppenzahl der Infanterie vergleichen, so kommen wir zur der Ueber-
zeugung, dass es in den verschiedenen Ländern fast gleich ist. Und
zwar sind
Geschütze auf 10000 Mann Infanterie
In Russland . . 3992 12
„ Frankreich . 4676 12
Sornma
8568
In Deutschland .
3598
12
„ Oesterreich .
2072
10
„ Italien . . .
1624
10
Summa 7294.
Abhängigkeit der Gefechtsordnung der Infanterie von den Geschützen. 561
Folglich Übersteigt die Summe der Geschütze Frankreichs und
Busslands, der Mächte, die vermutlich die Defensive ergreifen werden,
die Totalsumme der Geschütze des Dreibunds fast um 20 <>/(>.
Die Mobilmachung wird in dieser Beziehung bei weitem keine so
grosse Veränderung hervorrufen wie bei der Infanterie. Die Zahlen der
für die (beschütze erforderlichen Bedienungsmannschaften und Pferde
sind beziehungsweise nicht gross und können mit den ersten Zügen,
sogar mit Schnellzügen auf den Platz geschafft werden. Die Geschütze
selbst aber sind in der Hauptsache schon in Friedenszeit an den Grenzen
Frankreichs und Eusslands verteilt.
In der Güte des Geschützmaterials der verschiedenen Armeen giebt ^»5«'-.
es, wie schon gesagt, fast keinen Unterschied; da aber, sobald die Truppen wert der
auf den Kriegsstand gebracht werden, ungefähr 60 % der Artillerie- ^'*'"®'**"-
Bedienungsmannschaften der Beserve angehören werden, so können
natürlich in dieser Hinsicht Unterschiede eintreten, die von dem Grade
der Ausbildung abhängen. Im übrigen werden zufällige Fehler in allen
Armeen vorkommen. Wenigstens sagt General Baumgarten, dass die
Technik der heutigen Artillerie höher stehe als ihre Taktik, die ballisti-
schen Eigenschaften und die Beweglichkeit der Geschütze höher als die
Kunst des Schiessens und des Manövrierens; endlich seien die feldmässigen
Eigenschaften des Materials besser als die kriegerische Ausbildung der
Batterien und ihrer Kommandeure. ,
Aber selbst zugegeben, dass die deutschen Artilleristen in ihrer
technischen Ausbildung höher stehen als die französischen und russischen,
so werden auch in diesem Falle bei dem Verteidigungssystem die
letzteren den ersteren nicht nachstehen, sondern werden eine grössere
Anzahl Geschütze und grössere Vorräte von Geschossen zu ihrer Ver-
fügung haben, mit einem Worte, ihr Feuer wird wenigstens im Beginn
des Feldzugs dem der angreifenden Seite überlegen sein.
Wenn wir nun zugeben, dass die beiderseitigen Artilleriekräfte
vollkommen gleich sind, so würde daraus der logische Schluss hervorgehen,
dass es der angreifenden Artillerie genau wie der verteidigenden in
der Schlacht aller Wahrscheinlichkeit nach unmöglich werden wird,
den Kampf noch fortzusetzen, bevor der Infanterieangriff auf die
Stellungen würde beginnen können.
Eine sehr grosse Gefahr bringt der Artillerie der Umstand, dass Gef»hreu wr
die Bedienungsmannschaft in kurzer Zeit vom Artilleriefeuer des Gegners ^^^g^
vernichtet werden kann. mannschsn.
Nach den Berechnungen des Generals Rohne haben die Spreng-
stücke und Kugeln der Geschosse, welche von einer Batterie während
Bloch, Der zakünftige Krieg. 36
564 ^^* ^s^^ der Infanterie.
" Artillerie mit grösseren Verlusten aus bedeutender EJntfemung und schon
im Jahre 1870 brachte sie ihr merklichen Schaden.
Hilfsmittel Die Artillerie des Angreifers richtet ihr Feuer hauptsächlich auf
teidigang. Schauzcu uud alle Befestigungen, welche die Verteidigung aufgeführt
hat, die deshalb die wahrscheinliche Stellung der angreifenden Batterien
schon annähernd voraussehen wird. Ueberdies wird der Verteidiger auf
erhöhten Punkten Beobachtungsposten ausstellen, die er durch Telephon-
leitnngen mit seinem Stabe und seinen Batterien verbindet. Von hier
aus wird jeder Schritt des Gegners bemerkbar sein, und demgemäss
werden die entsprechenden Maassregeln getroffen werden.
In den Anlagen bringen wir die Abbildung eines solchen Beob-
achtungspostens, der in den französischen Manövern 1894 von einer
Batterie bei Montfermel ausgestellt war. 9)
Wenn wir nun zugeben, dass weder das gegenseitige Feuer der
Artillerie beider Teile, noch die Thätigkeit der Schützen ihr Schaden
verursacht haben, so dass sich der Artillerie der ganze Eaum geöffnet
hat, um die feindliche Infanterie mit einem ununterbrochenen Hagel von
Geschossen zu überschütten, dann wird sich uns die Frage, welches die
Wirkungen der Artillerie auf die Infanterie sind, in ihrer einfachsten
Gestalt zeigen.
Frankreich Nchmeu wir z. B. an, dass Frankreich sofort beim Beginn der
gegen
Deutechiand. Feindseligkeiten mobil macht und erst eine* Million Soldaten in die erste
Linie stellt. In Folge der beständigen Kriegsrüstungen, die schon in der
Fiiedenszeit veranstaltet sind, wird eine hinreichende Anzahl Geschütze
in der Nähe der Grenze sein, sagen wir 12 Batterien bei jedem Korps.
Auch in Deutschland, wollen wir annehmen, wird man vollkommen gleiche
Streitkräfte aufstellen. Setzen wir weiter den Fall, dass in dem an-
greifenden Korps nur ein Drittel, beispielsweise 10000 Mann in die
Feuerlinie geführt werden und in aufgelöster Ordnung mit 0,8 Meter Ab-
stand von Mann zu Mann anrücken.
Feuer- Das Vertcidigungskorps wird auch nur 10000 Mann herausstellen,
**^keit* '^' um den Angriff abzuschlagen. Nun muss man bedenken, dass die
der Artillerie. B^t^gj.jgj^ auf 2500 Ws 1500 Mctcr nur IV2 Schuss pro Gesdiütz in der
Minute abgeben, aber auf 1500 bis 1000 Meter je 2V2 Schuss pro Geschütz
in der Minute , und auf 1000 bis 500 Meter je 31/2 Schuss. Dabei ist die
Feuergeschwindigkeit übereinstimmend mit General Bohne fast um die
Hälfte geringer angenommen» als die, welche schon jetzt erreicht wird.
So werden in der neuesten russischen Instruktion beim Schiessen auf die
Entfernung bis 3000 Meter 4 bis 5 Schüsse in der Minute angenommen,
bei Entfernung über 3000 Meter 3 Schüsse.
9) Die Abbildung ist der „Illustration" 1894 entnommen.
Beobaehtungsposten,
der während der fHtizösisohen Manöver von 1894 in einer Mühle b
Montfermel aufgestellt war.
. Eiiflgau b«! Bslta SBL
AbhäDgigkeit der Gefechtsordnung der In&nterie von den Geschützen. 565
Die Infanterie wird in voller Btistung mit einer Geschwindigkeit
YerloBte
der
von 80 Metern in der Minute, d. h. 5 Werst in der Stunde mar$chieren.iö) »ngreifeaden
Hierbei wird der Angreifer nach den Belegen des (xenerals Rohne^^)
Verluste nach folgender Berechnung erleiden:
»
Entfernung
in
Metern
Zahl der
Minuten
für den
Vor-
marsch
Zahl 2;ahl der
der Spreng-
schüsse Stöcke ^^^f
Kugeln 1«)
1
Zahl der
treffenden
Spreng-
stücke und
Kugelti
Prozent der
treffenden
Spreng-
teile
500 (2500 bis 2000)
500 (2000 bis 1500)
500 (1500 bis 1000)
500 (ICOO bis 500)
6,25
6,25
6,25
6,25
675
675
1123
1570
126000
126000
213 000
298000
4657
5197
6 625
10205
3,7
4,1
3,1
3,4
4043
763 000
1
26 684
3,5
lö) Nach dem Reglement macht der Laufschritt 128—180, der Sturmschritt
100 Meter. Aber bei weiten Entfernungen wie den hier angenommenen würden
zwei Pausen nöthig sein. Deshalb nehmen wir der Einfachheit wegen 80 Meter
in der Minute an, obgleich der Marsch in voller Ausrüstung, wenn man nicht
schon einige Zeit auf eine Rast rechnet, selbst bei diesem herabgesetzten Tempo
bedeutende Anstrengungen fordern wird.
**) Die Wirkung auf beträchtliche Ziele bei günstigem Schiessen, welche
nach den Angaben des Generals Rohne befriedigend genannt werden kann,
stellt folgende Tabelle dar:
Ziele
Vom Shrapnel G/91 sind als Durchschnitts-
leistung auf die verschiedenen Entfernungen
gegen die betreffenden Ziele . . . Treffer pro
Schuss zu erwarten:
Schussweite in Metern:
1000
1500
2000
2500
3000
3500
6,5
5,9
7,7
6,9
^^imm
4,6
4,2
5,4
4,8
—
3,0
2,7
3,5
3,1
1,7
1,5
2,0
1,8
0,8
0,7
1,0
0,8
—
2,4
2,0
1,7
1,5
4000
Stehende Schützen
Knieende Schützen
Halbgedeckte Schützen (Rumpf-
scheibe)
Liegende Schützen (Bri]^tscheibe)
Kopfscheibe
Artillerie (Bedienung)
7,4
5,1
3,4
1,9
0,9
0,8
") General Müller nimmt die Zahl der Sprengteile des Shrapnels auf
180 bis 200 an;, wir haben für unsere Berechnung als Durchschnitt 190
genommen.
566
VII. Taktik der Infiinterie.
Hieraus ist ersichtlich, dass von 763 000 Shrapnel-Sprengteilen nur
26684, d. h. 8,5% treffen. Die übrigen Stücke schlugen in die Zwischen-
räume, flogen seitwärts oder gruben sich ein.
we^vep. ju gj^jj2 anderer Lage wird sich der Verteidiger befinden. Das
i« deutsche Reglement vom 6. April 1893 schreibt der Verteidigung vor,
Bagi^meni mögUchst grosscu Nutzeu aus denjenigen neuen Vorteilen zu ziehen,
welche ihr die grossen Entfernungen, auf die in Zukunft der Kampf
beginnen wird^ und das rauchschwache Pulver gewähren. Verboten wird
die Herstellung von Verteidigungsarbeiten, welche dem Gegner zu sichtbai*
sind; es wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, diejenigen Aussichten
vorher zu erspähen, welche sich ihm bieten müssen, und in Vorschlag
gebracht, Verteidigungsaufschüttungen und Werke an denjenigen Punkten
auf zufuhren, welche zu erraten ihnen selbst sehr schwierig wäre, wenn
ihnen die Aufgabe der Angreifer zufiele.
Wenn aber auch der Angreifer die Lage der befestigten Punkte
der Verteidigung bemerkt, so vermindert dies noch nicht bedeutend die
Vorteile der Stellung des Verteidigers. Dieser letztere wird dem Bei-
spiele der Türken bei Plewna folgen. Einen Teil seiner Truppen wird
er hinter Brustwehren halten und die übrigen hinter Schanzen decken
und sie nur in dem Falle herausfuhren, wenn der Gegner zum Sturm
vorrückt, und dessen Artillerie wird dann gezwungen werden, das Feuer
abzubrechen.
orAsM xJm aber die Grösse der Gefahr für die hinter den Brustwehren
fQr die stehenden Verteidiger zu bestimmen , d. L für die Leute, die, auf grosse
Verteidiger. Entfemuugen beginnend, Gewehrfeuer auf den Angreifer abgeben und
selbst nur Kopf und Hände ungedeckt haben, wollen wir nach den Zahlen
des Generals Rohne eben solche Berechnung für die Verteidiger anstellen,
wie wir sie oben füi' die Angreifer gebracht haben.
Entfernung
in
Metern
Zahl, der
Minuten
für den
Vor-
marsch
Zahl
der
Schüsse
Zahl der
Shrapnel-
Sprengteile
Zahl der
treffenden
Sprengteile
Prozent
der
treffenden
Sprengteile
500 (2500 bis 2000)
500 (2000 bis 1500)
500 (1500 bis 1000)
500 (1000 bis 500)
6,25
6,25
6,25
6,25
675
675
1123
1570
126000
126000
213 000
298000
540
675
786
1256
0,4
0,5
0,4
0,4
—
4043
763000
3 257
0,4
I
j
Hülsenzahl der alten und der neuen Shrapnels,
die Yon einem 30000 Mann starken Korps bei einer Aitake auf 2500 bis .500 Heier
Entfernung verbraucht worden sind.
Zahl der GeMbosM
■■■■■■■■•■■■■■■■■■■■■■■••■■■■■••■■■■■■■■■
■■■■■•■■«■■■■■■■•■■■■■■■«■■■■■•■■■■■■■■■■
■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■
■•%•■■•■■«■■■■■•■■■■»■■•■■■■■■■■■■■■■■■
1452
rib
AAi
ZftU der Hülees der alten
«ad neuen Sbrapnele
!!!!!!!!!!!!!*■*■"•■■■■■■■■■■■■■■■•■
■■■■■■■■■■■■■■■•■■■■■■■■■■■■■■laaBBB
■■■■■■■■■■■■■■■•■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■
■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■•■■■■■■■■
275.000
Zahl der Hflleen der n^ea
SlmpaelB
w
iSZ!ZSlS12I!!S2S55S;fSf !■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■
ÜÜSS !!!!!!!!"!!"!"!!"■"■■■■■■■■■■■■■■■■ ■■■■■■■■■■■■■■■■
■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■
435.600
WhAJa
dk^
AdL
I II 111 iri I I I ll fci
Zahl der Tre£&ohüsse in eine Reihe von 10 000 Mann, mit den
alten Shrapnels.
Nach den Angaben den
(Teneralii Rhone
10.330
Kach den Angaben des
Oeneialfl Mftller
■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■aaiaaaaaaaaaai
l!!"!"!"!!!!*!*"">">">aiaiiBeBBieaiiiiaeiieaiiaaaiaiifliaaB
MkdJk
iX^^JAUi
lidiAA
i 16.530
Mensohenzahl der Infanterie in Hillionen, die mit den im Jahre 1891 im
Besitz der Artillerie befindlichen Patronen ausser Gefeoht gesetzt bezw.
getötet werden kann.
Es können ausser Gefecht gesetzt
werden.
Es können getötet werden.
«rfü
iOji
Mit dem fttutatoincben nnd
rnaBisohen Gewehr
6^
Mit den Gewehren des H 1 1 1 M 1 1 i 1 1 1 1 HJ (^ ly
Dreibundes ^M 1 1 1 I II 1 1 1 1 1 iTl V^
Abh&Dgigkeit der Gefechtsordnung der Infanterie von den Geschützen. 56?
Vergleicht man diese zwei Tabellen mit einander, so sieht man, '^rf*'^
dass in derselben Zeit, wo im Durchschnitt 26684 Treffer der Shrapnel-
Sprengteile auf die angreifenden Truppen kommen, auf den Angreifer
nur 32B7 Treffer entfallen werden.
Aber vielleicht sind die Angaben des Generals Rohne übertrieben? ^^'^"^
So wollen wir sie nach einer anderen Quelle prüfen. Nach der Berech- Geneni
nung des Generals Müller i») stellen sich die Durchschnittszahlen der
Shrapnelwirkung bei 180 bis 200 Sprengteilen folgendermaassen dar:
Stark treffende
Sprengteile
8-10%
7-8 %
3,6 0/,
Entfernung
1500 Meter
2000
2600
n
»
Stark getroffene
Scheiben in Mannshöhe
8,90/0
5,6 0/0
3,4 0/0
Geben wir zu, dass die Verschiedenheit der Resultate zwischen den
Entfernungen von 1600 und 1000 Metern der Verschiedenheit der Resultate
zwischen den Entfernungen von 2000 und 1600 Metern gleich ist, und
nehmen wir den Durchschnitt zwischen Maximum und Minimum der
getroffißnen Scheiben, deren jede Mannsbreite hat, so erhalten wir folgende
Daten:
Entfernung
in
Metern
Zahl der
Sprengteile
Stark
getroffene
Scheiben
Zahl der
getroffenen
Scheiben
2500 bis 2000
2000 bis 1500
1500 bis 1000
1000 bis 500
126000
126 000
213 000
298 000
3,50/0
5,50/0
8,50/0
8,50/0
4 410
6930
18100
25 330
763000
7,20/0
•
54770
Folglich muss nach den Angaben des Generals Müller, wenn man nifferei«
swischeo
zudem die Feuergeschwindigkeit erwägt, die fast um die Hälfte geringer Mwieniiid
ist als die, die wirklich erreicht wird, die Wirkung der Artillerie um ^^°*'
3,7 % tödlicher sein als nach den Angaben des Generals Rohne. Um sich
von den Verlusten des Angreifers einen richtigen Begriff zu machen,
muss man im Auge behalten, dass hinter der ersten Schützenlinie in
einem Abstände, der je nach der Entwickelung des Angriffs 600 bis
100 Meter beträgt, die Unterstützungstrupps und Reserven anrücken.
") „Die Wirkung der Feldgeschütze."
568 Vn. Taktik der Infanterie.
Die Treffifläche des Sbrapnels ist, wie aü anderer Stelle ansgefohrt ist,
sehr gross. Wenn wir nun den Angaben des Generals Bohne folgen, so
finden wir, dass von 763000 Shrapnel - Sprengteilen 26684, d. L 3,5 o/o,
treffen müssen, nnd nach den Angaben des Generals Möller 54770 oder
7,2%. Es unterliegt keinem Zweifel, dass auch die übrige Zahl der
Sprengstücke und Kngeln, d. h. 92,8% Tom Ganzen, anderen Gefechts-
tmppen im Rücken der Schützenlinien Verlnste vemrsachen kann.
'"rttorir' ^^h Anssage des Generals Mfilleri*) werden mit 28 Granatschfissen
in einer Kompagnie auf 2400 Meter Entfernung ausser Gefecht gesetzt:
V? d^r Leute in der Schützenkette und y^ der Leute im Bestände der
Unterstützungstrupps dieser Kette. Eine Batterie kann heute im Verlauf
einer Viertelstunde bis zu 2000 Meter Entfernung einen jeden stehenden
Truppenteil vpn nicht über 150 Meter Frontbreite kampfunfähig machen.
Auf diese Entfernungen kann das Feuer die Bewegung der Infanterie
unbedingt zum Stehen bringen.
Ein derartiger Infanterie -Truppenteil, dessen Beschiessung einer
Batterie übergeben ist, kann auf Entfernungen bis zu 1500 Meter schon
durch 24 Granat- oder 12 bis 16 Shrapnelschüsse zur Hälfte ausser
(lefecht gesetzt werden. Beim Schiessen auf stehende Schützen und auf
die Unterstützungstrupps der Schützenlinie genügen bis zu 2500 Meter
3fi bis 24 Schüsse, um % aUer Mannschaften ausser Gefecht zu setzen.
Der Verteidiger, der die Möglichkeit benutzt, vorher seine Geschütze
an Orten aufzustellen, die dem feindlichen Feuer unerreichbar sind, hat
alle Vorteile vor dem angreifenden Feinde voraus.
vonR^Ioiw- Heutzutage werden selbst dort, wo es keine Wege giebt, Revolver-
kanon«u. kanoncu auf Pferden transportiert, "wie nebenstehende Abbildung zeigt,
die solche Transportversuche in den unlängst abgehaltenen Manövern in
Bosnien darstellt.
Die leichten Revolverkanonen werden sich gegen den angreifenden
Feind ausserordentlich' wirksam zeigen; umgekehrt werden sie gegen den
hinter Schanzen sich deckenden Verteidiger wenig brauchbip' sein.
Renaiuta Dicse Verschiedenheit wird durch folgende Zahlen erläutert:
mit 6.8-OTn- °
oenchnixen. 50 Sbrapucls, welche aus 5,3-Centimeter-Greschützen auf 1200 Meter
gegen drei Scheiben abgeschossen werden, die auf einem Flächenraum
von 50 Metern sich bewegende Schützenlinien darstellen, erzielen folgende
Resultate:
Die erste dieser Scheiben wird von 248 Sprengstücken getroften,
die zweite von 208, die dritte von 224, im ganzen von 740 Sprengstücken,
y.i^^ tt
**) „Die Wirkung der FeldgescUütüe.
Abhängigkeit der Qefeohteordnung der Infanterie von den Geschützen. 569
Transportversuche von Geschützen auf Pferden.
welche die Abteilungen der vQlligen Vernichtang preisgeben würden, i^)
Andererseits erhält man auf drei je 20 Meter von einander entfernte
Scheiben fast die gleiche Wirkung, woraos man schliessen kann, dass der
ganze Eaum von 60 Meter Tiefe von den übrigen Sprengstilcken über-
schüttet wäre; folglich hätten auf diesem ganzen 3000 Quadratmeter
groäsen Baume wenige Leute übrig bleiben kOnnen, die nicht toq Spreng-
stücken getroffen wären.
Wir wollen nun noch die Erfolge von 20 Shrapnelschüssen aas Bamut*
einem Geschütz noch kleineren Kalibers, nämlich 4,7 Centimeter, be- i,_ ""_„„.
trachten, welche von 1200 Meter anf zwei Linien zu je 10 Scheiben ab- ''"^'"»■
gegeben werden; die Scheiben stellen 20 Schützen dar, und hinter ihnen
sind, mit 100 Meter Abstand, ebenso viele Scheiben aufgestellt.
") Malier: nDie Wirkimg der FeldgeschQtze."
570
Vn. Taktik der Infanterie.
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Resultate mit 20 Shrapnelschüssen aus einem 4,7-Centimeter-Ge8chütz
auf 1200 Meter Entfernung.
Wie ans dem Grundriss ersichtlich, blieben von der vorderen Linie
13 Scheiben unberührt, und von der hinteren 2, aber einige von ihnen
wurden von 8 Sprengstücken getroffen.
Resultate Ferner wui'den aus einem 6,7-Centimeter-Geschütz auf 1500 Meter
mit '
dem 6,7-cm- 20 Shrapuelschttsse auf Scheiben abgegeben, die in derselben Ordnung
Geschütz, g^^j^^jgjj ^Q ijgj ^^jj Schiessversuchen mit dem 4,7-Centimeter-Geschütz.
Zum Richten und Zielen waren 20 Sekunden nötig, zur Abgabe von
20 Schüssen 41 Sekunden, im ganzen 1 Minute und 1 Sekunde.
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Besultate mit 20 Shrapnelsohüssen aus einem 5,7-Centimeter-Gescshütz
auf 1500 Meter Entfernung.
Dieses Mal blieben, wie der Grundriss zeigt, nur 8 Scheiben un-
berührt.
Die Geschütze der Feld-Artillerie kann man ebenso vergleichen.
versuciie jn Frankreich wurden Versuche mit Scheiben gemacht, welche
Fraukreich. Rcsultate mau erhalten würde, wenn ein Bataillon in Kompagnien mit
je 40 Meter Zwischeniaum anrückte und in aufgelöster Ordnung auf einer
Linie von 40 Meter marschierte, i^) Das Resultat von 36 auf 2500 Meter
Entfernung abgeschossenen Shrapnels ist aus folgendem Grundriss er-
sichtlich, n)
^*) „Aide-memoire officiel de l'artillerie."
^^) Omega: „L'art de combattre."
Abhängigkeit der Gefechtsordnung der In&nterie von den Geschützen. 571
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Besultate von 86 auf 2500 Metei^ Entfernung abgeschossenen Shrapnels.
Der mit Schwarz bezeichnete Raum war so dicht mit Kugeln und
Sprengstücken besät, dass es unmöglich war, die Spuren genau an-
zugeben. Wie aus dem Grundriss ersichtlich, wären die zwei ersten
Kompagnien völlig vernichtet worden, und in der dritten und vierten
hätten die Kräfte schwerlich ausgereicht, um den Angriff fortzusetzen.
Wie wir bereits früher in dem Abschnitt „Taktik der Artillerie"
gezeigt haben, wird die Artillerie nur bei der Annäherung des Feindes
auf Entfernungen unter BOO Meter gezwungen sein, das Feuer ab-
zubrechen. Sie kann also auf sehr beträchtliche Ausdehnung den Gegner
niederwerfen, falls natürlich ihre Bedienungsmannschaft nicht vorher ver-
nichtet ist.
Folglich muss das Granat- und Shrapnelfeuer auf Infanterieziele
(auf Grund der Wii'kung auf die sie darstellenden Scheiben) geradezu ver-
nichtend genannt werden. Obgleich wir uns an die Berechnungen ver-
schiedener Autoren halten, kommen wir gleichwohl zu demselben Schlüsse,
und zwar, dass die angreifenden Teile schon allein durch das Artillerie-
feuer der Verteidigung aufgerieben sein können (natürlich bei un-
gehinderter Wirkung der Artillerie auf die Infanterie, wie oben an-
genommen ist). Es ist noch zu bemerken, dass es zur Erzielung dieses
Resultates genügt, 4043 Schüsse abzugeben. Die Batterien haben aber
nicht weniger als 12 (XK) (Jeschosse bei sich, wovon also zwei Drittel
noch für weitere Thätigkeit übrig bleiben würden, i^)
Aber die Macht der Artillerie wird noch über ihre jetzigen Dimen-
sionen hinausgehen. In dem Abschnitte über die Artillerie bringen wir
den Nachweis, dass bei den bisherigen Geschützen die ganze Kraft des
rauchschwachen Pulvers noch nicht völlig ausgenutzt werden konnte.
Neuerdings wurden, wenn man den Zeitungen glauben darf, im Lager
Notirendig-
keit,
dasAitillerie-
feaer
abzabrochen.
Wirkang
desArtiUerie-
feaers
Aaf
Infanterie-
Siele.
Möglichkeit
einer
Erhöhung
deaArtillerie-
feners.
18) Augenblicklich hat jede Batterie an Munitions wagen: die deutsche 9,
die französische 9 (die reitende nur 8), die russische 12. Folglich kann die
deutsche Batterie in einer Schlacht 808 Schüsse abgeben, die französische 852, die
russische 900, ohne Zufuhr von Geschossen aus den Munitionskolonnen. Aber
auch diese Zahlen gelten als noch nicht genügend ; in Deutschland ist beabsichtigt,
die Batterie mit 1290 Schuss zu versehen.
572
Vn. Taktik der Infanterie.
von Chälons im Beisein des Präsidenten der Republik noch vervollkomm-
netere Geschütze an die Artillerietruppen ausgegeben. Das neue franzö-
sische Geschütz hat, wie mitgeteilt wird, ein 7,B-Centimeter-Kaliber, feuert
4 bis 5 Schüsse in der Minute und giebt fast gar keinen Bfickstoss.
Wenn man die ganze Kraft des rauchschwachen Pulvers ausnutzen
könnte, so würde nach der Veimutung des Generals Wille die Grösse der
Treflffläche für die neuen Geschütze zunehmen:
auf Entfernungen bis 1000 Meter um 210%
2000 „ „ 133 „
Wir wollen graphisch darstellen, in welchem Grade die Treffflächen
sich vergrössern:
n
n
n
n
w
Entfemung
in Metern:
1000 1 i
M Hill II
1
2000
Hjpmipyiian
ll'n
im
Zunahmeverhältnis der Trefffläche in Prozenten bei Ausnutzung der ganzen Kraft des
rauchschwachen Pulvers.
Es ist nicht zu bezweifeln, dass die anderen Reiche dem Beispiele
Frankreichs bald folgen, werden, und bei den verstärkten Geschätzen
wird der Angriff noch schwieriger, wenn nicht unmöglich sein. Dies ist
so augenscheinlich, dass man nicht auf der Möglichkeit zu bestehen
braucht, den Angreifer auf weite Entfernungen noch mit ßevolverkanonen
und Panzergeschützen zu beschiessen. Es wii^d genügen, die letzteren
im Auge zu behalten, da sie nur für die Thätigkeit auf nahe Distanzen
bestimmt sind.
Bedentnng Hier ist ZU bemerken, dass, wenn man die Artilleriekrait auf die
^Artii^^" völlige Gewissheit bringt, den Angriff mit ihrer Feuerkraft allein zu
kAmpfee. paralysieren, dies eine ganz neue Erscheinung zeitigt. Hohenlohe sagt:
„Bisher hat man den Artilleiiekampf, dessen Thätigkeit jedem wichtigeren
Gefechtsmoment vorangeht, als einen Faktor angesehen, der zui- Vor-
bereitung und Entwickelung der Schlacht dient, aber nicht zu ihrer Ent-
scheidung. Jetzt ist es wahrscheinlich, dass sich dies in Zukunft anders
gestaltet. Seitdem das Shrapnel und die doppelwandigen Granaten eine
so mörderische Wirkung äussern, kann man das Gefecht schon halb zu
Gunsten desjenigen Theils als entschieden ansehen, dessen Artillerie die
des Gegners überwunden hal und nun die volle Wucht dieser Geschosse
auf seine anderen Truppen schleudern kann."
Der Angriff der Infanterie. 573
8. Der Angriff der Infanterie.
■
a) Entfernnngen fttr das Infanteriefener.
Bei der Gefechtsführung mit Infanterie zeigen sich zwei Haapt- Hwpt.
punkte: 1. Jeder einzelne Truppenteil niuss möglichst entwickelt sein, furdas
entsprechend der allgemeinen Kampfordnung und gemäss den Bedingungen ^g^fe^"*"
der Oertlichkeit, und 2. zum Ersatz der entstandenen Verluste und zur
beständigen Erhaltung des Feuers in voller Kraft muss man in die
vorderste Linie Unterstützungstrupps hineinführen können, welche auf
dem Marsche nach Möglichkeit eine mehr geschlossene Ordnung be-
wahren.
Schon früher betrugen die Verluste in einer Schlacht durchschnittlich örö«Be
10 bis 20% der Gesammtzahl, bisweilen auch 30 bis 40%, bei einzelnen %erintte.
Abtheilungen steigerte sich die Zahl aller ausser Gefecht Gesetzten sogar
auf BO bis &) %A)
In den Reihen der preussischen Gardeschützen betrug der Verlust
bei St. Privat 46 % ; bei Mars la Tour verlor das 16. und B7. Infanterie-
Regiment 74% der Offiziere und 4B% der Mannschaft; das 16. Regiment
allein 48 Offiziere und 1313 Mann.
Bei Plewna am 30. August/11. September 1877 verlor die russische
Infanterie 20 bis 40 %, einige Abtheüungen 50 %, am linken Flügel
bei Skobelew durchschnittlich 40 %, einzelne Kompagnien aber 60,
sogar 7B %.
Die oben angeführte Nothwendigkeit der Unterstützungstrupps zur Notwendig-
Ergänzung der Schützenlinie , die beim Marsche eine etwas geschlossene der Unter-
ordnung, wenn auch mit Zwischenräumen bewahren, erklärt sich ^loch ^^^"^^^J^^
durch das Bedürfnis nach Ergänzung der Offiziere in der Schützenlinie; "»««•
die Verluste der Offiziere sind verhältnismässig viel grösser, und die
Schützenlinie bleibt ohne Kommando unbeweglich in der zuletzt besetzten
Deckung liegen.
Fürst Hohenlohe sagt in seiner Schrift über Infanterie: „Von
einer Schützenkette, die keine Offiziere mehr hat, kann man nicht er-
warten, dass sie der ursprünglichen Instruktion gemäss von neuem zum
Sprung schreite. Sie blfeibt liegen und schiesst. So wird der Angriff
zum Stehen kommen. Hier giebt es kein anderes Mittel, neue Sprünge
zu machen, als indem man frische Kräfte in die Linie wirft, welche die
bisherigen Kämpfer mit sich fortreissen."
0 Oberst von Hötzendorf: „Vorgang zum Studium unseres taktischen
Reglements^.
574 Vn. Taktik der Infanterie.
^"nt°' Aber je dichter die Linie, um so tiefer die Aufstellung, um so
Wickelung. gTÖsser die Verluste. Die Reglements schreiben einem Eegimente vor,
sich auf folgende Entfernungen in die Breite zu entwickeln:
In Deutschland auf 600—800 Meter
„ Oesten-eich „ 640
,, Italien „ 450— 6B0
„ Frankreich „ 700
„ Russland „ 700—1400 „
n
Beim Anrücken einer ganzen Brigade werden auf 1 Meter Front
4 bis 4,8 Gewehre festgesetzt, abgesehen von Ausnahmefallen, welche die
Möglichkeit einer Verstärkung geben oder fordern.
Wir wollen diese Zahl von 4 bis 4,8 Gewehren auf 1 Meter Front
anmerken, da sie eine grosse Bedeutung hat. Man muss hinzufügen,
dass nach den Reglements aller Armeen die einzelnen Abteilungen der
Verteidigung sich im allgemeinen mehr in die Breite ausdehnen als die
angreifenden.
d^^*°°^ Alle Abteilungen legen grosse Wichtigkeit der Aufsparung stai-ker
für den Rescrvcu für den Moment bei, wenn der Angreifer sich schon auf geringe
** An^^iff*'' Entfernung nähert und den „eigentlichen" Angriff durchführt. Diese Be-
stimmung entspringt dem Bewusstsein der furchtbaren Wirkung des Massen-
schnellfeuers innerhalb des rasanten Schussbereichs. Wir werden weiter
unten die ganze Bedeutung dieses Umstandes zeigen.
Beginn Nuumehr wollen wir uns zu den Vorschriften über den Beginn des
des Gewehr-
feuere. Gcwehi^euers wenden. Hier zeigt sich ein grosser Unterschied zwischen
angreifenden und angegriffenen Truppen. Alle Reglements sind in offen-
sivem Sinne abgefasst und erklären sich daher gegen ein zu frühzeitiges
Eröffnen des Feuers, welches Verzögerung der Bewegung bewirkt und
dem Gegner nur unbeträchtlichen Schaden verursachen kann, da es
wegen der Entfernung auf zu kleine Ziele gerichtet ist. 2)
urteü Der bekannte deutsche Schriftsteller, frühere Kommandeur des
Bronsart
von Scheuen- ersten Korps, Bronsart von Schellendorff spricht sich gegen das
Feuer der Infanterie auf weite Entfernungen aus, indem er
sagt, der Hauptwert des kleinkalibrigen Gewehrs liege gerade darin,
dass der Schütze unter Benutzung der beträchtlich grösseren Neigung
der Geschossflugbahn kleine, niedrige Ziele auf nahe Ent-
fernungen besser und sicherer treffen kann und dass heutzutage
Fehler in der Distanzbestimmung weniger als früher den Schiesseifolg
beeinflussen.
') Hoenig: „Taktik der Zukunft."
Der Angriff der Infanterie.
575
Deshalb rät er, beim Angriff unaufhaltsam und ohne Feuer bis auf
600 Meter vorzurücken.
Nach dem russischen Reglement wird das Feuer auf die Entfernung
von 750 bis 536 Metern (350 bis 250 Faden) eröffnet.
Der Verteidiger aber, der sich hinter Deckungen befindet und bei ^^^^««[j^".^.
genügendem MunitionsvoiTat sich vorher auf die Distanzen eingeschossen gungsfeaere.
hat, kann das Feuer auf die Entfemung beginnen, auf die es seines
Wissens wirksam zu sein vermag.
Morenville«) sagt, dass man auf Grund der mit den Vorschriften ^^'*°^^"^
der hauptsächlichsten europäischen Armeen erzielten Resultate die mitt- Feuerzonen.
leren Entfernungen, auf die man das Feuer beginnen kann, in folgende
drei Zonen teilen kann:
Zonen
Wirksamkeit des
Bemerkungen.
in Metern
Feuers
Bis 500
gross
An den Grenzen dieser beiden
Von 500 bis 800 .
mittel
> Zonen können alle Gewehre zur
Das Feuer ist noch
Thätigkeit herangezogen werden.
sehr erfolgreich.
*
Von 800 bis 1600 .
beschränkt
In Rücksicht auf die Gering-
Das Feuer ist hier
fügigkeit der zu erwartenden
nur unter gewissen
Resultate ist hier nur von aus-
gunstigen Bedingungen
erlesenen Teilen in beschränktem
erfolgreich.
Maasse Feuer abzugeben.
Die Frage stellt sich wieder als die praktische Aufgabe heraus, »«chtferti-
abzuwägen, in wie weit die Aussichten auf Schädigung des Feindes den deB Begiüua
vergeblichen Aufwand von Geschossen und die Mühe der Feuerabgabe aen^EWoig
ausgleichen werden. In letzter Zeit wurden zur Beantwortung dieser ^"^ ^®''®"-
Frage sehr wertvolle Beiträge geliefert.
General Rohne versichert, dass beim Gewehrfeuer von Schützen,
welche je einen Schritt (0,8 Meter) von einander entfernt stehen, von
100 Schüssen gegen stehende (ganze Figurscheibe), halbgedeckte (Rumpf-
Scheibe) und liegende Schützen (Brustscheibe) sich folgende Trefterzahl
ergeben mUSS: (siehe die TabeUe auf der folgenden Seite.)
Bohnefl
Ergebniaae.
') Morenville: „^fetudes de tactique d^fensive-offensive", 1893.
Vn. Taktik der Infanterie.
in
Pigiiracheiben
Bumpfscheiben
Bruatscheiben
Eopfsoheiben
Metern
300
27,7 •»
13,6 •;.
8,3«;,
M »;.
500
17,T»;o
8,2»;,
5,0»/.
2,5 »/.
800
10,0»/.
5,1»;.
2,8 •;o
1,4 •;.
1000
7,6»;,
3,6»/.
2,1 »;.
1,0 •;.
1200
6,1 «;.
2,7»/.
1,5»;.
0,75 •;„
1500
4,8%
1,9 »/o
1,1 •;.
0,66»;,
1800
3,3 •;.
1,5 o/o
0,8»;,
0,4 •;,
2000
2,6 •;.
1,0»;.
0,5»;.
0,25»;.
Wenn wir die Zahl der Treffer anf stehende Schützen zu 100
nehmen, so erhalten wir folgendes Verhältnis:
Entfernung
Stellung
in
Metern
stehend
hdbgedeekt
liegend
nur Kopf
ungedeckt
300
100»;.
49,1 »;.
30,0«/«
14,8»;,
.500
100»;,
46,3»;,
28,2«/,
14,1 »/,
800
100»;,
51,0»;,
28,0«;,
14,0»;.
1000
100»;,
47,4«;,
27,6«;,
13,2»;.
1200
100»;,
44,3«;,
24,6«/,
12,3»;.
1500
100»;,
39,6«;,
22,9«;,
11,5»/,
1800
loo»;.
45,5«;,
24,2»;,
12,1«;.
2000
100»;,
38,5»;,
19,2»;,
9,6«;.
Diese Resultat« kann man graphisch darstellen.
Wahrscheinliches Treffverhältnjs
bei halbgodeckteu, liegenden und nur EopfblöBsc zeigenduE
(Ulfl TnlfnhnehaiBUijtiliail bei lugsdeiikt il«ta«iid»n SaUtt*» in IDO uff
EBttsninng
UiiE«dsok( gtehtndw 8«Uit
im
tiebe uch dla talgsud« 3«to.)
Der Angriff der la&uterie.
677
Aber im gegebenen Falle HotwBaifg-
wird die Frage nach dem d« AuikisB
*'•'''• Verlust der Lente untersucht, IVriST
Sil. welche in geschlossener Ol'd-
SU^ nung marschieren. Da hier-
7-11.
A
HalbgadMkttr Snldi
a.!i.
VA
>r if Kopf telEtud.
bei die Entfemang zwischen
den Soldaten höchstens 0,38
Centimeter beträgt und da
sie wenigstens in zwei Eeihen
marschieren würden, so muss
man die Verluste viermal so
hoch anschlagen. <)
Nach dem Reglement aber
kommen beim Angriff anf 1 Meter
Front 4 bis 4,8 Soldaten, d. h. die
Entfernung zwischen den Soldaten
mnss 0,25 bis 0,20 oder im Durch-
schnitt 22,8 Centimeter betragen.
Deshalb würden die Verlnste für eine
Reihe 31/2 Mal, und für zwei Reihen
7 Mal so gross sein.
Aber zugegeben, dass von den NotwoBdij-
■'"'' Schüssen auf 2000 Meter Entfernung d» fU»>
die unbedeutendste Zahl getroffen „["^{Sjj'irt.
wird, so wäre es gleichwohl ein an-
verzeihlicher Fehler, das Feuer nicht auf
diese Entfernung zn beginnen, da der Feind
diesen Umstand benutzen würde, am in ge-
schlossener und dadurch gerade günstigerer
Ordnnng anzurücken und Schanzen auf-
zuführen. Der Wert der Geschosse darf ihre
Ausgabe nicht hindern, weil sie bei einer
Verteidigungsstellung leicht ergänzt werden
können.
Uebrigens sagen die Praktiker, dass Terhutni.
man aus den Resultaten, die man in den i" km'ötm
ManQvem erhält, keine Schlüsse ziehen kann, ,
die für einen wirklichen Krieg passen.
n Krisge.
') Regenspurgski- «Studien über den taktischen Inhalt der Exercier-
reglementa für Fuastrappen".
Bloch. Du lakDnRlgo Krisg. 37
578 7If- Taktik der Infantorie.
i Es ist zweifellos, dass viel Wahrheit hierin liegt, aber im gegebenen
Falle miiss man erwägen, dass die auf 2000 Meter Entfernong FeDemden
sich durch nichts verraten werden — den früheren Pulverrauch wird es
nicht mehr geben. Das Feuer wird ohne nervöse Hastigkeit abgegeben
werden, bei voller Kenntnis der Entfernungen, welche bei Zeiten aus-
gemessen werden können. Dies alles spricht dafUr, dass besonders
grosse Unterschiede zwischen den Bedingungen und dem Schiessen auf
den Uebungsplätzen und im Kriege sich nicht voraussehen lassen.
äw a*u<»- Ausserdem darf man auch den Umstand nicht ausser Acht lassen,
»nitau dass die angeführten Folgerungen hinsichtlich der Giltigkeit der Schiess-
iu t^ vai resultate bei Anwendung eines veralteten Gewehrs gemacht sind. Gegen-
"ol"^*J"'wärtig werden schon 6,&- oder 5-Millimeter-Gewehre eingeführt. Wie
oben gezeigt ist, iil)ertrifit die neue Bewafinnng der Infanterie das jetzige
französische and deutsche Gewehr um das Dreifache.*) Nicht ohne Grund
nennt die deutsche Militär-Zeitschrift „Das Armeeblatt" das 6-Millimeter-
Gewehr „unser Znkunfts-Gewehr".
^^'•'» Aber wenn man auch von dem B-Millimeter-Gewehr absieht und
g*.iuiHBA- einstweilen nnr das 6,5-MilIimeter-Gewehr berücksichtigt, so kann mau
*""""*" beispielsweise auf die Versuche hinweisen, welche in Italien mit dem
Vetterli- und dem neuen 6,6-Milliraeter-Gewehr zur Feststellung ihres
Unterschiedes angestellt worden sind. Diese Versuche haben gezeigt,
dass die Durchschlagskraft einer 2000 Meter durchfliegenden Kugel beim
ersteren 166, beim letzteren 202 beträgt.
Bei 100 Treffern mit dem Vetterligewehr geben die neuen Karabiner
130, und da hierbei das Hchiessen mit dem neuen schneller als mit dem
Vetterligewehr vor sich geht, so ergeben sich im allgemeinen, wenu
100 Schützen 100 Vetterlischüsse abgeben, mit dem neuen Gewehr 166
*) Nach Goebler:
Gewehr 1871 lOO^/o ! Deutsches Gewehr .... 474»/»
Französisches Gewehr 1886 . . 4330/(. ' 5- Millimeter-Gewehr .... 13370/O.
Graphisch stellen sich diese Resultate folge ndermaassen dar:
Q Prozent«!! noch Goebler.
Der Angriff der Infanterie. 579
solcher Schüsse oder 2/g mehr. Ausserdem hat das neue Gewehr den
ausserordentlich wichtigen Vorzug vor dem früheren, dass es ohne Last-
erhöhung die Ausrüstung des Schützen mit 178 statt mit 100 Patronen
ermöglicht.«)
So ist es sehr wahrscheinlich, dass die Notwendigkeit der auf- E'^^öhung
' " der Distonz
gelösten Ordnung nicht auf 2000 Meter, sondern auf gi'össere Entfernungen «r die
eintreten . wird. Ordnung.
Wenn man daher das Zusammenwirken der Artillerie und der
Handfeuerwaffen in Erwägung zieht, so muss man dem beipflichten, dass,
wenn man die Behauptung so grosser Fachmänner, wie Fürst Hohenlohe,
Coumfes und Clery sind, selbst für übertrieben hält, bei den Operationen
der Infanterie im offenen Gelände die Distanz, auf welche die aufgelöste
Ordnung zur Anwendung kommen wird, bis zu drei- und viertausend
Metern zunehmen wird.
Um uns in dieser Beziehung auf einen festeren ^oden zu stellen, ^^^^^\^^
wollen wir auf Seiten des Angreifers die allergünstigsten Bedingungen ^f
annehmen, und zwar, dass der auf das Zusammentreffen mit dem Feinde ^^^
gefasste Gegner den Angreifer bis auf die Entfernung von 2000 Meter
herankommen lässt, ohne einen Gewehr- oder Kanonenschuss abgegeben
zu haben.
Zur deutlichen Veranschaulichung derjenigen Hindernisse, welche Berechnung
^ der Verl aste
die zwischen 2000 und 800 Metern Entfernung den Femd angreifende de«
Infanterie zu überwinden hat, muss man sich an die Berechnung der- tw?I^e"
jenigen Verluste machen, denen ein Bataillon von 1000 Mann Stärke aus- .^J^i'V*^
*' *^ ' 800 Metern.
gesetzt ist, vorausgesetzt, dass der Verteidiger der Verschanzungen die-
selbe Anzahl von Leuten und Gewehren hat.
Wir wollen die Berechnung für Truppen anstellen, die bei
0,8 Metern Zwischenraum zwischen den Schützen in zwei Reihen zum
Angriff gehen.
Die Laufgeschwindigkeit wollen wir wieder zu 80 Metern in der
Minute annehmen und voraussetzen, dass die Angreifer die Distanz von
2000 bis 800 Meter ohne Erholungsaufenthalt durchlaufen.
Wir legen für die Berechnung hinsichtlich der Feuergeschwindig-
keit die Zahlen des Generals Eohne zu Grunde, und zwar für jede Minute:
bei Entfernungen bis 1500 Meter IV2 Schüsse,
» ?i w 1200 „ 21/2 „
1000 „ 3
800 „ 3V2
W „ ^ J.VW ,, V „
".'. » r. 800 „ 0*/2 „
*) Löbells ^Militärische Jahresberichte", 1894.
37
680
YIL Taktik der Infanterie.
So erhalten wir folgende Anzahl von Schüssen:
Vorlauf
in
Metern
Minuten
Zahl der Schüsse
Zahl der
Treffer
Zahl der
in der
Minute
überhaupt
ausser
Gefecht
Gesetzten
2000 bis 1800
1800 bis 1500
1500 bis 1200
1200 bis 1000
1000 bis 800
2Va
3'/.
3'/.
2'/.
2'/.
IVa
IV.
2Vs
3
3V.
3 750
5 500
9150
7 500
8 750
2,60/0
3,3 %
4,8 Vo
6,1 °/o
7,6%
97
181
439
457
665
34 650
1839
fiesoitat Folglich würde bis zu dem Augenblick, wo die Angreifer auf 800 Meter
Entfernung herankämen, das ganze Bataillon yemichtet sein müssen, und
von dem dieses ersetzenden zweiten Bataillon würden im ganzen 161 Mann
übrig bleiben, während die Verluste des hinter Verschanzungen gedeckt
liegenden Gegners in dem Grade unbedeutend wären, dass man sie über-
haupt nicht in Anschlag zu bringen braucht.
Bereohnnng Berechnet man auf Grund der Angaben des Generals Rohne die
n^h Eohie. Verluste der Schützen, deren ganze Figur ungedeckt ist, im Verhältnis
zum Verluste der hinter Verschanzungen Feuernden, d. h. derjenigen, bei
denen nui* die Hände und ein Teil des Kopfes sichtbar ist, so erhält man
folgende Zahlen:
Auf
100 Mann.
Entfernung
Bei
Wenn nur die Hände
Verhältnis der Treffer
in
ungedeckter
und ein Theil des
in Hand und Kopf
Metern
ganzer Figur
Kopfes sichtbar ist
und in ganze Figur
2000
2,60/0
0,250/0
9,6 «/o
1800
3,3 o/o
0,4 0/0
12,1 o/o
1500
7,2 o/o
0,55 0/0
7,60/0
1200
15,2 o/o
0,75 0/0
4,90/0
1000
22,8 o/o
1,0 0/0
4,40/0
800
35,00/0
1,4 «/o
4,00/0
500
71,00/0
2,5 0/0
3,50/0
300
138,00/0
4,1 0/0
3,00/0
Nach Begen»-
pnrkaki.
Zur Unterstützung der von Geberal Rohne gebrachten Belege be-
rufen wir uns auf das Zeugnis des Oberst Regenspurgski^), der einige
7) „Studien iiber den taktischen Inhalt der Exerzierreglements für die K.
und K. Fusstruppen", Wien, 1892.
Der Angriff der Infanterie. 581
bei dem Uebungsschiessen in Prankreich und in Oesterreich gemachte
Beobachtungen mitteilt. Auf 1600 Schritt Entfernung (1280 Meter), sagt
er, erleidet schon ein Zug, der in geschlossener Ordnung marschiert, be-
deutende Verluste (15 % Ti-eflfer) , da er ein sicheres Ziel bietet (auf
215 Schüsse 44 Treffer, d. i. 22%); beim Bataillon jedoch waren in dem
Augenblick, als es sich aus der Kolonne entwickelte, auf 2000 Schritt
Entfernung 18 % Trefier (und zwar 66 von 400). Bei Rohne aber nur
7,2 o/o Treffer.
In Oesterreich zeigte sich bei Schiessversuchen mit den neuen n»c1i «atwr-
raioliisclidii
Patronen, dass die Eompagniekolonne schon auf 2100 Schritt (1680 Meter) Yerraobeii.
ein ziemlich sicheres Ziel bietet (20 % Treffer) und dass der geschlossene
Zug auf 1600 Schritt (1280 Meter) auch schon bedeutend gefährdet ist
(15 o/o Treffer).
Der bestrichene Raum beim Feuer knieender Schätzen auf
stehende ganze Figuren beträgt 625 Schritt (500 Meter). Bei General
Rohne war die Aufstellung in einer Linie und bei 0,8 Metern Entfernung
angenommen, daher das Resultat statt 20 % nur 7 % betrug. Aber auf
1280 Meter Entfernung ergiebt sich fast kein Unterschied.
Doch wenn selbst alle angeführten Belege von der Treffsicherheit ^f/y^JJJJ'*^
in der Schlacht tibertrieben wären, so wird nichtsdestoweniger von im oefadit
1000 Mann schwerlich auch nur einer auf 800 Meter herankommen. Und
dazu würden höchstens 35 Patronen für jeden Mann zu verwenden sein.
Im Gefecht selbst würden sich viel grössere Verluste ergeben, weil es
zum energischen Eingreifen im entscheidenden Momente nötig ist, die
nachfolgenden Treffen und auch die Reserven rechtzeitig vorrücken zu
lassen.
Und wirklich treffen, wie wir gesehen haben, von 34000 ab-
geschossenen Kugeln kaum 1800, d. h. etwas mehr als 5 % ; die übrigen
9B o/o werden die Reserven treffen.
Man darf auch den Umstand nicht übersehen, dass jede Kugel, ^^^^j^
welche die Mündung des jetzigen Gewehrs verlässt, imstande ist, je nach ^^^ Kugei-
stremuig.
der Entfernung 2 bis 6 Mann zu verwunden. Wenn femer, wie in dem
Abschnitt über die Hand-Feuei'waffen gesagt war, auf ein Ziel geschossen
wird, dessen Entfernung z. B. auf 2500 Meter festgesetzt ist, und bei
vollkommen korrekter Stellung der Visiere, so werden nichtsdestoweniger
die Kugeln schon auf 2200 Meter einzuschlagen beginnen, d. h. ganze
300 Meter vor der Scheibe und ein Teil von ihnen wird 100 Meter über
die Scheibe hinausgehen, während die Breitenstreuung etwa 50 Meter
nach jeder Seite betragen wird, wie aus der auf S. 60 gebrachten Ab-
bildung ersichtlich ist.
582
VU. Taktik der Infanterie.
Dichtigkeit
der
Gliederung.
Angriffs-
Btellaag
einet öeter-
reiehischen
Inik&terie-
regiments
anf
800 Meter.
Man darf ferner auch die Thatsache nicht vergessen, dass die An-
gaben des Generals Eohne anf die Voraussetzung Bezug nehmen, dass
die Reihen der Schützen aus Leuten bestehen, die 0,8 Meter von einander
entfernt sind, d. h. auf 1 Meter IV4 Mann.
Dabei würde ein Bataillon einen Raum von 800 Metern einnehmen ;
aber eine so breite Front für den Angriff zu bieten, ist ihm unmöglich.
Das Anrücken jedoch in mehr als einer Reihe würde, wie schon gesagt,
zur Erhöhung der Verluste führen.
Um die Truppenlinien von 800 Meter Entfernung an zum Angriff
an den Feind heranzuführen, muss die Gliederung bedeutend enger sein,
aber die Abstände zwischen den Kolonnen der Angreifer sind derartig,
dass die Kugeln, die bei den ersten Gliedern vorbeigegangen sind, die
folgenden treffen werden.
Auf dem Grundriss unten ist die Aufstellung eines Infanterie-
regiments bezeichnet, welches ein Schützenbataillon in Reserve hat und
von 1100 Schritt (800 Meter) bis auf 400 Schritt auf Grund des öster-
reichischen Reglements zum Angriff vorgeht, wobei die Distanzen nach
den früheren Patronen berechnet sind.^)
1
n
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t I T
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L
'■5?
■51J
Infanterie
in Gefecht.
Aufstellung eines Infanterieregiments, das ein Sohützenbatoilion in Reserve hat und von
1100 Schritt Entfernung zum Angriff geht.
Aus dem Grundriss ist ersichtlich, dass die Tiefe der Reihen, die
zum Angriff vorgehen, so beträchtlich ist, dass unmöglich 95% der Kugeln,
die wir nicht in Rechnung gezogen haben, verloren sein können.
Wenn man die Umstände näher betrachtet, welche den in den öster-
reichischen Manövern bei Guus ausgeführten Angriff begleiteten, so waren
dort, wie man zum Teil aus der nebenstehenden Abbildung ersieht,
ganze Hügel mit angreifenden Gliedern besät.
^) ,1 Applikatorische Studie über den Tnfanterie-AngriiT*, Wien 1895.
Der AugrifF der In&nterie.
Infanterie im Gefecht (aus den Manövern bei Güns).
Hier ist es an der Zeit, an das Wort Regensparj3:3kis zu denken:
„Konstatiert ist die Thatsache, dass anf mittlere Entfemnngen die in zwei
geschlossenen Beihen marschierenden Abteiinngen einen 4 Mal and die
in einer Reihe marschierenden einen 2 Mal grosseren Verlust als die-
jenige Abteilnng erleiden werden, welche in aufgelöster Linie mit einem
Schritt Zwischenraum (d. h. wie wir für die Berechnung angenommen
haben) vorrückt."
So lange als die hinter Deckungen Liegenden (Tgl. die Äbbildang)
und die ihnen zu Hilfe eilenden Reserven das Sehiessen mit blinden
Patronen fortsetzen, können die Truppen des Gegners vorrücken, aber
im wirklichen Kriege sagt der gesunde Verstand, dass ein ähnlicher An-
griö auf einen mit den neuen Gewehren ausgerüsteten Gegner wenig
Aussicht auf Erfolg hat.
Das einzige Beispiel, das mit dem Gebrauch des neuen Gewehrs
bis jetzt gegeben warde, hat nns der Kiieg in Chile geliefert. General
584 Vn. Taktik der Infanterie.
Witte ^) sagt bei dieser Gelegenheit: „Das S-Mülimeter-Gewehr (Mann-
licher) übte durch seine Treffgenauigkeit auf allen Entfeniungen be-
deutenden Einfluss aus. Salven und Schützenfeuer fegten auf 1000 und
1600 Meter das Gelände rein und brachten den vorgehenden Feind zum
Halten; auch Reserven wurden auf die gleichen Entfernungen in Ver-
wirrung gebracht. Die Handhabung dieser Waffe erlernten die Leute
trefflieh nach wenigen Uebungstagen".
B^ Jedoch die Praktiker (deren es übrigens im engeren Sinne des
der Wortes schwerlich viele giebt, denn die neue Waffe ist im wirklichen
Praktiker, jjjj^g^ f^^ j^qq]^ gg^j. jjj(.]j^ beobachtct wordeu) entgegnen, dass es solcher
Oertlichkeiten, welche die Beschiessung des Gegners auf weite Ent-
fernungen gestatten würden, wenige in der Natur giebt; daher könne
der Angreifer unbemerkt herankommen, und dabei werde er bei weitem
nicht so bedeutende Verluste erleiden.
Des weiteren versichern sie, dass die aus den militärischen Uebungen
gezogenen Schlüsse und Folgerungen nicht immer den Resultaten ent-
sprechen, die man im Kriege erhält.
Enriderttng. BczügUch dcs crsteu Puuktes ihrer Entgegnung kann man be-
merken, dass der Verteidiger niemals unterlassen wird, sich ein Gelände
mit ebenem Gesichtsfeld zu wählen. Ausserdem darf man nicht ver-
gessen, dass bei der jetzigen Flugbahn der Geschosse Unebenheiten des
Bodens durchaus nicht vor den Kugeln schützen. Bei genauer Kenntnis
der Entfernungen können in dem Augenblick, wo der Feind mittels der
Beobachtungspunkte entdeckt wird, die Schüsse über Berge und Wälder
gerichtet werden, wie auf den Abbildungen auf S. 8 gezeigt ist.
Was die Verschiedenheit der Schiessresultate in den Manöver-
übungen und im Kriege betrifft, so ist zu erwidern, dass dieser Unter-
schied im allgemeinen bei weiten Entfernungen und beim Nachweis nicht
bedeutender Gefahr für gut ausgebildete und hinter Deckungen feuernde
Mannschaften nicht besonders gross sein kann.
In vergangener Zeit waren die Verhältnisse anders. Damals musste
man im Angesicht des Feindes eine ganze Reihe von Manipulationen
vornehmen, die das Schiessen erforderte. Ausserdem konnten die weniger
vollkommenen Gewehre nicht gleiche Resultate in der Zeit der Friedens-
übungen und im Kampfe liefern. Jetzt haben sich diese Verhältnisse
geändert.
Haaptwcrt Der. Hauptwert des jetzigen Gewehrs liegt darin, dass es auf
6,B-Miuiinet.- nahe Entfernungen vollkommen neue, bisher unbekannte Erscheinungen
' Gewehr«. ^Q^g^,
^) Witte: „Fortschritte und Veränderungen des Waffenwesens", 1895.
Der Angriff der Infanterie. 585
So erreichte z. B. eine Kugel bei 600 Meter Entfernung in der
Hälfte, also auf 300 Meter, folgende höchste Erhebung bei den Ge-
wehren :
U-MiUimeter 8-Millimeter 6,5-Milliineter
4,7 Meter 2,6 Meter 1,6 Meter lo).
Die Wichtigkeit dieser Zahlen ist dem Leser schon klar. Bei dem
11-Millimeter-Gewehr durchflog die Kugel einen bedeutenden Teil des
Raumes über den Köpfen des Feindes; bei dem 8-Millimeter-Gewehr
wirkte sie schon auf einem ansehnlichen Teil ihres Weges treffend, und
bei dem 6,B-Millimeter-Gewehr war sie auf ihrem ganzen Wege tod-
bringend. Auf 600 Meter gleicht solche Kugel einer Sense, mit der man
5 bis 6 Menschenleben leicht niedermähen kann. Mit solchen Kugeln findet
zudem das Schiessen ohne Umstellung des Visiers statt.
Bis heute ist das 6,6-Millimeter-Gewehr noch in wenigen Armeen vortng det
eingeführt, aber auch dieses gilt schon als zurückstehend gegen das oeweh^'
6-Millimeter-Gewehi', welches in kurzer Zeit überall angenommen werden
wird, und welchem die deutschen Militär-Zeitschriften schon den Namen
„unser Zukunfts-Gewehr" beigelegt haben.^i)
Die aus diesem Gewehr abgeschossene Kugel wird, wie die Versuche
in Oesterreich gezeigt haben, in der Ausdehnung von vollen 800 Metern
den Feind niedermähen.
Im wesentlichen aber scheint es uns, dass die so erhöhte Kraft der wart des
Schiesswaflfe sogar überflüssig sein kann. Auch das jetzige Gewehi* ist ^'oiSehw**"
schon in dem Grade todbringend, dass es fähig ist, die Reihen des An-
greifers bis auf den letzten Mann zu vertilgen und als Mittel zur gegen-
seitigen Vernichtung der sich gegenüberstehenden Streitkräfte dienen kann.
Das Gewehr, über das die Mehrzahl der europäischen Armeen ver-
fügt, mit 7,6 Millimeter-Kaliber, vereinigt schon die zerstörenden Eigen-
schaften in wunderbarer Weise in sich.
Auf 600 Meter Entfernung fliegen die damit abgeschossenen Kugeln schiees-.
fast horizontal, so dass es einer Umstellung des Visiers entsprechend der "demseib«"
veränderten Entfernung nicht bedarf und es möglich ist, mit diesem
Gewehr auf den Angreifer gerade in der Linie der Kopfhöhe zu halten,
und in diesem Falle werden die Schüsse in der ganzen Ausdehnung von
460 bis 600 Schritt die näheren Reihen in den Kopf, die weiter ent-
fernten in den Fuss treffen.
Auf der Abbildung anbei, welche das Schiessen mit dem 7,6 Millimeter-
Gewehr von 600 Metern Entfernung an bei einem und demselben Visier
^0) LöbeUa „MiUtärische Jahresberichte", 1894.
") „Jahrbücher für deutsche Armee und Marine".
586
YIL Taktik der Infanterie.
darstellt, sind die Streuungspunkte aller Schüsse mit grösseren Kreisen
und die Punkte ihrer meisten Treffer mit kleinen schraffierten Kreisen
bezeichnet. 12)
1
M
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1
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A
400
4M
Schiessresultate mit. dem 7,5 Millimeter-Gewehr von COO Metern Entfernung an bei einem
und demselben Visier.
Mit einem Worte, die Verteidiger bestreichen ohne Visierveränderung
bis auf 650 Schritt den ganzen Raum.
Visier- Bei dem früheren Gewehr, welches noch im Kriege 1870 angewandt
Stellung bei
dem Gewehr wordcn ist, war es zum Feuern auf 600 Meter Entfernung nötig, das
**'^' Visier selbst bei 150, 250 und 350 Metern umzustellen; und um bei Ent-
fernungen unter 376 Metern ins Ziel zu treffen, mnsste der Schütze noch
an verschiedene Vorschriften denken, indem er stufenweise bald auf den
Kopf, bald auf die Brust, bald auf den Leibgurt des Gegners zielte,
wobei er die Distanz ohne einen grösseren Irrthum als um 25 Meter be-
stimmen musste.
unterschied So erklärt sich der grosse Vorzug der neuen Gewehre, z. B. des
nndnenrn frauzösischeu Modclls 1888 vor dem Chassepotgewehr 1867, ganz ab-
oewehre. gesehen von der Verringerung des Rückstosses und des Gewichts sowohl
des Gewehrs als der Patronen.
Beispiel. Ein französischer Schriftsteller^'^) erläutert diesen Unterschied auf
folgende Art. Zwei Schützenabteilungen führen ein gegenseitiges Schiess-
gefecht auf 600 Meter Entfernung von einander; beide bestehen aus un-
erfahrenen Leuten der letzten Einberufung, zudem hat der eine Teil das
kleinkalibrige Modell von 1888, der andere das Chassepotgewehr. Das
Feuer ist wirksam, so dass die jungen Soldaten sich damit Mut zu
machen suchen und fast ohne zu zielen schiessen. Aber wie verschieden
wird unter solchen Verhältnissen das Resultat sein: die Schützen, die das
kleinkalibrige Gewehr in die natürliche Höhe gehoben haben und
mechanisch geradeaus schiessen, werden den ganzen Raum bestreichen,
**) „Anleitung zur Ausbildung im Schiessen", 1893.
^^) J. Ortus: „Valeur comparee pour le combat du fusil actu^l de l'infanterie
europ^enne".
Der Angriff der Infanterie. 587
und ihre Gegner müssen wenigstens dreimal die Entfernung schätzen
und dreimal die Gewehrhöhe ändern, um sich nicht in dem Verhältnis
einer erdrückenden Ungleichheit zu befinden.
An der Stelle also, wo im Jahre 1870 Kommandos erforderlich und
Kaltblütigkeit zu ihrer Ausfuhrung nötig war, genügt jetzt eine mecha-
nische Abgabe von Schuss auf Schuss.
Was aber besonders wichtig ist, je kürzer die Entfernung, je ^f,f^?„'j.
sicherer die Bestreichung, um so grössere Bedeutung erhält die Feuer- keit
geschwindigkeit des Gewehrs.
Viele Militärs setzen ihre Hoifnung darauf, dass es beim Angrift*
den Vorrückenden gelingen wird, Deckung zu finden, sich hinzulegen,
heranzukriechen und mit all diesen Mitteln der Gefahr zu entgehen ; aber
selbst im günstigen Falle wird es dem Soldaten schwerlich möglich sein,
im Verlaufe mehrerer länger Minuten des Angriifs die Notwendigkeit zu
vermeiden, dass er, wenn auch nur einmal, den feindlichen Schüssen als
Scheibe dient.
Das jetzige Gewehr hat als normale Feuergeschwindigkeit 15 Schüsse
in der Minute, und im Maximum erreicht es 30 Schüsse, i^) Daher ist es
augenscheinlich, dass der hinter Verschanzungen sich Verteidigende,
wofern es ihm nur an Patronen nicht mangelt, den Angreifer ver-
nichten muss.
Um zu veranschaulichen, wie ungleich die Aussichten des An- Aassichten
, dos
greifers und die des Angegriflenen sind, bringen wir in den Beilagen Angreife«
zwei Abbildungen, auf deren ersterer zum Angrifl laufende Truppen vert^iidige«.
dargestellt sind, auf der zweiten der hinter Verschanzungen liegende
Gegner. Das ist natürlich nur ein Bild aus den Friedensmanövern. Auf
dem Schlachtfelde, w^enn der Tod in der Luft schwebt, wird der An-
greifer vorsichtiger vorgehen und Unebenheiten des Bodens und natür-
liche Deckungen ausnutzen. In jedem Falle aber droht dem Verteidiger
geringere Gefahr, denn er zeigt nur den Kopf, während der Angreifer
bei den Sprüngen seinen ganzen Körper als Ziel bietet. Nach den Worten
des Generals Rohne wird das Verhältnis für den von 600 Metern An-
greifenden mit 100%, das für den Verteidiger nur mit 12,2% zu be-
zeichnen sein.
Im Kriege 1877 — 78 hatten die Mannschaften zu dem Berdangewehr p«*«"onen-
je 84 Patronen; jetzt aber sollen sie in allen Aimeen 120—170 bei sich .
tragen. General Rohne sagt, da ein Truppenteil, in dem 60% in kurzer
Zeit ausser Gefecht gesetzt sind, kampfunfähig wird, so müsse man in
den meisten Fällen das Feuer so lange fortsetzen, bis die Hälfte der Leute
**) „ Applikator ische Studie über den Infanterie-Angrift'", 1895.
588 Vn. Taktik der Infiinterie.
ausser Gefecht gesetzt sind, and weiter brauche man es nicht zn unter-
halten. Daher berechnet Rohne, wieviel Patronen nötig sind, am folgendes
Resultat zu erhalten:
Entfernung in Metern Ganze Figuren Liegende Figuren Köpfe
800 8 16 67
500 4,6 10 32
800 3 6 20
Beim näheren Angriff genügen also 8 bis 3 Patronen. Aber, wie
es scheint, ist bei der Ausrüstung der Leute mit Patronen der Grundsatz
angewandt: „Man soll die Grütze nicht mit Butter verderben".
Patronen- Zum Zwockc eiucr möglichst reichlichen Ausrüstung mit Patronen
uarttstang. ^.^^ j^^^^ ^^ Frankreich an Stelle der Bataillons-Patronenwagen Kompagnie-
wagen eingeführt. Auf diese Weise werden dem Soldaten innerhalb der
Gefechtslinie 264 Patronen statt der Mheren 204 zur Verfügung stehen ;
hiervon hat er 120 (früher 112) bei sich, wozu noch die vor dem Gefecht
aus dem Kompagniewagen auszugebenden 66 Patronen kommen, so dass
der Soldat mit 186 Patronen (früher mit 138) das Feuer beginnen wird.
Rechnet man noch den Patronenvorrat des Parks hinzu, so werden im
ganzen 303 Patronen (früher 261) auf den Mann kommen.
Auch in den übrigen Armeen existieren schon ähnliche Anordnungen
oder es unterliegt keinem Zweifel, dass sie bald getroffen werden. Heut-
zutage fürchten sich alle, hinter den anderen zurückzubleiben.
Theoria Nach dicscu allgemeinen Erklärungen gehen wir zur Betrachtung
d. Infunteria- w w w
aDgriifb. des Wesens des Angriffs über.
Bei der gegenwärtigen Lage der Kriegskunst gehört die Theorie
über den Angriff der Infanterie auf kurze Entfernungen zu der Zahl der
sehr schwer zu entscheidenden Fragen.
Vor allem wollen wir, der angenommenen Methode folgend, uns
bemühen, den Leser mit der gegenwärtigen Lage der aus dieser Frage
hervorgegangenen Streitpunkte bekannt zu machen.
b) Der rnssische reglementmässige Angriff, nach General
Skngarewski.
^^SlrifL*^ Die vom General Skugarewski veröffentlichte Schrift „Der Angriff
der Infanterie" wurde in fremde Sprachen übersetzt und lenkte die ge-
spannte Aufmerksamkeit der ganzen europäischen Kriegslitteratur auf
sich, wobei sie der ausführlichsten Beachtung von Seiten der bekanntesten
Militär-Schriftsteller unterzogen wurde, i^)
— ^^M^— W^IM*^— i^^^^»^^ ■■■■■■ »
1«) Löbell : „Müitariscbe Jahresberichte", 1894.
Der Angriff der Infanterie.
689
General Skugarewski bemerkt yollkommen richtig, dass in An- ▼«''><>*
betracht des gegenwärtigen Bestandes der Armeen, wenn nacb den ersten keit beim
Schlachten die Mehrzahl der übrig gebliebenen Offiziere der Reserve ^°^*^
angehört und das geistige Niveau der Unteroffiziere und (Jemeinen nicht
besonders hoch ist, es wünschenswert sei, dass die Eeglementsvorschriften
sich nicht zu sehr von den praktischen Erfordernissen trennen und nicht
an Einseitigkeit leiden. ^c)
Um diese Einseitigkeit zu zeigen, nimmt der Autor folgendes an.
Der Angreifer bewegt sich von 800 Schritt an (640 Meter) in Sprüngen Beispiel,
zu je 100 Schritt; nach diesen Sprüngen macht er auf jeder Distanz
5 Minuten Halt und giebt ein langsames Feuer ab, je 3 Schüsse in der
Minute. In jeder neuen Stellung ist Zeit zur Umstellung des Visiers
nötig; deshalb wird der Schütze in der Minute, wenn der Sprung geschieht,
nur je einen Schuss abgeben. Da die Feuerwirksamkeit sich nach Maass-
gabe der Annäherung an den Gegner erhöht, so trifft von den bis
800 Schritt einschliesslich abgeschossenen Kugeln rund 1 % beim Angreifer,
auf 700 Schritt 2 %, auf 600 3 % u. s. w. Dass dieser Prozentsatz nicht
hoch ist, zeigt § 173 des „Reglements für die Ausbildung im Schiessen"
(1884), in welchem gesagt ist, dass mit dem Berdangewehr auf 600 bis
900 Schritt mehr als B % ins Ziel trifft, und dass auf 1000 bis 1200 Schritt
der grösste Teil dieser Kugeln und zwar % in die feindliche Linie trifft,
die übrigen in deren Reserven.
Der Verteidiger aber giebt je 4 Schuss in der Minute ab und
während der Sprünge des Angi-eifers je B. Die Wirksamkeit des Feuers
auf den Distanzen ist annähernd zweimal so gross als beim Angreifer,
d. h. auf 800 Schritt macht es beim Angreifer 2 o/o, auf 700 Schritt 4%
u. s. w. kampfunfähig. Wenn der Angreifer in der Gefechtsordnung mit
schwacher Schützenlinie und starken Reserven vorgeht, so werden die
Verluste in der Schützenlinie und in den Reserven mutmaasslich
gleich sein.
Es wird angenommen, dass ein Regiment des Angreifers in der Angriff eines
vorschriftsmässigen „anfänglichen Gefechtsordnung" vorgerückt und bis gege°«wei
auf 800 Schritt sogar ohne Verluste herangekommen ist. Bei 800 Schritt »•*•*»<>»••
Entfernung von der gegnerischen Stellung Hess man gemäss § 29 der
Instruktion für die Gefechtsform der Kompagnie und des Bataillons,
welche Verstärkung der Schützenkette verlangt, in den Kompagnieen
^^) Nach dem russischen Beglement wird die Bewegung des Angreifers
in drei Perioden geteilt: 1. bis 800 Schritt vom Feinde heisst sie Anrücken,
welches ungedeckt geschieht; 2. von 800 bis 300 Schritt ist sie Angriff, welcher
mit Sprüngen von Deckung zu Deckung vor sich geht, und 3. von 300 bis
150 Schritt wiederum ungedeckte Bewegung zum Bajonnet-Angriff.
590 VII. Taktik der Infanterie.
der vordersten Linie noch je einen Zvig ausschwärmen, und das dritte
Bataillon ging rechts vom ersten znm Gefecht über. In dieser Formation
beginnt das Regiment die Bewegnng in Sprüngen gegen zwei feindliche
Bataillone, wobei fiir die Berechnung die Streitkräfte der nicht auf-
gelösten Kompagnie mnd zn 200 Schützen angenommen sind.
Anf der anderen Seite ist die Gefechtsordnung des Verteidigers zn
beachten, denn man kann nicht annehmen, dass der Gegner nachlässig
handelt, nnd deshalb setzt der Autor den Fall, dass in dem einen Bataillon
3 Kompagnieen, im anderen 2 in die erste Gefechtslinie geschickt werden,
und dass in jeder Kompagnie 4,3 Züge in Linie ausgeschwärmt sind.
» Danach bringt General Skngarewski eine Tabelle der beiderseitigen
Verluste, an deren Stelle wir der grösseren Anschaulichkeit M'egen eine
graphische Darstellung auf Grund ihrer Zahlen gehen, wobei die Zahl
der Angreifer zu 3200 (4 Bataillone), und die der Verteidiger zu 1600
(2 Bataillone) angenommen ist.
Verluste der Angreifet ond der Verteidiger.
"■ Folglich wird sich der Angreifer, der mit der doppelten Truppenzahl
den Angriff begonhen hat, wenn er 300 Schritt voiTückt, schon in einem
weniger als halben Bestände dem Verteidiger gegenüber befinden.
Genauer gesagt, werden von einer angreifenden Kompagnie zu
200 Gewehren 23 Mann übrig bleiben, wählend der Rest bei der durch
Verschanzungen gedeckten Halbkompagiiie 50 Mann betri^en wird.
Wir stellen diese Verhältnisse graphisch dar:
liigriffs einer Kompngnii' gegen eine verschonite Halbkoni pagiiie
300 Schritt Entfernung (von ÖÜÜ bis öOU),
Der Angriff der Infanterie. 591
Daraus geht deutlich hervor, dass ein ähnlicher Angriff ohne unter- unmöguch-
brechnng undenkbar ist. anunter-
GeneraJ Skugarewski sagt,i7) dass man die Ansicht von der Un- ^^ngriffr
möglichkeit einer ununterbrochenen Vorwärtsbewegung am häufigsten im
Kreise der Frontoffiziere hört; aber sie findet auch unter vielen Militär-
Schriftstellern Verteidiger. Diese letzteren sagen: Beim Angriff komme Verteidigung
alles darauf an, die Truppen daran zu gewöhnen, vorzugehen, was es auch
kosten möge, ohne Rücksicht auf irgend welche Verluste und Hindemisse;
mit Truppen, die so ausgebildet seien, könne es kein Misslingen geben;
sie wüi'den unfehlbar bis zu dem angegriffenen Punkt vordringen; Be-
wegung schütze besser vor Verlusten als Deckungen.
General Skugarewski führt die Worte eines Heerführers an: „Die
Truppen werden niemals den angegriffenen Punkt erreichen, wenn ihnen
nicht die Forderung: „Vorwärts und vorwärts!" in Fleisch und Blut
übergegangen ist. Man muss auf den alten Suworow'schen Grundsatz
zurückkommen, wenn die Kartätschen die Linie nicht gerade ins Bein
getroffen haben."
„Aber wie überzeugend alles dies auch auf den ersten Blick zu sein Einwitig^eit
der •
scheint," sagt der Autor, „so leiden nichtsdestoweniger alle angeführten AMichten.
Ansichten an dem einen gemeinsamen Fehler der Einseitigkeit, Sie
wollen nicht hören, dass zur Zeit Suworows ein anderes Feuer war;
es ist unmöglich, die Waffen nicht nur des vergangenen, sondern auch
der ersten Hälfte des jetzigen Jahrhunderts mit den gegenwärtigen zu
vergleichen. Medem charakterisiert im Jahre 1837 das Schiessen
folgendermaassen: »Auf 300 Schritt ist es grösstentheüs wirkungslos, auf
200 Schritt wirkt es noch ziemlich schwach, und erst auf 160 und
100 Schritt wird es todbringend. Und auch diese Tödlichkeit ist relativ
aufzufassen.** Asemar führt in seiner „Taktik des Infanteriefeuers" einen
Fall aus der Schlacht bei Caldiero (1805) an, wo ein österreichisches
Bataillon, welches eine halbe Stunde das Feuer eines französischen
Bataillons ausgehalten hatte, im Ganzen 6 Mann verlor."
Sonderbar nennt General Skugarewski das Hauptargument der «enutznng
Anhänger des offenen Angriffs, dass die Truppen, wenn sie daran gewöhnt Deckungen,
sind, sich zu decken, immer in Deckungen laufen werden; vielmehr
würden die Leute ungern die Deckungen verlassen und schliesslich sich
überhaupt nicht mehr aus ihnen erheben.
Die Verteidiger des Sprungverfahrens antworten darauf: Unter dem
jetzigen Feuer giebt es Minuten, wo es unmöglich ist, ungedeckt vorzu-
gehen; wie man auch die Leute ausbildet, sie werden in jedem Falle sich
^0 „Angriff der Infanterie.** S. 96.
592 '^^' Taktik der Infenterie.
in Deckungen legen, and Leute, die sich eigenmächtig hingelegt haben,
d. h. die schon den Gehorsam verweigert haben, zum Vorgehen zu ver-
anlassen, ist wirklich schwierig.
Besaitet Wenn man nach dem gesunden Menschenverstände urteilt, so ist der
Blick des Autors vollkommen richtig. Vor 20 Jahren ergaben Versuche
die Nothwendigkeit, bisweilen mit Pausen vorzurücken, um den Ver-
teidiger durch Feuer zu verwiiren und dadurch, wie man sagt, den An-
griff vorzubereiten.
Und plötzlich sagt man wiederum bei den neuen kleinkalibrigen
6ewehi-en und den Panzergeschossen : Nein, man darf nur offen vorgehen,
die ganze Sorge um das Feuer überlasst der Schützenlinie, der Anblick
kleiner Abtheilungen wird schon genügen, um den Feind zum Rückzug
zu veranlassen. Und warum? Jetzt schiessen ja die Gewehre noch
weiter, treffen viel sicherer, die Feuergeschwindigkeit ist noch grösser,
folglich hat sich die Lage des Angreifers verschlechtert.
c) Der französische vorschriftsmässige Angriff.
Andere Wir haben schon oben von den Bestimmungen der französischen
paakte. ßeglemeuts bezüglich des Angriffs im Rahmen ihrer allgemeinen
Charakteristik gesprochen. Jetzt wollen wir den Angriff nach dem
französischen Reglement vom Jahre 1894 mit dem soeben angeführten
russischen Angriff vergleichen. Oben hatten wir bei der Erwähnung des
französischen Reglements vorzüglich den Angriff' unter dem Feuer der
Artillerie des Gegners im Sinne; hier nun wird nur sein Gewehrfeuer
in Erwägung gezogen.
Dm "w^ie gesagt, ist das französische Reglement vom Jahre 1894 nicht
JEveglement ,
1894. Völlig neu; es ist m ihm vieles aus dem Reglement des Jahres 1884 ent-
halten, und zwar sind die Vorschriften über die Führung des Infanterie-
gefechts unverändert geblieben. Wir halten uns nicht für berechtigt, die
Bestimmungen des französischen Reglements zu kritisiren; doch haben
wir die Klagen französischer Schriftsteller über einzelne seiner Aenderungen
schon angeführt. Aber der kritische Blick auf die Ausführbarkeit der
einen oder anderen Bestimmungen des Reglements 1894 wird mit grösserer
Sicherheit aus anderen als den französischen Schriftstellern schöpfen,
welche sich in diesem Falle in die neueren und die Anhänger der alten
Zeit scharf scheiden.
Wir versuchen nur, bei den Gefechtsformationen nach den Reglements
1884 und 1894 die sich ergebenden Unterschiede zu erklären und das
Zahlenmaterial der wahrscheinlichen Verluste zu erhalten.
„H n'y a rien d'aussi brutal que les chiffres", hat einmal Napoleon
gesagt.
Der Angriff der Infanterie. 593
Wir müssen mit der früheren Ordnung beginnen. *"«^'^
Zam Angriff gehen die Trappen selbstverständlich im Schnellschiitt, B«gieBi«nt
nur auf EommaDdo Halt machend. Die Schützenlinie, die die Eeserve
hinter sich hat, läaft von 800 Meter Entfemoug an 200 Meter vor.
Darauf einige Minnten East, nnd die Schützenlinie setzt sich auf ein
g^ebenes Zeichen wieder in Bewegung und läuft weitere 200 Meter vor.
Dann folgt von neuem eine kurze Rast, nach welcher das Signal zum
StfUTulauf gegeben wird, und die Tmppen eilen schnell die letzten
200 Meter vor.'*) Welche Höhe werden nun die wahrscheinlichen Verluste »«"«'"'"'b
der angreifenden Truppen hierbei erreichen? yttini^B.
Um darauf zu antworten, muss mau vor allem die Grundlagen fest-
setzen.
Zur Bestimmung der Terlustzahlen haben wir mehrere Quellen.
Erstens führt Oberst Om6gai9) die Zahlen von den Versuchen im "»^ °^*^
Lager bei Chälons an, welche die wahrscheinlichen Verluste einer Linie
angreifender Schützen bei 2 Meter Zwischenraum von eiuMider anzeigen:
Entfernung Beim Qewehr 1636
200 Meter 32 %
400 „ 16 „
600 „ 8 „
800 „ 6 „
Der Auschanlichteit wegen stellen wir diese Resultate graphisch dai*:
Wohrscheuiliohe Verluste einer augreifeaden Schützenlinie bei dem Gen'ehr Modell 188G.
Zweitens giebt General Rohne folgende Zahlen; ""Lh"™'
300 Meter
500 „
800 „
") GSnöral Ferron: „Trois Conferences s
'") Omöga: „L'art de combattre".
Ganze
Figuren
Halbgedeckte
Figuren
27,7
13,6
17,7
8,2
10,0
5,1
594 ^^^ Taktik der Infanterie.
Da die Angaben des Generals Eohne vollständiger sind, so wollen
wir dieselben zur Grundlage unserer Berechnungen nehmen.
Voraus- j^ Betreff der Laufgeschwindigkeit wollen wir, da eine Rast voraus-
der gesetzt wird, das Maximum annehmen, und zwar 133 Meter in der Minute
Bei^bnung. ^^^^ g g;!!^^^^^^^, ^^ ^^j. Stuude).
Die Feuerschnelligkeit erreicht, wie wir schon einige Male angeführt
haben, 15 bis 30 Schuss in der Minute.^)
Um aber nicht der Uebertreibung beschuldigt zu werden und wegen
der Bequemlichkeit der Rechnung nehmen wir an, dass Verteidiger und
Angreifer mit Ausschluss der Sprünge je 4 Schüsse in der Minute ab-
geben. Dabei wollen wir dem Angreifer noch eine günstige Annahme
zugestehen, dass nämlich die Hälfte der Verteidiger auf Grund des Er-
haltungstriebs die Köpfe nicht zeigen soll, und ihre Schüsse auf diese
Weise nicht wirksam sind. Unter diesen Voraussetzungen stellen wir
eine Berechnung der wahrscheinlichen Verluste eines Bataillons von
1000 Gewehren an.
variMta Während des Vorrückens werden auf den ersten 200 Metern (800
b«im bis 600) in IV2 Minuten des Laufens von der Verteidigung 6000 Kugeln
vor»«iieii. ^^^ ^^^ Angreifer abgeschossen werden. Nehmen wir noch als Treffer-
zahl auf 800 Meter 10%, so werden 600 Mann ausser Gefecht gesetzt.
Während der Rast von 3 Minuten wird der Verteidiger auf die
übrig gebliebenen 400 Angreifer 12 000 Kugeln abschiessen, von denen in
Anbetracht der liegenden Stellung wiederum nach General Rohne (auf
800 Meter Entfernung) 6% Treffer sein werden, oder es könnten wieder
600 Mann ausser Gefecht gesetzt werden.
Da aber das Bataillon im ganzen nur 1000 Mann hat, so wird es
gleich bei den ersten 2(X) Metern aufgerieben sein.
Erginranff Wir müsscu bei diesem Thema den Fall setzen, dass die anrückenden
Besarreii. Rcservcu das Bataülou zu seinem anfänglichen Bestände ergänzen.
Beim abermaligen Sprunge (600 bis 400 Meter) wird der Verteidiger
wiederum 6000 Kugeln auf den Angreifer abgeben, von denen nach
General Rohne 17,7 % (bei 600 Meter Entfernung) treffen. Der Ver-
lust würde 1062 Mann betragen, also mehr als das Bataillon hat.
Nehmen wir an, dass auch dieser Abgang ergänzt wird. Während
einer abermaligen Rast von 3 Minuten werden bei 400 Metern Entfernung
von den Verschanzungen 12000 Kugeln auf den Angreifer abgeschossen
werden, von denen 8,2% treffen und 984 Mann des Angreifers ausser
Gefecht setzen. Auf die übrigen 16 Mann würden, falls von neuem
984 Mann hinzuliefen, beim letzten Sprunge wiederum 6000 Kugeln
'^) „Applikatorische Studie über den Infanterie- Angriff." Wien 1895.
Dor Angriff dei' Infanterie. 595
kommen, mit denen man nicht das Bataillon, sondern 1662 Mann ausser
Gefecht setzen könnte.
Im Dorchschnitt genügen 42000 Kugeln, um 4908 Mann ausser
Gefecht zu setzen.
Sehen wir zu, welche Resultate man hieraus erhält.
Während des Vorlaufens können die angreifenden Truppen nicht ^»"«5
d. Angreifen.
feuern, sonst müsste die Bewegung verzögert werden. Bei der Rast von
3 Minuten könnten nur 400 Mann schiessen, weil die übrigen schon tot
oder verwundet wären. Diese 400 Mann könnten 4800 Kugeln abschiessen.
Von diesen aber würden nach den Berechnungen des Generals Rohne im
ganzen 2,5% (oder 120 Schüsse) wirksam sein. Danach würden beim
zweiten Sprung die 400 Mann schon ausser Gefecht gesetzt werden.
Wir wollen jedoch den Fall setzen, dass die zur Verstärkung des Verluste
Angriffs anrückenden Truppen immer den vollen Bestand, d. h. 1000 Mann vertcidigere.
haben. In diesem Falle werden die Abgänge des Verteidigers folgende sein:
Bei der ersten Rast
von 3 Minuten . . 12 000 Kugeln, Abgang 21/2 %, d. h. 300 Mann
bei der zweiten Rast
von 3 Minuten . . 12 000 „ ,, 4,1 o/p, „ 498 „
Sa. 798 Mann.
Während also der Angreifer 4908 Mann aus den Reserven nehmen luwaitat.
müsste, um mit 1000 Mann unter den Verschanzungen zu erscheinen,
würde es für den Verteidiger genügen, seinen Bestand um 798 Mann zu
verstärken. Dies Verhältnis ist für den Angreifer sechsmal un-
günstiger.
Aber in Wirklichkeit würde sich dieses Missverhältnis der Verluste
dadurch noch mehr vergrössern, dass der Angreifer gegen eine starke
Verteidigung nicht auf unbeschränkte Zeit mit einer Schützenlinie operieren
kann; er muss sie rechtzeitig unterstützen, um eine mehr oder weniger
bedeutende Feuerüberlegenheit über den Gegner zu erzwingen und zu
bewahren.
In der That fordern die Reglements, wie gesagt, beim Angriff mit oeeciiioMen-
einer Brigade auf 1 Meter Front 4 bis 4,8 Gewehre, abgesehen von Aus- der Glieder.
nahmefallen, welche eine Verstärkung möglich machen oder verlangen.21)
Indessen wird eine fünf- und sechsmal vergrösserte Geschlossenheit
fast in demselben Verhältniss auch eine Vergrösserung der Treffwahr-
scheinlichkeit mit sich bringen.
2^) ^Der gegenwärtige Stand der Infanterie -Taktik" („Internationale
Revue").
38*
596 ^^^' Taktik der Infanterie.
Du nena ^ir haben schon die Meinung des Obersten Regenspurgski über
Regl6in6iit
1894. die Abhängigkeit der Verluste von dem grösseren oder geringeren Grade
der Geschlossenheit der Glieder angeführt. Es ist sehr naturlich, dass
die oben beschriebene Art des Angriffs die Kritik nicht ausgehalten hat,
und in Frankreich erschien schon im Jahre 1894 ein neues Eeglement,
das wir hier genauer betrachten wollen.
Einfwining Das ucue frauzösische Reglement trägt einen ausgeprägt offensiven
dor
Aufklärer. Charakter. Der bemerkenswerteste Zug in ihm ist die Vorschrift, dass
die Schützenlinien durch Aufklärer (6claireurs) ersetzt werden.
„Das rauchschwache Pulver, die Tieffsicherheit der Waffe, die Rasanz
der Flugbahn und die Feuergeschwindigkeit haben, wie dort gesagt wird,
das Erkennen der Stellungen eines gedeckten Gegners erschwert und die
Gefahr auf einem vom Feuer bestrichenen Räume erhöht." Besonders
schwierig ist die Aufklärung feindlicher Stellungen durch Kavallerie
geworden, i|nd nur Infanteristen, die sich unter Ausnutzung der Uneben-
heiten des Rodens nahe an die Verschanzungen heranschleichen, könnten
einigermassen genaue Nachrichten bringen, um die Möglichkeit einer
Ueberraschung zu verhüten.
Im Reglement wird infolge dessen auf die Notwendigkeit hin-
gewiesen, dass jede Infanterieabteilung ihre eigenen Aufklärer hat.
Taktik Rechnet man zu diesem Zwecke zwei Mann im Zuge, so sollen in
Anfkiftwr. der Kriegskompagnie 32 Mann dazu bestimmt sein, die eine entsprechende
Ausbildung erhalten müssen. Im Gefechte sollen sie mit der Kompagnie
in Verbindung bleiben, zu welchem Zwecke die letztere allmählich be-
sondere Verbindungsleute ausschickt. Die von den Kompagnien vor-
geschickten Aufklärer der vordersten Linie sind unter dem Befehl eines
Hauptmanns ihres Bataillons und besorgen vereint die Aufklärung, und
überdies eröffnen sie zuerst den Angriff, indem sie sich 500 Meter weit
von den Kompagnien entfernen und bis auf 900 Meter sich dem Gegner
nähern (alle hier angegebenen Zahlen gelten für offenes, ebenes Gelände),
und mit ihrem Feuer sollen sie ihren Kompagnien das Vorgehen er-
leichtern, in die sich die Aufklärer auch wieder einfügen, wenn die ganze
erste Linie die bezeichnete Annäherung an den Gegner erreicht hat. Die
erste Linie stellt sich als Kompagnie in Linie auf mit einem Schritt
Zwischenraum zwischen den Rotten, unter wirksamem Feuer aber in
einem Gliede, Arm an Arm; Zwischenräume werden nur in der Absicht
gestattet, ein möglichst breites Gelände zu besetzen. Bei Verlusten
schliesst sich das Glied beständig zusammen.
Breiten- Es entwickelt sich beim^ Angriff in die Breite: die Kompagnie zu
Wickelung. 200 Gewehren IBO Meter, das Bataillon 900 Meter, das Regiment
höchstens 700 Meter, die Brigade 1400 Meter, die Division 2100 Meter,
Der Angriff der In&nterie. 597
abgesehen von der bei ihr befindlichen Artillerie. In der Verteidigung
ist je nach der Stärke der Stellung auch eine breitere Entwickelnng
gestattet.
Die Gefechtsanfstellnng eines IranzDsischen ßegiments nach der
neuen Taktik zeigt folgende Abbildung aus den letzten Manörem.
Auf^teUaug eines fraazösisohen Begiment« beim Angriff.
Bezüglich der grossen Einheiten vom ßegiment an sagt das f™»"»"
Reglement, dass sich dafUr keine Normalfomation geben lässt; für das B<«ipi.Di«.
Regiment aber schreibt es folgende vor: Ein BataÜloD rückt in drei
Linien vor, von denen die erste den Angrifl beginnt und ihn womöglich
allein dorchfßhi't, ohne sich nach hinten umzusehen; die zweite sichert
die Flanken der ersten, unterstützt oder verlangen sie in die Breite,
führt den Angrifi zum Sturm durch, indem sie nötigenfalls aufgegebene
Punkte besetzt oder den ins Sehwanken geratenen Angriö erneuert; die
dritte Linie steht unmittelbar zur Verfügung des Bataillonskommandeurs,
sie heisst „ManiJverlinie" nnd dient dazu, Flankenangriffe auszuführen
und abzuschlagen.
Einen charakteristischen Unterschied zwischen dem neuen und ti.tM»iju»a
früheren Reglement bildet besonders die Fordemng, dass die erste Linie Begisumti.
vorgeht, ohne Unterstützungen abzuwarten, wobei angenommen zu werden
scheint, als ob ein mit ungenügenden Kräften begonnener Angriff sich
gleichwohl immer wiederholen Hesse.
Von dem Augenblick an, wo es unmöglich ist, ohne zu feuern, ForiMUnnj
weiter vorzurücken, soll das Feuer auf der ganzen Linie eröfinet werden, tatritb.
womöglich mit Salven und dann Schutzenfeuer. Darauf wechselt das
Feuer mit weiterem Vorgehen ab, nötigenfalls nnter Verstärkung aus
den folgenden Stafieln. Bei der Annäherung auf 400 Meter an den
598 Vn. Taktik der Iii&nt«ne.
Gegner sollen alle Teile der ersten Linie mit aller Energie den Angrifl
durchiUhren, wobei das Seitengewehr aufgepflanzt and Schnellfeuer, aber
noch ohne Gebranch des Magazins, abgegeben wird. Zn dieser Zeit
nähert sich die zweite Linie der ersten und wird, wenn nötig, gleichfalls
znm Angrifi gefiihrt.
Dann folgt sprnngweises Vorgehen bis 160 nnd 200 Meter vom
G^ner, das Magazinfeuer beginnt, und aaf das Signal des Kommandears
stürzen sich die Angreifer mit dem Eufe: „En avant! k la baionette!"
auf den Feind.
Wir bringen hier eine gleichfalls bei den letzten französischen
Manövern aufgenommene Abbildung, die den entscheidenden Moment des
Angriffs darstellt.
FronzöBisohe Infanterie beim Sturm.
Wir wollen hier erwähnen, dass das Reglement bei Nebel oder
während der Dunkelheit für die parallele Richtung der angi'eifenden
Kolonnen de» Gebrauch des Kompasses vorschreibt. Zu bemerken ist
noch, dass die Eröffnung des Feuers schon auf weite Entfernungeu be-
absichtigt wird: auf Marschkolonnen nnd geschlossene Abteilungen über-
haupt bli 2000 Meter, auf ausgedehnte Linien oder Kompagniekolonnen,
auf Batterien and Kavallerie bis 1500 Meter, auf Linien von Zugbreite
■es
I
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-4T »
Der Angriff der In&nteiie. 599
bis 1200 Meter, auf Linien von Halbzngbreite bis 1000 Meter, auf Gruppen
und dergleichen bis 800 Meter.
Das Artilleriefeuer beginnt auf Befehl des Divisionskommandeurs; ^"^Jl^*"
spätestens während desselben marschiert die Infanterie auf; ihre erste
Linie deckt die eigene Artillerie und giebt zugleich auf die Artillerie und
Infanterie des Feindes Gewehrfeuer ab. Die Reserven werden in Deckung
aufgestellt. Wenn die artilleristische Feuerüberlegenheit erreicht ist,
erfolgt das Kommando zum allgemeinen Angriff. Die erste Angriffslinie
strebt vor allem danach, sich der vor der Stellung befindlichen Stütz-
punkte zu bemächtigen, darauf werden diese Punkte von der zweiten
Infanterielinie und den Pionieren befestigt. Dies wird nicht so sehr zur
Erleichterung des Angriffs beabsichtigt — denn die erste Linie hat dem
Anschein nach sofort weiter zu gehen — als vielmehr für den Fall, dass
der Angriff der ersten Linie abgeschlagen wird. Ein Teil der Artillerie
soll die angreifende Infanterie begleiten.
In dem Augenblick, wo die vorher zum Angriff gegen die Flanke ^»«"*-
bestimmten Staffeln sich nähern und in die vordere Linie einrücken,
erfolgt das Signal zum allgemeinen Angriff. Falls einige Teile der In-
fanterie an dem Ort ihrer Stellungen geblieben sind, so unterstützen sie
den Angriff mit ihren Salven. Auf das Signal zum allgemeinen Angriff
geht auch die Kavallerie zur Attake. Falls der Angriff gelingt, rücken
auch die übrigen Teile der dritten Linie und die Artillerie in die feind-
liche Stellung, um den letzten Widerstand zu brechen.
Wenn der Angriff nicht gelingt, decken die nicht ins Feuer geführten Äackiag.
Teile der dritten Linie und die Artillerie den zeitweisen Rückzug und
bereiten dann die Erneuerung des Angriffs „mit grösster Energie" vor.
Wenn aber der Rückzug definitiv notwendig geworden ist, so vollzieht
er sich allmählich unter dem Schutz der Artillerie und Kavallerie auf die
vorher befestigten Stützpunkte. Dann nimmt die zurückgehende Infanterie
möglichst bald die Marschordnung mit Arriferegarde an. Die Benutzung
der Dunkelheit zur Vorbereitung des Angriffs ist im Reglement nicht
erwähnt, aber sicherlich giebt es Insti-uktionen über kleine nächtliche
UebeiTaschungen.
Wenn wir das bei Seite lassen, was sich in diesen Bestimmungen oHedernng
611168
nicht auf die Frage bezieht, mit der wir es an dieser Stelle hauptsächlich K6giin6ntfl.
zu thun haben, so stellt sich uns das Bild eines Regiments, welches in
der beschriebenen Ordnung angreift, in folgender Gestalt dar:
320 Aufklärer in der vordersten Linie;
1680 Mann in der folgenden Gefechtslinie, auf BOO Meter Ent-
fernung;
2000 Mann Reserve, in der Entfernung von weiteren BOO Metern.
gOO Vn. Taktik der Infanterie.
vorwi». Wir wollen nun zugeben, dass sich das Regiment, ohne einen Mann
für verloren zu haben, in dieser Formation der befestigten Stellung des
billJhnug! Gegners auf 800 Meter genähert hat.
Wir wollen femer das allergunstigste Verhältniss annehmen, und
zwar, dass die Linie der Aufklärer 300 Meter entfernt und die ganze
Zeit nur in knieender Stellung unter Feuer ist.
Der Vertheidiger führt im ganzen 2000 Mann ins Gefecht, die übrigen
hält er in Reserve. Die Aufklärer werden, um die ersten 100 Meter
zu durchlaufen, 46 Sekunden gebrauchen müssen, und in dieser Zeit ist
es ihnen unmöglich zu schiessen,
variute. Der Feiud aber kann in dieser Zeit drei Schüsse auf sie abgeben,
d. h. 6000 Kugeln. Die Treifwahrscheinlichkeit wird hierbei nach Ansicht
des Generals Rohne (von 300 Meter an) auf ganze Figuren 27,7 ^Jq, auf
Figuren in knieender Stellung 13,6 % betragen. Nimmt man die letzte
Zahl als Norm an, so würden beim Gegner nicht 320, sondern 816 Mann,
d. h. mehr als doppelt so viel, ausser Gefecht gesetzt werden. Folglich
kann davon keine Rede sein, dass die Linie der Aufklärer im stände ist,
die Verteidigung mit sicherem Feuer zu vernichten (6craser la defense
d'un feu ajustä), wie es im Reglement heisst.
Allerdings wäre der gedeckte Feind gleichzeitig der Feuerabgabe
von 1680 Gewehren von 300 Metern an ausgesetzt, d. h. es würden 6040
Patronen auf ihn abgeschossen werden, aber seine Verluste hierbei würden
nicht 1,4 % oder 70 Mann übersteigen.
Um die Entfernung von 700 Metern ohne Aufenthalt zurückzulegen,
braucht der Angreifer fünf Minuten Zeit, in denen der mit 1930 Gewehren
hinter Schanzen sich deckende Feind 38 600 Geschosse auf ihn verfeuern
kann, von denen nach Ansicht des Generals Rohne 10% Treffer sein
werden; mit anderen Worten, es würden 3860 Mann ausser Gefecht ge-
setzt werden, eine Zahl, die 2V2 Mal die der Angreifer übertrifft.
In Wirklichkeit aber würden die Verluste noch grösser sein.
General Rohne stellt die Berechnung für eine Schützenlinie an, während
beim Angriff stellenweise eine Häufung eintritt.
Misaiingen Wir warcu schon oft in der Lage, die Aufmerksamkeit des Lesers
*^ "*auf den Umstand zu lenken, dass die neueste Feuerwaffe auf einem
Räume von 600 Metern ähnlich der märchenhaften Sense das Leben weg-
mäht und mit einer Kugel fünf Mann auf einmal trifft. Giebt es also
irgend eine Möglichkeit, unter solchen Umständen auf das Gelingen eines
Angriffs zu rechnen, selbst wenn die Zahl der Verteidiger viel geringer
als die der Angreifer sein sollte? Auf die Frage kann man, scheint es,
mit dem entschiedensten „Nein!" antworten.
Der Angriff der Infeuiterie. ßQl
Der Einwand, dass nicht nur die Schützenreihen keine vollen und Einwinde,
regelmässigen Linien bilden werden, sondern dass auch die ihnen folgenden
Kolonnen nicht gleichmässig in dem Gelände ausgeschwärmt sein werden,
in welchem sich günstige Stellen vorfinden, um 50 Meter von der
Schützenlinie entfernt Halt zu machen, und dass zur Vermeidung der
Kugeln, die über die Köpfe der Schützen hinwegfliegen, ein Teil der
Leute sich in der Entfernung von 200 bis 300 Metern 22) wird halten
müssen, modifiziert ein wenig das Wesentliche der Stellung.
In Löbells „Militärischen Jahresberichten" wird zu dieser Frage an Bearteiiong.
der Ansicht festgehalten, dass die beabsichtigten Neuerungen das Wesen
des Gefechts nicht ändern werden. Die Führung des Angriff's ohnft^alt
ist nach der Meinung des militärischen Beobachters ebenso anwendbar
wie die frühere Methode.
Diese Ansicht wurde im Jahre 1891 als das Resum6 der Polemik
geäussert, welche sich damals gegen die Angriffsmethode erhob und sich
jetzt bei Gelegenheit der neuen Aenderung des französischen Reglements
wiederholte und es scheint uns, dass sie vollständig begründet ist.^»)
„Das Unmögliche bleibt unmöglich . . . Auf ebener Erdoberfläche
wird der Angreifer selbstverständlich vernichtet werden, wofern es nur
dem Angegriffenen möglich ist, irgend welche Schüsse auf ihn zu richten.
Das Resultat-wird gleich bleiben : entweder wird der Angreifer mit einem
Male die ganze Strecke ohne Halt durchlaufen oder er wird Halt machen
und Feuer abgeben, bis er allmählich zum letzen „Haupthalt" unmittelbar
an der Verschanzung kommt; in beiden Fällen werden seine Verluste
ungeheuer sein, denn der hinter Deckungen feuernde Gegner zeigt nur
den halben Kopf, während der Angreifer im Gehen wie im Liegen mit
seinem ganzen Körper dem Feuer des Angegriffenen das Ziel bietet.
Ausserdem sind dem gedeckten Gegner gewöhnlich die Entfernungen
besser bekannt. Ueberhaupt nehmen die Aussichten auf Erfolg auf der
angegriffenen Seite in dem Maasse zu, als die Siegeshoffnungen beim An-
greifer schwinden."*
Doch wollen wir zugeben, dass die Verluste des Angreifers be- ^^^^^
deutend geringer sind, und dass er bis auf 200 Meter von den Ver- vor»a»-
schanzungen sogar ohne alle Verluste herankommt. Ausserdem wollen "JS^SSn"
wir zugeben, dass der Angegriffene über eine doppelt geringere Truppen- ^«^«i'"-
zahl verfügt. Kann unter solchen Bedingungen der Sieg des Angreifers
wahrscheinlich sein?
Es ist noch die Verschanzung zu erklimmen.
'^) „Revue des deux mondes" : „La tactique moderne de Tinfanterie".
*') „Militärische Jahresberichte" für 1891.
Vn. Taktik der Infcjiterie.
'"■M In den Manövern bietet dies bekanntlich nicht die geringste
.«tof. Schwierigkeit, wie auch anf den beigegebenen Abbildungen zn sehen ist,
welche Momente ans den Manövern der englischen Armee darstellen:
eine allgemeine Ansicht des Angiiffs und den Stnrm.
r der englischen Armee.
5
Erstünnong der Schanisen. !g03
Die aus den Verschanzungen herausragenden Köpfe der Figui'en
wurden, wie die Abbildung zeigt, durchbohrt, was besonders leicht ge-
lang, da von hier aus kein Feuer erfolgte. Die Köpfe der Figuren
versteckten sich nicht, sondern blieben unbeweglich in Sicht des An-
greifers. Im Ernstfalle wäre dies alles anders gewesen. Jedem heraus-
gesteckten Kopfe wäre befohlen worden, in 10 Sekunden 6 Schüsse ab-
zugeben, und wenn auch keiner von diesen einen der Schützen getötet
hätte, so hätte ein Wagehals sich nur zu zeigen brauchen, um einem
Schuss oder einem auf die Brust gerichteten Gewehr zu begegnen.
Einen annähernden Begriff hiervon giebt die Abbildung in den Bei-
lagen, welche die Eroberung einer befestigten Stellung bei Plewna
darstellt.
Bei dem jetzigen Gewehr, dessen Geschoss 6 Mann durchschlägt, J^^^^^
einer Waffe, die 30 Schüsse in der Minute abgiebt, und wenn an Stelle
der mit verschiedenen Kalibern bewaffneten türkischen Soldaten gut aus-
gebildete Soldaten als Verteidiger hinter Verschanzungen erscheinen, kann
man mit Bestimmtheit sagen, dass unter ähnlichen Bedingungen von den
Angreifern nicht einer am Leben bleiben wird. Aber das ist noch nicht
das Ende. Der Angriff auf die Schanzen ist ausserdem auch aus anderen
Gründen schwierig.
9. Die Erstürmung der Schanzen.
Hier wenden wir uns gleichfalls der anschaulicheren Dai*stellung ▼<"»«»-
setsangen
wegen zu der Annahme der allergünstigsten Bedingungen für den An- mr den
greifer, und zwar, dass es ihm mittels Deckungen oder mit Hilfe nacht- ^■«"^'•'*
liehen Dunkels gelungen ist, ohne Verluste bis auf 200 Meter Entfernung
an die Schanzen heranzukommen. Von einer Unterstützung des Angriffs
durch Artillerie kann ebensowenig die Eede sein, wie von einer Feuer-
unterstützung durch die im Rücken marschierenden Reserven,
Nachdem die angreifenden Truppen auf 200 Meter Entfernung vom Angriff
° -^ auf 200 Meter
Feinde erschienen sind, wird in jedem Falle mindestens eine Minute zur
Erreichung der Schanzen erforderlich sein. Während dieser Minute kann
der zu bestürmende Feind dreissig Salven abgeben. Solche Angrifie
wurden sogar bei unvergleichlich schlechteren Gewehren auf nahe Ent-
fernungen meist siegreich abgeschlagen. Wir wollen einige Beispiele
anführen.
Bei Skalitz wurde im Jahre 1866 der Angriff der Brigade Fragnem Beispiel«,
auf kurze Entfernung von dem unter dem Schutze eines Waldes auf-
g04 VH. Taktik der Infanterie.
gestellten preassischen Eönigs-Grenadierregiment abgewiesen. Bei Beamie
la Solande liess das 16. preussische Regiment, welches wenig Patronen
hatte, die Franzosen auf 160 Meter herankommen and schlng, nachdem
es dann das Fener begonnen hatte, den mit weit überlegenen Kräften
angreifenden Feind zorttck. Bei Chagey a. d. Lisaine erfolgte eben solche
Abweisung mehrerer Angriffe durch die Deutschen auf kurze Entfernung.
Bei Sedan hielt Hohenlohe das Feuer einige Zeit zuräck und liess die
Franzosen herankommen, welche in Massen vom Bois de la Garenne an-
stürmten, i)
Im Jahre 1877 Hessen die russischen Truppen, welche eine Stellung
auf dem Schipka einnahmen, die angreifenden Kolonnen Suleimaus auf
300 Schritt herankommen, und dann erst eröffneten sie das Feuer.
Andererseits geschah es oft bei Plewna, dass Truppen, die sich glücklich
an die Schanzen herangeschlichen hatten, gezwungen wurden, zurück-
zugehen. Auf dem Schipka wurden die russischen Truppen von dem
Feuer der an Zahl geringeren türkischen Abteilungen auf kurze Ent-
fernungen abgewiesen.
Forderoiigtu Den Soldatcn wird bei der Ausbildung gewöhnlich die Wahrheit
uohan eingeschärft, dass der Feind, wenn er beim Angreifer feste Entschlossenheit
^**"' sieht, unbedingt selbst zurückgeht. Aber diese Wahrheit hat seit der
Vervollkommnung des schnell feuernden Gewehrs bedeutend gelitten.
Der beschränkteste Mensch wird einsehen, dass er nur zurückgehen wird,
wenn die mörderischen Kugeln ihm nacheilen und der Tod ihn un-
vermeidlich erreicht, bevor er eine Deckung findet; und da jedem sein
Leben lieb ist, so nimmt der hinter der Yerschanzung liegende Soldat
alle Kräfte und alle Energie zusammen, um den Feind zurückzuschlagen
und um nicht seine weniger gefährdete Stellung mit einer offenbar Ver-
derben bringenden zu vertauschen. Solange sie das zuverlässige Gewehr
in den Händen haben und ausreichenden Patronenvorrat besitzen, ent-
faltet sich in der Mehrzahl der Verteidiger hinter den Verschanzungen
eine ungewöhnliche Energie. Aber es entsteht sogar die Frage: Ist ihnen
eine besondere Energie nötig?
FaaeraafdM Nehmcu wir au, dass während der Minute, welche der Sprung über
T^f 200 Meter in Ansprach nimmt, aas den Verschanzangen nar di^enigen
Patronen abgeschossen werden, welche sich im Magazin befinden. Werden
diese genügen, um den Feind mit seiner doppelten, dreifachen und noch
grossem Anzahl bis auf den letzten Mann zu vernichten?
Feuer Dic Lehi'praxis zeigt, dass der vorgehende Soldat nur bei nicht zu
*' to^dlf^ schnellem Laufen schiessen kann. 200 Meter aber in 1 oder IV4 Minuten
Bewegung.
^) Hegenspurgski: „Studien über den taktischen Inhalt".
Erstärmiin^ der Schanzen. g05
mit der Ansrastung zu durchlaufen und dabei zu feuern, ist unmöglich, s)
Wenn nun die zum Angrifi Laufenden den Schritt auch nur um ein
Drittel verkürzen, so werden sie unvermeidlich Verlusten ausgesetzt,
welche in keinem Falle durch andere Vorteile aufgewogen werden. Im
übrigen heisst es, dass man schon die Möglichkeit gefunden hat, zu
schiessen, ohne das Gewehr abzusetzen. Die Techniker haben Vor-
richtungen ersonnen, mittels deren der Angreifer im Laufschritt ebenso
sicher wie der Verteidiger schiessen kann. „In allen Armeen, '^ sagt
Hoenig, „lenkt das Feuern in der Bewegung besondere Aufmerksamkeit
auf sich, da der ohne Feuer vorgehende Angreifer der Verteidigung ge-
stattet, in dieser Zeit dasselbe in der wirksamsten Art zu entfalten. Der
französische General Buchen hat sogar eine besondere Vorrichtung am
Gewehr erfunden, welche das Feuern in der Bewegung regeln soll."
Diese Vorrichtung beschreibt der Schriftsteller selbstverständlich nicht, s)
Im Lager bei Chälons an der Marne wurden während zweier 8«J>*««»-
Wochen Schiessversuche mit Feuer in der Bewegung gemacht, und m ciiMom.
zwar mit Zügen zu je 20 durchschnittsmässig ausgebildeten Leuten.
Dabei erhielt man folgende Durchschnitts-Besultate : 1. Bei ungeleitetem
Feuer und Sturmschritt auf 200 bis 100 Meter 18% Treffer; 2. unter
denselben Bedingungen auf 100 bis 60 Meter 39 o/o Treffer; 3. bei un-
geleitetem Feuer und Laufschritt auf 200 bis 100 Meter 18% Treffer;
4. unter denselben Bedingungen auf 100 bis 60 Meter 42% Treffer;
5. bei Feuer auf Kommando anfangs im Sturm-, nachher im Laufschritt
auf 300 bis 50 Meter 21% Treffer.
Die Feuergeschwindigkeit betrug 10 Schüsse in der Minute; ge-
schossen wurde auf 2 Meter hohe Scheiben, welche eine Linie von
20 Metern, d. h. die Frontbreite eines entwickelten Zuges einnahmen.
Die Befürchtung, dass die Soldaten beim Feuern im Gehen und sogar
im Laufen sich gegenseitig verwunden würden, bestätigte sich nicht.
Wir wollen bei diesen Zahlen Halt machen.
Das Schiessen erfolgte auf 2 Meter hohe Scheiben, während die ^^^'»"^
MttQBgen
Verteidiger von Schanzen nur die obere Hälfte des Kopfes und die Hände nx
blossstellen werden; daher verhält sich die Gefahr, der sie ausgesetzt SjelJlZiIlJ^.
sind, wie wir schon oft wiederholt haben, zu der Treffwahrscheinlichkeit
der Scheibe wie 1 zu 7 (27,7 zu 4,1).
Der gesunde Verstand sagt, dass das Feuern hinter der Schanze
') Es heisst, dass die italienischen Schützen (Bersaglieri) im Laufschritt
180 Meter in der Minute machen. In der deutschen Armee aber wird der
Laufschritt zu 170, in der französischen nur zu 136 Meter in der Minute ge-
rechnet. Löbells „Militärische Jahresberichte", 1894.
») „Formation und Taktik der französischen Armee", Berlin 1892.
VU. Taktik der Infanterie.
ans einem Gewehr, das bei rutiiger Lage einen Stützpankt hat, bezüglich
der Sicherheit and der Schnelligkeit der Magazinfiillang niemals
schlechtere Besnitate haben kann als das Fener in der Bewegung.
Indessen wollen wir den Fall setzen, dass Sicherheit nnd Schnellig-
keit auf beiden Seiten gleich sind. Obgleich der Angreifer gezwangen
ist, in geschlossenen Gliedern vorzugehen, wobei jede trefiFende Kngel
sicherlich mehr als einen Mann vernichten wiid, so wollen wir aach
diesen Umstand ausser Acht lassen. Weiter wollen wir nur 10 Schüsse
in der Minute annehmen nnd als Maximum der Lanfgescbwindigkeit
200 Meter (fast 12 Werst in der Stunde), so dass auf jede 30 Meter ein
Schuss kommt. Femer rechnen wir die Verluste nach denen beim
Sturmschritt, also von 200 bis 100 Meter 18%, von 100 bis 50 Meter
39% Treffer.
'- Bei diesen Annahmen erhält man folgendes Resultat des Angriffs:
j Zahl der Schüsse
:l
Beim Angreifer
Beim Verteidiger
Entfernung
HttST
Lauf
, 1 des An-
'j greiters
des Ver-ii
Verlust
teldigersl|
Rest
Vertust
Best
200
20 '1 100
100
18
82
2.5
97,5
ISO
20 1 82
97,5
17,5
64,6
2,1 1 95,4
160
20 '1 64,5
95,4
17,1
47,4
1,6 93,8
140 .
20 1 47,4
93,8
16,8
30,6
1,2 95,5
120
20 'I 30,6
92,6
16,6
14
0,8 1 91,8
100
20 ^1 14,0
91,8
14
0
0,4
91,4
Aus diesen Zahlen kann man folgern, dass der Angreifer, bis er
anf 100 Meter Entfernung herankommt, ganz vernichtet sein wird,
während der Verteidiger nur 9 Mann vei-lieren wird.
Wir wollen dies auch graphisch darstellen.
ingrtittr.
VsrMldlgct.
Vpi-luste dn? Angreifer;
mrl des Verteidigors.
£rstünmu3Af dor 8obuiB6iii
Wir wollen noch den Fall setzen, dass der Angreifer doppelt soviel
Lente hat als der Angegrifiene. Die ßesoltate werden folgende sein:
Lauf
Zahl der Schüsse
Beim Angreifer
Beim Verteidiger
EotfernuDg
des An-
des Ver-
Verlust
Eest
Verlust
Rest
greifers
teidigers
HtUr
Meter
200
20
100
60
9
91
2,5
47,6
180
20
91
47,8
8,6
82,4
2,3
45,2
160
20
82,4
45,2
8,1
74J
2,1
43,1
140
20
74,3
43,1
7,8
66,5
1,8
4U
120
20
66,5
41,3
7,4
59,1
1,7
393
100
20
69,1
39,6
15,4
43,7
3,3
36,3
80
20
43,7
36,3
14,1
29,6
2,4
33,9
60
20
29,6
33,9
13,2
16,4
1,7
32,2
40
20
16,4
32,2
12,6
3,8
0,9
31,3
20
20
3,8
31,3
3,8
0
0,2
31,1
Folglich wird der Angreifer, bis er auf 20 Meter herankommt, alle ^•'k""»«»»-
seine Leute verlieren, obgleich sie doppelt so stark waren als der An-
gegriffene.
Graphisch stellt sich dieses Verhältnis besonders anschaulich dar.
Angnifer. GnUeragiiK Tarteldlger.
100 50
Verluste dea Angreifers und des Verteidigers.
Bei gleichen Kräften der Gegner genügt es für den Verteidiger,
die 6 Patronen des Magazins za verbrauchen, um den Angreifer ganz za
vernichten.
608 VII. Taktik der Infanterie.
Da aber dessen Reihen mehr geschlossen sind, so werden diese
sechs ersten, schnell abgegebenen, Salven ein Trefiresultat erzielen,
das auf den Geist des Verteidigers von erhebender Wirkung sein
wird. Die Gewissheit, dass er, bis der Angreifer 200 Meter durcheilt,
nicht 10, wie wir für die Berechnung angenommen haben, sondern
30 Schüsse auf ihn abgeben wird, muas natürlich seine Ruhe aufrecht
erhalten.
Schnellfeuer- Uud ZU alledem wird sich in der Mehrzahl der Fälle der Angreifer
geeehfltze.
noch der Wirkung der SchneUfeuergeschütze aussetzen müssen.
Wir wollen an die Bedeutung erinnern, welche diese Geschütze
haben können. Beim Schiessen mit Kartätschen auf 200 Meter nach
3 hinter einander stehenden Scheiben, welche eine Sturmkolonne der
Infanterie darstellten, kamen auf einen Schuss je 66 TreflFer (von
240 Kugeln).
Beim Schiessen auf 6 Scheiben, die in einer Ausdehnung von
2400 Metern hinter einander standen und eine Tiefkolonne bezeich-
neten, und beim Schiessen auf 3 Scheiben, die in einer Linie von
1000 Metern hinter einander standen und eine Kompagniekolonne dar-
stellten, ergaben sich folgende Resultate: Mit Granaten 28 Treffer pro
Schuss, mit Shrapnels 22 bis 40 Treffer, entsprechend der Kugelzahl im
Shrapnel von 28 bis 45,5.
Hierbei wurden von 216 Schützen in der Tiefkolonne 2(ß,
d. i. 94,4%, und von 120 Schützen in der Kompagniekolonne alle als
getroffen betrachtet.
Kngei- Ausserdem giebt es in den Armeen Kugelspritzen verschiedener
SDritzeii
Art, welche bis 600 Schüsse in der Minute abgeben. Jeder solcher
Schüsse kann dem Gegner sehr teuer zu stehen kommen. Hinsichtlich
der Anwenduug von Schnellfeuerkanonen und Kugelspritzen sind alle
Argumente bezüglich des Mangels von Kaltblütigkeit im Kampfe u. dgl.
unangebracht.
Anriebt In der Beilage bringen wir eine Abbildung, welche eine allgemeine
befeetignng. Ausicht der jetzigen Feldbefestigungen bietet.
Wie die Abbildung zeigt, ist vor der vom Vei-teidiger besetzten
Schanze ein Netz aufgestellt, welches dem Gegner den Zutritt nicht ge-
stattet. Die Wirkung der Artillerie auf dieses Netz ist fast unmerklich :
100 Schüsse legen eine Bresche von kaum 6 bis 13 Fuss. Flatterminen-
geschosse sind unwirksam: 50 Bomben sind nicht imstande, dieses
Hindernis beim Feuern auf 500 Faden zu beseitigen.
Das einzige Mittel zur Ueberwindung eines solchen Drahtnetzes ist
seine Beseitigung durch Arbeiter, die mit seiner Einrichtung bekannt
Bd. L Elingan b«I BtiU SOa
Entürmtmg der BohHuen. g09
sind.*) Daza aber ist eine ziemlich lange Zwischenzeit notwendig. An
den Seiten sind Oesch&tze sichtbar, die mit Erde nnd Easen bedeckt
sind, so dass ihre Anwesenheit durch nichts verraten wird bis zn dem
Angenblicke, wo man ihrer Hilfe bedarf.
Oeneral Kuropatkin erzählt, dass man bei der Bestürmung Plewnas
anf zwei Schanzen stiess, deren Existenz* niemand vermatet hatte.
Besonders im Jahre 1877 haben die Schanzen ihren ganzen Vorteil^
gezeigt. General Skngarewski lenkte die Aofinerksamkeit darauf, dass v
die Türken auf dem Schipkapass die Russen trotz des grossen Verlustes
Ton Kräften nicht abschlagen konnten, während dieselben tapferen Ver-
teidiger des Schipka bei vierfacher Ueberzahl nnd verzweifelter Tapfer-
keit lange nicht in die Redoute des Gebirgs-Bubnjak eindringen
konnten, obgleich sie stellenweise auf 100 Schritt herankamen. In der
Mehrzahl der misslongenen Angriffe bei Plewna war es den Truppen,
wenn auch unter grossen Verlusten, gelungen, bis auf Bt^onnet-Angrifis-
nähe heranzukommen; die Beispiele der Ueberschreitung dieser Linie
gelten als vereinzelte Fälle. -
Wenn man diese Frage von der materiellen Seite allein betrachtet, >*•
80 muss man sagen, dass, falls der Verteidiger seinen Mut bewahrt, bei
dem Jetzigen Feuer niemand darauf rechnen kann, ihn selbst mit drei-
nnd vierfacher Ueberlegenheit zu überwinden.
Dagegen wenden die Verteidiger des früheren Systems der Kiiegs- Not-
fuhrung ein, dass Verluste nur nuter der Bedingung eintreten können, m, a,
dass der Verteidiger sich während des Feuems Blosse giebt. ^^
Die ganze theoretische ^''J
Eenntniss der Ballistik, die
für die richtige Anwendung
der jetzigen Waflen so not-
wendig ist, wird keinen
Nutzen bringen, wenn der
Schtttze nicht die Mündnng
des Gewehrs unter dem ent-
sprechenden Winkel neigt.
In Wirklichkeit aber kann
dies da eintreten, wo der
heutige Soldat, wenn er die Soldaten
Ruhe verloren bat, es vor- hinter Deckungen aufe Geratewohl sohies^end.
*) W. Weitko: „Der Angriff auf Befestigangen, welche durch künstliclie
HindemisBe verstärkt sind". S.: „Ingenieur-Zeitschrift" und Brunner: „Leitfaden
der FeldbefeBtigung".
Block, Dm nküuftigi Kriag. '£i
610 TII> Taktik der Infimterie.
ziehen wird, lieber vorbeizutreffen als sieh persönlicher Gefahi- aus-
zusetzen.
Omöga begleitet diese Bemerknng mit einer entsprechenden, vor-
stehend wiedergegebenen Abbildung, welche Soldaten zeigt, die hinter
Deckung aufs Geratewohl feuem.s)
Es ist augenscheinlich, dass so gezielte Schüsse unnütz verloren
gehen. Die früheren Kriege geben Beispiele von ähnlichem Verhalten
der Soldaten. Wir fähren eins aus einer Episode des Ängrifls auf die
türkische Redoute bei Lowtscha mit den Worten des Generals Knro-
patkin an.*)
Die allgemeine Ansicht des Angriffs auf diese Redoute zeigt
folgende Abbildung, welche Casselle in der „Geschichte des Krieges 1877"
giebt-T)
AngTÜF auf die türkische Bedoute bei Lowts:;ha.
*) Om^ga: nL'art de combattre".
') Kuropatkin: „Operationen des Detachemsots Skobelewe".
') Casselle: „Historj of the Riisso-Turkish War 1877".
Erstürmung der Schanzen. ß\\
„Bis zur Linie der feindlichen Laufgi'äben, sagt General Kuropatkin, schuderong:
waren ungefähr 1200 Schritt. Auf die Anrückenden fiel ein Bleihagel Angrik.
nieder, aber der Angi-iff wurde immer fortgesetzt. Hinten näherten sich
die Regimentskameraden und das Libausche Regiment, rechts liefen die
Revaler und die Schützen der dritten Brigade mit zwei Offizieren, links
marschierten zwei Kasaner Schützenkompagnien in gekrümmter Linie,
noch weiter links waren dichte Truppenmassen sichtbar, die sich zum
Gefecht formierten. Jeder der Ani-ückenden erblickte beim Umsehen
diese Masse der Seinigen, sah die Nähe der Unterstützung und — die
Zuversicht auf Erfolg wuchs im Herzen eines Jeden. Nachdem sie schon
die Schüsse des Feindes ertragen hatten, schlichen sich einzelne Leute
sogar unter geringer Ausnutzung der örtlichen Deckungen vor. Einige
berittene Offiziere sprengten unter die Angreifenden. Der schneidige
Regimentskommandeur, Oberst Elshanowski, ermutigte die Soldaten. Da
wankte ein Reiter und fiel tot vom Pferde: es war der Adjutant des
Libauschen Regiments, der mit einigen Tapferen sein Regiment überholt
hatte und unter den Kalugaern ritt. Ein anderer Reiter, der Bataillons-
kommandeui*, glitt zusammen mit seinem Pferde zu Boden. Hier und
dort fallen Soldaten, fallen Offiziere, aber das kann die Angreifer nicht
mehr aufhalten.
Nachdem die vordersten etwa 500 Schritt gelaufen waren, stiessen ueber-
sie unvermutet auf eine tiefe Schlucht mit steilen Ufern. Die ersten scw^cht."
machten Halt, zu ihnen liefen von hinten die folgenden heran; es ent-
stand ein Gedränge, das auch sofort Opfer kostete. Einige Verwundete
fielen ins Wasser und ertranken. Kaltblütigere aber suchten schon nach
einem etwa möglichen Abstieg, und teils kletterten sie, teils rollten sie
sich hinab. Das Wasser reichte bei ziemlich starker Strömung bis an
den Gürtel. Das Flüsschen durchschritten sie, und nun begann die noch
schwierigere Arbeit des Aufstiegs.
Als Tritte wurden die Schultern der Kameraden benutzt, hinein-
gesteckte Gewehre, mehrere dicke Stangen, und bald waren einige Hundert
Mann schon auf der anderen Seite der Schlucht, Nachdem sie noch
gegen 160 Schritt vorgelaufen waren, konnten sie vor dem ziemlich
steilen Abhang, der sich von den türkischerseits besetzten Anhöhen zum
Flüsschen hinzog, ein wenig Atem schöpfen. Zu allgemeiner Verwunderung Das Feuer
wurde das Feuer der Türken in dem Maasse der Annäherung nicht tod- ^" Türken.
bringender. Es war augenscheinlich, dass der Feind selbst erschüttert
war. Da verliessen die Türken, ohne die Unsrigen abzuwarten, ihre
ersten Verschanzungen und liefen davon. Der Anblick des abziehenden
Feindes verlieh den Unseren neue Kräfte. Hurrah! erscholl es lauter
und lauter. Nachdem sie bis zur Linie der ersten Verschanzungen ge-
39*
512 ^^'^ Taktik der In&nterie.
laufen waren, machten unsere Leute Halt und besetzten sie. Vom erhob
sich in scharfem Profil die Redoute, die letzte Zuflucht der Türken, und
vor ihr noch eine Linie von Verschanzungen. Der Feind brach nicht ein
verstärktes, sondern, wie es schien, wenig wirksames Feuer ab. Sehr
viele Türken schössen, indem sie das Gewehr auf die Ab-
dachung der Brustwehrkrone legten, aber ohne die Köpfe
herauszustecken, d. h. ohne zu zielen.
Der Sturm. „Nachdem sich einige hundert Mann am ersten Laufgraben gesammelt
hatten, riefen die Unsern von neuem hurrah ! und stürzten vorwärts. Za
Dutzenden fielen sie, aber die übrig Gebliebenen liefen vor. Die zweite
Linie der Laufgräben ist schon nahe, gleich wird das Handgemenge
beginnen."
„Die Türken verliessen die Verschanzungen und eüten teils in die
Redoute, teils zu dem Wege nach Mikre. Li der ßedoute wurde es ge-
schäftig. Da kamen einige Beitergruppen aus ihr hervor, welche irgend
einen Zug begleiteten. „Die Geschütze fahren sie weg!" erscholl es und
siegesgewiss machten die Leute die letzte Anstrengung. Einzeln
kletterten von allen Seiten unsere Soldaten und Offiziere auf die Brust-
wehr. Eine Schaar lief um die ßedoute herum und versperrte den Türken,
die zurückzugehen beabsichtigten, den Weg. Im Innern wurde der sich
widersetzende Feind niedergemacht. Eine Ecke der ßedoute zwischen
Brustwehr und Traverse am Ausgange war mit einem Berge von Toten
und Lebenden überschüttet, die reihenweise über einander lagen."
Bedratimg Aber die einfache Logik sagt auch hier, dass, wenn beim Ver-
Beispieis. teidigcr, der achtmal weniger der Gefahr ausgesetzt ist als der Angreifer,
solch moralischer Zustand eintreten kann, er um so eher beim Angreifer
möglich ist. Episoden wie die angeführte bilden nur Ausnahmen, welche
nicht imstande sind, den allgemeinen natürlichen Charakter jedes blutigen
Kampfes zu verändern.
Der Angreifer kann um so eher den Mut verlieren, als, wenn er
sich auf kurzer Entfernung befindet, er die Hoffnung auf irgend welche
HUfe verliert. Die Artillerie des Angreifers ist, auch wenn sie Feuer-
überlegenheit über die des Gegners erzielt hat, gezwungen, das Feuer
einzustellen. 8)
Arüuerie.« Unter Beobachtung des Grundsatzes, dass beim Schiessen über die
direigene Cigeue Infanterie die Geschosse der Artillerie nicht weniger als 10 Meter
inftuiterie. Q^jß^halb der Infanterie streichen dürfen, ergeben sich aus der Beurteilung
der tiefsten Flugbahnen als ungefährdete Zonen für die Infanterie
folgende Zahlen:
8) „Applikatorische Studie über den Infanterie- Angrift'*', Wien 1895.
Erstärmmig der Schanzen.
613
Entfemongen
von der Artillerie
1600 Schritt
2000
2500
3000
»
JJ
W
Grenzen Lange
der Zonen der ungefährdeten Zonen
500—1100 Schritt 600 Schritt
350-1600 „ 400
240—2200 „ 300
200—2800 „ 200
w
«
n
n
Die Absicht, den Mut der angreifenden Teile durch das Feuer der
eigenen Infanterie aufrecht zu erhalten, erweist sich gleichfalls als ein
zweifelhaftes Mittel.
Sehr richtig bemerkt General Skugarewski^) : „Betrachtet das
Schiessen mit scharfen Patronen im Frieden. Die Scheiben stehen einige
hundert Schritt entfernt, und viele Kugeln durchfurchen die Erde einige
Dutzend Schritt vom Schützen. Und das im Frieden! Was wird aber
im Kriege geschehen? Man kann es sich vorstellen! Aber alle Wunden,
die von eigenen Kugeln und Geschossen herrühren, werden einen ungemein
niederdrückenden Eindruck auf die Truppen machen".
Kann nun der Angreifer wenigstens die Gewissheit haben, seine
gelichteten Reihen rechtzeitig aus denjenigen Teilen zu ergänzen, die in
der ReseiTe geblieben sind? Auch darauf muss man eher verneinend
antworten. Den angreifenden Teilen ist bekannt, dass die Reserven
speziell zur Abwehr der Flankenangriffe von Seiten des Gegners be-
stimmt sind. „Je weniger die Verhältnisse aufgeklärt sind, desto be-
stimmter muss der Angreifer mit der Notwendigkeit rechnen, einen
Gegenangiiff gerade in der kritischsten Zeit abwehren zu müssen, denn
dieser ist die kräftigste Gegenwehr eines aktiven Verteidigers."
Mau muss bemerken, dass, wenn die angreifende Schützenlinie sich
auf die Entfernung genähert hat, über die hinaus vorzudringen nicht
mehr möglich ist, falls nicht das Feuer des Gegners durch ein den An-
griff unterstützendes Feuer gedämpft wird (600 bis 700 Schritt), — die
Reserven der Kompagnien in dieser Zeit noch 200 Schritt, die der
Bataillone 500 bis 600, die des Regiments etwa 1000 bis 1100 Schiitt
zurückgeblieben sind.^^)
Diese Entfernungen sind derart, dass das Feuer des Feindes eher
mit dem Angreifer fertig sein, als dieser Unterstützungen erhalten wird.
Und ausserdem wird nach den ersten Versuchen des Angreifers kein
Zweifel darüber bleiben, dass er nicht zur bestimmten, auf Minuten aus-
gerechneten Zeit die betreffende Unterstützung erhalten kann.
Untei^
ftfitsong
daroh
di« eigen«
Inflwterie.
unter-
sttttsnng
durch
Beeerre.
Entfemong
der
Beaerren.
•) „Angriff der Infanterie", S. 103.
^) „Applikatorische Studie über den Infanterie- Angriff**, 1895.
6X4 ^^* l'aktik der Infanterie.
Man darf nicht vergessen, dass bei der Dorchschlags- und Fingkraft
der Mantelgeschosse, wie die Erfahrungen des chilenischen Krieges er-
wiesen haben, das Feuer eines Mannlichergewehrs, welches anf 600 Meter
entfernte Schützen gerichtet ist, die Reserven vernichtet, die 1000 und
1600 Meter hinter der Schützenlinie stehen.
Besehaffen- ^ip wolleu abcr zugebcu, dass der Mut des Angreifers nicht nach-
der ver. lasscu wird, und dass er nicht umkehren wird. Aber hinter den
toidiger. g^jian^en erwarten ihn nicht erschöpfte Truppen in einem vergleichsweise
ruhigen Zustande, da sie weit weniger fühlbare Verluste erlitten haben.
Das Feuer des Angreifers in der Bewegung und unter Zielen auf Leute,
die sich nur von Zeit zu Zeit hinter den Schanzen zeigen, oder richtiger
auf die von diesen Leuten herausgesteckten Köpfe und Hände konnte
ihnen natürlich keine bedeutenden Verluste zufügen.
i>M Feuer. In jedem Falle aber können die angreifenden Truppen nicht be-
urteilen, in welchem Grade ihr Feuer wirksam war, da der Feind hinter
Schanzen versteckt ist, während der Angreifer nicht wie fiüher seine
eigenen Verluste hinter einem Schleier dichten Rauches verbergen kann.
Für die näheren Leute aber wird der Anblick der Verheerungen,
welche die Mantelgeschosse auf kurze Entfernungen anrichten, schreck-
lich sein.
In dem besonderen Abschnitt über die Zahl der Toten und Verwundeten
haben wir gezeigt, dass unter diesen Verhältnissen Schüsse in den Kopf
die Hirnschale wegnehmen und Schüsse in andere Körperteile die Knochen
zermalmen und die Eingeweide herausreissen.
Abgang Dßj. Abgang von Offizieren macht, wie frühere Beispiele zeigen,
Offizieren, die Truppcu zu energischem Handeln unfähig. Fürst Hohenlohe erzählt
in seinen „Briefen über Artillerie" folgenden Fall : „In einem Dorfgetecht
vor Paris war ein Kirchhof von einer halben Kompagnie eines unserer
besten Regimenter besetzt. Wider Erwarten nahm der Feind bei einem
neuen Ausfall wieder diesen Kirchhof, so dass wir ihn von neuem stürmen
lassen mnssten. Nach dem Gefecht fragte ich die Leute jener halben
Kompagnie, warum sie den Kirchhof dem Feinde überlassen hätten. „Ja,"
sagten die Leute oiJenherzig, „wir hatten ja keine Offiziere mehr, die uns
sagten, was wir machen sollten, da sind wir halt fortgegangen."
Man darf annehmen, dass das, was bei den deutschen Truppen
vorgekommen ist, auch bei anderen eintreten kann. Und alle Müitäi'-
Schriftsteller stimmen darin überein, dass die Verluste an Offizieren in
einem künftigen Kriege ungeheuer sein müssen. In Ausnahmefällen kam
es auch schon im Kriege 1870 vor, dass bei einigen Truppenteilen alle
Offiziere ausser (jefecht gesetzt waren. Aber in Zukunft werden bei
EratOimTing der Solwnzen. 615
dem rancfaschwachen Pnlver und der Crewobnheit, vor allem auf die
Offiziere zd scliiessen, grössere Veiiuste der letzteren eine gewöhnliche
Erscheinung sein.")
Strossenkiaapf in Flevma am 8. Jnli 1877.
") Die 38. deatsche Brigade biisste bei Mars la Tour 74»/o ihrer Offiziere
und 44*/o der Manuachaft ein. Das Gardeschötzen-Bataillon verlor in der
Schlacht bei 3t Privat; lOOO/o an Offizieren und W/o an Manuschaft; im Qanzen
gingen in '/« Stunden 19 Offiziere und 431 Mann verloren.
616 Vn. Taktik der Infanterie.
sperrangeii. Zudem wlsseii die angreifenden Truppen sehr wohl, dass, wenn sie
auch an die Schanzen herangekommen sind, sie noch nicht das Ziel er-
reicht haben; und wenn sie es etwa nicht wissen, so wird sie der Ver-
such darüber belehren, dass sie noch auf künstliche Sperrungen stossen
werden, weldie sie noch einige Zeit unter feindlichem Feuer zurück-
halten.
Baiepiei gg kommt vor, dass der aus den Schanzen vertriebene Feind sich
•inet
sinasm. in ein Dorf oder eine Stadt zurückzieht, sich in Häusern und anderen
kampfof. Q^ij^ß^gj^ versteckt und die angreifenden Truppen mit Feuer aus Thüren,
Fenstern, Baikonen empfängt. Wir erwähnen bei dieser Gelegenheit
eine Episode aus der Einnahme von Plewna, welche ein Augenzeuge er-
zählt hat, nämlich der Korrespondent der „Daily News", der sich beim
Stabe des Fürsten Schachowski befand: „Der General Kridenf schickte
aus Nikopolis drei Regimenter zur Besetzung Plewnas. Dieses Detache-
ment besetzte nach hartnäckigem Kampfe wirklich die Stadt. Die Soldaten
rückten in Plewna ein, legten hier auf den Strassen Tornister und Mäntel
zusammen, lösten sich in der Ueberzeugung, dass schon alles gethan
sei, auf und gingen, Lieder singend, frei in den Strassen umher. Auf-
klärungspati-ouillen wurden in die engen Gassen der Stadt nicht vor-
geschickt, ebensowenig wurden reitende Patrouillen ausgesandt. Diese
Nachlässigkeit musste das Detachement teuer bezahlen. Plötzlich wurde
aus Hunderten von Deckungen und Baikonen ein mörderisches Feuer
auf die in den Strassen zerstreuten Soldaten eröffnet; von allen Seiten
waren sie dem Ueberfall ausgesetzt. Ein Eegiment Hess so seine Tornister
auf dem Platze zurück, auf welchem sie zusammengelegt waren. Bei
dem mehr oder minder eUigen Rückzuge gingen 2900 Mann- verloren.
Ein Regiment verlor gegen 2000 Mann. Als sie zurückgegangen waren,
sahen sie, wie der Feind ihren Verwundeten den Rest gab".
Zur Illustration dieser Episode bringen wü* vorstehend eine Ab-
bildung, welche den Strassenkampf in Plewna am 8. Juli 1877 darstellt.
10- Künstliche Hindernisse.
ver- Ein fundamentaler Grundsatz des Krieges heLsst: Nicht auf die
anlMsong.
Nachlässigkeit des Gegners rechnen. Deshalb muss man erwägen, dass
er nicht unterlassen wird, alle Mittel zu benutzen, welche in letzter Zeit
zur Bereitung und Vermehrung von Schwierigkeiten gegen den Gegner
angewandt worden sind, welcher den Feind aus der besetzten Stellung
zu verdrängen sucht. Künstliche Hindemisse sind in den letzten zwanzig
Hinenexplosion bei Sebastopol während des Krimkrieges.
Minenexplosion auf dem Schipkapass während des russisch-
türkischen Krieges von 1876 bis 1877.
Eünstliche EOndemisse. gl7
Jahren bedeutend verrollkommnet woi-den und allen Anneen bekaont.
Diese Mittel haben einen besonders grossen Wert für die Verteidigung.
Mit der Absicht überhaupt, sich zu verteidigen, besorgt man z. B. in den
Grenzgebieten des Reiches die Beschaönng von Eisenteilen für Draht-
nmzännungen. Die dazu nötigen Holzteile wird man immer an Ort und
Stelle vorfinden, wenn nicht von Bäamen, so von abgerissenen Gebäuden.
Der Erhaltungstrieb bewirkt, dass die Soldaten mit besonderer Lust
die Arbeiten verrichten, welche die Unzugftngliehkeit der Stellung ver-
stärken.
Wir geben die hauptsächlichsten Arten wieder, welche in dieser
Absicht angewandt werden.
a) Minen.
In jeder Armee giebt es mechanische Vorrichtungen zur Legung
von Feldminen. Diese Minen werden nnmittelbar unter der Erdoberfläche
gelegt. In einer halben Stunde sind 60 Mann imstande, mit solchen
Minen eine Fläche von einem Quadratkilometer zu versperren, auf
welcher sie 120 Minen in 3 bis 4 Linien unterbringen-^)
Die hier be^egebenen Abbildungen zeigen den Plan einer Flatter-
mine nnd ihren Durdischnitt.3)
Plan einer Flattermine und ihr Durehschnitt.
Die Wirknng dieser Minen veranschaulichen die Abbildtmgen in den "''hin».
Beilagen (aus Hennebert) b), auf deren erster die Explosion einer Mine
mit Steineinlagen bei Sewastopol dargestellt ist, auf der zweiten die Ek-
plosion einer gewöhnlichen trockenen Mine auf dem Schipkapasse.
') „Encyklopädie der Land- uod SeskriegswissenBchaft", s. Minen.
') Brunner: „Feldbefestigung" und Brackenbury: „Field-Works".
■) Hennebert: „La science et la guerre".
618
TU. Taktik der Infanterie.
Die beständige Gefahr, auf eine solche Mine zn stossen, muss
selbstverständlich auf die Truppen niederdrückend wirken.
Flatterminen wurden auch früher im Kriege angewandt, aber ihr
Gelingen war nicht genügend gesichert. Heutzutage aber, wo elektrische
Leitungen eingeführt sind, die nach beliebigen Entfemnngen gelegt
werden, wirken sie ganz sicher und fllhren die Explosion im beliebigen
Augenblick herbei. Zugleich hat mit dem Ersatz des früheren Pulvers
durch stärkere, in anserer Zeit erfundene Bestandteile die Kraft der ex-
plodierenden Minen jetzt bedeutend zngenommen.
Zum Vergleich machen wir folgende Angaben:
Nitroglycerin
Komprimierte Schiessbaumwolle
onation
EntzGnduDg
2,3
4,8
1,6
3,0
b) StrasseiiTerapermag (abatis), Barrikaden.
'■ Die Bedingungen der heutigen Taktik fordern die Notwendigkeit,
das Dunkel der Nacht zu benutzen um sicli den Yerschanzungen zn
nähern. Deshalb werden in der Nähe der'*elben alle möglichen Hinder-
nisse nach Art der hier abgebildeten aus jeglichem Matenal er-
richtet.*)
Arten der Straasenvereperrung.
c) Pallisaden nnd Faschinen. .
Wo Mangel an Bäumen und Strauchmaterial ist, um Faschinen her-
znstellen, kann man znr Befestigung der Stellungen nnd besonders zur
Sicherung der Aasgänge die Herrichtang von Pallisaden zu HJlfe nehmen.
') Malet: „Handbook of Field Training".
Künstliche Hindemisse.
619
Gewöhnliche, mit Erde gefüllte Körbe sind zu bekannt, um bei ihrer
Beschreibung zu verweilen. Wir beschränken uns auf die Erwähnung
weniger bekannter Arbeiten.
Auf den beigegebenen Abbildungen ist die Verbindung von PaUisaden
mit Erdarbeiten und dann die von Faschinen und Geflechten dargestellt.
Pallisaden xmd Geflechte.
Zugleich mit der Unsichtbarkeit der Schüsse (rauchschwaches Pulver)
wird die beständige Gefahr, auf einen Hinterhalt zu stossen, auf die An-
greifer deprimierend wirken. Dies wird viel mehr Vorsicht und Umsicht
erfordern als früher.
d) Spanische Reiter, Pallisadenzäune, Crows-Foot,
Barbed-Wire.
In einem Gelände, das keinen Ueberfluss an Bäumen hat, wird zu spanisch«
diesem Zwecke ausser Frnchtbäumen und Sträuchern jedes andere Holz- ®' *''
material anzuwenden sein, wie Bretter, Balken u. s. w. Hütten, Häuser,
Zäune werden genügend Material liefern, auf dem man spitze eiserne
Stacheln in Menge anbringen kann. Im üebrigen hat sich die jetzige An-
spannung bei der Erfindung von Verteidigungsmitteln nicht mit dem
begnügt, was sie in Händen hatte, sondern ist so weit gekommen, dass
die Armeen verschiedene, zuvor hergestellte Vorrichtungen besitzen, welche
den Angriff der Truppen sehr erschweren können, besonders wenn sie in
Massen anrücken, s)
CHtfÄSFÖOT
Spanische Beiter und Pallisadenzäune.
*) Malet: „Handbook of Field Training"; Brakenbury: „Field Works".
630 '^^- TakUk der Infuitene.
In Ermangeliuig aaderer Hilfsmittel und sonstigeD Materials künnen
ancb die einfaclisten Hiudernisarten zur Verhütung eines nächtUchen
Ueberfalls dienen, wie die, welche die folgende Abbildung zeigt. *)
Hi^ratuUuDg von HindoiTiisKoii gegtn niictitliulie Umgehung.
e) Eskarpen and Kontereskarpen.
Um den Angreifer am Vormarsch zu verhindern, nimmt man in
dem Gelände, auf welchem der Angriif zu erwarten ist, die Herstellung
besonderer Abdachungen zu Hilfe (escarpe und contreescarpe), and auf
ihrem Boden und auch in den Zwischenräumen zwischen ihnen werden
Pfähle eingerammt. An anderen Stellen, wo dies gunstiger ist, legt man
spanische Eeiter und andere Hindemisse, die das Hinablassen von den
Abdachungen erschweren und nicht gestatten, hinaufzuklettern.
Eskarpen und Kontereskarpen.
Es ist überflüssig hinzuzufügen, dasa bei einer Aendemng der
Stellung alles fUr die Hindernisse nötige Eisenmateri^ mitgenommen
wird, um es an der neuen Stelle zu gebrauchen.
f) Wolfsgrnben.
woihgnib.1.. ju Ermangelung von Material fUr die beschriebenen Hindemisse
oder tür ihre Verstärkung nahm man in Erwartung des anrückenden
Feindes seit undenklichen Zeiten seine Zuflucht zur Herstellung von so-
*) „Sciences militaires", „Fortiflcationa"; Brakenburyr „Field 'Works''.
Knnstliche Hindamiaae. ' g21
geuannten Wolfsgraben. Zn dem Zwecke gräbt man Oraben in der
Entfemnng von drei Fuss, in die man dünne Pfähle einschlägt, welche
mit Draht oder Stricken nnter einander verbanden werden, wie bei-
stehende Äbbildang zeigt (Fig. 1). In acht Stunden kann ein Mann
zehn solche Gruben ausgraben. Wenn ausserdem die Zeit es gestattet,
kann man runde Gruben graben, etwa 10 Fuss von Mittelpnnkt zu Mittel-
punkt entfernt, von 6 Fnss Durchmesser and 6 — 8 Foss Tiefe (Fig. 2).
In diese Gruben und in ihre Zwischenräume schlägt man Pföhle oder
irgend welche Holzstücke ein. Jeder Soldat kann in fUnf Standen eine
solche Grube graben.')
Wolfsgruben.
g) Drahtnetze.
Ausserdem werden die Truppen Material zur Änfstellnng von Draht- »«!'*"'»*
netzen haben, welche ein starkes Verteidigungsmittel bieten.
Tief in die Erde getiiebene Pfähle werden unter einander mit Draht
verbunden, der in verschiedenen Richtungen zwischen ihnen gezogen
wird. Derselbe liegt so, dass darüber hinwegzuschreiten schwier^, unten
durchzukriechen unmöglich ist. Der Draht wird nicht so stratf gezogen,
dass man ihn mit dem Säbel durchhauen kann. In letzter Zeit sind
Eisendraht mit Stacheln und spitze eiserne Pfähle zur Anwendung ge-
kommen. *)
Wenn Draht und Pfähle fehlen, werden sie dnrch Stangen und
Stricke ersetzt.
') Brai^kenbury ; „Field Works".
') „I'rogrts miiitaii-e', 1891.
622 " Vn. TaJctik der Infanterie.
^ihSkSt" "^^^ ^^^^' ^^^ ^" ^^^^^ Graben von mindestens 2V2 Fuss Breite
und derselben Glacishöhe aufgestellt ist, kann von Feldgeschützen nicht
vernichtet werden.») Auf dem Schiessplatze bei Wladikawkas wurde im
Jahre 1888 Visier- und Zielfeuer auf ein Drahtnetz abgegeben, wobei es
sich zeigte, dass nach 100 Schüssen ein Raum von 6—13 Fuss Breite im
Netz durchschlagen war. Im Jahre 1890 wurden wiederum Schiess-
versuche auf Drahtnetze mit Bomben gemacht. Das Netz war durch
Glacis gedeckt; die Richtung der Schüsse war schräg. Nach 50 Bomben,
die auf 500 Faden Entfernung abgeschossen wurden, bot das Netz das-
selbe Hindernis."
Die folgende Abbildung zeigt die Aufstellung von drei Fuss hohen
Netzen mit Pfählen, die 6—7 Fuss von einander entfernt sind (Fig. 1)
und die Aufstellung von Netzen, die nur IV2 Fuss Höhe haben (Fig. 2).
Fig. 1. Fig. 2.
Drahtnetze.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass es eine Menge Mittel giebt,
den Feind aufzuhalten, der befestigte Stellungen angreift,
veriiaituiig«- \\{i' haben schon auf den Umstand hingewiesen, dass in Zukunft
iDAMsregela
für den eiue grössere Inanspruchnahme der Hilfe zu erwarten ist, welche künst-
Augreifer. jj^j^^ Hindemissc bieten, und zwar erstens, weil der natürliche Erhaltungs-
trieb es fordert, und zweitens, um der Verantwortlichkeit für Verluste
zu entgehen. In Hinsicht darauf würde sich herausstellen, dass in jeder
Armee Bestimmungen existieren müssen, wie sich die angreifenden
Truppen gegebenen Falls verhalten sollen, um die ihnen begegnenden
verschiedenen Hindemisse zu beseitigen. Dies ist um so notwendiger, als
die grosse Mehrzahl der in die Eeihen der Armee eingestellten Leute
von der Existenz der zahllosen Mittel nichts ahnen, mit denen sich der
Verteidiger gegen einen unerwarteten feindlichen Angiifl schützt. Au-
gi'eifende Truppen, die unvermutet in eine solche Verlegenheit geraten,
können kaum ihre Geistesgegenwart bewahren.
Wider- „Wenn man aber alle Punkte mit einander vergleicht, die sich auf
in'den^vor- die Frage nach der Beseitigung von Hindernissen beziehen, und die bei
'dif B^iü-' °^^' in Frankreich, Oesterreich und Deutschland bearbeitet sind, so
gung von
Hindernissen. ,^
') W. Weitko: „Der Angriff auf Befestigungen, die durch kunstliche
Ifindernisse verstärkt sind". „Tngenieur-Zeitsf.hrift".
Künstliche Sndemisse. 623
werden wir ein chaotisches Bild schwerwiegender Widersprüche erhalten,
die geradezu auf einen allgemeinen Mangel sorgfaltiger Bearbeitung auf
dem Gebiete der Beseitigung künstlicher Hindemisse hinweisen. So rät
das deutsche Reglement, nur im äussersten Falle Leitern zur Ueber-
windung von Pallisaden anzuwenden, während das österreichische Regle-
ment bei denselben Pallisaden Leitern als das beste Mittel empfiehlt; in
Frankreich gilt die Sprengung von Drahtnetzen als unwirksam, in Oester-
reich als wesentlich; bei uns hat man die Unmöglichkeit erkannt, ein
Netz mit dem Beile zu zerstören (1. Sappeurbrigade), und in Frankreich
und Oesterreich ist das Beil das beste Instrument dafür; der Verfasser
des Buches „La fortiflcation et Tartillerie" hält für das beste Mittel zur
Ueberwindung von Drahtnetzen Geflechte, welche auf die Spitzen der
Pfähle gelegt werden, wobei er sich auf die im Jahre 1886 in Russland
gemachten Versuche bezieht; in Deutschland gilt als das einzig mögliche
Mittel hierfür die Zerstörung u. s. w. Solche Beispiele kann man in
Menge anführen ; viele Mittel sind mit Bemerkungen über ihre Schwierig-
keit oder geradezu Untauglichkeit versehen; so wird z. B. von der in
Deutschland gutgeheissenen Zuschüttung von Pallisaden gesagt, „dass
sie unter Feuer undenkbar ist."io)
Es entsteht von selbst die Frage: Welche Bedeutung haben die
empfohlenen Mittel, wenn sie nur für den Fall tauglich sind, dass der
Feind blind schiesst und nur mit Knattern droht?
Dies ist ebenso unbegreiflich wie der Grund, warum die Frage verhalten
nach der Verstärkung der Verteidigungsbefestigungen durch künstliche schriftBteiier.
Hindemisse von den Militärschriftstellem so emsig umgangen wird. Statt
dessen wird jeder mögliche Eifer darauf verwandt, die Truppen zu über-
zeugen, dass es nur darauf ankomme, hurrah! zu kommandieren, damit die
Truppen mutig an die Schanzen heranlaufen, und dass sie nichts hindert,
mit dem Bajonnet loszugehen.
Oft kann man vernehmen, dass Leute sich zu der Ansicht hin- Bedeutung
der Befesti-
reissen lassen, es gebe für einen kühnen und entschlossenen Angrift gnngen.
nichts Unmögliches. Solche Theoretiker begnügen sich gewöhnlich mit
den Lehren der Geschichte vergangener Zeiten. Aber wenn sich auch
die psychische Seite des Menschen seit jener Zeit wenig verändert hat,
so muss der gesunde Menschenverstand doch in Erwägung ziehen, dass
die jetzigen 6-Millimeter-Gewehre zehnmal todbringender sind als die
in den letzten Kriegen gebrauchten, und die jetzigen Geschütze IB Mal
^°) „Angriff auf Befestigungen, welche durch künstliche Hindernisse ver-
stärkt sind^.
624 ^^^ Taktik der Infanterie.
wirksamer als die ffttheren^i), und dass die Erfindung des raachschwachen
Pulvers das Gefechtsbild völlig verändert hat, welches neue, bisher un-
bekannte Erscheinungen, neue Kombinationen schaffen mnss. Ist das
alles etwa Phantasie? Sind die Erfahrungen der Kriege 1870, 1877, des
chilenischen Feldzugs Unsinn? Hat für die neue Taktik der Umstand
keine Bedeutung, dass das jetzige Infanteriegeschoss nach einem Fluge
von 3200 Metern noch die Kraft hat, einen Soldaten kampfanfähig zu
machen?^)
11. Der Bajonnetangriff.
Bedeutang ^ug der obcu beschriebenen Wirkung der jetzigen Gewehre und
sebiMtwsffe. Artilleriegeschosse konnte sich der Leser schon überzeugen, dass der
Ausspruch Napoleons : „Eine Schiesswaffe bedeutet alles, eine andere aber
sehr wenige sich am meisten gerade in unserer Zeit bewahrheitet, wo
die Kraft dieser Waffen im Vergleich zum Beginn des Jahrhunderts so
gewaltig zugenommen hat.
Bedeatung jgQ könnte CS scheiueu, dass heutzutage über Bajonnetangrifle
Bajonnets. uichts ZU sagcu wärc. ludesseu begegnet man bei mehreren Militär-
schriftsteilem der Ansicht, dass man gerade infolge der furchtbaren Wir-
kung des Feuers öfter als früher zum Bajonnet greifen werde; so würde
die offensive Seite, um einer Beschiessung zu entgehen, sich bestreben,
den Feind unvermutet zu überfallen, indem sie sich ungesehen an seine
Stellungen heranschleicht, so dass nächtliche Zusammenstösse öfter als
früher stattfinden würden, bei denen gerade das Bajonnet zu einer wich-
tigen Rolle berufen sei.
Definition YoT aUcm woUcn wir uns bemühen, zu erklären, was der gewöhnlich
des
Biuo^net- SO gcuanute Bajonnetangriff in Wirklichkeit bedeutet.
angnfft. Wcnu mau unter diesem Ausdrucke das eigentliche Handgemenge,
die Thätigkeit mit dem Bajonnet, versteht, so ist klar, dass ein solches
nur auf einigen Punkten der Linie eintreten und nur sehr kurze Zeit
dauern kann, und vorzüglich bei der Vertreibung des Gegners aus be-
festigten Stellungen stattfindet.
^0 Die Munitionsmenge, welche zur Erzielung des bekannten Schiesa-
resultats erforderlich ist, bildet nur den dritten Teil von deijenigen, welche im
Jahre 1870 nötig war; für die einzelnen Grüfe beim Laden, Zielen u. s. w. ist
6 Mal weniger Zeit notwendig als bei den alten Geschützen, und die TrefiT-
sicherheit der Geschossteile ist jetzt 3 Mal grösser geworden.
") Colonel Ponchalon: „Nouvelle tactique de combat" Paris 1892.
Der Bajonnetangriff. g25
Wenn man aber den Bajonnetangrifl im Sinne eines entscheidenden
Angriffs als einen raschen, allgemeinen Vorstoss anflasst, um den Gegner
die moralische Ueberlegenheit fühlen zn lassen, so ist klar, dass eine
solche Bewegung fast in jedem Grefechte unvermeidlich ist. Der Kampf
kann nicht aus einem Austausch von Salven bestehen. Unerlässlich wird
ein Moment eintreten, wo die eine Seite in der Annahme, dass der Gegner
mehr als sie selbst vom Feuer gelitten habe und ihi-en ungestümen An-
drang nicht aushalten werde, sich vorwärts bewegt, um die Linien des
Feindes zu durchbrechen, ihn zum Schweigen zu bringen und sich seiner
Stellungen zu bemächtigen. Wenn daher gesagt wird, die Kraft des
jetzigen Feuers werde einen Angriitt fast unmöglich machen, so ist dies
nur in dem Sinne zu verstehen, dass ein mutiger, tapferer Ansturm bis
zu dem Augenblicke keinen Erfolg haben kann, wo nicht der Gegner
durch die vorbereitende Thätigkeit des Artillerie- und Infanteriefeuers
genügend geschwächt ist, und dass es jetzt nicht mehr möglich ist, den
Angiiff mit dem Bajonnet dem mit der Kugel vorzuziehen, weil die jetzige
Kugel, wie „schneidig" auch das Bajonnet sein möge, entschieden auf-
gehört hat, eine „Närrin" zu sein.
Daher darf man nicht mehr die notwendige Feuerthätigkeit durch ^^^®"»'*«®°-
den Bajonnetangriff ersetzen noch diese Thätigkeit abkürzen und sich
nur auf die Energie des Ansturms verlassen. Frühere Kriegserfahrungen
zeigen, dass die Verluste in solchem Falle so gross sind, dass sie den
Bajonnetangriff unmöglich machen. Im entscheidenden Augenblick aber
ist der Angriff gleichwohl unvermeidlich, wo er aber nicht darauf be-
rechnet ist, dass der Angreifer mit dem Bajonnet mehr bewirken und eine
grössere Zahl von Leuten in den Reihen des Gegners niedermachen soll
als seine Verluste betragen, sondern durchaus darauf, dass der Feind den
Ansturm selbst nicht aushalten wird.
Wer sich zum Angriff entschliesst, setzt sich natürlich auch bei ^"«f"*f
nnd Rückzag.
vorausgesetzter Schwächung des Gegners gleichwohl einer grösseren, un-
verzüglichen Gefahr aus als derjenige, der in der Stellung bleibt und ein
ununterbrochenes Feuer unterhält. Aber dabei unternehmen die Leute
ein Wagnis und wissen wohl, dass, obgleich der Angreifer grössere Ver-
luste erleidet, dafür noch unvergleichlich grössere derjenige erleiden wird,
der zum Rückzuge gezwungen ist. Wir führen hier die Worte eines
Fachmannes an.^)
„Die instinktive Ueberlegung des Soldaten, des Offiziers ist folgende : ueberiegung
Wenn jene Leute mich erwarten oder wenn sie unerwartet an mich heran-
kommen, so bin ich verloren. Ich töte, aber mich wird man sicher auch
^) General Pusyrewski: „Untersuchungen über den Kampf".
Bloch, Der znktknftige Krieg. 40
626 ^^^ Taktik der Infanterie.
töten. Wenn ich ihnen aber Furcht einjage, dann werden sie sich retten
und werden Kugeln und Bajonnetstösse in den Rücken bekommen. Ver-
suchen wir's. Und man versucht es, und immer macht einer der beiden
Truppenteile auf eine beliebige Entfernung, selbst auf zwei Schritt vor
dem Zusammenstoss Kehrt. Die Theorie eines sächsischen Marschalls, die
Theorie Bugeauds : „Geht ihr mit dem Bajonnet los und schiesst ganz
nahe, so töten sie euch, und der Sieger tötet" gründet sich nicht auf
Beobachtung. Kein Feind wird euch erwarten, wenn ihr entschlossen
seid, und niemals, entschieden niemals ist dieselbe Entschlossenheit auf
beiden Seiten vorhanden."
äw^^B Folglich hängt das Gelingen des Ansturms nicht so sehr von der
Wirksamkeit der Bajonnetarbeit selbst ab als vielmehr davon, dass der
Gegner in der Gefahr schwebt, den Ansturm nicht auszuhalten. Oben
haben wir aber die Gründe auseinandergesetzt, weshalb heutzutage diese
Gefahr für den angegriffenen Gegner nicht existieren kann.
Annuieniiig Frühcr lag die ganze Schwierigkeit darin, die Truppen so nahe
^ frttiier heranzuführen, dass der Rückzug unmöglich wurde,
und jetrt. Hcutzutagc wird zur Annäherung an den Feind mehr Mut nötig
sein als in der Zeit, wo der mit dem Bajonnet Angreifende ungestraft auf
einige Hundert Schritt an den Feind herankommen konnte. Bei den
jetzigen Gefechtsbedingungen wird er einen wenigstens fünfmal grösseren
Raum unter Feuer durchschreiten müssen.
Und in der That erläutert unser offizielles Reglement die Bewegung
zum Bajonnetangriff auf 300 bis 150 oder weniger Schritt Entfernung
vom Gegner,
veriarte Gcueral Skugarcwski sagt: 2) „Nimmt man beim Verteidiger 100 Mann
des ,
Angreifen, au, SO wcrdcu dicse iu 11/2 bis 2 Minuten, während welcher der Angi-eifer
mit dem Bajonnet vorgeht, je 8 Schüsse in der Minute gerechnet, ungefähr
1500 Kugeln abschiessen; an Treffern kann man auf diese Entfernung
20 bis 25 0/0 (in Friedenszeit 50 bis 60 %) rechnen , d. h. bei
dreifacher Ueberzahl an Kräften wird bei den mit Bajonnet Angreifenden
niemand übrig bleiben, alle können getötet werden. Das Feuer der an-
greifenden Schützenlinie gegen den gedeckten Verteidiger während der
Bewegung kann keine grosse Bedeutung haben ; es dient mehr dazu, den
Angreifer aufzumuntern, als dem Verteidiger Verluste zuzufügen."
Berecnnung. Wir wollcu dcr Auschaulichkeit wegen diese Verhältnisse graphisch
darstellen und voraussetzen, dass der Gegner selbst 4 Mal schwächer ist
als der Angreifer, wobei wir der Kürze wegen Durchschnittsresultate
nehmen, d. h., dass der Angriff auf 225 Schi-itt (300 bis 150) beginnt,
') „Angriff der Infanterie".
Der Bajonnetangriff. 627
der Prozentsatz der Treffer 22>/ä (20 bis 25) betrügt, die Zeit des Auf-
enthalts unter Feuer l''/4 Minuten {U/a bis 2) und die Zahl der ab-
geschossenen Kugeln 8 in der Minute. Aus dieser Rechnung geht hervor,
dass auf jede 10 Schritt 1 Schttss abgegeben wird.
Verlnütc des 4 Mal Bt&rkeren Angreifen vor dem BajoimetaiigrifF.
Es giebt ausserdem noch eine andere Verschiedenheit von den Ter-'**^ b*«*»m
hältnissen früherer Kriege. Vor der letzten Eestauration des Systems ud jtttL
der Schanzen kam es vor (besonders in grösseren .Schlachten), dass zwei
schnelle Ablösungen mit dem Bajonnet einander folgten. Vor dem Hand-
gemenge wurden 2, 3 Schüsse abgegeben. Die schwächere Seite ging
bald zurück, und dies war kein grosses Wagnis, weil der Zurückgehende
nur mit 2 bis 3 Schüssen verfolgt wurde. Gegenwärtig ist der Rückzug
vor dem Angrifi ein wahres Verderben. In den Rücken werden ans
jedem Gewehr sichere Schüsse zehnfach gehen, von denen ein jeder
5 Mann treflen kann.
Der Glaube an den Vorzug des Bajonnets vor der Schiesswaffe ist ^"^'*'
vfllljg erschüttert, obgleich zu bemerken ist, dass sich nnter den russi-a« e^miiBt
.sehen Militäi's noch eine gewisse Schwäche gegen das Bajonnet, oder, '" ^■"''" ■
was dasselbe ist, gegen den schneidigen persönlichen Anstunn zeigt, der
gleichsam imstande sei, die mechanische, aber furchtbare Wirkung des
jetzigen Feuers zu besiegen. Uns scheint, dass in dieser Vorliebe dafür
nur berühmte Traditionen getroffen werden. Napoleon hat gesagt, das.s
„es zu wenig ist, den russischen Soldaten mit dem Bajonnet zn durch-
bohren, man muss ihn noch umwerfen".
In allen Armeen bemüht man sich, in den Mannschaften ein un- schieeew»««
bedingtes Vertrauen zu der Kraft der Feuerwaffe zu erwecken, und in Bqsiwet.
den Reglements wird gesagt, dass bei einem korrekten Feuer der Ver-
teid^ng kein Angriff Erfolg haben kann. Und dies ist natürlich bis auf
den Punkt richtig, dass das Artillerie- und Infanteriefeuer des Feindes nicht
noch wirksamer ist, die Verteidigung nicht in Unordnung bringt nnd die
Korrektheit ihres Feuers nicht beeinflusst. Bei der Ausbildung der Mann-
schaften richtet man jetzt seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf das
Schiessen, und wenn auch das Bajonnetfechten geübt wird, so ist es doch
528 Vn. Taktik der In&nterie.
jk-
schon in den Hintergrund getreten. Nebenbei erwähnen wir, dass in der
russischen Armee auch die Kavallerie im Bajonnetfechten ausgebildet
wird, sogar die Kürassier-Division und die Garde, welche im Uebrigen im
Feldzug und im Lager die allgemeine Dragonerbewaffhung hat.
Dm B^onnet jß (jer frauzösischeu Armee hinwiederum hat das Bajonnet in den
franzöaiMhen Augen der Mannschaften seine frühere Bedeutung endgiltig verloren,
""**' wenn man nach einer Aeusserung Coumfes' urteilen darf.») „Als ich einst
bei einer Prüfung der Unteroffiziere den Vorsitz führte", sagt er, „hörte
ich, wie auf die Frage: „Wozu dient das Bajonnet?" der Prüfling statt
der gewöhnlichen Antwort: „Um den vor mir stehenden Feind zu durch-
bohren" mit voller Ueberzeugung erwiderte: „Um die Gewehre zusammen-
zusetzen".
wirkuciikeit Um die in der deutschen Armee herrschende Ansicht über die Be-
AoMbeiiL deutung des Bajonnets zu erwähnen, führen wir eine Warnung an, mit
welcher ein bekannter Kriegsschriftsteller, der Oberst Kardinal von Wildem,
sich an die Verteidiger von Verschanzungen wendet. Er bemerkt, dass
die dem Angriff ausgesetzte Seite, falls sie schon vorher beträchtliche
Verluste erlitten hat, sich fast immer zurückstürzt, bevor sie noch das
Hurrah des Angreifers gehört hat, d. h., sich nicht dazu entschliesst,
Ansturm und Handgemenge abzuwarten, und dass daher ein gewandter
Gegner dieselbe Wirkung schon durch den Anschein erzielen könne, als
wenn er sogleich mit dem Bajonnet angreifen wolle. „Daher", sagt
von Wildern, „darf man sich auch in dieser Lage nicht ßher auflösen
und zurückziehen, bis der Entschluss des Gegners deutlich ist, und seine
Bewegungen keinen Zweifel über seine Absicht lassen, das Gefecht mit
dem Bajonnetangrifi zu beenden".
Ansieht Ein anderer deutscher Militärschriftsteller, Bronsart von Schellen-
Ton setaeiien- dorff, Sagt lu sciuer Schrift über die Thätigkeit der Infanterie auf dem
**"*• Schlachtfelde bei der Untersuchung, welche Bedeutung Kugel und Bajonnet
haben, folgendes: „Die Rasanz, Treffweite und Durchschlagskraft der aus
dem kleinkalibrigen Gewehr abgeschossenen Kugel ist aussei^ewöhnlich
gross, aber daraus folgt nicht, dass das Bajonnet seine alte, entscheidende
Bedeutung verloren hat. Die Infanterie, die von dieser Ansicht durch-
drungen sei, würde sich zu Grunde richten." Der Autor bemerkt des
weiteren, dass es schädlich sein würde, den Soldaten im Frieden den
Gedanken beizubringen, dass der Bajonnetangriff infolge der Kraft der
jetzigen Feuerwaffe nur selten eintreten wird. Im Gegenteil würde es
nützlich sein, dass in den Manövern jeder regelrecht vollendete Angriff
als gelungen gelte.
^) Coumes: „Tactique de demain".
Der BajoimetangrifF. 639
Diese Ansichten scheinen überzeugend zo sein, aber es entsteht die "'^"''*?'^
Frage: „Ist es bei dem jetzigen Zustande der Armeen möglich, die Ueber- EMhnagtB
zeugoflg zu haben, dass Ansichten, die mit der Wirklielikeit nidit ""^^^
übereinstimmen, Erfolg haben?
Wenn die Erfahrungen der früheren Kriege beweisen, dass das
Bajonnet fast gar nicht gebraucht wnrde, so ist es unmöglich, Zutrauen
zu ihm zu erwecken. Die Verluste der Preussen im Kriege 1866 setzten
sich folgendermaassen zosammen:
Von Gewehrfeuer 79 o/o
„ Artilleriefeuer IG %
„ Säbelhieben 5 %
„ Bajonneten 0,4 "/o
Graphisch stellen sich diese Besultate so dar:
Von Gowehrfener .
i
|]llilljl!!l|!fp!!i" !!i!.lt!i*lil iHiü .■■
, Artilleriefeaer
1 1
, Säbelhieben .
|i!
s^
Oa
\
Verluste der Preussen im Kriege 18G6.
Im Kriege 1870*) waren die Veriuste der deutschen Armee auf
1000 Mann:
Qewehrfeuer Artilleriefeuer Blanke Waffen
Bei der Infanterie . . . 15,0 11,4 1,2
„ „ KavaUerie . . . 47,6 3 11
„ „ Artillerie ... 36,6 20,9 —
„ den Ingenieurtruppen 17,5 8,2 0,6
Wir stellen diese Resnltate graphisch dar:
Van ArtlUuiBftDu
Ton Beweiulevtt, uiI blukan Wiffen.
Li
2>J
Verluste der dealsohen Armee im Kriege 1870 auf 1000 Uann.
') „Müitör-Wochenblatt", 1877.
gSO Vn. Taktik der Infanterie.
In der Gegenwart aber werden diese Unterschiede noch grösser.
Man muss seine Anfmerksamkeit auch auf den umstand richten,
dass der Bajonnetangriff Formierungen in geschlossener Ordnung fordert,
dass aber die Bewegung einer Kolonne bei der jetzigen Feuerkraft sich
äusserst schwierig zeigen wird.
Erfutrangaii Hocuig beruft sich auf die Erfahrungen, welche deutsche Professoren
dem neaea mitteilen! Bruns, Busch, Kocher, Eeger, Bardeleben, Billrot, und von
den Franzosen : Delorme, Chauvelle, Ninvfes, Breton und Peme, welche
zeigen, dass vier auf einem Räume von 400 Meter auf einander folgende
Reihen und noch drei Reihen auf einem Räume von 1200 Meter drei-
und sogar vierfach grössere Verluste erleiden müssen, als die sind, welche
eine Reihe erleiden würde, und zwar infolge der Fähigkeit der jetzigen
Kugeln, bis 6 Mann zu durchbohren. Allerdings wurden diese Erfahrungen
beim Uebungsschiessen und auf ebenem Gelände gemacht; aber nach der
Ansicht Hoenigs sind jene Aeusserungen, dass es im Kriege kein völlig
ebenes Gefechtsgelände gebe, und dass Probeschiessen fürs Gefecht nichts
beweise, geradezu thöricht. Die Wirkung der jetzigen Artilleriegeschosse
ist bekanntlich IB Mal grösser als die von 1870.
Yoraüge Die gemeinsame Beschiessung derselben Ziele mit Infanterie- und
Feuera. Artillericfeuer ist durch das rauchschwache Pulver in ein besonders
günstiges Stadium getreten, wobei die von der Artillerie genau ein-
geschossenen Entfernungen dazu dienen können, dem Massenfeuer der
Infanterie nach sicheren Grundlagen die Richtung zu geben.
Der unbehinderte Gesichtskreis und die Durchsichtigkeit der Atmo-
sphäre künftiger Schlachtfelder im Verein mit den höheren ballistischen
Fähigkeiten, die mit dem neuen Pulver in Verbindung stehen, und die
Art der Füllung der Geschosse mit neuen Explosionsstoffen müssen auf
die Erhöhung der Gefährlichkeit von Einfluss sein,
von der Gölte In dicscr Hinsicht sagt von der Goltz i^) „Nur ein Mensch, der das
Aber Fener
und Leben für nichts mehr achtet, ist fähig, unter dem jetzigen Feuer zu
Bajonnet pf^^^j^ q^j^j. g^^^}^ jj^ Fuss, abcT ohuc Dcckung, lange auszuhalten. Näher
würde der Wirklichkeit das Bild kommen, dass dichte Schützenlinien,
am Boden liegend, einen Kugelregen nach dem andern folgen lassen, so
dass man in der Phantasie die Mannschaften durch Kugeln schleudernde
Maschinen ersetzen kann, ähnlich den Säemaschinen, die die Körner
herauswerfen. In der russischen Armee hält man noch an der Ansicht
von der ungewöhnlichen Gewalt des Bajonnetangriffs fest. Wenn aber
die Schriftsteller, die diese Meinung vertreten, daraus das Prinzip des
Angrifi's in geschlossener Ordnung herleiten, so gehen sie zu weit. Die
') von der Goltz: „Das Volk in Waffen."
Erstürmung einer Höhenposition.
(Aus den Tranzösischen Manövern in der Umgegend von Mentone.)
•1
V,
Der Bajonnetangiiff. g31
geschlossene Ordnung kann heutzutage nur angewandt werden, wenn das
Feuer des Gegners schon geschwächt ist, und unter dem Einfluss der
beginnenden Auflösung, oder wenn es dem Verteidiger nicht möglich ist,
die Treffifläche zu überblicken."
Die Vertreter der Vorzüge des Bajonnets berufen sich auf ver- Beispiele,
schiedene gelungene Bajonnetangriffe auch in den letzten Kriegen. Aber
diese Beispiele bestätigen nur, dass ein erfolgreicher Angrifl entweder
nach Dämpfung des gegnerischen Feuers durch überlegenes Feuer des
Angreifers möglich ist, oder, wie von der Goltz sagt, wenn es dem Ver-
teidiger nicht möglich ist, die Treflfläche zu überblicken.
Auf den letzteren Fall bezieht sich das Beispiel des gelungenen
Sturmes des 64. russischen Regiments auf die türkischen Schanzen bei
Plewna am 30. August 1877. Das Regiment ging über ein Feld, das in
Mannshöhe mit Mais bestanden war; dies schützte zwar nicht vor den
Kugeln, hinderte aber die Türken, die Dichtigkeit der Kolonnen zu sehen,
und zwar um so mehr, als die Witterung feucht war und der Rauch sich
hartnäckig hielt, indem er auch die Angreifer hinderte, die feindlichen
Stellungen zu erblicken. Auf 900—1000 Schritt Entfernung erscholl in
einer Kompagnie des Regiments Hurrah ! das von den übrigen Kompagnieen
aufgenommen wurde. Die Formation war schon in Unordnung geraten,
die Leute stürzten sich laufend vor und fielen, wegen der weiten Ent-
fernung der Stellungen von der Anstrengung ausser Atem gekommen. Aber
etwa 500 Schritt vor den türkischen Stellungen befand sich eine Boden-
vertiefung, welche dem schon stark mitgenommenen Regiment Deckung
bot. Nach ungefähr drei Minuten Rast erscholl von neuem Hurrah! die
Leute stürzten sich auf die türkischen Stellungen und nahmen sie trotz
des starken Feuers. In dem Regiment wurden dabei 40% ausser Gefecht
gesetzt.
Es ist aber klar, dass, abgesehen von dem Heldenmut, den die vorteile
der
Stürmenden an den Tag legten, die gegenseitige Unmöglichkeit, den unnftguch-
Raum zwischen den beiderseitigen Truppen zu überblicken, zum Erfolge aie^Twff-
des Sturmes beitrug. Die russischen Soldaten vermuteten die türkischen ^ *'«5f "
^ Überblioken.
Stellungen näher, als sie waren, und suchten sich durchzuschlagen, und
die Türken sahen den Gegner, nachdem er auf drei Minuten verschwunden
war, plötzlich fast vor den Mündungen ihrer Gewehre, und unvermutet
überrascht, hielten sie den Ansturm nicht aus.
Solche Beispiele behalten auch für die Zukunft ihre Bedeutung, die
aber schon um so geringer ist, je tödlicher die jetzige Hand-Feuerwaffe
gegen die damaligen türkischen Gewehi^e wirkt, und je besser der
europäische Soldat ausgebildet ist als die Leute Osman Paschas.
532 ^^^^ Taktik der Infanterie.
Eiadnick j){q Emföhrung des rauchschwachen Pulvers hat unter anderem be-
des nnoA- ,
BchwMiieii wirkt, dass derartige unerwartete Ereignisse seltener eintreten werden.
anfdieicuin-Ein erfahieuer General, der eine selbständige Meinung darüber hat, hat
Schäften, ^j^g gesagt, dass er bei dem Bemühen, nach dem ersten Gebrauch des
rauchschwachen Pulvers in den Manövern dessen Eindruck auf die Soldaten
zu beobachten, zu dem Schlüsse gekommen ist, dass das Pulver bei den
meisten das Zutrauen zu ihren Kräften hob. Die Möglichkeit, den Gegner
beständig zu sehen und das Ziel in seinen Reihen auszuwählen, hat bei
dem Besitz einer grösseren Anzahl Patronen dem Soldaten das Vertrauen
gestärkt, dass er, wenn nicht beim ersten Zielen, so beim zweiten und
dritten Mal denjenigen sicher treffen werde, den er aufs Korn genommen
hat. Hierin finden wir eine neue Bestätigung der ziemlich allgemeinen
Ansicht, dass die Einfuhrung des rauchschwachen Pulvers und ebenso
der vollkommneren Gewehre, welche neue Verhältnisse für den jetzigen
Kampf geschaffen haben, gerade die Verteidigung verstärkt hat.
farwtS^ Der Oberst Wentzel Porth^) führt unter den Beweisen für die voll-
sohiAgaknft kommeu neuen Verhältnisse des jetzigen Gefechts folgendes Faktum
der iMUAn
Geschosse, aui „Vor Kurzcm hatte sich ein Soldat meines Regiments erschossen.
Die Kugel ging durch seinen Körper, durch den Deckbalken und die Diele,
durchschlug im nächsten Stockwerk das Brett der Bettstelle und zwei
Matratzen und verwundete einen darauf schlafenden Kadett, darauf flog
sie noch in das nächste Stockwerk und durchschlug das mit Ziegeln be-
deckte Dach. Ich führe dies Beispiel, sagt Oberst Porth, als augen-
scheinlichen Beweis von der furchtbaren Kraft der Gewehrgeschosse zur
Warnung an."
Kuutsohen- Und diescu neuen Zerstörungsfaktoren ist noch die Wii-kung der
Schnellfeuer-Kartätschen in einer Minute hinzuzufügen, wenn der Feind
sich schon der Stellung nähert.
Auf dem nebenstehenden Grundriss ist der Effekt dargestellt, der
durch 19 Kartätschschüsse aus einem B7- Millimeter -Geschütz auf elf
50 Meter von einander entfernte Scheiben erzielt wurde. — Die Zahlen
geben die Treffermenge in jeder Scheibe an.
Es stellt sich heraus, dass 2420 Teile ins Ziel trafen.
Welche Menschenmenge aber könnte hierbei auf einem Baume von
250 Meter im Verlauf einer einzigen Minute zermalmt werden!
Wenn man noch annimmt, dass beim Mangel von Kaltblütigkeit
in den angegriffenen Reihen die Wirkung der Schnellfeuergeschütze
weniger thatkräftig wäre, so wird doch in jedem Falle der angreifende
*) Wentzel Porth: „Betrachtungen über den Einfluss des rauchschwachen
Pulvers".
Der Bajonnetangriff.
633
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1^
Besiütate von 19 Kartätsohschüssen aus einem ÖT-Mülimeter-Gesohütz.
Gegner, selbst wenn er viel stärker ist als die den Angriff anshaltendeji
Truppen, unvermeidlich vernichtet werden.
Zugegeben, dass überhaupt die Erfahrungen des Uebungsplatzes MoMii«she
nur zum zehnten Teile für das Gefecht zutreffen, so entsteht auch in des
diesem Falle die Frage: Werden die moralischen Kräfte in den jetzigen ^'*«"*'"^
Massenheeren den Verlusten entsprechen? Man darf nicht vergessen,
634 ^^^* Taktik der Infanterie.
das8 der massenhafte Verlast in den Beihen in zehn Minaten eintreten
wird, nnd dass infolge dessen anch der Mnt der angreifenden Truppen ins
Wanken kommen kann,
ziffennfasige j)Iq Grösse der Gefahr, in welche ein Detachement oder eine ganze
DaratoUimg
der GröMe Armee gebracht werden kann, lässt sich durch Zahlen ausdrücken. So
'■ kann man z. B. den Mut eines Detachements, das sich zurückwendet,
ohne Verluste erlitten zu haben, mit 0 bezeichnen, den Mut eines Detache-
ments, das ohne zu wanken gänzlich vernichtet worden ist, mit 1.
Ein Detachement, das vielleicht durch V4» ^/a» V2 Verlust seiner Kjäfte
zum Rückzuge gezwungen ist, besitzt vier-, diei- und zweifach weniger
Mut als dasjenige, das gänzlich vernichtet wurde. Es versteht sich von
selbst, dass weder Führer noch Soldaten sich mit der Zählung der Ver-
luste auf dem Schlachtfelde beschäftigen, aber es geht ein instinktiver
Prozess vor sich, und wenn die Zahl der Getöteten und Verwundeten
sich den bekannten Grenzen nähert, so verlieren die üebrigen die psychische
Fähigkeit, den Kampf fortzusetzen.
tfomiiaehe Wir fludeu bci dem General Kuropatkin folgende meisterhafte Mit-
4L teilung über dieses Gesetz des menschlichen Geistes:
^'**^'*"* „Das Maass der Verluste beeinflusst zweifellos den moralischen
Zustand der Gefechtstruppen. Die Grösse dieses Einflusses hängt zum
grossen Teile davon ab, unter welchen Verhältnissen und in
welchem Zeitabschnitte diese Verluste entstehen. Wir geben
durchaus den Fall zu, dass eine und dieselbe Abteilung auf einem und
demselben Punkte mit 50% Verlust aushält und unter andern Gefechts-
verhältnissen diesen Punkt mit 10% Verlust räumt. Die Truppen gehen
nicht deshalb zurück, weil sie sich mit ihrer Zahl nicht halten können
(man kann sich auch mit melir als 75% Verllist halten), und nicht nach
Maassgabe der Verluste, die sie erlitten haben, als vielmehr aus Furcht
vor denjenigen Verlusten, die sie erwarten, wenn sie in der
Stellung bleiben (oder den Angriff fortsetzen). Auf Grund innerer Ueber-
legung in den Herzen der Truppen tritt in der einen oder andern
Abteilung die Ueberzeugung von der Unmöglichkeit, sich weiter zu halten,
hervor. Diese innere Berechnung der die Truppen erwartenden Verluste
ist um so übertriebener und gefährlicher, als die Zeit kurz ist, in welcher
die als Grundlage für diese Berechnung dienenden Verluste erlitten
werden. So bietet ein Bataillon, das in 10 Stunden 200 Mann verloren
hat, in vielen Fällen mehr Aussicht darauf, dass es in der Stellung beim
Angriff auf dieselbe aushalten wird, als ein Bataillon, das 60 Mann, aber
in fünf Minuten verloren hat. Die Summe der physischen Kräfte im
zweiten Bataülon wird grösser bleiben als im ersten, aber die Summe
der moralischen Kräfte kann zeitweilig im zweiten geringer sein als im
Der Bajonnetangriff. 635
ersten. Benutzt unverzüglich diesen Augenblick der zeitweiligen
Schwächung des moralischen Zustandes der Abteilung und greift an —
und ihr werdet siegen. Lasst die Zeit verstreichen — und das Gleich-
gewicht wird wieder hergestellt werden und die erlangte moralische Vor-
bereitung des Angrifls wird keinen Nutzen bringen.''
,.Das beste Beispiel dafür, was Truppen ertragen können, bieten widentandu-
unsere Artilleristen in Sewastopol: Die Verluste unter ihnen waren so
gross, dass die Bedienungsmannschaft an mehreren Geschützen nicht
einmal an einem Tage abgelöst wurde." 7)
Wenn aber beim Angreifer ausserdem Zweifel an rechtzeitige
Unterstützung aufkommen, so wird er sicherlich den Mut sinken lassen,
so dass die Leute unwillkürlich, fast mechanisch zurückgehen werden.
In Hinsicht darauf entsteht die Frage, welches Schicksal nicht nur schicbai
diejenigen Abteilungen erwartet, welche zum Sturm gehen, sondern auch geworfenen
diejenigen, welche ihnen in der Zeit folgen, wo die beim Sturm zurück- a^j^hnen
geworfenen Truppen sich zurückziehen. begegnenden
General Dragomirow, bekannt nicht nur als Kenner der Kriegskunst trappen,
überhaupt, sondern speziell als Forscher auf dem Gebiete der Kriegs-
psychologie, sah diese Art Zufälligkeiten voraus. Loebell sagt in seinen
„Jahresberichten" in einem Artikel über die Manöver, die unter der
Führung des Generals Dragomirow stattfanden, dass der General einst
vorgehenden Truppen den Befelil geschickt habe, zurückzugehen, während
ihnen folgende Truppen sich vorwärts bewegten. Es versteht sich, dass
dabei die grösste Unordnung eintrat, und dass viel Zeit nötig war, um
die Gefechtsordnung in den Truppen wieder herzustellen. Das ungeschickte
Verhalten bei der WiederhersteUung der Formation, welche durch die
Begegnung mit den Zurückgehenden gestört w^ar, forderte einen strengen
Verweis heraus, aber später verstanden schon zwei Bataillone, die in
einem gleichartigen Falle in Unordnung geraten waren, schnell ihre
Formation wiederherzustellen.
Wir verweilen noch einmal bei dem Unterschiede zwischen den Angnff.-
jetzigen Angriflsbedingungen und denen früherer Zeit. Im Hinblick auf ^*^fXeT"
die Abbildung in den Beilagen, welche die Abwehr eines Angrüfs "»^jetet
russischer Truppen auf Plewna zeigt, bemerken wir, dass ein Teil der
zurückgehenden Streitkräfte ebenso in Eauchwolken gehüllt ist, wie sich
vor dem hinter den Schanzen befindlichen Verteidiger der Rauch ohne
Unterbrechung hinzieht. Die Abziehenden, die erst einen kui-zen Raum
durchschritten hatten, waren schon ausserhalb des mörderischen Streich-
feuers. Wenn der Verteidiger alle Vorteile aus seinem Erfolge hätte
0 „Thätigkeit des Detachements des Generals Skobelew".
636 VIL Taktik der Infanterie.
ziehen and den Feind hätte verfolgen wollen, so hätte er aus den
Verschanzungen herausgehen müssen. In der Gegenwart aber verhüllt
kein Rauch den abziehenden Feind und hindert nicht, ihn zu beschiessen,
während der Verteidiger hinter den Schanzen bleibt und sich nach den
vorher ausgemessenen Entfernungen richtet.
Daher wird jetzt nicht nur auf dem Räume der früheren Rasanz
der Kugeln, sondern auf viel grösseren Entfernungen die Verfolgung des
zurückgehenden Gegners mit mörderischem Feuer möglich sein.
12. Die üeberlegenheit an Streitkräften im Gefecht
als taktisclie Aufgabe.
Yefsttrkang Der Erfolg im Gefechte wird jetzt wie früher durch die Thätigkeit
Augriftunie Überlegener Streitkräfte an den entscheidenden Punkten bedingt. Indessen
sdl^ft^uig. ^^ ^^ ^^^' ^*^^» wenn der Gegner über eine annähernd gleiche Truppen-
zahl verfügt, die Gruppierung überlegener Streitkräfte zum Angriff auf
ihn an einer Stelle Schwächung an anderer bedeutet. Und wenn wir an-
nehmen, dass die Kräfte des Verteidigers in gleicher Weise aufgestellt
sind, so wird der schwache Punkt des Verteidigers in Gefahr sein. Wenn
der Angreifer mit allen seinen Kräften den Angriff zu gleicher Zeit
durchfuhrt, so wird er die Wahrscheinlichkeit des Erfolges dort haben,
wo er an Zahl stärker ist, aber mit gleicher Wahrscheinlichkeit wird er
an dem Punkte Misserfolg haben, dem er einen Teil seiner Truppen ent-
zogen hat.
Erfoigwiohe Audcrs liegt die Sache in dem Falle, dass er imstande ist. nur
*" "*' diejenigen Abteilungen ins Gefecht zu fuhren, die den ihm entgegen-
stehenden Teilen des Feindes an Kräften überlegen sind, und mit den
übrigen so zu operieren, dass sich der Gegner auch an jenen Stellen fiir
ernstlich bedroht hält. In diesem Falle wird der Angreifer den Ver-
teidiger an einem Punkte schlagen, ohne sich selbst einer Niederlage an
einem andern Punkte auszusetzen. Wenn er dann auch alle übrigen, bis
dahin aufgesparten Kräfte ins Gefecht führt, so wird er die teilweise
Niederlage des Gegners an einem Punkte in eine allgemeine verwandeln.
Dies sind in kurzem die Prinzipien, auf denen die Führung jedes
Angriffs gegründet sein muss, mit jenen Abarten ihrer Anwendung, welche
durch die Umstände bedingt sind,
^rf^d*^ Ein erfolgreiches Manöviieren hängt seinerseits von der genauen
Anfkiirung. Aufklärung der gegnerischen Stellung ab, welche, wie wir schon öfters
TJeberlegenheit an Streitkräften als taktische Aufgabe. g37
gesagt haben, durch die neuen Verhältnisse äusserst schwierig geworden
ist, so dass es nicht selten nötig sein wird, nach dem Gefühl zu erkennen.
Auch in den Manöverübungen beklagt man sich darüber, dass bei dem
rauchschwachen Pulver und der Durcheinanderwerfung der Truppenteile
auf beträchtlichem Räume, bei der aufgelösten Ordnung und der Benutzung
von Deckungen es schwierig geworden ist, die Translokationen der
gegnerischen Teile zu beobachten und sie von den eigenen zu unter-
scheiden. 1)
Schliesslich macht die Zerstreuung der Truppenmassen auf be- ^^Z^®"*'
deutendem Gelände es möglich, dass der auf einem Punkte durch die
Vereinigung überlegener Streitkräfte erzielte Erfolg partiell bleiben kann,
d. h., dass es nicht immer gelingen wird, mit einem raschen, allgemeinen
Vorstoss ihn darauf auch beim Angriff auf die Hauptkräfte des Feindes
zu erzielen. Dasselbe kann man in strategischem Sinne von dem völligen
Siege an einer Stelle sagen, den es nicht immer gelingen wird — durch
Zusammenfassung aller Kräfte — auf den Punkt zu lenken, welcher auf
den Ausgang des ganzen Feldzuges von Einfluss ist.
Der Umstand, dass es den Deutschen im Jahre 1870 gelang, überall ^i^ römg^n
Ueberlegenheit an Kräften zu erreichen, erklärt sich einfach aus der viel
grösseren Stärke der deutschen Armee im Vergleich zu der damaligen
französischen und enthält daher keine Lehre für künftige Kriege, da
eine so grosse Verschiedenheit im Bestände der Armeen sich nicht mehr
wiederholen wird.
Frankreich konnte 1870 für Feldoperationen im ganzen 343 000 Mann ^ruade.
aufstellen; da aber die Truppen in ihrem Friedensbestande an die Ost-
grenze geschickt wurden und schon auf dem Marsche durch Reserve und
Ersatz vervollständigt wurden, und da die Bekleidungsstücke aus Depots
geliefert wurden, die von den Regimentern abgesondert waren, so er-
reichte die Operationsarmee nicht die genannte Zahl. Man muss hin-
zufügen, dass der Geist der französichen Armee damals nicht durch
Revanchegefühle für frühere Demütigungen genährt wurde — wie es
damals in der deutschen Armee war und künftig in den Reihen der
französischen sein wird — und dass andererseits der Geist der französi-
schen Armee durch politische Parteilichkeit geschwächt wurde, welche
die Beförderung der Offiziere und die Haltung der Mannschaften be-
einflusste. Zu Abteilungs- Kommandeuren wurden nur solche Offiziere
ernannt, die sich als Bonapartisten empfohlen hatten, und bei dem Plebiscit
im Mai 1870 zur Bestätigung der liberalen Schwenkung in der Konstitution
*) nJoumal des sciences militaires". „Role de rartillerie dans le combat
de Corps d'arm^e".
ß38 Vn. Taktik der Infanterie.
— ein Plebiscit, das in Wirklichkeit den Ausdruck eines Vertrauens-
votums der Nation gegen die kaiserliche Regierung beabsichtigte —
wurden von den Truppen der Armee und Marine 272000 Stimmen für
das Regierungsprojekt, 46000 dagegen abgegeben.
Die Ferner war die Ausbildung der damaligen französischen Armee
der bedeutend hinter den Nachbarn zurückgeblieben, was die Thatsache
Traw 1870° l^^weist, dass der General Stabschef erst während der Konzentration der
Truppen an der Grenze die Korpskommandeure auf die Notwendigkeit
hinwies, die Truppen im Aufklärungsdienst zu üben, während in
Deutschland schon im Frieden viel Zeit auf die Ausbildung der Truppen
hierin verwandt worden war.
, ^*? ^ Schliesslich hatte die französische Artillerie an Geschützen nur
französische
Artillerie, etwas mehr als die Hälfte der deutschen, aber, was das Wichtigste ist,
die französischen Geschütze waren schlechter als die deutschen, und die
von dem deutschen Generalstab herausgegebene Geschichte des Krieges
erkennt dieses Faktum ganz unparteilich an. Wenn auch das Chassepot-
Gewehr besser als das Zündnadelgewehr war, so konnte doch die ver-
hältnissmässige Schwäche der französischen Artillerie nicht dui-ch die
Ueberlegenheit der Infanteriewaffe aufgewogen werden.
Deatechiands j^ Deutschlaud wareu in kurzer Zeit 1183 000 Mann an der West-
üeber-
legenheii grcuze zusammeugezogcu. Wenn man daher sowohl der musterhaften
Höhe der Organisation Deutschlands als auch den Fähigkeiten seiner
Heerführer volle Gerechtigkeit widerfahren lässt, so muss man doch
gestehen, dass die Ueberlegenheit der deutschen Streitkräfte in der
Mehrzahl der Schlachten nicht allein durch die Kunst des Manövrierens
und der Vorbereitung des Angriffs durch Artillerie erreicht wurde,
sondern vor allem durch das allgemeine üebergewicht an Zahl und
besseren Eigenschaften der Geschütze.
sdü^ten Daher kann bei irgend welchen Vermutungen über einen künftigen
Krieg das Beispiel von 1870 eine nur bedingte Bedeutung haben. Bei
der ungeheuren Ausdehnung des Schlachtfeldes, welche durch die neuesten
Foitschritte der Artillerie bedingt ist, ist es dem Oberbefehlshaber un-
möglich geworden, den Gang der Schlacht an allen Punkten unmittelbar
zu beobachten, die Truppenteile wie auf einem Schachbrette weiter zu
schieben und als Keile in schwächere Punkte der feindlichen Linie
hineinzutreiben. Und deshalb wird sich der Gang jeder Schlacht ver-
zögern.
Die Militärschriftsteller nehmen allgemein an, dass der Artilleriekampf
vor dem Angriffe sehr lange dauern wird, und für die Schlacht können
2 bis 4 Tage nötig sein.
Ueberlegenheit an Streitkräften als taktische Aufgabe. (339
So nimmt Professor Langlois^) an, dass in künftigen Schlachten
nicht weniger als 100 Schüsse in der Stande für eine Batterie nötig sein,
und dass an zwei Tagen zu je 8 Gefechtsstunden 1600 Schüsse für die
Batterie oder 267 für ein Geschütz herauskommen wilrden. Er giebt
sogar zu, dass, wenn die Schlacht 3 bis 4 Tage erfordert, der Verbrauch
an Ladungen 500 für ein ^Geschütz betragen könne und sagt, dass, wenn
auch aller Wahrscheinlichkeit nach der Kampf nicht zu diesem Extrem
gelangen werde, die einfache Vorsicht es doch fordere, dass die Batterie
in der Lage sei, 3000 Schüsse in 4 Gefechtstagen abzugeben.
In früheren Kriegen genügte es, nur einige Stunden lang über v««*««'-'»»»
, d68 6ailg68
überlegene Streitkräfte zu verfügen, um den Gegner zu vernichten. In künftiger
Zukunft wird es nicht so sein. Bei der langen Dauer der Schlacht und
ihrer möglichen Unterbrechung in den Nächten vsdrd der Schwächere
frische Unterstützungen heranziehen können. Der bekannte und sehr
geschätzte deutsche Schriftsteller Oberst Lieberts) führt folgenden Beweis
dafür, dass die Vervollkommnung der Waffen den Gang der Schlachten
verzögert, nicht beschleunigt hat. „Das Massieren grosser Truppen-
verbände zum Gewaltstoss ä la Napoleon ist nicht mehr durchführbar.
Selbst die Brigademassen der Oesterreicher zerschellten 1866 schon vor
dem Feuer des Zündnadelgewehrs. Bei dem Magazingewehr kleinen
Kalibers aber ist es unmöglich, dem Verteidiger mit geschlossenen Massen
entgegenzutreten, so lange er überhaupt noch Patronen besitzt. Man
baue auch nicht zu viel auf die Zerrüttung und Demoralisierung durch
das Gefecht. Seiner Haut wehrt sich jeder bis zum Aeussersten, so lange
er seine Wafle gebrauchen kann. Die Erfahrung des Winterfeldzugs
1870/71 hat gelehrt, dass auch den zusammengerafften und mangelhaft
ausgebildeten Mobilgarden nur höchst selten ein Vollsieg abzuringen war.
Für gewöhnlich wurden sie zwar aus einer Stellung verdrängt, setzten
sich aber schnell genug wieder irgendwo fest und mussten am folgenden
Tage von neuem angegriffen werden. Jeder neue Angriff muss ebenso
gut wie der erste durch Feuer vorbereitet und mit Feuer durchgefühlt
werden. Der blosse Befehl : Drauf! thut es nicht, sondern der betreffende
Truppenkörper muss genau in der richtigen Direktion angesetzt, er muss
der Lage entsprechend gegliedert und aufgelöst, das Feuer muss richtig
begonnen und geleitet, zum höchsten Maasse gesteigert und auf wirk-
samste Nähe herangetragen werden. Und erst wenn die Wirkung beim
Feinde sich bemerkbar macht, kann der letzte Anlauf gemacht werden."
') Langlois: „L'artillerie de campagne en liaison avec les autres armes",
Paris 189-2.
») Liebert: „Die Verwendung der Reserven in der Schlacht". „Militär-
Wochenblatt" 1895.
640 "^n. Taktik der Infanterie.
- ^ _
^""1^*/°"* Aber für dies alles wird viel Zeit erforderlich sein. Die Beispiele
Feidittge schneller Entscheidung einiger Schlachten in den Kriegen 1866 bis 1870
1866/70. ]j,^j^jjgj^ mc\ii als Beweise für die Zukunft gelten, weil die Kraft der
Feuerwaffen sich um mehrere Male vergrössert hat, und weil sich in
jenen Kriegen auf Seiten der Deutschen von den Gregnern nicht erwartete
Ueberlegenheit in diesen oder jenen Verhältnissen zeigte, die auf die
Energie dieser Gegner moralischen Einfluss hatte. Daher schreibt General
V. Janson^): „Das Charakteristische für die Feldzüge 1866 und 1870 war
auf deutscher Seite das allgemeine Streben nach vorwärts und die ausser-
ordentliche Initiative der Unterführer bis zum Kompagnieführer ein-
schliesslich, so weit gehend, dass eine Lockerung aller Verbände eintrat,
die bei einem Misslingen des Angriffs höchst verderblich werden musste.
Es trat auch eine beständige Neigung zur Umfassung des Gegners hervor;
die Folge waren ausgedehnte, dünne Fronten, die einem offensiveren
Gegner gegenüber gefährlich werden konnte". An anderer Stelle bemerkt
er femer: „Im Kriege 1870 überwogen Begegnungsgefechte (combats de
rencontre), bei denen leicht ein Uebergang des Verteidigers zur Offensive
eintreten kann, wofern derselbe nur einige Thätigkeit zeigt",
ueber- jm Uebrigeu wird, wie oben gezeigt ist, die wirkliche Ueberlegenheit
des der angreifenden Kräfte über die verteidigenden nicht durch das arith-
Angreife«. jnß|;igßjjß^ soudem durch das geometrische Verhältnis ihrer Kräfte be-
stimmt: der Angreifer kann eine sichere Ueberlegenheit an Kräften nur
in dem Falle haben, wenn sein Truppenbestand zwei- und di*eifach den
des Verteidigers übertrifft.
13. Zerstörung von Schanzen durch die Thätigkeit
der Mörser.
ver- Der Verteidiger schüttet ohne Schwierigkeit nicht nur Deckungen
dee auf, die zur Verteidigung gegen Gewehrfeuer genügen, sondern auch
Verteidige«, g^i^j^^ Schauzcu, die weder Shrapnels noch die gewöhnlichen Granat-
splitter durchschlagen können,
oeechoase Um gcgcu eiueu hinter solchen Schanzen befindlichen Verteidiger
Angreifers. ZU opeiiereu, wird die Feldartillerie Granaten mit verstärkter Ladung
anwenden, bei deren Explosion die Splitter unter einem beträchtlichen
Winkel vom Boden zurückgeworfen werden und den Verteidiger über die
Schanzen hinweg treffen können.
*) General v. Janson: ^T^iQ Entwickelung unserer Infanterie-Taktik seit
unseren letzten Kriegen". „Militär- Wochenblatt" 1895.
ZerstÖrong von Schanzen durch Mörser. g41
üeberdies sind speziell zur Operation gegen Schanzen in allen ^*"^-
europäischen Armeen leicht transportierbare Mörser von sehr grosser
Wirkung eingeführt. Deren Geschosse können bisweilen den Verteidiger
zwingen, die Schanze zu verlassen, ohne den Infanterie-Angriff abzu-
warten.
In der That hat der Versach gelehrt, dass eine Mörserbatterie, die wirbmg
ddf
100 Sprenggranaten auf 1700 Meter in die Schanzen geworfen hatte, eine M«ra«r.
Seite einer Schanze vollkommen zerstört hat, und natürlich würde die
Infanterie gezwungen sein, sie zu verlassen, bevor dieses Resultat
erreicht wäi*e. Aber die Technik ist noch weiter vorgeschritten. Es
wurden Versuche mit Geschossen angestellt, die mit Ekrasit geladen
waren; beim Schiessen damit auf Pallisaden in der Breite von Gliedern
zu 100, 250 und 600 Mann aaf 300, 750 und 1000 Meter Entfernung zeigte
es sich, dass kein Mann im Gliede unverletzt geblieben wäre.^)
E^ ist zweifellos, dass die Anwendung von Mörsern mit solchen
Ladungen die Zahl der Verluste erhöht, aber wenn man gleiche Bewafi-
nung und gleichen Mut auf beiden Seiten voraussetzt, so muss man zu-
geben, dass auch die Verteidigung ebensolche Mörser und Haubitzen be-
sitzen und sie ebenso erfolgreich benutzen wird, so dass zwischen den
Mörserbatterien beider Seiten ein Zweikampf stattfinden wird.
Man muss erwägen, dass es leichter ist, einen Wall an beliebiger sckwierig-
Stelle aufzuschütten als eine Mörserbatterie, deren es überhaupt wenige \n äw ab-
giebt, heranzuführen, und dass eine an einer Stelle zerstörte Schanze an alMiSSr.
anderer erneuert werden kann. Üeberdies vermögen die Feldmörser nach
Aussage des Generals Wille^) nicht weiter als drei Kilometer zu tragen,
und daher können sie bei der Tragweite der jetzigen, gewöhnlichen Ge-
schütze auf diese Nähe nicht herangeführt werden.
Schliesslich sind die Mörsergeschosse so schwer, dass eine Batterie
nur eine begrenzte Anzahl davon haben kann, und die Verteidigung wird
sich natürlich eine Stellung wählen, an die es schwierig ist eine grössere
Menge solcher Geschosse heranzubringen.
Wir wollen annähenid die Geschossmenge berechnen, welche zur z^
erfolgreichen Beschiessung von Erdaufschüttungen nötig wäre. Zur Zer- * ~"*
Störung einer Brustwehr von 3,66 Meter Kammbreite und 2,16 Meter Höhe
auf 1100 Meter Entfernung sind 10 Geschosse für 1 Meter Länge er-
forderiich. Aber auf dem Schlachtfelde ist es schon schwer, sich dem
Damme auf 1500 Meter zu nähern, da, abgesehen von der Wirkung der
Schnellfeuer- und Feldgeschütze der Verteidigung, das Infanteriefeuer
*) Witte in „Löbeirs Jahresberichten**.
') WiUe: „l^as kommende Feldgeschütz**.
Bloch, D«T uMBfUge Kriflf. 41
642 Vn. Taktik der Infanterie.
allein dem hinderlich ist. Ueberdies ist bei den mit Ekrasit geladenen
Geschossen die Zielsicherheit geringer als bei den gewöhnlithen Granaten,
so dass man statt der genannten 10 Geschosse anf 1 Meiter Länge 15 und
wsArscheinlich noch mehr aiinehinen muss.
Folgerung. Daher leuchtet ein, dass zu irgend welcher Beschädigung einer
Sclianze die ganze Geschossmenge nötig sein wird, die bei den Batterien
des ganzen Korps vorhanden ist, und bei alledem kann die Schanze noch
so stark bleiben, dass die feindliche Infanterie sie von neuem, wenn es
möglich ist, besetzen kann. Man kann daher annehmen, dass Ekrasit-
geschosse zur Beschiessung von Erdwerken in der Schlacht nicht zu ver-
wenden sind.«)
onaaten. Was die gewöhnlichen Granaten betrifft, so können sie zwar auf
weite Entfernungen verfeuert werden, aber erst nach sorgfaltigem
Einschiessen, das Zeit erfordert. Dazu kommt, dass diese Granaten von
schwacher Wirkung in die Tiefe sind und, wie die deutsche Felddienst-
Ordnung anerkennt, ohne genaues Einschiessen nicht auf die Schanzen
treffen, d. h. die verlangte Wirkung nicht haben. Aber das Einschiessen
ist um so schwieriger, je grösser die Entfernung ist, und in jedem Falle
kann die Verteidigung, wofern sie nur Zeit dazu hat, leicht neue Wälle
aufwerfen, wenn auch nur zur Deckung für liegende Schützen.
Beispiele Dcu bcstcu Bcwcis dafür, dass Erdbefestigungen trotz der Vervoll-
Bedentmg kommuuug der Artillerie ihre sehr grosse Bedeutung bewahrt haben, liat
Erdwerti- <Me Belagerung von Plewna erbracht. Plewna war ursprünglich gar keine
gangea. Festuug odcr bcfestigtc Stadt, sondern einfach eine von Natur starke
Stellung, die Osman Pascha ausgewählt hatte. Aber durch schnelle Auf-
führung starker Werke wurde Plewna in ein befestigtes Lager verwandelt,
in welchem sich die 60000 Mann starke türkische Armee mit 100 Ge-
schützen 41/3 Monate lang gegen die russische Armee hielt, welche sich
bis auf 110000 Mann belief mit 600 Geschützen, unter denen sich eine
grosse Zahl Belagerungsgeschütze befand.
Bei den jetzigen Mitteln wird es sehr leicht sein, Befestigungen wie
die von Plewna aufzuführen, und zugleich würden zu ihrer Zerstörung
zahlreiche Mörserbatterieen nötig sein.
Besonders haben im Jahre 1877 die Schanzen grosse Vorteile ge-
bracht, und zwar nicht nur den türkischen, sondern auch den rassischen
Truppen. So konnten die Türken ungeachtet ihrer Ueberlegenheit an
Streitkräften die Russen nicht vom Schipka vertreiben. Wenn man aber
') „Revue de rannte belge^. A. Janotte: „i^Stude concemant rinflaence
des engins nouveaux sur le champ de bataille^.
Umfassung statt Frontangriffs. g43
annimmt, d^ss die Mörser mit ihrem Feuer Breschen in die Yerteidigangs-
werke schiessen und den angreifenden Truppen ermöglichen werden, näher
heranzukommen, so braucht man gleichwohl das Gefecht noch nicht füi*
entschieden zu halten. Sobald das Feuer der Artillerie aufhört, damit
die Infanterie zum Angriff schreiten kann, wird der Gegner in die
Stellungen zurückkelu-en, aus denen er schon vertrieben war, und kann,
hinter den übrig gebliebenen Erdhaufen sich deckend, den Angiiff
zurückschlagen.
General Skugarewski*) macht darauf aufmerksam, dass die russischen weitere
Truppen trotz vierfacher üeberzahl und verzweifelter Tapferkeit lange
nicht im Stande waren, in die Bedoute Dubnjak einzudringen, obgleich sie
stellenweise auf 100 Schritt herankamen. Bei der Mehrzahl der vergeb-
lichen Angriffe bei Plewna gelang es den russischen Truppen, wenn auch
mit grossen Verlusten bis auf Bajonnetnähe heranzukommen; Beispiele
von der Ueberschreitung dieser Linie gehören zu den Seltenheiten.
.14. Umfassung statt Frontangriffs.
Zur Vermeidung von Frontangriften, die zu teuer zu stehen kommen,
dient die Umfassung der Stellung in den Flanken oder der Flanken-
angriff.
Flankenumgehungen haben eine grosse moralische Wirkung. „Drei Momiische
Soldaten im Rücken des Feindes gelten so viel als fünfzig vor der Front",
hat Friedrich II. gesagt. Nach Marschall Bugeaud ist „der menschliche
J'erstand so veranlagt, dass ihn im Kriege eine Gefahr in der Flanke
melir beunruhigt, als zehn vor der Front." Der preussische General
Verdy du Vernois, ein bekannter Militärschriftsteller, drückt sich über
die Bedeutung von Flankenumgehungen in der jetzigen Taktik folgender-
maassen aus: „Der Frontangrifi auf eine gute, von Infanterie besetzte
Stellung bietet heutzutage wenig Aussicht auf Erfolg, Wenn er nicht in
genügendem Maasse von der Artillerie vorbereitet und unterstützt ist,
selbst eine sehr grosse Ueberlegenheit an Zahl sichert keinen Erfolg."
Man muss daher immer, wenn möglich, bei einem Frontangriffe zugleich
die Flanken des Gegners bedrohen. Nur ein Ausnahmefall könnte die
Führung des Angriffs bloss auf einer Front rechtfertigen, i)
•) nAngriffe der Infanterie."
') General Bernard: „Tactique et Strategie", Paris 1894.
41
644
Vn. Taktik der In&nterie.
Um zn berechnen, in welchem Grade das genannte Mittel den
Charakter eines zukünftigen Krieges beeinflossen kann, mössen wir für
den Leser einige Vorbemerkungen machen.
Der Flankenangriff kann unmittelbar sein, nnd in diesem Falle
heisst er Seiten- oder Flankenangriff im engeren Sinne; oder er kann
umfassend, den Ge^er einschliessend sein, wenn dessen beide Teile
umgangen werden, um ihn im RUcken zu fassen. Die letztere Art ver-
langt ein sehr grosses Uebergewicht von Kräften, welches beide Flügel
des Gegners zu umfassen gestattet. Soll aber die Umfassung gelingen,
so sind günstige Verhältnisse erforderlich, z. B, wenn die Umfassnng
anter dem Schutze natürlicher Deckungen ausgeführt werden kann, da-
mit der umfassende Angreifer nicht seine eigene Flanke einem sie be-
streichenden Feuer seitens der Verteidigung aoäsetze, oder wenn die Zahl
des Angreifers der der Verteidigungsstellung so überlegen ist, dass er
eine Schützenlinie vor derselben zurücklassen nnd mit den übrigen
Teilen sie umfassen kann. Dies gelang auch den Deutschen im Jahre 1870
durch ihre dreifache Ueberlegenlieit über die französischen Streitkräfte.
Es ist klar, dass die die Flanke umgehenden Angreifer auf die Verteidiger
ein Flankenfeuer, sogar geradezu ein Enfllierfener eröffnen können,
welches furchtbare Wirkung hat.
Feaer Hnkncbt ar Linis.
Verschiedene Neigungen des Gewehrfeners.
TJmfassunig statt Frontangriffs. g45
Die Erfahrung lehrt, dass, wenn das Feuer auf feindliche Linien im T^^'^"!^****
des Fiftnken-
Winkel von 45 Grad abgegeben wird, seine Wirkung in mehr als fenem.
doppeltem Verhältnis, und zwar von 3 zu 7, zunimmt. Und je grösser
diese Neigung ist, je schräger die Richtung des Feuers auf die Reihen
bei genügender Tiefe ist, um so grösser wird die Wirksamkeit des Feuers
sein. Das Maximum dieser Wirksamkeit wird bei Flanken-, Enfilier-
feuer erreicht, wo die Schüsse längs der Linie des Gegners streichen,
wobei die Treftfläche der Front seiner Linie gleich ist. Dies stellen
nebenstehende Grundrisse dar.
Das Enfilierfeuer (Längsbestreichungsfeuer) haben die Truppen
immer am meisten gefürchtet, und es ist klar, je besser die jetzigen
Waffen, um so furchtbarer ist die Wirkung dieses Feuers. Aber schliess-
lich wird jede Umfassung wieder zum Frontangrifl ; der Feind ändert die
Front, und die umfassenden Truppen des Angreifers müssen in der be-
kannten Art mit ofienen Sprüngen oder mit versteckter Annäherung an-
greifen.
Uebrigens sind die Bedingungen für die Umfassung in Zukunft ^"J*JJ[J®°"
schon weniger günstig als im Jahre 1870. Darüber sagt v. d. Goltz: 2) in zakunft.
„Im Jahre 1870 entschied den Sieg oft der Flankenangriff eines relativ
schwachen Detachements der Angriflsarmee. Aber in Zukunft wird sich
dies schwerlich wiederholen, weil der Verteidiger im Hinblick auf die
Beispiele von 1870 sich bemühen wird, seine Flügel zu verstärken und
die Flanken zu sichern, indem er die Reserven hierfür verständig be-
nutzt. Es wäre unnütz zu berechnen, dass es auch in Zukunft bei der
umfassenden Bewegung möglich sein wird, beim Gegner eine schmale
und schwache Front zu finden, so dass allmählich die ganze feindliche
Gefechtslinie vernichtet werden könnte. Aller Wahrscheinlichkeit nach
werden die Flanken so stark gemacht werden, dass bei der Umfassung
an ihnen selbst eine Art Frontgefecht sich entwickeln wird. Aber man
muss sagen, dass auch in diesem Falle für den Verteidiger eine Un-
bequemlichkeit bleiben wird: er wii-d auf nicht rechtzeitig vorbereitetem
Boden kämpfen und von fernher geeignete Streitkräfte zusammenziehen
müssen. Auf Seiten des Angreifers wird gleichwohl der Vorzug der
Initiative, der Entschlossenheit sein, aber den Angriff auf beide Flügel
des Feindes und auf seine Flanken wird der Angreifer nicht mit kleineren
Abteilungen, sondern mit den Hauptkräften führen müssen. Fi'üher ge-
nügte zur Umfassung ein Korps, auch ein halbes, während drei bis fünf
Korps den Verteidiger in der Front angriffen. In Zukunft dagegen wird
») „Das Volk in Waffen."
646 ^VTI. Taktik der Infanterie.
mau die Hauptkräfte zur Umfassuug verwenden müssen, und nur der
übrige Teil der angreifenden Truppen wird vor der Verteidigungsfront
bleiben. Die Wichtigkeit der einen wie der anderen Aufgabe hat sich
geändert." Aber aus diesen Woi-ten des deutschen Schriftstellers geht
schon hervor, wie gross zur Umfassung der Flügel und zur Umzingelung
des Verteidigers die Ueberlegenheit der Angriffskräfte sein muss.
surke Die Flankenstellung erhält wie überhaupt jede andere und auch
Stellung!" eine ganze Festung ihre Bedeutung nicht durch ihre Stärke allein, sondern
vor allem durch die ihr innewohnende, lebendige Kraft: eine ausreichende
Besatzung und verständige Leitung der Verteidigung. Wenn also eine
Flankenstellung nur mit schwachen oder wenig ausgebildeten Truppen
besetzt ist, so kann der Angreifer zum Schutze seiner Verbindungen nur
einen Teil seiner Truppen vor der Stellung belassen und mit den übrigen
seinen Vormarsch auf das Hauptziel seines Angriffs fortsetzen. Wir
fuhren zwei Beispiele an. Im Jahre 1866 gingen die preussischen Haupt-
kräfte vor, nachdem sie nur ein Beobachtungsdetachement gegen die
zweit« österreichische Armee abgesondert hatten, welche vorher nach
Olmütz zuiiickgegangen war. Im Kriege 1870 beachtete Prinz Friedrich
Karl, welcher mit der zweiten Armee die französischen Streitkräfte west-
lich auf Le Maus zu verfolgte, die französische Division Gurten nicht,
welche bei St. Amand in seiner linken Flanke, ja fast im Rücken er-
schienen war. 3)
Folgerung. Es ist daher notwendig, dass der Verteidiger in einer Flanken-
stellung durchaus selbst so viel Offensivkraft besitzt, um einen fühl-
baren Stoss gegen die vom Feinde unternommene Flankenumfassung zu
führen.
^Vit"* ^* ^^^ ^^ einem künftigen Kriege auf beiden Seiten gleich grosse
des Flanken- Streitkräfte annehmen kann und überhaupt alle neuen Verhältnisse der
• gm
an»" •• Xriegsführung eher der Verteidigung zu gut kommen, so wird es nicht
schwer sein, Flankenumfassungen zu paralysieren. Die heutigen Massen-
armeen können sich nicht zu weit von den Eisenbahnen entfernen, und
deshalb ist ihre Bewegung leichter vorauszusehen. Wählend der An-
greifer die nicht mehr grosse Freiheit in der Wahl der Richtung benutzt,
muss er in dieser Zeit noch mehr als früher für die Deckung seiner Ver-
bindungen Sorge tragen. Wie schon an anderer Stelle erwähnt, wurden
1870 zur Deckung der deutschen Armee im Rücken bis 145 712 Mann mit
B946 Pferden und 80 Geschützen verwandt. Der Verteidiger braucht
viel weniger.
') Bigge: „Feldmarschall Graf Moltkes Ansichten über Flankenstellungen**,
„Militär- Wochenblatt" 1895.
Umfassung statt FrontangrifTs. ß47
Wir führen noch andere Bedenken gegen das Gelingen von Flanken- weiter»
Bedenken.
nmfassnngen in künftigen Kriegen an. Bigge^) bemerkt, dass Napoleon
in den Feldzugen 1800, 1806 und 1806 bereits die ersten Streitkräfte
seines allgemeinen Aofmarsches in die Flanke des Gegners verlegen
konnte, so dass bei dem folgenden Haupt-Vormarsch die Verbindungen
der Verteidiger schon in seinen Händen waren nnd der erste Zusammen-
stoss zu einem Ulm oder Jena führte. Heutzutage wird dies nur selten
mehr möglich sein. Da beide Teile alle ihre Eisenbahnen zum Aufmarsch
benutzen, so wird der strategische Aufmai'sch beider Armeen durchaus
frontal erfolgen, und ein erhebliches üebergewicht an irgend einem
Punkte wird wenig wahrscheinlich sein.
Dazu kommt, dass zur Zeit Napoleons die Eonzentrierung der Armeen Auftnancb
def
durch Märsche erfolgte, wobei Zeit genug vorhanden war, den Aufmarsch Armeen,
des Gegners zu erkennen und die eigene Konzentrationslinie in dessen
Flanke zu verlegen. Heutzutage aber verbietet die Schnelligkeit, mit
der die Mobilmachung vollzogen wird, und der Aufmarsch selbst, letzteren
mehr oder weniger nach Gutdünken vorzunehmen, er muss auf dem Plane
fertig gestellt werden, der schon in Friedenszeit genau ausgearbeitet ist,
und nur mit Schwierigkeit könnte man ihn ändern, selbst wenn der Gegner
seine Flanke bieten sollte.
Erst nach Beendigung des Aufmarsches, bei den weiteren Opej^ationen, ^'««»jcfckeJt
können natürlich Fälle eintreten, wo ein zufaDiges Üebergewicht an einem umfaMung.
Punkte den Gegner in der Flanke zu fassen gestattet. „Das Manöver,"
fährt derselbe Schriftsteller fort, „mit welchem Napoleon seine Feldzüge
zu eröffnen pflegte, wird sich heute erst nach den ersten Zusammen-
stössen entwickeln. Wir können nicht mehr gleich mit einem Ulm oder
Jena beginnen, aber wir können vielleicht nach einem Wörth und Spichem
unsere Operationslinie so wählen, dass \\1r den Gegner zu einem Gravelotte
zwingen."
In jedem Falle wird die Möglichkeit für Flankenumfassungen schon K»«*wenuig
durch die Massenhaftigkeit der jetzigen Heere und die Ausdehnung des
von ihnen eingenommenen Raumes erschwert. Solche Umfassungen kann
man nur ausführen, wenn sie zußillig gelegen kommen, aber künstlich
darf man sie besonders deswegen nicht vorbereiten, weil bei den ge-
waltigen Massen der Armeen der Operationsplan vereinfacht werden muss
und komplizierte, gekünstelte Kombinationen dem schaden können, der
sie anwenden würde.
^) Bjgge: „Feldmarschall Graf Moltkes Ansichten über Flankenstellungon*^,
„Militär-Wochenblatt** 1895.
048 ^^^ Taktik der Infanterie.
Erforder- gg igt hiiizuzufügen, dass eine Flankenbewegang, die gewöhnlich
darauf berechnet ist, dem Gegner in der Besetzung einer Stellung zuvor-
zukommen, besonders gut ausgebildete Truppen und die Voraussicht aller
Chancen bei möglichst rascher Ausführung des Unternehmens erfordert,
das in jedem Falle gefahrlich ist. Daher entsprechen derartige Bewegungen
nicht der Zusammensetzung der jetzigen Armeen, in denen Ve Ersatz- und
Reserveleute sind.
DeMrtiooen. jg häufiger Märschc unternommen und die Truppen zerstreut werden,
um so mehr werden einzelne Leute und auch ganze Abteilungen dem Gefecht
aus dem Wege und bei Seite gehen. Im Jahre 1870 gab es besonders
viele in der deutschen Armee (den Landwehrtruppen), die eigenmächtig
die Glieder verliessen, wie dies auch der offizielle Bericht zugiebt („Euss.
Jnval." 1892, No. 262).
Weitere Ausserdem wird ein künftiger Krieg ein Kampf hinter befestigten
keiteiu Stellungen sein, welche überall aus der Erde herauswachsen werden, wo
nur Punkte strategisch dazu tauglich sind. Und da die beweglichen
Abteilungen der Infanterie, Kavallerie und Artillerie sich iingsherum auf
bedeutendem Räume zerstreuen werden, Verbindungswege und Zufuhr
abschneidend, so wird jede Waffenthat gehemmt werden. Es ist noch
zu bemerken, dass die Zufuhr von Munition zur Eroberung von Schanzen
und Befestigungen und die Herbeischaffung von Proviant für die grossen
Armeen schwierig sein wird. Hunger wird der beständige Begleiter der
Heere sein, und da das französische Sprichwort gilt: „Ventre affamä i
point d'oreilles", so wird der Verfall der Disziplin Desoi*ganisation zur
Folge haben. Man darf femer nicht vergessen, dass bei der Erregbarkeit
und Nervosität, mit der das jetzige Geschlecht behaftet ist und welche
sich im Kriege gewöhnlich noch steigert, jedes schlechte Beispiel eines
wenn auch nur kleinen Teils der Mannschaften sehr verderblich auf den
Erfolg des Krieges wirkt.
Meraiieehe Schou Proudhou hat gesagt: „Der Soldat, der fürs Vaterland in den
or eniiig. j^^j^^p^ zieht, muss sich über sich selbst nicht allein durch Energie und
Tapferkeit, sondern auch durch Tugenden bis zur Heiligkeit erheben."*)
Aber man darf fragen : Welchen Grund soll man dafür annehmen, dass
die heutigen Heere gerade aus solchen Soldaten bestehen werden?
Ettokbuck. Um das oben Gesagte kurz zu wiederholen, so werden Flanken-
operationen auch in Zukunft möglich sein, aber nur da, wo die Gestaltung
der Oertlichkeit und andere Umstände ihnen günstig sind, im allgemeinen
^) Dieses Zitat entnehmen wir der Schrift des Generals Jung: „La guerre
et la soci^tö**.
Nachtgefeohte, 649
jedoch können sie nur in besonderen Fällen eintreten. Am ehesten kann
man sie sich in der Gestalt vorstellen, dass die Verteidigung im Hinblick
auf die zn sehr ausgedehnte Linie des Angreifers und im Vertrauen auf
die Zuverlässigkeit ihi'er Stellung selbst ihre Front verlängert, indem sie
ihre Flanken verstärkt und sie vorn umbiegt, um die Flügel des An-
greiters zu bedrohen. Für die angreifende Seite aber wird der Front-
angriff die allgemeine Eegel sein.
1 5. Nachtgefechte.
In Rücksicht auf die ungeheuren Opfer, von denen bei den heutigen Begründung.
Kampfmitteln der Angriff begleitet sein muss, ist der Gredanke entstanden,
den Gegner bei Nacht zu überfallen, wie es in den Kriegen des Mittel-
alters nicht selten der Fall war.
Die einen MUitärschriftsteller nehmen an, dass es Nachts möglich Möglichkeit.
sein wird, sich mit viel geringeren Verlusten dem Gegner zu nähern, so
dass dieser am nächsten Morgen eine Armee vor sich sieht, der es ge-
lungen ist, sich in neuen Stellungen zu verschanzen. Andere halten es
für möglich, den Angriff selbst bei Nacht oder beim Morgengrauen durch-
zuführen, zum mindesten auf einzelne befestigte Punkte der feind-
lichen Linie.
In beiden Vermuthungen liegt ein und derselbe Gedanke, nämlich
die volle Kraft des Feuers zu vermeiden, über das der Gegner beim
Tageslicht verfügen wird.
Nachtgefechte werden wir in dem Kapitel erwähnen, welches dem Bedoukeu.
Gang der Schlachten überhaupt gewidmet ist und die Ueberschrift „Auf
dem Schlachtfelde" trägt. Hier wollen wir uns nur auf die Erfahrung
beziehen, dass nächtliche Bewegungen mit sehr bedeutenden Unbequem-
lichkeiten verknüpft sind, so dass in Deutschland die Zahl ihrer Anhänger
nicht zu-, sondern abnimmt.^)
Bei der grossen Menge der Truppenbestände ist der nächtliche An- Pantk
griff ungelegen, da alles Verwirrung und desto eher eine Panik in irgend
welchen Truppenteilen und infolge dessen Unordnung hervoiTufen kann.
Man verweist auf den Fall, wo im Jahre 1866 auf dem Marsch der
Kavallerie-Division des Fürsten zu Thurn und Taxis zwischen Fulda und
Bischofsheim Nachts einige Schüsse vernommen wurden, die von Wilderern
herrührten. Als sie diese unvermuteten Schüsse hörten, setzten sich
0 LöbeU's „Militärische Jahresberichte'' 1894.
650 ^^' Taktik der Infanterie.
einige Abteilungen in Galopp und legten mehrere Kilometer in eiligster
Bewegung zurück, bis sie Würzburg erreichten.
Eiektiische i^rj allgemeinen kann man schwerlich zugeben, dass nächtliche
UeberfäUe in Zukunft zu entscheidenden Resultaten führen können. Es
wird freilich vorgeschlagen, das Schlachtfeld elektrisch zu beleuchten.
Aber dieses Mittel zeigt sich wiederum als einer jener Faktoren, welche
mehr der Verteidigung als dem Angriff zum Vorteil gereichen. Bei den
im Jahre 1881 in Spanien angestellten nächtlichen Schiessversuchen mit
elektrischer Beleuchtung ergaben sich ' folgende Resultate. Als Ziele
dienten beleuchtete Schilde, welche Infanteriekolonnen darstellten; das
Feuer erfolgte von 3 Batterien und 2 Schützenkompagnien auf 9000 Meter
(ungefähr 3 Werst) und nach einzelnen Figuren auf 1600 Meter (ungefahi-
IV2 W^erst).
Vorteile jjg ergab sich, dass das Feuer der Geschütze vollkommen genügend
für den »-* / « t»
Verteidiger, war, aber das der Infanterie nur auf geringere Entfernungen genügte.^)
Da aber die Entfernungen vor der Stellung des Verteidigers vorher aus-
gemessen und eingeschossen sind, so ist der Vorteil augenscheinlich auf
seiner Seite. Ein zweiter Vorzug für ihn liegt darin, dass er mit seinem
Lichte den Gegner blendet und das Resultat seines Feuers auf 1600 Meter
wird sehen können. Und, wie oben gesagt ist, kann der Angriff auch
bei dieser Annäherung noch leicht abgeschlagen werden.
die
Infanterie.
16. Schlussfolgerungen.
we Aus dem Vorhergehenden kann man ersehen, dass die Endresultate
eaeniogen ^y^^ erfolgtcu Abänderungen unvergleichlich wichtiger für den Kampf
Ji^t?g**ftr ^^^ Infanterie als für den der Kavallerie und Artillerie sind.
Wir haben gesehen, dass die Vervollkommnung des Gewehres mit
unglaublicher Schnelligkeit erfolgt ist. In früherer Zeit erfolgte die Ab-
änderung der Bewaffnung nach hundert Jahren, darauf nach mehreren
Jahrzehnten, gegenwärtig jedoch sind in Frankreich im Laufe der letzten
35 Jahre vier Aenderungen in der Bewaffnung vorgenommen worden. Nach
dem fast einstimmigen Zeugnis kompetenter Personen können aber alle
Verbesserungen der Bewaffnung, die im Laufe von fünf Jahrhunderten, d. h.
seit der Erfindung des Schiesspulvers, erfolgt sind, hinsichtlich ihrer Be-
») Hoenig: „Die Taktik der Zukunft**.
Schlussfolgerungen .
651
deutung nicht mit denen verglichen werden, die seit der Zeit des letzten
Krieges eingetreten sind. Wir wollen hier einige Zahlen anführen, die
einen Begrifl von den Vervollkommnungen, die seit der Zeit der beiden
letzten Kriege in den Jahren 1870 und 1877 erzielt worden sind, angeben,
indem wir den Wert der kleinkalibrigen Gewehre im Vergleich zu den
früheren in Prozentsätzen veranschaulichen:
Twiff Selian. Durch- Veryoll-
▼erhiltite SchlÄgweite Ziel weile Tragweite gebiielligkelt'^^ijj^,^®' komninniig
"*"* des
Das deutsche klein-
kalibrige Gewehr im
Vergleich zum Per-
kussionsgewehr . . .
Das russische Gewehr
von 3 Linien im Ver-
gleich zum Berdan-
gewehr
nach Potocki ....
nach Michnewitsch . .
nach Jurogin bei einer
Trefifweite von 600 m .
ö/o
«/o
o/o
%
o/o
Kugel
o/o
- 380
416
300
300
300
100
160
60
300
20
40
200
300
461 — —
Der bekannte Spezialist Professor Hebler hat einen Vergleich
zwischen den verschiedenen neuesten Gewehrgattungen angestellt und
ihn in Zahlenverhältnissen veranschaulicht, indem er dabei den Wert des
Mausergewehres von 11 mm Durchmesser vom Jahre 1871 mit 100 be-
zeichnete. Hierbei ergab sich als relativer Wert der Gewehre, welche
Ende 1893 zur Ausrüstung gehörten;
in Spanien . .
in Belgien . .
in der Türkei .
in Russland
in Deutschland
in England . .
in der Schweiz
in Frankreich .
Kaliber
n
n
«
n
n
n
n
7
mm
B80
7,6
n
616
7,6
n
616
7,6
n
461
7,9
n
474
7,7
tt
469
7,5
n
467
8,0
n
433
Somit war im Herbst 1893 das spanische Gewehr das beste und
bleibt es bis dato.
In einer anderen von demselben Autor zusammengestellten Tabelle
des Wertes von Gewehren ist dieser in folgender Uebersicht an-
geordnet:
Sehieas-
gawehres.
652 Vn. Taktik der Infanterie.
Kaliber 11 mm (schwarzes Pulver) . 90— 100
8 „ (rauchloses Pulver) . 400— 500
7,6 „ „ „ . . 500— 600
6,0 „ „ „ . . 900—1000
6,5 „ „ „ . . 1100— 1200
5 „ „ „ . . 1300—1400
Der relative Wert der neuen 5 mm im Durchmesser haltenden
hohlen Kugel Heblers wird durch die Zahl 4,020 veranschaulicht, (was
jedoch noch nicht erwiesen ist). Ebenso spricht das Gewicht der Patronen
zu Gunsten des kleinen Kalibers: bei einem Kaliber von 11 mm wiegt
die Patrone 43 Gr., bei einem von 8 mm 29 Gr., bei einem von 6,6 mm
22 Gr. Auf Grund seiner Berechnungen äussert Professor Hebler die
Ansicht, dass kein Staat hinsichtlich der Verringerung des Kalibers
weiter gehen dürfe. In Wirklichkeit jedoch sehen wir, dass das Kaliber
sich immer mehr und mehr verringert. Nur Frankreich, Oesterreich und
Dänemark haben noch Gewehre von einem Kaliber von 8 mm, Brasilien,
(Mle und Mexiko haben das Magazingewehr, System Mauser, mit einem
Kaliber von 7 mm angenommen. Zu einem Kaliber von 6,6 mm haben
sich Italien, Holland, Norwegen, Rumänien und Schweden entschlossen.
Nach den neuesten Nachrichten wird auch demnächst in Frankreich ein
Gewehr mit einem Kaliber von 6,6 mm eingeführt werden; in den Ver-
einigten Staaten ist für die Flotte bereits ein Kaliber von 6,94 mm an-
genommen worden. Somit ist in Europa das Kaliber von 6,6 mm gegen-
wärtig das kleinste. Wird sich das Kaliber noch weiter verringern?
Ein hervorragender Kriegsschriftsteller, General-Major Wille, äussert
die Ansicht, dass ein baldiger Uebergang zu einem Kaliber von 6 mm
möglich sei. Ebenso muss man nach dem Gutachten anderer Spezialisten
ein Magazingewehr mit einem Kaliber von 6 mm für das beste Kriegs-
gewehr der Zukunft erachten, da ein solches Gewehr dasjenige mit einem
Kaliber von 8 mm 2,8 mal übertrifft. Wie man versichert, haben Ver-
suche mit Gewehren mit einem Kaliber von 6 mm erwiesen, dass sie
grosse Vorzüge im Vergleich mit Gewehren von 6,7 oder 8 mm haben;
man behauptet, dass die Kugel eines Gewehres mit einem Kaliber von
6 mm eine Strecke von 6(X)0 m durchfliegt und in einer Entfernung von
5000 m ein Pferd durchbohren kann. Nach anderen Angaben ist es er-
wiesen, dass das Magazingewehr der Vereinigten Staaten von Nord-
Amerika mit einem Kaliber von 6 mm auf eine Entfernung von 6490 m
einen Menschen, auf eine Entfernung von 4570 m jedoch 2—3 Menschen
durchbohi't und noch auf eine Entfernung von 1830 m TreflFwahrschein-
lichkeit gewährt; das Ziel für ein solches Gewehr wird bis zu einer
Scblussfolgerungen. g53
Entfernung von 2286 m aufgestellt; die seitliche Deklination der Kugel
beträgt in einer Entfernung von 1800 m nur 30 Zoll; die Ordinaten
der Trajektion gehen bis zu einem Abstand von 550 m nicht über
Mannshöhe ; die Schussschnelligkeit solcher Gewehre niuss eine ungeheure
sein, da man mit ihm in 3 Minuten 5 Zielschüsse abgeben kann.^)
In voller Uebereinstimmung mit diesen Angaben stehen die Berichte
über die Versuche mit Gewehren von 5 mm Kaliber, die man in Oester-
reich schon längst angestellt hat und die auch die Vorzüglichkeit dieses
Kalibers voll bestätigen. Die Zahl der Patronen, welche ein Soldat mit
sich aufs Schlachtfeld nimmt, ist verschieden; der Amerikaner trägt 200,
der Italiener 162, der Deutsche, der Russe, der Schweizer je 150, der
Franzose 120, der Engländer 116 und der Oesterreicher 100 Patronen bei
sich. Die Schassgeschwindigkeit der alten und neuen Gewehre ver-
anschaulicht folgende Tabelle:
Handgriffe Zielschüsse
beim Laden in der Minute
Feuerstein- und altes Perkussionsgewehr 12 2
Zündnadelgewehr 6 6
Chassepot 4 10
Mausergewehi* 3 12
Altes Magazingewehr — 12—16
Neues Magazingewehr 3 26
„ „ 3 50 Schüsse ohne zu
zielen.
Indessen äussern Techniker von höchster Autorität, dass auch diese dm neneete
neuen Gewehre, welche gegenwärtig in den europäischen Armeen ein- mr scw^
geführt werden, schon veraltet sind und dass die Zukunft den Gewehren «^^""^^
gehört, die aus einer Legierung von Aluminium gegossen sind, und
ausserdem den automatischen Gewehren, d. h. solchen, mit denen man
mehrere Schüsse abgeben kann, ohne die Flinte zum Laden von der
Schulter zu nehmen, sowie ohne Zeitverlust und ohne Anstrengung
beim Laden.
Und dieses Problem kann, wie wir bereits erwähnten, für schon
völlig gelöst angesehen werden. Zu dieser Gattung von Gewehren muss
man auch Maxims Kartätschen - Gewehr rechnen, das in den Kriegen der
Zukunft namentlich bei der Verteidigung befestigter Positionen eine
grosse Rolle spielen könnte. Es besteht aus einem Flintenlauf von
gleichem Kaliber, wie das zur Ausrüstung gehörige Feldgewehr; dabei
0 Dr. Rudolph Köhler: „Die modernen Kriegswaffen*^. Berlin 1897.
g54 ^^' Taktik der Infanterie.
wiegt es nicht mehr als 10 Kilogramm und ein einzelner Mann kann es
bedienen und sammt der Lafette transportieren. Es hat auch hinsichtlich
der Schnelligkeit der Schussabgabe einen bedeutenden Vorzug im Vergleich
zum Feldgewehr. Auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896 war von
der Löweschen Fabrik ein sogenanntes Poulemette von Maxim ausgestellt,
aus dem man mit der deutschen Kugel von 7,9 Millimeter Kaliber schiessen
konnte.
Maxim's Dicses Poulcmctte besteht aus einem deutschen Flintenlaofe, der
. ^^^ ^^^^^ JiuWe aus Eisenblech umgeben ist, wobei die Hülle ziemlich
weit vom Laufe absteht, sodass man wirklich den Eindruck gewinnt, als
ob man eine kleine Kanope vor Augen habe.
Zwischen dem Laufe und der Hülle befindet sich Wasser, welches
sich in Folge dessen erwärmt; um einem Platzen der Hülle vorzubeugen,
ist an ihr ein Ventil angebracht, durch das die sich bildenden
Dämpfe entweichen können. Nach 200 Schüssen muss das Wasser durch
frisches ersetzt werden. Je 160 Patronen werden in einem Ladungsbande
angebracht, das von rechts nach links durch das Geschoss gelassen wird;
die Patronen werden der Reihe nach in dem Behälter zurückgehalten
und gelangen automatisch in den Lauf; in einer Minute schiesst das
Gtewehr 4 Ladungsbänder ab, d. h. es erzielt 600 Schüsse, die bis auf
eine Entfernung von 3000 Metern wii-ksam sind. In Deutschland kommen
400Ö Patronen auf eine Poulemette (in Oesten^eich 2000), die in 7 Minuten
abgeschossen werden können. Um den Schuss abzugeben, di*ückt man auf
einen Knopf, der sich am hinteren Ende des Gewehres befindet ; während
des Schiessens kann man nach Gutdünken die Richtung des Gewehi*es
abändern und eine breite Strecke bestreichen. Nach Berichten wurden
solche Maxim'schen Kanonen von Wissmann und anderen Afrikaforschern
in den Kämpfen gegen die Wilden angewandt, ebenso von den Engländern
auf ihrem Zuge gegen die Matabele in den Jahren 1894—95, in Chitrol
1895 und im Sudan; weniger wurden sie bei den Kämpfen in Transvaal
gebraucht. Sie erwiesen sich vor allem als sehr erspriesslich bei der
Verteidigung von Pässen u. dergl.
Ebensolche Maxim'sche Poulemettes sind in der deutschen Flotte
und Kolonial-Armee eingeführt; in Oesterreich sind sie für Verteidigungs-
zwecke vorbehalten; in England und in der Schweiz werden die Feld-
truppen damit versehen. (Maxim hat übrigens ähnliche Gewehre bis zu
einem Kaliber von 37 Millimeter konstruiert.)
Erfahrungen. Bcispicle ciucr gleichzeitigen Anwendung von Gewehren alten und
chiietilciiaB neuen Systems sind nur in zwei Schlachten des chilenischen Bürgerkrieges
Krieges. ^^ Jahrc 1894 vorgekommen. Die dem Kongress ergebenen Truppen
waren teils mit neuen, teils mit alten Gewehren bewaffnet, und es hat
SohludsfolgeruDgen. 555
sich erwiesen, dass je 100 Mann, welche Gewehre neuen Systems hatten,
ans den Beihen der Trappen des Präsidenten -Diktators 82 Mann nieder-
streckten, während anf je 100 Mann, welche alte Gewehre führten, nur
34 Mann kamen.^)
Und dabei waren die Soldaten erst zwei Wochen vorher zu den
Fahnen einberufen worden. Es ist klar, dass sich die neuen Gewehre
(System Manlicher; in. den Händen geübter europäischer Soldaten als
noch viel wirksamer erweisen werden.
Um einen Begrifi von dem Grade der Vervollkommnung des
Mechanismus der Feuergewehre zu geben, die sich jetzt in den Händen
der Soldaten befinden, und um einen Vergleich ihrer Wirksamkeit mit der
jener Flinten, die in den vorhergehenden Kriegen angewandt wurden, zu
ziehen, waren wir genötigt, einen historischen Ueberblick über die in der
Bewaffnung der Infanterie erfolgten Abänderungen zu geben, wobei wir
es vollgezogen habeü, den Vergleich voraugsweise vermittels Zeichnungen
und Zahlenangaben anzustellen, da diese Methode die gute Seite hat, dass
sie bei dem Sachkundigen schon Bekanntes im Gedächtnis auffrischt, dem
Laien jedoch die Möglichkeit bietet, sich den Sachverhalt zu veranschau-
lichen.
Sodann vermochten wir schon einige der hervorragendsten Beispiele ^^^
aus der Geschichte der Taktik der Infanterie anzuführen und gelangten AUnderaiig
zu dem Resultat, dass jede Abänderung in der Bewaffnung einen starken Bewaffnaog
Einflnss auf die £riegsführung selbst hat; doch können die Abänderungen, ^j^ ^Jj^.^
welche früher erfolgt sind, nicht mit denen verglichen werden, welche nach
den beiden grossen Kriegen 1870 und 1877—1878 getroffen worden sind.
Nicht allein die Rauchminderheit des Schlachtfeldes und die Ver- Tragweite
und
vollkommnungen der Gewehre, Geschosse und Sprengstoffe, sondern auch Tieflueke^
die gleichzeitig damit erfolgte Einführung der Landwehrarmeen, die
grösstenteils aus Leuten von kurzer Dienstzeit. bestanden, ergab voll-
ständig neue Bedingungen für den künftigen Krieg. Vor ^llem ver-
grösserten sich die Entfernungen, auf welche das Schiessen ohne aber-
flüssige Verschwendung von Patronen von Nutzen sein kann. Die
modernen Kugeln werden nicht durch die Luft schwirren, um im Durch-
schnittspunkte der Trajektion mit der bekannten Horizontallinie einzu-
schlagen, sondern sich längs <iieser nämlichen Linie bewegen, ohne sich
auf eine Entfernung von ca. 800 Schritt über Mannshöhe über den Erd-
boden zu erheben, und werden alles niederschlagen, was sich ihnen anf
dieser Strecke entgegenstellt. Hierzu kommt noch die im Vergleich zu
früher bedeutend bessere Einübung der Schützen auf die verschiedenen
') Coum^s: „Tactique de demain".
g56 ^^* Taktik d«r Infanterie.
Hilfsmittel, welche in den früheren Kriegen unbekannt waren, wie z. B.
die. Möglichkeit des Schiessens anf den Gegner über Haine und Hügel
hinweg and aus solchen Entfernungen, in denen er dem unbewaffneten
Auge nicht sichtbar ist; ferner die Anwendung von Feld-Observations-
tnrmen, Aerostaten und Entfernungsmessern.
Der in der russischen Armee vor 10 Jahren eingeführte Entfernungs-
messer des Oberst Paschkewitsch ermöglicht im Verlauf von 3 Minuten
die Bestimmung des Abstandes bis auf 8500 Schritt = 6,375 Kilometer,
selbst bei beweglichen Zielpunkten ; das Instrument wiegt nicht mehr als
38 Kilogramm. Zur Bedienung sind 4 Mann erforderlich. Die Grundlinie
zur Ausmessung von Distanzen hat eine Länge von 21 Meter. In letzter
Zeit sind zur Erhöhung der Wirksamkeit des Gewehrschiessens auf
grosse Entfernungen Entfernungsmesser erfunden worden, die direkt an
den Gewehren angebracht werden. So hat die Firma Voigtländer u. Sohn
in Braunschweig sich erboten, anstatt des früheren Visierkomes ein Visier-
Fernrohr an den Gewehren anzubringen. Die beigefugte Abbildung stellt
ein solches Fernrohr in % der natürlichen Grösse dar.
Die Vorrichtung besteht nur aus drei einzelnen bikonvexen Linsen,
welche in das Bohr so eingefügt sind, dass die Gefahr, dass das System
mit der Zeit und durch Erschütterungen in Unordnung gerät, möglichst
vermindert wird. Die Vergrösserung der Linsen kann je nach Bedarf
gewählt werden und ist eine 10- bis 12 fache. Die Länge des Femrohres
erreicht kaum 10—12 Zentimeter, der Durchmesser beträgt 18 MiUimeter.
Die Treffsicherheit, welche durch ein genau gearbeitetes Gewehr
mit einem ähnlichen Fernrohr zu en*eichen ist, ist erstaunlich, und kann
bei einiger Übung verdoppelt werden.*)
lunehioses Besouders stark wirkt auch auf die Abänderung der Taktik der
PnlvAP
Infanterie das Fehlen der Rauchwolken ein, welche eine Schutzwehr
bilden und die Leute dermaassen decken, dass die Schusse auf sie nur
unsicher und ziellos abgegeben werden können. Ausserdem wird die
Tötlichkeit der Schüsse auch beeinflusst durch das Nichtvorhandensein
der Anhäufung von Pulverschleim in den Läufen, welche die Treff-
sicherheit der Schnellfeuergewehre beeinträchtigt, und femer durch das
Unterbleiben von Versagern, deren Prozentsatz sich bei den Feuerstein-
gewehren auf das Hundertfache, bei den Piston- und Zündnadelgewehren
auf das Sechsfache der Gewehre der Gegenwart mit MetaUpatronen beläuft.
Auch unterliegen diese Patronen nicht dem Einfluss der Feuchtigkeit. Von
grösster Bedeutung wird weiter der Umstand sein, dass gegenwärtig mit
der Verminderung des Kalibers des Gewehres sich die AnzaM der Patix>nen,
') „Jahresbericht für Naturwissenschaften** 1897.
Schlussfolgerungeii. g57
welche der Soldat bei sich trägt, vergrössert, was sowohl die Nachhaltig-
keit des Feuers als auch die Zuversicht des Soldaten verstärkt.
In Anbetracht der Wirksamkeit des Feuers wird wahrscheinlich y*^*»"«"*«'
VerloAtziner.
auch die Gesamtziffer der Verluste durch das Gewehrfeuer anwachsen.
Im Kampfe kann der Gegner schon aus einer Entfernung von 1000 Meter
den zur Attake vorrückenden Kolonnen empfindliche Verluste beibringen.
In früherer Zeit schlug das Handgewehi' auf eine solche Entfernung nicht
ein und die Ausführung der Attake war naturgemäss leichter und minder
gefahi'lich. Der Verlust an Offizieren und die Beeinträchtigung der
Heeresleitung erscheint auch als eine direkte Folge der Treffsicherheit
des neuen Gewehres, die dem Schützen die Möglichkeit gewährt, sich
seine Opfer auszulesen. Indessen hat sich die Rolle, welche der Infanterie
zu spielen vorbehalten ist, vergrössert. Die Infanterie wird schon an den
vorbereitenden Operationen mehr als früher teilnehmen müssen. Aller-
dings hat sich die Rolle der Kavallerie bei der Rekognoszierung nicht
vermindert und fürderhin bleibt ihr die Erkundung der Streitkräfte und
der Verteilung der Truppenteile des Gegners im allgemeinen und be-
sonders im Kampf vorbehalten. Jedoch eine genaue Ermittelung des
vermutlichen Kampfes kann die Kavallerie namentlich wegen der Trag-
weite und Treffsicherheit der modernen Gewehre nicht bewerkstelligen.
Einige im Hinterhalt liegende Schützen genügen, um Reiter in bedeutender
Entfernung nach Wahl niederzustrecken. Somit wird die eingehende Er-
forschung der Positionen des Gegners allein Sache der Kundschaftermann-
schaften zu Fuss, die sich mit Hilfe von Ueberläufern durchschleichen
müssen, um die Kenntnisse zu erlangen, welche zu Vorkehrungen für
eine einigermaassen erfolgsichere Attake unentbehrlich sind. Ohne diese
Dienstleistung von Kundschaftern zu Puss würde der Defensive durchaus
der Vorrang vorbehalten bleiben, welche zuvor Entfernungen feststellen
und, eine beherrschende Position einnehmend, einfach vermittelst der
Femrohre eine Schlacht mit der grössten Sicherheit dirigieren würde.
Zur Ausführung der erwähnten Rekognoszierung und zur Erlangung von
Kenntnissen, auf die man sich verlassen kann, sind nicht allein ver-
wegene, sondern auch gewandte und verschlagene Soldaten erforderlich;
doch ist es bei dem gegenwärtigen Bestand der Armeen schwierig, völlig
zuverlässige Leute für den bestimmten Zweck ausfindig zu machen.
Wir bemerken noch, dass mit der Einführung des rauchschwachen Detonation.
Pulvers die Orientierung nach dem G^hör bedeutend schwieriger ge-
worden ist. Man hört und liest oft, dass das rauchschwache Pulver
zugleich ein lautloses sei. Indessen werden wir auch in den Schlachten
der Zukunft das Donnern der Geschütze und das Krachen des Gewehr-
feuers vernehmen. Hebler äussert, dass das geräuschlose Pulver noch
Bloeb, Der sokünftige Krieg. L 42
558 Vn, Taktik der Infanterie.
in das Gebiet der Phantasie gehöre. Andererseits haben Versuche,
welche auf französischen Schiessständen angestellt worden sind, er-
wiesen, dass der Knall eines Schusses mit rauchschwachem Pulver sich
nicht weit verbreitet; einen einzelnen Flintenschuss kann man nicht
weiter als auf 800 Meter, eine Salve einer Heeresabteilung nicht weiter
als auf 1200 Meter und die einer halben Rotte nicht weiter als
auf 1400 Meter Entfernung hören. Das ist übrigens durchaus be-
greiflich, da die grössere oder geringere Tragweite des Schalles von der
grösseren oder geringeren Länge der Schallwellen abhängt; eine lange
Welle hat einen tiefen Ton und ergiebt einen sich weit verbreitenden
Schall (Kanonenschuss), eine kurze einen hohen Ton, der sich wenig ver-
breitet (Pistolenschuss). Ein Schuss mit rauchschwachem Pulver erzeugt
sehr kräftige, aber kurze Schallwellen; in Folge dessen ist der Ton in
der Nähe durchdringend, verhallt aber bald nach Maassgabe der Ent-
fernung. Beide Pulversorten verhalten sich zu einander wie eine durch-
dringende zu einer dumpfen Stimme.*) Femer verlangt man von dem
modernen Infanteristen auch bedeutend mehr Ausdauer. Die Tages-
märsche werden in Folge der wachsenden Anzahl der Truppen in tiefen
Marschkolonnen erfolgen, und die Zahl dieser Tagesmärsche wird sich
namentlich in Folge der Masse der heutigen Armeen im Vergleich zu
den Heereszügen der früheren Zeit vergrössem, da sich die modernen
Armeen zur Bequemlichkeit der Unterbringung und Fouragierung teilen,
bei der Annäherung eines numerisch überlegenen Gegners aber sich von
neuem an die Hauptstreitkräfte anschliessen müssen. Somit haben sich
die Bedingungen zum Vorrücken in den Kampf und zum Kampf selbst
ausserordentlich kompliziert gestaltet und doch beabsichtigt man, auf je
Hundert Mann, die sich in den Reihen der Trappen befinden, 260 (in
Italien), bis 361 (in Russland) aus der Reserve herbeizuziehen.
Wichtigkeit Indessen hat die Mehrzahl der Reservisten das in der Dienstzeit
dar In-
Btniktioiieii. Gelernte vergessen und von den Offizieren wird auch nur ein geringer Teil
auf der Höhe seiner Aufgabe stehen. Unter solchen Bedingungen, scheint
es, müssten in der Friedenszeit Regeln und Instruktionen für den Feld-
dienst ausgearbeitet werden, welche genaue Unterweisungen in den
taktischen Manipulationen für alle Fälle enthalten. Doch ist von uns bereits
darauf hingewiesen worden, dass sich namentlich in dieser Beziehung in
den verschiedenen Armeen Mängel mancher Art herausstellen. In der
einen weichen die theoretischen Unterweisungen zu sehr von den prak-
laschen Erfordernissen ab und leiden an Einseitigkeit; in der anderen
folgen zwar Vorschriften auf Vorschriften und werden ergänzende Er-
*) Dr. Köhler: „Die modernen Kriegswaffen". 1897.
Schiassfolgerangen. g59
läuterungen unablässig hmzugefugt, doch im Schlossresaltate ergiebt sich
ein Chaos von Widersprüchen, Deswegen ist es nicht zu verwundern, dass
hinsichtlich des Charakters der zukünftigen Operationen der In-
fanterie sich noch keine Ansicht endgiltig festgesetzt hat. Ein grosser
Teil der Militärschriftsteller hat aus den Erfahrungen in den früheren
Kriegen gefolgert, dass sich die Hauptprinzipien des Kampfes für die In-
fanterie nicht verändern. Die Infanterie wird, wie in der Vergangenheit,
in den Kampf ziehen, nur unter Verringerung der Dimensionen der
geschlossenen Truppenteile und unter Vergrösserung der Distanzen in
der Tiefe der Heeresaufstellung; eben dadurch wird das Kommando in
den Truppenteilen der Infanterie recht schwierig sein, nicht allein für
erfahrene Offiziere, sondern noch vielmehr für die aus der Reserve ein-
getretenen.
Indessen behaupten andere, dass zur Führung der Infanterie auf
dem Schlachtfelde sogar mehr Verständnis erforderlich sei, als zu der der
Artillerie und Kavallerie. In keiner Armee finden sich auf 600 Offiziere,
die es verstanden haben, sich in verhältnismässig kurzer Zelt mit dem
Kommando über eine Batterie oder Eskadion vertraut zu machen,
100, welche die Infanterie ins Feuer führen könnten. Was kann
man in solchem Falle von den Offizieren der Reserve erwarten? That-
sächlich gehen die Ansichten auch in anderen Fragen auseinander. Ver-
schieden äussert man sich über die Bedeutung der aufgelösten Kampf-
ordnung und der Deckungen, und über die Vereinigung der Kolonnen
zwecks der Attake. Beständig betont man, dass es für den Angreifenden
notwendig sei, die Vortrefflichkeit des Feuers auszunutzen.
Einerseits erteilt man den Rat, zu diesem Zwecke methodisch vor-
zurücken, indem man beständig die Schützenlinien von hinten verstärkt
and das auf den Feind gerichtete Feuer energisch unterhält; andererseits
zieht man ein dichtes Netz von Schützen vor, welche zunächst entschlossen
vordringen, um eine einigermaassen günstige Position einzunehmen und
von dort aus ein ununterbrochenes Feuer zu eröffnen, damit die übrigen
Escheions auf jene Linien nachrücken und sich gleichfalls auf den Gegner
stürzen können. Nach dem neuen russischen Feldreglement war die D^neae
Kampfordnung für die anrückenden Bataillone bei einem stattgehabten Peia-
Manöver folgende: Die Bataillone entwickelten die erste Rotte zu einer '•8^^®"«"*-
Kette und stellten die dritte und vierte nach der zweiten in einer Reihe auf;
sodann rückte die vierte Rotte links zu einer Position vor, um den Feind
mit Gewehrsalven zu überschütten und bildete somit eine Flintenbatterie,
unter deren deckendem Gewehrfeuer auch das VoiTücken der Ketten seinen
Anfang nahm. Auf der letzten Position Posto fassend (etwa 300 Schritt
entfernt), eröffnete nunmehr die Kette das Feuer und unter dem Gewehr-
42*
6g0 ^^^* 'J^oktik der Infanterie.
feuer der Kette und der Flintenbatterien — dem Vorspiel der Attake —
rückten die Reserven heran. Die Trommeln werden zur Attake geschlagen,
die Musik spielt. Die Kette rückt schnell vorwärts, sich zu Kompagnien zu-
sammenschliessend. Die Reserven folgen nach. Seitens der Flintenbatterien
erfolgt ein verstärktes Gewehrfeuer, das Knattern- übertönt die Musik;
das Pulver, obwohl rauchschwach, ergiebt dennoch eine ganze Reihe bläu-
licher, durchsichtiger Wolken, die schnell verschwinden. Die vieii«
Rotte rückte schnell zu dem Punkte der Attake vor, sobald ihre Front
durch die .Angriffslinie gedeckt war. Sodann erfolgte ein allgemeiner
Bajonettangiiff. ö) Wie gross auch die Vorzüge dieser Operationen sein
mögen, so ist doch zur gedeihlichen Ausführung erforderlich: Gewandtheit
der Mannschaft in der Ausnutzung der Deckungen und in der Ueberwindung
von Hindernissen, sowie die Befähigung zur rechten Zeit auf die Erde
zu sinken und im geeigneten Moment von neuem vorwärts zu stürmen.
Mögliche Doch welches sind die möglichen Verluste dabei? Die einen sagen, man
habe keinen Grund, vorauszusetzen, dass die Armeen im Kriege der Zukunft
grössere Verluste erleiden würden, als in den Kriegen der Vergangenheit;
dass die Kugel und das Bajonett wie ehedem so auch gegenwärtig zu-
gleich in Wirksamkeit treten würden. Andere jedoch, und zwar Schrift-
steller von nicht geringer Autorität, meinen, dass die Attake zur Ein-
nahme der feindlichen Positionen im Kriege der Zukunft dermaassen
schwierig sei und Blutvergiessen erfordern werde, dass keine der Parteien
im Stande sein werde, zu triimiphieren. Um die defensiven Positionen
bildet sich ein Gürtel von tausend Meter Breite, der für beide Parteien
gleich unzugänglich ist und von den Leichnamen der Gefallenen gebildet
wird, über welchen tausende von Kugeln und Geschossen sausen, — ein
Gürtel, den kein einziges lebendes Wesen zu überschreiten im Stande
ist, um den Kampf durch das Bajonett zu entscheiden. Doch äussert
man auch folgende Ansicht: Alles das wäre richtig in Anbetracht der
kleinkalibrigen Gewehre der Gegenwart und der vervollkommneten Ge-
schosse, wenn die Schlachtfelder sich auf die Exerzierplätze verlegen
Hessen, wenn die Zielabstände bekannt wären und die Schiessenden, wie
auf dem Exerzierplatze, davor gesichert wären, dass sie von feindlichen
Kugeln getroffen würden, wenn ferner die Schlachtfelder vollkommen
ebene Flächen bildeten. Doch giebt es in der Natur solche Oertlichkeiten
sehr selten und die Truppen benutzen Wälder und Grestrüpp, Ei*d-
erhöhungen und -Senkungen als Schutzwehr und, gedeckt durch die ei'sten
Reihen der Schützen, welche den „Kugelfang" bilden, werden die folgen-
den Reihen unter bedeutend geringeren Verlusten vorrücken. Doch darauf
*) „Nowoje Wremja", 4. Mai 1897.
Schlussfolgerungen. QQl
entgegnet man: Das Heranrücken des Feindes würden höhere Komman-
deure von Luftballons aus, andere jedoch von ständigen und beweglichen
Beobachtungstürmen aus, welche von jedem Heeresteil, der die feindlichen
Positionen zu nehmen beabsichtigt, aufgestellt werden, mühelos beobachten
können. Somit wäre es bei der Tragweite, Treffsicherheit und Einschlags-
kraft der modernen Waffen, welche es ermöglichen, gewaltige Strecken
bei Explosionen von Gewehrladungen mit Splittern und Kugeln zu besäen,
möglich, den Feind hinter Wäldern und Gebüschen und Unebenheiten
des Erdbodens zu beschiessen. Es ist kein Grund zu der Annahme vor-
handen, dass der Feind nicht solche Oertlichkeiten aussuchen wird, die
ihm die Möglichkeit bieten, die Tragweite seiner Gewehre und Geschütze
auszunutzen. Ausserdem kann der Feind ausser Schanzgräben und
Brustwehren noch andere Hindemisse errichten, deren Beseitigung
nicht wenig Zeit erfordert, wobei man sich in geringer Entfernung, in
mehr oder weniger zusammengedrängten Massen, unter beständigem Ge-
wehrfeuer befindet. Darauf erwidert man, die Tötlichkeit der neuen
Waffen dürfte namentlich in geringer Entfernung trotz der zweifellosen
Vollkommenheit ihrer ballistischen Eigenschaften nicht gross sein. In
der Nähe des Feindes ist der Zustand der Soldaten ein nervös auf-
geregter; sie zielen dann schlecht oder gamicht, und das moderne
vollkommene Gewehr ist dann ebenso viel wert wie der Bogen oder
die Heugabel irgend welcher Barbaren. Je wirksamer das feindliche
Gewehrfeuer ist, desto entfemter werden sich beide Parteien von ein-
ander halten. Sie werden sich wohl selten einander zu Gesicht bekommen,
oft werden sie Erderhöhungen, Flüsse und Wälder trennen ; es wiid wohl
nicht mehr zu unmittelbaren Zusammenstössen kommen, welche die
Leidenschaften aufregen, den Menschen zum blutdürstigen, wilden Tier
machen und mit dem Tode eines der Kämpfer ein Ende nehmen. Da
aber die Schlachten in grossen Abständen vor sich gehen werden, so
wird es nicht schwierig sein, sich vom Schlachtfelde zu entfernen.
Andere Autoren geben zwar die Möglichkeit schreckliclien Blut-
vergiessens und gewaltiger Verluste zu, sagen jedoch, es käme nicht
darauf an, sondern auf die Erringung des Sieges, welche Opfer er auch
kosten möge. Der Krieg von 1870 hat erwiesen, dass die moderne In-
fanterie im Stande ist, gewaltige Verluste zu vei-winden, jedoch ver-
halten sich die jüngeren Offiziere dazu skeptisch in Anbetracht dessen,
dass die Infanterie der Jetztzeit verschieden ist von der, welche im
Jahre 1870 gekämpft hat. Die neue Waffe erhöht nicht allein die Gefahr,
sondern paralysiert auch die ärztliche Hilfe, da die Aerzte und Feld- scJ»w»«rig-
scheere nicht im Stande sein werden, Ve^:bandplätze in der Nähe von aormife-
Oertlichkeiten zu errichten, die mit, wenn auch nur harmlosen, feindlichen ^"**""*f'
662 '^^H, Taktik der Infanterie.
Kugeln überschüttet werden; es wird sogar keine Möglichkeit geben, die
Verwundeten behufs Hilfeleistung fortzutragen. Die modernen Gewehre
schlagen ja auf 4 Werst (4 Kilometer), die Geschütze sogar auf 7 Werst
(7 Kilometer) Entfernung ein. Endlich bestehen die Armeen gegenwärtig
nicht mehr aus gewerbsmässigen Soldaten, sondern ans Nachkommen
friedlicher Bürger, die keinen Wunsch verspüren, sich Gefahren aus-
zusetzen. Die Propaganda gegen den Krieg hat die Gemüter um-
zustimmen veimocht. Man kann unmöglich darauf rechnen, dass die
modernen Armeen die Absicht hegen, Opfer und Verluste bis zu
dem Grade zu tragen, wie es die Kriegstheoretiker wollen, die nicht
auf die Regungen Acht geben , welche in den west - europäischen
Gesellschaften herrschen. Aehnliche Widersprüche in den Ansichten finden
sich jedoch nicht allein in Fragen allgemeinen Charakters, sondern auch
in Detailfragen. Einige behaupten, die Verbesserung der Waffen und die
Anwendung aller neuesten Erfindungen im Kriege hätten die rohe Muskel-
kraft in den Hintergrund gedrängt, in den Vordergnind rücke die militär-
technische Ausbildung.
Bei den gewaltigen Armeen und bei der hohen intellektuellen Ent-
wicklung der Heerführer wäre es möglich, den Feind zu umgehen, vermöge
der strategischen Konzentrierung der Feldkolonnen an einen geeigneten
Punkt, um so mehr als die Defensive infolge der grossen Entfernung der
Reserven überhaupt schwieriger werde. Dagegen erwidert man, für eine
solche Operation sei es unentbehrlich, alle Bewegungen (Märsche) des
Feindes und seine Dislokationen zu kennen, während jedoch bei dem
rauchschwachen Pulver, bei der Treffweite (des Gewehres) der Masse und
bei den beobachteten Vorsichtsmaassregeln zwecks Zusammenhaltens des
Zentrums der Armee das Ausforschen der Bewohner und überhaupt die
Erkundung bedeutend schwieriger werde; die Möglichkeit der schleunigen
Herstellung leichter Laufgräben würde die Versuche, den Feind zu um-
gehen und ihn aufzuhalten, paralysieren; das beständige Heranrücken
von frischen Streitkräften zum Kampfplatze, das, infolge der Zerstreuung
der Armee auf gewaltige Strecken, erfolgen müsste, würde die Lage
dessen, der die Umgehung unternimmt, gefährlich machen.
g^rtche Somit haben wir eine ganze Reihe von Widersprüchen vor uns;
bei der doch das ist unvermeidlich und entspringt aus dem Wesen der Sache
^d^mö7-* selbst. Nur ein Krieg kann direkte thatsächliche Hinweise geben; alle
^uufB dM Voraussetzungen erscheinen als logische Vemunftschlüsse, die sich nicht
zakanfto- auf Unmittelbare Daten stützen. Zweifel und Streitigkeiten sind dabei
unvermeidlich.
Auch zu der Zeit, wo sich die Erfindungen der Technik noch nicht
so häuften wie gegenwärtig, sondern Routine und Erfahrung als Haupt-
SchlussfolgeruDgen. gQ3
eigenschaften der Führer galten, hat es widersprechende Ansichten
gegeben aus dem Grunde, weil, wie man zugegeben, in den Regeln der
Taktik, den Feind zu schwächen, Abänderungen notwendig wären, indem
man ihn zur Erreichung des eigenen Uebergewichtes zu einem Kampfe
unter neuen Bedingungen zwingt. Napoleon erteilte den Rat, eine solche
Abänderung alle 10 Jahre vorzunehmen.
In jeder Armee giebt es bekanntlich besondere Instruktionen für
die Truppenübungen in Friedenszeit und für die Vorkehrungen zur Lösung
der Aufgaben des Krieges. Doch die Ansichten bezüglich der Operationen
der Infanterie bilden ein Labyrinth unvereinbarer Widersprüche, die sich
gegenseitig ausschliessen.
Möge der Leser nicht glauben, dass das Widersprüche sind, welche
nur dem Nicht-Spezialisten als solche erscheinen. General Luse, ein sehr
kenntnisreicher Spezialist, macht, indem er voii Frankreich redet^), die
Bemerkung:
„Wer sollte sich nicht wundem über die Abweichungen in den
Ansichten, die sich in den Lehrbüchern unserer Schulen finden, und
noch dazu in Fragen, welche wesentliche Punkte der Taktik betreffen?
Stehen denn die Kenntnisse, welche man den Offizieren der Infanterie in
den niederen Lehranstalten beibringt, im Einklänge mit dem, was sie in
einem höheren Militärinstitut lernen? Entspricht denn die Lehre dieser
höheren Schule den Kursen der ;6cole d'application? Aendern sich nicht
häufig und entschieden die Ideen, die i%uf den Kathedern einer höheren
Militärlehranstalt verkündet werden? Das ist ein Chaos von Begriffen
und Prinzipien, die sich einander widersprechen und aus diesem Wider-
streite bricht kein Lichtstrahl hervor. Es ist nicht zu veiivundern, dass
die Offiziere sagen: „Wanim sollen wir lernen? Mögen zuerst die Lehrer
unter einander zur Uebereinstimmung gelangen."
Nicht geringere Widersprüche finden sich bei aufmerksamer Durch-
sicht auch bei deutschen Schriftstellern. Da es aber für Leute, welche
im Militärdienste stehen, grosse Schwierigkeiten macht zu Schriftstellern,
da femer auch der Krieg vom Jahre 1870 eine starke Dosis von Eigen-
dünkel im deutschen Heere hervorbringen musste, so werden jene Wider-
sprüche mit grösserer Vorsicht geäussert, ohne besondere Lösung der
Probleme. Deutsche Autoren weisen nach, dass zufolge des hohen Niveaus
der militärischen Kenntnisse der deutschen Offiziere und Unteroffiziere
die deutsche Armee sich schneller als andere den Fordemngen, welche
durch die Praxis eines Krieges der Zukunft an den Tag treten,
«) „Etudes de tactique**. Paris 1890.
664 VII» Taktik der Infanterie.
anzupassen vermag. In dieser relativen Leichtigkeit, sich nach den ersten
hinweisenden Erfahrungen im Felde neue taktische Handgriffe anzueignen,
erblicken die Deutschen einen wichtigen Vorzug vor den anderen. Doch
wollen sie gewissermaassen nicht dessen gedenken, dass sie vom ersten
Tage des Feldzuges 1870 an mit dreifacher Uebermacht gegen den Feind
auszogen, welcher im Gefühl seines Unvorbereitetseins und des Mangels
an solchen Führern, die das allgemeine Vertrauen der Armee genossen,
ungern in den Krieg zog.
Leicht ist es zu manövrieren, zu umgehen und zu siegen, wenn so-
gar bei zufälligen Zusammenstössen mit jeder Stunde frische Truppen
anlangen.
Schliesslich wollen wir noch erwähnen, dass der Offizierstand in
Deutscliland grösstenteils aus Adligen besteht, in deren Familien eine
militärische Tradition herrscht, dass darum aber auch schwerlich ein
Gedanke an Schwierigkeiten, und weniger noch ein Zweifel an die
Möglichkeit, einen Kiieg zu führen, auftaucht.
Von einem zu aufrichtigen Einräumen von Gefahren und Schwierig-
keiten eines Krieges unter neuen Bedingungen hält möglicher Weise die
deutschen Autoren auch die Befüixhtung ab, der Bewegung gegen den
Militarismus Nahrung zu geben.
Bei solchem Sachverhalt kommt es offenbar uns nicht zu, Streit-
fragen zu entscheiden, doch schien es uns unmöglich, Ei-wägungen über
die Zukunftstaktik der Infanterie auszuschliessen, da der Hauptgegen-
stand unserer Forschungen, nämlich in wie weit ein Krieg bei dem
heutigen Stande der Kriegswissenschaft und Gesellschaftsordnung möglich
und gewagt sei, davon abhängig ist. Ausserdem könnten wir keine
Prinzipien für die Beiuteilung des Einflusses künftiger Verlust« auf die
gesellschaftlichen Verhältnisse erhalten, und das würde unsere Arbeit
unvollständig machen, da die Fi-age von den Verlusten im Kiiege
im Zusammenhange mit der gleichzeitigen Stellung und Verfassung
namentlich der westlichen Staaten die grösste Bedeutung hat. Ueberhaupt
niuss man zugeben, dass man bei den modernen Vernichtungsmaschinen
die Tötlichkeit des Gewehrfeuers nur einigermaassen durch taktische
Handgriffe herabsetzen kann, dass es aber unmöglich ist, dessen Wirkung
zu paralysieren.
Die Im Zukunft^kriege wird, was für Kombinationen man auch aufstellen
^ Haupt *^niag, eine der Parteien sich beständig vorzugsweise an die defensive Art
"""^^artet"^' der Kriegführung halten, wie wir es im zweiten Bande bei der Beschreibung
im zokonfts-der Operation spläuc zeigen werden; wenn sie nun aber auch nach Abwehr
des Sturmes zum Angriff schreitet, um den Feind völlig zu schlagen, so
Schlussfolgerangen. gg5
geschieht es nur auf eine kurze Strecke hin, da sie selber von Neuem
auf gleich unüberwindliche Hindernisse stossen wird. Die kriegführenden
Parteien werden wahrscheinlich die Sollen häufig tauschen müssen. Doch
wird bei allen neu eintretenden Umständen das Eampfesbild von dem
früheren verschieden sein.
Wir haben schon gezeigt, dass Vergleiche mit der Vergangenheit
in dieser Beziehung wenig lehi-reich sind. Es hat dafür noch kein Beispiel
gegeben, dass Staaten nur zur Defensive vorbereitet gewesen wären. Wir
stehen einer unerklärlichen Erscheinung gegenüber. In allen Armeen
werden Theorien von der Vorzüglichkeit der offensiven Art der Krieg-
führung verkündet, gleichwohl sind jedoch so starke Defensiv-Positionen
errichtet, dass gerade ihr Vorhandensein nicht ohne Einfluss auf die
Operationsweise bleiben kann.
Ein Zukunftskineg wird daher, was man auch sagen mag, ein Kampf ^^^
um befestigte Stellungen sein. Alle Teile der Infanterie sind mit Schanz- ^rfeg - ein
Werkzeug versehen und zwar in solchem Maasse, dass Befestigungen im befoJugto'
Laufe einer sehr kurzen Zeit errichtet werden können. Ausserdem haben wir ß*«""^««»'
gezeigt, bis zu' welchem Grade Truppen, die. hinter Verschanzungen ver-
teilt sind, ihre Stellungen uneinnehmbar machen können. Die Defensive kann
in bedeutend grösserem Maasse als die Offensive natürliche Hindernisse am
gegebenen Orte benutzen und sie noch durch Arbeiten verstärken. Dank
ihnen bestimmt die Defensive sicherer ihr Gewehrfeuer und verwendet es
wirksamer, als es für die Offensive erreichbar ist, die ohne Deckung zum
Angriff vorrücken muss. Die Stärke der Defensive nimmt proportional
zu der Wurfkraft der Geschosse zu. Freilich sagt man, die Mannschaft
würde schlecht schiessen, würde sich trotz des Drilles nicht darauf ver-
stehen, alle Ortsverhältnisse auszunutzen und auch vervollkommnete Ge-
wehre würden sich in ihren Händen nicht wirksamer erweisen als Gewehre
der früheren Zeit.
Giebt es jedoch einen ti-iftigeu Grund, dass bei den oben angeführten,
für die Defensive günstigen Bedingungen der Verteidiger schlecht schiessen
wird? Das kann nur seitens derer geschehen, welche es vorziehen, fehl
zu schiessen, indem sie auf Geratewohl schiessen, um sich nicht durch
Biossstellen des Kopfes und der Hände persönlicher Gefahr aus-
zusetzen.
Doch können das freilich nur Ausnahmefälle sein; warum soll man
denn voraussetzen, däss der Angreifer Tapferkeit genug l)esitzt, um offen
zum Angriff vorzurücken, indem er den ganzen Körper blossstellt, dass
aber der Verteidiger sich scheuen wird, sich einer achtmal geringeren
Gefahr zu unterwerfen. Bei sehr geringen Abständen ist daß Feuer des
ggg Vn. Taktik der Infanterie.
im Laufschritte heranrückenden Feindes gefahrlos, die hinteren Reihen
sind sogar genötigt, das Feaer einzustellen.
Wenn man selbst zugiebt, dass die in der Defensive Stehenden aus
weniger tapferen Kriegern bestehen, so ist auch in einem solchen Falle
der bestrichene Raum durch Gewehrfeuer so gross, dass es eine ver-
nichtende Wirkung auf den Anstürmenden ausüben muss.
verhutnis -^^i^ habcu schou gezcigt, dass man gerade in den Kriegen von
MannMiiftfts- 1870 uud 1877 uicht wenig Beispiele finden kann, welche die dargelegten
der Defenelre Schlussfolgerungen bestätigen, die bis zu einem gewissen Grade auch
offeMirrin dokumeutarfsch in der neuestt*n Kriegsgeschichte anerkannt sind. Nach
Bezog »uf den oben angeführten vergleichenden Zusammenstellungen und Veran-
dM oewehl? schlagungen ergiebt sich, dass die angreifende Partei, um nach den Ver-
ArMiuri«- lusten während des Anrfickens nicht der defensiven Partei an Zahl nach-
feoan. zustehcu, bei einer Annäherung auf 32 Meter, wenn sie schon die
Möglichkeit erlangt, zum Bajonnett zu gi*eifen, je 637 Mann auf 100 Mann
Verteidiger haben muss. Damit jedoch eine Abteilung unter dem Gewehr-
feuer auf ungeschützter Fläche die defensive Position erreichen kann,
muss sie einen Bestand haben, der wenigstens acht mal die Anzahl des
Feindes übertrifft.
Vorausgesetzt, dass die aus einer Entfernung von 225 Schritt zum
Sturm Vorrückenden 400 Mann stark sind, die hinter der Verschanzung
sich Verteidigenden nur 100, so werden doch — nach den Angaben des
Generals Skugarewski^) — den Angreifenden nur 74 Mann zum Bajonett-
angriff übrig bleiben.
Aber ausser den Kugeln der Gewehre werden die angreifenden
Truppen auch der Wirksamkeit des Artilleriefeuers ausgesetzt sein.
Die Anwendung von Stahl zur Anfertigung von Geschossen hat es
ermöglicht, sie mit einer Anzahl von Kugeln, die bedeutend grösser sind
als früher, anzufüllen, und die Anwendung von Sprengstoffen, die im Ver-
gleich zu dem in früherer Zeit gebrauchten Pulver 4 mal stärker wirken,
hat jedem Kugelsplitter eine grosse Kraft verliehen.
Ein Vergleich der Wirksamkeit der modernen Geschosse mit denen,
welche 1870 im Gebrauch waren, erweist, dass die Granaten, anstatt in
20—30 Splitter, wie es im Jahre 1870 der Fall war, durchschnittlich in
240 Splitter zerplatzen. ») Die Shrapnells, welche im Jahre 1870 in
Gebrauch waren, wurden in 37 Stücke zersplittert, die heutigen jedoch
ergeben bis 340 Stücke.
0 „Der Angriff der Infanterie''.
') Langlois: „L'artillerie de campagne*^.
Schlussfolgeruugen. gg7
In Anbetracht einer solchen Wirkung der Geschosse kann man sich
unmöglich eine Vorstellung davon machen, wie sie im Zukunftskrieg sein
wird. Im Kriege des Jahres 1870 betrugen die Verluste 9 % des Bestandes
der Armeen. Wenn man jedoch die neuen Waffen in Anschlag bringt,
welche 40mal wirksamer sind, als die Waffen im Jahre 1870, so miisste
man auch den Prozentsatz der Verluste 40mal vermehren, und der Ver-
gleich wäre ad absurdum geführt, nicht wegen einer Regelwidrigkeit der
Schlüsse, sondern einfach darum, weil Mittel hergestellt worden sind, die
zur Vernichtung von Armeen hinreichen, welche mehrmals grösser sind
als die, welche überhaupt ins Feld geführt werden können.
Im Laufe weniger Jahre wird eine völlige Umgestaltung der Be-
waffnung der Artillerie erfolgen, und die Armeen werden Waffen von
doppelter Kraft, im Vergleich zu den jetzigen, besitzen.
General Müller sagt, 9) bei den Geschützen der Zukunft würde zur
Vermeidung völliger Vernichtung die Mannschaft in aufgelösten Reihen
und möglichst unbemerkt vom Feinde heranschleichen müssen, indem sie
sich hinter den Unebenheiten des Erdbodens deckt und sich in die Erde
eingräbt wie ein Maulwurf.
Selbstverständlich wird die erfolgreiche Wii'ksamkeit der Artillerie
des Angreifers auch davon abhängen, in wie weit sie auf keine Hinder-
nisse seitens des feindlichen Artilleriefeuers stösst.
Alles das führt zu dem Schlüsse, dass das Bajonett gegenwärtig D" »»jonett
seine Bedeutung eingebüsst hat. In früherer Zeit rückten 2 aus sein«
Bajonetten bestehende lebende Wände eine nach der anderen vor. Bis ^1^*1«»?.
zum Handgemenge erfolgten 1 bis 2 Schuss. Der schwächere Teil
wendete sich bald zum Rückzuge, was kein grosses Wagnis bildete, da
der sich Zurückziehende im ganzen von 2 — ^3 Schüssen verfolgt wurde.
Gegenwärtig ist ein Rückzug vor der Attake sicherer Untergang. In
die Zurückweichenden werden aus jedem Gewehr treffsichere Kugeln
sausen, von denen jede 5 Mann niederstrecken kann.
Der Glaube an die Vorzüglichkeit des Bajonetts vor dem Feuer-
gewehr ist völlig erschüttert, obwohl man die Beobachtung machen kann,
dass sich unter den russischen Müitärs noch eine gewisse Schwachheit
für das Bajonett äussert, oder — was das Gleiche ist — für eine
ungestüme Bravour der Person, die vermeintlich die zwar mechanische,
aber doch schreckliche Wirkung des heutigen Gewehrfeuers überwinden
könnte.
•) H. Müller: „Die Entwickelung der Feldartillerie in Bezug auf Material,
Organisation und Taktik von 1815—1892''. Berlin 1893.
668 VII. Taktik der Infanterie.
In allen Armeen ist man bemüht, in der Mannschaft ein unbedingtes
Vertrauen auf die Gewalt der Feuerwaffe zu wecken, und in den Instruk-
tionen heisst es, dass bei regelrechter Abgabe des Gewehrfeuers seitens
des Veiteidigers kein Angriff irgend welchen Erfolg haben kann. Das
ist freilich nur solange richtig, als ein noch wirksameres Feuer der
feindlichen Artillerie . oder Infanterie die in der Defensive Stehenden nicht
in Verwirrung bringt und ihre regelrechte Verteidigung mittelst der
Gewehre beeinflusst. Beim Einüben der Mannschaft richtet man die
Hauptaufmerksamkeit auf das Schiessen ; das Hantieren mit dem Bajonett
gehört freilich auch zu den Uebungen, ist aber in den Hintergrund
getreten.
Aber nichtsdestoweniger macht man in sämtlichen Armeen alle mög-
lichen Anstrengungen, durch Unterweisungen und Broschüren den Truppen
die Ueberzeugung beizubringen, dass, sobald sie mit Verwegenheit bis
an die Verschanzungen heranstürmen, vor ihrem kühnen und schneidigen
Bajonettangriff der Feind nicht Stand halten wii'd.
Bei so geringen Entfernungen, wie sie zum Bajonettangriff erforder-
lich sind, wird beinahe jede Kugel des auf die Brustwehr gelegten
Gewehres nicht nur einen Mann allein niederstrecken. Bei der Rauch-
minderheit des Schlachtfeldes wird dieses Niederstrecken allen sicht-
bar sein.
der^h^^Sfln ^^^ hcutigcn mit einer Hülle umgebenen Kugeln zersprengen, wenn
Geschosse, sle aus geringer Entfenmng den Kopf treffen, den Schädel, in anderen
Körperteilen jedoch zei'splittern sie die Knochen und reissen die
Gedärme heraus.
Wenn nach der Ansicht der von uns angeführten Spezialisten
die sich verteidigende Partei kraft der Wirksamkeit ihres Gewehifeuei-s
die angreifende Partei in einer Entfernung von einigen hundert Met.eni
zum Halten bringen mnss, indem sie weiteres Näherrücken unmöglich
macht, so müssen wir eben daraus ersehen, dass die in der Defensive
Stehenden ihrerseits nicht aus der Verschanznng hervortreten und zum
Angriffe übergehen können, da sie dann in die Lage ihres Feindes geraten
und mit ihm die Rolle tauschen würden.
Die Erringung von Erfolgen durch Manövrieren und Umgehen, wie
es in früheren Kriegen, besonders aber im Kriege des Jahres 1870 statt-
gefunden hat, erscheint für den Zukunftskrieg wenig wahrscheinlich.
Zur Umgehung der feindlichen Stellungen ist eine sorgfältige
Rekognoszierung gerade unter dem feindlichen Gewehrfeuer unentbehrlich
und sehr schwierig. Sodann werden die in der Defensive sich Haltenden,
wenn sie aus ihren Stellungen hinausgedrängt sind, den Rückzug auf
geeigneten, gebahnten Wegen antreten, und auf diesen entweder auf neue
Schlassfolgerungen. 669
Verschanzungen, die von ihnen früher angelegt sind, stossen oder an
passenden Orten sich von neuem verschanzen, indem sie fortgesetzt dem
Angriff Widerstand leisten und dem Feinde neue Verluste beibringen.
Unter solchen Bedingungen ist es wohl gestattet zu fragen: Kann wird «8 noch
man voraussetzen, dass sich Leiter und Führer mit hinreichender Be- Führ«
fähigung finden werden? «^"^"^
Einen Angriff zu leiten, ohne die feindlichen Kräfte und die
Hindemisse zu kennen, auf welche man stossen könnte, werden nur
wenige im Stande sein. Gerade deswegen beschäftigen sich die heutigen
Kriegsschriftsteller viel mit diesem Thema, an welches früher niemand
gedacht hat. Alles oben Dargelegte bringt uns zu dem Schluss, dass
zufolge der Vervollkommnung der Vernichtungsmittel jeder Zusammenstoss
der Infanterie mit dem Feinde in schrecklicherer Gestaltung erfolgen
wird als bisher, und dass jeder Fehler, jede Verzögerung ernstlichere
Folgen haben wird.
-==>{2>5(€)5<S<==—
Druck der Norddeutschen Bnchdrnckerei, Berlin SW.
InhaltsYerzeichniss der 6 ßände yon
Der Krieg.
Von
Johann von Bloch..
Band I. Beschreibung des Kriegsmechanisinus . . . Mk. 8,-
„ II. Der Landkrieg « 8,-
„ in. Der Seekrieg ,, 6,-
,, IV. Die ökonomischen Erschütternngen und ma-
teriellen Verluste des Zukunftskrieges ... ,, 8,-
„ V. Die Bestrebungen zur Beseitigung des Krieges,
die politischen Konflikts-Ursachen, die Folgen
des Krieges ^6,
„ VI. Der Mechanismus des Krieges und seine
Wirkungen. Die Frage vom internationalen
Schiedsgericht 4.
Die einzelnen Bände werden in möglichst rascher Folge erscheinen,
die Bände sind einzeln verkäuflich.
Die Verlagshandlung.
r
i
3 2044 017 952 441
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