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Full text of "Der krieg. Von Johann von Bloch. Uebersetzung des russischen werkes des autors: Der zukünftige krieg in seiner technischen, volkswirtschaftlichen und politischen bedeutung"

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JUN  22  1900 


Bartart  Bollegt  iibtars 

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Der  Krieg 


Von 


Johann  von  Bloch. 


Uebersetzung  des  russischen  Werkes  des  Autors: 

Der  zukünftige  Krieg 

in   seiner  technischen,  volkswirthschaftlichen  und 

politischen  Bedeutung. 


Band  I. 


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BERLIN   1899. 
Puttkammer  Sc  Mühlbrecht. 

Buchhandlung  für  Staats-  und  Rechtswissenschaft. 


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Der  Krieg. 


Johann  von  Bloch. 


Uebersetzung  des  rnssisehen  Werkes  des  Autors: 

Der  zukünftige  Krieg 

in  seiner  tecliiiisclien,  volkswirthschaftUchen  und 
politischen  Bedeutung. 

Band  I. 


BERLIN  1899. 
Futtkammer  &  Müblbreoht. 

BuchhaudluDg  nir  SMats-  und  Rechtswissenschaft 


Beschreibung 


Kriegsmeehanismus. 


Johann  von  Bloch. 


BERLIN  1899. 
Puttkammer  St  Mühlbrecht 

Buchhandlung  für  Slaiitg-  und  Rei^htswisÄeuschaft. 


Y^J  Inhaltsverzeichnis. 


Seite 

Schilde  und  Panzer  gegen  die  Wirkungen  der  feindlichen 

Kugeln 241-250 

Deckungen  durch  Schanzen  und  Feld-Befestigungen: 

Einteilung  der  Befestigungen.  —  Die  Technik  der  eiligen  Be- 
festigungen. —  Feldbefestigungen.  —  Verteidigung  yon 
Flüssen  und  Brücken.  —  Hülfsmittel  fiir  die  Devenslye  im 
Felde.  —  Sohlussfolgerungen 254—279 

Bedeutung  und  Bolle  der  Karallerie: 

Numerischer  Bestand  der  Kayallerie  und  sein  Verhältnis  zur 
Stärke  der  Infanterie.  —  Mobilisation  und  Vorbereitung  der 
Kavallerie  zu  Einbrüchen  in  Feindesland  (Grenzdetachements- 
Krieg).  —  Urteile  über  die  Umgestaltung  der  russischen 
Kayallerie  und  über  den  Grenzdetachements-Krieg.  —  Der 
Kundsohafterdienst  und  die  dabei  vorkommenden  Kavallerie- 
Kämpfe.  —  Beteiligung'  der  Kavallerie  an  den  Haupt- 
Attaken.  —  Die  Kosaken  und  ihre  Taktik.  —  Requisitionen. 
—  Schlussfolgerungen 283—354 

Taktik  der  Artillerie: 

Die  Folgen  der  Vervollkommnung  der  Artillerie.  —  Vergleich 
der  Wirkung  des  Infanterie-  und  Artilleriefeuers.  —  Kraft 
der  modernen  Geschütze  im  Vergleich  zu  den  früheren  Ge- 
schützen. Der  Einfluss  der  Vervollkommnungen  der  Ge- 
schütze auf  die  Artillerie-Taktik.  —  Einfluss  des  rauch- 
schwachen Pulvers  auf  die  Taktik  der  Artillerie.  —  Be- 
kämpfung eines  durch  Schanzen  gedeckten  Feindes.  —  Die 
Entfernungen  des  Artillerie-Gefechts.  —  Katastrophen  in 
Folge  der  Anwendung  von  Sprengstoffen.  —  Zukunftsbilder 
der  Artillerie-Taktik.  —  Schlussfolgerungen 357—477 

Die  InfaiitHrie  im  Kampfe 481—668 

Historische  Skizze  der  Entwiokelung  der  Infanterie-Bewaffiiung 
und  deren  Einfluss  auf  die  Taktik.  —  Die  Taktik  Napoleons 
und  deren  Einfluss  bis  zum  Krimkriege.  —  Die  Abhängigkeit 
der  zukünftigen  Taktik  der  Infanterie  von  der  Beschaffenheit 
und  der  numerischen  Stärke  der  Armeen,  aber  auch  von 
der  allgemeinen  Befestigung  der  Grenzen  und  der  Kampf- 
stellungen. —  (Numerische  Stärke  und  Beschaffenheit  der 
Truppen.  —  Die  Grenzbefestigungen) 481—531 

Die  Befestigung  künftiger  Schlachtfelder.  —  Vorschriften  für 
den  Aufinarsch  zum  Gefecht  und  die  Gefechtsführung.  — 
(Das  französische  Gefechtsregiement.  Der  Angriff  auf  befestigte 
Stellen  im  Sinne  des  deutschen  Reglements) 532 — 550 

Wechselwirkung  der  Infonterie  und  Artillerie.  —  Abhängigkeit 
der  Gefechtsordnung  der  Infonterie  von  den  Geschützen.  — 
Der  Angriff  der  Infanterie.  —  (Entfernungen  für  das  Infanterie- 
feuer. —  Der  russische  reglementmässige  AngriflF,  nach  General 
Skugarewsky.  —  Der  französische  vorschriftsmässige  Angriff)    .  550—603 


Inhaltsverzeichuis.  VII 

Seite 

Die  Erstürmimg  der  Sohanzen.  —  Künstliohe  Hindernisse.  — 
(Minen.  —  Strasse nversperrung  [abatis].  —  Barrikaden.  — 
Palissaden  und  Faschinen.  —  Spanische  Reiter,  Palissadenzäune, 
Crous-Foot,  Barbed-Wire.  —  Escarpen  und  Contreeskarpen.  — 
Wolfsgruben.  —  Drahtnetze 603—624 

Der  Bigonettangriff.  —  Die  Überlegenheit  an  Streitkräften  im 
Gefecht  als  taktische  Aufj^abe.  —  Zerstörung  von  Schanzen 
durch  die  Th&tlgkeit  der  Mörser.  —  UmüMSung  statt  Front- 
angrifDsi.  —  Nachtgefechte.  —  Schlnssfolgerungen 624—668 


Einige  Worte  zur  Einleitung. 


Die  Naturforscher  behaupten,  dass  sich  in  der  Erd- Atmo- 
sphäre zeitweilig  die  Anwesenheit  des  sogenannten  kosmischen 
S^aubes  geltend  macht.  Derselbe  übt  seinen  Einfluss  auf  die 
Farbe  des  Himmelsgewölbes,  ftlibt  die  Strahlen  der  Sonne  mit 
Blutfarbe,  dringt  in  unsere  Wohnungen  und  Lungen,  wirkt 
unheilvoll  auf  die  Organismen  und  lässt  selbst  auf  den  jung- 
fräulichen SchTieegipfeln  der  Berge  seine  Spuren  zurück. 

In  ähnlicher  Weise  liegt  es  über  dem  öflfentlichen  und 
privaten  Leben  des  modernen  Europas  wie  ein  Vorgefühl,  dass 
das  konsequente  Anwachsen  der  Rüstungen  entweder  zum  Kriege 
führen  muss,  der  flir  Besiegte  und  Sieger  verderblich  und 
vielleicht  sogar  der  Gesellschaftsordnung  gefUhrlich  werden 
kann,   oder  über  die  Völker  furchtbare  Wirren  bringen  wird. 

Ist  diese  Unruhe,  die  sich  der  Geister  bemächtigt  hat, 
die  Folge  einer  einfachen  Täuschung,  des  krankhaft  erregten 
Nervensystems  des  modernen  Menschen  oder  liegen  derselben 
sehr  reale  Möglichkeiten  zu  Grunde? 

Eine  kategorische  Antwort  wird  schwerlich  Jemand  auf 
diese  Frage  zu  erteilen  wagen.  Wünschen  dürfte  wohl  Jeder, 
dass  die  Befürchtungen,  welche  das  Anwachsen  der  Rüstungen 
hervorruft,  ein  Schemen  bleiben,  der  mit  der  Zeit  zerflattert, 
aber  alle  diese  Wünsche  dürften  allein  nicht  im  Stande  sein, 
die  Verkettung  aller  Umstände,  welche  die  Rüstungen  hervor- 
rufen,  abzuändern,  solange  nicht,   nach  einem  Ausdruck  von 


X  Einleitung. 


ThÜneiis,  *)  eine  Zeit  eintritt,  wo  die  Interessen  des  Vaterlandes 
und  der  Menschheit  einander  nicht  ausschliessen,  so  lange  nicht 
der  Grad  der  Kultur  erreicht  ist,  wo  diese  Interessen  unter 
einander  solidarisch  werden. 

Dem  Anschein  nach  wird  die  Menschheit  noch  liicht  so- 
bald bis  zu  dieser  Stufe  gelangen.  Die  Verderblichkeit  des 
Krieges  unter  den  jetzigen  Verhältnissen  ist  an  und  für  sich 
Jedem  einleuchtend,  aber  diese  Erkenntniss  ist  noch  keine  ge- 
nügende Bürgschaft  daflir,  dass  der  Krieg  nicht  plötzlich, 
gleichsam  zufällig,  sogar  im  Gegensatz  zu  der  öffentlichen 
Meinung  aufflammt.  Unwillkürlich  kommen  uns  die  Worte 
eines  grossen  Denkers**)  in  den  Sinn,  dass  „inmitten  der  Eitel- 
keit der  Welt  der  Dummheit  immer  ein  grösseres  Feld  der 
Thätigkeit  offen  steht  als  dem  Verstände  und  dass  der  Leichtsinn 
immer  mehr  Einfluss  ausübt  als  die  Überlegung". 

In  dem  gegebenen  Falle  ist  dieses  Wort  um  so  eher  an- 
wendbar, als  es  dem  überlegenden  Verstände  weniger  leicht 
gemacht  ist,  sich  in  der  Lage  der  Dinge,  die  sich  jäh  ver- 
ändert, zurecht  zu  finden.  Die  Schnelligkeit  in  der  Veränderung 
der  Verhältnisse  bildet  den  charakteristischen  Zug  unserer  Zeit. 
Jetzt  gehen  im  Laufe  einiger  Jahre  in  den  materiellen  Existenz- 
verhältnissen und  den  geistigen  Strömungen  der  Masse  ein- 
schneidendere Veränderungen  vor  als  in  früheren  Zeiten  vielleicht 
im  Laufe  eines  ganzen  Jahrhunderts.  Diese  grosse  Beweglichkeit 
des  modernen  Lebens  ist  bedingt  durch  die  steigende  Verbreitung 
der  Bildung,  die  Thätigkeit  der  Parlamente,  Associationen,  der 
Presse  und  durch  die  Wirksamkeit  der  neuen  Verkehrsmittel. 
Unter  dem  Einflüsse  dieser  Verhältnisse  leben  die  Völker  geistig 
nicht  nur  ihr  eigenes,  sondern  auch  ein  fremdes  Leben ;  die  Er- 
oberungen des  Geistes,  die  ökonomischen  Fortschritte  des  einen 
Landes  spiegeln  sich  materiell  und  geistig  in  der  Bevölkerung 
der  anderen  Länder  wieder,  der  geistige  Gesichtskreis  der 
Völker  hat  sich  geöffnet,  sich  ausgedehnt,  wie  das  erwachende 

*)  „Der  isolirte  Staat." 
**)  Odysse-Barot:  „Philosophie  de  Thistoire".   pag.  20. 


Einleitung.  XI 


Auge,  das  endlos  sich  breitende  Meer;  die  Geister  der  ge- 
samten Kulturwelt  sind  in  beständiger  Bewegung. 

Jede  Veränderung,  auf  materiellem  wie  geistigem  Gebiete, 
erwirbt  sich  ihr  Bürgerrecht  erst  nach  einem  Kampfe  der  neu 
auftretenden  Elemente  mit  den  bis  dahin  herrschend  gewesenen. 

Obgleich  die  Kriege  für  die  einzelnen  zivilisirten  Staaten 
keine  häufige  Erscheinung  sind,  so  zeigen  doch  die  statistischen 
Daten  für  den  gesamten  Erdball,  dass  vom  Jahre  1496  vor 
Christi  Geburt  (Abschluss  des  Amphictyonen-Bundes)  bis  zum 
Jahre  1861  nach  Christi  Geburt,  d.  h.  auf  einen  Zeitraum 
von  3357  Jahren  nur  227  Friedensjahre  entfallen  und  3130 
Kriegsjahre  oder  mit  anderen  Worten,  auf  ein  Friedensjahr 
13  Kriegsjahre.*)  Auf  Grundlage  der  Geschichte,  bietet  dem- 
nach das  Leben  der  Völker  das  Bild  eines  ununterbrochenen 
Krieges,  der  gleichsam  als  der  Normalzustand  erscheint. 

Die  Lage  hat  sich  jetzt  in  Vielem  geändert,  aber  die 
Überreste  des  Alten  setzen  den  Kampf  noch  immer  mit  dem 
Neuen  fort.  Die  alte  Staatsordnung  hat  einer  Ordnung  ganz 
anderer  Art  Platz  gemacht.  Siey^s  hat  die  alte  Ordnung  vor 
den  Reformen  mit  einer  umgestürzten  auf  der  Spitze  stehenden 
Pyramide  verglichen  und  erklärt,  dass  man  dieser  Pyramide 
eine  natürliche  Lage  geben,  sie  auf  ihre  Basis  stellen  müsse. 
Diese  Forderung  hat  sich  kann  man  sagen,  in  dem  Sinne  er- 
füllt, dass  das  Sraatsgebäude  in  der  That  gegen  früher  eine 
unvergleichlich  breitere  Grundlage  erhalten  hat,  dass  es  auf 
den  Rechten  und  dem  Einfluss  der  Millionen  aufgebaut  ist, 
die  den  sogenannten  dritten  Stand  bilden. 

Es  ist  natürlich,  dass,  je  grösser  die  Zahl  der  Stimmen 
ist,  die  auf  den  Gang  einer  Sache  von  Einfluss  sein  können, 
desto  komplizirter  auch  die  Gesamtheit  der  Interessen  wird, 
die  Berücksichtigung  erheischen.  Die  ökonomische  Umwälzung, 
welche  die  Anwendung  der  Dampfkraft  hervorrief,  hat  un- 
erwartet die  Beziehungen  zwischen  den  einzelnen  Ländern  der 

*)  Leer:  „Encyclopädie  der  Kriegs-  und  Marine -Wissen Schäften".  1885, 
Bd.  II.    Lieferung  2.    S.  296. 


XII  Einleitung. 


Welt  ganz  neu  gestaltet,  hat  in  jedem  Lande  die  einzelnen 
Klassen  und  Schichten  der  Bevölkerung  entweder  bereichert 
und  stärker  gemacht  oder  geschwächt  und  ruiniert,  je  nachdem 
die  neuen  Verhältnisse  den  einzelnen  Ländern  und  ihren  Be- 
völkerungsgruppen eine  grössere  oder  geringere  Teilnahme  an 
der  neuen  Verteilang  von  Einkünften,  Kapital  und  Einflusj 
gestatteten. 

Bei  der  grossen  Anzahl  der  Stimmen,  aus  denen  sich  in 
unserer  Zeit  die  öjSentliche  Meinung  zusammensetzt,  bei  der 
Verschiedenartigkeit  der  von  ihnen  vertretenen  Interessen  müssen 
auch  die  Ansichten  über  den  Militarismus  und  das  Ziel  des- 
selben: den  Krieg,  sehr  verschieden  sein.  Die  vermögenden 
Klassen,  insbesondere  diejenigen,  deren  Bedeutung  und  Besitz 
sich  bei  der  früheren  Verteilung  der  Macht,  den  früheren 
Erwerbsverhältnissen  fixirt  hat,  d.  h.  die  Schichten,  welche 
man  herkömmlich  konservativ  nennt,  sind  geneigt,  die  geistige 
Bewegung  gegen  den  Militarismus  mit  den  Bestrebungen  zur 
Umstürzung  der  gesellschaftlichen  Ordnung  in  einen  Topf  zu 
werfen.  Hierbei  wird  zuweilen  den  Erscheinungen  zweiten 
Grades,  die  bald  vorübergehen,  allzugrosse  Bedeutung  beigelegt 
und  die  gefilhrliche  Gärung  der  Geister  nicht  von  der  Stimme 
völlig  realer  Bedürfnisse  unterschieden,  welche  durch  die  im 
Leben  erfolgten  Veränderungen  hervorgerufen  sind.  Ueber- 
haupt  würdigt  man  in  den  oberen  Schichten  die  Bedeutung 
der  Reaktion  gegen  den  Militarismus,  die  unzweifelhaft  in  den 
Massen  vor  sich  geht,  nicht  genügend. 

Andererseits  ziehen  in  den  unteren  Schichten  die  Personen, 
welche  auf  die  Geister  der  Massen  einzuwirken  suchen,  mit 
noch  grösserem  Leichtsinn  und  selbst  mit  bewussten  Ver- 
drehungen kurzer  Hand  aus  den  neuen  Bedingungen  die 
extremsten  Schlussfolgerungen  und  Maximen,  negieren  alle  er- 
worbenen Rechte  und  streiten  allzuwillkürlich  dem  grössten 
Teil  der  bestehenden  Gesellschaftsordnungen  die  Existenz- 
berechtigung ab.  Um  mit  ihrer  Agitation  Erfolg  zu  haben, 
versprechen  sie   den  Massen  weit  mehr  als   überhaupt  irgend 


j 


Einleitung.  XIII 


welche  andere  Gesellschaftsformen  geben  können.  Um  die 
Massen  gegen  den  Militarismus  zu  erregen,  legen  diese  Agi- 
tatoren ohne  jegliches  Bedenken  den  Gegnern  egoistische  Motive, 
rein  persönliche  Berechnungen  unter,  mag  auch  der  Gegner 
einer  aufrichtigen  Überzeugung  folgen. 

Obgleich  die  Massen  sich  nicht  mit  einem  Schlage  irgend 
welchen  theoretischen  Erwägungen  hingeben,  sondern  gewöhn- 
lich nur  unter  dem  Einfluss  eines  bestimmten  Notstandes,  einer 
Leidenschaft  wirken,  so  unterliegt  es  doch  keinem  Zweifel,  dass 
jene  Agitation,  die  sich  an  sie  von  der  Parlamentstribüne  wendet 
wie  von  den  Rednerpulten  der  Klubs  oder  Volksversammlungen 
und  insbesondere  auf  dem  Wege  der  Presse,  doch  immer  tiefer 
in  die  Massen  eindringt  und  in  ihnen  allmählich  die  Geflihle 
herausarbeitet,  die  im  Moment  einer  durch  den  Krieg  hei'vor- 
gerufenen  Not  sie  zu  Thätlichkeiten  hinreissen  können.  Der 
Militarismus  ist  jetzt  für  diese  Propaganda  das  Hauptmittel  zur 
Agitation  und  zugleich  das  sichtbare  Ziel,  auf  dessen  Ver- 
nichtung man  hinarbeitet,  während  in  Wirklichkeit  nicht  nur 
der  Militarismus,  sondern  auch  die  ganze  jetzige  Ordnung  ver- 
nichtet werden  soll. 

Bei  dieser  Sachlage,  d.  h.  bei  der  für  alle  Länder  Europas 
ruinierenden  Konkurrenz  in  der  beständigen  Steigerung  der 
Rüstung,  bei  der  Gefahr  für  die  Gesellschaft,  die  unter  dieser 
für  alle  gemeinsamen  Last  emporwächst,  müssen  sich  die  leiten- 
den Kreise,  muss  sich  die  ganze  gebildete  Gesellschaft  ernst- 
haft bemühen,  sich  über  folgende  Fragen  klare  Rechenschaft  zu 
geben:  Wie  wird  sich  der  Krieg  bei  den  heutigen  Kriegsmitteln 
gestalten?  Wird  es  möglich  sein,  mit  den  Millionen-Heeren  die 
gegenseitige  Vernichtung  zu  erzielen,  wird  es  möglich  sein,  diese 
Massen  dahin  zu  bringen,  die  ganze  Wirkung  dieser  Mittel  zu 
ertragen,  welche  die  heutigen  Kriegswaffen,  die  furchtbaren 
Sprengstoffe  üben?  Wenn  man  sich  nun  bei  der  Prüfung  all 
dieser  Verhältnisse  etwa  sagen  müsste:  nein,  der  Krieg  ist  unter 
solchen  Verhältnissen  unwahrscheinlich,  die  Massenheere  werden 
die  Verheerungen,   die  in  den  künftigen  Schlachten  stattfinden 


XIV  Einleitung. 


müssen,  nicht  aushalten,  die  Völker  werden  nicht  den  Hunger 
und  die  Sistierung  der  gesamten  Produktionsthätigkeit,  die  den 
Massen  den  Lebensunterhalt  bietet,  ertragen,  wenn,  sagen  wir, 
der  Schluss  ein  solcher  wäre,  dann  würde  mit  vollster  Deutlich- 
keit die  alle  gleich  interessierende  Frage  gestellt  werden  können: 
warum  erschöpfen  die  Völker  mehr  und  mehr  ihre  Kraft  in  der 
Anhäufung  solcher  Zerstörungsmittel,  die  nicht  in  Aktion  treten 
können?  Warum  verzehren  sie  sich  in  den  Vorbereitungen  zu 
dem  Titanenkriege,  der  doch  nur  eine  Chimäre  bleibt,  warum 
arbeitet  die  europäische  Menschheit  in  ihrer  Mitte  einen  solchen 
SprengstoflF  aus,  dessen  Wirkung  mächtiger  als  Dynamit  sein 
kann,  eine  Kraft,  die  schon  nicht  bloss  Festungen,  nicht  bloss 
Städte,  sondern  die  Gesellschaft  selbst  zerstören  kann? 

Es  ist  ganz  natürlich,  dass  seit  längerer  Zeit  schon  in 
den  westeuropäischen  Ländern  in  allen  Schichten  der  Gesell- 
schaft teils  noch  rein  theoretische,  teils  bereits  praktische  Be- 
strebungen hervortreten,  deren  Ziel  es  ist,  den  Krieg  aus 
der  künftigen  Geschichte  der  Menschheit  zu  streichen.  Philo- 
sophen und  Philanthropen,  Staatsmänner  und  revolutionäre 
Agitatoren,  Dichter  und  Künstler,  Parlamente  und  Kongresse 
betonen  immer  stärker  und  stärker  die  Notwendigkeit,  das 
Blutvergiessen  und  den  durch  Kriege  hervorgerufenen  Notstand 
zu  beseitigen. 

Es  gab  einen  Moment,  wo  die  Proteste  gegen  den  Krieg 
anscheinend  eine  praktische  Bedeutung  zu  gewinnen  anfingen, 
aber  die  Revanchebestrebungen  —  eine  Folge  der  Einigung 
Deutschlands  —  haben  die  öffentliche  Meinung  umgewandelt. 
Nichtsdestoweniger  ist  der  Gedanke  geblieben  und  ftlhrt  fort 
auf  die  Geister  zu  wirken.  Die  Stimmen  der  Gelehrten,  die 
gegen  den  Krieg  gerichteten  Bestrebungen  der  Philanthropen 
haben  natürlich  auch  bald  unter  den  niederen  Bevölkerungs- 
schichten Widerhall  gefunden,  aber  eine  jede  Idee  stellt  sich 
anders  dem  aufgeklärten  Geiste,  anders  dem  einfachen  Menschen 
dar,  welcher  letztere  wohl  die  Folgen  sieht,  aber  nicht  die 
Ursachen,     von    sozialen    Erwägungen    nichts    begreift,     sich 


Einleitung.  XV 


von  der  historischen  Notwendigkeit  keine  Vorstellung  macht. 
Im  Halblicht  des  ungenauen  Wissens  entstehen  so  die  phan- 
tastischen Schatten,  die  von  Agitatoren  immer  mehr  aus- 
genutzt werden. 

Der  Krieg  ist  jetzt  in  Folge  der  ausserordentlichen  Fort- 
schritte der  Waffentechnik,  der  hochgesteigerten  Pi'äzision  der 
Feuerwaffen  und  ihres  enormen  Vernichtungsvermögens  furcht- 
barer geworden.  Vom  nächsten  grossen  Kriege  kann  man  als 
von  einem  Rendez-vous  des  Todes  sprechen!  Dazu  kommt 
noch,  dass  die  Verproviantierung  und  die  Sicherstellung  der 
Millionen-Heere  gegen  klimatische  Unbill  unerhört  schwer 
fallen  wird.  Einige  Militärschiift steller  sprechen  allerdings  die 
Ansicht  aus,  dass  die  gesteigerte  Feuergeschwindigkeit  die  Zahl 
der  Fehlschüsse,  nicht  der  Treffer  vergrössem  wird,  dass  das 
Blutvergiessen  sich  mithin  vermindere,  insofern  der  Kampf 
zwischen  den  Gegnern  auf  grösseren  Entfernungen  vor  sich 
gehen  wird,  dass  Kavallerie -Attacken  und  Bajonettangriffe  beim 
heutigen  Umfange  und  der  Heftigkeit  des  Feuergefechts  unwahr- 
scheinlich geworden  sind  und  dass  endlich  bei  der  jetzt  üblichen 
grösseren  Ausdehnung  der  Gefechtslinie  und  bei  den  nötig  ge- 
wordenen Deckungen  im  Gelände  den  einzelnen  Truppenteilen 
der  Rückzug  leichter  gemacht  werden  wird.  Aber  selbst  wenn 
wir  alles  dies,  was  noch  gar  nicht  erwiesen  ist,  zugeben,  so 
unterliegt  es  doch  keinem  Zweifel,  dass  bei  den  jetzigen  furcht- 
baren Waffen  der  Eindruck  der  Schlacht  auf  die  Truppen  an 
und  flir  sich  weit  stärker  sein  wird  als  früher  und  dass  das 
rauchschwache  Pulver  diesen  Eindruck  noch  vertiefen  wird. 
Infanterie-  wie  Artilleriefeuer  haben  eine  bisher  unerhörte 
Wirkung  erreicht,  die  Hülfeleistung  für  die  Verwundeten  ist  in 
Folge  der  Treffweite  der  neuen  Waffen  schwieriger  geworden. 
Zudem  wird  der  kaum  bemerkbare  Pulverrauch  den  noch  in 
Reih  und  Glied  Verbliebenen  die  entsetzlichen  Folgen  des 
Kampfes  nicht  mehr  verhüllen;  jetzt  wird  es  heissen,  vorwärts 
gehen,  und  zwar  angesichts  der  ganzen  vernichtenden  Wirkung 
der  einschlagenden  feindlichen  Geschosse. 


XVI  Einleitung. 


Bei  der  Beurteilung  des  künftigen  Krieges  ist  zudem  im 
Auge  zu  behalten,  dass  der  gegen  früher  weit  schrecklicher 
gewordenen  Feuertaufe  nicht  altgediente  Mietstruppen  unter- 
liegen werden,  welche  den  Krieg  als  Handwerk  erlernt  haben, 
sondern  Massen  friedlicher  Bürger,  welche  direkt  vom  Pfluge, 
Webstuhl,  aus  dem  Komptoir  und  vom  Schreibtisch  aus  unter 
das  Gewehr  treten  müssen. 

Hieraus  ergiebt  sich,  dass  auch  die  physischen  Bedingungen 
des  Krieges  jetzt  ganz  andere  sein  werden. 

In  unserer  Zeit  ist  es  überhaupt  schwieriger,  Heroismus 
hervorzurufen;  der  Skeptizismus  hat  nicht  nur  die  oberen 
Schichten  ergriffen,  sondern  schleicht  sich  auch  bei  den  Massen 
ein.  Demnach  kann  man  hauptsächlich  nur  noch  auf  die  Macht 
der  militärischen  Disziplin  zählen,  doch  auch  zur  Aneignung 
dieser  Disziplin  ist  eine  gewisse  Zeit  erforderlich.  Marschall 
Soult  erklärte,  dass  der  Soldat  zwei  Jahre  nötig  hat,  den 
häuslichen  Herd,  die  Familie  zu  vergessen,  und  dann  zwei  weitere 
Jahre,  damit  sich  in  ihm  der  echt  soldatische,  kriegerische 
Geist  entwickele;  die  jetzige  Mobilmachung  und  das  jetzige 
System  der  Reserven  und  des  Landsturms  aber  schaffen  ein 
Heer,  das  grösstenteils  aus  Leuten  besteht,  die  eben  erst  ihre 
bürgerliche  Beschäftigung,  ihr  Haus,  ihre  Familie  verlassen 
haben. 

Der  Gedanke  an  die  Erschütterungen,  von  denen  der 
künftige  Krieg  begleitet  sein  wird,  an  die  furchtbaren  für 
diesen  Krieg  in  Bereitschaft  gehaltenen  Mittel  wirkt  augen- 
scheinlich als  erschwerendes,  aufschiebendes  Gegenmoment  trotz 
der  gespannten  Völkerbeziehungen  in  gewissen  Fragen. 

Andererseits  kann  aber  die  derzeitige  Lage  nicht  an- 
dauern. Die  Völker  seulzen  unter  der  Last  des  Mihtarismus. 
Europa  steht  vor  der  Notwendigkeit,  der  produktiven  Volks- 
kraft immer  neue  und  neue  Milliarden  ftir  Kriegszwecke  zu 
entziehen.  Kaum  ist  man  mit  der  Einführung  des  Klein- 
kalibergewehrs fertig  geworden,  so  hat  die  Technik  bereits 
einen  neuen  Schritt  vorwärts  gethan,  und  es  unterliegt  keinem 


EinleituDg.  XVII 


Zweifel,  dass  die  Grossmächte  bald  genötigt  sein  werden,  zu 
Gewehren  noch  kleineren  Kalibers  überzugehen,  deren  Durch- 
schlagskraft fast  die  doppelte  Stärke  aufweist  und  welche  ge- 
statten, den  Soldaten  mit  einer  noch  grösseren  Zahl  von 
Patronen  auszurüsten.  Gleichzeitig  ist  man  in  Frankreich  und 
Deutschland  bereits  zur  Herstellung  neuer  Kanonen  und  Mörser 
geschritten,  bei  welchen  die  volle  Kraftäusserung  des  modernen 
rauchschwachen  Pulvers  zur  Anwendung  gelangen  wird. 
Milliarden  sind  zudem  für  Marinezwecke  verausgäbt  und 
müssen  angesichts  der  rapiden  Fortschritte  und  Neuerungen 
in  Bau  und  Ausrüstung  von  Kriegsschiffen  verausgabt  werden. 

Angesichts  dessen,  was  vor  unseren  Augen  in  Deutschland, 
Italien  und  Oesterreich  vor  sich  geht,  müssen  wir  uns  die  Frage 
stellen:  wird  die  Fortsetzung  der  beständigen  Ansprüche  an  die 
Landesvertretungen  um  neue  Rtistungsmittel  möglich  sein,  ohne 
ernste  innere  Erschütterungen  herbeizufilhren  ?  und  weiter  die 
Frage:  wird  die  weitere  Vervollkommnung  der  WaflFen  nicht  eine 
direkte  Unmöglichkeit  des  Kri^gführens  schaffen,  wenigstens 
für  die  Länder,  wo  eine  hohe  Kultur  den  Werth  des  Lebens 
eines  jeden  Bürgers  beträchtlich  gesteigert  hat? 

Der  künftige  Krieg  wird  demnach  nicht  nur  einen  quan- 
titativen Unterschied  in  der  numerischen  Stärke  der  Heere  auf- 
weisen, sondern  auch  einen  qualitativen  in  Bezug  auf  Stimmung 
und  geistige  Einflüsse,  die  früher  weit  schwächer  zur  Geltung 
kamen. 

Darum  wird  es,  wie  gesagt,  notwendig  sein,  dass  die 
Machtkreise  und  die  gebildete  Gesellschaft  ernstlich  sich  die 
Fragen  vorlegen,  ob  es  unter  den  heutigen  Verhältnissen  über- 
haupt möglich  sein  wird,  den  Zweck  des  Krieges  zu  erreichen, 
die  ungeheueren  Armeen  zu  verwalten  und  zu  unterhalten, 
endlich,  selbst  wenn  das  geUngt,  die  Millionenheere  lange  den 
furchtbaren  Gefahren  auszusetzen  und  unter  den  Fahnen  zu 
erhalten? 

Dazu  kommen  dann  noch  die  nicht  minder  furchtbaren 
wirtschaftlichen    und    sozialen    Erschütterungen    in   Folge    der 

ßloch,  Der  Krieg.  I.  II 


XVni  Einleitung. 


Einberufung  fast  der  gesammten  männlichen  Bevölkerung,  der 
Stockungen  in  Handel  und  Industrie,  der  ungeheueren 
Teuerung,  Aufhören  des  Kredits,  der  Budgetschwierigkeiten, 
der  Schwierigkeit  des  Unterhalts  der  zurückbleibenden  Teile 
der  Bevölkerung.  Und  endlich  —  wenn  in  Folge  der  all- 
gemeinen Erschöpfung  der  Krieg  eingestellt  wird  —  werden 
die  Soldaten,  die  ja  zum  Teil  aus  sozialistischen  Distrikten 
stammen,  gutwillig  sich  entwafl&ien  lassen? 

Daher  scheint  uns,  dass  der  Versuch  einer  populären 
Darlegung  der  modernen  Kriegsmittel  und  der  Folgen,  welche 
der  Krieg  nach  sich  ziehen  würde,  dazu  beitragen  könnte,  die 
allgemeine  Aufmerksamkeit  nach  dieser  Richtung  hinzulenken, 
die  öffentliche  Meinung  zu  ernüchtern,  den  Friedensbestrebungen 
aller  Staaten  Vorschub  zu  leisten.  Das  ist  die  Bedeutung 
unseres  bescheidenen,  in  diesem  Sinne  unternommenen  Versuchs. 

Jedoch  ein  Werk,  das  alle  diese  Fragen  berührte,  giebts 
weder  in  der  russischen,  noch  in  der  westeuropäischen  Litteratur. 

Das  einzige,  man  kann  sagen,  klassische  Werk,  das  einiger- 
maassen  unseren  Anforderungen  entspricht  und  auftnerksam  ge- 
lesen zu  werden  verdient,  ist  das  Buch  des  Barons  von  der 
Goltz:  „Das  Volk  in  Waffen."  Aber  dieses  Werk  ist  vor  Ein- 
führung der  neuen  Bewaffnung  und  des  rauchschwachen  Pulvers 
geschrieben  und  hellt  ausserdem  ungenügend  den  Einfluss  der 
Kriegstechnik  auf  das  ökonomische  und  soziale  Leben  auf. 
Diese  Lücke  ist  aber  so  bedeutsam,  dass  auch  das  von  der 
Goltz 'sehe  Werk  fast  gar  keine  praktische  Bedeutung  für  die 
europäische  Gesellschaft  besitzt. 

Unter  den  heutigen  Lebens-  und  Kriegsbedingungen  aber 
wäre  es  ein  frevelhafter  Leichtsinn,  ein  Verbrechen  geradezu, 
sich  in  einen  Krieg  zu  stürzen,  ohne  alle  jene  Begleit- 
erscheinungen und  Folgen  des  Völkerkampfes  im  eigenen  und 
in  den  fremden  Staaten  sich  klar  gemacht  zu  haben. 

Jedoch  die  Erwägung  der  kriegstechnischen  Seite  allein 
würde  noch  nicht  genügen.  Anders,  als  in  früheren  Kriegen, 
wird    im    Zukunftskriege    nicht    der    Sieg    allein    entscheidend 


wer... 


Einleitung.  XIX 


sein,  sondern  auch  —  das  Zerfallen  des  ganzen  Kriegs- 
apparats selbst. 

In  den  letzten  25  Jahren  haben  sich  in  der  Art  der 
Kriegsoperationen  solche  Veränderungen  zugetragen,  dass  der 
ZukunA»krieg  den  früheren  gar  nicht  mehr  gleichen  wird. 
Die  Vervollkommnung  der  Waffen,  die  Einführung  von  Spreng- 
geschossen und  kleinkalibrigen  Gewehren,  die  einen  weit 
grösseren  Patronenvorrat  für  den  einzelnen  Soldaten  er- 
möglichen, die  Wirkungen  des  rauchschwachen  Pulvers,  das 
nichts  verhüllt  und  Vieles  erkennen  lässt,  der  Umfang  der 
Operationen  der  Millionen -Heere  —  das  Alles  veranlasst 
Militär- Autoritäten,  wie  Graf  Moltke,  Gen«*ral  Leer  und 
Andere,  vorauszusagen,  dass  der  künftige  Klrieg  Jahre  lang 
währen  wird. 

Aber  werden  da  nicht  unter  den  heutigen  politischen, 
sozialen  und  wirtschaftlichen  Verhältniss^-n  in  dem  einen  Lande 
früher,  in  dem  anderen  später.  Zustände  eintreten,  die  die 
Fortsetzung  des  Krieges  unmöglich  machen,  ehe  er  noch 
seinen  Zweck  erreicht  hat?  Das  ist  eine  ungeheuer  wichtige 
Frage,  die  aber  die  Militärschriftsteller  höchstens  nur  ganz 
flüchtig  zu  streifen  pflegen. 

Und  werden  nicht  auch  aus  denselben  Gründen  die  auf 
Bündnisse  beruhenden  Kombinationen  zu  nichte  werden,  weil 
eben  der  eine  oder  andere  Staat  nicht  in  der  Lage  sein  wird, 
den  Krieg  fortzuführen? 

So  sind  die  rein  militärischen  Fragen  überall  mit  ökono- 
mischen eng  verknüpft.  Aber  die  Militärschriftsteller  betrachten 
den  Zukunftskrieg  immer  nur  vom  Standpunkt  des  Zweckes 
aus,  die  Armee  des  Gegners  zu  vernichten,  ohne  je  genauer 
die  sozialen  und  ökonomischen  Kriegswirkungen  ins  Auge  zu 
fassen,  während  andererseits  auch  die  national-ökonomischen 
keine  einzige  ausreichende  Untersuchung  dieser  Wirkungen 
geliefert  haben,  einfach  deshalb  nicht,  weil  sie  ihrerseits  mit 
dem  Wesen  der  Klriegstechnik ,  des  gesamten  Krlegsapparats 
nicht  vertraut  sind,   Zufall  vom  Gesetz  nicht  zu  unterscheiden 

II* 


XX-  Einleitung. 


vermögen  und  so  keine  klare  Vorstellung  von  Ursache  und 
Wirkung  gewinnen  können. 

Vor  fünfundzwanzig  Jahi'en  war  es  verhältnismässig  leicht, 
den  nächsten  Krieg  zu  charakterisieren,  seinen  möglichen  Verlaut 
zu  bestimmen,  seine  Resultate  und  Folgen  vorauszusehen.  Hier- 
zu hatte  man  nur  nötig,  die  letzten  zwei  bis  drei  internationalen 
Feldztige  zu  studieren,  in  die  Formeln  der  damals  wirkenden 
Kräfte  und  stattgehabten  Verluste  und  Perturbationen  die  neuen 
der  ins  Auge  gefassten  Zeit  entsprechenden  Daten  einzutragen, 
und  man  empfing  dann  annähernd  richtige  Resultate. 

Während  der  letzten  Jahrzehnte  sind  aber  in  der  Kriegs- 
kunst nach  jeder  Richtung  hin  grosse  Veränderungen,  ja  man 
kann  sagen,  sogar  volle  Neubildungen  erfolgt.  Ein  völliges 
Verstellen  der  Kriegsverhältnisse  ist  jetzt  um  so  schwieriger, 
als  man  einerseits  Angriff-  und  Abwehrmittel  anwenden  wird, 
deren  Wirkung  praktisch  noch  nicht  erprobt  ist,  und  man 
andererseits  die  Kriegführung  auch  nicht  mehr  als  etwas  rein 
Mechanisches  ansehen  kann  wie  früher,  wo  man  den  psychischen 
Faktoren  keine  besondere  Bedeutung  beilegte,  weil  die  Truppen 
zuerst  aus  geworbenen,  dann  aus  langgedienten,  mit  einem 
Wort  aus  Berufssoldaten  bestanden. 

Der  berühmte  Feldherr  des  18.  Jahrhunderts,  Moritz  von 
Sachsen,  sagte:  „Die  Kriegskunst  ist  mit  einem  Schatten  be- 
deckt, innerhalb  dessen  sich  keine  sicheren  Schritte  machen 
lassen;  Grundlage  des  Kriegshandwerks  sind  Routine  und 
Glaube  —  Kinder  des  Unbewussten." 

Gegenwärtig  ist  es  bereits  unmöglich  geworden,  mit  der 
Routine  auszukommen.  Die  Kampfv^erhältnisse  haben  sich  nicht 
nur  im  Vergleich  zu  den  Kriegen  des  18.  und  der  ersten  Hälfte 
des  19.  Jahrhundei  ts ,  sondern  auch  zu  den  letzten  Feldztigen 
derart  veiändert,  däss  die  bewährtesten  Truppenführer  sich  dieser 
Wahrnehmung  nicht  mehr  entziehen  können.  General  Lewall 
sagt:  „Die  Kriegskunst  bildet  sich  immer  merklicher  zu  einer 
Wissenschaft  aus;  Wissen,  intellektuelle  Entwickelung  und  bürger- 
liche Tugenden  erwerben  immer  grössere  Bedeutung  und  drängen 


Emleitung.  XXI 


den  Wagemut  und  physische  Vorzüge  auf  den  zweiten  Plan." 
Wie  auf  den  übrigen  Gebieten  des  Wissens,  so  ist  es  auch  hier 
sehr  schwierig,  sich  inmitten  der  Erscheinungen  zu  orientieren, 
welche  den  Beginn  einer  neuen  Epoche  repräsentieren.  Aber  je 
schwieriger  diese  Aufgabe,  desto  mehr  interessiert  und  lockt  sie 
die  Geister  an. 

Ein  heutiger  Denker  des  zivilisierten  und  weniger  als  andere 
Staaten  vom  MiHtarismus  infizierten  Englands,  Bagehot,  sagt: 
„Der  Fortschritt  der  Kriegskunst  ist  die  bemerkenswerteste  und 
grossartigste  Erscheinung   in  der  Geschichte  der  Menschheit.** 

Der  Krieg  hat  jetzt  in  der  That  die  Form  des  Kampfes 
ganzer  Nationen  angenommen,  die  ein  breit  angelegtes  kom- 
pliziertes Leben  leben.  Umfang  und  Aufgaben  des  heutigen 
Krieges  entsprechen  daher  auch  dieser  Kompliziertheit  und 
zudem  sind  die  Waflfen  und  Kampfesmittel  der  Jetztzeit  so- 
zusagen das  letzte  Wort  schöpferischer  Erfindungskraft  des 
Menschen. 

Elemente  des  Waffenganges  in  künftigen  Kriegen  sind  alle 
moralischen  und  geistigen  Mittel  der  Nationen  —  Gefühl, 
Charakter,  Geist  und  Willen  —  die  ganze  Macht  der  modernen 
Kultur,  alle  technischen  Vervollkommnungen.  Die  modernen 
Kriegsmittel  sind  kulturelle  Früchte  der  zivilisiei-ten  Welt  und 
verdienen  es  deshalb  auch,  der  ganzen  Gesellschaft  bekannt  zu 
werden.  In  Mittel-  und  West-Europa  hat  denn  auch,  besonders 
seit  Einführung  der  allgemeinen  Wehrpflicht,  das  Interesse  an 
militärischen  Fragen  in  allen  Gesellschaftskreisen  Eingang  ge- 
funden. 

Die  Militärschriftsteller  schliessen  aus  der  Praxis  früherer 
Kriege,  dass  die  Hauptgrundlagen  des  Kriegswesens  wenigstens 
in  ihren  allgemeinen  Zügen  der  Bevölkerung  bekannt  sein 
müssen,  welche  bei  Beginn  der  Feindseligkeiten  in  den  Reihen 
der  Armee  stehen  wird  und  von  deren  Thätigkeit  der  Ausgang 
des  Feldzuges  abhängt. 

Aber  sie  müssen  sich  klar  machen,  dass  einmal  fast  die 
gesamte    Zahl    der    Erwachsenen    unter    die    Fahnen    gerufen 


XXII  Einleitung. 


werden  wird,  und  sich  Rechenschaft  ablegen  von  den  volks- 
wirtschaftlichen Folgen  einer  solchen  Maassnahme. 

Das  Interesse  am  Kriege,  an  dessen  voraussichtlichem  Ver- 
laufe und  dessen  Resultaten  ist  gewiss  vorhanden,  aber  es  fehlen 
die  Daten,  aus  denen  man  sich  wenigstens  einen  annähernden 
BegriflF  von  dem  verschaffen  könnte,  was  durch  den  Krieg  in 
technischer  und  volkswirtschaftlicher  Hinsicht  bewirkt  werden 
wird.  Die  Folge  davon  sind  irrige  Ansichten.  Ist  aber  die 
Gesellschaft  derart  unvorbereitet  auf  eine  Erscheinung,  die 
Europa  plötzlich  überraschen  kann,  so  ist  das  nicht  ohne 
Gefahr. 

Einerseits  urteilt  man  über  den  künftigen  Krieg  noch 
immer  nach  Erzählungen  von  früheren  Kriegen,  wo  die  tech- 
nischen Mittel  weit  mangelhafter  waren  als  jetzt,  Strategie 
und  Taktik  weit  einfacher,  das  Ueberge wicht  der  Zahl,  der 
Ausbildung,  der  Bewaffnung  nicht  so  erdrückende  Faktoren 
bildeten  wie  jetzt,  wo  Tapferkeit  allein  hinreichte  nicht  nur 
zum  Siege  über  eine  grössere  Zahl,  sondern  zuweilen  auch 
über  die  bessere  Bewaffnung.  Andererseits  hat  man  wohl 
von  den  Fortschritten  der  Waffentechnik  gehört,  sich  aber 
nicht  mit  dem  Eindruck  bekannt  gemacht,  welchen  sie  auf 
dem  Schlachtfelde  hervorbringen  müssen,  weshalb  weder  dem 
moralischen  Zustande  des  Volkes,  mag  es  auch  diesem  oder 
jenem  Kriege  abgeneigt  sein,  noch  der  Stimmung  der  Truppen 
selbst  Bedeutung  beigelegt  wird. 

Wie  das  Volk  sich  aber  zum  Kriegsgedankeii  in  diesem 
oder  jenem  Falle  stellt,  ist  von  sehr  grosser  Bedeutung.  Sehr 
schön  hat  dies  der  veistorbene  russische,  sehr  talentvolle 
General  Fadejew  in  folgenden  Sätzen  zum  Ausdruck  ge- 
bracht: „Die  Meinung  des  Volkes  von  seiner  eigenen  Macht 
hat  einen  grossen  JEinfluss  auf  den  Gang  seiner  politischen 
Angelegenheiten;  diese  Meinung  ist  nicht  selten  ausser- 
ordentlich leichtsinnig  und  unbegründet,  und  die  Folgen  des 
Irrtums  lasten  schwer  auf  dem  Schicksal  des  Staates.  Im 
Allgemeinen   wird   angenommen,    dass   selbst   die  militärischeu 


Einleitung.  XXIII 


Elementarfragen  Eigentum  der  Spezialisten  bilden  und  der 
Gesellschaft  fremd  bleiben  können,  aber  wenn  der  Augenblick 
kommt,  seine  Meinung  über  Krieg  und  Frieden  auszudrucken, 
die  Mittel  des  Erfolges  abzuwägen,  so  seid  überzeugt,  dass  von 
zehn  Militärs,  die  als  die  besten  Richter  in  dieser  Sache  gelten, 
neun  die  Meinung  der  gesellschaftlichen  Mitte,  in  der  sie  leben, 
wiedergeben.  So  wird  die  Gesellschaft,  die  gewöhnlich  mili- 
tärischen Fragen  fremd  ist,  die  gründUch  weder  den  Zustand 
der  Streitkräfte  des  Staates  noch  auch  ihr  Verhältnis  zum 
gegebenen  Kampfe  kennt,  in  wichtigen  Fällen  bis  zu  einem 
hohen  Grade  Richter  und  entscheidender  Faktor  über  diese 
Fragen.  Sich  von  dem  Einfluss  der  öflfentlichen  Meinung  in 
dergleichen  Sachen  zu  befreien,  ist  ein  Ding  der  UnmögUchkeit. " 

Bereits  in  einigen  früheren  Werken  beschäftigten  wir  uns 
mit  dem  Einfluss,  den  der  Kjieg  auf  Russland  ausüben  könnte. 
Das  führte  uns  dazu,  in  der  Gesellschaft  mehr  Kenntnisse  von 
den  Folgen  eines  grossen  Krieges  unter  den  heutigen  inter- 
nationalen Beziehungen  verbreiten  zu  wollen.  Dabei  über- 
zeugten wir  uns  aber  bald  davon,  dass  das  nur  möglich  wäre, 
wenn  man  erst  selbst  das  Wesen  des  ganzen  modernen  Ej*iegs- 
apparats  studiert  habe. 

Der  grossen  Schwierigkeit  dieser  Aufgabe  wohl  bewusst, 
suchten  wir  daher  zunächst  einen  Autor,  der  die  gesamte 
technische  Seite  ausführlich  genug  dai'gelegt  hätte,  um  seine 
Darlegungen  und  Ausfuhrungen  und  sachgemässen  Angaben 
zum  Fundament  der  ganzen  Untersuchung  zu  machen.  Jedoch, 
wie  schon  erst  erwähnt  —  das  Suchen  blieb  vergeblich. 
Darum  mussten  wir  uns  an  die  Quellen  selbst  wenden,  d.  h. 
an  die  militärischen  Instruktionen  für  Friedens-  und  Kriegs- 
zeiten. 

Hier  aber  stiess  man  auf  eine  neue  Schwierigkeit. 

Jede  Armee  hat  bekanntlich  besondere  Reglement«  über 
die  Truppenübungen  im  Frieden  und  die  Vorbereitung  des 
Heeres  für  seine  Verwendung  auf  dem  Schlachtfelde.  Wir  hielten 
es  für  möghch,    uns  auf  den  Vergleich  dieser  Reglements  und 


XXIV  Einleitung. 


Lehrbücher  der  Taktik  und  Strategie  mit  denen,  die  vor  zwanzig 
Jahren  gebraucht  wurden,  zu  beschränken,  als  wir  jedoch  aus 
den  jetzt  in  den  Kriegsnkademien  gebrauchten  Werken  all- 
gemeine Schlussfolgerungen  ziehen  wollten,  gerieten  wir  wie 
mit  einem  Schlage  in  ein  Gewirr  unvereinbarer  Widersprüche 
und  zwar  von  solchen,  die  nicht  bloss  dem  Nicht  Fachmanne 
bedenklich  erscheinen  mussten.  Selbst  in  den  einzelnen  Heeren 
der  verschiedenen  Staaten  giebts  einen  Wust  von  Vorschriften, 
Abänderungen  und  abermaligen  Neuerungen.  In  der  fran- 
zösischen Armee  giebts  sogar  ein  bissiges  Wort  von  „ordre, 
contreordre,  d^sordre"  zur  Kennzeichnung  dieser  Sachlage. 
General  Luze,  ein  trefflicher  Spezialist,  sagt*)  über  Frankreich : 
„Wer  hat  sich  nicht  über  die  Verschiedenheit  der  Ansichten  in 
den  Lehrbüchern  unserer  Schulen  gewundert,  und  zwar  die  Ver- 
schiedenheit in  Fragen,  welche  Avesentliche  Regeln  der  Taktik 
betreffen?  Stimmen  etwa  die  Kenntnisse,  die  den  Infanterie- 
Offizieren  in  den  unteren  Schulen  übermittelt  werden,  mit  den 
Lehren  der  höchsten  Kriegs-Lehranstalt  tiberein?  Entspricht  die 
Lehre  dieser  höchsten  Anstalt  den  Kursen  der  angewandten  Schule 
(Ecole  d'application)?  Aendern  sich  nicht  häufig  die  Ideen,  die 
von  den  Kathedern  der  höchsten  Lehranstalt  verkündet  werden, 
in  der  entschiedensten  Weise?  Es  ist  dies  ein  Chaos  von  Be- 
griffen und  Prinzipien,  die  einander  bekämpfen,  und  aus  diesem 
Kampfe  bricht  kein  Lichtstrahl  hervor.  Man  darf  sich  daher 
darüber  nicht  wundem,  dass  die  Offiziere  sagen:  wozu  studieren, 
mögen  erst  die  Lehrer  unter  einander  Uebereinstimmung  er- 
zielen ! " 

Und  der  talentvolle  russische  Militärschriftsteller,  General 
Skugarewski,  bemerkt  mit  Recht,  dass  die  Instruktionen  vor  allem 
praktischen  Wert  haben  müssen  und  nicht  an  Einseitigkeit  leiden 
dürfen. 

Indessen  haben  wir  uns  in  den  letzten  Jahren  als  Mitglied 
verschiedener  Kommissionen,  an  deren  Beratungen  auch  hohe 
Militärpersonen   teilnahmen,    davon  überzeugt,  dass  selbst  die 


•)  Ktudes  de  tactique.    Paris  1890. 


Emieitung.  XXV 


hervorragendsten  Fachleute  auf  dem  Gebiete  des  Militärwesens 
nicht  zur  vollen  Einsicht  derjenigen  Erscheinungen  gelangt  sind, 
die  bei  einem  Kampf,  in  welchem  sich  Heere  von  zwei  und 
noch  mehr  Millionen  Soldaten  gegenüberstehen,  sich  zeigen 
werden.  Die  militärischen  Fachkenner  schöpfen  ihre  Ansichten 
aus  den  Erfahrungen  früherer  Kriege,  deren  Geschichte  sie 
eingehend  studieren;  da  sie  ausserdem  durch  ihren  Dienst  in 
Anspruch  genommen  werden,  so  ist  ihnen  auch  gar  nicht  zu 
verdenken,  wenn  sie  sich  mit  verschiedenen  Bethätigungs- 
formen  jener  Evolution,  die  sich  auf  dem  wirtschaftlichen  und 
sozialen  Gebiete  vollzieht,  nicht  befassen  können  und  auf  diese 
Weise  zu  nicht  ganz  richtigen  Schlüssen  gelangen. 

Es  giebt  auch  speziell  militärische  Probleme,  in  Bezug  auf 
welche  sich  die  Meinungen  der  militärischen  Autoritäten  wider- 
sprechen und  sich  nicht  in  eine  endgiltige  Schlussfolgerung 
zusammenfassen  lassen.  Diejenigen  Streitfragen  aber,  die  bei 
der  theoretischen  Behandlung  des  Themas  und  nicht  aus  der 
Praxis  heraus  entstanden  sind,  geben  nicht  selten  zu  so  diametral 
entgegengesetzten  Ansichten  Anlass,  dass  es  nur  dem  Kriege 
allein  Überlassen  werden  muss,  an  ihnen  eine  harte  Kritik  zu 
üben;  es  ist  jedoch  bisweilen  ziemlich  wichtig,  auch  diese  An- 
sichten kennen  zu  lernen.  Man  muss  aber  berücksichtigen, 
dass  manche  hervorragende  Kenner  der  militärischen  Dinge 
ihre  Ansichten  nicht  immer  unumschränkt  —  mit  Rücksicht 
auf  ihre  Stellung  im  aktiven  Dienste  —  äussern  können.  Sie 
äussern  sich  also  über  die  Wirkungen  der  Handfeuerwaffen  und 
bemerken  manches  in  Bezug  auf  die  Schwierigkeiten,  die  infolge 
des  grossen  Bestandes  der  modernen  Armeen  für  die  Heeres- 
verwaltung und  Intendantur  entstehen,  es  bleibt  aber  von  ihnen 
die  Frage  unberührt  —  wie  hoch  stellen  sich  dabei  die  Aus- 
gaben und  Einnahmen  und  wie  lange  Zeit  würden  die  Heere 
und  die  Völker  den  auf  den  neuen  Grundlagen  geführten  Krieg 
zu  ertragen  im  Stande  sein,  wenn  er  —  wie  dies  namhafte 
Autoren,  namentlich  Moltke  und  General  Leer,  voraussetzen, 
—  von  einer  langen  Dauer  wäre? 


XXVI  Einleitung. 


Die  jüngeren  militärischen  Autoren  sind  weniger  zurück- 
lialtend  und  sehr  pessimistische  Ansichten  sind  bei  ihnen  nichts 
Seltenes.  Doch  bleiben  diese  Ansichten  ohne  jeden  Einfluss 
auf  die  älteren  Autoren,  die  bekanntlich  die  Aeusserungen  aus 
jenen  Kreisen  gering  zu  schätzen  pflegen  und  die  der  Meinung 
sind,  man  solle  die  Zuversichtlichkeit  in  der  Armee  heben  und 
alles  das  vermeiden,  was  auf  den  künftigen  Krieg  einen  zu 
düsteren  Schatten  werfen  könnte.  Dieses  System  scheint  uns 
jedoch  unzulässig  zu  sein,  denn  man  wird  doch  zugeben,  dass 
denjenigen  unerwarteten  Vorkommnissen,  die  die  ungünstigen 
Folgen  nach  sich  ziehen,  nur  auf  die  Weise  vorgebeugt  werden 
kann,  dass  man  ihrer  in  voller  Bereitschaft  harrt. 

Das  waren  ungefähr  die  Erwägungen,  die  uns  zu  dem  Versuch 
bewogen  haben,  den  zukünftigen  Krieg  nach  allen  Richtungen 
liin  in  seinem  ganzen  Umfange  zu  beleuchten.  Dieser  erste  Ver- 
such ward  in  einer  Artikel-Serie  verwirklicht,  die  im  Jahre  1892 
in  der  zu  Warschau  in  polnischer  Sprache  erscheinenden  Zeit- 
schrift „Biblioteka  Warszawska"  veröffentlicht  wurde. 

Im  Jahre  1893  erschien  im  „Russkij  Westnik^  in 
10  Heften  eine  russische  Übersetzung  dieser  Arbeit  und  zwar 
unter  dem  Titel:  ,,Der  zukünftige  Krieg,  seine  wirtschaftlichen 
Ursachen  und  Konsequenzen.***) 

Die  mihtärisch-technische  Seite  in  dieser  Arbeit  ist  nach 
den  Untersuchungen  neuester  Autoritäten  auf  diesem  Gebiete 
bearbeitet  worden.  Das  Ergebnis  unserer  Arbeit  war  nach  den 
Aeusserungen  vieler  Personen,  darunter  vieler  höchstgestellter 
Militärs,  insofern  günstig  zu  nennen,  als  sie  —  weil  sie  eben 
von  keinem  Fachmann  verfasst  worden  —  sowohl  ihrem  Inhalt 
als  ihrer  Form  nach,  dem  grossen  Publikum  weit  zugängHcher 
geworden  ist,  als  jene  der  Fachlitteratur,  die  uns  als  Quelle 
diente.  Einzelne  Teile  derselben  Arbeit  wurden  in  französischen 
und  deutschen  militärischen  Fachzeitschriften  veröffentUcht;  so 
namentlich  in  den  „Jahrbüchern  für  deutsche  Armee  und 
Marine"  und  in  der  „Revue  des  Cercles  Militaires**, 


♦)  „Russ.  Wostnik",  Jahrg.  1893,    Bd.  2-11. 


[^JT  ^*' 


Einleitung.  XXVII 


Im  Laufe  der  VeröflFentlichung  dieser  Arbeit  sind  uns  von 
verschiedenen  Seiten  zahlreiche  Bemerkungen  und  kritische 
Aufsätze  zugegangen.  Manche  von  ihnen  rührten  von  be- 
kannten Militär -Schriftstellern  her,  manche  hatten  hervor- 
ragende aktive  Militärs  zu  Verfassern,  manche  endlich  rührten 
von  französischen  Bürgern  her.  Im  Laufe  der  nächstfolgenden 
fünf  Jahre  haben  wir  dann  alle  unsere  Mussestunden  der  Ver- 
vollständigung unserer  Arbeit  gewidmet.  Wir  haben  uns  bemüht, 
alles  das  eingehend  zu  studieren  und  darzulegen,  was  mit  den 
Mitteln  zur  Kriegführung  und  mit  den  darauf  bezüglichen  An- 
sichten der  theoretischen  und  praktischen  Kenner  des  Militär- 
wesens zusammenhängt;  wir  liaben  namentlich  auch  eine  genaue 
Untersuchung  der  sozial-wirtschaftlichen  Bedingungen,  die  beim 
Beginn  des  zukünftigen  Krieges,  während  desselben  und  nach 
demselben  hervortreten  werden,  für  geboten  erachtet. 

So  entstand  das  vorliegende  sechsbändige  Werk. 

Der  erste  Band  behandelt  die  Ausrüstung  der  Truppen 
und  die  Bedeutung  der  verschiedenen  Waffengattungen,  der 
Kavallerie,  Artillerie  und  Infanterie.  Der  Organisation,  Stärke, 
Verwaltung  und  Operation  der  Armeen  ist  der  zweite  Band  ge- 
widmet, unter  Berücksichtigung  aller  politischen,  geographischen, 
technischen,  sozialen  und  wirtschaftlichen  Bedingungen  des 
Zukunftskrieges  und  zwar  dabei  in  Bezug  auf  alle  Hauptmächte. 
Mit  dem  Seekriege  in  allen  seinen  Ausdrucksformen,  der  Be- 
deutung und  Entwicklung  der  modernen  Flotten  beschäftigt 
sich  der  dritte  Band. 

Diese  drei  Bände  bilden  zusammen  den  ersten  Teil  des 
Gesamtwerkes,  denn  in  ihnen  ist  der  Krieg  zu  Lande  und 
zu  Wasser  mit  allen  seinen  Mitteln  und  Operationen  einer  ein- 
gehenden Untersuchung  unterzogen  worden. 

Diesem  militärisch-technischen  Teile  schliesst  sich  dann  der 
zweite  sozial-wirtschaftKche  an,  der  aus  zwei  Bänden  besteht, 
dem  vierten  und  fünften. 

Die  wirtschaftlichen  Erschütterungen  und  Verluste,  die  der 
Krieg  mit  sich  bringen  wird,  die  Berechnung  der  Kriegskosten 


XXVIII  Einleitung. 


und  die  Darstellung  der  Mittel  zu  ihrer  Deckung,  die  Ver- 
proviantierung der  Armeen  und  ihre  Versorgung  mit  Waffen, 
Munition  u.  s.  w.  —  das  ist  Gegenstand  der  Untersuchungen, 
die  im  vierten  Band  angestellt  werden.  Eine  Darstellung 
der  Bestrebungen  zur  Beseitigung  des  Krieges  in  der  Ver- 
gangenheit und  Gegenwart,  der  Bedeutung  der  sozialistischen 
und  anarchistischen  Propaganda  gegen  den  Militarismus,  der 
Bedeutung  der  Bevölkerungs-Zunahme,  der  politischen  Ursachen 
kriegerischer  Konflikte  und  der  Wahrscheinlichkeit  dieser,  endlich 
der  Frage  von  den  vermutlichen  Menschenverlusten,  dem 
Charakter  der  Verwundungen,  den  Mitteln  der  Krankenpflege 
und  militär-ärztlicher  Hülfeleistung  —  ist  der  fünfte  Band 
gewidmet. 

Band  VI  giebt  dann  nochmals  eine  gedrängte  Übersicht 
der  ganzen  Arbeit  und  zieht  die  Schlussfolgerungen  daraus. 

Die  Fachkenner  des  Militär wesens  werden  wohl  unsere 
Arbeit,  und  speziell  denjenigen  Teil,*  welcher  den  technischen 
Fragen  gewidmet  ist,  wahrscheinlich  streng  beurteilen  und  uns 
teilweise  eine  zu  sehr  ins  Detail  gehende,  teilweise  oberflächliche 
oder  allzu  populäre  Behandlung  zum  Vorwurf  machen.  Wir 
haben  jedoch  nicht  für  Spezialisten,  sondern  für  das  Publikum 
geschrieben  und  vorausgesetzt,  dass  einem  grossen  Teil  dieses 
Publikums  das  Militär-  und  Kriegswesen  sogar  in  seinen  Grund- 
zügen unbekannt  ist.  Gleichzeitig  glauben  wir  durch  vertieftes 
Studium  der  Frage  und  der  einschlägigen  Litteratur  es  soweit 
gebracht  zu  haben,  dass  wir  den  Lesern  von  Durchschnitts- 
bildung und  vielleicht  auch  manchem  militärisch  gebildeten 
Leser  manche  Erscheinungen  des  Krieges  in  einer  zugänglichen 
Form  dargeboten  haben,  was  ja  übrigens  selbst  den  Spezialisten 
nicht  immer  glückt.  Es  wird  uns  auch  der  Vorwm'f  wohl 
nicht  erspart  bleiben,  dass  wir  uns  mit  der  Zusammenstellung 
verschiedener  Ansichten  über  militärische  Fragen  befasst  haben, 
ohne  unmittelbare  Fühlung  und  praktische  Erfahrung  auf  diesem 
Gebiet  zu  haben.  Wir  konnten  jedoch  keine  andere  Auswahl 
treffen.     Wir  mussten  die  Ansichten  der  verschiedenen  Autoren 


Einleitung.  XXIX 


in  Bezug  auf  die  Kriegstechnik  kennen  lernen,  weil  wir  anderen- 
falls nicht  im  Stande  geweseti  wären,  die  Bedingungen,  unter 
denen  der  Krieg  stattfinden  muss,  zu  erklären  und  die  Grenzen 
zwischen  der  Wirkung  dem  Naturgesetze  untergeordneter  Kräfte 
und  des  unberechenbaren  Zufalls  festzustellen. 

Da  aber  unsere  Spezialität  nicht  das  militärische,  sondern 
das  volkswirtschaftliche  Fach  ist,  so  mussten  wir  eben  in  einer 
Arbeit,  die  nicht  Fachleuten  gewidmet  ist  und  die  nicht  die 
Klärung  von  Streitfragen,  sondern  die  Feststellung  des  Sach- 
verhalts im  Auge  hat,  alle  Ansichten  und  alle  Gesichts- 
punkte samt  ihren  Konsequenzen  gleichmässig  beachten.  Er- 
munternd wirkten  auf  uns  in  dieser  Beziehung  folgende  Worte 
des  Obersten  Chwala:  „Es  giebt  keinen  besonderen  militärischen 
Verstand;  in  jeder  Untersuchung  ist  nur  der  allgemein  mensch- 
liche Verstand  nötig;  es  existiert  auch  keine  besondere  taktische 
Logik  —  es  giebt  nur  eine  natürliche  Kette  von  Ursachen  und 
Wirkungen,  auf  die  sich  jede  beliebige  grosse  intellektuelle 
Kombination  sttitzen  kann."*)  Es  würde  uns  eigentlich  sehr 
freuen,  wenn  unsere  Arbeit  kritische  oder  faktische  Berichtigungen 
veranlassen  würde.  In  der  bekannten,  auch  in  deutscher  Ueber- 
setzung  vorhandenen  Schrift  von  General  Woyde  über  den 
preussisch- französischen  Krieg  von  1870  wird  Willisens  Be- 
hauptung zitiert,  dass  das  Wesen  des  Krieges  durch  das 
Studium  früherer  Kriege  in  der  vollen  Ruhe  der  Gelehrten- 
stube inmitten  der  Bücher  und  Karten  am  besten  zu  ergründen 
ist;  sogar  derjenige,  der  einst  mitgekämpft  hat,  könne  den  Krieg 
gründlich  nur  durch  vervollständigendes  theoretisches  Studium 
kennen  lernen.  Wir  wollen  darauf  hinweisen,  dass  in  dieser 
Lage  die  Mehrzahl  der  militärischen  Schriftsteller  jüngerer 
Generation  sich  befindet.  Die  französische  und  die  deutsclie 
Armee  haben  Krieg  in  Europa  bereits  seit  27  Jahren,  die  öster- 
reichische seit  31  Jahren,  die  russische  seit  20  Jahren  nicht 
mehr    geführt.      Es    befinden    sich    in    diesen    Armeen    sogar 

*)  „Allgemeine  Betrachtungen  über  Entschluss,  Plan  und  Führung  im 
Gefecht."    Milit.  Journal  „Minerva"  1893. 


XXX  Einleitung. 


wenige  Offiziere,  die  mitgefocliten  haben.  Sehr  zahlreiche 
in  solcher  Stellung  befindliche  Personen,  die  ihnen  die  Ent- 
scheidung in  wichtigen  nulitärischen  Fragen  auferlegt,  können 
sich  eher  nur  auf  ihre  theoretische  Fachbildung,  als  auf 
eigene  Erfahrung  stützen.  Ihre  Lage  ist  demgenfiSss  unserer 
Lage  analog;  der  Hauptunterschied  besteht  darin,  dass  sie 
ihre  Fachkenntnisse  in  der  Schule,  auf  den  Polygonen  und  bei 
den  Manövern  erworben  haben,  während  wir  sie  acht  Jahre 
fortgesetzten  mühsamen  Untersuchungen   zu   verdanken  haben. 

Es  kann  sein,  dass  in  unserer  Arbeit  auch  Irrtümer  vor- 
kommen; sie  werden  jedoch  keineswegs  der  Art  sein,  dass 
sie  unsere  Schlussfolgerungen  umstossen  könnten.  Das  zu 
hoffen  glauben  wir  insofern  berechtigt  zu  sein,  als  weder  die 
Kritik,  noch  diejenigen  sehr  autoritativen  Fachleute,  die  unsere 
Arbeit,  noch  bevor  sie  abgeschlossen  war,  durch  Publikationen 
in  russischen  und  ausländischen  Monatsschriften  und  Zeitungen 
kennen  gelernt  haben,  uns  auf  irgend  welche  wichtige  Mängel 
aufmerksam  gemacht  haben. 

Wir  wollen  noch  hinzufügen,  dass  wir  insofern  im  Vorteil 
waren,  als  wir  eine  Untersuchungs-Methode  gewählt  haben,  die 
in  der  Anwendung  statistischer  Daten  und  ihnen  entsprechender 
graphischer  Darstellungen  bestand. 

Wir  haben  uns  immer  auf  genaue  statistische  Zahlen 
gestützt  und  unsere  bisherigen  Veröffentlichungen*)  geben  uns 
vermutlich  das  Recht,  die  Ansichten  der  militärischen  Autoren 
zusammenzustellen,  zu  vergleichen  und  aus  diesen  Ansichten 
Schlüsse  zu  ziehen,  geschweige  denn  mit  dem  Kriege  zusammen- 
hängende wirtschaftliche  Fragen  zu  behandeln. 

*)  „Russische  Eisenbahnen  in  Bezug  auf  die  Ausgaben  und  Einnahmen  der 
Exploitation,  den  Transportwert  und  Frachtbeförderung."  Petersburg  1875.  — 
„Die  wirtschaftliche  Lage  Russlands  in  der  Gegenwart  und  in  der  Vergangenheit" 
(„Westnik  Jewsopy"  August  1887.)  —  „Einfluss  der  Eisenbahnen  auf  die  wirt- 
schaftliche Lage  Russlands."  Petersburg  1878.  —  „Die  Finanzen  Russlands  im 
XIX.  Jahrhundert."  Petersburg  1882.  —  „Finanzen  des  Zarthums  Polen."  — 
„Meliorationskredit  und  Lage  der  Landwirtschaft  im  Vergleich  mit  den  anderen 
Staaten."  —  „Die  Verschuldung  des  Grundbesitzes  im  Zarthum  Polen."  Peters- 
burg 1894. 


Einleitung.  XXXI 


In  der  Behandlung  der  politisch-sozialen  Probleme  spielen 
die  Zahlen  die  erste  Rolle,  weil  sie  den  Forscher  vor  allzu 
subjektiven  Ansichten  und  Irrtümern  bewahren. 

Wir  glaubten  auf  dem  Gebiete  des  Militärwesens  die 
wissenschaftliche  Methode  der  Zahlen  anwenden  zu  müssen, 
obwohl  militärische  Schriftsteller,  mit  wenigen  Ausnahmen,  das 
vermeiden.  Sie  bringen  meistens  wohl  die  Hauptdaten,  ohne 
aber  auf  Grund  dieser  zu  Schlussfolgerungen  zu  gelangen. 
Deshalb  haben  wir  überall,  wo  es  nur  irgend  möglich  war,  die 
Formeln,  die  von  den  Fachmännern  betreffs  der  Geschütze, 
Handfeuerwaffen  und  vieler  anderer  technischen  Fragen  auf- 
gestellt worden  sind,  zu  der  Beurteilung  der  wahrscheinlichen 
Resultate  gebraucht.  Dieses  Verfahren  haben  wir  vielleicht  in  zu 
weitgehendem  Maasse  angewendet,  weil  wir  aus  diesen  Formeln 
alle  Schlüsse,  die  aus  ihnen  unserer  Meinung  nach  zu  ziehen 
waren,  gezogen  haben.  Dabei  haben  wir  aber  stets  den  Leser 
darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  die  wirklichen  Kriegsresultate 
vielfach  von  den  Resultaten,  die  auf  dem  Paradeplatze  und  im 
Manövergelände  erreicht  werden,  abweichen.  Ein  jeder  kann 
schliesslich  den  Wert  solcher  Berechnungen  bestimmen,  indem 
er  die  Daten,  die  ihnen  zur  Grundlage  dienten,  selbst  beurteilt. 

Wir  wollen  noch  hizufügen,  dass  die  vorliegende  Arbeit 
das  Ergebnis  eines  im  Laufe  von  acht  Jahren  fortgesetzten 
Studiums  der  militärischen  Litteratur  und  aller  sozialen  und 
wirtschaftlichen  Probleme,  die  mit  dem  Krieg  im  Zusammenhang 
stehen,  darstellt.  Da  die  Drucklegung,  je  nachdem  einzelne  Ab- 
schnitte fertig  waren,  mehr  als  zwei  Jahre  beansprucht  hat,  so 
musste  vieles  ergänzt  werden.  Die  Technik  schreitet  so  schnell 
fort,  dass,  ungeachtet  solcher  Ergänzungen,  manche  ihrer 
neuesten  Errungenschaften  erst  in  den  Schlussbetrachtungen 
gewürdigt  werden  konnten,  da  sie  seinerzeit  in  den  entsprechenden 
Kapiteln  unberücksichtigt  bleiben  mussten. 

Wir  haben  die  Regel  befolgt,  wenn  eine  neue  Entdeckung 
durch  eine  Zeichnung  erläutert  werden  konnte,  oder  wenn  die 
Ergebnisse    dieser  oder  jener  wirkenden   Kraft  graphisch  dar- 


XXXII  Einleitung. 


zustellen  waren,  die  entsprechende  Tafel  unmittelbar  im  Text 
oder  aber  in  den  Beilagen  zu  den  einzelnen  Kapiteln  folgen 
zu  lassen.  Wir  glaubten  auf  diese  Weise  im  Interesse  des 
Lesers  zu  handeln,  welchem  so  die  Mühe  des  Nachschlagens 
in  einem  besonderen  Anhange  erspart  bleibt.  Daraus  hat  sich 
jedoch  die  Schwierigkeit  ergeben,  dass  die  neuesten  Zeichnungen, 
die  sich  in  dem  Anhang  zu  jedem  einzelnen  bereits  gedruckt 
vorliegendem  Kapitel  befinden,  nicht  mehr  im  Text  selbst  be- 
sprochen werden  konnten. 


Johann  von  Bloch. 


■  ■  ■  ■  ^ 


I. 


Die  Feuerwaffen. 


Allgemeine  Bemerkungen  liber  das  Schiessen. 

Die  einfachsten  täglichen  Beobachtungen  überzeugen  uns,  dass  jeder      ^»1» 
Gegenstand,  der  vertikal  oder  unter  einem  Winkel  in  die  Höhe  geworfen  im  inftieeJn 
wird,  allmählich  die  ihm  mitgeteilte  Bewegungskraft  in  der  gegebenen  ^^^  l°^*" 
Richtung  verliert  und  endlich  auf  die  Erde  niederfällt.   Die  Physik  lehrt, 
dass  im  luftleeren  Räume  die  Schnelligkeit  des  Falles  der  Körper  nicht 
von  ihrer  Form,  Grösse  oder  ihrem  spezifischen  Gewichte  abhängig  ist. 
Das  eiserne  Geschoss  und  die  leichte  Feder,  die  von  gleicher  Höhe  fallen, 
würden  gleichzeitig  den  Erdboden  erreichen,  wenn  es  möglich  wäre,  den 
Widerstand  der  Luft,  welcher  ihrem  Fallen  entgegensteht,  auszuschliessen. 

Die  Theoretiker,  die  sich  mit  dem  Studium  der  Wirkung  der  Artillerie- 
Geschosse  beschäftigt  haben,  bestätigen,  was  bereits  Galilei  behauptet 
hatte,  dass  die  von  den  Geschossen  beschriebene  krumme  Linie  eine  völlig 
regelmässige  Parabel  sein  würde,  wenn  nicht  der  Widerstand  der  Luft  zu 
überwinden  wäre,  und  dass  bei  dieser  Voraussetzung  die  Schnelligkeit 
des  Falles  proportionell  dem  Quadrate  der  Zeit  und  damit  der  durch- 
messenen  Entfernung  zunehmen  würde.  ^) 

So  würde  ein  frei  fallendes  Geschoss,  wenn  der  Luftwiderstand 
nicht  zu  überwinden  wäre,  sich  der  Erde  nähern:  2) 

im  Lauf  1  Sekunde 4,90  Meter 

„      „     2  Sekunden 19,60      „ 

j?         »       ^  n  44,1U         ,« 

??        «4  j?  iOjW        „ 

Die  Schnelligkeit  des  Falles  unter  dem  Einflüsse  des  Luftwiderstandes 
steht  in  Abhängigkeit  von  der  Form  des  Geschosses  und  ist  der  Wider- 
stand nicht  der  gleiche  für  alle  Geschwindigkeiten. 

Die  Mehrzalil  der  Theoretiker  nimmt  an,  dass  der  Widerstand  der  Emflas«  de» 
Luft  für  sehr  kleine  und  für  grosse  Geschwindigkeiten  proportional  ihren  widewtandes. 

*)  Leer:  „Encydopädie  der  Kriegs-  und  Marine  Wissenschaften". 
')  „R^gl^ment  sur  l'instruction  du  tir".    Paris  1883. 

•  1* 


4  I.    Dip  Feuerwaffen. 

Quadraten  ist,  dagegen  für  mittlere  bedeutend  schneller  wächst  als  das 
Quadrat  der  Geschwindigkeit,  8) 

Zur  genaueren  Bekanntschaft  mit  dieser  Ei-scheinung  haben  wii- 
klarzulegen,  was  ein  Schnss  eigentlich  ist. 

Durch  den  Schlag  des  Hahnes  auf  das  mit  einem  Sprengstoff  an- 
gefüllt« Zündhütchen  entzündet  sich  dieser  Sprengstoff  und  teilt,  wie  dies 
hei  den  frnlieren  Gewehren  der  Fall  war,  dem  Pulver  seinen  Fnnken  mit, 
oder  aber  es  entsteht  durch  den  Stoss  der  Nadel  in  eine  im  Inneni  der 
Patrone  befindliche  Zündmasse  eine  Explosion  des  in  der  Patrone  be- 
findlichen Pulvere,  wohei  das  Pulver  sich  chemisch  zersetzt  und  augen- 
blicklich in  einen  gasförmigen  Zustand  übergeht.  Da  das  Gas  in  Folge 
seiner  Elastizität  bestrebt  ist,  rasch  ein  sehr  grosses  Volumen  einzunehmen, 
so  entwickelt  sich  im  Gewelirlauf  bei  der  Explosion  des  Pulvers  ein 
Dmck  von  einigen  Tausend  Atmosphären  Starke  und  hei  der  Explosion 
von  Pyroxylin  ein  noch  grösserer  Druck.  Ein  bedeutender  Teil  der  Kraft 
dieses  Drackes,  der  in  den  festen  Wänden  des  Laufes  Widerstand  findet, 
wendet  sich  auf  das  Heraustreiben  des  Geschosses,  welches  bei  Anwendung 
gewöhnlichen  Pulvers  mit  der  Geschwindigkeit  von  450  bis  500  Metern  in 
der  Sekunde  aus  dem  Gewehr  herausgeschleudert  wird,  aus  den  Gewehren 
neuen  Systems  aber  unter  der  Anwendung  von  rauchschwachem  Pulver  mit 
einer  Schnelligkeit  von  600  Metern  und  mehr  in  der  Sekunde  herausfliegt. 

Durch  den  Schuss  wird  das  Geschoss  in  der  Richtung  der  Mittellinie 
des  Gewehrlaufes  heransgetrieben;  da  es  aber  sofort  der  Wirkung  der 
Schwerkraft  der  Erde  und  des  Widerstandes  der  Luft  anheimfällt,  so 
beschreibt  das  Geschoss  unter  dem  Einflüsse  dieser  beiden  Kräfte,  nach 
dem  Maasse  seiner  Entfernung  vom  Gewehrlaufe  und  der  Verminderung  der 
ihm  mitgeteilten  Anfangsgeschwindigkeit,  eine  kininime  Linie,  eine  Kurve. 

Nachstehende  Zeichnung  zeigt  die  Bewegung  des  Geschosses  A. 


Bei  dem  Fluge  des  Geschosses  erscheint  die  eine  der  Kräfte,  nämlich 
dei  Luftwiderstand,  als  eine  (Irösse,  die  sich  je  nach  der  Form  des  Pro- 
jektils, seinem  Querschnitte  und  Gewicht«  sowie  der  Geschwindigkeit  seines 
Fluges  lind  der  Bewegung  der  Luft  verändert.  Ein  Geschoss  z,  B.,  welches 

»)  „Encyclopädie  der  Kriegs-  uncl  Marinowissensclmften",    Bd.  I,  S.  316. 


AUgemeine  Bemerkungen  über  das  Schiesseti.  5 

ia  10  Sekunden  1800  Meter  durchfliegt,  müsste  nach  theoretischer  Ee- 
rechnnng  eine  Fallhöhe  von  490  Metern  haben,  in  Wirklichkeit  jedoch 
kommt  dessen  Fallhühe  nur  auf  282  Meter. 

Diese  Difierenz  ist  eine  Folge  des  Luftwiderstandes,  dessen  Wirkung 
hei  grossen  Distanzen  bedentend,  bei  kleinen  dagegen  kaum  merkbar  ist. 
So  beträgt  diese  Differenz  bei  500  Metern  Entfernung  nur  0,(i3  Meter. 

Der  Verlust  der  Fluggeschwindigkeit  durch  den  Luftwiderstand  ist 
so  bedeutend,  dass  die  Geschwindigkeit,  welche  im  Moment  des  Schusses 
für  das  neue  französische  Lehel-Gewehr  mit  rauchschwacher  Pulverladung 
610  bis  620  Meter  in  der  Sekunde  beträgt,  im  weiteren  Verlaufe  pro 
Sekunde  nur  noch  ausmacht:'*) 


mf  200  Meter  Flug  48?  Meter 

!  auf  1200  Meter  Flug  233  Meter    v.,i..i 

„     400     „        „      3M     , 

„    1400     ,        ^221      „      ,ll'!Z 

,     600     ,         „      318     „ 

„    1600     „         „      206      „      j  „^;., 

,     800     ,.         „      283     , 

„    1800     „         ^      191      „      >•  Wo- 

,    1000     ,        „      269     , 

,    2000     „         ,      178      ,      ■■■"""" 

Noch  der  Durchfliegiing  von  Metern  Schnelligkeit  in  MeU-m 


(üTod   der  Terminderung  der  Anfangsgeschwindigkeit   des   Oeschossfluges   (GIO  bis 
620  Meter  pro  Sekunde)  in  Folge  der  Luftreibung. 

Wir  bemerken,  dass  Geschosse  aus  Gewehren  mit  rauchschwacher 
Palverladung  die  Kraft  tötlichen  Treffens  noch  auf  3200  Meter,  bei  gunstigen 
Verhältnissen  sogar  auf  4000  Meter  Distanz  besitzen,  Artilleriegeschosse 
bis  zu  10000  Metern, 

Wenn  die  Schwerkraft  nicht  existierte,  so  würde  die  Flugbahn  des 
Geschosses  eine  gerade  Linie  bilden  nnd  dasselbe  \vürde  bei  hoiizontalem 

*)  „L'aim^e  militaire".    1S90. 


I.    Die  Feuerwaffen. 


Fluge  auf  ebenem  Terrain  auf  mehrere  Tausend  Meter  alles  ihm  Be- 
gegnende treffen.  Da  es  schwer  anzunehmen  ist,  dass  es  auf  einer  solchen 
Entfernung,  während  die  Truppen  für  das  Gefecht  zusammengezogen 
werden,  keinem  einzigen  Soldaten  begegnen  sollte,  so  würde  fast  jedes 
Qeschoss  ein  lebendes  Ziel  treffen.  Zum  Glück  geht  es  in  der  Wirklich- 
keit anders  zu. 
Warum  beim  Je  Weiter  das  Ziel  entfernt  ist,  desto  grössere  Flugzeit  gebraucht 

weiteRrtf«- das  Geschoss,  desto  stärker  unterliegt  es  der  Wirkung  der  Schwere. 
™*o^8^ahir  ^*^**  dasselbe  nun  nicht  in  allzu  naher  Entfernung  zu  Boden  nieder- 
J»«»»"^  «1««*  fällt,  muss  man  seiner  Bahn,  zur  Erreichung  weiterer  Strecken,  eine 
Richtung  unter  einem  etwas  aufwärts  gehenden  Winkel  geben;  die 
Schwerkraft  hemmt  den  Aufstieg  des  Geschosses  und  dasselbe  beginnt 
sich  zu  senken,  um  an  beabsichtigter  Stelle  niederzufallen.  0) 


wird. 


*)  Auf  folgender  Zeichnung,  die  wir  Om^ga:  „L'art  de  combattre"  entlehnen, 
ist  die  Flugbahn  eines  Projektils  dargestellt,  welches  aus  dem  bis  1876  in  der 
französischen  Armee  gebrauchten  Gewehre  auf  200  Meter  Distanz  mit  gew^öhn- 
lichem  Pulver  abgefeuert  wird. 


Schass 
auf  200  Meter. 


Hieraus  ist  ersichtlich,  dass  bei  der  Ditetanz  von  200  Metern  die  Geschoss- 
bahn fast  in  horizontaler  Linie  liegt  und  das  Geschoss  im  Stande  ist,  auf  dieser 
ganzen  Ausdehnung  zu  treffen. 

Ein  Projektil  dagegen,  welches  einen  300  Meter  entfernten  Mann  en^eichen 
soll,  muss  in  einer  so  gerichteten  konvexen  Linie  abgefeuert  werden,  dass  es 
für  einen  nur  150  Meter  entfernten  Mann  ungefährlich  ist,  wie  dies  aus  nach- 
stehender Zeichnung  erhellt. 


Schass 
aaf  300  Meter. 


Allgemeine  Bemerkungen  über  das  Schiessen. 


Dieselbe  durch  die  gleichen  Gründe  bedingte  Erscheinung  geht  auch 
mit  dem  Wasser  vor,  das  man  aus  einer  Giesskanne  auf  den  Boden  giesst. 
Der  Strahl  fasst  um  so  weiter,  je  stärker  man  die  Giesskanne  nach  vorn 
neigt  und  je  höher  man  ihre  Dille  hält,  letzteres  jedoch  nur  bis  zu  einem 
gewissen  Grade,  denn  würde  der  Giessende  die  Dille  der  Giesskanne  in 
vertikale  Höhe  bringen,  so  würde  das  Wasser  sich  über  ihn  selbst 
ergiessen. 

So  richtet  man  auch  den  Lauf  des  Gewehres  oder  Geschützes  etwas 
aufwärts,  aber  nur  bis  zu  einem  gewissen  Winkel,  und  je  höher  bis  zu 
dieser  Grenze  der  Lauf  gerichtet  ist,  desto  weiter  wird  das  Gewehr  oder 
Geschütz  schiessen. 

Mit  einem  Wort,  je  weiter  das  Ziel  entfernt  ist,  desto  mehr  muss  Folgen 
die  Flugbahn  des  Geschosses  konvex  sein,  d.  h.  sich  über  die  Zielhöhe  irnrve. 
erheben.  Das  Geschoss  wird  demnach  den  grössten  Teil  seines  Weges 
in  einer  solchen  Höhe  von  der  Erde  durchfliegen,  in  der  es  keine  treff- 
baren lebenden  Ziele  giebt;  je  kürzer  dagegen  die  Entfernung  bis  zum 
Ziele  ist,  desto  niedriger  kann  man  das  Projektil  abschiessen  und  auf  einer 
desto  grösseren  Strecke  seines  Weges  vermag  es  alsdann  zu  treffen. 

Es  ist  begreiflich,  dass  eine  allzu  bedeutende  Konvexität  der  vom 
Geschoss  beschriebenen  Linie  dessen  Durchschlagskraft  vermindert,  da, 
je  weiter  das  Geschoss  fliegt  und  ein  je  grösserer  Teil  der  ihm  mit- 
geteilten Triebkraft  auf  die  Bekämpfung  der  Schwerkraft  aufgeht,  die 
bleibende  Durchschlagskraft  um  so  geringer  wird.    Ein  etwas  grösserer 


Wenn  man  aus  demselben  Gewehre  nach  einem  800  Meter  entfernten  Ziele 
schösse,  so  würde  das  Geschoss,  wie  nachstehende  Zeichnung  zeigt,  für  einen  auf- 
recht stehenden  Soldaten  erst  nach  Zurücklegung  von  772  Meter  gefahrlich  werden, 
im  Ganzen  also  einen  Raum  von  28  Metern  bestreichen.  Den  Kavalleristen 
kann  es  schon  nach  Zurücklegung  von  715  Meter  treffen;  den  ganzen  übrigen 
Kaum  würde  es  in  einer  Höhe  durchflogen  haben,  wo  Niemand  treff- 
bar ist. 


««&w»«- 


Scbaflfl 
auf  800  Meter. 


8 


I.    Die  Feuerwaffen. 


Schusswinkel  ist  zuweilen  aber  erforderlich  nicht  so  sehr  wegen  der 
Treftweite,  als  wegen  der  Möglichkeit  über  Hindernisse,  wie  Uneben- 
heiten des  Ten-ains,  Baumanpflanzungen,  Gebäude  u.  s.  w.  hinweg- 
zuschiessen.6) 


Ranchschwaches  Pulver  nnd  sonstige  Sprengstoffe. 

Das  Um  eine  grössere  Fluggeschwindigkeit  des  Geschosses  zu  erzielen, 

°!nd  B^inr  haben  die  Techniker  Mittel  zur  Vergrösserung  der  Kraft,  welche  das 
voraüge.  Geschoss  aus  dem  Lauf  des  Gewehres  oder  Geschützes  herausschleudert, 
zu  suchen  begonnen,  wobei  man  in  den  letzten  Jahren,  dank  der  Ent- 
wickelung  der  Chemie,  völlig  neue  Bahnen  eingeschlagen  hat.  Man  hat 
nämlich  eine  Art  Pulver  erfunden,  das  sich  durch  seine  chemische  Zu- 
sammensetzung von  dem  bisher  gebräuchlichen  unterscheidet,  über  eine 

®)  Die  nachfolgenden  Zeichnungen  stellen  Fälle  solcher  Art  dar.  Von  einer 
Anhöhe  oder  Tragleitor  aus  hat  der  Offizier  den  Feind  hinter  einem  Hain  in 
einer  Distanz  entdeckt,  die  aus  früheren  Messungen  bekannt  ist  oder  momentan 
festgestellt  wird.  Dann  findet  das  Schiessen  unter  dem  entsprechenden  Winkel 
statt  und  trifft  voll  und  ganz  die  feindliche  Abteilung,  die  hinter  der  Deckung  steht. 


^^"■^-^^i^ir"-^  --. 


Ebenso  vermag  der  Schütze,  der  auf  der  einen  Seite  eines  Hügels  steht, 
fttno  auf  der  anderen  Seite  des  Hügels  befindliche  Person  zu  treffen,  wenn  er 
den  Schuss  unter  einem  gewissen  Winkel  abfeuert. 


Diesen  Umstand  müssen  auch  friedliche  Bewohner  in  Betracht  ziehen  und 
sich  nicht  unbedingt  auf  den  Schutz  verlassen,  den  Haine,  Gebäude  oder  Terrain- 
unebenheiten darbieten.  Aber  das  sind  einzelne  Ausnahmefälle.  Im  Allgemeinen 
gilt  die  Regel,  dass,  je  geringer  die  Konvexität  der  Gesohossbahn  ist,  je  mehr 
sich  dieselbe  der  horizontalen  Linie  nähert,  desto  stärker  die  Wirkung  des 
Scliusses  ist. 


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Banchschwaches  Pulver  und  sonstige  Sprengstoffe. 


bedeutend  grössere  Stärke  verfügt  und  endlich  die  Eigenschaft  besitzt,  bei 
den  Schüssen  weit  weniger  Rauch  zu  entwickeln. 

Wie  der  grösste  Teü  aller  Erfindungen,  so  ist  auch  dies  rauch-  zusammen- 

Setzung 

schwache  Pulver  teils  das  Resultat  langer  Forschungen,  teils  des  Zufalls,  de«  früheren 
Schon  lange  beschäftigte  man  sich  mit  dem  Gedanken,  dass  in  der  Her-  ^"^'*"- 
Stellung  des  gewöhnlichen  Pulvers,  welches  bekanntlich  eine  mechanische 
Mischung  von  10  %  Schwefel,  16%  Kohle  und  74  %  Salpeter  bildet, 
Verbesserungen  unumgänglich  seien.  Etwas  mehr  als  Vö  dieses  Pulvers, 
nämlich  43  %,  verwandelt  sich  nach  der  Explosion  in  Gase.i)  Die  übrige 
Quantität  der  Pulver-Zusammensetzung  büdet  feste  krustenartige  Aus- 
scheidungen in  Form  von  Russ,  welche  im  Lauf  sitzen  bleiben,  oder  von 
Rauch,  der  in  die  Luft  fliegt.  Dies  ist  die  Ursache  des  Verschmutzens 
der  Waffe,  welche  sich  dabei  zugleich  erwärmt  und  zeitweise  manchmal 
gerade  in  den  entscheidendsten  Momenten  der  Schlacht  für  den  Gebrauch 
untauglich  wird.  Ausserdem  sind  die  Kämpfenden  von  einer  undurch- 
dringbaren  Rauchwolke  umgeben.^) 

Früher  als  die  anderen  Sprengstoffe  ist  das  Nitroglycerin  erfunden  Nitroglycerin 

und  Dynftinit. 

worden.  Dieses  wird  durch  eine  allmähliche  Zufügung  von  Glycerin  zu 
einem  Gemisch  von  Schwefel-  und  Azotsäure  erhalten  und  durch  die  darauf 
erfolgende  Auswässerung  der  chemischen  Verbindung,  um  die  Spuren  der 

0  „15  Vorträge  über  die  Wirkungsfähigkeit  der  Geschütze".    S.  115. 

')  Seit  1846  ist  eine  Art  Materialien  aufgetaucht,  aus  denen  man  in  ver- 
schiedener "Weise  kombinierte  chemische  Verbindungen  herzustellen  begonnen 
hat.  Zu  diesen  Verbindungen  werden  Azotsäure  und  verschiedene  organische 
Stoffe  gebraucht,  und  so  gewann  man  die  bekannte  Schiessbaumwolle,  Nitro- 
glycerin, Pikrat,  Kalium  u.  s.  w.  Besonders  zahlreiche  Versuche  sind  seit  1856 
mit  Schiessbaumwolle  gemacht  worden,  wobei  man  jedoch  in  Folge  der 
allzu  starken  Wirkung  des  neuen  Sprengstoffes  wenig  befriedigende  Resultate 
erzielte;  erst  in  jüngster  Zeit  hat  sich  dieses  geändert. 

Der  Hauptgrund  für  die  eifrige  Anstellung  solcher  Forschungen  war  nicht 
so  sehr  der  Wunsch,  die  Sprengfähigkeit  des  vorhandenen  Pulvers  zu  verstärken, 
als  vielmehr  die  Notwendigkeit,  den  beim  Gebrauch  desselben  auftretenden  Un- 
bequemlichkeiten zu  begegnen,  besonders  die  starke  den  Horizont  verhüllende 
Rauchen tw^ckelung  zu  beseitigen. 

Die  neuerdings  erfolgte  Anwendung  von  Kartätsch-  und  Schnellfeuer- 
geschützen  zur  Verteidigung  der  Schiffe  gegen  Torpedoböte  erforderte  für 
das  Wirksamwerden  dieser  Verteidigung  die  Anwendung  rauchlosen  oder 
w^enigstens  rauchschwachen  Pulvers,  da  andernfalls  jeder  Nutzen  des  Schnell- 
feuers zweifelhaft  werden  mussto.  Von  den  Rauchwolken,  die  ein  grosses  Schiff 
umhüllen,  können  sonst  die  Torpedoböte  Nutzen  ziehen,  um  sich  demselben 
unbemerkt  zu  nähern.  Deshalb  hat  zuerst  die  See- Artillerie  für  ihre  Bedürfnisse 
möglichst  rauchloses  Pulver  verwandt,  imd  erst  nachdem  man  sich  von  den 
ballistischen  Vorzügen  desselben  überzeugt  hatte,  entstand  die  Frage,  dasselbe 
auch  für  das  Landheer  zu  verwerten. 


10  I-    Bie  FPuerwaffen. 

Sänre  zu  entfernen.  Dies  ist  eine  fettartige  Flüssigkeit,  die  sich  bei 
lOö  R.  kondensiert.  Sie  ist  ansserordentlirh  giftig  und  explodiert  leicht 
durch  Stosa  oder  Reibung  und  verwandelt  sich  hierbei  ohne  Rückstand  in 
Gase.  Deshalb  wird  nicht  reines  Niti-oglycerin  vei-wendet,  sondern  man 
sättigt  damit  einen  bestimmten  zu  Pulver  verwandelten  Stoff,  der  dasselbe 
leicht  aufnimmt,  z.  B.  Kohle,  gilt  gebrannte)-  Ziegel,  Kalk  n.  s.  w.  In 
dieser  Form  erhält  der  .Sprengstoff  den  Namen  Dynamit. 

Schiessbanmwolle  (Pyroxylin)  wird  gewonnen,  indem  man  BanmwoU- 
abfälle  mit  einem  Gemisch  von  Azotsänre  und  Schwefel  durchtränkt. 
Solche  Baumwolle  enthält  15%  Wasser  in  sieh  und  ist  für  die  Hantierung 
mit  derselben  und  beim  Transport  sehr  gefahrlich. 

Nach  der  Trocknung,  worauf  das  Pyroxylin  nur  noch  3%  Wasser 
enthält,  fän^  es  von  einer  Flamme  Feuer  und  verbrennt  allmählich. 


Flamme  der  Seliieasliauni wolle. 


Bei  der  Entzündung  mittelst  Knall-QnecksUbers  erfolgt  eine  Kxplosion. 

Aus  Pyroxylin  wird  ein  zum  Schiessen  tauglicher  Stoff  gewonnen, 
indem  man  dasselbe  zur  Hälfte  mit  Salpeter  mischt  und  darauf  presst. 
Alsdann  schneidet  man  das,selbe  für  Gewehrpatronen. 


BauchschwiLches  Pulver  im  Blatt. 


Baachschwaches  FnlTer  nnd  sonstige  Sprengstoffe.  H 

Für  die  Verwendung  in  Geschützen  wird  Pyroxylin  in  Form  kubischer 
Stücke  hei^eatellt,  die  je  nach  Bedürfnis  zerteilt  werden. 


y 
^ 


itanchschwaches  Pulver  für  Kanonen. 

Dieses  rauchschwache  oder  fast  rauchlose  Pulver  glebt  einen  be-  tuatu 
sonderen  Anla.ss  zur  Beunruhigung  hinsichtlich  des  Chai-akters  und  der  ^7v«"" 
Gefahren  des  künftigen  Krieges.  '"'kh"" 

Eine  bedeutende  Anzahl  von  Militärschriftsellern  ist  der  Ansicht,  «hruL 
dass  sich  mit  Einfdhrang  des  neuen  Pulvers  die  Schlachttechnik  völlig 
umwandeln  wird  und  dass  das  neue  Pulver  eine  grössere  Kevolntion  im 
Kriegswesen  hervorrufen  durfte,  als  es  die  Erfindung  des  alten  Pulvers 
vermocht  hatte,  weil  dasselbe  erstens  eine  mehrere  Mal  stärkere  Kraft 
bei  der  Ehtplosion  entwickelt  nnd  weil  zweitens  bei  der  Anwendung 
des  früheren  Pulvers  der  beim  Schiessen  entstehende  Bauch  jeder  der 
kämpfenden  Seiten  den  Standort  und  die  Bewegungen  des  Gegners  anzeigte, 
während  jetzt  zur  Feststellung  des  Standortes  des  Gegners  nur  Gehör- 
eindrücke übrig  bleiben,  die  bekanntlich  bei  weitem  nicht  so  genau  sind, 
wie  die  Beobachtung  mit  dem  Ange.  Ausserdem  bildete  der  Rasch  häufig 
eine  undurchdringliche  Deckung.  Endlich  werden  auch  die  früher  über 
das  Schlachtfeld  sich  ausbreitenden  Rauchwolken  femer  nicht  mehr  alle 
Schi-ecken  des  Kampfes  verhüllen. 

Das  erste  rauchschwache  Pulver  ist  im  Jahre  1886  in  der  französischen 
Armee  und  darauf  allmählich  auch  bei  den  anderen  Armeen  eingeführt 
worden.  Jeder  Staat  produziert  dies  Pulver  nach  einem  besonderen 
Rezept;  gegenwärtig  zählt  man  bereits  viele  Sorten  desselben,  aber  diese 
Sorten  bilden  alle  nnr  verschiedene  Kombinationen  derselben  Grundstoffe. 
Nitrocellulose  ist  der  Gnindstoft'  der  verschiedenen  rauchlosen  Pulver- 
arten, d.  h.  dieselben  bestehen  aus  einem  organischen  Stoffe,  der  mit 
Azotsänre  bearbeitet  ist,  und  unterscheiden  sich  von  einander  nur  durch 
die  Art  der  Zubereitung  und  verschiedene  Beimischungen. 

Die  Abbildungen  in  der  umstehenden  Beilage  ze^en  uns  die  ver-  Abbiuui, 
schiedenen  in  der  englischen  Armee  angewandten  Pulversorten.  ™^"h 


12  !•    I^ie  Feuerwaffen. 


Vermehrte  Alle  Eigenschaften  des  rauchschwachen  Pulvers  erklären  sich  durch 

entwicMnng  dcsscu  chemischcu  Bestand.  Ein  Kilogramm  gewöhnlichen  Pulvers  erzeugt 
^p^ivers"  ^^^  ^^^  Explosion  nur  270  Liter  gasförmiger  Produkte,  dieselbe  Quantität 
des  neuen  rauchlosen  Pulvers  dagegen  859  Liter. 

schneuigkeit  Noch  bemerkenswerter  ist  der  Unterschied  zwischen  dem  neuen  und 

Verbrennung  dcm  altcu  Pulvcr  durch  die  Zeitdauer,  die  zur  Verbrennung  desselben 
"^puiTera  ^  erforderlich  ist.  Ein  Kilogramm  gewöhnlichen  schwarzen  Pulvers  erfordert 
für  seine  Verbrennung  i/ioo  Sekunde,  dieselbe  Quantität  rauchschwachen 
Pulvers  dagegen  nur  Vöoooo  Sekunde. s)  Letzteres  entwickelt  dabei  eine 
höhere  Temperatur,  wodurch  für  den  Schützen  die  Gefahr,  sich  Brand- 
wunden zuzuziehen,  grösser  wird.  Das  frühere  Pulver  entwickelte  bei 
der  Explosion  eine  Temperatur  von  2500^  C,  das  Nitroglycerin  dagegen 
würde,  wenn  es  rein  angewendet  werden  könnte,  eine  Temperatur  von 
73000  entwickeln.4) 

H&Dgei  Das    frühere    Vorurteil,    das    nur    noch    in    wenigunterrichteten 

*?uwere"  Kreisen  herrscht,  dass  das  neue  Pulver  sich  in  den  Niederlagen  schlecht 
halte  und  leicht  verderbe,  wird  unter  Anderem  dadurch  widerlegt,  dass 
das  frühere  einmal  nass  gewordene  Pulver  zum  Gebrauch  untauglich  wird, 
während  rauchschwaches  Pulver,  welches  einige  Tage  unter  Wasser  ge- 
legen hat  und  dann  bei  Sonne  und  Luft  getrocknet  ist,  seine  früheren 
Eigenschaften  wiedergewinnt.  Gegen  das  neue  Pulver  spricht  daher  nur 
seine  verhältnismässig  teure  Herstellung  und  die  Entwicklung  seiner 
hohen  Temperatur  bei  der  Explosion. 

Grad  Was  die  Rauchschwäche  des  neuen  Pulvers  betiifft,  so  lagert  auf 

achwfiche.  kleinen  Distanzen  bis  zu  300  Metern  der  Kauch  des  Gewehrfeuers  über 

der  Schützenlinie  in  der  Form  leichten  Dunstes,  etwa  wie  dies  bei  einer 

brennenden  Cigarre  bemerkbar  ist,  aber  bei  Entfernungen  über  300  Meter 

wh*d  derselbe  mehr  und  mehr  unsichtbar. 

Selbst  der  beim  Salvenfeuer  entstehende  Rauch  hindert  die  Schützen 
nicht,  die  entferntesten  Gegenstände  wahrzunehmen.  Der  vom  neuen 
Pulver  erzeugte  Geschützdampf  bildet  für  die  Bedienung  kein  gi'össeres 
Hindernis  als  der  Rauch  der  Infanterie-Salven,  aber  auch  der  Rauch 
des  feindlichen  Geschützfeuers  kann  auf  gewöhnlicher  Schussweite, 
selbst  bei  heftigem  Artillerie-Gefecht  nicht  mehr  wahrgenommen  werden. 
Statt  dessen  tritt  jedoch  häufig  ein  anderer  Umstand  ein,  der  den  Aus- 
gangspunkt und  die  Richtung  des  Schiessens  verräth,  nämlich  die  Luft- 
bewegung,  welche  durch  die  gewaltige  Kraft   der  Explosion  entsteht. 


')  „Das  alte  und  das  neue  Pulver".   Lepsius  1891. 

*)   „Vorträge  über  die  Wirkung« fähigkeit  der  Geschütze". 


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RauchschwacheB  Pulver  und  sonstige  Spreugstoffe.  13 

Diese  Luftbewegung  wirbelt  nnter  gewissen  Bedingnngen  einen  Stanb 
auf,  der  unvergleichlich  stärker  ist  als  bei  dem  früheren  Pulver.-^) 

Das  Geschützfener  ist,  wenn  das  Geschütz  nicht  maskiert  ist,  auf     Fen« 
4000  Meter  Entfernung  sichtbar.    Es  ist  selbst  dann  sichtbar,  wenn  die  X  ■• 
Geschütze  hinter  dem  Kamm  einer  Anhöhe,  aber  nicht  tiefer  als  3  Meter  ^^"j,*^ 
anter  demselben,  postiert  sind.    Sind  die  Geschütze  6  Meter  unter  dem 
Kamm  aufgestellt,  so  ist  ihr  Feuer  in  keinem  Fall  sichtbar. 


')  Der  grösseren  Anschaulichkeit  wegeo  geben  wir  zwei  Zeichnungen 
(aus  „Annöe  Scientifitjue  Figuier",  1891),  welche  Salven  mit  gewühnlichem  und 
mit  rauchschwachem  Pulver  darstellen. 


Salve  mit  gewühnlichei 


J4  I.    Di«  FeuerwaiFen. 


In  der  Nacht  ist  das  Feuer  des  Schusses  bei  dem  neuen  Pulver 

zweimal  heller  als   bei  dem  alten.    Im  Allgemeinen  verräth  sich  eine 

Batterie,   die  mit  dem  neuen  Pulver  schiesst,  vorzugsweise  durch  den 

Feuerstrahl. 

Schall  beim  Der  Schall  bei  dem  Schusse  mit  dem  heutigen  Pulver  beträgt  0,9 

mit  n^em  des  Schalls  des  früheren  Schusses ;  dabei  ist  er  kürzer,  schärfer  und 

^^'''    markierter.6) 

Bei  der  Verwendung  des  rauchschwachen  Pulvers  ist  die  Triebki-aft 

der  Geschosse  bedeutend  grösser  geworden. 

Einflass  Dic  Tragweite  der  neuen  Gewehre  bei  Anwendung  des 

plüTeTauf  rauchschwachen  Pulvers   erreicht   4200  Meter,    während    das 

^J^^rfr**® Feuer   aus    den   früheren  Gewehrtypen  bei    der  Ladung   mit 

der  Schüsse.  »^  ^  '^ 

Salpeter-Pulver  nur  bis  1775 Meter  für  wirksam  gelten  kann. 
Was  aber  besonders  wichtig  ist,  das  ist  der  Umstand,  dass  die  gi^össere 
oder  geringere  Triebkraft  auch  auf  die  grössere  oder  geringere  Krümmung 
der  Linie,  welche  von  dem  Geschoss  beschrieben  wird,  von  Einfluss  ist. 
Von  dem  Grade  dieser  Krümmung  hängt  aber  die  Länge  der  Strecke  ab, 
auf  welcher  das  Geschoss  nicht  über  Manneshöhe  fliegt,  und  folglich 
seine  Bahn  todbringend  ist.  Es  ist  klar,  dass,  je  grösser  diese  Strecke 
ist,  desto  wirksamer  der  Schuss  sein  wird,  desto  geringere  Bedeutung 
ein  Irrtum  bei  der  Bestimmung  der  Distanz  haben  wird,  da  die  be- 
trächtlichere Grösse  des  dem  Treffen  ausgesetzten,  bestrichenen  Raumes 
auch  eine  grössere  Ungenauigkeit  im  Zielen  gestattet. 
EiDflass  Ausserdem  wird  bei  Anwendung  des  rauchschwachen  Pulvers  eine 

PttTvere"auf  g^össcrc  Treflfwahrscheinliclikeit  erlangt,   sowohl  in  Folge  der  grösseren 
wahrwiTeTn  -^^f^^^S^geschwindigkeit  des  Geschosses  als  auch  wegen  der  Möglichkeit, 
lichkeit.    eine  Waffe  kleineren  Kalibers  zu  verwenden. 

Bei  dem  Einzelschiessen  aus  gleichwertigen  Gewehren  giebt  das 
neue  Pulver  44%  Treffer,  während  das  frühere  nur  34%  gab;  bei  dem  Salven- 
schiessen  giebt  das  neue  Pulver  42%  Treffer,  das  alte  36%,  der  Unter- 
schied zu  Gunsten  des  rauchschwachen  Pulvers  beträgt  mithin  beim 
Einzelschiessen  29%,  beim  Salvenschiessen  17%. 
LaduuRs-  Die  grössere  Explosionskraft  des  neuen  Pulvers  giebt  die 

d^Muen  Möglichkeit,  dasselbe  im  Vergleich  zu  dem  früheren  Pulver 
Pulvers  für  nach   Gewicht    in    einer    dreifach    geringeren    Quantität    zu 

einen  Schass.  ,,>,i  .-i/. 

verwenden,  und  da  auch  das  Geschossgewicht  für  die  neuen  Gewehre 
vermindert  ist,  so  kann  der  Soldat  eine  grössere  Anzahl  von  Patronen 
bei  sich  führen. 


*)  Michnewitsch :    „Einfluss  der  neuesten  technisclien  Erfindungen  auf  die 
Taktik". 


Rauchschwaches  Pulver  und  sonstige  Si)rengstoife.  15 


Was  die  Sprengmaterialien  anbetrifft,  die  für  Bomben,  Minen  und 
andere  Mittel  verwandt  werden,  die  zur  Zerstörung  von  Deckungen  dienen 
sollen,  so  sind  in  letzter  Zeit  Stoffe  erfunden  worden,  die  eine  immer 
grössere  Sprengkraft  aufweisen.  Aus  der  Zahl  derselben  sind  besonders 
bekannt:  Melinit,  Ekrasit,  Roburit,  Panklastit,  Kinelit,  Pyroxylin- 
pulver  u.  s.  w. 

In  der  cliemischen  Zusammensetzung  aller  dieser  Stoffe  ist  Pikrin- 
säure, welche  deren  Sprengkraft  im  Vergleich  zu  der  Kraft  des  früheren 
Pulvers  um  das  Vierfache  vergrössert,  enthalten. 

Wenn  man  zur  Vergleichung  die  potentielle  Kraftäusserung  des  ge-   expiobIv- 

wohnlichen  Kriegsgewehrpulvers    als  Einheit  annimmt,  so  ergiebt  sich,  verechiedeüer 

dass   die  Kraftäusserung  einiger  anderer  Sprengzusammensetzungen  bei  •'^°^«'»»'*«»- 

derselben  Quantität  die  Kraftäusserung  des  Pulvers  in  folgendem  Maasse 

übertiifft: 

Nitroglycerin 2,2 

Ammoniak-Pikrat  mit  Ammoniak-Salpeter  .    .  1,7 

Trockenes  Pyroxylin 1,5 

KaU-Pikrat 1,1 

Kriegspulver 1,0 

Der  Druck,  welchen  bei  Zersetzung  des  Sprengstoffes  die  Gase  auf 
die  Wände  eines  abgeschlossenen  Raumes  ausüben,  wird  die  Kraft  des 
Sprengstoffes  genannt.  Bei  der  Wirkung  der  Sprengstoffe  in  der  Praxis 
bedingt  die  Schnelligkeit  des  Wachsens  des  Druckes  den  Charakter  der 
Explosion.  Wenn  die  Explosion  sich  in  einer  so  kurzen  Zeitspanne  voll- 
zieht, dass  der  wenn  auch  kurzdauernde  Druck  zu  gross  ist,  so  tritt  ein 
Zerreissen  der  Objekte,  ihre  Zersplitterung,  ähnlich  der  Wirkung  eines 
gewaltigen  Hammerschlages  ein.  Eine  solche  Zerstückelungs-Explosion 
wird  Granulier-Explosion  genannt,  und  die  Sprengstoffe,  die  solche  Wirkung 
hervorbringen,  heissen  granulierende  Sprengstoffe.  Hierhin  gehören  das 
Nitroglycerin,  Pyroxylin  und  andere  Präparate.  Stoffe  dagegen,  wie  das 
gewöhnliche  Pulver,  welche  bei  analogen  Verhältnissen  nicht  so  schnell 
Gase  entwickeln,  dass  das  Geschütz  unter  dem  Druck  derselben  zerreisst, 
werden  zu  der  beim  Schuss  zu  bewirkenden  Explosion  verwandt.  Es 
werden  so  detonierende  und  explodierende  Sprengstoffe  unterschieden. 
Mit  ihnen,  wie  mit  dem  gewöhnlichen  Pulver,  lässt  sich  eine  befriedigende 
Granulier  -  Explosion  nicht  erzeugen,  wohl  aber  können  granulierende 
Sprengstoffe  durch  Abschwächung  des  Anwachsens  des  Druckes,  durch 
Veränderung  ihrer  physikalischen  Eigenschaften  u.  s.  w.  eben  so  wirken 
wie  Wurfsprengstoffe. 

Der  Unterschied  der  granulierenden  und  der  Schuss-Explosivfähigkeit 
der  einzelnen  Sprengstoffe  bestimmt  sich  danach,  wie  schnell  in  ihnen 


16  I-    Dip  Feuerwaffen. 

die  sogenannte  Erplosion  ersten  Grades  oder  die  Detonation  hervor- 
gernfen  werden  kann.  Wicht^  ist  der  Umstand,  wie  leicht  ein  Stoff 
detoniert ,  weniger  wichtig  dagegen  die  Fähigkeit ,  bei  EntzUndnng 
dnrch  einen  erwärmten  Körper  zu  explodieren,  wobei  ein  weit  geringerer 
Drnck  als  bei  der  Detonation  erzielt  wird.  Die  Explosionen  mittelst 
Entzündung  heissen  Explosionen  zweiten  Grades.') 

Ans  den  Versuchen  von  ßoux  und  Sarrean  über  die  Detonation  nnd 
Entzündbarkeit  der  einzelnen  Sprengstoffe,  ei^iebt  sich,  wenn  wir  die 
Kraft  des  gewöhnlichen  Pulvers  in  Detonation  nnd  Entzündbarkeit  als 
Einheit  ansetzen,  folgende  Stufenleiter: 

Detonation     Entzündbarkeit 

Nitroglycerin li,3  4,8 

Komprimiertes  Pyroxylin 1,5  3,0 

Pikrinsäure 1,2  2,0 

Pikrat-Kali 1,2  1,8 

Gewöhnliches  schwarzes  Pulver    .    .  1,0  1,0 

Graphisch  ausgedrückt  erhalten  wir  folgendes  Bild: 


Vorgleiche  de«  raucbschwachen  Pulvers  mit  dem  gewöhnlichen  Polver. 

Das  Geheimnis  der  einzelnen  Sprengstoffe  raht  übrigens  nicht  in 
der  chemischen  Zusammensetzung  derselben,  sondern  in  der  technischen 
Herstellung  der  Greschosse  und  in  der  Fähigkeit,  mit  dem  Material  um- 
zugehen, da  die  Gefahr  bei  der  Anfertigung  nnd  Aufbewahrung  dieser 
Sprengstoffe  sehr  gross  ist.  8) 
Aüiiicht  Deshalb  ist  der  berühmte  französische  ( 'hemiker  Berthelot  der  Ansicht., 

"'üb«""  ^^^  J^"^  exaltierten  Leute,  welche  da  glauben,  dass  mittelst  Dynamits 
Anwandgng  eiue  Revolutionspolitik  zur  Umbildung  der  (lesellschaft  zn  fuhren  sei,  sich 
sprenestaiTe.  irren.     Natürlich  kann  die  Kraft  der  Explosivstoffe  für  verbrecherische 
Unternehmen  persönlicher  Natur  verwertet  werden,  aber  für  allgemeine 
Ziele  ist  sie  in  den  Händen  einzelner  Personen  untauglich.    Solche  Ziele 

0  Sabudski:    „Herstellung  und  Eigonachaften  der  verschiedenen  Pulver". 
Petersburg  1893. 

')  „Revue  nouvelle". 


Die  Hand-Feuerwaffe.  17 


erfordern  kostspielige  Vorbereitungen  und  Geschosse,  die  nur  besonders 
organisierte  und  gründlich  ausgebildete  Mannschaften  auszunutzen  und 
zu  handhaben  verstehen.  Solchen  Aufgaben  ist  nur  der  Staat  selbst 
gewachsen,  welcher  allein  fähig  ist,  derart  komplizierte  Mechanismen 
zu  schafiTen  und  zu  überwachen. 

Das  letzte  Wort  in  Bezug  auf  Sprengstofie  ist  jedoch  noch  nicht 
gesprochen  worden. 

General  Wille  9)  sagt  sehr  richtig,  dass^  wenn  auch  Manche  es  füi-  in  Awaicht 
nötig  hielten,  uns  zu  versichern,  dass  mit  der  Einfuhrung  des  rauch- verbeaserang 
schwachen  Pulvers  schon  der  Gipfel  der  Vollkommenheit  erreicht  sei,  man  g  ^J^^^ 
doch  im  Auge  behalten  müsse,  dass  dieses  Pulver  erst  vor  fünf  Jahren 
von  Frankreich  eingeführt  worden  sei  und  dass  wir  uns  in  Bezug  auf 
dasselbe  genau  in  derselben  Lage  befinden,  wie  vor  600  Jahren  unsere 
Vorfahren  in  Bezug  auf  das  Gemisch  von  Schwefel,  Salpeter  und  Kohle, 
an  dem  sich  der  Franziskaner  Berthold  Schwarz  die  Nase  verbrannte. 
Die  vervollkommneten  technischen  Hilfsmittel  gewährten  uns  natürlich 
die  Möglichkeit,   schneller  fortzuschreiten  als  unsere  Vorfaliren,    aber 
dennoch  sei  die  weitere  Vervollkommnung  des  rauchschwachen  Pulvers 
noch  eine  Frage  der  Zukunft. 

Und  in  der  That,  die  Erfindungskraft  bleibt  nicht  eine  Minute 
stehen!  Obgleich  alle  Heere  bestrebt  sind,  die  erzielten  Resultate  geheim 
zu  halten,  so  geben  doch  die  bereits  bekannten  Thatsachen  Gnind  zu 
der  Annahme,  dass  in  künftigen  Kriegen,  besonders  wenn  dieselben  noch 
einige  Jahi'e  auf  sich  warten  lassen,  welche  zur  weiteren  Vervollkommnung 
der  Fabrikation  der  Sprengstofie  nötig  sind,  Vernichtungsmittel  von 
solcher  Kraft  in  Anwendung  kommen  werden,  dass  Konzentration  der 
Truppen  im  offenen  Felde  oder  unter  dem  Schutz  von  Deckungen  und 
Befestigungen  unmöglich  und  dadurch  auch  der  ganze  gegenwärtig  für 
den  Krieg  vorbereitete  Apparat  untauglich  werden  wird. 


Die  Hand-Feuerwaffe. 

Trotz  aller  Erfindungen  und  Vervollkommnungen  auf  dem  Gebiete 
der  Artillerie  wii-d  die  Infanterie,  wie  in  frühem  Zeiten,  so  wahrscheinlich 
auch  in  Zukunft,  der  entscheidende  Faktor  für  militärische  Erfolge  bleiben. 


»)  „Das  Feldgeschütz  der  Zukunft''. 

Bloch,  Der  cakftnftige  Krieg.  2 


13  I.    öie  Feuerwaffen. 


Bedeutang  Die  techiüsche  Brauchbarkeit  des  Gewehres  und  seine  Handhabung 

Gewehnw-  im  Gcfecht  bleiben  in  funktioneller  Abhängigkeit;   die  Technik  ei-findet 

^®**®™''»®"- oder  verbessert  eine  Waffe,  diese  verändert  die  taktischen  Formen  des 

Kampfes.    Die  gegenwärtigen  und  nacheinander  folgenden  VeiToUkomm- 

nungen  der  Waffen  haben  nicht  nur  die  Leitung  der  Heere  im  Kampfe 

verändert,  sondern  auch  noch  bedeutend  kompliziert. 

In  früheren  Zeiten,  wo  der  Fortschritt  in  der  Kriegstechnik  nur 
langsam  erfolgte,  konnte  man  aus  den  Erfahrungen  der  bisherigen  Kriege 
sich  ein  Bild  des  nächsten  entwerfen,  gegenwärtig  aber  liegt  die  Sache 
ganz  anders.  Nach  übereinstimmend  kompetenter  Beurteilung  können 
alle  Verbesserungen  in  der  Waffe  im  Laufe  von  fünf  Jahrhunderten, 
d.  h.  seit  Erfindung  des  Pulvers,  sich  an  Bedeutung  nicht  mit  denjenigen 
vergleichen,  die  seit  dem  letzten  Kriege  gemacht  sind.  Freilich  behaupten 
viele  militärische  Schriftsteller,  dass  in  künftigen  Kriegen  die  Verluste 
kaum  grösser,  vielleicht  sogar  geringer  ausfallen  werden. 

Man  sagt,  dass,  wenn  die  Gegner  gleich  gut  treffende  Gewehre 
haben,  das  Schiessen  wiederum  nach  Maassgabe  der  früheren  weniger 
vollkommenen  Gewehre  erfolgen  werde.  Man  verliert  ebensoviel  Leute 
und  die  Bedingungen  eines  besonnenen  Feuerns  werden  dieselben  sein, 
d.  h.  unbedeutende. 

Man  würde  durch  dreimal  rascheres  Schiessen  dreimal  mehr  Leute 
töten  können,  Avenn  es  nicht  dreimal  schwieriger  sein  würde,  Ruhe  zu 
bewahren. 

Not-  Als  Beweis  dafür  werden  Verlustzahlen  aus  den  vorhergegangeneu 

xQveri^dger  Kricgeu  augcführt,  wobei  indessen  irrtümlich  verfahren  wird,  da  über  die 
^®^|^'J^*^°  Verluste  der  Neuzeit  bisher  noch  die  bezüglichen  statistischen  Angaben 
des  Krieges,  fehlen.  Bekanntlich  sind  erst  um  die  Mitte  dieses  Jahrhunderts  in 
Preussen  systematische  Verlustlisten  möglichst  bald  nach  der  Aktion 
durch  die  einzelnen  Truppenteile,  zusammengestellt  worden.  In  anderen 
Heeren  sind  Verordnungen  über  Anlage  von  Verlustlisten  erst  nach  dem 
Kriege  1870/71  ergangen,  eine  zuverlässige  Kontrole  über  die  Zahl  der 
Toten,  Verwundeten  und  Vermissten  gab  es  bis  dahin  nicht.  Die  Heer- 
führer hatten  freien  Spielraum  hinsichtlich  der  Angabe  über  die  Verluste 
innerhalb  ihrer  Korps. 

üeberläufer  waren  früher  weniger  selten  als  heute,  weshalb  deren 
Abgang,  um  den  guten  Ruf  der  Truppe  zu  schonen,  allgemein  mit 
auf  die  Gefallenen  und  Verw^undeten  übertragen  Avurde,  wodurch  sich  die 
Zahl  der  vor  dem  Feinde  Gebliebenen  und  Kampfunfähigen  dann  noch 
erhöhte.  So  fand  der  Sieger  Gelegenheit,  seinen  Euhm  zu  steigern,  anderer- 
seits der  Unterlegene  eine  erwünschte  Entschuldigung  seiner  Niederlage. 


Die  Hand-Feuer^'affe.  19 


Bei  den  nationalen  Massenheeren  der  Jetztzeit,  welche  zum  grossen 
Teile  nicht  aus  Berufssoldaten  bestehen,  gewinnt  die  Verlustfrage  in 
Zukunftskriegen  ungemein  an  Bedeutung.  Für  ein  richtiges  Verständnis 
derselben  bedarf  es  eines  anschaulichen  Bildes  von  der  früheren  Be- 
waffnung und  Taktik  der  Heere.  Nicht  minder  wichtig  ist  die  Frage,  ob 
das  heutige  Kleinkalibergewehr  als  Grenze  der  erreichbaren  Vollkommenheit 
anzusehen  sei,  oder  ob  es,  wie  vielfach  behauptet  wird,  noch  nutzbarer 
gemacht  werden  könne,  wodurch  die  Kriegführung  alsdann  beinahe  un- 
möglich werden  wurde. 

In  der  Vergangenheit  bedurfte  die  Einführung  von  Verbesserungen      U"- 

,  nnterbrochen 

langer,   oft  nach  Jahrhunderten  zählender  Penoden,  und  nur  langsam    Bystema- 
brachen   sich  technische  Neuerungen  Bahn.     In  unserer  Zeit  dagegen  voukomm*^ 
erfolgen  nicht  allein  Verbesserungen,  sondern  auch  Erfindungen,  welche  ^^^"^^^^ 
eine  vollständige  Umbewaffnung  erforderlich  machen,  in  stetig  wachsender  Feuerwaffe. 
Geschwindigkeit,  ohne  dass  man  ein  Ende  solcher  Bestrebungen  abzusehen 
im  Stande  wäre.    Schon  verlautet  es,  dass,  wenn  im  allgemeinen  Gang 
der    Dinge    nicht    binnen    sehr    kurzer    Zeit    radikale    Veränderungen 
eintreten,   Europa  unausgesetzt   vor   der   Notwendigkeit    stehen    wird, 
der    produktiven    Volkskraft    neue    Milliarden    für    Kriegszwecke    zu 
entziehen. 

Kaum  ist  man  mit  der  Einführung  des  Kleinkalibergewehres  fertig 
geworden,  so  hat  die  Technik  bereits  einen  neuen  Schritt  vorwärts 
gethan,  und  es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  die  Grossmächte  bald 
genötigt  sein  werden,  zu  Gewehren  noch  kleineren  Kalibers  über- 
zugehen, deren  Kraft  sehr  bedeutend  dem  jetzigen  deutschen  Gewehre 
überlegen  sein  würde. 

Um  uns  darüber  klar  zu  werden,  inwieweit  die  vorausgesagten 
Notwendigkeiten  wirklich  eintreten  können,  und  ob  dieselben  den  Krieg 
bei  den  neuen  Kampfmitteln,  wenn  nicht  unmöglich,  so  doch  unwahr- 
scheinlich machen  würden,  müssen  wir  uns  darüber  Rechenschaft  geben,  ob 
die  bei  den  jetzigen  Gewehren  erzielten  Vervollkommnungen  mit  Hilfe 
zufalliger  Entdeckungen  erreicht  sind,  oder  ob  dieselben  das  Resultat 
systematischer  in  dieser  Richtung  erfolgender  Gedankenarbeit  von  Tech- 
nikern und  Gelehrten  bilden,  da  in  letzterem  Falle  noch  weitere  Vervoll- 
kommnungen der  Waffe  wahrscheinlich  in  Aussicht  stehen. 

Infolgedessen  erscheint  es  geboten,  nicht  allein  den  Stand  der 
heutigen  Bewaffnungsfrage  darzulegen,  sondern  auch  mit  einschlägig 
prüfendem  Blicke  in  die  Vergangenheit  zurückzuschauen.  Um  jedoch 
den  Leser  nicht  zu  überbürden,  soll  im  Texte  nur  der  Hauptsaclie 
gedacht,  dagegen  alles,  was  den  geschichtlichen  Teil  anbetrifft,  in  die 
Beilagen  aufgenommen  werden. 

9* 


20  !•    I^iö  Feuerwaffen. 


1.    Geschichtliche  Entwickelung  der  Hand-Feuerwaffe. 

Das  Pulver  und  dessen  Wirkung  sind  schon  seit  beinahe  2000  Jahren  i) 
bekannt  —  dennoch  reichen  die  geschichtlichen  Nachweise  über  den 
ersten  Gebrauch  von  Hand -Feuerwaffen  nicht  weit,  jene  über  die  An- 
wendung von  Geschützen  etwas  weiter.  Während  z.  B.  bestimmt  nach- 
gewiesen ist,  dass  die  Tartaren  unter  dem  Chan  Battu  in  der  Schlacht 
bei  Liegnitz  (Wahlstadt)  am  16.  April  1241  gegen  die  Polen  und  Schlesier 
Feuergeschütze  gebrauchten,  wodurch  sie  die  bereits  verlorene  Schlacht 
wieder  gewannen,  giebt  ein  italienisches  Werk  den  ersten  Gebrauch  der 
Hand- Feuer waflfen  tür  das  Jahr  1331  an,  ohne  über  deren  Verwendung 
bestimmte  Auskunft  erteilen  zu  können.^) 

In  Deutschland  besagen  nach  den  „Quellen  zur  Geschichte  der 
Feuerwaffen"  des  germanischen  Museums  die  ersten  sicheren  Nachrichten, 
dass  sich  im  Jahre  1344  beim  Erzbischofe  von  Mainz  ein  Feuerschütz 
befand.  Auffällig  ist  es,  dass  übef  100  Jahre  vergingen,  ehe  eine  grössere 
Anwendung  der  Hand-Feuerwaflfen  stattfand,  obgleich  es,  besonders  den 
Städten,  doch  verhältnismässig  leicht  werden  musste,  sich  solche  zur  Ver- 
teidigung zu  beschaffen.  Bei  dem  1427  gegen  die  Hussiten  in  Böhmen 
einrückenden  80000  Mann  starken  Heere  befanden  sich  nur  200  Hand- 
büchsen,  und  bei  einem  Zuge  der  Brandenburger  gegen  Stettin  1429 
kamen  auf  1000  Mann  nur  50  Büchsenschützen. 

oeschicut-  Somit  fallen  die  Anfange  der  Hand-Feuerwaffien  in  das  XIV.  Jahr- 

AnfilgVder  huudert.   Es  kommen  1365  (Tafel  I,  Fig.  I),  fast  150  Jahre  nach  Bekannt- 
Fener*w»ffeii  ^^^^^^  ^^^  ScMesspulvcrs,  Haudrohre  mit  Stützgabelverbindung  auf,  um 
Tafel  L   das  Jahr  1381  Büchsen  mit  Holzschäftung  (Fig.  11) .   Diese  Waffen  wurden 
Pig.  L  IL  meist  durch  2  Mann  bedient,  von  denen  der  eine  die  Kichtung  bestimmte, 
luiLiv.  ^^Y  andere  das  Abfeuern  besorgte.     Auch  finden  sich  Handrohre,  welche 
zugleich  als   Streitaxt  gebraucht  werden  (Fig.  III),   sowie  1393    Hand- 
rohre mit  Anbringung  einer  rechtsseitlichen  Zündpfanne  mit  Deckel  zum 
Schutze  des  Pulvers  in  der  Pfanne.    (Fig.  IV.) 

LnnieD-  Bei  dcu  Feuerwafleu  der  Fusstruppen,  noch  viel  mehr  aber  für  Be- 

rittene musste  das  Abfeuern  mittelst  der  in  der  Hand  gehaltenen  Lunte  un- 
bequem erscheinen,  weshalb  auch  1423  eine  Verbesserung  vorerst  dadurch 
erreicht  wurde,  dass  man  an  der  rechten  Aussenseite  des  Schaftes  ent- 
weder vor    oder   hinter  der  Zündpfanne  ein  gekrümmtes,  bewegliches 


^)  General  Susane:  „His^ir©  ^^  rArtillerie  frangaise". 

»)  Maresch:  „Waffenlehre  für  Offiziere  aller  Waffen",  Wien  1873. 


Tafel  I. 


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Geschichtliche  Entwickeluhg  der  Hand-Feuerwaffe.  '21 


Eisenstäbchen,  den  sogenannten  Hahn  oder  Drachen,  anbrachte,  dessen    Pig.  T. 
Kopf  zwei  flache  Lippen  bildeten,  zwischen  welche  die  Lunte  eingeklemmt 
und  mittelst  des  unteren  Endes  des  pivotirenden  Hahnes  auf  die  Zündpfanne 
geleitet  wurde.    (Fig.  V.) 

Zum  Schutze  der  meist  um  den  Gewehrkolben  gewundenen  Lunte   Fig.  TL 
bedeckte  man  das  glimmende  Ende  derselben  mit  einem  Zylinder  von 
Blech,  dem  sogenannten  Luntenverberger,  einer  angeblich  holländischen 
Erfindung.    (Fig.  VI.) 

Bei  den  mangelhaften  Verkehrsmitteln  und  der  vorherrschenden  Ge- 
heimniskrämerei dieser  Zeit  ist  es  erklärlich,  dass  die  Fortschritte  un- 
gleiche und  langsame  Verbreitung  fanden,  und  daher  auch  nicht  befremdend, 
dass  nach  mehr  als  einem  Jahrhundert  noch  Handrohre  ohne  Luntenschloss 
vorkommen,  wie  sich  Aehnliches  im  Verlauf  der  Geschichte  unvermeidlich 
wiederholt. 

Es  werden  zu  dieser  Zeit  auch  schon  Pistolen  mit  Luntenschloss    „,^"J* 

Pistolen. 

gebraucht. 

Bei  so  mangelhafter  Einrichtung  erscheint  es  nicht  wunderbar,  wenn 
die  Engländer  1471  Bogen  und  Pfeil  den  Feuergewehren  vorziehen,  angeb- 
lich wegen  geringerer  Schussweite  und  zeitraubenden  Ladens  der  letzteren. 
Die  englischen  Barden  prophezeiten  sogar  den  Untergang  Englands,  wenn 
man  die  Feuergewehre  statt  der  Bogen  einführe. 

Man  schoss  mit  dem  Bogen  sowohl  rascher  als  sicherer. 

Im  Jahre  1516  wurde  zu  Nürnberg  das  Radschloss  erfunden,  welches  Pig.  VI 
in  hohem  Grade  sinnreich  konstruiert  war.    (Fig.  VlI.) 

Das  Radschloss  zeigte  sich  dem  Luntenschlosse  weitaus  überlegen.  V"^>«"«™nK 

der  Zftndang 

Die  Zündung  war  bei  demselben  entschieden  sicherer  als  bei  dem  Lunten-     anrch 
schlösse,  wo  man  vor  dem  Gebrauche  stets  nachsehen  musste,  ob  die  ^lef  ßla"^ 
Lunte  auch  richtig  auf  die  Pfanne  traf;  auch  war  die  Entzündung  inso-  ^cwoases. 
fern  ruhiger,  als  der  Hahn  beim  Abzüge  nicht  niederschlug,  sondern  früher 
schon  auf  die  Pfanne  gedrückt  wurde;  endlich  war  die  Lunte  vermieden, 
die  namentlich  für  Eeiterei  manche  Unbequemlichkeiten  verursachte.    Als 
Nachteile  des  Radschlosses  wären  anzuführen :  das  beschwerliche  und  zeit- 
raubende Aufziehen  des  Rades;  das  leichte  Abstumpfen  oder  Abspringen 
des   Schwefelkieses;    die  rasche  Verschmutzung  des  Rades,  infolge 
der  unmittelbaren  Berührung  mit  dem  Zündkraut,  wodurch  der  Gang  des 
Rades  erschwert  und  eine  öftere  Reinigung  desselben  notwendig  wurde; 
endlich  die  erhöhten  Unkosten. 

Hieraus  erklärt  es  sich,  dass  das  Radschloss  keine  allgemeine  An- 
wendung fand;  es  wurde  fast  nur  von  der  Reiterei  und  von  fürstlichen 


22  !•    I^iö  Feuerwaffen. 


Leibgarden  geführt,  während  das  Fussvolk  überwiegend  bei  dem  Lunten- 
schloss  verblieb. 

Zur  Zeit  Leonhard  Fronspergers  (1556)  waren  die  Hakenbüchsen  je 

nach   Ansicht    des    Büchsenmachers   sehr   verschiedener   Art,    da    der 

Mann  sich  seine  Waffe  meist  aus  eigenen  Mitteln  anschaffen 

musste,   ehe  er  zur  Kriegszeit   dem  Heere   einverleibt   wurde;    doch 

machte   sich  überall  eine  Verminderung    des  Kalibers,  selbst   bis    auf 

17  mm  bemerklich. 

Musketen.  ^i^  wurdcu  auch  die  Gabeln  zu  den  Hand-Feuerwaffen,  nunmehr 

•■         Musketen  genannt,  vervollständigt.    (Fig.  Vin.) 

Kammer-  Bemerkeuswcrt  ist  es  femer,  dass  schon  gegen  die  zweite  Hälfte  des 

ladangen. 

Pjg  DL  ■^^-  Jahrhunderts  Hakenbüchsen  mit  Kammerladung  gebraucht  wurden. 

(Fig.  IX.) 
Orgel-  In  der  Mitte  des  XVI.  Jahrhunderts  wird  der  Orgelgeschütze 

Erwähnung  gethan.  Manche  Autoren  rechnen  dieselben  zu  den  Hand- 
Feuerwaffen,  obwohl  diese  Annahme  durch  nichts  gerechtfertigt  erscheint, 
weil  diese  Geschütze  niemals  vom  Fussvolke  geführt  wurden,  auch  nicht 
wie  die  Hand-Feuerwaffen  geschattet  waren,  vielmehr  ausschliesslich  von 
der  Artillerie  gebraucht  wurden.  Die  Orgelgeschütze  bestanden  aus  einer 
gewissen  Anzahl  starker  Handrohre,  welche  nebeneinander  auf  einem  mit 
Rädern  versehenen  Gestelle  oder  Bocke  befestigt  waren. 

Fig.XiLXL  Die  Ladung   war   eine   beschwerliche   und  zeitraubende,   weshalb 

diese  Maschinen  nicht  Erfolge  aufweisen  konnten.  —  Wegen  der  grossen 
Zahl  von  Schüssen,  die  ein  solches  Geschütz  nach  einander  abgab,  hiess  es 
auch  Geschrei-  oder  Hagel-Geschütz.    (Fig.  X.  und  XI.) 

Beginn  Bei  deu  ersten  Hand-Feuerwaffen  war  von  Zielvorrichtungen  keine 

""""htnnjen  Spur;  crst  in  der  zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  kamen  Stand  visiere 


TIC 


den^plner-  ^ou  verschiedcuer  Gestalt  in  Gebrauch,  noch  später  scheint  das  Korn  in 
geweuren.  Anweuduug  gckommeu  zu  sein,  welches  anfanglich  aus  einem  viereckigen 
Stück  Eisen  bestand  und  erst  gegen  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  eine 
spitze  Form  erhielt.  Um  diese  Zeit  richtete  man  auch  das  Augenmerk 
auf  eine  Verbesserung  des  Schaftes,  indem  man  durch  dessen  Abschwächung 
den  Kolben  schuf,  um  eine  bessere  Anlehnung  des  Gewehres  an  die  Schulter 
zu  eimöglichen,  und  für  den  Ladestock  eine  Nute  anbrachte.  Die  Be- 
festigung des  Laufes  geschah  mittelst  Stifte,  welche  durch  am  Laufe 
befindliche  Oesen  griffen;  ausseitLem  wurde  die  Bodenschraube  des  Laufes 
zu  einem  Schwanz  verlängert,  durch  den  die  Schwanzschranbe  ging. 
Bii^ikngein.  Auch  war  man  erst  gegen  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  von  dem 

(xebrauche  eiserner  Kugeln  gänzlich  abgekommen  und  wendete  bleierne 
oder  mit  Blei  umhüllte  Kugeln  an.  . 


Patronentafel. 


mi.  1851). 

1817. 


■s. 


GeschichÜiclie  Entwickelung  der  Hand-Feuerwaffe.  23 


Die  Feuerwaflfen  erwiesen  sich  trotz  aller  Verbesserungen  dennoch 
als  so  mangelhaft,  dass  zu  Ende  des  XV.  Jahrhunderts,  um  1496,  in 
Spanien  erst  Vs,  in  Deutschland  Vg?  ^^  Frankreich  Vio  der  Fusstruppen 
damit  versehen  waren. 

Was  die  Taktik  des  Fussvolkes  betrifft,  so  erzählt  Olivier  de  la  Taktik  de« 

'  FasBvolkes. 

Marche  in  seinen  Denkschriften:  „dass  dasselbe  die  Reiterei  keineswegs 
gescheut  habe,  sondern  je  drei  Mann  zusammen  gestanden  seien,  ein 
Pickenier,  ein  Armbrust  schütz  und  ein  Büchsenschütz, 
die  ihr  Handwerk  so  wohl  verstanden  und  auf  solche  Weise  sich 
wechselseitig  zu  unterstützen  gewusst  hätten,  dass  der  Feind  ihnen  nichts 
habe  anhaben  können".-"^) 

Wie  langsam  sich  aber  die  Hand-FeuerwaflFe  Eingang  verschaffte,  i^ngsamkeit 

der 

Sieht  man  auch  daraus,  dass  englische  Bogen-  und  Armbrustschützen  noch  Feaenrafren- 
bei  der  Belagerung  von  Rey  1627  aufti-aten,  ja  noch  1814  folgten  dem  ^'°"^*'™"^- 
russischen  Heere  nach  Frankreich  berittene  Bogenschützen,  wie  Basch- 
kiren, Kalmücken  u.  s.  w. 

Man  darf  darüber  freilich  nicht  erstaunen,  wenn  man  sich  die  für 
Tragfähigkeit  und  Schiessgebrauch  gleich  beschwerliche,  umfangreiche 
Ausrüstung  eines  damaligen  Musketiers  vergegenwärtigt. 

In  der  Schlacht  von  Pavia  1525  gehörte   zu   dessen   Ausrüstung  Feidkneg« 
ausser  der  Muskete  die  Musketengabel,    eine  etwa  anderthalb  Meter    scbieL 
lange   hölzerne  Stange   mit  Spitze   und  mehr  oder   minder  primitiver  ""^^^^^^ 
Eisenzinke,  in  welche  das  Gewehr  beim  Schiessen  und  Präsentieren  —  Mnaketier« 

^  m  d.  Schlacht 

durch  Hutabnahme  und  Reverenz  ausgeführt  —  eingelegt  wurde;  dann  vonPavia 
mehrere  an  einem  Lederbandelier  hängende  —  in  der  Regel  12  —  hölzerne 
gedrehte  Büchsen  mit  der  für  den  einzelnen  Schuss  abgemessenen  Pulver- 
ladung und  Pfropf,  während  das  Zündpulver  für  die  Pfanne  in  einem 
eigenen  Pulverhom  und  die  Kugeln  nebst  Requisiten  in  einer  ledernen 
Kugeltasche  verwahrt  blieben.  Von  den  zur  Ausrüstung  weiter  ge- 
hörenden etwa  vier  Metern  Lunte  trug  der  Musketier  die  Hälfte  gerollt 
am  Kugeltaschriemen,  die  andere  Hälfte  in  Bereitschaft  in  der  linken 
Hand;  —  beim  Marsche  durften  nur  gegen  10  Mann  per  Kompagnie 
die  Lunte  brennend  erhalten  und  rechnete  man  auf  die  Stunde  60  bis 
70  Centimeter  Länge. 

Das  Laden  (Patronentafel,  Fig.  1  und  2)*)  erfolgte  beim  zünftigen  Mus-  Patronen- 

ketier  ohne  Kommando,  aber  in  umständlicher  Weise.  Die  Muskete  schief  vor  ^,  Wel 

Fis  1  IL  2 

dem  Leibe  haltend,  entnahm  er  vorerst  dem  Kngelbeutel  die  Kugel,  die  er  ^' 


*)  Maresch:  „Waffenlehre**. 

*)  Zeichnung  entnommen  aus  Marescli:  „Waffenlehre**. 


24  I«    ^*6  Feuerwaffen. 


vorläufig  in  den  Mund  steckte,  entleerte  dann  eine  Holzbüchse  in  den  Lauf, 
setzte  mittels  des  Ladstockes  einen  Pfropf  darauf,  liess  die  Kugel  in  den 
Lauf  rollen  —  der  Spielraum  war  ebeü  darnach  — ,  setzte  einen  zweiten 
Pfropf  darauf  und  brachte  dann  sein  Gewehr  mit  Hilfe  der  Musketen- 
gabel, die  er  in  die  Erde  steckte,  in  eine  horizontale  Lage.  Jetzt  konnte 
die  Pfanne  geöffnet,  ausgewischt,  mit  frischem  Pulver  versehen,  die 
Lunte  in  den  Hahn  eingeklemmt  und  auf  ihre  Länge  zugepasst  werden 
—  dann  erfolgte  Abblasen  der  Lunte  und  Feuerabgabe. 

EinfloBs  Es  ist  einleuchtend,  dass  so  unvollkommene  Feuerwaffen  bei  feuchter 

feachter 

witierang.  Wittemug  versagcu  mussten. 

Bei  der  Expedition  Karls  V,  gegen  Algier  1541  wirkte  das  an- 
haltende Regenwetter  dermaassen  auf  die  Büchsen  der  Hakenschützen  — 
auf  deren  Leistungen  der  Eegent  so  grosse  Hoffnungen  gesetzt  hatte  — , 
dass  von  hundert  kaum  eine  losging,  und  die  Truppen  Karls  V.  von  den 
türkischen  und  maurischen  Bogenschützen  schimpflich  zui*ückgeschlagen 
wurden.  (Leonh.  Fronspergers  Kriegsbuch.) 
Hinteriftd.-  Bemcrkeuswcrt  bleibt  es,  dass  zu  dieser  Zeit  Hinterlader  gebraucht 

Gewehre  '  ^ 

im  XVI.  Jahr- wurden.    (Tafel  ü,  Fig.  XH.) 

hundert. 

Tafel  n,  ^^  deren  Ladung  wurde  ein  Querkeil  herausgenommen ,  dann  ein 

Pig.  XIL  senkrechter  Keil  A  (zugleich  Visier)  ausgehoben ,  die  Kammer  nach  rück- 
wärts herausgezogen,  mit  der  Ladung  versehen,  wieder  eingeschoben 
und  mittelst  beider  Keile  befestigt. 

Die  Kammer  war  mit  einem  Zündloch  versehen,  welches  mit  dem- 
jenigen des  Laufes  übereinstimmte. 
Rednzierang  Vcrsuche  zur  Gewichtsvermiuderung  wurden  unternommen. 

der 

öewicht«.  In  der  niederländischen  Armee  reduzierte  man  1599  das  Kaliber 

der  Muskete  von  8  Kugeln  per  Pfund  auf  10,  dasjenige  der  Hakenbüchse 
von  16  Kugeln  per  Pfund  auf  20. 

Die  Muskete  wog  mit  Gabel  16,  die  Hakenbüchse  10  Pfund. 

Mit  jedem  Jahi'zehnt  vermehrte  sich  aber  die  Zahl  der  Hand-Feuer- 
waöen,  so  dass  dieselben  gegen  Ende  des  XVI.  Jahrhunderts  ebenso  zahlreich 
wie  die  Piken  waren,  ja  sogar  zwei  Drittteile  dieser  betrugen.  Diesem 
Fortschritte  folgten  dann  vielfache  Aenderungen. 

Anfiuige  Auch  ein  Versuch,  Magazingewehre  einzufühi-en ,  wurde  um  diese 

der  Magazin-  rr    'j.         a. 

gewehre.   Zcit  uutemommen. 

Pig.  Zm.  -^^  25.  Mai  1584  stellte  Nicolaus  Zurkinden  in  Bern  Schiessproben 

mit  einer  Büchse  an,  welche  so  beschaffen  war,  dass  aus  ein  und  dem- 
selben Eohre  in  ununterbrochenem  Anschlag  nach  einander  mehi*ere 
scharfe  Schüsse  abgefeuert  werden  konnten.  (Revolver-Büchse,  Fig.  XIII.) 


Tafel  II. 


^^^ 


Geschichtliche  Entwickelung  der  Hand-Feuerwaffe.  25 


Dem  Ende  des  XVI.  oder  Beginn  des  XVII.  Jahrhunderts  gehört  Re^oirer-An- 
eine  Revolverbüchse  mit  Luntenschloss  an,  „Drehling"  genannt.  (.DreLUug-). 

„Revolver"  ist  der  spätere,  in  Amerika  aufgetauchte  englische  Aus- 
druck für  „Drehling".    Die  Bayern  führten  1645  gezogene  Büchsen  ein. 

1624  hatte  Gustav  Adolph  neue,  leichte,  nur  10  Pfund  wiegende  schnsa- 
Musketen  mit  2V2löthigen  Kugeln  eingeführt,  welches  Kaliber  bis  1811 
beibehalten  wurde.  Die  Schussweite  betrug  300  Schritt.  Dem 
Beispiele  dieser  Gewichtsverminderung  der  Hand-Feuei-waffe  und  deren 
sorgfältigeren  Einrichtung  folgten  bald  Frankreich,  Deutschland  und 
England,  und  legte  man  nun  auch  der  vermehrten  Beweglichkeit  wegen 
nach  und  nach  die  Schutzwaffen  ab. 

Zur  Beurteilung  der  Feuergeschwindigkeit  der  Muskete  dienen     Feoer-- 
folgende  Anhaltspunkte:  ^^'ktuln^** 

Die  schwedischen  Musketiere  schössen  bei  Kinzingen  1636  mit 
verhältnismässig  bemerkenswerter  Schnelligkeit,  pro  Mann  nicht  unter 
sieben  mal  in  acht  Stunden,  die  Musketiere  des  Herzogs  von  Weimar 
1638  in  der  Schlacht  bei  Wittenbergen,  welche  von  Mittags  12  Uhr  bis 
Abends  8  Uhr  dauerte,  während  der  ganzen  Kampfzeit  sieben  mal. 

1644  werden  in  Schweden  und  Frankreich,  nachdem  der  Gebrauch ,  anfange 

ddrPatronen- 

der   Patrone    allgemeine  Verbreitung  gefunden   hatte,    die   „Patronen-    uschen. 
taschen"  aus  gebranntem  Leder  —  zunächst  für  detachierte  Soldaten  — 
eingeführt;  sie  fassten  12  Patronen,  später  bis  40. 

Auf  die  Erfindung  des  Radschlosses  folgte  als  bedeutender  Fort-  Erfindang 
schritt  diejenige  des  Schnapphahnschlosses  als  Uebergangsmechanismus  odersteiA- 
zum  Batterie-  oder  Steinschloss.  "'"""'*• 

Letzteres  erfuhr  1648  eine  weitere  wesentliche  Vervollkommnung;  Pig.xiy 
Nuss  und  Stange  erhielten  ein  Widerlager  in  einem  zweiten  kleinen    *•  ^W. 
Schlossblatt  (der  Studel),  wodurch  ein  leichteres  Spiel  der  beweglichen 
Teile  herbeigeführt  wurde,  auch  Batterie  und  Pfanndeckel  (nach  spanischer 
Art)  vereinigt  wurden.    (Steinschloss,  französisches  Mod.  1648,  Fig.  XIV. 
und  XV.) 

In  Frankreich  fand  1641 — 1642   eine  Neuerung,  von   grosser  Be-  Binfahrnng 

d.  Bi^onnets. 

deutung  durch  das  Bajonnet  (Fig.  XVI)  statt.  Pig.XVL 

Das  aus  den  obigen  Erfindungen  hervorgegangene 
Bajonnetgewehr,  „Flinte"  genannt,  verdrängte  bald  die  bisher 
übliche  Muskete,  führte  zur  raschen  und  gänzlichen  Beseitigung  der 
Infanterie -Pike  und  wurde  mit  dem  Beginne  des  XVIII.  Jahr- 
hunderts als  die  nunmehrige  üniversalwaffe  der  Infanterie  überall  ein- 
geführt. 


26  ^    I^'®  Feuei-waffeu. 


Das  Bajonnet  war  zweischneidig,  mit  Stichblatt  und  Holzgriff  ver- 
sehen, um  am  Gewehre  als  Stoss-  und  Schneidewaffe,  in  der  Hand  als 
Schwert  branchbar  zu  sein.  Der  eiserne  Eiug  uraschloss  den  Gewehrlauf, 
während  die  Feder,  in  einen  zweiten  am  Lauf  angebrachten  Ring  ein- 
tretend, die  Beiwaffe  am  Laufe  festhielt. 

Abschftffunjr  1699  wurde  in  Österreich,   1703  in  Frankreich,   1721  in  Russland 

j>eiin  Fasa-  uud  Schwedcu  die  Abschaffung  der  Pike  (Spiess)  angeordnet,  doch  sollten 
''^^^'     die  schwedischen   Truppen  auch  fernerhin  damit  geübt  werden.    1736 
kehrten  sogar  die  russischen   Truppen   im    türkischen  Kriege  zur  Ver- 
wendung der  Pike  zurück,  gaben  solche  1740  aber  wieder  auf. 

^"s^Hi*^"  Lautmann   gab   1729    in   Petersburger   Denkschriften   an,    es   sei 

geschosse.  Vorteilhaft,  mit  „elliptischen  Flintenkugeln"  zu  schiessen,  die  hinten  eine 
Vertiefung  hätten,  weil  die  nachströmende  Luft  in  diese  Höhlung  eindringe 
und  den  Trieb  der  Kugel  dadurch  bedeutend  vermehre;  dieselben  sollten 
eine  sehr  grosse  Eindringungskraft  haben,  besonders  wenn  man  sie  aus 
gezogenen  Läufen  schiesse  und  mit  Gewalt  eintreibe.  Derselbe  sagt  weiter: 
„Um  einem  Lauf  einen  unbemerkbaren  Zug  zu  geben,  setzt  man  an  die  Zug- 
stange der  gewöhnlichen  Ziehbank  einen  Feilkolben,  dessen  Durchschnitt 
elliptisch  ist,  und  zieht  so  eine  elliptische  Vertiefung  spiralförmig  ins 
Rohr;  man  schmirgelt  dann  das  Rohr  noch  aus." 

Damit  war  der  Gedanke  der  Anwendung  von  Spitzgeschossen  mit 
Expansionshöhlung  aus  Läufen  mit  gewundenen  Zügen  ausgesprochen,  was 
zu  neuen  Bestrebungen  Anregung  gab.  Indessen  bedurfte  es  vieler  Jahre, 
bis  diese  Versuche  praktisch  sich  verwerten  Hessen. 

Einfahrnnff  Dcm  Bedürfuissc   eines   schnellen   und   wohlunterhaltenen  Feuers 

'^"^  ^™**  kam  man  zuerst  in  Preussen  durch  Einführung  der  eisernen  Ladestöcke 
metaiioneii  1730  uach.     Unmittelbar  darauf  kommt  die  Anwendung  metallener 

Lodestockes. 

Ladestöcke  auch  m  der  Schweiz  auf,   und  zwar  aus  Stahl,  mit  einem 
Auszieher  versehen. 
Hinter-  luzwlscheu  betrieb  man  meder,  namentiich  in  Frankreich,  Versuche 

stlt^^h^B-  ™*  Hinterladungs-Steinschlossgewehren.    (Fig.  XVH  und  XVEI.) 
w^'^Tvii  ^^  Endresultat  der  Fortschritte  der  Entwickelungsperiode  seit  Er- 

n.  XTHL  fi^^^^?  des  Batterieschlosses   kann  das  französische  Infanteriegewehr, 
Ffiizös.    Mod.  1777/1800  (Fig.  XIX)  gelten.     Schloss  nach  Mod.  1648;  Ladestock 
gewehr.*^  vou  Stahl   uiit  Gewinde  und  Stossteil;    Bajonnet  dreikantig  mit  Hülse 
ng.  XDL  und  Ring;  Normalgewicht  der  Waffe  5  Kilo. 

Gefechte-  Die  Taktik   aller   europäischen   Heere   war  damals   mit  geringen 

'Abweichungen    dieselbe;    es   waren   durchgehends    die   Grundzüge   der 

preussischen  Lineartaktik  durchgedrungen,  obwohl  dieselbe  in  Frankreich 

an  Folard  und  Menil -Durand,  welche  die  Kolonne  bei  der  Infanterie 


^ 


^m        va  ■   VkM 


Geschichtliche  Entwiokelong  der  Hand-Feuerwaffe.  27 


eingeführt  wissen  wollten,  entschiedene  Gegner  gefunden  hatte.  Was 
diesen  gelehrten  Didaktikern  nicht  gelang,  das  entstand  infolge  der 
Eevolution,  die  eine  Neugestaltung  der  Verhältnisse  und  unmittelbar 
durch  dieselben  eine  Neugestaltung  der  Taktik  folgerichtig  herbeiführen 
musste.  Das  zerstreute  Gefecht  und  die  Kolonne,  diese  Gefechts- 
formationen  des  XVI.  Jahrhunderts,  gelangten  wieder  zur  Geltung.  Doch 
auch  die  Linie  wurde  für  gewisse  Fälle  beibehalten,  um  erforderlichen 
Falls  ein  Massenfeuer  abgeben  zu  können. 

Bald  stellten  jedoch  die  Engländer,  1794,  ein  neues  Gewehrraodell    Gezogene 
auf  (übereinstimmend  mit  dem  französischen)  und  nahmen  für  Schützen 
gezogene  Büchsen  an. 

Eine  der  bedeutendsten  Erfindungen  wurde  1788   durch  die  Er-   Krflndnngr 

^  des  Knall- 

findung  des  „Knallquecksilbers"  gemacht.    Praktische  Anwendung  fand  qaeckaiibers 
diese  Erfindung  aber  erst  nach  mehr  als  dreissig  Jahren.  ßerthefot 

Napoleon  I.  pflegte  Kommissionen  zur  Piiifung  der  Bewaffnung  (1800) 
zu  ernennen,  eine  solche  ordnete  die  Einführung  des  Gewehrmodells 
1777/1800  an. 

Gleichwie   die   Hakenbüchse   das   Handrohr,    die   Muskete   dieAnnfthmeein. 
Hakenbüchse  verdrängt  hatte,  so  musste  auch  die  Muskete  dem  nun- fraaz6>iMeheii 
mehrigen  leichteren  Infanteriegewehr  (Fusil)  weichen.     Eine  leichtere  'ge"^™^ 
Infanteriewaffe   war  erreicht,    und  die  Einführung  des  zuverlässigeren  (J»"\>  ^^^j 

'  ^  "  Napoleon  I. 

Feuerechlosses  und  des  Bajonnets  verdrängte  nun  die  noch  vor- 
handenen Piken  und  anderen  älteren  Waffen,  einschliesslich  der  Schutz- 
waffen. 

Nach  Annahme  wesentlicher  Vereinfachungen  war  das  freie  Laden  Einfahrang 

von  Papier- 

aus  dem  Pulverhorn   oder  den  am  Bandelier  hängenden  Patronen  ab-   patronen 
gekommen,  und  es  wurden  Papierpatronen  gebraucht.    Hülse  und  Kugel  ""^^j^^iuf^ 
wai-en    von    bedeutend    kleinerem    Umfange    als   das  Bohrungskaliber,  "^^JJ*"''^"^ 
beide    glitten    nach   Entfernung    des  Verschlusspfropfens    in  den  Lauf    modus. 
hinab. 

Beim  Schusse  flog  die  Kugel  mit  der  angelötheten  Hülse  hinaus, 
häufiger  aber  scheint  nur  der  Deckel  abgerissen  worden  zu  sein,  und  die 
geborstene  Hülse  blieb  im  Laufe  stecken. 

Die  vom  Gusshalse   befreite  Kugel   war  in  die  Papierhülse  ein-  Patronen- 
gebunden,    darauf  zuerst  das  Musketenpulver    als  Ladung    und  dann     *■*•! 
ein  feineres  Pulver  (Mehlpulver)  zum  Aufschütten  auf  die  Pfanne  gelagert. 
(Patronentafel  Fig.  4  und  6.)    Bei  Karabiner-Patronen  vom  Jahre  1777  für 
Passkugeln  (zum  genaueren  Schiessen  mit  weniger  Spielraum)  versuchte 
man  das  Pfannenpulver  besonders  unter  die  Kugel  einzubinden, 


28  I-    I^i®  Feuerwaffen. 


Zum  Laden  wurde  der  Umbug  der  Papierhttlse  mit  Hilfe  der  Zähne 
abgerissen,  zuerst  das  Zündpulver  vorsichtig  auf  die  Pfanne  gebracht,  der 
Deckel  geschlossen,  dann  der  Eest  des  Pulvers  in  den  Lauf  des  nun 
schief  gegen  links  gestellten  oder  zwischen  die  Füsse  genommenen 
Gewehres  geschüttet  und  die  Kugel  nebst  Papierumhüllung  mittels  des 
Ladstockes  daraufgesetzt. 

Bei  der  wirklichen  Aktion  geschah  die  Feuerabgabe  nicht  mehr  aut 
einzelnes  Vorzählen,  sondern  nur  auf  das  erste  Aviso:  „Chargieren!"  — 
und  die  Kommandos:  „Fertig  —  Schlagt  an  —  Feuer!" 

Der  unaufhörliche  Drill,  sowie  die  sich  mehrenden  Verbesserungen 
an  Munition  und  Waffe  befähigten  die  geschicktesten  Leute,  in  der  Minute 
dreimal  zu  feuern  —  mit  dem  Gewehr  vom  Jahre  1784  selbst  fünf-  bis 
sechsmal  — ,  wobei  die  Zahl  der  gegen  -  den  Feind  abgeschossenen  Pro- 
jektile noch  durch  Anwendung,  von  Kartätschpatronen  erhöht  wurde. 

Kartitsch.  Dicse  bestaudcu  aus  3  bis  4  kleineren  Kugeln  im  Gesamtgewichte 

des  kalibermässigen  Geschosses,  welche  mit  in  das  Patronenpapier  ein- 
gebunden waren. 

Die  Ausrüstung  des  Infanteristen  betrug  24,  später  36  Kugel-  und 
6  Kartätschpatronen  (Kriegs-Archiv,  Kinski-Akten  1760).^) 

Man  hatte  jedoch  vier  und  ein  halbes  Jahrhundert  gebraucht,  um  die 

Hand-Feuerwafle  auf  ihre  derzeitige  Konstruktionsstufe  zu  bringen,  welche 

eine  auf  dem  ganzen  Kontinent  so  zu  sagen  gleichmässige  wurde,  nach 

dem  Vorbilde  des  französischen  Gewehrmodells  von  1777/1800  und  noch 

—  mit  wenigen  Veränderungen  —  sich  während  der  ersten  Hälfte  des 

XIX.  Jahrhunderts  erhielt. 

Ein  Beispiel  Auf  rationelle  Uebungen  in  Verwertung  der  Schusswaffe  war  man 

"J^^*JJ^{?*^  wenig   bedacht,    wogegen    auf   das   „Abrichten"' und   „Dressieren"    des 

liehet  ude-  Mannes  in  anderen  Eichtungen  viel  Mühe  verwandt  wurde.    So  z.  B.  ent- 

roethode 

tu  Ende  des  hielt  ciuc  im  Jahre  1790  erschienene  „Anweisung  zur  Waffenübung  für 
"^Tundert^  den  schweizerischen  Kanton  Solothurn"  folgende  Reihe  von  Kommandos 
zur  Ladung:  „Ladung  in  12  Tempos:  1.  Ladt  —  Gewehr;  2.  Pfann  — 
auf;  3.  Ergreift  —  Patron;  4.  Oeffnet  —  Patron;  6.  Pulver  auf —  Pfann ; 
6.  Schliesst  —  Pfann;  7.  Schwenkt  —  Gewehr;  8.  Patron  in  —  Lauf: 
9.  Zieht  aus  — -  Ladstock;  10.  Stosst  —  Ladung;  11.  Ladstock  —  Ort; 
12.  Schulterts  —  Gewehr." 

Sodann  „geschwinde  Ladung",  ohne  Tempos  ausgeführt.  Anmerkung : 
„Die  Ladung  soll  nur  einmal  gestossen  werden;  wenn  man  mit  Pulver 
ladt,  soll  man  niemals  zwei  Patronen  auf  einander  laden,  denn  es  könnte 


*)  Zoiclmungen  nach:  „Die  Entwickelung  der  Hand-Feuerwaffon  im  öster- 
reichischen Heere**.    Von  Hauptmann  Anton  DoUeczek. 


Geschichtliche  Entwickelung  der  Hand-Feuerwaife.  29 


das  Gewehr  versprengen  nnd  ist  scharf  verboten;  dass  man  sicher  seye, 
ob  der  Schuss  lossgebrannt,  muss  man  nnr  sehen,  ob  nach  dem  Schuss 
Ranch  aas  dem  Zündloch  kömmt.  ^ 

Die  Leistungen  der  Schusswaffe  waren  aus  mehrfachen  Ursachen  rrfmitiver 

StandpuDkt 

höchst  dürftig.    Hinderlich  wirkte  der  grosse  Spielraum  der  Kugel  im  der  Hand- 
Rohre,  ohne  welchen  die  Waffe  wegen  des  Ansetzens  von  Pulverrück-  ^^°n!^^^" 
ständen  nicht  längere  Zeit  brauchbar  war,  die  unregelmässige  Pulverladung  ^"J^^J^. 
durch  Aufschütten  des  Zündpulvers  auf  die  Pfanne  aus  dem  Inhalt  der   hunderts. 
Patrone,  wobei  bald  mehr  bald  weniger  für  die  Ladung  verwendet  wu^de, 
oft  absichtlich  wenig,  um  den  Rückstoss  zu  vermindern.    Diese  Unregel- 
mässigkeit wurde  noch  dadurch  gefördert,  dass  durch  das  Ausbrennen 
des  Zündloches  bald  mehr  bald  weniger  Pulvergase  diesem  entströmten, 
so  dass  oft  von  dem  Pulver,  das  die  Patrone  enthielt  und  das  meistens 
die  Hälfte  des  Kugelgewichtes  betrug,  nur  noch  sehr  wenig  zur  effektiven 
Wirkung  auf  die  Kugel  ührig  blieb. 

Erklärlich  ist  es  daher,  dass  füi;  ballistische  Verhältnisse,  mobile 
Visiere  auf  verschiedene  Distanzen  u.  s.  w.,  der  Boden  noch  unfruchtbar 
war,  das  Bedürfnis  noch  nicht  gefühlt  wurde. 

Dazu   kam   der   schädigende  Einfluss   voi^  Nässe   auf  die   Stein-   Wirkung 

der  N&88e  tMt 

Schlossgewehre,  so  dass  z.  B.  durch  den  heftigen  vom  26.  zum  27.  August  steinaohioss- 
1813  und  an  letzterem  Tage  (Schlacht  bei  Dresden)  anhaltenden  Regen   «®''®^'^- 
dieselben  fast  gänzlich  unbrauchbar  geworden  waren,  welchem  Umstände 
es  auch  hauptsächlich  zugeschrieben  wird,   dass  die  österreichische  In- 
fanterie bei  Mockritz    trotz  aller  Anstrengung    und  Aufopferung    dem 
ungestümen  Andringen  der  Franzosen  unter  Murat  unterlag. 

Obwohl  1807  in  England  ein  Patent  auf  ein  Perkussionsgewehr  ge- 
nommen wurde,  so  machte  doch  die  Vervollkommnung  der  Perkussions- 
zündung keine  raschen  Fortschritte. 

Der  nötigen  Einfachheit  einer  Umänderung  des  Steinschlosses  zum  pig.  xXL 
Gebrauch  von  Zündpillen  entsprach  wohl  am  meisten  das  1821  bei  den 
dänischen  Jägern  zuerst  zu  grösseren  Versuchen  angewendete  System ; 
Perkussionsschloss  für  Zündpillen,  Dänemark  1821.    (Fig.  XXI.) 

Im  Jahre  1818  erfand  Joseph  Egg  in  England  die  Zündhütchen,  Einführung 
welche    in    demselben   Jahre    auch   in   Frankreich    eingeführt   wurden.  Perknssions- 
(Fig.  XX.)  n °^XT 

Die  Perkussionszündung  veranlasste  nun  allerorts  Versuche,  welche 
den  grossen  Vorteil  dieser  Zündweise  augenscheinlich  machten. 

Was  die  Zahl  der  Versager  bei  Steinschlossgewehren  betrifft,  so  er-  verBager  bei 
gaben  die  französischen  Proben  von  1811  für  100  Schüsse  (wobei  immer  gewehreT 
nach  30  Schüssen  ein  neuer  Stein)  20,3  Versager  (Nichtzündung  des  Pulvers 


30  !•    I^iö  Feuerwaffen. 


auf  der  Pfanne)  und  10  Abblitzer  (das  verbrannte  Zündpulver  teilte  sich 
der  Ladung  nicht  mit).  Vei^leichsversuche  über  Versager  zwischen  Stein- 
und  Perkussionszündung  ergaben  7  resp.  3%. 

FranwB.  Frankreich  stellte  1822  ein  neues  Gewehrmodell  auf,  welches  von 

Perkomions- 

schiosB-    demjenigen  von  1777/1800  nur  wenig  abwich;  die  hauptsächlichste  Aen- 
p^*" j Jli  derung  bestand  in  Apöerung  des  Perkussionsschlosses  für  Zündhütchen. 
Französisches  Infanteriegewehr,  Mod.  1822.    (Fig.  XXIL) 

Im  Feldzuge  gegen  Algier  (1^29)  bediente  man  sich  bereits  der  Per- 
^    kussionsbüchsen,  und  fand  die  Vorzüglichkeit  dieser  Zündweise  allgemeine 
Anerkennung  und  Einführung. 

Dr  ^*^  b  -^^^^  folgte  die  epochemachende  Erfindung  des  Zündnadelgewehrs 

Zöndnadel-   VOU  DrcySC. 
gewahr  and 

Beioeepoche-  Sciu   crstcs  Zünduadelgcwehr  mit  Vorderladung  fand   noch  keine 

Ehi^h?aiig  Aufnahme ;  später  gelang  es  jedoch  dem  Erfinder,  und  zwar  1836,  das  System 

'  ^Hee'^*°''  ^^^'  Hinterladung  damit  zu  vereinigen  sowie  die  hierzu  geeignete  Zündmasse 

herzustellen,  so  dass  sich  nun  Preussen  veranlasst  fühlte,  mit  dem  neuen 

Dreyse'schen  Zündnadelgewehre  eingehende  Versuche  anzustellen,  denen 

die  Annahme  dieses  Modells  füi  die  preussische  Infanterie  sogleich  folgte. 

Als  1846  bei  den  damit  abgehaltenen  Proben  in  Spandau  viele  Nadeln 
brachen  oder  sich  verbogen,  wurde  die  neue  WaflFe  wieder  in  Frage  ge- 
stellt. 1848  bewährte  sich  dieselbe  indessen  gegen  die  sächsischen  und 
badischen  Aufständischen  und  erwies  bei  den  1850  in  Potsdam  und  Spandau 
von  Neuem  vorgenommenen  Versuchen  sowohl  in  Treffsicherheit  als  Feuer- 
geschwindigkeit volle  üeberlegenheit. 

Tafel  m,  Das  preussische  Zündnadelgewehr  (System  Dreyse)  geben  wir  in 

Pig.  XXm  Tafel  HI,  Fig.  XXIII  und  XXIV. 
n.  XXIY. 

Patronei-  ^^^  Patrone  des  preussischen  Zündnadelgewehres  ist  eine  Einheits- 

tafel    patrone.    (Patronentafel  Fig.  6.) 

Fii  6 

*'  '  Zwischen  Geschoss   und  Pulver   liegt  ein  Pfropf  aus  gepresstem 

Papier  (Zündspiegel);  derselbe  nimmt  in  seiner  vordem  Höhlung  das 
eiförmige  Geschoss  (Langblei)  auf,  während  eine  Vertiefung  im  Zentrum 
der  hintern  Fläche  des  Spiegels  die  Zündpille  enthält. 

Ziel-  Wie  schwierig  es  war  im  Vergleich  mit  den  heutigen  Waffen  richtig 

zu  zielen,  zeigen  folgende  Ziel  Vorschriften : 

Zielen  auf  100  m  40  cm  unter  den  Treffpunkt  oder  auf  das  Knie  des  Gegners ; 
,,  150  „  20  „      ,,       „  „  „      „  d.  Unterleib  d.  Gegners ; 

,,  180  ä  225  m  auf  den  Treffpunkt; 

,,  225  a  300  „  über  den  Nagel  des  auf  das  untere  Band  gesetzten 

Daumens ; 


Tafel  m. 


Geschichtliche  Entwickelung  der  Hand-Feuerwaife.  31 

Zielen  auf  300  ä  375  m  über  das  gekrümmte  Gelenk  des  aufgesetzten  Dau- 
mens; 
„  375  ä  450  „     „    den  Nagel  des  aufgerichteten  Daumens; 
„  450  ä  625  „     „    denselben,  etwas  höher  gerückt; 
„  525  ä  600  ,,     „    denselben,  noch  höher  gerückt. 

Die  UnZuverlässigkeit  solcher  Zielmethode  spricht  von  selbst,  was 
jedoch  bei  der  sonstigen  Leistung  der  Waffe  ziemlich  gleichgiltig  war. 

In  der  Folge  umschloss  Pulver,  Ztindspiegel  und  Geschoss  eine  über  Patronen- 
der  Geschossspitze  gebundene  Papierhülse.    (Patronentafel  Fig.  7,  8,  9.)     ^^»^  ^ 

Die  1849  eingeführte  Zündnadelbüchse,  sowie  das  Zündnadelgewehr  ^  g^ 
Mod.  1862  waren  vom  Mod.  1841  nur  ganz  unwesentlich  verschieden;  der 
Lauf  des  Mod.  1862  war  aus  Berger'schem  Gussstahl  und  bronziert;  Messing- 
gamitur;  dreikantiges  Bajonnet. 

Die  Leistungsfähigkeit  des  Zündnadelgewehres  im  Schnellfeuer  be-  g^h^®",*%^j^ 
trug  etwa  5  Schuss  per  Minute  (Normalleistung).  der 

Der  französische  Hauptmann  Minie  hatte  1849  ein  nach  ihm  be-    bewehre. 
nanntes  Spitzgeschoss  mit  Expansionshöhlung  und  Treibspiegel  hergestellt: 
Spitzgeschoss  von  Mini6. 

Die  Geschosshöhlung,  nach  vom  konisch  sich  verengend  und  mit  „***"*!: 
einem  eisernen  schüsseiförmigen  Treibspiegel  (Culot)  versehen,  sollte  den  geachosse. 
Eintritt  des  Geschosses  in  die  Züge  des  Laufes  vermöge  des  Pulvergases 
bewirken,  das  Culot  hatte  die  Bestimmung,  das  Zerreissen  des  so  ge- 
höhlten Geschosses  zu  verhindern  und  durch  sein  Vordringen  die  Ex- 
pansion nach  Erfordernis  zu  begünstigen. 

In  Eussland  wurden  zu  Ende  der  vierziger  Jahre  Versuche  mit  st*ndder 

^  Bewatrnaug 

Kammerladung  und  dem  preussischen  Zündnadelgewehre  gemacht,  die  aber  in  Rus«und. 
ungünstig  ausfielen,  und  nachdem  die  Russen  im  Krimkriege  1854  —  56 
durch  die  französischen,  zwar  langsamer  schiessenden,  aber  gezogenen 
Gewehre  bedeutend  gelitten  hatten,  legten  sie  geringeren  Werth  auf  die 
Feuergeschwindigkeit,  wendeten  vielmehr  ihre  Bemühungen  der  Trag- 
weite und  Treffsicherheit  zu. 

Ihre  Hand-Feuerwaffen  teilten  sich  in  Infanterie-  und  Schützen- 
gewehre. 

Das  Infanteriegewehr  (Perkussionszündung)  Mod.  1845  war  dem 
fi'anzösischen  analog,  mit  einem  Noimalkaliber  von  18  Millimeter. 

1854  wurden  versuchsweise  20000  glatte  Infanteriegewehre  gezogen. 

Die  Umänderung  wurde  nicht  fortgesetzt,  dagegen  schon  Ende  1854 
die  Beschaffung  neuer  glatter  Gewehre  eingestellt  und  das  Modell  eines 
gezogenen  Infanteriegewehres  angenommen;  dasselbe  ist  vom  bisherigen 
von  1845  äusserlich  nur  unwesentlich  verschieden. 


34  !•    I^J^  Feuerwaffen. 


Pig.  XXVI,  Infenteriegewelir,  Mod.  1866  (Chassepot)  eingeführt  und  1869  laut  System 

IL  ¥rSlL  ^^^^^^^  modifiziert.    (Fig.  XXVI,  XXVII  und  XXVIII.) 

Patronen-  Die  Patrone  zum  Chassepot-Gewehr  Mod.  1866  (Patronentafel,  Fig.  10) 

W«l     ist  eine  Einheitspatrone  ohne  Selbstdichtung;  die  die  Pulverladung  um- 

"*•  ^^'  schliessende  Papierhülse  ist  über  eine  Pappscheibe  gefalzt,  deren  untere 

das  Zündhütchen  in  ihrem  Zentrum  fasst,  dessen   Oeffnung  von   einem 

Papierblättchen  gedeckt  ist. 

Bei  Beginn  des  Krieges  1870/71  hatte  Frankreich  etwa  1037  000 
solcher  Chassepot-Gewehre. 
RiiNUeiie  In  ßussland  wurde  1867  ein  Zündnadelgewehr  von  Carl6  und  Sohn 

Gewehr- 

Reformen   adoptiert,  wclchcs  der  Hauptsache  nach  schon  1849  von  S.  Knika,  einem 
Wa.^  TTiT  Pistolenfabrikanten  in  Wolin  (Böhmen),  konstruiert  gewesen  sein  soll  und 
n.  TTT   damals  ein  eisernes  Spitzgeschoss  mit  Bleimantel  schoss :  Russisches  Zünd- 
nadelgewehr, Mod.  1867.    (Fig.  XXIX.  und  XXX.) 

Diese  vom  Obersten  Weltischtschew  konstruierte  Patrone  ist  eine 
Einheitspatrone  ohne  Selbstdichtung,  deren  Bodenliderung  in  ihrem  Zentrum 
die  Zündkapsel  aufnimmt;  Minie-Geschoss  mit  Treibspiegel. 

Pig.  XXXI  Die  Feuergeschwindigkeit  wird  —  in  Reih  und  Glied  —  mit  fünf 

n.  XXXn.  sehuss  per  Minute,  im  Einzelfeuer  mit  acht  bis  neun  Schuss  angegeben.  — 

Im  Jahre  1869  führte  Rnssland  das  Krnka-System  ein  (Fig.  XXXI  und 

XXXII),  liess  jedoch  dasselbe  auf  Gnind  angestellter  Versuche  bald  fallen 

und  wandte  sich  dem  System  Berdan  zu. 

a.  Zur  Unterscheidung  von  einem  spätem  Berdan'schen  Modelle  wird 
dasselbe  mit  No.  1  bezeichnet. 

b.  Für  Neuanschaffungen  ersetzte  Oberst  Berdan   das  gewöhnliche 
Perkussionsschloss  durch  das  einfachere  Spiralfederschloss. 

c.  Die  Patrone  desselben  hatte  die  beträchtliche  Vereinfachung,  nur 
noch  aus  zwei  Teilen  —  Hülse  und  Zündhütchen  —  zu  bestehen. 

Tafel  IV,  Die  Extra-Spannbewegung  und  das  mangelhafte  Auswerfen  beein- 

Fig.XXXin  trächtigten  die  Feuergeschwindigkeit,  daher  auch  dieses  Modell  nach  An- 
IL  XXXIV.  f^^^jg^j^g  ^,^^  gQQQQ  g^g^j^  j^  j^j^j.^  jggg  ^^^  Ki-nka-System,  und  dieses 

im  Jahre  1871  der  Konstruktion  Berdan  No.  2  (Tafel  IV,  Fig.  XXXIU 
und  XXXIV)  weichen  musste. 

Patrone  zum  Berdan-Gewehr  No.  2:    Zentralzündung;  Hülse  samt 
innerem    Bodenfutter    und   Zündhütchen    aus   geprägtem  Messingblech; 
Fettpfropf  hinter  dem  Geschossboden;   Geschoss  und  Pfropf  in  Papier- 
umhüllung. 
Einflass  Was  Frankreich  anbetrifft,  so  hatte  1870  der  deutsch-französische 

von  "eTo"  Ki'ieg  neben  den  Vorzügen  des  Chassepot-Gewehres ,  Mod.  1866,  auch 
dessen  Mängel  gezeigt.    I'nmittelbar  nach  Beendigung  des  Krieges  ordnete 


Tafel  IV. 


■<^ 


a    -2  -^ 

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i  2  .S  -o   a  i 


^f ||||5  = 


Automatische  Pistole 

(System  Borchardt). 


Revolver,  System  A.  Garcia-Reinoso. 


ErläHteruHgeH  iimslehemi. 


Bd.  I.    BlnngM  li»l  S«lta  S5 


Revolver,  System  A.  Garcia-Reinoso. 

Bei  dem  Revolver,  System  A.  Garcia-Reinoso,  wird  das  Laden  und  das 
Auswerfen  der  abgeschossenen  Patronenhülsen  selbstthätig  bewirkt. 

Das  Magazin,  welches  auf  der  linken  Seite  am  Schlossbehälter  angebracht 
wird,  enthält  fünf  Patronen;  diese  werden  nacheinander  in  die  Trommel  ein- 
geführt und  die  leeren  Hülsen  in  der  Reihenfolge  des  Abfeuerns  ausgeworfen. 

Durch  ein  einmaliges  Anziehen  des  Abzuges  wird  eine  Patrone  abgefeuert, 
die  Hülse  der  vorhergehenden  ausgeworfen  und  eine  neue  in  die  Trommel 
geschoben. 

Diese  Resultate  werden  erreicht,  ohne  diese  Schusswaffe  einer  der  wert- 
vollen Eigenschaften  des  gewöhnlichen  Revolvers  zu  berauben,  sodass  man  sie 
auch  wie  einen  solchen  benutzen  kann;  ladet  man  Trommel  und  Magazin,  so 
hat  man  10  Schuss  —  also  doppelt  so  viel,  wie  bei  diesem  —  zur  Verfügung, 
und  kann  die  Patronen  aus  der  Trommel  abschiessen,  die  des  Magazins  aber 
bis  zum  Moment  des  Bedarfs  aufbewahren.  Das  ist  ein  sehr  grosser  Vorteil 
für  eine  derartige  Waffe,  welcher  ausschliesslich  diesem  System  eigen  ist. 

An  Stelle  eines  Kolben  kann  man  am  Revolver  den  Halfter  befestigen. 
Es  ist  dies  ein  einfaches,  innen  mit  leichtem  Blech  bekleidetes  Lederfutteral, 
welches  vorne,  unter  dem  Leder  verborgen,  einen  federnden  Haken  zum  Fest- 
klammern am  Revolvergriff  besitzt. 

Lässt  man  das  Futteral  am  Lederriemen  über  die  Achsel  hängen,  so  ist 
der  Revolver  wie  jeder  andere  zu  verwenden,  befestigt  man  es  am  Griff,  so 
kann  man  von  der  Schulter  schiessen,  indem  man  die  Waffe  mit  einer  oder 
beiden  Händen  hält;  beim  Loslassen  bleibt  er  alsdann  wie  ein  Karabiner  am 
Schulterriemen  hängen. 

Ein  flüchtiger  Blick  auf  die  Zeichnung  genügt,  um  die  Art  der  Benutzung 
und  die  bedeutenden  Vorteile  dieses  Revolvers  von  allen  anderen  erkennen 
zu  lassen. 


Resultate  der  Schiessversuehe  in  Obemdorf 

ßber  100  Ueter  über  1000  Meter 

tun  1  September  1896.  am  17.  Juni  1896. 

Schnellfeuer,  100  Schüsse.  30  Schüsse. 

Vertikal-Streuung    5,65  Meter. 


Vertikal-Streuung    53  Centimeter. 
Horizootal-    -         42  „ 


4,15 


=  "  =  -iSiv  =  =  =  = 

Geschichtliche  Entwickelung  der  Hand-Feuerwaffe.  35 

der  französische  Kriegsminister  eine  genaae  Untersuchung  über  das  Ver- 
halten der  französischen  Hand-Feuerwaffen  und  deren  Munition  an,  und  es 
konstatierte  die  üntersuchungskommission  das  Bedürfnis  einer  Verbesse- 
rung des  Gewehrmodells  von  1866  und  insbesondere  seiner  Munition. 

Die  neuen  Waffen  (System  Gras)  erhielten  die  Benennung :  Infanterie-, 
Kavallerie-  und  Artilleriegewehr,  Mod.  1874;  die  umgeänderten  Waffen 
erhielten  die  Benennung:  Infanterie-,  Kavallerie-  und  Artilleriegewehr, 
Mod.  1866/74.  —  In  Bezug  auf  Konstruktion  unterscheidet  sich  das 
Mod.  1874  von  demjenigen  von  1866  hauptsächlich  in  Verschluss,  Visier, 
Patrone  und  Beiwaffe. 

Seit  1886  sind  hauptsächlich  Magazingewehre  meist  kleineren  Kalibers  i>»«  zeit  der 
m   den  verschiedenen  Heeren  eingeführt  worden.     Die  Patronen  zum   Mag»«n. 
Magazingewehre  haben,   wie  alle  neuen  Patronen,   Hülsen,   welche  aus  i^^^l- 
Messingblech  gezogen  sind.    (Patronentafel,  Fig.  11  und  12  zeigen  den     tafel 
Bau  und  zugleich  die  Kaliberverkleinerung  zwischen  1883  und  1888.)        Pig.UiLl2. 

Der  erste  Schritt  in  dieser  Richtung  war  im  Jahre  1886  die  Ein- 
führung des  Lebel-Gewehi-es  in  der  französischen  Armee.  Darauf  wurden 
Magazingewehre  eingeführt:  1888  in  Deutschland  und  Oesterreich,  1889 
in  Italien,  Belgien,  der  Schweiz  und  Dänemark,  1890  in  der  Türkei,  1892 
in  Spanien,  1893  in  den  Niederlanden  und  Rumänien.  Eine  Uebersicht 
der  ballistischen  Daten  der  Hauptstaaten  über  Hand-Feuerwaffen  seit  1840 
geben  wir  in  der  umstehenden  Beilage;  wir  entnehmen  diese  Daten  dem 
Werke  des  preussischen  Kriegsministeriums  über  die  Wirkung  und  kriegs- 
chirurgische Bedeutung  der  Hand-Feuerwaffen. 

Als  einen  noch  lebenden  Repräsentanten  dieser  Gattung  geben  wir,    Neuestes 

preuBsiBChes 

bevor  wir  zu  eingehenderer  Besprechung   übergehen,   in  Fig.  XXXV,    Mag»zin- 
XXXVI  und  XXXVn  die  Zeichnungen  des  Magazingewehrs  Mod.  1891.  «rx^Y 

Heute  finden  bereits  viele  Militärschriftsteller,  dass  die  Klein-  XXXYI 
kaliber  -  Magazingewehre  ein  so  kräftiges  Verteidigungsmittel  bilden,  ^  ^^^"*' 
dass  das  Endziel  jeder  Schlacht  —  der  entscheidende  Angriff  — ,  soweit 
Stärke  und  Vorzüge  der  beiderseitigen  Heere  annähenid  gleich  sind  und 
das  Terrain  nur  einigermassen  eben  ist,  —  und  natürlich  wird  der  in  der 
Defensive  sich  haltende  Gegner  immer  ein  solches  zu  finden  suchen  — 
beinahe  undurchführbar  wird,  und  dass  selbst  bei  bedecktem  und  durch- 
schnittenem Gelände  der  Erfolg  des  Angriffs  immer  sehr  problematisch 
bleibt. 

Wenn  man  den  Versicherungen  nicht  anzuzweifelnder  technischer  Eretrebnng 

VOIlGowollTGll 

Autoritäten  Glauben  schenken  will,  so  wird  mit  Einführung  von  Gewehren  möglichst 
noch  kleineren  Kalibers  mit  gesteigerter  Triebkraft  und  mit  Vermehrung  Kaublre^in 
der  Patronenanzahl,  welche  der  Soldat  bei  sich  zu  tragen  hätte,  der *^"^  ^°\^«" 

3*  fühniog. 


36  I-    ^i'^  Fpui^rwafien. 

Krieg  in  den  heutigen  Verhältnissen,  d.  h.  der  Kampf  zwischen  Millionen- 
Heeren  fast  unmöglich  werden. 

Inwiefern  diese  Voraassetzung  begründet  ist,  ist  schwer  zc  ent- 
scheiden, es  nnteriiegt  jedoch  keinem  Zweifel,  dass  die  systematischen, 
auf  VervoUkommtinng  der  Waffen  gerichteten  Bemühungen  der  Gelehrten 
nnd  Techniker  bedentende  Besultate  noch  erzielen  dürften. 


2.    Das  Kleinkaliber-Magazingewehr. 

Die  „Einlader"  sind  bereits  im  Kriege  erprobt  worden,  die  Magazin- 
gewehre der  neuesten  Typen  haben  jedoch  ihre  Probe  erst  unter  Verhält- 
nissen bestanden,  welche  noch  nicht  zu  endgiltigeu  Schlüssen  berechtigen. 
Y.rKi8ici.e  Nichtsdestoweniger  kann  der  Vergleich  der  Einlader  mit  den  mit 

«"i  hentif«"  ranchschwachem  Pulver  geladenen  Magazingewehren  einen  Begriff  von  der 
n^ei   Bedentang  der  heut^en  Bewaffnung  der  Infanterie  in  künftigen  Kriegen 
Micha  mit  geben.    "Wir  nehmen  hierzu  die  am  meisten  bekannten  Typen. 
•chwMhim  Nachstehende  Zeichnung  zeigt  die  Einrichtung  des  deutschen  Gewehi'- 

g.wen'Vind  n«>dells,  welches  im  Jahre  1888  zur  Annahme  gelangte.    Dieselbe  ist  dem 
Werke  Holzner's  „Moderne  Kriepgewehre"  (Wien  1890)  entlehnt. 


Einrichtung  lies  deutschen  Gewehres  (Moil.  1888J. 

Wie   weit  das  heutige  Kleinkalibergewehr  der  deutschen  Armee 
,_  qualitativ  höher  steht  als  das  im  JaJire  1870  gebrauchte    Zündnadel- 
gewehr, zeigt  folgende  graphische  Darstellung  der  Geschoss-Fhigbahn 
auf  einer  Distanz  von  fiOO  Meter. 


g 

s 


Uebersicht  über  die  Hauptarten  der  Hand-Feuerwaffen 

von  1840  bis  1893. 


Bezeichnung 

Staat 

Lauf- 
weite 

mm 

Gewicht 

An- 

fODgS- 

scnwin- 
digkeit 

m 

Ro- 
tation 

des 
Gewehrs 

d.  Ge- 
wehrs 

kg 

d.  Pa- 
trone 

des  Ge- 
schosses 

«        1 

Mini^,  Mod.  42 

Frankreich 

1 

18,25 

4,0 

36 

284-3 1(^ 
300 

155 

Zündnadel,  Mod.  41 

Preussen 

15,43 

4,65 

40 

31 

420 

AptiertesZundnadel,  Mod.72 

Preussen 

15,43 

4,35 

30,5 

32 

43,3 

21,5 

25 

25 

350 

480 

Chassepot,  Mod.  66 

Frankreich 

11,0 

4,050 

420 

764 

Infanterie,  Mod.  71 

Deutschland 

11,0 

1 

4,515 

430 

782 

Martini- Henry,  Mod.  71 .  .  . 

England 

11,43 

3,976 

50 

30 

378,9 

660 

Berdanll,  Mod.72 

Russland 

10,7 

4,383 

40 
42,2 

43,8 

1 
24 

390 

732 

Werndl,  Mod.  73/77 

Oesterreich 

10,9 

'  4,192 

24,03    ; 

432 

595 

Gras,  Mod.  74 

Frankreich 

11,0  1 

4,210 

25       , 

430 

1 

782 

Werder,  Mod.  75 

Bayern 

11,0 

4,27 

43,3 

25 

14,7 

15,0 

430 

782 

Mod.  88 

Deutschland 

7,9 

3,8 

27,3 

640 

2660 

Lebel,  Mod.  86 

Frankreich 

8,0 

4,18 

29.5 

630 

2627 

Mannlicher,  Mod.  88/90  .  .  . 

Oesterreich 

8,0 

4,41 

28,5 

15,8     1 

620 

2480 

Mannlicher  Carcano,  Mod.  91 

Italien 

6,5 

3,78 

22,5 

10,5 

700 

2770 

Mauser,  Mod.  89 

Belgien 

7,65 

3,9 

28,6 
23,46 

14,2 

610 

2440 

Dreilinien,  Mod.  91 

Bussland 

7,62 

4.3 
4,50 

13,68 
13,9 
15,43 

610-620 

2580 

Lee-Metford  MustII,Mod.89 

England 

7,7 

28 
30 

27 

630 

2475 

Krag- Jörgen sen,  Mod.  89 .  . 

Dänemark 

8,0 

1 

,    4,3 

620    ! 

2066 

Mauser,  Mod.  90 

Türkei 

7,65 

'    3,9 
4,3 

13,8 

13,7     : 

1 

652 

2608 

Schmidt,  Mod.  89 

Schweiz 

7,50 

27,5 

600 

2220 

Mauser,  Mod.  92 

Spanien 

7,0 

3,9 

1 

24,3 
22,45 

11,2 
10,5 
1     10,34 
16 

720 

3315 

Mannlicher,  Mod.  93 

Niederlande 

6,5  1 

4,1 
3,95 

730 

1 

3830 

Mannlicher,  Mod.  93 

Kumänien 

6,5 

22,74 
35,5 

'     720 
520 

3600 

Kropatschek 

Portugal 

8,0 

i 

4,54 

1 

1900 

Einffigen  bei  Seit»  36, 


Das  Kleine oliW-hag^in^webr.  37 


Was  die  anderen  VorzUge  des  deutschen  Kleinkalibergewehres  im  * 
Vergleich  zu  dem  Zöndnadelgewehre  anbetiilft,  so  hiingt  folgende  graphische  k 
Darstellung  dieselben  zum  Ausdruck.  *«„  zdaä- 


Vad.  1870. 


Q  Zündnadelgewelire  Mud,  1870 


Von  den  Grossmächten  ist  Russland  später  als  die  anderen  Staaten 
ZOT  Einführung  der  Magazingewehre  und  zugleich  damit  auch  des  rauch- 
schwachen Pulvers  geschritten.  In  Folge  dessen  hatte  Russland  die  Möglich- 
keit, von  den  neuesten  Erfahrangen  und  Vervollkommnungen  Nutzen  zu 
ziehen.  Wie  Professor  Potocki  erklärt,  hat  darum  das  mssische  Gewehr 
keinen  der  Mängel  des  französischen,  deutschen')  oder  österreichischen 
Magazingewehres,  d.  h.  die  mssische  Armee,  zu  deren  Glücke  der  Krieg 
bisher  nicht  ausgebrochen  ist,  wird  in  kurzer  Zeit  mit  einer  vollkommneren 
Feuerwaffe  ausgerüstet  sein  als  die  Heere  der  meisten  anderen  Staaten. 

Das  neueste  russische  Gewehr  besitzt  dem  früheren  Berdan-Gewehre 
gegenüber,  wie  Professor  Potocki  ausführt'),  folgende  Vorzüge:  es  wiegt  . 
1,26  Kilogr.  weniger  als  das  jetzige  russische  Gewehr,  seine  Treffsicherheit  ^l 
übertrifil  die  des  frühereu  Gewehres  um  100  •*/(),  die  Durchschlagskraft 
ist  am  200%  gestiegen,  die  Treffweite  um  50  "/o,  die  Schussschnelligkeit 
am  20''/o.  Ein  anderer  Forscher,  Professor  Michnewitsch*),  findet  noch 
bedeotendere  Unterschiede  zwischen  dem  neuen  und  dem  früheren  Gewehre; 
derselbe  ist  der  Ansicht,  dass  die  Treffweite  3  mal  grösser  ist,  die  Treff- 
sicherheit i/jmal  giösser,  die  Schussschnelligkeit  300/o  his  50%  grösser. 
Diese  Vorzüge  fuhren  Professor  Michnewitsch  zu  dem  Schluss,  dass  es 
möglich  ist,  dem  Gegner  mit  Hülfe  des  Kleinkalibergewehrs  21/4  mal 
stärkere  Verluste  als  mit  dem  früheren  Gewehre  zuzufügen. 


>)  !□  der  „Toctique  de  demaiti"  sagt  Coumes,  dass  der  Lauf  des  deutschen 
Gewehres  sich  ia  Folge  der  Schüsse  ausweitet  und  in  kurzer  Zeit  zum  Gfhrauche 
untauglich  wird.    S.  112. 

*)  Siehe  „Militär- Wochenblatt". 

*)  „Einiluss  der  neuoRteii  technischen  Urftmlungen  auf  die  Taktik  des 
Krieges". 


38 


I.    Die  Feuerwnffen 


.  ''"■  Folgende  graphische  Darstellung    giebt   nns  die  Mßglichkeit,  die 

■»•ciiuik  Eigenschaften  der  russischen  3-Linien -Kleinkalibergewehre  (7,6  MilH- 
nld  mJ^I^b  metsr)  mit  den  4 -Linien -Beidan -Gewehren  (10,1  Millimeter)  zn  ver- 
""i^b"  gleichen. 

Noch  PoUioki :  Noch  Michnewitech : 


Vorzüge  Jer  russischen  Kleinkalibergewehre  (S-Linien) 
(4-L)nieD)  in  Proienten. 


r  den  Berdan-Ge  wehren 


Und  was  nicht  minder  wichtig  ist,  das  weniger  umfangreiche  Geschoss 
für  das  nene  Gewehr  ist  auch  von  geringerem  Gewichte.*) 
.^"-  Die  allmähliche  Vermindemng  des  Gewichtes  der  Gewehi^eschosse 

j«  oawithLiist  aus  folgender  graphischen  Darstellung  sichtbar: 


Gewicht  der  Geschosse  in  Gramm. 

Ta^iisioii  Da  auch  das  Gewehi'  selbst  im  Gewichte  verändert  ist  —  es  wiegt 

d«r  4,3  Kilogramm,  während  die  ganz  alten  russischen  Hand-Feuerwaffen  10  bis 
"'iSu™^'  12,5  Kilogramm  wogen  — ,  so  ist  der  Soldat  im  Stande,  bis  150  Patronen 
mit  sich  zn  führen.  Indem  derselbe  zu  der  Zeit,  wo  die  Infanterie  mit  dem 
gezogenen  7-Linien-Gewehre  ausgerüstet  war,  nicht  mehr  als  40  Patronen 
mit  sich  geführt  hatte,  beim  Uebergang  zum  G-Linien-Kaliber  60,  bei  dem 
Uebergang  zum  4-Linien-Kaliber  84*),  so  kann  er  nunmehr  fast  4  mal 
mehr  Schüsse  abgeben  als  in  früheren  Zeiten. 


*)   Die   in   dieser   Hinsicht   erzielten  Resultat«   sind  bemerkenswert;   das 
Gowehrgeschoss,  welches  bis  1830  50  Gramm  wog,  wiegt  jetzt  nur  15  Gramm. 
'')  Polwcki:    „Die  Artillerie".    Ausgabe  1892. 


Das  Kleinkatiber-Magazingewehr. 


39 


Ausserdem  ist,  da,  wie  bereits  nachgewiesen,  der  bestrichene  Raum 
in  Folge  der  bedeutenderen  Anfangsgeschwindigkeit  des  Geschosses  und 
seiner  gestreckteren  Bahn  grösser  geworden  ist,  auch  die  Kiaft  des  neuen 
Geschosses  wirksamer  geworden.  Die  Vemichtungsmechanik,  welche  sich 
in  den  Händen  eines  jeden  Soldaten  befindet,  ist  daher  im  Vergleich  zu 
früher  wohl  noch  weit  mehr  gestiegen,  als  die  Professoren  Potocki  und 
Michne witsch  annehmen. 

Es  ist  jedoch  zu  bemerken,  dass  hinsichtlich  der  Vorzüge,  die  sich 
aus  der  Anwendung  des  Magazins  auf  die  Schnellfeuergewehre  ergeben, 
noch  bis  jetzt  nicht  alle  Militärschriftsteller  gleicher  Ansicht  sind.  Viele 
derselben  erklären,  dass  die  Anwendung  des  Magazins  zu  einem  weniger 
sicheren  Schiessen  und  damit  zu  einer  unnützen,  unproduktiven  Patronen- 
verschwendung führen  werde. 

Angesichts  der  grossen  Wichtigkeit  dieser  Frage  müssen  wir  die 
Gründe  anführen,  auf  welche  sich  eine  derartige  Ansicht  stützt. 

Die  beim  Schiessen  angestellten  Berechnungen  haben  ergeben,  dass 
der  Soldat  aus  dem  Berdan-Gewehr  ohne  Ruhepause  im  Laufe  einer  Viertel- 
stunde 148  Schüsse  abzugeben,  d.  h.  eine  für  jeden  Kampf  mehr  als  ge- 
nügende Anzahl  von  Geschossen  zu  entsenden  im  Stande  ist,  wobei  auch 
die  Treffsicherheit  der  Schüsse  eine  bedeutende  sein  kann. 

Was  die  in  Russland  bezüglich  der  Schnelligkeit  und  Treffsicherheit 
angestellten  Schiessversuche  betrifft,  so  haben  dieselben  folgende  Resultate 

*  Anzahl  Von  ihnen  trafen 

der  abgefeuerten  Projektile  ins  Ziel 

Bei  der  Ladung  nach  jedem  Schuss  .       1259  66  % 

Bei  dem  gleichzeitigen  Schiessen  aus 

Magazingewehren 2608  61% 


Maximnm 
der  Schflsse 
ohne  Paase. 


Vergleich 
der 
Schnelligkeit 
und  Treif- 
sioherheit 
der  Magazin- 
gewehre  mit 
Einzelladern. 


Anzahl  der  abgefeuerten  Projektile 


Treffer  in  Prozenten 


1258 


2506| 


Gewehre,  die  nach  jedem 
Schma  geladen  werden 


Magazingewehre 


65\ 

6I\ 


Vergleich  der  Schnelligkeit  und  Treffsicherheit  des  Schiessens  aus  Gewehren,  die  nach 

jedem  Schuss  geladen  werden,  und  aus  Magazingewehren. 


Das  Uebergewicht  in  der  Zahl  der  abgefeuerten  Geschosse  ist  augen- 
scheinlich auf  Seite  des  Magazingewehres,  was  aber  die  Trefier  anbetriJSt, 
so  sind  die  Resultate  für  die  Magazingewehre  um  4  %  weniger  befriedigend. 


^)  A.  J.  Draschkowsky :  „Zur  Frage  über  die  Magazingewehre". 


40  ^'    ^i®  l^'euerwatfen. 


Nach  Ansicht  vieler  Müitärschriftsteller  darf  jedoch  dem  Umstände 
der  grösseren  TreiFsicherheit  von  Schüssen  bei  der  Methode  des  jedes- 
maligen Ladens  nicht  eine  allzn  grosse  Bedeutung  beigelegt  werden. 
AutoritatiTer  Wir  haben  bereits  die  Wort^  eines  Sachkenners  angeführt:  „Wenn 

Ausspruch 

über  die   Eucr  Gegucr  ein  ebenso  gut  treffendes  Gewehr  wie  das  Eunge  hat,  so 

^^hrnügen  ^  wird  Eucr  Schiessen  wiederum  nur  nach  Maassgabe  des  Schiessens  ans 

Infanterie-  ^qj^  früheren  weniger  vollkommenen  (lewehre  geschehen  können.    Man 

Feuer- 

gefechta.    Verliert   ebensoviel   Leute    und   die   Bedingungen   der   Kaltblütigkeit 

werden  dieselben  sein,  d.  h.  unbedeutende. 

„Wenn  man  dreimal  rascher  schiessen,  dreimal  mehr  Leute  tödten 

kann,   so  wird  es  dagegen  dreimal  schwieriger  sein,  Kaltblütigkeit  zu 

bewahren."  7) 
Vorzüge  Der  Hauptvorzug  des  Magazingewehres  besteht  darin,  dass  es  den 

der  M&gftzin- 

gewehre.  Schützcu  iu  kritischeu  Momenten  nicht  mit  dem  Laden  belästigt  in 
Momenten,  wo  die  grösstmögliche  Zahl  von  Schüssen  nötig  ist,  wo  die 
vollste  Kaltblütigkeit  erfordert  wird,  damit  durch  fieberhafte  Hast  nicht 
Schaden  geschieht.  Der  VoiTat  aft  Patronen  im  Magazingewehr  giebt 
die  Möglichkeit,  ruliig  den  Angriff  des  Feindes  abzuwarten  und  ihn  auf 
eine  nahe  Entfernung  heranzulassen,  was  den  sich  defensiv  verhaltenden 
Truppen  in  bedeutendem  Grade  Selbstvertrauen  einflösst  und  ihre  Kalt- 
blütigkeit aufrecht  erhält. 

Ebenso  gehen  auch  die  angreifenden  Truppen  kühner  in  den 
Kampf,  wenn  sie  wissen,  dass  im  gegebenen  Moment  die  Ladungen  bereit 
sind,  um  den  Feind  zu  überschütten.  Dieser  moralische  Vorzug  des 
Magazingewehrs  bildet  einen  Hauptgrund  für  seine  Einführung,  trotz  der 
negativen  Resultate  bezüglich  der  Treffsicherheit. 

Gehobonea  In  dcr  gegebenen  Frage  hat  man  rein  moralische,  aber  sehr  schwer- 

Selbst-  , 

vertrauen  des  Wiegende  Faktoreu  abzuwägen.     Professor  Pawlow^)   sagt,   dass   sogar 
dem*ji^weiiig  ^^1^^  Uebungsschiesseu  in  Friedenszeiten  der  mit  dem  neuen  Gewehre 
G  wehHus-  ^w^'^S^^ild^t^  Soldat  ungern  zu  dem  alten  greift;  so  sehr  fühle  er  schon 
gerüstet    jctzt  deu  IJuterschied  zwischen  beiden  Gewehren. 

Es  ist  nicht  nötig,  erst  noch  nachzuweisen,  dass  im  Kriege  solche 
Empfindungen  die  Massen  unvergleichlich  stärker  beherrschen  werden. 

Omega  berichtet,  dass  in  Algier,  nach  dem  erst  teilweisen  Ersatz 
der  (xewehre  Mod.  1842  durch  Chassepot  -  Gewehre ,  sich  die  Zuaven 
solche  für  ihr  eigenes  Geld  anschafften.    Bei  der  Belagerung  von  Metz 


zu  sein. 


0  A.  K.  Piisyrowski:  „Erforschung?  des  Kampfes  nach  dorn  Werke  dos 
Obrist  de  Pick".    AVnrschaii  1893. 

*)  „l^>bor  die  Hedeutun^  der  BewafTmin«^  der  Armee  mit  den  Kleinkaliber- 
gewehren". 


Das  Kl?iiitaliber-Maga.KLng;ew(>l>r,  41 

Dafamen  die  preussisehen  Wach-  und  Vorposten  ausser  ihren  eigenen 
Gewehren  anch  die  von  den  Franzosen  in  der  vorhergegangenen  Schlacht 
erbeuteten  Chassepot-Gewehre  mit  sich.  Als  Illustration  giebt  Omega 
zwei  Zeichnungen,  die  wir  ilim  entlehnen. 


8oldat«D,  die  sich  mit  dem  beesereii  Gewehre  versehen  halten. 

Während  des  Krieges  1877  spielte  sich  derselbe  Vorgang  in  der 
rn.'^siscben  Armee  ab;  mit  der  Erbeutnng  türkischer  Gewehre  fühlte  der 
Soldat  instinktiv,  dass  das  bessere  Gewehr  im  Gefecht  das  Ueber- 
gewicht  giebt,  wie  sehr  man  ihn  auch  vom  Gegenteil  zu  überzeugen 
suchte. 

Es  ist  unzweifelhaft,  dass  ein  Mangel  an  Kaltblütigkeit  bei  den  ßetnehiBng; 
früheren  Gewehren  und  dem  früheren  Pulver,  wo  die  der  Schasswirkung  FsoergohcM 
unterliegende  Sti'ecke  äusserst  begrenzt  war,  auf  die  Verminderung  der  ^"„^„'J^ 
Verluste  von  bedeutendem  Einfluss  gewesen  ist.^)  Aber  es  bleibt  fraglich,  ■^«i"  ■»"•'- 
viie  sieh  die  Verhältnisse  femeihin  gestalten  werden,  wo  bei  einer  Distanz  '^^'J'Z 
VOD  ca.  500  Metern  (und,  wenn  die  lYuppen  mit  noch  vollkommneren  Ge-  **"  ^'"" 
wehren  ausgerüstet  sein  werden,  wovon  wir  später  sprechen  wollen,  auch 
von  800  Metern)  eine  Umstellung  des  Visiers  unnötig  sein  wird,  weil 
jedes  Geschoss  im  Stande  ist,  den  Gegner  auf  der  ganzen  Strecke  zu 
treffen,  sofern  man  um-  bei  sehr  nahen  Entfemungen  das  Gewehr  leicht 
nach  onten  neigt,  bei  ferneren  Distanzen  auf  Kopfhöhe  richtet.    Wird 
sich  nicht  zwischen  den  kämpfenden  Truppen  eine  unüberschreitbare  Zone 

*)  Hoenig:  „Unteraiichungcti  Giier  dio  Taktik  der  Zukunft".    S.  264. 


42 


I.    Die  Feuerwaffen. 


bilden,  die  in  Folge  der  Dichtigkeit  und  Kraft  der  von  naher  Distanz 
fallenden  Kugeln  kein  lebendes  Wesen  zu  überschreiten  im  Stande 
sein  wird? 

Vergleich  Zur  bessereu  Orientierung  über   diesen  so  wichtigen  Gegenstand 

der  Rasanz  , 

des  neaen  uiüsseu  Wir  uus  vou  der  Grösse  der  im  wirksamen  Schussbereich  bei 

mit 

den  früheren  ^^^  Verschiedenen  Gewehrsystemen  liegenden  räumlichen  Strecke  Rechen- 

Berdaa-    schaft  gcbeu  können.  Folgende  graphische  Darstellung  zeigt  anschaulich 

den  bestrichenen  Raum  bei  den  neuen  russischen  Gewehren,  welche  mit 

rauchschwachem  Pulver  geladen  werden,  und  bei  den  Berdan-Gewehren, 

für  welche  gewöhnliches  Pulver  verwandt  wdrd.^o) 


Im  wirksamen  Schussbereich 

liegende   räumliche   Strecke 

in  Schritten. 


Im  wirksamen  Schussbereich 

liegende   räumliche   Strecke 

in  Schritten. 


gewSkilicbem  Pulver  geladeie 
Bardan-Sewehre. 


2790 
2800 

2487 

13 
2500 

dadeie  Sewebre. 

1978 

22 

2000 
11 

1989 

1460 

40 

1500 
20 

1480 

600 

600 

130 
470 

900 

99 

1000 

62 

938 

0 
2500 

0 
2800 

eladeii 

B 

Entfernung  in 
Schritten. 

(100  Schritte  = 
76  Meter.) 


Vergleichnng  der  der  Schusswirkung  bei  den  Kleinkaliber-  und  bei  den  Berdan- 
Gewehren  unterliegenden  Strecken. 


")  M.  Jerogin:  „Schützen-Distanzmesser". 


Die  Bedeutung  der  modernen  Schiessübungen.  43 


Hieraus  ist  ersichtlich,  dass  bei  nahen  Entfernungen  bis  zu  600  Schritt 
beim  Schiessen  aus  dem  neuen  Gewehre  der  wirksame  Schussbereich 
4  mal  gi-össer  ist  als  beim  Berdan  -  Gewehr,  bei  einer  Distanz  von  600 
bis  1000  Schritt  um  die  Hälfte  grösser,  bei  einer  solchen  von  1600  bis 
2000  Schritt  um  das  Doppelte  grösser,  während  von  2500  Schritt  an  über- 
haupt kein  Vergleich  mehr  möglich  ist,  da  die  Berdan  -  Gewehre  bei 
Gebrauch  des  früheren  Pulvers  nicht  so  weit  treffen. 

Diese  theoretischen  Angaben  über  die  Länge  des  bestrichenen  Kaumes 
erfahren  in  der  Praxis  durch  die  beträchtlich  ausgebreitete  Streuung  der 
abgeschossenen  Projektile  eine  bedeutende  Aenderung. 

Bevor  wir  aber  von  dieser  Bedeutung  der  Geschossstreuung  sprechen, 
scheint  es  uns  nötig,  mit  wenigen  Worten  der  praktischen  Friedens- 
übungen zu  gedenken,  welche  vorgenommen  werden,  um  die  Eigenschaften 
der  Feuerwaffe  kennen  zu  lernen  und  um  gleichzeitig  die  grösstmögliche 
Wirksamkeit  des  Feuers  unter  den  verschiedenen  Verhältnissen,  welche 
im  Kriege  vorkommen  können,  annähernd  festzustellen,  zumal  wir  in  der 
Folge  wiederholt  von  diesen  so  gewonnenen  Schiessresultaten  zu  sprechen 
haben  w^erden. 


3.    Die  Bedeutung  der  modernen  Schiessübungen. 

Ueber  die  Vernichtung,  welche  mit  den  vervollkommneten  Waffen  BedentuBg 
in  den  zukünftigen  Kämpfen  erzielt  werden  wird,  sucht  man  meist  durch  untorscuede 
Vergleiche  der  technischen  Unterschiede  in  der  heutigen  Bewaffnung  mit  A^budin« 
der  Bewaffnung  in  den  vorhergegangenen  Kriegen  ein  Urteil  sich  zu  ^«'  Trappen. 
bilden,  und  Schlüsse  werden   durch  viele  Fachmänner  gezogen,  dass,  je 
vollkommener  die  Waffen  sein  werden,  desto  weniger  Ruhe  die  Kämpfenden 
bewahren  werden,  desto  schlechter  wird  gezielt  werden,  die  Verluste  dem- 
nach annähernd  dieselben  bleiben  werden.  Es  wird  in  den  meisten  Fällen 
jedoch  der  Unterschied,  welcher  zwischen  dem  Grade  der  Ausbildung,  sowohl 
der  allgemeinen  intellektuellen  wie  der  speziellen  technischen  der  Truppen 
besteht,  nicht  in  Anrechnung  gebracht. 

Man  vergisst  leicht,  dass  heute  der  Gemeine  fast  durchgängig  geistig 
mehr  entwickelt  ist,  als  es  in  früheren  Zeiten  die  Mehrheit  der  Offiziere 
war.  Ausserdem  werden  für  die  Ausbildung  im  Fechten  und  Schiessen  Lehr- 
mittel gebraucht,  welche  in  der  Vergangenheit  beinahe  gar  nicht  in  An- 
wendung kamen.    Die  Tum-  und  Schiessvereine  sind  Neueinführungen; 


44 


1.    Die  Feuerwaffen. 


die  Anzahl  der  für  die  Einübung  der  Schützen  zur  Disposition  ge- 
stellten Patronen  ist  eine  unverhältnismässig  grössere  als  in  der  Ver- 
gangenheit.» 

Die  Bedeutung  der  grösseren  Intelligenz  und  Einübung  bei  den 

heutigen  Waffen,  wo  jedes  Projektil  auf  Distanzen,   auf  denen  sich  das 

Gefecht  hauptsächlich  abspielen  wird,  bis  4  Mann  treffen  kann,  und  wo 

man  für  den  Kampf  durchbrochenes  Gelände  suchen  wird,  kann   nicht 

Beispiele    Iioch  gcuug  gcschätzt  wcrdeu.    Wir  wollen   auf  folgenden  vier  Zeich- 

^legekiciStTf  ^^"S^^   die  Wirkung  regelrechter  und  weniger  regelrecht   abgegebener 

und  weniger  Schüsse  darstellen. 

regel  reckt 

abgegebener 

H(^liüd9e. 


'1'       ^ 


Bedeutung  regelrechter  und  weniger  regelrecht  abgegebener  Schüsse. 


In  allen  Heeren  werden  die  grössten  Anstrengungen  gemacht,  die 
Ausbildung  der  Infanterie  in  deren  Hauptkampfmitteln  auf  die  denkbar 
höchste  Stufe  zu  bringen,  und  dies  auf  dem  denkbar  besten  Wege. 


^)    Das    Munitions  -  Ausmaass    für   feldmässigas    Schiessen    an    scharfen 
Patronen  beträgt: 

im  deutsehen  Heere 45 

im  österreichischen  Heere 70—90 

im  französischen  Heere 82 

im  italienischen  Heere 83 — 88 

im  russischen  Heere 104 


^^^r 


Die  Bedpatun^  dpr  modernen  SrhiesBübungen.  45 

Die  Verhältnisse  der  Versnchsscliiessen  und  der  Uebungen  anf  den  7"^^"^ 
Schiessfeldern  und  Polygonen  werden  das  Laste  Beispiel  abgeben.  «hiuMn 

Die  Uebnngs-Polygone  weiden  so  eingerichtet,  dass  sie  eine  mögliclist  «•«'Te"«"- 
annähernde  Vorstellnng  geben  von  den  verschiedenen  Verteidigungsmitteln 
wie  den  Hindernissen  flir  die  Truppen  während  des  Marsches  oder  Haltens, 
beim  Schiessen  aas  Geschötaen  sowohl  in  der  Feuerstellung  als  im  An- 
fahren gegen  Infanterie-  nnd  Kavallerie-Abteilungen,  die  sich  in  anf- 
(relöster  oder  in  Massenformation  halten  u.  s.  w.  Alles  dies  sind  Verhält- 
nisse, welche  die  Art  des  Feuers  nnd  die  TrefiFwahrscIieinliclikeit  zu 
^ändern  vermögen,  welche  aber  in  der  Vergangenheit  beinahe  gar  nicht 
berücksichtigt  wuMen. 

Es  ist  angebracht,  bezüglich  dieser  Fi'agen  in  gewisse  Details  ein- 
zugehen, die  auf  nachstehender  Zeichnung  des  Polygons  in  Fontainebleau 
zur  Darstellung  gebracht  sind.')  l 


Verhältnisse  des  Versuchs-  und  Uebuiiff 


')  Colone!  Hennebert;  „T^a  Noture''  1893. 


46  !•    I^iö  Feuerwaffen. 


pusiiflche  Als  Verteidigungsmittel  oder  als  Hindernisse  dienen  z.  B.  auf  dem 

der  im^BraBt- t'ebungs-Polygon  in  Fontainebleau  Brustwehren  aus  Erde  und  eine  ge- 
*kom»eid7n^^^^^''^®"^  Kedoute  mit  gebrochener  Linie,  armiert  mit  nachgebildeten 
lebenden  und  Festungsgeschützen.     Auf  der  Zeichnung   ist   diese  Redoute    mit   dem 

toten  Ziele. 

Buchstaben  B  bezeichnet.  Weiter  befinden  sich  auf  dieser  Zeichnung  ein 
Dorf  mit  einer  Kirche  (A),  ein  Gehöft  (H)  und  einige  Wände  anderer 
Gebäude.  Das  Dorf  wird  durch  unangestrichene  Bretter  dargestellt,  die 
Wände  der  Gebäude  durch  Bretter,  die  auf  Stangen  geschlagen  und  weiss 
angestrichen  sind.  Ihr  oberer  Teil  ist  roth  angestrichen  und  soll  den 
Kamm  der  Wand  bezeichnen.  Ein  Rechteck  von  gelber  Farbe  stellt  die 
Thiir  dar.  Für  den  Betrachter  aus  der  Feme  ist  dies  ein  wahrei^ 
Panorama. 

Auch  Truppen  (einzelne  Leute  und  ganze  Truppenteile)  werden  stehend 
und  sich  bewegend  dargestellt.  Aus  einem  Brettchen  von  schwarzer  Farbe 
ist  die  Figur  eines  knieenden  Schützen  ausgeschnitten;  dieselbe  ist  an 
einer  in  die  Erde  eingeschlagenen  Stange  befestigt.  Eine  Reihe  solcher 
Silhouetten  stellt  die  Linie  einer  in  knieender  Stellung  befindlichen 
Schützenabteilung  dar,  eine  ebensolche  Reihe,  die  unter  dem  roten 
Oberteil  der  Wand  befestigt  ist,  stellt  die  Verteidiger  der  Befesti- 
gung dar. 

Drei  dünne  schwarze  Bretter  von  1,33  Meter  Höhe  sind  so  aufgestellt, 
dass  das  eine  derselben  sich  gegen  die  anderen  auf  30  Centimeter  neigt. 
Dieses  stellt  einen  Soldaten  in  voller  Höhe  neben  den  knieenden  dar. 
Wenn  man  mehrere  solcher  Bretter  vereinigt,  so  bringt  man  eine  Reihe 
stehender  Infanterie  (D)  zur  Darstellung;  löst  man  sie  in  eine  Kette  auf, 
so  kann  man  sie  der  grösseren  Anschaulichkeit  halber  mit  alten  üniform- 
stücken  bekleiden.  Ueberhaupt  kann  man  durch  verschiedene  Grup- 
pieiTingen  dieser  Gebilde  allerlei  Truppenformationen  zur  Darstellung 
bringen. 
BewegHch-  Um  schuelle  Veränderungen  der  Ziele  zu  bewerkstelligen,  hat  man  auf 

Zielgebilde,  dem  Polygon  drehbare  Apparate  mit  Scheiben,  welche  eine  Infanterie- 
abteilung vorstellen  (C).  Der  Apparat  ist  folgendermaassen  konstruiert :  auf 
einer  hölzernen  Walze,  deren  Enden  in  hölzernen  Röhren  liegen,  und  die 
man  mit  Hilfe  von  Hebeln  dreht,  werden  aus  starkem  *]isendraht  gefertigte 
Konturen  menschlicher  Figuren  befestigt,  die  mit  einem  schwarzen  Ge- 
webe bekleidet  sind.  Diese  Walze  ist  perpendikulär  zur  Schiessrichtung 
aufgestellt,  befindet  sich  aber  nicht  auf  der  Oberfläche  der  Erde,  sondern 
in  der  Tiefe  eines  Grabens,  welcher  den  Querschnitt  eines  auseinander- 
gezogenen V  hat.  Auf  diese  Weise  Averden  vor  den  Schüssen  sowohl 
die  Walze  als  auch  die  Scheiben  (Figuren)  geschützt,  bis  die  Drehung  der 
Walze  stufenweise  das  eine  oder  das  andere  Objekt  in  die  Höhe  bringt; 


Die  Bedeutung  der  modernen  Schiessübungen.  47 

sodann  geben  die  Hebel  der  Walze  eine  neue  Wendung,  womit  sich  auf 
ihr  eine  neue  Reihe  von  Scheiben  erhebt.  Diese  werden  von  Leuten, 
Uie  vor  den  Schüssen  gedeckt  sind,  mit  Hilfe  von  Drahtseilen  verbessert 
oder  abgenommen. 

Das  Polygon  in  Fontainebleau  hat  8  solcher  drehbaren  Apparate, 
deren  jeder  20  Meter  breit  ist  und  eine  Infanteriereihe  vorstellt. 
Diese  Apparate  sind  hintereinander  auf  einem  Raum  von  1800  Meter  Tiefe 
placiert.  Demnach  kann  man,  wenn  man  den  einen  Apparat  gleich  hinter 
dem  andern  dreht,  die  Bewegung  des  Angreifers  markieren,  welcher 
fortgesetzt  sprungweise  vorgeht.  So  wird  ein  sich  bewegendes  Ziel  ge- 
schaffen. 

Im  Uebrigen  sind  hierfür  auf  dem  Polygon  auch  noch  andere  Vor- 
richtungen vorhanden,  um  die  ununterbrochene  Bewegung  eines  Truppen- 
teils darzustellen.  Eine  solche  bewegliche  Scheibe  (F)  besteht  aus  einer 
Achse,  die  in  zwei  Blöcken  oder  zylindrischen  Balken  liegt.  An  der 
Achse  sind  vertikale  Rahmen  mit  auf  ihnen  horizontal  befestigten  Stangen 
aufgesteDt,  auf  denen  Figuren  von  Infanteristen  oder  Kavalleiisten 
befestigt  werden.  Mittelst  eines  Taues  wird  ein  solcher  Apparat  von 
einem  Pferde,  das  sich  ausserhalb  der  Schusslinie  befindet,  vorwärts  oder 
rückwärts  gezogen. 

Für  diese  Apparate  und  ihre  Bewegungen  besteht  ein  besonderes 
Kommando.  Da  diese  Operationen  während  des  Schiessens  erfolgen 
müssen,  so  befinden  sich  die  betreffenden  Mannschaften  in  besonderen, 
absolut  sicheren  Deckungen  aus  Stahl.  Wir  fügen  hinzu,  dass  sich  auf 
dem  Polygon  ein  Telephon  befindet,  mittelst  dessen  über  den  Gang  und 
die  Resultate  des  Schiessens  an  maassgebender  Stelle  berichtet  wii'd. 

Hauptmann  J.  Bihäli^)  unterzieht  der  Vergleichung  in  den  ver- 
schiedenen Heeren 

1.  den  Unterricht  im  Zielen, 

2.  „  „  „    Anschlagen, 

3.  „  ,,  „    Abziehen, 

4.  „  „         in  den  kombinierten  Uebungen 

in  verschiedenen  Körperstellungen,  „mit  Bajonnet",  auf  Schiessgeschwindig- 
keit; es  sind  dies  4  Faktoren  der  Schiessausbildung,  deren  Resultate  in 
einer,  ihrem  Werte  nach  aufsteigenden  Ordnung  (von  I—IV)  berechnet, 
folgendes  Bild  ergeben: 


3)    „Die  Schiess -Vorschriften    der    fünf   bedeutendsten   Heere  Europas". 
Wien  1893. 


48 


I.    Die  Feuerwaffen. 


Im   Heere 


Als  Einzelresultate  des  Unterricht« 


im 
Zielen 


stufe 
I 

IV 
II 
III 
V 


im 
Anschlag 


Stofe 

I 
III 

II 
IV 

V 


im 
Abziehen 


Stafe 
I 

II 
IV 
III 
V 


in  den 
kom- 
binierten 
Uebungen 


Stufe 
I 

III 
IV 
III 
V 


Als 

Gesammt^ 

resultat 

Einheiten 


4 
12 
12 
13 
20 


Italiens 

Erankreichs 

Russlands 

des  deutschen  Reiches    .    .    . 
Oesterreich-Ungams    .... 

Nach  dieser  üebersicht  steht  die  Schiessausbüdung  im  österreichisch- 
ungarischen  Heere  am  höchsten  —  der  Verfasser  ist  ein  östeiTeichischer 
Offizier,  dies  wird  man  im  Auge  behalten  müssen  — ;  dass  die  Ausbildung  im 
italienischen  Heere  auf  der  niedrigsten  Stufe  steht,  darf  bezweifelt  werden. 


4.    Geschossstreuung  und  Distanzbestimmung. 

Natürliches  Beim  Scliiesseu  in  einer  und  derselben  Visierhöhe  bewegen  sich 

sogonaMten'  die  Gcschosse  in  Folge  der  Verschiedenheiten  in  den  Gewehreinrichtungen, 

^Bün^dX  ^^^  Unterschiedes  in  der  Kraftäusserung  der  Ladung,  vor  Allem  aber  in 
Folge  der  Verschiedenheit  im  Zielen  und  im  Eückstoss  beim  Abfeuern, 
nicht  ausschliesslich  in  der  ballistischen  Fluglinie,  d.  h.  der  Kurve,  welche 
der  Richtung  des  Laufs  der  Gewehre  entspricht,  sondern  bilden  ein 
„Bündel".  1)  Der  Ausbreitungsraum  der  niederfallenden  Geschosse  hat 
das  Aussehen  einer  sich  in  der  Schusslinie  ausdehnenden  Ellipse. 

.  ^^  *)  Einen  nicht  unbedeutenden  Einfluss  auf  die  Abweichungen  in  der  Schuss- 

der  Schflne  richtung  hat  auch  der  Seitenwind.    Der  Grrad  dieser  von  den  Entfernungen  und 
durch      der  Heftigkeit  des  Windes   abhängenden  Abweichungen  wird   durch   folgende 
den  Wind,  giffern  ausgedrückt. 


Schwacher 

Mittlerer 

Starker 

Sfnrm 

Wind 

Wind 

Wind 

OtUl  111 

Entfernungen 

G  e  s  c  h  w  i 
6—8  Meter 

Me 

n  d  i  g  k  e  i  t 

10—12  Meter 
te  r 

3—4  Meter     ! 

18—20  Meter 

Meter 

100 

0,03 

0,06 

0,10 

0,15 

300 

0,12 

0,30 

0,50 

1,00 

600 

0,45 

1,15 

2,15 

4,75 

1000 

1,45 

4,10 

8,00 

18,00 

1300 

•2,90 

8,25 

16,00 

36,50 

1500 

4,20 

12.00 

24,00 

54,00 

1800 

7,00 

20.00 

40.00 

1 

91,00 

Sehiessresultate  des  7-Millimeter-Gewehres 

(System  Mannlicher) 

auf  dem  Sehiessstand  in  Oberndorf  im  Februar  1895. 


Entfernung  300  Meter. 


Entfernung  500  Meter. 


Entfernung  800  Meter. 


Entfernung  1500  Meter. 


Gttschossstreuuug  und  DistanzbeEtimmung. 


49 


Praktische  Versache  lehren,  dass  die  Länge  dieser  Ellipse,  d.  h.  die 
äussersten  Abweichungen  von  der  geraden  Richtung,  teilweise  von  dem 
Grade  der  Schiessfertigkeit  des  einzelnen  Mannes,  dagegen  nnr  sehr 
wenig  von  der  Distanz  abhängen.^) 

•)DaspraktischoStudiiimderReaultacedo3triegsmäsHigenU6bung8gchie8aens     "nipp'«- 
auf  dem  Polygon  zerfällt  jetzt  in  Beobachtungen  zweierlei  Art:  die  Bestimmung  der    coiciioMe 
Gruppierungen,  welche  die  Geschossspuren  auf  Flachen,  welche  für  die  Aufnahme  "'  nicif 
aller  abgefeuerten  Geschosse  ausreichen,  bilden,  und  die  Ermittelung  derjenigen 
Zahl  von  Geschossen,  welche  in  Scheiben  verschiedener  Grösse,  den  Formationen 
der  Truppenteile  aller  Waffengattungen  entsprechend,  getroffen  haben. 

So  giebt  z.  B.  die  gekrümmte  Fläche  des  Schiessens  eine  Gruppe  von 
Flugbahnen,  die  sich  in  der  Schussrichtung  erweitern.  Diese  Gruppierung  nennt 
man  bsim  Uebungaschiessen  „Bündel",  dessen  Projektion  auf  der  Schiessflächo 
folgendes  Bild  zeigt. 


Eine  bestimmte  Zahl  der  von  einem  Manne  abgefeuerten  Schüsse  bildet  ein 
„Bündel"*  nach  Form  eines  Homs,  dessen  Hals  dem  Schützen  zugeAvandt  ist.  Bei 
dem  Schiessen  einer  ganzen  Abteilung  hat  das  Bündel  die  Form  einer  Garbe. 

Der  Vertikaldurchschnitt  des  Bündels  in  einem  beliebigen  Punkte  giebt  eine 
vertikale  Gruppierung  der  Geschossspuren  auf  der  Scheibe. 

Der  Durchschnitt  der  Flugbahnen  mit  der  Bodonflache  bildet  eine  horizontale 
Gruppierung  der  von  den  Geschossen  auf  dem  Boden  gelassenen  Spuren. 

Folgende   Zeichnungen   zeigen   die   Geschossbahn    auf  naher  und  weiter    CeBcho.s- 
Entfernung.  ^      ^^^  .......^  """•"' 


Geschossbahn  auf  nahen  Entfernungen. 


GeschoHshnhn  auf  weiten  EnlffimunK* 
«eh,   D«!  iDkGnrtige  Krieg. 


50 


I.    Die  Feuerwaffen. 


^^^n""^^  Wenn  man  nur  das  „Herz"  der  beschossenen  Fläche  berücksichtigt, 

abgefeuerter  d.  h.  den  Gürtel,  in  den  etwa  60  %  der  abgefeuerten  Geschosse  einschlagen, 
so  bewegt  sich  dessen  Länge  zwischen  115  und  190  Meter.  Für  Gewehre 
kleineren  Kalibers  bedeckt  nach  französischen  Mitteilungen  (8  Millimeter- 
Kaliber,  Mod.  1886)  die  grössere  Hälfte  der  Schüsse  bei  der  Visierhöhe 
auf  600  Meter  auf  dem  Boden  einen  Streifen,  dessen  Länge  zu  beiden 
Seiten  des  Visierpunktes  je  80  Meter  beträgt.  Da  die  Rasanz  dieses 
Gewehres  die  Möglichkeit  bietet,  Ziele  von  Manneshöhe  auf  einer  Aus- 
dehnung bis  zu  620  Meter  zu  treffen,  so  kann  bei  einem  Massen- 
schiessen  und  der  Visierhöhe  auf  600  Meter  ein  Ort  wirksam  auf  einer 
Ausdehnung  von  780  Metern  beschossen  werden  (ein  Resultat  der  gemein- 
samen Wirkung  von  Rasanz  und  Streuung). 

Demnach  kann  man  sagen,  dass  beim  Schiessen  die  Distanz  von 
700  Metern  die  Grenze  bildet,  bis  zu  welcher  man  sich  um  das  Messen  der 
Entfernung  nach  einem  Ziele  von  Manneshöhe  nicht  sonderlich  zu  bemühen 


Spnreunetz  Um  die  Bedeutung,    welche  das  Gesetz  der  Gescliossstrouung  hat,   deut- 

***'  fn"^***"  Hoher  zu  erklären,  geben  wir  eine  Zeichnung,  welche  im  Durchschnitt  die  Bahn 

2400  Meter,  der  Geschossö  und  das  Netz  der  von  ihnen  auf  dem  Boden  hinterlassenen  Spuren 

darstellt,    und   zwar   beim  Schiessen   nach   dem  Ziel  von  2400  Metern   aus  den 

französischen   Gewehren   Mod.  1874,    deren   ballistischer   Wert    etwa    dem    der 

Bordan-Gewohre  gleichkommt. 


Durchschnitt  der  Geschossbahn. 


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Netz  der  Geschossspuren  auf  dem  Boden. 


Wir  sehen,  dass,  obgleich  das  Schiessen  nach  einem  Ziele  stattfand,  dessen 
Entfernung  bekannt  war,  so  dass  das  Visier  richtig  gestellt  werden  konnte, 
dennoch  die  Geschosse  schon  bei  2100  Metern  einzuschlagen  begannen,  also  volle 
300  Meter  vor  dem  Ziel;  ein  Teil  derselben  fiel  100  Meter  hinter  dem  Ziel 
nieder  und  ausserdem  wich  die  Geschossstreuung  nach  rechts  und  nach  links 
bis  zu  50  Metern  ab. 


üeschosssbreuuDg  und  DislAnzbcstimniiiiig. 


Ijrancht.   Für  grössere  Eutfemmigeu  geben  französische  Versuche  folgende 
Angaben'): 


Breite  des  GUrtels, 

Was  den 

Entfernung 
in  Metern') 

der  50  Vo  Geschosse 
enthält, 

Länge 

der  Trefflinie  i 

Summa 
der  Ijeiden 

Prozentsatz 

in  Metern 

Treffzonen 

auamacht 

800 

110 

55 

165 

20 

1000 

100 

35 

136 

13 

1200 

88 

•24 

112 

9 

1400 

80 

17 

97 

7 

1600 

76 

13 

89 

5i 

1800 

74 

10 

84 

4t 

2000 

72 

8 

80 

4 

Hie  graphischen  Darstellung  dieser  Resultate  giebt  folgendes  Bild: 

Entfemnng  in  Hetem. 


Lern  (Trade,  "•»  ^< 
n  Gewehre 
irnnng  des 
1   treftbare 


Juan  soiiie  aenicen,  aass  i>ei  einer  so 
Baum,  Aet  von  den  Geschossen  der  verTollkommneten  Waffe  der  kriegerische 

Kleinkalibergewehre  in  der  Entfer-    ^„,  ,,,  ,  ,  „,.  ■_ 

nung  getroffen  wird,  in  Prozenten.  Erfolg  nicht  mehr  von  den  persönucheß 
Eigenschaften  des  Soldaten,  der  eigentlich 
nar  zu  einer  passiven  Kraft  herabgedriickt  wäre  nnd  das  vorzügliche 
Todeswerkzeug  einfach  in  Thätigkeit  zu  setzen  hätte,  abhängen  werde. 
Es  könnte  scheinen,  dass  bei  dieser  Thätigkeit  in  Massen,  bei  der  von 
Sekunde  zu  Sekunde  sich  wiederholenden  Ueberschüttnng  mit  Geschossen 
eines  Raumes,  auf  welchem  dieselben  eine  Unzahl  Opfer  finden  müssen,  die 


')  Omega:  „L'art  de  combattrc". 
*)  1  Meter  =  ca.  1,4  Schritt,  alsi 


1000  Meter  =  1400  Schritt. 


52  !•    I^»e  Feuerwaffen. 


Persönlichkeit  der  Leute  fast  auf  Null  herabsinke  und  ihr  Kampf  auf 
dem  Schlachtfelde  fast  völlig  in  einen  Kampf  mechanischer  Kräfte, 
welche  nur  zufällige  Resultate  heiTorbringen,  verwandelt  werde. 

In  Wirklichkeit  pflegt  dies  jedoch  nicht  ganz  so  zu  sein. 

Fortdaaernde  Vor  Allem  trefifeu  die  Geschosse  auch  bei  den  neuen  Gewehren,  wie 

des^richtigel  wir  dics  bereits  ausgeführt  haben,  nur  auf  einer  gewissen  Ausdehnung.  Die 

Khf^M    ^ßtroffene  Fläche  nimmt  mit  der  Entfernung  zu,  die  Zahl  der  Geschosse 

auf  bestimmter  Fläche  ab.    Die  Bestimmung  der  Entfernung  vom 

Feinde  ist  daher  auch  bei  Anwendung  des   neuen  Gewehres 

von  ausserordentlicher  Wichtigkeit. 

Nichts  aber  ist  schwieriger  als  das  richtige  Schätzen  der  Distanz, 
nichts  weniger  verlässlich  als  das  Auge!  Weder  Uebung  noch  in- 
strumentale Distanzmesser  können  Fehlerlosigkeit  garantieren. 

Beispiel  In  Sewastopol  war  es  im  Laufe  von  zwei  Monaten  unmöglich,  mit 

""^"iicw  ™  ^^^  Fernrohr  Distanzen  von  1000  bis  1200  Metern  zu  bestimmen,  weil  das 

DiBtanx-    Einschlagen  der  Projektile  nicht  sichtbar  war.  Im  Laufe  von  drei  Monaten 

schätzang 

während  der  war  es  uumögUch,  nach  den  Schiessbeobachtungen,  obgleich  man  genau 
Beiageran?  ^^^j^  ^^^  Reglement  verfuhr,  die  Entfernung  einer  Batterie.zu  bestimmen, 
Sewastopol,  -yvelche  nuv  500  Meter  entfernt  war  und  einen  einzelnen  Hohlweg  be- 
herrschte. Nach  zwei  Monaten  hatte  man  zwei  auf  500  Meter  ab- 
gefeuerte Treffer  beobachtet.  Diese  Distanz  wurde  allseitig  auf  reichlich 
1000  Meter  geschätzt,  während  sie  in  Wirklichkeit  nur  500  Meter  betrug, 
was  sich  nach  Einnahme  der  Stadt  bei  Aenderung  des  Beobachtungspunktes 
deutlich  ergab,  ö) 

HiifamitM  Das  einfachste  Hilfsmittel  ist  die  Schrittmessung.  Bei  einiger  Hebung 

*""  [|j|[**[r°  und  der  Fähigkeit,  Irrtümer  zu  korrigieren,  kann  man  auf  diese  Weise 
scbftteen.  Entfernungen  bis  auf  V50  oder  bis  2%  genau  bestimmen.  Wenn  die  Ent- 
fernung nicht  durch  Schritte  auszumessen  ist,  so  berechnet  man  dieselbe 
nach  den  Durchschnittsziffern  kleinerer  Entfeniungen,  welche  in  einer 
gewissen  Anzahl  von  Minuten  durchmessen  werden  können.  6)  Aber  die 
Praxis  zeigt,  dass  hierbei  Irrtümer  bis  zu  V4  der  ganzen  auszumessenden 
Entfernung  mit  unterlaufen. 

Die  Distanzschätzung  nach  dem  Grade  der  Sichtbarkeit  des  Gegen- 

*)  A.  K.  Pusyrewski:  „Erforschung  des  Kampfes  nach  dem  Werke  des 
Obrist  de-Pick".   Warschau  1893. 

®)  Gewöhnlich  nimmt  man  an,  dass  ein  Mensch  in  der  Minute  93  Meter 
macht,  in  einer  Stunde  4,3  Kilometer,  ein  Pferd  in  der  Minute  96  Meter,  in  einer 
Stunde  5,4  Kilometer  im  Schritt,  im  Trab  in  einer  Minute  240  Meter,  in  einer 
Stunde  10,7  bis  12,8  Kilometer. 


Geschossstreuulig  und  Distanzbestimmutig.  53 

Standes  ist  das  rationellste  von  allen  Mitteln,    die  Entfernung   durch 
Augenmaass  zu  bestimmen. 'O 

Bei  Bestimmung  des  Grades  der  Genauigkeit  einer  Entfeiiiungs- 
schätzung  durch  Augenmaass  wrd  gewöhnlich  angenommen,  dass  „der 
wahrscheinliche  Irrtum  einer  Distenzschätzung  durch  Augenmaass  15%  der 
wirklichen  Entfernung  beträgt".  Nach  den  in  der  russischen  Armee  be- 
stehenden Bestimmungen  über  die  Anforderungen  an  die  Leistungen  der 
Truppen  im  Distanzschätzen  nach  Augenmaass  wird  die  Ausbildung  für 
gut  befunden,  wenn  die  Irrtümer  bezüglich  der  wirklichen  Entfernung 
10%  und  weniger  betragen,  s) 

Hieraus  ist  ersichtlich,  dass  die  Genauigkeit  der  Methode,  Distanzen  Die  nisunz- 
nach  Augenmaass  zu  bestimmen,  nicht  sehr  gi'oss  ist;  nur  für  mittlere  l^n«^ 
Entfernungen,  welche  1000  Schritt  nicht  übersteigen,  kann  man  den  wahr-  ^'**^'^jj"JJ^" 
scheinlichen  Irrtum  auf  nicht  über  10%  annehmen.    Eine  grössere  Ge- 
nauigkeit der  Bestimmung  lässt  sich  praktisch  nicht  erzielen,  weil  der 
Irrtum   in   den  Grenzen   zwischen  7  und  66  %  der  Distanz   schwankt. 
Folglich  darf  man  niemals  von  der  Richtigkeit  der  erhaltenen  Bestimmung 
sich  für  überzeugt  halten.  9) 


0  Dasselbe  ist  in  der  französischen  und  italienischen  Armee  angenommen,    Element« 
wobei   der  Gang  der  Ausbildung  in  beiden  Heeren  fast  der  gleiche   ist     Die  Benrteiiang 
Klarheit,  d.  h.  der  Grad  der  Deutlichkeit  des  Gegenstandes  und  seiner  Bestand-        der 
teUe  vermindert  sich  mit  der  Entfernung.  Dietimzen. 

Wenn  die  DeutHchkeit  des  Gegenstandes  sich  streng  proportional  der  Ent- 
fernung ändern  würde  und  nicht  durch  Nebenwirkungen  beeinflusst  wäre,  so 
liessen  sich,  bei  diesem  Hilfsmittel  leicht  Eegeln  für  die  Bestimmung  der  Ent- 
fernungen durch  Augenmaass  aufstellen. 

In  Wirklichkeit  aber  sind  die  Momente,  welche  die  deutliche  Sichtbarkeit 
eines  Gegenstandes  bedingen,  sehr  veränderlich.  Der  Grad  der  Beleuchtung  des 
Gregenstandes,  der  Hintergrund,  auf  welchen  er  sich  projiziert,  atmosphärische 
Verhältnisse,  die  Stellung  der  Sonne  zum  Gegenstande  und  zur  Person,  welche 
die  Entfernung  bestimmt,  die  Jahreszeiten,  der  topographische  Charakter  der 
Oertlichkeit,  die  Bebauung  derselben,  —  alles  dies  sind  Umstände,  die  auf  den 
Grad  der  Deutlichkeit  eines  Gegenstandes  grossen  Einfluss  haben. 

*)  M.  Jerogin:   „Schützen-Distanzmesser". 

')  Ausser   der   Distanzschätzung    durch    Augenmaass    existiert   noch    die   Seh&tznng 
Methode,  Entfernungen  nach  dem  Schall  der  Schüsse,  vorzugsweise  solcher  von      ^^^ 
Geschützen  zu  bestimmen.  nach 

Bei  einer  Temperatur  von  0*^  R.  und  bei  Windstille  durchläuft  der  Schall  ^«^  Schaii. 
in  der  Sekunde  333,3  Meter.  Die  Geschwindigkeit  des  Lichtes  dagegen  ist  im 
Vergleich  zu  der  Geschwindigkeit  des  Schalles  sehr  gross  (etwa  302  000  Kilometer 
in  einer  Sekunde),  so  dass  bei  kleinen  Entfernungen  von  wenigen  Kilometern  das 
Erscheinen  eines  Lichtstrahles  momentan  bemerkt  wird.  Hieraus  ergiebt  sich, 
dass,  wenn  man  die  Zeitspanne  zwischen  dem  Momente  der  Rauch orscheinung 
und  dem  Momente,  in  welchem  der  abgefeuerte  Schuss  hörbar  wird,  berechnet, 


54  L    ^iö  Feuerwaffen. 


Von  welcher  Bedeutung  dieser  Umstand  aber  ist,  erhellt  daraus, 
dass  beim  Schiessen  auf  1000  Meter  Distanz,  wenn  man  die  Streuung  der 
Geschosse  nicht  in  Betracht  zieht,  der  bestrichene  Raum  nur  136  Meter, 
d.  h.  13%  der  Entfernung,  bei  2000  Meter  Distanz  aber  gar  nur  4% 
derselben  beträgt. 


5.   Vergleich  der  Durchschlagski^aft  der  Geschosse. 

Die  erhöhte  Die  Gcschosse  aus  den  neuen  Gewehren  sind  nicht  nur  deshalb  ge- 

BphfaTdTr  fahrbringender,  weil  sie  auf  grössere  Entfernungen  treffen,  sondern  auch 
fuTneu"^  deshalb,  weil  ein  und  dasselbe  Geschoss  auf  nahe  Entfernung  gegen  B  Mann 
Gewehren,  kampfunfähig  macheu  kann,  und  noch  2  bis  3  Mann  bei  800  bis  1200  Metern 
Entfernung  trifft.  Hieraus  folgt,  dass  ein  Vordringen  in  Kolonnen  von 
weit  grösseren  Verlusten  begleitet  sein  muss  als  das  Vordringen  in  einer 
Reihe.  Grosse  Verluste  werden  natürlich  nur  in  dem  Falle  stattfinden, 
wenn  der  Kampf  auf  einem  ebenen,  der  Deckungen  ermangelnden  Terrain 
vor  sich  geht.  Einer  der  Gegner  wird  natürlich  immer  ein  solches  Terrain 
zu  wäMen  suchen,  wie  die  Beispiele  der  Schlachten  bei  Problus,  Mars  la 
Tour,  St.  Privat  und  Loigny  zeigen,  welche  auf  Flächen  von  16  Kilometer 
Ausdehnung  vor  sich  gingen,  i)  Betrachten  wir  die  Bedeutung  dieses 
Faktors  etwas  näher.  Bei  den  Proben  über  die  Durchschlagskraft  der 
Geschosse  wird  gewöhnlich  angenommen,  dass  ein  Geschoss,  welches  ein 
einzölliges  Fichtenbrett  durchschlägt,  genügende  Kraft  hat,  um  einen 
Mann  oder  ein  Pferd  aus  der  Schlachtlinie  zu  beseitigen  (zu  töten  oder  zu 
verwunden). 

Professor  Pawlow  giebt  folgende  Daten  über  piketweise  angestellte 


dieses  in  Sekunden  ausgedrückte  und  mit  der  Schallgeschwindigkeit  multipli- 
zierte Intervall  die  Entfernung  bis  zu  dem  Punkte  angiebt,  von  dem  aus  der 
Schuss  ertönte. 

Aber  auch  bei  der  Bestimmung  der  Entfernung  nach  dem  Schall  ist  Ge- 
nauigkeit nicht  leicht  zu  erzielen,  da  die  Schallgeschwindigkeit  keine  bestimmte 
Grösse  bildet,  sondern  von  verschiedenen  zu  berücksichtigenden  Verhältnissen 
abhängt,  wodurch  die  Sache  natürlich  kompliziert  wird.  Dafiir  ist  dieses  in  der 
Nacht  einzige  Hilfsmittel  für  die  Distanzbestimmung  sogar  genauer  als  diejenigen, 
welche  am  Tage  angewendet  werden.  Die  liauchschwachheit  des  Pulvers  hat 
hierauf  keinen  Einfluss  und  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  nächtliclie  Kämpfe  im 
künftigen  Kriege  häufiger  eintreten  werden,  erhölit  noch  den  Wert  des  Distanz- 
schätzeiis  vermittelst  der  Differenz  in  der  Licht-  und  Schallgeschwindigkeit. 

0  Hoenig:    „Untersuchungen  über  die  Taktik  der  Zukunft". 


Vergleich  der  Durchschlagskraft  der  Oeschosse. 


65 


Schiessprolien')  gegen  einzöllige  Fichteübretter;  aus  diesen  Versuchen  ist 

ersichtlich,  welche  Dnrchschlagskraft  die  alteji  nnd  neuen  Gewehre  haben :  *" 

Das  neue 

Gewehr  (Gesclioss  mit 

Melcliiorbekleidung) 

Bretter 


Das 
BerJan-Gewehr 


Meter 
auf  1680 

„      480 


Bretter 


2  bis 


Das  Berdan-Gewehr 


1  l>iä    3 

3     n      15 


ider  Versuch 
wurde  zu  anderer 
Zeit  und  mit  einer 
kleineren  Anzahl  von 
Geschossen  gemacht, 
{durchschnittlich 
33  bis  33  einzöllige 
Bretter. 
iB  neue  Gewehr 


Hieraas  ist  ersichtlich,  dass  die  Anzahl  der  Bretter,  die  durch  Projektüe 
aus  dem  Berdan-Gewehr  durchschlagen  werden,  schon  bei  480  Metern 
nicht  gross  ist,  nnd  dass  im  Allgemeinen  das  Mantelgeschoss  eine  weit 
beträchtlichere  Anzahl  von  Brettern  durchschlägt.  Die  Durchschlagskraft 
wächst  mit  der  grösseren  Nähe  des  Zieles. 

Was  die  Tiefe  des  Geschoss-Eindringens  in  kompakte  Holzstüeke 
betrifft,  so  ergeben  angestellte  Versuche  folgende  mittlere  Eindriugungs- ''^^ 
fähigkeit  der  Geschosse:  '"^ 

bei  dem  Schiessen  auf  längliche  Balken  (Lagerbalken) 

mit  dem  mit  dem 

Berdan-Gewehre  neuen  Gewehre 

auf  480  Meter         14,0  Centimeter  71,5  Centimeter 

„    160      „  19,9  „  123,6 

')  „Ueber   die   Bedeutuog  der   Bewaffnung   der   Armee    mit  dem   Klein- 
kolib  erge  wehr". 


I.    D[e  Feuerwaffen, 


bei  dem  Schiessen  anf  Querbalken 

mit  dem 
Berdan-Gewelire 
auf  480  Meter         11,4  Centimeter 


160 


1B,B 


mit  dem 
neuen  Gewehre 
46,8  Centimeter 
75,6 


^  Der  gewaltige  Unterschied  in  der  Dnrchschlagsfähigkeit  der  Gfeschosse  des 
nenen  Gewehres  nnd  des  Berdan-Gewehres  erklärt  sich  dadurch,  dass  der 
Druck,  der  sich  im  Kanal  des  Gewehrlaufes  beim  Entzünden  des  rancb- 
schwachen  Pulvers  moderner  Gewehre  entwickelt,  auf  2600  Atmo- 
sphären (für  das  Lebel -Gewehr)  berechnet  wird,  während  der  mittlere 
Druck  der  Pulvergase  im  Laufe  des  Berdan-GEewehres  nur  1500  Atmosphären 
gleichkommt, 
.r  Wichtig  ist  es  auch,  dass  die  neuen  Projektile  eine  Stahtamhüllung, 

ii,  gleichsam  eine  Panzerung')  besitzen,  die  es  bewirkt,  dass  das  Geschoss 
Holz  durchdringt,  ohne  plattgedrückt  zu  werden,  wenn  es  nicht  im  Holze 
auf  einen  Ast  stösst,  während  die  einfachen  Bleigeschosse  bei  dem  Anprall 
auf  harte  oder  leicht  zerfallende  Gegenstände  platt  gedrückt  werden  und 
eine  pilzähnliche  Form  annehmen.*) 


*)  Zum  Vergleiclie  geben  wir  e 
und  des  neuen  russischen  Gewehres. 


i  Abbildung  der  Patronen  des  frülieren 


*)  Abbildung  von  Veränderungen  abgefeuerter  Gescliosse. 


Form  der  Oeschosse 
nacli  dem  Aufacldag. 


(Früheres  Gescihosa.) 


Verschiedene  Gesehoss-Typen. 


■  ■  i  i 


1.  Geschoss  mit  mehreren  Spitzen  oder  Ecken. 

2.  Geschoss  mit  Spirale. 

3.  Geschoss  mit  Stahlspitze. 

4.  Explosiv-Geschoss. 

5.  Segment-Geschoss. 

6.  Präzisions-Geschoss. 

Geschosse  in  halber  Grösse: 

1.  Deutschland,  Gewehr  Modell  88. 

2.  England,  Gewehr  Lee-Metford  von  1889. 

3.  Oesterreich,  Mannlicher-Gewebr  1889. 

4.  Belgien,  Maaser-Gewehr  Modell  1889. 

5.  Dänemark,  Gewehr  Krag-Jorgenson  Modell  1889. 

6.  Spanien,  Gewehr  Freier-Bruhl  1871—1889. 

7.  Spanien,  Mauser-Gewehr  1892. 

8.  Frankreich,  Chassepot-Gewehr  1866. 

9.  Frankreich,  Gewehr  Gras  1874. 

10.  Frankreich,  Lebel-Gewehr  1886. 

11.  HoUand,  Gewehr  Beaumont-Vitali  1871—1887. 

12.  Holland,  Mannlicher-Gewehr  1892. 

13.  Italien,  Gewehr  Vetterli-Vitali  1870-1887. 

14.  Italien,  Mannlicher-Gewehr  1892. 

15.  Norwegen,  Gewehr  Jarmann  1885. 

16.  Rumänien,  Mauser-Gewehr  1892. 

17.  Russland,  3-Linien'Gewehr  1891. 

18    Schweden,  Remington-Gewehr  1867—1889. 

19.  Schweiz,  Gewehr  Rubin-Schmitt  1889. 

20.  Türkei,  Mauser-Gewehr  1889. 


Durchschnitt  des  Gewehrs  und  der  Pistole  System  Männlicher. 


Die  Kleinkalibergewehre  im  chilenischen  Kriege.  ,57 


Es  ist  natürlich,  dass  auch  die  Kraft  der  neuen  Geschosse,  zu  ver- 
wunden, eine  ganz  andere  sein  wird,  wie  die  der  früheren. 

Nach  Dr.  Bruns  durchschlägt  das  Projektil  auf  100  Meter  vier 
bis  fünf  Glieder,  wenn  es  auch  die  härtesten  Menschenknochen  zu  durch- 
schlagen gehabt  hatte;  auf  400  Meter  verwundet  es  drei  bis  vier,  auf  800 
bis  1200  Meter  immer  noch  zwei  bis  drei  Glieder.  0) 

Häufig  werden  die  Mantelgeschosse  deformiert  —  es  entstehen 
Stauchungen  und  allerlei  Formen  von  Spaltungen  und  Zerreissungen, 
wie  die  beigegebenen  Abbildungen  zeigen. ß)  Die  alsdann  erzeugten 
Beschädigungen  bedingen  viel  schwerere  Verletzungen. 


6.    Die  Kleinkalibergewehre  im  chilenischen  Kriege. 

Die  Kleinkalibergewehre  sind  bis  jetzt  im  Kriege  nur  unter  anormalen  ^*«  ver- 

Wendung  der 

Verhältnissen  zur  Verwendung  gelangt.  .  xieinkauber- 

Während  des  Bürgerkrieges  in  Chile  im  Jahre  1891  war  eine  Brigade  i«  "^rflge 
der  Konstitutionstruppen  mit  Gewehren  des  Mannlicher-Sy stems  (8  MiUi-  ^"^i^"/^*^ 
meter-Gewehr,  Mod.  1888)  ausgerüstet,  aber  diese  Truppen  bestanden  der     »eiben. 
Mehrzahl  nach  aus  unausgebildeten  Leuten,  die  man  in  aller  Eile,  etwa 
zwei  Wochen  vor  dem  Ausbruch  des  Krieges,  zusammengebracht  hatte 
und  kurze  Zeit  darauf  verwendete. 

Auf  9926  Kombattanten  kamen  3446  Stück  solcher  Gewehre,  und 
der  Gegner,  d.  h.  die  Truppen  des  Diktators,  hatten  in  den  zwei  Schlachten 
bei  Concon  und  Placilla  einen  Verlust  von  1774  Toten  und  3237  Ver- 
wundeten, d.  h.  insgesamt  einen  Verlust  von  6011  Mann.i) 

Die  Besichtigung  der  Verwundeten  und  Toten  ergab,  dass  in  dem 
Heere  des  Diktators  von  je  100  Getroffenen  66  durch  Kugeln  aus  dem 
Mannlicher-Gewehr  getroffen  waren,  wovon  man  sich  leicht  aus  der  Form 
und  Beschaffenheit  der  Wunden  überzeugen  konnte. 

Obgleich   also  unter  den  verwendeten  Gewehren  nur  ein  Drittel    Hindert 

^  Kleinkaliber 

neue  waren,  so  kam  doch  auf  dieses  letztere  die  Hälfte  der  Treffer,  2)    brachten 

82  Mann 
ausser   Oe- 

*)  Doktor     Bruns:      „Die     Geschosswirkung      der     neuen     Kleinkaliber-   ^Gewehre" 
gewahre".     1889.  bioa  34. 

ß)  „Ueber  die  Wirkung  und  kriegschirurgische  Bedeutung  der  neuen  Hand- 
Feuerwaffen".    Berlin  1894. 

^)  „Die  Entscheidungskämpfe  im  chilenisclien  Kriege  1891.  Nach  amtlichen 
Berichten".    Wien.    1892. 

')  Coumes:  „Tactique  de  demain". 


58  1.    Die  FeuerwafPen. 


d.  h.  mit  344ß  neuen  Gewehren  wurden  2806  Mann  getroffen.  Die 
durch  Kleinkalibergewehre  verursachten  Verluste  betrugen  demnach  über 
82  %,  oder  anders  ausgedrückt,  je  100  mit  dem  neuen  Gewehr  bewaffnete 
Soldaten  setzten  82  Mann  der  Gegner  ausser  Gefecht.  Dui^ch  die  übrigen 
6479  Gewehre  wui'den  2205  Mann  kampfunfähig  gemacht,  d.  h.  je  100  mit 
alten  Gewehren  ausgerüstete  Soldaten  setzten  34  Gegner  ausser  Gefecht. 
Growes  Was    das   Zahlenverhältnis    der   Getöteten    zu    den    Verwundeten 

verMUnia  anbetrifft,  so  berechnet  Dr.  Habart,  3)  dass  in  der  Schlacht  bei  Concon  in 
«ewteton  ^^^  Armee  Balmacedas,  gegen  welche  neue  Gewehre  zur  Anwendung  kamen, 
das  Verhältnis  der  Toten  zu  den  Verwundeten  ein  gleiches,  in  der  Schlacht 
bei  Placilla  dagegen  1 : 2,57  war.  Uebiigens  sei  bemerkt,  dass  den  deut- 
lichsten Beweis  der  hervorragenden  Bedeutung  verbesserter  Gewehre 
die  Schlacht  von  Königgrätz  (1866)  liefert,  wo  sich  das  Verhältnis  der 
Toten  und  Verwundeten  preussischer  zu  österreichischer  Seite  wie  1 : 2,7 
herausstellte. 

Wenn  wir  annehmen,  dass  das  Verhältnis  der  im  chilenischen  Kriege 
Getöteten  für  den  Gesamtverlust  bei  beiden  Gewehrsystemen  das  gleiche 
war,  so  erhalten  wir  folgendes  Bild.  4) 


Durch  Gewehre  fiüheren  Systems 


Durch  Mannlicher-Q-ewehre  . 


Zahl  der  Verwundeten  und  Gretöteten  auf  je  100  Gewehre. 

Demnach  war  die  Wirkung  des  Kleinkalibergewehrs,  obwohl  sich 
dasselbe  in  den  Händen  der  Soldaten  erst  kurze  Zeit  befand,  eine  un- 
geheure.   Ein  Augenzeuge  erzählt: 
Beispiel  „Das  Salvenfeuer  und  selbst  das  Einzelfeuer  vermochte  auf  480  und 

weiieichend.  «elbst  auf  800  Meter  das  Feld  zu  säubern  und  den  Angriffsoperationen 
3^10™  ^^^  Feindes  Halt  zu  gebieten.    Nach  Aussage  von  Gefangenen,  die  auf 
Wirkung  des  dem  Schlachtfeldc  befragt  wurden,  brachte  das  auf  600  Meter  gegen 
gewehres^r  Schützen,  welchc  sich  in  aufgelöster  Formation  am  Ufer  des  Flusses 
Aconcagua    bewegten,    gerichtete    Feuer    noch    unter     den    1000    bis 
1600  Meter   hinter   der  Schützenlinie    postieiien   Reserven   Verwirrung 
hervor." 


*)  Hoenig:  „Untersuchungen  über  die  Taktik  der  Zukunft".   Auflage  1894. 
*)  Im  Kampfe  waren:  3446  Manul  icher-Gewehre  +  6479  Gewehre  früheren 
Systems  =  9925  Gewehre.    Getötet  wurden   1774,    verwundet   3237  Mann,    und 
zwar      durch  die  neuen  Gewehre  durch  die  alten  Gewehre 

getötet         993  =  29  o/o  781  =  12  o/o 

verwundet        1814  =  53  o/o  1423  =  22  o/o. 


Die  Kleinkalibergewehre  im  chilenisclien  Kriege.  59 


„Der  durch  die  Schnelligkeit  und  Treffsicherheit  des  Gewehrfeuers 
erzielte  Eindruck  war  entsetzlich;  unter  den  Truppen  des  Diktators 
wurden  gleich  nach  der  ersten  Scldacht  Aeusserungen  laut,  dass  sie  sich 
nicht  weiter  schlagen  würden,  dass  es  den  Soldaten  ganz  gleich  wäre,  auf 
der  Stelle  niedergeschossen  oder  vom  Feinde  wie  eine  Kaninchenheerde 
vernichtet  zu  wei-den.  Von  den  10000  Mann,  die  Balmaceda  am  21.  bei 
Concon  hatte,  nahmen  an  der  Schlacht  bei  Placilla  nur  noch  2000  bis 
3000  Mann  Teil,  und  auch  diese  liefen  sofort  auseinander,  sobald  der 
Feind  das  P'euer  aus  einer  Entfernung  von  1000  bis  1200  Metern  eröffnete. 
Umgekehrt  hatten  die  Konstitutionstruppen  in  der  Schlacht  bei  Concon 
ein  solches  Vertrauen  zu  ihrer  Waffe  gewonnen,  dass  sie  in  derselben 
gleichsam  einen  Talisman  zu  besitzen  glaubten  und  einem  weit  zahl- 
reicheren Feind  kühn  entgegen  gingen."*) 

Da  diese  Resultate  hier  und  da  angezweifelt  werden,  so  kommen 
wir  bei  Auseinandersetzung  der  vorkommenden  Verluste  nochmals  darauf 
zurück. 

Bei  der  Treffweite  der  neuen  Kleinkalibergewehre  wird  es  schliess-    wegen 
lieh  schwer,  ja  vielleicht  ganz  unmöglich  werden,  die  Reserven  bis  auf Treir bereichs 
2000  Meter  an  die  Schützenlinie  heranzuholen.    Dieser  Umstand  kann  auf  jj^,^^^^j.^^^ 
die  Kampftaktik  von  grossem  Einflüsse  sein,  umsomehr,  als  die  Projektile   gewehre« 
des  heutigen  Kleinkalibergewehres,  wie  bereits  gesagt,  selbst  auf  1200  Meter  gteiung  der 
Entfernung  noch  einige  hinter  einander  postierte  Linien  durchschlagen,  f^n?» 
was  schon  allein  die  von  ihnen  hervorgebrachte  Wirkung  erklärt.  ^von^t^' 

Hoenig  führt  beispielsweise  folgenden  Fall  an:  bei  Nürschan  (ani  ,.^j**^J°^"^^ 
20.  Mai  1890)   gab   ein  Kommando  von   16  Mann  auf  30  bis  80  Schritt    weiben 

mflssen. 

Entfernung  fünf  Salven  auf  Arbeiter  ab  (grösstenteils  wohl  in  die  Luft). 

Hierbei  trafen  10  Kugeln  in  die  Masse  und  erzielten  32  Treffer, 
so  dass  ein  Geschoss  3  bis  4  und  auch  5  Mann  traf  Sieben  Personen 
blieben  auf  der  Stelle  tot,  sechs  starben  nach  einigen  Tagen,  die  übrigen 
genasen.  6) 

Der  Vergleich  des  Zifl'ernverhältnisses  der  Getöteten  zu  den  Ver- 
wundeten in  den  verschiedenen  Kriegen  seit  dem  Krimkriege  giebt 
folgende  Resultate: 7) 


*)  Diese  Stelle  ist  dem  Werke  von  Coumes :  „Tactique  de  demain"  entlehnt, 
welcher  die  Beschreibung  eines  Augenzeugen  der  Sclilacht  aus  dem  „Progres 
Militaire"  wiedergiebt. 

*)  Hoenig:   „Untersuchungen  über  die  Taktik  der  Zukunft".    Berlin  1894. 

0  B.  Pawlow:  „üeber  die  Bedeutung  der  Umbewaffnung  der  Armee  mit 
den  Kleinkalibergewehren". 


6Ö 


1.    Die  Feuerwaffen. 


Yerh&ltnis     Einfluss  der  Beschaffenheit  der  Feuerwaffe   auf  das  Verhältnis 
Ge^toten  ^^^  Getöteten  zu   den  Verwundeten. 


SU  den 
Yermindetei 

i 

Auf  je  100  Getroffene 

in  den  ver- 

■ 

schiedenen 

Getötet 

Verwundet 

getötet 

verwundet 

Kriegen. 

Vo 

«/o 

Im  Krimkriego  (1854-1856): 

bei  den  Franzosen    .    .    . 

8250 

39000 

17,5 

82,6 

bei  den  Engländern  .     .     . 

2755 

12094 

18,6 

81,4 

lui  italienisch.  Kriege  (1859): 

bei  den  Franzosen    .    .     . 

2536 

17054 

13,0 

87,0 

bei  den  Oesterreichern .     . 

5  400 

26  000 

17,2 

82,8 

lui  nordamerikanisch.  Kriege 

(1861-1865) 

44  238 

278  886 

13,7 

86,3 

(nach  Fischer) 

111312 

507  917 

18,0 

82,0 

Im     deutsch  -  französischen 

Kriege  (1870-1871): 

bei  den  Deutschen    .    .     . 

17  572 

94764 

15,6 

84,4 

Im  russisch-türkisch.  iLriege 

(1877-1878): 

in  Bulgarien  in  der  russi- 

schen Armee     .... 

11905 

43  386 

21,5 

78,5 

Im  chilenischen  Kriege  (1891): 

bei  den  Truppen  des  Dik- 

tators     

1774 

3  237 

35,4 

64,6 

bei      den     Konstitutions- 

truppen      

701 

1658 

29,7 

70,3 

Wie  diese  Tabelle  zeigt,  betrug  bis  zum  chilenischen  Kriege  die 
Ziffer  der  Getöteten  13%  bis  21,6%  der  Gesamtzahl  der  überhaupt 
Getroffenen.  Erst  im  chilenischen  Kriege  gestaltete  sich  bei  den  Truppen 
des  Diktators,  die  teilweise  (34%)  dem  Feuer  des  Kleinkalibergewehres 
ausgesetzt  waren,  das  Verhältnis  der  Getöteten  zu  den  Verwundeten 
wie  36  zu  66,  während  dasselbe  bei  den  Konstitutionstruppen,  gegen 
welche  alte  Gewehre  in  Vei-wendung  gekommen  waren,  gleichfalls  wie  30 
zu  70  war. 

Wären  sämtliche  Konstitutionstruppen  mit  Mannlicher  -  Gewehi-en 
Zfthi  der  ausgerüstet  gewesen,  so  würde  unter  gleichen  Verhältnissen  die  Differenz 
Getöteten  nicht  6,7%,  soudem  19,77  %  betragen  haben,  d.  h.  im  Gesamtverluste  der 

in  künftigen 

Kriegen.  Truppcu  dcs  Diktators  würde  die  Zahl  der  Getöteten  der  Zahl  der  Ver- 
wundeten fast  gleichgekommen  sein  nämlich  49,4%  der  Kämpfenden  be- 
tragen haben. 

Wenn  man  die  oben  angeführten  Angaben  der  in  den  6  letzten 
Kriegen   Getöteten  und   Verwundeten  graphisch  darstellt,   so  tritt  noch 


Wahr- 
scheinlicbe 


Die  Kleinkalibergewehre  im  ohilenisehen  Kriege.  Ql 

deutlicher  hervor,  um  wieviel  die  neuen  Gewehre  trotz  ihi-es  kleinen 
Kalibers  gefährlicher  sind  als  die  frühereu  Gewehre. 


Diese  Angaben  leiden  allerdings  an  dem  Mangel,  dass  in  ihnen  die 
Verletzungen  dnrch  Artilleriegeschosse  und  durch  die  blanke  Waffe  mit 
eingeschlossen  sind,  dadurch  aber  ändert  das  BUd  sich  nicht  wesentlich, 
da  die  überwiegende  Zahl  der  Verletzungen,  wie  dies  später  gezeigt 
werden  soll,  durch  Infanteriefeuer  erfolgt. 


62 


I.    Dip  Feuerwaffen. 


«wX"!.-  7.    Geschoss Wirkungen  aus  Gewehren  verschiedener 

zahl  der  Yer- 

wnnduagen  TVPBD. 

durrh  ein  *'  ^ 

""m»"«i*  **  Wir  haben  schon  hervorgehoben,  dass  die  Perknssionskraft  der  neuen 

geschoss.  Geschosse  mit  Umhüllungen,  der  sogenannten  Mantelgeschosse,  bei  An- 
wendung des  rauchschwachen  Pulvers  die  Kraft  der  früheren  Projektile 
bedeutend  übertrifft  und  dass  die  neuen  Geschosse  hierbei  weit  weniger 
ihi'e  Form  verändern. 

Es  ist  demnach  sehr  natürlich,  dass  ein  und  dasselbe  Geschoss 
mehrere  Verletzungen  hervorbringen  kann. 

Dr.  Bruns^)  giebt  folgende  Ziffern  über  das  Treffen  ein  und  desselben 

Entfernung                       Anzahl  der  Verletzungen 
100  Meter 4  bis  5  Mann 


400 
von  800  bis  1200  Metern  . 


w 


>* 


•  • 


2    „    3 


»< 
M 


Grapliisch  ausgedrückt,  erhalten  wir  hierfür  folgendes  Bild 


Minimum 


Entfernung 
in  Metern 


Maximum 


Anzahl  der  Verletzungen  durch  ein  Projektil. 


darch- 

schlagen 

haben. 


Gefährlich-  Hoenig^)    bestätigt  es,    dass   die  in  Frankreich  mit  dem  Lebel- 

keifc  der 

Verletzungen  Gewehre  uud  in  Oesterreich  mit  dem  Mannlicher-Gewehre  angestellten 
GelchoMe,  Pfobeu  dicselbeu  Resultate  ergeben  haben.  Weiter  führt  derselbe,  auf 
welche  be-  ^^YiQ  Arbeit  des  Dr.  Habart  gestützt,  eine  ganze  Reihe  von  Fällen  aus 

reite  Körper 

der  Praxis  an,  welche  darthun,  dass  ein  und  dasselbe  Geschoss  3  bis 
4  Mann  verwundet,  dass  tötliche  Verletzungen  noch  bei  Entfernungen 
von  2400  Metern  vorkommen  und  dass  die  weiteren  Verletzungen  durch 
Geschosse,  welche  bereits  einen  menschlichen  Körper  durchschlagen 
haben,  von  einer  den  ersten  Verletzungen  gleichen  Gefähi'lichkeit  sind. 
Viele  Sachverständige  erklären  jedoch,  dass  die  durch  KleinkaJiber- 
geschosse  verursachten  Wunden  durchaus  weniger  gefahrlich  und  leichter 
heilbar  sein  werden  als  es  die  früheren  waren.  Nach  dem  deutschen 
„Militär -Wochenblatte''  sind  die  durch  das  Mannlicher-Gewehr  verursachten 

*)  Dr.  Bnnis:  ,,Die  Geschosswirkung  derneiien Kleinkalibergewehre^'.   1889. 
2)  ,,Untersiichimg(^n  über  die  Taktik  der  Zukunft". 


Geschosswirkungen  aus  Gewehren  verschiedener  Typen.  63 


Wunden  entweder  unbedingt  tötlich  oder  heilen  ohne  jede  Komplikation  und 
sind  von  Schmerzen  nicht  begleitet.  Es  sei  vorgekommen,  dass  die  Knochen 
durch  Kugeln  sogar  aus  grossen  Entfernungen  durchlöchert  worden  seien, 
aber  die  Heilung  der  Durchbohrung  sei  glatt  verlaufen,  die  Wände  der 
Oeffnung  seien  nicht  zerrissen  worden,  das  Blei  sei  nicht  in  der  Wunde 
geblieben,  welch  letzterer  Umstand  die  Schwere  der  Verwundung  gewöhn- 
lich vergrössere. 

Unter  dem  Eindrucke  des  merkbaren  Unterschiedes  zwischen  den  Kann  d.  neue 

.  Kleinkaliber- 

durch  alte  und  neue  Gewehre  verursachten  Verwundungen  hat  sich  dertjewehr  oine 
Terminus   „humane  WaiFe"   gebildet,  aber  praktische  Proben  mit  dem  ^"^ "^^n^**^* 
neuen  Gewehre  haben  gezeigt,  dass  man  die  Wunden,  welche  die  neuen    ''erden? 
Mantelgeschosse  bewirken,  durchaus  nicht  „human*'  nennen  kann.  desoinVrai- 

Zu  Bielsk  in  Oesterreichisch-Schlesien  wurden  bei  Unruhen  18  Per-  subsantes 

Professoni 

sonen  durch  Geschosse  aus  Mannlicher  -  Gewehren  verwundet.  Man  Dr.  v.  coier. 
brachte  die  Verwundeten  sofort  ins  Hospital,  wo  ihnen  alle  mögliche  ärzt- 
liche Hilfe  zu  Theil  wurde.  Aus  dem  Berichte  hierüber  ist  es  ersichtlich, 
dass  die  Pflege  der  Verwundeten  und  die  Verhältnisse,  unter  denen  sich 
dieselben  befanden,  derartig  waren,  wie  sie  auf  dem  Schlachtfelde  kaum 
zo  erzielen  sein  würden.    Trotzdem  starben  vier  der  Verwundeten. 

Eine  Erklärung  für  diese  Erscheinung  kann  man  in  einem  auf  Ver-  ^*««j^|'^n 
fügung  des  französischen  Kriegsministeriums  im  Jahre  1888  veröffentlichten  tnmimschen 
Gutachten  der  französischen  Medizinischen  Akademie  finden.  3)     Wenn  jX^lmZ 
der  Schuss  auf  eine  nähere  Entfernung  als  300  Meter  erfolgt  war  und 
besonders  bei  einer  noch  geringeren  als  200  Meter,  so  waren  an  den 
AVunden   Explosivspuren  wahrnehmbar  —  ein  Zerreissen.  der   weichen 
Teile,  wobei  eine  zuweilen  sogar  ausserordentlich  starke  Durchlöcherung 
der  Muskeln  stattfand;  auch  die  Knochen  waren,  was  jedoch  nicht  immer 
der  Fall  war,  beschädigt;  wo  der  Schuss  bei  der  grössten  Fluggeschwindig- 
keit traf,  waren  die  Knochen  unbeschädigt.     Wenn  aber  das  Geschoss 
eine,  wenn  auch  nur  kleine  Veränderung  in  seiner  Form  erleidet,  wenn 
der  Mantel  zerreisst  und  der  Kern  sich  in  Stücke  zerteilt,  ^welche  in  der 
Wunde  stecken  bleiben,  so  wird  die  Gefahr  und  die   Qual,  welche  die 
neuen  Projektile  verursachen,  eine  andere. 

Da  aber  bei  der  ausgezeichneten  TreftTähigkeit  der  modernen  Ge- 
wehre sowie  der  entscheidenden  Bedeutung  des  heutigen  Feuergefechtes 
die  Schützenlinien  auf  möglichst  nahe  Entfernungen  heranzukommen 
gezwungen  sein  werden,  um  den  Feind  zu  verjagen,  so  wächst  damit 
auch  die  Wahrscheinlichkeit  schwerer  Verwundungen.^) 

')  Coumes:  „Tactiqiie  de  demain"  1891,  S.  675  u.  676. 

*)  „Archives  de  in<^dccine  et  de  phannacios  militaires  pubJieos  par  ordre 
du  ministro  de  la  guerro".    Bd.  XII.    1888. 


64  ^'    ^^^  Feuerwaffen. 


Neueste  Untersuchungen  haben  aber  leider  bewiesen,  dass  auch  auf 
grössere  Entfernungen  die  Verwundungen  nicht  weniger  schwer  sein 
werden. 

^ikihkdt*"  ^^  ^^®  neuen  Geschosse  auch  auf  grössere  Entfernungen   (bis  zu 

bedeatender  1500  Metern)  deu  menschlichen  Körper  leicht  dmxhdringen,  so  werden  Ver- 
"^**'  letzungen  der  wichtigen  Organe  meist  einen  tötlichen  Ausgang  haben; 
Verletzungen  anderer  weniger  wichtigen  inneren  Organe  werden  häufiger 
vorkommen,  wobei  reichlichere  Blutung  und  Bluterguss  in  das  eine  oder 
das  andere  innere  Organ  stattfinden  wird.  In  Folge  der  gestreckten 
Flugbahn,  d.  h.  bei  dem  grösseren  besti'ichenen  Räume  wie  in  Folge  der 
Steigerung  der  Durchschlagskraft  der  Geschosse  können  überdies  durch 
ein  Projektil  mehrere  Kombattanten  kampfunfähig  gemacht  werden.  0) 

Kawigehe  Viele  Gelehrte,  sagt  Professor  Pawlow,^)  besonders  auch  in  Russland 

Aatoreo  be- 

st&ti^a  die  (Professor  Morosow,   Doctor  W.  Popow)   sind   gleichfalls  der  Ansicht, 
m^n^Lr  **ss  die  vernichtende  Wirkung  der  Kleinkalibergeschosse  eine  furchtbare 

Kleinkaliber- seiß   Wird. 
gescnoue. 

Den  wesentlichsten  Unterschied  in  dieser  Hinsicht  bedingt  die  ver- 
schiedene Entfernung  der  Schüsse.    Professor  Pawlow^)  giebt  folgende 
^"[^^^*'*^^*^  Uebersicht  der  verbreitetsten  Ansichten  über  diese  Frage:  ,,Man  ist  jetzt 
verRfihieden-  in  der  KiiegscUrurgie  übereingekommen,  die  ganze  Distanz  der  Geschoss- 
wunduDgen  bahu  bls  zur  äussersten  Grenze  der  Verwundungen  in  vier  Zonen  zu  teilen. 
oLim^    Z^^  ersten  Zone  gehören  die  Wunden,   die  Rupturcharakter  aufweisen, 
bereieh  der  mj^  umfangi'eicher  Zerstörung  der  Gewebe,  des  Hiinschädels,  der  Knochen 
baiin  in    uud  der  Organe,  die  Flüssigkeit  enthalten.    Diese  Zone  wird  von  vielen 
teut^werdf^  Autoren  „Zone- des  hydraulischen  Druckes"  genannt.    Besonders  weisen  die 
Ausgangsteile  der  Wunden  Rupturcharakter  auf.    Bei  den  früheren  Pro- 
jektilen ohne  Umhüllung  rechnete  man  diese  Zone  bis  zu  400 — 500  Metern 
Distanz,   für   die   neuen  Mantelgeschosse   beschränken  einige  Chirurgen 
(Delorme,  Chauvel)  diese  Zone  auf  300  und  sogar  auf  200  Meter." 

,J)ie  zweite  Zone  entspricht  wohl  auch  noch  einer  sehr  lebendigen 
Geschosskraft,  aber  die  Wunden  haben  hier  einen  reinen  Durchschlags- 
charakter. Sogar  feste  Knochen  weisen  durchlöcherte  Kanäle  mit  mehr 
oder  weniger  langen  Rissen  ohne  scharfe  Absonderung  von  Splittern  auf. 
In  den  weichen  Geweben  sind  diese  Kanäle  besonders  rein.  Die  Grenze 
dieser  Zone  reicht  für  die  frühern  Projektile  bis  zu  1000  Meteni,  für  die 
heutigen  Mantelgeschosse  bis  zu  1400  und  1500  Metern.** 

*)  „Oesterreichisches  Armeeblatt'^  1891:  „Wirkung  von  Gowehrgeschossen 
auf  den  monschlichen  Körper". 

^)  E.  Pawlow:  „TTobor  die  Bedeutung  der  Bewaffnung  mit  dem  Klein- 
kaliberge\ve]ir**. 


GeSRhosBwirkungcn  aus  Gewi-hren  verleb iurViier  TyiH-n.  65 

„Die  dritte  Zone  weist  ernstere  KnochenbeschÄdignngen  auf, 
nämlich  bedeutendere  Risse  and  Rupturen  der  anliegenden  Gewebe. 
Für  einfache  Bleigeschosse  ist  die  äusserste  Grenze  dieser  Zone  1500 
bis  1600  Meter;  für  Mantelgeschosse  beginnt  sie  erst  mit  1600  Metern 
und  reicht  annähemd  bis  zu  2000  Metern.  Da  die  I^ojektile  in  diesem 
Rayon  bei  dem  Anprall  auf  festere  Körper  zwar  nicht  mehr  die 
Regelmässigkeit  des  Fluges  bewahren,  aber  doch  noch  einen  bedeutenden 
Vorrat  an  Kraft  besitzen,  so  haben  die  Wunden  in  dieser  Zone  grössten- 
teils keine  regelmässige  kanalartige  Form.*' 

„Die  letzte,  die  vierte  Zone,  wird  Kontusionszone  genannt,  obwohl 
auch  in  diesem  Rayon  in  den  weichen  Geweben  rinnenartige  Wunden, 
Schusskanäle  von  grös.serer  oder  geringerer  Länge  und  selbst  Knochen- 
verletzungen in  Form  einfacher  Frakturen  oder  Risse  vorkommen 
können.  Die  Endgrenze  der  Beschädigungen  dieser  Art  ist  für  die 
früheren  Geschosse  etwa  2000  Meter,  für  die  neuen  Mantelgeschosse 
"2400  und  selbst  3000  Meter.  Demnach  wäre  für  die  neuen  Geschosse 
die  zweite  Zone  ungefähr  doppelt  so  weit  wie  für  die  früheren,  während 
die  dritte  Zone  der  früheren  vierten  entspräche." 

Diese  Angaben,  graphisch  dai^estellt,  mit  Durchschnittsziffern  fiir  ' 
jede  Distanz,  z.  B.  fiir  2400  bis  zu  3000  Meter,  durchschnittlich  2700  Meter,  . 
ei^ben  folgendes  Bild:  ^° 

f 

Frühere  Geacliosse.  Nene  Geschosse, 


Uistanzeinteilung  der  Ocschosabahn  (in  Metern)  nach  dem  Charakter  der  Verwundungen. 

Jedoch  erbleichen  alle  diese  Schrecknisse  vor  den  Resultaten,  welche 
durch  die  Medizinal-Abteilung  des  Prenssischen  Kriegsministeriunis,  unter 
Leitung  des  Chefs  derselben,  Professor  Dr.  von  Coler,  auf  Grund  zum 
ersten  Male  genau  wissenschaftlicher,  mit  deutscher  Gewissenhaftigkeit 
und  Gründlichkeit  dnrcbgeführter  Versuche,  erzielt  worden  sind. 

Fast  alle  vorhergegangenen  Versuche  sind  mit  reduzierten  Ladungen 
zur  Ausführung  gekommen,  d.  li.  dass  man  z.  B.  —  nm  die  Entfernung 
von  1800  Metern  zu  studieren  ^  von  der  Nähe  .schoss,  aber  statt  2,70  Gramm 
Pulver  nur  0,65  dazu  nahm.    In  Folge  dessen  erhielt  man  zwar  dieselbe 

Bloeb,   Dar  nktifügs  Kri«[.  £l 


ßg  I.    Die  Feuerwaffen, 


Anschlagskraft,  aber  die  Geschosse  hatten  nicht  die  gleiche  Rotations- 
geschwindigkeit. 

Auf  die  erlangten  furchtbaren  Resultate  werden  wir  später,  bei 
Berechnung  der  wahrscheinlichen  Zahl  der  Toten  und  Verwundeten, 
zurückkommen ;  hier  wollen  wir  nur  des  Berichtes  erwähnen,  welchen  der 
obenerwähnte  Generalstabsarzt  Dr.  von  Coler,  dem  medizinischen  Kongress 
in  Rom  erstattet  hat. '7) 

Diese  Versuche  haben  völlig  widerlegt,  was  bisher  von  dem  ver- 
hältnismässig „humaneren"  Charakter  der  neuen  Projektile  gesagt  worden 
war;  auf  allen  Entfernungen  sind  die  durch  jetzige  Geschosse  verursachten 
Verwundungen  unvergleichlich  schwerer  als  es  die  durch  die  früheren 
Geschosse  bewirkten  waren. 
Eingangs-  Es   ist   Wahr,    dass   bei  Entfernungen   unter  600  Metern  in    die 

gehrH^n,  Wuudcn  wcnigsteus   nicht  Stücke  von  Kleidungsstoffeu  hineingetrieben 
Ausgange  ^'erdeu,  da  sich  dieselben  unter  der  Wirkung  des  noch  in  voller  Kraft 
trichter-    aufschlageuden  Projektils   in  Atome  verwandeln;  die   Geschosswirkung 
°'^"*'^'    auf  den  Körper  ist  jedoch  entsetzlich;  sie  ist  der  Wii'kung  von  Spreng- 
stoifen  ähnlich.     Die  Knochen  werden  durchaus  nicht,  wie  man  bisher 
fälschlich  annahm,  vom  Projektile  wie  von  einer  Ahle  durchstossen,  zer- 
splittern vielmehr  in  kleine  Stückchen,   welche   innerhalb   des  ganzen 
Organismus  wie  unter  der  Wirkung  einer  Dynamitladung  umhergeworfen 
werden.   Die  Eingangsöffnung  des  Geschosses  ist  sehr  klein,  ja  kaum  be- 
merkbar, ihr  Ausgang  ist  aber  sehr  bedeutend.    Das  Projektil  durchbohrt 
nicht  nur  einen  Körper,  sondern  durchschlägt  zwei  und  drei  Körper  und 
Pnive-     bleibt  erst  im  vierten  stecken,  Leber,  Herz,  Nieren  werden  von  demselben 
"m^c"     zu  Pulver  verwandelt,  andere  innere  Teile,  desgleichen  auch  Muskeln,  in 
Organe  und  fitücke  zcrrisseu.    Dic  Extremitäten  werden  vom  Geschosse,  sofern  es  auf 
einen  Knochen  stösst,  zerstört;  Wunden  am  Kopf,  an  Hals  und  Leib  sind 
immer  tötlich.  Eine  Wunde  in  der  Brusthöhlung  kann  den  Tod  venirsachen, 
selbst  wenn  das  Geschoss  nur  zwischen  der  Lunge  durchgegangen   ist 
und  weder  das  Herz  noch  eines  der  grösseren  Blutgefässe  beruhigt  hat. 
Bei  Entfernungen  über  600  Meter  ist  die  Wirkung  dieser  Projektile  schon 
weniger  tötlich;   jedoch  bringen  die  in  den  Leib  treffenden   auch  hier 
grosse  Zerstörungen  hervor.    So  haben  49  Verwundungen  des  Unterleibes 
auf  700  bis  1600  Meter  Distanz  160  innere  Rupturen  in  Blase  und  Magen 
hervorgebracht.    Die  Durchschnittszahl  der  offenen  von  einem  Geschosse 
verursachten  Wunden  war  3,  die  höchste  Ziffer  8.    Auf  bedeutenden  Ent- 
feiTiungen  zerstört  das  Geschoss  den  Kleidungsstoff  bereits  nicht  mehr, 
sondern  bringt  häufig  (12  %  der  Wunden)  Stücke  desselben  in  die  Wunden, 

^)  „La  France  militaire". 


Geschosswirkungen  aus  Gewehren  verschiedener  Typen. 


67 


was  diese  noch  verschlimmert,  da  sich  auf  den  Kleidungsstoffen  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  viele  Mikroorganismen  befinden. 

Von  1000  Meter  Entfernung  an  werden  die  Knochen  gleichmässig 
durchschlagen,  bieten  aber  hierbei  das  Büd  strahlenförmiger  Bisse  nach 
allen  Seiten  von  der  Eingangsöfitnung  der  Wunde.  Sogar  bei  1600  Metern 
Distan;5  hat  das  neue  Projektil  unter  40  %  beobachteter  Fälle  bedeutende 
Knochenbrüche  hervorgebracht,  mit  Zersplitterung  der  Knochen  in  kleine 
Stücke,  die  bisweilen  an  ihrer  Stelle  verblieben,  bisweilen  aber  auch  in  den 
Körper  hineingetrieben  wurden  und  hierbei  gleich  einer  Scheere  wirkten, 
so  dass  bereits  bei  einer  Schnelligkeit  des  Geschosses  von  300  Metern  in 
der  Sekunde  die  Gewebe  des  Körpers  von  demselben  durchbohrt  wurden. 
Hierzu  kommt,  dass  ein  in  den  Körper  eingedrungenes  Geschoss  mit 
Stahlumhüllung  seine  Form  verändert  und  häufig  kleine,  scharfe  Splitter 
giebt,  welche  die  Gewebe  zerreissen.  Ueberhaupt  zeigen  die  angestellten 
Versuche,  dass  die  frühere  runde  Kugel  und  selbst  das  längliche  Geschoss 
von  1870  im  Vergleich  mit  dem  jetzigen  feinen  und  zierlicheren  Projektil 
mit  Nickelumhüllung  sozusagen  „gutmütig"  waren. 

Obgleich  die  Angaben  des  General-Stabsarztes  Prof.  Dr.  v.  Coler  für 
eine  graphische  Darstellung  eigentlich  nicht  gut  verwertbar  sind,  so  ver- 
suchen wir  es  Angesichts  der  Wichtigkeit  des  Gegenstandes  dennoch,  eine 
solche  zu  bringen. 


strahlen- 
förmige 
Bisse  der 
Knochen. 


Bande 
Geschosse 

viel 
gutmütiger. 


Die  Deidimg 


nicht  gefährlich       |  600  Meter 


Bio  Knochen 


Graphische 
^^^  Darslellang 

12"/o  bringt  Stücke  der  Kleidung  in  die  Wanden      ""1  1600  Met.  ^" 

HHH^i^HH^^^^^^^^^HB^^iH^H^BBMMH^i^B^J  Grausamkeit 

der 


zersplittern 


1000  Meter 


Wunden. 


Durchschlagen  mit  40  */o  Knochenrisseu 


Die  inneren  Teile 
des  Körpers 


zerrissen 


I  600  Meter 


Leber,  Herz,  Nieren  zu  Pulrer  venrandelt 


1600  Met. 


1600  Met. 


Die  Oeflnnng  der 
Wnnden 


0,8  Centimeter  EingangsÖiFnung 


Ausgangsöifnung  (12  bis  18  Centimeter)  |  15  Ceiltimot. 


Temperatnr  der 
Kngel 


Minimum  I  70  ^ 


Maximum 


]  350  0 


Die  Oefahr 


unbedingte 


600  Meter 


grosse 


]  1600 


Met. 


Die  Dnrchsclilacskraft 
der  Kngel 


Minimum        1  3 


Maximum 


]« 


Gi*aasamkeit  der  "Wunden  durch  Mantelgeschosse  nach  den  Forschungen 
des  deutschen  General-Stabsarztes  Prof.  Dr.  v.  Coler. 

5* 


68 


I.    Die  Feuerwaffen. 


Aendernng 

der  ehinirgi- 

BcbenTli&iig- 

keit  sowie  der 

sanit&ren  . 

Maaes- 

Bfthmen  bei 

Pflege  der 

Yerwandeten, 

io  Folge  einer 

Terftnderten 

Krieg- 

ffthmng. 


In  Folge  aller  dieser  Umstände  muss  der  künftige  Krieg  natürlich 
auch  in  militär-medizinischer  Hinsicht  sich  von  den  früheren  Kriegen 
unterscheiden,  und  zwar  schon  deshalb,  weil  sich  mit  der  Aenderung  der 
Kriegführung  auch  der  Charakter  der  ärztlichen  Hilfe,  besonders  in  den 
vorderen  Feldlazarethen  ändern  muss. 

Je  länger  z.  B.  die  Verwundeten  auf  dem  Schlachtfelde  werden  liegen 
bleiben  müssen,  desto  wahrscheinlicher  ist  ein  höherer  Prozentsatz  der 
Todesfälle  durch  Verblutung,  nochmalige  Verwundung  u.  s.  w.  Die  Zahl 
der  tötlichen  Wunden  wird  ohne  Zweifel  zum  Teil  von  der  Zeit,  zu 
welcher  die  Hilfeleistung  erfolgen  wird,  abhängen. 

Wenn  wir  von  den  Verhältnissen  des  modernen  Kampfes  sprechen 
werden,  werden  wir  zeigen,  dass  gerade  in  Folge  der  Vervollkommnung 
der  Waffen  und  insbesondere  der  Geschütze  die  rechtzeitige  Hilfeleistung 
auf  dem  Schlachtfelde  selbst,  wenn  nicht  besondere  Vereinbarungen  ge- 
troffen werden,  in  den  meisten  Fällen  unmöglich  sein  wird. 


8.    Veraltung  der  jetzigen  Gewehre  und  finanzielle 
Resultate  der  neuen  Umbewaffnung. 

schätzang  Das  Gewehr,  über  welches  die  heutigen  Heere  verfügen,  wird  sich 

v1>racwed^  iii  jeder  Hinsicht  um  Vieles  stärker  erweisen,  als  die  in  früheren  Kriegen 
"®'^  ^^®^'"  gebrauchten  Gewehre.  Professor  Hebler,  eine  der  ersten  Autoritäten 
für  Infanterie-Bewaffnung,  giebt  folgende  vergleichende  Tabelle  über  den 
Weil;  der  in  den  einzelnen  Staaten  eingeführten  Gewehrsysteme,  wobei 
als  Vergleichseinheit  der  Wert  des  preussischen  Mauser-Gewehres,  Modell 
1871  =  100  gesetzt  ist:i) 


Spanien  . 
England  . 
Schweiz  . 
Belgien  . 
Türkei    , 
Russland 
Deutschland 
Oesterreich 
Bulgarien 
Frankreich 
Dänemark 
Portugal . 
Schweden 


7,0  Millimeter-Kaliber  =  B80 


7,7 
7,5 
7,6 
7,6 
7,6 

7,9 

8,0 
8,0 
8,0 
8,0 
8,0 
8,0 


>i 


?i 


,1 


M 


r 


r 


„ 


71 


?1 


,1 


^1 


« 


521 
619 
B16 
516 
512 
474 
440 
440 
433 
411 
410 
393 


>)  „Das  kleine  Kaliber".    Zflrich  1894. 


Veraltung  der  jetzigen  öewehre  und  ^nanzielle  Resultate  der  neuen  Umlaewaffnung.  ß^ 


Diejenigen  Hand-Feuerwaffen,  bei  welchen  die  wirkliche  Gesamt- Prof.Hebier'8 
leistungsfähigkeit    600    tibersteigt,    nennt    Professor    Hebler    „Waffen  der  Gewehre 
I.  Ranges";    solche,    bei  denen  diese   Leistungsfähigkeit   zwischen  400 .^^^^'^Q^g^^t. 
und  500  liegt,  „Waffen  II.  Ranges";  endlich  diejenigen,  bei  welchen  jene   j^^^^^'^J" 
Leistungsfähigkeit  geringer  als  400  ist,  „Waffen  III.  Ranges". 

So  erhält  er  folgende  Rangordnung  der  jetzigen  Kleinkaliberwaffen 
mit  Rücksicht  auf  ihre  praktische  Brauchbarkeit. 


Spanien  . 
Belgien  . 
Türkei    . 


Deutschland 

England  . 

Schweiz  . 

Russland 

Frankreich 

Dänemark 

Portugal 


Oesterreich 

Bulgarien 

Schweden 


Waffen  I.  Ranges: 

7,0  Millimeter-Kaliber  =  580 
7,6  „  =  516 

7.6  „  =  516 

Waffen  11.  Ranges: 

7,9  Millimeter-Kaliber  =  474 

7.7  „  =  469 

7.5  „  =  467 

7.6  „  =  461 
8,0  „  =  433 
8,0  „  =  411 
8,0  „  =  410 


Mauser 


Lee-Metford 
Schmidt 

Lebel 

Kropatschek. 


Waffen  in.  Ranges: 

8,0  MiUimeter-KaUber  =  396 
8,0  „  =396 

8,0  „  =354 


} 


Mannlicher. 


Das  Streben  nach  Vervollkommnung  der  Gtewehre  hat  aber  noch     ^<>^ 

sehreitende 

keineswegs  ein  Ende  gefunden,  im  Gegenteil,  vor  uns  wiederholt  sich  Besaitate 
die  Erscheinung,  dass,  wenn  eine  neue  Umwaffnung  kaum  vollendet  ist  dir"wJffln- 
und   die  Truppen  erst  im  Begriffe  sind,   den  Gebrauch  der  neuen  Waffe    *«<^^"»^- 
sich  anzueignen,  die  Technik  bereits  wieder  einen  Schritt  vorwärts  gethan 
hat,  einen  Schritt,  welcher  neue  Aenderungen  hervorruft  und  mit  neuen 
noch  unmässigeren  Ausgaben  droht,  als  ob  dieselben  bezweckten,  den 
Krieg  zuletzt  fast  undenkbar  zu  machen.    Wir  haben  schon  gesagt,  dass 
die  Treibkraft  des  neuen  rauchschwachen  Pulvers  drei-  bis  viermal  stärker 
ist  als  die  des  früheren  Pulvers;  aber  diese  Kiaft  wird  noch  nicht  voll 
ausgenutzt,   da  zur  Ladung   des  Gewehres   nur   ein   Teil   des   früher 
erforderlichen  Pulverquantums  verwandt  wird. 

Je  bedeutender  die  Explosionskraft  des  Pulvers  ist,  desto  stärker 
kann  natürlich  die  Anfangsgeschwindigkeit  des  Geschosses  sein,  desto  grösser 
die  Treffweite  und  Rasanz  des  Schusses.  Die  Triebkraft  der  neuen  Gewehre 


70  I-    I^iö  Feuerwaffen. 


ergiebt  eine  Geschossgeschwindigkeit  von  620  Metern  in  der  Sekunde; 
dieselbe  kann  aber  auf  1000  Meter  gesteigert  werden,  und  bei  gleichzeitiger 
Steigerung  der  Durchschlagskraft  des  Geschosses  wird  es  möglich  sein, 
dessen  Umfang  zu  verringern,  weil  angenommen  wird,  dass  auch  ein 
kleineres  Projektil,  w^enn  es  nur  mit  einem  festen  Mantel  versehen  ist, 
genügt,  um  selbst  mehrere  Personen,  die  hintereinander  stehen,  kampf- 
unßlhig  zu  machen. 

Nachdem  in  Russland  das  7,62,  in  Italien  gleichzeitig  das  7  Milli- 
meter-Kaliber angenommen  war,  begann  man  im  Auslande  Gewehre  von 
6,5  Millimeter-Kaliber  herzustellen.  Mit  solchem  Gewehre  ist  jetzt  ein 
Teil  der  italienischen,  niederländischen,  schwedischen,  norwegischen  und 
rumänischen  Armee  bewafi'net.  Aber  man  bleibt  lüerbei  nicht  stehen. 
Der  schon  genannte  Professor  Hebler  empfiehlt  auf  Grund  seiner  Versuche 
mit  Geschossen  von  6,0,  6,6  und  B,0  Millimetern,  einstweilen  das  5  Milli- 
meter-Gewehr, weist  aber  auf  die  Möglichkeit  hin,  das  Gewehrkaliber 
noch  mehr  zu  verringern. 
Voraussicht-  „Im  allgemeinen  Prinzip",  sagt  er,  „ist  der  Durchmesser  des  Laufes 

Einführong  auf  dcu  kleinsten  Umfang  zu  beschränken,  welcher  'noch  genügend  ist 
weTüwen*'  *^^  Gcgucr  duTch  eiu  Geschoss  auf  beträchtliche  Zeit  kampfunfähig  zu 
oewehrkaiib.  machen.    Die  Grenze  liegt  hier  in  jedem  Falle  noch  weit  niedriger  als 

als  das  des  ' 

6  Miiumeter- B  Millimeter.    Es  ist  wahr,  die  Anfertigung  von  Läufen  mit  dem 
oowehres.  g;^^^^^  4  q^^j.  3  Millimeter  ist  auch  jetzt  schon  möglich,  hat 

aber  noch  grosse  Schwierigkeiten  zu  überwinden.  Jedoch  ist  es 
durchaus  wahrscheinlich,  dass  in  späteren  Jahrhunderten  der  Durchmesser 
des  Gewehrlaufes  weniger  als  B  Millimeter  betragen  wird." 2) 

Eine  andere  Autorität,  der  preussische  General  Wille,  teilt  die  An- 
sicht des  Professors  Hebler,  dass  B  Millimeter-Gewehre  zulässig  sind  und 
spricht  weiter  die  Ueberzeugung  aus,  dass  die  Technik  sehr  bald  aller 
Schwierigkeiten  Herr  werden  wird.  Er  erinnert  daran,  wie  häufig  die 
Ansichten  der  Theoretiker  schon  praktisch  überflügelt  worden  sind  und 
fügt  hinzu:  falsche  Pi^opheten  sind  diejenigen,  welche  jetzt  aussprechen: 
nee  plus  infra  — ,  und  so  wird  es  sein,  weil  die  Vorzüge  der  kleinen 
Kaliber  allzu  grosse  sind  und  die  Technik  allzu  mächtig  ist,  um  nicht  die 
ihr  entgegenstehenden  Hindemisse  zu  überwinden. 
Nach  Prof.  Dcr  russische  Professor  Potocki    schreibt   gleichfalls    im   Journal 

^„^j^f j|-,d  „Raswjedtschik"  Folgendes:   „Viele  Militärtechniker  schlagen   vor,   das 
das  Kalibor  Gcwehrkalibcr  bis  auf  6  Millimeter  (2  Linien)  herabzusetzen.   Das  Bohren 
pewehres   solclicr  Läufc  bietet  bereits  gegenwärtig  wenige   Schwierigkeiten;   das 
BimumltlT  Kaliber,  bei  welchem  das  Projektil  aufhört,   den  Mann  für  längere  Zeit 

licgun. 

-)  (Jonoral  Wille:    „Das  kleinsio  Gowelirkalibor".   Berlin  1893. 


Veroltung  der  jetzigen  Gewehre  und  finanzielle  Eesultate  der  neuen  Umbewaffnung.  7 1 


kampfanfahig  zu  machen,  ist  bis  jetzt  noch  nicht  durch  die  Praxis  fest- 
gestellt, aber  auf  alle  Fälle  kann  man  sagen,  dass  es  unter 
5  Millimeter  liegen  wird.  Das  einzige  Hindernis,  welches  einer 
weiteren  Verminderung  des  Kalibers  und  einer  entsprechenden  Ver- 
grösserung  der  Anfangsgeschwindigkeit  der  Geschosse  entgegen  treten 
kann,  ist  der  ausserordentliche  Druck  der  Pulvergase  auf  die  Wände  des 
Kanals." 

„Nach  dem  zu  ui'teilen,  was  bereits  beim  rauchschwachen  Geschütz- 
pulver erreicht  ist,  bei  welchem  die  stärkste  Spannung  den  Durchschnitts- 
druck nicht  mehr  als  1,5-  bis  1,7 mal  überschreitet,  lässt  sich  hoffen, 
dass  ähnliche  Resultate  auch  bald  für  das  Gewehrpulver  eraielt  sein 
werden.  Dann  wird  es  auch  möglich  sein,  ein  Infanterie-Gewehr  her- 
zustellen, welches  dem  Projektile  von  etwa  4,3  Gramm  Gewicht  eine 
Geschwindigkeit  von  ungefähr  1000  Metern  in  der  Sekunde  mitteilen  wird. 
Bei  den  Schnellfeuer -Geschützen  ist  es  bereits  geglückt,  solche  Ge- 
schwindigkeit zu  erzielen." 

In  seinem  Werke  „Das  kommende  Feldgeschütz"  führt  General 
Wille  an,  dass  bei  den  Gewehren  des  Fabrikanten  Daudeteau  bereits  eine 
Anfangsgesch^^indigkeit  von  810  Metern  erzielt  ist. 

Auch  die  Versuchskommission  der  nordamerikanischen  Marine  hat       in 
sich  schon  für  ein  6  Millimeter-Gewehr  entschieden.    Das  Geschoss  soll    wird"^^  * 
8,75  Gramm,  die  Ladung  2,14  Gramm  wiegen.    Die  Anfangsgeschwindig-  ®  ^'ew^hr^' 
keit    ergiebt  731,5  Meter.      Das   Material    des  Laufes    ist  Nickelstahl.  "**«inein  a« 
Der  Berichterstatter  der  „Jahrbücher  für  deutsche  Armee  und  Marine"  gefertigten 
bemerkt  ganz  richtig,  dass  der  Vorgang  von  hoher  Bedeutung  ist,   in-  Etnflibrung 
sofern  er  eine  weitere,  so  rasch  kaum  erwartete  Reduktion  des  Kalibers   »klangen. 
der  Hand-Feuerwaflen  darstellt,  nachdem   die   zuletzt   getroffenen  Ent- 
scheidungen an  der  Grenze  von  6,5  Millimeter  stehen  geblieben  waren. 
Der  Berichterstatter  der  Militär -Zeitschrift  „Minerva"  geht  in  seinem 
Berichte  über  Fortschritte  auf  technischem  Gebiet  des  Jahres  1893  noch 
weiter  und  sagt:  Das  Verfolgen  der  einschlägigen  Literatur  des  Vorjahres 
führt  den  aufmerksamen  Leser  zu  dem  Schlüsse,  dass  wir  nicht  nur 
theoretisch,    sondern   auch    bei   den   praktischen   Versuchen   zu   einem 
5  Millimeter-Gewehre  gelangt  sind,  dessen  ballistische  Leistungen  jene 
des   8  Mfllimeter- Gewehres   weit   übertreffen.     Die   Konstruktionsfrage 
scheint  demnach  gelöst  zu  sein. . 

Im  Falle  eines  Krieges  wird  die  grosse  Mehrzahl  der  Soldaten  mit  ueteriegen- 
Gewehren  von  7,5  Millimetern  oder  einem  etwas  grösseren  Kaliber  be-  ß  Muiimeter- 
waffnet   sein.     Wenn   man   den  Wert   dieses  Gewehres   mit   dem   des  ^^^^*^*^^^^*  ^^ 
5  Millimeter-Gewehres  vergleicht,  so  ergiebt  sich,  dass  letzteres  um  23%    Kaliber. 
dem  ersteren  überlegen  ist.    Die  Bedeutung  des  neuen  Gewehres  für 


I«  ErTolga 


72  I-    ßie  Feuerwaffen. 

den  künftigen  Krieg  tritt  aber  noch  charakteristischer  hervor,  wenn  man 
das  Hebler-Gewehr  nicht  mit  den  Kleinkalibergewehren,  sondern  mit  den 
Zttndnadelgewehren,  die  noch  im  Kriege  1870  gebraucht  wnrden,  ver- 
gleicht. Ein  solcher  Vergleich  ergiebt,  dass  das  6  Millimeter- Gewehr 
mehr  als  ISmal  wirksamer  sein  wird.  Im  Vergleich  mit  dem  Maaser- 
Gewehre  (Mod.  1871)  soll  das  Hebler'sche  6  Millimeter-Gewehr,  wenn 
man  seinen  Worten  glauben  soll,  fast  6mal  wirksamer  sein. 

Um  die  Erfolge  der  Technik  in  dieser  Hinsicht  noch  deutlicher 
hervortreten  zn  lassen,  geben  wir  nachstehende  graphische  Darstellnng. 


Di»  Diese  Schätznng  des  6  Millimeter -Gewehres  bei  Professor  Hebler 

voBftge  a«  mag  sogar  stark  Übertrieben  sein  und  einstweilen  nnr  rein  theoretischen 
^'g"«h«"  Wert  haben,  in  jedem  Falle  aber  kann  der  gewaltige  Vorzng  der  Klein- 
bHt«k*ii  kalibergewehre  sowohl  in  ballistischer  Hinsicht  als  auch  in  Betreff  der 
MKiti^h^  grosseren  Leichtigkeit  von  Gewehr  und  Patronen  keinem  Zweifel 
^^"kX  unterliegen. 

'•''="'"'  In  voller  Aasrüstnng  ist  der  russische  Infanterist  bei  ein  nnd  dem- 

nBdzo-    selben  Gesamtgewicht  der  Patronen  verseilen: 

Uhdde  aimt 

„icuioberou  bei  dem  Berdan-Gewehre  mit.    ...       84  Patronen') 

■uitiirtD^g.  bei  den  neuen  Gewehren  mit.    ,    .    .      150  Patronen.*) 

')  In  den  aualändischeo  StAaten  hat  der  Infanterist  bei  ein  und  demselben 
(losam (.gewicht  der  Patronen; 

iti  Üesterreich-Ungarn  und  der  Scliweiz  .     .    .  100  Patronen 

„   England 115  „ 

,.   Belgien  und  Frankreich 120  .. 

„    Deutsi^hland  und  der  Türkei 150  „ 

„   Italien 192  „ 


Vergleich  des  7,66  Millim.-Gewehres 

mit  dem  neuesten  5  Millim.-Mausergewehre  (Sohiesspulverladung  2,16  g). 

Sohnelligkeit  des  Geschosses  in  Metern. 
7,66  UtUim.-Oewebr.  5  Uillim.-Oewelir. 

6«  1216 


Durehsohlagskraft. 
Eindringen  in  aus  Eindringen  i 

geacbnittenea  Eicbenliolz.    Entfernung 

1^ 


2*t 


381' 


9309 


Veraltung  der  jetzigen  Gewehre  und  finanzielle  ^Resultate  der  neuen  Umbewaffnung.  73 


Aber  bei  den  5  Millimeter-Gewehren  vergrössert  sich  die  Zahl  der  vorteil  einer 

rdi  ch  G  f  A II 

Patronen  ohne  Steigerung  der  Belastung  bis  zu  270,   d.  h.   verdoppelt  patrouen- 

sich  beinahe.    Wenn  letzterer  Umstand  auch  nur  der  einzige  Vorzug  des  ^eTMaMiL 

5  Millimeter-Gre Wehres  wäre,  so  würde  derselbe  doch  schon  völlig  hin-      ^ö^™ 

'  °  5  Millimeter- 

reichen,  um  unter  dem  Drucke  der  heutigen  politischen  Verhältnisse  die   Gewehre. 

Einführung  des  neuen  Gewehres  zu  veranlassen.    Ein  Bataillon,  welches 

bei  gleicher  Gepäckbelastung  dem  Gegner  mit  doppeltem  Patronenvorrat 

gegenubertritt,  wird  nicht  fürchten,  sich  zu  verschiessen ;  es  wird  einem 

Krater  gleichen,  der  Massen  von  Projektilen  ausspeit. 

Die  Kosten  des  7,6  Millimeter-Gewehres  kann  man  auf  8B  Francs  Kosten 
berechnen,  die  einer  Patrone  auf  10  Centimes.  Wir  nehmen  an,  dass  das  bewaffnunj?. 
neue  5  Millimeter-Gewehi'  im  Ganzen  gegen  120  Francs  kosten  wird,  der 
Preis  der  Patrone  der  gleiche  bleibt  und  der  Patronenvorrat  für  jedes 
Gewehr  etwas  weniger  als  den  vierfachen  Bestand  umfassen  wird,  d.  h. 
1000  Stück,  die  Umänderungskosten  für  Aufbewahrung  und  Transport 
der  Patronen  pro  Gewehr  etwa  20  Francs  betragen. 

Nach  den  vom  deutschen  Kriegsministerium  für  den  Eeichstag  auf- 
gestellten Berechnungen  setzt  sich  die  Infanterie  der  einzelnen  Mächte 
auf  Grund  der  gegenwärtig  geltenden  Wehrgesetze  zusammen: 

in  Italien aus  1 267  500  Mann 

„  Oesterreich „2062  000      „    *) 

„  Deutschland „3600000      „    s) 

„  Frankreich „    4 150  000      „ 

„  Eussland „4656000      „ 

Für  die  Umwaflfnung  der  Infanterie  allein  wären  also  erforderlich: 

für  Italien 304  Millionen  Francs 

„    OesteiTeich 495        „  „ 

„    Deutschland 864        „  „ 

„    Frankreich 996        „  „ 

„    Russland     ....    .    .    .    .    1093        „ „ 

Insgesamt    .    .    3752  Millionen  Francs. 


In  der  graphischen  Darstellung  geben  diese  Ziffern  folgendes  Bild: 

(Siehe  die  graphiselie  Darartellnng  auf  der  folgenden  Seite  oben.) 

Hier  entsteht  nun  die  Frage:  wird  es  möglich  sein,  so  bedeutende 
und  sich  noch  steigernde  Ausgaben  für  die  Schlagfertigkeit  der  Heere 
zu  machen?   und  ferner:  wird  die  durch  die  Forderung  unerträglicher 


*)  Darunter  300  000  Mann  Reserve. 

*)  Mit  Ausschluss  von  300000  Mann  vergünstigter  Reserven. 


I.    Die  Feuerwaffen. 


t  5  Millimeter-Gewehren 

Opfer  liervorgerufene  Unzufiiedenheit  nicht  eine  übermächtige  werden? 
Wenn  endlich  breiten  Schichten  der  Bevölkerung  die  Vorzüge  des  neuen 
Gewehi-es  bekannt  sein  werden,  wenn  man  erfahren  haben  wird,  dass  in 
den  Armeen  jeder  Soldat  mit  270  Patronen  aasgerüstet  sein  wird,  welchen 
Eindruck  wird  dies,  sobald  darch  die  beständige  Propaganda  die  Be- 
deutung verstanden  wird,  in  sozialdemokraüschen  Kreisen,  überhaupt 
inmitten  jener  Elemente,  welche  mit  der  ganzen  gegenwärtigen  politischen 
Ordnung  in  Westeuropa  im  Kampf  liegen,  hervorbringen? 
»nMichts-  Auf  Grund  der  bisherigen  Erfahrungen  sind  wir,  wie  schon  erwähnt, 

Birtb^Kon,  zu  dem  Schlüsse  berechtigt,  dass  die  auf  Vervollkommnung  der  Waffen 
^"k'vw'""  gerichteten  Bemühungen  noch  nicht  abgeschlossen  sind,  und  dass  danach 
bi.  nt  t.  gestrebt  wird,  das  Gewehrkaliber  bis  auf  die  von  Hebler  und  Potocki 
aMiu'mttsr  vorgescMageueu  Grenzen,  d.  h.  auf  4  und  vielleicht  sogar  auf  3  Millimeter 
la'Teta^n.    herabzumindem. 

Es  ist  wahr,  der  Verwirklichung  dieser  Bestrebungen  stehen  noch 
bedeutende  technische  Schwierigkeiten  entgegen,  aber  die  schnellen  Er- 
folge der  Technik  in  der  Vergangenheit  bürgen  dafür,  dass  ihr  auch 
dieses  gelingen  wird.«) 


')  Wir  finden  in  „Scionces  militaires"  die  Beschreibung  eines  neuen,  voo 
Mannesmaon  erfundenen  Verfalirens,  einen  G-ewehrlauf  liorzii stellen,  welcher 
sich  bedeutend  widerstand sfdliiger  zeigt  als  die  durch  andere  Fabrikation sart.on 
erhaltenen  Gewehr! äufo.  Diese  grosse  Widerstandsfähigkeit  muss  maa  der 
inneren  Struktur  der  Röhrenmasse  zuschreiben,  welche  aus  schiclitweise  gerollten 
und  von  einer  Schicht  zur  andern  aich  wieder  kreuzenden  Fasern  gebildet  wird. 
Ausserdem  scheidet  das  fortgesetzte  Walz  verfahren  yormögo  der  innigen  Mischung 
der  Masse  alle  Fehler,  welche  im  Innern  des  ursprünglichen  Zylinders  entstehen 
können,  aus. 

Bisher  hat  man  Röhren  mit  äusseren  Durchmessern  zwisclion  0,005  Metern 
und  0,040  Metern  gewalzt  —  in  einem  Kaliber  von  der  Stärke  eines  Stecknadel- 
kopfes bis  zu  0,985  Metern  im  äusseren  Durchmesser  und  in  einer  Länge,  die 
27,43  Meter  erreicht  hat.  Man  hoiTt  bei  der  zunehmenden  Vervollkommnung 
der  Mannes  mann 'schon  Walzwerke  Röhren  noch  bedeutenderen  Durchmessers 
herstellen  zu  können. 


Vorschläge  npaer  Vervolltommnungen.  75 

Ein    solches  Gfewelir   wird  in  noch  höherem  Maasse  das  jetzige  i'»'™""- 
übertreffen,  als  dieses  den  alten  Gewehren  sich  überlegen  gezeigt  hatte,  mit  gieithem 
Die  Verminderung  des  Gewichtes  des  Gewehres  und  die  Verkleinening  i,d  "„thie- 
des  Kaliber«  bis  auf  4  Millimeter  gestattet  das  Tragen  eines  Patronen-    oewX- 
von-ats  von  380  Stück,  bis  auf  3  Millimeter  das  Mitsichfüliren   eines  «j-i»"'«'- 
VoiTats   von   675   Stück    Patronen;    ausserdem    wird    die    gestrecktere 
Geschossbahn  einen  weit  gi-össeren  bestrichenen  Kaum  ergeben,  d.  h.  das 
Gewehrfener  auf  die  feindlichen  Linien  ohne  Üistanzvisier  viird  nicht,  wie 
jetzt,  auf  einer  Strecke  von  600  Metern,  sondern  auf  einer  Strecke  von 
mehr  als  1000  Metern  wirksam  sein. 

Die  Vorzüge  der  grösseren  Leichtigkeit  der  Gewehre  und  der  er-     s»''«" 
giebigeren  Rasanz  bei  Seite  lassend,  bieten  wb'  in  graphischer  Darstellung  flBropiUfbBn 
nnr  den  Vergleich  der  bei  den  verschiedenen  Gewehrkalibem  zulässigen  „ii^J^^to, 
Patronenanzahl ,    also    der    einer    und    derselben    Gewichtseinheit   ent-  .  •^"»j"" 
sprechenden  Anzahl  Patronen.  «n  KaiiiKir. 

KinfnliniDg 


PatronenanKalil  mit  gleichem  Gewicht.  ^ 

Angesichts  solcher  Vorzüge  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  in  ab- 
sehbai-er  Zeit  wiederum  neue  Gewehre  kleineren  Kalibers  werden  eingeführt 
werden.  Führt  solche  auch  nur  eine  einzige  Grossmacht  ein,  so  werden  die 
anderen  Mächte  genötigt  sein,  ohne  Rücksicht  auf  die  Folgen  für  ihre  Bud- 
get das  Gleiche  zu  than,  und  so  werden  die  fünf  obengenannten  Mächte, 
von  deren  Willen  es  abhängen  würde,  den  Rüstungen  Stillstand  zu  ge- 
biet«ii,  auf  einmal  gegen  2—3  Milliarden  Mark  zu  verausgaben  haben. 


9.    Vorschläge  neuer  Vervollkommnungen. 

Gegenwärtig  dürfte  man  kaum  zu  behaupten  wagen,  dass  bei  den    venocb* 
heutigen    Fortschritten    der  Wissenschaft    nicht    neue    hochbedeatsanie  gamtigste 
Vervollkorarannngen  und    Neuerungen    in    der  Waffentechnik    eintieten  q^*^^" 
werden,  es  sei  denn,  dass  der  hierzu  gegebene  Antrieb  beim  Schwinden 
der  bezüglichen  Nachfrage  von  selbst  wirksam  zu  sein  aufliören  würde. 


76 


I.    l)ie  Peuei^vaffen. 


Professor  Hebler  hat  Studien  über  die  absolut  günstigste  Fonn  füi* 
Vollgeschosse  unternommen  und  giebt  in  einer  Tabelle  die  günstigsten 
Resultate  an.    Die  Hauptergebnisse  sind  folgende: 


B  em  erk  u  ngen 

Deutsohland  Mod.  71 

(Maaser).            1 
Normales  Geschoss 

^8 

Is 

11 

2  o 

tili 

■ 
OB  ;-\l-i 

•2'i'^  8 

llll 

1 

Hebler  Mod.  91. 
Normales  Geschoss 

'S.  *  8 

5  Sä 

■    ..    M 

Kaliber MiUim. 

11,0 

7,9 

7,9 

7,9 

5,0 

5,0  1     5,0 

Gewicht  des  Geschosses   Gramm 

25,0 

14,5 

13,0 

11,4 

5,8 

5,2 

4,5 

Wirksame  Scliussweite  .   Meter 

1601 

2127 

2633 

3500 

2330 

3081  .  4094 

Endgeschwindigkeit    .    .   Meter 

132 

150 

189 

268 

166 

225  1    320 

Durchschlagskraft  gegen 

1 

weiches  Tannenholz    .   Centim. 

5,5 

7,4 

10,5 

18,6 

9,0 

14,8  1   25,8 

Totalschussweite 

(a  =  30«) Meter 

2951 

3816 

4815 

6675 

4138 

5606 

7742 

Wirküche  Flughöhe,  bei 

senkrechtem  Schuss    .  Meter 

984 

1272 

1605 

2225 

1379 

1869 

2581 

Erfindung  Mau  sieht,  wie  bedeutend  die  Unterschiede  sein  könnten,  i)    Aber 

geachoBsen  Professor  Hebler  blieb  bei  diesen  Studien  nicht  stehen;  er  teilt  mit, 

•chwidiMg  ^^^    ®^   ^^^^   wichtige   ballistische  Aufgabe   gelöst,    nämlich   für    die 

des  Luft.  Hand -Feuerwaffe    Eöhrengeschosse    erdacht    habe,    welche    längs    der 

Zylinderachse  durchbohrt  sind,  d.  h.    einen  länglichen,   durchgehenden 

Kanal  haben,  welcher  den  Widerstand  der  Luft  gegen  den  Flug  des 

Geschosses  erheblich  vermindert. 

Beechreibong  Dieses  Projektü  hat  zu  beiden  Enden  eine  kegel-  oder  bogenartige 

Einrfcbtung  FoHu,  ähulich  der  Form  der  Geschosse  für  Zündnadelgewehre,  während 

"^d'r'h"'*"  der  innere  Kanal  im  hinteren  Ausgange  trichterförmig  erweitert  ist.    In 

lassenden   diescu  Trichter  wird  ein  Zapfen  eingeführt,   der  sich  auf  einer  festen 

esc  osse.  pappgßjjgijjg  befindet,  auf  welche  von  hinten  der  Druck  des  aufflammenden 

Pulvers  wirkt.    In  Folge  des  Druckes  der  Gase  hält  sich  diese  Scheibe 

mit  dem  Zapfen  in  dem  Kanal  des  Geschosses,    solange   dasselbe  im 

Gewehrlaufe  verbleibt.    Beim  Verlassen  desselben,  sobald  der  Druck  der 

Gase  aufhört,  stösst  die  entgegenkommende  Luft  die  Scheibe  zurück, 

und  das  Geschoss   fliegt   mit   geöffnetem  Kanal,   die  Luft  durch   sich 

hindurchlassend,  weiter. 

Bis  zu  welchem  Grade  bei  einer  solchen  BeschaiFenheit  des  Ge- 
schosses der  Widerstand  der  Luft  gegen  dessen  Flug  sich  vermindern 


0  „Das  kleinste  Kaliber".    Zürich  1894. 


Photographische  Darstellung  des  Gesehossflug-es. 


Sohematische 

Darstollun^    dßr 

LuUbewegung' 

vor  einem 

fliegenden  Gesehoss. 


aa.  Vordere  Lurtwelle 
in  Form   einer  Pa- 

bb.  Bintere  Luftwelle, 
welche  sich  mehr 
der  geradim  Linie 
nähert. 

(,J»h[t,flrh«r   tat  die    deutnsli« 
Arme*  nnd   Mlrise.-      «blund- 


Uie  heutige  Moment-Photographie,  die   in  letzter  Zeit  bedeutend  vervoll- 
kommnet wurde,  diente  auch  dazu,  Geschosse  im  Fluge  aufzunehmen. 

Die  neuesten  Versuche  in  dieser  Richtung  wurden  von  den  Professoren 
Boys  und  Mach  ausgeführt,  und  die  erhaltenen  Resultate  sind  von  ausserordent^ 
lichem  Interesse.  Wir  geben  hier  eine  Abbildung  einiger  interessanter  Auf- 
nahmen der  genannten  Herren  in  verschiedenen  Augenblicken,  beim  Schiesspn 
aus  Kanonen  und  Gewebren. 
Abbildung  1  zeigt  die  Luftströmung,   welche    beim  Verlassen  der  Mündung  des 

Geschützes  die  Schallwelle  zerstört. 

Abbildung  2    stellt    die  .Luftströmung   dar,    welche    unter    einem    Druck    von 

40  Atmosphären  aus  der  Mündung  des  Geschützes  ausgest^issen  wird. 

Abbildung  3  zeigt  die  Lufl,  die  Pulvergnse  und  das  Gesehoss  vor  dem  Gewehrlauf. 

Abbildung  4  zeigt  die  aus  dem  Gewehrlauf  ausgetriebene  Luft,  hinter  der  das 

Gesehoss  folgt. 
Abbildung  5  zeigt  die  Schallwelle,  welche  auf  den  Schuss  folgt. 
Abbildung  6  zeigt  das  an  beiden  Enden  zugespitzte  Gewehrgeschoss  während 
des  Fluges  bei  Ö20  m  Anfangsgeschwindigkeit. 


Vorschläge  neuer  Vervollkommnuiigen. 


77 


muss,  zeigt  die  folgende  Zeichnung,  welche  den  die  Geschossbahn  be- 
gleitenden Luftkegel  darstellt.  2) 

Prof.  Hebler  nahm  also  an,  dass  die  Luft, 
wenn  ihr  die  Möglichkeit  gegeben  wird,  die  im 
Projektil  gemachte  Oeffnung  zu  durchströmen, 
einen  geringeren  Widerstand  gegen  die  Be- 
wegung des  Geschosses  ausüben  wird,  was  die 
geradere  Richtung  der  Flugbahn  des  Geschosses 
zur  Folge  haben  muss.  Die  TreiFlinie  bei  einer 
Distanz  von  1000  Metern  Rasanz  sollte  sein:  Ansicht  d.  Geschosses  während 
bei  dem  11  Millimeter-Mauser-Gewehre  (Mod.  seiner  Bewegung  mit  dem 
1871)   —   20  Meter,   bei   dem   7,5  Millimeter-  L^ftkeg^i. 

Gewehre  (Mod.  1888)  und  seinem  jetzigen  Geschosse  —  42  Meter,  bei 
demselben  Gewehre  mit  dem  leichten  Hohlgeschosse  —  218  Meter  und 
bei  dem  neuesten  5  Millimeter-Gewehre  und  dem  leichten  Hohlgeschosse 
bereits  400  Meter,  d.  h.  sie  ergiebt  eine  Länge,  die  20  mal  grösser  ist 
als  bei  dem  Gewehre  von  1871,  und  lOmal  grösser  als  bei  dem  jetzigen 
deutschen  Gewehre. 

Des  besseren  Verständnisses  halber  wollen  wir  nach  dem  neuesten  suhi-How- 
Werke  von  Prof.  Hebler  s)  die  Zeichnung  von  3  Patronen  in  nattti'licher  „St  Hewer. 
Grösse  und  einem  vergi-össerten  Durchschnitte  geben. 


Deutsche  Patrone,  Mod.  88  (Stahl-Hohlgeschoss). 
(Sifllie  aaeh  die  folgende  Seite.) 

Die  Einführung  dieser  Geschosse  wird  nach  Hebler  keinerlei  Ver- 
änderung in  dem  jetzigen  Bau  der  Gewehre  erfordern,  sondern  nur  die 
zwischen  ihnen  bestehenden  Verhältnisse  ändern. 

Es  entsteht  natürlich  die  Frage,  welchen  Wert  die  vorgeschlagene 
Aenderung  haben  kann.     Zunächst  berechnete  Prof.  Hebler  die  „Güte** 


2J  „La  Nature"*. 

')  „Das  kleinste  Kaliber". 


I.    Die  Feuerwaffen. 


"Vorschläge  neuer  Vervollkommnungen. 


79 


fftr  Mantelgeschosse;  wenn  man  dieselbe  für  das  11  Millimeter-Gewehr 
Mod.  71  mit  100  bezifiert,  so  ergiebt  sich  Folgendes : 

7,9  Millimeter-Gewehr  88  mit  der  jetzigen  Patrone:         474 

7,9  „  88    , 


schwerem  Hohlgeschoss :  1873 


7,9 
5 
B 
5 


n 


88 
88 
88 
88 


,,    leichtem  „  2240 

,    gewöhnlicher  Patrone:  1429 

,    schwerem  Hohlgeschoss:  5213 

,,    leichtem  „  B662 

desgl.  mit  ganzer  Hülsenfüllung:  B842 

,,Es  ist  jetzt  also  möglich,  durch  Einführung  des  Kmka-Hebler- 
Hohlgeschosses  die  Leistungsfähigkeit  der  Kleinkaliberbewaffnung  auf 
das  Fünffache  und  beim  üebergang  auf  die  5  Millimeter -Kaliber  sogar 
auf  das  Zwölffache  zu  steigern!" 

Die  Mantelgeschosse  erwiesen  sich  nicht  praktisch  und  Prof.  Hebler 
setzte  an  Stelle  derselben  das  aus  einem  Stück  hergestellte,  nicht  mehr 
ans  Kern  und  Mantel  bestehende  Hohlgeschoss,  aber  selbstredend  nicht 
aus  Hart-  oder  Weichblei,  Zink  oder  Zinnzink,  sondern  aus  widerstands- 
fähigerem MetaD,  also  Stahl.  Den  Wert  dieser  neuen  Geschosse  giebt 
folgende  Zusammenstellung,  die  wir  dem  Werke  des  Generals  Wille  ent- 
nehmen.4) 


Boden  iende 
Steigerung 
d.  Leistungs- 
fähigkeit 
des 
Kleinkaliber- 
gewehres bei 
Anwendung 
von  Stahl- 

Hohl- 
gesehossen. 


5  mm -Gewehr 

5  mm  -  Gewehr 

Deutsches  Gewehr  88 

mit  schwächerer 

mit  stärkerer 

Patrone 

Patrone 

G 

60      Bestrichener    .So   i<     et 

0 

JSf     Bestrichener 

«-§        lli     ► 

.2  ®   '      d  _ 

9 

Bestrichener    .So     ^e 

a 

Baum  gegen     S>  2    ;  S  a  ^ 

.2    "Raum  gegen' 

SP  S      1  S  'S  «D 

•0 

1 
Baum  gegen 

■0  d      M«  g 
Sc  3      S-S^ 

■*j 

•fei                          1     B  H     ^  OJ  -  1 

» 

öH    ,^m 

^                               ,     2H    .iJ3m^ 

G 
W 

•s  1 
s 

TS 

1,7m    l,8ni     |s    -s-sf 
ZieUiöhe       '^m  ,^-3 

1     ,,l,7mll,8m!    |g   '^2      g 

0                                                                            .r«     ä             ^  ^     ^ 

-f    i    Zielhöhe       ||  ^^t 

«       1,7  m  '1,8  m' 
f        Zielhöhe 

&S    '-1-5 
d  2      2  •  > 

a     1 
H     1 

:  wj        N 

25  1  s 

»    , 

«2   11    tsj 

m 

m 

m     1     m        cm     1     m 

m         m     1     m    1 

cm         m 

m     1     m         m 

cm 

m 

500 

703 

93    0,24 

960 

—  '  171 ',0,20 

11171  - 

1 

238  0,15 

1000 

629'  200  212 

5621  123    130 

ii         1 

75  il,09 
60  ,  2,76 
48  (5,53 
38    9,76 

878' 

804  i  233 

1 

1 
246 

143   0,89 

1027'    -  '  —     201 ' 

0,66 

1500 

119' 2,19 

945 

869 

308 

326 

170 

1,61 

2000 

502 
449 

83 

88' 
62' 

1 

735 

163 

173  i   100 '4,28 
127  '     84  '  7,35 

215 

228! 

1 

144' 

3,12 

2500 

59 

672''  120 

799   162    171 

1                 1 

1221 

5,33 

Mit  der  Aenderung  der  ballistischen  Eigenschaften  hat  natürlich 
auch  wieder  die  „Güte"  eine  beträchtliche  Verschiebung  erfahren;  für  das 
deutsche  Gewehr  88  ist  dieselbe  zwar  —  gegenüber  dem  leichten  Mantel- 
Hohlgeschosse  —  um  eine  Kleinigkeit  gesunken  (von  2240  auf  2205) ;  aber 


*)  „Fortschritt  und  Rückschritt  des  Infanteriegewehrs". 


80 


I.    Die  Feuerwalien. 


was  will  das  sagen?  Hat  sie  doch  für  das  5  IVIillimeter-Gewehr  von  5842 

bis  6805  bezw.  7453  zugenommen;  mit  der  „stärkeren"  Patrone  ist  also 

diese  Waffe  dem  deutschen  Gewehre  Mod.  71  fünfundsiebzigfach  überlegen! 

Enorme  g^jj  solches   Stahlgeschoss   wird,    selbst   auf  weite  Entfernungen, 

rang      alle  im  Felde  vorkommenden  Deckungen  durchdringen.    Der  üebergang 

"hom-     zum  Stahl-Hohlgeschosse,  sagt  Professor  Hebler,  dürfte  voraussichtlich  für 

ge8cho8808.  ^1^  heutigen  Kleinkaliberwaffen  schon  in  verhältnismässig  ganz  kurzer 

Zeit  erfolgen,  und  so  würde  die  höchste  mögliche  Leistungsfähigkeit  der 

jetzigen  kleinkalibrigen  Militärgewehre  recht  bald  erreicht  werden.    Der 

grosse  Wert   der  Hebler'schen  Erfindung   liegt  in  der  ungemein  ver- 

grösserten  Rasanz.      Es    kann    demnach    schon  gegenwärtig  bei  einer 

Distanz  von  1000  Metern  die  Trefflinie  um  das  Fünffache  erhöht,  d.  h. 

von  42  auf  218  Meter  gebracht  werden. 

Vergleich  der  Offenbar  wird  demnach  die  Idee  Hebler's  nicht  von  der  Tagesordnung 

Leietnngs- 

fiihigkeit  von  verschwinden;  wenigstens  befürwortet  er  dieselbe  mit  dem  früheren  Eifer 
gesehoesen  ^^^  stützt  sic  durch  ueuc  Versuchc  und  Berechnungen. 

mit  Kanal- 

gescliosaeii.  VoUgeschosse  Geschosse  mit  einem  Kanal 


Maoser-Gewehr 


Lebel-Gewehr  1886    .    .    . 


5  Millimeter-Gewehr .    .    . 


400 


Länge  der  Trefflinie  bei  einer  Distanz  von  1000  Metern. 


vereacha  Weuu  Hebler  richtig  urteilt,  so  wäre  die  Einführung  des  neuen 

gwciios^ii  in  Geschosses  nur  noch   eine  Frage  der  Zeit.    Jedoch  ungeachtet  dessen, 

Amerika.  ^^^  Versuche  mit  Hohlgeschossen  schon  im  Jahre  1874  angestellt  worden 
sind,  ist  man  bis  jetzt  zu  keinem  definitiven  Resultat  gekommen.  Seitens 
des  Nordamerikanischen  Kriegsdepartements  in  Frankford -Arsenal*)  mit 
dem  Hohlgeschosse  unter  vergleichsweiser  Heranziehung  des  Dienst- 
gewehres Mod.  92  angestellte  Versuche  sind  nicht  günstig  ausgefallen. 

Das  Hohlgeschoss  stand  an  Trefffahigkeit  dem  älteren  ganz  erheblich 
nach.  Es  zeigte  sich  eine  merklich  raschere  x^bnahme  der  Geschwindig- 
keit, sodass  die  prätendierte  Abnahme  des  Luftwiderstandes  beim  Hohl- 
geschoss eine  Täuschung  zu  sein  scheint.  In  trockenes  Eichenholz  auf 
1  Meter  von  der  Mündung  drang  das  Hohlgeschoss  7  Zoll,  das  Normal- 
geschoss  aber  16,5  Zoll  ein.  Die  Vorteile  des  Hohlgeschosses  würden 
hiernach  nur  in  der  Verminderung  des  Gewichtes  der  Munition  und  in 
der  Verflachung  der  Bahn  auf  näheren  Entfernungen  bestehen. 

*)  „Jahrbücher  für  die  Deutsche  Armee  und  Marine".  Band  94.  Heft  III. 
März  1895. 


Vorschläge  neuer  VervoUkonmmuiigen.  gl 


Das  Oesterreichische  Militär -Komit6  hat  ebenfalls  Pi-oben  mit  den    Meinung 
Hohlgescliossen  des  Professor  Hebler  angestellt.  reichisoiien 

Die  Versuche    erstreckten    sich    auf   Ermittelung    der   Geschoss-    ^omuTa 
geschwindigkeit,  der  Ordinaten  der  Bahn  von  4B0  Meter  und  auf  das  ^^^^j^^^^"" 
Verhalten  des  Geschosses  beim  Eindringen  in  Rotbuchenholz. 

Der  Bericht  zieht  nachstehende  Folgerungen  aus  den  Versuchen: 
das  Hohlgeschoss  hat  vor  dem  gleichgeformten  und  belasteten  Voll- 
geschosse weder  einen  Vor-  noch  Nachteil  in  der  Bahnrasanz,  hinsichtlich 
des  Durchschlagsvermögens  ist  bei  dem  Hohlgeschosse  das  Verhalten 
ungünstiger  als  beim  Vollgeschosse.  Das  leichte  Hohlgeschoss  —  Stahl- 
geschoss  —  steht  dem  schweren  selbst  bei  den  kleinsten  Entfernungen 
und  trotz  der  grösseren  Anfangsgeschwindigkeit  nach. 

Aber  wieviele   noch  embryonische  Verbesserungsentwürfe  werden    ZT^raofto- 

aossiehten. 

Sich  an  der  Hand  der  modernen  Wissenschaft  und  bei  den  regen  Be- 
strebungen nach  Vervollkommnung  der  WaiFen  in  der  Folge  verwirklichen ! 

Jedenfalls  steht  heute  fest,  dass  das  jetzige  Dienstgewehr  der  Haupt-   venuohe 
Staaten  schon  überwunden  ist.    Dasselbe  bildete  nur  einst  einen  kurzen  den  ^nesten 
Ruhepunkt  zwischen  zwei  schnell  fortgeschrittenen  Etappen  des  zeitgemässen  ^«'^®^"^ 
Gewehres,  nämlich  zwischen  dem  von  11  bis  8  Millimetern  und  dem  zwischen 
8  und  H 1/2  Millimetern  Kaliber.  Die  letztere  Etappe  ist  heute  fast  überholt. 

Ein  Vergleich  dieser  Kaliberstufen  in  Bezug  auf  Geschwindigkeit 
und  Gestrecktheit  der  Bahn  ergiebt: 

Die  11  mm- Waffen  schiessen  mit  einer  Geschwindigkeit  von  420  bis  450  m 

Die  Versuche  in  Italien  liefern  den  besten  Beweis  füi'  die  Vorzüge 
des  neuen  6,5  Millimeter-Gewehres  vor  dem  älteren  Vetterli-System. 

Mittleres  Yerh&ltnia  beim  Schnellfeuer  Yetterll-Gewehr      6,6  Millimeter-Gewelir 

Trefferprozente 100  130 

100  Schützen  in  einer  Minute  Troller     .  100  166 

Gleiches  Patronengewicht 100  178 

Das  5  Millimeter-(Tewehr  liefert  aber  noch  viel  günstigere  Resultate 
und  das  Ai-meehlatt  nennt  dieses  Gewehr  „unser  Zukuiiftsgewehr".^) 

Wenn  die  Neuerungen  vervollkommnet  und  von  den  meisten  der 
heutigen  Heere  angenommen  sein  werden,  wird  man  um  so  mehr  Grund 
haben,  sich  zu  fragen:  wird  bei  den  jetzigen  Massenheeren  genügende 
Standhaftigkeit  vorhanden  sein,  um  auf  so  weitreichende  Entfernungen 
ununterbrochen  ein  vernichtendes  Gewehrfeuer  auszuhalten,  und  wird  der 
glücklichste  Krieg  im  Stande  sein,  die  Verluste,  welche  er  mit  sich 
bringen  muss,  auszugleichen  ? 

^)  LöbeU's  „Militärische  Jahresberichte"  1804. 


Bio  eh,   U^T  rakftnftige  Krieg.  6 


82  !•    J^i©  FeuerwaiFen. 


10.    Selbstlader-  und  Aluminiumgewehre. 

Es  sind  neue  Systeme  von  Selbstladergewehren  aufgetaucht,  welche  in 
Bezug  auf  Feuerschnelligkeit  die  jetzigen  sogenannten  Magazingewehre 
weit  hinter  sich  lassen  und  dieselben  verdrängen  dürften,  i) 
Die  Bei  diesen  neuen  Gewehren  wird  der  Rückstoss  ausgenutzt.    Das 

Selbstlader- 

gewehre,  Gcwehr  ladet  sich  nach  dem  Schusse  von  selbst;  der  Rückstoss  wirkt 
Eiiirfchtung  ^^^  einen  besonderen  Mechanismus,  welcher  aus  dem  Gewehre  die  Hülse  der 
und  ausser-  abgeschosscuen  Patrone  heraustreibt  und  an  ihre  Stelle  eine  neue  Patrone 

gewönnliciio        ^ 

Feuer-     ciuschaltet.    Das  Gewehr  ist  immer  geladen;  sobald  es  abgeschossen  wird, 
gesc^™  lg-  Y^^Q^  gg  gj^jj  damit  zugleich  von  neuem.    Man  kann  mehrmals  schiessen, 

ohne  das  Gewehr  von  der  Schulter  zu  nehmen  und  ohne  Zeit  und  Mühe 
auf  das  Laden  zu  verwenden. 

Die  Erfindung  ist  praktisch  noch  nicht  vei-wertet  worden,  aber  die 
Anwendung  wird  nicht  auf  sich  warten  lassen.  Wichtig  ist  schon  der  Um- 
stand, dass  der  Gedanke  praktische  Anwendung  gefunden  hat.  Es  liegen 
bereits  eine  stattliche  Reihe  von  Modellen  vor. 

Die  bisher  vorliegenden  Modelle  von  Selbstladern   sind  nach  vier 

grundsätzlich  verschiedenen  Systemen  konstruiert,  teils  mit  beweglichem, 

teils  mit  festem  Laufe  versehen. 

Äbsprecheude  Die  Gegner  der  Selbstlader  sagen  zwar:  ,,Wir  erzielen  schon  heute 

i*n  Betrefft  siebzchu  Ms  fünfundzwauzig  gezielte  Schüsse  in  der  Minute  und  fünfund- 

^'olb'rauchr  dreissig  bis  fünfzig  als  mechanische  Schnellfeueiieistung!    Und  da  will 

der      man  uns  nun  gar  mit  selbstspannenden  und  -ladenden  Waffen  kommen,  die 

gewehre.   iu  ciuer  Minutc  an  hundertzwanzig  Schuss  oder  noch  mehr  abgeben  sollen ! 

Was  wird  bei  diesem  Geknalle  aus  Zielen  und  Trefien?    Wie  lässt  sich 

die  unentbehrliche  Ruhe  und  Manneszucht  im  Feuer  bewahren?   Woher 

sollen  bei  solcher  Vergeudung  des  Schiessbedarfs  die  nötigen  Patronen 

kommen?    Muss  denn  der  Lauf  mit  aller  Gewalt  in  ein  Stück  glühenden 

Stahls  verwandelt  werden?    Können  die  im  Gefecht  ohnehin  schon  so 

stark  angespannten  Muskeln  und  Nerven  des  Durchschnittsmenschen  diese 

unaufhörliche,  rascheste  Folge  von  heftigen  Entladungen,   Stössen  und 

Erschütterungen  überhaupt  aushalten,  ohne  gänzlich  zu  versagen?" 

Alle  diese  Fragen  sind  sicherlich  durchaus  berechtigt,  und  es  kann 
gar  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  eine  straff  erzogene  und  gut  geführte 
Truppe  höchst  selten  —  fast  niemals  —  in  die  Lage  kommen  wird,  auch  nur 
die  Schnellfeuerleistung  unserer  jetzigen  Waffen  bis  zu  ihrer  äussersten 
Grenze  auszunutzen.  In  der  Regel  \\^rde  dies  die  Erreichung  des  tak- 
tischen Zweckes  nicht  fördern  und  durch  den  beschränkten  Patronenvorrat 


*)  Skugarewski:  „Angriff  der  Infanterie". 


fi 


Selbstlader-  und  Aluminiumgewehre.  g3 


sich  von  selbst  verbieten.  Aber  die  Sache  muss  noch  von  einem  anderen 
Gesichtspunkte  aus  betrachtet  werden :  die  Handhabung  und  der  Gebrauch 
des  Kiiegsgewehres  muss  möglichst  einfach  sein,  die  Kraft,  Achtsamkeit 
und  Verstandesthätigkeit  des  Schützen  thunlichst  wenig  in  Anspruch  nehmen, 
und  die  Selbstlader  erfüllen  in  hohem  Maasse  diese  Bedingungen.  3) 

Es  wird  voraussichtlich  nicht  lange  währen,  und  die  europäischen  ^^/^^J* 
Heere  werden  wieder  zu  einer  Umwaffnung  schreiten.  Natürlich  werden  i»der. 
sich,  meint  Professor  Skugarewski,  wieder  Leute  finden,  welche  den  Nutzen 
der  Selbstlader  vom  taktischen  Gesichtspunkte  aus  bestreiten  und  Gründe 
für  die  Nutzlosigkeit  und  den  Schaden  eines  allzu  schnellen  Schiessens, 
Gründe  gegen  den  Schiessmissbrauch  anzuführen  wissen  werden,  aber 
nichtsdestoweniger  wird  die  Macht  der  Verhältnisse  die  Armeen  zwingen, 
auf  dem  abschüssigen  Wege  einer  NeubewaiFnung  weiter  zu  gehen. 

Es  kann  doch  einem  Zweifel  nicht  unterliegen,  dass  beim  Schiessen 
aus  Selbstladern  der  Schütze,  wenn  er  dieselbe  Anzahl  Patronen  wie  aus 
den  jetzigen  Gewehren  verschiesst,  weniger  wie  bislang  ermüden  wird, 
weil  er  sich  die  Handhabung  des  Ladens  erspart,  und  da  er  dabei  viel 
mehr  Kaltblütigkeit  bewahren  kann,  so  wird  auch  die  Anzahl  Treffer 
eine  viel  grössere  werden. 

Mögen  die  Selbstlader  als  Kriegswaffe  eine  Zukunft  haben  oder  Technische 
nicht,  der  Gedanke,  welcher  ihnen  zu  Grunde  liegt,  ist  jedenfalls  grossartig  \^^^^ 
und  bewundernswürdig.  ^gewehf^ 

Gewiss  hatte  die  Waffentechnik  schon  vordem  erstaunliche  Erfolge  «»^  kanfuge 

Yerwertang 

ZU  verzeichnen.  Ein  chemisches  Gemisch  in  so  verschwindend  kleinen  deweiben. 
Dosen,  dass  erst  fünf  bis  acht  Gewehiiadungen  zusammen  das  Gewicht 
eines  einfachen  Briefes  erreichen,  wird  gezwungen,  in  einem  kleinen 
metallenen  Bolzen  von  wenigen  Gramm  so  viel  Kraft  und  Arbeit  auf- 
zuspeichern, dass  dies  winzige  Körperchen  dicke  Baumstämme,  starke 
Mauern,  stählerne  Platten  glatt  durchschlägt  und  noch  auf  Tausende  von 
Metern  einen  Mann  ausser  Gefecht  setzt.  Das  ist  unstreitig  eine  gewaltige 
Leistung. 

Aber  noch  weit  mehr  bedeutet  es,  wenn  man  jenen  kleinen  Dämon, 
die  winzige  Ladung  Pulver,  mit  vieler  Kunst  und  List  durch  einen  ver- 
hältnismässig sehr  einfachen  Mechanismus  auch  als  fleissigen  und  flinken 
Handlanger  des  Schützen  dienstbar  gemacht  und  ihn  genötigt  hat,  neben 
und  gleichzeitig  mit  der  Erfüllung  seiner  Aufgabe  als  Würger  und  Ver- 
nichter  noch  die  Arbeit  des  Oeffnens,  Spannens,  Ladens  und  Schliessens, 
kurz  die  gesamte  Bedienung  der  Waffe  bis  auf  das  Zielen,  Abdrücken 

^  Greneralmajor  R.  Wille:  „Fortschritt  und  Rückschritt  des  Infanterie- 
gewehrs''.   Berlin  1894 

6* 


84 


I.    Die  Feuerwaffen. 


Aasdaaer 
und  taktisohe 
Oesetaioklich- 

keit 
des  Soldaten 
werden  darch 

leichtere 

Bewaflhniig 

Q.Ansrüstang 

erheblich  ^e- 

f5rdert; 
wamm  nieht 
OewehrUafe 

ans 
Alnmininm 

oder 

ans  deeeen 

Legieningeu 

herstellen? 


Kosten 

einer 

Patronen- 

yerftnderang. 


und  Kastenfüllen,  mit  unübertrefflicher  Sicherheit  und  Schnelligkeit  zu 
vemchten.  Es  ist  dies  ohne  Zweifel  ein  technischer  Fortschritt  ersten 
Ranges,  der  abermals  einen  voUgiltigen  Beweis  für  die  unerschöpfliche 
Ei-flndungs-  und  Gestaltungsgabe  talentvoller  Männer  liefert,  ein  Fort- 
schritt, dem  auf  die  Dauer  auch  die  praktische  Anerkennung  und  Ver- 
wertung schwerlich  versagt  bleiben  wird.^) 

Weiter  hat  man  unter  den  auf  der  Tagesordnung  stehenden  Grewehr- 
vervollkommnungen  auch  noch  die  Annahme  eines  leichteren  Metalles  als 
Stahl  in  Betracht  zu  ziehen.  Vom  Soldaten  wird  im  Kampfe  Energie  ge- 
fordert; kann  er  aber  dieselbe  äussern,  wenn  er  übermässig  beschwert 
ist?  Zwei  Pud  (32,76  Kilogramm)  —  sagt  Skugarewski  —  lässt  sich 
leicht  aussprechen,  aber  selbst  das  Kameel  wird  im  Kriege  bei  Futter- 
mangel mit  nicht  mehr  als  sechs  Pud  (98,28  Kilogramm)  beladen! 

Die  Einführung  von  Gewehren  aus  Aluminium,  dessen  spezifisches 
Gewicht  nur  2,67  beträgt,  also  etwa  so  schwer  wie  ordinäres  Glas  ist, 
muss  daher  eine  dringende  Frage  der  nächsten  Zukunft  bilden.  Man 
wird  ohne  Zweifel  eine  entsprechende  Metalllegierung  herstellen  und  die 
Technik  wird  auch  für  diese  Frage  eine  befriedigende  Lösung  finden. 
Was  die  Ausrüstung  des  Soldaten  anbetrifft,  so  wird  in  Zeitschriften  be- 
sprochen, dass  jetzt  schon  alle  Metallteile  und  Patronenhülsen  in  Deutsch- 
land durch  Aluminium  ersetzt  werden  sollen.^) 

Aber  bei  den  Millionenheeren,  welche  in  Zukunft  ins  Feld  zu  lücken 
haben  werden,  erfordert  auch  die  geringste  Umarbeitung  Millionen.  Die 
Kosten  für  ein  neues  Gewehrsystem  sind  von  uns  schon  berechnet  worden 
Sehen  wir  nunmehr  zu,  welche  Ausgaben  nötig  wären,  um  nur  die 
Patronen  zu  verändern,  wobei  wir  den  Preis  einer  Patrone  des  Systems 
Hebler  oder  einer  Aluminiumpatrone  auf  12  Pfennige  annehmen  und 
voraussetzen,  dass  pro  Mann  ein  Patronenvorrat  von  200  Stück  an- 
gefertigt wird.  In  diesem  Falle  würden  sich  die  Ausgaben  für  die 
Veränderung  der  Patronen  pro  Mann  auf  24  Mark  stellen.  Die  dies- 
bezüglichen Gesamtausgaben  betragen  mithin  für  die  einzelnen  Länder: 


Anzahl 
der  Gewehre 


» 


für  Italien   .    . 

Oesterreich 

Deutschland 

Frankreich 

Russland    . 


1267  Tausend 

2062 

3600 

4150 

4566 


n 


77 


» 


Summe  der  Ausgaben 
in  Mark  D.  Rw. 


30,4  Millionen 
49,6 
86;4 
99,6 
109,3 


n 


n 


Insgesamt  376,2  Millionen. 


*)  „Fortschritt  und  Rückschritt  des  Infanteriegewehres**.    Berlin  1894. 
*)  Skugarewski:   „Angriff  der  Infanterie". 


Schlussfolgeningen  über  die  Hand-lFeiierwaffe.  35 


Obwohl  diese  Summe  annähernd  eine  halbe  Milliarde  Mark  beträgt, 
so  ist  doch  bei  dem  heutigen  Rüstungsfieber,  wie  Graf  von  Caprivi  es 
nannte,  die  Gewährung  einer  solchen  Ausgabe  sehr  wohl  möglich;  damit 
wird  dann  wieder  eine  Aenderung  der  Taktik  nötig  werden  und  die 
Lage  sich  also  noch  mehr  komplizieren. 


11.  Schlussfolgerungen  über  die  Hand-Feuerwaffe. 

Es  giebt  Militärschriftsteller,  welche  erklären,  dass  die  furchtbare  ^•'^«»  »*«^ 

°  '  '  EinfAhnmg 

Vemichtungskraft    des    jetzigen    Gewehres    gewissermaassen    dadurch  der  neuen 
paralisieii;  wird,  dass  sie  den  Soldaten  der  Kaltblütigkeit  und  somit  der  aTwachten* 
Fähigkeit  beraubt,  die  heutige  Waffe  voll  auszunutzen.  werde^n? 

Nehmen  wir  eine  Weile  an,  dass  die  jetzt  weittreffende  Schnellfeuer- 
waffe, welche  einen  rasanten  Schuss  auf  fast  600  Meter  Distanz  abgiebt 
und  welche  es  erlaubt,  600  Meter  für  den  Schuss  als  nahe  Entfernung  anzu- 
sehen, während  bei  dem  deutschen  Zündnadelgewehre  im  Kriege  1870  nur 
200  Meter  als  solche  galten;  nehmen  wir  selbst  an,  dass  die  künftige  treff- 
sicherere Waffe,  deren  bestreichende  Geschossbahn  bei  drei-  bis  vierfach 
grösserer  Dui^chschlagski-aft  schon  bei  1000  Meter  eintritt,  dennoch  im 
Kampfe  selbst  sich  nicht  verderblicher  erweisen  würde  als  die  früheren 
Gewehre :  —  eine  so  wenig  wahrscheinliche  und  offenbar  rein  willkürliche 
Annahme  würde  den  Erfahrungen  widersprechen,  welche  der  chilenische 
Krieg  geliefert  hat.  Man  hat  mit  der  neuen  Waffe  Resultate  erzielt, 
deren  Wert  man  durch  Deutungen  wohl  abschwächen  kann,  jedoch 
niemals  bis  zu  dem  Grade,  um  zu  erklären,  dass  auch  bei  den  Eigen- 
schaften des  heutigen  Gewehres  die  gleiche  Zahl  von  Geschossen  nur 
eine  gleiche  Zahl  von  Mannschaften  wie  in  früheren  Schlachten  kampf- 
unfähig machen  wird. 

Die  Zahl  der  Gewehrschüsse,  die  auf  jeden  aus  der  Gefechtsfront  ^^^  der  Ge- 
scheidenden Soldaten  kam,  war  ungefähr  folgende:  auf  einen" 

Getroffenen 

m  den  Kriegen .  unseres  Jahrhunderts  bis  1859      .    .    .  143      in  früheren 

im  Kriege  1864  gegen  Dänemark  (preussisches  Heer)    .  66       Kriegen. 

in  demselben  Kriege  in  der  Schlacht  bei  Lundby .    .    .  8V2 

im  Kriege  1866  im  preussischen  Heere 66—38 

im  Kriege  1870  im  deutschen  Heere 164 

im  Kriege  1870  im  französischen  Heere: 

nach  Riviferes 49 

nach  Montlusan 102 


86  !•    I^»«  Feuerwaffen. 

^Pata^nen-^  Trotz  des  gTosseu  Unterschiedes  zwischen  diesen  Angaben,  widerlegt 

Vorrat  itot  keine  einzige  derselben  die  Annahme,  dass  der  heutige  Patronenvorrat 

v«rIichtuSg  des  Soldaten  (100  bis  160  Stück)  durchaus  genügt,  um  durch  jeden  derselben 

vorausehen.  ^euigsteus  ciueu  Gegner  kampfunfähig  zu  machen.   Noch  beim  Gebrauche 

der  früheren  Gewehre  sprachen  die  Militärschriftsteller  die  Ansicht  aus, 

dass,  wenn  überhaupt  der  Verlust  des  Gegners  weniger  als  7  Mann  auf 

1000  Schüsse  betrage,  es  gar  nicht  zu  schiessen  lohne,  i) 

Erwägungen,  Hieraus  ergiebt  sich,    dass  unter  bestimmten  Verhältnissen  eine 

ob  die  Qegner 

im  Stande  gegenseitige  Vernichtung  der  beiden  feindlichen  Kräfte  nur  durch 
'^'^'^duloh''"  (Jewehrfeuer  möglich  sei,  insofern  sich  die  dem  Soldaten  zur  Verfügung 
Gewehrfeuer  steheudeu   Patroueu    auf  220   Stück   berechnen   lassen    und   bei   einer 

gegenseitig 

bis  rar  Yei- weiteren    Verminderung    des    Kalibers    der    Soldat    380    und    sogar 
b^ettmpfen"  67B  Patroueu  mit  sich  führen  wird.    Man  muss  zudem  im  Auge  be- 
halten, dass  der  jetzige  Trieb  nach  Vervollkommnung  der  Waffen  auch 
weiterhin  noch  Fortschritte  in  der  Steigerung  der  Treffsicherheit  und 
überhaupt  der  Wirksamkeit  des  Feuers  bringen  wird.    Auch  in  früheren 
Fortschritte  Zeitcu  bUcb  man  nicht  stehen:  die  allmählichen  Verbesserungen  sowohl 

in  der 

Steigerung  üi  der  Bewafinuug  als  in  der  Schiessausbildung  der  Truppen  erhöhten 
Wirkung'  beständig  die  Feuerwirkung.  Interessante  Angaben  in  dieser  Hinsicht 
finden  wir  in  einem  uns  vorliegenden  Dokumente'^);  dieselben  ermöglichen 
es,  die  Treffsicherheit  des  Feuers  in  den  russischen  Schützenbataillonen 
in  zwei  Epochen  zu  vergleichen,  welche  17  Jahre  von  einander  entfernt 
liegen.    Wir  geben  diese  Notizen  in  folgender  graphischen  Darstellung: 


1857  1874 

Meter  

Vergleiche 

zwischen 

1867  n.  1874. 


tiiiiitililiiJHiiiiliiH::!^::^:::!:::::::::::::!:::::::::::::: 


450 


Treffer  beim  Schiessen  der  aktiven  SchützenbataiUone  in  Prozenten. 

So  sehen  wir,  dass  bei  einer  Entfernung  von  450  Metern  die  Zahl 

der  Treffer  im  Jahre  1867  25%,  im  Jahre  1874  schon  69%,  d.  h.  fast 

dreimal  mehr  betrug. 

Wahrschein-  Es  ist  ZU  bemerken,  dass  das  Feuer  besonders  gegenwärtig,  wo  jedes 

inlmei^er  Projektil  auf  Distauzeu,  auf  denen  sich  das  Gefecht  hauptsächlich  abspielen 

^we^    wird,  bis  4  Mann  treffen  kann,  furchtbare  Verheerungen  anrichten  muss. 

ranchlosen  Das   Geheimhalten   eines   beabsichtigten   Angriffes   ist   heutzutage 

0  „Müitar.  Wochenblatt"  1881.    Seite  453. 

')  „Dienstthätigkeit  des  Herzogs  von  Mecklenburg- Strelitz   in  Russland". 
Petersburg  1887. 


Scblussfolgerungen  über  die  Hand-FeuerwafPe.  87 

weit  mehr  erschwert  wie  früher,  denn  der  Rauch  verschleiert  nicht  mehr 
die  Angriflfsrichtung;  auch  bedarf  der  Angreifer  eines  Geländes,  das  die 
Bewegung  seiner  Massen  und  das  Zusammenwirken  der  drei  Waffen  ge- 
stattet. Der  Verteidiger  dagegen  wird,  wenn  er  das  Vorgelände  ge- 
nügend rekognoszierte,  mit  ziemlicher  Bestimmtheit  voraussagen  können, 
von  wo  aus  der  Einbruch  versucht  werden  wird.  Nun  soll  aber  nach 
Ansicht  kompetenter  Militärschriftsteller  für  die  grosse  Entscheidungs- 
schlacht der  Zukunft  die  Einleitung  voraussichtlich  Tage  lang  dauern. 

Und  da-  trotz  weittragender  Feuerwaffen  die  Entscheidung  so  wie 
früher  in  der  Nähe  des  Feindes  wird  fallen  müssen,  so  werden  die  Ver- 
luste, die  man  erleiden  wird,  um  sich  auf  diejenige  Entfernung  an  den 
Gegner  heranzuarbeiten,  von  der  aus  die  Feuerüberlegenheit  zu  erringen 
sein  wird,  eminent  grosse  sein. 

Wie  sehr  bei  einer  solchen  Sachlage  das  Fehlen  des  dichten  Rauches 
die  todbringende  Wirkung  des  Gewehrfeuers  steigern  wird,  kann  am 
besten  folgendes  Beispiel  illustrieren. 

„Wer    hat    nicht   Gelegenheit    gehabt    zu    beobachten",    schreibt  ^^l»*^«™'»« 
General  Duguesme,  „wie  sich  vor  der  Linie  der  schiessenden  Abteilung   reauitate 
eine  Rauchwolke  erhebt,  welche  die  Leute  bis  zu  dem  Grade  deckt,  dass  maak^rende 
aUe  auf  sie  gerichteten  Schüsse  unrichtig  und  ziellos  geschehen?    Ich  j^j|J®J^^°° 
habe  dies  selbst  in  der  Schlacht  bei  Caldero  erfahien.   Als  ich  bemerkte,  (Berichteines 
dass  auf  dem  Unken  Flügel  einige  Bataillone,  welche  den  Befehl  zum  dee  Generals 
Sammeln  erhalten  hatten,   stehen  blieben  und  ein  reihenweises  Feuer  ^"«^"•■"^^ 
begannen,    begriff   ich,    dass  sie  dasselbe   nicht  lange   würden    unter- 
halten können  und  ritt  auf  sie  zu.    Die  feindliche  Linie  war  unsichtbar. 
Durch  den  Rauch  konnte  man  kaum  das  Blinken  der  Bajonnete  und  die 
Spitzen  der  Grenadierhelme  wahrnehmen,  und  zwar  trotz  der  nahen  Ent- 
fernung bis  zum  Gegner.    Zwischen  den  kämpfenden,  durch  eine  Boden- 
vertiefung getrennten  Parteien,  lagen  nicht  mehr  als  45  Meter,  aber  beide 
konnten  einander  nicht  sehen.    Weder  ich,  noch  meine  zwölf  berittenen 
Ordonnanzen   wurden   verwundet,    auch  sah    ich    unter    den   Soldaten 
Niemanden,  der  vom  feindlichen  Feuer  gelitten  hätte.  "S) 

Nun  aber  werden  die  Truppen  in  allen  Heeren  mit  Waffen  ganz  „^'»•'«^i^?*- 

**  ^  lieber  Abrias 

anderer  Wirkungskraft  bewaffnet  sein.  Um  einen  Begriff  davon  zu  geben,  der  Tre«F- 
bis  zu  welchem  Grade  die  neueste  Feuerwaffe  einen  vervollkommneten  Yfit  dlm* 
Mechanismus  darstellt,  stellen  wir  zunächst  einige  Vergleiche  an.  Von  ^^^^^'^ 
den  Pfeilen,  welche  der  Bogenschütze    auf  100  Meter  Entfernung  ab-  scbütxen  bis 

K    fl  ARflll  ORB  A 

sandte,  trafen  einer  auf  100,  von   den  Kugeln  aus  dem  glattläufigen  d^  beatigen 
Gewehre  6  auf  100,  von  den  Geschossen  aus  dem  gezogenen  Gewehre  30,  ^gewehres!' 


')  Pusyrewski:  „Erforschung  des  Kampfes**. 


88  I-    Die  Feuerwaffen. 

ans  dem  Chassepot-Gewehre  50,  aus  den  Gewehi'en  neuesten  Modells  70 
auf  100.  Das  glattläufige  (rewehr  war  also  6mal  wirksamer  als  der 
Bogen,  das  Gewehr  der  nenesten  Systeme  etwa  12mal  wirksamer  als 
das  glattläafige  Gewehr. 

In  der  graphischen  Darstellung  tritt  die  Bedentung  dieser  Ko6fficienten 
noch  klarer  hervor. 


unMnchitd«  WaR  die  Schnelligkeit  des  Schieasens,  folglich  auch  die  Anzahl  der 

seknauiEksit  abgefeuerten  Geschosse  betrifft,  so  stellt  sich  der  Vei'gleich  folgender- 
sehit^eu«,  maassen:  bei  dem  gezogenen  Gewehre,  das  von  vorn  geladen  wnrde, 
kamen  auf  die  Minute  nur  21/2  Schüsse,  bei  dem  ersten  Hinterlader- 
gewehre, dem  Dreyse'schen  Zündnadelgewehre,  jedoch  schon  5  bis  6 
Schlisse;  die  einladigen  nenesten  Schnellfenergewehre,  wie  z.  E.  das  teil- 
weise noch  jetzt  in  der  russischen  Armee  gebräuchliche  Berdan-Gewehr, 
ermöglichen  bereits  1 0  bis  12  Schüsse,  die  Magazingewehre  16  bis  20  Schüsse 
in  der  Minute.*) 
sd,,M-  Wenn  wir  für  die  graphische  Darstellung  die  Darchschnittsziflei-n 

'  taiMB  in*  nehmen,  so  erhalten  wir  folgendes  Bild : 

J>r  HinnM.  „  .    , 


BchQBsgeschffindigkeit  in  einer  Minute. 

Nun  aber  muss  bemerkt  werden,  dass  die  Technik  der  Vervoll- 
kommnung der  Feuerwafien  ihr  letztes  Wort  noch  nicht  gesprochen  hat.  In 
unserer  Zeit  erfolgen  die  Erfindungen  mit  stetig  wachsender  Schnelligkeit 
und  es  ist  kein  Ende  derselben  abzusehen. 
L«ifw.nik«ii  Die  erste  Hand-Feuerwaffe,  eine  Art  Hakenbüchse  mit  Lunte,  wurde 

»iidlningsB  in  Frankreich  erst  150  Jahi'e  nach  Erfindung  des  Pulvers  eingeführt 
ij>Dg<nii«it.  ij  Oiiii^ga:    „L'art  da  combattre".    S.  16. 


ScMnssfolgernngen  über  die  Hand-Feuerwaffe. 


89 


(couleuvrines  k  main  1380—1630);  bis  diese  Waffe  sich  in  das  Feuerstein- 
gewehr umwandelte,  waren  173  Jahre  verflossen  (1530 — 1703);  bis  zur 
Einführung  von  Pistons  vergingen  139  Jahre  (1703—1842);  der  Ersatz 
des  glattläufigen  Gewehres  durch  das  gezogene  Gewehr  war  erst  nach 
weiteren  15  Jahren  erfolgt  (1842—1867). 

In  den  Krieg  von  1859  rückten  die  Franzosen  noch  mit  Gewehren 
des  Typus  von  1777  aus,  nur  dass  derselbe  durch  Zugabe  einer  Eöhre  für 
das  Piston  und  durch  Windungen  im  Laufe  verändert  war.  Aber  schon 
seit  1867  sind  bei  den  Franzosen  Gewehre  dreier  Systeme,  eines  nach 
dem  anderen  aufgetaucht:  das  Chassepot-Gewehr,  das  Gras-Gewehr  und 
das  Magazingewehr  Lebel,  welch  letzteres  man  jetzt  schon  als  veraltet 
ansieht  und  zu  dessen  Umarbeitung  man  sich  bereits  anschickt,  wenn 
man  den  Mitteilungen  des  Blattes  „L'Echo  de  l'armee"  Glauben  schenken 
will,  „lieber  das  System  des  abgeänderten  Gewehres  soll  schon  ent- 
schieden worden  sein  und  dasselbe  ist  versuchsweise  an  die  Truppen 
ausgegeben,  aber  die  Zeitung  teilt  natürlich  die  Einzelheiten  seiner  Ein- 
richtung nicht  mit,  sondern  beschränkt  sich  auf  den  Hinweis,  dass  das 
neue  Magazin  12  Patronen  zugleich  fasst.  Die  neu  geschaffene  Waffe 
wird  die  offizieUe  Benennung:  „Gewehr,  Mod.  1886—1893"  tragen."^) 

Es  kann  indessen  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass,  wenn  im  all- 
gemeinen Gange  der  Dinge  nicht  binnen  sehr  kurzer  Zeit  radikale  Ver- 
änderungen eintreten,  auch  diese  Gewehi-e  für  untauglich  werden  erklärt 
werden  und  man  sie  durch  6-,  vielleicht  sogar  durch  5-Millimeter-Gewehre 
ersetzen  wird. 

P^olgende  graphische  Darstellung  giebt  ein  deutliches  Bild  davon, 
mit  welcher  Schnelligkeit  im  Vergleich  mit  der  Vergangenheit  sich  gegen- 
wärtig die  Umbewaffnung  vollzieht. 


Basehheit 

der 

XJmbewsff- 

BOBgea 

in  der  Jetet- 

seit. 


Hakenbüchse  mit  Lunte  .  . 

■ 

U\hO 

Feuerstein-Gewehr 

^^HnRmm 

Glatte  Piston-Gewehre .  .  . 

1 

|_uuua 

Gezogene  Piston-Gewehre . 

15 

MiMHHa 

Gezogene  Stutzer 

P 

Chassepot 

Ig 

Schnellfeuergewehr  Gras  . 

:|l2 

Lebel-Gewehr,  Typus  1883. 

6 

Vergleich 
der  Perioden 

der  Um- 
bewaffnnngen 

in  der 
firnnzösiseben 

Armee. 


173 


Perioden  des  Bestehens  der  verschiedenen  Gewehrsysteme  der 
französischen  Armee,  in  Jahren  ausgedrückt. 


0  No.  157  des  russischen  railitärisclien  Fachblattes  „Raswjedtscliik",  Jahr- 
gang 1893. 


1.    Dia  Fenerwoffen. 


Einige  Mitteilungen  über  französische  Gewehre  werden  ans  einen 
in  ot«hM  loch  klareren  Begrilf  von  den  Verbessemngeii  und  der  Bedentung  der- 
j2f«V™  s«^^°  »eben. 


Bezeichnung 
der  Wall'e 

Jahr 

Kaliber 

Gewicht 

aewir,ht 

nuchwindig- 

Tteff- 
■lohetheft 

HlllIiiietAr 

Kilofrini» 

Onnir 

llat«r 

Meter 

Muskete  .... 

1600 

18,0 

7,500 

1     rund 

50,0 

240 

230 

Flinte 

1777 

17,5 

4,400 

26,6 

450 

200 

^      

182a 

17,5 

4,398 

1 

28,6 

450 

200 

„      

1857 

17,8 

4,330 

1  lünglich 

32,0 

350 

690 

^       

1866 

11,0 

4,200 

25,0 

420 

1200 



1874 

11,0 

4,200 

1        . 
1 

25,0 

450 

1800 

Nicht  ohne  Interesse  wird  nebenstehende  Zeichnung  der  Durch- 
schlagskraft der  Geschosse  auf  20  Meter  Entfernung  sein,  nach  Angaben 
der  Belgischen  Staats  -  Gewehrfabrik  bezw.  der  „Revue  de  l'Annöe 
Beige".  6) 

Wir  sehen  deutlich,  wie  die  Durchschlagskraft  zugenommen  hat, 
die  heutige  Kugelform  dagegen  anverändert  bestehen  bleibt. 
T«ffftwg.  Was  die  Treflfähigkeit  der  Gewehre  anbetrifit,  so  lassen  wir  eine 

ur  OBwikn  nach  der  „Revue  de  l'Armöe  Beige"  iUr  die  Antwei-pener  Ansstellung 
Hit  177T    bearbeitete  üebersicht  folgen. 

Waffenfabrik  des  Belgischen  Staates. 
(Flinten,  Karabiner,  Musketen,  Pistolen  und  Rovolvor.) 
Probeschiessen  auszuführen  am  Schiessstande: 

auf  Eatfemung  von  1000  Metern  (Flinten,  Karabiner,  Musketen). 

Flinten-Mod.  1777.  Flinten-Mod.  1841.  Karabiner-Mod.  1848. 


Maassstab  1 :  40. 


')  Die  Zeichnung  ist  in  '/<-Grös3e  gemacht. 


SoUussfblgeriuigeii  über  die  Hamj-Penerwaffe. 


Einige  Itallistiäche  Da- 
ten werden  uns  die  voi-  ■ 
gegangenen  Vei-ändenin- 
gen  noch  genauer  er- 
läutern, 

Das  Uewicht  der  Kogel 


betrug 
1777 

27  Gramm 

1841 

27      „ 

1848 

49      , 

18^ 

47       r 

1867 

^      , 

1868 

25      „ 

1889 

14      , 

Die  SchDelligkeit  des 

Schiessens    v/ae    in    der 

Mimte: 

1777    .    .    .     li/^Schass 

1841    . 

l'/s      . 

1848    . 

1%      . 

1863    . 

l'h      ,, 

186?    , 

12 

186«    . 

12 

1889 

25 

8| 


»  »  (W  A  ff  ff   i 


Anfangsgeschvind  igheit 


490 

615 

710 

Schuss. 

Fluahöhe 

weite 

Buf  halber'  Entfernung 

500 

3,0 

1,6 

1,0 

600 

4,7 

2,5 

1,6 

800 

9,9 

5,4 

3,5 

1000 

18,1 

10,1 

6,7 

1200 

30,2 

10,2 

12;? 

i  M 

1600 

70,3 

37  J5 

36,3 

n 

1800 

100,7 

53,0 

53,61) 

o2 

■S-S 

1' 

2000 

92 

166 

202 

o  a  d  a  Q  D  I 


')  Jjflbell:    „Militärische  Jahrestieriehte''  1 


I.    Di«  Fpuerwaffen, 


FlinUm-Moa.  1853. 


Flinten-Mod.  1867. 


Maassstab  1 :  40. 
T™ffsi.:ii.^  Ein  oberflächlicher  Blick  genügt,  um  die  bedeatenden  Unterschiede 

)uaüu^.jg-  in  der  Treffwahrscheinlichkeit  zwischen  den  Gewehren,  welche  im  letzten 
•riMben    dentsch-französischen  Kriege  angewendet  wurden,  nnd  den  heatigen  zu 
di<  otaii«rt  konstatieren.    Bei  der  jetzigen  Kriegfilhrang  werden  die  Offiziere  eine 
inirhisn«.  noch  vicL  grOsscre  Bedeatang  als  in  der  Vergangenheit  haben,  nnd  die 
Ersetzung  derselben  im  Kiiege  wird  eine  der  Hanptschwierigkeiten  sein. 
B«dtüt<.Di  —  Im  künftigen  Kriege  wird  man  das  Sprichwort  „tel  chef,  teile  armße" 
"fn^.'"^in   „tel  cadres,  teile  armöe"    umwandeln  müssen.     Schon  im  deutsch- 
französischen Kriege  war  der  Verlast  der  Offiziere  ein  sehr  bedeutender. 
Zu  Ende  des  dentsch-französischen  Krieges  standen  an  der  Spitze  der 
Bataillone  und  Halb -Bataillone  Reserve -Offiziere  und  selbst  Feldwebel. 
Im    nezember    1870  hatte   eine   ganze    bayerische    Division   nnr   einen 
einzigen  Hauptmann  der  Linie  aufzuweisen,  s) 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  die  ver\'ollkömmneten 
Waffen,  die  Bauchlosigkeit,  die  Einschärfung  der  Vorschriften  in  allen 
Armeen,  hauptsächlich  auf  Offiziere  zu  zielen,  und  die  Verwendung  von 
Scharfschützen,  welche  vor  der  Front  als  Jäger  sich  vorfinden  werden, 
für  den  zukünftigen  Krieg  eine  besondere  Bedeutung  erhalten. 
pi»  Und  wenn  wir  noch  hinzufügen,  dass  der  jetzige  Infanterist  un- 

t^K  dia°  verhältnismässig  besser  eingeübt  ist,  nnd  die  das  Feuer  leitenden  Organe 
"'urteH""  •"•*'  ausgezeichneten  Gläsern  versehen  sein  werden,  so  werden  wir' die 
dM  Kriec«  Erklärung  dafür  erhalten,  warum  eine  so  grosse  Anzahl  Schriftsteller  die 
HuKeia  tu  Undnrchführbarkeit  eines  grossen  europäischen  Krieges  ins  Auge  fasst. 
'"''  Auf  noch  einen  Unterschied  mit  der  Vergangenheit  müssen  wii'  die 

Aufmerksamkeit  lenken. 

'  Bis  zur  neuesten  Zeit  bestand  ein  ungünstiges  Verhältnis  der  Pulver- 
ladung zur  Waffe.  Der  Schuss  erzeugte  einen  so  heftigen  Rückstoss  und 
Backenschlag,    dass    der  Schütze    meist   nach    10  bis    12  Schuss    eine 


•)  V.  d.  Gkiltz.    „Das  Volk  in  Waffen". 


SohlussfolgeruBgen  über  die  Hand-Feuerwaffe.  93 

geschwollene,  wenn  nicht  gar  blutende  Backe  davontrug.    Wo  sollten  da 
die  Lust  und  der  Eifer  zum  Schiessen  herkommen! 

Weiterhin  muss  bemerkt  werden,  dass  die  Reparaturen  der  Waffen   vergleich 

der  Verein- 

und  deren  Reinigung  die  Wirkung  sehr  behinderten.  Noch  im  Jahre  1851    fachung 
bedurfte  der  schweizerische  Scharfschütze  gemäss  Ordonnanz  zu  seinem  AuBT^tnug 
Stutzer:   1  Kugelmodell,   1  Giesslöffel,  1  Schraubenzieher  mit  Kamin- jg^l^^'^j^g^ß 
Schlüssel,   1  Kugelzieher,  1  Lappenzieher,   1  Wischer,  1  Stutzerzapfen,  ^ 
1  Raumnadel  mit  Kettchen,  2  Vorratskamine  und  1  Vorratskorn  nebst 
den   60  Pulverpatronen,    60  mit  Futter   umwickelten  Geschossen  und. 
78  Zündhütchen. 

Zum  heutigen  Repetiergewehre  fühlt  der  Schütze  mit:  1  Schrauben- 
zieher, 1  Wischkolben,  1  Borstenwischer  und  Patronen;  sein  Gewehr  ist  in 
weniger  als  einer  Minute  zum  Reinigen  zerlegt  und  die  Abgabe  von 
16  gezielten  Schüssen  in  der  Minute  ist  keine  aussergewöhnliche  Leistung. 
Die  TreflEtähigkeit  des  glatten  Perkussionsgewehres  dieses  Jahrhunderts 
ist  auf  200  Meter  analog  derjenigen  mit  der  heutigen  Waffe  auf  800  Meter 
und  darüber. 

Die  Tragweite  des  Geschosses  überhaupt  und  dessen  hinreichend 
verwundbare  Wirkung  beträgt  mindestens  das  3-  bis  4fache  gegenüber 
den  früheren  Geschossen. 

Vergleichserhebungen   über  Versager  ergaben  (1871)  6,60  Prozent  vergieichb- 

erbebung^en 

beim  Steinschlossgewehre,  0,40  Prozent  bei  der  Perkussionszündung  und      aber 
0,07  Prozent  bei  der  Metallpatrone  mit  Randzündung,   wobei  noch  in    ^•"***'' 
Betracht  kommt,  dass  die  heutige  Patrone  unempfindlich  gegen  Feuchtig- 
keit und  andere  äussere  Einwirkungen  ist. 

Da  ausser  den  Gewehrprojektüen  auch  die  Artilleriegeschosse  im  Ver-     Kann 
hältnis  zu  früher  von  einer  unvergleichlich  grösseren  Wirksamkeit  sein  **^  Krug^*' 
werden,  so  erheben  sich  wohl  Zweifel,    in  wie   weit  die   Nerven  der ^g^*"^^^* J" 
unter  den  Fahnen  befindlichen  Millionen,  welche  nur  eine  kurze  Dienstzeit      ^^^^ 

earopäiscben 

aufzuweisen  haben,   das  verheerende  Feuer  aushalten  werden,   dessen    M&cbt« 
sich  wiederholende  Wirkung  fortdauern  wird,  bis  jede  ungedeckt  yQj..  •"*'''^®^^®"- 
gehende  Abteilung  vernichtet  sein  wird.    Weiter  fragt  es  sich,  ob  der 
künftige  Krieg,  wenn  er  auch  furchtbare  Menschenhekatomben  verschlungen 
haben  wird,  auch  nur  einige  der  Avichtigsten  internationalen  Streitfragen 
wird  lösen  können. 

Die  Mehrzahl  derjenigen,  welche  militärische  Fragen  entscheiden, 
antwortet  mit  „Ja".  Hat  man  aber  nicht  diese  so  optimistischen  An- 
sichten lediglich  einem  Beharrungsvermögen  zuzuschreiben,  welches  be- 
sonders den  in  den  Traditionen  der  Vergangenheit  lebenden  Militärs  die 
Einsicht  verschliesst ,  dass  Kriege  nach  einigen  Jahrzehnten  unmöglich 
werden  können?    Unbewusst  werden  allgemeine  Urteile  auf  Grund  histo- 


94  !•    ^^^  Feuerwaffen. 


rischer  Forschungen  und  Vorstellungen  über  die  früheren,  mit  Berufs- 
soldaten geführten  Kriege  gemacht;  mit  Soldaten,  welche,  von  militärischem 
Geiste  durchdrungen,  in  geschlossenen  Kolonnen  dem  Feinde  zu  Leibe 
gingen,  wo  Ellbogen  an  Ellbogen  stiess,  wo  jedes  Glied  hinter  sich 
andere,  in  nächster  Nähe  folgende  Glieder  hatte,  wo  nichts  übrig  blieb 
als  vorwärts  zu  gehen,  vorwärts  aus  Furcht  vor  Schande  und  Strafe  und 
endlich  aus  Besorgnis,  in  das  Feuer  der  eigenen  Kameraden  zu  geraten. 
Wir  wissen  es  wohl,  dass  auch  jetzt  schwere  Strafen  nach  Art  des 
altrömischen  Kiiegsgesetzes  festgesetzt  sind,  dass  Soldaten,  w^elche  zu  fliehen 
beginnen  oder  im  Kampfe  ihre  Waffe  fortwerfen,  mit  dem  Tode  bestraft 
werden.  Das  heutige  österreichische  Kriegsgesetz  erkennt  gleichfalls 
auf  Erschiessen  wegen  Feigheit,  welche  sich  im  Verlassen  der  Geschütze, 
Fortwerfen  der  Gewehre,  Flucht  in  der  Schlacht,  Zögerung,  aus  der  be- 
festigten Position  herauszutreten,  offenbaren  würde ;  sind  ganze  Truppenteile 
feige  gewesen,  so  soll  die  Todesstrafe  jeden  zehnten  Mann  treffen.  Dieses 
Gesetz  giebt  ebenso  wie  das  römische  bei  gefährlichen  Lagen  jedem 
Kommandeur  das  Recht,  Soldaten,  die  sich  feige  zeigen  sollten,  mit  dem 
Tode  zu  bestrafen. 

Die  Kriegsgesetze  der  anderen  Nationen  enthalten  mehr  oder 
weniger  ähnliche  Bestimmungen.  So  setzt  z.  B.  das  italienische  Gresetz 
Todesstrafe  für  Feigheit  Angesichts  des  Feindes  fest,  das  deutsche  für 
Feigheit  während  der  Schlacht. 9)  Aber  fortan  werden  die  einzelnen 
Truppenteile  von  einander  getrennt,  in  aufgelöster  Formation  stehen, 
wobei  die  Aufsicht  weniger  möglich  ist. 
widempnich  ßcl  dcu  tiefcu  Wurzclu,  welche  in  gewissen  Sphären  der  Militarismus 

Ewisclieii  dem 

Militarismus  gescWageu  hat,  beschäftigt  sich  die  Phantasie  besonders  der  höheren 
Gji^d.z^it.^^^^rs  nur  ungern  mit  dem  Bilde  des  modernen  Kampfes.  Man  lässt 
die  Frage  eines  Widerspruches  zwischen  der  Vorbereitung  von  immer 
furchtbareren  Vernichtungsmitteln  und  der  Einberufung  fast  der  -ganzen 
erwachsenen  Bevölkerung  unter  die  Waffen,  offien,  —  eines  Widerspruches 
gegen  den  Geist  der  Zeit,  der  sicli  immer  entschiedener  gegen  den 
Militarismus  ausspricht. 
Proudiion'8  Schon  Proudhou  hat  gesagt :    „Der  Soldat,  der  für  das  Vaterland  in 

Aensserang 

Aber      den  Kampf  geht,  muss  sich  über  sich  selbst  erheben,  nicht  nur  mit  Energie 
"S^dM*  und  Tapferkeit,  sondern  auch  mit  Tugend  bis  zur  Heiligkeit." 
und  deren  An-  Nchmcu  wlr  au,  dass  bei  der  Mehi-zahl  der  heutigen  Soldaten  sich 

Wendung  anf 

die iient« in's diese  Tugeud  wirklich  finden  wird.    Aber  auch  dann  entsteht  die  Frage: 

*Tnipper  inwieweit  wird  bei  der  Zerstreuung  der  Truppen  auf  grossem  Räume,  bei 

der  aufgelösten  Gefechtsart,  welche  beim  heutigen  Vernichtungsvermögen 


^)  Dangelmeier:   „Militärische  Abliandlungen".   Wien  1893. 


Schlussfolgerungen  über  die  Hand-Feuerwaffe.  95 

der  Gewehr-  und  Artüleriegeschosse  unvermeidlicli  ist,  die  Einzel- 
persönlichkeit, nicht  mehr  von  der  kompakten  Masse  getragen,  sondern 
weit  mehr  sich  selbst  überlassen,  im  Stande  sein,  im  Kampfe  bis  znr 
Selbstlosigkeit  zn  handeln? 

Alles  dies  gewährt  keinen  tröstlichen  Ausblick.  Der  aufs  höchste 
angespannte  Wetteifer  in  den  Vorbereitungen  zum  Kriege  —  ein  Wett- 
eifer, der  diesen  bewaffneten  Frieden  selbst  gewissermaassen  in  einen 
wenn  auch  unblutigen,  aber  nichts  desto  weniger  zerrüttenden  Krieg  ver- 
wandelt hat  —  wird,  je  länger  er  dauert,  eine  desto  schwerere  Last  bilden 
und  kann  zudem  noch  durch  die  soziale  Gährung  kompliziert  werden, 
welche  im  Westen  Europas  nicht  zum  Stillstand  kommt. 

Wie  schwer  aber  auch  dieser  Wetteifer  auf  den  Staatsbudgets  lasten  Notwendig- 
mag, kein  Staat  Europas  kann  in  dieser  Beziehung  hinter  den  Nachbarn  aasgMetzten 
zurückbleiben.  Indem  Europa  seine  Rüstungen  bei  der  jetzigen  Schnellig-  if^^emSie 
keit  in  den  Vervollkommnungen  der  Technik  fortsetzt,  wo  eine  Erfindung  »«^ff««»«- 
die  andere  jagt  und  die  Bedeutung  der  vorhergehenden  verringert  oder 
gar  aufhebt,  nähert  es  sich  mehr  und  mehr  einer  Katastrophe,  deren 
Resultat  nicht  abzusehen  ist. 

Die  Sache  spitzt  sich  offenbar  zu  einem  arithmetischen  Exempel  zu:  i«*der  Krieg 

was  kann  Europa  theurer  zu  stehen  kommen?  der  Krieg,  der  unvermeid-  bewafroete 
lieh  sein  dürfte,  sobald  eine  Macht  die  andere  in  den  Rüstungen  überflügelt,  kosSjieUger 
oder  der  bewaffnete  Friede?  ^  *«»* 

nationalen 

Gegenwärtig,  wo  alle  Völker  Europas  die  allgemeine  Wehrpflicht  ein-  wohwand? 
geführt  haben  und  im  Stande  sind,  jeden  Augenblick  fast  die  ganze  waffen- 
fähige Bevölkerung  unter  die  Fahne  zu  rufen,  wo  alle  Völker  „Gewehr 
bei  Fuss"  stehen  und  gleichsam  nur  auf  einen  Anlass  warten,  sich  auf- 
einander zu  stürzen  und  den  Gegner  zu  vernichten  —  „saigner  ä  blanc", 
wie  sich  Fürst  Bismarck  einmal  ausdrückte  — ,  wer  kann  es  da  wagen, 
einem  Volke  zu  raten,  abzurüsten  oder  wenigstens  auf  weitere  Neuerungen 
in  der  Bewaffnung  zu  verzichten? 

Hierzu  muss  die  Erkenntnis  von  der  Unerträglichkeit  der  jetzigen  ^^^  soidat 

*  mnati  die  ihn 

Lage  allgemein  werden,  müssen  die  Fragen,  die  mit  dem  künftigen  Kriege  erwartenden 
zusammenhängen,  allseitig  geprüft  werden.  Uns  scheint  es,  dass  Hoenigi<>)    ^^^IT 
völlig  Recht  mit  der  Forderung  hat,  die  Truppen  nicht  über  die  gewaltigen     ^®"*"- 
Verluste  in  Unkenntnis  zu  halten,  welche  die  Schlachten  der  Zukunft 
bringen,  da  dies  das   einzige  Mittel  ist,   einer  Panik  vorzubeugen  und 
einigemiaassen  die  Stimmung    der   Truppen  zu  beherrschen.    Nur  auf 
diesem  Wege  kann  sowohl  in  die  breiten  Schichten  der  Gesellschaft  wie 
auch  in  die  leitenden  Kreise  endlich  die  Ueberzeugung  dringen,  dass  in 


^^)  „Untersuchungen  über  die  Taktik  der  Zukunft".    4.  Aufl.    1893, 


96  !•    ^i^  FeuerwaiFen. 


nicht  ferner  Zukunft  die  Völker  nicht  mehr  im  Stande  sein  werden,  Kriege 
zu  ertragen.  Inzwischen  sind  die  Anstrengungen  der  modernen  Technik 
zur  weiteren  Vervollkommnung  der  ohnedies  schon  furchtbaren  Bewaffnung 
so  energisch,  dass  E.  von  Vogue  anlässlich  der  letzten  Pariser  Weltaus- 
stellung folgende  Aeusserung  thun  konnte:  „Die  Industrie  für  das  Töten 
bildet  jetzt  einen  blühenden  Handelszweig;  sie  blüht  in  einem  solchen 
Maasse,  dass,  wenn  man  die  Grallerien  auf  dem  Marsfelde  sieht,  welche 
die  Metallurgie  einnimmt,  man  sich  wohl  fragen  darf:  bildet  nicht  das 
auf  der  Esplanade  des  Invalidenhauses  aufgeführte  Gebäude  einfach  Ab- 
teilungen einer  Kriegsausstellung?" 
Endresniut  Es  Wäre  schöu,  wenn   sich  eine  von  Kapitän  Nigot   bei  diesem 

inilitari/cliep  Anlasse  ausgesprochene  Ansicht  bestätigte:  „inmitten  aller  dieser  Todes- 
RftBtongen  ^^^kz^yj^gQ  keimt  dennoch  ein  tröstlicher  Gedanke  empor;  vielleicht  erfindet 
ihrer  Vervoll- ^e  Wisseuschaft  eudUch  so  mörderische  Werkzeuge,  fähig,  das  moralische 

Komm- 

nungen- der  Wesen  des  Meuscheu  derart  zu  erschüttern,  dass  jeder  Krieg  unmöglich 
wird,  und  dass  demnach  die  Vervollkommung  der  Kriegsmittel  selbst  zu 
einem  allgemeinen  Frieden  führen  würde". 

Vielleicht  wird  auch  unsere  Arbeit  in  dieser  Hinsicht  ein  Scherf  lein 

beitragen,  indem  sie  in  den  folgenden  Teilen  zeigt,   dass  gegenwärtig, 

wo  der  Krieg  die  Form  des  Kampfes  ganzer  Bevölkerungen  annimmt, 

welche  ein  breites,  kompliziertes  Leben  leben,  auch  mit  dem  Geiste  der 

ganzen  Bevölkerung  gerechnet  werden  muss. 

Der  künftige  -       Gcfühle,  Charakter,  Verstand  und  Wille    der  Massen  sind  jetzt 

^^Td^^  bereits  derart  dem  Kriege  abgeneigt,  dass  ein  solcher  fast   undenkbar 

p**"*- J^y"^"  wird,  und  es  dürfte  dies  um  so  mehr  der  Fall  werden,  wenn  neue  Er- 

EuropM    flndungen    neue   Vervollkommnung   der   Kriegsmittel   zur   Folge   haben 

'  werden.   Eines  ist  gewiss,  dass  ein  künftiger  europäischer  Krieg  gewaltige 

Folgen  haben  und  von  dem  grössten  Einflüsse  auf  die  politische  Ordnung 

Europas  sein  wird.    Auf  den  Charakter  des  Krieges  selbst  aber  werden 

den  schwerwiegendsten  Einfluss  die  von  uns  behandelten  Vorzüge  der 

neuen  Waffe  und  des  neuen  Pulvers  ausüben:  Rauchlosigkeit,  Treffweite, 

Rasanz  und  Durchschlagskraft. 

Bevor  wir  an  die  Prüfung  der  Wirkung  jener  von  uns  oben 
beschriebenen  Waffe  gehen,  müssen  wir  uns  ein  Bild  von  den  VervoU- 
kommungen  machen,  welche  in  der  Artillerie  seit  dem  letzten  Kriege  erfolgt 
sind,  da  gegenwärtig  mehr  als  je  Infanterie  und  Artillerie  gemeinsam 
werden  wirken  müssen  und  erfolgreiche  Schlachten  nur  von  diesen  beiden 
Hauptwaffen  der  Armee  gemeinsam  ausgefo(*hten  werden  können. 


Artillerie-Greschütse  und  Geschosse.  97 


Ärtillerie-Oeschtitze  nnd  Geschosse. 

Die  Hand-Feuerwafie  hat  sich  im  Lanfe  der  letzten  Jahrzehnte  nach 
drei  Seiten  hin  vervollkommnet,  nämlich  durch  Verbesserung  der  Hinter- 
ladung, Einführung  des  Magazins  und  Verkleinerung  des  Gewehrkalibers. 
Ausserdem  ist  die  Kugel  mit  einer  Nickel-  oder  Stahlumhüllung  versehen 
worden.  Diese  Umstände  brachten  überall  eine  mehrmalige  Umbewaffhung 
der  Infanterie  mit  sich.  Die  Feldgeschütze  dagegen  haben  seit  1880 
keine  grösseren  Veränderungen  in  der  Konstruktion  erfahren,  sondern 
nur  teilweise  Verbesserungen;  erst  in  jüngster  Zeit  tritt  die  Frage 
bezüglich  radikaler  Veränderungen  im  Geschutzwesen  hervor. 

Die  Resultate  der  schon  durchgeführten  Verbesserungen  im  Artillerie- 
wesen erscheinen  ^o  bedeutend,  dass  nicht  wenige  Fachmänner  die  Mög- 
lichkeit der  Führung  eines  regelrechten  Krieges  ohne  unertragbare  Opfer 
heute  bereits  für  zweifelhaft  erachten. 

Macht  die  Vervollkommnung  dieser  Waflfe,  wofür  alle  Wahr- 
scheinlichkeit spricht,  noch  weitere  Fortschritte,  so  dürfte  ein  Krieg 
zwischen  den  europäischen  Grossmächten  geradezu  als  ganz  undenkbar 
erscheinen. 

Damit  der  Leser  sich  von  der  bereits  eingetretenen  und  der  noch 
zu  erwartenden  Weiterentwickelung  in  der  Armierung  der  Artillerie  eine 
Vorstellung  bilden  kann,  dürfte  es,  wie  wir  dies  bereits  bei  Besprechung 
der  Hand-Feuerwaffen  gethan  haben,  geboten  erscheinen,  die  wichtigsten 
und  charakteristischen  Momente  der  Entwickelung  der  Artillerie,  sei  es 
auch  nur  flüchtig,  ins  Auge  zu  fassen.  Dies  allein  wird  uns  die  Möglich- 
keit gewähren,  die  Rolle,  welche  diese  Waffengattung  bei  dem  gegen- 
wärtigen Stande  der  Technik  zu  spielen  bestimmt  ist,  nach  Gebühr  zu 
würdigen. 

Unserem  Dafürhalten  nach  wird  erst  diese  Kenntnis  uns  das  er- 
forderliche Material  an  die  Hand  geben,  um  die  Fragen  zu  würdigen  und 
zu  beantworten:  Ist  bei  der  gegenwärtigen  Entwickelung  der  Technik 
der  Krieg  im  Stande,  die  grossen  internationalen  Fragen  zu  entscheiden  ? 
Werden  die  Verluste  der  kriegführenden  Teüe,  noch  bevor  die  erhofften 
Resultate  erreicht  wurden,  auf  der  einen  und  der  anderen  Seite  nicht 
derart  ins  Ungeheure  gewachsen  sein,  dass  der  Abschluss  des  Friedens 
sich  als  unbedingt  geboten  herausstellen  wird,  ohne  dass  diejenigen  inter- 
nationalen Streitfragen,  welche  den  Krieg  heraufbeschworen,  gelöst  worden 
sind?  Die  heutigen  ungeheuren  und  ruinierenden  Vorbereitungen  zum 
Kriege  kann  man  also  mit  einer  Sisyphusarbeit  vergleichen. 

Bloch,   Der  zak&nftige  Krieg.  7 


98  !•    ^i©  Feuerwaffen. 


1.   Geschichtliche  Entwickelung  der  Geschütze. 

a)  Die  Geschütze  bis  zum  XVIII.  Jahrhundert. 

Früheste  Als  früheste  Zeit  für  den  Gebrauch  der  Feuerwaffen  wird  das  Jahr 

GebrancheB  618  V.  Chr.  augefühil;,  wo  in  China  unter  der  Regierung  des  Taing-Ofi 
Feuerwaffen.  I^^^^^^&^schütze  angcwcndct  w^urden.    Ausserdem  lässt  sich  das  Vor- 
Tafel V,  kommen  kleinerer  Geschütze  dieser  Art  —  Jingals  genannt  —  auf  mehr 
Hg-  IV-  als  300  Jahre  vor  unserer  Zeitrechnung  zurückführen  (Tafel  V,  Fig.  IV).  i) 
Erstes  Das  ScMesspulver  wurde  in  Deutschland^)   schon  zu  Anfang  des 

puiver  in   XIV.  Jahrhuuderts  fabrikmässig  bereitet  und  dennoch  wurden  noch  lange 
an  .  2^j^  nachher  im  Kriege  ausser  den  Hand-Feuerwaffen  —  Wurfmaschinen, 
Pig.  L  n  Katapulte  und  Ballisten  gebraucht  (Tafel  V,  Fig.  I  bis  III),  welche  Steine 
n.  HL    yon  einigen  hundert  Pfund  Gewicht  auf  mehrere  hundert  Schritte  werfen 
konnten.    Selbstverständlich  forderte  man  von  den  ersten  Feuergeschützen 
eine  mindestens  gleiche  Leistung.  Daher  bekamen  diese  ein  grosses  KaUber 
und  wurden   so   gewichtige  Maschinen,   dass  sie  nur  mit  der  grössten 
Schwierigkeit  bewegt  werden  konnten;  man  nannte  sie  Mortiere,  Bom- 
Pig.  V  bis  barden  und  Büsten.    (Tafel  V,  Fig.  V  bis  IX.)     Die  geringe  Kraft  des 
^      noch  dürftigen  Pulvers  und  die  sehr  mangelhafte  Widerstandsfähigkeit 
der  Geschützrohre  erlaubten  lange  Zeit  nicht,  den  zuerst  üblichen  Stein- 
kugeln eine  für  das  Breschelegen  der  Mauern  genügende  Geschwindigkeit 
und  Stosski'aft  zu  geben;  auch  waren  die  Steinkugeln  nicht  hart  genug 
Erste  eiserne  uud    zerscheUtcu    am  Maucrwcrk.      Jedoch    um   1400    wurden   eiserne 
°^*  *"'    Kugeln  für  die  Geschütze  eingeführt  und  allmählich  verdrängten  diese  die 
steinernen  Geschosse. 

Nicht  ohne  Interesse  ist  es,  zu  bemerken,  dass  der  Gebrauch  ge- 
schmiedeter eiserner  Vollkugeln  älter  ist  als  die  Anwendung  des  Pulvers ; 
gegossen  wurden  eiserne  Vollkugeln  zuerst  in  Aarau  1378;  ebenso  bediente 
man   sich  glühender  Kugeln   als  Brandgeschosse   schon   1472.     Spuren 
Sporen    eisemcr    Hohlprojektüe    sind    schon    im    XTV.  Jahrhundert   zu   finden 

eiserner 

Hohl-     doch  wurde  ihr  Gebrauch  erst  im  XVI.  Jahrhundert  allgemeiner.    Aus 
Projektile,  rjr^^^  ^^^^  ^^^^  hergestellte  kleine  Hohlkugeln,  mit  Pulver  gefüUt,  warf 

man  1523  aus  freier  Hand,  und  nannte  diese  Geschosse  Handgranaten. 
Die  Füllung  der  grösseren  Hohlprojektüe,  Granaten  und  Bomben,  bestand 
anfänglich  bloss  aus  Pulver,  später  nebst  diesem  auch  aus  Brandsatz- 
stücken, und  für  die  Bomben  auch  aus  kleinen  Granaten  und  Bleikugeln. 


*)  Thierbach:  „Die  geschichtliche  Entwickelung  der  Hand-Feuerwaflfen". 
Dresden  1886. 

')  Es  bestanden  Pulvermühlen:  1340  in  Augsburg,  1344  in  Spandau  und 
1348  in  Liegnitz. 


Tafel  V. 


V 

1330—1400 


f^Eyn.OTa-s>TT^:^am: 


( Eriäiitaungen  umstehend,) 


Eisflgea  iei  Salt*  « 


Erläuterangen  zu  Tafel  Y. 

Fig.  I,  II  (Altertum).  Katapulte:  grosse  Armbruste,  deren  Sehnen  mittelst  einer 
Kurbel  gespannt  wurden  und  die  Pfeile  (darunter  auch  Feuer-  oder  Brand- 
pfeile) fortschleuderten. 

Fig.  III  (Altertum).  Balliste,  "Wurf  oder  Schleudermaschine:  eine  Vorrichtung 
aus  Balken  und  Strickwerk,  mittelst  welcher  die  Objekte  (Steine,  Brand- 
körper bis  zu  500  Kilo  Gewicht)  auf  200  bis  300  Meter  in  bogenförmiger 
Richtung  über  Mauern  geworfen  wurden. 

Fig.  IV.  Hinterlader  uralter  Zeit,  welcher  bei  Ausgrabungen  auf  der  Insel  Java 
gefunden  worden,  von  Bronze;  bei  82,5  Centimeter  Seelenlänge  und  23  Milli- 
meter Kaliber  zwei  angegossene  Schildzapfen,  mit  denen  er  im  Gestelle 
oder  einer  Art  Lafette  gelegen  hat.  Die  Kammer  trägt  oben  zwei  Henkel 
als  Griffe  für  das  Ausheben  aus  der  Hülse,  sowie  das  Zündloch  mit  einer 
kleinen  Pfanne.  Quer  durch  die  rückwärtige  Verlängerung  des  Rohres 
(eine  Art  Hülse,  in  der  die  Kammer  befindlich)  geht  ein  vierseitiger  Aus- 
schnitt für  einen  Keil,  welcher  das  Kammerstück  in  das  hintere  Ende  des 
Rohres  einpresst.  Dieser  Keil  ist  mittelst  eines  Kettchens  mit  dem  Rohre 
festbeweglich  verbunden. 

Fig.  V,  1346.  Geschützrohr  (mit  getrennter  Kammer,  Hinterladung)  im  Museum 
zu  Namur,  ca.  1  Meter  lang,  aus  zusammengefügten  Eisenstäben,  mit 
eisernen  Reifen  gebunden. 

Englisches  Geschützrohr  nach  Froissard  aus  der  Schlacht  bei  Crecy. 
Aus  zusammengefügten  Eisenstäben,  mit  eisernen  Reifen  gebunden;  Ladung 
von  der  Mündung  des  konischen,  sich  nach  hinten  verengenden  Rohres. 

Die  erforderliche  Richtung  gab  man  dem  Rohre  durch  Eingraben  oder 
Unterlagen  und  verrammte  das  Bodenstück  zur  Verhinderung  des  Zurück- 
weichen s. 

Zur  Ladung  bediente  man  sich  einer  Ladschaufel  für  loses  Pulver, 
das  schon  in  früher  Zeit  zuvor  abgewogen  und  in  Säcke  verpackt  wurde, 
die  man  später  dem  Rohrkaliber  anpasste  und,  wenn  geladen,  mittelst 
einer  Nadel  vom  Zündloch  aus  durchstach.  Das  Zündloch  wurde  mit  Mehl- 
pulver gefüllt  und  anfänglich  mittelst  einer  glühenden  Kohle,  später  mittelst 
einer  Lunte  (an  einem  Zündstock  befestigt)  die  Zündung  bewerkstelligt. 

Fig.  VT,  VII,  1400.  Rohr  aus  Gusseisen  (1380—1400),  welches  mit  seinem  unteren 
vierseitigen  konischen  Zapfen  in  die  Stirnseite  eines  Holzblocks  eingesetzt 
wurde  und  Rohr  aus  Bronze  gegossen. 

Fig.  VIII.  Mörser,  im  hinteren  Teil  eine  Verengung,  durch  welche  ein  begrenzter 
Raum  entsteht  zur  Aufnahme  des  Pulvers. 

Fig.  IX.     Englische  Kolubrine,  aus  Bronze  gegossen. 


Die  Geschütze  bis  zum  XVlii.  Jahrhundert.  99 

Die  Entzündung  der  Sprengladung  in  den  Hohlgescliossen  geschah  schon 
ursprünglich  durch  Brandröhren,  in  ihrer  Einrichtung  den  jetzigen 
ähnlich.^) 

Die  Geschützfabrikation  verbesserte  sich  im  Anfang  des  XV.  Jahr-  Tafel  VI 
hunderts.   Es  wurden  Büchsen  aus  Eisenguss  verfertigt,  welche  auf  looo"*^^^ 
Schritt  Entfernung  schössen.    Jedoch  bis  zur  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts 
wurden  sie  überhaupt  nur  auf  Wagen  gebraucht  (Tafel  VI,  Fig.  X,  XI). 

Die  damalige  Kriegführung,  wie  aUbekannt,  bestand  hauptsächlich  '^^^^^_®' 
in  Aufstellung  von  Wagenburgen.  Bei  dem  damaligen  Stande  der  Artillerie  bargen. 
musste  der  letzte  Angriff  auf  die  Wagenburg  durch  das  Fussvolk  geschehen, 
so  dass  also  bei  Verteidiger  und  Angreifer  das  Bedürfnis  nach  Fussvolk  in 
grossem  Maasse  vorhanden  war.  Erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  XV.  Jahr- 
hunderts war  die  Artillerie  bezüglich  Wiikung  und  Beweglichkeit  soweit 
vorgeschritten,  dass  ihr  gegenüber  die  Wagenburgen  verschwinden 
mussten.  Das  Schweizer  Fussvolk  focht  zuerst  ohne  Wagenburg,  doch 
bediente  es  sich  im  Laufe  des  ganzen  XV.  Jahrhunderts  der  Schusswaffe 
nur  in  geringem  Maasse;  für  seine  Stellung  in  tiefen  Haufen  war  die 
Bewaffnung  mit  Hellebarden  und  langen  Spiessen,  mit  Schlachtschwert 
und  Morgenstern,  ohne  Schild,  die  vordersten  Glieder  im  Harnisch,  das 
Maassgebende,  daher  noch  gegen  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  das  Ver- 
hältnis der  Schuss-  zur  blanken  Waffe  bei  den  Schweizern  sich  wie  1 : 5 
gestaltete. 

Für  den  Angriff  von  befestigten  Plätzen  werden  schon  schwere  Ge-  Pig.  XIL 
schütze  aus  Bronze  gebaut.*)   (Tafel  VI,  Fig.  XH.)    Jedoch  ihr  Gebrauch 
konnte  kein  allgemeiner  werden. 

Zu  ihrem  Transporte  waren  59  Pferde  erforderlich,  nämlich:  12  für  Tmnsport 

schwerer 

das  Rohr,  16  zu  den  Blockwagen,  4  für  den  Haspel,  6  für  den  Schirm,  GeacMtM. 
20  zum  Führen  der  15  Steinkugeln,  je  drei  auf  einem  Wagen,   samt 
2V2  Zentner  Pulver  (14  Pfund  oder  7  Kilo  per  Schuss)  und  1  Pferd  für 
den  Büchsenmeisterwagen  mit  seinen  sechs  Büchsenknechten,  und  deren 
Handgerät. 

Das,  soviel  bekannt,  älteste  europäische  Bronzegeschütz  von  mehr  <^®^j°^*«  ^®' 

schweren 

als  gewöhnlicher  Grösse  wurde  im  Jahre  1408  (also  noch  drei  Jahre  vor  Geschütz«. 
der  „Faulen  Mette"  von  Braunschweig)  zu  Marienberg  in  Sachsen  ge- 
gossen; sein  Gewicht  betrug  ungefähr  130  Zentner. 

Siebzig  Jahre  später  liess  Ludwig  XI.  von  Frankreich,  der  in  seinen 
unaufhörlichen  Händeln  mit  England  und  Burgund  die  gewichtige  Ueber- 
redungsgabe  der  „ultima  ratio  regis"  hinlänglich  würdigen  gelernt  hatte, 

»)  MüUer:  „Waffenlehre".    1859. 

*)  „Die  Biesengeschütze  des  Mittelalters  und  der  Neuzeit"  von  R.  Wille. 
Berlin  1870. 

7* 


100  I.    Die  Feuerwaffen. 


ZU  Paris,  Tours,  Orleans  und  Amiens  die  sogenannten  „Zwölf  Pairs  von 
Frankreich"  giessen,  welche  eine  500  Pfund  schwere  Steinkugel  (der  ein 
Kaliber  von  ungefähr  22  Zoll  entsprechen  würde)  über  5000  Meter  weit 
schössen.  Einer  dieser  Pairs  zersprang  übrigens  beim  Anschiessen  und 
tötete  seinen  Giesser,  Namens  Jean  Mocqu6,  nebst  noch  14  Leuten. 

Die  Kolubrine  (coulevrine)  von  St.  Dizier  hatte  einen  Seelendurch- 
messer von  20^/4  Zoll  und  schoss  eine  Granitkugel  von  mehr  als  4  Zentner; 
die  kalibermässige  Eisenkugel  würde  11  Zentner  gewogen  haben. 
susisaM  Im  Kreml  zu  Moskau  befinden  sich  mehrere  Geschütze  von  ausser- 

Monstr«- 

gesehflfcx.  ordentlichen  Grössenverhältnissen;  das  grösste  ist  die  „Zar  -  Puschka", 
oder  die  „Kaiserkanone,"  ein  Rohr  mit  Kammer,  welches  1586  vom  Meister 
Andreas  TschachoflF  gegossen  wurde,  780  Zentner  wiegt,  35  Zoll  Seelen- 
durchmesser hat  und  6,30  Meter  lang  ist. 

Dies  sogenannte  Geschützrohr,  obgleich  als  solches  nur  ein  kolossales 
Schaustück,  das  wahrscheinlich  niemals  einen  Schuss  verfeuert  hat  und 
vielleicht  schon  von  vornherein  gar  nicht  zum  wirklichen  Gebranch  be- 
stimmt war,  ist  doch  als  Gussstück,  namentlich  in  Anbetracht  der  Zeit 
seiner  Entstehung,  höchst  interessant  und  bewundernswürdig. 

Immer  reichhaltiger  wurden  die  Geschütze  aus  gegossenem  Eisen 

und  Bronze,  so  dass  zu  Beginn  des  XV.  Jahrhunderts  Geschütze  aller 

Formen  %und  Gewichte  vorgefunden  wurden.    Man  hatte  die  ganze  Skala 

der  Kaliber  erschöpft,  von  den  Rohren,  welche  100 -Kilogramm -Kugeln 

Schossen,  bis  zu  den  Mörsern  und  Bombarden,  welche  Steinkugeln  von 

600  Kilogramm  Gewicht  schleuderten.    Diese  Verschiedenheit  lag  in  der 

Natur  der  Geschosse;  denn  die  Kanonen  schössen  Bolzen,   Brandpfeile, 

steinerne,    eiserne,    bronzene,   bleierne   Kugeln,    Feuerballen,    glühende 

Steine,  Granaten,  Kartätschbüchsen,  die  mit  Bleikugeln  gefüllt  waren, 

oder  Steinsäcke.    Die  Anwendung  der  Artillerie  konnte  aber  dennoch 

keine  nutzbringende  sein. 

Pig.  Zm.  Die  Geschützrohre  waren  auf  schwerfälligen  Gerüsten,  wie  aus  den 

beiliegenden  Zeichnungen  ersichtlich  ist,  befestigt,  und  erst  in  der  zweiten 

Hälfte  des  XV.  Jahrhunderts  brachte  man  unter  den  Schiessgerüsten  vom 

Räder  an  und  befestigte  hinten  zwei  Handhaben  (Taf.  VI,  Fig.  XUI), 

bei  sehr  schweren  Stücken  auch  eine  Winde,  um  das  Gerüst  bewegen  und 

richten  zu  können. 

Enrter  Deu  erstch  rationellen  und  umfassenden  Gebrauch  vom  Vertikalfeuer 

Gemach  des  machte  Sultan  Muhamed  11.  im  Jahre  1463  bei  der  Belagerung  von  Kon- 

^feal^    stantinopel,   als  die  genuesische  Flotte  hinter  den  Mauern  von  Galata 

Schutz  gegen  das  Feuer  seiner  Kanonen  gefunden  hatte;  schon  der  zweite 

Wurf  des  Mörsers  brachte  ein  feindliches  Schifi  zum  Sinken.    Wie  langsam 

aber  in  dieser  Zeit  die  Kenntnisse   sich   fortpflanzten,  zeigt  schon   der 


Tafel  VI. 


(Erlätttenmgen  umstehend.) 


Erläuterungen  zu  Tafel  Tl. 

Fig.     X.    Kanonsattel  wagen  für  leichte  Kanonen. 

Fig.   XL    Wagen  zum  Transport  von  leichten  Mörsern. 

Fig.  XII.  Riesengeschütz  Mohameds  Tl.,  welches  Kugeln  auf  1500  Meter  schoss, 
aber  zur  Fortbewegung  30  Wagen-Untergestelle,  welche  durch  60  Ochsen 
gezogen  wurden  und  250  Männer  zum  Ebnen  der  Wege  und  Herstellung 
der  Brücken  brauchte.  Das  Geschütz  jedoch  konnte  nicht  mehr  als  7mal 
am  Tage  geladen  werden. 

Fig.  XIII,  1476.  Kolubrine  von  der  Artillerie  Carl  des  Kühnen,  welche  von  den 
Schweizern  in  der  Schlacht  bei  Granson  genommen  wurde;  das  Rohr  ist 
aus  schmiedeeisernen  Stäben  zusammengesetzt  und  hat  keine  SchQdzapfen. 

Fig.  Xllfa.  Zubehörstücke,  die  beim  Laden  der  Geschütze  gebraucht  wurden. 
Mit  dem  Wischer  wurde  die  Seele  gereinigt,  mit  der  Ladeschaufel 
das  lose  Pulver  in  die  Kammer  des  Rohrs  gebracht.  Entgegengesetzt 
dem  Borstenende  hat  der  Wischer  einen  Kolben,  mittels  dessen  die 
Geschosse  an  den  Boden  des  Rohrs  gestossen  werden.  Weiterhin 
sehen  wir  einen  Luntenstock,  der  zum  Abfeuern  des  Geschützes  benutzt 
wird  und  Instrumente  zum  Entladen  des  Geschützes.  Mit  der  Vogelzunge 
sollen  eingeklemmte  Geschosse  gelüftet,  mit  dem  Lumpen-  und  dem 
Dammzieher  Pfropfen,  Pulvorbeutel  u.  s.  w.  aus  dem  Rohr  gezogen  werden. 
Die  Notschraube  dient  zum  Ausziehen  von  hölzernen  Spiegeln,  das 
Visitiereisen  zum  Untersuchen  des  Rohrs  in  Bezug  auf  etwa  darin  befind- 
liche fremdartige  Gegenstände. 

Fig.  XIV,  1500.  Italienisches  Geschütz  kleinen  Kalibers,  dessen  Richtmaschiue 
aus  einem  prismatischen  Holzstück  besteht,  welches  zwischen  dem  Rohr- 
sattel und  der  eigentlichen  Lafette  nach  vor-  und  rückwärts  bewegt  und 
in  korrespondierenden  Einschnitten  fixiert  wurde. 

Fig.  XV,  1509.  Falkonetlein  der  Maximilianischen  Artillerie,  mit  dachförmigem 
Kasten  zwischen  den  Lafettenwänden  zur  Aufnahme  der  Munition  und 
Zubehörstücke. 

Fig.  XVI,  1550.  Feldschlange,  sehr  lang,  mit  einem  Pfund  Pulver  geladen 
schoss  sie  eine  Kugel  von  einem  Pfund. 

Fig.  XVII,  1500.  Deutscher  Mörser,  20-Pfünder  mit  Lafette,  mit  Verengung  im 
Hinterteil  zur  Aufnahme  des  Pulvers,  die  Schildzapfon  sind  bereits  an 
den  Boden  verlegt. 

Fig.  XVIII,  1560.    Französischer  Pulverkarren. 


Die  Geschütze  bis  zum  XVllL  Jalirhaiicleit. 


101 


Umstand,  dass  man  in  Frankreich  das  Mörserfeuer  erst  im  Jahre  1634 
durch  den  englischen  Ingenieur  Malthus  kennen  lernte,  obwohl  gegen  Ende 
des  XV.  Jahrhunderts  die  Artillerie  wesentlich  fortgeschi-itten  war. 

Es  herrschte  6lne  Verschiedenheit  des  Kalibers,  von  der  wir  uns  Pig.  XIV 
heute  nur  schwerlich  einen  Begriff  machen  können.  Die  Doppelkanone  war  *^'  ^'^ 
mit  35  Pferden,  die  Feldschlangenkanone  mit  23,  die  schwere  Kolubrine 
mit  17,  die  mittlere  mit  7  Pferden  bespannt,  die  schweren  Falkonets 
hatten  2 ,  die  leichten  nur  1  Pferd ,  bis  Karl  VUI.  und  Maximilian  I. 
in  der  Artillerie  Frankreichs  und  Oesterreichs  eine  Umformung  vor- 
nahmen. Die  Kaliber  der  schweren  Stücke  wurden  kleiner  und  für  das 
Schiessen  mit  Eisenkugeln  geeignet  (Tafel  VI,  Fig.  XIV  bis  XVI);  die 
mittleren  Kaliber  erhielten  mehr  Beweglichkeit,  um  sie  auch  ins  Feld 
führen  zu  können.  Mörser  wurden  zwar  mitgeführt,  aber  ihr  Gebrauch 
war  sehr  beschi^änkt  wegen  ihrer  Unbeweglichkeit  und  Bauart  (Tafel  VI, 
Fig.  XVn).  Nicht  weniger  charakteristisch  ist  der  damalige  Pulver- 
transport (Tafel  VI,  Fig.  XVHI). 

Aber  als  man  in  der  Mitte  des  XVI.  Jahrhunderts  entdeckt  hatte,  Experimente 


zur 


dass  die  längeren  Geschütze  eine  grössere  Schussweite  geben  als  die  Feststellung 
kürzeren,  geriet  man  wieder  ins  Extrem,  indem  man  Schlangen  einführte,  der*Geaciiüte- 
die  50  Kaliber  lang  waren.    Erst  später  fand  man,  dass  die  übergrosse     ~^'*' 
Länge  der  Geschütze  der  Schussweite  ebenfalls  nachteilig  sei:  man  suchte 
nun  durch  allmähliches  Abschneiden  das  richtige  Längenverhältnis  für  die 
Geschützrohre  zu  finden. 

Ein  Bild  von  dem  damaligen  Zustande  der  Artillerie  ergiebt  sich 
aus  folgenden  Angaben  über  die  1588  nach  Flandern  entsandten  Geschütze. 


Gewicht 


Küo 


Dorohmesser 

des 

Geschützes 

Centimeter 


Gewicht 

des 

Geschosses 

Kilo 


Gewicht 

der 

Pulyerladunp; 

Kilo 


Halbe  Kanonen  . 

Kalikrine 

Halbe  Kalikrine 

Sacra 

Minion 

Falkonet 


3000 

2000 

1500 

750 

550 

400 


16,30 

13,70 

11,10 

8,50 

7,80 

5,90 


15 
9 

4,5 
2,5 
2,2 
1,2 


14 
9 

4,5 
2,5 
2,2 
1,2 


Jedoch  charakteristisch  wai-,   dass  zur  Bedienung  der  Geschütze     M&ngei 


der 


bis  zur  Mitte  des  XVIII.  Jahrhunderts  keine  Bespannung  vorhanden  war,  Bespannung 
sondern  gemietete  oder  requirierte  Pferde,  Ochsen,  Maulesel  genommen     "^es 
wurden.     Sehr  oft  aber  kam  es  vor,   dass  während   der  Schlacht  die  ^JJ^^ertJ!'" 


102  I-    I>ie  Feuerwaffen. 


Fuhrleute   mit   oder   ohne    Zugtiere    entflohen,    die   Kanoniere    hilflos 
zurücklassend. 
Fortaciuitte  Erst  der  Anfang  des  XVn.  Jahrhunderts  bezeichnet  einen  grossen 

in  der 
Ladung  der  FortSChritt. 
06eehütu. 

Pig.  xm  ^^  ^^  dahin  so  umständliche  Laden  mit  der  Schaufel,  wozu  eine 

Tafel  Vn,  ganze  Reihe  sehr  komplizierter  Gerätschaften  nötig  war,  wie  aus  unserer 
Pig.  XIZ  Zeichnung  ersichtlich  ist  (Tafel  VI,  Fig.  XIII),  wurde  abgeschafft  und  statt 
^"'  dessen  die  Pulverladung  in  Beutel  gefüllt  eingeführt.  Auch  führte  man 
Kartätschen  ein,  welche  zuerst  unter  dem  Namen  Hagel,  Hagelgeschoss 
bekannt,  aus  Kieselsteinen,  Stücken  alten  Eisens  etc.  bestanden  und  aus 
Steinböllem,  Mörsern  und  Haubitzen  ohne  irgend  eine  besondere  Ver- 
bindung geworfen  wurden.  Es  war  ein  Fortschritt,  als  sie  in  eine 
Umhüllung  von  Eisendraht  eingefasst  wurden  .6)  Es  wurden  noch  Ketten- 
und  Stangenkugeln  gebraucht  (Tafel  VII,  Fig.  XIX).  Um  sich  das  damalige 
Artilleriewesen  zu  veranschaulichen,  vergegenwärtige  man  sich,  dass  eine 
Unzahl  Handgriffe  zur  Bedienung  des  Geschützes  notwendig,  welche  gar 
nicht  zu  umgehen  waren.  Einen  Begriff  kann  uns  das  französische 
Geschütz  (Tafel  VII,  Fig.  XX)  geben.  Man  kann  sich  also  nicht  wundern, 
wenn  Ergebnisse,  wie  die  in  der  Schlacht  bei  Nördlingen  (1646),  noch  als 
befriedigend  erscheinen  mochten,  dass  nämlich  seitens  der  Artillerie 
dreimal  gefeuert  und  das  vierte  Mal  geladen  war. 

Durch-  Noch  andere  Ursachen  wii'kten  lähmend  auf  die  Entwicklung  der 

^G^ohQte-*' Thätigkeit  der  Artillerie  ein  und  so  musste  das  bunte  Durcheinander 
«*^^--,  d^r  verschiedensten  Geschützäai;en  auf  dem  Schlachtfelde  mannichfache 
iSf  TTHT-  Störungen  hervorbringen.  Bemerkt  sei,  dass  nach  den  Angaben  von 
Montecuculi  die  kaiserliche  Artillerie  in  der  zweiten  Hälfte  des  XVII.  Jahr- 
hunderts zwei  Hauptgattungen  von  Geschützen  hatte:  solche  mit 
zylindrischer  und  solche  mit  glockenförmiger  Bohrung;  zu  den  ersteren 
gehörten  Kanonen  und  Kolubrinen  (Tafel  VTI,  Fig.  XXI),  zu  den  zweiten 
Kanonen,  Steinbüchsen,  Mörser  und  Petarden.  Eiserne  Lafetten  fangen 
an,  gebaut  zu  werden  (Tafel  VII,  Fig.  XXII  und  XXIII)  und  Kartätschen- 
Karren  kommen  in  Gebrauch.    (Fig.  XXIV.) 

Die  Typen  waren  so  zahlreich,  dass  es  als  ein  grosser  Fortschritt 
angesehen  wurde,  als  gegen  Ende  des  XVII.  Jahrhunderts  Frankreich 
die  Zahl  der  Kaliber  auf  sechs  reduzierte,  welche  gleiche  Rohrlänge 
erhielten. 


*)  Die  ersten  Kartätschen,  Steinsäcke  oder  Korbhagel  (Panier  pour  pierrier), 
waren  nichts  anders,  als  von  "Weidenzweigen  nach  dem  Kaliber  des  Stein- 
mörsers geflochtene  Körbe,  die  eine  Anzahl  Kieselsteine  fassten,  und,  auf  einem 
hölzernen  Spiegel  befestigt,  geworfen  wurden. 


Tafel  VU. 


am 


xxm 


XX  vm 

{Erliiulerungen  umstrJtend.) 


Erläuterungen  zu  Tafel  TII. 

Fig.  XIX.  Ketten-  oder  Stangenkugeln.  Es  sind  2  Kugeln  durch  eine  Kette  und 
2  andere  Kugeln  durch  eine  Stange  verbunden.  Weiterhin  sind  2  auf- 
einander passende  Halbkugeln  an  einer  Stange  mit  Gelenk  befestigt.  Kam 
ein  derartiges  Geschoss  aus  dem  Rohr  und  flogen  die  beiden  Kugeln  einiger- 
maassen  gleichmässig  nebeneinander,  so  sollten  diese  durch  die  Stange 
oder  Kette  den  zwischen  ihnen  liegenden  Raum  bestreichen  und  gefährdeten 
so  das  Ziel  auf  einer  grösseren  Breite,  als  es  jeder  einzelnen  möglich  ist. 
Die  "Wirkung  war  aber  eine  sehr  unsichere,  da  die  Stange  häufig  brach, 
überhaupt  auch  nicht  auf  eine  Regelmässigkeit  der  Bewegung  gerechnet 
werden  konnte.  Im  Landkriege  verschwand  die  Kettenkugel  schon  mit 
dem  Ausgang  des  XVII.  Jahrhunderts. 

Fig.  XX,  1568 — 1609.  Französisches  Geschütz  mit  Gabeldeichsel,  die  am  Lafetten- 
schwanz befestigt  und  während  des  Feuems  längs  der  Lafettenwände  um- 
gelegt wurde;  um  im  Gefecht  das  Geschütz  vorwärts  nach  damaliger  Sitte 
zu  bewegen,  war  vom  am  Stirnriegel  ein  Seil  befestigt  und  während  des 
Feuerns  um  das  Rohr  gewunden. 

Als  Richtmaschine  diente  allgemein  ein  einfacher  Holzkeil,  der  auf 
dem  mittleren  Riegel  und  einem  davor  befindlichen  Bolzen  seine  Stütze 
fand.  Die  Bespannung  bestand  bei  den  leichteren  Kalibern  aus  4,  bei  dem 
12-Pfünder  aus  6  Pferden. 

Fig.  XXI,  1650.    Französischer  12-Pfünder  (1650—1700). 

Fig.  XXn,  1713.    Eiserne  Festungs-Laffete  (dänische). 

Fig.  XXIII,  1713.  Feldgeschütz,  3  pfundiges  (dänisches),  mit  scfiimiedeeiserner 
Lafette,  nach  modernen  Prinzipien  konstruiert 

Fig.  XXIV,  1720.    Kartuschkarre. 

Fig.  XXV,  1750.  Oesterreichisches  Geschütz,  durch  Verringerung  der  Metallstärke 
und  Weglassen  von  Zierraten  erleichtert;  mit  Munitionskasten  und  Ketten. 
Die  Lafette  ist  an  einen  Vorderwagen  angehängt,  somit  das  Geschütz 
zu  einem  vierräderigen  Fahrzeug  umgestaltet. 

Fig.  XXVI,  1777.    Rohr  nach  Gribeauval's  System. 

Fig.  XXVIT.  Rahmlafette,  aus  zwei  aufeinandergesetzte  Bohlen  hergestellt. 
Die  hohen  Wände  ruhen  am  vorderen  Ende  auf  einer  Achse  mit 
zwei  Speichenrädem,  am  hinteren  Ende  auf  einem  Blockrad.  Alle  drei 
Räder  haben  auf  dem  nach  hinten  aufsteigenden  Rahmen  Führung. 
Letzterer  dreht  sich  um  einen  am  Vorderteil  angebrachten  Zapfen  und 
bewirkt  zugleich  die  Drehung  des  ganzen  Geschützes.  Die  Bedienung 
wird  durch  diese  Einrichtung  in  jeder  Weise  erleichtert,  doch  verbietet 
sich  ihre  stete  Anwendung  durch  die  Kompliziertheit  der  ganzen  Kon- 
struktion und  die  Schvnerigkeit  der  Aufstellung. 

Fig.  XXVIII.    Hebevorrichtung. 


Die  Geschütze  bis  zum  XVliL  Jahrhundert.  ]^03 

Ein  weiterer  Fortschritt  in  der  Bedienung  der  Geschütze  bestand 
darin,  dass  am  Anfang  des  XVIII.  Jahrhunderts  das  Ueberschmieden  der 
Kanonenkugeln,  um  sie  runder,  glatter  und  dichter  zu  machen,  in 
Oesterreich  und  Bayern  eingeführt  wurde,  welches  Verfahren  dann  auch 
in  Frankreich  Aufnahme  fand. 

Charakteristisch  für  diese  stagnierende  Zeit  ist,  dass  noch  1732  in 
der  französischen  Artillerie  15  zöllige  Steinmörser  gebraucht  wurden. 

Um  Mitte  des  XVm.  Jahrhunderts   wurden  Verbesserungen  und  »«deutender 
neue  Einrichtungen  in  den  Artillerien  geschaffen,  durch  welche  diese      der 
Periode  gekennzeichnet  ist.     Dies  geschah   von  Seiten  hervorragender  seit  Mitte 
Männer  —  in  Deutschland  Friedrich  II.,  Fürst  Wenzel  Liechtenstein,  und  xvnwahr- 
in  Frankreich  Gribeauval.    Sie  leiteten  die  artilleristische  Aufbesserung   tanäertB. 
und   schufen   ganz   neue   Systeme.     Als  Typus   wollen   wii*   ein   öster-  "^'  ^^' 
reichisches  erleichtertes  Geschütz  auffuhren  (Tafel  VII,  Fig.  XXV). 

In  der  österreichischen  Artillerie  wurde  unter  den  Bemühungen 
Liechtensteins  eine  grössere  Beweglichkeit  der  Geschütze  durch  Ver- 
ringerung der  Metallstärken  und  Verkürzen  der  Rohre  erlangt,  und  da- 
durch die  Möglichkeit  gegeben,  Protzen  mit  entsprechendem  Munitions- 
vorrate mitzuführen. 

Die  grösste  Reform  in  der  Artillerie  bahnte  jedoch  Gribeauval  in  6rii>e»nTfti 
Frankreich  an,  als  er  erster  Generalinspektor  der  Artillerie  wurde  (1777),  Frankreich. 
indem  er  sein  Prinzip,  beim  Artilleriematerial  nach  dessen  Verwendung  Wg.IIYI 
Feld-,  Festungs-,  Belagerungs-  und  Küstengeschütz  zu  unterscheiden  "'^^•"• 
und  es  danach  auch  zu  konstruieren,  endgiltig  durchführte. 

Das  seit  dem  Jahre  1766  angebahnte  System  (Tafel  VIT,  Fig.  XXVD, 
welches  seinen  Namen  nach  Gribeauval  führt,  umfasste:  24-,  16-,  12-  und 
8 zöllige  Festungsgeschütze;  12-,  8-  und  4 zöllige  Feldgeschütze;  8 zöllige 
Belagerungshaubitzen;  6zöllige  Feldhaubitzen;  12-,  10-  und  8zöllige 
Mörser  und  —  was  beinahe  unglaublich  scheint  —  der  Steinwurf  wurde 
beibehalten. 

Gribeauval  führte  zugleich  statt  der  unbequemen  Holzlafetten 
(Tafel  Vn,  Fig.  XXVEI)  Eisenlafetten  und  die  Vereinigung  von  Pulver- 
ladung und  Kugel  (Kartusche)  ein,  auch  statt  der  Beutel-  ausschliesslich 
Büchsenkartätschen.  Jedes  Kaliber  erhielt  Kartätschen  mit  gi'ossen  und 
solche  mit  kleinen  eisernen  Schroten. 

Zu  derselben  Zeit  aber  hatte  die  Vervollkommnung  der  Infanterie- 
Feuerwaffe,  der  ausgedehnte  Gebrauch  der  Plänkler  das  Gleichgewicht 
zwischen  Infanterie  juind  Artillerie  gestört,  und  wenn  diese  ihren  Platz 
behaupten  wollte,  wurde  es  zur  unbedingten  Notwendigkeit,  eine  grössere 
Beweglichkeit  der  Feldgeschütze  und  die  Erweiterung  ihrer  Wirkung  auf 
grössere  Entfernungen  zu  erreichen. 


X04  L    «^i^  Feuerwaffen. 


^< 


Einffliiniiig  ^i^Q  bedeutende  Neuerung  führte  Friedrich  n.  ein,  indem  er  1759 

reitenden  die  Formierung  einer  reitenden  Batterie  von  6  pfundigen  Kanonen  verfügte. 
duTcii     Der  Gebrauch  reitender  Artillerie  war  wohl  nicht  neu,  da  man  schon  im 
Friedrich  n.  XVI,  und  XVII.  Jahrhundert  ihre  Anwendung  und  ihre  Vorteile  kannte. 
Die  preussische  Einrichtung  bietet  jedoch  gegenüber  dem  früheren  Ge- 
brauche reitender  Artillerie  den  Unterschied,  dass  Friedrich  U.  nicht 
einzelne  von  Reitern  bediente  Geschütze,  sondern  einen  Truppenteil  schuf. 
Diesem  Beispiele  folgten  bald  aUe  anderen  Mächte. 


b)  Fortschritte  der  Artillerie  vom  Begiane  des 
XIX.  Jahrhunderts  bis  1850. 

B<v-  In  der  Periode  der  Revolutionskriege  begann  man  in  Frankreich, 

Napoleons  I.  um  dcu  dringendsten  Anforderungen  zu  entsprechen,  die  Geschütze  füi* 
J^ketang  ^^  ^^^^  Kriegführung  bequemer  und  wirksamer  herzusteUen. 
Artuierie.  ^^®  Feld -Artillerie  wurde  in  die  Regiments-  und  in  die  Reserve- 

Tafel  VH  (Positions-)  Artillerie  gegliedert,  140  Kompagnien  sollten  846  Geschütze 
''^'•??^  bedienen. 

Im  Jahre  1796  teilte  Napoleon  Bonaparte  die  Feld -Ai*tillerie  den 
Infanterie-Divisionen  zu,  einschliesslich  die  6  zölligen  Haubitzen,  welche 
sich  früher  in  der  ReseiTe  befanden,  weshalb  ihre  Zahl  vermehrt  wurde. 
Aber  als  diese  Geschütze  mit  den  Kanonen  in  einer  Linie  auftraten, 
machte  sich  ihre  Mangelhaftigkeit  sogleich  fühlbar. 

Bis  zur  Zeit  Friedrichs  des  Grossen  wurden  Schlachten  schon 
mehrere  Tage  zuvor  vorbereitet,  beide  Gegner  suchten  sich  des  Vorteils 
einer  guten  Stellung  zu  versicheni.  War  eine  solche  gefunden,  so  ver- 
stärkte man  sie  schleunigst  durch  Feldbefestigungen  und  lüstete  diese 
Erdwerke  mit  Geschützen  aus. 

Dann  erwartete  man  den  Angriff  des  Gegners  oder  ging,  wenn  man 
sich  stark  genug  fühlte,  zum  Angriff  aus  der  Stellung  vor.  Hierbei,  wie 
auch  bei  der  Vei-teidigung,  suchte  man  der  Artillerie  eine  möglichst 
dominierende  Feuerstellung  zu  verschaffen,  welche  meist  während  des 
ganzen  Gefechts  innegehalten  wurde.  Ein  preussisches  25  pfundiges 
Geschütz  von  1800  zeigt  uns  Tafel  Vm,  Fig.  XXIX,  und  Fig.  XXX 
eine  englische  Feldhaubitze  aus  derselben  Zeit. 

Friedrichs  des  Grossen  Siege  verursachten  bei  allen  Mächten  eine 
Aenderung  des  Artilleriematerials.  Die  nach  dem  System  Gribeauval 
konstiniierten  Geschütze  waren  bereits  erleichtert  und  beweglicher  gemacht, 
so  dass  die  französische  Feld -Artillerie  1789  über  ein  brauchbares,  auch 
für  schnellere  Bewegungen  geeignetes  Material  verfügte. 


Tafel  Vffl. 


XXX  isoT 


IMl 


xxxm  XXXIV  XXXV 


xxxvni 

{Erläaterungen  vmiteienil.} 


Erläuterungen  zu  Tafel  VIII. 

Fig.  XXIX,  1800.    Ein  preussisclier  25-Pfimder. 

Fig.  XXX,  1800.  Eine  englische  Feldhaubitze  von  1800.  Die  beiden  Wände  der 
Lafette,  welche  das  Rohr  tragen,  reichen  nur  bis  kurz  hinter  das  letztere 
und  setzen  sich  in  Gestalt  eines  einzigen  Blockes  nach  dem  Schweif  zu 
fort.  Man  nannte  derartig  eingerichtete  Lafetten  —  Blocklafetten.  Der 
Vorderwagen,  Protze  genannt,  ist  bereits  mit  einem  Kasten  versehen,  der 
Munition  aufnimmt  und  zugleich  als  Sitz  dient. 

Fig.  XXXI,  1803.  Das  Napoleon'sche  Geschütz.  Die  Bohrung  hatte  keine  Kammer 
und  einen  senkrecht  auf  die  Rohrachse  gestellten  Stossboden;  das  Rohr- 
gewicht lag  zwischen  600  und  620  kg;  die  Lafette  war  eine  Blocklafette 
mit  Protzring,  vorn  hatte  sie  zwei  kurze  Seitenwändo,  in  denen  die  Schild- 
pfannen sich  befanden. 

Fig.  XXXII,  1807.  Rotations-Raketen,  mit  Hohlgeschoss  armiert,  welche  1807 
eingeführt  und  späterhin  (1857)  verbessert  wurden,  g  ist  das  Geschoss, 
unter  demselben  befindet  sich  eine  Aushöhlung,  Rotationskammer  IT,  mit 
vier  Rotationslöchem  o.  Die  Raketenhiilse  besass  am  vorderen  Ende  den 
Massivsatz  Af,  im  rückwärtigen  Teile  den  Triebsatz  Z  mit  der  Durch- 
bohrung Ic.  Das  Anbrennen  des  Zünders  erfolgte  durch  eine  Stoppine 
welche  in  dem  von  einem  Rotationsloche  zur  Geschossspitze  laufenden 
Kanal  lag. 

Das  Raketen -Geschütz  bestand  aus  dem  Fussgestell  F^  der  Richt- 
maschine Q,  dem  Raketenlauf  L  und  dem  Beschwerer  B.  Zum  Abfeuern, 
diente  anfanglich  ein  Perkussionsschloss  mit  Abziehkette;  später  kamen 
Friktionsbrandel ,  für  welche  der  Lauf  rückwärts  einen  Zündkanal  besass, 
in  Gebrauch. 

Der  Feldzug  von  1866  stellte  heraus,  dass  die  Wirkung  dieser  Raketen 
doch  nicht  den  gesteigerten  Forderungen  an  die  Artillerie  zu  entsprechen 
vermochte,  weshalb  sie  später  aufgegeben  wurden. 

Fig.  XXXIII,  1861.  Oosterreichisches  eisernes  Rohr  und  Batterie -Lafette 
System  1861. 

Fig.  XXXIV,  1861.  Depressions -Lafette,  um  unter  sehr  grossen  Senkungen 
(Depressionen)  zu  feuern. 

Fig.  XXXV.  Die  hohe  Batterie -Lafette  (15  cm)  unterscheidet  sich  von  der  ge- 
wöhnlichen Batterie- Lafette  wesentlich  durch  den  eisernen  Aufsatz,  in 
welchem  sich  die  Schild pfannen  samt  Deckeln  für  den  Schiessgebrauch 
des  Rohres  befinden. 

Fig.  XXXVI,  1863.  Gezogene  7-Centimeter-Vorderlad-Gebirgskanone  aus  gewöhn- 
licher Bronze  nach  Methode  des  Massiorgusses  erzeugt 

Fig.  XXXVII,  1863.  Gezogene  8-  und  10-Centimeter-Feldkanone  aus  Bronze,  nach 
derselben  Methode  erzeugt. 

Fig.  XXXVIII,  1863.  Hohlgeschosse  Mod.  1861  aus  Gusseisen,  einwandig  und 
am  zylindrischen  Teile  mit  einem  Bleimantel  &,  umgeben. 

An  letzterem  befinden  sich  wulstartige  Erhöhungen,  deren  Durchmesser 
so  gross  ist,  wie  jener  der  gezogenen  Bohrung  in  den  Zügen.  In  das 
Mundloch  des  Geschosses  wird  der  Hinterlad-Perkussionszünder  Mod.  1861 
eingeschraubt;  in  das  seitwärts  befindliche  Vor  steckerloch  kommt  der 
Vorstecker  v. 

Die  Zündschraube  z  und  der  Vorstecker  werden  erst  unmittelbar  vor 
dem  Laden  eingesetzt:  bis  dahin  ist  die  Öffnung  für  die  Mundlochschraube 
und  das  Vorsteckerloch  mit  Papierpfropfen  geschlossen. 


Fortschritte  der  Artillerie  vom  Beginne  des  XlX.  Jahrhunderts  bis  1850.  105 

Das  von  Napoleon  vorgeschriebene  sogenannte  System  des 
Jahres  XI  umfasste  kurze  24pfiin(lige  Kanonen,  lange  und  kurze  12pfundige 
und  6 pfundige  Kanonen,  Spfündige  Gebirgskanonen,  24zöUige  Haubitzen 
und  24  zöllige  Mörser.  Später  traten  6  zöllige  Haubitzen  und  Mörser  hinzu, 
und  während  der  Kriege  des  Kaiserreichs  an  Stelle  der  Feldkanonen 
12-  resp.  Spfündige  Kanonen;  auch  wurden  fahrende  Kavallerie-Batterien 
eingeführt. 

Bemerkenswert  aus  dieser  Epoche  ist,  dass  der  Wohlfahrts-Ausschuss  Aangedehnte 

Veraache 

Versuche  mit  Hohlgeschossen  angeordnet  hatte,  die  in  den  Jahren  1794  mit 
und  179B  sehr  geheimnisvoll  betrieben  worden  waren.  Es  wurden  ^^^^^^'^fif'^"- 
140000  Hohlkugeln  und  54000  Brandkugeln  in  die  Häfen  geschickt,  um 
die  Flotte  damit  zu  armieren.  Da  man  sich  aber  gegen  die  Gefährlichkeit 
dieser  Geschosse  nicht  genügend  gesichert  hatte,  so  sprach  sich  eine 
Marine -Kommission  (1802)  gegen  den  Gebrauch  der  Hohlgeschosse  auf 
Schiflfen  aus,  und  es  blieb  einer  späteren  Zeit  vorbehalten,  diese  Frage 
zu  lösen. 

Die  immer  von  neuem  anfangenden  Kriege  der  Republik  und  des 
Kaiserreiches  behinderten  die  gedeihliche  Fortentwickelung  der  Artillerie. 

Die  1803  durch  Napoleon  I.  eingeführten  Geschütztypen  (Tafel  VHI,  Pig.  XXXI 
Fig.  XXXI)  beruhten  auf  Grundsätzen,  welche  in  einer  längeren  Friedens-  ^  KXIL 
Periode  erst  hätten  erprobt  werden  müssen,  während  die  kriegerischen 
Zeiten  zu  Ueberstürzungen  drängten.  Schon  1810  trat  auf  Befehl  des 
Kaisers  eine  Kommission  zusammen,  um  das  obige  (nur  teilweise  zur  Ein- 
führung gelangte)  System  abzuändern.  Als  jedoch  die  anderen  Mächte 
keine  bedeutenden  Aenderungen  vornahmen,  wurde  durch  Napoleon  die 
Reform  der  Artillerie  ebenfalls  lässig  betrieben.  Bemerkenswert  aus 
dieser  Zeit  ist  die  Einführung  von  Rotationsraketen  mit  Hohlgeschossen 
(Tafel  Vm,  Fig.  XXXH). 

Das  österreichische  Feldartillerie  -  System  blieb  ohne  erhebliche 
Aenderungen  auf  dem  Standpunkte,  den  es  im  Jahre  1763  durch  den 
Fürsten  Liechtenstein  erhalten  hatte,  und  das  preussische  auf  dem  Stand- 
punkte des  Königs  Friedrich  H. 

Den  ersten  Anstoss   zu  einer  Umformung  des  Artilleriematerials      Neue 

KanoneD- 

gab  England  1822,  indem  es  neue  Typen  von  Kanonen  und  Haubitzen      and 
schuf,  welche  zweckmässige  Blocklafetten   hatten   und   sehr   beweglich  ^"^jl^J*""" 
waren.     Die  Batterien  hatten  6  Geschütze,   darunter  je  eine  Haubitze.  J»  England 

'  ''  seit  1822. 

Ausserdem  führte  England  zwei  neue  Gescliossarten  ein,  nämlich  (1807) 
Raketen  und  Shrapnels. 

In  Preussen  richtete  sich  nach  Beendigung  des  Befreiungskrieges  Nachfolge 

anderer 

die  Aufmerksamkeit  vielfach  auf  das  englische  System,   was   zu   dem    Staaten. 
Material  von  1842  führte.  Indessen  war  in  jener  Zeit  die  Panik  vor  einer 


106  ^    ^^^  Feuerwaffen. 


besseren  Waffe  der  anderen  Staaten  nicht  so  gross  wie  heute  und  die 
letzten  Geschütze  alter  Konstruktion  schieden  erst  1862  und  1853  aus 
der  preussischen  Feld-Artillerie. 

Für  die  russische  Artfllerie  war  es  das  Jahr  1838,  welches  wesent- 
liche Aenderungen  im  Feldgeschütz-System  brachte. 

In  Oesten-eich  entwarf  man,  als  die  mittlerweile  erheblich  ge- 
steigerte Wirkung  der  Hand-Feuerwaffen  endlich  zu  einer  Umbildung  des 
Systems  gezwungen,  1860  ein  neues  Feldgeschütz-System,  das  sogenannte 
„Projekts-Material",  welches  aber  erst  unmittelbar  vor  Annahme  der 
gezogenen  Geschütze  zur  teilweisen  Einführung  gelangte. 
GasMiserne  Eine  Neueruug  von  grösster  Wichtigkeit  wurde  aber  durch  Frank- 

Boinb60-  ^ 

kauonen  ia  rcich  augcbahut,  und  zwar  durch  Paixhans,  welcher  von  1809  ununter- 
""*''■  brochen  Vorschläge  machte,  Bombenkanonen  aus  Gusseisen  von  schwerem 
Kaliber  und  einem  Bohrungsdurchmesser  von  7,  8  und  10  Zoll  her- 
zustellen. Nachdem  die  ersten  zu  Brest  ausgeführten  Versuche 
(1824)  mit  einer  80 pfundigen  Bombenkanone  günstig  ausfielen,  wurden 
1836  die  80-Pfünder  auf  vielen  französischen  Kriegsschiffen  ein- 
geführt. 

sknpnei.  Eiuc  zwcite  nicht  minder  wichtige  Neuerung  im  Artilleriegeschoss- 

wesen betraf  das  vom  Oberst  Shrapnel  aufgestellte  Prinzip  der  Spreng- 
geschosse. Die  schon  in  früheren  Jahrhunderten  gebrauchten,  mit  Blei- 
kugeln und  einer  Sprengladung  gefüllten  Hohlkugeln  boten  in  ihi-er 
Wirkungsart  nichts  Eigentümliches  dar,  da  ihr  Sprengmoment  —  wie 
jener  der  gewöhnlichen  Hohlkugeln  —  nicht  beherrscht  war.  Oberst 
Shrapnel  ergriff  die  Idee  (1803),  diese  Geschosse  vor  dem  Ziele  und  in 
geAvisser  Höhe  über  demselben  krepieren  zu  machen,  um  die  Kugelfüllung 
in  einer  Garbe  gegen  dieses  zu  treiben.  Der  Hauptaccent  der  ganzen 
Frage  lag  offenbar  in  der  Herstellung  eines  zur  richtigen  Zeit  entzünd- 
baren Zünders;  jene  grossaitige  Bewegung  auf  diesem  Gebiete  bekam 
einen  mächtigen  Impuls  nach  vorwärts,  als  Bonnann  (1835)  das  Prinzip 
des  lingförmigen  Zündersatzes  erfand. 

Wie  langsam  aber  die  Bemühungen  noch  in  der  ersten  Hälfte 
unseres  Jahrhunderts  im  Vergleich  zu  heute  sich  fortpflanzten,  ersieht 
man  daraus,  dass  die  Engländer  bereits  in  den  spanischen  Kriegen 
(1807—16)  vielfach  auf  Entfernungen  von  450  bis  1250  Meter  Shrapnels 
angewandt  hatten,  Frankreich  aber  hatte  noch  im  Jahre  1850  die 
Shrapnelfrage  unerledigt  gelassen  und  Preussen  besass  bis  zum  Jahre 
1840  überhaupt  keine  Shrapnels  in  der  Ai-tillerie -Ausrüstung. 

scUig-  Einen  weiteren  Fortschritt  bildete  die  Anwendung  von  Schlagröhrchen 

fud^imtommit  fulminantem  Zündsatze  (1830). 

Zlüidflati. 


Gheschüize  und  Geschosse.  —  Uebergangsperiode  von  1850  bis  1800.  107 


Hierdurch  erst  wurde  die  Artillerie  der  Notwendigkeit  enthoben, 
im  Feuergefechte  stets  mit  brennender  Lunte  versehen  zu  sein;  die 
Zündung  wurde  nun  leichter,  präziser  und  sicherer. 

Ungeachtet  dessen  blieb  der  Stand  der  Artillerie  noch  ein  sehr 
mangelhafter. 

Beim  Gebrauch  von  Kugeln  oder  Granaten  im  flachen  Bogen  galten 
im  Felde  als  grösste  Entfernung,  auf  welcher  noch  ein  nennenswertes 
Eesultat  zu  erwarten  war,  für  die  schweren  Kaliber  1200  Meter,  für  die 
leichten  1000  Meter;  darüber  hinaus  gebrauchten  die  deutschen  Artillerien 
den  minderwertigen  Rollschuss  und  Rollwurf. 

c)  Uebergangsperiode  von  1850  bis  1860. 

Die   besonders    in   der   Ausnutzung    des   Tirailleurgefechtes    vor-      ^" 

"  "  gezogenen 

geschrittene  Taktik,  namentlich  aber  der  ausgedehnte  Gebrauch  gezogener  oeweiire  ais 
Gewehre,  welche  eine  Annäherung  auf  wirksame  Entfernungen  (zu  da-  «,  ^^^^ 
maliger  Zeit   grösste  Tragweite  des  direkten  Schusses  mit  Vollkugeln  ^«'*^jj'***« 
1800  Meter,  mit  Hohlkugeln  600  Meter)  allzu  gefährlich  machten,  mussten  Artuiene. 
nicht  bloss  auf  die  Verwendung,  sondern  auch  auf  die  Bedeutung  der 
Artillerie    einen    grossen    Einfluss    ausüben    und    zu    vielseitigen    Re- 
formen führen.    Das  Jahrzehnt  1850/60  erscheint  deshalb  auch  als  das 
entscheidende  für  die  Entwicklung  der  modernen  Artillerie,  welche  in 
dieser  Zeit  die  grössten  Anstrengungen  zur  Herstellung  eines  um  so 
dringender  gebotenen  neuen  glatten  Feldgeschützes  machte,  als  durch 
Steigerung  der  Kartätschen-  und  Shi*apnelwirkung  die  Vollkugel,  nach 
Aufgeben  der  tiefen  Gefechtsstellungen,  bedeutend  an  Wert  verloren  hatte. 

Es  erschien  somit  angezeigt,  sie  durch  die  Granate  zu  ersetzen,    onw^t- 
was  zui'  Konstruktion  von  Granatkanonen  führte,  unter  denen  das  fran- 
zösische Modell  vom  Jahre  1849  den  hervorragendsten  Platz  einnahm, 
und  von  erleichterten  resp.  verkürzten  12-Pfündem. 

Die  französische  Armee  in  der  Krim  war  durchgehends  mit  dem 
neuen  Material  versehen. 

Von  dem  Verlust,  den  die  Artillerie  im  Allgemeinen  durch  Ein- 
führung der  gezogenen  Gewehre  erlitten  hatte,  fiel  ein  bedeutender  Teil 
besonders  auf  die  reitende  Artillerie.  Die  Entwertung  des  Kartätsch- 
schusses, dessen  Gebrauch  sie  gleichsam  als  ihre  Domäne  betrachtet 
hatte,  musste  alle  von  dieser  Truppe  gebotenen  Vorzüge  zu  nichte  machen. 

Auch  den  Raketen  schenkte  man  mit  Bezug  auf  erhöhte  Wirkung 
eine  gesteigerte  Aufmerksamkeit. 

Inzwischen  entwickelte  sich  langsam  das  gezogene  Geschütz  als  AUmihiiche 
Vertreter  des  neuen  Prinzips,  welches  die  Hand-Feuerwafien  zu  so  be-  wickeiung 
deutender  Höhe  erhoben  hatte.  Gichütew." 


X08  ^    -^^^  Feuerwaffen. 


Bahn-  Die  Konstruktion  von  gezogenen  und  von  Hinterlade-Geschützen  ist 

brechends 

Leistungen  Seit  Jahrhunderten  oftmals  versucht  worden;  zahlreiche  Quellen  weisen 
cavaius.  ^^  Existeuz  von  Rohren  aus  früheren  Jahrhunderten  nach,  in  welchen 
sich  entweder  gerade  oder  selbst  spiralförmige  Einschnitte  (Züge)  befunden 
haben.  Schon  im  XV.  und  XVI.  Jahrhundert  tauchten  sie  unter  dem 
Namen  „Kammerbuchsen,  Keüstücke,  Keilgeschütze'*  auf.  Die  Herstellung 
einer  wirklich  brauchbaren  Konstruktion  scheiterte  aber  an  den  Un- 
vollkommenheiten  der  Technik,  so  dass  man  die  sich  darbietenden 
Schwierigkeiten  für  unüberwindlich  hielt.  Diese  Hindernisse  des  neuen 
Prinzips  überwand  zuerst  mit  praktischem  Erfolge  der  sardinische 
Artillerie  -  Major  Cavalli  (1833),  welchen  die  Regierung  autorisierte, 
22  Haubitzen  herzustellen.  Cavallis  Geschütz  schoss  mit  4  Kilogramm 
Ladung  ein  30  Kilogramm  schweres  Geschoss  auf  3500  Meter. 
Gezogene  In  Folge  des  Krimkrieges  waren   auch    in  Frankreich  Versuche 

^  and 

la-pfttndep  mit  gezogenen  Geschützen  angestellt  worden  (1855).  um  rasch  zu  einem 
Franbeich.  gedeihlichcu  Resultat  zu  gelangen,  beauftragte  Napoleon  den  Präsidenten 
des  Artillerie-Komitees,  General  .de  La  Hitte,  mit  der  Konstruktion 
uud  Erprobung  eines  Feldkalibers.  Auf  Grund  der  Versuchsergebnisse 
von  1856  wurde  entschieden:  der4-Pfünder  solle  mit  einem  Geschoss  von 
4  Kilogramm  als  Feldgeschütz,  daneben  gezogene  12-Pfünder  in  geringer 
Zahl  eingeführt  werden.  Die  Herstellung  der  neuen  Geschütze  wurde  1858 
angesichts  des  drohenden  Krieges  mit  Oesterreich  mit  solcher  Energie 
betrieben,  dass  im  italienischen  Feldzuge  1859  schon  32  Batterien  ge- 
zogener 4-Pfünder  und  4  Batterien  gezogener  12-Pfünder  auftreten 
konnten,  welche  so  gute  Dienste  leisteten,  dass  in  der  Zeit  1859/60 
das  französische  System  in  den  meisten  Artillerien  mit  geringen 
Aenderungen  angenommen  wurde.  Vorläufig  waren  nur  England  und 
Preussen  hiervon  ausgenommen.' 

Wenn  sich  dennoch  im  italienischen  Kriege  die  Ueberlegenheit  der 
gezogenen  Geschütze  über  die  österreichischen  glatten  Geschütze  nicht 
derart  bekundete,  wie  man  zu  erwarten  berechtigt  gewesen,  so  findet 
dieser  Umstand  seine  Erklärung  darin,  dass  die  Ueberweisung  der 
neuen  Waffe  an  die  Truppen  wegen  Mangel  an  Zeit  ohne  jede  Instruktion 
erfolgen  musste.  Grösstenteils  empfingen  die  Batterien  das  neue  Material 
erst  in  Toulon,  Marseille  oder  Lyon  am  Tage  der  Einschiffung  oder  des 
Abmarsches,  so  dass  weder  Offiziere  noch  Mannschaften  von  der  Ver- 
wendung die  geringste  Ahnung  hatten.^ 
vorattge  der  Dic  uach  dem  Kriege  angestellten  Vergleiche  zwischen  den  glatten 

G^Mcitttee  und  gezogenen  Geschützen  ergaben  indessen  folgendes  Resultat. 

vor  ___  

den  glatten. 

0  Fürst  Hohenlohe:   „Das  gezogene  Geschütz"  1860. 


Die  Feld-Artillerien  nach  1866  bis  zur  Anwendung  des  rauchschwachen  Pulvers.    \(jQ 


Das  gezogene  Geschütz  bietet  statt  der  vorherigen  Unsicherheit 
eine  grosse  Wahrscheinlichkeit  des  Treffens  auf  alle  Distanzen  bis 
1800  Meter. 

Ueber  die  genannte  Distanz  hinaus  wird  die  Sicherheit  des  Treffens 
zur  Wahrscheinlichkeit,  aber  noch  immer  in  .so  erhöhtem  Maasse,  dass 
sie  die  der  glatten  Geschütze  auf  deren  nächsten  VoUgeschoss-Distanzen 
um  450  bis  600  Meter  übertrifft. 

Die  bedeutende  Wahrscheinlichkeit  des  Treffens  nimmt  mit  derPig-XXXVl 
Zunahme  der  Entfernung  nur  in  dem  Maasse  ab,  als  das  Zielobjekt  durch  yttviil 
diese  dem  menschlichen  Auge  so  klein  erscheint,  dass  man  nicht  mehi- 
sicher  sein  kann,  das  Geschütz  wirklich  gut  gerichtet  zu  haben,  denn 
das  Geschütz  schiesst  genauer,  als  das  menschliche  Auge  sieht.  Die 
Typen  der  in  Oesterreich  infolge  dieser  Versuche  eingeführten  Geschütze 
zeigen  uns  auf  Tafel  VIH  die  Fig.  XXXVI  u.  XXXVH,  und  Fig.  XXXVIU 
die  damaligen  gusseisemen  Hohlgeschosse. 

d)  Die  Feld -Artillerien  nach  dem  Jahre  1866  bis  zur 
Anwendung  des  rauchschwachen  Pulvers. 

Der  Krieg  von  1866  führte  zum  ersten  Male   eine  grössere  Zahl  E«t»n»iig6 

grössere  Yer- 

gezogener  Geschütze  ins  Feld.    Auf  einer  Seite  standen  vornehmlich  die   wenduuK 
österreichischen   Vorderlader,    688   Geschütze   (ausserdem   58   sächsiche  gwl^neu 
Hinterlader   preussischer   Lieferung).     Auf   der  anderen   Seite   standen  ^^^^*^®^ 
641  preussische  Hinterlader.    Dazu  kamen  auf  beiden  Seiten  noch  glatte,      isee. 
und    zwar    kurze    12-Pfünder,    ausserdem    15  -  Centimeter  -  Haubitzen 
(Erfurter  Ausfall-Batterie)  etc.    Zusammen  422  glatte  Geschütze. 

Letztere  leisteten  im  Feldzuge  so  gut  wie  nichts,  sie  waren  den 
gezogenen  gegenüber  machtlos  und  zum  Nahkampf  gegen  andere  Waffen 
nur  in  wenigen  Fällen  gekommen.  Doch  auch  die  gezogenen  (Hinterlade-) 
Geschütze  hatten  nicht  die  —  allerdings  übertriebenen  —  Ei'wartungen 
erfüllt,  welche  auf  ihre  Wirkung  gesetzt  worden  waren.  Diese  erwies 
sich  gegen  Feldbefestigungen  und  Erddeckungen  als  unzureichend. 

Bei  Beginn  des  Krieges  1870—1871  gab  es  in  der  französichen  Feld-  ^/^"^f  J" 
Artillerie  Bronzekanonen  und  25 läufige  Mitrailleusen.  Die  Wirkung  der  oussstahi- 
Geschütze  war  wenig  befriedigend.  den 

Bis  zum  Jahre  1870  war  das  stärkste  der  französischen  Feldgeschütze,  "bmhä^*" 
wie  wir  schon  angegeben  haben,  die  12-Centimeter-Kanone,  deren  Granaten  ^"""^f.  "°^ 
22  Sprengstücke  ergaben.  traiuensen. 

Dagegen  war  in  Preussen  die  gesamte  Artillerie  mit  gezogeneu 
Gussstahlgeschützen  versehen,  1718  an  der  Zahl,  deren  Vorzug  vor  den 
französischen  Geschützen  in  einer  besseren  Konstruktion  der  Geschütze 


HO  I.    Die  Feuerwaffen. 


und  Greschofese  bestand,  was  in  grösserer  Treffsicherheit  und  Geschoss- 
wirkung derart  zu  Tage  trat,  dass  die  Wirkungsfähigkeit  der  fran- 
zösischen Geschütze  völlig  abgeschwächt  wurde. 

Nichtsdestoweniger  waren  die  Preussen  mit  ihrer  Artillerie  nicht 
ganz  zufrieden;  sie  war  .gegen  Schützenketten,  besonders  in  durch- 
setztem Gelände,  von  geringer  Wirkung.  Die  Ursache  dieses  Uebelstandes 
war  besonders  ungenügende  Rasanz  der  Flugbahn,  geringe  Anfangs- 
geschwindigkeit und  mangelhafte  Einrichtung  der  Geschosse.  Eine  weitere 
Erfahrung  brachte  der  deutsch-französische  Krieg,  nämlich,  dass  die  neuen 
Gewehre  vermöge  ihrer  Kraft  und  Treflfweite  den  Angriff  gegen  in  fester 
Stellung  stehende  Infanteriemassen,  ohne  Hilfe  der  Artillerie  als  äusserst 
riskant  erscheinen  lassen.  Ueberall  machte  sich  nun  das  Bestreben  geltend, 
auch  die  Kraft  und  Treffweite  der  Geschütze  zu  steigern.  Dies  konnte 
natürlich  nur  durch  Steigerung  der  Anfangsgeschwindigkeit  der  Geschosse 
erreicht  werden,  wozu  der  Widerstand  des  Geschützrohres  gegen  den  Druck 
der  Pulvergase  vergi'össert  werden  musste. 
Be-  Die  zu  dieser  Zeit  geraachten  Fortschritte  in  der  Fabrikation  des 

^e  www-  Tiegelstahls  nach  dem  Martin  Siemens -Veifahi'en  gaben  der  Industrie  die 
ftw^k^t   Möglichkeit,  mit  Hilfe  von  bis  dahin  unerhört  kräftigen  Dampfhämmern 
derGeschftteeund  hydrauUscheu  Pressen  Geschütze  von  enormer  Widerstandsfähigkeit 

XU  steirera. 

ZU  schaffen. 

Die  Krupp'schen  Gussstahlkanonen-Etablissements  konnten  1847  nur 
das  3-Pfünder-Kaliber  liefern;  1867  begann  Krupp  die  Fabrikation  von 
Schmiedestahl-Kanonen  (Canons  frettes)  und  lieferte  Stücke,  deren  Kosten 
pro  Stück  bis  2  Millionen  Mark  betragen. 

Zur  Veranschaulichung  dieser  Fabrikation,  sowie  um  einen  Rückblick 
in  frühere  Zeiten  zu  werfen,  geben  wir  in  der  nebenstehende  Beilage 
einen  Vergleich  der  Konstruktion  verschiedener  älterer  7  zölliger  Rohre 
mit  einem  neuen  englischen  Rohre  (Konstruktion  Elswick)  und  zugleich 
ein  Bild  der  äusserst  mühsamen  Arbeit  der  Verstärkung  eines  6  zölligen 
englischen  Rohres. 

Preussen  war  es,  welches  sich  wieder  vermöge  der  Krupp'schen  Werke 
an  die  Spitze  der  Bewegung  stellte  und  ein  neues  Geschützmodell 
schuf,  wobei  vornehmlich  auf  Wirkung  bei  grossen  Distanzen  gesehen 
wurde. 

Nach  dem  Versuche  vom  20.  Oktober  1873  verhielt  sich  auf 
1500  Meter  die  Granatwirkung  der  alten  zu  jener  der  neuen  Geschütze 
wie  1  :  2,6,  bei  den  Shrapnels  wie  1  :  3.  Weiterhin  erzielte  man  die 
Verbesserung  der  Munition  und  suchte  ein  Einheits- Feldgeschütz  zu 
schaffen.  Dieser  Aufgabe  bemächtigte  sich  die  Privatindustrie,  und  die 
rastlose    Konkurrenz    der    verschiedenen   Werke    erzeugte    bald    eine 


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Geschütze  und  Geschosse.  —  Stand  und  Fortschritte  der  Jetztzeit.  J]^} 

ganze  Reihe  von  neuen  Typen  und  Verbesserungen.  Die  Regierungen 
wurden  überschwemmt  mit  ModeDen  von  Feldkanonen,  SchneDfeuer- 
kanonen,  Mörseni  für  Feld-Artilleiie,  vervollkommneten  Shrapnels  und 
Sprenggranaten.  Besonders  warf  sich,  da  die  EinsteUung  leichter  Wurf- 
geschütze in  die  Feld-Artillerie  immer  mehr  Bedürfnis  wurde,  die  Industrie 
auf  den  Bau  kurzer  Kanonen  und  leicht  transportabler  Mörser  grösseren 
Kalibers. 

Diese  an  sich  selbst  schon  bemerkenswerte  Bewegung  bekam  ein 
besonderes  Grepräge  durch  die  Erfindung  des  neuen  Pulvers. 

Durch  das  Kleinkaliber  hatte  sich  das  Verhältnis  der  Infanterie- 
bewaffnung und  des  Feldgeschützes  zu  Ungunsten  des  letzteren  ver- 
schoben, und  es  entstand  für  die  Artillerie  die  Lebensfrage,  ob  sich  die 
Störung  des  Gleichgewichts  ausgleichen  lassen  werde. 

Die  Anwendung  des  neuen  Pulvers  und  der  neuen  Sprengstoffe  gab 
zwar  der  Artillerie  ebenfaDs  die  Möglichkeit  gi'össerer  Kraftäusserung, 
doch  nur  bei  genügender  Widerstandsfähigkeit  des  vorhandenen  Materials. 

Unzählige  Versuche  fanden  statt,  unter  Anwendung  des  neuen  Pulvers 
bei  den  vorhandenen  Kanonen  grössere  Anfangsgeschwindigkeiten  zu  er- 
halten, ebenso  gab  es  Vorschläge,  Entwürfe  und  Ausführungen  von  neuen 
Feld-  und  Positionsgeschützen  wie  auch  Schnellfeuerkanonen,  wobei  die 
Ansicht,  das  Shrapnel  als  Hauptgeschoss  zu  verwenden,  allgemein 
Boden  fand. 

Teilweise  werden  auch  schon  Geschütze  neuerer  Typen  in  den 
Armeen  eingeführt,  ungeachtet  der  Gefahr,  durch  verbesserte  Kon- 
struktionen anderer  Mächte  überholt  zu  werden,  da  für  die  Anfertigung 
„des  Geschützes  der  Zukunft"  noch  eine  Menge  offener  Fragen  vorliegen. 


2.   Stand  und  Fortschritte  der  Jetztzeit. 

Die  Geschütze  teilen  sich  nach  ihrer  speziellen  Bestimmung  in  Einteiiuug 

der 

Feldgeschütze,  Gosciiütee. 

Gebirgsgeschütze, 

Belagerungsgeschütze, 

Festungsgeschütze, 

Küstengeschütze  und 

Marine-  oder  SchifFsgeschütze. 

Endlich  rechnet  man  zu  den  Geschützen  auch  noch  die  Mitrailleusen  ve«chieden- 
oder  Kartätschgeschütze.  "  der** 

Wie  gross  die  Verschiedenartigkeit  der  Typen  der  heutigen  Geschütze  q^^^^, 
ist,    davon  können  folgende  Abbildungen  uns  einen  üeberblick  geben.     *yp«»- 


112 


I.    Die  Feuemroffen. 


Wir  geben  zuerst  in  nebenstehender  Beilage  das  Büd  der  Ansstellni^ 
des  Gescliiltzsystenis  „Canet"  auf  der  Pariser  Ausstellung:  von  1889.  •) 
Weiterhin  folgt  ein  Vergleich  der  Grösse  der  Geschosse,  s) 


VerRleLchtin^  der  GrSsae  Her  G«ichosse. 


knwni'.as  Die  grflssteu  Geschosse  werden  ans  Belagerangs-,  Festnngs-,  Küsten- 

BiMm-    nnd  Seepeschtttzen  abgefeuert,  welche  gewaltige  Dimensionen  haben  und 

i«chi»HB.  besondere  Vorsichtsmaassregeln  erfordeni,  damit  das  Geschützrohr  den 
Druck  der  Pulvergase  aushält.  Um  wenigstens  einen  BegriflF  von  der  Art 
der  Befestignng  der  Wände  dieser  Giganten  zn  geben,  bringen  wir  den 
Querschnitt  eines  Geschützes  von  16  Met«r  Länge,  welches  die  italienische 
Regiemng  bei  Krupp  besteUt  hat.  Ans  diesem  Geschütz,  das  mit  486  Kilo- 
gramm Pulver  geladen  wird,  kann  ein  Geschoss  von  1050  Kilogramm 
Schwere  ali^efenert  werden. 


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Qaerschnitt  eines  Kruppschen  Geschützes  von  16  Met^r  Läng*'. 

Ein  einziges  solches  Geschütz  kostet  l'/a  I*'»  ^  Millionen  Francs. 
°-  Von  den  so  verschiedenen  Geschützarten  interessieren  uns  vorzugs- 

weise diejenigen,  welche  zum  Gebrauch  bei  der  Feldarmee  bestimmt  sind. 


')  Dredge  „The  moilern  French  Artillery". 

')  Die  Zeichnungen  sind  von  uns  nach  den  Angsben  von  Om4ga: 
combattre"  und  „Sciences  militaires,  Artillerie"  zuaammengesMllt. 


Geschütze  und  Geschosse.  —  Stand  und  Fortschritte  der  Jetztzeit. 


113 


also  die  Feldkanonen  und  Mörser,  wie  auch  Kartätschgeschütze.  Von  den 
Festungs-,  Maiüne-  und  Küstengeschützen  werden  wir  später  sprechen.  Die 
Feldkanonen  sind  zur  Beschiessung  der  Truppen  des  Gegners  bestimmt  und 
gelten  für  um  so  wirksamer,  auf  je  weitere  Distanz  sie  diese  Beschiessung 
auszuführen  vermögen  und  je  giösser  die  dabei  erzielte  Rasanz  sein  kann. 

Die   Flugbahn,    die   Treffweite    und    vernichtende   Wirkung    der  Bedingungen 

für  die 

Geschosse,  welche  diese  Geschütze  entsenden,  hängt  von  der  Form  des  Wirkung  der 
Geschosses  und  der  Einrichtung  des  Rohres  ab,  am  meisten  aber  von 
der  Kraft,  welche  die  Ladung  entwickelt.  Damit  eine  allzu  rasch  sich 
entwickelnde  Gasspannung  nicht  das  Geschütz  selbst  schädigt,  hat  man 
begonnen,  die  Rohre  länger  zu  machen  und  ein  langsam  verbrennendes 
Pulver  zu  gebrauchen;  das  Wesen  der  Feldgeschütze  hat  sich  aber  seit 
1870  wenig  verändert  und  ist  mehr  oder  weniger  allgemein  bekannt,  so 
dass  eine  Beschreibung  nicht  erforderlich  ist. 

Seitdem  den  russischen  Batterien  bei  Plewna  und  in  anderen  Feld-  ^"»««  ^«*" 

Beschiessung 

Stellungen  des  russisch -türkischen  Krieges  Truppen  hinter  so  starken  stark 
Deckungen  entgegentraten,  dass  man  diese  Deckungen  weder  mit  den  Trap^'pe^^^ 
vorhandenen  Feldgeschützen  durchschlagen,  noch  auch  die  hinter  den- 
selben vorhandenen  Truppen  mit  Shrapnels  oder  Granaten  treffen  konnte, 
sondern  die  Ankunft  von  schweren  und  Steilfeuergeschützeu  abwarten 
mnsste,  um  Erfolg  zu  erzielen,  ist  die  Frage  des  Beschiessens  stark- 
gedeckter Truppen  eigentlich  ununterbrochen  in  Fluss  geblieben.  Viele 
behaupten,  dass  man  derartige  Werke  im  Feldkriege  nicht  nur  dann 
finden  werde,  wenn  man,  wie  die  Russen  bei  Plewna,  dem  Gegner  Zeit 
liesse,  sie  zu  schaffen,  sondern  bei  der  jetzigen  Ausstattung  der  Truppen 
mit  Instrumenten  zum  raschen  Aufwerfen  von  Erddeckungen  auch  sogar 
im  Bewegungskriege.  Die  Manöver  haben  deutlich  gezeigt,  dass  auch  in 
kürzester  Zeit  sich  Deckungen  schaffen  lassen,  hinter  die  man  mit  dem 
Shrapnel  nicht  fassen  kann,  und  in  den  letzten  Jahren  sind,  wie  die 
neueren  „Feldpionier -Vorschriften"  und  die  „Anleitungen  für  Feld- 
befestigungen" beweisen,  noch  Kopfdeckungen  hinzugetreten,  welche  eine 
Shrapnelkugel  und,  wie  wir  gleich  bemerken  wollen,  auch  die  Splitter 
der  Sprenggianate  nicht  durchschlagen.  Die  Feldgeschütze  aber  sind 
Flachbahngeschütze  mit  grosser  Rasanz,  also  kleinen  Einfallswinkeln  der 
Geschosse,  so  dass  man  mit  Vollgeschossen  die  Kopfdeckungen  nicht 
treffen,  also  auch  nicht  zerstören  kann. 

Um   Truppen   hinter   starken  Deckungen   zu   treffen,   besitzt  die    neatsche 
deutsche  Feld -Artillerie  seit  1888  eine  Sprenggranate,  die,  mit  starker  gmnaten^zur 
Sprengladung  versehen,  ihre  Geschosssplitter  unter  steilen  Einfallwinkeln  ^^"'^3°^^"^ 
hinter  die  Deckung  bringt.    Aber  selbst  jiach  der  deutschen  „Schiess-  »ockungen. 
Vorschrift  für  Feld -Artillerie**   hat  dieses  Geschoss   eine   sehr  geringe 

Bloch,    Der  zaicünftige  Kriege-  S 


114 


I.    Die  Feuerwaffen. 


Feld- 
gesoliftU- 


Tiefenwirkung,  d.  h.  es  muss  ein  sehr  genaues  Einschiessen  stattfinden, 
wenn  man  hinter  die  Deckung  gelangen  will,  das  Greschoss  also  wirksam 
werden  soll. 

Je  grösser  die  Entfernung  aber  ist,  um  so  schwieriger  wird  dieses 
Typen  zur  genaue  Einschiessen  und  hinzukommt,  dass  doch  erst  konstatiert  werden 
*"^geil"*^  muss,  ob  die  Splitter  des  Geschosses  sichere  Kopfdeckungen  durch- 
Decbingen.  gchlageu.  Solche  Kopfdeckungen  sind,  sobald  einige  Zeit  zur  Verfügung 
steht,  leicht  herzustellen.  Man  könnte  also  in  die  Lage  kommen,  gegen 
vorbereitete  Stellungen  des  Gegners  erst  das  Eintreffen  von  Geschützen 
der  Belagerungs-ArtiUerie  abwarten  zu  müssen,  die  entweder  die  Deckung 
zerstören,  oder  aber  die  Kopfdeckungen  von  oben  einwerfen.  Das  kann 
nicht  als  vorteilhaft  angesehen  werden,  Zeit  ist  oft  entscheidend  für  den 
Ausgang  einer  Schlacht ;  die  Feldarmee  muss  also  Geschütze  zur  unmittel- 
baren Verfügung  haben,  um  mit  solchen  feldmässigen  oder  vorbereiteten 
Deckungen  bald  fertig  zu  werden. 

Steilfeuergeschtitze  giebt  es  zwei  Arten.  Die  Mörser,  die  mit  sehr 
stark  gekrümmter  Bahn  sich  besonders  gegen  hinter  Deckung  befindliche 
Ziele  eignen  und  ihre  Geschosse  von  oben  einwerfen,  dagegen  für  die 
Verwendung  gegen  freistehende  Truppen  sich  nicht  eignen,  weil  sie  eine 
lange  Flugzeit  (während  welcher  eine  Truppe  den  Standort  leicht  ändern 
kann)  und  keinen  brauchbaren  Shrapnelschuss  haben. s) 


Unterschied  »)  Zum  Verständnis  für  die  nicht  militärischen  Kreise  bedarf  es  einer  Er- 

^  ^^       klärung  über  den  Unterschied  des  Kanonen-  und  Mörsorschusses. 

und  Diesen  Unterschied  erläutern  folgende  Zeichnungen  („Leitfaden  für  Unter- 

Möraer-     nciit  in  der  Waffenlehre  an  den  königlichen  Kriegsschulen",  Berlin  1888): 


Kanonenschuss. 


Mörserschnss. 


Auf  der  ersten  Zeichnung  ist  der  Flug  einer  Granate  dargestellt,  welche 
die  sich  von  N.  nach  O.  bewegende  Infanterie  treffen  würde;  die  zweite  Zeich- 
nung verdeutlicht  jene  Kurve,  in  welcher  das  Mörsergeschoss  sich  bewegt,  um 
einen  hinter  der  Deckung  sich  befindenden  Gegenstand  zu  treffen. 


GesohütKe  und  üesuhosse.  —  Stand  nnd  Fortsoliritte  der  Jetztzeit- 


Auf    beifolgender    Zeichnung    sehen    wir    einen    modernen    Feld- 
mörser. 


Feldm5i«er. 


Eine  andere  Art  von  Steilfenergeschiltzen  sind  die  Haobitzen.  Diese 
haben  eine  weniger  gekrümmte  Bahn  als  die  Mörser;  die  Krümmung  ist 
aber  doch  noch  stark  genug,  um  Kopfdecknngen  mit  Vollgeschossen  zu 
treflen ;  sie  besitzen  ausserdem  einen  gaten  Shrapnelschnss,  mit  dem  man 
die  gedeckten  Truppen  treffen  und  den  man  auch  gegen  freistehende 
Truppen  gebrauchen  kann. 

Während  der  Mörser  also  lediglich  Spezialzwecken  dient,  kann  die 
Haubitze  auch  für  die  offene  Feldsehlacht  in  Rechnung  kommen,  was 
natürlich  von  grösster  Bedeutung  ist. 

Die  in  Frankreich  konstruierte  Feldliaubitze  hat  12  Zentimeter 
Dnrchmeaser  und  feuert  dieselben  Granaten,  wie  das  12-Centimeter- 
Bel^erungsgeschütz  und  auch  Rhrapnels  eines  speziellen  Typus.  Die 
Feuergeschwindigkeit  ist  eine  ausserordentliche,  weil  der  Rnckstoss  fast 
gänzlich  angehoben  ist. 


GreHsn 

raUgkeil 


Um  diese  Wirkungen  ku  erreichen,  werden  Feldkanonen   länger  als  die 
HSrser,  ivie  die  Durchschnitte  zeigen  („Sciences  militaires,  Artillerie"),  verfertigt. 


I.    Die  Feuerwaffen. 


Franiosisclie  Feldhaubitise. 

Bei  ÄusfUlirun^  des  Schnsses  gleitet  der  Körper  des  Geschützes  C 
darch  Reibung  in  den  Zapfenträger  D.  Die  Lafette  setzt  sich  aus  zwei 
Teilen  zusammen,  nämlich: 

1,  das  Gestell  A ,  das  die  Achse  trägt  und  sozusagen  die  Funktion 
der  plate-fonne  erfüllt,  und 

2.  die  eigentliche  Lafette  B,  welche  aaf  dem  Gestell  ruht  und  sich 
nm  eine  Angel  bewegen  kann,  die  gegen  den  Vorderteil  der 
bes^^Q  plate-forme  placiert  ist. 

Der  Riickstoss  ist  heinahe  gänzlich  beseitigt  in  Folge  des  präzisen 
Spiels  einer  hydropneumatischen  Bremse  G,  deren  Warzen-Stamm  P  mit 
dem  Fenerscldunde  durch  ein  Metalistück  H  verbunden  ist,  welches  eine 
Verlängerung  des  Bodenstückes  bildet.  In  dieser  sinnreichen  Vorrichtung 
wird  die  Kraft  des  Rückstosses  aufgehoben: 

1.  durch  den  Widerstand  einer  Flüssigkeit  (tilycerin),  die  sieh  rasch 
durch  einige  Otfnungen  verbreitet, 

2.  dnrch  den  Di-uck  einer  Gasmasse ,  welche  unverzüglich  das 
Geschützstück  in  seine  Stellung  zurückbringt. 

Das  Richten  des  Geschützes  erfolgt  wie  bei  .jedem  ?>ldgeschntz. 
Man  richtet  es  zunächst  im  Groben  vermittelst  des  Höhenmessers  und 
des  Guidon.  Nach  dem  ersten  Schosse  vollendet  man  die  Richtung  in 
der  Direktion,  indem  man  den  Volant  E  stellt,  in  der  Höhe,  indem  man 
die  Kurbel  des  Apparates  F  dreht.  Die  Operation  des  Richtens  vollzieht 
sich  sehr  schnell,  vorausgesetzt,  das.s  das  Lafettengestell  seine  Stellung 
nicht  verändert  und  das  Geschütz  sich  immer  in  dem  Moment  seiner 
Rückkehr  en  batterie  ungefähr  gerichtet  befindet.*) 

*)  Colone!  Honnehert :    ,,La  Naturo''. 


Die  französische  12  Centimeter-Feldhaubitze. 

Geschütz  mit  Larette. 


Gesohülzrohr  mit  dem  hydropneumatisohen  Kompressorium. 


w 


^ 


Längsschnitt  durch  des  h  yd ropneu  malische  Kompressorium. 


Protze  und  Kugelkasten. 


ErläuteruHge»  umstehend. 


Bd.  I.    ELnngen  b«i  Sgil«  11& 


Die  Lafette  einer  120  rarn-Kanone  setzt  sich  aus  einem  oberen  und  einem 
unteren  Teil  zusammen.  Der  untere  Teil  (a)  besteht  aus  den  beiden  Lafetten- 
wänden und  deren  Verbindungstoilen,  welche  hinton  aus  einigen  Querstangen, 
in  der  Mitte  aus  einer  Platte,  welche  für  den  oberen  Teil  als  Auflager  dient, 
und  vorne  aus  einem  Kasten  für  den  Kuppelbolzen  sowie  aus  der  knieformig 
gebogenen  Achse  besteht.  Den  oberen  Lafettenteil  bilden  ebenfalls  zwei 
Lafetten  wände,  welche  hinten  —  oben  und  unten  —  durch  Verbindungsplatten, 
vorne  durch  die  Schildzapfen  des  Rohres  verbunden  werden.  Ein  weiteres  Ver- 
bindungsglied ist  eine  trichterförmige  Platte,  welche  auf  den  Kuppelbolzen  des 
unteren  Lafettentoils  aufgesetzt  wird.  Auf  der  Lafette  befinden  sich  Vor- 
richtungen zum  Heben  und  Senken,  zum  horizontalen  und  vertikalen  Richten 
des  Geschützrohres  und  zum  Hemmen  der  Kanone. 

Das  Geschützrohr  besteht  aus  drei  Stahlschichten;  dem  Mantel  M,  dem 
Innenrohr  K  und  dem  Ring  S,  welcher  nur  das  Bodenstück  uraschliesst;  um 
den  Mantel  ist  ein  Bronzeüberzug  F  gelegt.  Der  Schildzapfen  P  stellt  die  Ver- 
bindung des  Rohres  mit  der  Lafette,  der  Ring  G  die  Verbindung  mit  dem 
Rekuperator  des  hydropneumatischen  Kompressoriums  her.  Die  Oese  0  dient 
dazu,  das  Rohr  während  des  Marsches  ail  der  Lafette  zu  befestigen. 

Das  hydropneumatische  Kompressorium  besteht  aus  dem  Stahlzylinder  B, 
welcher  mit  Gel  gefüllt  ist  und  dem  Bronzezylinder  L,  welcher  das  Luft- 
reservoir F  enthält  und  mit  der  hohlen  Kolbenstange  R  des  Kolbens  K  ein 
Ganzes  bildet;  Zylinder  L  und  Rohr  F  werden  durch  den  Ring  G  miteinander 
verbunden.  Die  Leere  der  Röhre  R  wird  von  der  Leere  des  Zylinders  L  durch 
die  Scheidewand  W,  welche  dicht  an  die  Innenw^ände  dos  Luftroservoirs  F  an- 
schliesst,  getrennt  Das  Ventil  V  weicht  durch  den  Druck  der  Flüssigkeit, 
welche  in  die  Kolbenstange  hineingetrieben  wird,  zurück,  wird  aber,  sobald 
dieser  Druck  aufhört,  durch  Federkraft  sogleich  wieder  gegen  die  Ausgangs- 
öffnung der  Röhre  gepresst. 


Qeschütee  und  Geschosae,  —  Stand  und  Fortschritte  d^r  Jptztzeit.  117 

Weiterhifl  geben  wir  anch  das  Bild  einer  von  Gruson  gebauten    o™»™- 
12-0entiineter>8clmellfeuerhanbitze.  kuut». 


GruBon  -BchnellfeuprhftubitB«. 


Alle  Feld-Ai-tülerien  sind  mit  gezogenen  Hinterlade-Kanonen  ans- 
gerüstet. 

Bei  denselben  findet  man  grösstenteils  den  Keüverschluss  (Rnnd- 
oder  Flachkeü);  nnr  in  Frankreich  und  England  ist  ein  Nchranben- 
verschlnss  eingeführt. 

Das  Material  der  Rohre  ist  Bronze  {Stahlbronze)  oder  Gnssstahl. 

Eine  Anzahl  von  Feldgeschützen,  unter  einem  Kommando  vereinigt,  " 
wird  in  der  Artillerie  Batterie  genannt.    Diese  bildet  die  taktische  Einheit 
der  Feld-Artillerie  und  wird  als  solche  mit  einer  Anzahl  Munitions-  und 
Vorratswagen  versehen. 


Jl8  1.    t)ie  t'euerwatfen. 


Aniahi  der  Jetzt  ist  jede  Batterie  in  Deutschland  mit  9,  in  Frankreich  mit  9 

wagen  In  den  (dic  reitende  Batterie  mit  8),  in  Russland  mit  12  Munitionswagen  ver- 

der  Ter-    sehcu.    lu  Folge  desseu  kann  die  deutsche  Batterie  in  einer  Schlacht  808, 

"*^Ltodw*"  ^^®  französische  852,  die  russische  900  Schüsse  abgeben,  ohne  zu  der  in 

Kolonnen  nachgeführten  Eeservemunition  zu  greifen.    Aber  auch   diese 

Schusszahl   gilt  für  noch  nicht  genügend,  und  die  deutsche   Artillerie 

hält  es  für  nötig,    die  Zahl  der  Ladungen  pro  Batterie  bis  1290  zu 

bringen.  ^) 

Auss.er  den  Kanonenbatterien  werden  in  neuerer  Zeit  auch  Mörser- 
batterien mit  ins  Feld  geführt  werden,  ß) 

Bauutiedie  Nach  dlcseu  Erklärungen  können  wir  zur  Angabe  der  ballistischen 

über  die   Datcu  Über  die  in  den  verschiedenen  Staaten  eingeführten  Feldgeschütze 
gJd^fitee  schreiten. 

der  TAT-  (Siehe  die  Tabelle  auf  der  folgenden  Seite.) 

BcMedenen 

oroeam&cbte.  ^j^  lasscu  zudem  iu  der  nebenstehenden  Beilage  die  als  typisch  zu 

betrachtenden  Zeichnungen  einer  Feldkanone  und  eines  Mörsers  folgen. 

Tafel  II9  Wir  haben  eine  russische  Feldkanone  und  einen  Mörser  gewählt, 

?n'^fv  *^  diese  wegen  der  Einrichtung  ihrer  Lafetten  bemerkenswert,    und 
*  bei   vielen    anderen  Staaten    ebenfalls    in  Anwendung  gekommen  sind 
(Tafel  IX,  Fig.  I,  H,  HI  u.  IV). 

Für  den  Leser  müssen  wir  jedoch  einige  erklärende  Worte  voraus- 
schicken. 

Die  Entladung  des  Gewehres  erzeugt,  wie  es  aus  dem  praktischen 
Leben  bekannt  ist,  einen  Rückstoss.  Bei  grosser  Ladung  des  Gewehres 
ist  dieser  Rückstoss  so  stark,  dass  er  einen  Backenschlag  verursacht. 

Bei  dem  Geschütz  mit  starken  Ladungen,  die  heute  verwendet 
werden,  würde  der  Rückstoss,  wenn  er  frei  erfolgte,  das  Geschütz 
zurückwerfen  und  nicht  allein  bei  jedem  Schuss  eine  neue  Aufstellung 
erfordern,  wodurch  Raschheit  des  Schiessens  und  TreflFfähigkeit  be- 
einträchtigt würden,  sondern  auch  in  kurzer  Zeit  die  Lafette  unbrauch- 
bar machen. 

Laffeten-  Die  Lafettcufrage  hat  demnach  ausser  dem  technischen  noch  ein 

anderes  grösseres  Interesse,  nämlich  das  der  Treffsicherheit. 


*)  „Militärische  Jahresberichte  für  1891."    S.  376. 

*)  Sauer:   „Ueber  den  abgekürzten  Angriff  gegen  feste  Plätze." 


Tafel  IX. 


(Erläuterungen  umstehend.) 


Erlänternngen  zu  Tafel  IX. 

Fig.  I  u.  III.  Feldgeschütz,  russisches.  Die  Rohre  der  Feldgeschütze  sind  ent- 
weder Obuchow'sche  Stahlrohre  mit  durchgi'eifender  Futterröhre  und  Schild- 
zapfenring oder  gussstählerne  Rohre  nach  System  Krupp. 

Der  Verschluss  ist  derselbe,  wie  bei  den  deutschen  Feldgeschützen. 
Fig.  IL    Feldlafetten,  russische.  Die  Feldlafetten  sind  eiserne  Wandlaffeten  nach 
der  Konstruktion  des  russischen  Obersten  Engelhardt. 

Die  Lafette  besteht  aus  zwei  Teilen;  der  eigentlichen  Lafette  L  und 
dem  Fahrgestelle  G,  welche  beide  derart  miteinander  verbunden  sind,  dass 
beim  Schusse  der  Stoss  des  Rohres  nicht  direkt  auf  das  Schiessgerüst, 
sondern  durch  eine  Puffervorrichtung  F  und  den  Mitnehmern  M  indirekt 
auf  dieses  übertragen  wird,  wodurch  nicht  bloss  das  ganze  System  geschont, 
sondern  auch  der  Rücklauf  infolge  der  Wirkung  des  Puffers  bedeutend 
vermindert  wird. 

Der  Puffer  besteht  aus  2  durch  eine  eiserne  verzinnte  Scheibe  getrennten 
Kautschukplatten  JP,  welche  im  Lafettenkasten  zwischen  dessen  vorderer 
Wand  und  der  Stossplatte  eingelegt  sind,  und  den  2  Pufferschrauben  hh\ 
letztere  sind  mit  ihren  augenformigen  Köpfen  auf  den  Bolzen  aufgezogen 
und  durchgreifen  die  Traverse.  Beim  Schusse  wird  die  Lafette  vom 
Rückstoss  zurückgeworfen,  wobei  die  Pufferschrauben  durch  den  Quer- 
bolzen festgehalten  und  hierdurch  die  Kautschukplatten  so  lange  zu- 
sammengedrückt werden,  bis  die  Pressung  der  Platten  stark  genug  ist,  um 
den  Widerstand  des  Fahrgestelles  zu  überwinden;  von  diesem  Momente 
an  bewegen  sich  Lafette  und  Fahrgestell  vereint  nach  rückwärts,  und 
indem  sich  die  Kautschukplatten  wieder  ausdehnen,  wird  dem  Rücklaufe 
teilweise  entgegengewirkt. 

Mit  Ausnahme  der  Kavallerielafetten  sind  sämmliche  Feldlaffeten  mit 
Achssitzen  versehen. 
Fig.  IV.  Feldmörser,  russischer.  Der  Foldmörser  hat  ein  stählernes  Mantel- 
rohr M  mit  Rundkeilverschluss  von  gleicher  Einrichtung  wie  die  Feld- 
kanonenrohre; das  Kaliber  des  Rohres  beträgt  15*24  cm,  die  Länge 
9  Kaliber,  das  Gewicht  460  kg. 

Die  zugehörige  Räderlafette  ist  Eisenkonstruktion  System  Engelhardt; 
an  derselben  sind  zu  bemerken:  die  Richtmaschine,  welche  aus  einem  am 
rechten  Schildzapfen  befestigten  Zahnsektor  S  und  der  Schraube  ohne 
Ende  i  samt  Handrad  h  besteht  und  die  Kautschukpuffer  Ar,  mittelst 
welcher  die  Achse  in  den  Achslagern  elastisch  gelagert  ist;  die  Stütz- 
vorrichtung 5,  welche  in  der  Feuerstellung  die  Achse  trägt  und  hierdurch 
die  Räder  vollkommen  entlastet,  während  des  Fahrens  jedoch  nach  auf- 
wärts gedreht  und  an  den  Lafetten  wänden  festgemacht  ist,  endlich  das 
Protzöhr  o  zur  Verbindung  mit  der  zugehörigen  Protze. 

Die  Protze  enthält  in  einem  Kasten  aus  Stahlblech  12  Geschosse  und 
18  Patronen  und  ist  zum  Aufsitzen  von  drei  Mann  eingerichtet. 

Die  Munition  der  Feldmörser  besteht  aus  Kartuschen,  Fugassenbomben 
und  Diaphragma-Shrapnels. 

Bei  den  angegebenen  Vorrichtungen  an  der  Lafette  rollt  der  Mörser 
nach  dem  Schusse  nur  um  2  Zoll  zurück,  so  dass  ein  Zurückrollen  so  gut 
wie  gar  nicht  stattfindet.  Ausserdem  hat  es  der  Erfinder  durch  ent- 
sprechende Vorrichtungen  an  der  Lafette  ermöglicht,  dass  das  Geschütz 
gleichzeitig  gerichtet  und  geladen  werden  kann,  wodurch  das  Schiessen 
sehr  beschleunigt  wird. 


Cxeschütze  und  Geschosse.  —  Stand  und  ^ortsclxritte  der  Jetetzeit. 


119 


Ballistische  Angaben  betreffend  die  Feldgeschütze  der 

europäischen  Grossmächte. 


Oesterr.- 
Ungam. 

9  cm 

Feldkan. 

Md.  1875*) 

Deutsch- 
land. 

9  cm 

schwere 

Feldkan.  i 

Konstr.73 

u.  73/88 

1 

Italien. 

Frank- 
reich. 

Rosaiand. 

1 
1 

7  cm     9  cm 
leichte  schwer 

9  cm 
Feldkan. 
Mod.  1874 

lOb.ämiiraill. 

1 

Kaval- 
,  lerie- 

leichte 

Bat- 

terie- 

1 

Feldk 
Mod.74 

anone 
Mod.81 

! 

Kanone,  Mo( 

1. 1877 
en 

Beim  Schieflsen  der 

Granat 

e  n 

|,            Granat 

Anfangs- 

1 

1 

geschwindigkeit 

Gm 
2000m 

448  •♦) 
262 

442 

i    432 

1 

t 

256 

455 

. 

273 

'       455 

1 

287 

1    412 
1    265 

442 

374 

End-           f 

268 

273 

265 

geschwindigkeit\ 

4000m 
2000  m 

217 

208 

1 

190 
13 

210 
13 

228 

,    206 

1 

212 

214 

öOProz.  Langen-/ 

19 

1         17    ' 

'         19 

23 

24 

21 

Streuung  auf 

4000m 

47 

29 

26 

32 

1         32 

42 

1 

33 

52 

50Proz.  Breiten-  / 

2000m 

2,3 

1,8 

1,9 

1 
1,7 

1 

1        1,8    , 

2,2 

1,2 

1,6 

Streuung  auf  \ 

4000m 

11,0 

5,4    , 

1 

1,9 

6,1 
1,7 

8,5 

4,2 
1,8 

9,2 

4,8 
2,0 

6,7 

50Proz.  Höhen-/ 

2000  m 

2,0 

M' 

i     2,5 

2,4 

Streuung  auf 

4000m 

2000m 
4000m 

1 

17     1 
5 

m          1 

10,0 
17 

9,6 

15 
4 

10,2 

17 
6 

9,2 

18 
6 

13,0 

8,9 

19,8 

Bestrich.  Raum  f 

fQr  1,8  m  Ziel-  < 

hohe  auf       [ 

16 
6 

21 
6 

15 
5 

Grösst« 

1 

m 

m 

»    i 

m 

1 
1     » 

m 

m 

Schussweite 

4500 

6500    1 

5400 

4000  „ 

7000    1 

1 

6400 

6400 

stück 

5335 

Anzahl  der  Kugeln 

Siflck 

1 

stück 

stück 

stück   1 

stück      ' 

1 

stück 

stück 

und  Shrapnels 

165      1 

262    ' 

109 

176  1 

160 

165 

165 

340 

Geschütze      in      einer 

1 

1 

ii 

1 

1 

Batterie 

6 

6  ; 

6 

6  ' 

6    1 

6 

8 

8 

Wagen 

19      ■ 

19  ; 

17 

15  ! 

18  : 

30 

29 

33 

Bedienung  der  Batterie 

1 

1 

(Mann) 

183      '1 

175 

175 

116  ;i 

194 

210 

234 

266 

Pferde  der  Batter 

ie .    . 

215      ! 

ii 

150    '' 

1, 

154 

166  ' 

i: 

161 

242 

174 

200 

*)  Die  Angahen  für  das  Feldgeschütz  Mod.  1875  sind  auf  das  hisherige  7  mm  Geschütz- 
pidver  basiert.  —  Die  Angaben  für  das  Feldgeschütz  Mod.  1875/90  fehlen  wegen  des  neu- 
einznfohrenden  Nitroglycerinpulvers. 

**)  Diese  Zahl  bedeutet,  dass  das  Geschoss  in  der  ersten  Sekunde  448  m  zurücklegt  und 
nach  Durchfliegen  einer  Strecke  von  2000  m  noch  eine  Geschwindigkeit  von  262  m  pro  Sekunde 
besitzt. 


120  ^'    ^^®  Feuerwaffen. 


3.  Schnellfeuerkanonen. 

^  Nach  Anwendung   des  rauchschwacheii   Pulvers   konnte  die  Aus- 

strobuBgen 

zur  Env-   nutzuug  der  Schnellfeuerkanonen  eine  intensive  werden.   Seit  Einführung 
wickdnng  ^^j,  Hinterlader  hat  auf  ballistischem  Gebiet  eine  stetige  Entwicklung 
•Jh^ndi   ^^öwohl   in  Ausdehnung  der  Feuerwirkung  wie  in  Ausnutzung  der  Zeit 
keit      stattgefunden  und  schliesslich  zu  Ergebnissen  geführt,  denen  selbst  unsere 
an  technische  Ueberraschungen  gewöhnte  Generation   staunend  gegen- 
übersteht.    Geradezu  unheimlich   ist  die  Wirkung  des  Schusses,  dessen 
Knall  mit  dem  folgenden  in  blitzschneller  Aufeinanderfolge  fast  zu  einem 
einzigen  knatternden  Ton  zusammenfallt. 

Feuer-  In  der  österreichischen  Instruktion  wird  angenommen,  dass  man  bei 

^keubii*  der  Bremsvorrichtung  gegen  den  Rückstoss  4  Schüsse  in  der  Minute  ab- 
t^™w^  geben  kann,  ohne  dass  das  Geschütz  wieder  vorzurücken  ist,  aber  dies 
^o'-      ist  nur  möglich,  wenn  es  sich  nur  um  eine  ungefähre  Feuenichtung 
für  die    handelt;  sonst  kann  man  selbst  bei  günstigen  Umständen  nur  auf  2  Schüsse 
Lafetten.    ^^  ^^^  Miuute  rechueu.    Wenn  eine  Batterie  von  6  Geschützen  8  bis  10 
Schüsse    in    der   Minute    abgiebt,    so   gilt   dies  schon   für   eine   nicht 
unbedeutende  Feuergeschwindigkeit;  demnach  braucht  jedes  'einzelne  Ge- 
schütz 46  bis  36  Sekunden  Zeit,  um  einen  Schuss  abzugeben,  i) 

Ausserdem  ist  nicht  ausser  Acht  zu  lassen,  dass  der  Gebrauch  von 
Bremsen  gegen  den  Rückstoss  die  Lafetten  stark  in  Mitleidenschaft  zieht. 
Diese  wurden  gebaut,  als  man  bei  Anwendung  des  gewöhnlichen  Pulvers 
auf  besondere  Vorkehrungen  für  ein  schnelles  Schiessen  nicht  Bedacht 
zu  nehmen  brauchte,  weil  Schnellfeuer  einen  gewaltigen  Pulverdampf  und 
damit  ein  zeitweises  Einstellen  des  Schiessens  verursacht,  sofern  nicht 
ein  günstiger  Wind  weht. 

In  Anbetracht  alles  dessen  ist  man  gegenwärtig  bemüht,  Schnell- 
feuergeschütze grösseren  und  kleineren  Kalibers  herzustellen,  die  eine 
grosse  Anzahl  Schüsse  in  der  Minute  mit  geringem  oder  ohne  Rücklauf 
geben  und  nicht  jedesmal  neu  gerichtet  zu  werden  brauchen. 
Erwartete  Dj^  Schnellfeuerkauonen  als  Feldgeschütze  sollen  grosse  Vorteile 

Schnellfeuer- bringen:  die  Möglichkeit  eines  raschen  Schiessens  aus  einem  einzigen 
Geschütz,  einen  Gewinn  an  Zeit  in  Folge  raschen  Ladens,  den  man  für 
eine  sorgfältigere  Visierstellung  benutzen  kann,  und  die  Oekonomie  an 
Aufstellungsraum,  weil  in  Ansehung  der  Zahl  der  Schüsse  eine  einzige 
Schnellfeuerbatterie  zwei  bis  drei  gewöhnliche  soll  ersetzen  können. 
Ausserdem    sollen   die  Schnellfeuerkanonen   gute  Dienste  leisten  dufch 


*)  Oberst  von  Scharner. 


I 


l 


I 


Schnellfeuerkanonen. 


121 


die  grosse  Anzahl  der  Geschosse  und  ihre  Treö'sicherheit,  und  die  Geschoss- 
karren des  Gegners  zur  Explosion  zu  bringen.  Welchen  Einfluss  die 
Versorgung  der  Heere  mit  einer  bedeutenden  Anzahl  von  Schnellfeuer- 
kanonen auf  die  Taktik  haben  wird,  das  kann  nur  der  nächste  Krieg 
selbst  darthun. 

Thatsache  aber  ist,  dass  in  allen  Heeren  Schnellfeuerkanonen 
der  verschiedensten  Arten  vorhanden  sind. 

Auf  dem  Schiessplatz  von  Sandy  Hook  fanden  am  1.  Juni  1894 
Versuche  mit  6 pfundigen  Schnellfeuerkanonen  (Kaliber  67  Millimeter, 
Geschoss  2,72  Kilogramm)  statt. 

Die  Ergebnisse  der  Feuergeschwindigkeit  zeigt  folgende  Tabelle: 


Benennung 

der 

Schnellfeuerkanono 


Driggs  -  Schröder 
Hotchkiss    .    .     . 
Skoda      .... 
Sponsel  .... 
Maxim -Nordenfeit 


Zahl  der  Schüsse 
in 

d.  erst.  Minute         3  Minuten 


34 
28 
24 
24 
20 


83 
83 
55 
73 
65 


Nachstehende  Tabelle  zeigt  das  Verhalten  der  vier  Konkurrenz- 
geschütze bei  früheren  Versuchen. 


Driggs-      1 
Schröder 

Sponsel 

Maxim- 
Nordenfelt 

1    Hotchkiss 

1 

Hin.          Sok. 

1    Hin.          Sek. 

Nin. 

Sek.    j 

Hin. 

Sek. 

Zeit  für  100  Salven  . 

■         ■ 

4 

35    ' 

4 

59 

4 

1 

41 

4 

26 

Zeit    zum    Zerlegen 

des 

Mechanismus     .    . 

•         • 

37 

44 

— 

3P/s 

56 

Zeit  zum  Zusammensetzen 

des  Mechanismus  . 

•         • 

1 

30  »A 

1 

1 

56 

1 

9 

1 

46 

Die  TreffTähigkeit  wurde  auf  914  Meter,  1828  Meter  und  2743  Meter 
ermittelt,  und  hier  stand  Driggs -Schröder  voran,  es  folgten  Maxim- 
Nordenfelt,  Hotchkiss,  Sponsel.  Driggs -Schröder  hatte  auf  der  mittleren 
Distanz  4  Schuss  in  demselben  Loch. 

Was  die  Feuergeschwindigkeit  anbetrifft,  so  trug  Hotchkiss  den 
Sieg  davon.  2) 

Bei  der  grossen  Anzahl  von  Typen  und  Verschiedenheit  der  Kaliber  Hauptrypen 
können  wir  nur  einige  der  Haupttypen  angeben.  schneiifeuer- 


geechfttze. 


*)  Löbell:  „Militärische  Jahresberichte"  1894. 


1.    hie  Feiierwafl'i^n. 


Wir  beginimii  mit  der  Hotchkiss-Kanone,  deren  "Zeichnung  folgt;^ 


i- Schnell  i'fuerkanone. 


Schnellfenernde  Hotclikiss-Kanonen  werden  in  den  verschieden- 
artigsten Grössen  gebaut.  Wir  geben  die  Zeichnung  der  6  gebräuchlichsten 
(rrössen  mit  dem  Bemerken,  dass  Schnellfeuergeschütze  bis  zu  20  Centini., 
welche  4  Schnss  in  der  Minute  abgeben,  gegenwärtig  gefertigt  werden.* 


Verschieden  artigkeit  der  ÖulmeUfeuerkanonen. 

M.U11.  Wir  müs.sen  bemerken,  dass  zu  den  Schnellfeuerkanonen,  aber  auch 

zu  grosseren  Geschützen  Metallkartus<Oien  ver\vandt  werden.  Wenn  man 
ihnen  vielfach  abgeneigt  ist,  weil  ihnen  Schwere,  Preis,  Schwierig- 
keit des  Transports  und  der  Handhabung  bei  Einlieitskartnschen  zum 
Vor^vurf  gemacht  werden,  ferner  auch  weil  die  in  der  Batteiie  umher- 
liegenden HilLsen  die  Manns<^hafteii  gefiihrden ,  falls  sie  durch  ein- 
schlagende (Geschosse  umhergescldeudert  werden,  so  werden  sie  doch 
vielfach  verwendet. 

')  Dredge:  „Moderne  Artillerie". 

*J  Löbell;  „Militärische  Jahresbericht*"  1894. 


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n  bal  Saita  ISä 


Schnellfeaerkauonen . 


Im  Folgenden  geben  wir  ein  Bild  der  heut«  gebranchten  Metall- 
kartnscJien  von  6V2WS  zu  löUentimetern  (.System  Uanet),  sowie  äer(n!eschosse. 


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^EmE£>r 


MetftllkartuEchen  für  SchneDfeufirkanonen. 


Qesohosse  der  tichnellteiierliaiioiien. 


J24  ^    Die  Penerwftffen. 

Wir   därfen    nicht   vei^essen ,    dass  jedes    dieser   Geseliosse    mit 
Explosivstoffen  gefüllt  wird  nnd  zmn  Zerspringen  in  viele  hnndert  TeUe 
bestimmt  ist. 
Ti  Coli-  In  Belgien  haben  die  AVerke  von  John  Cockerill  in  Seraing  eine 

sciiiniihn»r-7.6-Centimeter-Schnel]fenerkanone  nach  den  Entwürfen  der  Gesellschaft 
8r°"m  Nordenfeit  in  Paris  hergestellt,  mit  welcher  auf  dem  Schiessplatze  der 
NorfeüWi.  lYerke  Veranche  angestellt  worden  sind.  Nach  der  „Revne  de  l'arm^e 
beige"  (Mai  1893)  wiegt  das  Rohr  40O  Kilogramm;  die  Lafette  ist  geteilt, 
die  Oberlaffete  hat  30  Centimeter  Rücklauf,  sie  ist  mit  einer  Reibnngs- 
bremse  versehen,  mit  Zahnwerk  und  rückwirkender  Feder.  An  der 
Unterlafette  ist  noch  eine  Pflngschaar  angebracht,  ansserdem  hat  sie 
Radschnhe.  Die  mit  48  Schnss  ansgerüstete  Protze  wiegt  649  Kilo- 
gramm, das  gesamte  Fahrzeug  1697  Kilogramm.  Als  Geschosse  dienen 
Granaten,  Segmentgranateu  nnd  Sbrapnels,  welche  in  kupfernen  Hülsen 
enthalten  sind. 

Bei  den  Versuchen  kam  das  Geschütz  nach  jedem  Schnss  genau  in 

seine  Anfaugsstellnng  zurück.    Radschohe  und  Pflugschaar  graben  sich 

in  die  Erde  ein.  Die  Richtnng  bedurfte  geringer  Nachhilfe.  ^  Neuerdings 

erzielte  man  auf  festem  Boden  mit  leichter  Sanddecke  bei  einem  (leschoss 

von  4,7  Kilogramm  den  gänzlichen  Wegfall  des  Rücklaufs,  das  Geschütz 

nickte  im  Gegenteil  einige  C'entimeter  nach  vorn. 

Dwhwpii  Es  ist  noch  zn  bemerken,  dass  zum  Schutz  der  Schnellfeuergeschütze 

BAnsiihMr- vor  feindlichen  Geschossen  Deckungen  vei-schiedener  Systeme  hei^erichtet 

kküBHii.    ^rgf^ß],     ^\g  Beispiel  fiii-  solche  Deckung  geben  wir  eine  Zeichnung  aus 

den  „Sciences  militaires,  Artillerie." 


Durch  Panzpning  geschätzt«  SchnellfenprkanoDe. 

Es  werden  auch  Panzerlafetten  gebaut,  die  viel  mehr  Sicherheit  bieten. 
Wii"  geben  eine  solche  schwerster  Gattung,  wie  sie  auf  den  Gruson'schen 
Werken  auf  einen  Wagen  gestellt  ist  und  fortgefahren  wird. 


1. 

^^^  > 

•  •  ■  ■ 

■  -  m 

■ 

• 

•■     * 

613 

560 

540 

564 

600 

525 

520 

530 

500 

523 

337 

338 

318 

307 

324 

313 

314 

316 

314 

311 

32,8 

38,7 

35,0 

28,9 

27,8 

33,1 

31,9 

30,5 

32,7 

27,6 

2,4 

2,47 

2,3 

2,4 

2,4 

? 

2,1 

2,14 

2,1 

2,2 

? 

2355 

? 

? 

2200 

2500 

2000 

? 

? 

? 

530 

630 

624 

563 

650 

690 

655 

420 

557 

520 

936 

960 

1000 

980 

980 

1050 

995 

780 

957 

820 

3,3 

3,70 

3,15 

2,70 

2,73 

2,87 

2,80 

3,87 

2,61 

3,13 

116,0 

108,2 

101,1 

99,3 

97,3 

85,3 

88,6 

110,1 

84,5 

96,0 

185 

— 

— 

— 

— 

250 

2,31 

2,75 

914 

767 

— 

— 

575 

650 

700 

800 

813 

580 

1850 

1727 

1555 

1700 

1695 

1580 

1770 

1400 

36 

36 

— 

35 

35 

35 

48 

30 

36 

6,23 

i 

9,0 

— 

— 

6,9 

7,85 

7,18 

7,48 

7,2 

1 

:  224 

324 

— 

241 

276 

344 

224 

259 

24,5 

42,2 

— 

41,9 

42,5 

~- 

44,1 

27,6 

44,6 

500 


304 


27,6 


2,09 


647 


947 


2,41 


78,7 


159 
+  63 


667 


1614 


50 


6,5 


325 


48,7 


Schnellfeaerkanonen. 


Fahrbare  Panzerlafettn  für  fjn«  5^-LVntimet<T-S.-liiii;llfeuerkBntiiie. 

Diese  Geschütze  können  einerseits  vom  Wagen  aus  als  Feld- 
geschütze feuern,  ohne  dass  die  Pferde  abg:espannt  werden,  andererseits 
aber  werden  sie  in  die  Erde  eingegraben  oder  aneh  in  vorbereitete  Stellungen 
eingefahren,  so  dass  nur  noch  das  drehbare  Dacli  mit  der  Kanone  sichtbar 
bleibt.  Der  Kanonier  im  Innem  ist  nicht  nur  gegen  Shrapnels,  sondern 
sogar  gegen  Granaten  ans  Feldgeschützen  dnrch  den  Panzer  gesicliert 
und  kann  also  seinen  Gegner  in  aller  Ruhe  anfs  Korn  nehmen. 

Erwägt  man,  dass  die  Schnellfeuerkanone  in  Folge  ihres  einfachen  Feotr- 
Versehlusses  bequem  bis  26  Schnss  in  der  Minute  abgeben  kann,  so^'^üd*/ 
erscheint  die  fahrbare  Panzerlafette  mit  yehnellfenerkanone  als  eine  ^"J^'^'J'^^' 
furchtbare  Waffe. 

A 


126  !•    I^J^  Feuerwaffen. 


^Mti^'e^  Die  von  der  Fabrik  hergestellten  Rohre  sind  ans  geschmiedetem 

Konstniirtion  TicgelgussstaW  mit  senkrechtem  Keilverschlnss  (Selbstspannnng)  gefertigt 
Schnellfeuer- und  erhalten  Einheitspatronen.  Das  Eohr  mht  in  den  Schildzapfen- 
tanone.  pfannenlagem  der  Rohrträger  (C),  welche  mit  dem  Deckel  fest  verbunden 
sind.  Es  ragt  durch  eine  Öffnung  des  letzteren  über  den  oberen  Rand 
des  Cylinders  fort  und  etwa  70  Centimeter  aus  demselben  heraus.  Das 
Heben  und  Senken  des  Rohres  (+  10  und  —  B^)  wird  durch  eine  Richt- 
schraube bewirkt,  die  Seitenrichtung  aber  durch  Drehen  des  auf 
3  Rollen  ruhenden  Deckels  genommen.  Um  hierbei  Kraft  zu  sparen, 
ist  ein  mittelst  Handrads  (F)  zu  drehendes  Getriebe  (K)  angebracht, 
welches  auf  einem  Zahnkranzrade  am  Boden  fortschreitet.  Für  den 
bedienenden  Mann  ist  ein  Sitz  (G)  hergerichtet,  ein  zweiter  Mann  bringt 
die  Munition  aus  den  an  der  Wand  rings  umher  aufgestellten  Kasten 

aa 

herbei.  Für  Dampfabzug  ist  durch  eine  verschliessbare  Öffnung  (Ä)  am 
Scheitelpunkt  des  Deckels  gesorgt,  auch  für  die  Beobachtung  der  Schüsse 
ist  eine  besondere  Öffnung  vorhanden.  Das  Drehen  des  Deckels,  dem 
das  Rohr  folgt.,  ermöglicht  es,  dieses  und  die  Scharte,  also  den  schwächsten 
Punkt  des  Panzers,  dem  feindlichen  Feuer  während  eintretender  Feuer- 
pausen zu  entziehen. 
panzerBtarke  Die  Pauzerstärke  der  fahrbaren  3,7-Oentimeter-Lafette  ist  so  be- 

der 

fahrbaren   messeu,   dass   sie   nicht   nur   gegen   Gewehr-   und   Shrapnelfeuer   oder 


Lafetten. 


Granatsplitter,  sondern  in  ihrer  stärkeren  Konstruktion  auch  gegen 
Granaten  der  leichtesten  Kaliber  von  Kanonen  und  Mörsern  Schutz 
gewährt.  Bei  den  3,6-Centimeter-Lafetten  ist  die  Panzerstärke  so  be- 
messen, dass  man  sich  Sicherheit  gegen  die  Geschosse  der  üblichen 
Belagerungsgeschütze  versprechen  kann,  abgesehen  allerdings  von  Brisanz- 
geschossen, von  denen  sie  bei  günstigem  Auftreffwinkel  zerstört  werden. 
Durch  Auf  Stellungsart  und  Versenkung  wird  man  sie  aber  dem  Anblick 
des  Feindes  und  dem  Zielen  so  entziehen  können,  dass  die  meisten  Treffer 
wohl  Zufallstreffer  sein  würden.  Hiernach  ist  es  begreiflich,  dass  man 
bei  der  Einstellung  in  die  verschiedenen  Artillerien  den  Kalibern  von 
über  5  Centimetern  den  Vorzug  vor  den  kleineren  gegeben  hat.  Nachdem 
die  Grossstaaten  vorangegangen  waren,  hat  man  auch  in  Rumänien, 
Bulgarien  (5,7  (Zentimeter),  Dänemark  (5,3  Centimeter)  u.  s.  w.  Schnell- 
feuerkanonen in  fahrbaren  Panzerlafetten  eingeführt,  in  letztgenanntem 
Lande  auch  bemerkenswerterweise  ein  versenkbares  Panzertünnchen 
tür  7,5-Centimeter-Schnellfeuerkanonen. 
Vorzage  der  Die  Vorzüge  der  fahrbaren  Panzergeschütze   bestehen,   abgesehen 

PaLe""*  von  der  Sicherheit  der  Bedienung  und  der  Feuergeschwindigkeit,  kurz 
geechütze.  g^sagt  darfu,    dass  durch  eine   einfache  Drehvorrichtung  der  schnelle 
Zielwechsel  und  das  Feuern  nach  allen  Seiten  gestattet,  dass  bei  Ver- 


Schnellfeuerkanonen.  127 


wendnng  rauchlosen  Pulvers  eine  Beobachtung  der  Schüsse  aus  dem 
Innern  ermöglicht  und  dass  in  Folge  der  guten  Deckung  und  bei  Vor- 
handensein der  erforderlichen  Munition  eine  hohe  Feuerbereitschaft 
gesichert  ist. 

Die  Nachteile  kommen  hauptsächlich  im  Feldkriege  zur  Geltung.   Nachteile 
Sie  bestehen  in  dem  verhältnismässig  immerhin  hohen  Gewicht,   ver-    panrer- 
bunden   mit  seiner   ungünstigen  Verteilung   und   in  Folge   dessen   be-  »®''°^**''® 
schränkter  Transportfähigkeit,  so  dass  Stellungswechsel  im  Gefecht  aus- 
geschlossen ist.    Auch  die  Beobachtung  und  Feuerleitung  dürfte  in  den 
Verhältnissen  des  Feldkrieges  für  den  Granatschuss  so  schwierig  sein, 
dass  man  von  diesem  wenigstens  nur  in  wenigen  Fällen  wird  Gebrauch 
machen  können. 

Mit    einer    von    den   Krupp'schen   Werken   gelieferten   fahrbaren  vereuohe  mit 

Krnpp'scheu 

5,7 -Zentimeter -Panzerlafette  fanden  Prüfungen  im  Dezember  181)2  auf  fahrbaren 
einem  Schiessplatz  bei  Konstantinopel  vor  einer  Kommission  von  tür-  ^TO^tor-* 
kischen  Offizieren  statt.    Es  handelte  sich  um  Beschiessen  verschiedener    /**""'■■ 

lafetten. 

feldmässiger  Ziele  mit  Kinggranateu,  Shrapnels  und  Kartätschen.  Die 
Ergebnisse  waren  sehr  günstig.  In  einer  Minute  Hessen  sich,  ohne 
nachzurichten,  20  bis  25  Granaten  oder  Kartätschen  bezw\  15  Shrapijels 
verfeuern.  Die  ausgerüstete  Lafette  mit  Eohr  wiegt  2487  Kilogramm, 
mit  dem  zum  Fahrbannachen  dienenden  Wagen  3K50  Kilogramm,  es 
werden  %  Patronen  mitgeführt.  Zuglast  pro  Pferd,  je  nachdem  4  oder 
6  Pferde  Bespannung,  1050  bezw.  700  Kilogi-amm. 

Mit  Kartätschen  auf  200  Meter  wurden  gegen  3  hinter  einander 
stehende  Infanteriescheibeii  (Sturmkoloiine)  H()  scharfe  Treffer  (auf 
240  Kugeln)  pro  Schuss  erzielt.  Gegen  eine  Tiefkolonne  von  5  Scheiben 
auf  2400  Meter  und  eine  Kompagniekolonne  von  3  Scheiben  auf  1100  Meter 
wurden  mit  Ringgranaten  je  28  scharfe  Treffer  pro  Sehuss,  mit  Shrapnels 
22  bezw\  40  scliarfe  Kugeln,  entsprechend  einem  Prozentsatz  der  Füllung 
von  28  bezw.  45,5  erzielt.  Von  den  215  Schützen  der  Tiefkolonne  waren 
203  gleich  94,4%,  von  den  120  Schützen  der  Kompagniekolonne  sämt- 
liche getroffen. 

Was  die  Mitrailleusen-Revolverkanonen  anbetrifft,  so  haben  wenige  verschiedene 
Feuerwaffen    so    viel    verschiedene    Beurteilungen    erfahren    wie    die  ech&tzang 
Mitrailleusen.    Besonders  viel  wurde  und  wird  über  den   am  meisten  t«üieu8en- 
vervollkommneten  Typus:  die  Maxim-Mitrailleuse  gestritten.     Mit  ihrer   ^J^^^^^"' 
einfachen,   sinnreichen  und  auf  das  Prinzip  der  Ausnutzung  des  Rück- 
stosses  zum  automatischen  Herausweifen  der  Hülse,   zum  Wiederladen 
und  zum  Abfeuern  der  aufeinander  folgenden  Schüsse  begiündeten  Kon- 
struktion, in  Folge  deren  600  Kugeln  in  der  Minute  abgegeben  werden 


können,  lenkt«  sie.  wie  ganz  natürlich,  die  Aufmerksamkeit  aller  Staaten 
auf  sich. 
«•■'■-  Wir  geben  hier  die  Zeichnung  einer  Maxini-Mitrailleuse. 


Maxim-M  itnülle  tisc. 

"  Die  Kartuschen  fiir  die  Maxim-Kanone,  Kaliber  37  Millimeter,  sind 

eine  nach  der  anderen  auf  einer  Leinwandrolle  aufgelegt  und  werden  in 
das  bewegliche  Bodenstück  des  Geschützes  dun-li  dessen  Mechanismus 
eingeführt,  den  eine  Hebestange  dirigiert.  Laden  und  Abfeuern  des 
Geschützes  geschieht  lediglich  durch  Ausnutzung  des  Rückstosses,  welcher 
in  genialer  Weise  dazu  benutzt  wird,  durch  den  Rückschlag  des  ab- 
gefeuerten Geschosses  das  nächste  ausznlösen.  Die  ganze  Geschütz- 
bedienung besteht  aus  einem  „Richtmeister".  Derselbe  kann  den  Schuss 
abgeben,  indem  er  für  jeden  Schuss  den  Drücker  in  Bewegung  setzt  oder 
den  Mechanismus,  der  automatisch  schiesst,  indem  dje  Kraft  des  Rück- 
stosses  die  Hebestange  zwei  für  jeden  Schuss  erforderliche  Halb- 
wendungen machen  lässt. 

Es  geschieht  dies  auf  folgende  Weise:  Für  den  ersten  Schuss  giebt 
der  Richtmeister  selbst  der  Hebestange  die  Wendung  mittelst  des  Grifies 
und  führt  die  erste  Kartusche  in  den  Kanal  des  „Bodenstückes".  Darauf 
drückt  er  auf  den  Drücker,  und  der  Schuss  erfolgt.  Bei  dem  Anstritt 
des  ersten  Geschos.ses  zwingt  die  Kraft  des  Rückstosses  das  Bodensttick 
zurückzugleiten,  wobei  die  Hebestange  zwei  Halbwendungen  maelit.  Bei 
der  ei-sten  stösst  das  zurückgeliende  Bodenstück  die  Hülse  ans,  die  vom 
ersten  Schuss  zurückgeblieben  ist  und  eniiii^ingt  die  neue  Kartusche,  bei 


Feld-Batterie  bei  Maget-Killa. 


Maxim- Kanonen  im  Kampfe. 


SchneUfeuerkanonen.  129 

der  zweiten  Halbwendang  der  Hebestange  wird  die  Hülse  aas  dem  Boden- 
stück heramgeworfen ,  die  neue  Ladung  tritt  in  den  Kanal,  während 
das  Bodenstück  selbst  an  seine  Stelle  zurückgeht  u.  s.  w. 

Für  die  automatische  Wirkung  des  Mechanismus  ist  es  also  nur 
nötig,  das  Geschütz  zu  richten  und  beim  ersten  Schuss  selbst  Hand  an- 
zulegen; das  Weitere  besoi^  dann  der  Rückstoss,  aber  nur  soviel  Mal,  als 
Kartuschen  auf  der  Rolle  sind.  Die  Thätigkeit  des  Mechanismus  wird 
durch  den  Richtmeister  unterbrochen;  dieser  reguliert  auch  die  Schnellig- 
keit des  Fenerns;  sie  erreicht  bis  200  Schuss  in  der  Minute,  d.  h.  mehr  als 
3  Schuas  in  der  Sekunde.  Wird  die  Thätigkeit  des  Geschützes  zur  Ver- 
besserung der  Richtung  unterbrochen,  so  muss  das  (Jeschütz  wieder  mit 
der  Hand  geladen  werden. 


Maxim-MitrailleaBe  in  Thätigkeik 

Maxim  hat  auch  derartige  Geschütze  mit  dem  Kaliber  47  und  ".li».- 
57  Millimeter  hergestellt  und  probiert  jetzt,  wie  verlautet  mit  Erfolg  FGhi*d»»D 
eine  Kanone  vom  Kaliber  125  Millimeter.  Ksiibt». 

Die  Ergebnisse  der  Versuche  in  den  verschiedenen  Staaten  waren 
jedoch  im  höchsten  Grade  ungleich  und  die  neue  Mitrailleuse  wurde 
Gegenstand  langathmiger  Erörterungen  und  häufig  übertriebener,  teils 
günst^er,  teUs  ungünstiger  Besprechungen. 

Bei  den  in  Oesterreich  im  Jahre  1888   mit  einer  11-Millimeter-     owur- 
Mitrailleuse  angestellten  Versuchen  versagte  nach  8000  Schuss  der  Lade-  venncha  nii 
mechanismns  und  es  musste  mit  einer  anderen  Mitrailleuse  weiter  gefeuert  Mii^iiLn». 
wei-den.    Die  Beschädigung  des  Mechanismus  war  nur  eine  geringfügige, 


130  ^'    ^^^  Feuerwaflfen. 


trotzdem  musste  aber  die  WaflFe  nach  London  zurückgeschickt  werden. 
Mit  einer  anderen  8-Millimeter-Mitraüleuse  konnte  keine  grössere  Feuer- 
geschwindigkeit als  400  Schnss  in  der  Minute  erzielt  werden ,  und  dabei 
wurde  das  Rohr  so  heiss,  dass  die  Kugeln  zu  schmelzen  begannen.  Das 
Wasser  in  dem  Mantel  übte  daher  keine  abkühlende  Wirkung.  Auch 
diese  Mitrailleuse  wurde  dem  Konstrukteur  zurückgesandt,  und  das 
„Armeeblatt"  zog  beim  Berichte  über  diese  Versuche  den  Schluss,  dass  die 
Waffe  mit  ausgenutztem  Rückstoss,  wenn  auch  sehr  sinnreich,  doch  nicht 
für  Kriegszwecke  geeignet  sei,  und  dass  die  mehrläufige  Mitrailleuse, 
wie  die  Gatling-Mitrailleuse,  den  Vorzug  verdiene. 

ver-  Im  Jahre  1889  wurden  bei  Thun  in  der  Schweiz  vergleichende  Ver- 

gleiohende 

veninciie    suchc  zwischeu  der  U-Millimeter-Maxim-Mitrailleuse  und  der   7,5-Milli- 
dersdiweiz  meter-Gardeuer-Mitraüleuse  angestellt,  und  die  erstere  für  die  Befesti- 
dM  Mw*im  S^^S^n  des  St.  Gotthard  gewählt,  weil  man  Schweizer  Zeitungen  zu- 
und      folge  ihre  Ueberlegenheit  bezüglich  der  Treffgenauigkeit,  der  Stabilität 
Mi*rlim>Me.  der  Richtung,  der  Feuergeschwindigkeit  und  der  Einfachheit  der  Be- 
dienung anerkannt  hatte. 

Einfahrang  Am  Eude  desselben  Jahres  führt  England  die  Maxim-Mitrailleuse 

Maxim-    ein  und  giebt  sie  12  Infanteriebataillonen  (jedem  zwei).    In  die  deutsche 

fn^^Zt  Marine  ist  die  Maxim  -  Mitraüleuse  1892  eingeführt.    Doch  hat  sie  in 

Schlechte  deu  vou  Bülow  im  Kilimandscharogebiet  geführten  Kämpfen  den  auf  sie 

Bewährung  , 

derselben  in  gcsetzteu  Erwartungen  nicht  nur  nicht  entsprochen,  sondern  sich  sogar 

'^' Marint*"  überaus  schlecht  bewährt. 

Bestrebungen  lu  dem  Maassc,  iu  welchem  die  konstruierende  Firma  allmählich 

Aar   VArfm 

Firma     dcu  Mcchauismus  behufs  Beseitigung  der  beim  Schiessen  zu  Tage  tretenden 
BeeeiS'  n   ^^ängel  uud  Ueberwinduug  der  Transportschwierigkeiten  verbessert  hat, 
der  211  Tage  schciueu  dicsc  jcdoch  in  Aufnahme  zu  kommen. 

getretenen 

Mängel.  Auch   unter   ungünstigen   Geländeverhältnissen   ist   es,   besonders 

gegen  einen  Abhang,  der  aUmählich  ansteigt,  möglich,  das  Feuer  zu 
regulieren,  indem  man  zuerst  das  Ziel  sich  zu  bewegen  veranlasst  und 
dann  mit  Schnellfeuer  überschüttet. 

Resolute  der  Bei  ciuer  der  ersten  Schiessübungen   auf  bekannte  Entfernungen 

Übungen  mit  gegen  Fcldzielc ,  als  man  die  neuen  Waffen  erst  wenig  kannte,  wurden 
traiuensen.  folgcudc  bemerkenswerte  Resultate  erreicht: 

(Siehe  die  Tabelle  auf  der  folgenden  Seite.) 

Steigende  Bis  jctzt  hat  das  Haus  Maxim  an  41  Regierungen  und  Kolonial- 

dw  iil^m*-  gesellschaften  Mitrailleusen  geliefert ;  in  39  Fällen   sind  die  Geschütze 
tmiHetsen.  ^^^  "^^^  ^^*'  ^®^^"  ^^^  Bclagerungskrieg  bestimmt. 


Mitrailleusen. 


(System  Nordenfeld.) 


(System  Hotschkiss.) 


ßjj  o  (w  99222?  ^'*^^^?!22^^2^^^2i 


(PatronenbandO 


|y-:tfV*-n'-   ^.',v 


■g 
s 


I 


4] 


Schnellfeuerkanonen. 


131 


Zielen 


Anzahl 

der 
Scheiben 


Schuss- 
zahl 


Dauer 

des 

Anzahl 

Feuers 

der 

in  Se- 

Treffer 

kunden 

A-nga.Vi1 

der  ge- 
troffenen 
Scheiben 


Infanterie  in  Kolonnen  .    .    . 

in  Schützenlinien     .... 

in  Linie  in  geschlossener 
Ordnung  

in  Zugkolonnen-Linie;  Ent- 
fernung zwischen  der 
Kolonne  etwa  60  Meter   . 

Artillerie 


100 
95 

40 


120 
76 


200 
400 

630 


800 
1030 


200 
200 

197 


299 
400 


25 

25 

67 

25 

181 

«MMV 

458 

267 

73 
42 

39 


91 
66 


Nunmehr  ist  in  der  Schweiz  beschlossen  worden,  dass  jedes  Kavallerie- zuteüungdor 
regiment  drei  Maxim-Mitrailleusen  mit  einem  Munitionswagen  zum  Trans-  nitniue'l^eii 
port  von  10-  bis  15000  Reservepatronen  und  ein  aus  1  Offizier,  4  bis  g^welLr 
5  Unteroffizieren  und  12  Gemeinen  bestehendes  Personal  mit  26  Pferden  Kav»ii«ri«. 
erhalten  soll. 

Die  der  Kavallerie  zugeteilten  Mitrailleusen  bezwecken,  die  Feuer- 
kraft dieser  Waffe,  wo  dieselbe  auch  immer  auftreten  mag,  zu  ver- 
mehren. 

Diese  Waffen  bieten  ein  äusserst  kleines  Ziel  und  können  in 
jedem  Gelände  sich  gedeckt  halten,  so  dass  der  Feind  schwer  die 
Richtung,  aus  welcher  er  Feuer  erhält,  wird  feststellen  können.  Die 
Wirkung  des  Feuers  auf  bekannte  Entfernungen  ist,  besonders  gegen 
tiefe  Ziele,  eine  im  höchsten  Grade  mörderische.  Sie  gestattet  daher 
der  Kavallerie,  überraschend  nach  einem  unvermuteten  Feuer  in  Aktion 
zu  treten. 

Weiterhin  sind  in  der  französischen  Armee  Revolverkanonen  ein-  Kevower- 

kanonen. 

geführt. 

Dieselben  bestehen  aus  sechs  Rohren,  die  sich  mit  Hilfe  eines 
Mechanismus  um  eine  zentrale  Achse  drehen,  die  in  der  Trommel  hinter 
dem  Bodenstück  des  Geschützes  placiert  ist  und  durch  einen  drehbaren 
Griff  in  Thätigkeit  gesetzt  wird.  Die  Kartusche  besteht  aus  einem  Ge- 
häuse, welches  die  Pulverladung  enthält  und  einem  an  diesem  Gehäuse 
befestigten  Körbchen  mit  24  runden  Kugeln  aus  starkem  Blei.  Das  Gewicht 
der  Kartusche  ist  ungefähr  1  Kilogramm,  das  Gewicht  der  Kanone  selbst 
etwa  500  Kilogramm,  das  Gewicht  der  Lafette  600  Kilogramm. 

9* 


134 


I.    Die  Feuerwaffen. 


Ballistische 
Daten  fftr 

oebirpi-    Zosammenstellang : 

geschatze. 


Ballistische    Mitteilungen    über   Gebirgsgeschütze    giebt    folgende 


Ballistische  Angaben  betreffend  die  Gebirgsgeschütze  der 

europäischen  Grossmächte. 


[er 

Oetterreioh- 
Ungara. 

Italien. 

Frankreich. 

Rusaland. 

7  cm 
Mod.  1875 

7  cm 
Mod.  1881 

8  cm 
Mod.  1868 

2V>' 
Mod.  1883 

Beim  Sckiessen  d 

G  r  a  n  1 

k  t  •  n 

Anfangs- 
geschwindigkeit 

Om 

298') 

256 

257 

275 

End- 
geschwindigkeit 

3000  m 

155 

143 

190 

198 

50  Prozent  Tjängen- 
streuung  auf 

3000  m 

63 

43 

27 

34 

50  Prozent  Breiten- 
streuung auf 

3000  m 

9,9 

8,1 

13,0 

6,4 

50  Prozent  Höhen- 
streuung auf 

3000  m 

10,4 

23,9 

10,4 

11,5 

Bestrichener  Raum   j 

für  1,8  m  Zielhöhe  l 

auf                 [ 

1000  m 
2000  m 

24 
9 

19 
7 

20 
9 

20 
9 

Grösste  Schussweite 

m 

3000 

m 

3850 

Stack 
109 

m 

4300 

n 

4260 

Anzahl  der  Kugeln  und  Shrapnels 

Stack 
65 

Stack 
120 

Stack 
100 

Gewicht  des  Geschützes  (KUogr.) 
Zahl  der  Geschütze  in  der  Batterie 
Bedienung  der  Batterie  (Mann)  .    . 
Bespannung  der  Batterie  (Pferde) 

1105 

4 

111 

67 

1112 

6 

286 

148 

1158 

6 

160 

94 

8 
306 
206 

Seit  Einführung  der  Gebirgsgeschütze,  deren  neueste  von  1883  sind, 
hat  man  schon  wieder  nicht  unbedeutende  Fortschritte  gemacht.  Statt 
nun  dem  Leser  Zeichnungen  von  älteren  Typen  vorzuführen,  weisen  wir 
für  jetzt  auf  eine  Abhandlung  über  die  Krupp'sche  Ausstellung  in  Chicago, 


*)  Diese  Zahl  bedeutet,  dass  das  Geschoss  in  der  ersten  Sekunde  298  Meter 
zurücklegt  und  nach  Durchfliegen  einer  Strecke  von  3000  Metern  noch  eine  Geschwindig- 
keit von  155  Metern  per  Sekunde  besitzt. 


A 


u 


Tafel  X. 


I  n  m  IV  V 


VI  vn  VIII 


(Erläuterungen  umstehend.) 


SnRlnn  bei  Stite  1». 


Erläuterungen  zu  Tafel  X. 

Fig.  T.    Granate,  englische  aus  abgehärtetem  Gusseisen,  System  Palliser. 

Fig.  II  und  IV.  Hohlgeschosse.  Geschosse  zum  Zerstören  von  Befestigungen 
und  Gebäuden  und,  falls  sie  zur  Erde  niederfallen,  Verwundung  von  Mann- 
schaften durch  Sprengstiicke. 

Fig.  III.  Die  Zeichnung  stellt  eine  Kartusche  der  28-Centiineter- Küstenkanone, 
bestehend  aus  seidenen  Beuteln,  die  mit  prismatischem  Pulver  gefüllt 
und  —  wenn  sie  nicht  in  eigenen  Kartuschbüchson  aufbewahrt  werden  — 
mit  Rebschnüren  und  Zwimbändern  netzartig  verschnürt,  weiter  am  Boden 
mit  einer  eigenen  Anfeuerungsöffnung  versehen  sind.  Zur  leichteren  Hand- 
habung bei  dem  gewaltigen  Kaliber  wird  die  ganze  Pulverladung  in 
2  Beutel  gefüllt. 

Eine  Anzahl  von  Kartuschen  ist  an  zwei  gleichgewichtigen  Teilen 
zusammengenietet,  welche  mittelst  einer  leicht  zu  lösenden  Bindfaden- 
verschnürung  verbunden  sind,  damit  die  Hälfte  als  Wurfladung,  wozu 
gewöhnlich  weniger  Pulver  genommen  wird,  benutzt  werden  kann. 

Um  starke  Schutzwehren  zu  durchschlagen,  werden  Panzerbomben  aus 
gegossenem  Metall  (Eisen  oder  Stahl),  welches  einer  schnellen  Abkühlung 
ausgesetzt  war,  verwandt,  die  gleichfalls  mit  einem  Sprengstoff  gefüllt  sind. 

Fig.  IV.    Minengeschoss. 

Fig.  V.  Ein  Krupp'sches  Hartguss-Hohlgeschoss.  Aussen  ist  der  Bleimantel  h 
angelötet;  die  Ausnehmungen  an  der  Spitze  dienen  zum  Erfassen  des 
Geschosses  mit  der  Geschoss- Hebzange.  In  den  Hohlraum  wird  ein 
Säckchen  mit  Sprengladung  durch  das  Bodenloch  eingebracht  und  dieses 
sodann  mittelst  der  Verschlussschraube  v  samt  Bleiring  geschlossen. 
Die  Geschosse  haben  keinen  Zünder,  da  die  Sprengladung  beim  Treffen 
und  Eindringen  des  Geschosses  in  den  Panzer  zur  Explosion  gelangt. 

Fig.  VI.    Eine  mit  Schiessbaumwolle  gefüllte  Granate. 

Fig.  VII  und  Vlll.    Geschosse  mit  Explosionstoffen  geladen. 

Die  verschiedenen  Stoffe,  die  hierzu  verwandt  werden,  bestehen  einer- 
seits z.  B.  aus  Schwefelsäure,  andererseits  aus  Nitro-Naphtalin,  -Phenol, 
-Benzin  oder  -Xylol. 

Die  Sprengbestandteile  werden  in  besonderen  Glas-  oder  Porzellan- 
gefassen  gehalten,  welche  dauerhaft  genug  sind,  um  beim  Transport  oder 
bei  sonstiger  Handhabung  nicht  zu  zerbrechen.  Der  grösseren  Gefahr- 
losigkeit wegen  umhüllt  man  diese  Gefässe  noch  mit  Filz  und  Guttapercha 
oder  schützt  sie  auf  andere  Weise  vor  Stössen. 

Statt  dieser  einzelnen  Gefässe  werden  auch  bewegliche  Zwischenwände 
angewandt,  welche  das  Gefäss  für  die  verschiedenen  Bestandteile  abteilen. 
In  beiden  Fällen  ruft  ein  Zerschlagen  des  Gefässes  eine  Vermischung  der 
Bestandteile  und  damit  eine  Explosion  hervor.  Bei  den  Shrapnels  be- 
finden sich  die  Sprengmaterialen  in  geladenen  Bohren,  welche  mittelst 
des  Zündloches  explodieren. 


ZanA^r. 135 

Schiessresnitate  enthaltend,  hin,  auf  welche  wir  später  zurückkommen 
werden.  1) 

Erwähnt  wird  noch  einei'  durch  die  Krupp'schen  Werke  in  Chicago  K"pp'"i*« 
anagestellten  Merkwürdigkeit,  nämlich  einer  durch  Menschen  tragbaren    luoie. 
3,7  Centimet«r-Bu8chkanone,  welche  im  Kolonialkiieg  gebraucht  wird;  das 
Rohr  wiegt  nur  40  Kilogramm,  die  Lafette  46  Kilogramm,  die  Kartuschen 
670  bezff.  720  Kilogramm. 


5.    Zünder. 

In  früheren  Zeiten  war  die  Wirkung  des  Geschosses  sehr  schwach  f«™  ^m 
und  nur  langsam  traten  auf  diesem  Gebiet  Fortschritte  hervor.  Das  j^j^^i  j^ 
Material  der  Geschosse  ist  meist  Eisen,  diese  selbst  sind  rund  und  Ht.  L 
kleiner    als    das   Kaliber    des   Rohres,    um   hinein-  ^t'flli'"' 

gestossen  werden  zu  können.    Später  setzte  man  die  fj^  HL 

Kugel  in  den  halb  ausgehöhlten  Spiegel,  verband  sie 
mit  der  in  einem  Beutel  enthaltenen  Palverladnng 
(Kartusche)  und  hatte  so  den  Kugelschuss.  Noch  später 
nimmt  die  Höhlung  einer  Bombe  Pulver  auf.  welches 
durch  den  Zünder  (Tafel  X  Mg.  I)  entzündet  wii-d. 
Letzterer,  wie  nebenstehende  Zeichnung  zeigt,  ist 
eine  Holzi-öhre,  deren  Bohrung  mit  einem  ver- 
dichteten Gemenge  von  Salpeter,  Schwefel  und 
Mehlpulver  gefüllt  ist;  ein  Mundloch  (Zündertafel 
Fig.  ni)  der  Bombe  nimmt  den  Zünder  auf. 

Ursprünglich  wurde  der  Zünder  mit  der  Hand  angesteckt  (Zünder-  Amt^ken 
tafel,  Fig.  II),  was  später  überflüssig  wurde,  weil  die  Entzündung  der  nider-" 
Ladung  ausreichte,  den  Zünder  mit  anzubrennen.  Kur  müssen  die  Seelen-     tald 
wände  über  das  Geschoss  hinausragen,  weil  sonst  die  Gase  auf  ihrem    "*•  "• 
Wege  zum  Zünder  abgekühlt  werden.     Die  Bombe  zerspringt,  sobald 
durch  den  Zünder  die  darin  enthaltene  Ladung  Fener  fSngt  und  wirkt 
dann  durch  ihre  Sprengstücke. 

Allmählich  vervollkommnet  sich  die  Form  der  Geschosse,  welche  Fprm  md 
eine  längliche  Fonn  annehmen,  im  hinteren  Teil  zylindrisch,  im  ja,Ö„"hZe 
vorderen  zugespitzt.  Sie  zerfallen  in  zwei  Gattungen,  solche,  deren  g°™*'t°' 
Höhlung   nui'  mit   Pulver  gefüllt  ist,    und    andere,    welche    ausserdem 

I)  E.  Montbaje:    „Krupp  k  rExposition  de  Chicago  de  1893".    („ReTue  de 
l'ArmÄe  Beige".) 


Zünder. 


136  !•    I^ie  Feuerwaffen. 


kleinere  Geschosse  in  sich  aufnehmen.  Erstere  werden  Granaten, 
letztere  Shrapnels  oder  Granatkartätschen  genannt.  Granaten  wirken 
teils  als  ganze  Geschosse,  teils  im  zerteilten  Zustande,  im  letzteren  sowohl 
durch  ihre  Sprengstticke,  als  durch  die  Zerstörungskraft  des  ein- 
geschlossenen Pulvers.  Platzt  eine  Granate  über  der  Erde,  so  wirkt  jedes 
einzelne  Stück  des  Mantels  als  Projektil  für  sich.  Dringt  sie  unzerteilt  in 
eine  Erdbrustwehr,  eine  Mauer  u.  s.  w.  ein,  so  wirkt  die  Pulverladung  des 
krepierenden  Geschosses  als  Mine,  indem  sie  die  Erde,  resp.  das  Mauer- 
werk auseinanderreisst.  Das  Shrapnel  soll  sich  jedesmal  in  einer  gewissen 
Entfernung  vor  dem  Ziele  zerteilen;  die  kleinen  Geschosse  gehen  dann 
streuend  auseinander  und  überschütten  einen  grösseren  Raum. 
^^"•*™^*'''  Die  Zündung  der  im  Geschoss  enthaltenen  Pulverladung  erfolgt 

zAndera.   mechauisch  durch  den  Zünder,  der  auf  zwei  verschiedene  Arten  kon- 
taW "  ^*™^^  ^^^^  kann.    Will  man  die  Zerteilung  des  Geschosses  nach  einer 

pig,  T.  bestimmten  Zeit  herbeiführen,  so  wird  es  mit  einem  Zünder  versehen,  der 
einen  verdichteten,  gleichmässig  abbrennenden  Satz  enthält.  Dieser  fängt 
im  Kohre  Feuer;  je  nach  dem  Zeiti*aum,  nach  dessen  Ablauf  das  Geschoss 
platzen  soll,  ist  die  Wegstrecke,  welche  das  Feuer  im  Satze  zurücklegt, 
ehe  sich  die  Flamme  dem  Pulver  im  Geschoss  mitteilt,  entsprechend  gross 
einzurichten-  Bei  den  Geschossen  der  glatten  Geschütze  sahen  wir  bereits 
den  Zünder  in  Gestalt  einer  mit  Satz  vollgepressten  Holzröhre.  Je  nach 
der  Länge,  auf  die  man  diese  Röhre  abschnitt,  war  die  Brennzeit  eine  ver- 
schiedene. Das  Abschneiden  musste  natürlich  vor  dem  Einsetzen  des 
Zünders  in  das  Geschoss  erfolgen.  Damit  war  aber  eine  die  Bedienung 
des  Geschützes  wesentlich  verlangsamende  Manipulation,  nämlich  ausser 
dem  Abschneiden  auch  das  jedesmalige  Befestigen  des  Zünders  im  Geschoss, 
verbunden.  Für  den  Gebrauch  mit  alten  Vorderladern  war  diese  Methode 
noch  möglich,  da  genügender  Raum  vorhanden  war,  damit  die  durch- 
ströDienden  Gase  die  Satzröhre  entzünden  konnten.  Das  Entflammen 
der  Kartusche  erfasste  sogleich  die  Spitze  des  Zünders.  Als  aber 
Hinterlader  in  Gebrauch  kamen,  wurde  dies  einfache  System  wii-kungs- 
los,  denn  das  Gas  konnte  nicht  mehr  zuströmen.  Der  kurhessische 
Aiiiillerielieutenant  Breithaupt  konstruierte  nun  einen  bereits  im  Geschoss 
befestigten  Zünder,  welcher  für  jede  Brennzeit  eingerichtet  werden  konnte 
(Zündertafel  Fig.  V).  Diese  Erfindung  diente  zum  Ausgang  der  modernen 
Zünder,  ohne  welche  die  Ai-tillerie  nicht  zu  einer  so  furchtbaren  Ver- 
vollkommnung gekommen  wäre. 

Um  uns  aber  die  Zünderwirkung  deutlich  zu  machen,  müssen  wir 
die  Sonderheiten  der  Einrichtung  des  Apparates  in  Betracht  ziehen,  da 
von-  deren  mehr  oder  weniger  regelrechter  Konstruktion  nicht  nur  die 
Wirksamkeit  der  Schüsse,  sondern  auch  die  Sicherheit  der  eigenen  Truppen 


Zündertafel. 


m  Jv 


IX  X 


(Erläuterimgen  umstellend.) 


EiBttten  bei  BeiU 


Erläuterungen  zur  ZündertafeL 

Fig.  I.  Zünder  erster  Zeit,  bestehend  aus  einem  Holzrohre,  dessen  Bohrang  mit  Pulver  angefüllt 
wurde;  durch  Abschneiden  konnte  die  Brennzeit  reguliert  werden. 

Fig.  IT.      AnstecKun^  des  Zünders  durch  den  Bombardier. 

Fig.  m.     Gh*anate  mit  brennender  Limte. 

Fig.  IV.     Bomben,  konzentrische  und  exzentrische. 

Fig.  V.  Erster  Zeitzünder,  welcher  im  Geschoss  befestigt  werden  konnte  und  für  Brennen  ein- 
gerichtet war. 

Fig.  YJ,      Preussisches  Perkussionsgeschoss  (1870)  mit  Zünder. 

Fig.  Vn.  Oesterreichische  Zünder  zur  Entzündung  der  Sprengladung,  zum  Schutze  gegen  äussere 
Einflüsse  durch  eine  Verkappung  gedeckt. 

Fig.  Vni.  Segment  einer  Granate  von  187o. 

Fig.  IX  u.  X.  Boters  Zeitzünder.  Das  Pulver,  welches  die  Explosion  bewirken  soll,  ist  im  zentralen 
Kanal  enthalten.  Die  Aussenseite  des  Zünders  ist  derart  bezeichnet,  dass  sich  die  Län^  der 
Brennzeit  der  Pulverkomposition  in  Zeiteinheiten  eingeteilt  findet.  Um  den  Zünder  zu  richten, 
genügte  es,  ein  Loch  durch  die  gewünschte  Abteilung  in  die  Komposition  zu  bohren. 

Fig.  XI.  Der  Perkussionszünder  Mod.  1875  besteht  aus  Mundlochschrauoe  m,  Zündsohraube  a  mit 
Zündhütchen  0,  dann  aus  Zünderhülse  A,  in  welcher  sich  die  zwei  Schlägerteile  befinden,  von 
denen  der  untere  u  die  Zündnadel  n  und  die  kupferne  Versicherungshmse  v  trägt.  Letztere 
hat  einen  durchlochten  Boden  und  an  ihrem  Umfange  acht  aufgebogene  Lappen,  auf  welche 
der  obere  Schlägei*teil  o  aufsitzt  und  hierdurch  die  Zündriadel  von  dem  Zündhütchen  entfernt 
hält.  Beim  Schusse  bleibt  der  obere  Schlägerteil  vermöge  der  Trägheit  seiner  Masse  zurück, 
streift  die  Lappen  der  Versicherungshülse  aus  und  schiebt  sich  auf  den  unteren  Schlägerteil 
auf;  beim  Aufschlag  des  Geschosses  fallen  die  vereinigten  Schlägerteile  vor,  die  Zündnadel 
trifft  das  Zündhütchen  und  die  Flamme  desselben  zündet  die  Sprengladung  des  Geschosses. 

Fig.  Xn.  Oesterreichische  Brandel  zum  Entladen  der  Geschütze,  um  der  Gefahr  des  Durchbrechens 
der  Gase  vorzubeugen.  Beim  Gebrauche  wird  das  Brandel  in  das  Zündloch  eingesetzt  und 
durch  Niederdrücken  der  Schliessklappe  des  Brandellagers  im  Zündlochstollen  eingeschlossen; 
wird  sodann  am  Beibedraht  des  Brandeis  ein  kräftiger  Zug  ausgeführt,  so  entzündet  sich  der 
Friktionssatz,  ferner  das  Scheibenpulver  und  die  PulverMung;  hierbei  wird  durch  die  ent- 
wickelten Gase  die  Brandelhülse  gegen  die  Wände  des  Zündloches,  der  Boden  des  Reibers 
gegen  den  Boden  der  Brandelhülse  gedrückt  und  dadurch  ein  gasdichter  Abschluss  des  Zünd- 
loches bewirkt. 

Fig.  XIII.  Fi'anzösischer  Feld  -  Doppelzünder  Mod.  1880  und  1884.  Der  Zünder  ist  vor  dem  Schusse 
und  hat  folgende  Einrichtung:  Der  bronzene  Zündkörper  c  enthält  in  seiner  unteren  Kammer 
den  Perkussionszünder  „Budin'",  oben  trägt  er  den  Zünderteller,   in  welchen  der  bronzene 


mit  einer  im  Gewinde  des  Zapfens  ausgeschnittenen  mit  Kompulver  gefüllten  Binne  g  kom- 
muniziert; von  der  Kinne  ^  fünrt^n  drei  Kanäle  z  zum  Perkussionsapparat.  Oben  enthält  der 
Zapfen  die  Nadel  n  und  den  Kapselträger  7,  welche  beide  durch  die  Spiralfeder  x  auseinander- 
gehalten werden.  Im  Kapsel  träger  befindet  sich  die  Zündpille  samt  Schlagladun^,  deren 
Flamme  bei  der  Explosion  durch  die  Kanäle  y  den  aussen  aufgesetzten,  aus  kompnmiertem 
Pulver  erzeugten  Ring  d  entzündet.  Der  Satzkonus  6  (Zinnlegierung)  besitzt  aussen  eine 
spiralförmige  Kinne,  in  welche  das  bleierne  Satzröhrchen  eingelegt  ist;  er  wird  durch  die  Ver- 
schliissplatte  o  derart  fixiert,  dass  das  untere  Ende  des  Satzringes  mit  seinem  eingesetzten 
Kupferröhrchen  A  über  den  Nullpunkt  der  Tempiereinteilungt»n  und  mit  dem  Feueneitungs- 
kanale  h  in  Verbindung  stecht.  Das  Satzröhrchen  ist  mit  Pulversatz  gefüllt,  von  welchem  13  mm 
eine  Sekunde  brennen.  Der  messingene  Tempiermantel  m  hat  aussen  von  0  bis  20  numerierte 
Tempieröffnungen,  deren  gegenseitige  Abstände  einer  Brenndauer  von  einer  Sekunde  ent- 
sprechen; ausserdem  ist  noch  eine  nicht  numeriert-e  Oeffnung  7",  durch  welche  die  bei  der 
Verbrennung  der  Schlagladung  und  des  Ringes  d  gebüdeten  Gase  entweichen  sollen.  Soll  der 
Zünder  als  Fallzünder  wirken,^go  entfällt  jede  weitere  Behandlung  desselben  vor  dem  Schusse 
und  er  funktioniert  dann  wie  der  Budin'sche  Zünder  bei  den  Hohl  geschossen.  Soll  er  jedoch 
als  Zeitzünder  wirken,  so  muss  er  voreret  tempiert  werden.  Besteht  die  Brenndauer  in  ganzen 
Sekunden,  so  überzeugt  man  sich  zunächst,  ob  der  Zeigerstrich  und  der  Nullstrich  der  Ein- 
teilung am  Tempiermantel  übereinfallen,  durchsticht  hierauf  mit  dem  Tempierbohrer  durch 
die  betreffende  Tempieröffnung  die  Satzröhre  und  den  Satzkonus.  Besteht  die  Brenndauer 
überdies  in  Zehntel-Sekunden,  so  wird  vorerst  der  Tempiermantel  entsprechend  der  Ein- 
teilunfif  gedreht  und  festgestellt.  Beim  Schuss  fallt  der  Zündstift  n  zurück  und  der  Zündsatz 
explodiert;  hierdurch  entzündet  sich  die  Schlagladung,  dann  der  Satzring  dy  durch  dessen 
Flamme  wieder  durch  die  beim  Teinpieren  im  Satzkonus  erzeugte  Oefl'nung  die  Entzündung 
der  Satjsröhre  eingeleitet  wird.  Letztere  brennt  nach  beiden  Richtungen  gleichmässig  ab,  bis 
durch  das  Kupferröhrchen  A  das  Feuer  durch  den  Feuerleitungskanal  und  die  Kanäle  s  end- 
lich zur  Schlagladung  im  Perkussionsaj) parate  d(*s  Geschosses  gelangt. 

Fig.  XIV  u.  XV.  Elektrische  Brandein.  Um  die  Gefahr  des  Hinauswerfens  der  Brandein  beim  Ent- 
laden der  Geschütze  zu  beseitigen  und  die  Explosion  der  Gase  aufzuhalten,  wurde  die  Elek- 
trizität zum  Entladen  benutzt. 

Fig.  XVI.  Elektrische  Beleuchtung  zum  Richten  der  Geschütze  für  Nachtgefechte,  nach  „Lloyd  and 
Hadcock  Artillery". 


Zünder. 


137 


abhängt,  wie  wir  dies  in  der  Folge  darthan  werden,  wenn  wir  ein  Büd 
der  voraussichtlichen  Thätigkeit  der  Artillerie  auf  dem  Schlachtfelde  ent- 
werfen. 

Um  wirksam  zu  sein,  muss  der  Zünder,  wie  wir  soeben  angegeben 
haben,  so  eingerichtet  sein,  dass  die  durch  ihn  hervorgerufene  Explosion 
des  Geschosses  an  der  dazu  vorausbestimmten  Stelle  stattfindet,  d.  h.  dort, 
wo  nach  Berechnung  des  Schiessenden  die  vernichtende  Wirkung  erfolgen 
soll.  Ein  derartiges  Eesultat  geben  die  jetzt  gebräuchlichen  Zünder,  die 
seit  dem  deutsch-französischen  Kriege  im  Lauf  der  letzten  20  Jahre 
eine  bedeutende  Vervollkommnung  erfahren  haben. 

In  der  französischen  Artillerie  waren  bei  Beginn  des  Krieges  Tempir-  und 
1870—1871  Bronzekanonen  von  4-,  8-  und  12  pfundigem  Kaliber  vor-  zünder."^ 
banden  und  25  läufige  Mitraüleusen.  Die  Kanonen  schössen  mit  gewöhn- 
lichen (einwändigen)  Granaten,  Shrapnels  und  Kartätschen.  Bei  Beginn 
des  Feldzuges  waren  die  Granaten  und  Shrapnels  mit  Tempirzündem 
zweifacher  Stellung  versehen;  man  konnte  also  nur  auf  zwei  Ent- 
fernungen eine  präzise  Geschosswii'kung  erzielen.  Aber  was  noch 
schlimmer,  die  Zünder  funktionierten  häufig  weit  vom  Ziele,  weshalb  sie 
bald  bei  Granaten  und  teilweise  bei  Shrapnels  durch  Perkussionszünder 
(Demarais)  ersetzt  wurden, i)  welche  das  Geschoss  auf  beliebiger  Ent- 
fernung, sobald  es  nur  irgend  einen  Widerstand  findet,  zerspringen  lassen. 
Dies  war  schon  sicherer,  aber  häufig  wirkte  das  Piston  der  Röhre  nicht, 
oder  wenn  es  wirkte,  so  geschah  es  gerade  im  Moment  des  Aufschls^s 
auf  den  Boden,  wobei,  falls  der  Boden  nur  einigermaassen  locker  war, 
das  Geschoss  sich  einwühlte,  fast  ohne  Sprengstücke  zu  geben.  2) 

In  der  ganzen  Kampagne  1870  haben  die  Preussen  fast  ausschliesslich  vw^«adniig 

°  i-    o  yQH  Granaten 

emwändige  Granaten   mit  Perkussionszündern  angewandt  (Zündertafel  mit 

Fig.  VI);  weil  die  Shrapnels  mit  Perkussionszündung  in  Preussen  schon  "JdTra"^ 

1866    in    Ermangelung    brauchbarer   Tempirzünder    abgeschafft   waren.  *",^^*^* 

Kartätschen  kamen  nur  in  ganz  unbedeutendem  Maassstabe  zur  Ver-  Zfinder- 
wendung. 

Es  wurden  durch  die  deutsche  Artillerie  verfeuert: 


tafel 
Fis.TL 


von  preussischen  Geschützen 
von  bayerischen  Geschützen 
von  sächsischen  Geschützen  . 


Granaten  Shrapnels  Kartätschen 

99,80  o/o  -               0,20  o/o 

9B,19  o/o  4,40  o/o         0,14  o/^ 

88,88  o/o  11,04  o/o         0,08  % 


0  Potocki:   „Artillerie".    Lieferung  2. 
')  Om^ga:    „L'art  de  combattre". 


138  I-    I^i^  Feuerwaffen. 


Zfinder-  Die  gewöhnlichen  Granaten  waren  noch  von  guter  Wirkung  gegen 

Pi*^TO.  ^^S^d^^^^  Truppenmassen  (auf  Entfernungen  von  1500  Meter  bis 
2500  Meter,  andernfalls  waren  die  Einfallwinkel  zu  gross),  gegen  Bäume 
und  Steinwände ;  aber  gegen  Schützen,  welche  örtliche  Deckungen  hatten, 
war  die  Wirkung  der  Granaten  unbedeutend.  Die  in  der  österreichischen 
Armee  angewandten  Zünder  zeigt  in  der  Zündertafel  Fig.  VII. 
Preußische  Nachdem  aber  die   Zünder   vervollkommnet  wurden,    zeigten  die 

Probe-  '  ^ 

BchiMsen   in  Preussen  stattgefundenen  Probeschiessen  mit  Shrapnels,  gegen  Truppen 

"ztader-"  in  den  verschiedensten  Formationen  angewandt,  eine  6  bis  10  Mal  grössere 

tafel     Wirkung,  als  Granaten  (Zündertafel  Fig.  VIH).   Auf  die  Bedeutung  dieser 

Hg,  Vm  Schiessversuche  werden  wir  später  zurückkommen. 

Konatniirtion  j)[q  Koustruktiou  der  Apparate  zur  Erzeugung  der  Explosion  in 

der  Appar&te 

z.  Enengung  Geschosscu  gehört  zu  den  kompliziertesten  Aufgaben  der  artilleristischen 
ExpiosTon  in  Techulk,  uud  es  ist  äusserst  schwierig,  diese  Mechanismen  in  einer 
oenchosaen.  allgemein  verständlichen  Form  zu  beschreiben. 

Zfinder-  Die  in  der  Zündertafel  enthaltenen  Zeichnungen  Fig.  IX  bis  XVI 

PlgT^j^lgUnd  deren  Erklärungen  werden  ein  genügendes  Bild  von  dem  jetzigen 
XVL     Stande  entwerfen. 

züDder  jm  allgemeinen  wollen  wir  nur  erwähnen,  dass  Zünder  von  dreierlei 

dreierlei  Art 

(Tempir-.   Art  gebraucht  werden  : 

Perknesiosfi- 

and  Zünder  1,  Züuder,    die   nach   einem   bestimmten  Zeitabschnitt  wirken, 

Wirkung).  mit  gewöhnlich  bis  zu  15  Sekunden  Brennzeit,  aber  für  Mörser 

und  Haubitzen  sogar  bis  zu  30  Sekunden  Brennzeit. ») 

2.  Perkussionszünder,  welche  die  Explosion  bei  der  Begegnung  mit 
einem  äusseren  Widerstund  herbeiführen^  d.  h.  durch  den  Auf- 
schlag auf  den  Boden,  den  Anprall  an  ein  Geschütz,  Erdauf- 
schüttung u.  s.  W- 

3.  Zünder  von  doppelter  Wirksamkeit,  die  die  Explosion 
entweder  zu  einer  bestimmten  Zeit  hervorbringen  oder  auch 
früher  beim  Aufschlag  auf  einen  äusseren  Gegenstand. 

verwendungr  Perkusslouszündcr  werden  gebraucht,   wenn  Tempirzünder  (d.  h. 

perkoMione- Zünder   für   die  Explosion   binnen  einer  bestimmten  Zeit)   aus  irgend 
welchem  Grunde  ihren  Zweck  nicht  erreichen. 

Stellen  wir  uns  z.  B.  vor,  dass  der  Feind  sich  in  einer  Entfernung 
von  1200  Meter  befindet.  Das  treffsicher  abgesandte  Geschoss  darf  nicht 
höher  als  10  Meter  fliegen.  Zu  Ende  seiner  Bahn  fliegt  es  fast  die  Erde 
berührend.  Damit  aber  die  Explosion  bedeutende  Resultate  ergiebt,  muss 
sie  in  einer  gewissen  Höhe  erfolgen,  denn  im  entgegengesetzten  Fall 


*)  „Lloyd  and  Hadcock  Artillery". 


Zünder. 


139 


hindert  jede  Unebenheit  des  Terrains  die  tödliche  Wirkung  der  Kugel- 
nnd  Splittergarbe.  Unter  solchen  Verhältnissen  scheint  es  zweckmässiger 
einen  Perkussionsztinder  in  Anwendung  zu  bringen.  Die  Granaten  mit 
einem  solchen  Zünder  explodieren  gewöhnlich  unmittelbar  im  Moment 
des  Niederfallens  auf  die  Erde,  und  da  sie  von  ihr  bis  zu  einer  gewissen 
Höhe  abspringen,  so  hängt  in  diesem  Falle  die  Höhe,  in  der  die  Explosion 
erfolgt,  von  dem  Einfallwinkel  des  Geschosses  ab. 

Aus  der  folgenden  Zeichnung  ist  ersichtlich,  welche  Wichtigkeit 
eine  richtige  Direktion  des  Schusses  besitzt.  Die  Granate,  die  von  der 
Erde  in  der  Richtung  mc  abgesprungen  ist,  würde  die  feindlichen 
Truppen  mit  allen  ihren  Splittern  treffen,  während  bei  dem  Abspringen 
in  der  Richtung  mb  die  Explosion  kaum  einen  Schaden  anrichten 
würde. 


-^a 


^A. 


,    Y- 


ci 


"--?- 


Bedeutung  der  Richtung  der  Geschosse. 


Es  muss  jedoch  bemerkt  werden,  dass  bei  festem  Boden  die  meisten 
Sprengstücke  und  Kugeln  noch  weiter  gehen;  bei  weichem  und  durch- 
schnittenem Boden  aber  stecken  bleiben. 

Fei-ner  findet  die  Anwendung  der  Perkussionszünder  statt  gegen 
Steinwände  und  dergleichen  Objekte.  Ihr  Gebrauch  ist  auch  noch  nützlich 
zur  Erprobung  der  Treffsicherheit,  wenn  man  zu  wissen  wünscht,  ob  die 
Geschosse  bis  zum  Ziel  oder  darüber  hinaus  fliegen. 

Ueber  den  Grad  der  Treffsicherheit  des  Schiessens  versichert  man  Methode  der 
sich  am  besten  vermittelst  des  Aufschiagens  des  (jeschosses  auf  den  Erd-  '*"  ^^r  '''* 
boden,  da  ein  solches  gewöhnlich  von  einer  Staubwolke  begleitet  ist,  mit  ^^I^Treff/ 
der  sich  mehr  oder  weniger  Rauch  vermischt.    Wenn  das  Geschoss  nicht  rfcherheitdes 

Scbiessens. 

das  Ziel  erreicht  hat,  so  verhüllt  die  Wolke  das  Ziel,  im  anderen  Fall 
hebt  sich  das  Ziel  auf  dem  weissen  Rauchfonds  ab. 

Der  Deutlichkeit  wegen  geben  wir  umstehend  eine  Zeichnung, 
welche  diese  Methode  der  Probeschüsse  erläutert. 


140 


L    Bie  Fenerwaflten. 


Dazu  treten  Fälle  ein,  wo  es  am  vorteilhaftesten  ist,  Zünder  von 
doppelter  Wirksamkeit  zu  verwenden,  d.  h.  solche,  die  zugleich  Tempir- 
wie  Perkussionszünder  sind. 


^..^M^A 


■d^  ' 


---  -ar-- 


Gescboss,  welches  das  Ziel  nicht  erreicht  hat. 


Geschoss,  welches  das  Ziel  übergangen  hat. 


Begulär  entsandtes  Geschoss. 


6.  Geschosse. 

Nun  sind  wir  in  den  Stand  gesetzt,  einem  Vergleich  der  Geschosse 
unter  einander  näher  zu  treten. 
Haopt-  Die    Geschosse    für    moderne   Geschütze   können   nach   3   Haupt- 

"^  der      anwendungen  eingeteilt  werden : 

1.  gegen  Panzer, 

2.  Minengeschoss  gegen  Befestigungen, 

3.  gegen  lebende  Wesen 

und  sind  zu  diesen  Zwecken  verwendbar. 


L 


Tafel  XI. 


XI  Xll 


(ErliMilerutigen  ufitetekend.) 


Erläuterungen  zu  Tafel  XL 

Fig.     X.    Englische  Granate  (Star  shell). 

Fig.   XI.    Shrapnel. 

Fig.  XII.  Leichtes  russisches  Shrapnel,  welches  ein  Stossspiegelshrapnel  darstellt. 
Die  gusseiserne  Hülse  enthält  den  mit  Ausnehmungen  versehenen  Füll- 
ladungsraum  und  die  Sprengladungskammer;  auf  dieselbe  ist  oben  der 
messingene  Kopf  mit  vier  Schräubchen  befestigt.  Das  leichte  Feldshrapnel 
enthält  165,  das  schwere  340  Bleiantimonkugeln,  deren  Zwischenräume 
mit  Schwefel  ausgegossen  sind.  In  das  Mundloch  wird  der  Felddoppel- 
zünder eingesetzt. 

Fig.  XI ir.  Stahlshrapnel  (Russland),  ist  ein  Hülsenshrapnel  mit  messingenem 
Kopfe;  der  Innenraum  ist  durch  einen  napfförmigen  Stossspiegel,  welcher 
die  Sprengladung  enthält,  geteilt;  das  stählerne  Kommunikationsröhrchen 
umschliesst  eine  konische  Röhre,  welche  die  gleichmässige  Lagerung  der 
mit  Schwefel  umgossenen  Fiillkugeln  ermöglicht  (100  Stück  Bleiantimon- 
kugeln).   In  das  Mundloch  kommt  der  Zünder. 

Fig.  XIV.  Kartätsche,  besteht  aus  der  zinkblechernen  Büchse  -ff,  die  unten  durch 
den  Stossspiegel  s  aus  Zinkguss  und  den  zinkblechemen  Zwischenboden  z 
und  oben  durch  den  zinkblechernen  Deckelspiegel  d  geschlossen  ist. 

Die  Büchse  ist  mit  Zinkkugeln  gefüllt  und  mit  Schwefel  ausgegossen, 
der  Wulst  w  begrenzt  das  Einführen  der  Kartätsche  in  das  Geschosslager. 

Fig.  XV.  Brandgeschoss,  unterscheidet  sich  von  dem  15-Centimeter-Hohlgeschoss 
in  seiner  äusseren  Einrichtung  nur  durch  die  drei  Brandlöcher  f,  die  mit 
Brandsatz  und  Stoppinen  gefüllt  und  aussen  mittels  einer  rot  angestrichenen 
Verpflasterung  p  verwahrt  sind. 

Das  Brandgeschoss  ist  mit  Brandsatz  gefüllt  und  zur  leichteren  Ent- 
zündung mit  einer  Anfeuerung  versehen;  in  das  Mundloch  wird  der  Per- 
kussionszünder eingeschraubt. 

Fig.  XVI.  Leuchtballon.  Die  in  Österreich-Ungarn  bei  den  glatten  Wurf- 
geschützen eingeführten  Feuerballen  sind  ovale,  mit  Louchtsatz  gefüllte 
Säcke  aus  Doppelzwilch,  oben  im  Mundloch  h  mit  einer  Aufloderung  zur 
Entzündung  des  Leuchtsatzes  und  am  entgegengesetzten  Ende  mit  der 
eisernen  Stossplatte  8  zur  besseren  Widerstandsfähigkeit  gegen  den  Stoss 
der  Ladung  versehen  und  aussen  mit  einer  Leine  netzartig  umschnürt. 

Die  Leuchtballen  der  grösseren  Kaliber  erhalten,  um  vom  Feinde  nicht 
ohne  Gefahr  ausgelöscht  werden  zu  können,  an  der  Stossplatte  eine  kloine, 
scharfgefüllte  Hohlkugel  fc,  und  ringsum  von  aussen  eine  Anzahl  Mord- 
schläge m,  kurze,  zugespitzte,  mit  einer  Bleikugel  geladene  Gewehr- 
laufstücko,  welche  sich  nach  Maassgabe  der  Verbrennung  des  Leucht- 
satzes entladen. 

Fig.  XVII.  Die  Alarmstangen  oder  Fanale  sind  Holzgestelle,  die  aus  einer 
Stange  mit  mehreren  runden  Scheiben  bestehen,  auf  welchen  letzteren  leicht 
entzündliche  und  mit  weit  sichtbarer  Flamme  brennende  Materialen  ge- 
schichtet werden;  letztere  bringt  man  mit  einer  Feuerleitung  in  Ver- 
bindung und  umgiebt  sie  zum  Schutze  gegen  Witterungsein flüsse  mit 
einem  Strohmantel.  Die  Alarmstangen  dienen  hauptsächlich  als  Nacht- 
signale (seltener  als  Tagsignale)  und  müssen  auf  erhöhten  Punkten  so 
aufgestellt  werden,  dass  man  sie  auf  eine  für  den  beabsichtigten  Zweck 
genügende  Entfernung  brennen  sehen  und  von  anderem  zufalligen  Feuer 
leicht  unterscheiden  kann. 

Fig.  XVIII,  XIX,  XX.  Die  Signalraketen  bestehen  aus  einer  starken  Papier- 
oder Blechhülse,  mit  einem  rasch  brennenden  Triebsatze  vollgeschlagen, 
vom  mit  einer  Leuchthaube  aus  Eisenblech  versehen,  welche  mit  ver- 
schiedenartigen Leuchtkörpern  wie  Sterne,  Schwärmer  etc.  gefüllt  ist  Zwar 
noch  im  Gebrauch,  werden  diese  Leuchtraketen  bald  den  elektrischen 
bezüglichen  Vorrichtungen  weichen  müssen. 


Geschosse.  \^l 


Die  Munition  besteht  bei  allen  Feldgeschützen  aus  Hohlgeschossen  Monmon. 
(Granaten)    und  Shrapnels.     Die    meisten  Feldartillerien   führen  über-  w?^ 
dies  Kartätschen,  einige  auch  Brandgeschosse  mit.    (Tafel  XI,  Fig.  XIV    il'xv. 
und  XV). 

An  Ladungen   sind  entweder  nur  Schuss-  oder  nebst  diesen  auch    Lad"»?- 

Tafel  X. 
Wurfladungen  vorhanden,  welche  gewöhnlich  in  seidene  Kartuschbeutel   «j-  ^ 

geschüttet  (Tafel  X,  Fig.  HI),  entweder  gewöhnliches  schwarzes  oder  in 

neuerer  Zeit  rauchschwaches  Pulver  umfassen. 

Beinahe  alle  Geschosse  werden  heute  mit  Sprengstoff  in  wenigen  sprengttoff- 
oder  grösseren  Quantitäten  gefüllt.  a.  oeJhowe. 

Geschosse  zu  Panzer-  und  Befestigungsbeschiessungen  werden  inöewiiosBesur 
Tafel  X,  Fig.  I,  n  und  V  dargestellt.  b^JS^«^ 

Diese  werden  hergestellt  nach  zwei  Grundsätzen,  in  Gusseisen  mit  pig. tu 
einer  harten  Spitze,  oder  als  Stahlgeschosse.  IVbliVL 

Grosse    Bedeutung     wird     den    modernen    Minengeschossen    zu- 
geschrieben (Tafel  X,  Fig.  IV  und  VI). 

Ausserdem  hat  man  in  letzter  Zeit  begonnen,  Geschosse  herzustellen,  Fig.  Tu  u. 
die  mit  zwei  derart  beschaffenen  Stoffen  gefüllt  werden  können,  dass  nur     ^^ 
erst  bei  deren  Verbindung  die  Entzündung  erfolgt  (Tafel  X,  Fig.  VH 
und  Vin.) 

Von  den  verschiedenen  komplizierteren  Granaten,  welche  Vorzugs-   g«wi»08»6 
weise  gegen  lebende  Ziele  Verwendung  finden,  geben  wir  die  Zeichnungen  lebendezieie. 
der  am  meisten  angewandten  Arten  auf  Tafel  X,  Fig.  IX,  und  Tafel  XI,  S**^?' 

Fig.  X  bis  xm.  SSi  ^ 

Das  Nachtgefecht  wird  sich  in  künftigen  Kriegen  anerkannter-  .^^rin 
maassen  anders  gestalten  als  in  der  Vergangenheit,  weil  die  in  Folge 
der  Vervollkommnung  der  Infanterie-Schusswaffen  schon  auf  weite  Ent- 
fernungen geradezu  vernichtende  Feuerwirkung  der  Infanterie  durch  die 
Dunkelheit  auf  die  nächsten  Entfernungen  beschränkt  wird,  diejenige  der 
Artillerie  in  sehr  vielen  Fällen  entweder  ganz  ausgeschlossen  oder  auf 
Kartätschenschussentfemungen  ebenfalls  eingeschränkt  wird.  Freilich 
hat  man  auf  dem  Festlande  auch  für  die  letztere  Waffe,  für  den  Positions- 
krieg, Mittel  und  Wege  gefunden,  bestimmte  Schussrichtungen  schon  bei 
Tage  festzulegen,  um  das  Feuer  auch  während  der  Nacht  nicht  ganz 
einstellen  zu  müssen.  Dennoch  wird  dadurch,  selbst  bei  elektrischer  Be- 
leuchtung des  Vorgeländes,  einerseits  die  Bedienung  sehr  verlangsamt, 
andererseits  die  Geschütze  und  Kanoniere  dem  feindlichen  Feuer  sehr 
ausgesetzt,  ohne  dass  die  Treffsicherheit  dadurch  eine  besonders  zu- 
verlässige würde,  weil  eben  das  Eichten  über  Visier  und  Korn  bei  mangel- 


142  ^'    ^^<*  Feuerwaffen. 


hafter  Beleuchtung  sehr  unsicher  wird.    Für  den  Feldkrieg  werden  sehr 
oft  aber  auch  diese  Mittel  versagen. 

Tafel  H,  Es  werden  demnach  nicht  selten  Leuchtballons  (Fig.  XVI),  Alarm- 

bi'  X?  s^^^S®^  (^*g-  ^^11)  ^^^  Signalraketen  (Fig.  XVIII  bis  XX)  zur  An- 
wendung kommen. 

^dV/iTohi*"  Die   grössten   Schussweiten    der   Hohlgeschosse   reichen   auf  Ent- 

geechoBse.  femungeu  bis  zu  6000  Metern,  und  bei  den  neueren  Feldgeschützen  noch 
auf  viel  grössere. 

dei^s^reL  ^^®  Anzahl  der  Kugeln  und  Sprengstücke  des  krepierenden  Shrapnels 

stücke  im  ist  in  den  einzelnen  Artillerien  Europas  ungleich.    Die  französischen  Ge- 
"'^'^^'  schösse    kleineren   Kalibers    (80   Millimeter)   zerspringen    in    182,   die 
deutschen  (78  Millimeter)  in  160  bis  165,  die  italienischen  (70  Millimeter) 
in  109  Stücke, 
streben  Jn  letztcr  Zeit  werden  grosse  Bemühungen  gemacht,  um  einheitliche 

einheitiioben  Geschosse  gcbraucheu  zu  können, 
esc  ossen.  SelbstverständUch  ist  dies  nur  zu  erlangen,  wenn  ein  einheitliches 

Geschützkaliber  geschaffen  wird. 


7.   Schlussfolgerungen 
über  Artillerie  -  Geschütze  und  Geschosse. 

Ein  Rückblick  auf  die  Entwickelung  der  Feldartillerie  zeigt,  dass  seit 
der  ersten  Anwendung  des  Pulvers  bis  zum  XIX.  Jahrhundert  die  Geschütz- 
systeme nur  sehr  langsam  verbessert  wurden.  Ungeachtet  dessen,  dass 
bei  der  ünyollkommenheit  der  Leistungen  F'ortschritte  viel  leichter  zu 
erzielen  waren,  blieb  die  Wirkung  der  Kanonen  eine  sehi;  unbedeutende. 
Erst  die  zweite  Hälfte  des  XIX.  Jahrhunderts  bringt  grossen  Wechsel 
und  kurze  Lebensdauer  der  Geschützsysteme  mit  sich. 

Das  letzte  glatte  preussische  Geschützsystem  bestand  bis  zur  Ein- 
führung der  gezogenen  Hinterlader  im  Jahre  1859  17  Jahre. 

Das  französische  System  von  1828  wurde  1853,  also  nach  25  Jahren, 
durch  die  Granatkanone  ersetzt,  die  schon  nach  6  Jahren  durch  die 
gezogenen  4-Pfünder  verdrängt  wurde. 

In  Russland  wurde  das  1838  geänderte  System  im  Jahre  1852  zum 
grossen  Teile  wieder  geändei't,  und  im  Jahre  1859  das  System  der 
gezogenen  Vorderlader  angenommen. 


Dynamit- Kanone  (System  Sims-Dudley)'. 


a:) 


py...,. 


i  A 


&f 


I».  V 


I 


Schlussfolgerimgen  über  Geschütze  und  Geschosse.  143 


Die  meisten  übrigen  Artillerien  nahmen  neue,  oder  stark  geänderte 
glatte  Artilleriesysteme  in  der  Zeit  von  1830  bis  184D  an.  Mehrere 
führten  in  den  50  er  Jahren  den  Ersatz  durch  Granatkanonen  ein.  Fast 
Alle  gingen  aber  in  den  Jahren  1859  bis  1861  zum  gezogenen  Vorder- 
lader über.  In  den  meisten  Fällen  betrug  also  die  Lebensdauer  der 
glatten  Systeme  rund  20  Jahre,  in  einigen  Artillerien  gegen  30  Jahre, 
die  der  Granatkanonen  indess  nur  5  bis  6  Jahre. 

Das  in  Preussen  1859,  in  Belgien  1861  angenommene  Hinterladungs- 
system bestand  bis  1873  bezw.  1878,  also  14  bezw.  17  Jahre.  In  den 
deutschen  Artillerien,  die  dies  System  von  vornherein  annahmen,  bestand 
es  ebenfalls  bis  1873,  etwa  12  Jahre. 

Die  angenommenen  Vorderladungssysteme  bestanden  in  Frankreich 
bis  1870/71,  wo  das  System  Reffye  Platz  grifl,  also  12  Jahre  (das 
Letztere  bestand  nur  6  Jahre) ;  in  Russland,  in  der  Schweiz,  den  kleinen 
deutschen  Staaten  und  in  Spanien  bis  1867  oder  1868,  also  im  Mittel  nur 
7  bis  8  Jahre;  in  Oesterreich  bis  1875,  also  16  Jahre.  In  den  Nieder- 
landen und  in  den  nordischen  Staaten  stieg  die  Lebensdauer  auf  18  bis 
20  Jahre.  —  Für  die  jetzt  bestehenden  neuen  Systeme  ist  die  Lebens- 
dauer in  Deutschland  21,  in  Oesterreich  19,  in  Dänemark  und  Italien  18^ 
in  Frankreich  und  Russland  17,  in  Spanien  und  Belgien  16,  in  der 
Schweiz  15,  in  den  Niederlanden  14,  in  Schweden  13  Jahre. 

Und  nun  steht  ein  neuer  Wechsel  bevor.  Die  rein  artilleristischen 
und  ballistischen  Fragen  gehen  wohl  ihrer  Lösung  entgegen  oder  sind 
schon  teilweise  geklärt;  was  zu  thun  bleibt  ist  mehr  technischer 
Natur  und  Aufgabe  der  Alles  wagenden  und  mit  Erfolg  versuchenden 
Technik,  i) 

General  Müller^)  erklärt,  dass  die  Frage    „wo  ist  das   Geschütz  schwierige 
der  Zukunft?"  nicht  nur  sehr  schwierig,  sondern  geradezu  unmöglich  zudeizuknan»- 
beantworten  sei.    Ausserdem  bestehe  für  den  Staat,  der  mit  Einführung  ^"®^*''®*- 
eines   neuen   Materials   beginnt,    die   Gefahr,    durch   verbesserte   Kon- 
struktionen überholt  zu  werden. 

Die  Schw^eiz,  welche  in  neuerer  Zeit  mehrmals  in  der  Gewehrfrage  Konirarrens- 
tonangebend  war,  hat  im  Frühjahr  1893  einen  Wettbewerb  ausgeschrieben,  *"*"de/ 
dessen  Bedingungen  auf  ein  Schnellfeuergeschütz  hindeuten.  schweu. 


^)  „Die  Wirkung  der  Feldgeschütze". 

')  „Die  Entwicklung  der  Feldartillerie  in  Bezug  auf  Material,  Organisation 
und  Taktik  von  1815  bis  1892.  Mit  besonderer  Berücksichtigung  der  preussischen 
und  deutschen  Artillerie  auf  Grund  dienstlichen  Materials  dargestellt  von 
H.  Müller,  Generallientenant  z.  D."     Zwei  Bände.     Beriin  1893. 


144  ^'    ^^^  Feuerwaffen. 


Im  Vordergründe  des  Interesses  stehen  also  die  Schnellfeuer- 
geschütze. Es  hat  den  Anschein,  als  ob  bei  der  wohl  kaum  noch  zu 
verschiebenden  Umbewaflfnung  der  Feld-Artillerie  —  die  sich  demnächst 
einer  erneuten  Umwälzung  in  der  InfanteriebewaiFnung  gegenübersehen 
wird,  ohne  in  den  Grundzügen  ihrer  Geschtitzkonstruktionen  Fortschritte 
gemacht  zu  haben  —  ein  ganz  hervorragender  Werth  auf  das  Schnell- 
feuer gelegt  werden  dürfte.  Die  Erfolge  der  japanischen  Marine  mit 
diesem  Geschützsystem  werden  ihre  Einwirkung  auf  die  Land-Artillerie 
nicht  verfehlen. 

Die  Herstellung  der  Schnellfeuergeschütze  ist  bereits  beim  Kaliber 
von  20  Centimeter  angelangt.  Ein  solches  Geschütz,  das  vier  Schuss  in 
der  Minute  abgiebt,  soU  bei  Armstrong  in  Elswick  hergestellt  sein.«) 

^•"«  Frankreich  will  neue  Feldgeschütze  einführen,  jedoch  sind  bisher 

Feld-     noch  keine  Zeichnungen  veröffentlicht  worden. 

geschütse. 

Die  neuen  Feldgeschütze  sollen  ein  Kaliber  von  75  Millimeter 
haben,  in  drei  Jahren  fertig  hergestellt  sein  und  324  Millionen  Francs 
kosten.*) 

Die  Granaten  dieses  Zukunflsgeschützes  sollen  5  bis  6  Kilo 
wiegen,  also  weniger  Gewicht  haben  als  die  Geschosse  der  jetzigen 
80  Mülimeter-Kanonen.  Die  Feuergeschwindigkeit  soll  4  oder  5  Schuss 
pro  Minute  betragen,  der  Rückstoss  sehr  verringert  werden.  Wenn  auch 
nach  jedem  Schusse  neu  gerichtet  werden  muss,  so  wird  der  Rücklauf 
des  Geschützes  doch  gering  genug  sein,  um  das  ermüdende  und  zeit- 
raubende Vorbringen  desselben  in  die  Feuerstellung  zu  vermeiden.  Das 
Schiessen  kann  daher  nach  Bedarf  sehr  schnell  ausgeführt  werden.  Die 
neuen  Geschütze  sollen  einen  Sicherheits-Apparat  erhalten,  um  das  zu 
frühzeitige  Abfeuern  zu  vermeiden,  was  man  bisher  bei  den  jetzigen 
Geschützen  nicht  in  befriedigender  Weise  ausführen  konnte. 

Jedoch  die  Technik  ist  noch  zu  keinem  Abschluss  gekommen. 

Haterui  Nickclstahl   einerseits,   Drahtumwickelung    andererseits    sind   die 

für 

Hereteiiang  beiden  Grundlagen  für  Erzeugung  von  Rohren,  welche  grossem  Gas- 
***' roitfe.***^  druck  gewachsen  sind.  Man  spricht  beim  Nickelstahl  bereits  von 
IB  000  Atmosphären  Druck.  Es  würde  damit  der  Steigerung  der  Geschoss- 
geschwindigkeiten, die  bereits  bis  1100  Meter  geht,  ein  gewaltiger  Vor-  j 
Schub  geleistet,  nicht  minder  dem  Betrag  an  lebendiger  Kraft  aus  der 
Einheit  des  Rohi'gewichtes.                                                                                             ) 


*)  Löbell:  „Militärische  Jahresberichte".    1894. 
*)  „Progres  militaire". 


Die  neuesten  Geschosse 
für  die  Krupp'sehen  7,5  Centimeter- Geschütze. 

Granate.  Shrapnel.  Kartätsche. 

Längssohnitt 


t-j» 


Patronenmantel. 


Bd.  I.    einfeg«  bei  Stile  iU. 


Schlussfolgerungen  über  (beschütze  und  Geschosse.  145 


Ein  neues,   flir  gewisse  Artilleriezwecke  geeignetes  Material  ist 

das   als   reines   Metall   hergestellte   Chrom   in  seiner   Verbindung   mit 

Aluminium,    wobei    sich    grosse  Vorzüge    vor  den  jetzt  verwendeten 
Materialien  herausstellen  sollen. 

Inwieweit  die  Feldhaubitzen  dui-ch  die  Erfolge  der  Japaner  mit 
derartigen  Geschützen  beim  Angriff  auf  Port  Arthur  die  Zahl  ihrer  An- 
hänger vermehrt  sehen  werden,  bleibt  abzuwarten.  Jedenfalls  hat  der 
Nimbus,  Welcher  die  Sprenggranate  aus  Feldkanonen  als  Ersatzmittel 
für  das  Wurffeuer  im  Felde  umgab,  wesentlich  abgenommen.*) 

Die  Geschossgeschwindigkeit  wird  bei  dem  Feldgeschütz  der  nächsten 
Zukunft  wohl  nur  eine  massige  Zunahme  erfahren,  dagegen  wird  man 
einen  Hauptwerth  auf  die  Lösung  der  Geschossfrage  selbst  legen. 

Das  Shrapnel  mit  Doppelzünder  kann  schon  jetzt  als  Hauptgeschoss  shr»pnei  mit 
angesehen  werden«),  die  Granate  ist  mehr  in  den  Hintergrund  getreten.    xünTw: 

Hanpt- 

Als  Hilfsgeschoss  ist  diese  aber  in  verschiedenen  Artillerien  bei-  geechoas. 
behalten;  sie  soll  lebende  Ziele  dicht  hinter  Deckungen  treffen,  zugleich  ^l^-. 
gegen  tote  Ziele  wirksam  werden.  Für  ersteren  Zweck  hat  sie  den 
Doppelzünder,  da  der  Sprengpunkt  nahe  der  deckenden  Krete  und  ober- 
halb dieser  liegen  muss.  Doch  ist  die  Bedeutung  der  Sprenggranate 
gegenüber  lebenden  Zielen  nicht  überall  gewürdigt,  so  in  Frankreich,  wo 
sie  nur  für  tote  Ziele  berechnet  ist. 

In  der  Konstruktion  des  Shrapnels   sind  grosse  Fortschritte  ge-  Fortachritte 
macht,  so  z.  B.  mit  der  Verwendung  von  Stahlmaterial  für  den  Geschoss-   strapnei- 
körper,  wodurch  ein  grösserer  innerer  Raum  gewonnen  wurde  und  (jje  ^^"*™''*^^"- 
Füllung  mit  einer  grösseren  Zahl  von  Kugeln  aus  Hartblei  möglich  ge- 
worden ist;  ferner  mit  der  Ausstattung  mit  raucherzeugenden  Mitteln  zur 
Erleichterung  der  Beobachtung  und  Anwendung  sehr  vollkommener  Doppel- 
zünder, zugleich  Fertigzünder. 

Es  erübrigt  nur  noch,  die  Wirkung  der  Sprenggranate  in  den  P'o.we».  ^«» 
Mechanismus  mit  aufzunehmen,  um  zum  Einheitsgeschoss  zu  gelangen,  gMchoase». 
doch  ist  dies  bis  jetzt  ein  ungelöstes  Pi'oblem.^) 


Hilfs- 

gMchOM. 


*)  Löbell:   „Militärische  Jahresberichte".    1894. 

«)  LöbeU:   „Müitärische  Jahresberichte".    1893. 

0  Die  neuesten  deutschen  Shrapnels  haben  eine  sehr  dünne  Wandung 
und  in  Folge  dessen  einen  sehr  grossen  inneren  Kaum;  das  Material  der  Hülle 
ist  Stahl,  und  diese  besteht  aus  dem  cylindrischen  Geschossteil  und  dem  auf- 
schraubbaren  Boden.  Als  Füllung  dienen  Hartbleikugeln,  in  deren  Zwischen- 
räumen ein  raucherzeugendes  Mittel  gelagert  wird,  das  sehr  günstige  Beob- 
achtungsverhältnisse herbeiführt  und  die  Kugeln  in  fester  Lagerung  erhält.    Die 

Bloch,   Der  zakflnftige  Krieg.  10 


146  I'    ^^®  Feuerwaffen. 


Wie  wir  schon  gesagt  haben,  bereitet  Rauchmangel  in  vielen  Fällen 
grosse  Hindernisse  und  zieht  schwere  Folgen  nach  sich. 

Bomben  zar  Nun  wird  mitgeteilt,  dass  ein  Franzose,  Rougier,  zur  Ladung  be- 

vorRauch-  sonderer  Bomben  ein  Pulver  erfunden  haben  soll,  das  er  das  „Revanche- 
entwickeiung.  pyjygpM  uenut.  Eiue  mit  diesem  gefüllte  Bombe,  die  vor  der  feindlichen 
Schützenkette  explodiert,  soll  den  Schützen  durch  eine  Rauchsäule  von 
20  Meter  Breite  und  10  Meter  Höhe  jede  Aussicht  nehmen.  Ein  halbes 
Kilogramm  des  in  der  Bombe  enthaltenen  Materials  brennt  und  raucht 
10  Minuten. 

Ein  Oberst  der  englischen  Marine-Artillerie,  Creose,  hat  gleichfalls 
ein  Pulver  zusammengesetzt,  das  einen  ungewöhnlich  dichten  Rauch  pro- 
duziert, wie  die  in  Gegenwart  des  deutschen  Kaisers  bei  dessen  letztem 
Besuch  in  England  angestellten  Versuche  ergeben  haben.  Der  Erfinder 
hat  Papierhülsen  von  18  Zoll  Länge  und  2  Zoll  Dicke  hergestellt,  die  mit 
einer  Flüssigkeit  gefüllt  sind,  welche  unter  starker  Rauchentwickelung 
brennt. 

Hinter  dem  durch  die  brennenden  Hülsen  hervorgebrachten  Rauche 
soll  es  Schützen  ermöglicht  werden,  sich  den  ins  Auge  gefassten  Punkten 
möglichst  Verdeckt  zu  nähern. 

.Heaiende  Die  dcutscheu  militärischen  Fachblätter  teilen  noch  mit,   dass  die 

™"*  "  *  Franzosen   sogenannte    ,,Sirenen"    oder   „heulende    Granaten"    erfunden 

hätten,  welche  beim  Durchschneiden  der  Luft  ein  furchtbares  Pfeifen  von 


Sprengladung  ist  wie  bisher  in  der  Kammerhülse  angebracht  Das  Geschoss 
liefert  etwa  300  Kugeln  und  Sprengteile.  Es  hat  den  Doppelzünder.  Um  den 
Zünder  thätig  werden  zu  lassen,  bedarf  es  der  Entfernung  eines  Vorsteckers 
und  als  Brennzünder  selbstredend  noch  der  Einstellung  des  Satzringes,  dessen 
Einteilung  von  300  bis  4500  Meter  reicht.  Auch  nach  Entfernung  des  Vor- 
steckers soll  der  Zünder  noch  immer  eine  bedeutende  Sicherheit  des  Transports 
gewähren,  so  dass  mit  geladenen  Geschützen  gefahren  werden  kann.  Gegen 
gedeckte  Ziele  hat  die  Feldartillerie  die  Sprenggranate,  ein  einwandiges  Geschoss 
von  grosser  Metallstärke,  das  ebenfalls  aus  Stahl  besteht.  Die  Sprengladung  ist 
ein  besonderer  Stoff  und  in  einer  besonderen  Büchse  gelagert,  um  chemische 
Veränderungen  durch  Berührung  von  Zünder-  und  Geschossmetall  auszuschliessen. 
Es  ergiebt  sich  eine  sehr  grosse  Zahl  von  Sprengstücken  der  verschiedenartigsten 
Gestalt  und  Grösse,  etwa  500  an  der  Zahl.  Die  Stücke  der  Sprenggranate  wirken 
hauptsächlich  durch  ihre  seitliche  Ausbreitung,  vermöge  deren  sie  Ziele  dicht 
hinter  Deckungen  zu  treffen  im  Stande  sind;  es  bedingt  dies  die  Lage  des 
Sprengpunktes  in  der  Luft.  Erfolgt  das  Krepieren  beim  Aufschlag,  so  fliegen 
die  Stücke  nach  allen  Seiten  auseinander.  Neben  dem  Shrapnel  als  Haupt- 
geschoss  und  der  Sprenggranate  als  Hilfsgeschoss  figuriert  noch  für  be- 
schränkte Fälle  die  Kartätsche,  die  in  geringer  Zahl  in  der  Ausrüstung  vor- 
handen ist. 


Schlussfolgerangen  über  Geschütze  und  Geschosse.  147 


sich  geben,  was  auf  die  Pferde  und  auch  sflt  die  Nerven  der  Soldaten 
nachteilig  einwirken  soU. 

Wenn   diese   Erfindung  praktisch   verwertbar   wäre,   so   könnten 
grosse  Beunruhigungen  der  Truppen  in  der  Nachtzeit  stattfinden. 

So  haben  wir  eine  ganze  Reihe  erstklassiger  Vervollkommnungen  ^i\r^^r 
vor  uns  und  müssen  gestehen,  dass  das  Kriegsmaterial  ein  ganz  anderes  voukomm- 
geworden  ist,  als  es  in  den  früheren  Kriegen  war.  werferden 

Die  erzielten  Vervollkommnungen  werden  aber  mit  voller  Klarheit  weg  ganz 
erst  dann  gewürdigt  werden  können,  wenn  wir  weiterhin  die  Geschütze  g^^Zn. 
im  Kampfe  darstellen  werden. 


-—■¥■ 


IG' 


IL 


Die  Hilfsmittel. 


Hilfsmittel  nnd  deren  Anwendung. 


Die  in  jeder  Hinsicht  verbesserten  Wafien,  die  in  hohem  Grade  er-    Bewe« 

YerwertaDg 

folgte  Vervollkommnung  der  Geschosse  sind  noch  nicht  alles,  was  der  der  Knegs- 
erfinderische  Geist  des  Menschen  ersonnen  hat,  um  eine  möglichst  grosse  ^**'*'"****'- 
Zahl  von  Menschen  kampfunfähig  zu  machen  und  dadurch  dem  Gegner 
Niederlagen  zu  bereiten.  Es  existiert  noch  eine  ganze  Eeihe  von  Hilfs- 
mitteln, die  in  künftigen  Kriegen  eine  so  wichtige,  häufig  sogar  ent- 
scheidende Bedeutung  haben  werden,  dass  sie  selbst  auf  die  Grundsätze 
der  Kriegskunst,  welche  sich  durch  die  Erfahrungen  früherer  Kriege 
herausgebildet  haben,  von  Einfluss  sein  können. 

1.    Innere  Verbindung  in  der  Armee. 

Die  gewaltigen  bewaffneten  Massen,  welche  die  einzelnen  Mächte  schwierig- 

keit  der 

aufstellen  werden,  müssen  sich  in  Gruppen,  d.  h.  in  einzelne  Armeen  offenhaitang 
teilen,  welche  auf  verschiedenen  Kriegstheatem  operieren.  Für  jedes  Jndn^In. 
dieser  aus  mehreren  Armeekorps  bestehenden  selbständigen  Heere  ist  ein 
weit  ausgedehntes  Gelände  erforderlich.  Schon  dieser  eine  Umstand 
erschwert  die  Verbindung  der  einzelnen  Truppenteile  sowohl  unter  sich 
als  auch  mit  dem  Höchstkommandierenden  und  selbst  mit  den  Stäben  der 
Korps,  der  Divisionen  u.  s.  w.  ausserordentlich.  Parallel  hiermit  laufen  auch 
andere  Nachteile.  In  Folge  der  geringen  Rauchentwickelung  des  neuen 
l^vers  wird  das  Schlachtfeld  übersichtlicher,  als  in  früheren  Kriegen 
daliegen.  Dieser  Umstand  wird  zwar  einerseits  den  berittenen  Offizieren 
und  Ordonnanzen,  welche  Befehle  zu  überbringen  haben,  das  Auffinden 
des  Weges  erleichteni,  andererseits  aber  ist  die  Gefahr  für  sie  weit 
grösser  geworden  und  zwar  um  so  mehr,  als  man  in  allen  Heeren  besondere 
Schützen  ausschliesslich  dazu  ausbildet,  derartige  Ueberbringer  von  Mel- 
dungen ausser  Gefecht  zu  setzen.  In  Folge  dessen  wird  es  ausserordentlich 
schwierig,  bisweilen  sogar  ganz  unmöglich  sein,  Befehle  und  Meldungen 
in  der  früheren  Art  und  Weise  zu  übermitteln.  Ordonnanzen  zu  Fuss 
sind  stets  der  geringen  Schnelligkeit  wegen,  mit  der  sie  ihre  Aufgaben 


152  H-    I>ie  HüfsmitteL 


erfüllen  können,  für  wenig  geeignet  befunden  worden  und  werden  bei 
den  Forderungen  der  neuen  Taktik  und  bei  den  heutigen  Massenheeren 
kaum  noch  in  Betracht  kommen. 

Man  hat  deshalb  auf  andere  Mittel  bedacht  sein  müssen. 

a)  Fahrräder. 

^F^rra/w  Auf  einem  guten  Wege  gelingt  es  selbst  einem  geübten  Reiter 

dameibe '  ulcht,  eiueu  erfahrenen  Radfahrer  einzuholen,  i)  da  dieser  im  Stande  ist, 
^chtbM.  ohne  jede  Ermüdung  12  Kilometer  in  der  Stunde  zurückzulegen,  mit  An- 
strengung —  18,  und  mit  höchster  Anspannung  —  24  Kilometer.  Der 
Radfahrer  hat  weiter  vor  dem  Reiter  den  in  diesem  Falle  wichtigen 
Vorzug  voraus,  dass  er  weniger  bemerkbar  ist.  Das  Fahrrad  ist  nicht 
teurer  als  ein  Pferd,  erfordert  zudem  weder  Futter  noch  Dressur;  die  Be- 
weglichkeit und  Ausdauer  des  Radfahrers  stehen  der  des  Pferdes  nicht 
nach;  ersterer  hat  es  weit  bequemer  und  leichter,  sein  Fahrrad  zu  ver- 
lassen und  es  zu  verbergen,  und  für  Rekognoszierungszwecke  eine  Anhöhe 
zu  gewinnen  als  der  Reiter  in  dieser  Beziehung  mit  seinem  Pferde  fertig 
wird.  Wenn  man  auf  dem  Fahrrad  nicht  immer  die  Strecken  passieren 
kann,  die  für  ein  Pferd  noch  passierbar  sind,  so  vermag  der  Radfahrer 
dafür  vielfach  sein  Rad  über  solche  Strecken  zu  führen  oder  zu  tragen,  die 
ein  Reiter  nur  mit  grosser  Mühe  passiert  oder  über  die  er  nicht  einmal 
sein  Pferd  zu  fuhren  vermag.  Was  Gräben  und  Zäune  anbetrifft,  welche 
das  Durchschnitts-Kavalleriepferd  nimmt,  so  bringt  über  solche  auch  jeder 
Radfahrer  sein  Rad  hinweg.  2)  Angesichts  dessen  ist  in  vielen  Heeren  in 
Aussicht  genommen,  in  künftigen  Kiiegen  Radfahrer  für  den  Ordonnanz- 
dienst zu  verwenden. 
^°^«^"^**  Im  Fahren   auf  sogenannten  „Stahlrossen"  werden   fast   in   allen 

fahren.  Hecreu  Unteroffiziere  und  Mannschaften  in  der  erforderlichen  Anzahl  aus- 
gebildet. Das  erste  Beispiel  hierfür  gab  Frankreich,  wo  während  der 
Verteidigung  Beiforts  im  Kriege  1870/71  wegen  Mangels  an  Kavallerie  die 
Befehle  durch  Radfahrer  befördert  wurden.  Um  dem  Leser  klar  zu  machen, 
welche  Bedeutung  man  den  Radfahrern  beilegt,  führen  wir  die  Aufgaben 
an,  die  1889  in  England  den  unter  Major  Skobi  stehenden  Radfahrern 
gestellt  wurden. 3)  Sie  hatten:  1.  die  Karten  zu  verbessern  und  die  Wege 
vor  Annäherung  des  Feindes  auszukundschaften ;  2.  auf  Befehl  des  Höchst- 
kommandierenden mit  starken  dazu  ausgebildeten  Kommandos  Eisen- 
bahnlinien zu  zerstören;  3.  die  Obliegenheiten  des  Rekognoszierungsdienstes 
in  den  vom  Feinde  besetzten  Gegenden  zu  erfüllen,  und  im  Verein  mit 

0  Figuier:    „Ann^e  scientifique". 

'■^)  Michne witsch:    „Einüiiss  der  neuesten  technischen  Erfindungen". 

')  Stadelmann:    „Das  Zweirad".    Berlin  1893. 


Radfahrer-Detaehement 


Detaohement  in  der  Bewegung. 


Transport  der  Fahrräder. 


Aufmarsch  zum  Gefecht. 


Bd.  I.     Elingai  )i*i  SgiM  153. 


Zusammenlegbares  Fahrrad. 


Soldat,  welcher  ein  Fahrrad  trägt 


fid.  I.    Elnrii»  bal  SviU  IBS. 


Innere  Terbindims  iu  der  Armee.  —  Fahinder.  ]^53 

KavallerJe  dessen  Bewegnngen  zn  beobachten,  beim  Vorrücken  des  Feindes 
aber  nach  den  bedrohten  Stellen  zn  eilen,  ihn  aufzuhalten  and  sich  dann 
allmählich  zurückzuziehen.  —  Nach  dem  Bericht  des  Majors  Skobi  haben 
die  Radfahrer  alle  diese  Aufgaben  befriedigend  gelöst. 

Die  Engländer  haben  mit  grossem  Erfolg  Radfahrer  auch  für  den 
Transport  von  chirurgischen  Instrumenten,  Medikamenten,  von  Verband- 
materia! u.  s.  w.  verwendet,  sowie  iur  die  Beförderung  von  Lebensmitteln 
und  Munition  and  selbst  für  Fortschaffang  Verwundeter  vom  Scblachtfelde. 

In  Frankreich  finden  gegenwärtig  Eadfahrer-Abteilnngen  sogar  ganz  »wong  ic 
selbständig  fllr  den  Rekognosziemngs-  und  Sicherheitsdienst  Verwendung,     hbnr- 
Dies  hat  sich  als  so  praktisch  erwiesen,  dass  bei  den  Bataillonen  frei-  ''*""""^* 
willige  Radfahrer -Abteilangen,  bestehend  ans  1  Offizier,  2  Unteroffizieren, 
26  Gemeinen  und  1  Hornisten  gebildet  sind.  Derartige  Abtheilungen  sind 
bei  32  Bataillonen  organisiert  worden.    Man  wiU  sogai"  die  Radfahrer 
am  Kampfe  selbst  teilnehmen  lassen,  wie  nachstehende  Zeichnnng  zeigt:'*) 


Teünahme  von  Radfahrern  am  KEimpfe. 

Die  Kommandos  bilden  dadurch,  dass  sie  die  FahiTäder  nach  oben 
umstürzen  and  die  Räder  in  raschen  Umlauf  versetzen,  leicht  nnd  schnell 
Sehutzwehren,    über    die    fast    kein   Pferd    hinwegkommt    und   hinter 
denen    sich    eine    Handvoll 
guter  Schützen  leicht  einer 
weit  zahlreichei-en  Kavallerie 
erwehren  kann. 

In    einem     künftigen  ''; 

Kriege  werden  nicht  nur  die 
dem  Publikum  bereits  wohl- 
bekannten Fahrradarten  auf- 
treten, sondern  unzweifelhaft 
auch  verschiedene  von  neuer 
Einrichtung.  In  Frankreich 
z.  B.  haben  Versuche  mit  den  Vierrad. 

*)  „Encyclop^diü  des  connaissnnces  militaires''. 


;lg4  ^    ^^^  Hflftmittel. 

sogenannten  Tandems  oder  Vierrädern  für  zwei  Personen  stattgefnnden, 
von  denen  eine  Person  volle  Aktionsfreiheit  hat,   ebenso  auch  mit  Viei- 
rädern  fUr  drei  und  selbst  für  zwanzig  Personen.    Die  angestellten  Ver- 
suche haben  ergeben, 
dass  sich  diese  Modelle 
für  die  oben  erwähnten 
militärischen  Ziele  Hehr 
nützlich  erweisen. 
inrtnikti«.  Im  Jahre  18«i  hat 

Ridhknr.  die  frauzflsische  Regie- 

ning  eine  Instruktion  erlassen,  in  welcher  auf  die  Notwendigkeit  für 
die  Armee  hingewiesen  ist,  im  Felde  über  3000  Radfahrer  ans  den  Unter- 
offizieren und  Mannschaften  der  Reserve  und  der  Territorial -Armee  ver- 
fügen zu  können.  Diejenigen,  welche  in  dies  Radfahrerkorps  aufgenommen 
werden  wollen,  müssen  eigene  Fahrräder  zweifachen  Modells  besitzen: 
ein  „bicyclette  de  ronte"  odei'  „de  demi-ronte". 
Miiiui-  Charles  Dilke  äussert  sieh  über  die  Radfahrer,   welche  er  bei  den 

ii  TU-  französischen  Manövern  im  Jahre  1891  sah,  dahin,  dass  die  Unteroffiziere 
"li'^™."  befähigt  erschienen,  die  Verbindungen  aufrecht  zu  erhalten  nnd  Befehle 
zu  übermitteln,  deren  Deutlichkeit  und  Genauigkeit  nichts  zu  wünschen 
übrig  Hess ;  deshalb  übertrug  man  ihnen  anch  immer  häufiger  den 
Ordonnanzdienst.  Um  ihre  Bewegungsfreiheit  möglichst  wenig  za  be- 
hindern, führten  sie  keine  Wafien.  In  Oesterreich  wird  in  der  „Wiener 
Neustadt"  eine  Spezialschule  für  die  Ausbildung  von  Militär-Radfahrern 
errichtet;  in  Deutschland  wUl  man  für  sie  noch  mehr  thun.  Die  Re- 
gierung lässt  dem  Radfahrsport  eine  bedeutende  Förderung  angedeihen. 
namentlich  an  der  russischen  (Jrenze,  in  der  Voraussetzung,  dass  die 
militärischen  Rad -Kundschafter  im  Stande  sein  werden,  gegnerischen 
Kavallerie-Patrouillen  Hindernisse  in  den  AVeg  zu  legen. 
verebigBig  In  Italien   sind  Versuche  gemacht,  den   Kadfalii'e.rdienst  mit  der 

f>kr»r  mtt  Tanbcupost  zu  verbinden,  um  die  von  ihnen  gesammelten  Nachrichten 
uÜb."»"^!.  schnellstens  dem  Stabs-Quartier  bezw.  den  Truppenteilen  zu  übermitteln. 
Jeder  Radfahrer  führt  eine  gewisse  Zahl  von  Tauben  mit  sich  und  übei- 
sendet  durch  diese  alle  ihm  wichtig  erscheinenden  Naclirichten.  Bei 
dem  ersten  Versuch  wurden  die  Tauben  10  Kilometer  weit  fi)rt- 
geführt  and  kehrten,  nachdem  sie  freigelassen  waren,  s(^hon  nach 
wenigen  Minuten  zu  ihren  Taubenschlägen  zurück.  Diese  Tauben 
wurden  paai-weise  in  leichten,  wenig  Haum  beaTispruchenden  Käfigen 
aus  Blech  oder  Leinewand  transportiert.  Der  Nutzen  einei-  solchen 
Verwendung  der  Tauben  ist  .augenscheinlich. 


Radiärer  in  der  n^sisohen  Armee  während  der  Manöver. 


um      ■■ 


»    >••_•■        ■■   ' 


Innere  Verbindung  in  der  Armee.  —  Tauben.  155 


Nach  der  „Revae  militaire"  wurde  in  Eussland  im  Jahre  1891  be-  Radfahrer  in 
stimmt,  dass  jedes  Infanterie-Regiment  8  Radfahrer  ausbilden  muss,  jedes 
Schützenbataillon  4.    Ausserdem  muss  jedes  Regiment  über  mindestens 
2  im  Radfahren  geübte  Offiziere  verf&gen  können. 

Es  ist  dem  Allen  gegenüber  wohl  nicht  mit  Unrecht  darauf  auf- 
merksam gemacht  worden,  dass  bei  schlechter  Bodenbeschaflfenheit,  in 
sumpfigen  Gegenden  etc.,  der  Reiter  immerhin  dem  Radfahrer  überlegen 
sein  werde. 

Sehr    interessant    erscheint   daher    der   Bericht  über  die  grossen   ^^^^^ 

bei 

Manöver  in  Böhmen  und  Mähren  1894. 0)  Dort  wird  nämlich  mitgeteilt,  a.  Manövern 
dass,  obgleich  der  erdige,  teils  lehmige,  durch  den  Regen  aufgeweichte  ond^M*hren 
Boden  und  die  Steigungen  des  Mittelgebirges  die  Leistungen  der  Rad-  ^®**- 
fahrer  in  ganz  besonderer  Weise  erschwerten,  demungeachtet  sie  Touren 
als  Ordonnanzfahrer  zuiücklegten,  welche  die  von  Ordonnan^reitern  weit 
übertrefien.  So  legte  ein  Lieutenant  in  bergigem  Terrain  hin  und  zurück 
ca.  12  Kilometer  in  36  Minuten  zurück.  In  dem  für  weitere  Ordonnanz- 
ritte bestehenden  normalen  Reisetrab  hätte  der  Ordonnanzreiter  hierzu 
1  Stunde  bis  1  Stunde  20  Minuten  gebraucht  und  im  reglementsmässigen 
Trab  (ohne  Schritteinlage)  48  Minuten.  Ein  Anderer  legte  trotz  etwas 
beschädigten  Rades  die  60  Kilometer  lange  Strecke  hin  und  zurück  in 
4  Stunden  zurück,  wozu  der  Kavallerist  im  Reisetrab  5  bis  6  Stunden 
gebraucht  hätte.  Ein  Dritter  fuhr  querfeldein  10  Kilometer  in  19  Minuten, 
wozu  ein  Kavallerist  im  Reisetrab  60  bis  60  Minuten  und  im  reglements- 
mässigen Trab  44  Minuten  gebraucht  hätte.  Derselbe  Offizier  legte  auch 
eine  Nachttour  zurück,  zusammen  23  Kilometer,  bei  teilweise  starkem 
Gegenwinde  in  1  Stunde  5  Minuten,  eine  Tour,  welche  ein  Ordonnanz- 
reiter in  nicht  unter  2  Stunden  bewältigt  hätte. 

b)  Tauben. 

Das  Orientierungsvermögen  der  Tauben  gehört  zu  den  merk-  Erfahrnngen 
würdigsten,  und  bisher  noch  unaufgeklärten  Erscheinungen  der  Natur.  Tauben. 
Tauben,  die  in  Eisenbahnwagen,  folglich  in  geschlossenen  Behältnissen, 
1600  Kilometer  weit  fortgebracht  wurden  (Versuche  zwischen  Madrid  und 
Lüttich)  haben  es  vermocht,  sich  zu  ihrem  Taubenschlag  zurück  zu 
finden.  Noch  erstaunlicher  sind  folgende  Versuche.  Von  9  Tauben,  die 
man  im  Jahre  1886  in  London  auffliegen  Hess,  kehrte  eine  nach  ihrem 
heimatlichen  Schlage  in  Boston  zurück,  die  zweite  flog  bis  New- York,  die 
dritte  bis  Pensylvanien.  Bei  dieser  bemerkenswerten  Fähigkeit  der  Tauben 
spielt  die  Schärfe  ihres  Gesichtssinnes  eine  bedeutende  Rolle  und  Hebung 

*)  „Reichswehr"  1895. 


156  n.    Die  Hil&mittel. 


verstärkt  diesen  den  Tauben  angeborenen  Instinkt  noch  in  hohem  Grade. 
?**^!5^*^«  In  vielen  Ländern  hat  sich  eine  besondere  Art  des  Sports  —  der  Tanben- 

des    Tauben-  '^ 

■porta.     Sport  —  entwickelt  und  schon  recht  grosse  Bedeutung  erlangt.  Die  Möglich- 
keit, den  besonderen  Instinkt  der  Tauben  auszunützen,  wird  durch  deren 
^dee  Fiif  M^*  ungewöhnliche  Flugschnelligkeit  noch  verstärkt.  Bei  günstigen  atmosphäri- 
schen Verhältnissen,  d.  h.,  wenn  weder  Gegenwind,  noch  Regen  und  Nebel 
vorhanden  sind,  beträgt  die  mittlere  Schnelligkeit  des  Taubenfluges  70  bis 
dTuil^hVr  ^  Kilometer  pro  Stunde.    Im  Jahre  1878  fand  ein  Wettflug  deutscher 
nnä      und   belgischer  Tauben    statt.     Man   Hess  sie  in  Eom  auffliegen;   die 
Traben,    vou  üinen  ZU  durchmessende  Entfernung  betrug  1430  Kilometer;  die  atmo- 
sphärischen Verhältnisse  wai*en  äusserst  ungünstig.    Die  erste  deutsche 
Taube  kehrte  nach  ihrem  Taubenschlag  in  Aachen  nach  9,  die  zweite 
nach  10  Tagen  zurück;  die  erste  belgische  Taube  langte  in  Brüssel  nach 
11  Tagen  an. 

In  Folge  dieser  Umstände  hat  man  schon  lange  daran  gedacht,  die 
Tauben  als  Brief  boten  zu  verwenden,  die  in  Kriegszeiten,  besonders  bei 
Belagerung  von  Festungen  unersetzliche  Dienste  leisten  könnten;  jedoch 
erst  die  zunehmenden  Vorkehrungen  für  künftige  Kriege,  alle  Mittel  zur 
Erreichung  von  Vorteilen  auszunutzen,  haben  eine  weitgehende  Organi- 
sation der  Taubenpost  hervorgerufen. 
DieTanben  Schou  bcl   der   Belagerung    von   Paris    hat    die   Luftpost    keine 

Beiairerang  uuwichtige  Rolle  gespielt;  634  Tauben  wurden  von  dort  in  Luftballons 
p^?.  mitgenommen  und  demnächst  freigelassen ;  von  diesen  kehrten  100  Tauben 
zurück  und  manche  machten  diesen  Weg  bis  10  Mal.  Die  Luftpost  hatte 
für  die  damals  von  aller  Welt  abgeschnittene  Stadt  eine  gewaltige  Be- 
deutung, erzielte  aber  nur  relativ  befriedigende  Resultate,  hauptsächlich 
deshalb,  weil  sie  erst  nach  Eintritt  der  Belagerung  eingeführt  und  nicht 
genügend  vorbereitet  war. 
w6n^!*kit  Immerhin  musste  man  zu  der  Ueberzeugung  gelangen,  dass  die 

miiiuriseher  Tauben   Während   des   Krieges    wichtige   Dienste   leisten    können   und 
Bta'uonen.   ^^  zur  Erfindung  des  lenkbaren  Luftballons  unersetzbar  sind.     Des- 
halb begann  man  in  allen  Staaten  die  Entwickelung  des  Militäitauben- 
sports  zu  pflegen  und  Kriegsposttauben-Ötationen  einzurichten. 

Die  Bedeutung  der  Taubenpost  wird  teilweise  dadurch  abgeschwächt, 

dass  man  nur  dressierte  Tauben  und  diese  nur  innerhalb  einer  bestimmten 

Ortsgrenze  gebrauchen  kann. 

^Til'*°  Während  der  Belagerung  von  Paris  verfuhr  man  mit  den  Depeschen 

Mndnnsr  nnd  auf  folgeudc  Weisc:   man   druckte   alle   Depeschen  in   der  Form  von 

den"ja1iilB  Zeitungsspaltcu   auf  ein   Blatt   und   photographierte    sie    sodann   unter 

1870/71.    gQ  bedeutender  Verkleinerung,  dass  sie  zu  lesen  nur  mit  Hilfe  einer 

starken  Loupe  möglich  war.    In  Tours  wurde  die  Verkleinerung  bis  zu 


Iimen>  VerbindnUg  in  der  Arrofle,  —  Tauben.  157 

eiaem  mikroskopischen  Maassstabe  ausgedehnt.  Die  tägliche  Depeschen- 
sammlung  hatte  die  Grösse  des  vierten  Teils  einer  gewöhnlichen  Spielkarte 
and  wurde  aaf  einem  Blatt  von  Kolodiom-Papier  versandt,  das  nnr  einige 
Centigramm  wog. 

Dies  Blatt  warde  gerollt  nnd  in  eine  Feder  gelegt,  die  dann  an  ^'^''''•'""'k 
einer  der  Schwanzfedern  der  Tanbe  befest^t  wurde,  wie  dieses  aus  DepeMb«i,, 
folgenden  Zeichnungen  sichtbar  ist.') 


Art  der  BefeBtigling  von  Depeschen 

Die  Depeschen  werden  nach  Empfang  in  ein  Sonnen-  oder  elektrisches  i««"b  »ob 
Mikroskop  eingestellt  und  anf  der  Schirmwand  abgelesen.  Die  Zeichnung 
auf  der  folgenden  Seite  stellt  Offiziere  dar,  welche  sich  in  dem  Lesen 
solcher  Depeschen  iiben.s) 

Eine  Tanbe  hat  20   solcher  Blätter  getragen,  die  alle  zusammen  j,^™^^. 
weniger  als  1  Gramm  (Vis  Lot)  wogen  und  annähernd  bis  300  000  Buch- 
staben, d.  h.   fast  einen  ganzen  Band  gewöhnlichen  Druckes  enthielten. 
Solcher  Depeschen  sind  ans  Paris  an  100000  entsandt,  was  beim  Druck 
mit  gewöhnlicher  Schrift  eine  recht  stattliche  Bibliothek  abgeben  würde. 

Bei  der  Tauben-Dressnr  wird  eine  gewisse  Stufenfolge  beobachtet;  ^^'^"'- 
zMnächst  lÄsst  man  sie  Entfernungen  von  7  bis  8  Kilometer  durchfliegen; 
wenn  sie  diesen  Weg  in  völlig  grader  Richtung  nnd  mit  grösstmöglicher 
Schnelligkeit  zurücklegen ,  müssen  sie  längere  Strecken  fliegen  (bis 
200  Kilometer).  Uebersteigt  die  Entfernung  nicht  140  Kilometer,  so 
kehren  alle  Tauben  zurück;  je  länger  der  Weg  ist,  eine  desto  grössere 
Zahl  der  geflügelten  Boten  geht  verloren. 

In  Frankreich  schreibt  das  Gesetz  vor,  der  Armee  bei  Beginn  t««'«''!«'»- 
eines  Feldznges  auch  alle  Privat-Posttauben,  deren  Zahl  sich  auf  etwa  '""iT  °" 
160000  Stück  beläuft,  zur  Verfügung  zu  stellen.  Die  deutsche  Regierung  p^'^"^^ 
tiat  Militär-Taubenschläge  an  sehr  vielen  Orten  eingerichtet:  in  Berlin,  J°*.. 
Köln,  Strassburg,  Metz,  Würzbni^,  Wilhelmshafen,  Kiel,  Danzig, 
Schwetzingen  (bei  München),  Thom  und  Posen.     Jeder  Taubenschlag 

')  „Encyclopödie  des  connaissances  militaires". 
•)  „Gartenlaube". 


158  H.    Die  Hilfsmittel. 

enthält  400,  der  Tliorner  gar  1000  Tanben.  Ausserdem  existiereii  in 
Dentschland  350  Gesellschatlen.  welche  der  ßegieruiig  im  Bediirfnisfatle 
an  50  000  Tauben  zur  Verfügung  stellen  können. 

In  Oesterreich  wurde  der  erste  Verein  für  Taabensport  1878  ge- 
gründet; 2  Jahre  darauf  wurde  die  erste  Kriegsposttanben-Station  in 
Komorn,  im  Jahre  1882  eine  ebensolche  Station  in  Krakau  eingerichtet. 
Dem  Vernehmen  nach  besteben  solche  Stationen  auch  schon  in  Wien, 
Linz,  Olmütz  and  an  anderen  Plätzen. 


Die  Regierungen  erweisen  auch  den  Privatliebhabeni  des  Tanben- 
sports  T^nterstützuiig,  um  im  Kriegsfalle  von  ihnen  Tauben  zn  erhalten. 
Offiziere  und  Militärbeamte,  welche  Posttauben  zu  züchten  und  zu 
dressieren  wünschen,  erhalten  alle  Mittel  zum  Unterhalt  der  Tauben  und 
zur  Einrichtung  von  Taubenschlägen.  An  Privatpersonen  überlassen  die 
Regierungen  Tanben  der  besten  Rasse  zn  dem  Vergtinstigungspreise  von 
1  bis  10  Franks  pro  Stück.  Die  Eisenbahnen  ihrerseits  sind  verpflichtet, 
die  Tarife  für  Passagiere,  welche  in  Angelegenheiten  des  Taubensports 
reisen,  zu  ermässigen. 
TM»«iiport  j,,  Rnssland  ist  das  Interesse  für  die  Taubenpost  zuerst  im  Jahre 

Biuina.  1874  rege  geworden.    Es  bildeten  sich   einige  Gesellschaften  von  Lieb- 


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Innere  Verbindung  in  der  Armee.  —  Tauben.  159 


habern  des  Taubensports  und  das  Kriegsministerium  setzte  eine  gewisse 
Summe  zur  Einrichtung  von  Stationen  in  Warschau  aus.    Die  Dressur 
der  Tauben  stiess  aber  auf  Schwierigkeiten:  die  russischen  Tauben  waren 
zu  schwach,  um  grosse  Wege  zurückzulegen,  die  aus  Belgien  eingeführten 
gingen  zu  Grunde,  weil  sie  das  rauhe  Klima  nicht  ertragen  konnten. 
Erst  die  im  Jahre  1886  aus  Ingenieuren  und  Liebhabern  des  Tauben- 
sports eingesetzte  Regierungskommission  beseitigte  diese  Hindernisse.  Im  *^"*^**"* 
Jahre  1888  wurden  auf  Verfügung  des  Ingenieurbezirks  fünf  Posttauben-  RegienmgB- 
Stationen  geschaffen:  in  Brest,  Warschau,  Nowo-Georgijewsk,  Iwangorod  lTimö" 
und  Luninez.    Auf  jeder  Station  werden  soviel  Tauben  gehalten,  dass  im 
Bedürfnisfalle  an  2B0  ausgesandt  werden  können.   In  Festungen  sind  diese 
Stationen  dem  Kommandanten  unterstellt,  in  den  übrigen  Orten  dem  Chef 
des  Bezirksstabes.    Ausserdem  besteht  in  Brest-Litowsk  schon  eine  Ein- 
richtung,  um  die  Rasse  der  Tauben  zu  verbessern  und  die  unter  den 
gegebenen  Verhältnissen  zum  Postdienst  tauglichen  Tauben  auvszubildeu.-'*) 

Aus  dem  Gesagten  geht  hervor,  dass  es  allen  Staaten  möglich  Bwtimmong 
erscheint,  die  Verbindung  zwischen  den  einzelnen  Teilen  der  Armee  mit  TaabanpoBt. 
Hilfe  der  Taubenpost  aufrecht  zu  erhalten,  desgleichen  zwischen  den 
Festungen  und  der  Feldarmee.  Die  betreffenden  Stationen  haben  ihre 
Tauben  auszutauschen  (man  transportiert  sie  in  besonders  dazu  ein- 
gerichteten Körben),  die,  sobald  sie  in  Freiheit  gesetzt  werden,  zu  ihrem 
ständigen  Aufenthaltsort  zurückkehren. 

In  der  französischen  Armee  zweifelt  man  einigermaassen  an  der  skeptiziama» 

der 

Möglichkeit,  die  Dienste  der  Tauben  in  kritischen  Momenten  bei  Märschen,  Franzosen. 
Schlachten  und  Belagerungen  ausnutzen  zu  können.  Bei  den  letzten 
grossen  Manövern  hatte  jede  Kavallerie-Division  einen  Korb  mit  Tauben 
zur  Verfügung,  jedoch  Offiziere  und  Soldaten  waren  der  Meinung,  dass 
bei  etwaigem  Mangel  an  Esswaaren  die  Tauben  in  den  Suppenkessel 
kommen  könnten.  4) 

Umstehende  Karte  macht  uns  mit  der  Entwickelung  des  Netzes 
der  Taubenpost-Strassen  in  Mittel-Europa  bekannt. 

Sobald  es  sich  um  die  Verbindung  belagerter  Festungen  —  z.  B.  '''."^p^f,''/* 
Warschau's    —    mit    der   Aussen  weit    handelt,    entsteht    sogleich    die     «inor 
Frage:   in  welchen  Verhältnissen  werden  sich  die  Bewohner  während  wirechTr»!. 
einer  Belagerung  der  Stadt  befinden?  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass 
die  Regierung  die  Benutzung  von  Taubenposten  auch  Privatpersonen  ge- 
statten wird.     Die  Einwohner  würden  in  schweren  Tagen  der  Belage- 


*)  Wir  entlehnen   diese  Mitteilungen  einem  Artikel  von  D.  Pankewitsch 
im  „Wojenny  Ssbornik":  „Stand  des  Posttaubenwesens  in  Europa". 
*)  Hennebert:  ,.L'art  militaire  et  la  science". 


160 


IL    Die  Hilfemittel. 


NetB  der  1  W  7 

Taiib«npoit  *\fs.,/--'-"^ 

in 
Mitteleuropa. 


Karte  des  Netzes  und  der  Wege  der  Taubenpost  in  Mittel-Europa. 

rung  die  Möglichkeit  eines  derartigen  Verkehrs  mit  Orten,  zu  welchen 
\Yarschan  in  besonders  engen  Beziehungen  steht,  wie  mit  Ljublin,  Sjed- 
letz,  Lomscha  u.  s.  w.  mit  Freuden  begrüssen.  Es  versteht  sich  von  selbst, 
dass  mit  dem  Moment  der  Kriegserklärung  alle  privaten  Posttauben  unter 
strenge  Regierungskontrole  zu  stellen  sind. 

In  jedem  Falle  ist  die  Entwickelung  des  Taubensports  besonders 
fiir  Warschau  sehr  wünschenswert,  da  in  einem  künftigen  Kriege  eine 
Belagerung  der  Stadt  immerhin  möglich  erscheint. 

c)  Elektrische  Telegraphen  und  Telephons. 

^jt^  .  Im    Gelände   der  Kriegsoperationen    wird    man,   nach  deren  Be- 

wendiglceit  " 

nad      ginn,  demnächst  auf   dem    Schlachtfeld    selbst   zeitweise  Telegraphen- 
temJoS^*  Verbindungen  herzustellen  haben.  Schon  im  Kriege  1870  fand  der  Telegraph 
Telegraphen- ^j^^  Weitgehende  Anwendung  im  deutschen  Heere.    Den  Kriegszwecken 
wndangen.  dieuteu  B23  Stationen  mit  23  330  Kilometer  Leitung.   Jetzt,  wo  die  Heere 
noch  stärker   geworden   sind,   ist   die   Frage,   die   Einheitlichkeit   der 
Operationen  zu  sichern,  noch  brennender  geworden.    Wenn  der  Höchst- 
kommandierende heute  nicht  schnell  von  allen  Teilen  der  Armee  Mel- 
dungen erhalten  kann,  so  dass  sich  die  Bewegung  der  Truppen  ihm  so 
deutlich  darstellt,  wie  die  Züge  auf  einem  Schachbrett,   so  wird  ihm  die 
Führung,  me  weitreichend  sein  geistiger  Gesichtskreis  auch  sein  mag, 
dennoch  sehr  erschwert  werden. 


Feld-Telegraphendienst  in  der  deutsehen  Armee. 

(Legen  «tnes  Feld-Telegraphen  durah  eine  Pionier-Abteilung.) 


Neue  Vorposten-Telegraphen. 


Bau  einer  neuen  Linie. 


Elektrische  Strom -Batterie.  Abbau  einer  Telegraphenlinie. 


M.  1.    Binftgen  Ul  Saite  II 


Telephon-  und  Telegraphendienst  in  der  fHnzösischen  Armee 
(während  des  Manövers). 


Ein  Posten  am  Telephon. 


Schmalspurige  Eisenbahn  und  Feld-Telegraph. 


Innere  Verbindung  in  der  Armee.  —  Telegraphen  und  Telephons.  IQl 

Zum  Bau  von  Telegraphenlinien  stehen  Mnnitionswagen  mit  den  ^^^^j°* 
nötigen  Materialien  zur  Verftig^g,  d.  h.  mit  Leitungsdrähten,  Batterien  taiefnphsn. 
und  Apparaten.    Die  Feldstationen  werden  häufig  nur  für  ein%e  Stunden 
errichtet  und  sodann  eingepackt  und  weitergeführt.    Für  Verbindungen  auf 
kleine  Entfernungen  wird  man  in    der  Armee  Drahtvorräte   benutzen, 
welche  die  Soldaten  im  Tornister  tragen  kOnnen. 

Nachstehende  Zeichnungen  stellen  die  Einrichtung  eines  Feld-Tele- 
graphen mit  Wagen  und  das  Telegraphieren  auf  dem  Posten  dar. 


Einrichtung  eines  Feldtelegrapheu 


Ausserdem    werden    Vorbereitungen    getrofien,    um  Telephone    in 
grossem  Maassstabe  zu  verwenden. 

Beifolgend  geben  wir  eine  Zeichnung,  die  eine  französische  Abteilung  l«»"  '•» 
darstellt,  welche  mit  dem  Legen  von  Telephonleitungen  beschäftigt  ist.  idi»^! 


Lpgen  von  TelephonleitunRen. 


162  IL    Die  HO&mtteL 

Bas  vorstehende  Bild  ist  so  klar  imd  dentlich,  dass  es  einer  weiteren 
Erklärang  nictit  bedarf.  Die  Mer  gebotene  kleinei'e  Zeidinang  zeigt  uns 
einen  Telephonapparat  mit  einer  beträchtlichen 
Menge  von  Reserve-Leitungsdraht.  Der  Apparat 
wird  vom  am  Gürtel  getragen,  wie  wii-  das  aaf 
dem  umstehenden  grossen  Bild  bei  einer  der 
Figoien  sehen,  die  Leitungsdrähte  mit  sich  führen. 
'  Auf  ein  völlig  reguläres  und  zuverlässiges 

1.  Funktionieren   der  Feldtelegraphen  nnd   -Tele- 

phone ist  jedoch  nicht  zu  rechnen.  Selbst  während 
der  Manöver  in  Oesterreich  am  Tejaflusse  zer- 
rissen die  Soldaten  beständig  die  Drähte  an 
den  schnell  hergestellten  Linien.  Während  des 
Lärms  und  des  Dranges  der  wirklichen  Schlacht 
aber  wird  die  Benutzung  der  Feldtelegraphen  und 
-Telephone  jedenfalls  in  noch  erhöhtem  Maasse  erschwert  sein. 


Apparat  mit  Bes^rvedraht. 


d)  Optische  Apparate. 

BrfentoBd  -^ij.  haben  schon  wiederholt  darauf  hingewiesen,  kommen  übrigens 

der  opÜKheu  °  ° 

KomnaDi-  darauf  auch  noch  in  den  folgenden  Kapiteln  zorlick,  dass  die  beständige 
Verbindung  der  einzelnen  Arraeeteile  untereinander  eine  der  wichtigsten 
Bedingttugen  ist,  von  denen  der  Erfolg  auf  dem  Schlachtfelde  abhängt. 
Im  Zukunftskriege  werden  zu  den  früheren  Verbindungsmitteln  ausser  den 
Telegraphen  und  Telephonen  auch  optische  Signale  hinzutreten.  Die  Ver- 
wendung der  optischen  Signale  ist  so  alt  wie  der  Krieg  selbst,  jedoch 
deren  systematische  Verwendung  wird  in  dem  Zukunftskriege  in  nie 
dagewesenem  Maasse  vorkommen. 
KomBui-  Der  französische  Kriegsminister  hat  im  Juni  1886  eine  Instruktion 

T«miiMM  über  die  Aufrechthaltung  der  gegenseitigen  Verbindungen  mit  Hilfe  von 
zeicbBD.  gßjiiijgjj  erlassen.  Darin  ist  unter  Anderem  gesagt,  dass  die  bei  jedem 
Truppenteil  für  eine  bestimmte  Anzahl  von  Mannschaften  eingeführten 
Hebungen,  durch  Signale  miteinander  in  Beziehung  zu  treten,  den  Heeren 
ein  neues,  vollkommen  einfaches  Mittel  bieten  sollen,  welches  im  Be- 
dürfnisfalle alle  anderen  Mittel  ersetzen  kann. 

Die  S^ale  werden  aus  Strichen  und  Punkten  nach  dem  System 
des  Telegraphen-Apparats  „Morse"  zusammengesetzt  nnd  jeder  Truppen- 
teil hat  eine  bestimmte  Anzabl  von  Zeichen  zur  Verfügung. 

Am  Tage  werden  die  S^ale  mittelst  quadratischer  Schilde  weiter- 
gegeben, oder,  wenn's  an  solchen  fehlt,  mit  Hilfe  anderer  Apparate. 
Das  Signalschild  soll  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  auf  1000  Meter 
Entfernung  sichtbar  sein. 


Der  optische  Telegraph  im  Manöver. 


Die  Semaphorsystsme  in  der  deutsehen 
Armee: 


Gebrauch.  zusammengeklappt. 


Der  optische  Telegraph  auf  dem 
Beobachtungspunkt. 


Park  und  Bedienungsmannschaft  eines  optischen  Telegraphen  in  den 
französischen  Manövern  im  Jahre  1894. 


Bd.  1.    Elnnrns  twi  a< 


Innere  Verbindung  in  der  Armee.  —  Optische  Apparate.  X63 

Eine  Reihe  yon  Zeichnangen,  welche  wir  in  der  Beilage  beifugen,  sig»»«- 
geben  ein  Bild  davon,  auf  welche  Weise  die  Signale  bei  Tag  nnd  Nacht  ^a«"' 
übermittelt  werden.i)  «dL«i>ut.. 

Der  Licht-Telegraph,  der  in  seiner  Konstruktion  komplizierter  ist 
und  spezielle  Vorkehrungen  erfordert,  hat  in  der  letzten  Zeit  gleich- 
falls grosse  Fortschritte  gemacht.  Mit  Hilfe  optischer  Gläser  kann  man 
die  Strahlen,  welche  von  irgend  einem  leuchtenden  Körper  ausgehen 
(wie  in  folgendem  Bilde  gezeigt  wird,  von  einer  Lampe),  fixieren. 


Licbt-Signalapparati. 


4  nEncyclop^die  des  connaiasances  militaires",  und  „Traite  de  Töl^graphie 
optique  applifiiiöe  aux  Arts  militaires"  par  R.  von  Wetter. 


134  n-    ^e  Hil&mitFteL 

Das  Licht  wird  anf  den  Punkt  konzentriert,  mit  welchem  die  Ver- 
bindtmg  erfolgen  soll,  und  man  empfängt  sodann  mit  Hilfe  farbiger  Gläser 
und  Wandschirme  eine  grosse  Anzahl  von  Signalzeichen,   welche   man 
dnrch  starke  Femrohre  anf  sehr  grosse  Entfernung  wahrnehmen  kann. 
ErTuknDK«!!  DiB  OcsterTeicher  stellten  im  Jahre  1859  mit  Hilfe  des  optischen 

i'o  ism"  Telegraphen  einen  regelmässigen  Nachrichtenverkehr  zwischen  den 
4«'ob^t  Festungen  Mantna  und  Verona  her,  die  B5  Kilometer  von  einander  ent- 
Hugtn.  fernt  sind.  Die  grOsste  Verbreitung  geniesst  jetzt  von  dieser  Gattung 
der  Apparat  des  Oberst  Mangin,  der  aus  zwei  Teilen  besteht,  einem 
„Absender"  und  einem  „Empfänger".  Im  ersten  Teil,  im  „Absender", 
ist  die  Lichtquelle  plaziert,  eine  Lampe  oder  ein  grosser  die  Sonnen- 
strahlen konzentrierender  Spiegel -Reflektor.^) 

Es  wild  behauptet,   dass  mit  Hilfe   eines  Rohres  von  0,45  Meter 
Durehmesser,  welches  von  einer  Petroleumlampe  Licht  empßlngt,  man  bei 
günstigen  atmosphärischen  Verhältnissen  auf  Entfernungen  von  80  bis 
100  Kilometer  wirken  kann. 
Fruisiuciu  Hennebert  behauptet,  dass  in  Frankreich  heliographische  Apparate 

gnipfa«.    auf  BO— 60  Kilometer  Entfernung  wirken,  andere  auf  90—130  Kilometer 
und  bei  klaren  Tagen  sogar  bis  200  Kilometer.*) 


HeliograpliiBoher  Apparat  in  Funktion, 


Ausserdem  wei-den  noch  eine  ganze  Reihe  von  Apparaten  gebaut, 
die  für  den  Nachtdienst  bestimmt  sind. 
•  Das  Urnmmond'sche  Kalklicht,  auch  Kreidelicht  genannt,  ist  be- 

sondei-s  wichtig.  Es  ist  nächst  dem  elektrischen  das  hellste  Licht,  das 
dadurch  erzeugt  wird,  dass  man  einen  Kreidestift  durch  einen  starken 
Strom  brennenden  Wasserstoffgase.s  in  weissglülienden  Zustand  versetzt. 
Zu  Signalzwecken  befindet  er  sich  in  einer  auf  einem  Stativ  befestigten 

')  „BibliotböquB  dos  actiialit<;s  scii'ntifuiues". 

')  Hennebert;  „L'art  militairo  et  la  scienco".  Ea  -will  uns  aber  .scheinen, 
dass  die  Uebennittelung  optiHclier  Signale  auf  so  grosse  Entfernungen  wie  200  Kilo- 
metur  wabrscheinlich  nur  bei  Eiuricbtung  von  Observatorien  auf  AabShen  und 
überhaupt  nur  bei  ganz  besonders  günstigen  Terrain-  und  Luftverhaltniasen 
möglich  ist. 


Innere  Verbindung  in  der  Armee.  —  Optische  Apparate.  165 


Laterne  mit  zwei  starken  Linsen,  die  duixli  eine  Druckvonichtnng  rasch 
geschlossen  und  geöffnet  wiixl,  so  dass  durch  einen  leichten  Druck  Licht- 
blitze erzengt,  Punkte  und  Striche  signalisiert  werden  können. 

Die  Wirkung  des  Kreidelichtes  erstreckte  sich  in  dunklen  Nächten, 
selbst  bei  ungünstigen  LuftveHiältnissen,  bis  auf  30  Kilometer,  doch  ist 
es  unter  günstigen  Verhältnissen,  wie  in  Südafrika,  noch  auf  67  Kilometer 
Entfernung  verwandt  worden.  Seine  intensiven  Blitze  sind  sogar  bei 
Tage  noch  aof  verhältnismässig  grossen  Entfernungen  sichtbar. 

Nachstehendes  Bild  zeigt  die  Verwendang  der  Kreidelicht-Signal- 
lateme  in  der  russischen  Armee.*)  ■ 


Verwt^ndung  der  Kreideliclit-Sigiiallaternc  in  der  ruasisciien  Armee. 

Da  Nowogeorgijewsk  von  Warschan  nur  27  Werst  (etwa  30  Kilo-  Brfent«« 
meter),  Iwangorod  von  Warschau  84  Werst  (ca.  90  Kilometer)  entfernt  181,^*"^"" 
so  werden  diese  Festungen  bei  Unterbrechung  ihrer  Kommunikation  durch  ''^^^' 
den  Feind  im  Stande  sein,  mittelst  Liebtsignalen  zn  verkehren,    was  '""!«*•» 
der  Feind  nicht  hindern  kann.     Brest  ist  von  Warschau  200  Werst        '''^ 
(ca.  214  Kilometer)  entfernt;  folglich  ist  bei  Einrichtung  von  nur  einer 
Zwischenstation    ein    heliographischer   Verkelir    auch    zwischen    diesen 
Festungen    möglich.     Es  muss  jedoch  bemerkt  werden,    dass  die  An- 
wendung derartiger  optischer  Telegraphen  viel  Mühe  and  Grenauigkeit 
erheischt. 


*)  Aus  der  „Leipziger  Illuatrierten  Zeitung",  I 


166  n.    Die  Hilfsmittel. 


Charles  Dilke  hat  sich  bei  den  französischen  Manövern  davon  über- 
zeugt, dass  der  Heliograph  trotz  guten  Wetters  wegen  ungeschickter 
Handhabung  nur  massigen  Erfolg  hatte. 
^m'^^mi"**  ^  deutschen  Heere  hat  man  Signalversuche  mit  einem  so  starken 

ButMD.  Magnesia-licht  gemacht,  dass  selbst  die  Sonnenstrahlen  nicht  störend 
wirken  konnten.  Bei  günstigen  Verhältnissen  können  derartige  Signale 
auf  50  Kilometer  Entfernung  wahrgenommen  werden,  wenn  Konstruktion 
und  Ausführung  der  Lampe  völlig  tadellos  sind  und  mit  ihr  sehr  vorsichtig 
umgegangen  wird.  Im  entgegengesetzten  Fall  wird  das  Magnesia-Band 
nicht  brennen  und  der  Uhrmechanismus,  der  dies  Band  allmählich  ab- 
wickelt, zu  wirken  aufhören. 

NeuMte  Es  vcrstcht  sich  von  selbst,  dass  auf  die  Abstellung  dieses  Miss- 

Fortschritte.  ° 

Standes  nicht  wenig  Mühe  verwandt  worden  ist.  Eine  deutsche  Firma  hat 
z,  B.  dem  Kriegskomitee  eine  neue  Lampe  für  die  Signalisation  vorgestellt, 
bei  der  zur  Erzeugung  des  Lichtaufflammens  das  Magnesium  nicht  in  Form 
eines  Bandes,  sondern  in  Pulverform  zui-  Verwendung  kommt.  Dies 
Pulver  verbrennt  momentan  im  Focus  des  Reflektors  mit  Hilfe  des 
Pulverisators  und  der  dazu  eingerichteten  Spirituslampe  und  so  wird  ein 
blendendes  Licht  erzielt.*) 

e)  Hunde. 

Kriegaknnde  Schou  die  Altcu  habeu  in  ihren  Kriegen  Hunde  verwandt,  um  mit 

in  der  Ver-  °  ' 

gangeniieit.  deu  dcr  feindlichen  Linie  nächstliegenden  Punkten  Verbindungen  zu  unter- 
halten. Die  zu  übermittelnden  Depeschen  u.  s.  w.  gab  man  den  Hunden 
zugleich  mit  der  Speise  zu  fressen,  tötete  die  Hunde  am  Bestimmungsort 
und  entnahm  den  Eingeweiden  ihren  Inhalt.  Ende  des  17.  Jahrhunderts 
wurden  auf  den  Grenzposten  in  Dalmatien  und  Kroatien  Hunde  darauf 
dressiert,  das  Herannahen  der  Türken  anzuzeigen.  Man  richtete  sie  ab, 
bei  dem  Anblick  muselmännischer  Soldaten  zu  bellen  und  Hinterhalte 
ausfindig  zu  machen. 

KriftgBhunde  In  unserer  Zeit  ist  der  Gedanke,  Hunde  für  Kriegszwecke  zu  ver- 

in  niuerer 

Zeit      wenden  zuerst  in  Deutschland  aufgetaucht.    Darauf  überzeugten  sich  die 

Oesterreicher  in  Bosnien  und  der  Herzegowina  praktisch  davon,  dass  sich 

Spürsinn  und  Witterung  der  Hunde  für  Kriegszwecke  verwerten  lassen. 

Die  anderen  Heere  sind  dem  Beispiel  dieser  beiden  Staaten  gefolgt. 

Dreisor  Yon  Wir  gcbcu   aus  der  „Militär-Zeitung"   einige  interessante  Details 

hunderin  Über  die  Dressur*  der  Hunde.    In  der  deutschen  Armee  gewöhnt  man 

Deatwjhiand.  ^j^  Hundc  darau,  sich  gegen  Personen  in  fremdländischer  Uniform  miss- 

trauisch  zu  verhalten  und  ihr  Vorhandensein  anzuzeigen.    Jede  Schützen- 


^)  „Neue  müitär.  Blätter".    1892  Bd.  VI. 


Kriegshunde. 


Hunde  der  russischen  Armee. 


Hunde  der  franiösisohen  Armee. 


1.  I.    Eiin«u  bei  Bfilt 


Innere  Verbindung  in  der  Armee.  —  Hunde.  167 


kompagnie  dressiert  zwei  oder  drei  Hunde  für  den  Rekognoszierungsdienst. 
Bei  der  Lagerwache  befinden  sich  viele  solcher  Hunde  und  ein  Hund  wird 
dem  weit  vorgeschobenen  Posten  mitgegeben.  Dieser  Hund  trägt  ein 
eisernes  leichtes  Halsband,  an  welchem  ein  Ledertäschchen  befestigt  ist. 
Wenn  der  Posten  in  der  Nähe  etwas  Verdächtiges  bemerkt,  lässt  er  den 
Hund  los,  um  zu  erkunden,  ob  sich  Freund  oder  Feind  naht.  Der  Hund 
erkennt  schon  von  Ferne,  mit  wem  er  es  zu  thun  hat  und  kehrt  zurück ; 
aus  seiner  Haltung,  seinem  Bellen  schliesst  der  Posten,  ob  ihm  irgend 
welche  Gefahr  droht  oder  nicht.    In  der  Nacht  muss  der  Posten  aus  dem     Taktik 

für  Unnde. 

Geknurr  des  Hundes  erkennen,  ob  der  Feind  sich  vorwärts  bewegt,  auf 
einer  Stelle  steht  u.  s.  w.  Dann  zieht  sich  der  Posten  entweder  zurück, 
um  dem  Führer  Meldung  zu  machen  oder  bleibt  auf  seinem  Platze, 
schreibt  seine  Meldung  und  steckt  sie  in  das  am  Halsbande  des  Hundes 
befestigte  Täschchen.  Dieser  bringt  dann  die  Meldung  ins  Lager. 
Wenn  der  Feind  sich  in  grösserer  Anzahl  nähert,  so  schickt  der  Chef 
der  Avantgarde  zum  Vorposten  einen  anderen  Hund,  welcher  die  In- 
struktion überbringt,  was  zu  thun  ist.  In  jedem  Falle  erregen  die 
Warnungen  des  Hundes  Aufmerksamkeit  und  mahnen  zur  Vorsicht. 

Nach  Märschen  oder  Gefechten  werden  die  dressierten  Hunde  zur 
Aufsuchung  von  Marodeurs,  Verirrten  und  Verwundeten  verwandt.  Beim 
Aufsuchen  der  Verwundeten,  die  bereits  ihr  Bewusstsein  verloren,  sind 
erstaunliche  Resultate  erzielt;  der  hierauf  dressierte  Hund  steht  bei  dem 
Verwundeten  und  bellt  so  lange,  bis  Hilfe  erscheint. 

Die  russische  und  die  französische  Armee  haben  gleichfalls  dressierte  HnndÄdrewiir 

in  BüMland 

Hunde.  Schon  im  Jahre  1887  hatte  bei  den  Manövern  des  9.  französischen  und 
Armeekorps  jedes  Regiment  vier  Hunde.  Um  die  Witterung  und  Spür-  ^"°*^"*®'*' 
kraft  jedes  Hundes  festzustellen,  wurden  zwei  oder  drei  Leute  aus- 
geschickt, welche  sich  bemühten,  den  Posten  festzunehmen,  oder  ohne 
Geräusch  durch  die  Wachen  zu  schleichen.  Diese  Versuche  wurden  sofort 
entdeckt;  der  gut  dressierte  Hund  knurrte,  aber  bellte  nicht.  Auch 
das  Ueberbringen  von  Befehlen  und  Meldungen  führten  diese  Hunde 
trefflich  aus. 

Wenn  das  Regiment  marschiei-t,  so  müssen  die  Hunde  an  der  Koppel 
geführt  werden,  da  sie  sich  sonst  auf  jeden  stürzen  würden,  der  nicht  die 
ihnen  bekannte  Uniform  trägt. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  die  Hunde  bisweilen  sogar  dorthin 
vordringen  können,  wohin  der  Soldat  niemals  gelangt;  sie  laufen  sehr 
rasch,  ohne  jedes  Geräusch  und  sind  im  Stande  die  schwierigsten  Hinder- 
nisse zu  überwinden  und  verhalten  sich  gegen  das  Pfeifen  der  Kugeln 
in  der  Regel  völlig  gleichmütig. 


I 


Igg  n.    Die  Hilfsmittpl. 

Änf  nachstehender  Zeichnaug  sehen  wir  einen  Hnnd,  der   bei  den 
Manövern  Verwondete  aufsacht 


Hund,  der  auf  dem  Schlachtfelde  VenvunJete  aufsucht. 

sibvKb*  Die  Verwertung  von  Hnnden    im  Kriege    hat  jedoch    aucli  ihre 

d«  sienii«  schwache  Seite.  Wie  klug  und  wohldressiert  ein  Thier  auch  sei,  anf 
*H^nd«."  Alles  lässt  es  sich  nicht  eindressieren.  Durch  die  Hunde  kann  zu- 
weilen im  Lager  ein  ganz  unnützer  und  liänfig  sogar  schädUclier 
Ällarm  entstehen;  sie  können  zuweilen  ein  unnützes  Bellen  erheben, 
wenn  sich  ihnen  ein  unbekannter  Mensch,  ein  fremder  Hund,  ein  Hase 
nähert  ü.  s.  w. 
ün-  Jedoch  trotz  aller  Missstände,  welche  die  Verwendung  von  Hunden 

"  *i.Df "    im  Kriege  haben  kann,  ist  es  unmöglichj  auf  sie  zu  verzichten,  um  nicht 
die  Hand»  jjjjjgp  jgjjj  Gegner  zurückzubleiben.    Jedes  nene  Vorzüge  bietende  Mittel 
Tenwhisn,  gjchert,  wenu   es  nur  auf  einer  Seite  gebraucht  wii'd,  dieser  nicht  nur 
den  unmittelbaren  Erfolg,  sondem  übt  gleichzeitig  auf  der  anderen  Seite 
eine  schädigende  Wirkung  auf  die  Haltung  der  Truppe  aus. 

Die  in  Tours  1889  vorgenommenen  Versuche  liaben  ergeben,  dass 
Hunde  das  beste  Mittel  zur  Aafrechterlialtung  der  Kommunikation  sind.i) 

')  „Sciences  militairos". 


Kriegfshunde  in  der  deutsehen  Armee. 


Ein  Detachement  mit  Hunden  Bmpßingt  Weisungen  vor  den  Manövern. 


Hunde  mit  Munition. 
(Hunde  führen  der  Qefechtelinie  Munition  zu.) 


Innere  Verbindung  in  der  Armee.  —  Photographisclier  Apparat.  169 

Es  koukurrierten  Kavalleristen,  Radfahrer  und  dressierte  Hunde.     ^®'^ 

,  vergleich  der 

Die  erste  Prüfung  geschah  bei  einer  Entfernung  von  6  Kilometern  auf    Tauben, 
ebenem  Wege.    Zuerst  kamen  die  Hunde  in  14  Minuten  an,  obwohl  sie  Hunde^und 
unterwegs  noch  eine  Minute  zur  Löschung  des  Durstes  verwandt  hatten ;  ^J*^^^^. 
die  Eadfahrer  langten  in  15  Minuten  an,   die  Kavalleristen  auf  Pferden    kations- 
von  mittlerer  Schnelligkeit  in  24  Minuten,  wobei  sie  Vs  des  Weges  im 
Schritt,  2/8  ™  Trab  gemacht  hatten. 

Bei  der  zweiten  Pi-üfung  waren  3  Kilometer  zurückzulegen:  für 
Kavalleristen  und  Hunde  direkt  mit  Durchschneidung  eines  Feldes,  für 
Eadfahrer  auf  ebenem  Wege.  Die  Hunde  kamen  in  7  bis  8  Minuten  an, 
die  Radfahrer  in  8  bis  9  Minuten,  die  Kavalleristen  in  16  Minuten. 

Wenn  wir  alle  Mittel  der  Feldkorrespondenz,  darunter  auch  die  Erforderliche 
Taubenpost,  mit  einander  vergleichen,  so  ist  die  mittlere  Zeitspanne,  die  zur  znrack- 
für  die  Durchmessung  von  1  Kilometer  nötig  ist,  folgende:  ^kuÖLSJT 

Für  Posttauben 1  Minute 

„     Hunde 2  Minuten 

„     Radfahrer  (gut  ausgebildet)  ....    3       „ 

„     Militäipferde  im  Galopp 3       „ 

n  »  n     T-Täb 4  „ 

Graphisch  ausgedrückt  erhalten  wir  für  die  Zeit,  welche  zur  Ueber- 
mittelung  der  Feldkorrespondenz  auf  1  Kilometer  Entfernung  nötig  ist 
(in  Minuten)  folgendes  Bild. 


Posttaubon 

,_                  i 

3 
3 

Hunde 

Z- 1~__      _  _    ,  .  -    ~ 

-    2 

Radfahrer 

_r-     .:::—      .  ■                      -— -.       _-^    : 

—             __:  -   _ 

Militärpferde  im  Galopp 

_^- 

__-  - 

Militärpferde  iiu  Trab.  . 

^  _ 

— t— — -- 

^      - 

1 

-    —       —         --                    — ^        — 

1 

Tauben  sind  demnach  die  besten  Boten;  ihre  Verwendung  jedoch Poigerongeo. 
macht,  wie  bekannt,  besondere  Verhältnisse  und  Vorkehrungen  nötig, 
welche  sich  nicht  immer  und  überall  in  gleicher  Weise  schaffen  lassen; 
auch  die  Verwendung  von  Hunden  ist  nicht  immer  gleichmässig  günstig; 
Reiter  stehen  den  Radfahrern  nach,  so  dass  man  sich  ersterer  viel 
weniger  als  in  früheren  Zeiten  bedienen  wird. 

f)  Photographische  Apparate. 

Bei  der  Uebermittelung  von  Nachrichten  im  Kiiege  kommt  es  natür-  schwierig- 
lieh  vor  Allem  darauf  an,  dass  sie  genau  und  deutlich  sind.   Die  persön-  in  der  ueber- 
lichen  Eindrücke  des  zur  Kundschaft  ausgesandten  Boten,  seine  Gefühle,  ^^y^^?^„ 
seine  subjektive  Stimmung  können  auf  die  von  ihm  zu  übermittelnden  Nachrichten. 


170  II-    I^ie  Hilfsmittel. 

Nachrichten  einwirken  and  anter  Umständen  die  Thatsachen  nicht  im 
richtigen  Licht  und  nicht  mit  der  nötigen  Deatlichkeit  zor  Darstellnng 
hringen.  In  allen  Heeren  nimmt  man  dahev  behufs  genaaer  Uebermittelnng 
der  vorgefnndenen  Zustände  zu  speziell  dafüi-  eri'andenen  mechanischen 
Vorrichtungen  seine  Zuflucht. 
rT'hil^h.  Offiziere    oder   Unteroffiziere,  welche    sich    mit  der  Position   des 

Aifniknia  Feindes  bekannt  machen  sollen,  verfügen  über  einen  photographischen 
ibiBdiiciun  Apparat.  Wegen  der  voranssichtliclien  Wachsamkeit  der  feindlichen  Posten 
Poiiuon.  jjjjjjjj  gjjjjj  ^gj.  Rekognoszierende  jedoch  nicht  lange  auf  einer  Stelle  auf- 
halten, ohne  sich  grosser  Gefahr  auszusetzen;  er  wird  durch  Gebüsche 
und  unter  Benutzung  anderer  Deckungen  sich  an  die  Stelle  heranschleichen 
müssen,  von  wo  aus  er  einen  kleinen  Teil  der  feindlichen  Position  er- 
blicken kann.  Dann  wird  er  eine  Reihe  von  Momentphotographien  auf- 
nehmen und  diese  mit  dem  Hände  seiner  Truppe  zuschicken.  Hier 
wird  man  die  mit  Hilfe  des  Sonnenlichts  skizzierte  Abbildung,  nach- 
dem diese  hervorgerufen  worden  ist,  dnrch  ein  Sonnen-  oder  starkes 
Licht -Mikroskop  auf  einen  Wandschirm  übertragen  und  die  Beschaffen- 
heit des  Geländes  genauer  kennen  lernen,  als  sie  der  kunstreichste 
Topograph  bei  den  günstigsten  Bedingungen  wiedei^eben  könnte.  Nach- 
folgende Zeichnungen  gehen  Bilder  der  photographischen  Apparate,  i) 


Photograpbischer  Apparat. 

TaniniKUf  Uuläugst  slud  vervollkommuete  photographische  Apparate  erfunden 

gnphiKhir  (photosphöres),  die  an  Fahrrädern  befestigt  nnd  von  so  einfacher  Kon- 
'Su  struktion  sind,  dass  sie  leicht  und  schnell  vom  Fahrrad  abgenommen 
F»hrtM»rB.  jjj)^  YQjj  einer  Stelle  zur  anderen  gebracht  werden  können.  Der  zur 
Rekognoszierung  ausgesandte  Radfahrer  wird  mit  dem  Apparat  aus- 
gerüstet und  erhält  zur  Reserve  einige  Kästchen,  Jedes  mit  zwei  Negativen. 
Zur  Anfnalime  zweier  Bilder  genügt  eine  halbe  JOnute.  Auf  30  Schritt 
Entfernung  bedürfen   die  Objektivs  keiner  Regulienuig  mehr  und  alle 

')  Heonebert:  ^'art  militaire  et  la  Bcience". 


Innere  Verbindung  in  der  Armee.  —  Photographischer  Apparat. 


171 


Einzelheiten  der  Ansicht  treten  bei  günstiger  Beleuchtung  genügend 
relief artig  hervor.  Folgendes  Bild  zeigt  uns  einen  Hund,  die  Aufnahmen 
zum  Kommando  tragend.  2)  Das 
empfindliche  Negativ  hat  vor  dem 
Netzhäutchen  des  Auges  den  Vor- 
zug, dass  es  Allesvordem  Objektiv 
Befindliche  bis  auf  die  kleinsten 
Details  aufnimmt  und  genau  und 
unverändert  bewahrt.  Dadurch 
haben  der  Truppenbefehlshaber 
und  sein  Stab  die  Möglichkeit, 
eine  sie  interessierende  Position 
genau  und  ruhig  zu  untersuchen 
und  das  Ergebnis  ihrer  Beob- 
achtungen zu  kontrollieren,  ohne 


Hände  zar 

üeb«r- 
sendnng  tob 
Anfnahmen. 


Hund,  Negative  tragend. 


befürchten  zu  müssen,  dass  sie  sich  in  Folge  von  Irrtümern  oder  Versehen 
der  Rekognoszierenden  auf  irrigem  Wege  befinden.«) 

Gegenwärtig  sind  zur  Aufnahme  von  grossen  Entfernungen  auch  Tele- 
objektivs erfunden,  mit  deren  Hilfe  unter  günstigen  Bedingungen  Photo- 
graphien auf  10  Kilometer  Entfernung  in  V20  Sekunde  aufgenommen 
werden  können.  Aufnahmen  werden  gemacht  nicht  nur  auf  Glas,  sondern 
auch  auf  durchsichtigen  Celluloidplatten  (Films).  Obgleich  die  Teleobjektive 
nur  kleine  Flächen  aufnehmen,  so  kann  man  doch  bei  allmählicher  Drehung 
der  Kammer  auf  dem  Celluloidbande  eine  ganze  Reihe  von  Darstellungen 
erhalten,  die  sich,  etwa  nach  Art  eines  Panoramas,  aneinanderschliessen. 

Die  auf  folgender  Seite  gegebene  Zeichnung  *)  veranschaulicht  photo- 
graphische Aufnahmen  mit  Hilfe  des  Teleobjektivs  und  nach  gewöhnlicher 
Methode.  Die  Teleobjektivs  werden  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  in  der 
französischen  Armee  eingeführt  werden.  Für  die  deutsche  xArmee  ist  die 
Herstellung  solcher  Teleobjektivs  den  bekannten  Optikern  Stengel  und 
Dalmeyer  übertragen. 

Trotzdem  kann  die  Photographie  im  Kriege  keine  besonders  aus- 
gedehnte Anwendung  finden,  da  ihre  Benutzung  zur  Rekognoszierung  der 
Positionen  in  der  Nacht  oder  bei  Regen,  Nebel,  Schneefall  und  wenn  sich 
die  Gegenstände  im  Schatten  befinden,  oder  die  Sonne  blendet,  völlig 
unmöglich  ist. 

Aber  die  neueste  Technik  ist  noch  weiter  gegangen;  gegenwärtig 
nimmt  man  Geländeteile  mit  Hilfe  eines  kleinen  an  einem  Luftdrachen 

')  Jupin:  „Les  chieos  militaires". 

3)  Charles  Lavanvelle:  „Recoimaissances  photographiques".    Paris  1892« 

*)  Die  Zeichnung  ist  aus  der  „Revue  universelle"  1894  entlehnt. 


Tel»- 
objektiv«. 


Vergleich 
gewöhnlicher 

nnd  tele- 
objek- 

tivisoher 
Aufnahmen. 


Un- 
snverlftssig- 

keit  der 

Photographie 

im  Kriege. 


Photo- 
graphische 
Aufnahmen 

dorch 
Lnftdrachen. 


II.    Die  Hilfsmittel. 


Bild  dnrah 


Vergleich  der  Aufiinhmen  A  mit  Teleotjeküv  und  B  nach  gewöhnliclier  Methode. 

befestigen  pliotograpliisclien  Apparats  anf,  dessen  Konstruktion  derartig 
ist,  da.ss  er  seinen  Standplatz  niclit  verändert.  Das  Objektiv  öfi'net  sich 
mittelst  einer  Sthnnr,  die  sich  in  den  Händen  des  Aufiielimenden  befindet. 
Auf  diesem  Wege  wird  man  sicliere  Aufnahmen  der  feindliclien  Positionen 
weit  schneller  erhalten,  als  mit  Hilfe  von  Fesselballons. 

Indessen  nur  die  Zukunft  kann  uns  zeigen,  inmeweit  die  erzielten 
Resultate  den  gegenwärtigen  Anforderungen  entsprechen. 


Mittel  zur  Beobaclitung.  —  Bewe^iche  Observatorien.  173 

2.    Mittel  zur  Beobachtung  von  Truppen- 
bewegungen. 

Alle  oben  beschriebenen  Mittel  sind  noch  nicht  im  Stande,  den  ein-      "«i- 
zelnen  Teilen  der  Armee  die  volle  MiJglicIikeit  einer  Verbindung  nnter  "'"nL" 
einander  and  der  Sammlung  von  Nachrichten  über  den  Feind  zu  sichern,  ^bMhtau^ 
Die  Vervollkommnung  der  Waffen  hat  die  Kämpfer  von  einander  entfernt,    ''^"' 
so  dass  die  Schlachtfelder  sich  jetzt  20  bis  30  Kilometer  weit  auseinander- jetiigei.  ver- 
ziehen ,  wobei  auch   keine  Baccherscheinung  die    gegnerische   SteUung  a„  K^°i. 
venät.     Schützenketten    veracldeiern    und    decken    die    einzelnen  Auf- 
stellnngen.    Man  muss  nach  der  nur  unzuverlässigen  und  in  Bezug  auf 
Entfernungsbestimmung  schwer  kontrolierbaren  SchalMchtnng  der  Schüsse 
sich  zn  orientieren  suclien.    Ohne  Kenntnis  der  Entiemung  aber  lässt 
sich  weder  für  Gewehre  noch  fiir  Kanonen  das  Visier  stellen.    In  Folge 
dessen  müssen  die  heutigen  Armeen  über  bewegliche  Observatorien  ver- 
fügen, von  denen  aus   die  Kommandierenden  die  Positionen  und  Be- 
wegungen des  Feindes  und  gleichzeitig  auch  die  der  eigenen  Truppenteile 
beobachten  können. 

a)  Bewegliche  Observatorien  oder  Ausluge. 

Nicht     jede     Oertlichkeit,     in  Einriciimiig 

welcher    während    des    Krieges    zu  vorweBdong 

oi)erieren  sein  wird,  ist  an  Terrain-  polttHsr 

erhohnngen     reich,      die     als     Ob-  Trepp«ii  omi 

servationspunkte  dienen  können ; 
daher  wird  man  häufig  zu  künst- 
lichen Aasingen  seine  Zuflucht  nehmen 


Die  bezüglichen  Proben  hahfen 
ein  b&stimmtes  Eesuttat  ergeben. 
Alle  Armeen  verfügen  über  Leitern, 
denen  ähnlich,  welche  die  Feuer- 
wehr gebraucht ,  oder  über  leicht 
transportable  Gerüste  aus  leichten 
Stangen. 

Die  Leiter  bestellt  aus  drei 
aoseinanderscliiebbaren  Teilen  und 
wird  auf  einem  besonderen  Gefährt 
transportiert.  Dei-  Kundschafter 
findet  auf  der  Höhe  der  fjeiter 
eine    Plattform    mit    Geländer    und  Obaervationsieiter. 


TL    Die  Hilfsmittel. 


Observationsgerüst. 


ein  Pnlt  für  Apparate  and  Zeichen- 
instrumente. Mit  Hilfe  von  Hanögriffen 
schiebt  die  Bedienung  die  Leiter  aus- 
einander und  bringt  so  den  Beobachtenden 
auf  die  erforderliche  Höhe. 

Die  Tru  ppen ,  welche  sich  aus  vor- 
bereiteten Stellungen  zu  verteidigen  haben, 
bauen  besondere  höhere  und  umfangreichere 
Obsei-vatorien. 

Die  hier  gegebenen  Zeichnungen  solcher 
Ausluge  haben  wir  den  Werken:  Hennebei-t, 
„L'art  militaire  et  la  science",  Brunner, 
„Feldbefestigung"  und  aus  dem  russischen 
„Ingenieur-Jonmal"  entlehnt. 


Observationsausluge . 


flichsBdber- 


Die  Observatorien,  besonders  die  beweglichen  und  leiterai-tigen, 
können  ihrer  Konstruktion  nach  nicht  allzuhoch  sein;  von  ihrer  Höhe 
vermag  das  Auge  nur  einen  unbedeutenden  Raum  zn  überblicken,  so  dass 
'  sich  ihrer  hauptsächlich  nur  die  Führer  kleiner  Truppenteile  bedienen 
werden. 

Die  Heerführer  müssen  durchaus  die  Möglichkeit  haben,  aus  der 
Vogelperspektive  grosse  Ausdehnungen  überblicken  zn  können,  wozu 
Luftballons  dienen,  an  deren  Vervollkommnung  auch  für  Kriegszwecke 
man  eifrig  arbeitet. 


Feld-Observatorien. 


Mittel  zur  Beobachtung.  —  Luftballons  zur  Observation.  175 


b)  Luftballons  zur  Observation. 

Die  Rolle   der  Luftballons   im  künftigen  Kriege   wird,    wie  wir     ^°**^®^ 
weiterhin  darlegen  werden,  vor  allen  Dingen  darin  liegen,  dass  es  mit  Lanbauons 
ihrer   Hilfe   möglich   sein   wird ,    sich    über    die    äusserst    zerstreuten  Nachrichten- 
eigenen  und  feindlichen  Positionen  zu  orientieren.     Lieutenant  Brough  »™™^"°?- 
sagt:  „In  den  Kriegen  der  Zukunft,  wo  beide  Seiten  mit  gewaltigen  Massen- 
heeren auftreten  und  die  Front  der  Kampflinie  sich  auf  eine  sehr  grosse 
Strecke  hin  ausdehnen  wird,  wird  man  mit  Hilfe  der  Luftballons  solche 
Nachrichten  über  die  Kräfte  und  die  Lage  des  Gegners  erhalten,  zu  deren 
Einziehung  die  Kavallerie  in  den  meisten  Fällen  sehr  empfindliche  Verluste 
erleiden  müsste,  ganz  abgesehen  davon,  dass  selbst  bei  den  günstigsten 
Bedingungen  diese  Nachrichten  doch  weniger  genau  wären". 


Luftballon- 
Arten. 


Die  Luftballons  pflegen  dreierlei  Art  zu  sein: 

1.  sogenannte  Ballons  captifs,  die  mit  Tauen  befestigt  und  mit 
einem  eigenen  Generator  versehen  sind, 

2.  freie  Luftballons  und 

3.  lenkbare  Luftballons. 

Die  Luftballons  werden  aus  einem  besonderen  Seidenstoffe  (Ponghee-  L^JJ^^iiJ^g 
Seide)  hergestellt,  welcher  auf  beiden  Seiten  mit  Lack  bedeckt  ist.    Der 
Stoff  wird  dadurch  für  Gase  weniger  durchdringbar  gemacht,  so  dass 
der  Luftballon  in  24  Stunden  nur  B  %  des  in  ihm  eingeschlossenen  Gases 
verliert. 

Die  Ballons  haben  gewöhnlich  10  Meter  im  Durchmesser,  ihr  Um-  ^«"^^^"^k 
fang  beträgt  500  bis  600  Quadratmeter.  Das  Aufsteigen  des  Luftballons  be-  notwendigen 

Hebekraft. 

ruht  darauf,  dass  der  Ballon  mit  einem  Gase  gefiUlt  wird,  das  bedeutend 
leichter  als  Luft  ist,  vornehmlich  mit  Wasserstoff-  oder  Leuchtgas  (ur- 
sprünglich füllte  man  die  Ballons  mit  erwärmter  Luft).  Die  Intensität 
dieser  Kraft  ist  gleich  der  Differenz  zwischen  dem  Gewicht  des  ganzen 
Ballons  (samt  Vorrichtungen  und  Insassen)  und  dem  Gewicht  desselben 
Luftvolumens. 

Die  Eechnung  ist  sehr  einfach.  Ein  Kubikmeter  Luft  wiegt  an- 
nähernd 1,290  Kilogramm,  dasselbe  Volumen  Leuchtgas  nur  0,680  und 
Wassergas  0,09  Kilogramm.  Ein  Kubikmeter  Leuchtgas  ist  also  0,61  Kilo- 
gramm leichter  als  Luft,  ein  Kubikmeter  Wasserstoff  1,2  Kilogramm, 
d.  h.  ein  Ballon  von  600  Kubikmeter  Umfang  wird  366  Kilogramm  leichter 
sein  als  Luft,  wenn  er  mit  Leuchtgas  gefüllt  ist,  und  720  Kilogramm 
leichter  bei  der  Füllung  mit  Wasserstoff.  Diese  Ziffern  würden  die  Heb- 
kraft des  Luftballons  ausdrücken,   wenn   das  Gewicht  der  Stricke,   der 


176  n.    Die  Hilfsmittel. 


Gondel  u.  s.  w.  gleich. Null  wäre.  Um  eine  genaue  Vorstellung  von  dem 
wirklichen  Gewicht  zu  erhalten,  muss  man  die  Summe  der  Schwere  der 
erwähnten  Gegenstände  von  der  Hebkraft  des  Ballons  an  und  für  sich 
abziehen. 

^"^^ra*""^  Aus  den  angeführten  Ziffern  ist  ersichtlich,   dass  zur  Füllung  des 

puiung  der  Ballous  am  Besten  Wasserstoffgas  verwandt  wird,  da  dieses  Gas  als  das 

leichteste  eine  doppelt  so  grosse  Hebkraft  giebt.    In  fast  allen  Heeren 

wird  deshalb  vorzüglich  Wasserstoffgas  gebraucht,  welches  das  Leuchtgas 

völlig  verdrängt  hat. 

Da  das  Gewicht  des  Luftballons  gewöhnlich  bis  zu  250  Kilogi-amm 
geht,  und  das  Gewicht  von  zwei  Personen  etwa  150  Kilogramm  beträgt, 
so  erhebt  sich  der  mit  Wasserstoff  gefüllte  Ballon  mit  einer  Kraft,  die 
320  (720  —  400)  Kilogramm  gleichkommt. 

Das  Gas  zur  Füllung  des  Ballons  wird  entweder  am  Aufstiegs- 
orte hergestellt  oder  schon  fertig  in  metallenen  Eöhren-Eeservoirs  mit 
dem  Ballon  mitgeführt.  Im  erstem  Falle  kommt  vorzugsweise  der  Gene- 
rator (Apparat  zur  Herstellung  des  Gases)  System  „Yon  "  und  „Lachambre" 
in  Anwendung. 

Der  G».  Der  Generator  besteht  aus  einem  Metallgefäss;  in  dieses  schüttet 

Generetor. 

man  Eisenfeilspäne  und  verschliesst  es  dann  hermetisch ;  darauf  führt  man 
von  unten  in  den  Apparat  eine  Wasserlösung  von  Schwefelsäure  (im  Ver- 
hältnis von  1 : 6  oder  1:9).  Während  einer  Stunde  erzeugt  der  Apparat  200 
bis  250  Kubikmeter  Wasserstoffgas,  so  dass  zur  Füllung  des  Ballons  etwa 
2V2  Stunden  Zeit  nötig  sind.  Der  Generator  erfordert:  Schwefelsäure 
3000  bis  3200  Kilogramm,  Eisenfeilspäne  2000  bis  2500  Kilogramm  und 
gegen  40000  Kilogramm  Wasser.  Wie  aus  diesen  Ziffern  ersichtlich  ist, 
werden  die  Armeen  grosse  Mateiialvorräte  mit  sich  zu  führen  haben. 

Kosten  Die  Ausgabeu  für  Füllung  eines  Ballons  betragen  bis  700  Mark, 

'  die  täglichen  Nebenausgaben  40  bis  50  Mark.    Das  Gewicht  des  zur  Gas- 
herstellung dienenden  Apparats  beträgt  2900  Kilogramm. 

Gefesselte  Die  Ballons  werden  mit  Hilfe  einer  Winde  gefesselt  gehalten,  die 

durch  eine  besondere  Dampfmaschine  in  Bewegung  gesetzt  wird.  Wenn 
der  Ballon  sich  bis  zur  grössten  Höhe  erhoben  hat,  d.  h.  der  ganze  Strick 
sich  abgewickelt  hat,  so  sind  zehn  Minuten  erforderlich,  um  den  Ballon 
wieder  zur  Erde  herabzubiingen.i) 

Wir  geben  nebenstehend  Zeichnungen  des  Apparates  zur  Herstellung 
des  Gases  sowie  der  Winde. 


')  Aus  dem  Werke:   Espitalier,  „Les  ballons". 


Oasb 

1 

FQU 


D 


d« 


G 


Mittel  zur  Beobachtung.  - 


Appanit  zur  Herstellung  von  Gas.  Winde  für  Luftbaltona. 

Zum  Transport  einer  ganzen  Feldstation  von  Lnftballons  fianzö-sischen  Tmuport 
Systems  sind  10  bis  15  Trainwagen  nötig;  ist  eine  Gegend  w.'-..!Serarm,  LnnbliioB. 
so  ist  auch  noch  ein  Wasservorrat  mitzuführen. 

Auf  nachstehender  Zeichnnng  stellen  wir  die  Art  des  Transports  von 
Luftballons  dar,  die  auf  den  französischen  Manövera  von  1892  znr  An- 
wendung gelangte. 


Die  englischen  Luftballons  nnteischeiden  sich  von  dein  in  Frankreich  ' 
angenommenen  System.    Ihre  Hülle  wird  aus  einer  besonders  i)räparierten 
Haut  hergestellt;  sie  sind  weit  leichter,  tragen  aber  nur  einen  Passagier. 


178  II-    I*ie  Hilftmitfel. 

An  stelle  des  Apparats  zur  Herstellung  von  Gas  wird  bei  ihnen  fertiges 
Gas  verwandt,  das  in  besondere  Köliren  gepresst  wird,  so  dass  die  Nähe 
von  Wasser  nicht  erforderlich  ist  und  die  Fiillang  des  Ballons  im  Ganzen 
eine  Viertelstunde  dauert.  In  der  deutschen  Armee  zieht  man  daher 
diese  Ballons  vor. 

Die  eisernen  oder  stählernen  Resei-voirröhren  haben  einen  Quer- 
schnitt von  13  Centiinet«r  und  eine  Länge  von  21/3  Meter;  die  Wanddicke 
beträgt  3  Millimeter;  das  dann  enthaltene  Gas  hat  eine  dem  Druck  von 
100  bis  V20  Atmosphären  entsprechende  Dichtigkeit. 

Nachstehende  Zeichnung  illustiiert  die  Füllung  des  Ballons  beim 
!'  Manöver. 

Die  Fahr/enge,  auf  denen  sich  die  Röhren  befinden,  stehen  neben 
dem  Ballon  und  eine  Röhre  nach  der  andern  wird  dnrch  einen  Schlauch 
mit  dem  Innern  des  Ballons  in  Verbindung  gesetzt.  Der  Luftballon  ist 
als  schon  zur  Hälfte  gefüllt  abgebildet,  nud  da  die  Füllung  gleichzeitig 
von  fünf  Stellen  aus  erfolgt,  so  kann  sich  der  Ballon  in  längstens  einer 
Viertelstunde  bereits  erheben. 


.^si^^'rr'^^'  _,  „  ^f' -:.-  '.-.^im^ 


Füllung  des  Ballons. 


r  Beobachtang.  —  Litttballons  cur  Observation. 


Auf  solche  stellen,  wohin  das  Fahi-zeug  mit  Röhren  in  Folge  seiner 


B.  auf  Bei'ge  oder  auf  sandige 


Schwere  nicht  gelangen  kann,  wie  i 
und  mit  Steinen  besäete  Meeresufer 
(die  Versuche  mit  Fesselballons 
sind  aach  anf  Kriegsschiffen  an- 
gestellt), wü'd  das  Gas  in  kleinen 
Ballons  übergeführt,  wie  neben- 
stehende Zeichnung  darstellt;  die 
kleinen  Ballons  werden  mit  dem 
grossen  Ballon  in  Verbindung  ge- 
bracht und  latisen  in  letzteren 
hinein  ihr  Gas  aasströmeo. 

Auf  der  umstehenden  Zeich- 
nung erblicken  wir  einen  Ballon, 
der  beim  Manöver  aufgestiegen 
ist  und  nunmehr  wieder  zur  Erde 
herabgezogen  wird.  Dieser  Ballon 
soll  am  nächsten  Tage  noch  einmal 
aufsteigen. 

Deshalb  lässt  man  ihn 
zum  grösseren  Teil  in  eine  tiefe 
Grube  hinunter  und  bedeckt 
diese  mit  Erde.  Die  Feuchtig- 
keit des  Bodens  giebt  dem  Ga^e 
eine  grössere  Dichtigkeit  and 
vermindert  die  Menge  des  durch 
die  Umhüllung  des  Ballons  aus- 
strömenden Gases. 

Vor  dem  neuen  Aufstieg 
werden  dann  einige  Köliren  Gas 
hinreichen,  am  die  verloren  ge- 
gangene Quantität  zu  ersetzen. 

Gömig  schreibt,  dass  man 
in  Rnssland  einen  Luftballon  her- 
stellt (von  MO  Kubikmeter  Vo- 
Inmen),    zu    dessen   Füllung    mit 

fertigem  Gas  160  Röhren  erforderlich  .sind.  Ausserdem  hat  dem  Ver- 
nehmen nach  der  russische  Ingenieur  Latscliinow  bedeutende  Ver- 
besserungen sowohl  in  der  Konstruktion  der  Winden  als  auch  in  der 
Gasherstellung  eingeführt. 

12* 


Zuführung  von  Gas  in  kleinen  Ballons. 


IgO  n.    Sie  Hilfinnittel. 

GOrnig  versichert,  dass  die  Erfindungen  Latscliinows  die  volle  An- 
erkennong  der  mssischeu  Militär-  nnd  Gelehrtenkreise  gefunden  haben, 
was  ihren  hohen  Wert  bezeuge.^) 


KoDHrriniDg 
d»  GUH. 
■■DgglxLer 


Mit  Erde  umgebener  Boilon. 

OtguiHtin  1)  Die  MilitÄr-Zeitung  „Minerva"  berichtet   auf  Grund   von   Mitteilungen 

«ehtüfthrt  in  ^^^  Kapltäna  Kowanko,  daes  der  in  der  rusaiscben  Armee  verwandte  Fesselballon 
Bnuiud.  sich  mit  3  Pasaagieren  auf  470  Meter  Höhe  erheben  kann,  wobei  Auf-  und  Abstieg 
vermittelst  Winden,  die  durch  Dampfkraft  bewegt  werden,  in  woniger  als  fünf 
Minuten  erfolgen  kaim.  Bei  einer  solchen  Hohe  kann  man  unter  gewöhnlichen 
Verhältnissen  ein  Terrain  von  8  Kilometer  im  Durchmesser  überblicken,  bei 
günstigen  Verhältnissen  der  Bodonflguration  und  der  Beleuchtung  bis  16  Kilo- 
meter im  Durchmesser,  auf  dem  Meere  aber  vom  Ufer  aus  eine  doppelt  so 
grosse  Fläche. 

Ausser  dem  Lehr-LuftaeJiiffcrpark  existieren  in  Rusalaad  Festungs-Liift^ 


Mittel  zur  Beobachtung.  —  Luftballons  zur  Observation.  131 

Betrachten  wir  nnn  die  Vorteile,  welche  Heerführer  und  Armeen 
von  den  Lnftballons  haben  können. 

Schon  im  Jahre  1861  hat  während  des  nordamerikanischen  Bürger-     ^^^** 
krieges  ein  Luftballon  bei  Richmond  Dienste  geleistet.    Ihre  Rolle  bei  Verwendung 
der   französischen    Armee    in    den    Kriegsjahren  1870/71    ist    bekannt;  Luftbauona. 
besonders  zahlreiche  und  wichtige  Dienste  haben  sie  Paris  geleistet. 

Als  sich  Paris  jeder  Verbindung  mit  der  Aussenwelt  vollständig  jj^'^pjjj?'''?^ 
beraubt  sah,  ein  Durchschleichen  durch  die  Belagerungstiiippen  absolut  J»iire 
undenkbar  war,  die  Telegraphenkabel  im  Seinewasser  von  den  Deutschen 
vernichtet  und  zum  Auffangen  von  unter  dem  Wasser  in  Geßussen  ver- 
sandten Depeschen  und  Briefen  von  den  Deutschen  Netze  ausgespannt 
waren,  da  blieb  der  Stadt  Paris  nur  noch  ein  Mittel  für  den  Verkehr 
mit  der  Aussenwelt  übrig  —  der  Luftballon.  Vom  23.  September  1870  bis 
zum  Tage  der  Kapitulation  sind  aus  Paris  64  Luftballons  mit  91  Passagieren 
und  363  Posttauben  ausgegangen.  Die  ausgegangenen  Depeschen  und 
Briefe  repräsentierten  ein  Gewicht  von  9000  Kilogramm.  Von  den  Tauben 
kehrten  B7  nach  Paris  zurück  mit  etwa  100000  Depeschen  und  Briefen. 
Die  gewöhnlichen  Post-Luftballons  mit  Gondel  wogen  je  10  Zentner;  jeder 
konnte  eine  Last  von  19  Zentner  tragen  und  sich  2300  Meter  hoch 
erheben.  Gambetta  und  General  Kemtry  verliessen  am  7.  Oktober  mittels 
Ballon  Paris;  ihr  Ballon  landete  zuerst  bei  Craües  Angesichts  einer 
preussischen  Wache,  welche  den  Ballon  für  einen  preussischen  hielt  und  auf 
ihn  erst  dann  Feuer  abgab,  als  die  Insassen  in  Erkenntnis  ihres  In-tums 
Ballast  auswarfen  und  sich  wieder  zu  erheben  begannen.  Gambetta  wurde 
durch  eine  Kugel  an  der  Hand  verwundet.  Der  Ballon  ging  später 
in  Montdidier  nieder.  Mittelst  Ballons  wurde  auch  am  22.  Dezember  ein 
Offizier  zu  General  Chanzy  mit  der  Nachricht  gesandt,  dass  Paris  nur 
noch  für  4  Wochen  Mundvorrat  habe.  Von  64  PostbaUons  gelangten  B6 
glücklich  an's  Ziel;  B  wurden  von  den  Deutschen  aufgefangen,  2  gingen 
spurlos  verloren,  wahrscheinlich  im  Meere,  1  wurde  nach  Norwegen  ver- 
schlagen.   Dieser  hatte  1500  Kilometer  in  15  Stunden  zurückgelegt. 

Die  Deutschen  hatten  im  Kriege  1870/71   mit  Luftballons  wenig   neutBche 
Glück.  Im  September  1870  wurden  in  Köln  Luftschiffer-Kommandos  zu  Re-  L^ftbaiionii 
kognoszierungen  bei  der  Belagerung  Strassburgs  gebildet.     Nach  ver-   ^J^yo/n' 
schiedenen  unglücklichen  Versuchen  stieg  endlich  am  24.  September  ein 
Ballon  auf,  der  übrigens  nur  eine  Person  mitführen  konnte,  aber  ein 


schifFerabteüungen  in  Warschau,  Ossowza,  Iwangorod  und  Nowogeorgyewsk. 
Was  die  beweglichen  Luftschifferparks  betrifft,  so  ist  in  Russland  die  Frage  über 
das  nötige  Material  noch  nicht  entschieden.  („Militärische  Verwendung  von 
Fesselballons  im  Allgemeinen  und  Thätigkeit  der  Militar-Luftschiffer  in  Russ- 
land", 1893.    Zusammengestellt  nach  den  Artikeln  des  „Russki  Invalid".) 


X32  ^-    ^i^  Hilfsmittel. 


Starker  Wiiid  und  dichte  Nebel  hinderten  die  Ausführung  genauer  Beob- 
achtungen, obwohl  sich  der  Ballon  bis  zu  einer  Höhe  von  116  Meter  erhob. 
Trotzdem  konnte  der  Rekognoszierende  bruchstückweise  die  entferntesten 
Befestigungen  sehen  und  sich  davon  überzeugen,  dass  die  Zitadelle  in  der 
Stadt  bereits  in  Trümmern  lag.  Darauf  versuchte  man  abermals  einen 
Ballon  auszurüsten,  jedoch  umsonst.  An  dem  Tage,  wo  es  gelang,  ihn  mit 
Gas  zu  füllen,  ergab  sich  Strassburg.  Die  Luftballons  wurden  nun  nach 
Paris  gesandt,  aber  auch  dort  glückten  die  Versuche  mit  ihnen  nicht,  so 
dass  die  Kommandos  bald  aufgelöst  wurden.«'^) 
Ballons  im  Während    des   Krieges  Brasiliens    mit   Paraguay   besichtigte    der 

Biiiaiiiiicheii  brasilianische  General  Saksias  täglich  von  einem  Luftballon  aus  das  feind- 
Kneg«.    jj^j^^  Lager. 

Fehlen  von  Aufmcrksamkcit    verdient    der    erstaunliche    Umstand ,    dass    die 

Ballons  ' 

im  Kriege  russische  Armee  im  Kriege  1877/78  von  Luftballons  gar  keinen  Gebrauch 

1877/78.    jjjg^jjj-g    gg  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass,  wenn  die  russischen  Truppen- 
kommandeurs bei  Plewna  Luftballons  zu  ihrer  Verfügung  gehabt  hätten, 
Gang  und  Resultat  der  Angriffe,  besonders  bei  dem  denkwürdigen  Sturm 
vom  30.  August  ganz  anders  gewesen  wären. 
Kriegs-  Jetzt  siud  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  bereits  alle  Armeen  in  ge- 

jeteteeit.  nügcuder  Weise  mit  Luftballons  ausgerüstet,  die  bei  stiller  Witterung  in 
8  bis  10  Minuten  bis  zu  einer  Höhe  von  600  Metern  steigen  können.  In 
der  deutschen  Armee  hat  man  sich  jedoch  mit  dieser  Höhe  nicht  begnügt 
und  bereits  Luftballons  eingeführt,  welche,  wie  die  bei  den  Manövern  1893 
angestellten  Versuche  zeigen,  bis  zu  1800  Meter  steigen  können.  Treten 
starke  Winde  ein,  so  muss  sich  der  Luftballon  herablassen;  beträgt  die 
Schnelligkeit  des  Windes  7  bis  8  Meter  in  der  Sekunde,  so  kann  sich 
der  Ballon  nur  in  einer  Höhe  von  100  Meter  halten. 

Bei  klarer  Witterung  kann  man  in  600  Meter  Höhe  mit  Hilfe 
guter  Fernrohre  vom  Luftballon  aus  eine  Fläche  von  15  Kilometer  Radius 
mit  dem  Auge  umfassen  und  auf  dieser  Fläche  die  Stellung  der  Truppen 
wahrnehmen.  Vor  dem  Beobachter  liegt  das  Schlachtfeld  wie  eine  Karte 
ausgebreitet;  er  bemerkt  alle  Sonderheiten  der  Bodenbeschaffung,  er  sieht 
die  Stellung  und  die  Bewegungen  der  feindlichen  Kolonnen,  er  kann  über 
die  Absichten  des  Gegners  ein  Urteil  gewinnen. 

Versuche  Viclc  Vcrsuche  mit  Luftballons  sind  bei  französischen  Manövern 

mit  Ballons 

bei  den    angestellt  worden.    Die  Berichte  hierüber  finden  wir  in  dem  Werke  von 
''i",fö\^rn'^  „Ueber  Fesselballon-Stationen ".4) 


')  „Die  Verwendbarkeit  des  Luftballons  in  der  Kriegführung".    Lavergne- 
Poguilhen,  „Militärisches  Wochenblatt".    1886. 
*)   Wien,  1892. 


Neue  Methode  zum  raschen  Auftteigen  und  Senken  eines  Fessel- 
ballons im  deutschen  Heere. 


Diese  Methode  besteht  im  Auf-  und  Abwickeln  eines  Taus  von  einer  Trommel. 
Bei  diesem  Verfahren  wird  auf  dem  Tau  ein  Dlouk  angebracht,  durch  den  30  Taue 
gezogen  sind.  An  diesen  Tauen  ziehen  die  Leute  und  lauTen  heim  Aufsteigen  des 
Ballons  vom  Ballon  zum  Anker  und  beim  Senken  des  Ballons  vom  Anker  zum  Ballon, 
wobei  das  Tau  auch  auf  die  Trommel  aufgerollt  wird. 


Mittel  zur  Beobachtung.  —  Luftballons  zur  Observation.  183 


Wir  zitieren  aus  ihm  folgende  Sätze:  „Der  Bewegungsraum  der 
feindlichen  Truppen  wurde  auf  13  Kilometer  Entfernung,  durch  die 
erzeugten  Staubwolken  bemerkt.  Das  eigene  im  Marsch  begiifiene  Korps 
hatte  man  beständig  vor  Augen.  So  wurde  die  schwierige  Aufgabe 
gelöst,  von  einem  Mittelpunkte  aus  die  ganze  Truppenmasse  zu  leiten; 
der  Kommandierende  empfing  jede  Minute  Mitteilungen  von  einem  Stabs- 
offizier, welcher  von  der  Gondel  des  Luftballons  aus  alle  Vorgänge  ver- 
folgte". .  .  .  „Bei  Aulnoy  benachrichtigte  man  den  Korpskommandeur, 
dass  der  gegen  seine  Position  gerichtete  Vorstoss  nur  ein  Scheinangriff 
sei  und  die  Vorbewegung  gegen  eine  andere  Seite  maskiere.  Bei 
Colombey  weilte  der  General  Marquis  Gallifet  2V4  Stunden  in  der 
Gondel  des  Luftballons  und  leitete  von  hier  die  Bewegungen  des  ganzen 
Heeres.  Die  Front  hatte  eine  Längenausdehnung  von  12  Kilometern  und 
eine  Tiefe  von  3  bis  9  Kilometern.  General  Gallifet  beherrschte  diese 
bedeutende  Ausdehnung,  obwohl  der  Ballon  sich  nur  400  Meter  erhob." 

Seitdem  hat  die  LuftschilFfahrt  bedeutende  Fortschritte  gemacht,    vewoche 

bei 

In  der  deutschen  Armee  steigen  die  Ballons,  wie  schon  gesagt,  bis  zu  rassischen 
1800  Meter  Höhe.  Bei  geringerer  Aufstieghöhe  werden  die  Erfolge  natür-  *"^^®™" 
lieh  auch  kleiner  sein.  So  war  bei  den  grossen  Manövern  bei  Saflawa 
im  August  und  September  1893  der  Kommandierende  mit  den  Diensten  der 
Luftballons  nicht  zufrieden.  Ein  Kommando  von  4  Offizieren  und  20  Unter- 
offizieren und  Mannschaften  mit  150  Fahrzeugen,  die  hauptsächlich  zum 
Transport  der  nötigen  chemischen  Materialien  (Eisenfeilspäne,  Schwefel, 
Wasser)  bestimmt  waren,  war  an  Ort  und  Stelle  erschienen.  Schon  die 
Kompliziertheit  dieses  Trains  musste  natürlich  die  Unzufriedenheit  des 
Generals  Dragomirow  erregen.  Er  erhob  sich  selbst  im  Ballon,  gab  aber 
sein  ungünstiges  Gutachten  dahin  ab,  dass  die  aufgestiegenen  Ballons  dem 
Feinde  die  eigene  Position  schon  auf  20  Kilometer  Entfernung  verraten» 
während  man  die  Stellung  des  Gegners  nur  auf  8,  bisweilen  nui'  auf 
5  Werst  überblicken  könne.  Nach  seiner  Meinung  können  die  Luftballons 
eine  einigermaassen  wertvolle  Rolle  nur  im  Festungskriege  spielen. 

Dieser  verhältnismässige  Misserfolg  lässt  sich  aber  vielleicht  durch 
die  schlechte  Beschafi'enheit  des  Ballons  und  die  geringe  Aufstieghöhe 
—  nur  300  Meter  —  erklären. 

Nach  der  Ansicht  Duburauts  würde  das  Vorhandensein  von  Luft-  i-unbaiions 
ballons   auf  den  Schlachtfeldern  von  Waterloo  und   Saint -Privat  ganz       bei 
andere  Schlachtresultate  geliefert  haben.   Bei  Waterloo  würden  die  Fran-  I^^^privat^ 
zosen  rechtzeitig  Blücher's  Herannahen  bemerkt  haben ,  bei  Saint-Piivat  „  »^^«'•^ 

°  '  Besaltate  er- 

wären  die  französischen  Truppenführer  in  Folge  besserer  Kenntnis  von  «engt  habeu. 
den  deutschen  Streitkräften   im  Stande    gewesen,    möglicherweise   der 
Schlacht  schliesslich  eine  andere  Wendung  zu  geben. 


184  U-    I>ie  Hilfsmittel. 


Schulung  Obschon  sich  dem  Auge  des  Beobacliters  vom  Luftballon  aus  eine 

vieler 

offlziere  Sehr  bedeutende  Fläche  erscliliesst,  erscheint  häufig  die  Orientierung  über 
oLlfiting^en.  ^^®  Positioncu  vou  einem  einzigen  Ballon  aus  schon  deshalb  unmöglich, 
weil  die  gewaltigen  Truppenraassen  sich  in  Länge  und  Breite  über 
ungeheure  Flächen  hinziehen.  Jetzt  muss  bei  der  deutschen  Armee  in 
jedem  Regiment  ein  Offizier  fähig  sein,  vom  Fesselballon  aus  Beobachtungen 
anzustellen  und  im  Notfalle  selbst  freie  Aufstiege  zu  unteniehmen.  In 
Berlin  und  München  befinden  sich  Schulen  für  Luftschiflffahrt,  zu  welchen  im 
Sommer  je  2  Offiziere  von  jedem  Regiment  kommandiert  werden.  Es  ist 
folglich  unzweifelhaft,  dass  man  in  Deutschland  zur  Umschau  über  die 
eigenen  und  feindlichen  Positionen  eine  grosse  Anzahl  von  Luftballons 
verwenden  wird,  welche  sich  von  verschiedenen  Punkten  des  Schlachtfeldes 
aus  erheben.^)  Es  versteht  sich,  dass  die  Beobachtung  von  verschiedenen 
Punkten  aus  und  durch  verschiedene  Leute  nicht  völlig  gleiche  Resultate 
ergeben  kann,  wenn  sie  auch  noch  so  sorgfältig  ausgeführt  wird.  Eine 
richtige  Kombination  und  das  Fassen  zweckentsprechender  Entschlüsse 
werden  daher  hauptsächlich  vom  Auffassungsvermögen  und  von  der 
Orientierungsfähigkeit  abhängen, 
voniige  des  ßig  yor  Kurzcm  haben  die  Schwankungen  des  Ballons  bei  starkem 

ia  Zigarren-  Wlude  die  Bcobachtungeu  ausserordentlich  erschwert.  Jetzt  jedoch  sind 
auch  diese  Schwierigkeiten  beseitigt.  Im  Frühling  1894  sind  in  Berlin 
Versuche  mit  einem  Luftballon  von  der  Form  eines  an  beiden  Enden 
zugespitzten  Zylinders  erfolgt,  der  so  konstruiert  ist,  dass  der  Beobachter 
selbst  bei  den  stärksten  Luftbewegungen  in  Ruhe  bleibt. 

c)  Signalisation  vom  Fesselballon  aus. 

Gefewoita  Ausscr  dicscu  taktischen  Diensten  hat  man  noch  im  Auge,   vom 

Be-      Fesselballon   aus   den  Erfolg  des  Feuers   der  Truppen  zu  beobachten 

obachtnng  ^^^^  dicscs  durch  entsprechende  Mitteilungen  zu  leiten.     Derartige  Ver- 

GeBchosse.  suchc  siud  lu  Deutschland,   Frankreich,  Russland,  England  und  Italien 

gemacht. 
Optische  Man  wird  zu  diesem  Zweck  vom  Luftballon  aus  auch  optische  Signale 

Signale 

yom      geben  müssen.   „Engineering"  schrieb  schon  i.  J.  1883:   „Unlängst  sind  in 

Ballon  aoa.  pg^pjg  Versuchc  gcmacht,  die  Luftballons  von  innen  aus  zu  erleuchten.  Der 

Zweck  dieser  Versuche  ist,  einen  glänzenden  Gegenstand  von  grosser  Di- 


*)  Gemesfc  in  seinom  von  uns  zitierten  Werke  sagt:  „Man  denkt  irriger 
Weise,  dass  die  Rollo  der  Luftballons  im  Kriege  sich  nur  auf  den  Aufstieg  eines 
einzigen  Ballons  bei  Beginn  der  Schlacht  zur  Besichtigung  der  Positionen  be- 
scliränken  wird;  bei  der  heutigen  Ausdehnung  der  Kampflinio,  bei  der  Treffwoite 
des  heutigen  Geschützes  lässt  sich  aber  von  einem  Ballon  aus  die  Kampflinie  in 
ihrer  Tiefe  und  Länge  nicht  genügend  überblicken". 


Mittel  zur  Beobachtung.  —  Signalisation  vom  Fesselballon  aus*  lg5 

mension  zu  erhalten,  was  die  Möglichkeit  geben  würde,  Telegraphenzeichen 
auch  während  der  Nacht  zu  übermitteln.  Diese  Ballons,  die  etwa 
2  Meter  im  Durchmesser  und  ein  Volumen  von  fast  100  Kubikfass  hatten, 
waren  aus  sehr  durchsichtigem  Papier  hergestellt  worden.  Den  Ballon  liess 
man  an  einem  Strick  steigen,  in  den  2  Kupferdrähte  eingeflochten  waren. 
Im  Innern  des  Ballons  befand  sich  eine  elektrische  Lampe,  die  ihn  mit 
starkem  Licht  erleuchtete.  Durch  beständige  Unterbrechung  des  Stroms 
konnte  man  auf  diesen  optischen  Telegi^aph  das  System  des  Morse'schen 
Telegi'aphen-Alphabets  anwenden;  ein  längeres  Unterhalten  des  Lichts 
entsprach  einem  Strich,  ein  kürzeres  dem  Punkt." 

„In  England  wurden  1889  Versuche  mit  einem  für  optische  Signale  <^^^^^^ 
bestimmten   Ballon   angestellt.     Der  „Elektrotechnische  Anzeiger"  ver-       aia 
sichert,  dass  es  mit  diesem  Ballon    möglich    war,  Telegraphenzeichen  ^^^*^'*^*"' 
sowohl  bei  Tag  wie  bei  Nacht  auf  sehr  weite  Entfernungen  zu  übermitteln. 
Wichtig  erscheint  der  Umstand,  dass  der  ganze  Ballon  mit  allem  Zubehör 
und   seinem  Telegraphenapparat  nur  20  Kilogramm  wiegt,   daher  ohne 
Mühe  von  einem  Menschen  getragen  werden  kann".^) 

Espitalier^)  sagt,  dass  die  Pariser  Versuche  offenbar  bewiesen  hätten,      ö»^ 
dass  es  bei  Beleuchtung  des  Ballons  von  Innen  aus  unmöglich  sei,  sich  auf  Sichtbarkeit 
mehr  als  18  Kilometer  Entfernung  mit  einander  in  Verbindung  zu  setzen.  ^"  deichen. 
Der  Lichtquell  lasse  sich  jedoch  an  der  Aussenseite  des  Luftballons  in 
freier  Luft  anbringen;  in  diesem  Falle  vermindere  sich  zwar  der  Umfang 
des  leuchtenden  Körpers,  dafür  steige  aber,  was  weit  wichtiger  sei,  die 
Intensität  der  Lichtstärke. 

„The  Journal  of  the  Royal  United-Service  Institution"  hat  im  März- 
heft des  laufenden  Jahres  einen  Bericht  von  Erik  Stuart  Bruce  mit 
redaktionellen  Anmerkungen  gebracht.  Dort  finden  wir,  dass  Luft- 
ballons von  4200  Kubikfuss  Volumen,  mit  Glühlämpchen  versehen,  sich 
als  völlig  zweckentsprechend  erweisen  und  dass  mit  Hilfe  solcher  Ballons 
bei  im  Jahre  1887  zu  Antwerpen  angestellten  Versuchen  der  belgische 
Kriegsminister  mit  dem  6  Kilometer  entfernten  General  Wouvermans 
Nachrichten  austauschen  konnte.  Die  seitdem  erfolgten  Verbesserungen 
gestatten  bei  nicht  allzu  ungünstigen  Verhältnissen  eine  Signalisation  auf 
18  Kilometer  Entfernung. 

Die  umstehenden,  der  „Science  illustrfee"  entlehnten  Zeichnungen  Deutsche 
illustrieren  die  von  deutschen  Truppen  auf  Helgoland  angestellten  Heigound. 
Versuche. 


0  Das  Zitat  ist  aus  einem  Artikel  im  „Wojenny   Ssbornik",:   „Stand   der 
Militärluftfahrt^. 

')  Espitalier:  „Les  ballons". 


n.    Die  HiUbmibtel. 


IS 

i 


Signalisfttionsversuche  r 


1  Luftballons. 


BatohiauaiK  ßg  wäTc  610  aiger  Fehler  zn   glauben,  dass  der  Feind  ruhig  den 

Lii(ni.iion..  Anstrengangen  des  Gegners  zusehen  wird,  sich  mit  seiner,  des  Feindes, 

Stellung    bekannt    zu    machen    und    so    seine  Unternehmungen    lahm 

zu  legen. 


Alle  Armeen  verfugen  bereits  über  Geschütze,  die  zur  Beschiessnng 
von  Luftballons  bestimmt  sind. 


Mittel  zur  Beobachtung.  —  Freie  Luftballons.  Ig7 


Die  soeben  gegebene  Zeichnung  stellt  ein  zu  diesem  Zweck  kon- 
struiertes Geschütz  dar. 

Wir  müssen  hinzufügen,  dass  einen  Luftballon  herabzuschiessen 
durchaus  nicht  so  schwierig  ist,  wie  dies  auf  den  ersten  Blick  scheinen 
dürfte.  Bei  den  in  Russland  bei  Ishora  angestellten  Versuchen  fiel  der 
dem  Militär -Luftschifferpark  gehörige  Luftballon  „Jastreb"  nach  dem 
elften  Schusse  zur  Erde  herab. »)  Nicht  nur  Artilleriegeschosse,  sondern 
auch  Flintenkugeln  können  Luftschiffem  bei  einer  Höhe  von  unter 
3600  Meter  (SVs  Werst)  gefährlich  werden.  Aber  die  Erfahrung  lehrt, 
dass  der  von  einer  Flintenkugel  durchschossene  Ballon  ähnlich  dem  Fall- 
schirm, ohne  Gefahr  für  die  Insassen  langsam  niedersinkt. 

Jedenfalls  werden  sich  die  Fesselballons  nicht  allzulange  Angesichts    ßwciies 
des  Feindes  aufhalten,  da  ausserdem  schon  etwa  IB  Minuten  zur  Vor-    "nnd^^" 
nähme  der  Rekognoszierung  völlig  genügend  sind.    Im  Laufe  dieser  Zeit  ^^™n'" 
werden  die  Ballons  —  man  kann  dies  fast  mit  Gewissheit  annehmen  —      ^- . 

umgänglich. 

volle  Freiheit  der  Bewegung  haben.  Um  uns  hiervon  völlig  zu  überzeugen, 
wollen  wir  die  Vorgänge  betrachten,  wenn  sich  ein  Luftballon  über  dem 
Schlachtfelde  zeigt.  Vor  Allem  ist  anzunehmen,  dass  eine  gewisse  Zeit 
vergeht,  ehe  man  ihn  bemerkt;  sodann  dürfte  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  nicht  sofort  das  geeignete  Geschütz  zum  Beschiessen  des  Ballons 
bei  der  Hand  sein.  Es  wird  Zeit  erforderlich  sein,  um  die  betreffenden 
Befehle  zu  geben,  die  Entfernung  zu  messen,  das  Feuer  zu  regulieren. 
Bis  alle  diese  notwendigen  Vorbereitungen  getroffen  sind,  zieht  die  mit 
der  Dampfmaschine  betriebene  Winde,  auf  welcher  das  den  Ballon  haltende 
Tau  aufgewunden  ist,  denselben  rasch  zur  Erde  nieder  und  sechs  Pferde 
transportieren  ihn  schleunigst  nach  einem  anderen  Punkte  des  Schlacht- 
feldes. Die  ganze  Frage  gipfelt  darin,  ob  die  Luftballons  genügend  ver- 
vollkommnet sind,  um  mit  ihnen  erfolgreich  manövrieren  zu  können. 
Sachkundige  Schriftsteller  beantworten  diese  Frage  bejahend. 


d)  Freie  Luftballons. 

Die  Fesselballons  finden  im  Kriege  nur  in  Ermangelung  von  etwas  Lenkung 
Besserem  Verwendung.  Freie  lenkbare  Luftballons  würden  offenbar  weit  Lnitbaiion». 
grössere  Dienste  leisten.  Alle  Mächte  arbeiten  demnach  unablässig  an 
der  Lösung  dieser  Aufgabe.  Versuche,  freie  Luftballons  lenkbar  zu 
machen,  endigten  indessen  bis  zum  Jahre  1884  ergebnislos.  Erst  am 
9.  August  dieses  Jahres  unternahmen  Kapitän  Renard  und  sein  Mitarbeiter 
Krebs    die  bekannte  Fahrt    mit   dem    umstehend   abgebildeten  Ballon 


•)  Hoernes:  „Fesselballon". 


n.    Die  Hilfsmittp). 


„Fi-ance",  der  einen  vorher  bestimmten  Weg  einhielt  und  den  Luftschiffem 
ermöglichte,  zn  dem  Ausgangspunkt  znrückzukehren. 


Der  BaJImi  „Fraiico"  von  Ri'nard  und  Krobs, 

viniieka  »it  Der  Ballon   „France"  war    seiner  Fomi    nach  den  gewiihnliclieii 

tuRMton  Luftballons  anähnlich.  Seine  Länge  betrug  50,40  Meter  (165  Fass),  sein 
,F«.o>-.  Durchmesser  8,40  Meter  (28  Fuss),  sein  Rauminhalt  1864  Kubikmeter.  Der 
hintere  Teil  des  Luftschiffes  war  spitzer  als  der  vordere,  so  dass  es  im 
Allgemeinen  an  die  Form  rasch  schwimmender  Fische  erinnerte.  Dieser 
Ballon  war  mit  einem  Seidennetz  überzogen;  das  aus  Bambusrohr  gefer- 
tigte und  mit  Seide  überzogene  Boot  hatte  eine  I^nge  von  33  Meter 
(108  Fuss),  so  dass  die  Luft,  ohne  Widerstand  zu  finden,  auf  der  gleich- 
massigen  Oberfläche  dahingleiten  konnte. 
AiiTiKUiBg.  Der  Apparat,  um  den  Ballon  in  Bewegung  zu  setzen,  bestand  aus 

einer  Schraube  mit  2  Flügeln  von  7  Meter  (23  Fuss)  im  Durchmesser;  die 
Schraube  rotierte  vor  dem  Boote  auf  einem  Zylinder  aus  Eisenblech,  der 
durch  eine  Maschinerie  mit  einem  dynamo -elektrischen  Motor  verbunden 
war.  Als  elektrischer  Generator  wurde  eine  Batterie  sehr  starker  von 
Eenard  erfundener  Elemente  angewandt.  An  dem  Hinterteil  des  Luft- 
schiffes war  ein  Steuer  aus  Seide  befestigt,  welches  ermöglichte,  den 
Ballon  in  einer  bestimmten,  beständigen  Richtung  zu  halten  oder  diese 
zu  verändern. 
T.rT.11.  Jm  Jahre  1885  waren  nene  Versuche  mit  dem  vervollkommneten  Luff^ 

.OB  isM,  ballon  angestellt  worden;  man  verminderte  die  Schwere  seiner  oberen  Teüe, 
wodurch  es  möglich  wurde,  noch  einen  dritten  Luftschifier  in  das  Boot 
zn  nehmen  und  die  Schnelligkeit  der  Bewegungen  genau  auszumessen. 
Ohne  diese  Messungen,  welche  sich  nur  auf  experimentiellem  Wege  an- 
stellen lassen,  wäre  es  nicht  möglich,  die  Kraft  des  Widerstandes  gehau 
zu  bestimmen,  welche  die  Luft  der  Bewegung  solcher  länglichrunden  Luft- 
ballons entgegenstellt. 


IGtlel  zur  Boobftchtuns.  —  Freie  Lnftbeilons. 


Marschrünten  der  Fahrten,  die  von  Luftballons  im  Jahre  1885  von  Pfiria  aus 
(Au  St4dalm>iui:    .Dts  LgltochltFrifart-.) 

Seilen  wir  zn,  welche  Bedingungen  erfüllt  werden  müssen,  damit  «•^'■'«''»s"' 
ein  freier  LnftbaUon  sich  lenkbar  erweist  nnd  ein  bestimmtes  Ziel  er-  L.nkb.tkeii 
reicht.    Bei   völlig  ruhigem  Wetter  kann  ein  mit  einer  Schraube  ver-  i,nftb"ioiii. 
sehener  Ballon  offenbar  in  jeder  beliebigen  Richtung  vorwärts  bewegt 
werden;  wenn  aber  Wind  weht,  so  muss  die  Kraft,  welche  den  Ballon 
in  Bewegung  setzt,  stärker  sein,   als   der  Andrang  des  Windes.    Hier 
handelt  es  sich  um  ganz  dieselbe  Erscheinung  wie  auf  dem  Wasser  beim 
Fahren  gegen  die  Strömung;  Rnder  oder  Rad  müssen  dem  Boote  eine 
grössere  Schnelligkeit  mitteilen,  als  diejenige,  welche  die  Strömung  des 
Wassei's  besitzt. 

In  den  Luftschichten  wird  die  Erfüllung  dieser  Aufgabe  dadurch  ki""""  ^" 
ungemein  ersehwert,  dass  die  Strömungen  in  verschiedenen  Hohen  sowohl  w'näs»" 
der  Kraft  wie  der  Richtung  nach  ungleichartig  sind.  Der  Bau  des  Eiffel- 
turmes, welcher  eine  Höhe  von  303  Meter  hat,  ermöglichte,  in  dieser 
Hinsicht  interessante  Versuche  anzustellen  und  die  erhaltenen  Re- 
sultate mit  den  Beobachtungen  der  Pariser  meteorologischen  Station  zu 
vergleichen. 

Man  überzeugte  sich,  dass  an  durchschnittlich  hundert  Tagen  im 
Jahre  die  mittlere  Schnelligkeit  des  Windes  in  der  Höhe  von  303  Meter 
—  7,5  Meter  (24,6  Fuss)  in  der  Sekunde  beträgt.    Das  Minimum  der 


190  n.    Die  Hüfsmittel. 


Geschwindigkeit  hat  der  Wind  um  10  Uhr  Morgens  (etwa  6,4  Meter  = 
17,6  Fuss),  das  Maximum  um  1  Uhr  Nachts:  8,76  Meter  (28,7  Fuss). 
windw-  j)jg  Gelehrten,  welche  sich  mit  Fragen  der  Luftschiflffahrt  beschäf- 

keiten.  tigeu,  siud  ZU  dem  Schluss  gekommen,  dass  in  einer  Höhe  von  600  bis 
ICXX)  Meter,  d.  h.  derjenigen,  bis  zu  welcher  sich  gewöhnlich  Militär- 
luftschiffer erheben,  der  Luftballon  eine  eigene  Schnelligkeit  von  9  bis 
11  Meter  (29— 36  Fuss)  in  der  Sekunde  besitzen  muss;  andernfalls  wäre 
er  2/s  des  Jahres  überhaupt  nicht  im  Stande  Fahrten  zu  unternehmen. 
In  höheren  Schichten  ist  eine  Schnelligkeit  von  14  bis  16  Meter  (46,9  bis 
62,4  Fuss)  nötig. 

Renard's  Luftballon  „La  France"  verfügte  nur  über  eine  Schnellig- 
keit von  6,60  Meter  (21,3  Fuss).  Die  Erfahrung  lehrte  jedoch,  dass  in 
700  Fällen  von  1000  die  Schnelligkeit  des  Windes  eine  geringere  war. 
Hieraus  ergiebt  sich,  dass  von  den  mit  „La  France"  unternommenen 
Fahrt-en  70%  gelingen  konnten,  wie  es  auch  wirklich  der  Fall  war. 
Die  Lösung  der  Frage  von  der  Lenkbarkeit  des  Luftballons  erhielt  somit 
eine  genaue  Gmndlage;  es  erwies  sich  als  durchaus  notwendig,  die 
Kraft,  welche  den  Ballon  treibt,  genügend  gross  zu  gestalten.  Es 
verlautet,  dass  man  gegenwärtig  schon  Luftballons  bauen  kann,  die 
eine  Schnelligkeit  von  10  bis  12  Meter  (33  bis  38  Fuss)  besitzen. 
Renard's  Reuard  hat  der  französischen  Akademie  der  Wissenschaften  mit- 

ueaes  Luft- 
schiff,    geteilt,  dass  das  neue  Schiff  des   Erfinders  3200  Kubikmeter  Wassergas 

fasst  und  einen  Motor  von  36 — 40  Pferdeki'aft  trägt,  was  die  Möglichkeit 

giebt,  dem  Ballon  eine  Schnelligkeit  von  10  Meter  (33  Fuss)  in  der  Sekunde 

mitzuteilen. 

Versuche  In  Russlaud  werden  auch  Versuche  mit  der  Lenkbarbeit  des  Luft- 

iu  KusslAud. 

ballons  angestellt.    So  sind  in  Gura-Kalvaria  Proben  mit  einem  mit  Motor 
versehenen  Ballon  von  länglich  runder  Form  angestellt  worden,  und  wie 
verlautet,  mit  Erfolg.*) 
Neue  Vor-  Das  letzte  Wort  in  der  Lnftschifffahrt   ist   indessen   noch   nicht 

rtchtungen 

fftr  die    gesprochen  und  beständig  erscheinen  neue  Vorschläge,  um  die  noch  vor- 
LeukbMkeit  j^andenen  Schwierigkeiten  zu  beseitigen. 
bäUous.  j^  ^^^  „Revue  des  inventions  nouvelles"  sind  Zeichnungen  neuer 

Vorrichtungen  für  die  Lenkung  von  Ballons  abgebildet.    Wir  geben  sie 
nebenstehend  wieder. 

Die  Flügel  sind  paarweise  verbunden  und  schlagen  in  der  Luft  ab- 
wechselnd; sie  haben  die  Form  von  Flügeln  der  Wasserheuschrecke 
Oibellula)  und  bestehen  aus  leichten  an  einer  festen  Achse  angebrachten 


^)  Loben :  „Jahresberichte",  1894. 


Mittel  zur  BeobEtchtung.  —  Freie  Luftballons. 


191 


Platten  von  einer  mit  Lack  überzogenen  Materie.  Der  Vorteil  dieses 
Motors  bestellt  darin,  dass  er  in  der  Mitte  der  Oberfläche  des  Ballons 
wirkt,  d.  h.  dort,  wo  der  Widerstand  am  stärksten  ist.  Der  Erfinder  be- 
hanptet,  dass  diese  Flügel  eine  dreifach  stärkere  Wirknng  ansähen  als 
die  Schranbe. 

Flg.  1.  Fig.  1. 


Luftballon  mit  Flügeln. 


Fig.  1  ze^  die  einzelnen  Bestandteile  der  Flügel;  Fig.  2  den 
Längsschnitt  and  den  Halbanfzng  des  Ballons,  Fig.  3  den  Querschnitt 
des  Ballons  und  Fig.  4  die  Gesamtfomi  desselben. 

Der  Luftballon  besteht  aus  zwei  Zylindeni,  zwischen  denen  ein  freier 
Raum  gelassen  ist,  die  aber  durch  einen  inneren  Schlauch  mit  einander 
verbunden  sind,  was  die  Gleichheit  des  Drucks  des  Gases  in  ihnen  sichert, 
wenn  sie  .sich  in  horizontaler  Lage  befinden.    Sobald  aber  der  Ballon  sich 


192  n.    Die  Hilfsmittel. 


nach  der  einen  oder  anderen  Seite  neigt,  schliesst  sich  der  Schlauch  so- 
gleich durch  eine  Klappe,  so  dass  das  Gas  nicht  ganz  in  den  oberen  Teil 
des  Apparats  übergehen  kann,  was  das  Gleichgewicht  in  dessen  Thätigkeit 
stören  würde.  Die  Stoffhülle  dieses  Luftballons  ist  dieselbe  wie  bei 
anderen  Ballons. 

Der  Ballon  ist  ein  „gradflüglicher",  d.  h.  mit  Flügeln  nach  Form 
derer  von  Insekten  versehen,  welche  sich  fächerartig  zusammenlegen 
und  auf  dem  Prinzip  der  Nachahmung  des  Vogelfluges  beruhen.  Er 
entspricht  den  von  Renard  über  die  Thätigkeit  der  Flügel  bei  den 
Vögeln  geäusserten  Ansichten,  aber  die  mit  ihm  angestellten  Versuche 
waren  insofern  nicht  erfolgreich,  als  er  sich  nicht  gegen  den  Wind 
bewegen  kann. 

Die  Wissenschaft  hat  jedoch  in  der  letzten  Zeit  so  gewaltige  und 
völlig  unerwartete  Erfolge  erzielt,  dass  die  1885  erhaltenen  Resultate 
schon  als  veraltet  gelten  müssen. 

Hoifinmgen  Eiustweileu  hat  sich  die  Hoffnung,  Ballons  lenken  zu  können,  noch 

spesiaiisien  uicht  realisiert,  aber  die  Spezialisten  sind  überzeugt,  dass  eiji  volley'  Erfolg 
bezüglich  j^  naher  Zukunft  erreicht  wird.  Leo  Deckst)  giebt  die  in  einem  öffentlichen 
'''*^LuS^*"'  Vortrag  gesprochenen  Worte  des  Ingenieurs  wieder,  welcher  zuerst  einen 
■ciiiflFfahrt  Ballon  gebaut,  der  einen  bestimmten  Weg  durchmass  und  zum  Ausgangs- 
punkte zurückkehrte :  „Die  Zeit  ist  nicht  fem,  welche  eine  eigene  Ali;  von 
Schiffen  sehen  wird,  welche  in  der  Luft  dahin  schweben ;  einige,  schwerer 
als  die  Luft,  werden  zum  raschen  Flug  auf  grosse  Entfernungen  dienen; 
andere,  welche  leichter,  aber  ebenfalls  lenkbar  sind,  werden  in  kleineren 
Entfernungen  mit  geringerer  Schnelligkeit  und  nur  bei  stillem  Wetter 
verkehren."     Nach  populär  gehaltenen,   aber  doch  streng  wissenschaft- 
lichen Werken  werden  die  lenkbaren  Ballons  einen  elektiischen  Motor 
haben. 

Eiekfcrischo  So  wird  der  Motor  des  Ballons  „La  France"  durch  die  Batterie 

dIJT  ^^^^d  ^^  Bewegung  gesetzt,  welche  die  leichteste  von  allen  sein  soll  und 
maschinell  uur  ein  Gcwlcht  von  25  Kilogi'amm  zur  Entwickelung  einer  Pferdekraft 
LuftbaiioM.  während  einer  Stunde  hat.  Was  die  Akkumulatoren  betrifft,  so  ist  ihr 
Gewicht  auf  die  Hälfte  des  der  früheren  Akkumulatoren  reduziert, 
welche  als  die  vollkommensten  galten.  Man  spricht  aber  bereits 
von  so  leichten  und  dabei  so  starken  Dampfmaschinen,  dass  dieselben 
ohne  Unterbrechung  oder  Schwächung  bei  dem  Gewicht  von  nur  13  Kilo- 
gramm (d.  h.  dem  halben  Gewicht  fiii'  elektrische  Motoren)  eine  Pferde- 
kraft im  Laufe  einer  Stunde  entwickeln  können. 


>)  „Revue  seien tifique"  1893  No.  20. 


Ufi 


Bd.  I.    Elnrogw  bsi  S«lta  IBB. 


H)tt«l  znr  Beobochtong.  —  Freie  Loftballons.  ]  93 

Wir  geben  im  Nachstehenden  aus  der  „Revae  scientifique"  die  i-«<«>«"1ob 
Zeichnung  eines  Ballons,  der  mit  einem  so  leichten  Dampfmotor  ans-  Dun^fDotor 
gerostet  ist. 


Anscheinend  ist  noch  eine  weitere  Gewichtsverminderung  der 
Motoren  möglich.  Nach  Mitteilnng  des  Ingenieurs  Maxim  ist  es  ihm 
gelungen,  einen  fliegenden  Apparat  mit  einer  Dampfmaschine  von  nur 
4  Kilogramm  Gewicht  anf  eine  Pferdekraft  nnd  eine  Stunde  Arbeit  her- 
zustellen, welche  bis  200  Pferdekräfte  entwickeln  kann.  Wenn  man  die 
Materialien  für  die  Thätigkeit  der  Maschine  (Wasser,  Feuerung,  Schmier- 
öle) hinzurechnet,  so  wird  die  Maschine  10  bis  11  Kilogramm  auf  eine 
Pferdekraft  und  eine  Stunde  Arbeit  wiegen. 

Dieser  Apparat  der  Zukunft  („Aeroplan")  sieht  folgendermassen  aus : 


194  n.    Die  HUfsmittel. 


^^eu^lTor^^  Nach  der  Berechnung  Maxim's  kann  ein  solcher  fliegender  Apparat 

Fing-     im  Laufe  von  10  Stunden  bei  einer  Geschwindigkeit  von  20  Meter  (65  Fuss) 

apparate.  .^  ^^^  Sckunde,  also  72  Kilometer  (67,5  Werst)  in  der  Stunde  mehr  als 
350  Kilogramm  (2IV2  Pud)  Last  tragen,  ungerechnet  Kohle  und  Wasser, 
welche  für  die  Thätigkeit  des  Apparats  erforderlich  sind.  Mit  den  künftigen 
Luftballons,  welche  in  der  Stunde  40  Kilometer  (37V2  Werst)  zurücklegen 
und  ohne  Unterbrechung  10  Stunden  hindurch  fliegen  können,  wird  man 
den  Weg  zwischen  Paris  und  Marseille  (650  Kilometer  =  603  Werst  in  der 
Luftlinie)  in  16  Stunden  durcheilen  können,  indem  man  nur  einmal  Halt 
macht,  um  sich  mit  Kohle  und  Wasser  zu  versorgen.  Auf  dem  „Aeroplan" 
dagegen,  von  welchem  Maxim  spricht,  wird  man  diesen  Flug  in  9  Stunden 
ohne  Aufenthalt  durchführen  können.  „Derartig  sind  —  schreibt  Leo 
Decks  zum  Schluss  —  die  Eesultate,  welche  man  in  absehbarer  Zeit  ohne 
weitere  Ei-findungen,  lediglich  durch  Vervollkommnung  der  schon  jetzt 
bekannten  Methoden  der  Luftschiflfahrt  erwarten  kann." 

Die  „Militär-Zeitung" 6)  versichert,  dass  auch  der  vor  fast  zehn 
Jahren  von  Eenard  und  Krebs  hergestellte  Ballon  jetzt  so  vervollkommnet 
sei,  dass  man  bei  Windstille  mit  ihm  Fahrten  von  320  bis  400  Kilometer 
(300  bis  375  Werst)  bei  einer  Schnelligkeit  von  40  Kilometer  (37,5  Werst) 
in  der  Stunde  ausführen  kann.  Als  Motor  dieses  Luftballons  dient  eine 
vorn  befestigte  Schraube,  die  durch  eine  Maschine  in  Bewegung  gesetzt 
wird,  bei  welcher  die  Dampfkraft  dui'ch  irgend  ein  Gas  ersetzt  ist.  Hinten 
befindet  sich  das  Steuer. 

wottflüge  ^s  Beweis  dafür,  dass  sich  in  dieser  Hinsicht  bei  entsprechender 

der 

Luftschiifer.  Sachkenutuis  gewisse  Eesultate  erreichen  lassen,  dienen  die  Wettflüge  von 
Luftschiffern,  die  in  Frankreich,  Belgien  und  England  häufig  unternommen 
sind.  Es  wurde  gefordert,  dass  gleichzeitig  abgelassene  Luftballons  an 
einem  gewissen  Punkte  zugleich  anlangten,  der  sich  im  Gebiet  der  Wind- 
richtung befand  und  vorher  auf  der  Karte  vermerkt  war.  Die  Thatsache, 
dass  französische  Luftschifl'er  (Godard)  wiederholt  die  ersten  Preise  ge- 
wannen, einen  Weg  von  60  bis  100  Kilometern  (66  bis  93  Werst)  zurück- 
legten und  sich  nur  3  bis  5  Kilometer  (3  bis  4,5  Werst)  von  den  Punkten 
entfernt  niederliessen,  die  das  Ziel  ihres  Fluges  waren,  kann  unmöglich  dem 
reinen  Zufall  zugeschrieben  werden. 

Besichtigung  Beispiele  für  die  Verwendung  von  Luftballons  zur  Besichtigung  feind- 

der 

Feinden-   Uchcr  Stellungen  sind  auch  aus  früheren  Zeiten  vorhanden.  Während  des 
Btoiiangen  uordamerikanischeu  Bürgerkrieges  durchschnitt  ein  Luftschifler  der  Süd- 
^"^^iüL^^"^  Staaten  (La  Mountain)  das  Tau  eines  ßeobachtungsballons  bei  Washington, 
besichtigte  die  Lage  der  Nordtruppen,  erhob  sich  höher  und  kehrte  unter 

6)  No.  28.   April  1893. 


ans. 


Mittel  zur  Beobaclitung.  —  Freie  Luftballons.  I95 

Benutzung  eines  günstigen  Windes  mit  wichtigen  Nachrichten  zu  den 
Seinigen  zurück.  Bei  der  Einnahme  von  Yorktown  gab  ein  anderer  Luft- 
schiflfer  dem  Chef  der  Artillerie  mittelst  Telegraphendrahts  von  der  Gondel 
aus  Nachrichten  über  die  Stellung  der  feindlichen  Geschütze  und  An- 
weisungen für  die  Richtung  der  Geschütze.  "0 

Alles  dieses  beweist,  dass  die  in  der  Luftschifffahrt  erzielten  Erfolge  Einfloas  auf 
sehr  ernste  Aufmerksamkeit  verdienen;  solange  aber  die  Praxis  nicht      und 
zeigt,   dass  die  Luftballons  bei  den  stärksten  Winden  und  selbst  bei   ^*'*'®»*^- 
Stürmen  im  Stande  sein  werden,  sich  frei  zu  bewegen,  wird  ihre  Ver- 
wendung im  Kriege  noch  immer  grossen  Zufälligkeiten  unterworfen  sein. 

Da  es  jedoch  anscheinend  keinem  Zweifel  mehr  unterliegt,  dass  bei 
stillem  Wetter  Luftballons  sich  10  Stunden  halten  und  in  der  Stunde 
40  Kilometer  (37,5  Werst)  zurücklegen  können,  so  können  die  Rekognos- 
zierenden 100  bis  200  Werst  vor  ihren  Truppen  das  Gelände  beobachten. 
Der  Nutzen  von  Luftballons  auf  dem  Schlachtfelde  ist  natürlich  gross, 
noch  grösser  aber  ist  er,  wenn  man  mit  ihrer  Hilfe  rechtzeitig  Nach- 
richten über  die  Stellung  des  Feindes  erhält  und  auf  Grund  dieser 
verfügen  kann,  wie  die  eigenen  Truppen  in  vorteilhaftester  Position  auf- 
zustellen sind.  So  wird  der  Luftballon  nicht  nur  zur  Entscheidung  taktischer, 
sondern,  was  noch  wichtiger,  auch  strategischer  Aufgaben  dienen,  ß) 

Um  die  Bedeutung  der  Luftballons  noch  zu  verstärken,  beabsichtigen  .Aufnahmen 
Techniker,    die   Ballons  nicht   nur    zur    Besichtigung    der    feindlichen    peindes- 
Stellungen,  sondern  auch  zu  photographischen  Aufnahmen  zu  verwenden.  »*«ii«^on 

Die  Praxis  hat  gezeigt,  dass  man  sowohl  von  Fessel-  wie  von  freien  ®*"^"*'- 
Ballons  photographische  Geländeaufnahmen  machen  kann,  was  ohne  Frage 
von  grosser  Bedeutung  ist.  Es  hat  sich  ergeben,  dass  in  1100-Meter- 
Höhe  bei  einer  Windschnelligkeit  von  6  Meter  in  der  Sekunde  Aufnahmen 
von  Baulichkeiten  ausgezeichnet  gelingen  und  Strassen,  Flüsse,  Eisen- 
bahnen sich  als  Streifen  darstellen. 

Zur  Probe  geben  wir  auf  der  folgenden  Seite  eine  solche  photo- 
graphische Aufnahme,  welche  Tissandier  kürzlich  vom  Ballon  aus  ge- 
macht hat. 

Die  über  Paris  in  der  Höhe  von  605  Meter  aufgenommene  und  hier 
heliographisch^)  wiedergegebene  Photographie  ist  von  der  wünschens- 
wertesten Deutlichkeit;  sie  ist  bei  einem  Aufstiege  am  19.  Juni  1885 
angefertigt  worden. 


0  Lavergne-Pogailhen :    „Militär- Wochenblatt".    1886. 

*)  Michnewitsch:   „Einfluss  der  neuesten  technischen  Erfindungen". 

*)  „Sciences  appliquöes  k  Tart  militaire". 

13* 


n.    Die  H3&iaittel. 


FhotoKiuplüe,  die  über  Paris  in  der  Hölie  vod  (i05  Meter  abgenommen  ist. 

""m^  Der  photograpMsche  Apparat  war  am  Rand  des  Korbes  befestigt 

lOB      uEd  drehte  sich  anf  einer  vertiltal  gestellten  Axe  {siehe  Zeichnung). 


Apparat  zum  Fhotographieren  Tom  Luftballon  sua. 

Tf-AM  2nr  Einschiebniig  einer  neuen  Platte  und  Aufnahme  waren  nur 

Anruhms.  li/g  Sekunden  erforderlich.    Während  der  Zeit  des  Fluges  über  Paris 

von  Autenil  nach  der  Porte  Saint -Martin  (von  1  Uhr  40  Minuten   bis 


Mittel  zur  ^Qlbaclitimg.  —  tVeie  tiuftballons.  l§t 

2  Uhr  12  Minuten)   sind  5  völlig  deutliche  photographische  Ansichten 
aufgenommen  worden. 

Auf  Seite  198  geben  wir  aus  „Nature"io)  die  Zeichnung  einer  photo-  a«*"*»« 


Yon 


graphischen  Ansicht,  welche  im  Jahre  1886  zu  Paris  von  einem  Militär-  Parfs  von 
Luftballon  aus  aufgenommen  worden  ist,  der  aus  dem  Park  von  Medonc  Höhe. 
bei  einer  Windstärke  von  10  Metern  (32,8  Fuss)  in  der  Sekunde  aufstieg. 
Im  Moment  der  Aufnahme  befand  sich  der  Ballon  in  der  Höhe  von 
600  Metern  über  den  „Champs  Elys6es".  In  der  Mitte  der  Zeichnung  lässt 
sich  der  Triumphbogen  „Etoüe"  und  die  Richtung  der  dahin  führenden 
Strassen  leicht  erkennen.  Der  Verfasser  des  Artikels,  Tissandier,  sagt, 
dass  auf  dem  Original  alle  Gegenstände  völlig  deutlich  und  sogar  die 
einzelnen  Bäume  wahrnehmbar  sind. 

Es  ist  zu  bemerken,  dass  zur  Erzielung  einer  deutlichen  Aufnahme  ß^^insrnngen 

°  ,  .  _  j  und  Wert 

der  Ballon  sich  nicht  höher  als  2—3  Kilometer  über  der  aufzunehmenden  der 
Oertlichkeit  befinden  darf.^i)  Nach  dem  Zeugnis  der  Spezialisten  kann  ^''^'^"•°' 
maii  jedoch  jetzt  auch  auf  weit  grössere  Entfernungen  photographieren. 
Im  vergangenen  Jahre  sind  Vergrösserungen  von  Negativs  einer  An- 
sicht gemacht,  welche  von  der  Höhe  des  Montblanc  aus  mit  Hilfe  von 
6  Teleobjektivs  aufgenommen  wurde.  In  diesen  Aufnahmen  konnte  man 
die  Gesichter  der  im  Chamounix-Thal  wandelnden  Personen  erkennen. 
Es  ist  demnach  bereits  möglich,  photographische  Aufnahmen  von  einer 
solchen  Höhe  oder  Entfernung  aus  zu  machen,  welche  kein  Schuss  erreicht. 
Da  weiter  bei  der  sogenannten  Moment-Photographie  die  Kammer  nur  den 
200.  Teil  einer  Minute,  d.  h.  etwa  1/3  Sekunde  geöffnet  zu  sein  braucht, 
so  hindern  auch  die  Schwankungen  des  Luftballons  nicht  die  Deutlich- 
keit der  Aufnahmen.  Dazu  erlauben  die  jetzigen  Apparate  auf  sogenannten 
Films  (Celluloids)  zwei  Ansichten,  eine  nach  der  andern,  mit  unglaublicher 
Schnelligkeit  aufzunehmen.  Mit  einem  Wort,  die  Photographie  vom  Luft- 
ballon aus  hat  bereits  solche  Fortschritte  gemacht,  dass  die  bei  günstigen 
atmosphärischen  Bedingungen  von  der  Flughöhe  aufgenommenen  Ansichten 
an.  Deutlichkeit  und  Reinheit  denen,  welche  auf  dem  festen  Erdboden 
gewonnen  werden,  nicht  nachstehen. 

Es  giebt  auch  besonders  zum  Zweck  des  Photographierens  erbaute  vewnciie  mit 
Fesselballons  mit  selbstthätigen,  d.  h.  mit  solchen  Apparaten,  die  in  Aktion  schwebenden 
treten,  sobald  der  Ballon  eine  bestimmte  Höhe  erreicht.    Solche  photo-  ma"i^en 
graphische  Ballons  haben  in  England  schon  im  Jahre  1884  sehr  günstige  ^J-^^J«^^^^^ 
Eesultate  ergeben. ^2)     Man  hat  auch  versucht,  Geländeaufnahmen  mit  graphiBcher 

Anftiahmen. 


10)  „La  Nature",  1886  No.  705. 

")  „Les  baUons  k  la  guerre".    Paris  1892. 

")  „Les  ballons  k  la  guerre".    Paris  1892. 


It.    Die  Hilftouttel. 


Photographie,  die  in  der  Höhe  von  500  Uetem  über  Paris  bei  Wind  abgenommen  ist. 

Hilfe  photographischer  Apparate  zu  gewinnen,  die  unter  kleinen  Ballons 
angehängt   sind,   wobei   man    den  Apparat    von   unten   mit   Hilfe   der 
Elektrizität  dirigierte. 
seibiithitiie  In  Chatham   hat   der  Ingenieur  Major  Elsledom    im   Jahre  1884 

gnphbeh»  bemerkenswerte  Resultate  erzielt.    Er  Hess  Fesselballons  ohne  Passagiere 
in'ßi^imd.  «teigcn,  die  mit  selbsthätigen  photographischen  Kammern  versehen  waren. 
Sobald  der  Ballon  eine  bestimmte  Höhe  erreichte,  trat  der  Apparat  in 
Aktion  und  auf  dem  Negativ  wurde  ein  Bild  erzeugt;  mithin  sind  die 
Versuche  als  geglückt  zu  erachten. 
Ainiiiinie  Die  vom  freien  Ballon  aus  im  .Jahre  1886  anf  den  Manövern  des 

oeitnden.  &■  frauzösischcn  Armeekorps  von  Major  Fribour,  dem  Chef  der  photo- 
graphischen Abteilung  bei  dem  geographischen  Depot  der  französischen 
Armee,  angestellten  photographischen  Versuche  ergaben  Aufnahmen  von 
ungewöhnlicher  Genauigkeit,  von  denen  bei  einer  l'/afachen  Vergrössemng 
vorzügliche  Abdrücke  erzielt  wurden. 

Mit  Hilfe  einiger  Apparate  auf  einem  Ballon  lässt  sich  demnach 
eine  ganze  ßeihe  topographischer  Abbildungen  herstellen  zur  Aufstellung 
eines  genauen  Planes  des  Geländes. 


Uöglichkeit,  Geschosse  von  den  LnftbsHons  zu  schleudern.  199 

3.  Möglichkeit,  Geschosse  von  den  Luftballons 
zu  schleudern. 

Es  ist  wohl  natürlich,  dass  das  Vorhandensein  von  Luftballons    b™u^- 
schon  lange  auf  den  Gedanken  geführt  hat,  gegen  den  Feind  von  der  LonbriiÖD« 
Höhe   ans  zu  wirken.     Schon  im  Jahre  1848  warfen  die  Oesterreicher      ""■ 
gegen  Venedig  von  Luftballons  ans  Bomben  mit  Uhr-Mechanismen.    Es 
ist  jedoch  klar,  dass  erst  die  Vervollkommnung  der  Luftballons  und  die 
Erfindung  von  Sprengstoffen,  welche  stärker  sind  als  Pulver,  derartigen 
Unternehmungen  einen  gewissen  Erfolg  sichern  können. 

Die  Verwendung  der  Luftballons  für  solche  Zwecke  hat  jedoch  einst-  BaaLngoBgen 
weilen,  da  die  Lenkung  derselben  noch  nicht  sicher  ist,  keine  praktischen  ".n. 
Eesultate  geliefert.  In  jedem  Fall  müssen  die  Insassen  eines  solchen  *"^"'•■ 
angreifenden  Ballons  mit  den 
Gesetzen  der  Meteorologie 
und  der  Luftschiiffahrt  gut 
Bescheid  wissen.  Sonst 
könnte  es  sich  ereignen,  dass 
die  vom  Luftballon  ans  ge- 
worfenen Geschosse  nur  den 
eigenen  Truppen  Schaden  zu- 
fügen. Der  moralische  Ein- 
druck eines  sich  über  den  Be- 
lagernden erhebenden  Ballons 
muss  dagegen  um  so  gewalti- 
ger sein ,  als  diese  nicht  wissen 
können,  wo  der  Ballon  sein 
Sprenggeschoss  auswerfen 
wird.  Vom  Lnftschiffer  hängt 
es  ab,  unter  Anpassung  an 

Elchtnng     ^nd    Kraft     des  (.„^ÄiSf^ÄIU,. 

Windes  die  Fluglinie  so  zn 

berechnen,  dass  sie  über  die  wichtigsten  Bauten  der  Festung  geht,  von 
ihm  hängt  es  ab,  das  Geschoss  dorthin  zu  weifen,  wo  es  nötig  ist. 

So  lange  aber  noch  nicht  endgiltige  Methoden  zur  genaueren  Lenkung 
des  Fluges  ausgearbeitet  sind,  kann  man  sich  auch  noch  nicht  auf  den 
Luftballon  als  auf  ein  Angriffsmittel  und  eine  Waffe  verlassen. 

In  Amerika  werden  Versuche  gemacht,  zum  Werfen  von  Dynamitbomben  ^«""fh«  mit 
lenkbare  Luftballons  des  Systems  General  Rüssel  Thayer  zu  verwenden,  werftn  .0= 
In  den  „Sciences  appliqnfies  ä  l'art  militaire"  finden  wir  die  Beschreibung 


200  n.    Die  Hilfsmittel. 


folgender  in  Amerika  ersonnenen  Vorrichtung:  ein  kleiner  Ballon,  der  eine 
Last  von  50  bis  250  Kilogramm  hebt,  hat  unter  sich  an  einem  Haken  ein 
Pulvergeschoss,  an  welches  an  einem  Strick  ein  Torpedo  angehängt  ist. 
Sobald  der  Ballon  über  dem  ins  Auge  gefassten  Punkte  steht,  wird  das 
Pulver  im  Geschoss  vermittelst  eines  elektrischen  Stromes  entzündet, 
verbrennt  den  Strick  und  der  Torpedo  fallt  nieder.  Der  Autor  des  Artikels 
hält  diese  Methode  bei  der  geringen  Treffwahrscheinlichkeit  für  unpraktisch. 
Aber  auch  diese  Methode  kann  vervollkommnet  werden.  Der  französische 
Luftschiffer  Lhoste  warf,  wie  man  erzählt,  vom  Luftballon  aus  Korkkugeln 
auf  die  im  Hafen  von  Bordeau  befindlichen  Schiffe  und  traf  fast  immer 
das  Ziel.  Ein  völlig  erfolgreiches  Werfen  gi-össerer  Lasten  vom  Ballon 
aus  lässt  sich  jedoch  einstweilen  nur  durch  das  Zusammenwirken  von 
zwei  Luftballons  erzielen ;  auf  dem  einen,  der  die  Rolle  des  Motors  spielen 
wird,  werden  sich  Leute  befinden,  während  die  Geschosse  auf  dem  anderen 
plaziert  sein  werden* 
Gegen-  Allen  Auzeicheu  nach  ist  der  Moment  der  Verwendung  der  Luft- 

waitager  ^ 

Stand  aar  ballous  zum  Werfen  von  Explosivstoffen  sehr  nahe.  Die  in  dieser  Hinsicht 

fahrt*und  erreichten  Erfolge  sind  so  gross,  dass  es  anscheinend  nur  noch  eines 

^°2^^i^*' öinzig^n  genialen  Kunstgriffs  bedarf,   um  das  Ziel  zu  eneichen.    Die 

Aufgabe  selbst  ist,  wie  wir  gesehen  haben,  ganz  genau  formuliert,  was 

in  diesem  Falle  natürlich  sehr  wichtig  ist. 

Lufibauon  Kaiser  Wühelm  hat  seiner  Zeit  auf  Gesuch  der  Berliner  Universitäts- 

Kftiser 

Wilhelms.  Professoren  mit  dem  berühmten  Helmholtz  an  der  Spitze,  eine  Geldbeihilfe 
zu  dem  Bau  eines  Ballons  gewährt,  welcher  6000  Kilogramm  (305  Pud) 
Gas  fasst  und  folglich  eine  Last  von  5000  Kilogramm  hebt. 

Wichtigkeit  Wenn  wir  annehmen,  dass  davon  auch  nur  2000  Kilogramm  (122  Pud) 

derLöanng  '  o  \  / 

der      auf  Dynamit  entfallen,  so  ist  klar  ersichtlich,  von  welchem  Einfluss  ein 
fahit-Fnlge.  solcher  Faktor  auf  den  Ausgang  des  Krieges  und  somit  überhaupt  auf 
die  Möglichkeit  der  Kriegsfühning  sein  muss. 

Die  Wissenschaft  hat  jedoch  in  der  letzten  Zeit  ganz  neue  Bahnen 
betreten. 

Im  vorigen  Jahre  wurde  im  Britischen  Verein  der  Oxforder  Uni- 
versität ein  Vortrag  gehalten  über  einen  Luftballon,  den  der  bekannte 
Konstrukteur  der  Schnellfeuergeschütze  und  Mitrailleusen,  Hiram  S.  Maxim, 
ersonnen  hat.  Die  Lords  Kelvin  und  Ragleigh,  in  England  sehr  bekannte 
Gelehrte,  äusserten: 

8.  Maxim's  ^Die  Versuche,  welche  Herr  Maxim  während  der  letzten  vier  Jahre, 

Haschine.  iu  deu  Zwischeuräumeu  seiner  geschäftlichen  Thätigkeit  auf  dem  Gebiete 

seiner  wohlbekannten  selbstthätigen  Schnellfeuergeschütze  angestellt  hat, 

haben  als  Ergebnis  erzielt  die  Konstruktion  einer  Maschine  von  ganz 


Mögliolikeit,  Geschosse  von  den  Luftballons  zu  sohleudera.  201 

riesigen  Dimensionen,  die  mit  einer  Fülle  mannigfaltiger,  höchst  wichtiger, 
wissenschaftlich  hedeatsamer  Instromente  versehen  ist." 


Maxim' s  Klagmasohine. 


Form  der  Maschine  mit  ihrem  Rumpf  aas  leichtem  Stahlgeröst,  bedeckt  , 
mit  Segeltuch,  and  ihrer  ungehenreu  oberen  Luftfläche  von  2000  Quadrat- 
fuss,  die  ergänzt  wird  durch  fünf  engere  Spreiten  von  Segeltuch  auf 
beiden  Seiten. 

Znm  Treiben  der  Zwillingsschrauben  von  17  Fuss  10  Zoll  Durch-  i 
messer  wurde-  eine  Doppel-Compound -Maschine  von  300  Pferdekraft, 
leichtester  Konstruktion,  verwendet,  getrieben  durch  Dampf,  der  erzeugt 
wird  durch  Verbrennung  von  Gasolin  in  einem  keilförmigen,  röhren- 
artigen  Kessel,  welch'  letzterer  mit  beschleunigter  Zirkulation  versehen 
und  fähig  ist,  mehr  Wasser  als  irgend  ein  anderer  bis  jetzt  erbauter 
desselben  Gewichts  zu  verdampfen 

Der  Kessel  wird  von  dem  Dach  der  Kabine  getragen  und  der  Motor 
steht  auf  einem  Gestell  von  einigen  Fuss  Höhe,  um  das  erforderliche 
Niveau  der  Schraubenachse  zu  erreichen,  üeber  dem  Ganzen  breitet  sich 
ein  Aeroplan  aus  von  150  Quadratmetern.  Er  ist  16  Meter  breit,  wozu 
uoch  an  jeder  Seite  em  Flügel  von  12  Metern  kommt,  so  dass  die  Gesamt- 
breite 40  Meter  beträgt.  Zwei  andere  Flügel  sind  an  der  Basis  der 
Gondel  angebracht  und  in  verschiedenen  Höhen  können  noch  drei  weitere 
Paare  dazwischen  befestigt  werden.  Das  Ganze  wird  von  einem  Gestell 
oder  Gerüst  ans  Stahlrohren  und  metallischem  Tauwerk  getragen,  das 
durch  vorzüglich  gearbeitete  Holzrahmen  gesteift  wird.  Die  Flügel  sind 
ganz  fest  angebracht,  können  aber  auf-  und  abklappen,  was  durch  zwei 
Horizontalsegel  vorn  und  hinten  bewirkt  wii-d;  sie  werden  durch  Taue 
and   durch    ein  Ead   auf  dem   Dache    der  Gondel   geleitet.    Was    die 


202  H-    I>ie  Hilfsmittel. 


horizontale  Fortbewegung  betrifft,  so  wird  sie  durch  zwei  Schrauben 
erzielt.    Der  Apparat  wiegt  leer  800  Kilogramm. 
BM«itote  ^s   4as  Gas   bei  den  Versuchen  bis  zu  einer  Druckstärke  von 

der  Vereaene. 

310  Pfund  auf  den  Quadratzoll  gestiegen  war  und  die  Schrauben  eine 
Stosskraft  von  über  2100  Pfund  aufwiesen,  da  schoss  die  Maschine  vor- 
wärts mit  der  reissenden  Geschwindigkeit  von  vierzig  Meilen  in  der 
Stunde,  und  nach  einem  Vorrücken  um  300  Fuss  zeigte  der  Dampfmesser 
einen  Druck  von  320  Pfund  auf  den  Quadratzoll. 

Aber  in  diesem  Augenblick  verhakten  sich  die  Schrauben  in  dem 

Gerüst,   das  die  Bahn    einrahmt,    einer   der  Arme   gerieth   aus   seiner 

Stellung  heraus,  das  Ganze  wurde  aus  der  Flugbahn  herausgeschleudert 

und  wurde  durch  andere  Teile  des  Gerüstes  zum  Stillstand  gebracht. 

Die  Maschine  stürtze  sodann  mit  ihrer  Mannschaft,  aber  glücklicherweise 

auf  unbebauten  Boden,  so  dass  sie  nicht  allzuviel  Schaden  erlitt.    Aber 

damit  hält  Herr  Maxim  sich  noch  keineswegs  für  überwunden;  vielmelir 

nimmt  er  seine  Versuche  aufs  Neue  auf.O 

fiadflvtiiBff  Nach  Ansicht  des  Erfinders,  die  von  den  obengenannten  Autoritäten 

Jil<iune  f£  bestätigt  wird,  ist  die  Leistungsfähigkeit  dieser  Maschine,  als  einer  Kriegs- 

£^g.   Maschine,  von  solcher  Bedeutung,  dass  sie  für  Festungswerke,  Schiffe  und 

Armeen  weit  wichtiger  ist,  als  die  eventuelle  Ueberlegenheit  des  Feindes 

in  Bezug  auf  Waffenausrüstung. 

Der  Verfasser  einer  deutschen  Broschüre  sagt:  „Wer  In  der  Luft  den 
Herrn  spielen  kann,  der  hat  den  Feind  in  seiner  Hand,  beraubt  ihn  durch 
Zerstörung  von  Brücken  und  Wegen  der  Verkehrsmittel,  legt  seine  Magazine 
in  Asche,  versenkt  seine  Flotte,  trägt  Verwirrung  in  die  Reihen  seiner 
Armee  und  vernichtet  diese  in  der  offenen  Schlacht  und  auf  dem  Rückzuge". 
Die  Phantasie  der  Engländer  ruht  in  dieser  Hinsicht  nicht. 

In  einem  den  zukünftigen  Krieg  Englands  behandelnden  Werke 
wird  nebenstehendes  Bild  der  Vernichtung  einer  Invasionsarmee  gegeben. 

Jedenfalls  scheint  eine  Gefahr  sehr  nahe  zu  sein,  gegen  welche  die 
Welt  nicht  gleichgiltig  bleiben  kann. 

zvkimftB-  Das  Ende  unseres  Jahrhunderts  zeichnet  sich  durch  Versuche  mit 

"*  der  lenkbaren  Schifffahrt  sowohl  in  der  Atmosphäre  als  auch  in  den 
Tiefen  des  Ozeans  aus.  Der  Einfluss,  welchen  zu  Lande  der  Flug  lenk- 
barer Luftballons  auf  den  Gang  eines  Krieges  ausüben  kann,  ist  ebenso 
schwer  vorherzusehen  als  die  Folgen  der  Wirksamkeit  unterseeischer 
Fahrzeuge  auf  den  Meeren.  Welchen  Zwecken  wird  der  Luftballon  in 
einem  zukünftigen  Kriege  dienen? 


0  Piguier:    „L'ann^e  scientifique  et  industrielle",  1895. 


Vernichtung  einer  Armee  vom  LuHballon  aus. 


Die  Beleuchtung  Eur  Kriegszeit.  203 

Wird  er  als  photographischer  Kundschafter  oder  als  militärische  i*''»»»*»«»« 

kAnnen 

Luftpost   verwandt  werden?    Wiid  er  in  seiner  Gondel  Vemichtungs- KrjagfahMiig 
Werkzeuge  und  Sprengstofie  führen?    Bietet  sich  vielleicht  der  Welt  das  '"lllllSen.^ 
Schauspiel  eines  Krieges  in  der  Luft,  wo  ein  Ballon  den  anderen  angreift, 
ja  vielleicht  ganze  Schwadronen  von  Luftballons  mit  einander  kämpfen 
and  auf  die  Erde  Luftschifie  und  mit  ihnen  deren  totbringende  Geschosse 
herabschleudem? 

Wenn  wir  in  Wirklichkeit  so  weit  sein  werden,  wird  die  Schifffahrt 
in  den  Wolken  eine  Annäherang  der  alten  an  die  neuen  Weltbegriffe 
anbahnen. 


4.   Die  Beleuchtung  zur  Kriegszeit. 

Der  Charakter  der  gegenwärtigen  Ausrüstung  und  Taktik  ist  ein      ^^^ 
derartiger,  dass,  wie  wir  bald  beweisen  werden,  die  Notwendigkeit  ein-  nAohtueiier 
ti-eten  wird,  Angriffe,  wie  überhaupt  verschiedene  Operationen  auch  zur  ^'***^"*"- 
Nachtzeit  auszuführen.     In  Folge  dessen  liegt  das  Bedürfnis  vor,  die 
Belenchtungsmittel  zu  vervollkommnen  und  sie  den  Zwecken  des  Kiieges 
anzupassen.    So  sind  jetzt  in  allen  Armeen  Petroleumfackeln  eingeführt; 
ihr  Licht  ist  jedoch  sehr  schwach  und  kann  nur  eine  sehr  begrenzte 
Anwendung  finden. 

Seit  lange  werden  neben  anderen  Mitteln  für  Kriegszwecke  Raketen  aiu  und 
mit  Hülsen  aus  Zinkblech  verwandt,  welche  von  der  einen  Seite  ge-  kommnete 
schlössen  und  mit  Brennstoffen  (Salpeter,  Schwefel,  feines  Schiesspulver, 
Schwefelantimon)  angefüllt  sind,  die,  so  lange  sie  brennen,  leuchten. 
Sobald  die  genannten  Stoffe  in  Brand  geraten,  entzündet  sich  das  Zink 
ebenfalls.  Eine  solche  Hülse  leuchtet  während  12—15  Minuten  in  einem 
Umkreise  von  100  Meter. 

In  den  deutschen  Militärkreisen  spricht  man  von  Raketen,  welche 
auf  10—11  Sekunden  eine  Fläche  von  700  Meter  (328  Faden)  Länge  und 
500  Meter  (234  Faden)  Breite,  vom  Punkte  des  Aufstiegs  der  Rakete 
gerechnet,  beleuchten  können.  Mit  Hilfe  dieser  Raketen  wird  es  möglich 
sein,  eine  Gegend  auf  IV4  Werst  Distanz  von  der  eigenen  Stellung  in 
Augenschein  zu  nehmen.  Selbst  eine  einzige  Rakete  ist  zur  Erzielung 
dieser  Wirkung  genügend. 


B»k«ten. 


Kaket«.    („Waffenlehre".) 


a.    Die  Hilfsmittel. 


Wirkung  einer  Rakete.    (Bnjadewslij:  „Eursos  der  Artillerie".) 

Aus  Mörsern  können  10-,  8-  und  ö^/aZöUige  Leuchtkugeln  abgefeuert 
werden,  die  den  Vorzog  haben,  dajss  ihre  Wii-kung  durch  den  Feind  nicht 
gestört  werden  kann. 

DieFiillnng,  aus  Sal- 
peter, Schwefel  niid  Peeh 
bestehend,  leuchtet  bei  den 
10-zölligen  Kugeln  3  Minu- 
ten, bei  den  8-zöUigen 
1  Minute  40  Sekunden  und 
bei  den  kleinsten  1  Minute 
lang. 

Die  nebenstehenden 
Zeichnungen  derartiger 
Lenchtkngeln  sind  so  klar, 
dass  sie  keiner  weiteren 
Erklärung  bedürfen. 

Ausserdem  werden 
vor  den  Stellungen  der 
Truppen  Patronen  mit 
bengalischem  Feuer  aus- 
gestreut, welche  sich,  so- 
bald man  auf  sie  tiitt, 
entzünden,  ein  starkes 
Licht  verbreiten  und  anf 
diese  Weise  die  Bewegung 
des  Feindes  zu  erkennen 
geben.  Allein  in .  Anbe- 
tracht der  Vervollkomm- 
nungen in  den  derzeitigen 


Beleuchtung  mittelst  Hand-Seheinwerfers. 


Dos  Licht  im  Haad Scheinwerfer  wird  erzeugt,  indem  man  ein  im  Mittel- 
punkte des  versilberten  parabolischen  Keflektors  angebrachtes  Platin ostückc he n 
durch  eine  Stichflamme  bis  zur  Weiasglut  erhitzt.  Der  Apparat  wiegt  zusammen 
mit  seinem  Behälter  nicht  mehr  als  SVa  Kilogramm  und  kann  bequem  auf  der 
Schulter  getragen  werden.  Im  Behälter  ist  Platz  für  den  Handgri  ff,  den 
Reflektor  und  eine  Gummibirae  zum  Anblasen.  Der  Griff  wird  mit  einem 
mineralischen  Brennöl,  welches  bis  nahe  an  das  Piatina  dringt,  angefüllt  und 
trägit  die  Gummibirne;  ein  Druck  auf  dieselbe  ruft  einen  Luftstrom  hervor, 
welcher  eine  Stichflamme  auf  das  Piatina  lenkt  und  dieses  zum  Glühen  bringt. 

Dieser  Scheinwerfer  giebt  ein  blendendes  Licht,  welches  auf  eine  Ent^ 
fernung  von  löO  Meter  zu  lesen  erlaubt  und  noch  auf  200  Meter  einen  Platz 
von  etwa  50  Quadratmeter  hell  erleuchtet.  Das  Licht  leuchtet,  so  lange  man 
auf  die  Birne  drückt  und  so  lange  noch  Gel  im  Griff  ist;  ist  dieser  ganz  geriillt, 
30  reicht  das  Oel  für  eine  Stunde  ununterbrochenen  Brennens  aus. 


Die  Beleuchtung  kut  Kriegazeit.  2^ 

Angrifis-  und  Verteidigungsmitteln,  sowie  anch  in  Anbeb-acht  der  Erforder- 
nisse der  derzeitigen  Taktik  sind  alle  diese  mehr  oder  weniger  geist- 
reichen, aber  nur  anf  kurze  Zeit  wirksameu  Mittel  unzulänglich;  die 
Aufgabe  gipfelt  in  der  Hauptsache  darin,  ein  starkes,  ständig  brennendes 
Licht  zu  besitzen. 

Die  Neuzeit  besitzt  nun  in  dei-  Elektrizität  eine  Quelle  des  Lichtes,  ^J,"'^f 
welche  sich  den  Anforderungen  des  Krieges  vollständig  anzupassen  vermag;  «irttrischen 
die  Schwierigkeit  ist  aber  die,  dass  der  Transport  des  Dampfmotors,  nebst 
der  entsprechenden  Ladung  Kohlen  und  der  dynamo-elektrischen  Maschine 
mit  Umständen  verknüpft  ist  und  eine  grosse  Zugkraft  erfordert.,  während 
doch  die  Lichtquelle  möglichst  beweglich  und  durch  schnellen  Transport 
auf  jeden  Punkt  iiberfiihrbar  sein  muss,  wo  sie  sieh  nötig  erweisen  sollte. 


B«l«sehtiiBg, 


Lokomobile  mit  Dynamomaschine  für  elektrische  Beleuchtung. 

In  dieser  Beziehung  ist  aber  schon  sehr  viel  geschehen.  Gegenwärtig  i"*!«»»' 
baut  man  Lokomobilen,  welche  nur  2000  Kilogramm  (122  Pud)  wiegen    n^L 
und  40  bis  45  Kilogramm  (2  bis  ^U  Pnd)  Kohlen  in  der  Stunde  ver-  "'"'''' 
brauchen.  Das  Licht,  welches  vermittelst  Dynamomaschinen  erzeugt  wird, 
die  durch  diese  Lokomobilen  getrieben  werden,  besitzt  eine  Stärke  von 
4000  Carcelles-Lampen  oder  von  35000  Kerzen.') 

Die  „Revue  du  Cercle  Militaire"  teilt  die  Resultate  mit,  die  bei 
Manövern  erzielt  wurden.  Der  Scheinwerfer  ermöglichte,  auf  5000  Meter 
Entfernung  Hänser  zn  sehen,  auf  3000  Meter  die  Bewegung  der  Truppen 
genau  zu  verfolgen. 

')  „Militärische  Blütter". 


206  U.    Die  EilfamitteL 

ss^toi.erf.f  Beistehende  Dlnstration  stellt  einea  aoldien  falirbaren  Scheinwerfer, 

Hugin}.    nach  dem  System  Mangin,  dar. 


Scheinwerfer  (System  Mangin)  auf  einem  Wagen  montiert. 

Ausserdem  werden  anch  lenkbai-e  Scheinwerfer  zoin  Beleuchten  und 
Signalisieren    gebaut.    Wir  bringen    auf  Seite  207   Zeichnungen   eines 
Scheinwerfers  nur  zu  Beleuchtungszwecken  nnd  eines  solchen,  der  auch 
zum  Signalisieren  eingerichtet  ist.«) 
wirkui  i«r  Es   zeigte   sich  bei    den   erwähnten   Manövern,   dass  mit  Hilfe 

sdwb."  dieser  Apparate  auf  Entfernungen  von  800  Metern  die  kleinsten  Be- 
"•''"■  wegungen  der  Truppe  erkannt  werden  konnten.  Indem  man  die  Stellung 
des  Trägers  verändert,  lässt  sich  die  Weite  des  Strahlenbundels  nnd 
somit  der  Umfang  des  beleuchteten  Platzes  regeln.  Mit  Hilfe  des  frei 
beweglichen  Apparats  kann  der  Beobachter  das  Strahlenbündel  nach 
Belieben  lenken,  mit  dem  Scheinwerfer  in  Bezug  auf  Höhe  und  Rich- 
tung nach  Wnnsch  in  verschiedenen  Schnelligkeitsgraden  operieren  nnd 
andererseits  im  gegebenen  Moment  plötzlich  alles  in  Finsternis  versinken 
lassen. 


>)  Wetter:   „Traiti  de  T^Hgraphie  optique". 


Die  Beleuchtung  eut  Krjegsieit.  207 

Hierbei  kann  nicht  genag  die  Wirkung  des  Scheinwerfers  auf  die 
Truppe  beachtet  werden,  wie  das  konstatiert  werden  konnte:  Plänkler, 
die  plötzlich  vom  Lichtstrom  überflutet  wurden,  suchten  sich  nach  allen 
Richtungen  hin  zu  decken  und  den  Arbeitern  wurde  es  unmöglich,  etwas 
Nutzliches  zu  thon. 


Scheinwerfer  (System  Mangin},  mlttelat  Leitungsdrähten  in  Betrieb  zu  setzen. 

Zum  besseren  Verständnis  geben  wir  auf  der  folgenden  Seite  ein 
vom  Scheinwerfer  beleuchtetes  Feld. 

In  den  Festungen  wurde  znr  Beleuchtung  nächtlicher  Arbeiten,  zur 
Beobachtung  der  Bewegungen  belagernder  Truppen,  sowie  endlich  zur 
Erleichterung  des  Schiessens  in  der  Dunkelheit  bis  jetzt  am  meisten  die 
dynamo-elektrische  Mascliine  von  Siemens  gebraucht,  welche  man  zu- 
sammen mit  dem  Motor  unter  einem  festen  Gewölbe  aufstellte;  die  Laterne 
aber  plazierte  man  auf  den  Festungswällen  oder  an  ii^end  einem  anderen 
erhöhten  Punkte. 

Es  ist  interessant,  dass  das  elektrische  Licht  die  Ausführung  nacht-  ''J'J'^' 
lieber  Arbeiten  um  Befestigungen  herum  nicht  nur  deshalb  möglich  macht,       bei 
weil  es  die  Dunkelheit  vertreibt,  sondern  auch  deshalb,  weil  die  bei  dem- ^^"^^Vg, 
selben  Arbeitenden  noch  durch  eine  dichtere  Schicht  Finsternis  gedeckt 
sind,  welche  sie  den  Augen  des  Feindes  verbirgt.    Die  Garbe  elektrischen 
Lichts  dient  gleichsam  als  Schirm  und  dem  Feinde  entzieht  sich,   was 
hinter  diesem  Schirm  geschieht. 


tL    Die  Hilfsmittel. 


Die  Btileuchtiin^  Eur  Krie^zeit.  309 

In  der  letzten  Zeit  werden  aber  noch  leichtere  Dynamo-Motoren  ^^^^^^j^, 
and  transportable  Scheinwerfer  gebaat,  welche  für  den  Felddienst  be-      »«- 
stimmt  sind.    Solche  Scheinwerfer  sollen  besitzen  :b)  uuub. 

Frankreich 872         Italien 366 

England 920  Russland ^0 

Oesterreich 127         Deutschland 220 

Der    sehr   bemerkenswerte  Aufsatz    des    Kommandanten   Ricardo  ««w<|imb 
Äranaz,    veröffentlicht  im    „Memorial  de  Artilleria"  (September    1891),  «LktriKk*» 
enthält  einen  Bericht  aber  die  mit  einem  Apparat  von  6000  Carcels     ^*'^*' 
(100  Ampferes)  gemachten  Versnche,  wobei  man  in  einer  Entfernung  von 


Das  SohieBsen  bei  elektriscbem  Licht 

400  Metern  sehr  deutlich  die  Bedienung  eines  Geschützes,  einen  Soldaten 
zu  Pferde,  einen  Fasssoldaten  etc.  sehen  konnte. 

Bei  BOOO  Metern  Entfernung  erblickte  man  mit  dem  Femrohr  alle  ^'Vj^.  ^' 
Einzelheiten  eines  Hauses; 

bei  eOOOMeteiTi  —  das  Palais  royal  —  Cuartel  de  la  Mantera; 

bei  6500  Metern  —  das  Cnartel  Madelo; 

endlich  bei  9000  Metern  —  den  Turm  der  Ecole  d'Aiguiöre,  obwohl 
der  Lichtstrahl  die  ganze  Atmosphäre  von  Madrid  zu  durchdringen  hatte. 

')  „Uevue  du  Corde  militaire",  t894,  No.  47. 

Block,  »«rtnkdiirLige  Krieg  14 


210  H-  I>ie  Hüfsmittel. 


FeBseibaiioiw  jj^jj  versuchte  Fesselballons  >    die  eine   hängende  Lampe  tragen, 

leuohtQiigs-  ZU  benutzen.    Der  Elektrizitäts-Erzeuger  befand  sich  auf  der  Erde;  der 
nrec  en.  ;  g^j^^^   gelangte  zur  Lampe  durch  eines  der  drei  Kabel ,  welche  den 
Ballon  festhielten. 

Bei  einer  Leuchtkraft  von  6000  Kerzen  konnte  man  eine  Fläche 
von  BOO  Metern  genügend  für  praktische  Verwendung  beleuchten.  Die 
durchschnittliche  Beleuchtung  des  Bodens  ist  in  diesem  Falle  Veo  Kerzen- 
Meter,  d.  h.  ungefähr  soviel,  als  mit  einer  Kerze  auf  8  Meter  Distanz 
erreicht  wird. 

Die   kombinierte  Verwendung    mehrerer  Ballons  würde   demnach 
gestatten,   ein  bedeutendes  Feld  zu  beleuchten,   wo    man  dann   ebenso 
gut  wie  bei  hellem  Tage  manövrieren  könnte.  4) 
Beuatznogr  ^.ber  die   Elektrizität   hat   auch   ihre  Nachteile;    das   elektrische 

des 

eiektrinchen  Licht  darf  uicht  beständig  leuchten,  weil  dies  dem  Feinde  ermöglichen 
^^  '  würde,  die  Unebenheiten  des  Geländes  an  den  unbeleuchteten  Punkten, 
wo  die  Dunkelheit  noch  undurchdringlicher  wird,  auszunutzen.  Schliesslich 
würde  ein  beständiges  Licht  dem  Feinde  einen  Anhaltspunkt  dafür  bieten, 
in  welcher  Richtung  er  zu  schiessen  hat,  und  ihm  dadurch  seine  Aufgabe 
erleichtem.  Die  Feuer  sind  nicht  früher  anzuzünden,  als  bis  sich  der 
Feind  in  Schussweite  befindet.  Dann  wird  man  alle  Vorteile  auf  seiner 
Seite  haben;  indem  man  den  Feind  mit  dem  grellen  Licht  blendet,  wird 
man  selbst  das  Ziel  sehen  und  die  volle  Möglichkeit  haben,  auf  eine  Ent- 
fernung von  1500  Metern  den  Erfolg  seines  Feuers  zu  beobachten. 
Vor-  Bei  den  im  Jahre  1891  in  Spanien  angestellten  nächtlichen  Schiess- 

ere  ^^ngen  y^^g^jj^^jj  jjj(;  elektiischer  Beleuchtung  schössen  3  Batterien  und  2  Kom- 

°*Attoktn*"  pagnien  nach  beleuchteten  Schilden,  welche  Kolonnen  vorstellten,  aus 
»»*      einer  Entfernung  von  3000  Metern  (3  Werst)  und  nach  einzelnen  Figuren 
Licht,     noch  von  1500  Metern  (1^/2  Werst).    Nach  dem  urteile  der  Offiziere  war 
die  Schnelligkeit  und  der  Erfolg  des  Artilleriefeuers  am  Tage  wie  in  der 
Nacht  gleich,  die  Infanterie  aber  schoss  Nachts   nur  auf  kleine  Ent- 
fernungen vollkommen  befriedigend.  5) 

Von   nicht   weniger   grosser   Bedeutung   werden  die    elektrischen 
Scheinwerfer  für  das  Signalisieren  sein. 
B®-  In  Paris  stellte  man  eine  ganze  Reihe  von  Versuchen  an,  von  Luft- 

lenchinngs- 

vereache    ballons  aus  den  Eiffelturm  zu  beleuchten  und  umgekehrt,  vom  Turme  aus 
Eifflitann.  <iiö  Umgegend  behufs  Aufsuchung  der  Ballons  und  Anknüpfung  von  Ver- 
bindungen mit  ihnen   zu    beleuchten.    Die   erzielten  Resultate  wurden 
nicht  veröffentlicht. 

*)  „Revue  du  Cercle  Militaire",  1894,  25.  November. 
*)  Hoenig:    „Die  Taktik  der  Zukunft". 


Verkehrsmittel  e 


Wir  bringen  hier  eine  Abbildnng,  welche  einen  ungefiihren  Begriff  ^''J*'^ 
von  den  angewandten  Methoden  giebt. 


5.  Verkehrsmittel  zur  Kriegszeit. 

Bei  den  gegenwärtigen  Vernichtungsmitteln  wird  sich  der  zurück- 
weichende Feind  zweifellos  bemühen,  hinter  sich  die  Wege  zu  zei'Stören. 
Die  heute  an  Trnppenzahl  so  starken  Armeen  wird  aber  keine  Gegend 
lange  im  Stande  sein,  mit  ihren  ebenen  Erzeognissen  zu  ernähren. 

Auch  für  den  Kampf  sind  die  Verkehrsmittel  von  grosser  Bedeutung. 
Da  der  Erfolg  im  Kriege  zum  grössten  Teil  von  den  Verkehrsmitteln 
abhängt,  so  moss  man  im  Stande  sein,  natürliche  Hindemisse  Überwinden 
zu  können,  insbesondere  die  häufigen  und  ernsten,  welche  Gewässer  in 
den  Weg  stellen.    Stehende  Brücken  geniigen  nicht. 

Eine  besondere  Aufmerksamkeit  wird  daher  auf  die  Wiederher- 
stellung vernichteter  Kommunikationsmittel  und  auf  die  Enichtnng  neuer 
verwandt  werden  müssen,  um  den  Armeen  Alles  für  sie  auf  dem  Kriegs- 
schauplatze Notwendige  zuführen  zu  können. 


' 


212  n.    Die  HüfsmitteL 


a)  Wasser -UebcrgÄnge. 

YenehiadeBe  Dj^  verschiedenen  Arten  von  Floss-Uebergängen  werden  gewöhnlich 

»rteii.     bezeichnet  durch  den  Namen  der  Träger,  also  Schiffs-,  Bock-,  Floss- 

Brücken,   Hänge-,   Pfahl-,   Schanzkorb -Brücken,  Wagen -Biiicken. 

Werden  mehrere  Systeme  verbunden,   so   heissen  die  Brücken  Misch- 

Brttcken. 
Britekeobu  Seit  £[en  ältesten  Zeiten  haben  die  Armeen  die  verschiedensten 

bei 

den  BAmeriL  Artcu  vou  Brückeu  gebaut.  Man  benutzte  leichte  Kähne  nicht  bloss  zum 
Transport  auf  gewöhnliche  Weise,  sondern  auch  um  mit  ihnen  Brücken 
herzustellen.  Diese  Boote  wurden,  wie  das  andere  Gepäck  auch  von 
Saumtieren  getragen,  und  was  man  sonst  zur  Herstellung  der  Brücke 
brauchte,  wurde  mit  Leichtigkeit  aus  dem  nächsten  der  damals  noch 
zahlreichen  Wälder  beschafft.  Solche  Brücken  wurden  schon  tausend 
Jahre  vor  unserer  Zeitrechnung  gebraucht.  Cäsar  war  der  erste,  der 
ganze  wohleingerichtete  Brückenbauparks  mit  sich  führte  (Kähne,  die 
aus  einem  Gestell  aus  Weidenruten  bestanden,  das  mit  Tierfellen  tiber- 
zogen wurde).  Die  römischen  Armeen  benutzten  femer  auch  ausgehöhlte 
und  ausgebrannte  Baumstämme.  Mit  solchen  Hilfsmitteln  wurden  bis 
zum  IV.  Jahrhundert  gi'osse  Flüsse,  wie  der  Tigris,  der  Euphrat,  und 
andere  noch  überschritten. 

Diese  Vorkehrungen  entsprachen  den  damaligen  Armeen.  Vom 
V.  Jahrhundert  an,  seit  dem  Verfall  des  römischen  Kaiserreichs,  begannen 
die  Brückenbauparks  allmählich  zu  verschwinden,  wie  später  im  Mittel- 
alter ja  eigentlich  auch  organisierte  Armeen.  Die  Parks  für  den 
Brückenbau  beginnen  erst  wieder  im  dreissigjähiigen  Kriege  auf- 
zutauchen. 
BrtckenbM  j)[q  Veränderung   des  Proviantwesens   und   der   Kampfesart   ge- 

Mittauitor.  stattete  nicht  die  Verwendung  leichten  Materials;  man  bediente  sich 
schwerer  Barken  von  mehr  als  2000  Kilogramm  Gewicht,  die  auf  Wagen 
von  3360  Kilogramm  Gewicht  mit  einer  Bespannung  von  12  bis  14  Pferden 
weitergeschafft  wurden.  Aber  die  Beweglichkeit  dieser  Hilfsmittel  war 
nicht  von  Bedeutung  und  sie  blieben  bis  zur  Hälfte  des  XVII.  Jahr- 
hunderts im  Gebrauch,  da  ja  auch  die  militärischen  Operationen  selbst 
sich  nur  sehr  langsam  vollzogen.  Auch  die  Artilleriegefahrte  zeichneten 
sich  durch  dieselbe  Ungefügigkeit  und  schweres  Gewicht  aus.  Als  man 
aber  einmal  erkannt  hatte,  dass  Schnellmärsche  und  hohe  Manövrier- 
fähigkeit der  Truppen  ein  vortreffliches  Mittel  waren,  den  Feind  zu 
schlagen,  suchte  man  die  Artillerie  beweglicher  zu  machen,  nicht  aber 
auch  den  Train,  der  häufig  zu  spät  kam,  oder  die  Operationen  ver- 
langsamte. 


Verkehrsmittel  zur  Kriegszeit.  —  Wasser  -  Uebergange.  2l3 


Doch  auch  das  natürlich  wurde  eingesehen  und  zwang  zar  Herrichtung  uebergaou 

sa  leichten 

leichter  Briickenparks.  Die  Holländer  machten  damit  1672  den  Anfang;  Braeken. 
dann  folgten  die  Franzosen  mit  der  Benutzung  von  Blech  und  Kupfer. 
Ganz  Europa  fuhi-t  dann  Brückenbauequipagen  ein  (Spanien,  Frankreich, 
Portugal  —  Kupfer-Pontons;  Holland,  Preussen,  Sachsen,  England  — 
Blech-Pontons;  Eussland  —  solche  aus  Segeltuch;  Oesterreich  —  au3 
Leder,  Holz,  Blech);  aber  sie  sind  noch  immer  sehr  gewichtig  und  zogen 
gewöhnlich  mit  der  Nachhut. 

Jedoch  diese  leichten  Brückenvorkehrungen  hatten  ihre  schlimmen 
Seiten ;  man  konnte  über  solche  Flüsse,  wie  der  Po,  der  Rhein,  die  Donau, 
mit  starker  Strömung,  keine  Brücken  mehr  schlagen,  da  diese  nicht 
widerstandsfähig  genug  waren.  Auch  war  das  metallene  Material  nicht 
ganz  zweckentsprechend;  es  litt  beim  Transport  und  die  Blech-Pontons 
rosteten. 

Zwanzig  Jahre  vor  der  französischen  Revolution  wurde  in  Frankreich  f^^,^,,^ 
das  Gribeauvarsche  System  angenommen,  das  aus  Eichenholz-Pontons    syttem. 
bestand  und  während  der  ersten  Kriege  zur  Zeit  der  Revolution  und 
Napoleons  angewandt  ward.   Napoleon  überschritt  mit  den  Gribeauval'schen 
Brücken  1806  die  Donau.     Der  Park  war  so  schwer,   dass   man  ihn 
zurückliess  und  in  Wien  verkaufte. 

Sodann  entschloss  man  sich  in  Frankreich  zu  sehr  leichten  Blech- 
Pontons.  Mit  einigen  Veränderungen  acceptierten  auch  andere  Mächte 
dieses  Material.  Ein  Bild  in  der  Beilage  illustriert  den  Stand  der  Frage 
in  dieser  Zeit  am  besten. 

Gegenwärtig  besitzen  alle  in  militärischer  Hinsicht  wohlorganisierten     o^g^n- 
Staaten  Spezialtruppen,  meist  Pontoniere  genannt,  ausgerüstet  mit  Wagen,     stand, 
auf  welchen  die  zur  Herstellung  der  Flussübergänge  erforderlichen  Boote, 
Ober-  und  Unterbaugegenstände,  Explosivstoffe,  Werkzeuge  und  was  sonst 
noch  nötig,  mitgeführt  werden. 

In  Deutschland  befinden  sich  bei  jedem  Armeekorps  34  Wagen  und  Deatechund, 
ausserdem  verfügt  jede  Division  über  14  Wagen.    Die  Boote  sind  aus 
galvanisiertem  Eisenblech  hergestellt. 

Bis  zum  Jahre  1893  hatte  man  in  Oesterreich-Üngam  Brückenparks  oesterreich- 

Ungun. 

der  Avantgarde  und  die  normalen  Parks.  Jene  wurden  dann  durch 
leichte  Parks  ersetzt,  welche  ermöglichen,  längere  Brücken  herzustellen. 
Diese  leichten  Parks  zerfallen  in  zwei  Divisions-Equipagen.  Die  Zahl 
der  Normal-Parks  wurde  vermehrt  und  in  der  Verteilung  der  Bedienungs- 
mannschaften und  des  Materials  auf  die  verschiedenen  Parkeinheiten 
gewisse  Veränderungen  ausgeführt.  Die  österreichisch-ungarische  Armee 
zählt  zur  Zeit  60  Brückenparks.  Im  Prinzip  ist  jedem  der  14  Armeekorps, 
die  zum  Bestände  der  Operations -Armee  gehören,  ein  leichter  Park,  der 


214 


n.    Die  Hilfsmittel. 


Frankreich. 


Italien. 


Rasaland. 


aus  zwei  Divisions-Equipagen  besteht,  zugeteilt.  Die  46  Normalparks 
sind  nach  Bedürfnis  unter  den  Armeen  und  Armeekorps  verteilt.  Die 
Boote  bestehen  aus  Stahlblech. 

In  Frankreich  bestehen  19  Armeekorps-Brückenparks  und  4  Armee- 
Brückenparks.  Die  ersteren  bestehen  aus  zwei  Divisionen,  einem  Reserve- 
und  einem  Regiments-Zug;  die  anderen  aus  vier  Divisionen,  einer  Doppel- 
Reserve  und  einem  Doppel -Regiments -Zug.  Die  Boote  werden  aus 
Fichtenholz  hergestellt. 

Das  italienische  Heer  besitzt  12  Armeekorps  -  Brückenparks  (zu 
46  Wagen  mit  je  4  Pferden).  Die  Boote  sind  aus  Lärchenholz  gebaut. 
Ausserdem  giebt  es  noch  Brückensektionen  bei  den  Sappeur-Kompagnien. 

In  Russland  soll  jedes  Armeekorps  einen  Park  von  61  oder  62  Wagen 
erhalten,  darunter  62  Sturzkarren  (6  Pferde).  Im  Einzelnen  verteilen  sich 
die  Wagen  und  Boote  folgendermaassen :  30  SturzkaiTen  No.  1,  ein  Vorder- 
Halbboot,  kleine  Balken  und  Eichenbohlen;  6  Sturzkarren  No.  2,  ein  Vorder- 
Halbboot  und  Böcke;  12  Sturzkarren  No.  3,  4  Vorder-Halbboote,  8  Mittel- 
Halbboote,  Stützen,  verschiedene  Zubehöre;  4  Sturzkarren  No.  4,  ein 
Mittel-Halbboot  und  Takelwerk;  die  9  oder  10  Hilfswagen  tragen  die 
Werkzeuge,  um  die  Brücken  zu  bauen,  die  Eisenbahnen  zu  zerstören 
oder  auszubessern.  Dazu  kommen  noch  10  oder  11  Wagen  der  Intendantur 
(Patronenkisten,  Lebensmittelwagen,  ein  Wagen  für  die  Kasse  und  die 
Archive,  ein  Ambulanz-  und  ein  Apothekenwagen).  Jedes  Spezialtruppen- 
Bataillon  kann  eine  Schiffsbilicke  von  216  bis  311  Meter  und  eine  Brücke 
auf  Böcken  von  47  Metern  bauen.  In  Kriegszeiten  behält  das  BataDlon 
zwei  Kompagnien,  aber  der  Park  kann  in  4  Abteilungen  geteilt  werden, 
von  denen  jede  über  die  notwendigen  Mittel  verfügt,  um  eine  Brücke  von 
circa  60  Metern  herzustellen. 

Jedes  Bataillon  auf  dem  Kriegsfusse  hat  123  Wagen,  davon  102  vom 
Brückenbau-Park.  Die  Boote  werden  aus  1,6  Millimeter  dickem  Eisen- 
blech hergestellt,  i) 

Es  würde  zu  weit  führen,  wollten  wir  uns  auf  eingehende  Be- 
schreibung der  auf  den  einzelnen  Kriegsschauplätzen  ausgeführten  Fluss- 
übergänge einlassen. 

uebe»icht  Die  auf  der  folgenden  Seite  gegebene  Zusammenstellung  wird  uns 

überifAnge  ciueu  genügenden  üeberblick  über  solche  Operationen  in  diesem  Jahr- 
xix.j"hrh.  hundert  bieten.«) 


')  Wetter:  „Passages  des  cours  d'eau",  1894. 

')  Wetter:  ^Passages  des  cours  d'eau  et  Ponts  militaires",  1894. 


Verkehrsmitt«!  z<ir  EriegsEeit.  - 


Synoptisch-namerische  üebersicht  über  die  Haupt-TJebergäEge 
der  Armeen  Über  Gewässer  von  1789—1881. 


Benutzte   Systeme. 

Die  Taktik 

Anf 

SchiffB- 

oder          g 

__ 

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1 

der  Operationen. 

Mit    jlg's     \t 

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Epochen 

Ponton-    1  3 
brücken    .  j^ 

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111  = 

16 

1 

1789-1815 . 

20 

16 

6 

8 

13    |20 

8 

1 

6 

26 

10 

24 

4 

20 

19 

9 

1815-1881») 

5 

51 

4 

2 

320  ,,25 

3 

_ 

5 

11 

— 

12 

4« 

10 

44 

10 

1870-1871 . 

4 

671» 

11 

1 

22 

1 

~ 

6 

3 

1 

3« 

~ 

~ 

14 

1 

>)  D«r  dsotiiili-f»iiiOiiicli9  Er]*;  sieht  nilgencknsb. 

b>  DuoBtv  so  wUnDd  der  Bolugeniii«  tdb  Firla.  (Die  Ziffern  Mlgen  ai*  Zihl  dar  Brteken,  nlclit 
der  Opentionen  u,  die  mitunter  I,  s  nnd  «  Brücken  eiftrdeiMB.) 

c)  D«niBt«r  1  ur  W«ge». 

d)  BetoBden  dar  yam  9s.  SepMmbgr  IBTO,  fibor  die  Mune.  »r  >  BtOskn  der  Puleei  Armao. 

e)  Drei  Hai  bei  den  V«derierteii  Im  emBrlteBltcbui  Kriege,  «ta  Mal  bei  den  Kiuaea  in  EriKkrles. 

In  allen  Armeen  finden  weitgehende  Versuche  und  Uebnngen  statt     ^or- 
hinsichtlich    des   raschen   Uebersehreitens    von   Flüssen   mit    einem    zu       «r 
diesem  Zwecke  in  Anwendung  kommenden  schwimmenden  Material  ver-  ,^tLt'' 
schiedenster  Art. 

Zum  Uebersetzen  über  einen  Flass  führen  die  Armeen,  wie  wir 
schon  gezeigt  haben,  Schaluppen,  Pontons,  Böcke,  Gerüste  und  Vor- 
richtungen zum  Bau  von  Flössen  mit  sich. 

Wir  wollen  zum  besseren  Verständnis  nur  ein  Paar  Typen  an-     ''^^ 
fuhren.  —  Die  folgende  Abbüdnng*)  zeigt  eine  französische,  schon  im  Beheigpre». 
Jahre  1853  eingeführte  Schaluppe,  welche  keiner  näheren  Erläuterungen 


Französische  Sehalappe  (Mod.  1853). 
')  „EncyclopMie  cles  connaisaances  militaires". 


216 


It.    Die  HilfsOutt^l. 


"TT""* '  Ausseiilem  werden  in  der  franzüsisclien  Ai-mee  noch  zusammen- 

seiuinppaB.  legbope  Schaloppeii  (chaloupe  pliante),  System  Tellier,  gebraucht,  deren 
Längs-  und  Querschnitt  in  nachstehenden  Abbildungen  gezeigt  wird. 


ZoaanuuenlegbBre  Schalupp«  (System  Tellier). 


Die  gebräuchlichsten  Formen  von  Böcken  und  die  Art  ihrer  Äuf- 
stellnng  auf  Booten  zeigt  uns  folgende  Zeichnung. 


BöukH  uiid  deren  Aufstellung  auf  BoottTi, 


sokBKiKgkoit  Bei  den  angeführten,  in  jeder  Armee  vorhandenen  Mitteln  werden 

*".  BAA^mit  staunenswerter  Schnelligkeit  Brücken  hergestellt. 


r 


Verkehrsmittel  zur  Kriegazeit.  —  Woaaer-UubergänKe.  217 


Wir  geben  in  der  Beilage  die  Abbildung  der  Herstellung  einer  Pfahl-  "^°^^"" 
Jochbrücke  über  die  Oberspree  darch  preussjsche  Garde-Pioniere,  ausser- 
dem im  Folgenden  den  Bau  einer  Pontonbrücke  über  die  Donau  bei  Krems 
ausgeführt  von  österreichischen  Manövertrappen. 


Herstellung  einer  Pontonbrücke  von  österreichischen  Manövertruppen. 

Die  Brücke  von  688  Meter  (320  Ssashen)  Länge  war  von  Pionieren  "' 
in  einem  Bestand  von  6  OWzieren  und  280  Soldaten  im  Laufe  von 
2  Stunden  aufgeiührt  worden.  Selbstverständlich  können  solche  Friedens- 
leistungen nicht  als  Maassstab  für  Kriegszeiten  dienen.  Jedenfalls  aber 
mass  anerkannt  werden,  dass  Flussubergänge  mit  einer  in  der  Vergangen- 
heit jiiclit  bekannten  Schnelligkeit  bewerkstelligt  werden  können. 


218 


rr.    nifi  Hilfsmittel. 


"b^*""  "i  ■^"^  Booten,  Gerüsten  und  Böcken  werden  auch  kombinierte  Brücken 

B«fcen.    beigestellt,  wie  folgende  Typen,  welche  wir  als  Beispiel  anführen,  zeigen 
mögen. 


Boot«u  und  Böcken, 


Es  wird  aber  versucht,  noch  leichter  transportierbare  Mittel  zu 
Fluss-Uebergängen  herzustellen.  Von  getötetem  Rindvieh  wird  die  Haut 
in  der  Weise  abgezogen,  dass  sie  als  eine  Art  .Schwimmtonne  verwandt 
werden  kann;  Häute,  die  einem  frisch  getöteten  Rind  abgezogen  sind, 
können  sofort  zur  Ueberfahrt  benutzt  werden.  In  der  russischen  Armee 
nennt  man  solche  Häute  „Burd,juk".*) 

Zwei  Abbildangeii,  die  wir  der  Zeitschrift  „La  Nature"  entnehmen, 
veranschanlichen  die  Art  der  Anfertigung  von  Burdjaks  nnd  deren  An- 
wendung in  der  Praxis. 


Art  der  Anfertjgunf;  v 


*)  Burdjuk  bedeutet  eigentlich  einen  Schlauch  aus  Leder,    namentlich  aus 
Ziegenleder,  der  im  Kaukasus  zum  Transport  von  Wein  etc.  benutzt  wird. 


Verkehrsmittel  xne  Kaingszuit,  —  Wap 


Das  Üebersetzen  auf  Burdjuks. 

In  der  „Annee  scientifique"  linden  wir  weiterhin  eine  interessante  ' 
Beschreibnng  eines  Flnssübergangs.    Erfinder  ist  der  mssisclie  Offizier 
Apostolow;  die  Versuche  würden   im  Jahre  1890  von  einem  Kosaken- 
Regiment  ausgeführt. 

Aus  getheei-tem  Segeltuch  und  ans  zusammengelegten  und  in  be- 
sonderer Weise  verbundenen  Lanzen  wird  eine  Art  grosses  Boot  her- 
gestellt, auf  welchem  man  Pferdegeschirr  und  Bagage  transportieren  kann, 
die  Pferde  legen  die  Strecke  über  den  Fluss  schwimmend  zurück.  Auf 
diese  Weise  konnten  sogar  Feldkanonen  mit  sämtlichem  Zubehör  über- 
gesetzt werden. 

Die  Bestandteile  eines  solchen  Bootes  sind  so  leicht,  dass  es  4  Mann 
ohne  besondere  Schwierigkeit  tragen  können. 

In  der  englischen  Armee  bedient  man  sich  ebenfalls  der  Lanzen 
zum  üebersetzen  über  einen  Fluss,  indem  man  aus  ihnen  mit  Hilfe 
wasserdichter  Säcke  Flösse  herstellt,  wie  dies  aus  der  umseitigen  Ab- 
bildung^) ersichtlich  ist. 


')  Diese   Abbildung  iat  dem    Journal   of  TJnited    Service   Institution    of 
India"  Jahrg.  1893  entnommen. 


n.    Die  Hüfcmittel. 


3  Laneen  und  Tasserdicbten  Säcken. 


Es  mu3s  noch  eines  Bootes  zn  Ueberfahrten  Erwähnung  geschehen, 
welches  von  Kapitän  Tschernow  erfanden  ist  und  ebenfalls  wichtige  Dienste 
leisten  kann.    Es  folgen  die  Abbildungen. 


Boot  (System  Tschernow). 


Überzogen  ist;  seine  Ergänznngsteile  bilden  zusammensetzbare  Holz- 
rahmen  und  eine  geringe  Anzahl  leichter  Holzstangen.  Das  Gesamt- 
gewicht eines  solchen  Bootes  beträgt  etwa  70  Kilogramm  (4  Pud)  seine 
Länge  6  Meter  (8  Arschin),  seine  Höhe  V^  Meter  (12  Werschok);  es 
finden  in  ihm  14  Personen  Platz,  transportiert  wird  es  auf  dem 
Munitionswagen.  Das  Boot  kostet  ca.  50  Mark  (23  Knbel)  and  wird  in 
der  Werkstatt  des  137.  russischen  Linien-Infanterie-Regiments  angefertigt. 
Es  kann  in  6  Minuten  zusammengestellt  und  in  S  bis  10  Minnten  aas- 
einandergenommen  und  transportfertig  befestigt  werden.  Auf  solchem 
Boote  durchruderten  14  Mann  die  Wolga  bei  einer  Strombreite  von  250  Faden 
in  5  Minuten  hin  und  in  10  Minuten  hin  und  zurück,  wobei  zwei  Mann 
am  Ruder  und  einer  am  Steuer  thätig  waren.  Die  Menge  des  während 
dieser  Zeit  ins  Boot  eingedrungenen  Wassers  betrug  nur  einen  halben 


Jt«' 


Zelt-Boote. 


^  '\yiJ~AM^ 


iBt^fe^g  ^^^äU 


Bd.I.    BmlBgra  Wi  Seit«  Sl. 


Verkehrsmittel  zur  Kriegszeit.  —  Wasser -Uebergänge. 


221 


Aus  solchen  Booten  stellt  man  aach  Flösse  her,  indem  man  zwei  ^««w  aus 
Segeltnchboote  mit  Hilfe  von  Stangen  verbindet.   Die  Leichtigkeit  dieser    booten. 
Boote  erlaubt,  sie  von  Menschen  transportieren  zu  lassen;  bei  der  Ein- 
fachheit der  Konstruktion  können  die  Boote  in  vielen  Fällen,  wo  es  gilt 
über  einen  Fluss  oder  See  zu  setzen,  eine  wesentliche  Hilfe  leisten. 

Ein  Floss  aus  zwei  Segeltuchbooten  bietet  vor  den  einzelnen  Booten 
den  Vorzug  grösserer  Widerstandsfähigkeit  gegen  das  Wasser.  Auf  einem 
solchen  Flosse  können  12  Mann  vollständig  gefahrlos  übersetzen. 

Sowohl  das  Segeltuchboot  als  auch  das  Floss  erscheinen  in  Folge 
ihrer  grossen  Tragkraft,  Widerstandsfähigkeit  und  leichten  Zusammen- 
setzbarkeit als  wichtige  Hilfsmittel  zur  Ueberfahrt,  zumal  sie  immer 
zur  Verfügung  der  Truppen  stehen.  6) 

In  der  deutschen  Armee  werden  Fluss -Ueberschreitungen  auf  aus      ^^ 

deatachen 

Zelten  hergestellten  Flössen  geübt,  wie  das  Bild  in  der  Beilage  zeigt.  Fauboote  «r 
Weiterhin  werden  auch  Faltboote,  bestehend    in  schwimmbereitem  Zu-     ^*  *"** 
Stande  aus  einem  Gerippe  von  hochkantig  gestellten  Holzlatten,  die  am 
Bug  und  am  Hinterteil  des  Bootes  zusammenlaufen  und  auf  seiner  Aussen- 
und  Innenseite  von  einem  Doppelüberzug  aus  wasserdichter,  gelbbraun 
gefärbter  Leinwand  umspannt  werden,  verwendet. 

Folgendes  Bild  zeigt  uns  ein  derartiges  Faltboot  im  Plane  und 
Durchschnitt.  7) 


Faltboot  (Plan  und  Durchschnitt). 

Von  Metall  gefertigt  sind  nur  die  Beschläge,  Charniere,  die  beiden  verweuduug 
am  Bug  und  Hinterteil  angebrachten  Eückeneinlagen,  sowie  zwei  die  Faltboote. 
Borde  anseinanderhaltende  Spreizen.    6  Mann  vermögen  ohne  jede  An- 
strengung bequem  mit  je  einer  Hand  das  Boot  von  der  Stelle  zu  tragen. 
Die  Boote  lassen  sich  mitsamt  dem  Leinwandüberzuge  zusammen-  und 
auseinanderfalten,  zu-  und  aufklappen,  wie  etwa  ein  Bügelportemonnaie. 

Man  kann  das  Faltboot,  je  nach  Bedarf,  als  einiges  Ganzes  oder 
als  zwei  kleinere  Nachen  herrichten;  letzteres,  indem  man  die  beiden 
Endteile  zusammenfügt,  das  vorn  und  hinten  abschliessbare  Mittelteil 
aber  allein  für  sich  verwendet.  Die  auseinandergenommenen  Teile  je 
zweier  Boote  werden  auf  einem  zweispännigen  Latten  wagen  verladen; 

«)  Woenny  Sbomik:    „Ueber  Schiflffahrt  and  Flussüberschreitungen''. 
')  Wetter:  „Passages  des  cours  d'eau",  1894. 


222 


II,    Die  HiliBmittel, 


das  Abladen  nnd  Fertigmachen  der  Boote  nimmt  einen  Zeitraum  von 
kanm  3  Minnten  in  Änsprnch. 

Das  nachstellende  Bild  stellt  einen  Flussiibergang  mittelst  solcher 
<■  Faltboote  dar,  oder  vielmehr  zunächst  die  Manipulation  der  Zusammen- 
faltnng  der  Boote. 


Flussübergung  mittelst  Faltbooten  (Zusfimmenfalten  der  Boote), 

Ausserdem  werden  in  den  Armeen  Kautsclmkflösse  verwandt,  welche 
aus  Säcken  von  dickem  Baumwollenstoff  zusammengesetzt  sind,  welcher 
innen  und  aussen  mit  vulkanisiertem  Kautschuk  bedeckt  ist.  Scliou  zur 
Zeit  des  noidamerikanischeu 
Krieges  kamen  solche  Flösse 
zur  Anwendung,  Sie  bestellen 
ans  einzelnen  Abteilangen, 
welche  ans  den  erwähnten 
Sä(^ken  gebildet  werden,  von 
denen  jeder  eine  Röhre  zum 
Aufblasen  mit  Luft  und  einen 
Krahn  zum  Verschliessen 
dieser  Röhre  besitzt.  Der 
Rumpf  wird  aus  Balken  und 
Stangen  gebildet.  Mit  30  solcher  Rümpfe,  in  denen  sich  je  drei  auf- 
geblasene   Säcke    nebst  zwei  VeibindungsbÖcken   befinden,    kann   man 


.  S.ig  . 

Ein  FloBs  auf  Kautscliuksäolien, 


Verkehrsmittel  zur  Kriegszeit.  —  Wasser -Uebergänge. 


223 


eine  schwimmende  Brücke  von  182.  Meter  (85  Ssashen)  Länge  her- 
stellen. Das  Unpraktische  einer  solchen  Brücke  besteht  aber  darin,  dass 
sie  nicht  im  feindlichen  Feuer  aufgeführt  werden  kann,  da  schon  einige 
Kugeln  hinreichen,  um  die  Säcke  zu  durchbohren  und  dadurch  zum 
Sinken  zu  bringen. 

Schwimmende  Brücken  werden  auch  aus  Petroleumfassern  errichtet ;  ß^ckeu  an» 

Fässern. 

Über  die  Fässer  kommt  ein  Steg,  wie  dies  aus  folgender  Abbildung  er- 
sichtlich ist. 


Milii  !|!|li'  lllii:  IUI!'  !ii!ii!l!!l!l  r  I  lii 


Brücke  auf  Petroleumfassern. 

Eine  solche  Brücke  ist  nur  auf  einem  Flusse  mit  langsamer  Strömung 
verwendbar,  und  nur  auf  einem  schmalen  Flusse  kann  man  es  wagen, 
sie  auch  angesichts  des  Feindes  herzustellen.  Die  Kugeln  durchbohren 
sogleich  die  Fässer,  in  welche  dann  Wasser  eindringt,  so  dass  die 
Brückenteile  untersinken.  Aber  manchmal  ist  es  für  Angriffszwecke 
genügend,  wenn  eine  Kompagnie  Schützen  übersetzt.  In  diesem  Falle 
kann  man  eine  solche  Brücke  auch  unter  dem  Feuer  einer  allerdings 
schwachen  Infanterieabteilung  herstellen. 

Die  französische  Kavallerie  stellte  Versuche  mit  dem  Bau  ähnlicher  BracJ^e^^  »«^ 

Säckeu 

schwimmender  Brücken  nicht  auf  leeren  Fässern,  sondern  auf  mit  Stroh 
und  leichtem  Keisig  gefüllten  Säcken  aus  wasserdichter  Leinwand  an. 
Die  Erfolge  der  Kavallerie  hängen  hauptsächlich  von  ihrer  Bewegliclikeit 
und  der  UebeiTaschung  ihres  Angriffs  ab.  Deshalb  ist  es  unter  Anderem 
wichtig,  ein  Mittel  ausfindig  zu  machen,  welches  ihr  erlaubt,  ohne 
besondere  vorbereitende  Arbeiten  und  Vorkehrungen  die  ihre  Bewegung 
hindernden  Flüsse  zu  passieren.  Diesem  Zwecke  entsprechen  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  die  schwimmenden  Brücken  auf  Säcken  aus  wasserdichter 
Leinwand.  Das  11.  französische  reitende  Jägerregiment  machte  zur  Zeit 
der  Herbstmanöver  den  Versuch  mit  einer  solchen  Brücke,  und  dieser 
Versuch,  welcher  auf  der  Saöne,  bei  Chemilly,  angestellt  wurde  bei 
einer  Strom-Breite  von  75  Metern  (3B  Ssashen),  erwies  sich  als  vollkommen 


fQr 
Kavallerie. 


224  U-    I>ie  UUfBinittel. 

gelungen.  Die  Soldaten  nahmen  dfis  Pferdegeschirr  aaf  die  Schulter  und 
überschritten  die  Brücke,  indem  sie  dabei  die  schwimmenden  Pferde  am 
Zügel  führten,  wodurch  sie  gegen  einen  möglichen  Verlust  der  Tiere 
gesichert  waren.  Das  Joch  solcher  Brücke  besteht  aus  zwei  Stützbalken, 
welche  von  einander  einen  Al)stand  von  1  Met«r  (3,5  russ.  Fuss)  haben. 
Ueber  diese  flihren  Holzleitem,  welche  wieder  von  den  vorerwähnten 
Säcken  getragen  werden  und  von  10  zu  10  Metern  (4,7  Ssashen)  durch 
Querbalken  verbunden  sind.  Die  ganze  Brücke  wird  am  Ufer,  zusammen- 
gesetzt, dann,  nachdem  sie  aaf  das  Wasser  gelassen  ist,  aufgerichtet 
und  befestigt;  zuletzt  wird  der  Bretterbelag  aufgelegt. 


Brücke  auf  Säcken  ana  wasserdichteui  Leinen. 

Die  Versuche  haben  gezeigt,  dass,  wenn  das  gesamte  Material  zum 
Bau  einer  solchen  Brücke  am  Flussufer  zusammengebracht  ist,  eine  halbe 
Schwadron  hinreicht,  um  in  einer  Viertelstunde  24  Meter  (11  Ssashen)  dieser 
Brücke  hei-zustellen.  Das  Jonmal  „Revue  de  Cavalerie"  erinnert  bei  der 
Beschreibung  dieser  Brücke  daran,  dass  aus  ähnlichen  wasserdichten 
Säcken  Flösse  und  Prahme  beigestellt  werden,  welche  sich  auch  fiir 
grössere  Truppenteile  als  Ueberfahrtsmittel  tauglich  erwiesen  hätten. 

b)  Eisenbahn -Brtlckenbaa. 

A^'J^L  ^'®  Eisenbahnen  bilden  gegenwärtig  eines  der  wichtigsten  Kriegs- 

Memwuiing  mittel.   Indem  sie  die  Möglichkeit  bieten,  die  Urlauber  rasch  zo  sammeln 
Eit«i»iiBu.  und  die  Truppen  schnell  an  den  Grenzen  zu  konzentrieren,  haben  sie 
die  Operationen  mit  Menschenmassen,  folglich  die  Schaffung  von  Massen- 
heeren erleichtert. 


Verkehrsmittel  zur  Kriegszeit.  —  Eisenbahn-Brückenbau.  225 


Ohne  Eisenbahnen  wäre  die  Verpflegung  der  heutigen  Millionen- 
heere undenkbar. 

Einen  sehr  wichtigen  Dienst'  leisten  die  Eisenbahnen  auch  darin, 
dass  sich  Dank  ihnen  bei  Truppenbefördenmgen  die  Verluste  der  von 
ihren  Standorten  nach  den  Sammelpunkten  übergeführten  Mannschaften 
bedeutend  vermindern. 

Um  diese  Bedeutung  richtig  zu  würdigen,  braucht  man  sich  nur  vor-  vergleich 
zustellen,  dass  z.  B.  ein  Bataillon  im  Laufe  von  24  Stunden  600  Kilometer  schneuig- 
weit  befördert  werden  kann,  d.  h.  eine  20  mal  grössere  Entfernung  zurück-      ^®*** 
legt  als  beim  Fussmarsch  und  sich  dabei  die  volle  Fähigkeit  bewahrt, 
unverzüglich  in  den  Kampf  zu  treten. 

Die  Folge  verstärkten  Eisenbahnbaues  für  die  Kriegführung  muss     ^^^««° 
also  darin  bestehen,  dass  die  Truppen  gezwungen  sind,  sich  nicht  von  veret&rkten 
den  Eisenbahnlinien  zu  entfernen,    obgleich  sie   dadurch    dem  Feinde  be^utan^' 
es  erleichtem,  ihre  Bewegungen  vorauszusehen.    Auf  die  Benutzung  der 

ff 

Eisenbahnen  angewiesen,  können  die  Truppen  nicht  mehr  so  leicht 
wie  früher  die  Richtung  ihrer  Bewegung  verändern.  Damit  ist  auch 
die  Notwendigkeit  grösser  geworden,  die  eigenen  Bewegungen  zu  decken 
oder  rechtzeitig  diejenigen  des  Feindes  zu  behindern. 

Es  ist  demnach  natürlich,  dass  der  sich  zurückziehende  Teil  grosses  ^^^^^^ 
Interesse  daran  haben  wird ,  die  Eisenbahnen  zu  zerstören ,  der  vor-  etorang  ud 
rückende  Feind  aber  daran,  den  Verkehr  so  rasch  wie  möglich  her-  hentouwg. 
zustellen. 

In  Folge  dessen  hat  die  Unterbrechung  der  Bahnverbindung  durch  ^^^^^ 
Sprengung  von  Brücken  eine  grosse  Bedeutung.    Um  nur  ein  Beispiel      tob 
anzuführen,  erwähnen  wir,  dass  im  Januar  1871  die  Franzosen  die  Eisen-  nb^rtTn. 
bahnbrücke  über  die  Mosel  sprengten  und  die  Verbindung  durch  die 
Bahn  erst  nach  17  Tagen  und  auch  dann  nur  deshalb  wiederhergestellt 
wurde,  weil  zu  diesem  Termin  der  Verkehr  auf  der  nördlichen  Bahnlinie 
eröfinet  wurde.   Wenn  dies  nicht  gewesen  wäre,  würde  sich  die  deutsche 
Armee  in  einer  höchst  unbequemen  Lage  befunden  haben.    Die  Technik 
musste  also  dahin  streben,  Mittel  zur  schnellsten,  wenn  auch  nur  pro- 
visorischen Wiederherstellung  demolierter  Eisenbahnübergänge  ausfindig 
zu  machen. 

Im  Kriege  werden  Seilbrücken  in  Anwendung  kommen.  Das  russische  8«iitrücken. 
Journal  „Ingenieur"  teilt  mit,  dass  ein  talentvoller  Militär -Ingenieur, 
Hauptmann'  Gisclard,  einige  Arten  von  Seübrücken  erdacht  habe,  welche 
sogar  in  Friedenszeiten  wesentliche  Dienste  leisten  können.  Die  Kon- 
struktion solcher  Brücken  ist  so  einfach  und  leicht,  dass  man  im 
kritischen  Moment  mit  den  einfachsten  und  leicht  zu  beschaffenden 
Mitteln  auskommen  kann. 

Bloch,  Der  snkliiiftige  Krieg.  15 


226  n.    Die  Hilfemititel. 

I  Zar  YeraDschaulichnng  geben  wir  nachstehend  eine  Abbildung,  aaf 

der  eine  Hängebrücke  mit  parabolischen  Seilen,  die  nnterhalb  ihres  beweg- 
lichen Teils  angebracht  sind,  dargestellt  ist.  Anstatt  dass  die  Bretter- 
diele an  den  Seilen  befestigt  ist,  wird  sie  auf  ihnen  durch  anfgepresste 
Stutzen  gehalten.  Änsserdem  nnterliegt  das  ganze  System  einer  ebenso 
grossen  horizontalen  Spannung  als  bei  Kettenbrücken, 

Alle  Brückenteile  bestehen   ans  Stahl -Drahtseilen  und  hölzernen 
Stützrahmen. 

Hängeade  Seilbrücke. 


UngidarcliHlialH. 


Aber    natürlich    sind    solche  Vorrichtungen   nur  füi-  Brücken  mit 
kleinen  Lichtweiten  zu  gebrauchen. 


Verkehrsmittel  zur  Kriegszeit.  —  Eisenbahn-Brückenbau. 


227 


Wie  gross  die  Fortschritte  sind,  welche  die  heatige  Ingönieurkanst   »rtcken. 
im  Brackenbaa  grösseren  Stils  erreicht   hat,   geht  aus  den  folgenden     Eiffei. 
4  Abbildungen  heiTor,  welche  die  Aufstellung  fertiger  Brücken  nach  dem 
System  Eiffei  über  einen  Fluss  veranschaulichen. 


I. 


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III. 


tSjoa . ^ 


IV. 


Das  Schlagen  einer  fertigen  Brücke  (System  Eiffei). 


Diese  Zeichnungen  entsprechen  den  4  Stadien  der  Brückenauf  Stellung,    sudien 


de« 


banes. 


Zeichnung  I  stellt  die  fertige  Brücke  dar,  wie  sie  auf  dem  okkupierten  Brücken- 
Ufer  aufgestellt  ist,  Abbildung  11  und  ni  dieselbe  Brücke,  zum  Teil  über 
den  Fluss  gerückt,  wobei  der  Brückenteil,  welcher  sich  noch  auf  dem 
„eigenen"  Ufer  befindet,  derart  belastet  wird,  dass  er  im  Stande  ist,  den 
anderen  Teil  in  schwebender,  unbefestigter  Lage  über  dem  Wasser  zu 
erhalten.  Abbildung  IV  stellt  die  auch  schon  am  gegenüberliegenden 
Ufer  befestigte  Brücke  dar.  Eine  solche  Brücke  hat  übrigens  nur  24  Meter 

15* 


228 


n.    Die  EQlfsmittel. 


Beiregliehe 

Stahlbrfloke 

(System 

Henry). 


(11  Ssashen)  Länge.  Die  angestellten  Versuche  haben  ihre  Dauerhaftigkeit 
erwiesen.^) 

Zum  Uebersetzen  über  breitere  Müsse  baut  man  Brücken  anderer 
Art.  In  „Ann6e  scientifique"  findet  sich  die  Beschreibung  einer  beweg- 
lichen, ausserordentlich  leichten  Stahlbrücke,  einer  Erfindung  von  Oberst 
Henry,  die  auf  der  Weltausstellung  von  1889  die  Aufmerksamkeit  auf 
sich  lenkte.  Eine  solche  Brücke  von  einer  Höhe  von  7  Meter  (3  Ssashen) 
und  einer  Länge  von  92  Metern  (48  Ssashen)  in  2  Bogenteilen  wurde  in 
30  Stunden  montiert;  das  Schlagen  der  Pfahle  selbst  geschah  in  80  Minuten. 

Alle  Brückenteile  waren  aus  dem  besten  Stahl  verfertigt  und  über- 
aus sorgfältig  gearbeitet,  so  dass  das  Netz  der  Dreiecke  sich  durch  Kraft 
'^Tsyetel*'' und  bemerkenswerte  Festigkeit  auszeichnete;  dabei  machten  weder  die 
Aufstellung  noch  das  Hinüberwerfen  sonderliche  Schwierigkeiten.  Eine 
Abteilung  von  Sappeurs  legte  bei  Soutiers  eine  solche  Brücke  über  den 
Fluss  Var  und  es  hat  sich  gezeigt,  dass  sie  ebenso  dauerhaft,  wie  eine 
stehende  Brücke. 


Yennclie 
mit  dem 
Sotalttgeu 


Henry). 


trs^ 


Profil  einer  Brücke  (System  Henry) 
und  Diogramm  ihrer  AufsteUung  auf  Pföhlen. 


Nötige  Zeit  Allein  die  Kettenglieder  der  Brücke,  welche  bei  Soutiers  erbaut  war, 

ZQin 

Aufbauen,  wareu  nur  je  20  Meter  (3,3  Ssashen)  lang.  Nun  fragte  es  sich:  Ist  das 
System  Henry  bei  der  Breite  eines  Flusses  z.  B.  von  50  Metern  (23  Ssashen) 
anwendbar?  Sappeurabteilungen,  welche  den  Auftrag  erhalten  hatten, 
einen  Versuch  zu  machen,  erbauten  ungeachtet  dessen,  dass  sie  einen 


^)  „Sciences  appliqu^es  &  i'art  militaire"  p.  569. 


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Auf  eingebohrten  Pföhlen  gebaute  Brücke. 


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Terkehramittel  zur  Kriegezeit.  —   Eigenbahn-Brückenbau. 


derartigen  Äaftrag  znm  ersten  Male  aositUirten,  die  BrUcke  in  3i  Standen, 
nachdem  zu  ihrem  Aufschlagen  IB  Stunden  verwendet  worden  waren. 
Somit  zeigte  es  sich,  dass  man  Dank  der  Erfindung  des  Oberst  Henry 
den  Truppen  binnen  etwa  48  Stnnden  den  Uebergang  über  einen  Fluss  von 
50  Metern  Breite  sicher  stellen  kann.  Man  setzte  diese  Versuche  auf 
dem  Versailler  Polygon  in  Gegenwart  des  Militärgonvemeurs  von  Paris, 
General  Sanssier,  fort.  Es  wurde  in  30  Standen  eine  Brücke  erbaut, 
welche  7  Meter  (3  Ssaslien)  hoch  und  92  Meter  {43  Ssashen)  lang  war, 
bei  zwei  Kettengliedern  von  47  Meter  {22  Ssashen)  Länge.  Zum  Legen 
dieser  Brflcke  genügte  ein  Zeitraum  von  1  Stunde  und  20  Minuten. 

Wir  verweisen  auf  das  vorstehende  Profil  einer  solchen  Brücke  und 
das  Diagramm  ihrer  Änfstelluag  auf  Pfählen. 

Um  einen  Begriff  von  den  verschiedenen  gebräuchlichen  Arten  der 
Stahlbrücken  zu  geben,  entlehnen  wir  dem  Werke  Henry's  „Fonts  et 
Viaducs  mobilisables",  Paris  1891,  folgende  zwei  Zeichnungen,  die  Auf- 
stellung von  Brücken  aus  transportablen  Stahlteilen  betreffend. 


PmU 
(ajitHeniT). 


Qnerschiutt  der  Teile  eines 

transportablen  Brückenkopfes. 

(TotoUiöIie  12  Meter.) 


Querschnitt  eines  Brückenkopfes 

(gemischter  Typna)  Teretärkt  durch 

transportable  Stohlt^ile. 


230  ^    ^'^  HÜJämittel. 

Tmmjwrt  j^  Amerika  stellt  man   fertige  Brücken  her,  welche   mittelst  der 

Brnokiii    Elsenbabu   nach  ihrem  Bestimmungsorte   gesandt  werden,  so  dass  die 

'"  *'"'"*■  ganze  Arbeit  im  Zusammenstellen  besteht.    Beifolgende  Zeichnting  zeigt, 

wie  eine  solche  fertige  Brücke  transportiert  und  wie  sie  über  den  Flnss 

gelegt  wird. 


Diese  Zeichnung  haben  wir  dem  Jonrnal  „La  Natnre"  entnommen. 

Solche  Brücken  wurden  in  Amerika  zeitweilig  bei  der  Kunstruktion  neuer 

Eisenbahnlinien  gebraucht.    Allein  der  Verfasser  des  Artikels  sagt:  „In 

den   europäischen  Staaten,  wo   ja  Alles  für    die    Zwecke    der    Grenz- 

verteidignng  verwendet  wird,  wii'd  auch  dieses  Brückensystem  mit  Nutzen 

für  Kriegszwecke  angewandt  werden." 

"Jwe  ^'^  „Revue  de  l'arm^e  beige"  bietet  die  nachfolgende  Zeichnung 

irktn    einer  Art  von  transportablen  Biücken  nach  dem  System  Brochotzky, 

uuij'  welche  von  der  rnssisclien  Regierung  in  der  Fabrik  Cockerille  in  Seraing 

bestellt  waren.    Diese  Brücken  zeichnen  sich  dadurch  ans,  dass  alle  Teile. 

welche  in   das  hölzerne  Gestell  münden,   eine  geradlinige  Form  haben 

miiasen,   ohne  die  I^änge  von  5  Metern  oder  ein  Gewicht  von  ]'25  bis 

145  Kilogramm    zu   überschreiten.     Ansserdem  werden   ihre  znsammen- 

legbaren  Teile  ohne  Anwendung  von  Bolzen  befestigt. 


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S|  1 

ii  1 


Bd.  L    Elnfflgus  bei  S«ita  380. 


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Küf- 
1%' 


51 


4 


Verkehrsmittel  zur  Kriegazeit,  —  Zerstörung  von  Eisenbahnen.  231 

Die  Brücke  wird  mittelst  Walzen  oder,  noch  einfacher,  an  Stricken  z*iJJ[»"" 
herabgelassen.  Um  eine  solche  Brücke  nach  dem  System  Brochotzky  a«  schii«»ii 
von  30  Metern  Länge  zu  schlagen,  genügte  ein  Zeitraum  von  3  Stunden.  *  "äj,u<m  '' 
Und  bei  einer  geschickten  Unterlage  von  Rollen  unter  die  über  das  »""'«'"'■r- 
Wasser  zu  schleppenden  Teile  kann  das  Schlagen  der  Brücke  auch  auf 
einen  Zeitraum  von  anderthalb  Stunden  verkürzt  werden. 


c)  Zerstömiig  von  Eisenbahnen. 

Die  Anwendung  von  Eisenbahnen  für  Kri^szwecke  brachte  eine  T^rwonannf 
völlige  Umgestaltung  der  Kriegführung  mit  sich.  Der  Krieg  wird  schneller  EiHJhBlii.eii 
und  mit  grösserer  Energie  gefUhi-t. 

Im  Kriege  von  1806  rückte  die  Avantgarde  der  russischen  Ai-mee  ^J^'l'?'"' 
in  Polen  zu  der  Zeit  ein,  als  die  preussische  Armee  schon  bei  Zoal 
geschlagen  war  (cf.  Höpfner,  Krieg  1806/7).  Der  polnische  Aufstand 
begann  am  29.  November  1830,  während  die  prenssischen  Truppen  sich 
erst  Anfang  Februar  1^1  in  genügender  Anzahl  in  der  Nähe  von 
Brestlitowsk  gesammelt  hatten,  am  die  Grenzen  des  Königreiclis  Polen 
überschreiten  zu  können.  Als  im  Juni  1815  die  Armee  der  Allürten  an 
den  Rhein  gelangte,  erfolgte  schon  in  den  Niederlanden  der  entscheidende 
Schlag.  Dagegen  überschritten  die  prenssischen  Truppen  im  Jahre  1870 
die  französische  Grenze  schon  vor  Ablauf  von  3  Wochen  nach  dem  Beginn 
der  Mobilisation,  und  im  Laufe  von  28  Tagen  nach  Beginn  der  Feind- 
seligkeiten war  die  französische  Armee  schon  in  7  grossen  Schlachten 
geschlagen  und  der  Kaiser  gefangen. 

Der  vornehmste  Vorteil,  welchen  die  Eisenbahnen  darbieten,  ist  die  jj^''^"„. 
bedentende  Beschleunigung  der  Mobilisation  und  der  Beförderung  der    ii»i"i»n. 


232  n.    Die  Hilfemittel. 


Truppen  an  die  Grenze.  Früher  waren  Monate  zur  Konzentration  der 
Armeen  nötig,  ehe  die  kriegerischen  Aktionen  beginnen  konnten,  heut- 
zutage kaum  Wochen. 

Die  Eisenbahnen  stellen  die  Beförderung  der  Reservearmeen  und 
die  Zurttckbeförderung  der  Kranken  und  Verwundeten  sicher;  sie  bilden 
die  Hauptlinien  zur  Verbindung  des  Heeres  mit  dem  Vaterlande;  sie  er- 
möglichen es,  den  einzelnen  Armeen  zu  helfen,  da  grosse  Truppenmassen 
in  kurzer  Zeit  von  einem  Ort  zum  anderen  befördert  werden  können, 
wie  es  öfters  im  Kriege  von  1870  vorkam. 
B«aiivaBff  pj^  Leistungsfähigkeit   der  Eisenbahn   hängt  davon  ab,   ob   die 

Leiitnns:».  Eisenbahnlinie  ein  oder  zwei  Geleise  hat.  In  letzterem  Falle  gewährt 
^EiMoUbn^sie  den  grossen  Vorteil,  dass,  während  auf  dem  einen  Geleise  die  Be- 
DoppeigeieiB.  jfg|,^jgj.^jjjg  ^^j.  Truppeu  an  ihren  Bestimmungsort  vor  sich  gehen  kann, 

davon  völlig  unabhängig  auf  dem  anderen  die  entladenen  Waggons 
zurückkehren  können.  Allein  eine  Linie  mit  zwei  Geleisen  bietet  nur  in 
dem  Falle  einen  wirklichen  Vorteil,  wenn  sie  überall  in  ihrer  ganzen 
Länge  in  dieser  Art  konstruiert  ist.  Ueberhaupt  kann  die  Linie  nur 
dann  Nutzen  bringen,  wenn  sie  völlig  selbstständig  und  in  ihrer  ganzen 
Ausdehnung  von  der  gleichen  Leistungsfähigkeit  ist. 

ftw^kST  Ungeachtet  der  ungeheuren  Bedeutung  der  Eisenbahnen   werden 

eines     wir  uns  nicht  länger  mit  diesem  Gegenstande  beschäftigen,  da  dieses 

von*ioo°bi^  Verkehrsmittel  dem  Publikum  genugsam  bekannt  ist.    Es  genüge,  wenn 

110  Aehsen.  ^jj.  hinzufügen,  dass   ein  Militärzug,  welcher  aus   100  bis  110  Achsen 

besteht,  1  Bataillon  oder  IV2  Schwadronen  oder  1  Batterie  aufzunehmen 

im  Stande  ist. 

Im  Jahre  1866  beförderte  in  Oesterreich  eine  eingeleisige  Bahn  bei 
Unterbrechung  des  bürgerlichen  Verkehrs  binnen  24  Stunden  8  Züge 
(zweigeleisig  12  Züge);  im  Jahre  1870  steigerte  sich  die  Leistung  auf  12, 
beziehungsweise  18  Züge  für  den  Tag,  und  heute  rechnet  man  in  Frankreich, 
wo  die  Militärzüge  statt  mit  Stations-  mit  dem  Zeitintervalle  von  je 
10  Minuten  aufeinander  folgen  sollen,  auf  den  Tag  und  bei  einem  Geleise 
schon  18  bis  20  und  bei  zwei  Geleisen  40  bis  50  Züge.  Die  Leistung 
des  Eisenbahntransports  verdient  nach  diesen  Daten  eine  ganz  bedeutende 
genannt  zu  werden. 

Vor-  Zur  Verteidigung  und  eventuell  zur  raschen  Zerstörung  von  Eisen- 

bereitnngen 

fttr  Yer-    bahueu  haben  sich  alle  Staaten  vorbereitet. 

wendang  nnd 

zerat^rnng  lu  deu  grösscreu  Brücken  und  Kunstbauten  werden  in  besondere 

EiMn™hiien.  S^^igii®*^^  Einschuitteu  Sprengkammern  angebracht,  die  Wasserver- 
sorgungsstationen können  im  Laufe  von  ein  Paar  Minuten  in  die  Luft 
gesprengt  werden. 


Geschütz  auf  einer  gepanzerten  Eisenbahn-Plattform. 

(Proboachiessen  vor  Lord  Bereaford  in  Newhaven  1894.) 


,  Verkehrsmittel  zur  Krieemeit.  —  Zeratöninp  von  Eisenbahnen.  233 

Anf  den  Schieuett  werden  sich  gepanzerte  Zöge  and  Batterien  fort-  "»^»t» 
bewegen,  znm  Angriff  und  zur  Verteidigang  mit  schweren,  sehr  weit 
tragenden  Geschützen  ausgerüstet 

Folgendes  Bild  zeigt  uns  einen  gepanzerten  E^enbahnzng. 


0«paiizerl«r  Eisen  balinzug. 

Weiterhin  geben  wir  in  der  Beilage  das  Bild  des  anf  einer  ge-  E"k"«»« 
panzerten  Eisenbahn-Plattform  aufgestellten  Geschützes,  wie  es  sich  bei  g»cJiiii»«  mf 
dem  vor  Loi-d  Beresford  in  Newhaven  18M  vorgenommenen  Probeschiessen  ,1.«^™,°^ 
darstellt. 

Ausserdem  werden  für  die  Benutzung  der  Eisenbahnen  auch  die      »°^ 
gewöhnlichen  Geschütze  sehr  gefährlich  werden.    Untenstehende  Zeichnung  a.r  vomioht 
zeigt   die    durch   Artillerie    auf   den  Oberbau   einer  Strecke   mit  zwei  'd«r*K»^ 
Geleisen  hervorgebrachte  Wirkung.  Fe^hf/^V 


'Wirkung  der  Artjllerie  auf  den  Oberbaa  der  Eisenbahn. 


234  Q-    I^ie  Hil&mitbel. 

wikTHiiaiB-  ^gf  rasche  Wiederherstellung  von  Eisenhahnen  ist  also  nicht  viel 

dar  B.tri.1«-  zu  rechnen. 

bnobn^n.  ÄDsserdem    können,   in    Anbetracht  des   ranchlosen  Palvers,   der 

Kraft  der  Explosivgeschosse  und  überhaupt  bei  den  heutigen  Methoden 
der  Kriegsfühning,  ungeachtet  aller  Vorsichtsmaassregeln  für  die  ßilcken- 
decknng  der  Eisenbahnen,  sehr  leicht  Betriebsunterbrechungen  hervor- 
gebracht werden. 
RDci«-  Die  Eisenbahnen  stellen  ein  so  sprödes,  leicht  zu  beschädigendes 

Kriegt  Kommunikationsmittel  dar.  Zu  Ende  des  deutsch -französischen  Krieges 
waren  für  die  Eückendecknng  der  deutschen  Armee  145712  Mann  nebst 
5946  Pferden  und  80  Geschützen  bestimmt. 

Bei  den  gegenwärtigen  Zerstörnngsmitteln  würde  eine  unverhältnis- 

mässig  grössere  Kraft  nötig  werden. 

k^r^^ht  ^'^  *"®^  führt  dahin,  dass  die  Armeen  grosses  Interesse  haben 

i™«-     werden ,    die   Anzahl    der  Eisenbahnlinien    zu    vei^össem.     In   allen 

Ahne"    Staaten    werden    Vorbereitongen    zur    raschen   Herstellung    von   leicht 

transportablen  Eisenbahnen  getroffen. 

d)  Baa  von  Feld-Eisenbahnen. 

VeWtahnl"  Folgende  Zeichnung  stellt  das  Legen  eines  schmal  sparigen  Schienen- 

Frukmioh.  stningcs  Während  eines  Manövers  in  Frankreich  dar. 


Leguiig  einer  Fpidbahn. 

Die  deutsche  Armee  hat  eine  grosse  Anzahl  von   Schienen,  Be- 
n  festigungen,  Eisenbahnschwellen  und  beweglichem  Material  für  solche 
■  Zwecke    vorrätig.      Das    dort    angewandte    transportable    Eisenbahn- 
geleise hat  eine  Breit«  von  60  Centimetern  (23,6  Zoll)   und  besteht  aus 
(jliedem  von  einer  Länge  von  2  bis  5  Metern  (6,5  bis  16,3  Fuss).    Die 


Einspurige  Eisenbahn  (System  caiiie«. 


M.  L    Elaragan  bal  Stitt  2E 


Verkehrsmittel  zur  Kriegszeit.  —-  Bau  von  Feld- Eisenbahnen.  235 


Waggous,  doppelte,  haben  eine  Länge  von  3  bis  4  Metern  (9,8  bis 
13  Fuss),  eine  Breite  von  1,3  Metern  (4,3  Fuss)  mit  Wänden  von  einer 
Höhe  von  50  bis  60  Centimetern  (19,7  bis  23,6  ZoU).  Jeder  Waggon  ist 
mit  getheertem  Segeltuch  versehen.  Ein  Waggon  kann  eine  Ladung 
von  32  Säcken  Fleischkonserven  und  32  Säcken  Reis  aufnehmen. 

Das  Geleise  wird  mit  Steigungen  bis  4  Prozent  (1 :  25) ,  bei  kurzen  ^  w^mga 

^       ^  \  y  7  daner  trans- 

Strecken  sogar  10  Prozent  (1 :  10)  gelegt.   Man  nimmt  an,  dass  man  unter   portabler 
günstigen  Bedingungen  10  Kilometer  (9,4  Werst)  innerhalb  16  Stunden  Ersparin,? 
wird  mit  Schienen  belegen  können.    Berechnungen  zu  Folge  macht  die  ^^/J„'^h 
bewegende  Kraft  auf  einem  solchen  Geleise  Vi6  derjenigen  aus,  welche      ««■ 
für  Grundweg,  und  Vs  derjenigen,  welche  für  Chausseewege  erforderlich 
ist.    Die  Arbeit,  für  welche  man  auf  der  Chaussee  30000  Pferde  brauchen 
würde,  werden  auf  dem  Geleise  6000  Pferde  leisten;  folglich  wird  die 
Kraft  von  24  000  Pferden  gespart. 

Man  nimmt  ferner  an,  dass  man  auf  einer  Operationslinie  von  ^^Jj^jj*^' 
300  Kilometern  (281  Werst)  1800  Kilometer  (1687  Werst)  Eisenbahnschienen  po'^we 
brauchen  wird,  wozu  noch  200  Kilometer  (187,5  Werst)  für  Weichen  und 
Ladungsgeleise  hinzukommen,  also  im  Ganzen  20(X)  Kilometer  (1875  Werst) 
Schienen  und  18000  Waggons,  was  einen  Kostenpreis  von  24  Millionen 
Mark  ergiebt;  diese  Summe  ist  kaum  für  die  Konstruktion  eines  Weges 
von  120  Kilometer  (112,5  Werst)  gewöhnlichen  Schlages  hinreichend  und 
würde  sich  wahrscheinlich  als  ungenügend  für  die  Wiederherstellung 
einer  zerstörten  Bahnlinie  zu  Kriegszeiten  erweisen,  welche  übrigens 
meistens  zu  spät  in  Angriff  genommen  wii'd. 

Die   Zeichnungen  des   Schienengeleises  und    des    in   Deutschland  ^«""^•^«  ™** 
angewandten  beweglichen  Materials  (siehe  Seite  236)  sind  so  klar,  dass   portablen 
sie  keine  weiteren  Erklärungen  bedürfen. 

In  Oesterreich  assignierte  man  in  den  Jahren  1887  und  1888  Spezial-      \^^' 
kredite   im   Umfange   von  2100000   Gulden,    behufs   Anschaffung   von  oe«terreicb- 
Material   und    Fahrtrain   für   transportable   Eisenbahnen  für  350  Kilo-      7ü*r"' 

meter.  bewegliche 

EisenDabnen. 

Allein  das  war  nur  ein  Teil  der  Kosten,  welche  man  für  trans- 
portable Eisenbahnen  veranschlagt  hatte;  die  Gesamtsumme  berechnet 
man  auf  36(X)000  Gulden,  w^odurch  die  Anschaffung  von  600  Kilometer 
transportabler  Eisenbahnen  mit  dem  unumgänglich  nötigen  Fahrtrain 
ermöglicht  wird.  (Die  Kosten  für  einen  Meter  wurden  auf  6  Gulden 
berechnet,  von  welchen  3  aufs  Material  und  3  auf  den  Fahrtrain- 
Bestand  kommen.)  Auf  Rechnung  dieser  Summe  wurden  laut  Kosten- 
anschlag für  aussergewöhnliche  Ausgaben  des  Kriegsbudgets  Oesterreich- 
üngarns  für  1890  4(X)000  Gulden  behufs  Anfertigung  transportabler 
Eisenbahnen  assigniert. 


II.    Dip  HilfsmitM-l. 


Sfhipnpn  und  bewegliches  Material  einer  transportablen  Eisenbahn. 

e)   Mascbinen  znni  Transport  von  Lasten. 

Weit  verbreitete  Befiirchtangen  bezüglich  der  Schwierigkeiten,  mit 
welchen  die  Verproviantierung  einer  nach  Millionen  zählenden  Armee  zu 

*  Kriegszeiten  verbunden  sein  wird ,  flihrten  zu  Ermittelnngen  Über  die 
Konstruktion  solcher  Dampfmaschinen,  welche  den  Transport  von  Lasten 
auf  gewöhnlichem,  d.  h.  nicht  auf  Schienenwegen  erleichtern  könnten. 

Endgültige  Resultate  ergaben,  dass  derartige  Reisemaschinen 
/machines  routi^res)  auf  ebenem  Wege  10  vierspännige  Foorgons  (Pack- 
wagen) ziehen  können,  auf  schlechtem  ungefähr  die  Hälfte  und  dass  sie 
nicht  nur  deshalb  beqnem  anwendbar  sind,  weil  sie  eine  grosse  Last 
ziehen,  sondern  auch  deshalb,  weil  sie  Tag  und  Nacbt  ohne  Änfenthalt 
benutzt  werden  können. 

>  Diese  Maschinen  sind  jetzt  so  veiToUkommnet,  dass  sie  sogar  auf 

den  schlechtesten  Wegen  anwendbar  sind,  über  Sand,  Schnee  und  Eis 

[.  gehen,  ja  bei  geschickter  Leitnng  auf  dem  unebensten  Terrain  fonktionieren 
können.  Sie  können  gute  Dienste  leisten  in  Festungen,  bei  Armiemngs- 
oder  Desarmierim!?s-Arbeiten,  bei  Belagerungen,  hei  dem  Transport 
von  schweren  Geschützen  und  Geschossen,  sowie  Vorräten  aller  Art 

Zar  Erleichterung  der  Befrachtung  auf  Eisenbahnstationen  und 
Niederlagen  sind  diese  Maschinen  am  Vorderteil  mit  einem  Krahn  versehen. 


Plattform  zur  Beförderung  breitspuriger  Eisenbatinwagen  auf 
schmalspurigen  Bahnen. 


Beförderung  der  breitspurigen  Wagen  auf  den  Plattformen. 


Längssohnitt. 


Bd  I.    ElDflgei  b«[  8«lta  St 


Maschinen  zur  Lasten-Beförderung  auf  ehaussierten  Wegen. 


.f 


Transportmaschinen  für  Personen  und  Lasten. 


Verkehrsmittel  zur  Kiiegszeit.  —  Maschinen  zum  Transport  von  Lasten.       237 


Ferner  gewähren  sie  auch  noch  den  Vorteil,  dass  sie  als  Lokomobilen  Möglichkeit 

Transpoit- 

för  verschiedene  mechanische  Arbeiten  verwendet  werden  können.    Jetzt  maschinen 
konstruiert  man  einige  dieser  Maschinen  in  der  Art,   dass  sie  bei  Be- Lolomotweu 
seitigung  der  Räderbandagen  sogar  auch  wie  Lokomotiven  auf  Schienen-  ^^^^j,^^^ 
geleisen  rollen  können. 

In  Deutschland  wurde  eine  Lokomotive,  System:  Boller,  zu  einer 
derartigen  Maschine  umgearbeitet,  welche  auf  gewöhnlichem  Wege  fünf 
15  Centimeter-r  (6  zöllige)  Geschütze  auf  Plattformen  und  die  gesamten 
Laffeten  dieser  Geschütze  transportierte.  Der  Versuch  gelang  aus- 
gezeichnet. 

In  England  sind  Maschinen,  System  Eweling-Poster,  im  Grebrauch.  ^^'^"^^^^.^ 
In  Frankreich  sind  sie  noch  mit  elektrischen  Apparaten,  behufs  Be-    England, 
leuchtung  des  Weges,  versehen.  "Ld^*" 

In  Russland  wurden  ebenfalls  zwei  derartige  Maschinen  schon  im  ^''^^"^ 
Jähre  1876  Versuchen  unterworfen,  eine  nach  dem  System  Eweling-Poster, 
die  andere  nach  dem  System  Fowler.  Man  prüfte  sie  auf  gewöhnlichen 
Wegen,  bei  den  Manövern  in  Krasnoje-Sselo,  und  noch  spezieller  im 
Lager  von  Ust-Ishora.  Sie  mussten  steüe  Abhänge  erklimmen,  auf  den 
schlechtesten  Wegen  gehen  und  verschiedene  Evolutionen  ausführen,  wobei 
jede  eine  Artillerie-Batterie  zog. 

Im  Winter  1876/77  erwarb  die  russische  Regierung  12  solcher 
Reisemaschinen,  und  zwar:  6  System  Eweling-Poster,  3  Kleiton,  2Molzen 
aus  Brjanisk  und  eine  Fowler. 

Man  bildete  aus  ihnen  einen  Park  unter  Aufsicht  eines  Stabsoffiziers 
und  seines  Gehilfen,  eines  Lieutenants.  Mit  dem  Park  war  eine  kleine 
Werkstätte  für  Reparaturen  vereinigt,  bestehend  aus  2  Feldschmieden  mit 
je  3  Schlossern,  welche  mit  den  nötigen  Instrumenten  versehen  waren. 

Die  nimmer  rastende  Technik  arbeitet  heute  eifrig  an  der  Vervoll-  Neueste  ver- 

snolio  in 

kommnung  der  Strassenlokomotive.  In  dem  für  1894  ausgeschriebenen  Frankreich. 
Wettbewerb  in  Frankreich,  an  welchem  23  Erfinder  teilnahmen,  wurde 
festgestellt,  dass  IB  der  Konkurrenten  in  Ronen  mit  einer  wirklichen  Ge- 
schwindigkeit von  mehr  als  12,4  Kilometer  in  der  Stunde  eintraten.  Der 
Wettbewerb  ergab  weiter,  dass  der  Dampfmotor  weit  hinter  dem  Gasolin- 
motor zurückbleibt.  Der  Gasolinwagen  ist  fortan  zu  praktischer  Ver- 
wendung gelangt.  Die  Apparate  werden  jeden  Tag  vollkommener,  Dank 
der  Erfahrung,  die  man  macht,  die  Unbequemlichkeiten  und  Hindernisse 
schwinden,  die  Mechanismen  vereinfachen  sich  und  der  Petroleumwagen 
geht  all'  der  Vervollkommnung  rasch  entgegen,  deren  er  überhaupt  fähig.^) 


0  Figuier:  „Revue  scientifique  et  industrielle",  1895. 


238  II-    I>ie  HUfsimttel. 


6,    Schlussbemerkungen. 

^TifaTutd'  ^^^  -Betrachtung  der  Hilfsmittel,  welche  die  Armeen  auf  dem  Felde 

machen  den  der  kriegerischen  Operationen  anwenden  werden,  führt  uns  aufs  neue  zu 
derbiicher.  cbcn  dcuselben  Schlüssen,  welche  sich  auch  aus  den  vorhergehenden  Ab- 
schnitten ergaben:  niemals  haben  sich  die  Staaten  zu  einem  Kriege  so 
gründlich  vorbereitet  wie  jetzt,  niemals  wurde  eine  solche  Masse  von 
Mitteln  beschafft,  um  dem  Feinde  Verluste  an  Mannschaft  und  Vermögen 
zuzufügen.  Ueberall  werden  gleichartige  Vorbereitungen  getroffen,  dabei 
wird  das  Gleichgewicht  unter  ihnen  aufrecht  erhalten;  so  ergiebt  sich 
kein  Vorzug  für  irgend  eine  Seite,  und  gleichzeitig  wächst  die  Ver- 
nichtungsfahigkeit  des  Krieges  für  alle  in  gleicher  Weise. 
.  D"  Allerdings  versteht  es  sich  von  selbst,  dass  diejenige  Seite  be- 

oine  schwere, deutend  im  Vorteil  sein  wird,  welche  über  eine  grössere  Zahl  von 
bewütigelde  intelligenten  Kräften  zu  verfügen  haben  wird.  Der  Krieg  hat  auf- 
ew^n  S^l^ört,  ein  einfacher,  mit  physischen  Kräften  geführter  Zweikampf  zweier 
Armeen  zu  sein.  Gegenwärtig  ist  der  Krieg  eine  Kunst  im  wahren 
Sinne  des  Wortes,  und  zwar  eine  schwere  und  inhaltsreiche  Kunst, 
welche  der  Hilfe  der  Wissenschaft  nicht  entbehren  kann.  Die  Armee 
muss  das  Schlachtfeld  mit  allen  technischen  Vervollkommnungen  aus- 
gerüstet betreten,  allein  dabei  wird  der  Vorteil  auf  der  Seite  sein,  wo 
man  alle  diese  neuen  Hilfsmittel  auf  rationellere  Weise  gebrauchen  wird. 
In  allen  Ländern  arbeitet  der  menschliche  Verstand  unermüdlich  an 
solchen  Erfindungen,  welche  behufs  Erhöhung  militärischer  Leistungs- 
fähigkeit den  Gebrauch  aller  Naturkräfte,  Fähigkeiten  der  Menschen  und 
Tiere,  Eigenheiten  der  Pflanzen  und  Metalle  ermöglichen.  Wehe  dem, 
der  nicht  mit  den  Fortschritten  der  militärischen  Kunst  mitzugehen  im 
Stande  sein  wird,  es  sei  denn,  dass  sich  die  jetzigen  politischen  Be- 
ziehungen ändern. 
Wird  die  Zudem  wird   man   nicht  nur  Geschosse  von  einem  weit  entfernt 

Nerrenlrnft 

aoareichen?  steheudeu  Fciudc  zu  besorgen  haben,  sondern  man  wird  auch  die 
Regionen  der  Luft,  auf  welche  wir  früher  mit  Ruhe  und  Hoffnung 
blickten,  fürchten  müssen.  Sogar  von  dort  aus  wird  uns  der  Gegner  mit 
Vernichtung  bedrohen.  Welche  Nerven  werden  dazu  nötig  sein,  um  nach 
den  Mühen  des  Tages  noch  den  nächtUchen  Alarm  ertragen  zu  können? 
Und  welcher  Art  wird  die  Belohnung  sein,  welche  die  Völker  als  Resultat 
aller  dieser  Mühen  schliesslich  erlangen  werden?  Das  ist  wohl  eine  der 
wichtigsten  Fragen  für  die  ganze  Menschheit. 


ni. 


Schilde  und  Panzer, 


Schilde  und  Panzer  gegen  die  Wirkungen  der 

feindlichen  Engeln. 

Die  Verstärkung  der  tötlichen  Wirkung  des  Gewehrfeuers   stellte  ß"<*«"  ^•^^ 
die  Frage  der  Erfindung  von  Schutzmitteln  dagegen  auf  den  ersten  Plan,  mitteiii  gegen 
In  einigen  Armeen  machte  man  Versuche  mit  beweglichen  Schilden,  mit  toinduoiie 
welchen  man  die  angreifenden  Truppen  behufs  Schutzes  vor  den  feind-  ö«w«5»rfwo'. 
liehen  Kugeln  versorgen  wollte.    Derartige  Schilde  sollten  die  Soldaten 
tragen  oder  vor  sich  her  fahren.    Man  machte  auch  Versuche  mit  Panzern, 
die  aus  einem  Stofi  verfertigt  waren,  welcher  für  die  feindlichen  Kugeln 
undurchdringlich  sein  sollte.    Dann  wollte  man  die  Soldaten  mit  solchen 
Panzern  versehen. 

Allein  alle  diese  Versuche  ergaben,  wie  wir  gleich  zeigen  werden, 
keine  befriedigenden  Resultate. 


1.    Schilde. 

Sofort  nach  der  Einführung  des  Ohassepot-Gewehres  in  der  fran- 
zösischen Armee  begannen  viele  Militärschriftsteller  die  Behauptung  auf- 
zustellen, dass  das  neu  eingeführte  Gewehr  ein  Anstürmen  gegen  den  Feind 
von  der  Front  aus  unmöglich  mache  und  dass  der  vom  Gewehrfeuer 
bestrichene  Raum  nicht  zu  überschreiten  sei.  Eben  seit  dieser  Zeit  begann 
man  verschiedenartige  Schutzmittel  gegen  die  feindlichen  Kugeln  für  die 
angreifenden  Truppen  zu  erdenken  und  zu  versuchen. 

Im  Jahre  1869  machte  der  Kapitän  Ganniers  den  Vorschlag,  vor 
den  angreifenden  Linien  Schilde  aus  Metall  als  Deckungen  gegen  die 
feindlichen  Kugeln  aufzustellen,  i) 


0  Arthur  de  Ganniers:   „La  tactique  de  demain.    Cuirasse  pare-balles  et 
boucliers". 

Bloch,   Der  Bokünftige  Krieg.  16 


Metall- 

Bohirme, 

System 

Ganniers. 


242  ^^   Schilde  und  Panzer. 

Fast  gleichzeitig  damit  tauchte  das  Projekt  der  KugelscUrme  (^cran 
pare-halles)  auf.  Ihre  Einrichtung  ist  ans  beifolgender  Zeichnung 
ersichtlich. 


Engelschinu  Clermont-FerTaii. 

EinriBhoing  Dieser  Schirm  besteht  aus  zwei  1  Meter  (3,3  Fuss)  hoben  und  Va  Meter 

Mkimu    breiten  Metallschilden,  welche  in  einer  Entfernung  von  30  Centimetem 

Fml    (1  Fuss)  von  der  Erde  an  der  Achse  eines  Rades  im  Durchmesser  von 

1,1  Meter  befestigt  sind.    Ein  jeder  geschlossene  Schirm  soUte  8  Soldaten, 

welche  in  4  Reihen  aufgestellt  sind,  decken. 

Anfänglich  betrachtete  man  diese  Erfindung  in  Ofözierskreisen  mit 
einem  gewissen  Hohn  und  gab  ihr  den  Namen  eines  „Heilpllasters  fUr 
Weiber".    Jedoch  die  in  den  Kriegen  von  1870  und  1877  gemachten  Er- 
fahrungen veranlassten  die  militärischen  Autoritäten,  sich  mit  dem  Ge- 
Koisi-     danken  einer  künstlichen  Deckung  ernsthafter  zu  befassen.  Im  Jahre  1880 
srttaiD  EM-  projektierte   der  dänische  Kapitän  Hollsteiu  eine  neue  Art  von  Kugel- 
'""^     schirm  (bouclier  pare-balles),  der  2  Meter  (6,5  Fuss)  hoch  und  1  Meter 
(3,3  Fnss)  breit  war,  nnd  aus  zwei  Metallplatteu  bestand.     Eine  solche 
Deckung  mnsste  notwendigerweise  genügend  dick  und  dementsprechend 
schwer    sein.     Der    Gebranch    dieser   Schirme    auf    dem    Sdilachtfelde 
schien  ans  dem   Grunde  erschwert,    da  ja  in  Wirklichkeit  die  Dicke 
des  Scliildes  nicht  geringer  als  6  Millimeter  (0,2  ZoU)  sein  musste  und 
dennoch    keinen    sicheren    Schutz    bot;    allein    die    Verteilung  solcher 
Metallplatten    auf  zwei    ergab    das   Resultat,    dass  die    Kugel,  welche 
das   erste  Hindernis  durchschlagen  hatte,  soviel  an  Kraft  verlor,  dass 
sie  das  zweite  nicht  mehr  zu  durchdringen  vermochte.    Versuche,  welche 
mit  dem  ll-MÜlimeter-  (0,43  ZoU-)  Gewehre  gemacht  wurden,  bestätigten 
dieses  vollkommen. 
*■'-  Es    scheint,    dass    die    Erfindung    des   Kapitäns   HoU8t«in    nicht 

Dintnutk.  spurfos  vcrschwundeu  ist.    Im  Jahre  1882  assignierte  die  dänische  Re- 
itmuJ'o'rtaM»  gierung  75000  KroncH  behufs  Anstellung  von  Versachen  and  Erwerbung 


SchUde.  24ä 


transportabler  Schilde  für  die  Soldaten.  Seitdem  ist  die  I[raft  der 
Geschosse  gewachsen,  ungeachtet  dessen  aber  wurde  in  das  Budget  für 
1893/94  noch  eine  ausserordentliche  Ausgabe  von  26000  Kronen  für 
ebendenselben  Gegenstand  aufgenommen  mit  der  Erklärung,  dass  die 
dänische  Eegierung  im  Prinzip  die  Erfindung  HoUstein's  anerkenne 
und  die  Anfertigung  derartiger  Schilde  angeordnet  habe;  dass  sie  aber 
in  der  dänischen  Armee  vorläufig  nm*  in  beschränkter  Anzahl  würden 
verwendet  werden.  2) 

Die  Versuche,  Schutzschilder  zu  bauen,  machten  in  der  Militärwelt  ^^®|;!f^""- 

'  '  System 

einiges  Aufsehen.  Der  französische  Kapitän  Lebrun  kehrte  zu  dem  Lebnm. 
Gedanken  des  Kapitäns  Ganniers  zurück  und  arbeitete  dessen  Projekt 
den  heutigen  praktischen  und  technischen  Forderungen  entsprechend  um. 
Sein  Apparat  besteht  aus  zwei  Aluminiumplatten,  die  2  Meter  (6,6  Fuss) 
hoch,  1  Meter  (3,3  Fuss)  breit  und  4  bis  5  Centimeter  (1,5  bis  2  Zoll) 
dick  sind.  Das  Gewicht  des  ganzen  Schildes  übersteigt  nach  der  Aussage 
des  Erfinders  nicht  40  Kilogramm  (gegen  2V2  Pud). 

In  der  österreichischen  Armee  bildete  man  behufs  Untersuchung  ^^^^ 
dieser  Frage  eine  ganze  Kommission,   deren  Meinung  jedoch  bis  jetzt  reichischen 

Milit&rkreiso 

nicht  zu  Gunsten  der  neuen  Erfindung  ausfiel.    Der  Fusssoldat,  welcher  an  der  zwecic- 
in  seinen  Bewegungen  frei  ist,  kann  viele  natürliche  Deckungen,  welche  ^^^^^^ 
durch  die  Unebenheiten  des  Bodens  gebüdet  werden,  benutzen,  kann    mi»*™»- 
liegend  auf  der  Erde  kriechen,  sich  hinter  Bäumen,  in  Kanälen  u.  dgl. 
verstecken. 

Das  alles  wird  für  den  Schützen,  welcher  vor  sich  einen  grossen 
Schild  führen  muss,  zui-  Unmöglichkeit. 

Gegenwärtig  siud,  wie  es  scheint,  ausser  in  der  dänischen  Armee  iMos^^^ita- 

*^  '  sciiiime  ein 

auch  in  der  belgischen  derartige  Schilde  eingeführt  und  man  hat  geeignetes 
die  Hoffnung  auf  die  Möglichkeit  der  Anwendbarkeit  transportabler  fof^^nerie. 
Deckungen  zum  Schutz  gegen  Kugeln  noch  nicht  fahren  lassen.  In  den 
übrigen  Armeen  ist  der  Gedanke  an  die  Verwirklichung  dieser  Aufgabe 
gänzlich  aufgegeben  wegen  der  Unbequemlichkeiten,  welche  mit  dem 
Gebrauch  dieser  Schilde  verbunden  sind,  da  diese  die  Bewegungen 
der  Soldaten  erschweren  und  femer  auch  der  Durchschlagskraft  der 
Kugeln,  welche  sie  treffen,  keinen  genügenden  Widerstand  leisten.  Von 
diesen  Nachteilen  abgesehen,  darf  man  auch  nicht  vergessen,  dass 
diese  sich  bewegenden  Schilde  ein  vortreffliches  Ziel  für  das  feindliche 
Artilleriefeuer  abgeben,  gegen  welches  sie  selbstverständlich  keine  Schutz- 
wehr büden  können. 

«)  „Müitär-Zeitung"  No.  7,  Februar  1894. 

16  ♦ 


244  TTT.   Schilde  tmd  Panzer. 


r>"todIuJd  ^^  Deutschland  betrachtet  man  alle  diese  beweglichen  Deckungen 

gegen     uud  ihren  Nutzen  im  Kampfe  mit  vollem  Misstrauen.    Löbell  äussert 
Mhime.    sich  iu  deu  „Militärischen  Jahresberichten"  offen:  „Unsere  Meinung  ist 
die,  dass  wir  dieselben  bei  unseren  Feinden  vorfinden  möchten". 

Doch  wie,  werden  wir  nicht  am  Ende  im  zukünftigen  Kriege 
wirklich  Soldaten  sehen,  welche  sich,  gleich  den  Rittern  des  Mittelalters 
mit  Panzern  bekleidet,  in  den  Kampf  begeben? 


2.  Panzerbekleidung. 


vennche.  Die  Erfindung  solcher  Stoffe,  welche  keine  Kugel  hindurchlassen, 

einen  fftr 

Kugeln    hat  sich  bis  jetzt  nicht  bewährt.    Da  aber  der  Gregenstand  höchst  wichtig 
ari,X.  ist»  s«  ^^  «r  hier,  wenn  auch  in  Kürze,  zu  beleuchten  sein. 

e^flfden  ^^^  Gcdauke  an  die  Möglichkeit  der  Erfindung  einer  solchen  Stoffes, 

welcher  bei  verhältnismässiger  Leichtigkeit  die  Eigenschaft  der  Undurch- 
dringlichkeit für  Kugeln  besitzt,  ist  durchaus  nicht  neu.  Bekanntlich  hielt 
schon  Moritz  von  Sachsen  es  für  gut,  zu  diesem  Zwecke  ein  Grewand  aus 
in  Essig  bearbeitetem  Leder  zu  tragen.  Der  Marschall  Soult  (zur  Zeit 
der  Restauration)  Uess  Kürasse  aus  Metall  mit  Matratzen,  welche  mit  Füz 
aus  Asbest  gestopft  waren,  anfertigen,  und  zur  Zeit  der  Regierung  Louis 
Philipps  stellte  er  verschiedene  derartige  Muster  vor.  Dieser  Art  von 
Projekten  müssen  auch  die  Vorschläge  eines  Perucice,  Duvernais,  Robert 
u.  A.,  die  Soldaten  mit  kugelsicheren  Korsets  zu  bekleiden,  beigezählt 
werden. 

Ungeachtet  dessen,  dass  diese  Erfindungen  damals  gegen  das  frühere 
Gewehr  einen  gewissen  Schutz  gewähren  konnten,  so  gewannen  sie 
trotzdem  in  militärischen  Kreisen  keine  Bedeutung,  Das  jetzige  vervoll- 
kommnete Gewehr  aber  macht  den  Ei'findem  eines  Schutzpanzers  noch 
mehr  Schwierigkeiten  und  hat  gleichzeitig  das  Bedürfnis  nach  einer 
Schutzwehr  gegen  die  Kugeln  vermehrt.  Aus  diesen  Gründen  kann  man 
jetzt  ein  besonders  eifriges  Bemühen  wahrnehmen,  einen  kugelsicheren 
Panzer  herzustellen. 

oeeter-  Im  Jahrc  1887  meinte  man  in  Oesterreich,  dass  diese  Frage  schon 

reiohische 

searn-  durch  die  Erfindung  des  Ingenieurs  Carl  Seam,  bestehend  aus  einer 
Panzer-Matratze,  gelöst  sei.  Und  diese  hielt  in  der  That  die  Kugeln 
aus  dem  llkalibrigen  Gewehr  auf.  Allein  es  zeigte  sich,  dass  eine 
Kugel  aus  dem  Karabiner  Mannlicher,  welcher  an  Stelle  des  früheren 
Mauserge wehrs  getreten  war,  mit  Leichtigkeit  die  Seam'sche  Matratze, 
in  einer  Entfernung  von  500  Metern  (234  Ssashen)  durchschlägt. 


Panser. 


/ 

/ 


Panzerbekleidung.  245 


Panier. 


Bald  darauf  durchflog  ganz  Eui*opa  die  Kunde,  dass  man  in  Deutsch-  ^^^®" 
land  einen  Stoff  verfertigt  habe,  welchen  eine  Lebel- Gewehrkugel  nicht 
durchdringen  könne.  Selbstverständlich  musste  die  Kunde  von  einer 
derartigen  Erfindung  Sensation  hervorrufen.  Wie  sollte  man  sich  denn 
auch  nicht  wundern  über  eine  kugelfeste  Uniform,  die,  wie  man  sagte, 
aus  einem  Stück  Zeug  im  Gewichte  von  nur  6  Pfund  (in  Wirklichkeit 
war  das  Gewicht  dreimal  so  gross)  besteht,  und  einen  schusssichereren 
Panzer  abgiebt  als  ein  eiserner  12  Millimeter  dicker  Schild!  —  Allein 
namentlich  unsere  Zeit  hat  die  Leute  an  Wunder  glauben  gelehrt,  welche 
die  Wissenschaft  vollbringt,  und  im  Vergleich  mit  der  Anwendung,  welche 
Dampf  und  Elektrizität  erfahren  haben,  wäre  es  wohl  auch  nicht  wunder- 
bar, falls  man  eine  derartige  Uniform  erfunden  hätte,  von  welcher  die 
Kugeln  aus  dem  kleinkalibrigen  Gewehr  abspringen  oder  in  der  sie  nach 
Verlust  ihrer  Kraft  stecken  bleiben. 

Der  Erfinder  dieses  Stoffes  war  Heinrich  Dowe,  ein  kleüier  Schneider   verenche 

mit  dem 

in  Mannheim,  aus  Westfalen  gebürtig.  Wenngleich  die  Kugeln  that-  dow»- 
sächlich  durch  den  Dowe'schen  Panzer,  mit  dem  man  eine  Gliederpuppe 
bekleidet  hatte,  drangen,  so  zeigten  sie  danach  doch  einen  abgeplatteten 
Zustand.  Nach  vielfachen  Vervollkommnungen  dieser  Erfindung  legte 
Dowe  eine  soldatische  Uniform  mit  eingesetztem  Panzer  vor,  an  welcher 
man  in  Refferthal  Versuche  ausführte.  Die  Reihenfolge  dieser  war 
folgende:  eine  Kompagnie  Schützen,  aus  Unteroffizieren  bestehend,  schoss 
auf  Gliederpuppen,  welchen  man  den  Dowe-Panzer  angelegt  hatte,  an- 
fanglich aus  einer  Entfernung  von  400  Metern  (187  Ssashen),  dann  aus 
einer  Entfernung  von  200  Metern  (93  Ssashen). 

Nach  eiQer  Reihe  von  Versuchen  ergab  sich  folgendes  Resultat: 

1.  Die  aus  eiaer  Entfernung  von  400  Metern  abgeschossenen  Kugeln 
eines  Mannlicher-Gewehrs  blieben  in  der  Materie  des  Panzers 
stecken,  wobei  sie  ihre  anfängliche  Form  verloren  hatten. 

2.  Dieselben  Kugeln,  aus  einer  Entfernung  von  200  Metern  abge- 
schossen, brachten  auf  der  inneren  Oberfläche  des  Panzers  eine 
Wölbung  von  2  Millimeter  (0,08  Zoll)  hervor. 

Diese  Resultate  übertrafen  alle  Erwai1;ung  und  gaben  Anlass  dazu, 
dass  man  auf  weitere  Vervollkommnung  des  Panzers  hoffen  konnte. 

Die  Industrie  wandte  in  der  Voraussicht  grossen  Gewinns  ihre 
Aufmerksamkeit  der  Erfindung  Dowe's  zu  und  das  Handelshaus  Wolman 
in  Berlin  erwarb  sie  für  einen  hohen  Preis. 

Es  taucht  die  berechtigte  Frage  auf,  worin  die  Widerstandskraft 
besteht,  welche  die  Materie  des  Panzers  dem  Fluge  der  Kugel  mit 
einem  gewissen  Erfolg  entgegenstellt.    Anfangs  war  nur  bekannt,  dass 


246  ^I-   Schilde  und  Panzer. 

die  Materie  des  Panzers  eine  Art  Filz  von  3  Centimeter  Dicke  sei ;  eiD 

Qaadratmeter  dieses  Stofies  sollte  nicht  melir  als  3  Eilogramm  (7Vg  Pfand) 

wiegen. 

Allein  die  anfänglichen  Vermutangen  erfällten  sich,  wie  es  scheint, 

nicht  ganz.    In  Berlin  hatte  Dowe  den  von  ihm  erfundenen  Panzer  zur 

Besicht^Dg  des  Publikums  ausgestellt. 

Nachstehende  Zeichnang  stellt  ans  diesen  Panzer  dar,  wie  er  vom 

Erfinder  selbst  voif^efUhrt  wird. 
l  Der  Panzer  hatte  eine  Dicke  nicht 

von  3  sondern  von  5  Centimetem, 
war  mit  Plüsch  überzogen  nnd  schien 
einem  Kopfkissen  nicht  nnähnlich. 
Auf  der  Zeichnung  ist  er  in  der 
Form  dargestellt,  welche  er  nach  den 
Schiessversnchen  hatte.  Er  war  in 
einem  hölzernen  Gestell,  welches  vom 
oflen  war,  aufgehängt  nnd  mit  einem 
Leinwandüberzug  umgeben,  welcher 
den  Zweck  hatte,  das  Aufschlagen 
der  Kugeln  bemerkbar  zu  machen. 
Die  hintere  Wand  des  Gtestells  war 
geschlossen,  damit  man  sehen  konnte, 
dass  die  den  Panzer  treffenden  Kugeln 
keine  Spnr  auf  der  von  ihm  geschützten 
Stelle  hinterlassen  hatten.  Die  grossen 
LScher  im  Panzer,  welche  man  auf  der 
Zeichnung  sieht,  sind  von  Bleikugeln 
hervorgebracht,  während  die  kleinen 
Löcher  mit  zerrissenen  Rändern, 
welche  gleichsam  von  Motten  ans- 
gefressen  erscheinen,  von  den  Kugeln 
des  neuesten  kleinkalibrigen  Gtewehrs, 
Mod.  1888,  herrühren.  Auf  dem  Boden 
des  Gestells  unter  dem  Panzer  liegen 
einige  aus  ihm  genommene  Kngdn, 
während  der  Panzer  selbst  sich  fort- 
während langsam  drehte,  um  von 
Dowe-PBnwr.  *llen  Seiten  sichtbar  zu    sein.    Die 

Dicke  des  Panzers  betrug,  wie  oben 

erwähnt,  B  Centimeter,   und  der  Erfinder  äusserte,  dass  er  ihn  nicht 

zur  RUstnng  iUr  die  Soldaten  bestimmt  habe,  wie  man  fälschlich  annehme, 


Panzerbekleidung.  247 


sondern  für  eine   zuverlässige  Schntzwehr   des   Soldaten   in   liegender 
Stellung  halte. 

In  Berlin  stellte  man  im  April  des  laufenden  Jahres  Schiessversuche    schiee». 
mit  dem  Dowe-Panzer  an  in  Gegenwart  von  ungefähr  25  Offizieren  der     durch 
Artillerie,  des  Ingenieurkorps  und  des  Greneralstabes.    Man  stellte  den  autontäten. 
Panzer,  welcher  an  einen  eichenen  Klotz  angelehnt  war,  in  schräger 
Stellung  auf  einen  Tisch,  so  dass  seine  Oberfläche  mit  der  des  Tisches 
einen  stumpfen  Winkel  bildete.    Auf  diese  Art  wollte  man  sich  davon 
überzeugen,  ob  die  Kugeln  im  Panzer  stecken  bleiben  oder  von  demselben 
unter  gleichem  Winkel  abspringen.    Man  schoss  aus  einer  Entfernung 
von  10  Schritt  14  mal;  die  Kugeln  trafen  verschiedene  Stellen,  teilweise 
die  äussersten  Ränder  des  Panzers.    Sie  blieben  im  Panzer  stecken  und 
auf  der  Innenseite  des  Panzers  hatten  sie  nicht   die   geringste   Spur 
hinterlassen.^) 

In  einer  unlängst  erschienenen  Broschüre  2)  bestimmt  Dowe  selbst     P^^^^J. 

"  über  die 

auf  folgende  Weise  die  Bedeutung,  welche  sein  Panzer  erhalten  könne:  Bedentnng 
„Meine  anfangliche  Meinung,  dass  der  Panzer  den  Soldaten  vor  den  pUm«. 
Kugeln  schützen  wird,  indem  er  sich  auf  der  Brust  desselben  befindet, 
erscheint  nicht  zweckentsprechend,  da  wir  ja  in  einem  zukünftigen 
Kriege  überhaupt  nicht  stehend  schiessen  werden;  wir  werden  uns 
vielmehr  auf  der  Erde  kriechend  weiterbewegen,  wie  die  Indianer.  Der 
hinter  einer  Deckung  befindliche  Soldat  bietet  dem  Gewehrfeuer  nur  den 
Kopf  dar,  aber  auch  diesen  kann  er  in  einem  Gesträuch  verbergen.  In 
diesem  Sinne,  als  eine  kugelfeste  Kleidung,  ist  also  der  Panzer  nicht 
nötig.  Allein  unter  Sachkennern  hat  sich  jetzt  die  Meinung  verbreitet, 
dass  man  aus  meinem  Panzerstoffe  kleine  transportable  Verschlage  ver- 
fertigen kann,  welche  die  Truppen  mit  sich  führen  und  welche  dem  Fuss- 
soldaten  an  Stelle  der  aus  Erde  aufgeworfenen  Deckungen  dienen  können. 
Der  Vorzug  dieser  Panzerverschläge  vor  letzteren  besteht  darin,  dass 
man  sie  schneller  aufstellen  kann  und  dass  sie  überdies  für  die  Kugeln 
undurchdringlich  sind." 

Doch  kann  der  Dowe-Panzer  als  Panzer  oder  Kürass  nach  der 
Meinung  des  Erfinders  der  Kavallerie  dienen,  da  sein  Gewicht  für  ein 
Pferd  unbedeutend  ist,  femer  auch  für  die  Geschütze.  Denn  da.  Dank 
der  Schussweite  der  neuen  Gewehre,  die  Fusstruppen  in  vielen  Fällen  auf 
Entfernungen  schiessen  werden,  wie  sie  die  Artillerie  anwendet,  so  ist 
für  die  die  Gijschütze  bedienende  Mannschaft  ein  Panzerschild,  der  über 
dem  Geschütze  angebracht  ist,  von  grosser  Wichtigkeit.    Mit  seiner  Hilfe 


1)  „Allgem.  Miütär-Zeitung",  28.  April  1894. 
*)  Dowe:  „Mein  schusssicherer  Panzer".   1894. 


248  ^*   Schilde  und  Panzer. 


einhalten  die  Batterien  die  Möglichkeit,  in  der  Nähe  oder  in  mittlerer 
Entfernung  zu  schiessen,  ohne  das  Gewehrfeuer  fürchten  zu  müssen. 

Schliesslich  kann  der  Dowe-Panzer  nach  der  Meinung  des  Erfinders 
dem  Sanitätspersonal  während  des  Verbindens  und  Zurücktransportierens 
von  Verwundeten  im  Gefecht,  sehr  gute  Dienste  leisten. 

Die  Anwendung  seines  Panzers,  sagt  Dowe,  sei  umsomehr  möglich, 
als  es  gegenwärtig  gelungen  sei,  sein  Gewicht  von  8  Kilogramm  auf  6  zu 
erniedrigen,  und  bei  maschinenmässiger  Verfertigung  stehe  wahrscheinlich 
noch  eine  Herabsetzung  bis  zu  5  Kilogramm  (10  Pfund)  ohne  Verlust  für 
die  Dauerhaftigkeit  des  Panzers  bevor.  Der  Preis  des  Panzers,  welcher 
14  Mark  bei  Einzelverfertigung  beträgt,  kann  bei  Engros-Verfertigung 
bis  auf  9,33  Mark  erniedrigt  werden. 

^ßTi^Jd*"  Dowe  ging  sodann  nach  England,  um  seine  Experimente  dort  zu 

wiederholen,  zunächst  vor  dem  Herzog  von  Cambridge,  sodann  öflfentlich, 
im  Alhambra  -  Theater.  Zur  Verwendung  gelangte  das  Kriegsgewehr 
Lee  Martin,  mit  Nickelkugeln  und  rauchlosem  Pulver,  dessen  Wirksamkeit 
dargethan  wurde,  indem  man  mit  einem  Schuss  einen  Baum  durchbohrte. 
Sodann  wurde  vor  einer  Glasplatte  ein  kleines  Polster,  etwa  10  Centimeter 
dick,  das  einem  Fechterwams  glich,  aufgehängt:  das  war  der  famose 
Dowe-Panzer.  Es  wurden  drei  Schüsse  abgegeben.  Die  Kugeln  blieben 
stecken. 

Endlich  schnallte  Herr  Dowe  sich   sein  Wams  um,   stellte  sich 

mit  geschlossenen  Beinen,  die  Hände  hinter  den  Eücken  haltend  auf  und 

liess,  ohne  zu  zucken,  drei  Schüsse  auf  sich  abgeben.    Er  zog  den  Panzer 

dann  aus  und  zeigte,  dass  die  drei  Kugeln  in  diesem  steckten. 

vermntimgen  ^as  aber  die  Zusammensetzung  des  Filzes,  aus  welchem  der  Panzer 

über  die 

Beniandteue  gemacht  ist,  betrifft,  so  existieren  bis  jetzt  darüber  nur  Vermutungen. 
Dowt^chen  Mau  wies  auf  die  seidene  Heede  hin,  auf  den  Cement,  welcher  zwischen 
panxerrtoflFeB.  ßijjßjj^  Drahtuetz  aus  Stahl  oder  Aluminium  sich  befindet,  allein  that- 

sächlich  weiss  man  darüber  nichts. 

Doch  das  Geheimnis  kann  nicht  lange  verborgen  bleiben,  da  bei 

den  jetzigen  Mitteln  zur  Untersuchung  die  Geheimnisse  der  Industrie 

sich  nicht  lange  halten  können. 

Sehr  bald .  schon  erhielt  Herr  Dowe  in  einem  Herrn  Loris  einen 
Konkurrenten.  Das  war  ein  bekannter  amerikanischer  Schütze,  der  auch 
einen  schussfesten  Panzer  produzierte.  Die  Herren  Gastine-Renette  und 
Guinard  benutzten  ihre  besten  Büchsen  und  konnten  den  Panzer  doch 
nicht  durchbohren,  selbst  nicht  mit  Militärkugeln  von  einer  Anfangs- 
geschwindigkeit von  610  bis  630  Metern  in  der  Sekunde.  Man  hatte 
namentlich   das   7,7 -Millimeter   Lee  Metford -Gewehr   benutzt,   das   auf 


Panzerbekleidung.  249. 


100  Meter  0,82  Meter  dickes  Tannenholz,  atif  10  Meter  0,97  Meter  dickes 
Holz  derselben  Gattung  durchschlug.  Auf  solche  Entfernungen  bestand 
auch  der  Loris-Panzer  die  Probe.  Mehr  noch:  das  Resultat  war  das 
gleiche  auch  bei  Benutzung  einer  kleinkalibrigen  Kugel  von  6,5  Millimeter, 
die  eine  Geschwindigkeit  von  860  Meter  in  der  Sekunde  hat  und  1,70  Meter 
dicke  Holzbohlen  durchbohrt.  Besonders  interessant  erscheint,  dass  die 
Kraft  der  Kugel  im  Panzer  sich  verliert;  die  Wirkung  des  Aufschlags 
wird  paralysiert,  die  entwickelte  Hitze  herabgesetzt  und  die  Gestalt  der 
Kugel  bleibt  fast  unverändert.  Auch  das  Gewicht  dieses  Panzers  ist 
beträchtlich  —  4^/2  Kilogramm. 

Der  Loris- Panzer  scheint  ausschliesslich  aus  komprimierten  Webe- 
stoffen hergestellt  zu  sein. 

Uebrigens  hat  der  Büchsenschmied  Daudeteau  in  Vannes  jüngst 
mit  einem  von  ihm  konstruierten  Gewehr  Versuche  angestellt,  die 
dalün  geführt  haben,  den  Loris-Panzer  zu  durchbohren,  s) 

Man  kann  leicht  voraussehen,  dass  im  Falle  der  wirklichen  Be-  /»^t^che 

verwenaang 

Währung  eines  Panzers  auch  sofort  Bekleidungen  verfertigt  sein  werden,  der  Panier 
bald  darauf  aber  wird  eine  neue  Entdeckung  in  der  Chemie,  in  Art  eines  pchJLiiich. 
neuen  verhältnismässig  stärkeren  Pulvers,  jede  Bedeutung  des  Panzers 
vernichten. 

Zu  unserer  Zeit  sind  dergleichen  unerwartete  Dinge  nicht  selten. 
Dasselbe  ereignete  sich  mit  der  Erfindung  Seam's,  welchem  die  Ver- 
vollkommnung seiner  Schilde  insofern  nicht  gelang,  als  sie  die  Schüsse 
des  neuen  7 -Millimeter-Gewehrs  nicht  aushalten  konnten.  Wenn  mithin 
die  Erfindungen  Dowe's  und  Loris'  auch  in  der  That  praktische  Ver- 
wendung fanden,  woran  gezweifelt  werden  kann,  so  ist  dennoch,  da  die 
von  den  Leuten  getragenen  Schilde  ein  bequemes  Ziel  für  die  Artillerie 
abgeben  würden,  ihre  militärische  Bedeutung  sehr  zweifelhaft.  Aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  ist  dies  eine  der  vorübergehenden  Erfindungen, 
wie  sie  unsere  Zeit  nicht  wenige  aufzuweisen  hat. 

Wer  hätte  vor  50  Jahren  voraussagen  können,  dass  gegen  Ende 
des  XIX.  Jahrhunderts  die  Panzer  plötzlich  das  Ziel  der  Erfindungskunst 
werden,  so  dass  ernsthafte  Leute  über  diese  Denkmäler  des  Altertums, 
welche  man  schon  auf  ewig  in  die  Rumpelkammer  verwiesen  hatte,  nach- 
denken, sprechen  und  schreiben  würden. 

Es  fehlt  aber  auch  nicht  an  Schriftstellern,  welche  die  ganze  Panzer- 
frage ins  Lächerliche  ziehen. 


*)  „L'Ann^e  scientifique  et  industrielle",  par  Figiiier,  1895. 


I  III,   Solulde  und  Pnnzer. 

^^  So  wurde  n.  Ä.  folgendes  Karikaturbild   durch  Crawfoi-d  McFall 

veröffeatlicht. 


Karikaturbild  über  Panzerrerwendung  im  Felde. 

Die  Erfindung  des  Schiesspulvers  machte  Panzer,  Harnische  u.  dgl. 
unnütz,  allein  seine  weitere  Vervollkommnung  regte  von  Neuem  die  alte 
Idee  an,  dem  Geschützfeuer  eine  Panzerbedeckung  entgegen  zu  stellen. 

Jedoch,  die  Truppenbeweglichkeit  würde  zu  sehr  abnehmen,  und  die 
Soldaten  wären  dann  ein  derartig  bequemes  Zielobjekt  für  die  Artillerie, 
dass  sie  durch  diese  noch  rascher  vernichtet  würden,  als  durch  das 
Infanteriefeuer. 


f 


IV. 


Deckungen  und  Schanzen. 


Deckungen  dnrch  Schanzen  nnd  Feld-Befestignngen. 

Der  zokünitige  Krieg  wird  sich  vor  den  früheren  nicht  nnr  durch     »oue 

dtf  Defensive 

ein  vervollkommnetes  Gewehr,  rauchloses  Polver  und  verschiedene  neue  im  kunfugen 
Hilfsmittel  auszeichnen,  sondern  auch  dui-ch  die  Rolle,  welche  hier  der  ^'^**^*' 
Deckung  durch  Erdaufwtiife  zufallen  wird  und  welche  eben  durch  die 
Fortschiitte  in  der  Technik  der  Geschütze  und  Gewehre  bedingt  ist. 
Doch  aUe  stimmen  darin  überein,  dass  ungeachtet  dieser  Fortschritte, 
welche  den  Angiiff  erschweren  werden,  die  Oflensive  immerhin  ihre  Be- 
deutung im  Kriege  behalten  wird.  Welches  Reglement  man  auch  nehme 
—  das  russische,  deutsche,  österreichische  oder  italienische  —  tiberall 
wird  empfohlen,  bei  den  Truppen  den  Geist  der  Initiative,  des  Angrifls 
zü  entwickeln. 

Allein   auch   darin   herrscht   allgemeine   Uebereinstimmung,    dass  ^'^'^l^®/" 
es  auch  einer  mehrfach  überlegenen  Streitkraft  nicht  leicht  sein  werde,  deckungen. 
den  Gegner,  welcher  hinter  regelrecht  konstruierten  Erddeckungen  sitzt, 
daraus  zu  vertreiben,  vorausgesetzt  auf  beiden  Seiten  die  gleiche  Be- 
waflfnung,  das  gleiche  Verständnis  und  den  gleichen  Mut.  j 

Ein  paar  Zahlen  werden  uns  davon  leicht  überzeugen.    Schützen-    schiei»- 

'^  *-'  venaclie  mit 

linien,  deren  einzelne  Figuren  mit  1  Schritt  Abstand  von  Mitte  zu  Mitte  oeweiiren. 
aufgestellt  sind,  werden  von  100  Schüssen  getroffen  r^) 


Entfernung 

Stehende  Schützen 
(Scheiben) 

Kopfscheiben 

300  Meter 

28 
10 

6 

2,6 

4 

800  Meter 

1,4 

1200  Meter 

0,75 
0,25 

2000  Meter 

0    General   Rohne:    „Beurteilung   der   Wirkung    beim    gefechtsmässigen 
Schiessen''.    „Mmtär- Wochenblatt",  1895. 


254 


IV.    Deckungen  und  Schanzen. 


KhSH*  Was  die  Shrapnelschüsse  betrifft,  so  sind  als  Durchschnittsleistung 

Treffer  pro  Schuss  zu  erwarten: 


Schussweite  in  Metern: 

500 

1000 

1500 

2000 

2500 

Stehende  Schützen 

Kopfscheiben 

7,4 
0,9 

6,5 
0,8 

5,9 
0,7 

7,7 
1,0 

6,9 
0,8 

Schwierig-  Man  hat  viel  darüber  geschrieben,  ob  überhaupt  der  Frontalangriff 

Iceiten  dos 

Frontal-    mögUch  Sei,  und  einige  Autoren  haben  sogar  den  Gedanken  geäussert, 
angriifes.   ^^^  ^^^  Zukünftige  Krieg  aus  einem  Kampfe  um  eine  unzählige  Reihe 
verschanzter  Positionen  bestehen  werde. 


L   Einteilung  der  Befestigungen. 

deokiS  eil  ^^^  Wirksamkeit  der  Verschanzungen  aus  Erde  ist  längst  bekannt. 

Die  grosse  Bedeutung  der  Erdwälle  gegen  das  Artilleriefeuer  wurde  be- 
sonders von  dem  berühmten  Totleben  bei  der  Verteidigung  Sebastopols 
bewiesen.  Das  in  der  Beilage  beigegebene  Bild  zeigt  uns,  welche 
bedeutende  Eolle  beim  Angiiff  und  der  Verteidigung  die  Schaufel  und 
die  Haue  gespielt  haben.  2)  Seit  dieser  Zeit  kamen  die  Erddeckungen 
wieder  zu  Ehi'en.  Noch  mehr  aber  wurde  die  Nützlichkeit  leichter  Feld- 
schanzen zum  Schutze  auch  gegen  das  Feuer  der  Infanterie  zur  Zeit  des 
nordamerikanischen  Sezessionskrieges  anerkannt,  als  man  anfing,  schnell- 
schiessende  Gewehre,  wenngleich  noch  grossen  Kalibers  und  sehr  wenig 
vollkommener  Systeme,  zu  verwenden. 

Krd-  Damals  warfen  die  Truppen  35—50  Centimeter  (14—20  Zoll)  hohe 

deckniigen 

im  Erdauläschüttungen  auf,  welche  sich  ganze  Werst  weit  hinzogen,  ungeachtet 
"""niadfen  dcsscn,  dass  die  Truppen  kein  Schanzeninstrument  bei  sich  hatten.  Man 
8ez6«iioii8.  gj.^|j  ^Q  "ErAe  mit  Säbeln,  Bajonetten  und  Kesseln,  oder  auch  direkt  mit 
den  Händen.  Wir  wollen  eins  der  interessantesten  Beispiele  nach  der 
Beschreibung  des  bekannten  General  Longstreet  hervorheben,  s)  Als 
Mac-Clellan  mit  der  110000  Mann  starken  Nordarmee  auf  Richmond  zu 
marschierte,  verlegte  ihm  bei  Williamborg  nur  eine  11000  Mann  starke 
Division  der  Südarmee  unter  General  Magruder  den  Weg.  Magruder 
verschanzte  sich   schnell,   und  da  er  nur  über  eine  wenig  zahlreiche 


kriege. 


«)  „The  Crime  War". 

*)  „Das  Gefecht  im  Beginn  des  Sezessionskrieges".   V.    Scheibert:  „Jahr- 
bücher für  deutsche  Armee  und  Marine". 


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Einteilung  der  Befestigungen.  255 


Artillerie  zu  verfügen  hatte,  so  stellte  er  in  vielen  ScMessscharten  nur 
Baumstämme  auf,  welche  Kanonen  vorstellen  sollten.  Allein  Mac-Clellan, 
grosse  Verluste  befürchtend,  entschloss  sich  nicht,  diese  Verschanzungen 
anzugreifen.  Unterdessen  hatte  der  berühmte  Anführer  der  Südarmee, 
General  Lee,  welcher  das  Kommando  über  die  Truppen  in  Virginien 
führte,  Eichmond  befestigt  und  liess  Magruder  den  Befehl  zugehen,  die 
Position  bei  Williamborg  aufzugeben  und  auf  Eichmond  zu  zu  marschieren. 
Longstreet  erhielt  damals  den  Auftrag,  den  Abzug  zu  decken,  hielt  sich 
in  den  Verschanzungen  einen  ganzen  Tag  gegen  den  angreifenden  Gegner 
und  zog  dann  selbst  ohne  Verluste  ab. 

Nach  dem  Vorgange  des  nordamerikanischen  Krieges  begann  man  ^^^ 
Verschanzungen  aus  Erde  auch  in  den  europäischen  Kriegen  anzuwenden,     i»  den 
Zu  derartigen  Deckungen  nahmen  die  Oesterreicher  im  Jahre  1866  ihre nnamo/Ti. 
Zuflucht,  welche  Gewehre  hatten,  die  von  der  Mündung  aus  geladen 
wui'den,  während  die  Preussen  Hinterlader  führten.    Ferner  wurden  Erd- 
verschanzungen  bisweilen  im  Kriege  1870/71  sowohl  von  den  Deutschen, 
als  auch  von  den  Franzosen  im  Falle  eines  Angriffs  von  der  Front  auf- 
geworfen.   Seitdem  überzeugte  man  sich   noch  mehr  von  dem  grossen 
Nutzen,  welchen  derartige  Deckungen   nicht  nur  gegen   das  Gewehr-, 
sondern  auch  gegen  das  Ailiilleriefeuer  gewähren. 

Allein  gegenwärtig,  wo  die  Kriegskunst,  was  die  Erdverschanzungen  ^^^  ^^ 
angeht,  die  Erfahrungen  des  Krieges  1877/78  bei  der  Verteidigung  von    in  dem 
Plewna,  zum  Vorbild  nehmen  muss,  kann  man  mit  Wahrscheinlichkeit    Krie^.° 
erwarten,  dass  die  in  der  Defensive  befindliche  Seite  auch  auf  oflfenem 
Felde  sogai*  angesichts  des  schnellsten  Aufmarsches    der   angreifenden 
Kräfte  dennoch  leichte  Verschanzungen  aufwerfen  wiid,  und  dass  ihre 
Anwendung  auf  dem  Schlachtfelde  schon  keine  Ausnahme  mehr  sein  wird, 
sondern  im   Gegenteil  ein  ganz  gewöhnliches  Verfahren  der  Truppen, 
welche  einen  Angrifi  auf  eine  eben  von  ihnen  eingenommene  Position  im 
ofienen  Felde  erwarten. 

Die  französische  Instruktion  vom  23.  März  1878  lautet:  „Die  Be- ^»"''^•*«»^« 

.  ,  Iiustraktion 

festigungen  im  Felde  hatten  immer  eine  grosse  Bedeutung,  aber  seit  der    von  ists 
Einführung  der  Schnellfeuer-Geschütze  sind  sie  eine  solche  Macht  und  fMu^n^n 
ein  solches  Hilfsmittel  im  Kriege  geworden,  dass  sie  immer  nützlich  und  ^"^  ^®^®- 
oft  unumgänglich  notwendig  sind.    Bei  der  Verteidigung  gleichen  sie  die 
geringere  Zahl  der  Truppen  auf  einem  gegebenen  Punkte  aus  und  beim 
Angriff  ermöglichen  sie  es,  die  Verteidigungsarbeiten  des  Feindes  zu 
zerstören  oder  diese  gegen  ihn  anzuwenden,  nachdem  man  sich  seiner 
Position  bemächtigt  hat." 

Damit  die  Truppen,  welche  eine  gegebene  Oertlichkeit  besetzt  halten,  Anforderung 
irgend  eine  Deckung  haben,  ohne  selbst  der  Möglichkeit,  ihre  Gewehre  Deckungen. 


256  ^'    I^eckung^n  und  Schanzen. 


ZU  gebrauchen,  beraubt  zu  sein,  sind  zwei  Bedingungen  zu  erfüllen: 
erstlich  muss  eine  Deckung  vorhanden  sein,  welche  den  in  der  Defensive 
Befindlichen  dem  Auge  des  Angreifers  entzieht  und  zweitens  ein  Hin- 
dernis, welches  den  Angreifer  im  entscheidenden  Moment  des  Angriffs 
aufhalten  kann. 

DeatBche  Die  Deckungeu  selbst  müssen  möglichst  unbemerkbar  sein.    So  er- 

Yorschrifton 

Yon  i8»8   teilen  die  unlängst  (6.  April  1893)  in  Deutschland  hinsichtlich  der  Be- 
de^AMwid  festigungen  im  Felde  erlassenen  Regeln  die  Vorschrift,  diese  Deckungen 
oortitSkeik  möglichst  niedrig  und  unbemerkbar  zu  machen.    „Die  Defensive  muss 
fttr  Anlage  aus  dcu  Vorteüeu,  welche  ihr  die  vergrösserte  Entfernung,  von  welcher 
DeokillSyen.  »US  die  Schlacht  beginnt,  und  das  Fehlen  des  Rauches  geben,  welcher 
sie  dem  Feinde  unsichtbar  macht,  den  grösstmöglichsten  Nutzen  ziehen. 
Die  Deckungen  sollen  nicht  vor  erhöhtem  Terrain,  welches  der  Feind 
am   ehesten   bemerkt,   wie  vor  Waldessäumen   und  Dörfern,   angelegt 
werden.    Je  mehr  Vorteile  derartige  Bodenverhältnisse  für  die  Orien- 
tierung des  Gegners  darbieten,  je  wahrscheinlicher  es  ist,  dass  er  sie 
benutzen  wird,  desto  gefährlicher  ist  es,  dort  auch  nur  die  geringste 
Deckung  zu  plazieren;  da  das  Fernrohr  sie  sogleich  entdeckt,  die  Lage 
bekannt  wird  und  dann  die  Artillerie  an  ihr  Zerstörungswerk  gehen 
kann.    Bei  der  Auswahl  des  Platzes  muss  man  die  Aussichten,  welche 
sich  dem  Feinde  darbieten,  erraten  und  die  Verteidigungsarbeiten  an 
derartigen  Stellen  plazieren,  wo  wii'  selbst,  falls  wir  uns  der  gegebenen 
Position  nähei-ten,  sie  am  wenigsten  vermuten  würden." 

Die  Hindemisse,  welche  dem  Angriffe  des  Gegners  entgegengestellt 
werden  können,  sind  dreifacher  Art:  zeitweilige^  halbbeständige  und  be- 
ständige 

Die  Bedeutung,  welche  jede  dieser  Befestigungsarten  hat,  kann  man 
am  besten  aus  Beispielen  erkennen,  die  zugleich  auch  auf  den  Nutzen 
der  Verteidigungswerke  und  die  wichtige  Rolle,  welche  die  Fortifikations- 
ai-beiten  im  zukünftigen  ICriege  spielen  werden,  hinweisen.*) 

Beiapieie  Am  6.  August  1870  sah  das  2.  französische  Korps,  welches  die 

deutoch-    Position  Spichem  einnahm,  dass  auf  seiner  Abzugslinie  im  Thal  eine 

'^Krieg  ^üT  föüidliche  Abteilung  mai'schierte.    Doch  der  General  Frossart,  welcher 

ytü^'s^w  ^^  Möglichkeit  einer  solchen  Bewegung  vorausgesehen  hatte,  hatte  schon 

werken,    vorhcr  die  Aufführung  von  Schanzen  auf  dem  Kannichenberg,  welcher 

dieses  Thal  beherrscht,   angeordnet.    Diese   hielten   nur   die  Sappeur- 

kompagnie,   welche   sie  aufgeworfen  hatte  und  noch  200  Mann  Fuss- 

soldaten,  welche  eben  hinzugekommen  waren,  besetzt.    Allein  auch  diese 


*)  H.  Plenix:  „Manuel  complet  de  fortification".    Paris  1890. 


Einteilung  der  Befestigongen.  257 

unbedeutenden  Kräfte  genügten,  um  die  Vorwärtsbewegung  der  Deutschen, 
welche  den  Eückzug  der  Franzosen  bedrohten,  aufzuhalten. 

In  eben  demselben  Jahre  zog  sich  die  französische  Armee  am 
18.  August  auf  Metz  zurück  und  nahm  bei  Amanvilliers  Stellung.  Es 
fehlte  den  Truppen  an  Schanzzeug,  dazu  war  auch  die  Zeit  kurz  be- 
messen; trotzdem  gelang  es  den  Franzosen,  an  einigen  Punkten  auf  dem 
linken  Flügel  Gräben  und  Brustwehren  aufzuführen  und  an  diesen 
Punkten,  welche  von  den  Truppen  des  2.  und  3.  Korps  gut  verteidigt 
wui-den,  wurde  der  feindliche  Angriff  abgeschlagen. 

Die  Arbeiten,  welche  in  den  beiden  bezeichneten  Fällen  ausgeführt  /*}!««  ^ 

^  festigangeii 

wurden,  fallen  in  das  Gebiet  der  auf  dem  Schlachtfelde  hergestellten  des  schi*cht. 

^^^  ^A I  n  Hfl 

Verschanzungen  (fortiflcation  de  champ  de  bataüle),  welche  durch  die  Ein- 
fachheit der  Mittel  und  die  Kürze  der  dazu  erforderlichen  Zeit  und  endlich 
durch  den  Umstand  charakterisiert  werden,  dass  sie  gegen  den  gelegentlich 
angreifenden  Feind  auf  dem  Schlachtfelde  angewendet  werden.  Diese 
Befestigungen  nennt  man  „eilige",  da  sie  eben  im  Angesicht  des  Feindes 
improvisiert  werden. 

In  den  ersten  Tagen  des  Januar  1871  erhielt  der  General  von  Werder, 
welcher  die  Belagerung  der  Festung  Beifort  leitete,  die  Nachricht  von 
dem  Anmärsche  der  Armee  des  General  Bourbaki  behufs  Aufhebung  der 
Belagerung.  Da  er  selbst  nur  43000  Mann  zur  Verfügung  hatte  und 
wusste,  dass  er  es  mit  4  französischen  Korps  zu  thun  haben  werde,  so 
befestigte  Werder  die  Stadt  Montbeliard  und  die  Linie  Lisaine  stark, 
indem  er  auf  den  neuen  Werken  grosskalibrige  Geschütze  aufstellte,  welche 
er  aus  seinem  Belagerungspark  genommen  hatte;  mit  Hilfe  dieser 
Verteidigungsarbeiten  hielt  er  im  Laufe  zweier  Tage  (den  16.  und 
16.  Januar)  die  Angriffe  der  Franzosen  aus  und  schlug  sie  sieghaft 
zurück. 

Li  diesem  letzteren  Falle  stand  mehr  Zeit  zur  Ausführung  der  zeitweuigre 
Arbeiten  zur  Verfügung,  allein  die  vorhandenen  Mittel  waren  nicht  festignngen. 
gross  und  es  wurden  nur  Feldbefestigungen  aufgeführt,  wenngleich  sie 
ungleich  bedeutender  waren  als  diejenigen,  welche  einige  Stunden  vor 
der  Schlacht  oder  während  dieser  aufgeführt  werden  können.  Das  waren 
zeitweilige  Befestigungen,  welche  sich  von  den  auf  dem  Schlachtfelde 
aufgeführten  bedeutend  unterscheiden,  allein  doch  nur  für  den  gegebenen 
Moment  bestimmt  sind. 

Das  dritte  Beispiel  bilden  die  Befestigungen,  welche  von  Osman  ^^^^J^Jf" 
Pascha  um  Plewna  herum  ausgeführt  wurden.    Plewna  selbst  war  keine  Beweis  yon 
befestigte  Stadt,  doch  indem  Osman  Pascha  die  günstige  natürliche  Lage 
benutzte  und  starke  Werke  aufführte,  verwandelte  er  Plewna  in  ein 

Bloch,  Der  zukllnftige  Krieg.  17 


25g  IV.    Deckongen  und  ßcbaoEen. 

befestigtes  Lager,  in  welchem  er  sich  41/3  Monate  mit  60000  Mann  und 
100  Geschützen  ge^en  die  mssische  Armee  hielt,  welche  zeitweilig 
110000  Mann  stark  war,  sowie  über  mehr  als  500  Geschütze  gebot,  unter 
denen  sich  noch  viele  Belagerungsgeschütze  befanden. 

Die  Zeichnung  einer  Plewna-Kedonte  wird  ans  am  Besten  ihre  Kon- 
struktion und  Bedentung  erläntern.'') 


Plewna-Bedout«, 

Diese  von  den  Türken  aufgeführten  Vei-schanznngen  fallen  in  die 
Kategorie  der  „halbbestäudigen'',  deren  hervorragende  Eigenschaften 
''  darin  bestehen,  dass  man  sie  zum  Schutze  gegen  grosse  Trappenmassen 
and  nicht  nur  gegen  die  Feld-,  sondern  teilweise  auch  gegen  die  Be- 
lagernngs-Artillerie  errichtet,  während  sie  andererseits  doch  nur  das  zeit- 
weilige Bedürfnis  im  Auge  haben. 
'  Schliesslich  giebt  es  „beständige  Befestigungen",  welche  ihre  Be- 

..  deutung  für  immer  belialten.  Die  Kunst  der  beständigen  Fortiflkation 
gebietet  bereits  über  alle  von  der  Gegend  dargebotenen  Mittel  und  lehrt 
solche  Festungen  oder  Einzelforts  auffuhren,  welche  der  stärksten  Be- 
lagernngs-ArtÜlerie  standhalten  können.  Festungen  werden  an  solchen 
Punkten  errichtet,  deren  Besitz  von  der  grössten  Wicht^keit  ist,  sowohl 
was  die  Zurückschlagung  des  feindlichen  Ansturms  als  auch  die  Sicher- 
stellung der  Möglichkeit,  zur  Offensive  nberaugehen,  betrifft. 

')  Brackenbury;    „Fielil  Works". 


Die  Technik  der  eiligen  Befestigungen.  259 


2.    Die  Technik  der  eiligen  Befestigungen. 

Die  eiligen,  d.  h.  Angesichts  des  Feindes  improvisierten  Verteidigungs- 
arbeiten sind  Erdaufwerfungen ,  welche  von  den  Fusssoldaten  und  der 
Kavallerie  mit  Hufe  eines  Schanzeninstruments,  welches  diese  Truppenteile 
mit  sich  führen,  hergestellt  werden.  Mit  diesen  Verteidigungsarbeiten 
werden  wir  uns  jetzt  beschäftigen. 

Wir  geben  nun  die  Stärke  an,  welche  die  Deckungen  nach  An-   deutsche 

°  '  "  Normen  fftr 

Weisung  der  neuesten  Instruktion  fiir  die  deutsche  Armee  haben  sollen  st&rke  nnd 
im  Verhältnis  zu  dem  Material,  aus  welchem  sie  verfertigt  werden,  und  euiger  Ver- 
den Geschützen,  gegen  welche  sie  Schutz  gewähren  sollen.  ***wSe^ 

Gegen  Gewehrkugeln:  2  Centimeter  (0,8  Zoll)  dicke  Stahlplatten; 
50  Centimeter  (20  Zoll)  Ziegel;  75  Centimeter  (30  Zoll)  Sand;  1  Meter 
(39  Zoll)  gewöhnliche  Erde;  1  Meter  Tannen-  und  Fichtenholz;  60  Centi- 
meter (24  Zoll)  Eichenholz;  2  Meter  (6,6  Fuss)  Rasenstücke,  Torf-  oder 
Sumpf  erde;  2  Meter  fest  gestampfter  Schnee;  5  Meter  (16,4  Fuss)  Korn- 
garben; 20  Centimeter  (8  Zoll)  Doppel  wände  aus  Brettern,  zwischen 
welchen  Schutt  liegt. 

Gegen  Artilleriegeschütze  und  zwar  gegen  Shrapnel-  und  Granat- 
splitter der  berittenen  Artillerie;  40  Centimeter  bis  1  Meter  (16  bis  39  Zoll) 
Erde,  ein  5  Centimeter  (2  Zoll)  dickes  Holzdach;  der  Fuss-Artillerie : 
1  Meter  (39  Zoll)  Erde,  ein  10  Centimeter  (4  Zoll)  dickes  Holzdach;  gegen 
ganze  Shrapnels  oder  Granaten  der  reitenden  Artillerie:  1  bis  2  Meter 
(39  bis  78  Zoll)  Erde,  1  Meter  (39  Zoll)  Ziegel,  8  Meter  (26  Fuss)  Schnee; 
gegen  ganze  Geschosse  der  Fuss-Artillerie :  3  bis  4  Meter  (10  bis  13  Fuss) 
Erde.  Einen  zuverlässigen  Schutz  gegen  ganze  Geschosse  bieten  nur 
unter  dem  Niveau  der  Erde  befindliche  Räume;  Feldschanzen  können 
gegen  solche  Geschosse  überhaupt  keinen  genügenden  Schutz  gewähren. 

Die  relative  Stärke  der  Deckungen  gegen  Flintenkugeln,  Shrapnels 
und  Granaten  stellen  wir  auf  der  folgenden  Seite  graphisch  dar. 

a)  Werkzeuge  für  Schanzarbeiten. 

In  einem  französischen  Regiment  zu  Fuss  sind  1028  Instrumente  Werktage 

°  für  Sehanz- 

für  Schanzarbeiten  vorhanden ;  darunter  840  Werkzeuge  zur  Ausführung    arbeiten 
von  Erdarbeiten  und  188  zur  Zerstörung.*)  fr^z'ösischeii 

Armee. 


0  Eine  französische  Kompagnie  besitzt  an  "Werkzeugen  für  Schanz- 
arbeiten 1  Spaten  und  2  Schaufeln,  welclie  die  Mannschaft  mit  sich  führt,  alles 
Uebrige  befindet  sich  im  Bequisitenwagen. 

17* 


SUrkadu 
Daakugvi 


IV.    Deckosgeix  nnd  Sobanceo. 


Belative  Stärke  der  Deckungen  in  Metern. 


CUgen  Flmtenkngels. 


Gegen  Shrapnel-  and  Oranateplitter  der  berittenen  Artillerie. 


Gegen  Shrapnel-  und  QranfttBplitter  der  Fnss-Artillerie. 


Gegen  gonxe  Sfarapnels  und  Oranttten  der  berittenen  Artillerie. 


Gegen  ganie  Sbrapnels  nnd  GranBiten  der  IFuss-ArtiUerie. 

w*rkHiic>  In  (jer  rassischen  Armee  kommen  anf  jede  Infanterie-Kompagnie 

uMhin    80  kleine  Schanfeln  nnd  20  Beile,  welche  die  Lente  mit  sich  Ülhren  nnd 
„^^^  ausserdem  sind  im  Regimentstrain  vorhanden: 

Fttr  Jeda  Vbr  du 

Hacken  ...       3  48 

Brechstansen .       1  16 

Spaten    ....       3  48  31  496 


PItr  J«d>  FBr  da* 

KnmpagBl«  guu  BagioiaDt 

Grosse  Schaufeln     16  256 

Beile 8  128 

3  48 


f 


Eilige  Befestigungen.  —  Werkzeuge  für  Schanzarbeiten. 


261 


Auch  in  den  übrigen  Armeen  ist  ungefähr  eine  solche  AnzaM  von 
Werkzeugen  vorhanden.  Ausserdem  sind  mit  Schanzzeug  auch  noch 
die  Kavallerie-,  Artillerie-,  die  Sappeur-  und  Ingenieurparks  versehen. 

Für  unsere  Zwecke  wird  es  genügen,  dass  wir  uns  nur  mit  der 
Betrachtung  der  Arbeiten,  welche  die  Fusssoldaten  ausfuhren,  beschäftigen. 
Vor  allen  Dingen  müssen  wir  uns  mit  ihren  Werkzeugen  bekannt 
machen. 

Diese  sind  zusammenlegbar,  damit  die  Soldaten  sie  beständig  mit 
sich  fuhren  können.  Folgende  Zeichnungen  geben  uns  einen  Begriff 
von  den  gebräuchlichsten  Werkzeugen  und  von  der  Art,  wie  sie  getragen 
werden.  2) 


t 

* 

k 


•i«r 


Hack«.  Spftten.  BeU. 

Schaaizwerkzenge  für  die  Fasssoldaten. 


Breohirtaage. 


Abbildung 

der 

Scbans- 
werkseiig« 

der 

Inftuiiteri«. 


Tragweise  der  Schanzwerkzeoge. 


')  „Manuel  pour  P^rection  des  travaux  de  campagne".   Paris  1889. 


264 


IV.    Deckungen  nnd  Schanzen. 


Abbildung 

der  Ein- 

decknngen 

gegen 
Artillerie- 

fener. 


von  oben  zu  schützen,  die  über  den  Laufgräben  angebracht  sind.  Wir 
führen  ans  dem  neuesten  ,,Handbuch  für  die  deutsche  Armee^,  die  be- 
treffenden Anweisungen  an. 

Zahlreiche  und  leicht  zu  konstruierende  Eindeckungen  sind  einer 
kleineren  Zahl  grösserer  und  stärkerer  vorzuziehen.  Man  verfertigt  sie 
aus  überall  leicht  aufzufindendem  Baumaterial,  wie  z.  B.  Thoren,  Thüren, 
Brettern,  leichten  Balken,  Zaunpfählen  etc.  Man  konstruiert  z.  6.  eine 
Eindeckung  aus  5  Centimeter  (2  Zoll)  dicken  Brettern,  auf  welche  noch 
eine  1  bis  2  Meter  (3  bis  6  Fuss)  dichte  Erdschicht  gelegt  wird.  Dieses 
Dach  wird  von  Pfählen  gestützt,  wobei  diese  Stützen,  falls  sie  10  bis 
16  Centimeter  (4  bis  6  Zoll)  dick  sind,  in  einer  Entfernung  von  2  bis 
4  Metern  (6  bis  13  Fuss)  von  einander  stehen  können;  falls  sie  dünner 
sind,  so  müssen  sie  enger  aneinander  gerückt  werden.  Ein  solches  Dach 
hält  Shrapnels  und  Granatsplitter  aus.  Giebt  man  ihm  eine  Neigung, 
beispielsweise  von  12<>,  d.  h.  in  der  Weise,  dass  die  Stützen  20  Centi- 
meter (8  Zoll)  auf  1  Meter  (3  Fuss)  Entfernung  niedriger  als  die  Basis 
des  Daches  sind,  welches  in  der  Brustwehr  selbst  befestigt  ist,  so  hält 
es  den  Schlag  einer  ganzen  Kugel  eines  gewöhnlichen  Geschützes  (d.  h. 
nicht  eines  Mörsers)  aus,  das  aus  einer  Entfernung  von  nicht  weniger  als 
3000  Metern  gegen  3  Werst)  abgefeuert  wird. 

Folgende  zwei  Zeichnungen  stellen  derartige  „Eindeckungen"  dar. 


Eindeckung  gegen  Artilleriefeuer. 


Eindeckung  unter  der  Brustwehr  gegen  Artilleriefeuer. 


EiBfiuh«Ei]i.  Allein  auch  in  schon  vorhandenen  Gräben  können  die  Schützen  sich 

u  BciMn   einigermaassen  Deckung  verschaffen,  indem  sie  sich  mit  dicken  Brettern, 
^"^wSir'  Thüren,  Thoren  etc.  bedecken,  wie  folgende  Zeichnung  zeigt. 


Eilige  Befeatägungen,  —  Schanzen  für  Oeaobütze. 


Eindeckung  vermittelst  Brettern,  Thüren  etc. 

c)  Schanzen  für  Geschtttze. 

Die  Brustwehren  sind  als  Deckung  der  Geschütze  ebenfalls  sehr  Bnutwj™ 
wichtig.  Bei  Versacben,  die  man  in  Oesterreich  ansfhhrte,  fielen  bei  tmiiari*. 
100  Schüssen  49  Kngek  auf  die  Brustwehr  and  blieben  in  den  Anf- 
schüttungen  stecken.  Die  Höhe  der  Deckungen  fiir  die  Artillerie  darf 
nicht  mehr  als  0,8  Meter  (31  Zoll)  höher  als  die  Rchnssriclitung  der  Ge- 
schütze sein.  Folgende  Zeichnung*)  giebt  das  Profil  einer  solchen  Ver- 
schanzung (Querschnitt  der  Brustwehr  durch  die  Ambrasur). 


Deoknng  für  Feldgeschütze. 

Wir    geben   ausserdem    den   Plan    und    zwei  Durchschnitte    von  „^J^JJJI, 
Deckungen  für  Schnellfeuergeschütze,    welche  durch  Vergrösserung  der 
Dimensionen  in  der  englischen  Armee  auch  för  Feldgeschütze  verwendet 
werden.  6) 


Deckungen  für  Schnellfeuergeschütze. 
iLeitfaden  in  der  Feldbefestigung". 


')  Brunner: 

•)  Brackenbury:  „Field  "Works". 


266 


IV.    Deckungen  und  Schanzen. 


Folgendes  Bild  zeigt  uns  die  Bedienung  eines  gedeckten  Geschützes 
hinter  Erdaufwurf  und  hinter  einer  Mauer. 


Bedienung  eines  gedeckten  Geschützes. 

d)  Schanzen  fhr  die  Kavallerie. 

De^ngen  jfan  errfchtet  Schanzen  auch  für  die  Kavallerie,   wie  aus  nach- 

fftr  die  ' 

K»v*ii«rie.  folgender  Zeichnung  ersichtlich  ist.?) 


*Mi 


t"  /  SOI 


Deckung  für  die  Kavallerie. 


3.    Feld-Befestigungen. 

Badeuundere  Bedeutendere  Befestigungen  werden  in  folgenden  Fällen  aufgeführt: 

■ciuiBiniigeii.  wenn  man  die  Deckung  der  Truppen  vor  einer  erwählten  Position  sicher 
stellen  will;  ferner  falls  die  Streitkräfte  des  Feindes  sehr  bedeutend  sind; 
endlich,  wenn  die  Position,  aus  welcher  der  Feind  vertrieben  ist,  sofort 
befestigt  wird,  damit  die  ihn  verfolgenden  Abteilungen  in  ihr  Deckung 
finden,  falls  infolge  eines  neuen  feindlichen  Ansturms  die  Position  nicht 
mehr  zu  halten  ist. 

a)  Gruppen  von  Verschanzungen. 

sehaiuen-  Die  äussere  Form  der  Schanzen-Gruppen  ist  verschieden.    Sehr  oft 

Gnipp6n  und  _   .  , 

Aofrtdiang  braucht  man  winkelförmige  Lonetten  oder  Hai  b-Redoaten ,  welche  die 
dttOMchttt»  PJ.QJJJ  ^^^  ^g  Flanken  decken. 


iwbchen 
Uuien. 


0  „Manuel  des  travaux  de  fortification". 


i 


Feld-BefesUgungtin, 


Aus  folgender  Zeichnung»)  erhellt  auch  die  Art  und  Weise  der  Anf- 
stellnug  der  Geschütze  zwischen  den  Verschanzungen. 


^' 


,^  *  (^ 


^ 


a  VersohuiEnngen  und  An&telliuig  der  Oescliätce  mischen  ihnen. 


b)  Befentigaag  von  HOlien. 

Auf  folgender  Zeichnong'')  zeigen  vir  die  Lage  der  Befestigungen  i*e» '"  ^ 
gegen  einen  Feind,  der  über  eine  zahlreiche  Artillerie  zu  verfügen  hat. 


Angesichts  des  Angriffs  i 


c)  Redouten. 

In  Oertlichkeiten,  welche  von  allen  Seiten  oflen  sind,  können  voll- 
ständig geschlossene  Redonten  konstruiert  werden,  deren  Umrisse  von  den 
Ortsverhältnissen  abhängig  sind. 

HD  c^  t}  O 


(SLeha  DDcb  di<  Mgcnds  Seit») 


')  „Manuel  de  guerre":    „Le  Combat".    Paris  1890. 

')  Omega;  „L'art  de  combattre"  und  Brackenbury:  „Field  Works". 


IV.    Deckungen  und  Schanzen. 


Doch  im  künftigen  Kriege  wird  raan  Angesichts  der  Stärke  der 
neuen  Geschlitze  derartige  Kedonten,  weil  sie  gleich  bemerkt  werden 
können,  nur  in  Aasnahmefällen  errichten.  Vor  den  Werken,  wenn  es  die 
Zeit  und  Mittel  erlauben,  werden  Hindernisse  meist  aus  Draht  errichtet 
werden. 

Folgendes  Bild  wird  uns  von  dem  Bau  einer  derartigen  Redoute 
eine  Yorstellung  geben. 


Bedoate  mit  DrahthindemiBseu. 


d)  Rückendecknngen. 

^«*^"'  Zur  Verteidigung  gegen  Umgehungen  von  der  Flanke  oder  vom 

dsnh  «I-  ß&cken  aus  werden  die  Verschanzangen  mit  einander  verbanden  oder, 
irt„ ,"  falls  die  Umgehung  vom  Rücken  aas  durch  einen  Wald  verhindert  wird, 

Mh>l»i*.  ^^"1*11  Verschanzungslinien  errichtet,  wie  dies  die  erste  Zeichnung  auf 
folgender  Seite  darstellt 


Feld'Befestigtmgen, 


Auf  kupiertem  Terrain,  wo  der  Feind  die  Position  unter  dem  Tminiri.« 
Schatz  natürlicher  Bodenanehenheiten  nrngehen  oder  hinter  ihr  in  einer  HUednun 
derartigen  Nähe  anftanchen  kann,  dass  man  seinen  Anstorm  dnrch  n 
G^schUtzfeaer  nicht  mehr  aufhalten  können  wird,  vereinigen  die  in  der 
Defensive  befindlichen  Truppen  verschiedene  Arten  von  Verschanzungen. 
So  beschiesst  z.  B.  auf  der  zweiten  Zeichnnng  Verschanzung  I  den  Weg, 
welcher  in  der  Richtung  der  eingenommenen  Position  läuft;  sie  ist 
deshalb  errichtet,  weil  die  ßedonte  n  diejenigen  Strecken  des  Weges, 
welche  eine  Einbiegung  machen  oder  in  einen  Schlnss  Übergehen  oder 
sich  hinter  einem  HUgel  befinden,  nicht  beschiessen  kann,  unterdessen 
gestatten  Redonte  II  und  Verschanznng  HL  keine  Umgehnng  der  Position 
von  der  andern  Seite. 


Befesti^ng  einer  OerUJohkeit  dxach  ver- 
schiedene Arten  von  yeTscbanEimgen. 

Die  Linien  der  Verschanzungen  and  Feld-Befestigungen  haben  bis- 
weilen eine  beträchtliche  Ausdehnung.    Um  einen  ungefähren  Begriff  von  « 
ihrer  Ausdehnung  za  geben,  genüge  es,  wenn  wir  anißhren,  dass  die 
ßedoutenlinie  für  eine  Kompagnie  Fusssoldaten  gewöhnlich  140  Meter 
(65  Ssashen)  lang  ist. 


e)  TJebereinanderliegende  Verschanzniigen. 

Wenn  die  örtlichen  Verhältnisse  die  Aufführung  mehrerer  hinter- 
einanderliegender  Verschanzungen  gestatten,  so  wird  gewöhnlich  die  erste  li^öä»  v«. 
Linie  in  der  Höhe  des  Erdniveaus,  die  zweite  50  bis  100  Meter  (23  bis" 
46  Ssashen)  hinter  ihr  und  die  dritte  wiederum  50  bis  100  Meter  hinter 
dieser,  jedes  Mal  in  entsprechender  höherer  Lage  hergestellt. 

Aof  diese   Weise   ermöglicht   man   die  Aufstellung   der   Schützen 
hintereinander  und  ein  schichtweises  Feuern.^) 


')  Springer:  „Handbuch  für  Offiziere  des  Generalstabes". 


270  ^-    Deckungen  und  ScbaoEen. 

Allein  diese  Anlage  gehört  schon  za  den  schwieriger  auszDführenden 
Fortifikationsarbeiten,  welche  gewöhnlich  nnter  Aiileitnng  von  Spezialisten 
aosgeftihrt  werden. 

Beispielsweise  geben  wir  eine  Zeichnnng  von  Verschanznngen,  welche 
österreichisch-preussischen  Kriege  i 
Vri™'-"  Pidohl  bei  Sadowa  aufgeführt  wurden. 


Uebereinand erliegende  Verschanzungen. 

4.  Verteidigung  von  Flüssen  und  Brücken. 

^  Um  di^enigen  Arten  der  Feld-Befestigungen,  welche  nnter  anderem 

»n  ssbnu  auch  zuF  Verteidigung  von  Flössen,  Fnrten  und  Bracken  dienen,  an- 
n™  Brtcw  schaulich   zu   machen,    geben   wir   beifolgende  Zeichnung,    welche    die 

Arbeiten  darstellt,  die  behufs  Verteidigung  von  Flüssen  und  der  über 

diese  führenden  Brücken  ansgefiibrt  werden.') 


Befestigungen  zum  Schatze  von  Flüssen  und  Brücken. 
')  „Trawaux  de  Champ  de  bataille".     1891, 


Yerteidigung  von  Flüssen  und  Brücken.  271 


Irgendwelche  geschlossene  Feld-Befestigungen,  Redouten  und  Halb- 
redouten,  welche  ebenfalls  Schanzen  heissen,  werden  überhaupt  auf  den 
wichtigsten  Punkten  der  Schanzenlinien,  welche  als  Deckung  für  die 
Schützen  dienen,  errichtet  und  für  eine  oder  zwei  Kompagnieen  bestimmt. 

Doch  muss  bemerkt  werden,  dass  in  der  militärischen  Literatur  die  Be^«»^« 

.  gegon  die 

Meinung    vorherrschend    zu    werden    beginnt,    dass    solche    Schanzen  schmzwerke, 
unpraktisch  sind.     Es  handelt  sich  eben  darum,  dass  sie,  wie  künstlich  die  Konzen- 
sie  auch   den   örtlichen   Verhältnissen,   den  Unebenheiten   des   Bodens  ^^^iJ^ 
u.  s.   w.    angepasst    sein    mögen,    trotzdem    zuviel    Platz    einnehmen,     ^'"J^^j^^ 
um   unbemerkt   zu   bleiben.     Sobald    aber   eine  Schanze  das  Ziel  der  ennögiiohen. 
Artillerie  geworden  ist,  bringt  es  eben  ihre  Insichabgeschlossenheit  mit 
sich,    dass   die  Wirkung  der  auf  sie  gerichteten   Geschütze   möglichst 
stark  wird,  und  man  sie  nicht  lange  halten  kann. 

In  einem  in  bergiger  Gegend  geführten  Kriege  können  die  Ee- 
douten  oder  Schanzen  ebenfalls  von  Nutzen  sein,  da  sie  zur  Verteidigung 
von  Uebergängen  und  Etappenpunkten  dienen. 

Was  die  Zeit  anlangt,  welche  zur  Aufschüttung  der  Schanzen  ^otr^^^^^ 
wendig  ist,  so  führen  wir  die  französische  Instruktion  von  1892  an.  voa  sdumr- 

30  bis  60  Minuten  sind  je  nach  der  Beschaffenheit  der  Werkzeuge  und  (n^i  a« 
der  geschehenen  Verteilung  derselben  erforderlich,  um  einfache  Trancheen  'J^^jJ^" 
mit  einer  Brustwehr  von  SOCentimetem  (2,6Fuss)  Kammdicke  aufzuführen; 
4B  bis  90  Minuten  für  die  Ausführung  einer  normalen  Tranchee  mit  einer 
80  Centimeter  (2,6  Fuss)  dicken  Brustwehr  und  2  bis  2^/2  Stunden  zur 
Errichtung  einer  verstärkten  Tranchee  mit  einer  2  Meter  (6,B  Fuss) 
dicken  Brustwehr,  welche  bis  zu  einem  gewissen  Grade  Schutz  gegen 
Artilleriegeschütze  gewährt. 

Zur  Ausführung  eines  Werkes  in  der  Form  einer  hinten  offenen 
Halbredoute  mit  einer  3  Meter  (10  Fuss)  dicken  Brustwehr  und  einer 
Kammlänge  von  100  Metern  (46  Ssashen)  und  einer  verstärkten  Tranchee 
von  ungefähr  20  Metern  (9  Ssashen)  zur  Placierung  der  Eeserve  sind 
309  Mann,  welche  2  Stunden  arbeiten,  erforderlich.  Falls  aber  auch  eine 
Deckung  des  offenen  Teils  durch  zwei  3B  Meter  (16  Ssashen)  lange 
Trancheen  erforderlich  ist,  so  sind  noch  50  Mann  mehr  nötig. 

Zur  Ausführung  dieses  festen  Baues  bedarf  es  schon  solcher  Werk- 
zeuge, wie  sie  nur  im  Regimentstrain  vorhanden  sind. 

Die  österreichische  Instruktion  besagt,  dass  man,  falls  100  mit  den     ^^^'- 

,  reichiscae 

nötigen  Instrumenten  versehene  Arbeiter  zur  Disposition  stehen,   ent-  iMtroktion 
sprechend  der  Stärke  des  Profils  (Durchschnitts,  Seitenwand)  dauerhafte  z*eitd»ne* 
Schanzen  im  Laufe  von  3  V2  Ms  7  Stunden  aufwerfen  könne.  'Vrte^"'" 


rv.    Deokungen  nnd  SohejiKeti. 


5.    Hiifemittel  für  die  Defensive  im  Felde. 

^^\  Unabhängig  von  den  in  Eile  anfgeschütteten  oder  dauerhafteren 

■it      Feld-Befestigungen  werden  die  Truppen  selbstverständlich  alle  durch  die 
.ihttSlIS-Oertlichkeit    selbst    gegebenen    Deckungen:      wie    Bodenunebenheitea, 
TtrhtitBUH.  Schluchten,  Gebäude,  Wald  a.  s.  w.  sich  zu  Nutze  machen.  Am  Waldes- 
saum dienen  gefällte  nnd  haufenweise  in  einer  Keihe  zusammengelegte 
Bäume   als  Deckung.    Diese   muss    man  hinter  den  stehen  gelassenen 
Bäumen  placieren,  so  dass  die  Befestigungslinie  nicht  bemerkt  werden  kann. 
*pm^  Hinter  ihnen  im  Walde  eine  Brustwehr  ganz  aus  Erde  herzustellen, 

utErdtnndist  schwer;  dafür  kann  man  aber  die  mangelnde  Dichtigkeit  des  Erdwalls 
■ttmiiiam.  durch  mOgüchst  viele  dicke  Stämme  und  Stobben,  welche  in  die  Erd- 
aufschüttung eingerammt  werden,  ersetzen.  AUein  bei  der  Einschlagskraft 
der  heutigen  Kugeln  darf  eine  solche  Brustwehr  gemischter  Zusammen- 
setzung nicht  weniger  als  1  Meter  (3  Fuss)  dick  sein. 

Beistehende  Zeichnung  stellt  das  Bild  einer  solchen  Brustwehi-  dar. 


BruBtwehr  ans  Erde  und  BaumstSmmen. 

FruioiiHiia  Djg  l^nzOsische  Instruktion  vom  15.  November  1892  beschreibt  eine 

BantiuK  audcre  Methode  für  die  Benutzung  des  Waldes  zum  Schutze  gegen  den 

"D^n'i^"' Feind.    „Um  den  Wald  zur  Deckung  zn  benutzen",  sagt  die  Instruktion, 

i>MkML    ^jimgs  man  Bäume  nnd  Sträucher  am  Saume  etwa  3  bis  4  Meter  (10  bis 

13  Fuss)  in  den  Wald  hinein  stehen  lassen;  hinter  diesem  Gürtel  und 

gleichlaufend  mit  ihm  muss  man  einen  Durchhau  von  4  bis  5  Meter  (13  bis 

16  Fuss)  durch  Fällung  der  kleinen  Bäume  und  Stehenlassen  der  grossen 

herstellen.  Hinter  der  Blende,  welche  durch  die  Böschung  gebildet  wird, 

ist  eine  Tranchee  zu  errichten,   und  falls  die  Baumwurzeln  dies  nicht 

zulassen,  ist  eine  Brustwehr  anfeuschütten,  welche  durch  die  gefällten 

kleinen  Bäume  zu  verdecken  ist." 

Falls  die  Ausdehnung  des  Waldes  beträchtlich  ist,  so  genügt  es, 
Deckungen  an  den  hervorragendsten  Waldesstreifen  zn  errichten.  In  den 
Zwischenräumen  sind  Barrikaden  aufzuführen,  nm  so  den  Angreifer  länger 


Neue  Arten  von  Feldbefestigungen. 

Beispiel  einer  Gefaohtsstellung  einer  schweren  Batterie  Von  langen  Geschützen 
mit  Bedeckung  äuroh  Infanterie. 


a,  Uüiine  Maskierung  zur  Verbergung  der  Hindernisse. 

b,  Maskierung,  um  eine  vertiefte  Battoria  zu  verbergen. 

c,  Infanterie -Abteilung. 

(1.     Batterie  fBr  Geschütze,  welche  vun  hoher  Lafette  feuern. 
6.     Höbe   und  dichte  Maskierung  im  Hintergrund  der  Front- 
Batterien  zur  Verbergung  der  Kehl -Stellung. 

f.  Flanken  -  Batterien. 

g.  Infanterie -Wache. 

h.     Vorbereitetes  Terrain. 
i.      Kebl-Wache. 
(Die  Abbildung  ist  der  „Schweiz.  Zeitschrift  für  Artillerie  und  Genie"  1397  entnommen.) 


Bd.  I.     Finffl^en  bei  Salt 


Vertheidigungs  -  Blenden. 


Wege  und  Eiseubahneu. 


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Uil&mitt«!  für  die  Defensivs  im  Felde.  273 

unter  dem  Feuer  zu  halten  UDd  ihm  den  Zugang  zu  erschweren.  Allein 
zwischen  den  Waldstreifen  and  den  Barrikaden  muss  man  den  Wald 
lichten,  um  den  Verteidigern  auch  den  Weg  zum  Angriff  offen  zn  lassen. 

Folgende  Zeichnung  giebt  ein  klares  Bild  der  Methode,  den  Wald  ik*!'"«»« 
als  Deckung  zu  benutzen.')  wiia- 

Flui  dH  na  tlainan  Blimin 

gtlloktMan  WaldH.  Erlultana  WalibOiebiuig.  Flu  du  VoMIdlgnnt. 


Methode  den  Wcdd  als  Deckimg  zu  benatzen. 

Ausserdem  wird  man  Öfter  als  früher  Blenden  aus  allerlei  Gegen-  H.rrt^mn 

TOD  Blfliidni 

ständen  herstellen,  deren  man  gerade  habhaft  werden  kann,  wie  aus  •«  »«- 
mit  Erde  gefüllten  Säcken,  Oeflechten  aus  Holz  und  Faschinen,  Balken,  3^°" 
Bäumen,  Wege-  und  Eisenbahn-Einschnitten  und  -Aufschüttungen,  ■'*^"'- 
Hänsei-n  u.  dei^l. 

Es  werden  ebenfalls  Hindemisse  Tor  der  Verteidigungslinie,  als 
Minen,  Geflechte,  Pallisaden,  Spitzbäume,  AVolfsgruben,  Netze  aus  ge- 
zogenem Draht  etc.  angewandt  werden. 

Daven  aber  werden  wir  bei  der  Beschreibung  der  Angriffe  und 
der  Verteidigung  der  Positionen  und  Schanzen  durch  die  Infanterie  zn 
reden  haben. 


6.  Folgerungen. 

Die  AustShrnng  von  Deckungen  auf  dem  Sehlachtfelde  oder  die'^^^*™* 
Arbeiten  der  „eiligen  Fortifikation"  unterliegen  einigen  allgemeinen  Regeln,      F^d- 
ausaerdem  hängen  sie  in  jedem  gegebenen  Falle,  bei  jeder  Oertlichkeit,  ^''""«■"^ 
von  den  vorhandenen  Verhältnissen  und  den  damit  in  Einklang  stehenden 
Anweisungen  des  Kommandeurs  ab.   Daher  zerflUlt  die  Theorie  der  Feld- 

■)  nSciences  mililaires",  Supplements:  „Fortiflcation  de  champ  de  bataiUe". 

Blieb,   Dn  nküaftlfa  Erldf.  18 


274 


IV.    Deckungen  und  Schanzen. 


Die  Verroll 

kommnang 

der 


Befestigung  nach  dner  bei  den  Deutschen  angenommenen  Bestimmung  in 
„formelle"  und  in  „anwendbare  Feldbefestigung".  Die  Theorie  giebt  nur 
die  hauptsächlichsten  Begeln,  die  Hauptsache  hängt  von  der  Orientierung 
an  Ort  und  Stelle  ab. 

In  dem  Maasse,  wie  die  Vervollkommnung  der  Schiessgewehre  fort- 
schreitet, verstärkt  sich  die  Ansicht,  dass  es  für  den  am  Kampfe  teil- 
swgert'd!^  nehmenden  Truppenteil  nicht  genügend  sei,  allein  die  Vorteile,  welche 
BedürftiiB  die  örtlichen  Verhältnisse  bieten,  zu  benützen,  sondern  dass  es  unum- 

nach 

Deekangen.  gängUch  notweudig,  seine  Zuflucht  noch  zu  Deckungsarbeiten  zu  nehmen. 

Haben .  die  Truppen'  die  gewählte  Position  inne  und  erwarten  sie 
den  Angriff  des  Gegners,  oder  ist  der  Feind  aus  seiner  Position  vertrieben 
und  wird  eine  Befestigung  dieser  während  des  Stillstandes  des  Kampfes 
nötig,  so  werden  die  Truppen  mit  Beil,  Hacke  und  Spaten  arbeiten 
müssen.  Wie  und  zu  welchem  Zwecke  man  arbeiten  muss,  diese  Frage 
entscheidet  der  Kommandierende,  da  ja  die  Arbeiten  mit  dem  Ziele,  das 
er  sich  gestellt  hat,  in  Einklang  stehen  müssen. 

Das  Feuer  ist  beim  Angriff  auf  die  hervorragendsten  Punkte  gerichtet, 
allein  es  kann  nur  dann  sicher  wirken,  wenn  die  Feuernden  selbst  in 
genügender  Sicherheit  sind.  Um  die  Verhältnisse  der  OerÜichkeit  sicher 
überschauen  und  bestimmen  zu  können,  welche  Deckungen  nötig  und  wo 
sie  anzulegen,  sind  ohne  Zweifel  Kenntnisse,  Erfahrung,  ja  sogar  Talent 
nötig,  und  zwar  nicht  nur  allein  bei  dem  Kommandierenden,  sondern 
auch  bei  den  die  Arbeit  Ausführenden,  bis  zum  Unteroffizier  hinunter, 
welcher  unmittelbar  die  Höhe  und  Stärke  der  Deckung  auf  dem  gegebenen 
Punkte  bestimmt. 

zuBammen-  jn  Löbell's  „Militärische  Jahrbücher"  finden  wir  folgende  Bemerkung: 

wirken 

von  Sappeurs  Der  BcscMuss  des  russischen  militärischen  Ingenieurkomit6s  verdient 
infrnterie.  Beachtung,  nämlich,  dass  die  Fusstruppen  in  der  Ueberwindung  von  Hinder- 
nissen geübt  werden  müssen,  da  nur  die  erworbene  Fertigkeit  und  über- 
einstimmendes Handeln  der  Fusssoldaten  mit  den  Sappeuren  bei  rationeller 
Anweisung  der  kommandierenden  Personen,  vom  Unteroffizier  an,  den 
Erfolg  sicher  stellen  können.  Die  Kriegskunst  wird  immer  mehr  zur 
Wissenschaft  und  um  mit  den  Fortschritten  in  der  Technik  Schritt  halten 
zu  können,  ist  ein  immer  grösseres  Niveau  von  Intelligenz  bei  allen 
Stufen  der  Kommandierenden  erforderlich. 

Zukünftige  Somit  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  im  kommenden  EMege  auf 

feider     dem  Schlachtfelde  zählreiche  kleine  Deckungen  aus  Erde  nach  Art  der^ 

werden  wie  jjaulwurfshügel  werdcu  aufgeschüttet  werden,  welche  der  Feind  aus  der 

MauiwurftH  Femc  nicht  wird  bemerken  können,  und  von  wo  aus  gute  Schützen  die  feind- 

bedeckt  sein,  ücheu  Linien  mit  Auswahl  beschiessen  werden,  indem  sie  selbst  in  relativer 


Sicherheit  sowohl  vor  dem  Gewehrfeaer  als  auch  sogar  vor  dem  Feaer 
der  Artillerie  sich  befindeu. 

Ungeachtet  der  Unwahrscheinlichkeit  des  Faktums,  dass  irgend 
ein  Sandhaafea  deo  todbriogendeB  Spreoggranaten  und  Shrapnels  ein 
Hindernis  darbieten  konnte,  sind  solche  Verschanznngen  doch  in  der 
That   das   sicherste  -  Schutzmittel  gegen  jene.    Dies   erklärt  sich   sehr 


gkU  Sln- 


Wie  oben  erwähnt,  wendet  die  Artillerie  bei  bedentenderen  Ent- 
fernungen vor  allem  Shrapnels  an.  Diese  Art  von  Geschossen,  welche  in  «piittia 
eine  Menge  kleiner  Splitter  auseinanderfliegen,  besitzt  gegenüber  Hinder- 
nissen eine  sehr  unbedeutende  Durchschlagskraft.  Sogar  ein  nicht  besonders 
starker  Erdwall  gewährt  den  hinter  der  Brustwehr  versteckten  Soldaten 
schon  einen  ausgezeichneten  Schutz.  Der  hinter  dem  Wall  befindliche  Mann 
ist,  falls  er  nicht  den  Kopf  über  das  Profil  der  Aufschüttung  erhebt,  für 
die  Wii'kung  des  Shrapnels  fast  unerreichbar,  wie  man  dies  ans  bei- 
folgender Zeichnung  ersieht.i) 


Schanze  snm  Schutz  gegen  Shrapnel?. 

Daher  ist  zum  Schutze  gegen  Shrapnels,  wie  wir  das  schon  früher 
bemerkten,  nur  eine  ebensolche  Stärke  des  Erdwalls  erforderlich,  wie  sie 
zum  Schutze  vor  GJewehrkngeln  errichtet  wird;  allein  zum  Schutze  gegen 
die  Granaten  der  Feldariällerie  muss  man  stärkere  Erddeckungen  aufführen. 

Hieraus  ziehen  wir  den  Schlnss ,  dass  das  Feuer  der  Artillerie  die  ,^°|^^°'"^ 
hinter  den  Verschanznngen  befindlichen  Soldaten  zwar  keiner  unmittel-  v»rart.u™ 
baren  Gefahr  aussetzt,  sie  aber  doch  zur  Unbeweglichkeit  verurteilt;  B,«i.'nä. 
denn  falls  der  Schütze  behufs  Zielens  den  Kopf  über  einen  Teil  der^^;^"^^^ 
Brustwehr  liervorstreckt,  ist  er  sogleich  der  Gefahr  ausgesetzt,  wenn  bew^iich. 
dei-  Feind  bis  auf  1000  Meter  (eine  Werst)  herangekommen  ist. 

Bis  zum  Augenblick  des  Angriffs  bleiben  die  Verteidiger  der  ersten 
Schanzenlinie  unbeweglich  hinter  dem  Walle  und  unter  seiner  zuveriässigen 


')  Langlois:  „L'artillerie  de  campagne".    Paris  1 


276 


rV.    Beokungen  und  Schanzen. 


Schwierig- 
keit für  die 

Artillerie, 
sich  bei  gut 

angelegten 

Deckungen 

Aber 
die  Stellung 
dee  Feindes 

xa 
orientieren. 


EinftLhmng 

von  Mörsern 

and 

Bomben- 

geschossen 

gegen  Ver- 

schanznngen. 


Geringe 
Schussweite. 


Deckung,  wie  das  die  Türken  in  den  Jahren  1877/78  thaten,  als  sie  in  den 
Trancheen  sitzend  so  lange  warteten,  bis  der  Ansturm  der  angreifenden 
Infanterie  sie  dazu  zwang,  die  Eedouten  zu  besetzen. 

Die  in  der  Reserve  befindlichen  Abteilungen  entfernen  sich  noch 
weiter  nach  hinten,  decken  sich  durch  die  natürlichen  Bodenunebenheiten 
und  nehmen  ihre  Zuflucht  zu  liegender  Stellung,  um  der  Wahrscheinlich- 
keit, getroffen  zu  werden,  zu  entgehen. 

Bei  einer  solchen  Anordnung  der  Verteidigungslinie  hat  es  die 
angreifende  ArtiUerie  mit  der  Orientierung  nicht  leicht.  Sie  ist  nur  die 
Linie  der  Verschanzungen  zu  erblicken  im  Stande,  falls  diese  unge- 
nügend durch  Rasen,  Zweige  oder  auf  irgend  eine  andere  Art  verdeckt 
sind.  Sie  kann  nur  irgendwelche  schwarze  Punkte,  welche  hinter  der 
Brustwehr  erscheinen,  erblicken,  als  welche  die  Silhouetten  der  Offiziere, 
welche  die  Bewegungen  des  Feindes  beobachten,  erscheinen.  Doch  das 
alles  bietet  ein  allzu  unsicheres  Ziel  dar  und  daher  sind  die  allzuhäufigen 
verschwenderischen  Schüsse,  welche  meistens  ihr  Ziel  verfehlen,  unter 
diesen  Umständen  nur  ein  Verlust  an  Geschossen.  Nur  in  dem  Falle,  wenn 
die  Verteidiger,  Angesichts  der  drohenden  Annäherung  der  vorgehenden 
Infanterie,  hinter  dem  Walle  hervorkommen  müssen,  um  durch  Schnell- 
feuer den  Angriff  abzuschlagen,  kann  ihnen  das  ArtiUeriefeuer  einen 
wirklichen  Schaden  zufügen. 

Aber  an  der  Entwickelung  der  Technik  arbeiten  allzuviel  gelehrte 
und  begabte  Spezialisten,  als  dass  man  gegen  jedes  Verteidigungsmittel 
nicht  sogleich  ein  neues  Angriffsmittel  ersinnen  sollte;  so  hat  man  jetzt 
gegen  die  Verschanzungen  die  Mörser  und  Haubitzen  in  der  Armee 
eingeführt. 

Es  wird  behauptet,  dass  die  mit  ihnen  angestellten  Versuche,  von 
denen  wir  später  reden  werden,  ergaben,  dass  die  Zerstörungskraft  der 
neuen  Geschosse  sich  derartig  vergrössert  hat,  dass  sie  auch  eine  moralische 
Wirkung  auf  die  Verteidiger  ausüben  und  diese  veranlassen  können,  die 
Deckung  früher  zu  verlassen,  ohne  den  entscheidenden  Angriff  abzuwarten. 2) 

Allein  Mörserbatterien  giebt  es  wenige,  und  sie  können,  falls  man 
dem  General  Wille  („Das  kommende  Feldgeschütz")  Glauben  schenken 
soll,  nur  in  einer  Entfernung  von  3  Küometern  (3  Werst)  wirken  und 
sind  eben  dadurch  bei  der  Treffsicherheit  der  jetzigen  Feldgeschütze  der 
Vernichtung  von  weiteren  Distanzen  aus  ausgesetzt.  In  Folge  dessen 
werden  in  einer  grossen  Zahl  von  Fällen  die  Schanzen  dennoch  eine  zu- 
verlässige und  notwendige  Deckung  gewähren. 


*)  Kapitän  Grabenschtschikow:  „Sappeur-  und  Artillerie versuch.e",  „Wojenny 
Ssbornik". 


Folgerungen.  277 


Allein  die  Anwendung  von  Deckungen  im  Felde  hat  auch  ihre  Nachteu« 
schwachen  Seiten.  Daebrngen. 

So  erblicken  viele  sie  in  Folgendem: 

1.  sie  berauben  den  Verteidiger  der  Initiative,  indem  sie  ihn 
an  einen  Ort  fesseln,  während  der  Angreifende  immer  über 
die  Wahl  des  Moments  und  der  Richtung  des  Angriffs  ver- 
fügen kann; 

2.  der  Verteidiger,  welcher  sich  hinter  einer  Deckung  befindet, 
ist  bisweilen  mehr  um  die  Beschützung  seiner  selbst  vor 
den  feindlichen  Geschossen  besorgt,  als  um  das  Schiessen 
auf  den  Feind; 

3.  dem  Gtefühle  der  Selbsterhaltung  nachgebend  geht  eine  ge- 
wisse Anzahl  der  Leute  ungern  aus  ihren  Deckungen  heraus, 
um  auf  den  Feind  anzustürmen. 

Daraus  folgt,  dass  die  Verschanzungen  auf  den  Gang  der  Schlacht  Emngung 

068  8i6ff6S 

nur  dann  eine  nützliche  Einwirkung  haben  können,  wenn  die  in  der  De-  sohuessuch 
fensive  Befindlichen  sich  in  der  That  bemühen  werden,  dem  Feinde  Ver-  Xroh*!«-^ 
luste  beizubringen,  wenn  sie  dreist  die  Gewehre  auf  den  Kamm  der  ^^^J^**^ 
Brustwehr  legen  und  ohne  zu  eilen  zielen  werden,  wenn  sie  schliesslich  «nd 
zu  jeder  Zeit  bei  der  ersten  Möglichkeit  bereit  sein  werden,  die  «am  l^s, 
Deckungen  zu  verlassen  mxi  zum  Angriff  überzugehen,  welcher  allein  den 
Sieg  gewährt. 

Angesichts  der  oft  vorhandenen  Notwendigkeit  einer  schnellen  Auf-  ^^J^J*"^^.^ 
führung  von  Schanzen  hat  es  eine  überaus  wichtige  Bedeutung,  inwieweit  einer  guten 
die  Soldaten  sich  die  Kunst  der  Ausführung  von  Erdarbeiten  zu  eigen  atr  Tropfen 
gemacht  haben.    Wenn  man  anerkennen  muss,  dass  Hacke,  Brechstange  ^^^^  ^ 
und  Spaten  dem  stärksten  Artüleriefeuer  einen  Schutz  entgegenstellen    "beiten. 
können,  so  wird  augenscheinlich  derjenige  das  Uebergewicht  über  seinen 
Gegner  erlangen,  wer  diese  Werkzeuge  besser  zu  handhaben  versteht. 

■ 

Den  besten  Euf  in   ganz  Europa  haben  die  Italiener   als  ganz    i^|fj»w 

°  ^  nnd  Russen 

besonders  gute   Erdarbeiter,  welche  man  daher  gern    zur  Ausführung       üb 
der  Aufschüttungen  beim  Anlegen  von  Eisenbahnen  nimmt. '0  Der  russische  wahrend*  de^ 
Soldat  legte  auf  diesem  Gebiete  glänzende  Beweise  von  Verständnis  und  ^^^«^  i^'^. 
Ausdauer  bei  Aufführung  und  Verteidigung  von  Schanzen  schon  zur  Zeit 
der  Belagerung  von  Sebastopol  ab. 

Doch  zur  Zeit  des  Krieges  von  1877  machte  man  überhaupt  von 
den  natürlichen  Fähigkeiten  der  russischen  Soldaten  und  von  den  in 
früheren  Kriegen  erworbenen  Erfahrungen  geringen  Gebrauch.    Die  Vor- 


*)  „Travaux  de  champ  de  bataille".   1891, 


278  IV.    Deckungen  und  Schanzen. 


i 


teile,  welche  man  aus  der  Position  mittelst  ihrer  Verstärkung  durch 
Verschanzungen  ziehen  konnte,  wurden  zu  wenig  in  Betracht  gezogen, 
allein  die  Schuld  trifft  hier  durchaus  nicht  die  einzelnen  Ausfuhrenden. 
In  der  Abteilung  Skobelew's  bei  Plewna  waren  im  Ganzen  3B  Sappeure 
und  nicht  ein  einziger  Ingenieurofftzier  vorhanden.  Die  Infanterie  war 
nicht  mit  den  entsprechenden  Instrumenten  versehen,  und  oftmals  musste 
sie  mit  grossen  Spaten  und  überhaupt  mit  so  unpraktischen  Schanzen- 
instrumenten arbeiten,  dass  Skobelew  darüber  Klage  führte,  dass  die 
Soldaten  diese  Instrumente  auf  die  gestürmten  Positionen  hinwerfen 
mussten,  um  sie  des  Oefteren  durch  irgend  ein  Eücheninstrument  zu 
ersetzen.*)  Die  bedeutenden  Verluste,  welche  der  russischen  Armee  zu- 
gefügt wurden,  muss  man  eben  dem  umstand  zuschreiben,  dass  die 
Armee  über  keine  genügende  Anzahl  von  Werkzeugen  zum  Schanzenbau 
zu  verfügen  hatte. 

Bedantang  „ Allciu  dessenuugeachtet",  sagt  der  preussische  Greneral  Boguslawsky, 

"  der  "°*  „legten  die  russischen  Soldaten  eine  ungewöhnliche  Befähigung  für  Erd- 

^;[~^Sr"  arbeiten  an  den  Tag.    Die  schnelle  Aufführung  der  Schanzen,  die  StiUe 

und  Ordnung,  welche  während  der  Ausführung  der  nächtlichen  Forti- 

fikationsarbeiten   herrschte,    legen   Zeugnis   von  einer  ungewöhnlichen 

Fertigkeit  und  Disziplinierung  dieser  Truppen  ab." 

Allein  eine  noch  grössere  Bedeutung  als  das  Verständnis  der 
Soldaten,  wird  die  Leitung  der  Arbeiten  haben. 

Die  Verschanzungen  sind  für  die  Infanterie  eine  ebenso  grosse 
Notwendigkeit  geworden,  wie  der  Panzer  für  die  Kriegsschiffe. 

Doch  mit  den  Verschanzungen  ereignete  sich  dasselbe,  wie  mit  der 
Panzerung  der  Kriegsschiffe.  Gleichwie  im  Verhältnis  zu  der  grösseren 
Stärke  der  Panzer  immer  grössere  Geschütze  und  Geschosse  erfunden 
wurden,  so  verändern  sich  auch  die  Verschanzungen  augenscheinlich,  den 
veränderten  Verhältnissen  der  Angriffe  und  der  Vervollkommnung  der 
Gewehre  und  Geschütze  entsprechend. 

oeftiireii  Wie  derartige  Erdbefestigungen,  welche  regulär  und  dem  Charakter 

anric^tlff  der  Oertlichkeit  entsprechend  angelegt  sind,  einen  grossen  Einfluss  auf 

"dbifJitt-  ^^^  Erfolg  der  Verteidigung  ausüben,  so  können  im  Gegenteil  erfolglos 

gongen,    ausgcführtc  FortiBkationsarbeiten  sogar  schädlich  wirken,  indem  sie  die 

|i  Thätigkeit  der  übrigen  Abteilungen  behindern  und  dem  Feinde  zu  einer 

versteckten   Umgehung   des   Gegners    oder    zur    Konzentration    seines 


k 

i 


Feuers  verhelfen. 


'i  I  ^)    General    Kuropatkin:      „Thätigkeit    der    Abteilungen     des     General 

'^  i  Skobelew". 


Folgerangen .  279 


Auf  diese  Weise  wird  es  in  einem  zukünftigen  Kriege  zur  Ver-  ^"  '*^**«« 
antwortlichkeit  der  militäiischen  Oberbefehlshaber  auch  gehören,  dass  diese      aiier 
im  Stande  sind,  sich  die  durch  die  Oertlichkeit  gegebenen  Deckungen  hüftn^Si 
zu  Nutze    zu  machen    und  sie  rasch   zu  befestigen,    allein  unter  der ^^"^^'^^^J'" 
Bedingung,    dass    man    stets    bereit   ist,   zur   geeigneten  Zeit   sie   zu  inteuigenten 
verlassen  und  aus  der  Defensive  zur  Offensive  überzugehen.    Um  diese  einzeiira  ° 
schwierige  Aufgabe  glücklich   auszuführen,   dazu  wird  Angesichts   der  ^**'*"*^' 
Schussweite  des  heutigen  Gewehr-  und  Artilleriefeuers  ein  noch  grösseres 
taktisches  Talent  als  früher  nötig  sein,  welches  indess  desto  häufiger 
im  Heere  zum  Vorschein  kommen  wird,  je  mehr  Kräfte  der  entwickelten 
intelligenten  Klasse  der  Armee  zugeführt  werden.    Man  kann  annehmen, 
dass  die  taktischen  Fähigkeiten  der  Kommandeure  in  allen  europäischen 
Armeen  auf  gleicher  Höhe  stehen,  allein  die  Fähigkeiten  der  niederen 
ausführenden  Organe  hängen  durchaus  von  dem  Niveau  der  Kultur  in  dem 
einen  oder  anderen  Volke  ab  und  mithin  muss  das  Maass  der  Forderungen 
damit  im  Einklang  stehen. 


V. 


Die  Kavallerie. 


I 


18* 

|i 

li 


: 


I 


AhMB^B^ 


Bedeutnng  und  Rolle  der  Kavallerie. 

Man   kann   heute    als    gewiss    annehmen,    dass    unmittelbar   mit  Miiit&riache 

°  '  und  wirth- 

Beginn  des   Krieges   Kavallerie- Abteiinngen   einer   der   kriegführenden  sciiaftiiche 
Mächte  in  das  feindliche  Gebiet  vordringen  werden,  um  einerseits  die  ^'^^J^J'*"^ 
Mobilisation  und  Konzentration  der  gegnerischen  Truppen  zu  erschweren,  ^»^»i»«"«- 
andererseits  auch  die  Verkehrsmittel,  die  Proviant-,  Munitions-Magazine 
u.  s.  w.  zu  vernichten. 

Ausserdem  wird  sich  die  Kavallerie  sowohl  in  dem  eigenen  Lande, 
wie  auch  in  dem  Gebiet  des  Feindes  mit  Requisitionen  beschäftigen,  d.  h. 
mit  der  Beschaffung  von  Lebensmitteln  und  aller  derjen^en  Gegenstände, 
die  zur  Befriedigung  der  Bedürfnisse  der  Armee  erforderlich  sind,  so  dass 
der  Kavallerie  von  vornherein  ein  reger  Verkehr  mit  der  Bevölkerung 
des  Landes  zufallt. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  von  der  Art  und  Weise  der  Thätig- 
keit  dieser  Spezialwaffe  in  hohem  Grade  sowohl  die  Form  der  Beziehungen 
des  Feindes  zu  den  Einwohnern,  als  auch  das  Maass  aller  auf  ihnen 
lastenden  Kriegsbürden  abhängen  wird. 

Demnach  verdienen  die  oben  besprochenen  zwei  Formen  der  Thätig- 
keit  der  Kavallerie  ebensosehr  vom  militärischen  als  auch  wirtschaftlichen 
Standpunkt  besondere  Aufmerksamkeit. 

Um  aber  in  das  ganze  Wesen  des  Krieges,  seine  Entwickelung, 
seinen  Gang  einzudringen,  dürfen  auch  die  anderen  rein  taktischen  Auf- 
gaben der  Kavallerie  nicht  ausser  acht  gelassen  werden,  wie  z.  B.  Siche- 
rung des  Heeres,  indem  dieses  mit  Kavallerie -Abteilungen  wie  mit 
einer  Art  Schutznetz  umgeben  wird,  Ennittelung  möglichst  genauer  und 
vollständiger  Nachrichten  über  den  Feind,  endlich  Versuche,  die  feindliche 
Kavallerie  zu  sprengen  und  zu  vernichten  und  damit  die  Pläne  der 
eigenen  Heeresleitung  zu  fördern. 


■J-. 


284 


V.    Die  Kavallerie. 


1.  Numerischer  Bestand  der  Kavallerie  und  sein 
Verhältnis  zur  Stärke  der  Infanterie. 

Kriegrntirke  Yor  allem  gedenken  wir  festzustellen,  wie  stark  die  Kavallerie  ist, 

nach  dem 

nuitirisehen  Über  welche  die  uns  hier  interessierenden  Staaten  verfügen  können,  wobei 
der  Vergleich  von  der  Anzahl  der  Schwadronen  ausgeht.  Als  Quelle 
dienen  uns  die  Ziffern  des  russischen  „Militärkalenders"  i)  für  1891,  dessen 
Verfasser  alle  neuesten  Generalstabsausgaben  zur  Hand  hatte,  um  die 
Kriegsstärke  der  europäischen  Staaten  zu  berechnen.  Die  Angaben  über 
den  Friedensetat  sind  dem  „Gothaischen  Kalender"  für  1894  entnommen. 


Zahl 
der  Schwadronen 

(Hmtir-Kalender) 

Zahl 

der  Schwadronen 

nach  dem 

Friedensetat 

(GothaisdLer  Kalender) 

Deutschland 

Oesterreich 

601 

431 
145 

465«) 
345») 
168 

Italien 

Zusammen 

Frankreich 

ßussland 

1177 

573 
1186 

978 

446 

? 

Zusammen 

Rumänien 

Türkei 

1759 

69 
195 

Bariheieme  Etwas  audcre  Ziffern  führt  Barthelem^)  an.    Nach  seiner  Berechnung 

reeiuaiigen.  ist  die  Schwadroneuzahl  der  einzelnen  Staaten  folgende: 


Reguläre 

Kavallerie 

nach  dem 

Friedensetat 

Schwadronen 

Reserve-, 
Landwehr- 
und Landsturm- 
Kavallerie 

Schwadronen 

Im  Ganzen 

Deutschland 

Oesterreich 

Italien 

372 
252 
147 

465 

181 

24 

837 
433 
171 

Zusammen  .    .    . 

771 

670 

1441 

■ 


0  Kalender,  herausgegeben  von  Oberst  Dobrshinski. 

«)  Nach  dem  Militärkalender  601. 

*)  Nach  dem  Miütärkalender  431. 

*)  H.  Barthelem:  „Armöe  militaire  et  maritime^.    1892. 


Numeiisoher  Bestand  der  SayaUerie, 


285 


• 

Reguläre 

Kavallerie 

nach  dem 

Friedensetat 

Schwadronen 

Reserve-, 
Landwehr- 
und Landsturm- 
Kavallerie 

ijchwadronen 

Im  Ganzen 

Frankreich 

\  Kosaken    .... 

440 
348 
313 

250 
174 
582 

690 
522 
895 

Zusammen  .    .    . 

Rumänien 

Türkei 

1101 

12 
196 

1006 
52 

» 

2107 

67 
196 

Wenn  wir  die  Schwadronenzahl  der  regulären  Kavallerie  nach  dem  Kriegaaurke 

in  Prosenten 

Friedensetat  gleich  100  setzen,  so  erhalten  wir  für  die  Kriegsstärke  der      der 
Kavallerie  in  den  einzelnen  Staaten  folgende  Ziffern :  auf  100  Schwadronen  ^Jj^^. 
des  Friedensetats  kommen  bei  Stellung  der  Armee  auf  den  Kriegsfnss 
(nach  Angaben  Barthelem's) : 


in  Deutschland 
„  Oesterreich 
M  Italien  .    . 


225 
172 
116 


in  Frankreich 


w 


Russland 


{ 


regul.  KavaU. , 
Kosaken .    .    . 


167 
150 
286 


zusammen    187 

in  Eumänien   . 
„  der  Türkei  . 


zusammen    191 


633 

100 


Angesichts  der  Wichtigkeit  der  Aufgaben,  welche  der  Kavallerie    ^^«'^ 
zufallen  und  in  Berücksichtigung  des   ümstandes,  dass  die   Erfüllung  Mit  is?«. 
dieser  Aufgaben  gegenwärtig  weit  schwieriger  ist,  als  in  früheren  Zeiten 
(eine  Folge  des  neuen  Pulvers  und  der  neuen  Bewaffnung),  musste  man 
erwarten,   dass  diese  Waffe  in  demselben  Verhältnis  vermehrt  werde, 
wie  die  übrigen  Waffengattungen. 

Indessen  steht  die  Sache  ganz  anders;  während  die  Infanterie  be- 
ständig und  rasch  verstärkt  worden,  sind  die  Ziffern  für  die  Kavallerie 
bei  den  neuesten  Heeresverstärkungen  im  allgemeinen  die  gleichen 
geblieben. 

In  Folge  dessen  hat  sich  die  Anzahl  der  berittenen  Truppen  im 
Verhältnis  zu  den  übrigen  Waffengattungen  relativ  vermindert,  wie 
folgende  Daten  ergeben: 


V.    Die  Kavallerie. 


1;             Anzahl 

1             Anzahl 

1    dpr  Mannachaflen 

Länder 

der  KftvaUerie 

Länder 

.     der  Kavallerie 

■1  auf  lOOOMann  Infant 

lauflOOOMannlnfant. 

ii      1874      1 

1891 

k      1874 

1891 

Buasland    .  .  .  . 

.  .  ■      165      1 

93 

England    .... 

7& 

74 

Frankreich   .  .  . 

.  .  1       106 

71 

Oeaterreich    .  . 

.;        73 

&0 

Deutschland    .  . 

...       102 

66 

Italien 

50 

31 

Graphisch  dargestellt  stellen  sich  diese  Ziffei-n  folgender  Weise: 

1S74  1891 


Anzahl  der  Uannschaften  der  Kavallerie  auf  1000  Mann  Infanterie. 

unMiM  Demnach  ergiebt  sich  beim  Vergleich  der  Jahre  1874   und  1891, 

miDdenmg  dass  sich  relativ  die  Kavallerie  in  einigen  Staaten  mehr,  in  anderen 

k.™i"mi..  weniger  vermindert,  nirgends  aber  das  frühere  Verhältnis  bewahrt  hat. 

Die   Erklämng   hierfür    ist   nicht   scliwer.     „Der   Hauptwert   der 

Kavallerie  —  sagt    der   französische  Schriftsteller  General  Jung')  — 

liegt  in  der  Schnelligkeit  der  Bewegungen  nnd  der  Kiaft  des  Stosses. 

Diese  Eigenschaften  hängen  niclit  so  sehr  von  dem  Reiter,  wie  von  dem 

Pferde  ab.    Das  Pferd  ist  die  Haiiptwafte  für  den  Reiter,   wie  es  das 

Gewehr  füi'  die  Infanterie,  das  Gesclilitz  für  die  Artillerie  ist.    Die  Wafle 

der  beiden  letzteren  Trnppengattungen  ist  ansserordentlich  vervollkommnet 

worden  und  wird  noch  immer  weiter  vervollkommnet,  während  das  Pferd 

dasselbe  Geschöpf  geblieben   ist,  das  es  za  den  Zeiten  Alexanders  von 

Mawdonien,  Bayards  und  Napoleons  war". 

Thwris  i«  Wenn  nun  aber  auch  die  Anzahl  der  Kavallerie  im  Verhältnis  zu  den 

d«i  Feindet-  audereu  Truppengattnngen   relativ  geringer  geworden  ist,  so  kann  sie 

'™^*''     in  künftigen  Kriegen  doch  eine  gewichtigere  Rolle  spielen,  als  in  früheren, 

wenn  nämlicli  die  so  oft  ausgesprochene  Ansicht  verwirklicht  wird,  da.ss 

es  der  Kavallerie  vor  allem  obliegen  wird,  mit  Streifritten  in  das  feind- 

liclie  Land  nach  Art  der  einstigen  Tartaren-Einfälle  den  Krieg  zn  beginnen. 

')  „Strati'gie,  tactique  et  politique".    S.  7. 


Mobilisation  und  Yorbereitung  zu  Einbrüchen  in  Feindesland.  287 


2.    Mobilisation  und  Vorbereitung 
der  Kavallerie  zu  Einbrüchen  in  Peindesland 

(Grenzdetachements-Krieg). 

Jede  Armee,  welche  früher  schlagfertig  als  der  Gegner  ist,  wird  ^J^  ^^l' 
bestrebt  sein,  die  Mobilisation  des  letzteren  soviel  wie  möglich  zu  er-  MoMiiMtion 
schweren.  In  früheren  Zeiten  dachte  niemand  hieran,  weil  der  Heeres- 
bestand ein  ganz  anderer  wai-,  aber  jetzt,  wo  eine  gewaltige  Menschen- 
masse unter  die  Fahnen  berufen  wird  mit  dem  Augenblick,  wo  der  Krieg 
anfängt,  als  auch  nach  Beginn  der  Operationen,  ist  es  von  grosser  Wichtig- 
keit, dem  Gegner  die  Mobilisation  zu  erschweren.  Dem  Kriege  Preussens 
mit  Oesterreich  im  Jahre  1866  ging  eine  diplomatische  Krise  von  einigen 
Wochen  voraus,  und  während  dieser  Zeit  wurden  die  einzelnen  Korps 
allmählich  mobilisiert  und  je  nach  ihrer  Kriegsbereitschaft  zur  Grenze 
vorgeschoben.  Bei  dem  deutsch  -  französischen  Kriege  des  Jahres  1870 
wurde  die  Mobilmachung  beider  Heere  auf  einen  Schlag  angeordnet,  die 
des  französischen  durch  das  Dekret  vom  15.,  die  des  deutschen  durch  die 
Mobilmachungsordre  vom  16.  Juli. 

Die  einzelnen  Teile  der  deutschen  Kavallerie  wurden  1870  durchaus     ?**"^"  ^ 

maennsg  der 

nicht  in  gleicher  Weise  mobilisiert.  Je  nach  der  Bedeutung  der  ver-  deuuchen 
schiedenen  KavaJlerie-Eegimenter  für  die  Eröffnung  der  Kriegsoperationen  im  Kriege 
waren  auch  verschiedene  P'risten  für  ihre  Bereitstellung  zum  Feldzug  ^®^*** 
angesetzt.  Ein  Teil  der  Kavallerie  hatte  mit  dem  Gegner  vom  ersten 
Beginn  der  Mobilisation  Fühlung  zu  gewinnen;  hinter  diesen  vor- 
geschobenen Kavallerie -Abteilungen  fungierte  ein  anderer  Teil  der 
Kavallerie  gleichsam  als  Scliirmwand,  um  für  die  erste  Zeit  den  Feind 
aufzuhalten;  der  übrige  Teil  aber  hatte  sich  bei  den  anderen  Waffen- 
gattungen zu  befinden  und  mit  diesen  zugleich  an  der  Grenze  ein- 
zutreffen. Diese  verschiedenen  Verhältnisse  bedingten  auch  drei  Formen 
der  Mobilisation :  die  an  der  Grenze  postierte  Kavallerie  wurde  mobilisiert, 
ohne  das  Eintreffen  ihrer  Reserven  abzuwarten;  die  weiter  rückwärts 
gelegenen  Teile  kompletierten  sich  mit  Reserven,  jedoch  unter  Zugninde- 
legung  solcher  Fristen,  dass  sie  nicht  später  als  am  lünften  Tage  marsch- 
bereit sein  sollten,  die  im  Innern  des  Landes  stehenden  Kavallerie- 
Regimenter  wurden  weniger  rasch,  in  Zeit  von  7  bis  14  Tagen, 
mobilisiert. 

Die  Franzosen  begannen  ihre  Truppentransporte  an  die  Grenze  "°^^^' 
schon  am  16.  Juli,  indem  von  diesem  Tage  an  das  im  Lager  von  Chalons  bei  den 
befindliche  zweite  Armeekorps  in  die  Gegend  von  St.  Avold  (westlich  von    '*"*^'®°* 


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288  ^-    ^ie  Kavallerie. 


Saarbrücken)  befördert  wurde.    Sie  waren  sehr  viel  früher  mit  grösseren 
;  11  Heeresmassen  an  der  Grenze,  als  ihre  Gegner.    Ihre  Trappen  trafen  hier 

jedoch  nur  in  Friedensstärke  ein  und  hatten  erst  an  der  Grenze  ihre 
Mobilmachung  zu  vollenden.  Demnach  hätte  die  französische  Kavallerie 
den  Versuch  machen  können,  die  deutsche  Mobilmachung  in  den  der 
Grenze  nächstliegenden  Provinzen  zu  verhindern.  Aber  diese  Kavallerie 
war  für  derartige  Aufgaben  durchaus  nicht  vorbereitet,  was  dem  deutschen 
Generalstabe  wohl  bekannt  war.  Moltke  schrieb  am  ersten  Mobil- 
machungstage 1870  an  den  Stabschef  des  vorzugsweise  beim  Grenzschutz 
beteiligten  achten  Armeekorps:  „Nur  wenn  die  Franzosen,  ohne  mobil 
zu  machen,  vorgehen,  werden  sie   uns  zuvorkommen.    Im  Falle  eines 


'ß  solchen  strategischen  Ueberfalls  kommt  es  darauf  an,  das  Vordringen 

'  des  Feindes  von  der  Grenze  aus  gegen  den  Ehein  zu  verlangsamen." 


Es  ist  begreiflich,  dass  man  vor  allem  bemüht  ist,  den  Teil  der 
Grenze   zu   schützen,  wo   man    den  Angriff  grösserer   Truppenmassen 
erwartet,  und  einstweilen  weniger  bedrohte  Gegenden  offen  lässt. 
sohntat  Demnach  verwandten  die  Deutschen  bei  Beginn  des  Krieges  1870 

der  ddntaolieD 

Qrenie  1870.  besondere  Aufmerksamkeit  auf  den  Schutz  des  südlichen  Teils  der 
deutsch-französischen  Grenze.  Der  deutsche  Gteneralstab  hatte  sich  im 
Interesse  des  Zusammenhaltens  der  Kräfte  zur  Ansammlung  der  ge- 
samten Heeresmacht  in  der  bayerischen  Pfalz  und  nordöstlich  von 
Saarlouis  entschlossen,  wiewohl  man  befürchten  musste,  dass  die  im  Ober- 
Elsass  angesammelten  französischen  Streitkräfte  in  Süddeutschland  ein- 
fallen würden,  in  der  Hoffnung,  dadurch  die  süddeutschen  Staaten  zu  der 
Trennung  von  Preussen  zu  bewegen.  Moltke  ging  hierbei  von  der  Ansicht 
aus,  dass  gerade  in  einem  mit  allen  deutschen  Heereskräften  aus  der 
Pfalz  nach  dem  Unter-Elsass  und  nach  Lothringen  geführten  Angriff  die 
sicherste  Abwehr  selbst  eines  erfolgreichen  Einfalls  der  Franzosen  in 
Süddeutschland  zu  suchen  sei.  Deshalb  hielt  es  die  deutsche  Heeresleitung 
für  möglich,  die  ganze  160  Kilometer  lange  Grenzstrecke  von  Kastatt  bis 
Basel  unbesetzt  zu  lassen,  i) 
1  Der  Schutz  dieser  Grenzstrecke  blieb  den  Zivilbehörden  und  einer 

fliegenden  Kolonne  unter  dem  Kommando  eines  Obersten  überlassen,  dem 
vorgeschrieben  war,  zur  Erhaltung  seiner  Truppenabteilung  möglichst 
zurückhaltend  zu  operieren. 
Jetzige  Seit  den  Kiiegsiahren  1870—71  wurden  alle  Maassregeln  ergriffen, 

Fordernngen  , 

Ar      um  die  Mobilisation  und  Konzentration  der  Kavallerie  noch  früher  zu 

iSbuSlSrii.  v^ll^^^ß^ »    als  dies  im  Kriege  1870/71  geschah.     Der   Austausch    von 

Mannschaften   und  Pferden  zwischen   den   ausrückenden  und  Eeserve- 


*)  Oberst  Cardinal  von  Widdern :  „Der  Grenzdetachementskrieg".  Berlin  1892. 


Mobüisation  und  Vorbereitung  ssu  Einbrüchen  in  Feindesland.  289 


Schwadronen  wird  ohne  die  geringste  Verzögerung  vor  sich  gehen;  da 
ferner  die  Eegimenter  nur  in  der  Nähe  von  Eisenbahnlinien  postiert  sind, 
können  auch  Reserven  und  Ersatzpferde  im  Laufe  einiger  Stunden  bei 
ihnen  eintreffen. 

Die   Einberufung    der  Reserven    ist    bedeutend  vereinfacht;    die    ^"j^*®"* 
namentliche   Einberufung   wird   durch   den  Anschlag   von  Erklärungen  nentBchiand. 
einer  allgemeinen  Einberufung  ersetzt,  durch  welche  Maassregel  zwei 
ganze  Tage  Zeit  gewonnen  werden.    Im  Notfalle  werden  den  Reserven 
zur  Ordnung  ihrer  Angelegenheiten  statt  48  nur  24  Stunden  Zeit  gegeben 
werden.    Was  die  Kompletierung  der  Regimenter  mit  Pferden  betrifft, 
so    spielt   diese  kaum  eine  Rolle,    denn  schon  die  Friedensstärke   er- 
möglicht, jede  Schwadron  auf  130  bis  136  Pferde  zu  bringen,  so  dass, 
um  das  ganze  Regiment  auf  Kriegsfuss  zu  setzen,  nui'  noch  80  Pferde    . 
nötig  sind. 

Man  kann  annehmen,  dass  die  Mobilisation  der  Kavallerie  künftig 
mindestens  um  3  Tage  schneller  vor  sich  gehen  wird,  und  dass  diejenigen 
Kavallerie -Regimenter,  welche  nicht  unverzüglich  ausrücken,  zwischen 
dem  dritten  und  fünften  Tag  vom  Moment  des  Mobilisationsbeginns  zum 
Ausrücken  fertig  sein  werden. 

Frankreich  folgte  dem  deutschen  Beispiele,  und  der  grösste  Teil  ^'"»twich. 
der  Kavallerie  wird  in  sofortige  Aktion  treten  können;  man  will  die 
Infanterie-Divisionen  nur  mit  Reserve-Kavallerie  ausstatten.  2) 

Russlands   gesamte   Kavallerie   soll   nach   deutschen  Angaben   an  ^j^^J^'.^ 
seinen  westlichen  Grenzen  postiert  sein  und  vor  die  Front  genommen  BnMi»nd. 
werden.  2)     Ausserdem  wurden  die  berittenen  Grenzwächter  vollständig 
militärisch  organisiert,  so  dass  sie  jeden  Augenblick  in  Feindesland  ein- 
rücken können. 

Es  ist  klar,   dass  die  Kavallerie  um  so   sicherer  Erfolge  erzielen  ^*^^°®"*fi^^«*' 
wird,  je  grösser  ihre  Beweglichkeit  ist.    Deshalb  beschäftigt  man  sich  in  Kayauene- 
allen  Armeen  unablässig  mit  der  sorgfältigsten  Ausbildung  von  Pferden  tm^^^e 
und  Mannschaft  nach  dieser  Richtung  hin.     Schon  im  Kriege  1870/71      ^®^^- 
wurden  hierin    bemerkenswerte  Resultate    erzielt.     So  z.  B.  legte  eine 
Schwadron  deutscher  Dragoner,  welche  Fühlung  zwischen  zwei  Korps 
herstellen  sollte,  in  36  Stunden  200  Kilometer  (186  Werst)  zui-ück,  wobei 
die  Hälfte  des  Weges  in  hügeligem  Gelände  unter  leichtem  Plänkelfeuer 
mit  dem  Feinde  geritten  wurde    und  im  Laufe  von  I2V3  Stunden  keine 
Fütterung  stattfand,  s) 


2)  Löbell:  „Militärische  Jahresberichte  für  1895**. 

3)  „Wojenny  Ssbomik",   Kritik  des  Widdern 'sehen  Werkes  durch  General 
Ssuchotin. 

Bloch,   Der  zakflnftige  Krieg.  19 


290 


V.    Die  Kavallerie. 


i 


Manöver  jjj   Frankreich    machte    die    Kavallerie    bei   den   letzten   grossen 

Frankreich,  Manövcm  64  Kilometer  pro  Tag,  ohne  sonderlich  an  Tauglichkeit  zur 
Erfüllung  weiterer  Aufgaben  zu  verlieren. 

Rasaland.  ^   Drygalski,  der  bekannte  deutsche  Militärschriftsteller,   sagt ,4) 

dass  in  Eussland  üebungen  in  plötzlichen  Einfallen  ernste  Aufmerk- 
samkeit geschenkt  wird.  Dasselbe  bestätigen  auch  französische  Quellen. 
Die  „Revue  militaii-e"  führt  an,  dass  während  der  gi'ossen  Manöver  im 
Königreich  Polen  eine  ca.  600  Pferde  starke  Abteilung  im  Laufe  von 
44  Stunden  an  200  Kilometer  zurücklegte. 

Leistungen  j^och  lehrreicher  als  die  üebungen  in  Friedenszeit  sind  Beispiele 

niBsisohen  vou  Lcistungeu  russischer  Kavallerie  im  letzten  Türkenkriege  von  1877/78. 

1877/78.    Wir  wollen  einige  der  hervorragendsten  und  eigentümlichsten  anführen. 

Der  bekannte  Schipka-Zug  des  Generals  Gurko  fällt  nicht  ganz  unter 
den  Begi'iff  des  Einbruches  in  Feindesland,  des  „Raid",  welche  Bezeich- 
nung sich  seit  dem  nordamerikanischen  Bürgerkriege  in  der  militärischen 
Sprache  hierfür  eingebürgert  hat.  Der  „Raid"  ist  eine  Reiteraufgabe,  die 
einer  beweglichen,  ganz  selbständigen  Abteilung  übertragen  wird,  die  jäh 
und  unerwartet  über  den  Feind  heiiällt,  zerstört,  was  zerstörbar  ist,  die 
Verbindung  unterbricht  u.  s.  w. 

Die  Abteilung  Gui'ko's  bestand  ursprünglich  aus  IOV2  Bataillonen, 
44  Schwadronen,  38  Geschützen  und  einer  Abteilung  berittener  Pioniere, 
im  Ganzen  aus  8000  Mann  Infanterie  und  gegen  4000  Mann  Kavallerie; 
mit  der  später  hinzugekommenen  Reserve  (1.  Brigade  der  9.  Infanterie- 
Division)  16  000  Mann. 

Die  Expedition  dauerte  3  Wochen,  vom  12.  Juli  (Ausmarsch  aus 
Tirnowo)  bis  zum  6.  August,  wo  der  grösste  Teil  der  über  den  Balkan 
gegangenen  Truppen  den  Rückzug  beginnen  musste.  General  Gurko 
führte  eigentlich  die  Avantgarde,  welche  ihre  Aufgabe  vollkommen  löste; 
aber  hinter  der  Avantgarde  folgte  keine  Hauptmacht,  weil  die  unvorher- 
gesehenen Kämpfe  bei  Plewna  die  Vorwärtsbewegung  des  russischen 
Heeres  hemmten.  Wäre  nicht  der  unerwartete  Widerstand  Osman  Paschas 
gewesen,  so  wäre  das  8.,  9.  und  12.  Armeekorps  unmittelbar  hinter  Gurko 
nach  Rumelien  vorgedrungen  und  der  Friede  wäre  wahrscheinlich  rasch 
in  Adrianopel  diktiert  worden. 

Die  von  General  Gurko  befehligte  Avantgarde,  welche  unerwartet 
mit  der  eiligst  von  der  montenegrinischen  Grenze  angerückten  Armee 
Suleiman  Paschas  zusammenstiess,  musste  sich,  da  sie  keinen  Rückhalt 
hatte,  zurückziehen. 


*)  „Die  russischen  Somnierübungeu".    Berlin  1884. 


Mobilisation  und  Vorbereitung  zu  Einbrüchen  in  Feindesland.  291 


Den  Charakter  des  „Kaid"  verleiht  der  Expedition  des  Generals 
Gurko  nur  der  Umstand,  dass  sie  unerwartet  über  den  Balkan  einbrach, 
Schipka  nahm,  dem  Feind  in  den  Rücken  fiel,  hierbei  Schwierigkeiten 
geographischer  und  klimatischer  Natur  überwand,  trotz  der  auf  Schritt 
und  Tritt  sich  darbietenden  Hindernisse  kühn  vorwärts  ging,  Eisen- 
bahnen, Telegraphen  u.  s.  w.  zerstörte,  Adrianopel  selbst  in  Schi-ecken 
setzte  und  dann  noch  feststellte,  dass  eine  neue  feindliche  Ai'mee  auf  dem 
Kriegsschauplatz  erschienen  war,  deren  Vordringen  und  Konzentrierung 
gleichzeitig  verhindert  wurden. 

Selbstverständlich  erforderte  die  Erreichung  aller  dieser  Resultate  .  Ausdauer 

im  Ertragen 

ganz  besondere  Anstrengungen.    Erwähnt  mag  hierbei  noch  werden,  dass      der 
die  unter  Gurko  operierende  Heeresabteilung  aus  3  Regimentern  regulärer  ^*™p"®'' 
Kavallerie  und  2  Kosaken-Regimentern  bestand.    Bei  der  Wiederkehr 
nach  Tirnowo  waren  die  Pferde  so  stark  mitgenommen,  dass  sie  ganz 
dienstuntauglich  geworden. 

Wenn  wir  hören,  was  der  preussische  General  von  Keller  über  die 
Abteilung  Gurko's  und  besonders  über  den  Balkan-Zug  berichtet,  so  be- 
greifen wir  leicht,  bis  zu  welchem  Grade  die  russische  Kavallerie  zum 
Ertragen  von  Strapazen  fähig  gemacht  werden  kann. 

Das,  was  die  Truppen  an  jenem  Tage  leisteten,  übertraf  fast  jeden     ueber- 
Begriff  von  Menschenkraft.    Um  diese  Leistung  genügend  zu  schätzen,      An- 
reicht  die  Vorstellung  von  der  Länge  des  dui'chmessenen  Weges  nicht  im  ""^^^^«^'"^ 
Entferntesten  aus ;  erst  die  Erkenntnis,  welche  ungeheuren  Schwierigkeiten  ^^^^''' 
hierbei  zu  überwinden  waren,  giebt  ein  richtiges  Bild.    An  diesem  Tage 
sind  von  den  Truppen  20  Kilometer  zurückgelegt  w^orden.    Drei  Meilen 
Balkanabhänge  hinauf  und  hinunter!    Wieviel  Mühe  und  Anstrengung 
jedes  einzelnen  Soldaten  schliesst  diese  Ziffer  doch  ein!    Der  Marsch 
erfolgte    während   einer   unerträglichen  Hitze,    und   dabei    hatten    die 
Truppen  noch  schwer  zu  arbeiten,  indem  sie  Geschütze  und  Munition 
mit  sich  führten.    Besonders  die  Fortschaffung  der  Geschütze  erforderte 
unglaubliche,  übernatürliche  Anstrengung.    Die  Reiterei  sass  ab  und  half 
unablässig  den  Pferden  die  Geschütze  weiter  ziehen,  welche  jeden  Augen- 
blick umzustürzen   und   in  einem  Abgrund   zu   verschwinden   drohten. 
Wirklich  rollten  auch  2  Geschütze  mit  Leuten  und  Bespannung  einen  steilen 
Abhang  hinunter.    Stellenweise  wurde  die  Weiterschaffung  der  Geschütze 
ausschliesslich  der  Infanterie  übergeben. 

Mit  Recht  schrieb  der  Herzog  von  Leuchtenberg  in  seinem  Rapport : 
„Man  kann  ohne  Uebertreibung  sagen,  dass  unsere  Geschütze  und 
Munitionswagen  auf  den  Schultern  unserer  Soldaten  über  den  Balkan 
transportiert  worden  sind." 

19* 


292  '^-    I*'*  KaTOUerie. 

Einen  annäheiiideii  Begriff  vom  Schipka-UebergaQg  kann  uns  fol- 
o»^ät»n  gendes  Bild  geben.') 

BeUpta-PuL 


Transpott  von  Geschützen  über  den  Sdupka-Paäü. 

Als  das  beste  Beispiel  fiir  die  Fähigkeit  des  rassischen  Soldaten, 

Strapazen  zu  ertragen,  führt  derselbe  preussiache  General  von  Keller  die 

Thatsache  an,  dass  bei  diesen  unglaublichen  Anstrengungen  dennoch  die 

ganze  Abteilung  das  Tschunda-Thal  am  dritten  Tage  völlig  kampfiähig 

erreicht  habe.    Diese  Thatsache  spreche  für  sich  selbst. 

'^'äl*i  Bemerkenswert!!  sind  auch  die  Resnitate  der  Winterexpedition  des 

if  a««n>ig  Generals  Strnkow,  besonders  wenn  mau  die  geringe  Stärke  seiner  Ab- 

187*.*    teilnng  berücksichtigt.      Strnkow   rückte  am   14.  Januar  1878   an   der 

Spitze  von  9  Schwadronen  aus,  machte  nirgends  Halt  nnd  blieb  erst,  in 

Folge  des  Waffenstillstandes  vom  1.  Febrnar,  bei  Tschatalda,   fast  im 


')  CassoU :  „History  of  the  Russo-Turkish  War". 


Mobilisation  und  Vorbereitung  zu  Einbrüchen  in  Feindesland.  293 

Angesicht  Konstantinopels  stehen.  General  Strukow  warf  sich  so 
zwischen  die  auf  dem  Rückmarsch  befindlichen  türkischen  Abteiinngen, 
welche  ohne  Anfrechterhaltnng  der  Fühlung  mit  ihrem  Gros  marschierten 
und  bewirkte  mit  seiner  kleinen  Abteilung,  dass  russische  Truppen  dort 
auftauchten,  wo  man  sie  am  allerwenigsten  erwartete,  wodurch  sich  natür- 
lich weithin  Schrecken  und  Bestürzung  verbreitete.  General  Strukow 
nahm  Adrianopel,  eine  Stadt  von  etwa  120000  Einwohnern,  die  Achmed 
Ejnb  Pascha  preisgegeben  hatte,  obwohl  letzterer  über  8000  Nizams, 
60  Geschütze  und  eine  recht  beträchtliche  Abteilung  Baschibozuks  verfügte. 
Der  „Raid"  Strukow's  hatte  noch  die  Bedeutung,  dass  zahlreiche  türkische 
Abteilungen  (Hassan  Pascha  und  Abdul  Kerim  Pascha),  welche  sich  auf 
Adrianopel  zurückzuziehen  gedachten,  ihre  Marschrichtung  änderten  und 
nach  Osten  auswichen. 

Obwohl  die  Hilfe,  die  General  Strukow  überall  von  der  bulgarischen 
Bevölkerung  erfuhr  (besonders  durch  Uebermittelung  wichtiger  Nach- 
richten), ihm  seine  schwierige  Aufgabe  in  vielem  erleichterte,  so  gehört 
doch  seine  Unternehmung,  wie  der  Verfasser  des  Berichts  bemerkt,  zu 
den  kühnst  geplanten  und  glücklichst  durchgeführten,  welche  die  Ge- 
schichte überhaupt  kennt. 

Gegenwärtig  sind  die  Ansprüche  an  die  Rolle  der  Kavallerie  noch  B^«"*ong 
grösser  geworden.  Um  die  Kraft  dieser  WalFe  zu  vergrössem,  werden  zateiianj 
den  Kavallerie-Abteilungen  Schnellfeuergeschütze  beigegeben.  seimliifeaer. 

Diese  sind  dermaassen  gebaut,  dass  sie  auf  Pferden  transportiert  ^    **""* 
werden  können.    Das  Zusammensetzen  bedarf  nur  einiger  Minuten.    Auf 
der  folgenden  Seite  geben  wii-  Zeichnungen,  welche  diesen  Transport  und 
das  Zusammensetzen  erläutern. 

Besonders  die  russischen  Militärautoritäten  setzen  auf  ihre  Kavallerie   K^^and 

besitifc 

grosse  Holfnungen.    Ausserdem  ist  ja  diese  Kavallerie  zahlreicher,  als  in   die  »bi- 
aDen  übrigen  Staaten.    In  Russland  kommen  auf  je  1000  Mann  Infanterie  x^rauerie. 
27  Berittene  mehr  als  in  Deutschland,  19  mehr  als  in  Oesteireich,  22  mehr 
als  in  Frankreich,  43  mehr  als  in  Italien  und  62  mehr  als  in  England. 

Ausserdem  bilden  die  Kosaken  ein  sehr  wertvolles  und  besonders 
bei  einem  langwährenden  Kriege  unerschöpfliches  Kavallerie-Material.  Die 
Zahl  der  Kosakentruppen  in  Kriegsstärke  betrug  zum  1.  Januar  1888 :6) 

Offiziere  Unterchargen 

Im  europäischen  Russland  3 176  133  493 

Im  asiatischen  Russland        438 22  311 

Insgesammt  3  613  15B  804 


*)  Freiherr  von  Tettau:  „Die  Kosaken-Heere".    Berlin  1892. 


V.    Die  KaTallerie. 


Zasammengtisetztes  OeBObütz. 


Transportiorang  Hi^a  Gesohützcs. 


Der  Listeubestand  der  Kosakentruppen  war  zu  dieser  Zeit  folgender: 
Offiziere  Unt^rchargeu 

Im  enropäischen  Rnssland  3  795  '261 987 

Im  asiatischen  Rnssland        304 39197 

Insgesanimt  4  189  301 184 

also  einschliesslich  dei'  Offiziere  überhaupt  305373  Maoo. 


Mobilisation  und  Vorbereitung  zu  Einbrüchen  in  Feindesland.  295 


Ans  diesen  Angaben  ist  zu  ersehen,  dass  die  Kosakenbevölkerung 
im  Notfalle  ausser  dem  von  der  Eegierung  geforderten  Sollstande  (Kriegs- 
stärke) noch  etwa  600  Offiziere  und  130000  Mann  im  Alter  von  18  bis 
38  Jahren  zu  stellen  vermag. 

Trotzdem  werden  in  Russland  noch  Ansichten  laut,  welche  eine  Forderungen 

noch 

weitere  Vermehrung  der  Kavallerie  fordern.    General  Ssuchotin  und  die    g^aaerer 
Anhänger  seiner  Theorien  fordern  die  Formierung  von  noch  170  000  Mann  ^*™^™°* 
Kavallerie.    Sie  sind  der  Ansicht,   dass  Russland,  welches  20  Millionen  i^ßn*j^\^^ 
Pferde  besitzt,  eine  Million  Pferde   aufstellen  könne,   und  dann  doch 
nur  6%  des  gesamten  Pferdematerials  für  Kavalleriezwecke  bestimmt 
sein  würden. 

In  diesem  Falle  hätte  Russland  über  2V2nial  mehr  Kavallerie  zu 
verfugen,  und  diese  Reitermasse  könnte  sich  gleich  einem  Orkan  in 
das  Land  des  Feindes  stürzen.  Wie  England  als  Seemacht  par  excellence 
gelte,  so  könnte  Russland  das  Land  der  Kavallerie  par  excellence  genannt 
werden,  wofür  ja  schon  die  Kosaken  als  glänzendes  Beispiel  dienten. 
Folglich  müsste  Russland  auch  alle  Vorteile,  die  sich  unmittelbar  aus 
dessen  natürlicher  Lage  ergeben,  ausnutzen. 

Der  oben  zitierte  bekannte  deutsche  Militärschriftsteller  A.  Drygalski    zweck: 

Vanrflatnng 

sagt:  Es  sei  offenbar,  dass  diese  vorzugsweise  an  den  Grenzen  postierten  des  Peind«»- 
Reitermassen  nicht  so  sehr  für  Abwehrzwecke  bestimmt  sind,  wie  für  ^*°^"^ 
Zwecke  eines  angreifenden  Vorgehens  in  Feindesland.  Dieses  erhelle 
noch  mehr  aus  den  beständigen  Hinweisen  aller  russischen  Militär- 
schriftsteller darauf,  dass  geniale  Heerführer  stets  den  Angriff  der  Ver- 
theidigung  vorgezogen  hätten  und  dass  die  russische  Kavallerie  die 
Verwüstung  des  Feindeslandes  hauptsächlich  bezwecken  soD. 

In   den   deutschen   Militärkreisen    haben    die    in    der    russischen  uawandiung 

in   Dra^ODor. 

Kavallerie  durchgeführten  Umformungen  einen  grossen  Eindruck  ge- 
macht. Die  Umwandlung  der  gesamten  regulären  Kavallerie  in  Dragoner- 
Regimenter  und  die  Verteilung  der  Kosaken  -  Regimenter  auf  die 
Divisionen  der  regulären  Kavallerie,  ebenso  wie  auch  der  Umstand,  dass 
die  Grenzwache  derart  umgeformt  wurde,  dass  sie  sich  von  der  eigent- 
lichen Kavallerie  nur  wenig  unterscheidet  und  sofort  nach  Ausbruch  des 
Krieges  in  Feindesland  einfallen  kann,  wurden  sehr  eingehend  besprochen. 
Nach  diesen  Veränderungen  zu  urteilen,  wird  der  russischen 
Kavallerie  in  künftigen  Kriegen  eine  hervorragende  Rolle  zufallen.  Die 
russischen  Kavalleriemassen,  welche  mit  Handfeuei'waffen  ausgerüstet  sind, 
die  dem  Infanteriegewehr  nicht  nachstehen,  können  schon  zu  einem  Zeit- 
punkte in  das  Gebiet  des  Gegners  einbrechen,  wo  dessen  Armee  noch  in 
der  Mobilisation  begriffen  ist  und  weite  Landesteile  noch  nicht  militärisch 
geschützt  sind;  sie  haben  damit  die  Möglichkeit,   die  Verbindungslinien 


296  V.    Die  Kavallerie. 

zn  unterbrechen,  Brücken,  Tunnels,  Stationen,  ebenso  Magazine,  Auf- 
speicherungen von  Getreidevorräten  etc.  zn  zerstören,  und  überhaupt  in 
dem  wirthschaftlichen  Leben  des  feindlichen  Landes  Verwirrnngen  hervor- 
zDrufen,  deren  Folgen  sich  kaum  berechnen  lassen. 

In  dieser  Art  Thätigkeit  wird  die  Kavallerie  in  Friedenszeiten  in 
allen  Ländern,  und  besonders  in  Kussland,  geübt.  Gegenstand  der 
n.  Uebungen  sind:  Zerstömng  von  Eisenbahnen  bis  zu  20  Werst  Aus- 
dehnang,  der  dazu  gehörigen  Stationseinrichtungen,  Brücken  u.  s.  w., 
Empfang  and  Absendung  von  Depeschen,  Abfangen  feindlicher  Depeschen 
und  Herstellung  von  Telephonverbindungen. 

Die  Unterbrechung  von  Eisenbahnlinien  wird  geübt  dnrch  Sprengungen, 
zn  deren  Ausführung  jedes  Kavallerie-Regiment  neben  den  verschiedensten 
anderweitigen  fiandwerkszeugen  eine  Anzahl  von  Sprengpatronen  — 
Pyroxilin  —  aaf  Packpferdeii  mit  sich  führt. 

Folgendes  Bild,  der  „Leipziger  Illustrierten  Zeitung"  entnommen, 
zeigt  uns  eine  Unterbrechung  einer  Eisenbahnlinie. 


Unterbrechung  von  Eiaenbalmlinit'n  durcli  Anneetlragoner. 

in'itt         ^^^  betreflende Kommando  reitet  möglichst  unbemerkt  und  gedeckt 
•nbihii-  an  die  Strecke  des  Bahngeleises,  womöglich  eine  Kurve,  heran,  wo  die  Zer- 


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MobiliBatioD  und  Vorbereitnug  zu  Einbrüchen  in  Feindesland.  297 

stüraiig  ausgeführt  werden  soll  und  hält  dann  in  angemessener  Entfernung. 
Während  aan  hier  ein  Teil  mit  den  Packtieren  gedeckte  Anfstellung  nimmt, 
jagen  die  übrigen,  in  einzelne  Nummern  geteilt  —  je  zwei  bis  drei  Reiter 
—  fäcbei-förmig  sich  ausbreitend,  in  raschester  Grangart  an  das  Bahn- 
geleise vor,  um  auf  entsprechend  langen  Strecken  ihr  Zerstömngswerk 
ohne  Zeitverlust  zu  beginnen.  Pyroxilinpatronen  werden  in  Abständen 
Ton  einem  Meter  mit  eingesetztem  Zünder  an  der  äusseren  Seite  .zweier 
znsammenstossender  Schienen  aufgestellt,  mögliehst  fest  mit  Erde  verdämmt 
nnd  in  Brand  gesetzt.  Da  die  zum  Zünden  gehörige  Zündschnur  nur  lang- 
sam fortbrennt,  haben  die  Reiter  vollauf  Zeit,  sich  anf  200  Meter  and 
darüber  zu  entfernen  und  damit  in  Sicherheit  zu  bringen. 

Das  Sprengen  der  BiTlcken,  besonders  der  grossen  eisernen,  bedarf 
aber  schon  grösserer  Sachkenntnis.  In  der  Beilage  geben  wir  das  Bild  der 
Sprengung  einer  hölzernen 
Brücke  durch  Zöglinge  der 
französischen  Kavallerie- 
schule,  sowie  eine  Darstellung 
der  Uebungen  zur  Legung 
von  Dynamitpatronen  behufs 
Sprengung  einer  grossen 
eisernen  Brücke. 

Haud  in  Hand  mit  der  ? 

Zerstörung     des     Schienen-  u 

geleises  und  der  Brücken 
pflegt  denn  auch  immer  die 
Unterbrechung  der  Bahn- 
telegraphen  zu  gehen. 

Zur  Ansfiihrung  dieser 
und  anderer  Zerstörungs- 
arbeiten werden  der  Ka- 
vallerie Sappeure  zugeteilt 
Nebenstehendes  Bild  zeigt 
einen  russischen  Dragoner 
mit  aufgesessenem  Sappenr 

^lcht  selten  ist  es  auf  __ 

besonders     wichtigen      und  ,.         ~  /■  <  "      ' 

^  Dragoner  m  t  ttufgesecBenem  bappeur 

verkehrsreichen  Linien  \on 

grosfei  Bedeutung  Kenntnis  von  den  auf  diesen  umlaufenden  Depeschen 
des  Gegneis  zu  erhalten  sie  abzufangen  nnd  auf  solche  Weise  Einbbck 
m  die  feindlichen  Maassnahmen  zu  erlangen  Man  bedient  sich  hierzu 
des    Kavallene  Telegraphen    (Telephon),    indem    man    diesen     in    die 


298  V.    Die  KftvalleriP. 

feindliclie  Linie  einschaltet.    Mit  solchen  Apparaten  ist,  wie  in  anderen 
Staaten,  auch  in  Russland  jedes  Karaüerie-Regiment  ausgerüstet. 
Li<t>i>g«n  Man  hat  nämlich,  da  das  Telephon  beim  Sprechen  Missverständnisse 

lindLisheB  uicht  ausschliesst,  wen  besondere  Eigentümlichkeiten   der  Stimme  und 
>«p«»iuii.  ^Q^gprache  beim  Absender  ebenso  schwer  ins  Gewicht  fallen  wie  die 
Schärfe  des  Gehörs  beim  Empfänger,  auch  für  das  Teleplion  im  Feld- 
dienst die  Morse  -  Zeichen  in  allen  Armeen  eingeführt,   zumal  man  ihnen 


r  feindlichen  Depesche  mit  dem  Kavallerie-Telegraphen  (Telephon). 


Urteile  über  den  Grenzdetacheinent-s-Krieg.  299 


weit  grössere  Zuverlässigkeit  zuschreibt  und  ihre  Erlernung  nicht  auf 
unüberwindliche  Schwierigkeiten  stösst.  Das  Telephon  ist  zu  diesem 
Zweck  mit  einem  Morse  -  Schlüssel  verbunden,  dessen  laute  Schläge  im 
Telephon  aufgefangen  und  nach  dem  Gehör  abgelesen  werden. 

Selbstverständlich  ist  das  Abschreiben  von  Feindesdepeschen  nur 
dann  zu  ermöglichen,  wenn  es  einer  weit  vorgedrungenen  Kavallerie- 
Patrouille  gelungen  sein  wird,  sich  hinter  die  gegnerische  Kavallerie 
unbemerkt  in  den  Telegraphen  einzuschalten,  denn  es  wird  wohl  Niemand 
im  Kriegsfalle  die  zum  Gegner  führenden  Telegraphenlinien  bestehen 
lassen. 

Nebenstehendes  Bild  zeigt  uns  das  Auffangen  einer  feindlichen 
Depesche  mit  dem  Kavallerie-Telegraphen  (Telephon). '0 

Diese  Hebungen   der  russischen  Kavallerie  mussten  natürlich  die   Möglich« 
Nachbarstaaten  beunruhigen  und  die  verscliiedensten  Mutmaassungen,  An-     mowi-  °' 
sichten  und  Befürchtungen,  besonders  in  Deutschland,  hervorrufen.  Soweit  Do"!Jtchfaid. 
sich  die  Sache  übersehen  lässt,  steht  in  der  deutschen  Armee  die  Ueber- 
zeugung  fest,  dass,  auf  welcher  Front  der  Krieg  auch  ausbrechen  möge, 
die  Initiative  der  Operationen  immer  Deutschland  dank  seiner  schnellen 
Mobilisation  zufallen  wird,  d.  h.,  dass  die  deutschen  Heere  den  Feind  in 
dessen  eigenem  Land  w^erden  angreifen  können.   Von  dem  Vorhandensein 
dieser  Ansicht  zeugen  nicht  nur  die  Aeusserungen  aller  deutschen  Schrift- 
steller, welche  die  Frage  des  zukünftigen  Krieges  berühren,  sondern  auch 
die  von  der  Regierung  im  Reichstag   abgegebenen  Erklärungen.    Die 
direkte  und  natürliche  Folge  einer  solchen  üeberzeugung  ist  daher,  dass 
die  Frage  der  Kavallerie-Raids  fast  ausschliesslich  von  dem  Gesichts- 
punkt betrachtet  wird,  inwiefern  sie  die  Mobilmachung  stören  können. 


3.  Urteile  über  den  Greiizdetachements-Krieg. 

Im  Jahre  1883  erscliien  in  No.  93  der  „Allgemeinen  Militär-Zeitung"    Artikel: 
ein  Artikel  unter  dem  Titel  „Ostpreussen  und  der  Tartaren-Ritt'V)  der"  anraTr*" 
allgemeine  Aufmerksamkeit  auf  sich  lenkte.    Der  Verfasser  bleibt  mit  ^*^t'!"" 
eingehendem   Ernst   bei   der   Frage   über   die   „Raids"    der   russischen 
Kavallerie  stehen.    Die  deutsche  Kavallerie  werde  durch  die  russische 
reguläre  Kavallerie  hinlänglich  beschäftigt  w^erden  und  deshalb  nicht  im 

^)  „Leipziger  Illustrierte  Zeitung". 

^)  Da  ^r  die  Nummer  des  zitierton  Organs  nicht  zur  Hand  haben,  geben 
wir  ein  Referat  des  Artikels  nach  dem  Buche  des  Antisarmatikus:  „Von  Berlin 
und  Wien  nach  Petersburg  und  Moskau  und  zurück". 


200  V.    Die  Kavallerie. 


Stande  sein,  sich  noch  mit  40000  bis  50000  Mann  irregoiärer  Kavallerie 
abzugeben.  Diese  letztere  könne,  wenn  sie  sich  in  kleine  Abteilungen 
auflöse,  in  einigen  Tagen  grosse  Strecken  verwüsten,  die  Verbindung 
stören  und  gleichzeitig  in  den  nahe  gelegenen  Wäldeni  Unterschlupf  finden. 
voracMftge  ^jg  zuverfässigcs  Mittel  dagegen  wird  empfohlen,  auf  der  Grenz- 

xar  Zarflck' 

weirang  der  lluie  rechtzeitig  Dämme  und  Faschinen  herzustellen.  Gruben  zu  legen  und 
"alid?-*!"  Anschüttungen  aufzuführen,  femer  die  Bahnlinien  mit  Domengebüsch  zu 
bepflanzen  und  vor  dem  Kriege  an  die  ganze  Bevölkerung  Waffen  zu 
verteilen  und  selbst  Frauen  und  Kinder  mit  Revolvern  auszui-üsten. 
Ohne  solche  Vorsichtsmaassregeln  würde,  wie  der  Verfasser  des  beregten 
Artikels  warnend  hervorhebt,  nicht  einmal  der  Landsturm  Zeit  fiinden, 
sich  zu  sammeln;  tausende  von  Feuersbrünsten  würden  von  allen  Seiten 
aufflammen  und  die  Eisenbahnlinien  an  vielen  Stellen  unterbrochen 
werden.  Mit  Anbmch  des  Tages  würden  sich  die  ßaubschaaren  in 
den  WäJdem  bergen,  um  Nachts  wiederum  ihre  Verwüstungsarbeit  auf- 
zunehmen, hierbei  immer  weiter  und  weiter  ausgreifend.  Wenn  die 
östliche  Bevölkerung  nicht  irgendwelche  Schutzwehren  gegen  diese 
„ßaids"  errichten  werde,  so  könne  die  russische  irreguläre  Kavallerie 
in  voller  Freiheit  auf  dem  preussischen  Gebiete  hausen. 

skobeiew'B  Weiter  wird  in  dem  Artikel  der  „Allgemeinen  Militär-Zeitung"  aus- 

^'xrieg-  *'  gefühi't,  dass  die  mssische  Regierung  diese  Form  der  kriegerischen  Ope- 
fthrang.  Nationen  gutheisse;  Beweis  hierfür  sei  die  seineraeit  von  dem  verstorbenen 
General  Skobelew  ausgesprochene  Ansicht,  dass  der  Krieg  mit  Deutsch- 
land im  „asiatischen  Stil**  geführt  werden  müsse.  Es  ist  überflüssig  näher 
auszuführen,  dass  diese  Erklärung  in  Deutschland  emsthafte  Befürchtungen 
hervorgerufen  hat  und  dass  die  Regierung  sich  Mühe  gab,  die  hierdurch 
bewirkte  allgemeine  Beunruhigung  zu  dämpfen. 
Browhftre:  Etwas  spätcr,  im  Jahre  1884,   erschien  eine  Broschüre  unter  dem 

wir  Ton  dur  Titel :  „Was  haben  wir  von  der  rassischen  Kavallerie  zu  erwarten?  "'-*) 
jJj^^Srrio  M  welche  die  Sache  in  einem  ganz  anderen  Licht  darstellt.  Der  unbekannte 
erwarten-.  Verfasscr  berechnet  die  russische  Kavallerie  auf  170  000  Pferde,  die  deutsche 
auf  67  949  Pferde.  Nach  seinen  Ausführungen  jedoch  werden  die  russischen 
Kavalleriekräfte  in  Folge  der  schlechteren  Mobilisationsverhaltnisse  und  des 
schlechteren  Zustandes  der  rassischen  Wege  zu  Beginn  des  Krieges  niemals 
die  deutschen  Kavalleriekräfte  übersteigen;  andererseits  stehe  die  Orga- 
nisation der  deutschen  Kavallerie  weit  höher  als  die  der  russischen.  Die 
„Raids"  der  russischen  Kavallerie  könnten  nicht  über  den  Grenzgürtel 


')  Hannover  1884.  Sainte-Chapelle  in  seinem  "Werke:  „Les  tendances  de 
la  cavalerie  russe"  nennt  als  Verfasser  dieser  Broschüre  den  preussischen 
Hauptmann  Dewall. 


Urteile  über  den  Grenzdetachements-Krieg.  301 

hinausgehen;  im  schlimmsten  Fall  könnten  sie  zwei  Tagemärsche  weit 
über  die  Grenze  vordringen;  weiter  hinaus  würden  sie  entschiedenen 
Widerstand  finden.  Die  Deutschen  könnten  sich  mit  dem  Gedanken  an 
die  Möglichkeit  eines  solchen  „Raid"  um  so  eher  aussöhnen,  als  ein  Einfall 
nur  dann  ernste  Folgen  nach  sich  ziehen  würde,  wenn  unmittelbar  hinter 
der  Kavallerie  genügende  Trappen  nachfolgen  würden,  um  das  Gelände  zu 
besetzen;  dieses  sei  jedoch  bei  der  Langsamkeit,  mit  der  die  russische 
Mobilisation  nur  vor  sich  gehen  könne,  nicht  zu  befürchten,  und  übrigens 
sei  das  beste  Verteidigungsmittel  —  das  Eindringen  des  deutschen  Heeres 
in  das  russische  Gebiet.  Der  Verfasser  kritisiert  sodann  die  Reform 
der  rassischen  Kavallerie.     Seiner   Meinung   nach   entspricht   die   Be-      ^'»- 

«  genfigondss 

waffnung  nicht  ihrer  Bestimmung  und  ebenso  erscheint  ihm  die  Methode  pferde- 
des  Zureitens  der  Pferde  von  zweifelhaftem  Wert.  Was  die  QuaUtät  "^^t^Ln ' 
der  Pferde  selbst  anbetreffe,  so  könnten  die  regulären  Regimenter  über  K»v«uerie. 
ein  durchaus  tüchtiges  Pferdematerial  verfügen,  da  für  die  Garde 
Steppenpferde  im  Werte  von  200  bis  300  Rubel,  für  die  übrige  Kavallerie 
im  Werte  von  125  Rubel  beschafft  würden,  während  dagegen  die 
Kosakenpferde  nur  selten  zu  einem  höheren  Preise  als  60  bis  76  Rubel 
pro  Pferd  erworben  würden.  Im  Dienst  zeichne  sich  das  Kosakenpferd 
durch  eine  grosse  Fähigkeit  im  Ertragen  von  Strapazen  aus  und  sein 
Bau  mache  es  zum  Muster  eines  leichten  Kavalleriepferdes,  mit  dem 
man  allenfalls  nur  das  ungarische  Pferd  vergleichen  könne.  Demnach 
bestehe  jetzt  die  ganze  rassische  Kavallerie,  abgesehen  von  den 
Garde-Kürassieren,  nur  aus  leichten  Reiter-Regimentern.  Weiter  lügt 
der  Verfasser  hinzu,  dassman  allerdings  der  russischen  Pferderasse 
besondere  und  ihr  eigene  Vollzüge  zugestehen  müsse.  Das  Kirgisenpferd 
z.  B.  nähre  sich  einzig  von  Gras;  im  Winter  verschaffe  es  sich  in  der 
Steppe  selbst  sein  Futter  und  ertrage  ebenso  leicht  45^  R.  Wärme  wie  40<> 
Kälte.  Man  könne  es  sofort  von  der  Steppenheerde,  dem  „Tabun",  fort- 
nehmen, satteln  und  zum  Reiten  verwenden;  einen  Hufbeschlag  habe 
dasselbe  gar  nicht  nötig;  es  ertrage  erstaunlich  leicht  Ermüdung  und 
höchste  Anspannung  und  laufe  zudem  rasch ;  derartige  Pferde  würden  den 
Mustertypus  für  ein  Soldatenpferd  abgeben,  wenn  sie  sich  mit  gleichem 
Erfolge  auch  in  geschlossenen  Formationen  verwenden  Hessen,  was  doch 
immer  Hauptsache  bleiben  müsse.     Man  brauche  gar  kein  besonderer   schlechte 

Schalung. 

Anhänger  der  schweren  Kavallerie,  voraehmlich  der  Kürassiere,  zu  sein, 
um  einzusehen,  dass,  da  bei  jedem  Stosse  die  Schwerkraft  entscheidet, 
es  der  russischen  Kavallerie  bei  ihren  Vorzügen  und  ihrem  reichen 
Pferdematerial  schlecht  ergehen  könne,  da  sie  keine  oder  fast  keine 
Aussichten  habe,  die  Attake  eines  Feindes  auszuhalten,  der  mit  stärkeren 
und  Dank  ihrem  geschickten  Zureiten  gleichmässig  gehenden  und  folg- 


302  V.    Die  Kavallerie. 


sanieren  Pferde  beritten  sei.  In  der  russischen  Kavallerie  lasse  gegen- 
wärtig das  Zureiten  der  Pferde  viel  zu  wünschen  übrig.  Das  Kosakenpferd 
mit  seinem  schwachen  Rücken  sei  am  allerwenigsten  für  ein  regelrechtes 
Zureiten  tauglich.  Eine  Kavallerie  aber  —  ruft  der  Verfasser  pathetisch 
aus  — ,  in  welcher  die  Kunst  des  Reitens  so  niedergehe  und  der  kavalle- 
ristische Geist  sich  völlig  verflüchtige,  wie  dies  immer  mehr  und  mehr  bei 
der  russischen  Armee  hervortrete,  müsse  zuguterletzt  jede  Bedeutung  als 
solche  einbüssen. 
Atta^en  in  j)ej.  Verfasscr  legt  auch  den  Uebungen  der  russischen  Kavallerie, 

Fomaüon,  welche  bei  ihr  Fähigkeit  zu  raschen  Dauerleistungen  entwckeln  sollen, 
deuteYhor-  kciuc  besouderc  Bedeutung  bei.  Alle  diese  Offiziersrennen,  die  bisher 
"''ftihrtw''  die  Eigenschaft  einer  gewissen  Freiwilligkeit  an  sich  getragen,  in 
letzterer  Zeit  aber  für  fast  alle  Kavallerie- Offiziere  pflichtmässig  geworden, 
so  dass  im  Jahre  1884  von  insgesamt  2121  Offizieren  sich  1744  an  den 
Rennen  beteiligt,  hätten  nicht  viel  zu  besagen.  Der  Verfasser  fragt, 
welchen  Wert  diese  sogenannten  „Ausflüge"  zur  üebung  im  Ertragen 
von  Strapazen  hätten,  was  die  Akrobatenkunststücke  bedeuten  sollten, 
die  unter  den  Kosaken  in  Mode  gekommen  seien  und  doch  nur  an  den 
Zirkus  erinnerten.  Alle  derartigen  Thorheiten  in  den  kavalleristischen 
Uebungen  führen  nach  der  Meinung  des  Verfassers  der  Broschüre  zu 
nichts.  Die  Stärke  der  deutschen  Kavallerie  beruhe  in  dem  Selbst- 
vertrauen, das  jeder  Reiter  auf  seinem  Pferde  empfinde.  Nur  bei  regel- 
recht dressierten  Pferden  sei  eine  Attake  in  geschlossener  Formation 
denkbar;  zugleich  sicherten  aber  auch  die  so  lenksamen  deutschen  Pferde 
dem  Kavalleristen  den  Sieg  im  Einzelkampf. 
^*bidbt^^  Schliesslich  spricht  der  Verfasser  noch  seine  Ansicht  dahin  aus, 

Haoptsaohe.  dass  mau  nicht  zweien  Herren  dienen  könne  und  dass  diejenigen,  welche 
die  Kavallerie  zu  zwei  einander  prinzipiell  widersprechenden  Aufgaben 
gebrauchen  wollten,  damit  die  Kavallerie  nach  beiden  Richtungen  hin  zu 
einem  Nichts  reduzierten.  Niemand  bestreite  es,  dass  die  Kavallerie 
in  gewissen  Fällen  auch  der  Feuerwaffe  bedürfen  könne,  dennoch  aber 
bleibe  der  Fusskampf  für  die  Kavallerie  ein  Ausnahmefall.  Alle  Be- 
strebungen, alle  Anstrengungen  seien  in  Deutschland  darauf  gerichtet, 
dass  die  Kavallerie  auf  dem  Kriegs theater  im  Stande  ist,  Attaken 
trotz  aller  modernen  Vervollkommnungen  der  Bewaffnung  auszuführen. 
Alle  Exerzitien,  alle  Arbeit  an  der  Kavallerie  wäre  nur  durch  den  einen 
Gesichtspunkt  bestimmt,  dass  die  Attake  für  die  Kavallerie  die  conditio 
sine  qua  non  ihrer  Bedeutung  bleibt.  Diejenige  Kavallerie,  welche  sich 
unfähig  fühlte,  gegen  irgend  eine  andere  Waffengattung  einen  Stoss 
auszuführen,  würde  ihre  Kosten  nicht  einbringen  und  sich  zu  einer 
Truppe  zweiter  Klasse  degradieren. 


Urteile  über  den  Grenzdetachements-Krieg.  303 


Einige  Jahre  später,  1888,  erschien  in  Deutschland  eine  neue  Bro-  ßroBci^re: 
schüre  unter  dem  Titel:  „Das  russische  Schreckgespenst",  deren  Aufgabe  raräuciie 
gleichfalls  war,  auf  die  erregten  Gemüter  beruhigend  zu  wirken.  g^p^st-. 

Der  Verfasser  fragt,  warum  Russland,  ein  an  Herden  so  reiches 
Land,  nicht  Pferde  von  höherem  Wuchs  für  seine  Kavallerie  auswähle  und 
ist  auch  mit  der  Antwort  sofort  bei  der  Hand.  Dies  geschehe  deshalb,  weil 
Eussland  gar  nicht  darnach  verlange,  eine  Kavallerie  zu  besitzen,  sondern 
sich  mit  einer  „berittenen  Infanterie"  begnüge.  Angriffe  zu  Fuss  von 
der  Flanke  und  im  Rücken  des  Feindes  gälten  als  Hauptaufgabe  der 
gegenwärtigen  russischen  Kavallerie;  das  Pferd  höre  auf,  als  „Waffe"  zu 
dienen  und  bilde  nur  noch  ein  Mittel  für  rasche  Fortbewegung.  Der 
russischen  Kavallerie  liege  ob,  zu  Fuss  in  der  ersten  Linie  zu  kämpfen, 
da  man  in  russischen  Militärkreisen  glaube,  dass  die  Zeit  der  Kavallerie- 
Attaken  schon  vorüber  sei.  ; 

Der  Verfasser  ist  mit  dieser  Auffassung  nicht  einverstanden,  sondern 
nennt  sie  irrig  und  falsch.  Gerade  die  jetzige  Kampfesweise  der 
Infanterie  in  aufgelöster  Linie  biete  der  Thätigkeit  der  Kavallerie  ein 
weites  Feld  und  sichere  ihr  den  Erfolg. 

Gewissermaassen  absichtlich  wird  der  Umstand  ausser  Acht  gelassen, 
dass  es  bei  den  jetzigen  weittragenden  Waffen  völlig  undenkbar  ist,  in 
grösseren  Massen  an  die  Infanterie  nahe  heranzugehen. 

Weiter   heisst  es,    dass  zu  Anfang  des   Kiieges   Russland  nicht  Mangel  der 

,  rassisclieii 

mehi-  Kavallerie  zur  Verfügung  haben  wird  als  Deutschland,  und  dass  .berittenen 
in  jedem  Fall  Deutschland  und  Oesterreich  zusammen,  selbst  wenn 
gleichzeitig  der  Kampf  auf  der  westlichen  Front  nötig  wäre,  dennoch 
mindestens  gegen  Russland  die  gleiche  KavaUeriemasse  aufstellen 
könnten,  wenn  nicht  eine  grössere.  Es  sei  folglich  klar,  dass  von  einer 
Ueberschwemmung  Deutschlands  durch  russische  Kosakenhorden,  wovon 
in  letzter  Zeit  so  viel  phantasiert  worden,  gar  nicht  die  Rede  sein  könne. 
Es  sei  wohl  wahr,  dass  einige  Divisionen  der  russischen  Reiterei  nicht 

• 

weit  von  der  deutschen  Grenze  stationiert  seien,  aber  deswegen  habe 
Deutschland  doch  entschieden  nichts  zu  fürchten.  Selbst  wenn  sich 
diese  Reiterei  dazu  entschliessen  würde,  über  die  deutsche  Grenze  ein- 
zubrechen, so  könnten  mit  Hufe  des  musterhaften,  gerade  für  solche  Fälle 
berechneten  deutschen  Eisenbahnnetzes  augenblicklich  so  viel  Truppen 
konzentriert  werden,  als  erforderlich  wären,  diese  selbstbewussten 
Wagehälse  dorthin  zurückzujagen,  von  wo  sie  gekommen.  Einmal  hätte 
Jemand  auf  diese  Möglichkeit  die  Aufmerksamkeit  Moltke's  gelenkt,  aber 
nur  die  lakonische  Antwort  erhalten:  „Ich  weiss  es".  Wenn  aber  Moltke 
dieses  geAvnsst  und  die  von  ihm  ergriffenen  Maassregeln  für  völlig  ge- 
nügend gehalten,  so  habe  man  eben  nichts  Schlimmes  zu  besorgen. 


InflEUiterie' 


304  V.    Die  KavaUerie. 


Widerlegung  Ein  Artikel  des  Oberstlieutenants  des  Generalstabes  Rausch  von 

seile  durch  Traubeuberg,  in  dem  in  Petersburg  erscheinenden  militärischen  Fachblatt 
Traab^erg. ,,  Wojenuy  Ssbornik"^),  bringt  eine  Erwiderung  auf  die  obigen  Ausstellungen 
an  der  russischen  Kavallerie.  Eausch  von  Traubenberg  weist  nach,  dass 
die  russische  Kavallerie,  dank  der  sechsjährigen  Dienstpflicht,  sich  mit 
jeder  anderen  Kavallerie  messen  kann  und  ausserdem  im  Kampfe  zu 
Fuss  die  Kavallerie  anderer  Mächte  zu  übertreflFen  im  Stande  ist. 
Drygaieid  Fcmcr  müsscu  wir  hier  bemerken,  dass  der  schon  öfter  erwähnte 

Wert  der   dcutschc  Kritiker  A.  Drygalski  in  seinem  Werke  über  den  Zustand  der 
™Iai^e  russischen  Armee  durchaus  nicht  die  Ansichten  der  von  uns  zitierten 
hervor,    deutschcu  SchriftstcUer  teilt,  sondern  der  Meinung  ist,  dass  die  Thätig- 
keit  der  russischen  Kavallerie  in  künftigen  Kriegen  überaus  ernsthaft  in 
Betracht  gezogen  werden  müsse,  da  die  von  ihr  erreichten  Erfolge  wirklich 
grossartig  seien."*) 
widdem'8  Recht  pcssimistisch  sieht  der  Oberst  Cardinal  von  Widdern  in  seinem 

»Der  Grenz- unlängst  erschienenen  Werke:  „Der  Grenzdetachements- Krieg"  die  Lage 
mMte^  3,n,  in  der  sich  bei  einem  Kriege  die  Grenzgebiete  Preussens  befinden 
Krieg-,  werden.  Er  erwägt  die  Möglichkeit  von  „Eaids"  der  russischen  Kavallerie, 
wobei  er  ihre  Leistungsfähigkeit  auf  Grund  der  Manöver  würdigt,  die  im 
Jahre  1876  in  Eussisch-Polen  unter  Beteiligung  von  41/2  Kavallerie- 
Divisionen,  d.  h.  von  73  Schwadronen,  mit  54  Geschützen  der  reitenden 
Artillerie  stattgefunden. 

Vor  Allem  richtet  er  seine  Aufmerksamkeit  auf  die  von  dem 
Kommandierenden  der  Kavallerie  erlassenen  Instruktionen,  bezüglich  des 
Angriffs  auf  die  in  der  Mobilmachung  begriffenen  Garnisonen,  welche  be- 
sonders folgende  Gesichtspunkte  hervorheben:  Besitzergi*eifung  von  allen 
Königlichen  Kassen  und  Magazinen,  Telegraphen-  und  Poststationen,  Ver- 
nichtung der  Proviant-  und  Artillerie -Vorräte  des  Feindes,  Beschlag- 
nahme des  rollenden  Eisenbahnmaterials,  falls  keine  Möglichkeit  vorliegt, 
die  Bahnlinien  für  Invasionszwecke  zu  benutzen,  Zerstörung  der  Bahn- 
geleise und  Brücken  und  der  Knoten  -  Telegraphenstationen.  Weiter 
empfehlen  die  Instruktionen  die  Foimierung  selbständiger  kleiner  Reiter- 
Abteilungen,  welche  alle  Depots  für  Truppenformierungen  zu  vernichten 
und  sich  der  Kavallerieremonten  wie  aller  Transportmaterialien  zu 
bemächtigen  hätten. 
Friedens-  Eiue   solchc    fliegende  Abteilung  wurde   aus  Petrikau  nach   den 

raechen"  Weichselübergaugsstellen  ausgesandt.    Die  Entfernung  von  Petrikau  bis 

Zerstöreu 

von  Feindes- 

landen. 

*)  Wir  geben  das  E,esum6  dieses  Artikels  nach  Sainto-Chapelle :  „Tendances 
de  la  cavalerie  russe",  S.  71. 

*)  „Zur  Orientierung  über  die  russische  Armee".    Berlin  1892. 


Urteile  über,  den  Grenzdetachements-Krieg.  305 


dorthin  beträft  in  der  Lnftlinie  120  bis  160  Eilometer  und  von  da  bis 
zum  Distrikt  der  Warschau  -  Petersburger  Eisenbahn  30  bis  80  Kilo- 
meter. 

Wenn  man  diese  Entfernungen  auf  preussisches  Gebiet  überträgt, 
so  würde  ein  solches  Streif korps  von  der  Grenze  aus  bis  nach  Kreuz, 
einem  Knotenpunkte  der  Berlin-Thomer  Eisenbahn,  ferner  nach  Crossen 
a.  0.  oder  bis  Liegnitz  in  Schlesien  keine  längere  Strecke  zurück- 
zulegen haben. 

Die  russische  Abteilung  legte  am  ersten  Tage  40  Kilometer  zurück, 
in  den  zweiten  24  Stunden  mit  nur  einer  2-  bis  3  stündigen  Ruhepause 
120  Kilometer,  also  in  2  mal  24  Stunden  160  Kilometer,  und  dies  über 
durchweichte  Wiesen  und  durch  sumpfige  Wälder  hindurch.  Die  Hafer- 
ration betrug  dabei  nur  3  Gametz  (etwa  12  Pfund)  und  alle  Pferde,  bis 
auf  eins,  kamen  in  guter  Verfassung  an. 

Der  Verfasser  weist  ferner  darauf  hin,  wie  schwierig  es  sei,  eine  sciiwierig- 
solche  fliegende  Abteilung  abzufangen  (in  dem  gegebenen  Fall  waren  hierzu  AbfLagimg 
alle  Maassregeln  getroffen),  ja  selbst  nur  zuverlässige  Nachrichten  über  '•^J;^' 
ihre  Bewegungen  zu  erhalten.     So  erhielt   die  feindliche  Seite  —  die 
Ostabteilung  der  Manövertruppen  —  von  ihren  Aufklärungs-Reitem  die 
Nachricht,   dass  der  Gegner  die  Weichsel  an  Punkten  zu  überschreiten 
suche,  welche  von  den  ständigen  Uebergangspunkten  46  bis  50  Kilometer 
entfernt  waren,   während   der  Gegner  thatsächlich  den   Strom  bereits 
36  Stunden  früher  überschi'itten  hatte,  als  diese  Nachricht  eintraf. 

Es  ist  klar,  bemerkt  der  Verfasser,  dass  es  leichter  ist,  fliegende 
Abteilungen  zu  organisieren  und  auszusenden,  als  ihnen  den  Weg  zu 
verlegen,  wofür  ja  auch  die  „Raids"  in  dem  nordamerikanischen  Kriege 
ein  Beweis  waren. 

So   lehiTeich   aber  auch  der  Manöverplan  war,    so    machte  sich     wahr- 
in    ihm    doch    eine   empfindliche   Lücke    geltend.      Die    fliegende   Ab-  verichtuag 
teilnng    wurde    in    dem   Moment    zurückgerufen,    wo    die    allgemeine  g^^^^'^^  ^ 
Lage  der  Parteien  sich  verändert  hatte,  und  so  ist  nicht  nachzuweisen 
gewesen,  in  welcher  Lage  sich  weit  vorgerückte  Streifkorps  befinden 
werden,  wenn  sie  ihren  Rückweg  auf  bereits  erschöpften  Pferden  an- 
treten  müssen.     Oberst  von  Widdern   weist  auf  die   Schwierigkeiten 
hin,    denen   Streifkorps,    die    sich    so    tief  in    das   feindliche   Gebiet 
hineingewagt,  begegnen  müssen,  sobald  sie  sich  in  ein  Netz  feindlicher 
Abteilungen  aller  Waffen  verwickelt  sehen,  welche  sie  in  den  Biwaks  über- 
fallen, ihnen  keine  Ruhe  lassen,  sie  nötigen,    sich  durch  foi-tgesetzte 
Absendung  von  Mannschaften  zu  Aufklärungszwecken  nach  den  Flanken 
zu   schwächen   und    sie    dann    in    dem   so   geschwächten  Bestände   an- 

Bloeh,   Der  sakünftige  Krieg.  20 


306  ^*    ^^0  Kavallerie. 


greifen,  wobei  einzelne  Rekognoszierungs- Abteilungen  auch  sehr  leicht 
die  Fühlung  verlieren  und  zu  Grunde  gehen  können.^) 
Aufopferung   .       Demnach  gelangt  Oberst  Widdern  zu  dem  Schluss,  dass  im  All- 

der  ans- 

geaandten  gemeinen  das  weite  Vortreiben  von  Kavallerie-Abteilungen  in  das  Innere 
pediti^non.  ^^s  feindlichen  Landes  die  unvermeidliche  Aufopferung  vieler  von  ihnen 
bedeutet,  aber  in  Russland  seien  in  Folge  der  ungeheueren  Ausdehnung 
des  Reiches  die  Begriffe  über  Entfernungen  besonders  bei  der  Kavallerie 
„etwas  anders  als  bei  uns".  In  Russland,  fügt  er  hinzu,  giebt  es  viele 
Dragoner  und  Kosaken  und  so  entscheidet  man  sich  dort  zur  Aufopferung 
einzelner  Abteilungen  wahrscheinlich  leichter  als  bei  uns. 

Mittel  Widdern  weist  nicht  unmittelbar  auf  die  Schutzmittel  gegen  feind- 

sur  Abwehr 

der  üeber-  Uchc  Kavallerie-EinfäUe  hin,  aber  aus  seiner  Darlegung  ergiebt  sich,  dass 
widd^  er  es  für  geboten  hält,  unverzüglich  den  Landsturm  aufzubieten,  wo  etwa 
ein  solcher  Einfall  zu  fürchten  ist  und  dass  er  auch  auf  die  Mitwirkung 
der  Zivilbehörden,  aller  Beamten  und  Grensdarmen  für  den  militärischen 
Nachrichtendienst  rechnet.  Er  erinnert  daran,  dass  während  des  polnischen 
Aufstandes  von  1863  die  Chefs  der  an  der  Grenze  postierten  preussischen 
Truppenteile  ihre  besonderen  Kundschafter  auf  russischem  Gebiet  hatten; 
auf  verschiedenen  Punkten  längs  der  Grenze  waren  auch  geschickte 
Offiziere  zur  Sammlung  und  Uebermittelung  solcher  Nachiichten  postiert 
worden.  Besondere  Dienste  hätten  hierbei  gewandte  Offiziere  geleistet, 
die  des  Polnischen  oder  Russischen  mächtig  gewesen  wären  und  es  so 
vermocht  hätten,  unverdächtig  mit  Kaufleuten  und  Reisenden  Unter- 
haltungen anzuknüpfen.  Wie  weit  es  auch  in  Zukunft  nötig  sein  werde, 
solche  Offiziere  (natürlich  unter  Ablegung  der  Uniform)  über  die  russische 
Grenze  zu  senden,  werde  von  der  besonderen  Lage  abhängig  sein. 

Endlich  hält  der  Verfasser  die  Bildung  beweglicher  Kolonnen  für 
zweckmässig,  um  so  den  Operationen  der  feindlichen  „Raids"  zu  begegnen. 
Eine  Ueberschreitung  der  Grenze  durch  kleine  Abteilungen  sei  kaum  zu 
verhindern  und  „je  näher  die  diesseitigen  Posten  an  der  Grenze  selbst 
stehen,  desto  leichter  vermag  der  Feind  sie  zu  durchbrechen,  namentlich 
solange  den  Patrouillen  die  Ueberschreitung  der  Landesgrenze  noch  nicht 


Beiepiei  aus  »)  Der  Verfasser  fahrt  ein  Beispiel  aus  dem  Kriege  von  1870  an.   Wahrend 

*•"  ^*^  der  verstärkten  Grenzschutzperiode  vor  Beginn  der  kriegerischen  Operationen 
wurde  nur  eine  württembergische  Aufklärungs-Patrouille,  aus  4  Offizieren  und 
5  Dragonern  bestehend,  zu  einem  auf  2  Tage  und  2  Nächte  berechneten  Streif- 
ritt auf  französisches  Gebiet  entsendet.  Aber  der  Maire  von  WÖrth  machte 
hiervon  einem  französischen  Chasseur-Regiment  Mitteilung,  welches  eine 
Schwadron  aussandte.  Die  Patrouille  wurde  vernichtet,  so  dass  nur  ihr  Führer 
Graf  Zeppelin  auf  dem  Pferde  des  von  ihm  niedergeschossenen  französischen 
Wachtmeisters  entkam. 


Urteile  über  den  Grenzdetachements-Krieg.  307 


gestattet  ist."  Demnach  rät  er  an,  wenigstens  die  Infanterie-Aufstellungen 
soweit  von  der  Grenze  selbst  zurückzuhalten,  dass  die  kleineren  oder 
grösseren  Kavallerie-Abteüungen  (einzelne  Züge  bis  Schwadronen)  noch 
Zeit  finden,  den  Einmarsch  feindlicher  Kräfte  dem  Infanterie-Eückhalt 
rechtzeitig  zu  melden. 

Die  Frage  von  einem  Kriege  zwischen  Russland  und  Oesterreich  ^?^JJJJ^^ 
datiert  nicht  erst  seit  gestern;  sie  bildet  schon  lange  ein  unerschöpfliches    stimmen 
Gesprächsthema.     Obwohl  die  thatsächliche  Lage  der   Dinge  nicht  im   ruwiKhe 
Geringsten  alle  diese  Befürchtungen  eines  Angriffes  von  Seiten  Russlands  ^«^«»^ii« 
bestätigt  hat,    da   die   russischen  Rüstungen    nur    durch    die  Kriegs- 
vorbereitungen  der  westlichen    Nachbaren    hervorgerufen   sind,   so    ist 
nichtsdestoweniger  die  Befürchtung  eines  Zusammenstosses  in  der  öffent- 
lichen Meinung  beständig  wach  erhalten  worden. 

Im  Jahre  1866  gab  der  österreichische  Feldzeugmeister  von  Kuhn 
eine  Schrift  über  den  Gebirgskrieg  heraus,  in  der  die  Verteidigungs- 
mittel gegen  Russland  erörtert  wurden;  desselben  Inhalts  sind  auch  zwei 
andere  Aufsätze,  die  des  Ungarn  Karolay  „Die  strategische  Verteidigung" 
(1868)  und  die  eines  unbekannten  östen-eichischen  Offiziers  „Ideen  über 
unser  militärisches  Verhältnis  bei  einem  Kriege  mit  Russland". 

Feldzeugmeister  von  Kuhn,  der  das  Verhältnis  zwischen  den  beiden  ^  ?^^  J^^ 
Staaten  vom  Standpunkt  ihrer  Lage  und  militärischen  Stärke  betrachtet,  oesterreich 
gelangt  zu  dem  Schluss,  dass  Russland  von  Oesterreich  nicht  angegiiffen  vertheiarjen 
werden  kann.    Nach  seiner  Ansicht  hat  Oesterreich  zunächst  das  Ver-     **"*• 
teidigungssystem  zu  befolgen.    Die  Berge,  d.  h.  die  Karpathen,  bildeten 
für  Oesterreich  gewissermaassen  einen  Wall,  dessen  Einnahme  dem  Feinde 
nicht  wenig  Zeit  und  Mühe  kosten  würde;  mit  jedem  Schritt,  der  den 
Feind  von  seiner  Operationsbasis  entferne,  wüchsen  für  ihn  immer  neue 
Schwierigkeiten  empor,  die  Armee  zu  unterhalten  und  zu  ergänzen,  und 
mittelst  geschickter  Manöver  würde  Oesterreich  im  Stande  sein,  die  ent- 
scheidende Minute,  abzuwarten.    Wenn  diese  für  Oesterreich  günstig  aus- 
falle, dann  sei  der  Moment  zum  Uebergang  zur  Offensive  gekommen, 
die  zurückzuschlagen  der  Feind  nicht  mehr  kräftig   genug  sein  werde. 
Alle  österreichischen  Militärschriftsteller  bis  zum  Jahre  1870  haben  sich 
fast  einmütig  dahin  ausgesprochen,  dass  Oesterreich  einen  Krieg  mit 
Russland  nur  in  der  Defensive  fuhren  darf 

Nach  1870/71  sind  in  den  internationalen  Beziehungen  Veränderungen  J^^^^^^^ 
vorgegangen,  die  sich  jedoch  lange  Zeit  hindurch  sozusagen  Niemand  zum  in  Folge  des 
Bewusstsein  brachte,  und  die  deshalb  am  politischen  Horizont  auch  fast  ^"ilTo.''°'' 
unbemerkt  vorübergingen. 

In  einer  Abhandlung  „Oesterreich-Ungarn  in  einem  Ki-iege  gegen 
Russland"  (1871)  kritisiert  der  Verfasser  das  Werk  des  Generals  Fadejew 

20» 


308  V.    Die  KavaUerie. 


„Stärke  und  militärische  Praxis  Eusslands''  und  erklärt,  vorzugsweise  bei 
den  Schlüssen,  zu  denen  General  Fadejew  kommt,  verweilend,  es  für  nötig, 
dass  man  ernstlich  daran  denken  müsse,  einem  rassischen  Einfall  zavor- 
zukommen. 
H»yinerie'«  j^  Jahre  1872  trat  der  Oberstlieutenant  des  Generalstabs  Haymerle, 

entgegen-  '' 

geeetste    eiu  Brudcr  des  einstigen  Ministers  des  Auswärtigen,   mit  einem  seiner 
M  nnng.    ^r^j^  yj^j  besprocheueu  Werke  „üeber  das  strategische  Verhältnis  Russ- 
lands und  Oesterreichs"  hervor,  worin  er  dem  Gedanken  eines  Angriffs 
auf  Russland  und  sogar  der  Einnahme  Petersburgs  Ausdruck  gab. 

^^SL^flir*'  Hier  begegnen  wir  bereits  der  offen  ausgesprochenen  Hoffnung,  dass 

»uföBter-  Oesterreich   im  Notfalle   Unterstützung    beim  jungen   Deutschen   Reich 
verhÄltnL»«.  finden  werde,  welches  mit  Hilfe  Russlands  seine  Einigung  gefunden. 

Als  in  Russland  der  Berliner  Vertrag  Missvergnügen  heiTorrief, 
beeilten  sich  Oesterreich  und  Deutschland  diesen  Umstand  auszunutzen, 
indem  sie  jeden  feindlichen  Journalartikel,  irgend  welche  Zeitungs- 
bemerkung als  einen  Akt  von  grosser  politischer  Bedeutung  hinstellten. 

waiuiofen  Uuter  diescu  Umständen  mussten  die  Reformen  in  der  russischen 

über 

rasdiiehe   KavaUcrie  in  Oesterreich  starken  Eindruck  machen.    Das  Werk  des  öster- 
K»T»iiene.  ^^^(.ijigciien  Oberst  Walthcr  von  Wallhofen  „Die  russische  Kavallerie  in 

ihrer  neuesten  Entwickelung,  verglichen  mit  der  österreichischen",  legt 
Zeugnis  von  dieser  Stimmung  ab. 

BoBBiuida  Russland,  so  heisst  es  in  diesem  Werke,  habe  während  der  Friedens- 

Reiter- 

Regimenter  zclt  bedeutende  Kavalleriemassen  an  die  westlichen  Grenzen  geschoben, 
WMtg^ue.  ^^  ihrer  Organisation  und  Ausbildung  nach  zu  völlig  selbständigen 
Operationen  fähig  wären.  Diese  Reiterregimenter  wären  dazu  bestimmt, 
unmittelbar  nach  der  Kriegserklärung  über  die  Grenze  einzubrechen,  da 
sie  im  Stande,  sich  nicht  nur  mit  der  feindlichen  Kavallerie  zu  messen, 
sondern  auch  sich  ohne  Zaudern  auf  die  ersten  ihnen  entgegentretenden 
Truppenabteilungen  zu  werfen,  welcher  Waffengattung  diese  auch  an- 
gehören würden.  Es  unterliege  keinem  Zweifel,  dass  ein  Einfall  der 
russischen  Kavallerie  in  Galizfen  verhängnisvolle  Folgen  nach  sich  ziehen 
könne;  die  Kavallerie  werde  Eisenbahnen  und  Telegi-aphen  zerstören,  die 
in  der  Nähe  der  Grenze  belegenen  Proviantmagazine  ausräumen  u.  s.  w. 
Streng  genommen,  rechneten  die  Russen  auf  eine  unthätige  Gleichgiltigkeit 
seitens  der  Einwohner,  während  die  österreichische  Kavallerie  die  Auf- 
gabe haben  werde,  allen  Einfallen  entgegenzuwirken;  ihre  Minderheit 
an  Zahl  könne  zwar  durch  rechtzeitige  Infanterieverstärkungen  aus- 
geglichen werden,  aber  dennoch  werde  die  österreichische  Kavallerie 
ihrer  Aufgabe  nur  dann  gewachsen  sein,  wenn  sie  sich  dazu  in  ge- 
ziemender Weise  während  der  Friedenszeit  vorbereite. 


Urteile  über  den  Greiusdetachements-Krieg.  309 


Ueber  diese  Frage  kennen  wir  noch  die  Ansicht  eines  anderen  ^*»«f '><>'•''■ 
österreichischen  Müitärschriftstellers,  des  Majors  des  Genetalstabs  nber  die 
G.  Ratzenhof  er.  6)  Es  sei  sehr  möglich,  sagt  Ratzenhofer,  dass  Rnssland  n^he" 
ein  gewisses  Sinken  des  kavalleristischen  Geistes  seiner  Armee  dadnrch  ^™"«rf®- 
hervorgebracht  habe,  dass  die  ganze  Reiterei  in  Dragoner  umgewandelt, 
dem  Typus  der  Kosakentruppen  genähert  und  mit  Flinte  und  Bajonett  aus- 
gerüstet wurde,  wobei  in  den  Kavallerie-Uebungen  besonderes  Gewicht  auch 
auf  den  Fusskampf  und  die  Treffsicherheit  mit  der  Schusswaffe  gelegt  wii-d. 
Indessen  werde  doch  die  Frage  eines  Niedergangs  der  russischen  Kavallerie 
so  lange  offen  bleiben,  bis  die  Erfahrung  eines  grossen  europäischen  Krieges 
die  Richtigkeit  der  gegen  die  Refonn  der  russischen  Kavallerie  gerichteten 
Kritik  bestätigt  und  den  bedenklichen  Prophezeiungen  der  Anhänger  von 
Säbel  und  Lanze  eine  thatsächliche  Unterlage  gegeben  habe.  Es  unterliege 
dagegen  keinem  Zweifel,  dass  Oesterreich  in  erster  Linie  nur  286  Schwa- 
dronen mit  43  000  Pferden  aufzustellen  vermöge,  Deutschland  460  Schwa- 
dronen mit  69000  Pferden,  Russland  aber  562  Schwadronen  mit  83000 
Pferden.  Im  weiteren  Verlauf  des  Krieges  könne  Oesterreich  flir  die  zweite 
Linie  nur  noch  77  Schwadronen  aufstellen,  Deutschland  72,  Russland  da- 
gegen noch  ohne  jede  Schwierigkeit  B26  Schwadronen  mit  77  000  Pferden. 
Demnach  werde  dieser  letztere  Staat  im  Stande  sein,  gegen  den  Feind  eine 
gewaltige,  geradezu  erdrückende  Masse  von  160000  Reitern  loszulassen. 
Das  Uebergewicht  der  russischen  Kavallerie,  die  an  Zahl  die  öster- 
reichische 3  mal  übertreffe,  ihre  Unterbringung  längs  der  Grenze  schon 
während  der  Friedenszeit,  der  besondere  Charakter  ihrer  Bewaffnung 
könne  für  Oesterreich  furchtbare  Folgen  haben.  Der  Gang  der  Mobil- 
machung könne  gehemmt  werden,  die  österreichische  Kavallerie  werde 
der  Möglichkeit  beraubt  werden,  von  ihrem  Rekognoszierungs-  und 
Transportwesen  Nutzen  zu  ziehen;  andererseits  werde  die  Bewaffnung 
der  russischen  Kavallerie  und  die  Masse  der  ihr  zur  Verfügung  stehenden 
Geschütze  es  dieser  gestatten,  nicht  nur  von  jeder  beliebigen  Seite 
gegen  das  feindliche  Operationsgebiet  vorzudringen,  sondern  sich  auch 
an  gewissen  Punkten  festzusetzen;  die  russische  Kavallerie  könne  selbst- 
ständig Positionen  einnehmen  und  sie  bis  zum  Erscheinen  der  Infanterie 
behaupten. 

Weiter  wirft  Major  Ratzenhofer  die  Frage  auf,  welchen  Erfolg  die    vorrtge 
russische  Kavallerie  bei  einem  Zusammenstoss  mit  der  österreichischen  «iSiitoiioi 
im  Handgemenge  haben  könne,  falls  die  Zahl  auf  beiden  Seiten  die  gleiche  ^^^«'*«- 
sei.  Diese  Frage  entscheidet  er  zum  Vorteil  der  österreichischen  Kavallerie, 


')  G-.  Ratzenhofer:    „Die  Konsequenzen  der  russischen  KavaUeriereform 
für  uns".    (Organ  der  militarwissenschaftlichen  Vereine,  1885.) 


310  V.    Die  Kavallerie. 


da  das  Hauptziel,  auf  welches  bei  den  Oesterreichern  alle  Uebungen  der 
Mannschaften  und  ebenso  auch  die  Dressur  der  Pferde  gerichtet  sei,  in 
dem  Angriff  bei  geschlossener  Formation  bestehe. 

Die  Reorganisatoren  der  russischen  Kavallerie  fühlten  deren  Schwäche 
in  dieser  Hinsicht  und  geständen  offen  die  Absicht  ein,  sogar  auf  offenem 
Felde  zum  Feuergefecht  zu  greifen.  Bei  der  Begegnung  mit  der  feind- 
lichen Kavallerie  werde  die  russische  Reiterei  absitzen  und  gleichwie  die 
Infanterie  zu  feuern  beginnen.  Die  Pferde  dienten  nur  zur  Elrleichterung 
und  Verkürzung  des  Weges,  im  Kampfe  dagegen  werde  der  rassische 
Kavallerist  nur  von  den  Vorzügen  der  Infanterie -Verwendung  Grebrauch 
machen. 

Major  Ratzenhof  er  schliesst  seine  Arbeit  mit  den  Worten:  selbst 
wenn  man  annähme,  dass  die  neue  Richtung  den  militäiischen  Geist  der 
russischen  Kavallerie  verändere  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade  herab- 
gedrückt habe,  so  unterliege  es  doch  keinem  Zweifel,  dass  die  in  derselben 
dui'chgeführte  Reorganisation  Oesterreich  noch  recht  viel  Sorgen  bereiten 
könne  und  daher  ernstlich  mit  derselben  zu  rechnen  sei. 
Zu  grosse  Aus  dleseu  Anführungen  ersehen  wir,  dass  auch  die  österreichischen 

minderang  Schriftsteller  in  ihren  Ansichten  über  die  Bedeutung  der  rassischen  Ka- 
deT  Konten  vaUerie  nach  deren  Reform  auseinandergehen  und  teilweise  ganz  irrige 
Anschauungen  aussprechen,  wie  z.  B.  die,  dass  den  Kosaken  eine  genügende 
militärische  Qualifikation  und  Fähigkeit,  sich  mit  einem  regulären  Gegner 
zu  messen,  abzuerkennen  sei. 

Frühere,  gleichfalls  westliche  Schriftsteller  haben  die  Eigenschaften 

der  Kosaken  sehr  hoch  gestellt. 

Professor  Bei  dcr  Beurteilung  eines  sofortigen  Vorgehens  seitens  der  rassischen 

Kiembowski  gavaUerie  —  sagt  Professor  Klembowski  —  wollen  Russlands  voraussicht- 

wirknng  der  \{qi^q  Gegner  nicht  zugeben,  dass  die  rassische  Kavallerie  weiter  als  zwei 

nusisohen 

Kavaiieriei  Tagemärscho  m  Feindesland  eindringen  könne;  ihre  ganze  Thätigkeit 
werde  sich  auf  die  Zerstörang  einiger  Eisenbahnen  und  TelegraphenUnien 
und  die  Wegnahme  von  4  bis  B  Proviant-  und  Munitions-Niederlagen 
beschränken. 

Aber  selbst  ein  so  partieller  Erfolg  werde,  nach  dem  eigenen 
Zugeständnis  der  Deutschen,  ihre  Mobilisation  um  1  bis  2  Tage  ver- 
zögern, und  zwei  Tage  seien  in  einer  Periode,  wo  die  Zeit  nach 
Stunden  gezählt  wird,  kein  unbedeutender  Gewinn,  den  man  veraach- 
lässigen  könne. 


Kundschaftsdienst  und  Kavallerie-Kämpfe.  g|X 

4.  Der  Kundschaftsdienst  und  die  dabei  vorkommenden 

Kavallerie-Kämpfe. 

Charles  Dilke,  der  ehemalige  englische  Minister,  der  an  den  Manövern     Diue'. 

"Mfltfinng 

in  Frankreich  im  Jahre  1892  teilgenommen,  meint,  dass  bei  einem  Kriege  über  erste 
zwischen  Frankreich  nnd  Deutschland  dieses  den  Vorzug  der  schnelleren  ^*°*^®- 
Mobilisation  haben  werde  nnd  die  ersten  Aktionen  in  der  Umgegend 
von  Nancy  in  Gefechten  zwischen  deutschen  Kavallerie-Äbteüungen  und 
der  trefflich  ausgebildeten  französischen  Infanterie  bestehen  werden, 
welche  mit  äusserster  Zähigkeit  jedes  Gebäude,  jeden  Zaun,  jeden  Bach, 
jedes  Wäldchen  verteidigen  dürfte.  Die  deutsche  Kavallerie  könne  nicht 
auf  Erfolg  rechnen,  da  das  rauchschwache  Pulver  sie  verhindern  werde, 
sich  über  die  feindlichen  Kräfte  zu  orientieren. 

Und  wo  wird  denn  die  französische  Kavallerie  sein  ?  Aller  Wahr-  Frawörische 
scheinlichkeit  nach  wird  ihr  dieselbe  Aufgabe  überwiesen  werden  wie  der  Kavauerie. 
deutschen,  d.  h.  das  Eindringen  in  das  feindliche  Gebiet.  „Die  französischen 
Chasseur-Bataillone,  die  keinen  Divisionen  zugeteüt  sind,  werden  in  der- 
selben Zeit  die  Operationen  ihrer  Kavallerie  unterstützen."  Aber  es 
unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  auch  die  französische  Kavallerie  in  Deutsch- 
land dieselben  Schwierigkeiten  und  denselben  Widerstand  finden  wird 
wie  die  deutsche  Kavallerie  in  Frankreich. 

Unter  den  auf  einander  stossenden  Kavallerie  -  Abteilungen  werden  Einige  Tage 

sacli 

die  Gefechte  beginnen.    Ein  Teil  der  Kavallerie  wiid  sich  von  der  Ge-  Ausbrach 
sammtmasse  absondern  und  sich  in  kleine  fliegende  Abteilungen  auflösen.  //JJJi^f^ 
Man  kann  erwarten,  dass  einige  Tage  nach  Eröffnung  der  Kriegsoperationen  "cii<>»  *^e' 
sich  Freischaaren-Abteilungen  durch  das  feindliche  Heer  durchschleichen  in  Ländern. 
und  im  Innern  des  feindlichen  Landes,  100  und  mehr  Kilometer  von  der 
Grenze  entfernt,  auftauchen  werden.    Selbstverständlich  werden  viele  von 
ihnen  einen  solchen  Wagemut  teuer  zu  bezahlen  haben  und  nicht  ohne 
bedeutende  Verluste  die  Eückkehr  zu  ihren  Truppenteilen  ermöglichen 
können. 

Diesen  Teil  der  Kavallerie  kann  man,  wenn  auch  nicht  für  völlig  Wichtigkeit 
verloren,  so  doch  jedenfalls  auf  lange  Zeit  hin  selbst  nach  ihrer  Rückkehr  Kundschafte 
für  ungeeignet  zur  Teilnahme  an  den  weiteren  Kriegsoperationen  erachten.  ^^^Jj^^^^^ 

Wir  haben  jetzt  die  Operationen  der  übrigen  Kavallerie  zu  betrachten,  KaTaiiene. 
die  an  den  „Raids"  nicht  Teil  nimmt.  Wir  beginnen  begreiflicherweise 
mit  einer  der  wichtigsten  Funktionen  der  Kavallerie,  dem  Kundschaftsdienst, 
diesem  „Auge  und  Ohr  des  Heeres".  Klausewitz  nennt  das  Sammeln  von 
Nachrichten  über  den  Feind  die  Basis,  auf  welcher  alle  Kriegsoperationen 
aufgebaut  sind.    Die  Nachrichten,  was  der  Feind  zu  unternehmen  be- 


312  V.    Die  KayaUerie. 


absichtigt,   sind    der  Ausgangspunkt   für   das   Fassen   irgend   welcher 
Entschlüsse. 
oh"*Ee-  ^^  französische  Feldreglement i)  bestimmt  die  Aufgabe  der  Kavallerie 

gienent  f olgeudermaasseu  i  Die  Oertlichkeit  zu  besichtigen,  feindliche  Kavallerie- 
Abteilungen  ausfindig  zu  machen  und  zurückzuschlagen,  Nachrichten  zu 
liefern,  —  und  spricht  die  Ueberzeugung  aus,  dass  hierbei  auch  bedeutendere 
Kämpfe  erfolgen  werden,  deren  glücklicher  Ausgang  der  Kavallerie  er- 
lauben werde,  bis  zur  Hauptmacht  des  Feindes  vorzudringen, 
unumging-  j)iq  deutscheu  Schriftsteller  schärfen  gleichfalls  unablässig  die  Regel 

lichkeit  der  ^  ^ 

Prtfang  ein:  „Die  ganze  Kavallerie  voraus".  Der  Anfangsplan  eines  Feldzuges  wird 
^^uillJf^  a^  Grundlage  gewissermaassen  theoretischer  Daten  über  die  Beschaffen- 
heit der  Wege,  die  feindlichen  Kräfte,  über  Vorräte  u.  s.  w.  aufgestellt. 
Wenn  man  alle  diese  Verhältnisse  und  umstände  als  genügend  erforscht 
annimmt,  so  wird  die  Wahrscheinlichkeit  der  Bewegungen  und  Absichten 
des  Gegners  erwogen.  Da  aber  jene  Daten  sich  als  irrig  oder  ungenau 
erweisen  können,  so  muss  man  sich  bestreben,  diese  Voraussetzungen 
gründlich  zu  prüfen  und  scharf  allen  Bewegungen  des  Gegners  zu  folgen, 
solange  hierzu  die  Möglichkeit  vorliegt  und  die  komplizierte  Maschine 
der  Vereinigung  der  Truppen  auf  dem  vorgezeichneten  Kriegstheater 
noch  nicht  in  Gang  gesetzt  ist.  Es  kann  sich  leicht  ereignen,  dass  der 
anfängliche  Plan  teilweise  oder  selbst  von  Grund  aus  je  nach  neu  er- 
haltenen, zuverlässigeren  Nachrichten  abgeändert  werden  inuss. 

Gr(^8er«  Obgleich  auch  früher  stets  eine  schnelle  und  unverzügliche  Ueber- 

Anfordernng 

au       mittelung  der  erhaltenen  Nachrichten  gefordert  wurde,  so  vermochte  doch 

schneuigkeit  ^.^  Versäumuis  hierin  nicht  so  verhängnisvolle  Folgen  nach  sich  zu  ziehen 

^"ü^^^"  wie  jetzt,  wo  das  eben  erst  mobilisierte  Heer  bereits  nach  wenigen  Tagen 

mittelung.  seine  Bewegung  beginnt  und  selbst  die  unbedeutendsten  Veränderungen 

in  den  auszuführenden  Verfügungen  Unordnung  und  Verwirrung  hervorrufen 

können.    Gegenwärtig,  wo  die  einzelnen  Staaten  gewaltige  Summen  auf 

den  Bau   und  die  Verbesserung  der  Wege   verwandt   haben,  werden 

wahrscheinlich  alle  Truppendislokationen  zu  Beginn  des  Feldzuges  mit 

ungestümer  Schnelligkeit  erfolgen.    Wichtig  ist  auch,  dass  jetzt  bei  der 

Treffweite  des  neuen  Geschützes  die  Schlachten  von  grösseren  Entfernungen 

Fehlen  des  aus  beginnen  werden.    Das  Fehlen  des  Eauches  auf  dem  Schlachtfelde 

K&QCllBS 

wird  nicht  die  Möglichkeit  gewähren,  sich  irgendwie  zu  orientieren;  der 
Kommandeur,  der  plötzlich  seine  Leute  fallen  sieht,  wird  wissen,  dass  er 
angegi'iffen  ist,  aber  kein  Pulverdampf  wird  ilim  anzeigen,  von  welcher 
Seite  der  Feind  kommt  und  wie  zahlreich  er  ist.  Die  Lage  des  auf 
diese  Weise  überraschten  Kommandeurs  wiid  nach  der  rein  psychischen 


*)  „Sörvice  des  armöes  en  campagn©". 


Kundschaftsdienst  und  Kavallerie-Eämpfe.  313 

Seite  lun  entsetzlich  sein.  Mehr  als  je  sind  jetzt  die  Worte  Napoleons 
richtig:  „Kien  ne  donne  plos  de  coarage  et  n'^claii-cit  plns  les  id^es  qne 
de  bien  connaitre  la  position  de  son  ennemi".  Gerade  der  Kavallerie 
Hegt  es  ob,  die  Bewegungen  und  Absichten  des  Feindes  aufzuklären. 
Für  den  Eekognosziemngsdienst  ist  gewissermaassen  der  Spürsinn  des 
Jagdhundes  und  viel  Sachverständnis  erforderlich.  Aber  der  moderne 
Eavallerie-O^zier  wird  aach  gerade  hierfür  erzogen. 

In  welcher  Weise  sich  die  Aufgabe  uunnterbrochener  Eekognoszierung  *rt  mt 
der  Kavallerie  zu  vollziehen  hat,  lässt  sich  am  besten  aus  dem  betreffenden  Anffohnug 
französischen  Reglement  ersehen.^  fuia^a»- 

Die    Kavallerie -Division    bestimmt    für    Kekognoszierungen    zwei  ""<"-k"-- 
Schwadronen,    welche    sich    in    Streifpatrouillen    und    deren   ReseiTen 
teilen;  die  Kette  dieser  dehnt  sich  30  bis  40  Kilometer  aus  und  die 
Aufsicht  über  sie  wird  von  den  Rekognoszier-Offizieren  geQbt. 

Folgendes  Bild   zeigt  ans   eine   englische  Husaren -Patrouille   im 
Manöver. 


Englische  Husaren-Patriiuille  iiu  Manöver. 

Die  Patrouillen  folgen  dem  Feind  vor  der  Front  und  in  den  Flanken; 
verdächtige  Punkte  werden  durch  Rekognoszierongen  sondiert,  dann  folgt 
in  geschlossener  Formation  die  ganze  Kavallerie-Abteilnng,  die  zu  ihrem 

*)  „Service  des 


314  T.    Die  Kavallerie. 

Schutz  gleichfalls  von  Streifwaehen  umgeben  ist.    Dies  ist  der  Theorie 
nach  die  vorschriftsgemässe  Bewegung. 
FotiMtioMB  Folgendes  Bild  zeigt  uns  die  Formationen  der  Kavallerie-Patrouillen 


*- 


Ao5 


Sobald  die  Streifpatronillen  melden,  dass  sie  auf  eine  feindliche 
Masse  gestossen  sind,  reitet  der  Führer  der  Abteilung  sofort  der  an- 
')  General  Clery:  „Minor  Tactits",  Loodoii  1893. 


KondscbDAadieDst  und  Kavallerie -Kämpfe.  315 

gegebeaea  Richtung  zu,  am  die  Stellang  zu  .erforschen  und  zwar  allein, 
um  die  Anwesenheit  seiner  Abteilung  nicht  zu  verraten. 

Damit  die  erlangten  Nachrichten  rasch  nberinittelt  werden,    übt  '''•'•■l''™* 
man  die  Eavallene  heute  aach  im  Telephonlegen.  mitt^iiiDe 

So  stellte  zum  Beispiel  eine  Olfiziers-Patronille,  die  aus  einem  g™Mii,n 
Offizier    und  drei    Unteroffizieren    bestand,  von    denen    der    Telephon-  ^g^^^^ 
Apparat  und  Drahtrollen  von  1000  Meter  Länge  getragen  wurden,  eine 
Telephon-Leitung  zwischen  Berlin  nnd  Potsdam  (über  30  Kilometer)  im 
Laufe  von  noch  nicht  vier  Stunden  her. 

Folgendes  Bild  zeigt  uns  diese  Uebnng. 


Legen  von  TelephonleitungeQ  durch  Kavallerie. 

Allgemeine  Rekognoszierungen  erfordern  noch  mehr  Energie  nnd 
Knnst  als  das  Aufsuchen  der  feindlichen  Reiterei. 

Den  zahlreichen  Rekognosziei-ungs-Patrouillen  müssen  ganze  Schwa^jjj^^"^^^,^ 
dronen   folgen.    Hierbei  verändert  sich  die  Art  des  Kampfes  und   das     n"»«™ 
Magazin-Gewehr  übernimmt  seine  Rolle,    Um  sich  durch  die  Schutzkette    Hünen 
durchzuschlagen  und  die  Hauptmacht  des  Feindes  zu  erreichen,  muss  die  '°„\""^' 
Kavallerie  schon  in  Massen  wirken  und  Geschütz  und  Gewehr  in  Tliätig- 
keit  bringen.    Ein  unerwartetes  Feuer  kann  einen  ausserordentlich  starken 
Eindruck  hervorbringen.  ^)    Es  wird  behauptet,  dass  durch  dieses  Mittel 


*)  A.  Aubier:  „Du  röle  strat^gique  et  tactiqiie  do  la  cavolerie". 


316  V.    Die  Kavallerie. 


die  Kavallerie  dem  Hauptkpmmandierenden  einen  sicheren  Weg  weisen 
kann  und   das  Wort  Friedrichs  des  Grossen  wahrmachen:   eine  gute 
Kavallerie  entscheidet  das  Schicksal  der  Kampagne. 
Goita  über  In  dem  bekannten  Werke  von  der  Goltz'  „Das  Volk  in  Waffen" 

den  Beko-  " 

gnosxienuipi  Werden  einige  Gedanken  zur  Frage  des  Rekognoszierungsdienstes  bei- 
gebracht, die,  wenn  sie  auch  vor  Erfindung  des  rauchschwachen  Pulvers 
ausgesprochen  sind,  doch  Beachtung  verdienen, 
tieron"  ^^  ^^^  Lehrbüchcm,  sagt  von  der  Goltz,  werde  gewöhnlich  viel 

Schwierig-  davon  geredet,  dass  gute  Offiziere  mit  wenigen  Rekognoszierungstruppen 
durch  die  erste  Postenkette  des  Feindes  dringen,  seine  Flanken  umgehen 
und  sogar  im  Rücken  seiner  Hauptmacht  Rekognoszierungen  vornehmen 
müssen.  Solche  Thätigkeit  sei  sehr  nützlich,  aber  auch  sehr  schwer,  da 
ja  auch  der  Gegner  sich  bemühe,  von  seiner  Kavallerie  denselben  Gebrauch 
zu  machen.  Ausserdem  erforderten  derartige  Unternehmungen  von  den 
damit  Beauftragten  neben  einer  ungewöhnlichen  Tapferkeit  auch  noch  ein 
ungewöhnliches  Orientierungs-  und  Anordnungsvermögen  und  ungewöhn- 
liches Glück.  Demnach  sei  es  unmöglich,  Berechnungen  auf  solche 
Unternehmungen  zu  gründen,  obwohl  jede  Kavallerie  danach  strebe,  sich 
gerade  in  dieser  Richtung  ihrer  Thätigkeit  auszuzeichnen.  Es  sei  ausser- 
ordentlich wichtig,  den  Gegner  überall  zu  suchen,  eine  vereinzelte  Meldung 
könne  niemals  volle  und  genaue  Kunde  bieten.  Eine  Meldung  zusammen- 
zustellen sei  eben  so  schwierig  wie  einen  Befehl  zu  redigieren.  Sehr 
wichtige  Resultate  ergebe  die  Befragung  der  Einwohner.  Von  grösseren 
Truppenbewegungen  verbreiteten  sich  immer  Nachrichten,  und  es  sei 
zuweilen  geradezu  rätselhaft,  wie  diese  Nachrichten  trotz  der  Verbindungs- 
MftUonsie  hcmmungcn  so  schnell  umliefen.  Die  Bewohner  der  Umgegend  von  Metz 
lichkeiteii.  hätten  Kunde  von  dem  Herannahen  Mac  Mahons  zum  Entsätze  Bazaine's 
gehabt,  als  noch  keine  der  Schlachten  geschlagen,  welche  der  Katastrophe 
von  Sedan  vorhergingen.  In  diesem  Falle  sei  der  Volkscharakter  der 
betreffienden  Bevölkerung  in  Rechnung  zu  ziehen.  Von  einem  Engländer 
oder  Russen  sei  jede  beliebige  Nachricht  weit  schwieriger  zn  erfahren  als 
von  dem  geschwätzigen  Franzosen  oder  Italiener.  Auf  offenbare  Verräter, 
die  bereit  wären,  wichtige  Nachrichten  mitzuteilen,  brauche  man  gar 
nicht  zu  rechnen.  Bei  einer  jeden  Befragung  werde  irgend  etwas  mit- 
geteilt, das  dem  Befragten  als  harmlose  Nachricht  erscheine,  aber  aus 
hundert  solcher  unschuldiger  Einzelheiten  lasse  sich  doch  etwas  Wichtiges 
gewinnen. 
Erfordeniii  In  jedem  Fall  erfordert  der  Kundschafterdienst  eine  bedeutende 

geistiger    geistige  Entwickelung  der  damit  beauftragten  Personen. 
Begabung.  Gcueral  Kuropatkin  sagt  bei  Beschreibung  der  Kämpfe  um  Plewna, 

dass  während  des   Krieges   1877/78   der   Rekognoszierungsdienst   trotz 


Kundscliafbsdieiist  und  Eavallerie-Kämpfe.  317 

einer  zahlreichen  Kavallerie   unhefriedigend  oder  gar  nicht    ausgeführt 
wurde. 

Auch  im  deutschen  Heere,  das  auf  seine  Kavallerie  stolz  ist,  sind 
Fälle  vorgekommen,  dass  der  Rekognoszierungsdienst  völlig  versagte. 
Von  einem  derartigen  Fall  berichtet  Woyde  in  seinem  Werk  „Siege  und 
Niederlagen  im  Kriege  1870".  Nach  seiner  Meinung  hätten  die  beiden 
bedeutendsten  Schlachten  in  diesem  Kriege,  die  von  Vionville  und 
Gravelotte,  trotz  der  vorzüglichen  Kräfte  der  Deutschen  diesen  in  Folge 
der  Nichtbeobachtung  des  Rekognoszierungsdienstes  verloren  gehen 
können;  nur  Dank  der  ungeschickten  Operationsweise  der  französischen 
Generale  sei  dieser  Fall  nicht  eingetreten. 

Zum  Schlüsse  führen  wir  noch  die  Ansicht  von  der  Goltz'  über  die  HinderniMe 
HindeiTiisse  füi-  die  gegenseitige  Feststellung  der  Lage  der  Gegner  an.  FoBtsteUong 
Nichts  sei  schwieriger,   als   eine  richtige  Abschätzung  des  Wertes  der  ^^pj^dL. 
empfangenen  Nachrichten.    Die  Kiiegsgeschichte  bleibe  hauptsächlich  bei 
den  Meldungen  stehen,  welche  in  der  Folge  Bedeutung  erwarben.    Wenn 
man  sie  aber  jetzt  in  ihrer  ursprünglichen  Form  lese,  sei  es  nicht  leicht, 
sich  vorzustellen,  wie  es  möglich  war,  aus  diesen  Meldungen  das  Richtige 
zu  entnehmen.     Deshalb  sei  grösstenteils  der  Erfolg  nicht  durch  Aus- 
nutzung einer  einzigen  glücklichen  Nachricht,  sondern  durch  das  Verständnis, 
aus  einer  grossen  Zahl  von  Nachrichten  Nutzen  zu  ziehen,  zu  erreichen. 

Ein  solches  Beispiel  führt  von  der  Goltz  an.   Der  Belagerungsarmee  BrÄhnmgen 

fttts  dem 

von  Metz  sei  ein  Luftballon  mit  vielen  Tausend  kleiner  auf  Seidenpapier  Kriege  mo. 
geschriebener  Briefe  in  die  Hände  gefallen.  Anfangs  hätte  es  geschienen, 
dass  sich  aus  ihnen  nichts  Wichtiges  ermitteln  lasse,  aber  nachdem 
die  Listen  der  Adressaten  dieser  Briefe  zusammengestellt,  habe  man 
hierdurch  die  Möglichkeit  gewonnen,  sich  eine  Vorstellung  von  der  Ver- 
teilung der  Lager  innerhalb  der  Forts  zu  bilden.  Ausserdem  ergaben 
sich  wertvolle  Schlüsse  über  die  Stimmung  der  Belagerten.  —  Die 
Kritik  der  empfangenen  Nachrichten,  belehrt  uns  von  der  Goltz  weiter, 
muss  es  verstehen,  nicht  nur  die  thatsächliche  Richtigkeit  der  einzelnen 
Nachrichten  abzuschätzen,  sondern  sie  auch  in  ein  System  zu  bringen. 
Es  kann  leicht  sein,  dass  selbst  die  deutsche  Kavallerie  sich  bei  Beginn 
eines  Krieges  nicht  auf  der  Höhe  ihrer  Aufgabe  zeigen  wird.  Hierüber 
bemerkt  der  Hauptmann  des  Generalstabs  Liebert  Folgendes:  Der 
französisch -deutsche  Krieg  habe  mit  einem  sehr  beredten  Vorfall  be- 
gonnen. Drei  deutsche  Korps  seien  bei  Weissenburg  auf  eine  französische 
Division  gestossen  und  hätten  diese  nach  hartnäckigem  Kampfe  aus  ihrer 
Position  gedrängt.  Trotzdem  der  Kampf  um  2  Uhr  Nachmittags  zu 
Ende  gewesen,  wären  die  geschlagenen  französischen.  Tnippen  spurlos 
verschwunden.    Eine  Dragoner-Patrouille  habe  nur  gemeldet,   dass  die 


318  V.    Die  Kavallerie. 


Division  nicht  auf  der  grossen  Strasse  den  Rückzug  angetreten.  Es  blieb 
demnach  völlig  unaufgeklärt,  ob  sie  sich  nach  Bitsch  oder  nach  Wörth 
gewandt,  unwillkürlich  erhebt  sich  hier  die  Frage:  wo  war  denn  aber 
die  deutsche  Kavallerie?  Es  geschah  dies  zu  Anfang  des  Feldzuges,  als 
die  Kavallerie  noch  nicht  durch  die  Erfahrung  Wachsamkeit  gelernt 
hattet). 

Einmal  sagte  Marschall  Bazaine  dem  preussischen  Offizier,  der  ihn 
aus  Metz  nach  Wilhelmshöhe  begleitete  (nach  den  Worten  des  offiziellen 
Berichts):  „Drei  Umstände  waren  die  Ursache  des  Sieges  der  Preussen: 
Disziplin,  Artillerie  und  die  Kavallerie-Rekognoszierungen.  Alle  diese 
drei  Bedingungen  wurden  bei  uns  vernachlässigt." 

^M-  ,  Nach  den  Worten   des   französischen  Militärschriftstellers  Oberst 

gezeicanete 

LeistttiiffeD  Bony  „war  den  zurückweichenden  französischen  Truppen  im  Jahre  1870 
KaTOiierie*'' die  feludliche  Kavallerie  fortwährend  auf  den  Fersen.  Sie  folgte  allen 
unseren  Bewegungen,  jedem  unserer  Schritte  unermüdlich,  machte  plötz- 
liche Ueberfalle  und  vermied  offene  Gefechte.  Als  wir  in  den  Thälem 
der  Champagne  unseren  Plan  plötzlich  änderten,  hatte  der  Gregner 
unsere  Spur  nicht  für  lange  verloren;  mit  Hilfe  seiner  Kavallerie 
hatte  er  uns  bald  wieder  aufgefunden,  und  seitdem  verlor  uns  die 
feindliche  Reiterei  nicht  mehr  aus  dem  Auge;  sie  bedrohte  uns  stets 
in  den  Flanken  und  verbarg  uns  so  die  Bewegungen  der  feindlichen 
Truppen.  Als  wir  nach  Chene-Populeux  kamen,  hielt  sich  der  Feind  von 
uns  in  solcher  Entfernung,  dass  die  vordersten  Abteilungen  seiner 
Kavallerie  ihm  um  10  Meilen  voraus  waren.  In  dem  Maasse  aber,  wie 
wir  von^'ärts  rückten,  begegneten  uns  kleine  Trupps  von  5  bis  6  Patrouille- 
Reitern,  die  gar  nicht  besonders  eilig  davonritten,  um,  erst  sobald  ihnen 
unsere  Absichten  klar  geworden  sind,  von  allen  ihren  Wahrnehmungen 
Mitteilung  zu  machen.  Sobald  wir  versuchten,  sie  zu  verfolgen,  retteten 
sie  sich  in  der  Richtung  auf  ihre  Abteilung  zu,  die  fähig  war,  uns 
Widerstand  zu  leisten,  und  dieser  Widerstand  war  derartig,  dass  er  uns 
hinderte,  die  Postenkette  zu  durchbrechen  und  uns  der  feindlichen 
Armee  zu  nähern.  Ueberhaupt  operierte  die  preussische  Kavallerie  so 
ausgezeichnet,  dass  wir  uns  gewissermaassen  inmitten  für  uns  auf- 
gestellter Netze  bewegten,  mit  denen  man  uns  immer  mehr  und  mehr 
umwickelte".^) 

Darum  war  Moltke  völlig  berechtigt  zu  sagen,  dass  die  Deutschen 
ihre  Siege  dem  „Schulmeister"  verdanken,  denn  zur  selbständigen  Thätig- 


5)  „Militär-Wochenblatt"  1883. 

*)  „Militär -"Wochenblatt"    1881:    „Untersuchungen    über    den    Wert   der 
Kavallerie  in  dem  Kriege  der  Neuzeit". 


Kundschafbsdienst  und  Kavallerie-Kämpfe.  319 

keit  in   einzelnen  Eekognoszierungs-Abteüungen   sind  vor  aUem   ent- 
wickelte  und  des  Lesens  und  Schreibens  kundige  Leute  erforderlich. 

In  dem  zukünftigen  Kriege  wird  die  Kavallerie  mit  neuen  Schwierig-  schwierig- 

*^  ^    keiten  für  die 

keiten  in  Folge  der  Einflihrung  der  neuen  BewaflFnung  und  des  rauch-  Kavallerie 
schwachen  Pulvers  zu  kämpfen  haben.    Damit  sich  der  Leser  einen  Begrifi  ^  k^ege 
von  den  Veränderungen  bilden  kann,  welche  in  Folge  der  Vervollkommnung  *Neuwff-' 
der  SchiesswaflFe  eintreten  werden,  und  wie  diese  Veränderungen  auf  die  »^^ng  and  des 

ranch.IoBeii 

Bedeutung  und  Rolle  der  Kavallerie  wirken,  müssen  wir  die  allgemeine    PoiYe«. 
Form  der  Thätigkeit  zweier  feindlicher  Heere  skizzieren,  wie  sich  solche 
theoretisch  darstellt,  d.  h.  abgesehen   von   allen   möglichen    unvorher- 
gesehenen Zufälligkeiten. 

Die  ersten  Kavalleriegefechte  können  unmittelbar  nach  EröfEnung  des 
Feldzuges  stattfinden.  Sobald  der  Krieg  erklärt  ist,  geht  die  Mobilisation 
und  Zusammenziehung  der  aktiven  Heeresabteilungen  vor  sich,  welche  mit 
einer  Kavallerie-Schutzkette  umgeben  werden,  damit  sie  der  Feind  nicht 
Hals  über  Kopf  überrascht.  Endlich  sind  die  Korps  formiert,  die  Ver- 
bindung zwischen  ihnen  hergestellt  und  die  Armee  kriegsbereit. 

Die  Seite,  der  es  glücken  wird,  hierin  dem  Gegner  zuvorzu- 
kommen, wird  über  weit  günstigere  Umstände  für  die  aktive  Krieg- 
führung verfügen. 

Unmittelbar  mit  Beginn  der  Truppenvereinigung  muss  die  Kavallerie  ^|J 
dem  Blicke  des  Feindes  alles  entziehen,  was  in  der  Armee  vor  sich  geht,  ais  vorhut 
vor  Allem  natürlich  ihre  Bewegungen.  Ist  die  Zusammenziehung  beendet, 
so  übernimmt  die  Kavallerie  ihre  zweite  Rolle:  die  Bildung  der  Vorhut 
für  die  Armee.  Die  Aufgabe  jeder  Avantgarde  ist,  der  Hauptmacht  Zeit 
zu  sichern,  um  von  der  Marsch-  zur  Kampfordnung  überzugehen.  Daher 
muss  die  vorausgesandte  Kavallerie  von  der  Nahe  des  Feindes  so  recht- 
zeitig Nachricht  geben,  dass  die  Truppen  Zeit  finden,  die  entsprechenden 
Stellungen  einzunehmen. 

Auf  der   folgenden   Seite   geben  wir   den  Aufstellungsplan   einer    Art  und 
Kavallerie-Brigade,  welche  die  Front  eines  Armeekorps  deckt.  7)  der  n^kang 

Hieraus  erhellt,  wie  wichtig  es  ist,  die  Kavallerie  so  weit  als  Ameekorp». 
möglich  vorzuschieben.  Alles  dies  führt  zu  dem  Schlüsse,  dass  die 
gesamte  Kavallerie,  sofern  sie  nicht  für  einzelne  Truppenteile  un- 
entbehrlich ist,  vorauszusenden  ist,  damit  die  zum  Schutze  der  Armee 
bestimmte  Vorhut  möglichst  geschlossen  auftritt.  Hierin  herrscht  unter 
allen  Militärschriftstellern  Einigkeit,  und  bei  den  deutschen  ist  es  sogar 
zum  geflügelten  Wort  geworden:  „Die  Reitermassen  stets  voraus". 


0  General  Clery:    „Minor  Tactics'*. 


1 


320 


Y.    Die  Kavallerie. 


Avantgardeii  Dem  Ziffcrbestaiide  der  jetzigen  Armeen  entsprechend ,  kann   die 

Avantgarde  aus  5  bis  7  Kavallerie-Divisionen  bestehen,  s) 

UnTer- 
meidliolie 

ziuammen-  ZQ  Sammeln,  SO  zuverlässig  ist,  wie  die  der  direkten  Rekognoszierungen. 
'*^***     Das  Auffangen  von  Briefen,  Zeitungsnachrichten,  Meldungen  von  Spionen, 


Wir  haben  schon  davon  gesprochen,  dass  keine  Methode,  Nachrichten 


Deckung  eines  Armeekorps  durch  eine  Kavallerie-Brigade. 


alles  dieses  ist  zweifelhaft.  Selbst  sich  aufmachen  muss  man  und  den 
Feind  „betasten".  Aber  da  der  Feind  sich  in  ähnlicher  Weise  schützt, 
so  sind  Kavalleriegefechte  unvermeidlich,  denn  jede  Seite  wird  Ver- 
suche machen,  die  Vorpostenkette  des  Gegners  zu  durchbrechen,  um  sich 


*)  Tschitschagow:    „Organisation  der  modernen  Reiterei". 


Kundschaflsdienst  und  Kavallerie-Kämpfe.  321 

dem  Kern  seiner  Truppen  zu  nähern  und  deren  Absichten  zu  erforschen. 
Falls  die  Eeiterei,  die  sich  längs  der  feindlichen  Front  zerstreut,  Erfolg 
hat,  stellt  sie  die  Länge  dieser  Front  fest;  die  kleinen  Eekognoszierungs- 
Abteilungen,  welche  die  Flanken  umreiten,  bemühen  sich,  genau  die 
Stärke  der  Front  festzustellen.  In  jedem  Falle  darf  die  Kavallerie 
keine  einzige  Bewegung  des  Feindes  aus  dem  Auge  lassen. 

Der  das  Schlachtfeld  behauptende  Sieger  wird  offenbar  im  Stande 
sein,  mehr  Nachrichten  aus  Briefschaften  u.  s.  w.  der  Getöteten  und  durch 
Befragen  der  Verwundeten  zu  erlangen;  ausserdem  kommt  ihm  noch 
Stärkung  des  eigenen  Geistes  und  eine  gewisse  Niedergedrücktheit  des 
Gegnera  zu  Gute. 

Wir  wollen  diese  Sachlage  noch  an  der  Hand  des  talentvollen  Schrift-  ^«""«J»« 

^  stimmen 

Stellers  Tschitschagow  betrachten,  aus  dessen  Werk  wir  schon  Auszüge  «ber 
angeführt  haben.  Nach  seiner  Ansicht  lässt  sich  der  Zusammenstoss  opention^ 
einer  Armee,  die  genügend  Kavallerie  hat,  mit  einem  kavaUerielosen 
Gegner  dem  Kampfe  des  Sehenden  mit  dem  Blinden  vergleichen.  Wie 
stark  letzterer  auch  sein  mag,  er  wird  immer  der  Besiegte  bleiben. 
Deshalb  hat  auch  Odysseus,  der  den  Cyclopen  zu  besiegen  strebte,  den- 
selben zuerst  geblendet.  Ueber  die  Ansichten  und  Ueberzeugungen, 
welche  in  dieser  Frage  in  der  russischen  Armee  herrschen,  können  wir  uns 
aus  dem  kürzlich  erschienenen  Werk  des  Kapitäns  Dubrowin  informieren, 
welcher  hinsichtlich  der  russischen  leichten  Reiterei  folgende  Erwägungen 
anstellt:  Nach  Meinung  Dubrowin's  wird  mit  dem  Moment  des  Beginns 
der  Kriegsoperationen  die  Eeiterei  vorausgeschickt  werden,  sowohl  um 
zu  rekognoszieren,  als  auch  um  über  die  feindliche  Kavallerie  herzufallen. 
Wenn  sie  diese  zurückdrängt  und  die  Eeihen  der  feindlichen  Infanterie 
eiTeicht,  so  wird  von  diesem  Augenblick  an  die  Front  des  Gegners  nicht 
mehr  unbekannt  bleiben.  Die  Kavallerie  wird  beständige  Zusammenstösse 
mit  der  Vorhut  des  Feindes  haben,  wird  die  Wegeverbindung  schützen, 
die  Flanken  der  eigenen  Armee  verteidigen  und  die  des  Gegners  bedrohen. 
Ausserdem  wird  sie  viele  andere  strategische  Aufgaben  zu  erfüllen  haben, 
während  es  ihr  kaum  gelingen  dürfte,  in  die  Tiefe  der  Stellung  der 
feindlichen  Truppen  einzudringen.  Natürlich  ist  hierbei  nur  von  den 
KavaUeriemassen  die  Rede,  da  die  leichten  Rekognoszierungs-Abteilungen, 
deren  Bestimmung  es  ist,  ihre  Aufgabe  zu  lösen,  ohne  sich  auf  gegen- 
seitiges Hin-  und  Herschiessen  einzulassen,  sich  durch  die  Linie  der 
feindlichen  Front  durchschlagen  können  und  müssen,  obgleich  auch  ihre 
Rolle  in  Folge  der  vielen  Neuerungen  im  Heerwesen  weit  schwieriger 
sein  wird  als  früher. 

Die  Würdigung  dieser  Schwierigkeiten  ist  ein  Gegenstand  des  Streites     ^*^f- 
unter  Spezialisten,  bei  deren  Ansichten  wir  etwas  stehen  bleiben  müssen. 

Bloch,  Der  sakILnftige  Krieg.  21 


322  ^'    ^i«  Kavallerie. 


Etafloas  Der  Einfluss  des  rauchschwachen  Pulvers  auf  die  Rekognoszierungs- 

■ohwMiieD  taktik  ist  unbestreitbar. 

^^'"-  In   dem  Werke   des    Oberst  B.»)    finden  wir    hinsichtlich   dieses 

Einflusses  ein  entscheidendes  Urteil:  „Es  unterliegt  keinem  Zweifel, 
dass  mit  Einführung  des  rauchschwachen  Pulvers  sich  die  Rekognos- 
zierungstaktik wesentlich  verändern  muss,  und  dass  für  den  Spezial- 
zweck  der  Rekognoszierung  von  Oertlichkeiten  und  Truppenanzahl  die 
Kavallerie  nicht  ganz  geeignet  erscheint.  Stellen  wir  uns  in  der  That 
eine  regelrecht  postierte  Avantgarde  vor  mit  ihren  Piquettketten,  die 
hinter  Erhöhungen,  hinter  Bäumen,  Zäunen  und  anderen  Gegenständen 
aufgestellt  sind,  hinter  denen  der  Mann  sich  verbeißen  kann,  die 
ihn  aber  nicht  hindern,  selbst  zu  sehen  und  zu  schiessen.  Stellen 
wir  uns  nun  weiter  eine  Kavallerie-Abteüung  vor,  die  sich  mit  der 
grössten  Vorsicht  vorwärts  bewegt,  um  gerade  diese  Avantgarde  zu 
rekognoszieren.  Welche  Angaben  wird  sie  im  Stande  sein  über  sie 
einzusammeln?  Im  besten  Falle  wird  es  ihr  glücken,  annähernd  zu 
bestimmen,  von  welcher  Seite  der  Feind  kommt;  sie  wird  aber  nicht 
im  Stande  sein,  die  Entfernung  zu  erkennen  oder  auch  nur  zu  mut- 
massen,  von  der  aus  sie  beschossen  wird,  denn  ob  eine  Kugel  von  200, 
600,  1000  und  noch  mehr  Meter  Entfernung  kommt  —  sie  wirft  in  gleicher 
Weise  den  Mann  aus  dem  Sattel.  Bei  der  neuen  Wafle  liegt  gar  keine 
Berechnung  darin,  feindliche  Rekognoszierungstrupps  auf  nahe  Entfernung 
heranzulassen ;  es  ist  im  Gegenteil  nützlicher,  das  Feuer  von  der  weitesten 
Entfernung  zu  beginnen.  Auf  400  bis  500  Meter  kann  ein  Piquett  sein 
Feuer  gegen  die  Reiter-Patrouillen  eröffnen,  ohne  Furcht  selbst  gesehen 
zu  werden." 

„Selbst  eine  Infanterie-Abteilung  kann  nur  mit  der  grössten  Mühe 
die  Aufgabe  der  Rekognoszierung  lösen;  in  jedem  FaUe  kann  aber  eine 
solche  weit  eher  hinter  natürlichen  Unebenheiten  des  Bodens  oder  er- 
höhten Gegenständen  Deckung  suchen;  sie  kann  solche  Stellen  und  Pfade 
passieren,  wo  nicht  einmal  mehr  der  einzelne  Reiter,  geschweige  denn 
ein  Reitertrupp  sein  Durchkommen  findet." 

Wichtigkeit  Angesichts  dessen  kommt  der  Autor  zu  dem  Schluss,  dass  gegen- 

dftr  iO" 

teiiektaeuen  wärtig  der  Erfolg  der  Rekognoszierungen  nicht  so  sehr  von  dem  zahl- 
wiokeiimg.  reichen  Vorhandensein  der  Kavallerie,  wie  von  dem  Grade  ihrer  Ent- 
wickelung  in  intellektueller  Hinsicht  abhängen  wird.  Diese  Bemerkung 
verdient  um  so  ernstere  Berücksichtigung,  als  bereits  in  allen  Heeren 
eine  gewisse  Anzahl  von  Soldaten  vorhanden  ist,  die  im  Knnstschiessen 
ausgebildet   sind,   und    die   bei  Zuteilung   zur  Vorhut   die   feindlichen 


®)  Le  colonel  B. :  „La  poudre  sans  fumöe  et  ses  cons^quences".   1890  Paris. 


Kandsohaftsdienst  und  EaTaUerie-Eämpfö. 


Rekognoszierangen  verhindern  und  zugleich  selbst  den  Knndschaftsdienst 
ausüben  werdeu. 

Bis  zu  welchem  Grade  bei  dem  jetzigen  Gewehr  und  dem  rauch-  »«^k™  m 
schwachen  Pulver  der  einzelne  Soldat  gefilhrlich  werden  kann,  zeigt  ein  i«i  n*nen 
aus  dem  deutsch-französischen  Kriege  im  „Wojenny  Ssbomik"  mitgeteiltes     ''^™' 
Beispiel. 

„Ein  französisches  Bataillon,  das  hinter  der  niedrigen  Mauer  eines 
Parkes  Deckung  gefunden  hatte,  führte  ein  lebhaftes  Feaergefecht 
mit  einer  Abteilung  Baiern,  Einer  der  Baiern  kletterte  auf  einen  Baum 
und  begann  zwischen  den  Zweigen  hindurch  auf  die  Franzosen  zu  feuern, 
ein  Opfer  nach  dem  anderen  niederstreckend,  und  erst  als  der  Ranch  ihn 
verriet,  wurde  er  vom  Banme  herabgeschossen.  Wie  aber  würde  es  sein, 
wenn  statt  eines  Kanstschützen  anf  dem  Banme  ihrer  mehrere  sässen  und 
wenn  diese  mit  raachschwachem  Pulver  schössen?" 

Eine  neue  Gefahr  für  die  Kavallerie-Rekognoszierungen  ist  durch  ^^'•^nt 
die  Radfahrer  entstanden,  welche  geübt  werden,  mit  grossen  Schnell^-  Kinii«]*- 
keiten  den  Truppen  vorauszueilen  und  Hinterhalte,  wie  unser  Bild  zeigt,  ^"""'"•"■ 


Bad&hrer  im  Hiaterhalt  gegen  Kavallerie-Patrouillen. 


324  ^'    ^^®  Kavallerie. 


Tb  Feneriinie  j){q  i)ei  den  Maiiövem  der  letzten  Zeit  mit  dem  neuen  Pulver 

Naehnohten 

nur  durch  gemachten  Erfahrungen  bestätigen  die  obigen  Befürchtungen. 

Teiepaph  j^^^  Verfasser  des  in  der  „Reichswehr"  abgedruckten  Berichts  lO) 

Telephon   bemerkt,  dass  das  Aussenden  von  Ordonnanzen  und  das  Erscheinen  von 

mOglicn.  ^ 

solchen  mit  Nachrichten  aufhören  müsse,  sobald  die  Truppen  in  die 
Feuerlinie  treten.  Dann  bleiben  für  Mitteilungen  nur  der  Telegraph,  das 
Telephon  und  die  für  den  Nachrichtendienst  dressierten  Hunde.  Indessen 
hat  die  Legung  von  Telegraphendrähten  ihre  Unbequemlichkeiten,  da 
Menschen  und  Pferde  daran  stossen,  sie  zerreissen  und  so  die  Verbindung 
stören. 

Das  Hauptmittel  zur  Gewinnung  von  Nachrichten  bleiben  also  wie 
in  früheren  Zeiten,  immer  Patrouillen  und  Eekognoszierungen.  Die 
Patrouillen  werden  sich  aber,  wie  Professor  Langlois  ausführt,  mit  der 
grössten  Vorsicht  bewegen  müssen  und  auch  nicht  immer  genügende 
Nachrichten  mitteilen,  sondern  sich  bisweilen  Uebertreibungen  zu  Schulden 
kommen  lassen,  was  Angesichts  der  Gefahr  auch  natürlich  ist.  Die 
Rekognoszierungs-Abteüungen  gestehen  nicht  gern  zu,  dass  sie  vor  un- 
bedeutenden Truppenteilen  den  Rückzug  angetreten  haben,  ein  Umstand, 
der  den  Rekognoszierungsdienst  schädigen  muss. 
un-  In  Rücksicht  auf  die  ungenügenden  Nachrichten,  welche  der  Rekognos- 

NMhrichten,  Zierungsdienst  ergeben  kann,  werden  im  künftigen  Kriege  wahrscheinlich 
jUnJfrt'die  J^^^^   Schlacht    längere    Einleitungsoperationen   (periode   d'engagement) 
sohucbten-  vorangehen.     Beide  Seiten   werden   zunächst   gewissermaassen   tastend 
operieren.    Die  Entschlossenheit  des  Kommandierenden  kann  wohl  den 
entscheidenden  Moment  beschleunigen,  den  Feind  in  Verwirrung  setzen, 
aber  trotz  des  Sprichwortes  „audaces  fortuna  juvat"  führt  Kühnheit  allein 
nicht  immer  zum  Erfolg. 
I"»  Die  Wahrheit  wird  wie  gewöhnlich   wohl  auch  hier  in  der  Mitte 

Fenerbereich 

mass  hegen.  Am  genauesten  stellt  die  Sache  die  von  dem  französischen 
^"^^"*  technischen  Komit6  ausgearbeitete  Instruktion  für  die  Infanterie  dar: 
gnoezieren.  j)jß  Kavallcrio  —  heisst  es  dort  —  kann  über  Stellung  und  Stärke  des 
Feindes  Nachrichten  nur  im  Allgemeinen  und  grossen  Ganzen  (sommaire- 
ment)  ermitteln.  Für  die  Gewinnung  genauer  und  ausfuhrlicher  Daten 
muss  die  Rekognoszierung  durch  Infanterie-Abteilungen  eintreten."  Bei 
den  letzten  Manövern  sah  man  bei  einer  genügenden  Annäherung  an  den 
Feind  von  Kavallerie-Rekognoszierungen  ab;  die  weiteren  Rekognoszie- 
rungen fielen  dann  der  Infanterie  zu. 


*°)  „Kritische  Beleuchtung  der  Schlussmanöver  1891    bei  Weidhofen  an 
der  Thaya". 


Kavallerie-Attaken.  g25 


5.  Kavallerie-Attaken. 

Wir  haben  gesehen,  dass  es  bezweifelt  wird,  ob  die  Verwendung  verschieden- 
der  Kavallerie  für  Rekognoszierungszwecke  in  Zukunft  ebenso  möglich  xnsiohuüi 
sein  wird   als  früher.    Andere   gehen  noch  weiter  und  leugnen,  dass  **'*^' ^"*^®"* 
die  Kavallerie  in  den  Schlachten  selbst  durch  Ausführung  von  Attaken 
irgend  welche  wichtige  Bedeutung  erlangen  wird. 

Schon  in  den  letzten  Kriegen,  bevor  noch  das  Gewehr  so  vervoll- in  den  letzten 
kommnet  war  und  die  Truppen  in  Herstellung  von  Schanzen  und  Erd-    mmmI^ 
deckungen  eingeübt  waren,  wurde  die  Kavallerie  zu  Massen-Attaken  nur    "f^J^* 
selten  verwendet,  und  in  der  That,  wie  im  Kriege  von  1866  die  Schlachten 
der  Preussen  ohne  grosse  Beteiligung  der  Artillerie  gewonnen  wurden,  so 
die  im  Ki-iege  von  1870/71  im  Allgemeinen  ohne  grosse  Beteiligung  ihrer 
Kavallerie. 

Jede  bedeutende  Vervollkommnung  der  Feuerwaflen  strebte  stets    vervou- 
danach,  die  Wirkung  der  Kavallerie  auf  dem  Schlachtfelde  zu  beschränken,  der  Feuer- 
Es  wai»  zu  Friedrich  des  Grossen  Zeiten  nichts  Ungewöhnliches,  dass  auf  ^egTe^rden 
beiden  Seiten    durch   Kavallerie -Attaken   ganze  Bataillone   zersprengt  ^^^v^^^ 
wurden.    Zur  Zeit  Napoleons  I.  wurde  wohl  auch  Kavallerie,  wenn  er-  Kavauerie. 
forderlich,  gegen  Infanterie  verwandt,  aber  ihre  Wirkung  ward  stark 
abgeschwächt,  da  sie  nur  selten  frischer  Infanterie  gegenüber  Erfolg 
hatte.    Und  die  modernen  Verbesseiiingen  der  Feuerwaflen  haben  nur 
bezweckt,  in  dieser  Eichtung  die  Grenzen  immer  enger  zu  ziehen.    Aber 
andererseits  führt  die  moderne  Fechtweise  mitunter  zu  derartigen  Zu- 
ständen der  Erschöpfang  und  Unordnung  der  Infanterie,  dass  es  der 
Kavallerie  auch  beschieden  sein  wird,   in  weit   ausgedehnterer  Weise 
Verwendung  zu  finden  als  je  zuvor. 

Um  auch  hier  die  Möglichkeit  zu  geben,  ein  Urteil  über  die  einander 
widerstreitenden  Ansichten  zu  gewinnen,  wollen  wir  zunächst  den  Lesern 
einiges  Material  liefern,  um  sich  davon  einen  BegnS  machen  zu  können, 
welche  Eolle  der  Kavallerie  im  modernen  Kampfe  wirklich  zufallen  kann. 
Zu  diesem  Zwecke  müssen  wir  aber  bis  zur  Vergangenheit  zuiiickgreifen. 

In  den  Kriegen  unter  Friedrich  dem  Grossen  machte  die  Kavallerie  Kavallerie- 
einen   sehr  grossen  Teü   der  Armee   aus.     Bei  Kollin  z.  B.  war  die     Takuk 
preussische  Kavallerie  ebenso  zahlreich  wie  die  Infanterie.    Sie  wurde  „fg^^^^Mt 
häufig  mit  grossem  Erfolge  gegen  die  Infanterie  in  verschiedenen  Stadien 
des  Kampfes  verwendet.    In  der  Schlacht  bei  Rossbach  eröffneten  die 
Seydlitz'schen  Schwadronen  die  Aktion,  indem  sie  die  feindliche  Kavallerie 
zurückwarfen  und  dann  die  Infanterie  angriffen  und  zersprengten.    Bei 
Zomdorf  hat  die  russische  Kavallerie  zweimal  die  preussische  Infanterie 


326 


V.    Die  Kavallerie. 


Schlaoht 
bei  Zomdoil 


geworfen  und  in  dem  einen  Fall  IB,  im  anderen  13  Bataillone  auseinander- 
gesprengt; und  zweimal  entschied  auch  die  preüssische  Kavallerie  den 
Gang  der  Schlacht,  indem  sie  die  feindliche  Infanterie  zum  Weichen 
brachte. 

Die  Aktion  der  Kavallerie  in  der  Schlacht  bei  Zorndorf  stellt  fol- 
gendes Bild  dar. 


Bruuseru 

Aiissejv . 


Kavallerie-Angriff  bei  Zomdorf  1758. 


In  einem  früheren  Stadium  der  Schlacht  hatte  eine  rechtzeitige 
Attake  der  russischen  Kavallerie  acht  Bataillone  der  Preussen  auf  dem 
linken  Flügel  zersprengt  und  26  Kanonen  erbeutet.  Nach  dem  Angriff 
formierte  sie  sich  auf  ihrem  Standort  in  der  früheren  Ordnung,  d.  h.  in  zwei 
Kolonnen  von  20  und  12  Schwadronen,  die  ganz  nahe  neben  einander 
aufgestellt  waren. 

General  Seydlitz,  der  die  Kavallerie  auf  dieser  Flanke  kommandierte, 
brach  mit  23  Schwadronen  gegen  die  Russen  auf  und  griff,  fünf  Schwa- 
dronen in  der  Front,  den  rechten  Winkel  der  rechten  russischen  Kolonne 
an,  während  die  übrigen  18  Schwadronen  als  Succurs  folgten  und  in  zwei 
Detachements  geteilt,  den  Eussen  in  die  Flanke  und  Nachhut  fielen. 
Die  Russen-Kolonne  wartete  den  Angriff  ab  und  der  Stoss  war  derartig, 
dass  sie  ganz  zersprengt  wurde  und  nicht  mehr  auf  dem  Schlachtfelde 
erschien.  Die  linke  Kolonne  flüchtete  sich  darauf  hinter  die  Infanterie 
zurück. 
Napo-  ^ber  die  wachsende  Beweglichkeit  des  Fussvolkes  und  die  Ver- 

Kavauerie-  vollkommnuug  der  Feuerwaffen  brachten  es  mit  sich,  dass  die  Kavallerie 
für  die  Infanterie  allmählich  immer  weniger  furchtbar  wurde.  Bei 
Austerlitz  waren  die  französischen  Kavallerie-Attaken  gegen  die  Infanterie 
der  Russen  ohne  Erfolg.  Bei  Auerstädt  versuchten  die  verzweifelten 
Bemühungen  der  starken  und  zahlreichen  preussischen  Kavallerie  ver- 
geblich Marschall  Davoust's  Infanterie  zu  zersprengen.  Bei  Esslingen 
hielten  die  österreichischen  Bataillons-Kolonnen  den  heftigsten  Angriffen 


EaTaUerie-Ättaken,  337 

der  Kavallerie  Bessiere's  Stand.  Aehnlich  warea  die  Erfahrungen  bei 
Borodino,  Quatre  Bras,  Waterloo,  wo  die  Kavallerie  in  grossen  Massen 
energisch,  aber  vergeblich  eingesetzt  wurde,  um  die  Infanterie  nieder- 
zuwerfen. 

Die  Veränderungen,  welche  seit  der  Fridericianischen  Zeit  bis  zum 
Krimkriege  stattgefunden  haben,  werden  an  der  Attake  der  englischen 
Kavallerie  in  der  Schlacht  bei  Balaklava,  dargesteUt  durch  das  folgende 
Bild,  von  Militärschriftstellem  als  typisch  angeführt.*) 


Eavallerie-AiigriS  bei  Balaklava. 

In   dieser  Schlacht  erhielt  General  Scarlett  den  Befehl,  mit   acht      di»- 
Scliwadronen  von  einem  Pnnkte  des  Schlachtfeldes  nach  einem  anderen  ''"der" 
der  türkischen  Infanterie  zu  Hilfe  zu  eilen.  AnSrir 

Er  brach  mit  den  Inniskillings ,    den  Grey-  nnd  den  6.  Garde- *"  ß«'''»^* 
Dragonern  auf  und  befahl  den  4.  Garde-Dragonern  nachzukommen.  saiituwik 

Sein  Weg  führt«  durch  ein  Thal,  das  links  von  einem  7-  bis  800  Yards 
entfernten  Plateau  umsäumt  wurde.  Hier  tauchte  plötzlich  eine  rnssische 
Eeitermasse  von  2-  bis  3000  Mann  auf  und  bewegte  sich  perpendikulär 
auf  die  Flanke  des  Scarlett'sehen  Zuges  zu.  Der  General  beschloss  sofort 
anzugreifen. 


')  OeuerEil  Cleiy:    „Mmor  Tactics''. 


328 


V.    Die  Kavallerie. 


AtUken 
bei 


Fig.  I  zeigt  uns  den  Marsch  der  Engländer  vor  der  Attake  und 


Baiakiam  Fig.  11  die  Attske  der  schweren  Kavallerie. 


Fig.L 


fr 


Fig.  n. 


0^-      


Vi'2'^iS^^WLaa  iTmiiskiaimgg 


4 

Einieiheiten  Zur  Haud  hatte  er  die  zweite  Schwadron  der  Inniskülings  und  die 

der 

Begegnung,  zwei  Schwadrouen  der  Greys;  die  erste  Schwadron  der  Inniskülings  war 
etwas  voraus  und  somit  zu  seiner  Rechten,  die  B.  Garde-Dragoner  eben- 
falls zur  Rechten,  etwas  mehr  rückwärts  (vgl.  Fig.  I).  Als  er  seine  Linie 
formiert  hatte,  standen  die  drei  erstgenannten  Schwadronen  im  ersten 
Glied,  die  erste  Schwadron  der  Inniskillings  rechts  im  Rücken,  die 
B.  Garde-Dragoner  ebenso  links  (vgl.  Fig.  II). 

Die  russische  Kolonne  setzte  ihren  Marsch  fort  bis  auf  400  Yards 
vor  Scarlett  und  hielt  dann.  Die  Front  der  Kolonne  war  nun  weiter  aus- 
gedehnt durch  Aufstellung  einiger  Schwadronen  auf  jeder  Flanke. 


Kavalleiie-Attaken.  329 


Die  britische  Streitmacht,  die  diese  Kolonne  angreifen  sollte,  zählte 
400  bis  600  Mann,  wovon  gegen  300  in  der  Front. 

General  Scarlett  führte  die  erste  Linie  und  griif  das  Zentrum  der 
Kolonne  in  Frontstellung  an,  durchbrach  die  Reihen  der  Bussen  und 
drang  in  das  Zentrum  ein.  Die  Schwadronen  der  Russen  auf  den  Flanken 
schwenkten  nun  seitwärts  zum  Zentrum  ab,  um  so  die  Engländer  zu 
umzingeln.  In  diesem  Moment  kamen  die  Königs-Dragoner  auf  den  Platz 
und  griffen  den  rechten  Flügel  der  Russen  an,  während  dieser  gerade  die 
Schwenkung  ausführte.  Die  äusseren  Reihen  dieses  Flügels  waren  aus- 
einandergesprengt als  die  inneren  die  Bewegung  noch  fortsetzten.  Die 
6.  Dragoner  kamen  nun  den  Grey's  zu  Hilfe  und  stiessen  auf  denselben 
Flügel  in  Flanke  und  Rücken.  Während  derselben  Zeit  griff  die  erste 
Schwadron  der  Inniskillings  den  linken  Flügel  der  Russen  an,  als  er  seine 
Schwenkung  fast  vollzogen  hatte.  Inzwischen  waren  auch  die  4.  Dragoner 
da  und  jagten  vorwärts,  brachen  in  das  Zentnim  der  rechten  Flanke  der 
russischen  Kolonne  ein  und  drangen  weit  vor.  Die  russische  Kolonne  er- 
griff nun  die  Flucht.  Bei  Balaklava,  wie  einst  bei  Zomdorf,  nach  circa  BuMiacheis 
100  Jahren,  hatten  die  Russen  denselben  Fehler  begangen,  den  Kavallerie-  be^ngene 
Angriff  abzuwarten  und  die  Kolonne  als  eine  Gtef echtsformation  zu  betrachten.     ^®'*^®'- 

Das  Verhängnisvolle  eines  Wechsels  der  KavaUerie-Aufstellung  im 
Bereich  des  Feindes  zeigte  sich  ebenfalls  bei  Balaklava,  als  die  russischen 
Flügel  bei  ihrem  Schwenkungsmanöver  von  der  englischen  Kavallerie 
erreicht  und  geworfen  wurden. 

Zwölf  Jahre  später,  in  der  Schlacht  bei  Nachod  (1866),  war  die  schimcht 
preussische  Kavallerie-Brigade  Wnuck,  die  aus  den  1.  Ulanen  und  8.  Dra- 
gonern bestand,  nahe  bei  Wysokow  aufgestellt,  als  6V2  österreichische 
Schwadronen  auf  dem  Platze  erschienen.  Die  Oesterreicher  waren  mit 
31/2  Schwadronen  in  einer  Linie  formiert,  deren  Flanken  als  Nachhut  je 
eine  Schwadron  links  und  rechts  rückwäi-ts  folgte,  wie  folgendes  Bild  zeigt. 

CK      -0 

Kavallerie-Angriff  in  der  Schlacht  bei  Nachod. 

Die  preussischen  Ulanen  sprengten  gegen  die  Oesterreicher  vor  Bedeutung 
und    als   ihre   linke  Flanke  von  der  rechten  Nachhut -Schwadron  der  "J^l*"" 


330  "V^-    Die  KavaJlerie. 


Oesterreicher  bedroht  wurde,  eilten  die  Dragoner  zur  Hilfe  herbei. 
Während  nun  die  österreichische  Linie  gegen  die  Ulanen  ebenfalls  in 
der  Front  vorging,  wurden  diese  Letzteren  von  der  österreichischen 
linken  Nachhut-Schwadron  in  der  rechten  Flanke  angegriffen,  so  dass 
die  Oesterreicher  zunächst  im  Vorteil  waren.  Da  aber  sprengte  eine 
preussische  Schwadron,  die  auf  der  Skalitzer  Chaussee  daherritt,  heran 
und  fiel  den  Oesterreichem  in  die  linke  Flanke,  während  inzwischen 
die  8.  Dragoner  gegen  deren  rechte  Flanke  vorgerückt  waren.  Das  ent- 
schied den  Kampf  zu  Gunsten  der  Preussen.  Die  Oesterreicher  räumten 
das  Feld  mit  Hinterlassung  zweier  Standarten. 

Aus  dieser  Aktion  ergiebt  sich,  wie  wichtig  es  ist,  dem  Feinde  die 
Flanken  abzugewinnen  und  dass  der  Erfolg  auf  dessen  Seite  sein  wird, 
welcher  zuletzt  Schwadronen  zu  diesem  Zwecke  zur  Verfügung  hat.  Die 
Oesterreicher,  zuerst  glücklich  im  Kampfe,  wurden  geschlagen,  als  es  den 
Preussen  gelang,  ihnen  in  die  Flanken  zu  fallen. 

DeaiMhe  In  deu  Schlachten   des  Krieges  1870  spielte   die  Kavallerie  die 

*i87o.  *  wichtigste  Eolle  am  16.  August  bei  Mars  la  Tour. 

B«aiiie*s  Marschall  Bazaine  hatte  vor,  sich  unter  Zurücklassung  der  not- 

"  mit      wendigsten  Besatzung  in  Metz  mit  seinen  fünf  Korps  behufs  Vereinigung 

)£uy]^oii  jj^^  Mac-Mahon  auf  Chälons   zurückzuziehen.    Diese  Absicht  wurde  der 

Tereinig«!!.  deutscheu  Heeresleituug  am  14.  August  klar,  als  von  der  ersten  Armee 
die  französischerseits  stattfindende  Eäumung  des  rechten  Moselufers 
gemeldet  ward.  Es  galt  nun,  an  diesem  wie  an  den  folgenden  Tagen  den 
Gegner  festzuhalten.  Piinz  Friedrich  Karl  überschritt  mit  einem  Teil 
seines  Heeres  die  Mosel  südlich  von  Metz,  während  Steinmetz  mit  seiner 
ersten  Armee  dem  Feinde  östlich  von  Metz  bei  den  Dörfern  Neuilly  und 
Colombey  eine  siegreiche  Schlacht  lieferte,  deren  Verlauf  die  daselbst 
fechtenden  feindlichen  Korps  zwang,  hinter  den  Werken  der  Festung 
Schutz  zu  suchen.  Die  deutsche  Heeresleitung  glaubte,  dass  es  jetzt  im  un- 
mittelbaren Moselgebiet  nicht  mehr  zu  ernsten  Kämpfen  kommen  werde,  und 
so  erhielt  das  Gros  der  Ai*mee  des  Prinzen  Friedrich  Karl  den  Auftrag,  am 
andern  Morgen  von  Nov6ant  aus  direkt  westwärts  an  die  Maas  zu 
marschieren,  jedoch  zwei  Armeekorps  zur  Sicherheit  nördlich  gegen  die 
Strasse  Metz-Verdun,  und  zwar  über  die  Orte  Gorze  und  Thioncourt, 
vorzuschicken. 

Annutuoiig  Der  Abmarsch  des  französischen  Hauptheeres  war  verzögert  worden; 

**  b^i*  "  Bazaine*s  Heer  stand  am  16.  Morgens  in  und  bei  den  westlich  von  Metz 

Man  la  Tour,  gelegenen  Dörfern  Mars  la  Tour,  Vionville,  Kezonville  erst  zum  Abmarsch 
bereit  da.  Nun  musste  wiederum  der  Versuch  gewagt  werden,  den 
Marschall  festzuhalten.  Das  zur  zweiten  deutschen  Armee  gehörige  und 
mit  dem  10.  gemeinsam  über  Gorze-Thioncourt  dirigierte  3.  preussische 


Klntttan  1x1  SalM  1! 


Kavallerie-Attaken.  331 


Armeekorps  unter  General  von  Alvensleben  stiess  Morgens  um  10  Uhr 
auf  den  Feind,  dessen  Kavallerie  zunächst  durch  Geschutzfeuer  zurück- 
gejagt wurde.  Ein  wüthender  Kampf  entbrannte  um  den  Besitz  der 
genannten  Dörfer,  ein  Kampf,  um  so  gefährlicher  für  die  Preussen,  als 
die  andern  Teile  der  ^weiten  Armee  erst  nach  und  nach  zur  Hilfe  herbei- 
eilen konnten.  Schon  sah  sich  der  linke  AngrifEsflügel  bei  Mars  la  Tour 
von  den  verteidigenden  Franzosen  zurückgedrängt,  da  musste  die  Reiter- 
brigade Bredow,  7.  Kürassiere  und  16,  Ulanen,  der  hart  bedrängten  ^^^*^^«^^ 
Infanterie  Luft  schaflFen.  Die  Attake  durchbrach  die  vordersten  Reihen  Brigad© 
des  Korps  Canrobert;  aber  dann  stiessen  die  todesmuthigen  Reiter  auf 
unüberwindliche  Uebermacht,  sie  mussten  wenden,  und  noch  nicht  ein 
Dritteil  der  Braven  kehrte  hinter  die  Reihen  der  preussischen  Flügel  in 
Mars  la  Tour  zurück.  Und  wieder  erfolgte  zur  Rettung  des  Fussvolks 
ein  Todesritt,  diesmal  von  den  preussischen  Gardedragonem  unternommen.    Todesritt 

der  preuBS. 

Beide  Attaken  hatten  den  gewünschten  Erfolg;  die  letzte  entschied  that-     ctarde- 
sächlich  die  Schlacht,   die  nach  zwölfstündigem  Ringen,  freilich  unter   ^"**"®'- 
blutigen  Verlusten,  zu  Gunsten  des  deutschen  Angreifers  endigte.    Der 
Abmarsch  Bazaine's  war  abermals  verhindert  worden. 

In  der  Beilage  zeigt  uns  den  Todesritt  am  16.  August  bei  Mars  la  Tour 
eine  Zeichnung,  welche  die  „Leipziger  Illustrierte  Zeitung"  nach  dem 
Gemälde  von  Louis  Braun  brachte.  Wir  ersehen,  dass  Kavallerie-Attaken 
noch  im  Kriege  1870  grosse  Dienste  leisteten. 

Der  Kampf  der  Kavallerie  gegen  Kavallerie  nimmt  sich  aber  anders 
aus.  General  Posyrewski  sagt:  „Der  Kavalleriekampf  ist  mehr  als  der  Kampf 
der  Infanterie  eine  Sache  moralischen  Muths  und  der  Geistesgegenwart." 

„Ein  wirklicher  Zusammenstoss  existiert  niemals:  der  moralische  zusammi^n- 

stossex  isiiert 

Eindruck  des  einen  der  Gegner  wirft  immer  den  anderen  ein  bischen  früher,    niemals. 
ein  bischen  später  und  sei  es  auch  erst  in  der  Entfernung  einer  Nasen- 
länge um ;  vor  dem  ersten  Säbelhieb  ist  die  eine  Partei  schon  geschlagen 
und  wendet  sich  zur  Flucht.    Durch  einen  wirklichen  Zusammenstoss 
würden  beide  Teile  vernichtet  werden." 

„Die  wii'kliche  Attake  von  beiden  Seiten  würde  eine  gegenseitige 
Vernichtung  sein,  in  der  Praxis  aber  verliert  der  Sieger  kaum  einen  Mann. 
Man  sagt,  dass  in  dem  Kampf  bei  Eckmühl  auf  einen  gefallenen  franzö- 
sischen Kürassier  14  österreichische  gekommen  sind,  die  im  Rücken  ver- 
wundet waren.  Etwa  nur  deshalb,  weil  letztere  ohne  Panzer  waren? 
Nein,  deshalb,  weil  sie  den  Rücken  kehrten,  um  Hiebe  zu  empfangen".^) 

Was  die  Frage  der  Formierung  der  Kavallerie  zum  Angriff  betrifft,  Forniierangr 
so  ist  Folgendes  zu  bemerken:  Kavallerie 

__^ zmn  Angriff. 

')  A.  K.  Pusyrewski:  „Untersuchung  über  den  Kampf*,  Warschau  1893. 


332  ^'    ^i^  Kavallerie. 


Die  Schlacliten  von  Zomdorf  und  Ansterlitz  können  als  typisch  für 
die  Epochen  betrachtet  werden,  wo  die  Kavallerie  unter  Friedrich  dem 
Grossen  resp.  Napoleon  auf  ihrem  Höhepunkte  stand.  Bei  Zomdoif  griff 
die  preussische  Kavallerie  mitunter  in  zwei,  mitunter  in  drei  Linien  an. 
Einmal  nur  griff  SeydUtz  in  einer  Linie  an,  aber  der  Moment  war  sehr 
kritisch  und  die  Gelegenheit  günstig  für  das  Wagnis,  den  Feind  zu  um- 
zingeln. Die  Linien  wurden  eine  hinter  der  anderen  formiert  und  meist 
mit  250  Yards  Abstand.  Bei  Ansterlitz  machte  Kellermann's  Division  neun 
Angriffe.  Sie  bestand  aus  zwei  Brigaden  zu  zwei  Regimentern,  ein, 
höchstens  zwei  Regimenter  in  der  ersten  Linie,  während  die  übrigen  in 
der  zweiten  oder  in  Reserve  standen.  Die  übrigen  Divisionen  der  fran- 
zösischen Kavallerie  machten  ihre  Attaken  in  der  Regel  in  zwei  Linien, 
zwischen  denen  der  Abstand  meistens  250  Yards  betrug. 
*"*"  Der  Abstand  ist  erforderlich,  damit  die  rückwärts  stehende  Linie 

xwiaehaa  den  rechtzeitig  helfend  einspringen  kann.  Aber  er  darf  nicht  so  klein  sein, 
*lSui!"  dass,  wenn  die  Frontlinie  umkehrt,  dadurch  die  Aktion  der  üebrigen 
paralysiert  wird.  Auch  beim  Manövrieren  muss  genug  Platz  bleiben,  so 
dass  beim  Angriff  der  Yorstoss  kräftig  genug  ausfällt.  In  der  Schlacht 
bei  Soorin,  1745,  waren  die  50  Schwadronen  der  österreichischen  Kavallerie 
in  drei  Linien  formiert,  in  Abständen  von  bloss  20  Yards.  Von  feind- 
licher Kavallerie  angegriffen,  wich  die  erste  Reihe  auf  die  zweite  zurück, 
diese  auf  die  dritte  und  schliesslich  das  Ganze  in  wilder  Unordnung  auf 
die  Infanterie.  Damit  der  Angriff  möglichst  wirksam  ist,  muss  die  letzte 
Strecke  im  schnellsten  Tempo  geritten  werden. 
Frage,  ob  Gcucral  Clcry»)  sagt,  dass  gegenwärtig  die  normale  Formierung  der 

**oder  '  Kavallerie  in  der  Aufstellung  in  zwei  Gliedern  besteht,  obschon  entgegen- 
•*"jj^f„"' gehalten  wird,   dass  bei  vielen  erfolgreichen  Attaken  die  zwei  Glieder 
sich   zu  einem  verschmolzen .  haben,    ehe  der  ZusammenpraU   erfolgte, 
sodass  die  vorherige  Bildung  eines  zweiten  GHedes  in  solchen  Fällen 
allerdings  später  sich  als  unnötig  erwies. 

Aber  es  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  die  Kavallerie -Attake  anstrebt, 
die  Reiterreihen  aufzulösen  und  dass,  wenn  das  zweite  Glied  nicht  zur 
Hand,  die  entstandenen  Lücken  sofort  auszufüllen,  die  ganze  Linie  des 
festen  Zusammenhangs  verlustig  geht»  der  gerade  die  Stärke  des  Angriffs 
ausmacht.  Deswegen  ist  das  Zwei -Gliedsystem  allgemein  angenommen. 
FUnken-  Da  ÜB  Flaukcu  die  schwache  Seite  der  Kavallerie  bilden,  so  muss 

"*^"  *  der  angreifende  Teil  stets  suchen,  den  Feind  in  ihnen  zu  fassen.  Das 
ist  ein  Hauptprinzip,  weil  der  dabei  zu  erzielende  Erfolg  meist  von  aus- 
schlaggebender Bedeutung  ist. 


•)  „Minor  Tactics". 


I 


•3 


Bd.  I.    Elnffinu  bui  f 


EaTallerie-Attoken.  833 

Folgendes  Bilä  zeigt  nns  die  in  den  englischea  Manövern  geübte  ' 
Attake  auf  Artillerie. 


ktteke  aiif  Artillerie. 

Die  Vei-wendnng  der  Kavallerie  bei  den  Manövern,  welche  das  Bild   *"^g^ 
einer  Zakunftsschlacht  darstellen  sollen,  wird  folgendermaasen  geschildert: 

..Während  die  Infanterie  sich  schon  entwickelt  hat,  konzentriert 
sich  die  Kavallerie  anf  einer  der  Infanterie-Flanken  ansser  Schnssweite 
und  hj^lt  sich  in  Bereitschaft,  bis  es  dem  Höchstkommandierenden  an- 
gemessen erscheint,  sie  je  nach  dem  Verlanf  des  Grefechts  in  einer 
bestimmten  Kichtang  vorzuschicken.  Bei  allen  Veränderungen  in  der 
Stellung  folgt  aber  ausserdem  die  Kavallerie  der  Infanterie  und  achtet 
sorgsam  auf  den  Eintritt  des  Moments,  wo  sie  am  Kampfe  teilnehmen 
kann.  Sie  mnss  sich  hierzn  auch  ans  eigener  Initiative  entschliessen,  da, 
wenn  sie  nur  Befehle  erwartete,  ihre  Thätigkeit  zum  grössten  Teil  eine 
verspätete  sein  würde.  Daher  moss  der  Moment  des  Eingreifens  der 
Kavallerie  in  den  Kampf,  sei  es  zur  Verstäikung  des  allgemeinen  Vor- 
gehens, sei  es  zum  Schutz  der  einen  oder  anderen  Abteilung,  von  der  raschen 
und  energischen  Initiative  des  Führers  der  Kavallerie  abhängen."*) 

Hören  wir  nunmehr  die  Gegner  der  Verwendung  von  Kavallerie-  "«gosr  a« 
massen  anf  dem  Schlachtfelde.    Ein  Militärschriftsteller  dieser  Bichtnng,      tod 

*)  „Rögles  gönörales  pour  l'emploi  dos  trois  armes  dans  1©  combat".    Bureau     ""•"•»■ 
du  chef  d'i]tat-Major  gänäral  de  l'armee  italienne.    Paris  1891. 


334 


T.    Die  Kavallerie. 


Kapitän  Nigot,  schreibt:  „Es  ist  wahr,  Alles  schant  mit  Entzücken  auf 
die  nngestümen  Kavallerie-Attaken  während  der  Manöver,  wenn  Regiment 
anf  Regiment  dahinfliegt  wie  ein  anwachsender  Strom,  der  alle  Hinder- 
nisse mit  sich  fortreisst.  In  diesen  vorwäitsstiirmenden  Massen  nnter- 
scheiden  wir  einzelne  Eeiter-Bilder:  die  Lanze  voi^estreckt,  den  Kopf 
niedergebogen,  den  Hals  vorgebeugt;  sie  fliegen  dabin  wie  Eins  mit 
ihren  Rossen,  ein  wahrer  aUzerstörender  Wirbelwind.  Aber  nein,  das 
sind  sie  nicht,  bei  der  heutigen  Waffe  ist  das  nur  trügerisches  Blendwerk." 

»  Um  nns  davon  zu  überzeugen,  brauchen  wir  nur  einen  Blick  anf 

die  Tabelle  zu  werfen,  welche  das  Resultat  des  Bataillonsfeuers  anf  die 

^  in  zwei  Reihen  vorgehende  Kavallerie  enthält;5) 

Auf  800  Meter  treffen  von  100  Kngeln    ...    21 


700 
600 
500 
400 
300 


100 
100 
100 
100 
100 
100 
100 


')  Es  sei  bemerkt,  daas  diese  Schiesaresultate  unter  der  Wirklichkeit  sehr 
ähnlichen  Verhältnissea  erzielt  werden.  Folgendes  Bild  zeigt  uns  z.  B.  die 
KavaUerie-ZielobJekte  der  deutschen  Armee. 


Auf  ScblitUu  bewegliche  Si^heibeubilder. 

Wir  ersehen,  dass  die  Zielobjekte  auf  beweglichen  Schlitten  angebracht 
sind,  um  die  Kavallerie- Allüren  darzustellen.  Den  Mechanismus  haben  wir  schon 
auf  Seite  44  bis  48  näher  beschrieben. 


Bd.  I.    Eiiflran  liri  Silla  83S. 


KaTallerie-Attalen. 

Graphisch  ausgedrückt,  erhalten  wir  folgendes  Bild: 

Meter  Entfemnng  Verluste  in  Prosenten 


tun  HMu 

bringt 
4U  K«lter 


Terlnste  der  Kavallerie  Ton  einem  Bataillonsfeuer  in  Prozenten. 

Diese  Ziffern  führen  eine  beredte  Sprache;  sie  zeigen,  dass  ein 
Bataillon  von  800  Mann  mit  einer  einzigen  Salve  anf  300  Meter  424  Eeiter 
von  den  Rossen  hemnterschiesst.  Wenn  aber  das  Bataillon  das  Feuer  von  til'^^u 
800  Meter  an  eröfinet  und  es  nnimterbrochen  bis  zu  100  Meter  fortsetzt, 
so  könnte  es  von  der  anruckenden  Kavallerie  2656  Mann  ausser  Gefecht 
setzen,  d.  h.  es  wäre  im  Stande,  einige  Kavallerie-Regimenter  zu  vernichten, 
die  hinter  einander  vorgehen,  s) 

Mit  dieser  Ansicht  stimmen  nicht  alle  Militärschriftsteller  überein.  Duk  ihrer 
Einer  bebt  hervor,  dass  die  Kavallerie  dreimal  schneller  als  die  Infanterie  ^  ,°u  ue 
vorrücken  kann  und  in  Folge  dessen  auch  dreimal  weniger  dem  Gewehr-  ,^'^''1^^* 
feuer  ausgesetzt  ist  und  dass,  obgleich  der  Kavallerie  eine  dreimal  i-ot^wr. 
grössere  Wahrscheinlichkeit  drohe,  dass  Pferd  oder  Reiter  getroffen  iniuMHe. 
werden,  die  Schnelligkeit  ihrer  Bewegungen  diesen  Umstand  doch  aus- 
gleiche, sodass  die  Kavallerie  während  der  Attake  nicht  mehr  Leute 
verliei-e  als  die  Infanterie. 

Oberst  Wallhofen  erklärt  sogar,  dass  die  Kavallerie  beim  Galopp 
500  Meter  (eine  halbe  AVerst)  in  einer  Minute  durchreiten  könne  und 
während  dieser  Zeit  von  100  Kugeln  nicht  mehr  wie  eine  treffen  könne. 
Man  kann  jedoch  annehmen,  dass  in  dieser  Behauptung  die  Schnelligkeit 
des  Reiters  etwas  übertrieben  ist.  Man  braucht  dazu  nicht  Militär  zu 
sein,  um  einzusehen,  dass  die  Kavallerie  auf  unebenem  Boden  bei  nn- 
■  gleichen  Kräften  der  Pferde,  in  geschlossener  Formation  und  mit  schwerer 
Ausrüstui^  nicht  dieselbe  Schnelligkeit  entfalten  kann  -nie  auf  dem  Kenn- 
platz.   Und  in  der  That  erklären  auch  verschiedene  Fachleute,  dass  die 


')  Capitain  L.  J.  Nigot:    „Les  grandes  questiona  du  jour". 


336  ^*    ^ie  Kavallerie. 


Entfernung,  welche  das  Pferd  bei  geschlossener  Formation  in  einer  Minnte 
durchmessen  kann,  nur  340  und  beim  stärksten  Galopp  nur  440  Meter 
beträgt.  7) 

Eriumingen  g^  stehen  wir  abermals  zwischen  zwei  einander  entgegengesetzten 

die  veriurte.  Ansichten,  und  übernehmen  es  natürlich  nicht,  selbst  die  streitige  Frage 
zu  entscheiden.  Wir  erlauben  uns  nur,  einige  Daten  aus  der  Praxis  an- 
zuführen. In  Frankreich  gilt  als  Eegel,  dass  die  dem  Feuer  ausgesetzte 
Kavallerie  2V2-  bis  3  mal  grössere  Verluste  erleidet,  als  bei  sonst  gleichen 
Verhältnissen  die  Infanterie  und  dass  deshalb  die  Kavallerie  im  Feuer 
nicht  unbeweglich  halten  darf.  Selbst  die  Streifkorps  halten  das  Feuer 
auf  einer  kürzeren  Entfernung  als  800  Meter  nicht  aus,  da  die  Zahl  der 
durch  eine  Salve  aus  100  Gewehren  Verwundeten  hier  8  beträgt,  während 
bei  der  Infanterie  unter  gleichen  Verhältnissen  nur  3  Mann  aus  der  Front 
ausscheiden. 

BoSJ^.'ver  ^^  ^^  allgemein  angenommen,  dass  die  Anzahl  der  Treffer  bei  der 

loflten^Aban  Kavallerfe  dreimal  so  gross  ist,  als  bei  Schützen. 

dS^ig^te*«.  Legt,  man  dies  Verhältnis  der  Berechnung  zu  Grunde,  so  ergiebt 

sich,  dass  nach  den  Tabellen  von  General  Hohne 8)  entfallen  wären  auf: 

800  Meter  30  Treffer  (nach  Nigotte  21) 
600      „      63       „        (   „  „36) 

300      „      86       „        (    „  „63) 

xindestotaiid  Iq  Folgo  desscu  gilt  es  in  Frankreich  als  erwiesen,  dass  sich  die 

der 

K»y»ierie  Kavalleric  während  der  Schlacht  nicht  weniger,  als  3600  Meter  vom  Feinde 
Moo  Mete/  eutfeiTit  ZU  hslteu  hat  und  nur  gegen  Ende  des  Kampfes  näher  vorrücken 
gegenw&iüg.  j^anu,  aber  auch  nicht  näher  als  auf  1000  Meter,  wenn  sie  nicht  durch  das 
Artillerie-  und  Infanteriefeuer  vernichtet  werden  will.  So  sehen  wir,  dass, 
wenn  wir  selbst  eine  Schnelligkeit  des  Kitts  von  600  Metern  in  der  Minute 
als  möglich  zugeben,  die  Kavallerie  doch  7  Minuten  und  auf  der  kürzesten 
Entfernung,  gegen  Ende  der  Schlacht,  noch  immer  2  Minuten  gebrauchen 
würde,  um  auf  die  Infanterie  einhauen  zu  können.  Aber  es  ist  klar,  dass 
während  dieser  Minuten  bei  dem  Schnellfeuergeschütz,  dem  rauchschwachen 
Pulver  und  dem  grossen  Ziele,  welches  die  Kavallerie  für  die  Feuer- 
wirkung darbietet,  ein  beträchtlicher  Teil  der  Geschosse  sein  Ziel  treffen 


0  Omega:    „L'art  de  combattre".  —   In    der  russischen  Kavallerie  wird 
folgende  Schnelligkeit  angenommen: 

im  Schritt        8,9  Meter  in  1  Minute, 
„  Trab        213,3       „      „    1        „ 
„    Galopp   284,4       „      „    1        „ 
•)  „Beurteilung     der    Wirkung    beim    gefechtsmässigeri    Schiessen**    im 
„MiUtar-Wochenblatt**,  1895. 


Kavalleiie-Attaken.  337 


mass.     Und  wenn  auch  nur  der  zehnte  Reiter   vom  Sattel  herunter- 
peschossen  ist,  wird  dies  etwa  nicht  den  Angriff  hemmen? 

Aehnliche  Ansichten  werden  auch  in  der  deutschen  Armee  laut,    «lorf«»»- 

schein  aus  der 

Der  Verfasser  der  „Militärischen  Essays"  K.  V.  (I.  Heft  1861  „Ueber  den  vergangen- 
Wert  der  Kavallerie  in  den  Kriegen  der  Neuzeit"  und  in  dem  unlängst  Vi^ifidMe* 
erschienenen  IV.  Heft  „Die  Taktik  der  einzelnen  Waffen")  —  wie  ver- 
lautet, ein  preussischer  General  —  behauptet,  dass  in  Folge  der  ruhm- 
reichen Traditionen  des  siebenjährigen  Krieges  auf  die  Kavallerie  heute 
noch  ein  Glorienschein  falle,  welcher  den  realen  Verhältnissen  schon 
längst  nicht  mehr  entspreche  und  dass  das  deutsche  Heer  30000  bis 
40000  Mann  zu  viel  an  Kavallerie  zum  Zwecke  von  Attaken  mitführe, 
was  nur  auf  Kosten  der  Feuerwaffen  geschehe,  den  strategischen  Auf- 
marsch verzögere  und  die  Versorgung  der  vorrückenden  Armee  erschwere. 

Aber  auch  die  überzeugten  Verteidiger  der  Kavallerie  wissen  ihre  Ansichten 

.^  der 

Gründe  ins  Feld  zu  führen.    Der  Pulverdampf  habe  niemals  die  Erfolge  Verteidiger 

der 

der  Kavallerie  gefördert;  im  G^enteil,  die  grössere  Klarheit  des  Schlacht-  K»vauerie- 
feldes  lasse  jetzt  leichter  erkennen,  an  welchem  Punkte  die  Infanterie   ^*'*^®**- 
schlaff  wird  und  wo  die  Kavallerie  einzusetzen  hat,  um  die  Schlacht  zu 
entscheiden.^) 

Ein  anderer  deutscher  Militärschriftsteller  schreibt:  Bis  jetzt  haben 
die  Infanterie -Abteilungen  nur  deshalb  nicht  vor  dem  Sturm  der 
Kavallerie-Attake  gezittert  und  sich  aufgelöst,  weil  der  Rauch  diese  bis 
zur  letzten  Minute  unsichtbar  machte.  Wenn  aber  das  Schlachtfeld  nicht 
mehr  in  Pulverdampf  gehüllt  sein  wird,  wird  der  Eindruck  der  kavalle- 
ristischen Massenattake  ein  so  gewaltiger  sein,  dass  die  Infanterie 
weit  schlechter  schiessen  und  vielleicht  sogar  überhaupt  nicht  Stand 
halten  wird. 

Aber  zu   allen  Zeiten   hat   ein  Kavallerie -Angriff  der  Inf anterie  ^»"o«»«  ^p'«' 

bei 

grosse   Opfer   gekostet.    Als   Seydlitz,   dieses  Musterbild   eines  Reiter-  K*v«iierie- 
führers,  die  russische  Infanterie  bei  Zomdorf  zum  zweiten  Mal  angriff,  ^^üw  ^-'^ 
verlor  er,   wie  Wallhofen  ausführt,  innerhalb  einer  Stunde  21  Prozent  ▼«"«eidlich, 
seiner   Kavallerie,    denn   von    seinen   61    Schwadronen    (7000  Reitern) 
blieben  78  Offiziere  und  1267  Mann  auf  der  Wahlstatt.    Die  in  zwölf 
Gliedern   geordneten  russischen  Infanteriemassen,   deren   erste   Glieder 
auf  den  Knieen  lagen  und  die  Bajonette  fällten,  empfingen  die  Reiterei 
mit  einem  derart  heftigen  Kleingewehrfeuer,   die  russischen  Batterien 
schmetterten  derart  verheerend  in  die  feindlichen  Reitermassen  hinein, 
dass   ganze    Reihen   der   tapferen    Kavallerie   beim    Anritt   zusammen- 


®)  „Wird  das  rauchschwache  Pulver  die  Verwendbarkeit  der  Kavallerie 
beeinträchtigen?"    Berlin  1890. 

Bloch,   Der  zakUnftige  Krieg.  22 


/ 


338  V-    I>ie  Kavallerie. 


stürzten  und  von  vornherein  Unordnung  einzureissen  begann.  Aber 
Seydlitz,  der  entschlossene  Führer,  der  seine  Reiter  kannte,  kommandierte 
noch  einmal:  Marsch!  Marsch!  —  und  die  russische  Infanterie  wurde 
überritten  und  niedergehauen,  da  der  russische  Soldat  nur  sterbend  seine 
Waffe  niederlegte. 

Opferbereite  Auch  heutc  uoch,  wie  ZU  Sejdlitz'  Zeiten  —  fahrt  der  Darsteller 

mnM  Biegen,  fort  —  wifd  die  Kavalleiie,  wenn  sie  in  möglichst  ausgiebiger  Starke  und 
in  günstiger  Richtung  zielbewusst  und  rücksichtslos  im  richtigen  Moment 
eingesetzt  wird,  gleich  einer  vernichtenden  Springflut  über  den  über- 
raschten Gegner  hereinbrechen  können,  Alles  niederwerfend,  was  nicht 
ihrer  vernichtenden  Bahn  ausweicht.  Aber  nur  unter  einer  Bedingung: 
die  Kavallerie  selbst  muss  von  der  Unwiderstehlichkeit  ihrer  Angriffe 
fest  überzeugt  sein  und  sie  selbst  muss  daran  glauben,  dass  ihr  heute 
wie  ehedem  Nichts  widerstehen  kann,  dass  sie  die  Schlacht  entscheidet, 
wenn  sie  nur  will,  wenn  sie  zu  allen  Opfern  bereit  ist. 

„Die  Kavallerie  darf  niemals  zu  lange  warten,  sie  würde  sonst  zu 
spät  kommen  ....  Vom  Generalissimus  erhält  die  Kavallerie  ihre  all- 
gemeinen Instruktionen  und  ist  dann  frei,  den  günstigen  Moment  zur 
Attake  zu  wählen."  Dies  stimmt  ganz  mit  dem  von  uns  angeführten 
italienischen  Reglement  überein.  Wallhof en  fügt  hinzu:  das  französische 
Kavalleriereglement  sagt  sehr  richtig,  dass  der  Führer  der  Kavallerie  nie 
vergessen  darf,  wie  von  allen  zu  begehenden  Fehlern  nur  ein  einziger 
entehrend  ist,  nämlich  die  Unthätigkeit.  lo) 
Beimwankeii  ^uch  bei  deu  frauzöslscheu  Militärschriftstellern   finden  wir  der- 

der  feindlich.  , 

Linien     artige  Ansichten  vielfach  vertreten.    „Die  Schlacht  —  schreibt  einer  von 
omhiw  ihnen  —  ist  jetzt  vor  allem  ein  Kampf  mit  der  Schusswaffe.    Wenn  er 


K  T»u  rie  stundenlang  auf  derselben  Stelle  fortdauert,  wird  schliesslich  eine  doppelte 
entooiieiden.  Anzahl  Truppeu  an  ihm  beteiligt  gewesen  sein.  Auf  beiden  Seiten  sind 
viele  Offiziere  aus  der  Front  geschieden,  die  sich  selbst  überlassenen 
Kommandos  halten  sich  nur  noch  durch  die  militärischen  Eigenschaften 
ihrer  Soldaten.  Die  vorgeschobenen  Truppenteile  setzen  den  Kampf  bis 
zur  Erschöpfung  fort,  die  Lücken,  die  das  Feuer  reisst,  werden  durch 
Reserven  ergänzt  und  zuletzt  bildet  die  Gefechtslinie  ein  Gemisch  ver- 
schiedener Regimenter  und  Waffengattungen,  welches  sich  immer  mehr 
vergrössert  und  je  nachdem  die  Kräfte  sich  erschöpfen  und  der  Mangel 
an  Offizieren  hervortritt,  zur  allmählichen  Auflösung  führt.  Das  ist  der 
Moment,  kenntlich  durch  das  Wanken  der  feindlichen  Linie,  in  welchem 
sich  die  Kavalleriemasse  unverzüglich  auf  den  Feind  werfen  muss.    Dann 


*®)  Oberst  von  Wallhofen:   „Die  KaYallerie  in  dem  Zukimfbskriege".    Ra- 
thenow 1891. 


Kayallerie-Attakec.  339 


wird  es  auch  gleichgiltig  sein,  welche  Waffe  der  erschlafften  Infanterie  zu 
Gebote  steht,  ob  Magazin-Gewehr,  Feuerstein-Gewehr  oder  einfach  Heu- 
gabeln." ^i)  Seine  Ansicht  belegt  der  Verfasser  mit  Beispielen  aus  den 
Kriegen  in  Algier  und  er  beruft  sich  auch  auf  die  Aeusserungen  des 
Grenerals  Dragomirow  über  die  Vernichtung  der  englischen  Quari-6s  durch 
die  Zulus  bei  Tamanie. 

Aber  gerade  im  modernen  Schlachtenverlauf  wird  es  immer  schwie-  schwierig- 

keit 

riger  den  Moment  zu  finden,  den  die  Kavallerie  mit  Erfolg  benutzen  den  Moment 
kann.    So  bemerkt  von  der  Goltz,  dessen  Werk  „Das  Volk  in  Waffen"  wir  ^''^^^^^'' 
vielfach  zitiert  haben,  sehr  richtig,   dass  allerdings  jede  Schlacht  solche  ^nehmen. 
Episoden  biete,  dass  man  sie  aber  bei  den  jetzigen  Entfernungen  leichter 
bei  den  eigenen  Truppen,  als  in  den  Reihen  des  Feindes  wahrnehme. 
Weiter  komme  es  vor,   dass  die  beim  Feinde  eingetretene  Erschöpfung 
weitaus    zu   hoch    veranschlagt   werde.     Im   Kriege   1870    hätten   sich 
französische   Kavallerie -Abteilungen    mehr  wie   einmal    todesmutig    auf 
erschütterte  deutsche  Infanterie  geworfen  und  wären  dennoch  durch  das 
Feuer  der  Letzteren  vernichtet  worden.    Eine  ßeitermasse  bilde  ein  zu 
bedeutendes  Ziel,  um  im  wirksamen  Bereich  des  Gewehrfeuers  oder  der 
Shrapnels  aushalten  zu  können. 

Ferner  führt  der  Verfasser  aus,   dass  man  die  Augenblicke  der  vergleich 
Schwäche  beim  Gegner  nur  in  der  vordersten  Schützenlinie  wahrnehme,  dwJe*tS^eu 
bis  aber  auf  Grund  dieser  Wahrnehmung  der  Befehl  zum  Vorgehen  der    ^^^yer. 
Kavallerie   erteilt. sei,   könne  die  Gunst  des  Augenblicks  mittlerweile  gangenheit 
schon   entschwunden  sein,    ßeitermassen,  welche  sich  bewegten,   fielen 
immer  durch  den  von  ihnen  aufgewirbelten  Staub  sehr  leicht  auf  und  zögen 
alsbald  alle  Geschosse  des  Feindes  auf  sich.    Die  Artillerie  könne  gegen  sie 
die  grössten  Schussweiten  ausnützen,  die  Geschosse  der  Infanterie  höben 
sich  bis  zu  600  Meter  Entfernung  überhaupt  noch  nicht  um  volle  Eeiterhöhe 
über  die  wagerechte  Visierlinie.   Die  Pferde  seien  zwar  seit  den  Zeiten  des 
siebenjährigen  Krieges  besser  geworden  und  könnten  im  schnellen  Durch- 
laufen grosser  Strecken  mehr  ertragen,  aber  diese  Steigerung  habe  doch 
nicht  gleichen  Schritt  mit  der  Steigerung  der  Feuerwirkung  gehalten. 
Ehedem  wäre  die  Gefechtsfähigkeit  der  Infanterie  gebrochen  gewesen,  wenn 
man  ihre  geschlossene  Ordnung  über  den  Haufen  warf  und  sie  zerstreute, 
heute  fange  sie  eigentlich  mit  dem  Zerstreuen  an;  jede  kleine  Gruppe  bilde 
in  sich  ein  verwendbares  Ganzes  und  selbst  der  einzelne  Mann  tühle  sich 
nicht  wehrlos,  so  lange  er  noch  Patronen  besitzt.    Das  Verhältnis  der  In- 
fanterie gegenüber  der  Kavallerie  sei  ein  vollkommen  anderes  geworden. 


")  „La  cavaUerie  et  l'artillerie  en  face  de  l'armeiiient  actuel  de  rinfanterie". 
Paris  1892. 

22* 


340  V.    Die  KavaUerie. 


Seydlitz,  Ziethen,  Driesen,  Gessler  hätten  ihre  Schwadronen  800  Schritt 
vom  Feinde  bereit  halten,  für  ihre  Person  noch  auf  die  Hälfte  dieser 
Entfernung  heranreiten  und  den  Moment  erspähen  können,  wo  die  Linien 
ins  Schwanken  kamen.  Dann  hätte  es  sich  nur  dämm  gehandelt,  die 
Infanterie  zunächst  an  einer  Stelle  zu  brechen  und  nun  die  ganze 
zusammenhängende  Schlachtlinie  aufzurollen.  Jetzt  sei  der  Erfolg  un- 
endlich schwieriger.  Selbst  die  überrittene  Infanterie  werde  nicht  ausser 
Kampf  gesetzt,  sondern  ihr  Feuer  nur  unterbrochen.  Die  Kavallerie 
wiederhole  zwar  ihre  Angriffe,  wobei  sie  sich  durch  den  Schleier  von 
Staub  zu  decken  suche,  aber  wenn  auch  dieser  Umstand  und  zuweilen 
ein  hügeliges  und  bedecktes  Gelände  die  Plötzlichkeit  ihres  Erscheinens 
begünstige,  so  werde  doch  dadurch  nur  selten  die  grosse  Ueberlegenheit 
des  Infanteriefeuers  ausgeglichen. 

Flucht  Sodann  bemerkt  von  der  Goltz  noch,  dass  man  ganz  umsonst  hoffe, 

ZV  Pferde  '  ° 

leichter  die  Kavallcrie  dahin  zu  bringen,  sich  in  der  Schlacht  dem  Verderben 
als  111  Foae.  g^j^^gQ  auszusetzeu  wie  die  Infanterie,  und  fügt  erklärend  hinzu,  dass 
manchmal  in  einer  verzweifelten  Lage  auch  die  Infanterie  davonreiten 
würde,  wenn  sie  nur  Pferde  hätte.  „Die  bewundernswerte  Hartnäckig- 
keit ihres  Widerstandes,  die  uns  mitunter  in  gerechtes  Erstaunen  setzt, 
beruht  zum  Teil  darauf,  dass  sie  sich  eben  wehren  muss  oder  verloren 
ist.  Sich  des  Bosses  zu  bedienen;  um  dem  Tode  zu  entrinnen,  hat  für 
unser  menschliches  Gefühl  etwas  so  Natürliches,  dass  wir  eine  Flucht 
zu  Pferde  für  viel  weniger  schimpflich  halten  als  eine  Flucht  zu  Fuss." 
Fehler  der  DJe  Erfahrung  der  nächsten  Kriege  wird  offenbar  den  Militärschrift- 

nusiBchen 

K»Tftiierie-  stellem,  welche  bezweifeln,  dass  die  Kavallerie  in  der  Schlacht  grosse 
KA^Jn.  Bedeutung  haben  kann,  mehr  Beweisgründe  an  die  Hand  geben.  General 
Kuropatkini2)  findet  bei  der  Beschreibung  der  Thätigkeit  der  russischen 
Truppen  bei  Plewna,  dass  sowohl  Kavallerie  als  auch  Artillerie  die 
Infanterie  nicht  in  der  genügenden  Weise  unterstützten.  Kavallerie  wäre 
wohl  zahlreich  vorhanden  gewesen,  aber  man  habe  sie  verzettelt  und 
ihr  nicht  die  entsprechende  Thätigkeit  zugewiesen,  und  so  sei  für 
Rekognoszierungen  und  für  das  Aufrechthalten  der  Verbindung  zwischen  den 
einzelnen  Truppenteilen  ungenügend  gesorgt  worden.  Gleichwohl  fügt  Kuro- 
patkin  hinzu,  dass  gänzlich  auf  Kavallerie-Attaken,  besonders  Schwadrons- 
und Eegiments-Attaken  zu  verzichten  ein  Ding  der  Unmöglichkeit  sei. 
Entstehende  Gcucral  Kuropatkiu,   welcher  im  Allgemeinen  der  Thätigkeit  der 

Kavallerie  etwas  kritisch  gegenübersteht,  fuhrt  gleichwohl  die  ßuhmes- 
thaten  der  Kavallerie  bei  Lowtscha  an,  wo  sie  Infanterie  attakierte  und 


")   Wir   entnehmen  diese  Stelle  dem  Buche  von   Sainte-Chapelle :    „Les 
tendances  actuelles  de  la  cavalerie  russe".    Paris  1886. 


Kavallerie-Attaken.  341 


Schanzen  nahm  und  ferner  im  kritischen  Moment  des  11.  August  beim 
Schipka,  wo  zwei  Kosaken-Ssotnien  abstiegen,  ihre  Pferde  nach  Grabowo 
zur  Herbeiholung  der  Schützen  zurückschickten  und  selbst  im  Verein  mit 
dem  OreVschen  Regiment,  nur  noch  durch  eine  Gebirgsbatterie  unterstützt, 
den  Durchbruchsversuch  der  Türken  so  lange  aufhielten,  bis  das  An- 
langen der  Schützenabteilung  auf  den  ihr  entgegengesandten  Kosaken- 
pferden es  den  russischen  Truppen  gestattete,  nunmehr  ihrerseits  zum 
Angriff  überzugehen.  Aber  im  Allgemeinen  wäre  die  Thätigkeit  der 
Kavallerie  schwach  gewesen;  sie  hätte  gewissermaassen  ein  Zusammen- 
treffen mit  Infanterie  gefürchtet.  Dem  Mangel  an  Tapferkeit  können  wir 
diese  Erscheinung  nicht  zur  Last  legen,  da  der  Bestand  aller  Teile  der 
russischen  Armee  ein  überaus  gleichmässiger  ist  und  die  Infanterie  Bei- 
spiele eines  so  zähen  Widerstandes  aufzuweisen  hatte,  dass  ihre  Verluste 
40  bis  75%  betrugen  (in  einigen  Rotten  bei  Plewna  in  den  Tagen  des 
30.  und  31.  August),  d.  h.  also  mitunter  3  Soldaten  auf  4.  Zu  der  Annahme, 
dass  in  der  Kavallerie  ein  anderer  Geist  geherrscht  habe,  liegt  kein 
Grund  vor.  Es  lässt  sich  die  Frage  aufwerfen,  ob  im  gegebenen  Fall  die  ^^^^j^J*' 
Kavallerie  nicht  im  HinbKck  auf  die  türkische  Schnellfeuerwaffe  das  ßciinenfeuer- 
Bewusstsein  der  Nutzlosigkeit  der  Kavallerie-Attaken  empfand.  Auch  **^* 
hier  lässt  sich  eine  Aeusserung  Kuropatkin's  verwerten,  der  bemerkt,  dass 
die  Soldaten  zuweilen  nicht  recht  draufgehen,  nicht  aber  deshalb,  weil 
sie  sich  an  Zahl  für  zu  schwach  halten,  auch  nicht  in  Folge  der  von  ihnen 
schon  erlittenen  Verluste,  sondern  angesichts  noch  weiterer  Verluste. 
Deshalb  erscheint  es  natürlich,  dass  die  Kavallerie,  welche  weder  hin- 
knieen  noch  sich  niederlegen  noch  auch  hinter  kleinen  Terrain-Erhöhungen 
decken  konnte,  sondern  dem  Massenfeuer  offen  gegenüberstand,  weniger 
Selbstvertrauen  bewies  als  die  Infanterie. 

Uebrigens  hatte  auch  die  deutsche  Kavallerie  in  dem  Kriege  1870,  ^erinat 
keine  besondere  militärische  Bedeutung.     Die  Verluste  der  Infanterie  Kavauerie 
in  diesem  Kriege  betrugen  17,6%,   die  der  Kavallerie  nur  6,3%,    Mit 
anderen  Worten,  bei  der  Infanterie  waren  die  Soldaten  der  Gefahr  etwa 
dreimal  mehr  (die  Offiziere  noch  darüber)  ausgesetzt  als  bei  der  Kavallerie. ' 

Die  Fachmänner  sind  auch  darin  nicht  einig,  ob  für  die  Kavallerie  Uneinigkeit 

ob  ItUBOn- 

Massen-Attaken  oder  Attaken  in  kleineren  Abteilungen  vorzuziehen  sind,  oder 
Es  wird  der  Gedanke  ausgesprochen,  dass  bei  Teilung  der  Kavallerie 
in  kleinere  Abteilungen  jede  einzelne  von  ihnen  leichter  den  Moment  zur 
Attake  erspähen  und  sich  bis  zur  Ausführung  besser  verborgen  halten 
kann.  Andere  dagegen  erklären,  dass,  wenn  die  Attake  nötig  ist,  die- 
selbe möglichst  stark  und  massiv  sein  muss  und  die  Einzelwirkungen 
kleiner  Abteilungen  ebensowenig  einen  Ersatz  für  sie  bilden  können,  wie 
etwa  verschiedene  Imbisse  für  das  Mittagessen. 


342 


V.    Die  Kavallerie. 


Mawen-  jjs  scheüit  uüs,  dass  die  Thätigkeit  der  Kavallerie,  besonders  aber 

möglieh    die  Massen  -  Attaken ,  noch  aus  anderen  Gründen  im  zukünftigen  Krieg 

Artiiferi».  auf  grosse  Hindemisse  stossen  werden.    Die  Wirkung  der  Geschütze  ist 

'*''*''     so  gross  geworden,  dass  die  Verluste  ein  regelrechtes  Vorgehen  hemmen 

werden.    Wir  wollen  ein  paar  Daten  anführen: 

Engiiache  Nach  iu  England  gemachten  Versuchen  wurden  von  einem  Regiment 

YoiBaciia  mit 

shrapneis.  in  Schwadrou-Kolounen  auf  2070  Meter,  wobei  der  Abstand  zwischen  den 
einzelnen  Schwadronen  je  7  Meter  betrug,  während  die  gesamte  Front- 
länge 28  Meter,  die  Tiefe  36  Meter  ausmachte,  nach  36  Schüssen  mit 
Brennzündern  und  Shrapnels  folgende  Resultate  erzielt  :i8) 

Durchgeschlagene  Scheiben 397 

Stecken  geblieben  in  den  Scheiben    ....  131 

Angeschlagen 984 

Ausser  Gefecht  gesetzte  Figuren 182 

Gnuon*8ohe  jfach  deu  iu  den  Gruson'schen  Werken  angestellten  Schiessversuchen 

Schi  668- 

verenohe  mit  5,7-Centimeter-Geschützen  wurden  12  Schüsse  mit  Kartätschen  gegen 
K»TXrie-  drei  Scheiben,  jede  von  20  Meter  Länge,  welche  heranbrausende  Kavallerie- 
koionnen.   Kolonucu  auf  200,  250  uud  300  Meter  vorstellten,  abgegeben. 

Die  Resultate  sind  aus  folgendem  Bilde  ersichtlich: 


J6l 


/S0^ 


.J»^ 


*')  Müller:    „Wirkung  der  Feldgeschütze**. 


:3. 


■1 


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Die  Kosaken  und  ihre  Taktik.  343 


Von  den  2640  Engeln  schlugen  ein  1155,  nämlich 

in  die  Scheibe  I    531  Kugeln, 
„     „         „      n    363       „ 
„     „         „     m    261       „ 

Die  gesamten  12  Schuss  waren  in  56  Sekunden  abgegeben,  w)    Bei   ^"^ 

Knipp*8c]ior 

7,6-Centimeter-Geschützen  ist  die  Wirkung  eine  noch  stärkere.  Bing- 

Das  Bild  in  der  Beilage  zeigt  uns  die  Wirkung  von  9  Schüssen 
mit  7,5  Centimeter  Krupp'schen  Ringgranaten  gegen  drei  50  Meter  lange, 
2,7  Meter  hohe  Scheiben  auf  2000  Meter  Entfernung. 

Diese  Stimmen  über  die  grossen  Gefahren  der  Massen-Attaken  der  zentrenter 

Kosaken- 

Kavallerie  haben  der  Frage,  ob  nicht  im  zukünftigen  Krieg  die  zerstreute  angriff  auf 
Form    des   Angriffs,   wie    sie   von    den   Kosaken    geübt  wird,   grosse  ^ordli^ 
Erfolge  erzielen  wird,  eine  solche  Aktualität  verliehen,  dass  wir  diese 
nicht  unerwähnt  lassen  können. 


6.   Die  Kosaken  imd  ihre  Taktik. 

Sainte-Chapelle  i)  tritt  energisch  für  die  Kosaken  ein  und  stützt  sich    ^«J*«" 

*^  °  Anrichten 

hierbei  vorzugsweise  auf  die   Urteile    von    Schriftstellern,  welche   die  nber  den 
Möglichkeit  gehabt,  sich  mit  deren  guten  Eigenschaften  und  ihrer  Taktik   Koilk™ 
auf  den  Schlachtfeldern  genau  vertraut  zu  machen.    Er  führt  Beispiele 
aus  dem  Krimkrieg  und  dem  polnischen  Aufstande  von  1830  an. 

„Alle  Offiziere",  —  sagt  Sainte-Chapelle  —  „die  an  dem  Orientkrieg  Kneg  isia. 
unter  dem  ersten  Kaisen-eich  teilgenommen,  gestehen  einmütig  die  ge- 
waltigen Verdienste  zu,  welche  die  Kosaken  Eussland   geleistet.    Das 
steht  auch  völlig  im  Einklang  mit  den  Aeusserungen  der  klassischen 
Militärschriftsteller." 

„Ich  habe  schon"  —  schreibt  de  Brac  —  „von  den  Kosaken  gesprochen 
und  sie  für  eine  vorzügliche  Truppenart  erklärt,  und  ich  wiederhole 
dies  nochmals.  Manche  Offiziere,  die  keinen  Krieg  mitgemacht  oder  wenig- 
stens im  zweiten  Treffen  gestanden  haben,  halten  es  für  ihre  Pflicht, 
sich  über  diese  Eeiterei  mit  einer  gewissen  Geringschätzung  auszusprechen, 
aber  glaubt  ihnen  nicht!    Ungerechtigkeit  gegen  den  Feind  ist  eine  un- 


**)  „Revue  de  rArtülerie  Beige". 
0  „Les  nouvelles  tendances  de  la  cavalerie  russe". 


344  ^'    ^e  Kavallerie. 


würdige  und  fehlerhafte  Methode;  das  Mittel  zur  Besiegimg  des  Feindes 
liegt  nicht  in  Verspottung  des  Gtegners,  sondern  darin,  dass  man  ihn 
studiert,  sich  gründlich  mit  ihm  bekannt  macht.  Welche  hohe  Meinung 
hatten  so  erfahrene  Heerführer  von  den  Kosaken,  wie  die  Marschälle 
Soult,  Gerard,  Closel,  Maeson,  die  Generale  Moran,  Lalleman,  Pajole, 
Colbert,  Corbineau,  Lamarque  u.  A.  Man  frage  endlich  alle  wirklichen 
Offiziere,  und  sie  werden  euch  sagen,  dass  eine  leichte  Kavallerie  ihre 
Aufgabe  geradezu  vollkommen  erfüllt,  wenn  sie  gleich  den  Kosaken  die 
ganze  Armee  in  unermüdlicher  Wachsamkeit  mit  einem  undurchdring- 
lichen Schutznetz  umgiebt,  den  Feind  in  beständiger  Unruhe  erhält,  ihm 
häufig  empfindliche  Schläge  zufügt  und  sich  selbst  solchen  nur  selten 
aussetzt." 

Betrachten  wir  nun  diese  Kosakentaktik,  den  Gegenstand  so  vieler 
Meinungskämpfe,  etwas  näher! 

KoMken-  Die  Klassiker  der  Kavallerie  halten  es  für  ein  Axiom,  dass  die 

taktik. 

Attake  der  regulären  Kavallerie  nur  dann  auf  Erfolg  rechnen  kann, 
wenn  sie  „en  masse"  erfolgt.  Deshalb  ist  in  allen  militärischen  Leitfaden 
der  Satz  zu  finden,  dass  die  Macht  der  Kavallerie-Attake  auf  der  Kraft 
des  Stosses  beruht  und  hierbei  von  zwei  Faktoren  abhängt:  von  der 
Masse  und  der  Schnelligkeit. 

Hieraus  folgt,  dass,  je  stärker  und  schneller  die  Pferde  sind,  sie 
desto  mehr  Angiiffsfähigkeit  besitzen.  Die  Kosaken  dagegen  attakieren 
in  breiter  Front,  in  eine  Kreislinie,  sogenannte  „Lawa",  auseiuander- 
gezogen. 

»u'^fMht^  Die  Lawa  ist  eine  den  Kosaken  eigentümliche  und  daher  in  das 

form  russische  Reglement  aufgenommene  Gefechtsform,  bei  der  ein  Teil  der 
^**  **"* Truppe,  ein  Glied  formierend,  sich  in  eine  lange  Linie  mit  Abständen 
zwischen  den  einzelnen  Reitern  auflöst,  während  der  andere  Teil  als 
Reserve  geschlossen  folgt.  Auf  ein  kurzes  Kommando  des  Führers  stiebt 
alles  mit  rasender  Schnelligkeit  auseinander  und  stürmt  mit  lautem 
Geschrei  dem  Feinde  entgegen,  bis  plötzlich  kurz  vor  dem  Gegner  die 
Pferde  wie  auf  Kommando  herumfliegen,  die  Reiter,  an  der  inneren 
Pferdeseite  hängend,  eine  Salve  abgeben  und  ventre  k  terre  zurückjagen. 
Die  Reiter  sitzen  dabei  verkehrt  auf  dem  Pferde,  Schuss  auf  Schuss  den 
Verfolgern  entgegensendend.  Unmerklich  drängen  sich  die  Reiter  auf  den 
Flügeln  zusammen,  um  mit  Blitzesschnelle  zum  zweiten  Mal  abzuschwenken 
und  dem  zur  Verfolgung  aufgelösten  Gegner  überraschend  in  Flanke  und 
Rücken  zu  fallen. 

Gewissermaassen  eine  Vorübung  für  diese  Lawa  (Schwärmattake) 
bildet  die  Dschigitowka. 


Die  Kosaken  und  ihre  Taktik. 


Folgende  Abbildung  zeigt  die  Ansführnng  dieses  kriegerischen  iSpiels 
durch  Kosaken  von  dem  5.  donischen  Regiment. 


Aasfülirung  der  Dschigitowka  durch  Kosaken  des  5.  donischen  Regiments. 

Die  Dschigitowka  ist  der  Fantasia  der  orientalischen  Reitervölker 
nachgebildet  und  bezweckt,  den  Reiter  dreist  und  gewandt  zu  machen. 
Sie  vereint  daher  Uebnngen  im  Hauen  und  yehiessen  vom  Pferde  mit 
solchen  im  Voltigieren,  Aufheben  von  Gegenständen  von  der  Erde,  Stehen 
anf  dem  Pferde  u.  s.  w.  in  jeder,  selbst  der  schnellsten  Gangart.  In 
neuester  Zeit  hat  General  Gnrko  die  Dschigitowka  auch  bei  den  Garde- 
nnd  Armee-Kavallerie-RegimenteiTi  des  seinem  Kommando  unterstellten 
5,,  G.,  14.  und  15.  Armeekoi-ps  eingeführt. 2) 


')  Aus  der  „Leipziger  lUuBtrierten  Zeitung". 


346 


V.    Die  Kavallerie. 


Gegner 
der  .Lawa* 


Verteidiger  Hören  wir,  was  zu  Gunsten  der  Lawa  gesagt  wird.    „Den  Erfolg"  — 

der  „liftwa"  ■ 

sagt  General  Martynow*)  —  „erzielt  nicht  das  Heer,  welches  in  grösserer 
Ordnung  attakiert,  sondern  das,  welches  den  Schlag  mit  grösserer  Ent- 
schiedenheit führt.  Demnach  verbürgen  nur  die  innere  Ueberzeugang 
und  Gewissheit  des  eigenen  Vorzugs  der  Kavallerie  einen  sicheren  Erfolg 
bei  dem  Zusammenstosse  mit  dem  Gegner.  Sind  beide  Parteien  in  dieser 
Hinsicht  gleich  stark,  so  wird  diejenige  den  Sieg  davontragen,  welche 
es  versteht,  den  Flankenangriff  mit  dem  Frontangriff  zu  vereinigen, 
insbesondere  aber  diejenige,  welcher  es  gelingt,  den  Feind  vom  Rücken 
aus  zu  fassen.  Haben  die  Gegner  eine  Front  von  gleicher  Ausdehnung, 
so  ist  es  wenig  wahrscheinlich,  dass  es  einer  Partei  gelingt,  auf  den 
Flügel  der  anderen  zu  stossen.  In  solchem  Falle  hat  die  Attake  mit 
auseinandergezogener  Kampfordnung  nach  der  Taktik  der  Kosaken  (en 
lave)  viel  Aussicht  auf  Erfolg," 

Hiergegen  lassen  sich  andere  Stimmen  folgendermaassen  vernehmen: 
Es  sei  richtig,  dass  die  Attake  in  aufgelöster  Schlachtordnung  ihre  gute 
Seite  habe;  sie  habe  aber  auch  ihre  Mängel;  sie  erfordere  ein  geeignetes 
Feld,  die  Truppe  zerstreue  sich  und  der  Zusammenhalt  der  Linie  gehe 
verloren.  Eine  unter  solchen  Verhältnissen  ohne  Ordnung  und  Huhe  aus- 
geführte Attake  könne  keine  grosse  Stosskraft  entwickeln.  Die  Attake 
in  aufgelöster  Ordnung  sei  ursprünglich  iur  die  Kosaken  nur  ein  Gebot 
der  Not  gewesen:  ohne  Ausbildung,  ohne  die  geringste  Vorstellung  von 
der  geschlossenen  Formation  hätten  sie  sich  auf  die  EoUe  von  irregulären 
Kundschaftern  beschränken  müssen.  Eine  lange  Kriegserfahrung,  besonders 
in  den  Jahren  1812  und  1815,  habe  ihnen  dann  den  Erfolg  auch  in  den 
Kämpfen  mit  der  feindlichen  leichten  Kavallerie  gesichert.  Aber  sie  hätten, 
von  diesem  Punkte  ausgehend,  die  Folge  für  den  Grund  genommen  und 
auf  die  Thatsache  hin,  dass  sie  beständig  zur  Attake  in  aufgelöster  Reihe 
vorgingen  —  wobei  in  Wirklichkeit  nicht  ihre  Kampfweise,  sondern  ihre 
persönlichen  Eigenschaften  den  Sieg  über  den  Feind  davongetragen  — 
eine  irrige  Vorstellung  über  die  von  ihnen  gepflegte  Methode  der  Attake 
gewonnen. 
EingUederige  Die  Anhänger  der  Kosakentaktik  bemerken  hierauf,  dass  das  Ideal 

Fonnfttion 

bei  neuen  der  Kosakeu  stets  darin  bestanden  habe  und  noch  bestehe:  die  grösst- 

^^     möglichen  Erfolge  bei  möglichst  geringen  Verlusten  zu  erreichen.    Nur 

scheiniich.  hierdurch  erklärten  sich  auch  die  Attaken  in  eingliedriger  Formation. 

Eine  Truppe,  die  zweigliedrig  vorgehe,  sei  mehr  der  Wirksamkeit  des 

Feuers  ausgesetzt,  besonders  jetzt  bei  der  Kraft  und  Treffweite   der 

modernen  Geschosse.    In  der  geschlossenen  Formation  könne  auch  nur 


0  Wir  zitieren  nach  Sainte-Chapelle. 


Die  Kosaken  und  ihre  Taktik.  347 

das  eine  erste  Glied  kämpfen,  was  mit  einer  Verminderung  der  Kom- 
battanten nm  die  Hälfte  gleich  bedeutend  sei.  Wenn  die  Attake  nicht 
glückt,  so  werde  das  zweite  Glied  bei  seinem  Rückzüge  und  seiner  Auf- 
lösung nur  dem  ersten  Gliede  hinderlich  sein,  der  Gefahr  zu  entgehen, 
und  wenn  der  Feind  die  Zurückweichenden  verfolge,  so  werde  er  es  sehr 
bequem  haben,  auf  die  formlose  Masse  der  einander  hindernden 
Kavalleristen  einzuhauen. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  wir  bezüglich  dieser  einander 
widerstreitenden  Ansichten  keine  Entscheidung  fällen  können;  wir  haben 
es  nur  für  angemessen  erachtet,  unsere  Leser  mit  diesen  vei^schiedenen 
Urteilen  bekannt  zu  machen. 

Was  die  aufgelöste  Kosakenformation  anbetrifft,  so  ist  sie  heute 
schwerlich  weniger  rationell  als  früher.  Jetzt  setzen  im  Durchschnitt 
einen  Reiter  ausser  Gefecht:  auf  eine  Entfernung  von  200  Meter 
2V2  Flintenkugeln,  von  400  Meter  7  und  von  600  Meter  16  Flinten- 
kugeln. 4)  Es  ist  genügend,  in  die  geschlossenen  Reihen  nur  einige 
Shrapnels  zu  senden,  welche  durch  einige  Salven  eines  auch  nur  schwach 
von  Infanterie  gedeckten  Geschützes  unterstützt  werden,  um  die  Massen- 
attake zum  Stillstand  zu  bringen. 

Anlässlich  des  Streites  über  die  Kosakentaktik  lenken  wir  die  Auf-   ^'  ™°* 

gegen 

merksamkeit  des  Lesers  auf  folgenden  Fall.  Die  „Jahrbücher  für  die  sawenfener 
deutsche  Armee  und  Marine''^)  brachten  einen  Bericht,  wonach  General  ""^^ 
Gurko,  als  die  X.  Kavallerie-Division  aus  einem  Walde  herausgetreten  war 
und  von  zwei  Kosaken-Ssotnien  mit  Salvenfeuer  vom  Pferde  aus  empfangen 
wurde,  seinen  scharfen  Tadel  über  eine  derartige  Kampfweise  aus- 
gesprochen und  für  die  Folge  die  Wiederholung  eines  derartigen  Unfugs 
verboten  habe.  Der  Berichterstatter  fügt  hinzu,  dass  diese  Bemerkungen 
offenbar  gegen  die  Ausführungen  des  General  Ssuchotin  sprechen,  welcher 
für  die  Anwendung  des  Salvenfeuers  vom  Pferde  Seitens  der  Kavallerie 
eingetreten  sei. 

Was  die  Frage  über  die  Bedeutung  der  Kosaken  in  dem  zukünftigen    Tettaus 
Kriege  anlangt,  so  kommt  Tettau  in  seinem  kürzlich  erschienenen  Werk^),   EoBaken. 
das  sich  auf  zahlreiche  Artikel  des  „Wojenny  Ssbornik"  und  insbesondere 
auf  die  vom  General  Choroschin  ausgesprochenen  Ansichten  stützt,  zu 
dem  Schluss,  dass  von  hervorragenden  militärischen  Fähigkeiten  oder 
kiiegerischen  Neigungen  bei  den  jetzigen  Kosaken  nicht  mehr  die  Rede 


*)  „Tableaux  de  tir  dresses  k  Töcole  du  champ  de  Chalons  pour  le  fusil".  1886. 
*)  Wir  zitieren  nach  dem  Artikel  im  „Armeoblatt"  No.  1  vom  März  1893: 
„Bemerkungen  zu  den  Manövern  im  Militärbezirke  Warschau". 
^)  „Die  Kosaken-Heere",  Berlin  18d2. 


348 


y.    Die  Kavallerie. 


sein  kann.  Dafür  hätten  sie  andere,  für  den  Soldaten  hocherwünschte 
Eigenschaften :  grosse  Genügsamkeit  nnd  Anspruchslosigkeit,  Fähigkeit  zu 
langen  Märschen  nnd  zum  Ertragen  schwierigen  Lagerlebens,  Geduld  und 
Ausdauer.  Auch  jetzt  noch  besitze  der  Kosak  eine  grosse  Vertrautheit, 
mit  dem  Pferde  umzugehen,  aber  doch  nicht  mehr  so  wie  früher.  Erstlich 
nehme  die  Zahl  solcher  Kosaken  ab,  die  von  Kindheit  an  mit  dem  Pferde 
förmlich  verwachsen  wären,  zweitens  schwänden  auch  die  wertvollen 
Eigenschaften  des  Kosakenpferdes  in  Folge  der  Zerstückelung  des  Grund- 
besitzes und  des  Sinkens  der  Pferdezucht  mehr  und  mehr,  so  dass  die 
heutigen  Kosakenpferde  im  Allgemeinen  nicht  mehr  den  Anforderungen 
an  die  Kriegstüchtigkeit  einer  regulären  Kavallerie  entsprächen.  Für 
seine  Wirtschaft  brauche  der  Kosak  viel  eher  Ochsen  als  Pferde,  letztere 
aber  verwende  er  in  den  seltensten  Fällen,  ausschliesslich  zum  Eeiten. 

Die  Eigenschaften   des  Kosaken   und   seines  Pferdes   Hessen  die 
Kosakenreiterei    auf    dem    Schlachtfelde    nur    als    minderwertig    er- 
scheinen, dagegen  sei  sie  von  hohem  Wert  für  den  sogenannten  „kleinen 
Krieg". 
KoBaicen  j^   ^^u   bcldeu   Ictztcu    russischcu   Feldzügen   sei   die  Eolle  der 

im  YerikU  im  ° 

Kriege  1868.  Kosakentruppeu  wenig  hervorragend  gewesen.  Während  der  Nieder- 
werfung des  polnischen  Aufstandes  von  1863,  zu  welcher  das  Donsche 
Heer  45000  Reiter  stellte,  habe  sich,  wie  ein  russischer  Artikel  aus- 
führt, ein  Niedergang  in  der  Frontausbildung  und  Ausrüstung  der  Don- 
Kosaken  bemerkbar  gemacht:  verrostete  Gewehre  und  Säbel,  in  der 
Pferdeausrüstung  an  Stelle  der  Riemen  Stricke.  Die  kleinen  kraftlosen 
Pferde  bewiesen  deutlich  den  Niedergang  der  Pferdezucht  in  den  Stanizen. 
Von  den  Reglements  hätten  die  Untermilitärs  und  selbst  die  Offiziere 
wenig  Kenntnis  gehabt  und  einige  Truppenteile  gar  auch  von  Disziplin 
wenig  gewusst. 

Kriegi877/78.  Währcud  des  Krieges  1877/78  vermochten  die  Kosaken,  wie  der- 

selbe russische  vom  deutschen  Verfasser  zitierte  Artikel  ausführt,  ihren 
alten  Ruhm  nicht  zu  behaupten,  weil  die  Kosakenabteilungen  vereinzelt 
verwendet  und  zum  Kampfe  in  ungenügender  Anzahl  geführt  wurden. 
Uebrigens  lässt  sich  nach  derselben  russischen  Quelle  erwarten,  dass, 
wenn  alle  in  den  letzten  zwanzig  Jahren  zur  Verbesserung  der 
Organisation  und  Ausbildung  der  Kosakentruppen  ergriffenen  Maass- 
regeln ihre  Früchte  tragen  werden,  die  Kosaken  in  einem  zukünftigen 
Kriege  eine  bedeutendere  Rolle  werden  spielen  können. 
KeorgÄiii.  Unter  den  für  das  Kosakenheer  ergriffenen  Reformmaassnahmen 

der  Kosaken-  stchon  ÜB  Bcstrebungen  obenan,  den  Bildungsgrad  der  Kosakenoffiziere 
**'^     zu  heben.    Er  war  bisher  im  Durchschnitt  bei  den  meisten  Kosaken- 
Regimentern  weit  niedriger  als  bei  den  regulären  Truppen. 


^ 


Die  Kosaken  nnd  ihre  Taktik. 349 

So  sind  nach  den  Daten  des  Professor  Eödinger  „Ueber  Kompletierung  ▼•'«leich 

der  Büdang 

der  Armee  in  der  Periode  1881  bis  1890"  41%  der  Gresamtzahl  der  der  Koeaken- 
jungen  Offiziere  der  regulären  Armee  aus  Kriegsschulen  hervorgegangen,  ^'"*""- 
59%  aus  Junkerschulen,  während  bei  den  Kosakentruppen  sich  ein  so 
günstiges  Verhältnis  nur  in  der  Artillerie  und  den  in  der  Garde 
stehenden  Regimentern  findet,  indem  der  Prozentsatz  der  aus  den  Kriegs- 
schulen hervorgegangenen  Offiziere  in  den  Kosaken-Batterien  85%,  in 
dem  Leibgarde-Kosakenregiment  70  %  beträgt.  In  den  übrigen  Kosaken- 
truppen ist  dieser  Prozentsatz  aber  weit  niedriger  als  in  der  regulären 
Armee;  so  beträgt  er  in  den  Don'schen,  den  Kavalleriedivisionen  zu- 
geteilten Regimentern  30%,  in  den  Don'schen  Regimentern,  welche 
Kosakendivisionen  bilden,  B%,  in  den  Regimentern  des  Uralschen 
Kosakenheeres  22%,  des  Orenburg'schen  Kosakenheeres  29,5%,  des 
Astrachan'schen  Kosakenheeres  8,9%.  Alle  übrigen  Offiziere  haben  ihre 
Bildung  in  den  Junkerschulen  erhalten,  ein  kleiner  Teil  gar  nur  häus- 
liche Bildung. 

In  Anbetracht  dieser  Verhältnisse,  und  da  auch  die  Kosakenjugend 
selbst  nach  einer  soliden  militärischen  Büdung  strebte,  wurde  in  der 
Mitte  der  80  er  Jahi-e  in  Nowotscherkask  das  Don'sche  Kadettenkorps 
gegründet,  dessen  Zöglinge  gleich  denen  der  übrigen  Kadettenkorps  nach 
Beendigung  des  Kursus  in  die  Kriegsschule  eintreten.  Um  ihnen  die 
Aufnahme  in  die  Kriegsschule  zu  sichern,  wurde  im  Jahre  1890  bei  der 
Nikolai-Kavallerie-Schule  in  Petersburg  eine  besondere  Kosaken-Ssotnie, 
aus  120  Junkern  bestehend,  gebildet. 

Einstweilen  aber  liegt  noch  die  Hauptbedeutung  der  Kosaken  in  ihrer 
grossen  Zahl. 

Sie  können  670  Ssotnien  stellen,  und  wenn  man  auch  einen  Teil  ^f«»p*- 

bedentang 

für  eine  etwaige  Verwendung  im  Kaukasus  und  in  Transkaukasien  in  der  KoMken 
Abzug   bringt,    so    bleiben    für    den   eui*opäischen   Krieg    noch   immer     ziS!'" 
500  Ssotnien  zur  Verfügung,  und  wie  man  auch  über  den  militärischen 
Wert  dieser  Truppenteile  denken  mag,  so  büden  diese  500  Ssotnien  doch 
eine  schwerwiegende  Ergänzung  zu  den  340  Schwadronen  der  russischen 
regulären  Kavallerie. 

Rassische  Schriftsteller  haben  den  Gedanken  ausgesprochen,  dass 
man  eine  gewisse  Zahl  der  Kosakenregimenter  den  Infanterie -Ab- 
teilungen zuteilen  möge,  die  übrigen  Regimenter  aber  zu  besonderen 
Kosaken -Divisionen  zusammenfassen,  so  dass  ihre  Kommandeurs  sie 
zu  selbständigen  Unternehmungen  verwenden  könnten.  Nur  dann  würden 
sich  solche  Heldenthaten  der  Kosaken  wiederholen,  wie  die  kühne  Attake 
Orlow-Denissow's  bei  Tarutino   im  Jahre  1812,  wobei  40  französische 


350  ^-    ^^®  Kavallerie. 


Geschütze  erbeutet  wurden,  oder  die  glänzende  Beteiligung  des  Atamans 
Platow  an  der  Verfolgung  der  Franzosen,  bei  der  ganze  französische 
Abteilungen  gefangen  genommen  wurden. 

Nur  dann  werde  der  alte  Ruhm  der  Kosaken  seine  Auferstehung 
feiern. 


7.   Requisitionen. 

Aufgaben  der  Wichtiger  als  je  ist  jetzt  die  Aufgabe  der  Kavallerie,  das  Heer  mit 

bei  Ee-    Lebensmitteln  zu  versorgen.     Schon  Montecuculi  sagte,  dass  „Hunger 

qniaitioneii.  g^^jj^ecklicher  ist  als  Eisen  und  der  Mangel  an  Vorräten  mehr  Heere  zu 
Grunde  gerichtet  hat  als  die  Schlachten  selbst".  Ueber  die  Schwierigkeit 
der  Armeeverpflegung  ist  auch  in  früheren  Zeiten  geklagt  worden.  So 
schiieb  Friedrich  der  Grosse:  „Wieviel  Mühe  ist  doch  erforderlich,  um 
die  jetzigen  zahlreichen  Heere  zu  sammeln,  zu  unterhalten  und  in 
Bewegung  zu  bringen!  Das  sind  auf  Eroberung  gehende  Völker- 
schaaren  ...  die  glänzendsten  Pläne  des  Heerführers  sind  eitel,  wenn 
er  nicht  zuvor  die  Verpflegung  seiner  Soldaten  sicher  gestellt  hat". 
Diese  „Völkerschaaren",  von  denen  Friedrich  redet,  erscheinen  im  Ver- 
gleich zu  den  zahllosen  Massen,  welche  in  unserer  Zeit  in  den  Kampf 
treten,  wie  eine  Handvoll  Eegimenter.  „Die  Lieferanten  werden  bis- 
weilen nicht  im  Stande  sein,  die  allerdringlichsten  Bedürfnisse  zu 
befriedigen  und  ebenso  wird  es  bei  schnellen  Veränderungen  in  der 
Tmppenstellung  unmöglich  sein,  Vorräte  direkt  zu  kaufen.  Und  so  wird 
es  notwendig  werden,  zu  Requisitionen  Zuflucht  zu  nehmen",  i) 

Die  Aufgabe,  auf  dem  Wege  der  Requisition  die  für  das  Heer 
nötigen  Vorräte,  Fuhren,  Pferde,  Tuche,  Instrumente,  Arzneien,  Gelder  etc. 
zusammenzubringen,  wird  hauptsächlich  der  Kavallerie  obliegen;  zudem 
hat  ja  auch  sie  die  gleichen  Bedürfnisse. 

verbaitniiwe  jjn  Kricgc  1870  litt  die  deutsche  Kavallerie,  dank  dem  Reichtum 

im  Kriege 

1870.  des  von  ihr  besetzten  Gebiets,  an  Fourage  und  Verpflegung  keinen 
Mangel.  Vor  Paris  verpflegte  sie  sich  teilweise  aus  der  Umgegend,  teils 
durch  weiter  ausgedehnte  Fouragierungen.  Die  nach  der  Loire  und  dem 
Südwesten,  in  der  Stärke  von  136  Schwadronen  mit  18360  Pferden 
gesandte  Kavallerieabteilung,  verpflegte  sich  die  ganze  Zeit  hindurch 
selbst,  indem  sie  dazu  in  d^  reichen  Provinz  Beauce  genügend  Mittel 
fand;  ebenso  konnte  es  die  nach  den  Norddepartements  gesandte 
Kavallerie  (32  Schwadronen  mit  14320  Pferden)    machen.     Vor  Paris 


0  G^n^ral  Leval:  „ißtudes  de  guerre.    Tactique  de  ravitaillement". 


Schlussfolgerungen.  361 


waren    10630  Pferde    und    318000  Mann    der    Belagerungsarmee    zu 
verpflegen.  3) 

Aber  das  waren  Ausnahmeverhältnisse,  wie  solche  nur  der  Reich-    ^®?^"f' 

mittel- 


tum  Frankreichs  schuf.    In  anderen  Ländern,   die  entweder  ärmer  sind  «usteiiung - 

"lanptaafgab 
der 
Kayallerie. 


oder  wo    die   Bevölkerung  grösseren  Widerstand    leistet,    wird    diese  ^"^^^'^  ** 


Aufgabe  weit  schwieriger  sein.  Die  Kavallerie,  die  der  Armee  voraus- 
geht, wird  die  Einwohner  zur  Sammlung,  Vorbereitung  und  selbst  zur 
Verarbeitung  der  für  das  Heer  nötigen  Gegenstände  zwingen  und  in 
den  betreffenden  Orten  bis  zum  Anlangen  der  Infanterie-Avantgarde 
bleiben  müssen.  Die  Erfüllung  dieser  Aufgabe  wird  grosse  Umsicht 
erfordern  und  durchaus  nicht  gefahrlos  sein,  da  die  Kavallerie  nach  den 
verschiedensten  Seiten  hin  kleine  Abteilungen  auszusenden  haben  wird, 
und  die  Organisation  besonderer  Schtitzenabteilungen  zur  Bekämpfung 
der  Kavallerie-„Eaids"  diese  Aufgabe  erschweren  wird.  Die  bürgerliche 
Bevölkerung  des  Landes  wird  auch  weit  grösseren  Verlusten  und 
Gefahren  ausgesetzt  sein,  als  in  früheren  Kriegen. 

Zu  der  eigentlichen  Verpflegungsfrage  werden  wir  noch  zurück- 
kehren ;  an  dieser  Stelle  haben  wir  nur  auf  die  Eolle  hinzuweisen,  welche 
die  Kavallerie  hierbei  spielt,  eine  Rolle,  in  der  manche  Militärschriftsteller 
fast  die  Hauptbedeutung  der  Kavallerie  in  den  EMegen  der  Zukunft 
erblicken  wollen. 


8.    Schlussfolgerimgen. 

Trotz    der    Schwierigkeiten,    welche    jetzt    die   Verwendung   der  Wichtigkeit 
Kavallerie  im  Kampfe  darbietet,  wird  die  Notwendigkeit  der  Kavallerie  *'  »T  *^ 
von  Allen  anerkannt.    Sogar  diejenigen  Militärschriftsteller,  welche  über  ^^*®"®' 
die  Rolle  der  Kavallerie  im  Kampfe  abfällig  urteilen,  leugnen  nicht,  dass 
der  Kavallerie  in  gewissen  Fällen  doch  Aufgaben  von  höchster  Wichtigkeit 
zufallen.    Aber  jetzt  ist  mehr  wie  je  die  von  Napoleon  aufgestellte  Regel 
zutreffend,   dass   die   Kavallerie   zahlreichere   und    besser    ausgebildete 
Kadres    besitzen    muss    als    die  anderen  Waffengattungen.      Mehr   als 
früher  wird  jetzt  von  der  Kavallerie  Schnelligkeit  im  Beginnen,  und 
Beharrlichkeit  im  Begonnenen  gefordert. 

Bei  Beginn  des  Krieges  selbst,  wo  Alles  von  der  Schnelligkeit  der     ^s^"» 
Zusammenziehung  der  Truppen  und  davon  abhängig  ist,  dass  ihre  Be- 
wegungen nicht  gehindert  werden,  wird  die  Kavallerie  gewissermassen 


*)  Oberst   Köhler    anti    E.  V.:     „Untersuchungen    über    den   Wert    der 
Kavallerie  in  den  Kriegen  der  Neuzeit". 


352  V.     Die  Kavallerie. 


den  Dienst  eines  Schntznetzes  leisten.  Die  Kavallerie  wird  die  kriege- 
rischen Operationen  eröffnen;  sie  wird  zuerst  die  Grenze  überschreiten 
und  „Raids"  unternehmen,  um  die  Mobilmachung  des  Feindes  und  dessen 
Aufmarsch  zu  stören;  diese  „Eaids"  werden  ausser  den  wirthschaft- 
lichen  Folgen  für  das  betroffene  Gebiet  auch  noch  das  mit  sich  bringen, 
dass  der  Feind  genötigt  sein  wird,  die  entscheidenden  Operationen  zu 
beschleunigen  und  so  von  seinem  ursprünglichen  Plane  abzugehen,  wjö 
wiederum  auch  auf  die  Operationsweise  des  Angreifers  von  Einfluss  sein 
muss.  Auf  beiden  Seiten  wird  der  Generalstab  nicht  im  Stande  sein, 
alle  die  Zufälligkeiten  vorauszusehen,  die  hierbei  entstehen  können. 
RekognoBsie-  Fcmcr  wird  die  Thätigkeit  des  Rekognoszierens  doch  immer  in  be- 

rangen. 

deutendem  Maasse  der  Kavallerie  verbleiben,  obwohl  die  jetzigen  Ver- 
hältnisse ihr  diese  Aufgabe  sehr  erschweren. 
^^  Endlich  wird  die  Sorge,  die  Armee  mit  Vorräten  zu  versorgen  und 

qaiBitionoD. 

ihre  verschiedenen  Bedürfnisse  in    Feindesland   zu    befriedigen,   Avenn 
auch  nicht  ausschliesslich,  so  doch  zum  grössten  Teil  der  Kavallerie 
obliegen. 
V*'-  Die  Kavallerie  hat  jene  entscheidende  Gefechtsrolle,  welche  sie  mit 

minderang 

der  Gefechte-  SO  grossem  Glauze  zur  Zeit  der  Lineartaktik  ausgeübt,  durch  die  neuere 
""*'     Taktik  teilweise  eingebüsst.   Die  Kavallerie  hat  aufgehört,  eine  schlachten- 
entscheidende Waffe  zu  sein. 

Der  heutige  Kampf  haftet  an  den  Bedeckungen  des  Geländes  und 
giebt  daher  an  und  für  sich  der  Kavallerie  selten  Gelegenheit  zum  Ein- 
greifen vor  gefallener  Entscheidung.  Ausserdem  ist  durch  die  neue  Be- 
waffnung die  Widerstandskraft  der  Infanterie  in  hohem  Grade  gewachsen, 
der  Grundsatz  der  Gliederung  nach  der  Tiefe  macht  die  Möglichkeit  eines 
Angriffs  ungedeckter  Flanken  zur  Seltenheit,  und  die  Verwendung  un- 
abhängiger, selbständiger  Gefechtskörper,  von  denen  ein  jeder  gesonderi^n 
Widerstand  leisten  kann,  macht  das  Niederreiten  ganzer  Schlachtlinien 
überhaupt  sehr  unwahrscheinlich,  i) 
Transport-  Eingreifen  in  das  Gefecht,  Niederreiten  geworfener,  im  freien  Felde 

befindlicher  Infanteriemassen,  Ueberraschungen  feindlicher  Schützenlinien 
u.  s.  w.  werden  nicht  sehr  oft  vorkommen.  Aber  die  Kavallerie  wird 
sich  dadurch  nützlich  erweisen,  dass  sie  unerwartet  Truppenteile  überfallt, 
die  sich  in  Marschordnung  befinden  oder  Transporte  begleiten.  Schon 
Moritz  von  Sachsen  sagte:  ganz  unvermutet  attakierte  Leute  verlieren  den 
Kopf  —  das  ist  ein  allgemeines  Gesetz  des  Krieges. 
Kav^rie  Eiuc  gcwisse  Bedeutuug  kann  die  Kavallerie  auch  in  den  Fällen 

Niederlagen,  haben,  WO  der  eine  Teil  eine  empfindliche  Niederlage  erlitten  hat.    Dann 


^)  General  Meckel. 


SchliLssfoIgerungen.  353 


vermag  die  Kavallerie,  die  sich  während  der  Schlacht  in  Reserve  gehalten 
hat,  jeder  Seite  Dienste  zu  leisten :  ohne  sie  vermag  der  Sieger  seinen  Erfolg 
nicht  giiindUch  auszunutzen,  ohne  sie  würde  der  Besiegte  im  ersten  Moment 
keinerlei  Deckung  für  seinen  Rückzug  haben. 

Demnach  eröffnen,  wie  die  Fachleute  ausführen,  Kavallerie-Opera- 
tionen die  Schlacht  und  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  werden  sie  diese 
auch  beschliessen.  Dieser  Umstand  ist  um  so  wichtiger,  als  jetzt  starke 
Bedenken  laut  werden,  inwieweit  die  künftigen  Schlachten  selbst  über- 
haupt entscheidend  sein  werden.  Auf  dem  Wege  des  eventuellen  Rückzugs 
werden  wahrscheinlich  die  verschiedensten  Schutzmaassregeln  getroffen 
sein,  und  vor  dem  Rückzuge  selbst  werden  sich,  wo  nötig,  noch  neue 
Schanzen  aufwerfen  lassen.  Die  geschlagene  Armee  wird  die  nächsten 
Positionen  einnehmen  und  sich  bemühen,  dem  andrängenden  Gegner 
neuen  Widerstand  entgegenzusetzen,  und  umsomehr,  als  dieser  bei  dem 
Sturme  der  früheren  Stellungen  grössere  Verluste  erlitten  haben  wird, 
als  der  Teil,  welcher,  besiegt,,  das  Schlachtfeld  räumte.  Ausserdem  wird 
—  und  dies  ist  die  Hauptsache  —  die  grosse  räumliche  Ausdehnung  des 
Schlachtfeldes,  wo  entsprechend  der  Schussweite  der  modernen  Geschütze 
die  einzelnen  Stellungen  einige  Kilometer  von  einander  entferat  sind,  es 
dem  zurückweichenden  Teü  ermöglichen,  die  Truppenverstärkungen  zu- 
sammenzuziehen und  sich  so  abermals  zu  decken. 

Aus  allem  Gesagten  ist  ersichtlich,  dass  die  Rolle  der  Kavallerie 
sehr  bedeutend  bleibt.  Professor  General  Leer  spricht  in  seiner  „An- 
gewandten Taktik"  sogar  die  Ueberzeugung  aus,  dass  die  Hauptbedingung 
des  Erfolges  zu  Beginn  des  Krieges  eine  zahli^eiche  und  gute  Kavallerie 
ist,  die  schon  in  Friedenszeit  völlig  mobil  sein  muss. 

Damit  aber  die  Kavallerie  ihre  Bestimmung  befriedigend  erfüllen  ^*j^^°® 
kann,  muss  sie  auserlesene  Offiziere  und  geschickte  Führer  haben.    Aus  geschickter 
Allem,   was  wir  dargelegt,   erhellt  die  hohe  Bedeutung,  welche  bei  dem     *  ™"*" 
komplizierten  modernen  Kriegsmechanismus   einer  geschickten  Führung 
nicht  nur  des  gesamten  Heeres  und  der  grösseren  Heeresteile,  sondern 
auch  selbst  der  kleinen  Abteilungen  beizumessen  ist. 

Diesem  Erfordernisse  zu  genügen  wird  in  allen  Armeen  mit  Eifer 
gearbeitet.  In  der  deutschen  Armee,  sagt  General  von  Bissing^),  wurden 
in  der  fast  25jähiigen  Friedenszeit  die  vielseitigen  Erfahrungen  des 
Krieges  1870/71  zur  Richtschnur  auch  für  das,  was  von  der  Kavallerie 
geleistet  werden  soll.    Mit  rastlosem  Eifer  suchte  und  sucht  man  nach 


-)    „Ausbildung,    Führung   und  Vorwondung   der  Roitoroi",    im  „Militär- 
Wochenblatt"  1895. 

Bloch,   Der  zakünftige  Krieg.  28 


354  V.    Die  Kavallm«*. 


den  Vorbedingangen  ihrer  zukünftigen  Verwendungsfähigkeit  and  ihrer 
entscheidenden  Mitwirknng  znm  Siege. 

Vier  bis  fünf  neue  Eeglements  wm-den  erlassen,  welche  die  An- 
forderungen der  Ausbildung  immer  mehr  steigerten.  Die  Reit-Instruktion 
erlitt  eine  vollständige  Umarbeitung  in  ähnlichem  Sinne.  Die  neue  Feld- 
dienst-Ordnung beschäftigt  sich  in  eingehendster  Weise  mit  den  Aufgaben 
der  Kavallerie  und  stellt  gegen  früher  ganz  andere  Bedingungen  an  ihr 
Können  auf. 

Aus  allem  diesem  erhellt,  dass  der  zukünftige  Krieg  nicht  nach  den 
Ergebnissen  der  früheren  Kriege  beuilheilt  werden  kann.  Die  Leistungen 
der  Kavallerie  werden  in  vielem  ganz  andere  als  in  der  Vergangenheit 
sein,  und  wir  stehen  vor  noch  nicht  dagewesenen  und  komplizierten 
Erscheinungen. 

Fragen,  wie  die  über  den  Unterschied  in  der  Kavallerie-Ausrüstung, 
über  die  Eigenschaften  des  Pferdematerials,  die  Beschaffenheit  des 
Sattels  u.  8.  w.  bei  den  verschiedenen  Armeen  lassen  wir  bei  Seite.  Im 
grossen  und  ganzen  wird  der  rein  materielle  Teil  wahrscheinlich  in  allen 
Armeen  auf  der  gleichen  Höhe  stehen.  Alles  wird  von  dem  Verständnis 
abhängen,  diese  Mittel  praktisch  auszunutzen.  Das  Alltagsleben  lehrt  uns, 
dass  ein  schlechter  Arbeiter  seine  Arbeit  unbefriedigend  ausfühii:,  auch 
wenn  er  die  besten  Werkzeuge  zur  Hand  hat,  während  ein  verständiger 
und  entwickelter  Arbeiter  auch  mit  einem  weniger  vollkommenen  Arbeits- 
gerät etwas  Treffliches  zu  schaffen  vermag. 

So  sind  auch  der  Kavallerie  völlig  geschulte,  fähige  Offiziere  von 
Nöten;  besonders  aber  bedürfen  die  Kosakentruppen  solcher  Offiziere, 
da  zu  deren  Bestand  weniger  entwickelte  Elemente  gehören  (in  den  öst- 
lichen Kosakenheeren)  und  die  Art  des  Kosakendienstes  in  Friedens- 
zeiten nicht  eine  genügende  Anzahl  altgedienter  Unteroffiziere  heranbildet, 
welche  in  der  Schlacht  für  ihre  gefallenen  Offiziere  eintreten  könnten. 


f 


VI. 


Taktik  der  Artillerie. 


Die  Taktik  der  Artillerie  und  die  Folgen 
der  Vervollkommnungen. 

Noch  vor  Erfindung  des  rauchschwachen  Pulvers  und  des  neuen 
Kleinkaliber-Gewehrs  zeigte  sich  mehr  als  einmal  die  fibermächtige  Wirk- 
samkeit des  Gewehrfeuers,  weshalb  die  französische  Kommission,  welche 
die  Kriegsinstruktionen  für  die  Armee  auf  Grund  der  1870  gesammelten 
Erfahrungen  umarbeiten  sollte,  zu  dem  Schluss  kam,  dass  der  Angriff 
gegen  eine  in  fester  Stellung  stehende  Infanterie  in  der  Zukunft  erfolglos 
bleiben  kann,  selbst  wenn  er  durch  das  Eingreifen  der  Artillerie  vor- 
bereitet wird.  Jetzt  seit  Einführung  der  neuen  Waffe  ist  das,  worüber 
sich  früher  noch  streiten  liess,  zur  Gewissheit  geworden.  Eine  Infanterie, 
die  sich  zu  verteidigen  versteht,  kann  überhaupt  ohne  Hilfe  der  Artillerie  0 
aus  einer  festen  Position  nicht  geworfen  werden,  auch  wenn  sie  nur  über 
halb  soviel  Gewehre  verfügt  wie  der  Angreifer.  Aber  ein  erfolgreiches 
Auftreten  der  Artillerie  zur  Erschütterung  des  Gegners  ist  abhängig  von 
dem  feindlichen  Artilleriefeuer,  welches  diese  Wirkung  paralysieren  kann. 

In  Folge  dessen  lässt  sich  fast  als  mathematisch  gewiss  annehmen, 
dass  der  Beginn  einer  Schlacht  auf  beiden.  Seiten  durch  Artillerie  ein- 
geleitet werden  wird. 

Die  Artillerie  derjenigen  Armee,  welche  die  Offensive  ergreift,  wird 
ihi-e  Thätigkeit  damit  beginnen,  die  Artillerie  des  Gegners  zu  vernichten 
oder  wenigstens  zu  schwächen;  alsdann  erst  wird  sie  im  Stande  sein, 
sich  auch  gegen  die  feindliche  Infanterie  zu  wenden.  Dieser  Umstand 
führt  logischei'weise  zu  der  Notwendigkeit,  eine  zahlreiche  Artillerie 
zum  Angriff  wie  zur  Verteidigung  in  erster  Linie  zu  haben.  Diese 
Notwendigkeit  ist  für  beide  Seiten  die  gleiche.  Deshalb  werden 
Quantität  und  Qualität  der  auf  dem  Schlachtfelde  wirkenden  Geschütze 


Notwendig- 
keit 
der  ArtiUerie 

car  Er- 
Bclifltterung; 

fester 
Infanterie- 
positionen. 


Einloitang 
der  Schlacht 

durch 
Artillerie. 


0  nl'^Ai'i^oi^o  de  campagne.' 


358  VI.    Taktik  der  ArtUlerie. 


in    hohem   Grade    auf    den   Ausgang    der   Einzelschlachten    von   Ein- 
fluss  sein. 
Einwirkung  AbcF   uoch   viel   Wichtiger  ist  es,  dass  Dauer  und  Resultat  des 

aes  bentigen  " 

Artiuerie-  Krieges  fortan  aller  Wahi'scheinlichkeit  nach  in  hohem  Grade  von  der 
vTikeheer^*  Wirkung  der  Artillerie  abhängen  werden.  Geschütze  wie  Geschosse 
haben  sich,  wie  schon  erwähnt,  gegen  früher  so  radikal  vervollkommnet, 
dass  die  durch  Artillerie  verursachten  Verluste  ungeheuer  gross  sein 
werden,  weshalb  es  sich  fragen  dürfte,  ob  die  jetzigen  Volksheere  im 
Stande  sein  werden,  das  heutige  Artüleriefeuer  zu  ertragen. 

Zur  Beurteilung  des  modernen  Gebrauchs  der  Artillerie  im  Felde 
müssen  wir  einen  Blick  auf  die  Vergangenheit  werfen. 

1.   Stückzahl  und  Wert  der  Geschütze. 

drstttcSThi  -^^^  unserem  Jahrhundert    anhaftende  Tendenz  zum  Fortschritte 

derGesciiütee  dürfte  auscheiueud  zur  Annahme  berechtigen,  dass  im  Laufe  der  Zeit 
den  Perioden  das  Streben,  Geschütze  zu  verwenden,  immer  mehr  wachsen  wird,  da  diese 
u.^1874^91.  als  mechanische  Werkzeuge  (besonders  bei  ihrer  jetzigen  Vervollkomm- 
nung) zu  ihrer  Bedienung  ein  sehr  kleines  Mannschaftsmaterial  erfordern, 
und  das  demnach  das  Geschütz  in  den  Schlachten  die  Infanterie  immer 
mehr  ersetzen  wird,  weil  die  Verwendung  der  letzteren  eine  weit 
grössere  Verausgabung  des  kostbarsten  Kriegsmaterials  —  der  Mann- 
schaften —  bedingt.!) 

Indessen  liess  sich  in  jüngster  Zeit  eine  geradezu  umgekehi'te 
Erscheinung  wahrnehmen.  In  der  Periode  1859  bis  1874  wuchs  die 
Gesamtzahl  der  Geschütze  in  den  Heeren  der  europäischen  Hauptstaaten 
um  88  o/o,  während  dies  Wachstum  von  1874  bis  1891  auf  38  %  zurück- 
ging; in  der  Infanterie  dagegen  findet  für  diese  beiden  Perioden 
gerade  das  umgekehrte  Verhältnis  statt;  ihr  Anwachsen  stieg  von  24% 
auf  54%. 
stückiahi  Wenden  wir  uns  im  Einzelnen  den  hiemach  in  den  verschiedenen 

der  Gesclilitze  _  . 

in  den  euro-  Staaten  erfolgteu  Veränderungen  in  den  Feldartilleneen  zu  und  markieren, 

Ha^tetol!ten.um  das  Bild  reliefartiger  zu  gestalten,  noch  das  Jahr  1884,  so  erhalten 

wir,  wenn  wir  die  Anzahl  der  Geschütze  im  Jahre  1874  gleich  100  setzen, 

die  in  der  nebenstehenden  Tabelle  gegebenen  Ziffern  füi-  die  vergleichende 

Bestimmung  der  Stückzahl  der  Geschütze. 

Hieraus  ersehen  wir,  dass  die  Gesamtzahl  der  Geschütze  der  sechs 
Kontinentalmächte  sich  im  Laufe  von  17  Jahren  um  4745  vergrössert  hat, 
oder,  mit  anderen  Worten,  dass  das  durchschnittliche  jährliche  Wachstum 

0  Die  Verluste  des  deutschen  Heeres  im  Kriege  1870  betrugen  in  der  In- 
fanterie 17,6  ®/o,  in  der  Artillerie  nur  6,5  ^/q. 


Zahl  der  Geschütze  in  den  Landarmeen. 

1869  18M 


Fnakreieh,  BoaslAnd 


*■■■■■■■■■■'• «■■■■■■■■■■■■■■■■■!■ ai 
■■■■■■■•■■■■■■■■■■■■■■■■■■■^■■■■■■1 

*■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■! 


8824 


Deutschland.  Oesterreioh 
und  Italian 


•■■■■■■■■■»■■■■■■■■■■■■■■■■■■ 
■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■•■■■■■ 


7324 


1873/4 


18t« 


5392J 
5562 


Firnnkreich,  Rnssland 


■  •■ 


■■■■■■■■■■■■■■■■**' 

■■■■■■■■■■■■■■■ ■■■■! 
■■■■■■■■■■■■«■■ ■■•■I 

■■■■■■■■■■ ■«■■■■■■! 


8824 


Deatsehland,  06«t«rreioh 
and  Italien 


7324 


Vernichtungskraft  der  Geschütze  in  den  Jahren  1896  bis  1898 
im  Verhältnis  zu  denen  aus  dem  Jahre  1870. 


Typus  von  1870. 


100«/, 
100"/, 


Frankreich 


Deatsehland 


Typus  von  1896. 


TV 


■■■■■■■■■■■■■■ ■■■•■■■■■■■■■■< 
■■■■■■■■■■■■■■■■■■■ ■■■■■■■■■■ 


11600V. 


■■■■■■■■■I 
■■■■■■■■■I 


JU- 


4200  V. 


Typus  von  1870. 


Typus  von  1898. 


lOOV 
100'/ 


Frankreich 


Dentechland 


llllli 


■■■■■■■■■■■I 

iBBiBBasiaBiBBaaBi 

!■■■■■■■■■■■■■■■■! 

laaaaaBaaaaaM  aaaa' 


r  ■'  n  r  i 


iBaaBBaBaiBBaa 

faBIBBBBBBBIBB 


23200  V, 


8400  V. 


RH.  I.      KinfBiTAn  h«!  Rtk'ttn  XVi. 


Stückzahl  und  Wert  der  Geachützp. 


359 


während  dieser  Periode  etwa  2%  ausmacht.  Innerhalb  dieser  Periode 
jedoch  ist  die  Anzahl  der  Geschütze  im  ersten  Jahrzehnt  nm  3148 
gewachsen,  d.  h.  nm  2,5  %  jlLhrlich.  In  den  letzten  sieben  Jahren  ist  die 
Zahl  der  Kanonen  nar  nm  1597  Stück  gewachsen,  d.  h.  um  1,4%  im  Jahre. 


AtiBfllil  der  Geschütze  filr 

die  Kriegsstarke 
1874     1     1884     1      1891 

Prozents 
1874  1  1884 

atz 
1891 

Kusaland 

Frankreich 

3604 
2  328 

3  769 

4  410 

3992 
4576 

100 
100 

104 
189 

110 
195 

In  beiden  Staaten      .     . 
Deutsch  land 

Oeaterreich 

5  932 
2  658 
1784 

8179 
2  998 
1580 

8  568 
3  598 
2072 

100 
100 
100 

138 
113 
88 

144 
135 
116 

In  beiden  Staaten      .     . 

4  442 
1120 

4  578 
1532 

5  670 
1624 

100 
100 

103 
136 

128 
145 

In  den  Dreibund-Staaten 
Türkei 

5  562 
804 

6110 

1152 

7  294 
1176 

100 
100 

110 
143 

131 
146 

In  allen  6  Staaten    .    . 

12  293 

15  441 

17  038 

100 

125 

138 

Wenn  wir  graphisch  einen  Vergleich  in  Bezug  auf  die  Jahre  1 
and  1891  darstellen,  erhalten  wir  folgendes  Bild: 


Anzahl  der  Geschütze  für  die  Kriegsstärke. 

Russland  speziell  verfügte  im  Jahre  1874  über  eine  grössere  Anzahl  .'^"^[J'". 
von  Geschützen  als  jeder  der  übr^en  Staaten,  aber  seitdem  ist  die  Ver-  inBoBiand 
mehrung  langsamer  vor  sich  gegangen,  so  dass  sie  in  10  Jahren  insgesamt 
nnr  ifi  %  ansmachte.     Dies  bedeutet  ein  öi/jmal  geringeres  Anwachsen 
der  russischen  Artillerie  als  das  Gesamtwachstum  in  derselben  Periode. 
In  den  folgenden  7  Jahren  hat  sich  die  Zahl  der  Geschütze  in  Eussland 


360  ^I-    Taktik  der  ArtiUerie. 

verhältnismässig   stärker   vergrössert  (6  %),  ohne  jedoch  den  Umfiing 
dieses  Wachstums  in  den  Nachbarstaaten  zu  ttbertrefien. 
W^*"  Die  angeführten  Ziffern  erhalten  erst  ihre  richtige  Beleuchtung,  wenn 

jm  Artäiieri«  wir  sie  den  in  der  Infanterie  vorgegangenen  Veränderungen  gegenüber- 
ühawi'e.  Stellen. 

Geschützanzahl  auf  10  000  Mann  1874      1884      1891 

in  Russland 21        16       12 

„  Frankreich 13       23       12 

„  Deutschland 20       18        12 

„  Oesterreich 16       16        10 

„  Italien 13       20       10 

„  England 8       —       11 

„  der  Türkei 14       19       13. 

Graphisch    die   Bedeutung    zwischen    1874   und    1891    darstellend, 
erhalten  wir  folgendes  Bild: 

1874.  1891. 

2t  E 


Oeschüt^anzahl  auf  10000  Mann. 

LujuBBn  Hieraus  ist  ersichtlich,  dass,  wenn  wir  nur  die  letzten  20  Jahre  ins 

jwTrtnl^*  Auge  fassen,  die  Hauptsteigerang  der  Kriegskräfte  nicht  auf  die  Artillerie, 
'«?« !r«^s^°'i^™  auf  die  Infanterie  entfällt. 

iDbDUri*.  Worin  liegt  nun  der  Grand  für  diesen  Widersprach  gegen   die 

Gesamtrichtung  des  19.  Jahrbunderts?  Hängt  er  mit  dem  neuesten  Fortr 
schritt  der  Kriegskunst  und  den  Grundlagen  der  künftigen  Taktik  zo- 
sammen?  Oder  hat  man  etwa  den  Grund  darin  zn  suchen,  dass  sich  die 
nötigen  Geldmittel  für  die  Vermehrung  der  Artillerie  schwer  finden  lassen'? 
Letztere  Annahme  erscheint  als  die  allerwahrscheinlichste,  denn  es 
kann  nicht  bezweifelt  werden,  dass  die  gesetzgebenden  Versammlungen 
weit  geneigter  sind,  der  Regierung  für  den  Kriegsfall  die  Einberufung 
zahlreicher  Reserven  zu  bewilligen  als  sofort  Kredite  anzuweisen  zum  Kauf 
von  neuen  Kanonen,  Pferden  und  für  sonstige  Ausgaben,  die  mit  der 
Vermehrung  der  Artillerie  zusammenhängen,  denn  im  ersten  FaUe  stehen 


Stückzahl  und  Wert  der  Geschütze.  361 


nur  bedingte  Opfer  beim  Ausbrach  des  Krieges  bevor,  von  dessen  Möglich- 
keit zwar  alle  reden,  die  man  sich  aber  doch  nur  als  gering  vorstellt,  im 
zweiten  Falle  aber  handelt  es  sich  um  sofortige  Budgetbelastung,  und 
diese  ist  heute  unverhältnismässig  grösser,  als  in  der  Vergangenheit. 

Russland  und  die  Türkei  folgten  der  Bewegung.  Einer  Bewilligung 
der  Ausgaben  durch  die  Volksvertretung  bedurften  sie  freilich  nicht, 
aber  andererseits  waren  ihre  Mittel  beschränkt  und  mussten  sie  über- 
zeugt sein,  dass  die  anderen  Staaten  mit  einer  unverhältnismässigen 
Vergrösserung  der  Geschützanzahl  bald  folgen  würden  und  das  Macht- 
verhältnis doch  dasselbe  bliebe.  Trotzdem  hatten  sie  kein  Interesse, 
eine  Ausnahme  zu  bilden. 

Am  Anfang  unseres  Jahrhunderts^)  betrugen  die  Kosten  für:  KoetenpreiH 

1.  eine  12  pfundige  Kanone  (1000  Küogramm  schwer)  oesc^iitze 

Kanone  mit  Lafette  und  Protze 1320  Thlr.     Anfcng 

3  Munitionswagen loO     „       iiunderts. 

120  Kugelschuss  und  80  Kartätschen     ......      826     „ 

22  Pferde  mit  Geschirr 1430     „ 

11  Montierungen  für  die  Stückknechte 165     „ 

16  Montierungen  für  2  Unteroffiziere  und  14  Artille- 
risten ä  12  Thlr 196     „ 

Waffen  für  diese  16  Mann 96     „ 

6  Zelte  mit  Zubehör 72     „ 

4285  Thlr. 
Hierzu  die  Kosten  der  Reservelafetten,  Bordwagen, 
Trainbedienten   bei   der   Batterie  etc.    auf  jedes 

Geschütz  verteilt 250     „ 

zusammen    .    .    4535  Thlr. 

2.  eine  6  pfundige  Kanone  (1200  Pfund  schwer) 2680  Thlr. 

3.  eine  3  pfundige  Kanone  (650  Pfund  schwer) 1783  llür. 

Die  Anschafiungskosten  einer  7  pfundigen  Haubitze  wurden  auf 
230f)  Thlr.  berechnet,  es  kosteten  nämlich: 

das  800  Pfund  wiegende  Rohr 400  Thlr. 

die  Lafette  und  Protze 280     „ 

2  Munitionswagen 100     „ 

100  schalte  Granatschuss 151     ,, 

25  Kartätschenschuss 123     „ 

12  Brand-  und  Leuchtkugeln 36     „ 

Uebeitrag    .    .  1090  Thlr. 

«)  Scharnhorst:  „Handbuch  für  Offiziere".     1  Thaler  =  3  Mark  D.  K. 


362  TL    Taktik  der  Artillerie. 

Uebertrag    ,    .  1090  Thlr. 

14  angescliin-te  Pfei-de 840     „ 

Montiu'  fiir  7  Knechte, 105     ^ 

desgl.  für  12  Mann  Bedienung 144     ^ 

Gewehre  für  letztere .    .    ,      190     ,. 

zusammen    .    .  2309  Thlr. 

d«?'°hat!'8  ^'"'  ^^'*  ^^^  Kjiege.s  zwischen  den  nord-  und   sUdameiikanischeii 

.nrzek.i«  Staaten  (1864)  kosteten  die  Kanonen  allein:») 

Mrg"W-s.  Äimstrong  ans  Selimiedeeisen  lOVi  Jioll  Dnrchm.  9000 Doli.  =  12900Thlr. 
Krnpp  ans  (inKsstalil      ...    9       „         „       10 125     „     =  14512     „ 
n        «  »  ...  15       „         „       29400     „     -42170     ,. 

KoBUupnia  Der  Obetst  Otto  hat  in  einer  Broschüre  nachgewiesen,   dass  die  in 

Kmmm-  den  FreiheitsJaiegen  an  Offiziere,  Unteroffiziere  und  Mannschaften  der 

"it"vtti-  Artillerie  ansgezahlten  Gehälter  so  viel  betragen  haben,  dass  sich  der 

heit.irri.iE.lL  nachwelslich  verfeuerte  Schnss  auf  30  Thlr.  berechnen  lässt.     Rechnet 

man  hierzn  noch  die  Ausrüstung  an  Material  und  Pferden,  die  Verpflegung 

von    Mannschaften    nnd    Pferden,    so    kostete    der    Schnss    mindestens 

50  Thaler. 

/"«""h""  ^^'^   ^^^  Preise  aber  weiter  .stiegen,    macht   uns   folgender  Ver- 

"..  neosrer  glclch  klar:*) 

Ein  27  Oentimet«r  (10,6  Zoll)  französisches  Geschütz  kostete 

imi^imi 17100  Francs 

1870      2iJ700       „ 

1870—1881 34000 

1875       107  700 

1881       80000 

Wenn   wii'  graphisch  diese  Zahlen   daistellen,    erhalten   wir   fol- 
gendes Bild: 


s  10.6-Cfntimft*T-GcsphätKi's 


')  "Wille:  „Die  Ripsen gesch atze".    1870. 

•)  Dredge:  „Modem  Frencli  Artillei'j'".     London  1892. 


Stückzahl  vmd  Wert  der  Geschütze.  363 


Es  werden  nun  Zweifel  erhoben,  ob  die  Bereitstellung  sogar  dieser  j^^^'jjj^^jf;^ 
beschränkteren  Anzahl  von  Geschützen  möglich  sein  wird.  pieüeranff 

In   allen   Staaten   erfolgt   die   Kompletierung   der   Geschütze   mit  \JLn' 
Mannschaften  und  Pferden  erst  während  der  Mobilisation.    Den  numeri-  K'*««^^*"- 
sehen  Unterschied  des  Friedens-  und  Kriegsetats  wollen  wir  an  einem 
Beispiele  erläutern, 

In  Frankreich  besteht  in  Friedenszeiten  die  Korps -Artillerie  aus   Friedens- 

und 

zwei  Regimentern,  die  eine  Brigade  von  2600  Mann  und  1600  Pferden  Kriegseut 
bilden.     Nach  dem  Kriegsetat  werden  beide  Ziffern  auf  6000  gebracht.  inFmnkrmrh. 
Die   Kompletierung    der   fehlenden   Pferde,   4500  Stiick,   erfolgt   durch 
Requisition;  was  die  Kompletierung  der  Mannschaftsziffer  durch  3500  Mann 
anbetrifft,  so  stellt  neun  Zehntel  die  Reserve  der  aktiven  Armee ;  zu  dem 
letzten  Zehntel  werden  Handwerker  und  Sappeurs  genommen. 

Es  werden  also  zugeführt  beinahe  60%  Mannschaften  aus  der  Re- 
serve und  auf  ein  geschultes  Pferd  werden  drei  von  der  Zivilbevölkerung 
entnommen. 

Auf  die  bei  der  Mobilisation  eintretenden  Mannschaften  ist  nicht   ^^^7®'' 
viel  zu  rechnen.    Man  wird  in  den  meisten  Fällen  Leute  zur  Bedienung  die  Artillerie, 
heranziehen,  die  längst  das  Eingelernte  vergessen   haben    und  Mann- 
schaften   aufs   Pferd   setzen   müssen,    welche   von    der   Sattelung  und 
Lenkung  nichts  verstehen. 

Das  bei  der  Mobilisation  der  Artillerie  nötige  Pferdematerial  wii'd 
ebenfalls  Mängel  aufweisen. 

Von  je  1000  im  Lande  vorhandenen  Pferden  sind  für  den  Krieg    Erforder- 

•'  °  licliee  Pferde- 

ZU   nehmen:  materialftlr 

in  Russland 13  d«»  ^^^« 

in  den  eln- 

„  Frankreich 102  Minen 

„  Italien 100  '''°'""- 

„  Oesterreich 43 

„  Deutschland 111 

Auf  den  ersten  Blick  dürfte  es  scheinen,  dass  filr  keinen  Staat 
besondere  Schwierigkeiten  vorliegen,  von  je  1000  Pferden  etwas  über 
100  Pferde  für  Kriegszwecke  zu  nehmen. 

Aber  das  Beispiel  Frankreichs  im  Jahre  1870  liefert  den  Beweis, 
dass  es  trotz  aller  Anstrengungen  anstatt  2370  nur  1700  Geschütze 
gegen  den  Feind  zu  verwenden  gelang,  weil  statt  der  erforderlichen 
51 000  Pferde  nur  32  000  beschafft  werden  konnten. 

Der   „Schulmeister"  wird  besonders  im   Anfange    der   Kampagne  Wichtigkeit 
eine  bedeutende  Rolle  spielen.    Je  gebildeter,  je  intelligenter  ein  Volk  in  Intelligenz, 
seiner  Gesamtheit  ist,  desto  grössere  Chancen  hat  es,  für  seine  Geschütze 
eine  bessere  Bedienung  bei  der  Mobilisation  zu  erhalten.    Was  den 


364  TI-    Di»  Taktik  der  ArtUlprie. 

Wert  der  Geschütze  anbetrifft,  so  wird  viel  darnber  gestritten,  welclie 
Staaten  die  besten  und  \virksamsten  Feldgeschütze  besitzen. 
d'^w^  Die  dentschen  Artilleristen  behaupten,  dass  das  deutsche  schwere 

iti      Feldgeschütz  den  Leistungen  der  Geschütze  der   grösseren  Artillerien 
teils  gleichsteht,  teils  überlegen  ist. 

Kapitän  Moch  hält  das  französische  90-Millimeter-Geschütz  fllr  das 
mächtigste  und  die  dadurch  gegebene  Ueberlegenheit  für  ganz  erwiesen. 
Oberst  Engelhardt  hat  dagegen  das  russische  leichte  Feldgeschütz 
für  das  beste  erklärt. 

Nach  Longridge  glauben  die  Engländer  in  ihrem  12-Pfünder  C/84 
das  beste  Geschütz  der  Welt  zu  besitzen. 

Unwillkürlich  wird  durch  diese  Aussprüche,  sagt  General  Müller*), 
der  Gedanke  an  Nathans  Erzählung  von  den  drei  Ringen  wachgerufen, 
das  mit  der  Nutzanwendung  schliesst: 

„Es  strebe  von  euch  ein  Jeder  um  die  Wette,  die  Kraft  des 
Steins  in  seinem  Kinge  an  den  Tag  zu  legen!" 
Wart  Um  aber  positive  Daten  zu  erlangen,  wollen  wir  den  durch  General 

"«cfcsSe*  Müller    aufgestellten  Vergleich  für  den  Wert  der  Shrapnelschüsse  an- 

Angenommen,  eine  deutsche  Batterie  gebrauche  zur  Erreichung 
einer  bestimmten  Wirkung  30  Shrapnelschüsse  (240  Kilogi-amm  Geschoss- 
gewicht), so  würde  unter  obiger  Voraussetzung  dazu  nötig  haben: 

eine  russische  10,67-('entimeter-Batterie  24  Schüsse  (300  Kilogr.), 

eine  französische  Batterie  36  Schüsse  (312  Kilogramm), 

eine    österreichische    und    eine    leichte    russische    Batterie    je 

48  Schüsse  (340  Kilogramm), 
eine  englische  12pfHndige  Batterie  C/84  47  Schüsse  (2(i7  Kilogi'.). 

v«rgi.t«h   Graphisch  ausgedrückt,  erhalten  wir  folgendes  Bild. 

Nihi«deii«n  Anzahl  der  Schüsse  Geschütze    Qoscliossgewichtein  Eilogranmi 


Vergleich  der  'Wirkcingeii  von  ShrapnelgescliossBii  in  den  verschiedanen 
St««ten  für  einen  gleichen  Effekt, 


')  „Die  Wirkong  der  Feldgeschütze". 


Trefifeicherheit  der  deutsehen  Shrapnels  in  Meter. 

13  g  schwere  Kugel,  T^pus  vom  11g  schwere  Kugel,  Typua 

Jahre  1882.  Entfernung  in  Meter.  vom  Jahre  1891. 

400  282 

'  t9 


ünfltm  M  Stttt  sei. 


Wirkung  des  Infanterie-  und  Artilleriefeuers. 


365 


Wir  ersehen  aus  allem  Gesagten,  dass  als  wahi'sclieinlich  angenommen 
werden  kann,  dass  die  heutigen  Feldgeschütze  unter  normalen  und  sonst 
gleichen  Verhältnissen  zur  EiTeichung  einer  gleichen  Wirkung  annähernd 
denselben  Werth  haben. 


2.  Vergleich  der  Wirkung  des  lufaiiterie- 

uud  Artilleriefeuers. 

Die  vernichtende  Wirkung  der  Artilleriegeschosse  erhellt  am  besten 
aus  dem  Vergleich  der  Ziifer  der  durch  Geschütz-  und  durch  Gewelurfeuer 
getroffenen  Mannschaften.  Versuche  zur  Erlangung  von  diesbezüglichen 
Ergebnissen  sind  in  Frankreich  (bei  Chalons)  und  in  der  Schweiz  gemacht 
worden,  wobei  man  in  der  Schweiz  die  verheerende  Kraft  der  Granate 
gleich  100  Schüssen  aus  dem  Gras-Gewehr  Mod.  1874  gemessen  hat.  Als 
Ziel  diente  eine  Front,  welche  einer  Infanterie -Kompagnie  entsprach. 
Die  Versuche  haben  ergeben,  dass  bei  Distanzen  von  mehr  als  1000  Meter 
ein  einziger  Kanonenschuss  wirksamer  ist  als  100  Gewehrschüsse. 

Auch  hinsichtlich  der  Trefiweite  und  Ti^efisicherheit  haben  die 
Geschütze  einen  Vorzug  vor  den  Gewehren. 

Der  Unterschied  zwischen  der  Entfernung,  auf  welche  90  Milli- 
meter-Geschütze (7000  Meter)  und  155  Millimeter-Geschütze  (9500  Meter), 
und  der,  auf  welche  mit  gewöhnlichem  Salpeterpulver  geladene  Gewehre 
treffen,  ist  graphisch  durch  folgende  Zeichnung  ausgedrückt,  die  wir 
dem  bekannten  Werk  von  Omega:  „L'art  de  combattre'*  entlehnen. 


Versuche  mit 

der  Wirkung 

derArtillerie- 

geschosse. 


Vergleich 

derTreffweite 

der  Geschütze 

o.  Gewehre 

(DietanK). 


90-Mlllimeter-Ge8chütz. 


9S00 

166-Uilliinetor-Geschütz. 


Vergleich  der  Treffweite  der  Geschütze  und  Gewehre. 


Die     Treffweite     kann     übrigens     nur     dann     wirklichen     Wert  vergleich 

°  der  Troff- 

beanspruchen, wenn  sich  dabei  nicht  der  andere  Vorzug  des  »Schiessens:   Sicherheit 

j«^m/r'i        i^'i.  «ji  der(i08chütze 

die  Treffsicherheit,  vermindert.  und  Gewehr«. 


366 


VI.    Taktik  der  Artillerie. 


Die  Wirksamkeit  sowohl  des  Artillerie-  wie  des  Gewehrfeuers  wird 
am  besten  durch  die  Flachbahnfähigkeit  des  Geschosses  dargethan,  von 
welcher  die  Grösse  des  bestrichenen  Raumes  abhängt,  d.  h.  jenes  Teils  der 
Schusslinie,  auf  welcher  das  Geschoss  in  M^nneshöhe  sich  bewegt.  Die 
bestrichene  Strecke  beträgt  für  die  Flugbahn  eines  Kanonen-Geschosses, 
welches  auf  1800  Meter  Entfernung  vom  Ziele,  unter  Anwendung  des 
gewöhnlichen  Pulvers  abgefeuert  wird,  24  Meter,  während  sie  für  das 
Geschoss  eines  Nicht -Kleinkaliber -Gewehres  nur  5  Meter  beträgt;  beim 
Artilleriefeuer  beginnt  ein  so  gering  bestrichener  Raum  erst  beim  Schiessen 
von  4600  Meter  Distanz  an. 

Hieraus  folgt,  dass  der  Kanonenschuss  eine  weit  grössere  Treff- 
sicherheit hat. 

Die  nachstehende  Zeichnung  aus  demselben  Werke  von  Om6ga 
illustriert  diese  im  Vergleich  zum  Gewehrschuss  grössere  Treffsicherheit 
des  Kanonenschusses.  Für  den  Gewelu'schuss  liegt  schon  bei  einer 
Entferaung  von  2400  Metern  die  Wahrscheinlichkeit  einer  weit  grösseren 
Abweichung  vom  Ziele  vor  als  dies  bei  Kanonen-Geschossen  auf  4000  imd 
selbst  auf  7000  Meter  der  Fall  zu  sein  pflegt. 

Ueberhaupt  ist  die  wahrscheinliche  Abweichung  vom  Ziel  beim 
Schiessen  aus  Geschützen  sehr  gering.  Für  eine  Entfernung  von 
1000  Metern  übersteigt  sie  beim  Schiessen  aus  90  Millimeter-Kanonen 
nach  der  Seite  nicht  70  Centimeter  und  nach  der  Höhe  nur  9  Meter,  bei 
einer  Entfernung  von  7000  Metern  nicht  9,30  Meter  seitwärts  und  24  Meter 
in  der  Zielhöhe. 


Gewehnchnis. 


KanouenscIiBss. 


Vergleich  der  Treffsicherheit  der  Artillerie-  und  Gewehrschüsse. 


Kampfwort  Ocsterreichische  Schiessversuche  bei  Brück  1886,  welche  zum  Zwecke 

einer  Batterie 

und      des  Vergleiches   der  Wirkungen  einer  schweren  Feldbatterie  zu  8  Ge- 

Konipagnie.  g^^jj^^^eu  uud  einer  sehr  gut  ausgebildeten  Jäger-Kompagnie  von  210  Mann 

veranstaltet  wurden,  ergaben  bei  einer  Entfernung  von  750,  1135  bezw. 


Wirkung  des  Infantei'ie-  und  Ai'tilleriefeuers. 


367 


1500  Metern  und  bei  460  Figuren  das  folgende  auf  nachstehender  Tabelle 
gezeigte  Resultat: 


Ent- 

Treffer 

Ge- 

Feuer 

fernung 

Verf eu  e  rt 

in 

troffene 

Meter 

Summa 

Figuren 

750 

112  Granaten 

820 

333 

der  Batterie 

1125 

4  Granaten 

1256 

367 

< 
je  6  Minuten  lang 

78  Shrapnels 

«j                             ^ 

1500 

4  Granaten 
66  Shrapnels 

462 

204 

der  Jäger-Kompagnie    1 
je  3  Minuten  lang      | 

750 

3011  Geschosse 

315 

174 

1125 

1722  Geschosse 

132 

93 

Wenn  wii'  diese  Verhältnisse  grapliisch  darstellen,   erhalten  wir 


folgendes  Bild. 


8  Geschütze 
in  6  Minuten 


Distanz 
Meter 


210  Gewehre 
in  3  Minuten 


333 


367 


204 


750 


Wk 


174 


1125 


93 


1500 


Vergleich  der  "Wirkungen  von  8  Geschützen  mit  der  von  210  Gewehren, 
ausgedrückt  in  der  Anzahl  der  getroffenen  Figuren. 


Was  die  Vergleichsversuche  bezüglich  der  Schusswirkung  der  bis  '^^J»^»«? 
Ende  der  80  er  Jahre  gebräuchlichen  Gewehre,  mit  Geschossgeschwindig-  vergieich»- 
keiten  von  etwa  450  Metern  gegenüber  der  Artillerie  bei  etwa  gleicher  ,wi^"en  g«- 
Entfernung  anbetrifft,  so  können  folgende  Sätze  aufgestellt  werden.  ö!^^r^ 

Schon  auf  1000  bis  1100  Meter  verspricht  eine  Feldbatterie  so  viel    Endender 
Wirkung,  wie  ein  Bataillon  von  1000  Gewehren.  f_!'''f?.'!^*" 

Eine  kriegsstarke  Kompagnie  kann  aber  auf  Entfernungen  von  ®®^®^'«- 
1000  bis  1200  Meter  eine  Batterie  verhältnismässig  schnell  zum  Schweigen 
bringen  und  unter  besonders  günstigen  Umständen  auch  noch  auf 
1400  Meter  gute  Wirkung  erreichen,  wenn  ihr  die  Entfernungen  bekannt 
sind  und  sie  nicht  durch  gegnerisches  Infanterie-  oder  Ai'tiUeriefeuer 
behindert  wird.  Die  Artillerie  wird  demnach  Entfernungen  unter 
1000  Meter  im  allgemeinen  vermeiden  müssen. 


368 


VI.    Taktik  der  Artillerie. 


Ver- 

Bchiebang 
dor  Verhält- 
nisse 

zwischen 
Geschtitz  and 

Gewehr 

durch  Ein- 

fflhrang  des 

S-Millimeter- 

Kalibers. 


Ver- 
besHerungen 

in  der 
Granaten- 
konstraktion. 


Das  deutsche  Reglement  sagt:  „Im  Gefechte  gegen  Artillerie  ist  zu 
beachten,  dass  dieser  Waffe  die  Ueberlegenheit  des  Feuers  auf  weiten 
Entfernungen  beiwohnt.  Erst  von  1000  Meter  an  gleicht  sich  das  Ver- 
hältnis aus;  auf  nähere  Entfernungen  gewinnt  die  Infanterie  die  Ueber- 
legenheit." 

Nach  der  Schiessvorschrift  von  1887  sollte  auf  Entfernungen  über 
800  Meter  nur  ausnahmsweise  gegen  Ziele  von  grosser  Ausdehnung  ge- 
schossen werden. 

Die  dargelegten,  zwischen  Gewehr  und  Geschütz  bestehenden  Ver- 
hältnisse wurden  durch  die  Annahme  der  Gewehre  von  8 -Millimeter 
Kaliber  mit  Geschossgeschwindigkeiten  von  mehr  als  600  Metern  zu 
Gunsten  dieser  Gewehre  verschoben. 

Zur  Klarlegung  der  Sachlage  haben  in  vielen  Armeen  wieder  Ver- 
gleichsversuche zwischen  Geschütz  und  Gewehr  stattgefunden,  und  es 
kann  angenommen  werden,  sagt  General  Müller i),  dass  der  Bereich  der 
Gewehrwirkung  um  200  bis  300  Meter  erweitert  worden  ist,  während  fiir 
die  Artillerie  die  Grenze  des  Vorgehens  gegen  Infanterie  um  das  gleiche 
Maass  eingeschränkt,  also  auf  1200  bis  1300  Meter  festgesetzt  werden 
muss.  Die  Bedingungen  und  Verhältnisse,  unter  denen  im  Ernstfalle 
gefeuert  wird,  werden  eine  Verminderung  dieser  Zahlen  herbeiführen. 

Welche  Bedeutung  aber  die  Verschiebung  der  Verhältnisse  zwischen 
Gewehr  und  Geschütz  haben  wird,  wird  uns  klar  werden,  wenn  wir  uns 
die  Wirkung  der  Artilleriegeschosse  näher  ansehen. 

Die  bei  der  Konstruktion  der  Granaten  ausgeführten  Verbesserungen, 
welche  wir  angedeutet  haben,  sind  so  grossartig,  dass  alle  Vergleiche 
mit  den  entsprechenden  Geschossarten,  welche  in  den  früheren  Kriegen 
angewendet  worden,  unhaltbar  sind. 

Langlois^)  giebt,  um  den  Unterschied  zu  vergegenwärtigen,  folgende 
Zusammenstellung : 

Im  Jahre  1870  zersprangen  die  Granaten  je  nach  ihrer  Art  in 
19  bis  30  Stücke,  gegenwärtig  zerspringen  sie  mindestens  in  27,  höchstens 
in  240  Stücke. 


Mindestens 


27 


1870 


1891 


Höchstens 


»i«    4*1* 


tutim 


11«:  S:ti:t:i::!5««i:::5:itt;:::!tt}!:!l:::i:::!:J5«:::::!: 


240 


Vergleich  des  Zerspringens  der  Granaten  nach  der  Anzahl  der  Sprengstücke. 


0  „Die  Wirkung  der  Feldgeschütze". 
')  „Artillerie  de  campagne".     Paris  1892. 


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Einfagen  bei  Seite  869. 


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Wirkung  des  Artillerie-  und  Gewehrfeuers. 


369 


Um  aber  die  Bedeutung  der  stattgefundenen  Veränderungen  zu  be- 
greifen, müssen  wir  die  Grundrisse  und  Trefferberge  der  Flächen,  welche 
durch  Granatschttsse  getrofl'en  werden,  veranschaulichen. 

Folgendes  Bild  zeigt  uns  die  Wii'kung  von  je  drei  Schüssen  aus    Wirkung 
8,4-Centimeter-Geschützen  auf  2000  Meter  gegen  3  Scheiben.  8,4-centi- 

meter- 
Oesehütee. 


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Wir  ersehen  schon  aus  diesem  Bilde,  wie  ungleichmässig  die  Treffer-    T"ffer- 
Verteilung  stattfindet.    Zur  besseren  Veranschaulichung  geben  wir  den 
Durchschnitt  von  2  Scheiben   1,8  Meter  hoch,  20  Meter  Abstand,  auf 
welche  von  einer  Entfernung  von  800  Metern  aus  6-Centimeter-Geschützen 
IB  Einggranat-Schüsse  abgefeuert  wurden.  •'^) 


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Auch  bei  einer  grösseren  Anzahl  von  Schüssen  bleibt  die  Verteilung 
der  Treffer  eine  ungleichmässige,  wie  das  Bild  in  der  Beilage,  welches 
die  Wirkung  von  40  Schüssen   mit  Doppelwand -Granaten    aus   neuen 


*)  Müller:    „Wirkung  der  Feldgeschütze". 

Bloch,   Der  sakfinftige  Krieg. 


24 


370  VL    Taktik  der  Artillerie. 

östeiTeichischen   8,7-Centimeter-FeldJcaEoneE  gegen  drei  1,8  Meter  hohe 
Scheiben  anf  2000  Meter  Entfenmng  veranschaulicht. 
wiikDBt  itt  Da  im  künftigen  Kriege  statt  Granaten  hauptsächlich  Shrapnels  znr 

Verwendung  kommen  werden,  so  müssen  wir  ans  ihre  Wirkung  etwas 
näher  ansehen.  Wir  haben  schon  erklärt,  dass  feindliche  Truppen 
am  ergiebigsten  durch  kleine  Sprengstücke  und  Kugeln  ausser  Gefecht 
gesetzt  werden,  welche  sich  nach  dem  Sprengen  des  Geschosses  zer- 
streuen.   Für  diesen  Zweck  sind  speziell  die  Shrapnels  bestimmt. 

Um  die  bevorstehenden  Neuernngen  benrteüen  zu  kfinnen,  muss 
man  sich  über  die  Wirkung  der  Granate  und  des  Shrapnels  klar  sein, 
wie  beide  Geschosse  zerspringen  und  mit  Sprengstücken  nnd  Kugeln 
einen  Raum  überschütten. 
^nM*'  ^'^  *°^  ^^'^  „Waffenlehre"*)   entlehnten  Zeichnungen  stellen  dar: 

oiuuien-  erstere  die  Explosion  der  Granate  nach  dem  Aufschlagen  auf  dem  Erd- 
Eijioidm.  jjjj^jgj^  yjj^  ^jg  Streuung  der  Sprengstücke,  die  zweite  den  Explosions- 
bereich der  Shrapnels. 


n  der  Granfite  und  AusHtreuung  ihrer  Splitter. 


Explocionsbereic^li  der  Shrapnels. 


Die   Granatstücke    streuen    kegelartig,   unter   einem   Winkel    von 
60  bis  90  Grad,  je  nach  der  Kraft  der  Ladung  und  der  Umdrehungs- 
geschwindigkeit der  Granate  im  Verhältnis  zu  der  Endgeschwindigkeit 
ihres  Fluges. 
^ufd"""  ^^  Streuwirkung  des  Shrapnels  macht  eine  Zeichnung  aus  dem 

siinpui-  Werke  des  Oberst  Marcillon^)  klar,  die  nachstehend  die  Streuung  von 

*)  Berlin  1891. 

')  „Modificationn  h  appoiter  h.  la  tactique  de  rartillerie." 


Wirkung  des  Artillerie-  und  Gewehrfeuera. 


Kugeln  und  Sprengteüen  der  Shrapnels,  welche  ans  einer  Entfernung  von 
2000  Metern  abgefenert  sind,  veranschanlicht. 


Trefffläche  bei  der  Shrapnel-Expli 


Wir  sehen,  dass  das  Shrapnel  sich  zerteilt,  nachdem  es  30  Meter  vom 
Sprengpunkt  durchmessen  hat;  bei  52  Meter  ist  die  Ansbreitnng  seiner 
Kugeln  uud  Sprengstiicke  noch  nicht  gross,  bei  160  Meter  ist  deren  Aus- 
breitung aber  bereit«  eine  solche,  dass  die  AVirkung  des  Shrapnels  seiner 
Bestimmung  entspriclit. 

Die  bestrichenen  BodenÜilchen  werden  bei  den  Shrapnels  mit  voUer  " 
Spreiiggarbe  als   ganz   geschlossen  angenommen  nnd  zugleich  in  acht 
einzelne  Zonen  zerlegt,  wie  Fig.  1  zeigt. 


Die  bestiichene  Flache  des  Shrapnels  mit  hohlem  Kegel  wird  etwa, 
wie  in  Fig.  2  angenommen  und  ui  sechs  Zonen  geteilt 


372 


VI.    Taktik  der  Artillerie. 


Der  „Wert  der  Gefahr"  wird  für  eine  Zielhöhe  von  1  Meter  nach 

einer  besonderen  Methode,  und  zwar  für  jede  der  oben  bezeichneten 

Zonen  besonders,  berechnet. 

Geföhrdete  ^g  Wcrtc  für  die  gesamte  gefährdete  Zone,  welche  die  Zerstömngs- 

bei  ver-    kraft  odcr   den  absoluten  Wert  des  Shrapnels  darstellen ,  werden  be- 

Ent-         iCt-llllot. 
fernnngeu. 


Für  die  Entfernung  von 

1500  m 

2500  m 

3500  m 

4500  m 

Für  die  vollen  Shrapnels 
Für  die  hohlen  Shrapnels 

3387 
1616 

1779 
953 

1147 
964 

757 
864 

Die  vollen  Shrapnels  sollen  demnach  auf  kleine  Entfernungen  den 
hohlen  enorm  überlegen  sein;  auf  etwa  4000  Meter  scheinen  beide  in 
Bezug  auf  Zahl  der  Treffer  ziemlich  gleich  zu  stehen. 

Vergleiche  der  Spuren  von  1000  Gewehrkugeln,  welche  von  Schützen 
in  Bataillonsfront  abgefeuert  sind,  mit  der  Wirkung  der  Shrapnels  haben 
gezeigt,  dass  ein  einziges  Shrapnel  einen  Raum  von  doppelter  Länge  und 
dabei  nicht  geringerer  Breite  beherrscht.  Die  Versuche  haben  weiter 
ergeben,  dass  diese  Geschosse  jetzt  eine  Streuung  von  800  Metern  Länge 
und  400  Metern  Breite  erreichen. 
streuuug»-  Auf  dcr  nachsteheudeu  Zeichnung  ist   der   Streuungskegel   eines 

shrapneiB.  Sbrapucls  dargcstcllt,  wie  solcher  1879  in  Calais  an  der  sandigen  Meeres- 
küste beim  Schiessen  aus  einem  9-Centimeter-Geschfitz  beobachtet  wurde, 
wobei  jedes  Quadrat  der  Zeichnung  100  Meter  Seitenlänge  vorstellt. 


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Streuung  eines  Shrapnels  auf  dem  Sande. 


Grundrisse  Die  Wirkuug  der  Shrapnels  wird  uns  aber  noch  klarer  werden  aus 

Streugarben,  folgcndeu  Büdem,  welche  die  Grundrisse    der  durch   die  Streugarben 


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Eänfftiran  bei  Seite  87S. 


Wirkung  des  Artillerie-  ood  Gewehrfeuers.  373 

getrofienen  und  gefährdeten  Flächen  durch  ein  einziges  8,4-Centuneter- 
ROhren-Shrapnel  (Fig.  1)  nnd  durch  ein  Bodenkammer -Shrapnel  (Fig.  2) 
darstellen. 


Die  Wirknng  von  8  Schüssen  mit  7^-Centimeter-Bodenkammer- 
Sbrapnels  anf  2000  Meter  gegen  drei  Scheiben,  Infanterieziele  darstellend, 
zeigt  nns  das  Bild  in  der  Beilage. 

Eine  natürliche  Folge  dieser  Strenni^  von   Kugeln  and   Sprenpr-  ^J^"^ 
stücken  ist  eine  verhältnismässige  Herabsetzung  ihrer  Durchschlagskraft,  ftiiigk.it  der 
in  Folge  dessen  Shrapnels   auch  nur   gegen  Tnippenkörper   zni-  Ver-  aoTgig^l 
Wendung   kommen.    In    einer    gewissen    Höhe  explodierend    und    dem-    \"J'^" 
nach  von  Terrainunebenheiten  unabhängig,  ist  das  Shrapnel  ans  grosser 
wie  kürzerer    Entfernung   gleich  wirksam,  wenn  nur   eine  genügende 
Triebkraft  der  Sprengstücke  erhalten  bleibt,  um  Leute  nnd  Pferde  so  zu 
trefien,  dass  sie  aus  der  Front  ausscheiden  müssen. 

Wir  haben  schon  betont,  dass  die  Anfangsgeschwindigkeit  der  Ge-  j^,' AnSi''. 
Schosse  gegenwärtig  die  Grundlage  für  die  Bestimmung  des  Wertes  der  gwi*.rii.dig- 
Handfeuerwaffe  abgiebt,  da  von  ihr  die  Neigung  der  Flugbahn  und  die  aJ.\om. 
Durchschlagskraft  abhängt. 

Dasselbe  gilt  auch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  von  der  Anfangs- 
geschwindigkeit der  Artillerie-Geschosse,  denn  ihre  Kraft  zu  verwunden 
hängt  hauptsächlich  von  der  Fluggeschwindigkeit  ab,  welche  das  Geschoss 
im  Moment  der  Explosion  noch  besitzt.  Es  kann  nicht  bezweifelt  werden, 
dass  die  Artillerie-Technik  ohne  Zögern  ans  dem  rauchschwachen  Pnlver 
Nutzen  ziehen  wird,  da  es  eine  3 — 4  mal  grössere  Sprengkraft  besitzt 
als  das  gewöhnliche  Pulver. 


374  VI.    Taktik  der  Artillerie. 


Bedeatung  Und  in  dcF  That  wird  zum  Forttreiben  der  Geschosse  rauchschwaches 

der  Spreng^- 

kpaft  der  Pulvcr  angewandt,  während  Granaten  und  Shrapnels  nicht  mit  Pulver^ 
^xlT  sondern  mit  Melinit  oder  Sprengbaumwolle  geladen  werden,  in  Folge 
dessen  die  Geschosse,  wie  in  Deutschland  stattgefundene  Versuche  zeigen, 
in  eine  weit  grössere  Anzahl  von  Stücken  zersprengt  werden,  so  dass 
dasselbe  Geschoss,  welches  bei  gewöhnlichem  Pulver  37  Stücke 
gab,  jetzt  deren  bis  800  giebt.  Eine  gusseiserne  Bombe  von 
37  Kilogramm  Gewicht,  die  mit  Pulver  geladen  ist,  explodiert 
in  42  Teile,  bei  der  Ladung  mit  Sprengbaumwolle  dagegen  in 
1204  Stücke.6) 

Vergleich  Pulver  Pyroxüin 

der  Spreng- 

krait 
der  Pulver-  37 


u.  Pyroxilin- 
ladung. 


42 


Bomben 


Shrapnels    MHlllmjItnlliliiilllliliitl^  I90A 


Vergleich  der  Zahl  der  Sprengstücke  bei  der  Ladung  mit  Pulver  und  mit 

Pyroxilin. 

Hierbei  fragt  es  sich  jedoch,   ob  die  Sprengpartikel  bei  einer  so 
weitgehenden  Zerstückelung  des  Geschosses  noch  die  genügende  Kraft 
entwickeln  werden,  den  Gegner  zu  verwunden? 
Notwendige  Profcssor    Lauglois   hat   berechnet,    dass    eine   Kugel   aus   einem 

Minimal- 

geachwindig- artilleristischen  Sprenggeschoss,  um  den  Soldaten  sogleich  kampfunfähig 

d.  Geechosee,  ZU  machcu,  ciuc  Miiümalgeschwindigkeit  des  Fluges  von  77  Metern  in  der 

um  Mann-  Sekuude  für  die  Bleikugel  von  15  Gramm  haben  muss,  während  für  die 

scharten  and  ^  ' 

Pferde     Stahlkugcl  vou  10,6  Gramm  (welche  dabei  die  gleiche  Grösse  hat  wie  die 
setzen.  Blcikugcl)  die  Minimalgeschwindigkeit  nicht  weniger  als  91  Meter  in  der 


zn 


Sekunde  betragen  darf.  Um  ein  Pferd  ausser  Dienst  zu  setzen,  muss 
die  Minimalgeschwindigkeit  166  resp.  175  Meter  betragen.  Es  ist  be- 
greiflich, dass  das  Anprallen  des  Geschosses  um  so  kräftiger  sein  wii-d, 
je  bedeutender  die  Triebkraft  (Wirkung  der  Ladung)  d.  h.  je  bedeutender 
die  Anfangsgeschwindigkeit  ist. 
Steigerang  ßeim  ScMesseu  selbst  von  3000 -Meter -Distanz  mit  den  jetzigen 

der  Kraft.  ''        ^ 

Geschossen,  die  eine  Anfangsgeschwindigkeit  von  ca.  640  Meter  haben, 
beträgt  die  Anschlagskraft  noch  immer  260  Meter,  so  dass  demnach  die 
von  Bomben  und  Granaten  selbst  von  mehr  als  30(X)-Meter-Distanz  aus- 
gestreuten Kugeln  noch  Menschen  und  Pferde  töten  werden.  Auch  ist 
zu  bemerken,  dass  jetzt  die  Anfangsgeschwindigkeit  der  (Geschosse 
bereits  8(X)  Meter  erreicht,  demnach  also  im  künftigen  Kriege  noch  über- 
raschendere Resultate  zu  erwarten  sein  werden.  Was  den  Flug  der 
Sprengstücke  und  Kugeln  betriflFt,   die  nach  Zerspringen  des  Geschosses 

^)  Langlois:  „Artillerie  de  ciiinpagne." 


"Wirkung  des  ArtOlerie-  und  Gewehrfeuers.  375 


ausgestreut  werden,  so  sind  sie  nicht  nor  in  der  Nähe  der  Explosionsstelle 
wirksam,  sondern  fliegen  und  treflFen  bei  der  nunmehrigen  Anfangs- 
geschwindigkeit auf  EntfeiTiungen  von  200  Metern  von  dem  Sprengpunkt 
und  darüber. 

Es  war  für  die  Beurteilung  des  zukünftigen  Krieges  von  besonderer   Materielle 
Wichtigkeit,  dass  wir  uns  die  Grösse  der  Fläche  verdeutlicht  haben,  welche  wirknngen 
von  den  Artillerie-Geschossen  bestrichen  werden  wird,  da  wir  uns  in  der  gescwr 
Folge  häufig   nicht  nur  auf  den  Unterschied  in  den  materiellen  Ver- 
wüstungen berufen  werden,  welche  die  Geschosse  künftig  im  Vergleich 
zu  früher  im  Gebiet  des  von  ihnen  beherrschten  Raumes  hervorbringen 
werden,   sondern  auch  auf  die  moralische  Wirkung,  welche  demnächst 
durch  die  Geschosswirkung  auf  die  Truppen  ausgeübt  werden  muss. 

Ausserdem  aber  kommt  noch  der  Umstand  in  Betracht,   dass  bei  st"»"«"^^- 
der  gegenwärtigen  zerstreuten  Kampfordnung  die  Wirkung  der  Geschosse 
ganz  von  ihrer  Streuung  abhängig  sein  wird.    Es  können  Lagen  vor- 
kommen, wo  beim  Angrifi  derartige  Verluste  entstehen  können,  dass  die 
Nerven  der  Stürmenden  sie  nicht  ertragen  werden. 

General  Müller  giebt  uns  folgende  Erfahrungssätze  für  die  Wirkung 
der  gebräuchlichen  Geschosse. 

Beim  Schiessen  mit  8,7-Centimeter-Granaten  gegen  eine  Kompagnie  ^||j['2^f " 
ist  die  Zahl  der  getroftenen  Mannsbreiten  nachstehende:  Auf  1150  bisaie  wijknng 
1500  Meter  sind  durch  20  Granatschüsse  ausser  Gefecht  gesetzt  im  Mittel  oxaDrten. 

Ve  Ms  Vs  der  Zahl  der  liegenden  Schützen, 

i/ö  bis  V4  V       der  knieenden  Schützen, 

%  n       der  stehenden  Schützen, 

V2  n       des  stehenden  Soutiens, 

V7  bis  Ve  n       des  stehenden  Gros. 

Auf  2400  Meter  sind  durch  28  Schüsse  ausser  Gefecht  gesetzt : 

^/7  der  Mannsbreiten  der  stehenden  Schützen, 
V?    n  n  des        „  Soutiens. 

Da  die  Trefipunkte  meist  hinter  der  Schützenlinie  lagen,  wurde  die 
Wirkung  gegen  die  Soutiens  wesentlich  gesteigert,  so  dass  auf  1100  bis 
1500  Meter  von  der  ganzen  Zahl  der  liegenden,  der  knieenden  Schützen 
und  der  Mannsbreiten  des  Soutiens  durch  20  Schüsse  etwa  »/g  ausser 
Gefecht  gesetzt  worden  sind. 

Es  lässt  sich  annehmen,  dass  bei  zweckmässiger  Feuereinteilung  die 
ganze  Schützenlinie  und  das  Soutien  auf  1100  bis  1500  Meter  durch  etwa 
40  Schüsse,  auf  2400  Meter  durch  36  bis  40  Schüsse  ausser  Gefecht  gesetzt 
worden  wären.    Diese  Zahlen,  bemerkt  General  Müller,  haben  aber  nur 


376 


VL    Taktik  der  Artillerie. 


bedingte  Gültigkeit,  denn  sie  hängen  natürlich  durchaus  von  dem  mehr 
oder  minder  genauen  Einschiessen  ab. 
Erfahnings-  \yas  die  Erfahmngssätze  für  den  Shrapnelschuss  betrifft,  so  lassen 

shnipneiB.  sich  uach  Greneral  Müller  aus  Versuchen,  die  mit  30  bis  36  Meter  langen, 
1,7  Meter  hohen,  in  je  20  Meter  Abstand  aufgestellten  Scheiben  angestellt 
wurden,  für  den  einzelnen  Schuss  folgende  Mittelzahlen  ableiten,  die  den 
Prozentsatz  der  scharf  treffenden  Sprengteüe  und  die  getroffenen  Manns- 
breiten bezeichnen: 


Wirkung 

einer 

Batterie 

gegen 

Sohfltzen- 

linien. 


Entfernung 


Meter 


1500 
2000 
2500 


Scharf  treffende 

Sprengteile  auf  der 

ersten  Scheibe 


19  0/0 

11  o/o 
6  bis  8  o/o 


Getroffene  Mannsbreiten  auf  der 

ersten  bis  dritten 
Scheibe 


ersten  Scheibe 


14  bis  18 
14  bis  18 
10  bis  14 


40  bis  48 
38  bis  44 
30  bis  36 


Auf  3000  Meter  Entfernung  und  darüber  nimmt  der  Prozentsatz  an 
matten  Treffern  stark  zu,  ein  Beweis,  dass  die  den  Sprengteüen  im 
Sprengpunkt  gegebene  höhere  Geschwindigkeit  bald  unter  das  erforder- 
liche Maass  herabsinkt. 

General  Rohne  giebt  folgende  Berechnung  der  Wirkung  einer 
Batterie  gegen  Schützenlinien,  wobei  die  Dauer  des  Einschiessens  auf 
1/2  Minute  und  die  Feuergeschwindigkeit  auf  10  Schuss  in  der  Minute 
angenommen  wurde. '^) 


Ent- 
fernung 

Zeit 

Stärke  der  beschossenen  Schützenlinie. 

80  Schützen 

120  Schützen 

160  Schützen 

Ziel 

Ge- 

Ge- 

Ge- 

Treffer 

troffene 
Figuren 

Treffer 

troffene 
Figuren 

Treffer 

troffene 
Figuren 

Meter 

Minuten 

Prosent 

Prozent 

Prozent 

800 

2V2 

45 

43 

45 

31 

1 

i       45 

24 

Brustscheibe  * 

1000 
1200 

3V> 
5V2 

59 

88 

52 
67 

59 

88 

39 
52 

59 

88 

31 
42 

■ 

1500 

7V> 

112 

75 

112 

60 

112 

50 

800 

2V2 

80 

63 

80 

49 

80 

40 

Rumpf- 

1000 

3V2 

105 

73 

105 

58 

105 

48 

Scheibe 

1200 

5V2 

154 

85 

154 

73 

1     154 

62 

■ 

1500 

7V. 

202 

92 

202 

82 

202 

1 

72 

^)  General  Rohne :   „Beurteilung  der  Wirkung  und  über  Stellung  von  Auf- 
gaben beim  gefechtsmässigen  Schiessen^  im  „Militär -Wochenblatt",  1895, 


Treffsicherheit  von  je  50°:o  deutscher  Geschütze 

mit  Schlagröhre. 
Mot™  i„  M.iT  Ziellang.  in  Mettr. 


13.2  60 


Mit  Distanzröhre. 


19.3 


Kraft  der  modernen  G-eschütze. 


377 


Diese  Zahlen  stammen  aas  den  Schiessergebnlssen  der  deutschen 
Armee.  Selbstverständlich  können  die  Resultate  bei  den  anderen  Heeren 
abweichende  sein. 

Um  die  ffi'osse  Bedeutung  der  Ausbildung  der  Artillerie-Mannschaften  Kinflusa  dor 

"  Ansbildnng 

und  der  Leitung  klar  zu  legen,  wollen  wir  noch  auf  folgende  Ergebnisse  der  Mann- 

j         -rr  1  n         1  1         .  schalten  auf 

der  Versuche  aufmerksam  machen:  dem  schuas. 


Von  100 


Granaten 


Shrapnels 


sind  beobachtet  Prozent 


richtig 

fraglich 

falsch 

richtig 

fraglich 

falsch 

62,5 

25,6 

8,9 

62,7 

31 

6,3 

69,3 

23,8 

6,9 

63,7 

31,7 

4,6 

79,3 

14 

6,7 

69 

23,7 

7,3 

65,7 

25,5 

•8,8 

55,2 

39,2 

5,2 

Von  100  vor  dem  Ziele  beobachteten 

Shrapnels  waren 

richtig 

fraglich 

falsch 

68 

26 

6 

1 

Von   100  hinter    dem   Ziele    beob- 

achteten Shrapnels  waren 

richtig 

fraglich 

falsch 

1 
1 

41 

33 

26 

3.  Kraft  der  modernen  Geschütze  im  Vergleich 

zn  den  früheren  Geschützen. 

In  den  zu  Anfang  unseres  Jahrhunderts  geführten  Kriegen  wurde     Treir- 

.  -r^  1  wabrechein- 

angenommen,  dass  ein  18  Fuss  hohes,  24  Fuss   breites  Rechteck  von  iichkeit 

1150  MeteiTi  Entfernung  (1680  Schritt)  aus  nur  von  einem  Sechstel  der  d^^j^r-* 

Kugeln  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  getroffen  werden  könnte.^)  hunderta. 

Ueber  die  thatsächlich  zu  erwartenden  Wirkungen  des  damaligen  '^g^jf^^'*' 
eine  so  hohe  Bedeutung  habenden  Kartätschschusses  macht  Schamhorst 


*)  Scharnhorst. 


378  ^'    Taktik  der  Artillerie. 


folgende  Angaben:  Wenn  man  in  einem  nicht  sehr  nnebenen  Terrain 
gegen  eine  bietteme  Wand  mit  Kartat^schen  feuert,  jede  Bachse  zn 
41  Knireln  nnd  jede  zu  soviel  Lothen.  als  die  Kanonenkugel  Pfunde  wiegt, 
m  trifft  man  mit  dem 

12-Pffinder  auf  750  Meter  \ 
6       „  „    eOO      „      [  mit  ungefähr  7  Kugeln. 

3       „  „    490     „      I 

Iliese  Kugeln  treffen  zwar  die  bretteme  Wand,  aber  bei  weitem 
nicht  die  Hälfte  dringt  durch  die  19.7  bis  26,2  Millimeter  starken  Bretter 
von  Tannen-  oder  Fichtenholz;  die  übrigen  haben  zum  Teil  nicht  soviel 
Kraft,  dass  sie  noch  eindringen,  sie  können  daher  nur  Kontusionen  ver- 
ursachen. 

£ine  Infanterielinie  ist  ungefähr  1,9  Meter  hoch,  und  6s  würden  sie 
also  bei  der  oben  erwähnten  Entfernung  nur  BV4  Kugeln  treffen. 

Dies  ist  der  Effekt  in  nicht  ganz  unebenem  Terrain;  in  sehr 
unelienem  ist  er  dagegen  noch  weit  geringer,  und  mehrere  Versuche 
haben  den  Verfasser  überzeugt,  dass,  wo  wegen  Unebenheiten  des  Terrains 
kein  Eicochettieren  der  Kugeln  stattfand,  nur  die  Hälfte  der  Kugel- 
anzahl in  die  Wand  eindrang.  Dagegen  ist  die  Wirkung  aber  auch  auf 
völlig  ebenem  und  hartem  Boden  wieder  bedeutend  grösser. 

Hierbei  ist  übrigens  nun  noch  vorausgesetzt,  dass  jedesmal  die  zu 

der  Distanz  passende  höhere  Richtung  gewählt  ist;  wird  diese  verfehlt, 

so  ist  auch  natürlich  die  Wirkung  um  Vieles  geringer. 

/leriBge  Die  thatsächliche  Wirkung  der  Hauptgeschosse  der  heutigen  Feld- 

d«r««ciio»-geschtitze,  der  Granaten  und  Shrapnels,  hat  ebenfalls  den  Streugeschoss- 

i.  Krii"u>ir.  Charakter.  Wir  werden  aber  bald  sehen,  wie  gross  die  Unterschiede  sind. 2) 

Die  im  Krimkriege  in  Gebrauch  gewesenen  glatten  Geschütze  waren 
in  ihren  Leistungen  den  zu  Anfang  des  Jahrhunderts  gebrauchten  wenig 
überlegen. 

Das  Aufgeben  der  Tiefengefechtsstellungen  hatte  den  Wert  der 
Vollkugeln  bedeutend  herabgesetzt,  die  Steigerung  der  Kartätschen  und 
Shrapnelwirkungen  blieb  aber  immer  noch  eine  unbedeutende. 

Die  schon  nach  den  Erfahrungen  des  Krimkrieges  gebauten  glatten 

Geschütze  lieferten  ebenfalls  wenig  befriedigende  Resultate. 

Wenig  bo-  Die  bei  den  Schiessübungen  der  österreichischen  Truppen  in  den 

Kasiütato  Jahren  185f)  und  1857  gegen  2,7  Meter  hohe,  36  Meter  lange,  in  Abständen 

Erfahrenden  ^^'^  ^"^»^  Mctem  aufgestellten  Scheiben  erreichten  Trefferzahlen  für  den 

t**!      ^^chiiss  mit  Shrapnels  mit  tempierbarem  Zünder  waren  folgende: 

(pebiDten  .  --  ._ 

glatten  (le- 

•chatt«.  ')  Müller:    „Die  Wirkung  der  Feldgeschütze". 


Kraft  der  modernen  Geschütze.  379 


Entfernung 

H«tM 

6-Pfnnder 

leichter 
12-Pfünder 

leichte                schwere 
Haubitze 

450  bis    600 

26  bis  30 

90  bis  100 

130  bis  150 

150  bis  160 

675    „     750 

20    „    24 

80    „     90 

80    „    100 

130    „   140 

876    „     900 

16    „    20 

50    „     70 

110    „   130 

900    „    1050 

60  bis  70 

90    „   100 

1126    „    1200 

20    .    40 

70    „     80 

In  den  sechziger  Jahren  unseres  Jahrhunderts,  betrug  die  Anzahl 
TreflFer  in  eine  6  Fuss  hohe  und  90  Fuss  breite  Bretterwand  von 
100  vSchüssen  auf  1100  Meter  (1600  Schritt)  im  Bogenschuss  bei  der 
6pfundigen  Kanone  nur  16.  Der  Rollschuss  sogar  konnte  nur  auf  nicht 
mehr  als  1360  Meter  (1800  Schritt)  abgegeben  werden.  Mit  Shrapnels  gegen 
9  Fuss  hohe  und  90  Fuss  breite  Bretterwände  konnte  man  auf  730  Meter 
(1000  Schritt)  aus  dem  Gpfündigen  Feldgeschütz  nur  16  ausser  Gefecht 
setzende  Treffer  von  einem  Schuss  erhalten.  Ueber  900  Meter  (1200  Schritt) 
waren  die  Shrapnels  des  12  pfundigen  Feldgeschfitzes  schon  zu  wenig 
ergiebig,  da  nur  28  ausser  Gefecht  setzende  Treffer  von  einem  Schuss 
erzielt  wurden. ») 

Mit  der  Einführung  der  gezogenen  Geschütze  hat  sich  aber  die  Fortschritt 

durch 

Sachlage  verändert.  Einführung 

gezogener 

Gegen  ein  Rechteck  von  30  resp.  60  Schritt  wurden  Treffer  erzielt  oeschütie. 
bei  einer  Entfernung  von  1600  Metern  (2000  Schritt)  aus  einer  schweren 
16  Centimeter-Granatkanone  —  glattes  Geschütz  13  %,  gezogenes  77  %. 
Also  die  Trefffähigkeit  .vergrösserte  sich  6  Mal.  4) 

Nach  den  Angaben  des  Generals  Müller  lieferten  also  die  Versuche 
mit  gezogenen  Feldgeschützen  bis  zum  Anfang  der  70  er  Jahre  den 
Beweis,  dass  die  Grenzen  der  Wirksamkeit  der  gezogenen  Geschütze  in 
folgendem  Maasse  erweitert  worden  waren. 

Der  an  die  Stelle  des  Kugelschusses  getretene  Granatschuss  hatte    o«»«™! 
die  Grenze  für  die  grössten  anwendbaren  Schussweiten  von  1200  Metern  die  erweiterte 
bis  gegen  3000  Meter,  die  Grenze  für  die  Gebrauchsentfernungen  von    "  Tn  *' 
1000  Metern  bis  auf  etwa  1800  bis  1900  Meter,  die  für  die  entscheidende  S'T^l*" 

'  Geechfttxe. 

Wirkung  von  600  Metern  bis  auf  etwa  1200  bis  1500  Meter  hinaus- 
geschoben. 

Der  Shrapnelschuss  hatte  wegen  des  nicht  länger  brennenden 
Zünders  etwa  2200  Meter  als  grösste  Schussweite,  1800  Meter  als  Ge- 


')  Abhandlung  über  das  Sohiessen  und  Werfen  von  Geschützen,  Berlin  1855. 
*)  Maudry:  „Waffenlehre". 


^ 


880  ^^    Taktik  der  Artillerie. 


brauchsentfernung  und  1500  Meter  als  obere  Grenze  für  die  entscheidende 
Wirkung. 

Durch  den  Granatschuss  waren  also  die  grössten  anwendbaren 
Schussweiten  etwa  2V2  Mal,  die  Gebrauchsentfemungen  beinahe  doppelt 
so  gross  geworden  als  früher. 

Der  Shrapnelschuss  hatte  seinen  Wirkungsbereich  auf  doppelte 
Entfernung  gebracht,  und  erreichte  die  früher  für  die  Entscheidung  in 
Betracht  kommende  Kartätschwirkung  auf  vier-  bis  fünffacher  Entfernung. 

Durch  den  Wegfall  der  Vollkugeln  wurde  die  zerstörende  Wirkung 
gegen  Geschütz-  und  Wagenmaterial  bedeutend  herabgedrückt.  Schon  im 
Kriege  1866  waren  die  Materiakerstörungen  sehr  unbedeutend,  und  im 
Kriege  1870/71  hatte  die  gesamte  preussische  Artillerie  (1278  Geschütze) 
nur  2  demontierte  Rohre,  14  demontierte  Lafetten  und  7  zerschossene 
Protzen;  11  Protzen  flogen  in  die  Luft. 

Der  Wert  des  Kartätschschusses  war  noch  mehr  herabgedrückt 
worden;  seine  Wirkung  reichte  nur  bis  600  Meter,  während  die  der 
Gewehre  sich  schon  auf  600  Meter  für  die  Artillerie  sehr  empfindlich 
fühlbar  machte. 

So  war  der  Verbrauch  von  Kartätschen  im  Kriege  1870/71  ver- 
schwindend klein. 

Obschon  im  Kriege  1870/71   die  damals    auf  der  Höhe  der  Zeit 
stehenden  preussischen  Geschütze  selbst  ohne  Shrapnels  Alles  und  teil- 
weise sogar  mehr  geleistet  hatten,  als  man  erwartet  hatte,  wurde  nach 
dem  Kriege  doch  noch  eine  Wirkungssteigerung  verlangt. 
Gniwiciceiaucr  Es  bcgauu  eine  neue  von  uns  schon  in  dem  Abschnitt  „Artillerie- 

dee  Geechttt»-  ^  ^ 

Wesens    Geschütze  und  -Geschosse"  dargestellte  Periode  in  der  Entwickelung  der 
seit  1870.   (jßschütz-  und  Geschosskonstruktionen. 

Um  dem  Laien  ein  konkretes  Bild  von  den  erzielten  Resultaten 
zu  geben,  seien  ein  paar  Vergleiche  angeführt. 

Wirksamkeit  Lauglois  stcllt  folgcudc  Vergleichuug   der  neuen  Feld- Granaten, 

der  heoUgen  »-»»-*« 

«nd      die    aus    90    Millimeter  -  Feldgeschützen    abgefeuert    werden,    mit    den 
^*' Frtd*"*"  Granaten    auf,   die   im   Kriege   des   Jahres   1870/71    aus    den  früheren 
gescbfitze.  schwersten  Geschützen  (120  Millimeter)  abgefeuert  wurden. 

Nehmen  wir  an,  eine  Batterie  von  90-Millimeter-Geschützen  soll 
in  eine  Wand  von  2  Meter  Höhe  eine  Bresche  von  20  Meter  Breite 
schiessen. 

Eine  Batterie  solchen  Kalibers  kann  leicht  6  gut  gerichtete  Schüsse 
in  der  Minute  abgeben;  für  die  gegebene  Aufgabe  sind  demnach 
is8/g  =  22  Minuten  erforderlich;  fügen  wir  noch  8  Minuten  für  das  Richten 


Kraft  der  modernen  Greschütze. 


381 


hinzu,  so  kann  die   Bresche  in   Vs  Stande   gelegt   sein,   wozu   gegen 
150  Schüsse  erforderlich  sein  werden. 


Oniwien  nit 

Kageln  des 

00-Millimeter- 

Kalibera 


Frflliera 
gewöhnUche  Gnoaten 

▼om 
la-Centimater-Kaliber 


Wahrscheinliche  Höhenabweichung     .    .    . 

Faktoren  der  Wahrscheinlichkeit  des  Treffens 

Wahrscheinlichkeit,  die  Wand  zu  treffen    . 

Zahl  der  Schüsse  für  die  Einschiessung  .    . 

Zahl  der  Schüsse  nach  Verbesserung  der 
Richtung 

Gewicht  der  abgefeuerten  Geschosse  (Kilo- 
gramm)   

Zahl  der  geleerten  Munitionswagen     .    .    . 

Erforderliche  Zeit  nach  Verbessserung  der 
Richtung 


1,60 
0,62 
0,30 
28 

130 

1104 
2 

23  Min. 


5,00 

0,20 

0,10 

40 

280 

3360 
6 

1  Std.  33  Min. 


Die  Betrachtung  dieser  Tabelle  —  fügt  Langlois  hinzu  —  zeigt, 
welches  Interesse  diese  Angaben  im  taktischen  Sinne  haben. 

Wenn  wir  sie  graphisch  ausdrücken,   so  erhalten  wir  folgendes  G"pfc"ciier 
Besultat: 


I 


Frühere  Geschütze. 


Heutige  Geschütze. 


Höhenab  we  ichaog. 


0.10 


m 


il 


Wahrscheinlichkeit, 
die  Wand  za  treffen. 


O^Q 


Wirksamkeit 
der  heutigen 

und 
der  früheren 
Feld- 
geschütze 
beim  Bresche- 
Bchiessen. 


6 


I 


93 


40  I 


li 


Zahl  der  Schüsse  für 
die  Einschlesaang. 


Zahl  der  Schüsse  naoh 
Terbeeeerter  Biehtnng. 


Gewicht  d.  abgefeaeri.! 
Geschosse  i.Kilo-Tans. 


Zahl  der  geleerten 
Mnnitiona  wagen. 


!NaohVerbe88.d.  Rieht 
erforderl.  Zeit  in  Min.' 


{28 


Fwmi 


u 


Ergebnisse  zur  vergleichenden  Bestimmung    der  Wirksamkeit   der  heutigen   und    der 
früheren  Feldgeschütze   zur  Legung  einer  Bresche  von  20  Meter  Breite  in  eine  Wand 

von  2  Meter  Höhe. 


382  VI.    Taktik  der  Artillerie. 


Wir  sehen,  dass  dort,  wo  früher  ein  Aufwand  von  6  Munitions- 
wagen mit  Geschossen  erforderlich  war,  jetzt  deren  2  genügen  und  dass 
für  die  einzelnen  Thätigkeiten  jetzt  nur  1/4  der  Zeit  erforderlich  ist,  die 
bei  den  1870  gebrauchten  Geschützen  nötig  war.  Die  Treffwahi-schein- 
lichkeit  für  das  Schiessen  aus  den  neuen  Geschützen  ist  0,30,  während 
sie  für  die  alten  Geschütze  0,10  betrug, 
ver-  ^fl[Q  gesagt,  ist  die  Spannung,  welche  sich  bei  Entzündung   des 

d6B  Gewicht. neuen  Pulvers  entwickelt,  dreimal  stärker  als  die  frühere.  In  der  Be- 
^ui^i"*  fürchtung,  dass  die  Wände  des  Geschützrohres  und  des  Verschlusses 
'*^»udi-^**'  ^^^*  genügend  stark  sein  werden,  hat  man  mit  Einfuhrung  des  rauch- 
Dohwachen  schwachcu  Pulvcrs  das  Gewicht  der  Ladung  bedeutend  vermindert. 

Pulvers. 

In  Frankreich  z.  B.  wendet  man  statt  1900  Gramm  des  früheren 
Pulvers,  420  Gramm  des  neuen  an.^)  Demnach  sind  augenscheinlich  das 
Artillerie-Material,  die  ganze  technische  Organisation  und  selbst  die 
Schusstafeln  unverändert  geblieben,  weil  Anfangsgeschwindigkeit  Rasanz 
und  Weite  der  Flugbahn  blieben. 

Anzeichen  sprechen  jedoch  auch  dafür,  dass  vielleicht  doch  nicht 
Alles  unverändert  geblieben  ist.    Der  Krieg  kann  leicht  Ileberraschungen 
bringen ! 
Geaerai  wiue  Der  prcussische  General  Wille  ß)  sagt  hinsichtlich  der  künftigen  Vervoll- 

fiber  die 

künftigen  kommuungen  der  Artillerie-Technik  etwa  Folgendes :  „Es  ist  die  Meinung 
kol^aogen  Verbreitet,  dass  die  Möglichkeit  eine  Anfangsgeschwindigkeit  der  Geschosse 
'"'"'tic'hnit**"  ^^^  800  und  1000  Metern  statt  der  jetzigen  von  374  bis  455  Metern  7) 
zu  erreichen  ein  rein  theoretischer  Wunsch  sei.  Unlängst  noch  konnte 
eine  solche  Meinung  als  richtig  gelten,  aber  seit  Einführung  des  rauch- 
schwachen Azotpulvers  ist  die  Möglichkeit,  diese  Geschwindigkeit  zu  erzielen, 
nicht  nur  wahrscheinlich,  sondern  sogar  unzweifelhaft,  und  dies  umsomehr, 
als  die  Herstellung  des  Azotpulvers  sich  fast  täglich  veiTollkommnet."  Es 
ist  eine  nicht  mehr  zu  bezweifelnde  Thatsache,  dass  die  Firma  Krupp 
für  Geschosse  von  108  Kilogramm  Gewicht  eine  Anfangsgeschwindigkeit 
von  700  Metern  in  der  Sekunde  garantiert,  doch  besteht  auch  die  Mög- 
lichkeit, eine  Schnelligkeit  der  Geschosse  von  800  und  von  1000  Metern 
zu  erreichen.  Sehen  wir  nun,  welchen  praktischen  Nutzen  diese  Vervoll- 
kommnung bringen  wird.  General  Wille  projektiert  die  Herstellung  von 
7-Centimer-Geschützen  und  zeigt,  dass  bei  einer  Anfangsgeschwindigkeit 
der  Geschosse  von  800  Metern  die  Treffweite  und  Wirksamkeit  des  Schiessens 


*)  Nach  anderen  Quellen  werden  anstatt  100  Gewichtseinheiten  dos  früheren 
Pulvers  —  38  des  neuen  angewandt. 

«)  „Das  Feldgeschütz  der  Zukunft."   Berlin  1891. 

^)  Ardouin-Dumaret:  „L'arm^e  et  la  flotte  de  1891  a  1892." 


f 


Kraft  der  modernen  Geschütze.  383 

die  jetzt  erreichten  Eesultate  bedeutend  übertreffen  wird.  Die  Geschosse 
solcher  neuen  Geschütze  werden  auf  Entfernungen  von  3400  bis  6000  Metern 
eine  solche  Geschwindigkeit  besitzen,  wie  sie  jetzt  bei  Entfernungen  von 
nicht  mehr  als  1000  und  3000  Metern  erreicht  wird.»)  General  Wille  be- 
rechnet, dass  die  treffbare  Fläche  sich  bei  der  Anfangsgeschwindigkeit 
von  1000  Meter  vergrössert: 

bei  der  Distanz  von  1000  Metern  um  210  % 
.      „         „  „    2000       „         „    1.330/0 

«      „         „  „    3000       „         „     890/0 

Das  Werk  des  Generals  Wüle,  dem  wii*  diese  Angaben  entlehnen,  hat  AUpmeiuer 

EiodmcK 

in  den  Kreisen  der  ausländischen  militärischen  Fachkenner  einen  tiefen  der  Aaa- 
Eindruck  hervorgerufen  und  Anstoss  zu  einem  Meinungsaustausch  gegeben,  'wuu^a!" 
wie  er  über  einen  militärischen,  speziell  artilleristischen  Gegenstand  kaum 
seines  gleichen  hat.  Das  Interesse  für  diesen  so  hochwichtigen  Gegen- 
stand ist  weit  über  die  Fachkreise  hinausgedrungen.  Die  Vergangenheit 
des  Generals,  seine  hohe  Stellung,  seine  grosse  Autorität  als  Militär- 
schriftsteller berechtigen  zu  der  Annahme,  dass  seine  Voraussetzungen 
schwerwiegende  Gründe  haben. »)  Dann  aber  hat  man  zu  fürchten, 
dass,  sobald  eine  Grossmacht  sich  zu  weitgehenden  Veränderungen 
in  ihrer  Artillerie  -  Bewaffnung  entschliesst,  die  anderen  Staaten  ihr 
wohl  oder  übel  werden  folgen  müssen,  was  wiederum  zu  einem  gewaltigen 
Anwachsen  der  Ausgaben  für  Eüstungszwecke  führen  und  eine  fieber- 
hafte Thätigkeit  der  Erfinder  auf  dem  Gebiet  neuer  Vervollkommnungen 
hervorrufen  wird. 

Schon  jetzt  erklären  manche  Militärschrif tsteller,  lo)  dass  der  einzige 
Grund  für  die  Unentschlossenheit  bezüglich  der  ümbewaffnung  der 
Artillerie  nicht  die  Furcht  vor  einmaligen  ausserordentlichen  Ausgaben 
ist,  sondern  die  Sorge,  dass  die  Nachbarstaaten  unverzüglich  nachfolgen, 
vielleicht  sogar  noch  weitergehende  Vervollkommnungen  einführen  werden. 
Diese  Befürchtung  führt  dazu,  dass  alle  bezüglichen  Veränderungen  streng 
geheim  gehalten  werden. 

Früher  oder  später  jedoch  wird  es  glücken,  den  Vorhang  zu  lüften  ^""®^®" 
und  alsdann  wird  der  Wetteifer  von  Neuem  beginnen.  Gleichwie  man  Bevorstehen 
aus  einzelnen  Erscheinungen  eine  bevorstehende  Umwälzung  im  Organismus   'miwer** 

bisherigen 
Teohnik. 


^)  Die  russischen  Batteriegeschütze  geben  eine  Anfangsgeschwindigkeit  von 
374  Metern,  die  leichten  von  442  Metern,  die  der  reitenden  Artillerie  von  412  Metern. 

®)  Wir  bemerken,  dass  Professor  Potozki  den  Ansichten  Wille's  zustimmt 
und  erklärt,  dass  die  Anfangsgeschwindigkeit  des  Greschosses  bis  auf  1000  Meter 
gebracht,  d.  h.  die  jetzige  fast  verdoppelt  werden  kann. 

***)  Capitain  Moch:  „Notes  sur  le  canon  de  campagne  de  Tavenir."  Paris  1892. 


384  VL    Taktik  der  ÄrtiUerie. 

vorhersehen  kann,  so  lässt  sich  aach  aas  manchen  Anzeichen  aaf  das  nahe 
Bevorstehen  eines  Braches  mit  der  bisherigen  Technik  schliessen. 

In  Deutschland  eröffnet  der  Reichstag  immer  grössere  Kredite  fUr 
die  Umbewaffnung  der  Artillerie;  ausserdem  werden  noch  BeiUrchtungen 
laut,  dass  die  Regierung  ffir  diesen  Zweck  auch  andere  ihr  zur  Verltlgang 
stehende  Mittel  verwendet.  Femer  verlautet  aus  der  Fachpresse,  dass  in 
Deutschland  für  die  neuen  Kmpp-Oeschütze  Roburit-Ladungen  eingeführt 
werden. 

Endlich  haben  wir  schon  wiederholt  daran  erinnert,  dass  die  mensch- 
liche Erfindungskraft  unbegrenzt  ist.") 

Von  der  weiteren  Anwendung  der  Kraft  des  rauchschwachen 
Pulvers  lässt  sich  vielleicht  schon  in  naher  Zeit  ein  Resultat  er- 
warten, wonach  alle  Mächte  genötigt  sein  weiden,  ihren  so  kostspieligen 


Krapp-  ")  Als  weiterea  Beweis  wollen  wir  folgendes  aafiihreii:  Auf  der  Auastellung 

In  chiago  ^'*  Chicago  befand  sich  ein  Erupp-Ge3chüta,  dessen  Geschosse,  wie  die  von 
Krupp  herausgegebene  Broschüre  erklärt,  Zielobjekte  auf  20  Kilometer  Diatanz 
zu  treffen  vermögen.  Dieses  Geschütz  wiegt  3844  Kilogramm  und  hat  einen 
Durchmesser  von  ca.  35  Centimeter.  Zur  Ladung  mit  dem  237  Kilogramm 
w^iegenden  Geschoss  kommen  126'/i  Kilogramm  Pulver  in  Anwendung.  („Uevue 
Encyclopödique".  1893.) 
Krapp-  Die  Krupp'sche  Fabrik   stellt  femer    gigantische   Kanonen    zum   Schutz 

"^^^^^'der  Elbe-Forts  her,  Ihre  Länge  beträgt  14  Meter,  das  Gewicht  einer  jeden 
112400  Kilogramm.  Das  Gewicht  des  Geschosses  ist  1000  Kilogramm,  der 
Ladung  410  Kilogramm;  die  grösste  Treffweite  beträgt  SSÖO  Meter  bei  einer 
Anfangsgeschwindigkeit  von  600  Metern.  Auf  1000  Meter  Distanz  durchschlägt 
die  Granate  eine  Fanzerplatte  von  100  Centimetem.  Dieselbe  Fabrik  stellt  auch 
24-Ceiitimeter- Geschütze  her,  dadurch  bemerkenswert,  dass  sie  auf  dem  Meppen- 
schon  Schiessplatze  die  Mas  im  altreff  weite  von  20  000  Met«m  ergeben  haben.  Das 
Schiessen  ging  mit  Granaten  von  215  Kilogramm  Gewicht  bei  einer  Lodung  von 
llö  Kilogramm  vor  sich.  Bei  dem  Uöhenwinkel  von  40'^  war  der  hiichste  Punbt 
der  Flugbahn  des  Geschosses  von  der  Erde  6540  Meter  entfernt.  („L'Echo  de 
rArm6e.) 

Wir  wollen  die  Abbildung  geben.     (Monthay:  „Krupp  k  l'Exposition   do 
Chicago"  1894.) 


Krafb  der  modernen  Geschütze.  385 


Artillerie-Apparat  durch  einen  neuen  zu  ersetzen,  der  an  Treffweite, 
Fluggeschwindigkeit  der  Geschosse  und  Treffisicherheit  den  früheren  weit 
hinter  sich  lässt. 

In  dieser  Hinsicht  scheint  der  Anfang  schon  gemacht  zu  sein,  ^J^^*??^' 
worauf  folgende  Vorgänge  hindeuten.  Auf  Befehl  des  Generals  Varnet,  verrou- 
Kommandeurs  des  17.  französischen  Armeekorps,  hat  Oberst  Marcillon  FrankJdch!" 
den  Offizieren  der  Garnisonen  von  Montauban  und  Toulouse  Vorträge 
gehalten.  Der  offenbar  mit  allen  Geheimnissen  der  Artillerie-Technik  in 
Frankreich  vertraute  Oberst  sagte:  „In  dem  Augenblick,  wo  es  sich 
zeigen  wird,  dass  unsere  Geschütze  eine  geringere  Treffweite 
haben,  als  irgendwelche  andere,  können  wir  ohne  jede  Schwierigkeit 
die  Treffweite  der  Schüsse  erhöhen,  ohne  die  Geschütze  oder  Geschosse 
zu  verändern."  Marcillon  sieht  dabei  nicht  nur  die  Möglichkeit  der  Ver- 
vollkommnung voraus,  sondern  ist  davon  vöDig  überzeugt.  Er  sagt 
direkt:  „on  ne  serait  pas  embarrasse"  u.  s.  w.  Weiter  folgen  in  der 
gedruckten  Darlegung  Punkte  zur  Bezeichnung  der  hier  ausgefallenen 
mündlichen  Erläuterungen  des  Obersten,  welche  als  Kriegsgeheimnis  von 
der  Veröffentlichung  ausgeschlossen  werden  müssen.  In  anderen  Werken 
über  diese  Frage  finden  sich  ähnliche  Hinweise.^^)  Was  aber  noch 
wichtiger  ist,  die  Debatten  der  französischen  Deputiertenkammer  über  das 
Marinebudget  im  Jahre  1892  haben  gezeigt,  dass  Frankreich  bereits  zu 
einer  Umarbeitung  der  Geschütze  geschritten  ist  und  dass  die  bei  der  be- 
treffenden Prüfung  erhaltenen  Resultate  sehr  befriedigend  ausgefallen  sind. 

Nichtsdestoweniger  werden,  wie  aus  denselben  Debatten  hervorgeht, 
zur  vollen  Ausnutzung  der  Kraft  des  rauchschwachen  Pulvers  neue 
Schnellfeuergeschütze  des  Typus  1891  hergestellt,  die  je  nach  ihrer  Fertig- 
stellung die  umgearbeiteten  Geschütze  ersetzen  sollen. 

So  stehen  wir  zweien  Thatsachen  gegenüber:  die  Geschütze  werden 
vervollkommnet,  wobei  eine  doppelt  so  grosse  Anfangsgeschwindigkeit 
gewonnen  wird  als  früher,  und  zugleich  damit  werden  neue,  noch  voll- 
kommenere Geschütze  in  Arbeit  genommen. 

Aber  wenn  man  auch  nicht  die  neuen,  noch  nicht  eingeführten  Ver-  Wichtigkeit 
vollkommnungen  in  Betracht  zieht,  sondern  nur  diejenigen,  welche  bereits  bisherigen 
praktische  Anwendung  gefunden  haben,  so  lässt  sich  doch  schon  sagen,   oeschü^ 
dass  die  Wirkung  der  Artillerie  im  künftigen  Kriege  eine  ganz  andere ''®'^^^*^*'^°" 
sein  wird,  als  in  den  letzten  Kriegen. 

Die  Gesamtheit  der  kleinen  partiellen  Vervollkommnungen,  die  im 
Einzelnen  vielleicht  kaum  bemerkbar  sind,  hat  etwas  ganz  Neues  ge- 

")  „Artillerie  moderne". 

Bloch,  Der  zakttnftige  Krieg.  25 


386  VI.    Taktik  der  ArfciUerie. 

schaffen.  Die  Geschütze  entsprechen  hente  ihrer  Aufgabe  weit  mehr. 
Sie  werden  einer  aus  den  früheren  Kiiegen  bekannten  Kanone  ebensoviel 
oder  ebensowenig  gleichen,  wie  ein  gut  gehaltenes  und  fein  dressiertes 
Pferd  einem  kaum  zugerittenen. 

Wir  haben  es  bei  unserem  Vergleich  wohl  mit  einem  und  demselben 
Thiere  zu  thun,  aber  das  geschulte  Pferd  ist  fiir  den  Reiter  weit  be- 
quemer und  wird  wegen  seiner  durcli  Uebung  gewonnenen  Lenksamkeit 
weit  mehr  leisten  können. 

^dSf  6to*^'  Professor  Langlois  berechnet  die  Steigerung  der  Kraft  des  Artillerie- 

nmg  der   feuers  Seit  dem  Kriege  1870  auf  Grund  praktischer  Erfahrungen  folgender- 

Artiuerie-  maasscu:  die  heutigen  Geschütze  werden  den  Feind  auf  offenem  Felde 

»elrisTo    ^^^  *^^  gleichen  Anzahl  abgefeuerter  Geschosse  Bmal  mehr  treffen  als  im 

Jahre  1870. 

Da  aber  die  jetzigen  Geschütze  in  einer  gewissen  Zeit  2V2-  ^^^ 
3  mal  mehr  Geschosse  abfeuern  können  als  die  früheren,  so  folgt  daraus, 
dass  sich  die  Kraft  des  Artilleriefeuers  seit  1870  um  das  Zwölf-  bis 
Fünfzehnfache  gesteigert  hat. 

Graphisch  ausgedrückt  geben  diese  Ziffern  folgendes  Bild: 

Kraft  des 


Oescliossee. 


•••«•••»•«••*••••••»••••••••••••••••«•••••••••••'•»•'•••••••••••••■••■■ 


500% 


SohneUigkeit    |iri]iiiiininiiimiimiimiiiiiii4H  07c o/ 
des  Sclüeauiu.  imitllllllllllllTmillllinilMlHm  ^'»  Aj 


Prozent  der  Wirkung  der  heutigen  Feldgeschütze  bei  Ansetzung  der  Wirkung 

der  Geschütze  von  1870  —  100  (nach  Langloi»). 

um  die  Bedeutung  des  neuen  gegebenen  Faktors  voll  zu  würdigen, 
muss  man  noch  folgende  seit  dem  Kriege  1870  eingetretenen  Aenderungen 
in  Erwägung  ziehen. 

AnzftU  der  Jetzt  ist  jede  Batterie  in  Deutschland  mit  9,  in  Frankreich  mit  9, 

Manition»- 

wagen     lu  Eusslaud  mit  12  Munitionswagen  versehen.    In  Folge  dessen  kann  die 

e^le^Mn  doutsche   Batterie   in   einer   Schlacht  8(50  Schüsse   abgeben,    die  fran- 

Batterien.  zöslsche  852,  die  russische  900.    Aber  auch  diese  Anzahl   der  Schüsse 

gilt  für  noch  nicht  genügend,   und  die  deutsche  Armee  hält  es  für  ilire 

Aufgabe,  den  Batterie-Munitionsbedarf  bis  auf  1290  zu  erhöhen,  i^) 

Wird  die  Anlässlich  dessen  kann  wohl  gefragt  werden :  wird  die  Nervenki'aft 

Nerrenkralt 

ausreichen?  der  heutigeu  Masseuheere  ausreichen,  um  gegen  einen  mit  so  furchtbaren 
Geschützen  ausgeiüsteten  Feind  vorzugehen? 


")  „Militärische  Jahresberichte  für  1891."    S.  376. 


Kraft  der  modernen  Geschütze.  387 


Es  ist  sehr  schwierig,  eine  kategorische  Antwort;  auf  diese  Frage 
zu  geben,  da  keine  Erfahrungen  vorliegen,  und  man  Schlüsse  nur  aus 
Friedensübungen  ziehen  kann. 

Was  das  Geschütz  aber  als  Maschine  in  der  Hand  des  Menschen 
im  Gefechte  leistet,  wird  immer  sehr  verschieden  sein  von  den  Leistungen 
bei  einem  unter  normalen  Verhältnissen  durchgeführten  Versuche  und 
auch  von  den  Erfolgen  eines  blos  ungefährlichen  üebungsschiessens.  Die 
Fertigkeit  des  Menschen  in  der  Bedienung  der  Geschütze,  in  der  Beob- 
achtung der  Schüsse  und  in  der  Handhabung  des  ganzen  Schiessverfahrens 
kann  auf  dem  Schlachtfelde  eine  ganz  andere  werden.  Unbestreitbar 
erscheinen  folgende  Faktoren: 

Die  Feldgeschütze  können  ihre  vernichtende  Wirkung,  ohne  die  noch  schusswoite 

der  Feld- 
erwarteten Verbesserungen  zu  berücksichtigen,  bei  der  Ladung  mit  rauch-  geachütie, 

schwachem  Pulver  nach  Meinung  vieler  Fachmänner  auf  eine  Entfernung 

von  bis  zu  7000  Metern  ausüben. 

Die  Schussweite  kann  übrigens  nur  dann  auf  wirklichen  Wert 
Anspruch  machen,  wenn  dabei  die  anderen  Schiessbedingungen:  Schnellig- 
keit, Treffsicherheit  und  Stärke  des  Schusses  keine  Veränderung  erfahren. 
Die  Artillerie  hat  bekanntlich  auch  in  dieser  Hinsicht  seit  dem  Kriege  1870 
eine  grosse  Vervollkommnung  erzielt. 

Die  Feuergeschwindigkeit  der  Artillerie  vnri  im  zukünftigen  Kriege  ^euei- 
sehr  bedeutend  werden.  Nach  dem  neuesten  russischen  Artillerieerlass  keit. 
können  4  bis  5  Schuss  in  der  Minute  abgegeben  werden,  wenn  man 
sich  in  der  gewöhnlichen  Weise  auf  Entfernungen  unter  3000  Metern 
einschiesst;  über  3000  Meter  werden  3  Schuss  angenommen.  Bei  dem 
abgekürzten  Einschiess verfahren,  wie  es  in  der  Schiessvorschi'ift  an- 
gegeben ist,  gegen  ein  weniger  als  150  Meter  entferntes  Ziel  kann  die 
Feuergesch\vindigkeit  einzelner  Batterien  bis  auf  6  Schuss  gesteigert 
werden.  Nachdem  man  eingeschossen  ist,  soll  die  Batterie  von  8  Ge- 
schützen 8  bis  12  Schuss,  die  Batterie  von  6  Geschützen  6  bis  9  Schuss 
in  der  Minute  abgeben;  diese  Feuergeschwindigkeit  darf  aber  nicht 
länger  als  5  Minuten  andauern,  da  sonst  ein  Munitionsmangel  eintreten 
könnte. 

Um  einen  Begriff  von  den   Fortschritten  zu  geben,  die  in  Bezug  J'^«^««*^^*«»« 

mit  Krupp- 

auf   Leistungsfähigkeit    der    Geschütze    gemacht   worden    sind,   folgen    Kanonen, 
auf  den  nächsten  Seiten  in  Fig.  I.  bis  V.  einige  Abbildungen  von  Probe- 
schüssen   mit    Krupp'schen    Kanonen,    welche    in    Meppen    abgegeben 
worden  sind. 

Fig.  I.  zeigt  uns  das  Treffergebnis  von  17  Schüssen,  abgegeben  aus 
einer  leichten  7,5-Centimeter-Gebirgskanone  auf  1000  Meter  Entfernung. 

25* 


388 


VL    Taktik  der  Artillerie. 


Fig.I. 


Treff- 

ergebniflse 

der  Ittiditen 

7,6-Centiin.- 

Gebiigs- 
kanone  anf 
1000  Meter. 


cm  cm 

250  225  200  175  150  125  100  75   50  26   0   25  50   76  100  125  150  175  200  225  250 


225 

200 

175 

150 

125 

100 

75 

50 

25 

0 

25 

50 

75 


225 

200 

175 

150 

125 

100 

76 

50 

25 

0 

26 

50 

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100 

125 

150 

175 

200 

226 

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100 
125 
150 
175 
200 
225 


260  225  200  175  150  125  100  75  60  25   0   26  60  75  100  126  160  175  200  225  260 
em  tm 

Treffergebnis  von  17  Schüssen  einer  T^Centimeter-Gebirgskanone.    (10.  Mai  1884.) 
Zahl  der  schon  abgefeuerten  Schüsse:  202.  —  Entfernung:   1000  Meter. 


Wir  ersehen,  dass  die  Abweichungen  vom  Mittelpunkt  des  Zieles 
in  der  Höhe  einen  Meter  und  in  der  Seitenabweichung  1,76  Meter  nicht 
übersteigen. 

Fig.  n.  zeigt  uns  das  Treffbüd  von  10  Probeschüssen  aus  einer 
Krupp'schen  7,6-Centimeter-Schnellfeuerkanone,  abgegeben  in  einer  halben 
Minute  auf  1000  Meter  Entfernung. 

Bemerkenswert  ist  der  Umstand,  dass  bei  2000  Meter  Entfernung 
beim  gezielten  Feuer  die  Abweichung  in  der  Höhe  nur  60  Centimeter,  in 
der  Breite  36  Centimeter  beträgt. 

Die  Hälfte  der  Schüsse  befindet  sich  in  einer  Fläche  von  102  Centi- 
meter Höhe  und  60  Centimeter  Breite. 

Ein  derartiges  Resultat  zeigt  uns  Fig.  HI. 


f 


Kraft  der  modernen  Geschütze. 


389 


Fig.n. 


9n  OIB 

260  2S5  200  175  160  125  100  76  60  85   0   26  60  76  100  126  160  176  900  226  2S0 


226 

200 

175 

160 

126 

100 

76 

60 

26 

0 

26 

60 

76 

100 

126 

160 

176 

200 

226 


1 

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226 

200 

176 

160 

126 

100 

76 

60 

26 

0 

25 

60 

7» 

100 

126 

160 

176 

200 

225 


260  226  200  175  160  125  100  76  60  26   0   26  60  76  100  125  160  176  200  226  260 


Treff- 
ergebnisse 

der 

7,6-C6ntiiD.- 

Scbnellfaner- 

kftnone  saf 

1000  Meter. 


du 


TrefFergebnis  von  10  Schüssen  einer  7,5-Centimeter-Sohnellfexierkanone.    (1889.) 

Entfernung:   1000  Meter. 


Femer  geben  wir  in  Fig.  TV,  das  Ergebnis  von  20  Schüssen  (Spreng- 
granaten von  16  Kilogramm),  welche  anf  1000  Meter  Entfernung  von  einer 
10,B-Centimeter-Kanone  abgegeben  wurden. 

Die  Höhenabweichung  betrug  28,6  Centimeter,  die  Seitenabweichung 
26,25  Centimeter.  60  %  Treffer  häuften  sich  in  einem  Ziele  von  48,2  Centi- 
meter Höhe  und  42,7  Centimeter  Breite. 

Fig.  V.  endlich  zeigt  uns  das  Resultat  von  10  Schüssen  (eben- 
falls Sprenggranaten  von  16  Kilogramm)  aus  demselben  10,6-Centimeter- 
Geschütz,  nachdem  schon  1800  Schüsse  abgegeben  waren. 

Die  Höhenabweichung  betrug  hierbei  23,6  Centimeter,  die  Seiten- 
abweichung 29,8  Centimeter.  50%  Treffer  häuften  sich  in  einem  Ziele 
von  39,9  Centimetem  Höhe  und  60,4  Centimetern  Breite. 


390 


VI.    Taktik  der  ArtiUerie. 


Fig.  in. 


Treff- 
ergebniMe 

der 
8,7-Centiin,- 
Kanone  saf 
2000  Meter. 


cm  cm 

260  226  200  176  160  126  100  76  60  26   0   26  60  76  100  125  160  176  200  226  260 


226 


226 

200 

176 

160 

126 

100 

76 

60 

26 

0 

26 

60 

76 

100 

125 

160 

176 

200 

225 







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1 









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1    1 



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M# 

aoH 

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200 

176 

160 

126 

100 

76 

60 

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0 

26 

60 

76 

100 

126 

150 

176 

200 

226 


260  226  200  175  150  125  100  76  50  25   0   26  50   75  100  125  160  175  200  225  250 
cm  dB 

Treffergebnis  von  5  Schüssen  eines  8,7 -Centimeter- Geschützes.    (1891.) 
Zahl  der  schon  abgefeuerten  Schüsse:  31.  —  Entfernung:  2000  Met-er. 


Notwendig- 
keit 
der  Fähigkeit 

and  Kalt- 

blfltigkeitdes 

richtenden 

Mannes  zar 

Erreichung 

günstiger 

Schiess- 

resnltato. 


Es  ist  selbstvei:ständlich,  dass  schon  auf  Uebimgsplätzen  die  er- 
zielten Resultate  keine  so  günstigen  sein  können,  noch  weniger  aber 
im  Gefecht.  Die  Befilhigung  und  das  kalte  Blut  des  richtenden  Mannes 
werden  eine  bedeutende  Rolle  spielen. 

Die  bei  den  kriegsmässigen  Schiessübungen  der  preussischen  Artillerie 
bis  zu  Anfang  der  achtziger  Jahre  vorgekommenen  Streuungen  sind  nach 
Rohne's  Angaben  im  Durchschnitt  doppelt  so  gross,  wie  die  in  den 
Schusstafeln  angegebenen.  Es  stellte  sich  danach  für  die  Granaten  beim 
schweren  Feldgeschütze  für  eine  Entfernung  von  1000  bis  2500  Meter 
die  Treff fähigkeit  im  Mittel  wie  folgt,  i^) 


")  Das  schwere  Felclgeschiitz  existiert  in  der  deutschen  Fei  dar  tiller  ie 
nicht  mehr. 


Kraft  der  modernen  Greschütze. 


391 


Fig.  rv. 


em  cm 

2&0  S26  200  176  150  126  100  76   60  26   0   26  60   76  100  126  160  176  200  226  260. 


226 

300 

176 

160 

125 

100 

76 

50 

25 

0 

25 

60 

76 

100 

126 

150 

176 

900 

S26 


— 



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226 

200 

175 

150 

126 

100 

78 

50 

26 

0 

26 

60 

76 

100 

125 
160 
176 
200 
226 


em 


260  226  200  176  160  126  100  76  50   26   0   96  60   75  100  125  160  176  200  926  260 

Treffergebnia  von  20  Schüssen  einer  lO^-Centimeter-Kanone,    (1880.) 

Entfei-nung:   1000  Meter. 


Treff- 

ergebnisae 

der 

10,6-Ceiitim.- 

Kanone  anf 

1000  Hdter. 


Es  wurden  erreicht  bei 

richtiger  Flugbahnlage 30,6  Prozent  Treffer 

V2  Sechzehntel  Grad  falscher  Lage 23,2       ,.  „ 

Selbst  unter  normalen  Verhältnissen  und  bei  ausgesuchten  Richt- 
kanonieren zeigen  sich  grosse  Unterschiede  in  den  Eichtfehlem.  Es  ist 
nachgewiesen,  dass  bei  denselben  Zielverhältnissen  einzelne  Richtkanoniere 
in  allen  (also  in  100  Prozent)  Fällen,  andere  in  nur  55,  66  oder  80  Prozent 
aller  Fälle  Treffbilder  erzielten,  die  den  Anforderungen  der  Schnsstafel 
genügten,  i^) 

")  Müller:    „Wirkung  der  Feldgeschütze". 


392 


YL    Taktik  der  Artillerie. 


Figy. 


Ur 
lO^-CaatSm^ 
Kbboo«  asf 
SOOO  ]f«tor 
sack  beraitf 
ftbfefMwrUm 
1800  SflkA«. 


SM   SS6   200   176   160    126   100    76     60     26      0      26     80     76    100    126   160   176   200    226    260 


226 

AAA 

—  — 

1 

1 

1 

1 

j  . 

1 

1 

1 

1 

300 

1    1 

1 

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176 

4SA 

160 

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100 

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lOO 

170 
200 
226 

Die  KaDone  halt 

e  schon 

18C 

K)  Scha 

SS  abgefeuert. 

— 

— 

-  — 

— 

200 

176 

160 

126 

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76 

60 

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26 

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76 

100 

126 

160 

175 

200 

226 


260   226   200   176   160   126   100    76     60     26      0      25     60     76    100   125   160   175   200   226   260 
en  em 

Treffergebniß  von  20  Schüssen  einer  lO^Centimeter-Eanone.    (9.  August  1890.) 

Entfernung:  2000  Meter. 


Die  Treflfresültate  eines  Probeschiessens  können  also  nicht  den 
Verhältnissen  des  Krieges  entsprechen,  sie  sind  als  Maximalleistungen 
anzusehen. 

Höhen-  Das  russische  Artilleriejoumal  von  1889  nimmt  die  Streuung  für 

itrenancf  der     ,  , 

Geschfltie  eiuc  Batterie  doppelt  so  gross  an  als  wie  die  für  ein  Geschütz. 

ond  krieg.-  Geucral  Müller  stellt  eine  Berechnung  der  Unterschiede  im  Schiessen 

s°chie«el  »^^^»  **e  "^  a«f  der  folgenden  Seite  geben. 

Wenn  wir  die  Tabelle  ansehen,  so  müssen  wir  doch  anerkennen, 
dass  mit  der  Vergangenheit  kein  Vergleich  gezogen  werden  kann.  Die 
Trefffähigkeit  ungeachtet  der  Unterschiede  zwischen  friedens-  und  kriegs- 
mässigem  Schiessen  muss  bei  den  heutigen  Geschossen  vernichtende  Re- 
sultate liefern. 


Kraft  der  modernen  Oeschütze. 


393 


Wir  müssen  noch  im  Ange  behalten,  dass,  je  grösser  die  Menge    Hnao« 

der  Fener- 

der  geschleuderten  Munition  in  gewissen  Kampfeslagen  sein  wird,  desto  seimeiii^keit 
fui'chtbarer  die  Wirkung  werden  kann.    Die  Versuche   haben   gezeigt,  "richeAeil 
dass  bei  den  modernen  Greschützen  der  Einfluss  der  grösseren  Schnellig- 
keit des  Feuers  auf  die  Treffsicherheit  nur  unbedeutend  ist. 


Schweres  Feldgeschütz  C/73 

Krupp'sches  8,4  Centüneter- 
Geschütz 

Differenz 

Differenz  in  Prozenten  der 
Streuung  des  8,4  -  Centi- 
meter-Geschützes      .    .    . 


Mittlere  Höhenstreuung  auf  1000  Meter 


des 

einzelnen 

Geschützes 

Centiineter 


des 
Geschütz- 
Systems 

Centiineier 


bei  Fehlem 

d.  Bedienung 

von  halber 

Grösse 

C«atimeter 


70 

42 

38 


90 


99 

60 
39 


65 


129 

102 
27 


26 


bei  kriegs- 
mässigem 
Schiessen 

C«iktim«ter 


194 

177 
17 


10 


Zu  Ende  der  60  er  Jahre  fanden  zur  Entscheidung  der  Frage  des    . 
Einflusses  der  Feuerschnelligkeit  bei  der  Artillerie-Schiessschule  Versuche 
statt,  wobei  je  drei  9-Centimeter-Batterien  mit  Granaten  C/64  auf  900  Meter 
im  gezielten  und  im  Schnellfeuer  gegen  drei  Scheibenwände  feuerten. 
Nach  Witte  („Artillerielehre"  1872,  Seite  130)  war  das  Ergebnis  folgendes: 

Gezieltes  Feuer:  135  Schüsse  =  4830  Sprengstücke  gaben  35 %  Treffer, 

Schnellfeuer:         109  Schüsse  =  3012  Sprengstücke  gaben  28%  Treffer. 

Verhältnis  an  Treffern  aller  Sprengstücke  also  =  5:4. 

Gegenwärtig  giebt  die  Krupp'sche  Fabrik   über  den  Einfluss  des  8«J»MDf»»»« 

und 

Schnellfeuers  auf  die  Streuungen  der  Einzelgeschosse  für  das  6-Centimeter-  streuang. 
Geschütz  folgende  Zahlen  an. 

Der  Baum  für  50%  Treffer  beträgt  bei  1000  Meter  Entfernung: 

Höhe  Breite 

Centimeter  Centimeter 

Gewöhnliches  Feuer    ....      67  &3 

Schnellfeuer 104  70 

T  /Rft      /  Gewöhnliches  Feuer    ....      67  72 

'         l  Schnellfeuer 88  70 


6-Centimeter- 
Eanone 


L/30      {l 


Diese   Unterschiede    nach    Höhe    und  Breite  erscheinen  also  un- 
bedeutender als  in  der  Vergangenheit. 


' 


394  ^*    Taktik  der  Artillerie. 


Der  Einflass  der  VerTollkommnangen  der  Geschütze 

auf  die  Artillerietaktik. 

Aiiftngiiciie  Qemz    sichere    Angaben    über    Gteschtitzverwendung    finden    wir 

liegen  den  schon  im  Anfange  des  14.  Jahrhunderts,  aber  die  ritterlichen  Vorurteile, 
Arunirie.*' welche  bis  zum  16.  Jahrhundert  den  Adel  vom  Kriegsdienste  zu  Fuss 
fern  hielten  und  so  die  Entwickelung  der  Infanterie  erschwerten,  haben 
ihren  Einfluss  noch  bei  weitem  nachhaltiger  zu  Ungunsten  des  Artillerie- 
dienstes geltend  gemacht.    Ein  echter  Edelmann,  der  seiner  Würde  damit 
schon  viel  zu  vergeben  glaubte,  wenn  er  vom  Pferde  stieg  und  sich  unter 
die  Gemeinen,  welche  die  Infanterie  bildeten,  mischte,  konnte  sich  nicht 
soweit  erniedrigen,  Dienste  zu  thun,  deren  Ausführung  nicht  nur  Kennt- 
nisse, sondern  sogar  Handfertigkeit  in  mechanischen  Künsten  erforderte. 
Die   Fortschritte    der   Artillerie   sind   immer   eng  mit  denen  der 
Infanterie,  zu  welcher  sie  gerechnet  und  als  eine  Spezialität,  als  welche 
sie  angesehen  wurde,  verbunden  gewesen. 
DieArtuiirie  ßig  ^um  XVI.  Jalu'hundert  waren  die  Artilleristen    zünftig;    sie 

DM  sam 

ivi.  jalir-  lernten  den  Gebrauch  des  Geschützes,  die  Verfertigung  der  Kunstfeuer 
nLäwu^^  ü-  s.  w.  als  ein  Handwerk,  über  das  sie  auch  von  ihrem  Meister  einen 
Lehrbrief  erhielten.  Mit  diesem  versehen,  wanderten  sie  dahin,  wo  eben 
Krieg  war  und  nahmen  dort  Dienste,  wo  man  sie  am  besten  bezahlte. 
Sie  wurden  als  Offiziere  betrachtet  und  standen  nur  allein  unter 
dem  Zeugmeister.  Am  angesehensten  waren  die,  welche  mit  Mörseni 
und  Kunstfeuem  umzugehen  wussten;  sie  Messen  Feuerwerker  und 
bekamen  vierfachen  Sold.  Fast  gleichen  Rang  mit  ihnen  hatten  bei 
gleichem  Solde  die  Büchsenmacher,  welche  die  schweren  Belagerungs- 
stücke bedienten,  während  die  Feldschützen,  die  bloss  aus  Feldschlangen 
und  kleinem  Geschütz  schössen,  nur  doppelten  Sold  erhielten.  Karl  V. 
scheint  der  Erste  gewesen  zu  sein,  der  die  Artilleristen  in  ordentliche 
Kompagnien  formierte,  und  sie  als  ständige  Truppengattung  organisierte.^) 
Entwicke-  ludcm  die  Artilleristen,  als  Elite  und  bahnbrechende  Männer  des 

"ttfierieia  Nichtadels,    immer   zweckentsprechendere   und   handlichere   Waffen   er- 
'g'J^^g^f"  fanden ,   sie   selbst   erprobten    und   dann   unter   den   Fusstruppen   ein- 
waffen-    büi'gerteu,  haben  sie  von  Tag  zu  Tag  die  Bedeutung  der  Infanterie 
gesteigert,  sie  auf  das  Niveau  derjenigen  der  Kavallerie  erhoben  und  den 
Adel  dahin  gebracht,  dass  er  zwischen  den  beiden  Waffengattungen  keinen 
Unterschied  mehr  fand.    Dies  Resultat  war   seit   dem  16.  Jahrhundert 


0  Hoyer:  „Artillerie  1808." 


^mt 


Einfluss  der  Vervollkommnungen  der  Geschütze.  395 


erreicht,  dem  Zeitpunkte,  von  welchem  ab  die  Artillerie  unter  Vorbehalt 
der  Handhabung  komplizierter  und  wirksamer  Maschinen  anfangt,  sich 
selbstständig  zu  entwickeln  und  der  Grund  zu  ihrer  Organisation  als 
dritte  Waffengattung  gelegt  wird,  mit  der  Bestimmung,  auf  dem  Schlacht- 
felde den  entscheidenden  Schlag  zu  führen,  die  ultima  ratio  zu  sein.  2) 

Die  Schuss weite   der   primitiven  Kanonen   war   sehr   gering,   be-  Sfi»a88weite 

,     •  der  primi- 

schränkter  als  diejenige  der  meisten  alten  Kriegsmaschinen.  Man  war  «Ten 
also  genötigt,  die  Batterie  sehr  nahe  vom  Ziele  aufzustellen.  Die  ersten 
Karthaunen  (Canons)  hatten  500  Schritt  zum  Kernschuss  und  1000  Schritt 
zum  Visierschuss.  —  Die  Karthaunen  schössen  zwar  48  Pfund  Eisen,  aber 
obgleich  21  Pfund  feines  Pulver  angewandt  wurden,  war  die  Wurfs- 
kraft so  unbedeutend,  dass  der  Gebrauch  grosser  Schilde  oder  tragbarer 
Sturmdächer  allgemein  war.-^ 

Was  musste  geschehen,   damit    die  wahren   Feuerwaflen   grosser ^'^<>'?®'^"« 

.  7  '  °  fUr  die  Yer- 

und   kleiner  Art   die  Wurfmaschinen   und   Bogen   beseitigten?  —   Als   aringung 
Handwaffen  mussten  diese  fähig  sein,   eine  tötliche  Kugel  bis  zu  einer  mMciüMn 
Entfernung  zu  tragen,  auf  welcher  alle  Wurfgeschosse,  welche  durch  ^"J^^hTe" 
Bogen,  Armbrust  oder  Schleuder  geworfen  wurden,  aufhörten  gefährlich  Feuerwaffe. 
zu  sein,  d.  h.  auf  eine  Distanz  von  100  Metern.  —  Was  die  Kanonen 
betrifft,  so  mussten  diese  steinerne  oder  eiserne  Kugeln  weiter  tragen, 
als  die  Maschinen  im  Stande  waren,  —  zum  Beispiel  ein  Gewicht  von 
10  Kilogramm  auf  500  Meter.  —  Ausserdem  mussten  die  Arkebusiere  und 
Kanoniere  ebenso  leicht  und  schnell  als  einst  die  Bogenschützen  und  die 
Bedienung  der  Wurfmaschinen  schiessen  können.  —  Vor  allem  aber,  und 
dies  war  der  schwierigste  Punkt  der  Frage,  musste  alles  so  kombiniert 
werden,   dass  die  mit  den  neuen  Gewehren  ausgerüsteten  Leute  nicht 
sich  selbst,  statt  ihrer  Feinde  schädigten. 

Die  Schiessgeschwindigkeit   wurde  in  Folge   der  hölzernen  „gar-     7"' 
gousse",  an  welche  die  Kugel  gebunden  war,  vergrössert.    Man  gelangte  der  schies«- 
dahin,  schneller  als  die  Masketiere  zu  schiessen  und  gab  im  Gefecht  an^TeUdw*^ 
acht  Schüsse  ab,  während  letztere  nur  sechs  abfeuerten.  Kanonen. 


')  General  Sazanne:  „Histoire  de  rArtillerie  fran^aise." 

')  Ein  naives  Bild  schüdert  die  artiUeristische  Thätigkeit  jener  Zeit.    Ein     ^^1"*" 

ristische 

von  seiner  Frau  begleiteter  Kanonier  hat  sich  tollkühn  mit  seinem  Material  am      Mani- 
Fqss  einer  Mauer  niedergelassen,  welche  ganz  mit  Bogenschützen  besetzt  ist,   pulationen 
die  auf  ihn   zielen.     Er  hat   eben   angefangen,   sein  Sturmdach  nach  Art  der   ^^^^^  ^eit 
Steinklopfer,   die   sich   bei   ihrer  Arbeit  vor  Sonne   und  Wind  schützen  wollen, 
aufzustellen.    Den  Pfeilen  der  Bogenschützen  ausweichend,  hat  er  hinter  seinem 
Sturmdach    ein   tiefes   Loch    gegraben,    dessen  Nutzen    bald    ersichtlicli   wird. 
Inzwischen  hat  sich  seine  Frau  im  Schutze  des  Sturmdaches  niedergelassen  und 


396 


VL    Taktik  der  Artillerie. 


Die  Artillerie  naiuu  in  dem  Maasse  an  Wichtigkeit  zn,  al^  die 
Infanterie,  in  Folge  der  zahlreichen  Kriege  des  Jahrhunderts,  aus  Miliz- 
soldaten sich  ei^änzte,  welche  entweder  dem  eigenen  Herde  entrissen 
oder  gegen  Uiren  Willen  als  nnbäxtige  Jünglinge  eingereiht  worden  waren. 
Diese  Soldaten  hatten  dnrchaus  keinen  moralisehea  Muth,  und  um  hier- 
gegen Hülfe  zu  schafien,  vermehrte  man  mehr  und  mehr  die  Zahl  der 
Kanonen,  bis  man,  wie  bei  Malplaquet,  1709,  58  Stück  in  einer  Batterie 
aufgestellt  hatte, 
r  Seitdem  die  Steinkngeln  in  der  Mitte  des  XV.  Jahrhunderts  dui-ch 

eiserne  verdrängt  und  gnsseiseme  Rohre  verfertigt  wurden  (1550),  begann 


dla  aafHkti-  — 

TarhtltBisM 

■alt  dam    bläst  mit  aller  KrEift 
ivm.  jui- 


tragbaren  Ofen,  der  den  glQhenden  Eiseospiess 
oder  die  brennende  Kohle  liefern  boII,  nm  die  Kanone  abzufeuern.  Nachdem 
das  Loch  nach  Outdünken  gegraben, 
stellt  der  Kanonier  am  Pusse  des 
Sturmdaches  einen  Holablock  auf,  um 
auf  diesem  das  Geschützrohr  zu 
lagern,  legt  letzteres  darauf,  richtet, 
iadet,  schüttet  Pulver  in  das  Zündloch 
(lumi^re),  ergreift  das  Ende  des  Bind- 
fadens, der  ihm  in  höchst  primitiver 
Transmission  dazu  dient,  die  Schuss- 
lade zu  heben,  giebt  seiner  Frau  ein 
Zeichen,  damit  sie  ihm  das  Glüfaelsen 
(boute-feu),  welches  zünden  soll, 
reiche  und  sich  verstecke,  und  ver- 
schwindet dann  selbst  im  erwähnten 
Loche. 

Seine  Bewegung  ist  ihrer  Geheim- 
tbuerei  wegen  sehr  interessant. 
Klit  der  linken  Hand  sieht  er  langsam 
den  Bindfaden,  bläst  dann  auf  die  in 
der  Rechten  gehaltene  Kohle,  zündet 
die  Lunte  an  und ,  während  diese 
brennt,  eilt  er  in  die  Tiefe  der 
schützenden  Höhle,  ohne  den  Bind- 
faden, der  die  Schueslade  offen  hält, 
loszulassen. 

Angesichte  unserer  heutigen  furcht- 
baren und  schnellwirkenden  Feuer- 
waffen und  deren  Gebrauch,  müssen 
wir  über  die  Ruhe  dieses  braven 
Mannes  lächeln. 
uoB«B  MI  Die  Zeichnung   zeigt   uns   eine   Kanone*  oder   sogenannte  Bombarde  mit 

"•«  iiT.    Schirmdach,  aus  der  zweiten  Hälfte  des  XIV.  Jalu-hunderts  und  das  Laden  mit 
.hriiudnt*.  glühenden  Kugeln. 


Das  Laden  mit  glühenden  Kugeln. 


Emfluss  der  Vervollkonunuungen  der  (reschützp.  397 

die  Artillerie  sich  allmälich  za  einer  selbständigeB  Waffe  zn  ent- 
wickeln,*) wenn  sie  aach  erst  im  XTIII.  Jahrhundert  zur  taktischen 
Bedentang  g:elangte.  Von  da  ab  jedoch  beeinflnsste  sie  die  Gefechts- 
verhältnisse, g&b  den  einzelnen  Phasen  des  Kampfes  eine  nene  Phy- 
siognomie nud  wirkte  durch  geschickte  Terrainbenntzung  auf  den  Yerlaaf 
der  Schlachten  entscheidend  ein. 

In  der  prenssischen  Armee,  sowie  in  der  französischen  waren  nach 
nnd  nach  Artillerietrappen  eingeführt  worden. 

Der   grosse  Park,    dem  man   die   Kanonen    entnahm,    hatte   den^' 
Artilleriebrigaden  Platz  gemacht.    Gewöhnlich  bestand  jede  Brigade 
aus  zehn  12pfündigen  Kanonen.  >) 

Diese  Brigaden  waren  der  Infanterie  be^egeben.  Das  Gespann 
führte  die  Kanonen  herbei,  sobald  man  sich  aber  in  einer  Entfernung 
von  BOO  Schritt  vom  Feinde  befand,  verschwand  es  hinter  dem  Fussvolk 
und  die  Kanoniere  schoben  ihre  Kanonen  selbst  weiter. 

Folgende  Bilder  zeigen  uns  die  Bespannung  und  das  Vorschieben  ' 
der  Kanonen,  sowie  das  Zubringen  der  Kngeln  und  des  Pulvers.«)  b. 


')  Im  Jahre  1671  formierte  Ludwig  XIV.  das  erste  Artillerie  -  Regiment, 
indem  er  die  schon  früher  von  ihm  geschaffenen  Aitillerie-Kojnpagnien  in  einen 
Körper  zusammenzog  und  ihnen  Arbeiter-Kompagnien  beigab.  1684  entstand 
in  Frankreich  das  erste  Bombardier-Regiment. 

')  12  Pfund.  Man  versuchte  anfangs  Stücke  leichteren  Kalibers  anzu- 
wenden, aber  man  gab  diesen  Gedanken  auf. 

')  Practised  in  the  Warres  of  the  United  Netherlandes  —  The  Principles 
of  the  Act  Military. 


Z9H  VL    Taktik  a«r  Artili^ne. 


'  Ttr*  An>^r  den  Kanonen  wmden  anch  Hanbitzen  znr  Zerstdnmg  von 

YifTweiUma^  Veni^rlianzangen  oder  materiellen  Hindemisssen  verwandt. 

I>ie  Kanonen  wurden  in  Zwi^henränmen  von  ungefähr  50  Schritt 
aufjjrepflan^et.  Auf  350  Sehritt  schoss  man  mit  Kartätschen,  näherte  sidi 
dann  bu  znr  Wirknngszone  des  Kleingewehrfeners  nnd  unterhielt  das 
?>aer  znr  Unterstötznng  de.s  Infianterie-AngrifEs. 

Diefte  Taktik  gestattete  eine  enge  Verbindung  des  Artflleriefeners 
mit  dem  der  Infanterie,  welche  nnn  zaversiehtlieher  anftrat.  aber  der 
Feind  nahm  viele  fje.schutze. 

v«f»iMaMir  König  FMedrich  IL  hielt  es  für  notwendig,  gegen  das  Vorurteil  der 

M       ül>ertriel;enen  Bedeutung  des  Verlustes  eines  Geschützes  einzuschreiten: 

f  rMrfeh  ih  ^^^^^  ^^^^  ^^--j^^  Micht  gethau  hat,  sagte  er,  ist  der  Verlust  des  C^eschötzes 

ehrenhaft. 

Mufnkmou  Da   Friedrich  IL  seiner  Kavallerie  zu  feuern  verboten  hatte,  be 

Aruiwit.  reitete  er  ihre  Attake  durch  Feuer  vor.  Zu  diesem  Zwecke  liess  er 
vielfach  Grenadier-Bataillone  bei  den  Flügeln  der  Kavallerie  postieren; 
al>er  noch  ein  besseres  Mittel  wendete  er  an,  indem  er  diese  schnelle 
Waffengattung  durch  Artillerie  begleiten  liess,  welche  beweglich  genug 
war,  zu  folgen;  so  entstand  die  „reitende  Artillerie"*,  weil  die  bedienenden 
Kanoniere  zu  Pferde  sassen,  eine  bemerkenswerte,  später  von  allen 
Armeen  nachgeahmte  Schöpfung.^ 

Aber  im  Allgemeinen  hatte  die  Artillerie  in  geringerem  Maasse 
als  die  Infanterie  und  Kavallerie  aus  den  beharrlichen  Anstrengungen 
Friedriclis,  die  Manövrierföhigkeit  zu  erhöhen,  Vorteil  gezogen.  Die  Ge- 
spanne wurden  noch  requiriert,  was  jeden  Gedanken  an  schnelle  und 
wohlgeordnete  Vei-werthung  und  Bewegung  ausschloss.«) 

luuonflibMr  Die  Feinde  Friedrichs  des  Grossen  gebrauchten  die  Artillerie  viel 

Qe  brauen 

<iar  Artillerie  rationeller.    Friedrich  II.  charakterisiert  die  Gefechtsfiihrung  der  Oester- 

mIUiu  der 

Feinde 
FriedricliN  11, 


**Fe^de*'  reicher  (1758)  in  einem  Brief  an  General  Fouqu6  folgendermaassen : 


„Wir  haben  während  des  ganzen  Krieges  die  österreichische  Armee, 
stets  in  drei  Linien  formiert,  von  dieser  furchtbaren  Artillerie  unterstützt 
gesehen.  Die  Flanken  sind  mit  Kanonen  gespickt  wie  besondere  Zita- 
dellen. Jeder  kleine  Vorsprnng  wii'd  benutzt,  um  Geschütze  aufzustellen, 
die  das  Terrain  unter  Kreuzfeuer  nehmen,  so  dass  es  gleiche  Schwierig- 
keiten bietet,  eine  solche  Position  anzugreifen  oder  eine  Festung  zu 
stürmen." 

0  Homerkenswert  ist  es,  dass  übrigens  Peter  der  Grosse  schon  vor  ihm, 
lind  somit  ganz  zuerst,  reitende  Artillerie  einführte. 

*^)  Waldor  de  Heusch:  „La  Tactique  d'autrefois." 


Einfluss  der  Vervollkommnungen  der  Geschütze,  399 

„So  muss  man  denn  das  System  einer  zahlreichen  Artillerie  annehmen, 
wie  hinderlich  dasselbe  auch  sein  mag.  Ich  habe  die  unserige  bedeutend 
vermehi-t  und  das  wird  den  Mängeln  unserer  Infanterie  abhelfen,  die  sich 
nur  verschlechtern  kann,  je  mehr  der  Krieg  sich  in  die  Länge  zieht." 9) 

Wir  haben   die   von  Gribeauval   vorbereiteten  materiellen  Mittel  verwendungr 

der  Artillerie 

bei  der  Beschreibung  der  Geschütze  kennen  gelernt  und  Napoleon  I.  ver-     durch 
stand  es,  der  Artillerie  eine  geniale  Verwendung  auf  dem  Schlachtfelde  ^*p**^^°  '• 
zu  geben.    Der  einstige  Hauptmann  Bonaparte  der  Belagerung  von  Toulon 
blieb  sich  während  seiner   ganzen  glänzenden  kriegerischen  Laufbahn 
darin  treu. 

Als  Napoleon  Bonaparte  1796  das  Kommando  der  italienischen  Armee 
erhielt,  fand  er  nur  wenig  Ai-tillerie  vor.  Die  Schlachten  der  Revolution 
waren  bisher  fast  ausschliesslich  von  Infanterie  geschlagen;  es  entsprach 
dies  der  Notwendigkeit  des  Massenaufgebots  und  zugleich  dem  revolutio- 
nären Drange  nach  möglichst  freier  Selbstthätigkeit,  welcher  in  der  aus- 
gedehntesten Anwendung  des  Schützengefechts  seinen  Ausdruck  fand. 
Napoleon  machte  indessen  selbst  von  der  geringen  Artillerie  in  seinen 
italienischen  Feldztigen  einen  vortreflFlichen  Gebrauch.  Sie  bereitete  in 
kleinen  Massen  vereinigt  bei  Lodi,  bei  Castiglione  und  Rivoli  in  den 
entscheidenden  Momenten  das  Vorgehen  der  anderen  Waffen  sehr  wirk- 
sam, d.  h.  so  vor,  dass  kein  Zusammenstoss  stattzufinden  brauchte,  der 
Feind  vielmehr  dem  blossen  Drucke  nachgab,  i^) 

Immerhin  blieb  die  ArtUlerie  während  dieser  Zeit  in  einem  sekundär  K*uonon  nur 
taktischen  Verhältnis  zur  Infanterie  und  Kavallerie;  sie  diente  nur  den  '^wtzeo. 
Gefechtszwecken  der  anderen  Waffen,  war  also  immer  noch  ein  bloss 
unterstützendes  Element.  Ueber  die  hauptsächliche  Vei"wendungsart  der 
Artillerie,  nämlich  über  die  vorbedachte,  leichte  und  rasche  Herstellung 
„konzentrierter  Artillerieaufstellung"  für  den  Entscheidungs-  und  Ver- 
nichtungsakt scheint  Napoleon  während  seiner  ersten  Kriege  noch  nicht  ein- 
gehend orientiert  gewesen  zu  sein,  wenngleich  er  schon  im  Jahre  1801  einen 
grossen  Fortschritt  zur  Hebung  der  taktischen  Brauchbarkeit  der  Artillerie 
durch  Abschafi'ung  der  von  l^nternehmern  gestellten  Bespannung  that  und 
Ersatz  hierfür  durch  einen  militärisch  organisierten  Train  schaffte. 

Erst  die  schlimmen  Erfahrungen  von  Eylau  und  Friedland  (1807) 
brachten  den  Kaiser  zu  der  Erkenntnis,  dass  die  der  Artillerie  inne- 
wohnende Zerstörungskraft  in  höherem  Sinne  verwertet  werden  müsse, 
als  durch  Beiordnung  zu  den  anderen  Waffen. 

^)  Maresch:  „WafFenlehre". 
^^)  Ueber  den  Einfluss  der  Feuerwaflfen  auf  die  Taktik. 


400  ^-    Taktik  der  Artillerie. 


Artiiiwu!  ^^®  Katastrophe  von  Aspern,  wo  das  Korps  von  Lannes  beinahe 

Hadflen-  vemlchtet  wurde  und  die  in  engem  Eaume  konzentrierte  französische 
alitmgrtl.  Armee  durch  die  österreichische  Artillerie  höchst  empfindliche  Verluste 
erlitt,  bezeichnet  den  Ursprung  jener  grossartigen  Artillerie  -  Massen- 
verwendung, welche  die  Napoleon'sche  Schlachtenpraxis  von  Wagram  an 
charakterisiert.  Nach  dem  Feldzuge  von  1809  schuf  er  sich  durch  zahl- 
reiche Vennehrung  der  Gardebatterien  eine  Zentral-Reserveartillerie  von 
126  Geschützen  und  gab  nach  und  nach  jedem  Arraeekoi^ps  eine  Artillerie- 
reserve. 

Weiterhin  vermehrte  Napoleon  durch  Wiedereinführung  der  Regiments- 
artillerie die  Geschützzahl  um  ein  Drittel  und  erhob  dadurch  das  Ver- 
hältnis, welches  bisher  in  den  französischen  Armeen  rücksichtlich  der 
Geschützzahl  bestand,  von  2  auf  3  pro  1000  Mann. 

Aber  immer  mehr  noch  stieg  während  der  Herrschaft  Napoleons  die 
Anzahl  der  Geschütze  und  ihrer  Bedienung,  so  dass  schliesslich  am 
30.  März  1814  die  Aiüllerie,  ohne  die  25  Kompagnien  der  Artillerie- 
Veteranen  und  der  Küstenwächter,  178  Kompagnien  mit  80  273  Mann,  und 
alles  miteingerechnet  103000  Mann  betrug,  ^i) 
Enorm«  Zu-  Dje  enoHue  Zunahuie  des  Artillerie-Materials  war  nicht  etwa  durch 

nähme  der 

Kanonen,  die  Ausdehuung  des  französischen  Territoriums,  oder  die  Bedürfnisse 
der  neuen  militärischen  Operations-Formen,  noch  dadurch  zu  erklären, 
was  man  die  materiellen  Bedingungen,  im  Gegensatz  zu  den  moralischen, 
nennen  kann.  Das  Anwachsen  der  Artillerie  und  das  Aufhören  des 
Gleichgewichts  zwischen  ihrem  und  dem  allgemeinen  Bestände  der 
Armee,  datiert  von  1809.  Die  Kaiserliche  Armee  von  1809  war  nicht 
mehr  die  „grande  arm6e",  obgleich  sie  noch  immer  diesen  Namen 
führte.  Die  Soldaten  von  Rivoli,  von  Zürich,  von  Hohenlinden  und 
von  Marengo  hatten  mit  ihrem  Blute  die  Siege  von  Austerlitz,  von 
Jena,  von  Eylau  und  von  Friedland  reichlich  bezahlt  und  die  unheil- 
vollen Feldzüge  in  Spanien  hatten  den  Kaiser  gezwungen,  die  Zahl 
seiner  Truppen  zu  verdoppeln,  zu  verdreifachen  und  einen  jeden 
seiner  alten  Graubärte  durch  vier  junge  Reki*uten  zu  ersetzen. 

Die  »11-  Der  Kaiser  kannte  den  Unterschied,  der  zwischen  einem  Soldaten 

mäUicheYer- 

achiechto-  uud  einem  Nichtsoldaten  besteht.    Da  er  sich  gezwungen  sah,  den  Krieg 
Me^h^.  mit  einer  Armee,  welche  mehr  Leute  als  Soldaten  enthielt,  fortzusetzen, 
"^^Jj^jj*' steigerte  er  die  Verwendung   der  Geschütze,   um  dem  Rekruten  Ver- 
schen Heere  trauen  zu    geben   oder    ihn    wenigstens    zu    betäuben.     Der   Sieg  von 
*ftr*Te    Wagram  wurde  mühselig  errungen;  vielleicht  nur  wegen  einer  genialen 
dwA^Si^!  Eingebung  Napoleons,  der  in  einem  theatralischen  Manöver  jene  Batterie 


")  General  Suzanne:  „Histoire  de  PArtillerie  fran^aise". 


Einiluss  der  Vervollkommnungen  der  Geschütze.  401 


von  100  Feuerschlünden  auffahren  liess,  deren  Beispiel  eine  Plage  aller 
Armeen  Europas  und  eine  über  allen  Budgets  schwebende  Drohung 
werden  sollte. 

Die  Feldzuge  in  Russland  und  Sachsen  führten,  indem  sie  die  Ver- 
nichtung der  Veteranen  vollendeten,  an  deren  Stelle  junge  Rekruten 
traten,  eine  neue  übermässige  Verstärkung  der  Artillerie  herbei  und 
brachten  die  Zahl  ihres  Personals  auf  die  vorerst  angegebene  Höhe. 
Man  könnte  fragen,  welchen  Wert  diese  Artillerie  haben  konnte,  da  sie, 
wie  die  übrige  Armee,  notwendigerweise  aus  Konskribierten  bestand. 
„Auf  diese  heikle  Frage  habe  ich  nur  eine  Antwort  bereit"  —  sagt 
General  Suzanne^^)  —  ^^der  Kaiser  wusste,  dass  der  Kanonier,  welches 
auch  das  Motiv  dieses  moralischen  Phänomens  sein  mag,  ob  Instinkt, 
Vorurteil,  Ehrgefühl  oder  Erziehung,  sein  Geschütz  nicht  verlässt;  er 
stirbt  neben  ihm  oder  wird  mit  ihm  genommen.  Das  war  immer  so  und 
wird,  hoffe  ich,  immer  so  sein!" 

Nach  dem  Untergang  der  Infanterie  in  Russland  hatte  der  Kaiser 
1400  Geschütze  aufstellen  wollen;  das  waren  beinahe  B  Stück  auf  je 
1000  Mann  der  300000  Kämpfer,  die  er  im  Frühjahr  1813  zusammen- 
bringen konnte.  Nach  den  Verlusten,  die  sie  bei  Lützen,  Bautzen,  Kulm 
und  Dresden  erlitten  hatte,  kämpfte  die  französische  Artillerie  bei 
Leipzig  während  zweier  Tage  mit  600  Kanonen  gegen  die  900  Geschütze 
des  verbündeten  Europa. 

Die  Wirkung  der  Geschütze  war  aber,  wie  schon  angedeutet  wurde, 
sehr  gering. 

Die  Leistungsfähigkeit  der  Geschütze  im  erstell  Viertel  des  J^tr- ß^'^ "it^!" 
hunderts    beruhte    auf    der   Wirkung  der   Vollkugeln,     Granaten    und öMchütee im 

TT-      J.-X     1  !•  Viertel 

Kai'tatschen.  dee 

Die  Vollkugeln  wurden  zur  Einleitung  und  Durchführung  des  "^^^^Jjj,'" 
Kampfes  auf  gi^össere  Entfernungen  gegen  die  feindlichen  Kolonnen  und 
zum  Demontieren  der  Geschütze  mit  genügendem  Erfolge  verwendet. 
Es  ist  bekannt,  dass  durch  ein  Geschoss  mitunter  in  den  tiefen  Kolonnen 
10,  20  oder  noch  melir  Leute  ausser  Gefecht  gesetzt  wurden.  Auch 
die  Wirkung  gegen  das  tote  Material  der  feindlichen  Artillerie  war  meist 
nicht  unbedeutend. 

Die  Granaten  wui-den,  ausser  gegen  Truppen,  besonders  zum  Be- 
schiessen  von  Gehöften,  Oertlichkeiten  und  verdeckten  Zielen  ver- 
wendet. 

Die  Kartätschen  waren,  sowohl  beim  Angiiffe  wie  bei  der  Ver- 
teidigung,  das  Geschoss  für  den  Nahkampf  und  die  Entscheidung,   ihre 


'0  General  Suzanne:  „Histoire  de  1' Artillerie  frangaise". 

Bloch,   Der  sakfinftige  Krieg.  26 


402  VI.    Taktik  der  Artillerie. 


Wii-kung  war  in  der  That  bei  der  starken  Geschützladung  und   dem 
hohen  Kugelgewichte  entscheidend. 

Es  ist  daher  begreiflich,  dass  bei  der  langsamen  Ladeweise  und 

der  geringen  Wirkung  der  Gewehi*e,  die  auf  Entfernungen  von  mein-  als 

200  Meter  wenig  zu  fürchten  waren,  die  Artillerie  beim  Angi'iffe  gegen 

die  Infanterie  bis  auf  300  Meter  und  noch  darunter  herangehen,  und  ein 

entscheidendes  Kartätschfeuer  eröffnen  konnte. 

Sireben  «»ch  j)^^  Verhältnis    von   Wirkung  und    Beweglichkeit  der    Geschütze 

möglicher  wurdc  durch  die  Erfahrungen  der  Kriege  mit  Frankreich  in  ein 

^Ih  de?  Extrem  gedrängt;  teilweise  geschah  dies  durch  die  beweglicher  gewordene 

MfKl)*uin  I^^J^^iJ^  ^^^  Infanterie.    Das  Streben  nach  grösstmöglicher  Beweglichkeit 

ihrer  Wirk-  blieb  im  WacJiseu,  ja  man  ging  bald  über  das  zulässige  Maass  hinaus, 

trotzdem  von  urteilsfähiger  Seite  hervorgehoben  wurde,  „dass  der  erste 

Grundsatz  für  die  Artillerie  die  Wirkung  bleiben  müsse",  ^s) 

Die  Artillerie  Napoleou  III.   hatte,  gleich   seinem   Onkel,   eine  Vorliebe  für  die 

im  Krim- 

kriege.  Artillerie,  deren  Wesen  er  mit  Eifer  studiert  hatte.  Er  wollte  für  die 
Geschütze  dieselbe  Verbesserung  herbeiführen,  welche  fiir  das  Gewehr- 
feuer durch  Einführung  der  gezogenen  Läufe  erreicht  worden  war. 

Aber  in  der  französischen  Armee  waren  die  Grundsätze  Napoleons 
bezüglich  Verwendung  der  Artillerie  noch  zui*  Zeit  des  Krimkrieges  die 
heiTSchenden  und  sie  wurden  an  der  Alma,  wie  an  der  Czernaja  und  bei 
den  Stürmen  auf  die  Karabelnaja  befolgt. 

Was  die  Verwendung  der  Artillerie  russischerseits  anbetrifit,  so  war 
sie  in  Folge  der  technischen  Mängel  nur  eine  sehi*  mangelhafte. 

Urteil  Der  k.  k.  F.-Z.-M  v.  Hauslab,  in  Bezug  auf  Vei-wendung  der  Feld- 

von  Hw8i»b.  artillerie  gewiss  eine  Autorität,  äusserte  sich  folgendermaassen  über  den 
Krimkrieg :  **) 

„Die  Verbündeten  mussten  aus  weiter  Entfernung  ihre  Streitkräfte 
nach  der  Krim  überschiffen  und  konnten  daher  nicht  mit  stärkerer  Macht 
auftreten.  Anders  war  es  bei  den  Russen.  Diese  schickten,  um  die 
Gegner  zu  überbieten  oder  wenigstens  ihnen  gleich  zu  bleiben,  ein  ganz 
normal  zusammengesetztes  Armeekorps  nach  dem  anderen  hinab.  Jedes 
Korps  hatte  seine  Artillerie,  seine  Reiterei,  aber  —  die  Kosaken  ab- 
gerechnet —  auch  nicht  mehr.  Hätten  sie  letztere  beide  Waffen,  an 
denen  sie  Ueberfluss  hatten,   und  worin  es  die  Alliierten  ihnen  niemals  . 

gleich  thuu  konnten,  von  mehreren  Aimeekorps   zusammengezogen  und  a 


^*)  Maiidry:  „Waffenlehre". 

**)  „Jahrbüclier  für  die   deutsche   Armee   und   Marine":    „Betrachtungen 
über  die  Dauer  der  künftigen  Kriege  und  deren  Mittel". 


Eiiifluss  der  Vcrvollkoimiiuuugeu  der  Geschütze.  403 


hinabgeschickt,  so  würde  der  Erfolg  vielleicht  ein  ganz  anderer 
gewesen  sein." 

Oesterreich,  welches  in  den  Krieg  beinahe  hineingezogen  wurde,  ^^Xu^% 
und  voraussah,   dass   es   bei   der   durch  den  Frieden  von  Paris  neu-   Hebungg- 

▼oreiiehe  der 

geschaffenen  Lage  in  längerer  oder  kürzerer  Zeit  in  einen  Krieg  mit   Artiuerie 
Sardinien  verwickelt  werden  würde,  beeilte  sich,  seine  Geschütze  um-  ™h^tm' 

zuändern.  Krimkriege. 

Ueber  die  Grenzen  der  zulässigen  grössten  Gebrauchs-  und  der 
entscheidenden  Schnssweiten  lässt  sich  auf  Grund  der  Versuchsergebnisse 
Folgendes  sagen. 

Es  konnten  für  den  Kugel-  und  Granatschuss  der  leichten  bezw. 
schweren  Kanonen  und  Haubitzen  angenommen  werden  als 

grösste  Entfernungen    ....    1050  bezw.  1200  Meter 
noch  brauchbare  Entfernungen .      900      „       900      „ 

Die  mehrfach  schwankenden  Ansichten  über  die  grössten  anwend- 
baren Shrapnel-Schuss-Entfemungen  setzten  in  den  fünfziger  Jahren  für 
die  leichten  Kanonen  und  Haubitzen  900  Meter,  für  die  schweren  1050  Meter 
als  Grenzen  fest.i^) 

In  Frankreich  beeilte  man  sich  im  Jahre  1858,  in  Voraussicht  des   ^»  H'**«- 

'  ^         Bronze- 

Krieges  mit  Oesterreich,  die  Bronce-Kanonen  nach  dem  System  La  Hitte  kanone  in 

umzugestalten,  so  dass  die  französische  Armee  1859  den  Feldzug  mit 
einem  Kriegsmaterial  eröfinen  konnte,  das  demjenigen  Oesterreichs  be- 
deutend überlegen  war.  Die  Franzosen  hatten  40  Batterien  gezogene 
Kanonen  von  4  und  an  20  Batterien  Feld-Haubitzen  von  12  Geschützen. 

Projektile  von  zylindrisch-gewölbter  Gestalt  hatten  die  sphärischen 
Kugeln  ersetzt;  endlich  war  der  Shrapnelschuss,  d.  h.  der  Kartätschschuss 
auf  weite  Entfernungen,  eingeführt  worden. 

Der  doktrinäre  Sinn  deutscher  Taktiker  brachte  es  glücklich  zu  Stande,   ^^^^^^ 
die  einfachsten  Grundsätze  Napoleonischer  Taktik  zu  verwischen,  und  an  DoictriMris- 
deren  Stelle  im  ganzen  Feldzug  von  1859  ein  teils  falsches,  teils  kom-   wendung 
pliziertes  System  von  Verhaltungs-  und  Ausnahmeregeln  zu  setzen ^ß)^  ^w^^rtniem 
obgleich  doch   das  Auftreten  der  österreichischen  Artillerie  im  Kriege  ««b«  "69. 
mit  den  Ungarn  im  Jahre  1849  bei  Raab,  Szöreg  (93  Geschütze)  und 
Temesvar  (114  Geschütze)  schöne  Beispiele  der  Bildung  und  Verwendung 
grosser  Artilleriemassen  geliefert  hatte,  wobei  freilich  zu  bemerken  ist, 
dass  diese  Schlachten  überhaupt  reine  Artillerieschlachten  waren. 

Die  grössere  Tragweite,  Treffsicherheit  und  Durchschlagskraft  der 
gezogenen  Handfeuerwaffen  brachten  die  Artillerie  in  eine  missliche  Lage. 

^^)  Müller:  „Die  Wirkung  der  Feldgeschütze**. 
^«)   Maresch:  „Waifenlehre". 

26* 


404  VI.    Taktik  der  ArtiUerie. 


dMHiSter^  -^  Preussen  hatte    man,    wie    in    Frankreich,    wichtige  Verän- 

i^aang    derungen    im    Artilleriematerial  vorgenommen.     Aber    man  hatte  eine 
Kalone*-  andere  Richtnng  verfolgt;  man  brachte  bei  der  Kanone  die  Hinterladung 
xSl^n^n  *n  *^  ^^^  sobald  um  1868  die  ersten  Vei-suche  mit  gezogenen  Kanonen 
preoaBen.  gemacht  worden  waren,  versuchte  man  die  bestehenden  Geschütze  ent- 
sprechend umzugestalten. 

Der  Erfolg  der  französischen  gezogenen  Kanonen  bei  Solferino  1859 
beschleunigte  die  Lösung  dieser  wichtigen  Frage,  und  noch  ehe  dieser 
Feldzug  beendet  worden  war,  wurde  Befehl  gegeben,  300  gezogene 
Kanonen  fertigzustellen. 

Bisher,  sagt  Fürst  Hohenlohe  in  seinen  „Briefen  über  die  Ai1;illerie", 
war  der  durch  die  glatten  Geschütze  auf  1000  Schritt  (750  Meter)  erlangte 
Erfolg  so  unsicher,  dass  die  Artilleristen  zu  sagen  pflegten:  „Der  erste 
Schuss  ist  für  den  Teufel,  der  zweite  für  den  lieben  Gott  und  der  dritte 
erst  ist  für  den  König." 

Dies  bedeutet,  dass  auf  750  Meter  Distanz  ein  Ziel  von  30  bis  40  Meter 
Breite  und  2  Meter  Höhe  nur  vom  dritten  Teil  der  abgegebenen 
Schüsse  erreicht  wurde. 

Bei  Entfernungen  von  1250  bis  1500  Meter  war  man  schon  absolut 
ausser  Schussbereich  der  Artillerie. 

Heutzutage  ist  man  bei  doppelt  so  grossen  Entfernungen  noch  nicht 
aus  dem  Bereich  des  Artüleriefeuers. 
PreuMiscLe  Als   1864  der  Krieg   gegen   Dänemark   ausbrach,  war   schon   ein 

1864  u.  1866.  Drittel  der  preussischen  Feldartillerie  mit  gezogenen  Geschützen  aus- 
gerüstet, auch  hatte  man  als  leichtes  Geschütz  bereits  den  Vierpfünder 
eingesteUt. 

Im  Jahre  1866  besass  jedes  Armeekorps  4  Batterien    gezogener 
Sechspfünder  und  4  Batterien  gezogener  Vierpfünder,  jedem  Armeekorps 
verblieben  aber  noch  6  Batterien  glatter  Kanonen, 
ueberiegen-  j^j^u  hatte  auf  dics  Material  übertriebene  HoflEhungen  gegründet. 

heit  der  «  o   o 

österreicid-  Jedoch   dcu   Sicg    brachte   nur   die   bessere   Führung    und   das   Zünd- 
Arüuerie  uadelgewehr;  der  Ai'tillerie  hatte  sich  die  österreichische  als  überlegen  er- 

gegenftber    diesen, 
der    preussi- 
schen Das  Werk  des  preussischen  Generalstabes   über  den  Feldzug  1866 

"i86*6."   sagt:  „Die  (preussische)  Infanterie  focht  fast  ganz  allein,  sie  fand  geringe 

Unterstützung  an  der  Kavallerie  und  der  grösste  Teil  der  Artillerie  verblieb 

in  Stellungen,  aus  welchen  sie  auf  das  eigentliche  Gefechtsfeld  nicht  zu 

wirken  vermochte.    Dem  gegenüber  nützten  die  Oesterreicher,  bei  voller 

Freiheit    ihrer    Bewegungen,    alle    Waffen    aus,    und    konnten    die 

ganze    Ueberlegenheit   ihrer    Geschützwirkung    zur   Geltung 

bringen." 


Einflüss  der  Veryollkommnungen  der  Geschütze.  405 


Langlois^T)  berechnet  die  Schussweite  in  Metern: 

Oesterr.  Geschütze  Preuss.  Geschütze 

4  pfundige  ....    1760         4  pfundige ....    2500 
8       „        ....      975  6       „        ....    2380 

Die  preussischen  Kanonen  waren  also  vollkommener,  jedoch  ver- 
stand man  nicht  den  Vorteil  auszunützen. 

Die  Anzahl  der  in  der  Schlacht  von  Königgrätz  beteiligten  Geschütze,  Artiueri«  in 
stundenweise  geordnet,  ergiebt:  von 

Geschütze  KöniggräU. 

österreichische  preussische 

8  Uhr 8  12 

9  „        32  12 

12    „        80  18 

1  „        80  26 

2  „        80  38 

2V«    „        .80  74") 

Man  kann  wohl  kaum  einen  schlagenderen  Beweis  für  die  Un- 
voUkommenheit  der  Anwendung  der  Geschütze  jener  Zeit  beibringen. 
Heute  würde  eine  Artillerie,  die  numerisch  dem  Gegner  so  nachstände, 
sofort  zum  Schweigen  gebracht  werden. 

Derselbe  Langlois  sagt:  „Die  Verwendung  der  preussischen  Artillerie 
im  Jahre  1866  war  in  technischer  wie  in  taktischer  Hinsicht  gleich 
fehlerhaft  gewesen;  man  hatte  die  Folgen  der  neuen  Bewaffnung  nicht 
begriffen." 

Aber  es  zeigt  wieder  dieselbe  Erscheinung:  den  Fehlem  wird 
nachgeforscht  und  diese  werden  dann  gutgemacht. 

Nach  den  Ereignissen  von  1866   erkannte  man  in  Preussen  die      ver- 

,  grÖBserung 

Notwendigkeit   eines   höheren  Kommandos,   eines   taktischen  Gruppen-      der 
kommandos,  um  das  Zusammenwirken  der  Kräfte  zu  sichern,   das  allein,  Ei^heuln 
besonders  bei  der  Artillerie,  gute  Resultate  herbeiführen  kann.  Von  da  datiert  ^®'J^®^*"" 
die  Vergrösserung  der  taktischen  Einheit,  d.  h.  die  Bildung  einer  zweckmässig    Artillerie 
organisierten  „Abteilung",  die  im  Kriege  1870  so  grosse  Dienste  geleistet  hat. 

In  Preussen  (und  in  anderen  deutschen  Staaten)  wurde  durch  den  Aasscbeiden 

der  glatten 

Krieg  von  1866  der  letzte  Zweifel  an  der  Notwendigkeit  einer  gänzlichen   aeeehatce 
Ausscheidung  der  glatten  Geschütze  beseitigt.    Im  April  1867  wies  die  j^reuL^Ln 
preussische  Feldartillerie  schon  ausschliesslich  gezogene  Geschütze  auf.       ^  !j*|^-. 

In  der  Epoche  von  1866  bis  1870  begnügte  man  sich  nicht  damit,  die 
Prinzipien  der  taktischen  Verwendung  dieser  Waffe  festzustellen,  sondern 


^^  „Artillerie  de  campagne.^ 

*•)  Langlois:   „Artillerie  de  campagne." 


406  VI.    Taktik  der  Artillerie. 


man  entwickelte  die  Schiessinstruktion,  yervollständigte  das  Material  und 
studierte  mit  Sorgfalt  das  Problem  des  Munitionsersatzes  auf  dem 
Schlachtfelde  und  die  Munitionsversorgung  der  Kolonnen  im  Armeepark. 
Endlich  hatte  man  in  Preussen  auch  noch  die  Verwendung  der  Ab- 
teilung oder  Gruppe  von  3  bis  4  Batterien,  wie  vorhin  schon  erwähnt, 
als  taktische  Einheit  auf  dem  Schlachtfelde  eingeführt,  ^d) 

,    ^*t  ^  In  Frankreich  wurde  dagegen   das  Material  La  Hitte  als  jedem 

Artillerie  im  anderen  tiberlegen  betrachtet  und  man  behielt  es  bei,  aber  vervollständigte 
ege  1870.  ^^^  verbesserte  es  noch,  um  sich  seiner  während  des  Feldzuges  von  1870 
gegen  die  deutschen  Heere  zu  bedienen. 

„Bei  Beginn  des  Krieges  1870—1871  waren  in  der  französichen 
Feldartillerie  Bronzekanonen  von  4-,  8-  und  12  pfundigem  Kaliber  vor- 
handen und  25 läufige  Mitrailleusen.  Die  Kanonen  schössen. mit  gewöhn- 
lichen (einwändigen)  Granaten,  Shrapnels  und  Kartätschen.  Granaten 
und  Shrapnels  waren  zuerst  mit  Zeitzündern  von  zweifacher  Stellung 
versehen,  welche  häufig  weit  vor  dem  Ziele  ztindeten;  sie  wurden  aber 
bald  bei  Granaten  und  teilweise  auch  bei  Shrapnels  durch  Perkussionszünder 
(Demarais)  ersetzt,  die  Wirkung  der  Geschütze  erfuhr  hierdurch  indessen 
nur  eine  geringe  Steigerung.  "20) 

Bis  zum  Jahre  1870  war  das  stärkste  der  französischen  Feldgeschütze 
die  12  Centimeter-Kanone,  deren  Granaten  ca.  22  Sprengstücke  ergaben. 

Ungenügende  Auf  3000  Meter  Entfemuug  schoss  dies  Geschütz  mit  einer  Ziel- 

Abweichung  von  etwa  400  Meter  Distanz  und  3,60  Meter  Richtung.  Die 
Granaten  waren  mit  einem  Zeitzünder  versehen,  der  bei  Stellung  auf 
kleine  Distanz  von  1300—1500  Meter  oder  bei  SteDung  auf  grosse  Distanz 
von  2500 — 2800  Meter  zündete.    Alles  dies  war  wenig  wirksam. 

Falls  die  Zündung  bei  Distanzen  von  weniger  als  1300  Meter  oder 
von  1600 — 2600  Meter  erforderlich  war,  musste  man  ricochetieren,  was 
natürlich  den  Flug  des  Geschosses  hemmte  und  dessen  Krepieren  noch 
vor  dem  ins  Auge  gefassten  Ziel  zur  Folge  hatte.  Ausserdem  veränderte 
beim  Aufschlagen  des  Greschosses  der  kleinste  Stein  auf  dem  Wege 
oder  jedes  andere  Hindernis  die  Richtung.  Deshalb  wurde  im  Kriege 
1870  der  Raketenzünder  durch  den  Perkussionszünder  von  Demarais 
ersetzt,  welcher  das  Geschoss  in  beliebiger  Entfernung,  sobald  dasselbe 
nur  auf  dem  Boden  aufschlug,  krepieren  Hess.  Dies  war  schon  sicherer, 
aber  häufig  wirkte  das  Piston  der  Röhre  nicht,  oder  wenn  es  wirkte,  doch 
nicht  gerade  im  Moment  des  Aufschiagens  auf  den  Boden,  sodass  falls  der 

")  Waldor  de  Heusch:    „La  Tactique  crautrefois." 
^)  Potozki:   „Artillerie",  Lieferung  Tl. 


:liinf*n  b«l  Saltt  107. 


Einduss  der  Vervollkommnungen  der  G^escliütze.  407 


Boden  nur  einigermaassen  locker  war,  das  Geschoss  sich  einwühlte,  fast 
ohne  Sprengstücke  zu  geben.  21) 

In   Preussen  war  die  gesarate    Artillerie   schon    vor  dem  Kriege  "®^J^**®"" 
mit  4-  und  6pfündigen  gezogenen  Gussstahlgeschützen  versehen,   deren  der  deutachen 
Vorzug  vor  den   französischen   Geschützen  während  des  deutsch -fran-      1870. 
zösischen  Krieges  deutlich  zu  Tage  trat.    Dieser  Vorzug  bestand  sowohl 
in   der  besseren  Konstruktion   der  Geschütze  und  Geschosse  (grcissere 
Treffsicherheit,    Granaten   mit   Perkussionszündung)   als   auch   in   ihier 
rationelleren  Verwendung. 

In  Folge  dessen  war  die  deutsche  Artillerie  der  französischen  ent- 
schieden überlegen,  was  sich  in  allen  Schlachten  bethätigte. 

Der  deutsche  offizielle  Bericht  über  den  Feldzug  von  1870—1871 
stellt  mit  lobenswerter  Unparteilichkeit  die  Wirkungslosigkeit  des  Feuers 
der  französischen  Batterien  fest,  die  mit  der  deutschen  Artillerie  den  Kampf 
nicht  aufnehmen  konnten.  Von  der  Schlacht  bei  Spicheren  sprechend, 
sagt  oben  zitiertes  Werk,  dass  die  französische  Artillerie  mit  höchst 
mittelmässigen  Erfolgen  schoss. 

Bei  Wörth  besetzten  die  Franzosen  die  Anhöhen.    Das  Feuer  ihrer  ^  Wirkung 

derdeatacneu 

Artillerie,  von  der  ein  Teil  (48  Kanonen)  in  Reserve  gehalten  wurde,  war  Artuierie  bei 
vollkommen  ohnmächtig.  Schon  von  9V2  Uhr  Morgens  an  konnten  die 
Deutschen  108  Geschütze  auffahren,  die  bis  zum  Augenblick  des  Angriffes 
fortwährend  in  Thätigkeit  waren;  so  konnte  die  deutsche  Artillerie 
10  Stunden  lang  die  Stellung  des  Feindes  in  Ruhe  beschiessen.  Ihre 
Kanonade  war  dementsprechend  äusserst  wirksam.  Gleich  zu  Beginn 
mussten  die  Mitrailleusen  die  Stellung  räumen.  Die  französischen 
Batterien  hielten  das  Feuer  aus,  erzielten  aber  beinahe  keine  Resultate, 
denn  die  meisten  Granaten,  welche  in  der  Nachbarschaft  der  deutschen 
Geschütze  zur  Erde  fielen,  krepierten  nicht.  (G.  E*-M'  All*,  I«'  partie,  I«' 
volume  p.  226  et  227.) 

Somit  sahen  die  Franzosen,  dass  ihre  Kanonen  keinerlei  Wirkung 
erzielten,  und  während  des  Kampfes  wurden  die  108  deutschen  Kanonen 
noch  um  127  Stück  vermehrt.  Diese  furchtbare  Artillerie  schleuderte, 
indem  sie  sich  fortwährend  näherte,  19704  Geschosse. 

Der  General  von  Boguslawski^),  ein  hochverdienter  Taktiker,  Kom- 
mandeur des  50.  Infanterie-Regiments,  welches  sich  so  tapfer  und  mit  so 
viel  Zähigkeit  schlug,  dass  es  mehr  als  den  dritten  Teil  seines  Bestandes 
verlor,  erklärt:    „Die  Wirksamkeit  unserer  Artillerie  im  Kampfe  gegen  die 

'*)  Om^ga:   „L*art  de  combattre**. 

»»)  „NoiiveUes  l^]tiides  sur  la  Bataille  de  Woerth",  par  von  Bo^iislawski, 
G  enerallieuteuant. 


408  VI-    Taktik  der  Artillerie. 

der  Franzosen  war  enorm.   Während  einer  Stunde  konnte  das  Zentrum 

des  Feindes  keine  einzige  Granate  entsenden.   Die  französische  Infanterie 

muss  gleichfalls  gelitten  haben.  2«) 

st&rke  der  \\rir  dürfeu  aber  nicht  vergessen,  dass  zugleich  ein  anderer,  noch 

und      mächtigerer  Faktor  wirkte :  die  Ueberzeugung  von  der  faktischen  üeber- 

b^e^wX  legenheit  der  Deutschen. 

Wir  wollen  darauf  hin  die  Zahl  der  Truppen,  die  am  Kampfe  teilnahmen 
und  die  in  der  Nachbarschaft  des  Schlachtfeldes  standen,  ansehen.  34) 

Bataillone      Schwadronen 

Infanterie         Kavallerie  Batterien 

Schlachtfeld 

Franzosen 67  36  22 

Deutsche 84  39  4ß 

In  der  Nähe  des  Schlachtfeldes 

Franzosen 18  9  6 

Deutsche 44  63  M 

Also  insgesamt 

Franzosen 76  44  28 

Deutsche 128  102  80 

Die  Artillerie  Au  dcr  Stelle,  WO  der  preussische  Generalstab  von  der  Schlacht  bei 

Graveiotte.  Gravelottc  uud  dem  Angriff  auf  die  Ferme  Saint-Hubert  spricht,  konstatiert 
er  gleichfalls  die  Ohnmacht  der  Verteidigungsartillerie. 

Man  liest  Seite  741,  1.  Theil,  Band  11: 

Der  Feind  zögerte  nicht,  mit  seinen  bei  Point  du  Jour  wohl  auf- 
gestellten Geschützen  durch  ein  äusserst  heftiges  Feuer  zu  antworten. 
Granaten,  Shrapnels,  Kartätschen  regneten  ohne  ünterlass  auf  diesen 
Teil  des  Schlachtfeldes,  brachten  jedoch  fast  gar  keine  Wirkung 
hervor. 

Die  deutsche  Artillerie  hatte  allen  erwünschten  Erfolg.  Wir  lesen 
Seite  769  desselben  Bandes: 

Von  diesen  neuen  näherliegenden  Positionen  aus  nahm  die  Artillerie 
das  Feuer  wieder  gegen  dieselben  Punkte  des  gegenüberliegenden  Plateaus 
mit  augenscheinlichem  Erfolge  auf.  Die  Geschütze,  welche  der  Feind  dort 
zeigte,  wurden  kampfunfähig  gemacht  oder  zum  Rückzug  gezwungen, 
so  dass  bald  einige  der  preussischen  Batterien  ihrem  Feuer  die  Richtung 
gegen  St.  Hubert  geben  konnten. 

")  Beiheft  zum  „Militär -Wochenblatt"  1872.  Alt  u.  Lehmann:  „Die 
deutsclie  Artillerie  in  den  25  Schlachten." 

**)  Langlois:  „Artillerie  de  camy)agne". 


Einfluss  der  Vervollkommnungen  der  Geschütze.  409 


Die  Schlacht  von  Sedan  war  schliesslich  auf  den  entscheidenden  scji^cw  ▼<»>» 

Sedan  — 

Punkten  eine  Artillerieschlacht  mit  ungleichen  Waffen.     Deutscherseits  Arünerie- 
traten  auf:  599  Geschütze,  welche  66568  Greschosse  verfeuerten.  ^  ** 

Den  besten  Beweis  von  der  Ohnmacht  der  französischen  Artillerie 
können  uns  aber  wohl  wieder  Zifiem  liefern. 

Im  Zweikampfe  der  Artillerien  konstatieren  die  von  Hoftbauer  und 
Leo  25)  gemachten  Erhebungen  bei  420  Batterie-Engagements  als  demontiert 
deutsches  Material  nur  6  Lafetten,  8  Protzen,  1  Munitionswagen,  36  Räder 
und  6  Verschlussapparate. 

Mit  Recht  sagt  also  „rAvenir  militaire",  1.  März  1892:   „Man  muss   -Y,^^f"*' 

^^  "  '  "  militaire" 

den  Lehren  von  1870  misstrauen.  Die  preussische  Artillerie  hatte  leichtes  über  die  xr- 
Spiel  gegenüber  unseren  ohnmächtigen  Geschützen,  die  mit  ihren  Projektilen  Krii^rTiwo. 
das  unwirksamste  Kriegsmaterial  waren,  das  je  existiert  hat." 

Wenn  man  den  Charakter  der  Schlachten  des  Feldzuges  1870/71 
ihrer  Anlage  und  ihrem  Verlaufe  nach,  sowie  die  Beteiligung  der 
Artillerie  an  ihnen  studiert,  so  wird  man  finden,  dass  diese  zur  selbst- 
ständigen Durchführung  des  Kampfes  nur  bei  Wörth,  Gravelotte,  Noisse- 
ville  (2.  Tag)  und  Sedan  eingegriffen  hat. 

Im  weiteren  Verlaufe  des  Feldzuges  war  die  übriggebliebene  und 
die  neu  formierte  französische  Armee  schon  im  Zustande  des  Niedergangs 
und  auf  deutscher  Seite  eine  solche  Uebermacht  vorhanden,  dass  die  voll- 
ständige Ausnutzung  der  Artillerie  eine  noch  viel  grössere  Bedeutung  hatte. 

Jedenfalls  kann  nicht  geleugnet  werden,  dass  in  allen  Gefechten 
seitens  der  deutschen  Truppenführer  die  Artillerie  vortrefflich  gebraucht 
wurde. 

Die  Resultate  des  Krieges  waren  so  erstaunlich,  dass  alle  Mächte  Verbesserung 

der 

mit  grosser  Hast  an  die  Verbesserung  der  Geschütze  und  der  Art  ihrer  aeschtttee  in 

IT  :i  •  allen  Staaten 

Verwendung  gingen.  seit  i87o. 

Ueberall  führte  man  neue  Geschütze  ein.  Deutschland  1873—1888, 
Oesterreich  1875,  Italien  1874—1881,  Frankreich  1877,  Russland  1877—1879. 

Diese  Zeitpunkte  der  Einführung  vervollkommneter  Modelle  haben 
ihre  besondere  Bedeutung. 

Als  Bismarck  im  Jahre  1876  die  Absicht  gehabt  haben  soll,  Frank- 
reich zum  zweiten  Mal  niederzuschmettern,  hatte  in  Deutschland  schon 
eine  Reform  der  Artillerie  stattgefunden,  während  Frankreich  und  Russ- 
land eine  solche  noch  nicht  in  Angriff  genommen  hatten. 

Dies  sollte  sich  an  Russland,  als  der  Krieg  mit  der  Türkei  1877      ^"-  ^ 

^  *^  genügende 

ausbrach,  schwer  rächen.  russische 

Artillerie  im 
Kriege  1877. 

**)  Waldor  de  Heusch:  „De  l'occnpation  des  positions  dt'fensives  d'apres.** 
Hoffbauer:    „Die  deutsche  Artillerie." 


410  VI.    Taktik  der  Artillerie. 


In  den  Gefechten  und  Schlachten  des  russisch-töikischen  Krieges 
hat  die  Artillerie  durchschnittlich  nicht  jenen  Einfluss  ausgeübt  und  die  An- 
griffe der  Infanterie  nicht  so  "wii'ksam  vorbereitet,  als  man  hätte  erwarten 
sollen ;  die  meisten  Gefechte  machen  den  Eindnick,  als  ob  die  Mitwirkung 
der  Artillerie  auf  ihren  ganzen  Verlauf  keinen  nennenswerten  Einfluss 
gehabt  hätte.  Der  Grund  dieser  Erscheinung  liegt  hauptsächlich  darin, 
dass  die  Artillerie  ihrer  Aufgabe  nicht  gewachsen  war. 

Die  Notwendigkeit  der  raschesten  Umänderung  des  Greschützmaterials 

trat  sofort  nach  den  ersten  Kämpfen  klar  zu  Tage,  und  so  wurde  Krupp 

in  Essen  mit  der  Herstellung  von  1100  Gussstahlkanonen   beauftragt, 

während    1700    Kanonen    auf    der   Obuchow'schen   Fabrik    angefertigt 
wurden.  36) 

Di«  bi»-  Diese    kurze   Uebersicht    über    die   Verwendung    der    Geschütze 

nerige  Ver-        , 

wendang  d«r  zeigt  uus,  dass  eiu  Vergleich  mit  der  Gegenwart  zu  irrigen  Schlüssen 
ennögUcM  «ihren  muss. 

's^hiSlir  Nicht    allein   die   Wirkung  jedes   einzelnen   Geschützes   war   un- 

i«  B«ng  »uf verhältnismässig    schwächer,    als   sie   im   künftigen   Kriege   sein   wii'd, 
im  zukuDfui-  sondern  auch  die  Anzahl  der  Schüsse  wird  in  Folge  der  gemachten  Ver- 
kriege.     ^^ggermig  eine  ganz  andere  sein  als  in  der  Vergangenheit. 

Eine  Vergleichung  der  in  den  einzelnen  grösseren  Sclilachten  ver- 
brauchten Geschosse  seit  dem  Jahre  1869  mit  den  Anforderungen,  welche 
militärische  Autoritäten  für  den  Zukunftskrieg  stellen,  wird  uns  den  Beweis 
hierfür  liefern. 

suüstik  des      Artilleriemunition,  welche  pro  Geschütz  im  Laufe  einer 
Tttrbruciu  Schlacht  verbraucht  wurde:^) 

fftr  die 

Artuierie  in  1859  Frauzoscu     Solfcriuo       53 

schuchuii.  lo^O  „            Rezonville 61 

1870  „            Saint-Privat 58 

1813  Preussen      Gross-Görschen 68 

1813  „            Bautzen 56 

1813  „            Gross-Beeren 38 

1813  „            Katzbach 35 

1813  „  Dresden 16 

1814  „  Paris 47 

1815  „  Ligny 47 

'*)  „Skizze  der  Umbowaffnung  in  der  heutigen  Artillerie".   Petersburg  1889. 

'0  «Bevue  de  TArmöe  Beige" :  „De  la  Reduction  du  Cliarroi  dans  los  Batteries 
de  Campagne",  d'aprös  Ploix:  „Le  Service  a  l'arriero  dans  rArtillerie".  — 
„Revue  d'Artillerio".  Fevrier  1884.  —  Wille:  „Ueber  die  Bewaffnung  der  Feld- 
Artillerio". 


I 


I 

i 


Einüuss  der  VervoUkommnungen  der  Geschütze.  411 

1815  Preussen      Waterloo 41 

1870  „            Wörth 40 

1870  „            Borny 18 

1870  ,,  Rezonville  (Vionville  oder  Mars  la  Tour)      ...  88 

1870  „  Gravelotte  (St.  Privat  oder  Lignes  d'Amanvillers)  63 

1870  „            Sedan B7 

18B9  Oesterreicher  Magen ta 14 

1859  „            Palestro 32 

1859  „            Solferino      ' .    .  29 

1864  „            Ober-Selk 22 

1864  „            Oeversoe      47 

1864  „            Veüe 19 

1866  „            Trautenan  und  Soor 76 

1866  „            Nachod 63 

1866  „            Skalitz 36 

1866  „            Königinhof  und  Schweinschädel 28 

1866  ,.            Münchengrätz 17 

1866  ,,            Gitschin 42 

1866  „            Kukus  und  Salney 30 

1866  „            Königgrätz .69 

1866  „            Blumenau 70 

1866  „            Custozza 48 

1866  Sachsen      Königgrätz 28 


Artilleriemunition,  pro  Geschütz  während  der  ganzen  Dauer  Art"ierie- 

munition 

des  Feldzuges  verbraucht:  proGeschüte. 

1859  OesteiTeicher 32,5 

1864  „  29 

1866  „  95,6 

1866  „  auf  dem  Kriegstheater  in  Böhmen 107 

1866  „  „  Italien 48 

1866  „  „  Deutschland  ....  55 

1866    Sachsen 20 

186(]    Preussen    (gezogene    und   glatte   Kanonen)    während    des 

ganzen  Feldzuges 40 

1866  ,,        (gezogene  Kanonen) 57 

1866  ,,        auf  dem  Kriegstheater  in  Böhmen  (gezogene  und 

glatte  Kanonen)      38 

1866  „        auf    dem   Kriegstheater    in    Böhmen    (gezogene 

Kanonen) 66 


412  VI.    Taktik  der  Artillerie. 


1866    Prenssen    auf  dem  Kriegstheater  in  Deutschland  (gezogene 

und  glatte  Kanonen) B4 

1866  „  auf  dem  Kriegstheater  in  Deutschland  (gezogene 

Kanonen) 62 

1870—71  Prenssen,  Badenser  und  Hessen 199 

1870—71  Baiem 260 

1870—71  Sachsen 162 

1877—78  Bussen 12B 

Aus  diesen  Ziftem  ergibt  sich,  dass  der  Munitionsverbrauch  be- 
deutend im  Steigen  begriffen  ist. 
iMgXoia  Dass  die  moderne  Bewaffnung  der  Infanterie  mit  dem  kleinkalibrigen 

TorauBsicht-  Kepctiergewehr  unter  Anwendung  des  rauchschwachen  Pulvers,  sowie  die 
Aufiwd   dadurch  bedingte  teilweise  Aenderung  in  der  Truppenführung  die  Thätigkeit 
an  Artillerie-  ^^1-  Feldartülerie  im  Kampfe  stark  erhöhen  muss,  unterliegt  keinem  Zweifel ; 

mnnitioii  . 

im  nftehsteii  wlc  Weit  aber  die  Mutmaassungen  m  dieser  Hinsicht  gehen  können,  zeigt 
Kriege,  f^jg^j^^^  Schätzuug,  wclchc  Obcrst  Langlois  im  zweiten  Bande  seines 
im  Jahre  1892  erschienenen  bemerkenswerten  Werkes 28)  mitteilt:  „Der 
Aufwand  an  Ärtilleriemunition  im  nächsten  Kriege  wird  unsere  über- 
triebensten Erwartungen  übersteigen.  Wir  nehmen,  um  uns  in  engen 
Grenzen  zu  bewegen,  an,  dass  man  blos  100  Schüsse  auf  die  Batterie 
und  auf  die  Kampfstunde  rechnen  darf;  in  zwei  Tagen  zu  8  Kampf- 
stunden wird  man  also  1600  Schüsse  per  Batterie  oder  267  Schüsse 
per  Kanone  abgeben,  was  gerade  der  Ausgabe  der  beiden  Schlachttage  von 
Leipzig  gleichkommt;  und  dieser  Aufwand  darf  uns  nicht  wundern" .... 
Indem  er  weiter  eine  Verteilung  unter  die  verschiedenen  Munitionsstaffeln 
eines  Armeekorps  angiebt,  schlägt  Langlois  vor,  die  Batterie  mit  neun 
Munitionswagen  bestellen  zu  lassen,  wie  in  Frankreich,  was  141  Schüsse 
per  Geschütz  ausmacht, 
seusohten-  Und  Weiter  sagt  der  genannte  Verfasser:    „Wer  könnte  zu  behaupten 

8  bi8*4  Tage,  wageu,  dass  die  Schlacht  nicht  3—4  Tage  dauern,  dass  der  Verbrauch  nicht 
500  Schüsse  per  Geschütz  in  diesem  Zeitraum  übersteigen  wird?  Selbst- 
verständlich kann  man  hoffen,  dass  derartige  Zahlen  nicht  erreicht  werden, 
aber  die  elementarste  Vorsicht  gebietet,  uns  auf  derartige  Anforderungen 
vorzubereiten  —  9000  Schüsse  per  Batterie  in  4  Schlachttagen." 
starke  Zu-  Dazu  bcmcrkt  er  aber  unstreitig  ganz  richtig:     „Die  menschliche 

"*an"dir  Energie  hat  ihre  Grenzen  und  wir  glauben  nicht,  dass  sie  gross  genug 
"&I!?^e.^**  ist,  um  zwei  Heere  während  vier  aufeinander  folgenden  vollen  Tagen  im 
Kampfe   zu   erhalten.      Man    kann    annehmen,    dass   die   Hälfte    oder 

•®)   L' Artillerie   de  Campagne   en  liaison   avec  les  autres  armes,   par  le 
Colonel  Langlois,  professeur  k  l'Ecole  superieure  de  guerre,  Paris  1892. 


Eiiifluss  des  rauchschwachen  Pulvei-s.  413 


wenigstens  der  dritte  Teil  dieser  3000  Schüsse  gegen  die  feindliche 
Artillerie  gerichtet  sein  wird,  welche  ebenfalls  mit  1600  oder  1000  Schüssen 
antworten  wird.  Was  bleibt  aber  wohl  nach  solchem  Schiessen  von  einer 
Batterie  übrig?" 

Die  Antwort  darauf  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  wenn  wir     f"*"^* 
die  Wii'kung  der  neuen  Geschosse  ins  Auge  fassen.  ,  gefecht- 

Bei  General  Rohne^^)   finden  wir  hierüber  sehr  bemerkenswerte  Bemannung. 
Angaben.    Er  erklärt:   Um  die  Hälfte  der  Bemannung  einer  freistehenden 
Batterie  ausser  Gefecht  zu  setzen,  werden  benötigt,  auf  2000  Meter  Ent- 
fernung —  33  Schuss,  auf  3000  Meter  —  47,  auf  4000  Meter  —  90  Schuss. 

Gegen  Batterien  hinter  Werken  wird  man  selbstverständlich  auf  eine 
höhere  Schusszahl  rechnen  müssen. 


Einflnss  des  ranchschwachen  Pnlvers  anf  die 

Taktik  der  Artillerie. 

Bei  unseren  Ausführungen  über  das  rauchschwache  Pulver  haben  ^Jg'jjj^*^" 
wir  schon  seine  Eigenschaft  hervorgehoben,  dass  nämlich  in  der  für      ^^ 
Artillerieschüsse  gewöhnlichen  Entfernung  der  Pulverdampf  nicht  wahr-  des  »uck- 
genommen  werden  kann.  *pIiw^*" 

Das  frühere  Pulver  bezeichnete  mit  dem  Moment  der  Feuereröffnung 
deutlich  die  Stelle,  von  der  aus  die  Schüsse  erfolgten,  und  obwohl  es  die 
Schützen  selbst  den  Augen  des  Gregners  entzog,  so  bildete  doch  auf  jedem 
Schlachtfelde  die  Rauchlinie  das  Ziel  für  die  Richtung  des  feindlichen 
Feuers,  mit  einem  Wort,  in  jedem  gegebenen  Moment  wurden  die  Geschütz- 
linien durch  den  sichtbaren  Pulverdampf  bezeichnet. 

Mit  Einfuhrung  des  neuen  Pulvers  ist  eine  solche  Bestimmung  teil- 
weise schwierig,  teilweise  gar  unmöglich  geworden,  da  nur  die  Spreng-  fewt 
ladung  einen  Zusatz  von  Schwarzpulver  enthält,  welches  einen  tief- 
dunklen Rauch  erzeugt  und  es  gestattet,  das  Einschlagen  der  Geschosse 
zu  beobachten.  In  allen  anderen  Fällen  kann  man  über  die  Richtung  der 
Schüsse  nur  noch  mit  Hilfe  des  Gehörs  urteilen,  aber  nach  Ansicht  der 
Fachmänner  kann  die  Bestimmung  nach  dem  Gehör  niemals  die  früliere 
Orientierung  vermittelst  des  Auges  ersetzen. 


Raaeh- 
orieniining 


'•)  General  Kohne :  „Beurteilung  der  Wirkung  beim  Schiessen"  im  „Militär- 
Wochenblatt",  1895. 


414  VI.    Taktik  der  Artillerie. 


Bed«ainiig  Glelchwohl  legen  nicht  alle  Militärschriftsteller  dem  Unterschiede, 

der  "  , 

Feaers&uie.  welcher  durch  das  Fehlen  des  Rauches  auf  dem  Schlachtfelde  gegen  früher 
bedingt  wird,  besondere  Bedeutung  bei.  Obwohl  in  Wirklichkeit  der 
Rauch  v,on  dem  „rauchlosen"  oder,  richtiger  ausgedrückt,  rauchschwachen 
Pulver  auf  weitere  Entfernungen  hin  nicht  sichtbar  sei,  so  ersetze  ihn 
.doch  die  Feuersäule  der  verbrennenden  Gase,  die  bei  jedem  Schusse 
auf  gi-össere  Entfernungen  noch  deutlicher  sichtbar  sei,  als  bd  dem 
fiiiheren  Pulver.  Nach  diesem  Feuerschein  könne  Bäan  auf  drei  Kilometer 
Entfernung  nicht  nur  die  Position  der  Artillerie,  sondern  auch  die  Zahl 
ihrer  Geschütze  genau  bestimmen.  Demnach  werde,  sagen  die  einen, 
trotz  des  mangelnden  Rauchs  des  neuen  Pulvers  jeder  Kanonen- 
schuss  der  Beobachtung  zugänglicher  als  früher,  nur  mit  dem  Unter- 
schiede, dass  man  beim  früheren  Pulver  die  Position  der  feindlichen 
Artillerie  mittels  der  Rauchwolke  bestimmte,  während  sie  jetzt  die  bei 
jedem  Schusse  auftretenden  Feuersäulen  bezeichnen.  Hierauf  wird  aber 
erwidert,  dass  man  in  vielen  Fällen  die  Batterien  hinter  einer  Deckung 
postieren  wird,  um  die  Feuersäulen  unsichtbar  zu  machen.  Zu  diesem 
Zweck  brauche  man  nur  die  Geschütze  6  Meter  hinter  einer  Deckung  von 
Brustwehrhöhe  aufzustellen,  das  Feuer  werde  dann  unter  keinen  Umständen 
mehr  sichtbar  sein.  Dass  eine  derartige  Stellung  der  Geschütze  ihre 
grossen  Nachteile  hat,  unterliegt  keinem  Zweifel,  und  dennoch  spricht  die 
Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  man  im  zukünftigen  Krieg  zu  solchem 
sozusagen  indirekten  oder  gedeckten  Schiessen  gezwungen  sein  wird.i) 

niu**aitem  ^^^^^  gebeu  auf  der  folgenden  Seite  nach  der  „Revue  Encyclop6dique** 

und  neuem  Abbildungen  der  Schüsse  mit  dem  alten  und  neuen  Pulver. 

Pnlver.        ^ 

Schwierig-  In  jedem  Falle  ist  es  seit  Einführung  des  rauchschwachen  Pulvers 

Truppin-  sogar  schou  bei  den  Friedens -Manövern  in  Folge  der  grossen  Flächen, 

bewogungen  {^  Folge  der  zerstreuten  Ordnung  und  des  Suchens  nach  Deckungen  weit 

zu  erkennen.  .     ^  " 

schwieriger  geworden,    die  Truppenbewegungen   zu   erkennen  und  die 
eigenen  Truppen  von  denen  des  Gegners  zu  unterscheiden.  3) 

Grössere  Ge-  Dicser  Umstaud  ist  bei  Berechnung  der  Möglichkeit  der  Verluste 

Ah  r dang 

der  in  zukünftigen  Kriegen  ebenfalls  in  Rechnung  zu  ziehen.  Was  den 
bldietung.  direkten  Einfluss  des  neuen  Pulvers  auf  die  Geschützwirkung  betiitft, 
so  ist  noch  zu  bemerken,  dass  die  Anwendung  des  rauchschwachen 
Pulvers  die  Gefährdung  der  Geschützbedienung  bedeutend  vergrössert 
hat.  Früher  blieb  sie  dank  dem  dichten  Pulverdampf  unsichtbar.  Der 
Dampf  hinderte  wohl  das  Zielen,  aber  auch  die  feindlichen  Schützen 


0  Michnewitsch:  „Ueber  den  Einfluss  des  Kalibergewehrs  auf  die  Heeres- 
taktik." 

')  Charles  Dilke:  „Les  armees  frangaises". 


a 

o 
in 

o 


EJnSusR  des  muuhscli wachen  Palvera.  415 

vermochten  liierbei  nicht  die  Geschützmaimschaft  geuaa  aufs  Kom  zq 
nehmen.  Obwohl  das  rauchschwache  Pulver,  wie  schon  erwähnt,  auch 
gegenwärtig  beim  Schiessen  ans  GfescWltzen  immerhin  noch  verhältnis- 
mässig mehr  Ranch  erzeugt  als  Gewehrfener,  so  verschwindet  doch  dieser 
Dampf  fast  unmittelbar  nach  dem  Schusse,  nnd  die  Artilleriebedienung 
ist  nicht  mehr  vor  direkten  feindlichen  Kemschüssen  geschützt. 


Alt«  Piil«r.  Geschützkampf.  RMciBcliwKhes  Pnlvor. 

Alle  Gründe,  die  man  zu  Gunsten  der  Aufschüttung  von  Erd-"*' 
decknngen  bei  der  Infanterie  anführt,  wovon  schon  die  Rede  war,  recht-  i 
fertigen  gleichfalls  die.  Wahl  gedeckter  Positionen  für  Artillerie.  Jedoch  ' 
zieht  das  Exerzier-Reglement  der  deutschen  Artillerie  die  Anwendung  ' 
des  direkten  Schiessens  vor  und  lässt  das  gedeckte  Schiessen  nur 
dann  zu,  wenn  das  erstere  je  nach  Lage  des  Kampfes  oder  des  Terrains 
unmöglich  erscheint. 

Die  Möglichkeit  der  Dnrchfühmng  dieser  Bestimmung  der  deatschen 
Schiessvorschrift  wird  jedoch  von  verschiedenen  Seiten  stark  angezweifelt. 
—  Bei  dem  jetzigen  Feuer  der  Geschütze  würden  auf  wiiksame  Ent- 
fernung (jedenfalls  noch  bei  3000  Metern)  Batterien  selir  bald  dorch  Verinst 
ihrei-  Bedienung  kampfunfähig  werden.») 

')  „Journal  des  Sciences  MUitaires":  „Röle  de  l'Artillerie  dana  le  combat 
de  Corps  d'Arnii'^e." 


416  VI.    Taktik  der  Artillerie. 


^  wöobei^"^^  Das  ,,Militär-Wochenblatt"  widmet  der  Prüfung  der  Vor-  und  Nach- 

biatt- über  teile,  welche  durch  Anwendung  des  indirekten  iSchiessens  für  die  Feld- 
^edeckto)* Artillerie  erwachsen  können,  einen  offiziellen  Artikel.  Der  Autor  billigt 
Schiessen.  yoHkommen  die  von  der  deutschen  Instruktion  aufgestellte  Regel  und 
lässt  ebensowenig  die  übertriebene  Vorliebe  gewisser  Ai-tilleristen  für 
gedecktes  Schiessen  zu,  als  die  vorgefasste  Meinung  anderer,  die  in 
dieser  Schiessweise  nur  ein  wahres  Versteckspiel  sehen  wollen  und  der 
Artillerie  den  Vorwurf  machen,  sie  wolle  sich  den  von  anderen  Waffen- 
gattungen mutig  ertragenen  Verlusten  entziehen. 

Es  würde  ein  Irrtum  sein  zu  glauben,  sagt  der  Autor,  dass  die  ge- 
deckten Positionen  die  Artillerie  vollständig  vor  den  Schüssen  des  Feindes 
bewahren  würden;  die  grossen  Massen,  die  man  heutzutage  verwendet, 
verstecken  sich  nicht  so  leicht;  wenn  es  auch  den  Batterien  durch  einen 
ausnahmsweisen  Zufall  gelungen  sein  sollte,  ihre  Position  einzunehmen, 
ohne  von  der  feindlichen  ArtiQerie,  den  Vorposten  oder  Patrouillen  ge- 
sehen worden  zu  sein,  werden  sie  doch  ihie  Gegenwart  sogleich  bei 
Beginn  des  Feuers  verraten.  Der  Kanonendonner,  das  Explodieren  der 
Geschosse,  sowie  die  gleichzeitigen  Nachrichten  über  die  wahrscheinliche 
Marschrichtung  des  Angi-eifers  werden  fast  immer  dem  Feinde  die  Anhöhe, 
hinter  der  die  Masse  der  Ai-tillerie  Position  genommen  hat,  anzeigen. 

Es  bleibt  trotzdem  nicht  minder  wahr,  dass  die  Verluste  geringer 
sein  werden,  als  wenn  sich  eine  Batterie  ungedeckt  aufstellt  oder  eine 
„halbgedeckte"  Position  einnimmt,  in  welcher  bloss  die  Geschützmün- 
dungen den  Gipfel  überragen,  denn,  wenn  der  Gegner  auch  annähernd 
die  Stellung  der  Batterie  selbst  kennt,  so  kann  er  doch  nicht  wissen,  wo 
deren  Munitionswagen  und  weitere  Wagenstaifeln  aufgestellt  sind. 
J^""'  Es  ist  selbstverständlich,  dass  Berechnungen  angestellt  worden  sind 

rechnungen,  o  o 

zeitond    Über  die  Zeit  und  Patronenanzahl,  welche  nötig  sein  werden,  um  eine 

eine^B^tteri^  Batterie  durch  lufanteriefcuer  ausser  Gefecht  zu  setzen.   General  Rohne ^j 

G^chk    ^^»  ^^®  ^^  Bedienung  einer  Batterie  einschliesslich  Offiziere,  fnter- 

sa  setzen,  offizicrc  uud  Manuschafteu  an  den  Munitionswagen  auf  etwa  50  Mann 

veranschlagt  werden  kann,  und  wenn  die  Hälfte  davon  ausser  Gefecht 

gesetzt  ist,  kommt  die  Batterie  ausser  Thätigkeit.   Um  dieses  zu  erlangen, 

sind  auf 

800  Meter  50  X  14,3  oder    715  Patronen 

1200      „       50X35,1    „      1755 

1500      „       50X56,1    „      2805 

1800      „      50X80       „      4000 
erforderlich. 


*)  General  Kohne:   „Die  Beurteilung  der  Wirkung  beim  gefochtsmässigen 
Schiessen",  im  „Militär -Wochenblatt"  1895. 


Einfluss  des  rauchschwachen  Ptilvers.  417 

Die  zum  Verfeuern  dieser  Schusszahl  nötige  Zeit  wird  sich  nach 

■ 

der  ZaM  der  in  Thätigkeit  tretenden  Gewehre  richten.  Die  Frontbreite 
einer  Batterie  beträgt  etwa  100  Schritt;  rechnet  man  dementsprechend 
100  Gewehre  und  setzt  folgende  Feuergeschwindigkeiten  voraus: 

bei  einer  Entfernung  von    800  Metern  3,6  Schuss  in  der  Minute 

,,  1200       „        2,6 

„  1600       „        1,6       „ 

„  1800       „        1,0       „ 
so  braucht  man  auf 

800  Meter    rund    2  Minuten 

1200  „„       7       „ 

1600  „           „     18«/4    „ 

1800  „          „     40       „ 

Ist  die  Zahl  der  feueraden  Gewehre  gi-össer,  so  braucht  man 
natürlich  weniger,  ist  sie  geringer,  mehr  Zeit. 

Wir  stehen  aber  vor  einer  offenen  Frage,  deren  Wichtigkeit  für 
den  zukünftigen  Krieg  später  noch  betont  werden  muss. 

Es  darf  ausserdem  nicht  vergessen  werden,   dass  beim  Schiessen  2f?.®??'* 

*^  ^  MöglicBKeit 

mit  rauchschwachem  Pulver  die  feindlichen  Schützen  die  volle  Möglich- ftrfeinduche 
keit  haben,  sich  der  Batterie  des  Feindes  zu  nähern,  hinter  Unebenheiten    .ich  an 
des  Bodens  Deckung  zu  suchen  und  ohne  durch  den  Pulverdampf  verraten  ^^^^ " 
zu  werden,  die  ganze  Geschützbedienung  und  -Bespannung  ausser  Gefecht 
zu  setzen. 

Bis  zu  welchem  Grade  bei  dem  jetzigen  Gewehr  und  dem  rauch-  ^^I*"f.'l 
schwachen  Pulver  der  einzelne  Soldat  gefahrlich  werden  kann,  zeigt  ein    keit  de» 
aus  dem  deutsch-französischen  Kriege  mitgeteiltes  Beispiel.    Ein  fran- soid»ton*b^i 
zösisches  Bataillon,  das  hinter  der  niedrigen  Mauer  eines  Parkes  Deckung  ^^^^7  «tS? 
gefunden  hatte,  führte  ein  lebhaftes  Feuergefecht  mit  einer  Abteilung     lo^n 
Bayern.   Einer  der  Bayern  kletterte  auf  einen  Baum  und  begann  zwischen 
den  Zweigen  hindurch  auf  die  Franzosen  zu  feuern,  ein  Opfer  nach  dem 
anderen  niederstreckend,  und  erst  als  der  Rauch  ihn  verriet,  wui-de  er 
durch  einige  Salven  vom  Baume  herabgeschossen.  —  Wie  aber  würde 
es  sein,  wenn  statt  eines  Schützen  auf  dem  Baume  ihrer  mehrere  sässen, 
und  wenn  sie  mit  rauchschwachem  Pulver  schössen? 

Die  bei  Manövern  mit  rauchschwachem  Pulver  gemachten  Err 
fahrungen  bestätigen,  dass  durch  Bäume  und  Büsche  verdeckte  Schützen 
auf  eine  Entfernung  von  400  Metena  nicht  zu  entdecken  sind.  Vor  einer 
solchen  Entdeckung  aber  kann  bei  geübten  Schützen  jeder  Schuss  ein 
Opfer  kosten. 

Bloch,  J>tt  sakflnftige  Krieg.  27 


i*U 


41g  VI.    Taktik  der  Artillerie. 


«^^"«  Seit  jener  Zeit    ist    das   Gewehr   bedeutend   verbessert   worden; 

nm  ausserdem  sind  gegenwärtig  in  allen  Heeren  spezielle  sogenannte  „Jagd- 
dei  FtinAm  Kommandos"  geschaften,  die  aus  Leuten  bestehen,  welche  trefflich  auf  weite 
konmdM  E^^^fern^M^K^ii  zu  schiessen  verstehen  und  besonders  darin  geübt  sind,  sich 
unbemerkt  an  das  Ziel  heranzuschleichen.  Es  ist  klar,  dass  für  derartige 
Kommandos  die  Aufgabe,  sich  an  eine  Batterie  heranzuschleichen  und  die 
Geschützbedienung  niederzuschiessen.  keine  besonders  grossen  Schwierig- 
keiten bildet.  Man  kann  bestimmt  behaupten,  dass  alle  Armeen  speziell  für 
das  Beschiessen  der  Bemannung  der  feindlichen  Geschütze  ausgebildete 
Schützen  gewissermaassen  als  Schutzkette  vorausschicken  werden.  Die 
französischen,  deutschen  und  österreichischen  Heere  verfügen  über  eine 
genügende  Anzahl  solcher  Leute.  Es  ist  bekannt,  dass  für  die  Entwicke- 
lung  des  Schützensports  in  Deutschland,  Frankreich,  Oesterreich  und  der 
Schweiz  jährlich  bedeutende  Summen  verausgabt  werden  und  dass  die 
Bevölkerung  dieser  Staaten  eine  Menge  trefflicher  Schützen  aufweist. 
Auch  in  der  russischen  Armee  bestehen  bei  den  einzelnen  Truppenteilen 
besondere  „Jagd-Kommandos". 
oeoiirdaDg  Weuu  also  furchtbare  Opfer  vermieden  werden  sollen,  so  darf  die 

durch  die  ^  ' 

Stellang   Artillerie  auf  dem  Schlachtfelde  nur  in  günstiger  Position  erscheinen. 

bedingt 

Um  zu  veranschaulichen,  dass  die  Gefahrdung  von  der  Stellung 
der  Artillerie    abhängt,    geben   wir  nebenstehend    einige   Bilder    von 
Artillerie  -  Zielen.*) 
^«""kei"/  ^^^^  sogar  ganz  gedeckt  stehende  Geschütze  müssen,  soviel  es  an- 

der Deckung  geht,   durch  Schutzketten   ihrer  eigenen  Infanterie  verteidigt   werden, 
öoimuketten.  Vorausrennen   und   Stellungsänderungen   werden  gegenwärtig   mit  sehr 
grosser  Gefahr  verbunden  sein. 

Jedenfalls  ist  die  Thätigkeit  der  Artillerie  von  nahen  Entfernungen 

aus   (bis  1000  Meter)  fast  unmöglich  geworden,  und  auch   auf  weitere 

Entfernungen  (bis  2400  Meter)  kann  sie  leicht  durch  Infanterie  im  Schach 

gehalten  werden.   Nur  bei  Entfernungen  über  2400  Meter  wird  angenommen, 

dass  die  ArtiQerie,  welche  durch  Infanterie  wirksam  gedeckt  wird,  eine 

gewisse  Aktionsfreiheit  erhält. 

^ibd^m*'  Deshalb  erübrigt  die  Frage:   wird  die  Artillerie  gegenüber  dem 

Jetzigen  ver- jetzigen    vcrvollkommueten   Gewehr   ihren  Vorrang   behaupten?     Diese 

^^neton"  Frage  kann  nur  ein  künftiger  Krieg  entscheiden,  um  so  mehr,  als  die 

gfgwttber  ^^^^^  Verbesserungen  der  Gewehre  die  Gefahrzone  noch  vergrössern 

die  Artillerie  werdCU. 
den  Vornng 

behaupten  Wio  wir  schou  ausgeführt,  müssen  in  Zukunft  die  Schlachten  mit 

llni  den  ^inem  mörderischen  Artillerie-Zweikampf  beginnen. 

künftigen     ~  .       .    - 

entafheWbM.  *^  General  Rohne:   „Das  Schi  essen  der  Feldartillerie",  Berlin  1881. 


Einfloss  des  rauchschwacheu  Pulvers. 


419 


Artillerie -Ziele. 


Die  Artillerie  muss,  soll  sie  den  Infanterieangriff  wirkungsvoll 
vorbereiten,  vorher  die  feindliche  Artillerie  genügend  geschwächt 
haben,  um  sie  dann  mit  nur  einem  Teil  der  eigenen  Geschütze  nieder- 
halten zu  können.  Anderenfalls  würde  sie  sich  der  Gefahr  aussetzen,  selbst 
durch  die  feindlich^  Artillerie  vollständig  in  Schach  gehalten  zu  werden, 
ehe  sie  noch  die  Vorbereitungen  zum  Angriff  der  Infanterie  beendigen 
konnte,  und  der  Erfolg  dieses  letzteren  würde  hiermit  in  Frage  gestellt. 

Es  wird  also  das  sicherste  Mittel,    den  Feind  ausser  Stand  zu    ß<«*"» 

der  Scblacht 

setzen,  seinen  Angriff  auszuführen,  darin  bestehen,  seine  Artillerie  zu  durch 
beschäftigen  und  ihr  so  die  Vorbereitungen  dieses  Angriffes  unmöglich  z^l"^^f. 
zu  machen.  Beide  Gegner  haben  also  ein  gleiches  Interesse  daran,  sich 
dieses  Vorteils  zu  versichern  und  deshalb  entschlossen  ihre  Artillerie  vor- 
zuführen, um  gleich  anfangs  Ueberlegenheit  zu  erhalten.  Die  beiden 
gegnerischen  Artillerien  werden  somit  dazu  gebracht,  sich  zu  suchen 
und  sich  gegenseitig  anzugreifen,  sodass  in  Zukunft  noch  mehr  als  in  der 
Vergangenheit  alle  Schlachten  mit  einem  energischen  Artilleriekampf  er- 
öffnet werden. 

27* 


420  ^^    Taktik  der  Artillerie. 


/ 


^^^^  Bei  gleichen  Kräften  wird  eine  so  rasche  beiderseitige  Vemichtong 

luH  uMm-  stattfinden^  da8S  die  Geschütze  als  nie  dagewesene  Grössen  zn  betrachten 
******^*'    «ind.    General  Rohne^  steUt  folgende  Frage: 


^Welche  Wirkung  ist  gegen  eine  vorschriftsmassig  besetzte  Batterie 
dm  QtmmiM  (50  FigOTen)  in  10  Minuten  auf  2500  Meter  von  einer  feindlichen  Batterie 
"**■•'    zu  erwarten?** 

Bechnet  man  für  das  Einschiessen  3  Minuten,  so  bleiben  7  Minuten 
fiir  die  Wirkung;  pro  Minute  6  Schnss  giebt  42  wirksame  Schuss  zu  je 
2,0  Treffer.  Danach  wurde  man  auf  84  Treffer  und  40  getroffene  Figuren 
rechnen  dürfen« 

Vorausgesetzt  ist  hierbei  völliges  Gelingen  des  Einschiessens  und 
richtige  Verteilung  des  Feuers  auf  das  ganze  Ziel.    Wer  diese  Ergebnisse 
mit  solchen  Angaben  vergleicht,   die  auf  statistischem  Wege  gefunden 
sind,  wird  höchst  wahrscheinlich  erkennen,  dass  sie  meist  höher  als  die 
letzteren  sind.    Das  ist  sehr  natürlich,  da  in  den  statistischen  Zusammen- 
stellungen auch  solche  Schiessubungen  Aufnahme  gefunden  haben,  bei  denen 
das  Einschiessen  misslang.   In  vielen  Fällen,  wo  die  Sprengi^eiten  günstig 
waren,  fallen  natürlich  die  Resultate  erheblich  höher  aus.    In  10  —  sage 
zehn  —  Minuten  auf  2500  Meter  Entfernung  ist  schon  die  Möglichkeit  der 
beiderseitigen  Vernichtung  vorhanden  —  und  selbstverständlich  wird  der 
Ausgang  dieses  Kampfes  einen  vorwiegenden  Einfluss  auf  den  weiteren 
^Lia^r   ^^^^^^  ^®^  Schlacht  haben ;  denn  von  dem  Siege  oder  der  Niederlage 
ArtiiM«  seiner  Artillerie  wird  für  jeden  der  beiden  Gegner  entweder  die  Mög- 
**Er»rrff«i"  lictkeit,  einen  weiteren  Infanterieangriff  vorzubereiten   und  somit  die 
*•' ^•"*'^*  Möglichkeit  der  Offensive  überhaupt,  oder   die  Unmöglichkeit,   diesen 
Angriff  vorzubereiten  und,    als  Eonsequenz  davon,    die  Notwendigkeit 
sich  zur  Defensive  zu  entschliessen,  abhängen. 

BediDg«Dge&  Was  den  Ausgang  des  Artilleriekampfes  selbst  aubelangt,  so  wird  er 

gftn«tiges  vor  allem  von  der  Anzahl  der  Geschütze,  die  jeder  der  beiden  Gegner 

^  A^'uerit'"  sogleich  in  die  Kampf  linie  stellen  kann,  abhängen.    Daher  rührt  die  Not- 

kampfo«.    wendigkeit,  die  Bildung  und  Dislokation  der  Kolonnen  so  zu  regulieren, 

dass  man  gleich  zu  Anfang  der  Aktion  über  die  Gesamtzahl  der  Geschütze 

verfügen  und  fiüher,   als  der  Gegner,  mit  der  Beschiessung  beginnen 

kann.    Es  wird  also  wünschenswert  sein,  dass  der  Artilleriekampf  nach 

Möglichkeit  den  Charakter  einer  Ueberraschung  trägt  und  er  in  jedem 

Falle  rasch  und  auf  weiteste  noch  wirksame  Entfernung  geführt  wird. 

unt«raciif«d  In  früheren  Zeiten  war  wohl  auch  das  Gleiche  der  Fall,  da  aber 

mit  .  ' 

der  Yer-    damals   die  Kämpfer   sich   in  verhältnismässig   naher  Entfernung   von 

gftDgenheit 

*)  Genersd  Rohne:  „Militär-Wochenblatt",  1895. 


Bekämpfong  eines  durch  Schanzen  gedeckten  Feindes.  421 


einander  befanden,  das  Feuer  jedoch,  wie  wir  gezeigt  haben,  verhältnis- 
mässig schwach  war,  so  konnten  die  Resultate  der  gegenseitigen 
Beschiessung  durch  Geschütze  nicht  solche  Bedeutung  haben,  wie  sie  jetzt 
gewinnen  werden,  wo  die  Tragweite  der  modernen  Feldgeschütze, 
ohne  noch  die  Veränderungen  in  Anschlag  zu  bringen,  welche  in  Folge 
der  Steigerung  der  Anfangsgeschwindigkeit  der  Geschosse  eintreten 
können,  so  ausserordentlich  verstärkt  worden  ist. 


Bekämpflmg  eines  durch  Schanzen  gedeckten  Feindes. 

Der  zukünftige  Krieg  wird  sich  auch  durch  den  tiefgehenden  Einfluss  ^^^^*- 
auszeichnen,  welchen  das  Aufsuchen  von  Deckungen  gegen  das  Feuer  des       im 
Gegners  ausübt.    Die  Schaufel  ist  heute  für  den  Krieger  ebenso  un-  '^Kril^r" 
entbehrlich  wie  das  Gewehr,  und  wie  schon  betont  wurde,  ist  die  Erd- 
deckung zu  einer  Lebensfrage  geworden. 

Die  neuen  Eeglements  und  Feldpioniervorschriften  aller  Armeen  unndrfa»iii- 
legen  besonderen  Nachdruck  auf  die  Vorteile,  welche  die  Verteidigung  aus  Fiachuim- 
rasch    herzustellenden,    mit   zahlreichen   gedeckten    Unterständen    aus-  geg^M- 
gestatteten  Schanzen  gewinnen  kann.    An  diesen  gedeckten  Unterständen  ^•«^^«•^ 
scheitert  die  Shrapnel-,  Splitter-  und  Vollgeschosswirkung  des  Flachbahn- 
geschützes.   Eine  nur  über  FlachbahngeschMze  verfügende  Feldartillerie 
kann  also  diese  Deckungen  nicht  zerstören,  daher  auch  den  Angriff  der 
Infanterie  nicht  entsprechend  vorbereiten.    Femer  müssen  Flachbahn- 
geschütze ihr  Feuer  gegen  die  anzugreifenden  Teile  der  feindlichen  Stellung 
einstellen,  sobald  sich  die  eigene  Infanterie  diesen  Teilen  auf  400  Meter 
Entfernung  genähert  hat.    Eine  nur  über  Flachbahngeschütze  verfftgende 
Feldartillerie  kann  also  in  der  kritischesten,  entscheidendsten  Gefechts- 
phase, in  welcher  die  Infanterie,  gegenüber  der  vernichtenden  Kraft  des 
heutigen  IQeingewehrfeuers,  der  Hilfe  von  Seite  ihrer  Artillerie  am  alier- 
dringendsten  bedarf,  jene  nicht  mehr  unterstützen,  i) 

Die  russische  Armee  im  Kriege  1877/78  verfügte  nur  über  Flach- 
bahngeschütze, und  General  Totleben  bemerkt,  dass  man  vor  Plewna 
einen  ganzen  Tag  zu  schiessen  hatte,  um  nur  einen  einzigen  durch 
Schanzen  gedeckten  Türken  ausser  Gefecht  zu  setzen.^) 


')  General  Müller:   „Die  Wirkung  der  Feldgeschütze." 

')  „MilitÄrische  Betraclitungen  über  den  russisch- türkischen  Krieg.** 


422  ^-    Taktik  der  Artillerie. 


Wenn  beide  Gegner  sich  sofort  bei  Beginn  des  Feldzngs  mit 
Schanzen  umgeben  und  beiderseits  den  Angriff  des  Gegners  abwarten 
würden,  so  würde  sich  die  geschichtliche  Thatsache  zwischen  Gustav 
Adolph  und  Wallenstein  wiederholen,  die  sich  1632  bei  Nürnberg  beide 
verschanzten  und  ihre  Siegeshoffnungen  auf  ein  geduldiges  Warten  und 
die  Erschöpfung  des  Gegners  setzten. 

Einfftimuig  Man  suchte  nach  Mitteln,  solche  rasch  mit  der  Schaufel  ausgeführte 

orsern.  ^Q.g]gg^jj]jßj^gfßgt^jjjg^jjM  q^^j.  ^q^Jj  jjjj.^  Bcsatzungeu  mit  einer  gewissen 

Wahrscheinlichkeit  auf  Erfolg  angreifen  zu  können.    Die  unermüdliche 
Technik  unserer  Zeit  schuf  daher  ausser  den  schon  bestehenden  Feld- 
haubitzen auch  ambulante  Mörser,  welche  in  die  Feldartillerien  eingestellt 
wurden. 
Basriseke  j){q  Hauptbediugungen,  denen  ein  Geschütz  dieser  Art  entsprechen 

16-Conuiii.' 

M6»er.  muss,  genügende*  Beweglichkeit ,  um  den  Feldtruppen  folgen  zu  können, 
genügend  grosses  Kaliber,  um  grosse  Projektile  zu  schleudern,  schienen 
sich  schwer  vereinigen  zu  lassen,  bis  die  durch  Russland  erfolgte  Einfühining 
eines  nach  den  Angaben  des  Generals  Engelhardt  konstruierten  15-Centi- 
meter-Mörsers  bewiesen  hat,  dass  diese  Aufgabe  auf  praktische  Weise  zu 
lösen  war.s) 

Nach  Sciences  Militaires  „Artillerie"  soll  dieser  Mörser  insgesamt 
455  Kilogramm  wiegen  und  Bomben  von  33  Kilogramm  und  Shrapnels 
von  37,50  Kilogramm  werfen.  Die  Anfangsgeschwindigkeit  beträgt 
250  Meter.  Diese  Mörser,  die  auf  Räderlafetten  mit  gewöhnlicher  Be- 
spannung gefuhrt  werden,  schiessen  auf  eine  Entfernung  bis  zu  3  Kilometer 
mit  einem  Stahl-Shrapnel,  der  mit  700  Kugeln,  jede  4,2  Gramm  schwer, 
gefüllt  ist,  und  mit  einer  Bombenmine,  die  etwa  6  Kilogramm  Pulver  enthält. 
Beim  Bogenschiessen  treffen  diese  Geschosse  Leute,  die  sich  an  der  innern 
Böschung  einer  Brustwehr  von  7  Fuss  Höhe  befinden;  die  Bombenmine, 
die  in  einer  7  Fuss  hohen  Brustwehr  von  12  Fuss  Dicke  explodiert, 
macht  eine  Bresche  von  etwa  5  Fuss.  Die  frisch  aufgeschütteten  Traversen 
stürzen  in  Folge  der  Wirkung  einer  oder  zweier  Bomben  ein.  Am  vorteil- 
haftesten ist  es,  auf  Brustwehren  mit  vollen  Ladungen  zu  schiessen. 
Treff-  Nach  dem  Beispiele  Russlands   wurden    nun   Feldhaubitzen    und 

aicherhait 

der  Mörser.  Mörser  iu  allcu  Staaten  angeschafft. 

Die  Wirkung  der  Mörser  giebt  uns  folgendes  Bild  eines  Probeschusses 
der  Gruson -Werke  ^)  aus  einer  12-Centiraeter-Haubitze  mit  Granaten  und 
Shrapnels  auf  3000  Meter  Entfernung,  ß) 


»)  „Skizze  der  Reformen  in  der  Artillerie  von  1868  bis  1877." 

*)  „Revue  d'ArtiUerie." 

*)  «Revue  de  FArm^e  Beige,"  1890,  Tome  IIT. 


^ 


Bekämpfung  eines  darch  Schanzen  gedeckten  fremdes. 


423 


Probeschuss  aus  einer  l^-Centimeter-Haubitze. 


Es  waren  B  Scheiben,  welche  die  Besatzung  darstellen  sollten,  auf-  ^f"^  ^^ 

'  *^  ^  schlössen  mit 

gestellt.    Diese  wurden  vollständig  zerstört.    Die  Haubitze  soll  in  einer  12-centim.- 
Minute  8  bis  12  Granaten  verfeuern  und  demnach  in  einer  Minute  den 
Feind  niit  196  Kilogramm  Geschossen  überschütten  können. 

Das  französische  1893  erschienene  „Eeglement  sur  le  Service  des  Mörser  in 

^  den  ver- 

bouches  k  feu  de  sifege  et  de  place"  enthält  über  Mörser  und  Haubitzen  schiedenen 
folgende  Angaben: 


Gewicht  von 

Kaliber 
cm 

gross  te 
Schussweite 

m 

Gewicht 
der  Geschosse 

Spreng- 
granate 

kg 

Minen- 

Rohr 
kg 

Lafette 
kg 

granate*) 
kg 

Haubitze  .... 
Mörser     .... 
Kanone    .... 

1040 
2080 
5750 

1450 
2080 
5750 

15,5 
22 

27 

6600 
5400 
6500 

40 

98 

170 

44 
110 

228 

Die  Schweiz  schaffte  sich  12,B-Centimeter-Mör8er  an,  England  noch 
leichtere,  die  nur  ein  12-Centimeter-Kaliber  haben. 

Bulgarien  hat  nach  der  „Kölnischen  Zeitung"  9-Centimeter-Feld- 
haubitzen  bei  Krupp  bestellt,  welche  derart  in  die  Feld -Artillerie  ein- 
gestellt werden  sollen,  dass  jedes  Regiment  4  Kanonen-  und  1  Haubitzen- 
Batterie  zählt. 

In  Deutschland  wurden  aber  IB-Centimeter-Haubitzen  eingestellt,  so 
dass  die  bespannte  Feld -Artillerie  jetzt  drei  15 -Centimeter- Geschütze 
hat  mit  Eohrgewichten  von  670,  754  und  1076  Kilogramm,    also  viel 


^)  Obus  oblonge. 


424  ^^'    Taktik  der  Artillerie. 


leichtere  als  die  in  der  französischen  Armee,  welche  ebenfalls  mit  leichten 
Haubitzen  und  Mörsern  versehen  ist.7) 
Zerstörung».  j)[q  Jjj  Deutschlaud  angestellten  Schiessversuche  ergaben,  dass  die 

kraft  der  ,  , 

Spreng-    ueueu  Mörser  gegen  gedeckte  Truppen  unverhältnismässig  stärker  wirken 

"'    als  die  gewöhnlichen  Feldgeschütze.   Aus  einer  Entfernung  von  1700  Metern 

warf  eine  Batterie  solcher  Mörser  100  Sprengbomben,  welche  es  der 

Infanterie  unmöglich  machten,  sich  innerhalb  der  Verschanzung  zu  halten, 

deren  eine  Seite  zerstört  wurde. 

Yersnche,  Jedoch  weuu  auch  das  Gewicht  der  Haubitzen  und  Mörser  bedeutend 

mögliojut  . 

leicht  träne-  herabgesetzt  wurde,  so  werden  sie  trotzdem  in  vielen  Fällen  viel  zu  schwer 
M?ree?«n  s^ii^j  ^m  allerorteu  zur  Bekämpfung  der  durch  die  Infanterie  aufgeworfenen 
''**"'*™**'*"- Erddeckungen  bei  der  Hand  sein  zu  können.    Ob  der  zukünftige  Kiieg 
nicht  wieder  ganz  leichte  durch  ein  Pferd  oder  durch  Menschen  trag- 
bare Wurfgeschütze  in  Massen  aufweisen  wird,  ist  eine  Frage,  die  schwer 
zu  beantworten  sein  dürfte.    Jedenfalls  fängt  die  Technik  an,  dieser  Auf- 
gabe näherzutreten. 
Krnpp'eohe  Die   Krupp'scheu  Werke   stellten  in   Chicago   einen   Mörser   aus, 

Mörser 

Ar  Bosch-  für  Busch-Kriegführungen  bestimmt,  welcher  nur  50  Kilogramm  wiegt 
fn^rut^en.  ^ud  desseu  Bohrung  370  Millimeter  lang  ist. 

Die  Lafette  besteht  aus  zwei  zusammengeschraubten  Teilen  auf  einer 
Plattform.  Lafette  und  Plattform  wiegen  48  Kilogramm.  Zwischen  den 
beiden  Teilen  der  Lafette  ist  ein  Zahnrad  angebracht,  welches  in  die 
Zähne  eines  an  dem  Geschütze  befestigten  Zahnwerks  eingreift;  dies  ist 
der  Richtungsapparat. 

Die  Plattform,  welche  Mörser  und  Lafetten  trägt,  hat  vier  Handhaben 
und  kann  leicht  von  vier  Mann  getragen  werden,  da  das  Ganze  nur 
98  Kilogramm  wiegt. 

Das  Geschütz  schleudert  eine  gusseiserae  Kugel  von  4  Kilogramm  300, 

eine  Stahlgranate  von  4  Kilogramm  300,  eine  Minengranate  von  6  Kilo  500 

und  ein  Shrapnelgeschoss  von  4  Kilogramm  300.8) 

sehwierig-  go  wird  mau  dahin  geführt,  auf  dem  Schlachtfelde  Mörser  und 

ftberaii    Haubitzen  von  höherem  Kaliber  anzuwenden,  als  man  bis  jetzt  für  den 

dMtam^en  Feldkrfeg  verwandte,  andererseits  wird  nach  leichteren  Typen  gesucht, 

„  J"^'      und  es  ist  sehr  schwer  vorauszusehen ,  welche  Folgen  dies  für  die  Kriege 

yerfagang  EU  ^ 

haben,  uach  sich  ziehen  kann.  Bei  dem  jetzigen  Stande  der  Technik  wird 
behauptet,  dass  es  beinahe  ein  Ding  der  Unmöglichkeit  sei,  mit  den 
Mörsern  ebenso  schnell  bei  der  Hand  zu  sein,'  als  Erddeckungen  auf- 
geworfen werden  können.    In  Folge  dessen  bleibt  die  Frage  von  ihrer 

0  In  der  bespannten  Feld -Artillerie  kommen  ausserdem  die  12-Centimeter- 
Kanone  und  der  21-Centimeter-Mörser  vor. 

")   Monthays:    „Krupp  a  TExposition  de  Chicago.    linixelles  1894." 


i 


Bekämpfung  eines  durch  Schanzen  gedeckten  Feindes.  425 

Zerstörung   im   Zukunftskriege   durch   Haubitzen   und  Feldmörser   eine 
offene. 

Wegen  der  Wichtigkeit  dieser  Frage  müssen  wir  etwas  näher  darauf    vonug« 
eingehen.    Die  Verteidiger  der  Mörser  führen  folgendes  an:  Feidmöreer. 

1.  Das  Steilfeuer  (tir  courbe)  der  Feldmörser  wird  der  Artillerie 
erlauben,  die  Werke  bis  zum  Augenblick  des  Angrifies  zu 
beschiessen,  ohne  furchten  zu  müssen,  die  Angriffstruppen  zu 
treffen.  9) 

2.  Die  Gewalt  der  Explosion  der  Granaten  wird  einen  bedeutenden 
moralischen  Eindruck  auf  die  Verteidiger  machen. 

3.  Das  Eichten  wird  durch  die  beim  Krepieren  des  Geschosses 
erzeugte  Eauchmasse  erleichtert. 

4.  Die  Wirkungen  der  Brisanzgeschosse  in  den  Erdwerken  werden 
in  Folge  der  bedeutenden  inneren  Ladung  des  Projektils  gross 
genug  sein,  um  Feldwerke  einzuwerfen  und  um  Deckungen 
zu  zerstören.  ^ 

5.  Die  aus  Mörsern  geschleudei-ten  Shrapnels  werden  in  einem 
solchen  Fallwinkel  niederschlagen,  dass  die  Deckung  durch 
Parapets  (parapets  de  campagne)  für  die  Verteidiger  gleich 
Null  sein  wird. 

Gegenüber  diesen  Vorteilen  behaupten  die  Gegner  folgendes:   Wegen  Nachteil« 

der 

des  Gewichts  der  zu  verwendenden  Projektile  werden  die  Mörser  nur  mit    Mömer. 
einer  geringen  Zahl  von  Ladungen  versehen  werden  können. 

Dies  ist  aber  um  so  bedenklicher,  als  nach  den  im  Winter  1888/89 
stattgehabten  ausgedehnten  Schiess  versuchen  der  Artillerie -Schiessschule 
und  Artillerie-Prüfungs-Kommission  das  Einschiessen  ein  sehr  schwieriges 
ist.  Schon  mit  kurzen  12-Centimeter-Kanonen  waren  bei  voller  Ladung 
durchschnittlich  13,  bei  verminderter  18  Schüsse  zum  Einschiessen  erforder- 
lich.   Mit  Gebrauchsladung  waren  die  kurzen  12-Centimeter-Kanonen  im    . 

')  Der  bekannte  österreichische  Oberst  v.  Wuitsch,  ein  hervorragender 
Ballistiker,  ist  ein  Vertreter  dieser  Ansicht,  wonach  die  Einführung  eines  Feld- 
wurfgeschützes zur  Beschiessung  der  gedeckten  Ziele  nicht  nur  gewünscht, 
sondern  für  notwendig  erachtet  wird,  weil  das  in  den  letzten  Stadien  der  Schlacht 
unvermeidliche  Ueberschiessen  der  eigenen  Truppen  mit  Flachbahngeschützen 
für  zu  gefahrlich  gehalten  wird,  namentlich,  wenn  die  Feldgeschütze  der  Zukunft 
noch  rasantere  Bahnen  erhalten  als  die  jetzigen.  Oberst  v.  Wuich  ist  der 
Meinung,  dass  das  Ueberschiessen  der  Infanterie  in  unebenem  Gelände  gegen- 
wärtig von  1500  Meter  an  möglich  sei,  dass  diese  Entfernung  aber  bei  flacheren 
Bahnen  grösser  werden  müsse,  v.  LöbelPs  Jahresbericht  über  Militärwesen: 
„Taktik  der  Feldartillerie.''   1894. 


426  ^I«    Taktik  der  Artillerie. 


Shrapnelschusse  bei  kleinen  Sprengweiten  dem  Feldgeschütze  in  Bezng 
auf  Zahl  der  Treffer  und  getroffenen  Figuren  teilweise  nicht  unwesentlich 
überleben.  Die  Ueberlegenheit  ging  aber  mit  Zunahme  der  Sprengweiten 
mehr  und  mehr  auf  die  Feldkanone  über.  Der  Streuungskegel  der 
12-Centimeter-Shrapnels  hatte  wenig  über  100  Meter  Tiefe,  lo) 
EngiiBcbe  A.US  euglischeu  Versuchen  geht  hervor,   dass,  um   eine  aus  fester 

Yersache 

gegen     Erde  bestehende  Brustwehr  von  3,65  Meter  Kronenbreite  und  2,15  Meter 
Brortwehren.  jjQj^^  ZU  zcTStöreu,   mau  für  ein  Schiessen  auf  1100  Meter  wenigstens 

50  gewöhnliche  Granaten  pro  Meter  der  Brustwehr  rechnen  muss.  Wenn 
man  nun  zugiebt,  dass  die  Brisanzgranate  fünfmal  stärker  ist  als  die 
entsprechende  gewöhnliche  Granate,  so  braucht  man,  um  eine  solche  Brust- 
wehr zu  rasieren,  unter  den  oben  angegebenen  Schiess-Bedingungen 
10  Geschosse  auf  den  laufenden  Meter  zerstörten  Erdwerks.    Auf  dem 

m 

Schlachtfeld  aber  wird  es  den  Batterien  schwer  fallen,  sich  auf  mehr  als 
1500  Meter  dem  Ziel  zu  nähern,  um  ein  Zerstörungsschiessen  vor- 
zunehmen. Ausserdem  wird  die  Brustwehr  nicht  immer  sichtbar  sein; 
auch  werden  die  Brustwehren  nicht^  immer,  wie  bei  dem  englischen 
Werke,  aus  fester  Erde  bestehen,  die  den  Explosivwirkungen  am  wenigsten 
Widerstand  leistet;  endlich  ist  die  Treffsicherheit  der  Brisanzgranaten 
geringer  als  die  der  gewöhnlichen  Granaten.  Aus  diesen  Gründen  dart 
angenommen  werden,  dass  die  Zahl  der  Brisanzgianaten,  welche  eine 
Feldbrustwehr  zerstören  sollen,  mindestens  16  auf  den  laufenden  Meter 
betragen  muss,  und  selbst  bei  dieser  Berechnung  ist  man  sicher  weit 
hinter  der  Wahrheit  geblieben. 

ün-  Unter  diesen  Bedingungen  kann  man  auf  eine  gewisse  Entfernung 

^^ratoig  eine  halbwegs  bedeutende  Verschanzung  nur  bei  bedeutendem  Munitions- 
MMitf olL-  verbrauch  zerstören :  der  ganze  Vorrat  eines  Armeekorps  würde  nötig  sein, 
vertMuoh.  um  bemerkbare  Eesultate  zu  erzielen,  und  selbst  dann  kann  die  Deckung 

doch  noch  stark  genug  bleiben,  um  im  entscheidenden  Momente  von  der 

Verteidigungs-Infanterie  besetzt  zu  werden. 

Die  Artillerie  kann  also  das  Brisanzgeschoss  nicht  als  geeignetes 
Mittel  zur  Zerstörung  von  deckenden  Erdwerken  auf  dem  Schlachtfelde 
betrachten.  11) 

Aus  Allem  kann  man  nur  den  einen  sichern  Schluss  ziehen,  dass 
jetzt  bereits  bei  den  modernen  europäischen  Armeen  vervollkommnete 
Feldmörser  eingeführt  sind,  welche  bisher  ausschliesslich  für  regelrechte 


'®)  Jahrbücher  für  die  deutsche  Armee :  Die  Entwickelung  der  Feldai*tillerie 
von  1815  bis  1892. 

")  Revue  de  TArmöe  Beige.  E.  Janotte:  l^tude  concemant  Tiniluence  des 
engins  nouveaux  sur  le  champ  de  bataille. 


i 


I 


Die  Entfemangen  des  ArtÜleriegefechts.  427 


Festungsbelagernngen  verwandt  worden,  dass  aber  ihre  Anzahl  nicht 
gross  genug  ist  nnd  sein  kann. 

Die  moralische  Wirkung,  wenn  auch  nur  auf  dem  Manöverfelde,  also  ijö^ji^he 
bloss  als  sozusagen  theatralische  Vorstellung,  machte  in  Frankreich  auf  die  der  Mörser 
Truppen  einen  erschütternden  Eindruck,  da  es  allen  bekannt  war,  dass  franiösiMhen 
ebenso    fürchterliche    Mordmaschinen   auch   in   allen   anderen    Ländern  ^^^^ö^«™- 
eingeführt  worden  sind.    Die  Frage  aber,  ob  Erdschutzwerke,  die  zur 
Deckung  der  Truppen  vor  dem  mörderischen  Infanterie-  und  Artillerie- 
Feuer  dienen  sollen,  sich  bei  der  geringen  Anzahl  der  neuen  Geschütze 
unwirksam  und  alle  Hoffnungen  auf  Verminderung  der  Verluste  des  An- 
greifers trügerisch  erweisen  werden,  bleibt  offen.    Jedoch  werden  mit 
jedem   Tage    neue,    immer  mehr  Vernichtung   schaffende   Erfindungen 
gemacht    und    wie    erst    der    wirkliche    Stand    der   Dinge    in    einem 
zukünftigen  Kriege   sein   wird,   kann   niemand  vorhersagen.     So  wird 
zum   Beispiel   von   Versuchen   mit   Geschossen   mit  Ekrasitfüllung   be- 
richtet, welche,   gegen   100,  250  und  500  Mann  vorstellende  Palisaden 
auf  Entfernungen  von  300,  750  und  1200  Meter  geworfen,  bei  der  Ex- 
plosion —  die  gesammte  Mannschaft  trafen.  i2)    Es  existieren  aber  noch 
andere  bis  jetzt  wenig  erforschte  Ursachen,  welche  in  Folge  der  An- 
wendung des  neuen  Explosivstoffs  die  Schrecken  des  künftigen  Krieges 
bis  zu  einem  unerhörten  Umfange  verstärken  können. 


Die  Entfernungen  des  Artilleriegefechts. 

Die  Kriegskunst  steht  gegenwärtig  in  Bezug  auf  die  Artillerie  vor 
ganz  neuen  Kampfbedingungen  und  namentlich  wurde  eine  noch  nicht  oft 
dagewesene  Durchschlagskraft  der  Geschosse,  ungeheure  Schnelligkeit 
und  beinahe  mathematische  Treffsicherheit  erzielt. 

Wenn  beim  Handgewehr  mit  einer  gewissen  Berechtigung  ange-  sohüesweiton 

einst  and 

nommen  wird,  dass  die  Friedensübungen  keine  sichere  Schlüsse  für  den     jew. 
Krieg  zugeben,  weil  die  nötige  Euhe  zum  Eichten  fehlt,  so  ist  diese  Ein- 
wendung für  die  Artillerie  nur   im  geringsten  Teil   anwendbar.     Der 
Artilleiiekampf  sollte  logischer  Weise  von  den  technisch  grösst  zulässigen 
Entfernungen  aus  beginnen. 

Ein  Blick  in  die  Vergangenheit  wird  den  ganzen  gewaltigen  Unter- 
scliied  zwischen  einst  und  jetzt  klar  machen. 


")  Witte,  nacli  Löbell's  Jahresberichten. 


428  '^l-    Taktik  der  Artillerie. 


Im  XVI.  Jahrhundert  war  ein  Kernschuss  aus  Kanonen  nur  auf 
360  Meter  möglich  und  der  Visierschuss  auf  700  Meter.    Noch  in  den 
dreissiger  Jahren  unseres  Jahrhunderts  schrieb  der  Prinz  August  von 
Preussen  vor,  dass  in  der  Eegel  mit  Sechspf ändern  niemals  weiter  als 
auf.  1500  Schritt  (1100  Meter)  und  mit  Zwölfpfündern  als  auf  1800  Schritt 
(1360  Meter)  geschossen  werden  soll.    Als  gute,  wirksame  Schussweite 
wurden  630  bis  770  Meter  angenommen. 
Decker'Bohe           c.  V.  Decker  giebt  1832  folgende  Entfemungstabelle : 
tabeiu^rfT   200  Schritt  (150  Meter)    Mörderische  Wirkung  der  kleinen  Kartätschen, 
1882.       goQ       ^^        Gewöhnliche  Schussweite  des  Kleingewehrs, 

400       „       Eröffnung  des  Tirailleurfeuers, 

600       „        Anfang  der  grossen  Kartätschen, 

600       „       Grenze  der  Haubitz-Kartätschwirkung;  Anfang 

der  Bogenwürfe  mit  kleiner  Ladung, 

800       „        Grenze  der  grossen  Kartätschen  bei  leichtem 

Geschütz,  Visierschussweite  der  Feldkanonen, 
1000       „       (750  Meter)    Grenze  der  Kartätschen  der   schweren  Feld- 
kanonen, 

Gute  wirksame  Schussweite  der  Feldkanonen, 

Anfang  der  Rollschüsse, 

Grenze  der  Aufsatzschüsse, 


1100 

» 

1200 

n 

1400 

n 

1500 

n 

1800 

« 

n  n  n 


(1360  Meter)  Grenze  d.  Rollschüsse  unter  gewöhnl.  Umständen. 
Drei  Jahrhunderte  hindurch  sind  die  Unterschiede,  kann  man  wohl 
sagen,  ganz  minimale. 

Die  verwendbaren  Schussweiten  der  gezogenen  Geschütze  aber  in 
der  zweiten  Hälfte  unseres  Jahrhunderts  sind  um  mindestens  2000  bis 
2500  Meter  grösser  geworden. 
Wirkung«-  Während    des    deutsch-französischen   Krieges   erstreckte   sich   die 

GrmDai-imd  Wirkungssphäre: 

^^'im                                     1-    Für  den   Granatschuss 
deatach-    hei  ^jeni  g-Centimeter-Geschütz bis  3800  Meter 

mnsofiflcnen 

Kriege.         „         „      12  „  „  „     4000        „ 

„      „    15         „  „        mit  2  Kilogramm  Ladung 

und  Langgranaten  „    4400      „ 

„      „    Ib         „  „        mit  2,25  Kilogramm  La- 

dung und  Granaten  .      „    4600     „ 
„      „    kui'zen  15-Centimeter-Geschütz  mit  1,1  Kilogramm 

und  305/16^  Erhöhung „    4370      „ 

und  bei  dem  21-Centimeter- Mörser  Konstruktion/70  mit 

3,5  Kilogramm  Ladung   und   46^  Erhöhung      „    3990      „ 


Die  Entfernungen  des  Artilleriegefechts.  429 

2.    Für  den  Shrapnelschuss 

bei  dem  9-Centiineter-Geschütz von  0  bis  2200  Meter 

»      «   12         „  „        M    0    „    2200      „ 

Die  Ansichten  darüber,  welche  Entfernungen  mit  Bezug  auf  Wirkung  ve««wedeii- 
bei  den  heutigen  Geschützen  als  thatsächlich  zulässig  angesehen  werden  AMicbten 
dürfen,  gehen  weit  auseinander.    Die  Ergebnisse  der  Friedensversuche  mr sh^pnei- 
können  dafüi-  nicht  ohne  weiteres  als  Anhalt  dienen.    Es  muss  dazu  die    "^*'?1 
Herabminderung  der  Wirkung  in  Betracht  gezogen  werden,  wie  sie  auf  Eutfemung. 
dem  Schlachtfelde,  teils  durch  die  mit  den  grösseren  Richtfehlem  auch 
eintretende  Vergrösserung  der  Streuungen  der  Sprengpunkte,  teils  durch 
die  ungünstige  Bodenbeschaffenheit  und  schwierigen  Beobachtungsverhält- 
nisse bedingt  wird. 

Im  Jahre  1881  hielt  Major  Bode  bei  Vorlage  eines  doppelt  wirkenden 
Etagenzünders  die  Ausdehnung  der  Shrapnelschussweiten  bis  zu  6000  Meter 
für  nötig,  und  die  Artillerie-Prüfungs-Kommission  trat  dieser  Ansicht  im 
wesentlichen  bei.  Das  Kriegsministerium  dagegen  hielt  etwa  4000  Meter 
Schussweite  für  völlig  ausreichend,  und  im  Jahi-e  1884  erhielt  die  Frage  mit 
Annahme  des  Feldshrapnelzünders,  Konstruktion/83,  dessen  Wirkung  nur 
bis  3600  Meter  ausreichte,  einen  vorläufigen  Abschluss. 

Die  meisten  übrigen  Artillerien  nahmen  in  den  achtziger  Jahren 
ebenfalls  länger  brennende  Zünder  an;  die  grösste  Shrapnelschussweite 
lag  zwischen  2600  und  3600  Meter;  für  die  französischen  90-Millimeter- 
Geschütze  ging  sie  bis  zu  6000  Meter. 

Die  Ansichten  darüber,  bis  auf  welche  Entfernung  mit  Rücksicht  auf 
genügende  Wirkung  der  Shrapnelschuss  verwendet  werden  könne,  waren 
ebenfalls  sehr  verschieden. 

Jedenfalls    sehen  wir    aber,  dass  seit  dem  deutsch -französischen  _  ^.•f  ^ 
Kriege,  im  Laufe  also  eines  Vierteljahrhunderts,  die  Fortschritte  grösser    o^gchütx 
gewesen  sind  als  die,  welche  im  Laufe  von  beinahe  vier  Jahrhunderten  ^"soh«*^" 
gemacht  wurden.    Man  sehe  sich  nur  die  folgende  Tabelle  an,  welche    '^•***°- 
einen  Ueberblick  über  die  in  der  französischen  Armee  befindlichen  Ge- 
schütze und  deren  grösste  Schussweiten  giebt.*) 

Jedoch  werden  diese  Schussweiten  wohl  schwerlich  zur  praktischen 
Anwendung  kommen. 

Nach  den  Versuchsergebnissen  kann  auf  dem  Schlachtfelde,  selbst  ^rj®****^® 
gegen  breite  und  tief  stehende  Infanterieziele,  die  Wirkung  der  Granaten  weit«ii  für 
auf  3500  Meter  nur  eine  zufällige  sein,  die  zudem  eine  grosse  Anzahl  von  ^'•"•***' 
Schüssen  erfordert. 


»)  LöbeU:  „Militärische  Jahresberichte  für  1894". 


430 


VL    Taktik  der  Artillerie. 


- 

Rohr 

La- 

fette 

Geschosse 

• 

a 

'S 
M 

CeBÜ- 
meter 

KsUber 

43 

Kilo- 

1 

Kilo- 
gnmm 

Spreng- 
grniAte 

Shrapnel      Minengnnate 

Grösste 
Schass- 
weite 

Meter 

Geschtitzart 

• 

f 

Kilo- 
gramm 

1 
S 

Kilo- 
gramm 

1 

O 

KUo- 
gramm 

KUo- 
gnam 

Kanone     .    .    . 

n              ... 

Haubitze  .    .    . 

9,5 
12 
15,5 

27 

27 
15,4 

706 
1200 
1040 

1250 
1450 
1450 

18 
40 

12,3 

19 

41 

? 

? 

44 

2 

4 
12 

7450 
8970 
6600 

3000  Meter  bilden  die  äusserste  Grenze  für  die  Anwendung  des  Granat- 
schusses gegen  grössere  Truppenmassen  und  gegen  Artillerieziele.  Die 
Verwendung  von  Granaten  auf  solche  Entfernungen  ist  um  so  weniger 
zu  rechtfertigen,  als  ihnen  die  Shrapnels  auf  2600  bis  3000  Meter  sehr 
bedeutend  überlegen  sind.  Die  sichere  Beobachtungsmöglichkeit  reicht 
bei  Granaten  für  gewöhnlich  nur  auf  Entfernungen  bis  zu  3000  Meter. 

Deneitige  Die  Angabe  der  Schusstafeln  für  die  Shrapnels  werden  gewöhnlich 

weiten  f&r  bis  zur  Greuze  der  Zünderbrennzeit  ausgedehnt. 

starapneie.  ^^  Gruud  der  Versuchsergebnisse  konnte  für  den  Ernstfall,  bei 

nicht  zu  ungünstigen  Verhältnissen  Folgendes  angenommen  werden. 

Die  Wirkung  des  Röhren-Shrapnels  ist  gegen  stehende  Infanterie- 
ziele von  grösserer  Ausdehnung  auf  2500  Meter  sehr  gut,  auf  2000  Meter 
und  darunter  vernichtend.  Gegen  kleinere  Infanterieziele,  teils  stehende, 
teils  liegende,  ist  die  Wirkung  auf  2500  Meter  noch  gut,  auf  2000  Meter 
recht  gut.    Dasselbe  gilt  von  Artilleriezielen. 

Aus  der  zweiten  Stellung  auf  1500  bis  2000  Met^r  Entfernung,  die 
somit  zu  wählen  ist,  kann  zweifellos  die  Entscheidung  schnell  und  voll- 
ständig erreicht  werden.  2) 

Mörderische  Die  Wii'kuug  der  Granaten  und  Shrapnels  wird  bei  Entfernungen 

von  Granaten  unter  2000  Meter  so   mörderisch,   dass  unter  Umständen   schon  16  bis 

shnpneie.  20  Schuss  zum  VeiTiichten  einer  ganzen  Batterie  genügen.  Die  geringste 
Entfernung,  die  für  diese  Zwecke  einzunehmen  wäre,  beträgt  1500  Meter. 
Taktische  Rücksichten  können  allerdings  zur  Einnahme  noch  näherer 
Stellungen  zwingen. 

Kartiteehen.  Die  Kartätschc  kommt  beim  Nahgefecht  bis  auf  300  Meter  Entfernung 

zur  Verwendung.  8) 

*)  Müller:  „Die  Wirkung  der  Feldgeschütze". 
')  MüUer:  „Die  Wirkung  der  Feldgeschütze^. 


J 


Die  Entfernungen  des  Artilleriegefechts.  481 


Die  Neigung,  die  thatsächlich  vorhandene  grössere  Wirkungssphäre 
der  Waffe  in  manchen  Gefechtsstadien  ansznnatzen ,  liegt  nahe.  Die 
Absicht,  das  Feuer  auf  grosse  Entfernungen  zu  eröffnen  und  einen 
wirklichen  Artilleriekampf  zu  führen,  findet  aber  ungeachtet  alles  oben 
Gesagten  sehr  viele  Verteidiger. 

In  dem  Werke  des  französischen  Professors  Coumfes*)  werden  die   Typiaohe 

Enfc- 

typischen  Entfernungen,  aus  denen  der  Geschfitzkampf  beginnen  kann,  femangen 
folgendermaassen  bestimmt:  eSiüteka»^. 

„Die  moderne  Artillerie  wird  im  Stande  sein,  ihr  Feuer  gegen  die 
feindlichen  Positionen  in  einer  Entfernung  von  6500  und  selbst  6000  Metern 
zu  eröffnen.  Vor  allem  wird  sie  sich  die  Zerstörung  der  Deckungen  und  die 
Beschiessung  der  vom  Feinde  eingenommenen  Positionen  angelegen  sein 
lassen  müssen.  Sobald  sie  sich  auf  4000  Meter  genähert  hat,  wird  sie  zur 
Aktion  gegen  die  feindliche  Artillerie  schreiten  und  von  3000  Meter  an 
bereits  beginnen,  ihr  Feuer  gegen  Kavallerie  und  Infanterie  zu  richten. 
Die  Operationen  der  Infanterie  werden  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  bei 
2000  bis  1800  Metern  Entfernung  beginnen.  Ehe  die  Infanterie  vor- 
rückt, werden  die  besten  Schützen  vorausgeschickt  werden.  Zwischen 
1500  und  1000  Metern  Entfernung  wird  diese  Bewegung  angesichts  des 
mörderischen  Artilleriefeuers  und  der  Salven  der  angegriffenen  Infanterie, 
welche  zudem  nunmehr  im  Stande  ist,  sicher  zu  zielen,  besondere  Vorsicht 
erfordern." 

„Von  1000  Meter  Entfernung  an  wird  die  Artillerie  der  beiden  Gegner 
bereits  aufhören,  der  Infanterie  gefährlich  zu  werden.  Die  beiden 
Artillerien  werden  sich  dann  auf  ein  gegenseitiges  Bombardieren  zu 
beschränken  haben  und  sich  hüten  müssen,  durch  ihr  Feuer  die  eigene 
Infanterie  zu  schädigen.  Hat  sich  endlich  die  Entfernung  zwischen  der 
beiderseitigen  Infanterie  auf  500  Meter  herabgemindert,  so  wird  die 
Artillerie  genötigt  sein,  ihr  Feuer  einzustellen." 

In  der  deutschen  Armee  jedoch  beabsichtigt  man  vielleicht,  wenn  j,^*2*h 
auch  die  von  uns  citierten  Angaben  und  Reglements  anders  lauten ,  den    ttw  die 

SDt- 


Kampf  von  noch  beträchtlicheren  Entfernungen  ans  zu  beginnen.  femungeu 

Artille 
feaer. 


Der  bekannte  Führer   der   deutschen  Artillerie   im  Kriege  1870,"^^'**"''"*" 


Fürst  Hohenlohe,  erklärt,  dass  man  bei  den  jetzigen  Geschützen  das 
Feuer  in  7000  Metern  Entfernung  beginnen  kann  —  und  auch  bei 
dieser  Distanz  trifft  die  Hälfte  der  (Jeschosse  ein  Ziel  von  15  Schritt 
Breite;  „wenn  man  folglich  eine  Batterie  gegen  einen  Weg  von  15  Schritt 
Breite  aufstellt,  so  könnte  diese  alle  auf  dem  Wege  in  einer  Entfernung 
von  vollen  7000  Metern  befindlichen  Infanteriemassen  glatt  fortrasieren, 


*)  Coum^s:  „Tactique  de  demain". 


432  VI.    Taktik  der  Artillerie. 


und  das  Feuer  wäre  so  wirksam,  dass  es  niemand  in  den  Sinn  kommen 
würde,  diesen  Weg  zu  benutzen".*) 

Langioifl  Nicht  alle  Müitärschriftsteller  in  Frankreich  schreiben  der  Wirkung 

ana  Gnrko 

gegren  zu  dcs  Artilleriefeuers  von  so  grosser  Entferaung  aus  besondere  Bedeutung  zu. 
fC^nflirSo  spricht  sich  Professor  Langlois  gegen  die  Ansichten  des  Fürsten 
^"fMw**^  Hohenlohe  aus ;  für  ihn  haben  die  Ausführungen  des  Generals  Gurko  grösseres 
Gewicht.  Dieser  äussert  sich  über  die  auf  seinen  Befehl  vorgenommenen 
Schiessproben  auf  grössere  Entfernungen  hin  (bis  zu  4270  Metern), 
dass  man  die  Batterien  wohl  im  Schiessen  auf  solche  Entfernungen  üben 
müsse,  zugleich  aber  jedem  Artilleristen  zum  Bewusstsein  zu  bringen 
habe,  dass  ohne  besonders  wichtigen  Anlass  von  solchen  Distanzen  aus 
zu  schiessen  eine  Schande  sei.  Es  handle  sich  nicht  darum,  die  ganze 
Kraft  der  Geschütze  aufzubieten,  sondern  dem  Gegner  soviel  Schaden 
als  möglich  zuzufügen  und  es  sei  klar,  dass  das  Feuer  von  einer  kleinen 
Entfernung  weit  wirksamer  wäre  als  von  einer  grösseren,  etwa  der  doppelten. 

„Eine  Schande",  —  wiederholt  Langlois.    Wir  wollen  diesen  Aus- 
spruch, der  so  überaus  richtig  ist,  im  Gedächtnis  behalten.    Das  Wort, 
dass  es  das  Kennzeichen  einer  schlechten  Infanterie  ist,  aus  zu  grosser 
Ferne  zu  schiessen,  gilt  auch  für  die  Artillerie. 
Möglichkeit,  Wir  müssen  hier  jedoch  bemerken,  dass,   obgleich  Langlois  das 

onrto'B    Urteil  des  Generals  Gurko  in  seinem  erst  kürzlich  erschienenen  Werke 
gegTnw4rt?g  anführt,    es   schon    im   Jahre   187B   gefällt   ist    und   somit   nicht   klar 
«modi-    jgt    Q]y  General  Gurko  dasselbe  auch  noch  heute  unterschreiben  würde. 

nzieren  und.        ^ 

Es  fragt  sich,   ob  sich   seitdem   nicht   soviel   neue  Umstände  geltend 
gemacht  haben,   dass  sie  unter  die  Kategorie  der  „besonders  wichtigen 
Anlässe"  zu  rangieren  wären.    In  jener  Zeit  trugen  auch  die  Gewehre  noch 
nicht  mit  Erfolg  bis  3000  Meter  wie  jetzt, 
iioraluch«  Wenn   es   mit  den  heutigen  Geschützen   auf  B   bis  7  Kilometer 

Wirkung  des  ° 

Penew  auf  Eutfemung   uoch   SO  ziemlich  möglich   ist,   dem   Feinde  Verluste   bei- 

^■^     zubringen,  wie  Fürst  Hohenlohe  behauptet,   so  stellt  man  sich  unwill- 

fernungen.  kürüch  dlc  Frage,  warum  bei  günstigen  Terrain  Verhältnissen  und  den 

jetzigen  Beobachtungsmitteln  kein  Gebrauch  von  dieser  Eigenschaft  des 

neuen  Geschützes  gemacht  werden  sollte. 
Beispiel  fttr  Es  muss  berücksichtlgt  werden,  dass  nicht  alle  Geschosse,  die  ihr 

*°  der™    Ziel  verfehlt  haben,  verloren  sind.    Eine  gewaltige  Fläche  bestreichend, 
*idrkunr  werden  sie  die  zufällig  dort  befindlichen  Leute  in  Schrecken  setzen  und 

gewissen  Eindruck  hervorrufen.    Die  Soldaten  werden   noch  fem  von 

dem  Feinde  beginnen,  nervös  zu  werden  und  sich  zu  zerstreuen.    Ver- 

^)  Lettres  aiir  T Artillerie. 


' 


Die  Entfernungen  des  Artilleriegefechts.  433 


luste,  die  in  Folge  des  Femfeuers  entstehen,  üben  auf  die  Soldaten  einen 
weit  niederschlagenderen  Eindruck  aus,  als  die  auf  nahe  Distanzen  er- 
littenen. Skugarewski^)  erzählt,  dass  in  einer  der  Schlachten  des  Feldzuges 
von  1877  ein  Soldat  durch  eine  Flintenkugel  in  einer  Entfernung  von 
2  Werst  von  dem  Feind  verwundet  wurde.  Einige  Tage  habe  man  hiervon 
in  der  ganzen  Truppe  gesprochen  und  einander  den  Platz  gezeigt,  wo  die 
Verwundung  erfolgte,  und  darüber  ganz  die  anderen  Stellen  vergessen, 
wo  einige  hundert  Mann  verwundet  oder  getötet  waren. 

Infolge  der  Möglichkeit,  mit  Shrapnels  und  Granaten  zu  schiessen,  ^^^^j^^^^j^ 
welche   bei   der  Explosion   mit   ihren  Sprengstücken   und   den  Kugeln     «r  «le 
grössere  Flächen  bestreuen,  werden  die  Truppen  schon  von  weiten  Ent-  sciTon^bd 
femungen  an  sich  in  mehr  oder  weniger  aufgelöster  Formierung  bewegen  f^ra^gen"!^ 
müssen.    Hier  bereits  spielt  die  Frage  von  der  Tapferkeit  und  überhaupt    ««w-ter 
der  Nervenkraft   der  Soldaten   eine  EoUe.     Werden  sie  genug  davon  TOKngehen. 
besitzen,    um   eine   so   lange   Zeit    unter  feindlichem   Feuer   vorwärts 
zu  gehen?    Heute  ist's  noch  eine  offene  Frage,  welches  Volk  nach  dieser 
Richtung  hin  vorzugsweise  standhaft  sein  wird. 

Bei  dem  alten  Gewehrsystem  begann  das  Gleichgewicht  zwischen  ^•'f^*^*'^  ^^ 

Gewehr^ 

Gewehr-  und  Artilleriefeuer  bei  600  Metern  Entfernung,  späterhin  hat  sich  und 
das  Verhältnis  zwischen  Artillerie-  und  Infanteriefener  erst  auf  1000  Meter  Jeuer""^ 
Distanz  ausgeglichen,  wie  das  deutsche  Reglement  direkt  sagt;  gegen- 
wärtig seit  dem  Kleinkalibergewehr  und  der  Anwendung  des  neuen 
Pulvers  hat  sich  der  Bereich  der  Gewehrwirkung  um  200  bis  300  Meter 
erweitert,  während  für  die  Artillerie  die  Grenze  des  Vorgehens  gegen 
Infanterie  auf  1200  bis  1300  Meter  festgesetzt  werden  muss?),  sodass  die 
Wirksamkeit  des  Artilleriefeuers  über  das  Gewehrfeuer  immerhin  das 
Uebergewicht  haben  wird. 

Aber  die  Artillerie  hen-scht  auf  den  Schlachtfeldern  nicht  absolut.  .?*t*5T,'**' 

die  Artillerie 

Wenn  es  der  Infanterie  gelingt,  sich  der  Artillerie  zu  nähern  und  gegen  >>«*  N&her- 
sie   das  System   der  konzentrierten  Gewehrsalven  zur  Anwendung  zu  i^anteril'' 
bringen,    so  dürfte  die  Thätigkeit  der  Artillerie  schwierig  und  selbst 
unmöglich  werden.     Schon   im  Kriege  von  1870  ist  es  vorgekommen, 
dass  das  Gewehrfeuer  der  französischen  Infanterie  trotz  seiner  damaligen 
Mängel  die  preussischen  Batterien  zum  Rückzuge  zwang,  s) 

Während  des  russisch-türkischen  Krieges  von  1877  wurden  über  die  »«"Js^iie 
russische  Artillerie  gleichfalls  Klagen  laut,  dass   sie  nicht  immer  ihrer      un- 
Bestimmung entspreche.    In  dem  Werke  des  Generals  Pusyrewski:  „Die  znslmmfn- 

—  —  —  wirken 


ß)  Skugarewski:  „Infanterie-Attake". 


der  Artillerie 
und 


■')  Müller:  „Die  Wirkung  der  Feldgeschütze".  Infanterie 

8)  Michnewitsch:  „Einfluss  der  neuesten  technischen  Erfindungen".  im  Türken- 

Block,  Der  sokünftige  Krieg.  28 


434  V^'    Talttik  der  Artillerie. 


russische  Armee  vor  dem  Kriege  1877''  wird  der  russischen  Artillerie 
vorgeworfen,  dass  in  ihr  bis  dahin  die  irrige  Ueberzeugung  geherrscht 
habe,  als  Grundlagen  für  das  Zusammenwirken  mit  den  anderen 
Waifengattungen  im  Kampfe  nur  die  ballistischen  Eigenschaften  der 
Geschütze  in  Rechnung  ziehen  zu  müssen,  nicht  aber  auch  die  all- 
gemeinen, insbesondere  die  moralischen  Bedingungen.  Demnach  habe 
sich  die  Artillerie  damit  begnügt,  entfernte  Positionen  einzunehmen  und 
sei  nur  in  seltenen  FäDen  mit  der  Infanterie  näher  an  den  Feind  heran- 
gegangen. 

Es  ist  aber  doch  die  Frage,  ob  nicht  schon  damals  die  Artillerie 
angesichts  dessen,  dass  die  türkischen  Truppen  mit  Magazingewehren 
ausgerüstet  waren,  es  für  unmöglich  hielt,  näher  an  den  Feind  heran- 
zugehen. 

^o'^^n«"  General  Kuropatkin  teilt  diese  Meinung  nicht;  er  findet  die  unter 

der  Ansicht,  vielcu  Artilleristen  und  auch  bei  höheren  Führeni  verbreitete  Ansicht,  dass 
Artiü!^rie  *im  die  Artillerie  im  Wirkungsbereiche  des  Gewehrfeuers  ihre  Position  nicht 

^wei^?"  zu  behaupten  vermöge,  irrig.  Diese  ii-rige  Meinung  sei  Schuld  daran, 
den  Gewehr-  ^agg  während  des  Krieges  1877  das  Streben  geherrscht  habe,  die  Artillerie 

feners  ihre 

Position  dem  Feinde  nur  soweit  zu  nähern,  dass  sie  immer  noch  der  Wirkung  des 
behrapten  Gcwehrfeuers  entrückt  bliebe.  Von  solchen  Prinzipien  geleitet,  seien  die 
könne,  russlscheu  Batterien  bei  Plewna,  wenn  die  Infanterie  zum  Sturme  vor- 
ging, grösstenteils  in  ihren  entfernten  und  gefahrlosen  Positionen  verblieben. 
Oft  sei  auch  der  Fall  eingetreten,  dass  während  feindlicher  Attaken  bei 
vermindertem  Gewehrfeuer  die  Batterien,  sobald  sie  nur  einige  Leute 
verloren,  aus  ihren  Positionen  gewichen  wären  und  die  Infanterie  in  der 
kritischesten  Lage  im  Stich  gelassen  hätten. 

Nach  den  Worten  des  Generals  Kuropatkin,  dessen  Urteil  übrigens 
oft  für  allzu  streng  gehalten  wird,  wurde  vor  dem  Stui'me  von  Plewna  eine 
Artilleriebeschiessung  während  4  mal  24  Stunden  geplant,  aber  der  Mangel 
an  Geschossen  und  der  mangelhafte  Zustand  vieler  Geschütze  habe  die 
Ausführung  dieser  Absicht  sogar  am  Tage  des  Sturmes  selbst  verhindert. 

Hannekeu  Der  preusslschc  General  von  Hanneken^)  teilt  diese  Ansicht  nicht  ganz. 

Verteidiger  Er  Sagt,  dass  wirkUch  zu  Anfang  der  Operationen  gegen  Plewna  Fehler 

Artillerie-  bcgaugeu  scieu,  dass  dann  aber  die  Stürme  jedesmal  nach  allen  Regeln 

Operationen  flurch  Artilleric-Feuer  vorbereitet  wurden  und  dass,  wenn  hierbei  keine 

Tor  Plewna.  ' 

günstigen  Resultate  erzielt  wurden,  dies  nur  daran  gelegen  habe,  dass 
8B  000  Mann  nicht  genügten,  um  eine  Armee  von  60  000  Mann,  die  hinter 
Befestigungen  stand,  zum  Rückzug  zu  veranlassen.    Uns  scheint,  dass 


^)  „Militärische  Betrachtungen  über  den  russisch-türkischen  Krieg''. 


Die  Entfemungeu  des  Ai*tiHeriegefechts.  435 


die  Thätigkeit  der  Artillerie  in  jenem  Kriege  nur  dann  richtig  benrteilt 
werden  kann,  wenn  man  die  Mittel  berücksichtigt,  die  ihr  zur  Verfügung 
standen. 

Die  Thätigkeit  der  Artillerie  muss  durch  den  Grad  von  Zutrauen 
bedingt  sein,  welches  diese  zu  ihren  Geschützen  hat.  Man  darf  nicht 
ausser  Acht  lassen,  dass  die  russische  Artillerie  jener  Zeit,  mit  geringer 
Ausnahme,  wirklich  unter  dem  Niveau  der  türkischen  stand.  Erst  seit 
1877  sind  Bestellungen  auf  weittragende  Geschütze  gemacht  worden,  und 
zwar  wurden  bei  Krupp  1100,  bei  der  Obuchow'schen  Fabrik  1700  bestellt. 
Diese  Geschütze  wurden  erst  nach  Beendigung  des  Krieges  geliefert. 

Um  sich  einen  Begriff  von  der  Verfassung  der  russischen  Artillerie  ueberiegen- 
zu  machen,  die  1877/78  gegen  die  Türken  ins  Feld  geführt  wurde,  genügt  «rkisciieii 
die  Erwähnung  der  Thatsache,  dass  die  Typen  dieser  Geschütze  dem  im'^Kriege 
Jahre  1866  angehörten.  Die  Anfangsgeschwindigkeit  ihrer  Geschosse  betrug    i«"/^»- 
für  kleinere  Kaliber  1000  Fuss  (264  Meter),  für  grössere  Kaliber  1050  Fuss 
(277   Meter)    in    der   Sekunde,    während  in   der   Folge   die   Anfangs- 
geschwindigkeit bei  den  neuen  Geschützen  fast  die  doppelte  war. 

Auch  darauf  ist  Rücksicht  zu  nehmen,  dass  es  damals  der  Artillerie    ^j^«f^ 

an  Ofuieren 

an  genügend  ausgebildeten  Offizieren  mangelte.     In  der  Periode  von     in  dw 
1863  bis  1867  schied  jähi'lich  ein  grösseres  Kontingent  von  Offizieren  "ZSiteH? 
aus  (von  40  bis  200  jährlich),  als  hinzukamen.    Erst  seit  1868  begann  in  ""^ri^**"' 
Folge  von  Eefonnen  der  Zugang  von  Offizieren  zu  überwiegen,  so  dass 
jährlich  die  Ziffer  der  neueintretenden  Artillerie -Offiziere  um  22   und 
bis  zu  266  wuchs.  i<>)   Erst  nach  dem  türkischen  Kriege  wurde  dem  Bildungs- 
grade   der  Artillerie  -  Offiziere    volle   Aufmerksamkeit   zugewandt  und 
eine  Reihe  wesentlicher  Reformen  unternommen,  um  die  Zahl  der  Ai-tillerie- 
Offiziere,  die  eine  höhere  Schule  absolviert,  zu  steigern.   Gegenwärtig  sind 
die  Mehrzahl  der  Artillerie-Offiziere  Leute  von  Spezialbüdung  und  sie 
haben  gleichzeitig  auch  über  ein  Material  zu  verfügen,  das  sich  von  dem 
des  Krieges  1877  äusserst  vorteilhaft  unterscheidet. 

Selbstverständlich  wird  aber  die  Wirkung  der  Geschütze  nicht  ^^^*J«^8^"* 
allein  von  den  Offizieren,  sondern  in  einem  gewissen  Grade  auch  von  der  Wirkung  der 
Schiessausbüdung  der  Bedienung  abhängig  sein.  von  der 

General  Müller")   sagt  aber,    dass  über  die  eigentliche  Schiess-  .„^gt^jj"„ 
ausbildung  der  verschiedenen  Artillerien ,  d.  h.  über  ihre  Leistungen  auf  der  Monn- 
dem  Schiessplatze  oder  gar  im  Gelände,  so  gut  wie  nichts  bekannt  ist. 
Er  behauptet,  dass  nur  einige  Aeusserungen  über  diese  Fragen  erwähnungs- 
werth  seien. 


^^)  „Skizze  der  Keformen  in  der  Artillerie  von  1868  bis  1877". 
")  «Wirkung  der  Feldgeschütze". 

28* 


436  VI.    Taktik  der  Artillerie. 


Im  Novemberhefte  des  rassischen  ,,Wojennyi  Sbornik"  von  1893 
werden  die  Resultate  von  Schiessttbungen  besprochen.  Nach  Angabe 
des  Inspizienten  der  Schiessergebnisse  und  nach  Aeusserungen  des 
Generals  Dragomirow  soll  das  Schiessen  der  russischen  Feldartillerie 
nicht  auf  der  erwünschten  Höhe  stehen.  Die  Oberleitung  der  Schiess- 
übungen in  taktischer  wie  in  rein  technischer  Hinsicht  wird  getadelt. 
Die  russische  ßgi  cluem  kriegsmässigcn  Schiessen ,  wo  48  durch  Figuren  dar- 

Schiess- 

aosbiidang.  gcstcUte  Gcschtitze  in  drei  Gruppen  das  Ziel  bildeten,  wurden  für  jeden 
abgegebenen  Schuss  auf  3000  Meter  nicht  mehi-  als  0,7  Treffer  erreicht 
und  die  nur  von  wenigen  Batterien  erreichte  grösste  Feuergeschwindigkeit 
betrug  7  bezw.  5  Schüsse  in  der  Minute  pro  Batterie. 

In  einigen  Aufsätzen  wird  ausgesprochen,  die  Technik  der  heutigen 
Artillerie  stehe  immerhin  höher  als  ihre  Taktik;  die  ballistischen  Eigen- 
schaften der  Geschütze  und  ihre  Beweglichkeit  ständen  höher  als  die 
Kunst  des  Schiessens  und  des  Manövrierens;  endlich  seien  die  feld- 
mässigen  Eigenschaften  des  Materials  besser  als  die  kriegerische  Aus- 
bildung der  Artillerie-Truppenteile  und  ihrer  Kommandeure.  Dies  sind 
Urteile  des  Generals  v.  Baumgarten. 

In  einem  anderen  Aufsatze  vom  Oktober,  betreffend  die  Ausbildung, 
heisst  es:  „Die  Technik  selbst  schreitet  immer  vorwärts,  ohne  sich 
darum  zu  kümmern,  ob  das  Personal,  die  lebende  Bedienung  der  Kriegs- 
mittel im  Stande  ist,  mitzukommen.  So  erreicht  die  Tragweite  der 
heutigen  Geschütze  6  Werst  (über  6  Kilometer);  das  Auge  des  Menschen 
kann  aber  das  Ziel  nur  bis  auf  2  Kilometer  gut  erkennen,  und  selbst 
mit  den  besten  optischen  Instrumenten  vennag  man  Gruppen  von  Leuten 
nur  bis  auf  3  Werst  (3300  Meter)  zu  unterscheiden.  Da  erscheint  es  ganz 
müssig,  die  Richtmannschaften  noch  für  weitere  Entfernungen  auszubilden." 

ueber  die  Den  Bemerkungen  über  das  Verhältnis  der  Technik  zur  Ausbildung 

Hälfte  der 

Eintretenden  muss  clue  um  SO  grösserc  Aufmerksamkeit  geschenkt  werden,  als  60% 
""gebudet    der  Mannschaften  bei  der  Mobilisierung  neu  einberufen  werden. 


Katastrophen  in  Folge  der  Anwendung 

Yon  Sprengstoffen. 

ExpioeiT-  Beim   Lesen    solcher  Werke,    welche    mehr    oder   weniger    aus- 

weiobes'im  führlich  die  Anwendung  von  Sprengstoffen  für  Kriegszwecke  behandeln, 

^^llg^biuk  föUt  es  auf,  dass  deren  Verfasser  entweder  ganz  von  den  Gefahren 

wirkt 


Katastrophen  in  Folge  der  Anwendnng  von  Sprengstoffen.  437 


schweigen,  welche  auf  dem  Schlachtfelde  für  die  eigenen  Truppen  bei 
dem  Transport  und  der  Verwendung  solcher  Brisanz-  und  anderer  Ge- 
schosse, die  mit  grossen  Quantitäten  Sprengladungen  gefüllt  sind,  entstehen 
können,  oder  in  seltenen  Fällen  diese  Frage  nur  mit  der  grössten  Vorsicht 
berühren. 

Die  Ursache  dieser  Erscheinung  liegt  wohl  teilweise  darin, 
dass  die  betreffenden  Militärschriftsteller  gegenwärtig,  wo  die  Frage, 
welche  Zufälligkeiten  bei  dem  Gebrauch  von  Sprengstoffen  entstehen 
können,  noch  nicht  vöUig  klargestellt  ist,  es  nicht  für  geziemend  halten, 
Schlussfolgerungen  zu  ziehen,  weil  die  Anwendung  von  Sprengstoffen 
im  Feldkriege  noch  ein  ungelöstes  Pioblem  ist. 

Der  Verfasser  einer  sehr  bemerkenswerten  Studie,  welche  die  „Revue 
MHitaire"  in  einer  ganzen  Reihe  von  Artikeln  brachte,  sagt  hierüber: 

„Was  die  Lösung  des  Problems  der  sehr  heftig  wirkenden  und  sehi- 
brisanten  Pulvermischungen  betrifft,  die  zum  Zersprengen  sehr  harter  und 
widerstandskräftiger  Objekte  nötig  sind,  so  ist  sie  nicht  leicht  zu  finden  und 
wir  denken  nicht,  dass  trotz  der  entgegengesetzten  mehr  oder  weniger  inter- 
essierten Behauptungen  irgend  welche  Macht  vollkonmien  und*  definitiv 
sich  f&r  eines  der  heftigen  Explosionsmittel  entscheiden  wird." 

Wir  bewegen  uns  thatsächKch  in  einem  circulus  vitiosus.  Wenn 
das  Pulver  den  Stössen  und  Reibungen  und  hiermit  auch  der  Hitze  einen 
sehr  grossen  Widerstand  entgegensetzt,  so  ist  es  offenbar  schwer  zum  Ex- 
plodieren zu  bringen  und  erfordert  demnach  eine  sehr  starke  Zündkapsel. 

Aber  dann  erwartet  dieses  undisziplinierbare  Pulver  keinen  Befehl 
und  explodiert. 

In  den  letzten  Jahren  sind  in  der  That  grosse  Fortschritte  gemacht  vwJ»«*"- 

liehnng  der 

worden.  In  Bezug  auf  Sicherheit  und  Wirkungsfähigkeit  sind  bemerkens-  unfaiie. 
werte  Schiessversuche  auf  verschiedenen  Uebungsplätzen  mittelst  mit  neuen 
Sprengstoffen  angefüllter  Brisanzgeschosse  ausgeführt  worden  unter  der 
Leitung  auserlesener  Offiziere,  die  von  einem  ganz  speziellen  Personal 
unterstützt  wurden  und  unter  Anwendung  aller  minutiösen  Vorsichts- 
maassregeln,  welche  dergleichen  Versuche  erfordern.  Aber  ist  diese 
Schiessweise  zur  Stunde  in  das  Gebiet  der  Praxis  übergegangen, 
wenigstens,  was  die  sehr  heftigen  Explosivmittel  betrifft?  Ist  man  heut- 
zutage sicher,  ein  bestimmtes  Explosivmittel  entdeekt  zu  haben,  welches 
dem  Stosse  vollständig  widersteht  und  ebenso  vollständig  im  ge- 
wünschten Augenblick  explodiert? 

„Das  Amtsgeheimnis,  der  schützende  Schleier",  fragt  ein  Fachmann, 
J.  Toumay,  „mit  welchem  man  die  Versuche  (und  manchmal  die  Unglücks- 
falle) umgiebt  —  was  sind  sie  schliesslich  anderes,  als  ein  stilles,  nicht 


438  ^i-    Taktik  der  ArUllerie. 


kompromittierendes  Eingeständnis  der  Schwierigkeiten,  anf  die  man  stiess, 

und  der  Unsicherheit  des  Erfolgs?" i) 

England  Das  Land,  welches  ausführliche  Berichte  über  Unfälle  mit  Explosiv- 

veröffentucht  Stoffen  liefert,  ist  England.    In  den  jährlichen  Zusammenstellungen  der 

^  rnftuo**^  Inspektoren  finden  wir  beinahe  jedes  Jahr  eine  ganze  Reihe  von  Unfällen 

mit  Explosiv- yerzeichnet,    welche    bei    der    Fabrikation    und    dem    Transport    der 

Stoffen. 

Explosivstoffe  und  Zünder  stattgefunden  haben,  zugleich  aber  auch  den 
Beweis  dafür,  dass  mit  Fehlem  behaftete  Zünder  ungeachtet  aller  Vor- 
sichtsmaassregeln  dennoch  an  die  Truppen  geliefert  werden.  *) 
Eindrack  Diescr  Gegenstand  erscheint  so  wichtig,  dass  wir  trotz  der  Schwierig- 

dor  Rftti^ 

Strophen,  kcitcu,  welchc  er  bietet,  nicht  umliin  können,  ihn  zu  berühren,  und  wenn 
auch  unser  Urteil  nicht  auf  Kompetenz  Anspruch  machen  kann,  so  ist  es 
doch  unumgänglich,  es  laut  werden  zu  lassen,  da  bis  jetzt  der  Eindruck 
nicht  in  Berücksichtigung  gezogen  ist,  den  bei  den  einzelnen  Völkeni 
Katastrophen  hervorrufen  würden,  welche  unter  den  eigenen  Truppen 
im  Felde  durch  Sprengstoffe  erfolgen. 

starke  Zuuächst  woUeu  wir,  der  von  uns  befolgten  Methode  gemäss,  anf  die 

In  der     SchlussfoJgeruugen  derjenigen  Autoren  hinweisen,  welche  über  die  Gefahren 

'TrtiUeriV"  sprechen ,  die  beim  Gebrauch  von  Sprengstoffen  auf  dem  Schlachtfelde 

a^T-    entstehen  können.    In  der  „Conference  sur  Tartillerie  de  campagne"^) 

bomben,    finden  wir  zu  dieser  Frage  folgende  interessante  Angaben:  Die  Einführung 

des   rauchschwachen   Pulvers   fand  bei   den   französischen  Artilleristen 

allgemeine  Billigung,   während   die    Einführung  von  Brisanzgeschossen 

(obus  torpilles)  auf  viele  Gegner  stiess. 

Die  Gegner  der  Verwendung  dieser  Art  Geschosse  heben  den  Um- 
stand hervor,  dass  ihr  Wirkungskreis  äusserst  beschränkt  ist  (15  Meter), 
während  die  durch  Shrapnelsplitter  gebildete  Garbe  eine  elliptische  Fläche 
von  200  Meter  Länge  und  60  Meter  Breite  überschüttet.  Weiter  werden  aus 
Sicherheitsrücksichten  in  diesen  Brisanzgeschossen  nicht  die  Apparate 
angebracht,  die  zum  Hervorrufen  der  Explosion  dienen,  und  überhaupt 
hat  man  zu  ihnen  so  wenig  Vertrauen,  dass  derartige  Sprenggeschosse 
bei  Uebungen  nicht  verwandt  werden. 

Weiter  —  so  führt  derselbe  Autor  aus  —  wird  geplant,  den  Ex- 
plosions-Apparat in  diesen  Geschossen  abzuändem  und  deshalb  hat  man 
sich  bisher  nicht  entschlossen,  die  gegenwärtigen  Zünder  an  den  Ge- 
schossen anzubringen,   da  dann  eine  Veränderung  dieser  riskant  wäre. 


^)  J.  Toumay:   „ifetude  siir  les  poudres  et  explosifs  consideres  au  point 
de  vue  des  destructions  militaires".    2"»«  Partie. 

^)  „Annual  Report  of  H.  M.  Inspectoi-s  of  Explosives".     1891,  Seite  31. 
3)  Paris  1892. 


i 


Katastrophen  in  Folge  der  Anwendung  Ton  Sprengstoffen.  439 

Wie  bekannt,  ist  die  Losschraubung  des  Apparats  immer  gefährlich,  aas 
welchem  Material  das  Sprenggeschoss  auch  bestehen  mag. 

So  äussert  sich  über  diese  Gfeschosse  ein  französischer  Artillerist, 
der  den  Offizieren  einer  anderen  Waffe  Vorlesungen  hält.  In  der  That 
kennen  derartige  Befürchtungen  noch  weit  ernster  werden.  Um  uns 
davon  zu  überzeugen,  wollen  wir  dieser  Frage  etwas  näher  treten. 

In  der  französischen  Armee  werden  leichtere  Sprenggeschosse  in  ^•"'"'''^ 
einer  Stückzahl  von  75  in  einem  speziell  für  diesen  Zweck  gebauten      beim 
Wagen  transportiert.  ^)  .oii™«^^ 

Diese  Geschosse  sind  gelb  angestrichen  und  unterscheiden  sich  ^"^  °'"'"' 
ausserdem  von  den  übrigen  Geschossen  durch  eine  besondere  Form 
damit  sie  auch  im  Dunkeln  erkannt  werden.  In  Deutschland  werden 
die  Si)ren^eschosse  aus  Sicherlieitsgründen  ebenfalls  abgesondert  von  den 
Explosions-Apparaten  geführt  und  das  Anbringen  der  letzteren  am  Ge- 
schosse geschieht  während  des  Ladens  des  Geschützes, 

Es  ist  sehr  natürlich,  dass  wähi-end  des  Kampfes,  wo  sich  der 
Truppen  ein  erregter  Zustand  bemächtigt,  nur  Ansnahmenaturen  ihre 
gewiilmliche  Kaltblütigkeit  beibehalten. 

In  dem  amerikanischen  Bürgerkrioge  wurden  auf  dem  Schlachtfelde  "'J^'"^."" 
Tausende  von  Gewehren  aufgefunden,  welche  doppelt,  dreifach  und  manche  k«ni»ci 
sogar  bis  an  das  Ende  des  Laufes  mit  Patronen  vollgestopft  waren.*)  Bla"^ÖD 
In  der  englischen  Marine,  in  welcher  teilweise  Kanonen  als  Vorder-  ^°J}'^ 
lader  gebaut  sind,  kam  es  nicht  selten  vor,  dass  sie  doppelt  geladen  """fi-n 
wurden  und  beim  Abbrennen  platzten.  Die  fürchterlichen  Verheerungen,  pnuuoBi 
welche  das  Platzen  der  Kanone  des  Panzerschiifes  „Thunderer"  ver-^^^^'^^, 
m'sachte,  gaben  Anlass,  Vei-suche  in  Woolwich  (1880)  mit  einer  anderen  '• 
Kanone  vom  „Thunderer"  anzustellen. 

Die  Doppelladung  und  Zerstöningskraft  sind  ans  den  beifolgenden 
Bildern  ersichtlich.  6) 


Doppeltgelikdene  Kanone  zum  Versuch. 

•)  Geoeral  Wille:  „Das  Feldgeschütz  der  Zukunft".    S,  9 
')  Nigotte:  „Lea  grandea  questions  de  jour". 
')  Brasaej:  „The  British  Navy", 


VI.    Taktik  der  ArtUlerie. 


8chus8  aiis  der  doppeltgeladenen  Kanone  des  „Thunderer", 

Wenn  bei  so  einfaehen  Manipulationeü,  wie  das  Laden,  derartige 
Verstösse  vorkommen,  was  wird  erst  bei  den  Manipulationen   mit  'Ex- 
plüsivgeschossen  geschehen,  welche  die  grösste  Genauigkeit  erfordern, 
nm  regelrecht  und  sicher  ausgeführt  zu  werden. 
oteiiie  Aber  nehmen  wir  sogar  an,  dass  die  Geschosse  immer  ohne  Unfall 

AbfeoBro  der  mit  den  dazu  gehörigen  Explosionsapparaten  schon  etwas  vor  der  Aktion 
^wh°i^.  oder  am  Kampfplatz  selbst  versehen  werden,  dass  ferner  das  Geschütz 
völlig  richtig  und  mit  aller  Vorsicht  geladen  ist,  so  bleibt  dennoch  das 
Abfeuern  des  Schusses  übrig,  und  damit  st«hen  wir  vor  der  Möglichkeit 
einer  neuen  grossen  Gefahr. 
^'^^^e  Um  uns  von  dem  Grade  dieser  Gefahr  einen  Begriff  zu  machen, 

EipiMii-  müssen  wir  nns  die  Einrichtung  der  Brisanzgeschosse  genauer  ansehen, 
'"'  °""'  Nehmen  wir  hiei-für  die  stäiksten  von  ihnen.  Diese  „höllischen"  Ge- 
schosse bestehen  aas  einem  langen  Stalilzylinder,  dessen  Inneres  mit 
Melinit,  Eoburit,  Ekrasit  oder  irgend  einem  anderen  Sprengstoff  angefüllt 
ist.  Alle  diese  Materitilien  zeichnen  sich,  wie  schon  gesagt  ist,  von  ein- 
ander hauptsächlich  durch  die  verschiedenartigen  Beimischungen  and  die 
Methoden  ihrer  Herstellung  ans.  Natürlich  wird  in  das  Geschoss  eine  um 
so  grössere  Quantität  des  Sprengstoffes  hineingehen,  je  dünner  die  Wände 


dar  OhcIiii»- 


i^u'''»"  Werden  hierbei  bestimmte  Grenzen  überschritten,  so  vermag  der 

"  Zylinder  den  Druck  des  Schusses  nicht  ausznhaiten;  er  platzt  und  es 
"erfolgt  eine  vorzeitige  Explosion  des  Geschosses.    Aber  selbst  wenn  die 
Stahlwände  genügend  dick  sind,  kann  in  Folge  irgendwelcher  Mängel 
in    der    Herstellung    oder    aus    anderen    Gründen     ein    Platzen    ein- 
treten.   Im  Allgemeinen  wird  von  dem  Stahl,  der  zn  diesen  Zylindern 


^ 


':s 


Katastrophen  in  Folge  der  Anwendung  von  Sprengstoffen.  441 


verwandt  wird,  gefordert,  dass  er  einen  Druck  von  4000  Atmosphären 
ausMlt,  aber  aus  der  Praxis  ist  bekannt,  welche  Irrtümer  bei  Prüfungen 
dieser  Art  vorfallen,  und  deshalb  sind  trotz  aller  möglichen  Vorsichts- 
maassregeln  unerwartete  Unglücksfälle  nie  ausgeschlossen.  In  jedem 
Falle  erhält  das  Geschoss  während  des  Schusses  infolge  der  Wirkung 
der  Gase  einen  starken  Stoss,  welcher  vielleicht  nicht  an  und  für  sich 
eine  Explosion  herbeizuführen  vermag,  aber  doch  die  Zylinderwände  ver- 
biegen und  dadurch  eine  Explosion  des  in  ihnen  enthaltenen  Sprengstoffes 
mit  allen  ihren  Folgen  herbeiführen  kann. 

Im  Fall  einer  Explosion  beschränkt  sich  nach  Meinung  der  Tech-  ^**'^«  «1°®' 
niker  die  direkte  Wirkung  der  Gase  auf  einen  nicht  allzugrossen  Raum  Explosion, 
—  15  Meter  —  ,  aber  ihre  Explosion  entwickelt  eine  solche  Stärke,  dass 
sie  in  einem  gewissen  umfang  Geschütze,  Menschen,  Pferde  u.  s.  w. 
fortreisst.  Dass  die  Gefahr  der  Explosion  des  Geschosses  im  Geschütz- 
rohre nicht  vollständig  beseitigt  ist,  beweisen  die  Vorsichtsmaassregeln, 
welche  der  Explosion  vorbeugen  sollen. 

In    dem   neuesten    englischen   Werke    über   Artillerie    lesen   wir  ö«^fcrj)ei 
Folgendes: 7)    „Grosse  Sorgfalt  muss  bei  Herstellung  gewöhnlicher  Gra- gewöhnlicher 
naten  angewandt  werden,  um  einer  vorzeitigen  Explosion  im  Geschütz-     '*"*  "' 
röhre  vorzubeugen.    Wenn  die  Granaten  geladen  werden,  müssen  sie  im 
Innern  vollkommen  glatt  sein,  da  schon  die  geringste  Rauhheit  genügen 
könnte,  eine  Explosion  zu  verursachen.    Bei  dem  Abfeuern  der  Granate 
aus  der  Kanone  sichert  die  Stahlbekleidung  der  Granaten   am   besten 
gegen  jede  Rauhheit ,  welche  Reibungen  erzeugen  könnte ;  aber  auch  alle 
Arten  gewöhnlicher  Granaten  müssen  so  konstruiert  werden,  dass  die 
inneren  Wände  glatt  sind." 

Die  Zünder  sind  überdies  in  Beutel  zu  legen  und  bei  diesen  Vorsichts-      Not- 
maassregeln  dürfte  keine  vorzeitige  Explosion  zu  befürchten  sein.  Reibungen 

Wenn  englische  Autoren  so  bedachtsam  urteilen,  so  hat  dies  triftige  Granate  nnd 
Gründe   für  sich.     Unfälle   sind   nicht   selten   und   können   nicht   ver- ^^JJJJhJ^^. 
heimlicht  werden.    Wir  wollen  aber  die  Folgen  einer  solchen  Explosion 
näher  ins  Auge  fassen. 

Die  Schweizer  Artillerie  hat  im  September  1891  mit  Granaten,  deren ,  vewnche 

der  Schweizer 

Sprengladungen  aus  Weisspulver,  einem  brisanten  Stoffe  bestehen  und  Artiuerie 
unter  Verwendung  eines  12-Centimeter-Gussstahl-Geschützrohrs  Versuche  Wirkungen 
angestellt,  um  zu  untersuchen,  welche  Wirkung  derartige  Granaten,  wenn  ^^^^^^^^^ 
sie  im  Geschützrohr  oder  nahe  vor  demselben  krepieren,  auf  das  Geschütz  Explosion 

yon  Spreng- 

bezw.  seine  Bedienung  ausüben.    Mitteilungen  darüber  finden  sich  im   ladangen. 


')  „Lloyd  and  Hadcock",  Artillery  1894,  its  Progress  and  present  condition. 


\ 


1  Folge  der  Anwendung  y 


Pul  ver-Explosion, 

Auch  mit  dem  alten  Salpeter- Pulver,  dessen  Gefährlichkeit  ver-  *"°^"" 
hältnismässig   weit   geringer  war,    haben    sich'  Katastrophen    ereignet,    urothea 
trotzdem  die  Beobachtung  von  Vorsichtsmaassregeln  durch  lange  Praxis  h,u„jto, 
und  erschöpfende  Regeln  den  Heeren  weit  mehr  in  Fleisch  und  Blut  über-   ,^"^j, 
gegangen  war.  ueh««!. 

So  ereignete  sich  18B9  der  Fall,  dass  ein  Protzkasten  in  die  Luft     ^iJ' 
Üog,  wobei  die  daneben  stehenden  beiden  Bedienungsmannschaften  getötet 


444 


VI,    Taktik  der  Artillerie. 


Konpllilait- 
mit  dar 

Veipiclisi 

modsmai 

OtKhOHl 


wurden.  Die  Unteisuchnng  stellte  als  Ursache  der  Explosion  fest,  dass 
die  Werg-Verpackung  der  Kartuschen  im  Protzkasfcen  in  Unordnung  ge- 
kommen war,  weshalb  sich  die  Kartnschbentel  stellenweise  durchgerieben 
hatten  und  loses  Pulver  zwischen  die  Risenmunition  gefallen  war.  In 
Folge  der  Stösse  beim  Fahren  erfolgte  dann  die  EntzUndnng. 

Wenn  sich  derartige  Unialle  schon  mit  den  früheren  Geschossen 
ereignen  konnten,  so  wäre  es  unlogisch,  in  Abrede  stellen  zu  wollen, 
dass  bei  den  jetzigen  viel  gefährlicheren  Stoffen  Explosionen  nicht  viel 
häufiger  eintreten  konnten.  Um  die  Komplizieitheit  der  Verpackung  der 
Geschosse  beim  Transport  und  bei  ihrer  Herausnahme  für  den  Gebrauch 
zu  zeigen,  geben  wir  folgende  Zeichnung  aus  dem  „Leitfaden  für  den 
Unterricht  in  der  Waffenlehre". 


Protze  des  deutacheii  Gescbützea. 


Popkung  der  deutBchen  Geachoase. 

FmuduiHii«  In  der  französischen  Armee  haben  die  Befürchtungen  hinsichtlich 

der      der  Möglichkeit  von  Unglücksfällen  bei  dem  Transport  von  Ladungen 


einzuführen,  welche  sich  dadurch  auszeichnet,  dass  die  Kästen  beseitigt 
sind,  und  in  jede  Seite  der  Protze  Geschosse  eingestellt  werden,  welche 


Katastrophen  in  Folge  der  Anwendung  von  Sprengstoffen.  445 


durch  Brettclien  (planchettes  porte  annements)  festgehalten  werden;  die 
Brettchen  sind  mit  einer  besonderen  Sprangfedervorrichtung  versehen, 
welche  jedem  Schlage  Widerstand  leistet,  wie  dieses  nachstehende  Zeich- 
nung zeigt.  9) 


Kasten  zum  Transport  von  Geschossen  und  Ladungen  in  Frankreich. 

Lehrreich  ist  folgende  Geschichte  der  Explosion  einer  Protze  im  Jahre   ^■i'.''"' 
1877.  Die  Türken  hatten  sieh  augenscheinlich  verschossen.  Plötzlich  ertönte  F.tron. 
ein  furchtbares  Krachen,  nnd  eine  gewaltige  Pnlverraudisänle  hüllte  die  jj^t",' 
Batterie  ein.    Im  ersten  Augenblich  konnte  niemand  begreifen,  was  auf  der 
Batterie  geschehen  war;  alle  .schauten  mit  dem  Ausdrnck  der  Ungewiss- 
heit  bald  anf  die  Batterie,  bald  auf  die  Nachbarn,  als  suchten  sie  nach 
einer  Krklämng.    Man  fühlte,  dass  sich  etwas  Schlimmes,  Entsetzliches 
ereignet  hatte.    Der  gleich  darauf  durch  die  feindlichen  Eeihen  lanfende 
dumpfe  Ruf  „Allah"  bestätigte  das  Vorgefühl:  auf  der  Batterie  war  etwa 
BO  Schritt  von  Sr.  Hoheit  dem  Grossfürsten  Sergei  Alexandrowitsch  der 
Protzkasten  explodiert. 

Augenzeugen  dieses  blutigen  Ereignisses  erzählten  später,  dass,  als 
sich  der  Ranch  nach  der  Explosion  verzog,  und  man  wieder  die  Möglich- 
keit gewann,  sich  umzublicken,  die  ganze  Gegend  mit  kleinen  Spähnen 
und  Granatsplittern  besä«t  war  und  auf  der  Explosionsstelle  selbst  drei 
verwundete  nnd  ein  kontusionierter  Artillerist  und  zehn  getötete  und 
verwundete  Pferde  lagen.  Von  dem  Protzkasten  wai'  nichts  übrig 
geblieben;  alle  seine  Teile  waren  durcheinandergewürfelt  oder  davon- 
geflogen, i^*) 

Die  jetzigen  Sprengmittel  sind  in  jedem  Falle  viermal  stärker  als 
äaa  fiühere  Pulver. 

')  „Reglement  sur  le  aervice  des  canons". 

'**)  «Die  Bustschuker  Abteilung  des  OrossfürsteD  Thronfolgers  im  Kriege 
18T7/78". 


I 


446  VI.    Taktik  der  Artillerie. 


Gefibriich-  In  einem  der  nenesten  Werke  über  diese  Materiell)  finden  wir  fol- 

Artiuerie-  gende  Angaben  in  Betreff  der  Gefährlichkeit  einiger  in  der  Artillerie  für 

sprengstoflFo.  gj^g^^^geschosse  verwandten  Sprengstoffe: 

pyroxyiin.  Pyroxylin,  das  nicht  in  Wasser  aufgelöst  ist,  verbrennt  in  offener 

Luft,  ohne  eine  Explosion  hervorzubringen.  Von  Stoss  und  Reibung 
leicht  entflammend,  bringt  es  im  geschlossenen  Räume  Explosionen  hervor. 
Es  zersetzt  sich  recht  leicht.  In  Folge  dessen  ist  bei  seinem  Transport 
die  äusserste  Vorsicht  erforderlich.  Es  wird  in  flüssigem  Zustande  in 
Holz-  oder  Metallkasten  transportiert,  wobei  man  es  vermeidet,  diese  der 
Wirkung  der  Sonne  auszusetzen. 
Melinit  ^nf  Melinit  wirken  Kälte  und  Wärme  nicht  ein.   Von  einer  Flamme 

entzündet,  verbrennt  es  in  der  Luft  langsam  wie  Harz  und  sondert 
einen  dicken  Rauch  aus.  Eine  Explosion,  die  in  der  Nähe  von  Melinit 
erfolgt,  bringt  auch  dieses  zur  Explosion,  die  von  starkem  Geknatter 
und  schwarzem  Rauch  begleitet  ist.  Die  Melinitentzündung  bringt  eine 
gigantische  Erschütterung  und  einen  ungeheuren  Luftdruck  hervor,  wenn 
man  auch  die  Kraft  dieser  Explosion  nicht  übertreiben  darf.  Die  Ex- 
plosionen teilen  sich  eine  der  anderen  mit,  ohne  eine  direkte  Berührung 
zu  erfordern.  Die  Entfernungen,  auf  welche  sie  sich  fortpflanzen  können, 
variieren  unter  dem  Einfluss  verschiedener  Bedingungen.  Die  Ueber- 
tragung  ist  natürlich  auf  um  so  grössere  Entfernungen  möglich,  je 
stärker  die  ursprüngliche  Explosion  ist,  je  kompakter  und  fester  der 
Boden,  auf  dem  das  Melinit  lagert. 

Die  Herstellung,  Aufbewahmng  und  Benutzung  der  Minengeschosse, 
mit  welcher  dieser  Substanzen  oder  anderen,  wie  Pikrinsäure,  Ekrasit, 
Roburit  und  wie  alle  die  Brisanzpulver  genannt  werden,  sie  auch  geladen 
werden  mögen,  sind  daher  mit  grossen  Gefahren  verknüpft. 

uniiiögiich-  Gefüllte  Granaten  können  nicht  mehr  entladen  werden,   da  diese 

Iceit,  gefQlIte 

Granaten    Operation  weder  praktisch  noch  überhaupt  möglich  ist.   Das  Aufbewahren 

ZU  enuaden.  solcher  Kriegsmunition  in  Magazinen  kann  Anlass  zu  Unglücksfallen  und 

zu  Veränderungen  geben,  die  den  Wert  oder  die  Kraft  der  Sprengladung 

vermindern. 

unmöglich-  In  jedem  Fall  sind  die  jetzigen  Sprengstoffe  gefährlicher  als  das 

in  Frieden«-  frühere  Pulver.    Es  fragt  sich  also,  ist  es  überhaupt  möglich,  alle  er- 

übi^he    forderliche   Vorsicht   zur   Verhütung   von    Explosionen    zu    beobachten 

^de"^Mln^***  bei  den  tausenderlei  unerwarteten  Zufälligkeiten  und  Bedürfnissen  der 

pniationen  Krfcgszeit,  bei  dem  ungeheuren  Munitions-Transport,  wie  solcher  fortan 

"  sto^ffen*''  nötig  sein  wird,  und  bei  der  gegen  früher  unvergleichlich  gestiegenen 

Krie^^M  ^®»  ^t  ^^^  i^^^^  ^^^^^  ^^^  ^^^^  gehen  muss?    Sehr  viele  militärische 

beobachten. 


^*)  E.  Coralys:  „Los  explosifs",  Paris  1893. 


Katastropheu  in  Folge  der  Anwendung  von  Sprengstoffen.  447 

Autoritäten  behaupten  indessen,  dass  die  Versuche  so  gewissenhaft  und 
unter  so  starken  Anforderungen  gemacht  werden,  dass  man  die  in  den 
Feldarmeen  eingeführten  Brisanzstofie  in  Wahrheit  als  nicht  allzu  gefahr- 
bringend betrachten  kann. 

Jedoch  behaupten,  wie  wii*  gesehen,  andere  sehr  ernste  Fachmänner, 
besonders  Chemiker,  ganz  das  Gegenteil. 

Ehe  daher  nicht  erfahrungsmässig  begi'ündete  Ergebnisse  vorliegen, 
hat  man  hinsichtlich  des  Gebrauchs  der  neuen  Explosionsmittel  die 
grössten  Befürchtungen  zu  hegen. 

Zahlreiche  Beispiele  zeigen,  dass  sich  beim  Transport  von  Explosions-  ".^f/**??"!' 
stoßen  Unglücksfalle  auch  dann  ereignen  können,  wenn  alle  nur  erdenk-  Transporten 
baren  Vorsichtsmaassregeln  beobachtet  werden.    In  San  Francisco  wurden    spwng- 
einmal  vom  Dampfer  „Pacifique"  2  Fässer  Dynamit,  jedes  von  4  Kubik-  ""^^^ta"" 
fuss,  ausgeladen,  unmittelbar  nach  der  Ausladung  erfolgte  aus  unbekannten  Beobachtung 
Ursachen  eine  Explosion,  durch  die  ein  Teü  der  Stadt  zerstört  und  eine  vondcht^ 
Menge  Menschen  getötet  wurde,  w)  «aaeregei... 

Wenn  eine  Explosion  von  im  ganzen  8  Kubikfuss  Dynamit  schon 
so  schreckliche  Folgen  haben  konnte,  was  ist  dann  erst  zu  erwarten, 
wenn  gewaltige  Mengen  Sprengstoff  zur  Explosion  kommen. 

Beim  Transport  von  Schiessbaumwolle,  welche  heute  hauptsächlich  als    ,  i>«' 
Sprengladung   benutzt   wird,   können   bei   bedeutenden   Temperaturver-      von 
änderungen  ebenfalls  grosse  Gefahren  entstehen.    In  früheren  Zeiten,  wo  ^"mutoin* 
das  Zubereitungsverfahren  noch  nicht  so  vervollkommnet  wie  heute  war,  ^olkelcht 
aber  wo  auch  mehr  Freimut  in  den  Aeusserungen  herrschte,  hat  Payen    wfdie 
gefunden,   dass  —  wenn  Schiesswolle,  sei  sie  noch  so  gut  bereitet  und 
noch  so  rein,  auf  50  bis  60  Grad  erhitzt  wird  —  eine  langsame  aber 
kontinuierliche   Zersetzung   eintritt,    welche   von   selbst   zur   Explosion 
führt  (explosion  spontan6e).    Pelouze  konstatierte  dieselbe  Thatsache  für 
Temperaturen  von  60  bis  70  Grad. 

Wichtige  Resultate  haben  die  in  England  durch  eine  Kommission   Kagiieche 

"  Yersnche 

unter  Vorsitz  des  Generals  Sabine  ausgeführten  Versuche  ergeben.  in  Bezng  auf 

Man   fand,   dass  bei  100  Grad  C.  in  offenen  oder  geschlossenen  ^^^'^'^^^^J""'*' 
Gefässen  eine  rasche  Zersetzung  eintrat,   die  in  einigen  Stunden   zur  T«™pej»t"r 
Explosion  führte;  bei  90  Grad  war  die  Zersetzung  massiger  und  selbst schieaewoiie. 
nach  46 stündiger  Einwirkung  nicht  gefährlich;  bei  Temperaturen  von  66 
bis  6B  Grad  zeigten  sich  wohl  Symptome  einer  Veränderung,  doch  war 
der  gewöhnliche  Prozess  der  Reinigung  von  Säuren  genügend,  der  Schiess- 
woUe  einen  von  dem  ursprünglichen  nur  wenig  differierenden  Zustand 
wiederzugeben. 


")  Radiwanowski,  N.:  „Pulver,  Pyroxylin  und  Dynamit". 


448  ^'    Taktik  der  Artillerie. 


Dagegen  ergaben  die  Versuche  mit  grossen  gelagerten  SchiesswoU- 
quantitäten  (wobei  das  Verhalten  der  Schiesswolle  in  warmen  geschlossenen 
Lokalitäten  beobachtet  wurde)  nach  einigen  günstigen  zwei  bedenkliche 
Resultate.  Bei  einem  Versuche  erhitzte  sich  die  in  Metallkästen  ver- 
packte SchiesswoUe,  nachdem  sie  drei  Monate  hindurch  täglich  mehrere 
Stunden  einer  Temperatur  von  ungefähr  50  Grad  ausgesetzt  war,  derart 
im  Innern,  dass  man  den  Versuch  einstellte.  Bei  einem  zweiten  analogen 
Versuche  entstand  eine  nicht  unbedeutende  Explosion,  i^) 

unrejrei-  Dass  auch  bei  dem  heutigen  vervollkommneten  Verfahren  Unregel- 

mässigkeit 

und  Nach-  mässigkclteu  und  Nachlässigkeiten  vorkommen  können,  besonders  während 

^  Krie^"  der  Kriegszeit,  wo  Mangel  an  guten  Arbeitskräften  eintreten  muss,  ist 

^f".  ^  nicht  unwahrscheinlich,  und  dass  bei  Einwirkung  der  Sonne  auf  Behälter, 

vermeidlich.  '  ^ 

in  welchen  Pyroxylin  transportiert  wird,  Temperaturen  über  56  Grad  sich 
entwickeln  können,  kann  als  recht  wahrscheinlich  angenommen  werden. 

Einfchisgen  Jedoch    vicl    wichtigcr    noch    ist,    dass    während    des    Kampfes 

der  Oranaten  ^  '  ^ 

in  Munition,  das  Eiuschlagen  einer  Granate  oder  ihrer  Teile,  obwohl  Protzen  und 
Munitionswagen  aus  Eisenblech  hergestellt  werden  (in  Russland)  oder 
einen  äusseren  Panzer  erhalten  (in  Frankreich),  so  dass  ihr  unproduktives 
Gewicht  100  auf  100  beträgt,  genügt,  um  eine  Explosion  hervorzurufen.  Aber 
wenn  man  auch  die  Möglichkeit  zugiebt,  die  Wagenwände  zu  verstärken, 
so  würde  damit  die  Gefahr  doch  nur  vermindert,  nicht  beseitigt  sein, 
denn  gegen  ganze  Geschosse  und  grössere  Teile  derselben  kann  es  keinen 
Schutz  bei  Feldprotzen  geben,  und  weiterhin,  beim  Herausnehmen  der 
Ladungen  und  Geschosse  aus  der  Protze  steht  diese  offen,  und  der  Auf- 
schlag auf  das  Geschoss  selbst  kann  ebenfalls  eine  Explosion  bewirken. 
Bei  der  heutigen  Vervollkommnung  der  Geschütze  muss  die  hieraus  ent- 
stehende Gefahr  sehr  in  Betracht  gezogen  werden. 

^hSfdw'  ^^  haben  schon  ausgeführt,  dass  auf  den  Schiessplätzen  Deutsch- 

Granaten   lands  von  100  Granaten  die  Hälfte  auf  4000  Meter  Entfernung  ein  Ziel  von 
MMitio^  6,2  Meter  Breite  und  25  Meter  Länge  traf. 

^  ***  Da  ausserdem  die  Schnellfeuer-  und  Eevolvergeschosse  mehr  als 

400  Gramm  wiegen,  so  steht  ihrer  Füllung  mit  Sprengstoffen  nichts  im 
Wege.  Ein  einziges  solches  Projektil  (der  Feind  wird  aber  natürlich 
streben,  ihi-er  Tausende  gegen  den  Munitionsbehälter  zu  richten)  genügt, 
um  die  oben  beschriebene  Zerstörung  herbeizuführen. 

scUesB-  Die  Sicherheit  des  Treffens  aus  Schnellfeuer-Geschützen  haben  wir 

Tonnche  mit 

der      schon  gezeigt;  was  die  Revolverkanonen  betrifft,  so  ist  deren  Treffsicherheit 
^^^J^^  heute  eine  noch  mehr  bemerkungswerte.   Um  einen  Beweis  zu  Uefem,  geben 

kanone. _ 

")  Maresch:  „Waffenlehre,  Schiess-  und  Sprengpräparate".    Wien  1872. 


Eataetrophen  in  Folge  der  Anwendung  von  Spreiigatoffen 


wir  Diagramme  von  einer  ÖT-MDlimeter-Hotchkiss-Revolverkanone,")  welche 

6  Pfand  wiegende  Geschosse,  volle  oder  mit  Explosivstofien  gefüllte  Granaten 

oder  ShrapneLs  nnd  Kartätschen  mit  80  Kugeln  gefüllt,  verfeuerte. 

Die  Kanone  macht  6  Umdrehungen  in  der  Minute.    Es  wui-de  auf  15,  f*'*^"""' 

50,  350,  670  und  1000  Yards  Entfemnng  geschossen.  .anneh«  » 

sT-umi- 
No.  1:   ein  Umdrebungsäatz.    No.  2:   ein  Uradrehnngssatz.    No.  3:   ein  ümdrebungssatz.       mstar- 


%  Umdrehongssata.     No.  5:   ein  Umdreliimgasate.     Eine  Salve  v 


Sohiessversuche  mit  der  üT-MiUimeter-HotchkiBS-Eevolverkanone. 


Sobald  also  der  Standort  der  Geschütze  und  der  MuoitioB  entdeckt 
ist,  wird  man  eine  ganze  Eeihe  von  Geschossen  dorthin  richten,  so  dass 
wohl  eine  oder  die  andere  Piotze  getroffen  werden  dürfte.  Das  nächste 
Bild  zeigt  uns  eine  Abteilung  englischer  Infanterie  auf  dem  Manöverfelde 
in  Thätigkeit  gegen  eine  feindliehe  Batterie  mit  ihren  Manitionskästen. 

In  der  Kriegsgeschicht«  finden  sich  viele  Beispiele  für  die  Explosion  i*) 
von  Protzen  und  Munitionswagen  in  Folge  der  Axtüleriewirknng,  aber  da 

»)  Dredge:  „Moderne  ÄitUlery". 

")  Ba  explodierten:                                          Munitions wagen  Protze              B 

in  der  Schlacht  bei  Wörth 1  — 

„     „         „          „St.  Privat —  1 

„     „          „           „     Amiens —  l 

„     ,,          „           ..    Villiera-Champigny  .     .      —  2 

„     „         „          „    Beifort —  1 

Alt  nnd  Lehmann:  „Die  deutsche  Artillerie  in  den  fünfundzwanzig  Seh  lachten 
and  Treffen  des  Krieges  1870/71. 

Blich,   Du  »Unftiga  Krieg.  -9 


TL    Taktik  der  ArtiDene. 


Englische  Infanterie  in  Tbätigkeit  gegen  eine  feindliche  Batterie. 

diese  bisher  nicht  Sprenggeschosse  von  solcher  Wirkung  enthielten,  wie 
die  der  jetzigen,  so  liegen  anch  noch  keine  Beispiele  der  jetzt  möglichen 
Folgen  einer  derartigen  Katastrophe  vor. 
■>••  Man  kann  sich  aber  leicht  den  Eindruck  vorstellen,   welchen   die 

lUfliitakell 

ftnhttartr  erste  derartige  Katastrophe  auf  Heer  und  Volk  ausüben  wird.    An  Stelle 

"^^Jt"der  früheren  Ermutigung,  welche  eine  in  der  Nähe  befindliche  Artillerie 

^*'^^'J^"den  Truppen  einflösste,  wird  diese  jetzt  ein  Element  der  Beunruhigung 

Knnitian  -  bilden;  diese  aber  wird  ihren  Einfluss  auf  die  moralische  Haltung  der 

i^st    Kämpfenden  ausüben,  welche  nach  Ansicht  der  Fachmänner  auch  fernerhin 

S^'n»»'  ^^^^  grosse  Rolle  spielen  wird. 

»■*  Diese  Eindrücke  werden  auch  ober  die  Grenzen  des  Schlachtfeldes 

o«MUKh>n. 

hinaus  wirken,  besonders  wenn  man  den  Charakter  der  westeuropäischen 

Gesellschaft  und  den  Bestand    des  Heeres    in  Berücksichtigung  zieht. 

Nachrichten    über    wiederholte    Katastrophen    können    leicht    ünrnhen 

heiTorrufea.    Es  ist  zn  bemerken,  dass  die  ökonomischen  Wirren  nnd 

moralischen  Erschütterungen,  welche  während  der  Mobilmachung  entstehen 

können,  in  Frankreich  in  gewisser  Art  erforscht  sind,  aber  die  ZoiUllig- 

keiten,  die  anf  die  öfientliche  Stimmung  von  Einfluss  sein  können,  sind 

hierbei  nicht  genügend  berücksichtigt. 

Ueberhanpt  erscheint  eine  Mobilmachung  in  Ländern,  welche  auf  einer 

gewissen  Kulturstufe  stehen  und  deren  Industrie  stark   entwickelt  ist, 

ohne  dass  man  besondere  Bücksichten  nähme,  nicht  gut  denkbar.    Der  so 


Zukunftsbilder  der  Artillerie-Taktik.  451 

komplizierten    Maschine    der    heutigen    Gesellschaftsordnung    plötzlich  ^^  «w«»- 

wArbgen 

massenhafte  Arbeitskräfte  zu  entziehen,  erscheint  eigentlich  ganz  un-    Hoen»- 
möglich.    Eine  plötzliche  Einberufung  könnte  bedenkliche  Folgen  nach  "teM^tn 
sich    ziehen.     Daher    sind    die    Nationalökonomen    der  Ansicht,    dass    ^*"*®° 

'  grosse 

Deutschland  sowohl  wie  Frankreich  ihre  Heere  nur  allmählich  mobilisieren    v«rioiite 

O&luiuigoii 

können.  Zu  dieser  Frage  werden  wir  übrigens  noch  zurückzukehren  hervor- 
haben bei  Beleuchtung  der  Frage,  aus  welchen  Berufskreisen  sich  die  ^""^•"* 
Heere  der  einzelnen  Länder  zusammensetzen.  Doch  soll  gleich  bemerkt 
werden,  dass,  wenn  bei  fortlaufender  Einberufung  nur  die  älteren  Jahr- 
gänge zurückbleiben  und  nun  Nachrichten  über  die  Katastrophen 
kommen,  welche  die  neueingeführte  Bewaflnung  über  das  Heer  gebracht 
hat,  in  den  Familien  dieser  ältei-en  Jahrgänge  unzweifelhaft  Proteste 
erhoben  werden  und  vielleicht  auch  Gährungen  zu  Tage  treten  dürften, 
die  zu  dämpfen  die  Eegierungen  Frankreichs  und  Deutschlands  vielleicht 
nicht  die  nötige  Kraft  haben  würden. 

Natürlich  werden  diese  Befüi'chtungen  nicht  allseitig  geteilt.    Man  ^/'®^^f 
nimmt  die  normalen  Opfer  des  Krieges  so  ungeheuer  hoch  an,   dass  «chaftuchen 
zufällige  Katastrophen  zu  der  Zahl  dieser  Opfer  natürlich  nur  einen     '  "°"*' 
kleinen  Prozentsatz  liefern.     Was  die  öffentliche  Stimmung  betrifft,  so 
werde  in  dieser  Hinsicht  die  Presse  eine  gewaltige  Bedeutung  haben, 
da  man  aber  diese  in  Kriegszeiten  fest  am  Zügel  halte,  so  würden  die 
gewöhnliche  Polizei  und  Gensdarmerie  durchaus  genügen,  um  Gährungen 
niederzuhalten. 

Unsere  Meinung  hierüber  werden  wir  weiterhin  aussprechen.  Un- 
zweifelhaft ist  es,  dass  der  Krieg  patriotische  Begeisterang  entfacht  und 
zeitweilig  sogar  die  Agitation  des  Sozialismus  erdrücken  kann.  Aber 
wenn  die  Begeisterung  der  Verzweiflung  Platz  gemacht  hat#  oder  sich 
auch  nur  abgeschwächt  hat,  und  statt  dessen  Klagen  über  die  furchtbaren 
Opfer  und  die  Verstärkung  der  Steuerlast  sich  erheben,  dürfte  sich  dann 
nicht  jene  für  die  bestehende  Ordnung  so  gefährliche  Stimmung  zeigen,  der 
Heine  in  seinem  berühmten  Gedicht  von  den  schlesischen  Webern  so  meister- 
haft Ausdruck  leiht? 


Znknnitsbilder  der  Artillerie-Taktik. 

Nunmehr  haben  wir  die  Möglichkeit,  den  allgemeinen  Einfluss  der  Haupipnnkt6 
neueingefnhrten  Verbesserungen  auf  die  künftige  Thätigkeit  der  Artillerie  schnttes  in 
näher  ins  Auge  zu  fassen.  Aruiiwie 

Die   Hauptpunkte   des   seit   den  letzten  Kriegen   stattgefundenen  ^^^'f^J^^^ 
Fortschritts  bestehen  in  Folgendem:  Kriegen. 

29* 


452  VL    Taktik  der  Artülerie. 


Grössere  ballistisclie  Leistungsfähigkeit  und  Tragweite  der  Geschütze, 
vermehrte  Feuerschnelligkeit,  Steigerung  der  Strenwirkung  der  Geschosse 
bis  zur  wirklichen  Massenwirkung,  zweckmässige  Organisation  zur  Bildung 
von  Artilleriemassen,  Erkenntnis  der  ausschlaggebenden  Wirkung  dieser 
Massen,  vermehrte  Gewandtheit  in  ihrer  Formierung. 

Alle  diese  Elemente  haben  die  der  Artillerie  eigenthümliche  Zer- 
störungskraft qualitativ  und  quantitativ  bedeutend  erhöht  und  die  E!r- 
reichung  einer  wahren  Massenwirkung  durch  das  einzelne  Geschoss  und 
eine  grosse  Geschützzahl  in  dem  Sinne  sehr  begünstigt,  dass  die  Erreichung 
des  Hauptkampfzweckes:  die  grösste  Wirkung  in  kürzester  Zeit,  mit 
geringstem  Munitionsaufwande  auf  jedem  Teüe  des  Schlachtfeldes  zu  er- 
zielen, gegen  früher  ganz  gewaltig  gefördert  worden  ist.i) 

^Mhritto^  Diese  Fortschritte  bedingen  vor  allem  weit  höhere  Anforderungen 

im  Artillerie,  an  dic  Ausbfldung  und  Disziplin  der  Führer  und  des  einzelnen  Mannes. 

wesen 

bedingen  Kapitän  Martynow  sagt  in  seinem  besonders  talentvoll  geschriebenen 

^^MWnng'^^^Werke^),  dass  auf  dem  militärischen  Gebiet  eben  genau  dasselbe  vor 
"dw^Fühw^  sich  gegangen  ist  wie  auf  jedem  andern,  wo  im  Dienste  der  Maschinen 
nnd      gearbeitet  wird.     Bei  Werkzeugen   einfacher   Konstruktion   hängt   der 
Mnnnea.*'  Erfolg  der  Arbeit  ausschliesslich  von  den  persönlichen  Eigenschaften  des 
Arbeiters  ab,  von  seinem  Verständnis,  seiner  Geschicklichkeit,  Findigkeit, 
Energie  u.  s.  w. ;  in  dem  Maasse,  wie  die  Werkzeuge  sich  verbessern,  wie 
die   Maschinen    allmählich    immer  vollkommner   werden,   verlieren   die 
persönlichen  Eigenschaften  des  Arbeiters  immer  mehr  ihre  Bedeutung. 
Mit  jedem  neuen  Schritt  der  Technik  vermindert  sich  allmählich  der 
Grad  der  Bedeutung  der  persönlichen  Eigenschaften  des  Arbeiters.    Wir 
können  dieser  Meinung  beistimmen,   aber  natürlich  nur  mit  dem  Vor- 
behalt, dass  entsprechend  ausgebildete  und  talentvolle  Leiter  des  Ganzen 
und  in  genügender  Anzahl  vorhanden  seien. 

^ot-  Da  nun  die  Vervollkommnung  des  Kriegsmechanismus  ohne  Unterlass 

wendigkeii, 

die  Trappen  fortdaucrt,  so  tauchen  freilich  nicht  unbegründete  Befürchtungen  auf,  dass 

reciiteeitig  ^.^  Vorrangsstelluug  auf  technischem  Gebiete  bald  diesem,  bald  jenem 

bedeutenden  gt^at^  anheimfalle.    Angesichts  der  beständigen  Verbesserungen  im  Ge- 

änderangen  schützwcseu  entsteht  daher  die  Frage,  ob  nicht  auch  der  Fall  eintreten 

in  der 

Bewaifnnng  köunc,  dass  währcud  des  Krieges  selbst  eine  solche  sich  geltend  machen 
^machen.  ^^^  ^^^^^  ^er  kriegführenden  Parteien  Vorteil  bringen  könnte. 

Jedenfalls  weist  die  Geschichte  des  Kriegswesens  die  Notwendig- 
keit nach,  bei  derartigen  bedeutenden  Aenderungen  in  der  Bewaffnung 

^)  General  Müller:  „Die  Wirkung  der  Feldgeschütze". 
•)  Kapitän  Martynow:   „Die  Strategie  in   der  Epoche  Napoleons   und   in 
unserer  Zeit".    1894. 


en 


Zukonftsbilder  der  Artillerie-Taktik.  453 


'—  ßadikaländerungen  in  den  AngriflF-  und  Abwehr-Mitteln  —  recht- 
zeitig auch  die  Truppen  an  diese  Neuerungen  zu  gewöhnen,  wenn  nicht 
schlimme  Folgen  eintreten  sollen. 

Aus  der  Zahl  lehrreicher  Beispiele  wäre  besonders  eins  hervorzuheben,  i^hrwichw 

vorgelieii 

Im  Kriege  1870  übertraf  bekanntlich  das  damalige  Chassepot- Gewehr  die      der 
deutschen  Gewehre.    Anfangs  erlitten  die  deutschen  Truppen  furchtbare    *gege/" 
Verluste,  erst  später  machten  es  sich  die  deutschen  Truppen,  durch  die  i/^*^j^_ 
Erfahrung  rasch  belehrt,  zur  Regel,  einen  Infanterie-Angriflf  nur  vor-    «««iMbe 
zunehmen,   wenn  der  durch  Artilleriefeuer  genügend  vorbereitet  war,    Gewehr. 
das    sich   zunächst   auf   die   französische   Artillerie  richtete.     Erst  als 
sich  das  Feuer,  nachdem  die  französische  Artillerie  unschädlich  gemacht 
war,  gegen  die  französische  Infanterie  gewandt  und  deren  Widerstands- 
fähigkeit erschüttert  hatte,  ging  das  Gros  des  Heeres,  das  sich  bis  dahin 
ausserhalb  der  Gefechtslinie  gehalten  hatte,  vor  und  entwickelte  sich 
zum  Gefecht.  8) 

Gegenwärtig  hat  sich  gegen  1870  die  Bedeutung  einer  solchen  Kampf- 
vorbereitung noch  bedeutend  gesteigert.  Von  den  Folgen  aber,  welche 
dieser  Artillerie-Zweikampf  haben  wird,  kann  man  sich  nicht  einmal  an- 
nähernd eine  Vorstellung  machen. 

Es  ist  zu  bemerken,  dass  die  Artillerie  in  Friedenszeiten  sich  wegen  schwierig- 

Keit  fftr  die 

des  Mangels  an  ausgedehnten  Schiessplätzen  grösstenteils  auf  weit  ge-  Arüuerie, 
ringere  Distanzen  im  Schiessen  übt  als  auf  solche,  von  denen  aus  sie  ^  [f^n^ 
im  Kriege  das  Feuer  eröffnen  wird.  schiess- 

»  flhnngen  auf 

Natürlich  müssen  in  Folge  dieses  Umstandes  bei  allen  Heeren  af^n^n 
taktische  Modifikationen  eintreten;  die  werden  aber  um  so  geringer  »^«^»i*««- 
sein,  je  höher  die  Ausbildungsstufe  der  Offiziere  ist,  d.  h.,  je  gewandter 
diese  sind,  sich  selbst  und  die  Mannschaft  an  neue  Vorkommnisse 
zu  gewöhnen,  welche  ihnen  bisher  aus  der  Praxis  und  den  Uebungen 
der  Friedenszeit  unbekannt  geblieben.  Insofern  die  Artillerie -Offiziere 
aller  Armeen  ihrem  Bildungsgrade  nach  zu  den  höheren  Schichten  militä- 
rischer Intelligenz  gehören,  wird  eine  plötzliche  Aenderung  der  taktischen 
Formen  ihnen  keine  grossen  Schwierigkeiten  bieten.  In  jedem  Falle  kann 
jedoch  erst  das  wirkliche  Schlachtfeld  zeigen,  wie  schnell  und  bis  zu  welchem 
Grade  ein  tüchtiger  Offizier  sich  zu  orientieren  und  in  die  neuen  Bedingungen 
zu  finden  vermag.  Dem  Umstand  haben  bereits  die  KriegsschriftsteUer  aller 
Länder  ihre  volle  Aufmerksamkeit  zugewandt.  So  sind  u.  A.  Stimmen  zu 
Gunsten  von  Reglements -Aenderungen  laut  geworden,  um  die  Artillerie 
an  das  Schiessen  auf  grössere  Entfernungen  zu  gewöhnen  und  ihr  grössere 

')  Colonel  Om6ga:  „L'art  de  combattre''. 


454  VI.    Taktik  der  Artillerie. 


Selbständigkeit  zu  verleiten.    In  dieser  Beziehung  geht  Deutschland  mit 
nachahmungswertem  Beispiel  voran. 
sei^-  Sobald  die  deutsche  Artillerie  mit  der  feindlichen  den  Kampf  beginnt, 

8t&ndigkeit    .  tr        -^  j 

derdeatflchenist  Sie  vou  dem  Korps-  oder  Divisions-Kommaudeur  unabhängig,  während  in 

im'SJ^pfe  Frankreich  Korps -Artillerie  und  Divisions -Batterieen  immer  direkt  dem 

***d«^*'  ^^^PS">  ^^SP-  ^®™  Divisions-Kommandeur  untergeordnet  bleiben.    Ebenso 

franiösiBchen  ist  es  auch  iu  der  russischen  Armee.  Weiter  schreiben  die  Instruktionen 

rosSIcheu  vor,  dass  jeder  Stellungswechsel  der  Batterien,  welcher  auf  den  allgemeinen 

Artiuerie.  Q-aj^g  ^es  Gefcchtes  Einfluss  haben  kann,  nur  auf  Anordnung  des  AbteUungs- 

Kommandeurs  erfolgen  darf.    Hier  mag  indessen  die  Frage  erlaubt  sein, 

ob  nicht  eine  Vorschrift  dieser  Art  bei  den  neuen  Kampfverhältnissen  zu 

sehr  binden  und  die  Initiative  lähmen  dürfte. 

Bflsondere  Bcsoudcrs  für  die  russische  Armee  dürfte  es  angebracht  erscheinen, 

Grande,  ° 

in  der     dcu  Artillerie-Offiziereu  mehr  Selbständigkeit  einzuräumen,  weil  in  Folge 

'Trmee*"  dcr  durch  die  Benutzung  des  hier  kürzlich  eingeführten  rauchschwachen 

*®J^^^  Pulvers  bedingten  Veränderung  in  den  Angriffe-  und  Abwehr-Distanzen, 

gr«ABere    falls  eiu  Krieg  in  kurzer  Zeit  entstehen  würde,  Schwierigkeiten  sich  zeigen 

keiteinzu-  könueu,  derer  die  Artillerie  -  Offiziere  eher  Herr  werden  dürften  als  die 

riumen.    Offiziere  anderer  Wafien. 

Wenn  in  den  ausländischen  Armeeü  den  Kommandeuren  der  Artillerie 
eine  grössere  Selbständigkeit  gewährt  wird,  so  dürfte  kein  Grund  vor- 
handen sein,  ihnen  eine  solche  in  der  russischen  Armee  vorzuenthalten. 
Da  aber  andererseits  die  Artillerie  nur  eines  der  Mittel  zur  Erreichung 
des  Hauptzweckes  bildet,  so  kann  man  füglich  nichts  dagegen  einwenden, 
wenn  die  Verfügung  auch  über  diese  Waffengattung  in  den  Händen  der 
obersten  Truppen-Befehlshaber  bleibt.  In  jedem  Falle  indessen  muss  die 
Wahl  der  besten  Mittel  zur  Ausführung  der  Anweisungen  den  Kom- 
mandeui'en  der  Ai-tillerie -Abteilungen  selbst  überlassen  werden.  Dies 
ist  in  Russland  um  so  nötiger,  als  bei  der  Mobilmachung  der  Armee, 
wo  die  Einberufung  sich  auf  alle  Stände  erstreckt,  ein  gewisser  Teil  der 
Reserve-Offiziere,  namentlich  in  der  Artillerie,  in  Folge  seiner  höheren 
Bildung  sich  fähiger  zeigen  wiid,  als  in  den  anderen  Waffengattungen. 
^höhe!r  ^^^  ^^  Kriegserfahrung  betrifft,  so  steht  die  russische  Artillerie 

Kriege-  in  dieser  Hinsicht  ein  klein  wenig  höher  als  die  anderen,  da  sie  in  ihren 
^'in  der*  Roiheu  viele  Offiziere  zählt,  welche  an  dem  türkischen  Feldzug  1877/78  und 
an  den  mittelasiatischen  Kämpfen  teilgenommen  haben ,  während  die 
französischen  und  deutschen  Heere  seit  1870  grössere  Kriege  nicht  zu  be- 
stehen hatten  und  die  österreichischen  und  italienischen  gar  zum  letzten  Mal 
1866  im  Felde  standen,  unbedeutende  Expeditionen  wie  die  der  italienischen 
Armee  nach  Abessynien  und  der  Franzosen  nach  Cochinchina  und  Dahomey 
können  hier  nicht  in  Betracht  kommen. 


mesischen 
ArtiUerie. 


Znknnfbsbilder  der  Artillerie- Taktik«  455 

Es  ist  zu  bemerken,  dass  sich  die  Artillerie  gegenwärtig  wieder  in    .5,*® . 

'  o   o  o  Artillene 

einem  üebergangsstadimn  befindet.     Die  neuesten  Vervollkommnungen  au«r  under 
sind  so  zahlreich,  dass  es  ganz  unmöglich  ist,  sie  in  vollstem  Umfange  auf     \ich* 
das  schon  vorhandene  Material  anzuwenden.   Demnach  steht  in  naher  Zeit  ff^^n^^^ig 

in  oinem 

eine  Umbewaffnung  der  Artillerie  mit  neuen  Geschützen  bevor,  welche  in  uebergang». 
ihren  verschiedenen  Teilen  von  den  jetzigen  Typen  wesentlich  abweichen 
werden.  So  lässt  die  Verwendung  des  rauchschwachen  Pulvers  bei  den 
modernen  Greschützen  eine  genügende  Steigerung  der  Anfangsgeschwindig- 
keit nicht  zu,  weil  weder  Rohr  noch  Lafette  darauf  eingerichtet  sind.  Die 
neue  Triebkraft  vermag  nur  bei  den  Geschützen  des  neuen  Systems  voll  zur 
Anwendung  zu  kommen.  Bei  dem  jetzigen  leidenschaftlichen  Wetteifer 
aUer  Staaten  in  der  Bewaffnungsfrage  ist  es  undenkbar,  dass  sie  nicht 
danach  streben  sollten,  in  Ausnutzung  der  durch  das  rauchschwache 
Pulver  gebotenen  Kraft  einander  möglichst  schnell  zuvorzukommen,  um- 
somehr,  als  hiermit  auch  eine  Beschleunigung  des  Schiessens  selbst  ver- 
bunden ist. 

Seinerzeit  ist  bei  der  letzten  Umbewaffnung  der  Feld-Artillerie  die  i>*«  i«*»*» 
Bedeutung  der  Feuergeschwindigkeit  nicht  genügend  gewürdigt  worden;  T)ew»ffanjig 
zudem  hat  sich  mit  Einführung  grösserer  Geschosse  auch  der  Rückstoss  "hat  die  * 
der  Geschütze  bedeutend  verstärkt,  was  eine  gewisse  Verlangsamung  des  !^//*p*J^. 
Schiessens  zur  Folge  hat.    Die  zur  Abschwächung  des  Rücklaufs  ein-  ««Bciiwindig- 
geführten  Bremsen  beseitigen  diesen  Missstand  nur  zum  kleinsten  Teil,   genftgend 

Noch  wichtiger  aber  sind  die  gegenwärtigen  Kampfbedingungen,  «f®'^'**«^ 
wonach  die  Batterien  unbemerkt  heranzuführen  und  reichlich  mit  Munition 
zu  versorgen  sind,  damit  der  Gegner  mit  Geschossen  überschüttet 
werde,  bevor  er  noch  dazu  kommt,  Widerstand  zu  leisten.  Bei  der  Ver- 
schiedenheit der  einzelnen  Geschütztypen  und  der  Schwere  der  Geschosse, 
wovon  schon  die  Rede  war,  ist  zu  befürchten,  dass  auf  dem  Schlacht- 
felde Schwierigkeiten  entstehen  können,  weshalb  in  der  Artillerie  dringend 
die  Möglichkeit  einheitlicher  Geschütztypen  und  Beseitigung  der  allzu 
schweren  Geschosse  gefordert  wird. 

Seit  1891  ist  man  in  Deutschland  und  Oesterreich  zu  einem  Kaliber  ^^rtmerie- 

Reformea  in 

Übergegangen;  ausserdem  bemüht  man  sich  in  Deutschland,  neue  Typen  Deutachiand 
für  den  materiellen  Teü  der  Feldartillerie  herzustellen  und  ein  Universal-  OMteJrdcii 
Geschoss  einzuführen.  ■•**  "•^• 

Die  Schnellfeuerkanone  bietet  die  Möglichkeit,  in  einer  bestimmten  J^"*5!  ^^ 
Zeit  bei  geringstem  Munitionsverbrauch  die  grösste  Wirkung  zu  erreichen,    kmone. 
weil  dies  Geschütz  doppelt  soviel  Eisen  gegen  den  Feind  entsendet  als 
die    anderen  Feldgeschütze    (die   Schnelligkeit  ist  4 mal  grösser,   das 
Geschoss  2 mal  leichter,  die  Wirkung  2  mal  stärker);  da  ferner  jedes 
Geschoss  bei  der  Explosion  eben  so  viel  Rauch  erzeugt  wie  die  jetzige 


456  ^^'    Taktik  der  Artillerie. 


Kartätsch -Granate  und  deshalb  die  Wolke  über  dem  Ziel  4  mal  grösser 
sein  wird,  wodurch  das  Schiessen  erleichtert  wird;  endlich  weil  das 
geringere  Gewicht  des  ganzen  Systems  die  Möglichkeit  giebt,  die  Ge- 
schütze unbemerkt  näher  an  den  Feind  heranzubringen.*) 

In  Folge  dessen  sind  die  Anstrengungen  fast  aller  Mächte  darauf 

gerichtet,  Schnellfeuergeschütze  zu  schaffen,  welche  10  bis  40  Schüsse 

in  der  Minute  ohne  Rücklauf  geben  und  daher  nicht  nach  jedem  Schuss 

gerichtet  zu  werden  brauchen. 

Höhe  der  ^ie  gross  abcr  die  Ausgaben  sind ,  welche  im  allgemeinen  für  die 

bewaffnnng  Umbewaffhung  der  Armee  erforderlich  sind,  zeigt  die  bei  der  Bilanz 

Annw'er-  ^cs    frauzösischeu   Kriegsministeriums   für   1889   angestellte   Taxe   der 

forderlichen  ^PUjQß.yQj^l^t^     Das  Artillerie -Material  hatte  danach  einen  Wert  von 

1523776761  Francs  (d.  h.  über  IV3  Milliaiden).^) 

Gegenüber  so  gewaltigen  Ausgaben  müsste  mau  annehmen,  dass  eine 

Umbewaffhung  der  Artillerie  in  naher  Zukunft  wenig  wahrscheinlich  ist. 

Nene  Es  wurdc  jcdoch  schon  darauf  hingewiesen,  dass  man  in  Frankreich 

in       zu  einer  Geschützumformung  geschritten   ist,  um  die  volle  Kraft  des 

o"d"d^ren^  ueueu  Pulvcrs  ausnutzen  zu  können.    Ausserdem  werden  dort  Geschütze 

KoBteu.    neuer  Art  eingeführt,  welche  je  nach  ihrer  Fertigstellung  zum  Ersätze 

der  aus  den  alten  Geschützen  umgearbeiteten  bestimmt  sind.   Und  jüngst 

wieder  teilte  der  „Progres  Militaire"^)  mit,  dass  das  neue  französische 

Geschütz  7,5  Centimeter  Kaliber  hat  und  4  bis  5  Schuss  in  der  Minute 

geben  wird,  dabei  fast  mit  Aufhebung  des  Rücklaufs.     Die  Herstellung 

dieses  Geschützes  soll  382  Millionen  Francs  kosten  und  in  3  Jahren 

beendet  sein. 

steigen  Dicsc  Angaben    dürften    umsomehr   Wahrscheinlichkeit    für   sich 

Treffflachen  habeu,  wcü  Autoritäteu,  wie  General  Wille  behaupten,  dass  die  Treff- 

den^nUen  Aächeu  der  neuen  Geschütze  steigen: 

oeechttteea.  ^j^i  ciucr  Entfcmung  bis  1000  Meter  um  210  Prozent 

„    2000      „        „    133 


„  „  „  „  ««vrw  „  „  J.v*^  „ 

„  „  „  „       €)UUÜ  ,^  ,,  0*7  „ 


*)  Michnewitscli :  „Einfluss  der  neuesten  technischen  Erfindungen". 

*)  Nicht  uninteressant  sind  auch  die  Werte  der  anderen  Vorräte,  in 
Millionen  ausgedrückt  (in  abgerundeten  Ziffern):  Uniformstücke  und  Lager- 
utensilien 466  Millionen,  die  Remonte- Abteilung  117  Millionen,  Proviant -Vorräte 
99  Millionen,  das  Hospitalwesen  53  Millionen,  Ingenieurmaterial  55  Millionen, 
Pulver-  und  Salpeter -Vorräte  30  Millionen,  Pourage -Vorräte  23  MiUionen,  der 
Train  20  Millionen,  das  topographische  Ressort  25  Millionen,  der  Telegraph 
3  MilL;  über  1  Mill.  Francs  kommt  noch  auf  jeden  der  folgenden  Titres:  Zentrale 
Kriegsverwaltung,  Generalstab,  Quartierungs-Ressort,  spezielle  Kriegsschule,  poly- 
technische Schule.    Auf  die  Militär-Luftschifffahrt  entfallen  954000  Francs. 

G)  3.  März  1894.    No.  1392. 


Zukunftsbilder  der  Artillerie-l'aktik. 


46? 


Graphisch  dargestellt  ergiebt  das  folgendes  Bild. 


1000  Meter 

mm 

1 

■ 1 1 ■UM 

3000  Meter 

SHB  S 

^|IS3\ 

8000  Meter      i 

1   Wiüi 

loMi 

1 

vvjo 

Treffflächenvergrösserung  der  neuen  Geschütze. 


M\ 


Die  seinerzeit  aus  Berlin  gekommene  Nachricht,  dass  in  Deutschland  ^"^^^/", 
neue  Kredite  für  Umwaffnungszwecke  gefordert  werden,  musste  natürlich     für  die 
Befürchtungen  wachrufen.    Wozu  eigentlich  die  110  Millionen  Mark  be- 
stimmt sind,  die  in  das  Budget  1892/93  für  Verstärkungen  der  Artillerie 
eingetragen  sind,  weiss  niemand  genau. 

Das  „Berliner  Tageblatt"  teilte  mit,  dass  bei  Krupp  neue  Stahl- 
kanonen bestellt  seien,  die  zu  der  Zeit  fertig  sein  sollten,  wo  ein  gewisses 
Geschütz,  mit  welchem  noch  Versuche  gemacht  würden,  als  verwendbar 
befunden  werden  würde.  Zu  dieser  Meldung  fügte  das  „Berliner  Tageblatt" 
noch  hinzu,  dass  mit  Verwirklichung  der  neuen  Verbesserungen  die 
deutsche  Artillerie  die  erste  in.  der  Welt  sein  werde.  „Alle  übrigen 
werden  zurückgedrängt  sein  und  keine  Bemühungen  werden  ihnen 
helfen,  uns  in  dem  Vorrange  einzuholen,  den  wir  über  sie  erworben 
haben." 

Es  mag  sein,  dass  diese  Worte  eine  einfache  Zeitungsprahlerei  sind,  ^^^^^^^j, 
aber  in  jedem  Falle  sind  sie  auch  dann  nicht  zur  Herabminderung  be-       " 
sorgter  Erwartungen  geeignet.    Inzwischen  fürchten  sich  die  einzelnen  "^formungen 
Staaten,  an  partielle  Umformungen  zu  gehen,  da  jede  Zweiheit  hier  das  "  ^^*°* 
moralische  Selbstvertrauen  ins  Schwanken  bringt.    „Der  Wert  einer  In- 
fanterie," sagte  Friedrich  der  Grosse,  „ist  von  dem  Vertrauen  abhängig, 
welches  sie  zu  ihrer  Waffe  hegt.    Wenn  ein  Teil  der  Armee  mit  einer 
verbesserten  Waffe  ausgerüstet  wird,  der  andere  die  bereits  gebrauchten 
erhält,  so  wird  letzterer  glauben,  dass  er  ungerechter  Weise  geopfert 
wird  und  der  Geist  dieses  letzteren  Armeeteils  wird  niemals  der  gleiche 
sein  wie  bei  den  privilegierten  Heeresteilen." 

Aber  auch  ohne  weitere  Neueinführungen  ist  im  Vergleich  zu  dem,  /«i^^fitte 

^  ^  der  Artillerie 

was  1870  war,  ein  gewaltiger  Fortschritt  gemacht  worden.     Die   tot-    «eit  i87o 
bringende  Wirkung  der  Geschosse,  welche  jetzt  gegen  früher  mindestens  '"weitere"'* 
auf  doppelt  so  grosse  Entfernung  treffen  und  deren  Wirksamkeit  jetzt  n«'»«'^"«»»«"- 
8  mal  stärker  ist  als  früher,  wird  eine  ganz  andere  sein  als  1870.    Die 
Schlachten  der  Zukunft  werden  unter  anderen  Verhältnissen  und  anders 
stattfinden   als  jetzt.     Die  Treffweite    der   Geschütze    erreicht  bereits 
7000  Meter.    Der  Angreifer  wird  folglich  von  einer  gewaltigen  Entfernung 


468  VI.    Taktik  der  Artillerie. 


aus  mit  seiner  Artillerie  den  Kampf  aufnehmen,  nm  der  Infanterie  das 
Vorrücken  zn  ermöglichen. 

Die  Umbewaflfnung  der  Infanterie  und  die  allseitige  Einführung  des 
rauchschwachen  Pulvers  haben  die  Kampf  bedingungen  so  verändert,  dass 
die  Artillerie  wie  auch  die  übrigen  Truppengattungen  ihre  Organisation, 
Ausbildung  und  Taktik  bedeutend  umgestalten  müssen.  Diese  Not- 
wendigkeit wird  sich  natürlich  mit  der  Einführung  von  Geschützen  des 
neuesten  Typs  noch  steigern.  Man  klagt,  dass  darauf  noch  zu  wenig 
Rücksicht  genommen  wird.  So  z.  B.  wird  behauptet,  dass  schon  gegen- 
wärtig in  den  meisten  Armeen  bewegliche  Mörser  eingeführt  seien,  die  der 
Festungs- Artillerie  oder  leichten  Belagerungsparks  zugeteilt,  teilweise 
auch  in  besondere  Batterieen  gegliedert  sind,  dennoch  aber  sind  mit  der 
Wirkung  dieser  Mörser  die  Korps-  und  Divisions -Kommandeure,  die 
berufen  sind,  den  Kampf  zu  leiten,  noch  wenig  bekannt. 

Gefthriich-  Angesichts  der  Möglichkeit,  dass  die  angreifenden  Truppen  auf 

üober-     weite  Entfernungen  hin  unter  mörderischem  Gewehrfeuer  vorgehen  müssen, 

dOT^dTen^n  ist  die  ünterstützuug  der  Artillerie  unbedingt  erforderlich,  und  deshalb 
^'"d^^    wird  ein  Schiessen  der  Artillerie  über  die  Köpfe  der  eigenen  Soldaten 

niohBien  Mnweg  weit  häufiger  als  früher  eintreten.  7)  Ein  derartiges  Feuern  gehört 
schon  heute  zu  den  schwierigen  Aufgaben  des  Krieges,  und  bei  den  neuen 
mit  noch  grösserer  Anfangsgeschwindigkeit  ausgestatteten  Geschützen 
wird  man  es  zu  den  allerschwierigsten  Aufgaben  rechnen  müssen.  Bei 
der  Hast,  welche,  wie  erst  gezeigt  wurde,  unumgänglich  notwendig  sein 
wird,  und  bei  der  häufigen  Anwendung  indirekten  Zielens  kann  das  Ueber- 
schiessen  der  eigenen  Truppen  sehr  gefährlich  werden,  s)  besonders,  wenn 
man  noch  dazu  in  Erwägung  zieht,  dass  in  der  Konstruktion  der  Spreng- 
geschosse iigend  eine  Ungenauigkeit  nicht  ausgeschlossen  werden  und 
demnach  eine  vorzeitige  Explosion  entstehen  kann.  —  Dazu  kommt  noch, 
dass  das  Schiessen  auf  den  entfernten  Gegner  bei  aufgelösten  Formationen 
und  in  Geländen,  welche  hauptsächlich  als  Schlachtfelder  dienen  werden, 
noch  eine  andere  grosse  Schwierigkeit  bietet.  Es  wird  nämlich  häufig  schwer 
sein,  zu  entscheiden,  ob  man  eigene  oder  feindliche  Truppen  vor  sich  hat. 

Schwierig-  Eiii  sehr  lehrreiches  Beispiel  für  einen  solchen  Fall  führt  General 

kBit 

die  eigenen  Kuropatklu  au.  Die  Entfernung,  welche  die  Türken  von  der  dritten  Batterie 

Trappen        

von 

den  feind-  T)  ^Manuel   de  guerre".     Combat:    Nach   den    Schiesstabellen   wird    das 

^nnter-*^    Schiessen  über  die  Häupter  der  Truppen  noch  dann  erlaubt,  wenn  die  Geschosse 

scheiden,    in  einer  Höhe  von  10  Metern  gehen.    Demnach  kann  bei  einer  Entfernung  des 

Ziels  auf  1450  Meter  das  Schiessen  beginnen,  wenn  die  eigenen  Truppen  von 

dem  Geschütz  277  Meter  entfernt  sind  und  muss  eingestellt  werden,  wenn  sie 

auf  290  Meter  an  den  Feind  herangegangen  smd. 

*)  Skugarewsky:  „Angriff  der  Infanterie". 


Schlussfolgerongen.  459 


der  9.  Artillerie-Brigade  trennte,  betrug  im  Ganzen  2400  Meter,  nnd  der 
Batterie  fiel  die  Aufgabe  zu,  den  Gegner  in  Flanke  und  Rücken  zu  be- 
schiessen.  Als  der  Befehl  zum  Feuern  kam,  entstand  zwischen  den 
Offizieren  der  Batterie  ein  lebhafter  Meinungsaustausch;  einige  er- 
klärten, dass  man  nicht  türkische,  sondern  russische  Truppen  vor  sich 
habe.  Angesichts  dieses  Zweifels  wollte  Niemand  die  Entscheidung  auf 
sich  nehmen,  und  so  wartete  man  erst  die  zur  Aufklämng  der  Frage  aus- 
geschickten Leute  ab.  Es  erwies  sich,  dass  man  Türken  vor  sich  hatte; 
darüber  war  aber  eine  halbe  Stunde  vergangen  und  die  Gelegenheit 
verpasst,  dem  in  eine  dichte  Masse  zusammengekeilten  Gegner  einen  be- 
deutenden Verlust  zuzufügen. 

Nun  entsteht  die  Frage,  ob  die  neu  herangezogenen  Reserven  und  ihre 
Angehörigen  sich  vergegenwärtigen  werden,  dass  Verluste  durch  Unglücks- 
falle die  aus  dem  eigenem  Lager  stammen  im  Kriege  unvermeidlich  sind, 
oder  ob  diese  Leute  rasch  mit  Beschuldigungen  zur  Hand  sein  werden. 


Schlassfolgenuigen. 


Welches  sind  nun  die  endgiltigen  Resultate  aller  besprochenen  so  ^adgiitige 

.  ,     .  T-r  ,  o  Resultate  der 

äusserst  wichtigen  Veränderungen  l  erfolgten 

Ver- 

Seit  dem  letzten  Kriege   haben  die  Trefl'weite  und  todbringende  /^denmgen 
Wirkung    der    Sprenggeschosse,    wie    schon    gesagt,    sich    sehr    be-*°   uni^ 
trächtlich   vergrössert.      Am    meisten    sind    die    Shrapnels   verbessert,    ^^J^""* 
deren  Kugel-  und  Sprengstückgarbe  sich  verfünffacht  hat.    Wir  haben  G««c»»üt>e. 
schon  davon  gesprochen,  dass  in  allen  Armeen  Feldmörser  eingeführt 
sind,  die  mit  Melinit  gefüllte  Geschosse  zu  werfen  vermögen.    Ausser- 
dem sind   in   fast  allen  Heeren   Schnellfeuergeschütze  eingeführt,    bei 
deren  Verwendung  der  früher  hinderliche  Rauch  fortfällt  und  auch  kein 
Rücklauf  der  Geschütze  mehr  stattfindet,  der  jedesmal  eine  Erneuerung 
der  Richtung  erforderte.    So  ist  es  möglich  geworden,  selbst  ungesehen 
den  Feind,   sowie  er  bemerkbar  wird,   bei  gleichzeitiger  in  der  Ver- 
gangenheit ganz  unbekannter  Treffsicherheit  mit  einem  wahren  Geschoss- 
hagel zu  überschütten. 

Unter    Berücksichtigung    der  Kampfverhältnisse    kommt    General 
Müller  zu  folgenden  Schlüssen. 


460  ^'    Taktik  der  Artillerie. 


Wirkung  jjit   28   Granatschüssen   sind   ausser   Gefecht   gesetzt   von    einer 

der  Granaten  ^ 

und      Kompagnie  auf  2400  Meter  Entfernung 

Shrapnels 

»egen  5/^  der  Mannsbreiten  der  stehenden  Schützen, 

V?    n  »  n    Soutiens. 


lufanterie. 


Eine  jede  Batterie  kann  heute  im  Verlaufe  einer  Viertelstunde  in 
einer  Entfernung  bis  zu  200Ö  Meter  jeden  stehenden  Gegner  von  nicht  über 
150  Meter  Frontbreite  kampfunfähig  machen.  Sie  kann  unter  2000  Meter 
jede  Infanterie-Abteilung  zum  Stehen  bringen. 

Infanterieziele  von  der  Grösse,  wie  sie  einer  Batterie  zugewiesen 
werden  können,  teils  aus  knieenden  und  liegenden  Schützen,  teils  aus 
stehenden  Soutiens  und  Gros  bestehend,  können  auf  Entfernungen  bis  zu 
1500  Meter  schon  durch  24  Gianat-  oder  12  bis  16  Shrapnelschüsse 
zur  Hälfte  ausser  Gefecht  gesetzt  werden,  während  von  stehenden 
Schützen  mit  Soutien  auf  etwa  2500  Meter  durch  36  bezw.  24  Schüsse 
bis  zu  ö/g  der  Mannschaften  ausser  Gefecht  gesetzt  werden  können. 
Hiernach  ist  das  Granat-  und  das  Shrapnelfeuer  auf  Entfernungen  bis  zu 
2000  Meter  gegen  Infanterie  vernichtend  zu  nennen.  Diese  Angaben 
weichen  nur  sehr  unbedeutend  von  den  schon  von  uns  angeführten  Be- 
rechnungen des  Generals  Eohne  ab. 

Um  sich  nicht  gänzlicher  Vernichtung  preiszugeben,  werden  die 
Truppen  in  zerstreuter  Ordnung  und  möglichst  geheim  in  den  Uneben- 
heiten des  Terrains  Deckung  suchen  oder,  wie  Maulwürfe  die  Erde  auf- 
wühlend, heranschleichen  müssen, 
^kliten*  Bei  den  grossen  Entfernungen,  von  welchen  aus  der  Artilleriekampf 

bei  Unter-  beginnen  wird ,  bei  der  Nothwendigkeit  von  Umgehungen ,  um  dem 
von  Fre"un^d  FrontaugrilF  auszuweichen,  bei  den  geringen  Unterschieden  in  der 
nnd  Feind,  gegenwärtigen  Bekleidung  und  ihrer  Unkenntlichkeit  derselben  nach 
längerem  Gebrauch,  sowie  der  durch  das  rauchlose  Pulver  bedingten 
grösseren  Schwierigkeit,  Nachrichten  über  die  Bewegungen  des  Feindes 
durch  Ordonnanzen  zu  erhalten  —  sobald  die  Truppen  in  der  Feuerlinie 
sich  befinden  wei-den  —  wird  die  Unterscheidung  von  Feind  und  Freund, 
ungeachtet  der  Ferngläser,  welche  alle  Artillerie-Offiziere  mit  sich  fuhren, 
sehr  schwierig  sein. 

Schon   bei  Friedensmanövern   kommen  Verwechselungen  oft  vor. 

Es  werden  daher  Befürchtungen  laut,  dass  im  zukünftigen  Kriege  die 

Truppen   nicht   wenig  von   den   eigenen   Geschützen   zu  leiden   haben 

werden. 

oefuiren  Allgemein  ist  bekannt,  dass  das  Bewusstsein,  durch  eigene  Ge- 

für  die  7  o 

Bedienung  schützc  beschosseu  werden  zu  können,  zu  den  peinlichsten  Eindrücken 
'•^~^^**'"  gehört. 


Schlussfolgeniiigen.  4g  ]^ 


Auch  die  Leitung  und  die  Lage  der  die  Geschütze  bedienenden 
Mannschaft  und  Pferde  ist  ganz  anders  geworden. 

Obwohl  das  rauchschwache  Pulver  bei  Greschützen  verhältnis- 
mässig doch  mehr  sichtbaren  Eauch  erzeugt  als  Gewehrfeuer,  so  ver- 
schwindet er  aber  doch,  da  er  dem  Dampfe  ähnlich  sieht,  fast  unmittelbar 
nach  dem  Schusse,  und  die  Artilleriebedienung  ist  somit  nicht  mehr  durch 
den  Rauch  vor  feindlichem  Feuer  geschützt. 

Als  im  wesentlichen  zutreffende  Mittelzahlen  für  die  Wirkung  von     ^ß«- 

recnoiiDgeD 

Shrapnels  mit  etwa  180  bis  200  Sprengteilen  gegen  Artillerieziele  können  der  Aiu»er- 
nach  General  MüUeri)  folgende  gelten.  seteuD^  wcii 

Müller. 

Scharf  treffende        Scharf  getroffene 
Sprengteüe  Mannsbreiten 

auf  IBOO  Meter  .    .    .    8—10  Prozent         8—9  Prozent 
„    2000      „       ...    7 —  8       „  5 — 6       „ 

„    i%)UU      ,«       ...         0,0       „  ö    4       „ 

Der  gegen  Artillerieziele  auf  2600  Meter  Entfernung  erreichte  Satz 
von  3,5  Prozent  scharf  treffender  Sprengteile  bezw.  3  bis  4  Mannsbreiten 
erscheint,  wenn  die  Zahlen  absolut  betrachtet  werden,  sehr  klein,  denn 
es  kommen  auf  je  100  Sprengteüe  nui-  IV2  bis  2  getroffene  Mannsbreiten; 
relativ  sind  die  Zahlen  aber  sehr  hoch,  denn  das  bedeutet,  dass  durch 
3  bis  4  Schüsse  die  Mannschaft  eines  Geschützes,  durch  20  Schüsse  die  einer 
ganzen  Batterie  ausser  Gefecht  gesetzt  werden  kann.  Aber  auch  ein 
einziger  Schuss  kann,  wie  Versuche  beweisen,  alle  aicht  Mann  der  Bedienung 
ausser  Gefecht  setzen.  2) 

Protzen  und  Wagen  einer  abgeprotzten  Batterie  müssen  behufs 
Deckung  mindestens  150  Meter  hinter  den  Geschützen  stehen. 

Artillerie  kämpft  auf  Entfernungen  bis  zu  2000  Meter  duellailig;  eine 
Entscheidung  ist  in  kurzer  Zeit  zu  erwarten.  Ueber  2000  Meter  ist  der 
Kampf  verlustreich,  aber  er  kann  nicht  bis  zur  Kampfunfähigkeit  des 
Gegners  durchgeführt  werden. 

Diese  Eesultate  scheinen  aber  zudem  noch  sehr  optimistisch  auf-      b«- 

,  reohniiDgen 

gefasst  zu  sein.    Laut  Berechnung  des  Generals  Bohne  kann  sogar  auf  des  Genenüs 
2500  Meter  eine  Batterie  durch  eine  andere  Vö  itirer  Mannschaften  ein-     ^^°®' 
büssen.«) 

Die  Gefahr,  dass  die  Geschütze  durch  Mangel  an  Bedienung 
unwirksam  werden,  liegt  nicht  allein  in  der  Artilleriewirkung. 

0  „Die  Wirkung  der  Feldgeschütze".    Seite  174. 

*)  „Die  Wirkung  der  Feldgeschütze".    Seite  50. 

^)  Beurteilung  der  Wirkung  beim  gefechtsmässigen  Schiessen. 


462  VI.    Taktik  der  Artülerie. 


®'»-  Um   die   gegenwärtige   Vervollkommnung  des   Gewehrs   und   den 

von  .Jagd-  Rauch  beim  Schusse  auszunützen,  sind  gegenwärtig  m  allen  Heeren 
**"w*Be.°''  spezielle  sogenannte  „Jagd-Kommandos"  geschaffen,  die  aus  auserwählten 
"^"dw'*"''^  Mannschaften  bestehen,  welche  darin  geübt  sind,  sich  unbemerkt  an  das 
Artillerie.  Ziel  heranzuschlcichen.  Man  kann  bestimmt  behaupten,  dass  alle  Armeen, 
speziell  um  sich  die  feindlichen  Geschütze  vom  Leibe  zu  halten,  gewisser- 
maassen  als  Schutzkette  solche  Freizügler  vorausschicken  werden. 

Dieser  Umstand  verdient  um  so  grössere  Aufmerksamkeit,  als  die 
Thätigkeit  der  Artillerie  sich  nicht  nur  gegen  lebende  Ziele,  sondern 
auch  gegen  auf  dem  Schlachtfelde  aufgeworfene  Schanzen  und  Feld- 
befestigungen wird  richten  müssen  und  demnach  der  Feind  schon  im 
Voraus  die  Stellung  der  feindlichen  Batterien  sich  berechnen  kann. 
Feidb^  Die  gegenwärtige  Vervollkommnung  der  Waffen  hat  dem  Angi'eifer 

swingen    SO  grossc  Schwierigkeiten  bereitet,   dass  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
"Sertn-*"  die  Heere  Dank  der  Ausstattung  der  Truppen  mit  Werkzeugen  und  ihrer 
^GMcWtafe"  Einübung  im  Feldbefestigungsbau  jeden  Hügel,  jede  Falte  des  Terrains 
als  Stützpunkt  auszunützen  suchen  werden. 

Dies  bedingt  ein  näheres  Herangehen  der  Geschütze  an  den  Feind 
und  hierdurch  wird  es  leichter  Hinterhalte  zu  legen,  die  bei  dem  geringen 
Rauch  des  Pulvers  äusserst  gefährlich  werden  können, 
schieaa-  j«fach  deu  Worten  Hoenig's*)  haben  beim  Probeschiessen  in  Grenoble 

Grenoble.  auf  2000  Meter  Entfernung  von  300  Kugeln  aus  den  Lebel-G^wehren  — 
60,  d.  h.  der  sechste  Teil  in  Schilde  getroffen,  welche  den  Batterieflächen 
gleich  kamen. 

Hoenig  bemerkt  hierbei,  dass  bei  Distanzen  auf  2000  Meter  IGVs  % 
Treffer  sogar  für  gewöhnliche  Schützen  als  kein  befriedigendes  Resultat 
gelten  können. 
In  einigen  General  Rohne  berechnet,  wie  schon  angeführt,  dass  100  Schützen 

Minuten  '  ^ 

werden     eiuc  Batterie  kampfunfähig  machen  auf  800  Meter  Entfernung  in  2  Minuten, 
nimer   ^uf  1200  Motcr  iu  7  Minuten,  auf  1600  Meter  in  18  Minuten.*) 
^«etet*  Dazu  kommen  dann  noch  in  allen  Armeen  die  Jagdkommandos, 

werden.  Da  CS  aber  genügt,  10000  solcher  ausgewählter  Schützen  zu  haben,  um 
vor  der  Front  der  Armee  eine  ganze  Kette  aufzustellen,  so  ist 
es  nicht  schwierig,  eine  solche  Anzahl  Leute  mit  einem  noch  besseren 
als  dem  jetzigen  Gewehr  auszurüsten,  nämlich  dem  6 -Millimeter- 
Gewehr,  dessen  Vorzüge  wir  schon  beschrieben  haben.  Wenn  wir 
auch  annehmen,  dass  die  Anfertigung  solcher  Gewehre  sich  noch  allzu 


*)  „Untersuchungen  über  die  Taktik  der  Zukunft".    Vierte  Ausgabe.    1894. 
S.  244. 

*)  „Beurteilung  der  Wirkung  beim  gefechtsmässigen  Schiessen",  1895. 


Schlussfolgerangen.  463 


teuer  stellt,  um  mit  ihnen  ganze  Armeen  zu  versehen,  so  können  aber 
die  einzelnen  Staaten  doch  sicher  einige  zehntausend  Stück  von  ihnen 
einführen,  ohne  allzugrosse  Ausgaben  auf  sich  zu  nehmen.  In  der  öster- 
reichischen Armee  finden  gegenwärtig  Prüfungen  des  6-Millimeter-Gewehrs 
statt,  jedoch  bereits  eines  anderen  noch  besseren  Typs,  als  der  von  uns 
beschriebene.  6) 

Aber  lassen  wir  die  weitere  Verbesserung  des  Gewehres  bei  Seite ,  Wirkung 

der  Schfltzen 

und  bleiben  wir  bei  der  Wirkung  des  von  einer  Schützenkette  vor  der  gegen 
Armeefront  gegen  die  Artillerie  gerichteten  Feuers  stehen.  Setzen  wir  ^'f^ueJ!*^ 
hierbei  voraus,  dass  die  Jäger  nicht  ein  5-,  sondern  das  6,B- Millimeter- 
Gewehr  haben  werden  (letzteres  ist  in  der  italienischen,  rumänischen  und 
niederländischen  Armee  eingeführt).  Auf  1000  Meter  und  sogar  bis  auf 
500  Meter,  bis  zur  Artillerie-Schutzkette,  heranzuschleichen,  kann  keine 
grossen  Schwierigkeiten  bieten.  Die  Schtttzenabteilungen  können  auf 
einer  solchen  ^Distanz  mit  voller  Ruhe  operieren ;  die  Artillerie  wird  aus 
dem  einfachen  Grunde  nicht  auf  sie  schiesen,  weü  das  Fehlen  des 
Rauches  den  Platz  ihres  Hinterhaltes  nicht  verraten  wird ;  demnach  lässt 
sich  also  auch  annehmen,  dass  ihr  Feuer  beinahe  gleiche  Resultate  geben 
wird,  wie  auf  dem  Polygon  in  Friedenszeiten. 

Nach  dem  französischen  Reglement  werden  pro  Geschütz  6  Mann  Be- 
dienung gerechnet,  wobei  zugegeben  wird,  dass  sich  im  äussersten  Fall 
mit  3  Mann  auskommen  lässt. "0  Es  fragt  sich  nun,  ob  der  Moment 
bald  eintreten  kann,  wo  in  der  Artillerie  des  Gegners  mehr  als  3  Mann 
auf  ein  Geschütz  aus  der  Front  scheiden  werden.  Es  ist  klar,  dass 
selbst  bei  einer  geringen  Anzahl  auserlesener  Schützen,  welche  auf  die 
Geschützbedienung  schiessen,  eine  sehr  kurze  Zeit  genügt,  um  die  Artillerie 
zum  Schweigen  zu  bringen. 

Gegen  einen  so  gefährlichen  Feind  wie  die  Jäger,  die  sich  hinter  ^^^j^'»"? 
natürlichen  Deckungen  (Bäumen,  Gesträuch,  Gräben,  Hügel)  oder  hinter  Hinterhalte, 
künstlichen,    schnell   aus   Erde   aufgeführten,   festgesetzt   haben,   giebt 
es  kein  anderes  Mittel,  als  das  gleiche,  d.  h.  gegen  ihre  Ketten  auch  ge- 
wissermaassen  Jagd  zu  machen. 

Wir  führen   wieder  die  Meinung  Hoenig's  an 8):    „Schon  in  dem  ^*^'J^^'** 
Kriege  1870/71",  sagt  er,  „fürchteten  unsere  Artilleristen  das  Feuer  der  gegen  isto. 
weittragenden  Chassepots  mehr  als  die  französische  Artillerie,  und  die 
Chassepots  verursachten  ihnen  weit  mehr  Schaden  als  die  Geschütze  des 
Gegners,  die  den  unseren  bedeutend  nachstanden.    Bei  dem  künftigen 


^)  Wille:  „Die  kommenden  Feldgeschütze".    Berlin  1893. 

0  Reglement  sur  le  Service  des  canons  de  80  et  de  90  p.  42. 

®)  „Untersuchungen  über  die  Taktik  der  Zukunft". 


464  VI.    Taktik  der  Artillerie. 


Kriege  werden  wir  uns  Geschützen  gegenübersehen,  die  von  gleicher  Qualität 
sind  wie  die  unseren,  und  hieraus  folgt,  dass  die  Lage  unserer  Artillerie 
noch  weit  schwieriger  sein  wird  als  in  dem  Kriege  1870/71.  Unsere 
Infanterie  dagegen  ist  jetzt  mindestens  nicht  schlechter  bewaffnet  als  die 
Infanterie,  welche  uns  entgegentreten  wird,  d.  h.  sie  wird  sich  folglich 
in  besseren  Verhältnissen  befinden  als  in  dem  letzten  Kriege.  Aus  dem 
Einen  wie  dem  Anderen  fliessen  nach  meiner  Ansicht  (fährt  Hoenig  fort) 
zwei  Ergebnisse: 

uimmging-  i    Dj^  Artillerie   muss   gi-ündücher   als   früher   die    Stellung   des 

der  Deckung  Gegners  erforschen,  ehe  sie  in  die  Kampfzone  eintritt,  und 

sobfitaen-  2.  die  Flanken  und  die  Front  der  Artillerie  müssen  durch  bedeutende 

ketten,  yorgeschobenc  Schützenketten  gedeckt  werden.  Wenn  auch  nur  eine 
dieser  Vorsichtsmaassregeln  ausser  Acht  gelassen  wird,  so  könnte  'sich 
unsere  Artillerie  zu  Beginn  des  Kampfes  in  noch  schlechteren  Verhält- 
nissen befinden,  als  diejenigen  waren,  unter  denen  die  Artillerie  unseres 
9.  und  7.  Korps  bei  Gravelotte  wirkte.  Das  damalige  Beispiel  dient  als 
eine  direkte  Warnung!" 

„Wenn  aber  die  vorhergehende  Rekognoszierung  des  Gegners  Seitens 
der  Artillerie  genügend  war  und  wenn  sie  vor  dem  Gewehifeuer  des 
Gegners  durch  eine  wenigstens  auf  500  Meter  vorgeschobene  Infanterie- 
kette gedeckt  ist,  welche  beide  Regeln  immer  für  taktische  Gesetze 
galten,  dann  kann  die  Artillerie  aus  dem  Fehlen  des  Rauches  vor  den 
Batterien  grossen  Nutzen  ziehen.  In  ihre  Positionen  einrückend  und 
nach  Möglichkeit  gedeckt  und  durch  Gewehrfeuer  nicht  beunruhigt  kann 
sie  bei  glücklicher  Beobachtung  und  Leitung  sich  schneller  einschiessen 
als  die  Artillerie  des  Gegners  und  eine  entscheidende  Wirkung  üben." 

Feaerkon-  nj^   sogeuanutc   Konzcutration   des  Feuers   auf  die  wichtigsten 

Kentrfttion  bei  770  o 

nachlosem  Puukte  schicu  blshcr  mehr  eine  theoretische  Aufgabe  als  eine  praktische 
Möglichkeit.  Die  Rauchsäulen  verhüllten  so  sehr  die  grossen  Artillerie- 
linien, dass  weder  von  der  Beobachtung,  noch  der  Prüfung  der  Richtung 
noch  von  der  Leitung  grosser  Artüleriemassen  in  Wirklichkeit  die  Rede 
sein  konnte  und  folglich  auch  die  Resultate  ihrer  Wirkung  dem- 
entsprechend geringe  waren.  Jetzt  haben  sich  die  Verhältnisse  völlig 
geändert.  Aber  es  ist  begreiflich,  dass  es  der  Artillerie  dennoch  nicht 
gelingen  wird,  durch  ihr  Feuer  das  Feld  von  einer  tüchtigen  Infanterie 
zu  säubern,  die  sich  in  Terrainfalten  und  Unebenheiten  festgesetzt  hat. 
Vertreiben  kann  diese  ebenfalls  nur  Infanterie." 
^keit^dlr  ^^^^  *^®  Gegner  hinter  ihren  Deckungen  zu  erspähen  ist  nicht  leicht. 

schftteen-  Es  ist  uicht  unmöglich,  dass  man  sich  hierzu  der  Hilfe  von  Hunden  bedienen 
anefildi^zn  wird  uud  dcr  Kampf  der  Schützenketten  der  Kriegsführung  der  amerika- 
machen.    jjig(.hen  Rothäutc  gegen  die  ersten  europäischen  Ansiedler  ähnlich  wird. 


Schlnssfölgemngen.  465 

Aber  wie  dem  anch  sei,  nm  das  Feld  von  den  Schützen  zu  reinigen, 
ist  nicht  wenig  Zeit  erfordevHch,  nnd  Zeit  —  sagt  ganz  mit  Eecht  General 
Dragomirow  —  ist  Alles;  langsame  Praktiken  sind  nicht  am  Platz;  man 
mnss  anf  einmal  und  hurtig  zugreifen. 

Wenn  hierbei  die  Erfiillnng  der  Hauptaufgabe  der  Artillerie  erschwert      "'• 
wird,  nämlich:  die  Artillerie  und  die  Positionen  des  Gegners  von  weiter    «tuho 
Entfernung  aus  zn  bescbiessen,  ao  gestaltet  sich  der  andere  Teil  der  ,ait,n""„^ 
Aufgaben  der  Artillerie;  der  zur  Attake  vorgehenden  Infanterie  Unter-    ^■"'" 
stutzung  zu  gewähren,  noch  schwieriger.    Damals,  wo  die  Gefährlichkeit 
des  Infanteriefeuers  sich  nur  auf  200 — 300  Meter  erstreckte  und  auch 
nur    auf    einige   Minuten,    konnten   die   Batterien    gleich   hinter  ihrer 
Infanterie  folgen,  aber  jetzt  ist  das  fast  anmöglich  geworden. 

In  einem  Befehl  an  die  Garde  und  die  Truppen  des  Petersbui^er  MUitär- 
Bezirks  (10.  Mai  1893)  heisst  es  bezüglich  der  Thätigkeit  der  Artillerie: 

„Wie  Alles  in  dem  heutigen  Kampfe  mit  strengem  Vorbedacht  "•'«>"«'  *« 
ausgeführt  werden  muss,  nm  zu  vermeiden,  dass  Irrtümer  mit  grossen      t«. 
Opfern  verbessert  werden,  so  mnss  auch  die  Artillerie  anf  dem  Schlacht-  *^"^«**- 
felde  direkt  in  der  geeigneten  Position  erscheinen,  um  überflüssige  und 
so  gefilhrliche  Stellungswechsel  zu  vermeiden." 

Um  dem  Leser  einen  Begiifi'  von  der  Grösse  der  Gefahr  der  Stellungs- 
wechsel deutlicher  zu  machen,  geben  wir  das  Bild  einer  abprotzenden 
englischen  reitenden  Batterie. 


EngliBcha  Batterie  beim  Abprotzen. 


466  ^'    Taktik  der  Artillerie. 


Es  kann  also  nicht  Wnnder  nehmen,  dass  es  bei  der  heutigen  Waffe 

für  die  Artillerie  äusserst  schwierig,  und  vielleicht  sogar  äusserst  riskant 

sein  muss,  selbst  auf  grösserer  Entfernung  von  der  Linie  des  Cregners 

eine  neue  Stellung  zu  nehmen. 

Der  Grad  So  ist  selbst  der  Grad  der  möglichen  Wirksamkeit  der  Feldartillerie 

der 

wirkwimkeit  in  den  verschiedenen  Fällen  noch  eine  unbekannte  Grösse, 
»rtiuerie.  Ungcachtet  dessen  hat  jede  Artillerie  durch  ihre  Fähigkeit,   das 

^^^Sae*^^  Operationsfeld  bis  zu  Entfernungen  zu  erweitem,  die  dem  Gewehrfeuer 
anbeunnte  uuzugänglich  siud,  clue  bcsonderc  Bedeutung  erhalten. 

Grösse. 

Die  in  Bezug  auf  das  Gewehr  gemachten  Fortschritte  haben  die 
Oflensive  immer  mörderischer  gemacht  und  eben  dadurch  die  Defensive 
begünstigt. 

Trotzdem  wird  heute  wie  ehedem  die  Infanterie  vorgehen  müssen, 
um  eine  Entscheidung  herbeizuführen. 

Bedeatang  Ohne  dlc  Artillerie  aber,  welche  den  Infanterieangriff  wirkungsvoll 

der  , 

Geschütze  bei  vorbereitet,  wird  ein  Siegen  unmöglich  werden.    Um  dieArtiUene  ausser 
Kämpft'*  Stand  zu  setzen,  die  Vorbereitung  des  Angriffs  vorzunehmen,  muss  diese 
bedingungen.  a^j^g^riffen  uud  zur  Selbstverteidigung  gezwungen  werden. 

Die  beiden  gegnerischen  Artillerien  werden  somit  dazu  gebracht, 
sich  aufzusuchen  und  gegenseitig  anzugreifen. 

Die  Resultate  dieses  Kampfes  werden  vor  allem  von  der  Anzahl 
der  Geschütze,  die  jeder  der  beiden  Gegner  sogleich  in  die  Kampflinie 
stellen  kann,  und  ihrem  Verhältnis  zu  den  Grewehren  abhängen. 

iBBahi  der  Dic  Anzahl  der  Geschütze  betrug  auf  10  000  Mann  Infanterie  (nach 

10000  mmü  den  Kriegsstärken  der  Staaten  berechnet) : 

In^terie.  1874  1891 

In  Russland 21  12 

„   Frankreich 13  12 

„   Deutschland    ....  20  12 

„   Oesterreich 16  10 

„   ItaUen 13  10 

„   der  Türkei 14  13 

Abnahme  Wir  schcn,   dass  in  Russland,  Deutschland  und  Oesterreich  das 

der 

Geeobfltesahi  Verhältnis  der  die  Infanterie  unterstützenden  Geschütze  sich  seit  1874 
eeit  1874.  jj^jj^^g  ^^  ^[q  Hälfte  Verringert  hat.     Nur  in  Frankreich  ist  dieses 

Verhältnis  beinahe  das  gleiche  geblieben. 

Worin  liegt  nun  die  Ursache  dieses  Widerspruchs  gegen  die 
Gesamtrichtung  des  XIX.  Jahrhunderts,  den  mechanischen  £räften  den 
VoiTang  zu  gewähren? 


SchlussfolgeniDgen.  467 


Als  Napoleon  I.  infolge  der  nnheilvoUen  Feldzüge  in  Spanien  ge-      ^^^ 
zwangen  war,  die  Zahl  seiner  Truppen  zu  verdoppeln  und  zu  verdreifachen    m&snge 
und  seine  Graubärte  durch  junge  Soldaten  zu  ersetzen,  steigerte  er  sofort  a^^^ifS^rne 
die  Anzahl  der  Geschütze  von  20  auf  30  pro  10  000  Mann,  um  den  jungen    1^^^^ 
Truppen  Vertrauen  zu  geben  oder  sie  wenigstens  zu  betäuben.  zeiun  er- 

Die  Feldzüge  in  Russland  und  Sachsen,  wo  die  Veteranen  vollends    unl'Siner 
vernichtet  wurden  und  an  deren  Stelle  junge  Eekruten  traten,  führten  „^tft^htf'en 
eine  neue  Verstärkung  der  Artillerie  herbei.     Napoleon  stellte  beinahe  infi»nterie 

Yertniaen 

50  Geschütze  pro  10000  Mann  auf.  Man  könnte  sich  fragen,  welchen  eincnflömen. 
Wert  diese  Artillerie  haben  konnte,  da  sie  notwendigerweise  wie  die 
übrige  Armee,  meist  nur  aus  Rekruten  bestand.  Auf  diese  heikle  Frage 
antwortet  General  Suzanne,  wie  schon  erst  bemerkt  wurde:  „Der  Kaiser 
wusste,  dass  der  Artillerist  —  welches  auch  das  Motiv  dieses  moralischen 
Phänomens  sein  mag,  sei  es  Instinkt,  Vorurteil,  Ehrgefühl  oder  Erziehung  — 
sein  Geschütz  nicht  verlässt;  er  stirbt  neben  ihm  oder  wird  mit  ihm 
genommen." 

Die  Verhältnisse,  unter  welchen  der  Beginn  zukünftiger  Feldzüge      ^>»« 
vor  sich  gehen  wird,  sind  denen  aus  der  Zeit  der  letzten  Jahre  der  Feld-    setznng 
Züge  Napoleons  I.  —  in  Bezug  auf  die  Zusammensetzung  der  Heere  •—  sehr  ^^^^^'^^ 
ähnlich.  Die  Mehrzahl  der  Truppen  wird  aus  einer  zu  den  Waffen  berufenen  *^//'^f^JJ° 
Bevölkerung  bestehen,  welche  zwar  vor  längerer  oder  kürzerer  Frist  Napoleon» 
eine  Zeit  lang  unter  den  Waffen  gestanden,  aber  noch  an  keinem  Kriege 
beteiligt  war,  seit  Jahren  ihren  friedlichen  Beschäftigungen  nachging  und 
dadurch  ganz  ausser  Uebung  kam. 

Ausserdem    darf  man   nicht  vergessen,    dass,    da   die   Gefechts-   unachon 
ausdehnung  eine  unverhältnismässig  grössere  geworden,  und  den  Geschützen  Geechüt«- 
die  in  der  Vergangenheit  kaum  vorgekommene  Aufgabe  bevorsteht,  den  ••^^•^°***""- 
Gegner  von  grossen  Entfernungen  aus  in  seinen  festen  Stellungen  zu 
vernichten  oder  so  in  Schach  zu  halten,  dass  er  den  angreifenden  Truppen 
keinen  Widerstand  leisten  kann,  das  Verhältnis  der  Stückzahl  der  Ge- 
schütze zu  den  Gewehren  stärker  geworden  sein  müsste  als  es  in  der 
Vergangenheit  war.    Wir  sehen  aber  gerade  das  Gegenteil. 

Der  Grund  für  diese  Anomalie  scheint  teilweise  in  der  Scheu  vor 
den  grossen  Ausgaben  zu  liegen,  welche  für  Vermehrung  der  Artillerie 
erforderlich  sind,  teilweise  in  der  Schwierigkeit,  in  genügender  Anzahl 
geschulte  Mannschaften  bei  der  Mobilisation  erhalten  zu  können. 

Es  müssen  ohnedies  ftti-  die  ietzige  Geschützzahl  bei  der  Mobilisation     Hoher 

_  ,    R»K  AI     -r^i»     j  Prozente»!» 

der  Artillerie  60  %  Mannschaften  aus  der  Reserve  und  7B  %  Pferde  von  angeechuuer 
der  Zivilbevölkerung  entnommen  werden.  schiften 

Die  Vervollkommnung  der  Geschütze  bedingt  vor  AUem  weit  höhere  ^i^^^^J^^ion 
Anforderungen  an  die  Ausbildung  und  DiszipUn  des  einzelnen  Mannes,  der  ArtuieHe. 

30  • 


468  ^-    TaMk  der  Artillerie. 


yJ^ou     ^^®  schon  gezeigt,  wird  das  Feuer  von  sehr  grossen  Distanzen  aus 

kommnnng  gegen  Sehr  wenig  sichtbare  Feinde  —  infolge  der  Entfernung  und  der 

Gesehfitea  Deckuug  Muter  Terrainfalten,  Anhöhen  und  Feldbefestigungen  —  beginnen. 

*  aIJ!  rüchT  ^^^  Vorgehen  der  eigenen  Infanterie  zum  Angriff  ist  Angesichts  dessen, 

»n  die     dass  das  unter  mörderischem  und  dabei  unsichtbarem  Gewehrfeuer  ge- 

des      schehen  muss,  die  Unterstützung  der  Artillerie  unbedingt  erforderlich, 

^^l^^  und  deshalb  wird  ein  Schiessen  der  Artillerie  über  die  Köpfe  der  eigenen 

Soldaten  hinweg  weit  häufiger  als  früher  eintreten, 
üeber-  Nach  dcu  Schiesstabellen  wird  das  Schiessen  über  die  Häupter  der 

der  eigenen  Truppcu  uoch  dauu  erlaubt,  wenn  die  Geschosse  in  einer  Höhe  von 
Trappen,    jq  Mctem  flicgeu. 

Demnach  kann  bei  einer  Entfernung  des  Ziels  von  1450  Metern 
das  Schiessen  beginnen,  wenn  die  eigenen  Truppen  von  dem  Geschütz 
277  Meter  entfernt  sind  und  braucht  erst  eingesteUt  zu  werden,  wenn  sie 
auf  290  Meter  an  den  Feind  herangekommen  sind. 

Ein  derartiges  Feuern  gehörte  immer  zu  den  schwierigen  Aufgaben 
des  Kl  ieges.  Bei  der  Hast,  welche  gegenwärtig  unumgänglich  notwendig 
sein  wird,  bei  der  häufigen  Anwendung  indirekten  Zielens  der  grossen 
Anzahl  aus  der  Uebung  gekommener  Reserve-Offiziere  und  Mannschaften, 
sind  grobe  Fehler  unvermeidlich.  Das  üeberschiessen  der  eigenen  Truppen 
wird  desto  gefahrlicher  werden,  da  die  heutigen  Geschosse  meist  mit 
Sprengstoffen  gefüllt  sind. 

Die  kleinste  Ungenauigkeit,  welche  in  der  Konstruktion  der  Zünder 
ihren  Gnind  hatte,  oder  in  Folge  Transports,  Lagerung,  chemischer  Ver- 
änderungen und  atmosphärischer  Einflüsse  eingetreten  ist,  kann  eine  vor- 
zeitige Explosion  hervon-ufen. 

EinBcMessea  Dazu  kommt  uoch,   dass  das  Beschiessen  des  entfernten  Gegners 

im  Friedet  mclst  bci  aufgclöstcu  Gliedern  und  in  Geländen,  welche  hauptsächlich 

''üiiuSMn.*^ ^^s  Schlachtfelder  dienen  werden,  stattfinden  wird;  es  wird  also  häufig 

schwer  sein,  zu  entscheiden,  ob  man  die  eigenen  oder  die  feindlichen 

Truppen  vor  sich  hat. 

Auch  ist  der  Umstand  nicht  zu  übersehen,  dass  die  Artillerie  in 
Friedenszeiten  sich  wegen  Mangels  an  ausgedehnten  Schiessplätzen 
grösstenteils  auf  weit  geringere  Distanzen  im  Schiessen  übt,  als  auf  solche, 
von  denen  aus  im  Kriege  das  Feuer  sich  eröffnen  lässt. 

Die  Offiziere  und  die  Mannschaft  werden  also  zuerst  sich  an 
Distanzen  gewöhnen  müssen,  welche  ihnen  bei  den  üebungen  in  der 
Friedenszeit  bisher  unbekannt  geblieben  sind. 

Man  kann  also  dei^enigen  Stimmen,  welche  daran  zweifeln  zu 
können  glauben,  dass  die  heutige  Artilleriemannschaft,  die  wie  gesagt 


Sohlussfolgerungen.  469 


aus  60  %  Neuemberofener  bestehen  wird,  diesen  Anforderungen  gewachsen 
sein  werde,  eine  gewisse  Berechtigung  nicht  absprechen. 

Es  treten  aber  andere  nicht  minder  wichtige  Umstände  zu  dem 
Allem  hinzu,  welche  Befürchtungen  für  das  Schicksal  der  Heere  im 
nächsten  Kriege  hervorrufen. 

Beinahe  alle  Geschosse  werden  heute  mit  Sprengstoff  in  grösseren  ^.J^^«^*"«. 
oder  kleineren  Quantitäten  gefüllt,  und  die  Explosion  des  Geschosses  soll  Stoffen  ud 
an  der  dazu  vorausbestimmten  Stelle  stattfinden. 

Zu  diesem  Zwecke  beruht  die  Wirkung  der  Doppelzünder  z.  B.  darauf, 
dass  in  den  Zündern  Vorrichtungen  angebracht  werden,  welche  erst  nach 
einer  gewissen  Zeit  oder  durch  den  Stoss  beim  Aufschlag  in  Wirkung 
treten.  Damit  die  Vorrichtung  nicht  vorzeitig  in  Aktion  tritt,  werden  die 
Zündnadeln  von  den  Zündhütchen  meist  durch  Federn  gestreut  gehalten. 

Die  Sicherheit  des  ganzen  Mechanismus  besteht  also  in  den  Vor- 
richtungen, welche  das  vorzeitige  Aufschlagen  der  Apparate  auf  die 
Schlagladung  verhindern  sollen. 

Nun  aber  können  durch  fehlerhafte  Konstruktion,  falsche  EinsteDung, 
Losgehen  der  Federn  beim  Transport,  Stösse  bei  der  Ladung  und  beim 
Durchgange  des  Geschosses  durch  die  Gewinde,  und  endlich  durch  Be- 
rührung zwischen  Zünder  und  Geschossmetall  —  wodurch  chemische  Ver- 
änderungen entstehen  —  vorzeitige  Explosionen  bewirkt  werden. 

Bis  zur  Stunde  ist  noch  kein  Explosivmittel  entdeckt  worden, 
welches  vollständig  dem  Stosse  widersteht  und  nur  im  gewünschten 
Augenblicke  wirkt. 

Im  Falle  einer  Explosion  beschränkt  sich  nach  Meinung  der  Tech-  Expioiions- 

^  °  folgreo. 

niker  die  direkte  Wirkung  der  Gase  auf  einen  nicht  allzu  grossen  Raum, 
aber  die  Explosion  entwickelt  eine  solche  furchtbare  Kraft,  dass  sie  in 
einer  gewissen  Ausdehnung  Geschütze,  Menschen,  Pferde  u.  s.  w.  auf 
grosse  Entfernungen  fortschleudert. 

Das  Krepieren  von  Geschossen  im  Rohre  ist  nicht  weniger  gefährlich.   G«fahren 
Mit  Granaten  und  12-Centimeter-Geschützen  veranstaltete  Versuche  haben  KwpiereM 
gezeigt,  dass  das  Rohr  in  mehr  als  20  Stücke  zerspringt,  Lafette  und  oese'hoMen 
Räder  werden  vollständig  zertrümmert,  letztere  in  einen  Hauten  von   »"  ^'»'• 
Splittern  verwandelt.    Die  Bruchstücke  des  zerstörten  Rohres  erreichen 
Gewichte  bis  zu  166  Kilogramm  und  werden  auf  Entfernungen  bis  zu 
90  Meter  vor  bezw.  hinter,  und  107  Meter  seitlich  der  Geschützaufstellung 
fortgeschleudert. 

Nun  wollen  wir  uns  die  Folgen  von  derartigen  Explosionen  näher 
betrachten.  Das  Schiessen  aus  Geschützen  geht  grösstenteils  in  Gruppen 
von  einigen  Batterien  vor  sich.    Bei  den  üblichen  Zwischenräumen  von 


470  ^-    Taktik  der  Artillerie. 

20  Metern  zwischen  den  Geschützen  kann  eine  Explosion  zum  mindesten 
3  Geschütze  mit  ihrer  gesamten  Protzmunition  erfassen. 

Die  Teile  der  zerstörten  Materialien  werden  hierbei,  wie  die  Er- 
fahrungen zeigen,  im  Umkreise  umherfliegen  und  die  Trümmerstücke 
können  neue  Verwüstungen  durch  neue  Explosionen  hervormfen. 

Uebrigens  entsteht  noch  die  Frage,  ob  nicht  schon  diese  Explosionen 
allein  in  Folge  der  Lufterschütterung  (Detonation)  unter  günstigen  Ver- 
hältnissen wieder  neue  Explosionen  bewirken  können. 

TwuiBport-  Es   muss   uoch   der  Gefahren   beim  Transporte  erwähnt  werden. 

''  ""'  Das  Pyroxylin  zerset2rti  sich  sehr  leicht.  Es  wird  in  flüssigem  Zustande 
in  Holz-  oder  Metallkästen  transportiert,  und  grosse  Gefahr  entsteht, 
wenn  es  der  Wirkung  der  Sonne  längere  Zeit  ausgesetzt  wird. 

Das  Melinit  soll  sich  zwar  in  Folge  der  Einwirkung  von  Kälte  und 
Wärme  nicht  verändern,  aber  eine  Explosion,  die  in  der  Nähe  von 
Melinit  erfolgt,  ruft  bei  ihm  ebenfalls  eine  Explosion  hervor.  Die 
Explosionen  teilen  sich  einander  mit,  ohne  eine  direkte  Berührung  zu 
erfordern.  Die  Entfernungen,  auf  welche  sie  sich  fortpflanzen  können, 
variieren  unter  dem  Einfluss  verschiedener  Bedingungen.  Die  Ueber- 
tragung  ist  auf  um  so  grössere  Entfernungen  möglich,  je  stärker  die 
ursprüngliche  Explosion  ist,  je  kompakter  und  fester  der  Boden,  auf  dem 
das  Melinit  lagert. 

Beim  Dynamit,  welches  zur  Zerstörung  von  Brücken  und  dergleichen 
mitgeführt  wird,  entsteht  ebenfalls,  in  Folge  der  Einwirkung  von  Kälte 
und  Wärme,  eine  langsame,  aber  kontinuierliche  Zersetzung,  die  mit 
einer  Explosion  (explosion  spontan6e)  endigt. 

ver-  Wenn  aber  noch  dazu  Mängel  der  Verpackung  vorkommen,  so  wird 

'Mtagef  die  Gefahr  sehr  gross. 

Auch  mit  dem  alten  Salpeterpulver,  dessen  Gefährlichkeit  verhältnis- 
mässig weit  geringer  war,  haben  sich  Katastrophen  ereignet,  trotzdem 
die  Beobachtung  von  Vorsichtsmaassregeln  in  Folge  langer  Praxis  und 
Dank  den  umfassenden  Vorschriften  den  Heeren  weit  mehr  in  Fleisch 
und  Blut  übergegangen  war. 

So  ereignete  sich  sehr  oft  der  Fall,  dass  Protzkasten  in  die  Luft 
flogen.  Die  Untersuchungen  stellten  als  Ursache  der  Explosion  fest, 
dass  unter  anderen  auch  solche  Fälle  vorkamen,  wo  die  Wergverpackung 
der  Kartuschen  im  Protzkasten  in  Unordnung  gekommen  war,  weshalb 
die  Kartuschbeutel  stellenweise  durchgerieben  waren  und  loses  Pulver 
zwischen  die  Eisenmunition  fiel.  In  Folge  der  Stösse  beim  Fahren  er- 
folgte dann  die  Entzündung.  Zu  alledem  kommt  noch  hinzu,  dass  starke 
Stösse  beim  Auffahren  der  Geschütze  die  mechanischen  Vorrichtungen 


Schliissf olgerongen.  471 


der  Zünder  verderben  und  die  Schlägerteile  beim  Loswerden  die  Zünd- 
hütchen zerschlagen  können. 

Stellen  wir  uns  vor,  eine  Batterie  erhält  den  Befehl,  im  feindlichen    ö«^^'«^ 

beim 

Feuer  eine  Position   einzunehmen.     Obgleich  ihr  der  Kommandeur  mit   vorgehen 
seiner  Begleitung  voraussprengt,   so  lässt  sich  doch  nicht  sogleich  er-  ^\ber 
kennen,  inwieweit  der  Weg  zur  Position  Unebenheiten  bietet,  ob  sich  ^i^YeraiMe 
Gräben  odei'  grössere  Steine  vorfinden.    Wenn  derartige  Hindemisse  die 
Bewegungen  der  Artillerie   hemmen  würden,   so  müsste  diese  auf  jede 
Unterstützung   der   Thätigkeit    der   Infanterie   verzichten.     Gewöhnlich 
entscheidet  man  sich  in  solchen  Fällen,  wie  Gefechtsberichte  erweisen, 
über   das  Hindernis   hin  wegzufahren,    da   eine  Verzögerung   unmöglich 
ist,  selbst  wenn  man  dabei  riskiert,  statt  mit  6,  zuerst  nur  mit  3  oder 
4  Kanonen  in  die  Feuerstellung  einzurücken,  was  schliesslich  auch  noch 
als  ein  Erfolg  gilt. 

Es  fragt  sich  nur,  was  wird  bei  den  hierbei  unvermeidlichen  Stössen 
geschehen,  falls  die  Munitionswagen  Geschosse  enthalten,  welche  mit 
Sprengmaterial  angefüllt  sind? 

Es  wird  darauf  geantwortet,  dass  die  Friedensversuche  einen  Erfolg 
garantieren,  da  diese  unter  den  grössten  voraussichtlichen  Schwierig- 
keiten gemacht  werden.  Aber  diese  Versuche  wurden  ja  mit  Munitionen 
angestellt,  welche  vollständig  in  Ordnung  und  nicht  vielleicht  schon 
Monate  lang  durch  die  Kampagne  mitgenommen  worden  waren. 

Selbstverständlich  werden  im  Anfang  des  Feldzuges  die  Gefahren 
am  grössten  sein.  Eine  strenge  Auswahl  wird  nicht  stattfinden  können. 
Zur  Geschützbedienung  und  Leitung  werden  60  %  Resemsten  genommen 
werden  müssen,  von  denen  viele  längst  das  Erleinte  vergessen  und  von 
den  in  letzter  Zeit  erst  aufgekommenen  Explosivgeschossen  bei  den 
Uebungs-Einberufungen  wenig  gehört  haben. 

Ausserdem  werden  aber,  wie  gezeigt  wurde,  Explosionen  auch  durch    ^^^^' 
feindliche  Geschosse  bewirkt  werden  können.  Munition». 

Die  Geschosse  der  Schnellfeuergeschütze  wiegen  mehr  als  400  Gramm  aes  Gegners 
und  werden  mit  Sprengstoffen  gefüDt.     Ein   einziges   solches  Projektil  ^^^^^^^^ 
(der  Feind  wird  sicher  bestrebt  sein,  ihi'er  Tausende  gegen  die  Munitions-  "» bringen, 
behälter  zu  richten)  wird  genügen,  um  eine  Explosion  hervorzurufen.   Die 
Treffsicherheit  ist  heute  eine  staunenswerte. 

Sobald  also  der  Stand  der  Geschütze  und  der  Munition  entdeckt  ist, 
wird  man  eine  ganze  Eeihe  von  Geschossen  gegen  sie  abfeuern,  so 
dass  wohl  eine  oder  die  andere  Protze  getroffen  werden  dürfte.  In  der 
Kriegsgeschichte  finden  sich  viele  Beispiele  für  die  Explosion  von  Protzen 
und  Munitionswagen  in  Folge  der  Artilleriewirkung,  aber  da  bisher  diese 
Fahi'zeuge  nicht  Sprenggeschosse  von  solcher  Wirkung  enthielten,  wie 


472  ^    Taktik  der  Artillerie. 


die  jetzigen   sind,   so  liegen  auch  nor  Beispiele  unbedeutender  Kata- 
strophen vor. 

Moraiuek«  Man  kann  sich  leicht  den  Eindruck  vei^egenwärtigen,  welchen  die 

6er      erste  grosse  Katastrophe  auf  Heer  und  Volk  ausüben  wird.  Die  in  der  Nähe 
i^JllJlJ^^jJJ^  befindliche  Artillerie,  welche  iriiher  auf  die  Truppen  nur  ermutigend 
wirkte,  wird  nunmehr  für  sie  ein  Element  der  Beunruhigung  werden. 

Diese  Eindrücke  werden  auch  über  die  Grenzen  des  Schlachtfeldes 
hinaus  wirken,  besonders  wenn  man  den  Charakter  der  westeuropäischen 
Gesellschaft  und  den  Bestand  des  Heeres  in  Berücksichtigung  zieht. 
Nachrichten  über  allzu  grosse  Verluste  können  leicht  Unruhen  hervor- 
rufen. Bei  fortlaufender  Einberufung  werden  nur  die  älteren  Jahrgänge 
zurückbleiben,  und  wenn  nun  Nachrichten  über  die  Katastrophen  kommen, 
welche  die  neueingeführte  Bewaffnung  über  das  Heer  gebracht  hat,  so 
werden  in  den  Familien  dieser  älteren  Jahrgänge  unzweifelhaft  Gährungen 
zu  Tage  treten,  die  der  ganzen  gesellschaftlichen  Ordnung  gefahrlich 
werden  können. 

stfmniMi  Die  Anwendung  von  Explosivstoffen  kann  demnach  nicht  allein  unter 

AÜSendang  dcm  Feinde  furchtbare  Verheerungen  anrichten,  sondern  auch  für  die  eigenen 

ExptodY-  Truppen  gefährlich  werden.  Gegen  die  Anwendung  der  Explosivgeschosse 
gMehoiMD.  lassen  sich  denn  auch  viele  Stimmen  vernehmen.  Oberst  Thoumas  sagt: 5) 
„Die  durch  die  moderne  Wissenschaft  erfundenen  neuen  Explosivstoffe, 
wie  Melinit,  Dynamit  u.  s.  w.,  sind  eines  loyalen  Kampfes  zwischen 
zivilisierten  Nationen  unwürdig  und  werden  uns  zum  Barbarentum  zurück- 
führen". Er  verlangt,  dass  diese  Elemente  widerlicher  Schlächtereien  aus 
unseren  Armeen  entfernt  würden,  denn  sie  seien  ebenso  demütigend  für  den 
Sieger  als  für  den  Besiegten  und  verwandelten  das  Schlachtfeld  in  ein 
mörderisches  und  grausames  Schlachthaus. 

Not-  Unabwendbar  werden  die  Verluste  in   Folge  des  Artilleriefeuers 

InSJ^wr*  beträchtlich  grösser  sein  als  in  früheren  Kriegen,  wo  z.  B.  während  des 
^direh*    zweiten  französischen  Kaiserreichs  eine  anhaltende  Kanonade  gewisser- 
Artuiari©-  maassen   den  obligatorischen  langen  Prolog  zum  Drama  vorstellte;  aber 
ab  in     diese  Kanonade  entschied  nichts:   die  Verluste  waren  auf  beiden  Seiten 
Kriegen.    S^^^S'^  kclue  Artillerie  vernichtete  die  des  Gegners.    Die  Kanonade  diente 
eher  als  gegenseitige  Rekognoszierung,  während  welcher  beiderseits  die 
Q^fechtsdisposition  entworfen  und  die  Mittel  zu  ihrer  Ausfühning  vor- 
bereitet wurden.    Die  Artillerie  bemühte   sich  hauptsächlich,  gegen  die 
Infanterie  zu  wirken,  die  Beschiessung  der  gegnerischen  Artillerie  versprach 
geringe  Resultate  und  brachte  die  Entscheidung  nicht  näher. 


ö)  „Oü  s'arretera-t-on?"    Paris  1895. 


SchlussiolgeruDgen.  473 

Aber  schon  1866  zeigt  sich  der  Artilleriekampf  etwas  wii'ksamer. 
Die  preussische  Artillerie  bemühte  sich  konsequent,  das  gegen  ihre  Infanterie 
gerichtete  Feuer  der  österreichischen  Geschütze  auf  sich  zu  lenken,  was  aber 
selten  gelang.  Die  Schlachten  begannen  auch  damals  von  beiden  Seiten 
mit  einem  Artilleriekampf,  jedoch  noch  ohne  grosse  Verluste.  Dasselbe 
wiederholte  sich  auch  im  Kriege  1870.  Der  Artilleriezweikampf  erwies 
sich  nur  in  seltenen  Fällen  verderblich,  und  zwar  nur,  wenn  die 
Nähe  der  Positionen  eine  rasche  Entscheidung  herbeiführen  musste,  oder 
wenn  auf  einer  Seite  eine  entschieden  bessere  Stellung  genommen  war 
(bei  Nachod),  oder  ein  un verhältnismässig  besseres  Material,  wie  es 
die  deutsche  Armee  hatte,  ausschlaggebend  wirkte,  und  ausserdem  ein 
numerisches  Uebergewicht  (bei  Sedan)  vorlag.  In  solchen  FäUen 
gelangte  diejenige  Artillerie,  welche  sich  in  weniger  günstigen  Verhält- 
nissen befand,  thatsächlich  nicht  einmal  dazu,  ihre  Batterieen  wirken 
zu  lassen. 

Aber  was  früher  nur  in  Ausnahmefällen  eintrat,  wird  jetzt  Regel 
werden:  auf  der  einen  oder  anderen  Seite  wird  in  kurzer  Zeit  der 
Artilleriekampf  beendet  sein:  die  gewaltige,  dem  Geschützfeuer  unter- 
liegende Fläche  beeinträchtigt  das  Schiessen,  die  vernichtende  Wirkung 
der  neuen  Geschosse  erfordert  von  den  Befehlshabern  in  weit  höherem 
Grade  als  in  früheren  Kriegen  besondere  Umsicht,  besondere  Be- 
fähigung. 

Wie  im  modernen  Kampfe  alles  nur  streng  überdacht  geschehen 
darf,  wenn  man  furchtbare  Opfer  vermeiden  will,  so .  darf  auch  die 
Artillerie  auf  dem  Schlachtfelde  nur  in  günstiger  Position  erscheinen 
und  hat  überflüssige  und  sehr  gefahrliche  Stellungsänderungen  zu  ver- 
meiden. ^^) 

Die  Hoffnungen,  dass  die  Truppenverluste  gar  nicht  oder  nur  wenig      we 
von   den   Vervollkommnungen   der  Bewaffnung   abhängig   sein   werden,    **  aws*^*"' 
können  sich,  wenn  wir  in  die  Vergangenheit  zurückblicken,  als  trügerisch  ^"  eri"?^  *^ 
erweisen.  7*"iF  ™ 

der  VeryoU- 

Bei  dem  Gewehrfeuer  wai'  es  noch  möglich,  sich  damit  zu  trösten,  kommnong 
dass,  je  vollkommener  der  Mechanismus,  desto  höhere  Schiessausbildung  Bewatoqng 
nötig  sei,  so  dass  schliesslich  das  Scjiiessen  aus  dem  vervollkommneten  g^!J|*^^^^j^ 
Gewehr  von  denselben  Bedingungen  abhängig  ist  wie  bei  dem  weniger      »ind 
vervollkommneten,   aber  bezüglich  des  Geschützfeuers  kann  von  einem  beiügikh  der 
solchen  Trost  gar  nicht  die  Eede  sein.  trt^rilicb. 


^°)  Befehl  an  die  Truppen  des  Gardekorps  und  des  Petersburger  Militärbezirks, 
aus  dem  Werke  von  Michnewitsch :  „Einfluss  der  neuesten  technischen  Er- 
findungen.^ 


474 


VI.    Taktik  der  Artillerie. 


Der  Richtkanonier  des  Geschützes,  der  zudem  teilweise  durch 
dieses  gedeckt  ist,  braucht  nur  eine  Minute  hindurch  kaltblütig  zu 
sein,  um  das  Geschütz  gut  zu  richten.  Wie  sehr  auch  sein  Puls  Wopten 
mag,  er  kann,  wenn  er  will,  die  Visierlinie  richtig  stellen;  und  das 
einmal  gerichtete  Geschütz  bleibt  bis  zum  Moment  des  Schusses  un- 
beweglich. i\) 

In  dem  Feldzuge  1H()()  waren,  wie  wir  schon  ausgeführt,  die  öster- 
reichischen (beschütze  besser  als  die  preussischen ,  und  doch  war  das 
Resultat  derartig,  dass  die  Gesterreicher  durch  Artilleriefeuer  nur  5  Prozent 
verloren,  die  Preussen  aber  KJ  Prozent,  d.  h.  mehr  als  3mal  so  viel.  Das 
moralische  Tebergewicht  der  preussischen  Armee  vermochte  also  den 
Mangel  an  Technik  nicht  auszugleichen. 

Vergleich  Im  Jahrc  1870  dagegen  stand  die  deutsche  Artillerie  höher  als  die 

dsT  K  riefe 

1866  u.  1870.  französische  und  begann  den  Kampf  stets  aus  möglichst  grossen  Ent- 
fernungen. Als  Resultat  sehen  wir,  dass  z.  B.  in  der  Schlacht  von 
Gravelotte  die  Verluste  durch  Artilleriefeuer  betrugen: 

auf  deutscher  Seite     ....      2,7  Prozent, 
auf  französischer  Seite    ...    25  ,, 

d.  h.  der  Verlust  der  Franzosen  war  fast  zehnmal  grösser. 


Graphisch   dargestellt    erhalten    wir    nach    Vorstehendem    folgen- 
des Bild: 


Vollkommeneres  Geschütz. 


Mangelhafteres  Geschütz. 


Oesterreicher 


•         • 


« 


Deutsche 2»i*ji) 


1866 


,   *•  ff  !••>• 


Preussen 

ruminnm 


m 


1870 


Franzosen 


w% 


Artiu,ri«-  Es   wTirde   schon   gesagt,    dass   nach  Angaben   des   preussischen 

im  deutlich-  Generalstabes  die  französische  Artillerie  den  Kampf  mit  der  deutschen 
fr».*5«8ch«Ljj.^,^^  bestehen  konnte. 

Ausserdem  hatte  nach  den  ersten  blutigen  Schlachten  und  der 
Gefangennahme  der  alten  ausgedienten  Soldaten  des  Kaiserreichs  die 
deutsche  x\rmee  mit  minderwertigen  Kontingenten  zu  kämpfen,  und 
dennoch  waren  die  Verluste  der  deutschen  Artillerie  an  Menschen  nicht 
unbedeutend. 

Nicht  weniger  als  413  Offiziere  und  4991  Mann  der  deutschen 
Feld-Artillerie  haben  geblut,et;  weitere  19  Offiziere  und  1090  Mann  sind 


")  Pusyrewski:   „Erforschung  des  Kampfes". 


Sohlassfolgerungen.  475 

Erankheiten  znni  Opfer  gefallen.  Fast  nnglaablicb  erscheinen  die 
Verluste  einzelner  Batterien,  wenn  man  sich  rerg;egenwärtigt ,  dass  der 
fechtende  Teü  einer  Batterie  nur  4  Offiziere  und  62  Mann  beträgt. 

Zehn  Batterien  verloren  von  dem  Effektivbestand  von  40  Offizieren 
—  32,  von  dem  Effektivbestand  von  620  Mann  —  612. 

Besonders  hervorgehoben  zu  werden  verdient,  dass  die  grossen  \'er- 
laste  hauptsächlich  stattfanden,  so  lange  die  französische  Armee  iiocli 
nicht  vollständig  aufgelöst  war;  so  z.  B.  verlor  die  4,  schwere  Batterie  des 
Regiments  No.  9  am  18.  August  1870  bei  Amanvillers  in  der  Schlacht  hei 
St.  Privat  fast  ihren  ganzen  Mannschafts-Bestand  (B  Offiziere,  45  Mann, 
49  Pferde)  in  wenig  mehr  als  einer  Viertelstunde.!*) 

Ist  man  nicht  berechtigt,  zn  fragen,  was  wäie  geschehen,  wenn  der 
Krieg  mit  ebenbürtigen  Truppen  und  bei  der  heutigen  Bewaffnung  sich 
lange  hingezogen  hätte'. 

Angenommen,  es  finde  sich  für  die  Infanterie  genügendes  Menschen-  "'•  ^"^'^ 
material  vor,   so  kann  man  dasselbe  doch  nicht  von  der  .\rtilleriemann-  ks,».«  mr 
Schaft  sagen.    Die  heutigen  mit  Explosivgeschossen  feuernden  Geschütze   Acitiiwie 
zu  bedienen  nnd  über  die  Köpfe  der  eigenen  Truppen  zu  feuern,  wird  man     *""«•' 
doch  nicht  ungeschulten  und  nngeübten  Mannschaften  zutrauen  können!  u-«n«h«- 

Noch  ist  zu  bemerken,  dass  die  Verwundungen  durch  Artillerie- Folge  babeu. 
Geschosse  ganz  besonders  ernste  sind.    In  dem  Kriege  1877  erlagen  von 
den  Verwundeten  in  der  russischen  Donau-Armee: 

den  Verwundungen  durch  Gewehrkugeln  .    .    .    20,9  %  d^?"7 

den  Verwundungen  dnrch  Artillerie-Geschosse    .    52,9  %  -iind.Bgw 

den  Verwundungen  durch  die  blanke  Waffe  5,1!  %i»)  ArtnÜne- 

Graphisch  dargestellt  erhalten  wir  folgendes  Bild: 


VerwimduDgen  mit  tötlichem  Auxgonge  in  Prozenten. 

In  Folge  der  so  verschiedenartigen  Entwickelang  und  Vervoll- 
kommnung der  Artillerie  ist  ihre  Keuerleitung  und  die  Sorge,  sie  auf 

")  „Zur  Geschichte  der  französischen  und  deutschen  Artillerie  in  den 
PeldBÜgen  1866  und  ISZO,'?!",  Beiheft  zum  „Militär-Woühenblntt"  1S73. 

")  Pawlow:  „Ueber  die  Bedeutung  der  Bewaffnung  der  Armee  mit  dem 
Kleinkalibergewehr''. 


476  ^^^-    Taktik  der  Artillerie. 


dem  Schlachtfelde  rechtzeitig  mit  Geschossen  zu  versehen,  sehr  schwierig 
geworden,  zumal  noch  die  beständige  Gefahr  vorliegt,  dass  durch  Er- 
schütterungen oder  Stösse  Explosionen  der  Geschosse  erfolgen. 

A^  Jeder  Mechanismus  erfordert  für  seinen  Gebrauch  um  so  intelligentere 

h&ngigkeit 

der  Menschenkräfte,  je  komplizierter  er  ist.  Diese  Regel  passt  besonders 
dll^ArtüiVrie  a^  die  Artillerie  gegenüber  der  Meinung  derjenigen  Autoren,  welche 
°."^*^V??  erklären,  dass  die  Wii'ksamkeit  dieser  Waffe  nur  von  ihrer  materiellen 

der  Qualität 

d.  oeechütie,  Beschaff enheit  abhängt;  der  Erfolg  werde  von  der  Anzahl  und  dem  Gewicht 
rAnsbüdung der  Geschosse   abhängen,  welche  man  in  einer  gegebenen  Zeit  gegen 
Vchiftirr  d^^  Feind  entsenden  kann. 

Aufgabe  Die  Rolle  der  Artillerie  wird  in  Zukunft  um  so  schwieriger  sein,  da 

*'  das*"*' von  ihr  hauptsächlich  verlangt  wird,  das  Vertrauen  der  Infanterie  zu 
^^^r^  steigern,  weil  diese  ohne  die  Gefolgschaft  von  Geschützen  nicht  gern 
influiterie  vorgehcu  wird. 

m  steigeriL  * 

Und  in  der  That  dürfte  die  Infanterie,  die  im  künftigen  Kriege 
einen  ebenbürtigen  Gegner  angreift,  vernichtet  werden,  wenn  sie  nicht 
durch  Artillerie  unterstützt  wird. 

ywfe»  Und  so  stehen  wii'  abermals  vor  der  verhängnisvollen  Frage,  die 

^heuti^en'  wir  erst  später  werden  ganz  beantworten  können:  Ist  bei  der  gegen- 

^^i^    wärtigen  Technik   ein  Kiieg   überhaupt  auf  so  lange  Dauer   möglich, 

möglich  Bind,  dass  internationale  wichtige  Fragen  zur  Entscheidung  gebracht  werden 

können? 

Diese  Frage  ist  um  so  angebrachter,  als  auch  hinsichtlich  des  Fort- 
schritts der  Artillerie  die  Kriegskunst  noch  nicht  ihr  letztes  Wort  ge- 
sprochen hat.  Wie  in  den  übrigen  Zweigen  der  Kriegstechnik,  so  findet 
auch  in  der  Vervollkommnung  des  Artilleriegeschützes  ein  ununter- 
brochener Fortschritt  statt. 

Es  erscheinen  immer  neue  und  neue  Geschützsysteme,  welche  die 
früheren  an  Treffweite,  Treffsicherheit  und  Geschossgeschwindigkeit  weit 
hinter  sich  lassen. 

In  jedem  Falle  muss  zugegeben  werden,  dass  die  Einführung  des  rauch- 
schwachen Pulvers  und  der  Sprengstoffe  als  Kriegsmittel,  welche  das  Ende 
unseres  Jahrhunderts  charakterisiert,  die  mörderische  Wirkung  des  In- 
fanterie- und  Artilleriefeuers  ausserordentlich  verstärkt  hat.  Diesem  Um- 
stände steht  nur  der  andere  einigermaassen  ausgleichend  gegenüber,  dass 
die  Schlachten  auf  grösseren  Flächen  als  bisher  stattfinden  werden,  wo- 
durch die  Möglichkeit  eines  Rückzuges  erleichtert  wird. 

Aber  auch  trotzdem  taucht  doch  immer  wieder  die  Frage  auf:  Ist 
es  unter  den  jetzigen  Verhältnissen  möglich,  einen  entscheidenden  Krieg 
durchzuführen? 


Schlussfolgerungen.  477 


Es  ist  unzweifelhaft,  dass  anch  minder  tapfere  Soldaten  in  ge-    waohBen 
schlossener  Ordnung  gegen  die  feindlichen  Positionen  vorgehen  werden,  oppodtion 
Wenn  aber  nach  den  ersten  totbringenden  Salven  die  Glieder  sich  lösen,  ufSJ^ria^^^g 
dann  dürfte  jetzt  häufiger  als  früher,  die  Erscheinung  des  sogenannten 
„Massendrückertums"   sich   zeigen.     Die  Höhe  des  persönlichen  Mutes 
muss  unter  dem  Einfluss  des  gegenwärtig  grösseren  Wohlstandes,  der 
Freiheit,  Kultur  und  Bequemlichkeiten  des  Lebens,  welche  eine  Ver- 
weichlichung zur  Folge  haben,  mit  jedem  Jahre  abnehmen. 

Andererseits  aber  steigt  mit  jedem  Tage  die  gewaltige  Bedeutung 
der  mechanischen  Zerstörungswerkzeuge.  Es  darf  also  nicht  Wunder 
nehmen,  dass  die  Opposition  gegen  den  Militarismus  wächst,  immer  breitere 
Schichten  erfasst  und  an  dem  lockeren  Gebäude  der  Vorstellungen  von 
der  Unvermeidlichkeit  des  Krieges  nagt. 


VII. 


Taktik  der  Infanterie. 


■-*-■■  -- ■ 


■■■...   -..-- 


BS^ 


i 


Die  Infanterie  im  Kampfe. 


Die  heutige  Taktik  stellt  sich  vor  Allem  als  das  Resultat  der  Er- 
fahrungen dar,  die  in  den  unserer  Zeit  nächstliegenden  Kriegen  gemacht 
sind.  Als  die  Fortschritte  der  Kriegstechnik  noch  verhältnismässig  lang- 
samer vor  sich  gingen,  war  es  nicht  schwierig,  si<5h  von  der  Praxis  der 
Vergangenheit  leiten  zu  lassen.  Ganz  anders  aber  liegt  die  Sache 
gegenwärtig.  Das  heutige  Gewehi'  übertrifft  das  Zündnadelgewehr,  das 
im  Kriege  1870  im  Gebrauch  war,  an  Treffweite  fast  4  Mal,  an  Schiess- 
schnelligkeit ,  Durchschlagskraft  und  Ausdehnung  des  Bestreichungs- 
feldes 3  Mal,  an  Treffsicherheit  IV2  Mal. 

Bei  einem  so  bedeutenden  Unterschiede  zwischen  dem  Zündnadel- 
gewehr und  dem  heutigen  Gewehr  stellt  dieses  letztere  gewissermaassen 
einen  ganz  neuen  Mechanismus  dar.  Ein  solcher  Unterschied  existierte 
kaum  zwischen  den  Pfeilen  der  Bogenschützen  und  den  Kugeln  des 
Steinsehlossgewehres,  das  ganze  Jahrhunderte  hindurch  im  Gebrauch  war. 

Ausserdem  werden  auf  die  Veränderung  der  Infanterietaktik  auch 
noch  andere  Verhältnisse  von  Einfluss  sein,  welche  die  Macht  des  neuen 
Gewehres  unterstützen.  Die  Möglichkeit,  dank  den  Eisenbahnen  eine 
gewaltige  Truppenzahl  zu  konzentrieren  und  alles  Erforderliche  an  den 
Ort  der  Kriegsoperationen  zu  schaffen,  die  Möglichkeit,  durch  Telegraph, 
Telephon  und  Signale  rasch  Befehle  auf  weite  Entfernungen  hin  zu  über- 
mitteln ,  werden  ebenfalls  ihre  Kolle  spielen.  Andererseits  ist  aber  auch 
die  Unzuverlässigkeit  aller  dieser  Mittel  in  der  Nähe  des  Feindes  ins  Auge 
zu  fassen,  die  Schwierigkeit  der  Rekognoszierungen  auf  dem  rauchfreien 
Schlachtfelde  bei  der  Treffweite  der  Gewehre  und  Geschütze.  Wenn  wir 
weiter  die  Verwendung  neuer  Hilfsmittel  ins  Auge  fassen,  sich  über  die 
feindlichen  Positionen  Klarheit  zu  verschaffen:  den  Luftballon,  die  mannig- 
fache Anwendung  der  Elektrizität,  so  müssen  wir  sagen,  dass  dies  Alles 
neue  Mittel  sind,  über  deren  Einfluss  wir  vor  der  praktischen  Erprobung 
in  einem  neuen  Kriege  nicht  urteilen  können. 

Bloch,  Der  snkünftige  Krieg.  31 


Die  heutige 

Taktik  als 

Resultat  der 

Erfahrungen 

der  letzten 

Kriege. 


Das  heutige 
Gewehr. 


Andere 

Ginflüsse  auf 

die  Ver- 

Andernng 

der  Taktik. 


482  ^^^^   Taktik  der  Infanterie. 


Du  much-  Endlich  ist  noch  ein  mächtiger  Faktor  in  Eechnung  zn  ziehen,  der 

PniTer.  füT  dic  Infanterie  mit  einem  Male  die  Bedingungen  der  Offensive  und  der 
Defensive  verändert  hat,  dessen  Bedeutung  sich  gegenwärtig  aber  noch 
nicht  genau  feststellen  lässt:  das  rauchschwache  Pulver.  Alle  Kom- 
binationen und  Bewegungen,  die  sich  auf  das  Vorhandensein  von  Rauch 
gründeten,  der  früher  zu  Beginn  jeder  Begegnung  mit  dem  Feinde  als 
Richtschnur  diente,  sind  bei  dem  Gebrauch  von  rauchschwachem  Pulver 
unmöglich  geworden. 

Das  Hervortreten  aller  dieser  neuen  Bedingungen  für  den  Krieg 
innerhalb  einer  kurzen  Zeitspanne  und  der  Mangel  an  praktischer  Er- 
fahrung haben  in  militärischen  Kreisen  viele  unvereinbare  Widersprüche 
in  Bezug  auf  die  wesentlichsten  Fragen  der  künftigen  Infanterietaktik 
hervorgerufen. 

Wir  wollen  uns  bemühen,  den  betreffenden  Meinungskampf  hier  zu 
beleuchten,  indem  wir  uns  von  den  Ansichten  der  Spezialisten  in 
militärischen  Fragen  leiten  lassen. 


1.  Historische  Skizze  des  Einflusses  der  Bewaffnung 

auf  die  Taktik. 

Die  Instruktionen,  die  der  Infanterie  für  den  Kriegsfall  gegeben 
werden,  ziehen  vor  Allem  die  Kraft  der  WafiFe  in  Rechnung.  Den  Er- 
fahrungen, die  aus  der  Praxis  der  früheren  Kriege  gewonnen  sind,  fügen 
sich  Verbesserungen  an,  entsprechend  den  in  der  Bewaffnung  eingetretenen 
Veränderungen. 

In  früherer  Zeit  wurden  auf  Grund  der  Erfahrung  der  letzten  Kriege 

Schlüsse  gezogen,  mit  denen  die  Truppen  für  ihre  Vorbereitung  zu  einer 

künftigen   Thätigkeit   wie   mit   unerschütterlichen   Wahrheiten   rechnen 

konnten.    Wenn  Zweifel  entstanden,  so  bezogen  sich  diese  doch  nur  auf 

Fragen  von  mehr  nebensächlicher  Bedeutung. 

EinfluM  Seit  der  Zeit  des  letzten  Krieges  hat  aber  die  Bewaffnung  sich  so 

ßliwaffn^g  radikal  geändert,  dass  Zweifel  gerade  hinsichtlich  der  allerwesentlichsten 

auf  Offensive  pYagen  entstanden  sind:  der  Offensive  und  der  Defensive.   Selbst  die  Er- 

DefeMiva.  fahruugen  der  beiden  letzten  Kriege  von  1870/71  und  1877  können  nach  der 

Meinung  vieler  hervorragender  Militäi'schriftsteller  für  den  künftigen  Krieg 

nur  als  abschreckendes  Beispiel  dienen,  i)    Historische  Hinweise  darauf, 

dass  auch  in  der  Vergangenheit  gerade  so  wie  jetzt  zwischen  den  einzelnen 


0  LöbeU:  „Militärische  Jahresberichte"  für  1894:  „Taktik  der  Infanterie". 
—  Oberst  Keim.  G-eneral  Scherff :  „Kriegsgeschichtliche  Lehren  der  Neuzeit".  — 
Hoenig:    „Taktik  der  Zukunft". 


L 


Historische  Skizze  des  Einflusses  der  Bewafihang  auf  die  Taktik.  48S 


Kriegen  die  Bewaffnung  sich  vervollkommnet  hat  und  dass  auch  früher 
gerade  so  wie  jetzt  pessimistische  Voraussagungen  furchtbarer  Schwierig- 
keiten nicht  fehlten,  welche  indessen  nicht  eintrafen,  —  solche  historische 
Hinweise,  wie  gesagt,  lassen  sich  nicht  halten,  weil  noch  niemals  seit 
Erfindung  des  Pulvers  der  Krieg  soviel  räthselhafte  Seiten  geboten  hat. 

Die  neuen  Veränderungen,  die  besonders  auf  dem  Gebiete  der  Be- 
waffnung der  Infanterie  erfolgt  sind,  übertreffen  durch  ihre  Bedeutung 
alle  diejenigen,  welche  in  den  Zeitabschnitten  nicht  zwischen  zwei, 
sondern  zwischen  vielen  Dutzenden  von  Kriegen  erfolgt  sind. 

Um  den  Vorwurf  des  leeren  Phrasentums  zu  vermeiden,  gaben  wir  Notwendig- 

keit  des 

einen  historischen  Abriss  der  in  der  Bewaffnung  der  Infanterie  erfolgten  vergieieht 
Vervollkommnungen  bei  der  Abteilung  „Hand-Feuerwaffen",  so  dass  wir  '7hlrt*° 
jetzt  uns  darauf  beziehen  können.  Viele  werden  natürlich  in  diesem  Teil  "°^  J«***- 
unserer  Arbeit  nichts  Neues  finden,  aber  für  die  grosse  Mehrzahl  selbst  der 
militärischen  Leser  dürfte  bei  der  hen'schenden  Meinungsverschiedenheit 
eine  populäre  Nachforschung  in  der  Vergangenheit  nicht  unnütz  erscheinen. 
Man  darf  nicht  übersehen,  dass  auch  recht  gut  bekannte  Wahrheiten  ver- 
gessen werden.  Seit  dem  letzten  grossen  Kriege  in  Europa  sind  19  Jahre 
verflossen;  in  den  Keihen  der  Armee  ist  nur  noch  eine  kleine  Zahl  von 
Offizieren  vorhanden,  welche  Kriege  mitgemacht  haben;  für  den  grössten 
Teil  der  Offiziere  sind  die  Vorstellungen  vom  Kriege  gleichsam  nur  ein 
Spiegelbild  dessen,  was  auf  den  Uebungsplätzen  und  bei  den  Manövern 
vorgeht,  aber  können  diese  Bilder  eine  wirkliche  Vorstellung  von  dem 
geben,  was  im  wirklichen  Kriege  vorgehen  wird,  wo  das  jetzt  Niemand 
schreckende  Getöse  und  das  Zählen  der  Schüsse  bei  den  Attaken  durch 
die  Manöverschiedsrichter  —  durch  die  Wirkung  reeller  und  nicht  mar- 
kierter Kugeln  und  Geschosse  ersetzt  wird? 

Das  Unerwartete  ist  das  Gefahrlichste.  Ausserdem  müssen  die  Haupt-  »otweiidig- 

'  keit  der 

grundlagen  des  Kriegswesens  der  Bevölkerung  bekannt  sein,  welche  sich    Kenntnis 
im  Falle  des  Krieges  in  den  Keihen  der  Armee  befinden  wird  und  von  granduiet 
deren  Thätigkeit  der  Ausgang  des  Krieges  abhängt.    Es  genügt  nicht,  ^^^~^^^ 
dass  nur  die  im  aktiven  Dienst  stehenden  Offiziere  und  Soldaten  wissen,    ^*  ^er 
womit  sie  in  dem  künftigen  Kriege  zu  rechnen  haben.    In  die  Reihen 
der  Armee  werden  in  gewaltiger  Masse  Offiziere  und  Soldaten  der  Reserve 
und   Landwehr   treten,    die    im   Laufe   vieler   Jahi^e    an    militärischen 
Uebuiigen  nicht  teilgenommen  haben.    Jeder  von  ihnen  hat  ein  Interesse 
daran  zu  wissen,  wie  die  neuen  Kampf  bedingungen  sich  an  ihm  oder  den 
ihm  Nahestehenden  fühlbar  machen  werden. 

Die  Einen  urteilen  über  den  künftigen  Krieg  noch  nach  den  Er- 
zählungen über  die  früheren  Kriege,  wo  die  technischen  Mittel  weit 
schwächer  waren  als  jetzt,  Andere,  die  wohl  etwas  von  den  Vervollkomm- 

31* 


484  ^^^»   Taktik  der  Infanterie. 


nungen  der  Bewaffnung  gehört,  aber  sich  damit  nicht  gründlich  bekannt 
gemacht  haben,  würdigen  die  Bedeutung  der  erfolgten  Veränderungen 
nicht  hinreichend,  weil  sie  nicht  die  Möglichkeit  haben,  Vergleiche  mit 
der  Vergangenheit  anzustellen. 
Einflnas  der  Und  deunoch  hat  die  Ansicht  des  Volkes  über  seine  eigene  Macht 

öffentliohen 

Meinung,  «ineu  grosseu  Einfluss  auf  den  Gang  seiner  politischen  Angelegenheiten, 
wenn  auch  in  militärischen  Kreisen  die  üeberzeugung  herrscht,  dass  selbst 
die  militärischen  Grundfragen  eine  Spezialität  bilden  und  daher  der  Ge- 
sellschaft fremd  bleiben  können.  General  Fadejew  dagegen  führt  aus, 
dass,  wenn  die  Zeit  kommt,  seine  Ansicht  über  Krieg  und  Frieden  zu 
äussern,  die  Mittel  für  den  Elrfolg  abzuwägen,  doch  von  zehn  Militärs, 
die  als  die  besten  Richter  in  dieser  Sache  gelten,  neun  die  Ansicht  der 
gesellschaftlichen  Mitte,  in  der  sie  leben,  wiederholen  werden.  Und  das 
ist  ganz  natürlich,  denn  es  ist  unmöglich,  sich  in  solchen  Sachen  von 
dem  Einfluss  der  öffentlichen  Meinung  zu  befreien. 

Die  Anfange  der  Hand-Feuerwaffen  fallen  in  das  XIV.  Jahrhundert; 
jedoch  waren  dieselben  von  so  mangelhafter  Einrichtung,  dass  es  nicht 
wunderbar  erscheint,  wenn  die  Engländer  1471  Bogen  und  Pfeil  noch  den 
Feuergewehren  vorziehen,  angeblich  wegen  geringerer  Schussweite  und 
zeitraubenden  Ladens  der  letzteren.  Die  englischen  Barden  prophezeiten 
sogar  den  Untergang  Englands,  wenn  man  die  Feuergewehre  statt  der 
Bogen  einführe. 

Zu   Ende   des   XV.  Jahrhunderts,   um    1496,    waren   in   Spanien 
erst  i/s,  in  Deutschland  Ve»  i^  Frankreich  Vio  der  Fusstruppen  damit 
versehen. 
Taktik  Was  die  Taktik  des  Fussvolkes  betrifft,  so  erzählt  Olivier  de  la 

ra  EÜdldes  Marche  in  seinen  Denkschriften,  „dass  dasselbe  die  Reiterei  keineswegs 
hradertT  gescheut  habe,  sondern  je  drei  Mann  zusammengestanden  hätten,  ein 
Pikenier,  ein  Armbrustschütz  und  ein  Büchsenschütz,  die 
ihr  Handwerk  so  wohl  verstanden  und  auf  solche  Weise  sich  wechsel- 
seitig zu  unterstützen  gewusst  hätten,  dass  der  Feind  ihnen  nichts  habe 
anhaben  können". 

Wir  woUen  zuerst  durch  nebenstehendes  Bild  aus  „L'Art  de  com- 
battre"  von  Om6ga  einen  Begriff  von  dem  taktischen  Aufbau  zu  Anfang 
des  XVI.  Jahrhunderts  geben. 

soj^ge  ^^   ^^^^  ^^  ^^  *^^  Taktik,  als  der  30jährige  Krieg  (1618—1648) 

Krieg-   begann,   an  welchem  ganz  Europa,  mit  Ausnahme  von  Russland  und 

Gast  AdSl>hfl  Polen,  Anteil  nahm  und  der  in  der  Entwickelungsgeschichte  der  Kriegs- 
w^rlktiir  ^^^'^^  von  gewaltigem  Einfluss  sein  musste.    Als  Schöpfer  neuer  Ord- 

nnd  Truppen- nungen    iu    der    Taktik    und    der    Truppenorganisation    trat    Gustav 

Organisation.    .   ,   ,    ,  « 

Adolph  auf. 


Marsch-  und  Kampfordnung*  im  XV.  Jahrhundert. 


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Rd.  I.    EinfUgen  bei  Seito  484 


s 

<S2 


Historische  Skizze  des  Einflusses  der  Bewaffnung  auf  die  Taktik.  485 

Die  Infanterie  zu  Ende  des  XVI.  Jahrhunderts  zerfiel,  wie  gesagt, 
in  Pikeniere  {Lanzenträger)  und  Musketiere, 

Gustav  Adolph  führte  in  seinem  Heere  leichtere  Musketen  ein,  ver-  i-ioht«« 
minderte  ihr  Kaliber,  beseitigte  die  Gabel,  führte  Papierpatronen  ein,     plj,t-' 
welche  hinten  im  Lederranzen  getragen  wurden,  beschränkte  die  Anzahl    '■'"'"■■ 
der  Griffe  beim  Laden,  die  bis  99  gingen  and  vergrösserte  die  Zahl  der 
Musketiere.  3) 

Was  aber  noch  wichtiger  ist,  das  schwedische  Heer  Gustav  Adolphs  ^,^,^ 
stellte  ein  Volksheer  dar,  das  sich  nach  dem  System  der  Militär-Kolonieen  Ha.,  «in 
ergänzte  (die  Könige  gaben  den  Soldaten  Grundstücke  zum  Besitz  und 


Schlacht  tei  Pavia. 

befreiten  sie  von  Abgaben),  während  in  den  übrigen  Staaten  zn  Anfang 
des  30jährigen  Krieges  ständige  Heere  überhaupt  nicht  existierten.  Im 
Falle  eines  Krieges  wurden  die  Heere  durch  eine  unregelmässige  Kon- 
skription oder  durch  Einberufung  der  bewaffneten  Volksmassen  gesammelt, 
hauptsächlich  aber  durch  Anwerbung  von  Leuten,  die  den  Krieg  wie  ein 
Handwerk  betrieben.  Nach  Beendigung  des  Ki-ieges  wurden  diese 
Truppen  nach  Hause  entlassen.  Bei  einem  derartigen  System  standen 
die  Kompletlerung  der  Armee,  ihre  moralische  Qualität  sehr  niedrig,  was 

*)  Michnewitsch :  „Geschichte  der  Kriegskunst". 


486  '^^IL    Taktik  der  Infanterie. 


natürlich  auf  die  Disziplin  und  die  Art  der  Verwendung  der  Truppen  im 
Kampfe  von  Einfluss  sein  musste. 

Es  ist  deshalb  nicht  wunderbar,  dass  Gustav  Adolph  füi*  seine  dis- 
ziplinierten, gut  ausgerüsteten  und  ausgebildeten  Truppen  andere,  weit 
kompliziertere  taktische  Methoden  einführen  konnte  und  ein  entschiedenes 
üebergewicht  über  seine  Gegner  hatte. 
,  Die  Infanterie  formierte  sich  in  Marschkolonnen  zu  6  Gliedern  und 

zui-  Zeit  des  Kampfes  infolge  Verdoppelung  der  Reihenstärke  zu 
3  Gliedern.  Die  Kavallerie  formierte  sich  statt  in  6  Gliedern,  wie  dies 
früher  war,  in  3  und  teilte  sich  hierbei  der  grösseren  Beweglichkeit  halber 
in  kleine  Abteilungen.  Die  grösste  Beweglichkeit  aber  wurde  der  Ar- 
tillerie gegeben,  welche  die  Möglichkeit  erhielt,  ihre  Positionen  während 
des  Kampfes  zu  verändern  und  nach  allen  Eichtungen  zu  schiessen,  was 
sie  früher  nicht  vermocht  hatte,  s) 
Erkenntiii«  Profcssor   Michuewitsch^)    schildert   die    taktische   Kunst    Gustav 

weldigkeit  Adolphs  folgeudermaasseu:   eine  schwache  oder  fast  gar  keine  Reserve, 
de/stlSljii,  ®^  Parallel-Stoss  mit  der  ganzen  Front,  das  Fehlen  einer  entscheidenden 
stehende    Konzeutratlon  der  Kräfte  auf  dem  wichtigsten  Punkte  des  Schlachtfeldes. 
za  haben.  Aber  die  Wirksamkeit  Gustav  Adolphs  im  30jährigen  Kriege  hatte  noch 
die  Bedeutung,  dass  man  in  den  meisten  Staaten  zu  der  Erkenntnis  der 
Notwendigkeit  gelangte,   stehende  Heere  zu  haben,   den  Krieg  metho- 
disch zu  führen  und  die  Heere  auf  dem  Kriegstheater  regelrecht  zu  unter- 
halten. 
Einführnnfir  In  Frankreich  fand  1641—1642  eine  Neuerung  von  grosser  Bedeutung 

des  Bajonnets 

in  Frank-  durch  Einführung  des  Bajonnets  statt. 

Bajonnetr  Das   aus  den  obigen  Erfindungen  hervorgegangene  Ba- 

.FiIntY-.  Jonnetgewehr,  „Flinte"  genannt,  verdrängte  bald  die  bisher  übliche 
Muskete,  führte  zur  raschen  und  gänzlichen  Beseitigung  der  Infanterie- 
Pike  und  wurde  mit  dem  Beginne  des  XVIII.  Jahrhunderts  als  die  nun- 
mehrige UniversalwaflFe  der  Infanterie  überall  eingeführt. 
P".  Der  30jährige  Krieg  hat  den  Grund  zu  dem  System  der  grossen 

Krieg  die   steheudcu  Heere  gelegt  und  infolge  davon  auch  zu  einer  umfassenden 
^*«nr  eT-"^  militärischen  Organisation  nicht  nur  in  Kriegs-,  sondern  auch  in  Friedens- 
'stohTifden'  Zeiten.     Unter  Ludwig  XIV.  hatte  P>anki*eich  im  spanischen  Erbfolge- 
Heere,     krieg  schon  ein  Heer  von  350000  Mann,  Oesterreich  ein  Heer  von  130000 
Mann  und  selbst  Brandenburg  besass   unter  dem   Grossen  Kurfürsten 
ein  stehendes  Heer  von  ca.  30000  Mann.    Die  Truppen  wurden  nach 
Friedensschluss   bereits    nicht   mehr   entlassen,    was    die    Organisation 


')  Omega:  „L'art  de  combattre". 
*)  „Geschichte  der  Kriegskunst". 


HandgrifTe  beim  Laden  und  Feuern  im  XVII.  und  XVIII.  Jahrhundert. 


1.  Marsch  mit  der  Gabel  In  der  Hand. 

2.  Maisch  mit  der  an  die  Muskete  geheiikt«a 

üabeL 

3.  Nimm,  das  Gewehr  von  der  Schulter. 

4.  Streck  aus  das  Gewehr. 

5.  Leg.dic  Gabel  an  das  Gewehr. 

6.  Nimm  die  Lunte  ab. 

7.  Blas  die  Kohie  ab. 

8.  Drück  die  Lunte  ein. 


9.  Versuch  die  Lunte. 

10.  Achtung,    blas   an   und    üffue   die  Zünd- 

cfanne. 

11.  Fertis. 

12.  Feuer. 

13.  Niimn  ab  dait  Gewehr,  leg  die  Gabel  au. 

14.  Nimm  die  Lunte  ab. 

15.  Nimm  die  Lunte  in  die  Finger. 

16.  Blas  die  Pfanne  ab. 


Handgriffe  beim  Laden  und  Feuern  im  XVII.  und  XVIII.  Jahrhundert. 


17.  Schütte  Pulver  auf  die  Pfanne 

la,  Hchliesse  die  Pfenne. 

19.  Schüttele  ans  tose  Pulver  ab. 

20.  BliLs  das  lose  Polvei  ab, 
31.  Präsentier  das  Gewehr. 
■22.  Häng  die  Gabel  au. 

■2.1.  Oeffne  die  Patrone. 

24.  Lade  das  Gewclir. 

2Ö.  Zieh  den  Ladatock  aus. 


.   Stampf  die  Ladung  nieder. 
-o).   Nimm  den  Lndstook  heraus. 
29.  Fass  den  Ladstock  kurz. 
%.   Steek  den  Ladstock  an  Ort, 
31.   Nimm  das  Gewehr  eut  Hand. 
S2-  Das  Gewehr  zur  rechten  Hand  und  r 
die  Oabel  in  die  linke. 


Historische  Skizze  des  Einflusses  der  Bewaffnung  auf  die  Taktik.  487 


einer  ständigen  oberen  Heeresverwaltung  erforderte  und  die  Einheit- 
lichkeit in  der  Bewaflnung  und  Ausbildung  der  Mannschaften  nach  sich 
zog.  Die  früheren  Regimenter  repräsentierten  ein  jedes  den  Charakter 
ihrer  Provinz,  hatten  ihre  Gewohnheiten  und  üeberlieferungen,  gehörten 
sogar  direkt  den  vornehmen  Edelleuten,  den  Chefs,  in  Frankreich 
„propri6taires"  genannt,  die  sie  aus  ihren  Unterthanen  zusammenstellten. 

Gustav  Adolph  verpflegte  seine  Aimee  durch  regelmässige  Zufuhr  verpflegruiig 
aus  den  Magazinen.  Dieses  System  wurde  darauf  in  ganz  Europa  ein- dura  zuführ 
geführt  und  während  des  Krieges  blieb  die  Linie  der  Proviantmagazine  jit^inen.  ' 

in  einer  Entfernung  von  6  Tagemärschen  hinter  den  Truppen.  Seit  der 
Zeit,  wo  die  Armee  zwar  nicht  ihren  ganzen  Verpflegungsvorrat  mit  sich  , 

führte,  der  durch  Requisitionen  ergänzt  wurde,  aber  doch  eine  reguläre 
Verpflegung  erhielt,  veränderte  sich  auch  die  Strategie.  Die  Truppen 
wurden  weniger  beweglich,  da  hinter  ihnen  die  Linie  der  Vorräte  folgen 
musste,  zugleich  aber  gewann  auch  die  Umgehung  des  Gegners,  das  Ab- 
schneiden desselben  von  seiner  Kommunikation  eine  besondere  Bedeutung. 
Die  Langsamkeit  der  Bewegungen  hinderte  eine  energische  Verfolgung 
des  in  der  Schlacht  besiegten  Gegners.  Und  obgleich  seit  der  Einführung 
der  stehenden  Heere  nicht  mehr  soviel  Zeit  durch  Einberufung  der  be- 
waffneten Volksmassen  verloren  wurde  und  die  Kompletierung  der  Truppen 
in  regelrechter  Aushebung  vor  sich  ging,  so  zogen  sich  doch  infolge 
dieser  Umstände  die  Kriege  noch  immer  mehrere  Jahre  hin,  ohne  zu 
entscheidenden  Resultaten  zu  führen. 

Professor  Michnewitsch^)  sagt  über  den  taktischen  Aufbau  jener  i^»"B»*«^iio» 
Zeit  folgendes:  „Seit  der  Einführung  des  Bajonnet- Gewehrs  wurde  das  Einheit  nach 
Bataillon  (500  bis  800  Mann  stark)  endgütig  die  taktische  Einheit  und  *^"^^"^« 
zugleich    bildeten    sieh    beständige    feste    Beziehungen    zwischen    den  b^**»»»«*«»- 
Bataillonen  und  den  administrativen  Einheiten:  dem  Regiment  und  der 
Kompagnie.    Die  Hauptkraft  der  Infanterie  sah  man  in  der  möglichst 
starken  Feuerentwickelung    ausgeschlossener  Formation;   ein  Bajonnet- 
angriff  wurde  selten  und  ungern  vorgenommen  und  er  versprach  auch 
nicht  Erfolg,    da  man  ausser  dem  sich  entfaltenden  Bataillon,   welches 
das  stärkste  Feuer  ermöglichte,   eine  andere  Kampfformation  dei'  In- 
fanterie nicht  kannte.  Seit  Einfuhrung  des  Gewehrs  und  der  Verbesserung 
des  Ladens,  wodui'ch  das  Laden  und  das  Feuer  schneller  wurden,  for- 
mierten sich  die  Bataillone  in  4  und  3  Gliedern ;  die  Linie  als  Formation 
zum  Kampf  sich  entfaltender  Bataillone  wurde  allgemeine  Regel". 

Professor  Michnewitsch  bemerkt  auch,  dass  der  Bestand  der  stehenden  unterschiede 

^  zwischen  den 

Heere  sich  von  den  einstigen  bewaffneten  Haufen  auch  in  moralischer  «tehenden 

^  Heeren  und 

den  frftheren 

Söldner- 

*)  „Geschichte  der  Kriegskunst".  ^'•"'ö>»- 


488  ^^^*   Taktik  der  Infanterie. 


Hinsicht  unterschied.  In  den  ständigen  Dienst  begannen  jetzt  bei  der 
Werbung  Leute  zu  treten,  welche  die  Arbeit  nicht  liebten  und  durch  die 
Uniform  und  die  Hoffnung  auf  ein  ungebundenes  Leben  angelockt  wurden. 
Infolgedessen  wurde  es  notwendig,  strenge  Maassregeln  zur  Aufrecht- 
haltung der  Disziplin  zu  ergreifen,  und  man  gelangte  zu  der  Praxis  der 
erniedrigenden  Sti*afen.  Diese  Strafen  verdarben  die  schon  eingestellten 
ordentlichen  Leute  und  hielten  andere  von  dem  Eintritt  in  den  Dienst, 
besonders  bei  der  Infanterie,  ab. 
^"üT^"'  Weiterhin  erfolgte  eine  bedeutende  Umwälzung  in  der  Kriegskunst 

Kriegikiiait  duTch  Friedrich  den  Grossen.  Dieser  führte  viele  Verbesserungen  in 
Fri^rieh  allen  Teilen  der  Heeresorganisation  ein;  im  Kampfe  gab  er  der 
den  orosMn.  Peuorwirkung  den  Vorzug,  verstand  aber  auch  das  Andrängen  auf 
den  Feind  auszunutzen.  Durch  die  Einführung  des  eisernen  Lade- 
stockes förderte  er  ein  beschleunigtes  Laden.  Ueberhaupt  gab  Friedrich 
dem  Feuer  seiner  Infanterie  eine  weit  grössere  Schnelligkeit  und  der 
Kavallerie  verbot  er,  vor  der  Attake  zu  schiessen;  diese  ging  mit  ge- 
schwungenem Säbel  direkt  im  Galopp  vor.  Die  gegen  ihn  operierende 
österreichische  Kavallerie  ging  im  Trab  zur  Attake,  machte  auf  30  Schritt 
Entfernung  Halt,  gab  eine  Salve  ab  und  attakierte  alsdann. 

Der  gesamten  Artillerie  verlieh  Friedrich  grössere  Beweglichkeit; 
er  führte  aber  ausserdem  noch  die  leichten  reitenden  Batterien  für  die 
Avantgarde  ein,  um  an  den  Operationen  der  Kavallerie -Abteilungen 
teilzunehmen.  Die  Infanterie  war  in  Regimenter  zu  zwei  Bataillonen 
geteilt,  das  Bataillon  zu  1000  Mann;  jedes  Bataillon  hatte  6  Kompagnien, 
darunter  eine  Grenadier-Kompagnie. 
Forrnfttion  Die  Infanterie  formierte  sich  in  drei  Gliedern  mit  der  Grenadier- 

der 

preoMiMhen  Kompaguie  auf  der  Flanke  unter  rechtem  Winkel  zur  Front. 

BfttaiUon« 
im  Kampt 


Kampfformation  des  pretissisohen  Bataillons. 

Die  ganze  Armee  formierte  sich  in  der  Kampfordnung  in  2  Gliedern 
mit  der  Reserve:  im  Zentrum  die  Infanterie,  die  Kavallerie  auf  den 
Flanken ;  die  Infanterie  formierte  sich  in  der  Kampf  Ordnung  in  entfalteten 
Bataillonen  mit  Intervallen  zwischen  ihnen.  Beide  Flügel  der  Infanterie 
wurden  durch  eine  Grenadier-Kompagnie  gedeckt,  senkrecht  zur  Front- 


Historisclie  Skizze  des  Einflusses  der  Bewaffiiung  auf  die  Taktik. 


489 


linie.  Von  den  beiden  Kavallerie-Linien  nahm  die  erste  als  „Wand** 
Stellung,  d.  h.  ohne  Intervalle,  die  zweite  entfaltete  sich  mit  Intervallen, 
die  der  Front  der  einzelnen  Kavallerie-Abteilungen  der  aufgestellten 
Linie  gleich  waren. 


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♦     ♦ 


Kampfformation  des  preussischen  Heeres  unter  Friedrich  11. 


Die  Artillerie  wurde  in  unregelmässigen  Massen  in  der  Front  oder 
auf  den  Flanken  der  Infanterie  postiert,  die  reitende  Artillerie  bei  der 
Kavallerie.  Die  Reserven  postierten  sich  in  geschlossenen  Kolonnen 
hinter  dem  Zentrum  der  einzelnen  Truppenteile. 

Wie  vorhin  schon  erwähnt,  war  das  Magazin-System  der  Tmppen-  Verpflegung 
vei'pflegung  seit  dem  30jährigen  Kriege  in  allen  Heeren  eingeführt.  An  FHedncb  ii. 
diesem  Systeme  hielt  auch  Friedrich  n.  fest,  da  er  aber  immer  die 
Offensiv-Strategie  befolgte,  strebte  er  darnach,  sich  von  der  Langsamkeit 
in  den  Bewegungen  zu  befreien,  welche  mit  diesem  System  verknüpft  ist. 
Seinem  Train  fügte  er  die  Fuhren  der  örtlichen  Bewohner  hinzu,  ver- 
stärkte die  Tagesmärsche  der  Transporte  und  richtete  bewegliche  Maga- 
zine mit  Brodbäckereien  ein.  Auf  diese  Weise  gewann  er  die  Möglich- 
keit, sich  200  Werst  und  weiter  von  der  Basis  der  Hauptniederlagen  zu 
entfernen.  Entsprechend  dem  Ofiensivsystem  seiner  Strategie  drang 
Friedrich  II.  in  das  Gebiet  des  Gegners  ein  und  strebte  bei  dem  Zu- 
sammentreffen mit  dessen  Heer  nicht  nach  partiellen  Erfolgen,  sondern 
dii-ekt  nach  der  Vernichtung  des  Gegners. 6) 

Die  Siege  Friedrichs  hatten  zum  Resultat,  dass  man  in  den  anderen  Eia^^hnin? 
Heeren  seine  taktischen  Formen  mit  sklavischer  Beobachtung  der  aus-  takutehen 


Formen 
Friedrichs  IL 


8)  Der  preussische  Infanterist  schoss  3  mal  schneller  als  die  Soldaten  der™™^^^^ 
französischen  und  der  Eeichsarmee  (3  Schüsse  in  der  Minute,  gegen  1  Schuss,     Heeren, 
nach  den  Worten  des  Generals  Paris). 


490  ^^-   Taktik  der  Infanterie. 


einandergezogenen  Linien  einzoführen  begann.  In  Franki'eich  gab  es 
während  der  ganzen  Zeit  zwischen  dem  7jährigen  Kriege  und  der 
Eevolution  eine  eifrige  Polemik  über  die  Vorzöge  der  auseinander- 
gezogenen Foimation  zur  Verstärkung  des  Feuers  oder  der  Formation 
der  geschlossenen  Massen,  d.  h.  von  Kolonnen  mit  grösserer  Tiefe  als 
Breite.    Die  neueste  Taktik  beginnt  mit  der  Revolution.  7) 

Der  Einflüss  der  Begriffe  von  der  Bedeutung  der  Manöver  war  im 
ganzen  XVIH.  eJahrhundert  ein  gewaltiger.  Griesheim«)  stellt  in  seinem 
Reorganisationsprojekt  fiir  die  polnische  Armee  als  Muster  die  Armee 
Friedrichs  auf,  weist  aber  schon  damals  auf  die  grosse  Wichtigkeit  guter 
Offiziere  und  alter  Soldaten  hin. 

Jedoch  kann  man,  sagt  Griesheim,  die  Frage  aufwerfen:  wozu  alle 
diese  Ausgaben  und  Komplikationen?  Unter  Sobieski  war  dies  Alles 
nicht  nötig,  und  ging  nicht  doch  Alles  besser?  Aber  die  Sache  liegt 
darin,  dass  jene  Zeit  vorbei  ist  und  die  europäischen  Heere  sich  verändert 
haben:  jetzt  entscheiden  weder  die  Zahl  noch  die  Tapferkeit  der  Soldaten, 
sondern  die  Kunst  der  Generäle  und  die  Fähigkeit  der  Truppen,  die 
erforderlichen  Bewegungen  auszuführen,  das  Schicksal  der  Schlachten. 
Weitere  TJuterdesseu  wurden  die  Bemühungen  zwecks  Verbesserung  der  Hand- 

zar  Feuerwaffe  fortgesetzt;  es  fanden  sogar  Versuche  statt,  Hinterlader  her- 
^dtJ*H»JS-*  zustellen.  Nach  der  Erfindung  des  Perkussionsschlosses  war  das  beste 
Feuerwaffen.  Grewehr  ZU  Aufaug  des  Jahrhuuderts  das  französische  des  Typus  1777 — 1800 
mit  dem  Perkussionsschlosse  des  Typus  1648,  stählernem  Ladestock  mit 
Schraube  und  Ende  für  die  Ladung  und  dem  dreiseitigen  Bajonnet  mit 
Zapfen  und  Ring.  Das  Normalgewicht  dieses  Gewehrs  betrug  6  Kilo- 
gramm (I2V2  rassische  Pfund). 


2.   Die  Taktik  Napoleons  und  deren  Einflüss  bis  zum 

Krimkriege. 

Einführung  Die  Heerc  der  französischen  Republik  bestanden  aus  unerfahrenen 

anfgeiöflten  Soldatcu,  die  Unfähig  waren,  sich  im  Feuer  in  geschlossener  Formation 

ortnnig    ^^  halten   und  in  Kolonnen  anzugreifen.      Das  führte  von   selbst  zur 

(Schftteen-  aufgelösten  Formation,  der  zerstreuten  Schützenmasse,   etwa  in  der  Art 

^)  Om^ga:  „L'art  de  combattre". 

*)  Griesheim:    „Projekt   der   Reorganisation   der  polnischen  Armee    vom 
Jahre  1789". 


Die  Taktik  Napoleons  und  deren  Einfluss  bis  zum  Krindaiege.  491 

der  jetzigen  Avantlinien.  Die  Praxis  zeigte,  dass  diese  Kampfordnnng 
ihre  Vorzüge  hatte:  das  Fener  der  in  verschiedenen  Entfernungen  vom 
Gegner  zerstreuten  Schützen  erwies  sich  weit  wirksamer  als  das  glieder- 
weise Feuern,  die  aufgelöste  Kampfordnung  verminderte  die  Verluste  und 
die  aufgelösten  Linien  hatten  eine  solche  Länge,  dass  sie  naturgemäss 
die  Flanken  des  Gegners  umfassten  und  durch  diese  Bedrohung  in  den 
Reihen  des  Feindes  Verwirrung  hervorriefen. 

Im  Uebiigen  hatte  auch  schon  der  Krieg  zwischen  den  aufständischen   Nene  An- 
nordameiikanischen  Kolonien  und  England  den  Vorzug  eines  gut  gerichteten  "dte  Taku" 
Feuers    und    eines    energischen    Vorgehens   selbst    bei  unregelraässigen  Erfahratgen 
Formationen  gegenüber  der  Linien-Taktik  des  Paradeplatzes  gezeigt,  in  *™  »»«"- 
welche   in  Preussen   das  Operationssj^stem  Friedrich  11.  ausgeartet  war.  Befreinng»- 
Die  englischen  Truppen  folgten  der  „gelehrten"  preussischen  Linien-Taktik     *"*^*' 
und  ebenso  auch  die  deutschen  Kontingente,  welche  England  von  dem  Kur- 
fürsten von  Hessen  und  anderen  deutschen  Fürsten  gemietet  hatte.    Die 
amerikanischen   Insurgenten  dagegen  waren  Landleute,  unbekannt  mit 
der  Kriegskunst,  unbekannt  mit  jeder  Art  künstlicher  Formation,  aber 
von  Energie  durchdrungen,  und  unter  ihnen  gab  es  nicht  wenig  vor- 
treffliche Schützen  und  Jäger,  die  in  dem  Kampf  mit  den  Indianern  ihre 
Stählung  und  Gewöhnung  an  das  Feldleben  empfangen  hatten.    Der  Sieg 
verblieb  nicht  der  Linien-Taktik  und  der  methodischen  Schulung,  sondern 
der  Kraft  der  Energie  und  dem  Geist  der  Initiative. 

Die  nach  Europa  zurückgekehrten  Theilnehmer  an  dem  amerikani- 
schen Freiheitskriege,  die  Franzosen  Lafayette  und  Rochambault,  die 
Polen  Kosciuszko  und  Pulawski,  und  andere  Freiwillige  aus  den  ver- 
schiedensten Nationalitäten  brachten  neue  Ansichten  über  die  Taktik 
nach  Europa  mit. 

Die  Kampfformation  der  Truppen  der  französischen  Republik  stellte    Kampf. 
sich  demnach  als  eine  dichte  Schützenkette  mit  geschlossenen  Infanterie-  der Trap^n 
Reserven  dar.    Die  Schützenkette,  welche  gegen  den  in  lange  kompakte  ^^^^^^echen 
Linien  formierten  Feind  vorging,  fügte  diesem  grossen  Schaden  zu,  und   «ep«^««^- 
bei  den  ersten  Anzeichen  von  Verwirrung  in  seinen  Reihen  machte  die 
ganze  Armee  in   der  Formation,   in  welcher  sie  sich  befand,  d.  h.  die 
Infanterie    mit    der  Schützenkette   voraus,    die  Reserve   in   Kolonnen, 
einen   allgemeinen  Angriff"  mit   dem  Bajonnet  und  die  Kavallerie   eine 
Attake  auf  die  in  Verwirrung   geratenen  dünnen  Linien    des  Feindes. 
Bei  der  gleichförmigen  Bewegung  auf  der  ganzen  französischen  Front 
sah    der  Gegner   nicht  voraus,   gegen  welchen  Punkt  seiner  Linie  der 
Hauptschlag  erfolgen  würde  und   der  Angriff  der  dichten  französischen 
Kolonnen  durchbrach  fast  immer  die  aufgelöste,  nur  auf  die  Feuerwirkung 
berechnete  Formation  des  Gegners. 


492 


Vn.   Taktik  der  Infanterie. 


Die  Formation   der   republikanischen   Truppen    ist    auf  folgender 
Zeichnung  dargestellt: 


Cölotnes  de  baUiirort 


Rea«ry» 


Kampfordniing  der  Franzosen  der  Bepublik. 


Aenderang 
der  Taktik 
gegenüber 
irregnlftrer 
Kayallerie. 


Mannig- 
faltigkeit 
der  Schlaeht- 
formationen 
Napoleons. 


Die  Taktik  der  Revolutionsheere  ist  von  selbst  entstanden.  Die 
vorderen  Linien  gingen  einfach  deshalb  in  aufgelöster  Formation,  weil 
die  Truppen  nicht  in  methodischen  Formationen  ausgebildet  und  uner- 
fahren waren;  weiter  wurde  der  Massen -Verstoss  in  der  Form,  wie  die 
Masse  in  der  Reserve  stand,  direkt  durch  den  Enthusiasmus  der  jungen 
Soldaten  hervorgerufen;  sobald  die  Revolutions-Regimenter  ein  Schwanken 
in  den  Linien  des  Gegners  bemerkten,  wurden  sie  unaufhaltsam  zum 
Massen-Angriff  fortgerissen.  Diese  Taktik  war  ganz  dazu  geschaffen, 
einen  sichern  Sieg  über  methodisch  aufgestellte  dünne  Linien  davon  zu 
tragen,  welche  ihre  Salven  abgaben  und  unbeweglich  dastanden,  als  er- 
warteten sie  den  Ansturm  der  Franzosen. 

Diese  Taktik  eignete  sich  auch  Napoleon  an,  und  dank  ihr  wurden 
unter  der  Republik  alle  die  Siege  bei  Arkola,  Rivoli  u.  s.  w.  davon- 
getragen. Suworow  operierte  deshalb  erfolgreich  gegen  die  Franzosen, 
weil  er  seine  Linien  nicht  allzusehr  auseinanderzog  und  selbst  bei  der 
ersten  günstigen  Gelegenheit  zum  Bajonnetangriff  schritt. 

Aber  in  Egypten  änderte  Napoleon 
seine  Taktik  deshalb,  weil  er  es  hier  vor- 
zugsweise mit  Massen  irregulärer  Kavallerie 
zu  thun  hatte.  Er  stellte  seine  Infanterie 
in  grossen  Quarr6s  auf,  in  deren  Mitte  er 
den  Lazareth-Train  plazierte. 

Angesichts  der  Erfolge,  welche  die 
Anwendung  der  repubKkanischen  Taktik 
erzielt  hatte,  gab  Napoleon,  dem  diese 
Erfolge  vorzugsweise  angehörten,  den 
Aufstellungen  seiner  Truppen  grosse  Ent- 
wickelung,  indem  er  die  Thätigkeit  aller 


Das  I^apoleonische  Quarrt 
in  Egypten. 


Die  Taktik  Napoleons  und  deren  Einfluss  bis  zum  Krimkriege.  493 

Waffengattungen  konzentrierte.  Die  Schlachtformationen  Napoleons 
waren  sehr  mannigfaltig.  Friedrich  ü.  und  seine  Nachfolger  stellten 
ihre  Truppen  beständig  in  einer  bestimmten,  als  Typus  angenommenen 
Ordnung  auf;  Napoleon  dagegen  war,  so  zu  sagen,  in  der  Taktik 
Opportunist;  selbst  seine  Armeekorps  hatten  nicht  einen  Normal- 
bestand wie  jetzt;  ihre  Zusammensetzung  und  ihre  Stärke  waren  ver- 
schieden je  nach  der  Rolle,  welche  er  einem  jeden  Korps  zuwies  und  je 
nach  dem  Grade  des  Vertrauens,  das  er  zu  den  Korpsführem  hegte. 
Bisweilen  änderte  er  die  Zusammensetzung  der  Korps  im  Laufe  des  Feld- 
zuges ab,  bisweilen  sogar  vor  der  einen  oder  andern  Schlacht.^) 

Die  in  Korps  geteilte  Infanterie,  welche  Marschälle  befehligten, 
operierte  im  Kampfe  in  Divisionen  oder  Brigaden,  beständig  den  Bajonnet- 
angriff  ins  Auge  fassend.  Die  Kavallerie  teilte  sich  ebenso  in  Korps  und 
stand  unter  dem  Oberkommando  Murat's;  zur  Attake  ging  sie  in  grossen 
Massen  vor,  welche  alles  auf  ihrem  Wege  Befindliche  hinwegfegten.  Die 
Artillerie  operierte  gleichfalls  in  Massen  von  100  Geschützen  und  mehr. 

Solche  Konzentration  der  Kräfte  jeder  Truppengattung  in  Massen     Kon- 
trug nicht  wenig  zu  den  grossen  Siegen  Napoleons  bei.    Aber  obwohl  die  dw  "rX 
Massenwirkung  der  französischen  Infanterie,  welche  hauptsächlich  in  ge- ^^^.JlpJJlJ!*" 
schlossenen  Kolonnen  attakierte,  lange  Zeit  für  die  Gegner  ein  uner-  e^^^^^- 
wartetes  Manöver  war  und  den  Franzosen  glänzende  Siege  gab,  so  wurde 
sie  doch   schliesslich  durch  die   Konzentration  des  ganzen   feindlichen 
Artilleriefeuers  auf  diese  Infanteriemassen  paralysiert,  wobei  die  tiefen 
Infanterie-Kolonnen  starke  Verluste  erlitten.    Die  Gegner  Napoleons  be- 
gannen gleichfalls  mit  Artillerie-  und  Kavallerie-Massen  zu  wirken. 

Aber  ausser  der  Revolutionsmethode  der  Taktik  und  dem  angeborenen    weitere 

Ursftchen  fOr 

militärischen  Genie  Napoleons  trug  zu  seinen  Erfolgen  nicht  unbedeutend  Napoleon, 
auch  seine  revolutionäre  Verachtung  nicht  nur  jeder  traditionellen  Form  peSönlfcher 
und  Methodik,  sondern  auch  jedes  Rechtsbegriffs  gegenüber  Allem  bei,      ^'*- 
was  die  Wirkungen  der  Kraft  einengen  konnte.    Es  ist  begreiflich,  dass 
man  im  Kriege  vor  Allem  beständig  zur  Gewalt  seine  Zuflucht  nahm, 
aber  doch  nur  bis  zu  gewissen  Grenzen.    Eine  solche  Auffassung  des 
Krieges,  dass  derselbe  mit  einem  Mal  alle  im  Frieden  bestehenden  gesetz- 
lichen Beziehungen  aufhebt  —  eine  Auffassung,  die  auch  in  unserer  Zeit 
gilt  —  ist  zuerst  gerade  durch  diesen  Cäsar  der  Revolution  eingeführt. 
Die  vorhergehende  Epoche  hatte  für  Alles,  sogar  für  die  Anwendung 
von  Gewalt,  ihre  genauen  Regeln,  sogar  zu  viel  Regeln.    Dies  war  die 
Epoche  der  Einförmigkeit,   der  Formalistik,   der  strengen  Richtung  der 
säuberlich  zugestutzten  Reihen,  wo  der  Schritt  jedes  Mannes  die  Augen 


^)  „La  tactique  d'autrefois".  —  „Revue  de  Tarm^e  beige". 


J.    ■■^^■.-■^,-_--.-,- 


^4  VIL   Taktik  dar  In&otene. 


aaf  rieb  zog,  die  Zeit  der  gepuderten  ZQpfe,  des  Zeremonialmarsdies  und 
den  Kanzleigeut^  in  den  Heeren.  Den  Soldaten  betrachtete  man  damals 
nicht  a\»  einberufenen  Bekmten,  der  bald  durch  einen  neuen  ersetzt  wird, 
Hondem  geniBserman^n  alt^  KronKgut,  da.s  man  ebenso  ökonomisch  aus- 
smgeben  hatte  wie  Geld.  Das  in  der  erst  unlängst  befreiten  bäuerlichen 
Bevölkerung  nrK:h  schwach  entwickelte  Nationalgefnhl  und  Bewusstsein 
der  persönlichen  Würde  wurde  durch  die  strengsten  Massregeln  der 
liisziplin,  durch  das  beständige  Zusanunenhalten  der  Heere  in  ge- 
schlossenen Massen,  durch  kleinliche  Formen  für  jede  Thätigkeit  erstickt. 
Tnpp«-  Da«  Magazin-System  .sicherte  zuverlässige  Verpflegung  und  zugleich 

dsrek  41«  auch  die  Beobachtung  der  Disziplin;  das  Znsammenfassen   der  blassen 
"*•***"*'  auf  den   Märschen   und  im  Bivouak   verhinderte  das  Desertieren,   die 
taktische  Offensive  in  ausgezogenen  Linien  ermöglichte  den  Komman- 
deurs zu  sehen,  wie  «ich  jeder  Truppenteil,  jeder  Mann  hielt.  Alles  dieses 
stand  in  logischer  Verbindung  mit  der  FormaUstik. 
s«ifpi«i«  Heflner  erzählt,  dass  im  Jahre  1806  die  preussischen  Truppen  der 

i\n\p^^  Hauptarmee  in  der  Nacht  vom  11.  auf  den  12.  Oktober  neben  grossen 
vonrtite  «Im»  Nlexlcrlagen  gefällten  Holzes  ihr  Lager  hatten  und  —  froren,  dass  sie  am 
ABw«iiBB(  folgenden  Tage  noch  kein  Holz  zum  Kochen  der  Speisen  angewiesen  er- 
itoBotooBf  halten  hatten  und  das»  man  sich  erst  dann  entschloss,  für  das  Heer  von 
(MOffln«D.  jjgg^j^  Vorräten  Gebrauch  zu  machen,  als  die  Soldaten  zur  Selbsthilfe 
ihre  Zuflucht  nahmen  und  die  nächsten  Bäume  abzuhacken  begannen. 
Weiter  teilt  er  mit,  dass  in  diesen  schweren  Tagen  absolut  kein  Hafer  für 
die  Pferde  vorhanden  war,  während  sich  in  dem  Rathaus  zu  Jena  reiche 
HafeiTorräte  befanden.    Aber  trotzdem  dass  die  Franzosen  schon  heran- 
nahten, hielten  es  die  Führer  der  Armee  für  ihre  Pflicht,  zuerst  nach  Weimar 
an  eine  der  herzoglichen  Hauptverwaltungen  zu  schreiben  und  um  die  Er- 
laubnis zum  Ankauf  des  Nötigen  zu  bitten.    Welche  Antwort  hierauf  er- 
folgt ist,  wissen  wir  nicht,  bekannt  aber  ist,  dass  der  Hafer  unterdessen 
in  die  Hände  des  P'eindes  gefallen  war  und  die  französischen  Pferde  die 
praktische  Entscheidung  dieser  verwickelten   Frage  auf  sich   nahmen. 
ao«the     Und  doch  war  der  Intendant  des  Herzogs  von  Weimar  kein  einfacher 
Mensch  und  sicher  kein  Pedant;  es  war  dies  nämlich  kein  anderer  wie 
der  (ireheimrat  und  Staatsminister  von  Goethe,  der  „hohe,  schöne  Mann", 
wie  ihn  einer  der  Augenzeugen  beschreibt,  „welcher  in  der  gestickten  Hof- 
uniform, gepudert,  mit  Beutel  und  dem  schönen  Degen  das  Aussehen  eines 
rechten  Ministers  hatte  und  vortrefflich  die  Würde  seines  Banges  aufrecht 
hielt".3)    Noch  wunderlichere  Dinge  erzählt  lOausewitz  über  diese  Zeit. 

*)  llintorlaasone   Schrifton    von   F.  v.  Marwitz.     Berlin    1852.    IL    S.  11. 
Das  Zitat  ist  aua  v.  d.  Goltz:  „Das  Volk  in  Waffen". 


«4 


Die  Taktik  Napoleons  und  deren  Einfluss  bis  zum  Krimkriege.  49& 

Als  die  preussischen  Truppen  nach  der  Schlacht  bei  Austerlitz  schon  Requisition 

,  preusslscher 

2  Tage  ohne  Speise  geblieben  waren  und  am  diitten  Tage,  gänzlich  vor    Trappen 
Hunger  erschöpft,  sich  einem  reichen  Dorfe  näherten,   da  liess  Prinz  gg^l^h/Jei 
August  von  Preussen  für  seine  fast  bis  zum  Tode  erschöpften  Grenadiere  ^"*«'^**- 
Lebensmittel  apf  dem  Requisitionswege  sammeln,  wie  dieses  jetzt  im 
Kriege  überall  geübt  wird.  Die  Bauern  erhoben  ein  entsetzliches  Geschrei, 
und  bald  begann  ein  alter  Stabsoffizier  der  Garde,  der  über  diese  Requi- 
sition in  heftigen  Unwillen  geriet,  dem  Prinzen  zu  demonstrieren,  dass 
ein  derartiges  Raubsj^stem  nicht  zu  den  Gepflogenheiten  der  preussischen 
Armee  gehöre  und  ihrem  Geiste  zuwider  sei. 

Dafür  hatte  General  Kaikreuth,  der  zeitweilige  Kommandeur  der  ^''^^«'•^J 

'  ^  des  Generalf 

Armee,  Tags  zuvor  folgenden  Befehl  erlassen:  „Den  Truppen  Brod  zu  Kaikrenth. 
geben  und  bei  Mangel  von  Brod  —  Geld,  um  solches  zu  kaufen."  Dabei 
war  an  Proviantwagen  gar  nicht  zu  denken,  und  Geld  war  auch  nicht  da, 
so  dass  Prinz  August  mit  Recht  bemerkte,  dass  dieser  Befehl  gleich- 
bedeutend mit  dem  Befehle  wäre:  „Gebt  den  Leuten  Geld,  welches  wir 
nicht  haben,  damit  sie  sich  dort  Brod  kaufen  können,  wo  solches  zu 
kaufen  unmöglich  ist" 

Napoleon  liess  sich  weder  durch  die  Traditionen,  noch  durch 
die  Formalistik,  noch  durch  die  Rechtsbegriffe  behindeni.  Im  Kriege 
erkannte  er  nur  ein  Gesetz  an  —  die  Notwendigkeit.  Er  schreckte  selbst 
davor  nicht  zurück,  die  eine  oder  die  andere  Abteilung  durch  neu- 
trales Gebiet  zu  führen,  wenn  dieses  zur  Umgehung  des  Feindes  er- 
forderlich war. 

Es  wurde  schon  bemerkt,  dass  die  Gegner  Napoleons  es  endlich  er-  ^^^^il^riire 
lernten,  den  Angriff  seiner  Massenkolonnen  durch  Konzentration  des  aerMwsen- 
Artilleriefeuers  zu  neutralisieren,   welches  unter  jenen  furchtbare  Ver-  Kapou"*** 


leons 


heerungen    anrichtete.    Als    Beispiel    führen   wir    die   Disposition    des  a J  oeg^ew 
Angriffs  bei  Wagram'an.  durch  Kon- 

seotretion 

des  Artillerie- 

feuere. 


0*t»'fUif»%  d'ftt^nter^ic  de^lo/r^s 


l  ■  firffimfnfs  de  ca^^erte  en  colonne  cc/ree p*'es^eac^ons 


^^trjfi'/frr^sjf^ 


S^TjiMons  tfrpfoyes 


Formation  der  angreifenden  Kolonne  bei  Wagram. 


■B 


496  VII.   Taktik  der  Infanterie. 


Napoleon  attakierte  die  Oesterreicher  mit  32  Bataillonen  und 
24  Schwadronen  in  folgender  Ordnung:  auf  dem  rechten  Flügel  der 
entfalteten  Bataillone  stand  eines  hinter  dem  andern  in  Distanzen  von 
6  Schritt,  auf  dem  linken  die  Brigade  in  geschlossener  Kolonne  divisions- 
weise, im  Zentrum  8  entfaltete  Bataillone,  dahinter  die  24  Schwadronen 
in  geschlossenen  Kolonnen  regimenterweise,  unterstützt  durch  6  auf- 
gelöste Bataillone. 

Die  geschlossene  Kolonne  von  8000  Mann  unter  Führung  des  Mar- 
schalls Macdonald  wurde  durch  das  feindliche  Artillerie-  und  Gewehr- 
feuer vernichtet;  6600  Mann  blieben  auf  dem  Platze,  die  übrigen  wurden 
durch  das  Eintreflen  der  Divison  Davoust  gerettet,  welche  auch  das  Geschick 
der  Schlacht  entschied.») 

IrrMlirj^  Wenn  wir  den  Gang  der  weitern  Schlachten  der  Periode  des  Kaiser- 

angriff«    relchs  betrachten,  so  können  wir  nicht  umhin  zu  bemerken,  dass  die 

N^ieoM.  Franzosen  ihre  Siege  um  den  Preis  immer  grösserer  und  grösserer  Opfer 
erkaufen  mussten.  Das  erklärt  sich  einfach;  indem  sie  beständig  mit 
verschiedenen  Gegnern  Krieg  führten,  lehrten  sie  diese  allmählich  die 
Manöver  kennen,  durch  welche  die  Schlachten  gewonnen  wurden.  Aber 
in  dem  Maasse,  wie  die  Feinde  selbst  in  dieser  für  sie  schweren  Schule 
Fortschritte  machten,  musste  Napoleon  zu  immer  stärkeren  Mitteln,  zu 
immer  grösseren  Opfern  greifen.  In  Folge  dessen  trieb  er  immer  häufiger 
trotz  des  feindlichen  Feuers  seine  dichten  Infanterie -Kolonnen  zum 
Bajonnetangriff  oder  sandte  Kavalleriemassen  vor  und  verstärkte  die  Ar- 
tillerie zu  Massenwirkungen.  Das  Letztere  wurde  schon  deshalb  not- 
wendig, weil  die  Konskriptionen  endlich  die  Blüte  der  Bevölkerung  er- 
schöpft hatten  und  der  Bestand  der  Armee  im  Kampfe  weniger  zuverlässig 
wurde.*) 

Infanterie-  Charakteristisch  in  dieser  Hinsicht  waren  auch  seine  Maassregeln  in 

Attoke  bei  ^ 

waterioo.  sciuer  letzteu  Schlacht,  nämlich  bei  Waterloo.  Nachdem  Jeröme  die 
Attake  auf  Hain  und  Schloss  Germont  gegen  die  rechte  Flanke 
Wellingtons  geführt  hatte,  wurde  die  Attake  auf  die  linke  Flanke  der 
Engländer  zuerst  durch  das  Feuer  von  70  Geschützen  vorbereitet,  find 
dann  wurden  absatzweise,  von  links  nach  rechts,  die  Brigaden  und  3  Divi- 
sionen des  Korps  Erlon  vorgeschoben,  bataillonsweise  in  9  und  8  Gliedern 
aufgelöst,  eine  hinter  der  andern.  Die  Engländer  eröffneten  auf  diese 
dichten  Kolonnen  ein  furchtbares  Feuer,  welches  ihr  Vorgehen  zum  Stehen 
brachte;  die  englische  Kavallerie  warf  sich  auf  sie  und  würde  sie  er- 
drückt haben,  wenn  nicht  die  französische  Kavallerie  die  englische  von 


•)  Om^ga:  „L'art  de  combattre**. 

*)  „La  tactiqne  d'autrefois".  —  „Revue  de  TArm^e  beige". 


IBH 


Die  Taktik  Napoleons  und  deren  Einfluss  bis  zum  Srimkriege.  497 

beiden  Seiten  umfasst  hätte,  wobei  die  englischen  Regimenter  die  Hälfte 
ihrer  Eeiter  auf  dem  Platze  Hessen. 

Nach  dem  Missgeschick  der  Massen-Infanterie-Attake,  die  gewaltige  EiMeteen  der 
Opfer  kostete,  befahl  Napoleon  Ney  40  Schwadronen  Kürassiere  gegen  das  naeh 
Zentrum  der  feindlichen  Positionen  zu  werfen ;  die  Kürassiere  hieben  sich  ^*"^'°8^*°- 
teilweise  in  die  Reihen  der  englischen  Infanterie  ein,  aber  das  Gewehr- 
feuer  auf  nahen  Distanzen  zerrüttete  diese  Kavalleriemasse.  Darauf 
führte  noch  Kellennann  mehrmals  77  Schwadronen  zur  Attake  und  aber- 
mals mit  demselben  Resultat,  da  Napoleon  keine  freie  Infanterie  mehr 
hatte,  um  diese  Attaken  durch  Grewehrfeuer  gegen  das  feindliche  Feuer 
zu  unterstützen.  Daiauf  befahl  Napoleon  Ney,  den  Feind  mit  allen  übrig 
gebliebenen  Infanteriekräften,  einschliesslich  der  alten  Garde,  zu  attakieren, 
um,  koste  es,  was  es  wolle,  Wellington  zu  werfen,  da  sich  in  der  Ferne 
schon  Abteilungen  Blüchers  zeigten,  welche  Napoleon  jedoch  nicht  für  die 
Avantgarde  einer  ganzen  noch  unlängst  geschlagenen  Armee  hielt.  Aber 
die  Hauptkräfte  Blüchers  rückten  heran.  Der  Deutlichkeit  wegen  wollen 
wir  zeigen,  in  welcher  Form  das  Korps  Erlon  angriff,  bevor  Ney  die 
Macht  der  Engländer  zu  brechen  vermochte. 


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Formation  des  Korps  Erlon  bei  Waterloo. 

Das  Beispiel  Napoleons  hatte  auch  in  anderen  europäischen  Heeren  Müitiriwhe 
Nachahmung  sowohl  in  Bezug  auf  die  Taktik  als  auch  in  Bezug  auf  die  in  anderen 
militärische  Organisation  hervorgerufen.  ®*****°* 

Die  beste  militärische  Reform  hatte  Preussen  durchgeführt,  indem 
es  1814  die  allgemeine  Wehrpflicht  einfühi-te  mit  der  Teilung  des  Heeres 

Blocli,   Der  inkAnftiKe  Krieg.  32 


498  Vn.    Taktik  der  Infanterie. 


in  ein  stehendes  Heer  und  die  Landwehr  1.  und  2.  Aufgebots.  In  Oester- 
reich,  wo  früher  die  Dienstzeit  des  Soldaten  widerruflich  war,  wurde  sie 
auf  14  Jahre  festgesetzt  und  die  obligatorische  Wehrpflicht,  jedoch  nicht 
für  alle  Stände,  eingeführt;  die  Werbung  wurde  abgeschafft  und  eine  Land- 
wehr gegründet. 

In  Russland  waren  die  priveligierten  Stände  von  der  Rekrutierung 
frei  und  die  Dienstzeit  war  eine  10jährige.  Unter  Nikolai  I.  fing  man  an, 
die  Soldaten  auf  mderruflichen  Urlaub  zu  entlassen  und  die  faktische 
Dienstzeit  war  eine  16jährige.  Die  russischen  Regimenter  hatten  zur 
Zeit  der  Napoleonischen  Kriege  3  Bataillone,  jedes  zu  4  Kompagnien,  und 
waren  etwa  1000  Mann  stark.  In  der  Folge  wui'de  ein  viertes  Reserve- 
Bataillon  eingeführt. 

ver-  Wir  wollen  jetzt  einige  Daten  über  den  weiteren  Gang  der  Ver- 

di^" besserungen  in  der  russischen  Feuerwaffe  geben.  Nach  der  allgemeinen 
F^Mrwiffe.  Annahme  des  Infanteriegewehrs  des  französischen  Musters  1777  bis  1800 
machten  die  Schüttung  des  Pulvers  aus  dem  Hörn  und  das  Herausnehmen 
der  Kugel  aus  dem  Sack  dem  Gebrauch  von  Papierpatronen  Platz.  Bei  der 
Ladung  wurde  das  hintere  Ende  der  Patrone  abgebissen.  Dank  der  ver- 
stärkten Uebungen  wurde  die  Anzahl  der  Schüsse  in  der  Minute  auf  5 
und  selbst  auf  6  gebracht.  Es  wurden  auch  Kartätschpatronen  gebraucht, 
in  welche  statt  einer  grossen  Kugel  3  bis  4  kleinere  von  verschiedenem 
Gewicht  gelegt  wurden.  In  die  Patrone  wurde  zuerst  eine  geringe 
Quantität  Pulver  zur  Reserve  geschüttet,  welches  nach  dem  Abbeissen 
des  Bodens  der  Patrone  auf  die  Zündpfanne  fiel.  Das  führte  zu  dem  Uebel- 
stand,  dass,  je  nachdem,  wieviel  Pulver  sich  aus  der  Patrone  ausschüttete, 
die  Kraft  der  Ladung  sich  veränderte.  Die  Patrone  mit  der  Kugel 
passierte  frei  im  Laufe,  da  das  Geschoss  von  bedeutend  kleinerem  Kaliber 
war  als  der  letztere,  was  die  unvermeidliche  Anhäufung  von  Kohle  an 
einigen  Stellen  des  Laufes  zur  Folge  hatte. 

Erfiiidimgder  Die  Eutdcckung  des  Knall -Quecksilbers  durch   den  französischen 

"*    Chemiker  Bertholet  im  Jahre  1788  führte  nach  30  Jahren  zur  Erfindung 

des  Pistons.     Dieses    wurde  von  dem  Engländer  Josef  Apom  im  Jahre 

1818  vorgeschlagen  und  sogleich  in  der  englischen  und  der  französischen 

Armee  und  bald  auch  in  allen  anderen  eingeführt. 

N<mM  fhui-  Frankreich  stellte  1822  ein  neues  Gewehrmodell  auf,  welches  von 

intotorie-  demjenigen  von  1777/1800  nur  wenig  abwich;  die  hauptsächlichste  Aen- 

oewehr  182S.  ^j^pußg  bcstaud  iu  Adaptiemug  des  Perkussionsschlosses  für  Zündhütchen. 
(Französisches  Infanteriegewehr,  Mod.  1822.) 

DrejwBchei  Weitere  Vervollkommnungen  waren  die    Einführung  gewundener 

Züodoftdel- 

gewehr  in  Gcwehrläufe  und  die  Hinterladung  der  Gewehre.    Das  Zündnadelgewehr, 

Preoasen. 


Die  Taktik  Napoleons  uud  deren  fiinfluss  bis  zum  Krimkriege.  499 


das  von  hinten  geladen  wird,  wurde  1836  von  Dre3^se  vorgeschlagen  und 
1841  in  der  preussischen  Armee  eingeführt. 

Die  russischen  Infanterie -Gewehre  dieser  Zeit  zerfielen  in  Linien-      ^»\ 

rasaMOnen 

und  Schützen-Gewehre.  Die  gezogenen  Gewehre  wurden  zuerst  (seit  1854)  H»ndfeuer- 
bei  den  Schützenabteilungen  eingeführt.  Das  glattläufige  Linien-Gewehr  dTierzeit 
des  Musters  1845  war  französischen  Typus  und  hatte  das  18,3-Millimeter- 
Kaliber.  Zuerst  versuchte  man  die  glattläufigen  Gewehre  mit  Geschoss- 
zügen zu  versehen,  kam  aber  hiervon  bald  ab,  und  erst  zu  Ende  des  Jahres 
1854,  als  der  Krimkrieg  schon  in  vollem  Gange  war,  wurde  das  Muster 
des  neuen  gezogenen  Gewehrs  bestätigt. 

Und  so  traten  die  russischen  Truppen  in  den  Krimkrieg  mit  dem 
glattläufigen  Gewehr,  dessen  Kugeln,  wie  Graf  Kisselew  in  seinen 
Memoiren  sagt,  auf  der  halben  Entfernung  von  der  feindlichen  Linie 
nur  den  Staub  aufwirbelten,  während  die  gezogenen  Gewehre  der  Ver- 
bündeten noch  bis  in  die  Reserven  hineinschlugen.  Ausserdem  war  auch 
die  Taktik  in  der  russischen  Armee  die  frühere,  noch  auf  die  Wirkung 
der  glattläufigen  Gewehre  berechnete  geblieben,  während  man  es  jetzt 
mit  einem  Gegner  zu  thun  hatte,  der  über  eine  weit  bessere  Waffe,  d.  h. 
das  gezogene  Gewehr,  verfügte.  Der  türkische  Krieg  Russlands  in  den 
Jahren  1828  bis  1829,  der  polnische  Krieg  von  1830  bis  1831,  der  Aufstand 
Schleswig -Holsteins  gegen  Dänemark  in  den  Jahren  1848  bis  1850,  die 
italienischen  Feldzüge  Radetzki's  und  der  russisch-ungarische  Feldzug 
waren  ohne  irgend  einen  merkbaren  Einfiuss  auf  die  Taktik  ge- 
blieben. 

Im  Krimkriege  verfügten  die  Franzosen  bereits  über  neue  taktische   ^^^J,"  ^^ 
Methoden,  die  durch  das  gezogene  Gewehr  bedingt  waren.    Obgleich  dieM«*^»<>dender 
Franzosen  bei  der  Attake  noch  nicht  Kompagnie-Kolonnen  aufstellten,  so  Krimkriege™ 
wandten  sie  doch  beständig  die  aufgelöste  Formation  an,  deren  Vorzug '"y^^enel'*' 
vor  den  tiefen  Kolonnen  der  russischen  Truppen  sofort  zu  Tage  trat.    ^^^^^J»^«- 
Die  Engländer  folgten  freilich  der  alten  Taktik  und  erlitten  nur  des- 
halb nicht  Niederlagen,  weil  auch  der  Gegner  mit  veralteten  Methoden 
operierte,  s) 

Die  Taktik  der  französischen  Truppen  war  folgende:  die  Infanterie 
formierte  sich  in  2  Bataillonslinien,  jede  zu  3  Gliedern,  die  von  einander 
40  Meter  abstanden;  die  Intervalle  zwischen  den  Bataillonen  betrugen 
24  Schritt,  Intervalle  zwischen  den  Kompagnien  bestanden  nicht.  Die 
grosse  taktische  Formation  wurde  durch  die  Division  aus  12  Bataillonen 
hergestellt,  6  in  der  ersten,  6  in  der  zweiten  Linie,  wobei  die  Reserven 
häufig  aus  einer  anderen  strategischen  Einheit  gebildet  wurden. 


*)  Boguslawski:    „Die  Fechtweise  aller  Zeiten". 

32' 


500  '^^H-    Taktik  der  Infanterie. 


In  den  Intervallen   der  Bataillone   nahm  die  Artillerie  Stellung; 

4 

die  Kavallerie   placierte  sich  selbständig   auf   einer   der  Flanken   der 
Divisionsformation. 


n  lo 


Formation  der  französischen  Division  in  2  aufgelösten  Linien. 

Für  den  Angriff  auf  dem  Marsche  formierte  sich  die  Division  in 
Bataillonslinien  in  Massen  oder  Kolonnen  in  2  Linien  mit  Intervallen  von 
24  Schritt,  eine  von  der  anderen  mit  halben  Abständen. 

6  S  4  S  S  1 


11  11  10  9 


Formation  der  französischen  Division  in  2  Bataillonslinien  in  Massen« 


Eine  von  den  2  Bataillonslinien  in  Halbteiltmg. 

So  beschaffen  war  die  in  der  französischen  Infanterie  angenommene 
Kampfordnung.    Im  Krimkriege  jedoch  begannen  die  Franzosen  die  For- 
mation in  2  Gliedern  anzuwenden. 
K»inpf-  In  dem  Werke  „Prfecis  historique  de  Tinfanterie  fran^aise"^)  wird 

*^'  ™  die  zu  jener  Zeit  gebräuchliche  Kampfordnung  in  der  russischen  Armee 
™ArmM°  folgendermaassen  beschrieben:  die  Grundformation  in  der  Infanterie  war 
zur  Zeit  des  (He  dreigliedrige.  Auf  das  Bataillon  kamen  nur  96  Tirailleurs  (Scharf- 
schützen), die  übrigen  waren  im  Schiessen  in  zerstreuter  Formation  nicht 
ausgebildet.  Die  Kampfordnung  für  die  grossen  Truppeneinheiten  war 
durch  das  Reglement  vorgeschrieben,  gewissermassen  ein  Misstrauens- 
beweis  für  die  persönlichen  Fälligkeiten  der  Führer. 

Diese  Kampfordnung,  der  die  Kraft  des  russischen  Gewehrs  zu 
Grunde  gelegt  war,  hätte  offenbar,  um  grosse  Menschenverluste  zu  ver- 
meiden, angesichts  des  Vorzuges  der  feindlichen  Waffe  abgeändert  werden 


«)  Paris  1891. 


Die  Taktik  Napoleons  und  deren  Einfluss  bis  zum  Krimkriege.  501 


müssen,  aber  das  war  mit  dem  Eeglement  unvereinbar,  und  so  blieb  sie, 
wie  der  französische  Autor  hervorhebt,  bis  zu  Ende  des  Krieges  bestehen. 
Die  Folge  hiervon  war,  dass  das  von  der  Infanterie  bewiesene  Stand- 
halten zu  ausserordentlichen  Verlusten  führte.  Eine  Episode  aus  der 
Schlacht  an  der  Alma  spricht  deutlich  genug. 

Nachdem  die  Division  Canrobert  sich  auf  dem  hohen  Terrain  ent-  ^«1^*«  *«' 

rasfliBcnen 

wickelt  und  die  Division  Napoleon  die  Alma  durchschritten  hatte,  gingen  Infanterie  in 
auch  die  Engländer  zum  Angriff  vor.  Im  russischen  Zentrum  zurück- »raer  Ai^a! 
geschlagen,  hatten  sie  zwar  einen  Bajonnetangrift  der  Russen  abgewiesen 
und  sich  hierbei  eines  Batterie -Epaulements  bemächtigt.  Ein  neuer 
Bajonnetangriff  der  russischen  Infanterie  aber  warf  sie  nicht  blos  aus  der 
Schanze  wieder  hinaus,  sondern  trieb  sie  auch,  in  schon  beginnender  Un- 
ordnung, der  Alma -Brücke  zu.  Inzwischen  formierten  die  Franzosen 
schnell  eine  Batterie  von  24  Geschützen  und  fassten  die  russische 
Infanterie  in  der  Flanke,  wodurch  besonders  das  tapfere  Regiment 
Wladimir  litt,  das  fast  alle  seine  höheren  Offiziere  verlor  und  endlich  ins 
Wanken  kam.  Von  den  Engländern,  die  sich  wieder  gesammelt  hatten, 
verfolgt,  setzten  sich  die  Trümmer  des  tapferen  Regiments  in  der  eben 
von  ihnen  zurückgewonnenen  Schanze  fest  und  behaupteten  sich  da- 
selbst im  konzentrischen  Feuer  der  Franzosen  und  Engländer,  als  der 
allgemeine  Rückzug  befohlen  wurde. 

Das  Regiment  hatte  ausser  seinem  Kommandeur  3  BataiUons- 
kommandeure,  14  Rottenkommandeure,  30  Subalternoffiziere  und  1900  Ge- 
meine verloren.  Im  Ganzen  betrug  der  Verlust  der  Russen  an  diesem 
Tage:  23  Stabs-,  170  Ober-Offiziere  und  mehr  als  6600  Gemeine.  Die 
Verbündeten  verloren  nach  ihren  eigenen  Angaben  3300  Mann,  wovon  der 
grösste  Teil  auf  die  Engländer  kam. 

Die  speziellen  Ursachen  des  unglücklichen  Ausganges  dieser  Schlacht  ünachen  iw 
waren:  die  numerische  Ueberlegenheit  der  Verbündeten  und  die  unter-  En«ent 
bliebene  Verstärkung  der  russischen  Stellung  durch  fortifikatorische  Nach-  ^i^^n^° 
hilfe.     Ausserdem  sprachen  aber  hier  auch  die  allgemeinen  Gründe  mit, 
die  bei  anderen  Schlachten  während  dieses  Krieges  ebenfalls  hervortraten : 
die  Ungleichheit  in  der  Bewaffnung  und  in  der  Ausbildung  der  Truppen. 
Während   in   den  westeuropäischen  Heeren   schon   damals   die   Haupt- 
aufmerksamkeit auf  die  Ausbildung  im  Schiessen  gelenkt  war,  überwog 
in  der  russischen  Armee  noch  immer  die  mechanische  Genauigkeit  in  den 
Frontexerzitien,  die  Thätigkeit  in  dichten  Massen  und  der  Glaube  an  die 
Suworow'sche  Tradition  von  der  Unüberwindlichkeit  des  Bajonnets,  mit 
einem  Wort,  es  herrschten  hier  Verhältnisse,  welche  den  neuen  angesichts 
des  verbesserten  Gewehrs  zu  machenden  Forderungen  nicht  mehr  ent- 
sprachen. 


502  ^^I-    Taktik  der  Infanterie. 

Wie  sehr  die  in  der  rassischen  Armee  angewandten  taktischen 
Methoden  ihren  Zweck  verfehlten,  zeigt  deutlich  folgende  Zeichnung, 
die  wir  dem  Werke  von  Om^ga  „L'art  de  combattre"  entnehmen. 
Diese  Zeichnung  veranschaulicht  die  Angrifisordnung  der  russischen 
Truppen  in  einer  anderen  Schlacht,  der  Schlacht  hei  „Tschernaja 
Rjetschka". 


Angriffsordnung  (ier  msaischen  Tmppen  in  der  Schinclit  bei  Tschemajn  Kietachkn. 

^'"'tl'"  ''■t'  Angesichts  der  russischen  und  italienischen  Batterieen,  die  anf  dem 

RjetaebkiL  hohen  Uttkcn  Ufer  postiert  waren,  rttckt  die  russische  Infanterie  in  dichten 
Kolonnen  gegen  den  Flnss  vor,  um  den  Feind  in  der  rechten  Flanke  zu 
fassen  und  ihn  nach  links  dem  Meere  zu  hinzudrängen.  Aber  das  Artillerie- 
feuei'  von  den  feindlichen  Positionen  (besondeis  von  den  italienischen) 
nnd  selbst  das  Infanteriefeuer  bei  seiner  verhältuismässigen  Treffweite 
der  gezogenen  Gewelire  rief  unter  den  russischen  Kolonnen  solche  Ver- 
heerung hervor,  dass,  wie  der  französische  Autor  nach  den  Worten  von 
Augenzeugen  versichert,  die  Franzosen  selbst  nicht  gleichmüthig  anf 
dieses  Bild  blicken  konnten.  Er  fUgt  hinzu,  dass  gegenwärtig  die 
russischen  Militärs  erstaunt  darüber  sind,  wie  man  auf  den  Gedanken 


Die  Taktik  Napoleons  und  deren  Einflnss  bis  zum  Krimkriege.  503 


kommen  konnte,  in  einer  solchen  Schlachtordnung,  vor  sich  einen  Fluss, 
auf  erhöht  liegende  Positionen  einen  Angriff  zu  wagen. 

Früher  ward  schon  erwähnt,  dass  die  praktische  Erfahrung  die  ^^-^^J^"»«? 
russische  Regierung  noch  vor  Beendigung  des  Krimkrieges  veranlasste,  sich  gewgenen 

,  06weim  in 

mit  der  Einführung  des  gezogenen  Gewehrs  in  möghchst  kurzer  Fnst  zu  sasaund. 
beschäftigen. 

In  denselben  Fehler,  wie  die  russischen  Truppen  in  den  Jahren  1853  ^^^^^ 
bis  1866,  verfielen  auch  die  Oesterreicher  im  Kriege  von  1859  mit  Frankreich  Taktik  nacii 

EinfOhrang^ 

und  Sardinien,  nur  in  umgekehrtem  Sinne.  Die  Oesterreicher  hatten  d«r 
gleichfalls  nicht  ihre  Taktik  mit  der  neuen  Waffe  und  den  damals  in  %°^nd-*° 
den  andern  Armeen  bereits  eingeführten  Methoden  in  Uebereinstimmung  Fo^^^waffen. 
gebracht.  Die  Oesterreicher  besassen  gezogene  Gewehre,  vertrauten  aber 
zu  viel  auf  deren  Wirkung  und  hielten  sich  deshalb  systematisch  in  der 
Defensive;  ausserdem  hatten  sie  auf  die  Verwendung  von  Tirailleurs  nicht 
genügend  Wert  gelegt.  Die  Franzosen  hatten  sich  aus  ihren  Kriegen 
in  Algier  die  Praxis  eines  beständigen  offensiven  Vorgehens  angeeignet: 
sie  entwickelten  hierbei  die  Schützenmassen  soweit,  dass  die  ganze  erste 
Kampf  linie  sich  in  Schützenketten  auseinanderzog,  welche,  auf  dem  Boden 
liegend,  den  Feind  mit  Kugeln  überschütteten,  während  die  Bataillone 
der  zweiten  Linie  sich  zu  Sturmkolonnen  zusammenschlössen.  Endlich 
verstanden  es  die  Oesterreicher  nicht,  ihre  Taktik  derart  abzuändern, 
um  irgendwie  den  Vorzug  der  französischen  gezogenen  Geschütze  zu 
paralysieren.  Die  Artilleriegeschosse  der  Franzosen  flogen  Dank  der 
Treffweite  der  Geschütze  über  die  Köpfe  der  ersten  feindlichen  Linien 
hinweg,  schlugen  in  die  B^serven  ein  und  brachten  dort  gewaltige  Ver- 
luste hervor. 


Wirkung  der  gezogenen  G-eschütze  bei  Magenta. 

Ihrerseits   hatten   sich   die   Franzosen  aus  den  Erfahrungen   der  weitere  ver- 
Oesterreicher  überzeugt,  dass  das  damalige,  obgleich  auch  schon  gezogene   nung  des 
Gewehr,  die  Infanterie  allen  gezogenen  Geschützen  gegenüber  in  eine  zu  ^°^°«"ili 
ungünstige  Lage  versetzt  und  sogleich  nach  dem  Kriege  von  18B9,  welcher  Frankreich, 
vor  Eroberung  des  Gebiets  von  Venedig  in  Folge  der  Mobilmachung  des 
preussischen   Heeres   eingestellt  wurde,   beauftragte   Napoleon  IH.    ein 
besonderes  Comite  damit,  die  Frage  der  Vervollkommnung  des  Gewehrs 
zu  prüfen. 


504  Vn.    Taktik  der  Infanterie. 


KinfiüiraBg  des  Sucheii  iiach  einem  neuen  Gewehrtypus  dauerte  in  Frankreich 

dos 

ciuuwepot.  bis  1866,  wo  das  Gewehr  des  Musters  Chassepot  eingeführt  und  im  Jahre 
ew«  «.    jggg  ^^^  ^^^  System  Schmit  etwas  verändert  wurde.    Zu  Beginn  des 

Krieges  1870/71  besass  Frankreich  1 037  000  Chassepot-Gewehre. 
Krieg  der  Der  Krieg  zwischen   den  Süd-  und  Nord-Staaten  der  Nordameri- 

Nord^tai^D  kanischen  Republik  in  den  Jahren  1861 — 1865  ist  sehr  lehrreich,  da  zu 
in  Amerika,  ^f ^ng  ^j^g  Kricgcs  keiue  der  beiden  Seiten  über  reguläre  Truppen  ver- 
fügte. In  der  ersten  Schlacht  bei  Buls-Run  wandten  sich  die  kurzer  Hand 
gesammelten  Freiwilligen  der  Nordstaaten  vor  den  Truppen  des  Südens, 
welche  über  einige  Führer  mit  militärischer  Bildung  verfügten,  rasch  zur 
Flucht.  Aber  der  Krieg  selbst  schafft  Soldaten  und  Heerführer.  In 
diesem  Kriege  kamen  einige  neue  technische  Hilfsmittel  zur  Verwendung. 
Die  geringe  Ausbildung  beider  Heere,  ihre  geringe  Beweglichkeit  ver- 
anlassten die  häufige  Verwendung  von  Feldschanzen.  Die  Schlachten 
waren  langwierig,  blutig  und  wenig  entscheidend.  Den  bemerkens- 
wertesten Zug  in  diesem  Kriege  bieten  die  Kavallerie -Raids  auf  weite 
Entfernungen  hin,  bei  welchen  die  Kavallerie,  indem  sie  selbständig 
operierte,  durch  die  Feuerwaffe  wirken  musste,  was  in  der  Folge  auch 
in  den  europäischen  Heeren  Anlass  zur  Aenderung  der  Bestimmung  der 
Kavallerie  gab.^) 
Krieg  der  Der  Krieg  der  Preussen  und  Oesterreicher  gegen  Dänemark  bot  vor 

'oester-    allem  eine  solche  Ungleichheit  der  Kräfte,  dass  auch  ohne  den  Vorzug 
"dil"  nSeT  ^^^  Bewaffnung  und  der  taktischen  Methoden  die  Verbündeten  das  kleine 
1864.     dänische  Heer  natürlich  hätten  erdrücken  müssen.    Es  ist  jedoch  zu  be- 
merken, dass  das  üebergewicht  der  preussischen  Zündnadelgewehre  über 
die  dänischen  von  der  Mündung  aus  zu  ladenden  Gewehre,  in  diesem 
Erfolge  dee  Kriege  klar  zu  Tage  trat.    Ein  Beispiel  hierfür  nehmen  wir  aus  der 

ZQndnadel-  o  --ü  f 

gewehn.  Schlacht  bci  Lundby.  Eine  zur  Attake  vorgehende  Kolonne  von  200  Dänen 
geriet  unter  das  Feuer  von  nur  70  preussischen  Zündnadelgewehren,  die 
in  10  Minuten  760  Kugeln  abschössen,  und  verlor  in  dieser  Zeit  die 
ganze  Hälfte  ihres  Bestandes.  In  der  Angriffsweise  in  dichten  Kolonnen 
folgten  die  Dänen  nur  dem  Beispiel  der  Oesterreicher.  Der  Vorzug  des 
Zündnadelgewehrs  zeigte  sich  besonders  bei  dem  Sturm  auf  die  Düppeler 
Schanzen,  wo  die  angreifenden  Verbündeten  nur  1180  Mann  verloren,  die 
sich  in  den  Verschanzungen  haltenden  Dänen  —  5000  Mann. 

Die  Oesterreicher  gingen  gegen  die  Dänen  erfolgreich  in  tiefen 
Kolonnen  vor,  aber  dies  nur  deshalb,  weil  die  dänische  Infanterie  un- 
genügend ausgebildet  und,  wie  schon  erwähnt,  noch  mit  von  der  Mündung 
aus  zu  ladenden  Gewehren  bewaffnet  war.    Der  Erfolg  in  diesem  Falle 


^)  Boguslawski:    „Die  Fechtweise  aller  Zeiten". 


Die  Taktik  Napoleons  und  deren  Einfloss  bis  zum  Krimkriege.  505 


bestärkte  die  österreichischen  Generale  in  ihrer  üeberzeugung  von  dem 
Vorzug  der  Attake  in  Massen,  die  ihnen  das  Beispiel  der  Franzosen  im 
Jahre  1859  gegeben  hatte.  Aber  diese  Ansicht  hat  sich  als  völlig  falsch 
herausgestellt,  als  es  sich  um  den  Angriff  eines  mit  dem  Zündnadelgewehr 
ausgerüsteten  Gegners  handelte.    Im  Kriege  1866  mit  Preussen  warfen  Krieg  isce 

swischon 

sich  die  Oesterreicher  auf  den  Gegner  beständig  in  Massen-Attaken,  aber  Preassen  und 
die  Zündnadelgewehre  brachten  ihren  dichten  Kolonnen  die  grössten  Ver-  ^~**'"**'^- 
luste.  Der  preussische  Generalstab  hatte  es  verstanden,  aus  den  Bei- 
spielen der  Jahre  1867  und  1869  rechtzeitig  den  Schluss  zu  ziehen,  dass 
die  Attake  unumgänglich  mit  Hufe  einer  starken  Kette  von  Scharfschützen 
auszuführen  sei,  die  durch  Kompagnie-Kolonnen  unterstützt  werden.  Zu- 
gleich hatte  das  preussische  Kriegsministerium  erkannt,  dass  der  Haupt- 
wert des  Infanteriefeuers  in  ununterbrochenen  Salven  besteht,  deren 
Möglichkeit  von  der  Ladeschnelligkeit  der  Gewehre  abhängt.  Diese  Auf- 
gabe war  dui'ch  die  Einführung  des  Zündnadelgewehres,  das  von  hinten 
geladen  wird,  in  der  preussischen  Armee  gelöst  worden. 

Noch  vor  dem  Kriege  von  1866  mit  Oesterreich  formierte  sich  die  MaMeiwtos« 

,  u.  B^jounet- 

preussische  Infanterie  zu  Attaken  bereits  m  Kompagnie-  und  Halb-  angriff 
bataiUons-Kolonnen,  die  Oesterreicher  aber  fuhren  fort,  vor  allem  an  die  leTzand'- 
Kraft  des  Massenstosses  und  an  den  Bajonnetangriff  zu  glauben.  Obgleich  JJ^j^®'"!^/ 
die  österreichischen  Offiziere  Zeugen  des  Vorgehens  der  Preussen  in  dem 
dänischen  Kriege  waren,  so  blickten  sie  doch  in  ihrem  Vorurteil  mit 
Verachtung  auf  die  „gelehrten"  taktischen  Methoden  ihrer  Verbündeten. 
Diese  letzteren  sahen  gleichfalls  die  österreichische  taktische  Eoutine  in 
der  Praxis,  und  nachdem  sie  bald  aus  Verbündeten  Oesterreichs  zu  dessen 
Feind  geworden  waren,  verstanden  sie  es,  ihre  Erfahrung  in  jeder  Hin- 
sicht auszunutzen.  Und  wirklich  wurden  in  den  Schlachten  von  1866 
die  geschlossenen  attakierenden  Kolonnen  der  österreichischen  Infanterie 
von  einem  ununterbrochenen  Feuer  der  Zündnadelgewehre  überschüttet 
und  trotz  der  ganzen  Wucht  ihres  Andrangs  hielten  sie  doch,  selbst  wenn 
sie  die  Positionen  des  Gegners  erreicht  hatten,  endlich  nicht  aus,  ge- 
rieten in  Unordnung  und  zogen  sich  unter  einem  unerschöpflichen  Hagel 
der  preussischen  Kugeln  zurück. 

Eine  andere  Sonderheit  der  preussischen  Taktik  war  ihr  Streben,    Fianken- 

/»  T>    •       •  angriffe  — 

auf  die  Flanken  des  Gegners  zu  wirken  und  ihn  zu  umfassen.  Bei  einer  Sonderheit 
starken  Wirkung  des  Frontfeuers  fand  diese  Taktik  auch  schon  im^XnTa'kük. 
Jahre  1866  ihre  Rechtfertigung.  In  der  Schlacht  bei  Königgrätz  ent- 
wickelte sich  die  Umfassung  des  Gegners  charakteristisch  auf  das  erste 
Kommando  aus  dem  konzentrischen  Aufmarsch  der  preussischen  Armee 
gegen  die  Oesterreicher.  Die  österreichische  Armee,  216000  Mann 
stark,  war  am  1.  Juli  vom  Feldzeugmeister  Benedek  bei  Königgrätz  zu- 


506 


YH    Taktik  der  Infanterie. 


sehiMht  bei  jgammengezogen.  Die  preussische  Armee,  220000  Mann  stark,  stand  an 
diesem  Tage  mit  ihren  Hauptmassen  auf  der  Linie  Smidar-Gradlitz.  Am 
folgenden  Tage  überzeugten  sich  die  Preussen  davon,  dass  sehr 
bedeutende  Kräfte  der  Gestenreicher  noch  vor  der  Elbe  standen. 
Im  preussischen  Stabe  wurde  nunmehr  folgende  Disposition  getroffen. 
Die  1,  Armee  geht  gegen  die  Front  der  österreichischen  Truppen  vor, 
deren  Stand  man  hinter  dem  Flusse  Bystritz  annahm,  die  2.  preussische 
Armee  attakiert  ihre  rechte  Flanke  und  endlich  geht  die  Elb- Armee 
gegen  ihre  linke  Flanke  in  der  Richtung  auf  Nachanitz  vor.  Die  öster- 
reichische Armee  entfaltete  sich  am  Morgen  des  3.  Juli  auf  der  Linie 
Prim-Lipa-Gorenowes. 

Die  von   beiden   Seiten   um   IIV3  Uhr   Morgens   eingenommenen 
Positionen  sind  auf  der  folgenden  Zeichnung  angegeben. 


i 


T 


^i 


^ 


5C 


^tJfriU 


itofiooä 


Eampfistellang  der  Gegner  bei  Königgrätz. 

Die  Stellang  der  dsterreichleobeii  Corps  (C)  und  Dirieionen  (D)  ist  becelchnet  mit 

die  der  prenasisclieii  mit 


Gegen  4  Uhr  Nachmittags  machte  sich  das  volle  Zurückweichen  der 
österreichischen  Armee  entschieden  bemerkbar.  Die  Verluste  der  Oester- 
reicher  in  dieser  Schlacht  betragen  —  44000  Mann,  daranter  13000,  die 


Die  Taktik  Napoleons  und  deren  Einfluss  bis  zum  Krimkiiege.  507 

gefangen  genommen  wurden,  so  dass  auf  ihre  216  000  Mann  —  2OV2  % 
Verlust  kamen;  der  Verlust  der  220000  Mann  starken  Preussen  (von 
denen  jedoch  nur  160000  Mann  wirklich  an  der  Schlacht  teilgenommen 
hatten)  betrug  9000  Mann,  d.  h.  4  %.») 

Hier  wollen  wir  erwähnen,  dass  die  Resultate  der  Kriege  der  Jahre  Einffthrung 

d68 

1864  und  1866  sofort  auch  das  russische  Eriegsressort  veranlassten,  im  zAndnadei- 
Jahre  1867  das  Ztindnadelgewehr  einzufuhren.  Die  russische  Armee  hatte  '^^"^^  *° 
im  Jahre  1860  gezogene  Pistongewehre ,   welche  bis  6,5  Schuss  in  der  ™**/,'J;I'" 
Minute  gaben.    Was  das  Prozentverhältnis  der  Treffer  mit  diesem  Ge- 
wehr anbetrifft,  so  ergab  sich  Folgendes: 

Schiessergebnis: 

auf  Schritt 100  200  300  400  600  600  700  800  900  1000  1100  1200 

Trefferprozente         100  99    97    94    94    84    84    75    65     64     44  '  37 

Aber  nach  den  Erfahrungen  des  dänischen  und  des  preussisch-  ^**^" 
österreichischen  Krieges  wurde  in  der  russischen  Armee  das  Carley- 
Gewehr,  das  auf  dem  früheren  Grieck- System  beruht,  angenommen.  Dieses 
war  das  Zündnadelgewehr  des  Musters  1867.  Die  von  dem  Obrist 
Weltischtschew  tiir  dieses  Gewehr  konstruierte  Patrone  enthielt  das 
Mini6-Geschoss  in  sich.  Die  Schiessschnelligkeit  dieses  Gewehrs  in  der 
Front  war  8  bis  9  Schüsse  in  der  Minute.  Darauf  wurde  im  Jahre  1869 
zur  Umarbeitung  der  früheren  Gewehre  nach  dem  neuen  Crieck- System 
geschritten;  der  grösste  Teil  der  Truppen  der  westlichen  und  südlichen 
Bezirke  erhielt  auch  diese  neuen  Gewehre,  die  weitere  Umarbeitung  der 
vorhandenen  Gewehre  wurde  aber  eingestellt  und  im  Jahre  1871  be- 
schlossen, das  ganze  Heer  allmählich  mit  einem  noch  schneller  feuernden 
Gewehr  von  verhältnismässig  kleinem  Kaliber,  dem  Berdan- Gewehr,  ^^^^' 
auszurüsten.  Eine  gewisse  Anzahl  wurde  bei  dem  Erfinder  des  Gewehres 
bestellt  und  mit  diesen  ersten  Berdangewehren  zunächst  die  Truppen  des 
Gardekorps  ausgerüstet.  Um  aber  die  ganze  Armee  mit  ihnen  zu  ver- 
sorgen, wurde  ein  Umbau  der  Tula'schen  Waffenfabrik  in  Angriff  ge- 
nommen. Der  Krieg  von  1877  traf,  wie  bekannt,  die  russische  Armee  mit 
Ausnahme  des  Gardekorps  noch  mit  dem  alten  Gewehr. 

Napoleon  III.  bereitete  sich  bekanntlich  seit  dem  Jahre  1866  zum  ,   y<>'- 

"^  bereitangen 

Kriege  mit  Preussen  vor,  aber  nichtsdestoweniger  hatte  man  es  in  der  ^^^^"^^ 
französischen  Armee    nicht   verstanden,   sich    die  Lehren  des   Krieges  "»»  Kriege 

'  °  gegen 

von  1866  zu  Nutze  zu  machen.  PreuBeen. 

In  der  Instruktion  über  die  Operationen   auf  dem  Schlachtfelde    n«««!»- 

fltmktioB  fQr 

propagandierte  Marschall  Niels  als  Grundidee  die  Bajonnet-Attake  mit    Bi^oiuiefc- 
starken  Kolonnen,  mit  einer  kleinen  Anzahl  von  Tirailleurs  von  2  Kom-     ^^^^' 

®)  Boguslawski:    „Die  Fechtweiso  aller  Zeiten^*. 


508  Vn.   Taktik  der  Infanterie. 


pagnien  von  jedem  aas  6  Kompagnien  bestehenden  Bataillon.  Diese 
Direktiven  wurden  in  Broschürenform  in  Metz  gedruckt  und  im  Jahre 
1870  unter  die  Offiziere  verteilt.  Noch  schlimmer  aber  war,  dass  die 
französischen  Offiziere,  die  nichts  als  ihre  Routine  besassen,  sich  nicht 
darüber  klar  zu  werden  vermochten,  was  eigentlich  in  diesen  Direktiven 
als  das  Wichtigere  hingestellt  wurde:  die  Aussendung  eines  Drittels  der 
Mannschaften  in  die  Schützenketten  und  der  Beginn  der  Attake  erst 
nach  einer  genügenden  Wirkung  ihres  Feuers  oder  die  Unumgänglichkeit, 
hauptsächlich  in  starken  Kolonnen  zur  Attake  zu  gehen. 

Mitraii-  In  der  französischen  Artillerie  waren  Mitrailleusen  eingeführt,  aber 

die  Art  ihrer  Thätigkeit  wurde  so  geheim  gehalten,  dass  die  Artillerie- 
Bedienung  mit  der  Verwendung  dieser  Geschütze  nicht  genügend  vertraut 
war.  Im  Allgemeinen  führte  die  Feld -Artillerie  Geschütze  des  Systems 
la  Guittot,  die  weit  trugen,  aber  von  der  Mündung  aus  geladen  wurden 
und  in  Bezug  auf  Treftsicherheit  nicht  befriedigten. 

verbease-  In  der  Armcc  des  Norddeutschen  Bundes  hatte  man  sich  schon  die 

rangen  in  der 

dentschen  Ncuerungen  angeeignet,  welche  für  die  Franzosen  in  dem  Kriege  1870 
Armee,  mj^j^ai^et  warcu.  Die  deutsche  Infanterie  wai*  freilich  bei  dem  Zünd- 
nadelgewehr  geblieben,  welches  dem  Chassepot-Gewehr  bedeutend  nach- 
stand und  nur  die  bairische  Infanterie  war  mit  Selbstladem  des  Systems 
Werder  ausgerüstet,  aber  in  der  Artillerie  waren  nicht  nur  glattläufige 
Kanonen  und  Haubitzen,  sondern  auch  vervollkommnete  Hinterlader- 
Geschütze  vorhanden;  die  Geschosse  bestanden  aus  Granaten  und 
Kartätschen,  Shrapnels  wurden  nicht  mitgeführt,  ö) 

Noch  grössere  Bedeutung  hatte  die  neue  Taktik  der  deutschen 
Artillerie,  deren  Thätigkeit  in  den  Schlachten  zum  entscheidenden  Faktor 
wurde,  während  ein  Kavallerienetz,  dass  der  Hauptarmee  voranging,  die 
strategischen  Erfolge  vorbereitete,  lo) 

wichügstes  Als  höchstes  taktisches  Prinzip  galt  im  deutschen  Heere  die  Regel 

PrinJp  Im  „getrennt  marschieren,  vereint  schlagen".  Diese  Regel  war  keine  neue 
^Hwre*"  Erfindung,  faktisch  hatte  sie  schon  Napoleon  I.  angewandt  und  Moltke 
gab  diesem  Prinzip  entsprechend  den  Verhältnissen  der  Neuzeit  (Massen- 
heere, Richtung  und  Endpunkte  der  Eisenbahnen)  nur  noch  grössere  Ent- 
wickelung.  Die  hohe  militärische  Bildung  der  preussischen  Generale,  das 
Vertrauen  des  Hauptführers  zu  ihrer  selbständigen  Initiative  und  die  gute 
Ausbildung  der  Truppen  rechtfertigten  die  Anwendung  der  erwähnten 
Regel  sowohl  1866  wie  1870  vollkommen. 


*)  Boguslawski:  „Die  Fechtweise  aller  Zeiten". 
^^)  Waldor  de  Heusch:  „Tactique  d'autrefois". 


Die  Taktik  Napoleons  und  deren  Einfiuss  bis  zum  Krimkriege. 


509 


Getrennt  zu  marschieren  war  unerlässlich ,  da  es  unmöglich  war, 
längere  Zeit  hindurch  Massen  von  500000  bis  600000  Mann  eng  bei  ein- 
ander zu  halten  sowohl  mit  Eücksicht  auf  deren  Verpflegung  und  Unter- 
kunft als  auch  wegen  der  Schwierigkeit  und  Langsamkeit  der  Vorwärts- 
bewegung gegen  den  Feind,  wenn  die  Heere  allzu  nahe,  eines  bei  dem 
andern,  stehen.  Eine  gewisse  Ausdehnung  der  Front  erscheint  uner- 
lässlich sogar  bei  der  Vorwärtsbewegung  getrennt  operierender  Ab- 
teilungen.   Dies  sei  durch  eine  Zeichnung  erläutert. 


Getrennt 
marscbiren 
—  vereint 

schlagen. 


E. 


F. 

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B 

K 

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G. 


Form  der  Konzentration  2sum  Kampfe. 


Nehmen  wir  an,  die  Abteilung  marschiert  in  4  Kolonnen  A,  B,  C,  D, 
entdeckt  den  auf  der  Linie  E  postierten  Gegner  und  wünscht  sich  auf 
der  Linie  FG  zu  konzentrieren,  um  ihn  anzugreifen. 

Wenn  wir  alle  sonstigen  Bedingungen  gleichsetzen,  so  ist  für  die 
Abteilung,  die  in  der  genannten  Ordnung  marschiert,  nicht  mehr,  sondern 
wahrscheinlich  weniger  Zeit  fiir  eine  solche  Konzentration  erforderlich, 
als  wenn  sie  in  einer  einzigen  Kolonne  MN  gegen  E  vorrückte  lyid  es 
unternähme  sich  auf  FG  zu  konzentrieren,  indem  sie  sich  zu  dieser  Linie 
aus  der  Tiefe  heraus  entfaltete.  Ausserdem  kann  sich  bei  einer  breiteren 
Marschfront  die  Abteilung  leichter  vorwärts  bewegen,  bequemer  Rast 
halten  und  ihre  Verpflegung  erhalten. 


510  VII.    Taktik  der  Infanterie. 


Kampf-  In  der  grossen  Kampftaktik  des  deutschen  Heeres  sind  einige  eigen- 

dentgcheo  artige  Züge  gerade  in  den  Kriegsjahren  1870/71  besonders  reliefartig 
1870/71.  hervorgetreten.  Der  Hauptzug  war  das  Bestreben,  das  Heer  des  Gegners 
von  den  Flanken  zu  umfassen.  Ein  Beispiel  für  diese  Methode  hatte 
schon  das  Jahr  1866  bei  Königgrätz  gegeben.  Eine  solche  Umklammerung 
des  Feindes  entwickelte  sich  bisweilen  schon  aus  der  strategischen 
Ordnung  selbst,  das  heist  aus  den  Richtungen,  in  denen  die  verschiedenen 
Korps  der  deutschen  Armee  vorrückten. 

Eine  wirklich  beabsichtigte  Konzentration  zum  Kampfe,  welche  sich 
schon  häufig  bei  Napoleon  fand,  pflegte  bei  den  Deutschen  nui*  in  seltenen 
Fällen  stattzufinden.  Gewöhnlich  entwickelten  sich  die  Schlachten  derart, 
dass  die  Spitzen  der  Marschkolonnen  unter  feindliches  Feuer  gerieten 
und  dann  die  einzelnen  Teüe  der  Armee,  einer  nach  dem  andern,  in 
Aktion  traten.  Häufig  ereigneten  sich  auch  die  sogenannten  improvisierten 
Schlachten,  die  durch  ein  unerwartetes  Zusammenstossen  der  Truppen- 
massen erfolgten,  wie  dies  bei  Vionville  der  Fall  war,  oder  durch  das 
Vorgehen  einer  einzigen  Division,  ja  auch  eines  Brigadegenerals,  welcher 
fand,  dass  er  unter  den  gegebenen  Umständen  die  Pflicht  hätte,  den 
Kampf  zu  beginnen.  Beispiele  eines  solchen  Schlachtänfangs  sind  Spichem, 
Wörth,  Colombey. 
Eigene  Ent-  Ausführliche  Dispositionen  zur  Schlacht  wurden  fast  niemals  ge- 

derHe*eT"nd  geben,  es  wurde  einfach  in  grossen  Umrissen  das  Ziel  der  ganzen  Be- 
Korpefuhrer.  ^^gjjjj^g^  die  Orduuug  uud  Art  ihrer  Ausführung  vorgeschrieben.    Das 

Uebrige  wurde  der  selbstständigen  Entscheidung  und  Initiative  der  Heer- 
und  Korps-Führer  überlassen. 

Wir  haben  bereits  gesagt,  dass  schon  Königgrätz  als  Beispiel  für 
die  neueste  deutsche  Taktik  der  Umklammerung  des  Gegners  diente. 
Aber  ein  noch  markanteres  Beispiel,  einen  noch  glänzenderen  Erfolg  stellt 
Sedan  dar,  wo  das  Heer  des  Gegners  endgültig  in  der  Mausefalle  sass 
und  sich  das  beispiellose  Faktum  der  Gefangennahme  von  mehr  als 
100000  Mann  auf  dem  Schlachtfelde  ereignete. 
Schlecht  bei  Am  hervorragendsten  in  den  Operationen  nach  einem  genau  be- 

^^^^  '  stimmten  Plane  und  hinsichtlich  des  Zusammenschlusses  der  einzelnen 
Heeresteüe  vor  dem  Kampfe  erscheint  die  Schlacht  bei  Gravelotte.  Hier 
ist  gerade  die  Kampftaktik  schaif  hervorgetreten,  ii)  In  dieser  Schlacht 
dokumentierte  sich  endgültig  die  Kraft  des  ununterbrochenen  Infanterie- 
feuers im  Kampfe  und  einem  solchen  Feuer  gegenüber  die  Unverlässlich- 
keit  des  Bajonnet-Angrifis,  welcher  gerade  seit  dieser  Zeit  nur  noch  eine 
zweitklassige  Bedeutung  hat.    Es  stellte  sich  die  Unmöglichkeit  heraus, 


")  BoguslawRki:  „"Dio  Fechtweiso  aller  Zeiten'*. 


Gesamtansicht  von  St  Privat 


Ansioht  des  Sohlaehtfeldes  bei  St  Privat 


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Bd.  L    Eiafflfai 


Die  Taktik  Napoleons  und  deren  Einfluss  bis  zum  Krimkriege. 


511 


die  in  Kolonnen  oder  in  Reihen  formierte  Infanterie  selbst  auf  einer 
grossen  Entfernung  der  Feuerwirkung  auszusetzen.  Um  dies  zu  iDustrieren, 
führen  wir  eine  Episode  aus  der  Schlacht  von  Gravelotte,  nämlich  bei 
St.  Privativ)  an,  welche  den  Ausgang  dieses  Kampfes  entschied.  Das 
Dorf  St.  Privat  diente  als  Stützpunkt  der  rechten  Flanke  der  Franzosen. 
An.  dem  Kampfe  um  dieses  Dorf  nahmen  deutscherseits  die  erste 
preussische  Garde -Infanterie -Division  und  die  Truppen  des  sächsischen 
Korps  teil.  Der  Verlust  der  deutschen  Truppen  betrug  13  Prozent  der 
Gesamtzahl  der  Kombattanten. 

Prinz  August  von  Württemberg  hatte  den  von  Teilen  des  6.  fran-  o^^f^^^  ^^ 
zösischen  Korps  besetzten  Ort  vor  sich.  Die  französischen  Schanzen 
waren  bereits  zwei  Stunden  hindurch  von  200  Geschützen  als  Ein- 
leitung des  Sturmangrifies  beschossen  worden  und  das  Dorf  brannte. 
Der  Prinz,  der  den  Moment  zum  Sturm  gekommen  hielt,  schickte  zwei 
Abteilungen  vor:  die  4.  Brigade  der  preussischen  Garde,  die  unter  General 
von  Kessel  von  St.  Elias  vorrückte,  und  die  ganze  erste  Garde-Division, 
welche  General  von  Pape  von  Sainte-Marie  aux  Chfenes  führte. 

Die  Attake  der  Garde 
erfolgte  um  B  Uhr  Nach- 
mittags. Die  preussischen 
Truppen  entwickelten  sich 
auf  einer  Front  von  circa 
1500  Metern  in  3  Echelons. 
Die  Distanzen  zwischen  den 
Linien  betrugen  etwa  100 
Meter;  demnach  betrug  die 
ganze  Tiefe  der  Formation 
etwas  mehr  als  200  Meter. 
Hieraus  ergiebt  sich,  welch 
furchtbare  Verluste  die 
preussische  Garde  bei  dem 
Vorgehen  von  1500  Metern 
auf  dem  glacierten  offenen 
Abhang  der  Höhen  von  St. 
Privat  erleiden  musste. 

Wir  geben  neben- 
stehend den  Plan  dieser 
Schlacht  um  etwa  6V2  Uhr 
Abends. 


j    JJMU  MukAf,tOM9COM0. 


Plan  der  Schlacht  bei  St.  Privat, 


")  Arthur  de Launier:  „Latactiqiiededemain".  „Revue  Contemporaine".  1893. 


512  VU.   Taktik  der  Infanterie. 


Die  Trümmer  der  französischen  Truppen,  die  sich  noch  auf  der 
nordwestlichen  Grenzscbeide  von  St.  Privat  hielten  und  das  Vordringen 
der  dichten  Massen  der  preussischen  Kolonnen  wahrnahmen,  eröffneten 
schon  bei  der  Annäherung  des  Feindes  auf  1200  Meter  ihr  Feuer,  einfach 
aus  dem  GefiUil  der  Selbsterhaltung  und  entgegen  dem  Kommando  der 
Offiziere,  welche  selbst  noch  ungenügend  die  ganze  Wirksamkeit  der 
neuen  Waffe  kannten. 

Furchtbare  Die  Frauzoscu  schosseu  leidenschaftlich,  eüig,  fast  ohne  zu  zielen, 

Verluste  der  ?  o?  7 

Deuisciien.  Und  clu  Wahrer  Kugel -Platzregen  schlug  das  leichte  Glacis  entlang,  auf 
dem  sich  die  Sturmkolonnen  erhoben,  mit  ihrem  Hurrah  die  Luft  durch- 
dringend, die  von  dem  Staub  der  zahllosen  Ricochettes  der  französischen 
Kugeln  voll  war.  Aber  als  endlich  nach  einem  verzweifelten  Schiessen 
von  zehn  Minuten  die  Franzosen  aus  Mangel  an  Patronen  ihr  Feuer  zu 
vermindern  begannen,  da  war  das  feindliche  „Hurrah"  bereits  verstimimt. 
Die  Franzosen  sahen,  wie  in  einer  Entfernung  von  circa  600  Metern  die 
preussische  Garde  wie  erstarrt  stand,  wie  die  Truppen  weder  zum  Vor- 
gehen, noch  zum  Rückzüge  Kraft  fanden ;  dieselben  hatten  im  Laufe  dieser 
zehn  Minuten  6500  Unteroffiziere  und  Mannschaften  und  240  Offiziere, 
d.  h.  etwa  den  dritten  Teil  ihres  Bestandes  verloren. 

Und  dieses  war  vorzugsweise  das  Resultat  des  Gewehrfeuers,  da 
damals  die  französische  Artillerie  der  deutschen  nachstand,  weil  erstere 
irriger  Weise  nicht  in  Massen,  sondern  in  einzelnen  Batterieen  und  sogar 
Halb-Batterieen  operierte.  Aber  die  Chassepot-Gewehre,  soweit  sie  bei 
Eröffnung  des  Feuers  auf  1600  Meter  trafen,  übten  eine  verheerende 
Wirkung  umsomehr,  als  der  Angreifende  die  letzten  1500  Meter  unter 
dem  vereinigten  Feuer  der  Artillerie  und  Infanterie  durchmessen 
musste.  Es  ist  begreiflich,  dass  unter  solchen  Verhältnissen  die  früheren 
Methoden  des  Sturms  nicht  mehr  tauglich  waren,  nämlich  das  Vorgehen 
in  der  Kolonne,  die  vor  sich  eine  Schützenkette  hatte,  die  ihr  den  Weg 
säuberte,  sich  sodann  auflöste  und  die  Kolonne  zum  Bajonnetangrift 
vorliess. 

Die  Treffweite  und  die  wenn  auch  im  Vergleich  zu  den  jetzigen 
Gewehren  beschränkte  Feuerschnelligkeit  eines  Gewehrtyps  wie  des 
Chassepots  zwangen  den  Angreifer,  zu  anderen  Methoden  überzugehen, 
um  den  Gürtel  eines  verstärkten  feindlichen  Feuers  zu  passieren. 

MMsregein  Der  vcrstorbeue  Kaiser  Wilhelm  I.  erliess  nach  den  ersten  Schlachten 

mider^p  des  Jahrcs  1870,  die  den  Deutschen  eine  Menge  Toter  und  Verwundeter 
der  Verluste.  ^Qg^eteu,  "deu  Bcfehl  vom  21.  August  1870,  in  welchem  er  darauf  hinweist, 
dass  eine  Verminderung   der  Verluste   sich   erwarten   lasse  „von  ver- 
ständigen Anordnungen  der  Offiziere,  ihrer  geschickten  Ausnutzung  des 


Die  Taktik  Napoleons  und  deren  Einfluss  bis  zum  Krimkriege.  513 


Terrains,  einer  gründlicheren  Vorbereitung  der  Attaken  und  der  Anwendung 
von  den  Umständen  mehr  entsprechenden  Formationen." 

Die  Deutschen,  die  eine  bessere  ArtiDerie  als  die  Franzosen,  dagegen  Eröffnnng 
schlechtere  Gewehre  aufzuweisen  hatten,  fingen  nunmehr  den  Kampf  von  *"  dnrc"^  ^ 
möglichst  grossen  Entfernungen  mit  ihrer  Artillerie  an,  und  in  allen  ^^"«'^®- 
Schlachtbeschreibungen  begegnen  wir  dem  mit  den  Worten  eingeleiteten 
Moment:  „nach  einer  erfolgreichen  Thätigkeit  der  ArtiDerie  — "*  Sie 
bemühten  sich,  sich  möglichst  ausserhalb  des  Wirkungskreises  des  fran- 
zösischen Gewehrs  zu  halten,  das  weiter  trug  als  das  Zündnadelgewehr. 
Wenn  sich  die  Entfernung  durch  das  Vorgehen  der  einen  oder  andern 
Seite  verminderte,  so  dass  die  Chassepot-Gewehre  bereits  wirkten,  so 
bemühten  sich  die  Deutschen,  diese  Entfernung  möglichst  rasch  noch  mehr 
abzukürzen,  indem  sie  entweder  die  Franzosen  noch  näher  heran  Hessen 
oder  selbst  vorrückten,  so  dass  auch  die  Zündnadelgewehre  wirksam 
wurden,  wodurch  der  Vorzug  der  französischen  Gewehre  aufgehoben 
wurde.  Die  Franzozen  verfielen  während  des  ganzen  Krieges  nicht 
einmal  auf  dieses  Manöver  und  Hessen  sich  so  ihren  Vorteil  entgehen. 
Es  muss  hinzugefügt  werden,  dass  bei  denjenigen  deutschen  Truppen- 
teilen, welche  diese  Taktik  anwandten,  sich  die  Verluste  sofort  bedeutend 
verminderten. 

Besonders  reliefartig  tritt  der  Unterschied  bei  der  Attake  auf  das  Kampf  bei 
Dorf  le  Bourget  bei  Paris   hervor,  wo  die  mittlere  Kolonne,  die  nach  ^  ^^"»•*- 
alter  Manier  vorging,  sehr  bedeutende  Verluste  erlitt,  die  linke  Kolonne 
aber,  die  nach  der  neuen  Methode  operierte,  keinen  grossen  Verlust 
hatte.  18) 

Hoenigi*)  findet,  dass  die  Ursache  der  früheren  um  90  %  höheren 
Verluste  darin  gelegen,  dass  man  sich  von  den  Formen  des  Exerzier- 
platzes nicht  genug  losgemacht,  femer  in  der  schlechten  Vorbereitung 
und  der  ungenügenden  Bekanntschaft  mit  der  Armee  des  Gegners,  in  der 
fehlerhaften  taktischen  Form  der  Operationen,  in  der  Unfähigkeit  einer 
bedeutenden  Zahl  der  höheren  und  niederen  Führer. 

Aus  der  Praxis  des  Krieges  1870/71  wurden,  wie  wir  schon  gesagt    am  der 
haben,  folgende  Hauptlehren  gewonnen:    1.   der  Hauptvorzug  ist  das    Krieg«»*^ 
Uebergewicht  der  Feuerstärke;  2.  die  Uebertragung  des  Kampfes  auf  die  ^  onlew 
Schützenketten  ist  der  Regulator  des  ganzen  Schlachtenmechanismus ;  die  Hauptiehren. 
Attake  repräsentiert  sich  als  ein  vorwärts  bewegendes  Feuer;  3.  es  ist 
notwendig,  die  Schützenkette  beständig  zu  verstärken,  zunächst,  um  das 
Feuer-Uebergewicht  zu  erlangen,  sodann  zur  Erhaltung  dieses  Vorzuges; 


^•)  Skugarewski:  „Infanterie- Attake". 
^  „Taktik  der  Zukunft",  Seite  51  u.  111. 

Bloch,   Der  zukünftige  Krieg.  33 


514  Vn.   Taktik  der  Infanterie. 


nur  diese  Bedingung  sichert  bei  den  jetzigen  Kampfmitteln  der  Abteilung 
die  Möglichkeit,  sich  dem  Feinde  zu  nähern;  4.  die  gelöste  Foimation  ist 
hierbei  unumgänglich,  damit  die  Schützen  natürliche  Deckungen  benutzen 
und  allzubedeutende  Verluste  vermeiden  können. 
EinAHniBtr  "Was  die  Bewafinung  anbetrifft,  so  hat  der  Krieg  von  1870/71  gezeigt, 

6i]lM  1I6116II  , 

o«we]ire8  in  dass  das  Chassepot-Gcwehr  bei  allen  seinen  Vorzügen  vor  dem  deutschen 

'*"    ^ '  Zündnadelgewehr   doch   viele   Mängel    hatte.     In   Folge    davon    wurde 

sofort  nach  Beendigung  des  Krieges  im  französischen  Kriegsressort  eine 

Kommission  ernannt,  um  einen  vollkommeneren  Gewehrtypus  zu  ermitteln. 

Auf  Grund  der  Arbeiten  dieser  Kommission  wurde  1874  das  Gras-Gewehr 

angenommen. 

EinfUmiDg  Aber  bald  wurde  bei  der  Umbewaffnung  aller  europäischen  Heere 

gewehre    ciucm  wirklichcu  Schnellfeuergewehr  der  Vorzug  gegeben,  den  klein- 

mit    Ueinem  1     i»i     •_         -»r    ^      •  v. 

Kaliber,    kalibrigcu  Magazingewehi'en. 

Lew-  Der  erste  Schritt  in  dieser  Richtung  war  im  Jahre  1886  die  Ein- 

führung des  Lebel-Gewehres  in  der  französischen  Armee.  Darauf  wurden 
Magazingewehre  eingeführt:  1888  in  Deutschland  und  Oesterreich,  1889 
in  Italien,  Belgien,  der  Schweiz  und  Dänemark,  1890  in  der  Türkei,  1892 
in  Spanien,  1893  in  den  Niederlanden  und  Rumänien. 

^"j ,  Die  Lehren  der  vorhergehenden  Kriege  waren  in  der  russischen 

Insbrooli  dei  o  o 

Kriege«    Armee  bei  dem  Kriege  von  1877  nicht  rechtzeitig  genug  berücksichtigt 

oSKi  1877  worden.    Man  hatte  sich  sowohl  mit  der  Umbewaffnung  der  Infanterie, 

f^^''^  als  auch  mit  der  Aneignung  der  neuen  taktischen  Methoden  verspätet. 

der  Torher-  Dcr  Krieg  traf  die  Infanterie  in  diesen  beiden  Beziehungen  in  einer 

Iri^nwh  Uebergangsform.    Auf  die  Wirkung  des  Ansturms  allein  verliess  man 

nügend  w  ^^^^  bcrcits  uicht  mehr,  aber  dieses  drückte  sich  erst  in  der  allmählichen 

werthet    Vcrsorguug  der  Infanterie  mit  Berdan-Gewehren  aus  (seit  1869)  und  in 

der   beginnenden   Umformung   der   Regimenter,    die  aus  3  Bataillonen 

bestanden  (das  Bataillon  zu  B  Kompagnieen)  in  Regimenter  mit  vier 

Bataülonen  (das  Bataillon  zu  4  Kompagnieen).    Demnach  wurden  in  die 

BataiDone  die  fünften  Kompagnieen  aufgenommen,  d.  h.  die  Kompagnieen, 

aus   denen   sich   früher   die    Tiraüleurkette   zusammensetzte,   und   man 

begann  alle  Leute  in  den  Regimentern  in  den  Operationen  in  aufgelöster 

Front  und  überhaupt  in  den  neuen  Kampfmethoden  auszubilden,   aber 

auch  diese  neue  Frontausbildung  war  vor  Beginn  des  Krieges  nur  in  den 

Gardetruppen  und  in  den  kaukasischen  Divisionen  vollendet. 

BerdMi-  Mit  dem  Berdan-Gewehre  waren  damals  das  Garde-  und  das  Grenadier- 

S^t  übJrau  Korps ,  einige  an  der  westlichen  Grenze  stehende  Infanterie-Divisionen, 

eingefftlirt  g^^^   ^^  Schützeubrigadc  bewaffnet,   von  den  auf  dem  europäischen 

Kriegsschauplatze  gegen  die  Türken  zur  Verwendung  gelangten  Truppen 
etwa  34%;  die  übrige  Infanterie  führte  in  Europa  nach  dem  System 


Die  Takf^ik  Napoleons  und  deren  Einfluss  bis  zum  Krimkriege.  515 

Krnka,  in  Asien  nach  Carley  zu  Hinterladern  umgestaltete  Gewehre,  i*) 
Die  einen  wie  die  andern  waren  aus  den  früheren  Vorderladern  in  Hinter- 
lader umgearbeitet.  Wenn  das  Feuer  der  türkischen  Infanterie  den 
Russen  schon  empfindliche  Verluste  beibrachte,  erreichten  die  Schüsse 
aus  dem  russischen  Gewehr  die  Türken  noch  nicht.  Die  Anzahl  der 
Schützen  war  auch  gering.  Die  Ermahnungen  der  Feldwebel:  „Zielt 
höher,  wenn's  nicht  trifft,  fünf  Schüsse  gehen  verloren,  der  sechste 
sitzt . . .  ",  waren  wenig  geeignet,  die  Leute  zu  trösten. i^)  Bei  dieser 
Sachlage  blieben  die  taktischen  Methoden  in  der  russischen  Armee  noch 
weit  hinter  den  früher  in  Westeuropa  üblichen  zurück.  Die  damalige 
Taktik  der  Attake  beschreibt  General  Pusyrewski^^)  f olgendermaassen : 
„Für  den  Kampf  wurde  von  der  Kompagnie  eine  Korporalschaft  (d.  h. 
V4  der  Kompagnie)  in  die  Kette  ausgesandt,  der  übrige  Teü  blieb  als 
Reserve  etwa  300  Schritt  zurück.  Die  Kette  bestand  aus  Gliedern  von 
je  4  Mann, 

Bei  dem  Angiiff  liefen  die  Schützen  je  26  bis  BO  Schritt  von  einer  ^^^ 
Deckung  zur  andern  vor  und  näherten  sich  so  dem  Feinde  auf  BO  damaia. 
bis  100  Schritt;  sodann  wurde  das  Signal  zur  Attake  gegeben  und  von 
50  Schritt  ging  man  unter  Hurrah  mit  dem  Bajonnet  vor.  Wenn  die 
geschlossene  Masse,  die  auf  das  Signal  „Attake"  unaufhaltsam  vorgerückt 
war,  sich  der  Kette  näherte,  öffnete  letztere  vor  ihr  die  Front,  lehnte 
sich  an  ihre  Flanken  und  ging  unter  Gewehrfeuer  mit  vor.  Glückte  das 
Unternehmen,  so  trat  die  Kette  wieder  vor  die  Front  und  eröffnete  ein 
verstärktes  Feuer  auf  den  zurückweichenden  Feind". 

Die  Attaken  zeichneten  sich  ebenso  sehr  durch  Tapferkeit  wie  durch 
eine  ungenügende  taktische  Vorbereitung  aus,  die  alle  typischen  Züge 
formaler  oberflächlicher  Friedensübungen  trug. 

Im  Allgemeinen  blieb  die  Taktik  der  russischen  Truppen  auf  die 
Stosskraft  berechnet.  Die  Bataillone,  Regimenter,  Brigaden  gingen  zur 
Attake  in  enger  Front,  wobei  die  einzelnen  Linien  nahe  hinter  einander 
folgten. 

Der  türkischen  Infanterie  hatte  in  Bezug  auf  ihre  Ausbildung  die  i>ie  türkische 

,  Infantorio 

französische  zum  Vorbüde  gedient.  Bei  der  Ausbildung  wurden  besonders  nach  fr»n- 
das  Schiessen  und  der  Felddienst  vernachlässigt,  wofür  jedoch  der  v^budr 
türkische  Soldat  eine  vorzügliche  Fähigkeit  besitzt.    Er  ist  von  Hause  »««««^iwet. 


")  Stoecker- Pascha:  „Bemerkungen  über  den  russisch -türkisclien  Krieg 
1877/78**  im  „Militär- Wochenblatt"  1892.  —  „Die  russische  Armee  vor  dem  Kriege 
1877"  und  „Bericht  des  Kriegsministeriums". 

")  „Die  Ruschtschuker  Abteilung  des  Grossfürsten  Thronfolgers  im  tür- 
kischen Kriege  1877/78".    Seite  211. 

^^)  „Die  russische  Armee  vor  dem  Bjiege  des  Jahres  1892". 

33  • 


516  '^^-   Taktik  der  Infenterie. 


aus  an  das  Schiessen  gewöhnt  und  vermag  sich  schnell  im  Grelände  zu 
orientieren.    Deshalb  hatte  diese  Vernachlässigung  bei  den  alten  Feuer- 
waffen  auch  weniger  Bedeutung.    Die  grosse  Mehrzahl  der  türkischen 
Infanterie  erhielt  das  neue  Martini-Peabody-Gewehr  erst  vor  dem  Kriege, 
so  dass  es  die  Soldaten  jetzt  zum  ersten  Mal  in  die  Hand  nahmen  und 
deshalb   auch  nicht  verstanden,   alle  seine  Vorzüge  auszunutzen.     Sie 
legten  meist  den  Hauptwert  auf  das  schnelle  Schiessen,  und  da  die  aus 
dem  Stegreif  geschaffenen  Traineinrichtungen  eine  bemerkenswerte  Thätig- 
keit  entfalteten  und  Patronen  ohne  Verzögerung  und  im  Ueberfluss  zu- 
Ausser-    gestellt   wurdcu,    so   musste   der   ausserordentliche   Munitionsverbrauch 
^MuitiJL^'  seitens  der  türkischen  Truppen  überraschende  Wirkungen  hervorbringen. 
Terbreuoh  j^  Folge  dcsscu  wurde  nach  dem  Kriege  viel  über  den  „Geschosshagel" 
turwachen  ^gj.  türkischcn  Infanterie  verhandelt;  die  den  türkischen  nahezu  eben- 

Truppen. 

hurtigen  russischen  Berdan-  und  rumänischen  Peabody-Gewehre  hatten 
nicht  die  gleichen  Erfolge  zu  verzeichnen,  weü  sie  gegen  einen  Feind 
zur  Verwendung  gelangten,  der  sich  in  Deckungen  befand. 

Uebrigens  hat  ein  deutscher  Militärschriftsteller  die  Ansicht  aus- 
gesprochen, dass  die  grossen  Verluste  der  russischen  Truppen  bei  den 
Stürmen  auf  Plewna  noch  nicht  als  Beweis  für  den  Vorzog  des  Massen- 
feuers dienen  können,  da  die  Frage  nicht  klargestellt  ist,  ob  die  sich  in 
der  Defensive  haltenden  Gegner  nicht  eben  solche  Resultate  hätten  er- 
zielen können,  wenn  sie  bei  einem  geringeren  Aufwand  von  Geschossen 
aus  näheren  Distanzen  geschossen  hätten,  i^) 
Einfttiining  In  jedem  Falle  dürfte  die  Erscheinung  des  türkischen  „Geschoss- 

feuergewehre hageis"  wohl  die  Einfuhrung  der  neuen  Schnellfeuer -Gewehrtypen  in  den 
ErachLttn   europäischen  Heeren  beschleunigt  haben.  ^^) 

de«  Die  Verteidigung  Plewnas  hat  noch  eine  sehr  wichtige  Lehre  hin- 

.oescho^  sichtlich  der  schnellen  Aufführung  von  Feldbefestigungen  gegeben,  die 

bee^eraigt d^r^^f  bercchuet   sind,    der   Infanterie    einen   genügenden   Schutz    zu 

bieten. 
Wichtigkeit  ^|)er  das  Beispiel  Osman-Pascha's  hat  auch  gezeigt,  wie  gefährlich  es 

befegtigang.  ist,  sich  allzulauge  in  solchen  Befestigungen  zu  halten,  üeberhaupt  erhellt 
aus  den  Erfahrungen  des  deutsch -französischen  und  des  letzten  russisch- 
türkischen Krieges,  dass  die  Auffühi-ung  von  Feldbefestigungen  in  den 
künftigen  Kriegen  eine  grosse  Rolle  spielen  wird.  Diese  Befestigungen 
haben  vorzugsweise  den  Charakter  von  Erdschanzen  (Schützengräben), 
denen  befestigte  Batterie -Positionen  oder  an  gewissen  Stellen  errichtete 
geschlossene  Schanzen  als  Stützpunkte  dienen. 

")  Boguslawski:  „Die  Fechtweise  aller  Zeiten". 

^*)  Stoecker- Pascha:  „Bemerkungen  über  den  russisch -türkischen  Krieg". 


Die  Taktik  Napoleons  und  deren  Einflnss  bis  zum  Krimkriege.  517 

- 

Die  russischen  Truppen  vermochten  nicht,  gleich  den  deutschen  im  ^[JJ^^^jfjJ^' 
Jahre  1870,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  den  Vorzug  der  Bewaffnung  Bewaffnung 
durch  neue  taktische  Methoden  auszugleichen.  Die  Taktik  der  russischen  ""  "^  ent"*^ 
Truppen  blieb  fast  unverändert  die  frühere,  und  so  musste  der  Vorzug  "J^y^che* 
der  türkischen  Waffe  sich  in  seiner  ganzen  Kraft  geltend  machen.    Der  Mawnahmen 

der 

Verfasser  der  Geschichte  der  Infanterie -Taktik,  der  den  Sturm  auf  Plewna  raasischen 
beschi-eibt,  ao)   giebt  unter  Berufung  auf  General  Kuropatkin   folgende  ^"eSiche""^ 
Charakteristik : 

„Alle  hegten  die  Hoffnung,  dass  die  Vorarbeit  der  Artillerie  die 
feindliche  Infanterie  schon  genügend  erschüttert  und  die  Befestigungen 
genügend  beschädigt  habe,  um  den  Sturm  erfolgreich  erscheinen  zu  lassen. 
In  Wirklichkeit  war  die  Sache  ganz  anders :  die  russische  Infanterie  fand 
bei  dem  Vorrücken  gegen  die  Schanzen  und  Tranch6en  dieselben  völlig 
genügend  verteidigt. 

„Der  Stoss  der  russischen  Infanterie  war  energisch ;  überaD  ging  sie  ^^J^^ 
auf  die  nächsten  Entfernungen  an  die  tüi^kischen  Linien  heran,  aber 
nachdem  sie  ohne  Schwanken  Distanzen  von  1000  bis  1200  Metern  durch- 
messen, musste  sie,  unter  der  Wirkung  des  Feuers  kraftlos  geworden, 
Halt  machen.  Eine  neue  Anstrengung  brachte  sie  wohl  noch  etwas 
vorwärts,  aber  sie  besass  nicht  mehr  die  Kraft  zum  entscheidenden  Sturm. 
Nachdem  diese  tapferen  Truppen  noch  eine  Zeit  lang  das  Feuer  standhaft 
auagehalten  und  selbst  darauf  geantwortet,  warfen  sie  sich  rückwärts  und 
kehrten  fast  mit  derselben  Schnelligkeit  zu  ihren  Positionen  zurück,  mit 
der  sie  gegen  die  türkischen  Stellungen  vorgegangen  waren.  Die  Verluste 
waren  überall  furchtbare ;  sie  gingen  selbst  bis  zur  Hälfte  der  Mannschaft 
und  für  die  Offiziere  zuweilen  auch  bis  zu  zwei  Drittel  des  Bestandes. 
Nur  auf  einem  Punkt,  auf  der  linken  Flanke,  hatten  die  Russen  einen 
zeitweiligen  Erfolg  dank  dem  sie  schützenden  Nebel  und  der  Energie  des 
Generals  Skobelew.  Sie  bemächtigten  sich  dort"  zweier  Redouten  und  der 
diese  verbindenden  Laufgräben.  Aber  obgleich  diese  Positionen  nur 
von  3  bis  4  schwachen  türkischen  Bataillonen  (kaum  500  Mann)  geschützt 
wurden,  hatte  Skobelew,  um  seinen  Erfolg  zu  erzielen,  alle  seine  Truppen 
einschliesslich  der  Reserven  engagieren  müssen,  nämlich  18  Bataillone, 
d.  h.  12000  bis  13000  Mann,  so  dass  nach  einem  heldenmütigen  Kampfe 
von  fast  30  Stunden  vom  11.  auf  den  12.  September  n.  St. ,  die  russischen 
Truppen,  die  keine  Verstärkungen  erhielten,  endlich  die  Positionen  nach 
einigen  Attaken  der  Türken,  die  ihre  Reserven  zusammengezogen,  räumen 
mussten  und  demnach  ohne  Nutzen  einen  Verlust  von  gegen  6000  Mann 
erlitten  hatten. 


*°)  „Historique  de  la  tactiquo  de  rinfanterie  fran^aise". 


518  '^^-    Taktik  der  Infanterie. 


„Dieses  Beispiel"  —  bemerkt  der  französische  Autor  —  „zeigt,  dass 
für  einen  Sieg  selbst  die  Opferung  der  Hälfte  der  eigenen  Truppen  nicht 
genügt;  ein  solcher  Verlust  muss  durch  ein  seiner  Wichtigkeit  ent- 
sprechendes Resultat  wett  gemacht  werden  und  der  Kommandierende 
muss  noch  stark  genug  bleiben,  um  die  einmal  genommenen  Positionen 
festzuhalten.  Auch  Pyrrhus  hat  ja  über  die  Römer  einen  Sieg  davon 
getragen,  aber  derselbe  kam  ihm  so  teuer  zu  stehen,  dass  sein  Heer 
nicht  im  Stande  war,  den  Feldzug  fortzusetzen  und  Italien  verlassen 
musste." 
üMwect  Nach  Ansicht  desselben  französischen  Schriftstellers  beförderte  die 

der  *  Vorliebe  der  russischen  Truppen  für  die  Regeln  der  Friedensmanöver 
™a^'Sr  ^^^»  sozusagen,  der  Platz -Paradeformen  ihr  Erleiden  von  Verlusten  in 
Begein  der  hohem  Gradc.    „In  den  meisten  Fällen",  sagt  er,  „gingen  die  Russen  zur 

Friedens* 

mttöTerge-  Attake  iu  einer  tieferen  Aufstellung  vor  als  die  war,  in  der  Griechen  und 
^drtit'^  Römer  gegen  einen  doch  nur  mit  Bogen  und  Schleuder  bewaffneten  Feind 
vorzugehen  wagten.  So  wurde  die  Schipka -Attake  dui-ch  Kompagnie- 
Kolonnen  in  zwei  Linien  ausgeführt,  die  kaum  durch  eine  Handvoll  Schützen 
gedeckt  waren.  Obwohl  die  Ausbildung  in  der  gelösten  Formation  damals 
schon  im  russischen  Heere  eingeführt  war,  so  hatten  sich  doch  noch  nicht 
völlig  die  Begriffe  geklärt,  inwieweit  die  Taktik  sich  unter  dem  Einfluss 
der  Schnellfeuerwaffe  ändern  musste.  Ja,  auch  noch  gegenwärtig 
finden  sich  in  der  russischen  Armee  Anhänger  der  Suworow'schen 
Tradition."  ^ 

Noch  reliefartiger  und  überzeugungSTOller  hebt  General  Kuropatkin 
die  ünzweckmässigkeit  der  Taktik  hervor,  indem  er  u.  A.  ausführt: 
„Der  grösste  Teil  der  Regimenter  führte  sofort  10  Kompagnieen  in  die  ' 
Kampflinie,  so  dass  nur  B  in  der  Reserve  blieben.  Die  Aufstellung  der 
Kompagnie -Kolonnen  in  zwei  Linien  hatte  zwischen  den  einzelnen 
Kompagnieen  zu  kleine  Intervalle.  Das  ganze  Regiment,  das  sich  in 
Kampf  Ordnung  formierte,  bot  eine  allzu  kompakte  Masse  dar,  die  eine 
relativ  kleine  Front  und  eine  noch  kleinere  Tiefe  hatte.  Anstatt  die 
Front  breiter  zu  nehmen  und  Angriff"  und  Kampf  in  Kompagnieen  zu 
führen,  wobei  die  Kompagnie  die  Kampf-Einheit  gewesen  wäre,  bildete 
diese  Einheit  im  Zentrum  das  Regiment,  und  die  Kompagnieen  büssten 
grösstenteils  in  dem  zwar  ungestümen,  aber  unordentlichen  Vorgehen 
und  dem  noch  unordentlicheren  Rückzug  die  ihnen  nötige  Selbständigkeit 
ein."2i) 
hldll^  Aus  den  oben  für  verschiedene  Armeen  angeführten  Beispielen  von 

inÄnterie-  ™  Kampf  begangenen  Fehlern  ist  ersichtlich,  dass  die  Hauptbedeutung 

thÄtigkeitauf 

die  Schützen- 
linie über-  81)  Thätigkeit  der  Abteilung  des  Generals  Skobelew  bei  Plewna. 

gegangen.  /  -o  o 


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6 

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S 

43 


Abhängigkeit  der  Taktik  von  der  Beschaffenlieit  der  Armeen.  519 

der  Thätigkeit  der  Infanterie  auf  die  Schützenlinien  übergegangen  ist, 
welche  jetzt  durch  ihr  Feuer  nicht  nur  die  Attake  vorbereiten,  sondern 
sie  auch  ausführen.  Früher  dienten  die  Schützen  den  angreifenden 
Kolonnen  nur  als  Deckung,  jetzt  nehmen  sie  selbst  die  erste  Stelle  ein. 
So  ist  nach  einem  treffenden  Ausdruck  des  österreichischen  Hauptmanns 
Gorsetzki  die  Infanterie-Attake  ein  „vorgehendes  Feuer"  geworden,  und 
da  nun  die  Kombination  des  Vorgehens  und  des  Feuerns  nur  in  der  ersten 
Schlachtlinie  erzielbar  ist,  so  ist  klar,  dass  in  dem  künftigen  Kriege 
die  Art  und  die  Leitung  des  Feuers  die  Hauptbedeutung  haben  wird. 


3.    Die  Abhängigkeit  der  zukünftigen  Taktik 
von  der  Beschaffenheit  und  der  numerischen  Stärke 

der  Armeen, 

aber  auch  von  der  allgemeinen  Befestigung  der  Grenzen 

und  der  Kampfstellungen. 

Um  die  wichtigsten  Aufgaben  der  Infanterie  im  Felde  zu  erläutern,  AUgomeiner 
muss  man  zuerst  auf  den  allgemeinen  Charakter  ihrer  Operationen  m  inÄntene- 
einem  zukünftigen  Kriege  einen  Blick  werfen.  Operationen. 

Vor  allem  ist  es  augenscheinlich,  dass  eine  gleiche  Energie  beim 
Angrifi  (in  strategischem  wie  in  taktischem  Sinne)  auf  beiden  Seiten 
sich  nur  in  Ausnahmefällen  zeigen  kann.  In  der  Regel  wird  bei  jeder 
Operation  die  eine  Seite  sich  offensiv  zeigen,  und  die  andere  den  Angriff 
des  Gegners  abwarten,  um  die  Attacke  abzuschlagen  und  dann  nach 
Möglichkeit  zur  Initiative,  d.  h.  zum  Angiiff,  überzugehen. 

In  den  Felddienst-Ordnungen  aUer  Armeen  wird  beharrlich  auf  die 
Vorzüglichkeit  der  ofiensiven  Kiiegsführung  hingewiesen  und  die  Ueber- 
zeugung  eingeflösst,  dass  ein  kühner  und  geschickt  geleiteter  Angriff  den 
Gegner  vernichten  muss.  Aber  dieselben  Reglements  lehren,  wenn  sie 
von  der  Verteidigung  handeln,  dass  diejenigen  Truppen,  welche  ihre 
Kaltblütigkeit  zu  bewahren  und  den  gegenwärtigen  Forderungen  der 
Kriegskunst  entsprechend  das  Feuer  zu  leiten  wissen,  die  Gewissheit 
haben  können,  dass  sie  durch  abwartendes  Verhalten  nichts  verHeren 
und  den  Angreifer  zurückwerfen  werden. 

Indessen  ist  es  klar,  dass  einen  in  aUen  FäUen  unbedingt  sich  er- 
gebenden Vorzug  weder  Angriff  noch  Verteidigung  versprechen  kann. 
Der  Vorteü  der  einen  oder  andern  Operationsart  hängt  bei  gleicher  Be- 


520  Vn«    Taktik  der  Infanterie. 


waflftmng  von  dem  Bestand  der  Truppen  und  von  örtlichen  Bedingungen 
ab.  Die  allgemeinen  Bemerkungen  der  Reglements  jedoch  verfolgen 
mehr  das  Ziel,  die  üeberzeugung  vom  Erfolge  sowohl  beim  Angrift 
wie  bei  der  Verteidigung  den  Truppen  einzuflössen,  wenn  das  eine 
oder  andere  System  richtig  gewählt  und  mit  sinngemässer  Energie  durch- 
geführt wird. 
JoffJ^i^e  -^^^  müssen  wir  ein  wenig  bei  der  näheren  Erklärung  derjenigen 

und  der  Voiiieüe  verweilen,  welche  Angriff  und  Verteidigung  theoretisch  bieten, 
d.  h.  indem  wir  die  für  beide  Teile  gegebenen  Bedingungen  als  mehr 
oder  weniger  gleich  voraussetzen. 

Nach  der  Ansicht  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Militärschrift- 
steller hat  die  Vervollkommnung  der  Artillerie-  und  Infanterie-Schiess- 
waflen,  wie  auch  die  Ausbildung  der  Truppen  im  Aufwerfen  leichter 
Schanzen  und  Felddeckungen  überhaupt  in  der  Hauptsache  namentlich 
der  Verteidigung  Vorteile  gebracht.  Aber  der  Verteidiger  hat  noch 
andere  Vorzüge.  Ihm  ist  es  leichter,  die  Aufstellung  seiner  Truppenteile 
zu  verbergen.  Bei  reichlich  vorhandener  Zeit  kann  er  seine  schon  aus- 
geführten Befestigungsarbeiten  maskieren,  kann  einige  Abteilungen  in 
der  Front  und  den  Flanken  vorschieben,  um  den  Angreifer  über  die 
Stellung  seiner  Hauptkräfte  irre  zu  führen;  er  kann  die  wichtigsten 
Punkte  vor  seiner  Front  besetzen  und  endlich  zahlreiche  Infanterie- 
Patrouillen  ausschicken  sowohl  zur  Verhinderung  der  Aufklärungs- 
maassnahmen  des  Feindes,  als  zur  Erlangung  von  Nachrichten  über 
dessen  Bewegungen  und  Streitkräfte. 
Schwierig-  Dieser,   der  angreifende  Gegner,  muss  in  möglichst  entwickelter 

der  offeneiTe.  Frontlinie  vorrücken,  um  Nachrichten  über  den  von  ihm  angegriffenen 
Feind  zu  erlangen.  Beim  Vorrücken  vertreibt  er  die  vorgeschobenen  Auf- 
klärungs-Abteilungen der  Verteidigung  und  muss  sich  bemühen,  letztere 
an  möglichst  vielen  Punkten  zur  Ei-widerung  seines  Feuers  zu  zwingen, 
um  die  Breite  ihrer  Stellung  und  Besetzung  teils  mit  einzelnen  Gruppen, 
die  nur  zur  Deckung  vorgeschickt  sind,  teils  mit  ihren  Hauptkräften  zu 
erfahren. 

Aber  da  der  Angreifer  zur  Erfüllung  dieser  forcierten  Auf- 
klärungsaufgabe nur  mit  Teilen  seiner  Avantgarde  operieren  kann,  so 
werden  diese  der  Gefahr  ausgesetzt,  unter  das  überlegene  Feuer  der 
vorher  entwickelten  Kräfte  der  Verteidigung  zu  kommen,  und  während 
sie  in  verlängerter,  schwacher  Linie  sich  vorwärts  bewegen,  können  sie 
durch  einen  plötzlichen  Vorstoss  der  einen  oder  andern  zur  Verteidigung 
gehörenden  Giiippe  hier  und  da  zurückgeworfen  werden.^) 


1)  „Applikatorische  Studie  über  den  Infanterie- An  griff",  Wien  1895. 


Abhängigkeit  der  Taktik  von  der  Beschaffenheit  der  Armeen.  521 


Ausserdem  wird  beim  Verteidiger  die  Einheit  des  höheren  Kom-    weiure 
mandos  leichter  bewahrt;  bei  ihm  erhält  die  bedeutend  geringere  Zahl      ver- 
seiner  Unterführer  eine  selbständige  Thätigkeit.    Die  Versorgung  des  ^^^^^f- 
Heeres  mit  Kriegsbedarf  und  die  Zuführung  der  vorhandenen  Reserven 
wird  bei  der  Verteidigung  erleichtert,  da  nur  eine  bestimmte  Linie  zu 
schätzen  ist  und  es  bei  einer  etwaigen  Vorwärtsbewegung  nicht  nötig 
ist,  sich  zu  trennen,  sich  zu  zerstreuen,  sich  zu  vermengen,  die  Richtung 
zu  ändern,  an  einer  Stelle  den  Vorstoss  zu  verstärken,  an .  anderer  zu 
verringern,  wie  dies  bei  jedem  Angrifl  unvermeidlich  ist.  Die  Verteidigung 
hat  sogar  auch  ausserhalb  der  taktischen  Bedingungen  gewisse  Vorteile. 
Die  Verpflegung  der  Truppen,  ihre  Ergänzung  durch  Mannschaften  und 
Pferde,  die  Zufuhr  der  mannigfaltigen  Bedürfnisse,  alles  dies  ist  mehr 
gesichert. 

Die  Disziplin  ist  bei  der  Verteidigung  viel  leichter  aufrecht  zu  er- 
halten als  beim  Angriff.  Durch  das  Feuer  der  jetzigen  Schiesswaffen 
kann  der  Verteidiger  alles,  was  sich  vor  seinen  Linien  befindet,  in  der 
Zeit  niederwerfen,  während  der  Angreifer  den  breiten  Gürtel  des  tod- 
bringenden Feuers  durchschreiten  muss.  Auch  die  Bedingungen,  welche 
vom  Gelände  und  von  befestigten  Punkten  gegeben  werden,  dienen  dem 
Verteidiger  zum  Vorteil. 

Bedeutungsvoll  ist  auch  der  Umstand,  dass  die  Stimmung  der  Be- 
völkerung gewöhnlich  dem  Verteidiger  vorteilhaft  ist. 

Die  bei  allen  Staaten  des  Kontinents  eingeführte  allgemeine  Wehr-  Materi»i  der 
pflicht  schafft  Armeen  aus  Leuten,  die  kaum  eine  formale  Dienstausbildung 
erhalten  und  keinen  militärischen  Geist  sich  angeeignet  haben,  die  sich 
von  dem  Zusammenhang  mit  ihren  Familien  keineswegs  losgemacht  und 
von  ihrem  friedlichen  Beruf  sich  nicht  losgesagt  haben.  Die  Mobilisierung 
aber  ergänzt  die  Truppen  noch  mit  Leuten,  die  auch  zu  ihrer  Zeit  keine 
genügende  Ausbildung  genossen  oder  eine  derartige  durchgemacht  haben, 
welche  den  neuen  Kriegsbedingungen  nicht  mehr  entspricht. 

Ein  bedeutender  Teil  der  Offiziere  bei  den  mobil  gemachten  Truppen 
—  die  Reserve-Offiziere  —  wird  nur  die  notwendigste  militärische  Aus- 
bildung besitzen. 

Und  so  kann  man  sagen,  dass  die  Infanterie  mehr  aus  Leuten  be- 
stehen wird,  die  Gewehre  tragen,  als  aus  wirklichen  Soldaten.  Gerade 
so  wird  die  moralische  Tüchtigkeit  im  Kampfe  bei  den  Truppen  auf 
derselben  Höhe  stehen  wie  beim  Volke  selbst.  Auf  diesen  Punkt  kommen 
wir  noch  in  einem  besonderen  Abschnitt  zurück,  der  speziell  dem  „Geist 
der  Armeen"  gewidmet  ist.  Hier  woUen  wir  nur  bemerken,  dass  bei  dem 
gegenwärtigen  Bestand  der  Truppen  die  Stimmung  der  Volksmassen  im 
Kriege  eine  viel  grössere  Bedeutung  als  bisher  erhalten  muss.    Und  ihre 


522  ^^^'    Taktik  der  Infanterie. 


.!>*•      Stimmung  wird  von  den  Zielen  des  unternommenen  Krieges  selbst  ab- 

der      hängen.    Die  Stimmung  der  Masse  in  dem  Lande,  das  dem  Angrifl  aus- 

^*i8t^d^°*  gesetzt  ist,   wird    sich    energisch  in   der  Verteidigung  der  nationalen 

lort^iih^  Territorien  und  Güter  bethätigen.    Der  angi^eifenden  Seite  aber  wird  es 

zukommen,  mehr  oder  weniger  illusorische  Vorspiegelungen  materieller 

Vorteile  oder  Befriedigungen  des  nationalen  Ehrgeizes  zu  ersinnen,  da 

es  eine  positive  Rechtfertigung  eines  Angriffskrieges  überhaupt   nicht 

geben  kann. 

So  giebt  es  zweifellos  viele  Vorzüge  auf  Seiten  der  Verteidigung. 
voniige  des  ^jj^r  mau  muss  auch  diejenigen  Vorteile  in  Erwägung  ziehen,  welche 

der  Angriff  gewährt.  Die  Anhänger  dieser  Operationsart  gestehen,  dass 
sie  mit  grösseren  Opfern  verbunden  ist.,  aber  sie  versichern,  dass  sie  ihre 
sehr  bedeutenden  Vorzüge  hat.  Bei  Gleichheit  der  Kräfte  hat  der  An- 
gi'eifende  schon  den  grossen  Vorteil,  dass  er  mehr  bewusst  handelt:  ihm 
gehört  die  Initiative  bei  den  Operationen,  er  schafft  jene  Verhältnisse, 
mit  denen  die  Verteidigung  rechnen  muss,  und  in  seinen  Reihen  herrscht 
eine  grössere  Begeisterung  der  Truppen  als  in  den  angegriffenen. 

Ueber  alles  aber  stellt  ein  Schriftsteller  folgenden  Vorzug:  „Die 
Attake  kann  die  Verteidigung  ermüden.  Kann  denn  angenommen  werden, 
dass  eine  Abteilung,  die  im  Verlaufe,  sagen  wir,  von  anderthalb  Tagen 
beständig  bedroht  und  Tag  und  Nacht  durch  die  leichten  Batterien  und 
Gewehi-salven  des  mit  allen  Anzeichen  des  sofortigen  Beginnes  des  An- 
griffs vordringenden  Feindes  beständig  beunruhigt  ist,  auf  ihren  Linien 
aushält?" 

„Man  wird  sagen,  dass  sie  von  anderen  Truppenteilen  abgelöst  wird. 
Aber  ganze  Massen  zu  einer  solchen  Passivität  zu  verdammen,  die  dem 
Gegner  verschiedene  strategische  Kombinationen  erlaubt,  dazu  dürfte  sich 
wohl  kein  Kommandeur  entschliessen.  Dieser  in  moralischem  Sinne 
deprimierenden  Verteidigung  kann  nur  durch  einen  Schlag  gegen  den 
Gegner,  wenn  auch  durch  ein  Handgemenge,  ein  Ende  gemacht  werden." 

„Vor  allem  muss,  wenn  man  die  Frage  theoretisch  betrachtet,  der 
Angreifer  in  Quantität  oder  Qualität  der  Truppen  dem  Verteidiger  über- 
legen sein.  Andernfalls  wird  er  selbst  die  Rolle  der  Verteidigung  wählen. "2) 

a)  Nnmerische  Stärke  und  Beschaffenheit  der  Trappen. 

Wechsel  Ton  Es  ist  allgemein  bekannt,  dass  ein  jedes  Land  seine  Zeit  der  Waffen- 

Nitderi^on.  erfolge  hattc,  in  der  seine  Truppen  durch  Mut  und  geschickte  Führung 
sich  auszeichneten,  und  dass  in  späteren  Epochen  frühere  Sieger  oft 
Mangel  militärischen  Geistes  und  Unfähigkeit  zeigten. 


^)  Fürst  Hohenlohe:  „Ueber  Infanterie". 


Abhängigkeit  der-  H^aktik  von  der  Beschaffenheit  der  Armeen.  523 

Die  Erweiterung  der  Kenntnisse  nnd  die  näheren  Wechselbeziehungen  unmögiich- 
der  VöTker  beseitigten  eine  allzu  grosse  Verschiedenheit  in  der  Bewaffnung,  Qoaiitftt»- 
den  andern  Mitteln  und  Vorbereitungen  zum  Kriege.     Die  Ungleichheit  U"J®J^*//J^ 
in  dieser  Beziehung  ist  jetzt,  kann  man  sagen,  sogar  unbedeutend.  Daher 
ist  es,  theoretisch  gesprochen,  nicht  möglich,  unter  den  Heeren  der  ver- 
schiedenen europäischen  Länder  so  grosse  Qualitätsverschiedenheiten  an- 
zunehmen,  dass  sie  den  Vorzug  aufwiegen  könnten,  den  die  Besetzung 
einer  befestigten  Stellung  gewährt. 

Auf  Grund  internationaler  Verträge   und  im  Sinne  der  Kriegslage  Europuaciie 
selbst  muss  man   bei  der  Beurtheilung   eines   zukünftigen   Krieges    in  tinationen. 
Europa  die  Möglichkeit  eines  Kampfes  zwischen  den  Armeen  des  Drei- 
bundes einerseits  und  denen  Eusslands  und  Frankreichs  andererseits  im 
Auge  haben.    Andere  politische  Kombinationen  braucht  man  hierbei  nicht 
in  Anschlag  zu  bringen,  da  sie  keine  hervorragende  Bedeutung  haben. 

Aus   der  ganzen  Reihe   der  zahlenmässigen  Zusammenstellungen,    zawen- 

TerhÄltnis 

welche  wir  in  dem  Abschnitt  von  der  „numerischen  Stärke  der  Armeen**  zwiseiieii  den 
geben,  ergiebt  sich  als  Hauptresultat,  dass  die  vereinigten  Kräfte  Russ-  DrXandes 
lands  und  Frauki-eichs  an  Zahl  denen  des  Dreibundes  fast  gleich  kommen.    ^»^/«^ 
Wenn  man  aber  nur  die  Anzahl  der  völlig  ausgebildeten  Mannschaften     fran- 
in  Betracht  zieht,  d.  h.   den  Bestand   derjenigen  Streitkräfte  festsetzt, 
welche  für  den  Angriffskrieg  tauglich  sind,   so  wird  sich  auf  Seiten  des 
Dreibundes  eine  schon  etwas  merklichere  Ueberlegenheit  zeigen. 

Wenn  man  aber  diejenigen  Streitkräfte  zusammenzählt,  die  im  Er- 
satz vorhanden  sind,  im  Hinblick  auf  die  Führung  eines  Verteidigungs- 
krieges, zu  welchem  auch  weniger  ausgebildete  Truppen  tauglich  sind, 
so  kommen  wir  zu  dem  Resultat,  dass  die  Ersatztruppen  Russlands  allein 
diejenigen  der  Dreibund-Mächte  anderthalb  Mal  übertrefien. 

Daher  wird  bei  einem  Verteidigungski'iege  Russland  allein  eine 
Truppenzahl  aufstellen,  die  zum  Widerstand  gegen  die  vei  einigten  Armeen 
des  Dreibundes  genügt. 

Aber  die  Wahl  der  einen  oder  anderen  Operationsart  hängt  nicht  scimeiiigkeit 

der  deutschen 

nur  von  der  Zahl  der  Truppen  ab,  sondern  auch  von  der  Erfüllung  der  fiowi- 
Mobilisierungs-  und  Konzentrationsbedingungen,  die  für  die  verschiedenen  "JJ^e^Ffi^"^^ 
Staaten  nicht  gleich  sind.  Wenn  man  den  Militärschriftstellern  glauben 
darf,  so  ist  die  Mobilmachung  in  Deutschland  schneller  beendet  als  in 
Russland  und  als  in  Frankreich.  Folglich  muss  man  zugeben,  dass  im 
Anfang  des  Krieges  die  deutschen  Truppen  im  Verein  mit  denen,  welche 
Oesterreich  und  Italien  in  der  ersten  Zeit  werden  stellen  können,  in  be- 
deutenderer Zahl  im  Staatsgebiet  des  Gegners  erscheinen  werden. 

Daher  stammt  natürlich  die  Vermutung,  dass  Deutschland  im  Falle 
eines  Krieges  nach  zwei  Fronten  sich  entschliessen  wird,  im  Anfang  mit 


524  '^^   Taktik  der  Infanterie. 


allen  Kräften  sich  anf  einen  der  Gegner  zu  werfen  und  dann  im  Falle 
besserer  Aussichten  unter  Einstellung  der  Operationen  in  der  einen 
Front  mit  Hilfe  der  Eisenbahnen  seine  Armeen  nach  dem  entgegen- 
gesetzten Kriegstheater  zu  verlegen. 

.  Aber  diese  Frage  ist  nebensächlich  bei  der  Betrachtung  der  Taktik 
der  Infanterie,  mit  der  wir  jetzt  beschäftigt  sind. 

Indessen  ist  es  zweifellos,  dass  die  Folgen,  welche  aus  der  Schnellig- 
keit der  deutschen  Mobilmachung  entstehen,  in  Frankreich  wie  in  Russ- 
land in  Betracht  gezogen  sind. 

b)  Die  Grenzbefestigungen. 

Fortechritte  Frankreich  hat  während  eines  Vierteljahrhunderts  in  der  beständigen 

franz Juichen  Bcsorgnls  gelebt,  dass  es  irgendwie  in  militärischer  Hinsicht  von  Deutsch- 
Befertigiuig.  jg^jj^  überholt  werden  könnte.  Dazu  trug  deutscherseits  die  fortwährende 
Wiederholung  der  Behauptung  bei,  dass  die  deutsche  Armee  sich  schneller 
als  die  französische  konzentrieren  könne  und  dass  nur  die  Offensive  dem 
Geiste  der  deutschen  Truppen  entspreche.  Es  war  kein  Wunder,  dass 
die  Franzosen  alle  möglichen  Anstrengungen  machten,  um  ihr  Land 
gegen  Angriffe  zu  sichern.  In  den  letzten  zehn  Jahren  wurden  allein  in 
Frankreich  fast  zwei  Milliarden  Franks  auf  Befestigungen  verwendet. 
Die  Franzosen  zeigten  bei  der  Bearbeitung  der  Fragen,  die  mit  der  Ver- 
teidigung von  Gebietsteilen  verbunden  sind,  die  ihnen  zu  Gebote  stehende 
Feinheit  in  der  Auffassung  der  Dinge  und  jene  Einbildungskraft,  die 
mannigfache  Zufälligkeiten  voraussehen  lässt. 

Der  Charakter  der  Befestigungen  im  östlichen  Frankreich  hat  sich 
vollständig  verändert.  Den  Platz  der  früheren,  von  fem  sichtbai-en 
Festungen  oder  isolierter  Forts,  Redouten,  Halbmondschanzen  u.  s.  w., 
welche  bei  den  jetzigen  Belagerungsmitteln  leicht  zu  umgehen  und  sogar 
zu  nehmen  wären,  haben  Bodenerhebungen  eingenommen,  dem  Auge 
kaum  sichtbar,  unter  einer  Decke  von  Basen  und  Gesträuch,  wo  flache 
-  Schiessplätze  verborgen  sind,  weitläufige  kasemattierte  Räumlichkeiten, 
starke  Verteidigungsstellungen,  die  alle  Durchgänge  durchschneiden,  alle 
Anhöhen  krönen. 

Diese  kolossalen  Hohlbauten,  welche  mit  ungeheuerlich  starken  Gte- 
schtitzen  versehen  und  durch  tiefe  Erdschichten  und  Backsteingewölbe 
geschützt  sind,  können  Massengarnisonen  aufnehmen. 
Bedeatang  Noch  vor  dem  Begüin  der  Feindseligkeiten  werden  in  den  Zwischen- 

Redoaten.  räumeu  zwlschcu  diesen  dauerhaften  Befestigungen  Feldredouten  ent- 
stehen, die  in  Wäldchen  und  Weingärten  versteckt  und  mit  Drahtnetzen 
umgeben  sind,  wie  folgende  Abbildung  zeigt. 


Abhänsi^keit  der  Talctik  von  der  Beschaffenheit  der  Armeen. 


Bedoute  mit  Netz-TIinzBunmig. 

Derartige  Redooten  werden  inmittea  des  sie  Dingeljenden  Geländes 
schwer  za  unterscheiden  sein,  Sie  sind  dazu  bestimmt,  den  sich  kon- 
zentrierenden Armeen  als  Stützpunkte  zu  dienen,  und  falls  der  Feind 
solche  Punkte  umgeht,  werden  Freischärler-Abteilungen  aus  ihnen  hervor- 
kommen, die  ihn  im  Eäcken  angreifen  und  die  Offensiv-Armee  in  ernste 
Gefahr  bringen  können. 

Doch  dies  ist  noch  nicht  alles.     Die  gegenwäiligen  ungeheuren  wichugkeit 
Lagerbefestigungen    können   ganze  Armeen   in    sieb    aufnehmen,    deren  Logari»r»ii- 
Teile  die  Möglichkeit  haben  werden,  gegen  den  Angreifer  weit  über  die    ^''"'°' 
Linie  desjenigen  Geländes  vorzurücken,  welches  dieser  za  besetzen  be- 
absichtigt, ihn  anzugreifen  und   mit  Hilfe  ihrer  allmählich  ins  Gefecht 
geführten  Verstärkungen  ihn  vielleicht  zurückzuwerfen  und  auf  diese 
Weise  den  von  ihm  vorausgesehenen  Verlauf  der  Operation  völlig  zu 
ändern. 

Uebrigens  war  es  nicht  schwer,  die  Befestigung  Frankreichs  auf   uonsiiga 
die  Höhe  der  Vollkommenheit  zu  bringen.    Die  Strassen  für  den  Durch-    «t  nt 
zng  der  Truppen  aus  Deutschland  sind  schmal,  ihr  Boden  ist  dui'ch  An-  ^^'^^j""« 
höhen  gedeckt,  von  Thälern  und  Flüssen  durchschnitten,  in  den  Dörfern'"!^'"''*'' 
steinerne  Hänser,  die  Felder  mit  geflochtenen,  nicht  selten  gleichfalls  ans 
Steinen  aufgeführten  Umfriedigungen  umgeben. 

Wenn  man  den  Beschreibungen  der  östlichen  Grenzbefestigung 
Frankreichs  glauben  darf,  so  wird  an   den  Hauptstrassen,  die  zu  ver- 


626  ^'II'    TakUk  der  Infanterie. 

melden  nnmOglkh  ist,  auch  nicht  eine  Mauer  vorhanden  sein,  die  dem 
Befestigiingsplan  des  Geländes  nicht  angepasst  worden  wäre.  Bei  dem 
laachschwachen  Palver  kann  die  Verteidigung  aas  Decknngen  hinter 
Bänmen.  Faschinen  oder  Haufen  von  Säcken,  die  mit  Kide  gefüllt  sind, 
Balken  n.  s.  w,  dem  Angreifer  sehr  grosse  Verluste  zufügen.  In  jedem  Falle 
branclit  er  nicht  wenig  Zeit,  sich  den  Weg  zn  ehnen. 

In  den  Beilagen  geben  wir  verschiedenartige  Darstellungen  von 
Deckungen, '  wie  man  sie  anwenden  wird  (siehe  anch  Beilage  zn  S.  273).-') 

Sogar  Landhäuser  und  Gebäude  werden  in  Verteidignngspankte 
verwandelt  werden,  die  erst  zn  erstürmen  sind.  Um  hiervon  einen  Begrifl 
zu  geben,  bringen  wir  hier  die  Dai-stellung  der  Verteidigung  eines  Land- 
liauses  (Le  Butard)  vom  Jalire  1870. 


L«Bulard.  Paria  1870. 


hBpu.  ^" 


A\^ 


Verteidigung  eines  Landhauses. 

■  h''""d  ^^^  französische  Felddienst^Ordnung  sieht  sogar  die  Notwendigkeit 

ArtiUBrie   der  Hinzuziehung  von  Artillerie   gegen  ähnlich  befestigte  Häuser  vor. 
bXft'^   ^*  wird  darin  geradezu  gesagt,  dass  der  Angriff  auf  bewohnte  Gebäude 
"*""■    von  der  Artillerie  vorbereitet  werden  muss,   und   dass  nach  Zerstßnmg 
der  äusseren  Umgebung,  wie  sie  auch  sein  möge,  die  Linie  der  Infanterie 
um  Barrikaden  und  Häuser  herumgehen   und  in  das  Zentrum  der  An- 
siedelung eindringen  mnss. 

In   den   französischen  Manövern  wurden  Versuche  mit  solcher  Er- 
stCiminng  von  Gebäudekomplesen  gemacht. 


')  Brackenbury:  „Field  Works'*,  und  Malet:  „Handhook  of  Pield  Training". 


Abh&ngigkät  der  Taktik  voq  der  Besohntfenhait  der  Anneea.  527 

Der  Anschaulichkeit  wegen  bringen  wir  hier  die  folgende  Abbildung, 
welche  gerade  einen  solchen  Angrifi  darstellt.*) 


Angriff  auf  befestigte  Gebäude  in  den  französischen  Mauöveni. 

Wenn  man  die  Wirkung  des  rauchschwachenPulvers  nnd  die  furchtbare  *^'^' 
Dnrchschlagskraft  der  jetzigen  Infanteriegeschosse  bedenkt,  so  muss  man    dwucii- 
gestehen,    dass  ein  ähnlicher  Angriff  teuer  zu    stehen    kommen  wird.   zXon^"" 
Ausserdem  mnss  man  in  Erwägung  ziehen,  dass  die  grosse  Menge  von    *"*e«- 
Decknngen  aller  Art,  die  durch  das  Land  zerstreut  sind,  die  Bewegung 
der  OfFensiv-Armee  verzögern  muss,  und   dass  die  Notwendigkeit,  fortr 
während  sich  den  Weg  zu  ebnen,  und  die  Unvermeidlichkeit  der  Zerstörung 
ganzer  Ortschaften  dem  Kriege  den  Charakter  einer  besonderen  Erbitterung 
auf  beiden  Seiten  verleihen  wird. 

Aber  auch  unabhängig  von  materiellen  Verlusten,  früheren  wie  neuen, 
wird   in  einem  künftigen  Kriege  mit  Deutschland  eine  besondere  Er- 

*)  Die  Abbildung  ist   dem   ia  Paris   erschienenen  „Militäriaclien   Album" 
entnommen. 


528  ^^'   Taktik  der  Infanterie. 


bitternng  auf  Seiten  der  Franzosen  durch  die  Niederlagen  des  Jahres  1870 
bedingt  sein,  Schläge,  die  der  Kriegsruhm  Frankreichs  damals  erhielt. 

Man  muss  folgenden  Ausspruch  in  gewissem  Grade  als  richtig  an- 
erkennen, obwohl  er  aus  dem  Lager  des  Gegners  kommt:  „Bei  andern 
Völkern  bilden  Nationalstolz  und  Ruhmsucht  nur  eine  Leidenschaft,  aber 
bei  den  Franzosen  bilden  sie  die  hauptsächliche,  vorheiTSchende  Leiden- 
schaft." 0) 

Anwendang  j)[q  MiUtärschriftsteller  weisen  noch  auf  die  in  einem  künftigen 

Kriege  wahrscheinlich  häufige  Anwendung  von  Minen  hin,  die  in  die 
Erde  oder  in  die  vor  dem  anrückenden  Feinde  verlassenen  Gebäude,  in 
Brücken  u.  dgl.  gelegt  werden.  Die  Vervollkommnung  der  verschieden- 
artigen Minen  und  der  Mittel  zur  Erzeugung  von  Explosionen  wird  dahin 
führen,  dass  schon  in  der  Friedenszeit  auf  den  Wegen,  welche  der  Feind 
benutzen  kann,  verschiedene  Vorrichtungen  zur  Anlegung  von  Minen  und 
Torpedos  werden  getroffen  werden. «)  Ohne  diesem  Umstände  Bedeutung 
beizulegen,  verweisen  wir  nur  darauf  als  ein  Zeichen  dafür,  dass  die  zu 
einem  künftigen  Kiiege  sich  Rüstenden  nicht  die  Absicht  haben,  in  den 
Mitteln  besonders  wählerisch  zu  sein. 

Wir  bringen  in  den  Beilagen  Abbildungen  aus  dem  Werke  Omegas, 
welche  eine  solche  Art  minierter  Fallen  dai'stellen,  und  auch  die  Ansicht 
einer  Minen-Explosion. 

Frankreich»  Weuu   dlc    deutschc  Armee   unter  Ausnutzung   ihrer  schnelleren 

Defensive. 

Mobilisierung  in  französisches  Gebiet  eingerückt  ist,  so  wird  Frankreich 
unter  dem  Druck  der  Verhältnisse  und  infolge  seiner  Aufwendungen  die 
Defensive  wählen.  Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  in  Frank- 
reich alle  Entfernungen  bei  Zeiten  ausgemessen  sind,  und  ausserdem  Pläne 
und  Material  zu  schneller  Aufführung  von  Feldbefestigungen  und  zur 
Versorgung  der  Truppen  mit  Kriegsmitteln  und  allem  andern  Bedarf  im 
voraus  beschafft  sind. 
veniorgnngs-  Aber  ulcht  wcnlgc  Sorgen  werden  dem  Oberbefehlshaber,   der  in 

frage  ,  «-»'-» 

der  offen«iy- feindliches  Gebiet  einrückt,  bereitet  durch  die  Versorgung  von  einer 
»™ee.    jjyjjQ^  ^j^^j  jQgjjj.  Soldaten  mit  Verpflegung,  Pulver,  Munition,  Pferden 

und  dergl.,  welche  zur  Ergänzung  des  allmählichen  Abgangs  ohne  Unter- 
brechung vor  sich  gehen  muss.  Diese  Versorgungsfrage  kann  auf  die 
Wahl  von  Zeit  und  Ort  für  Operationen  Einfluss  haben.  Zur  Sicherung 
des  Rückens  müssen  Massregeln  ergriffen  werden,  damit  der  Gegner  die 
Verbindung  nicht  abschneiden  kann.    Schon  im  Kriege  1870  mussten  die 


5)  Preussischer  Generalstab :  „Der  deutsch-franzosisclie  Krieg  1870",  heraus- 
gegeben von  J.  Maslow. 

*)  Om^ga:   „La  defense  du  territoire  frangais". 


Land-Torpedos. 


1.  Selbstexplodierend  er  Torpedo:  A.  Kammer. 
—  B.  Zünder.  —  K.u.M.  Mechanismus  zum 
Erzeugen  der  Eiplosion. 

2.  Selbsteiplodierender  Torpedo  anderer  Art: 
A.u.B.  MecbanUmus  zur  Hervorbringung 
der  Explosion.  —  C,  Pulverkanuner.  ~  D, 
Zünder, 


8,  Gewöhnliclio  Flnttemiine :  A.  Kammer.  — 
B.  Schacht.  —  C.  Ziinderleitung. 

4.  Bombcninine:  A.  Zünderleitune.  —  B. 
Bomben.  —  C.  Ladung.  —  D.  KJsle  mit 
den  Bomben. 


Explosion  eines  Torpedos. 


Abhängigkeit  der  Taktik  von  der  Beschaffenheit  der  Armeen.  529 

Deutschen  zur  Sicherung  der  Eisenbahnen  grosse  Anstrengungen  machen.  "0 
Um  so  schwieriger  wird  diese  Aufgabe  künftig  sein,  wenn  die  deutsche 
Armee  nicht  den  Gegner  vierfach  an  Zahl  übertrifft,  sondern  auf  Streit- 
kräfte stösst,  die  ihr  an  Quantität  wie  an  Greist  und  Bewaffnung 
gleich  sind. 

Das  Beispiel  der  Kriege  aus  früherer  Zeit  kann  hier  nicht  genügende  Vergleiche 

«         o  j^£^  frtUierer 

Hinweise  geben,  schon  deshalb,  weil  die  Massen,  welche  am  Kriege  teil-  zeit 
nehmen  werden,  gewaltig  zugenommen  haben.  Wenn  ^.  B.  im  Jahre  1869 
ein  Krieg  zwischen  dem  Dreibunde  und  Frankreich  und  Russland  aus- 
gebrochen wäre,  so  hätte  sich  der  ganze  Betrag  an  Kriegstruppen  auf 
5  230  000  Mann  belaufen.  Gegenwärtig  würde  die  Totalsumme  beider  Seiten 
17  600  000  Mann  betragen. 

Allerdings  hat  sich  seit  jener  Zeit  das  Eisenbahnnetz  vergrössert, 
wodurch  für  jede  Armee  die  Proviantzufuhr  aus  ihrer  Heimat  erleichtert 
wird,  aber  es  fragt  sich  noch,  ob  man  im  Kriege  auf  diese  Zufuhr  wird 
rechnen  können,  wo  die  Verbindungen  zui'  See  abgebrochen  sind,  und  da 
kein  Land  in  Europa  ausser  Russland  und  Oesterreich-Ungam  imstande  ist, 
die  Bevölkerung  mit  eigenem  Getreide  zu  ernähren.  Eine  wenn  auch  nur 
temporäre  Verzögerung  der  Zufuhr,  z.  B.  infolge  Verkehrsstörungen  durch 
Anhäufung  von  Truppenzügen  oder  feindlichen  Maassnahmen  gegen  die 
Eisenbahnen,  wird  genügen,  um  auch  die  angreifende  Armee  in  eine 
kritische  Lage  zu  bringen. 

Wir  haben  jetzt  hauptsächlich  in  der  Voraussetzung  eines  Einfalls    ^.^«'0 
der  deutschen  Truppen  in  Frankreich  geurteilt.     Aber  man  darf  eine  komi)in»tion 
andere  Kombination  nicht  ausser  Acht  lassen,  nämlich  die,  dass  der  De^c^nd 
deutsche  Stab  es  vorziehen  könnte,  aktive  Operationen,  die  den  Krieg  ^^^  ^ 
entscheiden  werden,  an  der  Ostgrenze  zu  entwickeln,  und  sich  im  Westen 
auf  die  starke  Linie  zu  verlassen,  welche  mit  den  Rhein-Festungen  und 
Metz  dem  Angriff  der  Franzosen   widersteht,   obgleich   die   deutschen 
Schriftsteller  beständig  wiederholen,  dass  die  deutschen  Truppen  in  Frank- 
reich sein  werden,  bevor  noch  die  Franzosen  genügende  Streitkräfte  ge- 
sammelt haben.     Aber  man  darf  nicht  daran  zweifeln,  dass  auch  in 
Deutschland  für  den  Fall  eines  Einfalls  aus  Frankreich  alle  Massregeln 
zur  Befestigung  der  Westgrenze  getroffen  sind. 

Was  Italien  anlangt,  so  wird  Frankreich  aller  Wahrscheinlichkeit  Frankreich 
nach  dagegen  defensiv  operieren,  in  Anbetracht  der  natürlichen  Hinder- 
nisse und  der  vortrefflichen  Befestigungen  an  der  Alpengrenze  und  der 
Riviera,  und  zudem  noch  in  Anbetracht  des  Umstandes,  dass,  wenn  die 


^)  Zum  Schutze  der  deutschen  Armee  im  Rücken  waren  1870  abkommandiert: 
145  712  Mann  mit  5945  Pferden  und  80  Geschützen. 

Bloch,  Der  zakftnftige  Krieg.  34 


530  ^^^   Taktik  der  Infanterie. 


Italiener  auch  in  den  Süden  Frankreichs  einrückten,  dies  dennoch  die 
zentrale  Stellung  der  französischen  Armee  nicht  bedrohen  würde. 
DeatflchUnd  Denselben  Schwierisrkeiten,  denen  die  Franzosen   auf  deutschem 

gegen  " 

RuMiand.  Gebiete  begegnen  würden,  würden  die  Deutschen  auch  beim  Einrücken 
über  die  Grenzen  Russlands  begegnen.  Es  ist  zweifellos,  dass  an  den 
Grenzen  alles  gethan  worden  ist,  um  den  Boden  für  den  Empfang  des 
Feindes  vorzubereiten.  In  grösserer  oder  geringerer  Entfernung  von  den 
Operationslinien  des  Gegners  oder  an  diesen  Linien  selbst,  an  Verbindungs- 
punkten und  besonders  an  Flüssen  sind  starke,  befestigte  Lager  geschaflfen : 
Kowno,  Goniondz,  Warschau,  Nowogeorgiewsk,  Zegrz,  Iwangorod,  Brest, 
Luzk,  Dubno,  Rowno,  welche  den  Angreifer  durchaus  aufhalten  und  be- 
engen müssen. 

Aber  noch  bevor  der  Feind  erreicht  wird,  müsste  im  Bereich  der 
Festungen  eine  Reihe  von  Schlachten  in  einem  Gelände  geliefert  werden, 
das  im  Voraus  für  den  Kampf  vorbereitet  ist,  und  müssten  die  provisorisch 
befestigten  Punkte  mit  Sturm  genommen  werden. 

Für  die  aktive  Verteidigung  sind  im  Bereich  der  befestigten  Lager 
die  Punkte  an  den  Flussübergängen  befestigt  und  strategische  Eisen- 
bahnen und  Chausseen  gebaut,  welche  die  Möglichkeit  gewähren,  die 
Truppen  zur  Verteidigung  schnell  zu  konzentrieren  und  mit  allem  Nötigen 
zu  versehen,  während  der  Angreifer  auf  schlechten  Wegen,  durch  Wälder 
und  sumpfiges  Gelände  wird  marschieren  müssen,  an  denen  das  Land  so 
reich  ist. 

Als  nicht  weniger  wichtig  stellt  sich  die  natürliche  Verteidigung 
Russlands  dar,  und  schliesslich  wird  seine  Ausdehnung  und  die  geringe 
Ertragsfähigkeit  gewisser  Landstreifen  im  äussersten  Falle  einen  scythi- 
schen  Krieg  zu  führen  gestatten.  Die  Generale,  die  1812  Russland  zum 
Siege  verholfen  haben,  „Hunger"  und  „Kälte",  werden  auch  heut  noch 
die  taktischen  Gesichtspunkte  beeinflussen. 
Getreide-  Aber  was  am  wichtigsten  ist,  zur  Führung  eines  ähnlichen  Krieges 

mangel  in    .  ,  ,  . 

Dcutechiand.  ist  Zeit  uötig.  Und  diese  wird  Deutschland  nicht  zm-  Verfugung  stehen. 
Dieses  Land  bedarf  zu  seiner  Verpflegung  einer  so  bedeutenden  Menge 
eingeführten  Getreides,  dass  es  durch  Abschneidung  der  Land-  und  See- 
verbindungen sehr  bald  einer  Volksnot  gegenüberstehen  wird. 

Deshalb  muss  man  den  möglichen  Kombinationen  auch  die  hinzu- 
fügen, dass  Deutschland  es  vorziehen  wird,  den  Angriff  Russlands  ab- 
zuwarten. 

zaatand  der  Schou  gleich  uach  dcm  Kriege  1870/71  war  in  Preussen  die  Auf- 

deutschen 

otgrenze.  mcrksamkcit  auf  die  Verstärkung  der  nord-östlichen  Festungslinie  ge- 
richtet.   Seitdem  haben  die  Arbeiten  bis  in  die  letzte  Zeit  nicht  auf- 


Abhängigkeit  der  Taktik  von  der  Beschaffenheit  der  Armeen.    .  531 

gehört,  und  jetzt  sind  die  Verteidigungslinien,  die  sich  auf  die  Festungen 
stützen,  reichlich  mit  Personal  und  Material  zur  Führung  einer  aktiven 
Verteidigung  versehen.  Alles,  was  zur  Auffuhrung  provisorischer  Stütz- 
punkte an  den  Grenzen  nötig  ist,  ist  gleichfalls  vorbereitet.  Ausserdem 
ist  die  grosse  Zahl  strategischer  Eisenbahnen  in  solchem  Zustande,  dass 
sie  die  Landesverteidigung  völlig  sichern. 

In  Oesterreich  werden  zum  Schutze  gegen  Italien  die  Zugänge  in  ^^^j^ij^^ 
die  Thäler  Tirols  von  Befestigungen  neuester  Art  eingeschlossen.    Nicht      nnd 
weniger  stark  ist  die  italienische  Grenze  gesichert.    So  beseitigt  auch     ^  *''  * 
nicht  das  bestehende  Bündnis  die  gegenseitige  Kampfbereitschaft.    Gegen 
Russland  hat  Oesterreich  starke  Festungen  bei  Krakau  und  in  Przemysl, 
und  für  den  Fall  eines  siegreichen  feindlichen  Einfalls  sind  alle  nötigen  } 

Vorbereitungen  zur  Gegenwehr  getrofien.  I 

Auch  der  Nachbar  Oesterreichs ,  Russland,  hat  die  notwendigen 
Befestigungen  und  Stützpunkte  zur  Verhinderung  eines  österreichischen 
Truppen-Einmarsches,  wenn  es  sich  entschliessen  sollte,  gegen  das  ge- 
nannte Reich  die  Defensive  zu  wählen. 

Wie  daher  die  Krieg&pläne  auch  sein  mögen,  ein  jeder  Teil,  der    B^rfeg». 
den  Krieg  in  das  Gebiet  des  Gegners  verlegt,  wird  dort  furchtbare  Mittel  aiiw  L^der. 
zum  Empfang  der  Angriffsarmee  bereit  finden.    Die  Staaten  haben  un- 
zählige  Millionen   verausgabt,    um    trotz    der    Verschiedenheit    in   der 
Schnelligkeit  der  Mobilmachung  nicht  von  allzu  grossen  Vorzügen  der 
gegnerischen  Angriffskräfte  überrascht  zu  werden. 

Die  getroffenen  Vorbereitungen  haben  den  Zweck,  den  Gegner  zweck 
wenn  nicht  an  der  Grenze  selbst,  so  doch  in  den  der  Grenze  nahen  Ge- 
bieten aufzuhalten.  Inzwischen  muss  die  Kavallerie  beider  Theile  — 
diese  Voraussetzung  haben  wir  im  zweiten  Abschnitt  erwähnt  —  selbst- 
ständig in  das  feindliche  Gebiet  einfallen,  dort  alles  zerstören,  was  dem 
Kriege  dienen  kann,  und  diese  oder  jene  Truppenteile  des  Gegners  an 
solchen  Punkten  zum  Kampfe  zwingen,  die  nicht  befestigt  sind  und  die 
sie  selbst  wählt. 

Alles  dies  stellt  zusammengenommen  entweder  die  Hineintragung 
völlig  neuer  Elemente  in  die  Kriegsführung  oder  eine  so  grosse  Um- 
gestaltung und  so  ungeheure  Zahlenerhöhung  der  früher  aktiven  Streit- 
kräfte dar,  dass  in  früheren  Kriegen  nichts  Aehnliches  zu  sehen  war. 
Und  welche  Bedeutung  diese  neuen  Mittel  für  die  Taktik  der  Infanterie 
haben  können,  das  wollen  wir  jetzt  erklären. 


34' 


532  '^^^   Taktik  der  Infenterie. 


4.   Die  Befestigungen  künftiger  Schlachtfelder. 

umflug  Ein  künftiger  Krieg  muss  znm  Teü  den  Charakter  eines  Kampfes 

festi^^n.  mittelst  der  Anfführung  von  Befestigungen  annehmen.  Aber  diese  Be- 
festigungen werden  nicht  nur  in  dem  Gelände  an  der  Grenze  oder  nicht 
weit  von  der  Grenze  entstehen,  sondern  die  Schlachtfelder  selbst  werden 
ein  anderes  Aussehen,  als  sie  es  früher  hatten,  erhalten. 

Wichtigkeit  In  dem  Abschnitte  dieses  Werkes,  welcher  der  Belehrung  über 

.  (g^j^g^^^en  und  Feldbefestigungen  gewidmet  ist,i)  war  darauf  hingewiesen, 
dass  die  Auswahl  der  Punkte  für  die  Befestigung  und  die  Entscheidung 
für  die  eine  oder  andere  Art  der  letzteren  eine  sorgfältige  Prüfung  er- 
fordert, da  nicht  entsprechende  Bauten  und  Sperrungen  sich  als  Hindernis 
erweisen  und  geradezu  gefahrlich  für  denjenigen  werden  können,  der  sie 
aufgeführt  hat. 

Aber  zu  sorgfältigen  Studien,  Ausmessungen  und  Aufnahmen  der 
Grenzgebiete  hatten  alle  europäischen  Reiche  25  Jahre  Zeit,  und  si« 
haben  natürlich  die  besten  Kräfte  der  Kriegswissenschaft  darauf  ver- 
wandt. Deshalb  darf  man  auf  keiner  Seife  grobe  Fehler  für  möglich 
halten  noch  zugeben,  dass  ein  Reich  auch  in  dieser  Beziehung  besser  als 
ein  anderes  gerüstet  sei,  wie  es  der  Fall  hätte  sein  können,  wenn 
man  das  ganze  Befestigungssystem  in  kurzer  Frist  hätte  improvisieren 
müssen. 
Einfkche  Was  die  einfachsten  Feldarbeiten  betrifft,  so  haben  wir  an  anderer 

fiirinftinteri^  Stelle  gezeigt,  dass  sie  sich  leicht  ausführen  lassen,  seitdem  die  Truppen 
Artiuerie.  "^^  Schauzzcug  vcrsehcu  und  an  solche  Arbeiten  bei  den  Lageiübungen 
gewöhnt  sind.  So  wirft  eine  Kompagnie  mit  Hilfe  des  Schanzzeugs  ihrer 
Mannschaften  in  21/2  Stunden  einen  Wall  auf,  der  für  eine  Schützenkette 
von  250  Schritt  Länge  ausreicht.  Auch  für  eine  kleine  Schanze  von 
100  Schritt  Länge,  die  eine  Kompagnie  decken  kann,  ist  nicht  mehr 
Zeit  nötig. 

Grössere  Walle  oder  Schanzen  zur  Deckung  für  Infanterie  oder 
Artillerie  nehmen  schon  mehrere  Stunden,  aber  nicht  mehr  als  acht  in 
Anspruch.  Da  jetzt  auch  die  Abteilungen  der  Artillerie  mit  Schanzgerät 
versehen  sind,  so  kann  jede  Batterie  selbst  in  dieser  Zeit  eine  für  ihre 
Geschütze  genügende  Deckung  aufführen, 
sobneuere  Dicse  Schnelligkeit  in  Befestigungsarbeiten  war  in  früherer  Zeit 

g^iTfrSfr.  undenkbar.  Allerdings  wurde  gesagt,  dass  Totleben  die  Erdbefestigungen 
von  Sewastopol  improvisiert  habe.  Ohne  seine  Verdienste  schmälern  zu 
woUen,    welche   die  Kunst   der   Verteidigung    von  Festungen  vervoU- 


•)  S.  Feldbefestigungen  S.  253—279. 


Befesiagtmgen  künftiger  Schlachtfelder.  533 

kommnet  haben,  müssen  wir  gleichwohl  bemerken,  dass  er  dazu  mehrere 
Monate  Zeit  hatte.  Osman- Pascha  hatte  das  von  ihm  besetzte  Plewna 
stark  befestigt,  aber  auch  er  hatte  dazu  fast  zwei  Monate,  die  Zeit  nach 
dem  dritten  Sturm  ungerechnet. 

Hier  kann  die  numerische  Zusammenstellung  der  Ingenieurtruppen  veAwtnis 
im  Verhältnis  zur  Infanterie  nach  dem  Friedens  -  Etat  der  verschiedenen  teehniflcheB 
Armeen  von  Interesse  sein.    Zu  den  Ingenieurtruppen  werden  Sappeure,  ^Sf^riT^ 
Pioniere  und  Pontoniere  gerechnet.    Deren  giebt  es  in  den  Armeen  (das 
Bataillon  zu  4  Kompagnien  gerechnet): 

Kussland  ...    auf  1040  Inf.-Bat.  25  Pion.-Bat.  =  41 

„      711    „     „      23     „        >?     =  31 


Deutschland 
Oesterreich 
Italien   .  .  . 
Rumänien  . 

• 

Frankreich . 


„  462  „  „  16     „  „  =  31 

„  346  „  „  13*/4  „  „  =  26 

„  m  „  „  4     „  „  =  26 

„  684  „  „  26     „  „  =  22 


1 
1 
1 
1 
1 
1 


Aber  ein  bekannter  Militärschriftsteller,  der  belgische  Greneral 
Brialmont,  hält  anch  das  letzte  Verhältnis  für  nicht  genügend.  Er  rät 
nicht  2n  dem  Verhältnis  von  1  Pionier  zu  22  Infanteristen,  sondern  von 
1 :  16.   Der  General  Kfllichen  geht  noch  weiter  und  will  1 :  13. 

Bemerkenswerth  ist  die  besondere  Sorgfalt,  die  man  in  Deatschland  '»rf»»«»» 
auf  die  Feldpionier-Thätigkeit  verwendet.    Erst  im  Jahre  1890  war  dort  Feidpioaier- 
eine  neue  Feldpionier-Vorschrift  für  die  Infanterie  eingeführt,  und  jetzt  D^ta^Jhuna! 
ist  sie  durch  eine  andere  ersetzt,  erstens  deshalb,  weil  man  die  darin 
enthaltenen  Vorschriften  über  die  Herstellung  von  Befestigungsarbeiten 
als  schon  veraltet  erkannte,  und  zweitens,  weil  man  gegenwärtig  die 
Infanterie  zur  selbständigen  Herstellung  solcher  Feldarbeiten  anleitet, 
ohne  Mitwirkung  technischer  Truppen  und  ohne  die  überflüssigen  Ingenieur- 
Künsteleien.  2) 

Es  wird  nicht  unnütz  sein  zu  erwähnen,  dass  die  Truppen  in  allen  B«dentang 
Armeen  zur  Herstellung  leichter  Feldschanzen  verschiedener  Art   an-  tMgungen 
geleitet  sind,  zu  deren  Aufführung  einige  Minuten  erforderlich  sind,  aber  yj^iiafger. 
dann  können  diese  allmählich  verstärkt  werden,  so  dass  der  Verteidiger 
immer  genügend  Zeit  zur  Befestigung  seiner  Stellung  haben  wird.    Die 
Vorzüge,  welche  Feldbefestigungen,  wenn  auch  nur  leichter  Art,  gewähren, 
sind  zu  bedeutend,  als  dass  der  Verteidiger  sie  nicht  sollte  benutzen 
wollen.    Die  Truppen,  die  zum  Angriff  schreiten,  sind  in  diesem  Augen- 
blick fast  schutzlos,  während  der  Verteidiger  sie  schon  aus  gi'össerer 
Entfernung  mit  einem  sehr  wirksamen  Feuer  überschüttet.  Die  Angreifer 


»)  LöbeUfl  „Militärische  Jahresberichte",  1894. 


534  VII-    Taktik  der  Infanterie. 


können  nur  zeitweise  Halt  machen  und  aus  irgend  welchen  naturlichen 
Deckungen  schiessen,  wie  hinter  Bodenerhebungen,  Bäumen,  Steinen  u.s.w. 
Die  Angriflslinien,  welche  eine  nach  der  andern  folgen,  können  mit 
ihrem  Feuer  die  vor  ihnen  Angreifenden  unterstützen.  Aber  gleichwohl 
müssen  auch  diese  Linien  sich  allmählich  den  Stellungen  nähern,  wobei 
sie  zu  feuern  aufhören,  während  der  Verteidiger,  der  seinerseits  hinter 
Schanzen  liegt,  das  Feuer  beständig  und  mit  allen  seinen  Kräften  unter- 
halten wird.  5) 


5.   Vorschriften  für  den  Aufmarsch  zum  Gefecht  und 

die  Gefechtsführung. 

Folgen  der  Aus  ciucr  auch  uur  obei'flächlichen  Durchsicht  der  Abschnitte  über 

Bewaffnung,  die  ueue  Bewaffnung  und  die  Geschosswirkungen  der  Artillerie  kann  der 

Leser  die  Ueberzeugung  gewinnen,  dass  ein  künftiger  Krieg  in  vielen 

Beziehungen  den  vorangegangenen,  darunter  auch  dem  letzten  zwischen 

regulären  Truppen,  dem  Feldzuge  1877/78,  nicht  ähnlich  sein  wird. 

Die  Gewehre  kleinen  Kalibers,  deren  Durchschlagskraft  6  bis  10  Mal 
grösser  ist  als  die  der  früheren,  die  Geschütze,  welche  die  früheren 
Kanonen  20  Mal  an  Feuerwirkung  und  Treffweite  überragen,  das  rauch- 
schwache Pulver,  die  verschiedenen  vorher  unbekannten  Kriegsgeschosse 
und  Vorrichtungen,  die  Ausbildung  der  Truppen  in  schneller  Aufführung 
von  Erdarbeiten,  alles  dies  sind  neue  Elemente  für  den  Kampf,  Be- 
dingungen, die  seinen  Einfluss  komplizieren. 
Bedenken  Je  komplizierter  diese  Bedingungen  und  je  vollkommener  die  Be- 

&ftihrang  waffnuug  ist,  umsomehr  Erfahrung  und  Ausdauer  wäre  von  Offizieren 
^i^d^Mail"  ^^*  Mannschaften  zu  fordern.    Aber  schon  jetzt  haben  drei  Viertel  der 
Schäften,   aktiveu  Offiziere   keinen  Krieg  mitgemacht   und  kennen  ihn   nur   aus 
Manövern  und  Büchern.    Und  wann  auch  immer  ein  Krieg  entstünde,  so 
werden  in  den  Reihen  der  Armeen  ^/g  des  ganzen  Bestandes  Reserve-  und 
Ersatzleute  bilden. 
Bedeutung  Iß  Vergangenen  Zeiten,  wo  es  möglich  war,  sich  nach  den  Lehren 

eines 

unerwarteten  früherer  Kricgc  ZU  richteu,  und  wo  alle  Methoden  bei  Angrüf  und  Ver- 

mfmenu  teldlgung  durch  Vorschriften  und  Instruktionen  bis  ins  Einzelne  festgesetzt 

waren,  genügte  irgend  ein  wichtiger,  unvorhergesehener  Umstand,  um 

den  Gang  des  Gefechts  zu  verändern  und  diesen  oder  jenen  Truppenteil 

einer  unerwarteten  Gefahr  auszusetzen.    Aber  wie  sehr  vergrössert  sich 

3)  General  Brackenbury:  „Field -Works",   und  Malet:   „Handbook  of  Field 
Training". 


Yorschrifben  fiir  den  Aufiaaarsch  zum  Gefecht.  535 


die  Wahrscheinliclikeit  und  die  Bedeutung  eines  jeden  unerwarteten  Er- 
eignisses heutzutage  bei  dem  rauchschwachen  Pulver,  welches  die  Er- 
kennung der  gegnerischen  Bewegungen  erschwert,  und  bei  der  jetzigen 
Bewaflnung,  dank  welcher  ein  ganzer  Truppenteil,  der  plötzlich  unter  eine 
Salve  des  wirksamsten  Feuers  kommt,  in  einem  Schwanken  von  höchstens 
zehn  Minuten  vollständig  Mann  für  Mann  vernichtet  werden  kann. 

Deshalb  sprechen  gewisse  Kriegsmänner  von  grosser  Autorität  die  Bedentong 
Meinung  aus,  dass  es  bei  einer  künftigen  Kriegsftthrung  nicht  möglich       iu- 
ist,  allgemein  verbindliche  Vorschriften  und  Grundsätze  aufzustellen,  und  "*"^'^''®''- 
dass  die  Befolgung  solcher  in  allen  FäUen  obligatorischer  Vorschriften 
bisweilen  die  schlimmsten  Folgen  haben  kann. 

Hierbei  verweilen  wir  deshalb,  weil  es  im  Ernstfälle  ganz  anders 
sein  wird  als  in  den  Manövern,  deren  Lehren  man  bei  der  Zusammen- 
stellung von  Vorschriften  benutzt.  Wenn  an  Stelle  der  Jalonneure  mit 
Fähnchen,  die  den  Gegner  markieren,  oder  auch  an  Stelle  der  entgegen- 
gesetzten Truppenabteüung,  die  musterhaft  schiesst,  Massen  erscheinen, 
die  wirkliches  Feuer  abgeben,  dann  wird  die  Unmöglichkeit,  die  eine 
oder  andere  Bewegung  in  Uebereinstimmung  mit  den  Vorschriften 
auszuführen,  sich  viel  eher  zeigen,  als  sie  von  den  Schiedsrichtern  im 
Manöver  anerkannt  wird. 

Der  Einwurf,  dass  die  jetzigen  Vorschriften  mit  voller  Kenntnis  der 
neuen  Geschosswirkungen  und  aller  gegenwärtigen  Gefechtsbedingungen 
aufgestellt  sind,  erweist  sich  schon  deshalb  als  nicht  stichhaltig,  weil 
keine  Vorschriften  die  Grösse  der  Verluste  oder  die  Zahl  der  Minuten 
voraussehen  können,  nach  der  man  die  Schlachtordnung  oder  die  unter- 
nommene Bewegung  verändern  muss.  Aber  wenige  Minuten  werden 
dazu  genügen,  dass  der  Truppenteil  zurückgeht,  doch  nicht  mehi-  ganz 
wie  im  Manöver,  sondern  nur  die  unversehrt  gebliebene  Hälfte. 

Da  wir  von  Gefechtsregeln  sprechen,  wollen  wir  das  französische  Gründe  m 

di6  An- 

Reglement  als  Beispiel  anführen.  Dazu  veranlassen  uns  folgende  Um-  fthnmg  de« 
stände:  erstens  wui-de  das  rauchschwache  Pulver  und  das  MeinkaUbiige  ^"jere^nto" 
Gewehr  in  der  französischen  Armee  früher  als  in  den  andern  eingeführt, 
und  zudem  kann  man  zugeben,  dass  ihr  Reglement  auf  einen  grösseren 
Schatz  wenn  auch  nur  von  Friedenserfahrungen  gegründet  ist;  zweitens 
wird  in  Russland  das  rauchschwache  Pulver  erst  noch  eingeführt,  und 
im  deutschen  Heere  ist  den  Offizieren,  nicht  nur  den  im  aktiven  Dienst 
stehenden,  sondern  auch  denen  des  Beurlaubtenstandes,  streng  verboten, 
ihre  Meinung  über  militärische  Dinge  zu  äussern;  die  englische  Armee 
ist  den  übrigen  unähnlich,  weil  sie  aus  Berufssoldaten  besteht,  die  sich 
für  Geld  anwerben  lassen,  und  in  Italien  treten  wenige  selbständige 
militärische    Versuche    hervor,    und    auch    diese    halten    sich    haupt- 


536  ^^11-    Taktik  der  Infanterie. 


sächlich  an  das,   was  in   andern  Ländern   bearbeitet   oder  festgesetzt 
worden  ist. 

In  Frankreich  allein  ist  bei  dem  Vorhandensein  aller  neuesten  Ver- 
vollkommnungen kraft  des  nationalen  Temperaments,  der  Gewohnheit  und 
der  Staatsfonn  selbst  die  Bedingung  vorhanden,  dass  militärische  Fragen 
oflen  und  allseitig  ohne  die  Gefahr  irgend  welcher  unangenehmer  per- 
sönlicher Folgen  von  Kennern  beurteilt  werden.  Auf  Grund  dieser  Er- 
wägungen wollen  wir  hauptsächlich  bei  dem  französischen  Reglement 

verweilen, 

a)  Das  französische  Gefechtsreglement. 

mstorisow  Die  Vorschriften  für  die  Gefechtsführung  waren  erst  im  Jahre  1883 

nach  einem  sorgfältigen  Studium  der  Wirkungen  des  Gewehrs,  Modell 
1874,  erschienen,  wobei  schon  zum  Teil  die  Veränderungen  berücksichtigt 
wurden,  welche  seit  der  Ausgabe  des.Lebel-Gewehrs  (Modell  1886)  an 
die  Truppen  nötig  waren.  Darauf  wiirden  vier  Jahre  lang  Beobachtungen 
über  die  Wirkung  des  neuen  Gewehrs  angestellt  und  im  Jahre  1890 
erschien  die  sogenannte  provisorische  Instruktion  für  die  Gefechtsführung. 
Ent-  Aber  bevor  wir  zur  Besprechung  der  in  dieser  Instruktion  vor- 

deT  Gefecht»,  gesehenen  Gefechtsformationen  schreiten,   wird  es,  glauben  wir,  nicht 

^i^^^jj^®' unnütz  sein,  ein  Bild  von  der  Entwickelung  der  Infanterie  zu  geben, 
wenn  sie  aus  der  geschlossenen  Tiefkolonne  zum  Angriff  in  die  Gefechts- 
front übergeht. 

Front,  und  Währcud   dcs   Vormarsches  kann   die  Front  und  die  Tiefe  der 

Tiefen*- 

mudeiinuDg.  Eolonue  verscMedeu  sein,  muss  aber  in  den  bekannten  Grenzen  bleiben. 
Die  Front  kann  bis  232  Meter  betragen,  und  zwar  210  Meter  Gefechts- 
front und  22,5  Meter  für  die  Halb-Intervalle  im  Bataillon. 

Die  Tiefe  der  Kolonne  kann  bis  auf  300  Meter  gebracht  werden ; 
aber  das  ist  die  grösste  Entfernung  zwischen  den  Staffeln  in  der  Bewegung. 
Den  Kompagnieführern  bleibt  es  überlassen,  zur  Verminderung  der  Ver- 
luste den  Abstand  und  die  Zwischenräume  rechtzeitig  zu  verändern, 
aber  ohne  dass  der  Aufmarsch  der  Kompagnie  die  Grenzen  von  232  und 
300  Metern  überschreitet,  welche  für  Front  und  Tiefe  der  Kolonne  fest- 
gesetzt sind. 

Während  das  aus  vier  Kompagnieen  bestehende  Bataillon  nach  Maass- 
gabe der  Annäherung  an  den  Feind  dem  Feuer  ausgesetzt  ist,  verringert 
es  allmählich  mehr  und  mehr  seine  Tiefe  und  entwickelt  die  Front. 

Verhaltender  In  Bczug  auf  dcu  Begiuu  des  Gefechts  ist  gesagt,  dass  die  Infanterie 

oefecit "  "^^  der  Avantgarde  die  Artillerie  deckt  und,  indem  sie  sich  nach  Möglich- 
keit auf  1500  Meter  nähert,  sich  bestrebt,  nicht  nur  gegen  die  feindliche 
Infanterie  zu  operieren,  sondern  auch  ihre  Salven  auf  deren  Batterieen 
zu  konzentrieren.    Im  gegebenen  Augenbliek  fasst  der  Befehlshaber  den 


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Bd.  L    Elsncan  tii  Silts  CBT. 


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300 

200 

30O 

360 

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600 

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Vorachritten  für  dec  Attfinarach  zum  Gefecht.  537 

Entschlnss,  eatweder  auf  den  Angriff  zn  verzichten  oder  ihn  mit  allen 
Kräften  za  filhien.  In  ersterem  Falle  giebt  er  der  Infanterie  das  Signal 
znm  ßückzng,  während  die  Artillerie  mit  ihrem  Fener  die  feindliche  In- 
fanterie niederhält;  in  letzterem  zieht  er  zur  Unterstützung  der  schon 
ins  Gefecht  geführten  Teile  die  Reserven  zusammen.  Xach  Möglichkeit 
wird  Verstärkung  des  Angrifls  mit  frischen.  Truppen  gefordert,  nnd  dieser 
beginnt  bei  600  Metern,  wenn  man  annehmen  kann,  dass  die  Ausdauer 
des  Gegners  schon  etwas  gebrochen  ist-  Die  Teile,  die  am  Schiessgefecht 
teilgenommen,  schliessen  sich  an  den  Flanken  mit  den  frischen,  zum  ent- 
scheidenden AngriS  anrückenden  Truppen  zusammen. 

Die  Kompagnie  formiert  sich  in  der  Entfemnng  von  1500  Metern      ebi- 
zum  Gefecht  und  schickt  eine  oder  mehrere  Abteilungen  zur  Bildung  einer     'dt'"* 
Schützenlinie  zunächst  in  geschlossener  Ordnung  aus.    Bei  1400  bis  1200  "»"p^"" 
Metern  Entfernung  vom  Feinde  entwickelt  sich  die  Abteilung  in  Halb- 
Abteilungen,  diese  bei  1200  bis  1000  Metern  in  Züge,   und  bei  1000  bis 
800  Metern  lösen  sich  die  Zugs  in  Schützenschwärme  auf,  aber  nur  in 
dem  FaUe,  wenn  das  Gelände  offen  und  das  Feuer  bedeutend  ist. 

Weiter  unten  bringen  wir  aus  der  „Illustration"  (18.  Jnli  1891)  die  *i.biHu.g«i 
Abbildung  der  Aufstellung  eines  Bataillons  zum  Gefechtssehiessen  in  den 
französischen  Manövern,  und  in  den  Beilagen  zeigen  wir  die  Abbildung 
der  Entwicklung  der  Infanterie  g^en  Plewna  nnd  drei  Zeichnungen ')> 
von  denen  die  erste  die  Aufstellung  eines  auf  3000  bis  1600  Meter  zum 
Angrifi  gehenden  Bataillons  nach  der  französischen  Instruktion  ze^t, 
die  zweite  die  Aufstellung  eines  Bataillons,  das  auf  IBOO  bis  100  Meter 
znm  Angrifi  schreitet,  nnd  die  dritte  den  Angriff  eines  Bataillons  auf 
600  Meter  Entfemnng. 


Aufstellung  eines  BataillonB  zum  Sohiesagefecht  in  den  franEösisohen  Manövern. 

^)  Die  Zeichnungen   sind   entlehnt  aus  den  Werken:   „Manuel  de  guerre" 
und  „Le  combat",  Paris  1S90. 


538  "^^II-    Taktik  der  Infanterie. 


Die  weiteren  Phasen  des  Angriffs  werden  wir  nach  dem  Werke  des 
Generals  Ferron  darstellen  2). 
spranjrweiaee  ^j){q  angreifenden  Bataillone  gehen  im  Schnellschritt,  nur  auf  Kom- 

Vorgehen.  , 

mando  Halt  machend,  in  der  Richtung  des  jeder  Abteilung  angegebenen 
Angriffsziels.  Die  Schützenlinie  mit  den  Reserven  hinter  sich  läuft  von 
800  Metern  an  200  Meter  vor.  Nach  diesen  ersten  200  Metern  folgen 
einige  Minuten  zur  Erholung,  worauf  die  Schützenlinie  auf  ein  gegebenes 
Zeichen  sich  von  neuem  in  Bewegung  setzt  und  weitere  200  Meter 
vorläuft." 

„Indem  man  so  die  Vorwärtsbewegung  fortsetzt,  kann  man,  sagt 
General  Ferron,  die  moralische  Stimmung  der  Truppen  fördern,  denn  die 
Soldaten  bewahren  unter  sich  ein  Band,  mit  dessen  Hilfe  man  die  Kühn- 
heit bis  zum  wirklichen  Paroxysmus  steigern  kann." 

„Nach  einer  kurzen  Pause  giebt  Trommelschlag  und  Hornblasen  das 
Signal  zum  Ansturm,  und  die  Truppen  laufen  schnell  weitere  200  Meter  vor." 

In  der  neuen  französischen  Instruktion  stellt  sich  als  das  Wichtigste 

die  Gefechtsaufstellung  in  einer  Linie  dar,  femer  die  Abschaffung  der 

SpezialSchützen  und  die  Eröffnung  des  Feuers  auf  weite  Entfernungen. 

Polemik  Aber  die  angegebenen  Angriffsarten  riefen  lebhaften  Widerspruch 

l^iTma^  hervor.    Es  wurde  berechnet,  dass  der  direkte  Angriff  auf  Stellungen  in 

den  bezeichneten  Formen  selbst  unter  den  günstigsten  Bedingungen  jedes 

Mal  so  viel  kosten  würde,  dass  ein  derartiger  Angriff  sich  als  geradezu 

unmöglich  herausstellen  würde. 

Frage  nacii  Alle  Reglemcuts  stimmen  darin  überein,  dass  die  Stellungen  des 

der^^Angriff»-  Geguers  bis  zum  Beginn  des  Angriffs  in  engerem  Sinne  durch  ein  richtig 

trappe,    geleitetes  und  wirksames  Feuer  dazu  vorbereitet  werden  müssen. 

Die  Truppen,  welche  zu  dieser  einleitenden  Beschiessung  des 
Gegners  bestimmt  sind,  müssen  hinreichend  stark  sein,  damit  die  lieber- 
legenheit  des  Feuers  gesichert  ist. 

In  Bezug  hierauf  wai*  im  „Progrfes  militaire"  folgende  Frage  auf- 
geworfen: „Wie  gross  muss  bei  einem  gegebenen  Bestände  der  Ver- 
teidigungstruppe die  Angriffstruppe  sein,  damit  sie  trotz  der  Verluste, 
die  sie  beim  Vorgehen  erlitten,  bei  einer  Annäherung  auf  32  Meter,  wo 
sie  schon  die  Möglichkeit  hat,  mit  dem  Bajonett  anzugreifen,  der  ersteren 
an  Zahl  nicht  nachstehe?" 
^  Zur  Entscheidung   dieser  Frage    stellt    der    „Progrfes    militaire" 

derselben,  folgcudc  ßerechnuug  an. 

Auf  100  Mann,  welche  die  Schanzen  besetzt  halten,  muss  der  An- 
greifer, um  auf  25  Meter  dieselben  Kräfte  zu  haben,  bei  der  jetzigen 


')  General  Ferron:  „Quelques  indications  pour  le  combat",  Paris  1891. 


Vorschriften  für  den  Aufinarsch  zum  Gefecht.  539, 

Feaergeschwindigkeit  and  der  Easanz  der  Flagbahn  folgende  Anzahl 
liaben: 

Im  Beginn  der  Entfernung  von  500  Metern  637  Mann 

«400  „       613      „ 

«         «             „            „     300  „       575       „ 

„        r         »             ^            „     200  „       502       ^ 

»100  „       342       „ 

«      50  „       182       „ 

-,      26  „       100       „ 

Im  Sinne  des  Gefechts  ist  nicht  so  sehr  der  Umstand  wichtig,  ^ 
dass  bei  637  Mann  537  werden  kampfunfähig  werden,  als  es  äugen-  b«« 
scheinlich  ist,  dass,  wenn  von  6  Mann  nur  einer  auf  die  Entfernung  von 
25  Metern  herankommen  könnte,  keiner  bis  dahin  kommen  wird,  weil 
viel  trüber  der  EUckzug  beginnen  wird.  In  Anbetracht  der  Belehiung, 
die  diese  Berechnung  gewährt,  geben  wir  hier  auch  eine  graphische 
Daistellung  davon,  nnd  zwar  nm  so  eher,  als  zwei  angesehene  rassische 
Schriftstellers)  sie  ohne  Widersprach  beibringen. 


5 

Anzahl  der  Angreifer,  die  durch  100  verachanzte  Soldaten  kampfunfähig  werden. 

Daher  würde  der  Angreifer,  wenn  er  sich  streng  an  die  angeführte 
Berechnung  hielte,  6  bis  7  Mal  stärker  als  der  Verteidiger  sein  müssen.  ■ 
In  Wirklichkeit  aber  wird  er  einen  noch  bedeutenderen  Ersatz  von 
Leuten  haben  müssen.  Der  französische  Autor  bemerkt,  dass  die  Ziffern 
der  Verluste  auf  den  verschiedenen  Entfernungen  auf  Grund  der  Er- 
fahrungen mit  dem  gefechtsmässigen  Schiessen  aufgestellt  sind,  welches 
die  Anzahl  der  Kageln  angiebt,  die  nötig  sind,  um  einen  Mann  in  der 


^  Michnewitsch:    „Der  Einfluss   der   neuesten   technischen  ErEndungen 
auf  die  Taktik  des  Krieges",  und  Skugarewski:  „Der  Angriff  der  lafonterie". 


540  ^^    Taktik  der  Infanterie. 


Schützenlinie  zutreffen.  Aber  wenn  die  ganze  Abteilung,  die  siehzaäeni 
allmählich  verdichten  moss,  anruckt,  so  ist  klar,  dass  Kugeln,  die  bei 
einem  vorbeigegangen  sind,  andere  treffen  werden,  die  zur  Ergänzung 
hinten  folgen.  Ausserdem  muss  man,  wenn  der  Boden  günstig  ist,  auch 
die  Prellschüsse  berechnen.  Endlich  ist  in  der  erwähnten  Berechnung 
auch  der  Umstand  nicht  in  Erwägung  gezogen,  dass  das  jetzige  Hein- 
kaliber-Geschoss  auf  kurze  Entfernungen  mehrere  Menschen  durchbohrt. 
„Wenn  wir  daher",  so  schliessrt  derselbe  Schriftsteller,  „annehmen,  dass 
vor  dem  Angriff  selbst  d^r  anrückejide  Teil  gleichwohl  im  Vergleich  zur 
Verteidigung  einen  doppelten  Bestand  haben  muss,  um  auf  die  Stellungen 
Salven  abzugeben,  die  zur  Vorbereitung  des  Sturms  genügen,  so  kommen^ 
wir  zu  diesem  Resultate:  Damit  eine  Abteilung  unter  Feuer  in  ofienem 
Gelände  eine  gut  verteidigte  Stellung  erreichen  kann,  muss  sie  einen 
Bestand  haben,  der  wenigstens  achtmal  die  Zahl  des  Gegners  übertrifft." 
Da  man  aber  unmöglich  zugeben  kann,  dass  sich  in  der  Gegenwart 
bedeutende  Unterschiede  in  der  Zahl  der  aufs  Schlachtfeld  geworfenen 
Truppen  zeigen  könnten,  so  sind  die  angeführten  Vorschriften  nur  für 
theatralische  Schauspiele,  die  Manöver  genannt  werden,  nützlich. 
Eimteuff  j)ie  Macht  der  öffentlichen  Meinung  veranlasste  das  Kriegsressort, 

KommiMion.  eiuc  besoudcrc  Kommission  zur  Prüfung  der  oben  erwähnten  Vorschiiften 
einzusetzen,  zu  deren  Verfügung  die  Uebungslager  von  Chälons  und  eine 
Infanterie-Brigade  gestellt  wurden. 

Darauf  wurde  der  Kommissionsbericht  allen  Korpskommandeuien 
mitgeteilt  und  deren  Antworten  gingen  an  den  höchsten  Kriegsrat. 
urteüe  Wü"  gcbeu  dic  Uebersicht  dieser  Antworten.*)    Es  wurde  bestätigt, 

kommui.  dass  dic  Verteidigungsmittel  sich  verstärkt  haben,  und  dass  infolge  dessen 


danten. 


eine  sorgfältige  vorhergehende  Aufklärung  der  Streitkräfte  und  der 
Stellung  des  Gegners  notwendig  ist.  Es  wurde  anerkannt,  dass  die  Be- 
nutzung natürlicher  Deckungen  sehr  richtig  ist,  und  dass  jeder  Soldat 
darin  geübt  sein  muss,  und  der  Anführer  jedes  Truppenteils  muss,  wissen, 
wie  er  unter  den  verschiedenartigen  Bedingungen  des  Geländes  zu 
handeln  hat.  Dörfer,  überhaupt  Wohngebäude  bieten  weujg  Aussicht  auf 
Verteidigung,  da  die  Artillerie  es  sehr  schnell  unmöglich  machen  wird, 
sich  in  ihnen  zu  halten.  Dasselbe  gilt  von  Gärten  und  Wäldchen. 
Aber  grosse  Wälder  bieten  sogar  gegen  starkes  Artilleriefeuer  eine 
wichtige  Deckung. 

Schanzarbeiten  werden  mehr  und  mehr  notwendig  sein  und  in  ihrer 
schnellen  Herstellung  muss  jeder  Soldat  ausgebildet  sein.  Die  Infanterie 
eröffnet  das  Feuer  auf  grössere  Entfernuiigen,  welche  seine  Wirksamkeit 


^)  „Encyclop^die  des  scien<!es  militaires". 


Vorschrijpben  für  den  Aufinarsch  zum  Gefecht.  541 

gestatten,  and  giebt  es  in  Salven  ab,  wodurch  Kontrole  des  Zielens  und 
Regulierang  im  Patronenverbrauch  ermöglicht  wird.  Für  Infanterie  wie 
für  Artillerie  ist  es  nötig,  einen  aufgepflügten  Boden  zu  vermeiden,  da 
das  Feuern  auf  ihm  den  Staub  erzeugt,  der  den  sich  lange  nicht  ver- 
teilenden Rauch  des  fiiiheren  Pulvers  ersetzen  kann.  Die  Feuerabgabe 
auf  grössere  Entfernung  erfordert  geschickte  Schützen  und  entsprechende 
Erhöhung  des  Zielens.  Sehr  wichtig  ist  die  ununterbrochene  Versorgung 
mit  Munition,  da  ihr  Verbrauch  reichlich  sein  wird. 

Die  Exaft  des  jetzigen  Infanteriefeuers  hat  demselben  eine  so  grosse  Aufgabe  der 

Vit  1i  rar 

Bedeutung  für  den  Gang  des  Gefechts  gegeben,  dass  die  in  die  vorderste 
Linie  geschickten  Truppenteile  nur  von  ihren  unmittelbaren  Anführern 
geleitet  werden  dürfen.  Im  Verhältnis  zu  ihnen  muss  die  Aufgabe  des 
Kommandeurs  sich  auf  die  fortwährende  Zuschickung  neuer  Verstärkungen 
beschränken.  Sobald  der  Kommandeur  einer  Division,  einer  Brigade 
oder  eines  Regiments  sein  letztes  Bataillon  in  die  erste  Linie  geschickt 
hat,  ist  auch  die  Kommandofuhrung  dieses  höheren  Befehlshabers  zu 
Ende;  ihm  bleibt  nur  übrig,  mit  seinen  Leuten  zu  gehen  und  ihnen 
ein  Beispiel  zu  geben. 

Bezüglich  der  Resultate  des  gefechtsmässigen  Erfahrungsschiessens,  verloste  der 
welches  den  Grad  seiner  Gefährlichkeit  für  die  angreifenden  Truppen    ^inie*° 
bestimmen  sollte,  wurde  nur  bekannt,  dass  die  Kommission  die  wahr- 
scheinlichen Verluste  der  Schützenlinie,  wenn  die  Schützen  zwei  Meter 
von  einander  entfernt  sind,  in  folgender  Berechnung  annahm: 

Bei  der  Entfernung  von        Mit  dem  Gewehr  1874         Mit  dem  Gewehr  1886 

200  Metern  24  o/o  32  o/^ 

400       „  12  o/o  160/0 

600       „  60/o  80/o 

800       ^  30/0  60/0. 

.  Versuche  wurden  auch  mit  mehr  vervollkommneten  Gewehren  als 
Modell  1886  angestellt,  und  gleichzeitig  alle  Neu-Eii;iführungen  und  Ver- 
vollkommnungen in  der  Artillerie  erprobt. 

Die  mitgeteilten  verschiedenen  Ansichten   führt  der  Verfasser  der 
Schrift:  „Nouvelle  tactique  de  combat",  Paris  1892,  nach  drei  Schulen  vor. 

Die  alten  Soldaten  geben  die  Ansicht  nicht  zu,  dass  die  neue  Be-  Angichten 
waffnung  bedeutende  Veränderungen  des  Verfahrens  auf  dem  Schlacht-  aiten  schuie. 
felde  fordert.  Sie  meinen,  dass  zwar  bei  der  vervollkommneten  Be- 
waffiiung  das  Gefecht  gegen  früher  auf  weitere  Entfernungen  beginnen 
wird,  aber  dass  dann  gleichwohl  beide  Seiten  den  Gegner  sehen  und 
nahe  mit  ihm  zusammentreflen  werden,  so  dass  es  nicht  nötig  ist,  die 
Vorschriften  wesentlich  zu  ändern,  und  alles  wie  bisher  in  der  Haupt- 


542  ^11-    Taktik  der  Infanterie. 


Sache  von  dem  Blick  eines  fähigen  und  energischen  Kommandeurs  ab- 
hängen wird.    Um  daher  allzu  grosse  Verluste  abzuwenden,  wird  es 
genügen,   den  ,.getährlichen"  Gürtel  möglichst  schnell  zu  durchlaufen; 
aber  die  jetzige  Schlachtordnung  tauge  auch  für  die  Zukunft. 
Die  «weite  Dj^  z Weite  Schule  besteht  auf  der  Ausdehnung  der  Front,  d.  h.  auf 

Schule.  °  ' 

der  möglichst  grossen  Entwickelung  der  Linie.  Sie  empfiehlt  die  häufige 
Anwendung  von  Feldarbeiten  und  vorgeschobenen  Linien,  die  Gefechts- 
aufstellung auf  gi'össere  Entfernungen,  die  Eröffnung  des  Feuers  mit 
Salven  auf  bedeutende  Entfernung,  beim  Sturm  der  Stellungen  die  Auf- 
stellung zum  Angriff  auch  in  der  Entfernung  von  BOO  und  sogar 
600  Metern. 
Die  Endlich  die  dritte,  „die  junge"  Schule  richtet  ihre  besondere  Auf- 

jange  Schule.  J       o 

merksamkeit  auf  die  Mittel  der  Aufklärung  und  Ueberblickung  der 
feindlichen  Aufstellung,  aber  bezüglich  der  Schlachtordnung  macht  sie 
gewissermaassen  einen  Schritt  rückwärts,  indem  sie  auf  die  Kraft  der 
Feuerwirkung  bedacht  ist  und  deshalb  einige  Geschlossenheit  anrät.  Um 
die  Verluste  zu  verringern,  wird  empfohlen,  in  offenem  Gelände  über- 
haupt nicht  Halt  zu  machen,  sondern  in  gymnastischem  Schritt  von 
einer  natürlichen  Deckung  unter  sorgfältiger  Ausnutzung  zur  anderen  zu 
laufen, 
ünaicherheit  Die  Befürchtuug  einerseits,  dass  jeder  Tag  einen  Krieg  bringen 

sTruktion^.  könnte,  andererseits  der  häufige  Wechsel  der  Ministerien  hatten  die  Folge, 
dass  noch  vor  der  Beendigung  der  Kommissionsarbeiten  und  der  Revision 
des  ganzen  Kriegszustandes  teilweise  Verbesserungen  in  den  Instruktionen 
gemacht  wurden. 

Die  so  geschaffene  Lage  charakterisiert  Abel  Vangler  in  einer 
französischen  Zeitschrift  0)  f olgendermaassen : 

„Vorschriften  folgen  auf  Vorschriften,  unaufhörlich  werden  Er- 
gänzungs-  und  Erläuterungs-Artikel,  Bemerkungen  und  Verbesserungen 
hinzugefügt.  Daher  kommt  das  Gefühl  der  Ungewissheit;  man  weiss 
nicht,  nach  welcher  Seite  man  sich  wenden  soll.  Die  Verhaltungsbefehle 
lösen  sich  so  häufig  ab,  dass  man  sie  selbst  im  Augenblicke  ihrer  Be- 
kanntmachung nicht  als  etwas  Abgeschlossenes  ansehen  kann.  Sie  er- 
scheinen unter  den  Benennungen:  „Projekt  eines  Reglements"  oder 
„provisorische  Instruktion".  Dann  erscheint  die  zweite  Ausgabe  der- 
selben Vorschriften,  aber  mit  Verbesserungen,  wobei  im  Texte  gewisser- 
maassen beiläufig  angezeigt  wird,  dass  der  Kriegsminister  es  für  not- 
wendig erkannt  hat,  die  anfängliche  Fassung  eines  Aitikel  zu  verändern. 
Aber  wenn  nun  die  Aenderungen  zu  häufig  w^erden,  so  bringt  das,  auch 

*)  „Revue  encyclop^dique",  15.  Juli  1895. 


Vorschriften  für  den  Aufmarsch  zum  Gelecht.  543 

wenn  sie  zum  besten  dienten,  gleichwohl  die  Gemüter  in  Verwirrung  .  .  . 
In  der  Armee  existiert  die  Redensart:  „Ordre,  contre-ordre,  dßsordre". 
Weiter  erklärt  der  Autor,  dass  jetzt  eine  neue  Felddienst-Ordnung  zu-  ^^^^^ 
sammengestellt  ist,  in  welcher  indessen  vieles  aus  der  vom  Jahre  1883 
beibehalten,  aber  auch  Wichtiges  verändert  oder  ausgelassen  ist.  So 
wurde  im  vorigen  Reglement  der  Angriff  als  eine  allmähliche  Vorwärts- 
bewegung in  Staffeln,  d.  h.  in  aufgelösten  Schützenlinien  definiert,  welche 
eine  die  andere  unterstützen  soUen.  Hierbei  blieb  die  Frage  offen:  In 
welchen  Maassnahmen  soll  sich  diese  allmähliche  Vorwärtsbewegung 
äussern,  welche  als  letztes  Ziel  den  Stoss  auf  den  Gegner  hat?  Anstatt 
zu  erklären,  wodurch  und  wie  die  Unterstützungen  ersetzt  werden  soUen, 
die  allmählich  in  die  vorderen  Linien  einrücken,  übergeht  es  das  neue 
Reglement  vom  Jahre  1894  einfach  mit  Stillschweigen." 

Aber  es  fragt  sich,  warum  diese  Unterstützungen,  welche  der  Reihe  ^J^j^^^^^ 
nach  eine  jede  die  Linie  ergänzen,  die  sich  vor  ihr  befindet,  in  der 
französischen  Armee  für  nötig  gefunden  wurden,  wie  sie  bisher  auch  in 
anderen  Armeen  füi-  nötig  gefunden  werden.  Ist  etwa  mit  dem  Jahre  1883 
das  französische  Gewehr  in  Bezug  auf  Zielen  und  Feuergeschwindigkeit 
von  den  Gewehren  anderer  Armeen  übertroffen  worden?  Oder  hat  sich 
die  Zahl  der  Patronen  verringert,  welche  die  Mannschaften  haben? 
Oder  ist  die  Wirkung  feindlicher  Artillerie  gefährlicher  geworden?  Oder 
kann  man  endlich  erwarten,  dass  der  Gegner  weniger  als  früher  für 
schnelle  Herstellung  von  Schanzarbeiten  sorgen  wird?  Das  sind  Fragen, 
die  im  Hinblick  auf  die  unverständliche  Auslassung  einer  so  wichtigen 
taktischen  Hinweisung  im  französischen  Reglement  den  Spezialisten  vor- 
gelegt werden. 

Aber  die  Veränderlichkeit  der  Vorschriften  zeigt  sich  nicht  in  der 
französischen  Armee  allein.  Wir  wollen  uns  jetzt  zur  deutschen  In- 
struktion wenden. 

b)  Der  Angriff  anf  befestigte  Stellungen  im  Sinne  des  deutschen 

Reglements. 

In  Deutschland  sind  in  der  neuesten  Zeit  nicht  so  ausführliche      "^T  - 

^  herrechende 

Vorschriften  und  Regeln  für  die  Gefechtsführung  festgesetzt  worden,  wie  Neigung  zum 
die,  welche  bei  der  französischen  Armee  eingeführt  sind.  Die  Siege  von  ^"^  * 
1870  haben  die  deutschen  Kiieger  an  den  Gedanken  gewöhnt,  dass  sie 
auch  in  künftigen  Kiiegen  immer  die  Offensive  in  strategischem  wie 
taktischem  Sinne  ergreifen  werden.  Die  Ausführung  von  Attaken 
empfing  in  der  Ausbildung  der  Infanterie  eine  vorherrschende  Bedeutung, 
„obwohl  vielfach  Stimmen  laut  wurden,  welche  die  durch  die  neue  Be- 
waffnung gesteigerte  Stärke  der  Defensive  hervorhoben". 


544  ^^^'    Taktik  der  Infanterie. 


▲ngriffBart  Tjn  Jahre  1872  sah  man  den  Angriff  nach  einem  Muster  üben, 

vom 

johre  1872.  welches  ungefähr  folgendes  Bild  darbot:  Zwei  Schützenlinien  folgten 
hintereinander,  dann  Untersttttzungstrüpps  in  geöffneter  Linie  oder  in 
Sektionen  auseinandergezogen,  das  zweite  Treffen  in  Linie  aufmarschiert, 
die  einzelnen  Züge  in  Sektionen  oder  Reihen  abgebrochen,  endlich  die 
Reserve  in  Kolonnen.  Die  verschiedenen  Glieder  des  ersten  Treffens 
sollten  sich  allmählich  einschieben  und  so  die  Schützenlinie  in  Sprüngen 
vorwärts  tragen." 
Gefecht«-  Durch  kaiserücheu  Erlass  vom  Jahre  1873  wurde  die  normale  Gre- 

formation 

Ton  1878.  fechtsformation  des  Bataillons  m  den  Kompagniekolonnen  festgesetzt,  die 
sich  in  Sektionen  formieren,  wobei  vorgeschrieben  wurde,  dass  die  Kom- 
pagnien   ebenso  unmittelbar  in  der  Hand  des  Bataillonskommandeurs 
sein  müssen,  wie  die  Bataillone  in  der  Hand  des  Regimentskommandeurs  sind. 
^"  Aber  im  Jahre  1876  wurde  ein  neues  Reglement  eingeführt,  welches 

'  Beglement  , 

i87e.  nach  dem  Ausspruch  des  Generals  v.  Janson^)  die  Bedeutung  des  Exerzier- 
platzes auf  die  Einübung  der  Gefechtsformen  beschränkte,  während  die 
Anwendung  nach  der  jedesmaligen  Bodengestaltung  im  Terrain  gezeigt 
werden  sollte.  Aber  hierbei  bestimmte  dieses  Reglement  keinerlei  neue 
Maassnahmen  für  die  Angriffsführung. 
Entstebang  ludesseu  zcigtc  das  gefechtsmässige  Uebungsschiessen  den   Kom- 

des  neaea 

Begiements.  mandeui'en  die  gewaltige  Kraft,  welche  das  Feuer  schon  bei  dem  dama- 
ligen Gewehr  besass,  und  veranlasste  sie,  verschiedene  Angriffsformen 
zu  ersinnen.  Gegen  diese  Versuche  trat  der  General  von  ßronsai-t  auf, 
indem  er  nachwies,  dass  auch  das  giltige  Reglement  die  Gefechtsbereit- 
schaft der  Truppen  genügend  sicherte.  Indessen  machte  man  sich  seit 
dem  Jahre  1880  im  Kriegsministerium  an  die  Ausarbeitung  eines  neuen 
Reglements ;  aber  die  Sache  zog  sich  bis  1888  hin,  als  Kaiser  Friedrich  EQ. 
von  den  Korpskommandeuren  Bericht  hierüber  forderte.  Die  darauf  ein- 
gesetzte Kommission  arbeitete  in  demselben  Jahre  ein  Reglement  aus, 
nachdem  schon  das  Gewehr  Modell  1888  und  das  rauchschwache  Pulver 
eingefühi't  war.  In  dem  neuen  Reglement  waren  nur  die  Hauptprinzipien 
festgesetzt,  indem  das  Nähere  bei  ihrer  Anwendung  dem  Ermessen  der 
Kommandeure  anheimgegeben  wurde.  Infolge  dessen  wird  auch  dieses 
Reglement  von  vielen  nicht  als  genügend  anerkannt. 
Gang  ^lY  woUeu  deu  Leser  nicht  mit  den  numerischen  Veränderungen 

dos  Angriiu  ^ 

auf  eine    iu  der  Verteilung  der  Angriffstruppen   ermüden,   da  die  Grundlage  der 

suuuJS^  Gefechtsordnung  gleichwohl  die  Schützenlinie  mit  Unterstützungstrupps 

und  Reserven  und  dann  die  zweite  Gefechtslinie  oder  das  Haupttreffen 


®)  General  v.  Janson:    „Die  Entwickelung   unserer  Infanterie -Taktik   seit 
unserem  letzten  Kriege"  („Militär- Wochenblatt"  1895). 


Vorschriften  für  den  Aufmarsch  zum  Gefecht.  545 


geblieben  ist.  Aber  wir  wollen  nach  der  Erklärung  des  Generals  von 
Janson  den  Gang  des  Angriffs  auf  eine  befestigte  Stellung  in  Ueberein- 
Stimmung  mit  dem  neuen  deutschen  Reglement  wiedergeben. 

Die  Stellung,  in  der  sich  die  Verteidigung  verschanzt,  wird  derart  ^^'J^^^^jf 
gewählt,  dass  sie  einen  bedeutenden  Kaum  beherrscht,  den  der  Angreifer  Vorbereitung 
unter  Feuer  durchschreiten  muss.    Mag  daher  der  Angreifer  seiner  Ge-  ^^^atwiT^' 
fechtsgliedemng  und  einheitlichen  Formation  eine  noch  so  geringe  Tiefe  a^^*"«"«- 
geben,   er  kann  den  Angriff  der  Infanterie  nicht  ohne  weiteres  auf  die 
frontale  Stellung  fuhren.    Auch  die  Umfassung  ist  kein  unfehlbares  Hilfs- 
mittel, denn  je  mehr  sich  der  Angreifer  entwickelt,  um  so  leichter  wird 
es  dem  Gegner  sein,  irgend  einen  Punkt  der  Angriffslinien  mit  den 
Reserven  zu  schlagen,  und  überdies  läuft  die  Sache  schliesslich  wieder 
auf  einen  frontalen  Angriff  hinaus.    Deshalb  ist  zunächst  die  Beschiessung 
durch  Artülerie  notwendig,  und  diese  ist  nur  durch  Ueberlegenheit  über 
das   der  Verteidigung  zur  Verfügung  stehende  Artilleriefeuer  möglich. 
Sind  die  Schützengräben  und  Verteidigungsschanzen  der  Stellungen  mit 
Eindeckungen  versehen,  so  bedarf  der  Angreifer  sogai-  der  Unterstützung 
der  bespannten  Geschütze  der  Belagerungsartillerie,  um  jene  zu  durcli- 
schlagen. 

Erst  nach  dieser  Vorbereitung  beginnt  der  Infanterieangriff,  indem  Ami&herong 

1     ^'^  ^ö"*  Feind. 

die  Schützenlinie  in  eine  so  nahe  Entfernung  von  der  Stellung  gebracht 
wird,  als  die  Wirksamkeit  des  Infanteriefeuers  erfordert.  Die  Zahl  der 
Gewehre  in  dieser  Schützenlinie  muss  nach  Möglichkeit  auch  die  Ueber- 
legenheit des  Gewehrfeuers  der  Angriffslinie  über  das  der  Verteidigung 
erringen. 

Aber  diese  Annäherung  an  einen  Gegner,  der  hinter  starken  AnaftiirnBg 
Deckungen  liegt  und  auf  vorher  eingeschossene  Entfernungen  feuert,  ist 
überaus  schwierig  und  kann  sogar  der  Arbeit  zweier  Tage  bedürfen. 
Am  ersten  Tage  wird  der  Angreifer  bis  an  die  Grenze  des  Feuer- 
bereichs der  feindlichen  Artillerie  heranrücken,  und  mit  Beginn  der 
Dunkelheit  bis  auf  wirksame  Infanterieschussweite  schwächere  Abteilungen, 
etwa  Kompagnien,  vorschieben,  welche  er  den  vorher  bestimmten  Teilen 
unter  Aufrechterhaltung  des  Grundsatzes  der  Tiefengliederung  entnimmt. 
Die  vorgeschobenen  Teile  nehmen  die  Richtung  nach  geeigneten  Punkten 
des  Geländes  und  verschanzen  sich  sogleich.  Die  Entfernung  der 
besetzten  Punkte  vom  Gegner  lässt  sich  nicht  festsetzen,  da  sie  von  der 
Beschaffenheit  des  Geländes  abhängt,  von  der  grösseren  oder  geringeren 
Dunkelheit,  welche  die  Annäherung  begünstigt,  und  ferner  davon,  ob  der 
Feind  vorbeugende  Maassnahmen  im  Vorgelände  trifft  oder  nicht. 

Die  gewählten  Stützpunkte  geben  die  Linie  an,  von  der  aus   am  Vorbereitung 
nächsten  Tage  der  Sturm  anzusetzen  ist.    Daher  sind  gleich  nach  der  ^^^  ^^™®'- 

Bloch,   Der  snkünftige  Krieg.  35 


546  ^^*    Taktik  der  Infanterie. 


Besetzung  jener  mehr  oder  weniger  gedeckten  Punkte  starke  Schutzen- 
schwärme  in  die  Lücken  zwischen  den  Stützpunkten  einzuschieben,  und 
zwar  möglichst  noch  in  der  Dunkelheit,  damit  auch  diese  Abteilungen 
noch  ungehindert  Deckungen  für  sich  aufwerfen  können.  Mit  dem  Tages- 
licht wird  dann  sogleich  ein  starkes  Schützenfeuer  auf  die  Verteidigung 
beginnen.  Zum  Beginn  des  Sturmes  müssen  die  hinteren  Staffeln  schon 
an  die  vorderste  Linie  herangeführt  sein,  um  den  Kampf  zur  Entscheidung 
zu  bringen. 
Peinliche  jjier  liegt  die  Hauptschwierigkeit  der  Lösung  der  Aufgabe.    Selten 

Sitoation 

der  hinteren  tritt  der  Fall  clu,  dass  auch  die  folgendeu  Staffeln,  die  noch  vor  Tages - 
Staffel«^  grauen  an  die  Schützenkette  herangeführt  sind,  natürliche  Deckungen, 
sogenannte  tote  Winkel,  im  Gelände  finden  werden.  In  den  meisten  Fällen 
werden  vielmehr  diese  Staffeln  ohne  Deckung  bleiben  und  dann  wird  ein 
peinlicher  Moment  eintreten.  Von  Tagesanbruch  an  werden  diese  Teile 
schutzlos  unter  dem  Gewehrfeuer  des  Feindes  und  unter  den  Artillerie- 
geschossen stehen,  welche  er  über  die  Köpfe  seiner  Schützen  hinweg- 
schleudert;  sie  werden  einige  Zeit  unthätig  dastehen,  entweder  weil  es 
dem  Feuer  der  Angreifer  noch  nicht  gelungen  ist,  die  Stellungen  für  den 
Angriff  vorzubereiten,  oder  weil  die  für  den  Sturm  festgesetzte  Zeit  noch 
nicht  gekommen  ist. 
B«-  Wenn  deshalb  Helligkeit  der  Nacht  (Mondschein,  Sommernacht)  be- 

sehrftnkong  \  7  / 

der  ziehungsweise  Schneebedeckung  des  Geländes  zu  erwarten  ist,  oder  wenn 
AM&hlrnng.  ^cr  Fclud  elektrischcs  Licht  benutzt,  so  genügt  es  in  diesem  Falle,  bei 
Beginn  der  Nacht  die  vordersten  Stützpunkte  mit  Schützenkompagnien 
oder  Zügen  zu  besetzen,  und  in  deren  Lücken  sind  erst  unmittelbar  vor 
Tagesanbruch  stärkere  Schützenschwärme  einzuschieben;  endlich  sind  die 
hinteren  Staffeln  erst  unter  dem  Schutze  des  Feuers  der  Schützenlinie 
in  der  Absicht  vorzuziehen,  damit  in  demselben  Augenblick,  in  welchem 
jene  Staffeln  die  Schützenlinie  erreichen,  der  Sturm  auf  die  Stellung  mit 
allen  dazu  bestimmten  Kräften  beginnen  kann.  Eine  Reserve  muss  in- 
dessen zurückbehalten  werden  sowohl  zum  Widerstand  gegen  Gegenstösse 
der  Verteidigung  auf  den  einen  oder  anderen  Punkt  des  Angriffs  als  zur 
Durchführung  des  etwa  stockenden  Sturmes. 

Ob  es  gelingen  wird,  den  Sturm  ohne  Halt  durchzuführen,  wird  von 
der  Entfernung  und   der  Widerstandskraft  abhängen,  welche  die  Ver- 
teidigung an  den  Tag  legt.    Aber  in  jedem  Falle  muss  man  sich  nament- 
lich zur  Aufgabe  machen,  die  Stellung  mit  einem  Mal  zu  nehmen. 
Verhaltender  In  den  AugenbUckeu,  wo  die  angreifende  Schützenlinie  gezwungen 

und  der    Ist  Halt  ZU  macheu,  giebt  sie  Feuer  ab.    Während  sie  darauf  dem  feind- 
unterftthrer.  y^j^^jj  Fcucr  ausgcsctzt  ist,  macht  sie  ganz  von  selbst  zum  mindesten  an 
einigen   Stellen  einen  neuen  Sprung  nach  vorn,   nicht  nach  Maassgabe 


Vorschriften  für  den  Au&iarsch  zum  Gefecht.  547 

irgend  eines  taktischen  Schemas,  sondern  einfach  unter  dem  Zwang  des 
feindlichen  Feuers.  Die  Initiative  der  Unterführer  bestimmt  den  Moment 
der  weiteren  Vorwärtsbewegung;  sie  machen  auch  diejenigen  Punkte  der 
Stellung  ausfindig,  wo  die  Verteidigung  nachlässt,  und  veranlassen  ihre 
Leute  zum  Vordringen.  Es  ist  wünschenswerth,  dass  eine  der  rück- 
wärtigen Abteilungen  sich  vorher  in  die  Linie  einschiebt,  aber  niemals 
dürfen  die  Mannschaften  zum  entscheidenden  Angriff  auf  geschwächte 
Verteidigungspunkte  veranlasst  werden,  bevor  alle  zum  Sturm  bestimmten 
Abteilungen  herangekommen  sind. 

Ob  die  im  Anfang  vorgeschobenen  und  in  Deckungen  liegenden  Feueruater- 
Schützen  zum  allgemeinen  Sturm  hinzugenommen  werden  müssen  oder  d»  Angrüfs 
ob  sie  möglichst  lange  durch  ihr  Feuer  die  stürmenden  Teile  unter-  'itfonterie! 
stützen  und  dann  als  Rückhalt  für  etwaige  Rückschläge  der  Verteidigung 
ihnen  folgen  sollen,  hängt  von  den  Umständen  ab.    Das  eine  kann  man 
besonders  sagen,   dass  eine  dauernde  infanteristische  Feuerunterstützung 
des  Angriffs  neben  der  Thätigkeit  der  Artillerie  um  so  erwünschter  ist, 
als   die   zurückgebliebene   Hauptmasse   der   Artillerie    bei   Beginn   des 
Sturmes,  um  den  Ihrigen  nicht  Verluste  zu  bringen,  nicht  mehr  auf  die 
Stellung  feuern  kann  und  dann  gezwungen  ist,  ihr  Feuer  auf  die  Ver- 
bindungen des  Gegners  zu  richten. 

Nach  diesen  Erläuterungen  wendet  sich  General  v.  Janson  zu  der  Bedeutung 
Bedeutung,  welche  die  Reserve  in  der  Hand  des  obersten  Führers  hat.  feindlichen 
Hindemisse  vor  der  Front  der  Stellung  können  durch  technische  Mittel  eiMtoiT^ng. 
beseitigt  oder  durch  Annahme  angemessener  Formationen  weniger  wirk- 
sam gemacht  werden.  Ungewiss  aber  bleibt  es,  ob  ein  Schweigen  des 
feindlichen  Feuers  ein  Zeichen  der  Niederkämpfung  ist,  oder  ob  sich 
dahinter  die  Absicht  verbirgt,  die  Angreifer  auf  nahe  Entfernung  heran- 
zulassen und  mit  gesammelten  Kräften  dann  im  entscheidenden  Augen- 
blick ein  vernichtendes  Feuer  auf  die  Anrückenden  zu  eröffnen.  Es  ist 
demnach  sehr  schwer  zu  bestimmen,  wann  eine  Stellung  zum  Sturm  völlig 
vorbereitet  ist  und  wann  die  hinteren  Staffeln  zum  Angriff  heranzuziehen 
sind.  Freilich  hört  man  jetzt  auch  die  Vermutung,  dass  die  Feuer- 
einstellung der  Verteidiger  und  ihre  Unthätigkeit  unter  dem  Schutz  der 
Deckungen  aus  einer  Nervenerschütterung  infolge  der  entsetzlichen  Detona- 
tionen der  schweren  Geschosse  hervorgehen  könne.  „Aber  wii-  haben'*, 
bemerkt  der  deutsche  General,  „keine  Berechtigung,  den  Gegner  für 
schlechter  zu  halten  als  uns  selbst,  und  selbstredend  muss  für  uns  der 
Gedanke  an  die  Möglichkeit  solcher  Zustände  ausgeschlossen  sein." 

Die  Schwierigkeit,   einen  Angriff  unter  den  jetzigen  Verhältnissen  Benutzung 

der 

auszuführen,  veranlasst  denselben  Schriftsteller  zuzugeben,  dass  man  die  Naohteeit. 
Nachtzeit  benutzen  kann,   nicht  nur  um  die  vorderen  Stützpunkte  mit 

35* 


548  VIL   Taktik  der  Infanterie. 


Schützen  zu  besetzen  und  demnächst  die  übrigen  Teile  an  sie  heran- 
zuziehen, sondern  geradezu  zur  Durchführung  eines  unerwarteten,  laut- 
losen Ueberfalls  der  Stellung  mit  ungeladenem  Gewehr.  Diese  Absicht 
ist  nur  möglich,  wenn  man  erreicht,  dass  noch  am  Abend  vorher  auf 
Seiten  der  Artillerie  sich  entschiedene  Feuerüberlegenheit  zeigt,  dass  die 
vorgeschobenen  Posten  der  Verteidigung  schon  zuiückgeworfen  sind,  und 
dass  endlich  die  Entfernung  von  der  Stellung  nicht  gross  ist.  Dagegen 
aber  spricht  erstens  die  Gefahr  der  Unordnung  beim  Angrifi  in  der 
Dunkelheit  und  zweitens  die  Wahrscheinlichkeit  verhängnisvoller  Folgen 
in  dem  Falle,  dass  der  Gegner  die  Bewegung  rechtzeitig  bemerkt.  Schon 
die  Manöver  zeigen,  dass  es  der  Sturmkolonne  nicht  leicht  ist,  die  genaue 
Marschrichtung  festzuhalten. 
dM"Ii^ff8  ^^^  Untersuchung  der  Angriff smaassnahmen,  welche   man  in  der 

nach  dem  doutscheu  Armee  anzuwenden  beabsichtigt,  zeigt,  dass  die  taktischen 
itogiement  Vorschrifteu,  die  übrigens  heutzutage  fast  bei  allen  Armeen  in  den  Feld- 
dienst-Ordnungen für  die  Infanterie  eingeführt  sind,  in  der  Hauptsache 
der  Taktik  der  Napoleonischen  Zeit  entnommen  sind,  wo  die  Grewehre 
glatte  Vorderlader  waren  und  wo  nach  kurzem  Geplänkel  das  Gefecht 
durch  Bajonettangriff  entschieden  wurde.  Solche  Angriffsarten  entsprechen 
schon  weniger  der  Epoche  des  kleinkalibrigen  Magazingewehrs.  "0 
Bückbiicic,  In  den  oben  gegebenen  Voraussetzungen  wird  die  Thätigkeit  der 

Artillerie  als  Hauptstütze  anerkannt,  aber  zugleich  wird  hier  gezeigt, 
dass  sie  nicht  im  Stande  ist,  den  Sturm  aufrecht  zu  erhalten;  sodann 
wird  zwecks  Annäherung  an  den  Gegner  und  Aufschüttung  von  Deckungen 
auf  das  Dunkel  der  Nacht  gerechnet  und  zui*  Angriffsführung  zwei  Tage 
angenommen. 

Indessen  behaupten  einige  Militär -Schriftsteller,  dass  künftige 
Schlachten  3,  4  und  sogar  8  Tage»)  dauern  und  auf  ungeheuren  Räumen 
sich  vollziehen  werden.  Andere  Spezialisten  finden  es  überhaupt 
für  unwahrscheinlich,  dass  wir  zu  der  Epoche  der  Belagerungen 
zurückkehi'en  werden.  Belgrad,  Mantua,  Plewna  können  sich  wieder- 
holen. 
Möguohkeit  Es  ist  sehr  leicht  möglich,  dass  der  Angreifer  bei  der  Unmöglich- 

BchUewanff  kcit,  ciueu  entscheideudeu  Sieg  zu  erringen,  sich  bemühen  wii*d,   den 
des  Gegners.  Y^ij^i  da,  WO  QY  ihu  fludct,  cinzuschliesseu,  indem  er  selbst  Schanzen 
aufführt  und  demnächst,  um  die  Zufuhr  zu  verhindern,  Ausfälle  zu  machen 
anfängt,  bis  die  Belagerten  ausgehungert  sind.  9) 


»)  Löbell:  „Militärische  Jahresberichte",  1894. 

•)  „Progrös  militaire",  1891.  —  „R^flexions  ä  propos  des  grands  manoeuvres". 

»)  Hoenig:  „Die  Taktik  der  Zukunft". 


Vorschriften  für  den  Anfinarsch  zum  Gefecht.  549 


Ueberhaupt  darf  man  der  Thatsache,  dass  die  deutschen  Kriegs-  Aiter  der 
Schriftsteller  sich  vorzugsweise  für  die  Offensive  aussprechen,  noch  nicht 
die  unbedingte  Bedeutung  zuschreiben,  dass  man  darin  eine  Art  neuer 
Wahrheit  sieht,  die  die  Kriegswissenschaft  gebracht  hat.  Jene  wirk- 
lichen Vorteile  des  Angriffs,  auf  die  sie  sich  berufen,  und  besonders  den 
Umstand,  dass  dem  Angreifer  die  Initiative  gehört,  dass  er  gleichsam 
der  Kriegsordner  und  der  Eigentümer  des  Schlachtfeldes  ist,  dass  in 
seinen  Eeihen  sicherlich  grössere  Begeisterung  herrscht  —  diese  Vorteile 
hat  der  Angriff  immer  geboten,  sogar  in  jenen  Zeiten,  als  die  Heere  mit 
Bogen  und  Schwertern  bewaffnet  waren.    Darin  liegt  nichts  Neues. 

Aber  gerade  alles  das,  was  neu  ist,  alle  Vervollkommnungen  der  vonM«- 
Bewaffnung  und  Umwandlungen  im  Bestand  des  Heeres  sprechen  mehr  "off^ive" 
zum  Vorteil  der  Verteidigung  und  machen  es  wenig  wahrscheinlich,  dass 
irgend  eine  Armee  sich  entschliessen  sollte,  immer  unbedingt  den  Angriff 
vorzuziehen.  Selbst  die  Anhänger  dieses  Systems  versichern,  dass  die 
erste  Bedingung  eines  Erfolges  beim  Angriff  auf  eine  befestigte  Stellung 
die  Feuerüberlegenheit  ist.  Aber  wenn  dies  ein  allgemeiner  Grundsatz 
ist,  so  stellt  sich  ja  als  Endresultat  heraus,  dass  man  zum  Erfolg  im 
Kriege  mehr  Truppen  und  vollkommnere  Waffen  haben  muss  als  die, 
über  welche  der  Gegner  verfügt. 

Aber  erstens  versteht  sich  das  von  selbst  und  macht  in  Wirklich-  Feoerfiber- 
keit  keinen  Grundsatz  aus,  und  zweitens  gestatten  gerade  die  neuesten  zafmii.  nicht 
Bedingungen  gar  nicht,  auf  eine  derartige  beständige  Ueberlegenheit  der  "^^  ^**»'*p- 
Kräfte  und  Waffen  zu  rechnen.  Die  deutschen  Autoren  nehmen  im  gegebenen 
Falle  nicht  kritisch  genug  Bezug  auf  die  Erfolge  der  deutschen  Truppen 
in  den  letzten  drei  Kriegen,  Erfolge,  die  ihnen  die  Ueberzeugung  von 
den  Vorzügen  des  Angriffs  eingeflösst  haben.  Daraus,  dass  die  Ver- 
bündeten den  Dänen  und  die  Deutschen  den  Franzosen  an  Streitkräften 
überlegen  waren,  und  daraus,  dass  die  Preussen  bessere  Gewehre  als 
die  Oesterreicher  und  bessere  Artillerie  als  die  Franzosen  hatten,  folgt 
durchaus  noch  nicht,  dass  es  möglich  ist,  die  Feuerüberlegenheit  als  all- 
gemeines Prinzip  aufzustellen,  welches  man  gegen  die  jetzigen  Armeen 
Eusslands  und  Frankreichs  anwenden  müsste.  Allerdings  kann  Ueber- 
legenheit an  Kraft  und  Geschützzahl  gegen  eine  Stellung  oder  im  Ge- 
fecht eintreten,  aber  das  wird  Zufall  sein  und  nicht  das  Resultat  eines 
allgemeinen  Prinzips.  Als  allgemeingiltigen  Grundsatz  muss  man  nach 
der  Einführung  der  allgemeinen  Wehrpflicht  in  allen  Ländern  und  bei 
dem  unablässigen  Wetteifer  aller  in  der  Bewaffnung  den  annehmen,  dass 
die  Kräfte  beider  Teile  in  einem  grossen  europäischen  Kriege  fast  gleich 
sein  werden,  sowohl  an  Truppenmassen  überhaupt  als  an  Geschützzahl 
und  Wert  der  Bewaffnung. 


550  ^^'   Taktik  der  Infanterie. 


B«d«iik«i  Wenn  daher  den  deutschen  Truppen  bedingungslos  zum  Angriff  ge- 

g^Of  OB   ulB 

offenswe.  rateu  wird,  so  heisst  dies  ein  Prinzip  aus  Verhältnissen  herleiten,  die 
nicht  mehr  existieren  und  sich  nicht  wiederholen  können,  es  sei  denn  im 
Kriege  einer  Grossraacht  mit  Staaten  zweiten  Eanges.  Wenn  man  femer 
diejenigen  Vorteile  in  Erwägung  zieht,  welche  die  neuesten  technischen 
und  andere  Hilfsmittel  der  Verteidigung  gegeben  haben,  und  besonders 
die  Möglichkeit,  den  Gegner  aus  starken  Deckungen  auf  ausgedehntem 
Gtelände  zu  schlagen,  die  grössere  Bequemlichkeit,  Ersatz  und  Verpflegung 
für  die  ungeheuren  Truppenmassen  herbeizuschaffen  und  die  Armeen 
durch  neue  Kontingente  zu  ergänzen,  endlich  die  bessere  Aussicht  auf 
Erhaltung  der  Disziplin,  so  wird  es  zweifelhaft  sein,  ob  es  möglich  ist, 
diese  Vorteüe  immer  zu  verschmähen  und  ihnen  unbedingt  die  Initiative 
und  die  Begeisterung  in  den  Angriffsreihen  vorzuziehen.  Die  Wahr- 
scheinlichkeit, die  Ti-uppen  beim  Angriff  hinzureissen,  ist  schon  deshalb 
weniger  anzunehmen,  weü  in  die  Armee  immer  mehr  Leute  kommen,  die 
der  Krieg  aus  ihrer  Friedensbeschäftigung  losreisst,  und  weil  die  Offiensive 
immer  mehr  Opfer  fordert.  Zudem  darf  man  auch  die  neuere  Erscheinung 
nicht  ausser  Acht  lassen,  dass  in  die  Volksmassen  Mittel-Europas  zum 
Teil  Theorieen  eindringen,  die  weder  der  Begeisterung  für  den  Angriffs- 
krieg noch  der  Hinreissung  zur  Attake  unter  dem  mörderischen  Feuer 
einer  starken  Verteidigungsstellung  förderlich  sein  können. 

In  der  weiteren  Darstellung  wollen  wir  uns  angelegen  sein  lassen, 
den  Leser  mit  den  verschiedenen  Seiten  der  Aufgabe  bekannt  zu  machen, 
welche  der  Infanterie  in  einem  künftigen  Kriege  zufällt,  damit  der  Leser 
selbst  die  Möglichkeit  erhält,  sich  persönlich  in  den  oft  nicht  überein- 
stimmenden Meinungen  etwas  zu  orientieren,  welche  die  Fachmänner 
äussern. 


6.  Wechselwirkung  der  Infanterie  und  Artillerie. 

Nachteil  Wir  haben  die  Ansichten  von  Autoritäten  angeführt,  welche  von 

flbermftssiger 

Beifie-     dem  Nachteil  einer  übermässigen,   obligatorischen,    allgemeinen  Regle- 
meatierang  j^^^ntjej.mjg  fj^  Saclicn    der  Kriegsführung  völlig  überzeugen.      Es  ist 

natürlich,  dass  für  Angriff  und  Verteidigung  in  jedem   einzelnen  Falle 
mannigfache  Bedingungen  verschiedenen  Grades  eintreten  werden,  und 
dass    diese  auf  die  Wahl    dieser  oder  jener  Mittel  und  Formen  der 
Operation  einen  gewissen  Einfluss  ausüben  müssen. 
^?*-  Aber  durch  diese  Erwägung  wird  für  die  Armeen  keineswegs  die 

bestimmter  Notwendigkeit  widerlegt-,   allgemeine  theoretische  Anweisungen  zu  be- 

Prinzipien. 


Wechselwirkung  der  Infanterie  und  Artillerie.  561 


sitzen,  welche  nach  Maassgabe  der  in  jedem  Falle  gegebenen  Umstände 
angewandt  werden  sollen.  Anderenfalls  würden  die  Kommandeure  in 
verschiedenen  Teilen  einer  und  derselben  Armee  sich  an  verschiedene 
taktische  Ansichten  halten,  und  folglich  würden  ihre  Anforderungen  an 
die  Untergebenen  und  die  Ausbildung  der  Truppenteile  selbst  ver- 
schieden sein. 

Indessen  wechseln  die  Befehlshaber,  und  bei  der  Mobilmachung 
selbst  werden  in  den  Reihen  der  Armee  2/3  bis  5/4  der  Offiziere  von  der 
Reserve  sein,  und  nach  den  ersten  Schlachten  wird  sich  der  Bestand  der 
Offizierkorps  noch  bedeutender  verändern.  Notwendig  aber  ist,  dass  in 
ihren  Ansichten  über  Operationsai-ten  etwas  Gemeinschaftliches  ist,  und 
es  ist  undenkbar,  dass  jeder  von  ihnen  nur  diejenigen  Gesichtspunkte 
mit  sich  trägt,  die  er  von  seinem  früheren  Vorgesetzten  gelernt  hat.  Die 
Notwendigkeit,  in  aufgelöster  Kampf  Ordnung  zu  operieren,  die  durch 
die  Beschaffenheit  des  jetzigen  Gewehrs  bedingt  ist,  verleiht  der  Initiative 
der  Unterführer  grössere  Bedeutung.  Daher  ist  es  sehr  wichtig,  dass 
sie  nicht  nur  gewisse  allgemeine  Regeln  kennen,  sondern  überhaupt  mit 
der  E[riegstheorie  möglichst  bekannt  sind. 

Die  Zeiten  sind  vorbei,  wo  theoretisches  Wissen  nur  für  Artillerie-  Bedeutung 

tbeoretisdier 

und  Ingenieuroffiziere  als  notwendig  galt,  und  die  Vorbereitung  der  Sub-  EenntniMe. 
altemoffiziere  zu  persönlicher  Initiative  höchstens  bei  der  Kavallerie  als 
wünschenswert  bezeichnet  wurde.  Die  heutigen  Kriegsbedingungen  sind 
derart,  dass  die  Vorbereitung  zur  Initiative  für  den  Infanterieofftzier 
äusserst  notwendig  ist.  Professor  Coumfes  drückt  sich  sogar  folgender- 
maassen  aus:  „Zui*  Kommandierung  der  Infanterie  auf  dem  Schlachtfelde 
wird  soviel  Wissen  nötig  sein,  dass  man  unter  500  Offizieren  in  keiner 
Armee  100  finden  wird,  welche  eine  Kompagnie  ins  Feuer  führen  könnten". 
Dabei  darf  man  nicht  vergessen,  dass  die  bedeutende  Mehrzahl  der 
höheren  Offiziere  im  gegenwärtigen  Bestand  der  Armeen  nicht  in  der 
Schlacht  ist. 

Es  wird  freilich  auch  die  Meinung  laut,  dass  unter  dem  Eindruck  Festeetamg 

"  Toa  Normal- 

des  jetzigen  verheerenden  Feuers  die  Unterfuhrer  in  den  vorderen  Linien  oefechts- 
nicht  imstande  sein  werden,  überlegt  und  kaltblütig  zu  handeln,  und  dass  ^™*  '*"*''^ 
es  deshalb  notwendig  ist,  für  verschiedene  FäUe  zweckmässige  Formationen 
und  Gefechtsarten  festzusetzen  und  die  Truppen  darin  auszubilden,  so 
dass  diese  Formationen  und  Bewegungen  in  der  Schlacht  nach  der 
Gewohnheit  ausgeführt  werden  und  den  Unterführern  das  Nachdenken 
und  auch  die  Notwendigkeit  ersparen,  längere  Kommandoworte  hervor- 
zubringen, i)    Doch  giebt  die  Mehrzahl  der  deutschen  Militärschriftsteller 


1)  „Applicatorische  Studie  über  den  Infanterie- Angriif*,  Wien  1895. 


552  Vit.    Taktik  der  Infanterie. 


Überhaupt  die  Möglichkeit  der  persöalichen  Initiative  bei  der  Wahl  der 
taktischen  Formen  in  Uebereinstimmung  mit  den  Forderungen  des  Augen- 
blicks zu.  Aber  man  muss  hinzufügen,  dass  die  deutschen  Schriftsteller 
diese  Fähigkeit  gerade  den  deutschen  Offizieren  und  auch  Unteroffizieren 
zuerkennen.  In  dieser  Leichtigkeit,  die  taktischen  Formationen  zu  verändeiii, 
welche  durch  das  höhere  Niveau  der  Bildung  und  speziellen  Vorbereitung 
der  Offiziere  bedingt  ist,  zeigt  sich  besonders  der  wichtige  Vorzug,  den 
die  deutsche  Armee  vor  andern  haben  wird. 

üebrigens  bezieht  sich  dies  nur  auf  die  Auswahl  unter  den  For- 
mationen, welche  den  Mannschaften  schon  bekannt  sind,  und  nicht  auf  die 
Erfindung  einer  solchen,  in  der  die  Soldaten  nicht  ausgebildet  sind.  So 
bemerkt  der  englische  General  Clery,  dass  der  Gedanke  an  die  Impro- 
visierung irgend  einer  neuen  Gefechtsordnung  während  der  Schlacht  reine 
Illusion  ist.  3) 

sohrtokuiur  ^^  ^^^  ^^^^  Gesagtcu  geht  heiTor,  wie  wichtig  die  Frage  ist,  ob 

auf  die  die  hcutzutagc  vorgetragenen  Regeln  den  gegenwärtigen  Kriegsbedingungen 
°*'*^**"^*°' entsprechen.  Während  wir  uns  schon  vier  Jahre  lang  mit  der  Unter- 
suchung der  mit  einem  künftigen  Kriege  verknüpften  Fragen  beschäftigen 
und  uns  mit  den  wichtigsten  Arbeiten  der  jetzigen  europäischen  Litteratur 
bekannt  gemacht  haben,  in  denen  man  Hinweise  auf  die  wahrscheinlichen 
Kriegsbedingnngen  finden  kann,  nehmen  wir  nur  die  Zusammenstellung 
der  maassgebenden  Ansichten  und  bei  der  nicht  seltenen  Uneinigkeit  der 
Autoren  die  Aufstellung  einiger  logischer  Folgerungen  aus  dieser  Diflferenz 
auf  uns.  Da  aber  unsere  Untersuchung  keine  spezielle  Bestimmung  hat, 
so  können  wir  in  jedem  Abschnitt  und  unter  Weglassung  vieler  besonderer 
Ausführungen  und  Details  nur  die  Hauptsache  berühi-en. 

So  dürfen  wir,  da  wir  von  der  Taktik  des  Infanteriegefechts 
sprechen,  nur  bei  der  Operation  der  Hauptkräfte  verweilen  und  dann  bei 
der  Voraussetznng  der  gegenseitigen  Bereitschaft  zum  Kampf,  d.  h.  der 
Absicht  einerseits,  eine  Schlacht  zu  liefern,  und  andererseits,  sie  an- 
zunehmen. Zufällige  Zusammenstösse,  Scharmützel  zwischen  kleinen  Ab- 
teilungen und  sogar  Avantgardengefechte,  soweit  sie  nicht  zur  Operation 
der  Hauptkräfte  gehören,  sind  wir  gezwungen,  bei  Seite  zu  lassen. 
Zusammen-  Da  dic  Truppcu  aller  Waffen  an  der  Schlacht  teilnehmen,  so  haben 

iwiachen   wir  der  Zusammenwirkung  aller  einen  besonderen  Abschnitt  mit  der 
Infanterie  Uebcrschrift  „Auf  dem  Schlachtfelde"  gewidmet.    Jetzt  beschäftigen  wir 
Artinerie.  ans  Hut  dcn  eigentlichen  Operationen  der  Infanterie.    Seit  der  Zeit  der 
Vervollkommnung  der  Waffen  und  der  dadurch  erforderlich  gewordenen 
häufigen  Anwendung  von  Verteidigungsarbeiten  hat .  sich  die  Verbindung 


2)  General  Clery:    „Minor  Tactios**. 


Abhängigkeit  der  Gefechtsordnung  der  Infanterie  von  den  Geschützen.        553 

und  gegenseitige  Abhängigkeit  unter  den  durch  Feuer  wirkenden  Truppen, 
d.  h.  zwischen  Infanterie  und  Artillerie,  verstärkt.  In  früheren  Zeiten 
konnte  die  Infanterie  die  Hilfe  der  Artillerie  gegen  Infanterie  wenigstens 
im  Felde  entbehren.  Heutzutage  ist  bei  einer  einigeimaassen  frühzeitig 
vorbereiteten  Verteidigung  des  Gegnera  die  Hilfe  der  Artillerie  bei  der 
Operation  der  Infanterie  gegen  die  gewöhnlichen  Verschanzungen  not- 
wendig. Andererseits  tragen  die  neuen  kleinkalibrigen  Gewehre  so 
weit  und  ist  ihre  Feuergeschwindigkeit  ein  so  wichtiger  Faktor  im 
Kampfe,  dass  selbst  die  Taktik  der  Artillerie  unter  dem  Einfluss 
der  sehr  erhöhten  Bedeutung  des  Infanteriefeuers  sich  teilweise  ver- 
ändern wii*d. 

Bei  der  Behandlung  der  Operationen  der  Infanterie  ist  es  daher 
notwendig,  sie  nach  zwei  Gesichtspunkten  zu  betrachten,  und  zwar: 
1*  wann  Infanterie  von  Artillerie  unterstützt  wird,  und  2.  wann  Infanterie 
ohne  Hilfe  der  Geschütze  operiert. 


7.    Abhängigkeit  der  Gefechtsordnung  der  Infanterie 

von  den  Geschützen. 

Der  Einfluss  der  Artillerie  auf  Anordnung  und  Gang  des  Gefechts  Tn^imfi 
zeigt  sich  vor  allem  in  der  Vergrösserung  der  Ausdehnung  des  Schlacht-  Arüuerie- 
feldes,  d.  h.  derjenigen  Entfernungen,  auf  welche  das  Gefecht  beginnt.  «•"°^««»«- 
Das  Maximum  der  Tragkraft  der  Geschosse  ist  in  den  verschiedenen 
Armeen  nicht  gleich  und  von  der  Reihenfolge  der  Einführung  dieser  oder 
jener  Muster  abhängig.   Als  Beispiel  führen  wir  aus  dem  vorhergehenden 
Teil  unserer  Arbeit i)  folgende  Daten  über  die  französischen  Geschütze  an: 

Die  weitesten  Schüsse  gaben: 

9-Centimeter-Geschütze  Modell  1874  auf  7000  Meter 

*^P  n  n  n  n         n      «400       „ 

12  „  „  „         „      „    8970     „ 

Aber    diese    Höchstentfernungen    des   Geschützfeuers   können  im     F»ge 

nach  ddr 

ganzen  auf  dem  Schlachtfelde  nicht  angewandt  werden,  darin  stimmen  wirksame« 
alle  überein.    Auseinander  gehen  die  Meinungen  in  der  Frage  nach  der  geetottendcn 
grössten  Entfernung,  auf  die  eine  vorteilhafte  Kanonade  beginnen  kann.  ^^"J^" 


})  „Taktik  der  ArtiUerie^  S.  430:    15,5-Gentiiiieter-Haubitzen  schiessen  auf 
6600  Meter. 


554  ^^^   Taktik  der  Inianterie. 


Diese  tYage  hat  fiir  den  Ärtilleriekampf  beider  Teile  die  allergrösste 
Bedeatang,  mit  welchem  aller  Wahrscheinlidikeit  nach  jede  Schlacht  be- 
ginnen wird^  nnd  der  im  vorhergehenden  Abschnitt  erwähnt  ist.  Hier 
sind  die  Ergebnisse  des  Artilleriefeners  für  nns  gerade  in  Hinsicht  auf 
die  Operationen  der  Infanterie  wichtig. 
K««k  Fünft  Forst  Hohenlohe,  Kommandenr  der  preossischen  GardeartiUerie  im 

7000  u»ur.  Kriege  1870,  ein  sehr  angesehener  Kriegsschriftsteller,  stellt  den  Grund- 
satz auf,  dass  man  bei  den  jetzigen  Geschützen  das  Artilleriefener  Ton 
7000  Metern  Entfernung  an  beginnen  kann,  weil  schon  bei  dieser  Distanz 
die  Hälfte  der  Geschosse  ein  Ziel  von  15  Schritt  Breite  trifft.  „Wenn 
man  folglich,  sagt  Fürst  Hohenlohe,  eine  Batterie  gegen  einen  Weg  von 
15  Schritt  Breite  aufstellt,  so  könnte  eine  solche  Batterie  alle  auf  diesem 
Wege  in  einer  Entfernung  von  vollen  7000  Metern  befindlichen  Infanterie- 
massen glatt  fortrasieren,  und  das  Feuer  derselben  würde  so  wirksam 

sein,  dass  es  Niemand  in  den  Sinn  kommen  würde,  diesen  Weg  zu  be- 
nutzen. "2) 

v«rwhied«n-  Die  Mcinuttg  des  französischen  Schriftstellers,  Professors  Coumes*^), 

i>bt»n^    weicht  von  der  vorhergehenden  schon  bedeutend  ab.    Er  findet,  dass  man 

m^^n'ttiT  ^^  Feuer  gegen  feindliche  Stellungen  auf  5500  bis  6000  Meter  beginnen 

Artillerie-  kann,  dass  es  aber  nicht  möglich  ist,  es  gegen  Kavallerie  und  Infanterie 

feaer. 

weiter  als  auf  3000  Meter  zu  richten.  Der  englische  General  Clery*)  sagt, 
dass  in  der  britannischen  Armee  die  Maximaldistanz  wirksamen  Feuers 
auf  5000  Yard  (4570  Meter)  und  darüber  veranschlagt  ist.  General 
Müller^),  in  dessen  Ansicht  man  einen  Anklang  an  die  in  den  deutschen 
Kriegssphären  herrschende  Ueberzeugung  sehen  kann,  sagt,  dass  3000 
Meter  die  äusserste  Feuergrenze  für  Granaten  gegen  bedeutende  Ab- 
teilungen und  Artillerieziele  bilden,  während  die  Entfernungen  für 
Shrapnelfeuer  überhaupt  bis  an  die  Grenze  reichen,  wo  der  Zünder 
verbrennt, 
orftndedafür.  Dicse  SO  grossc  Verschiedenheit  in  den  Distanzbestimmungen  des 

Artilleriefeuers  geht  natürlich  nicht  aus  technischen  Gründen  hervor, 
denn,  wie  oben  gesagt,  tragen  die  Feldgeschütze  bis  7400  Meter,  sondern 
aus  der  Verschiedenheit  der  Ansichten  über  die  Entfernung,  auf  die  das 
Feuer  in  dem  Grade  wirksam  sein  kann,  dass  es  sich  lohnt,  Geschosse 
zu  vei^enden,  ohne  dem  Gegner  den  Gedanken  beizubringen,  dass  nur 
gefeuert  wird,  um  ihn  zu  erschrecken. 


')  „Briefe  über  Artillerie". 

')  Coumös:  „Tactique  de  demain". 

*)  „Minor  Tactics**,  12.  ed.  1893,  S.  363. 

*)  „Die  Wirkung  der  Feldgeschütze". 


J 


Figuren,  welche  als  Scheiben  für  das  Uebungsschiessen  im 
deutschen  Heere  dienen. 


Rumpr. 
Bmst  . 
Kopf    . 


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IraRn 

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OewÖhnl.  Erdbodea 
Sand 


SleiDmauer  .  . 
Granitst«ine  .  . 
Eiserne  Platte    . 


Abbild.  1.    Figuren,  welche  beim  UebungascblesseD  als  Scbeiben  dienen. 

„        2.    Flugbahnen  bei  verschiedeneu  Stellungen  des  Visirs,  Entfernung  500  Meter. 
n        '6.    Bau  der  Feldberestigungen. 


Abhängigkeit  der  Grefechtsordnung  der  Infanterie  von  den  Geschützen.        555 


Es  ist  klar,  je  grösser  die  Entfernung,  um  so  geringer  ist  die  Trefi-  .  ^^*°*%^^ 
Sicherheit.     Wir  wollen  die  im  vorhergehenden  Abschnitt  6)  angeführten  shrapneia. 
Zahlen  in  Erinnerung  bringen,  welche  die  unbedingte  Wirkung  (puissance 
destructive)  des  Shrapnels  für  jeden  getroffenen  Gürtel  darstellen : 

Entfernungen 
1500  Meter     2500  Meter    3500  Meter      4500  Meter 

für  Diaphragma  -  Shrapnel        3387  1779  1147  757 
für  Shrapnel  mit  Zentral- 
zünder            1616              953              964  864 

Die  angeführten  Zahlenverhältnisse,  welche  den  Grad  der  Shrapnel- 
wirkung  bei  verschiedenen  Feuerentfernungen  angeben,  haben  für 
Spezialisten  die  grösste  Bedeutung. 

In  einem  Artikel  des  „Militär-Wochenblatts" 7)  erwähnt  der  bekannte  ^^^  ^«' 

Schies»- 

deutsche  Militärschriftsteller,  General  der  Artillerie  Rohne,   dass   zum  »oBbiidiing 
Vorschlage    von    Offizieren    für    die    Auszeichnungen,    welche    Kaiser  de^tecben 
Wilhelm  ü.  für  die  beste  Schiessleistung  truppenweise  versprochen  hat,     ^""^• 
nötig  war,  Grundlagen  für  die  Beurteilung  der  Resultate  auszuarbeiten, 
und  dass  der  genannte  General  zu  diesem  Zwecke  auf  Grund  der  auf 
den  Schiessplätzen  gesammelten  Erfahrungen  die  Belege  für  die  flöhe 
der  Anforderungen  zusammengestellt  hat,  welche  man  in  Bezug  auf  das 
Infanterie-  wie  Artilleriefeuer  an  die  Mannschaften  stellen  muss. 

Die  Ausbildung  besonders  geschickter  Schützen  ist  deshalb  wichtig, 
damit  in  der  vordersten  Linie  Leute  sein  können,  die  fähig  sind,  mit 
Erfolg  auf  die  Geschützbedienung  und  die  Artillerieoffiziere  des  Gegners 
zu  zielen.  Das  Preisschiessen  ist  in  der  deutschen  Armee  entwickelt; 
denen,  die  im  Schiessen  sich  ausgezeichnet  haben,  werden  Schnüre  auf 
dem  Watfenrock  verliehen,  welche  dem  auf  der  Brust  getragenen  Abzeichen 
in  der  russischen  Armee  entsprechen. 

In  den  Anlagen  geben  wir  Abbildungen  der  Figuren,  welche  als 
Scheiben  für  das  Uebungsschiessen  dienen. 

General  Rohne  hat  sich  seit  dem  Jahre  1881  speziell  mit  der  Ver-    oenena 

Rohnes 

gleichung  der  Schiessresultate  beschäftigt  und  seine  Schrift  über  diesen    Studien. 
Gegenstand  hat  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  auf  sich  gelenkt.    Wir 
benutzen  deshalb  die  Darstellungen  seiner  Arbeiten »)  in  ausgedehntem 
Maasse  weiter. 


«)  „Taktik  der  Artülerie"  S.  372. 

0  1895,  drittes  Heft.  „Ueber  die  Beurteilung  der  Wirkung  und  über 
Stellung  von  Aufgaben  beim  gefechtsmässigen  Schiessen  der  Infanterie  und  Feld- 
Artillerie"  von  H.  Rohne.  (Siehe  die  Aom.  8  anf  der  folgenden  Seite.) 


556 


Vll.  Taktik  der  Infanterie. 


sohies».  General  Bohne  erklärt,  dass  die  von  ihm  mitgeteilten  und  von  uns 

rssnltate  mit 

shrapnei.  Mer  anzufilhrenden  Treffer  nach  den  Versuchen  mit  Muster-Schützenlinien 
gesammelt  sind;  dabei  waren  ganze  Schiitzenflguren  in  Abständen  von 
je  einem  Schritt  (0,8  Meter)  von  dem  Mittelpunkt  jeder  Figur  auf- 
gestellt. 


Von  je 

1  Shrapnei  waren 

folgende 

Treffer 

Entfernung 

ZQ  vermerken: 

Ziele 

in 
Metern 

Sprengweite  in  Metern: 

50 

100 

150 

200 

250 

500 

22,2 

11,1 

7,4 

5,5 

4,4 

Stehende 

1000 

19,6 

9,8 

6,5 

4,9 

3,9 

Schützen 

1500 
2000 

17,8 
16,4 

8,9 
7,7 

5,9 

4,7 

4,4 
3,5 

3,5 
2,6 

2500 

15,1 

6,9 

4,1 

2,5 

2,0 

Es  hat  also  bei  einer  Entfernung  von  2500  Metern  jedes  Shrapnei 
IB  bis  2  Treffer. 

Im  Durchschnitt  aber  muss  man  annehmen,  dass  jedes  Shrapnei 
Treffer  nach  folgender  Tabelle  haben  wird: 


Stellung  und  Teile  der  Figurenscheiben 

Entfernung  in 

Stehende 

Halbgedeckte 

Liegende 

Metern 

Schützen: 

Schützen : 

Schützen : 

Kopfscheibe 

ganze  Figur 

Kumpf Scheibe 

Brustscheibe 

500 

7,4 

3,4 

1,9 

0,9 

1000 

6,5 

3,0 

1,7 

0,8 

1500 

5,9 

2,7 

1,5 

0,7 

2500 

7,7 

3,5 

2,0 

1,0 

2500 

6,9 

3,1 

1,8 

0,8 

Folglich  wird  jedes    auf  2500  Meter  abgeschossene  Shrapnei  im 
Durchschnitt  7  Mann  ausser  Gefecht  setzen. 


*)  Hohne  (Gen.-Major),  „Das  Schiessen  der  Feld-Artillerie  unter  Berück- 
sichtigung der  für  die  preuasische  Artillerie  gültigen  Bestimmungen",  1881. 

Andere  Schriften  desselben  Autors:  „Beispiele  und  Erläuterungen  zu  dem 
Entwurf  der  Schiessregeln  für  die  Feld-ArtiUerie,"  1882.  Dasselbe  1883.  —  „Die 
Feuerleitung  grosser  Artillerie  verbände,  ihre  Schwierigkeiten  und  die  Mittel,  sie 
zu  überwinden,"  1886.  —  „Das  Artillerie-Schiessspiel.  Anleitung  zum  applika- 
torischen Studium  der  Schiessvorschrift  und  zur  Bildung  von  Schiessbeispielen.** 
—  „Studie  über  den  Shrapnelschuss  der  Feld-Artillerie". 


Abh&ngigbeit  der  Gefechtsordnung  der  Infanterie  von  den  Geschützen.        557 


Die  vorstehendea  Angaben   des   Generals  Rohne  haben  nns   die  ß'^^"""^ 
^föglichkeit  gegeben,  noch  die  unten  folgende  zahlenmässige  Bestimmung  gsturiich 
der  relativen  Gefahr  zu  geben,  welche  die  Shrapnels    dem  ungedeckt  ■     '  *■ 
dastehenden  Soldaten  and  dem  hinter  Schanzen  gedeckten  bringen, .  wobei 
die  Treffer  der  ganzen  Figur  zn  100  genommen  sind. 


Entfernung 
in  Metern 

Ganze  Figur 

Liegend 

Kopf 

600 

100"/. 

46,0»;. 

25,7  •/. 

12,2'/. 

1000 

lOOO/o 

46,2  V. 

26,2«/. 

12,3».. 

1600 

100«/. 

45,8«/. 

25,4"/. 

11,9»/. 

ajoo 

lOOo/o 

45,6»/. 

26,0«/. 

13,0«/. 

2600 

100»/. 

44,9«;. 

26,1"/. 

11,6«/. 

Bei  der  Wichtigkeit  dieser  Vergleichung  bringen  wir  sie  no( 
folgender  graphischer  Dai-steDung: 

Grösse  der  Gefahi  der  Shrapnels 
für  den  halbged eckten,  liegende»  und  bloss  den  Kopf  zeigenden  Soldaten. 
(IM«  Tnffer  beim  nigwlackt  ilshsidaB  Solditsn  in  IDO  gHanmeu.) 
Entttnuiig 
im  tiatani: 

ioo<v 
lon 

1001. 
1001. 


4n 

*5.b:i. 

46.i'|. 
M.9"!, 


Aus  den  gebrachten  Be-  ^'^'^j^t 
legen  geht  hervor,  dass  die««'»'" '" 
Artilleriegeschosse  schon  anf  ordnaag 
eiueEntfemangvoü2500Met. 
dem  Gegner  bedeutende  Ver- 
luste beibringen  kOnnen,  auch 
wenn  er  sich  in   Schützen- 
linie entwickelt  hat.    In  der 


558 


Vri.   Taktik  der  Infontorie. 


.1(K)0 


1500 


2000 


2&00 


2Ö.J1, 
26^1. 

261. 
26.it 


Liagndar  SsldsL 


500 

f'i 

1000 

r  ^ 

1500 

lii 

2(X» 

2500 

l2.iT. 
12.A 

lli'l. 
13-i, 
II.]. 


Marschordnung  aber  ist  ein  Mann 
vom  andern  höchstens  0,38  Meter  ent- 
fernt, und  infolge  dessen  mnss  auch 
bei  dieser  Ordnnng  die  Treffgefahr 
des  Shrapnels  annähernd  im  gleichen 
Verhältnis,  d.  h.  21/5  Mal  zu- 
nehmen. 

Sie  wird  noch  mehr  zunehmen, 
wenn  ^vir  uns  einige  Reihen  Soldaten 
hintereinander  vorstellen.    In  Bezug  hieranf 
finden  wii'  Belege  bei  einem  österreichischen, 
gleichfalls  sehr  schätzenswerten  Militürschrift- 
steller,    dem    Oberst   Regenspnrgski.     Nach 
seinen  AVorten  hat  das  Erfahrungsschiessen 
in  Oesterreich  und  Frankreich  gezeigt,  dass 
bei    mittleren    Entfernungen     die     in     ge- 
schlc^isener     Ordnung     marschierenden    Ab- 
teilungen   einen    zweimal    grössei'en  Verlust 
erleiden  als  die  in   aufgelöster  Oi'dnung  mit 
einem  Schritt  Abstand  gehenden;  und   die  in  zwei  geschlossenen  Reihen 
marschierenden  erleiden  einen  viermal  grösseren  Verlust,  s) 
[^  Die  Bedeutung  dieser  letzten  Zahl  wird  anschaulich  klar  aus  der  in 

den  Anlagen  gebrachten  Abbildung  des  Sturms  auf  die  Spicherer  Höhen 
bei  Saarbrücken  am  6.  August  1870.'")  Wird  bei  den  jetzigen  Ge- 
schützen und  Gewehren  ein  ähnlicher  Angriff  möglich  sein?  Jedes 
Shrapnel  hätte  jetzt  zehnfache  Opfer  getroften,  und  jede  Kugel  hätte 
bei  einer  Trefifläche  von  500  Metern  das  Maximum,  d.  h.  3  bis  5  Mann 
gefunden.  tJm  aber  genauer  die  Grösse  der  Gfefahr  zu  bestimmen, 
müssen  wir  auch  die  Zeit  in  Erwägung  ziehen,  die  nötig  ist,  um  dem 
Gegner  grösseren  oder  geringeren  Schaden  zuzufügen.  Die  Feuer- 
wirkung einer  Batterie  gegen  eine  Kompagnie  von  160  Schützen  berechnet 
General  Rohne  einschliesslich  der  zum  Einsclüessen  notwendigen  Schösse 
folgendermasseii;  (6i.h.  d«  i.<ib.iurteii«id.  T»b.ue.> 

Daraus  ist  ersichtlich,  dass  eine  Batterie,  die  in  einer  Entfernung  von 
löOO  Metern  aufgestellt  ist,  in  T'/a  Minuten  von  einer  Reihe  (wenn  auch 
mit  einem  Schritt  Abstand)  liegender  Schützen  ein  Drittel  kampfunfähig 
machen  wird,  und  bei  halbgedeckter  Stellung  fast  die  Hälfte.  AA'eiter  oben 

*)  nStudiea  über  den  taktischen  Inhalt  des  Exerzierreglements  ffir  die  K.  K. 
Fiisstruppen".    Wien  1892, 

'")  Die    Abbildung    ist    der    Kriegs-Jubiläunisnummer    der    „Allgeii 
Leipziger  Illustrierten  Zeitung"  entnommen. 


Abhängigkeit  der  Gefechtsordnung  der  Infanterie  von  den  Geschützen.        559 


Wirkung  einer  Batterie  gegen  eine  Linie  von  160  Schützen.   Wirkung 

einer 
Batterie  anf 

ver- 
schiedene 

Eni- 
femnngen. 


Grosse  der  Ziele 

Entfernung 
in  Metern 

Zeit  in 
Minuten 

Treffer 

®/o  Figuren 
getroffen 

Brustscheibe  (bei  liegender  j 

800 
1000 

2V» 
3V2 

45 
59 

24 
31 

Stellung)                              1 

1200 
1500 

5Va 
71/2 

88 
112 

42 
50 

Rumpfscheibe     (bei     halb- 

4 

800 
1000 

2V2 
31/2 

80 
105 

40 

48 

bedeckter  Stellung)             | 

1200 
1500 

5V2 
7V2 

154 
202 

62 
72 

haben  wir  gezeigt,  dass  die  Treff  kraft  (puissance  destructive)  eines  hohlen 
Shrapnels  bei  einer  Entfernung  von  1500  bis  4500  Metern  das  Ver- 
hältnis von  1616 :  864  bietet,  d.  h.  sich  nicht  ganz  um  die  Hälfte  ver- 
ringert. Daraus  folgt,  dass  man  auch  auf  diese  Entfernungen,  wenn  nur 
keine  Hindernisse  in  der  Aufstellung  des  Ziels  vorhanden  sind,  dem 
Gegner  wenn  auch  geringere,  so  doch  ansehnliche  Verluste  beibringen 
könnte. 

General  Müller  sagt,  dass  „die  Truppen,  um  sich  nicht  gänzlicher 
Vernichtung  preiszugeben,  in  zerstreuter  Ordnung  und  möglichst  geheim 
in  den  Unebenheiten  des  Terrains  werden  Deckung  suchen  oder,  wie 
Maulwurfe  die  Erde  aufwühlend,  werden  heranschleichen  müssen."  Die 
Eeglements  aber  erklären  nicht,  bis  zu  welchem  Grade  dies  möglicli  ist. 
Man  kann  daher  fragen:  Ist  dies  Schweigen  unwillkürlich  oder  be- 
absichtigt? 

Zugegeben,  dass  auf  die  Entfernung  von  4000  Metern  nur  der 
vierte,  sogar  der  fünfte  Theil  jener  oben  genannten  Treflerzahl  eintreten 
wird,  so  wird  auch  in  diesem  Falle  die  Artillerie  nicht  auf  die  Feuer- 
abgäbe  verzichten,  es  sei  denn,  dass  der  Kommandeur  überzeugt  ist,  man 
könne,  ohne  vom  Gegner  bemerkt  zu  werden,  näher  an  ihn  herangehen 
und  sicherer  gegen  ihn  operieren.  Deshalb  erweist  sich  die  oben  an- 
geführte Ansicht  des  Fürsten  Hohenlohe,  dass  die  Artillerie  in  künftigen 
Schlachten  schon  auf  eine  Entfernung  von  sieben  Kilometern  das  Feuer 
eröffnen  wird,  durchaus  nicht  als  Phantasie. 

Es  muss  noch  bemerkt  werden,  dass  auch  von  denjenigen  Ge- 
schossen, die  das  aufs  Korn  genommene  Ziel  verfehlt  haben,  bei  weitem 
nicht  alle  verloren  sind,  wenn  sie  auch  ohne  unmittelbare  Wirkung  ge- 
blieben sind.  Alles  erschreckend  und  eine  gewaltige  Fläche  bestreichend, 
werden  sie  schon   aus  der  Ferne  Unruhe  in  den  Reihen  erzeugen.    Ver- 


schalt vor 

dem  Fener, 


Feuer- 
eroihinng  anf 
weite  Ent- 
fernungen. 


Moralische 
Bedeutung 

nicht 
treffender 
Geschosse. 


560  ^^-   Taktik  der  Infanterie. 


luste,  die  durch  das  Feuer  eines  fem  stehenden  Gegners  verursacht 
werden,  wirken  in  moralischem  Sinne  viel  deprimierender  als  die  auf 
nahe  Entfernungen  beigebrachten.  Ueberhaupt  ist  es  wahrscheinlich 
genug,  dass  man  das  Geschützfeuer  schon  auf  weite  Entfernungen  er- 
öfinen  wird.  Das  Augenraaass  kann  täuschen,  aber  der  Konmiandeur 
wird  keine  Minute  versäumen  wollen,  wenn  sich  ihm  irgend  eine  Wahr- 
scheinlichkeit fiir  ein  Resultat  bietet.  Mit  Geschossen  sparen  wird  er 
schwerlich,  um  so  mehr  als  die  Armeen,  wie  an  anderer  Stelle  bemerkt 
ist,  im  Ueberfluss  damit  versehen  sein  werden.  Wir  wollen  hinzufügen, 
dass  der  Teil,  welcher  einen  Verteidigungskrieg  führt,  die  Bequemlichkeit 
haben  wird,  die  Munitionsdepots  zeitig  einzurichten. 

Nunmehr  gehen  wir  zu  den  Hilfsmitteln  selbst  über,  mit  denen  die 
Artillerie  die  Infanterie  unterstützt. 

Vor-  In   (jer  österreichischen  Felddienst-Ordnung  wird    folgender   all- 

bereitang  des 

inf«iteri<>-  gemeiner  Grundsatz  aufgestellt:  „Der  Artillerie  ist  die  Möglichkeit  und 
*dS^h"    Zeit  zu  geben,  dem  Infanterie-Angriife  entsprechend  vorauarbeiten.   Ohne 

Artillerie.  Feuerüberlegenheit  hat  der  Angriff  keine  Aussicht  auf  Erfolg".  Auch 
hier  wird  von  der  Feuerüberlegenheit  gesprochen.  Wenn  aber  der 
Gegner  eine  gleiche  Artillerie  hat,  so  wäre  aus  diesem  Grundsatz  zu 
folgern,  dass  in  diesem  Falle  der  Infanterie-Angriff  keinen  Erfolg  ver- 
spricht. 

Daher  wird  die  erste  Aufgabe  der  angreifenden  Artillerie  die  Ver- 
nichtung der  gegnerischen  sein,  und  erst  danach  kann  sie  ihr  Feuer  auf 
die  feindliche  Infanterie  richten.  Daraus  geht  die  Notwendigkeit  hervor, 
in  erster  Linie  eine  zahlreiche  Artillerie  zum  Angriff  wie  zur  Verteidigung 
zu  haben. 

dOTG^hüte-  Wenn  wir  aber  das  Verhältnis  der  Zahl  der  Geschütze  zu   der 

»hl  rar  Truppenzahl  der  Infanterie  vergleichen,  so  kommen  wir  zur  der  Ueber- 
zeugung,  dass  es  in  den  verschiedenen  Ländern  fast  gleich  ist.  Und 
zwar  sind 

Geschütze  auf  10000  Mann  Infanterie 

In  Russland  .    .    3992  12 

„   Frankreich   .    4676  12 


Sornma 

8568 

In  Deutschland . 

3598 

12 

„   Oesterreich  . 

2072 

10 

„  Italien  .    .    . 

1624 

10 

Summa    7294. 


Abhängigkeit  der  Gefechtsordnung  der  Infanterie  von  den  Geschützen.        561 

Folglich  Übersteigt  die  Summe  der  Geschütze  Frankreichs  und 
Busslands,  der  Mächte,  die  vermutlich  die  Defensive  ergreifen  werden, 
die  Totalsumme  der  Geschütze  des  Dreibunds  fast  um  20  <>/(>. 

Die  Mobilmachung  wird  in  dieser  Beziehung  bei  weitem  keine  so 
grosse  Veränderung  hervorrufen  wie  bei  der  Infanterie.  Die  Zahlen  der 
für  die  (beschütze  erforderlichen  Bedienungsmannschaften  und  Pferde 
sind  beziehungsweise  nicht  gross  und  können  mit  den  ersten  Zügen, 
sogar  mit  Schnellzügen  auf  den  Platz  geschafft  werden.  Die  Geschütze 
selbst  aber  sind  in  der  Hauptsache  schon  in  Friedenszeit  an  den  Grenzen 
Frankreichs  und  Eusslands  verteilt. 

In  der  Güte  des  Geschützmaterials  der  verschiedenen  Armeen  giebt    ^»5«'-. 
es,  wie  schon  gesagt,  fast  keinen  Unterschied;  da  aber,  sobald  die  Truppen  wert  der 
auf  den  Kriegsstand   gebracht   werden,   ungefähr  60  %  der  Artillerie-  ^'*'"®'**"- 
Bedienungsmannschaften   der  Beserve   angehören   werden,    so    können 
natürlich  in  dieser  Hinsicht  Unterschiede  eintreten,   die  von  dem  Grade 
der  Ausbildung  abhängen.    Im  übrigen  werden  zufällige  Fehler  in  allen 
Armeen  vorkommen.    Wenigstens  sagt  General  Baumgarten,  dass  die 
Technik  der  heutigen  Artillerie  höher  stehe  als  ihre  Taktik,  die  ballisti- 
schen Eigenschaften  und  die  Beweglichkeit  der  Geschütze  höher  als  die 
Kunst  des  Schiessens  und  des  Manövrierens;  endlich  seien  die  feldmässigen 
Eigenschaften  des  Materials  besser  als  die  kriegerische  Ausbildung  der 
Batterien  und  ihrer  Kommandeure.    , 

Aber  selbst  zugegeben,  dass  die  deutschen  Artilleristen  in  ihrer 
technischen  Ausbildung  höher  stehen  als  die  französischen  und  russischen, 
so  werden  auch  in  diesem  Falle  bei  dem  Verteidigungssystem  die 
letzteren  den  ersteren  nicht  nachstehen,  sondern  werden  eine  grössere 
Anzahl  Geschütze  und  grössere  Vorräte  von  Geschossen  zu  ihrer  Ver- 
fügung haben,  mit  einem  Worte,  ihr  Feuer  wird  wenigstens  im  Beginn 
des  Feldzugs  dem  der  angreifenden  Seite  überlegen  sein. 

Wenn  wir  nun  zugeben,  dass  die  beiderseitigen  Artilleriekräfte 
vollkommen  gleich  sind,  so  würde  daraus  der  logische  Schluss  hervorgehen, 
dass  es  der  angreifenden  Artillerie  genau  wie  der  verteidigenden  in 
der  Schlacht  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  unmöglich  werden  wird, 
den  Kampf  noch  fortzusetzen,  bevor  der  Infanterieangriff  auf  die 
Stellungen  würde  beginnen  können. 

Eine  sehr  grosse  Gefahr  bringt  der  Artillerie  der  Umstand,  dass  Gef»hreu  wr 
die  Bedienungsmannschaft  in  kurzer  Zeit  vom  Artilleriefeuer  des  Gegners  ^^^g^ 
vernichtet  werden  kann.  mannschsn. 

Nach  den  Berechnungen  des  Generals  Rohne  haben  die  Spreng- 
stücke und  Kugeln  der  Geschosse,  welche  von  einer  Batterie  während 

Bloch,  Der  zakünftige  Krieg.  36 


564  ^^*   ^s^^  der  Infanterie. 


"    Artillerie  mit  grösseren  Verlusten  aus  bedeutender  EJntfemung  und  schon 
im  Jahre  1870  brachte  sie  ihr  merklichen  Schaden. 
Hilfsmittel  Die  Artillerie  des  Angreifers  richtet  ihr  Feuer  hauptsächlich  auf 

teidigang.  Schauzcu  uud  alle  Befestigungen,  welche  die  Verteidigung  aufgeführt 
hat,  die  deshalb  die  wahrscheinliche  Stellung  der  angreifenden  Batterien 
schon  annähernd  voraussehen  wird.  Ueberdies  wird  der  Verteidiger  auf 
erhöhten  Punkten  Beobachtungsposten  ausstellen,  die  er  durch  Telephon- 
leitnngen  mit  seinem  Stabe  und  seinen  Batterien  verbindet.  Von  hier 
aus  wird  jeder  Schritt  des  Gegners  bemerkbar  sein,  und  demgemäss 
werden  die  entsprechenden  Maassregeln  getroffen  werden. 

In  den  Anlagen  bringen  wir  die  Abbildung  eines  solchen  Beob- 
achtungspostens, der  in  den  französischen  Manövern  1894  von  einer 
Batterie  bei  Montfermel  ausgestellt  war.  9) 

Wenn  wir  nun  zugeben,  dass  weder  das  gegenseitige  Feuer  der 
Artillerie  beider  Teile,  noch  die  Thätigkeit  der  Schützen  ihr  Schaden 
verursacht  haben,  so  dass  sich  der  Artillerie  der  ganze  Eaum  geöffnet 
hat,  um  die  feindliche  Infanterie  mit  einem  ununterbrochenen  Hagel  von 
Geschossen  zu  überschütten,  dann  wird  sich  uns  die  Frage,  welches  die 
Wirkungen  der  Artillerie  auf  die  Infanterie  sind,  in  ihrer  einfachsten 
Gestalt  zeigen. 
Frankreich  Nchmeu  wir  z.  B.  an,   dass  Frankreich  sofort  beim  Beginn  der 

gegen 

Deutechiand.  Feindseligkeiten  mobil  macht  und  erst  eine*  Million  Soldaten  in  die  erste 
Linie  stellt.  In  Folge  der  beständigen  Kriegsrüstungen,  die  schon  in  der 
Fiiedenszeit  veranstaltet  sind,  wird  eine  hinreichende  Anzahl  Geschütze 
in  der  Nähe  der  Grenze  sein,  sagen  wir  12  Batterien  bei  jedem  Korps. 
Auch  in  Deutschland,  wollen  wir  annehmen,  wird  man  vollkommen  gleiche 
Streitkräfte  aufstellen.  Setzen  wir  weiter  den  Fall,  dass  in  dem  an- 
greifenden Korps  nur  ein  Drittel,  beispielsweise  10000  Mann  in  die 
Feuerlinie  geführt  werden  und  in  aufgelöster  Ordnung  mit  0,8  Meter  Ab- 
stand von  Mann  zu  Mann  anrücken. 
Feuer-  Das  Vertcidigungskorps  wird  auch  nur  10000  Mann  herausstellen, 

**^keit*  '^'  um    den   Angriff  abzuschlagen.     Nun   muss   man   bedenken,   dass   die 
der  Artillerie.  B^t^gj.jgj^   auf  2500  Ws  1500  Mctcr  nur  IV2  Schuss  pro  Gesdiütz    in  der 

Minute  abgeben,  aber  auf  1500  bis  1000  Meter  je  2V2  Schuss  pro  Geschütz 
in  der  Minute ,  und  auf  1000  bis  500  Meter  je  31/2  Schuss.  Dabei  ist  die 
Feuergeschwindigkeit  übereinstimmend  mit  General  Bohne  fast  um  die 
Hälfte  geringer  angenommen» als  die,  welche  schon  jetzt  erreicht  wird. 
So  werden  in  der  neuesten  russischen  Instruktion  beim  Schiessen  auf  die 
Entfernung  bis  3000  Meter  4  bis  5  Schüsse  in  der  Minute  angenommen, 
bei  Entfernung  über  3000  Meter  3  Schüsse. 

9)  Die  Abbildung  ist  der  „Illustration"  1894  entnommen. 


Beobaehtungsposten, 

der  während  der  fHtizösisohen  Manöver  von  1894  in  einer  Mühle  b 
Montfermel  aufgestellt  war. 


.    Eiiflgau  b«!  Bslta  SBL 


AbhäDgigkeit  der  Gefechtsordnung  der  In&nterie  von  den  Geschützen.        565 


Die  Infanterie  wird  in  voller  Btistung  mit  einer  Geschwindigkeit 


YerloBte 
der 

von  80  Metern  in  der  Minute,  d.  h.  5  Werst  in  der  Stunde  mar$chieren.iö)  »ngreifeaden 
Hierbei  wird  der  Angreifer  nach  den  Belegen  des  (xenerals  Rohne^^) 
Verluste  nach  folgender  Berechnung  erleiden: 


» 

Entfernung 

in 

Metern 

Zahl  der 
Minuten 
für  den 

Vor- 
marsch 

Zahl        2;ahl  der 
der           Spreng- 
schüsse   Stöcke  ^^^f 
Kugeln  1«) 

1 

Zahl  der 
treffenden 

Spreng- 
stücke und 

Kugelti 

Prozent  der 
treffenden 
Spreng- 
teile 

500  (2500  bis  2000) 
500  (2000  bis  1500) 
500  (1500  bis  1000) 
500  (ICOO  bis  500) 

6,25 
6,25 
6,25 
6,25 

675 

675 

1123 

1570 

126000 
126000 
213  000 
298000 

4657 

5197 

6  625 

10205 

3,7 
4,1 
3,1 
3,4 

4043 

763  000 

1 

26  684 

3,5 

lö)  Nach  dem  Reglement  macht  der  Laufschritt  128—180,  der  Sturmschritt 
100  Meter.  Aber  bei  weiten  Entfernungen  wie  den  hier  angenommenen  würden 
zwei  Pausen  nöthig  sein.  Deshalb  nehmen  wir  der  Einfachheit  wegen  80  Meter 
in  der  Minute  an,  obgleich  der  Marsch  in  voller  Ausrüstung,  wenn  man  nicht 
schon  einige  Zeit  auf  eine  Rast  rechnet,  selbst  bei  diesem  herabgesetzten  Tempo 
bedeutende  Anstrengungen  fordern  wird. 

**)  Die  Wirkung  auf  beträchtliche  Ziele  bei  günstigem  Schiessen,  welche 
nach  den  Angaben  des  Generals  Rohne  befriedigend  genannt  werden  kann, 
stellt  folgende  Tabelle  dar: 


Ziele 


Vom  Shrapnel  G/91  sind  als  Durchschnitts- 
leistung auf  die  verschiedenen  Entfernungen 
gegen  die  betreffenden  Ziele  .  .  .  Treffer  pro 
Schuss  zu  erwarten: 


Schussweite  in  Metern: 


1000 

1500 

2000 

2500 

3000 

3500 

6,5 

5,9 

7,7 

6,9 

^^imm 

4,6 

4,2 

5,4 

4,8 

— 

3,0 

2,7 

3,5 

3,1 



1,7 

1,5 

2,0 

1,8 

0,8 

0,7 

1,0 

0,8 





— 



2,4 

2,0 

1,7 

1,5 

4000 


Stehende  Schützen 

Knieende  Schützen 

Halbgedeckte    Schützen    (Rumpf- 
scheibe)   

Liegende  Schützen  (Bri]^tscheibe) 

Kopfscheibe       

Artillerie  (Bedienung) 


7,4 
5,1 

3,4 

1,9 
0,9 


0,8 


")  General  Müller  nimmt  die  Zahl  der  Sprengteile  des  Shrapnels  auf 
180  bis  200  an;,  wir  haben  für  unsere  Berechnung  als  Durchschnitt  190 
genommen. 


566 


VII.   Taktik  der  Infiinterie. 


Hieraus  ist  ersichtlich,  dass  von  763  000  Shrapnel-Sprengteilen  nur 
26684,  d.  h.  8,5%  treffen.  Die  übrigen  Stücke  schlugen  in  die  Zwischen- 
räume, flogen  seitwärts  oder  gruben  sich  ein. 

we^vep.  ju  gj^jj2  anderer  Lage  wird  sich  der  Verteidiger  befinden.    Das 

i«       deutsche  Reglement  vom  6.  April  1893  schreibt  der  Verteidigung  vor, 

Bagi^meni  mögUchst  grosscu  Nutzeu  aus  denjenigen  neuen  Vorteilen  zu  ziehen, 
welche  ihr  die  grossen  Entfernungen,  auf  die  in  Zukunft  der  Kampf 
beginnen  wird^  und  das  rauchschwache  Pulver  gewähren.  Verboten  wird 
die  Herstellung  von  Verteidigungsarbeiten,  welche  dem  Gegner  zu  sichtbai* 
sind;  es  wird  auf  die  Notwendigkeit  hingewiesen,  diejenigen  Aussichten 
vorher  zu  erspähen,  welche  sich  ihm  bieten  müssen,  und  in  Vorschlag 
gebracht,  Verteidigungsaufschüttungen  und  Werke  an  denjenigen  Punkten 
auf  zufuhren,  welche  zu  erraten  ihnen  selbst  sehr  schwierig  wäre,  wenn 
ihnen  die  Aufgabe  der  Angreifer  zufiele. 

Wenn  aber  auch  der  Angreifer  die  Lage  der  befestigten  Punkte 
der  Verteidigung  bemerkt,  so  vermindert  dies  noch  nicht  bedeutend  die 
Vorteile  der  Stellung  des  Verteidigers.  Dieser  letztere  wird  dem  Bei- 
spiele der  Türken  bei  Plewna  folgen.  Einen  Teil  seiner  Truppen  wird 
er  hinter  Brustwehren  halten  und  die  übrigen  hinter  Schanzen  decken 
und  sie  nur  in  dem  Falle  herausfuhren,  wenn  der  Gegner  zum  Sturm 
vorrückt,  und  dessen  Artillerie  wird  dann  gezwungen  werden,  das  Feuer 
abzubrechen. 

orAsM  xJm  aber  die  Grösse  der  Gefahr  für  die  hinter  den  Brustwehren 

fQr  die    stehenden  Verteidiger  zu  bestimmen ,  d.  L  für  die  Leute,  die,  auf  grosse 

Verteidiger.  Entfemuugen  beginnend,  Gewehrfeuer  auf  den  Angreifer  abgeben  und 

selbst  nur  Kopf  und  Hände  ungedeckt  haben,  wollen  wir  nach  den  Zahlen 

des  Generals  Rohne  eben  solche  Berechnung  für  die  Verteidiger  anstellen, 

wie  wir  sie  oben  füi'  die  Angreifer  gebracht  haben. 


Entfernung 

in 

Metern 

Zahl,  der 
Minuten 
für  den 

Vor- 
marsch 

Zahl 

der 

Schüsse 

Zahl  der 

Shrapnel- 

Sprengteile 

Zahl  der 

treffenden 

Sprengteile 

Prozent 

der 

treffenden 

Sprengteile 

500  (2500  bis  2000) 
500  (2000  bis  1500) 
500  (1500  bis  1000) 
500  (1000  bis  500) 

6,25 
6,25 
6,25 
6,25 

675 

675 

1123 

1570 

126000 
126000 
213  000 
298000 

540 

675 

786 

1256 

0,4 
0,5 
0,4 
0,4 

— 

4043 

763000 

3  257 

0,4 

I 

j 


Hülsenzahl  der  alten  und  der  neuen  Shrapnels, 

die  Yon  einem  30000  Mann  starken  Korps  bei  einer  Aitake  auf  2500  bis  .500  Heier 

Entfernung  verbraucht  worden  sind. 


Zahl  der  GeMbosM 


■■■■■■■■•■■■■■■■■■■■■■■••■■■■■••■■■■■■■■■ 
■■■■■•■■«■■■■■■■•■■■■■■■«■■■■■•■■■■■■■■■■ 
■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■ 

■•%•■■•■■«■■■■■•■■■■»■■•■■■■■■■■■■■■■■■ 


1452 


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ZftU  der  Hülees  der  alten 
«ad  neuen  Sbrapnele 


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■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■•■■■■■■■■ 


275.000 


Zahl  der  Hflleen  der  n^ea 
SlmpaelB 


w 


iSZ!ZSlS12I!!S2S55S;fSf !■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■ 

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435.600 


WhAJa 


dk^ 


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I  II  111  iri  I  I  I   ll  fci 


Zahl  der  Tre£&ohüsse  in  eine  Reihe  von  10  000  Mann,  mit  den 

alten  Shrapnels. 


Nach  den  Angaben  den 
(Teneralii  Rhone 


10.330 


Kach  den  Angaben  des 
Oeneialfl  Mftller 


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l!!"!"!"!!!!*!*"">">">aiaiiBeBBieaiiiiaeiieaiiaaaiaiifliaaB 


MkdJk 


iX^^JAUi 


lidiAA 


i  16.530 


Mensohenzahl  der  Infanterie  in  Hillionen,  die  mit  den  im  Jahre  1891  im 
Besitz  der  Artillerie  befindlichen  Patronen  ausser  Gefeoht  gesetzt  bezw. 

getötet  werden  kann. 


Es  können  ausser  Gefecht  gesetzt 
werden. 


Es  können  getötet  werden. 


«rfü 


iOji 


Mit  dem  fttutatoincben  nnd 
rnaBisohen  Gewehr 


6^ 


Mit  den  Gewehren  des       H  1 1 1  M  1 1  i  1 1 1 1  HJ  (^  ly 
Dreibundes  ^M  1 1 1  I II 1 1 1 1 1  iTl     V^ 


Abh&Dgigkeit  der  Gefechtsordnung  der  Infanterie  von  den  Geschützen.        56? 


Vergleicht  man  diese  zwei  Tabellen  mit  einander,  so  sieht  man,    '^rf*'^ 
dass  in  derselben  Zeit,  wo  im  Durchschnitt  26684  Treffer  der  Shrapnel- 
Sprengteile  auf  die  angreifenden  Truppen  kommen,  auf  den  Angreifer 
nur  32B7  Treffer  entfallen  werden. 

Aber  vielleicht  sind  die  Angaben  des  Generals  Rohne  übertrieben?  ^^'^"^ 
So  wollen  wir  sie  nach  einer  anderen  Quelle  prüfen.    Nach  der  Berech-    Geneni 
nung  des  Generals  Müller  i»)  stellen  sich  die  Durchschnittszahlen  der 
Shrapnelwirkung  bei  180  bis  200  Sprengteilen  folgendermaassen  dar: 

Stark  treffende 
Sprengteile 

8-10% 

7-8  % 

3,6  0/, 


Entfernung 

1500  Meter 

2000 

2600 


n 


» 


Stark  getroffene 
Scheiben  in  Mannshöhe 

8,90/0 
5,6  0/0 
3,4  0/0 


Geben  wir  zu,  dass  die  Verschiedenheit  der  Resultate  zwischen  den 
Entfernungen  von  1600  und  1000  Metern  der  Verschiedenheit  der  Resultate 
zwischen  den  Entfernungen  von  2000  und  1600  Metern  gleich  ist,  und 
nehmen  wir  den  Durchschnitt  zwischen  Maximum  und  Minimum  der 
getroffißnen  Scheiben,  deren  jede  Mannsbreite  hat,  so  erhalten  wir  folgende 
Daten: 


Entfernung 

in 

Metern 

Zahl  der 
Sprengteile 

Stark 

getroffene 

Scheiben 

Zahl  der 

getroffenen 

Scheiben 

2500  bis  2000 
2000  bis  1500 
1500  bis  1000 
1000  bis    500 

126000 
126  000 
213  000 
298  000 

3,50/0 
5,50/0 
8,50/0 
8,50/0 

4  410 

6930 

18100 

25  330 

763000 

7,20/0 

• 

54770 

Folglich  muss  nach  den  Angaben  des  Generals  Müller,  wenn  man   nifferei« 

swischeo 

zudem  die  Feuergeschwindigkeit  erwägt,  die  fast  um  die  Hälfte  geringer  Mwieniiid 
ist  als  die,  die  wirklich  erreicht  wird,  die  Wirkung  der  Artillerie  um  ^^°*' 
3,7  %  tödlicher  sein  als  nach  den  Angaben  des  Generals  Rohne.  Um  sich 
von  den  Verlusten  des  Angreifers  einen  richtigen  Begriff  zu  machen, 
muss  man  im  Auge  behalten,  dass  hinter  der  ersten  Schützenlinie  in 
einem  Abstände,  der  je  nach  der  Entwickelung  des  Angriffs  600  bis 
100  Meter  beträgt,  die  Unterstützungstrupps  und  Reserven  anrücken. 


")  „Die  Wirkung  der  Feldgeschütze." 


568  Vn.  Taktik  der  Infanterie. 


Die  Treffifläche  des  Sbrapnels  ist,  wie  aü  anderer  Stelle  ansgefohrt  ist, 
sehr  gross.  Wenn  wir  nun  den  Angaben  des  Generals  Bohne  folgen,  so 
finden  wir,  dass  von  763000  Shrapnel  -  Sprengteilen  26684,  d.  L  3,5  o/o, 
treffen  müssen,  nnd  nach  den  Angaben  des  Generals  Möller  54770  oder 
7,2%.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  auch  die  übrige  Zahl  der 
Sprengstücke  und  Kngeln,  d.  h.  92,8%  Tom  Ganzen,  anderen  Gefechts- 
tmppen  im  Rücken  der  Schützenlinien  Verlnste  vemrsachen  kann. 

'"rttorir'  ^^h  Anssage  des  Generals  Mfilleri*)  werden  mit  28  Granatschfissen 

in  einer  Kompagnie  auf  2400  Meter  Entfernung  ausser  Gefecht  gesetzt: 
V?  d^r  Leute  in  der  Schützenkette  und  y^  der  Leute  im  Bestände  der 
Unterstützungstrupps  dieser  Kette.  Eine  Batterie  kann  heute  im  Verlauf 
einer  Viertelstunde  bis  zu  2000  Meter  Entfernung  einen  jeden  stehenden 
Truppenteil  vpn  nicht  über  150  Meter  Frontbreite  kampfunfähig  machen. 
Auf  diese  Entfernungen  kann  das  Feuer  die  Bewegung  der  Infanterie 
unbedingt  zum  Stehen  bringen. 

Ein  derartiger  Infanterie -Truppenteil,  dessen  Beschiessung  einer 
Batterie  übergeben  ist,  kann  auf  Entfernungen  bis  zu  1500  Meter  schon 
durch  24  Granat-  oder  12  bis  16  Shrapnelschüsse  zur  Hälfte  ausser 
(lefecht  gesetzt  werden.  Beim  Schiessen  auf  stehende  Schützen  und  auf 
die  Unterstützungstrupps  der  Schützenlinie  genügen  bis  zu  2500  Meter 
3fi  bis  24  Schüsse,  um  %  aUer  Mannschaften  ausser  Gefecht  zu  setzen. 

Der  Verteidiger,  der  die  Möglichkeit  benutzt,  vorher  seine  Geschütze 
an  Orten  aufzustellen,  die  dem  feindlichen  Feuer  unerreichbar  sind,  hat 
alle  Vorteile  vor  dem  angreifenden  Feinde  voraus. 

vonR^Ioiw-  Heutzutage  werden  selbst  dort,  wo  es  keine  Wege  giebt,  Revolver- 

kanon«u.  kanoncu  auf  Pferden  transportiert,  "wie  nebenstehende  Abbildung  zeigt, 
die  solche  Transportversuche  in  den  unlängst  abgehaltenen  Manövern  in 
Bosnien  darstellt. 

Die  leichten  Revolverkanonen  werden  sich  gegen  den  angreifenden 
Feind  ausserordentlich' wirksam  zeigen;  umgekehrt  werden  sie  gegen  den 
hinter  Schanzen  sich  deckenden  Verteidiger  wenig  brauchbip'  sein. 
Renaiuta  Dicse   Verschiedenheit    wird    durch    folgende    Zahlen    erläutert: 

mit  6.8-OTn-  ° 

oenchnixen.  50  Sbrapucls,  welche  aus  5,3-Centimeter-Greschützen  auf  1200  Meter 
gegen  drei  Scheiben  abgeschossen  werden,  die  auf  einem  Flächenraum 
von  50  Metern  sich  bewegende  Schützenlinien  darstellen,  erzielen  folgende 
Resultate: 

Die  erste  dieser  Scheiben  wird  von  248  Sprengstücken  getroften, 
die  zweite  von  208,  die  dritte  von  224,  im  ganzen  von  740  Sprengstücken, 


y.i^^  tt 


**)  „Die  Wirkung  der  FeldgescUütüe. 


Abhängigkeit  der  Qefeohteordnung  der  Infanterie  von  den  Geschützen.       569 


Transportversuche  von  Geschützen  auf  Pferden. 

welche  die  Abteilungen  der  vQlligen  Vernichtang  preisgeben  würden,  i^) 
Andererseits  erhält  man  auf  drei  je  20  Meter  von  einander  entfernte 
Scheiben  fast  die  gleiche  Wirkung,  woraos  man  schliessen  kann,  dass  der 
ganze  Eaum  von  60  Meter  Tiefe  von  den  übrigen  Sprengstilcken  über- 
schüttet wäre;  folglich  hätten  auf  diesem  ganzen  3000  Quadratmeter 
groäsen  Baume  wenige  Leute  übrig  bleiben  kOnnen,  die  nicht  toq  Spreng- 
stücken getroffen  wären. 

Wir  wollen  nun  noch  die  Erfolge  von  20  Shrapnelschüssen  aas    Bamut* 
einem  Geschütz  noch  kleineren  Kalibers,  nämlich  4,7  Centimeter,  be- i,_ ""_„„. 
trachten,  welche  von  1200  Meter  anf  zwei  Linien  zu  je  10  Scheiben  ab-   ''"^'"»■ 
gegeben  werden;  die  Scheiben  stellen  20  Schützen  dar,  und  hinter  ihnen 
sind,  mit  100  Meter  Abstand,  ebenso  viele  Scheiben  aufgestellt. 

")  Malier:  nDie  Wirkimg  der  FeldgeschQtze." 


570 


Vn.  Taktik  der  Infanterie. 


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Resultate  mit  20  Shrapnelschüssen  aus  einem  4,7-Centimeter-Ge8chütz 

auf  1200  Meter  Entfernung. 

Wie  ans  dem  Grundriss  ersichtlich,  blieben  von  der  vorderen  Linie 
13  Scheiben  unberührt,  und  von  der  hinteren  2,  aber  einige  von  ihnen 
wurden  von  8  Sprengstücken  getroffen. 
Resultate  Ferner  wui'den  aus  einem  6,7-Centimeter-Geschütz  auf  1500  Meter 

mit  ' 

dem  6,7-cm-  20  Shrapuelschttsse  auf  Scheiben  abgegeben,   die  in  derselben  Ordnung 
Geschütz,  g^^j^^jgjj  ^Q  ijgj  ^^jj  Schiessversuchen  mit  dem  4,7-Centimeter-Geschütz. 

Zum  Richten   und  Zielen  waren  20  Sekunden  nötig,   zur  Abgabe  von 
20  Schüssen  41  Sekunden,  im  ganzen  1  Minute  und  1  Sekunde. 


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Besultate  mit  20  Shrapnelsohüssen  aus  einem  5,7-Centimeter-Gescshütz 

auf  1500  Meter  Entfernung. 


Dieses  Mal  blieben,  wie  der  Grundriss  zeigt,  nur  8  Scheiben  un- 
berührt. 

Die  Geschütze  der  Feld-Artillerie  kann  man  ebenso  vergleichen. 

versuciie  jn  Frankreich   wurden  Versuche    mit  Scheiben  gemacht,    welche 

Fraukreich.  Rcsultate  mau  erhalten  würde,   wenn  ein  Bataillon  in  Kompagnien  mit 

je  40  Meter  Zwischeniaum  anrückte  und  in  aufgelöster  Ordnung  auf  einer 

Linie  von  40  Meter  marschierte,  i^)     Das  Resultat  von  36  auf  2500  Meter 

Entfernung  abgeschossenen  Shrapnels  ist  aus  folgendem  Grundriss  er- 
sichtlich, n) 


^*)  „Aide-memoire  officiel  de  l'artillerie." 
^^)  Omega:  „L'art  de  combattre." 


Abhängigkeit  der  Gefechtsordnung  der  In&nterie  von  den  Geschützen.        571 


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Besultate  von  86  auf  2500  Metei^  Entfernung  abgeschossenen  Shrapnels. 


Der  mit  Schwarz  bezeichnete  Raum  war  so  dicht  mit  Kugeln  und 
Sprengstücken  besät,  dass  es  unmöglich  war,  die  Spuren  genau  an- 
zugeben. Wie  aus  dem  Grundriss  ersichtlich,  wären  die  zwei  ersten 
Kompagnien  völlig  vernichtet  worden,  und  in  der  dritten  und  vierten 
hätten  die  Kräfte  schwerlich  ausgereicht,  um  den  Angriff  fortzusetzen. 

Wie  wir  bereits  früher  in  dem  Abschnitt  „Taktik  der  Artillerie" 
gezeigt  haben,  wird  die  Artillerie  nur  bei  der  Annäherung  des  Feindes 
auf  Entfernungen  unter  BOO  Meter  gezwungen  sein,  das  Feuer  ab- 
zubrechen. Sie  kann  also  auf  sehr  beträchtliche  Ausdehnung  den  Gegner 
niederwerfen,  falls  natürlich  ihre  Bedienungsmannschaft  nicht  vorher  ver- 
nichtet ist. 

Folglich  muss  das  Granat-  und  Shrapnelfeuer  auf  Infanterieziele 
(auf  Grund  der  Wii'kung  auf  die  sie  darstellenden  Scheiben)  geradezu  ver- 
nichtend genannt  werden.  Obgleich  wir  uns  an  die  Berechnungen  ver- 
schiedener Autoren  halten,  kommen  wir  gleichwohl  zu  demselben  Schlüsse, 
und  zwar,  dass  die  angreifenden  Teile  schon  allein  durch  das  Artillerie- 
feuer der  Verteidigung  aufgerieben  sein  können  (natürlich  bei  un- 
gehinderter Wirkung  der  Artillerie  auf  die  Infanterie,  wie  oben  an- 
genommen ist).  Es  ist  noch  zu  bemerken,  dass  es  zur  Erzielung  dieses 
Resultates  genügt,  4043  Schüsse  abzugeben.  Die  Batterien  haben  aber 
nicht  weniger  als  12  (XK)  (Jeschosse  bei  sich,  wovon  also  zwei  Drittel 
noch  für  weitere  Thätigkeit  übrig  bleiben  würden,  i^) 

Aber  die  Macht  der  Artillerie  wird  noch  über  ihre  jetzigen  Dimen- 
sionen hinausgehen.  In  dem  Abschnitte  über  die  Artillerie  bringen  wir 
den  Nachweis,  dass  bei  den  bisherigen  Geschützen  die  ganze  Kraft  des 
rauchschwachen  Pulvers  noch  nicht  völlig  ausgenutzt  werden  konnte. 
Neuerdings  wurden,  wenn  man  den  Zeitungen  glauben  darf,  im  Lager 


Notirendig- 

keit, 
dasAitillerie- 

feaer 
abzabrochen. 


Wirkang 
desArtiUerie- 
feaers 
Aaf 
Infanterie- 
Siele. 


Möglichkeit 

einer 

Erhöhung 

deaArtillerie- 

feners. 


18)  Augenblicklich  hat  jede  Batterie  an  Munitions wagen:  die  deutsche  9, 
die  französische  9  (die  reitende  nur  8),  die  russische  12.  Folglich  kann  die 
deutsche  Batterie  in  einer  Schlacht  808  Schüsse  abgeben,  die  französische  852,  die 
russische  900,  ohne  Zufuhr  von  Geschossen  aus  den  Munitionskolonnen.  Aber 
auch  diese  Zahlen  gelten  als  noch  nicht  genügend ;  in  Deutschland  ist  beabsichtigt, 
die  Batterie  mit  1290  Schuss  zu  versehen. 


572 


Vn.  Taktik  der  Infanterie. 


von  Chälons  im  Beisein  des  Präsidenten  der  Republik  noch  vervollkomm- 
netere  Geschütze  an  die  Artillerietruppen  ausgegeben.  Das  neue  franzö- 
sische Geschütz  hat,  wie  mitgeteilt  wird,  ein  7,B-Centimeter-Kaliber,  feuert 
4  bis  5  Schüsse  in  der  Minute  und  giebt  fast  gar  keinen  Bfickstoss. 

Wenn  man  die  ganze  Kraft  des  rauchschwachen  Pulvers  ausnutzen 
könnte,  so  würde  nach  der  Veimutung  des  Generals  Wille  die  Grösse  der 
Treflffläche  für  die  neuen  Geschütze  zunehmen: 

auf  Entfernungen  bis  1000  Meter  um  210% 

2000      „        „    133  „ 

Wir  wollen  graphisch  darstellen,  in  welchem  Grade  die  Treffflächen 
sich  vergrössern: 


n 


n 


n 


n 


w 


Entfemung 
in  Metern: 


1000                      1    i 

M      Hill   II 

1 

2000 

Hjpmipyiian 

ll'n 

im 


Zunahmeverhältnis  der  Trefffläche  in  Prozenten  bei  Ausnutzung  der  ganzen  Kraft  des 

rauchschwachen  Pulvers. 


Es  ist  nicht  zu  bezweifeln,  dass  die  anderen  Reiche  dem  Beispiele 
Frankreichs  bald  folgen,  werden,  und  bei  den  verstärkten  Geschätzen 
wird  der  Angriff  noch  schwieriger,  wenn  nicht  unmöglich  sein.  Dies  ist 
so  augenscheinlich,  dass  man  nicht  auf  der  Möglichkeit  zu  bestehen 
braucht,  den  Angreifer  auf  weite  Entfernungen  noch  mit  ßevolverkanonen 
und  Panzergeschützen  zu  beschiessen.  Es  wii^d  genügen,  die  letzteren 
im  Auge  zu  behalten,  da  sie  nur  für  die  Thätigkeit  auf  nahe  Distanzen 
bestimmt  sind. 

Bedentnng  Hier  ist  ZU  bemerken,  dass,  wenn  man  die  Artilleriekrait  auf  die 

^Artii^^"  völlige  Gewissheit  bringt,  den  Angriff  mit  ihrer  Feuerkraft  allein  zu 

kAmpfee.  paralysieren,  dies  eine  ganz  neue  Erscheinung  zeitigt.  Hohenlohe  sagt: 
„Bisher  hat  man  den  Artilleiiekampf,  dessen  Thätigkeit  jedem  wichtigeren 
Gefechtsmoment  vorangeht,  als  einen  Faktor  angesehen,  der  zui-  Vor- 
bereitung und  Entwickelung  der  Schlacht  dient,  aber  nicht  zu  ihrer  Ent- 
scheidung. Jetzt  ist  es  wahrscheinlich,  dass  sich  dies  in  Zukunft  anders 
gestaltet.  Seitdem  das  Shrapnel  und  die  doppelwandigen  Granaten  eine 
so  mörderische  Wirkung  äussern,  kann  man  das  Gefecht  schon  halb  zu 
Gunsten  desjenigen  Theils  als  entschieden  ansehen,  dessen  Artillerie  die 
des  Gegners  überwunden  hal  und  nun  die  volle  Wucht  dieser  Geschosse 
auf  seine  anderen  Truppen  schleudern  kann." 


Der  Angriff  der  Infanterie.  573 


8.  Der  Angriff  der  Infanterie. 

■ 

a)  Entfernnngen  fttr  das  Infanteriefener. 

Bei  der  Gefechtsführung  mit  Infanterie  zeigen  sich  zwei  Haapt-    Hwpt. 
punkte:  1.  Jeder  einzelne  Truppenteil  niuss   möglichst  entwickelt  sein,    furdas 
entsprechend  der  allgemeinen  Kampfordnung  und  gemäss  den  Bedingungen  ^g^fe^"*" 
der  Oertlichkeit,  und  2.  zum  Ersatz  der  entstandenen  Verluste  und  zur 
beständigen  Erhaltung  des  Feuers   in  voller  Kraft  muss  man  in  die 
vorderste  Linie  Unterstützungstrupps  hineinführen  können,  welche  auf 
dem  Marsche  nach  Möglichkeit   eine   mehr   geschlossene  Ordnung  be- 
wahren. 

Schon  früher  betrugen  die  Verluste  in  einer  Schlacht  durchschnittlich     örö«Be 
10  bis  20%  der  Gesammtzahl,  bisweilen  auch  30  bis  40%,  bei  einzelnen  %erintte. 
Abtheilungen  steigerte  sich  die  Zahl  aller  ausser  Gefecht  Gesetzten  sogar 
auf  BO  bis  &)  %A) 

In  den  Reihen  der  preussischen  Gardeschützen  betrug  der  Verlust 
bei  St.  Privat  46  % ;  bei  Mars  la  Tour  verlor  das  16.  und  B7.  Infanterie- 
Regiment  74%  der  Offiziere  und  4B%  der  Mannschaft;  das  16.  Regiment 
allein  48  Offiziere  und  1313  Mann. 

Bei  Plewna  am  30.  August/11.  September  1877  verlor  die  russische 
Infanterie  20  bis  40  %,  einige  Abtheüungen  50  %,  am  linken  Flügel 
bei  Skobelew  durchschnittlich  40  %,  einzelne  Kompagnien  aber  60, 
sogar  7B  %. 

Die  oben  angeführte  Nothwendigkeit  der  Unterstützungstrupps  zur  Notwendig- 
Ergänzung  der  Schützenlinie ,  die  beim  Marsche  eine  etwas  geschlossene  der  Unter- 
ordnung, wenn  auch  mit  Zwischenräumen  bewahren,  erklärt  sich  ^loch  ^^^"^^^J^^ 
durch  das  Bedürfnis  nach  Ergänzung  der  Offiziere  in  der  Schützenlinie;      "»««• 
die  Verluste  der  Offiziere  sind  verhältnismässig  viel  grösser,   und  die 
Schützenlinie  bleibt  ohne  Kommando  unbeweglich  in  der  zuletzt  besetzten 
Deckung  liegen. 

Fürst  Hohenlohe  sagt  in  seiner  Schrift  über  Infanterie:  „Von 
einer  Schützenkette,  die  keine  Offiziere  mehr  hat,  kann  man  nicht  er- 
warten, dass  sie  der  ursprünglichen  Instruktion  gemäss  von  neuem  zum 
Sprung  schreite.  Sie  blfeibt  liegen  und  schiesst.  So  wird  der  Angriff 
zum  Stehen  kommen.  Hier  giebt  es  kein  anderes  Mittel,  neue  Sprünge 
zu  machen,  als  indem  man  frische  Kräfte  in  die  Linie  wirft,  welche  die 
bisherigen  Kämpfer  mit  sich  fortreissen." 

0  Oberst  von  Hötzendorf:  „Vorgang  zum  Studium  unseres  taktischen 
Reglements^. 


574  Vn.   Taktik  der  Infanterie. 


^"nt°'  Aber  je   dichter   die  Linie,   um  so  tiefer  die  Aufstellung,  um  so 

Wickelung.  gTÖsser  die  Verluste.    Die  Reglements  schreiben  einem  Eegimente  vor, 
sich  auf  folgende  Entfernungen  in  die  Breite  zu  entwickeln: 

In  Deutschland auf  600—800  Meter 

„   Oesten-eich „    640 

,,   Italien „    450— 6B0 

„   Frankreich „    700 

„   Russland „    700—1400    „ 


n 


Beim  Anrücken  einer  ganzen  Brigade  werden  auf  1  Meter  Front 
4  bis  4,8  Gewehre  festgesetzt,  abgesehen  von  Ausnahmefallen,  welche  die 
Möglichkeit  einer  Verstärkung  geben  oder  fordern. 

Wir  wollen  diese  Zahl  von  4  bis  4,8  Gewehren  auf  1  Meter  Front 
anmerken,  da  sie  eine  grosse  Bedeutung  hat.  Man  muss  hinzufügen, 
dass  nach  den  Reglements  aller  Armeen  die  einzelnen  Abteilungen  der 
Verteidigung  sich  im  allgemeinen  mehr  in  die  Breite  ausdehnen  als  die 
angreifenden. 
d^^*°°^  Alle  Abteilungen  legen  grosse  Wichtigkeit  der  Aufsparung  stai-ker 

für  den    Rescrvcu  für  den  Moment  bei,  wenn  der  Angreifer  sich  schon  auf  geringe 
**  An^^iff*''  Entfernung  nähert  und  den  „eigentlichen"  Angriff  durchführt.   Diese  Be- 
stimmung entspringt  dem  Bewusstsein  der  furchtbaren  Wirkung  des  Massen- 
schnellfeuers innerhalb  des  rasanten  Schussbereichs.    Wir  werden  weiter 
unten  die  ganze  Bedeutung  dieses  Umstandes  zeigen. 
Beginn  Nuumehr  wollen  wir  uns  zu  den  Vorschriften  über  den  Beginn  des 

des  Gewehr- 

feuere.  Gcwehi^euers  wenden.  Hier  zeigt  sich  ein  grosser  Unterschied  zwischen 
angreifenden  und  angegriffenen  Truppen.  Alle  Reglements  sind  in  offen- 
sivem Sinne  abgefasst  und  erklären  sich  daher  gegen  ein  zu  frühzeitiges 
Eröffnen  des  Feuers,  welches  Verzögerung  der  Bewegung  bewirkt  und 
dem  Gegner  nur  unbeträchtlichen  Schaden  verursachen  kann,  da  es 
wegen  der  Entfernung  auf  zu  kleine  Ziele  gerichtet  ist.  2) 

urteü  Der  bekannte   deutsche  Schriftsteller,   frühere   Kommandeur   des 

Bronsart 

von  Scheuen- ersten  Korps,  Bronsart  von  Schellendorff  spricht  sich  gegen  das 
Feuer  der  Infanterie  auf  weite  Entfernungen  aus,  indem  er 
sagt,  der  Hauptwert  des  kleinkalibrigen  Gewehrs  liege  gerade  darin, 
dass  der  Schütze  unter  Benutzung  der  beträchtlich  grösseren  Neigung 
der  Geschossflugbahn  kleine,  niedrige  Ziele  auf  nahe  Ent- 
fernungen besser  und  sicherer  treffen  kann  und  dass  heutzutage 
Fehler  in  der  Distanzbestimmung  weniger  als  früher  den  Schiesseifolg 
beeinflussen. 

')  Hoenig:  „Taktik  der  Zukunft." 


Der  Angriff  der  Infanterie. 


575 


Deshalb  rät  er,  beim  Angriff  unaufhaltsam  und  ohne  Feuer  bis  auf 
600  Meter  vorzurücken. 

Nach  dem  russischen  Reglement  wird  das  Feuer  auf  die  Entfernung 
von  750  bis  536  Metern  (350  bis  250  Faden)  eröffnet. 

Der  Verteidiger  aber,  der  sich  hinter  Deckungen  befindet  und  bei  ^^^^««[j^".^. 
genügendem  MunitionsvoiTat  sich  vorher  auf  die  Distanzen  eingeschossen  gungsfeaere. 
hat,  kann  das  Feuer  auf  die  Entfemung  beginnen,  auf  die  es  seines 
Wissens  wirksam  zu  sein  vermag. 

Morenville«)   sagt,   dass  man  auf  Grund  der  mit  den  Vorschriften  ^^'*°^^"^ 
der  hauptsächlichsten  europäischen  Armeen  erzielten  Resultate  die  mitt-  Feuerzonen. 
leren  Entfernungen,  auf  die  man  das  Feuer  beginnen  kann,  in  folgende 
drei  Zonen  teilen  kann: 


Zonen 

Wirksamkeit  des 

Bemerkungen. 

in  Metern 

Feuers 

Bis  500  

gross 

An  den  Grenzen  dieser  beiden 

Von  500  bis  800     . 

mittel 

>  Zonen  können  alle  Gewehre  zur 

Das  Feuer   ist  noch 

Thätigkeit  herangezogen  werden. 

sehr  erfolgreich. 

* 

Von  800  bis  1600  . 

beschränkt 

In   Rücksicht  auf  die   Gering- 

Das   Feuer   ist   hier 

fügigkeit     der     zu    erwartenden 

nur     unter     gewissen 

Resultate  ist  hier   nur  von  aus- 

gunstigen Bedingungen 

erlesenen  Teilen  in  beschränktem 

erfolgreich. 

Maasse  Feuer  abzugeben. 

Die  Frage  stellt  sich  wieder  als  die  praktische  Aufgabe  heraus,  »«chtferti- 
abzuwägen,  in  wie  weit  die  Aussichten  auf  Schädigung  des  Feindes  den  deB  Begiüua 
vergeblichen  Aufwand  von  Geschossen  und  die  Mühe  der  Feuerabgabe  aen^EWoig 
ausgleichen  werden.  In  letzter  Zeit  wurden  zur  Beantwortung  dieser  ^"^  ^®''®"- 
Frage  sehr  wertvolle  Beiträge  geliefert. 

General  Rohne  versichert,  dass  beim  Gewehrfeuer  von  Schützen, 
welche  je  einen  Schritt  (0,8  Meter)  von  einander  entfernt  stehen,  von 
100  Schüssen  gegen  stehende  (ganze  Figurscheibe),  halbgedeckte  (Rumpf- 
Scheibe)  und  liegende  Schützen  (Brustscheibe)   sich  folgende  Trefterzahl 

ergeben  mUSS:  (siehe  die  TabeUe  auf  der  folgenden  Seite.) 


Bohnefl 
Ergebniaae. 


')  Morenville:  „^fetudes  de  tactique  d^fensive-offensive",  1893. 


Vn.  Taktik  der  Infanterie. 


in 

Pigiiracheiben 

Bumpfscheiben 

Bruatscheiben 

Eopfsoheiben 

Metern 

300 

27,7  •» 

13,6  •;. 

8,3«;, 

M  »;. 

500 

17,T»;o 

8,2»;, 

5,0»/. 

2,5  »/. 

800 

10,0»/. 

5,1»;. 

2,8  •;o 

1,4  •;. 

1000 

7,6»;, 

3,6»/. 

2,1 »;. 

1,0  •;. 

1200 

6,1 «;. 

2,7»/. 

1,5»;. 

0,75  •;„ 

1500 

4,8% 

1,9  »/o 

1,1  •;. 

0,66»;, 

1800 

3,3  •;. 

1,5  o/o 

0,8»;, 

0,4  •;, 

2000 

2,6  •;. 

1,0»;. 

0,5»;. 

0,25»;. 

Wenn  wir  die  Zahl  der  Treffer  anf  stehende   Schützen  zu   100 
nehmen,  so  erhalten  wir  folgendes  Verhältnis: 


Entfernung 

Stellung 

in 
Metern 

stehend 

hdbgedeekt 

liegend 

nur  Kopf 
ungedeckt 

300 

100»;. 

49,1 »;. 

30,0«/« 

14,8»;, 

.500 

100»;, 

46,3»;, 

28,2«/, 

14,1 »/, 

800 

100»;, 

51,0»;, 

28,0«;, 

14,0»;. 

1000 

100»;, 

47,4«;, 

27,6«;, 

13,2»;. 

1200 

100»;, 

44,3«;, 

24,6«/, 

12,3»;. 

1500 

100»;, 

39,6«;, 

22,9«;, 

11,5»/, 

1800 

loo»;. 

45,5«;, 

24,2»;, 

12,1«;. 

2000 

100»;, 

38,5»;, 

19,2»;, 

9,6«;. 

Diese  Resultat«  kann  man  graphisch  darstellen. 

Wahrscheinliches  Treffverhältnjs 
bei   halbgodeckteu,   liegenden   und   nur  EopfblöBsc   zeigenduE 
(Ulfl  TnlfnhnehaiBUijtiliail  bei  lugsdeiikt  il«ta«iid»n  SaUtt*»  in  IDO  uff 
EBttsninng 


UiiE«dsok(  gtehtndw  8«Uit 


im 

tiebe  uch  dla  talgsud«  3«to.) 


Der  Angriff  der  la&uterie. 


677 


Aber  im  gegebenen  Falle  HotwBaifg- 
wird   die  Frage  nach  dem  d«  AuikisB 
*'•'''•    Verlust  der  Lente  untersucht,  IVriST 
Sil.      welche  in  geschlossener  Ol'd- 
SU^    nung  marschieren.    Da  hier- 


7-11. 


A 


HalbgadMkttr  Snldi 


a.!i. 
VA 


>r  if  Kopf  telEtud. 


bei  die  Entfemang  zwischen 
den  Soldaten  höchstens  0,38 
Centimeter  beträgt  und  da 
sie  wenigstens  in  zwei  Eeihen 
marschieren  würden,  so  muss 
man  die  Verluste  viermal  so 
hoch  anschlagen.  <) 

Nach  dem  Reglement  aber 
kommen  beim  Angriff  anf  1  Meter 
Front  4  bis  4,8  Soldaten,  d.  h.  die 
Entfernung  zwischen  den  Soldaten 
mnss  0,25  bis  0,20  oder  im  Durch- 
schnitt 22,8  Centimeter  betragen. 
Deshalb  würden  die  Verlnste  für  eine 
Reihe  31/2  Mal,  und  für  zwei  Reihen 
7  Mal  so  gross  sein. 

Aber  zugegeben,  dass  von  den  NotwoBdij- 
■'"''         Schüssen  auf  2000  Meter  Entfernung  d»  fU»> 
die    unbedeutendste   Zahl    getroffen  „["^{Sjj'irt. 
wird,  so  wäre  es  gleichwohl  ein  an- 
verzeihlicher Fehler,    das  Feuer    nicht    auf 
diese  Entfernung  zn  beginnen,  da  der  Feind 
diesen  Umstand  benutzen  würde,   am  in  ge- 
schlossener und  dadurch  gerade  günstigerer 
Ordnnng    anzurücken     und    Schanzen    auf- 
zuführen. Der  Wert  der  Geschosse  darf  ihre 
Ausgabe  nicht  hindern,    weil  sie  bei  einer 
Verteidigungsstellung  leicht  ergänzt  werden 
können. 

Uebrigens  sagen  die  Praktiker,  dass  Terhutni. 
man  aus  den  Resultaten,  die  man  in  den  i"  km'ötm 
ManQvem  erhält,  keine  Schlüsse  ziehen  kann,  , 
die  für  einen  wirklichen  Krieg  passen. 


n  Krisge. 


')  Regenspurgski-    «Studien    über    den    taktischen  Inhalt   der   Exercier- 
reglementa  für  Fuastrappen". 

Bloch.    Du  lakDnRlgo  Krisg.  37 


578  7If-  Taktik  der  Infantorie. 

i  Es  ist  zweifellos,  dass  viel  Wahrheit  hierin  liegt,  aber  im  gegebenen 

Falle  miiss  man  erwägen,  dass  die  auf  2000  Meter  Entfernong  FeDemden 
sich  durch  nichts  verraten  werden  —  den  früheren  Pulverrauch  wird  es 
nicht  mehr  geben.  Das  Feuer  wird  ohne  nervöse  Hastigkeit  abgegeben 
werden,  bei  voller  Kenntnis  der  Entfernungen,  welche  bei  Zeiten  aus- 
gemessen werden  können.  Dies  alles  spricht  dafUr,  dass  besonders 
grosse  Unterschiede  zwischen  den  Bedingungen  und  dem  Schiessen  auf 
den  Uebungsplätzen  und  im  Kriege  sich  nicht  voraussehen  lassen. 

äw  a*u<»-  Ausserdem  darf  man  auch  den  Umstand   nicht  ausser  Acht  lassen, 

»nitau    dass  die  angeführten  Folgerungen  hinsichtlich  der  Giltigkeit  der  Schiess- 

iu  t^  vai  resultate  bei  Anwendung  eines  veralteten  Gewehrs  gemacht  sind.   Gegen- 

"ol"^*J"'wärtig  werden  schon  6,&-  oder  5-Millimeter-Gewehre  eingeführt.  Wie 
oben  gezeigt  ist,  iil)ertrifit  die  neue  Bewafinnng  der  Infanterie  das  jetzige 
französische  and  deutsche  Gewehr  um  das  Dreifache.*)  Nicht  ohne  Grund 
nennt  die  deutsche  Militär-Zeitschrift  „Das  Armeeblatt"  das  6-Millimeter- 
Gewehr  „unser  Znkunfts-Gewehr". 
^^'•'»  Aber  wenn  man  auch  von  dem  B-Millimeter-Gewehr  absieht  und 

g*.iuiHBA- einstweilen  nnr  das  6,5-MilIimeter-Gewehr  berücksichtigt,  so  kann  mau 
*""""*"  beispielsweise  auf  die  Versuche  hinweisen,  welche  in  Italien  mit  dem 
Vetterli-  und  dem  neuen  6,6-Milliraeter-Gewehr  zur  Feststellung  ihres 
Unterschiedes  angestellt  worden  sind.  Diese  Versuche  haben  gezeigt, 
dass  die  Durchschlagskraft  einer  2000  Meter  durchfliegenden  Kugel  beim 
ersteren  166,  beim  letzteren  202  beträgt. 

Bei  100  Treffern  mit  dem  Vetterligewehr  geben  die  neuen  Karabiner 
130,  und  da  hierbei  das  Hchiessen  mit  dem  neuen  schneller  als  mit  dem 
Vetterligewehr  vor  sich  geht,  so  ergeben  sich  im  allgemeinen,  wenu 
100  Schützen  100  Vetterlischüsse  abgeben,   mit  dem   neuen  Gewehr  166 

*)  Nach  Goebler: 

Gewehr  1871 lOO^/o  !    Deutsches  Gewehr      ....      474»/» 

Französisches  Gewehr  1886  .    .    4330/(.  '    5- Millimeter-Gewehr  ....     13370/O. 

Graphisch  stellen  sich  diese  Resultate  folge ndermaassen  dar: 


Q  Prozent«!!  noch  Goebler. 


Der  Angriff  der  Infanterie.  579 


solcher  Schüsse  oder  2/g  mehr.  Ausserdem  hat  das  neue  Gewehr  den 
ausserordentlich  wichtigen  Vorzug  vor  dem  früheren,  dass  es  ohne  Last- 
erhöhung die  Ausrüstung  des  Schützen  mit  178  statt  mit  100  Patronen 
ermöglicht.«) 

So  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  Notwendigkeit  der  auf-   E'^^öhung 

'  "  der  Distonz 

gelösten  Ordnung  nicht  auf  2000  Meter,  sondern  auf  gi'össere  Entfernungen     «r  die 
eintreten .  wird.  Ordnung. 

Wenn  man  daher  das  Zusammenwirken  der  Artillerie  und  der 
Handfeuerwaffen  in  Erwägung  zieht,  so  muss  man  dem  beipflichten,  dass, 
wenn  man  die  Behauptung  so  grosser  Fachmänner,  wie  Fürst  Hohenlohe, 
Coumfes  und  Clery  sind,  selbst  für  übertrieben  hält,  bei  den  Operationen 
der  Infanterie  im  offenen  Gelände  die  Distanz,  auf  welche  die  aufgelöste 
Ordnung  zur  Anwendung  kommen  wird,  bis  zu  drei-  und  viertausend 
Metern  zunehmen  wird. 

Um  uns  in  dieser  Beziehung  auf  einen  festeren  ^oden  zu  stellen,  ^^^^^\^^ 
wollen  wir  auf  Seiten  des  Angreifers  die  allergünstigsten  Bedingungen       ^f 
annehmen,  und  zwar,  dass  der  auf  das  Zusammentreffen  mit  dem  Feinde  ^^^ 
gefasste  Gegner  den  Angreifer  bis  auf  die  Entfernung  von  2000  Meter 
herankommen  lässt,   ohne  einen  Gewehr-  oder  Kanonenschuss  abgegeben 
zu  haben. 

Zur  deutlichen  Veranschaulichung  derjenigen  Hindernisse,  welche  Berechnung 

^  der  Verl  aste 

die  zwischen  2000  und  800  Metern  Entfernung  den  Femd  angreifende       de« 
Infanterie  zu  überwinden  hat,   muss  man   sich  an  die  Berechnung  der-  tw?I^e" 
jenigen  Verluste  machen,  denen  ein  Bataillon  von  1000  Mann  Stärke  aus-  .^J^i'V*^ 

*'        *^  '  800  Metern. 

gesetzt  ist,  vorausgesetzt,  dass  der  Verteidiger  der  Verschanzungen  die- 
selbe Anzahl  von  Leuten  und  Gewehren  hat. 

Wir  wollen  die  Berechnung  für  Truppen  anstellen,  die  bei 
0,8  Metern  Zwischenraum  zwischen  den  Schützen  in  zwei  Reihen  zum 
Angriff  gehen. 

Die  Laufgeschwindigkeit  wollen  wir  wieder  zu  80  Metern  in  der 
Minute  annehmen  und  voraussetzen,  dass  die  Angreifer  die  Distanz  von 
2000  bis  800  Meter  ohne  Erholungsaufenthalt  durchlaufen. 

Wir  legen  für  die  Berechnung  hinsichtlich  der  Feuergeschwindig- 
keit die  Zahlen  des  Generals  Eohne  zu  Grunde,  und  zwar  für  jede  Minute: 

bei  Entfernungen  bis  1500  Meter  IV2  Schüsse, 
»  ?i  w    1200       „     21/2       „ 

1000       „     3 
800       „     3V2 


W  „  ^  J.VW  ,,  V  „ 

".'.  »  r.        800  „        0*/2  „ 


*)  Löbells  ^Militärische  Jahresberichte",  1894. 

37 


680 


YIL  Taktik  der  Infanterie. 


So  erhalten  wir  folgende  Anzahl  von  Schüssen: 


Vorlauf 

in 
Metern 

Minuten 

Zahl  der  Schüsse 

Zahl  der 
Treffer 

Zahl  der 

in  der 
Minute 

überhaupt 

ausser 

Gefecht 

Gesetzten 

2000  bis  1800 
1800  bis  1500 
1500  bis  1200 
1200  bis  1000 
1000  bis    800 

2Va 

3'/. 
3'/. 

2'/. 
2'/. 

IVa 

IV. 

2Vs 
3 

3V. 

3  750 
5  500 
9150 

7  500 

8  750 

2,60/0 
3,3  % 
4,8  Vo 
6,1  °/o 
7,6% 

97 
181 
439 
457 

665 

34  650 

1839 

fiesoitat  Folglich  würde  bis  zu  dem  Augenblick,  wo  die  Angreifer  auf  800  Meter 

Entfernung  herankämen,  das  ganze  Bataillon  yemichtet  sein  müssen,  und 
von  dem  dieses  ersetzenden  zweiten  Bataillon  würden  im  ganzen  161  Mann 
übrig  bleiben,  während  die  Verluste  des  hinter  Verschanzungen  gedeckt 
liegenden  Gegners  in  dem  Grade  unbedeutend  wären,  dass  man  sie  über- 
haupt nicht  in  Anschlag  zu  bringen  braucht. 
Bereohnnng  Berechnet  man  auf  Grund  der  Angaben  des  Generals  Rohne  die 

n^h  Eohie.  Verluste  der  Schützen,  deren  ganze  Figur  ungedeckt  ist,  im  Verhältnis 
zum  Verluste  der  hinter  Verschanzungen  Feuernden,  d.  h.  derjenigen,  bei 
denen  nui*  die  Hände  und  ein  Teil  des  Kopfes  sichtbar  ist,  so  erhält  man 
folgende  Zahlen: 


Auf 

100  Mann. 

Entfernung 

Bei 

Wenn  nur  die  Hände 

Verhältnis  der  Treffer 

in 

ungedeckter 

und  ein  Theil  des 

in  Hand  und  Kopf 

Metern 

ganzer  Figur 

Kopfes  sichtbar  ist 

und  in  ganze  Figur 

2000 

2,60/0 

0,250/0 

9,6  «/o 

1800 

3,3  o/o 

0,4  0/0 

12,1  o/o 

1500 

7,2  o/o 

0,55  0/0 

7,60/0 

1200 

15,2  o/o 

0,75  0/0 

4,90/0 

1000 

22,8  o/o 

1,0  0/0 

4,40/0 

800 

35,00/0 

1,4  «/o 

4,00/0 

500 

71,00/0 

2,5  0/0 

3,50/0 

300 

138,00/0 

4,1   0/0 

3,00/0 

Nach  Begen»- 
pnrkaki. 


Zur  Unterstützung  der  von  Geberal  Rohne  gebrachten  Belege  be- 
rufen wir  uns  auf  das  Zeugnis  des  Oberst  Regenspurgski^),  der  einige 

7)  „Studien  iiber  den  taktischen  Inhalt  der  Exerzierreglements  für  die  K. 
und  K.  Fusstruppen",  Wien,  1892. 


Der  Angriff  der  Infanterie.  581 


bei  dem  Uebungsschiessen  in  Prankreich  und  in  Oesterreich  gemachte 
Beobachtungen  mitteilt.  Auf  1600  Schritt  Entfernung  (1280  Meter),  sagt 
er,  erleidet  schon  ein  Zug,  der  in  geschlossener  Ordnung  marschiert,  be- 
deutende Verluste  (15  %  Ti-eflfer) ,  da  er  ein  sicheres  Ziel  bietet  (auf 
215  Schüsse  44  Treffer,  d.  i.  22%);  beim  Bataillon  jedoch  waren  in  dem 
Augenblick,  als  es  sich  aus  der  Kolonne  entwickelte,  auf  2000  Schritt 
Entfernung  18  %  Trefier  (und  zwar  66  von  400).  Bei  Rohne  aber  nur 
7,2  o/o  Treffer. 

In  Oesterreich   zeigte   sich   bei  Schiessversuchen   mit  den  neuen  n»c1i  «atwr- 

raioliisclidii 

Patronen,  dass  die  Eompagniekolonne  schon  auf  2100  Schritt  (1680  Meter)  Yerraobeii. 
ein  ziemlich  sicheres  Ziel  bietet  (20  %  Treffer)  und  dass  der  geschlossene 
Zug  auf  1600  Schritt  (1280  Meter)  auch  schon  bedeutend  gefährdet  ist 
(15  o/o  Treffer). 

Der  bestrichene  Raum  beim  Feuer  knieender  Schätzen  auf 
stehende  ganze  Figuren  beträgt  625  Schritt  (500  Meter).  Bei  General 
Rohne  war  die  Aufstellung  in  einer  Linie  und  bei  0,8  Metern  Entfernung 
angenommen,  daher  das  Resultat  statt  20  %  nur  7  %  betrug.  Aber  auf 
1280  Meter  Entfernung  ergiebt  sich  fast  kein  Unterschied. 

Doch  wenn  selbst  alle  angeführten  Belege  von  der  Treffsicherheit  ^f/y^JJJJ'*^ 
in  der  Schlacht  tibertrieben  wären,  so  wird  nichtsdestoweniger  von  im  oefadit 
1000  Mann  schwerlich  auch  nur  einer  auf  800  Meter  herankommen.  Und 
dazu  würden  höchstens  35  Patronen  für  jeden  Mann  zu  verwenden  sein. 
Im  Gefecht  selbst  würden  sich  viel  grössere  Verluste  ergeben,  weil  es 
zum  energischen  Eingreifen  im  entscheidenden  Momente  nötig  ist,  die 
nachfolgenden  Treffen  und  auch  die  Reserven  rechtzeitig  vorrücken  zu 
lassen. 

Und  wirklich  treffen,  wie  wir  gesehen  haben,  von  34000  ab- 
geschossenen Kugeln  kaum  1800,  d.  h.  etwas  mehr  als  5  % ;  die  übrigen 
9B  o/o  werden  die  Reserven  treffen. 

Man  darf  auch  den  Umstand  nicht  übersehen,  dass  jede  Kugel,  ^^^^j^ 
welche  die  Mündung  des  jetzigen  Gewehrs  verlässt,  imstande  ist,  je  nach  ^^^  Kugei- 

stremuig. 

der  Entfernung  2  bis  6  Mann  zu  verwunden.  Wenn  femer,  wie  in  dem 
Abschnitt  über  die  Hand-Feuei'waffen  gesagt  war,  auf  ein  Ziel  geschossen 
wird,  dessen  Entfernung  z.  B.  auf  2500  Meter  festgesetzt  ist,  und  bei 
vollkommen  korrekter  Stellung  der  Visiere,  so  werden  nichtsdestoweniger 
die  Kugeln  schon  auf  2200  Meter  einzuschlagen  beginnen,  d.  h.  ganze 
300  Meter  vor  der  Scheibe  und  ein  Teil  von  ihnen  wird  100  Meter  über 
die  Scheibe  hinausgehen,  während  die  Breitenstreuung  etwa  50  Meter 
nach  jeder  Seite  betragen  wird,  wie  aus  der  auf  S.  60  gebrachten  Ab- 
bildung ersichtlich  ist. 


582 


VU.  Taktik  der  Infanterie. 


Dichtigkeit 

der 
Gliederung. 


Angriffs- 

Btellaag 

einet  öeter- 

reiehischen 

Inik&terie- 

regiments 

anf 
800  Meter. 


Man  darf  ferner  auch  die  Thatsache  nicht  vergessen,  dass  die  An- 
gaben des  Generals  Eohne  anf  die  Voraussetzung  Bezug  nehmen,  dass 
die  Reihen  der  Schützen  aus  Leuten  bestehen,  die  0,8  Meter  von  einander 
entfernt  sind,  d.  h.  auf  1  Meter  IV4  Mann. 

Dabei  würde  ein  Bataillon  einen  Raum  von  800  Metern  einnehmen ; 
aber  eine  so  breite  Front  für  den  Angriff  zu  bieten,  ist  ihm  unmöglich. 
Das  Anrücken  jedoch  in  mehr  als  einer  Reihe  würde,  wie  schon  gesagt, 
zur  Erhöhung  der  Verluste  führen. 

Um  die  Truppenlinien  von  800  Meter  Entfernung  an  zum  Angriff 
an  den  Feind  heranzuführen,  muss  die  Gliederung  bedeutend  enger  sein, 
aber  die  Abstände  zwischen  den  Kolonnen  der  Angreifer  sind  derartig, 
dass  die  Kugeln,  die  bei  den  ersten  Gliedern  vorbeigegangen  sind,  die 
folgenden  treffen  werden. 

Auf  dem  Grundriss  unten  ist  die  Aufstellung  eines  Infanterie- 
regiments bezeichnet,  welches  ein  Schützenbataillon  in  Reserve  hat  und 
von  1100  Schritt  (800  Meter)  bis  auf  400  Schritt  auf  Grund  des  öster- 
reichischen Reglements  zum  Angriff  vorgeht,  wobei  die  Distanzen  nach 
den  früheren  Patronen  berechnet  sind.^) 


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Infanterie 
in  Gefecht. 


Aufstellung  eines  Infanterieregiments,  das  ein  Sohützenbatoilion  in  Reserve  hat  und  von 

1100  Schritt  Entfernung  zum  Angriff  geht. 

Aus  dem  Grundriss  ist  ersichtlich,  dass  die  Tiefe  der  Reihen,  die 
zum  Angriff  vorgehen,  so  beträchtlich  ist,  dass  unmöglich  95%  der  Kugeln, 
die  wir  nicht  in  Rechnung  gezogen  haben,  verloren  sein  können. 

Wenn  man  die  Umstände  näher  betrachtet,  welche  den  in  den  öster- 
reichischen Manövern  bei  Guus  ausgeführten  Angriff  begleiteten,  so  waren 
dort,  wie  man  zum  Teil  aus  der  nebenstehenden  Abbildung  ersieht, 
ganze  Hügel  mit  angreifenden  Gliedern  besät. 


^)  ,1  Applikatorische  Studie  über  den  Tnfanterie-AngriiT*,  Wien  1895. 


Der  AugrifF  der  In&nterie. 


Infanterie  im  Gefecht  (aus  den  Manövern  bei  Güns). 

Hier  ist  es  an  der  Zeit,  an  das  Wort  Regensparj3:3kis  zu  denken: 
„Konstatiert  ist  die  Thatsache,  dass  anf  mittlere  Entfemnngen  die  in  zwei 
geschlossenen  Beihen  marschierenden  Abteiinngen  einen  4  Mal  and  die 
in  einer  Reihe  marschierenden  einen  2  Mal  grosseren  Verlust  als  die- 
jenige Abteilnng  erleiden  werden,  welche  in  aufgelöster  Linie  mit  einem 
Schritt  Zwischenraum  (d.  h.  wie  wir  für  die  Berechnung  angenommen 
haben)  vorrückt." 

So  lange  als  die  hinter  Deckungen  Liegenden  (Tgl.  die  Äbbildang) 
und  die  ihnen  zu  Hilfe  eilenden  Reserven  das  Sehiessen  mit  blinden 
Patronen  fortsetzen,  können  die  Truppen  des  Gegners  vorrücken,  aber 
im  wirklichen  Kriege  sagt  der  gesunde  Verstand,  dass  ein  ähnlicher  An- 
griö  auf  einen  mit  den  neuen  Gewehren  ausgerüsteten  Gegner  wenig 
Aussicht  auf  Erfolg  hat. 

Das  einzige  Beispiel,  das  mit  dem  Gebrauch  des  neuen  Gewehrs 
bis  jetzt  gegeben  warde,  hat  nns  der  Kiieg  in  Chile  geliefert.    General 


584  Vn.   Taktik  der  Infanterie. 


Witte ^)  sagt  bei  dieser  Gelegenheit:  „Das  S-Mülimeter-Gewehr  (Mann- 
licher) übte  durch  seine  Treffgenauigkeit  auf  allen  Entfeniungen  be- 
deutenden Einfluss  aus.  Salven  und  Schützenfeuer  fegten  auf  1000  und 
1600  Meter  das  Gelände  rein  und  brachten  den  vorgehenden  Feind  zum 
Halten;  auch  Reserven  wurden  auf  die  gleichen  Entfernungen  in  Ver- 
wirrung gebracht.  Die  Handhabung  dieser  Waffe  erlernten  die  Leute 
trefflieh  nach  wenigen  Uebungstagen". 
B^  Jedoch  die  Praktiker   (deren  es  übrigens   im  engeren  Sinne  des 

der      Wortes  schwerlich  viele  giebt,  denn  die  neue  Waffe  ist  im  wirklichen 
Praktiker,  jjjj^g^  f^^  j^qq]^  gg^j.  jjj(.]j^  beobachtct  wordeu)  entgegnen,  dass  es  solcher 

Oertlichkeiten,  welche  die  Beschiessung  des  Gegners  auf  weite  Ent- 
fernungen gestatten  würden,  wenige  in  der  Natur  giebt;  daher  könne 
der  Angreifer  unbemerkt  herankommen,  und  dabei  werde  er  bei  weitem 
nicht  so  bedeutende  Verluste  erleiden. 

Des  weiteren  versichern  sie,  dass  die  aus  den  militärischen  Uebungen 
gezogenen  Schlüsse  und  Folgerungen  nicht  immer  den  Resultaten  ent- 
sprechen, die  man  im  Kriege  erhält. 
Enriderttng.  BczügUch   dcs   crsteu  Puuktes   ihrer  Entgegnung  kann   man  be- 

merken, dass  der  Verteidiger  niemals  unterlassen  wird,  sich  ein  Gelände 
mit  ebenem  Gesichtsfeld  zu  wählen.  Ausserdem  darf  man  nicht  ver- 
gessen, dass  bei  der  jetzigen  Flugbahn  der  Geschosse  Unebenheiten  des 
Bodens  durchaus  nicht  vor  den  Kugeln  schützen.  Bei  genauer  Kenntnis 
der  Entfernungen  können  in  dem  Augenblick,  wo  der  Feind  mittels  der 
Beobachtungspunkte  entdeckt  wird,  die  Schüsse  über  Berge  und  Wälder 
gerichtet  werden,  wie  auf  den  Abbildungen  auf  S.  8  gezeigt  ist. 

Was  die  Verschiedenheit  der  Schiessresultate  in  den  Manöver- 
übungen und  im  Kriege  betrifft,  so  ist  zu  erwidern,  dass  dieser  Unter- 
schied im  allgemeinen  bei  weiten  Entfernungen  und  beim  Nachweis  nicht 
bedeutender  Gefahr  für  gut  ausgebildete  und  hinter  Deckungen  feuernde 
Mannschaften  nicht  besonders  gross  sein  kann. 

In  vergangener  Zeit  waren  die  Verhältnisse  anders.  Damals  musste 
man  im  Angesicht  des  Feindes  eine  ganze  Reihe  von  Manipulationen 
vornehmen,  die  das  Schiessen  erforderte.  Ausserdem  konnten  die  weniger 
vollkommenen  Gewehre  nicht  gleiche  Resultate  in  der  Zeit  der  Friedens- 
übungen und  im  Kampfe  liefern.  Jetzt  haben  sich  diese  Verhältnisse 
geändert. 
Haaptwcrt  Der.  Hauptwert   des  jetzigen   Gewehrs   liegt   darin,   dass   es  auf 

6,B-Miuiinet.- nahe  Entfernungen  vollkommen  neue,  bisher  unbekannte  Erscheinungen 

'  Gewehr«.     ^Q^g^, 


^)  Witte:  „Fortschritte  und  Veränderungen  des  Waffenwesens",  1895. 


Der  Angriff  der  Infanterie.  585 


So  erreichte  z.  B.  eine  Kugel  bei  600  Meter  Entfernung  in  der 
Hälfte,  also  auf  300  Meter,  folgende  höchste  Erhebung  bei  den  Ge- 
wehren : 

U-MiUimeter         8-Millimeter         6,5-Milliineter 

4,7  Meter  2,6  Meter         1,6  Meter  lo). 

Die  Wichtigkeit  dieser  Zahlen  ist  dem  Leser  schon  klar.  Bei  dem 
11-Millimeter-Gewehr  durchflog  die  Kugel  einen  bedeutenden  Teil  des 
Raumes  über  den  Köpfen  des  Feindes;  bei  dem  8-Millimeter-Gewehr 
wirkte  sie  schon  auf  einem  ansehnlichen  Teil  ihres  Weges  treffend,  und 
bei  dem  6,B-Millimeter-Gewehr  war  sie  auf  ihrem  ganzen  Wege  tod- 
bringend. Auf  600  Meter  gleicht  solche  Kugel  einer  Sense,  mit  der  man 
5  bis  6  Menschenleben  leicht  niedermähen  kann.  Mit  solchen  Kugeln  findet 
zudem  das  Schiessen  ohne  Umstellung  des  Visiers  statt. 

Bis  heute  ist  das  6,6-Millimeter-Gewehr  noch  in  wenigen  Armeen  vortng  det 
eingeführt,   aber  auch  dieses  gilt  schon  als  zurückstehend  gegen  das   oeweh^' 
6-Millimeter-Gewehi',  welches  in  kurzer  Zeit  überall  angenommen  werden 
wird,  und  welchem  die  deutschen  Militär-Zeitschriften  schon  den  Namen 
„unser  Zukunfts-Gewehr"  beigelegt  haben.^i) 

Die  aus  diesem  Gewehr  abgeschossene  Kugel  wird,  wie  die  Versuche 
in  Oesterreich  gezeigt  haben,  in  der  Ausdehnung  von  vollen  800  Metern 
den  Feind  niedermähen. 

Im  wesentlichen  aber  scheint  es  uns,  dass  die  so  erhöhte  Kraft  der  wart  des 
Schiesswaflfe  sogar  überflüssig  sein  kann.    Auch  das  jetzige  Gewehi*  ist ^'oiSehw**" 
schon  in  dem  Grade  todbringend,  dass  es  fähig  ist,  die  Reihen  des  An- 
greifers bis  auf  den  letzten  Mann  zu  vertilgen  und  als  Mittel  zur  gegen- 
seitigen Vernichtung  der  sich  gegenüberstehenden  Streitkräfte  dienen  kann. 

Das  Gewehr,  über  das  die  Mehrzahl  der  europäischen  Armeen  ver- 
fügt, mit  7,6  Millimeter-Kaliber,  vereinigt  schon  die  zerstörenden  Eigen- 
schaften in  wunderbarer  Weise  in  sich. 

Auf  600  Meter  Entfernung  fliegen  die  damit  abgeschossenen  Kugeln  schiees-. 
fast  horizontal,  so  dass  es  einer  Umstellung  des  Visiers  entsprechend  der  "demseib«" 
veränderten  Entfernung  nicht  bedarf  und  es  möglich  ist,  mit  diesem 
Gewehr  auf  den  Angreifer  gerade  in  der  Linie  der  Kopfhöhe  zu  halten, 
und  in  diesem  Falle  werden  die  Schüsse  in  der  ganzen  Ausdehnung  von 
460  bis  600  Schritt  die  näheren  Reihen  in  den  Kopf,  die  weiter  ent- 
fernten in  den  Fuss  treffen. 

Auf  der  Abbildung  anbei,  welche  das  Schiessen  mit  dem  7,6  Millimeter- 
Gewehr  von  600  Metern  Entfernung  an  bei  einem  und  demselben  Visier 


^0)  LöbeUa  „MiUtärische  Jahresberichte",  1894. 
")  „Jahrbücher  für  deutsche  Armee  und  Marine". 


586 


YIL  Taktik  der  Infanterie. 


darstellt,  sind  die  Streuungspunkte  aller  Schüsse  mit  grösseren  Kreisen 
und  die  Punkte  ihrer  meisten  Treffer  mit  kleinen  schraffierten  Kreisen 
bezeichnet.  12) 


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Schiessresultate  mit.  dem  7,5  Millimeter-Gewehr  von  COO  Metern  Entfernung  an  bei  einem 

und  demselben  Visier. 

Mit  einem  Worte,  die  Verteidiger  bestreichen  ohne  Visierveränderung 
bis  auf  650  Schritt  den  ganzen  Raum. 
Visier-  Bei  dem  früheren  Gewehr,  welches  noch  im  Kriege  1870  angewandt 

Stellung  bei 

dem  Gewehr  wordcn  ist,  war  es  zum  Feuern  auf  600  Meter  Entfernung  nötig,  das 
**'^'  Visier  selbst  bei  150,  250  und  350 Metern  umzustellen;  und  um  bei  Ent- 
fernungen unter  376  Metern  ins  Ziel  zu  treffen,  mnsste  der  Schütze  noch 
an  verschiedene  Vorschriften  denken,  indem  er  stufenweise  bald  auf  den 
Kopf,  bald  auf  die  Brust,  bald  auf  den  Leibgurt  des  Gegners  zielte, 
wobei  er  die  Distanz  ohne  einen  grösseren  Irrthum  als  um  25  Meter  be- 
stimmen musste. 
unterschied  So   erklärt  sich   der  grosse  Vorzug  der  neuen  Gewehre,  z.  B.  des 

nndnenrn  frauzösischeu  Modclls   1888  vor  dem  Chassepotgewehr   1867,   ganz   ab- 
oewehre.   gesehen  von  der  Verringerung  des  Rückstosses  und  des  Gewichts  sowohl 

des  Gewehrs  als  der  Patronen. 
Beispiel.  Ein  französischer  Schriftsteller^'^)  erläutert  diesen  Unterschied  auf 

folgende  Art.  Zwei  Schützenabteilungen  führen  ein  gegenseitiges  Schiess- 
gefecht auf  600  Meter  Entfernung  von  einander;  beide  bestehen  aus  un- 
erfahrenen Leuten  der  letzten  Einberufung,  zudem  hat  der  eine  Teil  das 
kleinkalibrige  Modell  von  1888,  der  andere  das  Chassepotgewehr.  Das 
Feuer  ist  wirksam,  so  dass  die  jungen  Soldaten  sich  damit  Mut  zu 
machen  suchen  und  fast  ohne  zu  zielen  schiessen.  Aber  wie  verschieden 
wird  unter  solchen  Verhältnissen  das  Resultat  sein:  die  Schützen,  die  das 
kleinkalibrige  Gewehr  in  die  natürliche  Höhe  gehoben  haben  und 
mechanisch  geradeaus  schiessen,   werden  den  ganzen  Raum  bestreichen, 


**)  „Anleitung  zur  Ausbildung  im  Schiessen",  1893. 

^^)  J.  Ortus:  „Valeur  comparee  pour  le  combat  du  fusil  actu^l  de  l'infanterie 
europ^enne". 


Der  Angriff  der  Infanterie.  587 


und  ihre  Gegner  müssen  wenigstens  dreimal  die  Entfernung  schätzen 
und  dreimal  die  Gewehrhöhe  ändern,  um  sich  nicht  in  dem  Verhältnis 
einer  erdrückenden  Ungleichheit  zu  befinden. 

An  der  Stelle  also,  wo  im  Jahre  1870  Kommandos  erforderlich  und 
Kaltblütigkeit  zu  ihrer  Ausfuhrung  nötig  war,  genügt  jetzt  eine  mecha- 
nische Abgabe  von  Schuss  auf  Schuss. 

Was   aber  besonders   wichtig  ist,  je   kürzer   die  Entfernung,  je  ^f,f^?„'j. 
sicherer  die  Bestreichung,   um  so  grössere  Bedeutung  erhält  die  Feuer-      keit 
geschwindigkeit  des  Gewehrs. 

Viele  Militärs  setzen  ihre  Hoifnung  darauf,  dass  es  beim  Angrift* 
den  Vorrückenden  gelingen  wird,  Deckung  zu  finden,  sich  hinzulegen, 
heranzukriechen  und  mit  all  diesen  Mitteln  der  Gefahr  zu  entgehen ;  aber 
selbst  im  günstigen  Falle  wird  es  dem  Soldaten  schwerlich  möglich  sein, 
im  Verlaufe  mehrerer  länger  Minuten  des  Angriifs  die  Notwendigkeit  zu 
vermeiden,  dass  er,  wenn  auch  nur  einmal,  den  feindlichen  Schüssen  als 
Scheibe  dient. 

Das  jetzige  Gewehr  hat  als  normale  Feuergeschwindigkeit  15  Schüsse 
in  der  Minute,  und  im  Maximum  erreicht  es  30  Schüsse,  i^)  Daher  ist  es 
augenscheinlich,  dass  der  hinter  Verschanzungen  sich  Verteidigende, 
wofern  es  ihm  nur  an  Patronen  nicht  mangelt,  den  Angreifer  ver- 
nichten muss. 

Um   zu   veranschaulichen,   wie   ungleich    die  Aussichten   des  An-  Aassichten 

,  dos 

greifers  und  die  des  Angegriflenen  sind,  bringen  wir  in  den  Beilagen  Angreife« 
zwei  Abbildungen,  auf  deren  ersterer  zum  Angrifl  laufende  Truppen  vert^iidige«. 
dargestellt  sind,  auf  der  zweiten  der  hinter  Verschanzungen  liegende 
Gegner.  Das  ist  natürlich  nur  ein  Bild  aus  den  Friedensmanövern.  Auf 
dem  Schlachtfelde,  w^enn  der  Tod  in  der  Luft  schwebt,  wird  der  An- 
greifer vorsichtiger  vorgehen  und  Unebenheiten  des  Bodens  und  natür- 
liche Deckungen  ausnutzen.  In  jedem  Falle  aber  droht  dem  Verteidiger 
geringere  Gefahr,  denn  er  zeigt  nur  den  Kopf,  während  der  Angreifer 
bei  den  Sprüngen  seinen  ganzen  Körper  als  Ziel  bietet.  Nach  den  Worten 
des  Generals  Rohne  wird  das  Verhältnis  für  den  von  600  Metern  An- 
greifenden mit  100%,  das  für  den  Verteidiger  nur  mit  12,2%  zu  be- 
zeichnen sein. 

Im  Kriege  1877 — 78  hatten  die  Mannschaften  zu  dem  Berdangewehr  p«*«"onen- 
je  84  Patronen;  jetzt  aber  sollen  sie  in  allen  Aimeen  120—170  bei  sich    . 
tragen.    General  Rohne  sagt,  da  ein  Truppenteil,  in  dem  60%  in  kurzer 
Zeit  ausser  Gefecht  gesetzt  sind,  kampfunfähig  wird,   so  müsse  man  in 
den  meisten  Fällen  das  Feuer  so  lange  fortsetzen,  bis  die  Hälfte  der  Leute 


**)  „ Applikator ische  Studie  über  den  Infanterie-Angrift'",  1895. 


588  Vn.  Taktik  der  Infiinterie. 


ausser  Gefecht  gesetzt  sind,  and  weiter  brauche  man  es  nicht  zn  unter- 
halten. Daher  berechnet  Rohne,  wieviel  Patronen  nötig  sind,  am  folgendes 
Resultat  zu  erhalten: 

Entfernung  in  Metern  Ganze  Figuren  Liegende  Figuren  Köpfe 
800                              8                             16  67 

500  4,6  10  32 

800  3  6  20 

Beim  näheren  Angriff  genügen  also  8  bis  3  Patronen.    Aber,  wie 
es  scheint,  ist  bei  der  Ausrüstung  der  Leute  mit  Patronen  der  Grundsatz 
angewandt:  „Man  soll  die  Grütze  nicht  mit  Butter  verderben". 
Patronen-  Zum  Zwockc  eiucr  möglichst  reichlichen  Ausrüstung  mit  Patronen 

uarttstang.  ^.^^  j^^^^  ^^  Frankreich  an  Stelle  der  Bataillons-Patronenwagen  Kompagnie- 
wagen eingeführt.  Auf  diese  Weise  werden  dem  Soldaten  innerhalb  der 
Gefechtslinie  264  Patronen  statt  der  Mheren  204  zur  Verfügung  stehen ; 
hiervon  hat  er  120  (früher  112)  bei  sich,  wozu  noch  die  vor  dem  Gefecht 
aus  dem  Kompagniewagen  auszugebenden  66  Patronen  kommen,  so  dass 
der  Soldat  mit  186  Patronen  (früher  mit  138)  das  Feuer  beginnen  wird. 
Rechnet  man  noch  den  Patronenvorrat  des  Parks  hinzu,  so  werden  im 
ganzen  303  Patronen  (früher  261)  auf  den  Mann  kommen. 

Auch  in  den  übrigen  Armeen  existieren  schon  ähnliche  Anordnungen 
oder  es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  sie  bald  getroffen  werden.  Heut- 
zutage fürchten  sich  alle,  hinter  den  anderen  zurückzubleiben. 
Theoria  Nach  dicscu  allgemeinen  Erklärungen  gehen  wir  zur  Betrachtung 

d.  Infunteria-  w  w  w 

aDgriifb.    des  Wesens  des  Angriffs  über. 

Bei  der  gegenwärtigen  Lage  der  Kriegskunst  gehört  die  Theorie 
über  den  Angriff  der  Infanterie  auf  kurze  Entfernungen  zu  der  Zahl  der 
sehr  schwer  zu  entscheidenden  Fragen. 

Vor  allem  wollen  wir,  der  angenommenen  Methode  folgend,  uns 
bemühen,  den  Leser  mit  der  gegenwärtigen  Lage  der  aus  dieser  Frage 
hervorgegangenen  Streitpunkte  bekannt  zu  machen. 

b)  Der  rnssische  reglementmässige  Angriff,  nach  General 

Skngarewski. 

^^SlrifL*^  Die  vom  General  Skugarewski  veröffentlichte  Schrift  „Der  Angriff 

der  Infanterie"  wurde  in  fremde  Sprachen  übersetzt  und  lenkte  die  ge- 
spannte Aufmerksamkeit  der  ganzen  europäischen  Kriegslitteratur  auf 
sich,  wobei  sie  der  ausführlichsten  Beachtung  von  Seiten  der  bekanntesten 
Militär-Schriftsteller  unterzogen  wurde,  i^) 

— ^^M^— W^IM*^— i^^^^»^^  ■■■■■■  » 

1«)  Löbell :  „Müitariscbe  Jahresberichte",  1894. 


Der  Angriff  der  Infanterie. 


689 


General  Skugarewski  bemerkt  yollkommen  richtig,   dass  in  An-    ▼«''><>* 
betracht  des  gegenwärtigen  Bestandes  der  Armeen,  wenn  nacb  den  ersten  keit  beim 
Schlachten  die  Mehrzahl  der  übrig  gebliebenen  Offiziere  der  Reserve    ^°^*^ 
angehört  und  das  geistige  Niveau  der  Unteroffiziere  und  (Jemeinen  nicht 
besonders  hoch  ist,  es  wünschenswert  sei,  dass  die  Eeglementsvorschriften 
sich  nicht  zu  sehr  von  den  praktischen  Erfordernissen  trennen  und  nicht 
an  Einseitigkeit  leiden. ^c) 

Um  diese  Einseitigkeit  zu  zeigen,  nimmt  der  Autor  folgendes  an. 

Der  Angreifer  bewegt  sich  von  800  Schritt  an  (640  Meter)  in  Sprüngen  Beispiel, 
zu  je  100  Schritt;  nach  diesen  Sprüngen  macht  er  auf  jeder  Distanz 
5  Minuten  Halt  und  giebt  ein  langsames  Feuer  ab,  je  3  Schüsse  in  der 
Minute.  In  jeder  neuen  Stellung  ist  Zeit  zur  Umstellung  des  Visiers 
nötig;  deshalb  wird  der  Schütze  in  der  Minute,  wenn  der  Sprung  geschieht, 
nur  je  einen  Schuss  abgeben.  Da  die  Feuerwirksamkeit  sich  nach  Maass- 
gabe der  Annäherung  an  den  Gegner  erhöht,  so  trifft  von  den  bis 
800  Schritt  einschliesslich  abgeschossenen  Kugeln  rund  1  %  beim  Angreifer, 
auf  700  Schritt  2  %,  auf  600  3  %  u.  s.  w.  Dass  dieser  Prozentsatz  nicht 
hoch  ist,  zeigt  §  173  des  „Reglements  für  die  Ausbildung  im  Schiessen" 
(1884),  in  welchem  gesagt  ist,  dass  mit  dem  Berdangewehr  auf  600  bis 
900  Schritt  mehr  als  B  %  ins  Ziel  trifft,  und  dass  auf  1000  bis  1200  Schritt 
der  grösste  Teil  dieser  Kugeln  und  zwar  %  in  die  feindliche  Linie  trifft, 
die  übrigen  in  deren  Reserven. 

Der  Verteidiger  aber  giebt  je  4  Schuss  in  der  Minute  ab  und 
während  der  Sprünge  des  Angi-eifers  je  B.  Die  Wirksamkeit  des  Feuers 
auf  den  Distanzen  ist  annähernd  zweimal  so  gross  als  beim  Angreifer, 
d.  h.  auf  800  Schritt  macht  es  beim  Angreifer  2  o/o,  auf  700  Schritt  4% 
u.  s.  w.  kampfunfähig.  Wenn  der  Angreifer  in  der  Gefechtsordnung  mit 
schwacher  Schützenlinie  und  starken  Reserven  vorgeht,  so  werden  die 
Verluste  in  der  Schützenlinie  und  in  den  Reserven  mutmaasslich 
gleich  sein. 

Es  wird  angenommen,  dass  ein  Regiment  des  Angreifers  in  der  Angriff  eines 
vorschriftsmässigen  „anfänglichen  Gefechtsordnung"  vorgerückt  und  bis  gege°«wei 
auf  800  Schritt  sogar  ohne  Verluste  herangekommen  ist.    Bei  800  Schritt  »•*•*»<>»•• 
Entfernung  von  der  gegnerischen  Stellung  Hess  man  gemäss  §  29  der 
Instruktion   für   die  Gefechtsform   der  Kompagnie   und   des  Bataillons, 
welche  Verstärkung   der  Schützenkette  verlangt,   in  den  Kompagnieen 


^^)  Nach  dem  russischen  Beglement  wird  die  Bewegung  des  Angreifers 
in  drei  Perioden  geteilt:  1.  bis  800  Schritt  vom  Feinde  heisst  sie  Anrücken, 
welches  ungedeckt  geschieht;  2.  von  800  bis  300  Schritt  ist  sie  Angriff,  welcher 
mit  Sprüngen  von  Deckung  zu  Deckung  vor  sich  geht,  und  3.  von  300  bis 
150  Schritt  wiederum  ungedeckte  Bewegung  zum  Bajonnet-Angriff. 


590  VII.   Taktik  der  Infanterie. 

der  vordersten  Linie  noch  je  einen  Zvig  ausschwärmen,  und  das  dritte 
Bataillon  ging  rechts  vom  ersten  znm  Gefecht  über.  In  dieser  Formation 
beginnt  das  Regiment  die  Bewegnng  in  Sprüngen  gegen  zwei  feindliche 
Bataillone,  wobei  fiir  die  Berechnung  die  Streitkräfte  der  nicht  auf- 
gelösten Kompagnie  mnd  zn  200  Schützen  angenommen  sind. 

Anf  der  anderen  Seite  ist  die  Gefechtsordnung  des  Verteidigers  zn 
beachten,  denn  man  kann  nicht  annehmen,  dass  der  Gegner  nachlässig 
handelt,  nnd  deshalb  setzt  der  Autor  den  Fall,  dass  in  dem  einen  Bataillon 
3  Kompagnieen,  im  anderen  2  in  die  erste  Gefechtslinie  geschickt  werden, 
und  dass  in  jeder  Kompagnie  4,3  Züge  in  Linie  ausgeschwärmt  sind. 
»  Danach  bringt  General  Skngarewski  eine  Tabelle  der  beiderseitigen 

Verluste,  an  deren  Stelle  wir  der  grösseren  Anschaulichkeit  M'egen  eine 
graphische  Darstellung  auf  Grund  ihrer  Zahlen  gehen,  wobei  die  Zahl 
der  Angreifer  zu  3200  (4  Bataillone),  und  die  der  Verteidiger  zu  1600 
(2  Bataillone)  angenommen  ist. 


Verluste  der  Angreifet  ond  der  Verteidiger. 

"■  Folglich  wird  sich  der  Angreifer,  der  mit  der  doppelten  Truppenzahl 

den  Angriff  begonhen  hat,  wenn  er  300  Schritt  voiTückt,  schon  in  einem 
weniger  als  halben  Bestände  dem  Verteidiger  gegenüber  befinden. 

Genauer  gesagt,  werden  von  einer  angreifenden  Kompagnie  zu 
200  Gewehren  23  Mann  übrig  bleiben,  wählend  der  Rest  bei  der  durch 
Verschanzungen  gedeckten  Halbkompagiiie  50  Mann  betri^en  wird. 

Wir  stellen  diese  Verhältnisse  graphisch  dar: 


liigriffs  einer  Kompngnii'   gegen   eine    verschonite  Halbkoni pagiiie 
300  Schritt  Entfernung  (von  ÖÜÜ  bis  öOU), 


Der  Angriff  der  Infanterie.  591 


Daraus  geht  deutlich  hervor,  dass  ein  ähnlicher  Angriff  ohne  unter-  unmöguch- 
brechnng  undenkbar  ist.  anunter- 

GeneraJ  Skugarewski  sagt,i7)  dass  man  die  Ansicht  von  der  Un-  ^^ngriffr 
möglichkeit  einer  ununterbrochenen  Vorwärtsbewegung  am  häufigsten  im 
Kreise  der  Frontoffiziere  hört;  aber  sie  findet  auch  unter  vielen  Militär- 
Schriftstellern  Verteidiger.  Diese  letzteren  sagen:  Beim  Angriff  komme  Verteidigung 
alles  darauf  an,  die  Truppen  daran  zu  gewöhnen,  vorzugehen,  was  es  auch 
kosten  möge,  ohne  Rücksicht  auf  irgend  welche  Verluste  und  Hindemisse; 
mit  Truppen,  die  so  ausgebildet  seien,  könne  es  kein  Misslingen  geben; 
sie  wüi'den  unfehlbar  bis  zu  dem  angegriffenen  Punkt  vordringen;  Be- 
wegung schütze  besser  vor  Verlusten  als  Deckungen. 

General  Skugarewski  führt  die  Worte  eines  Heerführers  an:  „Die 
Truppen  werden  niemals  den  angegriffenen  Punkt  erreichen,  wenn  ihnen 
nicht  die  Forderung:  „Vorwärts  und  vorwärts!"  in  Fleisch  und  Blut 
übergegangen  ist.  Man  muss  auf  den  alten  Suworow'schen  Grundsatz 
zurückkommen,  wenn  die  Kartätschen  die  Linie  nicht  gerade  ins  Bein 
getroffen  haben." 

„Aber  wie  überzeugend  alles  dies  auch  auf  den  ersten  Blick  zu  sein  Einwitig^eit 

der    • 

scheint,"  sagt  der  Autor,  „so  leiden  nichtsdestoweniger  alle  angeführten  AMichten. 
Ansichten  an  dem  einen  gemeinsamen  Fehler  der  Einseitigkeit,  Sie 
wollen  nicht  hören,  dass  zur  Zeit  Suworows  ein  anderes  Feuer  war; 
es  ist  unmöglich,  die  Waffen  nicht  nur  des  vergangenen,  sondern  auch 
der  ersten  Hälfte  des  jetzigen  Jahrhunderts  mit  den  gegenwärtigen  zu 
vergleichen.  Medem  charakterisiert  im  Jahre  1837  das  Schiessen 
folgendermaassen:  »Auf  300  Schritt  ist  es  grösstentheüs  wirkungslos,  auf 
200  Schritt  wirkt  es  noch  ziemlich  schwach,  und  erst  auf  160  und 
100  Schritt  wird  es  todbringend.  Und  auch  diese  Tödlichkeit  ist  relativ 
aufzufassen.**  Asemar  führt  in  seiner  „Taktik  des  Infanteriefeuers"  einen 
Fall  aus  der  Schlacht  bei  Caldiero  (1805)  an,  wo  ein  österreichisches 
Bataillon,  welches  eine  halbe  Stunde  das  Feuer  eines  französischen 
Bataillons  ausgehalten  hatte,  im  Ganzen  6  Mann  verlor." 

Sonderbar    nennt  General  Skugarewski   das   Hauptargument   der  «enutznng 
Anhänger  des  offenen  Angriffs,  dass  die  Truppen,  wenn  sie  daran  gewöhnt  Deckungen, 
sind,   sich  zu  decken,  immer  in  Deckungen  laufen   werden;    vielmehr 
würden  die  Leute  ungern  die  Deckungen  verlassen  und  schliesslich  sich 
überhaupt  nicht  mehr  aus  ihnen  erheben. 

Die  Verteidiger  des  Sprungverfahrens  antworten  darauf:  Unter  dem 
jetzigen  Feuer  giebt  es  Minuten,  wo  es  unmöglich  ist,  ungedeckt  vorzu- 
gehen; wie  man  auch  die  Leute  ausbildet,  sie  werden  in  jedem  Falle  sich 

^0  „Angriff  der  Infanterie.**    S.  96. 


592  '^^'  Taktik  der  Infenterie. 


in  Deckungen  legen,  and  Leute,  die  sich  eigenmächtig  hingelegt  haben, 
d.  h.  die  schon  den  Gehorsam  verweigert  haben,  zum  Vorgehen  zu  ver- 
anlassen, ist  wirklich  schwierig. 
Besaitet  Wenn  man  nach  dem  gesunden  Menschenverstände  urteilt,  so  ist  der 

Blick  des  Autors  vollkommen  richtig.  Vor  20  Jahren  ergaben  Versuche 
die  Nothwendigkeit,  bisweilen  mit  Pausen  vorzurücken,  um  den  Ver- 
teidiger durch  Feuer  zu  verwiiren  und  dadurch,  wie  man  sagt,  den  An- 
griff vorzubereiten. 

Und  plötzlich  sagt  man  wiederum  bei  den  neuen  kleinkalibrigen 
6ewehi-en  und  den  Panzergeschossen :  Nein,  man  darf  nur  offen  vorgehen, 
die  ganze  Sorge  um  das  Feuer  überlasst  der  Schützenlinie,  der  Anblick 
kleiner  Abtheilungen  wird  schon  genügen,  um  den  Feind  zum  Rückzug 
zu  veranlassen.  Und  warum?  Jetzt  schiessen  ja  die  Gewehre  noch 
weiter,  treffen  viel  sicherer,  die  Feuergeschwindigkeit  ist  noch  grösser, 
folglich  hat  sich  die  Lage  des  Angreifers  verschlechtert. 

c)  Der  französische  vorschriftsmässige  Angriff. 

Andere  Wir  haben  schon   oben  von  den  Bestimmungen  der  französischen 

paakte.  ßeglemeuts  bezüglich  des  Angriffs  im  Rahmen  ihrer  allgemeinen 
Charakteristik  gesprochen.  Jetzt  wollen  wir  den  Angriff  nach  dem 
französischen  Reglement  vom  Jahre  1894  mit  dem  soeben  angeführten 
russischen  Angriff  vergleichen.  Oben  hatten  wir  bei  der  Erwähnung  des 
französischen  Reglements  vorzüglich  den  Angriff'  unter  dem  Feuer  der 
Artillerie  des  Gegners  im  Sinne;  hier  nun  wird  nur  sein  Gewehrfeuer 
in  Erwägung  gezogen. 
Dm  "w^ie  gesagt,  ist  das  französische  Reglement  vom  Jahre  1894  nicht 

JEveglement  , 

1894.  Völlig  neu;  es  ist  m  ihm  vieles  aus  dem  Reglement  des  Jahres  1884  ent- 
halten, und  zwar  sind  die  Vorschriften  über  die  Führung  des  Infanterie- 
gefechts unverändert  geblieben.  Wir  halten  uns  nicht  für  berechtigt,  die 
Bestimmungen  des  französischen  Reglements  zu  kritisiren;  doch  haben 
wir  die  Klagen  französischer  Schriftsteller  über  einzelne  seiner  Aenderungen 
schon  angeführt.  Aber  der  kritische  Blick  auf  die  Ausführbarkeit  der 
einen  oder  anderen  Bestimmungen  des  Reglements  1894  wird  mit  grösserer 
Sicherheit  aus  anderen  als  den  französischen  Schriftstellern  schöpfen, 
welche  sich  in  diesem  Falle  in  die  neueren  und  die  Anhänger  der  alten 
Zeit  scharf  scheiden. 

Wir  versuchen  nur,  bei  den  Gefechtsformationen  nach  den  Reglements 
1884  und  1894  die  sich  ergebenden  Unterschiede  zu  erklären  und  das 
Zahlenmaterial  der  wahrscheinlichen  Verluste  zu  erhalten. 

„H  n'y  a  rien  d'aussi  brutal  que  les  chiffres",  hat  einmal  Napoleon 
gesagt. 


Der  Angriff  der  Infanterie.  593 

Wir  müssen  mit  der  früheren  Ordnung  beginnen.  *"«^'^ 

Zam  Angriff  gehen  die  Trappen  selbstverständlich  im  Schnellschiitt,  B«gieBi«nt 
nur  auf  EommaDdo  Halt  machend.  Die  Schützenlinie,  die  die  Eeserve 
hinter  sich  hat,  läaft  von  800  Meter  Entfemoug  an  200  Meter  vor. 
Darauf  einige  Minnten  East,  nnd  die  Schützenlinie  setzt  sich  auf  ein 
g^ebenes  Zeichen  wieder  in  Bewegung  und  läuft  weitere  200  Meter  vor. 
Dann  folgt  von  neuem  eine  kurze  Rast,  nach  welcher  das  Signal  zum 
StfUTulauf  gegeben  wird,  und  die  Tmppen  eilen  schnell  die  letzten 
200  Meter  vor.'*)  Welche  Höhe  werden  nun  die  wahrscheinlichen  Verluste  »«"«'"'"'b 
der  angreifenden  Truppen  hierbei  erreichen?  yttini^B. 

Um  darauf  zu  antworten,  muss  mau  vor  allem  die  Grundlagen  fest- 
setzen. 

Zur  Bestimmung  der  Terlustzahlen  haben  wir  mehrere  Quellen. 

Erstens  führt  Oberst  Om6gai9)  die  Zahlen  von  den  Versuchen  im  "»^  °^*^ 
Lager  bei  Chälons  an,  welche  die  wahrscheinlichen  Verluste  einer  Linie 
angreifender  Schützen  bei  2  Meter  Zwischenraum  von  eiuMider  anzeigen: 

Entfernung  Beim  Qewehr  1636 
200  Meter  32  % 

400      „  16  „ 

600      „  8  „ 

800      „  6  „ 

Der  Auschanlichteit  wegen  stellen  wir  diese  Resultate  graphisch  dai*: 


Wohrscheuiliohe  Verluste  einer  augreifeaden  Schützenlinie  bei  dem  Gen'ehr  Modell  188G. 

Zweitens  giebt  General  Rohne  folgende  Zahlen;  ""Lh"™' 


300  Meter 
500      „ 

800      „ 


")  GSnöral  Ferron:  „Trois  Conferences  s 
'")  Omöga:  „L'art  de  combattre". 


Ganze 
Figuren 

Halbgedeckte 
Figuren 

27,7 

13,6 

17,7 

8,2 

10,0 

5,1 

594  ^^^  Taktik  der  Infanterie. 


Da  die  Angaben  des  Generals  Eohne  vollständiger  sind,  so  wollen 
wir  dieselben  zur  Grundlage  unserer  Berechnungen  nehmen. 
Voraus-  j^  Betreff  der  Laufgeschwindigkeit  wollen  wir,  da  eine  Rast  voraus- 

der      gesetzt  wird,  das  Maximum  annehmen,  und  zwar  133  Meter  in  der  Minute 

Bei^bnung.  ^^^^  g  g;!!^^^^^^^,  ^^  ^^j.  Stuude). 

Die  Feuerschnelligkeit  erreicht,  wie  wir  schon  einige  Male  angeführt 
haben,  15  bis  30  Schuss  in  der  Minute.^) 

Um  aber  nicht  der  Uebertreibung  beschuldigt  zu  werden  und  wegen 
der  Bequemlichkeit  der  Rechnung  nehmen  wir  an,  dass  Verteidiger  und 
Angreifer  mit  Ausschluss  der  Sprünge  je  4  Schüsse  in  der  Minute  ab- 
geben. Dabei  wollen  wir  dem  Angreifer  noch  eine  günstige  Annahme 
zugestehen,  dass  nämlich  die  Hälfte  der  Verteidiger  auf  Grund  des  Er- 
haltungstriebs die  Köpfe  nicht  zeigen  soll,  und  ihre  Schüsse  auf  diese 
Weise  nicht  wirksam  sind.  Unter  diesen  Voraussetzungen  stellen  wir 
eine  Berechnung  der  wahrscheinlichen  Verluste  eines  Bataillons  von 
1000  Gewehren  an. 
variMta  Während  des  Vorrückens  werden  auf  den  ersten  200  Metern  (800 

b«im     bis  600)  in  IV2  Minuten  des  Laufens  von  der  Verteidigung  6000  Kugeln 
vor»«iieii.  ^^^  ^^^  Angreifer  abgeschossen  werden.    Nehmen  wir  noch  als  Treffer- 
zahl auf  800  Meter  10%,  so  werden  600  Mann  ausser  Gefecht  gesetzt. 

Während  der  Rast  von  3  Minuten  wird  der  Verteidiger  auf  die 
übrig  gebliebenen  400  Angreifer  12  000  Kugeln  abschiessen,  von  denen  in 
Anbetracht  der  liegenden  Stellung  wiederum  nach  General  Rohne  (auf 
800  Meter  Entfernung)  6%  Treffer  sein  werden,  oder  es  könnten  wieder 
600  Mann  ausser  Gefecht  gesetzt  werden. 

Da  aber  das  Bataillon  im  ganzen  nur  1000  Mann  hat,  so  wird  es 
gleich  bei  den  ersten  2(X)  Metern  aufgerieben  sein. 
Erginranff  Wir  müsscu  bei  diesem  Thema  den  Fall  setzen,  dass  die  anrückenden 

Besarreii.  Rcservcu  das  Bataülou  zu  seinem  anfänglichen  Bestände  ergänzen. 

Beim  abermaligen  Sprunge  (600  bis  400  Meter)  wird  der  Verteidiger 
wiederum  6000  Kugeln  auf  den  Angreifer  abgeben,  von  denen  nach 
General  Rohne  17,7  %  (bei  600  Meter  Entfernung)  treffen.  Der  Ver- 
lust würde  1062  Mann  betragen,  also  mehr  als  das  Bataillon  hat. 

Nehmen  wir  an,  dass  auch  dieser  Abgang  ergänzt  wird.  Während 
einer  abermaligen  Rast  von  3  Minuten  werden  bei  400  Metern  Entfernung 
von  den  Verschanzungen  12000  Kugeln  auf  den  Angreifer  abgeschossen 
werden,  von  denen  8,2%  treffen  und  984  Mann  des  Angreifers  ausser 
Gefecht  setzen.  Auf  die  übrigen  16  Mann  würden,  falls  von  neuem 
984  Mann   hinzuliefen,   beim   letzten   Sprunge   wiederum   6000  Kugeln 


'^)  „Applikatorische  Studie  über  den  Infanterie- Angriff."    Wien  1895. 


Dor  Angriff  dei'  Infanterie.  595 


kommen,  mit  denen  man  nicht  das  Bataillon,  sondern  1662  Mann  ausser 
Gefecht  setzen  könnte. 

Im  Dorchschnitt  genügen  42000  Kugeln,  um  4908  Mann  ausser 
Gefecht  zu  setzen. 

Sehen  wir  zu,  welche  Resultate  man  hieraus  erhält. 

Während  des  Vorlaufens  können  die  angreifenden  Truppen  nicht     ^»"«5 

d.  Angreifen. 

feuern,  sonst  müsste  die  Bewegung  verzögert  werden.  Bei  der  Rast  von 
3  Minuten  könnten  nur  400  Mann  schiessen,  weil  die  übrigen  schon  tot 
oder  verwundet  wären.  Diese  400  Mann  könnten  4800  Kugeln  abschiessen. 
Von  diesen  aber  würden  nach  den  Berechnungen  des  Generals  Rohne  im 
ganzen  2,5%  (oder  120  Schüsse)  wirksam  sein.  Danach  würden  beim 
zweiten  Sprung  die  400  Mann  schon  ausser  Gefecht  gesetzt  werden. 

Wir  wollen  jedoch  den  Fall  setzen,  dass  die  zur  Verstärkung  des    Verluste 
Angriffs  anrückenden  Truppen  immer  den  vollen  Bestand,  d.  h.  1000  Mann  vertcidigere. 
haben.  In  diesem  Falle  werden  die  Abgänge  des  Verteidigers  folgende  sein: 

Bei  der  ersten  Rast 

von  3  Minuten  .  .   12  000  Kugeln,  Abgang  21/2  %,  d.  h.  300  Mann 
bei  der  zweiten  Rast 

von  3  Minuten  .  .   12  000       „  ,,       4,1  o/p,     „     498      „ 

Sa.  798  Mann. 

Während  also  der  Angreifer  4908  Mann  aus  den  Reserven  nehmen    luwaitat. 
müsste,   um  mit  1000  Mann  unter  den  Verschanzungen  zu  erscheinen, 
würde  es  für  den  Verteidiger  genügen,  seinen  Bestand  um  798  Mann  zu 
verstärken.     Dies    Verhältnis    ist    für    den    Angreifer    sechsmal    un- 
günstiger. 

Aber  in  Wirklichkeit  würde  sich  dieses  Missverhältnis  der  Verluste 
dadurch  noch  mehr  vergrössern,  dass  der  Angreifer  gegen  eine  starke 
Verteidigung  nicht  auf  unbeschränkte  Zeit  mit  einer  Schützenlinie  operieren 
kann;  er  muss  sie  rechtzeitig  unterstützen,  um  eine  mehr  oder  weniger 
bedeutende  Feuerüberlegenheit  über  den  Gegner  zu  erzwingen  und  zu 
bewahren. 

In  der  That  fordern  die  Reglements,  wie  gesagt,  beim  Angriff  mit  oeeciiioMen- 
einer  Brigade  auf  1  Meter  Front  4  bis  4,8  Gewehre,  abgesehen  von  Aus-  der  Glieder. 
nahmefallen,  welche  eine  Verstärkung  möglich  machen  oder  verlangen.21) 

Indessen  wird  eine  fünf-  und  sechsmal  vergrösserte  Geschlossenheit 
fast  in  demselben  Verhältniss  auch  eine  Vergrösserung  der  Treffwahr- 
scheinlichkeit mit  sich  bringen. 


2^)    ^Der    gegenwärtige    Stand    der   Infanterie -Taktik"    („Internationale 
Revue"). 

38* 


596  ^^^'   Taktik  der  Infanterie. 


Du  nena  ^ir  haben  schon  die  Meinung  des  Obersten  Regenspurgski  über 

Regl6in6iit 

1894.  die  Abhängigkeit  der  Verluste  von  dem  grösseren  oder  geringeren  Grade 
der  Geschlossenheit  der  Glieder  angeführt.  Es  ist  sehr  naturlich,  dass 
die  oben  beschriebene  Art  des  Angriffs  die  Kritik  nicht  ausgehalten  hat, 
und  in  Frankreich  erschien  schon  im  Jahre  1894  ein  neues  Eeglement, 
das  wir  hier  genauer  betrachten  wollen. 
Einfwining  Das  ucue  frauzösische  Reglement  trägt  einen  ausgeprägt  offensiven 

dor 

Aufklärer.  Charakter.  Der  bemerkenswerteste  Zug  in  ihm  ist  die  Vorschrift,  dass 
die  Schützenlinien  durch  Aufklärer  (6claireurs)  ersetzt  werden. 

„Das  rauchschwache  Pulver,  die  Tieffsicherheit  der  Waffe,  die  Rasanz 
der  Flugbahn  und  die  Feuergeschwindigkeit  haben,  wie  dort  gesagt  wird, 
das  Erkennen  der  Stellungen  eines  gedeckten  Gegners  erschwert  und  die 
Gefahr  auf  einem  vom  Feuer  bestrichenen  Räume  erhöht."  Besonders 
schwierig  ist  die  Aufklärung  feindlicher  Stellungen  durch  Kavallerie 
geworden,  i|nd  nur  Infanteristen,  die  sich  unter  Ausnutzung  der  Uneben- 
heiten des  Rodens  nahe  an  die  Verschanzungen  heranschleichen,  könnten 
einigermassen  genaue  Nachrichten  bringen,  um  die  Möglichkeit  einer 
Ueberraschung  zu  verhüten. 

Im  Reglement  wird  infolge   dessen   auf  die   Notwendigkeit  hin- 
gewiesen, dass  jede  Infanterieabteilung  ihre  eigenen  Aufklärer  hat. 
Taktik  Rechnet  man  zu  diesem  Zwecke  zwei  Mann  im  Zuge,  so  sollen  in 

Anfkiftwr.  der  Kriegskompagnie  32  Mann  dazu  bestimmt  sein,  die  eine  entsprechende 
Ausbildung  erhalten  müssen.  Im  Gefechte  sollen  sie  mit  der  Kompagnie 
in  Verbindung  bleiben,  zu  welchem  Zwecke  die  letztere  allmählich  be- 
sondere Verbindungsleute  ausschickt.  Die  von  den  Kompagnien  vor- 
geschickten Aufklärer  der  vordersten  Linie  sind  unter  dem  Befehl  eines 
Hauptmanns  ihres  Bataillons  und  besorgen  vereint  die  Aufklärung,  und 
überdies  eröffnen  sie  zuerst  den  Angriff,  indem  sie  sich  500  Meter  weit 
von  den  Kompagnien  entfernen  und  bis  auf  900  Meter  sich  dem  Gegner 
nähern  (alle  hier  angegebenen  Zahlen  gelten  für  offenes,  ebenes  Gelände), 
und  mit  ihrem  Feuer  sollen  sie  ihren  Kompagnien  das  Vorgehen  er- 
leichtern, in  die  sich  die  Aufklärer  auch  wieder  einfügen,  wenn  die  ganze 
erste  Linie  die  bezeichnete  Annäherung  an  den  Gegner  erreicht  hat.  Die 
erste  Linie  stellt  sich  als  Kompagnie  in  Linie  auf  mit  einem  Schritt 
Zwischenraum  zwischen  den  Rotten,  unter  wirksamem  Feuer  aber  in 
einem  Gliede,  Arm  an  Arm;  Zwischenräume  werden  nur  in  der  Absicht 
gestattet,  ein  möglichst  breites  Gelände  zu  besetzen.  Bei  Verlusten 
schliesst  sich  das  Glied  beständig  zusammen. 

Breiten-  Es  entwickelt  sich  beim^  Angriff  in  die  Breite:  die  Kompagnie  zu 

Wickelung.  200  Gewehren  IBO  Meter,  das  Bataillon  900  Meter,  das  Regiment 
höchstens  700  Meter,   die  Brigade  1400  Meter,  die  Division  2100  Meter, 


Der  Angriff  der  In&nterie.  597 

abgesehen  von  der  bei  ihr  befindlichen  Artillerie.  In  der  Verteidigung 
ist  je  nach  der  Stärke  der  Stellung  auch  eine  breitere  Entwickelnng 
gestattet. 

Die  Gefechtsanfstellnng   eines  IranzDsischen  ßegiments  nach  der 
neuen  Taktik  zeigt  folgende  Abbildung  aus  den  letzten  Manörem. 


Auf^teUaug  eines  fraazösisohen  Begiment«  beim  Angriff. 

Bezüglich  der  grossen  Einheiten  vom  ßegiment  an  sagt  das  f™»"»" 
Reglement,  dass  sich  dafUr  keine  Normalfomation  geben  lässt;  für  das  B<«ipi.Di«. 
Regiment  aber  schreibt  es  folgende  vor:  Ein  BataÜloD  rückt  in  drei 
Linien  vor,  von  denen  die  erste  den  Angrifl  beginnt  und  ihn  womöglich 
allein  dorchfßhi't,  ohne  sich  nach  hinten  umzusehen;  die  zweite  sichert 
die  Flanken  der  ersten,  unterstützt  oder  verlangen  sie  in  die  Breite, 
führt  den  Angrifi  zum  Sturm  durch,  indem  sie  nötigenfalls  aufgegebene 
Punkte  besetzt  oder  den  ins  Sehwanken  geratenen  Angriö  erneuert;  die 
dritte  Linie  steht  unmittelbar  zur  Verfügung  des  Bataillonskommandeurs, 
sie  heisst  „ManiJverlinie"  nnd  dient  dazu,  Flankenangriffe  auszuführen 
und  abzuschlagen. 

Einen    charakteristischen  Unterschied   zwischen   dem  neuen  und  ti.tM»iju»a 
früheren  Reglement  bildet  besonders  die  Fordemng,  dass  die  erste  Linie  Begisumti. 
vorgeht,  ohne  Unterstützungen  abzuwarten,  wobei  angenommen  zu  werden 
scheint,  als  ob  ein  mit  ungenügenden  Kräften  begonnener  Angriff  sich 
gleichwohl  immer  wiederholen  Hesse. 

Von  dem  Augenblick  an,  wo  es  unmöglich  ist,   ohne  zu  feuern,  ForiMUnnj 
weiter  vorzurücken,  soll  das  Feuer  auf  der  ganzen  Linie  eröfinet  werden,    tatritb. 
womöglich  mit  Salven  und  dann  Schutzenfeuer.    Darauf  wechselt  das 
Feuer  mit  weiterem  Vorgehen  ab,  nötigenfalls  nnter  Verstärkung  aus 
den   folgenden  Stafieln.     Bei   der  Annäherung  auf  400  Meter  an  den 


598  Vn.    Taktik  der  Iii&nt«ne. 

Gegner  sollen  alle  Teile  der  ersten  Linie  mit  aller  Energie  den  Angrifl 
durchiUhren,  wobei  das  Seitengewehr  aufgepflanzt  and  Schnellfeuer,  aber 
noch  ohne  Gebranch  des  Magazins,  abgegeben  wird.  Zn  dieser  Zeit 
nähert  sich  die  zweite  Linie  der  ersten  und  wird,  wenn  nötig,  gleichfalls 
znm  Angrifi  gefiihrt. 

Dann  folgt  sprnngweises  Vorgehen  bis  160  nnd  200  Meter  vom 
G^ner,  das  Magazinfeuer  beginnt,  und  aaf  das  Signal  des  Kommandears 
stürzen  sich  die  Angreifer  mit  dem  Eufe:  „En  avant!  k  la  baionette!" 
auf  den  Feind. 

Wir  bringen  hier  eine  gleichfalls  bei  den  letzten  französischen 
Manövern  aufgenommene  Abbildung,  die  den  entscheidenden  Moment  des 
Angriffs  darstellt. 


FronzöBisohe  Infanterie  beim  Sturm. 

Wir  wollen  hier  erwähnen,  dass  das  Reglement  bei  Nebel  oder 
während  der  Dunkelheit  für  die  parallele  Richtung  der  angi'eifenden 
Kolonnen  de»  Gebrauch  des  Kompasses  vorschreibt.  Zu  bemerken  ist 
noch,  dass  die  Eröffnung  des  Feuers  schon  auf  weite  Entfernungeu  be- 
absichtigt wird:  auf  Marschkolonnen  nnd  geschlossene  Abteilungen  über- 
haupt bli  2000  Meter,  auf  ausgedehnte  Linien  oder  Kompagniekolonnen, 
auf  Batterien   and  Kavallerie  bis  1500  Meter,  auf  Linien  von  Zugbreite 


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Der  Angriff  der  In&nteiie.  599 


bis  1200  Meter,  auf  Linien  von  Halbzngbreite  bis  1000  Meter,  auf  Gruppen 
und  dergleichen  bis  800  Meter. 

Das  Artilleriefeuer  beginnt  auf  Befehl  des  Divisionskommandeurs;  ^"^Jl^*" 
spätestens  während  desselben  marschiert  die  Infanterie  auf;  ihre  erste 
Linie  deckt  die  eigene  Artillerie  und  giebt  zugleich  auf  die  Artillerie  und 
Infanterie  des  Feindes  Gewehrfeuer  ab.  Die  Reserven  werden  in  Deckung 
aufgestellt.  Wenn  die  artilleristische  Feuerüberlegenheit  erreicht  ist, 
erfolgt  das  Kommando  zum  allgemeinen  Angriff.  Die  erste  Angriffslinie 
strebt  vor  allem  danach,  sich  der  vor  der  Stellung  befindlichen  Stütz- 
punkte zu  bemächtigen,  darauf  werden  diese  Punkte  von  der  zweiten 
Infanterielinie  und  den  Pionieren  befestigt.  Dies  wird  nicht  so  sehr  zur 
Erleichterung  des  Angriffs  beabsichtigt  —  denn  die  erste  Linie  hat  dem 
Anschein  nach  sofort  weiter  zu  gehen  —  als  vielmehr  für  den  Fall,  dass 
der  Angriff  der  ersten  Linie  abgeschlagen  wird.  Ein  Teil  der  Artillerie 
soll  die  angreifende  Infanterie  begleiten. 

In  dem  Augenblick,  wo  die  vorher  zum  Angriff  gegen  die  Flanke  ^»«"*- 
bestimmten  Staffeln  sich  nähern  und  in  die  vordere  Linie  einrücken, 
erfolgt  das  Signal  zum  allgemeinen  Angriff.  Falls  einige  Teile  der  In- 
fanterie an  dem  Ort  ihrer  Stellungen  geblieben  sind,  so  unterstützen  sie 
den  Angriff  mit  ihren  Salven.  Auf  das  Signal  zum  allgemeinen  Angriff 
geht  auch  die  Kavallerie  zur  Attake.  Falls  der  Angriff  gelingt,  rücken 
auch  die  übrigen  Teile  der  dritten  Linie  und  die  Artillerie  in  die  feind- 
liche Stellung,  um  den  letzten  Widerstand  zu  brechen. 

Wenn  der  Angriff  nicht  gelingt,  decken  die  nicht  ins  Feuer  geführten  Äackiag. 
Teile  der  dritten  Linie  und  die  Artillerie  den  zeitweisen  Rückzug  und 
bereiten  dann  die  Erneuerung  des  Angriffs  „mit  grösster  Energie"  vor. 
Wenn  aber  der  Rückzug  definitiv  notwendig  geworden  ist,  so  vollzieht 
er  sich  allmählich  unter  dem  Schutz  der  Artillerie  und  Kavallerie  auf  die 
vorher  befestigten  Stützpunkte.  Dann  nimmt  die  zurückgehende  Infanterie 
möglichst  bald  die  Marschordnung  mit  Arriferegarde  an.  Die  Benutzung 
der  Dunkelheit  zur  Vorbereitung  des  Angriffs  ist  im  Reglement  nicht 
erwähnt,  aber  sicherlich  giebt  es  Insti-uktionen  über  kleine  nächtliche 
UebeiTaschungen. 

Wenn  wir  das  bei  Seite  lassen,  was  sich  in  diesen  Bestimmungen  oHedernng 

611168 

nicht  auf  die  Frage  bezieht,  mit  der  wir  es  an  dieser  Stelle  hauptsächlich  K6giin6ntfl. 
zu  thun  haben,  so  stellt  sich  uns  das  Bild  eines  Regiments,  welches  in 
der  beschriebenen  Ordnung  angreift,  in  folgender  Gestalt  dar: 
320  Aufklärer  in  der  vordersten  Linie; 

1680  Mann  in  der  folgenden  Gefechtslinie,  auf  BOO  Meter  Ent- 
fernung; 
2000  Mann  Reserve,  in  der  Entfernung  von  weiteren  BOO  Metern. 


gOO  Vn.  Taktik  der  Infanterie. 


vorwi».  Wir  wollen  nun  zugeben,  dass  sich  das  Regiment,  ohne  einen  Mann 

für      verloren  zu  haben,  in  dieser  Formation  der  befestigten  Stellung  des 
billJhnug!  Gegners  auf  800  Meter  genähert  hat. 

Wir  wollen  femer  das  allergunstigste  Verhältniss  annehmen,  und 
zwar,  dass  die  Linie  der  Aufklärer  300  Meter  entfernt  und  die  ganze 
Zeit  nur  in  knieender  Stellung  unter  Feuer  ist. 

Der  Vertheidiger  führt  im  ganzen  2000  Mann  ins  Gefecht,  die  übrigen 
hält  er  in  Reserve.     Die  Aufklärer  werden,  um  die  ersten  100  Meter 
zu  durchlaufen,  46  Sekunden  gebrauchen  müssen,  und  in  dieser  Zeit  ist 
es  ihnen  unmöglich  zu  schiessen, 
variute.  Der  Feiud  aber  kann  in  dieser  Zeit  drei  Schüsse  auf  sie  abgeben, 

d.  h.  6000  Kugeln.  Die  Treifwahrscheinlichkeit  wird  hierbei  nach  Ansicht 
des  Generals  Rohne  (von  300  Meter  an)  auf  ganze  Figuren  27,7  ^Jq,  auf 
Figuren  in  knieender  Stellung  13,6  %  betragen.  Nimmt  man  die  letzte 
Zahl  als  Norm  an,  so  würden  beim  Gegner  nicht  320,  sondern  816  Mann, 
d.  h.  mehr  als  doppelt  so  viel,  ausser  Gefecht  gesetzt  werden.  Folglich 
kann  davon  keine  Rede  sein,  dass  die  Linie  der  Aufklärer  im  stände  ist, 
die  Verteidigung  mit  sicherem  Feuer  zu  vernichten  (6craser  la  defense 
d'un  feu  ajustä),  wie  es  im  Reglement  heisst. 

Allerdings  wäre  der  gedeckte  Feind  gleichzeitig  der  Feuerabgabe 
von  1680  Gewehren  von  300  Metern  an  ausgesetzt,  d.  h.  es  würden  6040 
Patronen  auf  ihn  abgeschossen  werden,  aber  seine  Verluste  hierbei  würden 
nicht  1,4  %  oder  70  Mann  übersteigen. 

Um  die  Entfernung  von  700  Metern  ohne  Aufenthalt  zurückzulegen, 
braucht  der  Angreifer  fünf  Minuten  Zeit,  in  denen  der  mit  1930  Gewehren 
hinter  Schanzen  sich  deckende  Feind  38  600  Geschosse  auf  ihn  verfeuern 
kann,  von  denen  nach  Ansicht  des  Generals  Rohne  10%  Treffer  sein 
werden;  mit  anderen  Worten,  es  würden  3860  Mann  ausser  Gefecht  ge- 
setzt werden,  eine  Zahl,  die  2V2  Mal  die  der  Angreifer  übertrifft. 

In  Wirklichkeit    aber  würden    die   Verluste   noch    grösser   sein. 
General  Rohne  stellt  die  Berechnung  für  eine  Schützenlinie  an,  während 
beim  Angriff  stellenweise  eine  Häufung  eintritt. 
Misaiingen  Wir  warcu  schon  oft  in  der  Lage,  die  Aufmerksamkeit  des  Lesers 

*^  "*auf  den  Umstand  zu  lenken,  dass  die  neueste  Feuerwaffe  auf  einem 
Räume  von  600  Metern  ähnlich  der  märchenhaften  Sense  das  Leben  weg- 
mäht und  mit  einer  Kugel  fünf  Mann  auf  einmal  trifft.  Giebt  es  also 
irgend  eine  Möglichkeit,  unter  solchen  Umständen  auf  das  Gelingen  eines 
Angriffs  zu  rechnen,  selbst  wenn  die  Zahl  der  Verteidiger  viel  geringer 
als  die  der  Angreifer  sein  sollte?  Auf  die  Frage  kann  man,  scheint  es, 
mit  dem  entschiedensten  „Nein!"  antworten. 


Der  Angriff  der  Infeuiterie.  ßQl 


Der  Einwand,  dass  nicht  nur  die  Schützenreihen  keine  vollen  und  Einwinde, 
regelmässigen  Linien  bilden  werden,  sondern  dass  auch  die  ihnen  folgenden 
Kolonnen  nicht  gleichmässig  in  dem  Gelände  ausgeschwärmt  sein  werden, 
in  welchem  sich  günstige  Stellen  vorfinden,  um  50  Meter  von  der 
Schützenlinie  entfernt  Halt  zu  machen,  und  dass  zur  Vermeidung  der 
Kugeln,  die  über  die  Köpfe  der  Schützen  hinwegfliegen,  ein  Teil  der 
Leute  sich  in  der  Entfernung  von  200  bis  300  Metern  22)  wird  halten 
müssen,  modifiziert  ein  wenig  das  Wesentliche  der  Stellung. 

In  Löbells  „Militärischen  Jahresberichten"  wird  zu  dieser  Frage  an  Bearteiiong. 
der  Ansicht  festgehalten,  dass  die  beabsichtigten  Neuerungen  das  Wesen 
des  Gefechts  nicht  ändern  werden.    Die  Führung  des  Angriff's  ohnft^alt 
ist  nach  der  Meinung  des  militärischen  Beobachters  ebenso  anwendbar 
wie  die  frühere  Methode. 

Diese  Ansicht  wurde  im  Jahre  1891  als  das  Resum6  der  Polemik 
geäussert,  welche  sich  damals  gegen  die  Angriffsmethode  erhob  und  sich 
jetzt  bei  Gelegenheit  der  neuen  Aenderung  des  französischen  Reglements 
wiederholte  und  es  scheint  uns,  dass  sie  vollständig  begründet  ist.^») 

„Das  Unmögliche  bleibt  unmöglich  .  .  .  Auf  ebener  Erdoberfläche 
wird  der  Angreifer  selbstverständlich  vernichtet  werden,  wofern  es  nur 
dem  Angegriffenen  möglich  ist,  irgend  welche  Schüsse  auf  ihn  zu  richten. 
Das  Resultat-wird  gleich  bleiben :  entweder  wird  der  Angreifer  mit  einem 
Male  die  ganze  Strecke  ohne  Halt  durchlaufen  oder  er  wird  Halt  machen 
und  Feuer  abgeben,  bis  er  allmählich  zum  letzen  „Haupthalt"  unmittelbar 
an  der  Verschanzung  kommt;  in  beiden  Fällen  werden  seine  Verluste 
ungeheuer  sein,  denn  der  hinter  Deckungen  feuernde  Gegner  zeigt  nur 
den  halben  Kopf,  während  der  Angreifer  im  Gehen  wie  im  Liegen  mit 
seinem  ganzen  Körper  dem  Feuer  des  Angegriffenen  das  Ziel  bietet. 
Ausserdem  sind  dem  gedeckten  Gegner  gewöhnlich  die  Entfernungen 
besser  bekannt.  Ueberhaupt  nehmen  die  Aussichten  auf  Erfolg  auf  der 
angegriffenen  Seite  in  dem  Maasse  zu,  als  die  Siegeshoffnungen  beim  An- 
greifer schwinden."* 

Doch  wollen  wir   zugeben,   dass   die  Verluste   des  Angreifers   be-   ^^^^^ 
deutend  geringer  sind,  und  dass  er  bis  auf  200  Meter  von  den  Ver-    vor»a»- 
schanzungen  sogar  ohne  alle  Verluste  herankommt.    Ausserdem  wollen  "JS^SSn" 
wir  zugeben,  dass  der  Angegriffene  über  eine  doppelt  geringere  Truppen-  ^«^«i'"- 
zahl  verfügt.    Kann  unter  solchen  Bedingungen  der  Sieg  des  Angreifers 
wahrscheinlich  sein? 

Es  ist  noch  die  Verschanzung  zu  erklimmen. 


'^)  „Revue  des  deux  mondes" :   „La  tactique  moderne  de  Tinfanterie". 
*')  „Militärische  Jahresberichte"  für  1891. 


Vn.   Taktik  der  Infcjiterie. 


'"■M  In    den    Manövern    bietet   dies   bekanntlich    nicht    die   geringste 

.«tof.  Schwierigkeit,  wie  auch  anf  den  beigegebenen  Abbildungen  zn  sehen  ist, 

welche  Momente  ans  den  Manövern  der  englischen  Armee  darstellen: 

eine  allgemeine  Ansicht  des  Angiiffs  und  den  Stnrm. 


r  der  englischen  Armee. 


5 


Erstünnong  der  Schanisen.  !g03 


Die  aus  den  Verschanzungen  herausragenden  Köpfe  der  Figui'en 
wurden,  wie  die  Abbildung  zeigt,  durchbohrt,  was  besonders  leicht  ge- 
lang, da  von  hier  aus  kein  Feuer  erfolgte.  Die  Köpfe  der  Figuren 
versteckten  sich  nicht,  sondern  blieben  unbeweglich  in  Sicht  des  An- 
greifers. Im  Ernstfalle  wäre  dies  alles  anders  gewesen.  Jedem  heraus- 
gesteckten Kopfe  wäre  befohlen  worden,  in  10  Sekunden  6  Schüsse  ab- 
zugeben, und  wenn  auch  keiner  von  diesen  einen  der  Schützen  getötet 
hätte,  so  hätte  ein  Wagehals  sich  nur  zu  zeigen  brauchen,  um  einem 
Schuss  oder  einem  auf  die  Brust  gerichteten  Gewehr  zu  begegnen. 
Einen  annähernden  Begriff  hiervon  giebt  die  Abbildung  in  den  Bei- 
lagen, welche  die  Eroberung  einer  befestigten  Stellung  bei  Plewna 
darstellt. 

Bei  dem  jetzigen  Gewehr,  dessen  Geschoss  6  Mann  durchschlägt,  J^^^^^ 
einer  Waffe,  die  30  Schüsse  in  der  Minute  abgiebt,  und  wenn  an  Stelle 
der  mit  verschiedenen  Kalibern  bewaffneten  türkischen  Soldaten  gut  aus- 
gebildete Soldaten  als  Verteidiger  hinter  Verschanzungen  erscheinen,  kann 
man  mit  Bestimmtheit  sagen,  dass  unter  ähnlichen  Bedingungen  von  den 
Angreifern  nicht  einer  am  Leben  bleiben  wird.  Aber  das  ist  noch  nicht 
das  Ende.  Der  Angriff  auf  die  Schanzen  ist  ausserdem  auch  aus  anderen 
Gründen  schwierig. 


9.   Die  Erstürmung  der  Schanzen. 

Hier  wenden  wir  uns  gleichfalls  der  anschaulicheren  Dai*stellung    ▼<"»«»- 

setsangen 

wegen  zu  der  Annahme  der  allergünstigsten  Bedingungen  für  den  An-    mr  den 
greifer,  und  zwar,  dass  es  ihm  mittels  Deckungen  oder  mit  Hilfe  nacht-  ^■«"^'•'* 
liehen  Dunkels  gelungen  ist,  ohne  Verluste  bis  auf  200  Meter  Entfernung 
an  die  Schanzen  heranzukommen.    Von  einer  Unterstützung  des  Angriffs 
durch  Artillerie  kann  ebensowenig  die  Eede  sein,  wie  von  einer  Feuer- 
unterstützung durch  die  im  Rücken  marschierenden  Reserven, 

Nachdem  die  angreifenden  Truppen  auf  200  Meter  Entfernung  vom    Angriff 

°  -^  auf  200  Meter 

Feinde  erschienen  sind,  wird  in  jedem  Falle  mindestens  eine  Minute  zur 
Erreichung  der  Schanzen  erforderlich  sein.  Während  dieser  Minute  kann 
der  zu  bestürmende  Feind  dreissig  Salven  abgeben.  Solche  Angrifie 
wurden  sogar  bei  unvergleichlich  schlechteren  Gewehren  auf  nahe  Ent- 
fernungen meist  siegreich  abgeschlagen.  Wir  wollen  einige  Beispiele 
anführen. 

Bei  Skalitz  wurde  im  Jahre  1866  der  Angriff  der  Brigade  Fragnem  Beispiel«, 
auf  kurze  Entfernung  von  dem   unter  dem  Schutze  eines  Waldes  auf- 


g04  VH.  Taktik  der  Infanterie. 


gestellten  preassischen  Eönigs-Grenadierregiment  abgewiesen.  Bei  Beamie 
la  Solande  liess  das  16.  preussische  Regiment,  welches  wenig  Patronen 
hatte,  die  Franzosen  auf  160  Meter  herankommen  and  schlng,  nachdem 
es  dann  das  Fener  begonnen  hatte,  den  mit  weit  überlegenen  Kräften 
angreifenden  Feind  zorttck.  Bei  Chagey  a.  d.  Lisaine  erfolgte  eben  solche 
Abweisung  mehrerer  Angriffe  durch  die  Deutschen  auf  kurze  Entfernung. 
Bei  Sedan  hielt  Hohenlohe  das  Feuer  einige  Zeit  zuräck  und  liess  die 
Franzosen  herankommen,  welche  in  Massen  vom  Bois  de  la  Garenne  an- 
stürmten, i) 

Im  Jahre  1877  Hessen  die  russischen  Truppen,  welche  eine  Stellung 
auf  dem  Schipka  einnahmen,  die  angreifenden  Kolonnen  Suleimaus  auf 
300  Schritt  herankommen,  und  dann  erst  eröffneten  sie  das  Feuer. 
Andererseits  geschah  es  oft  bei  Plewna,  dass  Truppen,  die  sich  glücklich 
an  die  Schanzen  herangeschlichen  hatten,  gezwungen  wurden,  zurück- 
zugehen. Auf  dem  Schipka  wurden  die  russischen  Truppen  von  dem 
Feuer  der  an  Zahl  geringeren  türkischen  Abteilungen  auf  kurze  Ent- 
fernungen abgewiesen. 

Forderoiigtu  Den  Soldatcn  wird  bei  der  Ausbildung  gewöhnlich  die  Wahrheit 

uohan  eingeschärft,  dass  der  Feind,  wenn  er  beim  Angreifer  feste  Entschlossenheit 
^**"'  sieht,  unbedingt  selbst  zurückgeht.  Aber  diese  Wahrheit  hat  seit  der 
Vervollkommnung  des  schnell  feuernden  Gewehrs  bedeutend  gelitten. 
Der  beschränkteste  Mensch  wird  einsehen,  dass  er  nur  zurückgehen  wird, 
wenn  die  mörderischen  Kugeln  ihm  nacheilen  und  der  Tod  ihn  un- 
vermeidlich erreicht,  bevor  er  eine  Deckung  findet;  und  da  jedem  sein 
Leben  lieb  ist,  so  nimmt  der  hinter  der  Yerschanzung  liegende  Soldat 
alle  Kräfte  und  alle  Energie  zusammen,  um  den  Feind  zurückzuschlagen 
und  um  nicht  seine  weniger  gefährdete  Stellung  mit  einer  offenbar  Ver- 
derben bringenden  zu  vertauschen.  Solange  sie  das  zuverlässige  Gewehr 
in  den  Händen  haben  und  ausreichenden  Patronenvorrat  besitzen,  ent- 
faltet sich  in  der  Mehrzahl  der  Verteidiger  hinter  den  Verschanzungen 
eine  ungewöhnliche  Energie.  Aber  es  entsteht  sogar  die  Frage:  Ist  ihnen 
eine  besondere  Energie  nötig? 

FaaeraafdM  Nehmcu  wir  au,  dass  während  der  Minute,  welche  der  Sprung  über 

T^f  200  Meter  in  Ansprach  nimmt,  aas  den  Verschanzangen  nar  di^enigen 

Patronen  abgeschossen  werden,  welche  sich  im  Magazin  befinden.  Werden 

diese  genügen,  um  den  Feind  mit  seiner  doppelten,  dreifachen  und  noch 

grossem  Anzahl  bis  auf  den  letzten  Mann  zu  vernichten? 

Feuer  Dic  Lehi'praxis  zeigt,  dass  der  vorgehende  Soldat  nur  bei  nicht  zu 

*'  to^dlf^  schnellem  Laufen  schiessen  kann.    200  Meter  aber  in  1  oder  IV4  Minuten 

Bewegung. 


^)  Hegenspurgski:  „Studien  über  den  taktischen  Inhalt". 


Erstärmiin^  der  Schanzen.  g05 


mit  der  Ansrastung  zu  durchlaufen  und  dabei  zu  feuern,  ist  unmöglich,  s) 
Wenn  nun  die  zum  Angrifi  Laufenden  den  Schritt  auch  nur  um  ein 
Drittel  verkürzen,  so  werden  sie  unvermeidlich  Verlusten  ausgesetzt, 
welche  in  keinem  Falle  durch  andere  Vorteile  aufgewogen  werden.  Im 
übrigen  heisst  es,  dass  man  schon  die  Möglichkeit  gefunden  hat,  zu 
schiessen,  ohne  das  Gewehr  abzusetzen.  Die  Techniker  haben  Vor- 
richtungen ersonnen,  mittels  deren  der  Angreifer  im  Laufschritt  ebenso 
sicher  wie  der  Verteidiger  schiessen  kann.  „In  allen  Armeen, '^  sagt 
Hoenig,  „lenkt  das  Feuern  in  der  Bewegung  besondere  Aufmerksamkeit 
auf  sich,  da  der  ohne  Feuer  vorgehende  Angreifer  der  Verteidigung  ge- 
stattet, in  dieser  Zeit  dasselbe  in  der  wirksamsten  Art  zu  entfalten.  Der 
französische  General  Buchen  hat  sogar  eine  besondere  Vorrichtung  am 
Gewehr  erfunden,  welche  das  Feuern  in  der  Bewegung  regeln  soll." 
Diese  Vorrichtung  beschreibt  der  Schriftsteller  selbstverständlich  nicht,  s) 

Im  Lager  bei  Chälons  an  der  Marne  wurden  während  zweier  8«J>*««»- 
Wochen  Schiessversuche  mit  Feuer  in  der  Bewegung  gemacht,  und  m  ciiMom. 
zwar  mit  Zügen  zu  je  20  durchschnittsmässig  ausgebildeten  Leuten. 
Dabei  erhielt  man  folgende  Durchschnitts-Besultate :  1.  Bei  ungeleitetem 
Feuer  und  Sturmschritt  auf  200  bis  100  Meter  18%  Treffer;  2.  unter 
denselben  Bedingungen  auf  100  bis  60  Meter  39 o/o  Treffer;  3.  bei  un- 
geleitetem Feuer  und  Laufschritt  auf  200  bis  100  Meter  18%  Treffer; 

4.  unter  denselben   Bedingungen   auf  100   bis  60  Meter  42%  Treffer; 

5.  bei  Feuer  auf  Kommando  anfangs  im  Sturm-,  nachher  im  Laufschritt 
auf  300  bis  50  Meter  21%  Treffer. 

Die  Feuergeschwindigkeit  betrug  10  Schüsse  in  der  Minute;  ge- 
schossen wurde  auf  2  Meter  hohe  Scheiben,  welche  eine  Linie  von 
20  Metern,  d.  h.  die  Frontbreite  eines  entwickelten  Zuges  einnahmen. 
Die  Befürchtung,  dass  die  Soldaten  beim  Feuern  im  Gehen  und  sogar 
im  Laufen  sich  gegenseitig  verwunden  würden,  bestätigte  sich  nicht. 

Wir  wollen  bei  diesen  Zahlen  Halt  machen. 

Das  Schiessen  erfolgte  auf  2  Meter  hohe  Scheiben,  während  die    ^^^'»"^ 

MttQBgen 

Verteidiger  von  Schanzen  nur  die  obere  Hälfte  des  Kopfes  und  die  Hände      nx 
blossstellen  werden;  daher  verhält  sich  die  Gefahr,  der  sie  ausgesetzt  SjelJlZiIlJ^. 
sind,  wie  wir  schon  oft  wiederholt  haben,  zu  der  Treffwahrscheinlichkeit 
der  Scheibe  wie  1  zu  7  (27,7  zu  4,1). 

Der  gesunde  Verstand  sagt,  dass  das  Feuern  hinter  der  Schanze 


')  Es  heisst,  dass  die  italienischen  Schützen  (Bersaglieri)  im  Laufschritt 
180  Meter  in  der  Minute  machen.  In  der  deutschen  Armee  aber  wird  der 
Laufschritt  zu  170,  in  der  französischen  nur  zu  136  Meter  in  der  Minute  ge- 
rechnet.   Löbells  „Militärische  Jahresberichte",  1894. 

»)  „Formation  und  Taktik  der  französischen  Armee",  Berlin  1892. 


VU.   Taktik  der  Infanterie. 


ans  einem  Gewehr,  das  bei  rutiiger  Lage  einen  Stützpankt  hat,  bezüglich 
der  Sicherheit  and  der  Schnelligkeit  der  Magazinfiillang  niemals 
schlechtere  Besnitate  haben  kann  als  das  Fener  in  der  Bewegung. 

Indessen  wollen  wir  den  Fall  setzen,  dass  Sicherheit  nnd  Schnellig- 
keit auf  beiden  Seiten  gleich  sind.  Obgleich  der  Angreifer  gezwangen 
ist,  in  geschlossenen  Gliedern  vorzugehen,  wobei  jede  trefiFende  Kngel 
sicherlich  mehr  als  einen  Mann  vernichten  wiid,  so  wollen  wir  aach 
diesen  Umstand  ausser  Acht  lassen.  Weiter  wollen  wir  nur  10  Schüsse 
in  der  Minute  annehmen  nnd  als  Maximum  der  Lanfgescbwindigkeit 
200  Meter  (fast  12  Werst  in  der  Stunde),  so  dass  auf  jede  30  Meter  ein 
Schuss  kommt.  Femer  rechnen  wir  die  Verluste  nach  denen  beim 
Sturmschritt,  also  von  200  bis  100  Meter  18%,  von  100  bis  50  Meter 
39%  Treffer. 
'-  Bei  diesen  Annahmen  erhält  man  folgendes  Resultat  des  Angriffs: 


j  Zahl  der  Schüsse 

:l 

Beim  Angreifer 

Beim  Verteidiger 

Entfernung 

HttST 

Lauf 

,           1  des  An- 
'j  greiters 

des  Ver-ii 

Verlust 
teldigersl| 

Rest 

Vertust 

Best 

200 

20    '1    100 

100 

18 

82 

2.5 

97,5 

ISO 

20    1     82 

97,5 

17,5 

64,6 

2,1      1      95,4 

160 

20    '1     64,5 

95,4 

17,1 

47,4 

1,6           93,8 

140  . 

20    1     47,4 

93,8 

16,8 

30,6 

1,2           95,5 

120 

20    'I     30,6 

92,6 

16,6 

14 

0,8      1      91,8 

100 

20    ^1      14,0 

91,8 

14 

0 

0,4 

91,4 

Aus  diesen  Zahlen  kann  man  folgern,  dass  der  Angreifer,  bis  er 
anf  100  Meter  Entfernung  herankommt,  ganz  vernichtet  sein  wird, 
während  der  Verteidiger  nur  9  Mann  vei-lieren  wird. 

Wir  wollen  dies  auch  graphisch  darstellen. 


ingrtittr. 


VsrMldlgct. 


Vpi-luste  dn?  Angreifer; 


mrl  des  Verteidigors. 


£rstünmu3Af  dor  8obuiB6iii 


Wir  wollen  noch  den  Fall  setzen,  dass  der  Angreifer  doppelt  soviel 
Lente  hat  als  der  Angegrifiene.    Die  ßesoltate  werden  folgende  sein: 


Lauf 

Zahl  der  Schüsse 

Beim  Angreifer 

Beim  Verteidiger 

EotfernuDg 

des  An- 

des Ver- 

Verlust 

Eest 

Verlust 

Rest 

greifers 

teidigers 

HtUr 

Meter 

200 

20 

100 

60 

9 

91 

2,5 

47,6 

180 

20 

91 

47,8 

8,6 

82,4 

2,3 

45,2 

160 

20 

82,4 

45,2 

8,1 

74J 

2,1 

43,1 

140 

20 

74,3 

43,1 

7,8 

66,5 

1,8 

4U 

120 

20 

66,5 

41,3 

7,4 

59,1 

1,7 

393 

100 

20 

69,1 

39,6 

15,4 

43,7 

3,3 

36,3 

80 

20 

43,7 

36,3 

14,1 

29,6 

2,4 

33,9 

60 

20 

29,6 

33,9 

13,2 

16,4 

1,7 

32,2 

40 

20 

16,4 

32,2 

12,6 

3,8 

0,9 

31,3 

20 

20 

3,8 

31,3 

3,8 

0 

0,2 

31,1 

Folglich  wird  der  Angreifer,  bis  er  auf  20  Meter  herankommt,  alle  ^•'k""»«»»- 
seine  Leute  verlieren,  obgleich  sie  doppelt  so  stark  waren  als  der  An- 
gegriffene. 

Graphisch  stellt  sich  dieses  Verhältnis  besonders  anschaulich  dar. 

Angnifer.  GnUeragiiK  Tarteldlger. 

100  50 


Verluste  dea  Angreifers  und  des  Verteidigers. 

Bei  gleichen  Kräften  der  Gegner  genügt  es  für  den  Verteidiger, 
die  6  Patronen  des  Magazins  za  verbrauchen,  um  den  Angreifer  ganz  za 
vernichten. 


608  VII.  Taktik  der  Infanterie. 


Da  aber  dessen  Reihen  mehr  geschlossen  sind,  so  werden  diese 
sechs  ersten,  schnell  abgegebenen,  Salven  ein  Trefiresultat  erzielen, 
das  auf  den  Geist  des  Verteidigers  von  erhebender  Wirkung  sein 
wird.  Die  Gewissheit,  dass  er,  bis  der  Angreifer  200  Meter  durcheilt, 
nicht  10,  wie  wir  für  die  Berechnung  angenommen  haben,  sondern 
30  Schüsse  auf  ihn  abgeben  wird,  muas  natürlich  seine  Ruhe  aufrecht 
erhalten. 
Schnellfeuer-  Uud  ZU  alledem  wird  sich  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  der  Angreifer 

geeehfltze. 

noch  der  Wirkung  der  SchneUfeuergeschütze  aussetzen  müssen. 

Wir  wollen  an  die  Bedeutung  erinnern,  welche  diese  Geschütze 
haben  können.  Beim  Schiessen  mit  Kartätschen  auf  200  Meter  nach 
3  hinter  einander  stehenden  Scheiben,  welche  eine  Sturmkolonne  der 
Infanterie  darstellten,  kamen  auf  einen  Schuss  je  66  TreflFer  (von 
240  Kugeln). 

Beim  Schiessen  auf  6  Scheiben,  die  in  einer  Ausdehnung  von 
2400  Metern  hinter  einander  standen  und  eine  Tiefkolonne  bezeich- 
neten, und  beim  Schiessen  auf  3  Scheiben,  die  in  einer  Linie  von 
1000  Metern  hinter  einander  standen  und  eine  Kompagniekolonne  dar- 
stellten, ergaben  sich  folgende  Resultate:  Mit  Granaten  28  Treffer  pro 
Schuss,  mit  Shrapnels  22  bis  40  Treffer,  entsprechend  der  Kugelzahl  im 
Shrapnel  von  28  bis  45,5. 

Hierbei  wurden  von  216  Schützen  in  der  Tiefkolonne  2(ß, 
d.  i.  94,4%,  und  von  120  Schützen  in  der  Kompagniekolonne  alle  als 
getroffen  betrachtet. 

Kngei-  Ausserdem  giebt  es  in  den  Armeen  Kugelspritzen  verschiedener 

SDritzeii 

Art,  welche  bis  600  Schüsse  in  der  Minute  abgeben.  Jeder  solcher 
Schüsse  kann  dem  Gegner  sehr  teuer  zu  stehen  kommen.  Hinsichtlich 
der  Anwenduug  von  Schnellfeuerkanonen  und  Kugelspritzen  sind  alle 
Argumente  bezüglich  des  Mangels  von  Kaltblütigkeit  im  Kampfe  u.  dgl. 
unangebracht. 

Anriebt  In  der  Beilage  bringen  wir  eine  Abbildung,  welche  eine  allgemeine 

befeetignng.  Ausicht  der  jetzigen  Feldbefestigungen  bietet. 

Wie  die  Abbildung  zeigt,  ist  vor  der  vom  Vei-teidiger  besetzten 
Schanze  ein  Netz  aufgestellt,  welches  dem  Gegner  den  Zutritt  nicht  ge- 
stattet. Die  Wirkung  der  Artillerie  auf  dieses  Netz  ist  fast  unmerklich : 
100  Schüsse  legen  eine  Bresche  von  kaum  6  bis  13  Fuss.  Flatterminen- 
geschosse sind  unwirksam:  50  Bomben  sind  nicht  imstande,  dieses 
Hindernis  beim  Feuern  auf  500  Faden  zu  beseitigen. 

Das  einzige  Mittel  zur  Ueberwindung  eines  solchen  Drahtnetzes  ist 
seine  Beseitigung   durch  Arbeiter,   die  mit  seiner  Einrichtung   bekannt 


Bd.  L    Elingan  b«I  BtiU  SOa 


Entürmtmg  der  BohHuen.  g09 

sind.*)  Daza  aber  ist  eine  ziemlich  lange  Zwischenzeit  notwendig.  An 
den  Seiten  sind  Oesch&tze  sichtbar,  die  mit  Erde  nnd  Easen  bedeckt 
sind,  so  dass  ihre  Anwesenheit  durch  nichts  verraten  wird  bis  zn  dem 
Angenblicke,  wo  man  ihrer  Hilfe  bedarf. 

Oeneral  Kuropatkin  erzählt,  dass  man  bei  der  Bestürmung  Plewnas 
anf  zwei  Schanzen  stiess,  deren  Existenz*  niemand  vermatet  hatte. 

Besonders  im  Jahre  1877  haben  die  Schanzen  ihren  ganzen  Vorteil^ 
gezeigt.  General  Skngarewski  lenkte  die  Aofinerksamkeit  darauf,  dass  v 
die  Türken  auf  dem  Schipkapass  die  Russen  trotz  des  grossen  Verlustes 
Ton  Kräften  nicht  abschlagen  konnten,  während  dieselben  tapferen  Ver- 
teidiger des  Schipka  bei  vierfacher  Ueberzahl  nnd  verzweifelter  Tapfer- 
keit lange  nicht  in  die  Redoute  des  Gebirgs-Bubnjak  eindringen 
konnten,  obgleich  sie  stellenweise  auf  100  Schritt  herankamen.  In  der 
Mehrzahl  der  misslongenen  Angriffe  bei  Plewna  war  es  den  Truppen, 
wenn  auch  unter  grossen  Verlusten,  gelungen,  bis  auf  Bt^onnet-Angrifis- 
nähe  heranzukommen;  die  Beispiele  der  Ueberschreitung  dieser  Linie 
gelten  als  vereinzelte  Fälle.     - 

Wenn  man  diese  Frage  von  der  materiellen  Seite  allein  betrachtet,    >*• 
80  muss  man  sagen,  dass,  falls  der  Verteidiger  seinen  Mut  bewahrt,  bei 
dem  Jetzigen  Feuer  niemand  darauf  rechnen  kann,  ihn  selbst  mit  drei- 
nnd  vierfacher  Ueberlegenheit  zu  überwinden. 

Dagegen  wenden  die  Verteidiger  des  früheren  Systems  der  Kiiegs-  Not- 
fuhrung  ein,  dass  Verluste  nur  nuter  der  Bedingung  eintreten  können,  m,  a, 
dass  der  Verteidiger  sich  während  des  Feuems  Blosse  giebt.  ^^ 

Die  ganze  theoretische  ^''J 

Eenntniss  der  Ballistik,  die 
für  die  richtige  Anwendung 
der  jetzigen  Waflen  so  not- 
wendig ist,  wird  keinen 
Nutzen  bringen,  wenn  der 
Schtttze  nicht  die  Mündnng 
des  Gewehrs  unter  dem  ent- 
sprechenden Winkel  neigt. 
In  Wirklichkeit  aber  kann 
dies  da  eintreten,  wo  der 
heutige  Soldat,  wenn  er  die  Soldaten 

Ruhe    verloren  bat,    es   vor-       hinter  Deckungen  aufe  Geratewohl  sohies^end. 

*)  W.  Weitko:  „Der  Angriff  auf  Befestigangen,  welche  durch  künstliclie 
HindemisBe  verstärkt  sind".  S.:  „Ingenieur-Zeitschrift"  und  Brunner:  „Leitfaden 
der  FeldbefeBtigung". 

Block,   Dm  nküuftigi  Kriag.  '£i 


610  TII>  Taktik  der  Infimterie. 

ziehen  wird,  lieber  vorbeizutreffen  als  sieh  persönlicher  Gefahi-  aus- 
zusetzen. 

Omöga  begleitet  diese  Bemerknng  mit  einer  entsprechenden,  vor- 
stehend wiedergegebenen  Abbildung,  welche  Soldaten  zeigt,  die  hinter 
Deckung  aufs  Geratewohl  feuem.s) 

Es  ist  augenscheinlich,  dass  so  gezielte  Schüsse  unnütz  verloren 
gehen.  Die  früheren  Kriege  geben  Beispiele  von  ähnlichem  Verhalten 
der  Soldaten.  Wir  fähren  eins  aus  einer  Episode  des  Ängrifls  auf  die 
türkische  Redoute  bei  Lowtscha  mit  den  Worten  des  Generals  Knro- 
patkin  an.*) 

Die  allgemeine  Ansicht  des  Angriffs  auf  diese  Redoute  zeigt 
folgende  Abbildung,  welche  Casselle  in  der  „Geschichte  des  Krieges  1877" 
giebt-T) 


AngTÜF  auf  die  türkische  Bedoute  bei  Lowts:;ha. 

*)  Om^ga:    nL'art  de  combattre". 

')  Kuropatkin:   „Operationen  des  Detachemsots  Skobelewe". 

')  Casselle:    „Historj  of  the  Riisso-Turkish  War  1877". 


Erstürmung  der  Schanzen.  ß\\ 


„Bis  zur  Linie  der  feindlichen  Laufgi'äben,  sagt  General  Kuropatkin,  schuderong: 
waren  ungefähr  1200  Schritt.  Auf  die  Anrückenden  fiel  ein  Bleihagel  Angrik. 
nieder,  aber  der  Angi-iff  wurde  immer  fortgesetzt.  Hinten  näherten  sich 
die  Regimentskameraden  und  das  Libausche  Regiment,  rechts  liefen  die 
Revaler  und  die  Schützen  der  dritten  Brigade  mit  zwei  Offizieren,  links 
marschierten  zwei  Kasaner  Schützenkompagnien  in  gekrümmter  Linie, 
noch  weiter  links  waren  dichte  Truppenmassen  sichtbar,  die  sich  zum 
Gefecht  formierten.  Jeder  der  Ani-ückenden  erblickte  beim  Umsehen 
diese  Masse  der  Seinigen,  sah  die  Nähe  der  Unterstützung  und  —  die 
Zuversicht  auf  Erfolg  wuchs  im  Herzen  eines  Jeden.  Nachdem  sie  schon 
die  Schüsse  des  Feindes  ertragen  hatten,  schlichen  sich  einzelne  Leute 
sogar  unter  geringer  Ausnutzung  der  örtlichen  Deckungen  vor.  Einige 
berittene  Offiziere  sprengten  unter  die  Angreifenden.  Der  schneidige 
Regimentskommandeur,  Oberst  Elshanowski,  ermutigte  die  Soldaten.  Da 
wankte  ein  Reiter  und  fiel  tot  vom  Pferde:  es  war  der  Adjutant  des 
Libauschen  Regiments,  der  mit  einigen  Tapferen  sein  Regiment  überholt 
hatte  und  unter  den  Kalugaern  ritt.  Ein  anderer  Reiter,  der  Bataillons- 
kommandeui*,  glitt  zusammen  mit  seinem  Pferde  zu  Boden.  Hier  und 
dort  fallen  Soldaten,  fallen  Offiziere,  aber  das  kann  die  Angreifer  nicht 
mehr  aufhalten. 

Nachdem  die  vordersten  etwa  500  Schritt  gelaufen  waren,  stiessen  ueber- 
sie  unvermutet  auf  eine  tiefe  Schlucht  mit  steilen  Ufern.  Die  ersten  scw^cht." 
machten  Halt,  zu  ihnen  liefen  von  hinten  die  folgenden  heran;  es  ent- 
stand ein  Gedränge,  das  auch  sofort  Opfer  kostete.  Einige  Verwundete 
fielen  ins  Wasser  und  ertranken.  Kaltblütigere  aber  suchten  schon  nach 
einem  etwa  möglichen  Abstieg,  und  teils  kletterten  sie,  teils  rollten  sie 
sich  hinab.  Das  Wasser  reichte  bei  ziemlich  starker  Strömung  bis  an 
den  Gürtel.  Das  Flüsschen  durchschritten  sie,  und  nun  begann  die  noch 
schwierigere  Arbeit  des  Aufstiegs. 

Als  Tritte  wurden  die  Schultern  der  Kameraden  benutzt,  hinein- 
gesteckte Gewehre,  mehrere  dicke  Stangen,  und  bald  waren  einige  Hundert 
Mann  schon  auf  der  anderen  Seite  der  Schlucht,  Nachdem  sie  noch 
gegen  160  Schritt  vorgelaufen  waren,  konnten  sie  vor  dem  ziemlich 
steilen  Abhang,  der  sich  von  den  türkischerseits  besetzten  Anhöhen  zum 
Flüsschen  hinzog,  ein  wenig  Atem  schöpfen.  Zu  allgemeiner  Verwunderung  Das  Feuer 
wurde  das  Feuer  der  Türken  in  dem  Maasse  der  Annäherung  nicht  tod-  ^"  Türken. 
bringender.  Es  war  augenscheinlich,  dass  der  Feind  selbst  erschüttert 
war.  Da  verliessen  die  Türken,  ohne  die  Unsrigen  abzuwarten,  ihre 
ersten  Verschanzungen  und  liefen  davon.  Der  Anblick  des  abziehenden 
Feindes  verlieh  den  Unseren  neue  Kräfte.  Hurrah!  erscholl  es  lauter 
und  lauter.     Nachdem  sie  bis  zur  Linie  der  ersten  Verschanzungen  ge- 

39* 


512  ^^'^  Taktik  der  In&nterie. 


laufen  waren,  machten  unsere  Leute  Halt  und  besetzten  sie.  Vom  erhob 
sich  in  scharfem  Profil  die  Redoute,  die  letzte  Zuflucht  der  Türken,  und 
vor  ihr  noch  eine  Linie  von  Verschanzungen.  Der  Feind  brach  nicht  ein 
verstärktes,  sondern,  wie  es  schien,  wenig  wirksames  Feuer  ab.  Sehr 
viele  Türken  schössen,  indem  sie  das  Gewehr  auf  die  Ab- 
dachung der  Brustwehrkrone  legten,  aber  ohne  die  Köpfe 
herauszustecken,  d.  h.  ohne  zu  zielen. 
Der  Sturm.  „Nachdem  sich  einige  hundert  Mann  am  ersten  Laufgraben  gesammelt 

hatten,  riefen  die  Unsern  von  neuem  hurrah !  und  stürzten  vorwärts.  Za 
Dutzenden  fielen  sie,  aber  die  übrig  Gebliebenen  liefen  vor.  Die  zweite 
Linie  der  Laufgräben  ist  schon  nahe,  gleich  wird  das  Handgemenge 
beginnen." 

„Die  Türken  verliessen  die  Verschanzungen  und  eüten  teils  in  die 
Redoute,  teils  zu  dem  Wege  nach  Mikre.  Li  der  ßedoute  wurde  es  ge- 
schäftig. Da  kamen  einige  Beitergruppen  aus  ihr  hervor,  welche  irgend 
einen  Zug  begleiteten.  „Die  Geschütze  fahren  sie  weg!"  erscholl  es  und 
siegesgewiss  machten  die  Leute  die  letzte  Anstrengung.  Einzeln 
kletterten  von  allen  Seiten  unsere  Soldaten  und  Offiziere  auf  die  Brust- 
wehr. Eine  Schaar  lief  um  die  ßedoute  herum  und  versperrte  den  Türken, 
die  zurückzugehen  beabsichtigten,  den  Weg.  Im  Innern  wurde  der  sich 
widersetzende  Feind  niedergemacht.  Eine  Ecke  der  ßedoute  zwischen 
Brustwehr  und  Traverse  am  Ausgange  war  mit  einem  Berge  von  Toten 
und  Lebenden  überschüttet,  die  reihenweise  über  einander  lagen." 
Bedratimg  Aber  die  einfache  Logik  sagt  auch  hier,  dass,  wenn  beim  Ver- 

Beispieis.  teidigcr,  der  achtmal  weniger  der  Gefahr  ausgesetzt  ist  als  der  Angreifer, 
solch  moralischer  Zustand  eintreten  kann,  er  um  so  eher  beim  Angreifer 
möglich  ist.  Episoden  wie  die  angeführte  bilden  nur  Ausnahmen,  welche 
nicht  imstande  sind,  den  allgemeinen  natürlichen  Charakter  jedes  blutigen 
Kampfes  zu  verändern. 

Der  Angreifer  kann  um  so  eher  den  Mut  verlieren,  als,  wenn  er 
sich  auf  kurzer  Entfernung  befindet,  er  die  Hoffnung  auf  irgend  welche 
HUfe  verliert.  Die  Artillerie  des  Angreifers  ist,  auch  wenn  sie  Feuer- 
überlegenheit über  die  des  Gegners  erzielt  hat,  gezwungen,  das  Feuer 
einzustellen.  8) 
Arüuerie.«  Unter  Beobachtung  des  Grundsatzes,  dass  beim  Schiessen  über  die 

direigene  Cigeue  Infanterie  die  Geschosse  der  Artillerie  nicht  weniger  als  10  Meter 
inftuiterie.  Q^jß^halb  der  Infanterie  streichen  dürfen,  ergeben  sich  aus  der  Beurteilung 
der  tiefsten  Flugbahnen   als   ungefährdete   Zonen   für    die    Infanterie 
folgende  Zahlen: 


8)  „Applikatorische  Studie  über  den  Infanterie- Angrift'*',  Wien  1895. 


Erstärmmig  der  Schanzen. 


613 


Entfemongen 
von  der  Artillerie 

1600  Schritt 
2000 
2500 
3000 


» 


JJ 


W 


Grenzen  Lange 

der  Zonen  der  ungefährdeten  Zonen 

500—1100  Schritt  600  Schritt 

350-1600      „  400 

240—2200       „  300 

200—2800      „  200 


w 


« 


n 


n 


Die  Absicht,  den  Mut  der  angreifenden  Teile  durch  das  Feuer  der 
eigenen  Infanterie  aufrecht  zu  erhalten,  erweist  sich  gleichfalls  als  ein 
zweifelhaftes  Mittel. 

Sehr  richtig  bemerkt  General  Skugarewski^) :  „Betrachtet  das 
Schiessen  mit  scharfen  Patronen  im  Frieden.  Die  Scheiben  stehen  einige 
hundert  Schritt  entfernt,  und  viele  Kugeln  durchfurchen  die  Erde  einige 
Dutzend  Schritt  vom  Schützen.  Und  das  im  Frieden!  Was  wird  aber 
im  Kriege  geschehen?  Man  kann  es  sich  vorstellen!  Aber  alle  Wunden, 
die  von  eigenen  Kugeln  und  Geschossen  herrühren,  werden  einen  ungemein 
niederdrückenden  Eindruck  auf  die  Truppen  machen". 

Kann  nun  der  Angreifer  wenigstens  die  Gewissheit  haben,  seine 
gelichteten  Reihen  rechtzeitig  aus  denjenigen  Teilen  zu  ergänzen,  die  in 
der  ReseiTe  geblieben  sind?  Auch  darauf  muss  man  eher  verneinend 
antworten.  Den  angreifenden  Teilen  ist  bekannt,  dass  die  Reserven 
speziell  zur  Abwehr  der  Flankenangriffe  von  Seiten  des  Gegners  be- 
stimmt sind.  „Je  weniger  die  Verhältnisse  aufgeklärt  sind,  desto  be- 
stimmter muss  der  Angreifer  mit  der  Notwendigkeit  rechnen,  einen 
Gegenangiiff  gerade  in  der  kritischsten  Zeit  abwehren  zu  müssen,  denn 
dieser  ist  die  kräftigste  Gegenwehr  eines  aktiven  Verteidigers." 

Mau  muss  bemerken,  dass,  wenn  die  angreifende  Schützenlinie  sich 
auf  die  Entfernung  genähert  hat,  über  die  hinaus  vorzudringen  nicht 
mehr  möglich  ist,  falls  nicht  das  Feuer  des  Gegners  durch  ein  den  An- 
griff unterstützendes  Feuer  gedämpft  wird  (600  bis  700  Schritt),  —  die 
Reserven  der  Kompagnien  in  dieser  Zeit  noch  200  Schritt,  die  der 
Bataillone  500  bis  600,  die  des  Regiments  etwa  1000  bis  1100  Schiitt 
zurückgeblieben  sind.^^) 

Diese  Entfernungen  sind  derart,  dass  das  Feuer  des  Feindes  eher 
mit  dem  Angreifer  fertig  sein,  als  dieser  Unterstützungen  erhalten  wird. 

Und  ausserdem  wird  nach  den  ersten  Versuchen  des  Angreifers  kein 
Zweifel  darüber  bleiben,  dass  er  nicht  zur  bestimmten,  auf  Minuten  aus- 
gerechneten Zeit  die  betreffende  Unterstützung  erhalten  kann. 


Untei^ 
ftfitsong 

daroh 
di«  eigen« 
Inflwterie. 


unter- 
sttttsnng 

durch 
Beeerre. 


Entfemong 

der 
Beaerren. 


•)  „Angriff  der  Infanterie",  S.  103. 

^)  „Applikatorische  Studie  über  den  Infanterie- Angriff**,  1895. 


6X4  ^^*   l'aktik  der  Infanterie. 


Man  darf  nicht  vergessen,  dass  bei  der  Dorchschlags-  und  Fingkraft 
der  Mantelgeschosse,  wie  die  Erfahrungen  des  chilenischen  Krieges  er- 
wiesen haben,  das  Feuer  eines  Mannlichergewehrs,  welches  anf  600  Meter 
entfernte  Schützen  gerichtet  ist,  die  Reserven  vernichtet,  die  1000  und 
1600  Meter  hinter  der  Schützenlinie  stehen. 

Besehaffen-  ^ip  wolleu  abcr  zugebcu,  dass  der  Mut  des  Angreifers  nicht  nach- 

der  ver.  lasscu  wird,  und  dass  er  nicht  umkehren  wird.  Aber  hinter  den 
toidiger.  g^jian^en  erwarten  ihn  nicht  erschöpfte  Truppen  in  einem  vergleichsweise 
ruhigen  Zustande,  da  sie  weit  weniger  fühlbare  Verluste  erlitten  haben. 
Das  Feuer  des  Angreifers  in  der  Bewegung  und  unter  Zielen  auf  Leute, 
die  sich  nur  von  Zeit  zu  Zeit  hinter  den  Schanzen  zeigen,  oder  richtiger 
auf  die  von  diesen  Leuten  herausgesteckten  Köpfe  und  Hände  konnte 
ihnen  natürlich  keine  bedeutenden  Verluste  zufügen. 

i>M  Feuer.  In  jedem  Falle  aber  können  die  angreifenden  Truppen  nicht  be- 

urteilen, in  welchem  Grade  ihr  Feuer  wirksam  war,  da  der  Feind  hinter 
Schanzen  versteckt  ist,  während  der  Angreifer  nicht  wie  fiüher  seine 
eigenen  Verluste  hinter  einem  Schleier  dichten  Rauches  verbergen  kann. 
Für  die  näheren  Leute  aber  wird  der  Anblick  der  Verheerungen, 
welche  die  Mantelgeschosse  auf  kurze  Entfernungen  anrichten,  schreck- 
lich sein. 

In  dem  besonderen  Abschnitt  über  die  Zahl  der  Toten  und  Verwundeten 
haben  wir  gezeigt,  dass  unter  diesen  Verhältnissen  Schüsse  in  den  Kopf 
die  Hirnschale  wegnehmen  und  Schüsse  in  andere  Körperteile  die  Knochen 
zermalmen  und  die  Eingeweide  herausreissen. 

Abgang  Dßj.  Abgang  von  Offizieren  macht,   wie  frühere  Beispiele   zeigen, 

Offizieren,  die  Truppcu  zu  energischem  Handeln  unfähig.  Fürst  Hohenlohe  erzählt 
in  seinen  „Briefen  über  Artillerie"  folgenden  Fall :  „In  einem  Dorfgetecht 
vor  Paris  war  ein  Kirchhof  von  einer  halben  Kompagnie  eines  unserer 
besten  Regimenter  besetzt.  Wider  Erwarten  nahm  der  Feind  bei  einem 
neuen  Ausfall  wieder  diesen  Kirchhof,  so  dass  wir  ihn  von  neuem  stürmen 
lassen  mnssten.  Nach  dem  Gefecht  fragte  ich  die  Leute  jener  halben 
Kompagnie,  warum  sie  den  Kirchhof  dem  Feinde  überlassen  hätten.  „Ja," 
sagten  die  Leute  oiJenherzig,  „wir  hatten  ja  keine  Offiziere  mehr,  die  uns 
sagten,  was  wir  machen  sollten,  da  sind  wir  halt  fortgegangen." 

Man  darf  annehmen,  dass  das,  was  bei  den  deutschen  Truppen 
vorgekommen  ist,  auch  bei  anderen  eintreten  kann.  Und  alle  Müitäi'- 
Schriftsteller  stimmen  darin  überein,  dass  die  Verluste  an  Offizieren  in 
einem  künftigen  Kriege  ungeheuer  sein  müssen.  In  Ausnahmefällen  kam 
es  auch  schon  im  Kriege  1870  vor,  dass  bei  einigen  Truppenteilen  alle 
Offiziere  ausser  (jefecht  gesetzt  waren.    Aber  in  Zukunft  werden  bei 


EratOimTing  der  Solwnzen.  615 


dem  rancfaschwachen  Pnlver  und  der  Crewobnheit,  vor  allem  auf  die 
Offiziere  zd  scliiessen,  grössere  Veiiuste  der  letzteren  eine  gewöhnliche 
Erscheinung  sein.") 


Strossenkiaapf  in  Flevma  am  8.  Jnli  1877. 

")  Die  38.  deatsche  Brigade  biisste  bei  Mars  la  Tour  74»/o  ihrer  Offiziere 
und  44*/o  der  Manuachaft  ein.  Das  Gardeschötzen-Bataillon  verlor  in  der 
Schlacht  bei  3t  Privat;  lOOO/o  an  Offizieren  und  W/o  an  Manuschaft;  im  Qanzen 
gingen  in  '/«  Stunden  19  Offiziere  und  431  Mann  verloren. 


616  Vn.  Taktik  der  Infanterie. 


sperrangeii.  Zudem  wlsseii  die  angreifenden  Truppen  sehr  wohl,  dass,  wenn  sie 

auch  an  die  Schanzen  herangekommen  sind,  sie  noch  nicht  das  Ziel  er- 
reicht haben;  und  wenn  sie  es  etwa  nicht  wissen,  so  wird  sie  der  Ver- 
such darüber  belehren,  dass  sie  noch  auf  künstliche  Sperrungen  stossen 
werden,  weldie  sie  noch  einige  Zeit  unter  feindlichem  Feuer  zurück- 
halten. 
Baiepiei  gg  kommt  vor,  dass  der  aus  den  Schanzen  vertriebene  Feind  sich 

•inet 

sinasm.  in  ein  Dorf  oder  eine  Stadt  zurückzieht,  sich  in  Häusern  und  anderen 
kampfof.  Q^ij^ß^gj^  versteckt  und  die  angreifenden  Truppen  mit  Feuer  aus  Thüren, 
Fenstern,  Baikonen  empfängt.  Wir  erwähnen  bei  dieser  Gelegenheit 
eine  Episode  aus  der  Einnahme  von  Plewna,  welche  ein  Augenzeuge  er- 
zählt hat,  nämlich  der  Korrespondent  der  „Daily  News",  der  sich  beim 
Stabe  des  Fürsten  Schachowski  befand:  „Der  General  Kridenf  schickte 
aus  Nikopolis  drei  Regimenter  zur  Besetzung  Plewnas.  Dieses  Detache- 
ment  besetzte  nach  hartnäckigem  Kampfe  wirklich  die  Stadt.  Die  Soldaten 
rückten  in  Plewna  ein,  legten  hier  auf  den  Strassen  Tornister  und  Mäntel 
zusammen,  lösten  sich  in  der  Ueberzeugung,  dass  schon  alles  gethan 
sei,  auf  und  gingen,  Lieder  singend,  frei  in  den  Strassen  umher.  Auf- 
klärungspati-ouillen  wurden  in  die  engen  Gassen  der  Stadt  nicht  vor- 
geschickt, ebensowenig  wurden  reitende  Patrouillen  ausgesandt.  Diese 
Nachlässigkeit  musste  das  Detachement  teuer  bezahlen.  Plötzlich  wurde 
aus  Hunderten  von  Deckungen  und  Baikonen  ein  mörderisches  Feuer 
auf  die  in  den  Strassen  zerstreuten  Soldaten  eröffnet;  von  allen  Seiten 
waren  sie  dem  Ueberfall  ausgesetzt.  Ein  Eegiment  Hess  so  seine  Tornister 
auf  dem  Platze  zurück,  auf  welchem  sie  zusammengelegt  waren.  Bei 
dem  mehr  oder  minder  eUigen  Rückzuge  gingen  2900  Mann-  verloren. 
Ein  Regiment  verlor  gegen  2000  Mann.  Als  sie  zurückgegangen  waren, 
sahen  sie,  wie  der  Feind  ihren  Verwundeten  den  Rest  gab". 

Zur  Illustration  dieser  Episode  bringen  wü*  vorstehend  eine  Ab- 
bildung, welche  den  Strassenkampf  in  Plewna  am  8.  Juli  1877  darstellt. 


10-  Künstliche  Hindernisse. 

ver-  Ein  fundamentaler   Grundsatz   des  Krieges  heLsst:   Nicht  auf  die 

anlMsong. 

Nachlässigkeit  des  Gegners  rechnen.  Deshalb  muss  man  erwägen,  dass 
er  nicht  unterlassen  wird,  alle  Mittel  zu  benutzen,  welche  in  letzter  Zeit 
zur  Bereitung  und  Vermehrung  von  Schwierigkeiten  gegen  den  Gegner 
angewandt  worden  sind,  welcher  den  Feind  aus  der  besetzten  Stellung 
zu  verdrängen  sucht.    Künstliche  Hindemisse  sind  in  den  letzten  zwanzig 


Hinenexplosion  bei  Sebastopol  während  des  Krimkrieges. 


Minenexplosion  auf  dem  Schipkapass  während  des  russisch- 
türkischen  Krieges  von  1876  bis  1877. 


Eünstliche  EOndemisse.  gl7 

Jahren  bedeutend  verrollkommnet  woi-den  und  allen  Anneen  bekaont. 
Diese  Mittel  haben  einen  besonders  grossen  Wert  für  die  Verteidigung. 
Mit  der  Absicht  überhaupt,  sich  zu  verteidigen,  besorgt  man  z.  B.  in  den 
Grenzgebieten  des  Reiches  die  Beschaönng  von  Eisenteilen  für  Draht- 
nmzännungen.  Die  dazu  nötigen  Holzteile  wird  man  immer  an  Ort  und 
Stelle  vorfinden,  wenn  nicht  von  Bäamen,  so  von  abgerissenen  Gebäuden. 
Der  Erhaltungstrieb  bewirkt,  dass  die  Soldaten  mit  besonderer  Lust 
die  Arbeiten  verrichten,  welche  die  Unzugftngliehkeit  der  Stellung  ver- 
stärken. 

Wir  geben  die  hauptsächlichsten  Arten  wieder,  welche  in  dieser 
Absicht  angewandt  werden. 

a)  Minen. 

In  jeder  Armee  giebt  es  mechanische  Vorrichtungen  zur  Legung 
von  Feldminen.  Diese  Minen  werden  nnmittelbar  unter  der  Erdoberfläche 
gelegt.  In  einer  halben  Stunde  sind  60  Mann  imstande,  mit  solchen 
Minen  eine  Fläche  von  einem  Quadratkilometer  zu  versperren,  auf 
welcher  sie  120  Minen  in  3  bis  4  Linien  unterbringen-^) 

Die  hier  be^egebenen  Abbildungen  zeigen  den  Plan  einer  Flatter- 
mine nnd  ihren  Durdischnitt.3) 


Plan  einer  Flattermine  und  ihr  Durehschnitt. 

Die  Wirknng  dieser  Minen  veranschaulichen  die  Abbildtmgen  in  den  "''hin». 
Beilagen  (aus  Hennebert)  b),  auf  deren  erster  die  Explosion  einer  Mine 
mit  Steineinlagen  bei  Sewastopol  dargestellt  ist,  auf  der  zweiten  die  Ek- 
plosion  einer  gewöhnlichen  trockenen  Mine  auf  dem  Schipkapasse. 

')  „Encyklopädie  der  Land-  uod  SeskriegswissenBchaft",  s.  Minen. 
')  Brunner:  „Feldbefestigung"  und  Brackenbury:  „Field-Works". 
■)  Hennebert:  „La  science  et  la  guerre". 


618 


TU.   Taktik  der  Infanterie. 


Die  beständige  Gefahr,  auf  eine  solche  Mine  zn  stossen,  muss 
selbstverständlich  auf  die  Truppen  niederdrückend  wirken. 

Flatterminen  wurden  auch  früher  im  Kriege  angewandt,  aber  ihr 
Gelingen  war  nicht  genügend  gesichert.  Heutzutage  aber,  wo  elektrische 
Leitungen  eingeführt  sind,  die  nach  beliebigen  Entfemnngen  gelegt 
werden,  wirken  sie  ganz  sicher  und  fllhren  die  Explosion  im  beliebigen 
Augenblick  herbei.  Zugleich  hat  mit  dem  Ersatz  des  früheren  Pulvers 
durch  stärkere,  in  anserer  Zeit  erfundene  Bestandteile  die  Kraft  der  ex- 
plodierenden Minen  jetzt  bedeutend  zngenommen. 

Zum  Vergleich  machen  wir  folgende  Angaben: 


Nitroglycerin 

Komprimierte  Schiessbaumwolle 


onation 

EntzGnduDg 

2,3 

4,8 

1,6 

3,0 

b)  StrasseiiTerapermag  (abatis),  Barrikaden. 

'■  Die  Bedingungen  der  heutigen  Taktik  fordern  die  Notwendigkeit, 

das  Dunkel  der  Nacht  zu  benutzen  um  sicli  den  Yerschanzungen  zn 
nähern.  Deshalb  werden  in  der  Nähe  der'*elben  alle  möglichen  Hinder- 
nisse nach  Art  der  hier  abgebildeten  aus  jeglichem  Matenal  er- 
richtet.*) 


Arten  der  Straasenvereperrung. 

c)  Pallisaden  nnd  Faschinen.  . 

Wo  Mangel  an  Bäumen  und  Strauchmaterial  ist,  um  Faschinen  her- 
znstellen,  kann  man  znr  Befestigung  der  Stellungen  nnd  besonders  zur 
Sicherung  der  Aasgänge  die  Herrichtang  von  Pallisaden  zu  HJlfe  nehmen. 


')  Malet:  „Handbook  of  Field  Training". 


Künstliche  Hindemisse. 


619 


Gewöhnliche,  mit  Erde  gefüllte  Körbe  sind  zu  bekannt,  um  bei  ihrer 
Beschreibung  zu  verweilen.  Wir  beschränken  uns  auf  die  Erwähnung 
weniger  bekannter  Arbeiten. 

Auf  den  beigegebenen  Abbildungen  ist  die  Verbindung  von  PaUisaden 
mit  Erdarbeiten  und  dann  die  von  Faschinen  und  Geflechten  dargestellt. 


Pallisaden  xmd  Geflechte. 

Zugleich  mit  der  Unsichtbarkeit  der  Schüsse  (rauchschwaches  Pulver) 
wird  die  beständige  Gefahr,  auf  einen  Hinterhalt  zu  stossen,  auf  die  An- 
greifer deprimierend  wirken.  Dies  wird  viel  mehr  Vorsicht  und  Umsicht 
erfordern  als  früher. 


d)   Spanische  Reiter,  Pallisadenzäune,  Crows-Foot, 

Barbed-Wire. 

In  einem  Gelände,  das  keinen  Ueberfluss  an  Bäumen  hat,  wird  zu  spanisch« 
diesem  Zwecke  ausser  Frnchtbäumen  und  Sträuchern  jedes  andere  Holz-  ®'  *'' 
material  anzuwenden  sein,  wie  Bretter,  Balken  u.  s.  w.  Hütten,  Häuser, 
Zäune  werden  genügend  Material  liefern,  auf  dem  man  spitze  eiserne 
Stacheln  in  Menge  anbringen  kann.  Im  üebrigen  hat  sich  die  jetzige  An- 
spannung bei  der  Erfindung  von  Verteidigungsmitteln  nicht  mit  dem 
begnügt,  was  sie  in  Händen  hatte,  sondern  ist  so  weit  gekommen,  dass 
die  Armeen  verschiedene,  zuvor  hergestellte  Vorrichtungen  besitzen,  welche 
den  Angriff  der  Truppen  sehr  erschweren  können,  besonders  wenn  sie  in 
Massen  anrücken,  s) 


CHtfÄSFÖOT 

Spanische  Beiter  und  Pallisadenzäune. 


*)  Malet:  „Handbook  of  Field  Training";  Brakenbury:  „Field  Works". 


630  '^^-   TakUk  der  Infuitene. 

In  Ermangeliuig  aaderer  Hilfsmittel  und  sonstigeD  Materials  künnen 
ancb  die  einfaclisten  Hiudernisarten  zur  Verhütung  eines  nächtUchen 
Ueberfalls  dienen,  wie  die,  welche  die  folgende  Abbildung  zeigt.  *) 


Hi^ratuUuDg  von  HindoiTiisKoii  gegtn  niictitliulie  Umgehung. 

e)  Eskarpen  and  Kontereskarpen. 

Um  den  Angreifer  am  Vormarsch  zu  verhindern,  nimmt  man  in 
dem  Gelände,  auf  welchem  der  Angriif  zu  erwarten  ist,  die  Herstellung 
besonderer  Abdachungen  zu  Hilfe  (escarpe  und  contreescarpe),  and  auf 
ihrem  Boden  und  auch  in  den  Zwischenräumen  zwischen  ihnen  werden 
Pfähle  eingerammt.  An  anderen  Stellen,  wo  dies  gunstiger  ist,  legt  man 
spanische  Eeiter  und  andere  Hindemisse,  die  das  Hinablassen  von  den 
Abdachungen  erschweren  und  nicht  gestatten,  hinaufzuklettern. 


Eskarpen  und  Kontereskarpen. 


Es  ist  überflüssig  hinzuzufügen,  dasa  bei  einer  Aendemng  der 
Stellung  alles  fUr  die  Hindernisse  nötige  Eisenmateri^  mitgenommen 
wird,  um  es  an  der  neuen  Stelle  zu  gebrauchen. 

f)  Wolfsgrnben. 

woihgnib.1..  ju  Ermangelung  von  Material  fUr  die  beschriebenen  Hindemisse 

oder  tür  ihre  Verstärkung  nahm  man   in  Erwartung  des  anrückenden 
Feindes  seit  undenklichen  Zeiten  seine  Zuflucht  zur  Herstellung  von  so- 


*)  „Sciences  militaires",  „Fortiflcationa";  Brakenburyr  „Field  'Works''. 


Knnstliche  Hindamiaae.  '  g21 

geuannten  Wolfsgraben.  Zn  dem  Zwecke  gräbt  man  Oraben  in  der 
Entfemnng  von  drei  Fuss,  in  die  man  dünne  Pfähle  einschlägt,  welche 
mit  Draht  oder  Stricken  nnter  einander  verbanden  werden,  wie  bei- 
stehende Äbbildang  zeigt  (Fig.  1).  In  acht  Stunden  kann  ein  Mann 
zehn  solche  Gruben  ausgraben.  Wenn  ausserdem  die  Zeit  es  gestattet, 
kann  man  runde  Gruben  graben,  etwa  10  Fuss  von  Mittelpnnkt  zu  Mittel- 
punkt entfernt,  von  6  Fnss  Durchmesser  and  6 — 8  Foss  Tiefe  (Fig.  2). 
In  diese  Gruben  und  in  ihre  Zwischenräume  schlägt  man  Pföhle  oder 
irgend  welche  Holzstücke  ein.  Jeder  Soldat  kann  in  fUnf  Standen  eine 
solche  Grube  graben.') 


Wolfsgruben. 

g)  Drahtnetze. 

Ausserdem  werden  die  Truppen  Material  zur  Änfstellnng  von  Draht-  »«!'*"'»* 
netzen  haben,  welche  ein  starkes  Verteidigungsmittel  bieten. 

Tief  in  die  Erde  getiiebene  Pfähle  werden  unter  einander  mit  Draht 
verbunden,  der  in  verschiedenen  Richtungen  zwischen  ihnen  gezogen 
wird.  Derselbe  liegt  so,  dass  darüber  hinwegzuschreiten  schwier^,  unten 
durchzukriechen  unmöglich  ist.  Der  Draht  wird  nicht  so  stratf  gezogen, 
dass  man  ihn  mit  dem  Säbel  durchhauen  kann.  In  letzter  Zeit  sind 
Eisendraht  mit  Stacheln  und  spitze  eiserne  Pfähle  zur  Anwendung  ge- 
kommen. *) 

Wenn  Draht  und  Pfähle  fehlen,  werden  sie  dnrch  Stangen  und 
Stricke  ersetzt. 

')  Brai^kenbury ;  „Field  Works". 
')  „I'rogrts  miiitaii-e',  1891. 


622  "  Vn.   TaJctik  der  Infanterie. 

^ihSkSt"  "^^^  ^^^^'   ^^^  ^"  ^^^^^  Graben  von  mindestens  2V2  Fuss  Breite 

und  derselben  Glacishöhe  aufgestellt  ist,  kann  von  Feldgeschützen  nicht 
vernichtet  werden.»)  Auf  dem  Schiessplatze  bei  Wladikawkas  wurde  im 
Jahre  1888  Visier-  und  Zielfeuer  auf  ein  Drahtnetz  abgegeben,  wobei  es 
sich  zeigte,  dass  nach  100  Schüssen  ein  Raum  von  6—13  Fuss  Breite  im 
Netz  durchschlagen  war.  Im  Jahre  1890  wurden  wiederum  Schiess- 
versuche auf  Drahtnetze  mit  Bomben  gemacht.  Das  Netz  war  durch 
Glacis  gedeckt;  die  Richtung  der  Schüsse  war  schräg.  Nach  50  Bomben, 
die  auf  500  Faden  Entfernung  abgeschossen  wurden,  bot  das  Netz  das- 
selbe Hindernis." 

Die  folgende  Abbildung  zeigt  die  Aufstellung  von  drei  Fuss  hohen 
Netzen  mit  Pfählen,  die  6—7  Fuss  von  einander  entfernt  sind  (Fig.  1) 
und  die  Aufstellung  von  Netzen,   die  nur  IV2  Fuss  Höhe  haben  (Fig.  2). 

Fig.  1.  Fig.  2. 


Drahtnetze. 

Aus  dem  Gesagten  geht  hervor,   dass  es  eine  Menge  Mittel  giebt, 
den  Feind  aufzuhalten,  der  befestigte  Stellungen  angreift, 
veriiaituiig«-  \\{i'  haben  schon  auf  den  Umstand  hingewiesen,   dass  in  Zukunft 

iDAMsregela 

für  den  eiue  grössere  Inanspruchnahme  der  Hilfe  zu  erwarten  ist,  welche  künst- 
Augreifer.  jj^j^^  Hindemissc  bieten,  und  zwar  erstens,  weil  der  natürliche  Erhaltungs- 
trieb es  fordert,  und  zweitens,  um  der  Verantwortlichkeit  für  Verluste 
zu  entgehen.  In  Hinsicht  darauf  würde  sich  herausstellen,  dass  in  jeder 
Armee  Bestimmungen  existieren  müssen,  wie  sich  die  angreifenden 
Truppen  gegebenen  Falls  verhalten  sollen,  um  die  ihnen  begegnenden 
verschiedenen  Hindemisse  zu  beseitigen.  Dies  ist  um  so  notwendiger,  als 
die  grosse  Mehrzahl  der  in  die  Eeihen  der  Armee  eingestellten  Leute 
von  der  Existenz  der  zahllosen  Mittel  nichts  ahnen,  mit  denen  sich  der 
Verteidiger  gegen  einen  unerwarteten  feindlichen  Angiifl  schützt.  Au- 
gi'eifende  Truppen,  die  unvermutet  in  eine  solche  Verlegenheit  geraten, 
können  kaum  ihre  Geistesgegenwart  bewahren. 
Wider-  „Wenn  man  aber  alle  Punkte  mit  einander  vergleicht,  die  sich  auf 

in'den^vor-  die  Frage  nach  der  Beseitigung  von  Hindernissen  beziehen,   und  die  bei 
'dif  B^iü-' °^^'   in  Frankreich,    Oesterreich   und   Deutschland   bearbeitet   sind,   so 

gung  von     

Hindernissen.  ,^ 

')  W.  Weitko:     „Der    Angriff   auf   Befestigungen,    die    durch    kunstliche 
Ifindernisse  verstärkt  sind".    „Tngenieur-Zeitsf.hrift". 


Künstliche  Sndemisse.  623 


werden  wir  ein  chaotisches  Bild  schwerwiegender  Widersprüche  erhalten, 
die  geradezu  auf  einen  allgemeinen  Mangel  sorgfaltiger  Bearbeitung  auf 
dem  Gebiete  der  Beseitigung  künstlicher  Hindemisse  hinweisen.  So  rät 
das  deutsche  Reglement,  nur  im  äussersten  Falle  Leitern  zur  Ueber- 
windung  von  Pallisaden  anzuwenden,  während  das  österreichische  Regle- 
ment bei  denselben  Pallisaden  Leitern  als  das  beste  Mittel  empfiehlt;  in 
Frankreich  gilt  die  Sprengung  von  Drahtnetzen  als  unwirksam,  in  Oester- 
reich  als  wesentlich;  bei  uns  hat  man  die  Unmöglichkeit  erkannt,  ein 
Netz  mit  dem  Beile  zu  zerstören  (1.  Sappeurbrigade),  und  in  Frankreich 
und  Oesterreich  ist  das  Beil  das  beste  Instrument  dafür;  der  Verfasser 
des  Buches  „La  fortiflcation  et  Tartillerie"  hält  für  das  beste  Mittel  zur 
Ueberwindung  von  Drahtnetzen  Geflechte,  welche  auf  die  Spitzen  der 
Pfähle  gelegt  werden,  wobei  er  sich  auf  die  im  Jahre  1886  in  Russland 
gemachten  Versuche  bezieht;  in  Deutschland  gilt  als  das  einzig  mögliche 
Mittel  hierfür  die  Zerstörung  u.  s.  w.  Solche  Beispiele  kann  man  in 
Menge  anführen ;  viele  Mittel  sind  mit  Bemerkungen  über  ihre  Schwierig- 
keit oder  geradezu  Untauglichkeit  versehen;  so  wird  z.  B.  von  der  in 
Deutschland  gutgeheissenen  Zuschüttung  von  Pallisaden  gesagt,  „dass 
sie  unter  Feuer  undenkbar  ist."io) 

Es  entsteht  von  selbst  die  Frage:  Welche  Bedeutung  haben  die 
empfohlenen  Mittel,  wenn  sie  nur  für  den  Fall  tauglich  sind,  dass  der 
Feind  blind  schiesst  und  nur  mit  Knattern  droht? 

Dies  ist  ebenso  unbegreiflich  wie  der  Grund,  warum  die  Frage  verhalten 
nach  der  Verstärkung  der  Verteidigungsbefestigungen  durch  künstliche  schriftBteiier. 
Hindemisse  von  den  Militärschriftstellem  so  emsig  umgangen  wird.  Statt 
dessen  wird  jeder  mögliche  Eifer  darauf  verwandt,  die  Truppen  zu  über- 
zeugen, dass  es  nur  darauf  ankomme,  hurrah!  zu  kommandieren,  damit  die 
Truppen  mutig  an  die  Schanzen  heranlaufen,  und  dass  sie  nichts  hindert, 
mit  dem  Bajonnet  loszugehen. 

Oft  kann  man  vernehmen,  dass  Leute  sich  zu  der  Ansicht  hin-  Bedeutung 

der  Befesti- 

reissen  lassen,  es  gebe  für  einen  kühnen  und  entschlossenen  Angrift  gnngen. 
nichts  Unmögliches.  Solche  Theoretiker  begnügen  sich  gewöhnlich  mit 
den  Lehren  der  Geschichte  vergangener  Zeiten.  Aber  wenn  sich  auch 
die  psychische  Seite  des  Menschen  seit  jener  Zeit  wenig  verändert  hat, 
so  muss  der  gesunde  Menschenverstand  doch  in  Erwägung  ziehen,  dass 
die  jetzigen  6-Millimeter-Gewehre  zehnmal  todbringender  sind  als  die 
in  den  letzten  Kriegen  gebrauchten,  und  die  jetzigen  Geschütze  IB  Mal 


^°)  „Angriff  auf  Befestigungen,   welche   durch  künstliche  Hindernisse  ver- 
stärkt sind^. 


624  ^^^  Taktik  der  Infanterie. 


wirksamer  als  die  ffttheren^i),  und  dass  die  Erfindung  des  raachschwachen 
Pulvers  das  Gefechtsbild  völlig  verändert  hat,  welches  neue,  bisher  un- 
bekannte Erscheinungen,  neue  Kombinationen  schaffen  mnss.  Ist  das 
alles  etwa  Phantasie?  Sind  die  Erfahrungen  der  Kriege  1870,  1877,  des 
chilenischen  Feldzugs  Unsinn?  Hat  für  die  neue  Taktik  der  Umstand 
keine  Bedeutung,  dass  das  jetzige  Infanteriegeschoss  nach  einem  Fluge 
von  3200  Metern  noch  die  Kraft  hat,  einen  Soldaten  kampfanfähig  zu 
machen?^) 


11.   Der  Bajonnetangriff. 


Bedeutang  ^ug  der  obcu  beschriebenen  Wirkung  der  jetzigen  Gewehre  und 

sebiMtwsffe.  Artilleriegeschosse  konnte  sich  der  Leser  schon  überzeugen,  dass  der 
Ausspruch  Napoleons :  „Eine  Schiesswaffe  bedeutet  alles,  eine  andere  aber 
sehr  wenige  sich  am  meisten  gerade  in  unserer  Zeit  bewahrheitet,  wo 
die  Kraft  dieser  Waffen  im  Vergleich  zum  Beginn  des  Jahrhunderts  so 
gewaltig  zugenommen  hat. 
Bedeatung  jgQ    könnte   CS  scheiueu,    dass  heutzutage  über  Bajonnetangrifle 

Bajonnets.  uichts  ZU  sagcu  wärc.  ludesseu  begegnet  man  bei  mehreren  Militär- 
schriftsteilem  der  Ansicht,  dass  man  gerade  infolge  der  furchtbaren  Wir- 
kung des  Feuers  öfter  als  früher  zum  Bajonnet  greifen  werde;  so  würde 
die  offensive  Seite,  um  einer  Beschiessung  zu  entgehen,  sich  bestreben, 
den  Feind  unvermutet  zu  überfallen,  indem  sie  sich  ungesehen  an  seine 
Stellungen  heranschleicht,  so  dass  nächtliche  Zusammenstösse  öfter  als 
früher  stattfinden  würden,  bei  denen  gerade  das  Bajonnet  zu  einer  wich- 
tigen Rolle  berufen  sei. 
Definition  YoT  aUcm  woUcn  wir  uns  bemühen,  zu  erklären,  was  der  gewöhnlich 

des 

Biuo^net-  SO  gcuanute  Bajonnetangriff  in  Wirklichkeit  bedeutet. 

angnfft.  Wcnu  mau  unter  diesem  Ausdrucke  das  eigentliche  Handgemenge, 

die  Thätigkeit  mit  dem  Bajonnet,  versteht,  so  ist  klar,  dass  ein  solches 
nur  auf  einigen  Punkten  der  Linie  eintreten  und  nur  sehr  kurze  Zeit 
dauern  kann,  und  vorzüglich  bei  der  Vertreibung  des  Gegners  aus  be- 
festigten Stellungen  stattfindet. 

^0  Die  Munitionsmenge,  welche  zur  Erzielung  des  bekannten  Schiesa- 
resultats erforderlich  ist,  bildet  nur  den  dritten  Teil  von  deijenigen,  welche  im 
Jahre  1870  nötig  war;  für  die  einzelnen  Grüfe  beim  Laden,  Zielen  u.  s.  w.  ist 
6  Mal  weniger  Zeit  notwendig  als  bei  den  alten  Geschützen,  und  die  TrefiT- 
sicherheit  der  Geschossteile  ist  jetzt  3  Mal  grösser  geworden. 

")  Colonel  Ponchalon:  „Nouvelle  tactique  de  combat"  Paris  1892. 


Der  Bajonnetangriff.  g25 


Wenn  man  aber  den  Bajonnetangrifl  im  Sinne  eines  entscheidenden 
Angriffs  als  einen  raschen,  allgemeinen  Vorstoss  anflasst,  um  den  Gegner 
die  moralische  Ueberlegenheit  fühlen  zn  lassen,  so  ist  klar,  dass  eine 
solche  Bewegung  fast  in  jedem  Grefechte  unvermeidlich  ist.  Der  Kampf 
kann  nicht  aus  einem  Austausch  von  Salven  bestehen.  Unerlässlich  wird 
ein  Moment  eintreten,  wo  die  eine  Seite  in  der  Annahme,  dass  der  Gegner 
mehr  als  sie  selbst  vom  Feuer  gelitten  habe  und  ihi-en  ungestümen  An- 
drang nicht  aushalten  werde,  sich  vorwärts  bewegt,  um  die  Linien  des 
Feindes  zu  durchbrechen,  ihn  zum  Schweigen  zu  bringen  und  sich  seiner 
Stellungen  zu  bemächtigen.  Wenn  daher  gesagt  wird,  die  Kraft  des 
jetzigen  Feuers  werde  einen  Angriitt  fast  unmöglich  machen,  so  ist  dies 
nur  in  dem  Sinne  zu  verstehen,  dass  ein  mutiger,  tapferer  Ansturm  bis 
zu  dem  Augenblicke  keinen  Erfolg  haben  kann,  wo  nicht  der  Gegner 
durch  die  vorbereitende  Thätigkeit  des  Artillerie-  und  Infanteriefeuers 
genügend  geschwächt  ist,  und  dass  es  jetzt  nicht  mehr  möglich  ist,  den 
Angiiff  mit  dem  Bajonnet  dem  mit  der  Kugel  vorzuziehen,  weil  die  jetzige 
Kugel,  wie  „schneidig"  auch  das  Bajonnet  sein  möge,  entschieden  auf- 
gehört hat,  eine  „Närrin"  zu  sein. 

Daher  darf  man  nicht  mehr  die  notwendige  Feuerthätigkeit  durch  ^^^®"»'*«®°- 
den  Bajonnetangriff  ersetzen  noch  diese  Thätigkeit  abkürzen  und  sich 
nur  auf  die  Energie  des  Ansturms  verlassen.  Frühere  Kriegserfahrungen 
zeigen,  dass  die  Verluste  in  solchem  Falle  so  gross  sind,  dass  sie  den 
Bajonnetangriff  unmöglich  machen.  Im  entscheidenden  Augenblick  aber 
ist  der  Angriff  gleichwohl  unvermeidlich,  wo  er  aber  nicht  darauf  be- 
rechnet ist,  dass  der  Angreifer  mit  dem  Bajonnet  mehr  bewirken  und  eine 
grössere  Zahl  von  Leuten  in  den  Reihen  des  Gegners  niedermachen  soll 
als  seine  Verluste  betragen,  sondern  durchaus  darauf,  dass  der  Feind  den 
Ansturm  selbst  nicht  aushalten  wird. 

Wer  sich  zum  Angriff  entschliesst,   setzt   sich  natürlich  auch  bei     ^"«f"*f 

nnd  Rückzag. 

vorausgesetzter  Schwächung  des  Gegners  gleichwohl  einer  grösseren,  un- 
verzüglichen Gefahr  aus  als  derjenige,  der  in  der  Stellung  bleibt  und  ein 
ununterbrochenes  Feuer  unterhält.  Aber  dabei  unternehmen  die  Leute 
ein  Wagnis  und  wissen  wohl,  dass,  obgleich  der  Angreifer  grössere  Ver- 
luste erleidet,  dafür  noch  unvergleichlich  grössere  derjenige  erleiden  wird, 
der  zum  Rückzuge  gezwungen  ist.  Wir  führen  hier  die  Worte  eines 
Fachmannes  an.^) 

„Die  instinktive  Ueberlegung  des  Soldaten,  des  Offiziers  ist  folgende :  ueberiegung 
Wenn  jene  Leute  mich  erwarten  oder  wenn  sie  unerwartet  an  mich  heran- 
kommen, so  bin  ich  verloren.    Ich  töte,  aber  mich  wird  man  sicher  auch 


^)  General  Pusyrewski:  „Untersuchungen  über  den  Kampf". 

Bloch,   Der  znktknftige  Krieg.  40 


626  ^^^   Taktik  der  Infanterie. 


töten.  Wenn  ich  ihnen  aber  Furcht  einjage,  dann  werden  sie  sich  retten 
und  werden  Kugeln  und  Bajonnetstösse  in  den  Rücken  bekommen.  Ver- 
suchen wir's.  Und  man  versucht  es,  und  immer  macht  einer  der  beiden 
Truppenteile  auf  eine  beliebige  Entfernung,  selbst  auf  zwei  Schritt  vor 
dem  Zusammenstoss  Kehrt.  Die  Theorie  eines  sächsischen  Marschalls,  die 
Theorie  Bugeauds :  „Geht  ihr  mit  dem  Bajonnet  los  und  schiesst  ganz 
nahe,  so  töten  sie  euch,  und  der  Sieger  tötet"  gründet  sich  nicht  auf 
Beobachtung.  Kein  Feind  wird  euch  erwarten,  wenn  ihr  entschlossen 
seid,  und  niemals,  entschieden  niemals  ist  dieselbe  Entschlossenheit  auf 
beiden  Seiten  vorhanden." 

äw^^B  Folglich  hängt  das  Gelingen  des  Ansturms  nicht  so  sehr  von  der 

Wirksamkeit  der  Bajonnetarbeit  selbst  ab  als  vielmehr  davon,  dass  der 
Gegner  in  der  Gefahr  schwebt,  den  Ansturm  nicht  auszuhalten.  Oben 
haben  wir  aber  die  Gründe  auseinandergesetzt,  weshalb  heutzutage  diese 
Gefahr  für  den  angegriffenen  Gegner  nicht  existieren  kann. 

Annuieniiig  Frühcr  lag  die  ganze  Schwierigkeit  darin,  die  Truppen  so  nahe 

^  frttiier     heranzuführen,  dass  der  Rückzug  unmöglich  wurde, 
und  jetrt.  Hcutzutagc  wird  zur  Annäherung  an  den  Feind  mehr  Mut  nötig 

sein  als  in  der  Zeit,  wo  der  mit  dem  Bajonnet  Angreifende  ungestraft  auf 
einige  Hundert  Schritt  an  den  Feind  herankommen  konnte.  Bei  den 
jetzigen  Gefechtsbedingungen  wird  er  einen  wenigstens  fünfmal  grösseren 
Raum  unter  Feuer  durchschreiten  müssen. 

Und  in  der  That  erläutert  unser  offizielles  Reglement  die  Bewegung 
zum  Bajonnetangriff  auf  300  bis  150  oder  weniger  Schritt  Entfernung 
vom  Gegner, 
veriarte  Gcueral  Skugarcwski  sagt: 2)  „Nimmt  man  beim  Verteidiger  100  Mann 

des  , 

Angreifen,  au,  SO  wcrdcu  dicse  iu  11/2  bis  2  Minuten,  während  welcher  der  Angi-eifer 
mit  dem  Bajonnet  vorgeht,  je  8  Schüsse  in  der  Minute  gerechnet,  ungefähr 
1500  Kugeln  abschiessen;  an  Treffern  kann  man  auf  diese  Entfernung 
20  bis  25  0/0  (in  Friedenszeit  50  bis  60  %)  rechnen ,  d.  h.  bei 
dreifacher  Ueberzahl  an  Kräften  wird  bei  den  mit  Bajonnet  Angreifenden 
niemand  übrig  bleiben,  alle  können  getötet  werden.  Das  Feuer  der  an- 
greifenden Schützenlinie  gegen  den  gedeckten  Verteidiger  während  der 
Bewegung  kann  keine  grosse  Bedeutung  haben ;  es  dient  mehr  dazu,  den 
Angreifer  aufzumuntern,  als  dem  Verteidiger  Verluste  zuzufügen." 

Berecnnung.  Wir  wollcu  dcr  Auschaulichkeit  wegen  diese  Verhältnisse  graphisch 

darstellen  und  voraussetzen,  dass  der  Gegner  selbst  4  Mal  schwächer  ist 
als  der  Angreifer,  wobei  wir  der  Kürze  wegen  Durchschnittsresultate 
nehmen,  d.  h.,  dass  der  Angriff  auf  225  Schi-itt  (300  bis  150)  beginnt, 


')  „Angriff  der  Infanterie". 


Der  Bajonnetangriff.  627 

der  Prozentsatz  der  Treffer  22>/ä  (20  bis  25)  betrügt,  die  Zeit  des  Auf- 
enthalts unter  Feuer  l''/4  Minuten  {U/a  bis  2)  und  die  Zahl  der  ab- 
geschossenen Kugeln  8  in  der  Minute.  Aus  dieser  Rechnung  geht  hervor, 
dass  auf  jede  10  Schritt  1  Schttss  abgegeben  wird. 


Verlnütc  des  4  Mal  Bt&rkeren  Angreifen  vor  dem  BajoimetaiigrifF. 

Es  giebt  ausserdem  noch  eine  andere  Verschiedenheit  von  den  Ter-'**^  b*«*»m 
hältnissen  früherer  Kriege.  Vor  der  letzten  Eestauration  des  Systems  ud  jtttL 
der  Schanzen  kam  es  vor  (besonders  in  grösseren  .Schlachten),  dass  zwei 
schnelle  Ablösungen  mit  dem  Bajonnet  einander  folgten.  Vor  dem  Hand- 
gemenge wurden  2,  3  Schüsse  abgegeben.  Die  schwächere  Seite  ging 
bald  zurück,  und  dies  war  kein  grosses  Wagnis,  weil  der  Zurückgehende 
nur  mit  2  bis  3  Schüssen  verfolgt  wurde.  Gegenwärtig  ist  der  Rückzug 
vor  dem  Angrifi  ein  wahres  Verderben.  In  den  Rücken  werden  ans 
jedem  Gewehr  sichere  Schüsse  zehnfach  gehen,  von  denen  ein  jeder 
5  Mann  treflen  kann. 

Der  Glaube  an  den  Vorzug  des  Bajonnets  vor  der  Schiesswaffe  ist  ^"^'*' 
vfllljg  erschüttert,  obgleich  zu  bemerken  ist,  dass  sich  nnter  den  russi-a«  e^miiBt 
.sehen  Militäi's  noch  eine  gewisse  Schwäche  gegen   das  Bajonnet,  oder, '"  ^■"''"  ■ 
was  dasselbe  ist,  gegen  den  schneidigen  persönlichen  Anstunn  zeigt,  der 
gleichsam  imstande  sei,  die  mechanische,  aber  furchtbare  Wirkung  des 
jetzigen  Feuers  zu  besiegen.    Uns  scheint,  dass  in  dieser  Vorliebe  dafür 
nur  berühmte  Traditionen  getroffen  werden.    Napoleon  hat  gesagt,   das.s 
„es  zu  wenig  ist,  den  russischen  Soldaten  mit  dem  Bajonnet  zn  durch- 
bohren, man  muss  ihn  noch  umwerfen". 

In  allen  Armeen  bemüht  man  sich,  in  den  Mannschaften  ein  un-  schieeew»«« 
bedingtes  Vertrauen  zu  der  Kraft  der  Feuerwaffe  zu  erwecken,  und  in  Bqsiwet. 
den  Reglements  wird  gesagt,  dass  bei  einem  korrekten  Feuer  der  Ver- 
teid^ng  kein  Angriff  Erfolg  haben  kann.  Und  dies  ist  natürlich  bis  auf 
den  Punkt  richtig,  dass  das  Artillerie-  und  Infanteriefeuer  des  Feindes  nicht 
noch  wirksamer  ist,  die  Verteidigung  nicht  in  Unordnung  bringt  nnd  die 
Korrektheit  ihres  Feuers  nicht  beeinflusst.  Bei  der  Ausbildung  der  Mann- 
schaften richtet  man  jetzt  seine  Aufmerksamkeit  hauptsächlich  auf  das 
Schiessen,  und  wenn  auch  das  Bajonnetfechten  geübt  wird,  so  ist  es  doch 


528  Vn.  Taktik  der  In&nterie. 


jk- 


schon  in  den  Hintergrund  getreten.  Nebenbei  erwähnen  wir,  dass  in  der 
russischen  Armee  auch  die  Kavallerie  im  Bajonnetfechten  ausgebildet 
wird,  sogar  die  Kürassier-Division  und  die  Garde,  welche  im  Uebrigen  im 
Feldzug  und  im  Lager  die  allgemeine  Dragonerbewaffhung  hat. 

Dm  B^onnet  jß  (jer  frauzösischeu  Armee  hinwiederum  hat  das  Bajonnet  in  den 

franzöaiMhen  Augen  der  Mannschaften  seine  frühere  Bedeutung  endgiltig  verloren, 
""**'  wenn  man  nach  einer  Aeusserung  Coumfes'  urteilen  darf.»)  „Als  ich  einst 
bei  einer  Prüfung  der  Unteroffiziere  den  Vorsitz  führte",  sagt  er,  „hörte 
ich,  wie  auf  die  Frage:  „Wozu  dient  das  Bajonnet?"  der  Prüfling  statt 
der  gewöhnlichen  Antwort:  „Um  den  vor  mir  stehenden  Feind  zu  durch- 
bohren" mit  voller  Ueberzeugung  erwiderte:  „Um  die  Gewehre  zusammen- 
zusetzen". 

wirkuciikeit  Um  die  in  der  deutschen  Armee  herrschende  Ansicht  über  die  Be- 

AoMbeiiL  deutung  des  Bajonnets  zu  erwähnen,  führen  wir  eine  Warnung  an,  mit 
welcher  ein  bekannter  Kriegsschriftsteller,  der  Oberst  Kardinal  von  Wildem, 
sich  an  die  Verteidiger  von  Verschanzungen  wendet.  Er  bemerkt,  dass 
die  dem  Angriff  ausgesetzte  Seite,  falls  sie  schon  vorher  beträchtliche 
Verluste  erlitten  hat,  sich  fast  immer  zurückstürzt,  bevor  sie  noch  das 
Hurrah  des  Angreifers  gehört  hat,  d.  h.,  sich  nicht  dazu  entschliesst, 
Ansturm  und  Handgemenge  abzuwarten,  und  dass  daher  ein  gewandter 
Gegner  dieselbe  Wirkung  schon  durch  den  Anschein  erzielen  könne,  als 
wenn  er  sogleich  mit  dem  Bajonnet  angreifen  wolle.  „Daher",  sagt 
von  Wildern,  „darf  man  sich  auch  in  dieser  Lage  nicht  ßher  auflösen 
und  zurückziehen,  bis  der  Entschluss  des  Gegners  deutlich  ist,  und  seine 
Bewegungen  keinen  Zweifel  über  seine  Absicht  lassen,  das  Gefecht  mit 
dem  Bajonnetangrifi  zu  beenden". 
Ansieht  Ein  anderer  deutscher  Militärschriftsteller,  Bronsart  von  Schellen- 

Ton  setaeiien-  dorff,  Sagt  lu  sciuer  Schrift  über  die  Thätigkeit  der  Infanterie  auf  dem 
**"*•  Schlachtfelde  bei  der  Untersuchung,  welche  Bedeutung  Kugel  und  Bajonnet 
haben,  folgendes:  „Die  Rasanz,  Treffweite  und  Durchschlagskraft  der  aus 
dem  kleinkalibrigen  Gewehr  abgeschossenen  Kugel  ist  aussei^ewöhnlich 
gross,  aber  daraus  folgt  nicht,  dass  das  Bajonnet  seine  alte,  entscheidende 
Bedeutung  verloren  hat.  Die  Infanterie,  die  von  dieser  Ansicht  durch- 
drungen sei,  würde  sich  zu  Grunde  richten."  Der  Autor  bemerkt  des 
weiteren,  dass  es  schädlich  sein  würde,  den  Soldaten  im  Frieden  den 
Gedanken  beizubringen,  dass  der  Bajonnetangriff  infolge  der  Kraft  der 
jetzigen  Feuerwaffe  nur  selten  eintreten  wird.  Im  Gegenteil  würde  es 
nützlich  sein,  dass  in  den  Manövern  jeder  regelrecht  vollendete  Angriff 
als  gelungen  gelte. 


^)  Coumes:  „Tactique  de  demain". 


Der  BajoimetangrifF.  639 

Diese  Ansichten  scheinen  überzeugend  zo  sein,  aber  es  entsteht  die  "'^"''*?'^ 
Frage:  „Ist  es  bei  dem  jetzigen  Zustande  der  Armeen  möglich,  die  Ueber-  EMhnagtB 
zeugoflg  zu  haben,  dass  Ansichten,  die  mit  der  Wirklielikeit  nidit  ""^^^ 
übereinstimmen,  Erfolg  haben? 

Wenn  die  Erfahrungen  der  früheren  Kriege  beweisen,  dass  das 
Bajonnet  fast  gar  nicht  gebraucht  wnrde,  so  ist  es  unmöglich,  Zutrauen 
zu  ihm  zu  erwecken.  Die  Verluste  der  Preussen  im  Kriege  1866  setzten 
sich  folgendermaassen  zosammen: 

Von  Gewehrfeuer 79  o/o 

„     Artilleriefeuer IG  % 

„     Säbelhieben 5  % 

„     Bajonneten 0,4  "/o 

Graphisch  stellen  sich  diese  Besultate  so  dar: 


Von  Gowehrfener . 

i 

|]llilljl!!l|!fp!!i" !!i!.lt!i*lil iHiü .■■ 

,      Artilleriefeaer 

1  1 

,     Säbelhieben    . 

|i! 

s^ 

Oa 

\ 

Verluste  der  Preussen  im  Kriege  18G6. 

Im  Kriege  1870*)  waren  die  Veriuste  der  deutschen  Armee  auf 
1000  Mann: 

Qewehrfeuer    Artilleriefeuer     Blanke  Waffen 

Bei  der  Infanterie    .    .    .  15,0  11,4                 1,2 

„      „    KavaUerie    .    .    .  47,6  3  11 

„      „    Artillerie     ...  36,6  20,9  — 

„    den  Ingenieurtruppen  17,5  8,2  0,6 

Wir  stellen  diese  Resnltate  graphisch  dar: 

Van  ArtlUuiBftDu 
Ton  Beweiulevtt,  uiI  blukan  Wiffen. 


Li 

2>J 


Verluste  der  dealsohen  Armee  im  Kriege  1870  auf  1000  Uann. 


')  „Müitör-Wochenblatt",  1877. 


gSO  Vn.   Taktik  der  Infanterie. 


In  der  Gegenwart  aber  werden  diese  Unterschiede  noch  grösser. 

Man  muss  seine  Anfmerksamkeit  auch  auf  den  umstand  richten, 
dass  der  Bajonnetangriff  Formierungen  in  geschlossener  Ordnung  fordert, 
dass  aber  die  Bewegung  einer  Kolonne  bei  der  jetzigen  Feuerkraft  sich 
äusserst  schwierig  zeigen  wird. 
Erfutrangaii  Hocuig  beruft  sich  auf  die  Erfahrungen,  welche  deutsche  Professoren 

dem  neaea  mitteilen!  Bruns,  Busch,  Kocher,  Eeger,  Bardeleben,  Billrot,  und  von 
den  Franzosen :  Delorme,  Chauvelle,  Ninvfes,  Breton  und  Peme,  welche 
zeigen,  dass  vier  auf  einem  Räume  von  400  Meter  auf  einander  folgende 
Reihen  und  noch  drei  Reihen  auf  einem  Räume  von  1200  Meter  drei- 
und  sogar  vierfach  grössere  Verluste  erleiden  müssen,  als  die  sind,  welche 
eine  Reihe  erleiden  würde,  und  zwar  infolge  der  Fähigkeit  der  jetzigen 
Kugeln,  bis  6  Mann  zu  durchbohren.  Allerdings  wurden  diese  Erfahrungen 
beim  Uebungsschiessen  und  auf  ebenem  Gelände  gemacht;  aber  nach  der 
Ansicht  Hoenigs  sind  jene  Aeusserungen,  dass  es  im  Kriege  kein  völlig 
ebenes  Gefechtsgelände  gebe,  und  dass  Probeschiessen  fürs  Gefecht  nichts 
beweise,  geradezu  thöricht.  Die  Wirkung  der  jetzigen  Artilleriegeschosse 
ist  bekanntlich  IB  Mal  grösser  als  die  von  1870. 
Yoraüge  Die  gemeinsame  Beschiessung  derselben  Ziele  mit  Infanterie-  und 

Feuera.  Artillericfeuer  ist  durch  das  rauchschwache  Pulver  in  ein  besonders 
günstiges  Stadium  getreten,  wobei  die  von  der  Artillerie  genau  ein- 
geschossenen Entfernungen  dazu  dienen  können,  dem  Massenfeuer  der 
Infanterie  nach  sicheren  Grundlagen  die  Richtung  zu  geben. 

Der  unbehinderte  Gesichtskreis  und  die  Durchsichtigkeit  der  Atmo- 
sphäre künftiger  Schlachtfelder  im  Verein  mit  den  höheren  ballistischen 
Fähigkeiten,  die  mit  dem  neuen  Pulver  in  Verbindung  stehen,  und  die 
Art  der  Füllung  der  Geschosse  mit  neuen  Explosionsstoffen  müssen  auf 
die  Erhöhung  der  Gefährlichkeit  von  Einfluss  sein, 
von  der  Gölte  In  dicscr  Hinsicht  sagt  von  der  Goltz  i^)  „Nur  ein  Mensch,  der  das 

Aber  Fener 

und      Leben  für  nichts  mehr  achtet,  ist  fähig,  unter  dem  jetzigen  Feuer  zu 
Bajonnet  pf^^^j^  q^j^j.  g^^^}^  jj^  Fuss,  abcT  ohuc  Dcckung,  lange  auszuhalten.   Näher 

würde  der  Wirklichkeit  das  Bild  kommen,  dass  dichte  Schützenlinien, 
am  Boden  liegend,  einen  Kugelregen  nach  dem  andern  folgen  lassen,  so 
dass  man  in  der  Phantasie  die  Mannschaften  durch  Kugeln  schleudernde 
Maschinen  ersetzen  kann,  ähnlich  den  Säemaschinen,  die  die  Körner 
herauswerfen.  In  der  russischen  Armee  hält  man  noch  an  der  Ansicht 
von  der  ungewöhnlichen  Gewalt  des  Bajonnetangriffs  fest.  Wenn  aber 
die  Schriftsteller,  die  diese  Meinung  vertreten,  daraus  das  Prinzip  des 
Angrifi's  in  geschlossener  Ordnung  herleiten,   so  gehen  sie  zu  weit.    Die 


')  von  der  Goltz:    „Das  Volk  in  Waffen." 


Erstürmung  einer  Höhenposition. 

(Aus  den  Tranzösischen  Manövern  in  der  Umgegend  von  Mentone.) 


•1 


V, 


Der  Bajonnetangiiff.  g31 


geschlossene  Ordnung  kann  heutzutage  nur  angewandt  werden,  wenn  das 
Feuer  des  Gegners  schon  geschwächt  ist,  und  unter  dem  Einfluss  der 
beginnenden  Auflösung,  oder  wenn  es  dem  Verteidiger  nicht  möglich  ist, 
die  Treffifläche  zu  überblicken." 

Die  Vertreter  der  Vorzüge  des  Bajonnets  berufen  sich  auf  ver-  Beispiele, 
schiedene  gelungene  Bajonnetangriffe  auch  in  den  letzten  Kriegen.  Aber 
diese  Beispiele  bestätigen  nur,  dass  ein  erfolgreicher  Angrifl  entweder 
nach  Dämpfung  des  gegnerischen  Feuers  durch  überlegenes  Feuer  des 
Angreifers  möglich  ist,  oder,  wie  von  der  Goltz  sagt,  wenn  es  dem  Ver- 
teidiger nicht  möglich  ist,  die  Treflfläche  zu  überblicken. 

Auf  den  letzteren  Fall  bezieht  sich  das  Beispiel  des  gelungenen 
Sturmes  des  64.  russischen  Regiments  auf  die  türkischen  Schanzen  bei 
Plewna  am  30.  August  1877.  Das  Regiment  ging  über  ein  Feld,  das  in 
Mannshöhe  mit  Mais  bestanden  war;  dies  schützte  zwar  nicht  vor  den 
Kugeln,  hinderte  aber  die  Türken,  die  Dichtigkeit  der  Kolonnen  zu  sehen, 
und  zwar  um  so  mehr,  als  die  Witterung  feucht  war  und  der  Rauch  sich 
hartnäckig  hielt,  indem  er  auch  die  Angreifer  hinderte,  die  feindlichen 
Stellungen  zu  erblicken.  Auf  900—1000  Schritt  Entfernung  erscholl  in 
einer  Kompagnie  des  Regiments  Hurrah !  das  von  den  übrigen  Kompagnieen 
aufgenommen  wurde.  Die  Formation  war  schon  in  Unordnung  geraten, 
die  Leute  stürzten  sich  laufend  vor  und  fielen,  wegen  der  weiten  Ent- 
fernung der  Stellungen  von  der  Anstrengung  ausser  Atem  gekommen.  Aber 
etwa  500  Schritt  vor  den  türkischen  Stellungen  befand  sich  eine  Boden- 
vertiefung, welche  dem  schon  stark  mitgenommenen  Regiment  Deckung 
bot.  Nach  ungefähr  drei  Minuten  Rast  erscholl  von  neuem  Hurrah!  die 
Leute  stürzten  sich  auf  die  türkischen  Stellungen  und  nahmen  sie  trotz 
des  starken  Feuers.  In  dem  Regiment  wurden  dabei  40%  ausser  Gefecht 
gesetzt. 

Es  ist  aber  klar,   dass,   abgesehen  von  dem  Heldenmut,   den  die    vorteile 

der 

Stürmenden  an  den  Tag  legten,  die  gegenseitige  Unmöglichkeit,   den  unnftguch- 
Raum  zwischen  den  beiderseitigen  Truppen  zu  überblicken,  zum  Erfolge   aie^Twff- 
des  Sturmes  beitrug.    Die  russischen  Soldaten  vermuteten  die  türkischen  ^  *'«5f " 

^  Überblioken. 

Stellungen  näher,  als  sie  waren,  und  suchten  sich  durchzuschlagen,  und 
die  Türken  sahen  den  Gegner,  nachdem  er  auf  drei  Minuten  verschwunden 
war,  plötzlich  fast  vor  den  Mündungen  ihrer  Gewehre,  und  unvermutet 
überrascht,  hielten  sie  den  Ansturm  nicht  aus. 

Solche  Beispiele  behalten  auch  für  die  Zukunft  ihre  Bedeutung,  die 
aber  schon  um  so  geringer  ist,  je  tödlicher  die  jetzige  Hand-Feuerwaffe 
gegen  die  damaligen  türkischen  Gewehi^e  wirkt,  und  je  besser  der 
europäische  Soldat  ausgebildet  ist  als  die  Leute  Osman  Paschas. 


532  ^^^^  Taktik  der  Infanterie. 


Eiadnick  j){q  Emföhrung  des  rauchschwachen  Pulvers  hat  unter  anderem  be- 

des  nnoA-  , 

BchwMiieii  wirkt,  dass  derartige  unerwartete  Ereignisse  seltener  eintreten  werden. 
anfdieicuin-Ein  erfahieuer  General,  der  eine  selbständige  Meinung  darüber  hat,  hat 
Schäften,  ^j^g  gesagt,  dass  er  bei  dem  Bemühen,  nach  dem  ersten  Gebrauch  des 
rauchschwachen  Pulvers  in  den  Manövern  dessen  Eindruck  auf  die  Soldaten 
zu  beobachten,  zu  dem  Schlüsse  gekommen  ist,  dass  das  Pulver  bei  den 
meisten  das  Zutrauen  zu  ihren  Kräften  hob.  Die  Möglichkeit,  den  Gegner 
beständig  zu  sehen  und  das  Ziel  in  seinen  Reihen  auszuwählen,  hat  bei 
dem  Besitz  einer  grösseren  Anzahl  Patronen  dem  Soldaten  das  Vertrauen 
gestärkt,  dass  er,  wenn  nicht  beim  ersten  Zielen,  so  beim  zweiten  und 
dritten  Mal  denjenigen  sicher  treffen  werde,  den  er  aufs  Korn  genommen 
hat.  Hierin  finden  wir  eine  neue  Bestätigung  der  ziemlich  allgemeinen 
Ansicht,  dass  die  Einfuhrung  des  rauchschwachen  Pulvers  und  ebenso 
der  vollkommneren  Gewehre,  welche  neue  Verhältnisse  für  den  jetzigen 
Kampf  geschaffen  haben,  gerade  die  Verteidigung  verstärkt  hat. 

farwtS^  Der  Oberst  Wentzel  Porth^)  führt  unter  den  Beweisen  für  die  voll- 

sohiAgaknft  kommeu   neuen  Verhältnisse   des  jetzigen   Gefechts    folgendes   Faktum 

der  iMUAn 

Geschosse,  aui  „Vor  Kurzcm  hatte  sich  ein  Soldat  meines  Regiments  erschossen. 
Die  Kugel  ging  durch  seinen  Körper,  durch  den  Deckbalken  und  die  Diele, 
durchschlug  im  nächsten  Stockwerk  das  Brett  der  Bettstelle  und  zwei 
Matratzen  und  verwundete  einen  darauf  schlafenden  Kadett,  darauf  flog 
sie  noch  in  das  nächste  Stockwerk  und  durchschlug  das  mit  Ziegeln  be- 
deckte Dach.  Ich  führe  dies  Beispiel,  sagt  Oberst  Porth,  als  augen- 
scheinlichen Beweis  von  der  furchtbaren  Kraft  der  Gewehrgeschosse  zur 
Warnung  an." 
Kuutsohen-  Und  diescu  neuen  Zerstörungsfaktoren  ist  noch  die  Wii-kung  der 

Schnellfeuer-Kartätschen  in  einer  Minute  hinzuzufügen,  wenn  der  Feind 
sich  schon  der  Stellung  nähert. 

Auf  dem  nebenstehenden  Grundriss  ist  der  Effekt  dargestellt,  der 
durch  19  Kartätschschüsse  aus  einem  B7- Millimeter -Geschütz  auf  elf 
50  Meter  von  einander  entfernte  Scheiben  erzielt  wurde.  —  Die  Zahlen 
geben  die  Treffermenge  in  jeder  Scheibe  an. 

Es  stellt  sich  heraus,  dass  2420  Teile  ins  Ziel  trafen. 

Welche  Menschenmenge  aber  könnte  hierbei  auf  einem  Baume  von 
250  Meter  im  Verlauf  einer  einzigen  Minute  zermalmt  werden! 

Wenn  man  noch  annimmt,  dass  beim  Mangel  von  Kaltblütigkeit 
in  den  angegriffenen  Reihen  die  Wirkung  der  Schnellfeuergeschütze 
weniger  thatkräftig  wäre,   so  wird  doch  in  jedem  Falle  der  angreifende 


*)  Wentzel  Porth:  „Betrachtungen  über  den  Einfluss  des  rauchschwachen 
Pulvers". 


Der  Bajonnetangriff. 


633 


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Besiütate  von  19  Kartätsohschüssen  aus  einem  ÖT-Mülimeter-Gesohütz. 


Gegner,  selbst  wenn  er  viel  stärker  ist  als  die  den  Angriff  anshaltendeji 
Truppen,  unvermeidlich  vernichtet  werden. 

Zugegeben,  dass  überhaupt  die  Erfahrungen  des  Uebungsplatzes  MoMii«she 
nur  zum   zehnten  Teile  für  das  Gefecht  zutreffen,  so  entsteht  auch  in      des 
diesem  Falle  die  Frage:  Werden  die  moralischen  Kräfte  in  den  jetzigen  ^'*«"*'"^ 
Massenheeren  den  Verlusten  entsprechen?     Man  darf  nicht  vergessen, 


634  ^^^*  Taktik  der  Infanterie. 


das8  der  massenhafte  Verlast  in  den  Beihen  in  zehn  Minaten   eintreten 
wird,  nnd  dass  infolge  dessen  anch  der  Mnt  der  angreifenden  Truppen  ins 
Wanken  kommen  kann, 
ziffennfasige  j)Iq  Grösse  der  Gefahr,  in  welche  ein  Detachement  oder  eine  ganze 

DaratoUimg 

der  GröMe  Armee  gebracht  werden  kann,  lässt  sich  durch  Zahlen  ausdrücken.  So 
'■  kann  man  z.  B.  den  Mut  eines  Detachements,  das  sich  zurückwendet, 
ohne  Verluste  erlitten  zu  haben,  mit  0  bezeichnen,  den  Mut  eines  Detache- 
ments, das  ohne  zu  wanken  gänzlich  vernichtet  worden  ist,  mit  1. 
Ein  Detachement,  das  vielleicht  durch  V4»  ^/a»  V2  Verlust  seiner  Kjäfte 
zum  Rückzuge  gezwungen  ist,  besitzt  vier-,  diei-  und  zweifach  weniger 
Mut  als  dasjenige,  das  gänzlich  vernichtet  wurde.  Es  versteht  sich  von 
selbst,  dass  weder  Führer  noch  Soldaten  sich  mit  der  Zählung  der  Ver- 
luste auf  dem  Schlachtfelde  beschäftigen,  aber  es  geht  ein  instinktiver 
Prozess  vor  sich,  und  wenn  die  Zahl  der  Getöteten  und  Verwundeten 
sich  den  bekannten  Grenzen  nähert,  so  verlieren  die  üebrigen  die  psychische 
Fähigkeit,  den  Kampf  fortzusetzen. 

tfomiiaehe  Wir  fludeu  bci  dem  General  Kuropatkin  folgende  meisterhafte  Mit- 

4L      teilung  über  dieses  Gesetz  des  menschlichen  Geistes: 

^'**^'*"*  „Das   Maass  der  Verluste  beeinflusst  zweifellos    den   moralischen 

Zustand  der  Gefechtstruppen.  Die  Grösse  dieses  Einflusses  hängt  zum 
grossen  Teile  davon  ab,  unter  welchen  Verhältnissen  und  in 
welchem  Zeitabschnitte  diese  Verluste  entstehen.  Wir  geben 
durchaus  den  Fall  zu,  dass  eine  und  dieselbe  Abteilung  auf  einem  und 
demselben  Punkte  mit  50%  Verlust  aushält  und  unter  andern  Gefechts- 
verhältnissen diesen  Punkt  mit  10%  Verlust  räumt.  Die  Truppen  gehen 
nicht  deshalb  zurück,  weil  sie  sich  mit  ihrer  Zahl  nicht  halten  können 
(man  kann  sich  auch  mit  melir  als  75%  Verllist  halten),  und  nicht  nach 
Maassgabe  der  Verluste,  die  sie  erlitten  haben,  als  vielmehr  aus  Furcht 
vor  denjenigen  Verlusten,  die  sie  erwarten,  wenn  sie  in  der 
Stellung  bleiben  (oder  den  Angriff  fortsetzen).  Auf  Grund  innerer  Ueber- 
legung  in  den  Herzen  der  Truppen  tritt  in  der  einen  oder  andern 
Abteilung  die  Ueberzeugung  von  der  Unmöglichkeit,  sich  weiter  zu  halten, 
hervor.  Diese  innere  Berechnung  der  die  Truppen  erwartenden  Verluste 
ist  um  so  übertriebener  und  gefährlicher,  als  die  Zeit  kurz  ist,  in  welcher 
die  als  Grundlage  für  diese  Berechnung  dienenden  Verluste  erlitten 
werden.  So  bietet  ein  Bataillon,  das  in  10  Stunden  200  Mann  verloren 
hat,  in  vielen  Fällen  mehr  Aussicht  darauf,  dass  es  in  der  Stellung  beim 
Angriff  auf  dieselbe  aushalten  wird,  als  ein  Bataillon,  das  60  Mann,  aber 
in  fünf  Minuten  verloren  hat.  Die  Summe  der  physischen  Kräfte  im 
zweiten  Bataülon  wird  grösser  bleiben  als  im  ersten,  aber  die  Summe 
der  moralischen  Kräfte  kann  zeitweilig  im  zweiten  geringer  sein  als  im 


Der  Bajonnetangriff.  635 

ersten.  Benutzt  unverzüglich  diesen  Augenblick  der  zeitweiligen 
Schwächung  des  moralischen  Zustandes  der  Abteilung  und  greift  an  — 
und  ihr  werdet  siegen.  Lasst  die  Zeit  verstreichen  —  und  das  Gleich- 
gewicht wird  wieder  hergestellt  werden  und  die  erlangte  moralische  Vor- 
bereitung des  Angrifls  wird  keinen  Nutzen  bringen.'' 

,.Das  beste  Beispiel  dafür,   was  Truppen  ertragen  können,  bieten  widentandu- 
unsere  Artilleristen  in  Sewastopol:   Die  Verluste  unter  ihnen  waren  so 
gross,  dass  die  Bedienungsmannschaft  an  mehreren  Geschützen   nicht 
einmal  an  einem  Tage  abgelöst  wurde." 7) 

Wenn  aber  beim  Angreifer  ausserdem  Zweifel  an  rechtzeitige 
Unterstützung  aufkommen,  so  wird  er  sicherlich  den  Mut  sinken  lassen, 
so  dass  die  Leute  unwillkürlich,  fast  mechanisch  zurückgehen  werden. 

In  Hinsicht  darauf  entsteht  die  Frage,  welches  Schicksal  nicht  nur   schicbai 
diejenigen  Abteilungen  erwartet,  welche  zum  Sturm  gehen,  sondern  auch  geworfenen 
diejenigen,  welche  ihnen  in  der  Zeit  folgen,  wo  die  beim  Sturm  zurück-  a^j^hnen 
geworfenen  Truppen  sich  zurückziehen.  begegnenden 

General  Dragomirow,  bekannt  nicht  nur  als  Kenner  der  Kriegskunst  trappen, 
überhaupt,  sondern  speziell  als  Forscher  auf  dem  Gebiete  der  Kriegs- 
psychologie, sah  diese  Art  Zufälligkeiten  voraus.  Loebell  sagt  in  seinen 
„Jahresberichten"  in  einem  Artikel  über  die  Manöver,  die  unter  der 
Führung  des  Generals  Dragomirow  stattfanden,  dass  der  General  einst 
vorgehenden  Truppen  den  Befelil  geschickt  habe,  zurückzugehen,  während 
ihnen  folgende  Truppen  sich  vorwärts  bewegten.  Es  versteht  sich,  dass 
dabei  die  grösste  Unordnung  eintrat,  und  dass  viel  Zeit  nötig  war,  um 
die  Gefechtsordnung  in  den  Truppen  wieder  herzustellen.  Das  ungeschickte 
Verhalten  bei  der  WiederhersteUung  der  Formation,  welche  durch  die 
Begegnung  mit  den  Zurückgehenden  gestört  w^ar,  forderte  einen  strengen 
Verweis  heraus,  aber  später  verstanden  schon  zwei  Bataillone,  die  in 
einem  gleichartigen  Falle  in  Unordnung  geraten  waren,  schnell  ihre 
Formation  wiederherzustellen. 

Wir  verweilen  noch  einmal  bei  dem  Unterschiede  zwischen  den   Angnff.- 
jetzigen  Angriflsbedingungen  und  denen  früherer  Zeit.    Im  Hinblick  auf  ^*^fXeT" 
die   Abbildung  in   den   Beilagen,    welche   die   Abwehr    eines   Angrüfs   "»^jetet 
russischer  Truppen  auf  Plewna  zeigt,  bemerken  wir,   dass  ein  Teil  der 
zurückgehenden  Streitkräfte  ebenso  in  Eauchwolken  gehüllt  ist,  wie  sich 
vor  dem  hinter  den  Schanzen  befindlichen  Verteidiger  der  Rauch  ohne 
Unterbrechung  hinzieht.    Die  Abziehenden,  die  erst  einen  kui-zen  Raum 
durchschritten  hatten,  waren  schon  ausserhalb  des  mörderischen  Streich- 
feuers.   Wenn  der  Verteidiger  alle  Vorteile  aus  seinem  Erfolge  hätte 


0  „Thätigkeit  des  Detachements  des  Generals  Skobelew". 


636  VIL   Taktik  der  Infanterie. 


ziehen  and  den  Feind  hätte  verfolgen  wollen,  so  hätte  er  aus  den 
Verschanzungen  herausgehen  müssen.  In  der  Gegenwart  aber  verhüllt 
kein  Rauch  den  abziehenden  Feind  und  hindert  nicht,  ihn  zu  beschiessen, 
während  der  Verteidiger  hinter  den  Schanzen  bleibt  und  sich  nach  den 
vorher  ausgemessenen  Entfernungen  richtet. 

Daher  wird  jetzt  nicht  nur  auf  dem  Räume  der  früheren  Rasanz 
der  Kugeln,  sondern  auf  viel  grösseren  Entfernungen  die  Verfolgung  des 
zurückgehenden  Gegners  mit  mörderischem  Feuer  möglich  sein. 


12.    Die  üeberlegenheit  an  Streitkräften  im  Gefecht 

als  taktisclie  Aufgabe. 

Yefsttrkang  Der  Erfolg  im  Gefechte  wird  jetzt  wie  früher  durch  die  Thätigkeit 

Augriftunie  Überlegener  Streitkräfte  an  den  entscheidenden  Punkten  bedingt.  Indessen 
sdl^ft^uig.  ^^  ^^  ^^^'  ^*^^»  wenn  der  Gegner  über  eine  annähernd  gleiche  Truppen- 
zahl verfügt,  die  Gruppierung  überlegener  Streitkräfte  zum  Angriff  auf 
ihn  an  einer  Stelle  Schwächung  an  anderer  bedeutet.  Und  wenn  wir  an- 
nehmen, dass  die  Kräfte  des  Verteidigers  in  gleicher  Weise  aufgestellt 
sind,  so  wird  der  schwache  Punkt  des  Verteidigers  in  Gefahr  sein.  Wenn 
der  Angreifer  mit  allen  seinen  Kräften  den  Angriff  zu  gleicher  Zeit 
durchfuhrt,  so  wird  er  die  Wahrscheinlichkeit  des  Erfolges  dort  haben, 
wo  er  an  Zahl  stärker  ist,  aber  mit  gleicher  Wahrscheinlichkeit  wird  er 
an  dem  Punkte  Misserfolg  haben,  dem  er  einen  Teil  seiner  Truppen  ent- 
zogen hat. 
Erfoigwiohe  Audcrs  liegt  die  Sache  in  dem  Falle,  dass  er  imstande  ist.  nur 

*"  "*'  diejenigen  Abteilungen  ins  Gefecht  zu  fuhren,  die  den  ihm  entgegen- 
stehenden Teilen  des  Feindes  an  Kräften  überlegen  sind,  und  mit  den 
übrigen  so  zu  operieren,  dass  sich  der  Gegner  auch  an  jenen  Stellen  fiir 
ernstlich  bedroht  hält.  In  diesem  Falle  wird  der  Angreifer  den  Ver- 
teidiger an  einem  Punkte  schlagen,  ohne  sich  selbst  einer  Niederlage  an 
einem  andern  Punkte  auszusetzen.  Wenn  er  dann  auch  alle  übrigen,  bis 
dahin  aufgesparten  Kräfte  ins  Gefecht  führt,  so  wird  er  die  teilweise 
Niederlage  des  Gegners  an  einem  Punkte  in  eine  allgemeine  verwandeln. 
Dies  sind  in  kurzem  die  Prinzipien,  auf  denen  die  Führung  jedes 
Angriffs  gegründet  sein  muss,  mit  jenen  Abarten  ihrer  Anwendung,  welche 
durch  die  Umstände  bedingt  sind, 
^rf^d*^  Ein  erfolgreiches  Manöviieren  hängt  seinerseits  von  der  genauen 

Anfkiirung.  Aufklärung  der  gegnerischen  Stellung  ab,  welche,  wie  wir  schon  öfters 


TJeberlegenheit  an  Streitkräften  als  taktische  Aufgabe.  g37 

gesagt  haben,  durch  die  neuen  Verhältnisse  äusserst  schwierig  geworden 
ist,  so  dass  es  nicht  selten  nötig  sein  wird,  nach  dem  Gefühl  zu  erkennen. 
Auch  in  den  Manöverübungen  beklagt  man  sich  darüber,  dass  bei  dem 
rauchschwachen  Pulver  und  der  Durcheinanderwerfung  der  Truppenteile 
auf  beträchtlichem  Räume,  bei  der  aufgelösten  Ordnung  und  der  Benutzung 
von  Deckungen  es  schwierig  geworden  ist,  die  Translokationen  der 
gegnerischen  Teile  zu  beobachten  und  sie  von  den  eigenen  zu  unter- 
scheiden. 1) 

Schliesslich  macht  die  Zerstreuung  der  Truppenmassen  auf  be-  ^^Z^®"*' 
deutendem  Gelände  es  möglich,  dass  der  auf  einem  Punkte  durch  die 
Vereinigung  überlegener  Streitkräfte  erzielte  Erfolg  partiell  bleiben  kann, 
d.  h.,  dass  es  nicht  immer  gelingen  wird,  mit  einem  raschen,  allgemeinen 
Vorstoss  ihn  darauf  auch  beim  Angriff  auf  die  Hauptkräfte  des  Feindes 
zu  erzielen.  Dasselbe  kann  man  in  strategischem  Sinne  von  dem  völligen 
Siege  an  einer  Stelle  sagen,  den  es  nicht  immer  gelingen  wird  —  durch 
Zusammenfassung  aller  Kräfte  —  auf  den  Punkt  zu  lenken,  welcher  auf 
den  Ausgang  des  ganzen  Feldzuges  von  Einfluss  ist. 

Der  Umstand,  dass  es  den  Deutschen  im  Jahre  1870  gelang,  überall  ^i^  römg^n 
Ueberlegenheit  an  Kräften  zu  erreichen,  erklärt  sich  einfach  aus  der  viel 
grösseren  Stärke  der  deutschen  Armee  im  Vergleich  zu  der  damaligen 
französischen  und  enthält  daher  keine  Lehre  für  künftige  Kriege,  da 
eine  so  grosse  Verschiedenheit  im  Bestände  der  Armeen  sich  nicht  mehr 
wiederholen  wird. 

Frankreich  konnte  1870  für  Feldoperationen  im  ganzen  343  000  Mann  ^ruade. 
aufstellen;  da  aber  die  Truppen  in  ihrem  Friedensbestande  an  die  Ost- 
grenze geschickt  wurden  und  schon  auf  dem  Marsche  durch  Reserve  und 
Ersatz  vervollständigt  wurden,  und  da  die  Bekleidungsstücke  aus  Depots 
geliefert  wurden,  die  von  den  Regimentern  abgesondert  waren,  so  er- 
reichte die  Operationsarmee  nicht  die  genannte  Zahl.  Man  muss  hin- 
zufügen,  dass  der  Geist  der  französichen  Armee  damals  nicht  durch 
Revanchegefühle  für  frühere  Demütigungen  genährt  wurde  —  wie  es 
damals  in  der  deutschen  Armee  war  und  künftig  in  den  Reihen  der 
französischen  sein  wird  —  und  dass  andererseits  der  Geist  der  französi- 
schen Armee  durch  politische  Parteilichkeit  geschwächt  wurde,  welche 
die  Beförderung  der  Offiziere  und  die  Haltung  der  Mannschaften  be- 
einflusste.  Zu  Abteilungs- Kommandeuren  wurden  nur  solche  Offiziere 
ernannt,  die  sich  als  Bonapartisten  empfohlen  hatten,  und  bei  dem  Plebiscit 
im  Mai  1870  zur  Bestätigung  der  liberalen  Schwenkung  in  der  Konstitution 


*)  nJoumal  des  sciences  militaires".    „Role  de  rartillerie  dans  le  combat 
de  Corps  d'arm^e". 


ß38  Vn.   Taktik  der  Infanterie. 

—  ein  Plebiscit,  das  in  Wirklichkeit  den  Ausdruck  eines  Vertrauens- 
votums der  Nation  gegen  die  kaiserliche  Regierung  beabsichtigte  — 
wurden  von  den  Truppen  der  Armee  und  Marine  272000  Stimmen  für 
das  Regierungsprojekt,  46000  dagegen  abgegeben. 

Die  Ferner  war  die  Ausbildung   der  damaligen  französischen  Armee 

der  bedeutend  hinter  den  Nachbarn  zurückgeblieben,  was  die  Thatsache 
Traw  1870°  l^^weist,  dass  der  General  Stabschef  erst  während  der  Konzentration  der 
Truppen  an  der  Grenze  die  Korpskommandeure  auf  die  Notwendigkeit 
hinwies,  die  Truppen  im  Aufklärungsdienst  zu  üben,  während  in 
Deutschland  schon  im  Frieden  viel  Zeit  auf  die  Ausbildung  der  Truppen 
hierin  verwandt  worden  war. 

,    ^*?  ^  Schliesslich   hatte   die   französische  Artillerie  an  Geschützen  nur 

französische 

Artillerie,  etwas  mehr  als  die  Hälfte  der  deutschen,  aber,  was  das  Wichtigste  ist, 
die  französischen  Geschütze  waren  schlechter  als  die  deutschen,  und  die 
von  dem  deutschen  Generalstab  herausgegebene  Geschichte  des  Krieges 
erkennt  dieses  Faktum  ganz  unparteilich  an.  Wenn  auch  das  Chassepot- 
Gewehr  besser  als  das  Zündnadelgewehr  war,  so  konnte  doch  die  ver- 
hältnissmässige  Schwäche  der  französischen  Artillerie  nicht  dui-ch  die 
Ueberlegenheit  der  Infanteriewaffe  aufgewogen  werden. 
Deatechiands  j^  Deutschlaud  wareu  in  kurzer  Zeit  1183  000  Mann  an  der  West- 

üeber- 

legenheii  grcuze  zusammeugezogcu.  Wenn  man  daher  sowohl  der  musterhaften 
Höhe  der  Organisation  Deutschlands  als  auch  den  Fähigkeiten  seiner 
Heerführer  volle  Gerechtigkeit  widerfahren  lässt,  so  muss  man  doch 
gestehen,  dass  die  Ueberlegenheit  der  deutschen  Streitkräfte  in  der 
Mehrzahl  der  Schlachten  nicht  allein  durch  die  Kunst  des  Manövrierens 
und  der  Vorbereitung  des  Angriffs  durch  Artillerie  erreicht  wurde, 
sondern  vor  allem  durch  das  allgemeine  üebergewicht  an  Zahl  und 
besseren  Eigenschaften  der  Geschütze. 

sdü^ten  Daher  kann  bei  irgend  welchen  Vermutungen  über  einen  künftigen 

Krieg  das  Beispiel  von  1870  eine  nur  bedingte  Bedeutung  haben.  Bei 
der  ungeheuren  Ausdehnung  des  Schlachtfeldes,  welche  durch  die  neuesten 
Foitschritte  der  Artillerie  bedingt  ist,  ist  es  dem  Oberbefehlshaber  un- 
möglich geworden,  den  Gang  der  Schlacht  an  allen  Punkten  unmittelbar 
zu  beobachten,  die  Truppenteile  wie  auf  einem  Schachbrette  weiter  zu 
schieben  und  als  Keile  in  schwächere  Punkte  der  feindlichen  Linie 
hineinzutreiben.  Und  deshalb  wird  sich  der  Gang  jeder  Schlacht  ver- 
zögern. 

Die  Militärschriftsteller  nehmen  allgemein  an,  dass  der  Artilleriekampf 
vor  dem  Angriffe  sehr  lange  dauern  wird,  und  für  die  Schlacht  können 
2  bis  4  Tage  nötig  sein. 


Ueberlegenheit  an  Streitkräften  als  taktische  Aufgabe.  (339 


So  nimmt  Professor  Langlois^)  an,  dass  in  künftigen  Schlachten 
nicht  weniger  als  100  Schüsse  in  der  Stande  für  eine  Batterie  nötig  sein, 
und  dass  an  zwei  Tagen  zu  je  8  Gefechtsstunden  1600  Schüsse  für  die 
Batterie  oder  267  für  ein  Geschütz  herauskommen  wilrden.  Er  giebt 
sogar  zu,  dass,  wenn  die  Schlacht  3  bis  4  Tage  erfordert,  der  Verbrauch 
an  Ladungen  500  für  ein  ^Geschütz  betragen  könne  und  sagt,  dass,  wenn 
auch  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  der  Kampf  nicht  zu  diesem  Extrem 
gelangen  werde,  die  einfache  Vorsicht  es  doch  fordere,  dass  die  Batterie 
in  der  Lage  sei,  3000  Schüsse  in  4  Gefechtstagen  abzugeben. 

In  früheren  Kriegen  genügte   es,   nur  einige  Stunden  lang  über  v««*««'-'»»» 

,  d68  6ailg68 

überlegene  Streitkräfte  zu  verfügen,  um  den  Gegner  zu  vernichten.  In  künftiger 
Zukunft  wird  es  nicht  so  sein.  Bei  der  langen  Dauer  der  Schlacht  und 
ihrer  möglichen  Unterbrechung  in  den  Nächten  vsdrd  der  Schwächere 
frische  Unterstützungen  heranziehen  können.  Der  bekannte  und  sehr 
geschätzte  deutsche  Schriftsteller  Oberst  Lieberts)  führt  folgenden  Beweis 
dafür,  dass  die  Vervollkommnung  der  Waffen  den  Gang  der  Schlachten 
verzögert,  nicht  beschleunigt  hat.  „Das  Massieren  grosser  Truppen- 
verbände zum  Gewaltstoss  ä  la  Napoleon  ist  nicht  mehr  durchführbar. 
Selbst  die  Brigademassen  der  Oesterreicher  zerschellten  1866  schon  vor 
dem  Feuer  des  Zündnadelgewehrs.  Bei  dem  Magazingewehr  kleinen 
Kalibers  aber  ist  es  unmöglich,  dem  Verteidiger  mit  geschlossenen  Massen 
entgegenzutreten,  so  lange  er  überhaupt  noch  Patronen  besitzt.  Man 
baue  auch  nicht  zu  viel  auf  die  Zerrüttung  und  Demoralisierung  durch 
das  Gefecht.  Seiner  Haut  wehrt  sich  jeder  bis  zum  Aeussersten,  so  lange 
er  seine  Wafle  gebrauchen  kann.  Die  Erfahrung  des  Winterfeldzugs 
1870/71  hat  gelehrt,  dass  auch  den  zusammengerafften  und  mangelhaft 
ausgebildeten  Mobilgarden  nur  höchst  selten  ein  Vollsieg  abzuringen  war. 
Für  gewöhnlich  wurden  sie  zwar  aus  einer  Stellung  verdrängt,  setzten 
sich  aber  schnell  genug  wieder  irgendwo  fest  und  mussten  am  folgenden 
Tage  von  neuem  angegriffen  werden.  Jeder  neue  Angriff  muss  ebenso 
gut  wie  der  erste  durch  Feuer  vorbereitet  und  mit  Feuer  durchgefühlt 
werden.  Der  blosse  Befehl :  Drauf!  thut  es  nicht,  sondern  der  betreffende 
Truppenkörper  muss  genau  in  der  richtigen  Direktion  angesetzt,  er  muss 
der  Lage  entsprechend  gegliedert  und  aufgelöst,  das  Feuer  muss  richtig 
begonnen  und  geleitet,  zum  höchsten  Maasse  gesteigert  und  auf  wirk- 
samste Nähe  herangetragen  werden.  Und  erst  wenn  die  Wirkung  beim 
Feinde  sich  bemerkbar  macht,  kann  der  letzte  Anlauf  gemacht  werden." 


')  Langlois:  „L'artillerie  de  campagne  en  liaison  avec  les  autres  armes", 
Paris  189-2. 

»)  Liebert:  „Die  Verwendung  der  Reserven  in  der  Schlacht".  „Militär- 
Wochenblatt"  1895. 


640  "^n.   Taktik  der  Infanterie. 

-  ^  _ 

^""1^*/°"*  Aber  für  dies  alles  wird  viel  Zeit  erforderlich  sein.    Die  Beispiele 

Feidittge   schneller  Entscheidung  einiger  Schlachten  in  den  Kriegen  1866  bis  1870 
1866/70.    ]j,^j^jjgj^  mc\ii  als  Beweise  für  die  Zukunft  gelten,  weil  die  Kraft  der 

Feuerwaffen  sich  um  mehrere  Male  vergrössert  hat,  und  weil  sich  in 
jenen  Kriegen  auf  Seiten  der  Deutschen  von  den  Gregnern  nicht  erwartete 
Ueberlegenheit  in  diesen  oder  jenen  Verhältnissen  zeigte,  die  auf  die 
Energie  dieser  Gegner  moralischen  Einfluss  hatte.  Daher  schreibt  General 
V.  Janson^):  „Das  Charakteristische  für  die  Feldzüge  1866  und  1870  war 
auf  deutscher  Seite  das  allgemeine  Streben  nach  vorwärts  und  die  ausser- 
ordentliche Initiative  der  Unterführer  bis  zum  Kompagnieführer  ein- 
schliesslich, so  weit  gehend,  dass  eine  Lockerung  aller  Verbände  eintrat, 
die  bei  einem  Misslingen  des  Angriffs  höchst  verderblich  werden  musste. 
Es  trat  auch  eine  beständige  Neigung  zur  Umfassung  des  Gegners  hervor; 
die  Folge  waren  ausgedehnte,  dünne  Fronten,  die  einem  offensiveren 
Gegner  gegenüber  gefährlich  werden  konnte".  An  anderer  Stelle  bemerkt 
er  femer:  „Im  Kriege  1870  überwogen  Begegnungsgefechte  (combats  de 
rencontre),  bei  denen  leicht  ein  Uebergang  des  Verteidigers  zur  Offensive 
eintreten  kann,  wofern  derselbe  nur  einige  Thätigkeit  zeigt", 
ueber-  jm  Uebrigeu  wird,  wie  oben  gezeigt  ist,  die  wirkliche  Ueberlegenheit 

des      der  angreifenden  Kräfte  über  die  verteidigenden  nicht  durch  das  arith- 
Angreife«.  jnß|;igßjjß^  soudem  durch  das  geometrische  Verhältnis  ihrer  Kräfte  be- 
stimmt:  der  Angreifer  kann  eine  sichere  Ueberlegenheit  an  Kräften  nur 
in  dem  Falle  haben,  wenn  sein  Truppenbestand  zwei-  und  di*eifach  den 
des  Verteidigers  übertrifft. 


13.   Zerstörung  von  Schanzen  durch  die  Thätigkeit 

der  Mörser. 

ver-  Der  Verteidiger  schüttet  ohne  Schwierigkeit  nicht  nur  Deckungen 

dee      auf,  die  zur  Verteidigung  gegen  Gewehrfeuer  genügen,  sondern  auch 
Verteidige«,  g^i^j^^  Schauzcu,  die  weder  Shrapnels  noch  die  gewöhnlichen  Granat- 
splitter durchschlagen  können, 
oeechoase  Um  gcgcu   eiueu  hinter  solchen  Schanzen  befindlichen  Verteidiger 

Angreifers.  ZU  opeiiereu,  wird  die  Feldartillerie  Granaten  mit  verstärkter  Ladung 
anwenden,  bei  deren  Explosion  die  Splitter  unter  einem  beträchtlichen 
Winkel  vom  Boden  zurückgeworfen  werden  und  den  Verteidiger  über  die 
Schanzen  hinweg  treffen  können. 


*)  General   v.  Janson:   ^T^iQ  Entwickelung  unserer  Infanterie-Taktik  seit 
unseren  letzten  Kriegen".    „Militär- Wochenblatt"  1895. 


ZerstÖrong  von  Schanzen  durch  Mörser.  g41 


üeberdies  sind  speziell  zur  Operation  gegen   Schanzen   in  allen    ^*"^- 
europäischen  Armeen  leicht  transportierbare  Mörser  von  sehr  grosser 
Wirkung  eingeführt.    Deren  Geschosse  können  bisweilen  den  Verteidiger 
zwingen,  die  Schanze  zu  verlassen,  ohne  den  Infanterie-Angriff  abzu- 
warten. 

In  der  That  hat  der  Versach  gelehrt,  dass  eine  Mörserbatterie,  die   wirbmg 

ddf 
100  Sprenggranaten  auf  1700  Meter  in  die  Schanzen  geworfen  hatte,  eine    M«ra«r. 

Seite  einer  Schanze  vollkommen  zerstört  hat,  und  natürlich  würde  die 

Infanterie    gezwungen   sein,    sie    zu  verlassen,   bevor   dieses  Resultat 

erreicht  wäi*e.    Aber  die  Technik  ist  noch  weiter  vorgeschritten.    Es 

wurden  Versuche  mit  Geschossen  angestellt,  die  mit  Ekrasit  geladen 

waren;  beim  Schiessen  damit  auf  Pallisaden  in  der  Breite  von  Gliedern 

zu  100,  250  und  600  Mann  aaf  300,  750  und  1000  Meter  Entfernung  zeigte 

es  sich,  dass  kein  Mann  im  Gliede  unverletzt  geblieben  wäre.^) 

E^  ist  zweifellos,  dass  die  Anwendung  von  Mörsern  mit  solchen 
Ladungen  die  Zahl  der  Verluste  erhöht,  aber  wenn  man  gleiche  Bewafi- 
nung  und  gleichen  Mut  auf  beiden  Seiten  voraussetzt,  so  muss  man  zu- 
geben, dass  auch  die  Verteidigung  ebensolche  Mörser  und  Haubitzen  be- 
sitzen und  sie  ebenso  erfolgreich  benutzen  wird,  so  dass  zwischen  den 
Mörserbatterien  beider  Seiten  ein  Zweikampf  stattfinden  wird. 

Man  muss  erwägen,  dass  es  leichter  ist,  einen  Wall  an  beliebiger  sckwierig- 
Stelle  aufzuschütten  als  eine  Mörserbatterie,  deren  es  überhaupt  wenige  \n  äw  ab- 
giebt,  heranzuführen,  und  dass  eine  an  einer  Stelle  zerstörte  Schanze  an  alMiSSr. 
anderer  erneuert  werden  kann.    Üeberdies  vermögen  die  Feldmörser  nach 
Aussage  des  Generals  Wille^)  nicht  weiter  als  drei  Kilometer  zu  tragen, 
und  daher  können  sie  bei  der  Tragweite  der  jetzigen,  gewöhnlichen  Ge- 
schütze auf  diese  Nähe  nicht  herangeführt  werden. 

Schliesslich  sind  die  Mörsergeschosse  so  schwer,  dass  eine  Batterie 
nur  eine  begrenzte  Anzahl  davon  haben  kann,  und  die  Verteidigung  wird 
sich  natürlich  eine  Stellung  wählen,  an  die  es  schwierig  ist  eine  grössere 
Menge  solcher  Geschosse  heranzubringen. 

Wir  wollen  annähenid  die  Geschossmenge  berechnen,  welche  zur  z^ 
erfolgreichen  Beschiessung  von  Erdaufschüttungen  nötig  wäre.  Zur  Zer-  *  ~"* 
Störung  einer  Brustwehr  von  3,66  Meter  Kammbreite  und  2,16  Meter  Höhe 
auf  1100  Meter  Entfernung  sind  10  Geschosse  für  1  Meter  Länge  er- 
forderiich.  Aber  auf  dem  Schlachtfelde  ist  es  schon  schwer,  sich  dem 
Damme  auf  1500  Meter  zu  nähern,  da,  abgesehen  von  der  Wirkung  der 
Schnellfeuer-  und  Feldgeschütze  der  Verteidigung,  das  Infanteriefeuer 


*)  Witte  in  „Löbeirs  Jahresberichten**. 
')  WiUe:  „l^as  kommende  Feldgeschütz**. 

Bloch,  D«T  uMBfUge  Kriflf.  41 


642  Vn.  Taktik  der  Infanterie. 


allein  dem  hinderlich  ist.  Ueberdies  ist  bei  den  mit  Ekrasit  geladenen 
Geschossen  die  Zielsicherheit  geringer  als  bei  den  gewöhnlithen  Granaten, 
so  dass  man  statt  der  genannten  10  Geschosse  anf  1  Meiter  Länge  15  und 
wsArscheinlich  noch  mehr  aiinehinen  muss. 

Folgerung.  Daher  leuchtet  ein,   dass  zu  irgend  welcher  Beschädigung  einer 

Sclianze  die  ganze  Geschossmenge  nötig  sein  wird,  die  bei  den  Batterien 
des  ganzen  Korps  vorhanden  ist,  und  bei  alledem  kann  die  Schanze  noch 
so  stark  bleiben,  dass  die  feindliche  Infanterie  sie  von  neuem,  wenn  es 
möglich  ist,  besetzen  kann.  Man  kann  daher  annehmen,  dass  Ekrasit- 
geschosse  zur  Beschiessung  von  Erdwerken  in  der  Schlacht  nicht  zu  ver- 
wenden sind.«) 

onaaten.  Was  die  gewöhnlichen  Granaten  betrifft,  so  können  sie  zwar  auf 

weite  Entfernungen  verfeuert  werden,  aber  erst  nach  sorgfaltigem 
Einschiessen,  das  Zeit  erfordert.  Dazu  kommt,  dass  diese  Granaten  von 
schwacher  Wirkung  in  die  Tiefe  sind  und,  wie  die  deutsche  Felddienst- 
Ordnung  anerkennt,  ohne  genaues  Einschiessen  nicht  auf  die  Schanzen 
treffen,  d.  h.  die  verlangte  Wirkung  nicht  haben.  Aber  das  Einschiessen 
ist  um  so  schwieriger,  je  grösser  die  Entfernung  ist,  und  in  jedem  Falle 
kann  die  Verteidigung,  wofern  sie  nur  Zeit  dazu  hat,  leicht  neue  Wälle 
aufwerfen,  wenn  auch  nur  zur  Deckung  für  liegende  Schützen. 

Beispiele  Dcu  bcstcu  Bcwcis  dafür,  dass  Erdbefestigungen  trotz  der  Vervoll- 

Bedentmg  kommuuug  der  Artillerie  ihre  sehr  grosse  Bedeutung  bewahrt  haben,  liat 
Erdwerti-  <Me  Belagerung  von  Plewna  erbracht.  Plewna  war  ursprünglich  gar  keine 
gangea.  Festuug  odcr  bcfestigtc  Stadt,  sondern  einfach  eine  von  Natur  starke 
Stellung,  die  Osman  Pascha  ausgewählt  hatte.  Aber  durch  schnelle  Auf- 
führung starker  Werke  wurde  Plewna  in  ein  befestigtes  Lager  verwandelt, 
in  welchem  sich  die  60000  Mann  starke  türkische  Armee  mit  100  Ge- 
schützen 41/3  Monate  lang  gegen  die  russische  Armee  hielt,  welche  sich 
bis  auf  110000  Mann  belief  mit  600  Geschützen,  unter  denen  sich  eine 
grosse  Zahl  Belagerungsgeschütze  befand. 

Bei  den  jetzigen  Mitteln  wird  es  sehr  leicht  sein,  Befestigungen  wie 
die  von  Plewna  aufzuführen,  und  zugleich  würden  zu  ihrer  Zerstörung 
zahlreiche  Mörserbatterieen  nötig  sein. 

Besonders  haben  im  Jahre  1877  die  Schanzen  grosse  Vorteile  ge- 
bracht, und  zwar  nicht  nur  den  türkischen,  sondern  auch  den  rassischen 
Truppen.  So  konnten  die  Türken  ungeachtet  ihrer  Ueberlegenheit  an 
Streitkräften  die  Russen  nicht  vom  Schipka  vertreiben.    Wenn  man  aber 


')  „Revue  de  rannte  belge^.     A.  Janotte:   „i^Stude  concemant  rinflaence 
des  engins  nouveaux  sur  le  champ  de  bataille^. 


Umfassung  statt  Frontangriffs.  g43 


annimmt,  d^ss  die  Mörser  mit  ihrem  Feuer  Breschen  in  die  Yerteidigangs- 
werke  schiessen  und  den  angreifenden  Truppen  ermöglichen  werden,  näher 
heranzukommen,  so  braucht  man  gleichwohl  das  Gefecht  noch  nicht  füi* 
entschieden  zu  halten.  Sobald  das  Feuer  der  Artillerie  aufhört,  damit 
die  Infanterie  zum  Angriff  schreiten  kann,  wird  der  Gegner  in  die 
Stellungen  zurückkelu-en,  aus  denen  er  schon  vertrieben  war,  und  kann, 
hinter  den  übrig  gebliebenen  Erdhaufen  sich  deckend,  den  Angiiff 
zurückschlagen. 

General  Skugarewski*)  macht  darauf  aufmerksam,  dass  die  russischen  weitere 
Truppen  trotz  vierfacher  üeberzahl  und  verzweifelter  Tapferkeit  lange 
nicht  im  Stande  waren,  in  die  Bedoute  Dubnjak  einzudringen,  obgleich  sie 
stellenweise  auf  100  Schritt  herankamen.  Bei  der  Mehrzahl  der  vergeb- 
lichen Angriffe  bei  Plewna  gelang  es  den  russischen  Truppen,  wenn  auch 
mit  grossen  Verlusten  bis  auf  Bajonnetnähe  heranzukommen;  Beispiele 
von  der  Ueberschreitung  dieser  Linie  gehören  zu  den  Seltenheiten. 


.14.  Umfassung  statt  Frontangriffs. 

Zur  Vermeidung  von  Frontangriften,  die  zu  teuer  zu  stehen  kommen, 
dient  die  Umfassung  der  Stellung  in  den  Flanken  oder  der  Flanken- 
angriff. 

Flankenumgehungen  haben  eine  grosse  moralische  Wirkung.  „Drei  Momiische 
Soldaten  im  Rücken  des  Feindes  gelten  so  viel  als  fünfzig  vor  der  Front", 
hat  Friedrich  II.  gesagt.  Nach  Marschall  Bugeaud  ist  „der  menschliche 
J'erstand  so  veranlagt,  dass  ihn  im  Kriege  eine  Gefahr  in  der  Flanke 
melir  beunruhigt,  als  zehn  vor  der  Front."  Der  preussische  General 
Verdy  du  Vernois,  ein  bekannter  Militärschriftsteller,  drückt  sich  über 
die  Bedeutung  von  Flankenumgehungen  in  der  jetzigen  Taktik  folgender- 
maassen  aus:  „Der  Frontangrifi  auf  eine  gute,  von  Infanterie  besetzte 
Stellung  bietet  heutzutage  wenig  Aussicht  auf  Erfolg,  Wenn  er  nicht  in 
genügendem  Maasse  von  der  Artillerie  vorbereitet  und  unterstützt  ist, 
selbst  eine  sehr  grosse  Ueberlegenheit  an  Zahl  sichert  keinen  Erfolg." 
Man  muss  daher  immer,  wenn  möglich,  bei  einem  Frontangriffe  zugleich 
die  Flanken  des  Gegners  bedrohen.  Nur  ein  Ausnahmefall  könnte  die 
Führung  des  Angriffs  bloss  auf  einer  Front  rechtfertigen,  i) 


•)  nAngriffe  der  Infanterie." 

')  General  Bernard:  „Tactique  et  Strategie",  Paris  1894. 

41 


644 


Vn.   Taktik  der  In&nterie. 


Um  zn  berechnen,  in  welchem  Grade  das  genannte  Mittel  den 
Charakter  eines  zukünftigen  Krieges  beeinflossen  kann,  mössen  wir  für 
den  Leser  einige  Vorbemerkungen  machen. 

Der  Flankenangriff  kann  unmittelbar  sein,  nnd  in  diesem  Falle 
heisst  er  Seiten-  oder  Flankenangriff  im  engeren  Sinne;  oder  er  kann 
umfassend,  den  Ge^er  einschliessend  sein,  wenn  dessen  beide  Teile 
umgangen  werden,  um  ihn  im  RUcken  zu  fassen.  Die  letztere  Art  ver- 
langt ein  sehr  grosses  Uebergewicht  von  Kräften,  welches  beide  Flügel 
des  Gegners  zu  umfassen  gestattet.  Soll  aber  die  Umfassung  gelingen, 
so  sind  günstige  Verhältnisse  erforderlich,  z.  B,  wenn  die  Umfassnng 
anter  dem  Schutze  natürlicher  Deckungen  ausgeführt  werden  kann,  da- 
mit der  umfassende  Angreifer  nicht  seine  eigene  Flanke  einem  sie  be- 
streichenden Feuer  seitens  der  Verteidigung  aoäsetze,  oder  wenn  die  Zahl 
des  Angreifers  der  der  Verteidigungsstellung  so  überlegen  ist,  dass  er 
eine  Schützenlinie  vor  derselben  zurücklassen  nnd  mit  den  übrigen 
Teilen  sie  umfassen  kann.  Dies  gelang  auch  den  Deutschen  im  Jahre  1870 
durch  ihre  dreifache  Ueberlegenlieit  über  die  französischen  Streitkräfte. 
Es  ist  klar,  dass  die  die  Flanke  umgehenden  Angreifer  auf  die  Verteidiger 
ein  Flankenfeuer,  sogar  geradezu  ein  Enfllierfener  eröffnen  können, 
welches  furchtbare  Wirkung  hat. 


Feaer  Hnkncbt  ar  Linis. 
Verschiedene  Neigungen  des  Gewehrfeners. 


TJmfassunig  statt  Frontangriffs.  g45 

Die  Erfahrung  lehrt,  dass,  wenn  das  Feuer  auf  feindliche  Linien  im  T^^'^"!^**** 

des  Fiftnken- 

Winkel  von  45  Grad  abgegeben  wird,  seine  Wirkung  in  mehr  als  fenem. 
doppeltem  Verhältnis,  und  zwar  von  3  zu  7,  zunimmt.  Und  je  grösser 
diese  Neigung  ist,  je  schräger  die  Richtung  des  Feuers  auf  die  Reihen 
bei  genügender  Tiefe  ist,  um  so  grösser  wird  die  Wirksamkeit  des  Feuers 
sein.  Das  Maximum  dieser  Wirksamkeit  wird  bei  Flanken-,  Enfilier- 
feuer  erreicht,  wo  die  Schüsse  längs  der  Linie  des  Gegners  streichen, 
wobei  die  Treftfläche  der  Front  seiner  Linie  gleich  ist.  Dies  stellen 
nebenstehende  Grundrisse  dar. 

Das  Enfilierfeuer  (Längsbestreichungsfeuer)  haben  die  Truppen 
immer  am  meisten  gefürchtet,  und  es  ist  klar,  je  besser  die  jetzigen 
Waffen,  um  so  furchtbarer  ist  die  Wirkung  dieses  Feuers.  Aber  schliess- 
lich wird  jede  Umfassung  wieder  zum  Frontangrifl ;  der  Feind  ändert  die 
Front,  und  die  umfassenden  Truppen  des  Angreifers  müssen  in  der  be- 
kannten Art  mit  ofienen  Sprüngen  oder  mit  versteckter  Annäherung  an- 
greifen. 

Uebrigens  sind  die  Bedingungen  für  die  Umfassung  in  Zukunft  ^"J*JJ[J®°" 
schon  weniger  günstig  als  im  Jahre  1870.  Darüber  sagt  v.  d.  Goltz: 2)  in  zakunft. 
„Im  Jahre  1870  entschied  den  Sieg  oft  der  Flankenangriff  eines  relativ 
schwachen  Detachements  der  Angriflsarmee.  Aber  in  Zukunft  wird  sich 
dies  schwerlich  wiederholen,  weil  der  Verteidiger  im  Hinblick  auf  die 
Beispiele  von  1870  sich  bemühen  wird,  seine  Flügel  zu  verstärken  und 
die  Flanken  zu  sichern,  indem  er  die  Reserven  hierfür  verständig  be- 
nutzt. Es  wäre  unnütz  zu  berechnen,  dass  es  auch  in  Zukunft  bei  der 
umfassenden  Bewegung  möglich  sein  wird,  beim  Gegner  eine  schmale 
und  schwache  Front  zu  finden,  so  dass  allmählich  die  ganze  feindliche 
Gefechtslinie  vernichtet  werden  könnte.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
werden  die  Flanken  so  stark  gemacht  werden,  dass  bei  der  Umfassung 
an  ihnen  selbst  eine  Art  Frontgefecht  sich  entwickeln  wird.  Aber  man 
muss  sagen,  dass  auch  in  diesem  Falle  für  den  Verteidiger  eine  Un- 
bequemlichkeit bleiben  wird:  er  wii-d  auf  nicht  rechtzeitig  vorbereitetem 
Boden  kämpfen  und  von  fernher  geeignete  Streitkräfte  zusammenziehen 
müssen.  Auf  Seiten  des  Angreifers  wird  gleichwohl  der  Vorzug  der 
Initiative,  der  Entschlossenheit  sein,  aber  den  Angriff  auf  beide  Flügel 
des  Feindes  und  auf  seine  Flanken  wird  der  Angreifer  nicht  mit  kleineren 
Abteilungen,  sondern  mit  den  Hauptkräften  führen  müssen.  Fi'üher  ge- 
nügte zur  Umfassung  ein  Korps,  auch  ein  halbes,  während  drei  bis  fünf 
Korps  den  Verteidiger  in  der  Front  angriffen.    In  Zukunft  dagegen  wird 


»)  „Das  Volk  in  Waffen." 


646  ^VTI.   Taktik  der  Infanterie. 


mau  die  Hauptkräfte  zur  Umfassuug  verwenden  müssen,  und  nur  der 
übrige  Teil  der  angreifenden  Truppen  wird  vor  der  Verteidigungsfront 
bleiben.  Die  Wichtigkeit  der  einen  wie  der  anderen  Aufgabe  hat  sich 
geändert."  Aber  aus  diesen  Woi-ten  des  deutschen  Schriftstellers  geht 
schon  hervor,  wie  gross  zur  Umfassung  der  Flügel  und  zur  Umzingelung 
des  Verteidigers  die  Ueberlegenheit  der  Angriffskräfte  sein  muss. 

surke  Die  Flankenstellung  erhält  wie  überhaupt  jede  andere  und  auch 

Stellung!"  eine  ganze  Festung  ihre  Bedeutung  nicht  durch  ihre  Stärke  allein,  sondern 
vor  allem  durch  die  ihr  innewohnende,  lebendige  Kraft:  eine  ausreichende 
Besatzung  und  verständige  Leitung  der  Verteidigung.  Wenn  also  eine 
Flankenstellung  nur  mit  schwachen  oder  wenig  ausgebildeten  Truppen 
besetzt  ist,  so  kann  der  Angreifer  zum  Schutze  seiner  Verbindungen  nur 
einen  Teil  seiner  Truppen  vor  der  Stellung  belassen  und  mit  den  übrigen 
seinen  Vormarsch  auf  das  Hauptziel  seines  Angriffs  fortsetzen.  Wir 
fuhren  zwei  Beispiele  an.  Im  Jahre  1866  gingen  die  preussischen  Haupt- 
kräfte vor,  nachdem  sie  nur  ein  Beobachtungsdetachement  gegen  die 
zweit«  österreichische  Armee  abgesondert  hatten,  welche  vorher  nach 
Olmütz  zuiiickgegangen  war.  Im  Kriege  1870  beachtete  Prinz  Friedrich 
Karl,  welcher  mit  der  zweiten  Armee  die  französischen  Streitkräfte  west- 
lich auf  Le  Maus  zu  verfolgte,  die  französische  Division  Gurten  nicht, 
welche  bei  St.  Amand  in  seiner  linken  Flanke,  ja  fast  im  Rücken  er- 
schienen war.  3) 
Folgerung.  Es  ist  daher  notwendig,  dass  der  Verteidiger  in  einer  Flanken- 

stellung durchaus  selbst  so  viel  Offensivkraft  besitzt,  um  einen  fühl- 
baren Stoss  gegen  die  vom  Feinde  unternommene  Flankenumfassung  zu 
führen. 
^Vit"*  ^*  ^^^  ^^  einem  künftigen  Kriege  auf  beiden  Seiten  gleich  grosse 

des  Flanken-  Streitkräfte  annehmen  kann  und  überhaupt  alle  neuen  Verhältnisse  der 

•  gm 

an»"  ••  Xriegsführung  eher  der  Verteidigung  zu  gut  kommen,  so  wird  es  nicht 
schwer  sein,  Flankenumfassungen  zu  paralysieren.  Die  heutigen  Massen- 
armeen können  sich  nicht  zu  weit  von  den  Eisenbahnen  entfernen,  und 
deshalb  ist  ihre  Bewegung  leichter  vorauszusehen.  Wählend  der  An- 
greifer die  nicht  mehr  grosse  Freiheit  in  der  Wahl  der  Richtung  benutzt, 
muss  er  in  dieser  Zeit  noch  mehr  als  früher  für  die  Deckung  seiner  Ver- 
bindungen Sorge  tragen.  Wie  schon  an  anderer  Stelle  erwähnt,  wurden 
1870  zur  Deckung  der  deutschen  Armee  im  Rücken  bis  145  712  Mann  mit 
B946  Pferden  und  80  Geschützen  verwandt.  Der  Verteidiger  braucht 
viel  weniger. 


')  Bigge:  „Feldmarschall  Graf  Moltkes  Ansichten  über  Flankenstellungen**, 
„Militär- Wochenblatt"  1895. 


Umfassung  statt  FrontangrifTs.  ß47 

Wir  führen  noch  andere  Bedenken  gegen  das  Gelingen  von  Flanken-    weiter» 

Bedenken. 

nmfassnngen  in  künftigen  Kriegen  an.  Bigge^)  bemerkt,  dass  Napoleon 
in  den  Feldzugen  1800,  1806  und  1806  bereits  die  ersten  Streitkräfte 
seines  allgemeinen  Aofmarsches  in  die  Flanke  des  Gegners  verlegen 
konnte,  so  dass  bei  dem  folgenden  Haupt-Vormarsch  die  Verbindungen 
der  Verteidiger  schon  in  seinen  Händen  waren  nnd  der  erste  Zusammen- 
stoss  zu  einem  Ulm  oder  Jena  führte.  Heutzutage  wird  dies  nur  selten 
mehr  möglich  sein.  Da  beide  Teile  alle  ihre  Eisenbahnen  zum  Aufmarsch 
benutzen,  so  wird  der  strategische  Aufmai'sch  beider  Armeen  durchaus 
frontal  erfolgen,  und  ein  erhebliches  üebergewicht  an  irgend  einem 
Punkte  wird  wenig  wahrscheinlich  sein. 

Dazu  kommt,  dass  zur  Zeit  Napoleons  die  Eonzentrierung  der  Armeen  Auftnancb 

def 

durch  Märsche  erfolgte,  wobei  Zeit  genug  vorhanden  war,  den  Aufmarsch  Armeen, 
des  Gegners  zu  erkennen  und  die  eigene  Konzentrationslinie  in  dessen 
Flanke  zu  verlegen.  Heutzutage  aber  verbietet  die  Schnelligkeit,  mit 
der  die  Mobilmachung  vollzogen  wird,  und  der  Aufmarsch  selbst,  letzteren 
mehr  oder  weniger  nach  Gutdünken  vorzunehmen,  er  muss  auf  dem  Plane 
fertig  gestellt  werden,  der  schon  in  Friedenszeit  genau  ausgearbeitet  ist, 
und  nur  mit  Schwierigkeit  könnte  man  ihn  ändern,  selbst  wenn  der  Gegner 
seine  Flanke  bieten  sollte. 

Erst  nach  Beendigung  des  Aufmarsches,  bei  den  weiteren  Opej^ationen,  ^'««»jcfckeJt 
können  natürlich  Fälle  eintreten,  wo  ein  zufaDiges  Üebergewicht  an  einem  umfaMung. 
Punkte  den  Gegner  in  der  Flanke  zu  fassen  gestattet.  „Das  Manöver," 
fährt  derselbe  Schriftsteller  fort,  „mit  welchem  Napoleon  seine  Feldzüge 
zu  eröffnen  pflegte,  wird  sich  heute  erst  nach  den  ersten  Zusammen- 
stössen  entwickeln.  Wir  können  nicht  mehr  gleich  mit  einem  Ulm  oder 
Jena  beginnen,  aber  wir  können  vielleicht  nach  einem  Wörth  und  Spichem 
unsere  Operationslinie  so  wählen,  dass  \\1r  den  Gegner  zu  einem  Gravelotte 
zwingen." 

In  jedem  Falle  wird  die  Möglichkeit  für  Flankenumfassungen  schon  K»«*wenuig 
durch  die  Massenhaftigkeit  der  jetzigen  Heere  und  die  Ausdehnung  des 
von  ihnen  eingenommenen  Raumes  erschwert.  Solche  Umfassungen  kann 
man  nur  ausführen,  wenn  sie  zußillig  gelegen  kommen,  aber  künstlich 
darf  man  sie  besonders  deswegen  nicht  vorbereiten,  weil  bei  den  ge- 
waltigen Massen  der  Armeen  der  Operationsplan  vereinfacht  werden  muss 
und  komplizierte,  gekünstelte  Kombinationen  dem  schaden  können,  der 
sie  anwenden  würde. 


^)  Bjgge:  „Feldmarschall  Graf  Moltkes  Ansichten  über  Flankenstellungon*^, 
„Militär-Wochenblatt**  1895. 


048  ^^^   Taktik  der  Infanterie. 


Erforder-  gg  igt  hiiizuzufügen,  dass  eine  Flankenbewegang,  die  gewöhnlich 

darauf  berechnet  ist,  dem  Gegner  in  der  Besetzung  einer  Stellung  zuvor- 
zukommen, besonders  gut  ausgebildete  Truppen  und  die  Voraussicht  aller 
Chancen  bei  möglichst  rascher  Ausführung  des  Unternehmens  erfordert, 
das  in  jedem  Falle  gefahrlich  ist.  Daher  entsprechen  derartige  Bewegungen 
nicht  der  Zusammensetzung  der  jetzigen  Armeen,  in  denen  Ve  Ersatz-  und 
Reserveleute  sind. 

DeMrtiooen.  jg  häufiger  Märschc  unternommen  und  die  Truppen  zerstreut  werden, 

um  so  mehr  werden  einzelne  Leute  und  auch  ganze  Abteilungen  dem  Gefecht 
aus  dem  Wege  und  bei  Seite  gehen.  Im  Jahre  1870  gab  es  besonders 
viele  in  der  deutschen  Armee  (den  Landwehrtruppen),  die  eigenmächtig 
die  Glieder  verliessen,  wie  dies  auch  der  offizielle  Bericht  zugiebt  („Euss. 
Jnval."  1892,  No.  262). 

Weitere  Ausserdem  wird  ein  künftiger  Krieg  ein  Kampf  hinter  befestigten 

keiteiu  Stellungen  sein,  welche  überall  aus  der  Erde  herauswachsen  werden,  wo 
nur  Punkte  strategisch  dazu  tauglich  sind.  Und  da  die  beweglichen 
Abteilungen  der  Infanterie,  Kavallerie  und  Artillerie  sich  iingsherum  auf 
bedeutendem  Räume  zerstreuen  werden,  Verbindungswege  und  Zufuhr 
abschneidend,  so  wird  jede  Waffenthat  gehemmt  werden.  Es  ist  noch 
zu  bemerken,  dass  die  Zufuhr  von  Munition  zur  Eroberung  von  Schanzen 
und  Befestigungen  und  die  Herbeischaffung  von  Proviant  für  die  grossen 
Armeen  schwierig  sein  wird.  Hunger  wird  der  beständige  Begleiter  der 
Heere  sein,  und  da  das  französische  Sprichwort  gilt:  „Ventre  affamä  i 
point  d'oreilles",  so  wird  der  Verfall  der  Disziplin  Desoi*ganisation  zur 
Folge  haben.  Man  darf  femer  nicht  vergessen,  dass  bei  der  Erregbarkeit 
und  Nervosität,  mit  der  das  jetzige  Geschlecht  behaftet  ist  und  welche 
sich  im  Kriege  gewöhnlich  noch  steigert,  jedes  schlechte  Beispiel  eines 
wenn  auch  nur  kleinen  Teils  der  Mannschaften  sehr  verderblich  auf  den 
Erfolg  des  Krieges  wirkt. 

Meraiieehe  Schou  Proudhou  hat  gesagt:  „Der  Soldat,  der  fürs  Vaterland  in  den 

or  eniiig.  j^^j^^p^  zieht,  muss  sich  über  sich  selbst  nicht  allein  durch  Energie  und 

Tapferkeit,  sondern  auch  durch  Tugenden  bis  zur  Heiligkeit  erheben."*) 

Aber  man  darf  fragen :  Welchen  Grund  soll  man  dafür  annehmen,  dass 

die  heutigen  Heere  gerade  aus  solchen  Soldaten  bestehen  werden? 

Ettokbuck.  Um  das  oben  Gesagte  kurz  zu  wiederholen,  so  werden  Flanken- 

operationen auch  in  Zukunft  möglich  sein,  aber  nur  da,  wo  die  Gestaltung 
der  Oertlichkeit  und  andere  Umstände  ihnen  günstig  sind,  im  allgemeinen 


^)  Dieses  Zitat  entnehmen  wir  der  Schrift  des  Generals  Jung:  „La  guerre 
et  la  soci^tö**. 


Nachtgefeohte,  649 


jedoch  können  sie  nur  in  besonderen  Fällen  eintreten.  Am  ehesten  kann 
man  sie  sich  in  der  Gestalt  vorstellen,  dass  die  Verteidigung  im  Hinblick 
auf  die  zn  sehr  ausgedehnte  Linie  des  Angreifers  und  im  Vertrauen  auf 
die  Zuverlässigkeit  ihi'er  Stellung  selbst  ihre  Front  verlängert,  indem  sie 
ihre  Flanken  verstärkt  und  sie  vorn  umbiegt,  um  die  Flügel  des  An- 
greiters zu  bedrohen.  Für  die  angreifende  Seite  aber  wird  der  Front- 
angriff die  allgemeine  Eegel  sein. 


1 5.    Nachtgefechte. 

In  Rücksicht  auf  die  ungeheuren  Opfer,  von  denen  bei  den  heutigen  Begründung. 
Kampfmitteln  der  Angriff  begleitet  sein  muss,  ist  der  Gredanke  entstanden, 
den  Gegner  bei  Nacht  zu  überfallen,  wie  es  in  den  Kriegen  des  Mittel- 
alters nicht  selten  der  Fall  war. 

Die  einen  MUitärschriftsteller  nehmen  an,  dass  es  Nachts  möglich  Möglichkeit. 
sein  wird,  sich  mit  viel  geringeren  Verlusten  dem  Gegner  zu  nähern,  so 
dass  dieser  am  nächsten  Morgen  eine  Armee  vor  sich  sieht,  der  es  ge- 
lungen ist,  sich  in  neuen  Stellungen  zu  verschanzen.  Andere  halten  es 
für  möglich,  den  Angriff  selbst  bei  Nacht  oder  beim  Morgengrauen  durch- 
zuführen, zum  mindesten  auf  einzelne  befestigte  Punkte  der  feind- 
lichen Linie. 

In  beiden  Vermuthungen  liegt  ein  und  derselbe  Gedanke,  nämlich 
die  volle  Kraft  des  Feuers  zu  vermeiden,  über  das  der  Gegner  beim 
Tageslicht  verfügen  wird. 

Nachtgefechte  werden  wir  in  dem  Kapitel  erwähnen,  welches  dem  Bedoukeu. 
Gang  der  Schlachten  überhaupt  gewidmet  ist  und  die  Ueberschrift  „Auf 
dem  Schlachtfelde"  trägt.  Hier  wollen  wir  uns  nur  auf  die  Erfahrung 
beziehen,  dass  nächtliche  Bewegungen  mit  sehr  bedeutenden  Unbequem- 
lichkeiten verknüpft  sind,  so  dass  in  Deutschland  die  Zahl  ihrer  Anhänger 
nicht  zu-,  sondern  abnimmt.^) 

Bei  der  grossen  Menge  der  Truppenbestände  ist  der  nächtliche  An-  Pantk 
griff  ungelegen,  da  alles  Verwirrung  und  desto  eher  eine  Panik  in  irgend 
welchen  Truppenteilen  und  infolge  dessen  Unordnung  hervoiTufen  kann. 
Man  verweist  auf  den  Fall,  wo  im  Jahre  1866  auf  dem  Marsch  der 
Kavallerie-Division  des  Fürsten  zu  Thurn  und  Taxis  zwischen  Fulda  und 
Bischofsheim  Nachts  einige  Schüsse  vernommen  wurden,  die  von  Wilderern 
herrührten.    Als  sie  diese  unvermuteten   Schüsse  hörten,  setzten  sich 


0  LöbeU's  „Militärische  Jahresberichte''  1894. 


650  ^^'   Taktik  der  Infanterie. 


einige  Abteilungen  in  Galopp  und  legten   mehrere  Kilometer  in  eiligster 
Bewegung  zurück,  bis  sie  Würzburg  erreichten. 
Eiektiische  i^rj   allgemeinen  kann  man   schwerlich  zugeben,    dass    nächtliche 

UeberfäUe  in  Zukunft  zu  entscheidenden  Resultaten  führen  können.  Es 
wird  freilich  vorgeschlagen,  das  Schlachtfeld  elektrisch  zu  beleuchten. 
Aber  dieses  Mittel  zeigt  sich  wiederum  als  einer  jener  Faktoren,  welche 
mehr  der  Verteidigung  als  dem  Angriff  zum  Vorteil  gereichen.  Bei  den 
im  Jahre  1881  in  Spanien  angestellten  nächtlichen  Schiessversuchen  mit 
elektrischer  Beleuchtung  ergaben  sich '  folgende  Resultate.  Als  Ziele 
dienten  beleuchtete  Schilde,  welche  Infanteriekolonnen  darstellten;  das 
Feuer  erfolgte  von  3  Batterien  und  2  Schützenkompagnien  auf  9000  Meter 
(ungefähr  3  Werst)  und  nach  einzelnen  Figuren  auf  1600  Meter  (ungefahi- 
IV2  W^erst). 
Vorteile  jjg  ergab  sich,  dass  das  Feuer  der  Geschütze  vollkommen  genügend 

für  den  »-*  /  «  t» 

Verteidiger,  war,  aber  das  der  Infanterie  nur  auf  geringere  Entfernungen  genügte.^) 
Da  aber  die  Entfernungen  vor  der  Stellung  des  Verteidigers  vorher  aus- 
gemessen und  eingeschossen  sind,  so  ist  der  Vorteil  augenscheinlich  auf 
seiner  Seite.  Ein  zweiter  Vorzug  für  ihn  liegt  darin,  dass  er  mit  seinem 
Lichte  den  Gegner  blendet  und  das  Resultat  seines  Feuers  auf  1600  Meter 
wird  sehen  können.  Und,  wie  oben  gesagt  ist,  kann  der  Angriff  auch 
bei  dieser  Annäherung  noch  leicht  abgeschlagen  werden. 


die 

Infanterie. 


16.  Schlussfolgerungen. 

we  Aus  dem  Vorhergehenden  kann  man  ersehen,  dass  die  Endresultate 

eaeniogen  ^y^^  erfolgtcu  Abänderungen  unvergleichlich  wichtiger  für  den  Kampf 
Ji^t?g**ftr  ^^^  Infanterie  als  für  den  der  Kavallerie  und  Artillerie  sind. 

Wir  haben  gesehen,  dass  die  Vervollkommnung  des  Gewehres  mit 
unglaublicher  Schnelligkeit  erfolgt  ist.  In  früherer  Zeit  erfolgte  die  Ab- 
änderung der  Bewaffnung  nach  hundert  Jahren,  darauf  nach  mehreren 
Jahrzehnten,  gegenwärtig  jedoch  sind  in  Frankreich  im  Laufe  der  letzten 
35  Jahre  vier  Aenderungen  in  der  Bewaffnung  vorgenommen  worden.  Nach 
dem  fast  einstimmigen  Zeugnis  kompetenter  Personen  können  aber  alle 
Verbesserungen  der  Bewaffnung,  die  im  Laufe  von  fünf  Jahrhunderten,  d.  h. 
seit  der  Erfindung  des  Schiesspulvers,  erfolgt  sind,  hinsichtlich  ihrer  Be- 


»)  Hoenig:  „Die  Taktik  der  Zukunft**. 


Schlussfolgerungen . 


651 


deutung  nicht  mit  denen  verglichen  werden,  die  seit  der  Zeit  des  letzten 
Krieges  eingetreten  sind.  Wir  wollen  hier  einige  Zahlen  anführen,  die 
einen  Begrifl  von  den  Vervollkommnungen,  die  seit  der  Zeit  der  beiden 
letzten  Kriege  in  den  Jahren  1870  und  1877  erzielt  worden  sind,  angeben, 
indem  wir  den  Wert  der  kleinkalibrigen  Gewehre  im  Vergleich  zu  den 
früheren  in  Prozentsätzen  veranschaulichen: 


Twiff  Selian.  Durch-  Veryoll- 

▼erhiltite    SchlÄgweite    Ziel  weile      Tragweite   gebiielligkelt'^^ijj^,^®'    komninniig 

"*"*  des 


Das  deutsche  klein- 
kalibrige  Gewehr  im 
Vergleich  zum  Per- 
kussionsgewehr .  .  . 
Das  russische  Gewehr 
von  3  Linien  im  Ver- 
gleich zum  Berdan- 
gewehr 

nach  Potocki  .... 
nach  Michnewitsch .  . 
nach  Jurogin  bei  einer 
Trefifweite  von  600  m  . 


ö/o 


«/o 


o/o 


% 


o/o 


Kugel 

o/o 


-  380 


416 


300 


300 


300 


100 
160 


60 
300 


20 
40 


200 
300 


461  —  — 


Der  bekannte  Spezialist  Professor  Hebler  hat  einen  Vergleich 
zwischen  den  verschiedenen  neuesten  Gewehrgattungen  angestellt  und 
ihn  in  Zahlenverhältnissen  veranschaulicht,  indem  er  dabei  den  Wert  des 
Mausergewehres  von  11  mm  Durchmesser  vom  Jahre  1871  mit  100  be- 
zeichnete. Hierbei  ergab  sich  als  relativer  Wert  der  Gewehre,  welche 
Ende  1893  zur  Ausrüstung  gehörten; 


in  Spanien  .  . 
in  Belgien  .  . 
in  der  Türkei  . 
in  Russland 
in  Deutschland 
in  England  .  . 
in  der  Schweiz 
in  Frankreich . 


Kaliber 


n 


n 


« 


n 


n 


n 


n 


7 

mm 

B80 

7,6 

n 

616 

7,6 

n 

616 

7,6 

n 

461 

7,9 

n 

474 

7,7 

tt 

469 

7,5 

n 

467 

8,0 

n 

433 

Somit  war  im  Herbst  1893  das  spanische  Gewehr  das  beste  und 
bleibt  es  bis  dato. 

In  einer  anderen  von  demselben  Autor  zusammengestellten  Tabelle 
des  Wertes  von  Gewehren  ist  dieser  in  folgender  Uebersicht  an- 
geordnet: 


Sehieas- 
gawehres. 


652  Vn.   Taktik  der  Infanterie. 


Kaliber  11     mm  (schwarzes  Pulver)  .     90—  100 

8      „    (rauchloses  Pulver)  .    400—  500 

7,6    „  „  „        .  .    500—  600 

6,0    „  „  „        .  .    900—1000 

6,5    „  „  „        .  .  1100— 1200 

5       „  „  „        .  .  1300—1400 


Der  relative  Wert  der  neuen  5  mm  im  Durchmesser  haltenden 
hohlen  Kugel  Heblers  wird  durch  die  Zahl  4,020  veranschaulicht,  (was 
jedoch  noch  nicht  erwiesen  ist).  Ebenso  spricht  das  Gewicht  der  Patronen 
zu  Gunsten  des  kleinen  Kalibers:  bei  einem  Kaliber  von  11  mm  wiegt 
die  Patrone  43  Gr.,  bei  einem  von  8  mm  29  Gr.,  bei  einem  von  6,6  mm 
22  Gr.  Auf  Grund  seiner  Berechnungen  äussert  Professor  Hebler  die 
Ansicht,  dass  kein  Staat  hinsichtlich  der  Verringerung  des  Kalibers 
weiter  gehen  dürfe.  In  Wirklichkeit  jedoch  sehen  wir,  dass  das  Kaliber 
sich  immer  mehr  und  mehr  verringert.  Nur  Frankreich,  Oesterreich  und 
Dänemark  haben  noch  Gewehre  von  einem  Kaliber  von  8  mm,  Brasilien, 
(Mle  und  Mexiko  haben  das  Magazingewehr,  System  Mauser,  mit  einem 
Kaliber  von  7  mm  angenommen.  Zu  einem  Kaliber  von  6,6  mm  haben 
sich  Italien,  Holland,  Norwegen,  Rumänien  und  Schweden  entschlossen. 
Nach  den  neuesten  Nachrichten  wird  auch  demnächst  in  Frankreich  ein 
Gewehr  mit  einem  Kaliber  von  6,6  mm  eingeführt  werden;  in  den  Ver- 
einigten Staaten  ist  für  die  Flotte  bereits  ein  Kaliber  von  6,94  mm  an- 
genommen worden.  Somit  ist  in  Europa  das  Kaliber  von  6,6  mm  gegen- 
wärtig das  kleinste.    Wird  sich  das  Kaliber  noch  weiter  verringern? 

Ein  hervorragender  Kriegsschriftsteller,  General-Major  Wille,  äussert 
die  Ansicht,  dass  ein  baldiger  Uebergang  zu  einem  Kaliber  von  6  mm 
möglich  sei.  Ebenso  muss  man  nach  dem  Gutachten  anderer  Spezialisten 
ein  Magazingewehr  mit  einem  Kaliber  von  6  mm  für  das  beste  Kriegs- 
gewehr der  Zukunft  erachten,  da  ein  solches  Gewehr  dasjenige  mit  einem 
Kaliber  von  8  mm  2,8  mal  übertrifft.  Wie  man  versichert,  haben  Ver- 
suche mit  Gewehren  mit  einem  Kaliber  von  6  mm  erwiesen,  dass  sie 
grosse  Vorzüge  im  Vergleich  mit  Gewehren  von  6,7  oder  8  mm  haben; 
man  behauptet,  dass  die  Kugel  eines  Gewehres  mit  einem  Kaliber  von 
6  mm  eine  Strecke  von  6(X)0  m  durchfliegt  und  in  einer  Entfernung  von 
5000  m  ein  Pferd  durchbohren  kann.  Nach  anderen  Angaben  ist  es  er- 
wiesen, dass  das  Magazingewehr  der  Vereinigten  Staaten  von  Nord- 
Amerika  mit  einem  Kaliber  von  6  mm  auf  eine  Entfernung  von  6490  m 
einen  Menschen,  auf  eine  Entfernung  von  4570  m  jedoch  2—3  Menschen 
durchbohi't  und  noch  auf  eine  Entfernung  von  1830  m  TreflFwahrschein- 
lichkeit  gewährt;  das  Ziel  für  ein  solches  Gewehr  wird  bis  zu  einer 


Scblussfolgerungen.  g53 


Entfernung  von  2286  m  aufgestellt;  die  seitliche  Deklination  der  Kugel 
beträgt  in  einer  Entfernung  von  1800  m  nur  30  Zoll;  die  Ordinaten 
der  Trajektion  gehen  bis  zu  einem  Abstand  von  550  m  nicht  über 
Mannshöhe ;  die  Schussschnelligkeit  solcher  Gewehre  niuss  eine  ungeheure 
sein,  da  man  mit  ihm  in  3  Minuten  5  Zielschüsse  abgeben  kann.^) 
In  voller  Uebereinstimmung  mit  diesen  Angaben  stehen  die  Berichte 
über  die  Versuche  mit  Gewehren  von  5  mm  Kaliber,  die  man  in  Oester- 
reich  schon  längst  angestellt  hat  und  die  auch  die  Vorzüglichkeit  dieses 
Kalibers  voll  bestätigen.  Die  Zahl  der  Patronen,  welche  ein  Soldat  mit 
sich  aufs  Schlachtfeld  nimmt,  ist  verschieden;  der  Amerikaner  trägt  200, 
der  Italiener  162,  der  Deutsche,  der  Russe,  der  Schweizer  je  150,  der 
Franzose  120,  der  Engländer  116  und  der  Oesterreicher  100  Patronen  bei 
sich.  Die  Schassgeschwindigkeit  der  alten  und  neuen  Gewehre  ver- 
anschaulicht folgende  Tabelle: 

Handgriffe  Zielschüsse 

beim  Laden         in  der  Minute 

Feuerstein-  und  altes  Perkussionsgewehr  12  2 

Zündnadelgewehr 6  6 

Chassepot 4  10 

Mausergewehi* 3  12 

Altes  Magazingewehr —  12—16 

Neues  Magazingewehr 3  26 

„                  „            3  50  Schüsse  ohne  zu 

zielen. 

Indessen  äussern  Techniker  von  höchster  Autorität,  dass  auch  diese  dm  neneete 
neuen  Gewehre,  welche  gegenwärtig  in  den  europäischen  Armeen  ein-  mr  scw^ 
geführt  werden,  schon  veraltet  sind  und  dass  die  Zukunft  den  Gewehren   «^^""^^ 
gehört,    die   aus   einer  Legierung  von  Aluminium   gegossen  sind,   und 
ausserdem  den  automatischen  Gewehren,  d.  h.  solchen,  mit  denen  man 
mehrere  Schüsse  abgeben  kann,  ohne  die  Flinte  zum  Laden  von  der 
Schulter   zu  nehmen,   sowie   ohne   Zeitverlust  und   ohne  Anstrengung 
beim  Laden. 

Und  dieses  Problem  kann,  wie  wir  bereits  erwähnten,  für  schon 
völlig  gelöst  angesehen  werden.  Zu  dieser  Gattung  von  Gewehren  muss 
man  auch  Maxims  Kartätschen  -  Gewehr  rechnen,  das  in  den  Kriegen  der 
Zukunft  namentlich  bei  der  Verteidigung  befestigter  Positionen  eine 
grosse  Rolle  spielen  könnte.  Es  besteht  aus  einem  Flintenlauf  von 
gleichem  Kaliber,  wie  das  zur  Ausrüstung  gehörige  Feldgewehr;  dabei 


0  Dr.  Rudolph  Köhler:  „Die  modernen  Kriegswaffen*^.    Berlin  1897. 


g54  ^^'    Taktik  der  Infanterie. 


wiegt  es  nicht  mehr  als  10  Kilogramm  und  ein  einzelner  Mann  kann  es 
bedienen  und  sammt  der  Lafette  transportieren.  Es  hat  auch  hinsichtlich 
der  Schnelligkeit  der  Schussabgabe  einen  bedeutenden  Vorzug  im  Vergleich 
zum  Feldgewehr.  Auf  der  Berliner  Gewerbe-Ausstellung  1896  war  von 
der  Löweschen  Fabrik  ein  sogenanntes  Poulemette  von  Maxim  ausgestellt, 
aus  dem  man  mit  der  deutschen  Kugel  von  7,9  Millimeter  Kaliber  schiessen 
konnte. 
Maxim's  Dicses  Poulcmctte  besteht  aus  einem  deutschen  Flintenlaofe,  der 

.  ^^^  ^^^^^  JiuWe  aus  Eisenblech  umgeben  ist,  wobei  die  Hülle  ziemlich 
weit  vom  Laufe  absteht,  sodass  man  wirklich  den  Eindruck  gewinnt,  als 
ob  man  eine  kleine  Kanope  vor  Augen  habe. 

Zwischen  dem  Laufe  und  der  Hülle  befindet  sich  Wasser,  welches 
sich  in  Folge  dessen  erwärmt;  um  einem  Platzen  der  Hülle  vorzubeugen, 
ist  an  ihr  ein  Ventil  angebracht,  durch  das  die  sich  bildenden 
Dämpfe  entweichen  können.  Nach  200  Schüssen  muss  das  Wasser  durch 
frisches  ersetzt  werden.  Je  160  Patronen  werden  in  einem  Ladungsbande 
angebracht,  das  von  rechts  nach  links  durch  das  Geschoss  gelassen  wird; 
die  Patronen  werden  der  Reihe  nach  in  dem  Behälter  zurückgehalten 
und  gelangen  automatisch  in  den  Lauf;  in  einer  Minute  schiesst  das 
Gtewehr  4  Ladungsbänder  ab,  d.  h.  es  erzielt  600  Schüsse,  die  bis  auf 
eine  Entfernung  von  3000  Metern  wii-ksam  sind.  In  Deutschland  kommen 
400Ö  Patronen  auf  eine  Poulemette  (in  Oesten^eich  2000),  die  in  7  Minuten 
abgeschossen  werden  können.  Um  den  Schuss  abzugeben,  di*ückt  man  auf 
einen  Knopf,  der  sich  am  hinteren  Ende  des  Gewehres  befindet ;  während 
des  Schiessens  kann  man  nach  Gutdünken  die  Richtung  des  Gewehi*es 
abändern  und  eine  breite  Strecke  bestreichen.  Nach  Berichten  wurden 
solche  Maxim'schen  Kanonen  von  Wissmann  und  anderen  Afrikaforschern 
in  den  Kämpfen  gegen  die  Wilden  angewandt,  ebenso  von  den  Engländern 
auf  ihrem  Zuge  gegen  die  Matabele  in  den  Jahren  1894—95,  in  Chitrol 
1895  und  im  Sudan;  weniger  wurden  sie  bei  den  Kämpfen  in  Transvaal 
gebraucht.  Sie  erwiesen  sich  vor  allem  als  sehr  erspriesslich  bei  der 
Verteidigung  von  Pässen  u.  dergl. 

Ebensolche  Maxim'sche  Poulemettes  sind  in  der  deutschen  Flotte 
und  Kolonial-Armee  eingeführt;  in  Oesterreich  sind  sie  für  Verteidigungs- 
zwecke vorbehalten;  in  England  und  in  der  Schweiz  werden  die  Feld- 
truppen damit  versehen.  (Maxim  hat  übrigens  ähnliche  Gewehre  bis  zu 
einem  Kaliber  von  37  Millimeter  konstruiert.) 
Erfahrungen.  Bcispicle  ciucr  gleichzeitigen  Anwendung  von  Gewehren  alten  und 

chiietilciiaB  neuen  Systems  sind  nur  in  zwei  Schlachten  des  chilenischen  Bürgerkrieges 
Krieges.    ^^  Jahrc  1894  vorgekommen.     Die  dem  Kongress  ergebenen  Truppen 
waren  teils  mit  neuen,  teils  mit  alten  Gewehren  bewaffnet,  und  es  hat 


SohludsfolgeruDgen.  555 


sich  erwiesen,  dass  je  100  Mann,  welche  Gewehre  neuen  Systems  hatten, 
ans  den  Beihen  der  Trappen  des  Präsidenten -Diktators  82  Mann  nieder- 
streckten, während  anf  je  100  Mann,  welche  alte  Gewehre  führten,  nur 
34  Mann  kamen.^) 

Und  dabei  waren  die  Soldaten  erst  zwei  Wochen  vorher  zu  den 
Fahnen  einberufen  worden.  Es  ist  klar,  dass  sich  die  neuen  Gewehre 
(System  Manlicher;  in.  den  Händen  geübter  europäischer  Soldaten  als 
noch  viel  wirksamer  erweisen  werden. 

Um  einen  Begrifi  von  dem  Grade  der  Vervollkommnung  des 
Mechanismus  der  Feuergewehre  zu  geben,  die  sich  jetzt  in  den  Händen 
der  Soldaten  befinden,  und  um  einen  Vergleich  ihrer  Wirksamkeit  mit  der 
jener  Flinten,  die  in  den  vorhergehenden  Kriegen  angewandt  wurden,  zu 
ziehen,  waren  wir  genötigt,  einen  historischen  Ueberblick  über  die  in  der 
Bewaffnung  der  Infanterie  erfolgten  Abänderungen  zu  geben,  wobei  wir 
es  vollgezogen  habeü,  den  Vergleich  voraugsweise  vermittels  Zeichnungen 
und  Zahlenangaben  anzustellen,  da  diese  Methode  die  gute  Seite  hat,  dass 
sie  bei  dem  Sachkundigen  schon  Bekanntes  im  Gedächtnis  auffrischt,  dem 
Laien  jedoch  die  Möglichkeit  bietet,  sich  den  Sachverhalt  zu  veranschau- 
lichen. 

Sodann  vermochten  wir  schon  einige  der  hervorragendsten  Beispiele    ^^^ 
aus  der  Geschichte  der  Taktik  der  Infanterie  anzuführen  und  gelangten  AUnderaiig 
zu  dem  Resultat,  dass  jede  Abänderung  in  der  Bewaffnung  einen  starken  Bewaffnaog 
Einflnss  auf  die  £riegsführung  selbst  hat;  doch  können  die  Abänderungen,  ^j^  ^Jj^.^ 
welche  früher  erfolgt  sind,  nicht  mit  denen  verglichen  werden,  welche  nach 
den  beiden  grossen  Kriegen  1870  und  1877—1878  getroffen  worden  sind. 

Nicht  allein  die  Rauchminderheit  des  Schlachtfeldes  und  die  Ver-  Tragweite 

und 

vollkommnungen  der  Gewehre,  Geschosse  und  Sprengstoffe,  sondern  auch  Tieflueke^ 
die  gleichzeitig  damit  erfolgte  Einführung  der  Landwehrarmeen,  die 
grösstenteils  aus  Leuten  von  kurzer  Dienstzeit. bestanden,  ergab  voll- 
ständig neue  Bedingungen  für  den  künftigen  Krieg.  Vor  ^llem  ver- 
grösserten  sich  die  Entfernungen,  auf  welche  das  Schiessen  ohne  aber- 
flüssige  Verschwendung  von  Patronen  von  Nutzen  sein  kann.  Die 
modernen  Kugeln  werden  nicht  durch  die  Luft  schwirren,  um  im  Durch- 
schnittspunkte der  Trajektion  mit  der  bekannten  Horizontallinie  einzu- 
schlagen, sondern  sich  längs  <iieser  nämlichen  Linie  bewegen,  ohne  sich 
auf  eine  Entfernung  von  ca.  800  Schritt  über  Mannshöhe  über  den  Erd- 
boden zu  erheben,  und  werden  alles  niederschlagen,  was  sich  ihnen  anf 
dieser  Strecke  entgegenstellt.  Hierzu  kommt  noch  die  im  Vergleich  zu 
früher  bedeutend  bessere  Einübung  der  Schützen  auf  die  verschiedenen 


')  Coum^s:  „Tactique  de  demain". 


g56  ^^*    Taktik  d«r  Infanterie. 


Hilfsmittel,  welche  in  den  früheren  Kriegen  unbekannt  waren,  wie  z.  B. 
die.  Möglichkeit  des  Schiessens  anf  den  Gegner  über  Haine  und  Hügel 
hinweg  and  aus  solchen  Entfernungen,  in  denen  er  dem  unbewaffneten 
Auge  nicht  sichtbar  ist;  ferner  die  Anwendung  von  Feld-Observations- 
tnrmen,  Aerostaten  und  Entfernungsmessern. 

Der  in  der  russischen  Armee  vor  10  Jahren  eingeführte  Entfernungs- 
messer des  Oberst  Paschkewitsch  ermöglicht  im  Verlauf  von  3  Minuten 
die  Bestimmung  des  Abstandes  bis  auf  8500  Schritt  =  6,375  Kilometer, 
selbst  bei  beweglichen  Zielpunkten ;  das  Instrument  wiegt  nicht  mehr  als 
38  Kilogramm.  Zur  Bedienung  sind  4  Mann  erforderlich.  Die  Grundlinie 
zur  Ausmessung  von  Distanzen  hat  eine  Länge  von  21  Meter.  In  letzter 
Zeit  sind  zur  Erhöhung  der  Wirksamkeit  des  Gewehrschiessens  auf 
grosse  Entfernungen  Entfernungsmesser  erfunden  worden,  die  direkt  an 
den  Gewehren  angebracht  werden.  So  hat  die  Firma  Voigtländer  u.  Sohn 
in  Braunschweig  sich  erboten,  anstatt  des  früheren  Visierkomes  ein  Visier- 
Fernrohr  an  den  Gewehren  anzubringen.  Die  beigefugte  Abbildung  stellt 
ein  solches  Fernrohr  in  %  der  natürlichen  Grösse  dar. 

Die  Vorrichtung  besteht  nur  aus  drei  einzelnen  bikonvexen  Linsen, 
welche  in  das  Bohr  so  eingefügt  sind,  dass  die  Gefahr,  dass  das  System 
mit  der  Zeit  und  durch  Erschütterungen  in  Unordnung  gerät,  möglichst 
vermindert  wird.  Die  Vergrösserung  der  Linsen  kann  je  nach  Bedarf 
gewählt  werden  und  ist  eine  10-  bis  12  fache.  Die  Länge  des  Femrohres 
erreicht  kaum  10—12  Zentimeter,  der  Durchmesser  beträgt  18  MiUimeter. 

Die  Treffsicherheit,  welche  durch  ein  genau  gearbeitetes  Gewehr 
mit  einem  ähnlichen  Fernrohr  zu  en*eichen  ist,  ist  erstaunlich,  und  kann 
bei  einiger  Übung  verdoppelt  werden.*) 
lunehioses  Besouders  stark  wirkt  auch  auf  die  Abänderung  der  Taktik  der 

PnlvAP 

Infanterie  das  Fehlen  der  Rauchwolken  ein,  welche  eine  Schutzwehr 
bilden  und  die  Leute  dermaassen  decken,  dass  die  Schusse  auf  sie  nur 
unsicher  und  ziellos  abgegeben  werden  können.  Ausserdem  wird  die 
Tötlichkeit  der  Schüsse  auch  beeinflusst  durch  das  Nichtvorhandensein 
der  Anhäufung  von  Pulverschleim  in  den  Läufen,  welche  die  Treff- 
sicherheit der  Schnellfeuergewehre  beeinträchtigt,  und  femer  durch  das 
Unterbleiben  von  Versagern,  deren  Prozentsatz  sich  bei  den  Feuerstein- 
gewehren auf  das  Hundertfache,  bei  den  Piston-  und  Zündnadelgewehren 
auf  das  Sechsfache  der  Gewehre  der  Gegenwart  mit  MetaUpatronen  beläuft. 
Auch  unterliegen  diese  Patronen  nicht  dem  Einfluss  der  Feuchtigkeit.  Von 
grösster  Bedeutung  wird  weiter  der  Umstand  sein,  dass  gegenwärtig  mit 
der  Verminderung  des  Kalibers  des  Gewehres  sich  die  AnzaM  der  Patix>nen, 


')  „Jahresbericht  für  Naturwissenschaften**  1897. 


Schlussfolgerungeii.  g57 


welche  der  Soldat  bei  sich  trägt,  vergrössert,  was  sowohl  die  Nachhaltig- 
keit des  Feuers  als  auch  die  Zuversicht  des  Soldaten  verstärkt. 

In  Anbetracht  der  Wirksamkeit  des  Feuers  wird  wahrscheinlich  y*^*»"«"*«' 

VerloAtziner. 

auch  die  Gesamtziffer  der  Verluste  durch  das  Gewehrfeuer  anwachsen. 
Im  Kampfe  kann  der  Gegner  schon  aus  einer  Entfernung  von  1000  Meter 
den  zur  Attake  vorrückenden  Kolonnen  empfindliche  Verluste  beibringen. 
In  früherer  Zeit  schlug  das  Handgewehi'  auf  eine  solche  Entfernung  nicht 
ein  und  die  Ausführung  der  Attake  war  naturgemäss  leichter  und  minder 
gefahi'lich.  Der  Verlust  an  Offizieren  und  die  Beeinträchtigung  der 
Heeresleitung  erscheint  auch  als  eine  direkte  Folge  der  Treffsicherheit 
des  neuen  Gewehres,  die  dem  Schützen  die  Möglichkeit  gewährt,  sich 
seine  Opfer  auszulesen.  Indessen  hat  sich  die  Rolle,  welche  der  Infanterie 
zu  spielen  vorbehalten  ist,  vergrössert.  Die  Infanterie  wird  schon  an  den 
vorbereitenden  Operationen  mehr  als  früher  teilnehmen  müssen.  Aller- 
dings hat  sich  die  Rolle  der  Kavallerie  bei  der  Rekognoszierung  nicht 
vermindert  und  fürderhin  bleibt  ihr  die  Erkundung  der  Streitkräfte  und 
der  Verteilung  der  Truppenteile  des  Gegners  im  allgemeinen  und  be- 
sonders im  Kampf  vorbehalten.  Jedoch  eine  genaue  Ermittelung  des 
vermutlichen  Kampfes  kann  die  Kavallerie  namentlich  wegen  der  Trag- 
weite und  Treffsicherheit  der  modernen  Gewehre  nicht  bewerkstelligen. 
Einige  im  Hinterhalt  liegende  Schützen  genügen,  um  Reiter  in  bedeutender 
Entfernung  nach  Wahl  niederzustrecken.  Somit  wird  die  eingehende  Er- 
forschung der  Positionen  des  Gegners  allein  Sache  der  Kundschaftermann- 
schaften zu  Fuss,  die  sich  mit  Hilfe  von  Ueberläufern  durchschleichen 
müssen,  um  die  Kenntnisse  zu  erlangen,  welche  zu  Vorkehrungen  für 
eine  einigermaassen  erfolgsichere  Attake  unentbehrlich  sind.  Ohne  diese 
Dienstleistung  von  Kundschaftern  zu  Puss  würde  der  Defensive  durchaus 
der  Vorrang  vorbehalten  bleiben,  welche  zuvor  Entfernungen  feststellen 
und,  eine  beherrschende  Position  einnehmend,  einfach  vermittelst  der 
Femrohre  eine  Schlacht  mit  der  grössten  Sicherheit  dirigieren  würde. 
Zur  Ausführung  der  erwähnten  Rekognoszierung  und  zur  Erlangung  von 
Kenntnissen,  auf  die  man  sich  verlassen  kann,  sind  nicht  allein  ver- 
wegene, sondern  auch  gewandte  und  verschlagene  Soldaten  erforderlich; 
doch  ist  es  bei  dem  gegenwärtigen  Bestand  der  Armeen  schwierig,  völlig 
zuverlässige  Leute  für  den  bestimmten  Zweck  ausfindig  zu  machen. 

Wir  bemerken  noch,  dass  mit  der  Einführung  des  rauchschwachen  Detonation. 
Pulvers  die  Orientierung  nach  dem  G^hör  bedeutend  schwieriger  ge- 
worden ist.  Man  hört  und  liest  oft,  dass  das  rauchschwache  Pulver 
zugleich  ein  lautloses  sei.  Indessen  werden  wir  auch  in  den  Schlachten 
der  Zukunft  das  Donnern  der  Geschütze  und  das  Krachen  des  Gewehr- 
feuers vernehmen.    Hebler  äussert,  dass  das  geräuschlose  Pulver  noch 

Bloeb,   Der  sokünftige  Krieg.    L  42 


558  Vn,    Taktik  der  Infanterie. 


in  das  Gebiet  der  Phantasie  gehöre.  Andererseits  haben  Versuche, 
welche  auf  französischen  Schiessständen  angestellt  worden  sind,  er- 
wiesen, dass  der  Knall  eines  Schusses  mit  rauchschwachem  Pulver  sich 
nicht  weit  verbreitet;  einen  einzelnen  Flintenschuss  kann  man  nicht 
weiter  als  auf  800  Meter,  eine  Salve  einer  Heeresabteilung  nicht  weiter 
als  auf  1200  Meter  und  die  einer  halben  Rotte  nicht  weiter  als 
auf  1400  Meter  Entfernung  hören.  Das  ist  übrigens  durchaus  be- 
greiflich, da  die  grössere  oder  geringere  Tragweite  des  Schalles  von  der 
grösseren  oder  geringeren  Länge  der  Schallwellen  abhängt;  eine  lange 
Welle  hat  einen  tiefen  Ton  und  ergiebt  einen  sich  weit  verbreitenden 
Schall  (Kanonenschuss),  eine  kurze  einen  hohen  Ton,  der  sich  wenig  ver- 
breitet (Pistolenschuss).  Ein  Schuss  mit  rauchschwachem  Pulver  erzeugt 
sehr  kräftige,  aber  kurze  Schallwellen;  in  Folge  dessen  ist  der  Ton  in 
der  Nähe  durchdringend,  verhallt  aber  bald  nach  Maassgabe  der  Ent- 
fernung. Beide  Pulversorten  verhalten  sich  zu  einander  wie  eine  durch- 
dringende zu  einer  dumpfen  Stimme.*)  Femer  verlangt  man  von  dem 
modernen  Infanteristen  auch  bedeutend  mehr  Ausdauer.  Die  Tages- 
märsche werden  in  Folge  der  wachsenden  Anzahl  der  Truppen  in  tiefen 
Marschkolonnen  erfolgen,  und  die  Zahl  dieser  Tagesmärsche  wird  sich 
namentlich  in  Folge  der  Masse  der  heutigen  Armeen  im  Vergleich  zu 
den  Heereszügen  der  früheren  Zeit  vergrössem,  da  sich  die  modernen 
Armeen  zur  Bequemlichkeit  der  Unterbringung  und  Fouragierung  teilen, 
bei  der  Annäherung  eines  numerisch  überlegenen  Gegners  aber  sich  von 
neuem  an  die  Hauptstreitkräfte  anschliessen  müssen.  Somit  haben  sich 
die  Bedingungen  zum  Vorrücken  in  den  Kampf  und  zum  Kampf  selbst 
ausserordentlich  kompliziert  gestaltet  und  doch  beabsichtigt  man,  auf  je 
Hundert  Mann,  die  sich  in  den  Reihen  der  Trappen  befinden,  260  (in 
Italien),  bis  361  (in  Russland)  aus  der  Reserve  herbeizuziehen. 
Wichtigkeit  Indessen  hat  die  Mehrzahl  der  Reservisten  das  in  der  Dienstzeit 

dar  In- 

Btniktioiieii.  Gelernte  vergessen  und  von  den  Offizieren  wird  auch  nur  ein  geringer  Teil 
auf  der  Höhe  seiner  Aufgabe  stehen.  Unter  solchen  Bedingungen,  scheint 
es,  müssten  in  der  Friedenszeit  Regeln  und  Instruktionen  für  den  Feld- 
dienst ausgearbeitet  werden,  welche  genaue  Unterweisungen  in  den 
taktischen  Manipulationen  für  alle  Fälle  enthalten.  Doch  ist  von  uns  bereits 
darauf  hingewiesen  worden,  dass  sich  namentlich  in  dieser  Beziehung  in 
den  verschiedenen  Armeen  Mängel  mancher  Art  herausstellen.  In  der 
einen  weichen  die  theoretischen  Unterweisungen  zu  sehr  von  den  prak- 
laschen  Erfordernissen  ab  und  leiden  an  Einseitigkeit;  in  der  anderen 
folgen  zwar  Vorschriften  auf  Vorschriften  und  werden  ergänzende  Er- 


*)  Dr.  Köhler:  „Die  modernen  Kriegswaffen".    1897. 


Schiassfolgerangen.  g59 


läuterungen  unablässig  hmzugefugt,  doch  im  Schlossresaltate  ergiebt  sich 
ein  Chaos  von  Widersprüchen,  Deswegen  ist  es  nicht  zu  verwundern,  dass 
hinsichtlich  des  Charakters  der  zukünftigen  Operationen  der  In- 
fanterie sich  noch  keine  Ansicht  endgiltig  festgesetzt  hat.  Ein  grosser 
Teil  der  Militärschriftsteller  hat  aus  den  Erfahrungen  in  den  früheren 
Kriegen  gefolgert,  dass  sich  die  Hauptprinzipien  des  Kampfes  für  die  In- 
fanterie nicht  verändern.  Die  Infanterie  wird,  wie  in  der  Vergangenheit, 
in  den  Kampf  ziehen,  nur  unter  Verringerung  der  Dimensionen  der 
geschlossenen  Truppenteile  und  unter  Vergrösserung  der  Distanzen  in 
der  Tiefe  der  Heeresaufstellung;  eben  dadurch  wird  das  Kommando  in 
den  Truppenteilen  der  Infanterie  recht  schwierig  sein,  nicht  allein  für 
erfahrene  Offiziere,  sondern  noch  vielmehr  für  die  aus  der  Reserve  ein- 
getretenen. 

Indessen  behaupten  andere,  dass  zur  Führung  der  Infanterie  auf 
dem  Schlachtfelde  sogar  mehr  Verständnis  erforderlich  sei,  als  zu  der  der 
Artillerie  und  Kavallerie.  In  keiner  Armee  finden  sich  auf  600  Offiziere, 
die  es  verstanden  haben,  sich  in  verhältnismässig  kurzer  Zelt  mit  dem 
Kommando  über  eine  Batterie  oder  Eskadion  vertraut  zu  machen, 
100,  welche  die  Infanterie  ins  Feuer  führen  könnten.  Was  kann 
man  in  solchem  Falle  von  den  Offizieren  der  Reserve  erwarten?  That- 
sächlich  gehen  die  Ansichten  auch  in  anderen  Fragen  auseinander.  Ver- 
schieden äussert  man  sich  über  die  Bedeutung  der  aufgelösten  Kampf- 
ordnung und  der  Deckungen,  und  über  die  Vereinigung  der  Kolonnen 
zwecks  der  Attake.  Beständig  betont  man,  dass  es  für  den  Angreifenden 
notwendig  sei,  die  Vortrefflichkeit  des  Feuers  auszunutzen. 

Einerseits  erteilt  man  den  Rat,  zu  diesem  Zwecke  methodisch  vor- 
zurücken, indem  man  beständig  die  Schützenlinien  von  hinten  verstärkt 
and  das  auf  den  Feind  gerichtete  Feuer  energisch  unterhält;  andererseits 
zieht  man  ein  dichtes  Netz  von  Schützen  vor,  welche  zunächst  entschlossen 
vordringen,  um  eine  einigermaassen  günstige  Position  einzunehmen  und 
von  dort  aus  ein  ununterbrochenes  Feuer  zu  eröffnen,  damit  die  übrigen 
Escheions  auf  jene  Linien  nachrücken  und  sich  gleichfalls  auf  den  Gegner 
stürzen  können.  Nach  dem  neuen  russischen  Feldreglement  war  die  D^neae 
Kampfordnung  für  die  anrückenden  Bataillone  bei  einem  stattgehabten  Peia- 
Manöver  folgende:  Die  Bataillone  entwickelten  die  erste  Rotte  zu  einer  '•8^^®"«"*- 
Kette  und  stellten  die  dritte  und  vierte  nach  der  zweiten  in  einer  Reihe  auf; 
sodann  rückte  die  vierte  Rotte  links  zu  einer  Position  vor,  um  den  Feind 
mit  Gewehrsalven  zu  überschütten  und  bildete  somit  eine  Flintenbatterie, 
unter  deren  deckendem  Gewehrfeuer  auch  das  VoiTücken  der  Ketten  seinen 
Anfang  nahm.  Auf  der  letzten  Position  Posto  fassend  (etwa  300  Schritt 
entfernt),  eröffnete  nunmehr  die  Kette  das  Feuer  und  unter  dem  Gewehr- 

42* 


6g0  ^^^*    'J^oktik  der  Infanterie. 


feuer  der  Kette  und  der  Flintenbatterien  —  dem  Vorspiel  der  Attake  — 
rückten  die  Reserven  heran.  Die  Trommeln  werden  zur  Attake  geschlagen, 
die  Musik  spielt.  Die  Kette  rückt  schnell  vorwärts,  sich  zu  Kompagnien  zu- 
sammenschliessend.  Die  Reserven  folgen  nach.  Seitens  der  Flintenbatterien 
erfolgt  ein  verstärktes  Gewehrfeuer,  das  Knattern-  übertönt  die  Musik; 
das  Pulver,  obwohl  rauchschwach,  ergiebt  dennoch  eine  ganze  Reihe  bläu- 
licher, durchsichtiger  Wolken,  die  schnell  verschwinden.  Die  vieii« 
Rotte  rückte  schnell  zu  dem  Punkte  der  Attake  vor,  sobald  ihre  Front 
durch  die  .Angriffslinie  gedeckt  war.  Sodann  erfolgte  ein  allgemeiner 
Bajonettangiiff.  ö)  Wie  gross  auch  die  Vorzüge  dieser  Operationen  sein 
mögen,  so  ist  doch  zur  gedeihlichen  Ausführung  erforderlich:  Gewandtheit 
der  Mannschaft  in  der  Ausnutzung  der  Deckungen  und  in  der  Ueberwindung 
von  Hindernissen,  sowie  die  Befähigung  zur  rechten  Zeit  auf  die  Erde 
zu  sinken  und  im  geeigneten  Moment  von  neuem  vorwärts  zu  stürmen. 
Mögliche  Doch  welches  sind  die  möglichen  Verluste  dabei?  Die  einen  sagen,  man 
habe  keinen  Grund,  vorauszusetzen,  dass  die  Armeen  im  Kriege  der  Zukunft 
grössere  Verluste  erleiden  würden,  als  in  den  Kriegen  der  Vergangenheit; 
dass  die  Kugel  und  das  Bajonett  wie  ehedem  so  auch  gegenwärtig  zu- 
gleich in  Wirksamkeit  treten  würden.  Andere  jedoch,  und  zwar  Schrift- 
steller von  nicht  geringer  Autorität,  meinen,  dass  die  Attake  zur  Ein- 
nahme der  feindlichen  Positionen  im  Kriege  der  Zukunft  dermaassen 
schwierig  sei  und  Blutvergiessen  erfordern  werde,  dass  keine  der  Parteien 
im  Stande  sein  werde,  zu  triimiphieren.  Um  die  defensiven  Positionen 
bildet  sich  ein  Gürtel  von  tausend  Meter  Breite,  der  für  beide  Parteien 
gleich  unzugänglich  ist  und  von  den  Leichnamen  der  Gefallenen  gebildet 
wird,  über  welchen  tausende  von  Kugeln  und  Geschossen  sausen,  —  ein 
Gürtel,  den  kein  einziges  lebendes  Wesen  zu  überschreiten  im  Stande 
ist,  um  den  Kampf  durch  das  Bajonett  zu  entscheiden.  Doch  äussert 
man  auch  folgende  Ansicht:  Alles  das  wäre  richtig  in  Anbetracht  der 
kleinkalibrigen  Gewehre  der  Gegenwart  und  der  vervollkommneten  Ge- 
schosse, wenn  die  Schlachtfelder  sich  auf  die  Exerzierplätze  verlegen 
Hessen,  wenn  die  Zielabstände  bekannt  wären  und  die  Schiessenden,  wie 
auf  dem  Exerzierplatze,  davor  gesichert  wären,  dass  sie  von  feindlichen 
Kugeln  getroffen  würden,  wenn  ferner  die  Schlachtfelder  vollkommen 
ebene  Flächen  bildeten.  Doch  giebt  es  in  der  Natur  solche  Oertlichkeiten 
sehr  selten  und  die  Truppen  benutzen  Wälder  und  Grestrüpp,  Ei*d- 
erhöhungen  und  -Senkungen  als  Schutzwehr  und,  gedeckt  durch  die  ei'sten 
Reihen  der  Schützen,  welche  den  „Kugelfang"  bilden,  werden  die  folgen- 
den Reihen  unter  bedeutend  geringeren  Verlusten  vorrücken.  Doch  darauf 


*)  „Nowoje  Wremja",  4.  Mai  1897. 


Schlussfolgerungen.  QQl 


entgegnet  man:  Das  Heranrücken  des  Feindes  würden  höhere  Komman- 
deure von  Luftballons  aus,  andere  jedoch  von  ständigen  und  beweglichen 
Beobachtungstürmen  aus,  welche  von  jedem  Heeresteil,  der  die  feindlichen 
Positionen  zu  nehmen  beabsichtigt,  aufgestellt  werden,  mühelos  beobachten 
können.  Somit  wäre  es  bei  der  Tragweite,  Treffsicherheit  und  Einschlags- 
kraft der  modernen  Waffen,  welche  es  ermöglichen,  gewaltige  Strecken 
bei  Explosionen  von  Gewehrladungen  mit  Splittern  und  Kugeln  zu  besäen, 
möglich,  den  Feind  hinter  Wäldern  und  Gebüschen  und  Unebenheiten 
des  Erdbodens  zu  beschiessen.  Es  ist  kein  Grund  zu  der  Annahme  vor- 
handen, dass  der  Feind  nicht  solche  Oertlichkeiten  aussuchen  wird,  die 
ihm  die  Möglichkeit  bieten,  die  Tragweite  seiner  Gewehre  und  Geschütze 
auszunutzen.  Ausserdem  kann  der  Feind  ausser  Schanzgräben  und 
Brustwehren  noch  andere  Hindemisse  errichten,  deren  Beseitigung 
nicht  wenig  Zeit  erfordert,  wobei  man  sich  in  geringer  Entfernung,  in 
mehr  oder  weniger  zusammengedrängten  Massen,  unter  beständigem  Ge- 
wehrfeuer befindet.  Darauf  erwidert  man,  die  Tötlichkeit  der  neuen 
Waffen  dürfte  namentlich  in  geringer  Entfernung  trotz  der  zweifellosen 
Vollkommenheit  ihrer  ballistischen  Eigenschaften  nicht  gross  sein.  In 
der  Nähe  des  Feindes  ist  der  Zustand  der  Soldaten  ein  nervös  auf- 
geregter; sie  zielen  dann  schlecht  oder  gamicht,  und  das  moderne 
vollkommene  Gewehr  ist  dann  ebenso  viel  wert  wie  der  Bogen  oder 
die  Heugabel  irgend  welcher  Barbaren.  Je  wirksamer  das  feindliche 
Gewehrfeuer  ist,  desto  entfemter  werden  sich  beide  Parteien  von  ein- 
ander halten.  Sie  werden  sich  wohl  selten  einander  zu  Gesicht  bekommen, 
oft  werden  sie  Erderhöhungen,  Flüsse  und  Wälder  trennen ;  es  wiid  wohl 
nicht  mehr  zu  unmittelbaren  Zusammenstössen  kommen,  welche  die 
Leidenschaften  aufregen,  den  Menschen  zum  blutdürstigen,  wilden  Tier 
machen  und  mit  dem  Tode  eines  der  Kämpfer  ein  Ende  nehmen.  Da 
aber  die  Schlachten  in  grossen  Abständen  vor  sich  gehen  werden,  so 
wird  es  nicht  schwierig  sein,  sich  vom  Schlachtfelde  zu  entfernen. 

Andere  Autoren  geben  zwar  die  Möglichkeit  schreckliclien  Blut- 
vergiessens  und  gewaltiger  Verluste  zu,  sagen  jedoch,  es  käme  nicht 
darauf  an,  sondern  auf  die  Erringung  des  Sieges,  welche  Opfer  er  auch 
kosten  möge.  Der  Krieg  von  1870  hat  erwiesen,  dass  die  moderne  In- 
fanterie im  Stande  ist,  gewaltige  Verluste  zu  vei-winden,  jedoch  ver- 
halten sich  die  jüngeren  Offiziere  dazu  skeptisch  in  Anbetracht  dessen, 
dass  die  Infanterie  der  Jetztzeit  verschieden  ist  von  der,  welche  im 
Jahre  1870  gekämpft  hat.  Die  neue  Waffe  erhöht  nicht  allein  die  Gefahr, 
sondern  paralysiert  auch  die  ärztliche  Hilfe,  da  die  Aerzte  und  Feld-  scJ»w»«rig- 
scheere  nicht  im  Stande  sein  werden,  Ve^:bandplätze  in  der  Nähe  von  aormife- 
Oertlichkeiten  zu  errichten,  die  mit,  wenn  auch  nur  harmlosen,  feindlichen    ^"**""*f' 


662  '^^H,    Taktik  der  Infanterie. 


Kugeln  überschüttet  werden;  es  wird  sogar  keine  Möglichkeit  geben,  die 
Verwundeten  behufs  Hilfeleistung  fortzutragen.  Die  modernen  Gewehre 
schlagen  ja  auf  4  Werst  (4  Kilometer),  die  Geschütze  sogar  auf  7  Werst 
(7  Kilometer)  Entfernung  ein.  Endlich  bestehen  die  Armeen  gegenwärtig 
nicht  mehr  aus  gewerbsmässigen  Soldaten,  sondern  ans  Nachkommen 
friedlicher  Bürger,  die  keinen  Wunsch  verspüren,  sich  Gefahren  aus- 
zusetzen. Die  Propaganda  gegen  den  Krieg  hat  die  Gemüter  um- 
zustimmen veimocht.  Man  kann  unmöglich  darauf  rechnen,  dass  die 
modernen  Armeen  die  Absicht  hegen,  Opfer  und  Verluste  bis  zu 
dem  Grade  zu  tragen,  wie  es  die  Kriegstheoretiker  wollen,  die  nicht 
auf  die  Regungen  Acht  geben ,  welche  in  den  west  -  europäischen 
Gesellschaften  herrschen.  Aehnliche  Widersprüche  in  den  Ansichten  finden 
sich  jedoch  nicht  allein  in  Fragen  allgemeinen  Charakters,  sondern  auch 
in  Detailfragen.  Einige  behaupten,  die  Verbesserung  der  Waffen  und  die 
Anwendung  aller  neuesten  Erfindungen  im  Kriege  hätten  die  rohe  Muskel- 
kraft in  den  Hintergrund  gedrängt,  in  den  Vordergnind  rücke  die  militär- 
technische Ausbildung. 

Bei  den  gewaltigen  Armeen  und  bei  der  hohen  intellektuellen  Ent- 
wicklung der  Heerführer  wäre  es  möglich,  den  Feind  zu  umgehen,  vermöge 
der  strategischen  Konzentrierung  der  Feldkolonnen  an  einen  geeigneten 
Punkt,  um  so  mehr  als  die  Defensive  infolge  der  grossen  Entfernung  der 
Reserven  überhaupt  schwieriger  werde.  Dagegen  erwidert  man,  für  eine 
solche  Operation  sei  es  unentbehrlich,  alle  Bewegungen  (Märsche)  des 
Feindes  und  seine  Dislokationen  zu  kennen,  während  jedoch  bei  dem 
rauchschwachen  Pulver,  bei  der  Treffweite  (des  Gewehres)  der  Masse  und 
bei  den  beobachteten  Vorsichtsmaassregeln  zwecks  Zusammenhaltens  des 
Zentrums  der  Armee  das  Ausforschen  der  Bewohner  und  überhaupt  die 
Erkundung  bedeutend  schwieriger  werde;  die  Möglichkeit  der  schleunigen 
Herstellung  leichter  Laufgräben  würde  die  Versuche,  den  Feind  zu  um- 
gehen und  ihn  aufzuhalten,  paralysieren;  das  beständige  Heranrücken 
von  frischen  Streitkräften  zum  Kampfplatze,  das,  infolge  der  Zerstreuung 
der  Armee  auf  gewaltige  Strecken,  erfolgen  müsste,  würde  die  Lage 
dessen,  der  die  Umgehung  unternimmt,  gefährlich  machen. 
g^rtche  Somit  haben  wir  eine  ganze  Reihe  von  Widersprüchen  vor  uns; 

bei  der    doch  das  ist  unvermeidlich  und  entspringt  aus  dem  Wesen  der  Sache 
^d^mö7-*  selbst.    Nur  ein  Krieg  kann  direkte  thatsächliche  Hinweise  geben;  alle 
^uufB  dM    Voraussetzungen  erscheinen  als  logische  Vemunftschlüsse,  die  sich  nicht 
zakanfto-  auf  Unmittelbare  Daten  stützen.    Zweifel  und  Streitigkeiten  sind  dabei 
unvermeidlich. 

Auch  zu  der  Zeit,  wo  sich  die  Erfindungen  der  Technik  noch  nicht 
so  häuften  wie  gegenwärtig,  sondern  Routine  und  Erfahrung  als  Haupt- 


SchlussfolgeruDgen.  gQ3 


eigenschaften  der  Führer  galten,  hat  es  widersprechende  Ansichten 
gegeben  aus  dem  Grunde,  weil,  wie  man  zugegeben,  in  den  Regeln  der 
Taktik,  den  Feind  zu  schwächen,  Abänderungen  notwendig  wären,  indem 
man  ihn  zur  Erreichung  des  eigenen  Uebergewichtes  zu  einem  Kampfe 
unter  neuen  Bedingungen  zwingt.  Napoleon  erteilte  den  Rat,  eine  solche 
Abänderung  alle  10  Jahre  vorzunehmen. 

In  jeder  Armee  giebt  es  bekanntlich  besondere  Instruktionen  für 
die  Truppenübungen  in  Friedenszeit  und  für  die  Vorkehrungen  zur  Lösung 
der  Aufgaben  des  Krieges.  Doch  die  Ansichten  bezüglich  der  Operationen 
der  Infanterie  bilden  ein  Labyrinth  unvereinbarer  Widersprüche,  die  sich 
gegenseitig  ausschliessen. 

Möge  der  Leser  nicht  glauben,  dass  das  Widersprüche  sind,  welche 
nur  dem  Nicht-Spezialisten  als  solche  erscheinen.  General  Luse,  ein  sehr 
kenntnisreicher  Spezialist,  macht,  indem  er  voii  Frankreich  redet^),  die 
Bemerkung: 

„Wer  sollte  sich  nicht  wundem  über  die  Abweichungen  in  den 
Ansichten,  die  sich  in  den  Lehrbüchern  unserer  Schulen  finden,  und 
noch  dazu  in  Fragen,  welche  wesentliche  Punkte  der  Taktik  betreffen? 
Stehen  denn  die  Kenntnisse,  welche  man  den  Offizieren  der  Infanterie  in 
den  niederen  Lehranstalten  beibringt,  im  Einklänge  mit  dem,  was  sie  in 
einem  höheren  Militärinstitut  lernen?  Entspricht  denn  die  Lehre  dieser 
höheren  Schule  den  Kursen  der  ;6cole  d'application?  Aendern  sich  nicht 
häufig  und  entschieden  die  Ideen,  die  i%uf  den  Kathedern  einer  höheren 
Militärlehranstalt  verkündet  werden?  Das  ist  ein  Chaos  von  Begriffen 
und  Prinzipien,  die  sich  einander  widersprechen  und  aus  diesem  Wider- 
streite bricht  kein  Lichtstrahl  hervor.  Es  ist  nicht  zu  veiivundern,  dass 
die  Offiziere  sagen:  „Wanim  sollen  wir  lernen?  Mögen  zuerst  die  Lehrer 
unter  einander  zur  Uebereinstimmung  gelangen." 

Nicht  geringere  Widersprüche  finden  sich  bei  aufmerksamer  Durch- 
sicht auch  bei  deutschen  Schriftstellern.  Da  es  aber  für  Leute,  welche 
im  Militärdienste  stehen,  grosse  Schwierigkeiten  macht  zu  Schriftstellern, 
da  femer  auch  der  Krieg  vom  Jahre  1870  eine  starke  Dosis  von  Eigen- 
dünkel im  deutschen  Heere  hervorbringen  musste,  so  werden  jene  Wider- 
sprüche mit  grösserer  Vorsicht  geäussert,  ohne  besondere  Lösung  der 
Probleme.  Deutsche  Autoren  weisen  nach,  dass  zufolge  des  hohen  Niveaus 
der  militärischen  Kenntnisse  der  deutschen  Offiziere  und  Unteroffiziere 
die  deutsche  Armee  sich  schneller  als  andere  den  Fordemngen,  welche 
durch    die   Praxis    eines   Krieges    der  Zukunft    an    den  Tag    treten, 


«)  „Etudes  de  tactique**.    Paris  1890. 


664  VII»   Taktik  der  Infanterie. 


anzupassen  vermag.  In  dieser  relativen  Leichtigkeit,  sich  nach  den  ersten 
hinweisenden  Erfahrungen  im  Felde  neue  taktische  Handgriffe  anzueignen, 
erblicken  die  Deutschen  einen  wichtigen  Vorzug  vor  den  anderen.  Doch 
wollen  sie  gewissermaassen  nicht  dessen  gedenken,  dass  sie  vom  ersten 
Tage  des  Feldzuges  1870  an  mit  dreifacher  Uebermacht  gegen  den  Feind 
auszogen,  welcher  im  Gefühl  seines  Unvorbereitetseins  und  des  Mangels 
an  solchen  Führern,  die  das  allgemeine  Vertrauen  der  Armee  genossen, 
ungern  in  den  Krieg  zog. 

Leicht  ist  es  zu  manövrieren,  zu  umgehen  und  zu  siegen,  wenn  so- 
gar bei  zufälligen  Zusammenstössen  mit  jeder  Stunde  frische  Truppen 
anlangen. 

Schliesslich  wollen  wir  noch  erwähnen,  dass  der  Offizierstand  in 
Deutscliland  grösstenteils  aus  Adligen  besteht,  in  deren  Familien  eine 
militärische  Tradition  herrscht,  dass  darum  aber  auch  schwerlich  ein 
Gedanke  an  Schwierigkeiten,  und  weniger  noch  ein  Zweifel  an  die 
Möglichkeit,  einen  Kiieg  zu  führen,  auftaucht. 

Von  einem  zu  aufrichtigen  Einräumen  von  Gefahren  und  Schwierig- 
keiten eines  Krieges  unter  neuen  Bedingungen  hält  möglicher  Weise  die 
deutschen  Autoren  auch  die  Befüixhtung  ab,  der  Bewegung  gegen  den 
Militarismus  Nahrung  zu  geben. 

Bei  solchem  Sachverhalt  kommt  es  offenbar  uns  nicht  zu,  Streit- 
fragen zu  entscheiden,  doch  schien  es  uns  unmöglich,  Ei-wägungen  über 
die  Zukunftstaktik  der  Infanterie  auszuschliessen,  da  der  Hauptgegen- 
stand unserer  Forschungen,  nämlich  in  wie  weit  ein  Krieg  bei  dem 
heutigen  Stande  der  Kriegswissenschaft  und  Gesellschaftsordnung  möglich 
und  gewagt  sei,  davon  abhängig  ist.  Ausserdem  könnten  wir  keine 
Prinzipien  für  die  Beiuteilung  des  Einflusses  künftiger  Verlust«  auf  die 
gesellschaftlichen  Verhältnisse  erhalten,  und  das  würde  unsere  Arbeit 
unvollständig  machen,  da  die  Fi-age  von  den  Verlusten  im  Kiiege 
im  Zusammenhange  mit  der  gleichzeitigen  Stellung  und  Verfassung 
namentlich  der  westlichen  Staaten  die  grösste  Bedeutung  hat.  Ueberhaupt 
niuss  man  zugeben,  dass  man  bei  den  modernen  Vernichtungsmaschinen 
die  Tötlichkeit  des  Gewehrfeuers  nur  einigermaassen  durch  taktische 
Handgriffe  herabsetzen  kann,  dass  es  aber  unmöglich  ist,  dessen  Wirkung 
zu  paralysieren. 

Die  Im  Zukunft^kriege  wird,  was  für  Kombinationen  man  auch  aufstellen 

^  Haupt  *^niag,  eine  der  Parteien  sich  beständig  vorzugsweise  an  die  defensive  Art 

"""^^artet"^'  der  Kriegführung  halten,  wie  wir  es  im  zweiten  Bande  bei  der  Beschreibung 

im  zokonfts-der  Operation spläuc  zeigen  werden;  wenn  sie  nun  aber  auch  nach  Abwehr 

des  Sturmes  zum  Angriff  schreitet,  um  den  Feind  völlig  zu  schlagen,  so 


Schlussfolgerangen.  gg5 


geschieht  es  nur  auf  eine  kurze  Strecke  hin,  da  sie  selber  von  Neuem 
auf  gleich  unüberwindliche  Hindernisse  stossen  wird.  Die  kriegführenden 
Parteien  werden  wahrscheinlich  die  Sollen  häufig  tauschen  müssen.  Doch 
wird  bei  allen  neu  eintretenden  Umständen  das  Eampfesbild  von  dem 
früheren  verschieden  sein. 

Wir  haben  schon  gezeigt,  dass  Vergleiche  mit  der  Vergangenheit 
in  dieser  Beziehung  wenig  lehi-reich  sind.  Es  hat  dafür  noch  kein  Beispiel 
gegeben,  dass  Staaten  nur  zur  Defensive  vorbereitet  gewesen  wären.  Wir 
stehen  einer  unerklärlichen  Erscheinung  gegenüber.  In  allen  Armeen 
werden  Theorien  von  der  Vorzüglichkeit  der  offensiven  Art  der  Krieg- 
führung verkündet,  gleichwohl  sind  jedoch  so  starke  Defensiv-Positionen 
errichtet,  dass  gerade  ihr  Vorhandensein  nicht  ohne  Einfluss  auf  die 
Operationsweise  bleiben  kann. 

Ein  Zukunftskineg  wird  daher,  was  man  auch  sagen  mag,  ein  Kampf      ^^^ 
um  befestigte  Stellungen  sein.  Alle  Teile  der  Infanterie  sind  mit  Schanz-  ^rfeg  -  ein 
Werkzeug  versehen  und  zwar  in  solchem  Maasse,  dass  Befestigungen  im   befoJugto' 
Laufe  einer  sehr  kurzen  Zeit  errichtet  werden  können.  Ausserdem  haben  wir  ß*«""^««»' 
gezeigt,  bis  zu'  welchem  Grade  Truppen,  die.  hinter  Verschanzungen  ver- 
teilt sind,  ihre  Stellungen  uneinnehmbar  machen  können.  Die  Defensive  kann 
in  bedeutend  grösserem  Maasse  als  die  Offensive  natürliche  Hindernisse  am 
gegebenen  Orte  benutzen  und  sie  noch  durch  Arbeiten  verstärken.  Dank 
ihnen  bestimmt  die  Defensive  sicherer  ihr  Gewehrfeuer  und  verwendet  es 
wirksamer,  als  es  für  die  Offensive  erreichbar  ist,  die  ohne  Deckung  zum 
Angriff  vorrücken  muss.     Die  Stärke  der  Defensive  nimmt  proportional 
zu  der  Wurfkraft  der  Geschosse  zu.    Freilich  sagt  man,  die  Mannschaft 
würde  schlecht  schiessen,  würde  sich  trotz  des  Drilles  nicht  darauf  ver- 
stehen, alle  Ortsverhältnisse  auszunutzen  und  auch  vervollkommnete  Ge- 
wehre würden  sich  in  ihren  Händen  nicht  wirksamer  erweisen  als  Gewehre 
der  früheren  Zeit. 

Giebt  es  jedoch  einen  ti-iftigeu  Grund,  dass  bei  den  oben  angeführten, 
für  die  Defensive  günstigen  Bedingungen  der  Verteidiger  schlecht  schiessen 
wird?  Das  kann  nur  seitens  derer  geschehen,  welche  es  vorziehen,  fehl 
zu  schiessen,  indem  sie  auf  Geratewohl  schiessen,  um  sich  nicht  durch 
Biossstellen  des  Kopfes  und  der  Hände  persönlicher  Gefahr  aus- 
zusetzen. 

Doch  können  das  freilich  nur  Ausnahmefälle  sein;  warum  soll  man 
denn  voraussetzen,  däss  der  Angreifer  Tapferkeit  genug  l)esitzt,  um  offen 
zum  Angriff  vorzurücken,  indem  er  den  ganzen  Körper  blossstellt,  dass 
aber  der  Verteidiger  sich  scheuen  wird,  sich  einer  achtmal  geringeren 
Gefahr  zu  unterwerfen.    Bei  sehr  geringen  Abständen  ist  daß  Feuer  des 


ggg  Vn.    Taktik  der  Infanterie. 


im  Laufschritte  heranrückenden  Feindes  gefahrlos,  die  hinteren  Reihen 
sind  sogar  genötigt,  das  Feaer  einzustellen. 

Wenn  man  selbst  zugiebt,  dass  die  in  der  Defensive  Stehenden  aus 
weniger  tapferen  Kriegern  bestehen,  so  ist  auch  in  einem  solchen  Falle 
der  bestrichene  Raum  durch  Gewehrfeuer  so  gross,  dass  es  eine  ver- 
nichtende Wirkung  auf  den  Anstürmenden  ausüben  muss. 

verhutnis  -^^i^  habcu  schou  gezcigt,   dass  man  gerade  in  den  Kriegen  von 

MannMiiftfts- 1870  uud  1877  uicht  wenig  Beispiele  finden  kann,  welche  die  dargelegten 
der  Defenelre  Schlussfolgerungen   bestätigen,  die  bis  zu  einem   gewissen  Grade  auch 
offeMirrin  dokumeutarfsch  in  der  neuestt*n  Kriegsgeschichte  anerkannt  sind.    Nach 
Bezog  »uf  den  oben  angeführten  vergleichenden  Zusammenstellungen  und  Veran- 
dM  oewehl?  schlagungen  ergiebt  sich,  dass  die  angreifende  Partei,  um  nach  den  Ver- 
ArMiuri«-  lusten  während  des  Anrfickens  nicht  der  defensiven  Partei  an  Zahl  nach- 
feoan.     zustehcu,   bei    einer  Annäherung   auf  32  Meter,   wenn  sie  schon   die 
Möglichkeit  erlangt,  zum  Bajonnett  zu  gi*eifen,  je  637  Mann  auf  100  Mann 
Verteidiger  haben  muss.  Damit  jedoch  eine  Abteilung  unter  dem  Gewehr- 
feuer auf  ungeschützter  Fläche  die  defensive  Position  erreichen  kann, 
muss  sie  einen  Bestand  haben,  der  wenigstens  acht  mal  die  Anzahl  des 
Feindes  übertrifft. 

Vorausgesetzt,  dass  die  aus  einer  Entfernung  von  225  Schritt  zum 
Sturm  Vorrückenden  400  Mann  stark  sind,  die  hinter  der  Verschanzung 
sich  Verteidigenden  nur  100,  so  werden  doch  —  nach  den  Angaben  des 
Generals  Skugarewski^)  —  den  Angreifenden  nur  74  Mann  zum  Bajonett- 
angriff übrig  bleiben. 

Aber  ausser  den  Kugeln  der  Gewehre  werden  die  angreifenden 
Truppen  auch  der  Wirksamkeit  des  Artilleriefeuers  ausgesetzt  sein. 

Die  Anwendung  von  Stahl  zur  Anfertigung  von  Geschossen  hat  es 
ermöglicht,  sie  mit  einer  Anzahl  von  Kugeln,  die  bedeutend  grösser  sind 
als  früher,  anzufüllen,  und  die  Anwendung  von  Sprengstoffen,  die  im  Ver- 
gleich zu  dem  in  früherer  Zeit  gebrauchten  Pulver  4  mal  stärker  wirken, 
hat  jedem  Kugelsplitter  eine  grosse  Kraft  verliehen. 

Ein  Vergleich  der  Wirksamkeit  der  modernen  Geschosse  mit  denen, 
welche  1870  im  Gebrauch  waren,  erweist,  dass  die  Granaten,  anstatt  in 
20—30  Splitter,  wie  es  im  Jahre  1870  der  Fall  war,  durchschnittlich  in 
240  Splitter  zerplatzen. »)  Die  Shrapnells,  welche  im  Jahre  1870  in 
Gebrauch  waren,  wurden  in  37  Stücke  zersplittert,  die  heutigen  jedoch 
ergeben  bis  340  Stücke. 


0  „Der  Angriff  der  Infanterie''. 

')  Langlois:  „L'artillerie  de  campagne*^. 


Schlussfolgeruugen.  gg7 


In  Anbetracht  einer  solchen  Wirkung  der  Geschosse  kann  man  sich 
unmöglich  eine  Vorstellung  davon  machen,  wie  sie  im  Zukunftskrieg  sein 
wird.  Im  Kriege  des  Jahres  1870  betrugen  die  Verluste  9  %  des  Bestandes 
der  Armeen.  Wenn  man  jedoch  die  neuen  Waffen  in  Anschlag  bringt, 
welche  40mal  wirksamer  sind,  als  die  Waffen  im  Jahre  1870,  so  miisste 
man  auch  den  Prozentsatz  der  Verluste  40mal  vermehren,  und  der  Ver- 
gleich wäre  ad  absurdum  geführt,  nicht  wegen  einer  Regelwidrigkeit  der 
Schlüsse,  sondern  einfach  darum,  weil  Mittel  hergestellt  worden  sind,  die 
zur  Vernichtung  von  Armeen  hinreichen,  welche  mehrmals  grösser  sind 
als  die,  welche  überhaupt  ins  Feld  geführt  werden  können. 

Im  Laufe  weniger  Jahre  wird  eine  völlige  Umgestaltung  der  Be- 
waffnung der  Artillerie  erfolgen,  und  die  Armeen  werden  Waffen  von 
doppelter  Kraft,  im  Vergleich  zu  den  jetzigen,  besitzen. 

General  Müller  sagt,  9)  bei  den  Geschützen  der  Zukunft  würde  zur 
Vermeidung  völliger  Vernichtung  die  Mannschaft  in  aufgelösten  Reihen 
und  möglichst  unbemerkt  vom  Feinde  heranschleichen  müssen,  indem  sie 
sich  hinter  den  Unebenheiten  des  Erdbodens  deckt  und  sich  in  die  Erde 
eingräbt  wie  ein  Maulwurf. 

Selbstverständlich  wird  die  erfolgreiche  Wii'ksamkeit  der  Artillerie 
des  Angreifers  auch  davon  abhängen,  in  wie  weit  sie  auf  keine  Hinder- 
nisse seitens  des  feindlichen  Artilleriefeuers  stösst. 

Alles  das  führt  zu  dem  Schlüsse,  dass  das  Bajonett  gegenwärtig D"  »»jonett 
seine    Bedeutung    eingebüsst    hat.      In    früherer   Zeit  rückten   2   aus     sein« 
Bajonetten  bestehende  lebende  Wände  eine  nach  der  anderen  vor.    Bis  ^1^*1«»?. 
zum   Handgemenge    erfolgten   1  bis  2  Schuss.      Der    schwächere   Teil 
wendete  sich  bald  zum  Rückzuge,  was  kein  grosses  Wagnis  bildete,  da 
der  sich  Zurückziehende  im  ganzen  von  2 — ^3  Schüssen  verfolgt  wurde. 
Gegenwärtig  ist  ein  Rückzug  vor  der  Attake  sicherer  Untergang.     In 
die   Zurückweichenden   werden   aus  jedem  Gewehr   treffsichere   Kugeln 
sausen,  von  denen  jede  5  Mann  niederstrecken  kann. 

Der  Glaube  an  die  Vorzüglichkeit  des  Bajonetts  vor  dem  Feuer- 
gewehr ist  völlig  erschüttert,  obwohl  man  die  Beobachtung  machen  kann, 
dass  sich  unter  den  russischen  Müitärs  noch  eine  gewisse  Schwachheit 
für  das  Bajonett  äussert,  oder  —  was  das  Gleiche  ist  —  für  eine 
ungestüme  Bravour  der  Person,  die  vermeintlich  die  zwar  mechanische, 
aber  doch  schreckliche  Wirkung  des  heutigen  Gewehrfeuers  überwinden 
könnte. 


•)  H.  Müller:    „Die  Entwickelung  der  Feldartillerie  in  Bezug  auf  Material, 
Organisation  und  Taktik  von  1815—1892''.    Berlin  1893. 


668  VII.   Taktik  der  Infanterie. 


In  allen  Armeen  ist  man  bemüht,  in  der  Mannschaft  ein  unbedingtes 
Vertrauen  auf  die  Gewalt  der  Feuerwaffe  zu  wecken,  und  in  den  Instruk- 
tionen heisst  es,  dass  bei  regelrechter  Abgabe  des  Gewehrfeuers  seitens 
des  Veiteidigers  kein  Angriff  irgend  welchen  Erfolg  haben  kann.  Das 
ist  freilich  nur  solange  richtig,  als  ein  noch  wirksameres  Feuer  der 
feindlichen  Artillerie .  oder  Infanterie  die  in  der  Defensive  Stehenden  nicht 
in  Verwirrung  bringt  und  ihre  regelrechte  Verteidigung  mittelst  der 
Gewehre  beeinflusst.  Beim  Einüben  der  Mannschaft  richtet  man  die 
Hauptaufmerksamkeit  auf  das  Schiessen ;  das  Hantieren  mit  dem  Bajonett 
gehört  freilich  auch  zu  den  Uebungen,  ist  aber  in  den  Hintergrund 
getreten. 

Aber  nichtsdestoweniger  macht  man  in  sämtlichen  Armeen  alle  mög- 
lichen Anstrengungen,  durch  Unterweisungen  und  Broschüren  den  Truppen 
die  Ueberzeugung  beizubringen,  dass,  sobald  sie  mit  Verwegenheit  bis 
an  die  Verschanzungen  heranstürmen,  vor  ihrem  kühnen  und  schneidigen 
Bajonettangriff  der  Feind  nicht  Stand  halten  wii'd. 

Bei  so  geringen  Entfernungen,  wie  sie  zum  Bajonettangriff  erforder- 
lich sind,  wird  beinahe  jede  Kugel  des  auf  die  Brustwehr  gelegten 
Gewehres  nicht  nur  einen  Mann  allein  niederstrecken.  Bei  der  Rauch- 
minderheit des  Schlachtfeldes  wird  dieses  Niederstrecken  allen  sicht- 
bar sein. 
der^h^^Sfln  ^^^  hcutigcn  mit  einer  Hülle  umgebenen  Kugeln  zersprengen,  wenn 

Geschosse,  sle  aus  geringer  Entfenmng  den  Kopf  treffen,  den  Schädel,  in  anderen 
Körperteilen  jedoch  zei'splittern  sie  die  Knochen  und  reissen  die 
Gedärme  heraus. 

Wenn  nach  der  Ansicht  der  von  uns  angeführten  Spezialisten 
die  sich  verteidigende  Partei  kraft  der  Wirksamkeit  ihres  Gewehifeuei-s 
die  angreifende  Partei  in  einer  Entfernung  von  einigen  hundert  Met.eni 
zum  Halten  bringen  mnss,  indem  sie  weiteres  Näherrücken  unmöglich 
macht,  so  müssen  wir  eben  daraus  ersehen,  dass  die  in  der  Defensive 
Stehenden  ihrerseits  nicht  aus  der  Verschanznng  hervortreten  und  zum 
Angriffe  übergehen  können,  da  sie  dann  in  die  Lage  ihres  Feindes  geraten 
und  mit  ihm  die  Rolle  tauschen  würden. 

Die  Erringung  von  Erfolgen  durch  Manövrieren  und  Umgehen,  wie 
es  in  früheren  Kriegen,  besonders  aber  im  Kriege  des  Jahres  1870  statt- 
gefunden hat,  erscheint  für  den  Zukunftskrieg  wenig  wahrscheinlich. 

Zur  Umgehung  der  feindlichen  Stellungen  ist  eine  sorgfältige 
Rekognoszierung  gerade  unter  dem  feindlichen  Gewehrfeuer  unentbehrlich 
und  sehr  schwierig.  Sodann  werden  die  in  der  Defensive  sich  Haltenden, 
wenn  sie  aus  ihren  Stellungen  hinausgedrängt  sind,  den  Rückzug  auf 
geeigneten,  gebahnten  Wegen  antreten,  und  auf  diesen  entweder  auf  neue 


Schlassfolgerungen.  669 


Verschanzungen,  die  von  ihnen  früher  angelegt  sind,  stossen  oder  an 
passenden  Orten  sich  von  neuem  verschanzen,  indem  sie  fortgesetzt  dem 
Angriff  Widerstand  leisten   und  dem  Feinde  neue   Verluste  beibringen. 

Unter  solchen  Bedingungen  ist  es  wohl  gestattet  zu  fragen:   Kann  wird  «8  noch 
man  voraussetzen,   dass  sich  Leiter  und  Führer  mit  hinreichender  Be-    Führ« 
fähigung  finden  werden?  «^"^"^ 

Einen  Angriff  zu  leiten,  ohne  die  feindlichen  Kräfte  und  die 
Hindemisse  zu  kennen,  auf  welche  man  stossen  könnte,  werden  nur 
wenige  im  Stande  sein.  Gerade  deswegen  beschäftigen  sich  die  heutigen 
Kriegsschriftsteller  viel  mit  diesem  Thema,  an  welches  früher  niemand 
gedacht  hat.  Alles  oben  Dargelegte  bringt  uns  zu  dem  Schluss,  dass 
zufolge  der  Vervollkommnung  der  Vernichtungsmittel  jeder  Zusammenstoss 
der  Infanterie  mit  dem  Feinde  in  schrecklicherer  Gestaltung  erfolgen 
wird  als  bisher,  und  dass  jeder  Fehler,  jede  Verzögerung  ernstlichere 
Folgen  haben  wird. 


-==>{2>5(€)5<S<==— 


Druck  der  Norddeutschen  Bnchdrnckerei,  Berlin  SW. 


InhaltsYerzeichniss  der  6  ßände  yon 

Der  Krieg. 

Von 

Johann    von    Bloch.. 


Band  I.    Beschreibung  des  Kriegsmechanisinus     .    .    .    Mk.  8,- 

„     II.    Der  Landkrieg «    8,- 

„    in.    Der  Seekrieg ,,    6,- 

,,    IV.    Die  ökonomischen  Erschütternngen  und  ma- 
teriellen Verluste  des  Zukunftskrieges    ...       ,,    8,- 
„     V.    Die  Bestrebungen  zur  Beseitigung  des  Krieges, 
die  politischen  Konflikts-Ursachen,  die  Folgen 

des  Krieges ^6, 

„  VI.  Der  Mechanismus  des  Krieges  und  seine 
Wirkungen.  Die  Frage  vom  internationalen 
Schiedsgericht 4. 


Die  einzelnen  Bände  werden  in  möglichst  rascher  Folge  erscheinen, 
die  Bände  sind  einzeln  verkäuflich. 


Die  Verlagshandlung. 


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