Skip to main content

Full text of "Der letzte Taborit; oder, Böhmen im fünfzehnten Jahrhundert; historisch-romantisches Gemälde"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 


public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 





‘We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual 
personal, non-commercial purposes. 





and we request that you use these files for 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 






About Google Book Search 


Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 
alkttp: /7sooks. google. com/] 














Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 





+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 





Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google.comldurchsuchen. 














Daran, Google 


Daran, Google 


Daran, Google 
































K. Herloßfohn’s . 
Siatische Dom. 


Erfte Gefammtausgabe. 





W. 
Der legte Taborit. 


Erfter Band. 
— — 


Prag. 
Berlag von I. 8. Kober. 
1864. . 


ir 


Der letzte Taborit 


ober 


Böhmen im fünfzehnten Iahrhundert. 





.* Hiforifch - romantifches Gemälde 


von 


R. Serloßfohn. 
7 


Erſter Band. — Dritte Auflage. 


— — 


prag. 
Berlag von J. L. Kober. 
1864. 


ME# 


415770 


PTa355 
Ha ir 
164 


Drud vor 3. 2. Kober in Prag. 


1. 


Düfter und ſchwer breitete ſich die Nacht über das Zabo- 
vitenlager bei Böhmifh-Brod. Länge der Anhöhe bei Htib 
dehnten fi die Zeitreifen ans; dem Flüßchen entlang erfiredte 
fi die Wagenburg Hin, im Halbkreiſe aufgeſtellt. — Es war 
eine ruhige, warme Naht des 30. Mai 1434, nur ſchweres 
Negengewölt umbüllte den Himmel und dämpfte fein Nachtlicht. 
Weithin im Kreife brannten die Wachtfeuer wie Irrlihter — 
me felten flug einer der Hayhunde an, die man auf die Men- 
ſchenjagd abgerichtet Hatte und als Kampfgenoffen im blutigen 
Bertilgungskriege mit ſich führte. — 

Bor dem großen Zelte, worin bie beiden KHauptanführer 
Brofop der Große und Prokop der Kleine ber Ruhe 
pflegten, ſchilderten zwei bärtige Xaboriten, mit Schwert und 
Keule bewaffnet. Sie waren lange ſchweigend auf und abge 
gangen. Da blieb der Eine plöglich ſtehen und fagte gedämpft: 

„Sieh' doc, Pawel, geht denn die Sonne noch einmal 
unter? Dort det rote Schein, was mag er bedeuten? Heut 
blutet der Himmel — wir haben morgen windig Wetter.” 

mRarr Du,” verſetzte der Andere, indem er in bie ferne 
hinſtarrte, „ich glaube, das if Feuer. Gich’! wie's auffchlägt 


6 


— fih weiter wälzt. Gottes Fluch! das_ift Brand. Schlag 
Lärm! Heda — heiſal auf, auf“ 

Er riß die Zeltwand auf und ſchrie gegen die Feldherren 
Binein. In demfelben Augenblide ertönte auch ſchon Feuerruf 
von jener Seite des Lagers her — es ſcholl mie Saufen des 
Windes, das ſich in Waffengellirr Töfte. 

„Wir find überfallen,” vief eine Stimme, „die Wagenburg 
brennt — auf, auf, Taboritenbrüder, zu den Waffen!“ 

Aus dem Zelte ftürgten zu gleicher Zeit die beiden Feld⸗ 
herren, in der Eile gerüftet. 

„Fluch den Calirtinern,“ ſchrie Prokop der Große — „fie 
tommen ums zuvor, wir find überfallen, das muß Berrath fein. 
Wollen fle ans Allen einen Gceiterhaufen von Koftnic bauen ?“ 
Er fie in das Schladthorn, das an ferner Seite hing, und 
heulend ſchwebte der Ton über die Reihen ber Gelagerten Hin 
und wedte fie durchſchauernd aus ihrem Schlummer. 

Bender,“ rief jet Prokop der Kleine — „bleib Du hier 
— ſammle bie Schaaren, ich werfe mid, dorthin gegen die bren- 
nende Wagenburg. Es foll ein Schlachten werden um bie Wette.“ 
Und er fprang auf fein Roß, das zwar gezäumt, aber ohne 
Sattel feitwärts fand, und jagte die Zeltſtraße hinab, laut zum 
Aufbruch brüllend. 

Und die Schläfer erhoben fi Halb bewußtlos, Halb tau- 
meld vor Schreden, und griffen hier und da zu den Waffen. 

Indeſſen dehnte ſich die Lohe immer Höher und weiter, und 
der Brand beleuchtete das Lager tageshell, und die feindlichen 
Gruppen der Prager und Calirtiner, welde von ben Herren von 
Rieſenberg und Nenhans angeführt waren, traten hervor aus dem 
umbülenden Randwolten. 

Immer noch ſtieß Profop der Große in das heulende Horn, 
und Hundert andere amtworteten von allen Geiten. 


1 

Die feindliche Neiterei geiff von der Seite am, ihr Tritt 
der Roſſe erbröhnte auf dem Karten Boden. 

„Eapet! Eapel! wo iſt der Hauptmann ber Reiterei?= ſchrie 
Brolop der Große. ‚ 

Und eine wilde Geftalt mit brandrothem Haar kam reits 
von den Zelten heranfgeiprengt. 

„Feldherr, Gelbherr!" rief er, „was gibts im aller Teufel 
und Päpfte Namen?” 

„Dorthin, dorthin, wirf Dich ihnen entgegen,“ war bie 
Antwort — „Roffe vor! Verflucht, verflucht !“ 

Und Capet fprengte fort. 

Ahnälig gruppirten ſich die Heerhaufen um. Prolop den 
Großen, währens Bretupet, das ift Prokop der Kleine, fi 
vorn in der Gegend ber brennenden Wagen an die Spitze eines 
Haufens geftellt Hatte und dem Sturme der feimdlichen Larnzen- 
kaechte Wiberftand bot. — Auch bie Priefter umb Weiber, bie 
Häufig mit ben Horebiten nnd den Taboriten, welche ſich feit 
Bijla’e Tode die Berwaiften nannten, in die Schlachten zogen, 
waren. erwacht, und ihre Schlachtgeſänge und ihr Wuth- und 
Sämerzgehen! miſchte ſich mit bem gränlichen Rampfgetöfe. Ein 
Choral von vielen Stimmen fing buch, und man hörte die 
Strophe eines Schlachtliedes: 


„Treib die Teutſchen maus, 
Heil ger Wenceslaus! 

Papft dee Anticheift 

Bon Gott verfluchet ift. 

Im des Feuers Moth, 

Sand Sanct Huß den Tob; 
Drum die Rah’ gebot: 
Schlagt die Papiſten tobt.“ 


Immer ſtarker wurde Prokupek gebrängt; er vier um Bei 
Rand; aber mur verworren und langfam bildeten und ergänzten 
ſich die Reihen. Hauptmann Bartos fpannte.vor einen bren- 
menden Senfenwagen zwei Roffe und fuhr wie ein Wüthender, 
während hinter ihm.die Lohe aufflaminte, in bie feindfichen Haufen 
Binein, mit ben Roffen und Senfen und den fprühenden Flammen 
eine weite Strafe bildend; ihm nad; wälzte fi) Prokupet mit 
einer Schaar. 

Der Kampf wurde zum Handgemenge, zum Gemegel. Die 
Hunde waren losgelaffen, fie ftürzten fi wie toll auf den Feind, 
padten den Mann an ber Kehle, riſſen fie emtzwei und zer- 
fleifegten fo den Gegner wie ein Ranbthier. 

Bon der Anhöhe donnerte Prokop feine Befehle. — Immer 
näher drängte von ber linken Geite der Herr Riefenberg mit 
feiner Reiterei, das Fußvolt konnte ihm trotz verzweifelter Gegen - 
wehr, da es wicht geordnet war und nur der einzelne Man 
focht, nicht Iange Stand Halten; und immer noch kam Eopet 
nicht. Alles wurde gegen die Anhöhe gebrängt, die erften Belt- 
reihen brannten ſchon. — Prokupek wurde fünfmal zurückgeworfen; 
— henlend irrten die verzweifelnden Weiber mit ihren Kindern 
in ben Armen duch die Gaffen, als ahnten fie den Ausgang 
der Schlacht. — Und Eapel kam immer noch nit. 

Prokop der Große fah die wankenden Reihen, bie zer- 
fprengten Glieder, fah ringsum den Feind, wie eine eherne Mauer 
fi) näher drängen; ein Taborit hielt fein Schlachtroß, der Feld- 
here ſchwaug fi hinauf, er faßte die Fahne mit dem Lamm 
Gottes in bie linke, die Rachekeule in bie rechte Hand, ſammelte 
durch Fluch und Zuruf einen Haufen um ſich und fprengte voran, 
während der tapfere Rohae von Duba fih mit einem Haufen 
Keulenträger gegen den Wiefenberg wandte und fo die mantenden 
Brüder unterftüßte. 

Zwei Stunden lang dauerte das Gemetzel — die Prager 


N 


-- 


9 


hatten die Uebermacht für fich, bie Verwaiſten aber die Todes⸗ 
verzweiflung. Sie wien feinen Fuß breit und bezeichneten dem 
led, wo fle fohten, wit ihren Leihen. Ein Windſtoß trieb 
den Raud von den brennenden Wagen und Zelten ſeitwärts, 
und bie Taboriten fahen jegt im Schein bes Feuers bie feind- 
lichen ZFußvölfer, angeführt von dem Herrn von Neuhaus, ber 
auf milhweißem Roſſe in der funkeinden Rüftung über fie her- 
vorragte. ‚ 

Brofupet hatte fih dur einen wöäthenden Angriff faſt den 
Weg zu ihm gebahnt und fchrie ihm zu: „Verfluchter Ketzer, 
Abtrünniger, Verräther Du an Huffen’s Heiliger Lehre, Pfaflen- 
tnecht, werth, baß der Bapft Dich finden läßt und braten. 
Komm heraus zum Zweifampf — Mann gegen Mann.“ 

Und mit gewaltigem Hiebe flug feine Keule den Schädel 
des erften, zweiten nud britten Lanzenknechts ein, die ſich ihm 
entgegengeworfen. Aber neue Maffen drängten ihn zurüd — 
ein Pfeil freifte feine Wange — ein Säbelhieb Hatte den linken 
Arm gelähnt, fein Roß bäumte fih; — da erfahte ihm Prokop's 
des Großen nervigte Fauſt und hielt ihm feſt zu Roß. Der 
Feldherr warf ſich mit feinen Getreuen im wüthenden Anlauf 
gegen den Feind — das Glaubenspanier und die Keule ſchwin⸗ 
gend; aber der Feind öffnete urplötzlich feine Reihen, und Wen- 
elav's, des tollen Könige, Donnerbüchfe wurde fihtbar; fie entlud 
fi mit furchtbarem Knall und warf ben Feuerballen in die bidht- 
gedrängten Haufen ber Taboriten. 

"Sie wichen — Schritt für Schritt, mit ihnen die Feld- 
herren — Hinter ihnen brannte ſchon das Lager in weiter Aus- 
dehnung — anf der Anhöhe wollten fie wieber Stand faflen. 

Rohaẽ wehrte fi gegen die Niefenberger mit Verzweiflung 
— die taboritiſche Reiterei war nod immer nicht da. 

Protupet — Garda — Techtie — haltet Euch —" tief 


10 


Protop ber ai — „nehmt hier das Panier, id rufe bie 
Weiter. Gottes! Fluch über Cape, wo, bleibt er?" 

Und er wandte feinen Streithengft und fprengte gegen bie 
Anhöhe hinauf. Weit geröthet war Erb’ und Himmel um bie 
Blurfcene. Rechts hin auf der Straße nach Kollin zog dic Reiterei 
ab, und in ihrem Rüden fprengte Tapel mit verhãngtem Zügel 
nad) den Reihen der Feinde Hin; fen rothes Haar brannte wie 
Feuer im Widerſchein. 

Bon einem entfeglihen Gedanken ergrifen, bog der Feldherr 
Kopf und Arm vorwärts und fehrie dur das Cchladitgetöfe 
hinüber zu dem Fliehenden: „Judas — Judas! Flach Dir und 
den Deinigen! — Hätt' ich nur ein Feuerrohr, nur einen Bogen, 
ich durchbohrte Deine Btuſt, verrätherifcher Hund! — Nun alfo 
gilt's, fo zu flerben.“ 

Und er bog das Rof wieder vorwärts und fprengte nad 
dem Kampfgetümmel. 

Eyrillus, der zweite Oberpriefter im langen grauen Talare 
ſchritt durch die aufgelöften Reihen, an Verwundeten und Gter- 
benden vorbei, in ber Rechten das Schwert, in ber Linken hoch 
erhoben den Kelch, betete und tröftete und rief ermuthigend zum 
Kampfe. 

Nohad war geworfen, er zog fi in Unordnung gegen die 
Anhöhe Hinanf. — Das Lager brannte jegt an drei Geiten, bie 
Glut fengte den Kämpfenden Kant und Haar, raubte ihnen dem 
Athem und erjhwerte fo die gewaltige Blutarbeit. 

Die Taboriten wichen abermals; denn glei tapfer war 
der Feind, es kämpften ja Böhmen gegen Böhmen und die Ueber- 
wacht war auf jener Geite. 

„Einen Trunk, einen Trunk!“ flehte Prokupek und zog fi 
aus dem Getümmel zurück — „beim heiligen Gott, id; kann 


11 


nicht mehr.“ Und er ſauk in die Kuie zwiſchen den Erſchlagenen 
und Verwundeten — er blutete aus fieben Wunden. — Da 
erhob fi Einer, der zum Tode getroffen war, mit halbem Leibe 
und hielt ben Arm, ber aus allen Röhren blutete, über feinen 
Helm und ſtöhnte: „Hier, Felbhere — ein Trumt, ich hab’ nichts 
Anders — ’8 ift mein Letztes für Gott und die reine Lehrel“ 

Und wie in trunkener Raferei vig Prokupel den Helm an 
die Lippen und ſchlürfte das warme Leben mit gierigem Munde. 

Und er raffte fih auf — und ſchwankte zu Fuße nad 
dem Orte des Gemetzels. Prokop der Große ſchwang wieder bie 
Sahne und mähte rechts und Links mit der Keule die Männer 
nieder — um ihn mwürgten wie fterbenbe Löwen bie Brüder 
Cechtie, Carda, Kolar, Zeöwic und die von Smitic. 
Aber ihrer wurden immer weniger, und der Feind fandte neue 
Steeiter in's Treffen. Immer weiter und weiter wurden bie 
Zaboriten zurüdgebrängt. Ihr rechter Flügel wid und wanfte 
und föfte fid im Flucht auf, und brad fi Bahn burd bie 
brennenden, funkenſpruhenden Zeitreihen, weithin nad) der Kolliner 
Straße ſich zerſtreuend. 

Aber auf dem Hügel kuieten Prieſter und Weiber und 
flehten mit herzzerſchneidendem Gehent, händeringend, die Bruft 
zerihlagend, um Sieg und Rettung vor dem ſichern Untergange. 
Dazwiſchen krachte von Zeit zu Zeit die Donnerbüdjfe, mit ihrem 
gelben Blitz die rothe Lohe mod, überfirahlend, dazwiſchen braufte 
das Drängen, Heulen nnd Drohen des Kampfes, das Schwerter: 
gellirr und ber Kampf und Giegesruf. Näher ſchon flatterten 
die Pawiere der Prager, mit dem Keld im weißen Felde — 
einmal fank die Fahne der Taboriten mit dem Beifigen Beiden 
des Chriſtuslammes. Aber fie erhob fi wieder. Hier und da 
verglomm ſchon das feuer, nur links Kin wälzte ſich noch unge 
geuerer Brand. Die rechte Zeltreihe auf dem Hügel war noch 
unverſehrt. 


12 


Augemeiner ward bie Flucht, lauter das Siegsgeſchrei ber 
Calirtiner, wilder das Verzweiflungsgeheul der Taboriten. 

Schritt vor Schritt wichen fie kämpfend zurüd. 

Hier von der Höhe warf Prolop ber Große einen Blid 
über die Wahlſtatt und fah feine zerſchmetterten Kaufen, ſah bie 
Leichenberge feiner Brüder, die einzeluen, zurüdgedrängten Schaaren, 
welche den Zodesfampf kämpften, und vor ſich die dichten Reihen 
des racheſchnaubenden, fiegestrunfenen Feindes. Sein Auge rollte 
furchterlich — Tobtenbläffe ſtrahlte fein Antlig, das einzelne 
Blutflecke entſtellten — er fah aus wie. ein fleggemohnter Held, 
der ben Tod nicht fürdtet, aber vor der Nieberlage bebt. 

Sie waren nun auf der Höhe. „So fei Du unfer Tabor !* 
— rief Profop — „hier ſterben wir.“ Und er drängte fich 
wieder zu feinem Genoffen, mit der Fahne und dem lauten Zus 
auf: „Haltet Euch zu mir, Brüder, bildet einen Wall — ber 
Feind fei unfere Bruſtwehr! Hier ſterben wir ben Märtyrertod 
— bis auf den legten Mann — auf den legten Mann.“ 

Und vierfundert Streiter faum noch flemmten ſich um ben 
Feldherrn feft und wehrten ſich, wie bie Löwin ihre Höhle ver- 
theidigt, worin ihre Jungen liegen. Auch Rohat war mit feinem 
Häuflen ſchon bis Hierher gedrängt worden. Die Donnerbüchſe 
flug in ihre Reihen und machte eine Lücke. — Die nächſten 
Streiter traten anf die Leihen ihrer Brüder und fochten und 
rangen mit der letzten Kraft ihrer Sehnen. 

„Boleslav Cechtickh,“ rief jet Profop der Große, ale er 
Alles verloren fah, „renn' mir dein Schwert duch die Bruft, 
umd Du, Zdenko, hau’ mit der Keule auf meinem Schädel, daß 
ich nicht fierbe von den Händen diefer Philifter und SMoabiter. 
Du, Rohat, ſammle den Reſt und eile mad; Zion, Deiner feften 
Burg, fei der Feldherr des Lammes und räde unfern Tod.“ Er 
hüllte fih in die gan. 

Und Boleslav und Zdenko thaten, wie ihnen befohlen wor ⸗ 


— ——— — — — —— 


18 


den; jener bohrte ihm das Schwert in die Bruſt, und biefer 
zerſchmetterte ihm das Haupt mit der Keule. Die Feinde jauchzten 
einſtimmig, wie wilde Jäger, wenn ſich der getroffene Löwe in 
feinem Blute wälzt. 

Ein Säbelhieb traf Profupefs Haupt — er fiel. Die übri- 
gen Führer wandten fih abendwärts Hin zur Flucht 

Road, entlam mit dreißig Mann. Aus dem Getümmel 
und Handgemenge, in weldem die legten paar Hundert einzeln 
abgeſchlachtet wurden, riß Boleslav Cechticth feinen Bruder Zdenko 
und floh mit ihm eilig. Binauf gegen die legten Zelte, welche 
hinter einem Gebüfche verftedt lagen. 

„Ih tann fie nicht verlaffen,“ fagte er zu dem Bruder, 
„fie if eine Ketzerin zwar, aber doch ein kreißendes Weib. Und 
fol ich dem Neuhaus die rende gönnen, feine Schweſter wieder 
zu gewinnen? Nein, länger fei meine Rache, größer feine Bein. 
Schaf’ Du mir die Roſſe. — Wir fliehen Hinter Rohat nad 
Zion.“ — 

Er flog gegen eines ber letzten Zelte, riß die Zeltwand auf 
und fand vor einem Lager, das die Lampe büfter beleuchtete, 
Ein Weib lag darin, ein tobtes Weib, und neben dem Weibe ein 
neugebornes, lebendes Kind. Das Huſſitenweib, welches ihr bei⸗ 
geftanden, war entflohen. Sie war noch ſchön im der farbe 
des Todes, Frieden lag nad; langem Kampfe in biefen Holden 
Zügen. — 

Der rauhe Krieger, noch erhigt von der Blutarbeit, ftarrte 
fie eine Weile ſchmerzhaft an, dann faßte er ihre Hand und 
fagte: „Schlaf wohl, Bojena, unter Todten gibt’a feine Feindſchaft 
mehr — id hab’ Dir viel Böfes gethan — aber es geſchah um 
des Glaubens willen. Ih zwang Di, mid zu lieben, aber 
Du Haft ein rechtgläubig Kind geboren, einen Streiter des Herrn, 
einen Rächer unfrer.Sade. Hal hal. hal fo wird Di Dein 


14 


Bruder finden. Das Schichal iſt boshaft — wie ich's mir mie 
gedacht.“ 

Er hüllte den ſchreienden Saängling in bie vorhandenen 
Deden, flog zum Zelte hinaus, warf fid mit dem Bruder auf 
d wereit ſiehenden Roffe und fprengte im bie helle Nacht hinaus 
nad Schwarz» Koftelec hin. 

Das feuer verlöfchte, auf dem Schlachtſelde gab es feine 
Känpfenden mehr, nur Lebende, Zodte und Verwundete. Die 
Sieger fanden weiter feine Gegenwehr. Taufenbe von Taboriten 
lagen erſchlagen auf einzelnen Kaufen; ber Fuß mußte Leichen 
berge erflimmen, wollte er vorwärts. 

Man hüßte den todten Prokop ans ber weißen Fahne — 
fie war durd und durch mit Blut getränft. Man pflanzte fie 
auf der Anhöhe über dem Leichenwalle von mehr als zweihundert 
Erwürgten auf. 

Es tagte, der entwölfte Himmel ftrahlte filbermeiß, und im 
anderer Beleuchtung erichien die gräßliche Wahlftatt. 

Die Feidherren der Lafiztiner, Neuhaus und Riefen- 
berg, ritten über das Schlachtfeld und zäßlten die Leichen ber 
Ihrigen unb der Feinde Die Ealigtiner Priefter fangen Gieges- 
pſalmen und theilten das Abendmahl aus. 

Die Some ging auf, und ihr Strahl glänzte in den Blut- 
bäden, in Waffen und Schildern ringsum. 

Die Feldherren der Prager ritten nad dem Hügel, wo noch 
die letzten Zelte fanden, und wo die Kriegsknechte Beute fuchten. 

„Dort drin liegt eine tobte frau,“ fagte ein vorübergehender 
Ealiztiner, „'s iR wohl eines Führers Weib. Ich wolle fie im 
Schlaf gefangen mehmen, oder ihr den Leib aufſchneiden, aber fie 
ſchlaft den erigen Schlaf.” 

Die Feldherren fliegen von den Roffen und näherten fi 
dem Zelte. Sie riffen die Zeltwände zurüd, daß das Helle Ta- 


Bw 


15 


geslicht hineiuſchien. Neuhaus trat näher zu ber Leiche und 
taumelte mit einem Schrei des Eutſetzens zurüd. 

nSeiliger, barmherziger Himmel,“ ſchrie er, „meine Schweftert 
So find’ ic) fie wieder, bie id feit einem Jahre verforen. Wehe 
— Wehe! Riefenberg, das ift Deine Braut! Gerinnt das Marl, 
nicht in Deinen Beinen? — Freund! — Schweſter! noch eine 
Schlacht! — Ich muß Blut ſehen — — mod) eine Blutarbeit 

jaben. — Das bat — ober verflucht iſt meine Seele — ber 

tickh gethan, der fie gewaltfam taubte, Holle, heda, Burſche! 
Werft Euch Einige auf die Rofſe, eilt, verfolgt die Flüdtigen — 
durchſpaht die Gegend. Wer mir den Bolesiav Cechtieth bringt, 
ſoll koniglich belohnt fein. Ihr Andern durchwühlt die Leichen» 
Haufen, fucht ihn unter den Erſchlagenen oder Verwundeten, und 
wein er Leiche if, will ich noch an der Leiche durch taufend 
Streiche meine Rache kühlen. — Barmherziger Gott — alſo dies 
iſt unſer Wiederfehen! O ſchredlicher Preis des heutigen Sieges! 
O daß id unterlegen wäre, daß die Speere der Feinde meine 
Augen getroffen hätten, um diefen Tag nicht, dieſes Bild nicht 
zu fehen!“ 

Unb er werhüffte mit beiden Händen das Antlig und ſank 
in bie Knie. 

Der Herr von Riefenberg, der hohe, ſchlanke Mann mit dem 
finftern, menſcheufeindlichen Geſichte, fand ba auf fein Schwert 
gelehnt, regungslos die Todte anflarrend, welche in Heiliger Ruhe 
da Ing, die Hand au ber Bruſt, als wollte fie in ihrer letzten 
Minute ihr Kind teäufen. Entweder bezwang er den Schmerz 
träftiger, ober er Hatte für bie Todte im Leben feine Liebe ge- 
füßlt, und ber Leichnam erwedte auch Feine mehr in feiner Bruſt. 
Er fprad fein Wort. 

Lautlos Rand ein dichter Haufen von Kriegsknechten umher 
und ehrte ſtumm den Schmerz des Feldherrn. 

Neubaus fprang jest plöglih auf — wild funkekten feine 





16 


Augen — Flammenröthe färbte fein ſchönes bärtiges Geſicht, und 
er rief gebietend: „Sind Weiber und Kinder unter den Gefan- 
genen, fo töbtet fie, bie Säuglinge an den Brüſten der Mütter, 
die Händeringenden Weiber zu Euren Füßen. Warum follen fie 
leben, da diefe Einzige nicht mehr if? "Ste fol ein Tobten- 
opfer haben. — Diefe Siegesſchlacht ſchon ift Dein Tobtenopfer, 
Bojena — fromme, holde Schwefter! Und wenn man in ben 
Büchern nad Jahrhunderten leſen wird, wie ich Hier die Schlacht 
geihlagen — fo ſoll man and; erfahren, was ic} verloren, fo foll 
man aud Deiner gedenken und meiner Rache. — Meine Schwefter, 
meine einzige theure Schtwefter 1” 

Gehorfam feinem Befehle, ftürzten alsbald einige rohe Knechte 
fort, um das Werk der Blutrache an den Weibern und Kindern 
zu üben. Denn auf biefe Meife führte man damals Krieg. 

Neuhaus befahl feine Schwefter auf dem Felde zu begraben, 
auf der Stelle, wo die beiden Profope gefallen waren, mitten 
im Leihenwalle, wo die eroberte Blutfahne wehte. — 

Niefenberg verfolgte mit ber Hälfte der Heeresmacht die 
Fliehenden bis Kofin, weldes er mit Sturm nahm, und ſchlug 
fie bei Lomnic gänzlich. Später ergab fi ihm ber Berg Tabor, 
bei Hrabiött im Bechiner reife, bie fee Burg der Taboriten, 
die noch nie bezwungen worden. Er richtete hier ein ſchreckliches 
Blutbad an. Auch der Berg Horeb fiel. — 

Und fo wurden die Böhmen nur durch Böhmen beſtegt — 
fo rieb eine Partei der Huffiten die andere auf: und ſchwächte 
ſich in ſich, fie, welche vierfach überlegene Kreuzheere von Deutfchen, 
Sachſen und Deferreihern in. zahllofen Schlachten gefchlagen und 
ein Schreden der Nachbarländer ringsum geworden waren. 

Die fogenannten Gemäßigten: Calirtiner oder Prager, bie 
Stäbter und Herren vom er hatten gefiegt gegen bie Ritter 
und’ Sanblente.  - 


. 17 


Auf der Straße von Königsſal nach Prag, hart am linken 
Ufer der Moldau, ſchritten in der frühe eines Heilen Sommer- 
tages des Jahres 1458 zwei Männer Hin. Der Aeltere davon, 
gekleidet wie ein Bauer, war eine kräftige gebrungene Geftalt, 
ſchien aber dod, vom langen Wandern müde, des Stodes zu 
bedürfen. Sein Antlig war finfer und zur Hälfte mit einen 
traufen, grauen Barte bededt, von der Stirne ging über bie 
Nafenwurzel und linke Wange ein Hieb herab. Im der Haltung 
war etwas, das mehr auf einen Kriegsmann, denn auf einen 
Landbewohner, wie der leinene Kittel und die weiten Beinbleider, 
dann ber breitgefrempte Hut anbenteten, ſchließen ließ. Der 
Jüngere, welder Jenem auf engem Fußpfad ſchweigend folgte, 
trug ein ſchlichtes, einfaches Was, wie es damals die Ritter 
auf dem Lande und die unterm Kriegsleute anlegten, ein ſchwarzes 
Baret ohne Feder, und hatte an den Hüften ein ſchmudloſes 
Schwert in Iederner Scheide. Es modte ein Yüngling von 
vier und zwanzig Jahren fein. Was feine äufere Erfheinung 
aber beſonders auffallend machte, war die außerordentliche, faft 
geifterhafte, jedoch nicht krankhafte Bläſſe feines Antlitzes, deſſen 
weißer Schein noch durd die dunklen Loden, dieſe brennend 
ſchwarzen Augen und dichten Brauen gehoben wurde. Ernſt, 
aber doch mild war ber Ausdrud des Gefictes, die Geftalt wohl 
geformt und anmuthig in ihren Bewegungen. 

Während der Aeltere ſchweigend und finnenb vorwärts ging, 
mit geſenktem Haupte, und der Gegend nicht achtend, blidte ber 
Jüngere frei und wie erfreut ringsum über die Landſchaft. 

Ueber ber filbernen Moldau lagen Morgennebel, die empor 
dampften, rechts aim jemfeitigen Ufer hoben fich die malerifchen 
Kalkfelſen empor, links Hin erftrecten fi bie Höhen und dugen 

Herloßfohn: Der lehte Taborit. 1. 


18 


welche zum Prolopithale führen, und ganz vorne aus dem Grau 
der Ferne und dem Nebelmaffen erhoben fich die Hunderte vom 
Thürmen ber prächtigen Riefenftadt. 5 

Es war eim heller, reizender Morgen. In den Baum- 
wipfeln ber Anhöhen Bing das Sonnenroth, die Nebel fetten 
fi) in die Thalſchluchten nieder, auf Gras und Stränden fun- 
Telte blitzender Than, Lerchen wirbeften zum Himmel empor, unb 
vom fernen Gegenufer ließ ein Fiſcherjunge feine Helle Stimme 
in einem jauchzenden Liebe erfchallen. 

Der Jüngling, welchen wir gejhilbert, athmete tief auf und 
breitete, ſcheu nach dem Borgänger blidend, bie Arme aus. Die 
Neuheit der Scene ſchien ihn’ zu beivegen, oder war e8 bie Aus- 
fit in die Zukunft, deren Creigniffen er entgegen zu gehen eben 
im Begriff war. 

Bor ihnen lag jet ein Hügel, von welchem Heut noch bie 
Sage geht, er fei aus ben Knochen erſchlagener Krieger gebildet. 
Auf dieſem Hügel, ber völlig vereinzelt Hier in ber Mitte ber 
Straße fteht, befand fi) damals noch feine Kapelle, fondern nur 
ein roh gepimmertee, vielfad) beſchadigtes Kreuz, und vom hier 
aus genoß man eines weiten und hellen Ueberblides über das 
majeftätifhe Prag. 

Diefen Hügel erflomm num der Weltere der Wanderer; ber 
Züngere folgte mechaniſch. Oben holte Iener Athem und betrachtete 
den Jüugling forſchend, um in feinem Antlig den Cindrud  biefes 
herrlichen Rundbildes zu leſen. Denn die Nebel waren gewichen, 
und beutlih ja man nun die Stadt, eingefaßt vom grünen 
Bergkranze, wie eine Jungfrau von wallenden Schleiern und 
Binden, mit ihren Paläften und Thürmen gleihfem auf der 
Moldau ſchwimmen. Noch war ber Gefammteindrud zu groß, 
und das Auge konnte nicht das Einzelne der Bilber faffen; endlich 
machte fi) die gepreßte Bruft in dem lauten Ausruf: „Welch' 
herrliche Stadt!" Luft. 


19 


„Beim heiligen Gott! eine herrliche Stadt,“ wiederholte ber 
Aeltere — „von feiner in der Welt leicht übertroffen an Pracht 
und Lage, werth des Namens Prag und Bohmerhauptſtadt. Und 
hier follten feine Fremdlinge hauſen, hier follte fein Abtrünniger 
auf dem erfchlichenen Throne figen. Bid auf, Vratislav, 
mein Neffe, und lerne uufern Stolz, unjere Praha kennen. — 
Dort jenfeits des Fluffes, hoch oben auf ſchroffer Felſenwand ift der 
Wyoͤehrad, unfre hohe, fefte Burg, wo die Piemysle Hauften über 
ein friedliches, beglüctes Land. Jene Trümmer auf dem Felſen 
tũhn vorgebaut, daß fie über dem Wafferfpiegel Herniederhängen, 
waren einft Libudn’s Schloß. Bei ihrem Namen werden Did; 
alle Sagen und Mähren nmgaufeln, die Du vernommen von 
ber feltenen, wunderbaren Fran. Links vom Fuß des Wyöchrab 
hin dehnt ſich die Altſtadt aus; jene beiden granen Dächer, welche 
über die Häufer bervorragen, gehören der ZTeynliche an, wo 
unfere Priefter lehren und das Abendmahl unter beiden Geftalten 
austheilen. — Sieht Du ber Brüde kühn geſchwungenen Bogen 
dort? Das ift unfres großen Könige Karl Werl. Wie eine 
eherne Bruftwehr fpannt fie ſich über den Strom und teilt 
mit ihren Pfeilern feine raſchen Wellen in vierzehn Arme. Zwei 
Pfeiler find noch unbededt — die Stürme des Krieges ließen das 
Berk nit vollenden. — Links den Blick hin, mein Sohn! Hebe 
Holger Dein Haupt empor; dort auf jenem Berge ſteht unfre 
Königsburg, der prangende Hradöin, drohend wie ein Rieſe auf 
der Höhe, weithin fchauend über Stadt und Land. Hier haben 
unfre Könige gehauft, gute und fchlimme, Männer aus unfrem 
Stamme und verhafte Deutfche, Bäter des Volles und Ausländer, 
die uns plüuderten und mit eifernen Ruthen züchtigten. — Wohl 
fit anjegt Einer droben, ber aus unfrem eignen Stamm und 
Blute, der Georg von Pobibrad, ein kräftiger, befonnener Mann, 
der die Kunft lehren kann, wie man duch Ränfe zur Krone ger 
langt, der das Abendmahl unter beiden Geftalten genießt, vor 

* 


x 


Den nar-iziher Firten aber ax Nm σ dr az Mnıie 
Gisziieher ja ikigee Verimeh mo üch wor Über, Zr deh 
Gebrhiemeri Ircit gegen Dex Mohr in Moor. - 


i 
i 
H 
i 
| 
\ 
F 


N 
ü 
g 
# 
R 
| 
? 
} 
2 
h 
4 
HR 
Br 





hier geiröen, einem 
Laxsenjiberg — au’ seinem 


H 


Nat jener Gegend cben wuit  — Des ie 
Brauelav, ud hir erk Barzaugean, cr De Iaeizriie 
die Gegemver uud Zuhmit — Dimait babe ik Dir wen jener 





veiche den Flammen, weiche das Lager verkerrten. Bejena von 
din gutes Weib; mein ieliger Bruder bat. nicht 
Er zwang fie zur Liche; aud das 

brad) ihr das Herz und foflete ihr Leben. Run — es iei! Wir 
i ewige Race geihworen — 

da fonnten wir eines Weibes and nicht ſchouen. Laß das, eim 
andermal. — Bir aljo flohen. Wir flohen und jammelten ung 
mn unfre legte Gtüße, um den tapfern Road von Dada, defien 
fehe Burg Zion ums vereinigte wie ein Tabor umd ums be 
fügen follte, bie unfre Macht wieder zum Rieſen herangewadien 
fein würde. Die Prager wählten fih einen König — einen 
Ausländer, einem Deutihen. Und Zion wurde gefürmt; denn 


eu 
Ft 
Di 
i 


21 


König Albrecht ſchwur, es folle Feiner von den Zaboriten lebendig 
entlommen. Dein Bater muß unfer Schichſal geahnet haben; 
denn unaufhörfich beftürmte er mich, ich follte mit Dir fliehen, 
da e8 noch Zeit war. Es geſchah. — Und Zion fill Was 
dem Schwert entraun, wurde feftgenommen ; denn fie wollten den 
Pragern und ihrem jungen König ein Schauſpiel geben, und da 
Letzterer noch feine Taboriten in der Schlacht gefehen — fo wollte 
er die Bären im Käfig und im Ketten ſchauen. Auf dem Schloß ⸗- 
hof errichtete man drei Galgen; an den erfien Bing man bem 
Treibern Rohad von Duba, an den zweiten einen Kaplan, einen 
Buchſenmacher, der die Belagerten mit Feuergewehren verfehen, 
und den Ritter Boleslan von Cedhtic, Deinen Bater. 
An dem dritten Galgen kamen bloß ſechzig Auserleiene vom Adel 
— das gemeine Pad wurbe in Maffen zur SBelufligung bes 
Bolkes außer dem Schloßhoſe abgethan. Aber jenes Schauſpiel 
war fürftlih und der Kaifer und König ſah aus feinem Fenſter 
mit Bergnügen dem Wäürgen und Erdroffeln zu, hörte es unge 
rührt, wie ber Eine um fein Leben flehte, während ihn Duba 
eine Memme ſchalt und fagte: „es fei beffer todt zu fein, ale 
zu leben unter folhem Schuft von König.” Dein Bater, fo 
fagt man mir, id) war nicht dabei — mar früher im @efäng- 
niffe, wahriheiniih an Gift, geftiorben und wurde fo als Leiche 
an ben Schanbpfahl gehangen. Dies war das Ende meines 
Brubers, Deines Vaters. Welche Anwartſchaft an Ehr' und 
Glanz in der Geſellſchaft wir num haben mögen, kannſt Du felbft 
ermefien. Der Name ift geächtet, folglich auch der, wer ihn 
trägt. Sobald Du von mir ſcheideſt, heißeſt Du nicht mehr 
Techticky, fondern Vratislav von Branik — Dein Stammſchloß 
liegt Hinter Horajdovic. Nur zwei "Männer gibt's in Prag, 
denen Du Did; vertrauen darfft; fie werden Dir rathen, Di 
führen und mit Dir wirken für die gemeinfame Sache: unfre 
Rache. Dies ift der Ritter Zeöwicekh und der Pater Cyrillus 


22 


auf dem Hraböin oben, im ehemaligen Kapuzinerfiofter, jegt der 
Aufenthalt Geiſtlicher von unferer Lehre. An Beide gebe ih Dir 
bier Schreiben mit. — Ich brauche Di; wohl nidt mehr zu 
erinnern, Deines Schwures eingebenf zu fein: Rache, Verfolgung 
und ewiger Vernichtungskrieg ben Dentichen, den Papiſten. Unfre 
Religionsfreiheit muß wieder hergeftellt werden — darum Haß 
den Calirtinern, welche fie verkauft. — Schön ift bie Stadt bort, 
aber bie Peft wohnt barin; ich meine die Menſchen. Wie ein 
ſchöner Blumenkeih iſt die Stadt, aber flatt der Wohlgerüche 
logiren Würmer, Schaben und ftinfende Käfer drin. Hüte Dich 
vor den Pragern — fie find falſch und verberbt, fie haben bie 
Lüge auf der Zunge und den Verrath im Herzen; auch ber 
Schwur if ihnen nicht heilig. Darum fei Hug wie bie Schlan- 
gen und verſchloſſen felbft gegen die Freunde. Horde erft Andre 
ans, bevor fie Dich fragen können. — Sei ein Mann und bleibe 
es. Als Zion fiel und id) ein Geächteter allein da war, Di 
armes Kind auf dem Arme und weiter nichts als mein Schwert: 
da ſchwur id, für Dich zu leben und in Dir ums den Racer 
engel, der guien Sache aber einen Borlämpfer zu erziehen. Id 
habe Did; vier und zwanzig Jahre erzogen und redlich Wort 
gehalten. Mein feliger Bruder dort oben wird zufrieden fein. 
Sei ein Mann! — Ales für den Glauben und bie freiheit. 
Wird auch der Galgen Dein Sterbebett — was thut's ! Ohne 
fie gibt es ja fein Vaterland, ohne Freiheit wäre ja dieſes ge- 
feguete Böhmen eine Eindde, wo Ranbthiere Haufen und ewige 
Nacht herrſcht. Alſo Alles für die Freiheit, ſelbſt ſchimpflichen 
Tod. Dein Untergang ermuthigt hundert Audere, und ſo iſt für 
die Sache ſchon etwas gewonnen. Haffe die von Neuhaus — 
vergiß es nicht, daß Dein Bater ihr tödtlichſter Feind war — 
daß fie uns bei Htib vernichtet, daß fie Zion geſchleift. — Ich 
nehme von Dir jet Abſchied — auf Lange, vielleicht auf immer. 
Ich bin nichts mehr nutz in der bewegten Melt — aber ba 


23 


ih fehe, daß fie vorwärts gehen muß — fo fend’ ich Dich Hin; 
ſei mein Stellvertreter. Ich bin alt und matt; durch eilf Huffi- 
tenſchlachten Habe ic) dieſe Knoden getragen, und mander Speer 
und mander Säbel hat daran verfucht, was härter fei: fie oder 
er. Ich gehe nach Haufe — lege mich vielleicht bald ſchlafen. 
Du kennſt das alte Schloß im Walde Hinter Blatna, wo wir 
gehauft. Haft Du etwas Großes vollbracht, find die Widerſacher 
geftürzt und zerſchmettert, ift der Helle Stern der freiheit nus 
anfgegangen: dann fehre zurüd und gib mir Kunde davon, oder 
— mern ich todt bin, und das wird dann wohl ſchon der Fall 
fein, poche an mein Grab und rufe die Botſchaft hinab — ich 
werde fie vernehmen. — Leb' wohl! Noch Eins! — Meide 
die Liebe zum Weibe — fie erſchlafft, entmuthigt, hindert und 
hemmt im Leben. Auf der rauhen Bahn, die Du gehen wirft, 
tannft Du feine Rofenlauben, worin Tauben girren und Kränze 
duften, erwarten. Hängt Dein Herz am Weibe, fo hängt es nicht 
mehr an ber großen Sade, und der Arm wird ſchlaff. Das 
merke Dir. Die Zeit bis zur Mbendbämmerung kannſt Du in 
einem ber öffentlichen Gärten im Dorfe Smichon, Inapp vor dem 
Thore, zubringen. Deine Kleidung ift nicht ftattlich genug für 
die Stadt und bie Beſuche. Zeötwick, wird ſchon für einen an« 
dern Anzug Sorge tragen. Bon ihm erhältft Du aud Geld, jo 
viel Dur bedarffi. Grüß’ mir Beide, auch den Pater. SDente 
bier an das Kreuz; es iſt unſer Zeuge gewefen, ber Zeuge Alles 
deffen, was Du mir gelobt. — Jetzt geh’ mit Gott.“ 

Er drüdte nad; diefen Worten bem Jüngling heftig und 
bewegt bie Hand, waubte fi verbüftert ab in der Bitterkeit des 
Scheidens und war, ehe fi Bratislav gefaßt, ſchon vom Hügel 
verſchwunden. 

„Leb' wohl! leb' wohl!“ rief ihm tief bewegt der Jungling 
nad) und war nun allein in der Fremde, zum erflen Male im 
feinem Leben. Betrübt fette er fih unter dem Kreuze nieder und 


24 


lehnte feinen Rüden an ben Stamm beffelben. So blidte er mit 
verſchrãnkten Armen in die Gegeub hinein und wiederholte ſich 
im @eifte alle die Punkte, welche fein Oheim ihm genannt. Gr 
trat zum erfien Male in die Belt, in eine bewegte, aufgeregte 
Belt — fremd, ohne Glanz und Mittel, nicht einmal mit der 
Anwartſchaft eines Namens, die Bruft voll minſchenfeindlicher 
Blaue; wie follte fie, bie Welt, ihn loden, fih als Infliger 
Schwimmer in ihre Wellen zu flürzen und in ihnen auf und 
nieder zu gaufeln? Er mußte in die Brandung hinein, dort 
Sintende retten ober — untertauden. Immer ift das Herz be» 
Hommen, wenn ber Menſch aus der Einfamfeit feiner Imgend 
in das vielbewegte Leben hineintritt; tanfend fremde Ericheinungen, 
Kräfte und Wirkungen umgeben ihn, und er fühlt fich erft ba 
recht einfam, wo er es nie fein follte, und fehnt ſich wieder Bin- 
aus, bis ihn eine Welle erfaßt und dem Willenloſen hineinreißt 
zwiſchen die Andern. 

Vratislav entſchlummerte enblich über feinem Nachdenken. 
Er war ohnedies müde; denn er hatte den weiten Weg mit feie 
nem Oheim zu Fuße gemadt; fie waren nur des Nachts ger 
gangen und Batten während bes Tages in Gebüſchen geraftet. 
Der Oheim modte Gründe haben, nicht erfannt zu werden. 

Ein teöftender Traumgott kam über den Jüngling. Zwei 
holde Jungfranen, die eine dunkel, die andre blond gelodt, er⸗ 
ſchienen ihm. Sie neigten fi und fahen ihm mit Liebesblicken 
on, baß er die Gfut in feinen Wangen, das Blut in feinem 
Herzen aufwallen fühlte Die Blonde reichte ihm einen Kranz 
von jungen Beilden bar, die Andre einen Rofenkranz, woran 
aber lange Dornen ſichtbar waren. Schon. wollte er, ba bie 
blanen Augen Jeuner fo füß flehten, nad dem Veilchenkranze lan⸗ 
gen, ba Hörte er plötzlich Hinter fi des Oheims rauhe Stimme: 
„Du bift noch da?“ und haſtig und äangſtlich rief er ben Zau« 
berinen zu: „licht, entfernt Cuch — ich foll mich hüten vor 


25 


der Liebe zum Weibel“ — Und fie verſchwanden; doch warf jene 
holbe blonde Erſcheinung noch einen wehmiüthigen Liebesblid auf 
ihn guräd. Cr fühlte ſich plöglich Hinverfegt in das Schladhtene 
gewähl. Böhmen fochten gegen Deutſche. Er führte Schwert 
und Lanze wie ein Rafender. Ein Hieb firedte ihn zu Boden; 
Blut quoll aus jeinem Haupte, und wie e8 vor feinen Augen 
dunkelte, fand er ſich wieber in den Hohen Hallen bes Wyächrab, 
zu ben Füßen ber Furſtin Sibuda, welde im funkelnden Prunt- 
gewanbe, mit ben Heifig-ernften, ſtarren Zügen auf bem Throne 
ſaß, einen grünen Kranz auf fein Haupt fegte umd nad einem 
Sarge in ber Seitenhalle deutete, indem fie ſprach: „Mein Sohn, 
Du haft gemug gelämpft, Du Haft Dein Vaterland geliebt mit 
brünftigem Herzen. Habe Dank! Schlummre jetzt, lege Di 
dorthin zur Ruhe, nad Deines Tageswerkes bintigen Mühen.“ 
Schon wollte er gehorchen und fich Iebendig und fo mit Granen 
in bie enge Gruft legen, als er erwachte. — Die Schallmei des 
‚Hirten, der die Heerbe nach dem Dorfe Slichov trieb, erwedte 
in. — Er raffte fih auf — verlor fi noch einmal in bie 
Bilder ber Traummelt und fenfzte: „Ach mie ſchön waren bie 
Holben Jungfrauen !“ dann verbüfterte ſich fein Antlig, als hätte 
fih feine Seele auf irgend einer böfen Regung ertappt; er 
fprang dann vom Hügel herab und fegie feinen Weg gegen bie 
Stadt fort. 

An den grünen Anhöhen wandelte er vorüber durch das Dorf 
Slichov, das kaum einige Hundert Schritte von dem darauf fols 
genden Smichon entfernt ift, welches letztere an die Oujezder 
Thore reiht. 

Bor dem änferfien Thore ſchilderten zwei bärtige Lanzen- 
träger in ſlaviſcher Tracht, bem pefzverbrämten Waffenrode; doch 
hatten fie eiferne Helme auf den Häuptern. Dreifache Ring- 
mauern umgaben biefen Theil der Stadt, fo baf man vom dem 
Gebäuden innerhalb nichts erbliden konnte; eine Riefenmauer 


16 


Augen — Flammenröthe färbte fein ſchönes bärtiges Geficht, und 
er vief gebietend: „Sind Weiber und Kinder unter den Gefan- 
genen, fo töbtet fir, die Säuglinge an ben Brüfen ber Mütter, 
die händeringenben Weiber zu Euren Füßen. Warum follen fie 
feben, ba biefe Einzige nicht mehr if? Sie foll ein Todten- 
opfer haben. — Diefe Siegesihlaht ſchon ift Dein Todtenopfer, 
Bojena — fromme, holde Schwefter! Und wenn man in ben 
Büchern nach Jahrhunderten leſen wird, wie id) Hier die Schlacht 
geſchlagen — fo ſoll man auch erfahren, was id; verloren, fo fol 
man aud Deiner gedenken und meiner Rache. — Meine Schwefter, 
meine einzige theure Schweſter 1“ 

Gehorfam feinem Befehle, ſturzten alsbald einige rohe Knechte 
fort, um das Wert ber Blutrache an den Weibern und Kindern 
zu üben. Denn auf diefe Weife führte man damals Krieg. 

Neuhaus befahl feine Schwefter auf dem Felde zu begraben, 
auf der Stelle, wo die beiden Profope gefallen waren, mitten 
im Leichenwalle, wo die eroberte Blutfahne wehte. — 

Niefenberg verfolgte mit der Hälfte der Heeresmacht die 
Fliehenden bis Kolin, weldes er mit Sturm nahm, und flug 
fie bei Lomnic gänzlih. Später ergab fich ihm ber Berg Tabor, 
bei Hradiste im Bechiner Kreife, die fefte Burg der Taboriten, 
die noch nie bezwungen worden. Er richtete Bier ein ſchreckliches 
Blutbad an. Auch der Berg Horeb fiel. — 

Und fo wurden die Böhmen nur durch Böhmen beſtegt — 
fo rieb eine Partei ber Huſſiten bie andere auf- und ſchwächte 
ſich in fi, fie, welche vierfach überlegene Kreuzheere von Deutſchen, 
Sachſen und Deflerreihern in zahllofen Schlachten gefchlagen und 
ein Schreden der Nachbarländer ringsum geworben. waren. 

. Die fogenannten ‚Gemäßigten: Caliztiner ober Prager, bie 
Städter und Herren vom Mbel Hatten geflegt gegen bie Ritter 
und" Landiente. \ 


Auf der Straße von Königefal nad Prag, hart am linken 
Ufer ber Moldau, ſchritten in ber frühe eines Bellen Sommer- 
tages des Jahres 1458 zwei Männer hin. Der Aeltere davon, 
geleidet wie ein Bauer, war eine Träftige gebrungene Geftalt, 
ſchien aber dod, vom langen Wandern müde, bes Gtodes zu 
bedürfen. ein Antlig war finfer und zur Hälfte mit einem 
traufen, grauen Barte bededt, von der Stirne ging über die 
Nafenwurzel und linke Wange ein Hieb Berab. Im der Haltung 
war etwas, das mehr auf einen Kriegsmann, denn auf einen 
Laudbewohner, wie der leinene Kittel und die weiten Beinkleiber, 
dann ber breitgefrempte Hut anbdenteten, ſchließen lief. Der 
Züngere, welcher Jenem auf engem Fußpfad ſchweigend folgte, 
trug ein fchlichtes, einfaches Wams, wie es damals die Ritter 
auf dem Lande und bie untern Kriegsleute anlegten, ein ſchwarzes 
Baret ohne Feder, und hatte an ben Hüften ein ſchmucloſes 
Schwert in lederner Scheide. Es mochte ein Yüngling von 
vier und zwanzig Jahren fein. Was feine äufere Erſcheinung 
aber bejonders auffallend machte, war die auferorbentliche, faft 
geifterhafte, jedoch nicht krankhafte Bläffe feines Antlitges, deffen 
weißer Schein noch dur die dunklen Loden, diefe brennend 
ſchwarzen Augen und dichten Brauen gehoben wurde. Ernſt, 
aber dod; mild war der Ausdrud bes Gefichtes, die Geftalt wohl 
geformt und anmuthig in ihren Bewegungen. 

Während der Xeltere ſchweigend und finnend vorwärts ging, 
mit gefenktem Haupte, und ber Gegend micht achtend, blickte der 
Züngere frei und wie erfreut ringsum über bie Landſchaft. 

Ueber ber filbernen Moldau lagen Morgennebel, die empor 
dampften, rechts am jenfeitigen Ufer hoben ſich die maleriſchen 
Keltfelſen empor, links hin erfiredten fi) die Höhen umd gu, 

Herloßfohn: Der Iegte Taborit. 1. 


18 


welche zum Prolkopithale führen, und ganz vorne aus dem Grau 
der Gerne und ben Mebeimaffen erhoben fid die Hunderte von 
Themen der prädtigen Riefenftadt. 

Es war ein Heller, reizender Morgen. In den vanm· 
wipfeln der Anhöhen hing das Sonnenroth, die Nebel ſeukten 
ſich in die Thalſchluchten nieder, auf Gras und Sträuchen fun- 
kelte bligender Thau, Lerchen mwirbelten zum Himmel empor, und 
vom fernen Gegenufer ließ ein Fiſcherjunge feine Helle Stimme 
in einem jauchzenden Liede erſchallen. 

Der Jüngling, welden wir geſchildert, athmete tief auf und 
breitete, few nach dem Borgänger blidend, die Arme ans. Die 
Neuheit der Scene ſchien ihn zu bewegen, ober war e8 bie Aus- 
dt im die Zukunft, deren Creigniffen er entgegen zu gehen eben 
im Begriff war. 

Bor ihnen lag jest ein Hügel, von welchem Heut noch bie 
Sage geht, er fei aus ben Knochen erſchlagener Krieger gebildet. 
Auf diefem Hügel, der völlig vereinzelt bier im ber Mitte der 
Straße fteht, befand fi) damals noch feine Kapelle, fondern nur 
ein roh gezimmertes, vielfach beſchädigtes Kreuz, und von hier 
aus genoß man eines weiten und hellen Ueberblides über das 
majeftätifhe Prag. 

Diefen Hügel erklomm num der Xeltere der Wanderer; ber 
Züngere folgte mechaniſch. Oben holte Iener Athem und betrachtete 
den Züugling forfgend, um in feinem Antlig ben Eindruck dieſes 
herrlichen Rundbildes zu Iefen. Denn bie Nebel waren gewichen, 
und deutlich ſah man nun die Stadt, eingefaßt vom grünen 
Bergkranze, wie eine Jungfrau von wallenden Gchleiern und 
Binden, mit ihren Paläftlen und Xhürmen gleichſam auf der 
Moldau ſchwimmen. Mod war ber Gefammteindrud zm groß, 
und das Auge konnte nicht das Einzelne ber Bilder faſſen; endlich 
machte fi die gepreßte Bruft in dem lauten Ausruf: „Welch' 
herrliche Stadt!" Luft. 


19 


„Beim heiligen Gott! eine Herrliche Stadt,“ mwieberholte der 
Aeltere — „von feiner in der Welt leicht übertroffen an Pracht 
und Lage, werth des Namens Prag und Böhmerhauptftabt. Und 
bier follten feine Fremdlinge haufen, hier follte Fein Abtrünniger 
auf dem erichlihenen Throne figen. Blid auf, Bratislan, 
mein Neffe, und lerne unfern Stolz, unfere Praha kennen. — 
Dort jenfeits des Fluffes, hoch oben auf ſchroffer Felſenwand ift ber 
Wydehrad, unfre hohe, fefte Burg, wo die Piemysie hauſten über 
ein friedliches, beglüdtes Land. Jene Trümmer auf dem Felſen 
fühn vorgebaut, daß fie über dem Wafferfpiegel hernieberhängen, 
waren einft Libusa's Schloß. Bei ihrem Namen werden Did 
alle Sagen und Mähren umgaufeln, die Du vernommen von 
der feltenen, wunderbaren Frau. Links vom Fuß des Wydchrad 
hin dehnt ſich die Altftadt aus; jene beiden graueu Dächer, welde 
über die Häufer Hervorragen, gehören der Teynlirche an, wo 
unſere Priefter lehren und das Abendmahl unter beiden Geftalten 
austheifen. — Sieht Du ber Brücke kühn geſchwungenen Bogen 
dort? Das ift unſres großen Könige Karl Werl. Wie eine 
eherne Bruftwehr fpannt fie fi über den Strom und theilt 
mit ihren Pfeilern feine raſchen Wellen in vierzehn Arme. Zwei 
Pfeiler find noch unbebedt — die Stürme des Krieges liefen das 
Berk nicht vollenden. — Links den Bid Hin, mein Sohn! Hebe 
ſtolzer Dein Haupt empor; dort auf jenem Berge ſteht unfre 
Königsburg, der prangende Hradöin, drohend wie ein Rieſe auf 
der Höhe, weithin ſchauend über Stadt und Land. Hier Haben 
unfre Könige gehauft, gute und fchlimme, Männer aus unfrem 
Stamme und verhaßte Deutfche, Bäter des Volles und Ausländer, 
die uns pliubderten und mit eifernen Ruthen züchtigten. — Wohl 
ſitzt anjegt Einer droben, ber aus unfrem eignen Stamm und 
Blute, der Georg von Podkbrad, ein Fräftiger, befonnener Mann, 
der die Kunft lehren kann, wie man durch Ränfe zur Krone ge» 
langt, der das Abendmahl unter beiden Geflalten genießt, vor 

2* 


20 


ben papiftifchen Pfaffen aber-auf den Knieen rutſcht, der unſere Reli» 
gionsfreiheit zu fehlen verſprach mit Leib und Leben, und doch 
Liebedienerei treibt gegen den Antihrift in Rom, und uns einen 
Streifen nad dem andern von den Compactaten abfchneiden läßt, 
von ihm, der übrigens — Gott mög’ es beffern, ich Bin ein 
alter Mann und fann mid nur ärgern, und wird der Groll zu 
heftig, nur weinen wie ein altes Weib. — Linfs da unten liegt 
die Heine Seite, wo die Edlen wohnen, bie Ritter und die Meiften 
dom SHerrenflande. Jener Berg no mehr linke, der uns, bon 
hier gefehen, einen Theil des Hraddins verdedt, if der Sanct 
Lanrenziberg — auf feinem fortgejegten Rüden ſteht der Strahof. 
Nach jener Gegend oben mußt Du hinauf. — Doc ſetze Dich, 
Vratislav, und Höre erft Vergangenes, ehr Du hineintrittft in 
die Gegenwart nnd Zukunft. — Dftmals habe ich Dir von jener 
Schlacht bei Hrib erzäflt, worin die rechtgläubigen Huffitenbrüder: 
die Horebiten und Taboriten, von den Abtrünnigen, den Calig- 
tinern gefdlagen wurden. Ich und der Bater, wir fochten Beide 
mit. Im jener Nacht, in jener Schlacht wardſt Du geboren. 
Deine Mutter gab Dir ein Dafein auf Koften des ihrigen — 
wir flohen, da Alles verloren war, mit Div umb überließen die 
Leiche den Flammen, welche das Lager verheerten. Bojena von 
Neuhaus war ein gutes Weib; mein feliger Bruder Hat nicht 
immer gut an ihr gethan. Er zwang fie zur Liebe; aud das 
brach ihr das Herz und Loftete ihr Leben. Nun — es feil Wir 
haben einmal denen von Neuhaus ewige Rache geſchworen — 
da Ionnten wir eines Weibes aud nicht fhonen. Laß das, ein 
anbermal. — Wir aljo flohen. Wir flohen und fammelten uns 
um unfre legte Stüße, um ben tapfern Rohad von Duba, befien 
fefte Burg Zion uns vereinigte wie ein Tabor und uns be- 
fügen follte, bis unfre Macht wieder zum Rieſen herangewachſen 
fein würde. Die Prager wählten fih einen König — einen 
Ausländer, einen Deutihen. Und Zion wurde geftärmt; denn 


21 


König Albrecht ſchwur, es folle Teiner von ben Taboriten lebendig 
entkommen. Dein Bater muß unfer Schichſal geahnet haben; 
denn unaufhorlich beſtürmte er mich, id follte mit Dir fliehen, 
da e8 nod Zeit war. Es geſchah. — Und Zion fi. Was 
dem Schwert entrann, wurde fefigenommen ; denn fie wollten den 
Pragern und ihrem jungen König ein Schanfpiel geben, und ba 
Letzterer noch feine Zaboriten in ber Schlacht gefehen — fo wollte 
er die Bären im Käfig und in Ketten ſchauen. Auf dem Schloße 
hof errichtete man drei Galgen; an ben erfien Bing man bem 
Freiherrn Rohad von Duba, am den zweiten einen Kaplan, einen 
Büchfenmacher, der die Belagerten mit Feuergewehren verſehen, 
und den Ritter Boleslan von Cehtic, Deinen Bater. 
An den dritten Galgen kamen bloß ſechzig Auserlefene vom Abel 
— das gemeine Pad wurde in Maffen zur Beluftigung des 
Bolkes außer dem Schloßhofe abgetfan. Aber jenes Schaufpiel 
war fürflich und ber Kaifer und König fah aus feinem Fenſter 
mit Vergnügen dem Würgen und Erdroſſeln zu, hörte es unge 
rührt, wie der Eine um fein Leben flehte, während ihn Duba 
eine Memme fhalt und fagte: „es fei beſſer tobt zu fein, ale 
zu leben unter ſolchem Schuft von König.” Dein Bater, fo 
fogt man mir, id war nicht dabei — war früher im Gefäng- 
iffe, wahrſcheinlich an Gift, geftorben und wurde fo als Leiche 
an den Schandpfahl gehangen. Dies mar das Ende meines 
Bruders, Deines Baters. Welche Anwartfhaft an Ehr' und 
Glanz in der Geſellſchaft wir mun haben mögen, kannſt Du felbft 
ermeffen. Der Name if geächtet, folglich auch ber, wer ihn 
trägt. Sobald Du von mir ſcheideſt, heißeſt Du nicht mehr 
Techtidy, fondern Vratislav von Branik — Dein Stammſchloß 
Hiegt Hinter Horajßonic. Nur zwei Männer gibt's in Prag, 
denen Du Dich vertrauen barfft; fie werden Dir rathen, Dich 
führen und mit Div wirken für die gemeinfame Sache: unfre 
Rage. Dies ift der Ritter Zedwichh und der Pater Cyrillus 


22 


auf dem Hrabdin oben, im ehemaligen Kapuzinerfiofter, jetzt der 
Aufenthalt Geiftlicher von unferer Lehre. An Beide gebe ih Dir 
hier Schreiben mit. — Ich brauche Did; wohl nicht mehr zu 
erinnern, Deines Schwures eingebent zu fein: Rache, Verfolgung 
amd ewiger Bernichtungskrieg den Dentichen, den Bapiften. Unfre 
Religionsfreiheit muß wieder hergefelt werden — darum Haß 
den Talirtinern, welche fie verfauft. — Schön iſt die Stadt dort, 
aber bie Per wohnt darin; ich meine die Menſchen. Wie ein 
fhöner Blumenkelch ift die Stadt, aber flatt der Wohlgerüche 
Iogiren Würmer, Schaben und ſtinkende Käfer drin. Hüte Did 
vor den Pragern — fie find falſch und verderbt, fie Haben bie 
Züge auf der Zunge und ben Verrath im Herzen; aud ber 
Schwur if ihnen nicht Heilig. Darum fei Hug wie die Schlan- 
gen und verſchloſſen felbft gegen bie Freunde. Horde erft Andre 
aus, bevor fie Dich fragen können. — Sei ein Mann und bfeibe 
es. Als Zion fiel und id ein Geächteter allein da war, Did 
armes Kind auf dem Arme und weiter nichts als mein Schwert: 
da ſchwur ich, für Dich zu leben und in Dir uns den Rade- 
engel, der guten Sache aber einen Vorkämpfer zu erziehen. Ich 
Habe Dich vier und zwanzig Jahre erzogen umd veblic Wort 
gehalten. Mein feliger Bruder dort oben wird zufrieden fein. 
Sei ein Mann! — Alles für den Glauben und die freiheit. 
Wird auch der Galgen Dein Gterbebett — was thut's! Ohne 
fie gibt es ja fein Vaterland, ohme freiheit wäre ja dieſes ge- 
fegnete Böhmen eine Eindde, wo Waubthiere hauſen und ewige 
Nacht herrſcht. Alfo Alles für bie Freiheit, felbft ſchimpflichen 
Tod. Dein Untergang ermuthigt Hundert Andere, und fo ift für 
die Sache fhon etwas gewonnen. Kaffe die von Neuhaus — 
vergiß es nicht, daß Dein Vater ihr töbtlichfter Feind war — 
daß fie uns bei HEib vernichtet, daß fie Zion geſchleift. — IH 
nehme von Dir jet Abſchied — auf lange, vielleicht auf immer. 
IH bin nichts mehr mug im ber bewegten Welt — aber da 


23 


ich fehe, daß fie vorwärts gehen muß — fo ſend' ich Dich hin; 
fei mein Stellvertreter. Ich bin alt und matt; durch eilf Huſſi- 
tenſchlachten habe ich biefe Knochen getragen, und mander Speer 
und mander Säbel hat daran verfucht, was Härter fei: fie ober 
er. Ic gehe nach Haufe — lege wich vielleicht bald fchlafen. 
Du tennft das alte Schloß im Walde Hinter Blatna, wo wir 
gehaufl. Haft Du etwas Großes vollbradt, find bie Widerſacher 
geftürzt und zerichmettert, iſt ber Belle Stern ber Freiheit uns 
aufgegangen: dann kehre zuräd und gib mir Kunde davon, ober 
— wenn ich todt bin, und das wird dann wohl ſchon der Fall 
fein, pode an mein Grab und rufe die Botſchaft hinab — id; 
werde fie vernehmen. — Leb' wohl! Noch ins! — Meide 
die Liebe zum Weibe — fie erſchlafft, entmuthigt, Hindert und 
hemmt im Leben. Auf der rauhen Bahn, die Du gehen wirft, 
tannft Du feine Rofenlanben, worin Tauben girren und Kränze 
duften, erwarten. Hängt Dein Herz am Weibe, fo hängt es nicht 
mehr an ber großen Sade, und der Arm wird ſchlaff. Das 
merke Div. Die Zeit bis zur Abenddämmerung kannſt Du in 
einem ber öffentlichen Gärten im Dorfe Smicdon, fnapp vor dem 
Thore, zubringen. Deine Kleidung ift nicht flattlih genug für 
die Stabt und bie Beſuche. Zeswieth wird ſchon für einen an- 
dern Anzug Sorge tragen. Bon ihm erhältft Du aud Geld, fo 
viel Du bedarf. Grüß’ mir Beide, auch dem Pater. Denke 
bier am das Kreuz; es ift umfer Zeuge geweſen, der Zeuge Alles 
defien, was Du mir gelobt. — Ieft geh’ mit Gott.” 

Er drüdte nah diefen Worten dem Süngfing heftig und 
bewegt bie Hand, wandte ſich verbüftert ab in der Bitterkeit des 
Sceidens und war, ehe fi Bratislav gefaßt, ſchon vom Hügel 
verſchwunden. 

mReb’ wohl! Ich? wohl!“ vief ihm tief bewegt der Jungling 
nad) und war nun allein in ber Fremde, zum erflen Male in 
feinem Leben. Betrübt fegte er ſich unter dem Kreuze nieder und 


22 


auf dem Hrabdin oben, im ehemafigen Sapuzinerflofter, jetst der 
Aufenthalt Geiftlicher von unferer Lehre. Au Beide gebe ih Dir 
hier Schreiben mit. — Ich brauche Dih wohl nicht mehr zu 
erinnern, Deines Schwures eingebent zu fein: Rache, Verfolgung 
und ewiger Vernichtungskrieg den Dentichen, den Bapiften. Unfre 
Religionsfreiheit muß wieder hergeftellt werben — darum Haß 
den Ealiztinern, welche fie verkauft. — Schön ift die Stadt dort, 
aber bie Pet wohnt darin; ich meine die Menſchen. Wie ein 
ſchöner Blumenkelch ift die Stadt, aber flatt der Wohlgerüche 
logiren Würmer, Schaben und ftinfende Käfer drin. Hüte Dich 
vor den Pragern — fie find falih und verberbt, fie haben die 
Lüge auf der Zunge und den Verrath im Herzen; aud ber 
Schwur ift ihnen wicht Heifig. Darum fei Hug wie bie Schlan- 
gen und verfchloffen felbft gegen die Freunde. Horche erft Andre 
aus, bevor fie Did) fragen können. — Sei ein Mann und bfeibe 
es. Als Zion fiel und id ein Geächteter allein da war, Did 
armes Kind auf dem Arme und weiter nichts als mein Schwert: 
da ſchwur ich, für Dich zu Ieben und in Dir uns ben Race 
engel, der guten Sache aber einen Vorkämpfer zu erziehen. Ich 
Habe Di vier und zwanzig Jahre erzogen und reblic Wort 
gehalten. Mein feliger Bruder dort oben wird zufrieden fein. 
Sei ein Mann! — Alles für den Glauben und bie Freiheit. 
Wird aud) der Galgen Dein Gterbebett — was thut's! Ohne 
fie gibt es ja kein Vaterland, ohne freiheit wäre ja biefes ge- 
fegnete Böhmen eine Einöde, wo Raubthiere haufen und emige 
Nacht herrfcht. Alſo Mes für bie Freiheit, felbt ſchimpflichen 
Tod. Dein Untergang ermuthigt hundert Andere, und fo ift für 
die Sache ſchon etwas gewonnen. Hafle die von Neuhaus — 
vergiß es nicht, daß Dein Bater ihr töbtlicfter Feind mar — 
daß fie uns bei HEib vernichtet, daß fie Zion geihleift. — Ich 
nehme von Dir jet Abſchied — auf lange, vielleicht auf immer. 
IH bin nichts mehr mug im ber bewegten Melt — aber da 


ich fehe, daß fie vorwärts gehen muß — fo ſend' ih Did Hin; 
ſei mein Stellvertreter. Ich bin alt und matt; durch eilf Huffi« 
tenſchlachten Habe ich dieſe Knochen getragen, und mander Speer 
und mander Säbel hat daran verſucht, was Härter fei: fie ober 
er. Ich gehe nach Haufe — lege wich vielleicht bald ſchlafen. 
Du kennſt das alte Schloß im Walde Hinter Blatna, wo wir 
gehauft. Haft Du etwas Großes vollbradt, find die Widerſacher 
geftürzt und zerfchmettert, if der Helle Stern der Freiheit uns 
aufgegangen: dann fehre zurüd und gib mir Kunde davon, ober 
— wenn ich todt bin, und das wird bann wohl ſchon der Fall 
fein, poche an mein Grab und rufe die Botihaft hinab — ich 
werbe fic vernehmen. — Leb' wohl! Noch Eins! — Meide 
die Liebe zum Weibe — fie erfchlafft, entmuthigt, Hindert und 
hemmt im Leben. Auf der rauhen Bahn, die Du gehen wirft, 
Yonnft Du keine Rofenlanben, worin Tauben girren und Kränze 
duften, erwarten. Hängt Dein Herz am Weibe, fo hängt es nicht 
mehr an der großen Sade, und der Arm wird ſchlaff. Das 
merke Dir. Die Zeit bis zur Abenddämmerung kannſt Du in 
einem ber öffentlichen Gärten im Dorfe Smichov, knapp vor dem 
Thore, zubringen. Deine AKleidung if nicht ſtattlich genug für 
die Stadt und bie Beſuche. Zeöwickh wird ſchon für einen am 
dern Anzug Sorge tragen. Bon ihm erhältft Du aud Geld, fo 
viel Du bedarf. Grüß’ mir Beide, aud den Pater. Dente 
bier am das Kreuz; es iſt unfer Zeuge gewefen, der Zeuge Alles 
deflen, was Du mir gelobt. — Jetzt geh’ mit Gott.“ 

Er drüdte nad diefen Worten dem Jüngling heftig und 
bewegt die Hand, wandte ſich verbüftert ab in der Bitterfeit bes 
Scheidens und war, ehe fih Vratislav gefaßt, fehon vom Hügel 
verſchwunden. 

„Leb' wohl! Ich’ wohl!“ rief ihm tief bewegt der Jüngling 
nad und war nun allein in ber Fremde, zum erſten Male in 
feinem Leben. Betrübt fette er fich umter bem Kreuze nieder und 


24 


Iehnte feinen Rüden an ben Stamm befiefben. So blidte er mit 
verfränkten Armen in die Gegend hinein und wiederholte ſich 
im Geifte alle bie Punkte, welche fein Oheim ihm genannt. Er 
trat zum erflen Male in die Welt, in eine bemegte, aufgeregte 
Belt — fremd, ohne Glanz und Mittel, nicht einmal mit ber 
Anwartihaft eines Namens, die Bruſt vol menſchenfeindlicher 
Plane; wie follte fie, die Welt, ihn locken, fi als Infiger 
Schwimmer in ihre Wellen zu flürzen und im ihnen auf und 
nieder zu gaukeln? Er mußte in bie Brandung hinein, dort 
Sintende retten oder — untertauden. Immer ift das Herz be 
Hommen, wenn der Menih aus der Einſamkeit feiner Jugend 
in das vielbewegte Leben Bineintritt; taufend frembe Eriheinungen, 
Kräfte und Wirkungen umigeben ihn, und er fühlt ſich erft da 
recht einfam, wo er es nie fein follte, und jehnt ſich wieder Bin- 
aus, bis ihn eine Welle erfaßt und dem Willenlofen hineinreißt 
zwiſchen bie Andern. 

Vratislav entihlummerte emblich über feinem Nachdenken. 
Er war ohnebies müde; deum er hatte den weiten Weg mit fei- 
nem Oheim zu Fuße gemadt; fie waren um des Nachts ger 
gangen und hatten während des Tages in Gebüfchen geraftet. 
Der Oheim mochte Gründe haben, nicht erfannt zu werben. 

Ein tröftender Zraumgott Tom über ben Jüngling. Zwei 
holde Jungfrauen, bie eine dunkel, die anbre blond gelodt, er- 
ſchienen ihm. Sie neigten ſich und fahen ihn mit Liebesbliden 
an, daß er die Gfut im feinen Wangen, das Blut in feinem 
Herzen aufwallen fühlte Die Blonde reichte ihm einen Kranz 
von jnngen Veilchen dar, die Andre einen Roſenkranz, woran 
aber lange Dornen fihtbar waren. Schon, wollte er, ba bie 
blauen Augen Jener fo füß flehten, nad dem Veilchenkranze Lane 
gen, ba hörte er plöglich Hinter fidh des Oheims rauhe Stimme: 
„Du bift noch da?“ und haſtig und ängflih rief er den Zau« 
berinen zu: „licht, entfernt Euch — ich fol mid Hüten vor 


25 


der Xiebe zum Weibe!“ — Und fie verſchwanden; doch warf jene 
holde bionde Erſcheinung nod; einen wehmüthigen Liebesblid auf 
ifn zuräd. Er fühlte ſich plötzlich hinverſetzt in das Schlachten» 
gewühl. BVöhnen fohten gegen Deutſche. Er führte Schwert 
und Lanze wie ein Rafender. Ein Hieb firedite ihr zu Boden; 
Blut quoll ans feinem Haupte, und wie es vor feinen Augen 
dunkelte, fand er ſich wieder in den hohen Hallen des Wydchrad, 
zu ben Füßen ber Fürfin Libusa, welde im funkelnden Prunt- 
gewanbe, mit dem heifig-ernften, flarren Zügen auf dem Throne 
ſaß, einen grünen Kranz auf fein Haupt ſetzte und nach einem 
Sarge in der Seitenhalle deutete, indem fie ſprach: „Mein Sohn, 
Du Haft genug gefämpft, Du Haft Dein Baterland geliebt mit 
bränftigem Herzen. Habe Dank! Schlummre jet, lege Dich 
dorthin zur Ruhe, nach Deines Tageswerkes bintigen Mühen.“ 
Schon mollte er gehorchen und fich Tebendig und fo mit Grauen 
in bie enge Gruft legen, als er erwachte. — Die Schallmei des 
Hirten, der die Heerbe nad dem Dorfe Slichov trieb, erweckte 
in. — Er raffte ſich auf — verlor fih noch einmal in bie 
Bilder der Traumwelt und ſeufzte: „Ad wie ſchön maren bie 
holden Jungfrauen!“ dann verbüfterte fich fein Antlig, als hätte 
fih feine Seele auf irgend einer böfen Regumg ertappt; er 
fprang dann vom Hügel herab und ſetzte feinen Weg gegen bie 
Stadt fort. 

An den grünen Anhöhen wandelte er vorüber durch das Dorf 
Slichov, das kaum eimige hundert Schritte von dem barauf fol» 
genden Smidhon entfernt ift, welches legtere an bie Oujezder 
Thore reicht. 

Bor dem änferfien Thore fhilderten zwei bärtige Lanzen- 
träger in ſlaviſcher Tracht, dem pelzverbrämten Waffenrode; doch 
hatten fie eiferne Helme anf den Häuptern. Dreifache Ring- 
mauern umgaben biefen Theil der Stadt, fo daß man von den 
Gebäuden innerhalb nichts erbliden konnte; eine Rieſenmauer 


26 


309 fi dem ganzen fleilen Rüden des Laurenzberges hinauf. 
Durch das finftere, lange Thor, das duch bie ganze Breite ber 
Ringmaner ging und fo nur durch feine beiden Oeffnungen von 
der Geite ſparuͤches Licht erhielt, gingen Kirhgänger, Bauern, 
Stäbter und Kriegsknechte ab und zu. 

Bratislav lehnte fi am einen Weichbildſtein und beſah fi 
lange dieſes Wogen und Treiben. Der duüſtre Eingang im dic 
Stadt ſchien ihm nicht viel Freundliches von ihren innern Räumen 
zu verfprehen. Es war nod ziemlich früh am Zage, und da 
er erft im Abenddunkel in bie Stabt gehen follte, fo folgte er 
den Tönen der Mufit und dem luſtigen Stimmengejubel, welches 
rechts aus einem der öffentlichen Gärten ihm entgegenſchallte. 
Unter den fhattigen Bäumen im geräumigen Garten faßen an 
hölzernen Tiſchen Bürgersleute mit ihren rauen (demm es war 
Sonntag), Handwerker, Kriegsknechte und Einwohner aus dem 
Dorfe. Zierliche Kellnermäbchen Tiefen auf und ab und trugen 
Steinfrüge mit braunem, ſchäumendem Bier, Gläfer, worin ber 
belle Cernofeter und Podskaler funkelten, den wngebuldigen, rit- 
fenden Gäften zu. Auf andern Tiſchen wurben große Honig · 
kuchen und die runden böhmiſchen Kolatſchen feilgeboten. In ber 
Küche des Heinen Häuschens dampfte und ſchmorte es: köſtliche 
Wurſte und fetter Schweinbraten mit gebadener Krufte und Kraut 
wurde herausgetragen. An ber Maner links war ein Kegelihub, 
wo es recht Tärmend zuging — donnernd wurde die Kugel hinaus- 
gehoben, die Kegel fielen, und der Burſche, ber fie aufſetzte, gab 
mit kreiſchender Stimme ihre Zahl an, indem er bazu immer 
einen Bers abfang, als zum Beiſpiel: Alle neun, ein Pfennig 
iR mein. An einem Tiſche würfelten Soldaten; daneben auf 
einem Rafenplag tanzten Burſche und Mädchen nad dem Zafte 
des baterländifhen Dudelfades und ber fogenannten Leier, melde 
mit Drathjaiten bezogen ift und vermittelft eines Rades geſtrichen 
wird. Nahe am Eingange fpielten Mädchen aus Deutſchböhmen 


27 


die Harfe und johften dazu deutſche Lieber. Hier und da rief 
es: Meta — Bita — Bier her! — Mir Brot! — Noch ein 
Glas! — Willſt Dir wohl ſchnelle Beine maden, Birne! — Ih 
warte ſchon eine halbe Stunde wie ein Narr, m. bergl. m. Es 
war ein fröhfidjes, friedliches Leben Bier, in ber allgemeinen 
Suftigfeit waren alle refigiöfen und politifchen Interefien der Par- 
teiungen in den Hintergrund getreten. 

Einige Schritte innerhalb des Einganges fand Bratislav 
und ſah fi bie bunten Gruppen, bie Heitern Menfchen nicht 
ohne Theilnahme an. Schien doch felbft der Himmel an ihrem 
zwar finnlihen, doch harmlofen Treiben Freude zu haben; benn 
durch die grünen Baumwipfel blidte ein glängenber, tiefblauer 
Azur hindurch. Die Luft zog fanft durch die Zweige, wie Liebes 
geflüfter, in den Zäumen Bingen feurige Blüten, und die Hol« 
lunderſtrãuche firömten ihren würzigen Duft aus, jo oft ber Lüfte 
Athemzug über fie dahinwehte. — 

„Run, junger Herr,“ rief plötzlich die eine Kellnerin, eine 
ſchwarzãugige, frifche Dirne, indem fie fi mit eingeftemmten 
Armen lächelnd vor unfern Ritter Hinftellte — „befehlt Ihr denn 
gar nichts? Seid Ihr zu flolz, Bier etwas zu genießen, und 
wollt nur den fteinernen Zuſchauer abgeben 2“ 

Berlegen fenkte Vratislav die Blide; denn er wußte fi 
noch nicht zu benehmen in folder öffentlichen Verſammlung und 
erwiberte nad) einer Weile: „Wohl wünfchte ich etwas, mein 
Kind — doch konnte id) Dein gar nicht habhaft werden — gib 
mir zu efien und einen Krug Bier, mid) durſtet.“ 

Das Mädchen flog nad dem Haufe, und der Ritter fegte 
fich an einen Meinen, einzeln ſtehenden Tiſch, ängftlic) beforgt, er 
tonute die Yufmerkfamfeit der Uebrigen auf ſich ziehen. 

Im Fluge war das Mädchen wieder da, brachte Braten 
auf einem hölzernen Zeller und das friſche Getränt. — Während 
fie einſchenlie, betrachtete fie den Ritter forihend und fagte dan 


26 


mit dem Zone des Mitleids: „Ach Gott, wie ſeid Ihr blaß, 
Junger Herr! — Ihr müßt wohl erſt kurzlich von einer böſen 
Kranffeit aufgeflanden fein.“ 

„Das nicht,“ verfegte Bratislav ſchüchtern — „ic bin im- 
mer fo bleih — es ift die Farbe meiner Mutter; fie gebar mid, 
als fie zur Leiche wurde.“ 

Das Madchen, weldes, wie Dirnen biefer Art, zu einem 
muthwilligen Scherze aufgelegt zu fein ſchien, feflelte num ihr 
Bort anf der Zunge und fprang wieber fort, als fie fi von 
einem andern Gaſte rufen hörte. 

Dem unerfahrenen, menſchenſcheuen Jüngling war leiter 
zu Muthe, da fie fort war. Er aß und trank, und feine Be 
Hommenheit wich zum Theil nad) einiger Zeit. Er blidte weniger 
fen um fi und gab fi) harmlos den Einwirkungen ber luſti⸗ 
gen Muſik und des fröhlichen Gefanges bin. 

Träumerifh fah er durch bie grünen Zweige nah dem 
blauen Grunde des Himmels empor und wehmüthig feufzte er: 
„Wie fie Alle fo fröhlich find, des Dafeins, der Gegenwart und 
Zukunft fi) freuen! Ich allein Habe feine Liebe im Herzen, nur 
den finftern Haß, an deſſen Bruft ich gefogen. Sie flehen fried- 
lid) bei einander — ich hege Mordgebanfen in ber Bruſt. Ob 
benn wohl eines jeden Menfchen ZJugendzeit fo büfter ift wie die 
meine ?« 

Eine Geftalt, die ſich näherte, flörte ihn in feinem büftern 
Hinbrüten. Es war ein ſchlichter Vürgersmann im Sonntags 
Raate, aitlich und befpeiden, von gutmüthigem Auedruge in ben 
Mienen, 

„Wenn Ihr erlaubt, Herr!“ fagte er, und ſtellte Krug und 
Glas auf den Tiſch, indem er ſich zugleich dem Ritter gegenüber 
auf die Bauk ſetzte. Er fchenkte fih ein, trank erft aus dem 
Glaſe und gab dann dem Ritter das Geſchenk, das heit, er 
reichte ihm fein Glas Hin und foderte ihn auf, daraus zu trinken; 


29 


denn fo iſt es Sitte in Böhmen unter Belannten, ober wenn 
man Belanntihaft machen will. 

Der Nitter dankte und that Beſcheid. — Der Bürger räu- 
ſperte fi) und fragte dann befheiden: „Mit Erlaubnig — Ihr 
ſeid wohl von der Neuftadt Her — Here? Erinnere mich nicht, 
Euch vordem Bier im Garten gefehen zu haben?“ 

„Rein,“ verjegte Vratislav — „ih bin ans ber Fremde 
und fehe Heut zum erften Male die ſchönen Thürme Prags. Nicht 
fange erft bin ich angefommen und wollte Hier zuerft vaften. Im 
vrachiner Kreife bin ich zu Haufe.” 

„Ach — ich begreife,“ entgegnete der Bürger — „ſah es 
gleich am ber Reiſekleidung — habt den Knecht mit den offen 
wohl voraus in die Stadt gefhidt und wollt Bier ruhen. Ci, 
das Wetter ift ja gar fo ſchön, daß es im der That Schade 
wäre, bie Zeit in der Stadt zu töbten. Das Volk ift aber auch 
luftig; 's iR fo des Vöhmen Art; bei Vier und Dudelſack ver- 
gißt er leicht gehabte Leiden, und wüßte er auch Heute, daß 
morgen die Noth von Neuem angehen fol. Wer ſieht's dem 
Volle und dem Lande an, daß fo lange bier der Krieg gewüthet 
hat und nur feit kurzer Zeit erft unter unferm neuen König — 
Georg, ein wohlthätiger Frieden eingetreten if? — Do da 
Ihr aus ber Fremde Her feid, wollte jagen aus dem Pradiner 
Kreife, alfo von der Grenze, fo erlaubt die Frage: „Was gibt 
es Neues draußen im Reid, in Baiern ?* 

„Aulzu einfam und abgefchieden," antwortete der Züngling, 
lebte ich auf unferem Walbfchloffe, als daß uns dort hätte 
Kımde werben follen von Thaten uud Ereigniſſen. Ihr in der 
Hanptftadt wißt fiher mehr Beſcheid von Allem, was fih bier 
wie dort zutrãgt.“ 

Bitte, lieber Herr Ritter,“ entgegnete ber Bürger — „man 
hört bier freilich fo viel- und manderlei, das Eigentliche aber 
behalten die großen Herren dod für fi. Nur erft wenn ber 





30 


gemeine Mann zahlen ober zuſchlagen foll, erfährt er den Grund 
und auch oft, wenn er geſchlagen wird — gar nidt. — Ihr 
. geht ohne Zweifel an den Hof — dort Euer Glüd zu maden; 
da feid Ihr ſchon der Duelle näher. Es kann aud nicht fehlen. 
Aus dem ganzen Sande frömt nun der Abel gen Prag, zu des 
Königs Hofhalt — befonders was rechtgläubig — wollte fagen 
huffitiſch ift; denn der Adel muß ſich höchlich freuen, daß nun. 
mehr ein Einheimifcher, Einer aus feiner Mitte zum Throne be» 
rufen worben. Haben uns doch lange genug die Papiften, bie 
Fremblinge, bie Luremburger und Habsburger ausgefogen und 
geſchunden. Nun Haben wir doch unfern Georg, der unfere 
Sprache verfteht und fpricht, ein böhmiſch Herz hat und unfre 
Satzungen, Gebräuche und Vorrechte kennt. Er wird fie wohl 
auch aufrecht Halten. Und von dem Glauben, dei die Mehrzahl 
iſt — iſt er and. So werden wir denn mit Gottes Hilfe Ruhe 
behalten im Land und aud vom Ausland her; benn Georgius 
de Podebrad ift auch ein tüchtiger Kriegsheld, der das Schwert 
zu führen weiß, und er hat's ihnen ſchon gezeigt. Die Deutſchen 
haben die böhmiſche Fauft in den Huſſitenkriegen kennen gelernt 
und fommen wohl fo bald nicht wieder.“ . 

„Wie id} aber vernommen,“ warf ſchüchtern der Jüngling 
ein — „ift der König nicht fireng rechtgläubig, nicht vom. ganzen 
Herzen Kelchbruder. Er Hat fi von den Compactaten Mancherlei 
abzwaden laſſen, meint's zu gut und ift zu fanft mit den PBapi- 
fien, Hat auch, dem Papft Gehorfam zugefchworen: Alles, um die 
Krone zu erringen.“ 

„Was ich auch eben fagen wollte,“ fiel der Bürger zutrau- 
licher ein, „felbft der hochwürdige Pater Rokycana, der doch durch 
großen Einfluß unfern König auf den Thron gebradt, — äußerte, 
bevor er noch caliztinifcher Erzbiſchof war: „Soll unfre gereinigte 
Lehre beftchen, fo muß es für fie feinen Papſt, feine Oberhoheit 
der Curie geben.” Unfer Einer verfieht das nicht fo reht und 





81 


ſo ganz. Sicher iſt — daß es jetzt auch viele Unzufriedene — 
ſo zu ſagen, zwei ganze Parteien gibt: die Papiſten wollen, er 
ſoll ganz papiſtiſch fein, die neue Lehre ausrotten, und fo ſchlei- 
chen fie, die Herren Mönde und Geiſtlichen, im Finſtern, liegen 
den Deutſchen und Geiftlichen in den Ohren, wirken für fie und 
möchten fie recht gern bald wieber in’s Land herein rufen. Und 
die Andern, die Rechtgläubigen, die Männer von Zabor und 
‚Horeb, werfen ihm vor, er halte e8 mit den Römlingen, zittere 
vor dem Papft und vor dem Cardinal - Legaten, dem ſchlauen, 
fanatif hen Fantinus de Valle, und meine es wieder mit ihnen 
nit ehrlih. — Die Gemäßtigten, das find die reichen Prager 
und Städter, und bie Herren vom Mbel fliehen in der Mitte: 
fie wollen Ruhe, um viel erwerben und das Erworbene in Ge- 
mãchlichkeit verzehren zu können. Für jest Haben fie die Oberhand 
— wenn gleich Teicht abzufehen ift, daß, fobald eine oder bie andre 
Bartei ſich aufrafft, fie bald hier, bald dorthin ſich neigen werben 
— auf welder Seite nämlich der Vortheil zu finden if. Des 
Rrieges find wir fatt — aber die Compactaten, meine id, bürfte 
der König nicht ungeſcheut aufheben, wie e8 die Herren in Rom 
fo gern möchten.” 

„Und wie viel gewähren uns jene Compactaten ?“ fragte 
der Ritter. 

„Freilich wenig gegen fonft,“ war des DVürgers Antwort, 
„das Abendmahl unter beiderlei Geftalten, bie Beftrafung ber 
after der Geiftlihen durch weltliche Obrigkeit, das freie Pre- 
digen der freudigen Botſchaft und die Entziehung ber Reich 
thumer der Priefterihaft. — Nun, Gott ſei's geffagt oder gebanft, 
die caligtinifcde Kirche ift nicht reich — aber die papiſtiſche iſ's 
no. — Aber das heilige Bafeler Eoncilium bat zu biefen vier 
Artikeln eine Menge Zufäge gemacht, waran man fie wenden 
und brehen 'fann, wie ein Roß am Zaume. — Ich verfiche, 
wie gefagt, zu wenig von folden hochgelahrten Dingen, und nur, 


24 


lehnte feinen Rüden an den Stamm beffelben. So bfidte .er mit 
verfhränkten Armen in bie Gegend hinein und wiederholte fi 
im Geiſte alle die Punkte, welche ſein Oheim ihm genannt. Er 
trat zum erſten Male in die Welt, im eine bewegte, aufgeregte 
Welt — fremd, ohne Glanz und Mittel, nicht einmal mit der 
Anwartihaft eines Namens, die Brut voll menſchenfeindlicher 
Plane; wie follte fie, die Welt, ihn loden, fih als luſtiger 
Schwimmer in ihre Wellen zu flürzgen und in ihnen auf und 
mieber zu gaufen? Es mußte in die Brandung hinein, bort 
Sinkende retten oder — untertauden. Immer ift das Herz be» 
Hommen, wenn ber Menih aus ber Einfamleit feiner Jugend 
in das viefbewegte Leben bineintritt; taufend frembe Erſcheinungen, 
Kräfte und Wirkungen umgeben ihn, und er fühlt fi erſt da 
recht einfam, wo er es nie fein follte, und fehnt ſich wieder Hin- 
aus, bis ihn eine Welle erfaßt und den Willenlofen hineinreißt 
zwiſchen die Andern. 

Vratislav entihlummerte endlich über feinem Nachdenken. 
Er war ohnedies mübe; deun er hatte den weiten Weg mit fei- 
na 
gaı 
De 


hol 
ſch 
an 
He 
vo 
ab 
bla 
ga 
„R 
bei 





der Liebe zum Weibe!“ — Und fie verfchtvanden; doch warf jene 
helde bloude Erfcheimung noch einen wehmäthigen Liebesblid auf 
ihn zuräd. Er fühlte fich plotzlich Binverfegt in das Schlachten- 
gemüßl. Böhmen fochten gegen Deutſche. Er führte Schwert 
und Lanze wie ein Raſender. Gin Hieb firedte ihm zu Boden; 
Blut quoll ans jeinem Haupte, und wie e8 vor feinen Augen 
dunkelte, fand er fid; wieder in den hohen Hallen des Wyächrad, 
zu den Füßen der Fürftin Libusa, welche im funkelnden Prunt- 
gewanbe, mit bem Heifig-ernften, ftarren Zügen auf bem Throne 
faß, einen grünen Krauz auf fein Haupt ſetzte und nad einem 
Sarge in der Seitenhalle deutete, indem fie ſprach: „Mein Sohn, 
Du Haft gemug gekämpft, Du Haft Dein Baterlanb geliebt mit 
brünftigem Herzen. Habe Dank! Schlummre jet, lege Dich 
dorthin zur Abe, nach Deines Tageswerkes bintigen Mühen.“ 
Schon wollte er gehorchen umb fid) Iebendig und fo mit Granen 
im No fenem fa er ermacte, — Die Schallmei des 

fe Slichov trieb, erwedte 

fih noch einmal in bie 

Ach wie ſchön waren bie 

Ah fein Antlig, als hätte 

fen Regung ertappt; er 

gie feinen Weg gegen bie 


r vorüber durch das Dorf 
ritte vom dem darauf fols 
letztere an bie Oujegber 


rien zwei bärtige Lanzen⸗ 
brämten Waffenrode; doch 
iuptern. Dreifache Ring 
bt, fo ba mau vou dem 
ounte; eine Wielruomer 


26 


308 fih dem ganzen fleilen Rüden des Laurenzberges hinauf. 
Durch das finftere, lauge Thor, das durch bie ganze Breite der 
Ningmaner ging und fo nur durch feine beiden Oeffnungen von 
der Seite fpärliches Licht erhielt, gingen Kirchgäuger, Bauern, 
Stäbter und Kriegsknechte ab und zu. 

Bratislav Iehnte fi an einen Weichbildſtein und beſah ſich 
lange biefes Wogen und Treiben. Der büftre Eingang in bic 
Stadt fehlen ihm nicht viel Freundliches von ihren innern Räumen 
zu verſprechen. Es war noch ziemlich früh am Zage, und da 
er erſt im Abenddunkel in die Stadt gehen follte, fo folgte er 
den Zönen der Muſik und dem luſtigen Stimmengejubel, weldes 
rechts aus eimem der öffentlichen Gärten ihm entgegenſchallte. 
Unter ben ſchattigen Bäumen im geräumigen Garten faßen an 
hölzernen Tiſchen Vürgersleute mit ihren Frauen (demm es war 
Sonntag), Handwerker, Kriegsknechte und Einwohner aus dem 
Dorfe. Zierliche Kellnermädchen liefen anf und ab und trugen 
Steinfrüge mit braunem, ſchäumendem Bier, Gläfer, worin ber 
helle Cernofeter und Podskaler funtelten, den ungebulbigen, ru - 
fenden Gäften zu. Auf andern Tiſchen wurden große Honig- 
kuchen und die runden böhmifhen Kolatfchen feilgeboten. Im ber 
Küche des Heinen Häuschens dampfte und ſchmorte es: köſtliche 
BWürfte und fetter Schweinbraten mit gebadener Krufte und Kraut 
wurde herausgetragen. An der Mauer links war ein Kegelſchub, 
wo es recht larmend zuging — donnernd wurde bie Kugel Binaus- 
geihoben, die Kegel fielen, und ber Burſche, der fie auffegte, gab 
mit kreiſchender Stimme ihre Zahl an, indem er dazu immer 
einen Bers abfang, als zum BVeifpiel: Ale neun, ein Pfennig 
iſt mein. An einem Tiſche würfelten Soldaten; daneben auf 
einem Rafenplag tanzten Burſche und Mädchen nad; dem Tafte 
des vaterländifchen Dubelfades und der. fogenannten eier, welche 
mit Dratbfaiten bezogen ift und vermittelft eines Rades geftrichen 
wird. Nahe am Cingange fpielten Mädchen aus Dentigböhmen 


27 


die Harfe und johften dazu deutſche Lieber. Dier umd da rief 
es: Maka — Bita — Bier her! — Mir Brot! — Nod ein 
Glas! — Wilft Du wohl fehnelle Beine machen, Dirne! — IH 
warte ſchon eine halbe Stunde wie ein Narr, u. bergl. m. Es 
war ein fröhliches, friedliches Leben Bier, in ber allgemeinen 
uftigkeit waren alle refigiöfen und politiichen Intereffen der Par- 
teiungen in den Hintergrund getreten. 

Einige Schritte innerhalb des Cinganges ſtand Bratislad 
und fah ſich die bunten Gruppen, bie heitern Menſchen nicht 
ohne Theiinahme an. Schien doch felbt der Himmel an ihrem 
zwar ſinnlichen, doch harmlofen Treiben freude zu haben; denn 
durch die grünen Baumwipfel blicte ein glänzender, tiefblauer 
Aur hindurch. Die Luft zog fanft durch bie gweige, wie Liebes 
geflüfter, in den Zäunen Bingen feurige Blüten, und bie Hol- 
lunderſträuche ftrömten ihren würzigen Duft aus, fo oft ber Lüfte 
Athemzug über fie dahinwehte. — 

Run, junger Herr,“ rief plötzlich die eine Kellnerin, eine 
ſchwarzãugige, friſche Dirne, indem fie fih mit eingeftemmten 
Armen lachelnd vor unfern Ritter Hinftellte — „befehlt Ihr denn 
gar nichts? Seid Ihr zu ſtolz, Hier etwas zu genießen, unb 
wollt nur den fteinernen Zuſchauer abgeben ?“ 

Berlegen fenfte Vratislav die Blicke; denn er wußte fi) 
noch nicht zu Benehmen in folder öffentlichen Berfammlung und 
erwiberte nad einer Weile: „Wohl wünſchte ich etwas, mein 
Kind — doch konnte ich Dein gar nicht habhaft werden — gib 
mir zu effen und einen Krug Bier, mich bürftet.” 

Das Mädchen flog nad; dem Haufe, und der Ritter ſetzte 
fi) am einen Meinen, einzeln ftehenden Tiſch, ängſtlich beforgt, er 
lonnte die Aufmerkſamkeit der Uebrigen auf fi ziehen. 

Im Fluge war das Mädchen wieder ba, bradjte Braten 
auf einem hölzernen Zeller und das friſche Getränt. — Während 
fie einſchenkte, betrachtete fie den Ritter forſchend und fagte daun 


20 


den papiftifchen Pfaffen aber-auf den Knieen rutſcht, der umfere Heli» 
gionsfreiheit zu fehlten verſprach mit Leib und Leben, und doch 
Xiebebienerei treibt gegen den Antirift in Rom, und uns einen 
Streifen nad dem andern von den Compactaten abſchneiden läßt, 
von ihm, der übrigens — Gott mög’ es beſſern, ih bin ein 
alter Mann und kann mid nur ärgern, und wird der Groll zu 
heftig, nur weinen wie ein altes Weib. — Links da unten Liegt 
die Heine Seite, wo die Edlen wohnen, die Ritter und die Meiften 
vom SHerrenftande. Zener Berg nod) mehr lints, der uns, von 
hier gefehen, einen Theil des Hradöins verdedt, if der Sanet 
Laurenziberg — auf feinem fortgejegten Rüden fteht der Strahof. 
Nach jener Gegend oben mußt Du hinauf. — Doch fege Dich, 
Bratislav, und höre erſt Vergangenes, ehr Du Hineintrittft in 
bie Gegenwart und Zukunft. — Dftmals habe ih Dir von jener 
Schlacht bei HEib erzählt, worin bie rechtgläubigen Huffitenbrüder: 
bie Horebiten und Taboriten, von ben Abtrünnigen, den Calix- 
tinern gefchlagen wurben. Ich und ber Vater, wir fochten Beide 
mit. Im jener Nacht, in jener Schlacht wardſt Du geboren. 
Deine Mutter gab Dir ein Dafein auf Koften des ihrigen — 
wir flohen, da Alles verloren war, mit Dir und überliegen die 
Leiche den Flammen, welche das Lager verheerten. Bojena von 
Neuhaus war ein gutes Weib; mein feliger Bruder hat nicht 
immer gut an ihr gethan. Er zwang fie zur Liebe; auch das 
brach ihr das Herz und koſtete ihr Leben. Nun — es feil Wir 
haben einmal denen von Neuhaus ewige Rache geihworen — 
da fonnten wir eines Weibes auch nicht ſchonen. Laß das, ein 
andermal. — Wir alfo flohen. Wir flohen und fammelten ums 
um unfre legte Stüge, um den tapfern Rohad von Duba, deſſen 
fete Burg Zion uns vereinigte wie ein Tabor und uns be 
ſchützen follte, bis unfre Macht wieder zum Rieſen herangewachien 
fein würde Die Prager wählten fi einen König — einen 
Ausländer, einen Deutſchen. Und Zion wurde geftürmt; denn 


21 


König Albrecht ſchwur, e8 folle feiner von ben Zaboriten febendig 
entlommen. Dein Bater muß unſer Schidfal geahnet haben; 
denn unaufhörlich beſtürmte er mich, ich follte mit Dir flichen, 
da e8 noch Zeit war. Es geſchah. — Und Zion fiel. Was 
dem Schwert entrann, wurde feftgenommen ; denn fie wollten den 
Pragern und ihrem jungen König ein Gchaufpiel geben, und ba 
Letzterer noch feine Taboriten in ber Schlacht gefehen — fo wollte 
er die Bären im Käfig und im Ketten ſchauen. Auf dem Schloß. 
hof errichtete man brei Galgen; an ben erflen hing man den 
Freiherrn Rohad von Duba, an den zweiten einen Kapları, einen 
Buchſenmacher, der die Belagerten mit Feuergewehren verfchen, 
und den Nitter Boleslav von Ceftic, Deinen Bater. 
An ben britten Galgen famen bloß fechzig Augerlefene vom Adel 
— das gemeine Pad wurde in Maffen zur Beluftigung des 
Boltes aufer dem Schloßhofe abgethan. Aber jenes Schaufpiel 
war fürflich und der Kaifer und König fah aus feinem Fenſter 
mit Bergnügen dem Würgen und Erdroſſeln zu, hörte es unges 
rührt, wie der Eine um fein Leben flehte, während ihn Duba 
eine Memme ſchalt und fagte: „es fei beffer tobt zu fein, ale 
zu leben unter ſolchem Schuft von König.” Dein Bater, fo 
fagt man mir, ich war nicht dabei — war früher im Gefäng« 
aiffe, wahrſcheinlich aun Gift, geftorben und wurde fo als Leiche 
an ben Schandpfahl gehangen. Dies war das Ende meines 
Brubers, Deines Vaters. Welche Anwartſchaft an Ehr' und 
Glanz in der Gefellfhaft wir nun haben mögen, kaunſt Du felbft 
ermefien. Der Name ift geächtet, folglich aud ber, wer ihn 
trägt. Sobalb Du von mir ſcheideſt, Heißeft Du nicht mehr 
Techtidy, fondern Bratislav von Branit — Dein Stammſchloß 
liegt Hinter Horajbovie. Nur zwei "Männer gibts in Prag, 
denen Du Dich vertrauen darfit; fie werden Dir rathen, Di 
führen und mit Dir wirken für die gemeinfame Sache: unfre 
Race. Dies ift der Ritter Zedwichh und der Pater Cyrillus 


22 


auf dem Hrabdin oben, im ehemaligen Kapuzinerkloſter, jetzt der 
Aufenthalt Geiftliher von umferer Lehre. An Beide gebe id Dir 
bier Schreiben mit. — Ich brauche Did; wohl nicht mehr zu 
erimmern, Deines Schwures eingebenf zu fein: Race, Verfolgung 
und ewiger Vernichtungskrieg den Dentichen, ben Papiſten. Unfre 
Religionsfreiheit muß wicer Hergeflelt werben — darum Kafı 
den Caligtinern, welche fie verfauft. — Schön iſt die Stadt bort, 
aber bie Peſt wohnt barin; ich meine die Menſchen. Wie ein 
ſchöner Blumenkelch ift die Stadt, aber flatt der Wohlgerüche 
logiren Würmer, Schaben und ftinfende Käfer drin. Hüte Did 
vor den Pragern — fie find falſch und verberbt, fie Haben die 
Züge auf der Zunge und ben Verrath im Herzen; aud ber 
Schwur if ihnen nicht Heilig, Darum fei Hug wie die Schlan- 
gen und verfchlofen felbft gegen bie Freunde. Horde erft Andre 
ans, bevor fie Dich fragen können. — Sei ein Mann und bleibe 
es. Als Zion fiel und id; ein Geächteter allein da mar, Did 
arımes Kind auf dem Arme und weiter nichts als mein Schwert: 
da ſchwur id, für Dich zu leben und in Dir uns den Radıe- 
engel, ber guien Sache aber einen Vorkämpfer zu erziehen. Ich 
habe Dich vier und zwanzig Jahre erzogen und vedlih Wort 
gehalten. Mein feliger Bruder bort oben wirb zufrieden fein. 
Sei ein Mann! — AMles für den Glauben und bie Freiheit. 
Wird auch der Galgen Dein Gterbebett — was thut's! Ohne 
fie gibt es ja kein Vaterland, ohne freiheit wäre ja biefes ge- 
fegnete Böhmen eine Einöde, wo Raubthiere haufen und ewige 
Nacht herrſcht. Alſo Mles für die Freiheit, ſelbſt ſchimpflichen 
Tod. Dein Untergang ermuthigt hundert Andere, und fo iſt für 
die Sache ſchon etwas gewonnen. Haſſe die von Neuhaus — 
vergiß es nicht, daß Dein Water ihr töbtlichfter Feind war — 
daß fie uns bei HEib vernichtet, daß fle Zion geſchleift. — Ich 
nehme von Dir jet Abſchied — auf lange, vielleicht auf immer. 
IH bin nichts mehr nu im der bewegten Welt — aber dba 


23 


ih fehe, daf fe vorwärts gehen muß — fo fend’ ih Di Bin; 
fei mein Stellvertreter. Ich bin alt und matt; durch eilf Huffi- 
teuſchlachten habe ich diefe Knochen getragen, und mander Speer 
und mander Säbel bat daran verſucht, was härter fei: fie ober 
er. I gehe nad) Haufe — lege wid; vielleicht Bald ſchlafen. 
Du kennſt das alte Schloß im Walde hinter Blatna, wo wir 
gehauſt. Haft Du etwas Großes vollbracht, find bie Wiberfacher 
geftürzt und zerſchmettert, ift ber Helle Stern der Freiheit ung 
aufgegangen: danu fehre zurüd und gib mir Kunde davon, ober 
— menn ih todt bin, und das wird dann wohl ſchon der Fall 
fein, podje an mein Grab und rufe die Botſchaft hinab — id 
werde fie vernehmen. — Leb' wohl! Noch Eins! — Meide 
die Liebe zum Weibe — fie erſchlafft, entmuthigt, hindert und 
hemmt im Leben. Auf der rauhen Bahn, die Du gehen wirft, 
tannft Du keine Rofenlauben, worin Tauben girren und Kränze 
duften, erwarten. Hängt Dein Herz am Weibe, fo hängt es nit 
mehr an ber großen Sache, und ber Arm wird ſchlaff. Das 
merke Dir. Die Zeit bis zur Abenddämmerung Tannft Du in 
einem ber öffentlichen Gärten im Dorfe Smichon, knapp vor bem 
Thore, zubringen. Deine Kleidung ift nicht flattlich genug für 
die Stadt und die Beſuche. Zeswiekh wird ſchon für einen an- 
dern Anzug Sorge tragen. Bon ihm erhält Du aud Gelb, fo 
viel Du bedarf. Grüß’ mir Weide, auch ben Pater. Denke 
bier an das Kreuz; es iſt umfer Zenge geweſen, der Zeuge Alles 
beffen, was Du mir gelobt. — Set geb’ mit Gott,“ 

Er drüdte nach bdiefen Worten dem Süngling heftig und 
bewegt bie Hand, wandte ſich verbüftert ab in ber Bitterfeit bes 
Scheidens und war, ehe fih Bratislan gefaßt, fon vom Hügel 
verſchwunden. 

„Leb' wohl! leb' wohl!“ rief ihm tief bewegt der Jungling 
nad) und war nun allein in ber Fremde, zum erſten Male in 
feinem Leben. Betrübt feste er fi umter bem Kreuze nieder und 





2 


lehnte feinen Rüden an den Stamm beffefben. So blidte .er mit 
verſchränkten Armen in die Gegend hinein und wiederholte ſich 
im Geifte alle die Punkte, welche fein Oheim ihm genannt. Er 
trat zum erſten Male in die Welt, in eine bewegte, aufgeregte 
Belt — fremd, ohne Glanz und Mittel, nicht einmal mit der 
Anwartſchaft eines Namens, die Brut voll menſchenfeindlicher 
Plane; wie follte fie, bie Welt, ihn loden, fih als luſtiger 
Schwimmer in ihre Wellen zu flürzen und im ihnen auf und 
mieber zu gaufeln? Er mußte in bie Brandung hinein, dort 
Sintenbe reiten ober — uutertauden. Immer ift das Herz be 
Hommen, wenn ber Menſch aus der Cinfamfeit feiner Jugend 
in das vielbewegte Leben Hineintritt; taufend fremde Erſcheinuugen, 
Kräfte und Wirkungen umgeben ihn, und er fühlt ſich erft ba 
recht einfam, wo er es nie fein follte, und fehnt ſich wieder hin- 
aus, bie ihn eine Welle erfaßt und den Willenloſen Bineinreißt 
zwiſchen bie Andern. 

Vratislav entihlummerte endlich über feinem Nachdenken. 
Er war ohnedies müde; denn er hatte den weiten Weg mit fei- 
nem Oheim zu Fuße gemadt; fie waren mur des Nachts ger 
gangen und Hatten während des Tages in Gebüfchen geraftet. 
Der Oheim mochte Gründe Haben, nicht erfannt zu werben. 

Ein teöftender Traumgott kam über den Jüngling. Bwei 
bolde Jungfrauen, die eine dunkel, bie aubre blond gelodt, er- 
ſchienen ihm. Sie neigten fi und fahen ihn mit Liebesbliden 
an, baf er die Gut in feinen Wangen, das Blut in feinem 
Herzen aufwallen fühlte. Die Blonde reichte ihm einen Kranz 
von jungen Veilchen bar, die Andre einen Roſenkranz, woran 
aber fange Dornen fichtbar waren. Schon, wollte er, da bie 
blauen Angen Sener fo füß flehten, nad; dem Beilhenkranze lan⸗ 
gen, ba Börte er plöglich hinter fi des Oheims rauhe Stimme: 
„Du bift noch da?“ und haſtig und ängſtlich rief er den Zaue 
berinen zu: „licht, entfernt Euh — ich fol mid Hüten vor 


25 


der Fiebe zum Weibel“ — Und fie verſchwauden; doch warf jene 
holde bionde Erſcheinung noch einen wehmüthigen Liebesblid auf 
ifn zurud. Er fühlte fih plöglich hinverſeht in das Schlachten- 
gemüßl. Böhmen fochten gegen Deutſche. Er führte Schwert 
und Lanze wie ein Rafender. Ein Hieb firedte ihn zu Boden; 
Blut quoll ans feinem Haupte, und wie es vor feinen Augen 
dunfelte, fanb er fich wieder in den Hohen Hallen bes Wyächrad, 
zu ben Füßen der Furſtin Libude, melde im funkelnden Prunt- 
gewande, mit dem heifig-ernften, flarren Zügen auf bem Throne 
foß, einen grünen Kranz auf fein Haupt fegte und nad einem 
Sarge in ber Seitenhalle deutete, indem fie ſprach: „Mein Sohn, 
Du Haft gemig gelämpft, Du haft Dein Vaterland geliebt mit 
brünftigem Herzen. Habe Dank! Schlummre jet, lege Di 
dorthin zur Ruhe, nad; Deines Tageswerkes bintigen Mühen.“ 
Schon wollte er gehorchen und ſich Iebendig und fo mit Grauen 
in bie enge Gruft legen, ale er erwachte. — Die Schallmei bes 
‚Hirten, ber bie Heerde nach bem Dorfe Slichov trieb, erwedte 
ihn. — Er raffte fi auf — verlor fi noch einmal in bie 
Bilder der Traumwelt uud ſeufzte: „Ad wie ſchön waren bie 
holden Jungfrauen!“ bann verbüfterte ſich fein Antlig, als hätte 
fi) feine Seele auf irgend einer böfen Regung ertappt; er 
fprang dann vom Hügel herab umb fette feinen Weg gegen bie 
Stadt fort. 

An den grünen Anhöhen wandelte er vorüber durch das Dorf 
Slichov, das kaum eimige hundert Schritte von dem barauf fols 
genden Smidon entfernt ift, welches letztere an die Oujezder 
Thore reicht. 

Bor dem änferfien Thore ſchilderten zwei bärtige Langen» 
teäger in ſlaviſcher Tracht, dem pelzverbrämten Waffenrode; doch 
hatten fie eiſerne Helme anf den Häuptern. Dreifache Ring- 
manern umgaben biefen Theil der Stadt, fo daß man vom bem 
Gebäuden innerhalb nichts erbliden konnte; eine Riefenmauer 


26 


308 fi den ganzen fleilen Rüden des Laurenzberges hinauf. 
Dur) das finftere, lauge Thor, das durch die ganze Breite der 
Ningmaner ging und fo nur durch feine beiben Oeffnungen von 
der Seite fpärliches Licht erhielt, gingen Kirchgänger, Bauern, 
Städter und Kriegsknechte ab und zu. 

Bratislav lehnte fih an einen Weichbildftein und beſah ſich 
lange biefeg Wogen und Treiben. Der büftre Eingang im dic 
Stadt ſchien ihm nicht viel Freundliches von ihren innern Räumen 
zu verfprechen. Es war noch ziemlich früh am Tage, und da 
er erft im Abendbunkel in die Stabt gehen follte, jo folgte er 
den Tönen der Muſik und dem Iufigen Stimmengejubel, welches 
rechts aus einem ber öffentlichen Gärten ihm entgegeuſchallte. 
Unter den ſchattigen Bäumen im geräumigen Garten faßen an 
hölzernen Tiſchen Bürgersleute mit ihren Frauen (denn es war 
Sonntag), Handwerker, Kriegsknechte und Einwohner ans dem 
Dorfe. Zierliche Kellnermädchen Tiefen auf und ab und trugen 
Steinfrüge mit braunem, fhäumendem Bier, Gläfer, worin ber 
elle Cernoſeker und Pobslafer funkelten, den ungeduldigen, ru- 
fenden Gäften zu. Auf andern Tiſchen wurden große Honig- 
kuchen und die runden böhmischen Kolatſchen feilgeboten. Im ber 
Küche des Heinen Häuschens bampfte und ſchmorte es: köſtliche 
Würfte und fetter Schweinbraten mit gebadener Krufte und Kraut 
wurde herausgetragen. An ber Mauer links war ein Kegelihub, 
wo es recht lärmend zuging — donnernd wurde die Kugel hinaus- 
geihoben, die Kegel fielen, und ber Burſche, ber fie auffetzte, gab 
mit Treifhender Stimme ihre Zahl an, indem er dazu immer 
einen Bers abfang, als zum Beifpiel: Ale neum, ein Pfennig 
iſt mein. An einem Tiſche würfelten Soldaten; baneben auf 
einem Rafenplag tanzten Burſche und Mädchen nad; dem Talte 
des vaterländifhen Dudelſaces und der fogenannten Leier, welche 
mit Drathfaiten bezogen ift umd vermittelft eines Mabes geftrichen 
wird. Nahe am Eingange fpielten Mädchen aus Deutſchböhmen 


27 


die Harfe umd johften dazu deutſche Lieder. Hier und da rief 
es: Mota — Bkta — Bier her! — Mir Brot! — Noch ein 
Glas! — Wil Du wohl fnelle Beine machen, Birne! — IH 
warte ſchon eine Halbe Stunde wie ein Narr, u. dergl. m. Es 
mar ein fröhliches, friebliches Leben Hier, in ber allgemeinen 
uftigfeit waren alle religiöfen und politifchen Interefien der Par- 
teiungen in ben Hintergrund getreten. 

Einige Schritte innerhalb des Einganges fand Vratislav 
und ſah fi die bunten Gruppen, bie heitern Menſchen nicht 
ohne Theilnahme an. Schien doch felbft der Himmel an ihrem 
war finnlichen, doch harmloſen Treiben Freude zu Haben; denn 
dur bie grünen Baumwipfel blicdte ein glängender, tiefblauer 
Mur Hindurd. Die Luft zog fanft durch die Zweige, wie Liebes 
geffüfter, in den Zäumen Bingen feurige Blüten, und bie Hol« 
Amderfträude ſtrömten ihren wilrzigen Duft aus, fo oft ber Lüfte 
Athemzug über fie dahinwehte. — 

„Run, junger Herr,“ vief plöglich die eine Kellnerin, eine 
ſchwarzãugige, frifhe Dirne, indem fie fih mit eingeftemmten 
Armen lädelnd vor unfern Ritter hinſtellte — „befehlt Ihr denn 
gar nichts? Seid Ihr zu ſtolz, Hier etwas zu genießen, unb 
wollt nur den fteinernen Zuſchauer abgeben 7“ 

Verlegen fenfte Bratislan die Blide; denn er mußte ſich 
noch nicht zu Benehmen in folder öffentlichen Verſammlung und 
erwiderte nad) einer Weile: „Wohl wünſchte ich etwas, mein 
Kind — doc konnte ih Dein gar nicht Habhaft werben — gib 
mir zu effen und einen Krug Bier, mich birfet.“ 

Das Mädchen flog nad) dem Haufe, und ber Ritter ſetzte 
fich an einen Meinen, einzelm flehenden Tiſch, ängſtlich beforgt, er 
lonnte die Aufmerkſamkeit der Webrigen auf fid ziehen. 

Im Fluge war das Mädchen wieder ba, bradjte Braten 
auf einem hölzernen Teller und das frifche Getränt. — Während 
fie einſchenkte, betrachtete fie den Ritter forſchend und fagte danız 


25 


mit dem Tone des Mitleide: „Ah Gott, wie feid Ahr blaß, 
junger Herr! — Ihr müßt wohl erft kurzlich von einer böfen 
Krankheit aufgeftanden fein.“ 

„Das nicht,“ verfegte Vratislav ſchüchtern — „ih bin im- 
mer fo bleich — es ift die Farbe meiner Mutter; fie gebar mid, 
als fie zur Leiche wurde.“ 

Das Mätchen, welches, wie Dirnen biefer Art, zu einem 
muthwilligen Scherze aufgelegt zu fein ſchien, feflelte num ihr 
Wort anf ber Zunge und fpraug wieder fort, als fie ſich von 
einem andern Gafte rufen hörte. 

Dem unerfohrenen, menſchenſcheuen Jüngling war leiter 
zu Muthe, da fie fort war. Er aß und trank, und feine Ber 
Hommenheit wid zum Theil nad) einiger Zeit. Er blidte weniger 
fen um fih und gab fi harmlos den Einwirkungen ber luſti- 
gen Mufit und des fröhlichen Gefanges Hin. 

Träumerifh fah er durch bie grünen Zweige nah bem 
blauen Grunde bes Himmels empor und wehmüthig feufzte er: 
„Wie fie Alle jo fröhlich find, des Dafeins, der Gegenwart und 
Zukunft fi freuen! Ich allein habe feine Liebe im Herzen, nur 
den finfteen Haß, an deſſen Bruſt ich gefogen. Sie ftehen fried- 
lid) bei einander — ich hege Mordgebanfen in ber Bruf. Ob 
denn wohl eines jeden Menſchen Jugendzeit jo büfter ift wie die 
meine 2% 

Eine Geftalt, die fi näherte, flörte ihm in feinem büftern 
Hinbrüten. Es war ein ſchlichter Bürgergmann im Gonutags- 
ſtaate, äftlich und beſcheiden, von gutmüthigem Ausbrude in ben 
Mienen. 

Wenn Ihr erlaubt, Herr!“ fagte er, und flellte Krug und 
Glas auf den Tiſch, indem er fi zugleich dem Ritter gegenüber 
auf die Bank fegte. Er fhenkte fi ein, trank erft aus dem 
Glaſe und gab dann dem Ritter das Geſchenk, das heißt, er 
reichte ihm fein Glas Hin und foderte ihn auf, daraus zu trinken ; 


29 


denn fo ift es Sitte in Böhmen unter Bekannten, oder wenn 
man Belanntihaft machen will. 

Der Ritter dankte und that Beſcheid. — Der Bürger räu- 
fperte fi) und fragte dann befcheiden: „Mit Erlaubniß — Ihr 
feid wohl von der Neuftadt her — Herr? Erinnere mic nicht, 
Euch vordem Hier im Garten gefehen zu haben?“ 

mRein,“ verfegte Vratislav — „id bin aus der fremde 
und fehe Heut zum erften Male die ſchönen Thürme Prags. Nicht 
lange erft bin id; angefommen und wollte hier zuerft vaften. Im 
Prachiner Kreife bin ich zu Haufe.“ 

„AG — id) hegreife,” entgegnete der Bürger — „ſah es 
glei) an ber Reiſekleidung — habt ben Knecht mit ben Roſſen 
wohl voraus in bie Stadt gefhidt und wollt Hier ruhen. Ci, 
das Wetter ift ja gar fo ſchön, daß es in der That Schade 
wäre, die Zeit in der Stadt zu tödten. Das Volk ift aber auch 
luſtig; 's ift fo des Böhmen Art; bei Bier und Dubdelfad ver- 
gißt er leicht gehabte Leiden, und wüßte er auch heute, daß 
morgen die Noth von Neuem angehen fol. Wer fieht’s dem 
Volke nnd dem Lande an, daß fo lange hier der Krieg gewüthet 
bat und nur feit kurzer Zeit erft unter unferm neuen König — 
Georg, ein mohlthätiger Frieden eingetreten if? — Doch da 
Ihr aus der Fremde her feid, wollte fagen aus dem Pradiner 
Kreife, alfo von der Grenze, jo erlaubt die Frage: „Was gibt 
8 Neues draußen im Reich, in Baiern ?" 

„Allzu einfam und abgeſchieden,“ antwortete der Züngling, 
„lebte ich auf unferem Maldfcloffe, als daß uns bort hätte 
Kunde werden follen von Thaten uud Greigniffen. Ihr in ber 
Hauptſtadt wißt ſicher mehr Beſcheid von Allem, was fi bier 
wie dort zuträgt.” 

„Bitte, lieber Herr Ritter,“ entgegnete der Bürger — „man 
hört Hier freilich fo viel- und mancherlei, das Gigentliche aber 
behalten bie großen Herren doch für fi. Nur erft wenn der 


30 


gemeine Mann zahlen oder zufchlagen fol, erfährt er den Grund 
und aud oft, wenn er gefälagen wird — gar nidt. — Ihr 

. geht ohne Zweifel an ben Hof — dort Euer Glück zu maden; 
da feid Ihr ſchon der Duelle näher. Es kann auch nicht fehlen. 
Aus dem ganzen Lande firömt nun der Adel gen Prag, zu des 
Könige Hofhalt — befonders was rechtgläubig — mollte fagen 
Huffttifeh ift; denn der Adel muß ſich böchlich freuen, daß nun« 
mehr ein Einheimifcher, Einer aus feiner Mitte zum Throne be- 
rufen worden. Haben uns dod lange genug die Papiften, bie 
Fremdlinge, die Luremburger und Habsburger ausgefogen und 
geihunden. Nun Haben wir doch unfern Georg, ber unfere 
Sprache verſteht und fpricht, ein böhmiſch Herz Hat und unfre 
Satungen, Gebräude und Vorrechte Tennt. Er wird fie wohl 
and aufrecht Halten. Und von bem Glauben, dei die Mehrzahl 
iſt — iſt er aud. So werden wir denn mit Gottes Hilfe Ruhe 
behalten im Land und aud vom Ausland her; denn Georgius 
de Podkbrad if aud ein tüchtiger Kriegsheld, der das Schwert 
zu führen weiß, und er hats ihnen ſchon gezeigt. Die Deutſchen 
Haben bie bohmiſche Faufl in den Quffitenkriegen tennen gelernt 
und fommen wohl fo bald nicht wieder.“ 

„Wie ich aber vernommen,“ warf ſchüchtern der Jüngling 
ein — „ift der König nicht fireng rechtgläubig, nicht vom ganzen 
‚Herzen Kelchbruder. Er Hat fi von den Eompactaten Mancherlei 
abzwaden laſſen, meint's zu gut und ift zu fanft mit ben Papi- 
fen, Hat aud dem Papft Gehorfam zugeſchworen: Alles, um bie 
Krone zu erringen.“ 

„Was ich auch eben fagen wollte,“ fiel der Bürger zutrau- 
licher ein, „felbft der hochwürdige Pater Rofycana, der doch durch 
großen Einfluß unfern König auf den Thron gebradht, — äußerte, 
bevor er noch caligtinifcher Erzbiſchof war: „Soll unfre gereinigte 
Lehre beftehen, fo muß e8 für fie feinen Papft, keine Oberhoheit 
der Eurie geben.“ Unfer Einer verfteht das nicht fo recht und 


31 


fo ganz. Sicher it — daß es jet auch viele Unzufriedene — 
fo zu fagen, zwei ganze Parteien gibt: die Papiften wollen, er 
foll ganz papiftifd fein, die neue Lehre ausrotten, und fo fehlei- 
gen fie, die Herren Mönde und Geiflien, im Finſtern, liegen 
den Deutfhen und Geiftlichen in ben Ohren, wirfen für fie und 
möchten fie recht germ bald wieder in’s Land herein rufen. Und 
die Andern, die Nechtgläubigen, die Männer von Xabor und 
‚Horeb, werfen ihm vor, er halte es mit den Römlingen, zittere 
vor dem Papft und vor dem Cardinal -Legaten, dem ſchlauen, 
fanatiihen Fantinus de Ball, und meine e8 wieder mit ihnen 
nit ehrlih. — Die Gemäßtigten, das find die reihen Prager 
und Stäbter, und die Herren vom Abel fiehen in der Mitte: 
fie wollen Ruhe, um viel erwerben und das Grworbene in Ge- 
mãchlichkeit verzehren zu können. Für jegt haben fie bie Oberhand 
— wenn gleich leicht abzufehen ift, daß, fobald eine ober hie andre 
Partei ſich aufrafft, fie bald Hier, bald dorthin ſich neigen werben 
— auf welder Seite nämlid der Vortheil zu finden if. Des 
Krieges find wir fatt — aber die Compactaten, meine id, dürfte 
der König nicht ungefchent aufheben, wie e8 die Herren in Rom 
fo gern möchten.“ 

„Und wie viel gewähren uns jene Compactaten ?“ fragte 
der Ritter. 

nSreilich wenig gegen ſonſt,“ war des Bürgers Antwort, 
„das Abendmahl unter beiberlei Geftalten, bie Beftrafung ber 
Lafter der Geiftlichen durch weltliche Obrigkeit, das freie Pre 
digen der freubigen Botſchaft und die Entziehung der Reich- 
thumer ber Priefterfchaft. — Nun, Gott ſei's geflagt oder gedankt, 
die calixtiniſche Kirche iſt nicht reih — aber bie papiftifche if’s 
no. — Aber das heilige Baſeler Concilium Hat zu diefen vier 
Artifein eine Menge Zufäge gemacht, waran man fie wenden 
und drehen Tann, wie ein Roß am Zaume. — Ich verſtehe, 
wie gefagt, zu wenig von ſolchen hochgelahrten Dingen, und nur, 


was Pater Andreas, dritter Prediger an ber Teinkirche, mein 
alter thenrer Freund, im Geſpräche fallen läßt, pide ich gierig 
auf,-wie eine lüfterne Henne. Wohl mögt Ihr, ein ritterlicher 
Herr, mehr erfahren fein in folgen kirchlichen und Gtaatsange 
legenheiten.“ 

„Das nicht,“ verſetzte Vratislav, „in meiner Eindde lernte 
id den Glauben nur kennen, wie ihn Sanct Huß und Sanct 
Hieronymus gelehit und für welchen unfre Väter geblutet in zahl- . 
Iofen Schlachten. Was fie jett dazu oder davon gethan, kenne 
id) nicht, glaube aber, man follte feft am dem Halten, was umfere 
neuen Propheten uns geoffenbart. Der friede, der Bund mit 
den Bapiften fann uns nie zum Seile gereichen. — Und fo fomme 
id) denn jegt erft Hierher im bie große und gelehrte Welt, um 
zu hören und zu lernen.“ 

Er unterbrach ſich jegt plöglich; denn feine Aufmerffamteit 
wurde nad dem Cingange des Gartens Hingezogen. Hier hielten 
zu Roffe ein Ritter und eine Dame. Jener, ein ftattlidher, ſeſtlich 
und reich geffeideter Mann von beinahe fünfzig Jahren, mit Ho- 
heit und Würde angethan, Hatte an dem Gezäume feines Pferdes 
etwas zerriffen, und fein Diener holte aus dem Haufe Bier einiges 
Werkzeug, um das Getrennte wieder zu befeftigen. Aber neben 
ihm — welde leuchtende Erfheinung | Auf dem bfendend weißen 
Zelter ſaß ein Mädchen ſchlank und leicht, im hellgrünen Ge- 
wande, mit reichen Spangen geziert, das Haupt voll dunkler 
Loden don Federn ummallt, in den Augen Pfeile der Liebe, auf 
den Wangen brennendes Abendroth und ben Holbfeligften, fiegge- 
wohnten Liebreiz in ben Mienen. 


Starr Hafteten Vratislav's Blide auf der Holbfeligen, er 
verfhlang fie, jebe ihrer Bewegungen, ihrer Mienen, mit dem 
Augen, es burdwallte ihm glühend heiß — feine Wangen fühlte 
er erröthen; fie erſchien ihm wie eine der Genoffinen Libusa's, 


Li} 


jener fpröben Helbenmäbchen, von benen bie Sage als Amazonen 
emählt, die männlich ımb feſt geflsmt, deflo herrlicher blühten im 
der Macht ihrer Reize. „WIR Du Wilaſta, bie Hohe Führer?" 
ſprach der Jungling leife vor fih Bin; — „o nein! Jene fol 
graufam gerveien, und Du — Dein Blid ift ſtolz zwar und ger 
bieteriſch, aber er Tann auch mild und liebend leuchten.“ 

Jetzt — während der Diener an bem Riemenzeuge flidte, 
neigte fie fi) zu dem Witter hinuber und fagte lachend einige 
Borte zu ihm; vielleicht war e8 ein Scherzwort ober gar Hohn 
über die Art und Weiſe, wie bier das niedere Wolf bem Ber- 

gmügen fröhnte, und die freilich bimmelmeit verſchieden war won 
den glänzenden und deihmadvollen Banketten in ben Prunlgt ⸗ 
mädjern, wo fie zu Ua fein mochte. 

So dien es Jungling, und es fehmerzte ihn; er 
jitterte bei dem Gedanken — fie Mönnte jegt ihre Aufmerkſamkeit 
auf ihn richten — vielleicht feiner ſchlichten Tracht und feines 
Hafen Antliges auch fpotten. 

Da bäumte ſich plötzlich ihr Roß — es ſcheute vor einem 
Hunde, der quer über den Weg lief, und nicht achtend des Zü- 
gels und der Trenſe, welde die zarte Hand wohl nicht feſt genug 
hielt, vannte' es mit ber leichten Taft wie im Fluge um bie 
Seite des Gartens Hin, den Weg hinab, der an die Moldau 
führte, 

Ein Schrei: des Entfegens wurde rings gehört. Alles 
fürzte nad) dem Eingange vor, von wo das Roß durchgegaugen 
war; Bratislad aber — befonnener als Ale — flog durch dem 
Garten — fo hatte er den Borfprung, weil das flüchtige Thier 
erft einen weiten Bogen außerhalb der Heden zu beſchreiben Hatte 
— fprang im jähen Anlauf wie ein gehetzter Hitſch über bie 
Umzäunung, rannte dem zwanglofen, ſchnaubenden Roß entgegen, 
fiel ihm in die Zügel, und da es ſich bäumte und ihm — 

Herloßſohn: Der lette Taborit. I, 


4 


treten wollte, fo verjegte er mit feiner linken Hand ihm eine 
Schlag vor bie Stirme, daß es betäubt und zitternd flille fand. 
Bis zu diefem Momente batten Fafſung und Kräfte der 
Tönen Reiterin zugereiht — fie glätt vom Sattel hernieder, 
ihrem Retter in bie Arme — ihr Auge umnebelte ſich — ihr 
Antlig war von Xobtenbläffe umzogen. Bratislav Hatte bie 
Himmlifhe Geftalt auf feinem Schoße, das Haupt in feinem 
Arme, das engelgleihe Antlig vor fi, und er ſeufzte Ieife: „Run 
iſt fie fo bleih wie ih — nun fann. fie meiner nicht fpotten.“ 
Ehen jegt kam der Nitter und fein Diener Herbeigefprengt, 
und auch die Menge frömte her, um zu fehen, was aus ber 
willenlofen Reiterin geworben. Da man fie gerettet fah, ertönte 
ein Jubelſchrei — dies erwedte die Ohnmächtige; fie richtete ſich 
anf, ſah ihren Retter mit einem Blide vol Verwunderung und 
Dankbarkeit an, bann fagte fie: „Spottet meiner nicht, Herr 
Nitter, es war nicht kindiſcher Schreden, nicht Verzärtelung — 
nur Zerftreuung fieß mich die Vorſicht vergefien — als das Roß 
gegen den Strom rannte, ſchloß ich die Augen; doch Hab’ ich 
nicht gebebt, nicht wahr? — ic) flieg herab, Ihr botet mir ben 
Arm. Lidmils von Rofenberg bleibt Euch demohnge- 
achtet ‚verpflichtet. Dort naht mein Oheim, ber hohe Here von 
Neuhaus — er foll Euch ſelbſt, was Ihr der Nichte” — 
Vratislav hörte fie nicht ausreden; er füßte Heftig ihre 
Hand, warf ihr dem Zügel zu und Tief, wie von Furien ger 
peitiäht, den Weg Hinab gegen den Garten zu. Hier wieder ſetzte 
er im vafenden Sprunge über bie Heden und brüdte ſich ſchüchtern 
im Schatten ber Bäume hin. Nach einer Halben Stunde etwa, 
denn es fing fon an zu dunleln, hatte ſich ber größere Theil 
der Leute bereits verlaufen, und jet erſt wagte er es, zu feinem 
Tiſche wieder zurüdzufehren. Hier faß noch der Bürger. Er 
war im feiner ruhigen Gemächlichteit, troß des Auflaufes, nicht 








vom Sitze gewichen, und ieh fi jegt von ber ſchmuden Schenkm 
das Borgefallene erzählen. B 

mdier if der Herr,“ rief fie jet ans, ale fi Wratislan 
dem Tiſche, näherte, „es war ein Augenblid wie er das wüthende 
Roß erfaßte umd zum Stehen brachte. Ich mar dort auf den 
Th geſtiegen und ſah über die Heden. Und wie Ihr das 
Fräulein im Arme Bieltet, adj, das fah fi ſchͤn an! Mär id 
ein Ritter, ich wollte auch recht gern folde ſchöne Jungfrauen 
ans brohenber Lebensgefahr retten. Sah ich's (uch doc gleich 
an, daß Ihr kein Handwerker ober Student vom Carolinum feid. 
IH merkte gleih, daß Ihr mit Waffen und offen Beſcheid 
wißt. — Und darum, gnädiger Herr, wenn ich End früher nad 
Eurem blaffen Ausjehen fragte, deutet es nicht zum Schlimmen; 
ih Habe nichts Arges dabei gemeint.” 

„Ia das Fräulein von Rofenberg,“ fiel der Bürger ein, 
„it eine ſchöne, hochgeborne Dame und ſehr rei. Da ihr Bater 
verftorben, zog fie zu feiner Schweſter, ber Gattin des Herru 
von Neuhaus. Man fprit, fie ſei fehr ſtolz und eigenwillig, 
und fpotte der Siebe und der Männer. Bis jetzt gelang es noch 
feinem ihr Herz zu getwältigen. Es haben fich ſchon viele edle 
Herren um ihretwillen, fo zu fagen, die Hälſe gebrochen. Und 
der Herr von Neuhaus ift ein gewichtiger Mann und tapferer 
Kriegegelb, feht auch gut angefrieben beim Mönig und Hat bei 
der Wahl für ihn gewirkt. Er ift ein tapferer Kriegsheld und 
hats ben Taboriten bei HEb bewieſen. Man fagt, der gnäbige 
Herr Habe viel Herzeleid erlitten von den Seinigen — wie? 
weiß man nit. Cs ift noch feiner bafintergelommen. 

Der Yüngling ſaß während biefer und ähnlicher Rebe 
ſchweigend und zerſtreut da. Gr Hatte fein Haupt zurädgefehnt 
und flarrte träumerifch durch das bichte Gezweig nad; dem Abend- 
Himmel empor, aus beffen blauen Kelchen bie Sterne wie gol- 
dene Blumenfäden emporguöllen: „Hüte Dich vor der Liebe zum 

3* 





Weiße,“ fagte er ſtill fie ſich — „und dennoch iR fie fo fchön 
— und flog! Web’ mir! Das war alfo der Verhaßte! — Warum 
mußte mir dieſes begeguen? Umfelige Stadt! — noch vor meinem 
Eintritt in deine Thore Wird mir ſchon eine tiefe Wunde ge- 
ſchlagen. Wie fol das enden? Wußte ich, daß fie die Ber- 
wandte des Mörbers meines Vaters — ic; Hätte fie nicht gerettet. 
Und wenn das Roß mit ihr in bie Fluthen der Moldan geftürzt 
wäre — wenn ich ihren Hilferuf vernommen: — ich Hätte mid, 
doch and in die Fluthen geflürgt. Sie iR doch nur ein Meib 
— und Bat an mir, an uns nichts verbrochen. Aber ihm Race 
— ihr den blutigſten Haß: er hat meinen Bater zum Galgen 
gefchleppt, Hat unfern Stamm, unfer Wappen geſchändet, une 
unfern ehrlichen Namen geftohlen. Armes Kind! Er. raubte mir 
den Vater, ich will Dir den Oheim rauben; das iſt bie Ber- 
geltung. Wir find Beide ſchuldlos daran.” 

„Der Herr Mitter ift wohl müde?“ fragte die Schenkin 
mit dem Bürger zugleich, als fle den Süngling fo theilnahmlos 
und ohne Antwort hinſtarren fahen. 

„Ihr Habt Recht,“ fagte er, fi aus feinen Traumereien 
aufraffend — „id will gehen. — Und könnt Ihr mir nicht 
früher Beſcheid geben, wo ic) das Haus des Edlen von Zeöwic 
finde?" — 

„So ich nicht irre,“ verfeßte der Bürger, „an der Bruska, 
lints von ber großen Schloßftiege, dort mag es liegen.“ 

„Habt Dank,” rief Vratislav, ſich erhebend, „und auch für 
Eure Huge Rebe, aus ber ih Mancherlei gelernt. Schlaft wohl! 
Will's Gott, treffen wir uns ſchon wieder.“ 

Er verließ nad) diefen Worten den Garten und ſchritt im 
Zwielicht nach der Stadt. 


3 


Er wandelte durch die engen duſtern Grafen des Augezd 
hin, an zahlreichen Schenfhäufern vorüber, worin es noch luſtig 
und lebendig zuging; denn am Sonutag durften dergleichen Orte, 
wo fid) das gemeine Volk erlufigte, wo Gefang und Tanz mit 
einer blutigen Schlägerei wegen Meinungsverſchiedenheit, ober 
gefährliche Händel — um eine free Dirne abwedjlelten und 
raſch auf einander folgten, bis zehn Uhr offen bleiben. Dann 
pochten die Scharwächter mit ihren Spießen auf die Thorſchwelle, 
und Alles mußte ruhig nach Haufe, die Thüre mußte gefchloffen, 
jedes Licht ausgelöfht werben. 

Die Scharwäcter zogen jet ſchon mit Mirrenden Schritten 
nad) den Thoren, Plägen und Strafen, welche knapp an ber 
Moldau liegen, Hin. Beſonders am Ieftgenannten Orten führten 
fie ſtrenge Aufficht, weil nicht felten Hier ein Opfer der Private 
rache Hergefchleppt oder überfallen, gefächt ober erdolcht und im 
den Strom geworfen wurde. Der Böhme bat in der Luft wie 
im Zorne leicht bewegliches, fenriges Blut und einen flarren 
Sinn. Jene aufgeregte Zeit voll religidſen und politifhen Fa - 
natismus war ganz geeignet, in Einzelnen jene Anlagen zur 
größten Heftigfeit der Leidenfchaft auszubilden. Daher die Maffe 
von Gräuelthaten, welche in den Kriegen kurz vorher von Huſſiten 
an Katholifen und umgelehrt ausgeübt wurden. 

Unfer Ritter beeilte fih, nach ber Bruska zu gelangen. 
Nach einigem Nachfragen fand er das Haus derer vom Zeöwic; 
aber weber der Ritter noch feine Familie waren, wie der Pfört- 
mer ausfagte, diefen Tag in der Stadt — erſt folgenden Tag 
follten fie von Beraun zurüdfehren. Vratislav war nun gend- 
thigt, ben ihm empfohlenen Pater Cyrillus, welcher auf dem 
Hraböin, im früheren Kapuzinerflofter, wohnte, aufzuſuchen. Des 





38 


Weges unkumbig und zu fragen nicht aufgelegt, ſchritt er in bie 
Gegend des Strahofs zu, bie fleile Spornergafſe binan über 
den Schloßberg und fland endlich, von einem Kriegsmanne be» 
ſchieden, vor der Lorettofiche, auf dem weiten Plage, wo damals 
der tiefe, unausfüllbare Abgrund mar, in welchen ber Sage na 
die heidniſche Fürſtin Drahomira fammt Roffen und Wagen ver- 
fant, als fie das Allerheiligſte, welches ein Priefter in feierlicher 
Proceſſion vorbeitrug, Täfterte. 

Das anfehnlihe Klofter mit dem Heinen ſchmuckloſen Kirch- 
lein nimmt hier die Eine Seite des Plage ein, reits daran 
Hiegt bie genannte Lorettokirche, links ber Palaft der Ternine. 
Bratislav zog die Glode an ber Pforte. Ein Frater im dunklen 
Gewand öffnete und führte ihm, auf die Frage mad. dem Pater 
Cyrillus, durch den Kreuzgang ſchweigend in das Refectorium. 

Hier ſaßen fünf Priefter, die dem Ritter. eher wie Kapuzi - 
nermönde, als Huffitifche Priefter vorfamen, an einem Tiſche nnd 
ofen. Der roter wendete fid) an den größten mud ſtärkſten 
berfelben, welcher ber Guardian ſchien, und brachte des Ritters 
Anliegen vor. Bratislav wieberholte feine Anfrage und zeigte 
zugleich fein Schreiben vor. 

„Pater Cyrillus,“ antwortete der Mönd; in gleichgiltigem 
Tone, „if heut’ früh mac dem Hajek gegangen; von dort muß 
er noch dor Mitternacht zurüdtehren. Ihr könnt ihn Bier er- 
warten. Set Euch dort hin, junger Mann, und vaftet, wenn 
Ihe müde feid. Seid Ihr hungrig und burflig, fo wird Frater 
Iacobns Euch mittheilen von unfrer fhmalen Kofl. Es ift ung 
im &turme ber böfen Zeiten wenig geblieben. Die Sünder am 
Alerheitigften ſchwelgen, die Priefter des Herrn aber müffen bar- 
ben. Es war beffer in jenen Zeiten, da jeder Wandersmann 
im Kloſter gaftliche Aufnahme finden konnte. Der fromme 
Glaube verforgte Kliche und Keller; wir gaben unfere Gebete 











und ımfern Segen, waren vor irdiſcher Roth geborgen und konn⸗ 
ten uns mit freierer Seele dem Dienfte des Herrn weihen.“ 

Er beachtete den Ritter nad; diefer beinahe barſch klingenden 
Anrede nicht, umd fette fein Gefpräd mit den übrigen Mönden 
wieder fort. 

Bratislav fette ſich ſchweigend im bie ferne, dunkle Ede 
und genoß, was ihm der Frater vorgeſetzt hatte. Er verfiel in 
tiefeg Sinnen; die Bilder des Tages, die erſten Iebhaften Ein- 
drüde im ber großen, fremden Stadt gingen am ihm vorüber. 
Es war ihm düſter und befangen zu Muthe; denn noch immer 
fehlte ihm ein Menfch, der ihm Theilnahme bewieſen hätte. - 0 
achtete er des Geſpräches der Geiſtlichen lange nicht, bie ein 
Ionter Ausruf des Diden feine Aufmerffamfeit rege machte und 
dorthin Ienfte. . 

„Und id; ſage, er iſt doch ein Ketzer!“ rief ber Pater, „und 
werde es predigen morgen von ber Kanzel herab. Für einen 
Katholiken gibt's feine Eompactaten — wer mit an Rom hängt, 
iR abtrünnig, und wer in ber alleinfeligmachenden Gemeinde 
bleiben will, barf feine Privilegien für bem Kelch haben wollen. 
Er hat die Lüge auf der Zunge und den Unglauben im Bergen. 
Und was geihah fürzlih? Der hochwürdige Legat Fantinus de 
Balle fagte vol Heiligen Glaubenseifers, wie es geziemt bem 
Bevollmächtigten bes Heiligen Baters, zu dem gleißneriſchen Rd- 
nige: Du haft den Krönungseid gegen die Ketzer nur im Munde, 
nit im Herzen; Du ſprichſt anders, denkſt anders und Hanbelft 
anders. Des heiligen Vaters Langmuth wird ein Ende nehmen, 
und er wird Dich züchtigen mit feinem Bannſtrahl, bamit die 
guten Schafe allfier nicht don ben räudigen angefledt werden. 
— Alſo ſprach er. Was that der Podkbrad Hieranf? Statt in 
Demuth des frommen Priefters Ermahnung entgegenzunehmen, 
flatt Befferung und ben Gehorfam gegen ben Bater der Chriften- 
Heit zu geloben, um ihn wieder zu verfühnen, Tief er ten ger 


40 


ſalbten Prieſter, des Papſtes Abgeſaudten, feſtuehmen uud bei 
Waſſer und Brot hinſihen. Anathema sit! — So wurde mir's 
verkündet.“ 

Welche Gräuelthat! welche Berfündigung!“ fiel der dem 
Sprecher gegemüberfigende Mönd, eine Heine feifte Geſtalt mit 
eirunden, glänzenden Wangen und flehenden Augen, ein, „hat 
man fo etwas erwartet von dem aufgedrungenen Könige, ber 
die Krone erflichen, der dem Papſte Gehorfam geſchworen und 
darauf von einem katholiſchen Biſchof gefrönt worben it? Der, 
Heilige Water wird, wie es ſich geziemt, ſchleudern den Banuſtrahl 
gegen den ketzeriſchen König, ein Kreuzheer wird in das Land bre ⸗ 
hen, ein neuer Krieg entflammen, und Kirchen und Klöfter werden im 
Brande aufgehen. Man wirb fein Boll ſchlachten, und bie 
tegerifchen Priefter wie bie redhtgläubigen werden unter Martern 
enden. Dieß die Folge feiner Zweizüngigkeit. Wehel Wehe! 
Bir fehen neuen Schredenstagen entgegen, ba kaum bie alten 
erſt geendet.“ Er hielt fi mad dieſem Wehruf die Hände vor 
das Geficht, 

„Wehe! rufe auch ich,“ nahm der Dritte mit ſchnarrender 
Stimme das Wort; „aber es muß die Spreu vom Korne, das 
Unkraut vom Weizen gefonbert werben umd verbrannt: Scheiter - 
haufen miffen flammen; die Kegerbrut vertilgen. Mit ihnen 
Sieden fliften, Heißt ſich befubeln; fie dulden, Heißt Theil nehmen 
an ihrer Sünde. Es foll und fann nur Einen Glauben geben, 
und das ift ber alleinfeligmachende, wie ihm die Stellvertreter 
Chriſti nach der Heiligen Schrift auslegen. Haben ſich die Gottes - 
läſterer doch erfrecht zu fagen: ber Papft fei nicht ber wahre 
Stellvertreter Chriſti, fondern der wahre Nachfolger des Judas 
Iſharioth; ſteht doch mod) in ben Compactaten, daß bie @eift- 
lichkeit keine irdiſchen Güter befigen und mit Leib und Leben 
weltlicher Gerichtsbarkeit unterworfen fein fol. Was? die Ketzer 
follen uns richten? Es gibt mur einen Gott über uns und 





4 


feinem Stellvertreter im geiſtlichen, wie weltlichen Dingen. Er 
iR der Herr über Glauben, Lehen und Tod — er iſt ber Herrſcher 
aller Könige, der Bertheiler aller Kronen. Auf weflen Haupt fie 
figt, dem hat er fie mur verliehen für die Zeit, wo diefer ſich 
ifrer willig mat. Eheu Georgie! hab’ At, daß bie Krone 
nicht Herunterpurzle von. deinem ketzeriſchen Haupte.“ — 

„Ja,“ nahm der Aeltefte ‘wieder das Mort, „wir haben 
einen böhmifchen König, einen gewählten König, Einen, der ung 
Ale zufrieden zu ftellen verſprach, einen Ritter, dem fein Degen 
und des goitverfluchten Rokyeana Räuke auf den Thron gebracht. 
D, er hat uns auch Gutes gethan! Als man uns fromme 
Männer hier ans der Heiligen Stätte vertrieben und durch ketzeri - 
fen Gottesdienft den Stein auf dem Altare entweiht Hatte; 
mußten wir uns flüdten und uns heimlich bergen. Ja viele 
fanden den Märthrertod. Jet lam der König, ber veripradh, 
Ale zu hören, Alle zu verföhnen, Allen zu Helfen und recht zu 
than. Er gab uns auch die öden Mauern wieder. Das war 
leicht. Befigt doch ber Bettelorden feine liegenden Gründe; aber 
‘wie ging's der andern Gierifei? Cie biieb betrogen umb be« 
ſtohlen. Heiliger Franciscus be Paula, ift das eine Zucht! In, 
wir Ieben vom Betteln, von der frommen Milde der Gläubigen, 
und haben dies elende Los ber Gntfagung, ber SPönitenz, der 
Demuth, des Gehorſams und ber Keufchheit gemählt, bem Höchften 
we Ehre, dem ewigen Heil zu Luft. Wo aber das Ketzerthum 
fo begünfigt, unſre Heilige Würde in den Staub ‚getreten, wir 
geläftert, verdächtigt, ja fogar am Leben bedroht werben: ba er- 
taltet die Verehrung und Milde der Gläubigen gegen uns; fie 
lafien uns darben, lafjen den Briefter bes Herren, den frommen 
Mönd, ber fein Leben aufgeopfert zur Abbüßung für ihre Sünden, 
dem bitterften Mangel leiden. O Zion! Deine ſchrecklichſte Stunde 
ift gefommen: es find die Tage ber Verzweiflung und des Wehr 
Magens. Zu Die empor fehreit unfre Stimme aus ber Tiefe — 


4“ 


erbarme — erbarme, Dich, Herr, und fende Deine Engel aus 
mit feurigen Ruthen, zw züchtigen die Söhne des Teufels und 
bes Antichrife I 

Er brach in Thränen aus und ſchluchzte lant, ſeines toten 
fanatiſchen Eifers voll. 


Bratislav Horte hoc auf. „Wohin bin ich gerathen? — 
wel’ ein Mißverſtändniß?“ fagte er zu fich ſelbſt, erhob fi 
ſachte und ſchlich Teife näher zu der Gruppe, bie mitten unter 
ihrem Wehllagen wader und emfig den zinnernen Krügen, worin 
ſchweres, ſtarkes Bier, zuſprach, ſo daß die Mönde, wie auch 
ihre wüthende Rede bewies, bereit trunfen waren. In der matt 
erleuchteten, büftern Halle Teuchteten, ihre Geſichter feuerroth, und 
ein heller Dunſtkreis ſchien fie zu umgeben. 


„SoP mich ber Teufel!“ fluchte jet der Kleine, der An- 
felmus hieß, und flug mit” der geballten Fauſt auf den Tiſch, 
mich gebe von mun an feinem Beichtkinde Wbfolution, das mir 
nicht ſchwort, das Huffitentgum aus innerfler Seele zu haſſen 
und mit allen Kräften zu verfolgen. Sie müflen mir ſchwören, 
dem Kegerlönige nad; Leib und Leben zu trhchten. Ihe täglich 
Gebet fei Ausrottung ber Ketzer; ber Sohn ſchone des Vaters 
nicht, der Bruber nicht bes Brubers, wo es gilt, einen Feind des 
Chriſtenthums, einen Apofaten zu vertilgen. Es wird eine Zeit, 
es muß eine Zeit.fommen, wo man bie Kelche von ben Kirchen 
und Fahnen, die Lämmer von den Altären reißen, wo man bie 
Ketzerbrut mit Hunden zur öfterlichen Beichte, und zur Meff’ und 
Veſper in die Kirche hetzen wird. Gras wird wachſen, wo ihre Tempel 
eben ; aber rings im Sande wird man Male fehen, wo die Scheiter- 
haufen brannten. Was fagt die Schrift? Meine Kirche ift von 
ewig — fie if ein Fels! Und fie wird danern und das Ketzer- 
tum mit Blig und Donner niederſchmettern. Heiliger Servatins, 

. verfeie mir der Rede Macht mit Gturmes Gewalt, bamit ich 


von ber Kanzel wie mit Poſaunengeſchmetter fprechen Inne über 
den Verfall des reinen Glaubens und wüthen gegen die Ketzerei, 
gegen dem gleißmerifch-henchlerifcen König, der ein zweiter Indas 
it umd gegen Alle, die an ihm hangen umb gegen dem fredjen 
Gögenpriefter, "gegen diefen Achab, den Rokycana, der fih ba er- 
fühnt, feine befudelten Hände nach dem erhabenen Pallium, nach 
der firahlenden, geweihten Inful auszuftreden! 

„Bene! Bene!“ rief der Guardian, „Gott wohlgefälig 
iR folder Eifer, frommer Bruder Anfelme, und jenfeits wird End 
gelohnet werben in ber Gnade der Herrlichkeit. Nieder mit ber 
Regerbrut! — Es war ein dem Herrn gebührend Werk, ein 
Dantopfer, ein Sühnopfer, wie jenes’ bes Melchiſedech, als bie 
heiligen Väter zu Koſtniz ben Huß und Hieronymus in die 
Scheiterhaufen ftürzten. Aber noch zu milde waren bie frommen 
Bäter; fie mußten Humbderte der tegerifhen Böhmen ben Flammen 
opfern, dann war ber Giftbaum im Keime erſtickt. Jetzt gilt es 
Ihwer, die ‚Wurzel. auszuvoden. Aber mit Gottes und ber fünf 
Bunden Ehrifti Hilfe, nur Feuer darüber, bie Flamme muß bis 
tief im den Boden dringen und alles Gezweig und Geäſt zu 
Ace brennen. Weld’ ein Scandalum, welde Läfterung! Sie 
erfrechten ſich, die Erzketzer Huß und Hieronymus als Heilige in 
den Kalender zu feen, neben bie frommen Männer, welde ber 
heilige. Bater, Chrifti Stellvertreter, canonifiret hat. — Ich fehe 
den Himmel offen und oben die Heiligen alle verſammelt, beftürzt 
und betrübt über die Gränel im Böhmerlande. Sie fehen her» 
unter mit tranriger, hilfeflehender Miene auf uns, die Priefter 
Gottes ind rufen: Helfet uns — Baltet aufrecht unfre Altäre 
mb unfre Heiligenfcheine — prebigt das Krenz, reißt den Rü- 
fiereen die Zungen aus ben Rachen — Helft ung — miserere 
meilt — 

Er fiel, wieder ſchluchzend, mit dem Kopfe auf den Tiſch. 

Länger aber hielt fi unfer Ritter nicht. Er mar ganz 


4 


4 


nahe herbeigeſchlichen, erfaßte auf einmal mit werviger Kauft ben 
Tiſch, woran bie Mönde lehnten, und flürzte ihn um, fo daß 
zugleich alle vier fi anf dem Boden wälgten. 

„Wohin bim ich geraten?" rief er und zog fein Schwert. 
„In ein Haus des Fluches, des Verderbens ! IH glaubte, gut 
calirtiniſche Priefter ‘zu finden und traf papiftifche Pfaffen. bint- 
gierige Mönde, Gottesläfterer, reißende Wölfe in ber bemüthigen 
Prieſtertracht. Und das alfo ift die Verföhnung, die Ihr be» 
ſchworen, die Ruhe, die Ihr zu Halten angelobt? Fluch über 
Euch, Ihr Mörder, Ihr Glaubensvergifter, Ihr kahlgeſchornen 
Säuren? Wie Euer Haupt des Haarihmudes baar, jo Eure 
Seele jeder Regung ber Menſchlichteit. Wer hindert mid, Euch 
Königs- und Prieftermörder, End; Blutprebiger hier zu vernichten, 
wie giftige Schlangen? Cure Köpfe follte ich zertreten, damit 
die Nattern nicht mehr ſtechen können. — Aber die Züdtigung 
wird kommen — die Strafe nicht ausbleiben; denn Eure Zeit 
iſt vorüber. Das Licht aus Huffens Scheiterhaufen fliegt durch 
die Welt, und es wird mit heller Flamme Cure Raubnefter, 
Eure Häufer des Muſſigganges uud der Schwelgerei ergreifen 
und anfteden,; und madt und bloß werdet Ihr hinausfliehen 
möüffen in die Wälder zu den wilden Thieren, wohin Ihr gehört. 
So wird es kommen, weil ein gerechter Gott im Himmel wohnt. 
Hier noch ein Angebenten! Zwar ehr’ id; nicht das Gaſtrecht 
zum Beften, aber jeder Biffen, den ih aß, quillt mir wie Gift 
im Leibe.“ 

Er fuhr mit der Spige feines Schwertes über die Gefihter 
der Mönche, welche fi ſchreiend unter einander auf dem Boben 
walzten, daß ihnen das Blut über Augen und Wangen quoll; 
dann ſchritt er zur Thüre, fprengte dieſe mit gewaltigem Fußtritt, 
die Kloſterpforte desgleichen und befand fi bald im freien, 








I 


Wohin folte fih num umfer Ritter wenden im ber ihm 
fremden Stadt? Lachend über den &chreden,: welchen er ber 
Mönden verurfacht, ſchritt er im der ſternhellen Nacht über den 
Pay nah dem Strahof hin. Das Glodenfpiel der Lorettokirche 
ertönte durch die Stille, welche nun über der großen SKönige- 
ſtadt Tag. 

Bor einem Haufe brannte eine Lampe. Der Ritter ging 
darauf zu. Er hielt das Licht Anfangs für eine Ampel, bie nad 
tatholiſcher Sitte vor einem Muttergotteg- ober Heiligenbilde - 
brannte, obgleich die Huffiten damals, weniger des Gegenflandes 
willen, als aus Haß gegen bie Katholiken, derglei chen zu zer ⸗ 
fölagen pflgten. 

Die Lampe aber beleuchtete ein grobes, roh Bemaftes, höl · 
jenes Schild über. der Thüre. Es war ein Haus darauf ab- 
gebitdet, in deſſen Thüre ein Mann fand, ber mit ber Hand 
einen Reiter zu fich winfte, gleichfam bier eimzufehren. Darunter 
Randen mit böhmiſcher Schrift die Worte: „Hospoda anocleh* 
d. 5. Gaſthaus und Nachtherberge. 

Jetzt war Vratislav geborgen. Er öffnete die Hausthüre, 
die nur angelehnt war, und trat durch bie Flur reits zur Gaft- 
finde, deren Eingang offen war. ine Iante, rauhe, polternde 
Stimme ertönte von dort; der Ritter trat auf die Schwelle und 
beſah fich die Dertlicfeit. Im der Ede fland ein großer, thöner- , 
ner Ofen, von einer Bank’ eingefaßt, auf welcher zwei Kerle in 
gemeiner Tracht ausgeflredt Tagen und faut ſchnarchten. Neben 
der Thüre rechts war ber Schenktiſch, worauf zinnerne und ir- 
dene Gefäße; gegenüber ſaßen an einem alten, ſchweren, eichenen 
Tiſche zwei Männer im Geſpräche. Der Eine’ davon fehlen ber 
Birth; er trug einen Blauen Nittel, ber nm bie Hüften mit 





46 


einem rohen Leberriemen gegürtet war, auf ‚dem Kopfe hatte er 
eine alte, verfpoffene Pelgmüte. Sein Aeußeres war wohlgenährt 
und Batte ben Ausdrud eifenfefter Ruhe und Gemächlichkeit; nur 
in den Meinen, grauen Augen bligte ein Zug von Tücke und 
Hinterlift. Er fügte fi auf feine beiden Ellenbogen, und horchte 
der Erzählung des ihm Gegenüberfigenden ſcheinbar aufmerkſam 
zu. Diefer war oßnftreitig ein im blutigen Handwerk ergrauter 
riegsknecht, ein Mann von’ fünfzig Jahren, ſtark und vom faft 
viefigem Knochenbaue, mit einem üppigen, grauen Haarwuchs, 
einem durch Narben entfellten, Häßlichen Geſichte, bider Nafe, 
buſchigen Brauen. Das linke Auge fehlte ihm, eine Binde, dar- 
. Über ein Stüd Eiſenblech, hing davor; fein rechtes Auge aber 
funtelte durch bie büftre Helle ber Stube, wie ber glühende Blick 
eines Raubvogels. . Er Hatte einen. abgenugten Lederkoller an, 
darüber einen roſtigen Bruſtharniſch, bie Hände, wovon er bie 
Eine unter das Kinn geftügt Hatte, waren außerordentlich groß, 
faſt gauz mit Haaren bededt. Unter dem dicden Schnurbart war 
ein wohlgeformter Mund und eine Reihe ſchneeweißer Zähne zu 
fehen: dies war aber au ber einzige Schmud bes entftellten 
Gefichtes; denn die Haut mar rauh unb vergelbt, Narben und 
Falten wech ſelten ab. Die Stimme gli faft dem Donner, wenn 
er einem oder bem andern Worte Nachdruck gab. Neben ihm 
fand fein Helm, eim dickes, eifernes Waffenftüd, fo ſchwerfällig 
anzufehen, als wäre es für einen Reiter aus Sandſtein beftimmt. 

Jetzt, da er in ber Rede inne hielt, trat der Mitter einen 
Schritt vor. Im Augenblide durch die Umgebung bie Rothwen- 
"digkeit erfennend, Hier feine Schüchternheit zu bannen und fefter 
aufzutreten, fagte er mit lauter, gebieterifcher Stimme: 

„Run, endlich werbe ich doch zu Worte tommen! Ein Wirths- 
Haus, und der Gaft ſteht eine Biertelſtunde auf dev Schwelle, 
bevor der Wirth fih rührt. MWärft Du ein Zube, fo fagte ich 
Dir: Gras fol wachen vor Deiner Thüre. — Ja, ich werde 








47 


and; wohl leichter Himansgehen, als ic; hereinfam. Gib mır erſt 
Bein — tann ein Nachtlager. Ich bin müde.” 

Diefes fprechend, mäherte er ſich der Tafel, ſchnallte fein 
Schwert los und warf es klirrend auf ben Tiſch, während er - 
fh zugleich dem fremden Kriegsknecht mit vornehmer Miene ge- 
gmmüberfeigte. 

Der Birth war aufgefprungen, befah einen Moment dem 
nen Gaft, muſterte ihn, ſchien fi an dem ſchlichten Aeußern 
sicht ſehr zu erbauen, wurde aber durch den entſchiedenen Ton 
des Ritters eingefhüchtert und fagte, indem er fein Haupt ent» 
biößte umd fi verneigte: 

„Berzeiht Herr — Ritter — ich horchte Hier dem alten 
Rriegemann zu von feinen Thaten und — wäre far entſchlum- 
mert — id) wollte fagen, ich war fo vertiefte‘ Alſo einen Becher 
Bein wollt Ihr und ein Rachtlager. S if zwar nur ein ge 
tinges ‚Haus, felten kehren Hier Witte? und Herzen ein; doch 
habe ich oft ſchon erhabene und veihe Männer bewirthet, zur 
Krönungszeit zum Beifpiel, wo Hier auf dem Hrabdin Alles ber 
fegt war; umd da mußten fie auch vorlieb nehmen mit bes 
dienſtwilligen Mich alel fhleten Zimmern. Ich Habe dere 
zwei, das Cine vorne heraus — das Andere — dort iſts ruhiger, 
wenn hr. lange zw fehlafen gedenkt; und der Wein fol Euch 
auch munden — ſogleich.“ Gr fprang zu dem Schenktiſche. 

„55! brummte der Kriegsfnecht, „erſt warſt Du ſtumm 
wie ein Fiſch — der Waſſer fäuft — und das ift nicht viel 
verfdjieden von Deinem Weine, und jegt geht Dir das Mundwerk 
wie, eine Windmühle. Weniger Worte, beffere Dienfle. Der Herr 
iſt mid’ und durſtig, hört Du?“ 

„Das meine ich and,“ bemerkte Vratislav, der ſich jegt 
in den bier geltenden Ton Bineinfand. 

mBerzeibt mir, Here —“ nahm der Kriegsknecht wieder das 
‚@ort und firiete ben Jüngling mit feinem ‚einen Auge ſcharf — 


48 


wenn id; mit, Iemandem an Ginem Tiſche fie mub trinke, fo 
muß ich wiffen wer er if, das Heißt: weldes Glaubens und 
welches Handwerks; fonft if mir nit wohl zu Muthe. Ih 
- hab’ das Herz auf der Zunge, und wenn fie mir bie 'mal ab- 
ſchneiden, i’s Herz auch weg; unb ich hab’ das Schwert immer 
bei der Hand. Ich kann nicht geheimnißvoll fein, und d'rum iſt's 
mir auch bei. Andern zuwider. Alſo — ich heiße Jan Sukol, 
bin fünf und dreißig Jahre und fo eigentlich ſchon feit meiner 
Geburt, Kriegsknecht, habe für bie reine Lehre gefochten — in 
ollen Schlachten, Tann id; fagen, und bin jetzt frei, das Heißt: 
ich warte, bis e8 wieder 'was zu fchlagen gibt. Alſo ich bin 
jett ein Xobter, demm ber Krieg ift mein Leben. Da Habt Ihr 
mic), junges Herrchen, ganz, mit meiner Lebensgeſchichte. — Und 
Ihr — Ihr ſeid wenigſtens aud ein Kriegsmann, ober wollt 
Einer werden, vielleicht gar ein Ritter, wie Euch der Wirth im 
feiner Art voreilig benannt bat. Das ſah ih Euch bei Eurem 
Gruß gleih an. Was da ein Schwert führt, nicht zum Prunk 
und Spaß bloß, wie die Krämer und Wundärzte, tritt frei auf 
und ein. Das Heißt: ich zeige mic, wie ber Mann, ber ih 
bin.“ — 

Eure Offenheit verdient die meine,” verfeßte Vratislav, 
nachdem ber Wirth ihm einen großen, zinnernen Becher mit färt«- 
erlichem Weine hingeftellt, „und darum nehmer zur Antwort: Ich 
bin der Ritter Vratislav von Branil, aus dem Pradiner Kreife 
gebürtig, „tomm’ Heut’ zum erfien Male in biefe Stadt und wi 
meine Arme bem Dienfte des Vaterlandes widmen. Mein Vater 
war Führer im Taboritenheere und focht für den reinen Glauben. 
Er farb in feinem Berufe. Seid, Ihr zufrieden ?« 

„Kür den reinen Glauben farb er!“ rief der Kriegsknecht 
Ian Sufol und ſchlug mit der geballten Kauft auf den Tiſch, 
daß der Wein aus. dem Becher fprang, „für den reinen Glauben 
Hab ic) and) gefocdten; feht biefe Narben ba, Bier und Bier, auf, 


40 


Wange und Kinn, auf Raſe und Stirne; die hab' ich mir in 
den Huſſitenkämpfen geholt und viele andere, weit tiefere noch, 
die das Wamms. bededt. Alſo Branik, fagt Ihr; laßt mic 
eine Weile nur nachdenken. Den Namen kenne ich, muß auch 
den Mann gelannt haben. Gleichviel! — Ich halt's mit dem 
Lebendigen. Gebt mir bie Hand, feid mir willlommen. — &s 
war eine ſchöne Zeit, Herr — da wir noch auf unſre Art Krieg 
führten. Seit zwanzig Jahren, und nunmehr iſt'g vorbei. Hufe 
fitiſche Tapferkeit Hat die ganze Welt in Erſtaunen gefegt. Heidal 
Wie haben wir die Kreuzheere, bie da kamen auf des. römiſchen 
Antichriſts Geheiß, uns Alle zu fangen und im Scheiterhaufen 
als räudige Keger zu braten, gefdlagen und getrieben wie eine 
Heerde Hammel, wenn der Wehrwolf Hinterdrein il Das war 
an Leben — ein Mann gegen zehn — und fie Itefen: doch. 
Die Weiber und Priefter gingen mit und jandzten und fangen. 
’S ging wie zur Hochzeit — vorwärts, raſch. Hab’ mic, ſeitdem, 
wo's hier nichts Rechtes zu thun gab, faft in aller Herren Ländern 
herumgetrieben. Es ift Lumpenzeug — fle verfiehen ben Krieg 
nicht. Krieg if Jagd — auf Tod umb Leben. Will ich fein, 
muß ih Did, todtſchlagen. Das heißt: Nur die Tobten ſchaden 
nicht mehr.” 
„Wart Yhr bei Hrib auch?" fragte der Ritter beflommen. 
„Davon Fafıt mic ſchweigen, Herr,“ fuhr der Krieger fort, 
„das macht mid traurig. Davon Hör’ ich den Feind nicht gern 
reden. — Aber an ben Büte, an unfern Bater erinnert mid), 
. He, an den Judas Makkabäus — an ben größten Feldherrn 
aller Zeiten, wie ich's Euch fage, der's verſteht. Ach Gott! Ich 
babe fo viel Papiften und Deutiche todtgeſchlagen, daß mir das 
Weinen bei den Leuten immer nur läderlih war und fpaßhaft 
— als ich aber den Bater Biffe todt dafiegen fah, nicht gefärbt 
von rothen Wunden, nicht mit zerfpaftenem Haupt, nein, bleich, 
gelb, entfieit, aufgezehrt, morfc deu Rieſenbau, vergiftet von ber 
Herloßfohn: Der legte Taborit. L 4 


5 


Veſt ober dem Gifte ber Papiften, da hab' ich geweint, bag mir 
das Waſſer über den Bart lief. — Ein fanftes Grab — floft 
an — noch einen Becher Wein her, Michätel, fühllofe Seele! — 
und fanfte Ruhe ihm. Jetzt iſt er wohl drüben im der Glorie 
bei St. Johannes und bei St. Hieronymms, und Chriſtus hat 
ihm eine Palmenkrone gereidht, weil er fo brav feine reine Lehre 
vertheidigt und bie Weligionaverberber, die Papiſten, recht abge 
fälachtet Hat.“ — 

Er Hielt einen Augenblid inme. Bratislav betrachtete ſich 
aufmerlſam ben Mann, ber bei aller Rohheit, bie von feinem 
Handwerte flammte, dod einen Haren, fehen Berftand und eine 
gewandte Rede verrieth. 

Der Wirth, welder von unn an beideiben am Ende bee 
Tiſches ſtehen blieb, Hatte inzwiſchen and für ben Kriegafnecht 
Bein gebracht, und diefer fieß num mit bem Ritter an, nachdem 
er ihm zuvor das Geſchenk gegeben. 

Der Kriegsknecht fuhr mac einer Weile fort: „Das war 
ein Leben! Wenn ber große Feldherr fagte: „Huffitenbrüber! 
da drüben ftehen die Deutſchen, oder es find Maulmwürfe, die 
wollen fi Löcher graben — gebt Acht, wie fie verſchwinden 
werben:“ heidi! da ging es drauf und dran; das Herz lachte 
uns im Leibe. Ja es waren Maulwürfe; fie kamen fid ihr 
Grab zu graben. Und wenn wir bie Pfaffen besten, ha ha 5a! 
das war eine Luſt. Die Weiber nahmen die Ronnen auf fi 
und wir die Mönde. Go gut wird felten ein Spanferlel ge- 
Braten, wie wir bie geſchornen Pfaffen brieten. &o tet! fage 
ih. Begnadigt Einen, und er kaun bem finger wieder rühren, 
fo if er wieder Euer Feind. Darum nur todtichlagen. — Ci! 
wie brannten die Klöſter und Kirchen lichterloh; fie waren freilich 
vollgefüllt mit Speife und Trank für die Sündenknechte. Dazu 
der Schlachtgeſang und die Hörner: fie Hongen wie Höllenmufit ; 
denn wir haben doch nur Teufel Hinabgejchickt in ihr Reid. — 





51 


Habt Ihr den Profop gelannt ober den Profupel? — Doch was 
frage ih? Dazu feid Ihr micht alt genug. Dies waren Männer! 
Wenn ber Profop befahl, fo blieb’s nicht nr beim Vefehle; er 
ſprang felbft hinein mit ber Keule. unter den Feind, wenn's nicht 
rafch genug ging. Ci, da liefen wir freilich hinterdrerin. Und 
wenn er bie Keule hineinwarf im ein Lanzenträgerfähnlein, die 
wie von Eiſen gemacht ſchienen, und rief: Holt mir die Keule, 
fie war im Nugenblid da. — Aber fie find aud dahin! Ale 
Helben todt. Das Vaterland if arm geworden — wer foll ben 
Kelch beſchützen ?* 

„Noch lebt Georg, unſer König,“ fiel Bratislav ausfor- 
ſchend ein. 

„Unfer König Georgius,“ wiederholte der Krieger — „er 
if ein tüchtiger Streiter, Gott weiß es. Aber ber Zug nad 
Schieſien war fein Krieg wie fonf. - Wir Hatten Flügel, mähten 
Alles nieder vor uns, wie der Schnitter das Getreide mit der 
Senfe — eine Schlaht: ber Sieg war unjer und fein Feind 
mehr im Lande. Der Georg ift ein redliher Mann, aber cin 
Friebensfürf. Der Zigta und bie Profope wollten, der uffitiiche, 
teine Chriftenglaube follte der einzige fein, der herrſchende. Doch 
Georg wil’s mit ber Güte thun, mit Rede und Gegenrebe; er 
if froh, wenn wir nur geduldet werben, flott die Welt zu bes 
herrſchen, zu erobern, wie wir könnten. Hätte man das Neft 
da — Gott verzeih’ mir die Sündel das fanle ſchwelgeriſche 
Prag mit allen feinen Paläften und Kirden in Brand und Ace 
geftet und der Erde gleich gemacht, noch bevor der Neuhaus 
nad Hkib gegen die Ealigtiner zog: wir ftünden noch groß da, 
und Papft und Kaifer zitterten vor uns und flehten um ihr 
Dafein. Jetzt find fie unſre Schirmherren und — Schinders- 
tnechte. — Glaubt mir’s, Herr," fuhr er nad einer Weile fat 
betrübt fort, „gibt's nicht bald. Krieg, kann ich mein Geſchäft 
nicht treiben wie ich'ſs gewohnt — ich gehe gen Caslan, vor bie 

4* 


52 


Kirche, wo Zigta's Gebeine ruhten, bevor verfluchte Hände fie 
geftohlen, lege ich mich nieder und fterbe vor innerfihem Gram. 
Doc ic) wollte Euch vom großen Profop, vom dritten Kreuzzug 
erzählen, von jener großen Schlacht am Böhmerwald bei Tachau. 
Die Kreuzfahrer waren neunzig tanfend Mann Fußvolf, die Heiter 
vierzig taufend, wir faum die ‚Hälfte, "aber ſchlachtenfroh, fteg- 
entbrannt. Der Brandenburger Churfürft Friedrich führte fie an, 
Eardinal Julianus, die Herzoge von Baiern und Sachſen waren 
dabei und ber Exzbifhof von Köln mit Kreuz und Spieß. Ja, 
fie famen mit dem Cardinal, mit bdiefem Judas — mit Spießen 
und Stangen, um uns zu fangen. Dort auf ben Höhen ftanden 
fie, Hoheniohe trug das Reichspanier — wie ein weißer Falfe 
ſchwamm es in ber Auft, und fie brannten, wie man fagte, auf 
den Kampf mit ben fegerifhen Fleglern, aber nur fo lange wir 
in ber Ferne ftanden. - Iegt Beil — fließ der Protop in’s 
Heerhorn, unſere Fahne rollte auf, ſchoß tie ein ſchwarzer Rabe 
in die Luft und vorwärts ging’s unter Jubelgeſchrei und Ketten- 
gellirre und Flegelgeräuſch. Glaubt Ihr, die Papiften, das deutſche 
Neichsgefindel, fie fanden? Ja — ber Ehurfürft mit dem ge- 
weihten Schwerte, der Cardinal mit der Heiligen Fahne, fie baten, 
fiehten, hielten fie zurück; aber in bie Gebirge Hinein flohen fie, 
in die Thalſchluchten ſtürzten fie hinab und fammelten ſich erft 
wieder bei Thauß am ber Pfälzergrenze. Wir fanden in der 
Ebene, am rechten Ufer des Watonfluffes war unfre Wagenburg 
— fie aber fagerten auf den Höhen von Chottenſchloß. Im der 
aufgehenden Sonne glänzten die Spigen unferer Dreſchflegel — 
das ſah der Feind und floh. Endlich bei Rieſenberg ftellte er 
fi. Prokop Hold gab das Zeichen zum Angriff, ihre hundert 
und fünfzig ſchwere Geſchütze donnerten uns entgegen; aber wir 
ſchritten wie eine eherne Mauer einher, wir droſchen im ihre 
Haufen hinein wie bie Dreier. in bie Garben auf der Tenne, 
und fie flohen Heufend und mit Schmerzgebräll, ſtoben ans ein- 


58 


ander wie Krähen, die ein Schuß aufgeſcheucht. An ben Wald» 
Sägen, Hügeln, Abhängen wurden fie einzeln erſchlagen von Ein 
zelnen. Ihre Gefäße, ihre Wagen, ihr Kriegsgeräthe, des Car- 
dinals Hunt, fein Meßgewand, fein Kreuz und bie Bannbulle fiel 
in umfere Hände. Zwei Tage dauerte das Verfolgen und Todt- 
ſchlagen einzelner zerfprengter Haufen in den @ebüfchen und Berg- 
thälern. — Und als die Schlacht gefchlagen war, fagte Prokop 
‚Hold, der mit eigener: Hand- den Feldhauptmann von Hegensburg 
anf einen Streih vom Scheitel bis zum Schlufſe gefpalten, daß 
er entzwei brach wie ein Scheit Holz, — da fagte Profop Hold 
lachend: Das tar eine leichte Mühe, nicht wahr, Kinder? Jeden 
Abend vor dem Schlafengehen ſolch einen Tanz, und uns wird 
nicht einmal heiß dabei! — Ja, Herr Ritter — ſchon vor dem 
Nomen Huffiten liefen fie — und ich glaube, bie Kinder ber 
deutf hen Frauen weinten und bebten im Mutterleibe, wenn es 
Sieg: Die Huffiten Tommen. Uns hat Schleſien und Sachſen 
und Baiern gefehen; fie werden an uns benfen noch lange Zeit.” 

„Da Ihr fo Iebhaft jener Großthaten gedenkt,“ bemerkte 
der Ritter, „und Eure Seele ſchweigt in der Erinnerung daran, 
fo wird es mir leicht Mar, daß die gegenwärtige Unthätigkeit 
Euch ſchwer am Herzen nagen muß.“ 

„Will's glauben, Herr Ritter,“ verfegte der Krieger; „es 
mnß balb anders werben mit mir. Liege Hier ſchon in der Her- 
berge Monate lang, Hab’ Alles verzehrt, was id} von jener Zeit 
der Beute mir anfgefpart — und Beute gab es damals, beim 
ewigen Gott! habe mid; fchon Bier und da verdingen wollen als 
Anappe, als Knecht, bei einem Herrn ober Ritter, der rechtgläubig 
iſt; es if mir nicht gelungen. Ich feh’ ihnen zu wild aus, 
meinen fie wohl, zu huffitiih, fo nach dem Zijta und die zarten 
Fraulein lönnten vor mir erſchreden, oder gar in Ohnmacht 
fallen, wenn id laut fpräde. Einem Ritter möchte ich gern 
dienen, einem freien Manne; in des Königs Heer mag id nicht 


54 


treten. Sind lauter junge Burſche, feingeledt, zierlich angezogen, 
gar nicht Cehifch mehr, und dann gibt's auch keinen Krieg. Und 
als folder Faut in Prag zu bleiben, Nachts das Gefindel, das 
da tumultirt, zu prügeln und zu fahen: dazu bin ich zu ſtolz. 
— Und wenn's auch Krieg gäbe — es ift Fein rechter mehr! 
Höchftene ein Bertheidigungäkrieg gegen bie vielen Hunde an 
der Grenze, bie uns und dem König am bie Gurgel wollen. 
Einen Groberungsfeieg, ‚einen Angriff follte es geben, einen 
Feldzug fo hinein in's feindliche Land: ba ging’ ich hin, uud 
der Glanz käme wieder unter uns. — Braut Ihr, Herr 
Nitter, ober vieleicht Einer Eurer Freunde, einen Knecht, grad' 
wie ih bin, rauh, ſchlicht, nicht zierfih, aber reblih und treu, 
fo ftehe ih Euch zu Dienften. Id weiß mit Waffen und Roſſen 
Beſcheid. Da meine Helden tobt find, muß ich Jemanden haben, 
dem ic} liebe — vielleicht finde ich einen Herrn, ber mir gefällt. 
Bielleiht feid Ihrsl“ 

B „Wenn mein Rath nicht übel gedeutet wird,“ fiel ihm jetzt 
der Wirth ueplöglic in bie Rede, „fo dürftet Ihr, Herr Ritter, 
es nicht zu bedauern haben, dieſen tapfern Kriegsmann, der treu 
und reblih —“ 

„Halt Deinen ungewaſchenen Mund, Michalek,“ fuhr ihn 
Sufol barſch an — „nicht bedarf ih Deines Lobiprudes, eines 
fo jammervolfen, unerfahrenen Lumpen, ber in ber Stube hinter 
feiner Kanne did geworden, feinen Wein gewäſſert, die Menſchen 
betrogen und nichts gethan Hat für das Land, für bie Freiheit 
und ben Glauben, als abgemwartet, bis wir mit blutigen Hirn- 
ſchalen die Feinde von Euren Heerden getrieben — deſſen bedarf 
ih nicht! — Bon Deinen Bierkrügen und Weinbechern find 
Deine Hände nit ſchwielig geworden, wie bie meinen vom 
Drefchflegel, von der Keule und vom Schwert. Ober wilft Du 
mid) 108 fein, daß Du mid rühmft? Willſt Du mahnen, weil 
ich Dir ſchuldig bin, umd zu verfiehen geben, daß, wenn der 


55 


Herr Hier mich amtoürbe für feinen Dienft, ich Di bezahlen 
Knnte vom Kandgelb? Harter Schädel On! Glaubt Du, ih 
werde Dir immer ſchuldig bleiben? Nein, ich Könnte wohl nicht 
fierben, bevor das nicht abgethan, Du deutſche Maus! Und ‚wenn 
id) ſterben follte, fo trag’ ich es meine Waffen Hin zum Schmied, 
vertauf ihm fle zu Hufeifen, and die Haut Iaff ih mir vom 
Leibe finden, wie's Vater Zijle befahl, daß es mit ihm gejche- 
hen folle nad feinem Tode, und verkaufe fie, damit fie über 
Trommeln gefpannt werde.“ 

Der Wirth zwang fih zum Lächeln und entgegnete: „Ei, 
wie Könnt Ihr fo heftig fein, Gufol, und grad’ das Schlimmfe 
von mir denfen? Ich rühmte Euch, weil ich Euer freund bin, 
und weil id) den Grund Eurer Beſchwerde fühlte. Glaubt Ihr, 
ich würde einer ſolchen Kleinigkeit, wie meine Forderung iſt, Er- 
mwäßnung tun? Bin ih Euch doch viel Dank ſchuldig für fo 
mandje frohe Stunde, die wir felbander zugebracht! Oft fahet 
Ihr, wie heut’, bis fpät nach Mitternacht bei mir und erzähltet 
mir von Euren Thaten und Feldzügen, von unfern Helden und 
Bropheten, und beiehrtet mich und erheitertet meine Geele, wenn 
fie vom Sorgen gequält war.” 

„Laß das, Hafenfiwanz,“ fiel der Krieger ihm in die Rebe, 
„davon will id} nichts hören, und ſtöre ben Herrn da nicht in 
feiner Antwort.“ 

nEuer Vorſchlag,“ antwortete Vratislav nach kurzem Nach- 
denken, „gefällt mir. Doch da ich noch keine Wohnung beſitze 
und weine Briefe noch nicht abgegeben Habe, fo kommt morgen 
in das Haus des Edlen von Zeöwic, an ber Bruska unten, und 
fragt nah mir. — Jetzt aber, Herr Wirth, zeigt mir mein 
Schlafgemach. Ich bin müde und will's verſuchen, auf Euren 
Hafenfellen zu fchlummern.“ 

„Ich wünſch' Euch gute Träume,“ verfegte der Wirth und 
zündete ein Licht an; „merkt wohl darauf. Man fagt, was man 





56 
die erſte Nacht an einem neuen Orte träumt, das begegnet Einem 
fpäter in ber Wirklichkeit.“ 

„Hab' Dank und gute Nacht,“ fagte Bratislav aufftehend, 
reichte dem Kriegsknecht die Hand und folgte dem Wirthe über 
einen düftern Hof bie gewundene, enge Xreppe im das obere 
Geſchoß. Der Wirth öffnete eine niedere Thür. und trat hinein 
— ihm folgte der Ritter. Es war eine Stube mit einem ver- 
gitterten Fenſter. An der Wand Bingen Heiligenbilder, roh ge- 
zeichnet und gepinfelt: Chriſtus am Kreuze, die Mutter Gottes, 
Johannes Huß uud ein Spottbild, welches ben Papſt barftellte, 
wie er vom Teufel gegeißelt wird. Im einer Niſche fland ein 
Todtenkopf, auf demfelben eine laufende Sanduhr. Im der Ede 
mar das Lager, aus einem hölzernen Gerüſte, Thierfellen und 
einer weiten Härenen Dede beſtehend. Es war fo Breit, daß 
fügfi vier Männer darauf Play nehmen konnten. 

Nach einem abermaligen Gutenachtgruße entfernte fi ber 
Wirth, und unfer Ritter bfieb allein. 

Es war ihm feltiom zu Muthe. Das Gefühl der Bangige 
feit war bon ihm gewichen; er war in ber fremden Welt, feinem 
Willen und feinen Kräften allein überlafien, und fo zur Gelbfi- 
ſtändigkeit gelangt; dies empfand er zum erften Male in feinem 
Leben. Bis dahin Hatte er mur fremder Lehre, fremden Rathe 
gefolgt; num follte er ber eigenen Kraft vertrauen. Sein fefter 
und befonnener Geiſt ſchaute ruhig, dieſer Aufgabe ſich bewußt, 
in die Zukunft. Was ihm ſein Oheim geſtanden, was ihm der 
Kriegsknecht erzählt, lehrte ihn, daß der Mann zum Kämpfen 
und Ringen im Leben beſtimmt ſei, und er fi darum mit Muth 
und Geiftesgegenwart fählen, und ficher den kommenden Gefahren 
entgegenbfiden müffe. 

Ein Bid nad der Sanduhr, dem vollenden Stanbe darin 
und auf den bleihen Todesſchädel zeigte ihm das Vergäugliche, 


87 


das Ende aller Dinge. Warum alfo zagen vor dem Unaus⸗ 
weichlichen ? 

Er miete in frommer Andacht nieber und betete: „Gert, 
fei gnäbig mir fortan, wie Di es meinem Eingang warft. "Laß 
mid) bereinft den Musgang finden, daß ic) im jener Todesgeflalt 
frei und malellos vor Deinen heiligen Thron treten Tann. Zeige 
mir die Bahn, wenn id) irre, leihe mic Deinen Arm, wenn ich 
fraudjle, fei mir ein gmäbiger, barmberziger Gott. Ich danke 
Dir fir das Dafein, und wenn es von nun an aud ein ſchmerz ⸗ 
durchflochtenes ift, Du haft e8 ja gegeben und wirft es nehmen 
im Kampfe für Dein heiliges Wort. Sei auch dem Bater gnädig, 
der vor Dir fteht im Glanze Deiner Herrlichkeit. Armer Vater, 
arme Mutter, die ih nie gefannt — fegnet Eure Waile. Dort 
mohnt bie Verföhnung — es if nun nichts mehr Irdiſches an 
Euch, als die gemeinfame Liebe zu Eurem Kinde. Blidet gütig 
auf mid) nieder und gebt, daß ich Euch bald ſchaue und erkenne 
im Sande der Wahrheit und der Liebe. Amen“ 

Er entffeibete fidh, verlöfchte das Licht und entfhlief. Wie 
er gehofft kam ein Traum über ihn. Jene Iungfrauen erihienen 
wieder mit den Blumen, und feltfam ! die, welche die Rofen bot, 
hatte ganz das Antlig Lidmila’s von Neuhaus. Cr nahm bie 
Rofen bebend und erglühend, umd beide Geftalten verſchwanden. 
Das Bild werhfelte — er ſah die kihne Neiterin anf dem fhenen 
Roffe dahinfliegen; er Hatte den Zügel erfaßt; aber ber wüthende 
Renner fchleifte ihn mit fich fort über rauhes Geftein und fpites 
Geftrüppe, und trat ihm endlich mit dem ſchweren Hufe an bie 
Bruſt, daß das Blut feinem Munde entquoll. Mit dem letzten 
verlöfcgenden Blicke ſah er zu Lidmila empor — doch fein WBeh- 
ſchrei ontſchlupfte ihr, Tein Schmerz malte fich in ihren Mienen, 
fie blickte Tächelnd und gleichgiltig herab auf ben gertretenen 
Ritter. Seine Befinnung ſchwand — er fühlte daß er ſterbe — 
er wandte das brediende Auge feitwärts, hinweg von ber Grau- 





58 


famen; er erblidte eine Laube — in jener Laube faß die andre 
holde Traumerfeinung, zerpflüdte den Beilchenkranz und nebte 
jedes fallende Blatt mit einer Thräne. Und als fie dem blu- 
tenden Ritter erfah, ſtuͤrzte fie hervor, fanf am feine Bruſt, preßte 
ihre Lippen an feinen bebenden Mund und hauchte ihm Athem 
unb eben ein. ber es wurde finfter um ihn — bie Bilder 
alle zerrannen — er erwachte mit einem ſtechenden Schmerze in 
der Bruſt. 

Es flug zwei Uhr. Er fann lange über die Doppelbedeu - 
tung des Traumes nad, bis ihn der Sqhiaf wieder in ſeine 
Arme nahm. 


Die Glocken des St. Veitsdomes läuteten zur Kirche. Zahl- 
Iofe Beter frrömten dahin. Auch unfer Ritter befand fi unter 


der Bollsmenge; benn er wollte vor Allem das gepriefene Wunder - 


Prags: den herrlichen Hradein mit feinem riefigen Königs- 
ſchloſſe und die erhabene von Karl IV. erbaute Kathedrale jehen. 

König Georg war eben aus Mähren angelommen, man 
wußte, daß er dem Gottesdienfte beiwohnen würde; denn an 
verſchiedenen Altären wurde damals in der Domlirhe nad) ka- 
tholiſchem und calirtiniſchem Ritus das Heilige Amt verrichtet. 
So mar ber Zulauf des Volles groß. Damals war auch der 
Hraböin ber glänzenbfle und belebtefte Theil der Stadt. Im ben 
jest öden Paläften hauften bie hohen Standesherren mit. ihrem 
Hofftaate — auf ben Straßen war ein buntes Gewimmel von 
Nittern, Ebellnaben, Knappen, jchön gezäumten offen, ſchweren 
Staatswagen, bie man theils in Ungarn erbentet und gelauft, 


5 


theits bier nachgemacht Hatte, und Sänften, worin holde Fräulein 
und bejahrte Matronen getragen wurden. 

Durch dieſes Gewirr ber verſchledenſten Stände und bunteften 
Trachten brängte fi unfer Yüngling über den Schloßhof nah 
dem Gingange der Kirche. Er maß den rechts von ber Thüre 
ſtehenden Thurm mit erſtaunten Bliden und trat jet hinein in 
die Hallen, wo Säule an &üule, vergoldet und mit buntem 
Laubwert bemalt, fich emporfiredte, bie Hohe Wölbung au tragen, 
gleich Cedern, deren Kronen ſich oben zum Dache verflochten. 
Rechts und links. waren überall Mebenaltäre, und in Niſchen die 
Standbilder und Grabmale verblichener Helden und Männer bes 
Boterlandes. An dem Hochaltare, ber von. hundert Kerzen über- 
leuchtet war, las ein Domherr in pontificalibus das Hodamt, 
und vom Chore herab braufte die Orgel wie in melodifchen 
Gewitterſtürmen. 

Bratislav trat jetzt rechts neben dem Eingange in bie 
Sauct ¶ Wengelskapelle, wo das Abendmahl unter beiderlei Ge⸗ 
falten ausgetheilt wurde. Hier flarete er geblendet all’ den Glanz 
und Reichthum an; denn rings bekleidet find die Wände mit 
großen, vieredigen Cbelfteinen aus Böhmens veichften Gebirgen, 
eng verbunden mit goldenen Kit. Der Strahl der Sonne brach 
fich in den hohen, bunten Fenſterſcheiben und glänzte in taufend 
Strahffarben von den glühenden, funfeinden Wänden wieder. 

Mitten anf dem Altare ruhen des heiligen Wenceslaus, des 
böhmifchen fürftlihen Märtyrers, Gebeine; durch einzelne Glas- 
fenfter ſieht man Aber dem Sarkophage bie Rüftung, das eiferne 
Banzerhemd, Helm und Schwert des Glaubenshelden. 

Hier ſank Bratislan in die Kniee umd empfing mit gläu« 
bigem Sinne das Mahl des Herrn: das gebrochene Brot und 
den Wein. Er zog ſich Hierauf Inapp am Eingange auf eine 
Bank zurüd und überfieß ſich bier feiner ftilen Andacht. 

Bald aber zog eine ſchwarz verfäleierte Frauengeſtait, welche 





58 


famen; er erblidte eine Laube — in jener Laube faß die andre 
Holde Traumerfheinung, zerpflüdte den Beilhenfranz und nehte 
jedes fallende Blatt mit einer Thräne Und als fie dem biu- 
tenben Ritter erfah, ſtürzte fie hervor, fank am feine Bruft, prefte 
ihre Lippen am feinen bebenden Munb und bauchte ihm Athen 
und Leben ein. Aber es wurde finfter um ihn — die Bilder 
alle zerrannen — er erwachte mit einem 1 ſiechenden Schmerze in 
ber Bruſt. 

Es flug zwei Uhr. Er fann lange über bie Doppelbebeu- 
tung des Traumes nad), bis ihn der Schlaf wieder in ſeine 
Arme nahın. 


Die Glocken des St, Veitsdomes lauteten zur Kirche. Zahl- 
loſe Beter ſtrömten dahin. Auch unſer Ritter befand fi unter 


der Volksmenge; denn er wollte vor Allem das geprieſene Wuuder 


Prags: den herrlichen Hradöin mit feinem riefigen Königs- 
ſchloſſe und die erhabene von Karl IV. erbaute Kathedrale ſehen. 

König Georg war eben aus Mähren angelommen, man 
wußte, daß er dem Gottesbienfte beiwohnen würde; benn an 
verſchiedenen Altären wurde damals in der Domlirde nad) far 
tholiſchem und caligtinifhen Ritus das heilige Amt verrichtet. 
&o war ber Zulauf des Volkes groß. Damals war aud) ber 
Hrabdin ber glänzenbfte und belebtefte Theil der Stadt. Im den 
jetzt öden PBaläften hauften die hohen Standesherren mit. ihrem 
Hofftaate — auf den Straßen war ein buntes Gemwimmel von 
Rittern, Edellnaben, Knappen, ſchön gegäumten Hoffen, ſchweren 
Staatswagen, bie man theils in Ungarn erbeutet nnd gelauft, 


Ei} 


theifs hier nachgemacht Hatte, und Sänften, worin holde Fräulein 
und bejahrte Matronen getragen wurben. 

Durch dieſes Gewirr ber verfchiebenften Stände und bunteften 
Trachten drängte fi unfer Yüngling über den Schloßhof nad 
dern Eingange der Kirche. Er maß den rechts don der Thüre 
Kehenden Thurm mit erftaunten- Bliden und trat jegt hinein in 
die Hallen, wo Gäule an Güule, vergoldet und mit buntem 
Raubwert bemalt, fich emporfredte, bie Hohe Wölbung zu tragen, 
glei) Cedern, deren Kronen ſich oben zum Dache verflodhten. 
Rechts und inte waren überall Mebenaltäre, und in Niſchen die 
Stanbbilder und Grabmale verblihener Helden und Männer des 
Baterlandes. Au dem Hodaltare, der’ von. Hundert Kerzen über 
leuchtet war, las ein Domherr in pontificalibus das Hodamt, 
und vom Chore herab braufte die Orgel wie in melodiihen 
Gewitterftürmen. 

Bratislav trat jet rechts neben dem Cingange in bie 
Sanct Wenzelskapelle, wo das Abendmahl unter beiderlei G&e- 
falten ausgetheilt wurde. Hier ſtarrte er geblendet all’ den Glanz 
und Reichthum an; denn rings‘ befleidet find die Wände mit 
großen, vieredigen Edelſteinen aus Böhmens reichſten Gebirgen, 
eng verbunden mit goldenem Kitt. Der Strahl ber Sonne brach 
fi in den hohen, bunten Fenſterſcheiben und glängte in taufend 
Strahffarben von den glühenden, funfeinden Wänden wieder, 

Mitten auf dem Altare ruhen des Heiligen Wenceslaus, des 
bohmiſchen fürftlihen Märtyrers, Gebeine; durch einzelne Glas- 
fenfter fieht man Aber dem Sarkophage die Rüftung, das eiferne 
Banzerhemd, Helm und Schwert des Glaubenshelden. 

Hier ſank Vratislan in die Kniee und empfing mit gläu- 
bigem Sinne das Mahl des Heren: das gebrochene Brot und 
den Wein. Er zog fi hierauf knapp am Cingange auf eine 
Bont zurüd und überließ ſich Bier feiner ſtillen Andacht. 

Bald aber zog eine jewarz verjchleierte Frauengefalt, welche 


so 


feitwärts außer ber Kapelle kniete und bie Meffe hörte, welche 
ein fatholifher Priefter an einem Geitenaltar des zweiten Pfeilere 
108, feine Aufmertſamteit amf fih. Ihr Antlig war blaß, aber 
himmliſch ſchön, fromme Andacht in den Mienen, tiefer Schmerz 
in den brammen Angen, Liebreiz und Demuth und Milde und 
Berföhnung auf ‚den Lippen umd in den Zügen. Unwilllührlich 
erhob er fi — trat hinaus und flellte fi an ben Pfeiler 
gegenüber, um biefe holde, überirbifche Erſcheinung im Angefidte 
zu haben. 

„So. ihön! fo ſchön!“ fenfzte er leife, „und doc eine Pa- 
piſtin!“ Da flug das. Mädchen die Blide empor, ſah ben Züng- 
ling lange ftarr, erſchrocken, beinahe geifterhaft an und rief dann 
außer fih: „Gott! der Geift meines Bruders!“ und fanf ohn- 
mächtig in den Betſtuhl nieber. 

Vratislav vaffte fih auf, um ihr beizufpringen, aber Hilfe 
reihe Hände von Männern und Frauen waren fon in ber 
Nähe; fie erhoben bie Ohnmächtige, trugen fie an den Eingang, 
wo fie fie mit Weihwaffer befprengten, und dann in's Freie. 
Vratislav drängte fi) mechaniſch nad) mit den Uebrigen; bevor 
er fi) aber duch die zufammengelaufene Menge Bahn brach. 
hatte man die Jungfrau, die fich ſchnell erholt zu haben fchien, 
in ihre bereit flehende Sänfte gebracht, mit welder bie Diener 
eifrig davon eilten. 

Ein neuer Zufammenfauf Hinderte ihn ber Sranten, auf 
welche fein Erſcheinen fold' einen mächtigen Cindrud gemacht 
Hatte, zu folgen ; benn eben kam der König in die Kirche, um 
Gott feierlich zu danken für die Wieberherftellung feines Regi - 
ments in Mähren, und das Abendmahl zu genießen. 

Erſt kam eine Reihe von Kriegsknechten, mit Lanzen be 
maffnet, dann bie Leibwache des Könige, blau gefeidet, mit 
blanfen Schwertern ; darunter viele Söhne edler, vaterländifcher 
Häufer. Ihnen folgten die Ebdellnaben und Hofbebienten, dann 


& . 


die Räthe in ihrer ſchwarzen Amtstracht. Knapp vor dem Könige 
ging der calirtinifhe Erzbiihof Rofycana, ein Mann nit 
groß von Geftalt, aber flattlich anzufehen und von würdiger 
Haltung. Seine Augen irrten ſchlau und unſtät umher, ein 
bitterer Zug fpielte um den Mund, und doch fah man es ben 
Mienen an, wie der mächtige Geift des Mannes dieſem leiden - 
ſchaftlichen Drängen in feiner Bruft auf feinem Antlig den Schein 
der Demuth. zu geben fich befrebte. Jet kam ber König, eine 
hohe träftige Geftalt, wohlthuend in ihrer Exfcheinung, frei und 
freundlich um fich blickend. Er mar koſtbar, doch nicht prunkend 
geffeibet. Man fah es in biefem Manne und feinem Tichtvollen, 
tätigen Weſen, daß er nicht nur als Regent, fondern auch ale 
Krieger zum Throne geboren fe. An feiner Seite ging bie 
Königin, eine flattliche Frau mit vielem Piehreiz im Gefihte. 
Zwei Jünglinge, mit derfelben Anmuth und Kräftigkeit wie ber 
König ausgeftattet,. folgten ihnen auf dem Fuße. Es waren des 
Königs Söhne, ‚Bictorin vom Podebrad und Heinrich von 
Münfterberg. Leibwachen und Trabanten folgten, das Volt drängte 
ſich Hinterdrein. 

Auf unfern Ritter hatte die Enqeinung des Königs einen 
mädtigen Eindrud gemadt. Das alfo war der Mann, fagte er 
zu fid) ſelbſt, dem er hafſen ſollte, dieh der Mann, gegen den 
Bapiften wie Calirtiner eiferten, der Mann, der es feiner Partei 
tedjt madjen Lonnte, der eigennäßiger Abfihten, unumfdränfter 
Herrſchſucht, des Thronraubes befuldigt wurde, von dem man 
fagte, er hätte beim Landtage feine Freunde unter die Wahlherren 
geſchickt und ihnen zuraunen laſſen: „Wählt den Podẽebrad, oder 
Ihr feid des Todes,“ der ſelbſt bewaffnet mit feinen Anhängern 
in bie Wahlverſammlung kam, das Schwert auf den Tiih warf 
und ansrief: „IH bin Begierig auf den neuen König!“ die 
berfelbe Mann, bem man fogar bie Vergiftung feines Vorgängers, 
des 17jährigen Ladislav L, Schuld gab! Und doch lag fo viel 


62 


biederer Ernſt mit Wohlwollen gepoart in feinen Mienen, fo viel 
freimüthige Offenheit, fo viel reiner Wille in den Augen. 

Bratislav fhüttelte mit dem Haupte und fagte zu fig: 
„3 Habe noch feinen König geiehen, und gerade fo hab’ ih 
mir doch einen rechten König der Böhmen gedacht. Sollte bies 
Mes nur trügen? Ich möchte nein! fagen, und doch muß ih 
erfahrenern Männern glauben.“ 

Da plöglih erinnerte er fi ber ohmmächtigen Jungfrau 
und raffte fi auf, um wo möglich noch bie Sänfte einzuholen. 
Zwar fielen ihm feines Oheims firenge Abſchiedsworte ein: „Hüte 
Did) vor der Liebe zum Weibe!“ doc er beſchwichtigte wieder 
fein Gewiflen, indem er fid) überrebete, jene Neugier nad der 
Unbelannten gelte nicht igrem Piebreiz, fondern nur der ſchuldigen 
Theilnahme für den Unfall, welchen er verurfacht zu haben ſchien. 

Aber jede Spur der Sänfte war in den weiten Räumen 
der Schloßhöfe verſchwunden, und feine Nachforſchungen bei eini- 
gen vor der Kirche ſtehenden Leuten, fo wie bei dem Sacriftauen, 
waren erfolglos. Nur fo viel war mad. der zierlih gebauten 
Sänfte und der flattlihen Tracht der Diener zu fchließen, daß 
die Jungfrau einem höhern Stande angehören müffe. 

Vratislav gedachte jet des Paters Eyriins, an welden fein 
zweiter Brief fautetete. Er fragte einen im die Kirche eilenden 
Pfaltariften nad; der Wohnung deſſelben. Finſter ſah ihm ber 
latholiſche Priefter eine Weile lang an, daun antwortete er barſch: 
„Im Teinhof werdet Ihr ihm finden, den —.“ Die legten 
Worte, vermuthlih Ausbrüde bes Jugrimms und Hafles, mur- 
melte er unverftändlih und ſchritt mad; der Gacriftei hin. 

Bratislan ging bie große Schlofftiege hinab nach der Brüde 
zu. Neue Wunder umgaben ihn Hier. Der faft vollendete Rie- 
fenbau. jenes gewölbten Steindammes lag vor ihm im feiner 
ganzen Breite und Ausdehnung. Menſchen, Wagen und Roſſe 
zogen in gedrängter Anzahl herüber und hinuber, und verloren 








fih, diefeit anf dem Häfgernen Gerüfte, welches zur Zeit mod; 
die mangelnden Pfeiler und Bogen, an welden gebaut wurde, 
agänzte. Am jenfeitigen Ufer erhob ſich ber ſchlanke, ſpitze Brüf- 
tenthurm, umd Hinter ihm die zahllofen Kuppeln und Xhürme 
der altftäbter und neufläbter Kirchen. Wie ein breiter See frömte 
die Moldau von Podol herab und umfchlang mit ihren Rieien- 
armen die grünenden Infeln in ihrer Mitte, und rauſchte an 
den lachenden Ufern Hin und verlor fid Hinter dem Bergrüden 
zur Linken in fanfter Krümmung. Hinter ihm lag rechts der 
waldbefänınte Saurenzberg, links ber majeſtätiſche Hraddin mit 
feiner Rieſenfronte. — Ringsum auf allen Straßen und Plätzen 
war ein Drängen und Treiben, ein Gemenge ber Trachten und 
Geftalten, daß es oft wirr wurde vor den Blicken des unerfah- 
men Zünglinge, der in feiner Eindde nur felten Menſchen ge- 
ehen. — 

Jetzt befand er fih anf dem altflädter Ringe — vor ihm 
{ag die ehrwürdige Teinkirche, erbaut im altgothifchen Style. An 
den beiden Thürmen, welche Georg von Podkbrad errichten Tief, 
murbe noch gebaut. Ueber dem Portale in hoher Niſche jah man 
des Könige vergolbetes Standbild, das Schwert in der reiten, 
den Kelch in der linken Hand, als ein Wahrzeichen, daß er mit 
gewaffneter Hand felbft das Sinnbild des Giaubene zu verthei- 
digen ftet8 bereit fei. 

Ein Kirchendienen wies dem Nitter nach dem anſtoßenden 
Teinhofe. Im zweiten Geſchofſe war des Cyrillus Zelle. 

Beſcheiden trat Bratislav Hinein. Ein alter Mann von 
hohem Wuchfe, fübernem Haupt- und Barthaar, im grauen Prie- 
fergewande ſaß am einem Tiſche Hinter Büchern und Pergamenen 
und ſchrieb. Er blidte zu dem Cintretenden nicht empor. Diefer 
näherte ſich grüßend und überreichte ihm fein Schreiben. Pater 
Cyrillus öffnete es, erhob fi raſch und flarrte jet dem Züng- 
fing mit feinen nachtſchwarzen funkelnden Augen eine geraume 


64 


Zeit an, dann rief er freudig bewegt mit wohlflingenber, Träftiger 
Stimme: „Ia, Du bif’s! — Ic fegne Di, mein Sohn, im 
Nomen Gottes, des Allmächtigen. Dies find Boleslav's Züge, 
dies feine Augen, dies jein Mund; fo babe ich ihn gefannt. 
Der Herr behüte und beſchirme Did, Jüngling, und er fei ge- 
priefen, daß er mir vergönnt Bat, im Sohne den Bater wieder 
zu fhauen. — Ia, bie Kämpfer des Lammes find noch nicht 
tobt; denn fie fenden uns nod aus ihren Gräbern ihre Kinder 
als Streiter fir die geheiligte Sache. — Meine alten Augen, 
der Thränen entwöhnt, füllen fi wieder mit dem feltenen Naß. 
Es gilt der freude, Dich zu fehen, der Du geboren wurdeſt 
am Tage unferer Schmach, unſers Unterganges. Du Kind der 
Schmerzen, Kind des Ungläds, werde ein Sohn ber Freude fort- 
an, bes Ruhmes und bes Glanzes.” 

Er legte ihm nad folder Begrüßung fegnend die Hände 
auf das Haupt und brüdte ihn väterlih an die Bruſt. 

„Was macht ber Oheim?“ fuhr der Priefter fort — „wie 
ift der Körper, wie die Seele? Stürmt es noch immer im.der 
eifenfeften Bruft, bie feine äußere, feine innere Welle erſchüttern 
tonnte? Der Bau wird wohl ſchon morſch fein, aber das Herz 
Schlägt Hod auf im gewaltigen Wollen.“ 

„Er bat mich nicht fern von den Thoren Prags verlaſſen,“ 
beſchied Vratislav, „er hat mic gefegnet und durch weifen Zu- 
ſpruch und edle Lehre ermahnt. Bon Euch ſoll id erfahren, 
welches mein Wirkungskreis forten fein wird. Ihr follt von num 
an mein Bater fein, mein Führer und mein Freund. Und Ihr 
werdet e8 fein, darum flehe ih. Ich will Euch ehren, Euch ge» 
horchen wie ein Sohn. Ich bin fo ganz allein in der Welt, 
bier in dem großen, fremden Leben darin. Hab’ ich ben Vater 
doch, ‚die Mutter nie gelannt — bin eine Waiſe! und das preßt 
mir oft wehmüthig die Bruft zufammen. Kennt’ ich das Grab 
der Geliebten, ich ging’ dahin, grüb' bie Erde auf und füßte 


65 


die morſchen Knochen und jubelte; bemm ich hätte dann doch 
etwas von meinen Eltern gefehen. Laßt mi Eure Hand füffen, 
Hohmwitrdiger, und genehmigt meine Bitte. Hat Eure Erſcheinung 
doch, Eure milde Rede mein Herz fo Bingezogem zu Euch, dab 
ih glaube, fo mäfle wiein Vater gefehen Haben, fo mild und 
freundlich, fo würdig und ernſt! Habt Ihr in biefem Augenblide 
do mein Gemüth fo mit Liebe erfüllt, daß mein Mund berebt 
worden if, der fonft jo ſtumm war und dem Worten nicht ger 
bieten fonntel” Ex prefite die Hand des Greiſes an ſeinen Mund 
und aı die thränenfenchten Augen. 

„Wie ich Di gern reden Höre!“ fuhr der Priefter fort; 
„8 find wie Klänge ans ber Heimath, befannte Töne — ot 
id) habe fie fon einmal vernommen. Ja, ih will Dir Bater * 
fein, Du mein herrlicher Sohn! — Wo Deine Eltern ruhen, 
fragt Du mi? Laß das — mein Kind, es verbüftert mir die 
Stunde. Wehe! Die Mutter fchläft dort, wo umfere Ehre, unfere 
Macht, unfer Glaube begraben liegt, zwifchen den Gebeinen der 
gemorbeten Brüder. Und ber Vater? Zweifaches Wehe! Wenn 
Du durch das altftädter Brüdenthor gehft, dann kehre Di um, 
blide empor über die Wölbung; dort fleden zahlreiche Todten ⸗ 
ſchãdel, weißgebleiht von Wind und Sonne, an Spiefen; einer 
davon ift Deines Waters Haupt: dies bedenke, wenn wir Deines 
Armes bedürfen zw kühner That. Wo fein Leib modert, weiß 
ih nit. Man Hat den Gerichteten keinen Grabflein geſetzt. — 
And) fo wie id bin, mußt Dir Dir den Bater nicht denten. 
IH war ein Ciferer mit dem Wort, er war's mit dem Schwerte. 
Sein Sinn wie feine That war raſch und heftig, die Blutarbeit 
fein Tagewerk, die Freiheit fein Leben. Seine Liebe zum Bater- 
lande war eine große, glühende Leidenſchaft. — Sprid, wie un 
ternahmt Ihr die Reife?“ 

„Der Oheim führte mich,“ erzählte ber Ritter, „flets bei 
Naht vorwärts. Am Tage ruhten wir. Gr vermied die voll 

derloßfohn: Der lebte Taborit. I. 5 


66 


zeichen ‚Städte und Tante die Fußpfade und Wege burd) die 
Bäder fehr gut. Er ging als Bauer gefleidet umd ſchien vor 
Entdedung beforgt zu jein.“ 

„Wohl mag er noch Grund dazu haben,“ fuhr der Priefter 
fort; „denn zwanzig Jahre felbft und mehr können den Glaubens- 
haß nicht töbten. Tief mag der Schmerz noch in feinem Innern 
nagen — er hat ja mit das Schredlichfte eriebt und gejehen. 
Prokop ber Große fiel von feiner Hand, wie er's befahl. Doch 
noch fchredficher endete Prokupel. Sie zerfleifcgten ihn mit hundert 
Streichen, doch töbteten fie ihm nicht ganz. Wie ein- anger 
ſchoſſener Rabe, den der Zäger vollends zu erſchlagen fi nicht 
die Mühe nimmt, verſchmachtete er auf freiem Felde. Wehe! 

" Wehe! Und bas haben umfere Brüder gethan! Und beim heiligen 
Gott! wir fochten doch für unfer Recht, für unfern wahren 
Glauben und unfere freiheit gegen die Abtrünnigen, gegen einen 
aufgebrungenen König. Wir fonnten bie vier Artikel nit an- 
nehmen; denn in ihnen, wie fie das Concilium gedreht und ver- 
daufulict, liegt ſchon der Keim des Todes für umfere religiöfe 
Selbſtſtändigkeit. Bleibt es fo,’ fo gibt es im zwei hundert 
Jahren keine caligtinifche Kirche mehr. — So aber foll es mit 
Gott, der uns ben Geift gab und die Weihe zur neuen Lehre, 
nicht werden, Wir find jet nur geduldet, und unſer Dafein ift 
bloß die Frift des Arztes, die er dem Kranken gibt vor feinem 
fihern Ende. Nicht eine Gemeinde, eine Secte follen wir forten 
bitden — fondern unſer Glaube foll der Glaube der Welt fein: 
uicht wir follen befviegt werben um des Glaubens willen, wir 
wollen beftiegen, und nah allen Landen Bin werben wir bie 
Apoftel fenben mit der Macht bes Wortes und des Schwertes, 
bamit Licht und Freiheit ein Gemeingut werde aller Böfter. Wir 
wollen uns und fie aus den Banden Roms befreien; die Hier- 
archie fol geſtürzt und die Lehre frei im aller Priefter Mund 
gegeben werden. Das Wort Gottes if für Jedermann, und 


67 


Jedermann ſoll Einfiht Haben nad; feinem Geifte und feinem 
Scharfſinn im die Heiligen Bücher. Kein Pfaffe fol fie mehr, 
deuten und verbrehen, ſoll die Kehren vom ewigen Regimeme 
ausdehnen auf das Irdiſche. Dem Priefter gehört das Jenſeits, 
ihm gziemt nicht, auf Erden herrſchen zu wollen. Er fei arm 
und habe nichts als das Evangelium; dieß fei fein Samenkorn 
und fein Pflug. Darum gefält mir der Rofyzana night. Er 
hat für dem König geprebigt, er Hat ihu durch des Volkes Mund 
auf den Thron geſetzt umd möchte jett ſelbſt gern König fein. 
Doch will mir’s feinen, als würde er. dem Könige ſchon jegt 
laſtig, und über ein Kleines wird nicht mehr vom Dante die 
Rede fein. — Rod; haben wir Kräfte und Stimmen, bie Schläf- 
tigen zu erweden. Wir wollen ihnen die Gefahr zeigen, die 
von beiden Seiten droht. Georg will Frieden haben und fügt 
fi auf die Nitter und die Stäbte; aber die Biſchöfe und die 
Herren treiben heimliche Meuterei gegen ihn. in Qunfe, und 
die Flamme ſchlägt auf. Es wird, es muß zwiſchen ihnen zum 
Rampfe kommen, zu einem blutigen Kampfe. "Wir ſtehen dann 
in der Mitte, neigen uns zum Könige bin, und ift der Sieg 
fein, dann verftärkt ihm. unfere Macht, dod nur zu unfern 
Zweden. Das Evangelium umd die Freiheit hat der Herr für 
Ale gegeben: für die Hohen, wie für die Nieberen; und weil 
durch unfere Lehre von Gleichſtellung der Rechte, von Bruderliebe, 
von Bertheilung der Güter ber gemeine Mann frei werden folk, 
fo zittern und winden ſich die Herren und die Priefter. Es 
Handelt fich bei ihnen nur um die irbifchen Güter, nicht um 
gleiches Licht und gleiche Wärme für die Welt. Kein Kreuzheer 
fol fortan nach Böhmen kommen, wohl aber wollen wir Heere 
von Kelchnern nad) Deutſchland fenden und ringsum Hin, wo 
man unfern Waffenrufm kennt, um dort die reine Lehre zu ver- 
kündigen. — Du wirft Männer kennen lernen, Mitglieder eines 
geheimen Bundes, gleigefinnt wie ih. Sie fiehen am Throne, 








68 


in der Werkftatt, in der Zelle: überall — fie wirken im Stillen 
für den großen Tag der Auferflehung, für die Wiederkehr des 
alten Ruhmes. — In dem Haufe des Edlen von Zeöwic twirft 
Du eine freundliche, gaffihe Aufnahme finden; er wird Dir ein 
zweiter Bater, feine Kinder Dir” Gefchwifter -jein. In feinen 
Händen find Deine Schäge, mein Sohn; denn Du bift nicht 
arm. Er hat fie redlich verwaltet. Er wird Did im die 
Nähe des Könige bringen; doch traue diefem nicht zu viel — 
laß Dein arglos-findifhes Gemüth nicht geblendet werden durch 
fo manden Zug von Edelmuth und Größe Er if nur halb 
unfer Mann, und wäre die katholiſche Partei ftärfer denn umfere, 
er würbe eben fo leicht papiſtiſcher König. Vorerſt beſuche die 
hohe Schule hier; es gibt noch einige Männer, die im Sinne 
des Johannes und des Hieronymus ehren. Iſt's auch nicht 
diefelbe Kraft, fo ift der Wille doch gut. Bilde Dich nad dieſen. 
— € wird eine Zeit fommen, wo Du Deinen geſchändeten 
Namen frei wirft nennen können, ohne zu erröthen, wo Du ftolz 
auf ihn wirft fein; eine Zeit, wo man jene Todtenſchädel auf 
dem Brüdenthurme mit Feierlichkeiten und heißen Thränen zur 
Erde beftatten wird. Wille Gott, if fie nicht mehr fern.” 

„D möge fie bald nahen,“ rief fromm bewegt der Jüng ⸗ 
ling, „und weniger blutig als bie Vergangenheit! So mancher 
unferer Brüder wird verſchmachten müſſen an bittern Zubes- 
wunden, ehe e8 eine Gemeinde geben wird.“ 

„Laß fie verbluten!“ unterbrach ihn der Priefter mit Feuer; 
„nur duch die Bluttaufe werden fie gereinigt und gehen ein 
in's höhere Leben. Wer ein Feind der guten Sache ifi, dem 
wäre beffer, er wäre mie geboren. Wer nicht bei uns fteht, der 
ift gegen une. Wer da ſchwankt zwiſchen beiden Parteien, ift 
ein Berräther; denn wie das Glüd fich wendet, ſchwört er bald 
diefer, bald jener Treue. — Raffe Di auf, mein Sohn, zu 
der Stärke, bie fein Opfer ſcheut. Ueber Dornen muß bie 


Li} 


Menfhheit, wie der Einzelne zum ſchönen Ziele Mimmen. Wer 
Segen bringen will in feiner Zeit, muß durch ein Jammerthal 
pilgern, muß die Wunden nit achten, die fie ihm fchlagen ftatt 
des Lohnes. Wär doch das Lehen’ des Lebens nicht werth, 
wenn 8 fein Ienfeits gäbe, wenn nicht nad uns noch Ge— 
ſchlechter kämen, unfere Erben, die da ernten müflen, was wir 
gefäet, und von Neuem ſäen. — Yet leb' wohl, mein Sohn! 
Mid ruft der Dienft in die Kirche. Komm oft, fomm bald 
wieder; ich will im Namen Gottes mit meinen ſchwachen Kräften 
Dir Freund und Führer fein.“ 

Bratislav trennte fi tief bewegt von dem Greife. „Welch' 
ein jeltfamer Mann!” fagte er fi, „fo voll Liebe und Milde, 
und doch wieder voll Feuereifers, ein Krieger uub ein Priefter, 
Einer, der Wunden Heilt und ſchlägt. Wie ganz anders ale mein 
Ohm, der ewig bäftte, ewig menſchenfeindliche Mann, der nur zer» 
Rören will! Wohl will jener auch zerflören, aber auch einen 
neuen Tempel bauen auf den Trümmern bes beſtandenen. Wäre 
die Welt überall voll Liebe — es bebürfte des Zerſtörens nicht, 
fo fagt es mir mein ſchlichter Sinn. DO! ich könnte fie fieben, 
aber ih muß fie Haffen; fie Haben mir Wunden gefchlagen, ehe 
ih noch war, fie Haben meinen Namen gebrandmarkt, ba ich ihn 
faum noch führte, fie haben mid; ausgeſtoßen aus ihren KXreifen, 
ehe ich fie mod; betrat. Wo ift meine Verlaſſenſchaft, auf bie 
id meine Anfprüde gründen fönnte, wo ift ber Rame, wo ift 
der Mann, den id als Bürgen meiner Ehre, meiner Reinheit 
nennen könnte ? Dort anf jenem roſtigen Pfahle ber bleiche Tob- 
tmidjäbel, gleidjviel. welcher, — ber if’e." 

Er ging voll trüber Gedanken nad der Meinen Seite Hin- 
ber. — 


70 


6. 


Bratislav fand im Haufe des Edleu von Zedwic eine 
freundliche Aufnahme. Der Ritter felbft, ein bejahrter Mann, 
der and in jener Schlacht mit gefodhten, aber nicht nad) Zion 
geflüchtet, fpäter freigefprogen und in den Beſitz feiner Güter 
gefett worden war, ſchien das Wohlwollen felbft, und übertrug 
im Augenblide die Liebe, die er zu dem verftorbenen Water hegte, 
auf den Sohn. Seine Kinder, ein Sohn von zwanzig, eine 
Tochter von achtzehn Jahren, glichen dem Bater an Herzensgüte 
und reinem Sinn. Schon nad wenigen Tagen fühlte ſich Bra- 
tislav Hier heimiſch wie im Baterhaufe, von dem ihm feine Ein- 
bifdungskeaft ein liebliches Bildniß malte. 

Nilla®, der jüngere Zedwic, wurde ſchon in den erſten 
Stunden Vratislav's Freund. Mehr heiter und freudiger in das 
Leben blidend, ſuchte er Vratislav's düftern Sinn aud dorthin 
zu lenken, wo die Zukunft ein helleres Morgenroth verſprach, 
und Elifa, feine Schwefter, glich einem lächelnden Morgenhimmel, 
der im feiner Anmuth Alles freudig beftrahlt und fo zum heiter« 
fen Kroßftnn einladet. Sie war nit groß von Geftalt, nicht 
von ungewöhnlicher Schönheit, aber in ben brnunen Augen, ben 
lets lächelnden Mienen lag eine rebliche, offene Zärtlichleit für 
jeden Menfchen, der ihr gut ſchien. Sie konnte nicht haffen. 

Schon am erfien Tage Hatte fie auch die bruderliche Zu- 
neigung Vratislav's in dem Grade gewonnen, daß er zu Riffs 
fagte: „Ich beneide Dich um Deine Schwefter — ich wollte, id) 
wäre ihr Bruder. Zwar würde mich ihre frohe Laune, ihr une 
ftäter Sinn oft verlegen, aber id; würde ihr doch ſtets wieder 
gut fein. Es würde mir frommen, wenn mandje Wolle, die 
mir fo büfter erſcheint, zuweilen von einem mildern Lichte anger 
ſtrahlt würbe.“ 





71 


„Das liegt nur an Dir,” verſetzte Nillas; „habe dem feſten 
Vorſatz, fröhlich mit dem Froöhlichen zu fein, nnd Du wirft es 
fein. Kommen büftre Stunden, fo werd’ es erft dann, wenn fie 
Dir begegnen.“ 

„IH Tann es nicht,“ war Vratislav's Antwort; „den an 
meine Jugend, ben? an mein Schichſſal zurüd. DO, Du kennft 
noch nit Alles! Wie ließe fi aud folder Eindrud raſch ver- 
wifhen I" 

„Und dennoch,“ fuhr Niklas fort, „ſcheinn Du mir zum 
Frohſinn geſchaffen. So hat Dich; die derſchiedene Gemüthsart 
meiner Schwefter angezogen, ftatt abzuftoßen, und id; würde ger 
rade an meiner Geliebten einen Theil beffen Ioben, was ih an 
Dir tadle.“ J 

Ein lautes Geſchrei, welches ſich unten im Hofe erhob, 
ftörte ihre Unterredung. Ein fremder Mann mit roher Sprache 
fritt mit dem Kaftellan. 

„Ih muß hinauf zu meinem Herrn,“ ſchrie er, „er if 
mein Here! Mad” mich nicht wild, Du kahlgeſchorner Hafel 
Solche Geichöpfe, wie Du, hab’ ich im Kriege zu Dutzenden ge- 
fpießt. Haft Du nicht Mefpeet vor einem ergranten Gtreiter des 
Keldjes 70 

Bratislav erfannte jegt dem alten Sufol, mit weldem er 
am Tage zuvor Belanntfchaft gemacht. Er beſchied ihn mit des 
Kitters Eriaubniß hinauf. 

Der Kriegsknecht trat polternd in die Thüre, daß der Fuß ⸗ 
boden drößmte; er war in feiner gefirigen unanfehnfichen Tracht, 
und trug ein Bündel verfdiedenartiger Waffen unter dem Arme, 

„Verzeiht, ebfe Herren,“ fagte er, „daß ich nicht fo zierlich 
onftrete umb leiſe vede und kichere, wie bie ſchlanken Tagediebe, 
Enre_ Diener, die ich auf der Treppe und im Hofe gefunden. 
Ich bin Einer, der's Schlachthandwert getrieben, fo zu fagen ein 








Schlädter, der jest auf feine alten Tage fi an die Kette legen 
will, bis es draußen wieder losgeht. Ich Habe unfre Tänze bei 
Mies und Taus mitgemacht, und mehr dergleihen,; aud den 
bei Hrib — der Herr verdamme mich! — da Hatte id} feine 
Gelegenheit, feine Hoffitten zu lernen. Wenn's aber fein muß, 
will ich's noch zu fernen traten auf meine alten Tage und 
wie ein alter Bär das Tanzen lernen. — Der junge Ritter 
dort,“ fuhr er fort und deutete auf Vratislav — „hat mir geftern 
zugefagt, mid; anzumerben, wenn's ginge. Und da komm’ id) 
denn mit meinem Reichtum bier, mit al meinem Hansrath und 
Berlafienfhaft, umd frage nochmals an; 's find zwar feine koft- 
baren, aber recht tüchtige, vecht ſchätzbare Waffen da. Es waren 
Euch kräftige, widerſpenſtige Kerle, die fi) brav wehrten, demen 
ih fie abnafm. Sie mußten Alle in’s Gras beißen. IH nahm 
Jedem mur ein Stüd ab, went ic; ihnen den Garaus machte, 
und fagte ganz Höflih: Lieber Feind und papiſtiſcher Hundl da 
Du nun einmal fterben mußt umd Deine Bertvandten nicht zu- 
gegen find, fo fege Du mid zum Erben ein; Dir nutzt das 
Zeug nichts mehr, und ih Tann es brauden. Sie thaten's auch 
immer gutwillig, und Keiner wiberfprad mit einem Worte; denn 
fie Hatten auch ‚keine Luft mehr in det Kehle. — Seht, jo wurde 
id ein reicher Mann. Die Waffen Hab’ id; nun überall mitge- 
ſchleppt; fie find zugleich meine Kriegsgeſchichte. Ich hab’ im 
deutſchen Reihe draußen, wo ich herumzog, einzelne Geſchichten 
davon ben Leuten beim Weinkruge erzählt. Sie betrachteten mich 
wie ein Wunderthier da, wo fie noch feinen Huſſiten geichen 
hatten, und die Buben auf den Straßen fangen gar bald Fieber 
von mir und meinen eroberten, wollte fagen: ‚ererbten Waffen. 
Und die deutſchen Weiber hatten gar eine hohe Ehrfurcht vor 
mir — fie gebaren zu frühzeitig, wenn fie mich fahen; ſolchen 
Refpect hat der Böhme im Ausland.” 

„Der Mann gefällt mir,” fagte Bratielan zu dem Altern 





Zeiwic — „fo Ihr's genehmigt, nehme ich ihm als meinen 
Diener an.” 

„Ein alter Krieger,“ verfeßte der Ritter, „ein Krieger des 
Kelhes noch dazu, ein Sprößling jener Zeit if uns willlommen 
und wird von ns geehrt. Thut, wie Euch beliebt.“ Er wandte 
fi jeßt zu Sutol und fagte: „Mein edler Better bier nimmt - 
Did zum Kappen an — für Treue und Reblichleit wird Dir 
Liebe und. Adtung werden. Bergiß zuweilen aber nit, daß 
dies Hans fein Schlachtfeld, umd daß Di jegt Deinen Herm 
Tieben und ihm gehorden mußt, wenn Du fonft todtſchlagen 
durfteſt. Wir haben Frieden und müffen alſo friedlich. fein. Auch 
ich focht unter derjelben Fahne wie Di. — Meine Diener wer- 
den freilich wicht anders werden, und Du mußt Did alfo mit 
ihnen vertragen, wenn Du bleiben willſt. Nicht Jeder laun da» 

+ für, daß er nit mit war in den Schlachten. Dazu gehören 
nur die Muthigen, Auserlefenen. Jetzt geh’ hinab in die Gefin- 
defiube, leg’ Deine Waffenfomminng ab und forge für eine Klei« 
dung, bie Deines neuen Herrn würdig if. Sobald die Roffe 
vom Markte kommen, fannft Du zeigen, ob Du ihrer Wartung 
tandig biR.” ° 

mHabt Dank, meine Herren,“ entgegnete der alte Krieger; 
„8 if doch gleich etwas Andres, mit Herren zu fpredien, bie 
den Krieg geiehen haben und ihn lieben. Ihr follt mit mir zur 
frieden fein und mir nicht umfonft das Gnadenbrod geben, wie 
einem alten Gaul. Wil mid, fhon vertragen mit. Euren Die 
nern; es find ja im Grunde auch Glaubensbrüder und feine 
Deutſchen. Wären’s folge — dan freilich Münd’ ich nicht für 
mid." — 

Er entfernte fig. — Kaum mar er fort, fo ſchlug Eliſa 
ein lantes Gelachter auf. „Rein,. Ritter,“ fagte fie, „Ihr habt 
Euch da einen ſchönen Bären angeſchafft! Nehmt mir's nicht 
übel, aber er paßt ganz für End, beſonders wenn Ihr fo recht 








74 


finfer und grämfih vor Euch hinſtarrt. Wenn Ihr ausgehen 
wollt, um zu freien, fo müßt Ihr den mitnehmen; dann könnt 
Ihr fiher fein, daß alle Mädchen vor End; davon laufen.” 

Bratislav erröthete und fagte flotternd: „Dann gerade wird 
er mir die beſten Dienfte Leiften.“ . 

„So ?!“ entgegnete Eliſa gedehnt, „das war wenig verbind- 
lich; das fol aber gerächt werden. Freilich) von mir nicht, denn 
dazu bin ich zu umbebentend; aber ich kenne mande Andere, der 
€8 twohl gelingen dürfte, dieſen flarren Sinn zu beugen.“ 

Die Thure öffnete fich bei dieſen Worten, ein Page trat 
bor und machte einer Dame in Trauer Plag, die eben eintrat. 
„Milada!“ rief jegt Eliſa und wollte dem Fräulein entgegenſtür- 
zen — als diefe zurüdbebte, fid) mit. der Hand auf den Edel- 
knaben ftügte und ausrief: „Heiliger- Gott! auch hier fein Geift 
— fein Geil“ 

Bratislav erſchrat — es war die Dame, melde er vor 
einigen Tagen in ber Schloßlicdhe gefehen Hatte. 

BVeftürgt mäherte fih der Jungfrau die von Zeswie und 
beftürmte fie mit Fragen über ihren plößlihen Schreden. Man 
geleitete fie mad) einem Geffel; "fie erholte fi, fie ſchlug bie 
Augen auf, blicte aber nicht nad) dem Fenſter Hin, wo Bratislav 
regungslos fland. 

„Berzeißt bie Störung,“ Hub endlich das fremde Fräufein 
leiſe und mit füßer, feelenvoller Stimme an — „wer ift ber 
fremde Ritter dort? Zum zweiten Male erfdeint er mir — 
diefe Aehnlichkeit mit meinem todten Bruder hat mich erfchüttert. 
So ſah Heinrih aus — als er ſtarb. Ich glaubte feinen Geift 
zu fehen. In der Schloßkirche war es zum erſten Male; ich ge- 
dachte des geliebten Todten — ba erblidte id; jenes Antlig — 
die Ueberraf ung, der Schreden machte mid; ohnmädtig. Zürnt 
mir nit — iſt mein Schmerz; um den ‚geliebten Bruder doch 
nod zu jung! —“ 


75 


„fo ſchon Betanntſchaft gemacht !“ wandte fi) life 
fähelnd zu Vratislav — „das nenn’ ich vafdh fein. — Kommt 
näher, ſtummer Ritter, damit das Fräulein ſich Aberzengt, daß Ihr 
fein Geift — weit eher ein Mann von Erz feib.“ 

„Fräulein — id} flelle Euch unfern Better, den Edlen Bra» 
tislav von Branif, vor,“ nahm der alte Zeöwic das Wort, „und 
das Fräulein, welches Ihr erſchrect habt, Neffe, ift die edle Mir 
lada von Dubnic, unferm Haufe vielfach befreundet.” 

„Freund Bratislav,” ſcherzte Elifa, „da Euch meine geliebte 
Freundin ihrem fefigen Bruder fo ähnlich findet, fo ſteht Ihr 
fon mit Vortheil in ihrer Gunſt.“ 

Gähender Purpur färbte bei dieſen nedenden Worten Mi- 
la da's Wangen, und auch Bratielav’s Antlig wurde roſig an- 
gebaut. Er faßte fi und richtete folgende Worte an das 
Fräulein: „Verzeiht mir, daß ich Euch erſchredt Habe. Ich dürfte 
werig Hoffnung für das Leben und die Huld ber Menſchen 
ſchöpfen, wenn fon mein Aeußeres fo flörend wirkt. Den Todten 
beneide ih — ihm muß viel Liebe zu Theil geworden fein, ba 
Ihr fein Bild fo lebhaft in dem Augen tragt.” 

„Du ſiehſt, Freundin,“ fiel Eliſa ein, „der bleihe Fremd - 
fing Tann auch artig fein und ſchmeicheln, obgleich er's vor 
einee Weile gegen mid; nicht in dem Maße war. Doc 
hatte ich Recht, als ic fagte: es müßten andere Helbinnen 
fein, dieſe ſteinerne Bruft zu rühren, als id. — Run aber 
komm’, Milada, in den Garten — Du bift angegriffen, Du 
mußt in die frifhe Luft. Ich will Dir auch alle meine Blumen 
zeigen, die feitbem aufgeblüht find. Der Bater hat mir, wie 
Du weißt, von dem beutfhen ‚Kaufmann Holländiihe Tulpen ge- 
fanft — ad), die ſind berefich aufgegangen! — Und Ihr, Ritter,“ 
wandte fie fi zu Bratislav, „könnt fpäter folgen, vorausgeſetzt, 
daß Ihr fein artig feib und uns nicht erihredt. Ich fage: 


76 


erſt fpäter, denn früher Haben wir dod noch einige @e- 
Heimniffe zu befprechen.“ 

Sie entfernten ſich nad) biefen Worten; bie Ritter blieben 
allein. . 

„Milada von Dubnic,“ wiederholte Vratislav aufgeregt — 
alfo doch eine Papiftin? 1" . 

„So if’8,” antwortete der ältere Zedwic, „das Ediet fchreibt 
uns, wie ben Katholiken, Duldung vor — wir üben fie, unbeſorgt, 
ob fie von jener Seite auch geboten wird. Mit biefem Beiſpiel 
ziemt es uns ben niebern- Ständen voranzugehen; fo erliſcht der” 
Haß allmälig, und Liebe und Vertrauen kömmt wieder unter 
die Menſchen.“ 

„Und biefe Papiſtin,“ ‚bemerkte Niklas; „beim heiligen Gott! 
wären alle Menfchen fol’ reinen, edlen, frommen Sinnes — 
mir brauchten zur irdiſchen Wohlfahrt nicht einmal des Chriften- 
thums: denn die Welt wäre dann vol Liebe, voll Frieden und 
Berföhnung. - Du mußt nicht fo hart fein, Bruder; Du mußt 
den Namen nit, Du mußt den Menſchen nur Haflen, wenn er 
es verdient.” 

„Aber fie Haben uns Wunden geſchlagen,“ gegenrebete Bra- 
tislav, wo wir nur Licht und freiheit haben wollten; fie Haben 
unſre Glaubenshelden, deren Herz voll von Liebe und Duldung 
war, in bie Flammen geworfen; fie finnen nod jet auf unſre 
Bertilgung und predigen mit frechem Hohne: es fei verdienſtlicher 
amd Gott gefälliger, gegen uns, bie Ketzer, einen Kreuzzug zu 
thun, als gegen bie blutdürſtigen Mahomebaner, die das Kreuz 
von Konftentinopels Zinnen herabgeftürzt Haben. So hab’ ich's 
ſelbſt gehört.“ 

„Bon Pfaffen, ja,“ beiehrte ber ältere Zeöwic; „es ift der 
Wiederhall aus Rom. Und follte es von da anders fommen? 
Die heilige Schrift aber fagt: Liebet, die euch haſſen, thut denen 
wohl, die euch verfolgen ! Und daran mollen wir bangen, nicht 





77 


daran, was ber Priefter fanatif er Mund lehrt. — Auch wir, 
mein Freund, haben, in den biutigen Religionskriegen nicht immer 
das Maß gehalten, nicht immer Schonung geübt und den Weizen 
von dem Unkraut gefondert. Schweigen wir lieber davon. Es 
war ein Glaubenskrieg, und der ift ber ſchreclichſte, wie wir 
ſelbſt erfahren Haben. — Doch von was Andrem!* unterbrach 
er ſich — „warum immer diefen ernften Gegenftand? Die Welt 
ſtrebt vorwärts; warum wählen wir bie Gräber der Bergangen- 
Seit auf, um unſre Leidenfchaften gegen einander anzufahen? — 
Ich folge den Damen — kommt denn aud hinab und lernt die 
ſchone Papiſtin näher kennen.“ 

Er ging. Bratislav ſtand im Fenſter und folgte unwill- 
tührlich mit den Blicken jenem ſchwarzen Schleier, der von Zeit 
zu Zeit ans ben Blüthengebüfhen umd Zweigen hervorglänzte. 
Es jchien ihm mandmal, als ob fie abfihtlidh ſehen bliebe, bier 
und dort eine Blume betraditete, ſtets nach der Richtung gegen 
das Haus Hingewendet, und flüchtig das Auge über das Feufter 
gleiten ließe. Diefer Bid — es war nicht mehr der flarre, der 
einen Geift, einen Bewohner des Grabes zu fehen glanbte — 
durchſchauerte den Ritter fo, daf er hörbar fenfzte. 

„Se. länger ich Dich betrachte,“ begann nad einer Weile 
Niklas, „um defto mehr finde ih die Aehnlichteit mit Milada's 
Bruder aus Deinem Angefihte Heraus. Ja — fo konnte ihre 
aufgereizte Einbilbungsfraft leicht getänfcht werden. — Ich wollte 
Dir's vergönnen, wenn aus dem Ebenbild des Bruders ein Ger 
fiebter würde, — Diefe koſtbare Perle ift wert" — 

„Um Gotteswillen!“ unterbrach ihn Bratislan heftig — „ih 
— eine Papifiin! Heiliger . Himmel! — was fpriäft Du! Du 
tennft meinen Schwur nicht.“ 

„Sie if} reich an zeitlichen Gütern,“ fuhr Nitlas fort, ohne 
die Ausrufungen des Freuudes zu beachten, „doch nod reicher 
an Gütern der Seele: von edlem Sinn, von klarem Geifte und 


78 


engelreinen Sitten. Die Arme bat viel des Schmerzes erfahren, 
fo jung fie if. Das Unglüd ſucht die beften Mengen am 
liebften heim; fie find feine Lieblingsliuder. Den Bater verlor 
fie früh — dann folgte die Mutter; vor wenig Wochen ftieg auch 
der Bruder in das Grab. So ſteht fie mun- allein, bioß in der 
Obhut einer alten Muhme. — Das zarte Mädchen Hat alles 
Dies mit Kriftlich-frommen, demüthigem Sinne ertragen und 
haßt die Welt dod nicht, fieht fie gleich liebend an, ehrt das 
Walten des Geſchickes und liebt Lebende fo wie Todte — ohne 
Unterſchied der Confeſſion. Das nenn’ ih mir einen Glauben! 
Und wie gefält Dir ihr Aeuferes?_ Wohl felten wird folder 
Liebreiz, folhe Wohlgeftalt gefunden. Bei Sanct Venzeslan | 
wenn fie nicht fGon fo lange bie Freundin meiner Schwefter 
und faft wie meine Schwefter, und wenn fie eine frembdere, neue 
Erſcheinung wäre, id könnte fie felbft lieben und ſchwärmen wie 
eine Nachtigall. Doch ich fehe, Du bift ſtumm, ich langweile 
Did. — Komm mit in den Garten.“ . 


72. 


Der König Georg ſaß im traulichen Cabinete mit ſeinen 
beiden Söhnen, dem Biſchof Rokyeana und dem Rathe Schlid. 
Er überließ ſich mit diefen ihm naheftehenden Perfonen, wenn 
nicht gerade Verhandlungen -über Staatsangelegenheiten, fo doch 
einem vertrauten Geſpräche. Der Ernſt der Zeit erheiſchte ftets 
Geiſtesgegeuwart, Gefaftheit und einen ſichern Weberblid der Er- 
eigniffe. 

„Hat ſich Fautinus de Valle eines Beſſern befonnen,” fragte 
der König, „und wird er nachgerade lernen, wie man mit einem 
König ſpricht ?* 





79 


„Ih glaube kaum,“ erwiederte lächelnd Rofycana ; „ein pa⸗ 
piſtiſcher Kopf iſt widerſpenſtig und bie Prieſterherrſchaft das 
Palladium, um welches Rom auf Tod und Leben kämpfen muß.“ 

„Bewahre nur der Himmel,“ entgegnete der König, „unſre 
gereinte Kirde vor ſolchem brandigen Auswuchs! Der Priefter 
herrſche in Glaubensſachen und mit in weltlichen; fein Amt ift 
nicht von dieſer Welt.” 

„Du mißdenteft es vielleicht,” bemerkte Rotyzana ſcharf; 
„wicht Herrfcher fei der Prieſter, doch treuer Rathgeber kann er 
immer fein. Wie feine Einſichten durch .die Heiligen Bücher ge- 
heiligt und gereinet werden, fo kann davon Vieles paffen auf die 
Berhältniffe des Lebens.“ 

„Dabei bleibt feiner ftehen, mein Freund“ bemerkte der 
König. „Des Unheile wäre nicht Halb fo viel im der Melt ge- 
ſchehen, wäret Ihr in. Euren Tempeln geblieben und ließet bie 
Könige walten auf den Throne. Es war ſchon im Heiden- 
thume fo. Unglüdfelige Halbheit! Sie langen mit einer Haud 
in den Himmel, Hammern aber die andre feft an die Erde und 
ihre Güter, wollen mitten inne flehen, aber oben wie unten ge- 
bieten, falten und walten lönnen. — Was gibt es weiter 
Neues 2" " B 

" „Der alte Zeöwic,” nahm Bictorin, der Sohn des Königs, 
das Wort, „war bei mir. Er bittet, morgen vorgelaffen zu 
werden, um einen Neffen, einen jungen Ritter von Branik, 
Dir vorzuftellen. Der junge Mann ifi vo edler Gefinnung, doch 
fireng taboritiſch.“ 

„Nie in der Mitte, auf. der breiten Fahrſtraße ber Er- 
fahrung,“ bemerkte der König, „bleibt die Jugend. Sie fängt 
mit glühender Liebe, ober bitterem Kaffe an. Was will man 
von une, was von mir? Es iſt Friede; ruhig neben einander 
Tonnen die Parteien walten, ſich ihres Lebens freuen, die Wunden 
Heilen, die der Krieg geſchlagen: was will man mehr? Tadelt 








80 


man mid, daß ich die Krone genommen? Das Baterland fand 
am Rande eines Abgrunds — ber ſchreclichſte Bürgerkrieg war 
fein gewifjes Los — erhoben. ſchon waren die Schwerter; ber 
Kuifer lanerte, und Böhmen war für ewig eine deutſche Provinz. 
— Es bedurfte alfo eines Mittelpunktes; der ward ich, mud feit« 
dem if Ruhe in Böhmen; jo es Gott gefällt und meinem Arm 
gelingt, fehen wir den Tagen feines Glanzes wieder freudig ent- 
gegen. Mähren hab’ ich unterworfen — Sternberg hat die Laufitz 
und Roſenberg Schlefien befegt; biefe Lande find wieber mit 
un vereint. Der Kaifer ift beruhigt. Ich weiß es genau, dab 
er zu meinem Erb- und Erzfeind, dem Papſt, Worte ber Ver - 
f6 mung, der Berufigung gefproden Hat.“ — 

Der römische Drache” — äuferte Heinrih von Münfter- 
berg, „ann fi alfo immer noch nicht beruhigen.“ 

„3% war zu mild,“ fuhr der König fort, „zu fchonend 
verfuhr ich fonft, und Hab’ es num zu bereuen. Diefen Aeneas 
Sylvius Tonnte ich erflidden, da er noch eine junge Schlange war 
— jegt ift fie viefengroß geworden. Ich kenne fein unfeliges 
Walten — er und der Eilleyer Graf verwalteten Ladislav's Reiche. 
Gott ſei's geklagt! — fie haben mehr auf dem Gewiffen, als 
ein Menſch billig tragen fann. Diefen hat die Strafe erreicht, 
und Aeneas hat fi bis zum heiligen Stuhl empor. gelogen, 
empor geſchwindelt.“ 

„Pius damnavit, quod Aeneas amavit,“ führte Ro- 
fycana an. — „Der Aeneas war ein andrer Mann; ein andrer 
ift er jetzt als Papft Pins der Zweite.“ 

„Und die Eoncordaten verdammt er jet,“ fprach ber König, 
„u denen er vordem gerathen Hatte. Zweizüngig wie ein ſchlechtes 
Weib iſt Roms Prieſterherrſchaft. Kann ih fie denn aufheben, 
wie er will, ohne den Bürgerkrieg, einen deutſchen, ja vielleicht 
einen Weltkrieg zu entflammen ? Unfre Väter und Brüder haben 
fie redlih durch Ströme Bluts erworben, ich foll ihnen num 





8 


deu Xeih, bie vefigiöfe Freiheit nehmen, gewaltfam mehmen? 

Werd' ich fie nicht erbittern, aufwiegeln gegen ben Thron, wie 
gegen- die Matholiten? Und ber Lebieren Uebermmuth möchte ich 
dann fehen! Run, das Eine wollen fie freilich; demm der Car 
figtiner if} ihnen, was ber Igel im Neſte des Dachſes. Ih 
hab' das Alles dem Papfte vorgeſtellt; ſtatt das Eine, Nothwen - 
dige einzufehen, wurde er nur noch mehr erzürmt: Man fagt 
vom harten böhmifchen Kopfe gewöhnlich, er fei ſchwer zugänglich 
bei einer vorgefaßten Meinung. Nun, beim Beifigen Gott! der 
Raliener Hat einen Schädel, der Funken geben muß, ſchlägt man 
mit dem Stahl daran.“ 

„Die Pilgner und die Budweiſer,“ nahm jegt Schlid das 
Wort, der mehrere eingegangene Brieffhaften vorlegte, „treiben 
es gar zu arg im ihrer freiheit. Erlaube, Hoheit, daß id Dir 
Bericht erfiatte. Sie werden aufgehegt duch bie Prieſter und 
Einige vom Herrenftande. Nach jedem Gottesbienfte verlöſchen fie 
die Kerzen und fchreien, zur Erde miedergeworfen: König Georg 
iſt ein Ketzer, ift eim Thronräuber! Und darnach fingen fie das 
Miserere.“ 

„Ih muß es dulden,“ fagte der König lächelnd; „men 
ih fie züchtige, werd’ ich fie auch beſſern? Ich kenne fie wohl, 
die Hohen Standesherren, die mir ſolche Suppe kochen. Sie 
gingen mit den Pfaffen ftets Hand in Hand. Was gilt? Ich 
ehe feft, die Ritterſchaft zur Seite, die Stäbte meine Bollwerke, 
den Glauben und die gute Sade in der Bruſt — geftüßt, ge» 
liebt von treuen Freunden! Warum fol ich da nicht feft fliehen, 
kräftig ausharren wie ein Mann? Den Ottolar, dem hetsten fie 
wie einen Löwen. Er blieb ein Löwe; nur das Unglück ſchlug 
ihn darnieder, als es riefengroß herangeſchritten kam. Und der 
Mord! — Gegen den Mord iſt Keiner geſchützt. Ich weiß es, 
daß einige glaubenswüthige Calirtiner wie Katholilen nach meinem 
Leben ſtreben, als hinge daran ihr künftig Heil. Weil ich fie 

Herloßfohn: Der lebte Taborit. I. 6 


zugle, daß fie nicht über einander herfallen und ſich ohne 
zerfleifchen — Haflen fie mid. "Gerade wie bie 
man fie wit zw den MMühlrädern gehen laſſen will! 
und Grauen madjt mir mein Feind zu Rom — benn der ſtirbt 
wit — fein Haß erbt fort. 8: wird mir und Die Ratdam 
fo über den Hals hetzen, daß ich bald von biefer; bald vom jener 
Thfre die unhöflich Anpochenden werde zurückmeiſen wmiüffen. 
Keine Nachricht aus Ungarn von meinem Schwiegerſohn Matthias ? 
Da foll der Szilagyi, fein Oheim, ſcheel fehen zur Heirath mit 
unferer Tochter! Sie ſprechen ſogar von einem erſchlichenen Hei - 
tathevertrage. Wie ſchlecht und falſch die Welt if! An lem 
mätelt fie.nnd fprigt auf dem reinften Gpiegel einen Flecken 
Sqhmutz, damit er ja nur nicht tadellos je. Den Matthias 
von Hunyady hat mein Arm, der Böhmen Kraft, ihr fefter, be 
formener Wille auf Ungarns Thron gefegt., Mit Ungarn vereint 
und verbündet, köunte Böhmen allen Nachbarn trogen; aber da 
tommt wieder der leidige Nationalhaß, an dem die Völfer nicht, 
wohl aber die ſchlechten Herrſcher ſchuldig find. Der Matthias 
ift ein Fühner Feuergeift, zum König geboren, voll Kraft und Ein- 
fit. Aber er iſt auch händelſuchtig, unüberlegt, und der Umftand 
wird ihn im taufend Gtreitigfeiten verwideln. Er wird eben fo 
wenig wie ich jemals ruhig regieren. Es war eine fhöne Zeit für 
die Fürften, als bie Bölter noch Heerden waren und die Herrſcher 
Hirten, und ihre Schafe im Schlafe mweibeten! Wber die haben 
es uns auch verdorben umd die Sache ſchwer gemacht. Sie 
Hießen die Schafe Schafe bleiben; fie ſagten ihnen wicht, daß ſie 
auch Menſchen find. Nun wollen Diefe ihr Recht von fo und fo 
viel Hundert Jahren nachholen. Da reiht die Hand nicht aus, 
hier · und dorthin zu langen, um Ale, die ſich ihr entgegenfireden, 
au befriedigen.“ 

nDer päpfliche Nuntius in Wien,“ nahm Rolycana wieber 
das Wort, „hat kürzlich auch gegen Dich als einen Keger und 


83 


in Gegenwart bes Kaiſers geprebigt. Beine kaiſerliche Hohelt . 
hörten das ruhig wit an.” 

„Seine Baiferliche Hoheit,” wiederholte Georg, „fähen mich 
aud) lieber in ber Türkei oder bei den Tartaren, als auf Böh- 
mens Throne. Unfre flavifche Krone ſticht den Herren von 
Habsburg doch gar zu glänzend in die Augen. Und doch will's 
nicht gehen! Böhmen kann nie gut öftreihifh werden. Jeder 
Stamm für ih! Eher wird der. Rabe weiß, ehe der Böhme ben 
Slaven auszießt. Böhmen, Mähren, Schlefien, Polen, Ein Reid 
unter Einem erblichen Herrſcher, in Kirche und Staat gut ge 
ordnet, gefeglich frei, unabhängig vom Papfle: es wäre ein Wall 
gegen die aflatifhen Barbaren, wie gegen den Halbmond, ein 
zweites Frankreich, doch noch mächtiger, gewaltiger. Mein Gott, 
daß ich's erleben Lönnte! Cs muß das Sterben fehr erleichtern, 
zu wiffen, daß nad; unferm Ende Mes gut georbmet, wohlbeſtellt 
bieibt, und die Stürme nicht wieder fommen, nad deren Toben 
wir vertrauengvoll wieder den Ader beſtellt und die Scheuer ge- 
richtet Haben. — Das wird freifih wit fo Tommen, wie ih in 
den erfien Tagen gläubig hoffte! — Nun, mir müffen es nun 
einmal tragen, wie es uns auferlegt iſt. Unfer Heer iſt gut 
geübt, gekleidet und vollzählig, die Münze erwect das Ber- 
trauen vwöieder, die Gerichtshöfe find geregelt, die Lehre frei ge- 
geben: bei Gott! ein guter Anfang, eine freundliche Ausficht 
für genügfame,. ruhige Bürger. Ah! id; gäbe alle Katholiten 
drum, wenn fein einziger Hocabeliger in meinem Lande wäre. 
34 hätte bloß meine Ritter und meine Städter und mein braves 
Bolt; dann wollte id ein Reich gründen, um deſſen Dauer nad 
meinem Tode mir nicht bange wäre. Freiheit für Jeden, das 
Gefetz für Jeden! mein fchönfter Gedanke, dann Fönnteft Du 
verwirklicht werden. — Sagt mir, Biſchof, wie fleht es mit der 
Hohen Schule? IA nod immer der Geiſt der Zwietracht umter 
den Studenten, noch immer Zweitempf und Todſchlag alle Tage? 

6* 





8 


. Die Böhmen tönnen nicht vergeffen, daß fie Böhmen, die Deut 
ſchen wollen nicht vergeffen, daß fie Deutſche find. Mur auf dem 
Namen, nicht auf die Gefinnung Tönmt's bei ifuen an. So 
viel Jahrhunderte find bie Deutſchen im Lande, find Halb und 
Halb mit einem Theil der Nation verſchmolzen; num wollt Ihr 
ans dem alten Walde, wo bunt Fichten zwiſchen Eichen fiehen, 
die Eichen ausreißen und verbrennen. Dabei fol aber der Boden 
an den Fichten und unter ihnen nicht leder werben! Seltſames 
Berlangen! — Die vorigen Jahrhunderte riefen die Deutſchen 
in's Land herein; warum gingen wir nicht eben fo hinaus zu 
ihnen? Warum bat man deutſche Fürſten auf unfern Thron ge 
fegt? Der Schade ift alt — darum zu tragen. Wenn wir bie 
Wunde nicht reizen, fo vernarbt fie endlih. Sie follen Alle ber 
denken, daß fie erft Menſchen find, unfterbliche, vernünftige Den 
ſchen, und daß fie. ferner ruhige, friebliebende, gehorfame Bürger 
fein müffen: dann if’6 recht. Der Unterihied, ob Böhme oder 
Deutſcher, kommt zulegt daran. Schlick!“ er wandte ſich zu 
diefem, „laßt morgen unter Pauken und Trompeten an ber Karls - 
ſchule den Befehl anſchlagen: daß, wer von meinen Gtubenten 
einen Andern im Zweilampf verwundet, bes Todes ſchuldig ift 
und von dem Henker abgethan werden foll, und bies ohne Un- 
terſchied des Standes, ob Einheimifcher oder Ausländer." 


„Das Gericht hat auch geftern,“ berichtete Schlick, „einen 
Juden, der beſchuldigt worden if, auf der Brüde das Kreuz ge- 
täftert und angefpudt zu Haben, zum Tode verurteilt.” Ihm 
fol die Zunge mit glühender Zange aus dem Halfe geriffen, er 
hierauf gefchleift, geföpft nnd dann verbrannt werden.“ 


„Schlich, mildert das Urtheil,“ gebot ber König, „Das 
gibt dem Fanatismus neue Nahrung! derlei Graufamfeit gereicht 
meiner Regierung wie bem Zeitalter zur Unehre. Ich dankte 
Gott ſchon, wie das jeder Vernünftige tfun muß, daß wir über 


85 


bie Zeiten der Huffitifhen Gräueltgaten hinaus find. Mas fonft 
auf ben Schlachtfeldern gebrändlih war, Hat fi nod in dem 
Gerichtsfälen erhaften. Wir wollen als Menſchen den Menicen 
richten, nicht als wilde Thiere. Der Jude if auch ein Menſch. 
Hat er das Verbrechen begangen, dann if er ein Thor, ein 
Narr, ein Berrüdter. Jeſus Ehriftus ift zw erhaben im feiner 
Göttlichkeit, als daß ihn ein Narr entweihen lönnte in feinem 
Symbol; und ift der Jude ſchuldlos, wie's oft vorgefommen, 
weil ein Jude flets für ſchuldig gehalten wird, dann fehlimm 
für une. Es ehrt ung nicht, und auch die Lehre von der Ber- 
ſohnung preift es nicht, daß wir ben Juden immer nod nicht 
verzeihen Können, daß ihre Vorfahren den Stifter unferer Reli« 
gion, der ſelbſt ein Jude war, gefremigt haben. Haben es deun 
die Ehriften mit Huß und Hieronymus auders gemadt? Und 
da folgte bie Verſöhuung bald. — Man fol die Juden nicht 
ſchinden umd quälen — id will es nicht. Es iſt ein Unglüd, 
Jude zu fein, vornehmlich, da es ein unverſchuldetes if. Das 
Ungtäd fol man in allen Geftalten ehren. — Wenn bie Juben 
viel verdienen, fo Laßt fie zahlen und glauben, was ſie wollen. 
As man uns unfern Glauben mit der Macht des Banues und 
der Waffen nehmen wollte, ſchmerzte e8 uns, umb wir rädten 
ums. — Sie fühlen fo gut wie wir. Sie beieben den Handel, 
find fleißig mmd betriebfam, und bringen Gewerbsſinn und Thü- 
tigkeit unter ben gemeinen Mann. Wegen ihrer fehler wollen 
wir fie nit mit eifermen Ruthen peitſchen. Wären wir ale 
Juden ‚geboren — wir wären weder beſſer noch ſchlimmer; alfe 
Friede — Ruhe — Verſöhnung. Das Fledchen Exde, das ber 
Menf im Leben einnimmt, hat Raum genug, daß Einer neben 
dem Andern ftehen kaun. Warum alfo den Andern verbrängen 
und peinigen, und uns felbft das Leben fauer mahen? Wenn 
Jeder ben Filed ruhig anbant, auf welchem er fieht, fo wird das 
Sand bald ein Garten und ernährt reichlich Jeden. Die Habfucht 





fhlägt dem Andern Wunden umd vergiftet den eigenen Frieden. 
— Mildert das Urtheil, Schlid. Ich will das gemeine Bolt 
lieber unzufrieden machen dadurch, daß id ihm ein gräßlid- 
ſchönes Schaufpiel entziehe, als eine Graufamteit geſchehen kaffen, 
die mir in meiner legten Stunde bereinft ſchwer auf dem Herzen 
liegen könnte, — Werft ihn in's Gefängniß — es iſt Strafe ger 
nug für feine Unthat, wenn er fie begangen hat.“ 


„Die Mönde,” fuhr Schlick fort, „welchen Du ihre Klöſter 
wieber gegeben, flehen Deine Milde um Unterfiägung an. Sie 
fagen, fie fönnten nicht Teben, die Gitter Habe man ihnen geranbt, 
das Betteln fo gut wie unterfagt.” 


„Sie follen arbeiten!“ beſchied der König; „ich laun fo viele 
taufend Müffiggäuger auf Koften der Bürger nicht ernähren. 
Ich Habe: ihnen ihre Güter nicht gevaubt; der Krieg hat fie ver- 
ſchlungen. Sie foßen fle ſich wieder Holen von den Staudes - 
herren; die Haben fie. Auch follen fie erſt Ruhe Halten lernen 
und fi den Mund waſchen, damit fürder nicht fo ungewaſchenes 
Zeug baraus Hervorfomme. Sie mögen nit über Hintau- 
fegung und Veeinträgtigung Hagen; fobatd meine caligtinifden 
Priefter aumaßend werden, erfahren fie eine gleiche Behandlung. 
— Sind die Güter ber KatholifChen verpfändet worden, jo mögen 
fie dieſelben auslöſen; ich Habe fie nicht verpfände. Daß fie 
mir die Breslauer, die Blazer und Mährer aufhegen, weiß id 
recht gut; daß fie in Rom das Feuer fchüren, auf. An 
meinem Schwiegerfopne Matthias arbeitet der Legat recht emfig, 
verfpricht ihm fogar Böhmens Krone, wenn er mich mit Krieg 
überzieht. Das Raubgefindel von ber Mährer Grenze, welches 
feine Schlöffer geplündert Hat, muß die Veraulafſung geben. 
Statt unfre ihm verlobte Tochter fih zu holen, kommt er, mit 
uns Krieg zu führen. — Ein Gfüd gibt's bei jedem Unglüd. 
Kaiſer Friedrich it ſchwach und bie caligtiner Tapferkeit fo welt» 


87 


berũhmt, fo gehurchtet, daß unſre Feinde dem Heiligen Bater 
offen geftanden haben, fie hätten Seine Luft mit den Unbezwing · 
fihen anzubinden.* 

„Darf id rathen,“ nahm Rolycana nad einer Baufe das 
Bort, „fo wär’ es beffer, ihnen zuvorzulommen, Wer cher das 
Schwert zieht, if im Bortheil. Finden fie uns nicht (Altern, 
ia fogar zum Angriff geräftet, fo werden fie fih eines Beffern 
befinnen. Bei der Curie feheitert jede Eurer Unterhandlungen; 
der Bapft kampft auf Tod und Leben. Er ift unverſöhnlich fo 
fange noch der Kelch beſteht.“ 


„IH weiß, mein Freund Johannes,“ entgegnete lächelnd ber 
König, „Du bift unwirſch, weil Die Aeneas noch nicht die Ius 
veftitug gegeben Hat. Biſt Du doch Biſchof von meiner Hand! 
Und weil er Dich nicht will confecriven laſſen, kann id) doch 
feinen Krieg anfangen. Der hat Unredt, ber ba fagt,.ich Taffe 
mid) zweimal mahnen, ehe ich einmal das Schwert ans ber 
Scheide ziehe. Vermeiden wir darum jeden Anlaß zur gerechten 
age, und fie werden ſich vergeblih mühen, ein Bündniß gegen 
ung zu Stande zu bringen. Laffen wir die Feinde auch leben. 
Durch fie. erfheinen wir ja größer, und Freude macht es uns 
doch, wie das römifde Unthier ſich vergeblich die Zähne ausbeißt. 
Noch gehört ung ja der Heutige Tag und die Hoffnung auf den 
morgenden. — Der Abend ift jo ſchön! — Ic will hinab auf 
den Wall, will im Kreife der Meinigen unter blühenden Bäumen 
einmal fröhlich fein, des ernſten Tagewerkes . einmal vergeffen. 
Du, Bictorin, beftehl, daß man bie königliche Braut, Deine 
Schwefter, in einer Sänfte hinabtrage. Sie erwarte mid in 
weiner Laube mit der Mutter, Die warme Sonne wird ifrer 
kranfen Bruſt wohlthätig fein. Für jet gehabt Euch wohl, meine 
redlichen Räthe und vertrauten Freunde.” 


Rokycana und Schlid entfernten ſich, jener offenbar ver- 





88 


Rimmt; fein Lacheln konnte den verdrießlich hämiſches Zug wur 
den Mund nicht gängfic verwildien. Der Mönig ſchien ed nicht 
zu bemerken. — 


Bratislav fland mit dem Niklas Zedwic im Kreife mehrer 
Studenten vor dem Carolinum. Es war noch vor Anbegiuu 
der Borlefungen. Seine Aufmerkſamkeit zog ein Hochſchüler ver 
allen Andern auf fi. Er war ein Deutſcher, ans Regensburg 
her, roh und hodfahrend in feinem Weſen, aumaßend im feiner 
Sprade und von grobem Stolz erfült. Er drängte fih an 
Jeden, verhöhnte bald Diefen, fritt mit Jenem und praßlte be 
fonders mit feiner Körperkraft. Auf feine Häßlichteit — die Naſe 
war did, der Mund groß, das Gefiht als Wahrzeichen vieler 
Sclägereien mit vielen Narben bebedt — ſchien er faft eitel zu 
fein; demm fobald eine Dame oder eine ſchmuce Bürgerfran vor- 
Überging, drängte er fi vor, warf fi in bie Bruſt umd ſtarrte 
fie frech und herausfordernd an. Seine Name war Otto von 
Spanberg; er war der Sohn des reichen Burggrafen von Re- 
gensburg. “ 

Bratislav wi ihm mit Fleiß aus; doch bemerkte er bald, 
wie Diefer zu einem Dritten, ohne Zweifel über fein blaſſes Aus- 
fehen; fich eine fpöttifcde Bemerkung erlaubte, welche er dann mit 
lautem Gelädjter begleitete. Im umferm Ritter regte ſich ber 
Ingrimm über den rohen Gefellen, der ihm ſchon beim erſten 
Anblide widerwärtig erſchien; doch bezwang er fi und nahm 
die Miene der Gleichgittigkeit an; denn er follte fi ja im 
Dulden üben. — 

Glodengetin und Pferdetsitte zogen jet bie Aufmert- 





89 


ſamleit. der jungen Männer nad der Seite des Xinges hin, von 
wo fi) ein ſtattlicher Zug edler Herren und Damen zu Roffe 
näherte. Boran ritt eine Jungfrau im der Mitte zweier Ritter. 
Sie trug ein braunes gofbgefäumtes Reiſetleid, ein ſchwarzes 
Barret und einen wallenden Feberhut auf dem SHaupte; einige 
Nitter, Diener umd Dienerinen in reicher Tracht folgten. Die 
Dame war im heitern Gefpräde mit den Rittern und ſaß leicht 
und ſtattlich zu Rofſe — . 

Wie ein Big durchfuhr es Bratislav, als jet der Zug 
mm bie Eile bog. umb er jene Lidmila von Rofenberg an Neu- 
haus's Seite erbliäte. Sie blickte frei um fi, ſah mit offenen, faft 
heramsfordernben Bliden die Gruppe der jungen Männer an, ale 
gaite es, fie bie Macht ihrer Reize fühlen zu laſſen. Beinahe 
Sitterab vor Schreck verbarg fih Bratislav Hinter den freund 
— er fühlte fein Herzblut aufwallen, feinen them gepreft; er 
tam fid) wie ein Berbreder vor, der var ber GEntdedung bebt. 

Und in der That ſchien fie ihn erbfict zu Haben; denn fie 
erhob fid im Sattel und fah unverwandt nad) jener Stelle Hin, 
wo ſich Bratislav verborgen hielt. -Die Krümmung der- Straße, 
rechts gegen das Thor ber Meufladt zu, entzog fie endlich bes 
Jünglings ſcheuen Biden. 

nBei Gott, ein ſchönes Weib! — Prags ſchönſte Jungfrau! 
— Nein, die ſchönſte auf der ganzen Welt, bei meiner Seele!” 
fo tönte es unter ben jungen Eblen und Patriciern von Mund 
zu Mund. 

„Ja, wenn dieſe unfer Profeſſor wäre,“ ſprach wieder ein 
Andrer, „und' läfe ein Collegium! Donner! ich verfäumte feine 
Stunde.“ 

Ein Dritter fang: 

„Wäare doch der Engel mein! 
König mähnte ich zu fein.” — 
„Haft Du fie gefehen?“ fragte jest Zeiwic Bratislan, in- 





” 


dem er fi nach ihm umbrehte; „es if die Roſeubergerin. Bei 
Gott! eine Roſe — ein Berg voll holder Rofen. Sie trägt fie 
aud zur Schau anf Mund uud Wangen, auf Hals und Stirne, 
von allen farben, dunkel und bfaß, weiß und purpurn. — Ja, 
eine Rofe iſt fie — auch nicht ohne Dornen, wie ich glaube; 
fie hat ſchon Manche geſtochen, die fie pfläden wollten. Wie fie 
die Königin ber Schönheit, fo ift fie auch ſtolz wie eine Königin, 
Bei Gott! mein Freund, ſchilt mich einen Schwärmer — aber 
wenn König Georg ſagte: Nimm Dir aus dem Böhmerlande, 
was Du willſt, jelbft Prag nidt ausgenommen, zu eigen, id. 
wählte mir bie Roſenbergin. Vielleicht bitßte ich fpäter in langer 
Nene den ‚kurzen Wahn; aber es wäre doch ein ſchöner Traum, 
am dieſer Bruſt zu ruhen.“ 

„Schweig!“ ſagte Vratislav, deſſen bleiche Wangen ſich 
hochroth gefärbt, „id lenne fie woßL Nenm. mir ihren Namen 
nit — nie mehr! Sahſt Du den Neuhaus auch? Er war'g 
ja, der meinen Vater gefangen nahm und mir ben Glanz des 
Lebens geſtohlen! Eine ſchöne, bunte Schlange neben dem Tieger!“ 

„Ihr feid Ale Narren!“ ſchrie jegt der Regensburger laut 
hohnlachend. „Ihr Habt fein Urtheil, keinen Geſchmack! Was ift 
an der Larve? In Baiern ifi jede Bauerndirne ſchöner, als biefe 
WNofenbergerin. Ich ſchwör's bei meiner Großmutter Seele und 
bei ihrer ſtets beweglichen Zunge!“ 

„90bo !” riefen bie Andern und brachen bei folder thörichten 
Uebertreibung in ein lautes Gelächter aus. 

„Was wollt Ihe?“ vief ber Dentihe dazwiſchen. — „IH 
bin gerade nicht der Schönſte; aber ich gehe eine Wette ein, daß 
ich fie im mid, verliebt made bis zu Thränen, wenn ich's baranf 
anlege. Aber mein Sinn flieht nad; Höherem.“ 

Ein abermaliges Gelächter erfolgte, und der Regensburger 
wurde noch Heftiger, indem er fagte: „Es lohnt der Mühe nicht 
bei folder Schönheit zehnten Ranges; aber um Euch zu ärgern, 


9 


wa’ ich den Berſuch, oder eigentlich bie Eroberung. Haltet 
mid) beim Worte! — Heut‘ über ein Jahr ſprechen wir mehr 
davon.“ — 

Bratislav übermannte der Werger über den rohen Prahier 
abermals; er lonnte es nicht verwinden, das Fräulein vom dem 
frecden Geſellen ſchmhen zu hören; warum? ivußte er ſelbſt 
nit. Er fagte zu Niklas, indem’ er ihn am Arme nahm: 
„Komm bei Seite — ich will’ Dir fagen, woher ich bie Jungfrau, 
die Du fo feurig gepriefen Haft, kenne. Wber jene Beben dee 
frechen, ſchmähſüchtigeu Kumpans kann ich nicht länger anhören. 
Es ragt ſich gegen den Menſchen, ber eine unſerer ſchönſten und 
edelſten Jungfrauen — das iſt fie, Hafl’ ich fie gleih — verld- 
Fert, ein tiefer Ingrimm in mir; ich fühl es, daß ich mit ihm 
uod Händel befommen werde.“ 

„Sein Mund. if ſchlimmer, als fein. Her,“ entgegnete 
Niklas; „ſo glaub’ ic. Er gefällt ſich in diefer Art vom Rohheit, 
wie ein Spaßmacher, weil er Gelächter als Beifall erntet Sein 
Herz fol deshalb nicht boshaft fein; fo fagen Biele, bie ihn ge 
nauer fennen. Er Bat viel Anhang unter den Genoffen. Mir 
gefällt er. auch nicht befonders; doch duld' ich ihm ohne Areund« 
ſchaft oder Feindſchaft. — Doch ſprich,“ unterbrach er ſich, „wo · 
her kennſt Du Frembling in dieſer Stadt ſchon dieſe holde Blume? 
IR der Ruhm vom ihr bis in Dein fernes Waldneſt gedrungen ?“ 

Bratislav erzählte num dem Freunde das gehabte Abenteuer 
am Tage feiner Ankunft in dem Garten vor dem Angezder 
Thore. — 

„Und Du uahmſt ihren Dank nicht entgegen?" fragte. ver-. 
wundert Nillas; „Du ſahſt fie mit wieder? O fchüchterner 
Thor! Du Glüdticher, dem fie verpflichtet if, Dur fonnteft Did; 
ihr vor allen Andern nähern.“ 

„Wie Du auch ſprichſt!“ erwiderte Bratisfan verbüftert. — 
Kennſt Du ihren Oheim nit? IH fol dem Manne ohne 


92 


Zahnelnirſchen, ohne Racheſchnauben in das Anltig ſchauen? Wer 
mir dem Bater erſchlagen —“ 

„Du Haft daun nad) der Schrift gehandelt,“ belehrte Nitlas, 
„und Böfes mit Gutem vergolten: die Nichte ihm aus drohender 
Lebensgefahr gerettet, ihm, der Dir ben Bater geflohlen. Das 
Bergeben war Deine fhönfte Rache. So aber haft Dur Gutes 
geabt, das Dich Hinterher bitter reut.“ 

Rein, nein, nein!“ ſprach Bratislan aufgeregt; „Du wirkt 
mid; nie begreifen, weil Du meinen Schmerz nicht kennſt.“ 

„Ich glanbe,“ unterbrach ihn Niklas, indem er ihn ſcharf 
anblidte, „Du fürdte, Did dem Mädchen zu nähern, weil Dur 
FÄHIR, daß Du fie danu fieben mußt.“ 

„Duäle mid nicht!“ widerſprach Bratislav, „mit dem Tone, 
welchen ich bei jenem Deutſchen fo fehr hafſe. — Dod hier 
tömmt Sufol mit den Koffen! — Was willſt Du?“ wandte er 
fi} gegen den Diener, der ſtattlich zwiſchen zwei Roffen einher 
geſchritten kam; „Du Haft Dich wohl um eine Stunde verrechnet?” 

„Nein, Here!“ öveſchied biefer. — „Ih Hoffte Euch noch 
vor der Schulftunde Bier zu finden, und ba ich den weiten Weg 
nad ber Bruska hinüber nit noch einmal machen wollte, fo 
nahm ich gleid; die Pferde mit. — Ich Habe feltfame Nachricht 
für End,“ fuhr er leiſer fort. „Ihr müßt mit Pfaffen Streit 
gehabt haben.“ 

„Rur weiter — weiter!“ trieb Vratislav ungeduldig; „was 
gibrs — 

„Ich war,” Hub Sulol bebädtig und geheimnißvoll an — 
„heut Morgens auf dem Strahof. Beim Vorbeigehen beſuchte 
ich jenen Wirth, wo wir uns zuerſt geſprochen, den Michalet, 
den Spigbuben, ber mir erſt feine Forderungen ſchenken wollte, 
jest aber, wo er mid, in biefem flattfichen, verbrämten Wamms 
gefehen, fie gar verdoppelt hat — alſo id; gebe nad. Wie ih 
eintrete — einen Trunk zn verlangen und ihm zu fagen, daß 


| 


ge 
I; 
11 

# 

h 


In 
sit 


Kt 
\ 


N 


I 
? 
{| 


I 
H 
| 
H 


weiter, liege ihm mehr am ſicherer Auskunft über Cure Verſon. 
Der Michalel meint, Ihr könntet auf der Hut fein. Gie wollen 
fi wohl ſelbſt erſt rächen. — Heut’ Abend kimmt der Guardian 
heimlich und ganz allein — will mit: dem Wirthe im oben 
Gemache ſprechen und ihn um noch Mehreres befragen. Durch 
den gedachten Mönd; Hat ex. ſich melden laſſen. Gr kennt den 
Michalek als einen Schurken — wer weiß, zu welchem andern 
Gottesdienft er ihm noch abrichten wil. Ich habe dem Kerl ein 
Golbftüd von Euch verfproden, wenn er mid im Nebenzimmer 
fein Geſpräch belauſchen läßt. Er hat es zugefagt; denn ber 
Mönd hat nichts zu bieten, und. mehr caligtinifdh iſt Michalet 


auch gefinnt, obgleich ein Betrüger. — Hör’ ich nur ein einzig 
unebenes Wort von dem Pater, fo tret’ ich heraus; mit einem 
Griff dieſer meiner taboritifchen Hand zerquetſch' id ihm den 
talen Schädel, daß mir fein Hien durch die Finger Sprit!” 
J „Laß das!“ gebot Vratislav; „erwarte mich bier, ſchweig 
gegen Jedermann. Vielleicht gehe ich heut' Abends ſelbſt ſtatt 
Deiner.“ — 

Eben ſchallte die Glocke des Carolinums, und unfer Ritter 
drängte fi) mit den Webrigen in den Hörſaal. 


Knapp unter der Ringmauer der Neuftadt, nicht fern von 
einem ber damals neuerbauten Thore, befand fi ein öffentlicher 
Bergnügungsort: ein Haus nebft geräumigem Garten, welchem 
man den Namen $loremz beigelegt Hatte, woſelbſt bie junge 
Mannerwelt, namentlich die Studivenden der Hochſchule, zu Spiel, 
Gefang und Tanz zufammenfamen. Der Name Fiorenz follte 
an Venedig erinnern; denn fo hieß ein öffentlicher Garten 
zur Zeit Karl's des Vierten, welchen diefer aber, weil fittenlofe 
Dirnen dafelbft ihr Weſen trieben, Schließen ließ. Letzterer Um ⸗ 
fand fand bei Florenz nicht Statt; aber als Bergnügungsort 
follte es zugleich buch feine Gartenanfagen, die Ausficht vom 
nahen Wale, wo das Auge ben Ziftaberg und ein lachendes 
Thal überbliden konnte, an das italienifche Florenz erinnern. 
Vrag, welches unter Karl IV. bie fröhlichſte der europaiſchen 
Städte genannt wurbe, Hatte trotz der Tangjährigen Kriege bis 
dahin noch immer etwas von biefem Charafter erhalten. 

Es war an bemfelben Nachmittage, wo wir unfern Ritter 
mit feinem Freunde in der Gegend bes Carolinums verlafien 


Haben. Lärmend wogten die Gtubirenden, Alumm und Bacca 
faurei in den Gängen des gedachten Gartens auf und ab. Biele 
faßen in dem ſchattigen Lauben zu beiden Seiten bei ben rügen, 
mit fäumendem Hopfenbier gefühlt, im Gefpräd über Wiffen- 
Saft, Welt und Zeit; Andere erluſtigten fi) durch Negelfpiel, 
Ningewerfen, oder dur; Gefang, unter Begleitung einer Cither, 
melde ein blinder Mufltant ſchiug. 

Es war ein ſchöner, heller Tag bes lachenden Sommers, 
Luft und Himmel dienen die freude und das Vergnügen ber 
heitern Jugend teilen zu wollen. 

An einem Tiſche im der Mitte des Gartens ſaß Bratislav 
mit Niclas von Zedwic im Kreife mehrer Stubiengenoffen, 
deren Freundfäjaft Iener ſchon demacht hatte. Sie waren in 
einem für die allgemeine Stimmung faft zu ernflen Geſpräche 
begriffen, als plößlih jener vorlaute Deutſche, der Regensburger, 
lachend, Wigworte hier- und dorthin fehleudernd, fich dem Tiſche 
näherte, Blag nahm, die Geſellſchaft muſterte und ſogleich, die 
Andern übertönend, das Mort ergriff: 

„Da jagt ein Schwemberg, der Narr,” begann er, „es gebe 
in Deutſchland feine Stadt, fo ſchön gelegen, fo herrlich Hinge- 
Kelt auf Berg und Ufer, wie Prag! — Mein Gott! — fo 


ſchwatzt man, wenn man nichts gefehen hat. — Wer aber draußen 


war am Rhein, in Mainz oder Eöln, wo fi) der majeftätifche 
Strom an dem Fußzehen ſolch' einer Rieſenſtadt hinwälzt, und 
wo's wirkliche Berge gibt und feine Maulwurfshügel: der ſpricht 
anders ; oder auch wer Infprud und Salzburg geiehen. Kinder! 
das ift Alles vet gut; aber Ihr müßt Euch durch Eure lächer- 
fie Borliebe für das Einheimiſche nicht gegen das Schöne in 
der Fremde blind machen Laffen. Der böhmiſche Hans glaubt, 
da Hinter der Wand, wo nicht mehr Böhmifh geſprochen wird, 
Höre die. Welt auf.” " 

„Ich dachte,“ gegenvedete Einer der Studirenden, ein ruhiger 





befonnener Mau, „es fei eben bie Vaterlaudeliebe, die dem 
Böhmen zur Ehre gereicht. Denn wo id mit ber feflen Lieber 
zeugung am Einheimiſchen Kange, ba wird das Fremde, Ans- 
landiſche nicht fo leicht meine Sinne bethören und mid zur 
Nachahmung reizen.“ 

„Ei was,“ nahm Spanberg wieber das Wort, „Radahmung! 
Als ob ihr Slaven etwas Anderes als nahahmen könntet! 
Die Cultur, das läßt fi einmal nicht Teugnen, Habt Ihr von 
uns Deutſchen befommen, unb Euer großer König Karl bat dei 
nichts Anderes gethan in feinen Gebäuden, Stiftungen und Ge 
fegen, als nachahmen. In Frankreich und Deutſchland ging er 
in die Schule. Weil die Böhmen fo tief in's mittlere Europa 
hineingerüdt, fo zu fagen vorgefhoben find, jo wurden fie auch 
vor allen ſlaviſchen Völlern zuerft cultivirt. — Und Baterland 1? 
Bas Vaterland! Ein thörichter Begriff, den uns die Auctorität 
der Alten beigebracht. Die ganze Erbe ift mein Vaterland; aus 
ihr bin ich entfproffen. Warum foll der Fled gerade, wo ih 
hervorgekrochen bin an's Sonnenlidt, einen Vorzug haben? Wie 
ſelbſtfüchtig klingt das, wie eitel und anmaßend! Sagt mir 
nit, die Menden kämpfen für ihr Vaterland. Sie Tämpfen 
entweber für ihren Glauben oder für ihre Dummheit, für ihr 


Haus und für ihr Feld. Wußte Jeder, er bleibe ruhig im Ber 


fige derfelben, Keiner zöge das Schwert. Und wenn id nun 
einen ſolchen Kothſaſſen bei Eud Hier aus feiner Lehmhütte 
herausnehme umd fee ihm Hin in's reiche, reinliche Baierland, 
an bie Iſar hin, wo ſchöne Hügel find und fanbere Menſcheu, 
und ich geb’ ihm ein Stüd Feld zu eigen, das ihn ernährt: 
er wird ben Teufel nad) feinem Böhmen fragen, wo er für den 
Junker arbeiten muß und am Sonntag kaum Schweinefett hat, 
feine harten Erbſen zu würzen.“ 

„Das ift ein thörichter Schluß,“ nahm Bratislan, dem es 
Pflicht fhien, den übermüthigen Deutſchen zu widerlegen, das 


9 


Bort; „es Handelt fi Hier vom gebildeten Manne, vom Manne 
mit Bermunft und Geift und eigenem Willen, nicht don dem 
rohen Knecht, der nur am Gegenflande, nicht am Begriff hängt, 
der nur den finnfihen Genuß fennt umd feine Ehre, Feine Liebe. 
Die Art bleibt fi bei allen Nationen. glei. Rühmt Ener 
Deutſchland; das beweiſt mir, daß Ihr es liebt; doch ruhm es 
nit auf Koften eines Landes, wo Ihr fo eben Baftfreundichaft 
genießt. Es ziemt fi nicht, wie mir feinen mag, in Gegen- 
wart einer ſchönen ran von einer zweiten noch fehöneren gar 
au fobpreifenb zu fprechen, ſelbſt wenn diefe wirtüch noch fhöner 
if! denn nur die Gegenwärtigen fönnen in biefem Falle mit 
Recht verglichen werben.” 

mEil“ fagte dehnend der Deutſche, „redeft Du endlich auch 
einmal, Du bleiches Memnonsbild. Ich Tann vom Glüde fagen, 
Dir endlich ein Wort entioct zu Haben. Da bift Du alfo die 
Memnonsfäule, von der uns heut der Magifter erzählte, und ich 
Dein Sonnenſtrahl, Dein Sonnenaufgang. Laß mid alfo auch 
Deine Wangen röthen; denn wer ſo bleich fieht, darf von Liebe 
gar nicht fpredhen, und wenn man heftig wird, fo muß das 
Blut wenigftens in die Wangen fteigen. — Aber wir wollen ja 
nicht ſcherzen; die Sache war ernfihaft, wie der linke Sporu 
meines Neiterftiefels. Wenn id; Deutſchland rühmte gegen Böh- 
men, fo wollte id) bloß fagen: dort ift die Gegend, die Stadt, 
die Menſchenzahl befier, fchöner, gebildeter. Mit Affenliebe d’ran 
zu hängen, weil e8 mein Baterland, fällt mir nit ein. Statt 
als Edler geboren zu werben, konnt' ich ja eben fo gut ber In- 
faffe eines Dorfes im Prachiner, Biliner oder Klattauer Kreife 
fein, wenn es der Zufall gefügt Hätte. Verliebte find Narren ; 
fie fehen bei dem geliebten Gegenftande die häßlichften Fehler 
nicht. Ich hatt’ einen Freund, der freite ein Fränlein, das ſchön 
von Geſicht, aber lahm war. Glaubt Ihr, er wollte e8 zugeben, 
daß fie lahm fei? Nein! — Er fagte: fie Hühft wie eine 

Herloßfohn: Der Iepte Zaborit. I. 7 


88 


Riimmt; fein Lacheln Tonmte den verdrithlich hamiſchen Zug um 
ben Mund nicht hanglich verwiſchen Der König [cin e$ nicht 
zu bemerken. — J 


8. 


Bratislav fand mit dem Niklas Zeöwic im Kreiſe mehrer 
Studenten vor bem Carolinum. Es war mod; vor Anbegiam 
der Borlefungen. Seine Aufmerkſamkeit zog ein Hochſchüler vor 
allen Andern auf fi. Er war ein Deutfcher, ans Regensburg 
her, roh und hochfahrend ‘in feinem Weſen, anmafend in feiner 
Sprade nnd von grobem Stolz erfült. Er drängte fih an 
Jeden, verhöhnte bald Diefen, flritt mit Jenem und prablte be» 
fonders mit feiner Körperkraft. Auf feine Häßlichkeit — die Nafe 
war did, der Mund groß, das Geſicht als Wahrzeichen vieler 
Schlagereien mit vielen Narben bededt — ſchien er faft eitel zu 
fein; deun fobald eine Dame oder eine ſchmucke Bürgerfrau vor · 
überging, drängte er fich vor, warf fih in die Bruft und flarrte 
fie frech umd herausfordernd an. Seine Name war Otto von 
Spauberg; er war der Sohn bes reihen Burggrafen von Re- 
gensburg. 

Bratislav wi ihm mit Fleiß aus; doch bemerkte er bald, 
wie Diefer zu einem Dritten, ohne Zweifel über fein blafies Aus- 
fehen; fi) eine fpöttifche Bemerkung erlaubte, welche er dann mit 
lautem @elädjter begleitete. Im unferm Ritter vegte ſich ber 
Ingrimm über den rohen Gefellen, der ihm ſchon beim erſten 
Anbfide wibermärtig erſchien; doch bezwang er fi und nahm 
die Miene der Gleichgiltigfeit an; denn er follte fi ja im 
Dulben üben. — 

Gtodengetön und Pferbetritte zogen jet die Aufmerk- 


HUHM| 

Hi 
) 

fr 

He 

fall 

in 


| 
| 


pr: 

ha — 
uu 
uti 
64 
Ey! 
ah 
Viazts el 


i 


ſich wie 
Und in 
ſich im 
ſich Bratislav verborgen Hielt. ‚Die Krümmung der Gtrafe, 
rechts gegen das Thor der Neuſtadt zu, entzog fie endlich des 
Süngfinge fhenen Bfiden. 

„Bei Gott, ein [chöne® Weib! — Prags ſchönſte Jungfraul 
— Nein, die ſchönſte auf der ganzen Belt, bei meiner Geelel“ 
fo tönte es unter den jungen dien und Patriciern von Mund 
m Mund. 

„ga, wenn biefe unfer Profeffor wäre,” ſprach wieder ein 
Andrer, „und Täfe ein Collegium! Donner! ich verfänmte feine 
Stunde.“ . - 

Ein Dritter fang: 

„Wäare doch der Engel mein! 

König wähnte ich zu fein.“ — 

„Haft Du fie gefehen?“ fragte jept Zeͤwie Vratielad, In 





—R 


dem er ſich nach ihm umdrehte; „es if die Mofenbergerin. Bei 
Gott! eine Rofe — ein Berg voll holder Roſen. Gie trägt fie 
and zur Schau auf Mund uud Wangen, auf Hals und Stirne, 
von allen farben, dunkel und biaß, weiß und purpurm. — Ja, 
eine Rofe if fie — auch mit ofne Dornen, wie ich glaube; 
fie hat ſchon Manche geflohen, die fie pflüden wollten. Wie fie 
die Mönigin der Schönfeit, fo if fie auch flolz wie eine Königin, 
Bei Gott! mein freund, ſchilt mich einen Schwärmer — aber 
wenn König Georg fagte: Nimm Dir aus dem Böhmerlande, 
was Du willſt, ſelbſt Prag nit ausgenommen, zu eigen, ih. 
wählte mir bie Rofenbergin. Vielleicht .büfte ich fpäter in langer 
Neue den kurzen Wahn; aber es wäre do ein ſchöner Traum, 
an diefer Bruft zu ruhen.“ 

„Schweig!“ fagte Vratislav, deſſen bleihe Wangen fi 
hochroth gefärbt, „ich Ienne fie wohl. Menu’ mir ihren Namen 
nicht — nie mehr! Sahſt Du den Neuhaus auch? Gr war's 
jo, der meinen Bater gefangen nahm und mir ben Glanz bes 
Lebens geftohlen! Eine ſchsne, bunte Schlange neben dem Tieger!“ 

„Ihr feid Alle Narren!“ ſchrie jegt ber Regensburger laut 
hohnlachend. „Ihr Habt fein Urtheil, keinen Geſchmach! Was ift 
an der Larve? In Baiern ift jede Bauerndirne ſchöner, als biefe 
Nofenbergerin. Ich ſchwör's bei meiner Großmutter Seele und 
bei ihrer ſtets beweglichen Zunge“ 

„H05o 1” riefen die Andern nnd brachen bei folder thörichten 
Uebertreibung in ein lautes Gelächter ans. 

„Was wollt Ihe?“ vief ber Deutſche dazwiſchen. — „Id 
bin gerade nicht der Schönſte; aber ich gehe eine Wette ein, daß 
ich fie in mic) verliebt made bis zu Thränen, wenn ich's baranf 
anfege. Aber mein Sinn fieht nah Höheren.” 

Ein abermaliges Gelächter erfolgte, und der Regensburger 
wurde noch heftiger, indem er fagte: „Es lohnt der Mühe nicht 
bei folder Schönheit zehnten Ranges; aber um End zu ärgern, 


9 


mach' ich den Berfuch, ober eigentih bie Eroberung. Haltet 
mid, beim Worte! — Heut’ über ein Jahr ſprechen wir mehr 
davon.“ — 

Bratisfav übermannte der Werger über den rohen Prahler 
abermals; er fonnte es nicht veriwinden, das Fräulein von dem 
frechen Geſellen ſchmähen zu Hören; warum? iwußte er ſelbſe 
nicht. Er ſagte zu Niklas, indem er ihn am Arme nahm: 
„Komm bei Seite — ih will’ Dir ſagen, woher ich die Sungfrau, 
die Du fo feurig gepriefen Haft, kenne. Wber jene Reden dee 
frechen, ſchmähſüchtigen Kumpans Tann ich nicht länger anhören. 
Es vegt fi gegen ben Meufchen, der eine unferer ſchönſten und 
edeiften Jungfrauen — das in fie, Hafl’ ich fie gleich — ver 
Fert, ein tiefer Ingrimm in mir; ich fühl es, daß ich mit ihm 
uod Händel befommen werde.“ 

„Sein Mund ift ſchlimmer, als fein. Herz,“ entgeguete 
Niklas; „Io glaub' ih. Er gefällt fi im biefer Art von Rohheit, 
wie ein Spaßmacher, weil er Gelächter als Beifall erntet. Sein 
Herz ſoll deshalb nicht boshaft fein; fo jagen Viele, die ihn ge- 
"naner lennen. Er Hat viel Anhang unter den Genoſſen. Mir 
gefält er aud nicht beſonders; doch duld' ich ihm ohne Freumd- 
haft oder Feindfhaft: — Doc ſprich,“ umterbrad er ſich, „wo- 
her lennſt Du Fremdling in diefer Stadt ſchon dieſe Holde Blume? 
IR der Ruhm vom ihr bis in Dein fernes Waldneſt gedrungen ?* 

Bratislav erzählte num dem Freunde das gehabte Abenteuer 
am Tage feiner Ankunſt in dem Garten vor dem. Angezder 
Thore. — . 

„Und Du uahmft ihren Damt nit entgegen ?" fragte. ver- 
wundert Niklas; „Du fahft fie. nicht wieder? O ſchüchterner 
Thor! Da Glädtigjer, dem fie verpfücitet if, Du fonnteft Dich 
ihr vor allen Andern nähern.“ 

„Wie Du and ſprichſt!“ ertwiderte Vratielav verbüftert. — 
Kennſt Du ihren Oheim nit? Ich fol dem Manne ohne 


9 


Zahnelnirſchen, ohne Racheſchnauben in das Anltitz ſchauen? Wer 
mir den Vater erſchlagen —“ 

„Du Haft dann nad) der Schrift gehandelt,“ belehrte Niklas, 
„und Böfes mit Gutem vergolten: die Nichte ihm aus drohender 
Lebensgefahr gerettet, ihm, der Dir den Vater geftohlen. Das 
Vergeben war Deine ſchönſte Made. So aber haft Du Gutes 
geübt, das Dich Hinterher bitter rent.“ 

„Rein, nein, nein!“ fprad; Bratislav aufgeregt; „Du wirft 
mic; nie begreifen, weil Du meinen Schmerz nicht kenuſt.“ 

„3% glaube,“ unterbrad; ihn RNitias, indem er ihn ſcharf 
anblicte, „Du fürchteft, Dich dem Mädchen zu nähern, weil Du 
fäHın, daß Du fie dann lieben mußt.” 

„Dudle mich nit!“ widerſprach Vratislav, „mit dem Tone, 
welchen ich bei jenem Deutſchen fo fehr haſſe. — Do Hier 
tömmt Sufol mit den Roffen! — Was willt Du?“ wandte er 
fich gegen den Diener, der ſtattlich zwiſchen zwei Roffen einher- 
geſchritten kam; „Du Haft Dich wohl um eine Stunde verrechnetꝰ?“ 

Rein, Here!” beſchied diefer. — „Ich hoffte Euch noch 
vor der Gchulfunde Hier zu finden, und da ich den weiten Meg 
mad) der Bruska Hinüber nicht noch einmal machen wollte, fo 
nahm ich gleich die Pferde mit. — Ich Habe feltfame Nachricht 
für End,“ fuhr er feifer fort. „Ihr müßt mit Pfaffen Streit 
‚gehabt haben.” 

„Nur weiter — weiter!“ trieb Vratislav ungebuldig ; „was 
gibt — 

„Ich war,“ Hub Sulol bebädtig und geheimnigvoll an — 
„heut Morgens anf dem Gtrahof. Beim Vorbeigehen beſuchte 
ich jenen Wirth, wo wir ums zuerſt geſprochen, den Michalet, 
den Spigbuben, der mir erft feine Forderungen ſchenken wollte, 
jest aber, wo er mid in dieſem ftattfichen, verbrämten Wamms 
gefehen, fie gar verdoppelt bat — alfo id; gebe nad. Wie id 
eintrete — einen Trunk zu verlangen und ihm zu fagen, daß 





9 


ich da fei zu zahlen — ſchleicht ein Rapuzinermönd zur Thür 
hinaus. — „Gut, daß Ihr kommt!“ — meinte der Wirth; „eben 
war von Euch, oder vielmehr von dem Herrn, deſſen Stallmeifter 
— fo nannte er mih — Ihr nunmehr feid, ganz im Geheimen 
die Rede. — Der Bater, ber da ging —“ Und fo erzählte er 
mir denn, der Pfaffe fei gefommen, babe mach biefem und jenem 
gefragt — auch Euch; beichrieben, wie Ihr damals ausgeſehen, 
Tag und Stunde genannt, an weldem Ihr in der Herberge ger 
weien, und dann gefragt, wo Ihr hingekommen, wo Ihr Kauft 
und wie Euer Name. Der Wirth fagt, er habe geantwortet, fo 
viel er gewußt, und wie Ihr mich zu dem Edlen von Zedwic 
beſchieden Darauf if} er wärmer geworden, at erzählt, daf 
Ihr mit gewaffneter Hand in das Klofter eingedrungen, die Tatho- 
Tide Religion und ihre Priefer geſchmahr und geläftert, dem 
Kofterfrieden gebrochen, in trunfener Heftigkeit das Allerheiligfte 
geihimpft, Euch mit blanker Waffe an den friebligen Mönden 
vergriffen und. fie gefährlich verwundet. Cure Wuth fei nur erſt 
dann geftillt geweſen, da fie ſich ſämmtlich todt gefellt. Cine 
Mage gegen Euch wegen beabfitigten Tobtfchlages fei ſchon beim 
Erzbiſchofe angebracht, und es werde Euch ſchlimm ergehen wegen 
des verlegten Toferanzedictes. Im Grunde aber, ſprach der Mönd 
weiter, liege ihm mehr am ficherer Auskunft über Eure Perſon. 
Der Michalek meint, Ihr könntet auf der Hut fein. Sie wollen 
fi wohl ſelbſt erft räden. — Heut’ Abend kömmt der Guardian 
heimlich und ganz allein — will mit: dem Wirte im obern 
Gemache fprehen und ihn um noch Mehreres befragen. Durch 
den gedachten Mönch Hat er fi melden laſſen. Er kennt ben 
Michälet als einen Schurlen — wer weiß, zu welchem andern 
Gottesdienſt er ihm noch abrichten will. Ich Habe dem Kerl ein 
Goldftüd von Euch verfprodhen, wenn er mid im Nebenzimmer 
fein Gefpräh belaufen läßt. Er bat’ es zugefagt; denn der 
Mönd; Hat nichts zu Bieten, und mehr caliztimifc if Michelet 





ſchlägt dem Anbern Wunden und vergiftet den eigenen Frieden. 
— Mibdert das Urteil, Schlic. Ich will das gemeine Bolt 
lieber, unzufrieden machen dadurch, daß ich ihm eim gräßlich- 
ſchoönes Schauſpiel entziehe, als eine Graufamteit geſchehen Kaffen, 
die. mir in meiner legten Stunde bdereinft ſchwer auf dem Herzen 
liegen fönnte. — Werft ihn in’s Gefängniß — es iR Strafe ger 
nug für feine Unthet, wenn er fie begangen hat.“ 


Die Mönde,” fuhr Schlid fort, „welchen Du ihre öfter 
wieber ‚gegeben, flehen Deine Milde um Unterftäigung an. Sie 
fagen, fie fönnten nicht Ieben, die Güter Habe man ihnen geraubt, 
das Betteln fo gut wie nnterfagt.” 


„Sie follen arbeiten!“ beſchied der König; „ich kaun fo viefe 
tanfend Müffiggänger auf Koflen der Bürger wit ernähren. 
34 Habe ihnen ihre Güter nicht geraubt; ber Krieg Hat fie ver- 
fhlungen. Sie folen fle ſich wieder Holen von ben Gtandes- 
herren; bie Haben fie. Auch follen fie erft Ruhe Halten lernen 
und fi den Bund waſchen, damit fürder nicht fo ungewafchenes 
Zeug daraus hervortomme. Sie mögen nicht über Hintan- 
fegung und Beeinträchtigung Hagen; ſobald meine calirtiniſchen 
Priefter anmaßend werden, erfahren fie eine gleiche Behandlung. 
— Sind die Güter ber Katholifchen verpfändet worden, fo mögen 
fie dieſelben auslöfen; ich habe fie nicht verpfändet. Daß fie 
mir die Breslauer, die Blazer und Mährer aufhegen, weiß id 
recht gut; daß fie in Rom das Feuer ſchüren, and. An 
meinem Schroiegerfohne Matthias arbeitet der Legat recht emfig, 
verfpricht ihm fogar Böhmens Krone, wenn er mich mit Krieg 
Überzieht. Das Raubgefindel von der Mährer Grenze, welches 
feine Schlöffer geplündert Hat, muß bie Beranlaffung, geben. 
Statt unfre ihm verlobte Tochter fi zu Holen, kommt er, mit 
ans Krieg zu führen. — Ein Glüd gibt's bei jedem Unglüd. 
Kaifer Friedrich iſt ſcwach und die caligtiner Tapferkeit fo welt- 


. 


87 


berühmt, fo gefürchtet, daß nuſre Feinde dem heifigen Water 
offen geftanden Haben, fie hätten feine Luft mit den: Unbezwing · 
ũchen anzubinden." 

„Darf ich rathen,“ nahm Rokycana nad einer Baufe das 
Bort, „jo wär’ es beffer, ihnen zuvorzulommen, Wer cher das 
Schwert zieht, ift im Vortheil. Finden fie uns nicht ſchüchtern, 
ja fogar zum Angriff geräftet, fo werden fie fid; eines Beflern 
befinnen. Bei ber Enrie fcheitert jede Eurer Unterhandlungen; 
der Papft käampft auf Tod nnd Leben. Er ift umverföhnlich fo 
lange noch der Kelch beſteht.“ 


Ich weiß, mein Freund Johaunes,“ entgegnete lächelnd der 
König, „Du biſt unwirſch, weil Dir Aeneas noch nicht die Ju · 
veſtitur gegeben Hat. Biſt Du doch Biſchof von meiner Hand! 
Und weil er Did) nicht will comfecriven laffen, kann id; doch 
feinen Krieg anfangen. Der bat Unrecht, der da fagt,.ich lafſe 
mid zweimal mahneu, ehe ic einmal bas Schwert aus ber 
Scheide ziehe. Vermeiden wir darum jeden Anlaß zur gerechten 
Mage, und fie werden ſich vergeblich mühen, ein Bündniß gegen 
uns zu Stande zu bringen. Laffen wir die "Feinde auch leben. 
Durch fie. erſcheinen wir ja größer, und Freude macht es ung 
doch, wie das römifche Unthier ſich vergeblich die Zähne ausbeißt. 
Noch gehört uns ja der heutige Tag und die Hoffnung auf dem 
morgenden. — Der Abend if fo ſchön! — Ich will hinab auf 
den Wall, will im Kreife der Meinigen unter blühenden Bäumen 
einmal fröhlich fein, des ernften Tagewerkes , einmal vergeffen. 
Du, Bictorin, befiehl, daß man die Fönigliche Braut, Deine 
Schweſter, in einer Sänfte hinabtrage. Sie erwarte mid im 
meiner Laube mit der Mutter, Die warme Sonne wird ihrer 
tranken Bruft wohlthätig fein. Für jet gehabt Euch wohl, meine 
redlichen Räthe und vertrauten Freunde.” 


Notyeana und Schlid entfernten: fi, jener offenbar ver- 





88 


Ritmmt ; fein Lacheln konnte den verdrieglich hämiſchen Zug mm 
den Mund nicht ganzlich verwiſchen. Der König ſchien es nicht 
m bemerken. — 


Bratislav ſtand mit dem Niklas Zedwic im Kreiſe mehrer 
Studenten vor dem Carolinum. Es war mod) vor Anbegium 
der Borlefungen. Seine Aufmerffamfeit zog ein Hochſchüler ver 
allen Andern auf fi. Er war ein Deuticher, aus Regensburg 
her, roh und hochfahrend in feinem Weſen, anmaßend in feiner 
Sprade und von grobem Stolz erfüllt, Er drängte fih an 
Jeden, verhöhnte bald Diefen, flritt mit Jenem und prablte bes 
fonders mit feiner Körperkraft. Auf feine Häßlichteit — die Naſe 
war did, der Mund groß, das Gefiht als Wahrzeichen vieler 
Schlägereien mit vielen Narben bebedt — ſchien er faft eitel zu 
fein; deun fobald eine Dame oder eine ſchmucke Bürgerfran vor» 
Aberging, drängte er fid vor, warf ſich in die Bruft umb flarrte 
fie frech umd herausfordernd an. Seine Name war Otto von 
Spanberg; er war der Sohn bes reihen Burggrafen von Re— 
gensburg. 

Bratislav wid ihm mit Fleiß aus; doch bemerkte er bald, 
wie Diefer zu einem Dritten, ohne Zweifel über fein blaſſes Aus- 
ſehen; fi eine fpöttifche Bemerkung erlaubte, welde er dann mit 
lautem Gelädjter begleitete. Im unſerm Ritter regte fi ber 
Ingrimm über den rohen Gefellen, der ihm ſchon beim erſten 
Anblicke wiberwärtig erſchien; doch bezwang er fih und nahm 
die Miene ber Gleichgiltigkeit an; denn er follte fi ja im 
Dulden äben. — 

Glodengetön und Pferdetritte zogen jet bie Aufmert- 


89 


famteit- ber jungen Munner nad der Geite des Minges hin, von 
mo fi ein Rattliher Bug ebler Herren und Damen zu Moffe 
näherte, Boran ritt eine Jungfrau in ber Mitte zweier Ritter. 
Sie trug ein braunes, gofdgefäumtes Reiſelleid, ein ſchwarzes 
Barret unb einen wallenden Federhut anf dem Haupte; einige 
Kitter, Diener und Dienerinen in reicher Trecht folgten. Die 
Dame war im heitern Gefpräche mit den Rittern und ſaß leicht 
und ſtattlich zu Roffe" — 

Wie ein Big durdfuhe es Bratielen, als jett der Zug 
um bie Ede bog und er jene Lidmila von Rofenberg an Reu ⸗ 
haus's Seite erblidte. Sie blidte frei um ſich, fah mit offenen, faft 
heramsfordernden Bliden die Gruppe der jungen Männer an, als 
gälte es, fie die Macht ihrer Reize fühlen zu laſſen. Beinahe 
nitterad vor Scheer verbarg fi Bratislav hinter den Freund 
— er .filhlte fein Herzblut aufwallen, feinen Athem geprefit; er 
kam fi; wie ein Verbrecher vor, der vor der Eutdedung bebt. 

Und in der That ſchien fie ihn erbfidt zu haben; denn fie 
erhob fid im Sattel uud fah unverwandt nad; jener Stelle hin, 
wo ſich Bratislad verborgen hielt. -Die Krümmung ber- Straße, 
rechts gegen das Thor ber Neuflabt zu, entzog fie eudlich des 
Iängfings ſcheuen Biden. 

„Bei Gott, ein ſchönes Weib! — Prags ſchönſte Iumgfran! 
— Nein, die ſchöuſte auf ber ganzen Welt, bei meiner Seele!” 
fo tönte es unter dem jungen Edlen und Patriciern von Mund 
m Mund. 

„Ja, wenn diefe umfer Profeffor wäre,“ ſprach wieder ein 
Andrer, „und Iäfe ein Collegium! Donner! ich verfänmte feine 
Stunde.“ 

Ein Dritter fang: 

„Ware doch der Engel meint 
König mähnte ich zu fein.“ — 
„Haft Du fie gefehen?“ fragte jegt Zehmic Vratislad, in- 


” 


dem er fid) nach ihm ummbrehte; „es if die Rofenbergerin. Bet 
Gott! eine Rufe — ein Berg voll holder Roſen. Sie trägt fie 
auch zur Schau auf Mund ımıd Wangen, auf Hals und Stimme, 
von allen Farben, dunkel und bloß, weiß und purpurn. — Ja, 
eine Rofe if fie — auch wicht ohne Dornen, wie ih glaube; 
fie Hat ſchon Manche geſtochen, die fie pfläden wollten. Wie fie 
bie Rönigin der Schönheit, jo ift fir au ſtoig wie eine Königin, 
Bei Gott! mein Freund, ſchilt mich einen Schwärmer — aber 
wenn König Georg ſagte: Nimm Dir ans dem Böhmerlande, 
was Du mil, ſelbſt Prag nit ausgenommen, zu eigen, ih. 
wählte mir die Rofenbergin. Vieleicht bitßte ich fpäter in langer 
Neue den kurzen Wahn; aber es wäre doch ein ſchöner Traum, 
am dieſer Bruft zu ruhen.“ 

„Schweig!“ fagte Vratislav, deſſen bleihe Wangen ſich 
hochroth gefärbt, „ich kenne fie wohl. Nenu' mir ihren Nomen 
wicht — nie mehr! Sahſt Du den Neuhaus au? Er war'd 
ja, der meinen Vater gefangen nahm und mir den Glanz des 
Lebens geftoblen! Eine ſchöne, bunte Schlange neben dem Tieger!“ 

„Ihr feid Alle Narren! ſchrie jegt der Regensburger laut 
hohnlachend. „Ihr Habt kein Urtheil, feinen Geſchmack! Was if 
an der Larve? In Baiern ift jede Bauerndirne ſchöner, als dieſe 
Nofenbergerin. Ich ſchwör's bei meiner Großmutter Seele und 
bei ihrer ſtets beweglichen Zunge!“ 

„Hoho !“ riefen die Audern und braden bei folder thörichten 
Uebertreibung in ein lautes Gelächter aus. 

„Was wollt Ihr?" rief ber Deutſche dazwiſchen. — „Id 
bin gerade nicht der Schönſte; aber ich gehe eine Wette ein, daß 
ich fie in mich verliebt made bis zu Thränen, wenn ich's darauf 
anfege. Aber mein Sinn fteht nad Höherem.“ 

Ein abermaliges Gelächter erfolgte, und der Regensburger 
wurde noch heftiger, indem er fagte: „Es lohnt der Mühe nicht 
bei folder Schönheit zehnten Ranges; aber um Cuch zu ärgern, 


9 


mach' ich dem Berſuch, oder eigentlich die Eroberung. HDaltet 
mid) beim Worte! — Heut‘ über ein Jahr ſprechen wir mehr 
davon.“ — 

Bratislav übermannte der Aerger über den rohen Prahier 
abermals; er lonnte e8 nicht verwinden, bas Fräulein von dem 
freien Geſellen ſchmähen zu hören; warum? ivnßte er ſelbſe 
nit. Er fagte zum Niklas, indem’ er ihn am Arme nahm: 
„Komm bei Seite — id} will’ Dir fagen, woher ich die Jungfrau, 
die Du fo feurig gepriefen haſt, lenne. Aber jene Beben des 
frechen, fhmähfüchtigeu Kumpans kann ich nicht länger anhören. 
Es regt fich gegen ben Meuſchen, ber eine unferer ſchönſten und 
edelſten Jungfrauen — das if fie, haff ich fie gleich — 

Fert, ein tiefer Ingrimm in mir; ich fühl es, daß ih mit ihm 
nod Händel befommen werde.“ 

„Sein Mund if ſchlimmer, als fein Herz,“ entgegmete 
Niklas; „io glaub’ ich. Er gefällt fich im diefer Art von Rohheit, 
wie ein Spaßmacher, weil er Gelächter als Beifall erntet Sein 
Herz ſoll deshalb nicht boshaft fen; fo fagen Biele, die ihn ge 
nauer Tennen. Er bat viel Anhang unter den Genoffen. Mir 
gefällt er. auch nicht befondere; doch duid ich ihn ohne Freund- 
ſchaft oder Feindſchaft. — Doc ſprich,“ unterbrach er fi, „wor 
Her kennſt Du Fremdling in diefer Stadt ſchon diefe, holde Blume? 
IR der Ruhm von ihr bis in Dein fernes Walbneft gedrungen 9” 

Bratislav erzählte num dem Freunde das gehabte Abenteuer 
am Zage feiner Ankunft in dem Garten vor dem Augezder 
Thore. — 

„Und Du uahmſt ihren Dank nicht entgegen ?“ fragte ver. 
wundert Niklas; „Du ſahſt fie nicht wieer? O ſchüchterner 
Thor! Du Glüdticher, dem fie verpflichtet if, Du kounteſt Dig 
ihr vor allen Andern nähern.“ 

nBie Du auch ſprichſt!“ erwiderte Bratislan verbüftert. — 
Kennſt Du ihren Oheim nicht? Ih fol dem Manne ohne 


9 


Zahnelnirſchen, ohne Racheſchnauben in das Anltitz ſchauen? Wer 
mir den Vater erfhlagen —“ 

„Du haft dann nach der Schrift gehandelt,“ belehrte Nitlas, 
„und Böfes mit Gutem vergolten: bie Nichte ihm aus drohenber 
Lebensgefahr gerettet, ihm, der Dir den Water gefiohlen. Das 
Vergeben war Deine fhönfte Rache. So aber Haft Du Gutes 
geäbt, das Dich hinterher bitter reut.“ 

„Rein, nein, nein!“ ſprach Vratislav aufgeregt; „Du wirft 
mid) nie begreifen, weil Du meinen Schmerz nicht kenuſt.“ 

„Ih glaube,“ unterbrad ihn Niklas, indem er ihn ſcharf 
anblidte, „Du furchteſt, Dich dem Mädchen zu nähern, weil Du 
fäHIR, daß Du fie dann lieben mußt.“ 

„Duäte mid; nit!” widerſprach Bratislav, „mit dem Tone, 
welchen ich bei jenem Deutſchen fo fehr hafſe. — Dod Hier 
Lmmt Sulol mit den Roflen! — Was willſt Du?“ wandte er 
fich gegen den Diener, der flattlich zwiſchen zwei Hoffen einher 
geſchritten kam; „Du Haft Did) wohl um eine Stunde verreinet?“ 

„Nein, Herr!” beſchied dieſer. — „IH hoffte Euch noch 
vor der Schulſtunde Hier zu finden, und da ich dem weiten Weg 
nad; der Bruska Hinüber nicht noch einmal machen wollte, fo 
nahm ich gleich die Pferde mit. — Ich habe ſeltſame Nachricht 
für End,“ fuhr er feifer fort. „Ihr müßt mit Pfafien Streit 
gehabt haben.“ 

nRur weiter — weiter!“ trieb Bratislav ungeduldig; „was 
st — 

„IH war,“ Hub Sufol bedächtig und geheimnißvoll an — 
„heut Morgens anf dem Strahof. Beim Vorbeigehen beſuchte 
ih jenen Wirth, wo wir uns zuerſt geſprochen, den Middle, 
den Spigbuben, ber mir erſt feine Forderungen ſchenken wollte, 
jegt aber, wo er mid; in biefem flattlichen, verbrämten Wanna 
gefehen, fie gar verboppelt hat — alfo id; gebe nad. Wie ih 
'ntrete — einen Trunk zn verlangen und ihm zu fagen, daß 


. 9» 


ich da ſei zu zahlen — ſchleicht ein Kapnzinermönd zur Thür 
hinaus. — „Gut, daß Ihr kommt!“ — meinte ber Wirth; „eben 
war von Euch, oder vielmehr von dem Herrn, deſſen Gtallmeifter 
— fo nannte er mich — Ihr nunmehr feid, ganz im Geheimen 
bie Rede. — Der Pater, ber da ging —“ Und fo erzählte er 
mir denn, der Pfaffe fei gekommen, habe nad} diefem und jenem 
gefragt — aud Euch beſchrieben, wie Ihr damals ausgeſehen, 
Tag und Stunde genannt, am welchem Ihr in ber Herberge ge- 
weien, und dann gefragt, wo Ihr hingekommen, wo Ihr hauft 
und wie Euer Name. Der Wirth fagt, er habe geantwortet, fo 
viel er gewußt, und wie Ihr mich zu dem Edlen von Zeöwic 
beſchieden. Darauf ift er wärmer geworden, bat erzählt, daß 
Ihr mit gewaffneter Hand in das N lofter eingedrungen, die katho- 
ſche Religion und ihre Prieſter geſchmaht und geläftert, den 
Aloſterfrieden gebrochen, in trunfener Heftigfeit das Allerheiligſte 
gefhimpft, Eud mit blanfer Waffe an ben friedlichen Mönden 
vergriffen und fie gefährlich verwundet. Cure Wuth fei nur erft 
dann geftillt geweſen, da fie ſich ſämmtlich tobt geftellt. Eine 
Mage gegen Euch wegen beabſichtigten Todtſchlages fei fhon beim 
Erzbiſchofe angebradht, und es werde Euch ſchlimm ergehen wegen 
des verlegten Toferanzebictes. Im Grumde aber, fprad der Mönch 
weiter, liege ihm mehr an ficherer Auskunft über Eure Perſon. 
Der Michalek meint, Ihr könntet auf der Hut fein. Sie wollen 
fi wohl felbft erft rächen. — Heut’ Abend kömmt ber Guardian 
heimlich und ganz allein — will mit: dem Wirthe im obern 
Gemache ſprechen und ihn um noch Mehreres befragen. Durch 
den gedachten Mönd Hat er fi melden laſſen. Cr kennt dem 
Michalek als einen Schurlen — wer weiß, zu welchem andern 
Gottesdienft er ihm noch abrichten will. Ich Babe dem Kerl ein 
Goldſtück von Euch verfproden, wenn er mich im Nebenzimmer 
fein Geſpräch belauſchen läßt. Er bat’ es zugefagt; denn der 
Mind Hat nichts zu Bieten, und. mehr calirtiniſch ift Michälet 


auch gefinnt, obgleich ein Betrüger. — Hör’ id nur ein -einzig 
unebenes Wort von dem Pater, fo tret’ ich heraus; mit einem 
Griff diefer meiner taboritifhen Hand zerquetſch' ich ihm dem 
tahlen Schädel, dag mir fein Hirn durd die Finger ſpritzt !“ 

„Laß das!“ gebot Vratislav; „erwarte mich Bier, ſchweig 
gegen Jedermann. Wielleicht gehe id; Heut” Abends ſelbſt flatt 
Deiner.” — 

Eben ſchallte die Glocke des Carolinums, umd unfer Ritter 
drängte fi mit den Webrigen in den Hörfaal. 


Knapp unter dev Ringmauer der Neuftadt, nicht fern von 
einem ber damals neuerbauten Thore, befand ſich ein Bffentlicher 
Bergrügungsort: ein Haus nebft geräumigem Garten, welchem 
mon den Namen $lorenz beigelegt Hatte, wofelbft bie junge 
Männerwelt, namentlich die Studirenden der Hochſchule, zu Spiel, 
Gefang und Tanz zuſammenkamen. Der Name Florenz follte 
an Venedig erinnern; denn fo hie ein öffentlicher Garten 
zur Zeit Karls des Vierten, welchen biefer aber, weil fittenlofe 
Dirnen dafelbft ihr Wefen trieben, fchließen Tief. Letzterer Um- 
Rand fand bei Florenz nit Statt; aber als Bergnügungsort 
folte es zugleich durch feine Gartenanlagen, die Ausſicht vom 
nahen Wale, wo das Auge ben Bigfaberg und ein lachendes 
Thal überbliden Tonnte, am das italienifche Florenz erinnern. 
Prag, weldes unter Karl IV. die fröhlichfte der europätfchen 
Städte genannt wurde, hatte troß der Iangjährigen Kriege bis 
dahin nod immer etwas von biefem Charakter erhalten, 

Es war an bemfelben Nadmittage, wo wir unfern Ritter 
mit feinem Freunde in der Gegend bes Carolinums verlaffen 


3 


Haben. Lärmend wogten die Gtubirenden, Alumni und Baccar 
laurei in den Gängen des gedachten Gartens auf und ab. Biele 
faßen in den ſchattigen Lauben zu beiden Geiten bei ben Lrügen, 
mit fhäumendem Hopfenbier gefüht, im Gefpräd über WBiffen- 
ſchaft, Welt und Zeit; Andere erluſtigten fih durch Segelfpiet, 
Ringewerfen, ober durch Gefang, unter Begleitung einer Cither, 
welche ein blinder Muſikant ſchtug. 

Es war ein ſchöner, heller Tag des lacheuden Sommers. 
Luft und Himmel ſchienen bie freude und das Vergnügen ber 
Heitern Jugend theilen zu wollen. 

An einem Tiſche in der Mitte des Gartens ſaß Bratislan 
mit Niclas von Zeöwic im reife mehrer Gtudiengenoffen, 
deren Freundſchaft Jener ſchon gemacht Hatte. Sie waren in 
einem für bie allgemeine Stimmung faft zu ernflen Geſpräche 
begriffen, als plößlih jener vorlaute Deutſche, der Regensburger, 
lachend, Witzworte Hier- und dorthin ſchleudernd, fi dem Tiſche 
näherte, Platz nahm, die Geſellſchaft mufterte, und ſogleich, die 
Andern übertönend, das Wort ergriff: 

„Da jagt ein Schwemberg, der Narr,” begann er, „es gebe 
in Deutſchland feine Stadt, fo ſchön gelegen, fo Herrlich hinge - 
Felt auf Berg und Ufer, wie Prag! — Mein Gott! — fo 
ſchwatzt man, wenn man nichts gefehen hat. — Wer aber draußen 
war am Rhein, in Mainz ober Eöln, wo fid) der majeftätifche 
Strom an den Fußzehen ſolch' einer Rieſenſtadt hinwälzt, und 
100’8 wirkliche Berge gibt und feine Maulwurfshügel: der ſpricht 
anders ; oder auch wer Infprud und Salzburg gefehen. Kinder! 
das iſt Alles reiht gut; aber Ihe müßt End; durd; Eure lächer- 
liche Vorliebe für das Einheimiſche nicht gegen das Schöne in 
der Fremde blind machen laſſen. Der böfmifhe Hans glaubt, 
da Hinter der Wand, wo nicht mehr böhmiſch geſprochen wird, 
höre die. Welt auf.” " 

„Ich dächte,“ gegenredete Einer der Gtubirenden, ein ruhiger 





beſounener Maun, „es fei eben bie Vaterlandeliebe, die dem 
Böhmen zur Ehre gereiht. Denn wo ich mit ber fehlen Leber 
zeugung am Einheimiſchen hange, ba wird das fremde, Ans- 
ländifhe nicht fo Leicht meine Sinne Bethören umd mic zur 
Nachahmung reizen.“ 

„Ei was,“ nahm Spanberg wieder das Wort, „Nachahmung! 
As ob ihr Slaven etwas Auderes als nachahmen könntet} 
Die Cultur, das läßt fi einmal nicht leugnen, habt Ihr von 
uns Deutſchen bekommen, und Euer großer König Karl bat dad 
uichts Auderes getfan im feinen Gebäuden, Stiftungen und Ger 
fegen, als nachahmen. Im Frankreich und Deutſchland ging er 
in die Schule. Weil die Böhmen fo tief in’s mittlere Europa 
bineingerüdt, fo zu fagen vorgeſchoben find, fo wurden fie auch 
vor allen ſlaviſchen Völlern zuerft cuftivirt. — Und Baterlaud 1? 
Was Vaterland! in thörihter Begriff, den uns die Auctorität 
der Alten beigebracht. Die ganze Erde ift mein Vaterland; aus 
ihr bin ich entfproffen. Warum foll der Filed gerade, wo ih 
hervorgekrochen bin an's Sonnenlicht, einen Vorzug Haben? Wie 
fefbftfüchtig Mingt das, wie eitel und anmaßend! Sagt mir 
nicht, die Menfchen kämpfen für ihr Vaterland. Sie kämpfen 
entweder für ihren Glanben ober für ihre Dummheit, für ihr 
Haus und für ihr Geld. MWüßte Jeder, er bieibe ruhig im Ber ' 
fige derſelben, Keiner zöge das Schwert. Und wenn ih nun 
einen folden Kothſafſen bei Euch hier aus feiner Lehmhütte 
herausnehme und fege ihm Bin in’s reiche, reinliche Baierland, 
an bie far hin, wo ſchöne Hügel find und fanbere Menfchen, 
und id) geb’ ihm ein Stüd Feld zu eigen, das ihn ernährt: 
er wird den Teufel nad) feinem Böhmen fragen, wo er für ben 
Junker arbeiten muß nnd am Sonntag kaum Schweinefett hat, 
feine harten Erbſen zu würzen.“ 

„Das ift ein thörichter Schluß,“ nahm Bratislav, dem es 
Pfücht ſchien, den übermüthigen Deutſchen zu widerlegen, das 


u A A 7———— 


9 


Wort; „es handelt fi) Hier dom gebildeten Manne, vom Danne 
mit Vernunft und Geift und eigenem Willen, nicht don dem 
zofen Knecht, der nur am Gegenflande, nicht am Begriff hängt, 
der nur den finnlihen Genuß fennt und keine Ehre, keine Liebe, 
Die Art bleibt fi bei allen Nationen gleih. Rühmt Euer 
Deutſchland; das beweiſt mir, daf Ihr es liebt; doch rühmt es 
nicht auf Koften eines Landes, wo Ihr fo eben Gaftfreundichaft 
genießt. Es ziemt fi nicht, wie mir fcheinen mag, in Gegen- 
wart einer ſchönen Fran von einer zweiten noch fchöneren gar 
zu lobpreifend zu ſprechen, felbft wenn dieſe wirffich noch fchöner 
if! denn nur die Gegenmwärtigen fönnen in biefem falle mit 
Recht verglichen werben.“ 

„Ei!“ fagte dehnend der Deutſche, „redeft Du endlich auch 
einmal, Du bleiches Memnonsbild. Ich kann vom Glüde fagen, 
Dir endlich ein Wort entiodt zu haben. Da bift Du alfo die 
Memnonsfäule, vom der uns heut’ der Magifter erzählte, und ih 
Dein Sonnenftrahl, Dein Sonnenaufgang. Laß mid) alfo aud 
Deine Wangen röthen; denn wer fo bleich fieht, darf von Liebe 
gar nicht ſprechen, und wenn man Heftig wird, fo muß das 
Blut mwenigftens in die Wangen fleigen. — Aber wir wollen ja 
nicht ſcherzen; die Sadje war ernfthaft, wie der linke Sporn 
meines Neiterftiefels. Wenn ich Deutſchland rühmte gegen Böh- 
men, fo wollte ich bloß jagen: dort ift bie Gegend, bie Stadt, 
die Menfchenzahl beffer, ſchöner, gebildeter. Mit Affenliebe d’ran 
zu hängen, weil e8 mein Vaterland, fällt mir nit ein. Gtatt 
als Edler geboren zu werben, konnt' ich ja eben fo gut der In⸗ 
faffe eines Dorfes im Pradjiner, Biliner oder Klattauer Kreife 
fein, wenn es der Zufall gefügt Hätte. Berliebte find Narren; 
fie ſehen bei dem geliebten Gegenftande die häßlichſten Fehler 
nicht. Ich hatt’ einen Freund, der freite ein Fräulein, das ſchön 
von Geficht, aber lahm war. Glaubt Ihr, er wollte e8 zugeben, 
daß fie lahm fei? Nein! — Er fagte: fie Hüpft wie eime 

Gerloßfoßn: Der lehte Taborit. I. 7 


98 


Grozie über den Boden. — So find denn au die vaterlande- 
verliebten Thoren! Wo mir’s mohlgeht und wohlgefällt, da ik 
mein Vaterland.” 

„Nach diefem Grundfag,“ nahm Zeöwic das Wort, „würde 
aller Notionalfinn, alle Liebe zu den Stammverwandten, jede 
Kroft und Einheit eines Volkes verfchwinben. Und was Anders, 
als das Bewußtſein: wir find Griechen, wir find Römer, Hat die 
Alten fo groß und berühmt gemacht 2" 

„Und Ihr werdet ſagen,“ fiel Spanberg wieder ein: „wir 
find Böhmen, und weil wir Böhmen find, find wir bie befte 
alfer Nationen, und weil wir das find, müflen wir die andern 
anfeinden und todtſchlagen; denn fie find ſchlechter als wir, der 
liebe Gott hat fie nit fo Hieb gehabt wie uns, und darum ver- 
dienen fie nicht zu leben. Aus dieſer Selbſtſucht, diefer Eigen- 
liebe entfteht der Nationalhaß, der- die Geſchlechter zerfleiiht und 
eben fo umferer Menſchlichleit zur Schande gereicht, wie er ben 
göttlichen Gefegen zuwider ift.“ 

„Er bat nicht Unrecht!“ äußerten Ginige beifällig, und 
machten Miene ihn anzufeuern, damit er feinen Wit fpielen lafſe. 

„Das Beſtehende,“ nahm Vratislav wieder das Wort, „muß 
uns Beilig fein, weil es ein Erbtheil unfrer Bäter if, wie bie 
Erde ein Erbtheil Gottes war, das er dem erſten Menſchen ge- 
geben hat. Umd die Vaterlandsliebe'ift unfer Erbe; fie lebt im 
jeber Bruſt und regt ſich da am flärkfien, wo ber Menſch am 
ebelften und geeignetften ift zum Wirken und Bollbringen. Warum 
fol ic; mein Volt nicht lieben, dem id) angehöre nad) Sprache 
und Sitte? warum dem Stolz nicht in mir mähren: es ift das . 
befte unter allen? — Mur der liebt fein Weib am meiften und 
redlichſten, der es für die Einzige ihres Geſchlechtes hält. — Gott 
hat uns Verſchiedenheit der Bildung und der Sprachen gegeben; 
er wolte alfo, daß ein Unterfcjied fei zwif—en ben Böllern. Wie 
überall, fo aud) Bier eine Stufenreife — Diefe find in des 





Bildung oben an, Jene tiefer unten. Bloß durch Schritte kömmit 
man zum Ziele.“ 
Auch duch Sprünge!“ fiel der Deutiche fpöttifch ein. „Meine 


Vorfahren, die Germanen, lernten von ven Römern, diefe von 


‚den Griechen, und Ihr Böhmen Habt von uns Deutſchen gelernt. 


Das Liegt an der Zeitfolge und an der Nachbarſchaft. Wohnten 
Tartaren rings um Euer Laud, Ihr wäret noch Barbaren auf 
viele Jahrhunderte Hin. Und wenn ich den einmal mit Gewalt 
in dieſen vaterländifchen Jammer mit einftimmen fol, jo will ih 
denn mein Deutihland 'rühmen, Cuc zum Trotz, und weil es 
den Ruhm verdient. Seine Schönheit ift eigene Schönheit, die 
Eure nur eine von ihm erborgte. Wer Hat Euch Fürſten ge- 
geben wie König Johann, den Helden von Crecy, umd Karl deu 
Bierten, der dieſes waldumzogene, rauhe Barbarenfand zum Garten, 
dieſes ſchmutzige Prag, wo es nichts gab als Sonnenſchein und 
Dubelfad, Schmug und Pelzwert, zum Site bes Wohlftandes, 
ber Wiſſenſchaft und Künfte gemacht Hat? — Wer? Das Aus- 
Ind — Deutihland! — Welder Erfindung könnt Ihr Euch 
rũhmen ?* 

„Wir Haben die Drefchflegel und bie Morgenfterne erfunden,“ 
unterbrad ihn Vratislav mit gerötheten Wangen, „um damit den 
Nachbarn, den Deutſchen, den Kreuzheern, des Heiligen römiſchen 
Reiches, am dem nichts röhniſch ift als der Adler im Wappen, 
die Schädel einzuiclagen.“ 

„Welcher Erfindung könnt Ihr Euch rühmen?“ fuhr, dem 
Einwurf nicht beachtend, Spanberg fort. „Wir haben das Feuer- 
gewehr, die Uhr mit eigenem Triebrad und das Druden erfunden. 
Das ift unbeftritten. Dagegen führt mir feine Beifpiele roher 
Kraft an. Mit der kamen aud die Tartaren bis nad Mähren, 
und ding fie Sternberg niit, fo waren fie jetzt größer als Ihr. 
— €, freilich gibt es einen Unterfdieb unter den Völkern, und 
leider, daß es ihn gibt! Die Einen find Sildungsfähiger, als die 

7* 





100 


Andern; aber das liegt an Zeit und Lage, wie ich ſchon geiagt 
habe, und dafür faun Niemand; braucht fi deshalb aud nicht 
zu brüſten! Wie oft haben wir Deutſchen die Ungarn und 
Preußen geſchlagen! Und beweift das etwas? — Ihr habt von 
uns gelernt, das ſteht einmal fe, ımd wie das Land Hier liegt, 
rings eingeſchloffen von Dentihen, fo wird es im Laufe ber Zeit 
ſelbſt einmal deutſch, ganz dentjh werden. Der Schafpel; wird 
verſchwinden, der gefräßige Mund, der plumpe Tanz, die ranhe 
Sprache.“ 

„Werdet nicht beleidigend, Ritter!“ warf Bratislav ein; 
„ir find bier acht Böhmen nnd vier Deutſche an dem Tiſche.“ 

„als wenn das etwas bewieſe!“ lachte Spanberg; „die 
Zeit wird lehren, daß ich recht gefproden Habe. Aus Römern 
und Vandalen wurden die heutigen Italiener, aus Barbaren 
unter deutſchem CEinfluffe wurden Böhmen, aus Böhmen’ werden 
Deutfche werden.“ 

„Da Ihr von Fürſten ſpracht,“ gegenredete Vratislav, „die 
uns das Ausland gegeben, fo nenne ih Euch einheimifche, wie 
Ihr fie nie beſſer gehabt in Deutſchland. Unfer Pkemysl-Otafar, 
der vom Sunb bis zur Adria herrſchte und flolz genug war, 
eine deutſche Kaiferfrone zu verfhmähen, unfern Helden Bketislav, 
eine Erſcheinung, welche die fabelhaften Geftalten der Göttermythe 
verwirklicht, und fo weiter hinauf die Boleslave, Vratislave bis 
zur hochherzigen Libusa. — Und von wo aus, frage ih Euch, 
ging für Deutſchland das Licht? Von uns Warum firömt Ihr 
Me, Polen, Franken, Deutſche, Schweden, hierhin nad Prag 
auf bie Hochſchule? — Um zur fernen! Wo entzünbete ſich der 
Beuerftrahl, der das Evangelium erklärte und vom feinen Mar- 
mortafeln den Staub und Roſt hierarchiſchen Wuftes löfchte? 
Bei ung — beim ewigen Gott! Das ift der größte Triumph 
aller Zeiten und Völker. Johannes Huß predigte diefen Triumph 
in ber Heinen Sanct Bethlehemskirche und feierte ihn im Schei- 





101 


terhaufen zu Conſtanz. Darin, in ber Religionsfreiheit, in der 
Bahrheit umd Weisheit der Glaubenslehre find wir allen, Völkern 
Mufter und Vorbild. An biefes Eine, höchſte und heiligfte Gut 
haben wir Ströme von Blut geſetzt. Deutihland — Schande 
ihm — Hat im Solde ber römifchen Pfaffen diefes erhabene Gut 
uns fiehlen wollen. - Knechte der Curie famen, uns Feſſeln an- 
zulegen, ums im tiefe, finftee Nacht zu merfen; wir waren bie 
Adler, welche bie Ketten fprengten! Es ift ein großer Kampf 
durch uns entſchieden worden: die Frage nämlich, ob fortan die 
Welt durch Vernunft oder pfäffiſchen Unſinn fol vegiert werben. 
Der Sieg ift auf umferer Seit. Da kommt ber und Iernt! 
Dies Böhmen wird umd fol der Heerd werden, mo Ihr Eure 
Flammen Holt, wenn Euch das Licht ausgegangen; es ift der 
Schoß, wo bie göttliche Wahrheit geboren wurde ale eine Mi- 
nerva mit Schild und Speer, die da hinauszog, um die grauen- 
volle Lüge, das Ungethüm Aberglauben, den Unfinn und bie 
Abgötterei zu befehden I" 

„Beim Beifgen Protop und bei Friedrich dem Kothbart 
ſchrie Spanberg dazwiſchen, „Ihr feid ein Rebner geworden, daß 
Ihr uns Alle in Erflaunen fegt. Sonft fo flumm, jetzt fo ge- 
wandt in Worten! Ich fagt es ja: es fommt nur drauf am, 
daß man an eine Tonne ſchlägt; die Eine ober die Andre tönt. 
Mopfte ih nun nicht an, fo wär’ das Faß mit weißem Bier 
da dumpf und ſtill geblieben; wir hätten nichts von dem köſtlichen 
Iuhalt erfahren. Ganz vet, junger Mann vom Lande! Ihr 
habt in Eurer Einſamkeit gehört von diefem und jenem, und 
Vieles treulich behalten. Ihr habt’s von fern gefehen und dran 
geglaubt, wie man's Euch gefdjildert. — Im Glaubensſachen bin 
id fein Zänker; Eins aber weiß ich beffimmt, daß das Licht, 
was Ihr geſchildert Habt, feinem Verlöſchen nahe if. Biel tau- 
fend Hände greifen zu nad) der einen, einzigen Flamme — man 
blaft von allen Seiten — auch; Ihr biaf drein, um fie anzu- 





102 


ſachen — aber Italien, Deutſchland, Brandenburg und Sachſen 
blaſt; das gibt einen Sturm, und ber löſcht die Famme aus. 
Behaltet das wohl! Bielleiht erleben wir's noch. Ih wollt 
auch einmal ernft fein; drum ſtand ich End; Rede. Ich bim zu 
ſtolz, um mid, für Euch oder gegen Euch zu erklären; ich fehe 
die Sache flar von oben an. Wahrheit iſt ein bitter Ding — 
Hab’ ich fie im Munde, kann ich fie nicht wieder Himunterfchuden.“ 

„Doch ift Wahrheit,“ gegenredete Vratislav, „wieder him · 
melweit unterfdieben von MWebertreibung, in der Ihr Euch zu 
gefallen ſcheint. Schmach ber Welt, wenn fie unfer reines Glau- 
benslicht ausgehen läßt wie die Lampe in einem Todtengewölbel 
Es ift unmöglid, und wer reinen und freien Herzens iſt, muß 
fein Leben einfegen für den Kelch und die neue Lehre. — Wir 
gaben der Welt ein Beifpiel! will fle noch langer dumm fein 
und uns nidt begreifen? Gut! eine kommende Zeit wird ger 
rechter fein. Wir aber müflen ausfämpfen, wenn wir auf 
unterliegen. Nur mit dem Tode beftegein wir biefen Brief, der 
unſer Vermachtniß ift für ein kommendes Gefchledt. — Ihr feid 
ein Deutſcher; wie könntet Ihr lieben, was böhmiſch iſt? Wäre 
der neue Glaube — doch was fag’ ih! ber alte reine Glaube, 
wie ihn Chriſtus und die Apoftel gelehrt, und Huß und Hiero- 
nymus nur aufgefriſcht Haben — wäre er eine deutſche Erfindung 
wie das Feuergewehr, Ihr würdet mit größerem Prunfe davon 
ſprechen. Wahrheit if ein bitter Ding; barum Hört fie auch von 
mir: ich haſſe die Deutſchen, ja ich achte fie nicht einmal. Den 
Ruf der Feigheit, die fe gegen ums bemiefen —“ 

„Sprecht nicht von Feigheit zu mir!" polterte Spanberg 
mit zornrothem Gefichte. 

Ruhe — Ruhe!“ rief Zedtwic und einige Andre; „laßt es 
einen Tauſch der Meinungen fein und feinen perſönlichen Streit.” 

„3a, ich Haffe bie Veutſchen,“ fuhr Vratisiav, unbekümmert 
um bie Zwiſchenrede, fort; „denn fie haben uns nie Gutes, im · 





103 


mer nur Schlimmes gebracht. Sie find in das Land eingebrungen 
wie der Igel im die Höhle des Dachſes. Sie famen arın zu 
ums, um fi zu bereichern; nicht um zu geben, nur um zu 
nehmen, öffneten fie flets die Hände.” 

„Und Ihr Habt fie doch flets gerufen,“ fpottete Spanberg, 
„habt von ihnen Sitte und Weife gelehnt, ließet die barbariſche, 
tartarifche Rohheit Euch abſchleifen von ihnen, nahmt ihre Ges 
fege, ihre Trachten an, Bürgertet ihre Sprade bei Euch ein! 
Beim ewigen Gott! nicht ans der Mitte diefer Wälder ging bie 
Cultur hervor; fie wurde Euch gebracht. Man lichtete bie Forfte, 
um Licht Hereinzufaffen. Wenn einmal von Vorwürfen die Rede 
iR, fo fann ich and) damit dienen.“ 

„Ihr bleibt ewig die Schuldner,“ warf Vratislav ein, „wir bie 
Gläubiger. Der Boden unſers gefegneten Landes Hat End; ernährt.” 

„3% komme mit Gründen und Ergebniffen nicht durch,“ 
ſchrie Spanberg und ſchlug Heftig anf ben Tiſch; „ih muß dem 
Big zu Hilfe rufen. Ja, Euer gefegnetes Land! Daß Gott er- 
barm’! Es Tauerte der Slave im Pelzrock in ber niedern Lehm ⸗ 
hätte, arbeitete grad’ fo viel ale möthig tar, feinen Hunger zu 
ſtillen. Blieb etwas übrig, fo beranfchte er fi und fprang in 
tofer Laune bei den Xönen bes Dudelſacks wie ein getühlvoller 
Bär herum. Das Haar Tießt Ihr wachen, um keine Scheere 
zu verderben; Knechte ber Einzelnen bliebt ihr dus Faulheit, weil 
Euch Knechtſchaft bequemer ſchien, als Thatkraft. Lehr’ und Bei- 
fpiel wies der Harte bohmiſche Schädel zurid faft Jahrhunderte, 
bis Otatar, ein Heller Kopf, fie ihm aufdrang. Und dafür wurde 
er gehaßt und gefhmäßt! Weil Ihr unfre deutſche Sprache nicht 
verſtandet, nanntet Ihr uns nmömi, das Heißt Stumme, und bie 
Nutten, die bei End; fo gut hauſten wie fiberall, nanntet Ihr 
dentſche Mänfe. Das war ein Bolswit! Schad' nur, daß ber 
Börrath fo bald erihöpft war! — Cines bleibt feſt — Ihr müßt: 
Dentfche werden — Ihr, werdet e8 mit ber Zeit aud. So ver- 


104 


ſchmolz Bandale und Römer, Gallier und Gothel Nehmt Lehre 
an und laßt den Starrfinn fahren. Wir wollen Alle Eine Ra- 
tion fein — mit gleiher Sprache, gleicher Sitte, gleihem Glau- 
ben; dann gibt es feinen Haß mehr, feinen Meinungstampf und 
feinen Krieg.“ 

„Da fei Gott vor!“ verſetzte Vratislav erhigt, „nun und 
nimmermehr — bis in Ewigkeit niht! Sinn, Sitte, Blut und 
Geiſt paßt nicht dazu. Nicht mit dem Bären fünnt ihr das 
ſchlanke, flüchtige Reh vermählen, die Krähe nicht mit der Nach 
tigall! Und warum folen wir verihmolzen werden mit Euch? 
warum Ihr nicht mit une? Mit demjelben Rechte fordre ich von 
Euch: werdet Techen, werdet Siaven! Lernt unſre Sprade; wir 
lernen doch die Eure aud. Aber die deutihe Zunge, rauf und 
umbeholfen wie alles deutſche Weſen, firäubt ſich mächtig dagegen. 
Wir fomen als Sieger und Eroberer in dies Land, uns ziemt 
es, Gefege zu geben., Hier von uns geht die erhabene Kirchen- 
reform, welde die ganze Welt umgeftalten wird, aus. Lernt doch 
von uns, da Ihr vom uns nehmt! — Aber mein! Die Art 
Hochzeit Könnte uns nicht behagen. Nie dürfen fi Böhmen und 
Deutſche vertragen. Es liegt ein Haß im Blute, wie zwiſchen 
Wolf und Hund. Gott fei vor, daß wir die Befiegten, Ihr die 
Sieger wäret! Es müßte Euch munden, von unjerm Ueberfluß 
zu ſchwelgen! Nur der Slave paßt zum Slaven, nad Sprade, 
Körperbildung und Sinnesart. Der Deutſche, der Cindringliche, 
der Freund und Diener des Papftes, ift unfer natürlicher Feind. 
DBWem’s wohl zu Haufe if, im feiner Heimath, der zieht nicht in 
die Fremde. Nur die Hungrigen gehen betteln; die Gatten ſitzen 
vor der Thüre im Schatten des Baumes und freuen fich der 
Behaglichkeit. Wuc der Böhme kann erobern; das hat Ottofar 
gezeigt. Man hat's uns wieder geftohlen, unb von Wien aus 
fireden bie Deftreicher, die Habsburger, ihre habſüchtigen Arme 
aus, einen Juwel nad dem andern aus Böhmens Krone zu 


105 


reißen. Und wir ſollten den Dieb, der uns beftiefft, nod) Lieben? 
Ein verflschtes Recht, das man verlangt! Wer geſchlagen wird, 
wehrt fi; wer fi ſchlagen läßt, verdient es. Wie ich feſt 
überzeugt bin, daß dies mein Kopf hier, dies mein Auge iſt: 
eben fo feft bin ich überzeugt, daß wir dereinſt alle die Länder 
wieber unſer nennen werden, die man und geraubt. Weithin 
muß der böhmifche Scepter über die Erde reihen. Wir verbienen 
zu herrſchen, micht zu gehorchen. Wo ift ein anbres Boll, das 
fih mit uns an freiem, raſchem, hellem Sinn, an Kraft und 
Muth, am Tapferkeit und Ausdauer meflen fönmte? Hat man 
den legten Krieg vergeffen, deſſen Ruhm die Welt erfüllt? IR 
der Schreden ſchon verträumt, den unfre Hänflein rings in deut» 
ſchen Landen verbreitet? Sind alle Wunden ſchon vernarbt, bie 
Eud die Huffiten gefhlagen? Unterfuht die Schlachtfelder und 
die deutſchen Kirchhöfe; Ihr werdet viele taufend Schädel finden, 
in beren Knochen ein böhmiſch Schwert hineingehadt. Das fteht 
fe wie Gottes Sonne! Will der Fremdling mein Bolt, mein 
Vaterland ſchmähen, jo hör er auch die bittre, herbe, nadte 
Wahrheit und ſchäme fi, wenn ihm Scham nicht ift ein altes 
Bars, das er Kängft abgelegt! 

„Ihe werdet heftig und reizt mich darum zum Laden,“ 
rief mit Hohn der Deutihe; „Ihr ſtreitet, weil Ihr nicht wider ⸗ 
legen könnt. Alle Böller, fage id, find gut; nur durch den 
Weltlauf ſteht das, eine Höher, das andere nieberer auf der Bil- 
dungsftufe. Ich laſſ Euch Eure Erfindungen: es werben herr ⸗ 
liche Kuchen, treffliche Kolatſchen hier gebaden; auch verficht man 
Schweine beffer zu mäften, denn im Reid. Man bat fogar, 
wenn's die Schottländer nicht gewefen find, den Dudelſack hier 
erfunden. Das iſt freilich eine Göttermufil gegen bie Harfe, bie 
Laute, die Schalmei! Man kann vortrefflich tobtichlagen Hier zu 
Sande, arme Nonnen und Mönde braten, finden, ihnen bie 
Glieder verftümmeln und Bände aufihligen. Es ift ein großer 


106 


Kriegeruhm; aber bas wilde Thier- Hat ihn and. Nur Hab’ id 
nirgend gelefen, daß uns das Ranbthier als Mufter ber Menſch- 
lichteit vorangehe. — Alſo Enre Erfindungen in Ehren! Auch 
den Drefchflegel und die Senfe als Waffe will ih End nicht 
beftreiten; und baß Zwiebel und Knoblauch eine vortreffliche 
Speife fei, wird Niemand in Abrede fiellen, der dergleichen nicht 
zu effen Brandt. Was aber der Handwerker jett treibt, der 
Künftler teiftet, iſt nicht auf einheimiſchem Boden gewadjfen wie 
die Kirſche und die Rebe, bie wir Euch hierher geſendet. Geht 
nad; Deutihland, Herr! Werdet bort ein Straßenprophet, rühmt 
ihnen die vaterlänbifche WBortrefflihfeit und das Licht, das von 
bier ausgegangen: fie werben. ben Mund auffperren und Euch 
nicht begreifen, bloß darum, weil es verfiodte dumme Dentfche 
find.“ 

„Du mußt nicht ſchimpfen, Regensburger!“ fiel einer der 
Studenten ein; „fein ruhig die Sache ansgefochten 1" 

„Ei! das ift ganz deutſch,“ bemerkte Bratislav giftig. — 
„Als daB Kreuzheer bei Taus fand, da fhimpften bie ſchwa- 
biſchen und baieriſchen Soldknechte gegen uns Huffiten, und 
Hatten ben Mund fchredlih voll;. als aber erft die Drefääflegel 
anf die Karten Schädel kamen, da ſchrien fie und Tiefen und 
fagten : die Ketzer fireiten mit dem Teufel, fie find unübermindlic 1" 

„3% ſchimpfe nicht!“ kreiſchte Spanberg voll Ingrimms; 
„doch ziemt es mir, einem jungen, bartlofen Sant, der vom Dorf 
hereingefommen und ſich anmaßt über Völfer und Berhältnifle 
abztturthelten, gehörig An dienen, Erfahrung if ein gut Ding, 
und bet Natr, ber nicht nach iht ausgegangen, glaubt fie immer 
am Erſten heimzubringen. Wir matt im der Wald ſchreit, fo 
tönt es wieder. Rarren If nicht gut predigen. Der Heine Topf 
quilft zuerf über, und hohle Faſſer klingen recht hell. Ich bin 
ein Mann und lafſe mir nichts bieten. Habt Ihr in eines 
Andern Namen geſcholten, fo delt’ Id End; mit eines Andern 


107 


Borten. Kaiſer Sigismund fagte: Ich gäbe Ungarn darum, 
wenn in Böhmen fein einziger Böhme wär! Und in Oeſtreich 
geht ein Spruchwort: Gin böhmifcher Schädel, auf den Ambos 
gefegt und mit dem Hammer darauf geſchlagen, gibt Funken.“ 

„Wis Gott, Herr Deutſcher!“ fchrie Vratislav außer fi, 
„ich entlode mit meinem Schwert auch Eurem Schäbel unten, 
daß Ihr dapon geblenbet werdet. in Hieb vom Dorf iſt eben 
fo gut wie einer ans der Stadt. Möcht' fehen, ob Euer Schwert 
länger ift, als Eure Zunge! Die ſchneidet tet gut — wir 
tonnen fle aber ſtumpfen wie Enre Aingen!“ 

nDas mir? das mir?“ fuhr Spanberg auf, flürzte bem 
Stuhl Hinter fi um und riß den Degen aus der Scheide, „von 
ſolchem bleichen, abgezehrten, giftigen Fant, von foldem freibe- 
weifen, farbfofen Hund, ſolchem Bauernſohne, folhem Käſejunker ? 
Nur heraus mit der Klinge, wenn's fein Rattenſchwanz iſt! Ich 
bin der Mann, der ſolche Muſik verfieht! Heidi! ich Tann auch 
unten ſchlagen. Seht nur zu, wo's zuerſt bfigt.“ 

Er drängte diejenige, welche ihm zurüdhalten wollten, von 
fih und ſchwaug das Schwert über den Tiſch Binfber gegen 
Bratislan, welchen Zedwic zu beſchwichtigen vergebtid fi mühte. 

„Je, Dir Goliath mit der Läfterzunge,“ ſchrie Vratislav, 
„breitmäufiger, ſchimpfluſtiger, wigffichtiger Hausnarr! — ich biene 
Dir. Det iſt mein Todfeind, der mein Vaterland ſchmäht und 
mein Bolt! — Saw zu — ich ſtehe fell“ 

Im dem Angenblide fiel ein Streich des Gegners auf fein 
Haupt: es flirrte ihm dor den Augen, warmes Blut rann über 
feine Stirme. Aber er hatte im der Ueberraſchung noch Beſin ⸗ 
mung genug, um auszuholen; da ihm aber ein Dritter in ben 
Am fiel, fo wurde aus dem Hiebe ein Stich, welcher durch die 
Btuſt des Deutſchen ging. 

Unter lautem Wehgeſchrei ber Herbeiſtürzenden fiel er au 


108 


Boden; wie aus einem Bergquel ſchoß rothes Blut aus der 
tiefen Wunde. i 

„Bratislov! Bratislan! mas Haft Du gethan?“ rief Zeöwic. 
— „Unglüdfelige That! Wehe! Wehe“ 

Vratislav wifchte fih das Blut von Stirn und Augen; 
denn noch flirete und dunkelte e8 vor feinen Bliden. 

„Ich habe meine Pflicht gethan,“ rief er; „beim ewigen 
Gott! ich konnte nicht andere. Wär’ ih ein Böhme fonft ?« 

„Gott, mein, Gott!” wehllagte Zedwic mit ben Uebrigen; 
„wir bielten das Alles lange für Scherz, wie es die Weiſe des 
tollen Spanberg —“ 

„Bei mir war's heiliger Ernſt!“ fiel Vratislav bejonnen 
ein; „ich werd’ ihn auch büßen.“ 

Der Verwundete hatt die Augen geſchloſſen und röchelte 
hörbar. „Er ſtirbt!“ rief ein Student, der fein Tuch auf bie 
Wunde Spanberg's drüdte; „laufe Einer nad) dem Arzte — laßt 
fonft Niemand aus dem noch in beu Garten, damit die Unthat 
nicht ruchbar werde. Mufte das fo enden 2“ 

nGebt ihm Wein, öffnet ihm den Mund,“ vieth ein Anderer, 
„bamit das Blut zum Munde heraus kaun; er erſtickt fonft 
daran. Bielleiht ift noch Rettung möglich.” 

Schafft ihn in’s Haus!“ flehte Zeöwic — „ſchweigt ſtill, 
daß nicht die Nachbarn von dem Unglüd Kunde erhalten! — 
Du aber, unglückicher Freumd, flieh', flieh', vette Did! Nicht 
zwei wollen wir auf fo graufame Art verlieren.“ 

„Ich fliehen ?* antwortete Bratislav eruſt und falt; „wer 
die That gethan, muß aud die Folgen vertreten. Führt mich 
zum Richter!” 

„Um Gotteswillen, flieht, rettet Euch!“ flehten dringend 
and) die Uebrigen, „Ihr fennt ben Anfchlag an der ſchwarzen 
Tafel im Carolinnm. Wer einen Andern im BZmeilampf ver- 





munbet, muß von Henkershand ſterben; Ihr feid der Erſte, der 
dagegen handelt — Ihr Habt auf keine Gnade zu hoffen.“ 5 

„Bon Henfershand?“ vief Bratislan erſchüttert, „das ift 
ſchreclich 1" 

„Den? an den Oheim, an meinen Vater 1“ übereebete ihn 
Zeöwic; „den? an mic, an Pater Eyrilus! Befreie Dein Leben 
aus des Henfers Hand! Wird er gerettet — fo wird Dir auch 
Berzeifung. Gott kann Alles noch zum Beſten wenden.“ 

Lebt wohl!” fagte Bratislav raſch entſchloſſen und ftedte 
fein blutendes Schwert in die Scheide; „betet für mid und 
Jenen dort! Gott fei uns beiden gnäbig!" 

Er verſchwand nad) biefen Worten aus dem Garten; Zeswic 
folgte ihm. — 


10. 


An der weſtlichen Seite des Prager Schloffes ſtehen drei 
alterthümliche Thürme, knapp am Rande des Hirfchgrabens, welde 
durch mehrere Gefchoffe verbunden find; fie heißen der weiße 
Thurm, die Daliborfa und der ſchwarze Thurm. Die oberen 
Stocdwerke dienten damals dem Burggrafen zur Wohnung; in 
den untern, wo bie Mauern noch viele Klafter tief in den Berg 
und Felſen hinabgehen, befanden fi zahlteiche Gefängniffe zur 


Aufbewahrung von Berbrechern. Die befannte eiferne Jungfrau, 


eine Mafchine, welche dem Miffethäter, der in einen engen Gang 
geſtoßen wurde, durch ein fünftliches Triebwerk entgegentrat, ihn 
umarmte und in demſelben Augenblide mittelft heimlich arger 
brachter Federn mit Hundert Dolchen durchbohrte, hauſte gleich“ 
falls in biefem ſchaurigen Aufenthalte, der ſcheu von Jedem ge- 
mieden warb. 





110 


Es war Abend; in dem unterſten Gewölbe der Daliborte 
verlojch ber matte Strahl, der von hoch oben durch verſchiedene 
Deffnungen hineinfiel. Auf einer nmigdern Steinbank faß eine 
regungslofe Geftalt: ein Mann mit Händen und Füßen ange 
fettet. Er fummte ganz leife vor fi Hin in der öden Einfam- 
keit; nur manchmal unterbrach die dumpfe Stille das Geblirr, 
wenn ſich ber Kette Glieder am einander vieben. 


‚Draußen raffelte e8 jegt am den Thilren; Riegel fielen und 
Angeln Inarrten. Die niebre Pforte öffnete ih; der Strahl 
einer Lampe drang Herein, mit ihm der Gefangenwärter, ein 
bärtiger, wilbausfehender Mann. Es wurde Zag in diefer Dede. 
Der Lichtftrahl flimmerte wieder von den naffen Quaderſteinen 
und beleuchtete jegt grell den Gefangenen. Diefer war ein Mann 
von beinahe ſechzig Jahren; um Bruft und Schultern Bing lang 
und wire das ſchwarzgraue Haar; fein Antlitz war abgezehrt, jo 
wie feine Hände; aber: der Körperbau zeugte noch von Kraft und 
ehentaliger Mustelftärke, in dem faltigen Antlig ſchimmerte noch 
der Ausdrud von Muth und Kühnheit; nur das Auge in feinem 
irren Scheine, feinem Auf und Niederzuden, ſchien mehr einen 
Wahnfinnigen, als ein gefeffeltes Ungehener anzudeuten. Noth- 
dürftig mur Hüften ihn Lumpen ein, deren einzelne Feen ver- 
fault von Armen und Beinen herabhingen. 

As der Wärter die Thüre wieder Hinter ſich gefchloffen 
und einen Korb niebergeftellt Hatte, erhob fich der Gefangene aus 
feinem büftern Hinbrüten, blicte empor und- fagte leife mit Heiferer, 
wehllagender Stimme: „Seid Ihr's, Barcal? — Tretet ſacht 
auf! Ihr feht, ich kann mein Kind Hier micht einſchläfern; ber 
arme Knabe weint uud ſchreit. Er ift wohl frant, Tann Bier 
die ewige Nacht und Kälte nicht vertragen.” 

Er beutete bei diefen Morten zur Geite hin mad einer 
Puppe, die er fi) aus Stroh geformt nnd neben fich auf ben 








111 


Boden gelegt hatte, und begann wieder leiſe ein Wiegenlied zu 
fummen. 

„Laß bie Thorheit, verrückter Sup!“ antwortete rauh 
und gebieteriſch der Gefangenwärter Barcal, „ſonſt muß ich Dir 
den Strick wieder ein paar Mal um den harten Schädel ſchlagen, 
damit Du vernünftig werdet. — Ich bringe Dir zu effen — hier 
iſt Brot und bier iſt Waffer, und bier fogar noch eine falte 
Hammelkeule. Die jGidt Dir meine Tochter Beta. Cs ift 
ihr Namenstag Heute — den feierten wir — und da plagte mic 
das narriſche Ding fo lange, bis ich ihr erlaubte, Dir da einen 
feltenen Imbiß zu fchiden. — Laß alfo ben Strohwiſch und greif 
nad) dem fetten Imbiß. — Wird Deinem Magen wohlthun — 
Haft lange Zeit nichts fo Köſtliches unter den Zähnen gehabt. Biſt 
zwar ein großer Verbrecher, aber weil Du mürbe geworden bift, 
fo hat mein Kind Mitleid mit Dir. Sie hat ein gutes Herz, 
fie ſagt: Da Gott barmherzig if, fo fol. es der Menſch auch 
fein. Aber wer Verbrechen gegen feine Nebenmenſchen übt, ift 
nicht barmherzig gegen fie und muß darum gezüchtigt werben 
mit eifernen Ruthen. Da iß — ih Tann nicht fange bleiben. 
Beta wird Bent’ zeitiger zu Wette gehen; bie Freude muß ich ihr 
am Geburtstage ſchon gönnen.“ 

„Wenn nur aber erfi mein armes Kind einſchlafen wollte!“ 
webhllagte Slup, der Gefangene; „es bat fo lange nichts gegefien 
— 8 ift tobtkrant, Ach ich werde mod das Schrediicfte er⸗ 
leben müfjen !* 

„Mach' mich nicht, wild!“ fuhr ihn der Wärter an; „haft 
Du Deine Duden heut’ wieder, jo foll mein Strid mit fünf 
fahem Knoten Dir den Dufel vertreiben. Ein Menſch, grad‘ 
wie das Bieh; muß felbft zum Eſſen geprügelt werden! Ich 
werde einmal für ſechs Tage nicht herunter kommen; da ver- 
hungerſt Du — und wir find die Qual dann (od. Und ben 


12 


nt 
often Strohwiſch nehm’ ih Dir weg und merfe ihn in’s 
Feuer." 

„Ad, um Gottesroillen wicht, Herr!" rief voll Seelenangſt 
flehend der Gefangene und umklammerte mit den gefeffelten 
Händen die Kniee Barcal's — „ſchlagt mic, lieber, guter Mann, 
tretet mi, fo — nur auf bem Kopf, ich will es dulden, wenn 
der Schädel.nod fo fehr kracht und es drin brauft und Mir; 
aber mein Kind bier lat mir nur, meinen lieben, einzigen Rua- 
ben. Ad, nur um feinetwillen trage ich das armfelige Leben 
und firenge mi Tag und Nacht an, ihn einzuiullen, mit Küffen 
zu bebeden, mit Thränen zu negen. Ich kaue ihm die Biffen, 
hauche ihn warn an, daß er mir nicht erfriere in den ſtarren 
Nächten, und zieh ihn groß, bis er laufen kann. Dann will 
ich fierben — recht gern fterben, und das wird mir wohlthun. 
Mein Knabe aber ift frei, der geht dorthin — "dort — dort — 
auf ein prädtiges Schloß; fie ziehen ihm Kleider von Seide an 
und nennen ihn Junker. — Er wird's auch erzählen — wie er 
mir die Augen zugedrüdt hat.” 

„Laß dod die Poflen, Slup!“ gegenredete Barcal im mil- 
deren Zone, denn fein Wort war nur feinem Geſchäfte angemej- 
fen, rauh und mürriſch, nicht fo fein Herz; „ich habe Dir ſchon 
oft gefagt, daß Du ein Thor bift, daß jenes Ding dort ein 
Strohwiſch if, aus demfelben Stroh geflochten, worauf Du ſchläfft. 
Haft doch manchmal Augenblide, wo Du ganz vernünftig fprichft, 
und der Bita haft Du Lieder und Mährlein erzählt, die fie mir 
miedeifagte, und die recht artig Mingen! ¶ Ware jener Strohwiſch 
wirffih ein Kind, jo müßte e8 ja ſprechen oder fchreien, ſich be- 
wegen und die Augen öffnen Tönnen, und da Du ſchon über 
zwanzig Jahre Bier in dem Loche figeft, fo müßte e8 auch größer 
und ftärter, ja ein Mann geworden fein. 

„Ei, das will ih Euch fagen, Herr!" verfegte der Gefan- 
gene pfiffig und wie belehrend; „die Mutter ftarb ihm während 





113 


der Geburt, und da hatte ich ja keine Bruſt, es zu fügen: 
darum ift es fo Hein geblieben. Das koinmt vom Waffer her. 
Ja — hättet Ihr mir eine milchende Ziege hierher gebracht, ich 
hätte meinen Sohn ſchon längft groß grzogen.“ 

„Unfinn — Unfinn!“ fiel ihm Barcal wieder unwirſch im 
die Rede. „Du haft weder Kind noch Weib gehabt; Dr haſt 
Deinen Bater erſchlagen, ein gräßlicdes Verbrechen! Weis aber 
in ber. Berrüdtheit verübt wurde, Hat Dich Kaifer Sigmund auf 
Fürbitte feiner Toter und mehrer Standesherren begnadigt und 
Hloß lebenslang gefangen ſetzen laſſen. Denk Du nod dran?“ 

„Ja — ja!” antwortete der Gefangene leiſe, „ich erinnere 
mid) ſchon — zimeilen fogar,. ich Bin. doch der Slup, der gem 
fährfiche Mörder, den fie Hier angefeffelt haben. — 3a, Ihr könnt 
zuweilen Recht haben. — Wenn nur mein Kind — doch — doch 
— id glaube manchmal, id ſei ein Anderer, ein — Ihr ver- 
rathet mid nicht — nein! nein! Nur das Kind follt Ihr mir 
nit nehmen; «8 macht Euch doch feine Plage. Glaubt mir, 
id) wäre noch efender, Hätte ic den Sohn nicht. — Ihr Habt 
feinen Sohn; Ihr wißt nicht, wie man einen Sohn liebt, felbft 
wenn er ein Zwerg, ein Krüppel iſt. Die ſchwachen Kinder liebt 
man am meiften. — Schafft mir eine Dede für ihm!“ 

Dein Anzug ift ſchon wieder ganz verfault,” entgegnete 
der Wärter; „ih muß mit Herrn Prichta, dem Oberanfjeher, 
ſprechen, damit Du einen neuen erhält. Siehſt aus wie ein 
wildes Thier!“ 

„Rein — nein, fagt ihm nichts!“ flehte der Wahnfinnige; 
mer fol nicht wieder böfe merden über mid nnd mid hungern 
laſſen. Ich Hungere gern; aber der ſchwache Knabe kann es nicht 
aushalten.“ 

„Mit dem verwirrten, verftodten Sinn!” fluchte der Wär- 
ter; „ich habe Dir's ſchon einmal eingeredet: Du fannft ſchreiben; 
ſetz' ein Bittgefuh an ben König oder am den edlem u 

Herloßfohn: Der legte Taborit. I, 





114 


anf, flehe um Deine Freiheit, verfpri, dab Du wicht mehr irre 
reden und rafen wiliſt, daß Du in mehr als zwanzigjähriger 
Gefangenſchaft eine verrüdte Unthat genng abgebüßt; mach's recht 
Hägfich, recht betrübt, daß es eiien Gtein erbarmt. Meine’ Bite 
iR eine ſchuude Dirne, fie wird gern vorgefaffen; fie laun bie 
Bittfgrift übergeben. Hört Dun? — am den König, noch befler 
an Meinhart von Neuhaus.“ 


„Weh'! ac weh!“ ſchrie jet plögfih der Gefangene mit 
der ganzen Wuth des Wahnfinmes aus, und ſchlug fi wie ra- 
fend die Ketten um Haupt und Schultern — „die Hölle ift los! 
— Der dort — ber bort! er Bat mic ja in Wahnſinn gebracht 
und zum Mord. — Satan — Satan, giftiger -Teufel! Deine 
Race war groß — die meine auch gut; aber Du Haft gefiegt. 
Ic beiße knirſchend in diefe roſtigen Ketten; Du liegt am wei- 
hen Pfühl und fpotteft meiner Schmach. Tritt mir nur entgegen 
— fo — fo; id erwürge Did mit meinen Feſſeln Hier. Das 
ſoll mid) laben. Herzenbrecher — Kindermörder! ich oder Du! 
Haft Du den Haben gefehen? Der Pfeil ging ihm durch den 
Leib; er blutet, aber er flirht nicht — er fönnte wieder auffliegen, 
wäre der ſchwere Pfeil nicht. Ich bin der Rabe — aber der 
Pfeil wird roften duch mein Blut und morſch werden. Ich 
breih’ ihn dann ab umd kann wieder fliegen. Heiſa! — Dein 
Gehirn hack ih Dir aus am Galgen, am Galgen — am Spieße, 
wo Dein bleiher Schädel ftedt. — Stil — fill! — Wie eine 
Schlange rauſch' ich ihm leiſe nah) und umwinde feine Knielehlen, 
daß er nicht fchreiten Tann, daß er nieberftürzt; dann raſch um 
den Hals, eins! zweil ih rıngle mid immer fefter drum.” 

Er rieb die Ketten am einander, daß der Wärter glaubte, 
fie würden zerbrechen, und um feiner Wuth Einhalt zu thun, 
faßte er nah dem Strid mit fünffahem Knoten, den er am 
Gürtel trug, und flug unbarmherzig anf den bleichen Schädel 











115 


des Wahufinnigen (06. Dieſer Hielt Ah die Ketten vor bie An» 
gen, bulbete ruhig die Schläge und wurde fanfter. 

„Da fiehft Du,“ ſchalt der Wärter, „wie ic Dich behandeln 
muß, wenn Du Dich geberdeft wie ein Thier! Nein, Du taugt 
nicht für die Freiheit! — Mich folte jedes gute Wort für Die 
gereuen.“ 

„Nur ‚Eins, nur Eins!“ flehte mit ängſtlicherer Stimme 
der Gefangene; „ſagt ihnen nicht, daß ich hier bin. — Ich wäre 
verloren, wenn fie wäßten, daß ich Bier gefangen fige Sie 
würden mic herausfchleppen aus biefer unterirdiſchen Wohnung 
umb dem. Henter übergeben. Es ift noch ein großes Glück für 
mid, daß id; der Batermörder Stup bin. Wär’ ih ein Anbrer 
— meh’ wir. dann! — Euer Vorgänger, der Wojtech, kann es 
bezeugen, daß ich wirklich der Slup bir. Er ift zwar ſchon tobt, 
aber er hat es Euch ſicherlich gejagt.“ 

„Rare oder Böſewicht!“ nahm Barcal wieder das Wort — 
„geh' in Dich, beffre Did, wende Dein Herz und Deinen Sinn 
zu Gott umb bete. Vielleicht erleuchtet Dich feine allbarmherzige 
Gmabe. Ic Habe Hier fiebzig Gefangene unter mir, recht wü- 
thige, verftocdte Burſche darunter, und doch macht mir Keiner fo 
viel zu fhaffen wie Du. Aber bald biſt Du gehorfam wie ein 
Hund, bald wieder toll wie ein Hund.” 

„3a — id will beten!“ betheuerte der Gefangene; „Gott 
wird dann meinen Feinden, den Abtrünnigen, den Feinden bes 
Kelches, ihre Sünden verzeihen. Ich will Gott anrufen zur 
Rache an ihnen. Ich will beten, wie wir in ber Schlacht be- 
teten und die Litanei fangen, als wir bie Pfaffen bei den Füßen 
anfhingen. Damit höhnten wir fie; es Mang recht lacherlich. Da 
hättet Ihr dabei fein follen !“ 

„Thor Du!“ eiferte der Wärter, „ic war dabei, aber miät 
Du. Es ift nicht gut, daran zu benfen. Ich befam es endlich 
fatt, das Schlachten, und weil ih viele Wunden hatte, fo fette 

&* 





” geigundenen Mönge. — 
zum 7% Oruzhe fafern — mb bereite Dich auf deu Himmel 
que NER lange wirkt Da’s doch nicht mehr tragen. — Es iR 
zu HR — dh Dame die Qualen los, umb der Herrgott wird 
ZU u wereihen, weil 


jünmel? Rein — nein! barans wird nichts. 
Ihr Habt fon einen Andern, der hier herein 
solk und de wollt Ihr mic los fein — Ich muß die Greißeit 
od einmal ichen, ich muß von Gottes Sonne befchienen werden : 
war in ihrem Glanze kann ich ausathmen: anf freiem Felde. 
und wat ich auf Erben geliebt, muß id noch einmal im legten 
Augeaktide, im Xobesfampfe au die Bruft brüden, und an einem 
‚ale will id weinen und beten, an einem großen Grabe. Das 
veriprecht mir.“ 

Freiheit will Du? von ihr tränmf Du?“ lachte der 
wWochter; „bei diefem irren Weſen erlangft Du fie nie Sie 
wide Dir and wenig frommen. Es gibt Menſchen, die wie 
wide Thiere find, und die müffen gebänbigt, angefettet und un- 
üblich gemacht werben. Wer ift der Thor, der den Wolf umter 
de Schafe fendet und glaubt, er würde ſich mit ihnen vertragen? 
In diefem engen, feuchten Loche mußt Du enden. IA Dein 
were GStünblein nahe, fo fende ih Dir einen Prieſter, der Dir 
den Kelch reichen wird.” 

O tagt nur erft mein Kind wohl fein,“ ſprach der Wahn- 
nige mit Zuverficht, „dann. werde ich auch mohl, und Kraft 
temmit wieder in meine Glieder. — DO! id war einft ein ſtarker 





117 


Daun — ich rüttie bier an dieſem Blocee, dort oben fpringen 
die Onader eutzwei, es öffuet ſich die Höhe, Licht dringt herein, 
und ich ſchreite über die Trümmer hinaus in's wieder gewonnene 
Leben, und ſehe die Erde wieder, und erblide, ob fie in dem 
awanzig Jahren gealtert hat, ob Kunzeln auf ihrem Angeficht, 
und id} erfahre, ob man mein noch gebentt, ob mich die Rache 
noch verfolgt, ob meine Lieben noch leben. Ich lieh fie unter 
den Lebendigeu und fie find frei.“ 

„Das Mingt Alles nah Berſtand,“ äußerte der Wärter, 
„wie Du die Worte ſetzeſt — und if doc finnios. Wie will 
Du Thor biefe Mauern brechen, dieſe nralten Gewölbe, welche 
die Zeit in einander gefügt, daß fie ein zufammenhängender Fels 
geworden? Im dem Leben Haft Du nichts zu fuchen — am 
wenigſten aber Liebe; die Haft Dir auch nicht verdient. Warſt 
vielleicht früher, bevor Du’ die Unthat begangen, ein guter, ver- 
mänftiger Menſch; aber Cine VBosheit vergiftet dem ganzen 
Menfhen. Das merle Dir! — Hier iR der Krug mit Wafler, 
bier das Brot umd Bier das Hammelfleiih. IE und trink, und 
dante Gott, der Dir’s gegeben, der im feiner Gnade aud bie 
Naben füttert und die Dohlen. Amen.” 

„O, bleibt mod — bleibt mod, mein edler Wohlthäter 
flebte der Wahnfinnige; „jagt mir nur, hat die Erde Rungeln 
befommen, feit ich fie nicht fah, umd die Sonne ben Staar ?“ 

Rare!“ lachte der Wärter über biefe feltfame frage, „es ift 
Sonne draußen, der Hirſchgraben hier draußen ift grün, ber 
Himmel blau, die- Sonne ſcheint immer noch friſch Guten und 
Schlechten, und die Vögel fingen, daß es oft eine rende if.“ 

„Dacht' ich's do!” fiel der Gefangene mit leuchten en 
Biden ein — „es muß ſchön fein. Geſtern — vermuthlid des 
Morgens, fette fid, weit oben über den Deffmungen da, ein 
Bogel in die Sude und fang fang und fhön, daß id; zu weinen 
anfing; er fang mir vom meiner Jugend, von meiner Liebe und 


118 


von Krieg und Schlachten. Er wußte das Alles auswendig. 
Gr fagte, er fei auch der Sohn eines Ritters, der tapier ge= 
ſochten für den Kelch; aber feit fie bie meue Lehre verboten und 
in den Bann getan und ihre Streiter erſchlagen, müfle er als 
Bogel verkleidet herumgehen und bürfe es ben Lenten nur bor- 
fingen: denn das Singen fei erlanbt, aber nidjt das Prebigen.“ 

„Schon vet, ſchon recht!“ brummte der Wärter; „laß 
Dir meinetwegen den Mädchenkrieg und die Thaten der Dra- 
homira vorfingen; nur beff're Dich, fei nicht wiberfpenflig und 
zwing' mid mit, Gewalt branden zu müſſen. Und num iß 
und ſchlaf dann.“ 

„Habt Dank! Doch noch Eins!“ flehte Slup; „hört mein 
Wiegenlied an, womit ich den Knaben hier in Schlummer ſinge. 
Meine alte Wärterin ſang es mir vor; ich hab's getreu behalten. 
Es füngt an —“ 

Er ergriff nad diefen Worten das GStrohbündel, bedeckte es 
mit KXüffen, legte es auf feinen Schoß mad begann nun im 
halb weinendem, Halb kreiſchendem Zone: 


„Ei, ei, ſchlaf, mein Kindlein, ein! 
Morgen wird Dir wohler fein. 

Id fauf Dir einen gold’nen Schrein, 
Drinnen Zuderbrot und Wein, 

Auch ein Wams von gelber Seide, 
Und ein Schwertlein famms der Scheide. 
Sollſt ein kleines Röfflein haben; 
Darauf launſt Du luſtig traben. 

Ei — ei, ſchlaf mein Söhnchen, ein! 
Du ſollſt auch turnei'n. 

Ja, Dein Vater benft daran, 

Du wirft ſelbſt ein Rittersmann. 

Ei, ei!" 


119 


„Tolle Poſſen!“ ſchalt der Wächter lachend, nahm Lampe 
umd Schlüfelbund, warf die Ihre Tradend- hinter ſich zu und 
Lie den armen Gefangenen wieder in feiner dumpfen Nacht. 
Diefer fummte aber immer noch leiſe: „Gi, ei, fÄlef, mein 
Sohnchen, ein!" — 

Der Wächter der Gefängniffe machte inzwiſchen noch bie 
Runde durch alle Gänge und am allen Thüren vorüber, unters 
fuchte die Riegel und Schlöffer, und flieg endlich müde bie Wen- 
deitreppe in ben Thurm hinauf, two ganz oben unter dem Dache 
feine Wohnung war. 

Hier ſaß Beta, fein ſchmudes Töchterlein, am Tiſche, worauf 
die Lampe brannte, und löe ſich die Zöpfe ihrer dichten, fhwarzen 
Haare auf. Das Mädden war gar lieblich anzufehen: friſche 
Röthe ſtrahlte auf ihren Wangen, Feuer in ihren Bliden, auf 
den Lippen lag die Röthe der Kirſcen, und recht fhemifc und 
ſchuchtern, wie jdalfhafte Mädchen, die den Freier belaufchen oder 
fi vor’ ihm verbergen, gudten bazmwifchen die Heinen, weißen 
Zähne hervor. — Der Alte hatte auch freude an feinem Kiude 
und war ihm mit aller Liebe gewogen; benn fie war das ein. 
ige Vermächtniß feiner Frau und erheiterte ihm manche Stunde, 
welche ihm der ſchwere, unheimliche Dienſt übrig ließ. 

„Ei, Du bliebſt lange, Vater!“ rief fie dem Gintretenden 
entgegen; „es it doch nichts Schlimmes vorgefallen? Hat ſich 
vielleicht Einer von der Kette losgemacht, oder hat man durch- 
brechen wollen ?* 

„Das nicht, Beta,“ fagte der Alte, jet darüber, daß er 
dem Wahnfinmigen fo lange Rebe geftanden und fich feinem Kinde 
entzogen hatte, ſelbſt verdrießlich; „ber verrüdte Slup hielt mid 
anf. Ich mußte ihm mit dem Stride erft noch eine Erbauungs- 
fiunde geben, bevor er wieder fanft wurde und vernünftig. — 
Bas Einem das Viehvoil dies Bißchen Leben fauer macht! Ih 


320 


Yale nicht zu dem Geihäftel — Das fag' ich alle Tage; aber 
wer lanus ändern?“ 

Er legte bei diefen Worten den Schläffefbumd ab und ver- 
ſchloß denfelben in einer ſchweren, eifernen Truhe, welche in der 
Ede fand und am dem Gteinbobem angefchmiederi war. Den 
Schlüffel zu berfelben trug er am Halfe, wo er an einer Schuur 
Bing. — Er fette fi) der Tochter. gegenüber an den Tiſch. 

„Run, und was macht denn der Slup?“ fragte Bita 
theilnahmvoll, indem fie das Mieder löfte, aus welchem ber züd- 
tige Buſen ſchüchtern und reizend hervorquoll. 

„Er trieb den albernen Unfinn mit dem Strohwiſch,“ aut- 
wortete der Bater, deſſen Augen mit Wohlgefallen auf feinem 
Rinde verweilten, „dann wurde er ganz raſend, als ic ben 
Nomen König Georg's nannte, und wollte die Ketten zeriprengen. 
Da mußte ich ihm eigentlih doch mit einigen Hieben zu Ber- 
Ronde bringen. Bufegt wurde er wieber ruhiger, und ba dauerte 
er mic faſt; denn er ſprach auf eine recht betrübte Weile vom 
Sonnenfhein draußen und von ber grünen Erbe.“ 

nah, es muß ſchredlich fein, mein Bater!“ feufte das 
Mädchen, „fo Jahre lang unter der Erde figen zu müflen, in 
eroiger Finfterniß, ohne Licht und friſche nf, von Riemandem 
gehört und verftanden, nur allein mit feinen @ebanfen und viel 
leicht einem böfen Gewiffen.“ 

„Und dod wollen es die Menſchen nicht anders,“ belehrte 
der Alte, „treiben Laſter und Unthat, ſtreben dem Nächſten nach 
dem Leben, fo daß man fie wie wilde Thiere entweder töbten, 
ober in einen Käfig fperren muß!“ 

„AA! wenn e8 mir nachginge,“ warf Beta ein, „ic ließe 
fie Ale frei Ich fagte zu ihnen: Lauft! und wer von End 
fih wieder’ bliden läßt, der wird gehangen. ie nrüßten mir 
aus dem Lande hinaus, um bier feinen Schaden zu fliften.“ 

„Da würden ſich die Nachbarn an der Grenze ſchön be- 


121 


danfen,” gegenrebete ber Vater, „wenn. wir ihnen fold verwil -⸗ 
dertes Geſindel über den Hals fdidten Sie würden Hug fein 
und Gleiches mit Gleichem vergeften. Wie wären bie Deutſchen 
froh, auch ihre Verbrechet los zu werden! — Nein, mein Kind! 
das geht nicht; Strafe muß fein, ſouſt hört auch jebe Belohnung 
auf. Wer Blut vergießt, defien Blut ſoll wieder vergoffen werben, 
fagt die Schrift. Und was würde aus den Gefegen, wenn Der, 
fo fi daran verfündigt, wicht gezüchtigt würde? Von einem 
Eigentum mär’ gar feine Rede mehr. — Bedauern kann ich bie 
Lente, denn fie find auch Menfden wie wir umd- unjre Brüder, 
daß fie fo dumm find, ihr zeitliches Beſtes nicht einzufehen; aber 
ifmen die Freiheit gönnen, das möchte ih nun und nimmermehr. 
Denn bie reblichen Menſchen müffen ıms Tieber und werther fein, 
als bie ſqhiechten, und wir müflen jene vor diefen bewahren auf 
jede Beife. Die Schafe fperren wir in den, Stall, um fie vor 
dem Raubthiere zu beſchutzen; ben Wolf aber verfolgen wir mit 
Waffen, um ihu zu tödten.“ - 

„Freilich, Vater,“ meinte Bkta, „if es traurig, daß fo viele 
Menſchen ſchlecht find und thun, was fie nicht thun follen! Aber 
ich bemitleide fie doch wieder, werzägg für eine einzige That 
des Haffes oder der Rache lebenslang büßen müffen nuter ſchred - 
lien Onalen. Wird denn bie Welt einmal beffer werden, lieber 
Bater, und wird dann Riemand mehr Böfes thun ?“ 

"Ih Hoff ee zu Gott,” war bie Antwort, „der es uns 
verheißen Hat im feiner heifigen Schrift, wo er fagt: Es wird 
dann nur Eine Heerde und nur Ein Hirt fein. Dies lege ich 
mir aus: wenn es nur Eine Heerde geben foll, fo müſſen auch 
nur einerlei Schafe darunter fein, alle im Frieden. gutgeartet 
and wohlgefinnt.“ J 

„Ach, ich möchte doch nur wiſſen,“ fuhr Beta fort, „warum 
id gerade mit dem Slup jo viel Mitleiden habe! Und er hat 
doch den Water erſchlagen: eine grähtiche That! Freitidh foll er’s 





122 


im Inrfinn getan haben; aber wie gelangte er zu dem Entſetz ⸗ 
lichſten gerade, woran fein frommes Chriftenfind ohne Schaudern 
auch nur denken kann? — Wenn ih mandmal zu ihm gehe 
und er ift recht ſanft und fprict gut und fromm, ba glaube 
ich's beinahe nicht, daß er ſolch' ein großer Sünder if. Er hat 
auch feltenes Wiſſen, Höher, als ein gemeiner Mann. Ich dachte 
ion oft, er fei einmal Priefter oder. Lehrer geweſen, und danu 
wieber geberdet er fi zuweilen wie ein Ritter, ber von Krieg 
und Waffen vielfach Beſcheid weiß.” 

„Es ift etwas Eigenes mit Ihm,“ äuferte der Alte, „Du 
Haft Recht, mein Kind; denn mit feinem andern von ben Ge 
fangenen Habe ich jo viel Geduld und Nachſicht wie mit ihm, 
Er fommt mir mehrmal wie zwei verſchiedene Perſonen dor, von 
denen ic} die Eine verachte, die Andere bebaure. Es Lmmt wohl 
davon her, daß er den. Verſtand verloren Hat, wie wir ja mit 
unmündigen Kindern auch viel Geduld Haben mäfen. Ich deuke 
noch dran, wie die Mutter todt war und Du kaum ein Jahr 
alt: — ich hatte auch meine Sorge mit Dir, Das weiß Gott! 
Nun if8 freilich beffer, und Du kannſt mir fogar Helfen, wenn 
ich nachgerade immer älter. und ſchwächer werde.“ 

„Aber weißt Du, lieber Vater 7“ unterbrach ihn Beta, „den 
Slup möchte ich's doch vergönnen, daß er kurz vor feinem Tode 
noch die Freiheit befäme, um ſich den Himmel und bie Erde 
mod) einmal anzufehen, bevor er für ewig ſcheidet won beiden.“ 

„Er baut au darauf,“ gegentedete ber Alte, „und ſpricht 
mit Zuverfiht davon, daf er die Welt und die Sonne uoch fer 
ben muß vor feinem Ende, und aud von einer Geliebten ſprach 
er und andres närrifes Zeug. Man weiß nichts Sicheres über 
fein Schickſal. So viel ich hörte, sollte ihm fein Water nicht 
eine Dirne zur Gattin geben, bie unter feinem Staude war, eine 
Magd. Darüber grämte er fi und ward wahnwitzig. Das 
ging dem Alten, der ein harter Mann war, nahe; er entbrannte 


„Er muß die Mogb doc fehr geliebt Haben,“ bemertie 
Beta. „IH glaube, wenn man Jemanden fiebt, wie id zum 
Beiſpiel Dich liebe, mein Bäterden, fo müßte man recht glüd- 
lich fein,” 

„Immer if’6 nicht fo, mein Kind,” belehrte der Alte; „es 
fieht im Leben draußen viel anders aus als hier im umferer 
Zeile. Hier das Gefänguiß; iR eigentlich der Ort der Weisheit; 
denn wenn fie im Leben draußen geirrt haben, fo werben fie 
hier wieder zu Berflande und anf die eigentliche Bahn gebracht. 
Freitich fehen fie es zw fpät ein! — Du möge es mit Gottes 
Beiſtand nie erfahren, welch' Unheil die verliebte Leidenſchaft über 
ein Menfchentind bringt! Das if fo eine Krankheit, die fi nicht 
heilen läßt; fie adjtet weder Stand noch Alter: eine Tollheit. 
Ih war Deiner Mutter, Gott habe ſie felig! recht gut, aber zur 
Raferei habe ichſs mie gebradt. Der Slup nun, der es büßen 
muß, wird's nicht lauge mehr maden. Kang noch Halten bie 
Knoden; 's ift feine Möglichkeit! Zwanzig UM mehr Jahre in 
dem feuchten, dumpfigen Kellerloche, wohin ein Sonnenſtrahl nie · 
mals, faum ein Fetzen Dämmerung bringt, zuzubringen, die 
Raferei im Kopfe, iu der Bruſt den Schmerz, den Gram und 
die Reue: das hält kein Zweiter aus. Ja, wenn bie Hoffnung 
nicht wäre! Der tolle Menſch hofft aud noch immer auf Ber 
freiung und Wiederſehen. — Doc, wie gejagt, Tange treibt er's 


114 


anf, flehe um Deine Freiheit, verſprich, daß Du nicht mehr irre 
reden und raſen will, daß Du in mehr. als zmwanzigiähriger 
Gefangenſchaft eine verrücte Unthat genug abgebüßt; mach's recht 
tlaglich, recht betrübt, daß es einen Stein erbarmt. Meine Bkta 
iſt eine ſchuucke Dirne, ſie wird gern vorgefaffen; fie kaun bie 
Bittſchrift übergeben. Hörſt Du? — an den König, noch beffer 
an Meinhart von Neuhaus.“ 


„Weh'! ac weh!“ ſchrie jetzt plötzlich der Gefangene mit 
der ganzen Wuth des Wahnfinnes aus, und ſchlug ſich wie ta- 
ſend die Ketten um Haupt und Schultern — „die Hölle iſt los! 
— Der dort — ber dort! er hat mid ja in Wahnſinn gebracht 
und zum Mord. — Satan — Satan, giftiger Teufel! Deine 
Rache war groß — die meine aud gut; aber Du Haft gefiegt. 
Ich beiße kuirſchend im diefe roſtigen Ketten; Du liegſt am mei« 
chen Pfühl und fpotteft meiner Schmad. Tritt mir nur entgegen 
— fo — fo; id erwürge Di mit meinen Feffeln bier. Das 
fol mich laben. Herzenbrecher — NKindermörder! ich oder Du! 
Haft Du den Raben gefehen? Der Pfeil ging ihm durd den 
Leib; er blutet, aber er ftirbt nicht — er könnte wieder auffliegen, 
wäre der ſchwere Pfeil nicht. Ih bin der Rabe — aber ber 
Beil wird roften durch mein Blut und morfd werden. Ich 
bred’ ihn dann ab und kann wieder fliegen. Heiſa! — Dein 
Gehirn had’ id Dir aus am Galgen, am Galgen — am Spieße, 
wo Dein bleicher Schädel fledt. — Still — fill! — Wie eine 
Schlange rauſch' ic ihm leife nah und umwinde feine Kniekehlen, 
daß er nicht ſchreiten Tann, daß er nieberflürgt; dann raſch um 
den Hals, eins! zweil ich rıngle mid, immer fefter drum.“ 


Er rieb die Ketten an einander, daß der Wärter glaubte, 
fie würden zerbregen, und um feiner Wuth Einhalt zu thun, 
faßte er nah dem Gtrid mit fünffahem Knoten, den er am 
Gürtel trug, und flug unbarmherzig auf den bleichen Schädel 





115 


des Wahufinnigen 106. Diefer Hielt ih die Ketten vor die An- 
gen, duldete ruhig die Schläge und wurde fanfter. 

„Da ſiehſt Du,“ ſchalt der Wärter, „wie id; Dich behandeln 
muß, wenn Du Dich geberdeft wie ein Thier! Mein, Du tangft 
nicht für die Freiheit! — Mich folte jedes gute Wort für Did 
gereuen.“ 

„Nur Eins, nur Eins!“ flehte mit ängſtlicherer Stimme 
ber Gefangene; „fagt ihmen nicht, daß ich hier bin. — IH wäre 
verloren, wenn fie müßten, daß ich bier gefangen fige. Sie 
würden mich herausfchleppen aus diefer unterirdiſchen Wohnung 
umb dem Henker übergeben. Es ift noch ein großes Glück für 
mic, daß ich der Batermörder Slup bin. Mär’ ich ein Andrer 
— weh’ mir dann! — Ener Borgänger, der Wojtäch, kann es 
bezeugen, daß ich wirtlich der Siup bir. Er if} zwar [hen tobt, 
aber er hat es Euch ficherlich gejagt.“ 

„Narr oder Böſewicht!“ nahm Barcal wieber das Wort — 
geh’ in Dich, beffire Dich, wende Dein Herz und Deinen Sinn 
zu Gott und bete. Vielleicht erleuchtet Dich feine allbarmberzige 
Gnade. Ich Habe Hier fiebzig Gefangene unter mir, recht wü- 
thige, verſtockte Burſche darunter, und dod macht mir Keiner fo 
viel zu Schaffen wie Du. Aber bald biſt Du gehorfam wie ein 
Hund, bald wieder toll wie ein Hund.“ 

„Ia — id) will beten! betheuerte der Gefangene; „Gott 
wird dann meinen Feinden, den Abtrünnigen, den feinden des 
Reiches, ihre Sünden verzeihen. Ich will Gott anrufen zur 
Race an ihnen. Ich will beten, wie wir in der Schlacht be- 
teten und die Litanei fangen, als wir bie Pfaffen bei den Füßen 
anfhingen. Damit böhnten wir fie; es ang recht lacherich. Da 
hättet Ihr dabei fein ſollen 

„Thor Du!“ eiferte der Wärter, „ic war dabei, aber nich 
Du. Es iſt nicht gut, daran zu denken. Ich befam es endlich 
fatt, das Schlachten, und weil ich viele Wunden hatte, fo fette 

gr 


116 


man mid, her zum Wächter über Diebe und Schurken, die zehu- 
mal fhlimmer find, als jene zu Tod gefhundenen Mönde. — 
Laß bie- Gedanfen fahren — und bereite Did) auf den Himmel 
vor: denn Lange wirft Du's doch nicht mehr tragen. — Es if 
auch gut — bift dann die Qualen los, und ber Herrgott wird 
Dir oben verzeihen, weil Du Hier auf Erden abgebüßt.“ 

nSterben fol ich, fagt Ihr?“ — jammerte ber Gefangene; 
„nein! ich kann, ich will. nicht flerben, wegen meiner und meines 
Kindes. Ih muß erft den Namen Pater von ihm hören. Zu- 
weilen lallt es ſchon. Ad, das wird ſchön! — Ich foll Bier 
enden, bier in biefer Gruft, fol das Tageslicht nicht mehr jehen 
und den blauen Himmel? Rein — nein! daraus wird nichte. 
Ich weiß wohl, Ihr Habt fon einen Andern, der hier herein 
fol, und da wollt Ihr mic; los fein. — Ich muß die freiheit 
noch einmal fehen, id muß von Gottes Sonne beſchienen werben; 
nur in ihrem Glanze kann ich ausathmen: anf freiem Felde. 
Und was id; auf Erden geliebt, muß ih nod einmal im legten, 
Angenblide, im Zodestampfe an die Bruft drüden, und an einem 
Grabe will id weinen und beten, an einem großen Grabe. Das 
verſprecht mir.“ 

„Freiheit wilft Du? von ihr träumft Du?“ lachte ber 
Wähter; „bei diefem irren Wejen erlangft Du fie nie Gie 
würde Dir and wenig frommen. Es gibt Menfahen, die wie 
wilde Thiere find, unb die müffen gebänbigt, amgelettet und un- 
ſchadlich gemacht werben. Mer ift der Thor, der den Wolf umter 
die Schafe fendet und glaubt, er würde fi mit ihnen vertragen? 
In dieſem engen, feuchten Loche mußt Du enden. Iſt Dein 
letztes Stundlein nahe, fo fende ih Dir einen Prieſter, der Dir 
ben Kelch un wird.“ 

„O, laßt nur erſt mein Kind wohl fein,“ ſprach der Wahn- 
finnige mit Zuverfict, „dann. werde ich auch wohl, und Kraft 
tömmt wieder in meine Glieder. — DO! ich war einft ein flarfer 





117 


Mann — id rüttie Hier am diefem Bloce, dort oben fpringen 
die Quader entzwei, es öffnet fi die Höhe, Licht dringt herein, 
und ich ſchreite über die Trümmer Hinaus in's wieder gewonnene 
Leben, und ſehe bie Erde wieder, und erblide, ob fie in den 
zwanzig Jahren gealtert Hat, ob Runzeln auf ihrem Angeſicht, 
und ic) erfahre, ob man mein noch gedenft, ob mid die Rache 
noch verfolgt, ob meine Lieben nod leben. Ich lieh fie unter 
den Lebendigen und fie find frei.“ 

„Das Mingt Alles nad) Berſtand,“ äußerte der WBärter, 
„wie Du die Worte fegeft — und ift doch finnlos. Wie willſt 
Du Thor biefe Mauern brechen, dieſe nralten Gewölbe, welde 
die Zeit im einander gefügt, daß fie ein zufammenhängender Fels 
geworden? Im dem Leben Haft Du nichts zu ſuchen — am 
wenigſten aber Siebe; die Haft Du auch nicht verdient. Warſt 
vielleicht früher, bevor Dur die Unthat begangen, ein guter, ver- 
aönftiger Menſch; aber Cine Bosheit vergiftet den ganzen 
Menfhen. Das merte Dir! — Hier ift der Krug mit Waffer, 
bier das Brot und Bier das Hammelfleifh. IE und trink, und 
danke Gott, der Dir's gegeben, der im feiner Gnade and bie 
Naben füttert und die Dohlen. Amen.” 

„O, bleibt noch — bleibt noch, mein edler Wohlthäter I“ 
flehte der Wahnfinnige; „fagt mir mır, hat die Erde Runzeln 
befommen, feit ih fie nicht fah, umd die Sonne ben Staar?* 

nRarr !“ lachte ber Wärter über dieſe feltfame Frage,’ „es ift 
Sonne draußen, der Hirfchgraben Hier draußen ift grün, ber 
Himmel blau, die Sonne ſcheint immer noch friſch Guten und 
Schlechten, und die Vögel fingen, daß es oft eine rende iſt.“ 

„Dacht' ich's doch!“ fiel der Gefangene mit leuchten em 
Bliden ein: — „es muß ſchön fein. Geſtern — vermuthlich des 
Morgens, ſetzte fi, weit oben über dem Definungen ba, ein 
Vogel in die Lucke und fang lang und fchön, daß ich zu meinen 
onfing; er fang mir von meiner Jugend, von meiner Liebe und 


118 


von Krieg und Schlachten. Er wußte das Alles auswendig. 
Er fagte, er fei au der Sohn eines Ritters, ber tapfer ge- 
fochten für den Kelch; aber ſeit fie die neue Lehre verboten und 
in ben Bann getan und ihre Streiter erſchlagen, müfje er als 
Bogel verkleidet herumgehen und dürfe es den Leuten nur dor 
fingen: denn das Singen fei erlaubt, aber nicht das Predigen.“ 

„Schon vet, ſchon recht!“ brummte ber Wärter; „laß 
Dir meinetwegen ben Mädchenkrieg und die Thaten der Dra- 
homira vorfingen; nur beffire Did, ſei wicht wiberfpenftig und 
zwing' mid nicht, Gewalt brauden zw müſſen. Und nun if 
und ſchlaf dann.“ 

Habt Dank! Doch nod Eins!“ flehte Slup; „hört mein 
Wiegenlied an, womit id ben Knaben bier in Schlummer finge. 
Meine alte Wärterin jang es mir vor; ich hab's getreu behalten. 
Es fängt an —“ 

Er ergriff nad) diefen Worten das Strohbündel, bededte es 
mit Xüffen, legte e8 anf feinen Schoß uub begann nun in 
Halb weinendem, halb kreiſchendem Zone: 


„Ei, ei, ſchlaf, mein Kindlein, ein! 
Morgen wird Dir wohler fein. 

Ich kauf Dir einen gold’'nen Schrein, 
Drinnen Zuderbrot und Wein, 

Auch ein Was von gelber Seide, 
Und ein Schwertlein famms ber Scheibe. 
Sollſt ein Heines Röſſlein haben; 
Darauf kannft Du luſtig traben. 

Ei — ei, ſchlaf mein Söhnden, ein! 
Du ſollſt auch turnei'n. J 

Ja, Dein Vater denkt daran, 

Du wirft ſelbſt ein Rittersmann. 

Ei, eil“ 


119 


„Tolle Poſſen!“ ſchalt der Wächter lachend, nahm Lampe 
und Schlüffelbund, warf die Thüre krachend hinter fi zu und 
fieß den armen Gefangenen wieder in feiner dumpfen Nacht. 
Diefer fummte aber immer noch feife: „Gi, ei, ſchlaf, mein 
Sohnchen, ein!" — 

Der Wächter der Gefängniffe machte inzwiſchen noch bie 
Runde dur alle Gänge und an allen Thüren vorüber, untere 
ſuchte die Riegel und Schlöffer, umb flieg endlich müde bie Wen- 
deitreppe in den Thurm hinauf, wo ganz oben unter bem Dache 
feine Wohnung war. 

‚Hier foß Bkta, fein ſchmudes Töchterlein, am Tiſche, worauf 
die Lampe brannte, und löſte ſich die Zöpfe ihrer dichten, ſchwarzen 
Hoare auf. Das Mädgen war gar fieblic; anzufeßen: friſche 
Röthe ſtrahlte auf ihren Wangen, euer in ihren Bliden, auf 
den Lippen lag bie Röthe der Kirfgen, und vecht ſchelmiſch und 
ſchuchtern, wie ſchallhafte Mädchen, die den Freier belaufen oder 
fi vor’ ihm verbergen, gudten dazwiſchen die Meinen, weißen 
Zähne hervor. — Der Alte Hatte auch Freude am feinem Kiude 
und war ihm mit aller Siebe gewogen; denn fie war das ein- 
ige Vermädtniß feiner Frau und erheiterte ifm manche Stunde, 
welche ihm ber ſchwere, unheimliche Dienft übrig lieh. 

„Ei, Du blieb lange, Vater!” rief fie dem Cintretenden 
entgegen; „es if doch nichts Schlimmes vorgefallen? Hat ſich 
vielleicht Einer von der Kette losgemacht, ober hat man durch- 
brechen wollen 2" 

„Das nicht, Beta,“ fagte der Wlte, jetzt darüber, daß er 
dem Wahnſinnigen fo lange Rede geftanden und fi feinem Kinde 
entzogen hatte, felbft verdrießlich; „der verrüdte Slup hielt mid) 
anf. Ich mußte ihm mit dem Stride erft noch eine‘ Erbauungs- 
fiunde geben, bevor er wieber fanft wurde und vernünftig. — 
Bas Einem das Biehvolk dies Bißchen Leben ſauer macht! Ich 


120 


paſſe nicht zu dem Geſchafte! — Das ſag' ich alle Tage; aber 
wer lanus ändern ?“ 

Er legte Bei dieſen Worten den Schlüffelbund ab und ver- 
ſchloß denſelben in einer ſchweren, eifernen Truhe, welde in ber 
Ede ftand und am ben Gteinboben angeſchmiedei war. Den 
Schlüffel zu derfelben trug er am Halfe, wo er au einer Schuur 
King. — Er fette ſich der Tochter. gegenüber an den Tiſch. 

„Run, und was macht demm der Slup?“ fragte Bita 
theilnahmvoll, indem fie das Mieder löfte, aus welchem der züd- 
tige Bufen ſchüchtern und reizend hervorquoll. 

„Er trieb den albernen Unfinn mit dem Strohwiſch,“ ant- 
wortete der Vater, beffen Augen mit Wohlgefallen auf feinem 
Kinde verweilten, „dann wurde er ganz tafend, als ich ben 
Namen König Georg’s nannte, und wollte die Ketten zerfprengen. 
Da mußte ich ihm eigentlich doch mit einigen Hieben zu Ber- 
Rande bringen. Zuletzt wurde er wieder ruhiger, und da dauerte 
er mich faſt; denn er ſprach auf eine recht betrübte Weile vom 
Sonnenſchein draußen und von ber grünen Erde.“ 

„Ach, es muß fchrediich fein, mein Vater!” feufste das 
Mädchen, „fo Jahre lang unter der Erbe figen zu müffen, in 
erviger Finfterniß, ohne Licht und friihe Luft, von Niemandem 
gehört und verflanden, nur allein mit feinen Gebanfen und viel- 
leicht einem böfen Gewiſſen.“ 

„Und doch wollen es bie Menſchen nicht anders,“ belehrte 
der Alte, „treiben Lafter nnd Unthat, fireben dem Nächſten nah 
dem Leben, fo daß man fie wie wilde Thiere entweder töbten, 
ober in einen Käfig fperren muß!“ 

„Ach! wenn es mir nachginge,“ warf Beta ein, „ic ließe 
fie Ale frei. Ich fagte zu ihnen: Lauft! und wer von Cuch 
fi} wieder‘ bliden läßt, der wird gefangen. Sie nräßten mir 
aus dem Lande Hinaus, um bier feinen Schaden zu fliften.” 

„Da würden fi die Nachbarn an der Grenze ſchön be— 


121 


danken,“ gegenredete ber Bater, „wenn wir ihnen fold verwil- 
dertes Gefindel über den Hals fdidten. Sie würden Hung fein 
und Gleiches mit Gleichem vergelten. Wie wären die Deutſchen 
froh, auch ihre Verbrecher los zu werden! — Nein, mein Kind! 
das geht nicht; Strafe muß fein, fonft hört auch jede Belohnung 
anf. Wer Blut vergießt, deſſen Blut ſoll wieber vergoffen werben, 
ſagt die Schrift. Und was würde aus ben. Gefegen, wenn Der, 
fo fich ‘daran verfündigt, nicht gezüchtigt würde? Won einem 
Eigenthum mär’ gar feine Rede mehr. — Bedauern fan ih bie 
Lente, denn fie find auch Menfchen wie wir und- unfre Brüder, 
daß fie fo dumm find, ihr zeitliches Beſtes nicht. einzufehen; aber 
ihnen bie Freigeit gönnen, das möchte ih nun und nimmermehr. 
Denn bie veblichen Menfchen müfjen ums Tieber und werther fein, 
«8 die ſchlechten, und wir müffen jene vor diefen bewahren auf 
jede Belfe. Die Schafe fperren wir in den Stall, um fie vor 
dem Raubthiere zu beſchutzen; den Wolf aber verfolgen wir mit 
Waffen, um ihu zu tödten.“ 

„Freilich, Vater,“ meinte Bta, „if es traurig, daß fo viele 
Menſchen ſchlecht find und thun, was, fie nicht thun follen! Aber 
ich bemitleide fie doch wieder, wenigg für eine einzige That 
des Haffes oder der Rache lebenslang büßen müflen umter jhred- 
lichen Onalen. Wird denn die Welt einmal beffer werben, lieber 
Bater, und wird bann Niemand mehr Böſes thun ?“ 

„Ich Hoff es zu Gott,” war bie Antwort, „ber e8 uns 
verheißen hat im feiner heiligen Schrift, wo er fagt: Es wird 
dann nur Eine Heerde und nur Ein Hirt fein. Dies Iege ih 
mir aus: wenn es nur Eine Heerde geben foll, jo müflen auch 
nur einerlei Schafe darunter fein, alle im Frieden. gutgeartet 
und wohlgefinnt.“ 

„Ad, ich möchte bod nur wiffen,“ fuhr Beta fort, „warum 
id) gerade mit dem Slup fo viel Mitleiden Habe! Und er Bat 
doch ben Bater erſchlagen: eine gräßliche That! Freilich foll er's 


122 


im Irrſiun gethau haben; aber wie gelangte er zu dem Gntfeg« 
lien gerade, woran fein frommes Chriftenfind ohne Schaudern 
au nur denten faun? — Wenn ih mandmal zu ihm gehe 
und er if recht fanft und ſpricht gut und from, da glanbe 
ich's beinahe nicht, daß er ſolch' ein großer Sünder if. Er hat 
auch feltenes Wiffen, höher, als eim gemeiner Mann. Ich dachte 
fon oft, er fei eimmal Priefter oder Lehrer gemwefen, und dauu 
wieber geberbet er ſich zuweilen wie ein Ritter, der von Krieg 
umd Waffen vielfach Beſcheid weiß.” 

„Es ift etwas Cigenes mit Ihm,“ äußerte der Alte. „Du 
haſt Recht, mein Kind; denn mit feinem andern von ben Ge 
fangenen Habe ich fo viel Geduld und Nachficht wie mit im, 
Er fommt mir mehrmal wie zwei verſchiedene Perfonen vor, von 
denen ich die Eine verachte, die Andere bebaure. Es Limmt wohl 
davon her, daß er den Berfland verloren hat, wie wir ja mit 
unmünbdigen Kindern and viel Geduld haben müfjen. Ich denfe 
nod dran, wie die Mutter todt war umd Du kaum ein Jahr 
alt: — id) hatte aud meine Sorge mit Dir: Das weiß Bott! 
Run if’s freilich befer, und Du kannſt mir fogar Helfen, wenn 
ich nachgerade immer älter und ſchwächer werde.“ 

„über weißt Du, lieber Bater ?* unterbrad ihn Beta, „dem 
Slup möchte ich's doch vergönnen, daß er kurz vor feinem Tode 
noch die freiheit befäme, um fi den Himmel und bie Erde 
noch einmal anzufehen, bevor er für ewig ſcheidet von beiden.“ 

„Er baut aud; darauf,“ gegenredete der Wite, „und ſpricht 
mit Zuverſicht davon, daf er bie Welt umb die Sonne mod} fer 
den muß vor feinem Cude, und auch von einer Geliebten ſprach 
er und andres narriſches Zeug. Man weiß nichts Sicheres über 
fein Schidſal. So viel ich hörte, wollte ihm fein Vater nicht 
eine Dirne zur Gattin geben, die unter feinem Stande war, eine 
Magd. Darüber grämte er fih umd ward wahnwitzig. Das 
ging dem Alten, der ein harter Mann war, nahe; er entbrannte 


123 


im Ingrimm gegen das Weib, weldes ihm feines Sohnes Herz 
und den gefunden Verſtand geraubt, er ließ fie auspeitſchen und 
von dem Hofe jagen: denn fie war dort Teibeigen. Das ſah 
der Sohn und erfälug in wahnwigiger Wuth den Bater. Bon 
ker Dirme bat man weiter nichts mehr gehört. — Ob's ganz 
richtig fo, weiß ih nicht, denn Jeder erzählt die Geſchichte an- 
ders; und als id mein Amt antrat, war der vorige Schließer, 
der Beſcheid um bie Geſchichte gewußt haben fol, aber fehr ver- 
ſchloffen that, ſchon tobt.” 

„Er muß die Magb doch fehr geliebt haben,“ bemerkte 
Dita. „Ich glaube, wenn man Jemanden liebt, wie ich zum 
Beiſpiel Dich Tiebe, mein Bätergen, fo müßte man vet glüd- 
lich fein,“ 

„Immer if’& nicht fo, mein Kind,“ belehrte der Alte; „es 
fieht im Leben draußen viel anders aus als hier im unferer 
Zelle. Hier das Gefängniß ift eigentlich ber Ort der Weisheit; 
denn wenn fie im Leben draußen geirrt Haben, fo werben fie 
bier wieder zu Verſtande und anf bie eigentliche Bahn gebracht. 
Freilich fehen fie e8 zu fpät ein! — Du mögeft es mit Gottes 
Beiſtand nie erfahren, welch' Unheil die verliebte Leidenſchaft über 
ein Menſchenkind bringt! Das ift fo eine Krankheit, die ſich nicht 
Heilen läßt; fie achtet weder Gtand mod) Alter: eine Lollkeit, 
Id war Deiner Mutter, Gott habe fie felig! recht gut, aber zur 
Raferei habe ich's mie gebracht. Der Slup nun, der es büßen 
muß, wird’8 nicht lange mehr maden. Kamm, noch Halten bie 
Rnoden; 's ift feine Möglichkeit! Zwanzig UM mehr Jahre in 
dem feuchten, dumpfigen Kellerlode, wohin ein Sonnenſtrahl nie · 
mals, kaum ein Fegen Dämmerung bringt, zuzubringen, bie 
Raſerei im Kopfe, in der Bruſt den Schmerz, den Gram und 
die Rene: das hält kein Zweiter aus. Ja, wenn die Hoffnung 
nicht wäre! Der tolle Menſch hofft auch nod immer auf Be- 
freiung und Wieberfehen. — Doch, wie gefagt, Tange treibt er'e 





124 


nit mehr. Es fault in der naſſen Höhle Alles: das Stroh 
und feine Kleider; endlich kommt der Menſch ſelbſt daran, wenn 
weiter auch nicht viel Mark und‘ Saft mehr in den Knochen 
und Sehnen.” " " 

„Horch, Väterchen, horch! Hörft Du etwas?“ unterbrach 
den Alten Beta urplötzlich und verfärbte ſich. 

Der Alte fuhr zuſammen, ſein Antlitz verdüſterte ſich, er 
Rand auf und trat an’s Fenfter. S iſt nichts,“ fagte er nad 
einer Weile leife; „doch je — eben hör’ ichſs. Im Namen des 
heiligen Gottes! — da if die Erſcheinung wieder. Stell’ das 
Nicht hinter den Schiem — komm näher, mein Kind, fürchte 
Did niht — gib mir die Hand. Ich öffne das Fenſter. Mert- 
würdig! — Sol ih aud in meinen alten Zagen noch dem 
Aberglauben in ‚die Hände fallen? 

Beẽta that, wie ihr befohlen, und trat bebend näher, den 
Bater mit zitternden Händen umllammernd. 

Er Hatte inzwiſchen bas Fenſter geöffnet, Beide Iehnten ſich 
hinaus. Der Mond Bing Mar und leuchtend über dem Scloffe 
gegenüber, defien Eiſendach aus ben Baummwipfeln des Schjof- 
garten hervorragte. Hell beglänzt vom ruhigen Lichte lag in 
ſchwindlicher Tiefe unten der Hirfchgraben; dumpf rauſchte der 
Bach, der ihn durchſtrömt — fonft war Alles todtenſtill und 
ruhig; nur gebrochen hörte man wie Käfergebrumm aus ber 
Ferne und vom gegenfeitigen Ufer das Anrufen der Scharwaden. 

Unten knapp am Fuße des Thurmes ſchritt eine ſeltſam 
eingehũullte, gebeugte Geſtalt dahin. Es war ein Weib — fie. 
trug eine Art Todtenhemd, um das Haupt ein buntes flatterndes 
Tuch, in der Hand einen Cifenftab. Lang fiel ihr aufgelöftes 
Rabenhaar über Hals und Nüden herab und ſchien wie -ein 
breiter Ianger Schleier auf dem weißen Gewanbe. 

Mit dem Eifenftabe ſchlug fie Mirrend an die Quader des 
Thurmes umd fang dabei, mehr murmelnd als mit Harem Tone: 





125 


„Biſt Du todt, mein Valentin? 
IM Deine Hand von Bint noch roth, mein Balentin ?* 


Dies wiederholte fie dreimal und ſchien nach jedesmaligem 
Schlage mit dem Ohre an ber Mauer zu laufchen, ob von 
innen feine Antwort erfolge. 

Dann feufzte fie tief auf und ſchwankte weiter knapp am 
Rande, an der Mauer ſich Hindrüdend, pochte dann wieder an, 
rief abermals ihren Reim is zum zweiten Thurme Bin, wo fie 
fiehen blieb, mit dem Stabe wieder anjhlug und fang, dann 
aber knapp vor der Mauer, welche von dem alten Schloßthore 
ber den Hirſchgraben einſchließt, verſchwand fie plötzlich, als hätte 
fie die Erde verſchlungen. 

Lange noch flarrte der Schließer und fein Töchterlein laut- 
108 und beffommen der räthfelhaften Erſcheinnng nad; endlich 
zogen fie ſich aus dem Fenſter zurüd, und der Alte fagte, fich 
befreuzendb: „Weiß Gott, was das if! Es kömmt mir immer 
fonderbarer vor; die Augen fehen es, und doch will's in meinen 
alten Kopf nicht Hinein, daß das, mas fie fehen, etwas Wirt- 
liches, if. Ein Gefpenft iſt's nit — das fagt mir mein ge- 
funder Berftand und die Schrift, und ein Menſch ift es auch 
nicht ; denm wir Haben fhon Wachen ausgeſchidt, haben Hunde 
hinabgelaſſen, haben mit dem Pfeile darnach geſchoſſen: e8 wurde 
weder getroffen noch erhaſcht. "Wei meiner armen Geele! wie 
fol man dahinter kommen? Und an das Tageslicht muß es 
doch Tommen.“ 

„Wie lautet der Spruch, den fie fingt?“ fragte Bäta, welche 
das Licht wieder Hervorgeholt Hatte; „nicht jo? 


„„„Biſt Du tobt, mein Valentin ? 

IR Deine Hand von Blut noch roth, mein Valentin 2" 
Ein ſchauerlicher Reim, Hinter deffen Bebentung Unheil verborgen 
liegen mag!“ 


126 


„Schiag' Dir's ans dem Sinne, mein Lind,“ beſchwichtigte 
der Alte, indem er ihr unter das Kinn faßte und ihr ſchreden · 
bleiches Antlitz freichelte; „Du wirft: fonft Heu wieber nicht 
ſchlafen können und Did mit Träumen abquälen. Es ift hier 
freilich kein gehenerer Aufenthaltsort für eine junge, fröhliche 
Dirne. Erft machen Einem bie Gefangenen, die Berbreher Augſt; 
man muß zittern, — daß fi Einer oder der Andre von der 
Kette losgemacht, und wenn ich zu ihm eintrete, mit den Feſſeln 
mir den Hirnfhädel einfclägt, um über meinen Leib hinweg ent- 
fpringen zu fönnen; daran aber ift nit genug, e8 kommen auch 
Geſpenſter uud treiben ihr Wefeu, daß Einem die Haut gefriert.” 

„In den Gängen und Gewölben, liebes Väterchen,“ ver- 
fette Bla, „da habe ich nit Augſt, wenn id) flatt Eurer das 
Brot und den Krug mit Waffer Hinabtrage; denn id; denfe 
immer: du bift ein armes Mädchen, Haft ihnen nichts zu Leide 
gethan, fte werden Dir d’rum auch nichts Böſes thun. — Aber 
dieſes gefpenftiiche Weib macht mid) ſchaudern, weil ich nicht weiß, 
wer e8 if, und was es will.“ 

„Ein Menfh muß es im Grunde doch fein,“ meinte der 
Bater; „was Anders font? Ein vernünftiger Ehrift kann an 
nichts Andres glauben. Es gibt da unten noch fo viele ver- 
fallene Gänge und Keller, die fi) durchkreuzen und meithin bie 
nad dem Schloſſe, fogar bis nad; der Gruft in die Schloßkirche 
führen. Leit möglich, daß einer oder ber andere gangbar ift 
und Diebe oder anderes Gefindel im Bauch der Erde ihr Weſen 
treiben ; denn bie Spigbüberei verkleidet fich in verihiedene Ge- 
Raften. Ich hab's dem Herrn Auffeher auch ſchon gefagt, daß 
endfih Rath gefchafit und da umten neu gebaut werden muß; 
denn da wir über hohlen, nicht geftügten Boden gehen, fo ift 
es leicht möglich, daß ein heftiger Sturm, oder — wovor uns 
Gott bewahre! — ein Erdbeben uns bie Thürme und Geſchoſſe 
über den Köpfen zufammenfejättelt. — Freilich, an den Verbre- 





127 


Gern, wird ber König und das erhubene Gericht fagen, ift nichts 
verloren; win wollen froh fein, daß wir ihrer los find. Wber 
mein ‚Gott! es wohnt doch auch ber Burggraf drüben neben dem 
weißen Thurme umd in jeder. Abtheilung bie Eaftellane und bie 
Schließer: doch am vierzig bis fünfzig unſchuldige Menfhen. Und 
was haben wir verſchuldet, daß wir — fo zu fagen lebendig be- 
graben werben follen? — Das bebenten bie hohen Herren freilich 
nicht, wenn nur ber Fußboden unter ihnen und das Dad über 
ihnen feſt und ficher ift; uns fann der Teufel holen. freilich, 
wenn man im Palaft wohnt, denlt man gar felten an eine 
Strohhatte und ein finfleres Kämmerlein und am die Möglid- 
keit, daß auch darin gute Menfchen wohnen können. — Doch 
Du bift müde, liebes Kind,“ unterbrah er feine Ereiferung, 
„wolteft heut, ale am Namenstage, früher zu Bette gehen, und 
es ift nichts daraus geworden. Der verdammte Spuk! — Du 
bift ganz kalt geworben, und Deine Hände zittern. Nun, fei 
nur ruhig, mein Mädden! die Tochter eines Schliehers, eines 
Wolfbändigers, fo zu fagen, muß and; kaltes Blut Haben. — 
Ich gehe morgen felbft zum Herrn Burggrafen und erzäßl ihm 
die Geſchichte von dem Gefpenft, von dem verfallenen Ban und 
meine Gedanfen darüber. Er muß ein Einſehen Haben und ber 
Sade ein Ende machen. Iſt's 'was Schlimmes, fo bannt es 
vielleicht ein Priefter; obgleich man eigentlich dran nicht glauben 
follte. — Doch lieber Himmel! ich treibe Did immer zu Bette 
und ſchwatze wieder fo viel dazwiſchen und Halte Did davon ab. 
Sag’ mir, was Hat die Muhme Anndla gefagt, da Du fie 
dent befucht und ihr das neue Keitlein und den Blumenkranz 
geſchenkt Haft, weil Heut’ zugleich Euer Geburtstag it? —“ 
„Sie freute fi wie ein Kind am Sanct Niclastage,“ war 
die Antwort. „Ich, ſah dort aud einen Gaft, einen fremden 
Kitter — vermuthlich ifrs der Bräutigam des Zeöwicer Yrän- 
keins. Wenn das ber Fall if, fo paſſen die gar nicht zu ein 


128 


ander. Er if zwar recht fhön und fattlich, aber fo bleich wie 
der Moud im Winter, und immer f6 eruſthaft, fo betrübt ſieht 

er vor fid hin, mährend das Fräulein immer bie lautere Luftig- 
teit if. Was wird es aber Helfen? Wenn bie Herren Bäter es 
wollen, fo werden fie ſich doch heirathen müffen. Und im Grunde, 
glaube ih, Tann man dem dtitter auch gut werben, wenn ınan 
ihn erft länger Tennt: denw je aufmerkſamer ich das Geſicht an- 
ſah, defto freundlicher, milder wurde e8 nad; und nad.“ 

„Run!“ drohte der Alte fcherzhaft, „ſieh' nur ein Manns 
geſicht nicht gar zu lange an; es könnte leicht Unglück oder 
dummes Zeug daraus erfolgen. Jetzt aber geh’ zu Bette,“ fuhr 
er fort, da fie verſchämt die Augen fenkte, und ſtreichelte ihr bie 
roſige Wange; „ſtatt früher, kommſt Du Heut’ viel fpäter auf 
Dein Lager. - Mon braudt fi nur 'was vorzunehmen, fo ge- 
ſchieht's gewiß nicht. — Morgen. müffen wir wieder früh auf 
den Beinen fein. — Schlaf wohl!“ 

Das Mädchen kniete jegt vor einem GCrucifiz, welches an 
dem Pfeifer zwiſchen zwei Feuſtern hing, nieber und verridjtete 
ihr Gebet; dann nahm fie die Lampe, ging in die Nebenfommer 
und ſchlupfte in ihr Hohes Bett. 

Der Alte fuchte gleichfalls das Lager. 


x 


a1. 


Elifa jaß mit Milada im traulihen Geipräd am Fenſter 
ihres Cloſets, welches nad dem Schloßwalle und dem Garten 
führte. Unter umd über ihnen rauſchten die grünen Zweige, , 
Blumen mitten anf den terafjenförmig über einander hinlaufenden 
Beeten, das Abendroth brannte wie gefhmolzenes Gold in ben 
Fenſtern des oben am Abhang Herrlich thronenden Schloffes. Die 





Zuft war mild, der Himmel ein geſchliffenes Azurgewolbe. Im 
dem Gefpräche der beiden Jungfrauen walteten die linden Ger 
fühle der Liebesſchwärmerei, der Sehnſucht und des zarten Ber- 
langens vor. 

Ein Reiter fprengte in- ben Hof. Eliſa gudte aus dem 
Benfter. „Der Bruder iſt's,“ fagte fie gleichgiltig; „aber warum 
Hmmt er allein? Wo mag Branik geblieben fein?" 

Im diefem Augenblide trat fon Niklas bleich und verflört 
herein. Ohne das Fräulein vom Dubnic zu grüßen, fragte er 
haſtig: „Wo iſt ber Baterl= 

„Fort!“ fagte Eliſa kurz; „aber was gibts, was iſt ger 
ſchehen, wo iſt Bratislan Pr 

„Ungläd — Unglüd 1" war Niklas’ raſche Antwort; „doc 
tann es fih noch zum Beffern wenden. Er kann vielleicht ge- 
rettet werden, der arme, unglädfelige Freund! Doc vor Allem 
muß ich den Bater ſprechen. Wohin ging er?" 

„Sprich nur, was es gibt,“ rief zitternd Eliſa; „Du fiehft 
uns bebend und geipannt.” 

Milada erblafte; auf Elifa’s Antlitz malte fi) der Schmerz 

„Händel Hat’s gegeben,“ beridjtete athemios und eilig Nilias, 
„soifchen Bratisiad und dem Spanberg. Jener reizte ihn; fie 
zogen die Schwerter. Spanberg verwundete zuerft den Braniler; 
Iener ſtieß zu, ba das Blut fein Antlitz biendete, und fein Degen 
ging durch Spanberg’s Bruſt. Vielleicht iſt er ſchon tobt. Gtirbt 
ex, fo if Bratislav verloren. Nach des Königs neueftem Ge 
fege ftirbt er von Henkershand.“ 

„Wehe, wehel Heiliger Himmel!" rief Eliſa, und Thränen 
rannen über ihre Wangen. Milada aber ſank marmorlalt und 
ohnmãchtig in der Freundin Arme. 

mSeiliger Himmel!“ ſchrie Clife außer fi, „eine zweite 
Leiche. Der Schred töbtet daB leibende, reizbare Herz.“ 

Herloßfohn: Der legte Taborit. L 9 


130 


Aber Milaba erholte ſich wieder, trat an’s Fenfter und ver- 
dedte ihr Antlig mit einem Tuche. 

„Und was ift ans ihm geworben?“ fragte Eliſa weiter. 

„Er ift entflohen,“ war Die Antwort; „id brachte ihn 
glüdlih zum Thore Hinans nad; Lieben. Dort verbirgt ihn bie 
zur Nacht ein Inde, ber uns für Geld es zugeichworen. Daun 
geleitet er ihn bis Weltrus. Gr fol nad Melnit fliehen, von 
dort einen Boten ſchicken, der ihm wieder Nachricht bringt von 
dem, was vorgefallen. Der Bater muß zum König gehen und 
um Gnade flehen. Auch Hat ja nicht Branik zuerft den Streit 
begonnen; Spanberg war's, ber früher den Degen z0g und jenen 
verwundete. Lebt wohl, Kinder, und tröftet Eu! — Ich ſuche 
den Bater.” 

Er verließ eilig das Gemach. 

Eliſa erhofte fih — fie trat zur Freundin, umſchlang dieſe 
Hiebevoll und zog ihr fanft das Tuch vom Antlig. Die Wangen 
Milada's waren noch blaf, die Augen thränenfeucht. 

„Meine liebe Milada!” fagte Eliſa theilnahmvoll und preite 
fie fefter an fi, „ic habe Dich verflanden. Armes Mädchen? 
Darum alfo dieſe Thränen, dies töbtlihe Erfcreden! Will denn 
Dein Unglüd nie enden? Hoffe zu Gott; der Himmel muß fi 
einmal erbarmen. Hörten wir es doch: mod ift Hoffnung vor- 
handen! Der König ift mild und gerecht, und jener Deutjhe war 
ber Beleibiger.” 

„Es ift ſchreclich!“ ſprach Milada tonlos, und neue Thrä- 
nem quollen aus ihren dunklen Augenflernen; „von Hentershand 
fol er enden, der eble Fremdling !“ ” 

„Ach! Deinem Herzen, meine Freundin,“ tröftete Elifa, „if 
er, wie ih num erfahren, fein Fremdling mehr. Darum alfo 
bebte Deine Hand in ber meinigen, wenn er eintrat; darum 
errötheteft Du und erblaßteft abwechſelnd, wenn er ſprach. Darum 
trafen wir im Garten, wo er mit dem Bruder auf und ab ging, 





1831 


ihn in jedem Gange wieber; darum erwähnteft Du feiner oft 
und fagteft wieder, wenn ich von ihm ſprach: Reden wir von 
etwas Anderem. Du Tiebft ihn, meine liebe, füße, ſchweſterliche 
Freundin. Ach! es Handelt fi jet um zwei Herzen, die ge- 
brochen werben follen. — Geftand er Dir ſchon feine Leidenſchaft ?“ 

„Nein, nein — nichts!“ verfegte Milada und verhüllte 
wieder ir Antlig — „er ſprach vom gleichgültigen Dingen md 
ſah mid, mit feinen andern Blicken an als Dich, als jede An- 
dere. ber ich weiß nicht, warum ich fo fehr erihrede. Es if 
das grauenvolle Ende, das grenzenkofe, ſchmachvolle Elend, zu 
welchem er verurtheilt fcheint, bie Aehnlichteit mit meinem Bru- 
der —" 

„Die Aehnlichkeit mit Deinem Bruder iſt's nicht allein,“ 
äußerte fanftmäthig Elifa; „ich glaube, das hat viel tiefern Grund 
und wird vielleicht mit Schmerzen enden, ober, fo Gott und gute 
Menfchen Helfen, mit Gluck und Freude. Und warum follte er 
Did nicht lieben? Biſt Du dod fo mild und feomm, fo hold 
und ſchön, daß ſchon Dein Anblid, Deine Nähe jedes Herz mit 
Freude erfüllt! Ich bin ein Mädchen, und Mädchen find ſparſam 
im Lobe gegen ihres Gleichen. — Darum kannſt Dur mir trauen, 
daß ich nicht ſchmeichle. Du wäreft feiner werth vor Allen Dei- 
nes Geſchlechtes; denn fein Herz ift auch edel und mannhaft, 
ſtolz im guten Bewußtfein und mild gegen Jedermann.” 

„Schon damals,” erzählte jet Milada mit gefenkten Bliden, 
„als ich ihn im der Kirche fah umd der Schreck mich niederwarf, 
war's fpäter, als id; erwachte, body fein Grauen, fein Entſetzen, 
was id; fühlte. Ich fühlte mich zum Abbild meines Bruders 
Hingezogen. Ich ſehnte mich, ihm wieder zu ſehen, ſelbſt um dem 
Preis deffelben Schredens. Und ich fah ihm wieder, um ihn 
vielleicht für immer zu verlieren! — Er erichien mir im Traume 
und fprad) zu mir viel Liebes und Süßes, was fein Mund im 
Baden mir gegenüber verſchwiegen. Ich wollte fein Bildniß 

gr 


132 


baumen; aber immer kehrte es wieder zurüd. Ih ſchalt mic 
thöricht und dachte doch immer wieder an ihn. Weiß Gott! es 
war nit meine Schuld.” 

„Du armes, armes Kind!” klagte Eliſa und ſtreichelte ber 
Freunbin Stirn und Loden; „nah vielen Leiden follte Deim 
Lebenshimmel fig fhmiden mit Gonnengold: da kömmt eine 
duſtre Wolle und verdedt das leuchtende Geſtirn plötzlich wieder. 
Doh Gottes Athem wird wehen und die büftre Wolfe verihen- 
den. Mir ſagt's der ahnende Glaube.” 

„Manchmal,“ fuhr Milada im traulichen Gefländniffe fort, 
mift es mir wieder, er Fönnte, er werde mich nicht lieben — ich 
fage zu mir: fein Herz ift kalt — eine glühende Erſcheiuung 
müffe ihm entgegentreten, warme Glut dies Eis an feinem Her- 
zen aufthauen. Das wird mir wohl nicht gelingen, und es über- 
fällt mich banges Grauen bei diefem Gedanken.“ 

„Ei, e8 wird Dir gelingen," tröſtete Eliſa — „Du holde, 
zaghafte Träumerin; ja, Deine fanften Augen follen mit ihrer 
milden Wärme feinen Froft bannen, und fein Herz wirb aus- 
ſchlagen wie ein Zweig in der Märzionne. Welch' andres Weſen, 
als gerade Dein frommes, fanftes, flimmt zu feiner Neigung, 
feiner Gemfithsart? Er liebt das Heitere nicht; darum gefalle 
ich ihm auf nicht — wie mir der Bruder ſagte. Dod wie 
ſollte ih aud in Deiner Nähe als Siegerin beftehen, bie Du 
zehnmal ſchöner und auch beſſer bift, ale ih 1“ 

„Es war zum erſten Male im Garten,“ erzählte Milada 
weiter, „ic faß in der Hollumderlanbe dort; er fland vor mir 
und ſprach einzelne Worte von gleihgüftigen Dingen. Sein Auge 
ruhte fo feft auf mir, daß ich den Bid kaum ertragen Tomnte. 
Mir entglitt die Gürteltafhe — wir bogen uns Beide eilig dar- 
nad, um fie aufzuheben. Seine Hand faßte dabei die meinige 
und hielt fie eine Weile — warm floß es mir durch die Adern 
bis zum Herzen. Ich mußte erröthen; benn ber Atem ftodte 


188 


mir — Ich zog bie Hand heftig aurüd — uud mußte doch 
nit, warum. Ich bereute es fogleih; ich hätte fie ihm gern 
wieber gereicht; body hielt mid) bange Scham zurüd. Ich zitterte 
bei dem Gebanfen,. er Könne meine Empfindung errathen, er 
inne ein liebendes Wort wagen. Ich wäre geforben vor Schrel - 
ten, und dennoch wünſchte ich es feife nnd heimlich. — Ih war 
eine Thörin — ih bin es no. Aber fein Unglüd, der Ger 
danke an feinen Tod, er läßt mich Alles fagen, Alles wagen. — 
Ic weiß nicht, ob es Liebe, ob es Mitleid iſt.“ 

„Ach, meine Freundin!“ unterbrach fie Elifa ſchelmiſch 1ä- 
chelnd, „ih habe gewiß eim fo mitleiiges Herz wie nur Cine, 
aber ohnmachtig bin ich bei Niklas's Trauerbotſchaft nicht ger 
worden. And Habe id) nicht gebebt, da mic) feine Hand erfaßte, 
and aud nit von ihm geträumt, wie Du. Emblih brauchte 
id fein Bildniß auch nicht zu bannen; bemm ih dadjte nur an 
ibn, wenn ich ihn ſah. Es if auch ſchou ganz recht, daf wir 
Beide ihm nicht zugleich Tieben: da müßte ja Einer von uns 
das Herz breden; denn Eine würde er doch verfämähen. Sein 
duſtrer Bid drang in Dein Ange ımd buch das Auge immer ” 
tiefer bis in's Herz. Das ift fo der Zauber, wenn es ums Einer 
angetfan! Mir hat's mande Freundin erzählt; es erging allen 
fo wie Dir, nur nicht fo blöde, fo ängſtlich - ſchüchtern mar jede 
wie Du. — Laß uns nur vor Allem dahin fiunen und traten, 
wie er- zu retten if; denn Du wunſcheſt ihm doch mur gerettet, 
vielleicht aus ſchwerer Haft, um ihm neuerdings zu fefleln. Der 
König fol fein Leben nicht anfprechen, weil Du es zu haben 
wünſcheſt. — Nicht wahr, Du, meine ſchwärmeriſche Freundin?“ 

„Du biſt ja grauſam,“ Magte Milada, „wenn Du ſcherzen 
tannſt bei folder entfeglichen Seelenangſt! Denf an das Schred - 
lichſte — an den Tod, ber feine blutige Hand nach ihm ans- 
fredt.u — 

„Eben weit ih nit an das Schredlichſte denke,” gegenre- 


134 


dete life, „fprech’ ich hoffnungevoller von Deiner Liebe und 
glänbiger von feiner Rettung. Meine Ahnung tröftet und beruhigt 
mid. Liebende Haben feine Ahnung; fie quälen fi ab mit 
Furcht und Gchreden, eben- weil fie lieben. Du fichk, ich gebe 
Dir and gute Lehren, ale wüßte ich ſelbſt fo viel von ber Holden 
Minne. — Aber wenn nur ber Vater oder ber Bruder fämel 
Ein bischen Angfiih bin ih au, bloß darum aber, weil, man 
uns zwei Mädchen bier fo ganz allein gelaffen hat. — Wenn 
aum die Häfcher kommen und ſuchen ihn bier, was follen wir 
thun und ſagen ?“ 

„Eins weiß ich jegtl" rief Milata auffahrend und mit 
leuchtenden Bliden aus, „und der Gebanle gibt mir Muth und 
Befonnenheit zugleich. Ich rette ihm! Begleitet von meinen Die- 
nern, folge ich feiner Spur gen Melnit Hin. Zu beiden Seiten 
der Straße follen meine Diener fireifen; bie Augen der Liebe 
werden ihn erfpähen, meine Hand ihn ſicher gleiten. Ich führe 
ihn nad) Neuſchloß Hin, auf meine ererbte Burg. Dort berg’ 
ich ihn; fein Auge fol ihn erfpähen, fein Berräther, Fein Kund- 
ſchafter ihn entbeden. Dort lebe er, von mir bewadit, bis hier 
fein 2006 ſich entfdieben Hat. Und fordert ihm der König felbft 
mit gewaffneter Hand, ic) Habe Muth, ifu zu vertheibigen. Ich 
will meine Knechte bewaffnen und felbft auf den Wällen Kämpfen, 
bis fie ihm freigeſprochen von aller Schuld und Strafe. — Wo 
nicht, fo kann ich mit ihm flecben. Und er wird fanfter ſterben 
in meinen Armen, als von des Henlers Hand!" 

„Mädchen! Mädchen!“ rief verwundert Eliſa — „ich ber 
greife Did nicht. Und dieſe Vegeifterung, die Dich erfüllt, follte 
nicht die Frucht ber Liebe fein? Zur Heldin, zur verzweiflungs- 
träftigen Amazone iſt das zarte, ſchüchterne Mädchen geworden, 
das bisher ſtill gebufdet, ohne Klage gelitten. — Doch nein! 
bleib’ bei mir — laß Gott und die Männer walten; Hilfe if 
vielleicht näher und leichter, als wir glauben.“ 


135 


„Rein, ih muß fort!“ betheuerte Milada; „mir ſagl's 
die innere Stimme, nnd das iſt Gottes Stimme, meines, ja 
feines guten Engels Stimme. Ich bin frei — id fann ziehen, 
ihn zu retten. DI ein Weib ift ſchlauer und ausbauernder, als 
ein Mann. Noch dieſe Naht erreiche ich Lieben, finde ihn viel 
leicht mod dort — ober Habe bis zum Sonnenaufgang mit 
meinen flüchtigen Roffen einen Vorfprung und treffe ihn noch 
vor Weltrus.“ 

„Und wenn Du wirffih ziehen will,” flehte Eliſa und 
umſchlang das Mädchen, „fo bleib nur noch bie morgen, bie 
zum Sonnenaufgang; bis dahin haben wir vielleiht Kunde von 
feinem Schidfal. Dann Holt ihn der Bruder zurüd — wenn 
ſich Alles zum Beſten gewendet hat. — Ic beihwöre Did! — 
Ich laſſe Did nicht von mir,” 

„Es ſei!“ verfegte Milada nad) einigem Sträuben; „doch 
jetzt eile ich, um alles zur Reiſe zu rüſten. Gegen Vater und 
Bruder ſchweig' von Allem. Die Männer fafen den Muth 
eines Weibes nicht; fie würden mid; eine Thörin ſchelten. Noch 
Eins! Sende mir feinen Knappen, den alten Sukol; er ift treu 
und verläßlid, er liebt feinen Herrn. Gr kann mir von Nuten 
fein auf der Reife. Jetzt Ich’ wohl, Du einzige, theure Ges 
noffin meiner Schmerzen, Vertraute meines Geheimniſſes! Go 
es dort oben dem Vater des Guten gefällt, fehen wir uns bald 
wieber.* 

Weinend umarmten fi die Iungfrauen und ſchieden. 


12. 
Es war Nacht; Sufol Hatte lange vergeblich auf feinen 


Heren gewartet. Bon dem traurigen Vorfalle Haıten bie von 
Zebwic, da feine Folgen noch nicht zu berechnen waren, nichts 


136 


geänßert. Nur das Fräulein Lie ihm fagen, fi für morgen 
früg bereit zu Halten, um Milada von Dubnic auf einer Reife 
zu begleiten. 

Sutol wußte, daß ber Pater Guardian biefe Racht mit dem 
Wirte Michälel jene erwähnte Zufammenkunft halten wollte. Da 
fein Ritter noch immer nicht kam, fo beforgte er, bie Gelegen- 
heit, etwas don bem Anfchlage des Möndes zu erfahren, könnte 
unbenugt vorübergehen. — x. ging deshalb allein auf den Stra- 
of, auf die Gefahr Hin, das Unternehmen bei Bratislav zu ver- 
treten. 
Als er in das Haus trat, hörte er rechts in der Schenk- 
finbe ſprechen. Um fich fir den Fall, daß ber Mönch ſchon da 
wäre, nicht zu verraten, ſchlich er leiſe Aber dem Hof, tappte 
die dunkle Treppe hinauf in jene Gaflfinbe, wo er ehedem ge- 
ſchlafen hatte und darum Beſcheid wußte. Der Wirth, ber ihn 
zwar felbft beftellt Hatte, konnte unter fo bewandten Umftänden 
nicht abgerufen werden, und Sufol faßte den Gedanken jet, ba 
er nnbemerkt bie auf den Schauplag der Handlung vorgedrungen 
war, ohne Mitwiffen des Wirthes, alfo ganz geheim bie Unter- 
redung mit bem Mönche zu belauſchen. Auf biefe Weife konnte 
er au, tie ihm Mar wurde, über bie Sinnesart des Wirthes 
Kenntniß erhalten; denn vorauszufehen war, daß biefer, wenn er 
fih mit dem Priefter allein wühte, feiner Zunge weiter feine 
Feſſeln anlegen würde. 

Er kroch darum raſch unter das breite Lager, welches im 
der Ecke ſtand, legte ſein breites Schwert — wie er denn als 
Krieger dieſe Vorſicht nie vergaß — neben ſich und harrte der 
Dinge, die da geſchehen ſollten. 

Es dauerte auch nicht lange, als Michalek die Thüre öffnete, 
Kerzenlicht Hereinftaßlte und der Kapuziner keuchend folgte. 

„Dier, Hocrwürbiger!” ſprach Miichalek mit ber Müge in 
der Hand, „find wir unbemerkt und unbelauſcht. Gefällt es End, 


137 


Gier Play zu nehmen?. Ich Hole den befleflten Wein und bin 
in einer Minute zurüd.“ 

Er geleitete ben Pater an ben Tiſch, fiellte das Licht vor 
ihn und entfernte fich geihäftig wieber. 

Der Geiftliche, jest allein, betrachtete die Wilder am ber 
Bond, mmrmelte einen Fluch, als er Huſſens Bild erbfidte, 
trat dann an's fenfter, um zu fehen, wohin es ginge, unter- 
fuchte darauf die Nebenthüre, ob felbige auch gut verſchlofſen, 
ſchien endlich) beruhigt und fette ſich bequem in ben breiten, mit 
Stroh gepolfterten Stuhl. 

Michael tom mit zwei Kannen Wein wieder. 

„So!“ rief er freundlich, indem er das Schloß abſchnappte, 
„nun find wir allen. Ich Habe unten der Dirme Auftrag ge- 
geben, uns nit zu flören. Sie fol Jedermann, fagte ich, der 
mich zu fprechen wunſchte, abweifen und bie Leute beſcheiden, ich 
fei Heut’ Nacht über Land.“ 

„Befürchtet Ihr,“ fragte beſorgt der Geiftlihe, „daß wir 
überrafcht oder befaufcht werben könnten ?“ 

„Das wohl nit!” verfegte Michalek, indem er dem Pater 
gegenüber am Zifhe Play nahm; „aber es fümmt um biefe 
Zeit gewöhnlich ein alter, Huffitiicher Kriegsknecht Hierher, der 
eine Zeit lang bei mir wohnte, mid; flets mit feinen Abenteuern 
langweilte und meine Kreide oft im Anfprüch nahm. Ic haſſe 
den rohen, blutdirftigen Schurken ans ganzer Seele, Tann aber 
nichts gegen ihm thun; denn ein Wirth ift fir alle Leute. — 
Der ungeſchlachte Wit iſt ein Bär von Kräften, und fagte ich 
etwas, fo finge er Händel mit mir an. Es könnte wohl auch 
geſchehen, daß er mich hier oben aufſuchte — wie er fonft pflegt 
— und deshalb will ich hier dieß große Bild vor das Fenfter 
ſtellen, damit er das Kerzenlicht nicht fee. Zudem weiß bie 
Dirne ſchon Beiheid; er wird abziehen, weun ich mit zu 
Haufe Bin.” 


138 


„So, fol” fagte der Pater bedächtig; „thut das, mein 
Fremd! Man kann in ſolch' betrübter Zeit nicht geuugſam auf 
ber Hut fein. Senden doc die Ketzer ihre Aushorcher uud Spür- 
Hunde ſelbſt in die geheiligten Hallen unferes Kloſters, wie wir 
vor Kurzem mit großem Entfegen erfahren haben! — Doc was 
fag’ ih da! — Ic ſpreche von Kegern zu Einem, von dem ich 
doch felbft noch nicht weiß, ob er mein geſchworner Feind, ob 
aud er dem Irrglauben aus voller Seele anhänge, und darum, 
mas ich ihm nun unter dem Siegel der Beichte anzuvertrauen 
gebente, zu meinem Verderben ‚verrathen wird. — Diefe legeri» 
ſchen Bilder an der Wand —“ 

„Verzeiht, Hochwürdigſter!“ unterbrach ihn der Wirth; „nicht 
id) Habe ihnen den Plot eingeräumt. Cs iſt eben jener Huffi- 
tifche Kriegefnecht, der, wie geſagt, Hier wohnte und die Wände 
dadurch entftellt Hat. Ich mußte es dulden, wollte ih mid mit 
ihm nicht raufen. Dem Scheine nah — id ſchwör's bei meiner 
Seele! — bin ih zwar Huffit, im Herzen aber ein eifriger, 
wahrgläubiger Katholit, der es oft im Gebete mit Thränen be= 
rent bat, daß er das Lamm innen, den reißenden Wolf aber 
außen als fein Kleid tragen muß.” 

„Ihr wart wohl Tange nicht bei der Beichte,“ fuhr ber 
Mönd fort, „habt das Abendmahl mehr denn ein Jahr lang 
nicht bei uns unter Einer Geftalt genofien? Schlimm, fehr 
fhlimm! Und was gibt mir Gewähr für Eure Verfcäwiegen- 
heit, wenn ich Euch traue?“ 

„Meine Ehre, Hochwürdiger, und der Schwur auf meine 
Seele! — Ih habe es im Innern immer mit dem wahren 
Glauben gehalten; mein Vater war einmal befangen im Irrthume 
der Neuerer, und fo mußte id zum Scheine ein Huffit fein, 
Pater Anfelm bat mein Herz erforicht, mein Gewiffen geprüft 
uud erfannt, daß ich nicht unwürdig der Gnade bin, als reuiger 
Sünder. wieber in den Schoß der alleinfeligmachenden, Heiligen 


139 


Kirche aufgenommen zu werben, &o oft er terminiren ging, gab 
ich heimlich zwar, dod nad meinen Kräften reihlih, an Wein 
und Gemüfe, Fleiih und Brot für das Kofler. — Da ih das 
Abendmahl unter Einer Geſtalt nicht geniehen durfte, genoß ich 
es lieber gar nicht, als auf die ketzeriſche Weiſe unter beiden 
Geftalten. Kömmt -ein Bettler in mein Haus und' nennt fi 
einen Kathouten, fo beſchent ich ihm veihlich, Matt daß dagegen 
der Huffitiihe Arme mit geringerer Gabe bedacht wird. — Ih 
tann mich nicht rühmen, hochwürdiger Herr! die Ruhmredigkeit 
if meine Gabe nit; doch da Ihr mir zu reden befahlet, ba es 
mein geiftig Heil erfordert, fo mußte ich wie im Beichtſtuhle 
meine Seele öffuen und Euch davon Erwähnung thun.“ 

Gut," fagte der Mönd, „man wird Euch prüfen, ob 
Ihr beſteht. Ein Eid verfiegle vorerſt Euren Mund, ob Ihr 
gefonnen ſeid gu Handem, ob nicht. Beides iR gleich. Wollt 
Ihr zum frommen Werke, das wir bereiten, nicht die Hände 
zeichen, fo braucht Ihr Bloß zu ſchweigen; deshalb binde Euch 
der Schwur. Ein Gleiches fei der Fall, wenn die That gethan; 
obgleich dann eine Zeit kommen wird, wo alle Berantwortlidjfeit 
wegfallen muß. Und eine Zeit bes Heils wird kommen, das 
hoffen wir zu Gott, für uns, für Cuch, für Ale. — Wenn no 
ein. matter Schimmer von Gefühl und Liebe zu unferer Stamm- 
matter, der heiligen Kirche, in Eurem Buſen Iebt, o, dann wendet 
Euch wieder zu ihr, betrachtet die . Leiden ber Glaubensmänner, 
ſeht ihre biutigen Häupter, welche bie Schergen ber Ketzer ihneu 
gefchlagen, feht unfre Schmach, unfere Erniebrigung, und auf 
jener Seite dagegen den Hohn, bie Macht und das Berderben 
bes Antichrif’8 und feiner Kinder Wen ber Herr Tiebt, dem 
güchtigt er. Cr Bat uns erniedrigt, um uns zu prüfen, ob wir 
treulich ausharren als feine gläubige, reine Schaar: er wird, er 
muß uns wieber erhöhen, er wird ſich unſers Jammers erbarmen ; 
denn er iſt ein Gott der Gnade. Die Altäre find geſchändet, bie 








140 


Tempel entweißt, das Sacrament entheiligt als ein Gemeingut 
für Laien, wie für Priefter; die Diener Gottes find in bem 
Staub getreten, und auf ihre blutigen Häupter tritt der Glaubens- 
feind mit eiferner Ferſe. Unfer Hewi, Jeſus Chriftus, ſelbſt bat 
das Abendmahl gegründet, hat es feinen Apofteln, das ift feinen 
Dienern, die Priefter waren, ausgetheift; er hat in Petrus ber 
Kirche den Papft gegeben und ihn in geifllihen Dingen als 
Oberhaupt der Kirche bingejegt, daß fein Wort löſe und Binde, 
daß er fortwirke und fortlehre im Ehrifti Geiſte. Auf Petrus 
folgten hie andern Päpfte, mit derfelben Weihe, derſelben Kraft, 
derjelben Ginficht ausgeftattet wie er, vom Chriſto her. Darum 
ann es nur eine einzige, wahre und Jeligmadjende Religion ge- 
ben, und dies if bie katholiſche; Alles was aufer ihr ift und 
neben ihr, ift Kegerei und Werk des Antichrif's." 

Er zog nad; diefen falbungsvoll gefprodenen Worten ein 
Meines filbernes Crueifix aus feinem Gewande, flellte es auf ben 
Tiſch und fuhr fort: 

„Da Ihr, Johann Michälet, alfo gefonnen feid, zum Heile 
der Kirche und ber wahren Heiligen Religion meine fragen ent- 
gegenzunehmen, um darnach zu, entidjeiden, ob Ihr gefonnen 
feid, zum Wohle derſelben uns bei irgend einer Gefegenheit hilf- 
reiche Hand zu leiften: fo beantwartet erſt bie fragen, welche 
ih Euch vorlege. — Glaubt Ihr, Johann Michälek, an Gott, 
an bie heilige untheilbare Dreieinigleit, an Chriſti Tod und 
Auferftefung, an bie unbefledte Empfäugniß Marik und bie Ge 
meinfhaft der Heiligen ?“ Er Bielt einen Augenblid inne; Mi- 
chalek legte die Hand andächtig auf die Bruft und fagte mit 
Zerknirſchung: „Ich glaube!“ 

Der Mönd fuhr fort: „Glaubt Ihr an die Untrüglichfeit 
bes heiligen Vaters, als Stellvertreters Chrifti, und an die Un- 
fehlbarkeit feiner Kirche? — Glaubt Ihr am die Gewalt ber ge- 
ſalbten Priefter, welche ihnen der Herr durch feinen Stellvertreter 


141 


gegeben, Sünden zu verzeihen, zu Löfen und zu binden, und bie 
Sacramente einzig und allein gültig auszutheilen ?“ 

„Ich glaube es !“ wiederholte Michalek. 

„Glaubt Ihr ferner,“ fragte der Pater weiter, „an die 
Heiligkeit ber fieben Sacramente und die Gebote ber Kirche ? 

„IH glanbe daran!" war des Wirthes abermalige Ant- 
wort. ° 

„Dann, Johaun Micjälel,“ fprad der Mönd, nahm das 
Erncifiz und hielt e8 vor ihm hin, „ſchwöret und ſprecht mir 
folgende Worte nad mit freiem Sinne, offenem Herzen und kla⸗ 
ver Serlel“ 

Michalek erhob drei Finger der rechten Hand, legte fie auf 
das Kreuz und fprad), was ihm der Mönch vorfagte. 

Diefer begann: „Ich Johann Michälel ſchwöre zu Gott 
dem Allmäctigen bei feiner heifigen Dreieinigteit, bei der unbe⸗ 
fledten Empfängnig Mariä, bei allen Heiligen und Engeln, daß 
ih von dem Geheimmiffe, welches mir der ehrmürbige Pater 
Guardian fo eben nach abgelegtem Eide mittheilen wird, an Nie · 
manden, felbft nit an einen ambern Priefter im Beichtftußl, 
weder im Rauſche, noch in ber Nüchternheit, weder bei gefundem 
Leibe, mod im der Todesſtunde, weder im Wachen no im 
Schlafe, weder freiwillig noch gezwungen, weder durch Belohnun- 
gen, noch durch Todesmartern bewogen, irgend etwas verrathen 
will, fo wahr mir Gott helfe! — Sollte id) dieſem meinen 
Eide aber jemals treulos werben, fo treffe mich ewige Verdamm ⸗ 
niß, mein Gewiſſen erleihtere weder Abfolution noch Abendmahl, 
Chriſti Beiſtand verfaffe mid; in ber Ieten Stunde, mein fterb- 
licher Leib habe feine Ruhe in der Erde, an bem Herzen, das 
dann ewig fühlen möge, nage ohne Aufhören ein giftiger Wurm, 
ein giftiger Molch felbft werde meine Zunge, Schlangen feien 
meine Augen, und Ameifen wohnen in meinem Gehirn! — IH 
ſei gepeinigt bis zum Tage ber Auferftefung und möge danu 


142 


verdammt fein mit den Verdammten! Meine Seele aber peinige 
alle Qual der Hölle, und ich verzichte anf’ die Hoffnung ſelbſt 
zukünftiger Gnade und göttlichen Erbarmens. — Dies werde 
mir Alles um fo ficherer, als ih dieſen Eidſchwur Bier mit vol- 
Tem Bewußtſein, freiwillig und mit dem Gedanken am die Folgen 
feines Bruches ablege. So im Namen Gottes, bes Vaters, des 
Sohnes und des heiligen Geiftes! Amen.“ 

Michälel bekreuzte ſich und Füßte daun das Erueifiz, welches 
ihm ber Pater darreichte. 

Diefer fuhr nad einer Weile fort: „Zwar lohnet Euch bie 
Kirche für Dies und Alles mit ewigem Heile; aber ba bes Men- 
ſchen Herz am Irdiſchen hängt, ba, wer ihr dient, auch vor 
Mangel geſchittzt fein foll, fo nehmet vorerft Hier dieſen Beutel 
mit Gold, als Belohnung, daß Ihr geſchworen zu ſchweigen in 
heifiger und Heilfamer Sache.“ 

„Hochwürdigſter Here 1“ rief Michalek und feine Angen rub- 
ten funkelnd auf der gefüllten Börſe — „wie verdien’ ich elender 
Knecht ſolches, da allein Euer gnäbiges Vertrauen mic fattfam 
belohnt und befeliget? Bin ich doch bereit, nicht nur meinen 
Arm, fondern mein Blut, mein Leben felbft unter tauſendfachen 
Martern zum Heile der Kirche hinzugeben I“ 

„Unterbredet mich night,“ belehrte der Nöonch, „und laſſet 
mid gewähren! Wären bie Klöfter nicht fo arm geworden, hätten 
ruchloſe Hände fie nicht ausgeplündert, Euer Lohn würde reicher 
fein. — Dies vorläufig, nur für das Schweigen! Morgen vor 
Sonnenaufgang kommt in das N lofter, tretet heimlich zum Gei- 
tenpförtlein ein, wofelöft Euch ein vertrauter Ftater empfangeit 
und zu mir geleiten wird. Denn da es Euch Vortheil bringt 
und Euer Heil im Leben dies erheifchet, fo möget Ihr fernerhin 
nod und bis die Stunde unfers Triumphes ſchlägt, dies Huffi- 
tiſche Gewand tragen: äußerlich ein Wolf, im Innern ein from- 
mes, gehorfames Lamm. Ihr follt morgen den Eibſchwur noch 





143 


einmal wiederholen ımd darauf das Abendmahl unter Einer Ges 
ſtalt geniefen. So werde ber alte Bund zwiſchen Euch und ber 
Kirche wieber hergeſtellt, und Ihr ſeid dann an fie gefeſſelt mit 
ewigen Banden. — Wollt Ihr uns nun — böret mid aufmert · 
fam an — Eure Hand leihen zu einem verdienſtlichen, gottgefäl- 
gen Werke, welches dem Heile des alleinfeligmachenden Glauben 
frommt, ihn, dem gefährdeten, aus großer Drangfal rettet, dem 
Antichrift fammt ber Kegerei flürgt und Tauſende reuiger Seelen 
in den Schooß ber Heiligen Mutter - Kirche wieder zurüdführt Pr 

„Ich will,“ verjegte Michalek gefpannt, „und wäre es zu 
erringen dur den legten Tropfen Bintes 1” 

„Richt diefes verlangen wir von End, frommer Sohn ber 
Kirche!” fuhr ber Pater fort; „es ift ein unblutig Opfer von 
Eurer Seite. Thut Ihr die That, fo erwartet Euch größerer 
Lohn Hier und dort, als er Euch je geworden. Wollt Ihr fie 
nit verüben, fo werben wir zwar trauern über bie Zaghaftigfeit 
eines ſchwachen Dieners des Heren, aber Eud darum nicht zür- 
nen; denn Ihr follt frei handeln, wie e8 Euch Ener Eifer lehrt. 
— Ihr braucht dann nur zw ſchweigen, wie Ihr ſchon geſchwo- 
ven, und wir werben mit Gottes Hilfe einen andern Arm finden.” 

„Sprecht, Hochwürdigſter!“ fagte geipannt und bebend Mir 
chalek, und fein Antlitz Hatte den Schein brünftigfter Frömmigkeit, 
mich Bin zu Allem bereit; ich will Alles verüben nm ber Kirche 
und meines ewigen Heiles willen.“ 

„Gut denn,” verfegte der Guardian, „daun höre und prüfe 
Dein Hm.“ 

Er zog nad biefen Worten vorn aus feiner Kutte eine 
forgfam eingehülfte Meine Monftranz hervor, padte fie aus und 
hielt fie dem ſtaunenden Michalek vor fein Antlig. 

„Diefes Mleinod,“ fagte der Priefler, als ſich der habgierige 
Birth an dem Glanz bes Goldes und der Edelſteine, die im 
Scheine: der Kerze einen betänbenden Schimmer ausftrömten, ge» 





144 


weidet Hatte, „haben wir mod; gerettet aus der allgemeinen Plän- 
berung. Borficht Hieß uns, es dem Dienfte des Herrn auf feinem 
heiligen Altare nicht wieber zurüdzugeben; deun es würde vom 
Neuem die Habſucht gereizt und ben Tempel des Allmächtigen 
abermaligen ketzeriſchen Freveln Preis gegeben haben. Dies 
Kleinod, im Werte von zweitaufend Goldftüden, welches fromme 
Milde einer erhabenen Frau der Kirche geweiht, ſoll dem als 
Preis gehören, der einen Höhen Dienft dem Herrn, der Kirche 
und feinen Dienern leiftet durch feinen willfährigen Arm. Nebftbei 
erhaltet Ihr Abfolution im Namen des heiligen Vaters und durch 
feine unmittelbare Kraft für alle bisherigen wie zufünftigen Sün- 
ben. Ihr werdet von ba ein begünftigter, geliebter Sohn ber 
Kirche, und in allen weltlichen wie geiſtlichen Nöthen wird fie 
Euch, beifpringen.“ 

„Sprecht, hochwürdiger Herr!“ bat Michälet, defien Augen 
noch wie dürſtend auf dem funkelnden Juwelenſchatze ruhten, mit 
einem Seufzer, „ih bin Euer gehorfamer Knecht und darum zum 
Aeußerften bereit.“ 

„So hört denn,“ begann ber Guardian mit gebämpfter 
Stimme und feierlihem Tone. „Soll unfer reiner Glaube wieder 
zu Ehren kommen, fol er gereinet werben von ben Schlacken 
der Ketzerei, fol er der alleinherrichende fein Hier im Lande wie 
überall: fo muß des Könige Siun, ber bie Keberei beſchubt, ſich 
entweder von ihr wenden und zum Seile lehren, ober ber König, 
als Feind des wahren Chriſtenthums, als Freund des Autichriſt's 
und Beſchirmer der Keßerei, muß flerben, damit ein anderer 
katholiſcher Fürft dem erlebigten Thron einnehme und mit fremden 
wie mit eigenen Waffen den Samen bes Böſen vernichte. Seid 
Ihr derſelben Meinung ?" 

„Ich bin,“ verſetzte Michalek, „und Habe es als Laie in 
meiner Seele oft ſchon geheimnißvoll bedacht.“ 

„Gut denn,“ fuhr ber Guardian in ber Rede fort; „Sonn 


148 


tag Aber ‚vier Wochen, am zehuten nach Xritritatle, genießet der 
König in der Gchloßlicche feierlich das Abendmahl unter beiden 
Gefalten: das Brot unb ben Wein. Der Sacriſtan bezieht 
den Kirchenwein, wie ihr wißt, und namentlich bei fo hoher 
Beranlaffung. eime beſſere Sorte, von Euch. Im bdiefen felben 
Wein, den ihn an dem nämlihen Tage in die Kirche traget, 
gießet. den Imbalt eines Flaſchchens, weldes ihr don mir ere 
halten werdet, behmtiam und heimlich, daß es Niemand gewahr 
werde. Es wird weder bes Weines Geſchmack, noch feine farbe 
auf irgend. eine auffällige Weiſe dadurch verändert werben. Det 
König wird triwfen von bem Weine, wie bon jedem andern. 
HM fein inneres Gemüth noch erfüllt von der Gnade des Herrn, 
fo wird eine Ummandlung mit ihm vorgehen, und fein Gerz 
wird fich reuig kehren zur alten Kirche und abſchwören das 
Kegertfum durch die geheiligte Kraft bes Trankes; denn dieſer 
iſt mit Zuziehung frommer Männer, unter Gebeten und Kaftei- 
ungen, mittelft der wunberthätigen Einwirkung von Reliquien ge» 
braut worden. Bleibt ber König. aber verftödt, verſchließt fein 
Herz der innern Regung, iſt feine Seele ſchon ganz im Beſitz ⸗ 
thume bes Antichrif's: fo wird er ſterben. — Gein Los alſo iR 
ihn, feinem eigenen Willen anheim gegeben; das unſrige ſteht 
in Gottes Hand. Er alſo kann Ieben ober fterben, wie es ihm 
weife und feinem Gewiffen angemefien bünft. Wir aber waſchen 
anfee Hände in Unfchuld; denn wir Haben ihr erft gewarnt 
durch feinen innern Richter. — IR er gerettet, fo fiegt durch 
ihn uuſre Kirche; — if er tobt, fo fliegt ohne ihm durch einem 
Andern, durch fi felbft die reine Lehre. Amen.“ Er blidte 
forſchend nad; dem Wirthe. 

Michalek faltete audächtig die Hände, blickte emtzidt von 
der Monfranz zur Dede empor und fagte: „Ih will — um 
des Heiles. willen, im Namen ber fünf Wunden. Ehrikit Ihr 
Habt fo ſchlechtem Kuechte, wie id bin, viele Gnade erwiefen 

Herlosfohn: Der lehte Taborit. L 10 


146 


durch folhen Hohen Auftrag. Doch der Herr ift auch barm ⸗ 
Herzig in dem @eringfien ber einigen! — Leicht if die That 
— ih habe auf ein fühneres Amt gerechnet! OD, warum habt 
Ihr, um meinen Eifer zu prüfen, nicht auf ſchwerere Probe mich 
geſtellt? Ich Hätte meinen Arm bewaffnet zum Dienfle der 
Kirche und mein Blut nad vollbrachter That freiwillig im Opfer- 
tode hingegeben, bejeligt, nur ale Märtyrer fterben zu Können.“ 

„Deimlich geſchehe es; dies lehrt die Elugheit,“ erwiederte 
der Möuch. „Chriſtus, unſer Meiſter, ſagt in Bezug auf bie 
Kirhe: Seid klug wie die Schlaugen. Der König ſterbe — fo 
er fündhaft ift und es bleiben will — und vermelfe allmälig. 
Ein gewaltſamer Tod werde nicht fichtbar an ihm; denn ſolch' 
ein Tod würde das Herz feiner Anhänger mit neuer Wuth er- 
füllen, mit neuer Kraft ausrüſten. Was ihnen der Zufall ge- 
raubt, ertragen fie leichter, und mit diefem Oberhaupte find fie 
der mãchtigſten, legten großen Gtüße beraubt. Gott fegne und 
erhalte Div Deinen Eifer, mein frommer Sohn! Für diesmal 
iſt's nur geringes Werk, fo man vom Dir verlangt, nud groß 
der Lohn. — Harte ans, zögre nicht, laß Deinen ebien Vorſatz 
nicht wanfen; Bier wird Dir bie Liebe und der Segen der Priefter 
wie aller Recigläubigen, dort oben die Palme des himmliſchen 
Ruhmes zu Theil. — Beate Alles wohl, mein Freund; laß 
Deinen Mund einen elfenbeinernen Thurm fein, der verihloffen 
iſt, zügle Deine Zunge und wäge das Wort bebädhtig ab, ehe 
Du es fprihft; denn ber Verdacht lauert überall und fchaut in 
jede Rige der Seele, um dort etwas zu entbeden. — Ich aber 
fegue Dich jet und gehe in meine Zelle, um mid; zu kaſteien 
und zu beten, bamit das erhabene Wert mit Gottes Hilfe durch 
Did, einen geringen, aber ergebenen Knecht, glücklich vollbracht 
werde.” ’ 

Sutol, der mit dem tiefften Jugrimme unter beur Lager 
das ganze Gefpsäh gehört und nur manchmal, wenn ber. Pater 


147 


seht hefüg ſprach, mit ben Zähnen gekuirjcht Hatte, ba er feine 
innere Wuth nicht bändigen konnte, war num eben im Begriffe, 
aus feinem Verſteck hervorzufpringen und bie beiden Köuigsmörder 
mieberzuftoßen; denn ber ſchurliſche Wirth — das wurde ihm 
jest Har — benutzte den Umftand, daß er nicht erſchienen, zu 
feinem Vortheil und war gleichen Sinnes mit dem Guardian ge 
worden, ba er fo reihen Gewinn witterte. Hatte er den Mie 
chalek früher für einen gleißnerifhen Buben gehalten, fo hatte er 
nun bie fefte Weberzeugung davou gewonnen. — Gr bändigte 
feine Heftigfeit, indem er bebadhte, daß er — wofern er die 
beiden Meudelmörber jet feiner Wuth opferte — dann feinen 
Zeugen habe, um ihre Abſicht an den Tag zu bringen und feine 
Ausfage darüber zu belegen. Leicht konnte er, da er fi hier 
hereingefchlichen, da er ein taboritiſcher Krieger, alfo ein natür- 
licher Feind des Möndes war, für einen abfictlihen Mörder 
gehalten werben, um fo mehr, als den Erſchlagenen ferner feine 
Ansfage durh Drohung und Folter abzuprefien war. — Dies 
bedachte er. Er mollte, fo beihloß er, bem Könige fein Ge- 
heimniß anvertrauen; die Folter follte beiden Verbrechern ihren 
Auſchlag entloden. Noch befier aber — folgerte er — bie That 
erſt reifen zw laffen, und in dem Augenblide, wo der vergiftete 
Bein fon vorhanden fein würde, verhindernd und entdedend 
einzuſchreiten. — Darum fämpfte er feinen Jugrimm nieder, ver⸗ 
bielt ſich noch eine Weile ruhig, und fann und dachte nur auf 
bie Art und Weiſe, wie er unentbedit und unbemerkt wieder aus 
dem Haufe gelangen könnte. 

Inzwiſchen Hatte ber Priefter den Mitverſchworenen gefegnet, 
ihm die Borſe und das filberne Erucifig dargereicht, die koſibare 
Monftranz aber wieder zu fi genommen, und ſchicte fih au 
fortzugehen. 

„Roc einmal, fagte er zum Abſchiede, „ſegne ber Herr 
Euch und verleihe Euch Kraft mund Ausdauer! Morgen ſpreche 

10* 


148 


ich End, reuiger Sohn der Kirche, in meiner Zelle. Daß id 
allein für den Glauben und wicht wegen bes Beſitzthums irdiſcher 
Guter jene That wünfde, dafür ſei Euch meine, wie unſers 
Ordens Armuth fihere Burgſchaft; denn wir bieiben Bettler 
unter allen Berhäftniffen im Staate; wir haben die Gelühbe bes 
Gehorſams, der Kenfchheit und der Armuth abgelegt, weidhe 
wir auch ſtets gehalten. Lebet wohl!“ . 

Michalet kußte ihm andächtig bie Hand, nahm das Licht 
und begleitete ihm langfam zur Thüre hinaus, welche er hinter 
fich zulehnte. 

Sulol kroch ſachte unter dem Bette hervor, lauſchte an ber 
Thure, und ale er das Licht auf der engen Treppe nad und 
nad) verſchwinden fah, flieg er feife und bedächtig hinab, fprang, 
als jegt Michalek mit dem Pater durch die Hausflur ging und 
ihm no eine fanfte, gefegnete Macht. wünſchte, inte um bie 
Ede des Treppenhanfes auf dem Hof unb verbarg fich daſelbſt 
in einer Niſche. 

Michalek kam zurück, belenchtete forgfam alle Winkel und 
Eden an ber Treppe, und flieg banız ohne Geräuſch bie Stufen 
hinauf vermuthlich um, mod; bevor er in bie Schenkſtube ging, 
die erhaltenen Gefchente in.feiner Lade vorſichtig zu verichließen. 

Er nahın das Bild, welches ihm flatt eines Vorhanges ge- 
dient, wieder nom Fenſter und wandelte .oben nod eine Weile 
auf und ab, fo daß Sufol feinen Schatten fah. Diefen Augen- 
blid benutzte der Kuflitifhe Krieger, um anf ben Zehen über den 
Hof, dur ben Gang am Schenkimmer vorüber nah ber Straße 
zu ſchleichen. Hier weilte, er einen Angenblid; deun ihn überfam 
ber Gedanke, jener Michälek könne vielleicht dod ein eifriger 
Huffit fein, Tonne Ad gegen den katholiſchen Prieſter uur verſtellt 
umb die Abfiht haben, nah Xöfung feines Eides durch einen 
Prieſter des Kelches den gangen Anſchlag zu verrathen. 

Er kehrte alfo um, ging wieder in das Haus, öffnete mit 


149 


Gerãuſch bie Gaſtſtube und trat, wie er es tom ehebem gewährt 
war, mit feſtem Tritt und einem fräftigen Fluche wieber ein. 

Auf fein Verlangen — er mwürbigte die Dafigenden kaum 
eines Anblides — gab ihm bie Dirne einen Becher. Wein, ben 
er haſtig Binunterftürgte. 

Gleich darauf kam der Wirth von oben‘ herab; er ſchien 
auf Sutkol's Erſcheinung gefaßt und nahm die gleichgültigſte Miene 
von ber Welt an. 

Sulol begrüßte ihn, faßte ihn an der Hand und trat mit 
ihm hinter den Ofen. 

„Iſt er fon da?“ forſchte er Haflig. 

„Wer denn?“ fragte Michalek langſam, befann fid aber 
plöglich, daß ber Reiter ja leicht möglich dem Möndje begegnet 
fein Lönne und fein Verläugnen des Beſuches nur Berbadht er- 
tegen würde: er unterbrach fid daher raſch, indem er feine Frage 
ſelbſt beantwortete und fagte: „Ach ja! der Guardian von dem 
Ropuzinern, von dem ich zu Euch geſprochen.“ 

„So iſt's!“ entgegnete Sukol und Iniff fein Ange zuſam- 
men, damit beffen wilder Blitz nicht von feiner innern Grregung 
zeige; „was wollte er, was fragte er? Betrifft es uns? 

„Nein — nein!“ erwiderte Michalek und machte fi an 
der Schualle feines @ürtels etwas zu ſchaffen; „er fragte daſſelbe, 
was Heut’ der Mönd; erforſchen wollte, beſchwerte fi über ben 
Nitter und ergoß fi in Klagen. Ich aber wollte ihn wieder 
los werden; deshalb Hatte ich ihn im jene Stube geführt, mo 
die Gemälde umferer Heiligen Märtyrer und bag Gpottbilb auf 
den Bapft hängt, und flelkte demmad; das Licht gerade basunter, 
damit fie ihm in die Augen fallen möchten. Er ſchien den Wink 
zu verfiehen, hielt die Hand vor die Angen, feufzte und entfernte 
ſich bald wieder.“ 

nBahahal" lachte Eutol im ausbrehenden Ingrimm; body 


180 


Michalek Hielt es für Beifall über dem Hohnnedenden Scherz ‚mit 
dem Monche. 

„Schade nur," fuhr der Sqhentvirth fort, „daß Ihr nicht 
zur rechten Zeit gekommen, als er bier im Dunkel durch bie 
Hansflur ging! Ihr Hättet ihm da während des Begegnens, fo 
aus Berfehen, mit dem Ellenbogen einige Rippen einſtoßen kön - 
nen, wenn's fett nicht zu die vorliegt.” 

„Da Haft Du Recht!“ betheuerte Sufol; „um den Spaß 
bin ich gebracht. Alſo weiter iſt nichts vorgefallen? Hätte aber 
doch gern fein Klagelied über die Ketzerei gehört, und wie er — 
ja, wie er den Herrn ſchmähte! Da wär ich vorgefprungen und 
hätte gerufen: .Heida, frommer Bater, folhe Salme, wie Ihr 
jeid, Habe ich im Kriege zw Dutzenden gebraten. Der, den Ihr 
ſchmaht, in mein Herr. Seht Eure Rapıze auf das Tahle Dach 
und nehmt den Roſenkranz zur Hand — id; zieh’ mein Schwert. 
— Ihr müßt den Schimpf ausfehten mit mir, da wir einmal 
im $rieden find; wären wir im Kriege — verführ' ich nicht fo 
ſauberlich. — Haha! ich Hätte den Schrecken bes feiften, zitternben 
Möndleins fehen mögen! — Nun, deu Herrn wird e8 wenig 
fünmern. Ich ward fo ange aufgehalten — und muß aud 
gleich wieder fort. Wollte Dich der Pfaff’ vielleicht bekehren P 

„Mein, dazu kam's nicht,“ berichtete Michälel; „ic würde 
ihn and ſchön zurecht geiwiefen haben in meinem Hauſe! Denn 
fein katholiſcher Pfaff darf fi, wie die Hohe Verordnung jagt, 
einſchleichen in ein hufſitiſch Haus und daſelbſt Belehrung verfu- 
chen. IH ſtand ihm gar nicht Rede; er fah, daß ich fireng 
Huffitifch gefinut, umd ging baldigſt. Di weißt ja, wie mir al? 
das Boll, das papiſtiche, Laien und Priefter, widerwärtig find, 
obgleich ich als Wirth bei Jedermann mich fügen muß, wenn 
and mit geheimem Widerwillen.“ 

„Freilich, Freilich" Aimmte Sutol ein und. pochte Ihm be= 
tröftigend auf die Schulter; „Bier Haft Du Gelb — ih muß 


181 


nach Haufe; ’s iſt noch ein hübſcher Weg. Morgen geht's auf 
Reifen — mit einem Holden Fräulein. Nicht wahr? ih muß 
doch noch ein ſchmucker Burſche fein, trog des Einen Auges und 
der Narben und meiner Bärenftimme, wie fie das Fräulein von 
Zehwic nennt.” 

„Wie fo auf Reiſen ?“ fragte der Wirth, indem er das 
große Silberſtück wechfelte und Meine. Minze heransgab. 

„Freilich!“ herrſchte Sukol — „hab’ feine Zeit zu verlieren. 
Wald Fehr’ ich vieleicht wieder und erzähle Dir bann dies und 
jenes Abentener, dab Dir ber Magen im Leibe lachen foll; denn 
ih zieh’ auch mit anf Schwänke aus, befonders anf einen großen 
und höchſt luſtigen Schwaut. Doc davon fpäter! Leb' wohl, 
und ſollten wir uns nicht wieberfehen, jo bedenl mic im Teſta- 
mente! Berfichft Du? Gute Rachel“ 

Er ſchritt nach bdiefen Worten lachend hinaus, indem er 
die Thüre Hinter fich zuwarf, daf die Balfen krachten und bie 
enfter tlisrten. 

Bis hierher Hatte er feinem Ingrimme Gewalt angethan 
and feine Zorngint gebändigt. Länger vermochte er's nicht. Als 
er an ben Eden bes gewöhnlich finftern und menſchenleeren Hohl- 
weges, wo es nicht. gehener fein ſollte, anlangte, blieb er ftehen, 
trat an die Mauer, ftemmte ſich mit beiden Händen baran und 
ſprach halblaut gegen die Wand, als wäre es Michätel, ber 
heimtücliſche Wirth: „O Dir verbammter Schurke, firupphaariger, 
feelenfofer Böfewicht! ift das Treue und Glauben, ift das Eifer 
im Huffitentiume? Du Hundefeele eines fähigen Hundes, 
Kerl Du mit einem Herzen wie eine Bärenmüße, die voll Un⸗ 
gegiefer if, Menſch mit einem durchlöcherten Gewiſſen mie eiu 
zerrittener Sattel, wie eine moderige Pferbededel ift das Wahr- 
Heit, if das Aufrichtigkeit? Du gift und windvollgefadter Lügen. 
bube, augenverbrehender, zungewedelnder Spitzbube, Wicht, Gauch, 
Taugenichts und Lumpenlerli Ein Dieb und Mörder Du, ein 


158 


bloder Schoͤps wit dickem Hiruſchadel und borfiger Wollt, mh 
doch ein Wolf im Imnern! Ci, Die ſitzt ja bie Schlechtigteit 
fauftdid zwiſchen Haut und Kuochen, ywilhen Ange und Mund? 
Daß Dich das Donnerwetter auf jeden einzeluen Deiner Zähre 
im laſterlichen Rachen ſchlage und bis in bie Außzehen Yinab- 
fahre! Du verbienft ja, erſt geipieht, dann gefunden, dauu 
aufgefäfigt, dann gebraten und gehangen zu werden! Der Rinig 
iſt einmal unfer König, und iR bad; wenigſtens ein hufſitiſcher 
Wönig, und Du abtrünniger Hund willn bie dand bayır hergeben, 
Ähm gu vergiften? Das wird ein ſaubres Trantiein fein, das 
Deinen . Holzäpfelwein verfüßen fol und des Ränige Gemüt 
rübren!. Ich weiß gar nicht, wie ich zu der Faſſung kam, daß 
ih nicht hervorſpraug und bie ſchurkiſchen Schädel mit der Kauft 
einſchlug, wie's ber Fleiſcher mit dem Sammer bei den Ochſen 
thut. — Aber nein! Erſt wenn bie Frucht reif if, muß fie 
falen. Nun, Eure Köpfe follen gut geſchüttelt werben, daß fie 
fallen wie faule Aepfel. — Und Du, Pfaff/ — Schwiegerſohn 
von des Teufels reizender Großmutter — Dir will ih einen 
Zanz bereiten, daß Dein Fettwanft Kienöhl ſchwitzen fe! Du 
Megenfohn, Du Schänder und Läfterer der Schrift, frecher Beel- 
zebub im Dienfte der Papifien ! heida! Du follft auch dran, daß 
Dir die Haut Deiner Glage ſich emporfiräuben fol in Ermen- 
gelung des Haares! Und im Grunde, Fluch und Donuerwetter! 
iſt der Middle doch noch ein größerer Sundenhund, als ber 
Mönd; denn der Mönd thut's für feinen Glanden und aus 
Haß gegen das Huffitentfum, der ſchiefbeinige, angenverbrehende 
Schuft von Wirth aber, felbft ein Huffit, wüthet für Gelb und 
Kohn gegen feinen eigenen Glauben, ſchwött dieſen ab nnd leiht 
feinen Arm, um einen König zu worden, ber ihm nie etwas ge- 
than. Aber an mich ſollſt Du denen, Herr Michalel mit dem 
Anfag zum Fettwanſt, mit der ſtattuchen Pelzmäge, mit bem 
grünen, gebauſchten Wamms des Sonntage, wo Du wie ein 


168 


Auerxhahn auoſiehſt, dem bie Wafjerfucht in ben Magen geftiegen 
— an mich folk Dir denken! — Laß Dir vathen, ſchäbiger 
His und fa Dein Fleiſch ein; denn binnen Karzem beißen 
die Würmer es au und freffen dann nicht weiter, wenn's geſalzen 
if. wie Podeifleiſch, und Du häftft Dich Tänger im Grabe und 
verjaulſt nicht fo ſchnell! Ober noch beffer! Rimm einen Strid 
und hänge Did, in den Mauchfang und laß Dich räuchern wie 
ein halbes Schwein — fo entgeht Du auch der Berwefungl — 
Gottes Flach, Hiummelsdouner! Du verdienft ja, dafı man Dir 
die Gedärme aus dem Leibe reift, fie an einen Baum bindet 
nnd Did dann ringsherum fpazieren führt, wie ich einmal gefe- 
den! — Nein, das tft zu arg! — IH mar doch auch ein tüch⸗ 
tiger Zriegstuecht und Habe das Todtſchlagen, das Aufihligen, 
Schinden und Braten nicht geſcheut, denn ich Habe es ehrlich 
getrieben für ben Glauben und das Leben, Gleiches mit Gleichen 
haben wir vergoften; aber fol’ ein ſtinkender Marder von 
Glaubensverfälicher, der mordet im Stillen, gegen feinen Glauben, 
aus Habſucht aus mieberträchtigem  Eigenmig! — O Pfaff‘, 
o Michatet! was gäbet Ihr drum, wenn Ihr müßtet, daß ich 
Ench behorcht, daß ich Cure Köpfe jet ſchon in der Hand Habe 
und Eure Zungen auch: jene zum Auſchlagen ober Hängen, dieſe 
zum Ausreißen! — Dem Herrn entbede ich noch heute die Sache 
— er wird am beſten wiffen, was darin zu than. Am ſicherſten 
is, wir laffen fie den Wein erft brauen und treten dann vor 
und rufen: Da habt Ihr die Hundel Hängt fie! Dann können 
fie nicht Lügen, bie verfluchten, giftgeſchwollenen Ratten! Aber 
nur bie einzige Freude wollt' ich Haben: ich wollte, bevor des 
Henker ihnen bie letzte Oehlung gibt und gute Nacht fagt, ihre 
Köpfe jo ein Bishen an einander ſtauchen, fo Nafenbein an 
Naſenbein und Sirnſchädel an Hirmfhädel, bis fie etwas dufelig 
Würden und drehig, und bis es etwas fyanken gäbe. — Heifal 
— Ed) wour ich dedienen und Euch fpringen und tanzen lehren, 


154 


wenn ber König fagte: Hier, Sufol, nimm fie bin und firaf 
fie ab nad Belieben! — Ich fpielte Euch eine Weiſe auf mit 
meinem alten Schwert da und fiedelte Euch was Lufliges nor 
auf Euren Gliedmaßen, daß Euch das Hüpfen von ſelbſt im bie 
Beine kame! O Ihr fhimmeligen, mobderigen, wurmſtichigen 
Schurken ohne Herz nud Ehre, ohne Ehrlichkeit im Todtſchlagen 
— pfuil pfui! Ihr ſollt am mich denfen, an den Sukol — bie 
Euch Sehen und Hören vergeht! Pfui! pfuil“ Er flug nad 
biefen Worten mit geballter Fauft an die Wand und ſpuckte ver⸗ 
ähtih aus. — Dann fahte er fi wieder, befann fih und 
ſprach weiter zu fi jelbft: 

„So — fo! nun Hab’ ih die Galle von. der Leber weg! 
ich konnt's nicht länger aushalten. Die Bruft wär’ mir fonft 
gerfprungen vor Gift — id) mußte mid ausfluden. Der Böhme 
muß fluchen — bie alten Weiber und Papiften beten, wenn fie 
ber Aerger ſticht. So ein Fluch flärkt die Leber wieder und. ere 
Teichtert das Herz. Es foll freilich eine Sünde fein, aber ich 
bitt's dem lieben Herrgott wieder ab; denn ich kann doch nicht 
dafür, daß es ſolche Hundeſeelen, ſolche verfluchte, verbammte 
‚Höllenfeelen, ſolche Baftarde, Wechſelbälge des Teufels gibt, die 
im Stillen das Holz benagen, das wir zum Tempel gezimmert. 
— Mir ift wieder wohl, der Aerger ift heraus umd bie Wein. 
fäure aud: dann kommt der Spaß: wenn fie erſt bleich werden, 
da fie verraten find,. und zittern und beben, und mit den Kinn« 
baden Mappern vor Frof und Angſt, umd zu Boden fallen, um 
Gnade flehen und doch Hängen müffen. Heidil frewe Did, alte 
Seele! — Gut, daß Du noch ein Ange haſt, um das fehen zu 
Bnnen! Das wird wieder ein köſtlich Schaufpiel, wie ich lange 
nicht erlebt! Freu' Did, Sukol! Cs thut Einem wohl, wenn 
man einen Schurkenhund feinen wohlverdienten Lohn genießen 
fieht mit bleichem Maul, "zitterud im Angſtſchweiße. Da haft 
Du's! — Du Haft es ja fo Haben wollen, Galgenfutter; wir 


156 


bedienen Dich ja nur, wie Du verlangt! Der Teufel geſegne 
Dir die Mahlzeit! — Muß ber ehrliche Kerl, der brave Soldat 
oft umfchulbig Tod und Schmerzen leiden und hat nichts verbrochen; 
Hr Judaſſe aber, Ihr Malchuffe, Ihr Habt bie Brühe einge 
ſchenkt: nun trinkt fie and ans! Sie ſchmect Euch nicht? Ja 
freilich! Aber. hätte fie uns deun beſſer geſchmeckt? Ihr hättet 
anch gelacht, wenn wir Geſichter geſchnitten und und den Leib 
gehalten umd bie Weine zufansmengezogen hätten; Ihr Hättet 
End; baß gefrent, daß Ihr die Suppe nicht freffen müßt, die 
Ihr uns zubereitet. Nun erlaubt doch and, Ihr guten Yin 
gelchens, allerliebfte, fromme SKinderpüpden, daß wir auch froh 
find, weil bie Reihe nicht am ums if. — So — nun wär ih 
fertig — die Galle wär endfich heraus ! Mir ift wohl, TRAG 
wohl — wie mad) einer fchönen Mahlzeit. Ich möchte laut 
laden, den Himmel anlachen, die Sterne anlachen, wie in einem 
guten Rauſche von gutem Hopfenbier. — Schlaft wohl, Herr 
Bater, dort im frommen Möfterlein im der armfeligen Belle, wo 
die Demuth wohnt und bie Frommigkeit und die Gottlofigteit! 
Wenn Ihr das Brevier betet und den Roſenkranz und das Ora 
pro nobis, und ben lieben @ott, die Jungfrau und bie Hei» 
figen anflehet, fie mögen Euch den Schurkenſtreich gelingen laſſen, 
fo betet auch ein eines Gebetlein für mid, daß mich der Him- 
mel. nicht etwa fterben lafſe durch einen Zufall, bevor id Euch 
einmal in's Auge gefehen und Cuch die fegte Oelung, die legte 
Einſchmierung gegeben habe. Es märe Schade darum! — Schlaft 
wohl! ſchlaft wohl; Und der Tenfel Euer Stiefbruder erſcheine 
Euch im Traume und Hiffe End und fage: Lieber Freund und 
Bater, gefalbter Diener des Herrn, ich grüße Euch umd befuche 
Euch, um mic zu melden. Ich werde das Vergnügen haben, 
Euch eigenhändig auf einem allerliebſten Spieße zu braten wie 
einen Hafen, Alles in Liebe aber und am einem warmen Orte, 
wo Ihr Euch nicht erfäftet und kein Fieber kriegt. Auf Wieder» 


3) 
E43 
ä 
gı 
h 
4 


Genneru, allzeitge it 
und Kreibeufeldgere, Weinverfälſcher und Bierverbfinuer! Der Su- 
tot, der fonk mie Euch trant, ber Cuch ſchuldig war, und ben 
Ihr geſchunden bei der Rechnung, dem Ihr einen Strich gemacht 
über fein Eines Auge mit Eurer doppelten Kreide, daß es ihm 
mit Thranen überlief, derfelbe Sulol, der Euch manden Abend 
bis tief in die Nat von den Hufliteufahrten und feinen Thaten 
erzählt hat, daß es eine Freude mar und Ihr die Ohren fpittet 
wie ein altes Roß, derfelbe Sulol mänfcht Euch eime gute, ge- 
ruhſame Nacht und begrüßt dem alten freund mit Liebe nub 
Zaruichteit. Geht in ben Keller, gießet, o reblide Baflwirthefeeke, 
Waſſer unter das ſtarke KMofterbier und miſchet fanern Wein 
unter den füßen, wie Ihr pflegt ans Liebe zu den Menfchen 
und aus Beforgniß für ihre Nuchternheit; fleigt dann nach foldem 
volbrahten Werke ber Gottfeligleit wieder herauf und ſchreibet 
mit der Heben Kreide am bie ſchwarze Tafel das Doppelte von 
dem Einfachen, damit der Gaſt doch wiſſe, er fei ein werther 
Gaſt, dem Ihr vertraut! dann fleiget höher in das liche Gemach 
und ſchließet den Schrein auf, begudt Euch das filberne Kreuz · 
lein, zäblet im Beutel bie Golbfläde, den Judaslohn, und ergöget 
Euch an feinem Glanze unb dem gelben Schein, labet Cure 
feomme, edle Geele, lächelt mit dem frommen, breiten Maule 
und verfehliefit es forgfam und ängftlich wieder, damit fein Spü- 
her Cuch belauſche, kein Dieb Euch beſtehle. Es hat Euch Mie- 
mand belauſcht, edler Herr Michalek! Haba! Betet doch erſt Euer 
Bater unſer und ben engliſchen Gruß Bergeßt es nicht, fromme 
Seele! — Schlaft num ruhig ein, ſchlummert ſuß — auf dem 
Lotterbettlein, in vier Wochen wird's nicht fo füß fein — und 
träumt von der golbnen Monftranz, bie viel Tauſend Goldgülden 
Im Werthe Hat, und lächelt wie ein Rind! Ich vergänn’ Eud’s! 


167 


Und wenn zufällig Herr Satanas im Traume Euch erſcheiut, 
feinen Beſuch zu machen, fo erſchrecet nicht! Er meinte gut 
mit Cuch, er wird Euch nur ein bischen ſchwitzen maden, und 
das iR gut für das Fieber; denn Ihr Habt immer fo gegittert, 
daß es ein Jammer war. Schwitzet, ſchwitzet, lieber Herr Mi- 
öSölelt — Ihr braucht Teim Holz; es geht Alles auf holliſche 
Untoften, nud and bie Pelzmütze braucht Ihr nicht abzunugen. 
&o, frommes Kind Chrifi, lieber, tremer Anhänger der heiligen 
Kirche, gutes Lamm, das da nur zum. Scheine eine ketzeriſche 
Wolfshaut getragen, — laßt Euch vom Fieber Heilen. Der 
Teufel ſchürt die Kohlen und hält Euch jeden Windzug ab. So 
— gute Naht! — Denkt an ben Sukol zuweilen; er hat's mit 
Euch gerade fo ehrlich gemeint, wie Ihr mit dem Glauben, mit 
dem König und mit dem Gufol. Cure Kreide vermacht mir 
aber, lieber Michalek; die Hab’ ich liebgewonnen. Ich laf mir 
auf meine braune Wand im Stalle Dein liebes Angeficht ablon- 
terfeien, um Dich bis an mein feliges Ende ſtets gegemmärtig zu 
haben. Schlaf wohl, Middlet!“ 

„So!“ fuhr er fort und verließ feine bisherige Stellung 
und ging weiter nad) ‚dem Hohlwege Hinab, „jet bin ich die 
Galle 108, und die Leber iſt frei. Es if mir wohl zu Muthe, 
als hätt’ ich alten Cernoſeker getrunlen und es wallte mir wie 
milde Wärme durch die Adern. Es mußte heraus! Freilich habe 
id an der Wand ein bischen laut geſprochen, es Hätte mich Ie- 
mand bort belaufdjen Yännen; aber e8 ging Keiner vorüber. Zum 
Güde ift der Weg wicht beliebt, und ber Chriſtus am Kreuze 
oben an ber Kapelle wird mich nicht verrathen. Ich hab’ doch 
nur gottfeliges Zeug geſprochen, was bem Himmel wohlgefällig 
iR und den Menichen möglich. Alles im Liebe,“ brummte er, 
über die lodern Steine, welche im Wege lagen, fiolpernd, „Allee 
ans alter Freundſchaft! Den hochwurdigen Herrn muß ih ehren 
als einen Diener Gottes und der Kirche, und. ben Michalek muß 


188 


id) Heben wegen feines nüchternen Bieres und fänerlichen, gefunt- 
den Weines, der dem Magen dient, und wegen feiner Sreibe, 
die er: mir zu Liebe doppelt verſchwendet. Das koſtet ih ja 
auch Geld; demm bezahlte ich jedesmal, jo brauchte er nichts an- 
zuſchreiben, vollends doppelt nicht. — Gute Nacht, meine Herren! 
Rum, mein Ritter wird fi) auch ſehr fremen bei ber Kunde von 
Euren edlen, menſchenfreundlichen Vorſätzen und wird Euch wis 
aud eine fanfte Ruhe wänjden.“ 

Diefes und dergleichen vor ſich hinmurmelnd, eilte er nad 
der Kleinen Seite hinab. 


Im dumpfen Fieberfantaſien lag Vratislav auf dem Lager. 
Bilder der verfloffenen Tage zogen wirr an feinem innern Ge- 
ſichte vorüber. Er fah fih dem wilden Spanberg entgegengeftellt 
mit gezücter Waffe, ſah diefen flürzen, in feinem Blute fi wäl- 
zen und die Hand noch mit der letzten Kraft begierig mad} ber 
holden Rofenbergerin ausſtrecken, bie weinend an feiner Geite 
fand. Bald wieder trat die Jungfrau zu ihm, beugte theilnahm ⸗ 
vol und ernft das Haupt über ihn, trodnete das Blut von 

- feiner Wunde und fagte mit füßem Tone: Mein ebler Retter 
aus Tobesgefahr! Dann kam er ſich wieder vor wie Milada's 
tobter Bruder, im Sarge offen liegend, ben vier Träger fhlepp- 
ten, und Hinter dem Sarge ſchritt in Thränen aufgelöft Milada 
ſelbſt in demfelben ſchwarzen Trauergewande, wie er fie zuerft in 
der Schlofkicche gefehen. Er wollte zu ihr fügen: Weinet nicht, 
ich Bin ja nicht Euer Bruder; denn ihre Thränen ſchmerzten ihn 
ſehr und Iodten rührende Zähren ans feinen Augen. Sein Blid 


159 


aber umdunkelte fh wieder; er hörte eine Stimme, bie er noch 
nie vernommen uub bie ihm doch befannt ſchien, und als er ge⸗ 
waltfam wieder die Augen öffnete, fand der Neuhaufer vor dem 
Lager, auf weldes man ihn gelehnt, und betrachtete ihm ernſt, 
doch mild. Er wollte: Hinweg, hinweg, Mörder meines Vaters! 
anrufen; aber bie Kehle war ihm zufammengeichnürt. Kaum 
konnte er Athem holen, und in feinem Gehirne wühlte Fieberhitze 
mit glühenden Gifenfingern, und eine frauengeftalt, milden, ſchö- 
nen Antlites, die Mutterliebe in ben blafien Zügen, neigte ſich 
über ihn und wiſchte den Schweiß von feiner Stine, und nette 
die Wunde mit fühlendem Balfam und flüfterte füße Worte des 
Troſtes mit einer fo milden, fanften Stimme, wie er noch nie 
vernommen. Born aber fah er feinen. Freund Nillas über bie 
ebene Gegend ſprengen, reits und Line fpähend, als fuche er 
ihn. Er wollte ihm zurufen: Hier bin ih, Niklas, bier! — aber 
der Athem verfagte ihm; denn von durther Tamen bie Häſcher 
mit Spießen und Feſſeln gefchritten. Er wollte fi vor ihren 
Blicken verbergen; aber fie hatten ihn ſchon erfpäht und riefen: 
Hier if der Mörder! Schleppt ihn zum Tode! Henker, verrichte 
Dein Amt! — Und fie viffen ihn auf bei den Haaren, daß ſich 
bie Haut vom Scheitel trennte. Da fland plöglid Lidmila vom 
Rofenberg in aller Pracht ihrer Schönheit, mit milden, frommen, 
theilnahmvollen Mienen, nicht mehr mit dem freien Lächeln, vor 
ihm und vief: Ich laſſe Dich nit! Ich liebe Di wie Keinen! 
— Uber ein fürdterlicher Schlag traf fein Haupt — er fhrie 
laut auf — erſt war es finfter, dann Hell nm ihn. Geine Bruft 
athmete frei, er blidte um fich. 

„Wo bin ih?" fragte er mit matter Zunge. Er befand 
AG im einem Gemade, das von Pracht und Wohlſtand zeugte. 
Schwere damafene Vorhänge hingen am ben fenftern, bie Wände 
waren mit buntem Schnitzwerk verziert, Spiegel und Armleuchter 
hingen ringsum und aud). ein weiblich Bildniß dort, ein Bild 


100 


vol Aumuth und Schörheit. Ihm war, als feunte er biefe 
Züge, als hätte er die Jungfrau ſchon irgendwo gefehen. 

„Träum’ ich noch immer?“ fengte er „oder bin ich tobt, 
und ift dies der Traum im Tode?“ 

Er fühlte mit der Hand nach feinem matten Haupte; eime 
Binde ſchlang ih darım, Er wollte fi erinners, was feit 
jenem Abend, wo er im Garten ben Streit gehabt, mit ihm 
vorgegangen fei; aber fein Gedächtniß Hatte ihn treulos verlaffen. 
Er mußte fi) gewaltſam überreden, daß er nicht tobt fei, daß 
er nicht träume. Dies Alles um ihn war Wirküchteit; feine 
ſchmerzeude Wunde, in welder der Trieb: ber Genefung zudie, 
überzeugte ihn vom Dafein. Er wollte auffiehen und aus bem 
Fenſter hauen, um die Gegend zu erfennen, wo er war; aber 
feine @lieber waren matt — das Blei der Krankheit und Ent- 
täftung lag in ihnen. „Mein Gott!“ betete er, „wenn es nicht 
der Wahnfinn war, was ich träumte und mein gegenwärtiger 
heller Augenblid nur der Wubepunft in ihm if, dann fende 
mir einen Menſchen, der mich von biefer Bein ‚ber Ungewißheit 
befreit.“ 

Die Thüre öffnete ſich jetzt leife; ein eisgrauer Diener trat 
herein. „Wo bin ih?“ fragte Bratislav matt und heftete die 
trüben Bfide auf ihn; „im Gefängnig oder bei Freunden ?“ 

nGelobt fei Jeſus Chriſtus,“ rief der Alte und ſchlug freudig 
die Hände zufammen und eilte näher, „daß Ihr wieder bei Sinnen 
feid! Erlaubt mir, gnäbigfter Herr, daß ich mir die Augen 
wiſchen darf; denn ich bin mar ein gemeiner Kuecht des gnädigen 
‚Herrn biefer Burg, aber ich habe Euch fo lieb gewannen während 
ber ganzen Zeit, da ich Euch pflegte, als wäret Ihr mein eigener 
Sohn. Gelobt fei, der Himmel abermals, der Euch Sprade 
und Beſinnung wiebergegeben! Ad! das war ein hartes Fieber, 
das Ihr beſtanden habt, ein hitziges fogar. — Ihe Habt eine 
gute Natur, gmäbiger Herr, daß Ihr das Alles fo habt aushalten 


161 


W 
tönen. Das NRafen und Magen, biefe Glut im Kopfe, dieſe 
gehemmte Bruſt, das war feine Kleinigkeit 1” 

Er fette fi) nach dieſen lebhaft geſprochenen Worten an 
das Krankenlager Vratislav's, goß Arznei in eine Schale und 
hielt fie dem Ritter an die Lippen. 

„Nehmt, Herr, trinkt nur immer zu,“ fagte er; „das hat 
Euch die Genefung gebracht, das wird Eud; vollends auf bie 
Beine bringen. Ein köſtlicher Trank, zwar bitter wie Galläpfel, 
aber heilſam; er wirft Wunder.“ 

Sag’ mir, mein Freund,“ bat Vratislav, der unwillkührlich 
die Medizin nahın, „bin ich bei Freunden, bei Leuten, die mich 
tennen? Und wie heißen fie?“ 

Natürlich bei Freunden I“ berichtete der gutmüthige, ſchwatz - 
hafte Greis, „bei Herrſchaften, die Euch kennen. ber ben Mar 
men barf ih Euch nicht fagen; ber Herr hat's verboten. Im 
zwei, drei Tagen ſollt Ihr aufftehen; da follt Ihr überrafcht 
werden. Der Herr von — der Burghere wolle ich fagen — 
fennt Euch und das Fräulein aud. Sie werden ſich freuen, 
und Ihr werdet Euch freuen, und ich werde über die Freude 
auch Freude haben. Ja freilich feid Ihr bei guten Leuten, bei 
Leuten, bie Euch ſchätzen. Der Burgherr kam öfter herüber und 
ſah Euch, und fragte beforgt nad Eurem Befinden; aud das 
Fräulein faß fiundenlang Gier und beobachtete Euch. Aber Ihr 
fagt da und hörtet nicht und ſaht nidt; manchmal ſpracht Ihr 
mit Euch felbft: ſchredliche Dinge durch einander, daß mic, oft 
eine Gänfehaut überlief.“ 

„Welches Fräulein war hier ?* fragte Vratislav Tebhaft. 

„Run das Fräulein von hier,“ war die Antwort, „ein 
fchönes, ein vornehmes nnd gutes Fräulein. Sie hat ſehr viel 
Sorge um Euch getragen. Ich glaube, fie hat einmal fogar um 
Eud geweint, was ich fonft nie gefehen; benm fie ift die pure 

Herloßfogn: Der lebte Taborit. 1. 11 


162 


Luftigteit und rende Aber Ihr Habt auch erſchredclich viel 
gelitten.“ 

„IR es das Fräulein von Zeöwic — Elifa, meint Du?“ 
forfchte Vratislav mit lebhafterer Neugier. 

„Nein, nein! Die kenm id nit!“ beſchied der Diener; 
maber der Arzt hat befohlen, man foll Euch jede Aufregung fern 
Halten; Ihr follt da viele Sprechen meiden, und man foll Euch 
nichts erzählen, wenn Ihr erſt wieder bei Befinnung ſeid; denn 
das könnte den Nerven im Kopfe ſchaden. Diefe find fberreizt, 
fagte er, und müſſen gefhont werden, fagte er. Dann fagte er, 
unfre Herrſchaft, die — follte Euch erft nad} drei, vier Tageı? ſehen 
und fpreden; denn die Ueberrafhung könne Euch fehr angreifen 
und bettlägerig machen, fagte er. Und dem müßt Ihr gehorchen; 
's if ein gar hochgelahrter Mann, voll Erxuſthaftigkeit und 
Wiſſen. Und man follte Euch auch nicht von dem erzählen, mas 
Ihr im Fieber geſprochen Habt, fagte er.” 

„Mein Freund!“ bat Vratislav, „ich flehe Dich noch einmal 
an; fag’ mir, daß ich ruhig werde, wo id} bin, wie ich hierher 
kam, und was mit mir vorgegangen iſt. Sieh’! id bin gar 
nicht mehr krank; ich fehe Alles deutfih vor mir — ich babe 
mein Bemwußtfein wieber; nur bie Erinnerung fehlt mir. O, 
Hilf mir! Im meinem Gehirn if ein Faden getrennt, und ich 
finde das vordere Ende nicht.“ 

„Sprecht nicht zu viel!“ beſchwichtigte ber Alte und trodnete 
fi die Augen; „fonft kommt das Fieber wieder. Ihr müßt 
das Alles vermeiden, Hat der Arzt gefagt. — Wie Ihr hierher 
gefommen ſeid? Auf eine betrübte Art, auf eine gefährliche 
Weiſe. Man fand Euch mit blutendem Haupte nit fern von 
bier im Walde. Ihr murbet fir todt in das Schloß gebracht, 
und es fehlte nicht viel, jo Hätte man Euch begraben. Aber 
als Euch das Fräulein fah, da ſchrie fie auf und ber gnädige 
Herr ſchrie auch auf, umd fie erkannten Euch. Bei diefem Schrei 


163 


aber fingt Ihr an Euch zu regen, und wir riefen alle: Gelobt 
ſei Iefus Ehriftus! und ſchöpften neue Hoffnung, Da nahm 
Euch der Arzt in die Eur; wir fchafften Euch Hierher, und ih 
wid Tag und Nacht nit von Eurem Bette bis vor einer Weile, 
Und die Herrfhaften pflegten Euch auch und waren froh, als 
der Arzt fogte: Im drei Tagen if die Gewalt des hitzigen 
Sieber gebroden; fommt feine Gehirnentzindung dazu, fagte er, 
fo ift er gerettet. Dies fagte er, und ba waren bie Herr- 
ſchaften zuerft wieder guten Muthes feit den vierzehn Tagen, wo 
Ihr ſchon da lagt.“ 

mBierzehn Tage, fprihft Du, bin ih ſchon Bier?" fragte 
Bratislan — „und doch ſchien e8 mir mur ein Fuer Traum 
voll Bilder, die vorüberflogen. Mein Gott — gib mir Licht!“ 

nBierzehn Tage waren es bamals, als es ber Arzt fagte wegen 
des Fieber,” erzählte der Diener weiter; „heut' find es bereits 
fiebzehn und ‚am zwanzigften ober ein und zwanzigſten werdet 
Ihr wohl das Lager verlaffen können; aber höchſt behutfam, 
fagte der Arzt. Es war auch recht gut, daß Ihr von Alle dem, 
was Euch betraf, nichts gefühlt habt; denn Ihr Habt viel ge» 
fitten und ſchrecliche Träume gehabt. Der Kopf glühte Euch 
Tage lang wie eine glühende Eifenplatte, junb die Bruft Hatte 
oft Stunden lang feinen Athen. — Ja wir zitterten für Euer 
Leben, und ic Habe mit für Euch gebetet, Bis ſich endlich der 
Himmel erbarmt und Euch das Leben und bie fünf Sinne wieder 
gegeben Hat. Gelobt fei Jeſus Chriftus dafür in Ewigkeit! — 
Amen.“ 

Sag’ mir, wer nod) fonft bei mir war,” fragte der Ritter 
weiter und mit Anftrengung, denn eine Jungfrau und eine holde 
Dame, jenes mütterlich - ſorgſame Antlig, war ihm im Zraume 
erſchienen; vielleicht, daß jene Bilder der Phantafle Zufanmen- 
bang Hatten mit der Wirklichkeit. 

„Wer fonft noch da war?“ wiederholte ber Diener; „nun, 

18 


164 


wenn ber König fagte: Bier, Sukol, nimm fie Bin und firaf 
fie ab nad) Belieben! — Ich fpielte Euch eine Weile auf mit 
meinem alten Schwert da und fiedelte Euch was Luſtiges vor 
auf, Euren Gliedmaßen, daß Cuch das Hüpfen vom fethft in bie 
Beine Time! O Ihr ſchimmeligen. moderigen, wurmſtichigen 
Schurlen ohne Herz nud Ehre, ohne Ehrlichkeit im Todtſchlagen 
— pfui! pfui! Ihr follt an mich denfen, an den Sulol — bie 
Euch Sehen und Hören vergeht! Pfuil pfuil“ Er flug nad 
biefen Worten mit geballter Fauſt an die Wand und fpudte ver- 
achtlich aus. — Dann fafte er fi wieder, befann fi und 
ſprach weiter zu ſich ſelbſt: 

„So — fol nun hab’ ich die Galle von der Leber weg! 
ich konn's nicht länger aushalten. Die. Bruft wär’ mir font 
zerſprungen vor Gift — ich mußte mich ausfluchen. Der Böhme 
muß fluchen — die alten Weiber mub Bapiften beten, wenn fie 
der Aerger ſticht. So ein Fluch ſtarti bie Leber wieder und. er⸗ 
Teichtert das Herz. Es foll freilich eine Sünde fein, aber ich 
bitt's dem lieben Herrgott wieder ab; denn ich kann doch nicht 
dofür, daß es ſolche Hundeſeelen, folde verfluchte, verdammte 
Höllenfeelen, ſolche Baftarde, Wechfelbälge des Teufels gibt, bie 
im Stillen das Holz benagen, das wir ‚zum Tempel gezimmert. 
— Mir ift wieder. wohl, der Aerger ift heraus und die Wein- 
fäure auch: dann fommt der Spaß: wenn fie erſt bleich werben, 
ba fie verrathen find,. und zittern und beben, und mit ben Kinn⸗ 
boden MHappern vor Froft und Angft, und zu Boben fallen, um 
Gnade flehen und doch hängen müſſen. Heidi! freue Did, alte 
Seele! — Gut, daß Du nod ein Auge Haft, um das fehen zu 
tönen! Das wird wieder ein köſtlich Schaufpiel, wie id; lange 
nicht erlebt! Freu' Did, Sulol! Cs thut Einem wohl, wenn 
man einen Schurkenhund feinen wohlverbienten Lohn geniehen 
fieht mit bleihem Maul, "zitterud ‚im Angftfhweiße Da haft 
Dust — Du haft es ja fo haben wollen, Galgenfuiter; wir 


156 


bebienen Dich ja nur, wie Du verlangt! Der Teufel geſegne 
Dir bie Mahlzeit! — Muß der ehrliche Kerl, ber brave Goldat 
oft unfehmfbig Tob und Schmerzen leiden und hat nichts derbrochen; 
Ihr Judaſſe aber, Ihr Malduffe, Ihr habt bie Brühe einge 
ſchenkt: nun trinkt fie and ans! Sie ſchmedct Eud nit? Ya 
freilich! Aber hätte fie uns deun beffer geſchmedt? Ihr hättet 
auch gelacht, wenn wir Gefichter geſchnitten und und ben Leib 
gehalten und bie Beine zufammengezogen hätten; Ihr hättet 
Euch baß gefrent, daß Ihr die Suppe nicht freffen müßt, die 
Ihr uns zubereitet. Nun erlaubt doch auch, Ihr guten Zün- 
gelchens, allerliebfte, fromme Kinderpüpden, daß wir auch froh 
find, weil die Reihe nicht an uns if. — So — nun wär’ ih 
fertig — bie Galle wär’ endlich Heraus! Mir iſt wohl, loſtlich 
wohl — wie mad einer fchönen Mahlzeit: Ich möchte laut 
lachen, den Himmel anlachen, die Sterne anladıen, wie in einem 
guten Rauſche von gutem Hopfenbier. — Schlaft wohl, Herr 
Bater, bort im frommen Klöſterlein in. der armſeligen Zelle, wo 
die Demuth wohnt und bie Frommigleit und bie Gottlofigfeit! 
Wenn Ihr’ das Brevier betet und ben Roſenkranz und das Ora 
pro nobis, unb ben lieben Gott, bie Jungfrau unb bie Hei« 
figen anflehet, fie mögen Euch ben Schurkenſtreich gelingen laſſen, 
fo betet auch ein Meines Gebetlein für mid, daß mid der Him- 
mel. nicht etwa ſterben faffe durch einen Zufall, bevor ih Euch 
eimmal in’ Ange gefehen und End; bie fete Oelung, bie legte 
Einſchmierung gegeben habe. Es wäre Schade darum! — Schlaft 
wohl! ſchlaft wohl; Und der Teufel Eier Stiefbruber erſcheine 
End im Traume nnd Lüffe Euch und fage: Lieber Freund umd 
Bater, gefalbter Diener des Herrn, ich grüße Euch und befudhe 
End, um mich zw melben. Ich werde bas Vergnügen haben, 
Euch eigenhändig auf einem allerliebſten Spieße zu braten wie 
einen Hafen, Alles in Liebe aber und an einem warmen Orte, 
wo Ihr Euch nicht erkaliet und kein Fieber kriegt. Auf Binder 


166 


fehen, frommer Wann! Ich heize inzwiſchen ben Hällifden Bad 
ofen. Gute Naht! — Gute Nacht aud Euch, edler Herr Mi 
chalek, Fürſt unter ben Gaunern, allzeitgewandter Redenmeifter 
und Kreidenfeldherr, Weinverfälſcher und Bierverbinner! Der Su ⸗ 
bol, ber font mit Euch trank, ber Euch ſchuldig wär, und ben 
Ihr geihunden bei der Rechnung, dem Ihr einen Strich gemacht 
über fein Cines Auge mit Eurer doppelten Kreide, daß es ihm 
mit Thränen überlief, derſelbe Sukol, der Euch manden Abend 
bis tief in die Nacht von den Hufiteufahrten und feinen Thaten 
erzählt Hat, daß es eine freude war und Ihr die Ohren fpittet 
wie ein altes Ro, berfelbe Sukol wänfcht Euch eine gute, ge⸗ 
tußfeme Nacht und begrüßt den alten Freund mit Liebe mb 
Zartlichteit. Geht in den Keller, giehet, o redliche Gaſtwirthsſeele, 
Waſſer unter das ſtarke Kloſterbier und miſchet ſauern Wein 
unter den ſüßen, wie Ihr pflegt ans Liebe zu den Menſchen 
und aus Beforgniß für ihre Nüchternheit; fleigt bann nach ſolchem 
vollbrachten ‚Werke ber Gottſeligkeit wieder herauf und ſchreibet 
mit der Lieben Kreibe am bie ſchwarze Tafel das Doppelte von 
dem Einfachen, damit der Gaſt doch wiſſe, er fei ein werther 
@oft, dem Ihr vertraut! dann fleiget höher in das liche Gemach 
und fäließet den Schrein auf, .begudt End das füherne Kreuz 
lein, zählet im Bentel bie Golbftüde, ben Iubaslohn, und ergöget 
@uh am feinem Glanze und dem gelben Schein, labet Cure 
fromme, edle Seele, lächelt mit dem frommen, breiten Maule 
und verſchließt es ſorgſam und ängſtlich wieder, bamit fein Gpä- 
her End) belaufche, fein Dieb Euch beftehle. Es Hat Euch Nie - 
manb befaufcht, edler Here Michaler! Haha! Wetet doch erſ Euer 
Bater unfer und ben englifchen Gruß! Vergeft es nicht, fromme 
Seele! — Schiaft num ruhig ein, ſchlummert füß — auf dem 
Zotterbettfein, in vier Wochen wird's wicht fo füß fein — und 
träumt von ber goldnen Monftranz, bie viel Tauſend Golbgälben 
it Werthe Hat, und lächelt wie eim Kind Ich vergänn’ Eud’s! 


367 


Unb wenn zufälig Herr Satanas im Traume Euch erſcheint, 
feinen Befuch zu machen, fo erſchrecet nit! Gr meinte gut 
mit End, er wird Cuch nur ein bischen ſchwitzen machen, und 
das iR gut für das Fieber; bean Ihr habt immer fo gezittert, 
daß es ein Jaumer war. Schwitzet, ſchwitzet, lieber Herr Mi- 
chalek! — Ihr braucht fein Holz; es geht Alles auf holliſche 

uUnloſten, zu. auch die Pelamüge braucht Ihr nicht abzunutzen. 
So, frommes Kind Chrifi, lieber, tremer Anhänger der Heiligen 
Kirche, gutes Lamm, das da nur zum Scheine eine kehzeeriſche 
Wolfshaut getragen, — laßt Eud vom Fieber Heilen. Der 
Tenfel ſchurt die Kohlen und hält Euch jeden Windzug ab. Sa 
— gute Naht! — Denkt an den Sufol zuweilen; er hat's mit 
Euch gerade fo ehrlich gemeint, wie Ihr mit dem Glauben, mit 
dem König und mit dem Gulol. Eure Kreide vermadht mir 
aber, lieber Michälet; die hab’ id; liebgewonnen. Ich laff’ mir 
auf meine braune Wand im Gtalle Dein liebes Angeſicht ablon- 
terfeien, um Did bie an mein feliges Ende ſtets gegenwärtig zu 
haben. Schlaf wohl, Michalet ! 

„So!“ fuhr er fort und verließ feine bisherige Stellung 
und ging weiter nach dem Hohlwege hinab, „iett bin ich bie 
Galle 108, und die Leber if frei. Es if mir wohl zu Muthe, 
als hätt id alten Cernoſeler getrunken und es wallte mir wie 
milde Wärme durch die Adern. Es mußte Herans! Freilich habe 
id) am der Wand ein bischen laut geſprochen, es Hätte mich Je ⸗ 
mand dort belauſchen Können; aber es ging Keiner vorüber. Zum 
Glüde ift der Weg nicht beliebt, und ber Chriſtus am Kreuze 
oben am der Kapelle wirb mich nicht verrathen. Ich hab’ doch 
nur gottfeliges Zeug geiproden, was bem Himmel wohlgefällig 
iM und den Memichen wütlich. Alles im Liebe,“ brummie er, 
über die lodern Steine, welche im Wege Tagen, folpernd, „Allee 
aus alter Freundſchaft! Den hochwurdigen Herrn muß id ehren 
als einen Diener Gottes und ber Kirche, und ben Michalek muß 


. 188 


ich eben wegen feines nüchternen Bieres und fänerlihen, geſun - 
den Weines, der bem Magen dient, und wegen feiner Sreibe, 
bie er mir zu Liebe doppelt verſchwendet. Das koſtet ihn ja 
auch Geld; demm bezahlte ich jebesmal, fo brauchte er nichts an- 
zuſchreiben, vollends doppelt nicht. — Gnte Nacht; meine Herren! 
Nun, mein Ritter wird ſich and; fehr fremen bei ber Kunde von 
Euren eblen, menſcheufreundlichen Vorſatzen und wird Euch wis 
aud eine fanfte Ruhe wünſchen.“ 

Diefes und dergleichen vor fi hinmurmelnd, eilte er nach 
der Kleinen Seite hinab. 


Im dumpfen Fieberfantafien lag .Bratislav auf dem Lager. 
Bilder der verflofjenen Tage zogen wire an feinem innern Ge- 
fihte vorüber. Er fah fi dem wilden Spanberg entgegengeftellt 
mit gezücter Waffe, ſah diefen fürzen, in feinem Blute ſich wäl- 
zen und die Hand noch mit der letzten Kraft begierig nach der 
holden Rofenbergerin ausfireden, die weinend an feiner Geite 
fand. Bald wieder trat die Jungfrau zu ihm, beugte theilnahm- 
vol nnd ernſt das Haupt über ihn, trodnete das Blut von 
feiner Wunde und fagte mit fühem Tome: Mein edler Retter 
ans Zodesgefahr! Dann kam er ſich wieder vor wie Milada's 
tobter Bruder, im Sarge offen liegend, den vier Träger fchlepp- 
ten, und hinter dem Sarge fritt in Thränen aufgelöft Milada 
ſelbſt in demſelben ſchwarzen Trauergewande, wie er fie zuerft in 
der Schloßlirche gefehen. Er wollte zu ihr fägen: MWeinet nicht, 
ich bin je nicht Euer Bruder; denn ihre Thränen ſchmerzten ihn 
ſehr ımd Torten rührende Zähren aus feinen Augen. Sein Blid 


159 


aber nmduntelte fi wieder; er hörte eine Stimme, bie er no 
nie vernommen und bie ihm doch bekannt ſchien, und ale er ger 
waltſam wieder bie Augen öffnete, ſtand der Neuhauſer vor dem 
Lager, auf welches man ihn gelehnt, und betrachtete ihn ernſt, 
doch mild. Er wollte: Hinmeg, hinweg, Mörder meines Baters! 
ansrufen; aber die Kehle war ihm zuſammengeſchnürt. Kaum 
tounte er Athem holen, und in feinem Gehirne wühlte Fieberhitze 
mit glühenden Eifenfingern, und eine Fraueugeſtalt, milden, fchö- 
nen Antliges, die Mutterliebe in den bfafien Zügen, neigte fid) 
über ihn und wiſchte den Schweiß von feiner Stirne, und netzte 
die Wunde mit kühlendem Balfam und flüfterte füße Worte des 
Troftes mit einer fo milden, fanften Stimme, wie er noch nie 
vernommen. Born aber fah er feinen- Freund Niklas über die 
ebene Gegend fprengen, rechts und links fpähend, als fude er 
ihn. Er wollte ihm zurufen: Hier bin ic, Niklas, hier! — aber 
der Athen verfagte ihm; denn von dorther Tamen die Häfcher 
mit Spießen und Feſſeln gefchritten. Er wollte fi vor ihren 
Blicken verbergen; aber fie Hatten ihn fon erſpäht und riefen: 
Hier ift der Mörder! Schleppt ihn zum Tobel Henker, verrichte 
Dein Amt! — Und fie riffen ihm auf bei den Haaren, daß fid) 
die Haut vom Scheitel trennte. Da fland plöglih Lidmila von 
Rofenberg in aller Pracht ihrer Schönheit, mit milden, feommen, 
teilnahmvollen Dienen, nicht mehr mit dem freien Lächeln, vor 
ihm und vie: Ich laſſe Dich nicht! Ich Liebe Dich wie Keinen! 
— Uber ein fürdterliher Schlag traf fein Haupt — er ſchrie 
laut anf — erſt war es finfter, dann bel mm ihn. Geine Bruft 
athmete frei, er blickte um fid. 

„Wo bin ih?“ fragte er mit matter Zunge. Er befand 
fi in einem Gemache, das von Pracht und Wohlſtand zeugte. 
Schwere damaſtene Vorhänge hingen an ben Fenftern, die Wände 
waren mit buntem Schnitzwerk verziert, Spiegel und Armleuchter 
hingen vingeum und auch ein weiblich Bildniß dort, ein Bild 


i 
u 
eis! 
ARE 
g® a 
it 
til sa 
a 4 


in 
Ih 
BEZ 


um 
ſchmerzeude Wunde, im welcher der 


T 

® 

N 
a 
55 
Ä 
i 
H 
4 
H 
1 


träftung lag in ihnen. „Mein Gott!“ betete er, „wenn es nicht 
der Wahnfinn war, was ich träumte und mein gegenwärtiger 
heller Augenbliid nur der Kuhepunlt in ihm iR, dann fenbe 
mir einen Meufchen, der mich von biefer Pein der Ungewißheit 
befreit.“ 

Die Thüre öffnete fich jetzt Teife; ein eisgraner Diener trat 
herein. „Wo bin ich?" fragte Brarislan matt und Heftete bie 
trüben Blide auf ihn; „im Gefäugniß ober bei Freunden?“ 

„Gelobt fei Jeſus Chriſtus,“ rief der Alte und ſchlug freudig 
die Hände zuſammen und eilte näher, „daß Ihr wieder bei Sinnen 
ſeid Erlaubt mir, gnäbigfer Herr, daß id mir die Augen 
wilden barf; denn id; bin nur ein gemeiner Kuecht bes guäbigen 
Herrn biefer Burg, aber ich Habe Euch fo lieb gewonnen während 
der ganzen Zeit, da ich Euch pflegte, als wäret Ihr mein eigener 
Sohn. Gelobt ſei der Himmel abermals, der Euch Sprade 
und Beſinnung twiebergegeben! Ach! das war eis hartes Fieber, 
das Ihr befanden Habt, ein Hitiges fogar. — Ihr Habt eine 
gute Natur, guäblger Herr, dab Ihr das Alles fo habt aushalten 


161 


tunnen. Das Rafen und Magen, dieſe Glut im Kopfe, dieſe 


gehemmte Bruft, das war feine Kleinigkeit !“ 

Er fette ſich mad) diefen lebhaft geſprochenen Worten an 
das Krankenlager Vratislav's, goß Arzuei in eine Schale und 
hielt fie dem Rittet an bie Lippen. 

„Nehmt, Herr, trinkt nur immer zu,“ fagte er; „das hat 
Euch die Genefung gebracht, das wird Euch vollends auf die 
Beine bringen. Ein köſtlicher Trank, zwar bitter wie Galläpfel, 
aber heilſam; er wirft Wunder. 

„Sag’ mir, mein Freund,“ bat Vratislav, der unmillküßckich 
die Medizin nahm, „bin ich bei Freunden, bei Leuten, bie mich 
tennen? Und wie heißen fie?" , 

„Natürlich bei Freunden!” berichtete der gutmüthige, ſchwatz - 
hajte Greis, „bei Herrſchaften, die Euch kennen. Uber den Ra 
men barf ich Euch nicht jagen; der Herr hat's verboten. In 
zwei, drei Tagen ſollt Ihr aufftehen; da follt Ihr überraſcht 
werden. Der Herr von — der Burgherr wollt' ih fagen — 
tennt Euch umd das Fräulein auch. Sie werden fid freuen, 
und Ihr werde Euch freuen, und id; werde über bie freude 
auch Freude haben. Ja freilich feid Ihr bei guten Leuten, bei 
Leuten, die Euch jhägen. Der Burgherr kam öfter herüber und 
ſah End, und fragte beforgt nach Eurem Befinden; aud das 
Fräufein faß ſtundenlang bier nnd beobachtete Euch. Aber Ihr 
tagt da und Hörtet nicht und faht nit; mandmal ſpracht Ihr 
mit Euch felbft: ſchreclliche Dinge durch einander, daß mid oft 
eine Gänfehaut überlief.” 

„Welches Fräulein war hier ?” fragte Vratislav lebhaft. 

„Run das Fräulein von Hier,“ war die Antwort, „ein 
fhönes, ein vornehmes und gutes Fräulein. Sie Hat fehr viel 
Sorge um Euch getragen. Ich glaube, fie hat einmal fogar um 
End geweint, was ich fonft nie gefehen; denn fie if die pure 

Herloßſohn: Der letzte Taborit. 1. 11 


162 


Luſtigkeit und rende, Aber Ihr Habt auch erſchrecklich viel 
gelitten.“ 

„Iſt es das Fräulein von Zeöwie — Elifa, meinft Du?” 
forſchte Vratislav mit febhafterer Neugier. 

„Rein, nein! Die kenn' ich nicht!” beſchied der Diener; 
maber ber Arzt hat befohlen, man foll Euch jede Aufregung fern 
halten; Ihr follt das viele Spreden meiden, und man foll Euch 
nichts erzählen, wenn Ihr erſt wieder bei Befinnung feib; denn 
das Lönnte den Nerven im Kopfe ſchaden. Diefe find überreizt, 
fagte er, und müſſen geſchont werden, fagte er, Dann fagte er, 
unfre Herrſchaft, die — follte Euch erft nad; drei, vier Tageı? ſehen 
und fpreden; benn bie Ueberrafhung könne Euch ſehr angreifen 
und bettlägerig machen, fagte er. Und bem. müßt Ihr gehorchen; 
's ift ein gar hochgelahrter Mann, vol Eruſthaftigkeit und 
Wiſſen. Und man follte Euch aud nicht von dem erzählen, was 
Ihr im Fieber geſprochen Habt, fagte er.” 

„Mein Freund!“ bat Bratislan, „ic, flehe Dich mod; einmal 
an; fag’ mir, daß ich ruhig werde, wo ich bin, wie ich hierher 
tom, und was mit mir vorgegangen iſt. Sieh’! ich bin gar 
nicht mehr frank; ich fehe Alles deutlich vor mir — ich habe 
mein Bewußtjein wieber; nur die Erinnerung fehlt mir. O, 
hilf mir! Im meinem Gehirn if ein Faden getrennt, unb ich 
finde das vordere Ende nicht.“ 

Sprecht nicht zu vielt“ beſchwichtigte ber Alte und trodnete 
fich die Augen; „fonft fommt das Fieber wieder. Ihr müßt 
das Alles vermeiden, Hat der Arzt gefagt. — Wie Ihr Hierher 
gefommen feld? Auf eine betrübte Art, auf eine gefährliche 
Weiſe. Man fand Euch mit biutendem Haupte nicht fern von 
bier im Walde. Ihr wurdet für todt in das Schloß gebradit, 
umd es fehlte nicht viel, fo hätte man Euch begraben. Aber 
als Euch das Fräulein fah, ba ſchrie fie auf und ber gmädige 
Here ſchrie aud auf, und fie erfannten Euch. Bei diefem Schrei 


163 


aber fingt Ihr an Euch zu regen, und wir riefen alle: Gelobt 
fei Iefus Ehriftus! und fhöpften mene Hoffnung, Da nahm 
Euch der Arzt in bie Cur; wir ſchafften Euch Hierher, und id 
wid Tag und Naht nit von Eurem Bette bis vor einer Weile. 
Und die Herrſchaften pflegten Euch auch und waren froh, als 
der Arzt fagte: Im drei Tagen ift die Gewalt bes Bitigen 
Fieber gebroden; kommt keine Gehirnentzündung dazu, fagte er, 
fo ift er gerettet. Dies fagte er, und da waren bie Herr⸗ 
haften zuerft wieder guten Muthes feit den vierzehn Tagen, wo 
Ihr ſchon da lagt.“ 

mBierzehn Tage, ſprichſt Du, bin ich ſchon Bier?“ fragte 
Bratisfan — „und doch ſchien e8 mir nur ein Furzer Traum 
voll Wilder, bie vorüberflogen. Mein Gott — gib mir Licht!” 

nBierzehn Tage waren e8 damals, ala es ber Arzt fagte wegen 
des Fieber,“ erzählte der Diener weiter; „heut' find es bereits 
fiebzehn und ‚am ziwanzigften oder ein und zwanzigſten werdet 
Ihr wohl das Lager verlaffen können; aber höchſt behutfam, 
fagte der Arzt. Es war aud recht gut, daß Ihr von Alle dem, 
was Euch betraf, nichts gefühlt habt; denn Ihr Habt viel ge» 
litten und foredfihe Träume gehabt. Der Kopf glühte Euch 
Tage lang wie eine glühende Eifenplatte, jund die Bruft hatte 
oft Stunden lang feinen Athem. — Ja wir zitterten für Euer 
geben, und ich habe mit für Euch gebetet, Bis fid) endlich der 
Himmel erbarmt und Euch das Leben und bie fünf Sinne wieber 
gegeben hat. Gelobt fei Jeſus Chriſtus dafür in Ewigkeit! — 
Amen.” 

„Sag’ mir, wer noch ſonſt bei mir war,“ fragte der Ritter 
weiter und mit Anftvengung, denn eine Jungfrau und eine holde 
Dame, jenes mütterlich - ſorgſame Antlig, war ihm im Traume 
erſchienen; vielleiht, daß jene Bilder der Phantafle Zufammen- 
hang hatten mit der Wirklichkeit. 

„Wer fonft noch da war ?* wiederholte der Diener; „nun, 

1 


164 


die gnädige Frau, bie Frau von — ja ben Namen barf ich 
nicht nennen ! Ei! fie brachte manden fangen Tag hier zu und 
verband Eud die Wunde, und legte Balfam auch darauf und 
fah End; ftets fo ſorgſam und mitleibvoll an, daß es mir au's 
Herz ging. Ste dadjte wohl daran, wie es fie ſchmerzen würde, 
wenn fie felbft Kinder hätte, und e8 wäre ihr Sohn, dem ſolches 
Seid widerfahren.“ 

„Rein heiliger Gott,“ fagte Bratislav für fi, „fo war 
doch Wirklichteit in diefen Traumgebilden! — Wohin bin ich 
gerathen? Wer find die Eofen, die mid vom Tode, vom fehred- 
tichen Verſchmachten errettet, und jenes holde — gehaßte Bild, 
das ic) fah —? Nein — nein! Mein Herz, Du bift bethört, 
und ein hãmiſcher Geift führt mir ihre Erſcheinung immer wieder 
vor die Seele. Die Augen fehen leicht, was fie fehen wollen. — 
Und doch — mir wäre vielleicht beffer, wenn fie mi im Walde 
nicht gefunden, aus bem Todesſchlafe nicht erwedt hätten. Wel⸗ 
chem Loſe gehe ich entgegen! Der flarre Spruch der Richter 
nennt mid einen Mörder. Und dod hab’ ich nur gethan, was 
meine inuerfte Regung mir gebot! — Bleiches Unheil! Du haft 
mic beim Eintritte in die Welt begrüßt, wie Du dem Bater 
aus der Welt gefolgt bift. — Wenn bies mein Oheim müßte, 
der mid) zu Thaten, zur Race in die Welt geiendet, nicht aber 
zum Zobfhlag! Und Cyrillus, mein väterliher Freund, id habe 
in toller, jugendlicher Leidenſchaft Dein Herz ſchwer betrübt! Aber 
es gibt Augenblide, wo das Herz zur That treibt und der Menſch 
nit wibderfireben fann! Er bat mein Baterland gefhändet, und 
für das Vaterland ſtrömt mein Blut gegen jeden Feind!“ 

„Herr, gnädigſter Herr!“ bat ängftli der Diener, „faflet 
Euch — verbannt die fhlimmen Gedanken; Ihr ſprecht allein 
mit Euch, gerade wieder fo, als Ihr recht jchlimm ware. Ach 
Gott! bedenkt, daß das Fieber wieder fommen fol. Thut mir 
‚altem Manne, der fih Eurer Genefung freut wie ein Kind am 


165 


heiligen Abend ber ſchimmernden Lichtlein, thut unferer Herrſchaft 
nicht wieder das Herzleid an umd werdet vieleicht krank. Er— 
mantıet Euch! Ich will dort ben Vorhang öffnen — damit Ihr 
den bfauen Himmel wieder ſehet; es ift gar Heil und freundlich 
draußen. Während Ihr fo da lagt ohne Bewußtſein, mußte es 
immer wie Dämmerung in der Stube bleiben; der Arzt befaßt 
©. Denn die Mugen, fagte er, find gereizt und fönnen den 
hellen Sonnenſchein nicht vertragen; er berührt fie ſchmerzhaft, 
fagte er. Ic Hatte auch vor viel Jahren eine alte Großmutter; 
die war blind. Wenn die Sonne fdien, da flimmerte es, wie 
fie fagte, feltfam vor ihren Augen; wenn's aber des Abende 
recht büfter war, ba bekam fie einen Helen Schein und kounte 
den Tiſch und die Bank und mich erfennen.“ 

„Mir ift wohl, mein freund!“ verfegte der Ritter; „ſei 
unbeforgt. Ich fühle es, wie die Genefung als friſcher Athemzug 
durch meine Bruft ſäuſelt. Meder Dir, nod Deiner Herrihaft 
werbe id; weiter Sorgen machen. Ich werde Euch banken und 
raſch von bannen ziehen. Das Fieber, mein guter Alter, war 
es nicht, was meine Lippen fo leicht bewegte; ad! es war ein 
Selbfigefpräh von eignen Sorgen, bittern Erinnerungen. Sie 
find wieder gefommen mit dem Bewußtſein; — die Träume 
waren boch beffer, ba fie gelogen haben. — Habe Dant, mein 
alter Freund, für Deine Sorgfalt, Deine Mühe! Vielleicht kommt 
nod eine Stunde im Leben, wo ich Dir's lohnen Tann. Schweb' 
ich doch jest — felbft wenn ich genefen — immer noch zwiſchen 
Lehen und Tod! — So ift der Lauf der Welt! Du, ein frem- 
der, alter Mann, mußt mich warten, da ich weder Mutter, noch 
Bater habe, bie an meinem Lager figen, mir bie Arznei reichen 
und den Schweiß von meiner Stirne trocknen Könnten! — Der 
Menſch wird oft wider Willen Sohn oder Vater; darum follten 
wir aud Ale Brüder fein umd ad! find es doch mit! — 
Zeig’ mir den Himmel, alter Freund und Schmerzgenaffe! zeig’ 


166 


mir ihn — ich Babe ihn lange in der Wirklichteit nicht gefehen, 
nur im Traume; da gaufelten aber manderlei Bilder an feinem 
blauen Spiegel vorüber. Das if vorüber! Noch Bieles wird 
vorüibergehen, auch das Leben, zu bem der Menfc von der Na- 
tur verurtheilt wurde wie ein Stummer zum Gefängniß, weil er 
ein Geheimniß verraten Hat, ober noch verraten könnte.“ 

Der Alte zog die Vorhänge am Fenſter anf, und helles 
Sonnenliht brach in die Stube. Er ſtellte ſich jegt vor unſern 
Nitter hin und betraditete ihm freudig und liebevoll. 

„Was die hohen Herrſchaften jubeln werben,“ ſprach er nad 
einer Weile, „wenn ich ihnen erft fage, daß Ihr wieder munter 
feid, daß Ihr fehen und ſprechen Fönnt! befonders bie gnäbige 
Fran, bie fo mild wie ein guter Engel ift und am meiften im- 
mer beforgt war, Ihr könntet dem Fieber unterliegen. Laßt mic 
jegt einen Augenblid hingehen — ih will ihmen bie freudige 
Botſchaft hinterbringen. Bald bin ich wieder zurüd.“ 5 

„Geh', alter Freund,” entgegnete Vratislav, „grüße die Un- 
befannten von mir und fag' ihnen freudigen Dant. Sie haben 
vielleicht ein Leben gerettet, das fein Leben mehr ift — das einem 
andern, einem fchredfichen gehört. — Wir wollen fehen, ob fie 
fih nod freuen, wenn fie mich erft kennen — und wiſſen, wer 
ich jegt bin. — Man follte keinem Menſchen das Leben retten, 
nit dem Schiedjal in den Arm fallen! Wer weiß, zu welchem 
ſchrecllichen Lohn wir ein Dafein auffparen, das im Tode feinen 
ſchonſten Frieden gefunden hättel — Doc wie ift Dein Name, 
theilnahmvoller Freund? — Ih muß ihn vorerfi meinem Ge 
bächtniffe einprägen, daß ich, bevor ich gehe, bie behalte, melde 
mir wohlgethan — zugleich mit benen, welde Böfes an mir 
geübt,” — 

„Ich heiße Lazar,“ war des Diener Antwort. 

mRazarus 1" wieberholte Vratislav; „ein Name, der an viel 


167 


Leid erinnert. Vielleicht eignet er ſich beffer für mich, ale für 
Did. Doc geh’ und melde meinen Dank.“ 

Der Diener entfernte fih, und Vratislav blieb allein auf 
feinem Schmerzenlager. Er rief die Bilder und Gcenen ber 
verfloffenen Tage in fein umflortes Gebächtniß, er drang im bie 
Schachten und Irrgewinde bes Erinnerns, und nad und nad 
bildete ſich bie Folgenreihe der Erlebniſſe, und es wurde klarer 
in feinem Bewußtſein. 

Im Lieben war der Freund, ber ihn Linke vom Pokicer 
Thore aus ber Stadt gebracht Hatte, von ihm geſchieden. Abra- 
ham ber Jube gab ihm Herberge; vor Sonnenaufgang machte 
er fih mit ihm auf den Weg gen Weltrus. Geine Wunde 
ſchmerzte ihm fürchterlich, um fo mehr, da er nur ein trodenes 
Tuch umgemwidelt hatte; denn er wollte, um nicht Verdacht zu 
erregen, bie Hilfe des Barbiers in Lieben nicht anſprechen. Gei- 
nem Schmerz vergrößerte nod bie Sonnenhige, die ſenkrecht her⸗ 
abfiel und die Wunde zu größerer Entzündung brachte. Sie waren 
viele Seitenwege geritten, bis fe auf die Hauptfiraße gelangten. 
Hier trennte ſich der Jude von ihm, ber während der ganzen 
Neife, weil er nicht gut zu Pferde ſaß und den Ritter daher 
aufhielt, feine Aengftlichleit nicht verbergen konnte; denn obgleich 
ihm das Vorgefallene nicht fund gethan worden war, fo erläuterte 
er fi) doch an ber Haft und Verflörtheit der beiden Ritter, daß 
der eine, der Verwundete, auf ber Flucht begriffen fei. Jeden 
Augeublick witterte er daher Verfolgende und rieth bald Bier, bald 
dort, fi) im Didiht zu verbergen, 

Bratislav beſchenkte ihn reichlich und war froh, den Läftigen, 
Furätfamen los zu fein. — 

„Herr Ritter!" fagte Abraham beim Abſchiede, „ber Herr 
Ira s, unfer aller Gott, lohn' es Euch umd führe Euch einen 
giückfichen Weg! Hab’ ich mic geängftigt, Herr Ritter, fo hab’ 
ich mich geängftigt wegen Euch, ob fie zwar einen armen Juden 


168 


der Vorſchub gibt einem Landflügtigen, aud aufhängen ohne 
Barmherzigkeit, ſelbſt wenn er nicht gewußt hat davon, — ‚Hier 
geht die Straße gerade nad Weltrus, duch den Wald. Ihr 
Könnt im Walde reiten, ebler Herr; denn Ihr habt die Straße 
immer zur Linfen. Seid Ihr erft in Melnik — und Ihr braucht 
Niemanden zu fragen, denn bie Stadt liegt auf einem Hohen 
Berg, und die Elbe und die Moldau vereinigen ſich unter ihr, 
daß es ein mächtiger Fluß wird — fo geht Ihr wieder g’rad 
aus, immer grade, nach Böhmisch Leipa, und vom da feib Ihr 
in einem halben Tag in der Taufig und geichügt ver aller Ber- 
ſolgung, weil die Laufiger Keinen ausliefern, der ſich verftedt bei. 
ihnen; denn fie find auch nicht gehorfam wie die Schlefier und 
die lager gegen dem neuen König und fein Regiment. — So 
Ihr aber einmal braucht eine ſichere Zuflucht in der Stadt — 
in Prag meine ih — kommt in die Judenſtadt, von ber Karpfen 
gaſſe Herein das dritte Haus zur rechten Hand; ba bin id) ber 
Abraham Jeiteles. Ich Handle mit wollenen Kleidern und mit 
alten Saden als ein armer, aber rebliher Mann, wie mid 
tennt bie ganze Zubenftadt und auch viele Ehriften. — Kommt 
zu mir, wenn ihr Habt Gefahr — Ihr follt verftedt fein wie 
ein Kiefelftein unten im Brunnen“ 

„Habe Dank!” antwortete Bratislav; „fo Gott es will, 
werd’ ich deſſen nie bedfirfen. Entweder freiheit oder ein ſicheres 
Gemad, befien Pforten Niemand fprengt, aus dem es feinen 
Ausgang gibt, werde ih erringen. — Aber jest laß mich — ich 
ſchmachte nad) einem Trunke, nad einer friſchen Quelle, um 
mein fieberifch, zudendes Haupt zu netzen. — Kdmmft Du nad 
Brag, fo eile nad) dem von Zedwic — fag' ihm, daß Du mich 
bisher geleitet, und daß id; Kunde von mir gehen werde aus 
Melnit, und fchreiben, wohin ih mic) gemendet — wenn es 
anders Gott gefält. Bis dahin wollen wir bange ausharren.“ 

„Soetin heißt das erſte Dorf gur rechten Hand, Hinter 


169 


Weiltrus, gegen Melnik zu,” belehrte der Jude. „Die Moldau 
laßt ige zur Linlen liegen; fie kommt ſchon wieder, fie macht 
nur einen Bogen nach Melunit zu. Alſo lebt wohl, gnädiger 
‚Herr, unb vergeßt den Abraham nit. Ich bin ein armer Man 
— ih habe zehn Kinder — Gott bat fie gegeben; — aber id 
bin ein ehrlicher Mann und bin befannt als ein ehrlicher Mann 
im Handel und Wandel mit Epriften und Juden.“ 

Gr ſchwenlte nach dieſen Worten feine Müte, wandte ben 
durreu Klepper und trabte unbeholfen die Straße zurüd. — Brar 
tislav von Branik fpornte fein Roß, um ben Schatten des Waldes 
zu erreichen, der ſich in kurzer Entfernung zu beiden Geiten des 
Weges hinzeg. 

Er ritt in das Gehölz. — Trodne, fieberiſche Hige lag im 
jeinen @liedern, die Kopfwunde brannte wie geichmolzenes Metall, 
ex fühlte fi, matt und zugleich dumpf aufgeregt. Er flieg vom 
Roffe, um e8 durch die Bäume hindurch am Zügel zu geleiten; 
aber feine Knie waren matt — er konnte faum vorwärts ſchreiten. 
Eo trieb ihm aus dem Walde, er wollte in fürzefter Zeit das 
nachſte Dorf erreichen: ihn dürftete, und feine Wunde lechzte nad, 
Mühiender Labung. — Mber bald nöthigte ihn wieder die flam- 
mende Hite des Mittags, die offene Straße zu verlaffen und 
im Dicicht Schug zu ſuthen. Er drang tiefer in den Wald, 
am mo möglich eine Quelle zu ſuchen. Er trieb fein Roß 
durch Dornen und Gebüfche — die hHerabhängenden Zweige 
zerriffen ihm Gewand und Haut. War er auch vou Gonnen- 
hite gefhügt, fo peinigte ihn die innere deſto mehr, die ihm 
fieberhaft durchwollte. Enblih nach unfägliher Mühe kam er 
an ein flisendes Vachlein, das ſich zwiſchen Buchen und Tannen 
ein Hühles Wett gegraben. Er ſyrang vom Mofie, flillte feinen 
brennenden Durſt mit der Houb, nahm ein Tuch, tauchte es im 
die eifige Flut mund legte es auf die Bunde, ben glühenben 
Sehmerz zu lölden, 


170 


Mid duchfloß ihn Labung und Müdigkeit, es dunfelte vor 
feinen Angen; er fühlte das Bedurfniß des Schlafes, der bleiern 
in feinen Gliedern Tag. Er nahm den Zaum des Woffes in 
die Hand, Iegte ſich unter eine Buche, ftütte fein Haupt an den 
Stamm und entfälief. Aber der Schlaf war nur wie ein 
halbes Wachen, das feine Einbildungsfräfte Iebendig ethielt und 
ihm doc) feine Mare Anſchauung geftattete. Ihm mar im Schlums- 
mer, als höre er in der Nähe lautes Rüdengebell und den Klang 
der Jagdhörner — fpäter laute Mencheuſtimmen; aber um Auge 
und Ohr webte ſich wie ein dichter Schleier; die Bilder rannen 
und floßen durch einander, von Neuem tobte die Glut in feinem 
Gehirne, und fengende Hige wollte feinen Bufen erfliden. Die 
Befinnung ſchwand gänzlih — die Töne verhalten — nur leiſe 
fummte es in feinem Ohr — vor feinem Auge wurbe ber 
Schleier dichter — Nacht war um ihn und in ihm. — 


So mochte er, einem Todten ähnlich, von den Fremben 
gefunden worden fein. Was fi weiter mit ihm begeben, wußte 
er nicht. Nur die Erzählung des Dieners gab ihm Auskunft 
über feine Rettung. Aus feinen ieberträumen während ber 
Krankheit griff er bie Geftalten heraus, bie er früher einmal 
wachend gefehen und noch eine fremde. „Seltſam!“ fagte er zu 
fi; „warum mußten mir gerade dieſe erſcheinen? Doc nein! 
e8 waren andere am meinem Lager, die das Mitleid Hierher ge- 
führt. Es wäre doch gar zu graufom von meinem Scidjale, 
mid) dahin zw ſenden, wo ich nicht leben will!" — 


Der Diener kam zurüd. „Herr Witterl“ berichtete er 
freudig, „o, Ihr Hättet dem Jubel mit anfehen follen, ale ich 
unten im Schloßgarten, wo bie Herrfchaften figen, von Eurem 
Erwachen und wie das Fieber gewichen, gerade wie es ber 
Arzt vorhergefagt, beriäitetel Die guäbige Frau wollte ſchon 
eifig Heraufftürzen, als fie aber der Burgherr, der — ihr Schwager 


171 


wollte ich fagen, daran erinnerte, baf der Arzt jebe Ueberrafhung 
vor drei Tagen verboten habe. Auch das Fräulein freute ſich. 
Sie laſſen Euch Ale höflichſt grüßen und Euch bitten, Euch ja 
zu ſchonen. — Da — Herr! nehmt biefe Arznei — nur zwei 
Löffel — 's iſt ein wunderwirkendes Medicament, wie Ihr ſchon 
erfahren, und dann fucht zu ſchlummern. Ich ziehe die Bor- 
hänge wieber zu, damit Euch das Licht nicht Blende, — Denn 
der Zufland, in welchem ihr bisher bewußtlos gelegen, war fein 
Schlaf, ber einen Menſchen ſtärken könnte. Nein! dieſe Art 
Zräume konnten Euch nur erfhöpfen und umbringen. — Ber- 
fucht zu ſchlafen — ic) bleibe bei Euch und bin bei ber Hand 
— fobald Ihr End regt.” — 

Vratislav nahm die Arznei, wandte fi auf bie Seite und 
entjlief bald nachher. Der Schlummer Iegte feine Tabenben, 
flärtenden Schwingen um ihn wie einen leichten Mantel, ber 
mild fi anſchmiegt und wärmt, ohne zu beläſtigen. 


14. 


Auf dem Wege von Wodolka nad; Weltrus hin bewegte 
fi raſch ein Reiſezug. Boran ritt auf einem Maufthiere eine 
Dame in Trauer, das Antlig tief verfjleiert, zu ihrer Rechten 
eine Dienerin, linls ein Mann in zierlicher Knappentracht, aber 
nad ber Bewaffnung zu urtheilen, mehr ein Kriegeknecht. Meh- 
tere reich geffeidete, männliche Diener folgten bewaffnet auf Roſ⸗- 
fen und Manlthieren. 

Die Dame ſchien fehr niedergeſchlagen und hörte nur mit 
Halber Theilnahme ben Worten ihrer Dienerin zu. Mehr achtete 
fie auf ihres Knappen Bewegungen, ber bald hier, bald dorthin 


172 


wit der Haud beutete, bald einige Schritte vorausſpreugte, bald 
zurüuckblieb, um auf einen Hügel Hinanzureiten und von da die 
Gegend im weitern Kreiſe zu überbliden. 

Es war Milada mit ihrer Dienerfhaft; jener Kuappe aber 
mit dem Anfehen eines Kriegsknechtes war Sulol. 

„Ber kömmt da?“ rief auf einmal Sutol mit feiner van. 
hen Stimme, fprengte zur Herrin umb deutete vor fie Bin im bie 
Entfernung der Straße, wo ſich dichter Stanb aufwirbelte. „Ein 
raſcher Reiter ſcheint's; der kann uns vieleicht Wunde geben, ob 
er einem anne nad) unſerer Beichreibung begegnet fe. So 
war's, Fräulein: ein weißes Roß — ber Ritter trägt ein gold» 
geftidtes Wamms von grünem Sammt, gelbe Stiefel und ein 
Borret mit ſchwarzen Federn. Hebal — ich will ihm entgegen.“ 

Inzwiſchen kam jener Reiter — es war der Jude Abraham 
— einhertrottirt auf feiner Mähre, ſaß bald am Halfe, bald auf 
den Rückenknochen des Roſſes und taumelte von einer zu der 
andern Seite; denn er war bes Reitens nicht kundig, hielt mit 
der einen Hand den Zügel und Mrallte die andre ängſtlich in die 
Mähne des Pferdes, um den Schluß nicht zu verlieren. 

Sutol fprengte ihm entgegen und bomnerte: „Steh' fill!” 
und brach beim Anblide des Juden, der fein Roß fogleich mit 
beiden Händen am Zügel aufhielt und die Meine vorwärts 
ſtredte, den Leib aber hinterwärts Ichnte, im ein lautes Geläch- 
ter aus. — J 

Der Jude war aber auch in der That eine lächerliche Er- 
ſcheinung. Er war gegen fedhzig Jahre alt, fein dunkles, dichtes 
Barthaar grau untermiſcht; eine gewaltige Habichtsnaſe nahm 
dem oberen Theil feines Gefichtes ein und hing nod in Art eines 
Schnabels weit über den Mund herab. Mugen und Brauen 
waren ſchwarn, jede einzelne Lippe fo dick wie bier andere, „Dar. 
Bei mar eg mit eimem alten, veridofienen, roſenrothen Talare 
hekfeidet, won welchem die goldene Berbrämung abgetrennt war. 


173 


Um ben Leib hatte er einen federnen @ürtel gewunben, ber zus 
gleid als Wörfe und Aufbervafrungsort von Speiſen und Reife 
erforberniffen diente. Unter dem Talare, der durch die figende, 
gefpaltene Haltung zu Roffe fi verihoben hatte, jahen ein paar 
weiße, ſchmutzige, leinene Beinkleider hervor, welche fih bie auf 
die Wade Hinawfgebrängt hatten und fo einen Theil der Beine 
nadt erſcheinen ließen. Sein Haupt bededte eine thurmhohe 
Filzmüge in Geſtalt eines Kegels. Er fah in einiger Entfernung 
beim Gemiſche diefer Farben mehr einer großen, vertwitterten 
Staude, als einem Menſchen ähnlich. 

Aengfich hielt er auf Sutofs Zuruf ſtill, ſchwenkte feine 
Regelmüge und fagte: „Guten Morgen mit Gott, hohe Herrſchaft 
— guten Morgen! Womit ann Euch dienen ein armer Jud' 2“ 

„Hol' mid der Teufel!“ lachte Sutol aus rauher Kehle, 
während fid) die Dame mit dem Zuge näherte; „ſag' mir, bift 
Du ein Menſch oder eine Bogelfcheuche, die man in die Erbien- 
felder fiellt? Nimm Did in Acht, daß bie Krähen, wenn fie 
dahinterfommen, daß Du nur ein Jude biſt, nicht einen Krieg 
gegen Dich anfangen und Deinen ungeſchorenen Bart zerzaufen 
wie ein Bund Hanf! Rein, Hebräer! es ift rein zum Todtlachen 
im der Zodesftunde, wenn man Did) zu Roffe fieht. Steig ab 
und laß Dein Pferd auf Dir figen; es wird ſich ſtattlicher aus- 
nehmen, als grade jet. Und haft Du kein Gemiffen im Leibe, 
daß Du auf der armen Mähre Dich herumbeuteltſt wie zwei 
Baffereimer im Brunnen? Nein! ſeh' mr dod; Einer den Zaun 
und Palifadenreiter an; ev figt wie eine Scheere im Sattel und 
ſchwengelt Hin und Her wie ein Gehängter. Jude — Urentel 
Acharioth's, ich möchte Di todt prügeln, weil Du mir heute 
den Streich gefpielt,- daß ich laden muß, wo ich ganz ernfihaft 
fein wollte! O Du roth angeftrihener Schornftein, Du roſenfar⸗ 
bener Pfahl auf einem Holzboch, gemalter Heuſchober Du! wie 
tommft Du auf das Pferd, oder wie kömmt das Pferd unter Dich?“ 


174 


„Haltet zu Guaden, Herr Ritter!“ antwortete ängflih und 
demürhig Abraham; „id bin gereift auf einen Handel nah Wel- 
trus, ich Habe mir dort befehen eim paar Ochſen, die ich gewollt 
treiben nach Lieben, um fe zu verlaufen in Prag. Das Geld is 
tar und nifcht iS zu verdienen.” 

„Hol' Dich der Teufel!“ fluchte Sukol; „die Ochſen müßten 
mehr als Ochſen fein, wenn fie nicht vor Dir ausgeriſſen wären, 
Du durchbrochener Windmühlenflügel! Reit! doh am Dad ber 
Francistanertirche umd rutſche drauf Hin und Her; fie werbem 
glauben, ein rother Drade fei gelommen und bringe die Peſt. 
— Laß Did nur um Gotteswillen vor feinen Weibern jehen, 
die freien wollen! Es ift — —. Nein, Jude, haſt Du keinen 
Spiegel, fo geh’ an dem erſten Bach nnd fieh' hinein, und fälf 
Du nicht vor Dir nieder in's Waffer, jo will ich ein Bapift 
werben. — IR das eine vernünftige Zucht, im dieſem Aufzuge 
bier im Lande Herumzureifen und Menſchen und Bieh fo zu er- 
ſchreden? Wenn Du unter eine Schafherde geräthft, jo gebären 
alle fammenden Mütter Mifgeburten mit fünf Beinen und einem 
Horn auf bem Kopfe. Nein — Du bift fein Menſch, Du bift 
ein Butterfoß, das man mit Biegelmehl beſtäubt Hat, und ich 
hätte wohl große Luft, bie Buttermilch zu ſchlageu; ober Du bift 
eigentlich der Lorettothurm leibhaftig, wenn ihu die Abendröthe 
befcheint. Heide, Jubel wir wollen einen Wettritt mit einander 
madjen, dort hinüber über ben Graben in Einem Sage.“ 

„Was fpaft der Herr!” gegenrebete beſcheiden und gut - 
möüthig der Jude; „ſoll es mic doch freuen, wenn ich duch 
meinen Anzug gebe dem Ritter Gelegenheit zum luſtigen Laden, 
als doch geben unſre Leut oft, wenn fe werden gefunden, Ge- 
legenfeit zum ergnügen vor die Chriften. Ich bin ä armer 
Jud' und kann mer nicht Taufen neue Kleider und ä ftattliches 
Wamms, wie be reichen Leute. Ich zieh” an, was mir übrig 
bleibt auf meinem Lager. Warum ſoll's verderben ? Getragen 


176 


muß es dod werden von Einem; warum laun ich micht fein 
der Eine 9“ 

„Sabucäer, ſchelte nicht!” herrſchte Sutol; „fal’ nicht in 
bie Rede einem gebienten Kriegemann der Zaboriten, ber Deine 
Genofjen geprügelt und gefpießt nad Laune. Menſch, der dem 
Knoblauch vorzieht der Pflaume, den Mazes dem köſtlichen Schwein- 
fleiſch und das Rind kofchert und dem Hafen, wilft Du mid 
lehren, was mir lächerlich eriheinen fol oder niht? Satanas, 
ich fpieße Dich anf wie eine Wachtel, die Euch gereguet worben 
if in der Wüflel Nun, haue Dein fpatiges Roß zu Manna 
und verlauf es in ber Judenſtadt! Stehe fiil und ſtumm, und 
Dein Anblid erheitere das Fräulein hier, welches den Zwerg 
Knieholz nicht gefehen hat, der vormalen mit König Artus aus 
dem Wafferpolatenland hier herumzog: fahrendes Gefindel, welches 
in feiner Krone Erbfen kochte, und Zwiebeln und krepirtes Huhn.” 

„Sufoll Sutot!” gebot Milada, „laß den Scherz — dies 
hält ung auf — wir haben Eile. Befrag den Hebräer über Den, 
welchen wir ſuchen, und gibt er Kunde, fo foll er reich belohnt 
werden,“ 

„Worüber foll ih geben Nachricht ?” wehllagte der Jude; 
hab’ ich doc} Keinen gejehen, den Ihr fucht, weiß ich do von 
tein'n Geheimniß, und felbft die Straße fenn’ id nicht ganz. 
Id bin ein armer Jud', der nur Prag kennt und Lieben, und 
is zum erfien Mal auf diefer Straße.“ 

„Schändlicher Gottesläugner!” ſchrie Sukol, „wilft Du 
den Herrn verläugnen wie Petrus, als er noch ein Jude war? 
Du Haft Dich verrathen in Deiner Furcht. Du haft einen Ritter 
gefehen, bift ihm begegnet vor kurzer Friſt auf biefer Straße; er 
trägt ein grünes Wamms mit Gold — eine ſchwarze Feder auf 
dem Barret.” 

„Soll ich ſchwarz werden,” wehllagte Abraham unterbrechend, 
‚Avenn ich weiß, wovon Ihr redet! Hab' ich doch Niemanden 


176 


gefehen dem Hent'gen Tag als meinen Schatten, unb der is bier, 
und die Bäume, die flehen dort. Wie foll ich Eud; geben Nach- 
richt von etwas, was ich micht weiß? Könnt Ihr mir fagen, 
Herr, ob mein Bater gehabt hat einen Buckel oder nicht, wenn 
Ihr ihn nicht Habt. gefehen 7* 

„Schweig, Jonas!“ bdonnerte Sutol, „ei fumm wie der 
Wallfiſch, der ihn verfhlungen; öffne aber die breiten Ballen 
der Pforte Deines Mundes und laß hervorgehen bie Wahrheit, 
wie Du fie ſchuldig bift dem Ehriften und dem Krieger,. der hier 
zu Sande Dein Herr iR! — Und wenn Du nicht antworteft, fo 
foll mein Schwert bier, welches ich einem Deutſchen abgenommen 
bei Mies, ale ich ihm den Schädel geipalten in zwei Theile wie 
eine Birne — mein Schwert fol, fage id, Dir den vom Haupte 
flugen und was noch drunter iſt! — Ich ſchere Dir mit der 
ſcharfen Schneide Deinen Bart und verkürze Deine Nafe, welde 
ein Habichijchnabel, wie man dem Hunde die Ohren fiugt. Bift 
Du einem Ritter begegnet? Und wohin nahm er die Reife?“ 

„Weib geſchrien!“ Hiagte der Jude; „ich Hab’ Niemanden 
gefehen ale mic; — und ich bin der einzige Reiter geweſen anf 
diefer Strafe. Wollt Ihr mich finden, wollt Ihr mic blutig 
fchlagen, meinetwegen tobt, werd’ id) doch nichts fagen können, 
weil ich nichts weiß. Laßt einen armen Juden, der nifcht dafir 
tann, daß er i6 ä Jud', und daß er is geboren worben, weils 
Gott Zerael Hat fo gewollt, fürbaß ziehen feinen Weg auf Handel 
und Wandel, treibt Scherz mit glüdfihe Lent’; bin id doch ge- 
ſchunden genug von bie Herren Biertelsmeifter und de Schar- 
wachen. Wo fe fehen einen Juden, zaufen fie ihm an Bart 
umb fpuden uns an und ſchlagen uns bfutig.“ 

„Sei ruhig, Sukoll“ gebot Milada; „Dir haft nicht die 
rechte Art, Iemanden auszuforfhen, und wir verlieren hier um- 
fonft die Zeit.“ 

„Erlaubt, gnädiges Fräulein,“ gegenredete Sukol; „ih fenne 





177 


das Boll, es iſt verftodt, und weil es verftodt if, fo entlodt 
ihm der Stod Rede und Antwort. Solch' ungewafhener Mund 
ſpricht bloß, wenn man mit bem Säbel an ben Kopf gepocht. 
Doch fragt ihn ſelbſt — wenn Ihr Euch Herablafien wollt zu 
fo gemeinem, unglänbigem Wicht, zu ſolchem Ablömmling der 
Mörder unfers Herrn und Meifters; vieleicht, daß er aus ſchul- 
diger Ehrfurcht vor fo Hoher Dame Rede ſteht.“ 

Hier, Hebräer,“ fagte Milada freundlich und griff in ihre 
Gürteltafche, „find zwei Goldftüde. Sie find Dein, wenn Du 
Wahrheit ſprichſt und mir Beſcheid gibſt, ‘ob ein Ritter, wie er 
Dir beſchrieben worden, Dir auf dieſer Straße begegnet iſt. 
Nebſt jenem Gold wird Dir auch mein aufrichtiger Dank; demm 
mein Herz ift ſehr beträbt, und meine Seele fehnt ſich, feine 
Spur zu finden.“ 

Der Inde ſtockte eine Bee und dachte nad. Er war zu 
gutmüthig, ben Nitter zu verrathen; denn er hatte feine Geelen- 
angft umd den verflörten Zuftand, worin er ſich befand, gefehen, 
war zudem aud) noch reich belohnt worden und möchte ihn darum 
wicht germ einer Berfolgung preis geben. Das Fräulein in 
Trauer, fo dachte er, ift vielleicht eine Prinzeſſin, nad) ihrem 
Gefolge zu Schließen; er Hat ihr dem Geliebten erfchlagen, fie 
verfolgt ihm, und ber ungeſchlachte Knecht an ihrer Gefte ſoll 
ihm vermuthlih den Garaus machen. Aber fagen mußte er 
doch etwas; benn hier war fein Loskommen, und feine ganz gute 
und paffende Lüge fiel ihm im Augenbfide, ein. Auf ber einen 
Seite war Sulol mit feinem gezogenen Haudegen, ben er bem 
Juden oft unter die Naſe hielt, und bort wieber das Fräulein, 
das fo rührend bat und Gelb zur Belohnung bot. Er ſchwankte 
noch kurze Zeit; aber ein- raſcher Entf hluß mußte gefaßt werben. 
Er Huftete, flodte, und begann endlich: 

„Wenn ich, denke nach, fo wär's doch möglich, daf ich mid 
tönnt’ erinnern, begegnet zu fein einem Ritter.” 

Herloßfohn: Der Iehte Taborit. I. 12 


178 


„Run, weiter, weiter!“ — tobte Sutol umb Hielt ihm bie 
Schwertſpitze unter die Rafe; „riech hier dran, das ſtärtt Dein 
Gedãchtniß und lehrt Di erinnern I“ 

„Weih!“ rief dee Jude — „warum ſollt er nicht gehabt 
Haben ein grünes, Wamms und & ſchwarzen Federhut umd gelbe 
Stiefeln? Hab’ ich doch micht aufgefehen und mid nicht bes 
tümmert um bie Leut'; hab’ bloß gefehen auf deu Weg und mein 
Schatten.” 

Alſo er war jo gelieidet ?“ fragte freubig bewegt Milada; 
„er is, er iſts, mein Vratislavl“ 

„Warum könnt’ er nicht fo gekleidet geweſen fein?“ verſetzte 
der Jude; „hab' ich's doch von der Seite ſchimmern jehen, daß 
ich jet möcht' drauf ſchwören, wie er gehabt Hat ein grünes 
Kleid von Sammt mit Gold.“ 

nDu Haft auch mit ihm gefprochen, Jude!“ forſchte Sutol 
in feiner barſchen Weiſe. 

„Geſprochen? Mas Hab’ ich geſprochen ?“ antwortete Abra- 
ham. „Hab ich vieleicht gejagt: Guten Morgen Herr Ritter! 
Und er wird gefagt haben: Schön’ Daut, Iude! — Weiter weiß 
id nichts.“ 

„Du Haft noch mehr gefprodhen!“ fuhr Sutol in feiner 
Unterfuhung fort; „Du weißt aud, melden Weg er eingeihla- 
gen hat!“ 

„Es ift möglich,“ berichtete der Jude, der fi immer mehr 
in die Enge getrieben ſah, „daß er hat fallen laſſen eim Wort 
und gefragt, wohin der Weg geht; und ich habe gefagt: Dorthin 
nad Melnik, und bahin nach Randnic und Budin, und das dort 
ift der Georgsberg, ber einzige Berg Hier in ber Ebene.“ 

Rasch, raſch!“ — bat das Fräufein — „welchen Weg 308 
er? — Antworte, fei nicht fo wortkarg.“ 

„Gegen Raudnic, gnädige Brinzeffin," entgegnete Abrafam; 
„ich Hab’ mich umgeſehen zufällig — er ritt gegen Raubnic, bot 


179 


die Straße links ab. Auch hat er gefragt etwas, mie bald er 
Tonne fein an ber Grenze.“ 

„Hier, Dein Gelb! — Hab’ Dant, Hebräer!“ rief Milada 
und wandte fih jegt zu Sutol und ber Dienerſchaft. „Der 
Ewige fei gepriefen! — wir haben feine Spur. Nun raſch fort, 
treibt die Roffe und Maufthiere an, nod) vor Sonnenuntergang 
umß er unfer fein!” 

„Bon Melnik aus,” äußerte Sutol bedenklich, „verſprach er 
doch dem Junker Nillas Kumbe zu geben. Sollte er feinen Weg 
ohne Roth geändert haben? — Jude, Tügft Du nicht?“ 

„Soll mir Gott Helfen!“ betheuerte Abraham; „ann es 
mir doch glei; fein: zu fagen, ob er iſt geritten nad; Melnik 
ober Raubnic. Muß er doc beffer wiffen, was er bat zu fuchen 
dort!“ — 5 

„Es if fol" ſtimmte Milada ein; „er bat den Plam ge- 
ändert, ehrt vieleicht auf einem Umwege nad. Melnit, um vor 
Verfolgung ſicher zu fein. In Raubnic. erreichen wir ihn! entweder, 
oder erhalten fichere Kunde, wohin er fi gewendet. Ein Theil 
von Euch mag dann den Weg bis gegen die Grenze verfolgen, 
der anbre mit mir nad; Melnit zurüdtehren. Will's aber Gott, 
fo finden wir ihn früher. Brechen wir auf! Hab’ noch einmal 
Dank, Hebräer! Der Himmel geleite Did im Leben immer den 
rechten Weg, und laffe Dich das Verlorne wiederfinden I* 

Sie trieb ihr Roß an, und der Zug feste fi in Bewe - 
gung. Nur Sutol blieb bei dem Juden zurüd und redete ihn 
ermaßnend, wie folgt, an: „Du ausgeweideter Hafe, Rüfſelknochen 
des Schmweines, weldes Ihr nennt ein uureines Thier, fchäbiger 
Hund Du, der immer zwei Worte auf der Zunge Hat und nah 
Befinden bald das eine, bald das andre verfauft für biefelbe 
Sade! warum Haft Du anfangs gelogen, warum Haft Du nicht 
gleich die Wahrheit gefagt? Alte Nachteule Dur, firuppiger Krumm- 
ſchnabel, Du Haft alfo gefehen und nicht’ gefehen, geſprochen und 

. 12* 


180 


wicht geſprochen, und erfl, als man Dir das Geld geboten, Hafl 
Du wirklich gefehen und wirklich gefprohen! Wer Hinbert mid 
nun, da das Fräulein noch in der Nähe if, Dich wenigſtens 
mit der flachen Klinge durchzugerben, daß Deine Rüdenhaut feft 
und geſchmeidig zu Schuhleder wird, und daß Deine Schwarte 
geſprenkelt ausſieht wie ein leicht gebratenes Spanferlel? Judas 
Iſcharioth, Du Berläugner der Wahrheit, wie jener ein Berläug- 
ner Ehrifi war, Du kahlgeſchorner Biber mit dem krummen 
Fiſchmaul — Fiſchotter Du mit einem Ameifenhaufen auf dem 
Kopfe, Hanfener Lampendocht! es juckt eine gewiſſe zitternde Be- 
wegung in meiner Hand, die da zu fagen ſcheint: Gerbe dem 
Juden das Fell, damit er keinen fammtenen Kaftan brauche und 
in Zufunft in feiner eigenen Ochſenhaut unbekleidet gehen könne, 
und flriegle ihn von unten herauf mit der Klinge, daß fein Bor- 
ſtenhaar Funken gibt wie eine Kage, wenn's blitzt!“ 

„Erlaubt, mein Herr,“ ſchrie Abraham ängſtlich dazwiſchen, 
„daß id ein Wort fagen darf zu meiner Bertheidigung! — Hab’ 
ich doch nicht gewußt, aus welchem Grund Ihr fragt nach dem 
Ritter, und ob Ihr ihn fuchen wollt, weil er etwas Gutes gethan 
Bat, oder 'was Schlechtes, ob Ihr feid feine Feinde!" 

„Schweig fill!“ donnerte Sukol; „laß ſinken die Schleufe 
vor dem Mühlrad Deiner Schmwaghaftigfeit und Lügenfluth! 
Dämme diefen Waldbach, der ſchmutzig und trübe rollt über mis 
ferables Geftrüpp und ſchlechtes Geftein! Deffne ferner nicht mehr 
diefen Haffenden Badofen von Maul, worein ein Heumagen fah- 
ven Tann mit auſgeſteckter Gabel! Laß Deinen Naſenſchnabel 
einen Wächter fein, einen Riefen vor ber ungeheuren Pforte, wel» 
her ber Lüge mit grobem Kmüppel den Ausgang verſperrt! — 
Warum Habt Ihr Juden gelogen, als Pilatus fagte: Was wollt 
Ihr? ich finde keine Schuld an dieſem Maune? He! gib mir 
"Antwort; aber ſchweig ſtill, Hebräer; denn wie der falte Mor- 
genwind über die Stoppeln ſtreicht, fo die Lüge über Deinen 


181 


ſtruppigen Bart, worin die Maden ihr Luſtlager halten und ihre 
Fortpflanzung von Kind zu Kindeskinder. Lege Deinen Bart bier 
auf diefen Stein; ich werde ihn abfägen mit meinem Schwert 
wie trodnes Gras, damit er nicht mehr fei ein Buſchwerk, wd« 
Hinter die Heuchelei, der falihe Schwur und die Züde lauert. 
Willſt Du das Kreuz maden, Jude, und den Himmel um Ber- 
zeihung bitten, daß Du einen gut utraquiftiſchen Chriſten augelo- 
gen haft mit frecher Eidechſenzunge ?* 

„Kann id) doch nicht das Kreuz machen, Herr Ritter!“ 
flehte der Jude, „weil ich es nicht Habe gelernt. Will ih 
ſchwören bei ber Thora, bei meiner Bruſt, daß id; nicht mehr 
will fügen. Nun laßt mid) ziehen’ meine Wege; denn ich habe 
zu Haufe viele Kinder, bie fein‘ Hungrig und freien nad dem 
Tate, daß er bringt Brot.” 

„Fahre Hin, Saducäer, Malchus von der Gchäbelftätte, 
dünnbeiniger Philifter, und-begegne mir nicht wieder im Leben, 
font ift der Waffenſtillſtand gebroden, und ih male Dir einen 
grünen, blauen und gelben Leib, daß man Did für die Urgroß- 
mutter aller Eidechien Halten wird I” 

Er gab nad) einem tüchtigen Fluche dem Ganl des Juden 
mit der Ppeitſche einen Hieb, daß diefer Hinten ausfeuerte und 
im bolprigen Galoppe, des Zügels feines Weiters im harten 
Maule wicht achtend, die fleinigte Straße dahinſauſte, daß Ab- 
raham laut um Hilfe fchrie und ſich kaum im Sattel hielt während 
der fhüttelnden Beroegung. 

Sulol's Hohngelachter folgte ihm. Gr ſah dem Berſchwin -⸗ 
denden noch eine Weile nad; dann wandte er fein Roß und 
fprengte Hinter dem Zuge einher, dem er angehörte. Er erreichte 
das Fräulein bald wieder und beridtete, er Habe dem Juden 
nur eine Ermahnungspredigt über die Wahrheit und ihre Nut: 
anmendung im Leben gehalten. 


162 


Sie eilten Hierauf eilig anf ber Straße-gen Raubnic bin, 
an bem Walde vorbei, wo Bratislav ohnmächtig umter einem 
Baume Tag. 


15. 


Es war am vierten Tage nad) Bratislav's Genefung. Der 
Arzt verflattete ihm, das Gemach zu verlaffen und in dem Garten 
zu luſtwandeln; dann follte er der Familie des Haufes vorgeftellt 
werben und fo auf einmal feine Wohlthäter und Pfleger kennen 
lernen. 

An Lazarus's Hand luſtwandelte der Ritter durch die ſchat · 
tigen Baumgänge, freute ſich jeder blühenden Blume am Wege, 
tranf die reine Gottesfuft in fangen Zügen und fühlte fi ger 
träftigt und erhoben, als ber Athem der freien Natur ihn um- 
wehte und durchwallte. Reife Harfeittöne zitterten vom Schloffe 
Herüber; , es war, als ob die Duelle, die hart am Wege flof, 
nad) ihrem Tacte rieſelte, als ob bie Blumen allen ben Klängen 
zunidten. Vratislav horchte nicht dem Geſpräche bes gefchwägigen 
Dieners, fondern er lauſchte dem Pulsſchlage der Natur. Dun - 
tefblan war ber Hohe Himmel, auf feinem Grunde ſchifften be> 
haglich, twie rubernde Schwäne, weiße, zart gerundete, ſchaum · 
geballte Wolken Hin, auf Bäumen und Sträuden lag das Grün, 
wie faftiger Lad, in ben Baumwipfeln ſchlugen Finken, Käfer, 
Nibellen und Schmetterlinge gaukelten über bie Blumenhecken; 
die geffügelte Welt feierte ihren Sonntag und hielt Ringeltänge 
in den Bfüthenfälen. — Alles freute ſich bes Dafeins und um. 
ſchloß es mit liebender Innigkeit; aud unfer Ritter; doch er 
freute fich nur der Genefung feines Leibes, feine Seele war 


183 


noch Trank, der Schmerz ber Grinnerung, bie Bangigfeit der 
Gegenwart lag auf ihm wie ein dunkler Schleier. — 

Näher Mangen die Harfentöne; Vratislav blidte empor, fie 
"waren nah’ am Schlofſe. Lazarus öffnete eine Blasthüre des 
Erdgefchoffes, nahm den Ritter an der Hand und trat mit. ihm 
in den Saal. 

Ein fattficher Mann fam dem Jüngling mit den Worten: 
„Seid uns herzlich willkommen, unfer edler Gaſt!“ entgegen. 

mSeiliger Gott!“ ſchrie Vratislav Halblant auf und Bielt 
ſich die Hand dor fein Antlig. 

Ich fagte es Dir doch, Lidmila.“ ſprach eine wohlkliugende, 
ſaufte Stimme, „ber Schein darch das bunte Bogenfenſter wird 
den Ritter blenden!“ — Ein Vorhang fiel nach dieſen Worten 
nieder. Bratislav trat dor, verneigte ſich und ſagte ſtotternd: 
„Es war das Licht — nur einem Augenblick — es if ſchon gut 
— verzeiht die Störung.“ Er blickte vor ſich hin — an einem 
Seſſel, die linke Hand auf deſſen Lehne geſtützt, ſtand eine Dame 
im Alter von vierzig bis fünfzig Jahren, mit grambleichen, aber 
engelmilben Zügen, mit dem Ausbrude bes reinften Wohlwollens; 
fie war es, welche jene fanften Zöne in der Kehle führte. Rechte 
vor ihr, unter dem Bogenfenfter mit Glasgemälden, deren Schim- 
mer nun eine Gardine bämpfte, erblidte Vratislav Lidmila von 
Roſenberg: fie Hatte noch die Harfe im Arm, berem Töne fo 
eben verflungen, und fügte ſich auf dieſelbe; ein einfadj-hänstich 
Gewand floß reizend um ihre Glieder, das Haar war ſchlicht ge 
ſcheitelt und im Zöpfe geflochten; die roſige Dämmerung, welde 
durch die bunten Scheiben fiel, umwob fe wie mit einem Glo- 
rienſchein; aber noch ein anderes, ein fichtbareres Roth brannte 
anf ihren Wangen, 

Bratislav ſchwieg eine geraume Weile, benn er war von 
tauſend Gefühlen beftärmt, und wie er fih nun bier feftgebannt 


184 


fühlte, fo Hätte er zugleich flichen mögen meilenweit von biefer 
Stätte. — 

Auf einen Winkl des Herrn vom Neuhaus brachte Lazar 
dem Gafle einen Seſſel und entfernte fi. Man jegte fid. 
Bratislav wagte es jegt, einen zweiten Bid auf feinen Todfeind 
zu werfen. Der von Neuhaus war-ein flattliher Mann, würdig 
und entichieben in feiner Haltung, ernft in den Zügen; aber im 
Auge und im Tone der Stimme lag eine biedere Herzlichteit, die 
anziehen mußte. 

„Ich nenne Euch noch einmal willfommen, edler rembling!” 
begann er, „obgleih Ihr fo eigentlih uns nicht ganz fremd er- 
feine. Wir find Cud; ſehr derpfliditet für eime.rafche Hilfeleie 
Kung, bie ihr unferer Nichte erwiefen, und ohne melde ihr Leben 
fehr gefährbet war. Wir danken es Euch jetzt, da Ihr damals 
ſtolz Euch unferer Erkenntlichkeit entzogt.“ 

„Beſchämt mid nicht, Herr!“ entgegnete Vratislav, ohne 
aufzubliden; „erinnere ich mich doch nicht, Euch je in irgend 
einer Art gefällig geweſen zu fein. Doch Cure Wohlthat liegt 
vor — Ihr habt mein Leben gerettet aus ben Armen bes Todes, 
mir die Genefung wiedergegeben. Im jenem Wald, wo bie Ber 
ſinnuug mic, verließ, wär’ ich verſchmachtet.“ 

„Dort jene war's,” verſetzte Neuhaus umd deutete auf Lid 
mila, welche die dunkle Wimper über das Auge flug, „die Euch 
anf der Jagd gefunden und fogleih erkannt. Sie bezahlte ihre 
Schuld an Euch, und ihre Theilnahme, wie unfer Aller, war 
groß, als Ihr fo ſchwer und krauk barmieber lagt. Euer Name 
— Herr Ritter?“ 

„Bratislav von Branif.“ 

„Bon Branit?* wiederholte Neuhaus; der Name hat guten 
Klang; irre ich nicht, fo feid Ihr der Letzte Eures Stammes. 
Der Bater fiel in irgend einer Schlacht; Ihr wurdet von einem 
Vriefter fern am der Grenze erzogen." + 


185 


„So iſre, edler Herr,“ fuhr Bratielav fort; „doch laßt 
mich noch einmal Worte des Dankes finden und jene Hand, die 
milde, die mich gepflegt, brünftig küffen.“ Er ſtand auf und 
näherte fi bei biefen Worten der Matrone. „Wohl war id) in 
tiefe Nacht begraben, aber Eure milde, tröftende Geſtalt ſchim- 
merte doch hindurch wie ein” Stern durch die Wolfe und Iabte 
meine Geele. Bergelten Tann ich es nicht, nicht eimmal- mit 
meinem Blute; denn Ihr Habt mir etwas geſchenkt und wieder 
gegeben, was mir wicht mehr gehört: das Leben. Wer id bin, 
hab’ ich Cuch gejagt; es if nun meine Pflicht, auch zu fagem, 
"was id bin, was mich Hierher geführt, was mic im jenen Zu. 
Rand verfegt. — Alfo, was id bin? Ein Unglückicher, vieleicht 
ein Mörder 1" 

Lidmila und die ältere Dame ſchauderten zuſammen. 

„Erſchredt nicht!“ fuhr Bratislav fort; „mande That iſt 
nicht fo ſchlimm, wie fie der Mund ber Menſchen nennt, die fie 
nicht gethan. Schlag’ id im Zorn dem Feind tobt, bin ich eim 
Mörder, doch in ber Nothwehr nicht. Bin ich Sieger über eine 
Bartei, fo laſſ ich den gefangenen Gegner hinrichten und bim 
deshalb noch fein Mörber im der allgemeinen Dafürachtung, fon- 
dem nur ein Richter; aber bem Gerichteten bin ich ein Mörder, 
der nad; feinem Blute lechzt. Berzeiht die ernſte Einleitung — 
fie fuhr mir fo dur ben Sinn. Ich befam Gtreit im einem 
Öffentlichen Garten; eim Deutſcher, Namens Spanberg, läfterte 
die Böhmen; ic; Tiebe mein Volt und mein Land, wie id) Bater 
und Mutter lieben würde, hätte ich dergleichen; ich diente ihm 
alfo, er zog das Schwert, verwundete mich zuerſt, mein Schwert 
ging durch feine Bruſt, er fiel. Ob er gerettet iſt, ob tobt, weiß 
ih nit. Ih würde mid, da die That gethan war, meinen 
Richtern geftellt Haben; aber des Königs neueſtes Geſetz lautet: 
Ber im Zweilampf den Gegner verwundet oder töbtet, ſtirbt von 
Henters Hand! — Und ic bin ber Legte meines Stammes — 


186 


ich floh. — Jene Wunbe, das Fieber, der Heftige Mitt warf mic, 
in jenem Walde kraftlos nieder. Mein gmäbiges, wildes Frün- 
lein, Ihr Habt mir alfo etwas gerettet, das nur Kalb mir gehört, 
Halb dem Henler, vielleicht ganz, wenn ich gefangen werbe. — 
Und bennod dank id; Euch; es if füß, vom fo ſchöner Hand 
wieber iw's Dafein zurüdgezogen zu werben.“ 

Bein Oheim!“ rief jest Lidmila bewegt, und ihre Stimme 
hatte etwas Träftiges, volltänenbes, es lag milder Wohlllang unb 
dennoch Befehl darin, „trefft Anaftalt, daß Niemand hier im Haufe 
des Ritters Namen erfahre, daß nicht umberufene Neugier Rd 
hierher drauge. Ihr follt, ebler Ritter, nicht einer Gefahr ent 
gangen fein, um in bie andere geftärzt zu werben.” 

„Laß dies meine Sorge fein, Nichte!" verſetzte Reuhaus; 
nbier fol Euch kein Verräther finden, Herr von Branit! Ihr 
bleibt — bis Euer 208 entichieden if. Heut' noch ſend' ih 
einen Eilboten an ben König. Er if mein freund, fo kaum 
ich ihn wohl nennen, und mir mannigfach verpflichtet. — Betrübt 
iM das Ereigniß zwar, doch einmal nicht zu ändern. — Da Ihr 
fo offen feib, Here Ritter, verbient Ihr gleiche Entgeltung. Lernt 
auch uns kennen. Ich heiße Neuhaus, bin Euch vielleicht be⸗ 

- tannt aus ber Geſchichte unfers Vaterlandes, fland ber Krone 
fort fo nahe ale Pobkbrad; doch Hab’ id; mich in Iepter Zeit 
zurüdgegogen von ben Geſchäſten des Staates. Auch ber feftefte 
Wille erlahmt, wenn der Kampf der Parteien ihn bis zu Tode 
ermüdet. Dort meine Schwägerin Emma von Falkenberg, Witwe 
eines deutſchen Edlen, ſchwergepruft, krankend an bittern Lebene- 
ereigniſſen, darum zurüdgezogen von aller Welt. Außer der 
Dienerſchaft feid Ihr der einzige Fremde, ben unfre Schwägerin 
feit einer langen Reihe von Jahren fieht, feit fie wieder im 
Böhmen lebt. — Das Unglüd, feht Ihr, macht vertraut. Dort 
meine Nichte Lidmila von Rofenberg kennt Ihr fon aus früherer 
Zeit. Wir leben biefen Sommer fill und einſam bier anf dem 


187 


Säloffe bei Weltrus — empfangen teinen Beſuch und machen 
feinen. Bei uns feid Ihr alfe geborgen und Lönnt Eurem Schid- 
ſale und feiner Entwidelung ruhig emtgegenfehen. Wählt einen 
andern Nomen, bei dem wir Euch vor der Dienerſchaft, obgleich 
deren Treue erprobt if, nennen. — Gern fehen wir Euch bei 
uns, dies fei ohne Schmeichelrede geftanken; deun Eure Genefung 
iR ja mit unſer Wert, und der Menſch freut fi gern befien, 
was er geſchaffen oder fonf zu Stande gebracit, wie ein Gürtner, 
des einen Baum gepflanzt. Euer Antlig, zwar fen und noch 
verbüftert von den Spuren der Krankheit, gefällt mir. Es liegt 
noch der Troß ber Jugend drin, doch and viel Offenheit. Lermt 
uns tennen; vieleicht gefallen wir aud Euch mit ber Zeit.” — 
Er wandte fi nad) biefen Worten zw dem Fräulein. „Lidmila,“ 
fagte er, „Relle die Harfe weg — nud nimm Theil an unfrem 
Gefpräge.“ 

Lidmila Iehnte die Harfe in eine Ede und fegte ſich ſchwei- 
gend wieder nieber. 

„Ich hab’ Euch wohl geftört, mein edles Fräulein ?* begann 
Vratislav; „vieleicht ifE es bie Stunde, die Ihr dem Holden 
Tonfpiel widmet. Ich weiß nit, um was ich Bitten fol! Ob 
Ihr nun fpielt ober ſprecht, ih gewinne immer." 

Lidmila erhob fol; das Haupt und verfegte mit ernfler 
Miene, indem fie dem Ritter frei in das Antlig fah: „Ich fpiele 
nur Kuflige Weifen, und Euer Geſicht zeigt jet noch immer, daß 
es bie nicht fieben mag.“ 

„Mein unfrenndliches Antlitz 1” feufzte Vratislab „bie Freunde, 
die mein Unglüd ſchafft, verſcheucht jenes wieder. Und doch muß 
ich es tragen!" 

„Ihr müßt Cuch verlieben,” warf Lidmila hin, „wenn Ihr 
es noch nicht feib; vieleicht macht End; die Liebe roth, währenb 
fie Andre ſchmachtend macht und bieih. Gehen wir uns im 


ir 
# 
HE 
Ni Ä 


# 

i 

— 
H 
if 
* 
hr 


g 
E 
8 
53 
* 
1— 
17 
2 
& 
& 
x 
Fr 


nit um Pflege und Rettung; fie wurde mir dod zu Theil. 
Ber fenkt, gewinnt — Herzen nämlich. Wer dem Bettler, 
nachdem dieſer gefleht, erft eine Gabe reicht, nicht vorher, der 
erhält nur Daut, umd Dank befteht nur aus Worten.“ 

„Ei damals,“ verfegte das Fräulein, „kountet Ihr nicht 
fprechen, und dem flummen Bettler reich' ich and eine Gabe, 
weil er nicht fpreden Tann. Aber er muß wirklich ſtumm fein.” 

Während biefes raſchen Zwiegeſpräches Hatten Neuhaus nnd 
feine Schwägerin anfmerffam und nicht ohne innere Bewegung, 
welche fie fi durch den Blic mittheilten, dem Süngling ſcharf 
beobachtet, deſſen Antlit jet das Licht der untergehenden Sonne 
hell beleuchtete. — 

„Seid Ihr ſchou lange iu Prag?" fragte bie Dame von 
Fallenberg, da Vratislav zu bemerken ſchien, wie er ber Gegen- 
Rand ihrer aufmerkfamen Beobachtung war. 

„Nicht viel mehr, als drei Momate,“ mar feine Antwort. 
„Gerade am ich an, als id das Fräulein vor dem Aujezder 
Thor zum erflen Male ſah. — Ihr hieltet mich wohl für einem 


189 


Nuedht, edles Fraulein, in meiner damaligen, ſchlichten Tracht, 
deren id) Grund Hatte mich zu fhämen ?« 

„Für einen Knecht, ganz Recht,“ entgegnete Lidmila, „aber 
für einen Edellknecht. Als Euch der Oheim banfen wollte, ent ⸗ 
floht Ihr. Ich hielt es für Stolz, und das verdroß mi; ih 
kann den Stolz nicht leiden. Und doch war ich wieber froh, 
daß Ihr bavomgeeilt; ich hätte mid; im Eurer Gegewart doch ob 
meines Unfalles nur geſchämt.“ 

„Ihr liebt den Stolz mit,” warf Bratislav ein, „und 
Euer holder Mund hat ihm doch fo eben das Wort geſprochen. 
Keiner der Männer, die Euch gefehen, fpradh von Eurer Schön 
heit, ohne den Stolz Hinzuzufegen. Zürnt mir nicht, daß ich fo 
aufrichtig bin. Da ih Euch frei meine Blutſchuld geſtanden, 
ſo lebt in mir nichts weiter mehr, das ich geheim halten könnte. 
— Ausgenommen Eins!“ ſetzte er leiſe hinzu, und ſein Auge 
verbüfterte ſich. 

„Ich dachte bei mir,“ unterbrach ihn Lidmila und ſchien 
feines leiſen Vorwurfes nicht zu achten, „er wird zu ſich ſagen: 
Die THörin will fi auf dem Roffe tummeln, vergißt aber bie 
Borſicht und kann es nicht bändigen. Wär’ id ein Mann, mir 
follte bies mie begegnen. Habt Ihe damals gelacht, als Ihr 
mid) verließt 2" 

„I bin ein Mann,” antworte Vratislav, „und wurde 
doch oft ſchon bügellos. Borſicht ift gut! doch achtet man ihrer 
ef, wenn man fie an fi vermißt und Schaden genommen 
Hat. Habt Ihr gelacht, da ich mit blutendem Haupte unter dem 
Baume gefunden wurde ?*. 

„Das if ein Unterſchied!“ warf fie ſtolz und gebieterifch 
ein; „Ihr waret unglüdti, ſchient eher ein Todter, als ein 
Lebendiger. Doc ich wurde nicht blaß; nein! ich erbleiche nicht 
— ih weiß es. Ich glitt vom Moffe, weil es, von Eurer 
. Hand getroffen, im rafenden Laufe fo plöglic hielt. Wenn ein 


190 
Schiff landet, fo ſchwanken wir alle darch ben Stoß gegen das 


Ufer.“ J 

„Ich weiß nicht, wie Du heute biſt,“ nahm der Herr von 

Neuhaus jet das Wort; „Du gefällſt Dir in Widerſprüchen. 
3a freilich, ich muß es dem Ritter nur geflehen, gerade der Stolz 
und bie Wiberfpenftigfeit find Deine fehler. Die Welt richtet 
nicht ganz ungeredit. Dies fei kein Vorwurf, liebe Nichte! — 
Du bift num einmal ein böfes, liebenswürdiges Kind, und ich 
muß Di doch lieb haben.“ 
. Die Frau von Falkenberg erhob fi nad biefen Warten, 
verneigte fi) vor bem Ritter umd fagte; „Verzeiht, Herr! Ich 
muß mid jegt entfernen. Mein Schwager und das Fräulein 
werben Euch angenehm zu befchäftigen traten.” — 

„Laßt mid; noch einmal biefe Hand kuſſen,“ bat Bratislav 
fich erhebend, „die fo mütterlih an einem efternlofen Fremdling 
gerwaltet hat. Balb ift vielleicht diefer Mund fiumm; id bin 
doc uur ein Hafblebender und kann vielleiht ganz anfhören es 
zu fein. Drum möcht ich diefe gergubten Minuten gern zu un- 
unterbrodenen Danlesworten verwenden, um ohne Schuld in’s 
Grab zu fteigen.“ 

„Sprecht um Gotteswillen nicht davon!“ rief bie Dame 
erfchüttert, und eine Thräne trat in ihr Auge „Ihr feid noch 
angegriffen; kaum ift der Haud ber Genefung bei Euch einge- 
zogen wie ein finder Leuztag. Soll Cure Einbilbungstraft dem 
Nachtfroſt rufen, um bie zarten, aufgeſchoſſenen Keime zu tödten? 
Bir wollen nit daran, an nichts Vetrübtes denken. Ihr habt 
meines Schwagers Wort — fein Arm reiht bis zum König; 
dies fei Euch Beruhigung. Euer einziger Dank, ſofern IHr ihn 
möthig achtet, beftehe darin, von alle dem zu ſchweigen, was End) 
und dadurch aud; uns verbüftern Könnte.“ 

„Ganz Recht! fiel Neuhaus ein; „denn üben wir Gaf- 
freundſchaft, fo muß fie nicht nur dem Leibe, fondern auch ber 


191 


Seele des Gaſtes gelten. — Geliebte Schwägerin,” — wanbte 
er fid zur Dame — „beorbere den Eilboten und. au den Ge 
heimſchreiber auf mein Gemach. Jener ſoll fich bereit machen, 
in einer Stunde gen Prag aufzubrechen.“ 

Die Dame entfernte fih. Nad einer Weile nahm Bratie 
slad wieder das Wort. 

„Als ich vorhin im Garten wandelte,“ wandte er fich zu 
ridmila, „hörte ich die länge Eurer Harfe. Irre ich nicht, fo 
fangt Ihr and; denn die Radhtigallen find wohl ſchon fortge: 
zogen nad den. kurzen Tagen ihrer Liebe.“ 

„Geſuugen Hab’ ich nicht,” verfeßte fie; „da wird es 
doch wohl eine Nachtigall geweſen fein, die Euh zu Siehe 
hier zuvüdgeblieben if. Ich will es dem Gärtner fagen, er foll 
fie fangen und im einem Käfig in Euer Feuſter ftellen. Ich finge 
wohl auch zuweilen, aber nur für mich, weil nur mir mein Ge⸗ 
fang gefällt — und gar nicht wie eine Nachtigall. Es find 
meiftens flüdtige, tolle, Lieber, die kaum einem Mädchen, ge- 
ſchweige einem Manne gefallen können.“ 

„Lidmila,“ ſprach Neuhaus — „finge diesmal; unfer Gaft 
ſcheint es zu wünfden, und Pflicht ift es, Alles amfgubieten, um 
ihn zu erheitern, um ihm dem Aufenthalt Bier angenehm zu 
maden. Zauberft Du noch lange, dann wird ber Verdacht des 
Stolzes Dich deſto fiherer und ſcheinbar gerecht treffen.“ 

Run weiß ich doc,“ warf Lidmila beinahe verlegt ein, 
„worum id bie Harfe fpielen gelernt und bie Lieber und ihre 
Beifen mir, eingeprägt! — Bor einem andern, Ritter, ſäng' ich 
nicht; doch ſeid krank, und Kranke find wie Kinder, fie 
weinen, wenn man ihnen ben Willen nicht thut.“ 

„Ich widerſpreche wicht,” entgegnete Bratislav artig, „ih 
betrüge mich fonft jelbft um den Genuß. Kalt Euch das Ger 
währen auch ſchwer, fo fält mir das Entjagen befto ſchwerer, 
und ic) kaun barmm nicht von meiner Bitte abſtehen.“ 


192 


„Es feil“ vief fie raſch, nahm die Harfe und fuhr mit ben 
zarten Fingern dur die hellen Saiten. 

Sie begann im einer raſchen, far muthwilligen Weiſe mit 
Holder Träftiger Stimme folgendes Lied: 


„Schöne Moldau, blaues WBaffer, 
Warum rauſcheſt Du fo fhnell? 
Gehft am Wyächrab vorüber 

Und an den Baläften Heil’. 

Sieh’ mit Deinen klaren Augen 

Dir die Herrlichteiten an, 

Harre Moldau, blaues Wafler, 

Daß ih Dir was fagen kann. 
Zieh'ſt Du weiter durch die Brüde 
Immer weiter, weiter fort, 

Wirſt an einen Garten kommen. 
Bäum’ und Blumen fiehen hort, 
Eine Nachtigall fingt lieblich 

Aus dem Erlenbuſch ihr Lied, 

Und am Brunnen fieht ein Mädchen, 
Neger fih ihr Wugenlid. 

Wirſt fie an dem Mieber kennen; 
Gold'ne Spangen find daran, 

Rothe Bänder und ein Kreuzlein 
Blank von Silber hängt daran. 

Haft an ihr Dich fatt gefehen / 
Und verfpüreft Liebesqual — 

Den! dann mein, bevor Du fcheibeft, 
Grüß’ mir fie viel tauſendmal.“ 


Sie endigte, warf bie Harfe bei Seite und rief: „Ein 
dummes Lied! Ich weiß nicht wie ich darauf verſiel. Gerade 


193 


das ſchlechteſte Hab’ ich Euch ausgeſucht. Zröftet Euch mit ber 
Hochzeit zu Kanaan.“ 

„3% finde das Lied artig,“ äußerte Vratislan, „einfach und 
Herzlich. Bor Allem aber find Weiſe und Gefang trefflich.“ 

„Die Hauptſache,“ ſtimmte Nenhans ein, „bleibt, daß es 
ein bohmiſch Sieb, ein Ried, wie es der ſchlichte Sandmann felbt, 
der Sohn der Natur ohne Kunſtbildung, fid dichte. Weife und 
Wort find Eins; beide quellen zugleih aus feiner Seele, find 
das Werk einer natürlichen Begeiſterung. So Mingt es denn 
in allen Gauen unfers ſchönen Baterlandes vom Munde und 
ans Saiten; denn Muſik ift das zweite Lebenselement des Böh- 
men. Er fingt — felbft wo das Joch ihn ſchwer barniederbrüdt; 
denn feine Seele durchzieht es mit Melodien, und er muß bem 
innern Klange Worte geben und das Heiligthum feiner Empfin- 
dungen vor der Welt erſchließen. Wie glüdfich wäre Land und 
Bolt ohne Zwietracht, ohme kriegeriſche Barbarei, ohne Glaubens- 
wahn und feine Folgen! — Ih Hab’ Euch, Herr Ritter,“ fuhr 
ex abfpringend fort, „noch nicht gefragt, weß Glaubens Ihr jeid. 
— Laßt das; ich will, ih brauch' es nicht zu wiſſen. Ihr 
tönntet vielleicht Katholit fein. So lange wir unfer wechſel- 
feitiges Belenntniß nicht kennen, ift es fein Gegenftand des MWort- 
wechſels oder des Streites zwiſchen uns. Der Glaube, meine 
id, ift der befle, der dem Frieden prebigt. Es will mich doch 
gemahnen, daß e8 eine Schande fei, wenn wir von fern ſchon 
den Fremden, den Mann, den wir nicht kennen, ausforfchen, um 
ihn nad) dem, was ihm entweder angeboren ober ein Ergebniß 
feiner innern Ueberzeugung if — ich meine ben Glauben — 
dann zu ſchätzen oder mißzuachten.“ 

„Da aber im Huffitentfume,“ fiel Vratislav ein, „Licht und 
Freiheit Tiegt, die Grumbelemente des Vaterlandes unb feiner 
geiftfihen, wie politifhen Dauer und Bebeutfamteit, fo müßte 
jeder Sohn des Landes daran hängen, ihm feinen Arm leihen 

Herloßfohn: Der Iepte Zaborit. 1. 1; 


194 


und den großen Kampf ausfechten, nicht nur zu unſerer Auftlä- 
rung, fondern auch zu der der ganzen Welt.” 

„IH theile Eure Confeffion,“ entgegnete Neuhaus, „und 
geb’ Euch Recht. Ihr feid jung, und der Eifer ehrt Euch. Hättet 
Ihr aber die Zeit der Schlachten gefehen, Ihr würdet Euch) noch 
jegt mit Grauen wegwenben. Webertriebener Glaubenseifer erzeugt 
überall Fanatismus, und biefer Blutbäder und Gräuel aller Art. 
HR erſt die glaubenswüthige Meute losgelaſſen von der Kette, 
dann wüthet fie, zerftört und erzeugt fid) immer wieder aus bem 
eigenen Blute, und Ihr bändigt fie nie wieder. Dann gibt es 
feine Grenze, feinen Endpunkt, und riefe felbft Gottesftimme: Bis 
hierher und nicht weiter hinaus! fie würde nicht gehört. O 
wiünfät das nie, nie zu erleben! Ich Hab’ es zum großen Theil * 
erlebt, und wie innig ih mich auch meines gereinten, befreiten 
Glaubensheiles freue, fo möchte ich es um benfelben Preis nie 
wieder erkaufen. So war's, mein Freund, und der Tag von 
Hkib mußte fommen I“ 

„D ſchweigt von dieſem Tage,“ rief Vratislav und hielt 
ſich die Hände vor das Antlig, „von biefem Tage der Schmach, 
der uns Alles, Alles geraubt, ber unfre Freiheit wie unfre Ehre 
auf der blutigen Wahlftatt begraben! Brüder fochten gegen Brit- 
der, und durch ben Huſſiten wurde der Huſſite befiegt, und jener 
lieh feinen Arm, dieſen in Fefleln zu ſchlagen. An diefer Wunde 
wird das Baterland noch Jahrhunderte bluten.“ 

„Ich fage Euch,“ wieberholte Neuhaus, „der Tag mußte 
tommen! Der Krieg war ein Raub-, Mord- und Berfolgungskrieg 
ohne Ende geworden, der Schlächterei war kein Ziel geftellt; 
Alugheit und Menſchlichkeit gebot Ruhe, Frieden, Erholung, Feſt - 
ſtellung in dem erſt erworbenen Rechten. Der Befigende wollte 
endlich and einmal genießen, nachdem er Jahre lang geopfert. 
Wir nahmen die Compactaten an, als Grundlage zu dem darauf 
Folgenden. Wir hatten einmal feften Fuß gefaßt. So legt man 


195 


ben Grund zu einem Gebäude. Aber die Yanatiker von Tabor 
und Horeb wollten nur Krieg, allgemeinen Sieg, befänbigen 
Krieg. Es handelte fi bei ihnen nicht um Gefeglichteit, Ber- 
ftlichung, Theilen der Intereſſen und Begründung eines Frie- 
dens, nach dem die Welt ſchmachtete, nein! nur um fühne Raub» 
züge, Wbentener, Heroenthaten. Die lehteren muß ihnen das 
Raımende Europa zugeftehen. Der Böhme hat fi mitten unter 
biefen Gräueln einen Heldenruhm erworben, der durch alle Zeiten 
Ienchten wird. Spätere Jahrhunderte werben kaum daran glau- 
ben, was wir gethan, werben es für Mährchen Halten oder Zau- 
berei. Es war ein großartiger Wille und eine gewaltige Gott- 
begeifterung vom Uraufange. Dies die zwei einzigen Blumen, 
welche auf dem bfutgebüngten, mit Todtenſchädeln befäeten Ader 
wuchſen. Aber fie verblühten zu bald; ja fie wurden zertreien. 
— Und fo kann ih e8 denn dem Könige im Grunde nicht ver— 
argen, daß er wie ein Muger Schiffer feinen Kahn gegen deu 
Bind in verfchiedenen Krümmungen führt und feinem Ufer zu 
nahe kömmt, um nicht zu ſcheitern. Er will den Frieden, und 
wir bebürfen feiner. So ihm der Herr Kraft und lange Jahre 
und nur etwas Ruhe gönnt, fo bildet er unfer Land doch endlich 
zu einem felbftändigen, unantaftbaren Reiche für alle Zeiten. — 
Davon, mein theurer Freund, ein andermal ausführlicher. Erlaubt, 
daß ich mich jeßt "entferne, um jenen Brief zu fehreiben, ber 
Euch — fo Gott will — frei machen fol.“ 

„Nehmt herzlichen Dank,“ enigegnete Vratislav aufftehend, 
„und geftattet au mir, mich zu entfernen. Zürnt nicht, mein 
edles Fräulein,“ wanbte er fi an Lidmila, „daß Ihr Eure Hei- 
tere Laune einem Kranken zu Liebe für kurze Zeit amfopfern 
mußte. Ihr nanntet mich ja ſelbſt ein Kind, das unglücklich 
if, wenn man ihm den Willen nicht thut.“ 

„Im unferer Einfamkeit,” verfeßte Lidmila gleihgiltig, „ift 
ung jede Abwechfelung willfommen. Warum nicht auch biefe? 

13* 


196 


Schlaft wohl und bdemft nicht zu viel an den Tod; fonft fing” 
ih Euch zum Trotz noch einige Lieder vor.” 

„O macht e8 wahr, id bitte darum!“ ſprach Vratislav 
raſch; „auf die Gefahr muß ih doch an ben Tod benfen, weil 
ihm ein fdöneres Leben erblüht.“ 

„Nein, nein! Heut’ fing’ ich nicht mehr,“ wiederſprach Lid ⸗ 
mila; „ih babe aud) Saunen wie ein Bogel im Käfig, Ihr 
werdet auch ohne meinen Gefang ſchlafen. Man verwöhnt bie 
Kinder nur, wenn man fie einfingt. Lebt wohl!” Sie verneigte 
ſich nad diefen Worten. 

„Schlummert fanft!“ fagte Vratislav zum Abſchiede, „und 
wie Euer Bild und das ber Holden frau von Falkenberg im 
meinen Fieberträumen mic) wohlthuend und beruhigend umſchwebte, 
fo mög’ End Euer eigen Abbild umſchweben, Ihr möget her- 
austreten aus Euch und fühlen lernen, wie man Euch verehren 
und bewundern muß I“ 

Er Hatte bie letzten Worte raſch geſprochen und entfernte 
ſich jegt, von dem Burgheren geleitet. 

In feinem Gemache angekommen, lehnte er fi in’s Fenſter 
und fah düſtern Blickes über die Gegend hin. Die Sonne war 
gefunfen, ihr euer brannte nur uod in einigen Wollenfdichten, 
weiche ſich am Abendhimmel aufthürmten. Dort wälzte die Mol- 
dau ihre Fluthen hin, von einem matten Rofenfchimmer ange- 
haucht; die Wälder ragten wie ſchwarze Gefpenfter aus der Ebene 
hervor, welche filberner Nebel umſchwebte. Nur unten im Garten 
ſchien es noch Heil; das friſche Grün leuchtete, als hätte es Son- 
nenftraßlen eingefogen. 

„Ihr Bäume und Zeige,“ fagte Vratislav tief auffeirfzend, 
„Ihr ſtrahlt ihr Bildniß wieder !“ 

Er verfiel nach dieſen Worten wieder im tiefes Sinnen. 
Ales war rußig unten in den Saubgängen, die Vögel ſchwiegen, 
nur die Quelle rauſchte, wie ein Kind, dem man Ruhe geboten, 


197 


das aber im Winkel figt und leiſe vor fi Hin liſpelt. Die 
Nachtſchmetterlinge zogen flille mm die Blumen, und der Glüh- 
wurin tauchte aus dem Graſe anf wie ein Augeuſtrahl unter ger 
ſchlofſener Wimper. 

„Was iſt ans mir geworben!” rief jegt Bratislav und 
verhülfte fein Angefiht. „Geift meines. ermorbeten Vaters, blickſt 
Du nit drohend Hernieder auf Deinen entarteten Sohn? DO 
mein Oheim! — mein Obeim! Du haft ein ſchweres Amt im 
die Hände eines efenden Knaben gelegt. Ich ftand dem Todfeind 
unfers Stammes, ihm, ber mic frühzeitig zur Waiſe gemadit, 
gegenüber, und der Groll ſchwieg in meinem Herzen, und bie 
Hand zudte nicht zum Todesſtoß. Herbes, fluchwürdiges Miß ⸗ 
geihid, warum mußteft Du mid Hierher führen? warum dieſe 
fürchterliche Prüfung, der ich erliegen muß? Wie kaun ih Hier 
Haß geben, wo fie Liebe fäen? Herz, mein Herz, krankes, zag- 
haftes Ding, fülle Di mit dem Gifte des Grolles, mit dem 
Athen Rache, mit dem Geifer der Wuth! Riefengroß ſteht 
die PflichE vor mir und mahnt mich wie den Sünder das Ge 
wiffen, und ich bebe wie ein Kind, ſchaue dem Todfeind offen 
in's Augeſicht, höre feine Rede und — biete ihm Worte des 
Dantes! Und fein Wort bringt mir zum Herzen, und biefelbe 
Zunge, bie es ſpricht, hat das Todesurtheil über meinen Bater 
geſprochen! O ich Elender, Bethörter! Ihm fteht ein Engel zur 
Seite. — Ein Engel! — Gott, ich begreife mid nicht! Nur 
fort — nur fort von Hier! Des Vaters Blut haben fie vergoflen 
und retten be® Sohnes Leben! Gchredfice Vergeltung — bittere 
Berhöhnung des Geihides! — Freilich! — mas er gethan, 
daran haben die Weiber nicht Schuld. Jene würbige Matrone, 
die id; gern Mutter nennen möchte, hat nur die Liebe und bie 
Milde in Worten und Mienen. Und Lidmila — fie — fie — 
warum foll ich diefe Hafjen? — Weil fie am feiner Seite ſteht? 
I er doch auch der Bruber meiner Mutter, und wie ber Oheim 


198 


fagte, Hat mein Bater nicht immer gut an ihm gehandelt! — 
Iſt es Dein Wille, geſchmähter, jett verflärter Vater, fo erſcheine 
mir im Traume, und id will Hinabfleigen und mein Schwert 
in bie Bruft Desjenigen tauchen, der mir, dem Fremdling, das 
Leben gerettet, der mich gepflegt, der mich befreien will durch 
fein Fürwort von langer, ‚finfterer Haft oder ſchmachvoller Todes - 
ſtrafe — DO ich vergeffe mich felbft! Anders fpräde mein Herz, 
heftiger bebete die Hand — ftünde uicht fe, ach fle, au feiner 
Seite! — Thor, dreifacher Thor, wilft Du Dein Herz mit Liebe 
füllen zu ihr? Darum alſo läfjeft Du den Haß gegen ihn ſchlum ⸗ 
mern im Bufen, willſt Du, wie viele Andere, gehößnt, verſchmaht 
von ihr verſchmachten? Sie weinte, ba ic; flerben wollte; fo 
fagte der Diener. Es war das Mitleid; denn fie ift doch ein 
Weib. Jetzt, wo ich wieder febe, ftreift ihr Blick kalt an mir 
vorüber, und ihre Worte find ftolz und herzlos. — Hüte Did 
vor ber Liebe zum Weibe! fprad; ber Oheim. Ach! ich fühle, 
bei Ihr bedarf ich zehnfacher Hut. — Bielleicht ift es ſchon zu 
ſpãt; diefe Augen find Pfeile; one zu wollen, ſchwirren fie und 
dringen tief in das Herz. — So ſteh' ich denn Hier geblendet, 
matt und bebend, zwiſchen Haß und Berföhnung, und den Arm, 
der mac) der töbtlichen Waffe greift, hält der andere ängſtlich 
und beſchwichtigend zurüd und firedt ihm aus zur Sühne O 
dumpfes Los, warum bin ich fo ohne Führer, ohne ſchutzenden 
Engel in das Leben geftellt! Warum mußte ich fie jehen, warum 
mußte ih jenen unſeligen Streit beginnen und gerade hierher 
gelangen! Fort! — fort von hier, und das fogleih! Hinaus in 
eine Wilbniß! Dort will ich mich der Verzweiflung an bie Bruſt 
Tegen, bamit mein Buſen ſich wieder vollfauge und anſchwelle 
vom Haffe. — Web’ mir Unglüdtihem, mir, dem Opfer freinber 
Schuld und fremder Leidenſchaft! — Und bin id} nit ein ver- 
abſchenungswürdiger Heuchler, der ihnen dankend, grüßend, fegnend 
entgegentritt und ben Fluch im feinem Herzen hat? — O ver- 


19 


ſchließt, Ihr Armfeligen, zur Naht Eure Schlafgemächer — ih 
lenne Einen, der ſich leicht hineinſchleicht und die Schlummernden 
morbet zur Sühne für Einen, der von Hentershand fill — 
Kettet das Ungeheuer an, das Ihr beherbergt! Was Euch ein 
Lamın fcheint, if ein Tieger! — Glaubt dem elle nicht! Be 
waffnet Euch! — Lidmila! — Warum ewig ihr Bild, warum 
ſtets diefer Gedanke an fie und warum, o Schichal, dies öftere 
Wieberfehen? Soll ic} gepeimigt werden wie Einer, ber durſtend 
das Rauſchen einer Duelle immer hört umb fie mie findet? 
Diefer Verſuchung bin ich nicht gewachſen! Graufames Geſchick, 
Du forderft ungeheure Opfer! — O mein Ohelm, mein Obeim, 
warum Haft Du mid) in die Welt gejendet, warum ließeſt Du 
mid) nit in meiner Eindde, wo Niemand meine Schmach und 
meine Schmerzen kennt ? 1“ 

IH muß fort von bier — fogleih, noch heut — noch 
in Diefer Naht! — Noch in dieſer Nacht?“ unterbrach er fi 
und flügte das ſorgenſchwere Haupt auf ben Arm, „und ohne 
Abſchied? — Ohne Abſchied, weicher Thor! — deun Abſchied 
nehmen heißt bleiben. Langer kann ich nicht Wohlthaten von Dem 
genießen, der mir das Heiligſte geflohlen! — Und doch Hat er 
nur vergolten! Mein Bater ftahl ihm ja aud die Schwefler! — 
Alſo ohne Abſchied. Ihr Sterne dort oben, Ihr goldenen Lilien 
im blauen felde, Ihr könnt fie grüßen ftatt meiner; bemm oft 
wohl bfiden ihre Augen zu Euch empor und grüßen Cuch ſchwe- 
ſterlich. Sagt Ihr Alles — Alles, was Ihr vernommen, Mein 
Mund vermag es nit. Klagt ihr mein Leid, und lächelt fie 
and; darüber, fie hat es doch gehört, und es lebt in einer menſch- 
lichen Bruſt. Vielleicht weiht fie mir dereinft eine Thräne, wenn 
der Lebensernft fie uberſchattet. — Aber wie Tann, wie fol ich 
fort mit dieſen bebenden, fiechen Gliedern, ohne Verkleidung, ohne 
Rob; bemn Tängft find die Verfolger Hinter mir her. — Ich 
muß noch bleiben — zwei, drei Tage noch Barren, bis meine 


200 


Stunde ſchlagt und das Herz bricht. Und Du, falſches, heuchle- 
riſches Herz, Du jauchzeſt, daß ich bleibe, während mein Mund 
den Hinberniffen grolt! — Aber wenn ich geſchieden bin, dann 
fol er es wiffen, men er beherbergt, gepflegt und geheilt! Die 
Erinnerung an feine That feige als bleiches Gefpenft vor ihm 
auf und pode drohend am fein reuiges Gewiffen! — Neuhaus, 
ih ſchenke Dir jegt das Leben, und wir find quitt; bemm Dir 
bift jegt meiner Hand anheim gegeben, und ich könnte den Tod 
des Baters rächen. Aber id ſchone Deines Lebens, weil Du 
das meine gerettet, Bin ich erſt wieder draußen im Freien — 
ſo grüß’ ih Did als Feind mit blanker Waffe. — Verföhnung 
‚predigt ber Heiland ; aber meine Pflicht will Haf und Verfolgung. 
Ich kann nicht anders; ich bin wie ein Kind, das von feiner 
Mutter das Brandmal geerbt Hat. Jene Zauberin fol mid nicht 
verlocken — ich will ſtolz fein wie fie. — Was fann ih ihr 
bieten, ihr — die Glanz und Hoheit fon verſchmäht Hat? Nein, 
fie fol dies Herz nicht zertreten und nicht fieggemohnt lächeln, 
wenn es unter ihrem Fuße krampfhaft verblutet! — Du aber, 
Bater über diefen funfelnden Sternen, der Du mid) durch Deinen 
unerforſchlichen Willen in diefes Labyrinth geführt, geleite mich 
gnädig wieber aus bdemfelben I“ 

Er wurde unterbrochen. Der Diener trat mit den Arm- 
leuten und dem Abendmahl herein. Vratislav ſprach wenig 
mit dem geſchwätzigen Greife; er that nicht, ale beachte er’s, ba 
der Diener erzählte: „Das Fräulein hörte ich jet eben zur Frau 
von Falkenberg fagen, daß Eure Rede, ja ber Ton Eurer Stimme 
ihr befonders gefallen habe, Sie meinte, baf fie Euch wohl für 
menſchenfeindlich, aber nicht für fo Hug gehalten.“ 

nSagte fie das? — Gut!“ war Bratislav's Antwort, und 
er ftügte wie fchläfrig ben Kopf auf die Hand — „Du Tannft 
aun gehen, lieber Lazarus; id; bin mübe, ich werde heut’ wenig 
genießen und bald mein Lager ſuchen. Wede mich bei Zeiten 


201 


mergen — id will in ben Garten hinab und bie Friſche des 
Jungen Tages genießen. Schlaf wohl!" 

Der Diener ging. 

Bratislav verharrte in feiner Stellung und feufzte, als Jener 
fi entfernt: „Mir wäre beffer, wenn ich ſchon dem ewigen 
Schlaf ſchliefe. Lidmila — grauſam warft Du, wenn Du mid 
verſchmachten ließeſt. unter jenem Baume; noch graujamer bift 
Du, daß Du mid gerettet haft.“ 

Horch! da tönten die Saiten der Harfe wieder — es war 
feine vafche, leichtfertige Weiſe — eruſt, mild — und ihre Stimme 
erhob ſich, quoll Herbor wie ein Teuchtender Springquell aus ber 
friſchen Bruſt. Sie fang ein Lieb — nur die Zöne drangen her- 
anf, nicht die Worte — aber der Gang bes Liedes war rührend, 
tlagend, bald voll und kräftig, bald wieder ſchmachtend fanft. — 
Er ſchlich an das Feuſter und lauſchte mit gepreßtem Athen, 
Nur die Schlußmworte verftand er jet; fie lauteten: 


„Ewig verloren mein irdiſches Gluck!“ 


So endete fie. Er wiederholte bumpf: „Ewig verloren mein 
irdiſches Glüdl“ 

& warf fi auf fein Lager. Mber keine duſtern Träume 
tamen, wie er gehofft — er erwachte gelabt umd geftärkt, kaum 
daf die Sonne zwei Stunden wieder über ber Erde leuchtete. 


16 


Es war am zweiten Morgen nach Bratislav’s volllommener 
Geueſung. Er ging im ber frühe allein duch den Garten, ber 
im funkelnden Thaue prangte. Als er um bie Ede nad dem 


202 


Weiher bog, fah er Lidmila an den Stamm einer Trauerweide 
gelehnt. Sie farrte in die blaue Fiuth nieder, die zu ihren 
Füßen glänzte, und war regungslos. — Sie trug ein ſchneewei · 
ßes Gewand, das rabendunkle Haar fiel geläft in langen, dichten 
Loden darüber hinab. 

Er näherte fich ihr leife und trat dicht bei ihr Hart au's 
Ufer. Im Wafferfpiegel erblicte fie fein Bild — fie fuhr er 
fredt zufammen, wandte fi gegen ihm und vief: „Ihr feid es, 
Herr von Branit?" 

„Und flöre Euch,“ verſetzte Vratislav höflich grüßend, „wie 
ich fehe. Berzeiht und befehlt, daß ic; mid) entferne! benn was 
man nicht gerne thut, muß man fich gebieten laffen. — Euer 
Sinn, jo einfam und ernfl, war wohl auf fchönern Fluren, in 
holberer Gemeinihaft, als bie meine. Ich werte, mein blafjes 
Antlig Hier im Waffer hat Euch erfchredt.” 

„Ich erfchrede niemals," gab fie zur Antwort und ſah ihn 
mit den biendend glänzenden Augen frei und offen an, daf ihm 
die Glut durch die Abern riefelte. Da durchbühte ihm zugleich 
ber Gedanke: fie ift eine ber Holden Jungfrauen, von benen ich 
geträumt auf dem Berge Hinter Slihov — bie mir bie Roſe 
reichte, ie, und glühende Nöthe färbte bei dieſem geiftigen 
Wiederfinden feine Wange. Er Hatte fie ſchon früher in feiner 
Seele gejehen, noch bevor fie fein Auge erblidt. Eine geheime 
Macht waltete über ihm — er war ihr, von dieſer Hand be- 
ſtimmt, anheimgefallen. 

„Noch immer zürme ih End," fuhr fie fort, „daß Ihr 
damals, als wir uns zuerft fahen, geflohen feid, wenn mich gleich 
ein Tädelnder Hohn, den id; erwartete, noch bitterer verbroffen 
hätte. Bin ich fo häßlich, daß Ihr fliehen mußtet ? 

„Ihr ſcherzt, mein Fräulein,” verſetzte Vratielav mit Ber- 
wirrung; „ich hatte Euren Dank; worauf follte ich noch Barren? 


208 


Vielleicht auf eine goldene Gabe aus Eures Oheims Hand, die 
er dem Manne in ſchilchter Meidung leicht zugemuthet hätte.“ 

„Ich Hab’ Euch nicht gedankt!” warf fie ein; „darin irrt 
Hr. Ih weiß «8 genau; ich fprah nur von dem Unfalle und 
entſchuldigte meine Ungefdidlicleit, nm Eurem Hohne vorzu- 
beugen. Doch meibifhe Furt und Angft Habt Ihr an mir 
nicht wahrgenommen. Ich zitterte wirklich micht. — Doc recht! 
— Da Ihr mi an den Dank erinnert, fo muß ich jegt ihm 
zollen, fol ich nit Eure Schuldnerin bleiben.“ 

„Ich bill’ End, Fräufein,“ unterbrach fie Bratislan, „ſchont 
meiner. Zu viel Dank für einen Heinen Dienft Mingt wie Hohn. 
— Bin id End nicht verbunden ?“ 

„Ja, e8 ift wahr," fiel fie ein; „auch Ihr ſeid mir ver- 
pflichtet. Der Zufall führte mid an jene Stelle, wo Ihr ver- 
wundet Iagt; nun dankt auch ihm Mir Haben alfo abge- 
rechnet.“ 

„Ih wollt’, Ihr wäret länger in meiner Schuld,“ warf er 
ein, „ober ich ewig in der Curigen.“ 

„Zum Erftern kann Euch Rath werden,” äußerte fie mit 
leichtem Sinn, „wenn Euch fo viel baran liegt. Ich ftürze hier 
in den Weiher — er ift tief; Ihr werdet, Ihr müßt mich 
retten.“ 

„Wer meiß!* entgegnete Vratislav. 

„Ich wag’ es,“ wiederholte fie; „id fpringe hinein und 
will doch fehen, ob eig Ritter von Herz nnd guten Sitten Lib- 
mila von Rofenberg nicht aus dem Waffer Holt.“ Sie beugte 
fi) nad) diefen Worten vorwärts gegen den See. 

Er faßte fie an ber Hand. „Den Muthwillen,“ fagte er, 
„würbe ic) vieleicht verachten, ber mich auf folde Probe ſtellt. 
Es ift nicht jungfränfid, mit dem Leben zu fpielen. Auch bin 
ich zu ſtolz, um es Binterher zu ertragen, daß Ihr mich Höhnt 
und mit Schreden muthwilligen Scherz getrieben.“ 


204 


„Ich glaub’, Ihr feid im mich verliebt, Ritter!" ſprach fie 
plöglid und heitete forfhend bie Blide auf ihn. Sie ließ ihre 
Hand in ber feinigen. 

„Roc nicht,“ war feine Antwort, „und if, wie ich glaube, 
mein Kopf kräftiger, als mein Herz, fo werd' ich's mit Gott mie.“ 

„Mit Gott nie?“ wiederholte fie wie zürmend; „Ihr betet 
wie vor einem Unglüd wie der Sandmann vor bem Gewitter, 
das Hagel bringt. Die Artigteit muß bünm gefäet fein dort, wo 
Ihr zu Haufe.“ 

„Schon geftern legt’ ih Euch ein Geſtändniß ab,“ erwiederte 
er; „Ihr ſchient meine Aufrichtigfeit zu dulden.“ 

„Gut!“ fiel fie ein — „aber fagt warum.“ 

„Weil Ihr den Stolz nur kennt,“ verfegte er, „und feine 
Ergebung. Ich. glaube, Ihr habt fein Herz, Fräulein.” 

„O das fagten fie Ale, die ich verfchmähte,“ gegenredete 
Lidmila, „weil mein Herz zu gut war für fie Ich mag die 
Blume nicht, bie dort oben auf feifer Felswand blüht, weil ich 
fie mit Gefahr meines Lebens Holen müßte.“ 

„Sole harte Bedingung ift alſo an Euren Befig gefnüpft ?* 
fragte er. 

„Das nicht,“ lachte fie — „mein Gleichniß war ſchlecht 
und nicht beſcheiden. Man ſoll mir gefallen; dieß iſt das ein- 
ige Bedingniß. Und jene mißftelen mir.“ 

„Die Uuglücklichen!“ bemerkte Bratislan ; „o fpottet ihrer 
nicht, daß fie nad) dem Höchſten geftvebt. Der Muth if’e, der 
den Wunſch adelt. Ihr habt den Stachel in ihre Bruft gebrüdt. 
Haben fie wahr geliebt, fo bleibt ihnen der Schmerz ewig. 

„Nein, nein!“ wiberfprad fie, „Ihr irrt; fie ſpotten jegt 
meiner, haffen und verläumben mic.“ 

„Doch keun' ih Einen,“ fagte Vratislav, „und nenn’ ihn 
Freund, der noch mie um Eure Gunft gebuhlt, und als ih Cuch 
zum zweiten Male ſah, ausrief: Wäre do der Engel mein, 


205 


König wähnte ih zu fein! Gr if zu ebel; er würde felbft ver- 
Ihmäht Enrer nicht fpotten.” 

„Seid Ihr e8 felbft ?“ lachte fie. 

„Wenigſtens würde ich mich mühen,“ antwortete Vratislav, 
„em Edelmuth ihm gleihzulommen. Den geliebten Gegenftand, 
den man nicht befigen fann, muß man beweinen wie einen 
Zodten, und er frifcht fein Angebenten immer noch lebendiger 
anf, als ein Geftorbener ! man kann ihn ſchwerer vergeffen.“ 

„Noch eine Frage!“ unterbrach fie plöglich feine Rede und 
308 ihre Hand zurüd, welde fie bisher in ber feinigen gelaſſen; 
„warum bverbargt Ihr Euch damals, als Ihr mich zum zweiten 
Male jahet? Es war nahe am Earofinum; Ihr ſtandet im 
Kreife mehrerer Junker. Ich Hab’ Euch wohl erſpäht.“ 

„Ich mochte mich nicht vorbrängen,“ verfete er, „um nicht 
zu feinen, als wolle ich einen Gruß erhafhen zum Zeichen 
der Exfenntlicfeit. Doch warum faht Ihr fo flarr nad) mir?“ 

„Nicht Ihr — ich mußte nah Ench forſchen,“ entgeg- 
nete Libmila, „da ih Euch ſchuldig war. Euer ängſtliches Ber- 
bergen zeigte nicht von Muth. Mas Habt Ihr zu befahren einer 
ſchwachen Jungfrau gegenüber ?" 

„Wüßten die Schmetterlinge,” bemerkte er, „daß fie ihre 
Flügel verfengen, wenn fie fi der Flamme nähern, fie flögen 
nicht fo geblendet nad} dem hellen Scheine. Ich weiß es aber; 
Ihr feid eine ftarke Jungfrau mit einem männlichen Willen.“ 

„D wär' id ein Mann!“ rief fie; „ic Habe den Wunſch 
fon taufendmal gehegt; ich würbe dann Euer Freund und zöge 
mit End; auf Abenteuer dur die Welt.” 

„DO wuünſcht das nicht!“ gegenrebete er; „bleibt in dem 
Kreife Holder Weiblichkeit, den Euch die Natur angewiefen. Glaubt 
mir, das Weib kann fegensreicher wirken, als der Mann. Sie 
iſt ber milde, verföhnende Engel, der dem Irrenden zur Geite 
ſteht. Sie iſt nnendlich groß ale Weib, ale Mutter. Bon ihr 


206 


geht die Liebe aus, bie die Welt bindet, die Frieden fliftet und 
Duldung predigt. Im ftillen Haufe übt fie Thaten, jhöner und 
größer, als der Mann auf dem Schlachtfelde; fie bildet Herzen, 
wedt ben Sinn ber Frömmigkeit, lehrt das Leben ale ein Hei» 
liges Gut achten und gründet Glauben und Bertranen in den 
Gemüthern. Wie traurig, wenn nur Wunden geſchlagen würden, 
wenn e8 feine Hände gäbe, bie fte wieder heilen! Der Menſch 
wird erſt volfommen durd; die Bereinigung ber Geſchlechter; 
einzeln und abgefchlofien ift er ein Halbes Geſchöpf, das ben 
Himmel nur halb in feinem Bufen trägt, bie Hölle oftmals. ganz. 
Nehmt biejen Wunſch zurüd und ſchmäht nit Euer Los. Ein 
gütiger Gott hat Euch mit reicher Hand feine Gaben geipendet: 
Anmuth, Schönheit, Jugend, Geiſt, Stand und Reichthum. Ihr 
tönnt beglüden, während ein Anderer nur beglüdt werden kann, 
und die Beglüdenden find die Seligeren. Werbet dereinft Gattin, 
werdet Mutter und erfület fo den erhabenen Beruf des Schöpfer; 
im Glüde Anderer, das Ihr bereitet, werdet Ihr felbft ben höch- 
ſten Lohn finden.“ 

„Wär ih ein Mann und Ihr wär't ein Weib,“ verfegte 
fie, „ich konnte Euch vielleit lieben.“ 

„Bin ich fo weibiſch gefinnt?“ fragte Vratislav ſtreng. 

„Das nicht! — Doch Ihr ſeid ernſt,“ war ihre Autwort, 
„und ein ernſtes Weib, das fühle ich, würd’ ich lieben. Ich fol, 
meint Ihr wohl, wie eine Rebe mid um eine Ulme ſchließen, 
fol den zweiten Plag einnehmen im Leben, foll die untergeord- 
nete Hausfrau fpielen, während der Gatte Thaten bes Glanzes 
übt in der Welt, fol mit dieſem Drange zu wirken in der Ein- 
famtfeit verſchmachten um eines armfeligen, ftillen Ruhmes willen, 
den Niemand kenut, weil er nicht über die Schwelle meines 
Haufes reiht? Nein! ih wil frei und felbfiftändig da ſtehen 
im Leben und aud meine Kraft prüfen. Es Hat and große 
Weiber gegeben; denkt an Libuda und Wlaſt a. Ein hoher 


207 


Sinn Iebt in ums nicht minder, als in Cuch; ber Standpunkt 
wedt ihn, und warum foll das Meib ausgeidloffen fein von dem 
Pforten des Ruhmes ?“ 

„O firebt nit darnach!“ ſprach Vratislav Herzlich; „das 
wahre Glüd wohnt einzig in der Menſchenbruſt. Der Gott, der 
uch Weib werden ließ, verlangt auch die Erfüllung ber weibli- 
Gen Bflihten von Euch. Bleibt, was Ihr feid, an Anmuth 
reich, eine milde Spenderin vielen Glüdes.“ 

„Ich muß wohl, da id; es ſchon Bin!“ entgegnete fie und 
reichte ihm bie Hand. Er führte fie am feine Lippen umb Heftete 
einen glühenden Kuß darauf. Sie verbarg eine fichtliche Bewegung. 

„Und wenn ber freibrief für Euch erſcheint,“ fragte fie 
nad) einer Weile, „fo verlaßt Ihr uns wohl bald und kehrt nach 
Prag zurüd? Dann wird e8 hier recht einfam fein! Wär’ es 
fein Opfer filr Euch, fo wünfchte ih, Ihr bfiebt den Sommer 
no bei ung. Den Winter find wir wieder in Prag; barauf 
freue ich mid.“ 

„Weil Ihr dort Siege feiert!” warf ber Ritter ein. 

„So leichte Siege lohnen nit!" entgegnete fie, verließ 
ihre Stelle und ſchritt an ber Hand des Mitters nach dem 
Schloſſe zurüd. 


12. 


Es war Abend, und Vratislav ſaß finnend in feinem Ge- 
made. — Der Entſchluß zu flchen, ohne eine Antwort bon 
Prag abzuwarten, war in ihm zur Reife gediehen. Cr mußte 
fort, das fühlte er; die Pflicht gebot es und die Sorge um fein 
eigenes Heil. Schon zu tief Hatte bie Liebe zu ber ſchönen, 


208 


ſpröden Lidmila Wurzel in feinem Kerzen gefaßt; fon jegt war 
es ibm ſchwer, fi loszureißen. Nod einen Augenblick, und es 
war zu fpät; er war für ewig gefettet, oder fein Herz mußte 
verbiuten. Sie liebt Dich nicht! geftand er fi ſelbſt; fie wird 
Did nie lieben — denn fie liebt Keinen! Verſchmäht würdeft Dir 
unglüdfeliger fein, als jegt. — Beffer dieſe Ungewißheit! Die 
Zeit wird auch biefe Wunde heilen. — Hart ift die Prüfung; 
aber mein Wille fol erftarken, indem ich mich ſelbſt befämpfe. — 
Mein Oheim — Cyrillus — Ihr Habt dem verlorenen Sohn 
wieder! Die Liebe will er mit bem neuen Haſſe erfliden, vom 
Haupte fi felbft den Kranz reifen und die Blumen in dem 
Staub treten. Thörichtes Herz! — Ich, der Gebranbmarften 
Einer, follte Anwartſchaft auf ihre Hand gewinnen Lönnen, jollte 
vor einem Neuhaus beſtehen? Und doc ift er mein Oheim! — 
Die Schmad), die er mir bereitet, fällt auf ihm zurüd. Aber 
ich gehe! Und fpäter foll ein Fluch es ihm fagen, wen er be 
herbergt hat; er fol zittern vor dem Meffen, vor deſſen Bater 
er nicht bebte. Geift meiner Mutter! — e8 war Dein Wille 
nicht, daß fo bintige Radhe an Dem genommen wurde, ber Dir 
vielleicht Böfes gethan, Dich aber doch geliebt Hat! — Morgen 
will ih fort; morgen muß id) fort, weit weg von Bier. Meine 
Freunde werben beforgt fein, weil ich Feine Kunde von mir ge- 
geben. Ich muß wiflen, ob Spanberg noch lebt, ob ich ferner 
im Baterlande bleiben, ob ich es ewig meiden fol. — Noch 
einmal will ich fie fehen. Doc nein, nein! fie feſſelt mich wie- 
der, umb ich vergeffe treulos meinen Schwur. Ich fehe fie nie 
wieder! Warum dies Bild in einem Gedächtniß erneuern? Bin 
ich doch elend genug! Aber ihr, der Hohen Frau, die mein Herz 
mit kindlicher Verehrung fült, möcht id nod; einmal Worte des 
Danfes fagen, möchte weinend an ihren Buſen finken, ihre Hand 
mit Küffen bebeden! Es Tann nicht fein — id muß heimlich 
fort — fie follen meine Spur nicht finden!“ 


209 


Der alte Lazarus, welcher erſchien, unterbrach ihn in feinem 
Nachſinnen. 

„Jetzt raſch zur That!“ ſagte Bratislav, indem er aufftand, 
den Greis an ber Hand faßte nnd im zutraulichen Tone begamm: 

„Lazar, Du Haft mir gefagt, daß Du mic, liebſt wie einem 
Sohn, und Du liebſt mid gewiß; denn Du alter Mann haft 
Dir den Schlaf abgedarbt, Haft Nächte lang beforgt an meinen 
Lager getvacht, Haft Geduld und Nachſicht mit den daunen des 
Kranken gehabt, Haft Di gemüht, ein Dir fremdes Leben zu 
retten. Höre meine Bitte, thu' noch mehr an mir, rette mehr 
als mein Leben, rette meine Seligkeit l“ 

Mein Gott, gnädiger Herr!“ fiel der Diener ein, „was 
iſt Euch? Kömmt das böfe Fieber wieder? Ober laſtet Gram 
anf Eurem Herzen und bedürft Ihr des Troſtes eines Prieftere? 
Soll ich der Hohen Herrſchaft“ — 

„Nichts von alle dem!“ — unterbrach ihn der Ritter — 
„Du allein folft mein Priefter, mein Retter, mein Befreier fein. 
IH muß fort von hier — frage nicht warum; aber ih will 
Deine Knie umllommern und Dich fo lange anflehen, bis Du 
es mir gewährft. — Ich muß fort; Iaf mid) fliehen, mod) in 
tommender Naht! Schaf mir ein Roß und eine andere Tracht 
— bier ift Geld. Aber fein Wort komme über Deine Lippen, 
willſt Du mich nicht grenzenlos elend machen !“ 

„Nein, hoher Herr,“ antwortete Lazar,“ das geht nicht fo 
an. Ohne Erlaubniß des Burgheren darf und Lan id) das nicht. 
Und warum wollt Ihr nicht bleiben? Ober warum wollt Ihr 
nicht wenigſtens Abſchied nehmen? Liebt man Euch doch Bier 
wie einen Sohn des Haufes! Wenn ich unten fo bei Seite lau⸗ 
ſche, if} immer die Rede von End, und jedes Wort ift Eures 
Lobes voll. Wehe mir, wenn ich das .thäte! Was würde bie 
Herrihaft von mir benfen? Welde Strafe würde ich erdulden 

Herloßfobn: Der legte Taborit. I. 14 


210 


müffen? Noch feid Ihr zudem frauf; kaum Könnt Ihr Euch auf 
dem Roffe Halten. Wenn nun das Fieber wieberfäme und Ihr 
wäret allein, ohne Begleitung, ohne Hilfreiche Hand. im freien? 
Der Burgherr fagte noch vor wenig Tagen: Lazar, fagte er, 
"wenn Dir Dein Glüd und meine Gnade lieb if, fo verfäume 
nichts in der Pflege des fremden Ritters. Behandle ihn fo, ale 
wär’ er mein Sohn. Das fagte er. Und id follte jetzt biefem 
felben Nitter behilflich fein, heimlich zu fliehen, und dadurch 
Trauer über. diefes edle Haus bringen ?“ 

„Mein alter freund, mein Wohlthäter,“ flehte Vratislav, 
höre mich! Rettet mich Deine Hand nicht, fo bin ich verloren! 
Ein ſchreckliches Geheimnig wohnt in dieſer Bruſt. — Bin ih 
noch länger in biefem Schloffe, fo ift mein Leben, das Leben 
Deines Gebieters gefährdet. Ich lan, beim ewigen Gott! nicht 
bleiben und kanu wicht Abſchied nehmen; mein Herz müßte ja 
brechen. Die Zukunft wird es lehren, daß ich fliehen mußte; 
Du wirft mir es felbft Dank wiflen, daß id Did; bewogen, 
Schreclliches zu verhüten. Du kennſt mid nicht; aber Du liebſt 
mid, dennoch. Glaubft Du, ich könne undankbar fein ohne Roth? 
Glaubft Du, diefe ſchreclliche Angft würde meine Bruft ohne 
Grund erfüllen? Bin ic doch Hier gehegt und gepflegt wie ein 
Glied der Familie! — Warum follte ich aljo fliehen, wenn nidt 
ein ſchrecliches Ereigniß im Hintergrunde wäre, dem id; entgehen, 
das ich vermeiden will? Zwingſt Du mich zu bleiben, fo tödteft 
Du mid. — Ic habe bier feine Seele, ber ich mid anvertrauen 
Lönnte, als Dig. Stoß Du mid nit von Dir — hilf einem 
Unglädlihen, ber auf der weiten Welt feinen Verwandten unb 
jegt auch feinen Freund zur Seite Hat! Ich ſpreche nicht im 
Fieberwahn — ich bin bei Marer, Heller Befinnung — id bin 
gefund und Träftig genug, ein Roß zu befteigen. — Haft Du 
vergeffen, in weldem Zuftande id im dieſes Schloß kam? Nein! 
Du Haft den ferbenden, bleichen Mann geſehen. Bin ih es 


211 


ohne Noth geworden? Muß bier nicht ein bintiges Geheimniß 
zum Grunde liegen Pr 

„Ih Habe es zwar ſchon bedacht,“ warf Lazar ein, „daß 
mit Euch etwas Abfonderliches vorgefallen fein muß, als fie Cuch 
mit der Kopfwunde braten. Aber bier feid Ihr fiher und 
wohl aufgehoben; mein Herr läßt ‚eher das Leben, als daß er 
Eud Euren etwaigen Berfolgern auslieferte. Deshalb aljo braucht 
Ihr nicht zu fliehen, und habt Ihr etwas auf dem Herzen, fo 
entdedt Euch dem Herrn von Neuhaus; er ift ein edler Mann, 
viel geprüft und erfahren, der in jedem ſchwierigen Galle Rath 
weiß.” 

„Willſt Du mid raſend machen, alter Mann?“ fiel Bra- 
tislav heftig ein; rührt Dich meine Seelenangft nicht? Hatteſt 
Du dod mit dem Todten Mitleid und erbarmft Di des Le— 
benden nit? Noch einmal beſchwöre ih Did, ſchaff mir ein 
Roß und Kleider, laß mic heimlich entfliehen! Wald kehre ich 
vielleicht wieder und bdanf es Dir mit taufend heißen Zähren.“ 

„Ia, wenn ih wüßte, daß Ihr wiederfämet,“ erwog ber 
Alte, „und die Herrichaft wieder gutmachtet, fo könnt' ich's Euch 
doch verſprechen, obgleich es ſchlecht von mir gehandelt if, meine 
Gebieter zu täuſchen unb zu betrüben.“ 

« „Sie werden Dir nicht zürnen,“ beſchwichtigte VBratislav, 
wenn fie erft mein Geheimnig kennen; fie werden es billigen, 
daß ich ohne Abſchied gegangen bin, und dereinft mid) verföhnt 
wieder empfangen. Zaudre nicht, guter Greis! Hier nimm bie 
Hälfte meines Geldes und ſchaff' mir ein Roß zur Stelle. — 
Am Ausgange ber Burg, bei jenem Erlenbuſche Harrft Du morgen 
Nachts mein, wenn «6 zwölf Uhr fehlägt. — Ich Tomme und 
fgeide von Dir mit einem Herzen vol Dank und dem feflen 
Willen, Dir einmal zu vergelten! — Widerfprid nicht, Halte mich 
nicht auf durch Zweifel und Beforgniß! Schweig um Gotteswillen ! 
— fonft find wir Alle elend.“ 

14* 


212 


Mein edler Here!” fagte jet ber Alte und trodnete ſich 
die Augen, „es muß in ber That etwas GSeltfames im Hinter 
grunde fein, weil Ihr Euch fo Angftlih und betrübt geberbet. 
Bei Gott! ih ſeh' Euch ungern ſcheiden; mir fällt es gerabe 
fo aufs Herz, wie damals, als vor vielen Jahren mein einziger 
Sohn mit den Huffitenkriegern davonzog. Ich bat und flehte; 
er ließ ſich aber nicht Halten. Er ging — ich habe nie wieder 
etwas von ihm gehört. — Gerade fo ift mir jegt zu Muthe. 
Doch ich jehe ſchon — ih muß Euch doch gehorchen — id kaun 
nit länger wiberfireben. — Es ſei! — Alfo morgen Nachts 
zwölf Uhr wollt Ihr reifen? Ich werd’ Euch einen Schlüffel 
bringen, ber bier die ganze Reihe Gemäcer aufſchließt. Das 
legte führt zu einer offenen Treppe, die in ben Garten hinab» 
geht. — Ihr kennt den Weg zum Geitenpförtlin — bort harı’ 
ih Euer. Bei dem Uebrigen wird Gott walten. — Alſo heut’ 
ſchlummert Ihr zum legten Male in biefem Gemache? Ih 
werde mic) recht einfam fühlen, wenn Ihr erſt fort ſeid. Mie 
Ihr noch hier fchlieft, da hatte ich an Euch zu denken ; ich forgte 
immer, daß Euch nichts Trauriges widerfahre, und bie Sorge 
machte mir freude. — Das ift nun aud vorüber! Ich dachte 
mir's heimlich fhon fo aus — Ihr würdet nämlich hier bleiben, 
würdet ber Gatte bes Fräuleins werden, und freude und Luft 
ſollte wieber Herrfchen in dem betrübten Haufe.“ — 


„O ſchweig davon!“ bat Vratislav; „mehre nit meinen 
Kummer, ſprich nicht vom dem Undenfbaren! — Denke daran, 
mir fier und beftimmt zu Helfen.“ 

„Ich will es ja, Herr!“ verfegte Lazar, „weil es ſchon ein- 
mal fo fein muß, Am Pförtlein erwart ich Euch mit einem 
gesäumten Roſſe und gefeite Euch eine Strece weit, bis auf die 
Straße, bie gen Melnit führt.“ 

„Ganz recht!“ fiel Vratislav ein, „nah Melnit muß id 


213 


vorerſt; doch verfchweig’ es, damit Niemand meiner Spur folge. 
— Schlaf wohl und bete für mid, daß Alles wohl gelinge 1“ 

„Der Heiland behüte Euch!“ erwieberte ber Diener und 
entfernte ſich. 

Bratislav war dem ganzen Tag, Unwohlſein vorſchützend, 
anf feinem Gemache geblieben. — Die Mitternahteftunde näherte 
fid — der Himmel war umſchleiert — nur Bier und da fah 
ein matt leuchtender Stern durch ſchwerhinziehendes Gewölt her- 
vor. Die Wade machte durch den Hof bie Runde; ihr Fußtritt 
irete auf den Gteinplatten. Sonft war Alles ruhig — fein 
Harfenfpiel tönte herauf. Sie ſchienen ſchon in den Armen des 
Schlafes zu liegen. Bratislav hüllte fich im feine Kleider, befte- 
hend ans einem braunen Wamms und großen, ſchwarzen Hute. 
Er nahm den Schlüffel, verbarg den Reſt des Goldes im feiner 
Taſche und brach auf. 

Noch einmal überblicte er das traute Gemach, fein Schmer- 
zenslager, wo ihn Träume gepeinigt und erfreut, biefe Wände, 
welche feine klagende Rede belauſcht, und fagte ihnen mit gepreh- 
tem Herzen Lebewohl. Er öffnete ſachte bie Ihre und ſchlich 
auf ben Zehen durch das Gemach zur nädften. Ein matter 
Schein aus dem enfler des Wartthurmes fiel in den Saal, 
durch melden jet Vratislav wandelte. Gein Auge erblidte im 
büftern Umriffen Bilder an ben Wänden. Es war der Ahnenfaal. 
Ueber einem Bilde, es war das Conterfei einer ran, hing ein 
ſchwarzer Schleier; aber die Züge Tonnte er nicht erkeunen in 
ber Dämmerung. Ein Gedanke durchblitzte ihn. „Meine Mutter!” 
rief er Teife und ſank in bie Knie vor bem Bilde, „gewiß meine 
Mutter! Ih fühl es an der Ahnung, die mein Herz beſchleicht. 
— O fegne mid, meine Mutter, zu der neuen Irrfahrt, leite 
Dein Kind durch die Gefahren, fei ihm ein milder Stern in 
fürmifcher Nacht, ungelannte, Heißgefiebte Mutter!“ 

Es ſchlug zwölf vom Thurme. — Der Ton durchſchauerte 


214 


ihn; er fprang auf, öffnete die nächſte Thüre, durchſchritt das 
Gemach nnd gelangte fo bis an das legte Zimmer. Angfbe- 
Hommen, mit hodfopfendem Buſen drehte er den Schlüfſel im 
Schloffe und öffnete. — Heller Glanz umgab ihn — feine Sinne 
wollten ſchwinden. Neuhaus vertrat ihm den Weg; an feiner 
Seite ftanden Lidmila und die Dame von Falkenberg. 

Bratislav fand vernichtet fill. 

„Alſo wirklich if’e, mas ich nit glauben konnte?“ rief 
Neuhaus und ſah dem Bebenden feft in's Antlig. 

„Razar — Lazar, Du haft mid verrathen!“ ſprach Brati- 
ſlav mit zitternder Stimme. „Heiliger Gott, warum dieſes letzte 
Schrecliche ꝰ 

„Gut, daß er's that!“ verſetzte Neuhaus ernſt, doch ohne 
Bitterteit. „Dem Gaſte ziemt ein Abſchiedewort. — Wolltet Ihr 
es Euch auch erſparen, fo konnten wir's doch nicht, weil wir die 
Sitte ehren, die dem Menſchen heilig if.“ 

„D fragt mid) nicht, um Gotteswillen nicht!” flehte Brati- 
flav und verhülfte fein Anttig. 

„Ihr flieht nicht!“ baten cinftimmig die Frauen! „Ihr 
bleibt bei uns — noch feid Ihr ja krant, und Sicherheit und 
Rettung kann Euch nur hier werden.“ 

„Ich verbürge mein Leben für das Eure, junger Mann,“ 
ſprach Neuhaus; „genügt Euch dies Wort?“ 

„Rein, nein!“ wehllagte Bratislav, „um Gottes Barmher- 
zigfeit willen laßt mich ziehen! Noch kam das ſchredliche Wort 
nicht über meine Lippen, das Euch erbleihen macht. Laßt mich! 
— Ihr habt mein Gehen nicht zu bemeinen, wohl aber mein 
Bleiben, mein Wiederfommen. Wit Ihr, wen Ihr beherbergt? 
Einen jungen Tiger in gleißneriſcher Tracht, der nad Eurem 
Beute lechzt. Laßt feine Wuth nicht ausbrechen, reizt ihm nicht! 
Ja — verfludt die treue Sitte des Gaſtrechtes, die mich Euch 
zugeführt, taufendmal, und Ihr thut vecht daran. O fähet Ihr 


215 


mid in meiner eigenen Geſtalt, Ihr würdet Wehe über mid, 
über End) rufen. Glaubt Ihr, die Art des Scheidens fei füß 
für mid? Nein! mir ziemt es, wie ein Dieb zw ſcheiden.“ 

„Ihr feib noch krank.“ ſprach jeht Frau von altenberg 
und ergriff feine Hand; „Euer Zuftand betrübt uns. Wir Haben 
Euch geliebt wie einen Sohn umfers Haufes. Unfre Pflege Hat 
Euch dem Leben wiedergegeben. — Sollen wir uns nicht länger 
unfers Wirfens freuen ?" 

„Richt diefen rührenden, flehenden Ton!“ bat Bratislan; 
„nicht Ihr mögt zu mir fprechen. O Euch kann die Seele nicht 
widerſtreben, und das Herz muß fich blutend im zwei Hälften 
fpalten. Berlaugt nichts von mir, laßt mich gehen! Ihr werdet 
den Wunſch verfluchen, wenn ich ſpreche, wie Ihr wollt.“ 

„Sagt es frei Heraus,” forderte Neuhaus, „mas es auch 
immer fei. Unfer feierlich Wort darauf, daß wir Euer Geheimniß 
ehren! Habt Ihr das Schlimmfte uns doch ſchon vertraut, was . 
Ener Leben gefährdet; Gin Größeres kann's nicht geben. Was 
treibt Euch heimlich fort von hier, wie Einen, der fein gutes 
Gewiffen hat? Dann mögt Ihr ziehen, wenn wir's erwogen 
haben, daß es Euch frommt. Wir haben ein Recht auf Euch 
und Ihr eine Pfliht gegen uns: die Danfbarteit. Dies läßt 
mid) fordern, wo Bitten nicht Hilft.” 

„O ſprecht, Ritter,“ ſtimmte die Dame von Falkenberg ein, 
„ir Tonnen Euch nicht Iaffen; denn Ihr ſcheint uns ein Fieber 
kranker zu fein.” 

„Nein, nein!” rief Vratislav. — „Beim ewigen Gott! ich 
fehe Hell genug, um am erfennen, daß dieſe Stunde mit Blut 
enden muß ober mit ſchrecklicher Betrübniß. Laßt mic fort! Das 
Wort Tiegt wie ein ſchlummernder Löwe auf der Zunge. Wedt 
ihm nicht; er zerfleiſcht Euch.“ 

„Wedt felbft biefen Löwen!“ gebot herriſch der von Neu 
haus; „mein Schwert hier wehrt Cuch den Ausgang. Ihr fhän- 


216 


bet mein Haus umb feinen Frieden durch Eure heimliche Flucht. 
Die Scqhmach erduld' ich mit! Ihr feib ein unglüdtiher Ge- 
achteter; ich hab’ Euch Schutz verfproden. Kein Mund foll fa 
gen, ich habe Verrath beſchloſſen mit End, habe mein Mort 
gebroßen, Habe Kuudſchafter gerufen, um Euch Euren Hentern 
zu übergeben! Redet — ich will es fo, und märe das Wort 
ein Verdammungsurtheil über mich, geiproden vom züruenben 
Weltenrichter 1" 

„Wollt Ihr es alfo? — Dann in bes Höllenrichters Na- 
men — wohl!” ſchrie Vratislav außer fi; „hört denn, Hört, 
und wenn Ihr nicht erbleicht, fo will ih mir den Stahl Bier 
felbft in die Bruft bohren! Ich bin Bratislav von Techtic, 
Eurer Schweſter Sohn, und der Sohn des Mannes, ben 
Ihr gefangen, um ihn den Henkern zu überliefern! Ich bin von 
feinen Rädern gefendet, Ener Blut für fein unſchuldig vergoffenes 

. Blut zu fordern. Lacht, Herr vom Neuhaus, jubelt — wehrt 
mir den Eingang; erft aber gebt mir den Mater wieder!“ Er 
ſtand aufrecht bei diefen Worten, das Haupt flolz gehoben, das 
Antlig geröthet, die Augen funkelnd. 

Mit einem. durchdringenden Schrei bes Entſetzeus fürzte 
die Dame von Falfenberg ohnmachtig nieber; weinend beugte ſich 
ibmila über fie. 

Neubaus fand vernichtet, das Schwert war feiner Hand 
entglitten — er Öffnete die Arme und lief fie mit den Morten: 
Wehe! Wehe! der Sohn meiner Schwefter!“ nieberfinten. 

„Der Euer Blut nimmt, bleibt er noch länger!” fiel Bra- 
tislav mit ſchrecklicher Kälte ein. 

„Fahrt wohl!" ſprach Vratislav mad einer Pauſe vol 
ſchredlicher Stille; „doch leiht mir Euer Schwert erſt — ih bin 
waffenlos, nehmt mein’s dafür, das id Euch zurüdiaffe. Fordre 
ich einft mit ihm Euer Leben, fo erkennt Ihr vielleicht den eige- 
neu Stahl, mit dem Ihr den Vater befiegt I” 


217 


Er ſchritt nach diefen Worten ftolz durch das Gemad bie 
Treppe in den Garten hinab. Hinter ihm verharrte die Gruppe 
bewegungslos. Kaum gemahrte aber Lidmila feine Entfernung, 
fo fprang fie auf, Mürzte fort, ihm nad. 

Ihr Gewand flatterte in der Rachtluft, ſie flog durch die 
Gänge; nahe am Weiher erreichte fie ihn und umfchlang ihn 
wie rafend mit beiden Armen. „Bleib — bleib! Um Gottes- 
willen bleib, Vratislav!“ rief fie flodend und mit athemlofer 
Bruft. „IH Habe mod zu feinem Manne gefieht; ich flehe zu 
Dir. IH will Deine Knie umklammern, ich will Deinen Tritt 
dulden, ich will fanft fein wie ein bettelndes Weib. Ich geſtehe 
Dir, was id) nod) Keinem geftanden. Ich liebe Dich, Vratislav, 
ich liebe Di) mehr als meine Seele, als meinen Gott, mehr 
ale meine Seligfeit. Da Du biiebft, konnte ich ſchweigen; jet, 
wo Du fheiden willſt, ift mein Stolz gebrochen. Ich kann ohne 
Did) nicht leben — ic folge Dir in die weite Welt. Ich liebe 
Did mit aller Gewalt meiner Träftigen Seele — ich will Deine 
Dienerin fein, zu Deinen Füßen will ich effen, an Deiner 
Schwelle mein Lager aufſchlagen. Verlaß mich nit! Meine 
Xiebe ift eine Löwin — fle wird Dich ermürgen, wenn Du ihr 
wiberfireb. — Ic fan nicht mehr!“ 

Sie umſchlang bei diefen Worten feinen Hals und brüdte 
brennende Küffe auf feinen Mund; ihre Locken umflatterten feine 
Bangen, ihr Bufen pochte gewaltig an feiner Bruſt. 

„Unglüdtiges Mädden!“ verfegte er mit fürchterlicher Kälte, 
„hof Du gehört, daß zwiſchen Todfeinden, welche nur Blut ſehen 
wollen, Ehen gefchloffen werben? Soll id; auf dem Grabhügel 
meines ermordeten Waters, defien Arm daraus hervorragt und 
mich zur Made mahnt, mein Beilager feiern? Weine Dich aus, 
geh’ in Deine Zelle. Laß den Mann feine Bahn verfolgen; Du 
biſt dod nur ein Weib!" 

„9a, id bin ein Weib,“ vief fie aufer fi, „ein liebendes 


218 


Weib, ein raſendes Weib! Ich will nur ein Weib fein. Ich 
will Dich verfenten in ein Meer von Liebe. Mein Leben fer 
ein ewiges Lächeln, jedes meiner Worte ein Kuß, mein Bufen 
fei Dein Pfühl, mein Ange Dein Himmel, meine Nächte feien. 
ein fletes Wachen, nur Dir geweiht, und mein Leben Dein 
Anblick!“ 

Und böteſt Du mir eine Königskrone,“ verſetzte Vratislav 
und ſuchte ſich loszuwinden, „und wohnte bie Seligkeit des Him- 
wel in Deinen Armen, ic fönnte dennoch nicht der, Deinige 
werden. ine breite Kluft trennt uns, angefüllt mit Blut. 
Nähere Dih nicht dem Rande, damit Du Dein ſchneeweißes 
Gewand, Deine zarte Haut damit nicht befledeft !“ 

„D Du weißt nit, Du kalter, herzloſer Menſch,“ fiel fie 
ein und prefte ihm Beftiger an fi, „was Siebe if, und wie 
ein Weib lieben kann! Alle Schmach, allen Hohn will id von 
Dir ertragen, will meinen Stolz in den Staub treten, wie ih 
ihn jetzt ſchon gebengt habe, will mehr eine Dienerin fein, ale 
Deine Gattin; nur werde mein! Was ift mir aller Glanz, aller 
Ruhm der Erde, von dem ich thöricht träumte, ohne Deinen 
Beſitz? — IH will wieder gutmaden an Dir, was mein Oheim 
an Deinem Vater geſündigt; bie Liebe foll den Todten entfühnen, 
und feine Rache wird verftummen vor ihrem Götterworte! Nur 
liebe mich wieder, reiß Did) nit los vom mir, bieib! Leih" 
mir nur eine Hoffnung — nur einen Halm reiche der Sinkenden! 
Bin ich denn jo elend, fo verächtlich, fo entftellt an Leib und 
Geiſt, dag ich Di nicht rühre ſelbſt in der Ermiebrigung? O 
id) hätt’ dor kurzer Feift noch eher den Tod gewählt, als dieſen 
Play der Bettlerin an Deinem Herzen! — Id kann nicht leben 
ohne Dih — die Erde — die weite Welt, der Himmel ift mir 
Teer, nichtig, öde ohne Did, mein Vratislav! Stoß mi nicht 
zurüd, Du machſt mic grenzenlos elend! — Ja, id bin ein 
mannlich Weib! — Zweifelft Du nod an meinem ſtarken Sinn? 





219 


Riefengroß, wie kaum im eines Mannes Bruft if meine Leiden« 
ſchaft — erhöre fiel O bedenke, daß ih, jetzt verſtoßen, für 
eig Dich Haffen werde, daß dieſe Liebesglut in Zorneswuth fich 
verwandeln wird, daß dieſer Augenblid im Leben nie wiederkehrt, 
und daß fortan dieſe ſchmerzentſtellten Züge. Dir nie wieder 
lädeln werben, und kuieteſt Du auch Jahre lang zu meinen 
Füßen " 

Armes Mädchen!“ fagte er bebend, doch froſtig, „iene 
Schredensbotfhaft hat Dich erihüttert und Deinen Sinn bethört. 
Weil Du mich nicht erringen kannſt, willft Du mich befigen, 
ertrogen das Unerreichbare. Rieſengroß und bintgefärbt fieht das 
Schickſal zwiſchen uns, und mein Herz begehrt Deiner micht. 
Leb' wohl, beglüde einen Andern, fei fein treues Weib, gebär’ 
ihm Kinder und ſchaff ihnen ein befferes Los als Dir geworden! 
2eb’ wohl!“ 

„Vratislav!“ ſchrie fie jegt mit herzzerſchneidenden Tönen, 
„ſcheide nicht, bleib bei mir! &o Hat noch fein Meib geliebt, 
wie ich Die) liebe! Stößeft Du mich zurüd von Dir, fliehft 
Du wirktic) ohne Troß, ohne Hoffnung einer Gewährung, flieht 
das Wort der Liebe nicht von Deinen Lippen, fo nehmen mich 
dort die Fluthen des Weihers auf und begraben meinen Schmerz, 
meine Liebe, meine Schande!” 

„Stürze Dich im jene Fluthen, Holdes, ſchönes Weib!" ſprach 
er und wand ſich 108; „dann haft Du mid an Deinem Oheim 
gerät! Gr hat feinen Vater, feinen Sohn mehr, nur Dich, 
die er über Ales liebt. Ich Könnte Dich töbten, ich könnte ihm 
die ſchöne blutige Leiche hier zurücllaſſen als Abſchiedsgruß und 
Geſchenk; aber ich töbte fein Weib. Stürze Dih in den Ger; 
er wird feine Haare ausranfen und Thränen ohne Zahl meinen, 
und ich werde frohloden dabei !* 

& riß ſich 109; fie fant ohnmächtig nieder. Er eilte 
aus dem Garten. Lazar hielt vor dem Pförthen mit dem 


220 


Roffe. „Alſo wirtlich ?" fragte er erflannt; „ih war nicht darauf 
gefaßt.” 

„Schurkiſcher Verräther !“ donnerte ihn Vratislav an, indem 
er fih in den Sattel ſchwang, „geh' hinein in's Schloß und 
fieh’, welchen Feiertag Deine Geſchwätzigkeit bereitet! Sieh nad 
dem Weiher, und ſchwimmt Lidmila's Leiche darauf, fo bring’ 
ihr eine Thräne, die letzte Thräne, ſchmerzhaft und Bitter aus 
der wunden Bruft geweint. Wir fehen uns wieder, aber fürd- 
terlicher als jegt I 

Er fehte dem Roſſe die Sporen ein und jagte wie ber 
Sturmwind in die Ebene. Der Wind braufte, ſchwarze Wollen 
zogen am Himmel bin; der Ritter ſauſte wie raſend auf feinem 
Roffe hin, ſchwang das blanke Schwert in der Hand nnd fang 
ſchauerlich den Schluß eines alten Liedes in die Nacht Kinein, 
welches lautete: 


Bas ich liebe, kann ich nicht befigen; 
„Barum foll da Ieben, was ich haffe? 


Lidmila erhob fi nad einer Weile — er war fort — 
fie ſtarrte todtenbleih im die Finfterniß umher und fagte, ſich 
aufraffend, mit tonlofer Stimme: „Du Haft mid im meiner 
Schmach gefehen, Du ſollſt mich bewundern Iernen !” 

Sie ſchwankte nach dem Schloffe zurüd. Lazarus folgte 
ihr wehllagend. — 


28. U 
Am Fuße des Melniker Berges am hintern Thore lag 


damals eine Herberge, unanſehnlich von außen, räucherig von 
Innen. Bauern und Schiffer ſaßen in der engen Gaſtſtube bei 


221 


den Bierkrügen unter Gefpräh und rohem Gelächter. In ber 
Ede, dit beim Ofen, Hinter einem Meinen Tiſche befand fi 
noch ein Gaſt in fchlichter, aber dennoch vornehmerer Tracht, als 
feine Umgebung. Er Hatte das Haupt auf die Hand geftügt, 
fo daß fle fein Antlig bebedte; Speife und Trank rührte er 
nicht an, er ſchien ſchläfrig oder von Sorgen erfüllt und im 
Nachdenken verfunten. Anfangs fiel feine Erſcheinung auf; ale 
er fi aber nicht regte, fuhren die Uebrigen in ihrem Geſpräche 
fort, weiblid) dabei den Bierfrügen und Kannen qufprediend, oft 
auch mit der geballten Fauft auf den Tiſch ſchlagend, wie dies 
der Böhme im Cifer des Geſpräches gern zu thun pflegt. 

Na; einer Weile erhob der Fremdfing fein Haupt, uud 
man fah ein bleiches, büfteres, wenn glei männlich - ſchönes 
Antlig, auf deſſen Stirn eine friſche Narbe fenntlich war. Er 
wandte fi zu dem diden Wirth, der in feinem grünen Kittel 
in der Thüre ſtand und die Hände über dem Fettwauſt gefaltet 
hatte, und rief ihm zu: „Alter Herr!“ (dies nämlich ift ber 
Titel, womit man Brauherren und vornehme Wirthe zu beehren 
pflegt) „Habt Ihr den Boten nach Prag ſchon beforgt? IR er 
noch nit da? Gebt mir eine Feder, ein Stück Pergamen oder 
Papier — id) will den Brief ſchreiben, den er beftellen fol.“ 

Der Wirth drehte fi langfam wie ein Faß um, blingelte 
aus den Heinen, grauen Augen, welde Hinter den Hügeln ber 
fetten Baden hervorgudten, den Gaſt an und antwortete: „Ja, 
Herel er if beftellt — wird gleich Hier fein; ein bloder, 
‚aber linker Burſche. Er madt den Weg von Bier nach Prag 
A ſechs Stunden, ift alfo Heut um neun Uhr noch dort. — 

men und Papier aber Babe ich nicht; ’s ift ein rares Ding 

— Bill mal fehen.“ 

langte nad biefen Werten auf das Sims neben ber 
z ud holte eine böhmifche, große Bibel herab. Aus biefer 
riß 8 letzte Blatt, welches nur anf einer Seite halb bedrudt 








. 


222 


war, und reichte es bem Ritter nebſt einer ſtumpfen Feder hin. 
— Diefer ſchidte fi am zu fchreiben. 

Da trat plöplih ein großer, langer Mann im groben Rit- 
tel, eine lange Peitſche um dem Leib gewunben, einen breitge- 
trämpten Hut anf dem rothhaarigen Kopfe und eijenbeichlagene 
Schuhe an den Beinen, gemädhlih und wie befaunt zur Thüre 
herein. Alle fuhren auf, als fie ihn fahen, und bewilllommten 
ihn; nur Bratislav, der in feinen Schreiben vertieft war, ber 
merkte ihn nicht. 

„Ei, Bäclav!“ riefen Wirth und Gäfte einftimmig, „wieder 
da? Schön gegrüßt! Gelobt fei Jeſus Ehriftus! Wo mart 
Ihr fo lange? Wir haben Euch ſchon früher erwartet.” 

Der fremde Mann ſchüttelte Allen die Hand, jegte fi 
mieber, nahm den angebotenen Bierfrug an den Mund und ant- 
wortete mit gleichgültiger Miene und anmaßendem Zone, indem 
er fih auf beide @lenbogen fügte: „Ja, da bin id) wieder. 
Bar in Prag, Hab’ dann einen Umweg über Schlan, Budin, 
Lobofic und Leitmerie gemacht, mir die Welt beſehen und mit 
Vieh gehandelt, oder eigenlich bioß mit Bieh gehandelt und bie 
Welt gar nit angefehen; bemn. das Vieh geht mir über die 
Menſchen. Das Bieh ift gut, läßt fi verfaufen und ſchlachten. 
— Die Menfhen find falſch und betrügen. Nun, wo id’s fann, 
thu' ich s auch.“ 

„Haha!“ lachte die Tiſchgenoſſenſchaft; „immer noch der 
Alte, voll Schwänte und guter Einfälle!“ 

Freilich!“ fuhr der Viehhändler fort und leerte cinen 
zweiten Krug, „wem ich nur der einzige Menſch auf der Üeitt 
wäre umb alles Uebrige Vieh, fo wär's ſchlimm für mein 
Handel. Es ift alſo für das Vieh doch recht gut, daß es Men- 
ſchen gibt.“ 

Nichts Neues?“ fragte der Wirth, indem er feinen Wanft, 
um auszuruhen, auf den Tiſch legte; „Ihr bringt uns doch immer 


223 


manderlei Nachricht. Was machen fie in Prag? Wie ſieht's 
auf dem Lande aus? Sprit man von Krieg? Sind fie mit 
dem König zufrieden? Vertragen fi die Papiften mit den 
Unfrigen ?_ Es it mohl theuer in der hohen Stadt?“ 

„Biel ragen auf einmal!” emtgegnete Väclav mürriſch; 
„Dein Maul ift ein Taubenſchlag; viel fliegt heraus, viel hinein. 
— Nun — und was fperrt Ihr die Mäuler auf, Ihr Hammel? 
Kaum bin id zw Athen gelommen, hab’ kaum meine Zunge 
genegt, fo fol ich fhon Eure Ohren vollftopjen mit Reuigleiten. 
— 3a, Gott ehr mir meinen Handel! Das Vieh bringt mid 
unter die Menden und lehrt mich die Welt kennen. Du ba” 
— er wies auf den Gegenüberfigenden und dann auf einen 
Zweiten — „bift ein Bauer, pflügft Dein Feld und fennft nichts 
weiter, als Dein Feld, meinft, hinter ihm höre die Welt auf — 
tennft alle feine Furchen, bleibft aber ein Schaftoph. Und Du 
bit ein Schiffer, ſchwimmſt immer mit Holz und Korn die Eibe 
hinauf, mußt aber auf der Eibe bleiben, g'rad fo wie fie läuft, 
tannſt nicht rechts und nit links. Da kommen Euch freilid die 
Neuigkeiten weder in dem Furchen, nod auf dem Waſſer entge- 
gengeflogen, Ich aber ziehe frei, durch die Welt in die Kreuz’ 
mb bie Duere. — Die Knechte treiben meine Ochſen vor mir 
Hin, das Vieh blödt und brüllt, und ich denke mir fo oft, ich 
fei ein König, die Ochſen meine Knechte und Untertanen. Ich 
verkaufe fic, jchlachte fie, ziehe ihnen das Fell vom Leibe, grad’ 
wie's ein König macht.“ 

Lautes Gelächter unterbrad ihn — er ſchien deſſen als 
eine Beifallsäußerung nicht zu achten uud fuhr fort: 

„Bon Prag wollt Ihr wiſſen? — Mit den Papiften und 
den Unfrigen geht's fo; der König ift immer mit dem Gtode 
dahinter wie bei den Hunden. Da müflen fie fih wohl ver- 
tragen. Mit dem König felbft find fie aud ſchon nicht mehr 
zufrieden; der Cine will das, der Andre jenes. Er follte ein 


224 


poor Taufend hängen laffen; dann Bielten fie die Mäuler. Auch 
von Krieg fpricht man, mit dem Ungarn, mit König Matthias, 
dem Schwiegerſohne unfers Georg. If das ein Bolt, die vor- 
nehmen Herren! Wegen eines Stüd Landes zankt der Vater mit 
dem Sohne, der Bruder mit dem Bruder, und führt blutigen 
Krieg. Wir müſſen den Budel dazu hergeben. 'S ift den letzten 
Tag, wo id in Prag war, auch etwas Trauriges begegnet unter 
Ebelleuten. Sie flritten fi in einem Garten, ein Böhme und 
ein Deutſcher; darauf zogen fie blank, und ber Böhme hat dem 
Deutſchen erſtochen. Das war ein Beillofer Lärm, vornehmlich 
darum, weil der König ganz menerlich den Tod darauf geſetzt 
bat, wenn fi Jemand von den Studenten in einen Zmeilampf 
einfäßt. Nun — ber Thäter entſpraug. 'S iſt ein Ritter vom 
Lande; Branik nannten fie ihn. Fünfzig Golbgulden Hat man 
auf feinen Kopf gefegt und Häſcher nad ihm ausgeſchickt. Der 
Deutſche wird wohl ſchon tobt fein; denn er ward gut getroffen.“ 

„Auch gut,“ meinte Einer der Schiffer, „daß es einen Deut⸗ 
ſchen getroffen Hat, uud daß der Böhme Sieger war!“ 

„Gleichviel,“ unterbrad; ihn Väclav mit Geringihägung, 
Bohme oder Deutfher! Wer erſchlagen if, dem femerzt fein 
Glied mehr, und wer erfchlagen hat, der muß Hängen ober ge- 
töpft werben. Ich wollt’, ich könnte bie fünfzig Goldgulben ver- 
dienen! Was iſt's aud Schade um einen Edelmann? Wir haben 
ihrer fo zu viel im Lande, und wenn fie fi recht brav in die 
Bände ſtechen, fol es mich freuen. Wie gefagt, bie fünfzig 
Goldoulden !" 

Für Vratislav, der no immer mit feinem Schreiben be» 
fhäftigt war, ging das Geſpräch größtentheils verloren. Er ſchloß 
jegt, blidte empor und rief nad dem Wirth. 

mdeiliges Himmelsdonnerwetter !“ fluchte jegt der Viehhänd- 
Ier, fprang auf und flarrte nad dem Fremdling Hinüber; „das 
Gelb ift verdient und ber da drüben ift der Mörder, oder meine 


Seele ſoll verbammt fein in Ewigkeit! Ich war ſelbſt im Garten, 
wo ich dem Wirth Ochſen verkauft habe; ich Hab’ ihn ja gefehen 
— und bie Narbe auf der Stirne, wo ihn der Deutſche rigte 
— Heide, Bogel, Ihr feid gefangen! Huſſah hoch! das ift ein 
prãchtig Wild!" 

Jetzt erſt ahnte Vratislav den Zufammenhang und fah, daf 
er entdedt war. — Er ſchob raſch entichloffen den Tiſch vor ſich 
bin, Remmte fih an die Mauer und ſchwang fein Schwert und 
rief: „Wer mir nahe kommt von Euch, Ihr Schurken, if des 
Todes! Gefegt, ih wäre der, den ihr meint, wäre es denn ehr- 
fi, mid zu verrathen für fEnöden Sundenlohn, wie Judas 
gethan? Seid Ihr Böhmen, feid Ihr Huffiten, daß Ihr Euch 
ſchlagt auf die Seite des Deutſchen, des Papiften, der mid; und 
mein Volt und unfern Glauben geſchmäht und nur verdienten 
Lohn von mir erhielt? — Noch einmal! Wer mich berührt, bem 
geht es mie jenem Deutfchen! Hier find fünfzehn Goldſtüce — 
theilt fie unter Euch — es if} meine ganze Baarfhaft. Laßt 
mich aber ziehen und hindert meine Reife nicht. Iſt's nicht ge- 
ung, fo ſchafft mir einen fihern Ort, wo id; mich verbergen 
tann. Ich fende nad Prag; der Bote fol Euch ein reicheres 
öfegelb bringen.“ 

„Was da!“ höhnte der Biehhändler und ſchob feinen Tiſch 
bei Seite; „fünfsig find beffer, als fünfgehm, und ber König zahlt 
ſicherer, al8 ein Junker. Und glaubt Ihr Herrlein nicht, daß es 
uns wohlthut, auch einen Ritter einmal unterzufriegen, ihn ein 
biegen zu quälen und zu treten, da Ihr Herren vom Stande 
uns Jahr ein Jahr aus findet und mißhandelt? Ihr follt den 
Galgen zieren; es ift hübſch, daß auch einmal ein Edelmann ge» 
bangen wird. Man fönnt' fonft glauben, der Galgen wär’ nur 
einzig umd allein für die geringen Leute. — Drauf und dran! 
— 34) farcht mid vor feinem tollen Stier — wird mich, das 
Meflerlein in Eurer Hand aud nicht abfchreden. den mir, 

Herloßfohn: Der lehte Zaborit. I. 


226 


Freunde und Gevattern, — ich theile den goldenen Lohn mit 
Eu — 

Er warf nach dieſen Worten feinen Tiſch um und wollte 
anter dem Vratislav's durchtriechen, um dem Siebe auszuweichen 
und den Ritter fo von unten zw werfen; aber ein Bierkrug, 
welcher, von einem Schiffer gefchlendert, au Vratislav's Kopf 
flog, betäubte diefen. Er fan; feiner Hand entfiel das Schwert. 

Zubelnd warf fi) die Rotte über ihm; der Biehhändler 
loſte feine Peitſche von den Hüften umd ſchnürte des Gefangenen 
Hände damit zufammen. 

„gebt fein Pferd aus dem Stalle,“ gebot der Biehhändler, 
„und meine vier Roſſe vor, bie draußen auf der Meide find! 
Bier von Euch begleiten mid — nehmt Senſen und Dreſchflegel 
— mir treiben ihm noch Heut in die Stadt — kommen mit 
Gold zurüd, und es gibt eine Iuftige Zeche Hier. Heibil wir 
bringen einen ſchönen, Iebendigen Hafen auf die Burg zum Hen- 
kersmahle.“ 

Bratislav erholte ſich, er ſchlug die Augen auf — ringsum 
war fein Mitleid, keine Theilnahme in den rohen Zügen zu le— 
fen. Er fühlte es, daß er rettungslos verloren fei. Noch einmal 
wandte er fi an ben Wirth, der wenigſtens gleihgültig und 
nit raubluſtig drein ſah, und fagte: „Sprich Du für mic, 
deffen @aft ich war. — Ih gelobe Euch Wlen zehnfachen Lohn, 
gebt Ihr mid frei.“ 

„Das geht nicht, Herrlein,“ tröftete der Wirth; „wenn. 
man’s erführe, daß wir Euch bier gehabt und Ianfen gelaffen — 
tämen wir Alle in harte Strafe, ih am meiften. Ergebt Euch 
vor der Hand in Euer Schidjal. — Ihr Habt gewiß vornehme 
Leute im Sand und bei Hofe, die Euch helfen werben. Es muß 
arg fein, wenn fie da oben einem voruehmen Herrn an ben 
Hals gehen. So fhlimm wird's nicht werden.” 


227 


„Vorwarts!“ gebot ber Biehhändler. — „Diesmal treib' 
id) ein gar foflbar Thier nad) der Stadt.“ 

Man hob draußen Vratislav anf fein Roß, bdeffen Zügel 
ein Anderer führte; die Uebrigen ſchwangen ſich bewaffnet gleich“ 
falls zu Pferde, und raſch ging es fort auf dem Wege gen Prag. 

In der Gegend von Loblovic tönte Infliges Hörnergefchmetter 
aus dem Walde, welcher fi; zu beiden Seiten der Straße hinzieht. 
Bratislav ſtarrte vernichtet mit dem Ausbrude ber Verzweiflung 
vor fi nieder. Wie meinende Ingenderinnerungen zogen bie 
Hörnerflänge durch feine Bruſt. Der Ausruf eines feiner Be- 
gleiter: „Dort biegt ein Jagdzug um die Edel“ ſcheuchte ihn 
auf aus feinem Hinbrüten. Er fandte ben Pfeil feines Falfen- 
auges in bie Ferne und ſchauderte bebenb zufammen auf dem 
Rofie. Es war Lidmila im Gefolge ſechs prunkender Zäger, 
alle zu Pierde, fie im grünen Gewande mit der wallenden Feder, 
den Jagbfpieß im der Hand, ein filbernes Horm an der Hüfte, 
Sie ſah bleih und verftört aus. Bebend hoffte ber Ritter, fie 
würde quer über die Straße nad dem andern Waldtheile ziehen, 
und er fenfe darum fein Haupt, um nicht erkannt zu werben, 
unb erwartete zitterud den Erfolg. Jetzt aber lenkte fie das 
Roß um und fprengte mit ihrem Gefolge dem Buge des Ge- 
fangenen gerade entgegen. 

„So foll fie mich nicht wieber ſehen!“ vief er angfigepreßt 
und wandte fid zu Vaclav feinem Peiniger, indem er ihm zuſchrie: 
aß die Roffe umlenten! Flieht mit mir! Die dort kommen, 
befreien mich! — Ihr feid alle des Todes!“ 

„Thörichtes Geſchwätz!“ höhnte Vaclav und ergriff an der 
andern Seite ben Zügel von Bratislav’s Roffe; „wir werden 
ihnen ſchon fagen, welden Vogel wir gefangen haben. Das 
Herlein ſchämt fi wohl, in ſolchem Zuftand und unter folder 
Leibwache ſich · vor einer edlen Jungfrau zu zeigen? Nur vor- 
wärts, Genoffen!“ 

16* 


Bichhändier am Obererme. Auf ihera Wint griffen die Jäger 
mit igeen Giridfängern bes Gefinbel au, unb wie fih bieie and 
mit Gaben uud Ylegeln wehrten, fo wurden fir bed baib äber- 
wältigt uud in bie Findt geiprengt. 

&bmils bintele an der Wange. — Sie jerichnitt mit ihren 


„Ihr feib frei — flieht und haßt mid, ferner noch!“ 
mit 


Straße gegen Prag hinab. — 

Sie flarrte ihm lange bleich nud zitternd nach; fie prefte 
ihre Finger auf die Wunde, aus welder vothe Perlen herab- 
fielen, und fenfzte leiſe: „Er Tiebt mich deunoch!“ Dann wandte 
fte fi zu ihrem Gefolge, dem ber ganze Auftritt wie eine Wun ⸗ 
dererfeinung vorgelommen war und jegt erft Har wurde, und 
gebot: — „Vorwärts — die Straße Binauf! Verfolgen wir 
die Feinde, damit der Befreite einen Borfprung gewinne!" Sie 
ſetzten fi beim Lange der Hörner in Xrab und fprengten 
zwiſchen friſchen Waldesihatten fort, wohin Bäclav mit feinen 
ſchurtiſchen Genofſen entflohen war. —. 


am 


An demfelben Wirthshauſe, wo Vratislav gefangen worden 
wear, hielt am folgenden Tage Milada mit Sukol und 
igrem Gefolge. Der Knappe ſtieg ab und ging nad} der Thüre, 
um Woffer und Heu für die Roffe zu verlangen und bei biefer 
Gelegenheit Erkundigungen einzuziehen. 

Er fließ mit dem Fuße die Thüre, deren ganze Breite er 
einnahm, krachend ein, daß fie den Wirth, weicher eben geſchäftig 
fi Herauswälzen wollte, vor den Wanft ſchlug und diefer brei 
Schritte mit einem Wehſchrei zurädtaumelte. 

„Was ift das Hier,“ bonnerte er, „für eine ſchurkiſche Diebs · 
tneipe, wo der Wirth eim ſcheuer Hund, der nicht feine Pforte 
öffnet und Heraustritt, wenn hohe Bäfte nahen ?" 

Die ganze Verſammlung — es war die Genoffenfchart 
Bäclav’s vom vorigen Tage umb erzählte fi von dem Begeb - 
niffe und den Wunden und Brauſchen, welche ihnen bie Jäger 
geſchlagen — fah ben milden Gaft erflaunt an. Der Wirth 
aber faßte fi, eilte neben Sukol zu Thüre hinaus nnd fragte 
die Dame nad ihren Befehlen. 

Sulol ließ inzwifchen fein grelles Auge über die Ber- 
ſammlung ftreifen, dann fragte er gebieterifh: „Seid Ihr von 
Hier ober fremb 2" 

„Bon bier!" antwortete Vaclav mürrifh im Namen ber 
Uebrigen. 

„Dabt Ihr,“ forſchte Sukol weiter, „nicht in dieſen Tagen 
einen Ritter geſehen, der fremd in dieſer Gegend iſt, ein ſchöner 
Mann, doch ſehr blaß von Geſicht und irre ich nicht, eine Wunde 
auf der Stirne 7 J 

„Hol' uns der Teufel!“ ſchrie Vaelav und ſchlug mit der 
gealten Fauft auf die Tafel — „freilich Haben wir ihn geſehen. 


230 


Meine fünf Ochſen gäb’ ih d’rum, wär er noch im zmeinen 
Klauen. — Ihr verfolgt ihn wohl auch 2“ 

„Wohin entfloh er? Wo hält er fi auf?“ fragte Sutol 

haſtig. 
„Zum Teufel iſt er!“ beſchied Vaclav, in dem noch ber 
Ingrimm über den mißlungenen Anſchlag tobte, „und mit ihm 
fünfzig Goldgulden. Hätten wir ihn frei fahren laſſen, fo Hatten 
wir dod fünfzehn, bie er uns anbot. — Ich erkannte in ihm 
denjelben, der den Edlen von Spanberg getöbtet, und weil fünfzig 
Goldgulden auf fein Haupt gefegt find, fo faßten wir ihm Hier, 
banden ihm die Hände und fchleppten ihm gegen Prag. Hinter 
Lobkovie überfiel uns ein Fräulein — ober war's der Teufel? 
— mit. ihrem Jagdtroffe, machte ihm frei und ſchickte ung mit 
blutigen Schäbeln nad Haufe. Er floh gegen Prag. Wären 
wir nur mehr an der Zahl" — 

„So?“ höhnte Sukol und ſchlug die Arme über einander 
— „da Habt Ihr ganz vortrefflich gemacht, Ihr lieben Männer! 
Alſo entflohen ift er? Und die Dame Hat ihn Euch abgejagt? 
Und blutige Köpfe Habt Ihr nah Haufe gebraht? — Run, bie 
Mähr' if nicht übell — Erlaubt mir fpäter, Ihr guten Leute, 
noch ein Wort. — IH muß zu meiner Herrin hinaus.” 

Er ging vor das Haus, erzählte Milada'n leiſe, was er 
erfahren, und fagte dann, da die Roſſe bereits getränft waren: 
„Reitet nur eine Heine Strede voraus; id; habe da drinne mit 
den Ehrenmännern noch ein Meines Wort zu ſprechen.“ 

Er fehrte wieder zur Schenfe zurück. Der Wirth fragte 
ihn, ob er einen Krug Bier wünjche, und lobte deſſen Vortreff- 
lichteit. — 

Mein!" entgegnete Sutol, „ich will Euch ſelbſt etwas 
auftiſchen. Warſt Du, dicker Hecht, aud bei dem ange des 
Nitters mit 2" 

„Ei freilich entgegnete dieſer gefällig; „mir ſchien es 


2 


gleich rathſam, eine flärfere Begleitung mitzufenden; aber der 
Biehhändler Vaclav hier eilte fo fehr und ließ mich gar micht zu 
Worte kommen.“ 

„Bortrefflidh, vortrefffich 1" fuhr Sukol mit aufwallendem 
Grimme fort — „alfo ein Biehhändler? — freut mic die Ber 
tanntſchaft! — Wollte num auch einen Menfchen, einen Ritter 
verhandeln und auf bie Schlachtbank führen? Gut, fehr gut! 
Afo Ihr Ehrenmänner alle habt den Ritter gefangen genommen 
und verkaufen wollen. — O Ihr hartſchädeligen, bodenloſen 
Schurken, Ihr Iubaffe, Ihr Saducäer, Ihr gebornen Büttel und 
Schergen! Ihr verkauft, verrathet einen böhmiſchen Landsmann, 
einen echten Huffiten, weil er einen Deutſchen, einen Feind bes 
Landes geſchlagen? Und Ihr wollt gute Epriften fein, brave &e- 
hen, ehrliche Landsleute? Heißt dies das Gaftredit ehren, Heißt 
dies einem Umglüdtichen beifpringen, heißt dies einem Irrenden 
helfen? Gi, fo ſchlage dod Gottes Donnerwetter taufendmal auf 
Eure firupphaarigen Schädel und verfenge Eud die Ohren und 
das Hirn! — Ihr bodenlos ſchlechten, gewiſſenloſen, ſchamloſen, 
ſchaäbigen Gauner und Buſchklepper, Ihr räudigen Hunde Ihr, 
ohne Ehrlichkeit im Leibe! man fieht’s Euch an, daß Ihr herzloſe 
Schurken feid; denn Ihr ſeid Krämer und Schlächter — feid 
feine ehrbaren Kriegsknechte geweien und habt barum keine Grof- 
muth im Leibe. — Ich wil Eu 'was auftiichen, Ihr verfluchten 
Ratten, und Dir beſonders, Du rothaariger Spion und Berräther, 
Du brennender Weiler, leuchtender Kaltofen, faule Weide!” 

Gr tät bei diefen mit Wuth Hervorgebrülten Worten den 
Wirth, der mit offenem Munde flaunend und Tautlos vor ihm 
fand, vor den Wauft, daß diefer rüdwärts überftärzte, auf ben 
Tiſch fiel, ihn umſchlug und fo die Mebrigen, welhe ſich darauf 
gefügt Hatten, mit auf einen Haufen niederriß. Sulol ergriff 
einen dicken Prügel, welcher in der Ede lag, und begann jegt 
mit nerviger Fauft auf die Schädel, Arme und Beine ber fih 


22 

Durdeinauberwälzenben Ioßzubreichen, indem er dabei 

„Die Dame hat Euch mit Bintigen Schäden heimgeihidt — 
das tim’ ich nicht; aber bie Knochen muß ih End ma · 
gen und die harten, ſpitbabiſchen Sqchadel weich Hopfen! Da 
habt Ihr den Günbenlohn, Jeder fünfzig Golbfläde da, fe groß 
wie ein Ei, gelb und häbid) did und unvergeßlich, weil Ihr fie 
nicht ansgeben Eönnt, Ihr ſtinkenden Wafferratten, Ihr Marder 
und iedehopfe 

Und er fehlng. nebenbei noch Fußtritte anstheilend, unauf - 
horlich auf die Menſchen am Boden los, daß fie laut aufbrüllten 
und heulten, ſich unter und über einander wählten und, von ihm 
immer wieder niebergefchlagen, fi nicht erheben lonuten. 

Als ihm der Arım erlahmte und Heißer Schweiß von ber 
fchweren Arbeit von feiner Stirne rann, warf er ben Kmüttel 
in bie Ede und fagte: „Gehabt Euch wohl, werthe Herren und 
Freunde, trinft einen Krug auf meine Gefundheit, und weun ſich 
wieder ein Ritter meldet, fo laßt mir ihn ja nicht entfpringen, 
fonft kommt Ihr mm den baaren Lohn!“ 

Er ſchritt nad diefen vom einem Hohngeläcter begleiteten 
BVorten langſam und gemeffen zur Hütte hinaus, ſchwang fid 
auf fein Roß und fprengte dem Fräulein nad. 

Bei Milada angelangt, fagte er lachend: „Ich habe den 
guten, ehrlichen Lenten die Heilige Schrift ausgelegt — mo vom 
Judas und den dreißig Silberlingen die Rede if. Ob fie fih 
aber von ber Münze, die ich ihnen gab, Alle werden einen Strick 
faufen können, wie der Erzſchelm — weiß ih nit. — Jetzt 
aber,- gnäbiges Frautein — rof) nach Prag; dorthin bat der 
Nitter feinen Weg eingeſchlagen. Es ift hohe Zeit; denn fom- 
menden Sonntag ſchon nimmt der König das Abendmahl, und 
Micjätel hat ſicher bereits den Wein gewürzt. — Es ift gleid, 
ob wir den Ritter augenblicklich finden oder nicht. Für fein Leben 
amd feine Freiheit bürge ih; denn finden wir ihn, fo geht er 


zum König und fagt: Schente mir das Leben — ich ſchenle 
Dir's auf. Go und fo kredenzt man Dir den Kelch. — Und 
finden wir ihn nicht — fo trete ih vor und fage: Hollah! nicht 
getrunten — 's if Gift drin — Bängt die Schurken, ſchindet 
fiel — Willſt Du mid; befohnen, Herr und König, fo begnadige 
den Ritter; denn Deine Rettung ift eigentlich fein Wert! Ih 
erzäßle ihm dann Alles. — Seid froh, mein gnädiges Fräulein — 
die frohe Stunde ift nahe!" 

Bratislav kam in der Dämmerung an das Botieer Thor. 
Er Hatte, anf der Flucht fo umgeitig aufgehalten, beſchlofſen, an 
den Ort zurädzufehren, mo man ihn am wenigflen vermuthete. 
Er beſann fid) der Worte des Juden und beſchloß, bei ihm Zu- 
flucht zu ſfuchen. Was follte er weiter in's platte Land flichen, 
da ihm doch nirgends Gicjerheit gewährt war? Länger konnt‘ 
er aud) den Freund und feine Angehörigen nicht ohne Nagricht 
laſſen. Es. drängte ihn, von Spanberg's und in beffen folge 
von feinem Lofe Kunde zu erhalten. Er ſchloß fi einer Reihe 
Bagen, welche Waffen und Kriegsgeräthſchafien von Caslau nach 
dem Prager Zeughaufe brachten und von mehreren Reitern beglei- 
tet wurden, an und gelangte fo umentdedt zum Thore hinein. 
Im der Ghilingsgaffe gab er fein Pferd in eine Herberge umb 
ſchlich durch die dunkeln Straßen nad der Judenftadt, wo Abra- 
Ham wohnte; denn diefer befand fi damals zufällig bei feinem 
Better in Lieben, mit welchem er zuweilen Geſchäfte machte. — 
Als er durch einen Umweg von der Karpfengaffe nad dem Thore 
der Indenſtadi, welches des Nachts geſchloſſen und von Schar- 
mwächtern beſchatzt wurde, Kinfehritt, hörte er plögfich vor und 
neben fid) Getümmel und Geſchrei und gerieth in einen Auflanf. 
Scharwachter und Soldaten, Juden von jedem Alter und Ehri- 
fien drängten fi) auf einen Haufen. Es gab Stöße und Püffe; 
das Bolt ſchrie und ſchnatterte durch einander — ein junger 
Ehriftenbube meinte laut. — Bratislav ſchlich vorfihtig herbei 


224 


paar Taufend hängen laſſen; dann hielten fie die Mäuler. Auch 
von Krieg fpriht man, mit dem Ungarn, mit König Matthias, 
dem Schwiegerfohne unſers Georg. Iſt das ein Boll, bie vor- 
nehmen Herren! Wegen eines Stüd Landes zankt der Bater mit 
dem Sohne, der Bruder mit bem Bruder, und führt blutigen 
Krieg. Wir müfjen den Buckel dazu hergeben. 'S if den legten 
Zag, wo ich in Prag war, auch etwas XTrauriges begegnet unter 
Edelleuten. Sie ſtritten fi in einem Garten, ein Böhme und 
ein Deutſcher; daranf zogen fie blank, und der Böhme Hat den 
Deutſchen erſtochen. Das war ein Heillofer Lärm, vornehmlich 
darum, weil der König ganz neuerlich den Tod darauf geſetzt 
dat, wenn fi Jemand von den Studenten in einen Zweikampf 
einfäßt. Nun — ber Thäter entfprang. 'S ift ein Ritter vom 
Lande; Branik nannten fie ihn. Fünfzig Goldgulden hat man 
auf feinen Kopf gejegt und Häfcher nad) ihm ausgefchidt. Der 
Deutſche wird wohl ſchon tobt fein; denn er ward gut getroffen.“ 

„Auch gut,” meinte Einer der Schiffer, „da es einen Dent- 
ſchen getroffen hat, und daß der Böhme Sieger war!“ 

„Gleichviel,“ unterbrach) ihn Vaclav mit Geringihägung, 
„Böhme oder Deutſcher! Wer erfchlagen if, dem ſchmerzt fein 
Glied mehr, und wer erſchlagen Hat, der muß Hängen ober ge- 
köpft werden. Ich wollt, ich könnte die fünfzig Golbgulden ver» 
dienen! Was if’ auch Schade um einen Edelmann? Wir haben 
ihrer fo zu viel im Sande, und wenn fie ſich vet brav in bie 
Bände ſiechen, fol es mid) freuen. Wie gefagt, bie fünfiig 
Goldgulden I” 

Für Vratislav, der noch immer mit feinem Schreiben ber 
ſchäftigt war, ging das Geſpräch größtentheils verloren. Ex ſchloß 
jest, blite empor und vief nad dem Wirth. 

mHeiliges Himmelsdonnerwetter !“ fluchte jegt der Biehhänd- 
ler, fprang auf und flarete nad; dem fyrembling hinüber; „das 
Geld iſt verdient und ber da drüben ift der Mörder, oder meine 


Seele foll verbammt fein in Ewigfeit! Ich war ſelbſt im Garten, 
wo id dem Wirth Ochſen vertauft Habe; ih hab’ ihn ja gefehen 
— und bie Narbe auf der Stirne, wo ihn der Deutſche ritzte. 
— Heiba, Bogel, Ihr feid gefangen! Huflah hoch! das ift ein 
prädtig Wild I“ 

Jetzt erſt ahnte Bratislav den Zufammenhang und fah, daß 
er entbedt war. — Er ſchob raſch entſchloſſen den Tiſch vor ſich 
bin, ftemmte fi an die Mauer und ſchwang fein Schwert und 
rief: „Wer mir nahe kömmt von Euch, Ihr Schurken, if des 
Todes! Geſetzt, ich wäre ber, ben ihr meint, wäre e8 denn ehr- 
fi, mich zw verrathen für ſchnöden Sündenlohn, wie Judas 
gethan? Seid Ihr Böhmen, feid Ihr Huſſiten, daß Ihr Euch 
ſchlagt auf die Seite bes Deutihen, bes Papiflen, ber mid) und 
mein Bolt und unfern Glauben geſchmäht und nur verdienten 
Lohn von mir erhielt? — Noch einmal! Wer mich berührt, dem 
geht e8 wie jenem Deutſchen! Hier find fünfzehn Goldſtücke — 
tHeilt fie umter Euch — es iR meine ganze Baarſchaft. Laßt 
mich aber ziehen und hindert meine Reife nicht. IMS nicht ge- 
nug, fo ſchafft mir einen ſichern Ort, wo id) mid verbergen 
tann. Ich fende nad Prag; der Bote fol Euch ein reideres 
Sfegeld bringen.“ 

„Was da!“ Höhnte der Biehhändler und ſchob feinen Tiſch 
bei Seite; „fünfzig find beffer, als fünfzehn, und der König zahlt 
fiherer, als ein Junker. Und glaubt Ihr Herrlein nicht, daß es 
uns wohlthut, aud einen Ritter einmal unterzufriegen, ihn ein 
bischen zu quälen und zu treten, da Ihr Herren vom Stande 
uns Jahr ein Jahr aus findet und mißhandelt? Ihr follt den 
Galgen zieren; es ift hübſch, daß auch einmal ein Edelmann ge- 
bangen wird. Man könnt fonft glauben, der Galgen wär nur 
einzig und allein für die geringen Leute. — Drauf und bran! 
— Ich fürde’ mich vor keinem tollen Stier — wird mid das 
Mefferlein in Eurer Hand auch nicht abſchrecken. sr mir, 

Herloßfohn: Der legte Taborit. I. 


= 


Teer mn. Won. — er eme Wer em Dar me: 
mr _ 

E mat ze term More Tu Ir Em wen 
Wwer ek Trmkılanc= AECHTIECHEE ME SIE Tere Eimer 
mm ws (ter 3 mac EEE IL WEITE we mr Serfön 
wir wu za Emikr srzuemserr uc Some: De 
Ga seiner des Fr zu. mr Sue ne me Demer: 

wet war ia we Me Der ie: er Kemmmee 


utit vi 
e 
ſuntn 
ni 
* E 
Hin 
9 
H 
1 





227 


„Borwärte!" gebet der Biehhändfer. — „Diesmal treib’ 
ich ein gar loſbar Thier nad) der Stadt.“ 

Man hob draußen Bratislav auf fein Roß, deffen Zügel 
ein Anberer führte; bie Uebrigen ſchwangen ſich beivafinet gleich- 
falls zu Pferde, und raſch ging es fort auf dem Wege gen Prag. 

In der Gegend von Lobkovic tönte Inftiges Hörnergeſchmetter 
ans dem Walde, welcher fi zu beiden Seiten der Straße hinzieht. 
Bratislav flarrte vernichtet mit dem Ansdrude der Verzweiflung 
vor fi) wieder. Wie weinende Jugenderinnerungen zogen die 
Hörmerflänge durch feine Bruft. Der Ausınf eines feiner Ber 
gleiter: „Dort biegt ein Iagdzng um bie Edel“ ſcheuchte ihn 
auf aus feinem Hinhrüten. Er fanbte den Pfeil feines dalten- 
anges in bie ferne und ſchauderte bebend zufammen auf dem 
Roffe. Es war Lidmile im Gefolge ſechs prunfender Jäger, 
alle zu Pſerde, fie im grünen Gewande mit der wallenden Feder, 
den Jagdfpieß in der daud, ein filbernes Horn am der Hifte. 
Sie fah bleich und verflört aus. Bebend Hoffte der Ritter, fie 
würde quer über die Straße nach dem andern Waldtheile ziehen, 
und er ſenkte darum fein Haupt, um nicht erkannt zu werden, 
und erwartete zitterub den Erfolg. Jetzt aber lenkte fie das 
Roß um und fprengte mit ihrem Gefolge dem Zuge des Ge» 
fangenen gerade entgegen. 

„So foll fie mid; nicht wieder fehen !” rief er angfigepreft 
und wandte fi zu Bäclav feinem Peiniger, indem er ihm zufchrie: 
„Laß die Roffe umlenten! Flieht mit mir! Die dort kommen, 
befreien mid! — Ihr feid alle des Todes!" 

Thorichtes Geihwägl" höhnte Vaclav und ergriff an der 
andern Seite ben Zügel von Vratislav's Roffe; „mir werden 
ihnen Schon fagen, welchen Bogel wir gefangen Haben. Das 
Herrlein ſchamt ſich wohl, in ſoichem Zuftand und unter folder 
Leibwache fid-vor einer edlen Jungfrau zu zeigen? Nur vor- 
mwärts, Genoffen !“ 

16* 


228 


Bratislav wollte noch einmal wibderſprechen; aber e8 war 
zu ſpät. Auf wilden Renner ſauſte Lidmila mit ihren Jägern 
hetan. Kaum erlannte fie den Ritter, als fie mit herzzerichnei- 
dendem Zone ausrief: „Vratislav — Du bift gefangen ?” und 
in demfelben Augenblide verwindete auch ihre Jagblange dem 
Biehhändler am Oberarme. Auf ihren Wink griffen die Jäger 
mit ihren Hirfchfängern das Gefinbel au, und wie ſich dieſe auch 
mit Gabeln und Flegeln wehrten, fo wurden fie doch bald über- 
mäftigt und im die Flucht gefprengt. 

Lidmila bintete an der Wange. — Sie zerihuitt mit ihrem 
Iagbmefjer des Ritters Bande. — Ihre Hände zitterten bei dem 
Geſchäfte; fie Thing das Auge nicht auf, nur fagte fie flodend: 
„Ihr feid frei — flieht und haßt mich ferner noch !“ 

„Ribmila 1 rief er mit dem Tone bes namenlofen Schmerzes 
aus und drückte fein Antlig auf ihre Hand und füßte das Blut 
von derſelben, „Lidmila, ich bin unglüdlich für ewig!" 

Er fette feinem Roß die Sporen ein und jagte über bie 
Straße gegen Prag hinab. — 

Sie ſtarrie ihm fange bleich und zitternd nad); fie prefte 
ihre Finger auf die Wunde, aus welcher rothe Perlen herab- 
fielen, und feufzte leiſe: „Er liebt mid, deunoch!“ Dann wandte 
fie fi zw ihrem Gefolge, dem der ganze Auftritt wie eine Wun- 
dererſcheinung vorgelommen war und jegt erſt Mar wurde, und 
gebot: — „Vorwärts — die Strafe hinauf! Verfolgen wir 
die Feinde, damit ber Befreite einen Borfprung gewinnel" Gie 
fegten ſich beim lange ber Hörner in Trab und fprengten 
zwiſchen friſchen Waldesſchatten fort, wohin Vaclav mit feinen 


ſchurtiſchen Genoſſen entflohen war. —, 


229 


28 


An demfelben Wirthehanfe, wo Bratisfav gefangen worden 
war, hielt am folgenden Tage Milada mit Sukol und 
ihrem Gefolge. Der Knappe ftieg ab und ging nad der Thüre, 
um Waffer und Heu für die Roffe zu verlangen umb bei dieſer 
Gelegenheit Erkundigungen einzuziehen. 

Er ließ mit dem Fuße die Thüre, deren ganze Breite er 
einnahm, krachend ein, daß fie den Wirth, welcher eben geſchäftig 
fih Herauswälzen wollte, vor ben Wanft fing nnd biefer drei 
Schritte mit einem Wehichrei zuriictaumelte. 

„Was iſt das hier,” donnerte er, „für eine ſchurkiſche Diebe- 
fneipe, wo ber Wirth ein ſcheuer Hund, ber nicht feine Pforte 
öffnet und beraustritt, wenn hohe Gäfte nahen?" 

Die ganze Berfaommlung — «8 war die Genoffenfhart 
Baclav's vom vorigen Tage umb erzählte fih von bem Begeb- 
niſſe und den Wunden und Brauſchen, welche ihnen die Jäger 
gefhlagen — ſah den wilden Gaft erflaunt an. Der Wirth 
aber faßte ſich, eilte neben Sukol zur Thüre Hinaus und fragte 
die Dame nad ihren Befehlen. 

Sufot ließ inzwifgen fein grelles Ange über bie Ber- 
ſammlung fleeifen, dann fragte er gebieterifch: „Seid Ihr von 
bier ober fremd 2" 

„Bon hier!" antwortete Vaclav mürrifh im Namen der 
uebrigen. 

„Habt Ihr,“ forſchte Sukol weiter, „nicht in dieſen Tagen 
einen Ritter geſehen, der fremd in dieſer Gegend iſt, ein ſchöner 
Mann, doch ſehr blaß von Geficht und irre ich nicht, eine Wunde 
auf der Stirne?" J 

„Hol' uns ber Teufel!“ ſchrie Vaclav und ſchlug mit der 
geballien Fauft auf die Tafel — „freitich Haben wir ihn gefehen. 


Zur 


FR 
h 
1 
# 
gi 
hr 
It 
‚ 
KH 


{ 
ir} 


:; 
H 
h 
i 
Hi 
N 
n 
i 


8: 

gt 
IsiH 
ir 


Und binsige Köpfe Habt Ihe madı Hauie gehradt? — Run, 
Mägr if nicht Mb! — Erlaubt wir ipäter, Ihr gutem Lenie, 
no ein Bert, — IG muß zu meiner Herrin Ginaus.“ 

Er ging vor das Haus, erzählte Milada'n Ieife, was er 
erfahren, und fagte dann, da bie Roſſe bereits geiräuft waren: 
„Meter une eine Heine Strede voraus; ich habe da drinne mit 
den Ehrenmännern no ein Heines Wort zu ſprechen.“ 

Er lehrte wieder zur Scenfe zurüd. Der Birth fragte 
ihn, ob er einen Krug Bier wünfde, umb lobte deſſen Bortrefi- 
lichteit. — 

Mein!" entgegnete Sulol, „id will End ſelbſt etwas 
auftiſchen. Warſt Du, bider Hecht, auch bei dem fange des 
Mister mit?" 

„el freiih 1” entgegnete biefer gefälig; „mir fdien es 


231 


gleich rathſam, eine flärfere Begleitung mitzafenden; aber der 
Biehpändler Bäclav Hier eitte fo ſehr und fieß mid gar nicht zu 
Borte kommen.“ 

„Vortrefflich, vortrefflich!“ fuhr Suftol mit aufmallendem 
Grimme fort — „alfo ein Biehhändler? — freut mic die Ber 
tanntſchaft! — Wollte nun aud einen Menfchen, einen Ritter 
verhandeln und auf die Schlachtbank führen? Gut, fehr gut! 
Alſo IHr Ehrenmänner alle Habt ben Ritter gefangen genommen 
und verfaufen wollen. — DO Ihr Hartihäbeligen, bodenlofen 
Schurken, Ihr Judaſſe, Ihr Saducder, Ihr gebornen Büttel und 
Scpergen! Ihr verlauft, verrathet einen böhmifhen Landemann, 
einen echten Huffiten, weil er einen Deutſchen, einen Feind des 
Landes gefhlagen? Und Ihr wollt gute Ehriften fein, drave Ger 
Gen, ehrliche Landsleute? Heißt dies das Gaſtrecht ehren, Heißt 
dies einem Unglucklichen beifpringen, heit bie einem Irrenden 
helfen? Ei, fo ſchlage doch Gottes Donnerwetter taufendmal auf 
Eure firupphaarigen Schädel und verfenge Euch die Ohren und 
das Hirn! — Ihr bodenlos ſchlechten, gewiſſenloſen, ſchamloſen, 
ſchabigen Gauner und Buſchklepper, Ihr räudigen Hunde Ihr, 
ohne Ghrlichteit im Leibe! man fieht's Euch an, daß Ihr herzloſe 
Schurken feid; denn Ihr feid Krämer und Schlächter — feib 
feine ehrbaren Kriegsknechte geweſen und Habt darum keine Groß- 
muth im Leibe. — Id will End) ’was auftilchen, Ihr verflugten 
Ratten, und Dir befonders, Du rothaariger Spion und Verräther, 
Du brennender Weiler, Ieuchtender Kaltofen, faule Weide!’ 

Er tät bei biefen mit Wuth Hervorgebrülften Worten den 
Wirth, der mit offenem Munde flaunend und lautlos vor ihm 
fand, vor ben Wanft, daß diefer rüdwärts überftürzte, auf dem 
Tiſch fiel, ihn umſchlug und ſo die Uebrigen, welche ſich darauf 
gefügt Hatten, mit auf einen Haufen niederriß. Sulol ergriff 
einen biden Prügel, welder in ber Ede ag, und begann jegt 
mit nerbiger Yauft auf die Schädel, Arme und Beine ber fih 


222 


war, und reichte e8 dem Ritter nebſt einer flumpfen Feder hin. 
— Diefer fhicdte ih an zu fchreiben. 

Da trat plöglich ein großer, langer Mann im groben Kit- 
tel, eine lange Peitſche um den Leib gewunden, einen breitge- 
trämpten Hut auf dem vothhaarigen Kopfe und eiſenbeſchlagene 
Schuhe an den Beinen, gemächlich und wie befaunt zur Thüre 
herein. Alle fuhren auf, als fie ihn fahen, und bemilltommten 
ihn; nur Bratielan, ber in feinem Schreiben vertieft war, be» 
merkte ihn nicht. 

„Ei, Väclav!“ riefen Wirth und Gäfte einftimmig, „wieder 
da? Schön gegrüßt! Gelobt fei Jeſus Chriftus! Wo wart 
Ihr fo lange? Wir haben Euch fon früher erwartet,” 

Der fremde Mann ſchüttelte Allen die Hand, fette ſich 
mieder, nahm den angebotenen Bierkrug an ben Mund und ante 
wortete mit gleichgüftiger Miene und anmaßendem Zone, indem 
er fi auf beide Ellenbogen ftügte: „Ja, da bin ich wieder. 
War in Prag, hab’ dann einen Umweg über Schlan, Budin, 
Lobofic und Leitmeric gemacht, mir bie Welt befehen und mit 
Vieh gehandelt, ober eigenlich Bloß mit Vieh gehandelt und bie 
Belt gar nicht angefehen; benn das Vieh geht mir über bie 
Menſchen. Das Bieh ift gut, läßt fi verkaufen und ſchlachten. 
— Die Menfhen fin falſch und betrügen. Nun, wo id’s kann, 
thu' ich's auch.“ 

„Haha!“ lachte die Tiſchgenoſſenſchaft; „immer noch der 
Ute, vol Schwante und guter Einfälle” “ 

„Freilich!“ fuhr der Viehhändler fort und Ieerte eimen? 
weiten Krug, „wenn id nur der einzige Menſch auf der Wett 
wäre und alles Uebrige Vieh, fo wär's ſchlimm für mein 
Handel, Es ift alfo für das Vieh do recht gut, daß es Men- 
ſchen gibt.“ 

„Nichts Neues?“ fragte der Wirth, indem er feinen Wanſt, 
um auszuruhen, auf ben Tiſch legte; „Ihr bringt uns doch immer 


223 


manderlii Nachricht. Was machen fie in Prag? Wie fiehre 
auf dem Lande aus? Spricht man von Krieg? Sind fie mit 
dem Köuig zufrieden? Vertragen ſich die Papiften mit ben 
Unfrigen ? Es iſt wohl theuer in der hohen Stadt?" 

Viel Fragen auf einmal! entgegnete Vaclav mürriſch; 
„Dein Maut ift ein Taubenſchlag; viel fliegt heraus, viel hinein. 
— Nun — und was fperrt Ihr die Mäuler auf, Ihr Hammel? 
Kaum bin ih zu Athem gelommen, hab’ kaum meine Zunge 
genegt, fo fol ich fhon Eure Ohren vollftopfen mit Nenigfeiten. 
— Ja, Gott ehr’ mir meinen Handel! Das Bieh bringt mich 
unter die Menſchen und lehrt mid; die Melt kennen. Du ba’ 
— er wies auf dem Gegenüberfigenden und dann auf einen 
Zweiten — „bift ein Bauer, pflügft Dein Feld und fennft nichts 
weiter, als Dein Feld, meinf, Hinter im Höre die Welt auf — 
kennſt alle feine Furchen, bleibft aber ein Schaflopj. Und Du 
bift ein Schiffer, ſchwimmſt immer mit Holz und Kor bie Eibe 
Hinauf, mußt aber auf der Elbe bleiben, grad fo wie fie läuft, 
tannſt nicht rechts und nicht links. Da kommen Euch freilich die 
Neuigkeiten weder in den Furden, nod auf dem Waffer entge- 
gengeflogen, Ich aber ziehe frei, durch die Welt in bie Kreuz’ 
und die Quere. — Die Knete treiben meine Ochſen vor mir 
Hin, das Vieh blödt und brüßt, und id} denke mir fo oft, id) 
fei ein König, die Ochfen meine Kuechte und Untertfanen. Id 
verkaufe fic, ſchlachte fie, ziehe ihnen das Fell vom Leibe, grad’ 
wie's ein König macht.“ 

Lautes Gelächter unterbrad ihn — er ſchien deſſen als 
eine Beifollsäußerung nicht zu achten uud fuhr fort: 

„Bon Prag wollt Ihr wiffen? — Mit den Papiften und 
ben Unfrigen geht's fo; ber König ift immer mit dem Gtode 
dahinter wie bei ben Hunden. Da müffen fie fih wohl ver- 
tragen. Mit dem König felbft find fie auch ſchon nicht mehr 
zufrieden; ber Cine will das, der Andre jenes. Gr follte ein 


224 


paar Tauſend hängen laffen; dann hielten fie die Mäuler. Auch 
von Krieg fpricht man, mit den Ungarn, mit König Matthias, 
dem Schwiegerſohue umfers Georg. If das ein Boll, bie vor- 
nehmen Herren! Wegen eines Stüd Landes zankt der Vater mit 
dem Sohne, ber Bruder mit bem Bruder, und führt blutigen 
Krieg. Wir müffen den Budel dazu hergeben. 'S if dem legten 
Tag, wo ich in Prag war, auch etwas Trauriges begegnet unter 
Edelleuten. Sie ftritten fi in einem Garten, ein Böhme unb 
ein Deutfcher; daranf zogen fie blank, und der Böhme hat dem 
Deutſchen erftohen. Das war ein heillofer Lärm, vornehmlich 
darum, weil ber König ganz neuerlich den Tod barauf gejeßt 
hat, wenn fi) Iemand von den Studenten in einen Zweilampf 
einläßt. Nun — der Thäter entfprang. 'S iſt ein Ritter vom 
Lande; Branik nannten fie ihn. Fünfzig Goldgulden Hat man 
auf feinen Kopf gefegt und Häfcher nah ihm ausgefhidt. Der 
Deutſche wird wohl ſchon tobt fein; denn er warb gut getroffen.” 

Auch gut,“ meinte Einer der Schiffer, „daß es einen Deut- 
ſchen getroffen hat, und daß der Böhme Sieger war!“ 

„Gleichviel,“ unterbrach ihn Vaclav mit Geringihägung, 
Böhme ober Deutjher! Wer erſchlagen if, dem ſchmerzt Fein 
Glied mehr, und wer erſchlagen Hat, ber muß hängen oder ge- 
töpft werden. Ich wollt’, ich könnte die fünfzig Goldgulden ver- 
dienen! Was if’s aud) Schade um einen Edelmann? Wir haben 
ihrer fo zu viel im Lande, und wenn fie fi recht brav in bie 
Bäuche ſtechen, foll e8 mic freuen. Wie gefagt, die fünfzig 
Goldgulden I" 

Für Vratislav, der no immer mit feinem Schreiben bes 
{häftigt war, ging das Geſpräch größtentheils verloren. Er ſchloß 
jest, blidte empor und rief nad) dem Wirth. 

„Heiliges Himmelsdonnerwetter !“ fluchte jegt der Viehhänd- 
ler, fprang auf und flarrte nad) dem frembling hinüber; „das 
Geld ift verdient und ber da drüben ift der Mörder, oder meine 


Seele ſoll verdammt fein in Ewigkeit! Ich war ſelbſt im Garten, 
wo ich dem Wirth Ochfen verfauft habe; ich Hab’ ihn ja gefehen 
— und bie Narbe auf der Stirne, wo ihn der Deutſche ritzte. 
— Heibda, Bogel, Ihr feid gefangen! Huffah hoch! das if eim 
prädtig Wild 1“ 

Jetzt erft ahnte Vratislav den Zufammenhang und ſah, daf 
er entdedt war. — Er ſchob raſch entſchloſſen den Tiſch vor ſich 
hin, ſtemmte ſich an die Mauer und ſchwang ſein Schwert und 
rief: „Wer mir nahe kömmt von Euch, Ihr Schurken, iſt des 
Todes! Geſetzt, ich wäre ber, ben ihr meint, wäre es denn ehr- 
lich, mic zu verrathen für ſchnöden Sündenlogn, wie Jubas 
gethan? Seid Ihr Böhmen, feid Ihr Huffiten, daß Ihr Euch 
ſchlagt auf die Seite des Deutfchen, des Papiften, der mich und 
mein Boll und unfern Glauben geſchmäht und nur verdienten 
Lohn von mir erhielt? — Noch einmal! Wer mich berührt, dem 
geht e8 wie jenem Deutſchen! Hier find fünfzehn Goldftüde — 
theilt fie unter Euch — es ift meine ganze Baarfchaft. Laßt 
mich aber ziehen umb Bindert meine Reife nicht. Ifrs nicht ge- 
nug, fo ſchafft mir einen fichern Ort, wo ich mich verbergen 
tann. Ich fende nad Prag; der Vote fol Euch ein reicheres 
Löfegeld bringen.” 

„Was da!” Höhnte der Wiehhändler und ſchob feinen Tiſch 
bei Seite; „fünfsig find beffer, als fünfzehn, und der König zahlt 
fierer, als ein Junker. Und glaubt Ihr Herrlein nicht, daß es 
uns wohlthut, au einen Ritter einmal unterzufriegen, ihn ein 
bischen zu quälen und zu treten, da Ihr Herren vom Stande 
uns Jahr ein Jahr aus fehindet umd mißhandelt? Ihr follt den 
Galgen zieren; es ift hübſch, daß aud einmal ein Edelmann ge- 
hangen wird. Man Lönnt' fonft glauben, der Galgen wär” nur 
einzig und allein für die geringen Lente. — Drauf und dran! 
— Ich fürde' mid) vor feinem tollen Stier — wird mid das 
Mefferlein in Eurer Hand auch nicht abfchreden. vr mir, 

Gerloßfohn: Der legte Taborit. I. 


226 


Freunde und Gevattern, — ich theile den goldenen Lohn mit 
Euch!“ — 

Er warf nad biefen Worten feinen Tiſch um und wollte 
nuter dem Vratislav's durchkriechen, um dem Siebe auszumweichen 
und ben Ritter fo von unten zu werfen; aber ein Bierfrug, 
welder, von einem Schiffer geſchleudert, an Vratislav's Kopf 
flog, betäubte diefen. Er fank; feiner Hand entfiel das Schwert. 

Iubelnd warf fi die Rotte über ihn; der Bichhändler 
Töfte feine Peitſche von den Hüften und fAnürte des Gefangenen 
Hände damit zufammen. 

„Jetzt fein Pferd aus dem Stalle,“ gebot der Biehhändier, 
„und meine vier Roſſe vor, die draußen auf der Weide find! 
Bier von Euch begleiten mich — nehmt Senſen und Drefchflegel 
— wir treiben ihm noch heut im die Stadt — kommen mit 
Gold zurüd, und es gibt eine fuftige Zeche hier. Heibil mir 
beingen einen ſchönen, Iebendigen Hafen auf die Burg zum Hen- 
kersmahle.“ 

Bratislav erholte fi, er ſchlug die Augen auf — ringsum 
war kein Mitleid, keine Theilnahme in ben rohen Zügen zu le- 
fen. Er fühlte es, daß er rettungslos verloren fei. Noch einmal 
wandte er ſich an dem Wirth, der menigftens gleichgültig und 
nicht raubluſtig drein fah, und fagte: „Sprih Du für mic, 
beffen Gaft id war. — Ich gelobe Euch Allen zehnfachen Lohn, 
gebt Ihr mich frei.“ 

„Das geht nicht, Herrlein,“ tröftete der Wirth, „wenn. 
man's erführe, daß wir Euch Bier gehabt und Taufen gelaffen — 
lämen wir Alle in Harte Strafe, ih am meiften. Ergebt Euch 
vor der Hand in Euer Schidjal. — Ihr Habt gewiß vornehme 
Leute im Land umd bei Hofe, die Euch helfen werden. Es muß 
arg fein, wenn fie da oben einem voruehmen Herrn an ben 
Hals gehen. So ſchlimm wird's nicht werben.“ 


227 


„Vorwarts!“ gebot der Biehhändler. — „Diesmal treib” 
ich ein gar koſtbar Thier nad) der Stadt.” 

Man hob draufen Bratislav auf fein Roß, deſſen Zügel 
ein Anderer führte; die Uebrigen ſchwangen ſich bewafinet gleich- 
falls zu Pferde, und raſch ging es fort auf dem Wege gen Prag. 

In der Gegend von Loblovic tönte Infiiges Hörnergefchmetter 
ans dem Walde, welcher ſich zu beiden Seiten ber Strafe Hinzieht. 
Bratislav flarrte vernichtet mit bem Ausdrude der Verzweiflung 
vor fi) nieder. Wie weinende Jugenderinnerungen zogen bie 
Hörnerflänge durch feine Bruſt. Der Ausınf eines feiner Be- 
gleiter: „Dort biegt ein Zagdzug um die Edel“ ſcheuchte ihn 
auf aus feinem Hinbrüten. Er fanbte ben Pfeil feines dalken⸗ 
auges in bie ferne und ſchauderte bebend zufammen auf dem 
Roffe. Es war Lidmila im Gefolge ſechs prunfender Zäger, 
alle zu Bierde, fie im grünen Gewande mit der wallenden Feder, 
den Jagdſpieß in der Hand, ein flbernes Horn an der Hüfte. 
Sie fah bieich und verfört aus. Bebend Hoffte der Riuter, fie 
würbe quer über die Straße nach dem andern Waldtheile ziehen, 
und er ſenkte darum fein Haupt, um nicht erkannt zu werben, 
umd erwartete zitterub ben Erfolg. Ieht aber Ienfte fie das 
Roß um und fprengte mit ihrem Gefolge dem Zuge des Gr- 
fangenen gerade entgegen. 

„So ſoll fie mid nicht wieder ſehen!“ rief er angfigepreft 
und wandte ſich zu Vaciav feinem Peiniger, indem er ihm zuſchrie: 
„Laß die Roſſe umlenten! Flieht mit mir! Die dort fommen, 
befreien mih! — Ihr feid alle des Todes!“ 

Thorichtes Geſchwatzl“ Höhnte Vaclav und ergriff an der 
andern Seite den Zügel von Bratislav’s Rofle; „mir werden 
ihnen ſchon fagen, welden Bogel wir gefangen haben. Das 
Herrlein ſchamt ſich wohl, in foldem Zufand und unter folder 
Leibwache fih-vor einer edlen Jungfrau zu zeigen? Nur vor- 
wärts, Genoſſen !" 

16* 


228 


Bratislav wollte noch einmal widerſprechen; aber es war 
zu fpät. Auf wilden Reimer faufte Lidmila mit ihren Jägern 
hexan. Kaum erlannte fie den Ritter, als fie mit herzzerichnei- 
dendem Tone ansrief: „Vratislav — Du bift gefangen ? uud 
in bemfelben Angenblide verwundete auch ihre SJagblanze dem 
Biehhändfer am Oberarme. Auf ihren Wink griffen die Jäger 
mit ihren Hirfchfängern das Gefindel an, und wie ſich dieſe auch 
mit Gabeln und Flegeln wehrten, fo wurden fie doch bald über« 
waltigt und im bie Flucht gefprengt. 

Lidmila biutete au der Wange. — Sie zerſchnitt mit ihrem 
Jagdmeſſer des Ritters Bande. — Ihre Hände zitterten bei dem 
Geſchäfte; fie ſchlug das Auge nicht auf, nur fagte fie flodend: 
„Ihr feid frei — flieht und haßt mich ferner noch!" 

„Libmila ! viefer mit dem Zone des namenlofen Schmerzes 
aus und drüdte fein Antlig auf ihre Hand und Lüßte das Blut 
von berfelben, „Lidmila, id; bin unglüclich für ewig!" 

Er fette feinem Roß die Sporen ein und jagte über bie 
Straße gegen Prag hinab. — 

Sie ftarrte ihm lange bleich und zitternd nad; fie preßte 
ihre Finger auf bie Wunde, aus welcher rothe Perlen herab» 
fielen, und feufzte leife: „Er liebt mich dennoch!“ Dann wandte 
fie fi) zu ihrem Gefolge, dem der ganze Auftritt wie eine Wun- 
dererſcheinung vorgefommen war und jegt erft Mar wurde, und 
gebot: — „Vorwärts — die Strafe Hinauf! Verfolgen wir 
die Feinde, damit der Befreite einen Borfprung gewinne!" Cie 
fetten fi) beim lange ber Hörner in Xrab und fprengten 
zwiſchen friſchen MWalbesfhatten fort, wohin Vaclad mit feinen 


ſchurtiſchen Genoffen entflohen war. —, 


229 


EI 73 


An demfelben Wirthehaufe, wo Vratislav gefangen worben 
wer, hielt am folgenden Tage Milada mit Sukol und 
igrem Gefolge. Der Knappe flieg ab und ging nach der Thüre, 
um Waſſer und Heu für die Roſſe zu verlangen und bei biefer 
Gelegenheit Exrkundigungen einzuziehen. 

Er fließ mit dem Fuße die Thüre, deren ganze Breite er 
einnahm, irachend ein, daß fie dem Birth, weicher eben geichäftig 
fi) Heranswälzen wollte, vor den Wanft ſchlug und diefer drei 
Schritte mit einem Wehſchrei zurüdtaumelte. 

„Was iſt das hier,” donnerte er, „für eine ſchurtiſche Diebs- 
tneipe, wo der Wirth ein ſcheuer Hund, der nit feine Pforte 
öffnet und Beraustritt, wenn hohe Gäſte nahen ?" 

Die ganze Berfammlung — «6 war bie Genoffenfhart 
Baclav's vom vorigen Tage umb erzählte fi von dem Begeb- 
niffe und den Wunden und Brauſchen, welche ihnen die Jäger 
geſchlagen — fah den wilden Gaft erflaunt an. Der Wirth 
aber faßite fi, eilte neben Sutol zur Thüre hinaus und fragte 
die Dame nad ihren Befehlen. 

Sulol ließ inzwiſchen fein grelles Auge über bie Ber- 
fammlung ftreifen, dann fragte er gebieterifih: „Seid Ihr von 
hier oder fremd 2 

„Bon bier!" antwortete Bäclav mürriih im Namen ber 
uebrigen. 

„Habt Ihr," forſchte Sukol weiter, „nicht in dieſen Tagen 
einen Ritter geſehen, der fremd im dieſer Gegend iſt, ein ſchöner 
Mann, doch ſehr blaß von Gefiht und irre ich nicht, eine Wunde 
auf der Stirne 7“ J 

„Hol' ung ber Teufel!” ſchrie Vaclav und ſchlug mit ber 
geballten Fauſt auf die Tafel — „freilich Haben wir ihn gefehen. 


230 


Meine fünf Ochſen gäb’ ih d’rum, wär er uod in meinen 
Klauen. — Ihr verfolgt ihn wohl aud 9” 

„Wohin entfioh er? Wo hält er fi auf?“ fragte Sulol 
haſtig. 


„Zum Teufel iſt er!" beſchied Vaclav, in dem mod ber 
Ingrimm über den mißlungenen Anſchlag tobte, „und mit ihm 
fünfzig Goldgulden. Hätten wir ihn frei fahren laſſen, fo hatten 
wir dod fünfzehn, die er uns anbot. — Ich erkannte in ihm 
denfelben, der den Edlen von Spanberg getöbtet, und weil fünfzig 
Goldgulden auf fein Haupt gefett find, fo faßten wir ihn Bier, 
banden ihm die Hände und ſchleppten ihn gegen Prag. Hinter 
Lobkovie überfiel ung ein Fräulein — oder war's der Teufel? 
— mit. ihrem Jagdtroſſe, machte ihn frei und ſchicte uns mit 
blutigen Schädeln nad Haufe. Er floh gegen Prag, Wären 
wir nur mehr an der Zahl" — 

So?" Höhnte Sulol und flug die Arme über einander 
— „das Habt Ihr ganz vortrefflich gemacht, Ihr lieben Männer ! 
Afo entflohen ift er? Und die Dame Hat ihn Eud; abgejagt? 
Und blutige Köpfe Habt Ihr nach Haufe gebracht? — Run, die 
Mähr' iſt nicht Übel! — Erlaubt mir fpäter, Ihr guten Leute, 
nod ein Wort. — Ich muß zu meiner Herrin hinaus.“ 

&r ging vor das Haus, erzählte Milada'n leife, was er 
erfahren, und fagte dann, da bie Roſſe bereits getränft waren: 
„Reitet nur eine Heine Strede voraus; id; habe da drinne mit 
den Ehrenmännern noch ein Meines Wort zu fpreden.” 

Er kehrte wieder zur Schenke zurüd. Der Wirth fragte 
ihn, ob er einen Krug Bier wünfde, und Iobte deffen Bortreff- 
uchten — 

„Nein!“ entgegnete Sufol, „ich will Euch ſelbſt etwas 
auftifhen. Warſt Du, dider Hecht, auch bei dem Fange des 
Nitters mit?" 

„Ei freilich!" entgegnete dieſer gefällig; „mir fdien es. 


2 


glei rathſam, eine färfere Degleitung mitzufenden; aber der 
Biehhändier Bäclan hier eilte fo fehr und lich mich gar nicht zu 
Borte lommen.“ 

„Bortzefflich, vortrefflich " fuße Sukol mit aufwallenben 
Grimme fort — „alfo ein Biehhändler? — freut mich bie Be- 
tanntfhaft! — Wollte nun au einen Menſchen, einen Ritter 
verhandeln und auf die Sclachtbant führen? Gut, fehr gut! 
Alſo Ihr Ehrenmänner alle habt dem Ritter gefangen genommen 
und verkaufen wollen. — O Ihr hartſchädeligen, bobenlofen 
Schurken, Ihr Judaſſe, Ihr Saducäer, Ihr gebornen Büttel und 
Sihergen! Ihr verfauft, verrathet einen bößmifhen Sanbemauz, 
einen echten Hufjiten, weil er einen Deutſchen, einen Feind des 
Landes geſchlagen? Und Ihr wollt gute Ehriften fein, brave Te- 
gen, ehrliche Landsleute? Heißt dies das Gaſtrecht ehren, heißt 
dies einem Unglüdlichen beifpringen, heißt dies einem Irrenben 
helfen? Ci, fo ſchlage doch Gottes Donnerwetter taufendmal auf 
Eure ſtrupphaarigen Schädel und verfenge Euch die Ohren und 
das Hirn! — Ihr bodenlos ſchlechten, gewiſſenloſen, ſchamloſen, 
ſchabigen Gauner und Buſchklepper, Ihr räudigen Hunde Ihr, 
ohne Ehrlichkeit im Leibe! man ſieht's Euch am, daß Ihr herzloſe 
Schurken feid; denn Ihr feid Krämer und Schlächter — feid 
feine ehrbaren Kriegencchte geweſen und habt darum eine Groß- 
muth im Leibe. — Ich will Euch 'was auftifchen, Ihr verfluchten 
Ratten, und Dir befonders, Du rothaariger Spion und Berräther, 
Du brennender Weiler, leuchtender Kalkofen, faule Weide!“ 

Er tfüt bei dieſen mit Wuth Hervorgebrülten Worten den 
Wirth, der mit offenem Munde ftaunend und lautlos vor ihm 
fland, vor den Wanſt, daf diefer rüdwärts überftürzte, auf ben 
Tiſch fiel, ihn umſchlug umd ſo bie Uebrigen, welche ſich darauf 
geftügt Hatten, mit auf einen Kaufen nieberiß. Gulol ergriff 
einen bien Prügel, welder in der Ede lag, und begann jegt 
mit nerviger Fauſt auf die Schädel, Arme und Beine ber fih 


232 


Durdjeinanderwälzenden loszudreſchen, indem er Dabei fluchte: 
„Die Dame Hat End mit bintigen Gchäbeln Heiimgefhidt — 
das thu' ich micht; aber die Quochen muß id Euch murbe ma- 
en und die harten, fpigbübif—en Schadel weich Hopfen! Da 
habt Ihr den Sundenlohn, Jeder fünfjig Goldftäde da, fo groß 
wie ein Ei, gelb und Hübf did und unvergeßlich, weil Ihr fie 
nicht ausgeben könnt, Ihr ſtiukenden Waflerratten, Ihr Marder 
und Wiebehopfe!“ 

Und er fing, nebenbei noch Fußtritte austheilend, unaufe 
börlih auf die Menſchen am Boden 108, daß fie laut aufbrüllten 
und Heulten, fi unter und über einander mälzten und, von ihm 
immer wieder niedergefhlagen, ſich nicht erheben konnten. 

Us ihm der Arm erlahmte und heißer Schweiß von der 
fäweren Arbeit von feiner Stirne ranıı, warf er ben Knüttel 
in die Ede umd fagte: „Gehabt Euch; wohl, werthe Herren und 
Freunde, trinkt einen Krug auf meine Gefundheit, und wenn ſich 
wieber ein Ritter melbet, fo laßt mir ihn ja nicht entfpringen, 
fonft kommt Ihr um den baaren Lohn!“ 

Er ſchritt mad) biefen vom einem Hohngelächter begleiteten 
Worten langfam und gemeflen zur Hütte hinaus, ſchwang ſich 
auf fein Roß umb fprengte dem Fräulein nad. 

Bei Milada angelangt, fagte er lachend: „Ich Habe dem 
guten, ehrlichen Leuten die Heilige Schrift ausgelegt — wo vom 
Judas und den dreißig Silberlingen die Rebe ift. Ob fie fih 
aber von der Münze, die ich ihnen gab, Alle werben einen Gtrid 
Taufen Tönnen, wie der Erzſchelm — weiß ich nicht. — Jetzt 
aber,- gnädiges Fraulein — raſch mad) Prag; dorthin hat der 
Nitter feinen Weg eingeſchlagen. Es ift hohe Zeit; denn fom- 
menden Sonntag ſchon nimmt der König das Abendmahl, und 
Michalet hat ſicher bereits den Mein gewürzt. — Es if gleich, 
ob wir den Ritter augenblicklich finden ober nicht. Für fein Leben 
und feine Freiheit bürge ich; denn finden mir ihn, fo geht er 


zum König und fagt: Schenke mir das Leben — ih ſchenke 
Dir's auf. So und fo fredenzt man Dir ben Kelch. — Und 
finden wir ihn mit — fo trete ih vor und fage: Hollah! nicht 
getrunfen — 's ift Gift drin — hängt die Schurken, ſchindet 
fiel — Willſt Du mich belohnen, Herr und König, fo begnadige 
den Ritter; denn Deine Rettung ift eigentlich fein Werk! Ich 
erzähle ihm dann Alles. — Seid froh, mein gnädiges Fräulein — 
die frohe Stunde iſt nahel" 

Bratielav kam in ber Dämmerung an das Pokicer Thor. 
Er hatte, auf ber Flucht fo unzeitig aufgehalten, beſchloſſen, an 
den Ort zurüdzulchren, mo man ihn am wenigften vermuthete. 
Er befann fi der Worte des Juden und beſchloß, bei ihm Zur 
flucht zu ſuchen. Was follte er weiter in's platte Land fliehen, 
da ihm doch nirgends Sicherheit gewährt war? Länger konnt 
er and) den Freund und feine Angehörigen nicht ohne Nachricht 
loffen. Es. drängte ihn, von Spanberg's und in beffen Folge 
von feinem Lofe Kunde zu erhalten. Er ſchloß fich einer Reihe 
Bagen, welche Waffen und Kriegsgeräthichaften von Easlau nad 
dem Prager Zeughaufe braten und vom mehreren Reitern beglei- 
tet wurden, am umb gelangte fo unentdedt zum Thore hinein. 
Im der Schilingsgaffe gab er fein Pferd in eine Herberge und 
ſchlich durch bie dunkeln Straßen nach ber Judenftadt, mo Abra- 
Ham wohnte; denn biefer befand fich bamals zufällig bei feinem 
Better in Lieben, mit welchem er zuweilen Geſchäfte machte. — 
Als er buch einen Ummeg von der Karpfengaffe nah dem Thore 
der Imbenfladt, welches des Nachts gefchloffen und von Schar - 
wãchtern beſchutzt wurde, hinſchritt, hörte er plötzlich vor und 
neben fi) Getümmel und Geſchrei und gerieth in einen Auflauf. 
Scharwãchter und Soldaten, Juden von jedem Alter und Chri- 
fien drängten fi anf einen Haufen. Es gab Stöße und Püffe; 
das Bolt ſchrie und fehmatterte durch einander — ein junger 
Chriſtenbube meinte laut. — Bratislan ſchlich vorfihtig herbei 


jr 
; 
TH 
I 
Fr 


Et 


EREIEN 

il 

n 
sl 
gi 

[ 

E) 

— 


den Biertelsmeiſter ansrufen: „Hansſuchung — Hansfuhung! — 
Da Thater muß an den Tag kommen!“ nnd jubelnd ſtimmte 
der Ehriftenpöbel in dieſen Ausruf; bemn er durfte ſich bei ſolchen 
Beronlaffungen zugleich mit den Wachen in die Wohnungen ber 
Hraeliten drängen und darin feine Wuih au Fenflern, Schabbes- 
lampen, Tiſchen und Schränken auslaſſen, nad Befinden aber 
and, plündern. Es herrſchte damals ein fireng Gele, warnach 
ein Jude, der chriſtlich Blut vergoß, die härteſte Strafe erleiden, 
ja fogar das Leben verwirten mußte. 

Die Rotte ſetzte fi ſchnaubend in Bewegung — die Her 
bräer floben heulend und wehllagend auseinander und flüchteten 
in ihre Hausthüren, um in der Eile ihr Hab’ und Gut vor ben 
taubjüchtigen Händen zu verbergen. 





235 


Im Hausflur fieh Bratislav auf Abraham. Athemlos gab 
er fi ihm zu erkennen und nannte ihm die Urſache bes Tu 
multes. 

„Nur bier herein!“ ſagte Abraham und drängte ihn in 
eine Stube des Erdgeſchoſſes, wo eine einzige matte Lampe brannte, 
„werft bier diefe ſchmutzige Bunda (eine Art Zalar) um, jet 
diefes ſchwarze Judenkäpplein auf — brüdt Euch dort im bie 
Ede und verhaltet Euch ruhig. — Werd’ ich ſchon ſehen, ob fo 
vorübergeht das Ungewitter an meinem Haufe. — Bleibt Bier, 
Herr Ritter — rührt Euch nicht — fprecht kein Wort — ih 
will erſt legen bie eifernen Riegel vor meine Thüren oben an der 
Niederlage.” 

Bald kam er zurüd. — ber tobende Troß war ſchon vor 
der Thare und drängte fi; fluchend, kreiſchend, janchzend und 
grell pfeifend durch dem ſchmalen Eingang. — Als die Stuben- 
thüre einflog, ftellte fi Abraham mit Faffung den Hereinftär- 
menden entgegen, führte die Hand an fein Haupt und fagte: 
„Scäolem iachem! — Der friede fei zu Euh! Mas wollen 
die gefirengen Herren vun ber Sicherheit ?” 

„Haft Du den Bluthund, den mordluſtigen Juden verftedt 9" 
donnerte der Biertelsmeifter. — „Gib ihn heraus, oder Du biſt 
mit ihm zugleich des Todes 1” 

„Wie Heißt 7“ entgegnete verwundert Abraham; „fol ih 
Jemanden herausgeben, ben ich nicht Habe? — Hab’ id; doch 
gelett feinen Fuß vor die Thüre während des ganzen Gelärmes, 
wie mer mein Neffe hier, der Veitel aus Kolin, Könnte bezeugen, 
wenn er nicht wär’ finmm geboren.” 

„Es ift der alte Iſaak Herz, wie wir vermuthen,” herrſchte 
der viertlet, „ber Chriſtenblut vergoffen hat. Man jah ihn 
ober eine andere verdächtige Perfon in Dein Haus ſchleichen.“ 

„Ja — ja — es fprang ein Menſch Herein! — Ih ſah 
es! Der au! — IH kann's beſchwören!“ ferien Mehrere 


236 


aus dem Böbel durdjeinander, während ber bintende Lotterbube, 
um das Mitleid immer mehr zu erweden, fürdterfih henlte und 
wimmerte. — 

„Here Biertler,“ nahm Abraham ruhig wieder das Wort 
und wehrte die Eindringenden ab — „wenn ift der Saal Herz 
in meinem Hans, will id flerben — wenn nur is weiter ein 
Menſch drin als id und mein Better. Ich will Euch öffnen 
alle Thüren, auffchließen alle Kaſten; weit ich aber habe oben 
die Lieferung von braune Mäntel für Herrn Hanptmann Zbirov 
von das vierte Fähnlein Fußvolk — fo kommt allein mit mir 
binanf und de Wachen. Sonft kein anderer Menſch; denn bie 
Mäntel fein ſchon bezahlt vom Herrn Zahlmeifter, und kommt 
einer weg, fo müßt Ihr's verantworten, geftrenger Herr Biertler; 
denn es is Föniglih Gut hier im Haufe, und das müßt Ihr 
bewachen. — 

„Es fei, Abraham!" jagte der Biertelsmeifter beruhigter, 
und zugleich feiner Pflicht eingedent, bie ihm befahl, bei eigener 
Berantwortung das königliche Eigenthum gegen jede Plünberung 
zu fügen. — Er wandte fi zu dem Haufen der Eingebrun- 
genen und fagte: „Ihr bleibt Hier zurüd! — Nührt nichts am, 
bei Leibesſtrafe, damit der Jude nicht betrügen könne umd dann 
ſage, es fei ihm ein königlicher Mantel geſtohlen worden! — Du 
gehft voran und fehließeft uns Deine Niederlage auf!“ — 

Abraham gehorchte und ging mit dem Richter und dem 
Baden Hinauf. Bratislav bfieb allein mit bem Gefindel in ber 
engen Stube. Die wilden Ehriftenbuben liefen nun ihren Spott 
und Groll an dem vermeintlichen Judenburſchen aus, höhnten 
ihn, tanzten Geſichter ſchneidend vor ihm, fpudten fein Kleid an 
und trieben allerlei Unfug mir ihm. Er, eingeben? ber Rolle 
eines Stummen, blieb ruhig; die Furcht, auf biefe Art entbedt 
zu werden, hieß ihm feinen Zorn bändigen und bie Schmach 
ertragen. — 


237 


Nach einer geraumen Frift kam der Viertelsmeifter mit dem 
Söldnern zurüd. „Es if richtig,” fagte er, „ber Iſaatk ift nicht 
bier; aber mer ift ber dort in der Ede, was will der Bier, 
wie kömmt er in Dein Haus?" md er beleuchtete den Ritter 
mit feiner Laterne. 

„Wie ih Euch Hab gefagt,” berichtete Abraham, „es ie 
mein Better, der Beitel aus Kolin, der mid beſucht Hat und 
nicht reden kann, weil er ſtumm if. in unglüdlides Kind is 
ew. Der Heymann Girzi hat ihm gebracht. Ich fol ihn brauchen 
bier zum Baden und Tragen. Sonft taugt er niſcht.“ 

„Schurke!“ tobte der Biertelsmeifter, „warum haft Du ihn 
nicht gemeldet? Weißt Du, daß man unter Strafe von fünfzig 
Stodprügeln ohne meine Erlaubniß feinen fremden Juden be- 
herbergen darf?" 

„Beil er iS gelommen erft vor einer Stunde,” entſchuldigte 
Abraham, „und Ihr nicht feid gewefen zu Hans. Eure Mag 
fagte, Ihr feid im NKarpfenwirthshaus beim Bier — und wie 
ber Tumult is entftanden, da Hab id; mid, nicht getraut Binaus 
und Hab’ ihm nicht gelaffen heraus. Ich Hab’ ihn darum erft mel« 
ben wollen morgen. Er ift ein guter Menſch, aber er is dumm.” 

„Beim heiligen Iwan!“ ſchwur ber Vierter, „ber Menſch 
da hat fein Judengeſicht. Der ift ein Chriſt, vielleicht ein Knecht, 
den Du in Deine Dienfte genommen gegen das Gele. Gottes 
Fluch! — Weißt Du nicht, daß fein Jude einen Chriſten dingen 
darf, oder er wird ſechs Monate in den Thurm geworfen 9” 

„Hört mic, Herr!" gegenrebete Abraham eifrig; „er ift 
eben fo wenig ein Chriſt wie ein Knecht. Er ift mein Better, 
der Veitel ans Kolin. — Hat er fein judiſch Geſicht, fo hat 
fi feine Mutter vieleicht verfehen an einem Ehriften! aber flumm 
iR en" 

„Erſt ein Kleines Reizmittel!“ ſchrie der Viertler; „vielleicht 


288 


tommt die Wahrheit heraus.“ Und er nahm bei diefen Worten 
einen Stod und ſchlug unbarmberzig auf den Juden los. 

Diefer ertrug die Schläge gebufdig, bie des BViertlers Hand 
ans Mübigfeit innehielt. 

„Willſt Du nod nicht geſtehen?“ fragte diefer, duch feine 
Bornesäußerung wieder etwas abgekühlt. 

„Raun ih 'was Anders jagen,“ verſetzte Abraham unb 
richtete ih auf, „ale id weiß? Es is ber Beitel ans Kolin 
und flumm. Wären einige von unfern Leut' hier — fie Lönnten 
es bezeugen; fie Haben ihn kommen gefehen und mit mir auf 
der Straße geſchaut.“ 

„Ja — wir können e8 begengen! Ich kanu's beichwören!“ 
ſchrieen wie ans einem Munde einige Juden, welche ſich gleich- 
falls mit den Uebrigen Hereingedrängt hatten. 

„Da bört Ihr's — da Hört Ihr's, Herr Biertler!“ rief 
Abraham mit Genugthuung. — Wollt Ihr noch ſchlagen? Der 
Abraham wird's dulden, weil Ihr feid fein geſtrenger Herr.“ 

„Es mag für diesmal gut fein,“ antwortete ber Biertler; 
„morgen aber melbeft Du bei Zeiten den Burſchen bei mir und 
bringft ihn mit, oder Dir zahlft zehn Goldgulden. — Pla ger 
macht! — Wir wollen weiter gehen.” 

„Mafel toof! Reiches Glüd, Herr Biertler! — Der Herr 
behüte Euch!‘ ſprach Abraham fich verneigend. 

Kreifhend und jauchzend drängte fi) bie Rotte hinaus umd 
zog vor das nächſte Haus. — Abraham ſchloß die Pforte. 

"So!" fagte er und zündete an ber büftern Lampe Licht 
an, „ietzt find wir im Ruhe. Sie kommen nicht wieder. Set 
habt Ihr gefehen, wie is eine Nacht in der Judenſtadt. Seid 
nicht böfe, Herr, daß Ihr müffen in diefes ſchlechte M leid kriechen 
und für en Jüden gelten. Berzeiht, was ich hab’ gefagt Schlim- 
mes von Euch — es war bloß wegen der Verſtellung.“ 

„Raum hielt ich meine Wuth zurüd,” betheuerte ber Ritter, 


die mid antrieb, gegen dieſen Answurf der Chriſtenheit zu 
wüthen I" 

„So geſchieht e8 öfter, Herr!“ belehrte der Jude; „alle 
Wochen ein bis zweimal ift folhe Unterfuhung, umd bie Chriſten 
tommen mit und finden ums mit ben MWächtern und nehmen, 
mas fie friegen. Sie haben fonft fogar nicht verſchont ben Bei» 
figen Sabbath; aber jegt hat's verboten uufer gnäbiger Rönig 
Georg. — Soll ihn Gott dafür erhalten!" 

„Wie aber dan id es, wie iohm ich's Dir,“ fragte Bra- 
tislav, „Du edler Menſch im verachteten Stande, im Staube 
der Niedrigkeit? Du bit nur ein Jude umb befier, ale taufend 
Epriften.” 

„Ich will feinen Lohn, Herr! ſagte der Jude mit Selbſt- 
gefühl; „habt Ihr mir doc gegeben genug auf der Reife. Und 
Ihr feib ein Unglüdtiger — ein Verfolgter. Wenn Ihr wieber 
feid im Glücke, werdet Ihr nicht vergeffen den Abraham. Und 
menu Ihr feib geworben ein vornehmer Mann, ein Mann bei 
Hofe und von Einfluß, dann denkt an die armen Jüden und 
thnt etwas, zu lindern ihr Elend; benn wir find getreten ärger, 
als die Hünd', und Gott, unfer Aller Bater, Hat uns doch auch 
erſchaffen als Menſchen und Hat gewollt, daß wir fein follen 
Züden. — Ihr habt gefehen, welches Glüd is, Jud zu fein, und 
wie flart alfo muß fein ber Glauben an die Religion unfrer 
Bäter, daß wir Alles erdulden für den Glauben. — Wenn ber 
Herr König und feine Räth' und der Kanzler Tönnten einmal 
fehen, wie ihre Diener und Sölduer finden und treten, ver- 
fpotten und ſchlagen bie Juden, and wenn fe uuſchuldig fein, 
nur weil fe Juden fein, fie würden haben ä Erbarmen mit und 
und würden uns nehmen in ihren Schutz.“ 

„Ja,“ ſprach Bratislav vol Theilnahme, „Ihr werbet 
ſchlechter geachtet, al Ihr feid — Ihr werdet mißhandelt, wie 
Ihr's nicht verdient! — Woher aber, fage mir, nahmft Du bie 


240 


Zeugen, bie etwas befräftigen Tonnten, was nicht iR? — Haft 
Du benn einen Better, wie Du ihn geſchildert 2 

„Herr,“ beiehrte der Jude, „weil wir gefunden fein, hal- 
ten mer zuſammen; ein Jude gibt immer Zeuguiß für den an- 
dern Juden, weil es doch fein Chriſt thut. Weil Ihr feib unſre 
Feinde, müfjen wir uns verbinden gegen Euch, um abzuhalten 
die Schläge, bie uns treffen. — Ich hab’ feinen Neffen, Herr! 
Es is mir nur fo durch dem Kopf gefahren — als ih war in 
der Noth.“ 

„Wenn aber morgen ber Biertelsmeifter nad ihm fragt 
und er ift nit dba — welde Strafe wird Dich treffen?” meinte 
Bratislav. 

„Ich werde ſagen,“ verſetzte Abraham, „der Burſche war 
blöd, der Burſche hat gefehen, wie fe die Süden Bier jchlagen; 
er bat geglaubt, es is immer fo und könnt' ihm auch geſchehen, 
und er is darum aus Angft bavongelaufen. Ich werd's jelbft 
anzeigen und zwei Gulden ausfegen für ben, wer mir ihn bringt. 
— Die von unfere Leut' verraten mid nicht.“ 

„Euer ftarrer Glaube,“ feufzte Vratislav, „und unfre Ber- 
folgungsewuth machen Euch verfiodt. Ihr feid mehr unglücklich, 
als ſchlecht.“ 

„Warum follten wir auch ſchlechtgeboren fein?" gegenrebete 
Abraham; „waren wir doch vom Anfang der Welt und von 
Gott auserwählt durch feine Gnade. Umd ans dem Judentum 
ift erft geworden das Ehriftentfum, und aus biefem das Huffi- 
tenthum. Und wenn bie Katholiken fagen, die Lehre vom Kelche 
ſei ſchlecht, weil bie ihrige is älter und von Chriſtus Ber, fo 
tönnen wir fagen: Unfer Glaube is befier, weil er noch is älter. 
— Beil fie nun haben Neues Hinzugethan, is deswegen das 
Alte nicht geworden ſchlecht, was fie haben gelaffen. Gott ift 
anfer Gott, er wirb uns Allen helfen; aber die Menfchen ver- 
flehen ihn” nur alle nicht recht — ſouſt wurden fie handeln 


241 


alle gleich und nur thun, was is recht, und weil ſie ſich lieb 
haben.“ — 


„Es waren Eure Pfaffen,“ entgegnete Vratislav, „bie Chri- 
ffum freuzigten, und chriftiche Pfaffen haben Huf und Hierony- 
mus verbrannt. Das ift der Wechſel ber Welt und ber Schid- 
fale; der Menſch bleibt derfelbe. Ja, fie verfichen Gott nicht, 
und darum fuchen fie im falſchen Eifer das Verſtändniß. — 
Mein guter Zube, wir fönnten ruhig unter einem Dache wohnen, 
ohne uns wegen des Glaubens anzufeinden, obgleich ich es doch 
eigenttich folte; denn der Zube, auch gleichgefeit mit dem Chri« 
fien, wird doch nie fein Freund.” 


„Warum nicht, gnäbiger Herr?“ warf Abraham ein; „Ihr 
habt mic zwar bezahlt, es is wahr, aber ich hatte dod den 
Lohn ſchon im voraus. Nu, warum Tieß ich mich fehlagen lieber, 
als Euch zu verrathen? Weil ich bin Euer Freund, weil Ihr 
feid ein, Unglüdficher, und weil ih kann allein Euch helfen. Die 
Unglüdlihen find alle Kinder Gottes. Der Schmerz auf mein'n 
Rüden wird vergehen, und ich werd' haben freude, wenn Ihr 
feid in Sicherheit. Und wenn Ihr feid eim großer Herr geworben, 
und ic) ſehe Euch neben dem König auf'm Pferde, werd’ ich fa 
gen zu mir: Kennft Den, Abraham? Das hat ber Abraham ger 
macht; benn wär’ der Abraham nicht geweien, jo wär’ ber Ritter 
ſchon längftens tobt. — Ihr habt ſchöne Geſetz bei ben Chriſten, 
Herr Ritter! Du ſollſt lieben dein'n Nächſten, wie Did; Du 
jollſt wohlthun denen, die Dich haſſen und verfolgen. Aber, wie 
Heißt? Wird's gehalten non den Ehriften? Sollen wir üben es 
affo Halten, weil es die Ehriften nicht tfun — und es is doch 
micht unfer Gefeg! — Ufo die Jüben, die ſchlecht fein, bie fagen 
fo: Weil mer fe nicht können wiederſchlagen, fo woll'n mer fe 
betrügen; denn was hilft's, daß mer uns laffen treten und ihnen 
dafür wohlthun? Ge thun uns doch niemal® etwas wohl; je 

Herloßfohm: Der lebte Taborit. 1. 16 


Wenn id hier habe einen Schrank,” gegenredete der Zube, 
„und der iS dom meinem lr-Urgroßvater und hat ihm gehabt 
ber Gruben a mein Bat Te mh dog Kan fein an dem 

alten Scranfe, daß fe ihn haben befalten umb nicht zerſchlagen 
Holz Er muß fein ſeſt und dauerhaft oder bequem. Alſo 
aud fein im Jubentfum etwas Großes, etwas Göttliches, 
daß es is geblieben durch fo viel hundert Jahr, und Taufende 
von 2ent fein deshalb geworben elend umb tobt, gemartert 
und verfolgt, unb doch fein ihre Kinder wieder geworden Jüden 
und find es 


„Aber die Welt wird immer wieder jung,“ belehrte Bra- 
nielav und vom Baume fdneidet man bie verdorrten Aeſte, 
damit die friſchen deſto grüner treiben lönnen.“ 

„Eins aber,” fiel der Jude ein, „iR alt und ewig und 
doch immer jung geweſen und is es noch; das if Gott und 
der Glaube an ihn. Barum follen mer mit daran halten? 
Is er geweien für umfere Bäter recht, warum nidt auch für 
uns? Gein dog unſre Wäter geihleppt worden in die baby- 
loniſche Gefangenſchaft und Haben gehalten am Gott Iſrael's, 
amd er hat ihnen wieber geholfen. Warum ſoll uns derſelbe 
Gott, der doch if ewig jung, nicht noch einmal Helfen, daf wir 
tommen aus unferer Schmach, wenu wir haben abgebüßt unfre 
Sünden? Denn es heißt ja ein Spruch: Wen ber Herr liebt, 
den züdtigt er. Und er züuchtigt uns fon viele hundert Jahre; 
aber feine Barmberzigleit iſt ohne Ende, und er wirb uns aud 


243 


einmal wieder erheben, weil wir fo lange gefemeditet in ber 
Demüthigung.” 

„Chriſtus am Kreuze,” unterbrach ihn Wratislav, „rief bie 
Stunde Eurer Erhebung herbei. Gr prebigte die Liebe und bie 
Freigeit; die Auferfehung in einer beffern Form; Ihr hörtet 
ihn nicht und klebt am alten Wuſte, der unferer Zeit nicht mehr 
angehört und finfter und gefpenftiih in fie hineinſtarrt. So 
rang fid) andy aus dem vierzehn Jahrhundert alten Mober des 
Chriftentfums fein wahrer Geift verfärt und erneuert empor 
durch die Lehre Huffens. Und es wird nach wieder vielen Jahren 
tommen, daß dieſer Geift fich neuerdings und noch mehr ver- 
Hären wird. — Wie frei und geachtet fländet. Ihr als Bürger 
eines und besfelben Landes da, würdet Ihr unſers Glaubens! 
Ein Glaube im Lande, und es wäre unfbermindfic.” 

Aber es ift der fehler,” verſetzte der Jude, „baß bieje- 
nigen, bie prebigen einen neuen Glauben, immer heftig fein und 
wollen gleich haben, daß fi fol Alles befehren, noch bevor die 
Leut' eingefehen haben, daß es wirklich is ein befferer Glauben! 
Und fo zwingen fe Eingm den Glauben dur die Ohren hinein, 
Ratt daß er kommen foll von inmendig herans. Und weil Die 
nun nicht gleich glauben wollen, weil fe noch nicht können, fo 
werben fe verfolgt, werben gefunden nud getreten und werben 
noch verfiocter in ihrem Glauben. — Eins aber weiß id, Herr 
Ritter, und das ift wahr umd bleibt wahr. Wenn mer ie ä 
redlicher Menſch und Handelt nur recht und gut als Jüd' ober 
Chriſt, fo dag mer kann anf dem Xobtenbett frei fagen zu fein 
Gereifien: Haft du mer niſcht vorzumerfen? und 6 Gewiſſen 
ſchweigt, fo wird mer felig dort oben, ob mer is Chrift oder 
Jud', ob im Himmel oder auf ber grünen Wiefe. — Weil «6 
aber jegt is Zeit, Herr, und ſich Alles Hat verlaufen draußen, 
fo könnt' mer aufbrechen; denn in einer halben Stund' wird ge 
ſchloſſen das Thor, und Keiner kaun hinein und Keiner heraus. 

16* 


3 
i 
! 
1 
J 
! 


nn 
! 
IH 
i : 
I. 
rer 


N 
J 
MH 
Hi 
i 
IM 
| 
i 


HE 
x HH 
B 
T 
Ih 
ilhı 
Ende 


Bere 
ST 
I 
Fi 
if 
Pr 
4f 
AT; 


a KR 
[4 
R% 
35 


Hi 
i 
| 
; 


£ 
5 
EeE 


„ab Tant Ir Alles, edler Jude!” rief Bratisiav und 
nentedte die Band deo Oebraers; „ih werde oft Gelegenheit haben, 
am helfen ſagen gu tönnen: Geht dorthin und Iernet von dem 
when, hen Ahr ut deo Mamens wegen veraditet, feiner Gefin- 
mung haſber aber verreisen müßt. — Vreden wir auf.“ 

„erlaubt, Herr 1" ſprach Abraham, ihn zurüdhaltend; „Ihr 
mine nor andehalten das Kleld von einem Juden und das 
Orunhbeafäple dan Ihr nicht werdet erfannt. Wollt Ihr mir 





uchmen, aber de mur eine Mieinigkit non cimem Gäfden. U. 


hinaus, wo fi der Tumuit sr 
um bie Borübergehenden zu tänfdgen, lets gegen deu Riuer 
braiſch ſprach gelangten fie an den uns 
JIundenſtadt und ſchritten mnerlennt umb wicht aufgehatten Aber 
Ring nad) dem Xeinhofe zu. 


Wilada war wieder im Hauſe der Zeövicer angelangt. 
Sie erfuhr Hier nichts von ihrem Witter; denn der Jude hatte, 
von dem Biertfer ans Berdacht zur Saft gebracht, von feiner 
Ankunft noch feine Kunde geben Innen. Sie erfuße nur fo 
viel, daß der Berhaftbefehl gegen Bratislav noch immer im Kraft 
fei, weil Spanberg noch am feiner Wunde gefährlich darmieder lag 
und zwiſchen Tob umb Lehen fäwehte. Der König hatte zwar 
des alten Zedvicer’s Fürbitte freundlich aufgenommen, die Be- 
gnadiqung aber noch nicht zugefagt; es ſchien Alles auf die 
Rettung des Spauberger's anzufommen und darum war mod 
immer Gefahr für Bratislav vorhanden. 

Es war deuſelben Tag, an einem freitag, wo Sufol auf 
des Fränfeins Geheiß durch die Straßen der Stadt eilte, um 
Bier und da nad) feinem Herrn zu kuudſchaften; denn daß biefer 
heimlich in Prag fei, fchien ihm gewiß. Cr fam in die Nähe 
ber Schloßfiege. Auffallend war es ihm, daß eine große Men ⸗ 


anf dem Sae⸗ſe? cm Zeh oder cine Beichsung?- 

„Der König mimmi heut’ fei bes Abendmahl muier 
beiderlei Gehalt,” wer die Antwert; „er will das Gerede, 
das da fagt, er fei wide mehr gut caligtiiid gefkemt, be⸗ 
ſchamen. 

„Shen heut bes Hbenbmahl?“ fuhr Salel auf; „ich 
hörte ern vom Somming IM das fein Irrthum 7* 

den Somn- 


„Das wäre der Teufel“ fluchte Sulol, „ber fi Bier in 
mein Spiel mengte. Komme ich zu fpät, daun wehe mir, weh’ 
ans Allen!“ 

Er rannte nad) diefen Worten wie toll die ſteile Schloß ⸗ 
Riege hinauf, eilte athemlos fiber den Burghof und drängte fi 
wild in die Kirde bis vor an dem Hodaltar. Die Geiſtlichen 
übten bereits ihr Heifiges Amt, Roycana verrichtete das Officium, 
der Rönig, feine Gemahlin und beide Söhne faßen zur Linken 
bes Altars, vom Chore fchallte der boͤhmiſche Gefang der Sänger. 
Bollgedrangt war die Kirche; an dem Thüren fand die königliche 
rLeibwache mit Hellebarden. 

Detzt näherte fich der König mit feiner Familie dem Altar. 
— Rolycana goß den Wein in ben Kelch und fegnete ihn. Der 
König kniete nieder. — Die Unruhe, melde bis jet in Gufol 
getobt, brach heftig aus; er fprang über die ſteinerne Brüftung, 
welche den Hochaltar vom Schiff der Kirche trennt, flürzte vor 
gegen ben Erzbiſchof, viß ihm dem Kelch aus der Hand und ſchrie: 
et mein König, Du trinkſt fonft den Tod. — Das 

1 


247 


Erſchrocken fprang der König anf — ein Schrei des Ent- 
ſetzens fuhr durch die Berfamminng — Rofycana erbleichte und 
rang nad; Faffung — der Chor der Sänger verſtummte. 

Des König behielt feine Beſinnung. Er fah dem abenteuer- 
lichen Kriegeknecht ſcharf an; dann fragte er ernſt und Fräftig, 
während eine Todtenſtille und ängfllide Spannung über den 
Tanfenden von Menfchen, bie im Dome waren, lag: „Bi Du 
en Wohnfinniger oder ein Lügner? Wie iR Dein Name? 
Woher kimmft Du? Wer gab Dir das Recht, dieſe Heilige 
Handlung zu flören ?* 

nDie Mothwenbigteit, Here!“ verfegte Sukol mit Ruhe; 
„denn ohne mid, o Here! Tägeft Du in wenigen Tagen auf ber 
Todtenbahre. Ich bin mweber toll noch fdhlecht, Herr! Ich bin 
ein firengglänbiger, Huffitiicher Kriegefnect, der unter bem beiden 
Profopen gedient, und Lüge nicht. Ich fage Dir, ber Wein if 
vergiftet, und rette Dir fo das Leben.” 

„Schließt die Pforten!“ gebot der König einem neben ihm 
Rehenden Hauptmanne der Leibwache. „Laßt feine Seele aus 
der Kirche, Funf Söldner bewachen hier den Knecht, bie er 
Beweiſe geliefert Hat! — Nehmt ihm feine Waffen ab!“ 

Es geihah. Die Hellebarbiere vertheilten fi am ben 
Pforten und ließen Niemand hinaus. 

„Sprich nun, was Du weißt 1” befahl der König, an welchen 
fi die Gattin zitternd und bleich anklammerte. 

„Ich heiße Sukol, Herr,“ berichtete der Knappe, „und biene 
dem edlen Bratislan von Branik. In einer Schenke auf dem 
Strahof Iernt’ ich ihn kennen. Der Guardian der Kapuziner 
ſchlich dafelbft ein und aus und fpann Berrath mit dem Wirthe 
Michalek. Mein Herr ahnte e8 und wollte fie belaufchen. Doch 
ihn betraf Unglüd — er mußte fliehen, und ich belauerte flatt 
feiner die papififhen Hunde. So hörte ich denn, wie Du am 
heutigen Tage duch den Wein bier, ben eben der Schurke Mir 


q⸗act geiejert, vergiftet werden jefirk. Befich, dei der Mind 
uud ber Gafwirth herbeigeilefft werde. — Ram ich wicht, je 


1 
K 
& 
sg: 
“et 
Hr 


j 
* 


Eben war der Guardian im Begriffe zu eutfliehen; deun 
einer feiner Späher, ein Mönd, hatte an der Kirchenthüre ge- 
lauſcht und war noch vor dem Gchluffe der Thüren bei Sutol's 
Ausrufe: „Du trinfft Gift, König!’ entiprungen, um ihm Rad- 
richt zu geben. — 

Aber zu ſchnell folgte ihm die Wade auf dem Fuße; man 
wurde and des Michalek habhaft, nnd fo wurden unter einem 
ungehenren Bollsauflauf die beiden Verbrecher nad) der Kirche 
gebracht. Der Monch ſah ruhig und verfiodt feinem Schichale 
entgegen, aber auf Micdiefs bleihem, verzerrtem Antlig malte 
fi) die Sünde und die Todesaugſt. — 

Man führte fie in die Sacriſtei. Der König lehnte an 
dem Tauffteine und ſah bie Giftmiſcher durchbohrend an. „Euch 
Beide,“ fagte Georg, „hat man eines Anſchlags auf mein Leben 
bezuchtigt. Könnt Ihr Euch nicht rein wachen, dann märe es 
beffer, Ihr wäret nie geboren! Pater Guardion, Wirth Mir 
qhalel, was ift in biefem Kelche Hier, deſſen Wein Ihr mir 
kredenzt ?* 


249 


Der Priefter fenkte das Hampt und ſchwieg; Michalet zit- 
terte, daß ihm bie Knie brechen wollten. 

Sufol trat jet ans ber Ede hervor und fiellte fi vor 
den Birth Hin, der bei feinem Aublide wie vor einem Geſpeuſt 
zufommenfuhr. J 

„Gott grüß' Euch, Here Michalet,“ ſagte Sutol mit Hohn, 
„Ihr ſtinlender, gottesläfterlicher Böſewicht mit dem Anfage zum 
Fettwanſt, Ihr Ehrenmann, ber mich mit doppelter Kreide bedient, 
Ihr Spigbube, der ſich mein Freund genannt und im der Red 
nung mir das fell über die Ohren gezogen hat! Nun — was 
habt Ihr denn mit dem Kapuziner geſprochen? „Gar nichts! 
Ich zeigte ihm die Bilder; er eutſetzte ſich darüber. Ihr wißt. 
wie mir das Voll zuwider.““ Habt Ihr das nicht zu mir ge 
jagt, ehrlicher, frenggläubiger Calirtiner und Weinverfälſcher? 
Ihr Lumpenhund! — Ihr gleißneriſcher Heuchler! Wie hat Euch 
die Monftranz gefchmedt und der Beutel mit Golb unb das 
Erueifizlein? — Wenn Ihr in Zufunft wieder eine Berfhwörung 
in Enrem ehrbaren Haufe ausbrüten wollt, fo unterſucht erſt das 
Lager und ſeht zu, ob nicht Einer unter dem Bette fiedt. — 
Ihr waret eim weiler, ein pfiffiger Mann, der mich immer gern 
belehren wollte — habt Ihr jegt feinen Rath für Euch?“ 

„Schweig!“ gebot der König Sukol'n und wandte ſich zu 
den Berbrehern, indem er mit bonnernder Stimme fragte: „Was 
iR in dem Weine hier? Zrinkt von dem Wein, wenn Eud das 
eben lieb if!“ 

„Gnade — Erbarmen!“ ſchluchzte Michälek nud ſank zu 
des Könige Füßen. 

Der Möndy aber erhob das Haupt, fah den König trogig 
und wie mit Verachtung an, ergriff haſtig den Kelch, fette ihn 
an bie Lippen und verſchlang feinen Inhalt. 

„Gift ift darin,“ ſchrie der Guardian mit Ingrimm — 
„Gift für Didi“ . 


288 


fommt die Wahrheit heraus.“ Und er nahm bei diefen Worten 
einen Stod und ſchlug unbarmherzig auf den Juden los. 

Diefer ertrug die Schläge geduldig, bis des Viertlers Hand 
ans Mübdigfeit innehielt. 

„Willſt Du noch nicht geftehen?“ fragte biefer, durch feine 
Zornesäußerung wieder etwas abgekühlt. 

„gann id 'was Anders ſagen,“ verfegte Abraham und 
richtete ſich auf, „ale ich weiß? Es is ber Veitel aus Kolin 
and fiumm. Wären einige von unfern Leut bier — fie könnten 
es bezeugen; fie haben ihn kommen gefehen und mit mir auf 
der Straße geſchaut.“ 

„ga — wir können es bezeugen! Ich kann's beſchwören !“ 
färieen wie ans einem Munde einige Juden, welche ſich gleich- 
fols mit den Uebrigen Hereingebrängt Gatten. 

„Da Hört Ihrs — da Hört Ihre, Kerr Viertfer!" rief 
Abraham mit Genugthuung. — Wollt Ihr noch ſchlagen? Der 
Abraham wird's dulden, weil Ihr feid fein geſtrenger Herr.“ 

„Es mag für diesmal gut fein,“ antwortete ber Biertler; 
„morgen aber meldeft Du bei Zeiten den Burſchen bei mir und 
bringft ihm mit, ober Du zablft zehn Goldgufden. — platz ger 
macht! — Wir wollen weiter gehen.“ 

„Maſel toof! Reiches Glüd, Herr Biertler! — Der Her 
behüte Euch!“ ſprach Abraham ſich verneigend. 

Kreifchend und jauchzend drängte fic die Rotte hinaus und 
309 vor das nädfte Haus. — Abraham fchloß die Pforte. 

„So! fagte er und zündete am der düſtern Lampe Licht 
an, „jet find wir in Ruhe. Sie fommen nicht wieder. Jetzt 
Habt Ihr gefehen, wie is eine Nacht in der Judenſtadt. Geid 
nicht böfe, Herr, daß Ihr müflen in dieſes ſchlechte Kleid kriechen 
und für en Jüben gelten. Berzeißt, was ich hab’ gefagt Schlim- 
mes von Euch — es ‘war bloß wegen der Verſtellung.“ 

„Raum hielt ich meine Wuth zurüch,“ betheuerte ber Ritter, 


bie mid; antrieb, gegen dieſen Auswurf ber Chriſtenheit zw 
wathen I 

„So geſchieht es öfter, Herr!“ belehrte der Jude; „alle 
Wochen ein bis zweimal ift foldje Unterſuchung, und bie Chriſten 
Iommen mit und finden uns mit den Wäctern und nehmen, 
mas fie kriegen. Sie haben fonft fogar nicht verſchont den Hei» 
Tigen Sabbath; aber jegt hat's verboten unfer gnäbiger Pönig 
Georg. — Soll ihn Gott dafür erhalten I“ 

„Wie aber dauk ich es, wie lohn' ich's Dir,“ fragte Bra- 
tislav, „Du edler Menſch im verachteten Stande, im Staube 
der Niedrigleit? Du bift nur ein Jude und befier, als taufend 
Ehrifen.“ 

„Ich will feinen Lohn, Here! fagte der Jude mit Selbſt - 
gefühl; „habt Ihr mir doch gegeben genug anf der Reife. Und 
Ihr ſeid ein Unglüdliger — ein Berfolgter. Wenn Ihr wieder 
feid im Glüde, werdet Ihr nicht vergeffen den Abraham. Und 
wenn Ihr feid geworben ein vornehmer Mann, ein Mann bei 
Hofe und von Einfluß, dann denkt an bie armen Juden und 
tut etwas, zu lindern ihr Elend; denn wir find getreten ärger, 
als die Hünd’, und Gott, unfer Aller Vater, Hat uns doch auch 
erſchaffen als Menſchen und Hat gewollt, daß wir fein follen 
Yüden. — Ihr Habt gefehen, welches Glüd is, Iüd zu fein, und 
wie flarf alfo muß fein der Glauben an die Religion unfrer 
Bäter, daß wir Alles erdulden für deu Glauben. — Wenn der 
Hear König und feine Räth' und der Kanzler könnten einmal 
fehen, wie ihre Diener und Söldner ſchinden und treten, ver 
fpotten und ſchlagen die Juden, auch wenn fe unfchuldig fein, 
nur weil fe Juden fein, fie würben haben ä Erbarmen mit uns 
und würden uns nehmen in ihren Schub.” 

„Ja,“ ſprach Bratislav vol Theilnahme, „Ihre werdet 
ſchlechter geachtet, als Ihr ſeid — Ihr werdet mißhandelt, wie 
Ihr's nicht verdient! — Woher aber, fage mir, nahmft Du bie 


240 


Zeugen, Die etwas befcäftigen Tonnten, was wicht IR? — Haft 
Du denn einen Better, wie Du ihn gefchildert > 

dert,“ belehrte der Jude, „weil wir gefunden fein, hal- 
ten mer zufammen; ein Inde gibt immer Senguiß für den au 
dern Imben, weil es doch fein Chriſt thut. Weil Ihr feib nufre 
Feinde, müfſen wir uns verbinden gegen Euch, um abzuhalten 
bie Schläge, die uns treffen. — Ich Hab’ feinen Neffen, Herr! 
Es is mir nur fo durch dem Kopf gefahren — als ich war in 
der Roth." 

„Wenn aber morgen ber Biertelsmeifter nad ihm fragt 
und er ift nit da — welche Strafe wird Did treffen? meinte 
Bratielav. 

„Ich werde jagen,“ verfegte Abraham, „der Burſche war 
blöd, der Burſche Kat gejehen, wie fe die Jüden Hier ſchlagen; 
er hat geglaubt, es is immer fo und könnt' ihm auch gefchehen, 
und er is darum ans Angft bavongelaufen. Ich werd's ſelbſt 
anzeigen und zwei Gulden ausfegen für den, wer mir ihn bringt. 
— Die von unfere Leut' verrathen mich nicht.“ 

„Euer ftarrer Glaube,“ ſeufzte Vratislav, „und unfre Ber- 
folgungswuth madjen End verftodt. Ihr feid mehr unglücklich, 
als schlecht.“ 

„Barum follten wir auch ſchlechtgeboren fein?" gegenredete 
Abraham; „waren wir doch vom Anfang der Melt und von 
Gott anserwählt durch feine Gnade. Und ans bem Judenthum 
iſt erft geworben das Chriſtenthum, und aus dieſem das Huffie 
tenthum. Und wenn bie Katholiken fagen, die Lehre vom Kelche 
ſei ſchlecht, weil die ihrige is älter und von Chriſtus Her, fo 
tönnen wir jagen: Unfer Glaube is beffer, weil er noch i8 älter. 
— Beil fie num haben Neues Hinzugethan, is deswegen bas 
Alte nicht geworben ſchlecht, was fie Haben gelaffen. Gott ift 
unſer Gott, er wird uns Allen helfen; aber bie Menfchen ver- 
fehen ihn" nur alle nicht recht — ſonſt toilrden fie haudeln 


241 


alle gleich und nur thun, was is recht, und weil ſie ſich lieb 
haben.“ — 


„Es waren Eure Pfaffen,“ entgegnete Vratislav, „die Chrir 
fm frenzigten, und chriſtliche Pfaffen Haben Huß und Hierony- 
mus verbrannt. Das ift der Wechſel der Welt und der Schid- 
fale; der Menſch bfeibt derſelbe. Ja, fie verfiehen Gott nicht, 
und darum ſuchen fie im falfhen Cifer das Verſtändniß. — 
Mein guter Jude, wir fönnten ruhig unter einem Dache wohnen, 
ohne uns wegen des Glaubens anzufeinben, obgleich ich es doch 
eigentlich folte; denn der Jude, auch gleihgefellt mit dem Chri 
fen, wird dod nie fein Freund.“ 


„Warum nicht, gnäbiger Herr?“ warf Abraham ein; „Ihr 
Habt mid) zwar bezahlt, e8 is wahr, aber id) Hatte doch den 
Cohn fhon im voraus. Ru, warum ließ ich mic ſchlagen lieber, 
als Euch zu verrathen? Weil ic bin Ener Freund, weil Ihr 
feid ein. Unglüdficher, und weil ich Tann allein Euch Helfen. Die 
Unglüdtichen find alle Kinder Gottes. Der Schmerz auf mein'n 
Rüden wird vergehen, und ich werd’ haben freude, wenn Ihr 
feid in Sicherheit. Und wenn Ihr feid ein großer Herr geworben, 
und ic fehe End; neben dem König aufm Pferde, werb’ ich fa 
gen zu mir: Kennft Den, Abraham? Das hat ber Abraham ge 
macht; denn wär’ der Abraham nicht geweien, jo wär’ ber Ritter 
ſchon längftens tobt. — Ihr Habt ſchöne Geſetz bei den Chriſten, 
Herr Ritter! Du ſollſt lieben dein'n Nächten, wie Did; Du 
ſollft wohlthun denen, die Dich Haffen und verfolgen. Aber, wie 
Heißt? Wird's gehalten non ben Ehriften? Sollen wir Zübden es 
alſo Halten, weil es die Ehriften nicht tfum — und es is doch 
nicht unfer Geſetz — Ufo die üben, die ſchlecht fein, die fagen 
fo: Weil mer fe nicht können wiederſchlagen, fo woll'n mer fe 
betrügen ; denn was Hilft’s, daß mer uns laffen treten und ihnen 
dafür wohlthun? Ge thun uns doch niemals etmas wohl; fe 

Herlofohn: Der Iete Taborit. 1. 16 


242 


treten ung immerfort. — Warum follen mer uns allein aufe 
opfern ?“ 

„Und es bedarf nur eines Schrittes der Vernunft vorwärts,” 
befehrte Bratielan, „und Ihr feid Chriften; denn ift etwas im 
unſerer Lehre, wogegen fi das Herz, das Gewiſſen, bie ver- 
nünftige Sitte empört? Warum wollt Ihr alfo nicht die mohl- 
thätige Neuerung annehmen ?* 

Wenn ich hier babe einen Schrank,“ gegenrebete der Jude, 
„und ber is von meinem Ur-Urgroßvater und Hat ihm gehabt 
der Großvater und mein Vater, fo muß doc etwas fein an dem 
alten Schranke, daß fe ihn Haben behalten und nicht zerſchlagen 
zu Ho. Er muß fein feft und dauerhaft oder bequem. Alfo 
muß aud; fein im Judenthum etwas Großes, etwas Göttliches, 
daß es is geblieben durch fo viel Hundert Jahr, und Tauſende 
vom unfere ent’ fein deshalb geworben elend und tobt, gemartert 
und verfolgt, und doch fein ihre Kinder wieder geworden Jüden 
und find es geblieben.“ . 

Aber bie Welt wird immer wieder jung,“ belehrte Bra- 
tislav, „und vom Baume ſchneidet man bie verborrten Xefte, 
damit die frifchen defto grüner treiben fönnen.“ 

„Eins aber,“ fiel der Jude ein, „if alt umb ewig und 
do immer jung geweſen und is es noch; das ift Gott und 
der Glaube an ihn. Warum follen mer nicht baran halten? 
Is er geweien für umfere Väter recht, warum nicht auch für 
uns? Sein bo unfre Väter geſchleppt worben in die baby- 
louiſche Gefangenfhaft und haben gehalten am Gott Iſrael's, 
und er bat ihnen wieder geholfen. Warum fol uns derſelbe 
Gott, der doch ift ewig jung, nicht noch einmal helfen, daß wir 
tommen aus unferer Schmach, wenn wir haben abgebüßt unfre 
Sünden? Denn e8 heißt ja ein Sprud: Wen der Herr liebt, 
den züctigt er. Und er züdjtigt uns fon viele hundert Jafıe; 
aber feine Barmherzigkeit if ohne Ende, und er wird uns aud 





243 


einmal wieder erheben, weil wir fo lange geſchmachtet in ber 
Dermüthigung.“ 

„Chriſtus am Kreuze,“ unterbrach ihn Bratislav, „rief die 
Stunde Eurer Erhebung berbei. Er prebigte die Liebe und die 
Freiheit; die Auferflehung in einer beſſern Form; Ihr Hörtet 
ihn nit und Mebt am alten Wufte, der unferer Zeit nicht mehr 
angehört und finfter und gefpenfliih in fie hineinſtarrt. So 
ang ſich and aus dem vierzehn Jahrhundert alten Mober bes 
Chriſtenthums fein wahrer Geift verflärt und erneuert empor 
duch die Lehre Huffens. Und es wird nad wieber vielen Jahren 
tommen, daß biefer Geift fi neuerdings und mod mehr ver- 
Hären wird, — Wie frei umd geachtet fländet. Ihr als Bürger 
eines und desſelben Landes da, wardet Ihr unfers Glaubens! 
Ein Glaube im Lande, und e8 wäre unüberwindlich.“ 

„Aber es iR der Fehler,“ verſehte der Jude, „daß bieje- 
migen, bie predigen einen neuen Glauben, immer heftig fein und 
wollen gleich haben, daß ſich fol Alles befehren, noch bevor die 
Lent’ eingefehen Haben, daß e8 wirklich is ein befferer Glauben! 
Und fo zwingen fe Eingm den Glauben durch die Ohren hinein, 
Ratt daß er kommen foll von inwendig heraus. Und weil Die 
nun nicht gleich glauben wollen, weil fe noch nicht können, fo 
werben fe verfolgt, werben gefunden und getreten und werben 
noch verfiodter in ihrem Glauben. — Eins aber weiß ih, Herr 
Nitter, und bas ift wahr und bleibt wahr. Wenn mer is ä 
redlicher Menſch umd Handelt nur vet und gut als Jud' ober 
Chriſt, fo daß mer kann auf dem Todtenbett frei fagen zu fein 
Gewiffen: Haft du mer niſcht vorzumerfen ? und 6 Gewiſſen 
ſchweigt, ſo wird mer felig dort oben, ob mer is Chriſt oder 
ab’, ob im Himmel oder auf ber grünen Wieſe. — Weil es 
aber jet is Zeit, Herr, und fi Alles hat verlaufen draußen, 
fo Könnt’ mer aufbreden; denn in einer halben Stund' wird ge- 
ſchloſſen das Thor, und Keiner kann hinein und Keiner heraus. 

16* 


244 


— Wohin wollt Ihr, Herr Ritter? Denn bei mir fönnt Ihr 
morgen nicht bleiben, weil ber Biertler wird ſuchen meinen Better 
Beitel aus Kofin, ber ſtumm if.“ 

Bring’ mic nah dem Teinhofe — zu Pater Cyrillus, 
wenn Du ihn Tennf. Mur durch die Straßen, die ich nicht 
kenne, geleite mid, damit ih nicht nöthig Habe zu fragen. Ih 
Bunte mich fo leicht verrathen. — Nimm bier noch das Gold 
als ſchwachen Lohn. Schlägt mir bereinft eine glücklichere Stunde, 
werde ich Deines Dienftes eingeben fein. So aber kann Dir 
Einer, beffen Leben nicht mehr fein Eigenthum if, nicht mehr 
geloben. Morgen früh eile zum Ritter von Zedvic an ber 
Bruska; es ift mein Freund, der Dich zu mir gebracht. Sag’ 
ihm, daß id) Bier und beim Pater Cyrillus fei; er wird Dir 
den Gang vergelten.“ 

„Laßt das Gold, Herr Ritter!" ermiederte Abraham ; „id 
bin ein armer Jud', aber id nehm es nicht. Als Ihr feid 
wieber im Glüde, werd’ ih es nehmen. — Ihr feid ein edler 
Herr; Ihr werdet nicht vergeffen auf den armen Abraham, der 
für Euch Hat geduldet Schläge und Beſchimpfung. — Jetzt könnt 
Ihr es noch brauchen, Herr! Mann kann es dod nicht wiffen. 
Wil mer der Herr von Zedvic etwas geben, is gut; gibt er 
niſcht, bin ich auch zufrieden. Weiß ich doch, daß ich Hab’ Euch 
geholfen und Ihr noch könnt' werden mit ber Zeit ä großer Herr, 
& mächtiger Herr, der beihügen wird die üben.” 

„Hab' Dank für Alles, edler Jubel“ vief Bratislav und 
drüdte bie Hand bes Hebraers; „id; werbe oft Gelegenheit haben, 
zu Chriften fagen zu können: Geht dorthin und Iernet von dem 
Juden, den Ihr nur des Namens wegen verachtet, feiner Gefin- 
nung halber aber verehren. müßt. — Brechen wir auf.” 

„Erlaubt, Her !" fprad; Abraham, ihn zurüchaltend; „Ihr 
müßt noch anbehalten das Kleid von einem Jüden und das 
Scabbestäple — daß Ihr nicht werdet erfannt. Wollt Ihr mir 


245 


etwas geben Dafür, weil ich Damit treibe Handel, fo will iche 
nehmen, aber doch nur eine Kleinigkeit von einem Gülden. Es 
gehört in mein Geihäft, und id bin A armer Jübd'.“ 

„Hier — Hier!” fagte Bratislav und drang ihm zwei 
Goldſtücke auf. „Nun laß uns gehen!" 

Abraham öffnete die Thüre; fie traten auf die Strafe 
hinans, wo fi der Tumult gelegt hatte, nnd während der Jude, 
um die Vorübergehenden zu täuſchen, ſtets gegen ben Ritter he - 
braiſch ſprach, gelangten fie an den Wachen vorüber aus ber 
Judenſtadt und fehritten unerfannt und nicht anfgehalten über den 
Ring nach dem Teinhofe zu. 


20. 


Milada war wieder im Haufe der Zeövicer angelangt. 
Sie erfuhr hier nichts von ifrem Ritter; denn ber Jube hatte, 
von dem Biertler aus Verdacht zur Haft gebracht, von feiner 
Ankunft nod feine Kunde geben können. Sie erfuhr nur fo 
viel, ‚daß der Verhaftbefehl gegen Bratislav noch immer in Kraft 
fei, weil Spanberg no an feiner Wunde gefährlich darnieder lag 
und zwilhen Tod und Leben ſchwebte. Der König Hatte zwar 
des alten Zeövicer's Furbitte freundlich aufgenommen, die Be- 
gnadiqung aber nod nicht zugefagt; es ſchien Alles anf bie 
Rettung des Spanberger’s anzulommen und darum war nod 
immer Gefahr für Vratislav vorhanden. 

Es war denfelben Tag, an einem freitag, wo Sufol auf 
des Fräuleins Geheiß durch die Straßen ber Stadt eilte, um 
bier und da nad) feinem Herrn zu kundſchaften; denn daß biefer 
heimlich in Prag fei, ſchien ihm gewiß. Gr fam in bie Nähe 
der Schloßftiege. Auffallend war es ihm, daß eine große Men⸗ 


246 


ſchenmenge ſich eifrig die Stufen und die Sporuergaffe hinauf · 
bewegte. Er fragte einen Borübergehenden: „Was gibt es oben 
anf dem Schlofie? eim Feſt oder eine Belehnung ?* 

„Der König nimmt heut’ feierlich das Abendmahl unter 
beiberlei Geftalt,” war die Antwort; „er will bas Gerede, 
das da fagt, er fei nicht mehr gut calirtiniſch gefinnt, ber 
fämen.“ 

"Schon heut das Abendmahl?“ fuhr Sukol auf; „ic 
hörte exft vom Sonntag. IA das kein Irrthum?“ 

Nein!“ befcieb der Bürger; „erft war es auf den Sonn- 
tag bei feierfihem Hochamte beftimmt; weil aber ber König noch 
heut’ gen Beraun aufbricht, fo fol die Heilige Geremonie vor 
feiner Abreife flattfinden.” 

„Das wäre der Teufel!“ fluchte Sutol, „ber ſich Hier in 
mein Spiel mengte. Komme ich zu fpät, dann wehe mir, weh 
uns Allen!” 

Er rannte nad) dieſen Worten wie toll die fleile Schlof- 
Riege hinauf, eifte athemlos über den Burghof und drängte ſich 
wild in bie Kirche bis vor an den Hochaltar. Die Geiſtlichen 
übten bereits ihr Heifiges Amt, Rokycana verrichtete das Officium, 
der König, feine Gemahlin und beide Söhne faßen zur Linken 
des Altars, vom Chore ſchallte der böhmifche Gefang ber Sänger. 
Bollgedrängt war bie Kirche; an den Thiren ftand die königliche 
Leibwagje mit Hellebarden. 

Iegt näherte ſich der König mit feiner Familie dem Altar, 
— Rokycana goß den Wein in ben Kelch und fegnete ihn, Der 
König Iniete nieder. — Die Unruhe, welche bis jet in Sukol 
getobt, brach heftig ans; er fprang über die fleinerne Brüftung, 
welche ben Hodalter vom Schiff der Kirche trennt, ſtürzte vor 
gegen ben Erzbifchof, riß ihm dem Kelch aus der Hand und ſchrie: 
Teint nicht, mein König, Du trinkt fonft den Tod. — Das 
iſt Gift l 


27 


Erjſchroden fprang ber König auf — ein Schrei bes Ent- 
fegene fahr durch die Berfamminng — Rofycana erbleihte und 
zang nad) Faffung — der Ehor der Sänger verſtummte. 

Des König behielt feine Befinnung. Er ſah dem abentener- 
lichen Kriegsknecht ſcharf an; dann fragte er ernſt und Mräftig, 
während eine Tobtenfille nnd ängfliche Spannung über den 
Zanfenden von Menſchen, die im Dome waren, lag: „Bit Du 
ein Wahnfinniger oder ein Lügner? Wie ift Dein Name? 
Woher kömmſt Dun? Wer gab Dir das Recht, diefe Heilige 
Handlung zu flören ?* 

„Die Nothwendigleit, Herr!“ verſetzte Sukol mit Ruhe; 
„denn ohne mich, o Herr! lägeft Du im wenigen Tagen auf der 
Todtenbahte. ICH bin weder toll noch ſchlecht Herr! IH bin 
ein firenggläubiger, huſſitiſcher Kriegskuecht, der unter dem beiden 
Brotopen gedient, und füge wicht. Ih fage Dir, der Wein if 
vergiftet, und rette Dir fo das Leben.“ 

„Schließt die Pforten!" gebot der König einem neben ihm 
ſtehenden Hauptmanne der Leibwache. „Laßt feine Seele aus 
der Kirche; Fünf Söldner bewachen Hier den Knecht, bis er 
Beweiſe geliefert hat! — Nehmt ihm feine Waffen ab!“ 

Es geſchah. Die Hellebardiere vertheilten fih an den 
Pforten und ließen Riemand hinaus. 

„Sprich unn, was Du weißt I” befahl der König, an welchen 
fi, die Gattin zitternd und bleich anflammerte. 

„Ich Heiße Sufol, Herr," berichtete der Knappe, „und biene 
dem edlen Bratislan von Branik. In einer Schenke auf dem 
Strahof lernt' ih ihn kennen. Der Guardian der Kapuziner 
ſchlich dafelhft ein und aus und fpann Verrath mit dem Wirthe 
Michalek. Mein Herr ahnte es und wollte fie belaufen. Doch 
ihm betraf Unglüd — er mußte fliehen, und ich belauerte flatt 
feiner die papififgen Hunde. &o hörte ich denn, wie Du am 
Hentigen "Tage durch ben Wein Hier, den eben der Schurke Mir 


Er entferue fih linls Altare mit jeinem Hoffiaate in 
Die Sacrißei. 
Eben war der Guardian im Begrifie zu entflichen; denn 


einer feiner Späher, ein Mönd, hatte am der Kirchenthüre ge- 
lauſcht und war noch vor dem Schluſſe der Thüren bei Sufol’s 
Ausrufe: „Du trinfft Gift, König!“ entiprungen, um ihm Nach · 
richt zu geben. — 

Aber zu ſchnell folgte ihm bie Wache auf dem Fuße; man 
murde auch des Michalel habhaft, nud fo wurden unter einem 
ungehenren Bollsauflauf die beiden Berbreder nad) der Kirde 
gebracht. Der Mönch ſah ruhig und verfiodt feinem Schidfale 
entgegen, aber auf Micdief's bleichem, verzerrtem Antlitz malte 
fih die Sünde und bie Todesaugſt. — 

Dan führte fie in die Sacriſtei. Der König lehnte an 
dem Tauffteine und ſah die Giftmiſcher durhbohrend an. „Eu 
Beide,” fagte Georg, „hat man eines Anfchlage auf mein Leben 
bezüchtigt. Könnt Ihr Euch nicht rein waſchen, dann wäre es 
beffer, Ihr wäret nie geboren! Pater Guardion, Wirth Mi- 
chalel, was if in dieſem Kelche Hier, deſſen Wein Ihr mir 
kredenzt 9% 


249 


Der vrieſter fenkte das Haupt und ſchwieg; Michalel zit- 
terte, daß ihm die Kuie bredjeu wollten. 

Sulol trat jet ans der Ede hervor und fiellte fih vor 
ben Wirth Hin, der bei feinem Anblide wie vor einen Geſpeuſt 
zuſammenfuhr. 5 

„Gott grüß' Euch, Herr Michälek,“ ſagte Sukol mit Hohn, 
Ihr finkender, gottesläfterlicher Böfewicht mit dem Anfate zum 
Fettwanft, Ihr Ehrenmann, der mid) mit doppelter Kreide bedient, 
Ihr Spigbube, der fi mein Freund genannt und in ber Rede 
nung mir das fell über die Ohren gezogen bat! Nun — was 
habt Ihr denn mit dem Kapuziner gefprochen? „Gar nichts! 
Ich zeigte ihm die Bilder; er entſetzte ſich darüber. Ihr wißt. 
wie mir das Boll zuwider.“ Habt Ihr das nicht zu mir ge 
fogt,, ehrlicher, frenggläubiger Caliztiner und Weiuverfälſcher? 
Ihr Lumpenfund! — Ihr gleißneriſcher Heuchler! Wie hat Euch 
die Monftranz gefchmedt und ber Beutel mit Golb umb das 
Erneifizlein? — Wenn Ihr in Zukunft wieder eine Verſchwörung 
in Eurem ehrbaten Haufe ausbräten wollt, fo unterfucht erſt das 
Lager und feht zu, ob nicht Einer unter dem Bette ſtedt. — 
Ihr waret ein weifer, ein pfiffiger Mann, ber mic immer gern 
belehren wollte — Habt Ihr jetzt feinen Rath für End?“ 

„Schweig!“ gebot der König Sukol'n und mandte fi zu 
den Berbredern, indem er mit donnernder Stimme fragte: „Was 
iR in dem Weine bier? Trinkt von dem Wein, wenn Cuch das 
Leben lieb in!“ 

Gnade — Erbarmen!“ ſchluchzte Michälel und fant zu 
des Könige Füßen. 

Der Mönch aber erhob das Haupt, ſah den König trogig 
und wie mit Verachtung an, ergriff Haftig den Kelch, fegte ihn 
an bie Lippen und verſchlang feinen Inhalt. 

„Gift ift darin,“ ſchrie der Guardian mit Ingrimm — 
„Gift für Did I" 


I; 


rulihle, 


all 


Hi 


l: 


He 


in 


‚all 


Iihmelt 


In 


EIER 
HEINE 


251 


mahl bes Herrn genießen will! O ſelbſt wicht im Heidenthume 
ward fo Schredfiches erlebt! Und das foll ein reiner, ein Heiliger, 
ein alleinfeligmadhender Glaube fein, ber ſolche Unthat billigt und 
gebietet! Mit Gottes Sacrament vermählt Ihr den Mendelmord! 
Mönd, elender Sünder! wär’ id) ein gewöhnlicher Menfch, von 
irdiſchem Haffe erfült, ein taufendfaches Wehe hätte Deine Unthat 
allen Deinen Glaubensgenoffen bereitet! Denn wo Ihr falihen, 
giftigen Schlangen feid, wo Eure Religion bies preift als gort- 
gefällig Werk, da feid Ihr ja die Ausſätzigen unter meinen ge- 
finden Kindern! Wie kann Natur fi alfo ſelbſt verläugnen, wie 
tann bie Hand, die eben beſchenkt worden ift, fi zum Morbe 
gegen ben Bater, den König, den Wohlthäter erheben? Alſo das 
ift Eure Liebe — Euer Segen!?” 

„Anfer Segen,” verfetste ber Mönd; mit Vernichtung in ben 
Blicken, „wird zum Find allen Denen, bie Ketzer find, und da 
Du ber Furſt der Ketzer biſt, fo trifft Dich tauſendfacher Fluch! 
Wehe, Wehe ruf ich über Di, Deinen Stamm, Dein Regiment! 
Elend foll es Dir ergehen im Leben und noch elender jenfeits! 
Hier fol Du feine ruhige Stunde genießen auf Deinem Throne, 
umd, wenn Du ſtirbſt, ihn verwaift zurücklaſſen! Wo aber noch 
ein gut katholiſch Herz in einer Chriſtenbruſt ſchlägt, da wird 
Jeder fein Leben wagen und nad; dem Deinigen fireben wie ich! 
— Di Iebft verflucht — ich aber erringe bie heilige Märtyrer- 
trone !“ 

„Reißt ihm bie Zunge ans dem Halſe!“ riefen entſetzt 
Mehrere aus der Umgebung der Königs; „er läſtert den Ge- 
jalbten des Herrn — den Beihüger des Glaubens! Spannt 
ihn auf die Folter 1" 

„Die Zunge ausreißen?“ ſchrie Sukol und drängte ſich 
herbei — „das laßt mich thun! Ich kenne den Pfaffen und 
Habe eine größere Wuth gegen ihn im Herzen, als zehntanfenb 
Andere.” 





ich dieſen Mann, den ih Dir geliefert, zur Behandlung über- 
komme. Es weiß Keiner mit ihm fo umzugehen wie id, ber 
ihm Sänger kenut. Ich will Dir ifn mürbe maden, o Herr, wie 
ein Bund gebrochenen Flade. Cr hat mir Gntes getfan — er 
hat an mir feine Kreide doppelt verſchwendet, er hat mid gegen 
den Pfaffen da verläfert, als wäre ich fein Schuldner. Erlaube, 
Herr, daß ich meine Art von Folter an ihm verſuche. Ich firiegle 
ihm mit dem ſtumpfen Rüden eines deutſchen Schwertes das Rüd- 
geat, daß er es für einen Pſalm hält, dem die Engel im Himmel 
fingen. O Middle, Du Kreidenheld, Bierverbünner, Weinver - 
falſcher! &o dumm und fo feig, und doc ein Bluthund I" 
"Schafft den Verbrecher in's Gefäugniß I" gebot der König 
und wandte ſich gnädig zu Sukol mit ben Worten: „Hab' Dant, 
Du trener Kriegsknecht, der mir das Leben erhalten und das 
Land vor großer Verwirrung bewahrt hat! Das ganze Vaterland 
weiß e8 Dir Dank und wird, wenn es mit Entfegen von jenem 


Morbanfchlage fpricht, Und Deine Treue rühmen. Nimm diefe 
Kette Hier, bie ih auf meiner Bruft getragen, und trage fie ale 
Anbenfen anf dem Herzen. Kuie nieder! Bon nun an fol 
Dn fein Kuecht fein — mein Schwert ſchlagt Di zum Ritter. 
Sei der Edlen einer — der König wird Dich gern an feinem 
Hofe fehen. Richt für bie That adlein, fondern für viele frühere, 
wovon die Narben zeugen, belohn' ih Did.“ 

„Gnädiger König!" fagte Gutol, indem er auffland, mit 
Rührung, „Ihr Habt mid; fo unendlich reich gemacht, daß ich 
beihämt bin wie eim Knabe, der in der Schule öffentlich belobt 
wird. Noch eine Bitte, eigemtfich die einzige vom Uranfang, 
Hab’ ich auf dem Herzen; Du famf durd Deine Gnadenfpende 
ihr zuvor. Begnadige, Herr und König, meinen frühern Herrn, 
den Bratislav vou Branik; denn kam jener Unfall mit dem 
Spanberger nicht dazwiſchen, fo war er's, der Dein Leben rettete. 
Soll der Zufall über fein Berdienft entſcheiden? Heut‘, wo Dir 
Gott Hat Dein Leben erhalten — fchenf and ein Leben Einem, 
der's verdient wie Vratislav.“ 

n&s ſei!“ verfegte Georg; „man verfünde öffentlich, daß 
der Bann gegen dem Ritter anfgehoben fei und er zurüdtehren 
fönne. Iſt er gefangen, fo fol man ihn augenblidfih in Frei» 
heit fegen. Ritter Sulol! — Ihr meldet Euch morgen bei 
meinem Zahfmeifter. — Nun aber anf! Es geziemt fid, vor 
dem Hochaltare dem Eigen inbrünftigen Dank zu zollen, wie er 
gnäbig gewaltet hat über unfer Leben und des Baterlandes Heil; 
denn von ihm kömmt Rettung, Gnade und Erbarmen. Meinem 
treuen Bolfe ſei unter Trompetenklang von Herolden auf allen 
Plägen und Märkten unfere wunderbare Rettung verkündet: bie 
Armen feien drei Tage lang Gäſte an meinem Tiſche.“ 

Er ging mit feinem Hofſtaate nad) dem Hodaltare zurid ; 
mit Freudenjauchzen empfing ihn die ſtumm harrende Verſamm ⸗ 
lung. Roltycana beſtieg die Kanzel, machte dem Volle den Bor- 


zu - 


— Bohin wollt Ihr, Herr Ritter? Denn bei mir könnt Ihr 
morgen nicht bfeiben, weil ber Biertler wird ſuchen meinen Better 
Beitel ans Kolin, der ſtumm if.“ 

Bring’ mi nad dem Teinhofe — zu Pater Cyrillus, 
wenn Du ihn kennſt. Nur durch bie Strafen, bie id nicht 
tenne, geleite mich, damit ich nicht nöthig habe zu fragen. Ich 
Böunte mich fo leicht verrathen. — Nimm Hier noch das Gold 
als ſchwachen Lohn. Schlägt mir bereinft eine glüdtichere Stunde, 
werde ich Deines Dienftes eingebent fein. So aber kanı Dir 
Einer, beffen Leben nicht mehr fein Eigentfum if, nicht mehr 
geloben. Morgen früh eile zum Ritter von Zeövic an ber 
Bruska; es ift mein Freund, der Dich zu mir gebracht. Sag” 
ihm, daß ich Hier uud beim Pater Eyrillus fei; er wird Dir 
den Gang vergelten.” 

„Laßt das Gold, Herr Ritter!" ermiederte Abraham ; „id 
bin ein armer Jud', aber ich nehm’ es nit. Als Ihr feid 
wieber im Glüde, werb’ ich es nehmen. — Ihr feid ein ebler 
Herr; Ihr werdet nicht vergeffen auf ben armen Abraham, der 
für Euch Hat gebuldet Schläge und Beichimpfung. — Jetzt könnt 
Ihr es noch brauchen, Herr! Mann kann es doch nicht wiffen. 
Will mer ber Herr von Zedvic etwas geben, is gut; gibt er 
mifcht, bin ich auch zufrieden. Weiß ich doch, daß id) hab’ Euch 
geholfen und Ihr noch könnt' werben mit ber Zeit & großer Herr, 
& mächtiger Herr, der befjäßen wirb die Jüden.“ 

„Hab' Dank für Alles, edler Jude!“ rief Vratislav und 
drüdte die Hand bes Hebräers; „ih werde oft Gelegenheit haben, 
zu Ehriften fagen zu fönnen: Geht borthin und lernet von dem 
Juden, den Ihr nur des Namens wegen veraditet, feiner Gefin- 
nung halber aber verehren müßt, — Brechen wir auf.“ 

„Erlaubt, Here " fpra Abraham, ihn zurüchaltend; „Ihr 
müßt noch anbehalten das N leid von einem Jüben und das 
Scabbesfäple — daß Ihr nicht werdet erfannt. Wollt Ihr mir 


etwas geben dafür, weil ich damit treibe Handel, jo will id’e 
nehmen, aber doch nur eine Kieinigfeit von einem G@ülden. Es 
gehört in mein Gefhäft, und id bin A armer Jud'.“ 

„Bier — hier!" fagte Bratislav und drang ihm zwei 
Solofüde auf. „Nun laß uns gehen!" 

Abraham öffnete die Thüre; fie traten auf bie Straße 
hinaus, wo fi der Tumult gelegt hatte, und während der Jude, 
um die Borübergehenben zu täufdjen, ſtets gegen den Ritter he - 
braiſch ſprach, gelangten fie an den Wachen vorüber aus der 
Judenſtadt und fhritten unerkannt und nicht anfgehalten über den 
Ring nad dem Teinhofe zu. 


Milada war wieder im Haufe der Zeövicer angelangt. 
Sie erfuhr Bier nichts von ihrem Witter; denn ber Inde hatte, 
von dem Biertler aus Berdacht zur Haft gebracht, von feiner 
Ankunft noch feine Kunde geben können. Sie erfuhr nur fo 
viel, daß der Verhaftbefehl gegen Vratislav noch immer in Kraft 
fei, weil Spanberg nod an feiner Wunde gefährlich barnieder Tag 
und zwiſchen Tod und Leben ſchwebte. Der König hatte zwar 
des alten Zeövicer’s Fürbitte freundlich aufgenommen, die Be- 
gmadigung aber nod nicht zugefagt; es ſchien Alles auf die 
Rettung des Spanberger’s anzulommen und barum war noch 
immer Gefahr für Vratislav vorhanden. 

Es mar benfelben Tag, an einem freitag, wo Sufol auf 
des Fräuleins Geheiß durch die Straßen ber Stadt eilte, um 
bier und da nad feinem Heren zu kundſchaften; denn daß diefer 
heimlich in Prag fei, fhien ihm gewiß. Cr fam in die Nähe 
der Schloßſtiege. Auffallend war es ihm, daß eine große Men- 


246 


ſchenmenge fih eifrig die Stufen umb die Sporuergaffe Binauf- 
bewegte. Er fragte einen BVorübergehenden: „Was gibt e8 oben 
auf dem Schloſſe? ein Feſt oder eine Belchnung ?* 

„Der König nimmt heut feierlich das Abendmahl unter 
beiderlei Geſtalt,/ war die Antwort; „er will bas Gerede, 
das da fagt, er fei nit mehr gut caliztinifch gefinnt, be- 
ſchamen.“ 

„Schon Heut das Abendmahl?" fuhr Sutol auf; „ich 
hörte erft vom Sonntag. IA das fein Irrthum ?“ 

Nein!“ beſchied der Bürger; „erſt war e8 auf den Sonn- 
tag bei feierlichen Hochamte beftimmt; weil aber der König noch 
heut’ gen Beraun aufbricht, fo fol die Heilige Geremonie vor 
feiner Abreife ſtattfinden.“ 

„Das wäre der Teufel!“ fluchte Sutol, „der ſich Hier in 
mein Spiel mengte. Komme ich zu fpät, dann wehe mir, weh’ 
ung Allen!“ 

Er rannte nad dieſen Worten wie toll die fleile Schloß · 
fliege hinauf, eifte athemlos über den Burghof und drängte fi 
wild in bie Kite bie vor an den Hochaltar. Die Geiftlihen 
übten bereits ihr heiliges Amt, Rokyeana verrichtete das Officum, 
der König, feine Gemahlin und beide Söhne faßen zur Linken 
des Altars, vom Chore fchallte der boͤhmiſche Gefang der Sänger. 
Bollgedrängt war die Kirhe; an dem Thüren ftand bie königliche 
Leibwache mit Hellebarden. 

Jetzt näherte fih der König mit feiner Familie dem Altar. 
— Rofkycana goß den Wein in ben Kelch und fegnete ihn. Der 
König Iniete nieder. — Die Unruhe, welche bis jet in Sukol 
getobt, brach heftig aus; er ſprang über die fleinerne Brüftung, 
welche den Hochaltar vom Schiff der Kirche trennt, ſtürzte vor 
gegen den Erzbiſchof, riß ihm dem Kelch aus der Hand und ſchrie: 
Trink nit, mein König, Du trinkſt fonft den Tod. — Das 
iſt Siftl“ 


247 


Erſchrocen fprang der König anf — ein Schrei des Ent 
jegens fuhr durch die Verſammlung — Rokycana erbleichte und 
rang nach Faffung — der Ehor ber Sänger verſtummte. 

Der König behielt feine Befinnung. Er ſah den abenteuer» 
Ken Kriegsknecht fcharf an; dann fragte er ernſt und kräftig, 
während eine Todtenſtille umd ängſtliche Spannung über ben 
Tauſenden von Menſchen, die im Dome waren, lag: „Bift Di 
ein Wahnſinniger oder ein Lügner? Wie if Dein Name? 
Woher Lmmft Du? Wer gab Dir das Reit, biefe heilige 
Handlung zu flören ?* 

Die Nothwendigkeit, Herr!“ verfegte Sukol mit Ruhe; 
„denn ohne mich, o Herr! lägeft Du in wenigen Tagen auf ber 
Tobtenbahre. IH bin weder toll noch ſchlecht, Herr! Ich bin 
ein firenggläubiger, hufitiiher Kriegaknecht, der unter dem beiden 
Prolopen gedient, und Lüge nicht. Ih fage Dir, der Wein if 
vergiftet, und rette Div fo das Leben.“ 

„Schließt die Pforten!” gebot ber König einem neben ihm 
Hehenden Hanptmanne der Leibwache. „Lafit keine Seele aus 
der Kirche; Funf Söldner bewaden hier den Knecht, bis er 
Beweiſe geliefert Hat! — Nehmt ihm feine Waffen ab!“ 

Es geihah. Die Hellebardiere vertheilten fih an den 
Pforten und ließen Niemand hinaus. 

nSprid nun, was Du weißt I” befahl der König, an welchen 
fi) die Gattin zitternd und bleih anflammerte. 

„Ich Heiße Sukol, Herr,” berichtete der Knappe, „und diene 
dem edlen Bratislan von Branil. In einer Schenke auf dem 
Strahof lernt’ id ihn kennen. Der Gnardian der Kapuziner 
ſchlich dafelhft ein und ans und fpann Berrath mit dem Wirthe 
Michalet. Mein Herr ahnte es und wollte fie belauſchen. Doch 
ihn betraf Ungluck — er mußte fliehen, und ich belauerte flatt 
feiner die papififhen Hunde. &o hörte ich denn, wie Du am 
heutigen Tage durch den Wein bier, den eben der Schurle Mi- 


248 


qalet geliefert, vergiftet werben ſollteſt. Beficht, dab der Möuch 
und ber Gaſtwirth berbeigeihafft werde. — Sam ih nicht, jo 
tettete Did; mein Herr, ber jegt in Ungnade ſchmachtet.“ — 

„Zehn von Euch werfen fi auf Roſſe!“ gebot Georg ber 
Seibwache; „Hauptmann Zummande, Ihr führt fie! Sprengt 
nad dem Kapmzinerkiofter und mad dem Strahof; bringt dem 
"Guardian und den Wirth im Fluge hierher! — Ihr, meine 
Freunde, Räthe und Getreuen folgt mir in die Sacriſtei; auch 
Du, Kueht! Das Bolt bleibt fo lange in ber Kirche, bis wir 
Licht in der Sache erhalten haben. Dann freue es fi mit ung, 
wenn es fi beflätigt hat, daß bie NRänfe der Böſewichter ge- 
ſcheitert find." — 

Er entferute ſich links vom Altare mit jeinem Hofitaate im 
die Gacriftei. 

Eben war der Guardian im Begriffe zu entfliehen; denn 
einer feiner Späher, ein Mönd, hatte an der Kirchenthüre ge- 
lauſcht und war noch vor dem Schluſſe der Thüren bei Sutol's 
Ausrufe: „Du trintft Gift, König “ entiprungen, um ihm Nach - 
richt zu geben. — 

Aber zu ſchnell folgte ihm die Wache auf dem Fuße; man 
wurde aud des Michalek babhaft, und fo mwurden unter einem 
ungehenren Bollsauflauf die beiden Verbrecher nad ber Kirche 
gebracht. Der Monch ſah ruhig und verfiodt feinem Schidjale 
entgegen, aber auf Micjdiefs bleichem, verzerrtem Antlig malte 
fih die Sünde und die Tobesangft. — 

Man führte fie in die Sacriftei. Der König lehnte an 
dem ZTauffteine und fah die Giftmifcher durchbohrend an. „Euch 
Beide,” fagte Georg, „hat man eines Anlage auf mein Leben 
bezüchtigt. Könnt Ihr Euch nicht rein waſchen, dann wäre es 
beffer, Ihr wäret nie geboren! Pater Guardian, Wirth Mi- 
qhalet, wos ift in dieſem Kelche Hier, deffen Wein Ihr mir 
Hrebengt v⸗ 





29 


Der Priefer fenkte das Hampt und ſchwieg; Michalek zit- 
terte, daß ihm die Knie bredien wollten. 

Sulol trat jest ans der Ede hervor und ftellte fi vor 
den Wirth Hin, der bei feinem Anblide wie vor einem Geſpeuſt 
zufammenfuhr. J 

„Gott gruß' Euch, Herr Michälet,“ ſagte Sulol mit Hohn, 
„Ihe ſtinkender, gottesläſterlicher Böſewicht mit dem Anfage zum 
dettwanſt, Ihr Ehreumann, der mid mit doppelter Kreide bedient, 
Ihr Spitzbube, der ſich mein Freund genannt umd in ber Rede 
nung mir das fell über die Ohren gezogen Hat! Nun — was 
habt Ihr denn mit dem Kapuziner geſprochen? „Gar nichts! 
Ich zeigte ihm die Bilder; er eutſetzte ſich darüber. Ihr wißt, 
wie mir das Volk zuwider.“ Habt Ihr das nit zu mir ge 
jogt,, ehrlicher, Arenggläubiger Caliztiner und Weinverfälicher? 
Ihr Lumpenhund! — Ihr gleißnerifcher Heuchler! Wie hat Euch 
die Monftranz gefhmedt und der Beutel mit Gold und das 
Erneifizfein? — Wenn Ihr in Zukunft wieder eine Verſchwörung 
in Eurem ehrbaten Haufe ausbräten wollt, fo unterſucht erſt das 
Lager und ſeht zu, ob nicht Einer unter dem Bette fledt. — 
Ihr waret ein weiler, ein pfiffiger Mann, der mich immer gern 
belehren wollte — habt Ihr jet keinen Rath für Euch?“ 

„Schweig!” gebot der König Suto’n und wandte fi zu 
den Berbredern, indem er mit donnernder Stimme fragte: „Was 
iR in dem Weine hier? Trinft von dem Wein, wenn Cuch das 
Leben lieb il“ 

„Gnade — Erbarmen!“ ſchluchzte Michälek und fant zu 
des Könige Füßen. 

Der Mönch aber erhob das Haupt, fah den König trogig 
und wie mit Beratung an, ergriff haſtig den Kelch, fette ihn 
an die Lippen und verſchlang feinen Inhalt. 

„Gift iſt darin,“ ſchrie der Guardian mit Ingrimm — 
„Giſt für Digi“ . 


0 


Ein Schrei des allgemeinen Eutſetzens und Unwillens flog 
duch die Berfammlung. Der Mönd warf den Kelch zu Boden, 
daß er klirrend über die Marmorplatten hinrollte, und rief, als 
auf das Erflaunen eine Todtenſtille gefolgt war: „Seht hab’ ich 
das Gift in mir — wenige Augenblide, und ich ſterbe mit meir 
nem Geheimniß! — Ja, König, das Gift war fir Dich beftimmt ! 
— jener Xnedht Hat nicht gelogen. Ih Haffe Did), ich verfludhe 
Did als einen Sohn des Antichrift, als einen Feind ber heifigen 
Kirche, welche Du ſchandeſt durch Tegerifches Abendmahl, bie Di 
in den Staub getreten Haft! Ja, ich verfluche Di im Namen 
des Heiligen Vaters, ber unfer Aller Herr und Meifter if, ih 
rufe das Anathema über Dein Haupt umd fordere Did; vor 
Gottes Richterftuhl! Ich ſterbe als ein Märtyrer für den Heiligen, 
einzigen Glauben, und Du wirt leben im Ausſatze der Sünde, 
behaftet mit dem Banne der Kirche, im mobderigen Leibe eine 
verdammte Seele! Ja, ich haſſe Di und Viele haffen Did noch 
— bie gleichgefinnt find wie ih! — Jener feige Schurke zu 
Deinen Füßen, der um fein Leben fleht und nicht den Muth Hat 
zu ſterben, war nur ein Werkgeug in meiner Hand. Bon men 
der Plan zur Race kam, weiß er nit. Die Folter wird ihm 
nichts erpreffen; denn der Tod mwühlt ſchon in meinen Gebärmen 
wie ein Hungriger Wolf, wie Du wütheR gegen ben reinen 
Glauben -und die Diener der Kirche.“ 

„Auswurf der Menſchheit!“ rief Georg, „ift es doch kaum 
glaublih, daß Dich ein menschlich Weib geboren mit diefem fluch- 
würdigen Haſſe, mit diefem heimtüdifhen Ingrimme! Undant- 
barer Böfewicht! was hab’ ich Euch gethan, da Ihr heimlich 
mit Gift mir nad dem Leben ftellet? Hab’ ich Euch doch beſchützt 
wie bie Priefler meines Glaubens, hab’ Eure perfönlihe Sicher 
heit fefigeftellt, habe meinen Prieftern bei harter Strafe Duld- 
famteit geboten, Hab’ End; Cure Möfter wieder zurüdgegeben, 
und Ihr gießt mir Gift unter den Wein, den ich zum Liebes- 


251 


mahl des Herrn genießen will! O ſelbſt micht im Heibenthume 
ward fo Schredliches eriebt! Und das fol ein reiner, ein heifiger, 
ein alleinfeligmagender Glaube fein, der ſolche Unthat billigt und 
gebietet! Mit Gottes Sacrament vermäßlt Ihr den Menchelmorb! 
Mönd, elender Sünder! wär’ id; ein gewöhnlicher Menſch, von 
irdiſchem Haffe erfüllt, ein tauſendfaches Wehe hätte Deine Unthat 
allen Deinen Glaubensgenoffen bereitet! Denn wo Ihr falfchen, 
giftigen Schlangen feid, wo Eure Religion dies preift als gott- 
gefällig Werk, da ſeid Ihr ja die Ansfägigen unter meinen ge- 
funden Kindern! Wie kann Natur fd alfo ſelbſt verfäugnen, wie 
kann die Hand, die eben beſchenktt worden ift, ſich zum Morde 
gegen den Bater, den König, den Wohlthäter erheben? Alſo das 
iſt Enre Liebe — Euer Segen?” 

„Unſer Gegen,” verjegte der Mönch mit Vernichtung in bem 
Biden, „wird zum Find allen Denen, bie Keger find, und da 
Du der Fürft der Ketzer bift, fo trifft Dich tauſendfacher Fluch! 
Wehe, Wehe ruf id; über Did, Deinen Stamm, Dein Regiment! 
Elend foll e8 Dir ergehen im Leben und noch elender jenfeits! 
Hier fol Du feine ruhige Stunde genießen auf Deinem Throne, 
und, wenn Du ſtirbſt, ihm verwaiſt zurüdfaffen! Wo aber noch 
ein gut katholiſch Herz in einer Chriftenbruft ſchlägt, da wird 
Jeder fein Leben wagen und nad; dem Deinigen fireben wie ich! 
— Du lebſt verflucht — ich aber erringe die Heilige Märtyrer- 
trone 1" 

„Reßt ihm die Zunge aus dem Halſe!“ riefen entſetzt 
Mehrere aus der Umgebung der Könige; „er läftert den Ge- 
jalbten des Herrn — ben Beihüger des Glaubens! Spannt 
ihn auf die Folter I" 

„Die Zunge ausreißen?“ ſchrie Sukol und brängte fi 
herbei — „das laßt mich tun! Ich kenne den Pfaffen und 
Habe eine größere Wuth gegen ihn im Herzen, als zehntaufend 
Andere.” 


262 


„Schweigt!” gebot ber König, „laßt ihm den Irrwahn, 
für den er fi opferte; denn ohne ihn wär fein Zuſtaud 
fejredtich.“ 

Ask !* Teeifchte jegt noch einmal der Guardian und brach 
zuſammen — fein Antlig wurde blau — bie Lippen weiß, bie 
Mienen vergerrten ſich — feine Angen trateu weit aus ber Höhle. 
Der Tod umllammerte ihn mit eisfaltem Leichenarm — fein 
Herz zudte nur noch Trampfhaft, mit dem Leben ringend. 

„Er ſtirbt!“ Sprach der König — „Gott fei feiner Seele 
gnäbig! Den andern Mann Hier aber, der ihm Hilfreiche Hanb 
geleiftet, fpannt auf die Folter und preßt ihm das Gefländniß 
beffen, was er weiß ab, dann verfalle er dem Henker! Wir 
aber wollen auf ber Hut fein gegen bie reißenden Wölfe, bie 
unter unfern guten Unterthanen herumſchleichen, und in Nadt 
und Grauen die Hand erheben zum Königsmorde.“ 

„Erlaube, gnäbiger König,“ bat Sukol hervortretend, „daß 
ich diefen Mann, ben ih Dir geliefert, zur Behandlung über- 
lomme. Es weiß Keiner mit ihm fo umzugehen wie id, der 
ihn länger fennt. Ich will Dir ihu mürbe machen, o Herr, wie 
ein Bund gebrochenen Flachs. Er hat mir Gutes gethan — er 
hat an mir feine Kreide doppelt verfchwenbet, er hat mic gegen 
den Pfaffen da verläßtert, ale wäre ich fein Schuldner. Erlaube, 
Herr, daß ich meine Art von Folter an ihm verfuche. Ich firiegle 
ihm mit dem ſtumpfen Rücken eines deutſchen Schwertes das Rüd- 
grat, daß er es für einen Pſalm hält, den die Engel im Himmel 
fingen. O Micälel, Du Kreidenheld, Bierverbünner, Weinver- 
fälſcher! So bumm und fo feig, und bod ein Bluthund I" 

„Schafft den Verbreder in’s Gefängniß 1” gebot ber König 
und wandte fi gnädig zu Sukol mit den Worten: „Hab' Dan, 
Du treuer Kriegsknecht, der mir das Leben erhalten und bas 
Land vor großer Verwirrung bewahrt hat! Das ganze Vaterland 
weiß es Dir Danf und wird, wenn es mit Entfegen von jenem 


258 


Mordanſchlage fpricht, ünch Deine Treue rühmen. Nimm diefe 
Nette Bier, die ih auf meiner Bruſt getragen, und trage fie als 
Andenken auf dem Herzen. Knie nieder! Bon nun an ſollſt 
Du kein Knecht fein — mein. Schwert fchlägt Dich zum Ritter. 
Sei der Edlen einer — der König wird Dich gern an feinem 
Hofe fehen. Richt für die That allein, fondern fitr viele frühere, 
wovon die Narben zeugen, belohn' ich Did.“ 

„Gnädiger König!" fagte Gutol, indem er aufftand, mit 
Rührung, „Ihr habt mich fo unendlich reich gemacht, daß ich 
befhämt bin wie ein Made, der in der Schule öffentlich belobt 
wird. Noch eine Bitte, eigentlich die einzige vom Uranfang, 
hab’ ich auf dem Herzen; Du kamſt durch Deine Gnadenſpende 
ihr zuvor. Begnadige, Herr und König, meinen frühern Herrn, 
den Bratislav von Branik; denn Lam jener Unfall mit dem 
Spanberger nicht dazwiſchen, fo war er's, der Dein Leben rettete. 
Soll der Zufall über fein Verdienſt enticheiden? Heut‘, wo Dir 
Gott hat Dein Leben erhalten — ſcheuk auch ein Leben Einem, 
der's verdient wie Bratislav.“ 

„Es ſei!“ verſetzte Georg; „man verfünde öffentlich, daß 
der Bann gegen den Ritter anfgehoben fei und er zurüdtehren 
fönne. ° IR ex gefangen, fo foll man ihm angenblielid in Freie 
heit fegen. Ritter Guloll — Ihr meldet End) morgen bei 
meinem Zahfmeifter. — Nun aber anf! Es geziemt ſich, vor 
dem Hochaliare dem Ewigen inbrünftigen Dank zu gollen, wie er 
gnädig gewaltet hat über unfer Leben und des Baterlandes Heil; 
denn von ihm kömmt Rettung, Gnade und. Erbarmen. Meinem 
treuen Volle fei unter Trompetenflang von Herolden auf allen 
Blöägen und Märkten unfere wunderbare Rettung verkündet: bie 
Armen feien drei Tage lang Gäſte an meinem Tiſche.“ 

Er ging mit feinem Hofftaate nad) dem Hodaltare zurüd ; 
mit Freudenjauchzen empfing ihn die ſtumm harrende Verſamm - 
fung. Rotycana beſtieg die Kanzel, machte dem Volle den Bor- 


254 


fall und des Königs wunderbare Rettung fund und ermahnte 
ſchließlich bei dem lauten Ausbrude des Unwillens über eine 
ſolche verruchte That zur Sühne, zur Duldfamfeit gegen bie 
Ratholiten, und befahl im Namen des Königs, fie nicht das Ber- 
brechen eines Einzelnen entgelten zu laſſen. — Der König, feine 
Gamilie und bie Umgebung fnieten auf ben Stufen des Altares 
nieder; bie Priefter fangen das Halleluiah, und vom Chore er- 
tönten bie Pfalmen abwechfelnd mit Trompetengejchmetter und 
vautenwirbel. 

Jauchzend geleitete das Volk den König in die Burg. Su⸗ 
fol wurde auf dem Heimwege von der Menge beinahe erbrüdt, 
bie fi bewandernd, belobend und lieblofend zu ihm drängte. 

Für Prag war dieſer Tag ein Feſttag. Mau ftellte alle 
Geſchäfte ein, ſchloß die Läden und gab feine Freude auf öffent» 
lichen Plägen und in Gärten durch Schießen, Tanz, Muſik und 
feierliche Aufzüge und. Im allen Kirchen, felbft in den Latholi« 
fen, deren Priefter Grund hatten, eine Billigung mit bem 
Morbanfcjlage zu verläugnen, tönten bie Gloden. Die Rathe- 
herren ber drei Stände, bie Univerfität, die Innungen und bie 
Prieſterſchaſt ſchidten Deputationen an ben König, ihm Glüd zu 
wünſchen. Gr verihob feine Reife nah Beraun und ritt dem 
ganzen Tag in ber Mitte feiner Söhne, begleitet von feiner Leib- 
wache, durch die Straßen der Stadt, um fi der jubelnden 
Menge, deren Herzen er nur mod) theurer geworben, zu zeigen. 

Die Mönde des Kapuzinerkloſters wurden eingezogen und 
diefes felbft geſchloſſen. 

Sufol eilte in das Hans derer von Zedvic, erzählte, was 
vorgefallen war, berichtete von Bratislav's Begnadigung, welde 
ihen Yöffiche Freude machte / und erwähnte noch nebenbei beſchei 
dentlich feiner Stanbeserhöhung und des funkelnden Chrenge - 
ſcheutes — 

Da ber Inde Abraham denfelben Tag vom BViertelsmeifter 


25 


freigelaffen worden mar, jo erhielten bie von Zesvie zugleich 
Nachricht von Bratislav's Aufenthalte. 

Freude und Jubel Gerichte in der Familie — Milada 
ſchwamm im füßen Freudenthränen, melde fie am Buſen ber 
Freundin answeinte. 

Niklas ritt in Sulol's Geſellſchaft ſogleich nach ber Altſtadt 
in den Teinhof, um dem Ritter feine Begnadigung anzuzeigen 
unb ihn in den Kreis der Seinigen freudetrunlen wieder einzu- 
führen. — 

Sie eilten die Stufen zu Pater Cyrillus Wohnung hinan. 
Bier Töniglihe Wachen fegilderten vor ber Thür und vermehrten 
ihnen den Eingang. 

Auf die Frage nach dem Pater erhielten fie den Beſcheid, 
er fei mit den Webrigen entflohen. 

„Und Vratislav, der Ritter von Branif, der ſich hier bei 
Cyrillus aufhielt ?* fragte Nitlas ahnungsvoll, 

„Der verwundet wurbe, ald wir bie Verſchworenen über- 
fielen ?* beichied einer der Söldner und deutete zum Fenſter bin- 
aus; „er fitt dort im Thurme des Rathhanfes. Ich möchte nicht 
an feiner Sielle fein! Cr iR der Einpige, der nicht entlam, und 
wird für bie Anderen büßen müffen. Es fol eine ſchrecliche 
Verſchwoͤrung gegen den König geweſen fein. — Weiter weiß 
ich nichts.“ 

Mit diefem Beſcheide entfernte fi Nillas mit Sulol nie- 
dergeſchlagen und betrübt. 

„Wenn ſich die Menſchen freuen,“ grollte Sulol, „jo freuen 
ſich auch die Teufel, weil fie ſchon wiflen, mie fie dem Menſchen 
die rende vergiften wollen. Geht allein nah Haus, Herr Rit- 
ter; ich habe den Muth nicht, dort die neue Trauerkunde zu 
überbringen, namentlid dem Fräulein Milada nicht. Ich glaube, 
das bricht ihr das Herz. Luft mic nad; dem Hathhaufe ziehen; 
vielleicht erfahre ich dort mehr.” 


256 


mteb’ wohl, Freund !* fagte Rillas mit Thränen im dem 
Augen; „bring uns bald fichere Kunde — felbft wenn fie noch 
trauriger iſt, als wir hoffen. Ich ahne den ganzen, unglüdlichen 
Zuſammenhang. Armer Freuud! — if es fo, dann biſt Du 
unrettbar verloren. Warum mußteſt Du dahin gehen! — Nur 
Einen Tag — und Du warft gerettet in dem Armen der freunde! 
Gott liebt uns wicht mehr.“ 

Er ſchwang fi anf fein Roß nmd fprengte über ben alt- 
Mäbter Ring nad) der Brücke zu. 

Sulol erfuhr im aliſtädter Rathhauſe weiter nichte, als daß 
Bratislav im Teinhofe bei Pater Cyrillus in einer Berſammlung, 
welde aus Unznfriedenen befland, die fi gegen das Regiment 
des Königs verſchworen hatten, ergriffen und vorläufig hierher in 
fichere Haft gebracht worden ſei. 


AS Bratislav an jenem Abend im Teinhof von Abraham 
Abſchied genommen hatte, -eilte er im bie Wohnung bes Pater 
Cyrillus. Die Türe war verſchloſſen; erft nad mehrmaligem 
Boden öffnete der Priefter und erkannte mit Staunen den Yüng- 
fing, deffen Unfall er vernommen, und von welchem er bis jetzt 
feine Spur gefunden hatte. 

Reuig ſank Vratislav am feine Bruſt und bat ihn um 
Berzeihung, daß er ihm folhen Bram gemadt. Er erzählte ihm 
von Allent, was fid) feit feiner Flucht mit ihm Jugetragen, wie 
er gefangen worden und wieder entjprang. Auch von feinem 
Anfenthalte bei Neuhaus erflattete er Bericht; doch erwähnte ex 
idmila’s und defien, was ihm mit ihr begegnet, mit feinem 
Wort. — 


257 


„Du haft viel Bitteres erfahren im Folge einer unüberlegten 
Handlung!” fagte Eyrillus; „doc iſt e8 gut; duch Prüfungen 
werben wir gereinet und gefäftigt zu Handlungen. Noth und 
Gefahren find unfere Lehrmeifter im Leben. — Gut, daß Du 
Emmft! Du erſcheinſt zu wichtiger Stunde; die Zeit des Han- 
being ift gefommen. Vieleicht bedürfen wir auch Deines Armes. 
Jetzt raſte und verberge Di. Ich muß mich zu fo fpäter Zeit 
noch entfernen. Morgen gegen Mitternacht ſehe ich Dich wieder 
und rufe Dich ab zur Handlung.“ Er ließ Vratislav mit feinen 
Gedanken allein. Ein Diener forgte für feine Bedürfniffe. — 
Im der folgenden Nacht erſchien Eyrillus wieder und ſprach feier- 
ich zu dem Züngfing: „Du wirft heur Nacht nod unter Män- 
nern fein, die auf Deinen Muth vertrauen können. — Die 
Stunde fchlägt; folge mir — fie find verſammelt.“ 

Er nahm den Ritter nach diefen Worten an der Hand und 
ging im Finſtern durch mehre Gänge mit ihm bis an eine ver- 
iäloffene Thüre. Hier zog er eine Glode, deren Ton aus einem 
entferntern innern Zimmer antwortete. Die Thüre fprang von 
feibft auf; in bem nächſten Gemache war e8 gleichfalls finfter, 
fo aud in zwei andern, durch melde ſie ſchritten. 

Endlich öffnete Eyrillus herumtappend mit einem Schtüffel 
eine vierte Thüre, und fie flanden jegt in einem Saale, wo an 
einer runden Tafel vier fattlihe Männer, dem Hervenftande, 
nad) ihrer Tracht zu fließen, angehörend, faßen. Sie erhoben 
fich beim Eintritte der Neuangelommenen- und riefen einftimmig: 
„Billtommen I“ 

„Bier der Ritter von Branit, edle Herren!“ fagte Cyrillus, 
Bratislav vorftellend, „von dem ich Euch bereits gefproden, und 
defien Arm fi) unferm Bunde weihen wird mit feinem legten 
Blutstropfen. Später mag er den Eid in Eure Hände legen. 
Mein Sohn“ — wandte er fid) darauf zu Bratislav umb fuhr 
fort — „es ift ein großer Angenblid für Dich gelommen ; fafle 

Kerloßfohn: Der legte Taborit. I. 17 


258 


Sinn und Geift zujammen, um feine erhabene Bedeutung ernft 
und tief begreifen zu können. Du fieht uns bier vereint, bem 
Baterlande einen neuen frühling zu bereiten; wir wollen mit 
Gottes und unferer Arme Kraft unfre heilige Religion mit &e- 
walt der Waffen — vielleicht durd einen . einzigen entſchloſſenen 
Streich — wieberherftellen, wollen das fremde fondern von dem 
Eigenen, wollen von da fortbauen, wo unfre frommen Bäter ge- 
endigt. Der Herr fegne uns umb leihe uns Kraft zum großen 
Werke!“ — Er ſetzte ſich nad dieſen Worten oben an der Tafel 
nieder; die Uebrigen folgten ihm, Vratislav nahm unten Play. 

nBergönut mir vorerft, edle Herren,“ nahın Eyrillus wieder 
das Wort, „diefen Züngling in den würdigen und entfchloffenen 
Kreis einzuführen. Und Du, Vratislav, neige Did; vor biefen 
Männern, die Dein Schidjal kennen, deren Brüder und Väter 
Ein 208 mit Deinem Vater. getheilt, die das Baterland lieben 
und aud Dir mohlwollen. Du ſiehſt hier im Kreife verfammelt 
die Edlen und Herren von Piihoda, von Zasmul, Fa 
bricius und von Hafenberg; der glückliche Augenblick ver- 
eint und. Noch einmal fol ber Anfchlag befchloffen, und morgen 
zur That gefchritten werben. — Seid Ihr's zufrieden, würdige 
Freunde, fo fol der Ritter, deſſen Muth und Treue ich verbürge, 
vor Sonnenaufgang gegen Tetin ziehen, dort fih an die Spitze 
des Fahnleins ftellen, mit demfelben über Budnian gen Beraun 
eilen und in der waldigen Gegend bei der Stadt nod früher 
eintreffen, als der König felbft in Beraun einzieht. Nähere Ber 
fehle follen ihm an Ort und Stelle ertheilt werben.“ 

„Ih Habe nichts dagegen,“ nahm Zasmut, ein feierlicher 
Greis mit filbernen Loden und einem ernfi-milden Gefichte, das 
‚Wort ; „bevor wir aber in das Einzelne unſers Planes eingehen, 
mwäre es geraten, Rofycana’s Anherkunft abzuwarten. Sein 
langes Ausbleiben macht mid ſtutzig.“ 

‚nich nicht 1. entgegnete Eprillus; „der Unfall, ber dem 


259 


König begegnet if, wird ihn länger in feiner Nähe zurüdbe 
halten. Er bot es mir geſchworen mit Hand und Mund, er if 
mit ganzer Seele unſer eigen,“ 

„Rein!“ rief Hafenberg, ein Heiner ſchlauer Mann mit 
haarloſem Haupte und funfelndrothen Wangen, indem er das 
Wort Scharf und fchneidend betonte, „ich traue ihm doch erft, 
wenn id ihn habe. Wie er, fo zu fagen, den König verräth, 
ann er uns auch verrathen. — Warum wurde er der Unfere? 
Beil er ſich oben zurüdgefegt fühlt. Er will herrſchen — gleich- 
viel durch wen!“ 

„Eben jener legte Grund,“ meinte Fabricius, ein ältlicher 
befonnener Mann in ſchwarzer Amtetracht, „feflelt ihn an und, 
und darum glaub’ ich feft an den Ernft umd Eifer feiner Ber- 
brüberung.“ 

„3a, er will bereichen,“ ſprach Plihoda — ein Mann von 
Heftigem, lebhaften, ſogar auffahrendem Wefen, „und kann «6 
jest nicht. Der erfle Bifhof in Böhmen glaubte er zu fein, 
der geiftliche Herrſcher des Königreiches, und Georg hat ihm zw 
nichts mehr als zu feinem Kaplan gemadt. Dies wurmt die 
alte Schlange; darum Lam er uns auf halbem Wege entgegen, 
will den König vereint mit uns binden oder flürzen, um danu 
das Fangerrungene in Befig zu nehmen.“ 

„Nein!“ unterbrach Haſenberg mit demfelben Tome; „er 
tann eben fo gut, um feinen Einfluß auf den König wieder zu 
Beben und zu vergrößern, uns verrathen. Iſt ihm dann Georg 
neuerdings verpflichtet — dann muß er auch gewähren, was er 
verlangt.” 

„Mir ſcheint es nicht billig,“ nahm Cyrillus wieber das 
Wort, „über den Mann ſchon jegt eim verdächtig Urtheil zu 
fällen, da bisher noch nichts gegen feine Berläßlichkeit fpricht, ale 
fein fpätes Erſcheinen.“ 

„Ein Rechteſatz fagt,” bemerkte Fabricius: „Man halte 

17% 


250 


Ein Schrei des allgemeinen Eutſetzens und Unwillens flog 
dur die Berfammiung. Der Monch warf den Reich zu Boden, 
daß er klirrend über die Mormorplatten hinrollte, und rief, als 
auf das Erſtaunen eine Todtenſtille gefolgt war: „Set hab’ ich 
das Gift in mir — wenige Augenblide, und ich ſterbe mit mei 
nem Geheimniß! — Ja, König, das Gift war für Dich beftimmt ! 
— jener Anecht hat nicht gelogen. IC Haffe Dich, id) verflnche 
Did als einen Sohn des Antichrift, als einen Feind der heifigen 
Kirche, welche Du fhändeft durch Tegerifches Abendmahl, die Dur 
im ben Staub getreten Haft! 9a, id) verfluhe Did im Namen 
des Heiligen Waters, der unfer Aller Here und Meifter ift, ich 
rufe das Anathema über Dein Haupt und fordere Dich vor 
Gottes Richterſtuhl! Ich fterbe als ein Märtyrer für den heiligen, 
einzigen Glauben, und Du wirft leben im Ausfage der Sünde, 
behaftet mit dem Wanne der Kirche, im mobderigen Leibe eine 
verdammte Seele! Ja, ich haſſe Dich und Viele Hafen Dich noch 
— die gleihgefinnt find wie ih! — Jener feige Schurke zu 
Deinen Füßen, der um fein Leben fleht und nicht den Muth hat 
zu flerben, war mur ein Werkjeng in meiner Hand. Bon wen 
der Plan zur Race kam, weiß er nicht. Die Folter wird ihm 
nichts erpreffen; denn der Tod wählt ſchon in meinen Gebärmen 
wie ein Hungriger Wolf, wie Du wmütheft gegen ben reinen 
Glauben und die Diener der Kirche.“ 

„Auswurf ber Menfchheit!” rief Georg, „ift es doch kaum 
glaublich, daß Dich ein menſchlich Weib geboren mit dieſem fluch - 
würdigen Haffe, mit diefem heimtückiſchen Ingrimme! Undant- 
barer Böfewicht! was hab’ ih Euch gethan, daß Ihr heimlich 
mit Gift mir nach dem Leben flellet? Hab’ ich Cuch doch veſchubi 
wie die Priefter meines Glaubens, Hab’ Eure perſonliche Sicher 
heit fefigeftellt, habe meinen Prieftern bei harter Strafe Dufd- 
famteit geboten, hab’ End Eure Möfter wieder zurückgegeben, 
und Ihr gießt mir Gift unter den Wein, den ih zum Liebes - 


251 


mahl des Herrn genießen will! O ſelbſt micht im Heidenthume 
ward fo Schredliches eriebt! Und das foll ein reiner, ein Heifiger, 
ein alleinfeligmachender Glaube fein, der folde Unthat billigt und 
gebietet! Mit Gottes Sacrament vermäßft Ihr den Mencelmord! 
Mönd,, elender Sünder! wär’ ich ein gewöhnlicher Menſch, vom 
irdiſchem Haſſe erfüllt, ein tauſendfaches Wehe hätte Deine Unthat 
allen Deinen Glaubensgenoffen bereitet! Denn wo Ihr falſchen, 
giftigen Schlangen feid, wo Eure Religion dies preift als gott- 
gefällig Berk, da feid Ihr ja die Ausſätzigen unter meinen ge- 
funden Kindern! Wie kann Natur fi alfo ſelbſt verläugnen, wie 
tann die Hand, die eben beſchenkt worden ift, fi zum Morde 
gegen den Vater, den König, den Wohlthäter erheben? Alſo das 
iſt Enre Liebe — Euer Segen?“ 

‚„nfer Segen,“ verfegte der Mönd mit Vernichtung in dem 
Biden, „wird zum Fluch allen Denen, die Ketzer find, und da 
Du der Fürft der Ketzer biſt, fo trifft Di tauſendfacher Fluch! 
Wehe, Wehe ruf’ ich über Did, Deinen Stamm, Dein Regiment! 
Elend fol e8 Dir ergehen im Leben und noch efenber jenfeits! 
Hier ſollſt Du feine ruhige Stumde genießen auf Deinem Throne, 
und, wenn Du ftirhft, ihm verwaiſt zurücklaſſen! Wo aber noch 
ein gut katholiſch Herz in einer Chriftenbruft ſchlägt, da wird 
Jeder fein Leben wagen und nach dem Deinigen fireben wie ich! 
— Du lebſt verflucht — ich aber erringe die Heilige Märtyrer- 
trone ! 

„Reißt ihm die Zunge ans dem Halſe!“ riefen entſetzt 
Mehrere aus der Umgebung ber Königs; „er läſtert ben Ge- 
falbten des Herrn — den BVeihüger des Glaubens! Spannt 
ihn auf die Folter 1“ 

„Die Zunge ausreißen?“ ſchrie Sukol und brängte ſich 
herbei — „das laßt mid thun! Ich Kenne den Pfaffen und 
Habe eine größere Wuth gegen ihn im Herzen, als zehntaufend 
Andere." 


262 


„Schweigt!“ gebot ber König, „laßt ihm den Irrwahn, 
für den er ſich opferte; denn ohne ihn mär’ fein Zuſtaud 
ſchredlich.“ 

lc} kreiſchte jetzt noch einmal ber Gunardian und brach 
zuſammen — fein Antlig wurde blan — die Lippen weiß, bie 
Mienen verzerrten fi — feine Augen traten weit aus ber Höhle. 
Der Tod umllammerte ihn mit eisfaltem Leichenarm — fein 
Herz zudte nur noch frampfhaft, mit dem Leben ringend. 

„Er firbtl" ſprach der König — „Gott fei feiner Seele 
gnädig! Den andern Mann hier aber, der ihm Hilfreiche Hand 
geleitet, ſpannt auf die Folter und preßt ihm das Geſtändniß 
defien, was er weiß ab, dann verfalle er dem Henker! Wir 
aber wollen auf der Hut fein gegen bie reißenden Wölfe, die 
unter unfern guten Unterthanen herumfcleichen, und in Nacht 
und Grauen die Hand erheben zum Königsmorde.“ 

„Erlaube, gnädiger König,“ bat Sufol Hervortretend, „daß 
ich diefen Mann, den ich Dir geliefert, zur Behandlung über- 
komme. Es weiß Keiner mit ihm fo umzugehen wie id, ber 
ihn länger kennt. Ich will Dir ihn mürbe machen, o Herr, wie 
ein Bunb gebrochenen Flache. Er Hat mir Gutes gethan — er 
bat an mir feine Kreide boppelt verſchwendet, er hat mich gegen 
den Pfaffen da verläftert, ale wäre ich fein Schuldner. Erlaube, 
Herr, daß id; meine Art von Folter an ihm verfuche. Ich ſtriegle 
ihm mit dem flumpfen Rüden eines deutſchen Schwertes das Rüd- 
grat, daß er es für einen Palm hält, dem die Engel im Himmel 
fingen. O Micdlel, Du Kreidendeld, Bierverdünner, Weinver- 
fälfher! &o dumm und fo feig, und doch ein Bluthund I“ 

„Schafft den Berbrecher in’s Gefängniß I" gebot der König 
und wandte fi) gnädig zu Sukol mit ben Worten: „Hab' Danl, 
Du treuer Kriegsknecht, der mir das Leben erhalten und das 
Land vor großer Verwirrung bewahrt hat! Das ganze Vaterland 
weiß es Dir Dank und wird, wenn es mit Entfegen von jenem 


258 


Mordanſchlage fpricht, Much Deine Treue rühmen. Nimm diefe 
Kette Hier, die ich auf meiner Bruft getragen, und trage fie ale 
Andenten anf dem Herzen. Knie nieder! Bon nun an folk 
Du fein Knecht fein — mein. Schwert ſchlagt Dich zum Ritter. 
Sei der Edlen einer — der König wird Dich gern an feinem 
Hofe fehen. Richt für die That allein, fondern für viele frühere, 
wovon die Narben zeugen, belohn' ih Dich.” 

„Gnädiger König!" fagte Gukol, indem er auffland, mit 
Rührung, „Ihr habt mich fo umendlich reich gemacht, daß ich 
beſchamt bin wie ein Knabe, der in der Schule öffentlich belobt 
wird. Noch eine Witte, eigentlich die einzige vom Uranfang, 
hab’ ich auf dem Herzen; Du famft durd Deine Gnadenſpende 
ir zuvor. Begnadige, Herr und König, meinen frühern Herm, 
den Bratislav von Branik; denn fam jener Unfall mit dem 
Spanberger nicht dazwiſchen, fo war er's, ber Dein Leben rettete. 
Soll der Zufall über fein Berbienft entſcheiden? Heut‘, wo Dir 
Gott Hat Dein Leben erhalten — ſcheuk aud ein Leben Einem, 
der's verdient wie Vratislav.“ 

„Es feil“ verfegte Georg; „man verfände öffentlich, daß 
der Bann gegen den Ritter aufgehoben fei und er zurüdlehren 
fönne. Iſt er gefangen, fo fol man ihn augenblicklich in freie 
beit fegen. Ritter Sukol! — Ihr meldet End; morgen bei 
meinem Zahlmeifter. — Nun aber anf! Es geziemt fid, vor 
dem Hodaltare dem Ewigen inbrünftigen Dank zu zollen, wie er 
gnädig gewaltet hat über unfer Leben und des Baterlandes Heil; 
denn von ihm kömmt Rettung, Gnade und Erbarmen. Meinem 
treuen Volke fei unter Xrompetenffang von Herolden auf allen 
Blägen und Märkten unfere wunderbare Rettung verkündet: bie 
Armen feien drei Tage lang Gäfe an meinem Tiſche.“ 

Er ging mit feinem Hofftaate nad) dem Hodaltare zurüd; 
mit Frendenjauchzen empfing ihn die flumm harrende Berfamm- 
fung. Rokycana beftieg die Kanzel, machte dem Volle den Bor- 


254 


fall und des Königs wuuberbare Rettung kund und ermahnte 
ſchließlich bei dem lauten Ausbruche des Unwillens über eine 
folde verruchte That zur Sühne, zur Duldſamkeit gegen die 
Ratholiten, und befahl im Namen des Könige, ſie nicht das Ber- 
brechen eines Cinzelnen entgelten zu laſſen. — Der König, feine 
Familie und die Umgebung fnieten auf den Stufen des Aliares 
nieder; die Priefter fangen das Halleluiah, und vom Chore er- 
tönten die Pfalmen abwechfelnd mit Zrompetengejchmetter und 
Bautenwirbel. 

Iauchzend geleitete das Volk den König in die Burg. Sur 
tol wurde auf dem Heimwege von ber Menge beinahe erbrüdt, 
die ſich bewundernd, belobenb und Lieblofend zu ihm drängte. 

Für Prag wor diefer Tag ein Feſtiag. Mau flellte alle 
Geſchafte ein, ſchloß die Läden und gab feine Freude auf öffent. 
lichen Plägen und in Gärten durch Schießen, Tanz, Mufil und 
feierliche Aufzüge fund. Im allen Kirchen, ſelbſt in deu katholi» 
ſcheu, deren Priefter Grund Hatten, eine Billigung mit bem 
Mordanfchlage zu verläuguen, tönten die Gloden. Die Rathe- 
herren der drei Stände, die Univerfität, die Innungen und bie 
Prieſterſchaft ſchidten Deputationen an den König, ihm Glüd zu 
wünfhen. Er verſchob feine Reife nah Beraun und ritt den 
ganzen Tag in der Mitte feiner Söhne, begleitet von feiner Leib- 
wache, dur die Straßen ber Stadt, um fi ber jubelnden 
Menge, deren Herzen er nur mod) theurer geworben, zu zeigen. 

Die Mönche des Kapuzinerkloſters wurden eingezogen und 
diefes felbR: geicloffen. 

Sutol eilte in da6 Haus derer von Zedvic, erzählte, was 
vorgefallen war, berichtete von Bratislav's Begnadigung, welche 
ihm Löftliche Freude machte, und erwähnte noch nebenbei beſchei - 
dentlich feiner Standeserhöhung und des funkelnden Ghrenge- 
ſchenkes. — 

Da der Jude Abraham benfelben Tag vom Viertelsmeiſter 


freigelaffen worden war, fo erhielten die von Zedvic zugleich 
Nachricht von Vratislav's Aufenthalte. 

Freude und Jubel herrſchte in der Familie — Milada 
ſchwamm in füßen Freudenthränen, melde fie am Bufen ber 
Freundin ausweinie. 

Nitlas ritt im Sulol's Geſellſchaft ſogleich nach der Altladt 
in ben Teinhof, um dem Ritter feine Begnadigung anzuzeigen 
und ihn in den Kreis der Geinigen freubetrunfen wieder einzu- 
führen. — 

Sie eilten die Stufen zu Pater Cyrillus Wohnung hinan. 
Bier lonigliche Baden ſchilderten vor der Thür und vermehrten 
ihnen den Eingang. 

Auf die Frage nach dem Pater erhielten fie den Befcheib, 
er fei mit ben Uebrigen entflohen. 

„Und Vratislav, der Ritter von Branil, der ſich hier bei 
Cyrillus aufhielt ?* fragte Niklas ahnungsvoll. 

„Der verwundet wurde, als wir bie Berſchworenen über- 
fielen?“ beſchied einer der Söldner und deutete zum Feuſter hin⸗ 
aus; „er figt dort im Thurme des Rathhanſes. Ich möchte nicht 
an feiner Stelle fein! Er if der Einzige, der nicht entlam, und 
wird für die Anderen büßen müſſſen. Es fol eine ſchredcliche 
Berfhwörung gegen ben König geweſen fein. — Weiter weiß 
id nidhte.“ 

Mit diefem Beſcheide entfernte ſich Rillas mit Sulol nie- 
dergeſchlagen und betrübt. 

nenn ſich die Meufchen freuen,“ grollte Sukol, „jo freuen 
fh auch die Teufel, weil fie ſchon wiffen, wie fie dem Menſchen 
die Freude vergiften wollen. Geht allein nah Haus, Herr Rit- 
ter; ich habe den Muth nicht, dort die neue Trauerkunde zu 
überbringen, namentlich dem Fräulein Milada nit. Ich glaube, 
das bricht ihr das Herz. Laßt mich nad dem Rathhaufe ziehen; 
vielleicht erfahre id; dort mehr.” 


256 


n?eb’ wohl, Freund!“ fegte Nillas mit Thränen in den 
Augen; „bring uns bald fichere Kunde — ſelbſt wenn fie noch 
trauriger if, ala wir hoffen. Ich ahne den ganzen, unglüclichen 
Zuſammenhang. Armer Freund! — iR es fo, dann Bi Dr 
unvettbar verloren. Barum mußteR Du dahin gehen! — Nur 
Einen Tag — und Du warft gerettet in ben Armen ber freunde! 
Gott Tiebt uns nicht mehr.“ 

Er ſchwang fich auf fein Roß nnd fprengte über den alt- 
ſtãdter Ring nad ber Brüde zn. 

Sutol erfuhr im aliſtädter Rathhauſe weiter nichte, ale daß 
Bratislav im Xeinhofe bei Pater Cyrillus in einer Berfammiung, 
melde aus Unzufriedenen beftand, die fi gegen das Regiment 
des Königs verſchworen hatten, ergriffen und vorläufig hierher in 
fichere Haft gebracht worden ſei. 


Als Vratislav an jenem Abend im Teinhof von Abraham 
abfchied genommen Hatte, eilte er in die Wohnung bes Pater 
Eyrillus. Die Thäre war verihloffen; erft nach mehrmaligem 
Pochen öffnete der Priefter und erkannte mit Staunen den Jüng- 
fing, defien Unfall er vernommen, und von weldem er bis jett 
feine Spur gefunden hatte. 

Reuig ſank Vratislav am feine Bruſt und bat ihn um 
Berzeihung, daß er ihm folhen Gram gemacht. Er erzählte ihm 
von Allem, was fi feit feiner Flucht mit ihm zugetragen, wie 
er gefangen worden und wieder entiprang. Auch von feinem 
Unfenthalte bei Neuhaus erftattete er Bericht; doch erwähnte ex 
Lidmila's und deſſen, was ihm mit ihr begegnet, mit feinem 
Wort. — 


257 


„Dn haft viel Bitteres erfahren im Folge einer umüberlegten 
Handlung!” fagte Cyrillus; „doch ift es gut; durch Prüfungen 
werben wir gereinet und gekräftigt zu Handlungen. Noth und 
Gefahren find unfere Lehrmeifter im Leben. — Gut, daß Du 
Gemmf! Du erfgjeink zu wigtiger Stunde; die Zeit des San- 
deins ift gelommen. Bielleiht bedürfen wir aud Deines Armes. 
Jet raſte und verberge Did. Ich muß mich zu fo fpäter Zeit 
noch entfernen. Morgen gegen Mitternacht fehe ih Dich wieder 
und rufe Di ab zur Handlung.“ Er lie Vratislav mit feinen 
Gedanken allein. Ein Diener forgte für feine Bedürfniſſe. — 
Im der folgenden Nacht erſchien Eyrilus wieder und ſprach feier- 
lich zu dem Jüngling: „Du wirft heut Nacht noch unter Män- 
nern fein, die ouf Deinen Muth vertrauen können. — Die 
Stunde ſchlagt; folge mir — fie find verfammelt.“ 

Er nahm den Ritter nad) dieſen Worten an der Hand und 
ging im Finſtern durch mehre Gänge mit ihm bis an eine ver- 
ihloffene Thüre. Hier zog er eine Glode, deren Ton aus einem 
entferntern innern Zimmer antwortete. Die Thüre fprang von 
feihft auf; in dem näcflen Gemache war es gleichfalls finfter, 
fo auch in zwei andern, durch welche fie fchritten. 

Endlich öffnete Eyrillus herumtappend mit einem Schlüffel 
eine vierte Thire, und fie ftanden jegt in einem Saale, wo an 
einer runden Zafel vier flattliche Männer, dem Herrenſtande, 
nad) ihrer Tracht zu ſchließen, angehörend, faßen. Sie erhoben 
fi beim Eintritte der Nenangelommenen- und riefen einſtimmig: 
„Willkommen I“ 

„Hier ber Ritter von Branik, edle Herren!“ fagte Eyrillus, 
Vratislav vorftellend, „von dem id; Euch bereits gefprochen, und 
deſſen Arm fi unferm Bunde weihen wird mit feinem legten 
Blutstropfen. Später mag er den Eid in Eure Hände legen. 
Mein Sohn” — manbte er fi darauf zu Vratislav und fuhr 
fort. — „es ift eim großer Augenblid für Did gelommen ; fafle 

Herloßfoßn: Der Icpte Tabori. 1 17 


258 


Siun und Geiſt zujaommen, um feine erhabene Bedeutung ernft 
und tief begreifen zu lönnen. Du fiehft uns Bier vereint, dem 
Baterlande einen meuen Frühling zu bereiten; wir wollen mit 
Gottes und unferer Arme Kraft umfre Heilige Religion mit Ge- 
walt der Waffen — vielleiht durch einen. einzigen entichlofjenen 
Streich — wieberherftellen, wollen das fremde jondern von dem 
Eigenen, wollen von da fortbauen, wo umfre frommen Väter ge- 
endigt. Der Herr fegne uns und leihe uns Kraft zum großen 
Werle!“ — Er feste fi nach dieſen Worten oben an ber Tafel 
nieder; die Webrigen folgten ihm, Vratislav nahm unten Platz. 

„Bergönnt mir vorerft, ‚edle Herren,“ nahm Cyrillus wieder 
das Wort, „diefen Iüngling in den würbigen und entfhloffenen 
Kreis einzuführen. Und Du, Bratislav, meige Did vor dieſen 
Männern, die Dein Schidjal kennen, deren Brüder und Bäter 
Ein 206 mit Deinem Vater. getheilt, die das Baterland Heben 
und aud Dir wohlwollen. Du fiehft Hier im Kreiſe verſammelt 
die Edlen und Herren von Piihoda, von Zasmuk, Fa 
bricius und von Hafenberg; der glüdliche Augenblid ver- 
eint une. Noch einmal foll ber Anſchlag beſchloſſen, und morgen 
zur That geſchritten werben. — Seid Ihr's zufrieden, wilrbige 
Freunde, fo fol der Ritter, defien Muth und Treue ich verbürge, 
vor Sonnenaufgang gegen Zetin ziehen, bort fih an die Spige 
des Fähnleins ftellen, mit bemfelben über Bubnian gen Beraun 
eiten und im ber waldigen Gegend bei ber Stadt noch früher 
eintreffen, als ber König felbft in Beraun einzieht. Nähere Be- 
fehle jollen ihm an Ort und Stelle ertheilt werden.“ 

„3% Habe nichts dagegen,“ mahın Zasmuf, ein feierlicher 
Greis mit filbernen Soden und einem ernfl-milden Gefichte, das 
Wort ; „bevor wir aber in- das Einzelne unfers Planes eingehen, 
wäre e8 gerathen, Nokycana’s Anhertunft abzuwarten. Sein 
langes Ausbleiben macht mich ſtutzig.“ 

„Mich mit!“ entgegnete Cyrillus; „ber Unfall, dev dem 


259 


König begegnet if, wird ihm länger in feiner Nähe zurückbe · 
halten. Er hat e8 mir gejhworen mit Hand und Mund, er if 
mit ganzer Seele unfer eigen,” “ 

Rein!“ rief Hafenberg, ein Heiner ſchlauer Mann mit 
haarlofem Haupte und funkelndrotfen Wangen, indem er das 
Wort Scharf und fchneidend betonte, „ich trame ihm doch erſt, 
wenn id) ihn Habe. Wie er, fo zu fagen, den König verräth, 
tann er uns auch verraten. — Warum wurde er ber Unfere? 
Beil er fi oben zurüdgefegt fühlt: Cr wi herrſchen — gleiche 
viel buch wen!“ 

„Eben jener legte Grund,“ meinte Fabricius, ein ältlicher 
befonnener Mann in ſchwarzer Amtstradht, „feſſelt ihn am ung, 
und darum glaub’ id) feft an den Ernfi und Eifer feiner Ber- 
brüderung.“ 

„Ja, er will herrſchen,“ ſprach Pkihoda — ein Mann von 
heftigem, lebhaftem, fogar auffahrendem Weſen, „und Tann es 
jet nicht. Der erfte Biſchof in Böhmen glaubte er zu fein, 
der geiſtliche Herrſcher des Königreiches, und Georg bat ihm zu 
nichts mehr ale zu feinem Kaplan gemacht. Dies wurmt die 
alte Schlange; darum kam er uns auf halbem Wege entgegen, 
will den König vereint mit uns binden ober ftürzen, um bann 
das Langerrungene in Befig zu nehmen.“ 

Rein!" unterbrach Haſenberg mit bdemfelben Tone; „er 
tann eben fo gut, um feinen Einfluß auf ben König voleder zu 
heben und zu vergrößern, uns verrathen.. If ihm dann Georg 
neuerdings verpflichtet — dann muß er aud gewähren, was er 
verlangt.” 

„Mir fcheint es nicht billig,“ nahm Cyrillus wieder das 
Wort, „über ben Dann ſchon jet eim verdächtig Urteil zu 
fällen, da bisher uoch nichts gegen feine Verläßlichleit fpricht, ala 
fein fpätes Erfgeinen.“ 

„Ein Rechteſatz fagt,” bemerkte Fabricius: „Man Halte 

17% 


258 


Sinn und Geiſt zufammen, um feine erhabene Bebeutung ernft 
und tief begreifen zu lönnen. Du ſiehſt uns Bier vereint, bem 
Baterlande einen neuen Frühling zu bereiten; wir wollen mit 
Gottes und unferer Arme Kraft unſre heilige Religion mit Ger 
walt der Waffen — vielleicht durch einen . einzigen entfchloffenen 
Streich — wieberherftellen, wollen das fremde fondern von dem 
Eigenen, wollen von da fortbauen, wo unfre frommen Bäter ge- 
endigt. Der Herr fegne uns umb leihe uns Kraft. zum großen 
Werke!“ — Er fette ſich nach diefen Worten oben an der Tafel 
nieder; die Uebrigen folgten ihm, Vratislav nahm unten Platz. 

„Bergönnt mir vorerſt, edle Herren,“ nahm Eyrillus wieder 
das Wort, „biefen Jüngling in den würdigen und entichlofjenen 
Kreis einzuführen. Und Du, Bratislan, neige Dich vor dieſen 
Männern, die Dein Schidfal kennen, deren Brüder und Väter 
Ein Los mit Deinem Vater geteilt, die das Baterland lieben 
und aud Dir wohlwollen. Du fiehft Hier im Kreife verfammelt 
die Edlen und Herren von Pkihoda, von Zasmul, Fa 
bricius und von Hafenberg; der glüdfice Augendück ver- 
eint une. Noch einmal foll ber Anfchlag befchloffen, und morgen 
zur That gefchritten werben. — Seid Ihr's zufrieden, würdige 
Freunde, fo fol der Ritter, defien Muth und Treue ich verbürge, 
vor Sonnenaufgang gegen ZTetin ziehen, dort fi an bie Spige 
des Fähnleins ftellen, mit demfelben über Budnian gen Beraun 
eilen und in ber waldigen Gegend bei ber Stadt noch früher 
eintreffen, als der König felbft in Beraun einzieht. Nähere Be 
fehle follen ihm an Ort und Stelle ertheilt werden.“ 

„IH Habe nichts dagegen,“ nahm Zasmuk, ein feierlicher 
Greis mit flbernen Soden und einem ernft-milden Geſichte, das 
‚Wort ; „bevor wir aber in- das Einzelne unfers Planes eingehen, 
märe es gerathen, Rokyeaua's Anherkunft abzuwarten. Sein 
langes: Ausbleiben macht mich ſtutzig.“ 

„Mich nicht!“ entgegnete Cyrillus; „ber Unfall, der dem 


| 


259 


König begegnet if, wird ihm länger im feiner Nähe zurüdbe 
halten. Er bat es mir geſchworen mit Hand und Mund, er iſt 
mit ganzer Seele unſer eigen,” 

„Nein!“ rief Hafenberg, ein Meiner ſchlauer Mann mit 
haarloſem Haupte und funkelndrothen Wangen, indem er das 
Wort ſcharf und ſchneidend betonte, „ic traue ihm doch erſt, 
wenn ich ihn babe. Wie er, fo zu ſagen, den König verräth, 
tann er uns auch verrathen. — Warum wurde er ber Unfere? 
Veit er fi oben zurüdgefegt fühlt. Er will herrſchen — gleiche 
viel durch wen!“ 

„Eben jener legte Grund,“ meinte Fabricius, ein ältlicher 
befonnener Mann in ſchwarzer Amtstradt, „feflelt ihn an uns, 
und darum glaub’ ich fett an den Ernft und Eifer feiner Ber- 
bräderung.“ 

„Sa, er will bereichen,“ ſprach Piihoda — ein Mann von 
heftigem, lebhaftem, fogar auffahrendem Wefen, „und Tann es 
jegt nicht. Der erſte Biſchof in Böhmen glaubte er zu fein, 
der geiſtliche Herrfcher des Königreiches, und Georg hat ihn zu 
nichts mehr als zu feinem Kaplan gemadt. Dies wurmt die 
alte Schlange; darum fam er uns auf halbem Wege entgegen, 
will den König vereint mit uns binden oder fürzen, um banı 
das Langerrungene in Befig zu nehmen.“ 

„Nein!“ unterbrach Hafenberg mit bemfelben Tone; „er 
tann eben ſo gut, um ſeinen Eiufluß auf den König wieder zu 
heben und zu vergrößern, uns verrathen. Iſt ihm dann Georg 
neuerdings verpflichtet — dann muß er auch gewähren, was er 
verlangt.” 

„Mir ſcheint e8 nicht billig,“ nahm Cyrillus wieder das 
Wort, „über den Mann fon jet ein verdädtig Urtheil zu 
fällen, da bisher noch nichts gegen feine Werläßlichteit ſpricht, als 
fein fpätes Erſcheinen.“ 

„Ein Rechtsſatz ſagt,“ bemerkte Fabricius: „Man Halte 

178 





260 


Jeden für redlich, fo lange bis er das Gegentheil an den Tag 
gebracht hat.” 

„Aber ein Vertrauter,“ äußerte Zasmuf, „konnte uns leicht 
Nachricht von feinem fpätern Eintreffen bringen.“ 

Nein!” wiederholte Hafenberg; „er mußte der Erſte hier 
am Platze fein, um, eben weil er al®. Ueberläufer verbächtig if, 
unfer Vertrauen zu gewinnen.“ 

„Mir war der Bund mir ihm,“ rief Plihoda, „vom An« 
fang an nicht vet. Wer einmal im Verrathe geübt if, verräth 
ohne Anfehen der Perfon und Sache. — Ic wollte, ich hätte 
ben liſtigen Pfaffen erft unter meiner Macht! — Gehorden foll 
er und Hein werden, gerade dann, wann er größer zu werden 
vermeint! Er war ſtets doll Trug und Falſchheit, und wenn 
der König bier und da nicht recht gehandelt gegen uns, fo leitete 
Rolycana im Hintergrande feinen Arm. Cr hat Berrath mit 
Sigismund getrieben, als er noch mit Neuhaus im Bunde war ; 
er hat auch Georg verraten und Neuhaus geſtürzt vom feiner 
Macht und Hoheit. Was er an König Ladislaus gethan, deſſen 
mag id) nicht erft ermäßnen.“ 

mRun aber ift er unier,“ warf Eyrillus ein; „fein Schwur 
wie feine Schrift bürgen für ihn. Es war fein eigener, lang- 
genährter Plan, mit Gewalt endlich einzugreifen, den wir ihm 
ausführen helfen.“ 

Rein, nein!“ unterbrah Hafenberg; „er führt une an das 
Mefier, wenn es mißlingt, und tritt uns in den Staub, wenn 
es geräth. Es war eine unglüdjelige Stunde, wo wir uns ihm 
Bingaben; wir wurden leicht bethört und können es büßen. Ober 
er läßt uns die That wagen und fordert dann ben Lohn für's 
bloße Zufehen.“ 

„Alles für die Sache,“ erläuterte Fabricins. „nichts für 
einen einzelnen Mann! Haben wir gefiegt und ber König ift 
in unferer Gewalt, fo bleibe der Rokycana noch ferner von ihm, 


261 


als jest. Er bleibe Priefler im ber Kirche; doch oberfter Priefter 
und geiftlicher Regent fei der König allein, duch unfre Artilel 
gebunden, die er beſchwören muß.” 

„Aber die Schlange,“ bemerkte Pkihoda, „wird ſich winden, 
und uns ben König und die neue Verfaſſung umringeln, und 
ehe wir uns deſſen verjehen, wird ihr Ganpt über uns empor 
ragen.” — 

„Eins ſteht fe,“ ſprach Cyrillus mit Ruhe; „ber Vortheil 
fpielt uns den Biſchof in die Arme. Jet bebürfen wir feiner 
und dürfen ihn nicht fränfen durch Verdacht ober unzeitige Zweifel. 
Was dann fich fügen wird, foll bie Zulunft und bie Nothwen- 
digkeit lehren. Sie ift die allmächtige Gefeßgeberin, unter deren 
Einflufje wir ftehen.“ 

„Ob er nun kömmt, ob nicht,“ redete der befonnene Zasmuf 
beruhigend, „ob er die Hand ans dem Spiele läßt, um das 
Ende abzuwarten, unfer Plan ſteht feft und muß morgen reifen. 
An achthundert Mann haben wir um Beraun zufammengezogen. 
Den König begleiten höchftens hundert Reiter. In Beraun neh- 
men wir ihn, nachdem das Glödtein von der Franciskanerkirche 
uns das Zeichen zum Cinzug gegeben, gefangen, legen ihm bie 
Zractate vor, und er muß fie beſchwören, foll er König bleiben. 
Erft unfre zehn Glaubensartifel, Losfagung vom Papfte, vom 
Kaifer nnd dem öſterreichiſchen Haufe fir ewige Zeiten, Schlie- 
gung der katholiſchen Bethäuſer und Landesverweifung für Jeden, 
der binnen Monatsfrift unferer herrſchenden Kirche nicht angehören 
will, Entfernumg der Deutihen von allen Staats- und Kronftellen, 
zwei Stimmen dem YHerrenftande auf den Landtagen. — So 
fleht es drin. Will er unſer König bleiben, fo fei er e unter 
diefer Bedingung. Zehn Männer des Herrenftandes mögen als 
Mäthe des Königs über Erfüllung diefer Artikel wachen. — Wir 
derftrebt er, fo lege er bie Krone nieder; wir verwalten und con- 


262 


Riteiven inzwiſchen das Reich, bis fid rin Würdigerer und Kräfti- 
gerer für den Thron gefunden.“ 

„Saft einen Widerſpruch Euch gefallen!” rief Hafenberg; 
mid) dachte, es wär’ gerathener, den König von Beraun aus erft 
am die Grenze zu entführen, um bort mit ihm frei ſchalten und 
walten zu fönnen. Denn in Beraun haben wir die Prager in 
der Nähe; das Volt ift befeffen in feiner Freude über feine Heu- 
tige Rettung; er felbft if halsſtarrig; er könnte uns hinhalten 
and einige Tauſende aus Prag, fobald fie die Kunde von um- 
ferm Anfhlag vernommen, zögen Hinaus und kamen uns fber 
den Hals.” 

„Davor fei uns nicht bange!“ warf Ptihoda ein; „ber 
Blitz lömmt zu plöglich und aus Beiterer Luft; er wird, er kann 
nicht zaudern. Die Nuttenberger und Caslauer, die Biddower 
und Königgräzer, die von Rolycan und Ptibram find unfers 
Winks gewärtig, Alles ächte ZTaboriten mit eifernem Muthe. Die 
Entführung aber verzögert und verdächtigt nur unfre Sache. Die 
Uebermacht liegt in unferer Hand — der Eine raſche Schlag 
entſcheidet. — Dann erſt iſt Böhmen frei mit einem freien König. 
Ber will es wagen, uns wieber anzutaften? Die Deutſchen ha- 
ben es nicht vergeffen, wie ihre Kreuzheere an unſrer ehernen 
Bruſt zerfplitterten! Sie fommen nicht wieder, ber ewige Gott 
felbft, der uns biefes Sand gegeben, wollte, daß es ein Bollwerk 
fein foll gegen jeden answärtigen Feind. Ringsum hat er es 
mit einer unbezroinglihen Mauer von Bergen und Felſen umge 
ben wie eine Zefte, zum Zeichen, baf es eine ewige Juugfrau 
fei, von feinem Fremdling beswungen oder gefreit Woran bemn 
unter dem Paniere des Gotteslammes mit Gott und feiner hei» 
ligen Macht in ben Kampf! Und follte eine neue Gut, eim 
Weltbrand fid, entzünden aus biefem unten, den wir fehlagen, 
wir werden endlich doch fiegen, wie wir flet6 gefiegt. Nicht vor 
ben Schlachten zittert der Böhme, aber vor dem weichlichen 


263 


Brieden, wo Cleriſei und Königtfum im Stillen feine geſetzliche 
Freiheit untergraben, wo fie das Volk entnerven, bemüthigen, in 
ben Staub treten. Wir wollen bereichen, felbfiftändig fein und 
nicht nur geduldet. Weber Kaifer noch Papft lange mit räube- 
riſcher Fauft herein in biejes Sand und malte ſchamlos, bald 
gebietend, bald diebiih. Mit Gott alfo vorwärts, audy ohne die 
graue Schlange, die immer ziſcht von der Kanzel herab, wie 
in den geheimen Gemädern bes Schloffes! — So er uns nicht 
dient, gibt's auch feinen Lohn für ihm!“ 

met,“ nahm Cyrillus nach folder Heftig geſprochenen 
Rebe, welcher Bratislav mit funfelnden Blicken lauſchte, das 
Bort, „macht mic des Biſchofs Ausbleiben ſelbſt beforgt. Einen 
Bertrauten konnte er ſchiden und den Grund des Nichterſcheinens 
angeben lafjen.“ 

„Rein!“ vief Hafenberg; „er ift feig wie heimtückiſch. Alles 
ohne ihn, nichts mit ihm, am wenigften etwas für ifn! Ser 
König wäre beffer, fände biefer Dämon nit am feiner Seite.“ 

„Es ſei alfo beſchloſſen!“ ftimmte Zasmnk ein; „nod in 
biefer Nacht brechen wir auf verfciedenen Wegen auf. Die 
Truppen erwarten uns und find unſers Winfes gewärtig. Der 
Herr gebe unferm Werke Gebdeihen! denn er iſt deſſen Zeuge, 
daß wir einen reinen Zwed verfolgen.“ 

„Amen!“ ſprach Cyrillus feierlich, und bie Geſellſchaft er- 
hob fi. Da aber erſcholl Geräufh und Getümmel vor ber 
Thüre; man hörte Kolbenſtöße und Fußtritte, welche fie einmwarfen, 
und wie das wilde Heer tobte es gegen ben Saal. “ 

„Wir find verrathen — wir find verloren!“ riefen die Ber- 
ſchworenen ſchreckenbleich durch einander. 

„Rokyeana, das iſt Dein Werk!” ſchrie ber wilde Prihoda; 
mich flerbe gern, aber ermwürgen möchte ih Dich no früher!“ 

„Rein!“ treiſchte Hafenberg, „braten und ſchinden Meine 
Ahnung — meine Ahnung!“ 


264 


Eine ſchreclliche Verwirrung herrſchte im Saale — ſchon 
arbeitete eine pt in Rarfen Schlägen an den Pfoften der Thülre. 
Cyrillus öffnete befonnen bie gegenüberftehende, welche zu einer 
Treppe führte. „Hier hinab“ gebot er — „es iſt ber geheime 
Gang, der nad) dem Königshofe führt; nur fo ift Rettung möglich. 
Bratislav — hier nimm das Schwert — halte fie zurüd; dann 
flieh uns nah — wirf die Pforte hinter Dir zu — fie ift von 
Eifen und widerfteht lange Zeit ihren Schlägen.“ 

Er riß das Licht vom Tiſche und flürzte mit dem Aus- 
rufe: „Mir nad, mir nah! — Vratislav, zeige Deinen Muth!“ 
Hinab. Die Andern folgten ihm in wilder Flucht; der Letzte 
aber fchlug in der Haft und Befinnnngsfofigfeit die ſchwere Thüre 
zu — fle fiel in's Schloß, und Vratislav war abgeſchnitten. Er 
ſchwang fein Schwert; die Eingangsthüre krachte, Söldnerknechte 
traten mit Fackeln und gefällten Hellebarden herein. Vratislav 
vertheidigte ſich 

„Ergib Dich!“ ſchrie der Anführer; „Du und Deine Ger 
noffen, Ihr feid verloren! Im Namen bes Könige firede Deine 
Waffe und laß Did binden!” 

„Fahr' erſt zur Hölle, feiger Knecht“ ſchrie der Nitter und 
lähmte mit einem Streiche den Oberarm des Anführere. 

Er wehrte fih wie ein Mafender gegen die Hellebarden, 
melde auf ihm einbrangen; eine Pile brang durch feinen Arm. 
die Hand brach matt zuſammen; er focht mit der Linken, eim 
neuer Streich machte fie finfen. 

Er wurde unterlaufen, zu Boden geworfen, gebunden und 
im Triumphe fortgefchleppt. — 

Man brachte ihn über den dunklen Ring nad) dem Thurme 
bes Rathhauſes. Hier wurde er auf feuchten Boden in ein 
tiefes Gewölbe geworfen; ohne Berband, ohne Speife und Tran 
brachte er Hier die Nacht zu — mit fi und feinen Träumen 
und Befürchtungen allein. Die ſchrecklliche Gewißheit des Todes 


265 


fand wie ein ſtarres, ehernes Riefenbild vor ihm. Das Leben 
taufchte Hinter ihm abwärts wie eine fliegende Wolfe Hinter ben 
Horizont, und vor ihm gähnte eine weite Muft, das Grab, das 
geäßliche unabfehbare Nichts. 

„Erde, leb' wohl!“ rief er; „ich habe ausgefpieft und aus 
geträumt. Du Haft mid, ſchändlich um mein Leben betrogen! 
Jetzt gilt es nur einen ehrenvollen Tod! Einen ehrenvollen ? 
Ja — aber von Hentershand I“ 

Es war baffelbe Gefängniß, in welchem vor einigen Jahren 
der Ritter Smiridy, weil er einen Brief an NKönig Ladislav 
geſchrieben, worin er ihn warnte, nach Böhmen zu kommen, unter 
beim Schwerte de& Henker verblutet hatte. — 

Ein fieberhafter, dumpfer Schlaf legte ſich über ben Züng- 
ling und entzog feine innere Anfhauung der gräßfichen, Hoffnungs- 
Iofen Wirklichkeit. — 

Am folgenden Tage verband ein ‚Arzt feine Wunden — 
man reichte ihm Speife und Trank. Er erfuhr, daß die Mit- 
verſchworenen glüdli entlommen waren. — 

Als die Nacht kam, wurde er mit doppelten Ketten belaftet, 
aus feinem Gefängniffe und unter ftarfer Behedung nad dem 
Hradöin geführt, um in einen ber feften Thürme, welde größten 
theils für die Staatsverbrecher beftimmt waren, geworfen zu 
werben. 

Er ſchritt durch den altflädter Brüdentfurm. Der helle 
Mond hing wie eine Feuerblume am Himmel umd verfilberte die 
weite Moldau, die grünen Infeln, und ſchimmerte aus taufenb 
Fenftern und von taufend Zinnen ber Kleinen Seite und des 
Hradöind. — 

Bratislav wandte fein Haupt gegen den Bogen des Thurmes, 
wo bie bleichen Schädel an den Spießen fiedten. „Mein Bater!“ 
murmelte er bumpf vor fi, „bald bin ich bei Dir und Dein 
fleifchlofer Mund wird ben Sohn grüßen, und id; werde Dir 


Kunde geben, wie ich Di nicht gerächt, wie id; elend geenbet, 
glei Dir! Schlaf wohl diefe Nacht! — Morgen begrüßen 
Deine leeren Augenhöhlen Deines Kindes blutige Züge.“ — 

Er ſah nad dem Hraböin empor — ſah jene bdüfteren 
Thürme, welche ihn vom Meuen begraben. follten, wie graue 
Gefpenfter in die Luft ragen; es durchfchauerte ihn froſtig. Er 
ſah rechts weiter bort ben Abendftern über die Moldau auftauchen. 
„Dort muß Weltrus fiegen,” feufzte ex leife; „dort weilt fie. 
Barum blieb ich nicht? Warum konnte ich nicht bleiben? Träumft 
Du von mir? — Grüß’ mir fie, holder Abendſtern, ſag' Ihr, 
Dur Hätteft zulegt meinen Blick gefehen, der ihr galt, nachdem 
id vom Leben Abſchied genommen. Zeig’ ihr den Bid — 
Abendſtern, grüße fi. — Jetzt aber ftirb, Welt, vor meinen 
Biden!“ 

Er ſchloß die Augen — blieb fumm und wurde fo nad 
der alten Burg gebradit. 


Deutfcher Verlag von 3. 2. Kober in Prag. 


Authon, Ernft Friedrich, techn. Chemiker, Fabriken-Infpeltor sc. sc. 
Handwörterbud) der emifh-pharmacentifhen, tehnifh-hemifgen und 
pharmakoguofifcren Homenklaturen, oder Weberficht aller Iateinifchen, 
deutſchen umb franzöfifgen Benennumgen fänmtliher hemifchen Prä- 
parate bes Handel® und fämmtlicher rohen Krgneiftoffe. (Debitire ich 
mr für die öfterreidjifhen Staaten.) Grofoctav. 874 ©. 1002 * 

7 fl. 56 fr. 

Kann auch nad und nad) bezogen werben in 14 Lieferungen & 54 fr. 

Eberhard, H. W.,: Abbildungen pittorest und plaſtiſch architektoniſcher 
Ornamente, beſonders ans ber deutſchen Flora, in Verſuchen ihrer 
Anwendung für Kunft und Gewerbe. (Debitire ich nur für die öfler- 
reihifhen Staaten) Grofquart. 1862. Erfheint in 8 Lieferungen zu 
6 Tafeln & vb 

Geng, Friedrich. Portrait. J. Nach einer Originalzeichnung vom 
Jahre 1786. Im Stahl gef. von C. Merdel. AL. 4. ef. 
Bapier. 60 fr. (12 ©gr.) 

— — I Rad) einem Originalbilde Kleder's vom I. 1824 in Stahl 
gef. v. &. Mer dei. RI. 4. Ehinefiiches Papier. 60 fr. (12 Gar.) 

Gewerbfreiheit, Die, mit befonderer Rüdficht auf Defterreich. &n 
Beitrag zur voltswirthfchaftlihen Würdigung derfelben. 8. IV. 66 
©. 1869. Geh. 60 fr. (12 Ser.) 

Klein, Joh. Adam,: Kadirungen. Mit einer biografiihen Vorrede. 
(Debitire ich nur für die-öftere. Staaten.) 12 Blatt auf dinef. Ba- 
pier. Großg. 1861. 4 fl. 20 fr. 

KRoblisfa, Alois, Lehrer am Prager alademifchen k. k. Gymnafium,: 
Eiementarbudy der Iateinifchen Sprache mit deuiſchen und Böhmilchem 
Uebungsaufgaben für die I. Gnmnafialtiaffe. Zweite Aufl. 8. 

232 e) 1862. In umjchl. geh. 80 fr. (16 ©gr.) 

— — Dasfelbe. Steif gebunden 90 fr. (18 Sgr.) 

Zambl, Karl: Die Aulinr der Wiefen und ihr möglichft höchſter Ertrag. 
Mit 87 Abbildungen. Bweite Ausgabe. Kleinoctav. 104 ©. 1863. 

ch. 40 fr. (8 ©gr.) 

— — Die landmirthfaaftliche Thiermht des Raiferftantes, ihre VBeden- 
tung und die Mittel zu ihrer Hebung und Beruolltommunung. Mit 
36 Abbild. Iweite Ausg. Kleinoct. 80 ©. 1863 Geh. 32 fr. (6 Gpr.) 

Xoebe, Dr. William,: Landwirthigaftiihe Flora Dentihlands oder Be- 

fdreibung und Abbildung aller für Sand- und Handelswirthe wich- 

Apen Pflanzen. Zweite vermehrte umb berbefjerte Auflage, it 150 

illuminirten Kupfertofeln, fowie 45 Bogen sat (Debitire ih nur 

für die öfter. Staaten.) Duart. 1862. 9n 20 Liefer. & 1 fl. 60 kr. 


ü 


Margelit, Karl Freiherr von, Prager Dombilder. Dicfungen, Shil- 
Ierformat. 58 ©. 1862. Geh. 40 fr. (8 Sgr.) 
Mettenleiter, Johannes Evangelifi,: Icheiften-Mageyin für Freunde 
der Kalligrafie und zum Unterrichte. Dritte verbefferte Aufl. 106 
Blatt. Folio. (Debitire ih nur für die öfterreihiichen Staaten.) 
Im 12 Heften A 80 k. 
Metternich, Fürft. Portrait. Nach einem Gemälde von Laurence vom 
Jahre 1816 in Stahl gef. von €. Merdel. Klein Sind, Yayier 
60 fr. (12 Sr. 

Yerels, Martin,: Mlänge aus Köhmen. Cine Apotheoje zu Alfreb 
Meifner’s „Ziäka“. Miniatur. 64 S. In ilufr. Umſchlag cart. 
1862. 80 fr. (16 Sg.) 
Gisking, Dr. Theophil,: Yolkswirthf_aft und Arbeltspfege im böhmi- 
fhen Erzgebirge. 8. XI. 148 Seiten. 1861. Öeheftet 1 fi. (20 Spt). 
Reinsberg-Düringsfeld, Otto Freiherr von,: Sefkalender ans 
Böhmen. Ein Beitrag zur Renntniß des Volflebens und Bollsglau- 
bens in Böhmen. Neue bilfigere Ausgabe. Octav. XVI u. 628 ©. 
1863. Geh. 2.f. 40 fr. (1 Thlr. 18 Sgr. 
Kann and; bezogen werben in 8 Heften A 30 fr. (6 Sgr.) 
Sotol, of., Scpnle der bähmifhen Sprache für Dentfce. (Früher Berlag 
von X. Augufta.) I. Theil. Dritte, verm. u. verbef. Aufl. Octan 120 
©. 1863. ee. 40 fr. (8 Sgr.) 
— — Dasfelbe. 2. Theil. 8. 162 ©. 1862. Geh. 60 k. (12 Ser.) 
Studien im Walde. Zeichnungen für Kinftler und zum Selbft- 
unterricht. Siebenundzwanzig Radirungen nah DOriginalzeihnungen. 
(Debitire id) nur fir die öfterreihiihen Staaten.) Folio. In 6 Lie- 
ferungen_& 80 kr. 
Zafchenwörterbuch, Griechifch-deutich-böhmifches. Nach den an 
Unter- und Obergymnafien gelejenen Auctoren eigens bearbeitet. 
Neue tohlfeile Ausgabe 16. I. 772 ©. Geheftet ı fl. 40 fr. 
(28 Sr.) gebunden mit Seberrüden 1 fl. 80 fr. (1 Thle. 6 Sr.) 
-- ateintfehrbeutfchrböhmifches. Nad, den am Unter» und 
Obergymnafien gelefenen uctoren eigens bearb. Neue wohlfeile 
Ausg. 16. I. 307 ©. Geheftet 84 ft. (17 Sgr.) gebb. mit Leder- 
rüden 1 fl. 20 fr. (24 ©gr.) 
anderer, Der, von Hans zu Haus. Illuſtrirtes Familienbud für 
eiftige Erholung. Mit 9 Stahlftihen und gegen 100 Holzſchnitten. 
jeue wohlfelle Ausgabe. Gropäuart, 348 ©. Geh. 1 fl. (20 Sgr.) 
Bant, A,: Fiebes-Memstren, Ein Roman in Liedern. Miniaturfor- 
mat. VIII und 200 S. In illuſtrirtem Umſchlag cart. mit Golb- 
ſchniti 1f. 20 fr. (24 Soer) 
— — Dasfelbein Leinen geb. mit Goldſ. 1 fl. 60 kr. (1 Thle. 2 Sgr.) 


—— 





K. Herloßfohn’s 


Dietisch omane, 


Erfte Gefammtausgabe. 





IV. 
Der legte Taborit. 


Zweiter Band. 


— — 


prag. 
Berlag von I. L. Kober. 
1864. 


Der letzte Taborit 


oder 


Böhmen im fünfzehnten Iahrhundert. 





Hiſtoriſch - romantisches Gemälde 


bon 


8. Herloßſohn. 


Zweiter Band. — Dritte Auflage. 


— — 


Prag. 
Berlag von 9. 2. Kober. 
1864. 


Drud von 3. 2. Kober in Prag. 


u. 


Tiefe Nacht lag über dem Walde bei Hekmanmeſtec, worin 
eine Zigeunerbande lagerte. Im Kreife von uralten Eichen, welche 
einen natürfidjen Dom bildeten, ſahen um zwei Feuer an vierzig 
Perfonen beiderlei Gefchlechtes, braun von Farbe, mit wilb ver- 
freuten Haaren in bunten phantaſtiſchen Gewändern. Die Flamme 
beleuchtete wild bie grellen Gefitszüge; der Mund öffnete ſich 
zu einem bumpfen, halblauten, eintönigen @efange, melden eine 
Fiedel begleitete, die ein alter, verwachſener Zigeuner, am Stamm 
eines Baumes niebergefauert, ſtrich. Weber ben Feuern ſchmorten 
zwei große eiferne Keffel; der duftige Brodem flieg weiß zu ben 
Baumwipfeln empor. Bon Zeit zu Zeit rührte eine alte Zigen- 
nerin, ein Weib mit eisgrauen Haaren, aber noch von kräftigem 
Wuchfe, mit einem hölzernen Stabe in dem Gebräne. 

„Es iſt Zeit!” fagte fle jegt, nachdem der Gefang geenbigt 
hatte unb der Hauptmann ber Bande, eime Rieſengeſtalt mit 
wilden, bärtigem Antlig, gehüllt in einen rothen Mantel, eine 
lange Heugabel als Waffe in der Hand, ſtand auf, überblidte dem 
Kreis und rief mit einer rauhen, donnerähnlichen Stimme: „Sind 
fie alle verfammelt bie Kinder der Sonne?“ 

„Allo!“ tönte es im Chore zurüd. Da kniſterte e8 aber 

Berloßfohn: Der Ichte Taborit. u. 1 


2 


durch die Zweige; eim aditzehujäßriger Surſche kam aus dem 
Iumern des Waldes gefprungen umd rief: „Hier bin aud ich!“ 
und warf einen abgefhundenen Hafen in dem Zeſſel, woran die 
Zigennermutter Rand, daf die Brühe darans empor- und ringe- 
herumſpritt. 


Me, welche der Heiße Brei traf und verbrähte, ſchrien laut 
auf, nnd die Alte ſchwang dem hölzernen Stab drohend gegen 
ihm und kreiſchte ans zahnloſem Munde: „Wilder Hund Du! — 
fiehſt Du nit, daß es zu fpät iR? Der Brei if gar, und Du 
wirft rohes dieiſch hinein! WIR Du nicht Aug werden, Sy- 
tora, Baflard eines Weißen? Straf ihn ab, Hauptmann I“ 

Der Burſche aber fand frei und ruhig da und fah der 
Alten umbefangen in’s Geficht. 

mRube!“ donnerte der Hauptmann; „geidieht das noch ein- 
mal, fo zieh’ ih Dir einen AR durch die Sehne an der Ferſe 
— Du toller Wolf!” Er wandte fih zur Zigeunermutter, 
indem er gebot: „Reich' uns jet das Mahl, Stara — e8 
iſt Hohe Zeit; bevor ber Hahn im Dorfe kräht, müffen wir 
aufbreden gen Chrudim. Seguet Euch und lagert Euch um 
den Reffel.“ 

Zwei Zigeuner hoben den Keſſel vom feuer und fellten 
ihn etwas entfernt won demfelben in's Gras. So geihah e& 
auch mit dem zweiten, unb die Bande lagerte ſich ringeum und 
langte mit langen, hölgernen Löffeln tüchtig zu. 

Die Zigeunermutter faf an der Geite bes Hanptmanus; 
He flichte etwas Feſtes ans dem Brei und reichte es ihm Hin 
wit ben Worten: „Hier, mein Enkellind, eine füße Walbratte — 
ein koͤſtlicher Biffen! — Die Speif if gut — ein fhöner Wald, 
hat viel des Koſtbaren: Bogeleier, Birfgühner, Ratten, Hafen 
und füße Beeren. Gold einen Brei eſſt Ihr fo bald nicht 
wieder, ſiad wir erſt in den Gbenen mund im Der Nahe der 


Siadte, wo bie Menſchen geizig find und den braunen Renten 
nichts vergönnen.“ 

Der Hauptmann nahm den dargebotenen Biſſen ſchweigend 
an und ließ dann feine Augen forfhend im Kreiſe ſchweifen: 
no it Madlena?“ fragte er — „warum nicht am Mahle 
mit den Genofien? Der König fragt nad ihr. — Ruft fie.” 

Ein Mädden erhob ſich und lief in das Gebüjdh. — Gleich 
darauf erichien fie wieder und berichtete: „Sie wird gleich kom- 
men. Sie will einen Trunk für die Tochter — das Kind ift 
kant. — 

„Ih glaub’ es nicht,“ ſchmahte der Hanptmann; „müffen 
wir fie ernägren, fo fol fie micht zu flolg fein für unfern Tijch, 
ber fefter ſteht, als jeder andre; ‚denn es if die Mutter Erde.“ 

Ein Weib von vierzig Jahren beinahe, mit Spuren der 
Schönheit im weißen Antlig, aber entflellt durch eine feltiame 
Tracht. beftehend in einer Art weißen Zobtenhemdes, um das 
Haupt ein buntes Tuch, einen Eiſenſtab in der Hand, trat aus 
dem Bufche und mäherte fi dem Keffel, woran der Hauptmann 
fa. — 

„Der König der Könige fegne Dein Mahl, König,“ ſprach 
fie feierlich, „und es gedeihe Euch Allen, Ihr Kinder ber Sonne! 
Gebt einen Trunk Weins oder Biers mir für Zlata meine 
Toter.“ 

„Barum Lömmt fie nicht ſelbſt?“ fragte der Hanptmann 
barſch; „if ihr ber Platz zu ſchlecht an meiner Seite ?” 

„Sie verlangt der Speife nicht,” gegenredete Madlenay 
„denn fie if front. Boſe Taume quälen fie des Nachts und 
glühende Hige bei Tage. Sie ift matt und kann den Trank 
der Duelle nicht vertragen.” 

„Du lügſt!“ rief der Hanptmann; „fle meidet mid. Es 
iſt die dritte Friſt verſtrichen, wo fie veriprach, mein Weib zu 
fein, und noch iR fie nicht willfäßrig. — IH kann fle zwingen, 

1* 


" Bater lebt no,“ verſetzte Madlena eruf, „unb ihm 
gegiemt's allein, über fein Kind zu verfügen.“ 

„Der ſoll noch leben?” lachte der Hauptmann. „Zwanzig 
Iage gefangen, verſchollen, wahnfinnig vom Anfang; das Heißt 
gt leben | Der Moder und die Ratten im Prager Thurme ha- 
ben ihm aufgezehrt.” 

„Er lebt !“ wiederholte Madlena. „Wenn der Mond einen 
Ring bildet, fo erſcheint mir flets fein Autlitz darin Im brei 
Boden muß ih wieder gen Prag ziehen; bort öffne ic) feinen 
Rule — 

„Wahnſtun, Tollheit!“ ſchalt der Hauptmann. „Eins flieht 
fe; Dein Kind, das Kind der Sünde, iſt mehr — ich freie fie 
noch einmal mit drohendem rufe. Theilt fie in vier Wochen 
nicht freiwillig das Lager mit mir, fo thue fie es gezwungen; 
Dich aber laß ih in die weite Welt peitſchen. Seid Ihr uns 
doch zur Laſt! Du willſt nichts erwerben, nichts blenden, verdienſt 
nichte im Beheren, Bannen und Wahrſagen, und das zarte 
Töcterlein fühlt uud mimmt fi wie eine Prinzeffin der Weißen, 
und dod fließt unehelih But, das Blut eines Watermörbers in 
ihren Adern! Id aber bin aus reinem Samen, ein Königsiohn 
— jest ſelbſt König.” 

„ei, es geſchieht Dir auch recht!“ nahm jet Stara, bie 
Großmutter, das Wort; „warum verwöhnft Du aud bie füße 


5 


Puppe! Bift ja fo fein, fo mild und artig gegen fie, hätſchelſt 
fie wie ein Kinblein und Haft Leim ernſtes Wort für fie wie für 
die hochmuthige Mutter, die fid beſſer dankt, weil fie eines 
Edelmannee Metze war! Heifa! Und: doch möcht ich noch gern 
fpringen im Tanz bald an Deinem Hochzeittage! D’rum mimm 
Dir eine Andre von unferm Geſchlechte; ſchlanke, gelbe Mädchen 
find de, mit ſchwarzen Feueraugen und voller Bruſt, dort bie 
Anudte und Mile“ 

„3% will nicht!" hertſchte der Hauptmann; „ih mag nur 
das blanke Kind, gerade meil fle wiberfirebt. Mein Zorn wird 
fon den Eigenſinn beugen, und wo Worte nicht helfen, foll 
Zuchtigung erfolgen.“ 

„Sie wird ihr Herz noch mehr von Dir wenden, Haupt 
mann Janod,“ nahm Madlena das Wort; „nur mit Milde kann 
man mein Kind regieren. Iſt fie doch fromm und gut, gefällig 
gegen Alle und fittig und beſcheiden !“ 

Aber der Hochmuth fledt in ihr!“ geiferte die Alte; „nennt 
fie ſich doch Zlata — die Goldene — während id nur Sttibrna, 
die von Silber, Heiße, weil Golb befier if, als Silber. Und 
ih bin doch die Großmutter des Königs! He? Du bift es ſelbſt, 
Madlena, bie ihr den Sinn verdreht, ihr vorſchwatzt von dem 
Vater, einem Ritter, von feiner Burg und feinen Roffen. Glaubſt 
Du wohl, ein Ritter wird kommen und die Dirne freien ?“ 

„Wär’ das Unglüd nicht,“ äußerte Madlena befcheiden, „fo 
läge fie auch an eines Ritters Vruf, und ein Iunfer müßte fie 
freien. Wir fichen Ale in Gottes Hand — und was heut’ im 
Staube liegt, fann morgen zum Glanze erhoben werben.” 

Sie hielt ein und finnmte dann leiſe vor fi Hin: 


„Du bif nicht tobt, mein Valentin! 
Deine Hand ift nit vom Blute roth, mein Balentin I“ 


vi jede Jungfrau in ihren Jahren; das iR ihre ganze Kranl- 
te — 

„Sie fürdtet fi vor Mutter Stara,” verſetzte Madlena, 
mbie fie ſtets ſchitt, tadelt, immer etwas an ihr zu mäleln hat. 
Zlata hat ein wei Gemüth; fie kann wicht rohen Hohn ver 
tragen.” 

„&i fieh dal” kreiſchte Stara; „will Du ben eigenen 
Entel gegen mich anfhegen, wild Du feinen Sinn erzürnen 
gegen bie Mutter? Das kann Dir leicht gelingen; denn verliebt 
iſt der Thor und achtet nur feine Leidenſchaft. Ei! Gott behüte 
doch das zarte Kind, das ſchwach ift wie ein Kücjlein, zu dem 
man kaum laut zu reden fi getranen darf! Tadle ich fie, fo 
table ih fie wegen ihrer Untugenden — und deren hat fie viele. 
Will fie unter ums fein, fo fol fie fi) geberden wie wir. Mad’ 
mid nicht boſe, Madlena, oder id) verhege Dich und Dein 
Kind, daß Euch der Krampf in den Gebeinen liegen fol Wochen 
lang und der Alp brüden jede Nacht! Liebſt Du Dein 
Rind — fo lieb ih auch mein Enbkeltind und fann es darum 
nit leiden und veriämähen fehen.“ 


7 


„Bird Gott es wollen,“ verſetzte Madlena, „io wirb er ie 
Herz ruhren und mit der Neigung zu Iamod erfüllen; er if 
unfer Aller Gott. Fullte er doch die Bruſt meines Balentin 
mit glügender Leibenſchaft zu mir, umb id) war mur gemeinen 
Standes!“ b 

„Die Liebe kommt im Ehebette,“ brummte die Alte, „umb 
Eitern wmäflen ihre Kinder zum Gehorfam erziehen, bamit fie 
etwas fiber ihren fiörriihen Willen vermögen.“ 

Wed’ mir die Zlata!“ rief jegt der Hauptmann, da er 
Rd gefättigt; „ich muß fle fehen, bring’ fie her!“ 

nZürne nicht, Here!" bat Madlena; „fie ift fo ſchwach — 
ſchone ihrer bis morgen !* 

„Reine Widerrede gebot der Hauptmann; „ion geh’ 
ich felbR und wede die Schiaferin, die feine Zeit hat für ihrem 
König. Ihr Buben und Mädchen,“ wandte er fih zur Wem 
ſammlung, „da Ihr Euch nun fatt gefrefien, könnt Ihr zu Bette 
gehen. Früh auf, wenn der Haha Häht und das Birkhuhn 
ruft; fonft wedt Cuch mein Kmittell“ 

Die Jugend zog fi nach dieſen Worten im bie Gebuſche, 
mo fie theils in Löchern, theile in Zelten ihr Lager aufgeſchlagen 
hatten, zurüd. Mur die Erwachſenen blieben zurüd, „Ich weiß 
wohl,” fagte der milde, junge Sytora im ortgehen für fi, 
„warum bie Zlata den Hauptmann mit will. Er ift abſchenlich, 
Re if ſchn. — Wenn id) ein Ritter wär’ " 

Wie ein heller Schein brach jetzt durch das Gezweig, und 
Meblena kam mit ihrer Tochter, 

Blata — die Goldene, wie fie das Mäbden nannten — 
war in ber That eine wunderreigende Etſcheinung; fchlanf und 
hoch gewachfen wie eine Lilie, und do voll im fhönften Eben- 
maße, glich, fie am zarter Farbe des Antliges, des Nadens und 
der Arme jener genannten Blume. Ihre Augen ſchimmerten 
durch die dunkle Nacht wie zwei milde Sterne — eine ſchmerz- 


® 


hafte Berllärung lag in ihrem Scheine; fie, ſahen wie Blide, 
bie fi eben von der Thräne getrennt. Dunkel beſchatteten fie 
die Wimpern und Brauen und gaben den fanften, weichen Zügen, 
dem zarten Dufte, welcher auf dem Antlitz lag, wieder Kraft 
und Ansbrud. Nur blaß geröthet waren bie Wangen — das 
Haar, in langen 2oden um Schultern und Buſen niederwallend, 
war golbgelb and ſchimmerte wie eine Glorie um dem ſchönen 
Kopf; daher auch der Name die Goldene: — Zwiſchen dem 
Gruppen der braunen, Inmpenbebedien Zigeuner erſchien fie in 
ihrem weißen, wenn gleich zerfegten Gewande wie ein Engel des 
Lichtes, ähnlich jenem, ber im der beiigen Naht unter die 
Hirten trat. 

Sie- trat gejenkten Hauptes näher und fragte, als fie vor 
dem Hauptmann ftand, mit einer weichen, beinade Eindifchen Stimme: 
„Was befiehlſt Du 2" 

„Ich wollte Dich,“ verſetzte barſch, aber mit bem hörbaren 
Bemlihen, ben Ton zu mildern, der Hauptmann, „noch einmal 
ſehen, bevor ich fchlafen gehe. Ich fehe Dich gern, wie Du weißt. 
Barum entzieht Du Di dem Hauptmann? Du follteft mir 
gute Nacht wünfhen — hörſt Du? Ih bin Dir gut; aber 
Du erzürnft mid durch Deine Launen. — Bift ein böfes Kind 
— mußt mid nit zornig maden. Endlich iſt's aus mit ber 
Geduld, und Du ſollſt deu Heren erkennen.“ 

„Was befiehlft Du? Was willſt Du von mir?" fragte 
Zlata. 

„Stelle Dich nicht fo,” fuhr der Hauptmann auf, „und 
mwede meinen Zorn wicht” Du kennſt unfer Geſetz, welches be- 
fiehlt, daß ein Mädchen nur mit ihrer eigenen Einwilligung ger 
feeit werben darf. Deshalb warte ih auf Dein Jawort. Warum 
haltſt Du es zurüd? Muß id noch länger Barren, treibt Du 
noch länger Spott mit mir, fo kehr' ich müh nicht an das Ge- 
feg und nenne Did mit Gewalt mein Weib.” 


„Du tannft nit mein Bräutigam fein,“ antwortete fie 
langſam und furchtlos; „mein Bräutigem if heil von Autlitz wie 
der lichte Tag. Er ſitzt Hoch zu Roſſe, feine braunen Loden 
flattern im Winde, feine Wangen find mit Rofenbfättern beſtreut, 
feine Augen find der Abendſtern und der Morgenftern, wie fie 
zugleich neben einauder fhimmern. Um feinen Mund fliegt ein 
Lächeln wie Abendröthe um den Himmel, und feine Stimme if 
füß wie ber Schmerz der Nachtigall.“ — 

„Fluch und Berbaminniß!“ tobte. der Hauptmann; „und 
wer ift ber Hund, der aus Sternen und Blumen und. Radti- 
galten zufommengefegt if? Zeig’ mir ihn, damit ihm meine 
Heugabel Bier die Sterne ausldfche für ewige Zeit. Wer if’s? 
Wie heißt er?“ 

n&s if ein Traum,“ fiel Madlena begütigenb ein, „ein 
Traum der legten Nacht.“ 

„Was man des Tages im Ginne führt,“ keifte bie Alte, 
„davon träumt man de Nachts. Nichts als die Schilderung ber 
Mutter, die ihrem Kinde den Kopf verdreht!“ 

„Ein Traum nur,“ Ienkte Zamod wieder ein, denn feine 
rohe Natur bengte ſich doch vor ber Macht der edleren, wie fie 
im gegenüber in Zlata waltete, nnd fuhr fort: „Die Träume 
flag’ Dir aus dem Siun. Hier die Großmutter kann fie deu ⸗ 
ten, wenn fie nicht hohl find. Noch vier Wochen Frift will ih 
Dir aber geben; daun nehm’ ich Deine Hand, Du theilſt das 
Lager mit mir und biſt die Königin unſers Volkes in Böheim. 
Großer Glanz für Did — die Du keinen Vater haft, oder einen, 
der noch ſchlimmer if, als gar keiner!“ 

„Rein — es war fein Traum,“ fuhr Zlata im tiefen 
Sinnen, das Zwiſchengeſpräch nicht beachtend, fort, „es war 
Wirklichteit — ich fah es ja mit eigenen Angen! Zwiſchen ben 
Blütenzweigen lag’ ih und wollte. ſchlummern ober weinen, denn 
das Her; war mir ſchwer; da fprengte er vorüber — gerade fo 


10 


— und jah mid lächelnd an — fo mild wie ber Himmel — 
und hielt fill. Ich Harte ja bie Augen geöffnet, aber id; konnte 
mid) nicht regen, auch nicht ſprechen vor Bellemmung; und er 
ſtieg ab uub neigte ſich über mid, und füßte mic; anf den Mund, 
daß e8 mir bis in’s Herz brannte. Dann fagte er: Wir jehen 
uns wieder und fprengte davon. Ich erwachte — nein! ih er- 
wachte eigentlich wicht, ich konute mich aber wieder regen mub 
erheben; denn geichlafen hab’ ich nicht und ſah nod feinen 
weißen SHelmbnih zwiſchen ben Zweigen verfchwinden.  &o 
war es.“ 

„Thorichtes Zeug — dummer Aberwitz!“ ſchalt die Stara, 
und höhnifhes Gelächter Ließ fi Bier und da von den Gegen. 
mwärtigen vernehmen. ” 

Madlena aber ſprach begütigeub: „Plage mein Kind nicht 
länger zur Zeit, wo es ber Schlaf überfäli! Sie träumt fo sehr 
haft — fo daß fie fpäter oft glanbt, fie habe das wachend er» 
lebt, was ihr nur im Traume vergelommen. Eutlaßt uns, 
Hauptmann I* 

„So mögt Ihr fchlafen gehen,“ verſetzte Iamod gebieterifc, 
„und bankhar bedenken, daß e8 der Hauptmann if, der für Cuch 
wacht und forgt und End erhätt! Du, Zlata, wende Deinen 
Bid ab von den Thorheiten Deiner Träume, von den Bildern 
ber vornehmen Welt. Kehre fie auf mid; wir nur find frei 
und edel, wir lichten Männer des Morgenlandes. Biel’ ih Dir 
die Hand, fo erhöh' ih Di; mit einem weißen Ritter im Bund 
biſt Du doch mur erniedrigt. Im vier Wochen fol Hochzeit fein; 
Hört Ihr's, Genoffen? Ich erleg Euch ſeibſt einen Hirih von 
fechzehn Gnden; der fol Eurem Schlund vortrefflich behagen, 
und aus ber Brauerei von Chrudim Hol ich ein Faß Bier — 
fo oder fo. Tanz fol es geben bis fpät in bie Nacht umd einen 
guten Rau.“ . 

„Rein — nein!" unterbad) ihn Zlata fanft, aber entſchieden, 


u 


„Du wirft nit mein Bräutigam werben. Ich weiß es genan, 
Da kaunſt es nit fein. Es ift ein Anderer, ein Schönerer, 
viel Höherer, den der Himmel fenden wird über einen rauhen 
Felspfad; ber befreit mich. — Du fönnteft mich tödten; aber 
mein Gatte wirft. Du nit.“ 

„Fluch und Berdbammmiß!“ ſchalt Janos auffahrend; „ic 
nit? Warum nit? Warum ein Anderer? Alſo lieber ſterben 
winkt Du? Da konnt ih Dich ja glei Hier miederbußren! Wir 
wollen aber fehen, wer mid; hindern wirb in vier Wochen, wenn 
Du Dich nit befonnen, Dein Gatte zu werben! Zarte Taube 
in des Geier Krallen, tieblof ihm, oder er läßt Did; bie Klaue 
fühlen I“ 

Er wollte fie anfaſſen — fie trat mit einem lauten Schrei 
zuruc. — 

n&i, was ziert fi) bie Dirne!“ kreiſchte giftig die Stara. 
— „HR ihr meines Kindes Arm zu fchledht Pe 

„Sie ift nicht bei Bewußtfein,“ entiduibigte Madlena. „Was 
peinigt Ihr fie jetzt, wo Schlafenszeit iR? Der Traum ſpricht 
aus ihr und die Krankheit.“ 

„Mein Entelden“ — ſprach giftig die Stara — „wende 
Dein Herz ab von dem Ghriftenbalg, von der weißen Katze bal 
Frei’ een ander Mädel von unferm Blut — von brauner Haut 
und ſchwarzen Augen. Es ift beſſer, Ianaötn, mein Eufelchen. 
Und die Weißen hier peitſche hinaus aus Deinem Volke, hetz 
fie mit Hunden fort, weil fie fo undenkbar find. Sie werden 
es bereuen — bie giftige Schlangenbrut!” 

mdabt Erbarmen,“ flehte Madlena, indem fie ihr Kind 
angftvol und beforgt feft am fich ſchloß, „laßt uns ziehen, wenn 
Ihr uns verftoßen wollt, aber ohne Schmach! Hätte ih ein ru⸗ 
Big Obdach, fo zöge ich nicht mit Euch durd die Wälder; bin 
ich ja doch ausgeſtoßen von der Welt! — Soll die Wilduiß 
ſelbſt feine Zuflugitefätte für mich fein?“ 


und fagte leife und pfiffig: „Laß mich nur walten, mein Gnfel- 
Gen! Da Du fie nun einmal liebſt, ſo muß fie Did wieder 
Heben. Du ſollſt fie beſihen, Ianuötu, umb nur einen Tropfen 
Bint foll es Di foren. Ich fange den Tropfen Blut auf, 
tränfe damit eine Nabel, durchſteche flebenmal mit ihr einen 
Apfel, und ben reift Du ihr; fie wird ihn efſen und flugs bie 
Liebe in ihrem Herzen erwachen.“ 

„Thu' das, Großmutter,” antwortete ebenfalls heimlich ber 
Hauptmann; „denn bie Luft nad) der blanken Dirme gnält mich 
fehr. IH mag die Mägde nufers Stammes gar nicht mehr er- 
fehen, feit ih an ihrem blauen Aug’ und golb’'nen Haar Wohl - 
gefallen gefunden Habe. — Run aber Ioft uns zur Ruhe! — 
Id witt're dem Mond; er bricht auf Hinter dem alten Siefer- 
ſtamme.“ 

Er ſchlug nach dieſen Worten mit feinem Gabelſcepter an 
den Keſſel, daf es laut durch die ſtille Waldesnacht ſchallte. Es 
mar das Zeichen zur Ruhe. Die müden, ſchlaftrunkenen Gruppen 
erhoben fi und zogen fid im verſchiedenen Richtungen nad den 
Gebüfhen in ihre Zelte zurüd. 

Nor der Hauptmann blieb noch anf dem Plage zurüd, 
förte mit feiner Gabel in das verglimmende Feuer, daß die 
Funlen wie eine Ienchtende Garbe zu ben Baumwipfeln empor» 


& 





13 


Hoden nud die Rauchſäule fi) wie ein blaſſes Geſpenſt erhob. 
& war im tiefen Sinnen, und feine Geele arbeitete an einem 
Plane, Da fielen feine Augen auf bie nächſte Eiche und ger 
wahrten ben budligen Fiedler, der an ihren Stamm gelehnt 
ſchlief und fo das Zeichen zur Nachtruhe verhört Hatte. Beim 
Anblide deffen fuhr dem Hauptmanne ein Gebante dur den 
Sinn. Er medte ihn. 

„Bartad,* fagte er, „komm' und ſetz' Dich zu mir; ich will 
Dir etwas ſagen.“ 

Der Gerufene erhob ſich und fauerte gähnend an bes daupt· 
mauns Seite nieder. 

„Bartad,“ fuhr ZYanod fort, „Allee ſchlaft; es Hört uns 
hier Niemand. Ich will Dir etwas entbeden; Du mußt mir 
helfen. — Ich fiebe die blanfe Jungfran, Die Blata — das 
weißt Du. Sie aber fperrt ſich — ich glaube, fie mag mic 
gar nicht; und befigen muß ich fie doch, fei es durch Lift oder 
Gewalt. Ich glaub’, die Liſt iſt beffer. Ich fage Dir, ich ver- 
brenne vor Leidenſchaft zu dem ſchönen, meißen Leibe. Alfo ich 
brauche Deinen Arm. Morgen in der Frühe, wenn ihre Mutter 
in das Didicht geht, noch vor dem Aufbruch, da ſag' Du zur 
Blata, fie fol Dir folgen, die Dutter fei voraus ; heiß fie dae 
Roß befteigen, für” es am Zügel und geleit’ fie. Bon der 
großen Buche aus geht ein Fußpfad nad dem Thale, wo bie 
Tannen fiehen, wo es fo bit und ruhig if. Dahin geleiteft 
Du fie, während die Bande linfwärts nad Ehrubim zieht. Dort 
erwart' ih Did — flag dreimal an wie die Wachtel, wenn 
Du Di näherft, und überlaß mir dann die Magd. Bin id 
allein mit ihr, fo flört mich nicht der Mutter Math, bie dagegen 
iſt, und ich erbitte ober erzwinge das Jawort viel leichter. Sie 
if dann mein Weib gutwillig oder nicht. — Ih geb’ Dir ale 
Lohn die filberne Spange, bie ich geblendet habe in Kolin — 
Hört Du? Und ſchweigen mußt Du and! Berfich' mid 'mal; 


14 


ich bin der Hanptmann, umb geht's mir's gut, fo geht. es Cuch 
len gut. Daran dent', mein Bartas. Di ſollſt die Fiedel 
reihen an meiner Hochzeit und doppelt fo viel Bier haben wie 
die Anderen.“ 

„Da Du es beſiehlſt,“ antwortete Bartad, ber ſich in- 
wiſchen ermuntert hatte und ‘nun aufmerffam den Morten des 
Hanptmanns laufchte, „jo werd’ ich's gern tum. Allein — wenn 
die Dirme mir nicht folgt, wenn fie ſchreit, ob ich ihr Gewalt 
anthue ?“ 

nDas wird fie wicht,“ fuhr Jandä fort; „fag’ mer, bie Mutter 
fei vorn im Zuge; fie ſolle eifen, um fie zu erreichen. Biſt 
Du erft anf dem Pfade, fo ſchwing Did Hinter ihr auf das 
Ro, nimm bie Zügel und trotire raſch nach dem Thale auf 
der ebenen Bahn. „&ie werden gleich um bie Ede Biegen,“ 
tanuſt Du fagen — „wir Haben einen Borfprung.” Daun 
lafſeſt Du die Wachtel ſchlagen, uub ich eile vom Berge herunter 
und hebe fie vom Koffe und geb’ ihr milde Worte und ſtetle 
mic, vafend vor Liebe. Sie iR eine Trämmerin! das wird fe 
rühren.“ 

„Ich ihu' es, Hauptmann Yanod,“ verfehte ber Fiedler, 
„und Ihr gebt mir die filberne Spange und Bier genug am 
Hodzeitstage.“ 

Raum hatte er aber ausgeſprochen, als es oben im ber 
Eiche krachte, von Aft zu Aſt dröhnte und zwiſchen den Beiden 
ſchmetternd eine Geſtalt niederfiel, daß fie zu beiden Seiten 
hintaumelten. 

Es war der wilde Junge Sykora. Er raffte ſich, ohne 
ertaunt zu werden, auf, fprang durch das Feuer hin, daß Rauch 
and Funlen aufſtoben und bie Erſchroclenen blendeten, und ver- 
ſchwand rauſchend im Gebüfche. 

„Das war ein junger Bär!” rief der Hauptmann, ale er 
fich von feinem Schrecen erholt Hatte. 


2» 


„Bei meiner Seele, ein Bär!” fluchte Bartad; „id fühl 
noch feine Tage am Gefihte. Er if oben eimgeichlafen und hat 
das Gleichgewicht verloren. in Glüd für uns, baß er erſchrocken 
iſt! Es hätte uns können ſchlimm ergehen I" 

„D1* prahlte der Hanptmann, „ih hätte ihn durchſtochen 
mit meiner Gabel bier, wenn er nicht entflohen wäre. Man 
dann erfchreden, wenn man nicht gefaßt ift auf ſolchen Unfall. — 
Wenn er nur nicht in bie Hürde der Weiber bricht und fich ein 
Kind Holt!® ' 

„Cr fuchte das Weitel“ entgegnete Bartad; „ich hörte es 
praſſeln im Hole Er bat fi verbrannt hier in dem Kohlen 
und will fi im Bade kühlen.“ 

„Es bleibt alſo dabei,” fuhr Ianod fort, „wie ih Dir'e 
aufgetragen. Beforg’ «6 gut. Ch noch das Birthuhn pfeift, 
bin-i wach und führ die Truppe nad) ber Strafe. Seht geh’ 
id auf meine Matte — es if Schlafenszeit, und wie mich bie 
Leidenſchaft auch quält, jo überwindet fie doch ber Schlaf. Gute 
Nacht i 

Er erhob fih und ſchritt weiter in den Watt. — Bartad 
tüdte näher an das euer, kauerte ſich zuſammen und ſprach 
mit ſich ſelbſt: „Cine filberne Spange will er mir geben und 
Bier die Fülle. Das hat er aljo verfprochen. Gi, die Magb 
iſt ein Schatz — ich will's wohl meinen, daß fie eine Spange 
und viele Krüge Bier aufwiegt. Wär’ ich nicht fo alt und 
haßlich, ich trüge felbft ein Verlangen nad ihr. — Gute Nacht, 
Hauptmann! Der Mund mwäflert Dir wohl nach ihrem Munde. 
Glaub’ es gern; aber id; meine doch, daß er Dir vergebens ge- 
wäffert: hat. Man kann nicht wiſſen, was fi zuträgt bie 
morgen, nnd wo die blanfe Magd fein wird, Hauptmann Sanod. 
Es if ein guter Biffen für Did, Janos, Du biſt ungeſchlacht 
und rauh wie ein Bär, wie der Bär, ber vom Baume fiel. — 
36 Hab’ einen beffern für Dich, Zlate — einen Witter, Zlata, 


nt 
ETF H 
FE. J 
— 
r 
—308 
Fr 
FENSEER NT: 
— 


* 
8 


fie ſich doc Holem vom Gchloffe im Möftec, wenn ihm der Budel 


und mährifhen Grenze. So ein Mann lebt vom Raub; warum 
fol ih mit auch vom Mäbdenranb leben? Behalt' ich doch 
das Mädchen nicht für mi — fondern nur das Geld, weldes 
fie werth iſt! Ah — ah! id bin müde — muß bie Zeit nicht 
verfhlafen. Der Hauptmann trämmt wohl von ihr — dent, er 
habe fie fon in feinen Armen, anf ber härenen Matte. Run 
— es gibt Biele, bie efien, Andere aber wieder, die fi) bem 
Mund wilden nud bloß zufehen. Wiſcht Euch den Mund, Haupt 
maun Janod — feht zu — feht zu“ 

Er brachte die legten Worte nur mod; lallend hervor, dann 
entflief er neben dem heißen Aſchenhaufen. — 

Sytora, der wilde Burfche, aber lief noch nicht. Er hatte 
oben am Baume der Unterredung bes Hanptmanns mit Barted 
zugehorcht. Das Erfhreden der Beiden, als er von einem 


17 


brechenden Afte auf fie herabfiel, gab ihm ſichere Burgſchaft, daß 
er nicht erkaunt worden fei. Er war ber Zlata gut, weil fie 
fHöner war als Alle nnd duch ihre Fürbitte bei dem Hauptmann 
ihn einmal firenger Strafe enthoben hatte. Er mußte ihr alfo 
von ber drohenden Gefahr Nachricht geben; denn er Tonnte es 
wicht leiden, daß ihr Gewalt geſchehe. Er war eiferfüchtig, ohne 
fi) deffen Mar bewußt zu fein. — Sacht erhob er fi von fei- 
nem Lager, wo er fi) nad feinem alle verborgen und ſchlafend 
geftelt hatte; er kroch leife durch die Heden — kam an die 
Feuerftelle und lauſchte, ob der Hauptmann mit Bartad no ba 
ſei. Er bfies in die Ace, daß fie einen hellen Schein gab. 
Nur den ſchlafenden Fiedler fand er am Plage. — Behutfam 
troch er weiter nah dem Gebüjche hin, wo Mablena und ihre 
Tochter ſchliefen. Die Wipfel der Bäume waren oben frei — 
der Mond ftrahlte im ſchönſten Lichte auf den Play Bernieber, 
wo die weißen Weiber unter einer zwifchen Zweigen ausgefpaun« 
ten Dede ſchlummerten. 

„Wie ift fie ſchön!“ fagte der Burſche, als er fi) ohne 
Geräufch genähert; — „ietzt fcheint ihr ber Mond in’s Geſicht — 
er thut's gern. Ja — wie eine Lilie ift fie, und Gold mallt 
um ihre Stirne. Wenn ich dod ein weißer Mann wäre und 
älter und nicht fo wild! — Küffen darf ich fie; ich nehme mir 
da nur ben Lohn für meinen Dienſt, und ich erweif ihr einen 
großen Dienſt, freilich !“ 

Er neigte ſich leiſe und berührte ihren Mund mit geſchloſ- 
ſener Lippe. Ihr warmer Athemzug machte ihn faſt taumeln. 
Sie ruhte mit geſchloſſener Wimper; die Hände hielt ſie gefaltet 
über ber keuſchen Bruſt, welche fi vom Athemzuge ſenkte und 
hob wie ein Zweig mit weißen Blutenflocken im Luftzuge. Neben 
ihr Tag die Mutter; ihre Hand Hatte fie nach der Tochter aus 
geftredt, als wolle fie fie no im Schlafe ſorgſam behüten. — 
Auch fle erſchien noch fhön troß der gramgebleichten En 

Herloßfoßn: Der Iegte Zaborit. IL. 


18 


Sylora näherte ſich der Legteren jegt; er rüttelte jauft ihre 
Hand, bis fie bie Augen auffhing. „Erfäredt mit!“ fagte a 
su ber Befürzten; „id bin’s, der Gülora, ber End immer gern 
die Bogeleier ans ben höchſten Wipfeln der Bäume holt Ich 
mein’s gut mit Euch und hab’ Euch etwas zu entbeden Rur 
leiſe — damit Zlata nicht erwacht; fie Lönnte fehr erjſchrecken, 
und wir wären verrathen. — Euch droht Gefahr — oder eigentlich 
der Zlata. Ich Hab’ den Hauptmann anf jenem Baume belauſcht. 
Der Bartad fol Eure Tochter nah einem Thal entführen; dort 
will er fie zur Hochzeit zwingen. — Sucht Tuch zu Belfen; 
Braut Ihr einen Wegweifer — ih will End dienen.“ 

„Heiliger Gott!” wehllagte Madlena, und ihre Thränen 
floſſen reihlih; „follen denn meine Leiden nie enden? — Die 
Dankbarkeit, die Scheu vor der Welt, welde mid mit Schmach 
empfing, ließ mich Hier unter diefer Genoffenfchaft verweilen, und 
jegt ſtößt mid, ihre Granfomfeit wieder hinaus. Ic danke Dir, 
Sylora, für Deine Liebe. Möge Gott der Herr eine Zeit fenden, 
mo ich Dir vergelten Tann 1“ 

„i, ich habe ſchon meinen Lohn!“ verſetzte ber Burſche 
ſchlau — „nämlich ih hab’ Euch gedient, und das macht mir 
Freude. Sucht aber nur fortzulommen.“ 

„Sprich Teifer, treue Seele!" bat Madiena, „daß mein Kiud 
nit erwacht. Die neue Schredcensbotſchaft würde fie tödten. Sie 
darf nichts davon miffen. Ich will fliehen; geleite Du mid) 
aus dem Walde. Vielleicht kann id mein Kind in Möfec bei 
guten Leuten aufheben — denn binnen Kurzem muß id, wieber 
nad Prag, den Bater und Gatten fuchen und befreien.” 

„In Möftec?" warf Gylora bedenklich ein; „folltet Ihr 
dort fo ganz ficher fein? Wenn ber Ritter Hekmann Eure Toch- 
ter ficht — fie if ſchön — es könnte Euch großes Herzeleid 
widerfahren.“ 

„Und doch muß ich es wagen!“ entgegnete Madlena — 





19 


„ich weiß fonft nicht, wohin id; mid wenden foll. Es ift überall 
nuſicher für mid.“ 

get aber brecht anf,“ vieth Sykora; „es find kaum noch 
zwei Stunden bis zum Sonnenfhein. Da wacht der Haupimann 
fon und auch Bartad; danu wär’ es zu fpät. Ich kenne 
alle Pfade im Walde; wir machen einen Bogen bis zur Land» 
frage." — 

Mablena wedte ihr Kind. Sie fagte ihr, e8 wäre Zeit 
zum Aufbruche, am Saume des Waldes harre das Roß. 

„Gut gut!“ verfegte Zlata; „ich werde ihm Heut’ fehen. 
Ich weiß es aus dem Traume jet.” — Sie hüllte ſich in die 
Dede, welde ir zum Zelt gedient, um fid in ber Tracht zu 
entftellen und ihre Formen vor der Welt zu verbergen, und folgte 
an ber Mutter Hand ſacht und behutſam dem Zigeunerburfchen, 
der fie gewandt durch bie Gebüfche führte. " 

Der Mond Hing über den Fichten des jenfeitigen Berges 
wie eine gervaltige Ampel im hohen Dome. Im Often färbte 
ſchon ein weißer Kreis bie Ebene. Funkelnder Thau King an 
den Gebüfcen und Zweigen. Noch aber regte ſich feine Vogel- 
fimme im Gehölz, nod war es tobt ringsum; nur hie und da 
flatterte ſcheu eine Eufe oder ein Leichenhuhn auf und rauſchte 
durch die Blätterwände der Buchen. 

Am Ausgange des Waldes ftand Sulora ftill und fagte: 

Hier müffen wir ſcheiden. Geht immer gerad’ abwärts 
den Pfad, fo kommt Ihr an die Straße; verfolgt fie zur rechten 
Hand, und Ihr feid bald in dem Fleden. Wir Haben einen 
Marken Umtoeg gemadt; auf ber Fährte werden fie Cuch nicht 
fügen.“ Er riß nad dieſen Worten einige Bfütenbüfgel von 
der Hede, drüdte fie ber Zlata in die Hand und fagte treuherzig: 
„De, nehmt das zum Angebenken an ben wilden Sylora, und 
wenn Ihr einft im Glüde ſeid und id) komme betteln in Euer 

* 





20 


Gehoft und ich frage nach dem Baſchel. fo werdet Ihr mir eine 
Gabe nicht verfagen.“ 

„Hab' Dant, guter Knabe!“ entgeguete Madlena; „warum 
bin ich fo arm und Tann Dir nicht lohnen l 

Der Burſche drüdte noch einmal heftig Zlata's Hand und 
ſprang luſtig pfeifend in den Wald, wo er verſchwaud. 

Madlena z0g ihre Tochter ueben fi nieder, indem fie 
fagte: „Wir wollen vorerfi Iniend dem Herm banfen, daß er 
uns einen guten Meufchen als Reiter gefendet Hat, und flehen 
um feinen Schuß auf der neuen, dornenvollen Bahn.” 

Zlata faltete die Hände, worin fie die Vlütenzweige hielt, 
anbächtig über der Vrufl, ſah ſchwarmeriſch - trunten in den ber- 
fintenden Mond und zu deu verlöſchenden Sternen, und ihre Lip 
pen bewegten ſich Teife im frommen Gebete. 

Sie erhoben fih und ſchritten weiter am Waldesfaum ent» 
lang ber Ebene zu. 

Bartad der ſchlaue Fiedfer Hatte feinerfeits kaum eine Stunde 
gerubt, als er fi erhob und nun feinen Plan, Zlata für ben 
Nitter zu fehlen, in's Werk fetten wollte. Der Mondſchein follte 
ihm dabei begänftigen. Cr wollte das Zeit über dem fhlafenden 
Mädchen Lüften, fo daß ihr die Heilen Strahlen in’s Antlig fallen 
mußten; dann wollte er fie fact berühren und ihr mit bem 
Finger winten, ihm zu folgen. Er wußte, baß dies lebhafte 
Träumer oft uuwillkürlich und im halben Wachen zu thun pfle- 
gen. &o wollte er fie von der Mutter Geite emtloden, tiefer in 
den Wald führen, dort auf das Roß fehen, und wenn fie fi 
dann ermuntern würde, ihr fagen, die Mutter fei voransgegangen 
und Habe fie ihm übergeben. Er rednete bei allem hiefem auf 
feine Schlauheit, welde ihm nod nie im Stiche gelaffen. Das 
Erwachen des Hauptmannes konnte er nit abwarten; denn leicht 
tonnte ſich dieſer anders befinnen, oder er fonnte, von feiner 


21 


Heftige Leidenſchaft getrieben, ihm ſtrads folgen. Dans wäre 
fein ſchöner Auſchlag vereitelt geweſen. 

Er ſtaud leiſe auf nnd ſchlich durch das Gebüſch nad der 
Logerftätte Madlena’s. Wie groß aber war fein Gchreden, als 
ex diefe leer fand! Er-vermuthete Verrath oder Irrthum. Am 
möglichften dachte er fi, der Hauptmann felbft Habe feine Auf- 
richtigkeit bebamert, habe Verdacht geſchöpft und auf irgend eine 
Weiſe das Mädchen ſelbſt entführt und bie Alte mit vorgehaftenem 
Dolde ihm zu folgen gezwungen. Gr berod; das Gras, befühlte 
die Zweige, und fand fo die Spur. Leiſe ſchlich er zurüd am 
den Ort, wo die Roffe fanden; er zäumte den Gaul, welcher 
gewöhnlich Zlata trug, führte ihm über bie Feuerſtelle nach jener 
Gegend der Flucht Hin, warf fi zu Pferde und ritt fo durch 
die lichteren Stellen des Waldes raſch den Entflohenen nad, in⸗ 
bem er giftig vor fi Bin murmelte: „Gelber Blig, grauer Don- 
mer! der Hund Hat mir die Mafe gebogen; ihm hat wohl bie 
Spange gebauert. Ci, da käm' ich gut um mein Gold! — 
Hab’ ih Did nur erſt, Hauptmann, der Dolch hier von hinten 
foll mir gute Dienfte leiſten ! Heifal” 

Er trottirte ringsum fpirend fort. Sylora, welcher den- 
felben Weg kam, hörte plötzlich Gepraffel in den Zweigen und 
Geräufch des Enigegenkommenden. Flint wie ein Eichhörnchen 
Hetterte er auf den nächſten Baum; Bier ſah er Bartad vorbei- 
reiten und hörte feine drohenden Worte. „Nun Tann ih Euch 
nicht mehr helfen,“ klagte ber Burſche bebauernd vor ſich Gin, 
„tona Euch nicht mehr warnen; nun fol der gute Geift Euch 
Hilfe fenden! Wenn Ihr den Borfprung benüßt, erreicht er 
Euch doc bit!“ 

As Bartad vorüber war, fpraug er vom Baume, lief zur 
Lagerftätte zuräd, mo. noch Alles ſchlief, kroch unter feine Dede 
and war. wieder der Erſte wach, als der Hauptmaun das Zeichen 
zum Aufbrude duch laute Schläge an dem Keſſel gab. 


22 


Alles brach auf; die Weiber kleideten ihre Kinder an, bie 
Mädchen flodten ihr Haar, die Burſche prüften die Sehnen an 
ihren Bogen, und Mutter Stara, die Silberne, wie fie genannt 
wurde, kochte in einem Keſſel die Morgenfuppe, wozu bie Reſte 
vom vorigen Abend und Sylora’s Halb gefottener Haſe bienen 
mußten. 

„Wo ift Bartad der Fiedler?" fragte der Hauptmann im 
Kreife umherblickend, „und wo tft Mablena mit ihrer Tochter? 
Ich fehe beide nicht.“ . 

Alles war ſtumm im Kreife; denn feiner wußte Beſcheid. 
Nur Sytora drängte fih vor umd fagte: „Als ich dor einer 
Stunde erwachte und bort nad) der Eiche kroch, um mir einen 
jungen Adler, der ſchon flügge ift, zu holen, da fah ich ihm auf 
fichen, das Roß nehmen und in den Wald reiten. Die Weiber 
folgten ihm; fie werden wohl voransgeeift fein, um einen BA- 
fprung in der Mittagshite zu Haben. Sie wollen uns vielleicht 
erwarten, wo fie raften.“ 

„So wird es aud fein,“ beflärfte ber Hauptmann, „indem 
er ſchmunzelnd zu fi fagte: „Er bient mir eifrig. . 3a, bie 
Sitberfpange ficht auch im bie Augen! Wie er aber die Mutter 
loswerden will, begreife ich nicht. Thut fie vielleicht ab, ober 
auf eine andere Art. Gleichviel; er ift ſchlau wie der Bude 
im Lenze; denk ihm bald zu treffen. — Nach weicher Gegend, 
fagft Du, zog er Hin?“ wandte er ſich wieder zu dem Burſcheu. 

nDorthin!“ deutete Syfora. 

nDorthin ?* wiederholte Janos. „Seltfam! doch macht er 
vielleicht einen Umweg aus Gründen. Ci, er ift ſchlau! — Es 
ift Zeit zum Aufbruch, Kameraden. Gegnet ben Ort bier mit 
einem Trunk zum Abſchiede; er hat uns Schatten und Früchte 
gegeben, Wild zur Speife und Wafler zum Trunke. Kehren wir 
einft wieder zuruch, fo laffen wir abermals ben Rauch; aufſteigen 
ans den Wimpfeln. Koppelt die Hunde los unb öffnet ihnen 


die Maulförbe. Bei Tage verräth uns ihr Gebe nicht; nur 
des Nachts iſt es gefährlich, weil es dem Feinde unfere Spur 
geigt Aufl 

Die Truppe ſetzte fi in Bewegung unter lantem Gefang 
umb Hundegebell. Das Gepäd wurde theils von Menfchen, theils 
von Roffen fortgefhafft. Der Hauptmann blieb der Letzte an 
Ort und Stelle. Nachdem die Bande im Dicicht des Waldes 
verſchwunden war, ſchwang er fi auf feinen Klepper und fprengte 
weftwärts in das Gehöh. — 

Am Rande eines Haines, der an einen Tannenwald grenzte, 
anfern von ber Laudſtraße, raſtete Mablena mit ihrer Tochter. 
Das holbe Kind Hatte ihre Arme im Schoße ruhen und ftarrte 
finnend, leiſe im Gelbftgefpräche die Lippen bewegend, vor ſich. 

„Bald Haben wir die Straße erreicht!“ fagte die beforgte 
Matter; „erhole Dich nur erf, mein Kind. Hier, Hoffe ich, find 
wir vor Berfolgung ſicher.“ — 

„Mid dürfe, Mutter!“ verſetzte Zlata; „ich will mir 
Beeren ſuchen. Es ift feine Duelle in der Nähe.“ 

„Bleib bier, mein Kind,“ entgegnete Madlena; „im Walde 
ifs nicht geheuer, zumal wenn Du allein bif. Hier bit Du 
im freien, und ih Tann Di vom bort flets beobachten. Ich 
geh” allein und ſuche Dir frifche Brombeeren, die gar füß fchmeden. 
Naht irgend Jemand, fo rufe mic. Ich eile anf Flügeln des 
Windes herbei, um Di nöthigenfals zu beſchutzen.“ 

Sie ging nad diefen Worten in den Buſch; Zlata war 
allein. Sie ſchloh die Augen, um wachend träumen zu Können. 
„Hent' werd’ ich Did fehen — Du haft es mir verſprochen, 
holder Ritter! Wirft Du auch kommen? Ja gewiß, Du wirft 
aud kommen.“ 

Rechts vom Walde fam ein Reiter. Es war Bartad, ber 
ſpahend die Augen ringenm fireifen Tief. Sein Faltkenblick er- 
taunte das Mädchen am Raine figend. Er fprengte mit Haft 


28 


über die Zrift; kein Huffchlag verriet feine Ankunft. So ge» 
langte er in die Nähe bes Mädchens. Gr fah fi lauſchend 
um; bie Mutter war nicht dabei. Raſch fprang er vom Roffe 
und wedte Zlata durch einen feifen Schlag anf die Schulter aus 
ihren Träumen. Sie fehlug bie Augen auf. „Du biſt es 7* 
fagte fie unfreunblich geftört. 

„Ich bin's,“ antwortete er, „und folge Div mit bem Roſſe; 
ich ſoll Cuch führen. Raſch ſchwinge Did in ben Sattel.” — 

Willenlos folgte fie ihm. Als fie oben war, fagte fie: 
„Aber anf bie Mutter müffen wir warten. Die Mutter muß 
ich rufen; fie fammelt mir Beeren ganz nah’ im Walde.“ 

Aber Bartad wartete ihren Zuruf nicht ab; er fprang 
Hinter ihr auf das Pferd, zeigte ihr einen blanfen Dolch, um. 
Hammerte fie feſt, hielt ihr den Mund, ergriff mit der Rechten 
den Zügel, trieb mit feinen Ferſen den Gaul an und jagte 
fo im faufenden Galopp über die Trift bin nad dem jem- 
feitigen Walde in ber Gegend von Gtolan Bin. Im Walde 
verſchwand er. 

Bald daranf kam Madlena zurüd. Cie fand ihr Kind 
nicht — fie flürzte raſend wieder in das Gebüfh zurüd — rief 
Zlata's Namen angftbefommen und herzzerſchneidend; fein Laut 
antwortete. 

Sie rannte auf bie Ebene vor, erfüllte die Luft mit ihrem 
Wehgeichrei, mit dem Rufe mad ihrer Tochter; fie warf fih auf 
den Boden im Schmerze der Verzweiflung, raufte fi) das Haar, 
ſchlug fi die Bruſt und tobte wie eine 2ömwin, der man bas 
Zunge geranbt. 

Matt und aufgelöſt erhob fie fi nach geraumer Zeit; bie 
Befinnung erhielt die Oberhand über den Schmerz, Gie eilte 
wieder in den Hain zurüd, brach eine Weibengerte ab und ging 
wieder nach der Ebene, indem fie rief: „Hilf jegt Du mir, ge- 
heime Kunft, die id; von meinen Berfolgern erlernt, die Spur 


25 


meines Kindes finden! Und Hab’ id) fie gefunden, und ift fie im 
des Tigers Händen, fo will id zur Löwin werben und mit 
dem bintigen Unthier ringen und ifm bie Beute entreifien !- 

Sie flarste mit dem Blicke einer GSeherin zum Himmel 
empor, murmelte dumpfe, unverftändliche Worte vor fi hin, 
drehte fih, die Gerte hoch im der Luft ſchwingend, dreimal im 
Kreife, blieb dann fichen und fenkte ben Zweig gegen den Boden, 
Er flug in der Richtung, wohin Bartad mit dem Mäbdjen 
entfloen, an, und fie folgte fo langfam ber Spur. — 

Barted eilte mit ber geranbten Jungfrau gegen Stolan 
hin; er wußte, daß der Ritter Hetman heut’ dort auf der Jagd 
fh Wis er den Wald verließ, tom er jegt im die wilde Feld 
ſchlucht, welche fi dort ausbehnt, wo Heut’ zu Tage der Babe 
ort Podol Liege. — Mit dem Roffe konnte er hier micht fort- 
tommen; er hielt es darum an, zwang das Mädchen abzufteigen 
und band das abgehetzte Pferd, welches an allen Seiten, von 
Geftrüpp und Dornen gerigt, biutete, an einen Baum und fchidte 
fh an, mit der Jungfrau in bie Felotluft Himabzufteigen. 

Als er ihr jet den Mund freigegeben, fprach fie, ihn kühn 
onblidend: „Wohin führft Du mid? Wo ift meine Mutter? — 
Id würde Dich erwürgen, da Du mir Gewalt angethan, denn 
ich fühle die Kraft in meinen Armen, wenn ich nicht wüßte, 
daß ich den Ritter finde.“ 

„Freilich!“ entgegnete raſch und beſonnen ber "Zigeuner; 
„eben zum Ritter führe ih Did. Dort jenfeits ber Schlucht ift 
er; haben wir fie durchſchritten, fo tönt uns Iufliger Hörnerklaug 
und Jagdgeſang entgegen. Die Mutter ift fon dort — ein 
Knappe geleitet fie zu Roſſe. Ihr ſolltet uberraſcht werden; 
darum entfäßrte ih Did mit Gewalt. Wie wird ſich ber Ritter 
fienen!“ — 

„Sa, das wird er!” entgegmete fie lächelnd; „aber wenn 
Du lügft, dann mußt Du ſterben, Bartad I“ 


„Barum fol ich Dich belügen?“ nahm er wieder das 
Wort, indem er fie weiter geleitete; „wart Du doch flets gut 
und mild gegen mich, erfreuteſt Dich der Weifen, bie ih auf ber 
Fiedel fpieltel umd ich alter Mann habe Dich ftets werthgehatten 
wie mein eigen Kind.“ 

Er fritt mit ihr vorwärts. Ein enges, ſchmales Thal 
zwiſchen entzweigefpaftenen, himmelhohen Felſenmauern, bie, weiß 
und milhgrau, nur vom wenigem Gebüfche bewachſen, fi in 
vielen Krümmungen hinwanden, lag vor ihnen. . Der untere 
Pfad unter den abhängenden, ſenkrechten Steinblöden gab bloß 
Gußgängern Raum, und darum wählte ihn Bartad' nicht, weil 
er befürdtete, daß man ihm daſelbſt begegnen möchte, und er in 
biefem falle dem Mädchen und ihren Fragen nit tramen konnte. 
Denn auffallend mußte es Jedermann erideinen, das ſchöne 
Beib in Gefſellſchaft foldes alten, verwachſenen, gebräunten und 
in Lumpen gefieideten Zwerges zu erbliden. Er erkohr alſo den 
ſteilern, viel gefährlichern Weg über den Felſenkamm zur rechten 
Seite, weil biefer in der Regel weniger betreten ward. Sinter 
jenen Felſen Tag Stolan, und dort fand er fih geborgen; denn 
der Ritter und fein Gefolge kannte ihn. 

Sie gingen die Felſenhöhe hinan; Imapp an dem abfchäffigen 
Rande führte der Pfab. Viele Hundert Ellen tief unten wand 
ſich der ſchmale Fußſteig, welchen ein Waldwaſſer gehöhlt hatte, 
das jet verſiegt war. Bartas Hielt bie Jungfrau am Arme; 
denn knapp an der abjdüfligen, ſenkrechten Fläche wankte ihr 
Fuß. Sie ließ fich ſchweigend geleiten. Ueber zerbrödeltes @e- 
fein, über einzelne Blöcke führte fie der Weg — immer zur 
Linken ber drohende Abgrund. 

Sie blidte oft rechts und links, neigte fi, ohne zu ſchwin - 
bein, in die Ziefe nieder und fah wieder rechts Hin, wo ſich 
das Felſengebirge abdachte, tiefer unten Wälder und hinter dieſen 
ſich neue Berge erhoben. 


27 


Bartad -zitterte bei jebem kuhnen Schritte des Madchens; 
noch eine halbe Stunde, und er Hatte fein Ziel und dem hohen 
Lohn erreicht; denn fie fchritt raſch und kräftig voran. 

Einen Angenblid verfhwand ber Pfad unten! denn bie 
gegenüberftchende Felswand bildete einen ſcharfen Winkel und 
verfperrte fo die Ausfiht. Sie bogen um bie Ede; aus einer 
Nebenfiuft der linken Seite braufte jetzt ein Gewäffer, das fi 
on dem uutern fteilen Pfade knapp hinwälzte; wie eine Schneide 
Tief die Zelsfpalte ans. Noch war es unten büfter; denn die 
Sonne -befhien erft die Hälfte der einen Felienfeite. Zlata ſtand 
plögfich FIN, Rarrte hinnnter in die Ferne der gerad’ ausgehenden 
Schlucht und rief plöglich, eine Geftalt in der ſchwindligen Tiefe 
gewahrend: „Das ift er!” 

. Bartad blieb wie eingewurzelt flehen; er Heftete die raben - 
ſchwarzen, Heinen Augen auf bie ferne Erſcheinung nud fagte 
angſtbellommen: „Rein — nein! er ift es nicht! Du irrſt!“ 

„Ich irre mich nicht!“ rief fie laut; „meine Seele erfennt 
ihn — es ift mein Ritter |“ 

„Fort — fort! mns droht Gefahri” befhmidtigte Bartad, 
indem er in ber nahenden Rittergeftalt einen Andern erkannte, 
als ben er ſuchte. 

Er wollte fie am Arme rechts tur das Geftrüpp über 
den Rüden des Berges Hingeleiten. Sie entriß ihm bie Hand. 
„Elender,“ ſchalt fie, „Du ſollſt mich nicht ihn Tennen lehren!“ 

Er faßte fie am Arme und’ ri fie ängftfid) und Heftig zu 
fi, indem er mit gepreßter Stimme ſchrie: „Thörichtes Kind, 
Du bift des Todes, wenn Di der erfichtl” 

„Rein, nein!“ vief fie jubelnd und verzweiflungsvoll aus 
und firebte fi loszumaden; „Du Lügft, ich kenne ihn beſſer l“ 

Sie ftanden nahe an der Felſenwand — Bartad ftemmte 
fi gegen einen Blod, um fie zurüdzuzerren, bamit fie der unten 
waundelnde Ritter, durch ihr lautes Gefchrei anfmerkfam gemacht, 


J 

f 

1 
pl 
Bık 


‚Äöier bin ig! Sier Dim ich!“ rief Zinn mb meigie 
gegen die Tiefe, „lomm herauf — ich bin frei, mein Geliebten!” 

Der Witter ſah empor, ſah des phauisfiide Mähden im 
flatteraden Gewande, mit fliegenden Loden, glänzend in ber 


Sonne wie eine hehre Erſcheiuung. Er zitierte, fie Tonne amı 
herniederftürzen; ex nahm einen raſchen Anlauf, erfieg die erſte 
ber Feloplaiten, weiche wie ungeheure Stufen über einander ger 
thliemt waren, Metterte tolllühn hinauf und erreichte die Kante, 
mo Ihn das Mädden mit ausgebreiteten Armen erwartete. 

„dler bin ich! — Ih bin E81” jubelte fie und ſauk im 
bie Ania 

Wer biſt Dip" fragte er erſtaunt und bebenb; „ein En- 
net oder eine irdiſche Erſcheinung 7 

„frennſt Du mich nicht mehr?" fragte fie und blidte ſcheu 
au ihm empor. „Ih habe Dich doch im Traume gefehen! Nein, 
es war feln Traum; demm ich wachte. Und Du fprahft zu mir 
und fagten, Dis würden bald wiederfommen. Ich wußte es ja, 


® 


29 


daß ich Dich Heut fehen würde: darum folgte ich dem böſen 
Zigeuner, ber mid) Dir entreißen wollte.“ 

„Ich verſtehe Dich nicht,” entgegnete der Ritter mit fchla- 
gendem Herzen und verfenfte fi in den Anblid ber reizenden 
Erſcheinung, die wie eine Heilige zu feinen Füßen lag; „erkläre 
Did deutlicher. Wer bit Du? Wie famft Du in die Gemein- 
ſchaft mit jenem Entfeglihen? Warum rangft Du mit ifm? Du 
ſcheinſt mich zu kennen.“ 

„O fei nicht fo Bart!“ flehte fie mild; „Dein fhöner Mund 
tann nicht lügen. Ich lag im Fliederbuſche; Du glaubteft, ich 
ſchliefe — warſt Hod zu Roß und ſahſt mir in die Halbgefchlof- 
fenen Augen, und dann famft Du näher, neigteft Dich und haft 
mich gefüßt. So war es — id fonnte nicht ſprechen, aber 
Du fagteft: Wir fehen uns wieder.“ 

„Heiliger Gott!“ rief der Witter und faßte erfchredt an 
feine Stirne; „fo war e8 doch fein Traum? Als ic im Walde 
mid) verirrt hatte und im tiefen Sinnen dahinritt, da ſah ic) 
Did fhlummern unter Blütenzweigen. Ich glaubte, es fei eine 
Waldfee, ober ich hätte geträumt, da viel verworrene Bilder durch) 
meine Seele zogen und ich meiner faum bewußt war, und Du 
bift wirtlich ein Iebenbes, ein menſchliches Weſen. — Aber wie 
ift Dein Name? Woher bift Du? Wie kömmſt Du in bdiefe 
Eindde? Warum ſpricht dies ſchlechte Gewand dem Adel Deiner 
Glieder Hohn ?“ 

In unzuſammenhängenden Sägen, wie eine Träumende, gab 
fie ihm Beſcheid von dem, was fie wußte und was fich in letzter 
Zeit mit ihr ereignet hatte, und daß fie ihu im Waden und 
Traume gefeben, und daß fie ihn liebe und ferner fein eigen 
fein wolle. 

„Aber wie Heißeft Du?“ unterbrad fie fih plötzlich — 
„noch kenn' ih Deinen Namen nicht und habe Dir doch gefagt, 





1764 Kar 4 


FEFTPIERT, j;} g 
— J 
HILFEN 

IHN. 

PrEn 68, 

Hl 

2. Aedasın 


83 


genen Zigeuner in die Tiefe hinab und fagte: „Du dauerft mich; 
aber ich konnte nicht anders. Warum wollte Du mid dem 
Ritter, dem ich lenne, verbergen — vieleicht gar zu einem andern 
bringen ?“ > 

„Ich ahne wohl,“ ſprach Niklas leife, „was der Böfewicht 
mit ihr vorhatte.“ 

Sie ſchritten weiter unter traulihem Geipräce, wo ber 
Ritter Gelegenheit hatte, das tiefe, ſchwärmeriſche Gefühl, ihren 
tindlichen Geiſt, ihr ahnungsvolles Weſen, gepaart mit einem 
gänzlihen Mangel der Kenntniffe der Außenwelt, zu bewundern. 

Am Walde angelangt, fanden fie den Klepper, welchen Bars 
tas zurüdgelaffen, grafend am Baume; er hatte ſich wieder erholt 
und war tüchtig genug, feine füße Laft zu tragen. Nitlas hob 
die Jungfrau Hinauf und geleitete das Roß dur die Waldenge 
nad feinem Schloſſe Hin. Er erſchien ſich wie ein Zofeph, dev 
Marien auf der Flucht nad) Aegypten begleitete. 

Nach des Ritters Vratislav Verhaftung Hatte Nikfas vom 
Zeötwic es für räthlich erachtet, ſich von Prag zu entfernen; denn 
ob er gleih nicht von den Verſchworenen war, fo hatte dod er 
wie fein Bater Kenntniß von dem Complotte. Er zog fi) darum 
zurüd, um abjumarten, ob bie Flüchtigen glüdlih entlommen 
fein würden,‘ oder ob im gegentheiligen Falle im ihrer Ausſage 
fein Name, als der eines Mitwiffers, genannt werden dürfte, 
Sein Bater blieb in Prag, um durch feine Entfernung ben Ber- 
dacht nicht unnöthigerweife zu erhöhen; er fland zudem dem Kö- 
nige allzu nahe, um für feine Berfon im ſchlimmſten Falle Gefahr 
beforgen zu müffen. 

Der Nitter Spanberg war wieder genejen, Hatte feine alte 
Laune wiebergewonnen und ſprach durchaus nit mit Groll von 
Bratislan und dem traurigen Begebniß. „ICH wollte um Alleb 
im ber Welt nicht,” fagte er, „baß ihm meinetwegen etwas 
Schlimmes begegne. Ich habe es ihm verziehen. Im Grunde 


32 


gab ich die Urſache zum Streite und flug zuerſt Meine Klinge 
tonute ja eben fo leicht in feine Bruſt fahren und Hart am Leben 
binwegfireifen. Nur baf ic) fo lange das Lager wegen dieſes 
Kellerlodhes von Wunde babe Hüten müffen, grämte mid) und 
machte mich ärgerlih. Ich Habe einen großen Xheil meiner 
Frohlichkeit eingebüßt und bin auf bem Wege, ein ernfler Denter 
zu werden.“ 

Milada war auf den Hrabdin gezogen und vermeilte Tage 
lang in des Ritters Sukol Geſellſchaft, der trot feiner Standes- 
erhöhung ihr immer noch in Untermürfigkeit und Treue wie ein 
Diener zugethan war, im Gehlofgarten, auf der andern Seite 
des Hirſchgrabens, und blickte ſehnſuchtsvoll und meinend nad 
den grauen Thürmen hinüber und fpähte, ob fte nicht in irgend 
einen Fenſter das blaffe Antlig ihres Geliebten erbliden Fönne. 
Jeden Abend kehrte fie ungetröftet und unbefriedigt Heim, um am 
nädften Morgen wieberzufehren. 


„Beẽta!“ fagte Barcal an dem Abende, wo Vratislav nach 
dem Hraböin gebradt wurde, „nimm bier bie Lampe und geh’ 
hinab an die verfallene Treppe, die zum Gefängniffe des verrüd- 
ten Slup führt; er erhält Heute Gefellichaft, ich glaube gar einen 
vornehmen Herrn. Es find mehrere Berſchwörungen gegen ben 
König entbedt worden, und fo werben theils Verbrecher, theils 
Berdäctige in großer Anzahl eingezogen, baß faft alle brauchbaren 
Berließe gefült find. Sonſt wüßte ih and nit, warum fie 
einen feinen, flattlihen Herrn zu dem wahnfinnigen Botermörber 
fperren; es müßte denn darım fein, baß er durch dieſe fchredliche 
Genoffenfihaft ‚eher zum Gefänbnif gebradjt werben fol. Auch 


kann ihm ber Thor nicht leicht in's Freie Helfen, wie's bei einem 
Bernünftigen eher zu beforgen iſt.“ 

„Ach lieber Vater,” feufzte Beta, indem fie von ihrer Arbeit 
aufftand, „in nnferm Haufe kehrt immer wieder neues Unglück 
ein! Das Elend will bei uns fein Ende nehmen. Ein recht 
trübfefiger Aufenthalt! — befonders, wenn ich bedenke, daß es 
fo bis an unfern Tod dauern wird.” 

„Für Did) ſchwerlich,“ brummte der Alte, „aber für mich 
fer! ’S if eine betrübte Ausſicht für die Zukunft — ein Tag 
wie der andere, feiner aber beffer, immer nur ſchlimmer! Spute 
Di I Er ift fon unten angelangt. Der Schloßvoigt Iegt ihm 
bie doppelten Ketten an. — glei werden fie Kerauffteigen, um 
dreifach fo tief hinabzuwandeln.“ 

„Der Unglüdliche!“ klagte Beta, indem fie bie Lampe er- 
griff; „er ift doppelt zu bedauern, daß er mit dem wahnfinnigen 
Slup ausharren muß. Das kann ihn ja felbft um den Berftand 
bringen I” 

„Sort, fort!” trieb der Alte; „ich Höre ſchon die Ketten 
auf dem Hofe raffeln.“ — Sie fprang Hinans; er folgte ihr. 
Er ging in den Hof Hinab, um den Gefangenen in Empfang 
zu nehmen. Beta eilte mit Licht und Schlüffelbund durch viele 
Sänge und Treppen hinab bis an bie Stufen, welde gerabe zw 
Slup's Wohnung führten; denn der Weg war Hier gefährlich, 
und bie Eine Leuchte, welde der Gefangenwärter trug, reichte 
nicht aus, die grauenhafte Finſterniß, welche Bier herrſchte, zu 
exhellen. 

Seltfam bewegt und erwartungsvoll lehnte fi das Mädchen 
in dem niedern gemwölbten Gange, der nur Raum für zwei 
Menſchen Hatte, an die feuchte Mauer. Bald hörte fie Fußtritte 
über fi) und Kettengeraffel. — Ein heller Schein fiel von jenem 
Ende in bie finftere Schludt. Bor bem Bater ſchritt ein Ritter 

Herloßfohn: Der lette Taborit. IL 3 


3” 


daß ich die Zlata bin und meine. Mutter Madlena, die den Bar 
ter fucht, der tief im Thurme ſchmachten foll, weil er fie liebte.“ 

„Blata, Blata!” rief ber Ritter und zog fie an ben weißen 
Armen empor und umſchlang den weichen, ſchlanken Leib — „ia, 
ein golden Wunberbild bift Di. Kaum glaube id, daf Du ben 
irdifhen Räumen entfprungen; eine Zee hat Dich geboren; denn 
Du haft mir Herz und Sinne verzaubert. — Wer ic bin? Ein 
glüdtiher Sterblicher, der einen Schatz gefunden, und -ter ihn 
fein nennen darf, fo es Gott gefällt, der ein Heil nicht fendet, 
um durd feinen plögfihen Verluſt einen Sterblihen wahnfinnig 
zu maden. — Id Heiße Nillas von Zeöwic, dort bei SIa- 
tina ift meine Burg; id; verweile erft wenige Tage bier und 
finde Di und weiß nicht, ob ich träume oder wache, ob ih in 
die Gegend eines Zauberberges gerathen bin, und ob die Macht 
von Feengeiftern meinen Sinn gefangen hält. — Aber fort von 
hier, mein holdes Lieb, fort vom der Stätte bes Gchredenst 
Folge mir! Biſt Du wirklich ein menſchlich Weſen, fo trenne 
Dich nicht von mir! Komm auf mein Schloß, weile bei mir 
und gib mir Bürgſchaft, daß es fein Traum iſt, was ich ſehe 
und fühle." 

„Meine Mutter!“ rief fie jegt fid) plötzlich befinnend mit 
Thränen und brüdte ihr Antlig an feine Bruft; „ah! wo ift 
meine Mutter? Als er mich raubte, da fammelte fie Beeren für 
mid) im Walde; ſie wird nicht wiffen, wohin ic) gerathen bin 
und wehllagen um ihr Kind, die gute Mutter.“ 

„Beruhige Dich, holdes Mädchen,“ tröftete der Ritter, „und 
folge mir zuerft gen Slatina. Bon bort aus fende ih meine 
enechte auf flinfen offen nad; der ganzen Gegend auf Kunde 
ſchaft aus. Sie dürfen nicht wieberfehren, bis fie die Mutter 
gefunden. Leib’ mir Deinen Arm, bamit ih Did ſicher über die 
Klippen am ſchwindelnden Abhang geleitel* 

Sie Rüge ſich anf ihm, fah mod; einmal auf den erſchla- 


8 


genen Zigenmer in die Ziefe hinab und fagte: „Du danerft mid; 
aber ich konnte nicht anders. Warum wollte Du mich bem 
Nitter, den ich fenne, verbergen — vielleicht gar zu einem anderm 
bringen 9“ 

„Ih ahne wohl,” ſprach Nies feife, „was ber Böfewicht 
mit ihr vorhatte.” 

Sie ſchritten weiter unter traulihem Geſpräche, wo ber 
Ritter Gelegenheit hatte, das tiefe, fhwärmeriihe Gefühl, ihren 
tindlichen Geift, ihr ahnungsvolles Weſen, gepaart mit einem 
gänzlihen Mangel ber Kenntniffe der Außenwelt, zn bewundern, 

Am Walde angelangt, fanden fie den Klepper, welchen Bar⸗ 
tad zurüdgelaffen, grafend am Banme; er hatte fid) wieder erholt 
und war tüchtig genug, feine füße Laft zu tragen. Nitlas hob 
die Jungfrau hinauf und geleitete das Roß durch die Waldenge 
nad) feinem Schloſſe Hin. Er eridien ſich wie ein Joſeph, dev 
Marien auf der Flucht nad Aegypten begleitete. 

Nach des Ritters Vratislav Berhaftung hatte Nilfas von 
Zeswie es für rathlich erachtet, ſich von Prag zu entfernen; denn 
ob er gleich nit von ben Verſchworenen war, fo hatte doch er 
wie fein Vater Kenntniß von dem Complotte. Er zog fih darum 
zurüd, um abzuwarten, ob bie flüchtigen glücklich entlommen 
fein würden, oder ob im gegentheifigen alle in ihrer Ausſage 
fein Name, als der eines Mitwiffers, genannt werben bürfte, 
Sein Bater blieb in Prag, um durch feine Entfernung den Ber- 
dacht nicht ummöthigerweife zu erhöhen; er fland zudem dem Kö- 
nige allzu nahe, um für feine Berfon im ſchlimmſten Falle Gefahr 
beforgen zu müffen. 

Der Ritter Spanberg war wieder genejen, Hatte feine alte 
Laune wiebergewonnen und ſprach durchaus nit mit Groll vom 
Bratislan nnd dem traurigen Begebniß. „Ich wollte um Alles 
in der Welt nicht,” fagte er, „daß ihm meinetwegen etwas 
Schlimmes begegne. Ich Habe es ihm verziehen. Im Grunde 


32 


gab ich die Urſache zum Streite und ſchlug zuerſt Meine Klinge 
tonute ja eben fo leicht in feine Bruſt fahren und Hart am Leben 
hinwegſtreifen. Nur daß ic) fo lange das Lager wegen dieſes 
Kellerlohes von Wunde babe Hüten müffen, grämte mid und 
machte mid; ärgerlih. Ih Habe einen großen Theil meiner 
Froͤhlichteit eingebüßt und bin auf dem Wege, ein ernfler Denter 
zu werden.“ 

Milada war auf den Hrabdin gezogen und verweilte Tage 
lang in des Ritters Sukol Geſellſchaft, der troß feiner Standes- 
erhöhung ihr immer noch in Unterwürfigkeit und Treue wie ein 
Diener zugetfan war, im Schloßgarten, auf der andern Seite 
des Hirſchgrabens, und blickte ſehnſuchtsvoll und weinend nad 
den grauen Thürmen hinüber und fpähte, ob fie nicht in irgend 
einem Fenſter das blaſſe Antlig ihres Geliebten erbliden könne. 
Jeden Abend kehrte fie ungetröftet und unbefriedigt heim, um am 
nächſten Morgen wieberzufehren. 


„Beẽta!“ fagte Barcal an dem Abende, wo Bratislan nad 


3 


arme Im mic te 
Irzmmicoe. rm ⁊ oem it 













A mm wer‘ me. 
mm. 2 mem Som. tem mme m: 
a 3er Em nie me tm Endt m 


IE at Zzett. more are Denen, ımmer 

In: Et mn mem mg. Der 
du immer Sem am — ging werden fie Dan 
fd i ur Amasimmambenn.* 

De Ingitim: = Yagıe Bira, indem fie die Yaıc em 
# = 1b bomzek: ze bedamern, daf er mu dem ma 
IU mähoser muB. Tas tann ihm ja sehn um den 
tem 

hen, fer!“ zieh der Aut; „ich bare Don 
= im ir Tafeln.” — Sit forang binane: er 

Bu um ben Gefangenen ın © 
3 eifte mit Sicht und Ca.ün 
Ging und — hinab bis am die Stuien. we. de 

ı der Weg war bier 
ver Gefangenmärter IE; edit 
Rermiß, wege hier herr 












andırnt 
tungsnol lehnte ih dae ar 
je, der nur Raum 
mer. Maid körte fi 
im Heller Schein Ir? un inet 
E dem Barer (Mritt 


Luna — — 


3 


einher; feine Haltung, feine ſchlichte, aber ftandesgemäße Kleidung 
bezeugten dies. 

Jetzt fand er fnapp vor dem Mädchen und fah ihr in's 
Antlig. — 

„Ach!“ rief fie laut und erſchrocken aus, indem fie ihn 
erfannte. Beinahe wäre ihr die Lampe entfallen. 

„Es ift meine Tochter, Herr!“ fagte der Wärter, indem er 
ige den Schlüffelbund abnahm und ſich vorbeibrängte, um vor 
auszugehen und die Thüre unten zu öffnen; „fe leuchtet Euch; 
denn bie Treppe ift verfallen — damit Ihr nicht Schaden neh 
met. — Tretet ſacht auf, Herr, und haltet Euch an die Wand, 
fo viel es bie Ketten erlauben.“ 

Bratislan ſtand noch eine Weile vor dem Mädchen und 
fagte leife: „So nehm’ ich hier zum lebten Male Abſchied von 
einem Tieblien Bilde des Lebens. Des Allerbarmers Gnabe 
fäßt noch einen Strahl in dieſe grauenvolle Finſterniß fallen. — 
Habe Dant, Du Holde Jungfrau, fir Deine milde Erſcheinung, 
Du mein unterfintender Abendftern I” 

„Soll id) das Fräufein von Zedwic grüßen?“ fragte fie 
Teife. — 

„Thu' das!“ rief er verwundert; „und noch eine Andere. 
Bring’ ihnen den Gruß eines Todten.“ 

„So Here!“ rief der Wärter von unten; „es ift geöffnet 
— fleigt jett herab. Wafler und Brot hab’ ich ſchon Hereinge- 
ſetzt; morgen erhaltet Ihr friſches.“ 

Vratislav leiftete Folge. — Das Mädchen ſchlich ihm faht 
nad, ftand dann ſtill und bog fi, ihm nadblidend, Binab. 
Lebt wohl!“ vief fie ſchmerzvoll, und reiche Thränen entrollten 
ihren Augen. 

„Bier herein!“ belehrte der Wärter; „Ihr habt einen Ge- 
noffen hier. Die Herren wollten es, daß Ihr nicht allein ſitzen 
ſollt; es iR nicht meine Wahl. Der Slup da ift ein guter 


35 


Menſch, aber mänchmal ein wahnfinniges Vieh. Nun, wenn er 
nicht gehordht, fo haut ihm nur die Kette über ben harten Schä- 
dei; da wird er Euch fon in Ruhe laſſen. Rechts die Stein- 
bant, wo ich Euch anſchließe, if die Eurige — dahinüber darf 
der Slup nit Iommen. — Hörft Du?“ 

Slup ſaß gefenkten Hauptes auf feinem Steine und flarrte 
theilnahmlos vor ſich nieder. 

„Sei mir gegrüßt, Gefährte in ber Löwengrube,“ fagte 
Vratislav, während ihn der Wärter anſchloß, „gefeflelter Wolf, 
Genoffe eines Wolfes! Der Menſch wird ja, wenn er den Men- 
ſchen nicht gefäht, als ein Raubthier geachtet — Nun, gewöhnt 
man fi) im Kerker doch an eine Spiune, an eine Ratte und 
Iernt fie lieben! Warum fol ih mich nicht aud an einen Men- 
fen, wenn er gleich verrüdt ift, gewöhnen? Wir müffen Bier 
im Bauche der Erde Brüderfhaft fließen und Brüder werden; 
’g ift ber Ort für dauernde Freundſchaft.“ 

„Gehabt Euch wohl, Herr,“ ſprach der Schließer, indem er 
fich entfernte, „und baut auf Gott, der ſelbſt in dieſe Tiefe gnädig 
blidt und, fo e8 fein Wille ift, Euch aus biefer Nacht führen 
kann zum Lichte 1“ 

„Jenſeits, jenſeits!“ verfegte Vratislav mit einem Geufzer. 
„Hab’ Dank für Deinen Troſtſpruch und grüß' mir noch einmal 
das Licht — wenn Du die Thüre geſchloffen. Gute Naht!“ 

Er warf fih auf die Bank nieder — der Wächter drüdte 
die Thüre in das Schloß, das Licht verſchwand im Nu, und 
der Ritter faß in ber grauenvollen Finfternig mit dem flummen 
Genoſſen, deffen Gegenwart fi) nur durch feinen Athemzug fund 
gab, allein. 

mBater, Bater,” fagte Beta auf bem Rulckwege zu Barcal, 
„kennſt Du den Ritter? — IH kenn’ ihn! Bei der Mutter 
Gottes! es ift berfelbe, dem id} im Haufe des Herrn von Beöwic 
fah und für des Fräuleins Bräutigam hielt. Er lispelte mir 

gr 


36 


and einen Gruß für fie zu. — Ach, welch' ein Herzleid- wird 
die erfahren! — Ja, die reichen Leute find oft eben fo ungfüd« 
lich wie die armen, und es muß ihnen boppelt ſchwer werden, 
im Unglüde von uns beherrfcht zu werden! — Das arme Fräu- 
Iein, wie wird fi die grämen und weinen!“ 

„Wer Tann das ändern, mein Kind?“ verfeßte ber Alte; 
„wir nicht! Ich bin nur der letzte Finger, den bie hohen Herten 
in Bewegung fegen, wenn fie Jemanden ergreifen und feſthaben 
wollen. Glaub's gern, daß große Betrübniß im Haufe bort fein 
wird, Aber warum Halten bie vornehmen Herren unter fi 
feine Ruhe! Wir geringen Leute find ftil und müſſen nur dran, 
wenn fie fih unter einander verfeindet haben. Mär’ ich ein 
Hoher und reicher Mann, ich lebte mit aller Welt im Frieden. 
Sie haben Geld und Reichthum, Müßiggang und Wohlleben und 
Lönnen doch nicht fiilfigen! Dann gefhieht ihnen ganz recht, 
wenn fie unter fo gemeine Hände fommen, wie zum Beifpiel die 
meinigen find. Wenn nur ein armer, gemeiner Kerl ſtiehlt, ober 
ſich fonft in der Noth vergißt, fo muß er daran, und Niemand 
Hat mit ihm Mitleib; aber die vornehmen Herren, bie mit 
Fleiß und Willen das Unglück ſuchen und herausfordern, werben 
bedauert.“ 


„Und bei dem Slup muß er figen!“ wehllagte die Tochter 
fort; „wenn ſich der verrückte Menſch nur gut gegen ihn beträgt! 
— I will morgen zeitig früh zu dem fräufein von Sedwic 
gehen und ihr Alles erzählen, wenn ihr aud das Herz darüber 
brechen ſollte. Wiſſen muß fie es doc.” 

Sie erreichten ihre Wohnftube. Das Mädchen blieb ben 
ganzen Abend betrübt und nachdenkend; fie vergoß fogar ver- 
ſtohlen Thränen, fo fehr ſchmerzte fremdes Leid ihr weiches Herz. 

Zief unten, von jedem menſchlichen Zone fern, ſaß Bratie 
Nav, Hatte bie gefeffelten Arme über einander gefhlagen und 


87 


flarrte duſter hinein in die doppelte Finfterniß, die des Ortes 
und bie feiner Seele. 

„Seid Ihr ein Chriſt?“ begann nad; geraumer Zeit Slup 
mit Heiferer, Mäglicher Gtimme, 

„Ein ächt huſſitiſcher und ein Ritter dazu,” emtgegnete 
Bratislav. 

„Ihr müßt mir nicht zürnen und Euch nicht ſtören laſſen,“ 
fuhr Slup fort, „wenn ic) bier meinen Knaben zuweilen eiuwiege 
mit einem Lieblein. Der Schließer fagt zwar, es fei nur ein 
Strohwiſch und fein Kind; aber ich weiß das beſſer. — Es find 
wohl ſchon an fünf und zwanzig Jahre, daß id; den Knaben 
hier pflege, und er will gar wicht größer werden, will nicht zum 
Leben reifen. Das macht bie feuchte Kellerluft und der Umftand, 
daß er feine Mutterbruft getrunken.“ 

„IH reife fünf und zwanzig Jahre — zum Tode!“ ſprach 
Bratislan dumpf, „der, wills Gott, nicht mehr fern if.“ 

„Bleibt Ihr Tange hier, Herr Ritter?” fragte Slup weiter. 

„Wie bie Seele im Leibe!" war Bratislav's Antwort. „Alter 
Hausgenoffe, Du wirft mid ſchon dulden müſſen! fliegt mein 
Kopf nicht vom Numpfe, fo geben? ich ihn Hier unten grau 
werben zu laſſen. Bielleicht werd’ ich auch mahnfinnig, und wir 
Beide fiimmen dann in Schidfal nnd Gemüth überein. — Wir 
mollen einander wmandes Mährlein erzählen von dem Leben, 
von ber Liebe, von ber Welt da draußen, Alles nur Träume, 
bunte Träume — bie, wenn man fie ausgeträumt, recht häßlich 
werden.” 

„Ich weiß and mandes Mährlein,“ fiel der Wahnfinnige 
ein, „von einem Ritter, ber ein Mäbddjen flahl, das ihn erſt ger 
iebt und dann gehaßt. Sie ftarb aus Schmerz über feine hef - 
tige Liebe.“ 

„Glücklicher Unglüclicher!“ feufzte Vratislav. „Du denift 


32 


gab ich die Urfade zum Streite und ſchlug zuerſt Meine Klinge 
konnte ja eben fo leicht in feine Bruft fahren und Hart am Leben 
hinwegſtreifen. Nur daß id) fo lange das Lager wegen dieſes 
Kellerlohes von Wunde babe Hüten müffen, grämte mid und 
machte mich ärgerlich. Ich Habe einen großen Theil meiner 
Froöhlichteit eingebüßt und bin auf dem Wege, ein ernfler Denter 
zu werben.“ 

Milada war auf ben Hraböin gezogen und verweilte Tage 
lang in des Ritters Sukol Geſellſchaft, der troß feiner Standes · 
erhöhung ihr immer noch in Unterwürfigleit und Treue wie ein 
Diener zugetfan war, im Schloßgarten, auf der andern Seite 
des Hirfhgrabens, uub biidte fehnfuhtsvoll und weinend nad) 
den grauen Thürmen Hinüber und fpähte, ob fie nicht im irgend 
einem Senfter das blaffe Antlitz ihres Geliebten erbfiden fünne. 
Ieden Abend kehrte fie ungetröftet und unbefriedigt heim, um am 
nädjften Morgen wieberzufehren. 


„Beta!“ fagte Barcal an bem Abende, wo Bratislav nad 
dem Hraddin gebradt wurde, „nimm hier bie Lampe und geh’ 
hinab am die verfallene Treppe, die zum Gefängniffe des verrüd- 
ten Slup führt; er erhält Heute Geſellſchaft, ich glaube gar einen 
vornehmen Herrn. Es find mehrere Verſchwörungen gegen ben 
König entdectt worden, und fo werden theils Berbrecher, theils 
Berbächtige in großer Anzahl eingezogen, daß faft alle braudjbaren 
Berließe gefüllt find. Sonſt müßte ih auch nicht, warum fie 
einen feinen, flattlichen Herrn zu dem wahnfinnigen Batermörber 
ſperren; es müßte denn darum fein, baß ex durch biefe ſchreckliche 
Genoſſeuſchaft .cher zum Geftänbniß gebracht werden fol. Auch 


Tann ihm der Thor nicht leicht in's Freie Helfen, wie's bei einem 
Bernünftigen eher zu beforgen if.“ 

„Ach lieber Bater,” feufzte Beta, indem fie von ihrer Arbeit 
aufftand, „in nnferm Haufe lehrt immer wieber neues Unglüd 
ein! Das Elend will bei uns Fein Ende nehmen. Ein vet 
trübfeliger Aufenthalt! — befonders, wenn id; bedenke, daß es 
fo bis an unfern Tod dauern wird.“ 

„Für Di ſchwerlich,“ brummte der Alte, „aber für mich 
ſicher! ’S if eine betrübte Ausfiht für die Zukunft — ein Tag 
wie ber anbere, feiner aber beffer, immer nur ſchlimmer! Spute 
Dich! Er if fon unten angelangt. Der Schloßvoigt legt ihm 
bie doppelten Ketten an.— gleid; werben fie Herauffteigen, um 
dreifach fo tief hinabzuwandeln.“ 

nDer uUnglüdliche!“ Hagte Bkta, indem fie die Lampe er- 
griff; „er iſt doppelt gu bedauern, daß er mit dem mahnfinnigen 
Slup ausharren muß. Das kann ihn ja felbft um den Verſtand 
bringen I“ 

„Sort, fort !“ trieb der Alte; „ic Höre ſchon die Ketten 
auf dem Hofe raſſeln.“ — Sie fprang hinans; er folgte ihr. 
Er ging in den Hof hinab, um den Gefangenen in Empfang 
zu nehmen. Beta eilte mit Licht und Schlüffelbund durch viele 
Gänge und Treppen hinab bis an die Stufen, welde gerade zu 
Slup's Wohnung führten; denn der Weg war Hier gefährlich, 
und die Eine Leuchte, welche der Gefangenwärter trug, reichte 
nit aus, die grauenhafte Finfterniß, welche Hier Herrfchte, zu 
exhellen. 

Seltſam bewegt und erwartungsvoll Iehnte fich das Mädchen 
in dem niedern gemwölbten Gange, ber nur Raum für zwei 
Menſchen hatte, an die feuchte Mauer. Bald hörte fie Fußtritte 
über ſich und Kettengerafiel. — Ein Heller Schein fiel von jenem 
Ende in die finftere Schlucht. Bor dem Vater ſchritt ein Ritter 

Herloßfohn: Der Iegte Laborit. IL 8 


3 


einher; feine Haltung, feine ſchlichte, aber flandesgemäße Kleidung 
bezeugten dies. 

Jetzt fand er fnapp vor dem Mädchen und fah ihr in's 
Antlitz. — 

„Ach!“ rief fie laut umd erfchroden aus, indem fie ihn 
erfannte. Beinahe wäre ihr die Lampe entfallen. 

„Es ift meine Tochter, Herr!” fagte der Wörter, indem er 
ihr den Schlüffelbund abnahm und ſich vorbeibrängte, um bor- 
auszugehen und bie Thüre unten zu öffnen; „fie leuchtet Euch; 
denn bie Treppe ift verfallen — damit Ihr nicht Schaden neh 
met. — Tretet facht auf, Herr, und Baltet Euch an die Wand, 
fo viel es die Ketten erlauben.“ 

Bratislad ſtand noch eine Weile vor dem Mädchen und 
fagte leiſe: „So nehm' ich hier zum letzten Male Abſchied von 
einem lieblichen Bilde des Lebens. Des Allerbarmers Gnade 
Täßt noch einen Strahl in biefe grauenvolle Finfterniß fallen. — 
Habe Dank, Du Holde Jungfrau, für Deine milde Erfdeinung, 
Du mein unterfinfender Abendftern I” 

„Sol id) das Fräufein von Zedwic grüßen?“ fragte fie 
leiſe. — 

„Thu' das!“ rief er verwundert; „und noch eine Andere. 
Bring’ ihnen den Gruß eines Todten.“ 

„So Herr!“ rief ber Wärter von unten; „es iſt geöffnet 
— fleigt jetzt Hevab. Waſſer und Brot Hab’ ich ſchon Bereinge- 
fett; morgen erhaltet Ihr friſches.“ 

Vratislav leiftete Folge. — Das Mädchen ſchlich ihm ſacht 
nad, ftand dann ftill und bog fid, ihm nachblidend, hinab. 
„Lebt wohl!“ rief fie ſchmerzvoll, und reihe Thränen entrollten 
ihren Augen. 

Bier herein!“ befehrte der Wärter; „Ihr Habt einen Ge- 
noffen bier. Die Herren wollten es, daß Ihr nicht allein figen 
ſolltz es iR nicht meine Wahl. Der Slup da ift ein guter 


35 


Menſch, aber manchmal ein wahnfinniges Vieh. Nun, wenn er 
nicht gehorcht, fo haut ihm nur die Kette über den harten Schä- 
bei; da wird er Euch ſchon in Ruhe laſſen. Rechts die Stein- 
bank, wo ic Euch anſchließe, ift die Eurige — dahinüber darf 
der Slup nicht kommen. — Hörft Du?“ 

Slup ſaß gejenkten Hauptes auf feinem Steine uud flarrte 
theilnahmlos vor fi nieder. 

„Sei mir gegrüßt, Gefährte in ber vowengtube ſagte 
Bratislav, während ihn der Wärter auſchloß, „gefeſſelter Wolf, 
Genoffe eines Wolfes! Der Menſch wird ja, wenn er ben Men- 
ſchen nicht gefällt, als ein Raubthier geachtet! — Nun, gewöhnt 
man fid im Kerker doch an eine Spinne, am eine Ratte und 
Iernt fie lieben! Warum foll id mich nicht aud an einen Men- 
fen, wenn er gleich verrüct if, gewöhnen? Wir müffen bier 
im Baude ber Erde Brüderſchaft fchließen und Brüder werden; 
's ift ber Ort für dauernde Freundſchaft.“ 

nGehabt Euch wohl, Herr,“ fprad der Schließer, indem er 
ſich entfernte, „und baut auf Gott, ber felbft in biefe Tiefe gnädig 
blickt und, fo es fein Mille if, Euch aus bdiefer Nacht führen 
kann zum Lichte 1" 

„Jenſeits, jenfeits !“ verfegte Bratisfad mit einem Seufzer. 
„Hab' Dank für Deinen Troſtſpruch und grüß’ mir noch einmal 
das Licht — wenn Du die Thüre geſchloſſen. Gute Nacht!“ 

Er warf ſich auf die Bank nieder — ber Wächter brüdte 
die Thüre in das Schloß, das Licht verſchwand im Nu, und 
ber Ritter faß in der grauenvollen Finfternig mit dem fummen 
Genoffen, defjen Gegenwart ſich nur durch feinen Athemzug fund 
gab, allein. 

„Bater, Vater,” fagte Beta auf dem Rückwege zu Barcal, 
ntennft Du ben Ritter? — Ich kenn' ihm! Bei der Mutter 
Gottes! es iſt derfelbe, den td} im Haufe des Herrn von Zeswie 
fah und für bes Fräuleins Bräutigam hielt. Er lispelte mir 

3* 


36 


and einen Gruß für fie zu. — Ach, wel’ ein Herzleib wir 
bie erfahren! — Ja, die reichen Leute find oft eben fo unglüd- 
lich wie die arınen, unb es muß ihnen boppelt ſchwer werben, 
im Unglüde von uns beherrſcht zu werben! — Das arme Fräu- 
lein, wie wirb fi bie grämen unb weinen!“ 

„Wer Tann das ändern, mein Kind?” verſetzte ber Alte; 
„wir nicht! Ich bin nur der letzte Finger, dem bie Hohen Herren 
in Bewegung fegen, wenn fie Jemanden ergreifen und feſthaben 
wollen. Glaub s gern, daß große Beträbniß im Haufe dort fein 
wird, Mber warum Halten bie vornehmen Herren unter ſich 
feine Ruhe! Wir geringen Leute find fill und müſſen nur dran, 
wenn fie fi unter einander verfeindet Haben. Wär’ id; ein 
Hoher und reier Mann, ich Iebte mit aller Welt im Frieden. 
Sie haben Geld und Reichthum, Müßiggang und Wohlleben und 
fönnen dod nicht flillfigen! Dann gefdieht ihnen ganz recht, 
wenn fie unter fo gemeine Hände fommen, wie zum Beifpiel bie 
meinigen find. Wenn nur ein armer, gemeiner Kerl ftiehlt, ober 
ſich fonft in der Noth vergißt, fo muß er daran, und Niemand 
hat mit ihm Mitleid; aber die vornehmen Herren, die mit 
Fleiß und Willen das Unglüd ſuchen und herausfordern, werben 
bedauert.“ 


„Und bei dem Stup muß er figen!* wehllagte bie Tochter 
fort; „wenn fich der verrückte Menſch nur gut gegen ihm beträgt! 
— Id will morgen zeitig früh zu dem Fräulein von Bedwic 
gehen und ihr Alles erzähfen, wenn ihr aud das Herz barüber 
brechen ſollte. Wiffen muß fie es doch.“ 

Sie erreichten ihre Wohnſtube. Das Mädchen blieb den 
ganzen Abend betrübt und nachdenkend; fie vergoß ſogar ver- 
ſtohlen Thränen, ſo ſehr ſchmerzte fremdes Leid ihr weiches Herz. 

Tief unten, von jedem menſchlichen Tone fern, ſaß Vrati- 
ſlav, Hatte die gefeffelten Arme über einander geſchlagen und 


87 


ſtarrte düfer hinein im die doppelte Finfterniß, die des Ortes 
und bie feiner Seele. 

nSeid Ihr ein Chriſt?“ begann nad; geraumer Zeit Slup 
mit heiferer, klaglicher Stimme. 

„Ein ächt Huffitifcher umd ein Ritter dazu,“ entgegnete 
Bratislav. 

„Ihr müßt mir nicht zürnen und Euch nicht flören laſſen,“ 
fuhr Slup fort, „wenn id} hier meinen Knaben zuweilen einwiege 
mit einem Liedlein. Der Schließer fagt zwar, es fei nur ein 
Strohwiſch und fein Kind; aber ich weiß das beſſer. — Es find 
wohl ſchon an fünf und zwanzig Jahre, daß ic den Knaben 
bier pflege, und er will gar nicht größer werden, will nicht zum 
Leben reifen. Das mocht die feuchte Kelleriuft und der Umftand, 
daß er feine Mutterbruft getrunten.” 

„IH zeife fünf und zwanzig Jahre — zum Tode!“ ſprach 
Bratislav dumpf, „der, will's Gott, nicht mehr fern if.“ 

Bleibt Ihr lange Hier, Herr Ritter? fragte Slup weiter. 

„Wie die Seele im Leibe!" war Bratislav's Antivort. „Alter 
Hausgenoffe, Du wirft mid fhon dulden müſſen! liegt mein 
Kopf nicht vom NRumpfe, fo geben ich ihn hier unten grau 
werben zu laſſen. Bielleicht werd’ ich auch wahnſinnig, und wir 
Beide flimmen dann in Schidfal nnd Gemüth überein. — Wir 
wollen einander mandes Mährlein erzählen von dem Leben, 
von ber Liebe, von der Welt da draußen, Alles nur Träume, 
bunte Träume — bie, wenu man fie ausgeträumt, recht häßlich 
werden.” 

„Ih weiß auch mandes Mährlein,“ fiel der Wahnfinnige 
ein, „von einem Ritter, ber ein Mädchen ftahl, das ihn erft ge- 
Hiebt und dann gehaft. Sie ftarb aus Schmerz über feine hef - 
tige Liebe.” 

„Glücklicher Unglücllicher!“ feufzte Vratislav. „Du benfft 


32 


gab ich die Urſache zum Streite und ſchlug zuerſt Meine Klinge 
tonnte ja eben fo leicht in feine Bruft fahren und hart am Leben 
hinwegſtreifen. Nur daß id) fo lange das Lager wegen dieſes 
Kellerlohes von Wunde Habe Hüten müſſen, grämte mid unb 
machte mid; ärgerlich. Ich Habe einen großen Theil meiner 
Frohlichteit eingebüßt und bin auf dem Wege, ein ernſter Denker 
zu werden.“ 

Mitada war auf den Hrabdin gezogen und verweilte Tage 
lang in des Ritter Sukol Geſellſchaft, der trot feiner Standes - 
erhöhung ihr immer noch in Unterwürfigkeit ımd Treue wie ein 
Diener zugetfan war, im Schloßgarten, auf der andern Seite 
des Hirfchgrabens, und biidte fehnfuhtsvol und weinend nad) 
den grauen Thürmen binüber und fpähte, ob fte nicht in irgend 
einem Fenſter das blaſſe Antlig ihres Geliebten erbliden könne. 
Jeden Abend Lehrte fie ungetröftet und unbefeiedigt heim, um am 
nädjften Morgen twieberzufehren. 


„Beta!“ fagte Barcal an dem Abende, mo Vratislav nad 
dem Hrabdin gebradt wurde, „nimm hier bie Lampe und geh’ 
hinab an die verfallene Treppe, die zum Gefängnifje bes verrüd- 
ten Slup führt; er erhält Heute Geſellſchaft, ich glaube gar einen 
vornehmen Herrn. Es find mehrere Verſchwörungen gegen den 
König entdedt worden, und fo werben theils VBerbrecher, theils 
Berdächtige in großer Anzahl eingezogen, daß faf alle braudbaren 
Berliege gefühlt find. Sonf müßte ih aud nicht, warum fie 
einen feinen, ftattlichen Herrn zu dem mahnfinnigen Batermörber 
ſperren; e8 müßte benn darum fein, daß er durch dieſe ſchreckliche 
Genoſſenſchaft eher zum Gefländniß gebracht werben ſoll. Auch 


Tann ihm ber Thor nicht leicht in's Freie helfen, wie's bei einem 
Bernünftigen eher zu beforgen if.” 

„Ach lieber Vater,” ſeufzte Beta, indem fie von ihrer Arbeit 
aufftand, „in nnferm Haufe ehrt immer wieder neues Unglüd 
ein! Das Elend will bei uns fein Ende nehmen. Ein recht 
trübfeliger Aufenthalt! — befonders, wenn ich bedenke, daß es 
fo bis am unfern Tod dauern wird.” 

„Für Dich ſchwerlich,“ brummte der Alte, „aber für mid 
fiher! ’S iſt eine betrübte Ausficht für die Zufunft — ein Tag 
wie der andere, feiner aber beffer, immer nur ſchlimmer! Spute 
Di I Er ift fon unten angelangt. Der Schloßvoigt legt ihm 
die doppelten Ketten an — glei werden fie berauffteigen, um 
dreifach fo tief hinabzuwandeln.“ 

nDer Unglüdlihel" Hagte Bta, indem fie die Lampe er- 
griff; „ee ift doppelt zu bedauern, daß er mit dem mahnfinnigen 
Slup ausharren muß. Das Tann ihn ja felbft um den Verſtand 
bringen I” 

„Fort, fort!” trieb der Alte; „ih höre fchon bie Ketten 
auf dem Hofe raſſeln.“ — Sie fprang hinans; er folgte ihr. 
Er ging im ben Hof Hinab, um bem Gefangenen in Empfang 
zu nehmen. Beta eilte mit Licht und Schlüffelbund durch viele 
Gänge und Treppen hinab bis an bie Stufen, welde gerade zu 
Slup's Wohnung führten; denn der Weg war hier gefährlich, 
und die Eine Leuchte, welche der Gefangenwärter trug, reichte 
nicht aus, die grauenhafte Finfterniß, welde Bier herrſchte, zu 
exhellen. 

Seltfam bewegt und ermartungsvol lehnte fi das Mädchen 
in dem niebern gemölbten Gange, ber nur Raum fir zwei 
Menfchen hatte, an die feuchte Mauer. Bald hörte fie Fußtritte 
über ſich und Kettengeraffel. — Ein heller Schein fiel von jenem 
Ende in die finftere Schlucht. Bor dem Vater ſchritt ein Asus) 

Herloßfohn: Der Iegte Laborit. IL 


3 


einher; feine Haltung, feine fchlichte, aber ftandesgemäße Kleidung 
bezeugten dies. 

Jetzt fland er Inapp vor dem Mädchen und fah ihr in's 
Antlig. — 

„Ach!“ rief fie laut und erſchrocken aus, indem fie ihn 
erfannte. Beinahe wäre ihr die Lampe entfallen. 

„Es ift meine Tochter, Herr!“ fagte der Wärter, indem er 
ihr den Schlüffelbund abnahm und fi vorbeibrängte, um dor- 
auszugehen und die Thüre unten zu öffnen; „fie Teuchtet Euch; 
denn bie Treppe ift verfallen — damit Ihr nicht Schaden neh- 
met. — Xretet ſacht auf, Herr, und haltet Euch an die Wand, 
fo viel es die Ketten erlauben.“ 

Vratislav ſtand noch eine Weile vor dem Mädchen und 
fagte leiſe: „So nehm’ ich hier zum legten Male Abichieb von 
einem lieblichen Bilde des Lebens. Des Allerbarmers Gnade 
läßt noch einen Strahl in dieſe grauenvolle Finfterniß fallen. — 
Habe Dank, Di holde Jungfrau, für Deine milde Erſcheinung, 
Du mein unterfintender Abendſtern !“ 

„Sol id das Fräufein von Zedtwic grüßen?“ fragte fie 
leiſe. — 

„Thu' das!“ rief er verwundert; „und noch eine Andere, 
Bring’ ihnen den Gruß eines Todten.“ 

„So Herr!“ rief der Wärter von unten; „es ift geöffnet 
— fleigt jetst herab. Waſſer und Brot Hab’ ich ſchon Hereinge- 
ſetzt; morgen erhaltet Ihr frifches.“ 

Vratislav leiftete Folge. — Das Mädchen ſchlich ihm ſacht 
nad, fand dann fi und bog ſich, ihm nachblidend, hinab. 
Lebt wohl!“ rief fie ſchmerzvoll, und veihe Thränen entrollten 
ihren Augen. 

mSier herein!“ belchrte der Wärter; „Ihr habt einen Ge- 
noffen bier. Die Herren wollten es, daß Ihr nicht allein ſitzen 
ſollt; es if nicht meine Wahl. Der Slup da ift ein guter 


35 


Menſch, aber- manhmal ein wahnfinniges Vieh. Nun, wenn er 
nit gehorcht, fo haut ihm nur bie Kette über ben harten Schä- 
dei; da wird er Euch ſchon in Ruhe Iaffen. Rechts die Stein- 
banf, wo id Euch anſchließe, ift bie Eurige — dahinüber darf 
der Slup nit fommen. — Hörft Du?“ 

Slup ſaß gefenkten Hauptes auf feinem Steine uud ſtarrte 
theilnahmlos vor fid) nieder. 

„Sei mir gegrüßt, Gefährte in ber vowengtube « fagte 
Bratislav, während ihn der Wärter anſchloß, „gefeffelter Wolf, 
Genoffe eines Wolfes! Der Menſch wird ja, wenn er den Men- 
ſchen nicht gefällt, als ein Raubthier geachtet! — Nun, gewöhnt 
man fi im Kerker doch an eine Spiune, an eine Ratte und 
lernt fie lieben! Warum fol ih mid) nit aud an einen Men- 
fen, wenn er glei verrüdt ift, gewöhnen? Wir müſſen hier 
im Baude der Erde Brüderſchaft ſchließen und Brüder werben; 
's iſt ber Ort für dauernde Freundſchaft.“ 

„Gehabt Euch wohl, Herr,“ ſprach der Schliefer, indem er 
fi entfernte, „und baut auf Gott, der felbft in biefe Tiefe gnädig 
biidt und, fo es fein Wille ift, Cuch aus bdiefer Nacht führen 
kann zum Lichte I" 

„Jenſeits, jenſeits !“ verſetzte Vratislav mit einem Seufzer. 
Hab' Dank für Deinen Troſiſpruch und grüß' mir mod) einmal 
das Licht — wenn Du bie Thüre geſchloſſen. Gute Naht!“ 

Er warf ſich auf die Bank nieder — der Wächter drüdte 
die Thüre in das Schloß, das Licht verihwand im Nu, und 
der Ritter faß im der grauenvollen Finfterniß mit dem flummen 
Genofjen, deffen Gegenwart ſich nur durch feinen Athemzug fund 
gab, allein. 

„Bater, Bater,” fagte Beta auf dem Rückwege zu Barcal, 
ntennft Du den Ritter? — Ich kenn' ihm! Bei der Mutter 
Gottes! es iſt derjelbe, den Id) im Haufe des Herrn von Zeöwic 
ſah und für des Fräuleins Bräutigam hielt. Gr lispelte mir 

3. 


36 


aud einen Gruß für fie zu. — Ach, welch' ein Herzleid wird 
die erfahren! — Ja, die reichen Leute find oft eben fo unglüd« 
lich wie bie armen, und es muß ihnen boppelt ſchwer werden, 
im Unglüde von uns beherrfcht zu werben! — Das arme Fräu⸗ 
lein, wie wird fi) die grämen und weinen!“ 

„Wer Tann das ändern, mein Kind?“ verſetzte der Alte; 
„wir nicht! Ich bin nur der letzte Finger, dem bie hohen Herren 
in Bewegung fegen, wenn fie Jemanden ergreifen und feſthaben 
wollen. Glaub's gern, daß große Betrübniß im Haufe dort fein 
wird, Mber warum Halten die. vornehmen Herren unter ſich 
feine Ruhe! Wir geringen Leute find ftill und müffen nur dran, 
wenn fie fih unter einander verfeindet haben. Mär’ ic) ein 
Hoher und reicher Mann, ich Iebte mit aller Welt im Frieden. 
Sie haben Geld und Reihtfum, Müfiggang und Wohlleben und 
tönnen doch nicht ſtillſitzen! Dann gefchieht ihnen ganz recht, 
wenn fie unter fo gemeine Hände Yommen, wie zum Beiſpiel bie 
meinigen find. Wenn nur ein armer, gemeiner Kerl ſtiehlt, ober 
fi fonft in der Noth vergißt, fo muß er daran, und Niemand 
Hat mit ihm Mitleid; aber bie vornehmen Herren, bie mit 
Fleiß und Willen das Unglüd ſuchen und herausfordern, werben 
bedauert.“ 


„Und bei dem Slup muß er fiten!” wehllagte die Tochter 
fort; „wenn ſich der verrüdte Menfd) nur gut gegen ihn beträgt! 
— Id will morgen zeitig früh zu dem Fräulein von Zeöwic 
gehen und ihr Alles erzählen, wenn ihr auch das Herz darüber 
brechen follte. Wiffen muß fie es doch.“ 

Sie erreichten ihre Wohnſtube. Das Mädchen blieb den 
ganzen Abend beirübt und nachdenkend; fie vergoß fogar ver- 
Kohlen Thränen, jo ſehr fchmerzte fremdes Leid ihr weiches Herz. 

Tief unten, von jedem menſchlichen Tone fern, ſaß Brati- 
ſlav, Hatte die gefeffelten Arme über einander gefchlagen umd 


87 


ſtarrte düſter hinein in die doppelte Finfterniß, die des Ortes 
und bie feiner Seele. 

nSeid Ihr ein Chriſt?“ begann nad geraumer Zeit Stup 
mit heiferer, kläglicher Stimme. 

„Sin ächt huſſitiſcher und ein Ritter dazu,“ entgegnete 
Bratislav. 

„Ihr müßt mir nicht zürnen und Euch nicht flören laffen,“ 
fuhr Stup fort, „wenn ich hier meinen Knaben zumeilen einwiege 
mit einem Lieblein. Der Schließer fagt zwar, es fei nur ein 
Strohwiſch und fein Kind; aber ich weiß das beffer. — Es find 
wohl ſchon an fünf und zwanzig Jahre, daß ich ben Knaben 
bier pflege, und er will gar nicht größer werden, will nicht zum 
Leben reifen. Das macht bie feuchte Kellerluft und der Umſtand, 
daß er feine Mutterbruft getrunken.“ 

„ch veife fünf und zwanzig Jahre — zum Tobel“ ſprach 
Bratislav dumpf, „der, will's Gott, nicht mehr fern iſt.“ 

„Bleibt Ihr lange Bier, Herr Ritter?” fragte Slup weiter. 

nie die Seele im Leibe!" war Bratislav's Antwort. „Alter 
Hausgenoffe, Du wirft mich fhon dulden müfjen! fliegt mein 
Kopf nicht vom Rumpfe, fo geben? ich ihn Hier unten grau 
werben zu laſſen. Vieleicht werd’ ich auch wahnfinnig, und wir 
Beide fiimmen dann in Schidfal und Gemüth überein. — Wir 
wollen einander mandies Mährlein erzählen von dem Leben, 
von ber Liebe, von der Welt da draußen, Alles nur Träume, 
bunte Trönme — bie, wenn man fie ausgeräumt, recht hahlich 
werben.“ 

„IH weiß auch mandes Mährlein,“ fiel der Wahnfinnige 
ein, „von einem Ritter, der ein Mädchen ſtahl, das ihm erſt ger 
Hebt und dann gehaßt. Sie flarb aus Schmerz über feine hef - 
tige Liebe.” 

„Gludlicher Unglüclicher!“ feufzte Vratielav. „Du denkſt 


38 


nur an Mährlein in Deinem Elend ; auf deu Bildern ber Wirk 
Tichteit Yiegt für Dich ein Schleier.“ 

„Aber wenn der Schleier finkt?“ warf Slup ein. 

„Und es erleuchtet Dich ein Blig wie jegt — dann biſt 
Du nad) elender.“ 

„Was macht die Erde ?“ forfchte der Verrückte weiter; „it 
fie grün, if fie jung, hat fie feine Runzeln bekommen ?" 

„So grün und fo jung und an Leben überquellenb,“ war 
die Antwort, „daß fie die Jugend, ihre blühenden Sprofien, Te 
beudig in Gräber fendet. Wenn der Landmann viel geerntet, fo 
Häuft er den Ueberfluß in dunfeln Speichern auf.“ 

„Das Grab fol aud ein folder Speicher fein,“ äußerte 
Slup, „und ih mag doch nicht Hinein. Glaubt Ihr, daß es 
mir bier beffer gefäht, und ſäß' ich noch vier und zwanzig Jahre? 
denn ich weiß, daß ich die Erde mieberfehen werde, obgleich ich 
bis zum Tode hier figen fol. Und fähe ich fie aud nicht 
wieber, fo weiß ich Bier doch, daß ich Iebe, und ein holdes Weib 
reicht durch dieſe Mauern, durch diefe ewige Nacht einen blendend 
weißen Arm herein und ſtreichelt mir bie Schläfe und trodnet 
meine Augenlieber mit weider Hand.” 

„Du bift glüclicher, als id,“ gegemrebete Vratislav; „ih 
Habe mit dem Entjagen begonnen und au Berluften gezehrt. Ich 
Habe nichts zu Hoffen als den Tod und darum auch nichts zu 
fürchten. Das Leben ift ein Gut, das mir nicht mehr gehört, 
und ic) beneide den gegenwärtigen Beſitzer nicht barum.“ 

„O Ihr feid noch jung,“ ſprach Slup Haren Geiftes und 
wie tröftend; „ich Hör es an Eurer Stimme. Sitzt nur erſt 
ein Jahr Hier, ohne Licht, ohne den tröftenden Ton der Men- 
ſchenſtimme, ohne Wechſel der Jahreszeiten, und Ihr werdet das 
Leben lieb gewinnen, weil Euch ſein Zuſtand drückt, und die 
Hoffnung wird auch kommen und die Sehnſucht ſich gewaltig 
regen. — Wenn nur mein Knabe erſt ſprechen könnte! Wenn 





39 


er nur erwachfen wäre, damit ich ihm erzählen könnte vom Leben 
und von bem Werth des Lebens! — Nicht jeder Troft ift gleich; 
der eine ſchmerzt mehr als der andere. Ja, wenn wir den Tod 
ſterben Tönnten, den wir gerade wollen I’ 

„Seltfames Gemiſch von Sinn und Unſinn;“ fagte Bra- 
tislav für fi; „er bat doch in ber Zeit feiner Seele Tag und 
Naht, und ber Wechſel friftet die Dauer, melde er Leben 
nennt.” 

„Wenn erft mein Knabe groß if, dann fende ich ihn Hin- 
aus. Er wird eim Ritter und kehrt wieder, und zerfpaltet mit 
feinem Schwerte biefen Thurm, und fein Arm führt mich hinaus 
in bie Freiheit. Ich trete in die Welt wie ber König Arthus, 
‘der lange Zeit im Grabe ſchlief, aber wieber erwachte uub eine 
ganz andere Zeit fand.” 

„O gäb’ es doch einen ſolchen Schlaf,” äußerte Vratislav, 
„mit Zwiſchenräumen, und der Menſch könnte ſchlummern und 
erwachen, wie es ihm gefiele !“ 

„Aus Einem Schlafe erwacht Keiner, das weiß id,“ be 
merkte Slup; „barum häng' id; am Leben, felbft in diefer Gruft. 
— Nun wimmert der Knabe wieder. — Hört Ihr's? Verhaltet 
Eud ruhig, Herr; fonft flört er ums die ganze Nacht — id 
meine die Zeit, welche ich für die Nacht Halte und zu ſchlummern 
fuche. 


Und er begann mit weinender Stimme das Wiegenlied: 


„Ei, ei, ſchlaß, mein Kinblein, ein! 
Morgen wird Dir wohler fein. 

Id lauf Dir einen goldnen Schrein, 
Drinnen Zuderbrob und Wein.“ 


„3% Bin ſelbſt fo elend,“ fagte Vratislav für fh, „und 
habe doch noch Thränen für fremdes Elend! Und doch nur im 


40 


Tode ober im Wahnfinn ift ber Menſch glüdtich; fein Unheil 
if die Vernunft. Wenn erft ber Irrfinn in meinem Gehirne 
wüßlt, wird mir beffer fein.“ 

„Wart Zhr vielleicht auch im Kriege 7“ fragte Sup, nach- 
dem er fein Liedlein geendet. 

„Immer mit mir ſelbſt,“ verſetzte Vratislav, „und auch 
noch in einem andern. Er Hat mid) felbft geboren und bazu 
auferzogen.“ — 

„Ich war auch im Kriege,“ erzählte ber Wahnfinnige, „ob- 
gleih es der Schliefer nicht glauben will; denn id bin der 
Slup, der wegen eines Mädchens feinen Vater erſchlagen hat 
und deshalb Hart büßen muß. Und die That ift gar nicht fo 
ſchrecklich — fie vent mich gar nicht. Es iſt mir oft, als hätte 
ih fie nicht gethan. IH muß doch wohl ein recht verftodter 
Sünder fein!" 

„Der Irrſinn,“ ſprach Vratislav zu ſich ſelbſt, „hat bie 
Erinnerung in ihm ausgelöſcht und den Stadel ber Reue ab- 
geftumpft. Darum dauert er. Ich könnte ihn fat beneiden. — 
Aber warum Hab’ ih mad den Blumenkränzen bes Lebens ge- 
langt, ba ich doch wußte, daß mir nur Dornen beſchieden! 

„Wenn ich manchmal fo etwas fage," ſprach Slup im fie 
henden Zone, „das Euch nicht recht Mar wird, fo verrathet 
mich nicht, Herr Ritter, wenn Ihr wieder hinauskommt auf die 
Dberwelt. Ich Habe dort viele und gar mächtige Feinde. Wenn 
bie müßten, daß ich nod Hier bin — fo wäre ich elender, ale 
jest; fie ſchleppten mid; empor zu noch ſchimpflicherem Lofe. Der 
Haf in das einzige Umvergänglihe im Meufcen, und es ift 
nicht glei, an welchem Tode man flirbt. — Was meint Ihr?" 

„Ja“ — verfeßte Vratislav — „ein anderer Tod iſt's auf 
dem Schlachtfelde und ein anderer von Henkershand.“ 

„Weh !“ ſchrie mit herzzerſchneidender Stimme ber Berrüdte ; 





41 


„wer Hat Euch den Spruch gelehrt? Was wißt Ihr von mir? 
Kennt Ihr mi? Warum nennt Ihr den Henker?" 

„Den Henker?“ wiederholte Vratislav; „weil fein Arm 
nad) mir langt, wie nach Dir ber blühende des ſchönen Weibes, 
Hoffnung genannt. — Ich habe feine Kunde von Dir, armer 
Verbrecher, ber da glaubt noch elenber zu werden. Ich habe 
der Welt wichts mehr zu fagen, als Amen! und — vielleicht 
nod ein Wort. — Sonne, Sonne, meinetwegen wirft Du nicht 
verlöfhen! Beſcheine Glücklichere 1“ 

„Ja,“ fuhr Slup beruhigter fort, „den Tod auf dem 
Schlachtfelde konnte ich nicht finden und hab’ ihm doch gefucht! 
Mein Haß wollte alt werden; darum hielt ich am Leben. Ber- 
rathet mid nicht, Herr! Ihr feid ein Ritter umd ein Ehren- 
mann P“ 

„Ein Ehrenmann,” fpottete bitter Bratisfav, „ben man dem 
Henfer überliefern wird! Paßt folhe Behaufung und Genoffen« 
ſchaft zu einem Ehrenmanne 9 

„Ei nun,“ nahm der Wahnfinnige wieder das Wort, „es 
find aud nicht lauter Ehrenmänner anf den Thronen uud in 
den Brunfpaläften h 

„Ein fauberer Troſt,“ unterbrach ihn Vratislav, „für einen 
Lahmen, der einen andern fieht, welcher zugleid, blind iſt!“ 

„get fhläft mein Kind — jet müffen mir Ieifer ſprechen, 
ober wir wollen auch ſchlafen. Der Schlaf if bie einzige Wohl- 
that, die uns Gott gegeben. Ein Genuß und eigentlich doch 
feiner — wir willen nidts davon. — Gute Naqht, Herr Ritter" 

„Gute Nat!" wiederholte Vratislav bitter, „ein grimmiger 
Hohn auf ben Tag, der uns nicht wieberkehrt! Ja, gute Naht 
Dir, Freiheit, Recht, Liebe, Vernunft, Glüd und irdiſche Se- 
ligkeit 1" 

Er lehnte fih an die Wand, fenfte das Haupt und ent⸗ 
ſchlummerte nad) langem Hinbrüten. 


42 


Durch des Eben don Zedvic Vermittelung unb bei ber 
Theilnahme, welche der König felbft für den jungen Ritter, ber 
ihm als bei feiner Lebensrettung durch Sukol mitwirkend ge 
ſchildert wurde, gelang es, daß Vratislav, noch bevor er den 
Richtern übergeben werben follte, dem König vorgeftellt wurde. 

Georg befand ſich im der alten Burg beim Burggrafen. 
Mit ihm war fein Sohn Heinrich von Münfterberg und der 
alte Ritter von Zedvic. 

Vratislav wurde aus dem Gefängniffe geholt nnd im einen 
Saal gebracht, durch welchen ber König bei Beſichtigung des 
Scloffes geführt wurde. Hier ſollte er ihm wie zufälig auf- 
floßen. Der Ritter ftand, feiner Feſſeln ledig, aber von drei 
Schergen umgeben, nahe an der Thüre. Dur die gegenüber- 
ſtehende trat jett Georg mit feiner Umgebung herein. Er ſchritt 
bis in die Mitte des Saales, erhob fol; das Haupt und fah 
Bratislav lange forſchend und prüfend an. 

„Wer ift der Mann? fragte er kurz. 

„Erlaubt, Hoheit,“ antwortete der von Zeövic, „jener Ver ⸗ 
wandte, von dem ich zu Euch ſprach, Vratislav von Branik, 
den id Eurer königlichen Gnade empfohlen.” 

Georg blickte den Ritter abermals eine geraume Weile fett 
an und fuhr dann in demielben Zone fort: „Der Nämliche, 
welcher fid mit Cyrillus, Hafenberg und dem Uebrigen gegen uns 
verſchworen, um uns gewaltfam Artitel abzupreffen oder im Weir 
gerungsfolle zu entthronen?! Wunderbar hat Gottes Schutz 
über uns gewaltet und uns in zwei Tagen aus zwei Gefahren 
errettet! Und irre ih nicht, fo iſt es diefelbe Hand, die uns 
früher dem Tode hat entreißen tollen, um uns hinterher zu 


43 


ſtürzen. Danf, daß das Erfie, aber nicht das Zweite gelang! 
Wir ſchulden es ber Treue des hochwürdigen Rofycana, ber ſich 
in das Vertrauen jener Berräther zu fehen gewußt und es uns 
fo möglich machte, die Meuterei im Keime zu erfliden. — Warum 
Haft Du Did, Bratislav von Branik, gegen mich und gegen 
mein Regiment verſchworen ? 


„Erlaubt, königlicher Herr,“ ſprach jegt Vratislav frei aufe 
bfidend und im feften Tome, „daß ich frei ſprechen darf, wie es 
mid; das Herz lehrt und der fee Sinn. Ich bin dem Tode 
nahe — und kenne alfo Feine Furcht. Mein Vater flarb in 
Schmach, weil er das Baterlaud und ben Glauben zu fehr liebte. 
In biefer felben, glühenden Liebe ward ich erzogen und werbe 
enden wie er. Einen lichten Tag, wie ihn das Vaterland ver- 
dient nach taufend blutigen Opfern, wie ihn mit uns noch Tau- 
fende wunſchen und verlangen, konnten wir nicht fehen. Uber 
das Glüd des Einzelnen kommt nicht in Betracht bei großem, 
erhabenem Zwecke. Ich glühte und glühe bis zum letzten Athem- 
zuge für die Reinheit unfers huſſitiſchen Glaubens, für die Be 
freiung aus Roms Feſſeln, für bie Erhebung und Gelbftfländig- 
keit meines Baterlandes. Entweder vollen Sieg für baffelbe, 
oder Zob, fein ſchmachvoll Mitleid, keinen Zuftand, wie er bie 
Nationalität unfers Bolles auszulöfhen droht aus ber Reihe der 
Böller, wollen wir. 

„Und ba begannt Ihr mit dem König,“ unterbrach ihn 
Georg fireng, „bieltet ihn fir einen Thoren, ber nicht zu re 
gieren verſteht und die Krone nur zum Scherze trägt. Und ber 
König follte es büßen, weil nicht Alles nach Eurem ſchwärme - 
riſchen Kopfe war; Ihr wolltet für ihn regieren und ihn wie 
einen Popanz drehen, um dem Bopanz bei Gelegenheit und Lane 
vieleicht au den Kopf abzuſchlagen. — Warum mollteft Du 
wid erretten, als mir ber Rapuzinermönd das Gift bereitete, 


“4 


und warum gleid; daranf mich verderben? Welche Deiner Thaten 
iſt nun Lüge, welche Wahrheit ?" 

„Ich tenne feine Lüge, Herr und König!" war Bratislav’s 
Antwort; „beide waren Wahrheit. Nicht von ber Hand eines 
papiftiihen Schwärmers durfte Du fterben, ein rechtgläubiger 
caligtinifcjer König. Der Meudjelmorb bleibe fern von Dir, und 
dagegen möcht’ ich ewig Dein Hüter fein; bdemn was ung vom 
jener Seite des römiſchen Ungethüms droht, wiſſen wir mohl. 
Kein Huffit wird Dich verderben, Herr; aber jeder wunſcht, es 
freier zu fein. Wir find Kinder der alten Zeit, die durch ihre 
Blutſaat Anwartſchaft auf eine beffere fi erworben Bat. — Kann 
ih es, König, ich vette dich noch zehnmal mit Gefahr meines 
Lebens; denn Dein Leben if uns theuer. Wir aber wollen mur, 
was ich frei ausgeſprochen babe, und was keiner ber Verbündeten 
verläugnen wird.” 

Ich frage Did) nicht mad) Deinen Genoffen,“ erwiederte 
König Georg, „denn id; kenne fie und ben Grumd ihres An- 
ſchlages; es iſt getäuſchter Ehrgeiz. Weil fie dem Throne fern 
ftehen umb fi zurüdgefegt glauben, weil fie die Umſtände nicht 
Tennen, die mein Regiment bedingen, weil fie nicht begreifen, 
daß ic Frieden Halten muß, um das Land zu fräftigen, und 
weil fie noch nebenbei tolle Ideen im Kopfe haben, fo haffen fie 
mid; und wollen die Herren fpielen und Alles beffer machen, 
wie fie es ausgefonnen Haben. — Nichts als Eigenliebe — 
Eigendüntel, ſträfliche Sucht nad) Oberhoheit. — Wie aber kamſt 
Du, ein Fremdling noch in diefer Stadt und in biefes Landes 
Berhäftniffen, fo plöglich ii den Bund der Männer, welche von 
jener Zeit her, wo ber Taboriten fanatifche Wuth gebrochen wurde 
zum Seile des Beffern, ihre MWünfhe im Finfern hegen und 
Aufruhr bezweden ohne Sinn für die Nothwendigleit und die 
Gegenwart ? Sie wollten aus dem NReligionskrieg einen ewigen 
Bürgerkrieg maden, und es war fein Abſehen ihres falſcheu 


UL, 


45 


Eifers. Glaubten fie doch, die Menfchen würden nur geboren, 
um anf der Schlachtbank für ihren Bwed geopfert zu werben! 
Und der Zmwed if im Grunde ein friedlicher. — Nein, nein! 
ih muß Euch nicht nur haffen, ih muß Euch auch verachten. 
— Sprich, Jüngling, wie kamſt Du im biefen Kreis, wiefern 
Hab’ ih Did, den Fremdling, der nichts bei Hof und Staate 
geſucht. gekränkt, daf Du mein Feind geworben bift, mir freund 
ch mohltoilift, wo mir die Pfaffenbrut droht, und dann mich 
verrätäft an einen Bund, ber den Thron ftürzen will und das 
Baterland in Zwietracht ſtürzen? — &o thun es ja oft bie 
granfamen Feinde unter den Tartaren. Sie jagen Einem das 
Schlachtopfer ab mit eigener Gefahr, nur um es felbft ſchlachten 
zu können. — Pfui! Und das haben Böhmen gethan l” 

„Herr,“ verſetzte Vratislav, „fordre nicht die Namen; im 
legten Momente einigte mich ein gleiches Gefühl mit ihnen; ich 
Tannte fie kaum. Ich habe feinen höhern Gott im Herzen, als 
das Vaterland, feinen Glauben und feine Freiheit, und dieß Ge- 
FÜHL Hat mid) ihnen zugewenbet. Sei Di König, denn feinen 
Wuürdigern gibt es vielleicht in Böhmen; fei aber ein König 
bes freien Volles, fchüge ben ‚Glauben wie er ifl, reif ums los 
von fremden Banden, ſprich das Wort: Wir mollen frei fein 
und groß! und wir find es. — Deine Richter haben bie Folter; 
die kann e8 verfuchen, meinem ſchwachen Gedächtniß die Namen 
jener Berihworenen wieder einzuprägen. — Ih bin auf Alles 
gefaßt.” — 

nGottes Donner!" rief Georg; „bei fo viel Beſonnenheit 
fo viel Irrthum und vorgefaßte Meinung! So wollen wir alfo, 
ausgefogen durch langiährige äußere und innere Kriege, befehdet 
von allen Nachbarn ringsum, kämpfend gegen bie Wuth des 
Bapismus, der ums mehr haft, als bie Diener Mohammed's, 
einen Krieg beginnen gegen bie ganze Welt, ohne Begeiſterung 
der Allgemeinheit, ohne Verzweiflung, ohne Nothwendigfeit bes 


46 


Zwanges, bloß weil es einigen feurigen Köpfen fo gefällt, die 
die Tage der alten Schlachten und Siege nicht vergefien können, 
und wenn fie diefelben, wie Du, nicht erlebt, fich neue herbei- 
wünſchen? — Unfinn, Unfinn, der das Richtige nicht keunt und 
ermißt! Durch ‚Ruhe. wird der Menſch erkräftigt, und fo ein 
ganzes Bolt. — Ich brauche Deine Mitverfwornen von Dir 
nicht zu erfahren; denn ich kenne ihre Habfüchtigen, ſchwärme ·- 
rischen, felbftfüchtigen Zwede. Nur Du warft mir auffallend, 
weil id) hörte, daß Du mir wohlgewollt und glei darauf mein 
Berderben beabfichtigt Haft. Das ift Tollheit der Jugend, und 
bie Verführung, hat fie hervorgebracht.“ 

„Es ift der Gedanke meiner Seele, König und Herr 1“ erwieberte 
Vratislav. „IH liebe erfi den Glauben, dann mein Baterland, 
dann Did) als König. Darf ich eine Geliebte der andern opfern, 
ohne ungetreu, ohne ein Berräther zu werden? Du bift groß 
an Geift und Kraft, o Herr! An Deines großen Volkes Spige 
bift Du noch größer und mit ihm unüberwindfih, wenn Du 
Deinem Fewergeifte folgft und nicht der Angft um die Selbfler- 
Haltung, nicht dem Rath feiger Räthe und Priefter. Sei felbfle 
ſtändiger, und Du wirft mächtiger fein. — Diefe kühnen Worte 
— bie Du leicht höhnen kannſt als Worte eines Jünglings — 
gibt mir der Gedanfe an meinen Tod in den Mund; denn ber 
Tod madjt jeden, der ihm mit Bewußtſein in das Auge fehen 
muß, zum Manne, alfo aud ben Knaben und bas Weib. — 
Vielleicht mauchmal niht den Mann; aber dann ift der Mann 
eine Spottgeburt feines Geſchlechtes.“ 

„Ein toler Streich,“ warf König Georg ein, ohne des 
Ritters Aeußerung zu beachten, „bat Dich dahin geführt, daß Du 
das Leben vermwirkt. Ich Hab’ es Dir geichenkt, weil Du das 
meine als ebfer “Feind, wie ich nun fehe, Haft erretten wollen. 
Da kömmſt Du abermals und verwirfft e8 zum zweiten Male 
wie ein leictgefinnter Sohn, der feinen Antheil am gemeinfamen 


47 


Bermögen des Vaters vergeubet Hat umb nun dieſelbe Summe 
haben will. Und ber Bater fol fie noch einmal bezahlen zum 
Nachteil der andern Kinder? Und wenn er fo ſchwach und 
langmũthig ift, ſollen fi die andern Kinder daran fpiegeln und 
ein Gleiches zu thun bewogen fühlen? — Du haft mid nicht 
begriffen, wie alle die Deinigen. — Soll id mir bie Mühe 
geben, ich, der ich Millionen beherrfhe nnd für fie forgen muß, 
einen Einzelnen ober vier, fünf Andre mit ihm mit mühfeliger 
Anftrengung zu belehren und inzwiſchen des Ganzen zu ver- 
geffen? — Geht, geht! Ihr feid Feine Böhmen, Ihr liebt das 
Baterland nit! Ihr Haft bie Deutfchen, ohne fie duch die 
Liebe zur Heimat zu befhämen!” Der König ging nach biefen 
Borten heftig auf und ab — feine Umgebung verhielt ſich ruhig 
und ſchweigſam. 


„Was aud; mein Los fei,“ ſprach Vratislav nad) geraumer 
Zeit, „Herr und König! ih kann nicht anders fühlen. Fir den» 
felben Glauben ift mein Vater verblutet, und auf feine eigene 
Bahn bin ic gefendet worden.“ 


„Dein Bater flarb in der Schlacht,“ nahm der König wieber 
das Wort, „als der Krieg noch eine Notwendigkeit war. Nun 
haben wir aber keinen Krieg; warum ben Krieg alfo nothwendig 
machen? Friede, Friede, fo laute unfer eldgefchrei; Verſöhnung 
und rubige Entwicklung des Lebens! Mein Gott, warum muß 
ich fo viele Feinde haben und noch Freunde erdulden, die meine 
Feinde werben, weil ih mir nit noch mehrere machen will! 
Ihr verficht nichts davon, und ich verſchwende meine Worte. 
Amen! — Wer mir offen gefleht, daß er mein Feind bleiben 
wil, vor dem muß ih mid ſichern. Ein Meiner Gtein, von 
Knabenhand an den richtigen led geworfen, kann ein Muhlrad 
im Laufe aufhalten. — Befinne Did und Ierne Dein Baterland 
lieben, indem Du Theil nimmß an feinem gegenwärtigen Zur 


4 


Rande, und firebe daßin, dieſen zu verbeffern nach Deinen Kräften 
auf ruhige, befonnene, vermittelnde Weiſe. Ruft nicht bie alte 
Zeit gewaltſam zurüd! Was fol fie uns frommen? Was fol 
ein Geftorbener, den Ihr wieber erwedt, im neuen Leben? Die 
neue Zeit nimmt unfre Kräfte in Anſpruch, und Feinde erwachſen 
ung in großer Zahl ‚aus ihr; warum bie alte Feindſchaft aus 
ben Gräbern feharren und dem neuen Unheil ein verjährtes, ver - 
geffenes zugefellen? — Ihr ſeid Thoren! Beflert Euch! Ih 
Habe nicht Zeit, den Schullehrer bei Euch abzugeben; greift nicht 
in die Räder, wenn Ihr ihren Fortgang micht befördern, fondern 
fie nur zurüdichieben wollt! — — Ich verzeihe Dir — Dein 
Leben fei Dir zum zweiten Male geſchenkt für mein einfaches. 
Aber den offenen Feind, wenn ich ihn aud nicht haſſe und ver- 
folge, kann ich doch nicht frei Herumgehen laſſen, daß er mir 
überall begegne und ungeftraft mich bier und dort hemme, flöre, 
vielleicht gar verderbe, wo ich nad) befter Einſicht das Beſte will 
und einen Plan erfaffe, den er mir vernichtet, ehe ich ihm zum 
Wirken gebracht. Du ſollſt eben, denn Dein Tod bringt weder 
mir, noch Dir, noch dem allgemeinen Frucht; aber die Richter 
mögen mild und gerecht über Dein Los entfcheiden. — Ich kann 
nit anders!” — 

„Mein Leben ift erft in Gottes Hand," ſprach Bratislav mit 
Ergebung, dann in der Deinigen. Jetzt biſt Du mir der Nächfte und 
alfo dem fterblichen Theile der Mächtigfte, Dur kaunſt verfügen dar 
über wie Gott über uns Alle verfügt; ich aber kann nicht anders 
fühlen und denlen. — Habe Dank, mein König, für dies bereitwillige 
Gehör, das Du mir geliehen, für bie Worte, ble Du an einen 
Geringeren gerichtet — im guter Abſicht, wie e8 Did) deucht. Laß 
mid) wieder in meinen Kerker führen. Mein Los ift gleichgültig; 
es frommt, es ſchadet der guten Sache nicht. Nur zwei Arme 
find’e, die von vielen Tauſenden abgehen; die kommen nicht 
in Anſchlag. Das Boll der Böhmen iſt ein gekreuzigter Heiland ; 


4 


gIhr aber mwälzt dreifache Steine auf fein Grab, um feine Auf 
erſtehung zu verhindern.“ 

„Sunger Maun,* ſprach König Georg mit gütigem Tone, 
näherte fi dem Ritter und fegte die Hand auf feine Schulter, 
„Dein Herz ſcheint gut, Dein Kopf tüchtig; Du bift zu etwas 
berufen, wenn and gerade nicht zum GEmpörer. "Deine Richtung 
iſt falſch; lerne "Di umd die Umflände genauer kennen, und Du 
wirft unfern Weg gehen, ben Weg bes Friedens und ber Ber- 
mittelung. Nur mit der Zeit reift am Weinſtok bie Traube, 
und ein Boll,‘ das durch jahrelange Kriege erfchüttert und ges 
ſchwãcht worden if, bedarf der Erholung, um neue Kräfte zu 
fammeln und fi fortzubilden und fortzufchreiten. Wer oben ſteht, 
Yan einen weiten Kreis üherbliden, nit fo, wer im Thale 
wandelt. Dies merke fih bie Jugend! Dir zürne ich nicht, 
wohl aber Jenen, die durch ter, Grfahrung und Kenntnif bes 
fonnener fein ſollten. Regieren iſt Teicht, wenn man den Zufall 
walten fäßt; aber Bilden, umgeftalten, ändern und beſſern, fo 
daß die Mehrzahl zufrieden geftellt wird, iſt ſchwer. — Warum 
gönnt ihr dem armen Landmanne, der fo lange Zeit geſchmachtet 
umb gebfutet hat, nicht feine paar freien Athemzüge, zw denen er 
nun Muße gewinnt? Laff’ ich die Flamme der Zwietracht ruhen, 
fo verlöfcht fie von ſelbſt. Ihr wollt die Kohlen ausgießen und 
meint fo, fie wärben dann nicht wieder weiter brennen. Nur 
eines Funfens und eines Winbftoßes bedarf es, und bie Flamme 
ſchlägt wieder empor, Bildet Euch ein, zu feiner Partei zu ger 
hören, umd die Parteien werben verfhmelzen in allen dem, was 
gut und: vernünftig und heilſam an ihnen if. — Ich lobe mir. 
meine Bürger; fie ehren ihren Gott auf beiderlei Weife, widmen 
FG mit Fleiß ihren Handwerken und vergeuden die Zeit nicht 
mit unnüten, religiöfen Wortgefechten. Die Ritter und Bauern, 
welde Landbau treiben, find auch anf meiner Geite, weil ich 
ihnen Ruhe gönne, weil fie erwerben und genießen Tönen, weil 

Herloßfohn: Der legte Taborit. IL. 4 


50 


in allen Zweigen des Regiments, in ber Verwalterei und ben 
Gerihtshöfen allmäfig Verbefferungen eingeführt werben. — Rur 
ein Thor will, daß ber Kirſchkern fon am erſten Tage zum 
Baume werde und Kirfhen trage. — Warum wedt ihr meine 
Feinde im Lande, da id) ihrer genug amfer dem Sande habe? 

„Wir mollen,“ warf Vratislav befceiden ein, „daß ber 
Böhme fi erhebe mit voriger Kraft und die äufieren Feinde 
züchtige und temüthige, wie es fonft gemefen.“ 

„Ueberlaßt das mir, Ihr guten Leutel“ fuhr Georg fort; 
mid) werde mit Denen fchon auch fertig werben. Es grämet mi) 
nur, daß fid gegen einen guten unb beforgten Hausvater, ber 
ſchwierige Geſchäfte und Pladereien aufer dem Haufe Bat, im 
Haufe felbft die Kinder und nächſten Anverwandten anflehnen 
und ihm dag Leben erſchweren, ftatt fein Handeln zu erleichtern. 
— Meine Herren,“ wandte er fich zu feiner Umgebung, „es ift 
ein eben fo ehrenvolles als undankbares Geſchäft, König zw feint 
Glaubt mir’s, der e8 erfahren hat. Dem allgemeinen Neide bloß- 
geſtellt ift der König, und darum wird feine redlichſte That doch 
immer von ingend Einem getabelt, wohl gar geſchmäht. Allge - 
meiner Anerfennung erfreut fi mur ber Künfler und ber Soldat, 
— Doch fehlt's auch da am Neide nicht. — Nehmt doc das 
Leben, wie ber Töpfer ein Stüd Thon nimmt, und formt etwas 
Bernünftiges, Nügliches daraus; aber Mopft nicht an dem ſchon 
vorhandenen herum, zerbrecht es nicht, zerbrödelt es nicht, pfufcht 
daran. Es wird doch fein Ganzes! — Dich, Opfer der Ber- 
führung, bedaure ih! — Strafe muß es für den Hochverrath 
geben; fonft wollt’ ich lieber Nachtwächter fein ober ein Bettler 
und bie Krone als Schubfad benugen und Almofen brin fammeln, 
wenn der Erſte, Beſte ungeftraft mich im meinem Negimente 
fören Könnte. — Ic liebe die Welt und die Menſchen. If es 
denn fo ſchwer, wieberzulieben, wenn man geliebt wird? — Da 
eben,“ unterbrach er ſich, gegen.fein Gefolge gewendet, „meldet 


5 


man mir, baf der Garbinal-Legat in Peft meinen Schwiegerſohn 
Matthias endlich doch gegen mich aufgehegt hat, und daß biefer, 
um nur Ruhe von den Duälereien ber Curie zu haben, gegen 
mid; aufbredden wird. Aeneas Sylvius befteht einmal auf der 
Aufhebung der Eompactaten, und ih muß auf dem Gegentheil 
beſtehen; denm bies erfordert bes Landes, der Religion und 
meine Wohlfahrt und Sicherheit. Vorwand follen bem Matthias 
die Näubereien ber böhmiſchen und mährifhen Ritter, die fie 
frech und unverfhämt in Ungarn begehen, geben; aber die Curie 
Redt doch dahinter, und es foll ein Kreuzzug werden. — Im bes 
Matthias Hände hat ber Papſt, wie er fi ausbrüdt, das Heil 
der katholiſchen Kirche gelegt. Das ſchmeichelt dem jungen Hitz - 
Topf; er will gern und ſcheut ſich doch wieder. Auch gelüftet es 
ihn nad) Abenteuern, umd fo bindet er mit feinem Schwieger- 
vater an. Nun, weil e8 denn einmal fo fein muß, fo werden 
wir e8 ruhig abwarten und mit Gottes Hilfe auch zu Stande 
bringen. — Der Böhme alfo, ber juft ben Krieg will, Tann jegt 
Arbeit befommen; aber er flöre mir nit muthwillig unfern 
eigenen Frieden und richte das Schwert gegen ben Feind bes 
Landes und nicht gegen den Landsmann. — Zeigt den Katholiken, 
daß Ihr, wie Eure Lehre beffer feid, als er, und er wird aufs 
hören, Euch zu haſſen, wird Euch fogar lieben. So wird nad 
und nad) das Rauhe, was an beiden Religionsformen ift, ver- 
ſchwinden, und man wird nicht mehr fragen, wenn man einen 
Mann fieht: Genieheft Du das Abendmahl unter einer oder 
unter zwei Geftalten? das Heißt bift Du mein freund oder 
mein Feind? — Mehr als die Compactaten kann ich nicht geben, 
ohne ganz Europa gegen mich zu bewaffnen; denn eben, weil 
wir im Rechte find, Haben wir ſtille Anhänger und Vertheidiger, 
und nur mühfelig läßt fi Einer oder Andere zum Angriff auf- 
hetzen. Das Recht aber würde in ihren Augen ſchwinden, fobald 
ich mic mit Neuerungen befafje und von ber Eurie gänzlich los- 
* 


52 


reife und fo die Nation aus ber chriſtlichen Gemeinſchaft treten 
Ioffe; denn der römiſche Thron fühlt es wohl, daß ihn das 
Huffitentium einen gewaltigen Stoß anf lange Zeit hinaus ver- 
fett Hat. Laſſen wir die Frucht im Stillen fortkeimen, und vach 
einiger Zeit wird fie aud auf anderem Boden gebeihen und bie 
Sonne ver Religionsfreiheit und Aufktärung Höfer am Himmel 
einen. — Leb' wohl, Bratislav von Bramifi Mögeft Du 
milde Richter finden! Mein Herz Iönnte Did frei fpreden; 
aber Pfliht umd Klugheit verbieten es. Ich hätte gewünſcht, 
Dich nur mit Deinen guten Eigenfhaften und ohne Beimiſchung 
der ſchlimmen tennen zu lernen; Du Haft es nicht gewollt, — 
Du bift entlaffen.“ 

Er ſchritt nach diefen Worten in ftolger, ruhiger Haltung 
an bem Gefangenen vorüber zur Thüre hinaus. 

Man legte Bratisfan feine Feſſeln wieder an und führte 
ihm wieder im fein Gefängniß zurüd. — 

Am folgenden Morgen follte er vor ben Gerichtshof gebracht 
werden. — 

Niflas lebte mit feinem Findling ruhig und nicht ohne 
Gefahr für fein Herz inzwiſchen auf feinem Schloffe. — Kaum 
daß er die Reifigen ausgefchict Hatte, erſchien Madlena ſelbſt 
meinend und wehllagend vor der Zugbrüde und rief nad; ihren 
Kinde. Sie wurde eingelaffen — ihre Tochter ftürgte ihr em- 
gegen umd fie lagen ſich fange ſprachlos in ben Armen. 

Komm, komm,“ fagte endlih Madlena, „und flieh mit 
mir! Wer weiß, welche Gefahr uns Bier droht!“ 

„Nein, Mutter, nein!" gegenrebete die Tochter; „wir bleiben 
hier bei dem Nitter. Ich fagte es Dir ja, daß ich ihn noch 
heute fehen würde, und er kam aud und hat mid von dem 
böfen Bartad befreit, ber mid; entführen nud zu einem andern, 
ganz gewiß böfen Manne bringen wollte. — Unfer Ritter aber 
iR ſchön umd edel und fanft wie eine Taube.“ — 


58 


Nitlas trat Hinzu und fagte: „Meidet nit mein Schloß; ich 
bie? Cuch Schutz und Unterhalt. Niemand foll End ftörem 
ober Gefahr bringen, ſelbſt ich will Euch nicht beläftigen, fofern 
Ihr meinen Umgang zu meiden oder zu fürchten Luft oder Gründe 
Habt. Ihr follt geachtet werden wie rauen meines Standes; 
meine Diener find auch Eure Diener. Ich will e8 abwarten, 
ob Ihr's gerathen finden werdet, über Ener Schidjal und Eure 
Herkunft und die ſonderbare Genoſſenſchaft, aus welcher Ihr Euch 
befreit, fpäter Auskunft "zu geben. Im Ener Geheimniß werde 
ich mich nicht drängen. Auf kurze Zeit nehme ich Abſchied; ich 
fahre gen Prag, um bald wieberzulommen und dann felbft für 
meine Schugempfohlenen Sorge zu tragen. Indeſſen bleibt Ihr 
hier. der Sorgfalt meines Bogtes überlaffen.“ — 

Er brad am folgenden Morgen, vom zwei Knechten be- 
gleitet, gegen Prag auf. — 

Die Richter ſprachen über Vratislav das Urteil. Er wurde 
zu Iebenslänglicer Gefängnißftrafe in Ketten veruriheilt. Ein ca 
lirtiniſcher Prieſter reichte ihm im der WVurglapelle zum legten 
Male das Abendmahl. Auf die Frage der Richter, ob er feinen 
legten Willen befannt machen wolle oder Aufträge an bie Welt 
Habe, antwortete er: „Grüßt mir das Leben — vom einem 
Todten! — König Georg, wie graufam if Deine Mittel Wo 
der Tod eine Wohlthat wäre, da entzieht Du fiel“ 

Er wurde in fein Gefängniß gebracht. — 


4. 


„Wie iſt es geworden? fragte Barcal der Gefangenwärter, 
als er den Ritter in Empfang nahm und wieder in das feuchte 
Gewölbe bradite. 

„Gut — ſehr gut!“ war Vralislav's Antwort; „wir werden 


5 


gute Freunde, lieber Alter; denn wir fernen ums jegt fenuen. 
Wir bleiben bei einander. Der Slup Bier Kat einen Genoffen 
bis am feinen fanften Tod erhalten. Guter Barcal, fen? mir 
jetzt Deine Jahre; ich geb’ Dir meine Ingend dafür. Schänd- 
liches Schidfol! Dem einzigen, lebten, lleinen Wunſch nad) dem 
Tode mir nicht zu gewähren! Das if mehr als granfam 1” 

„Es iR betrübt!“ ſprach Barcal; „aber vertrant auf Gott 
unb die Guade des Könige.“ 

„Beide fönnen nicht gnädiger fein, als fie e8 eben geweſen !“ 
warf Bratislav ein; „biefer ſchenkt mir das Leben, und jener 
erhält es mir zu diefem Zwecke. — Hab’ Dank für Deinen Troft, 
aber laß mich allein!“ 

Der Wächter ging. — Bratislav warf fi auf die Bank, 
legte feine Retten in ben Schoß und ſchwieg. Es war eine 
dumpſe, ſchreclliche Stille. 

Endlich unterbrach fie ber wahnfinnige Slup, der ben 
Worten, welche zwifchen Barcal und Bratislav gewechfelt wurden, 
aufmerffam gelaufcht Hatte und eben jetzt einen lichten Moment 
haben mochte. — „Ihr feib verurtheilt, Ritter?“ fragte er leiſe 
und gutmäthig; „Ihr folt ewig Hier figen wie der Sup?" 

„So iſra!“ ‚antwortete Vratislav kalt, aber nicht fireng, 
ba ihn des Verrüdten Theilnahme rührte. 

„Was Habt Ihr begangen, armer Genoffe?“ fuhr Slup 
fort. 

„Ich habe für den wahren, taboritifhen Glauben, für 
welchen mein Vater geblutet, mein Oheim gelämpft, aud kämpfen 
wollen. Er follte von num am ſiegen mub Heref—hen im ande; 
fo wollte e8 unfer Bund. Gie nannten es eine Verſchwörung 
— id ollein wurbe ergriffen. Weil ih dem König früher ger 
bient, wollte er recht gnädig fein und ſchenkte mir das Leben, 
und bod bat ih um den Tod." 

„Leben bfeibt Leben, und bie Liebe zu ihm findet ſich wieder,” 


55 


ſprach Slup ernft; „aber mit dem Tode if alles zu Ende, in 
ihm gibt c8 feine Ausfiht, feine Hoffnung als eine ungewiffe, 
jenfeitige. — Ihr feid aus dem Geſchlecht derer von Branit, 
Nitter? — Sie waren, irre id nit, mit dem von Cetic 
verwandt.” — 

„Weißt Du etwas von den Techticen ?“ fragte Vratislav 
gefpannt. 

„Rein, mein!“ widerſprach ber Wahnfinnige ; „ich bin ja der 
arme Slup, ber von alle dem nichts weiß, nichts wiſſen darf. 
O verrathet mich nicht, Herr! Ich würde dann nur noch elender.“ 

„Armer Thor!” entgegnete Bratislan; „ih Dich verrathen ? 
An diefe Wände Hier vielleicht, die flumm und taub find! Haft 
Du es nicht gehört, daß ich für ewig verdammt bin, Hier in 
der Ziefe zu figen, von feinem Auge gefehen, von einem Ohre 
gehört? Ich Habe der Welt nichts mehr zu entbeden.“ 

„Sprit nod) ein Dritter Hier?" fuhr Siup plöglih auf; 
hört Ihr e8 murmeln? — .C8 Ming fo Hohl.“ 

„Ein Gewitter iſt's“ belehrte Vratislav, „das fi über Prag 
gelagert und auslämpft. Es ift der einzige Tom, der zu uns 
in den Bauch der Erde dringt, dieſe Donnerſtimme.“ 

„3a ein Gewitter!“ beſchied fi der Wahnfinnige; „ic Hab’ 
es öfter gehört, feit ich Hier fige; aber den Blitz kann ich nie 
fehen. Die Mauern find zu did. — Oft ift auch mein Knabe 
Hier darüber erwacht und wollte nicht wieder einfchlafen. — Ihr 
fpradjt von denen von Cechtic. — Ja — id glaube, ic) Habe 
fie gekannt. Starke, wilde Männer, aber ehrenwerth! Ihr Un- 
glüd war groß. Der Eine wurde Bingerichtet in Prag, ber 
Andere floh mit bes Bruders Sohne. Was mag aus ihm ge- 
worben fein? Habe nichts mehr gehört; denn feit jener Zeit 
fie ih ſchon hier. — Doch fehweigen wir davon; es könnte 
Jemand laufen. Was fol uns auch die Vergangenheit! — 
Heil wie ber Donner brüfft I“ 


56 


„Wenn dies Dein gauzes Geheimniß if,“ entgegnete Vra- 
tiolav mit BVitterfeit, „dann faun ich Dir mehr fagen, um Did) 
meines Schweigens zu vergemiffern. Hier bringt es mir feine 
Gefahr; Schmach und Glanz reihen nicht herab in dieſe Gruft. 
Wie der Name längft begraben it, fo if es jet auch der Leib: 
ber Legte des Stammes. Höre, Wahnmwigiger, und ſtaune, wen 
es Dein Geift fallen Tann! Ein Zroft für mih — id habe 
doch einen halben Menſchen jet, der meinen Erzeuger gelannt, 
Zener Ritter Boleslav von Techtie, der vom Henfershand farb, 
mar mein Bater. Mit meinem Oheim. entfioh ih; er zog mid) 
geoß im der Einfamfeit, fandte mi in bie Welt, um unfre 
Schmach zu räden, unfern Namen zu reinen von ber Schande, 
und jegt bin ich Bier.“ 

Stumm, aber zitternd, daß bie Feſſeln an einander klirrten, 
hatte der Wahnwitzige gelauſcht; jet brach er im herzzerſchnei - 
dendes Geſchrei aus, indem er heulte: „Vater unſer, der Du 
biſt im Himmel, Erbarmer, nimm die Eine Wahnſinnsnacht von 
mir und errette mich von der Andern! Gib mir Licht — Licht! 
— Ber bift Du, Fremdling? Ein Eeötick; willſt Du fein, ein 
Sohn des Boleslan? Du lügft! Du bift gelommen, mid aus- 
zuforſchen; man bat Dich abgefandt, mich zu verrathen, elend 
zu machen I" 

Chor, Thor!" ſchalt Vratislav; „mein Name bringt mir 
mehr Schmad und Gefahr, als Dir all Dein wahnwitziges Ge- 
heimmißt Ich Habe Heut’ zum letzten Male das Abendmahl ge- 
nommen und lüge nicht. Auch gereiht der Name nicht zur 
Ehre, daß ich mic Tügnerifh mit ihm ſchmücken follte.“ 

„Beim barmherzigen Gott! ift es wirflih for — Du biſt 
Bratislav, der in ber Schlacht von Hrib geboren worden, ber 
mit dem Oheim Zdenko floh und jetzt — jegt? Du bift mein 
Son, — mein Sohn, id bin Dein Vater" 


67 


Er fprang anf, ſchlang die gefeffeten Arme mit Rieſenkraft 
um bem Ritter und umklammerte ihn weinend, ſchluchzend, wim- 
mernd. — 

Bratislav fehlenderte ihn wild von fi und rief: „Wahn« 
wigiger Thor! — fol ih Dich morden? IH Dein Sohn, 
wie jener Strohwiſch dort, ich der Sohn des Slup, des Bater- 
moͤrders ?" J 

„3a, ich bin es bemnod!“ heulte ber Alte. „Hört De 
den Donner? Er gibt mir Zeugenſchaft; Gott felbft ſpricht mit 
feiner ehernen Zunge. Nicht id, der Cechtie, wurde gerichtet; 
es war Slup's Leiche, der im Gefängniß geflorben war, welche 
fie in meinen Kleidern an den Galgen Bingen. Es wird licht 
in mir; wie Schuppen fällt e8 von meinem Auge. Ich bin 
Dein Bater, id) bin Boleslav von Eedtic.“ 

„Beim Beifigen Gott!” ſchrie Vratislav entjegt, „das klingt 
nit mehr nad Wahnfinn !” - 

„Die lange, düſtre Nacht iſt von mir gewichen,“ fuhr ber 
Alte fort; ‚ic fehe hei, ich denke Hei. Ich bin Dein Water, 
fo wahr e8 einen Gott gibt und eine Fiuſterniß, in ber wir 
jchmachten, und ein Leben! Id bin Dein Water! Haft Du das 
braune Mahl noch in Geftalt eines Halbmondes auf dem rechten 
Arme, dann bift Du mein Sohn. O es war nur der Zwang, 
daß ih für einen Andern gelten follte, der mich wahnfinnig ger 
macht! Höre mic, höre mich! Ich flehe Hier zu Deinen Knien; 
fag’ mir, biſt Du wirklich mein -Sohn, Bratislan von Techtie d 

„Ich bin es!" rief Vratislav; „Du kennſt das Mahl — 
jeder Zweifel ſchwindet. Kein Wahnfinniger erfindet fo. Es if 
wirklich! — Bater und Sohn fehen fi im Ketten wieder, in 
der duſtern Muft des ewigen Gefängnifies! O ſchredlich, ſchred 
lich!“ Er brad in lautes Weinen aus. 

Der Alte warf ſich über ihm, bededte fein Antlig und feine 
Hände mit brenuenden Küffen und wimmerte in Schmerz und 


58 


Bonne immer nur: Mein Kind, mein wiedergefundenes, mit 
mir lebendig begrabenes Kind! Himmel, fprid noch einmal mit 
Deiner Stimme, thu' den Ausſpruch! If es mein Sohn?“ 

Er Bielt inne. Ein fürdterlicher Schlag erfolgte, daß die 
Grundfeſten des Thurmes bebten, und er ſelbſt ſchwankte amd 
zitterte. — 

„Du börft es!“ fuhr der Alte fort; „dem Himmel mußt 
Du glauben. — Ic; habe Dich wieder, ich fühle meines Sohnes 
Glieder in meinen Armen und bier in der Nacht. Alfo Hab’ ich 
nicht vergebens gelebt und geduldet; das war bie Hoffnung, die 
zu mir berabftieg in die wirkliche und bie Geiſtesnacht! Darum 
Hammerte ih mid an das Dafein wie ein Schiffbrädiger. — 
Ich Habe meinen Sohn wieder! Namenlofe Geligteit des Vater - 
Herzens! Herz — mein Herz, brich mit! — Du fhlägft ihm 
entgegen; es ift der Finger der Natur, ber ſich regt in meiner 
Bruſt. Und bier unten feiern Bater und Sohn ihr Wiederichen, 
mit Schmad beladen, wie wilde Beſtien gefettet und verſchloſſen 
und bennod felig in der Wonne bes Wiederfindens. — Kannſt 
Du es mir verzeihen, Sohn ber milden Bojena, die längft oben 
im Lichte wandelt, daß id) Deinen Namen mit Schmach bebedi, 
daß ich Dir Deine Rechie gefohlen, daß ich Dich hilſlos im 
Leben zurückgelaſſen babe? — Sieh, Dein Vater umklammert 
weinend Deine Knie, Vergebung flehend. — Gütiges und grau— 
ſames Schidjal — fo Haft Du ums zu einander geführt, haft 
uns im gemeinfamen Elend einen Lichtſtrahl gefendet, der uns 
den kurzen Raum bis zum Grabe verſchönt! Allerbarmer, habe 
Dont! O das Leben ift doch ein erhabenes Gut! Hielt ih nicht 
baran mit aller Kraft meiner Seele, fo errang ich bie größte 
Seligfeit nit, mein Kind, mein verlornes Kind wiederzujehen, 
ich der todtgeglaubte Water I" 

Water, mein Bater,“ weinte Bratislav, „Du bift es, ja 
Du lebſt, und ich Halte Dich in meinen Armen! Mein podendes 


59 


Herz, meine aufjaudhzende Seele fagt es mir, daß Du es bift, 
daß Dir ein Anderer bift als jener Wahnfinnige, ber mir er- 
fienen, daß Du biefe Hülle abgeftreift und den Irrſinn fanger 
Jahre. Laß mid) Dein Antlig befühlen, laß aus Deinen ge 
furchten Zügen mid die meinigen Herausfinden, laß mich Deine 
Blößen küffen und die erflarrten Glieder anhauden, damit fie 
erwarmen unter bem Athemzuge Deines Kindes! O es if eine 
unendliche Seligkeit des Himmels, einen Vater zu haben, einen 
Bater zu finden, deſſen Leben ein Theil des unfrigen if, in 
deſſen Bruft der Wieberhall unferer Stimme erklingt! O mein 
Bater — wir find nicht fo ganz elend, und ein Erbarmer waltet 
über uns, ber uns biefen Augenblick bereitet hatl — Ober ift 
es vielleicht nur ein Traum — bin id ſchon todt, ober find 
meine Sinne verworren, baf ich mit etwas ſchwelge, was ich 
nicht befige?” 

„Nein, mein Sohn!“ umterbrad ihn der Vater, „es ift 
Wirllichkeit. Der Herr Hat ein Wunder gewirkt, um uns nad) 
langen Ouafen zu belohnen. Er bat den Wahnfinn von mir 
genommen, ale Du meinen Namen nannteft; er hat Dich dem 
Tode entriffen, um durch Dein Leben mein finfendes zum ervetten. 
Noch gehören wir dem Leben an; nur der Tod endigt Alles.“ 

nBater, Vater!“ jubelte Vratislav; „süßer Name, benn id 
fonft träumerifh den Lüften nannte und ben Bäumen, er wider 
Hingt jegt aus einer Iebendigen Bruſt. O beliger, zürnender 
Himmel oben, der ein Feſt begeht zu umferer Wiedervereinigung 
mit Donnern und Blien, fende einen Feuerſtrahl in dieſe Nacht 
und laß mic des Vaters Antlig fehen, damit ich vergehe in 
Bonne !* 

Und ein frahender Schlag erfolgte, und ein Blig glitt am 
Thurme praſſelnd herab und fuhr durch das Luftloch am Ger 
Fängniffe und erhellte den finftern Raum mit Tageslicht, und 
noch einmal fürzten fi Bater und Sohn in die Arme. 


1) ” 


n&ber wie werben wir enden,“ frug nach einer lautloſen 
Pauſe Vratislav, „hier für ewig begraben in der Nacht — Vater 
umd Sohn? Muften wir uns darum wieberfehen, um, von allen 
Menſchen ausgeſtoßen, im gräulien Raume unfer Dafein zu 
befjließen? Können wir dieſes Dauern ein Leben nennen? D 
unfer Elend ift noch grenzenlos und unabfehbar I" 

„Du mußt fliehen, mein Sohn!" rief haſtig Boleslav; 
„Du mußt frei werben! Es wird,’ es muß gelingen. Im dem 
lichten Augenblicken, welde in meine Geiſtesnacht fielen, fann ich 
oft über die Mittel zur Flucht mad) und glaube fie gefunden zu 
Haben. Ich Hatte feinen Anhaltepunft in der Welt und fegte 
darum meinen Plan nit in's Werl, Jetzt if es andere — 
jet Hab’ ih ben Sohn. — Du flehft und trittft wieer in bie 
Welt. Deinem Arme wird e8 gelingen, meine Ketten zu fprengen 
und mid dem Leben wiederzugeben von Schmach gereint und 
fonder Gefahr.” 

„Du willft nicht mit, mein Vater, wenn es gelingt?” fragte 
Bratislav; „ich fol Di; wieder miffen, Dich hier allein laſſen ? 
Nein, nein! Lieber mit Dir bier elend begraben, als ohne Dich ' 
draußen in der Welt im Glanze leben I” 

„Gehorche mir, mein Sohn,“ belehrte Boleslav; „nur Einer 
kann entlommen, und der mußt Du fein. — Meine Zeit ift noch 
nicht gelommen. Was foll ih ſchon jett draußen im Leben, wo 
mein Pla noch nicht Teer if, wo die Mitlebenden auf mein 
Erſcheinen nicht vorbereitet find? Der König gebe mir meine 
Ehre wieder, die fein Vorgänger mir genommen, und ich erſcheine 
wieber vor ben Lebendigen. Doc davon fpäter! — Erft erzäßle 
mir aber von der Melt und vom eben, von Deinen Thaten 
und Entwürfen, von bem Oheim und Pater Eyrillus unb ben 
Freunden, die mid; beweinen.“ 

Bratislav gab ihm Beſcheid von feinem Eintritte in bie 
Welt an bis zu feinem Erſcheinen Bier im Gefänguiſſe. 





6 


„Alſo Du kennſt den Neuhaus!” ſprach ernft ber Vater, 
„und er ift befonnen geworben und gedachte meiner mit Zittern ? 
Wir flonden uns ſcharf im Leben gegenüber. — Er kounte mich 
von dem Todesurtheile erretten und hätte es auch gethan, Iebte 
feine Schwefter noch. Aber weil er fie als Leiche anf dem Schlacht- 
felde fand und fo das verwandſchaftliche Band zwiſchen uns zer- 
riffen war, opferte er mich feiner Rache und der Schmach. — 
Ich Hab’ es ihm verziehen; denn er hat Dich ja mir erhalten, 
bat mir ben feligften Moment des Lebens zu meinem Abend 
aufgefpart. Höre mich, mein Sohn! Anch ic bin nicht ganz 
frei von Schuld. Ich, ein armer Ritter, der mur fein ehrlich 
Wappenſchild befaß und fein Schwert,. erhob meine Augen zu 
des Neuhaufers Schwefter, die hoch fand an Rang, Schönheit 
und Reichthum. — Ich ſchwur's in meiner glühenden Leidenſchaft, 
daß ich fie befigen müſſe. Ih warb um fie; denn aud fie 
ſchien mir mild gefinnt und war es aud. Der Bruder verwei- 
gerte mir mit Hohn ihre Hand und deutete mit Spott anf mei- 
nen geringern Adel und meine Armuth bin. — Dies entflammte 
mid; zur Wuth, und id; beſchloß, Alles aufzubieten, um fie ent- 
weber freiwillig ober gezwungen zu befigen. Den Hohn des 
Bruders vergalt ich mit bitterem Hohn. — Ich flürzte mich in 
das Schlachtgetümmel, eroberte Schäte, Häufte das Gold zufam- 
men, baß id Einer ber Reichſten genannt wurde, und hielt noch 
ein Mol an um Bojena's Hand, reichte den Arm zur Verföhnung 
nnd deutete auf meinen Reichthum Hin. — ber vergebens! Er 
nannte mich einen Schlächter, wegen meines Eifers gegen bie 
Bapiften und Pfaffen in den Schlachten, und einen Kirchenräuber. 
Bojena aber, fo ließ er mich beſcheiden, fei die Braut des Herrn 
von Rieſenberg. — Dies nun entflammte meinen grenzenlofen 
Zorn. — Bojena, damals noch dem katholiſchen Glauben zuge- 
than, hielt fi in einem NM ofter auf. Ich überfiel es mit einem 
Haufen, ſchlug die Befagung nieder und ranbte meine Geliebte. 





Hinter ihr flammte das Gotteshaus im Feuer auf, und fie hörte 
noch das Wehgeſchrei einiger Nonnen, bie von unſern Kriege- 
knechten ermordet wurden. Auf freiem Felde jegnete uns ber 
Priefter zum Ehebunde ein; nod von Blut triefend und vom 
Qualm geſchwãrzt reichte ich ihr die Hand, melde fie zurüdftieß. 
— Die Liebe war in ihrem Herzen erlofhen. Sie hatte mi 
erfannt. Sie war mild und fanft — id) wild und rauh, ber 
Krieg mein Leben und bie Vernichtung meine Leidenfchaft; fo 
tam es, daß fid) ihr Herz von mir wandte. — Ich, gefränkt, 
gereizt, getäufht, zwang fie zur Liebe. — Das mar nidt recht 
von mir, und ich hatte die Eine That ſchwer gebüßt; doch will 
mein Gewiſſen noch immer nicht ruhig fein. Sie duldete wie 
eine Heilige. Im der Schlacht bei Böhmiſch -Brod gebar fie 
Did. Sie wußte, daß ich ihrem Bruder und beftimmten Bräu- 
tigam wuthentbrannt entgegenfiehe, daß Ciner von uns fallen 
maſſe, vieleicht Ale. Dies brad ihr das Herz. — Gie farb. 
Dort muß ihr Grab fein, nicht fern von ber alten Fichte, wo 
die. Gebeine ber beiden Prokope ſchlummern. — Das Uebrige 
weißt Du. — Dies alfo der Grund zum Haffe und zur Blut 
rache in ben Häufern von Neuhaus und Techtic. — Die Zeit 
hat einen Wal zwiſchen fonft umd jett gezogen. Ich haſſe nicht 
mehr. Wohl mag Zdenko noch düfter brüten; denn er war fliller 
und verſchloſſener, als ih — er zehrte am der Leidenfchaft wie 
ein Bettler an dürrer Brotrinde; er konnte fie nicht austoben. 
Fünf und zwanzig Jahre der Cinfamfeit haben mic; mürbe ge- 
madt. — Noch für Eins aber glühe ih. Es iſt diefelbe erhabene 
Sache, für die ih bei Hib gefodhten und gebfutet: bie Freißeit 
unfers Glaubens, bie Gelbfiftändigfeit unſers Baterlandes. Für 
fie bewaffne Dich, ziehe Hinaus und rüfe Di zum Kampfe, 
Noch Eins wunſche ih: daß der König meinen Namen reinige 
von der Schmach, baf er meinen Kerker öffne und wieder gut 
made, was die Willkühr eines feiner Worgänger und bie Muth 


68 


der Feinde an mir verbrochen. Auch darnach firebe, mein Sohn! 
Wie Du mir ein neues Leben wiedergegeben, fo gib mir auch 
die neue Ehre wieder.“ 

„Ich will es, mein Vater!“ betheuerte Vratislav; „bei 

diefen Ketten, welche wir mit unfern Schmerzens- und Freuden · 
thränen benegen, ſchwöre ih Dir's! Aber fliche mit mir, wenn 
es. möglich if, verbirg Dich in irgend einen Winkel der Welt 
und harre, bis Dein Sohn mit froher Botſchaft zurüdgelehrt ift, 
bie er Dein Wappen gereinet hat von jenem ſchmachvollen Blut» 
fleden.“ — 
. „Und wenn es auch möglich wäre, mein Sohn,” verſetzte 
Boleslav, „ih fliehe nicht. Meine Stunde if noch nicht ge 
lommen. Was der Erſte des Reiches an mir begangen, foll der 
Erſte des Reiches wieder gutmachen. Nur er kann die Schmach 
wieder vertilgen, welche eine gleich erhabene Hand auf mich ge- 
häuft hat. — So fei es! — Morgen fohreiten wir an’s Werk 
zu Deiner Befreiung.“ 

„Aber, mein Vater,“ fragte Vratislav, „gib mir Kunde, 
wie es lam, daß Du damals aus Henlershänden befreit wurdeſt, 
daß die Leiche eines Andern ftatt Deiner an ben Schandpfahl 
gehangen wurde.“ . 

„Wie jegt Du bei mir,“ erzählte Boleslav, „fo ſaß ein 
Berbrecher Namens Slup bier, einer dom niedern Nitterftamme, 
ein Menſch, ber wegen ber Liebe zu einer Dirne wahnwitzig ge- 
worden und feinen Vater erfchlagen Hatte, fonft ein milder Menſch 
in Augenbliden, wenn ihn der Wahnfinn verließ. Es war furz 
vor ber Zeit, wo id im Gemeinfhaft mit den Männern — id) 
kann fagen mit den Helden — von Zion" unter Henfershänden 
enden follte. Der Wärter des Gefängniffes erfannte in mir dem 
Sohn feines früheren Herrn. Mein unausipredlices Elend, bie 
"gewaltige Schmach, das ſchimpfliche Ende, welches meiner harrte, 
rührten ihn. Wir, entwwarfen Hunderte von Plänen zur Flucht; 


64 


aber jedem ftellten fi Hinderniffe in ben Weg. Mich machte 
die Tobesangft, nit die vor dem Tode, wohl aber bie vor 
ſchimpflicher Erniebrigung befinnungslos. Ich wollte ſchon ver- 
zweifeln und mir den Tod geben, mit meinen eigenen Ketten 
mic, erwürgen; ba Half Gott, als feine menjchlidje Nettung zu 
Hoffen war. Drei Tage vor dem zur Hinrichtung beftimmten 
tehrte Slup's Wahnfinn wieder; er tobte und rafte fürdterlicher, 
als je, ſchlug fi) die Feſſeln um das Haupt, die Berwundung 
und fein innerer Kampf enbigten fein Leben. Er ſtarb. Gein 
Antlig war gräßlich entftellt. „Uns ift geholfen I“ fagte ber Wächter, 
der Abends Lam, als ih ihm dem Trauerborfall meldete. Er 
entftellte durch einige Hiebe noch mehr Stup’s bärtiges Geſicht; 
ih mußte dem Todten meine Kleidung geben und dafür feine 
anziehen, ih mußte Tracht und Betragen des Wahnfiunigen au- 
nehmen, und Letzteres gelang auch meiner aufgeregten, zerrütteten 
Seele. Zwei Tage und zwei Nächte mußte ich “bei der Leiche 
allein ausharren; denn ber Wächter hielt es fir gerathen, feine 
Meldung von dem Ableben des falſchen Cedtidh zu machen. Es 
folte heißen, ber Ritter habe fid) erft zwölf ober vier und zwanzig 
Stunden vor der Hinrichtung entleibt. — Der Tag kam — bie 
Thüren vaffelten — bie Blutrichter traten ein. — Ich bebte und 
sitterte vor Entdedung — id; Tauerte mid in eine Ede. — Sie 
ſchleiften den Leichnam hinaus. Immer noch quälte mih namen- 
loſe Angft; denn leicht war es möglich, daß der Betrug an irgend 
einem Merkmal der Leiche entdeckt werden konnte. — Erſt Nachts 
tam der Wächter und erzählte mir, wie Alles wohlgelungen fei, 
und wie fie Slup's Haupt über dem altfläbter Briüdenthurme 
aufgeftedt. — Es durcriefelte mich todeskalt, als ich hörte, welch 
ein ſchmachvolles Los mir zu Theil geworden. — Keinem Ie- 
benden Wefen, aufer dem Wächter, dem eigene Lebensgefahr 
Schweigen gebot, durfte ih Kunde von meinem Daſein geben, 
ans Zucht vor Entdedung und ſicherer Todesſtrafe, welde mir 


. 


meine wuthſchnaubenden Feinde gewiß nicht erloffen haben würden. 
Zudem wußte id nicht, wo mein Bruder, wo bie freunde und 
Männer des Bundes hiugelommen. So Iehte ich als ein Tobter 
in grauenvoller Einfamteit. Zehn ober zwölf Jahre darauf flarh 
mein treuer Schliefer und nahm fein Geheimniß mit in’s Grab. 
Für feinen Nachfolger, dem id; nicht trauen durfte, mußte ich, 
wie für Jedermann, der noch Kunde von meinem Dafein hatte, 
ber wahnfiunige Slup fein. Ich ahmte alfo dem Irrſinn des 
Getöbteten nad, und fo kam es, baß er, verbunden mit meinem 
eigenen Sram und Schmerz und der Verzweiflung, mich endlich 
in graßlichen Momenten wirklich beſchlich. — Wenn ich wieder 
ruhiger wurde, dann zitterte ih immer, daß ich mich wohl in 
der Naferei vielleicht möchte verrathen haben, und dies peitichte 
uud peinigte meine Einbildungskraft zu neuer Verzweiflung auf. 
Gott Lob! es geſchah nicht, und Niemand weiß mein Geheimniß 
als Du nnd die Mauerſchwalbe, die eiumal am meinem Fenſter 
oben faß, deren Gefang zu mir Hernieberbrang, und ber ich 
ſchwãrmeriſch mein Leiden Hagte und ihr Botſchaft gab für Euch.“ 

„Gott if geoß, und wunderbar find feine Fügungen !" ſprach 
Bratislav mit Erhebung; „fein Arm, der ums zerſchmettert und 
dennoch erhalten, wird uns wieder erheben” — — 

Am folgenden Morgen fritten fie zum Werke der Befrei- 
ung. Boleslav Hatte von feinen Feſſeln, welche fi im Laufe 
der Jahre mehrmal entzweigerieben Hatten, einzefne Ringe aufe 
bewahrt, welche er gerade gebogen und zu Stemmeilen verar- 
beitet hatte. Eins bavon hatte er an dem Steine, worauf er 
faß, zur Meile gebildet. Durch diefe gelang es ihm nach langer, 
wechſelſeitiger Anftrengung, die Ketten am Vratislav's Händen 
durchzuſägen. Man bog bie Handſchelle fo, daß er, menn ber 
Wächter kam, mit ber Hand nur Bineinzufahren brauchte, um den 
Schein zu haben, als ſei er mod; feft angeſchlofſen. Da dieſes 
bewerfftelligt war, ſchritten beide gu ber Geitenwand bes Ger 

Herloßfohn: Der legte Taborit. Ir 5 


) 
€ 
9 


fünguiffes unter eine Deffwumg, welqhe wie ein Scherufkin ema- 
yerfüßkte, un weher ans der Göhe zuweilen eim matter Pidge- 
Prahl fi. Hier lchate fi Deicklen ax die Wand; fein Gelper 
Kirg anf feine Schnitern und fdrwang fi von da milk feiner 
Arme Kraft auf einen fdymalen Munerneriprung Ben da er» 
Trike ex cin Meines, vergiterten Scafer, weißes fein Fit bare 
einen i der Seite gegem. 
den Girfägraben Sim führte. Es geft 


Harrten einige Toge, um den Schüͤcher ſorglos zu machen. 
Endfih in einer Nacht, wo es dranfen fürmte nud tobte, 
daß das Geräufc des Orkaus bis zu den Ohren der Gefangene 
hinab erfehaffte, wurde bie Fincht beſchloffen. Barcal hatte ſich 
entfernt, nachdem er den Gefangenen ihre Ayımg gebracht. Sie 
harrten eine Zeit lang, bis fie vermntheten, Mitternacht une 
vorüber fein. Vratislav warf fi Abſchied nehmend an die Brut 
feines Vaters und flehte ihn rührend an, den Verſuch mit ihm 
zu wagen; Boleslav aber wies dieſes ernft zurüd, indem ex 
fagte: „Werben wir Beide entdedt, fo find wir Beide verloren. 
Mißlingt es Dir, fo lebe ih noch mit dem Gedanken ber Er- 
rettung. Zudem kann nur Giner über die Schulter des Andern 
emportlimmen, um fi höher zu ſchwingen, und ben Andern 
nicht nachziehen; deun der Manervorfprung ift kanm einen Finger 
breit und gibt feinen Halt, ba Du Did anflemmen und mit 


67 


Hilfe der Strohſeile mic, nachziehen könnteſt. eh’ mit Gott, 
mein Sohn! — Kurz war unfer Wiederfinden, raſch lömmt das 
Scheiben; aber das Leben gibt uns noch eine Spanne Friſt, und 
in ihr wollen wir das Uebrige vollenden.” 

Er lehnte fi nach dieſen Worten an die Wand und bot 
dem Sohne die Schultern dar, um baramfzufleigen. Bratielan 
wand fi die Steohfeile um Kopf und Hals, nahm eines der 
Eifen, das längfle, wiſchen die Zähne, fhmwang ſich über den 
Rüden des Vaters auf deſſen Achſeln, Momm höher empor und 
erreichte das Gitter. „Leb' wohl, Vater!“ rief er leife hinab, 
indem er bie Eifenftangen heranshob und fich durch die ſchmale 
Deffuung drängte. „Gott fegne Did, mein: Sohn!“ antwortete 
bebend ber Vater. 

Vratislav hielt mit der rechten Hand das Gitter und klam ⸗ 
merte fi mit der zweiten, indem er auf ber fenfterbrüftung 
faß, an biefefbe an, ſchwang fi dam hinaus, indem er ſich noch 
immer fefthielt, um bie Tiefe des Ganges zu prüfen und vielleicht 
nit in einen Abgrund hinabzuſtürzen. Geine Füße erreichten 
ben Boden; er fügte das Gitter forgfältig wieder in bie Fenſter - 
Inde und ſchritt vorwärts. Cr befand fi im einem engen, lan- 
gen Gange. Weit vorn erhielt diefer durch ein Fenſter ſparſames 
Licht. Im diefer Richtung ſchritt er leife vorwärts, gelangte an 
die vergitterte Oeffnung und warf, ehe er bie Eiſenſtäbe zu bres 
hen begann, fein Strohfeil, an deſſen Ende er ber Schwere 
wegen das Eiſen befeftigte, hinaus; denn die engen Zwiſchenräume 
des Gitters geftatteten ihm nicht hinabzuſchauen. Das Eiſen 
fand feinen Grund, wie er fühlte; das Seil war folglich zu 
kurz. Er tappte weiter vorwärts im Gange und fuchte an ber 
Hinten Seite. Hier fand er eine Oeffnung, geräumig genug, um 
durchzuſchlüpfen; nur eine einzige Eifenflange verſchloß fi. Sie 
mußte er biegen ober brechen. Mit Hilfe des Eifens und feiner 
Arme Kraft, welde die Angft und die Verzweiflung ſtählte, gelang 

. ® oo. 


68 


ihm das Erſte. Er kroch durch dem kuappen Raum unb am fo 
in einen langen Nebengang eine ſchmale Treppe Hinauf. Da 
vanfhte piögfid ein Ieichter Fußtritt um bie Ede, Sicht brach 
hervor, und Beta fland vor ihm. 

„Jeſus Chriſtus !“ Meeifchte fie, und ber Schrecken bämpfte 
ihren Laut. Sie lehnte fi bebeud an die Wanb und atäumete 
tief auf. „Herr Ritter — Herr Ritter!“ fragte fie den biafien, 
gitternden Mann, „wie kommt Ihr hierher?“ 

„Willſt Du mich verrathen, Vita?“ antwortete Bratislav; 
„was Hab’ ich Dir zu Leid gethan, daß Du mein Elend wollen 
Lonnteft 2 

"Id ?“ fiel fie ein — „ih? ich gewiß nit! — Ich habe 
ja das Fräulein von Zedwic und noch eine andere Dame, ein 
ſchönes, blafjes Fräulein, von Euch gegrüßt; ad! die Letztere 
weinte entfeglich, als ich die traurige Runde bradte. — her 
Ihr wollt entfliehen? Ach, bas ann uns Alle in’s Elend für- 
zen! Wenn mein Vater käme!“ 

„Er wird nicht kommen,“ warf Vratielav ein, „wenn Du 
ihm nicht rufft und mir Beſcheid gibfl. Du erſchienſt mir ein 
Holder, fchöner Engel, als ich im diefe Macht Hinabftieg; fei mir 
num auch ein milder Rettungsengel, wo ich zum Lichte der frei» 
heit firebe. Will es denn Dein milbes Herz, daß ih fo jung 
noch vermodern foll in ewiger Gefangenfchaft, da unten in bü- 
flerer Kluft? 

„Ach, ich gewiß nicht!“ wiberfprad fie; „aber wenn Ihr 
entdedt würdet, wenn jet ber Bater kame! Er Hat mic Ber- 
untergeſchiat — id) foll ein Schloß prüfen, ob er’s auch richtig 
zugeſchloſſen. Und da erblick id; Euch plöglih ohne Banden — 
benft Euch meinen Schreden! Wie feid Ihr aber los, wie ſeid 
Ihr fortgelommen 7 

„Laß das, mein Kind!“ bat und drängte Bratislav; „ſoll 
id) Senn gefangen bleiben umb noch tiefer eimgeferfert werben? 


6 


Stiehl mir die Freiheit nicht, die mich fon an Einem Arme 
erfaßt Hat! Zeig mir den Meg, wohin ich mich werben foß, um 
ficher zu entfommen. Mein danfbares Herz bleibt avig bei Die 
zurüd, und lohnen will id Dir dexeink wie Einer, dem Du 
fein höchttes Gut, dem Du Alles gerettet.” 

Sie fann eine Weile nad; dann fagte fie: „So kann «6 
vielleicht gehen — folgt mir — es find drei Stufen, durch eben 
ſo viel Gänge hinab. Ich geleite End, um ums nicht zw ver⸗ 

“ zathen, faffe ich die Lampe Hier im der Ede Rehen — ich geleite 
Euch ‘an ber Hand.” 

“ Er ließ fi von ihr führen. Sie fliegen an achtzig ver 
fallene Stufen über Moder und Gemäuer hinab und gelangten 
an eine Thüre. „Hier,“ fagte fle jegt, „iR der einzige Ausweg, 
IH Habe feinen Schläffel zu dieſer Pforte, die nach dem Hirſch- 
gwaben führt. Ihr Habt kräftige Arme; vielleicht konnt Ihr fie, 
da ihr Schloß nur einen Riegel hat, aus ben Angeln heben. 
Berfucht eo; eime andre Hilfe weiß ich nicht. — Ih muß fort; 
fonß werden wir entdedt. — Bleib’ id gu Tange, argmöhnt ber 
Bater einen Unſall und fucht mich vieleicht. — Helit End, Herz 
Nitter! Einen andern Ausweg gibt es nicht. — Bercathet mic 
aber nicht — ich wäre grenzenlos unglädtih! — Ich Habe nichts 
gefehen — ich weiß; nichts von End.“ 

„Sie mögen mir die Zunge aus dem Halfe reißen,” fagte 
Bratislan, indem er ihre Hand brüdte, „bevor id; Deinen Namen 
nenne! Habe Dank, Holder Engel, eble Retterin! Möge der Him- 
mel Die) fegnen für Deine geheime Wohlthat 1" 

Er tappte an ber Thüre. Sie huſchte fact die Stufen 
wieder hinauf. Er rüttelte umb arbeitete lange, baß ihm ber 
Schweiß von der Stimme lief; denn ber Roft Hatte die Angeln 
feſt verbunden. Endlich gelang es ihm, die ſchwere, eiferne Thüre 
zu heben; der Riegel im Schloſſe dog fi — und er ſtand im 
Freien. — Draußen frmte es, dichter Regen rauſchte herunicder, 


70 


der Bad) im Graben ſchäumte laut; fein menſchliches Ohr konute 
fein Geräuf gehört haben. Er lehnte die Thüre wieder am 
und Komm ben fteifen Abhang des Grabens Hinab, watete durch 
dem angefwollenen Bad und erreichte bie jenfeitige Höhe. Einen 
ſcheuen Bli warf er auf den Thurm zurüd, wo fein Bater ſaß. 
Er konnte ihm feinen Laut zurufen, der ihm feine Befreiung 
anzeigte. — Er erftieg die Mauer, welche auf biefer Seite ben - 
Hirfchgraben umfaßte, und ba ber jenſeits liegende Garten zu 
tief war, um bimabzufpringen, fo flemmte er fein Eiſen zwiſchen 
zwei oben auffiegende Steinplatten, wand eim Ende des Stroh ⸗ 
feiles darum und Tieß fi am bem übrigen herab. Scheu ſchlich 
er duch den Schloßgarten, überftieg die jenfeitige Mauer und 
gelangte auf bie Baſtion bei dem Sandthore, weldes damals 
zur Ehre Karls IV., des Erbauers der Prager Feſtungewerke, 
auch Karlsthor Hieß. Hier galt es, fiber die mehr als fünfzig 
Fuß Hohe Ningmauer binabzugelangen. Er lief am ber Seue 
Bin, bis er an eine ſcharfe Ede gelangte. Diefe umllammerte 
er mit Armen und Beinen und glitt fo an ihr, jeden Angenblic 
gewärtig, die Kraft feiner Arme, welde er krampfhaft auftrengte, 
lonne ihm verlaffen, bie ſchwindliche Höhe hinab. 

Unten erſchöpft und ermübet angelangt, raſtete er eine Weile 
im feuchten Grafe; dann brach er auf nach den Fels ⸗ und Berg - 
ſqhiuchten der Sarta. — 


5 


Beta brachte eine fchlaflofe Nat zu. Sie konnte, als fie 
in ihr Zimmer zurüdgelehrt, den Blick des Waters nicht ertragen. 
immer befürditete fie, er würbe im ihrem Autlitz den vollbrachten 
Berrath an feiner Pflicht gewahren. „Und im Grunde,“ fagte fie 


71 


zu fi, „hab' ich doch nichts Boſes gethan; id habe dem armen, 
Heben Nitter befreit, ber weder geranbt noch gemordet hat. Ex 
iſt gewiß eim ehrliher Menſch. Daß er gegen ben König und 
feinen Hof gefehlt, geht mid; nichts an; bavom fleht aud nichts 
in ber Bibel. Auf die Verbrechen der großen Herren verfiche 
ih mich nit, und jegt ann es ihnen gleich fein, ob er ba 
unten lebendig vermobert ober glüdlih das Weite ſucht. Wie 
berlommen wirb er doch nicht; alſo brauden fie dor ihm auch 
nicht in Furcht zu fein.“ 

Trotz dieſer Selbſtbeſchwichtigung quälten fie in den Mo- 
menten, wo ber mübe Körper entſchlummerte, böfe, ahnungs - 
volle Träume Bald fah fie dem Ritter eine weite Landfiraße 
eilend, verfolgen und ihren Vater hinter ihm ber; baum wieder 
war er gefangen, neuerdiugs in Banden, umb neben ihm ſtaud 
fie, gleichfalls gefeffellt und zum Tode verurtheilt. Schon ſchwaug 
ber Genfer da8 Schwert — ſid ſchrie laut anf. Da fand fie 
fi) plögli bei: Bratislav, frei mit ihm dor einer Hütte im 
fhönen Thale. Sie Iniete wor ihm, hatte ihr Haupt in feinen 
Schoß gelegt, und er fireichelte ihr mit warmer Hanb bie Loden 
und Wangen, und es durchwallte fie feltfam und wie mit nie 
gefäßlter Gut. — 

Als fe abgeſpannt erwachte und ihr Gebet knieend vor 
dem Crucifix verrichtete, pochte ihr das Herz doc flärker als 
fonft, und die innere Stimme fagte thr: „Du bift eim unge 
borfames Kind; Di betrügft den Bater, Du lanuſt ihn dadurch 
in Roth und Strafe gebracht Haben.“ — Aber fie flehte inbrünftig 
zum Heiland, baf er Miles wohl gelingen Laffe, und entichulbigte 
ihre Hilfleiſtung vor ihm mit ben Grunbfägen, daß man auf 
den Feinden wohlthun müffe, daß fie nur aus Mitleid gehandelt, 
und daß das Mitleid eines von den guten Werken fei, welche 
die Schrift gebietet. — Aber des Vaters Bid Tonnte fie doch 
nit ertragen, und wid ihm aus. 


72 


Barcal ging denfelben Abend felbft hinab mit der Atzung 
für die Gefangenen. — Als er bei Boleslav, dem vermeintlichen 
Slup eintrat, begann dieſer fein Wiegenlied: 


„Ei, ei, ſchlaf, mein Söhnden, ein!“ 


38 fingen und geberbete fid) wie in den fällen Momenten feines 
Bahnfinus. — Der feuchte Dunft in biefer Höhle bildete einem 
falben Kreis um Barcals Lampe und ließ ihm die Gegenftänbe 
nicht genau erkennen. J 

mdier, Ritter,“ ſagte er, indem er Krug, Brot und noch 
eine Schüffel auf ben Boden neben der Bant fellte, auf welche 
Boleslav mit Fleiß viel Stroh geworfen Hatte, „habt Ihr etwas 
Fleifh. Es wird Cuch wohlthun. Die magere Koft könnt' Eurem 
verwöhnten Magen fcleht bekommen. Müßt Euch erft baram 
gewöhnen; ich gebe e8 gern.“ 

„St! St! St!“ fifpelte Boleblav; „er fchläft, und auch 
mein Kind ſchlaft. Ich Habe fie Beide eingefungen; fte Haben 
Tag und Nacht geweint. Gtör fie nicht im ihrer Ruhe. Sie 
haben ja kein Glüd und feine Wohlthat als ben Schlaf.” 

„Schon gut, Du Thor!” brummte leiſe Barcal; „gib ihm 
das, wenn er erwacht, und verzehr' es nicht ſelbſt.“ 

Er drüdte fih fachte nad biefen Worten aus der Thüre 
und ſchloß mit Vorſicht, um kein Geräufh zu machen, das Ge- 
füngniß. 

Als er fort wär, fiel Boleslav auf die Knie und rief mit 
gefalteten Händen: „Hab' Dan, Wllerbarmer, der Du es ge 
Uingen Hefe! Sie ahnen nichts. Jetzt hat er einen Vorſprung, 
und bie Angft mwälzt fi von meiner Seele. Er if frei — es 
muß gelingen! Die Hoffnung befömmt Flügel wie ein junger 
Adler.” 

Er entichlief getröftet und mit Danfgebeten. — 


73 


Bkia zitterte, als der Vater ruhig zurüdtem. Sollte es 
Berftellung fein? dachte fie; doch nein; denn bei ſolchem @reige 
niſſe entftand ftetd ein Aufruhr im Hauſe, und Gpäher wurden 
dem flüchtigen nachgeſendet. Auch mußte fogleich dem Vogt und 
dem Burggrafen, fobald einer der Gefangenen entflohen mar 
oder nur den Verſuch zur Entweichung gemacht hatte, Bericht 
erflattet werden. — 

Sie ängftigte fi demungeachtet und fandte in ber Stille 
dem Ritter heiße Gebete und Segenswünfde zum Gelingen feines 
Blanes nad. — 

Erſt am folgenden Tage bemerkte ein anderer Schließer, 
der die Abtheilung beauffichtigte, welche ans demfelben Geſchofſe 
nad dem Schloſſe Hinführte, bie zerbrochenen Eiſenſtäbe in der 
Fenfteröffnung. — Er machte Lärm — man befihtigte den Schaden, 
ber Aufſeher und die Bögte Tiefen herbei — man fand das zmeite 
Gitter erbroden — verfolgte fo die Spur und gelangte bi in 
Slup's Gefängniß hinab. — Diefer wurde befragt; aber er gab 
in feiner wahnfinnigen Weiſe feine befriedigende Antwort. Er 
flehte mit rührender Stimme, feinen ſchlummernden Knaben nicht 
zu weden, und wußte gar nicht mehr, daf ein Ritter zugleich 
mit ihm im Kerker geweſen war. Geine Ungurechnungsfähigkeit 
entſchuldigte ihn. Man fah ein, baß der Ritter felbft buch 
Muth und übermenfhlige Anftrengung ohne Hilfeleiſtung des 
unfähigen Berrädten ſich bie freiheit gegeben. — Der Vorfall 
wurde bem Oberfiburggrafen gemeldet, welcher alsbald Häſcher 
zu Pferde nach allen Richtungen ausſchicken lieh. 

Barcal kam mit einem Verweiſe davon. Demungeachtet 
wehllagte er, als er mit feiner Tochter allein war, über ein 
Ereigniß, welches ihn während feiner langjährigen Dienftzeit noch 
nicht betroffen Hatte. Bla, die innerlich über den glüdlichen 
Erfolg ihrer Hilffeiftung jubelte, tröſtete ihn. „Im Grunde,“ 
fagte er berußigter, „iſt es mir ganz gleichgültig, daß ber arme 


74 


Nitter entflohen ift; denn was Tann ich für freude daran haben, 
wenn er Iebenslänglih da unten in der faulen Krötenhöhle fügt 
und langfam zu Tode gemartert wird? — Aber auf meine Ehre 
Tann es nachtheiligen Einfluß Haben, meine Brauchbarleit und 
meinen Gifer verdächtigen, mich um das Brot bringen, unb ich 
habe zwar menfchlid, aber immer treu und veblih meine Pflicht 
gethan.“ 

„Weißt Du was, Bater!“ rieth Beta; „ſchon oft Haft Dir 
beim Herrn Auffeher Beichwerde geführt über die verfallenen 
Gänge und Treppen und darüber, daß nichts gebaut und wieder- 
hergeftellt wird, Geh’ zum Odriſtburggrafen und fiel’ ihm das 
vor; das muß Dich rechtfertigen.“ 

„3a,“ fagte er neubelebt, „das ift ein guter Einfall; das 
muß mir helfen. Er foll Alles erfahren. Und wenn die Ge- 
fangenen fammt und fonders entiprungen wären, fo if nur bie 
Sorgiofigfeit der Hohen Herren bdavan ſchuld, die da glauben, 
wir armen Teufel Lönmten die Verbrecher hüten und feſthalten 
ohne Mauern und Ketten. — Morgen in ber frühe geh’ ich 
bin. — Und jet meinetwegen wär’ mir's ganz recht, wenn ber 
arme Ritter entläme; denn bleich und matt fah er fo aus, als 
Tonnte er bier nicht lange leben. Es ift eine Sünde eigentlich, 
fo ein junges Leben umzubringen; denn im Grunde hat er bad, 
wie ich höre, gar fein fo abſcheuliches Verbrechen begangen. Er 
iſt ſicherlich verführt worden zur Verſchwörung gegen ben König; 
deun er hat ihm auch in ber Gefcichte mit dem Weine das 
Leben reiten wollen. Da fleden ältere und größere Männer 
dahinter, und ber jüngfte da mußte es ausbaden; denn kömmt 
die Gefahr, fo ziehen bie alten Schlaulöpfe zuerſt die Hand 
zurück“ — 

Vratislav wandte ſich auf feiner Flucht rechts über Troja 
Bin, bejdrieb einen Kreis über Dörfer, welche entfernt von ber 
Straße lagen, und ſchlug mittagswärts den Weg gegen Böhmiſch- 


76 


Brod ein. Er wollte daſelbſt auf dem Schlachtfeide die Statte 
fachen, wo feine Mutter ruhte und die beiden Profope, An ihrem 
Grabhügel wollte er beten und um Schutz und Beiftand fliehen. 
Der Aſche ber Mutter wollte er fagen, mie ber Water buch 
langes Elend und große Schmach Alles gebüßt Habe, und mie 
fein Herz von Reue erfült fei. — Dann gedachte er, ſich von 
da gegen Weften nach Horajdovic zu wenden, um ben Oheim 
aufzuſuchen und von ihm Rath und Beiſtand fich zu holen. — 
Er raftete am britten Tage in einem Gehölze nicht fern von 
der Landfraße, welhe gegen Kolin führte. — Ein Trupp Reiter 
30g unten vorüber; fie fangen einfiimmig ein Kriegslied. Die 
Abendfonne brannte in ihren Harniſchen und Schwertern. Es 
ergriff ihm die Seele mit Schwermuth und Kriegsluſt, ale er 
den rauhen, feurigen, vollſtimmigen Gefang feiner Landes- und 
Glaubensbrũder vernahm. 

Als es dämmerte, ſchlich er aus dem Gebüfche und verfolgte 
die Landſtraße. 

Ein Bauer begegnete ihm. 

„Sind Dir, Landsmann,” fragte er, „nicht unterwegs Reiter 
anfgeftoßen? — Ich biieb zurüd und babe ihre Spur verloren. 
Wohin zogen fiep“ 

„Nach Kolin Hinab,“ beichied der Baner; „bas if ſchon 
heut das fünfte Fähnlein. Der König ift fon voraus. Ihr 
müßt fie bald ereilen, wenn ner Knecht nicht fern mit den 
Roffen if. — Es gibt wieber Krieg; nicht wahr? — Ich habe 
es fhon dor act Zagen meiner alten Maka gefagt, ale id 
Abends den fenrigen Streif am Himmel ſah. Es if doch ein 
Iammer! Wenn nur die Truppen fern von uns bleiben! 
Bir in diefer Gegend Haben genug ausgeflanden nnd find viel- 
fach ansgefogen worden. Alſo der König Matthias, vom Papfte 
aufgehetzt, zieht gegen unfern Georg, feinen Schwiegervater, zu 
Felde? IMs mit jo? — Es iſt doch eine Sünde von dem 


76 


Matthias, der jetzt König geworden iſt! Hat ihn doch Georg, 
als ex im Prag gefangen faß, jo mild und gut behandelt umd 
ihm die eigene Tochter gegeben, bevor er noch wußte, daß er 
ein König- werben würde! Nun, Gott fegne uns uud den Kelch, 
den ums bie Ungarn gern nehmen wollten I“ 

n2eb’ wohl und hab’. Dank!“ verſetzte Vratislav; „ich muß 
meinem Knecht folgen, um noch dor Einbruch der Nacht ben 
Lagerplag umb unfer Fähnlein zu erreichen.“ 

Er ſchritt raſch vorwärts, „Alfo Krieg, Krieg,” rief er 
lebhaſt, „Krieg gegen Ungarn, das uns mit ber Curie im Bunde 
die letzten Trümmer unfers Glaubenstempels ftärzen wii! Da 
muß ſich jeder Arm bewaffnen; nicht für ben König, nicht für 
fein Regiment, aber für das Wenige, was wir durch ihm mod 
haben. — König Georg, erlaube Deinem Gefangenen unter Dei 
nen Fahnen zu fehten! &o ni’ ich bod; dem Vaterlande und 
Dir mehr, als wenn id} ewig da umten fige in ber fenchten 
Höhle bei ſcheußlichem Gewurm und in grambringender Cin- 
famteit.“ 

Er eilte raſch auf der Straße gen Plaüan und Kollin 


Es war Mitternacht; nur matt leuchteten die Sterne am 
Himmel. Bor dem Haufe derer don Zedwic fand Gutol ge- 
mwappnet und geräftet; in ber ferne Bielt ein Knecht zwei Roſſe. 

„Lebt wohl!“ ſprach Sutol, fo leiſe als es ihm möglich 
war, gegen das Haus; „ich bin ein alter Krieger, aber ich kann 
nicht Abſchied nehmen von Eud. Der Jammer in diefem Haufe 
greift mir an's Herz, wies noch kein Tod gethan, deren ich doch 
fon fo viel erlebt. Das hab’ id) davon, daß id in dem Frie - 
denoſtand getreten bin, in den häuslichen Kreis der Menfchen! 
Draußen in ben Schlachten rührte mich nichts, und Hier muß 
ih das Alles erleben! — Alſo ich ſcheide ohne Abſchied. Warum 
fol ih mid von Euch Hin- und Herzerren laſſen und auf meine 


77 


alten Tage weich werden? Dummes Zeng, ſchlechter Brauch für 
mich! — Die Milada dauert mich fehr; fie muß den Bitter 
ungemein liebhaben. — Nun, fie ift ein ſchwaches Geſchöpf, ganz 
anders, als uufer Einer! — Wenm er nicht bald frei ift, ſtirbt 
fie — IH Hätte gar nicht geglaubt, daß einen Meuſchen die 
Liebe, wie fie e8 nennen, fo zu Grande richten Tann. — Nun 
freilich! ich bin ein alter Burſche. ein’ Huffitifcher Kriegokuecht, 
ber allerlei verſucht hat, und ich liebe meinen vormaligen Herrn, 
den Bratislan, doch auch fehr. — Alfo — alle Menfrgen haben 
Wet in ihrer Art, und nur wenn fie uns reizen unb wild 
maden — ſchlagen wir fie auf ben Schädel, nur — weil fie 
es uns auch thun. — Alfo Iebt wohl! Gnte Naht! — Der 
Bogt Franta wirb End; morgen fagen, wohin ic; gegangen bin 
und warum. — Ih hab's fo anf der Bruft Liegen und muß 
es Euch noch erzäßfen, oder eigentlich den Mauern da — umb 
ben finftern Feuſtern, bie wie blind ausſehen. — 'S ift eine 
Schande, daß ich wie ein Dieb gehe! — Aber wenn ich's ben 
Fräulein fage, da fangen fie an zu weinen und fpreden: Der 
Nitter im Thurme iſt num gar ohme Hilfe, wenn Di gehft! und 
gen Thränen kann ich nicht mit dem Schwerte breinfchlagen, fo 
wehe fie mir auch thun. — Ih muß fort — zum König Georg, 
in den Krieg! Wie tönnte ich auch Hier in Ruhe bleiben, da es 
Krieg gibt! denn es ift gar fein Leben ohne Krieg. Der Krieg 
iſt der Tag, das Wachen, der Friede aber die Macht, die Ruhe! 
Wer fein fauler Hund if, ber verichläft nicht den Tag! — Der 
Matthias von Ungarn zieht gegen uns zu Felde, vom Papſt 
onfgehegt; man will uns ben Kelch nehmen und bie Huffiten 
mit Füßen: treten. Nun, ba find mir auch noch ba und haben 
die alten Käufe und noch junge dazu. Und an ben Bratislan, 
meinen früheren Herrn, den? id. Der Teufel foll mic frefien 
ober braten wie den Gaſtwirth Michalel, der fo jhön am Galgen 
Bing, als wenn er mir feine doppelte Kreide vermachen wollte — 


78 


nur daß er nicht ſprechen konnte — alfo ber Tenfel foll mid; 
braten, wie er ſchon den Guardian, den fein füher Abendmahle- 
trant blan gefärbt hat. wie eine Beule, gebraten Bat, wenn ich 
dem König nicht wieder einen Dienft erweiſe, weshalb er mir 
dankbar fein und ben Ritter VBratislav freilafien und begnabigen 
muß! Der Ritter hat's immer mit mir gutgemeint und hat gar 
zu viel Unglüd, weshalb ich ihn lieben muß. — Und im Grunbe 
hätte ich's am feiner Stelle nicht anders gemacht, ben Deutſchen 
gehauen und gegen bie Pfaffen mid verſchworen. Gin Beweis 
für das Letztere ift da: fie Haben ben König vergiften wollen. — 
Und wer ſich gegen bie verſchwört, den muß man nicht beftrafen. 
Nein, nein! — Der König muß ihn freigeben — ich Teif’ ihm 
einen Dienft und bin bald wieder Bier mit einer Schrift, worin 
Rest, daß ber von Branik frei if. — Die Ungarn aber wollen 
wir niederbrefchen, daß ihnen bie Luft nah böhmiſchen Mädchen 
und böhmifchen Bier vergeht, und dem Herm Gchwiegerfohn 
des Königs einen Begriff geben, was für Kinder ihm fein böh- 
miſches, caliztinifhes Weib gebären wird, bem Papiften und 
Papiſtenknechte. 'S if eine Schande! aber mir gerade recht; 
es gibt etwas zu ſchlagen, und meine Zweige ſchlagen wieber 
aus, das heißt: meine Jugendzeit kömmt. — Ih Thor! ba 
ſprech ich für mich felof, als Hätt id einen Rauſch, wie ich 
es barin zumeilen pflege. Und ich wollte hier num einmal gute 
Nacht und Lebewohl fagen, weil ich es drinnen nicht Konnte und 
mir fonft fo etwas wie bie Galle, wenn ih fie nnterbrüden 
muß, auf dem Herzen liegen bleibt. — Alſo — fortgegangen — 
Abſchied genommen — geſchlagen — geholfen — und glücklich 
wiedergelommen! Das Hoff’ ich zu Gott, auf welden ein braver 
Krieger allein baut und auf fein Schwert noch nebenbei. — 
Gute Nacht! Weint nicht zu fehr, Ihr Fräulein: ih bring’ Euch 
"ja ben Junker wieder I“ 


79 


Der Mühne und feurige Mönig Matthias Corvinns führte 
in eigener Perfon, als Bauer verffeidet, den Vortrab feines 
‚Heeres durch die Engpäffe ber böhmifh-mähriihen Grenze. Lande 
Iente nnd einzelne Männer der Vorhut redete er Fed an; fie 
glaubten, er diene einer Schaar mährifer Hilfevölfer, welde 
zum Heere des Königs Georg ſtoßen wollten, zum Wegweiſer. 
&o gelangte er, ohme aufgehalten zu werden, bie in die Nähe 
von Nuttenberg. Hier lagerte er fi im Walde unb wartete 
die Nachhut und feine übrige Mannſchaft ab. Der böhmifhe 
König follte durch einen verwegeuen Handſtreich umzingelt und 
fo ohne Blutvergießen zu einem Vergleiche gezwungen werben; 
denn es war bem edlen Matthias, der nur nothgedrnngen bem 
Qualerein des Cardinal-Legaten Folge feiflete, nit Ernſt mit 
dieſem Feldzuge; er liebte feinen Schwiegervater, der einſt fein 
edler Kertermeifter war, zu fehr, und wollte durch dieſen Feldzug 
nur ein ritterliches Abenteuer, wornach fein feuriges Herz bürftete, 
beftehen. — 

Georg lagerte bei Kolin. — 

Bratislan, dem es nicht gerathfam ſchien, die Heerſtraße 
zu verfolgen, bevor er fi durch eine Verkleidung unfenntlich ger 
macht, bog rechts ab und gedachte fo — felbft wenn man in 
Betreff feiner Perfon Verdacht fhöpfte — von Süden aus zu 
feines Königs Heeresmacht zu floßen. — 

Im einem entlegenen Dorfe gab ihm ein Bauer für feinen 
Anzug einen andern, ſchlechten, zerlumpten. Gr banb fid eim 
Tuch über den Kopf, daß es das eine Auge verbedte und ihm 
unlenntlich machte. So eilte er nad bem Walde von Kutten- 


berg Bin. 


© 


Darin war kriegeriſches Leben, wenn gleich nicht lärmendes; 
denn der König Matthias Hatte ringsum Wachen aufgeftellt, bie 
jeben Verbächtigen, der fein Hierfein dem Feinde verrathen Lönnte, 
fangen und in das Junere des Waldes ſchleppen mußten. Einer 
dieſer Vorpoſten griff unfern Ritter auf. Man hielt ihn für 
einen Späher und ſchleppte ihn nad) dem Walde, 

Unter einem Baum faß der Anführer eimes Fähnleins am 
Tiſche und zahlte den Kriegsknechten den Sold aus. Da Alles 
mãhriſch und ſlovatiſch ſprach, fo glaubte Vratislav unter Greunden 
und Landsleuten zu fein.. 

„Wen bringt Ihr hier?“ fragte der Anführer die Anlom- 
menben barſch; „was fiellt der Burſch vor?“ 

„Er näherte fi ganz Ted unfern Wachen,“ berichtete einer 
der Krieger; „vermuthlih um. zu fpähen.“ 

„Fluch Dir und diefem Wortel“ unterbrach ihu Bratislav 
heftig; „ich komme, um mit dem Schwerte dreinzufchlagen, nicht 
am ein eleud unb verrätherifh Geſchäft zu treiben.” 

„So vwilft Du angeworben werben?“ fragte ber Anführer; 
„will's gern meinen, daß unfers eblen Matthias Kriegerufm und 
ritterfiher Ruf die junge Welt zu feinen Fahnen lockt.“ 

„Matthias?“ rief Bratislav erfhroden — faßte fi aber 
fehnell, indem er bedachte, daß Hier ein offener Widerftand übel 
angebracht fein würde. Er mußte auf Lift finnen. 

„Freilich Matthias!" wiederholte finfter der Anführer; „es 
iR unfer König, welder den böhmiſchen Didföpfen und Kehern 
etwas Refpect vor magyariſchen Hieben beibringen wil. — Alfo 
Du wilft angeworben werden. Wir aber brauchen keine Blinden 
und Ginäugigen; wir brauden Sehende, bie blind in's feuer 
gehen.” 

„Mein Auge ift nur entzündet,“ berichtete Bratislan; „eine 
Hummel hat mich kurz vorher geſtochen, und in's Feuer kanu 
ich auch blind gehen; das will ich Euch beweiſen.“ 


8 


„Gut 1“ verfetgte der Ungar; „Du gefällt mir, bift gut 
gewacfen, Haft feſte Knochen. Hier Haft Du Handgelb! Bier 
Gorbftüde gibt der reiche Ungarntönig jedem Burſchen unter 
dreißig Jahren.“ 

„Ich will Euer Gold nicht,“ entgegnete Vratislav ablehnend; 
„ich fechte nicht um Geld. Gebt mir nur Waffen; nur Waffen 
will ih. So es Bott gefällt, Hol ich mir den Lohn ſelbſt im 
erften Gefete" 

„Brad, Brad!" rief der Anführer umd ſchob die Goldſtüde 
unverfehens in feine eigene Taſche; „das find gute Grumdfäge, 
dergleichen Leute Tann man brauden. — Gebt ihm Waffen und 
ein Roß; er foll ein Reiter werden.“ — 

Man führte Vratislav in den Wald, bewaffnete und be- 
wehrte ihm und ftellte ihm Hierauf wieder dem Anführer vor. Er 
betrachtete ihn mit Wohlgefallen, da ihm der Kriegerſchmuck fo 
wohl fland und er firamm und ficher im Gattel ſaß. 

„Ihr fünf Hier,“ fuhr er fort, „Rifias, Joſeph und Stephan, 
reitet hinaus, gegen das Thal hin; beobachtet bie Landſtraße in 
der Entfernung und fammelt Kundſchaft ein. Wagt Euch aber 
nicht zu weit vor, daß wir nicht vor ber Zeit Auffehen erregen. 
Wir wollen den Böhmen über den Hals kommen, ehe fie fih 
deffen verfehen. — Wenn Die eine Ahnung Hätten, daß wir in 
ihrer Nähe find, und uns plöglich überfielen, bevor noch ber 
Kern des Heeres da iſt — es füme uns theuer zu ſtehen. Im- 
deſſen wollen wir aber fräher kommen und ihnen zum Tanze 
fpielen.“ 

„Hauptmann,“ bat Vratislav, „laß mid mit den Männern 
hier ziehen. Sie follen erkelnen, ob es mir am Muth gebricht. 
Ih brenne vor Begierde, ber Gefahr in's Auge zu fehen.“ 

Mir vet!" verfeßte der Magyar mohlgefällig; „Du Iernft 
fo gleich den Dienfl. Nun reitet in bes Teufels Namen, und 
was Euch aufflößt, ſchleppt herbei! Findet Ihr wo ein Faßlein 

Herloßfohn: Der legte Taborıt. II. 6 


82 


Bier, fo laft’s nicht liegen; das Eine von geſtern ift faft aus- 
gelaufen.” 

Die Reiter, Vratislav im ihrer Mitte, fegten fi in Trab. 
Sie bogen durch ein Thal, welches von zwei einzelnen, rund zu 
laufenden Bergen gebildet wurde, nach ber Landſtraße hin. Ueber 
dem Bufche, der das Thal begrenzte, lag ſie. Sie ritten buch 
das Gehölz immer in einiger Entfernung vom Heerwege hin. — 
Eben wollten fie wieder links nach der Ebene zu, weil fie ein 
Dorf gewahrten, wo fie für den Hauptmann ein Fäßlein Bier 
zu finden hofften; da raufchte es im Gebüfche. 

Rubel“ gebot der Anführer der vier Reiter; „entweber ein 
Hirſch oder ein Späher — haltet hier Hinter der Hedel— Laffen 
wir es näher kommen.“ 

Durch den krummen Waldweg kamen zwei Weiter. Es 
woren Böhmen. Vratislav erfannte fie., Der Vordere trug einen 
Tangen, meißen Mantel und blanken Helm. Der, welcher ihm 
folgte, ſchien ein Befehlshaber zu fein. 

Sie kamen immer näher‘ „Sind fle vor ber Hede,“ gebot 
der ungrifche Anführer mit bafblauter Stimme, „dann drauf, und 
Haut fie gleich nieder, damif.das Geräuſch nicht Mehre Ber- 
beilode und uns verratge." 

Vratislav fuhr entfegt zufammen. Er erkannte ben König 
Georg in dem entftellenden Reitermantel. Schon-jegten die Ungarn 
an, nm hervorzubrehen — es galt raſchen Entſchluß. — Bra- 
tislav brach der Erfte aus dem Gebüfche, fprengte vor den König, 
warf fein Roß herum und ſchrie: Zieh? Dein Schwert, König, 
ich helfe Die! Und im dieſem Augenblide auch hatte fein Schwert- 
ſtreich den erften der ihm anf dem Fuße folgenden Ungarn nieder- 
geftredt, daß er vom Pferde flürzte. Gegen bie andern zwei 
focht er wie ein Rafender; er lähmte den zweiten, vermundete 
den dritten im Geſichte. — Jetzt Hatte ſich auch König Georg 
und fein Begleiter ermannt: fie fprangen dem ‚Erretter in feind- 


83 


licher Tracht bei, zogen die Schwerter, und auch bie übrigen 
drei Magyaren wurden niedergehauen. 

„Wer biſt Du, der mich zu kennen ſcheint?“ fragte der 
König den Züngling, nachdem bie Blutarbeit geendet. — 

„Ein Landsmann, Herr,“ antwortete der Ritter, „ber zu 
Deinem Herre ftoßen wollte, unter die Feinde gerieth, nicht mehr 
entfliehen fonnte, zur Lift feine Zuflucht nahm und die Abfiht 
hatte, bei der erften Gelegenheit zu entweichen, um Dir zu dienen.” 

„Steht der Feind fo nahe? fragte der König erichroden. 

„In jenem Walde, kaum eine Stunde von hier,“ berichtete 
Bratislav, „legt König Matthias mit viertaufend Huſaren.“ 

„Gottes Donner!“ rief Georg; „der kommt fehr früh und 
hätt‘ uns wohl bei Naht und Nebel überfallen.“ — 

„Ich dachte es doch, Herr König,“ bemerkte ber Begleiter 
Georg’s, „daß Ihr Euch zu fühn vorwärts wagt.” 

Bratislav riß fih das umgrifche Feldzeichen vom Halfe und 
ſprach: „Herr und König, vertraue Du mir einen Xheil bes 
‚Heeres zur Anführung — nicht als einem Befehlshaber, fondern 
nur als Wegweifer, und ich geleit' es ungefehen in biefer Nacht 
noch um jenen Wald, fo baf, wenn bie Sonne aufgeht, Mat- 
Yhtas von Deinem Heere umftellt, von feiner Hauptmacht abger 
ſchnitten und fommt feinen Reitern Dein Gefangener ifl. — 

nDer Rath ift nicht ſchlecht, wenn man Dir trauen barf, 
Du trugft einge feindlichen Rod — und Haft mich dod) errettet. 
— Ber bit Du? Sprade und Haltung verrathen feinen ger 
meinen Knecht. Die ‚Stimme klingt mir befannt — id muß 
fie ſchon einmal gehört haben.“ ö 

„Ih bin ein Böhme,“ entgegnete Vratislav treuherzig — 
„Du kannſt mir trauen, mein König. Alles für das Vaterland, 
für den calirtinifgen Glauben und fir Did, o Herr! Dann 
erlaube, Für, das ich noch einmal biefes Zeichen bes Feindes 
an meine Brnft fiede, um fie zu täuſchen. — Heut’. Nacht noch 

: * 


84 


muß es geſchehen. Mau könnte fonft die Leichen Hier finden 
und Verdacht fhöpfen. Auch foll da Heer Matthias’s im An- 
zug fein.“ 

„Hier meine Kette!“ ſprach Georg, indem er fie vom Halſe 
nahm; „gefelle fie zum Feldzeichen des Feindes. Wenn Du mir 
bie Kette wieder zeigft — fo ſei Dir jeder Wunfd gewährt, defien 
Erfüllung in meiner Macht ſteht.“ — 

„Vertrau' Di mir, o Herr!“ 

„Es ſei!“ verjegte der König, „da Du es fo willft uud 
mein Leben dod; Dein Eigenthum iſt; denn warſt Du im Bunde 
mit jenen, welche jegt zu unſern Füßen tobt Bingefivedt find, fo 
war id) verloren, wie Ptichta mein Begleiter. Wir entfernten 
ung zu weit von meinem Bortrab. — No einmal nenn’ mir 
Deinen Namen. 

„Mein Löniglicher Herr,“ entgegnete Bratislan, „erlaß mir 
ihn, bis zu dem Augenblide, wo ih Dir gedient und Du den 
Ungarntönig umzingelt. Gelingt es, uub glaubft Du mir Dant 
zu ſchulden, fo wirft Du ihn leicht behalten; mißlingt e8 aber, 
und bin id ein Verräther, wie id Dir ſeltſam jet erſcheinen 
mußte, jo brauchft Du Dir dann feine Mühe zu geben, ihn zu 
vergeſſen.“ — . 

„Du ſollſt Deinen Willen haben," beſchied der König; „doch 
wär’ es Zeit, fo den ich, zurüctzukehren.“ — 

„Bir können kaum ohne größere Gefahr,“. bemerkte be 
fcheiden des Könige Kämmerling Prichta, „bier länger verweilen, 
Hofeit.“ 

„So folge mir,“ fagte ber König fein Roß wendend, „aben- 
teuerlicher Menſch. Biſt Du ben Böhmen wohlgefinnt und treu, 
fo wird es fi bald ergeben; wo micht, fo lernen fie Einen 
mehr fennen, ber es nicht reblich mit ihnen gemeint. Und bie 
Zahl ift groß, fo daß Eimer mehr oder weniger weiter fein Auf- 
ſehen mat." — 


85 


Sie ritten nad Kolin zu, wo das böhmifche Heereslager 
am Abhange bes Hügels, der fih links von der Straße hin er- 
firegtte, fi) ausbehnte. 

Die Sonne rüftete fich eben zıtm Umtergange, als ber König 
mit feinem Gefolge anfam. 

Sein Erfdeinen . brachte eine Ipute Regfamfeit unter ben 
Kriegern hervor. Scheu folgte ihm Vratislav in einiger Entfer- 
mung. Sept im reife der Gelbhanptfeute ſprach Georg: „Ehrt 
mir da ben jungen Mann in ber fremben Tracht; war er nicht 
— fo hättet Ihr Heut’ feinen König mehr; denn entweder war 
Georg tobt oder gefangen.“ 

Worte des Staunens gingen von Mund zu Mund, bie der 
König den Vorfall erzählte. Jeder pries das Geſchick und den 
edlen Züngling und verlangte feinen Namen zu wiſſen. Keiner 
ante ihn; Bratislav felbft beobachtete ein feftes Stillſchweigen. 

„Nun aber iſts Zeit,” ſprach ber König in feinem Zelte, 
wo feine Hauptleute und Oberanführer zum Kriegsrath verfammelt 
waren; „jener Jüngling dort wird Euch geleiten. — Ihr bredit 
im Halbfreis rechts auf, wie fo vom ber: linken Geite, bie wir 
den Wald umzingelt haben. Treffen die beiden Kreife zufammen, 
fo macht ein Feuer, bamit bie anf jener Seite es gewahren; 
dann folgt das Feldgefchrei und ber allgemeine Angriff.” 

Die Sonne ſank immer tiefer. Sobald fte die rechts hin- 
Saufenden Berge würde in Schatten gelegt Haben, follte aufgebro- 
den werben. — Bratisfav ſchritt durch die Zeltreihen auf und 
ab. Eine Fräftige, wilde Gefalt in riiterlicher Tracht ſtieß ihm 
anf. Es war Gufol. Bratislav fuchte ſich zu verbergen, denn 
er wollte bier durchaus von Niemandem gefaunt fein; aber Su- 
ol hatte ihn trotz der GEntftellung ſchon erfannt. Er lief auf 
ign zu — fahte in am Arme und zog ihn hei‘ Seite über dem 
Schutzgraben hinaus. 

„Beim heiligen Severus!“ ſchwur er, „Ihr ſeid's, Ritter, 





86 


ober ich will mein anderes Auge auch mod verlieren. Heibal 
wie find wir denn Beide, einäugig geworden? Nun ftehen wir 
zwei nur für Einen im Dienfte des Könige. — Wie kommt Ihr 
hierher? Wie wurdet Ihr frei? Zehn Fragen auf einmal, mein 
ebler, werther Herr! — Wie mid Euer Erſcheinen rührt und 
freut! Ih bin faft nah’ am Weinen wie ein altes Mutterchen. 
— Ja, wir waren Ale recht umglüdlich, ale wir weder Euch 
bei Cyrillus, noch dieſen felbft fanden. Kaum wiedergemonnen 
Hatten wir Euch und follten Euch auf fo graufame Art ver- 
Tieren!“ 

Vratislav gab ihm in kurzen Sätzen Beſcheid von dem, 
was feit jener Zeit mit ihm vorgefallen. Nur das Wiederfinden 
des Vaters verſchwieg er. 

„Nun das ift gut,“ jubelte Sufol, „daß wir Euch wieber« 
Haben! Ad! mas meinten die Fräuleins den gampen-Tag — 
das Leben war recht betrübt in dieſem Haufe! Zudem ift Junker 
Niklas auch nicht in ber Stadt — er verweilt vet germ und 
fange auf feinem Schloß bei Satin. Er muß dort etwas 
Heimliches — ic) glaube gar Liebes Haben. — Da ich von der 
Liebe ſpreche — fo fällt mir and bie Liebe des Fräuleins Milada 
zu Eu ein. Beim Donner Gottes, Her! die Thränen, melde 
fie um Euch vergoffen, „find zahllos wie die Sterne am Himmel. 
Sie forſchte Euch auch nad, als Ihr geflohen. — Sieht Euch 
das Fräulein nicht bald wieder — fo flirbt fie, meine ic.“ 

„Sie liebt mich?" mieberholte Bratislav; „dies fromme, 
milde Herz iſt gefhaffen, um Wunden zu heilen. Ich bin wie 
ein Kranker, der einer Pflegerin bedarf.” 

Sutol erzählte nun feinerfeits dem Ritter, wie er mit dem 
Fräulein, ihm zu fuchen, ausgezogen, wie fie feine Spur gefunden 
und wieder verloren, unb wie er enblich die Verräther, welde 
ihn in Melnit gefangen genommen hatten, abgefttaft. 

„Jetzt,“ ſchloß er, „da ich den Jammer ber frauen und 


87 


des alten Ritters Griesgram nicht länger ertragen fonnte, da 
mir felbft fo im Herzen eim leerer (led war, weil ich Euch nicht 
hatte, den ih vor Allen liebe, beſchloß ich) aljo, in den Krieg 
auszuzichen. IH muß dem Könige noch einmal das Leben retten, 
oder ihm fonft einen großen Dienft erweiſen, um für dieſen Preis 
Eure freiheit zu erlangen; benn biefe Tracht und Entftellung 
zeigt mir, daß Ihr ein flüchtiger Gefangener feid.“ 

„Sab Dank, mein Freund,“ war Vratislav's Antwort, 
für Deinen guten, freundlichen Willen! Der König if mir ſchon 
verpflichtet, und fpräd' ich ein Wort, fo wär ich auch ber Be- 
gmadigung ı gewiß; doch noch für einen Anderm bedarf ich feiner 
Gunſt. Darum laß uns, erft mit meiner Hilfe in heutiger Nacht 
duch Lift den Feind vernichten ohne großes Bluwergießen. — 
Ich kenne fein Lager und führ Euch einen fihern Weg in das- 
felbe, wo er uns nicht vermuthen fol.” 

Der König gab das Zeichen zum Aufbruche. Rechts und 
links von der Straße zogen einzelne Abtheilungen von Fußvoll 
und Meitern geräuſchlos hin. Die dunkle Nacht verbarg ihren 
Weg und ihr Erfceinen. Matt nur glänzten die Sterne in den 
Helmen und Rüftungen wieder. 

Es war eine Stunde nad; Mitternacht — leiſe vaffelte ber 
Zritt der geharnifchten Männer durch des Gras — vor ihnen 
lag der Wald, aus defjen Mitte einzelne, verglimmende Wachtfener 
ſchimmerten wie ein ſcheuer Blick unter halbgeſchloſſener Wimper, 
hinter ihnen verhallte das Gebell der Dorfhunde. — Von jener 
Seite ſtieg plötzlich eine Feuerſäule auf — Knall und Licht er- 
folgte in biefem Moment auf ber ganzen Linie. — Hurrah! ru- 
fen die Böhmen — ihr Feldgeſchrei ertönt von Fahne zu Fahne 
im Umkreife von zwei Stunden — auf jener Geite werfen fie 
Feuer in den Wald, damit e8 Tag werde zur Kampfeszeit. 

Hörner tänten, Stimmen riefen im Walde — bie drohende 
Flamme fprang von Stamm zu Stamm. Schreden und Ent 


88 


fegen Hatte die Ungarn aus dem Schlaf gerüttelt; befinnungelos 
ſtürzten fie zu den Waffen und rannten vor- und rüdwärts im 
den Wald. Bon allen Seiten tönte ihnen Waffengeraſſel und bie 
Kampfeslofung der fireitluftigen Böhmen entgegen. 

„Bei St. Stephan!" ſchalt ber König Matthias, der auf 
feinen weißen Roſſe, ohne Kopfbebedung und Harniſch, nur in 
ber Hand ben blanken Säbel, durch das verworrene Lager fprengte, 
„wir find verrathen. Thor ich, daß ich dem Gpilagyi folgte und 
bier. fill lag! &o befamen wir fie in die Hände, wie fle jest uns 
haben. — Kameraden, Magyaren, Türkenbefieger, wir müſſen uns 
durchſchlagen! Hier das Feuer, das uns auf den Hals rüdt, bort 
den Feind; durch welches von beiden mollen wir gehen? 

„Durch ben Feind, König!“ rief begeiftert feine Umgebung. 

„Alſo d’ran, bevor wir noch enger umrankt find!“ befahl 
Matthias weiter; „Ales auf einen Punkt hin! Wir müffen ihre 
Reihen durchbrechen, um uns gen asian wenden zu können. 
Nur die Straße gewonnen !" 

Er ſtellte ſich an die Spitze feiner Krieger. 

„Wollt Ihr nicht den Helm erft auflegen?" fragte einer 
der Hauptleute. 

„Nicht möthig!" rief Matthias Corvinus; „mein Kopf ift 
zu bart für dag böhmiſche Eiſen. Gib Acht! — fie rigen ihn 
nicht einmal.” - 

Seine Hörner ſchmetterten — die ganze, Heeresabtheifung 
Braufte durch Gebuſch und Keden nach bem Ausgunge des Wal 
des Hin; Hinter ihnen flammte der Waldbrand leuchtend auf. 
Tollkuhn fprengte ihr König voran nad dem felbraine, wo die 
Waffen der Böhmen umd ihre Rüftungen im rothen Scheine, den 
das Feuer am den Himmel malte, glänzten. — Hier fand Georg 
an der Spitze — neben ihm mehrere der Befehlshaber. Mächtig 
im Anlauf braufte bie ungrifche Reiterei einher. Es war mei 
Fußvolt, was ihnen entgegenftand — bie Reihe ſchwankte zurüd, 


Li} 


aber dennoch wurde der Angriff abgeſchlagen. Matthias leitete 
ihn nad) einer andern Geite Hin. Die Böhmen, jegt auf ihrer 
Hut, leifteten feſten Widerſtand. Nach allen Seiten Hin ſuchte 
Matthias den Durchbruch; endlich, da er einjah, daf es unmög- 
nch fer, ſich durchzuſchlagen und er vergeblich das ‚Blut feiner 
Mannihaft vergoß, wollte er in wilder Tollkühnheit durch dem 
brennenden Wald fi Bahn brechen; aber feine Feldhauptleute 
beftürmten ihn mit Bitten, von biefem fein eigenes Leben bedro- 
enden Vorhaben abzuftchen. Er zog ſich wieder in das Dicicht 
zurüd und ſchictte einen Trompeter hinaus. Bald darauf ritt 
König Georg, von zehn Weitern begleitet, in den Wald. Auf 
einer lichten Stelle kam er mit dem Ungarntönig zufammen. 
Matthias Corvinus war verlegen, aber er reichte dem Böhmen- 
Lönig lachend die Hand und erhielt fo bald feine Unbefaugenfeit 
wieder. — 

„Ihr Habt mich gar fo inbränftig umſchloſſen, Schwieger - 
vater,“ fagte er, „daß ic; mic) aus Eurer Umarmung ganz und gar 
nit losmachen kann und deshalb Euch erſuchen muß, laßt mid 
ziehen; ih Hab’ zu Haus Geſchäfte.“ 

„Ihr feht, König Matthias,“ ſprach Georg freundlich, „daß 
mid) vor der Hand bie Böhmen noch zu lieb haben, um einen 
Andern zu wünfden. Zwar hat Euch der Bapft zu ihrem König 
ernannt, aber noch ifl’s zu früh mit bdiefem Borhaben. Selbſt 
der uns Bierhergeleitet, war ein Böhme, der Euch gebient, aber 
ſich wieder zu ums gelehrt hat,“ 

„Ihr Könnt fröhlicher fein, Georg,“ antwortete Matthias, 
„and freien Sinnes nach Haufe ziehen; ich fehe nur dem Un- 
frieben entgegen. Der römifche Pfaff wird mid ſchön empfangen, 
wenn ich unverrichteter Dinge wieder zurüdtchre, Statt Euch 
zu entthronen umb die Ketzerei auszurotten, hab’ ich einen Spazier- 
ritt gemadhtl” — 

„Wir wollen das Geſchehene vergefien und Friede Halten,” 


” 


verjegte Georg; „Ihr räumt mir Mähren und fendet mir eine 
Kifte mit breißigtanfend Dukaten. Ih kann das Geld brauden, 
und den Legaten wird es weidlich verbrießen, wenn er davon 
Höre — 

„Es ſei!“ entgegnete Matthias einſchlagend; „doch die Bres- 
Tauer, bie mic, im Stiche gelaffen, und das Gefindel von deutſchen 
Hiffsoölkern, die nicht zu mir fließen, ja fogar im Rüden meines 
‚Heeres plünderten, mäffen auf daran.” — 

„Berweilet einen Tag im Nuttenberg,“ bat Georg, „unb 
raſtet. Noch Mandes gibt es unter uns zu beſprechen.“ 

„Habt Dank, Georg,” erwiederte höflich ablehnend Mat- 
thias; „ih bin fo raſch gekommen und will darum nicht lang- 
fapter zurüdfehren. Man könnt fonft glauben, id ſchäme mid. 
Drum Iebt wohl — bald befuch' ich Euch friedlich und freund» 
lich auf ein Gericht zu Prag, wo e8 mir ‚ganz wohl gefallen.’’ 

Sie ſchieden. Matthias ließ Geißeln zurüd, Der König 
von Böhmen gab ihm einen Gejandten zur Empfangnahme ber 
Dufaten. — Sein Heer zog fi zurüd, und König Matthias 
ſchlug die Straße gegen Caslau ein. — 

„Wo ift mein Befreier, umfer Führer?“ fragte Georg, al6 
beim Sonnenaufgang feine Truppen wieder in ber Ebene Lagerten; 
„ihm müffen wir banken, der uns bie Müh' fo leicht gemacht 
und Bfutvergießen erſpart hat.” — 

„Ich will ihm ſuchen,“ verfetzte Sukol, der ſich gerabe in 
ber Nähe des Königs befand. 

Nach einer langen Frif erſt brachte Sufol den Ritter, der 
jest, wo es Friede wurde, fi im das Dunkel der Einfamleit 
zurückziehen wollte, Herbeigeführt. 

Der König winkte ihm freundfih mit der Hand entgegen. 

„Nun aber, junger Mann,” ſprach er, „da mid; Dankbarkeit 
zwingt, Deinen Namen zu behalten, fo nenn’ ihn mir: Haft 


9 


Du auch fein Wappenſchild, id bin der König, ich kanu Dir 
eins verleihen.“ 

„Ich Hab’ ein Schild, mein Herr,” entgegnete Vratislav 
verbüftert; „doch ein Anderer, nicht Du, hat es befledt. Ich 
tanu's nicht führen. Hab’ Dank für Alles!“ Er riß fi bie 
entſtellende Binde vom Kopfe. „Mein König,“ rief er, „jet bin 
id wieder Dein Gefangener! — Hier hab’ ih Dir mit Gott 
genügt — in bem ewigen Kerker, wohin mich Deine Richter 
gebannt, hätte mich Unthätigleit verzehrt... — Jetzt, wo es Friebe 
iR, kehr' ich wieder dahin zurüd. Bedarfſt Du einmal meiner, 
König, fo laß mich gnädig rufen.“ 

„Nicht alfo, Vratislav von Branik, Du mein edelmüthiger 
Feind 1" gegemredete Georg; „Iprid, warum Du mir jegt fo mil 
gefinnt geworben, da Du doch vor furzer Zeit Dich noch gegen 
meine freiheit und mein Regiment verſchworen.“ 

„Du zogft, o Herr,“ war bes Ritters Antwort, „iegt aus 
zum Schutz des Glaubens, Haft den Feind gedemüthigt und ger 
zeigt, daß es noch Böhmen gibt. So Tieb id Did, mein Herr.” 

„Als ob ih nicht immer,” warf Georg ein, „für dem 
Glauben und unfer Recht zu Felde zöge, fei es mit Waffen ober 
duch Wort und Schrift! &o aber laſſ' ich Dich diesmal nicht 
entlommen. Wohl ſollſt Du wieder gefeffelt fein, aber nur mit 
biefer Gnadenkette, welche Dich in Lieb’ und Treue binden mag 
an uns und unfer Haus, und bie flets mein banfbar Herz er- 
Öffnen wird.“ 

„Rdn diefe Kette aud ein Gefängniß öffnen?" fragte Bra- 
tislav raſch und lebhaft; „wird fie auch meinen Vater befreien 
aus langer Haft ?" 

„und hätte er das Schlimmſte verbroden,“ verſetzte der 
König, „fein Leben, feine freiheit fei Dein Geſchenk.“ 

„Verbrochen ?“ wieberholte Vratislav; „er hat fein Bater- 
fand geliebt wie ih, Hat anf Zion gefochten für den reinen Glau- 


o2 


ben, entraun dem Tode durch Henkershand wie durch ein Wunder 
nnd ſchmoachtet feit jener langen, ewigen Zeit in den Prager 
Thurmen.“ 

„Er ſei frei!“ wiederholte der König. — „Nun auch erfafſ 
ih Dich, warm Du alſo glaubenseifrig warſt und mich hafſen 
konnteſt. Ich ſchulde nicht, was jener deutſche König that; d'rum 
haltet an. dem Böhmen. — Dein wahrer Name!“ 

Vratislav von Techtie,“ war die Antwort. 

„Mein Schwert gibt Dir bier feierlich,“ ſprach Georg, „im 
Angefichte des Heeres und meiner Felbhauptlente ben Ritterfclag 
und wäſcht fonad ein geſchmähtes Wappen von allem Argen, 
was d’ran Heben mag mit Schuld oder Unſchuld. — Steh’ auf 
umb bleibe Deines Könige Freund, der Di ſchätzt. — Nun 
aber, freunde, brechen wir auf nad; biefem fo kurz und leicht 
beendigtem Feldzuge gen Prag. Die Prager follen ſehen, daß 
man auch ohne Blntvergießen jchlagen fan, und num den Frieden 
Hebgewinnen.” 

„Erlaubt mir, o Herr,“ bat Vratislav, „der Bote Deines 
Sieges zu fein. Ich eile voraus nad ber Hauptſtadt. Die 
Sehnſucht, meinem Vater die Freiheit zu geben, wird mir Flügel 
teihen ; id) werde raſcher fein als der Ruf vom biefer That bei 
Kuttenberg. Jede Minute, die ich zögern Lönnte, jede Minute 
die mein Bater länger Ketten trägt, fcheint mir ein ſchwer Ber- 
gehen an ihm.“ 

„So zieh’ mit Gott!" — Er entlieh ihn. — 

Bratislad fprengte, von Sutol begleitet, auf def Strafe 
nad) ‚Prag dem Heere voraus. 


93 


Se "war am Tage jene Worfalles bei Nuttenberg; da 
erfdjien zu Prag auf dem Hraddin ein after, abentenerlicher Mann, 
in gemeiner, grober Bauerntracht, aber einen alten, roſtigen 
Panzer vorgefhnallt und ein gewaltiges Schlachtſchwert an ben 
Hüften. Wirr zog fi der grauſchwarze Bart um ben größern 
Theil feines Geſichtes, aus buſchigen Brauen bligten wild und 
büfter bie ſchwarzen Augen hervor. — 

Er ſchritt anf das Burgthor, welches zum alten Schloſſe, 
der Wohnung des Obrifiburggrafen, fährt, zu, zog fein Schwert, 
hieb in die Steine, daß fie Funken gaben, und ſchrie: Wo tft 
der Burggraf? Zdenko von Sternberg, komm Heraus! Gib 
mir Beiheid! Wo ift mein Kind Hin? Wo ift mein Neffe? 
Gebt ihn mir heraus, Ihr papiſtiſchen Hunde! Ich will den 
Bratislav wieber, den Ihr eingeterfert ober gemorbet wie feinen 
Bater! Selbft die Leihe muß ich Haben! Ich fehreie fünf- 
faces Wehe über Euch; ich rufe zum Auffland gegen Eud und 
den König! Ih rüttle an biefen Pfeilern, daß die Mauern 
Aber Euern Röpfen zufammenbreden und Eud) lebendig mit 
Eurer Schande begraben! Heda, Heraus, Sternberg! Und Tägft 
Du im Schrein bes Todes, im Sarg — ih rufe Dich heraus! 
Wehe über Did, wehe über Euch Alle, die Ihr den Glauben 
geſchandet, die Ihr die Männer des Vaterlandes verrathen! Wehe 
über den König, der den Kelch nicht ſchützt und die Männer 
vom Lamme vernichtet, ftatt zu erheben!" 

Der Burguogt und die Dienerihaft Tiefen beſtürzt heraus 
und fragten nad) dem Begehr des wilden, tobenden Gefellen. 

„Hunde Ihr — Diener der Hunde!“ ſchalt er, „ih bin 
ein echter Taborit, der fetten Einer, und will mein Kind wieder, 
das ich zum Race gefendet. Ic bin der Zdenko von CTechtie, 


94 


der aus Zion entflohen und ſo Eurer Wuth entgaugen iſt. Gebt 
mir den Vratislav von Branik heraus und nehmt mein Leben 
dafür! Meinen Bruder habt Ihr ſchmählich gemordet, unſer 
Wappenſchild geſchändet, unfern Namen mit Schmach bededt; — 
Beh’ Eu! — Nehmt auch mein Leben; unr gebt mir meinen 
Neffen Heraus! Er foll Ieben — er muß leben — für die Rache 
muß er leben — ewig, ewig!" 

Mit harten Worten ließen ben Scheltenden jet bie Vögte 
und Diener an; er aber flug mit dem Schwerte unter fie, 
indem er rief: „Hier nehmt Lehre von einem alten Taboriten I" 
und ſchickte fie mit blutigen Köpfen hinein. — 

Das Bolt Tief zufammen. Der Burgherr aber fürchtete, 
da der Alte immer noch forttobte, einen Aufftand. Er jdidte 
alfo zehn beherzte Reiſige hinaus, ließ ben alten Mann, ber 
fih wie ein Löwe wehrte und noch Mehrere verwunbete, zu 
Boden ringen, mit Feſſeln beſchweren und in den Thurm werfen. 
Man gab im den Beſcheid, fobald er fid) beruhigt haben würde, 
follte ex in’s Verhör fommen und Urtel erhalten. Er hätte deu 
Burgfrieden gebroden, hieß es, und müfje gezücjtigt werben. 

Die Richter fanden hier plöglih "Stoff zu einer weiten 
Unterfuhung, da Zdenko von Techtie ſich felbft als einen ber 
Geãchteten, Bogelfreien von Zion erffärte, gegen welche man ben 
Bann bisher noch nicht aufgehoben. 

Das Bolt, weldes fein Geſchrei herbeigelodt, harte mod 
immer vor der gefcloffenen Burgpforte, teils aus Neugierde, 
theils aus Theilnahme. 

Es war gegen Abend, als Vratislav mit Sulkol ben Hrad- 
Sin erreichte; fie waren tüdtig geritten. Einen flügtigen Gruß 
fandte er zu den enftern des Zeöwiciihen Palaſtes hinauf und 
eilte den Schloßberg hinan. 

Hier gewahrte er das verſammelte, lärmende Bolt vor ber 
verfäloffenen Pforte. Er begehrte Einlaß; man beſchied ihn, es 


% 


würde Niemandem Einlaß gewährt. „Was ift hier vorgefallen ?* 
fragte er bie Leute. Mehre zugleich beeilten fich, ihm Nachricht 
zu geben. 

Kaum Hatte er den Namen Techtie gehört, als er ausrief: 
„Rum muß ich hinein! Mein Oheim iſt's; ich bin ber Meffe, den 
er fuht! Macht Play, Ihr gutem Leutel Tief unten ſchmachtet 
mein Boter in Feſſeln! Hier diefe Kette bes Königs foll feinen 
Kerler öffnen. — Und wenn dieſe Pforte von Hafterdidem Mar- 
mor wäre, fo muß ich Binein.“ 

„ga, macht Plag, Ihr guten Leute, in des Teufels Namen I* 
wandte fih Sukol an die Berfammlung: „der Ritter, ber edle 
Branit if’, der dem Könige zum zmeiten Dale, jetzt bei Kelin, 
wo wir geftegt, das Leben gerettet Hat. Die goldene Nette ift 
fein, aus des Könige Hand — helft ihm den Vater umd dem 
Oheim ans fhimpflicher Haft befreien.” 

Sufol's Worte machten Eindrud auf den lärmenden Pöbel, 
Nieder mit den Gefängniffen! Nieder mit ben Wächtern! Keine 
eiferne Jungfrau mehr! Macht fie freil fo lautete es Bier und 
da aus rauher Kehle. — Der Haufen wurde immer größer durch dem 
Zulauf, während Vratislav gegen das Fenſter hinauf dem Burgvogt 
fein Begehren vortrug. Diefer ſchien nicht zu hören, oder es 
war ihm bebenflich, die Pforte eimer folden Menge zügellofer 
Leute zu öffnen. Das Thor bfieb verſchloſſen. 

Bratislav bat, flehte umd drohte; Gutol fluchte. Mehrere 
ans dem Möbel Hatten Aexte ‚und Brechſtangen herbeigebracht; 
man fiärmte im rafenden Anlauf das Thor. Die Haspen, Bän« 
ber und Angeln wichen endlich der würhenden Anftrengung — 
krachend ftürzte es nieder vom Werten zerfplittert, und jubelnd 
Uber die Trümmer flürgte fi, Bratislav und Sukol an ber 
Spitze, ber raſende Haufe in den Eingang. Rechts bie Mauer, 
welche den Hof gegen die Thürme zu eimfaßt, wurde, ba nicht 
gleich geöffnet warb, niedergeriffen. — Der Ritter und Sulol 


9 


ſturzten nad) den Wohnungen der Schließer und Bögte; base 
Bolt aber, zu weiter feinem rcefle aufgelegt und nur Kingerifien 
von Theilnahme für den Ritter umb feine feltfame Lage, blieb 
zurüd; es fagerte fich im Gruppen auf den Mauer- und Bret- 
tertrümmern. . Biele brannten Fichten umb Kiefernäſte, melde 
als Breunſtoſſ in einer Ede des Hofes Sagen, an und beleuchteten 
fo mit rothem feuer ben Hof und die Umgebung, baf es in 
der ferne ausfoh mie eine Feuersbrunſt. Sie wollten nämlich 
das Schauſpiel Haben, zu fehen, wie der Ritter Bater und Oheim 
aus bem Kerker am das freie Licht emporgeleiten würde. 

Ades diefes war fo fähnel heſchehen daß der Wurgvogt — 
denn ber Burggraf und alle Beamte des Hauſes waren theils 
verreift, theils abweſend — meter Zeit, noch Faſſung gewann, 
aus dem neuen Schloffe eine Verſtärkung ber Wachen herbeirufen 
zu laſſen. Und dies wohl au zum Glüde: denn in biefem 
Sale wäre ſicherlich viel Blut gefloffen, weil der Böhme leicht 
zum Widerſtand geneigt if, während auf diefe Art nur eine 
Mauer und ein Thor, leicht zu erfegenhe Gegenflände, zertrüm · 
mert wurden. 

Auf ſeinen Armen trug Vratislav den Vater aus dem 
Kerker empor. Der matte Alte konnte nur gebrochen: Mein 
Sohn, mein Sohn Vratislav! ſtammeln; rende, Ueberraſchung. 
Seligleit, Spannung preßten ihm die Kehle. 

Bratisfad trat mit feiner Laſt unter das Boll. — Die 
Flamme beleuchtete ihn und den Vater, deſſen Silberlocken, beffen 
mageres, geifterhaftes Antlig, feine Ketten, fein zerfegtes Gewand. 
— Bon der andern Geite dam jest Zdenko von CTechtie an Gn- 
tors Hand. 

Jubelnd empfing ihn das Boll. Im Nu waren die Ketten 
von ihren Armen und Füßen gelöfl. 

„Du bift frei, mein Vater,“ jauchzte Bratislav, „und Dich 
ſeh' ich wieder, mein Oheim! O Seligkeit fonder Gleichen, o 


” 


barınherziger, gmäbiger Himmel, Freudenquell ohne Ende, ſchließe 
Did, fonft muß meine ſchwache Menfcenbruft erliegen I“ 

„Wie?“ fehrie entſetzt Zdenfo auf, „öffnen fi bie Gräber, 
geben die Grüfte ihre Atzung wieder von fi? I es Herenfpiel, 
mid) alten Mann wahnfinnig zu machen? Das Mingt wie meines 
Bruders Stimme — und, Vratislav, Du nennft dies athmende 
Gerippe Bater! Heiliger, barmberziger Gott, lafı dies keinen 
Zraum, feine Ausgeburt des Irrfinnes fein, ober endel — ende! 
fonft erfaßt mich Raſerei und ich wüthe gegen bie Menfchheit 
und mid.” 

Er ftürzte im ihre Arme. — Boleslav’s Knie braden — 
ex fanf auf einen Trümmerhaufen nieber. „Mein Bruder und 
mein Sohn!“ wimmerte er; „das Gehirn Tann es nicht faflen. 
Iſt diefes Zageshelle, was vor mir blinkt? iſt's Sonnenlicht? 
— Ich habe die Sonne fo lange nicht gefehen, daß ich fie nicht 
wieder erkenne. — Und bift Du frei, mein Kind? Werden fie 
Did nicht wieder fangen, uns Beide nicht wieder in das feuchte 
Gewölbe werfen? “ 

„Nein, nein!“ frohlodte Bratislan; „des Könige Spruch 
macht uns frei, er adelt unfern Namen wieder und reint das 
Wappenſchild von unverdienter Schmach.“ 

Er rief einem ber Bögte, welcher bewundernd da fland, 
zu: „Hier, Freund, die Kette gab mir der König als Zeichen 
der Freiheit für uns. Being’ fie dem Herrn Obriftburggrafen. 
Sag’, ic) fei ein wenig raſch geweſen — ich ging nicht den 
langſamen Weg des häufigen Anfragens; aber ich Hab’ in Freud 
und Schmerz nur eim menſchliches Herz, Gern will id büßen, 
mas ic darin gefehlt; ber König wird mein milder Richter 
kin — 

„Alſo wirklich frei?“ ſprach Boleslav, und feine Thränen 
firömten auf die bürren Hände herab, im deren Knochen ber 
Eifenring eine Furche gedrüdt, „und nicht entehrt? — ale ein 

Herlogfohn: Der legte Taborit. II. 7 


„Es gibt eimen Gott — einen Gert der Gerehtigfeitt” 
Arad; ermi wub feierih Zoenke weh blickte mit Feen unge jur 
Gimmel emzer. 

„Bor ik gres? betete Sutol tief gerührt amd erichättert. 

.®o ik Prag” feige Bolesiss mir jitterader, beinafe 
findiicher Erimme; „ih mus mein Prız ichen, bever ich Rebe; 
denn der irentige Edired tödte: mi doch. Dies Bücher 
ſehen ik cin Bid der Auferſtehnag?: Hört Ihr ie Poiaune 
Yröguen? Mit ruft es — ich gehe der Erik, aber verjöhet umb 
gereinet von der Erde. — Bas in eim Rlbermer Lich:glanz. Ih 
Haube, er fommt von jenem tern, auf weißem Bojena wohnt. 
— Zrogt mit, hinaus, zeigt mir Frag, die hehre Königsflaht, 
den Sitz der Fürften, die der Belt Geiege gegeben — zeigt mir 
Die leuchiende Moldau mad die glänzenden Thäürme. — IG will 
in biefem Aublid Rerben.” 

Bratislan erhob ſachte den Greis und trug ihn zum Burg- 
thore hinaus anf den weiten Raum, der zum Wale führte. Bom 
hier ans laun man die Rieſenſtadt im ihrer weiteften Ausdehnung 
Mberbliden. Unter fih zu Füßen hat man die Mieinfeite, rechts 
drüben den Lorenjberg und einen Theil des Hrabäing — vor 
AG drüben am reiten Ufer die Alt- and Reuflebt und rechts 
weithin über ber Vrüde und Hinter den Jufelm dem auf Felſen 
gethärmten Byöchtad. 

Zdenlo und Sulol waren gefolgt. Stumm und in heiligen 
Gen folgte das Bolt mit dem Pechfadeln. Alles lagerte fih 
draußen auf dem Raſen. — Mitten über der Moldau, zwiſchen 
jenen beiden Iufeln Bing der Mond uud beienäitete fat taghell 





die. Stadt: Dies doppelte Licht, welches nun auf bie Gruppe 
fiel, gab ihr ein geifterhaftes, jeltfames Anfehen. 

Boleslav ſtarrte mit weitgeöffneten Augen nad der Stadt 
und lief wieder die Blide ſchweifen vom Strom zu Gebäuden, 
von der Brüde zu Thürmen umd fuchte fi die Punkte, wo er 
gelebt, in der Erinnerung zurück. 

Eine heilige Stille Iag über der Berfammlung; nur bie 
brennenden Aeſte nifterten, und die rothe Flamme ſchwaukte über 
die Gruppe hin und wieder. 

„Erde Du bift fo ihön!“ brach endlich Boleslav mit tiefer 
Stille das Stillſchweigen; „warum and jo vergänglich ?“ 

„Bir haben einen Frühling und einen Sommer verfäumt,” 
nahm Zdenko das Wort; „Bruder, wir müffen ihm jenfeits 
wwieberfinden I" 

„Leben, wie bift Du fo ſchön,“ wiederholte Boleslav; „aber 
gerade im Morgenrothe fo kurz Mach langer Nacht öffnet fich 
des Auferſtandenen Auge dem Fichtftrahl, um ſich bald wieder zu 
ſchließen. Heiliges Prag, Stadt meiner Bäter, wo ihre ange 
beteten Gebeine ruhen — nimm meinen Segen — ben Segen 
eines Sterbenden! Ewig heil und glänzend wölbe fi ber Him- 
mel, feine die Sonne über Dir! Ruhm und Glanz und Gegen 
Deinen Königen! Mögen fie mild fein und gerecht! Die Liebe 
wird fie dann umfirahlen. Sei eine fee Burg, Prag; bfeibe 
die Schwelle, an ber des Feindes Fußtritt ſtrauchelt und zerfplittert. 
Leb' wohl, Vaterland I" 

„Bater, mein Vater!“ rief Bratislav, über ſolche Abſchieds- 
worte beftürzt, aus, „warum biefer Zuruf bes Scheidens ? Kehr' 
Di wieder rüdwärts nad) dem Leben. Wieder liegt es vor 
uns im Glanze der Freiheit, mit Blüten gef mädt, mit Früchten 
gefegnet. Noch ift die Exde ſchön, und umfre Herzen, die fo 
lange der Rrampf bes Schmerzes gepreft, wollen ausſchlagen 


in ber Freude.“ 
[2 


100 


„Bruder Boleslau!“ ſprach Zdente, „das Leben wird wieder 
ſchon, wenn wir es wieber fieben fernen.“ 

„Ih fühle, daß es Zeit vam Scheiben wird,” fuhr Boleslav 
matt fort; „was foll ich Euch die Stunde verfchweigen ? — Ich 
gehe gern; hab’ id} doch jet alle Macht irdiicher Wonne, Alles, 
was in langjähriger Gefangenihaft meine hoffende Seele eriehnt, 
amd noch mehr, erlebt, daf das fernere Daiein mir arın ericheinen 
müßte und farblos! Die milde Rachtluft fügt meine Glieder 
und fänfelt dur mein weißes Haar, das in der Finſterniß ge- 
bleicht iR: aber im Junern riefelt der falte Athem des Todes. 
Erde, Baterland, meine Geliebten, Iebet wohl! Jenes ſchöne Weib 
mit dem Schwanenarme, den fie in meine Nacht getaudt, hat 
Bort gehalten. Damals mußte ich leben, um aufzuerfichen — 
jegt nicht! — jegt will id zum zweiten Male auferfichen. Jetzt 
winkt fie dort oben zum Wiederfehen und zur Berſöhnung. Ih 
habe die freie Luft getrunfen, mein Auge bat den Bruder und 
Sohn wiebergefehen; ich weiß, daß mein Name rein gewaſchen 
von aller Schmach, daf ih Cuch in Glüd und Ehren hier zur 
rüdiaffe, daß mir die Welt verziehen, wie id; ihr verzeihe. Was 
mid, was foll ih auf Erden noch mehr?“ 

„D mein Vater!“ weinte Vratislav und verbarg fein Haupt 
an feiner Bruft, „halt' ein, halt ein, Du brichſt mein Herz! 
Kaum gewonnen und ſchon twieber verloren! Mein, nein, es ift 
unmöglih! Der barmberzige Gott fann im der Fülle feiner 
Gnade nicht zugleich jo graufam fein t* 

„Bet’ ihn an,” verfegte Boleslav, „in Demuth, wie id ihn 
anbete, umd dank’ ihm für dieſes umd Alles, wie ih ihm banfe 
für dieſen leichten Tod. — Ich fegne Dich, mein Sohn, im 
Namen Goltes des Allmächtigen, Albarmberzigen. Bleib rein 
und fromm und ende wie Du begonnen. Noch Eins! Bring” 
bem Neuhaufer den Gruß eines Sterbenden und das Wort ber 
Verjöhnung. Ueber den Gräbern reicht Euch die Hände. Der 


108 


Haß if irdiſch, aber ewig ift die Liebe. — u naht? wer 
naht?“ 

Er richtete ſich auf — fein Bruder Alte ihn. 

Ein Weib im weißen, feltfamen Gewande ftürzte laut jhreiend 
durch das Burgthor. „Wo iſt er? Wo ift Slup, mein Ge 
Hiebter, mein Gatte? Er ift frei, fagen fie, er ift nicht tobt. — 
Gebt mir ihm wieder! Gebt mir den Gatten!“ 

Sie ftürzte fi) unter die Gruppe. 

„Weh'!“ rief Boleslav mit matter Stimme; „noch einen 
Zoll des Schredens, aber aud des Troftes I" 

Mit herzzerſchneidender Stimme warf ſich das Weib — es 
war Madlena — neben dem vermeintlichen Slup nieder, küßte 
ſchluchzend feine Arme und Hände, umfdlang ihu mit Inbrunft 
nnd geberdete fich wie eine Raſende. 

Boleslav wollte fie losreißen, indem er rief: „Du bift im 
Irrthum, Wahnfinnige!“ 

Vratislav hielt ihn zuräd, indem er fagte; „Selbft im Irr⸗ 
tum ift der Schmerz ehrwürdig. Laß ihr die Täuſchung — 
enttäufcht wäre fie grenzenlos elendb. Dem Tode beffen, welchen 
fie Hier wieberzufinden meint, danken wir des Vaters Rettung. 
Wahrheit würde fie tödten.“ 

„Ich habe Dich wieder!” kreiſchte weinend das Weib, „wie 
ich es gläubig gehofft und geafmt. Die Blutfehud if von Die 
gewichen, Deine Hände find rein gewafchen von ben Thränen 
der Buße. Und Dein Kind Iebt, die Zlata febt und ſtrahlt, in 
Glanz und Schönheit. Du wirft Dein Kind, unfer herrlich Kind 
wiederfehen. Ein Ritter freit fie — fie wird jauchzen beim 
Anblid des Vaters! Oh — ohl" — - 

Sie verftummte. Lange ſprachlos Tag fie über dem ver- 
meintlihen Geliebten hingebeugt — ihren Mund auf den feir 
nigen gepreft. — 


über 

mein Bater! 
der cislalten Hand — „o Fehr mur mod Einen Augenblid zurüd! 
Rur der Liebe, das lebte Wort noch Höre! Al - 
erbarmer, gib ihm noch einen Pulsidhlag des Lebens! Er kaus 


Des Gterbenden Mund öffnete ſich — „Bejena !" Tifpelte 
er faum hörbar — dam ſchloß er fi) für ewig — bie Glieder 
firedten fih. Er hatte vollendet. — 

Zdenlo ſchluchzte laut. Sulol ſtieß wild fein Schlachtjchwert 
in die Erde und grollte, an fein naſſes Auge faſſend: „Im jedem 
Tropfen Bein muß Wermuth fein!“ 

„Exde, du biſt fo ſchön!“ Magie Bratislav; „warum aber 
fo vergänglih? O mein ſchönſter Gtern, warum bif du ge- 
funten, als du kaum anfgeblüßt in finfterer Naht? O Tob, 
Zob, gib mir auf Einen Angenblid noch biejes Leben heraus 
aus deinem Kerker, das du im der ſchönſten Minute gefohlen! 
fo bin ih wieder allein auf der Welt und habe dem Beſitz 
nur errungen, um ihn wieber zu verlieren? Armes — armes 
Leben, arme Erde! — Bater, nimm mich mit Dirt“ 

Bdento reichte ihm die Hand umb ſprach tröſteud: „Laßt 
bie Zodten ruhen! Ihr Friede ift Heilige Freiheit. Gie find gm 
beneiden, mar wir find zu beweinen. Die Erde iſt nicht ewig. 
und Sterne leuten am Himmel. — Lebe, mein Sohn, weil id 
bin — Dir Haft noch diefe müden Augen zuzudrücken.“ 

Weinend ſturzte Bratiefad in feine Arme und warf AG 
nieber auf die Leiche und bebedte das tobte Antlig mit feinen 
Küffen. 

Bom innern Geifte ergriffen betete jet Halblaut die tiefer- 
ſchutterte Menge das Bater unfer, und ein Priefter, welder fi 


108 


darunter befand, intonirte laut dag: Requiescant in pace, 
et lux perpetus lucest eis! 

A porta inferi libera nos, Domine! Amen! ant 
wortete im Chore bie Berfammlung, 

Das Sterbeglödlein tönte von der Sankt Georgafiche — 
fein milder, weicher Ton ſchwamm wie ein frieblicher Abſchieds- 
geuß durch die fille Nachtiuft. Der Mond font freundlich Hinter 
den Lorenzberg hinab. — 

Ein heller Schein brach von dem fteilen Fahrweg neben 
der alten Schloßftiege herauf. Ein Ritter und eine Dame nebft 
ihrem Gefolge, welches Windfackeln trug, mahten zu Roſſe. — 
Sie näherten ſich ſtaunend ber beleuchteten Gruppe und Bielten 
verwundert fill. 

„Der Ritter Spanberg und feine junge Gattin Lidmila 
von Roſenberg!“ raunte Sulol Bratislav'n zu. 

Bratislav blicdte vom Boden — fein Auge traf Lidmila's 
von ber Flamme Hell erleuchtetes Antlitz. Er barg das Gefidt 
in feine Hände. Da hörte er Spauberg’s Stimme, der fih nah 
dem Borfalle erfundigte. — Vratislav's Hand zudte nad dem 
Schwerte, welches neben ihm lag: aber ein Blick auf die fried- 
lichen Todten gebot feinem Blute Ruhe. — 

Einer aus ber Verſammlung hatte dem Spanberger in- 
zwiſchen Veſcheid über das Creigniß gegeben; er wandte fid zu 
feiner Gattin, die bei der Nenmmng von Vratislav's Namen er- 
bleichte und im Sattel fhwantte, indem er ſprach: „Einem 
großen und gerechten Schmerz find viele Zeugen läſtig. Leicht 
fei den Todten die Erde, Friede und Verſöhnung aber den Le 
benden, bie fich feindlich gegenüberftanden I” 

Er ritt mit feiner Dienerfchaft an ber Gattin Seite, welde 
feine Hand unterflüßte, über bie Trümmer des erbrochenen Thores 
in die Burg. Der Fadeliein erlofh in dem Bogengange der 
Pforte. 


94 


der aus Zion entflohen und ſo Eurer Wuth entgangen iſt. Gebt 
mir den Vratislav von Branik heraus und nehmt mein Leben 
dafür! Meinen Bruder habt Ihr ſchmählich gemordet, unſer 
Wappenſchild geihändet, unfern Namen mit Schwach bededt; — 
Beh Euch! — Nehmt aud mein Leben; nur gebt mir meinen 
Neffen Heraus! Er fol leben — er muß leben — für die Rache 
muß er leben — ewig, ewig!" " 

Mit harten Worten ließen den Scheltenden jet bie Vögte 
und Diener an; er aber ſchlug mit dem Schwerte unter fie, 
indem er rief: „Hier nehmt Lehre von einem alten Taboriten I” 
und ſchickte fie mit blutigen Köpfen hinein. — 

Das Bolt Tief zufammen. Der Burgherr aber fürd;tete, 
da der Alte immer noch forttobte,. einen Aufftand. Er ſchickte 
alfo zehn beherzte Reiſige hinaus, ließ ben alten Mann, ber 
fih wie ein Löwe wehrte und noch Mehrere verwunbete, zu 
Boben ringen, mit Fefleln beſchweren und in ben Thurm werfen. 
Man gab ihm den Veſcheid, ſobald er ſich beruhigt haben würde, 
follte er in's Verhör fommen und Urtel erhalten. Ex Hätte den 
Burgfrieben gebrochen, hieß es, und müffe gezüchtigt werben. 

Die Richter fanden Hier plöglic "Stoff zu einer weitere 
Unterfu_hung, da Zdenko von Cedtic ſich felbft als einen ber 
Geächteten, Bogelfreien von Zion erflärte, gegen welde man ben 
Bann bisher noch nicht aufgehoben. 

Das Bolk, welches fein Gefchrei Herbeigelodt, harte noch 
immer vor der geſchlofſenen Burgpforte, theils aus Neugierde, 
theils aus Theilnahme. 

Es war gegen Abend, als Vratislav mit Sukol den Hrab- 
Sin erreichte; fie waren tüchtig geritten. Einen flüchtigen Gruß 
fandte er zu den Fenſtern des Zeöwiciihen Palaftes hinauf und 
eilte den Schloßberg hinan. 

Hier gewahrte er das verfammelte, Tärmende Volk vor der 
verfäloffenen Pforte. Er begehrte Einlaß; man beſchied ihn, es 


% 


würde Niemandem Einlaß gewährt. „Was ift hier vorgefallen ?* 
fragte er die Rente. Mehre zugfeidh beeiften fih, ihm Raceiht 
zu geben. 

Kaum Hatte er ben Namen Techtiec gehört, als er ansrief: 
„Run muß id) hinein! Mein Oheim ifrs; id) bin der Neffe, den 
er fuht! Macht Pla, Ihr guten Leute! Tief unten ſchmachtet 
mein Bater in Feffeln! Hier dieſe Kette des Königs foll feinen 
Kerler öffnen. — Und wenn biefe Pforte von Hafterdidem Mar- 
mor wäre, fo muß ich Binein.“ 

„Ja, macht Platz, Ihr guten Leute, in des Teufels Namen !* 
wandte fich Sufol am die Verſammlung: „ber Nitter, der eble 
Branik iſt's, der dem Könige zum zweiten Male, jet bei Kolin, 
wo wir geftegt, das Leben gerettet Hat. Die goldene Kette iſt 
fein, aus des Könige Hand — Helft ihm den Vater umd dem 
Oheim aus jhimpfliher Haft befreien.” 

Sutols Worte machten Eindrud auf ben lärmenden Pöbel. 
Nieder mit den Gefängniffen! Nieder mit ben Wächtern! Keine 
eiferne Jungfrau mehr! Macht fie freil fo lautete es hier und 
da aus rauher Kehle. — Der Haufen wurde immer größer durch dem 
Zulauf, während Vratislav gegen das Fenfter hinauf dem Burgvogt 
fein Begehren vortrug. Diefer ſchien nicht zu hören, oder es 
war ihm bebenflich, die Pforte einer folchen Menge zlgellofer 
Leute zu öffnen. Das Thor blieb verſchloſſen. 

Bratislav bat, flehte umd drohte; Gufol fluchte. Mehrere 
ans dem Pobel Hatten Aerte ‚und Brechſtangen herbeigebracht; 
man ftürmte im rafenden Anlauf das Thor. Die Haspen, Bän- 
der und Angeln wichen enbli ber wüthenden Anftrengung — 
krachend ſtürzte es nieber von Aerten zerfplittert, und jubelnd 
über die Trümmer ſtürzte ſich, Vratislav und Sulol an ber 
Spitze, ber raſende Haufe in den Cingang. Rechts die Mauer, 
welche den Hof gegen die Thurme zu einfaßt, wurde, da nicht 
gleich geöffnet ward, niebergeriffen. — Der Witter und Sukol 


3 


ſturzten nach den Wohnungen ber Schließer und Bögte; base 
Bolt aber, zu weiter feinem Ereeſſe aufgelegt und nur hingeriffen 
von Teilnahme für den Ritter umd feine feltieme age, blieb 
zurüd; es lagerte fi in Gruppen anf den Mauer- und Bret- 
tertrümmern. . Biele brannten Fichten- umd Kiefernäſte, welche 
als Brennftoff in einer Ede bes Hofes lagen, an und befenchteten 
fo mit rothem Feuer den Hof und bie Umgebung, daß es in 
der Ferne ausſah wie eine Feuersbrunſt. Sie wollten nämlich 
das Schaufpiel haben, zu fehen, wie der Ritter Bater und Oheim 
aus dem NXerler an das freie Licht emporgeleiten würde. 

Alles diejes mar fo fehnell geichehen, daß der Burguogt — 
denn der Burggraf und alle Beamte des Hauſes waren theile 
verreift, theils abweſend — weter Zeit, noch Faffung gewann, 
aus dem neuen Schloſſe eine Berſtärkung ber Wachen berbeirufen 
zu laffen. Und dies wohl aud zum Glüde: denn in biefem 
Falle wäre ſicherlich viel Blut gefloffen, weil der Böhme leicht 
zum Widerſtand geneigt if, während auf dieſe Art nur eine 
Mauer und ein Thor, leicht zu erfegenhe Gegenftänbe, zertrüm · 
mert wurden. 

Auf feinen Armen trug Vratislav den Vater aus dem 
Kerler empor. Der matte Alte konnte nur gebrochen: Mein 
Sohn, mein Sohn Bratislav! ſtammeln; rende, Ueberraſchung. 
Seligkeit, Spannung preften ihm die Kehle. 

Bratislav trat mit feiner Laſt unter das Boll. — Die 
Flamme beleuchtete ihn und den Vater, defien Silberlocken, deſſen 
mageres, geifterhaftes Antlig, feine Ketten, fein zerfegtes Gewand. 
— Bon ber andern Seite fam jet Zdenko von Techtic an Su- 
kol's Hand. 

Zubelnd empfing ihn das Boll. Im Nu waren die Ketten 
von ihren Armen und Füßen gelöft. 

„Du bift frei, mein Bater,“ jauchzte Vratislav, „und Dich 
feh' ih wieder, mein Oheim! O Seligkeit fonder Gleichen, o 


Lu 


barınherziger, guädiger Himmel, Freudenquell ohne Ende, ſchließe 
Did, fonft muß meine ſchwache Menſchenbruſt erliegen l“ 

„Wie 7“ ſchrie entſetzt Zdenko auf, „öffnen fi die Gräber, 
geben die Grüfte ihre Abung wieder von fi? IM es Herenfpiel, 
mid, alten Mann wahnfinnig zu mahen? Das klingt wie meines 
Bruders Stimme — und, Vratislav, Du nennft dies athmende 
Gerippe Bater! Heiliger, barmberziger Gott, laß bies keinen 
Zraum, feine Ausgeburt des Irrſinnes fein, oder ende! — ende! 
fonft erfaßt mic Raſerei und ich mwüthe gegen bie Menfchheit 
und mid.“ 

Er flürzte in ihre Arme. — Boleslav's Knie braden — 
er fanf auf einen Trümmerhaufen nieder. „Dein Bruder und 
mein Sohn!“ wimmerte er; „das Gehirn Tanıı e8 nicht fallen. 
Iſt diefes Tageshelle, was vor mir blinkt? iſs Sonnenlicht? 
— 36 habe bie Sonne fo lange micht gefehen, daß ich fie micht 
wieder erfenne. — Und bift Du frei, mein Kind? Werden fie 
Dich nicht wieder fangen, uns Beide nicht wieder in das feuchte 
Gewölbe werfen? " 

„Nein, nein!“ frohlodte Vratislav; „des Könige Spruch 
madt uns frei, er adelt unfern Namen wieder und reint das 
Wappenſchild von unverdienter Schmach.“ 

Er rief einem der Bögte, welcher bewundernd da fand, 
zu: „Hier, Freund, die Kette gab mir der König als Zeichen 
der Freiheit für uns. Bring’ fie bem Herrn Obrifiburggrafen. 
Sag), ic) fei ein wenig raſch geweſen — ich ging nicht ben 
langſamen Weg des häufigen Anfragens; aber id) hab’ in Freud 
und Schmerz nur ein menſchliches Herz. Gern will ih büßen, 
was ih barin gefehlt; der König wird mein milder Nichter 
fein. — 

„Alſo wirklich frei?“ ſprach Boleslav, und feine Thränen 
Mrömten auf die dürren Hände Herab, in deren Knochen der 
Eifenring eine Furche gebrüdt, „umd nicht entehrt? — als ein 

Herloßfohn: Der legte Taborit. IL 7 


ſehen ift ein Bil ber Auferſtchnag! Hört Ihr bie Poianue 
Sröguen? Mid ruft es — id} gehe der Erfe, aber verjöhnt mb 
gereinet von der Erbe. — Dos if eim filbermer Lichtglanz. Ih 
glaube, er fommt von jenem Stern, auf welchem Bojena wohnt. 
— Zrogt mid hinaus, zeigt mir Frag, die hehre Köuigeñiadt, 
den Ei der Fürften, die der Belt Griege gegeben — jeigt mir 
die Imctende Moidan mud bie glänzenden Thärme. — I will 


Shen folgte das Bolt mit den Peäfadrln. Alles lagerte fih 
Drauen auf dem Bafen. — Mitten über der Moldan, zwilchen 
jenen Weiden Iufckn King Mond und beienchtete far taghell 


” 


die. Stadt: Dies doppelte Licht, welches nun auf bie Gruppe 
fiel, gab ihr ein geifterhaftes, feltfames Anfehen. 

Boleslav farrte mit weitgeöffneten Augen nad der Stadt 
und ließ wieder die Blide ſchweifen vom Strom zu Gebäuden, 
von der Brüde zu Thürmen und fuchte fi die Punkte, wo er 
gelebt, in der Erinnerung zurück. 

. Eine heilige Stile lag über der Verfammlung; nur bie 
brennenden Aeſte Inifterten, und die rothe Flamme ſchwankte über 
die Gruppe hin und wieber. 

„Erde Du bift fo ſchön!“ brach endlich Boleslav mit tiefer 
Stille das Stillihweigen; „warum and fo vergänglich ?« 

„Wir haben einen Frühling und einen Sommer verfänmt,“ 
nahm Zdenko das Wort; „Bruder, wir miffen ihm jenſeits 
wiederfinden I 

„Leben, wie bift Du fo ſchön,“ wieberhofte Boleslav ; „aber 
gerade im Morgenrothe fo kurz! Nach langer Nacht öffnet ſich 
des Auferftandenen Auge dem Lichtſtrahl, um ſich bald wieder zu 
ſchließen. Heiliges Prag, Stadt meiner Bäter, wo ihre ange- 
beteten Gebeine ruhen — nimm meinen Segen — ben Gegen 
eines Sterbenden! Ewig hell und glänzend wölbe fih der Him- 
mel, feine die Sonne über Dir! Ruhm und Glanz und Segen 
Deinen Königen! Mögen fie mild fein und gerejt! Die Liche 
wird fie dann umſtrahlen. Sei eine fefte Burg, Prag; bleibe 
die Schwelle, am ber bes Feindes Fußtritt ſtrauchelt und zerſplittert. 
Leb' wohl, Baterland I“ 

„Vater, mein Vater!“ rief Vratislav, über ſolche Abſchieds · 
worte beſtürzt, aus, „warum dieſer Zuruf des Scheidens ? Kehr' 
Did wieder ruckwärts nach dem Leben. Wieder liegt es vor 
uns im Glanze der Freiheit, mit Blüten geſchmückt, mit Früchten 
gefegnet. Noch ift die Erde ſchön, und umfre Herzen, die fo 
lange der Krampf des Schmerzes gepreßt, wollen ausſchlagen 
in ber Freude.” 

7. 


100 


„Bruder Boleslav!“ ſprach Zdenko, „das Reben wird wieber 
ſchön, wenn wir es wieber Tieben lernen.“ 

„Ih fühle, daß e8 Zeit zum Scheiben wird,” fuhr Boleslav 
matt fort ;. „was fol ich Euch die Stunde verſchweigen? — Id 
gehe gern; Hab’ ich doch jegt alle Macht irdiſcher Wonne, Alles, 
was in langjähriger Gefangenihaft meine hoffende Seele erjehnt, 
unb noch mehr, erlebt, daß das fernere Dafein mir arm erſcheinen 
müßte und farblos! Die milde Nachtluft küßt meine Glieder 
und fänfelt dur mein weißes Haar, das in ber Finſterniß ge- 
bleicht ift; aber im Innern riefelt ber kalte Athem des Todes. 
Erde, Vaterland, meine Geliebten, Iebet wohl! Jenes ſchöne Weib 
mit dem Schmanenarme, ben fie in meine Nacht getaucht, hat 
Wort gehalten. Damals mußte ich Ieben, um aufzuerftehen — 
jest nicht! — jegt will id zum zweiten Male auferftehen. Jetzt 
winkt fie bort oben zum MWieberfehen und zur Berfühnung. Ich 
habe die freie Luft getrunken, mein Auge hat den Bruder und 
Sohn vwiedergefehen; ich weiß, daß mein Name rein gewaſchen 
von aller Schmach, daß id Euch in Glüd und Ehren bier zur 
rüdiaffe, daß mir die Welt verziehen, wie ich ihr verzeihe. Was 
will, was foll ich auf Erden nod mehr?“ 

„D mein Vater!“ weinte Vratislav und verbarg fein Haupt 
an feiner Bruſt, „halt ein, Halt’ ein, Du brichſt mein Herz! 
Kaum gewonnen und ſchon wieber verloren! Nein, nein, es iſt 
unmögih! Der barmberzige Gott fann im ber Fülle feiner 
Gnade nicht zugleich fo graufam fein!” 

„Bet' ihn an,“ verfegte Boleslav, „in Demuth, wie ich ihn 
onbete, und dank' ihm für dieſes und Alles, wie ich ihm danke 
für dieſen Teihten Tod. — Ich fegne Di, mein Sohn, im 
Namen Gottes des Allmächtigen, Allbarmherzigen. Bleib rein 
und fromm und ende wie Dur begonnen. Noch Eins! Bring’ 
dem Neußaufer den Gruß eines Sterbenden und das Wort der 
Berjöhnung. Ueber den Gräbern reicht Euch die Hände Der 


108 


Haß if irdiſch, aber ewig ift die Liebe. — Be naht? wer 
naht ?* 

Er richtete ih auf — fein Bruder Räte ihn. 

Ein Weib im weißen, feltfomen Gewande ftärzte laut ſchreiend 
durch das Burgthor. „Wo if er? Mo iſt Slup, mein Ge 
Hebter, mein Gatte? Er ift frei, fagen fie, er ift mit tobt. — 
Gebt mir ihn wieder! Gebt mir den Gatten!“ 

Sie ftürzte ſich unter die Gruppe, 

„Weh'!“ rief Boleslav mit matter Stimme; „nod einen 
Zoͤll des Schreckens, aber aud des Troſtes I" 

Mit herzzerſchneidender Stimme warf fih das Weib — es 
war Mablena — neben dem vermeintlichen Slup nieder, küßte 
ſchluchzend feine Arme und Hände, umſchlang ihu mit Inbrunft 
und geberbete fi wie eine Raſende. 

Boleslav wollte fie losreißen, indem er rief: „Du biſt im 
Irrthum, Wahnſinnige !" 

Vratislav hielt ihn zurüd, indem er ſagte; „Selbſt im Irre 
tum ift der Schmerz ehrwurdig. Laß ihr die Täufhung — 
enttäufcht wäre fie grenzenlos elendb. Dem Tode beffen, weichen 
fie hier wiederzufinden meint, danken wir des Waters Rettung. 
Wahrheit würde fie töbten.” 

„Ich Habe Did; wieder!“ kreiſchte weinend das Weib, „wie 
ich es gläubig gehofft und geahnt. Die Blutſchuld if von Dir 
gewichen, Deine Hände find rein gewaſchen von den Thränen 
der Bufe. Und Dein Kind Iebt, die Zlata lebt und firahlt,in 
Glanz und Schönheit. Du wirft Dein Kind, unfer herrlich Kind 
wiederſehen. Ein Ritter freit fie — fie wird jaudzen beim 
Anblid des Vaters! Oh — ohl“ — 

Sie verſtummte. Lange ſprachlos Tag fie über bem ver- 
meintlichen Geliebten hingebeugt — ihren Mund auf ben fei- 
nigen gepreht. — 


102 


Man wollte fie erheben — fie war eine Leiche und lag 
über einer Leide. — - 

„Vater, mein Vater!” ſchrie Vratislav auf und faßte nad, 
der eislaften Hand — „o Fehr nur noch Einen Augenblid zurüdt 
Nur no Ein Wort der Liebe, das letzte Wort noch höre! Al- 
erbarmer, gib ihm noch einen Puleſchlag des Lebens! Cr kann 
nicht vollendet haben.“ 

Des Sterbenden Mund öffnete fi — „Bojena I“ fifpelte 
er kaum hörbar — danm ſchloß er fi für ewig — die Glieder 
firedten fi. Er Hatte vollendet. — 

Zdenlo ſchluchzte laut. Sukol ftieß wild fein Schlachtſchwert 
in die Erde und grollte, an fein naſſes Auge fafend: „In jedem 
Tropfen Wein muß Wermuth fein!" 

„Erde, du bift fo ſchön!“ klagte Vratislav; „warum aber 
fo vergänglig? O mein. fHönfter Stern, warum bift dir ge- 
funten, als du faum aufgeblfüht in finfterer Naht? O Tod, 
Tod, gib mir auf Einen Augeublid noch diefes Leben heraus 
aus deinem Kerker, das du im der ſchönſten Minute geftohlen! 
Alſo bin ih wieder allein auf der Welt und Habe den Belig 
nur errungen, um ihn wieder zu verlieren? Armes — armes 
Leben, arme Erde! — Bater, nimm mich mit Dir!“ 

Zdenlo reichte ihm die Hand und ſprach tröſtend: „Laßt 
die Todten ruhen! Ihr Friede ift Heilige Freißeit. Cie find zw 
beneiden, nur wir find zu beweinen. Die Erde iſt nicht ewig, 
and Sterne leuchten am Himmel. — Lebe, mein Sohn, weil ich 
bin — Di Haft noch diefe müden Augen zuzudrücken.“ 

Weinend ftürzte Vratislav in feine Arme und warf RG 
nieder auf bie Leiche und bededte das tobte Antlig mit feinen 
Küffen. 

Vom innern Geiſte ergriffen betete jet Halblaut bie tiefer- 
ſchutterte Menge das Vater umfer, und ein Priefter, welcher fi 


108 


darunter befand, intonirte laut das: Requieseant in. pace, 
ot lux perpetua lucest eis! B 

A porta inferi libera nos, Domine! Amen! ant- 
wortete im Chore bie Verſammlung. 

Das Sterbeglödiein tönte von der Sankt Georgefiche — 
fein milder, weiher Ton ſchwamm wie ein friedlicher Abjchiede- 
gruß durch die ſtille Nachtluft. Der Mond ſank freundlich hinter 
den Lorenzberg hinab. — 

Ein Heller Schein brach von dem fleiten Fahrweg neben 
der alten Schloßftiege herauf. Ein Ritter und eine Dame nebft 
ihrem Gefolge, welches Windfackeln trug, mahten zu Roffe. — 
Sie näherten ſich fiaunend ber beleuchteten Gruppe und Bielten 
verwundert fill. . 

„Der Ritter Spanberg und feine junge Gattin Lidmile 
von Rofenberg!“ raunte Sufol Vratislav'n zu. 

Bratislav blidte vom Boden — fein Auge traf Lidmila's 
von ber Flamme Heil erleuchtetes Antlig. Er barg das Geſicht 
in feine Hände Da hörte er Spauberg's Stimme, der fih nad 
dem Borfalle erfundigte. — Vratislav's Hand zudte nad dem 
Schwerte, welches neben ihm lag: aber ein Blid auf die fried- 
lichen Todten gebot feinem Blute Ruhe. — 

Einer aus ber Berfammlung Hatte dem Spanberger in- 
zwiſchen Beſcheid über das Ereigniß gegeben; er wandte fid zu 
feiner Gattin, die bei der Nennung von Vratislav's Namen er- 
bleichte und im Sattel ſchwankte, indem er fprah: „Einem 
großen und gerechten Schmerz find viele Zeugen läfig. Leicht 
fei den Todten die Erde, Friebe und Verſöhnung aber ben Le 
benden, bie fi feindlich gegenüberftanden l“ 

Er ritt mit feiner Dienerfchaft an ber Gattin Seite, welche 
feine Hand unterflügte, über bie Trümmer des erbrochenen Thores 
in die Burg. Der Fackelſchein erlofh in dem Bogengange ber 
Pforte. . 


104 


„les, ‚Alles, Alles verloren,“ klagte Bratisiad bumpf vor 
fi Hin, „aur das elende, armfelige Leben gerettet! Und weiter 
nichts! Gednldet und geſchmachtet, um zu hoffen, und jetzt jede 
Hoffnung todt! 


Bas ich Liebe, kaun ich nicht. befigen; 
Barum fol da Ieben, was ich haſſe? 


Und ich Hafje mein Leben.“ 

„Die Sterne verblaffen,” rief Zdenko mit Erhebung, „gerade 
wie ein Menfchendafein; aber fie feuchten wieder in ber nächſten 
Nacht. Gott if groß, fein Wille unerforſchlich. Wir wollen die 
Hand anbeten, welche uns in ben Staub geſchmettert. — Nur fie 
allein Tann uns wieder erheben, wie ſie uns fchon einmal er- 
hoben hat. — Friede und Verföhnung! fo ſprach der Sterbende. 
— Alſo Friede den Friedlichen! — Laßt uns dem Leib begraben !* 

Er erhob ſich. — 

„Um Euren Frieden, Ihr Todten,“ fprad; Vratislav kalt 
und vernichtet, „beneid’ id} Eud, Das Leben hat für mic) feinen 
Frieden mehr. Was foll ich da?“ 

„Glauben- und hoffen!“ verfegte Zdenlo; „ber Tod löe't 
uns das Näthjel, und ihm ſendet Gott zur rechten Stunde. 
Amen!“ 

„Amen!“ wieberholte Sufol. 

Man brach Aeſte von den Bäumen des Hirſchgrabens, bil- 
dete zwei Bahren daraus und Iegte die Leihen darauf. Der Zug 
fette fih in Bewegung.” Laut betend fchritt man beim Scheine 
ber Fadeln die Schloßftiege hinab. Hinter den Leihen wandelte 
Bratislav an Zdenko's Hand und geftütt anf. Sul. Immer 
noch tönte die Glode, das Grab- und Friebensgeläute ber Hin- 
geſchiedenen. 


105 


An der Bruska unten bog der Zug rechts mm, mac dem 
Palafte derer von Zeöwwic. - 

Hier brachte man bie Leihen in eine Kammer. Zdenko 
und Vratislav ftürzten in des alten Zedvic und feiner Tochter 
weinende Umarmung. 

Am folgenden Morgen zog der König an der Spige feiner 
Heeresmadt, vom Volke jubelnd empfangen, unter dem Geläute 
der Gloden, begrüßt vom Kanonendonner, in Prag, feine getrene 
Stadt, ein. 

Wegen gewaltfamer Deffnung der Kerker wurde Bratislan 
nicht in Strafe genommen. Der König, welchem Sutol den 
ganzen Vorfall ſchildern mußte, war fihtbar gerührt. Cr feßte 
die von Techtie in den Beſih ihrer Güter wieder ein, verlieh 
ihrem wieder zu Ehren gebrachten Wappenſchilde mod ein Feld, 
worin ſich ein Kelch und ein Buſch befanden, Beides in Bezug 
auf feine Exrettung durch Vratislav's Hand, und ließ durch eime 
Urkunde diefen At veremigen. 

Die Beiden von CTechtic beihloffen, nach ihrem Schloſſe 
Tollenſtein bei Kamnie, nit fern von der Grenze, zu ziehen, 
um dort in der Einfamkeit ihrem Schmerz zu leben. 

Beim Abſchiede fagte Eliſa von Zeiwic fanftmüthig zu 
Bratislav: „Ihr zieht auf Eurer Reife bei Neuſchloß vorüber. 
Vergeßt nicht, daß dort eine treue, lebende Seele wohnt, die viel 
am Eud gelitten. Ein Herz, wie felten eins auf Erben, ſchlägt 
Euch entgegen. — Dort ſprecht ein und tröftet die Beſorgte, die 
in Euch nod einen Todten und Gefangenen beweint. Ge ift 
hohe Zeit, ſonſt bridt das weiche, zartempfinbende Herz, Sie 
Hat viel für Euch gethan. . Lebt für fie; es iſt die Pflicht der 
Dankbarkeit.” 

Bratislav ſchwieg und Rarrte wehmüthig vor fi nieder. — 
Sie ſchieden. 


106 


Niklas Iebte mit Zlata in fliller, reiner Liebe auf feinem 
Scloffe Satin. — Eines Tages trat er verbüftert in ihr Ger 
mad. Wie immer ſah fie ihm träumeriſch und liebevoll in’s 
Angefiht. Sie ergriff feine Hand und prehte fie und fragte mit 
Holdem, einſchmeichelndem Zone: „Bleibt Du hier? Zieh nicht 
fobald wieder nah Prag — es ift mir fonft fo einfam Bier; 
aud; weilt bie Mutter biesmal lange.“ 

„Wie ſchmerzt es mich,“ fprad er wehmüthig „meine Ma- 
viel“ — biefen Namen hatte er ihr ftatt des von den Zigeuner 
erhaltenen Zlata beigelegt — „daß ich biefe lächelnden Züge 
in fehmerzverlündende wandeln, biefen Holden Augen Thräuen 
enfloden muß! Mad’ Dich, Holdes Weſen, auf eine betrübte 
Kunde gefaßt, die traurigfte vielleicht, welde je Dein Leben trefe 
fen wird.“ 

„Wo ift die Mutter?” fragte fie raſch umd ahmungsvoll. 
„Haſt Du Nachricht von der Mutter? Hat fie den Bater wieber- 
gefunden? Lebt fie? Iſt ihr Fein Leid widerfahren ?« 

Wohl hat fie den Water wiedergefunden,“ berichtete Niklas 
mit Schonung, „und felig an feiner Bruſt gerußt, um ihn auf 
ewig zu verlieren. Sie ftarb mit ihm im der Entzüdung des 
Biederfehens, an feiner Bruſt, in feinen Armen. Es war ein 
ſchoner, glüdlicer Tod, den fie Mach.“ 

Maris warf fih an des Ritters Bruft und benegte ihm 
mit Tränen. „Ufo tobt iſt fie,“ rief fie nach einer Weile, 
während welder ber erfte Schmerz ausgetobt, „tobt mit ihm, ber 
mir dus Reben gab! Sie ift glüdticer ale id; fie ſtarb mit 
dem Geliebten, ich bin allein geblieben. — Nun mußt Du mein 
Boter fein, Niflas.“ 

„IH will es!“ rief er freudig; „Alles, Alles wil ih Dir 


107 


fein, Du mein leuchtendes Engelbild. Weine Dich aus, zolle 
den Gefchiedenen bem Strom Deiner Thränen, weih' ihnen bie 
veinfte Liebe; aber emtziehe diefe and dem Lebenden nicht.“ 

„Ich ahnte es fehon vorgeftern,“ fuhr das ſchluchzende 
Mädden fort, „ale id; in Heiler Naht nah den Sternen fah, 
die mir flets Kunde geben von Glüd und Unheil, nnd fie ber 
fragte nach der Mutter. Der eine glänzte fo Heil, fo ſchön wie 
fein anderer; zu ihm kehrte ich den Bid. Da ſchoß er Teuchtend 
wie ein Feuerband zur Erde nieder und war in Nacht zerfloffen. 
Es durchſtach mir das Herz; ich fühlte es, daß eine theure Seele 
geendet. — Ich zitterte für Dich — zog mid aus dem Fenſter 
zurüd — ſchlich Teife in Dein Gemach. Du mwarft im Sefſel 
eutſchlummert, ſchliefft fo füß und athmeteft fo friedlich. — Dir 
alſo galt das Zeichen nicht. — Ich flörte Deinen Schlaf nicht 
umd ſuchte mein Lager, wo id) nur Trauriges finnen konnte.“ 

„3a, ih will Dich Lieben,“ betheuerte Niklas, „mit ber 
Liebe Deiner Mutter, noch Heißer, no inniger. — Auch eine 
Freundin will ich Dir fenden, meine Holde Schweſter; fie ſoll 
Dir Schwefter und Genoffin fein.“ 

„Aber dann,“ verfegte fic, „mußt Du mir verfprehen, nie 
zu flerben, weil ich fonft mit Die fierben müßte. Und ich lebe 
doch fo gern, mweil ich Dich Iebend weiß! Und im Tode ift es 
traurig umd Talt! Mein Auge würde Dich dann nicht mehr fehen, 
mein Ohr Deine Stimme nicht mehr hören. Es wäre ſchrecklich 
für mid!“ 

„3a, ih will leben für Did,“ erwiederte er, „nur allein 
für Did, Du Holde Blume, die ein gnädiges Geſchic mich finden 
Tieß. Jetzt aber muß ich fort gen Prag, um Dir die Schweſter 
zu ofen. Ein theurer Freund Bat dort viel Gerzeleid erfahren: 
ihn muß ich tröften. Vielleicht bringe ich ihn hierher, und wir 
Ieben im fillen Frieden ber Liebe und Freundſchaft, laſſen dem 
Schmerz verbämmern wie bas Abendroth, die Erinnerung aber 


108 


leuchten wie einen ſchönen Stern in unferer Seele. — Lebe 
wohl! Die Eile drängt; bald bin ich wieder hier und ſehe Dich 
freudiger wieder.“ 

Sie ſchieden. 

Im Walde bei Weltrus lagerte Vratislav von echie mit 
feinem Oheim Zdenko, dem treuen Sufol und einigen Dienern. 
Aus dem Schloßgarten erhoben ſich die Thurme der. Burg, worin 
Neuhaus verweilte. 

„Geh' Du hinein, mein Sohn,“ ſprach Zdenlo ernſt, „als 
Friedensbote. Bring den Gruß und das Verſöhnungswort des 
geftorbenen Bruders. Sprich auch von mir. Der Groll iſt fort 
aus meiner Seele, ſeitdem ich das Wort der Sühne, ben Namen 
Bojena von jenen Lippen hörte, die bald darauf ſich für ewig 
ſchloſſen. Es fei umfer letztes Merk in ber Welt, worin wir 
‚nichts mehr zu finden Haben, es wäre denn im irgend einem 
Kampfe für des Glaubens oder des Vaterlandes Heil. Darauf 
wollen wir lauern in unferer Einſamkeit auf Tolenftein. — Der 
Herr geleite Did und laſſe Dich ein verföhnliches Herz finden! 
Bedarfft Du mein zum Friedenswerke, fo rufe mic hier ab. — 
Gebe Gott, daß wir leichteren Herzens. von hier aus weiter 
pilgern !* 

„Gehab' Dich indeß wohl, Oheim!“ verfegte Vratislav; 
„der Weg des Friedens iſt ein ebener; ich wandle ihn freudigen 
Herzens.“ 

Er ſchwang ſich auf ſein Roß und ſprengte dem Schloſſe zu. 

Dan öffnete — er nannte feinen Namen. — Nach gerau- 
mer Zeit trat Neuhaus aus ber Halle auf den Burgplatz. Er 
wor vollftänbig gerüftet und fcpritt fo mit gemefjenen Tritten 
dem Ritter entgegen. 

„ratisfan von Techtie,“ ſprach er feierlich, „Du haft Wort 
gehalten. Als Feind kehrſt Du wieder und willſt mein Leben 
für das Deines Vaters. Ich bin bereit zum Kampfe, denn einem 


109 


Nitter ziemt es, ehrenvoll ſolchen Streit zu ſchlichten; denn nur 
die Leiche Eines von ums Beiden fann bie Kluft ausfüllen, welche 
zwiſchen uns liegt, fo lange wir am Leben find. folge mir im 
die Rennbahn.“ J 

Bratislav warf ſein Schwert auf den Boden und ſagte 
feierlich, doch fanft: „Nicht Dein Schwert bring’ id Dir wieder, 
um Dein Leben zu fordern. Ich bringe Dir einen Friedensgruß 
— an Dir liegt's, ob er ein Gegensgruß werden fol. Gott 
waltet zwifchen den Menfchen und ihren Herzen, und feine Hand 
öfht anf. Einmal die Flamme der Wade und gieht auf bie 
Wunde, welche fie gebrannt, das lindernde Del der Verſöhnung. 
Es war ein Underer ale mein Water, der damals mit bem 
Tode gebüßt. Ich fand den Bolesla von CTechtie im Kerter 
umter fremdem Namen febend wieder amd gab ihm die Freiheit, 
der ihn ber Tod entnahm, um ihn zur höheren zu erheben. 
— Der Tod if unfer Aler Verſöhner. Mein Vater ftarb 
mit ben Woten ber Vergebung und der Sühne auf ben Fippen. 
Was er an Dir und Deiner Schweſter gethan, Hat er Hart ger 
büßt in mehr denn fünfundzwanzigiähriger Gefangenſchaft, was 
Du an ihm verfhuldet, Haft Du gewiß bereut; denn redlich 
ift Dein Herz, wenn aud der Wille einft Hart umd feindlich 
war.“ — 

Neuhaus ließ Schwert und Schild finfen und rief bewegt: 
„Alfo den Trauernden und nicht den Feind kündet dieſes Trauer- 
gewand und biefe ſchwarze Rüftung? Er hat gelebt umd if 
nicht von Henkershand geftorben? Meiner Schmwefter Name ift 
alfo nicht geſchändet durch fein 208? Habe Dank, allmäctiger , 
Gott — hab’ Dank, Dir Bote des Friedens, der anders rüdtchrt 
als er geſchieden Der Herr fegne Di! — Du haft eine große 
Laft von meiner Bruft gewälzt! — Ih Habe noch Thränen. 
Komm an die Bruft Deines Oheims; denn der geliebten Schwer 
ſter Blut fließt in Deinen Adern. Unb fo finkt, was gemein 


110 


und irdifh war, von uns nieder wie ein Gündergewand, und 
bie Herzen, welchen ber Herr Liebe geboten, ſchlagen einander 
entgegen. — Ich nenne Dich freudig meinen Sohn und gedenke 
Dir nod ein freudigeres Wort zu verfünden.” 

mMit diefem Knffe,“ rief Vratislav, „bringe ih Dir auch 
den Kuß des flerbenden Vaters, der dort oben mit der Gattin 
verföhnt auf uns niederblidt. Der Haß geht nicht über das 
Grab hinaus; fo ſprach er — er ift irdiſch, bie Liebe aber ewig. 
Und Liebe war es, durch welche er fehlte.“ 

„Bir irren Ale im Leben,“ nahm Neuhaus wieder das 
Bort; „beglüdt diejenigen, die den rechten Weg wieberfinden. 
Der Haß bereitet Schmerzen, bie Liebe ftilit fie — fie ift von 
Gott. — Tritt herein in mein Haus, Sohn Bojena’s, und rüfte 
Did, einen Angriff auf Dein Herz zu beſtehen.“ 

„IR Lidmila bei Euch ?“ fragte Vratislav erihredend und 
erbleich end. 

„Rein!“ war die Antwort; „fie iſt des Spanbergers Weib, 
da Du fie verfhmäht. Das Schichal fügte es fo. Du aber 
haft ihrem Herzen eine Munde gefchlagen, die — glaub’ ih — 
ewig bfuten wird. O wäreſt Du damals, als Du Did zu er 
tennen gabft, nicht geflohen, der Engel der Berföhnung wäre 
früher zw uns niedergeftiegen. In ben Kindern hätte fi ver- 
einigt wiedergefunden, was bie Eltern geirennt.“ 

„Set kann ich es geftehen,“ betheuerte Vratislav, „auch 
mein Herz wird ewig biuten. Ich Habe einen großen Theil 
meines irdiſchen Heiles verwirkt. — Doch blieb ih — fo fand 
ich den Bater nicht wieder, und wie hättet Du das Wort ber 
Sühne gehört, nie wäre Deine Brnft erleichtert worden wie jeßt. 
Gott if gnädig; aber felten fpendet das Schidjal mit doppelten 
Händen das Heil. — Es mußte fo fein. — Der Kranz bes 
Lebens Liegt zerblättert zu meinen Füßen — nur einige bürre 
Zweige, die Dornen, bie id) von bes Waters Hanpt geriffen — 


111 


find mir geblieben als theures Vermächtniß. Sie find auch viel 
werth für das Leben — ich hab’ ein genügfam Herz. Ich ver» 
lange nicht nach neueren Blumen.“ . 

„Gott hat gewaltet,“ ſprach Neuhaus mit Erhebung; „fein 
Wille fei gepriefen! Aber nicht ganz arm folft Dur im Leben 
ferner dahinwandeln. Es gibt nod eine Hand, welche Dir einen 
Kranz windet um die junge, gramgebrüdte Stirne. Deine Seele 
wirb jubeln, wenn ihr "ein neuer Stern anfgeht und banernder 
verweilt, al8 jener, der fo plötzlich untergegangen. Kolge mir im 
mein Hans.” 

„Harre noch!“ unterbrach Vratislav; „ih bringe Dir noch 
einen verföhnten Feind, ber an Deine Pforte pocht und anfragt, 
0b ihm aufgethan wird. Es ift mein Oheim Zdenko, der Iebt 
und fat mit mir zugleich den Vater und Bruder wiederfand.“ 

Er erzählte ihm nach biefen Worten in lebendiger Kürze 
des Baters wunderbare Rettung, feine Befreiung, dez Oheims 
BWiederfehen, feine Thaten und Wbenteuer, des Königs Freilpre- 
Hung und ihres Namens neue Erhebung. 

„3dento komme!“ fprad; Neuhaus; „meine Bruft wird ihn 
gleich freudig empfangen. Hab’ ich mit dem Todten mich ver- 
föhnt, warum nicht mit ben Lebenden auch, die doch Auge gegen 
Auge das Wort der Sühne und der Eintracht ſprechen können? 
Bir waren einft Feinde, weil wir uns nicht verftanden. Wider 
Rand reizte fremden Wiberftand, und flatt zu nähern, entfernten 
wir une. Die Zeit und mit ihr die Einſicht bringt oft Licht 
umd Klarheit in die Geifter, umd wir bliden über eine Lebens 
firede, welde wir durchlaufen, mit ridtiger urtheilendem Auge, 
als in der Gegenwart, bie uns hinreißt und befangen madt. — 
Hier in ber Halle erwarte ih Euch — kein Vierter foll den 
ſchönen Augenbfid flören; denn noch ift e8 zu früh. Mir könnten 
ein zartes Leben knicken, das wir erheben wollen durch bie Freude. 
Geh’ und kehre bald wieder." — 





112 


Bratislav flog in ben Wald hinaus umd Lehrte mit dem 
Oheim nad dem Schloſſe zurüd. Sukol mit ber Dienerihaft 
folgte in einiger Entfernung. 

Nenhaus fand am Eingange der Halle, breitete die Arme 
ans und umſchloß mit ihnen den Neffen und deſſen Oheim. 

„Wir haben Beide,“ begann er nach einer Paufe finmmer 
Rübrung, „für den Glauben und das Baterland gefochten, wenn 
and mit verfhiedenem Eifer. “Gott allein kann wiffen, welcher 
der richtige war; aber Glauben und Vaterland haben wir Beide 
geliebt. Segnen wir das Gefdid, das uns diefen Tag der Er- 
Tenntniß vorbehalten! Des Allmächtigeu Finger hat uns auf 
bie rechte Bahn gewielen, von ben Irrwegen ab. — Wir hätten 
ums wohl früßer geliebt, hätten wir uns erfannt; aber darum 
geſchehe der Lebenefrift, bie noch vor ums liegt, ihr Recht.” — 

„Du tennft mic, Neuhaus,” nahm Zdenko das Wort; „ich 
war ſtets rauh umd wild, verbüftert und immerlich verſchloſſen. 
Ih Tann nit viel Worte machen — das weißt Du. — Sch 
glaube, ich war beffer, als ich mich felbft hielt. Warum konnte 
ich's nicht zeigen? Ich habe Di nie für fo mild gehalten und 
darum auch nicht erfannt. — Das Unglüd hat mic, weich ge- 
Hopft, und dem fremden Unrecht hielt ih nun mein eigenes ent- 
gegen. Das gibt mir Licht. — An Bojena hat mein Bruder 
nicht immer recht gehambelt, ich ſah' es ein; doch feiner Leiden · 
ſchaft braufende Flamme konnte ich nicht dämpfen. Als ih von 
feinem ſchimpflichen Zobe, von der Schmach unſeres Namens 
vernahm, als man Did den Urheber alles deſſen nannte, da 
haßte ih Did uud fandte diefen als Rächer aus. — Gott hat 
es anders gefügt, und fein Arm fiel im das gezüdte Schwert. 
— 3% bin ein Anderer geworben — jest als Greis, und ich 
ſchäme mic nit des Geftändniffes. — Hätten wir Beide gewußt, 
wie die Wunden ſchmerzen, die wir uns ſchlugen — wir hätten 
keine geſchlagen. — Ienfeits wohnt Verſöhnung — warum ſollen 


113 


wir fie nicht auf Erben bereiten, ba wir mod leben? — Das 
Leben ift fo kurz; es iſt eine Sünde, baß mir es uns fo ver» 
Bittern! Du haft noch Thräuen, Neuhaus — and) mein Auge 
wird naß. — Berllärter Bruder, dieß iſt Dein Werk nebſt 
Gott!“ — 

„Seil, daß Dir tebl“ rief Neuhaus, „daß wir uns fo 
wieberfehen! denn nod ein Briedensengel wird zwiſchen uns 
treten, und ber Himmel ringeum ke in heiliger Pracht und 
Schonheit I" 

Eine Hohe Frauengeſtalt trat — — es war die Frau 
von Falkenberg. J 

Vratislav wandte ih nach ihr: „Meine edle Wohlthäterin 1” 
rief er und wollte in bie Knie finfen. 

„Dein Sohn I” fchrie fie kreiſchend auf und ſauk ohnmächtig 
in feine Arme. — 

„Heiliger Gott, Himmlifcher Gott!“ rief Zdento, „gibt denn 
das Grab alle feine Todten heraus? WIN Alles — Alles anfe 
erfiehen? Bojena! — Bojena! meines Bruders Weib! Da — 
ober eine Andere? Zäufchen mich meine Sinne? Iſt es Biend- 
werk eines Zanberers? Sol mir das Herz brechen, der Sinn im 
Wahnwitz ſich verfehren? IA es Wahrheit, was meine Augen 
fehen? Lebt fie, die wir im jener Schlacht als Leiche zurüdgelafien? 
Ja — ja — alle Todten ſtehen auf — vielleiht and die Hel- 
den von Htib.“ 

Er beugte fi bebend nnd erſchüttert über die Ohnmachtige, 
welche Vratislav in feinen Armen Biel. Er wehrte dem Thrä- 
nenſtrome nicht, ber über fein bärtiges Antlig berniederfloß. 

„Es ift Wahrheit !” ſprach Neuhaus mit zitternder Stimme; 
„Bojena ift es, Deines Bruders Weib, Vratislav's Mutter. Dur 
ein Wunder warb fie gerettet, und ber Sohn ift ihr miedergege- 
ben, den fie gleih dem Gatten als tobt im freudenloſen Fa 

Berlobfohn: Der lehte Taborit. u. 


14 


beweint. — Ja, fie if es, und Gottes Barmherzigfeit hat uns 
Me erhalten für diefe Eine, große Stunde.“ 

nBör ich recht?“ jubelte Bratislav; „ich babe eine Mutter? 
Das ift meine Mutter? dies Bild voll Liebe und Milde, voll 
frommer Hoheit und wunderbarer Gewalt für mich, fie, zu der 
mid das Herz Hinzog mit füßer Gewalt?“ 

„Damals, als Dun im Trotz und Hafle ſchiedeſt,“ ſprach 
Neuhaus, „wäre fie fon in Deine Arme getaumelt, wenn Du 
nur fo lange verweilt hättefl, bis nach dem plötzlichen Schrecken 
die Befinnung wieder bei uns eingefehrt war.“ 

„D Mutter, Mutter,” ſprach Bratislav felig gerührt, „füher, 
Heifiger Name, der mir noch geblieben if, um biefe tobte Welt 
mit feligem Wohlklange auszufüllen! O ſtirb nicht, meine Mutter, 
in ben Armen Deines Sohnes! Er ift mit mehr fo drohend 
und wild wie damals, als Du ihn zum erſten Male ſaheſt; er 
iſt mild und flehend geworben; er umklammert in Demuth Deine 
Knie und füßt Deine Hände und betitelt um einen Blid ans 
Deinem Himmelsauge. — Zog Did dod ſchon damals, als ber 
Tod auf mic; niederrauſchte, als Krankheit mich ſchwer und dü- 
fer umnachtete, des Herzens Regung zu mir! denn Du warft 
fo mild, fo Hold umb gnadenvoll, daß ich bie heilige Nähe der 
Erzeugerin ahnte und Dir Anbetung zollte, die eigentlich meine 
Kindesliebe war.“ 

„Ich Habe Dir," nahm Neuhaus nad Vratiélab's erftem 
Freudenſturme wieder das Wort, „einen Kranz für die zwei ver- 
wetten verfprochen, mein Cohn. — Sieh', ber Mutter Hanb 
windet ihn um Deine Gtirne — und das Leben amupt Du lieben, 
um feiner würbig zw fein.“ 

Bojena ſchlug die Angen auf. — Ihr feliger, durſtender 
Bd ruhte auf den Zügen ihres Gohnes; er geleitete fie zu 
einem Giße; Hier kuiete er zu ihren Füßen, hielt ihre Hände 


115 


in ben feinen und fah zu ihr empor und gab ihr die füßeften 
Ramen, — 

„Dein Sohn,“ ſprach fie endlich mit umendficher Rührung, 
Kind, das ich in Schmerzen geboren, das id; im Scheintode 
verloren — von befien weiterem Dafein ich feine Kunde Hatte, 
warum bift Du mir, Pfand der Berföhuung, fo fpät erichienen ? 
Meine Seele hat geſchmachtet nah Dir, nad der Gewißheit Dei- 
nes Dafeins. — O mein düfteres Leben wäre wieder Heil ge- 
worden, trat Deine leuchtende Erſcheinung hinein!“ 

„Darf ih Mutter,“ fragte Vratislav, „ben Namen des 
Baters nennen, ohne Dich zu verbüftern? Auch er hat gelebt — 
vor Kurzem nod. Nicht unter der Hand bes Henters Hat er 
geenbet, fonbern in des Sohnes Armen; aber auf einem leuch- 
tenden Sterne hoffte er Dich zu finden. Er hat Dich unendlich 
geliebt, und fein legter Laut war Dein Name. Bergib ihm; er 
bat ſchwer gebüßt.” 

Mein Boleslav!“ ſprach Bojena, in wehmüthiger Erinne- 
rung — „er war mein Gatte, und ich babe an ihm geliebt, mas 
mild und edel war. Des Krieges biutige Stürme, bie Leiden- 
ſchaften haben fein Herz rauh gemacht, das eines beffern Loſes 
würdig war. O warum war es mir nicht vergönnt, ihn wieder 
zu fehen! An meinem Herzen war fein Plog! — Das Unglüd 
Hat uns getrennt, weniger umfere eigene Schuld. Im Glüde 
lebten wir und wären vereinigt geblieben in Liebe.“ 

„Sein Auge blidt fegnend,” nahm Vratislav wieber bas 
Bort, „auf uns, die harte Prüfung im Frieden vereinigt hat. 
Sehen wir von nun an zu ihm empor als zu einem guten 
Geifte, der über unſer ferneres Los ſegnend und behütend wacht.“ 

„Aber — wie ift mir?“ ſprach jet Zdenko, der während» 
dem fiaunend und ſprachlos dageſtanden; „ſoll ih an Wunder 
glauben, foll ich die Tobten für Lebendige alten? Jeder Umftand 
trifft zu, und doch fah ich fie, die wir jegt in unfern Armen 

gr 


116 


balten, deren Rede wir vernehmen, als Leiche ansgeftredt in je- 
nem Zelte, welches das feuer verſchont. Einer Todten entriß 
Boleslav das kaum geborne Kind, und eiſige Lippen kußte er 
ſtatt der lebenswarmen.“ 

„Es iſt fo — es iſt wirklich,“ erzählte Neuhans; „ich fand 
die Schweſter als vermeintliche Leiche. Mein Schmerz war greu- 
zenlos. — Ich gab den Befehl zu ihrer Beerdigung und 308 
meiter in wahnfinniger Verzweiflung. Nebſt Bielen, welde die 
Todten plünderten und begruben, Beute fuchten und theilten, 
blieb auch einer meiner Diener auf dem Schlachtfelde zurüd. 
Ihm hatte ich die Beſtattung Bojena's zur Pflicht gemacht; er 
aber folgte dem Triebe feiner Habſucht und bentete die erihla- 
genen Ritter aus. So kam es, baß ber vermeintliche Leichnam 
einen ganzen Tag vergeffen in jenem Zelte lag. Das Leben, 
welches einer gänzlichen Erſchöpfung gewichen war, fehrte wieber. 
Sie fand fih allein, ohne Kind, ohme Gatten, ohne menſchliche 
Nähe. Kraftlos, aber der Berzweiflung nahe raffte fie fih auf 
— trat hinaus und fah ein Leichengefild, von Gräbern durch- 
ſchnitten. Kein lebender Laut regte fi; denn in einem fernen 
Buſch Hatten fi die Todtengräber und Nachzügler gelagert. — 
Dumpfes Entfegen trieb fie an, den Ort bes Grauens zu fliehen. 
Sie hüllte fi in ihre Gewänder und eilte nad der Ebene — 
In der Hütte eines Dorfes fand fie gaftlihe Aufnahme und 
Pflege. Hier überfiel fie eine fange Krankheit, welche fie an den 
Rand des Grabes brachte. Es mar, als ob ber Tod, beffen 
talte Hand fie ſchon einmal berührt, nicht von feinem Opfer 
laffen wolle. Spät erſt, nachdem bereits Zion geſtürmt und feine 
Bertheidiger der Wuth der Sieger geopfert worden, fand fie &e- 
legenheit, dur einen Landmann, welchen fie in das Bertrauen 
gezogen, mir Kunde von ihrer Anferftefung zu geben. Kür dem 
vermeintlichen Boleslav war es ſchon zu fpätz er hatte im Ge- 
fängniffe geendet. Aus Race, da ich die Schweſter tobt glaubte, 


17 


Heß ich es gefehehen, daß feine Leiche anf den Galgen kam. — 
Jebt, da fie wieder lebte, mußte e8 ein Geheimmiß bleiben vor 
der Welt; denn meines Hauſes Ehre duldete es nicht, die Witwe 
eines Geächteten als ein Mitglieb deffelben zu zählen. — Ganz allein 
reiſte ich insgeheim im jenes Dorf. Bei finfterer Nacht geleitete 
ich fie weiter und fo glücklich bis an die Grenze. In der Pfalz 
Hatte ich einen treuen Freund; er lebte einfam auf feinem entle- 
genen Schloffe. Diefem übergab id die Schweſter. — Hier Iebte 
fie als Fran von Faltenberg lange Jahre, bis ihr Gedächtniß 
im Baterlande erloſchen, ihr Bild aus aller Leute Gimme ver- 
ſchwunden war. — Dann erft — flets vor Entdedung zitternd 
— holte ich fie wieder Heim in's Vaterland. Seit jener Zeit 
Hat fie diefe Burg felbft nicht während des Winters verlaffen. 
Der Dienerihaft war fie unbelannt, und Fremde wie Belannte 
empfingen wir Hier niemals. Führte der Zufall Iemanden her 
— fo verbarg ſich Bojena. Vratislav war ber erſte Menſch 
anfer unferm Familienkreiſe, der fie fehen durfte. So abgeſchieden 
von ber Welt, ohne Namen und Geltung in ihr Iebte fie ihrem 
Schmerze. — Dieſes Wieberfinden hat des Geheimmifies Siegel 
gelöft, und Bojena von Neuhaus trägt wieder - ihres gerechtfer- 
tigten Gatten Namen und ift Vratislav's Mutter vor Gott und 
den Menſchen. — Es war ein feliger und doch bernichtender 
Moment, als Bratislav damals zornglühend den Namen Techtic 
nannte und Bozena die Gewißheit überkam, daß ihr Sohn noch 
lebe, und daß es eine Möglichkeit gebe, ihm dereinſt verſöhnt au 
das Mutterherz zu drüden.* 

„Gott ift groß und barmherzig!“ ſprach Zdenko mit frommer 
Erhebung; „fein Gnadenarm heilt bie Wunden wieber, melde 
fein ſtrafender geſchlagen! Dem Tode entreift er die ihm ver⸗ 
fallenen Opfer, um’ die Ueberlebenden durch fie zu beglüden! 
Niemand, wer irdifh if, verzweifle ; denn im des Allmächtigen 
Hand ſchlummert immer noch die Erhebung.” 


118 


„D Mutter!” rief Vratislav, „fühlte Du, wie mein 
leeres Innere, meine ausgeftorbene Lebensnacht fo plöglih von 
Deinem Bilde, Deinem Heifigen Dafein ausgefüllt if, wie ein 
neuer Frühling auf meiner Hoffnung verwitterten Steppen zu 
btühen beginnt, wie die Seligkeit, eine Mutter zu haben, mid 
tauſendfach durchglüht !“ — 

„Mutterſeligkeit,“ entgegnete fie, „fühlt alles dies noch tiefer 
und weider. Did befaß id ja fon, und Du warft mir ent- 
tiffen; ich bemeinte den Berlornen. Du durfte nicht trauern 
um das, wus Du nie befeffen.“ 

„Und dod Habe ich in heiligen Stunden des Schmerzes 
und ber Rührung,“ verfegte er, „nah Dir gefhmadtet, zu Dir 
gebetet, von Deinem Bilde geträumt! Es gab, einen leiſen Ton 
in meiner Bruft, der wie Deine Stimme ang; fie ahnete 
ich dereinft zu Hören, und der fromme Traum iſt jest zur Wirk 
Kohfeit geworben.: Auch Du haft mein Dafein geahnet; Du haft 
mid, ben Todtkranken, mit Deinen Thränen benetzt, mich mütter- 
Kid) gepflegt, bie verwandte Natur in mir, dem Fremdling, ge- 
fühle.“ — 

„Wobl ergriff mich,” erzählte fte, „eine feltfame, tiefe Rüh- 
‚rung bei Deinem erften Erſcheinen; dieſe Mienen, dieſe Augen, 
fie waren das Abbild des Waters. Ich zitterie bei dem Gedan- 
ten, Du lönnteft mein Sohn fein: ich forſchte und zitterte wieber 
bei dem Gebanfen, die Entdedung Lönnte meinen ſchönen Wahn 
vernichten. Endlich zerriß der Name Branik, der mir fremd mar, 
den Traum, mit dem ich mich felbft getäufcht. Ich verzichtete 
weinend, da ih den Frembling erfannte, und jene Aehnlichkeit 
erſchien nur wie ein trügeriſcher Zufall. — Endli als Du im 
der Stunde des Scheidens, in jener fhredfichen Stunde, jenem 
gefürchteten und doch erfehnten Namen nanntefl, da flürmte der 
Drang aller ſeligen und ſchmerzlichen Gefühle auf mich; die Be- 
finnung ſchwand, und id fan, wie im innerften Leben gebrochen 


119 


und doc zugleich erhoben, zu Lidmila's Füßen nieder. Als ih 
wieder erwachte, warſt Du bereits entſchwunden. Mit dem Fluch 
der Rache, fo fagten fie, wart Du geſchieden, und ich Hatte Dich 
zum zweiten Male und ſchreclicher als bamals verloren. Mit 
meinem Herzen zugleich bintete das Lidmila's. Du hatteſt auch 
fie, die Flehende, von Dir geftoßen, und fo blieb feine Hoffnung 
eines verföhnenden Wiederſehens. Aber ber Meunſch finut, und 
Gott lenkt. — Was wir nie zu Hoffen gewagt, ift wirklich ges 
worden — ber Bater nicht entehrt, der Sohn verföhnt an meiner 
Bruſt.“ — 

„Dem Einen, Gemaltigen,” nahm Neuhaus das Wort, 
„ber uns gereinet hat durd Prüfungen und geführt durch das 
Iammerthal zur Erhebung, werde unfer Dank! Das Leben ift 
ein theures Gut; wir aber in feinem Beſitze walten bamit ver- 
ſchwenderiſch. Erſt wenn wir daran gefährdet worden durch 
eigene Schuld und viel davon .verfpielt: Haben im Rauſche ber 
Leidenfchaft, lernen wir es lieben und feinen hohen Werth ſchatzen. 
— Gottes Friedensfonne leuchtet herein — ihr rother Glanz ums» 
ſchimmert ung mit Verklärung. Betet zu ihm, der die Sonne 
erſchaffen und ben Sand des Meeres zählt und den Grashalm 
teunt; er vergißt auch feine Menſchen nicht im feiner Barm⸗ 
herzigkeit 1" 

Alle erhoben fi, falteten die Hände und fahen fromm in 
das Abendroth, das durch die grünen Zweige im die Halle fiel 
und einen gewaltigen Lichtftreif bildete, ber hereinſtrahlte wie ein 
glänzendes Jenſeits. — 

Mutter, Mutter!“ vief Vratislav und umſchlang die ſchöne 
Geſtalt, „glücfelig find die Lebenden! Beneibet die Todten nicht; 
denn ich Tenne eim Herz, das unter ber Falten Erbe liegt umb 
aufjauchzen würde im feliger Trunfenheit, wäre e8 unter und. — 
Beneidet die Todten nicht um ihre Wonnen, nur um ben Man- 
gel ihrer Schmerzen.” 


120 


„Aber feguet fie,” ſprach Neuhaus, „und gebenkt ihrer im 
Liebe; denn bie irdifhe Stimme bringt hinab in bie Gräber, 
die todte nicht herauf in das Leben; fonft wäre das Leben ſchon 
ein Jenſeits.“ 

Amen!“ ftel Zdenko ein; „das Leben if in unſere Hand 
geftellt, wir können daraus formen, was wir wollen. Haben wir 
unſer beabſichtigtes Bild entftellt, fo ift die Reue und der Ber- 
Mmft ewig; aber ein Allerbarmer wandelt, wechſelt und tröſtet.“ 

Sutol und das Gefolge kam. Sie gingen insgefammt im 
die Burg. — 


Es gibt Menden, die für Schmerzen geboren find; fie 
fangen an ben Brüften ber Entfagung, werben groß gezogen 
durch das Unglüd, und wenn ber leuchtende Sonnenſtrahl ihre 
verfümmerte Hoffunngeblume kußt, fo ift fein Kuß zugleich ihr 
Tod; er verfengt fie. Der Kranz, ben fie fi winden, verwelkt 
in ihrer Hand, bevor fie ihn noch in ihre Roden gebrüdt. Sie 
Haben am Ende ihrer Pilgerfahrt nur einen Bid: den nad 
oben. Und jene Sonne von oben, die den Blick zu ſich empor 
zieht, Tann fein Xruggebifde fein, beun der Schoß ber Erbe 
gibt Beruhigung; aber er ift ſtumm und bat für die Eine, legte 
Frage feine Antwort. — Weint nicht über die, welde ihr Leben 
verfpielt, bie zu früh geſchieden find im ihrem Frühlingetraume ! 
— Binn bie Stimme einen Namen gegen bie ſtarren Felſen 
vaft, fo tönt vielleicht fpät, aber doch vernehmbar der Wieberhall 
eräd. — 

Durch das Bogenthor von Nenfhloß zog Bratislav an ber 
Seite des Oheims mit feinem Gefolge ein. 


121 


An den Stufen der Halle empfing ihn Milada in Gefell- 
haft ihrer dienenden Matrone. Sie hatte das ſchwarze Trauer - 
gewand abgelegt und erſchien in ſchneeweißer Tracht. Sie fah 
laß und leidend, aber himmliſch ſchön im Lilientleide. Wie ein 
rofiger Athemzug fäufelte über ihre Wange, als fie dem Ritter 
in das Autlitz ſah; die ange, dunkle Wimper fenkte ſich, ber 
zitternde Arm fanf, da ihn Bratislav's Hand berührte. 

„Ihr werdet mic) einen Undankbaren ſchelten,“ ſprach Bra- 
tislav, nachdem er an ihrer Seite, gefolgt vom Oheim, in das 
Pruntzimmer getreten war, „baß ich ber beforgten Freundin fo 
fange feine Kunde gab von freiheit und Gefangenſchaft; aber 
beide wechſelten fo raſch, daß mir faum eine Empfänglichkeit für 
den Wechfel blieb.“ 

„Ihr feid fo gütig, Ritter,” entgegnete fie erglühend; „id; 
weiß faum, woburd ic) diefen Dank verdient. Beſchämt —“ 

„Beſchämt nicht mich,“ fiel er der Stodenden in's Wort; 
nbeihämt nicht den Schuldner, ber dankbar wieberfehrt und 
ſpricht: Herrin, Du haft mir Gutes gethan; nimm biefen Aus- 
ſpruch meiner Seele. — Aber die Schuld, mein ebles Fräulein, 
muß ich wieber abtragen an ben milden Gläubiger, und jene 
Schuld ift mein Leben, um welches Ihr gnäbig geforgt, als wär 
es Euch ein theures. Um biefes Leben fritten ſich fo Biele: 
Menſchen, Zufal, Mißgeſchick; Ihr allein wart uneigennützig. 
Bas Tann ic Eu Beſſeres bieten zum Dank, als mein Leben? 
gleichviel ob fein Gehalt von Werth oder nigt! — Id bin 
Euer Sclave; gebietet mit bem Dafein, das fi Eud freudig 
weiht, wenn es gleidh dem Ohngefähr als ein Nichte preisgegeben 
war. Wie Ihr e8 achtet, ſoll es gelten.” 

„Daß ich beforgt um Euch war,“ entgegnete fie ſchüchtern 
und abgebrochen, „hat Euch Eliſa wohl verrathen. Ich Hätte 
das einem Andern, den id} fo achtete wie Euch, auch gethan — 


122 


bie Pflicht — das umverbiente Mißgeſchid — Verzeiht — — 
bleibt mein Freund, Vratislav!“ 

„Jedem Andern ?" wiederholte ber Ritter; „daun freilich 
theilt fih die Gnade in viele, viele Theile, daß ich zwar dankbar, 
aber doch nicht reich, biefe Gabe verehre. Dem Bettler geben 
Ale zu gleichen Xheilen; darum friftet er fein Daſein. Gäbe 
ihm Giner für Alle, er wäre reich.” 

„So meint id's nicht,“ eriwiederte fie und ſchlug das Auge 
auf; „id) erlannte das Abbilb meines ‚Bruders in Eu, — id) 
ehrte Eu, weil die Euch fchäßten, die ich liebe — id) kenne 
das Unglüd und weiß fo fremdes zu ermefien. — Darum forſchte 
ih nah Eud. Ein Weib fann mandmal helfen, da mo Männer 
es nicht vermögen. — Darum forſcht ih nah Cuch. Die Er- 
innerung an ben Todten — ic hatte ein Abbild an Euch — —“ 

„So habt Ihr's nicht gemeint?" rief Vratislav; „ſchon das 

macht die Gabe größer. Ihr fagt dem Bettler: Du bift nicht 
ber Gewöhnfihen Einer! — Und wenn wir ein theures Bilb 
verloren, fo tröften wir uns im der Zeit mit feinem Abbilde. — 
So ins! Nicht wahr — es ift fo? — Hier mein Leben, Eurem 
Dienft geweiht! — Die Engel nehmen nur, um wieberzugeben ; 
für jeden Dank gibt Gott tauſendſachen Segen. — Ich nie Bier 
zu Euren Füßen und flehe: Gebietet über mid! Den Unbant 
haff ich als die größte Sünde. — Laßt mid nicht feinen Schein 
tragen; laßt mich nicht ſchlimmer feinen, als ich bin.“ 
J „Gedentket freundlich mein!“ entgegnete fie lächelnd, indem 
fie fein. Hand erfaßte und ihn facht emporzog; „dies fol mir 
Fremde gewähren. — Mar ich dod fo arın am freude — und 
werd' es vielleicht immer fein.“ 

Ich foll Euer gedenken?” fiel Vratislav ein; „id werd' 
es gern und ewig — ewig! Aber fpredt: ob nahe Euch oder 
fern von En? Im biefer Art des Lohnes Liegt ein Unterſchied. 
Ihr Bunt nun wählen, welder von beiden Euch genehmer if. 


123 


&8 gibt edle Herzen, bie fhenten und gern den Dank des Ber 
fhenften hören, andere aber, die ihn fliehen.” 

„Uneigennügiger find die, melde ihn fliehen,” gegenrebete 
fie und blickte beſchämt vor fich nieder. 

„Wber den Danfenden,“ widerfprad; er, „iR es nicht gleich, 
ob fie die Bruſt des Dranges entlebigen ober nicht. Der Dauf 
if dem wahrhaft Dankbaren ein Bedurfniß; er wird unglüdlich, 
wenn man ihm dies entzieht.” 

„Unglüdtih,“ verfegte fie, „fol Niemand werben durch 
meine Schul. Wie fol’ ich Unglüd veranlaffen, ich, die fo viel 
deſſelben ſchuldlos gebnibet ?“ 

„Dann alſo,“ rief er feurig, „lafit erfti meinen Mund dan« 
ten, unb ber if berebter, wo er ſchweigt; aber fühlen follt Ihr, 
mas er nicht fpredien fann. Das Wort, welches der Lippe ent- 
flieht, iſt kalter Schal, die Lippe ſelbſt aber Heiß — in ihr glüht 
das Blut — dafjelbe Blut, das aus dem Herzen quillt. Es eilt 
fo raſch nad den Lippen, daf es ba oben noch ſo warm ift wie 
im Herzen.“ 

Er umſchlang ſtürmiſch ihren Arm, zog ihre Hand an feir 
nen Mund, und als fie verihämt das Antlig noch tiefer fenfte, 
preßte er einen Kuß auf ihre Wange. „Fühlt Eure Wange biefes 
Blutes Wärme, fo dringt die Wärme vielleicht auch bis in Euer 


“ 


„Sott jegne Euch, Fräulein!“ vief jet Zdenlo, ber ſchwei- 
gend und horchend bisher dageflanden; „er fegne auch Did, 
mein Sohn! — Zwei Herzen, bie fih erkennen, lieben fd 
auch.“ — 

Er drüdte ihre Hände und trat dann einen Schritt zurüd, 
indem er für ſich Ieife Binmurmelte: „Heil ihm! Er hat doch 
viel Liebe gefunden in dem freudelofen Dafein I” 

Milada entwand fi} der Umarmung bes Ritters und ver- 
ließ freudig durchbebt, auf ihre Dienerin geftügt, den Saal. 


126 


ihn amerfennen, und bie® kann fo lange nicht geſchehen, bis die 
Compactaten nicht aufgehoben und das Ketzerthum feierlich abge 
ſchworen if. Darum hat der Papft als beſten Unterhändler den 
Ungarntönig, der mit ben Waffen in der Hand kömmt. Gr foll 
fengen und brennen und Alles morden, was den Keld nicht ab» 
ſchwören will, — If Georg entihront — dann wird Matthias 
anfer König, dem wir als ſolchem insgeheim bereits in Ollmütz 
gehulbigt Haben.” 

nDer König gefällt mir,“ verfegte Spanberg ; „ein fühner, 
auffirebender Mann unb vom rechten Glauben, beliebt in Rom, 
darum alfo in Ruhe gelaflen. Ungarn, Mähren, Glaz, Schieften, 
Böhmen, Ein Reich — das laff' ich gelten; da gibt ea Raum, 
die Arme bübjch nach allen Seiten auszuftreden, darin ein gleicher 
Glaube und far gleihe Sprache.“ 

„Die Breslauer,“ erwieberte Burian, „haben dem Matthias, 
wie ich höre, als erblihem König, gehuldigt, und fo ift fein 
Regiment gefihert. Caſimir's von Polen Anfprühe find ver- 
nichtet mit einem Streiche, und daß der Polafe fie nicht geltend 
madt, baflr wirb das Schwert des Matthias ſchou Sorge tragen. 
Den Breslauern müſſen wir in der Art folgen. Nur durch 
die Erbfolge if das Glück eines Staates bis in die fernften 
Zeiten geſichert. Mit Gottes Hilfe Iebt in zwei Jahren kein 
Laie mehr, der das Abendmahl unter beiberlei Geflalten genießt.“ 

„Wir wollen Georg’s Geift und Willenskraft,“ bemerkte 
Spanberg, „nicht verkennen; aber einen König, der vom aller 
Belt angefeindet wird, einen ſolchen König der Unruhe lönnen 
wir nicht gebrauchen. IA er nicht mächtig genug, alle feine 
Feinde mieberzufchlagen, fo trete er ab; wir find des langen 
Habers müde.” 

„Alſo mit Gott zum Siegel“ rief Gutenflein und brüdte 
Spanberg's Hand, — „IH ſcheide auf baldiges Wiederſehen. 
Noch Habe ih einen Anftrag an ben Burggrafen.“ 


127 


„Heut' über vierzehn Tage,“ ſprach Spanberg, „bin ich im 
Lager bei Bohmiſch ⸗· Budweis. Meldet dies dem edlen Rofenberg. 
Es gilt raſch zu Handeln; das Zaubern erfältet nur den Eifer. 
Matthias hat's vom den Schlefiern oft erfahren. Lebt wohl und 
geht mit Gott! 

nDer Here walte gnäbig über Euch,“ erwiederte Burian, 
„und uns Allen! Er nehme feine Heilige Kirche in befonderen 
Schutz gegen bie Macht des Anticrif?s und feiner Anhänger! 
— Gehabt Euch wohl!" — 

Sie ſchieden. — 

Leuchtend ging die Sonne dem Tage auf, an welden Bra- 
tislav und Milada zum Herzensbunde von des Priefters Hand 
eingefegnet werben follten. — Die Morgenglode halte vom Thürm- 
Tein ber Schloßkapelle. Aus der Umgegend zogen Landleute herbei, 
ber feftlihen Handlung beizumohnen. &ie hatten die Treppen 
geländer und den Cingang der Kirchthüre mit Blumengewinden 
und Kränzen gefhmüdt. Die Hörner der Jäger tönten in einer 
luſtigen Weile. 

Geſchmückt fand Vratislav an des Oheims Seite im Bo- 
genfenfter und fah Hinans in die dampfenden Thäler und über 
die grünen, walbbewadjfenen Berge. Er fah aber aud im diefem 
entſcheidenden Lebensmomente prüfenden Blickes über fein bis. 
heriges Leben, feine Leiden und Entfagungen hir. Das Daſein 
ſollte fi für ihm num zum Frieden, zur Ginfamfeit wenden. 
Wie ein heiterer Ser, in welchem ſich bie milde Abendſonne 
fpiegelt, lag die Zukunft vor ihm. Milada's Anmuth, ihre Her- 
zensgiite, ihre aufopfernde Liebe verſprach ihm ein Heiteres, ſtilles 
Glüd. Wie er aus feinen bittern Erfahrungen den Lebenseruft 
gewonnen und darin den Frohſtun eingebüßt fo einte fid ihr 
Rilles, fanftes, dem Geränfch der großen Welt abholbes Wefen 
harmoniſch mit ihm. — Seufzend gedachte er Lidmila's. Sie 
Hatte er geliebt mit aller Macht feiner erften, gewaltigſten Leir 


h 
f 
I 
Ir 
F 
] 


N 
H 
E 
— 
i 

1 

J 


f 

h 1 

Hass 
BI 

AT 

Is HH 


nYa, das Leben ift kurz!“ wiederholte der Oheim, „und 
ein Spruchwort fagt: Heute roth — morgen tobt! — Darum 
follen wir das Oeur nicht zu ängftih umfammern und nicht 
zu ernft nehmen. Bildet doch der Ernſt ohnehin den büflern 
Hintergrund des bunten Gemäldes, welches wir Leben nennen! 
Fünfzig Jahre, und wir haben Schmerz und Luft überwunden. 
D, wenn das ber Menfch immer bebächte, er liebte mehr, er 
lebte friedlicher! Das Angebenten bleibt — aber fein Xroft 
dringt nicht im die Gräber. Wir müffen aber bie kommenden 
Geſchlechter, unfre Erben, lieben, und barum fäen wir Thaten, 
bauen und gründen. Der Herr ſchenkt allen Zeiten gleiches Ge- 
beiden, Regen und Sonneuſchein.“ 

Die Thitre flog anf — bieih umd athemlos fürzte Mis 


120 


lada's Edelzofe Herein. „Hilfel Hilfel“ ſchrie fie ſchluchzend — 
„das Fräulein ftirbt — barmberziger Himmel! Rettet — vetteti® 

„Was iſts7 beim heiligen Gott!” fragten bie Ritter ein- 
fimmig, erſchüttert und beftärzt. — 

„Das Fräulein — Blut” — berichtete die Zofe in Ab⸗ 
fügen — „ein Blutſturzl — Ihr follt kommen!“ 

nSeiliger, großer, erhabener Gott!“ ſchrie Vratislav ver- 
zweifelnd, „nwilft Du mid) denn wahnſinnig maden durch alle 
Marten bes Elendes ?" 

„Folgt mir, folgt mir!” bat die weinende Zofe und zog 
ihn an der Hand fort. — Zbenfo folgte mit gejenktem Haupte 
und büferem Antlig. 

Sie traten in Milada's Schlafgemach. Sie lag im ſchnee - 
weißen Bette, weldes ein Blutſtrom gefärbt. Geifterbleih war 
das Antlig — aber aus dem Auge Ieuchtete ein verflärter Strahl, 
in weldem alle irdiſche und himmliſche Seligkeit beim Erblicken 
des Geliebten lag. 

Vratislav ſtürzte neben dem Lager auf die Kniee, erfaßte 
die lilienweiße, kalte Haud der Braut und rief unter Thrär 
nen: „Es kann nicht fein — es darf nicht fein! Es muß vor- 
übergehen! O Du mein heißgeliebtes Leben, nimm aud mein 
Leben i· . 

„Mein Bratislan,“ ſprach fie mit gebrochener Stimme, aber 
lãchelnd wie ein verflärter Engel, „es wird vielleicht doch fein! 
Ich glaube, wir müffen ſcheiden — ſchou im Frühling fheiben. 
Gott will es.“ 

„Gr kann es nicht wollen!" grollte er; „ich bin ſchon zu 
rei an Elend geweſen, als daß mid; nenes mehr treffen laun. 
Seine Hand hat biefem Herzen fo viel Wunben geſchlagen, daß 
es feinen Raum mehr für neue hat. — O bleib bei mir, Du 
leuchtender Engel, einziges Sternbild meines dunklen Daſeins ! 
O Welt — Welt! was bieteſt Du mir ohne ſie? Gibt es noch 

OHerloßſohn: Der Iepte Taborit. IL. 9 


aaa 24 20% 4813 iin ı Fi 


HT i IE li 


Ubi 

Ei. 

Sry m 35: Hr salgs; 
ya: jüigsy? FH 
vr alla ul sn 


131 


feiner Liebe. Er weht felbft im Tode, den Er uns ſendet. — 
Ih liebe Did, mein Vratislav, ich habe Dich geliebt wie meinen 
Gott, zu glühend vielleicht für biefe ſchwache Bruſt. If doch 
der Haß oft mandem Herzen Tod! warum fol es nicht aud 
die Liebe fein! Und bie Liebe if mein Tod. — Glaubft Du, 
es wäre feine Seligkeit in ſolchem Sterben ?' 

„Ich glaube nichts,” verfegte er dumpf, „ale daß ich mit 
Dir Ieben oder fterben muß.” 

„Was ſpricht der Arzt? — Wo ift der Arzt?“ fragte ber 
fonnen Zdenko zu wieberholten Malen. 

„Er erfäjrat, da ‘er mic; ſah,“ antwortete Milada; „er 
wurde bleich. — In biefem Erblaffen las ich mein Schichal.“ 

„Reit die feftlichen Blumenkränze von ben Gefimfen !“ rief 
Zdenko zum Fenſter in den Hof Hinab, wo in dumpfer Stille 
die feierliche Menge, ſchon getroffen von der‘ Trauerkunde, ſtand; 
„eilt weinend und flehend im bie Kapelle, werft Euch in ben 
Staub vor ben Altären nieder und fleht mit zerknirſchter Seele 
um Rettung! Eure Herrin ſtirbt! Mur der Allerbarmer kann 
fie reiten, und fo er fi Eurer erbarmt, ſeid auch Ihr ger 
rettet — 

„Meine Braut!" wehlagte Vratislav, „dies alfo ber heilige, 
fefliche Tag, von bem wir geträumt, bies bie liebende, felige 
Umarmung? Gott, mein Gott! — Hämifcher, giftiger, boshafter 
Teufel! regierft Du etwa bie Welt in Abweſenheit des Allerbar- 
mers, bes milden Vaters? — Ich Habe ſchon zwei Todte Ieben- 
dig gemacht — gib mir aud) dieſes Leben Heraus! Um die Le- 
bendigen Hab’ id geweint, ba ich fie für Todte hielt; jet will 
ih um fein Leben weinen, das ich als Leben kenne.” 

„Gb mir Worte des Friedens!“ flehte Milada und fpielte 
fanft mit feinen Loden; „gib mir Worte der Liebe. Wenn Dir 
Hebft, mußt Du auch glauben und Hoffen. Bitten eröffnen die 
Bforte ber himmliſchen Gnade, Droßungen fpalten fie nicht. Gott 

9* 


120 


„Mber ſeguet fie, ſprach Nenhaus, „und gebenft ihrer in 
Viebe; denn die irdiſche Stimme dringt hinab in die Gräber, 
die todte nicht herauf im das Leben; fonft wäre das Leben ſchon 
ein Jenſeits.“ 

Amen!” fiel Zdenfo ein; „das Leben if in unfere Hand 
geftelt, wir Können daraus formen, was wir wollen. Haben wir 
unſer beabfihtigtes Bild entſtellt, fo iR die Rene und der Ber- 
MR ewig; aber ein Allerbarmer wandelt, wechſelt unb tröfet.” 

Sutol und das Gefolge kam. Sie gingen insgefammt im 
bie Burg. — 


Es gibt Menſchen, die für Schmerzen geboren find; fie 
fongen am ben Bruften ber GEntfagung, werben großz gezogen 
durch das Unglüd, und wenn ber leuchtende Sonnenſtrahl ihre 
verfümmerte Hoffnungsblume füßt, fo if fein Kuß zugleich ihr 
Tod; er verfengt fi. Der Kranz, ben fie ſich winden, verwelkt 
in ihrer Hand, bevor fie ihm mod im ihre Roden gebrüdt. Sie 
haben am Ende ihrer Pilgerfahrt nur einen Blid: den nad 
oben. uUnd jene Sonne von oben, bie den Blid zu ſich empor« 
sieht, Tann fein Xruggebilde fein, denn der Schoß der Erde 
gibt Beruhigung; aber er ift fiumm umd hat für die Eine, legte 
Frage feine Antwort. — Weint nicht über die, welche ihr Leben 
verfpielt, bie zu früh geichieben find in ihrem Frühlingstraume! 
— Wenn die Stimme einen Namen gegen bie ftarten Felſen 
ruft, fo tönt vieleicht fpät, aber doch vernehmbar der Wiederhall 
yerüde — 

Durch das Bogenthor von Neufhloß zog Bratislav an ber 
Seite des Obeims mit feinem Gefolge ein, 


121 


An den Stufen der Halle empfing ihn Milada in Gefell- 
haft ihrer dienenden Matrone. Sie hatte das ſchwarze Trauer- 
gewand abgelegt und erſchien in ſchneeweißer Tracht. Sie fah 
blaß und leidend, aber himmliſch ſchön im Lilienkleide. Wie ein 
roſiger Athemzug fäufelte über ihre Wange, als fie dem Ritter 
in das Antlig ſah; die lange, dunkle Wimper fenkte fi, ber 
sitternde Arm ſank, da ihn Vratislav's Hand berührte. 


„Ihr werdet mich einen Undanfbaren fchelten,“ ſprach Bra- 
fi8lon, nochdem er an ihrer Seite, gefolgt vom Ohelm, in das 
Prunkzimmer getreten war, „baß ich ber beforgten Freundin fo 
Tange feine Kunde gab von freiheit und Gefangenſchaft; aber 
beide wechfeften fo raſch, bafı mir kaum eine Empfängfichfeit für 
den Wechfel blieb.“ 

„Ihr feid fo gütig, Ritter,“ entgegnete fie erglühend; „ich 
weiß kaum, wodurch ich diefen Dank verdient. Beſchämt —“ 

„Beihämt nicht mich,“ fiel er der Stockenden in's Wort; 
nbeihämt nit den Schuldner, ber dankbar wiederkehrt und 
ſpricht: Herrin, Du Haft mir Gutes getan; nimm biefen Aus 
ſpruch meiner Seele. — Uber die Schuld, mein edles Fräulein, 
muß ich wieder abtragen an den milden Gläubiger, und jene 
Schuld it mein Leben, um weldes Ihr gnäbig geforgt, als wär’ 
es Euch ein theures. Um biefes Leben firitten ſich fo Biele: 
Menſchen, Zufal, Mißgeſchick; Ihr alein wart uneigennügig. 
Bas Tann ic Euch Beſſeres bieten zum Dank, als mein Leben? 
gleihviel ob fein Gehalt von Werth oder nicht! — Ich bin 
Euer Sclave; gebietet mit dem Dafein, das ſich Euch freudig 
weit, wenn e8 glei dem Ohngefähr als ein Nichts preisgegeben 
war. Wie Ihr es achtet, ſoll es gelten.“ 

„Daß ich beforgt um Euch war,“ entgegnete fie ſchüchtern 
und abgebrogen, „hat Euch Eliſa wohl verrathen. Ich Hätte 
das einem Andern, den id; fo achtete wie Euch, auch gethan — 


ı u 574 s22 53 1 ik ig? 
} Hin J EECFE | Wi | 
de SEHR TER 
EITHER HE 

DE leineßiplbe 
| | I EHRERTTEI MEFSHLFETE 
I IMa FE ARLFEERTT ig 
in RE HIERTER, 2481 hr 

ul HEN Ik 


14 
11 Hr rl * 


HH Hr ei 


123 


Es gibt edle Herzen, bie ſchenken und gern den Dank bes Be— 
ſchenkten hören, andere aber, die ihn fliehen.“ 

„Uneigennügiger find die, welde ihn fliehen,” gegenrebete 
fie und blickte befhämt vor fid nieder. 

„Aber den Dankenden,” wiberfpradh er, „ift es nicht gleich, 
ob fie die Bruft des Dranges entlebigen oder nicht. Der Dank 
iſt dem wahrhaft Dankbaren ein Bebürfniß; er wird unglücklich, 
wenn man ihm bieg entzieht.“ J 

„ungludiich,“ verſetzte fie, „fol Niemand werben durch 
meine Schuld. Wie ſolll' ich Unglück veranlaſſen, id, die fo viel 
deſſelben ſchuldlos geduldet ?* 

„Dann aljo,“ vief er feurig, „laßt erfi meinen Mund dan- 
ten, und der ift berebter, wo er ſchweigt; aber fühlen follt Ihr, 
was er nit ſprechen kann. Das Wort, welches der Lippe ent- 
fließt, ift falter Schall, die Lippe ſelbſt aber Heiß — in ihr glüht 
das Blut — dafjelbe Blut, das aus dem Herzen quillt. Es eilt 
fo raſch nad) den Lippen, daf es da oben noch ſo warm ift wie 
im Herzen.“ 

Er umſchlang fürmifd ihren Arm, zog ihre Hand an fei- 
nen Mund, und als fie verſchämt das Antlig noch tiefer fenkte, 
preßte er einen Kuß auf ihre Wange. „Fühlt Eure Wange diefes 
Blutes Wärme, fo dringt die Wärme vielleicht aud bie in Euer 
Het — : 

„Gott jegne Euch, Fräulein!" vief jegt Zdenko, der ſchwei- 
gend und horchend bisher bageflanden; „er fegne auch Did, 
mein Sohn! — Zwei Herzen, die ſich erkennen, lieben fi 
auch.“ — 

Er drüdte ihre Hände und trat dann einen Schritt zuräd, 
indem er für fi Ieife Binmurmelte: „Heil ihm! Er Hat doch 
viel Liebe gefunden in dem freudelofen Dajein 1” 

Milada entwand fid der Umarmung des Ritters umd ver- 
ließ freudig durchbebt, auf ihre Dienerin geſtützt, den Saal, 


124 


Weder fie, noch Bratislav fanden nad; dem erſten, feligen Auffe 
Worte, die feine Bedeutung erläutert hätten. 

Er trat an das Fenſter. Tief aufathmend blidte er nach 
dem Abendftern, der ganz allein an dem noch taghellen Himmel 
ſtrahlte, und ſprach feufzend für fi: „Es gab eine Blume; biefe 
Blume glühte in inniger Liebe zur Sonne, ihrer Gottheit. Die 
Sonne fandte ihre Strahlen flammend Herab in brünfiger Ex- 
wieberung, und bie Blume mußte wellen. — Als die Nacht kam, 
ſchlug die Blume bie flerbenden Augen auf und fah zu dem 
milden Mond empor — fein Strahl durchwallte fie mit lauer 
Wärme. Die Blume liebte den Mond und — ftarb nicht ver- 
fenkt von feinem Strahl; aber die Sonne, die Sonne kann fie 
doch nicht vergefien! Es gibt nur Eine Sonne, und ſelbſt der 
Tod von ihrem euer — er ſchmerzt nicht.“ 


Cyrillus war nebft den übrigen Verſchworenen glüdlich nad 
Oeſtreich entlommen. Sie mußten mm Schutz bei den Feinden 
ihres Glaubens nnd Baterlandes ſuchen. Ihr caligtinifher Anhang 
in Böhmen wurde zerfprengt. Rokycana verdarb fie. Um feinen 
Einfluß auf ben König immer mehr auszubreiten, opferte er dieſe 
Partei auf und leiſtete dem Könige einen weſentlichen Dienft 
dadurch; denn ihm fand nunmehr bloß die katholiſche Partei 
entgegen, bie, mädjtig zwar, feine Thätigfeit dod) nur nad) Einer 
Seite Hin in Anfpruc nahm. 

An der Spige ber bohmiſchen, mißvergnügten Katholiken 
fanden Johannes von Rofenberg und der Prager oberfte Burg- 
graf Zbenko von Sternberg, Männer von Einfluß und Vermögen. 
Sie follten ben Befehbungen bes Ungarnfönige zur Ausrottung 


125 


der Keßerei in Böhmen Bahn ſchaffen. — Der Ritter Spanberg, 
befien Gattin eine Nichte des Herrn von Roſenberg war, trat 
gleichfalls mit zum Bunde. — Burian von Gutenfiein, 
ein mächtiger, mährifher Landesherr, brachte ihm ein Schreiben 
Roſenberg's, das ihn als einen zuberläffigen, der guten Sache 
treuergebenen Mann rühmte, 

Burian war die verförperte Schlaußeit, ein ältliher Mann, 
vol fanatifchen Feuereifers, den Lehren ber Priefter blind ergeben, 
voll graufamen Haffes gegen die vermeintlichen Neger. Im bie 
fem Sinne zwar handelte Spanberg nicht; aber als Deutſcher 
in damaliger Zeit haßte er die Böhmen vom Grund feines Her- 
zens. Diefer Haß ſchien ihm Pflicht, weil die Böhmen mit 
Gewalt ihre Nationalität nicht aufgeben wollten. Bon Deutid- 
land aus wurde Böhmen ſchon damals wie eine eroberte Provinz 
betrachtet, die nur noch etwas wiberfpenftig fich zeige und deshalb 
recht oft gezüchtigt werben müſſe. 

„Für Euer Bertrauen geb’ ich das meine,“ ſprach der von 
Spanberg, nachdem er mit Burian von Gutenftein feine Mei- 
nuugen und Anfichten ausgetaufht; „ber Oheim fann in Allem 
auf mid; reinen. Beſſer ein entfchiedener, blutiger Grfolg, ale 
dieſes Schmwanfen. Böhmen fann nur ruhig nnd glüdlich werden 
als ber Antheil, die Provinz eines andern, mächtigern Staates, 
an ben es fi} in Tagen ber Noth und Gefahr lehnen kann. 
Jedes Landes Unheil ift aber die Verſchiedenheit des Glaubens. 
Darum fort mit ihr! Wo zwei Religionen herrſchen, befehden fie 
fich ewig.“ 

„Darum fort mit ihr!” — wiederholte Burian; „ganz 
recht geſprochen! Und weil's mit Güte und Vernunft nicht gebt, 
fo gehe es mit euer und Schwert. Der heilige Vater hat uns 
ermächtigt, zur Ehre und zur Rettung bes Auſehens der fatho- 
liſchen Kirche ſolche Mittel zu gebrauchen. Es ziemt ber Eurie 
nit, mit einem Ketzer zu unterhandeln; denn unterhandeln heißt 


126 


ihn anerfennen, und dies kann fo lange nicht geſchehen, bis die 
Compactaten nicht aufgehoben und das Ketzerthum feierlich abge- 
ſchworen if. Darum bat der Papft als been Unterhändler den 
Ungarntönig, der mit ben Waffen in der Hand kömmt. Er foll 
fengen uud brennen und Alles morden, was ben Kel nicht ab- 
ſchwören will. — If Georg entthront — dann wird Matthias 
unfer König, dem mir als ſolchem imsgeheim bereits in Ollmüt 
gehuldigt Haben.“ 

„Der König gefält mir,“ verjegte Spanberg ; „ein kühner, 
auffirebenber Mann und vom rechten Glauben, beliebt in Rom, 
darum alfo in Ruhe gelaffen. Ungarn, Mähren, Glaz, Schlefien, 
Böhmen, Ein Reih — das lafl’ ih gelten; ba gibt es Raum, 
bie Arme hübfch nad) allen Seiten anszuftreden, barin ein gleicher 
Glaube und far gleiche Sprache.“ 

„Die Breslauer,“ erwieberte Burian, „haben dem Matthias, 
wie ich höre, al8 erblihem König, gehuldigt, und fo if fein 
Regiment geſichert. Caſimir's von Polen Anſprüche find ver- 
nichtet mit einem Streiche, und daß der Polafe fie nicht geltend 
macht, dafür wird das Schwert des Matthias ſchon Sorge tragen. 
Den Breslanern müflen wir in ber Art folgen. Nur durch 
die Erbfolge ift das Glüd eines Staates bis im bie fernften 
Zeiten geſichert. Mit Gottes Hilfe Iebt im zwei Jahren fein 
Laie mehr, der das Abendmahl unter beiberlei Geſtalten genießt.“ 

„Wir wollen Georg’s Geift und Willenskraft,“ bemerkte 
Spanberg, „nicht verfennen; aber einen König, der von aller 
Belt angefeindet wird, einen folden König der Unruhe können 
wir nicht gebrauden. Iſt er mit mächtig genug, alle feine 
Feinde niederzuſchlagen, fo trete er ab; wir find des Langen 
Habers müde.“ 

„Alſo mit Gott zum Siege!“ rief Gutenftein und drückte 
Spanberg’s Hand. — „Ih iqheide auf baldiges Wiederſehen. 
Noch Habe id einen Auftrag an ben Burggrafen.“ 


127 


„Heut' über vierzehn Tage,“ ſprach Spanberg, „bin id im 
Lager bei Böohmiſch ⸗· Budweis. Meldet dies dem edlen Rofenberg. 
Es gilt raſch zu handeln; das Zaubern erfältet nur den Eifer. 
Matthias hat's vom dem Schlefiern oft erfahren. Lebt wohl und 
geht mit Gott!" 

„Der Herr walte gnädig über Euch,“ erwiederte Burian, 
„und ung Allen! Er nehme feine Heilige Kirche in befonderen 
Schutz gegen die Macht bes Antihrif’s und feiner Anhänger! 
— Gehabt Eu wohl!" — 

Sie ſchieden. — 

Leuchtend ging die Sonne dem Tage auf, an welden Bra 
tislav und Milada zum Herzensbunde von des Prieflers Hand 
eingefegnet werben follten. — Die Morgenglode halte vom Thürm- 
lein der Schloßkapelle. Ans der Umgegend zogen Landlente herbei, 
der feſtlichen Handlung beizuwohnen. Sie Hatten bie Treppen- 
geländer und ben Eingang ber Kirchthülre mit Blumengewinden 
und Kränzen gefhmädt Die Hörner der Jäger tönten in einer 
luſtigen Weife. 

Geſchmückt fand Bratislav an des Oheims Geite im Bo- 
genfenfter und fah Hinans in die dampfenden Thäler und über 
bie grünen, walbbewachſenen Berge. Er fah aber auch in dieſem 
entſcheidenden Lebensmomente prüfenden Blickes über fein bis- 
beriges Leben, feine Leiden umd Entfagungen hin. Das Dafein 
follte fi für ihm num zum Frieden, zur Ginfamfeit wenden. 
Wie ein heiterer Ser, in welchem fi bie milde Abendſonne 
fpiegelt, lag die Zukunft vor ihm. Milada's Anmuth, ihre Her- 
zensgũte, ihre aufopfernde Liebe verſprach ihm ein heiteres, ftilles 
Glüd. Wie er aus feinen bittern Erfahenngen den Lebensernft 
gewonnen und barin den Frohſinn eingebüßt’ fo einte ſich ihr 
Files, fanftes, dem Geräuf ber großen Welt abholbes Weſen 
harmoniſch mit ihm. — Seufzend gedachte er Lidmila's. Sie 
Hatte er geliebt mit aller Macht feiner erſten, gewaltigſten Lei» 


128 


denſchaft. — Jener Traum von Prag trat wieder vor feine Seele. 
Kibmila war die Erſcheinung, welche bie Roſen ſpendete, Milde 
jene, welche das Veilchen barbot. — So war es and; geworben. 
Sie bot ihm feinen flammenden, prädtigen Kranz, nur den ber 
ſcheidenen, ſtill duftenden ber Heinen Blumen. — 

„Du biſt fo RiN?“ begann endlich der Oheim; „doc Tann 
ich mir's denfen, daß Manderlei an Deinem innern Ginn vor- 
übergehen muß. Es ift ein fhöner, doc bedeutfamer und großer 
Augenblid, dem wir entgegenfehen. Moͤgeſt Du Heil erfahren 
in bem nenen Berufe und ben Hafen, von holder Hand geleitet, 
früher finden, als ic und Dein Bater ihn gefunden haben!“ 

„Habt Dant, mein Ohm!“ gegenrebete Bratislan; „ich hoffe 
glüdtih zu werden. Wunden gibt es, bie oft lange, mande - 
fogar, die ewig nadbluten. Wir wollen fie nicht reizen; vielleicht 
vernarben fie no. Nur langſam ſtirbt das Herz am Schmerze, 
und alles Labſal bringt doch der Tod. Das Leben if fo kurz; 
warum follten wir e8 nicht tragen mit all feinen Leiden, Ent» 
behrungen und Tauſchungen ?“ 

„da, das Leben ift kurz!“ wieberholte ber Oheim, „uud 
ein Sprüdwort fagt: Heute roth — morgen tobt! — Darum 
follen wir das Heut’ nicht zu ängſtlich umkammern und nicht 
zu ernſt nehmen. Bildet doch der Eruſt ohnehin dem büflern 
Hintergrund des bunten Gemälde, weldes wir Leben nennen! 
Fünfzig Iahre, und wir haben Schmerz und Luſt überwunden. 
D, wenn das ber Menſch immer bedächte, er liebte mehr, er 
lebte frieblicher! Das Angebenten bleibt — aber fein Troſt 
dringt nicht im die Gräber. Wir müffen aber die kommenden 
Geſchlechter, unſre Erben, Heben, und darum fäen wir Thaten, 
bauen und gründen. Der Herr ſcheukt allen Zeiten gleiches Ge- 
deihen, Regen und Sonnenfchein.“ 

Die Thüre flog auf — bleich und athemlos ftürzte Mi- 


129 


lada's Edelzofe Herein. „Hilfe! Hilfe!“ ſchrie fie ſchluchzend — 
„das Fräulein ſtirbt — barmherziger Himmel! Rettet — rettet 

„Bas iſts? beim heiligen Gott!“ fragten die Ritter ein- 
fimmig, erſchüttert und beſtürzt. — 

Das Fräulein — Blut“ — berichtete die Zofe in Ab⸗ 
fägen — „ein Blutlurz! — Ihr follt fommen !“ 

„Heiliger, großer, erhabener Gott!" ſchrie Wratislan ver- 
zweifelnd, „wilft Du mid; deun wahnſinnig machen durch alle 
Martern des Elendes ?" 

„Folgt mir, folgt mir!“ bat bie weinende Zofe und zog 
ihn an der Hand fort. — Zdenko folgte mit geſenttem Haupte 
und büferem Antlig. 

Sie traten in Milada's Schlafgemad. Sie lag im ſchnee · 
weißen Bette, weldes ein Blutftrom gefärbt. Geifterbleih war 
das Antlig — aber aus dem Auge leuchtete ein verflärter Strahl, 
in weldem alle irdiſche und himmliſche Seligkeit beim Erblicken 
des Geliebten lag. 

Vratislav ftürzte neben dem Lager auf die Kniee, erfaßte 
die lilienweiße, kalte Hand ber Braut umb rief unter Thrär 
nen: „Es kann wicht fein — es darf nicht fein! Es muß vor ⸗ 
übergehen! O Du mein heifigeliebtes Leben, nimm aud mein 
Leben!" 

„Dein Bratislav,“ ſprach fie mit gebrochener Stimme, aber 
lãchelnd wie ein verflärter Engel, „es wird vielleicht doc fein! 
Ich glaube, wir müffen ſcheiden — ſchon im Frühling ſcheiden. 
Gott will es.“ 

„Gr lann e8 nicht wollen!“ geollte er; „ich bin fchon zu 
reich an Elend geweſen, als daß mich neues mehr treffen fan. 
Seine Hand hat dieſem Herzen fo viel Wunden geſchlagen, daß 
es feinen Raum mehr für neue Bat. — O bleib bei mir, Du 
leuchtender Engel, einziges Sternbild meines dunklen Dafeins! 
D Belt — Welt! was bieteſt Du mir ohne fie? Gibt es noch 

Herlobfoßn: Der lehte Taborit. u. 9 


180 


einen gerechten, einen barmherzigen Gott? — Cs fan nidt 
fein, e6 muß vorübergehen I" 

„Und fcheiben wir and,“ gegenrebete fie mit verflärtem 
Lächeln, „fo fheiden wir nicht auf ewig. Jetzt, wo das irdiſche 
Leben langfam meiner Bruft entflieht wie eine verfiegende Duelle, 
baut die Seele mit zehnfachem Vertrauen auf das Wiederfehen, 
anf das Jenfeits, auf einen eiwigen, feligen Beſitz. Diefe Stimme 
Hügt nit.” — 

„Ich will fein Jenſeits 1” grollte er, ihre Hand mit Thrä- 
nen bebedend; „ic will feine Zukunft in jenen ungewiſſen Räu- 
men, die fein Auge geſehen; ich will bie Erde, das Jet, das 
Hier — ih will Di und halte Dein Leben feſt mit meinen 
Armen, und ſelbſt Gott foll Dich mir nicht entreißen — id bin 
ſtärker ale Gott — id will ein Teufel fein, wenn es gilt, bier 
um mein Beſitzthum zu Bänpfen I" 

„Laſtre nicht!” Hat fie fromm und mild; „ber Herr hat 
Alles wohlgethan vom Sonnenftaub bis zum Rieſengebirge. Er 
bat Dich ja allein gerettet aus Roth und Schmach, aus Elend 
und Tob und bat Mandes gefügt durch Schmerzen zu neuer 
Wonne.“ 

Ih habe an ihn geglaubt," verſetzte er, „wo es keine 
Hoffnung gab; ich habe das Schrecdlichſte duldend ertragen; ich 
habe gebetet, wo ich fluchen wollte, babe leife gewimmert, wo 
Wehſchrei die Bruſt dehnte; jegt aber kann ich nicht mehr dulden, 
nicht mehr glauben! Es ift zum viel für eine Menfhenbruft, zu 
ungeheuer für biefen engen Raum, dies Heine Menfchenherzt — 
O Tod, Du umfer aller Gott, unerbittliche Gewalt des Weltalls, 
erbarme Did auch meiner! Nicht ohne mich laß fie gehen — 
fonft erfaßt mid; der gräßliche Mordgedante, und ich werbe Durch 
Eigenhilfe ein Mebell in Deinem ewigen Reiche I" 

„Bete mit mir} flehte fie; „meine Seele lechzt nah Ge- 
bete. Der Allgewaltige it mir nahe, und ich fühle ben Athem 


181 


feiner Liebe. Er weht felbft im Tode, den Er uns fendet. — 
Ich liebe Did, mein Vratislav, id) habe Dich geliebt wie meinen 
Gott, zu glühend vielleicht für diefe ſchwache Bruſt. Iſt doch 
der Haß oft mandem Herzen Tod! warum fol es nit auch 
die Liebe fein! Und die Liebe ift mein Tod. — Glanbft Du, 
es wäre feine Seligleit in ſolchem Sterben?" 

„3% glaube nichts,“ verfegte er dumpf, „als daß ich mit 
Dir Ieben oder fterben muß.” 

Was pricht ber Arzt? — Wo iſt der Arzt?“ fragte ber 
fonnen Zdenko zu wiederholten Malen. 

„Er erichraf, da ‘er mich ſah,“ antwortete Milada; „er 
wurde vbleich. — In dieſem Erblaffen las ich mein Schichal.“ 

„Reißt die feſtlichen Blumenkränze von den Gefimſen!“ rief 
Zdenko zum denfter in den Hof hinab, wo in dumpfer Stille 
die feierliche Menge, ſchon getroffen von der Trauerkunde, fland; 
„eilt weinend umb flehend im die Sapelle, werft Euch in den 
Staub vor den Altären nieder und fleht mit zerfnirfchter Seele 

unm Rettung! Eure Herrin flirbt! Nur der Allerbarmer kann 
fie retten, und fo er fi Eurer erbarınt, ſeid auch Ihr ge 
rettet" — 

„Meine Braut!“ wehlfagte Vratislav, „dies alfo der Heilige, 
feftliche Tag, von dem wir geträumt, dies bie liebende, felige 
Umarmung? Gott, mein Gott! — Hämifcher, giftiger, boshafter 
Teufel! vegierft Du etwa bie Welt in Abweſenheit bes Allerbar- 
mers, bes milden Vaters? — Ich Habe ſchon zwei Todte Ichen- 
dig gemacht — gib mir auch biefes Leben Heraus! Um die Ler 
benbigen Hab’ ich geweint, ba ich fie für Todte hielt; jet will 
ich um fein Leben weinen, das ich ale Lehen kenne.” 

„Gib mir Worte des Friedens!“ flehte Milada und fpiefte 
fanft mit feinen Loden; „gib mir Worte der Liebe. Wenn Dir 
liebſt, mußt Du auch glauben und hoffen. Bitten eröffnen bie 
Pforte der himmliſchen Gnade, Drohungen fpalten fie nicht. Gott 

9g* 





124 


Weder fie, noch Bratislav fanden nad dem erften, feligen Rufle 
Worte, die feine Bedeutung erläutert hätten. 

Er trat an das Fenſter. Tief aufathmend blidte er nad) 
dem Abendftern, der ganz allein an dem noch taghellen Himmel 
ſtrahlte, und ſprach feufzend für fi: „Es gab eine Blume; biefe 
Blume glühte in inniger Liebe zur Sonne, ihrer Gottheit. Die 
Sonne fandte ihre Strahlen flammend herab in brünfliger Er- 
wieberung, und die Blume mußte weiten. — Als die Nacht kam, 
ſchlug die Blume bie flerbenden Augen auf und fah zu dem 
milden Mond empor — fein Strahl durchwallte fie mit lauer 
Wärme. Die Blume liebte den Mond und — ſtarb nicht ver- 
fenft von feinem Strahl; aber die Sonne, die Sonne fann fle 
doch nicht vergefien! Es gibt mır Eine Sonue, und felbft der 
Tod von ihrem euer — er ſchmerzt nicht.“ 


10 


Cyrillus war nebſt den übrigen Verſchworenen glüdtih nach 
Oeſtreich entlommen. Sie mußten uun Schuß bei ben Feinden 
ihres Glaubens und Vaterlandes fuchen. Ihr caligtinifher Anhang 
in Böhmen wurde zerfprenge. Rokycana verdarb fie. Um feinen 
Einfluß auf ben König immer mehr atıszubreiten, opferte er biefe 
Partei auf und leiſtete dem Könige einen weſentlichen Dienft 
dadurch; demm ihm ſtand nunmehr bloß bie katholiſche Partei 
entgegen, die, mächtig zwar, feine Thätigkeit doch nur nad Einer 
Seite hin in Anfpruh nahm. 

An der Spige der bößmifchen, mißvergnügten Katholiken 
fanden Johannes von Roſenberg und der Prager oberfie Burg- 
graf Zdenko von Sternberg, Männer von Einfluß und Vermögen. 
Sie folten den BVefehbungen des Ungarnfönigs zur Ausrottung 


125 


ber Keferei in Böhmen Bahn ſchaffen. — Der Ritter Spanberg, 
beffen Gattin eine Nichte des Herrn von Mofenberg war, trat 
gleichfalls mit zum Bunde. — Burian von Gutenftein, 
ein mächtiger, mähriſcher Landesherr, brachte ihm ein Schreiben 
Roſenberg's, das ihn als einen zuverläfftgen, der guten Sache 
treuergebenen Mann rühmte. 

Burian war die verkörperte Schlauheit, ein ältlicher Mann, 
doll fanatifhen Feuereifers, den Lehren der Priefter blind ergeben, 
vol grauſamen Hafjes gegen die vermeintlichen Ketzer. Im bie 
fem Sinne zwar handelte Spanberg nicht; aber als Deutſcher 
in damaliger Zeit haßte er die Böhmen vom Grund feines Her- 
zens. Diefer Haß ſchien ihm Pflicht, weil die Böhmen mit 
Gewalt ihre Nationalität nicht aufgeben wollten. Bon Deutſch- 
land aus wurde Böhmen ſchon damals wie eine eroberte Provinz 
betrachtet, bie nur noch etwas widerſpenſtig fich zeige und beshalb 
recht oft gegüchtigt werben müffe. 

„Für Euer Vertrauen geb’ ich das meine,” ſprach ber von 
Spanberg, nachdem er mit Burian don Gutenflein feine Mei- 
umugen und Anfichten ausgetaufdht; „der Oheim kann in Allem 
auf mic rechnen. Beſſer ein entſchiedener, blutiger Erfolg, als 
diefes Schwanken. Böhmen fann nur ruhig und glücklich werden 
ale der Antheit, die Provinz eines andern, mädjtigern Staates, 
an ben es fi} in Tagen ber Noth und Gefahr Ichnen Tann. 
Jedes Landes Unheil ift aber die Verſchiedenheit des Glaubens. 
Darum fort mit ihr! Wo zwei Religionen herrſchen, befehden fie 
ſich eig." 

„Darum fort mit ihr!“ — wiederholte Buriau; „ganz 
recht geſprochen! Und weil's mit Güte und Vernunft nicht geht, 
fo gehe es mit Feuer und Schwert. Der Heilige Vater hat uns 
ermächtigt, zur Ehre und zur Rettung des Auſehens ber fatho- 
liſchen Kirche ſolche Mittel zu gebrauchen. Es ziemt der Curie 
nicht, mit einem Ketzer zu unterhandeln; benn unterhandeln heißt 


126 


ihm amertennen, und dies fann fo lange nicht geichehen, bie bie 
Compactaten nicht aufgehoben und das Keßertfum feierlich abge» 
ſchworen if. Darum hat ber Papft als beſten Unterhändler ben 
Ungarufönig, der mit ben Waffen in der Haub kömmt. Er fol 
fengen und brennen und Alles morden, was ben Kelch nicht ab- 
ſchwören mil. — If Georg entthront — daun wird Matthias 
unfer König, dem wir als ſolchem insgeheim bereits in Ollmüg 
gefufdigt Haben.“ 

„Der König gefällt mir,“ verfegte Spanberg ; „ein fühner, 
aufftrebender Mann und vom rechten Glauben, beliebt in Rom, 
darum alfo in Ruhe gelaffen. Ungarn, Mähren, Glaz, Schleſien, 
Böhmen, Ein Reich — das laſſ' ich gelten; ba gibt es Raum, 
bie Arme bübfch nad allen Seiten auszufireden, barin ein gleicher 
Glaube und far gleiche Sprache.“ 

„Die Breslaner,” erwiederte Burian, „haben dem Matthias, 
mie ih Höre, als erblihem König, gehuldigt, und fo ift fein 
Regiment gefihert. Caſimir's von Polen Anfprüce find ver- 
nichtet mit einem Streiche, und daß der Polafe fie nicht geltend 
macht, dafür wird das Schwert bes Matthias ſchon Sorge tragen, 
Den Breslanern müflen wir in der Art folgen. Rur buch 
bie Erbfolge ift das Glück eines Staates bis in bie fernften 
Zeiten geſichert. Mit Gottes Hilfe Iebt in zwei Yahren fein 
Laie mehr, der das Abendmahl unter beiderlei Geſtalten genießt.“ 

„Wir wollen Georg’s Geift und Willenskraft,“ bemerkte 
Spanberg, „nicht verfennen ; aber einen König, der von aller 
Welt angefeindet wird, einen ſolchen König ber Unruhe können 
wir nicht gebrauden. Iſt er nicht mächtig genug, alle feine 
Feinde niederzuſchlagen, fo trete er ab; wir fnb des Langen 
Habers müde,” 

„Alſo mit Gott zum Siegel” rief Gutenſtein und drüdte 
Spanberg's Hand. — „IH ſcheide auf baldiges Wiederſehen. 
Noch Habe ich einen Auftrag an ben Burggrafeu.“ 


127 


„Heut über vierzehn Tage,“ ſprach Spanberg, „bin ih im 
Lager bei Böhmiſch · Budweis. Meldet dies dem edlen Rofenberg. 
Es gilt raſch zu handeln; das Zaudern erfältet nur den Eifer. 
Matthias hat's vom den Schlefiern oft erfahren. Lebt wohl und 
geht mit Gott!“ 

„Der Her walte gnädig über Euch,“ erwiederte Burian, 
und ung Alen! Er nehme feine heilige Kirche in befonderen 
Schuß gegen die Macht des Antichrif’s und feiner Anhänger! 
— Gehabt Euh wohl!" — 

Sie fhieben. — 

Leuchtend ging die Sonne dem Tage auf, an melden Brar 
tislav und Milada zum Herzensbunde von des Priefters Hand 
eingefegnet werden follten. — Die Morgenglode halte vom Thürm- 
fein der Schloflapelle. Ans ber Umgegend zogen Landiente herbei, 
ber feftlichen Handlung beizumohnen. Sie Hatten bie Treppen- 
geländer und den Eingang der Kirchthüre mit Blumengewinden 
und Kränzen geihmüdt. Die Hörner der Jäger tönten in einer 
luſtigen Weiſe. 

Geſchmückt fand Vratislav an des Oheims Seite im Bor 
genfenfter und ſah hinaus in die dampfenden Thäler und über 
bie grünen, walbbewachfenen Berge. Er fah aber aud in dieſem 
entſcheidenden Lebensmomente prüfenden Blickes über fein bie- 
heriges Leben, feine Leiden und Entfagungen hin. Das Dafein 
ſollte fih für ihm mum zum Frieden, zur Ginfamfeit wenden. 
Wie ein BHeiterer See, in welchem ſich die milde Abendſonne 
ſpiegelt, lag die Zukunft vor ihm. Milada's Anmuth, ihre Her- 
gensgikte, ihre amfopfernbe Liebe verſprach ihm ein heiteres, ſtilles 
Gluck. Wie er aus feinen bittern Erfahrnngen ben Lebensernft 
gewonnen und darin ben Frohfinn eingebüpt fo einte ſich ige 
ſtilles, fanftes, dem Geräuſch ber großen Welt abHoldes Weſen 
harmonif mit ihm. — Seufzend gedachte er Lidmila's. Sie 
Hatte er geliebt mit aller Macht feiner erſten, gewaltigften Lei⸗ 


128 


denſchaft. — Jener Traum von Prag trat wieder vor feine Seele. 
Lidmila war die Erſcheinung, welche bie Rofen fpendete, Milada 
jene, welche das Veilchen darbot. — So war es auch geworben. 
Sie bot ifm feinen flemmenden, prächtigen Kranz, nur dem ber 
ſcheidenen, HIN duftenden der Meinen Blumen. — 

„Du biſt fo Ri?“ begann endlich ber Oheim; „doch Tann 
id mir's denfen, daß Manderlei an Deinem innern Ginn vor. 
übergehen muß. Es ift ein ſchöner, doch bedeutſamer und großer 
Angenblid, dem wir entgegenfehen. Mögeft Du Heil erfahren 
in dem newen Berufe und den Hafen, von holder Hand geleitet, 
früher finden, als ih und Dein Bater ihn gefunden haben!“ 

„Hebt Dant, mein Ohm!” gegentedete Bratislan; „ich Hoffe 
glüdiih zu werben. Wunden gibt es, die oft fange, mande - 
fogar, bie ewig nachbluten. Wir wollen fie nicht reizen; vielleicht 
vernarben fie noch. Nur langſam ſtirbt das Herz am Schmerze, 
und alles Labjal bringt bo der Tod. Das Leben ift fo kurz; 
warum follten wir es nicht tragen mit all feinen Leiden, Ent 
behrungen und Täufchungen ?* 

„Ja, das Leben iſt kurz!“ wiederholte ber Oheim, „und 
ein Sprüchmort fagt: Heute roth — morgen tobt! — Darum 
follen wir das Heut’ nicht zu ängſtlich umklammern und nicht 
zu ernſt nehmen. Bildet doch der Eruſt ohnehin den düftern 
Hintergrund des bunten Gemäldes, welches wir Leben nennen! 
Funfzig Jahre, und wir haben Schmerz und Luft überwunden. 
O, wenn das ber Menfch immer bedächte, er liebte mehr, er 
lebte friedliher! Das Angedenken bleibt — aber fein Xroft 
dringt nicht in bie Gräber. Mir müffen aber die kommenden 
Geſchlechter, unſre Erben, lieben, und darum fäen wir Thaten, 
bauen und gründen. Der Herr denkt allen Zeiten gleiches Ge- 
deihen, Regen und Sonnenfchein.“ 

Die Thitre flog auf — bleich umd athemlos ftürzte Mi- 


129 


lada's Edelzofe herein. „Hilfe! Hilfe!“ ſchrie fie ſchluchzend — 
„das Fräulein ſtirbt — barmherziger Himmel! Rettet — rettet" 

„Was iſts? beim heiligen Gott!“ fragten die Ritter ein- 
fimmig, erfhüttert und beſtürzt. — 

„Das Fräulein — Blut“ — berichtete die Zofe in Ab 
fägen — „ein Blntflurz! — Ihr follt kommen 1" 

„Seiliger, großer, erhabener Gott!" ſchrie Bratislav ver⸗ 
zweifelnd, „wilft Du mid, deun wahnfinnig maden durd alle 
Martern des Elendes ?" J 

„Folgt mir, folgt mie!" bat die weinende Zofe und zog 
ihn an der Hand fort. — Zdenko folgte mit geſenktem Haupte 
und büfterem Antlig. 

Sie traten in Milada’s Schlafgemad. Sie Ing im fchnee- 
weißen Bette, weldes ein Blutfirom gefärbt. Geifterbleih war 
das Antlig — aber aus dem Auge Ieuchtete ein verflärter Strahl, 
in weldem alle irdiſche und himmliſche Seligfeit beim Exbliden 
des Geliebten lag. 

Vratislav ſtürzte meben dem Lager anf bie Kniee, erfaßte 
die lilienweiße, kalte Hand der Braut und rief unter Thräs 
nen: „Es kann wicht fein — e8 darf nicht fein! Es muß vor- 
übergehen! O Du mein heißgeliebtes Leben, nimm and mein 
Leben!“ 

„Mein Bratislan,“ fprad; fie mit gebrochener Stimme, aber 
lãchelnd wie ein verflärter Gngel, „es wird vielleicht doch fein! 
Ich glaube, wir müffen ſcheiden — ſchon im Frühling fheiben. 
Gott will es.“ 

„Er kann es nicht wollen!“ grollte er; „ich bin fchon zu 
rei an Elend gewefen, als daß mid, neues mehr teefien Tann. 
Seine Hand Hat biefem Herzen fo viel Wunden gefehlagen, daß 
es feinen Raum mehr für nene hat. — O bleib bei mir, Du 
leuchtender Gngel, einziges Sternbild meines dunklen Dafeins! 
D Belt — Welt! mas bieter Dur mir ohne fie? Gibt es noch 

Herloßfohn: Der Iehte Taborit. I. 9 


130 


einen gerechten, einen barmherzigen Gott? — Es faun nidt 
fein, e8 muß vorübergehen 1" 

„Und ſcheiden wir auch,“ gegenredete fie mit verflärtem 
Lächeln, „fo ſcheiden wir nicht auf ewig. Jetzt, wo das irdiſche 
Leben langſam meiner Bruft entflieht wie eine berfiegende Quelle, 
baut die Seele mit zehnfachem Vertrauen auf das Miederfehen, 
auf das Jenfeits, auf einen ewigen, feligen Beftg. Diefe Stimme 
fügt nit.” — 

„3% will fein Jenſeits I" grollte er, ihte Hand mit Thrä- 
nen bebedend; „ih will feine Zukunft in jenen ungewiſſen Räu- 
men, bie fein Auge geſehen; ich will bie Erbe, das Jetzt, das 
Hier — ih will Did und halte Dein Leben feſt mit meinen 
Armen, und felbft Gott fol Dich mir nit entreißen — id bin 
ſtarler ale Gott — ich will ein Teufel fein, wenn es gilt, Bier 
um mein Beſitzihum zu kämpfen I“ 

„Läſtre nit!” bat fie fromm und mild; „ber Herr hat 
Ales wohlgethan vom Sonnenftaub bis zum Riefengebirge. Er 
hat Dich ja allein gerettet aus Noth und Schmah, aus Elend 
und Tod und bat Mondes gefügt duch Schmerzen zu neuer 
Wonne.“ 

„Ich Habe an ihm geglaubt,” verſetzte er, „mo es keine 
Hoffnung gab; ic habe das Schrediicte duldend ertragen; ich 
habe gebetet, wo id; fluchen wollte, habe Ieife gewimmert, wo 
Wehſchrei die Bruft dehnte; jetzt aber kann ich nicht mehr dulden, 
nicht mehr glauben! Es if zw viel für eine Menſcheubruſt, zu 
ungeheuer für biefen engen Raum, dies Heine Menfhengerz! — 
O Tod, Du unfer aller Gott, unerbittlihe Gewalt des Weltalle, 
erbarme Did and; meiner! Nicht ohne mic laß fie gehen — 
fonft erfaßt mich der gräßliche Mordgebanfe, und ich werde durch 
Eigenilfe ein Mebell in Deinem ewigen Reiche 1” 

„Bete mit mir 1“ flehte fie; „meine Seele lechzt nad; Ge- 
bete. Der Allgewaltige ift mir nahe, und ich fühle ben then 


131 


feiner Liebe. Er weht ſelbſt im Tode, den Er uns fendet. — 
Ich liebe Dich, mein Bratislav, ih Habe Dich geliebt wie meinen 
Gott, zu glühend vielleicht fir diefe ſchwache Bruſt. IA doch 
der Haß oft mandem Herzen Tod! warum fol es nit auch 
die Liebe fein! Und bie Liebe ift mein Tod. — Glaubft Du, 
es wäre feine Seligkeit in folhem Sterben ?'' 

„Ich glaube nichts,“ verſetzte er dumpf, „als daß ich mit 
Dir Ieben oder fterben muß.” 

„Was fpricht der Arzt? — Wo ift der Arzt?“ fragte ber 
fonnen Zdenko zu wiederholten Malen. 

„Er erſchrat, da er mic ſah,“ antwortete Milada; „er 
wurde -bleih. — In diefem Grblaffen Ias id mein Schichal.“ 

„Reißt die feftlihen Blumenkränze von den Geſimſen!“ vief 
Zdenko zum Fenſter in den Hof hinab, wo in bumpfer Stille 
die feterfiche Menge, ſchon getroffen von ber Trauerkunde, ftand; 
„eilt weinend umb flehend in bie Kapelle, werft Euch in ben 
Staub vor den Altären nieder und fleht mit zerknirfchter Seele 
um Rettung! Eure Herrin ftirbt! Nur der Allerbarmer kann 
fie retten, nnd fo er fi Eurer erbarmt, feid auch Ihr ger 
rettet" — 

„Meine Brant!“ wehflagte Vratislav, „dies alfo ber heilige, 
feftlihe Tag, von dem wir geträumt, dies bie liebende, felige 
Umarmung? Gott, mein Gott! — Hämifcher, giftiger, boshafter 
Teufel! vegierft Di etwa bie Welt in Abtvefenheit des Allerbar- 
mers, bes milden Vaters? — Ich Habe ſchon zwei Todte Ieben- 
dig gemadit — gib mir auch biefes Leben Heraus! Um bie Le 
benbigen hab' ich geweint, ba ich fie für Todte hielt; jegt will 
ich um fein Leben meinen, das ich als Leben kenne.“ 

„Gib mir Worte des Friedens!“ flehte Milada und fpielte 
fanft mit feinen 2oden; „gib mir Worte der Liebe. Wenn Du 
Hebft, muft Du aud glauben und hoffen. Bitten eröffnen bie 
Pforte der himmliſchen Gnade, Drohungen fpalten fie nicht. Gott 

—* 


132 


allein iR ewig, der Menfd aber, wie fein Gdmerz, vergl . 
— Gib mir Worte der Liche, mein Bratislav 1 ap mi 
die legten Augenblide hindurch ſchwelgen im ber Erinnerung 
meine, an Deine Liebe! Sterb' id doch gern jet, wo 
daß Du mid liebſt! denn Deine Neigung war bie Aufgabe 
meines Lebens. Sein Zwei iR vollbracht — das Ziel erreicht 
— IR der Regenbogen barum weniger ſchön, weil er nur Stun- 
den am Himmel prangt und nicht Jahre? — Wär’ es beum 
ein Frühling, wenn es immer Früfling wäre? Sag’ noch Ein- 
mal, daß Du mid liebft, daß Dein Herz Did ſelbſt mir gegeben, 
daß Di meine Liebe gerührt, und daß Du bie Blume nicht 
gepflüct, weil fie mur zufällig am Wege fland und feine andre 
neben ihr — daß Du fie and geſucht, als Du fie geichen.“ 
„Ob ich Di liebe?“ rief er im feiner ſchmerztichen Bex- 
nichtung — „ob ich mein Leben liebe, die Welt, Bott liebe? — 
Ich weiß es nicht. — Aber ich liebe nur Eins, nur Eins mit 
der frampfhaften Berzweiflung, mit der ganzen Todesangſt meiner 
Seele: Dein Leben! Dein Leben! Es ik mir das höchſte. heiligſte 
aller Güter — id acht' es mehr, als jede Seligkeit des Himmels, 
als alle Seligleiten, welche uns Gott verheißen hat. — Rur 
Dein Leben will ih — fonft nichts — nichts vom der Gegen- 
wart, nichts von ber Zukunft, nichts vom Zenfeits! — Laß mich 
nit bier fo arm, fo eleud, fo im innerſten Marke vernichtet 
auf diefer elenden, farblofen, trügerifhen Erde zurüd! Was foll 
mir das Dafein? — Was follen dem Menſchen die Augenhöhlen, 
wenn feine Augenfterne darin find? — Was fol mir die Sonne 
am Himmel, wenn fie mir nicht leuchtet und mich nicht wär- 
met? Bedarf ich der Bewegung, wenn ich fein Blut habe? Was 
foll der Froft dem Eife? — Nur ber Wärme bedarf es, um zu 
fömelgen und aufzufeben. — Heiliger, barmherziger Gott, Laß 
mich fterben, ober verfenfe mich in des Wahnfinns Nacht !“ 
„Zürne nicht, mein Geliebter,“ bat fie mit rührender, im- 


133 


mer matter werbdender Stimme, „daß wir fcheiden müffen! War 
ich ja doc ſchon felig auf diefer Erde, daß id nad; höherem 
Glucke nicht verlangen darf, ohne die Sünde des Undanfes zu 
begehen! — As id Di zum erften Male fah, von Schmerz 
und Geligfeit ergriffen, ale ich Dich wieberfand, Deine. Stimme 
Hörte, Dein Holdes Wort, Dein füßer Gruß mir erflang, ale 
Deine Hand die meinige berlihrte und Du mir lächelteſt, da 
wußte ih, daß id} eine Binme fei, die ihre höchſte Blitenzeit, 
die Seligkeit, erlebt Hat und darum fterben müſſe. Und mir 
war noch eine längere Frift, als ber Blume, nod ein zweiter 
Fruhling beſchieden. Ich ſah Did; wieder und durfte Di; mein 
nennen. — Id bin beglüct — ich zürne dem Tode nicht, weil 
er mid aus dem Beſitzthume reift, wo id) es brünſtig umfchließe. 
Der Menſch jauchzt über ein Juwel, das er gefunden — je län« 
ger er's aber befitt, deſto mehr erkaltet feine Luft daran. Ich 
wirde Did) zwar ewig geliebt haben — aber ich ſcheide von 
dem Jumel im Momente ber größten Seligkeit bes Befites. 
Eine hohere Tann ich nicht erringen — und darum, mein Ge 
liebter, glaube mir, das Scheiden ſchmerzt nicht fo fehr — als 
vielleicht das Bleiben. — Ich beneide die Erde, daß Du bleibt. 
— Du Haft mich geliebt und wirft mid) Tieben bis zum Wieder- 
fehen. Und wir werden ums wieberfehen. Es iſt dies eine ge 
waltige Marmorfänle, die ih umfangen Halte; ihr eines Ende 
wurzelt tief in die Erde, das andre ragt aufwärts bis zu Gottes 
Throne; fle ift der Schemel feiner Füße. — Es iſt der Glaube 
on das Zenfeits; am ihm Mimme ich empor. — Leb' wohl! — 
der Nachhall diefes Lebewohls zittert auch von Jenſeits hernieder, 
und die himmliſchen Töne erreichen das irdiſche Ohr.” 

„Du, darfft nicht ſcheiden, ſollſt nicht ſterben rief er; 
„warum ſoll denn das Leben an allem Reiz beſtohlen, warum 
fol der Sonne ihr Glanz geraubt werben ?“ — 

nDie Erbe ift ſchön,“ verfegte fie immer matter werdend, 


134 


EIER 17383 3342 SERERBEEST®E 

e 
g HH EHRE PFEFFER ER 
ball Ih sg BITTE UT 
UTERFERLFTET FE) FREE LM: 
AH z1 —— 
Aral 2338 FEESFÜEEFIRR FEN 
1 Ari Fre HE 
14 145 3431334* 14734 

nl zertzasıd Sya8j 
IRRE BRREFUSHFHR 
eh ip si 15; 1235* 
17445 ——— ® sh ısladıdası 


135 


Mal. Herr, Du weißt, daß ich nicht ſchwach und wehmüthig 
war in. ben Gefahren des Bluthandwerls — nimm ben bittern 
Kelch von mir, nimm ihn von meinem Neffen!" — 

„Die Erde ift ſchön, aber das Jenſeits iſt ewiger in feiner 
Schoͤnheit,“ ſprach Milada; „gönnt mir ben Blid nad diefem, 
da mein Auge gebroden if für jene. — Lebt wohl! — Auch 
id) werde felig Ieben. — Gedenke mein, Vratislav, und des Heuti- 
gen Tages gedenfel Cr hat mich verffärt — als Braut! Statt 

zur irdiſchen Seligkeit — wandle ich zur himmliſchen. Sie wird 
Dir auch zu ‚Theil. — Gib meine Liebe der Erde, den Menſchen 
doppelt wieder; ich habe zu kurz gelebt, um ihnen zu vergelten. 
— Brotielan ? 1" 

Er preßte feine Lippen am ihren erbebenden Mund — er 
sitterte in ber gewiſſen Angſt des Verluftes; ihr Augenſtrahl 
Teuchtete noch einmal zu ihm empor; ihr matte Hand umfaßte 
feinen Raden. Sie ſchien noch einmal anfzuleben wie eine ver- 
loſchende Flamme; doch fie hatte vollendet. Der Tod flreifte, wie 
über eine Blume, bie rauhe Hand, fo über bie Jungfrau und 
wiſchte den Farbenſtaub ab — das Leben war eine Leiche; zwar 
eine ſchöne Leiche, aber doch ein Eigenthum des Todes, ein Opfer, 
das er in felavifcher Demuth zu feinen Füßen ſah. — 

Bratislav fühlte das Wehen des allmächtigen Gottes, ber 
bie Lippen fließt und die Blicke verlbſcht. Ex ſank auf bie 
Anie nieder — fein Herz konnte weber beten, noch grollen. Er 
war vernichtet für die Gegenwart. — 

Der Prieſter im Ornate, welcher die Trauung vollziehen 
ſollte, trat mit Kerze und SKrucifig herein, um bie Sierbende ein- 
aufegnen. Sein irdiſches Segenswort erreichte bie Seele ‚nicht 
mehr, bie ſchon die Klänge des Jenſeits, ben Chor der Engel 
vernahm. 

Man riß die Kranze vom den Geſimſen — man hüllte 
ſchwarze Gewänder um ben Altar — die Töne ber Freude ver⸗ 


136 


Hangen — Bangigfeit und laute Wehllage Herrfchte unter dem 
verfaommelten Laudvolle, dem fo eben bie Trauerkunde von bem 
Wechſel des Freubenfeftes in ein Tramerfeft zu Ohren fam; bie 
Glode der Kapelle tönte — als Tobtenglode, nicht als frommer 
Auf zur Freunde — es gab nur Cine Leihe in ber Burg 
von Neuſchloßßz, aber bie Lebenden daſelbſt waren auch alle 
Trauernde. 

Bratislav ſaß wie ein Marmorbild an dem Lager, wo fie 
ihr fhönes Dafein ausgehaudt. Er hatte fein Haupt niedergeſenkt 
in bie Kiffen; man würde ihn für einen Schlafenden »gehalten 
haben, mern die nächfte Umgebung nicht von feinem Schmerz 
geſprochen hätte. — Zdenko vom Techtie fland auf dem Söller 
im Schloßhofe und blickte hernieder auf die Menge der Reifigen 
und Lanbbewohner, die betrübt, betäubt, fragend und ſchweigend, 
niedergeſchlagen und zürmenb auf und abſchritten. Ihnen war 
vielleicht ein Freudenfeſt verborben, und barım waren fie in 
Zrauer; der Schmerz; war nicht ihr eigener Schmerz, alſo nicht 
von Dauer. — Wie aber follte er den Neffen tröften, wie fein 
taum dem Sinken entriffenes Vertrauen retten? — Er geftand 
fi, daß fein früheres Dafein noch lange nicht fo elend und 
verfuftreich wie Vratislav's gegenmwärtiges geweſen, und wie ber 
werdende Mann ſchon größeres erfahren, als er in ben Blutge- 
fechten einer großen Zeit. 

Auf dem Steingefims am Ausgange der Burghalle ſaß der 
Nitter Sufol, warf faum einen Blick nad ben hin- und her- 
woandelnden Menfhen, ſah nicht empor und hielt nur das Schwert 
anf ben Boden geſtemmt mit ber rechten Hand. — Zdenlo's 
Stimme rief ihn — er regte fi nicht. — Die Tobtenglode 
tönte, und ans ber Kapelle, wo die freudengäfte nunmehr als 
Leidtragende ſich verſammelt hatten, ſchallte ſchwermüthiger Gefang, 
der dem Tode, aber nicht mehr dem Leben galt. Sutol blieb 
ruhig fitzen — während Knechte und Reiſige und Diener an 


137 


ihm vorüber zur Kapelle geeilt waren — in feiner Seele ging 
der Schmerz nicht als Wehmuht, aber als finfterer Groll vorüber, 
und den Groll Bielt er feft, wie ber Ledhzende die Nahrung. — 
Er fafte nad) feinem Schwerte, zog bie Klinge langſam durch 
die Hand, als wollte er bie Schärfe der Schneide prüfen; dann 
ſprach er zu ſich ſelbſt: „Warum Hab’ ich die alte Zeit nicht wieder, 
Krieg — Schlachten — Furt und Hoffnung — Sieg und Flucht? 
— Es iſt noch ein Leben! Ei war e8 ein Leben! — Elend bin ich, 
weil id} mit ber Zeit alt- geworden bin. — In ber Noth und im 
Elend war meine Seele froh, und ba ich haßte, unbefangen. Nun 
da id; einige Menſchen liebgewonnen habe und im frieben raften 
aber, will mit ihnen, um ihnen zu erzählen, wie es vordem war, 
da muß ic) mich wieber nad). dem Kriege und nad} dem Kriegstoben 
fehnen, das id; num nicht Haben kann. — Ach Protopl — Pros 
Top! wär’ ich doch neben Dir geſunken bei HEib! Dir if wohl, 
und mir wäre aud wohl! — Es ift do eine Schande für 
einen alten, huſſitiſchen Kriegsknecht, daß ber nad) Allem, was er 
befahren, weid; werden muß wie ein Meib, nicht um fein Selbft 
willen, nein! um beffentwillen, was Andere erdulden! — Nun 
— in Gottes Namen! Ich will aud gehen! Es if, als hätte 
ich über den Ritter nur Unheil gebracht, feit id) ihm gefehen! 
Wo ich ihm helfe, fängt fein neues Mifgefhid an, und foll ih 
kommen, komme ich zu fpät. — Mifada ging an jenem Abend 
ohne meine Begleitung nad dem Schloßgarten. Sie flieg in 
den Hirfggraben Hinab, MHomm den jenfeitigen Hügel hinan, 
und glaubte am Thurme zu laufen umb zu erforichen, wo ihr 
Geliebter fei. Da ſchwang fie fi an dem Gefimfe empor, aus 
dem plögfic, ein Lichtſtrahl drang; fie lauſchte und horchte und 
glaubte feine Stimme zw vernehmen und mod; eime weibliche. 
Sie wollte rufen — wollte das Gitter erreichen; aber der Schred, 
ber freudige Schred ober die Angft machte fie ſchwach, bie Arme 
erſchlafften, fie ſtürzte nieder von der Höhel — Als fie wieder 


138 


zur Befinnung kam, war ihr Gewand mit Blut bebedt. Der Zofe 
geftand fie, was vorgefallen — fie durfte erſt fpäter davon er- 
fahren. Freilich! warum war id an jenem Abend nicht bei ihr? 
Weit ich heimlich Nachts gen Kutteuberg zog, um dem Ritter zur 
finden. — — Und dann ftirbt fie — daran bin vieleicht ich 
ſchuld — oder der Zufall. — Beim heiligen Gott! id bin felbft 
der Zufall; denn ohne Zufall morbete der Guardian und der 
Vichaler wicht.“ 

Er erhob ſich und ging durch das Burgthor in's Freie. — 
Bor dem ſchwarzbehangenen Altare lag Milada im offenen Sarge, 
vom Kerzenſchimmer umſtrahlt. Ihr Antlig war blaß, aber bie 
milden, fanften, engelreinen Züge ſchienen zu Ieben; nur bie 
durchfichtige, alabaftermeißie Hand deutete auf ben Zob. Zu beiden 
Seiten des Altars Enieten Bratislav und Zdenko in frommem Gebete, 
Hinter ihnen die Bewohner der Burg und das zahlreiche Land- 
voll, welches aufrichtig den Berluft der geliebten Herrin beweinte. 

Bom Thurme wehten Trauerfahnen und falten die Gloden 
im dumpfen Geläute. — 

Ihr Ton trieb den ernften Sukol immer weiter Binaus. 
Er wollte den Klängen, tele ihn nur an den eigenen unb 
fremden Schmerz erinnerten, entfliehen. &o gelangte er an bem 
drei Seen, welche die Ebene füblih von Neuſchloß bedecken, vor- 
über bis gegen Hollan. Knapp am Ufer, rechts aber gegen dem 
Wald gelehnt, befand fi damals ein Forſthaus, welches auch 
zur Herberge diente, als ſolche aber in früherer Zeit verrufen 
war. Hier gedachte Sukol zu ruhen ; denn es mochte ſchon lange 
Mitternacht fein, und der Ritter war müde vom Brüten und 
Sinnen. Hier wollte er dem folgenden Tag abwarten — an ihm 
follte fein Entſchluß reifen; er wollte ſich entſcheiden, ob er wie- 
der in bie Burg zurückehren und bei feinem freunde bleiben, 
ober, bes ewigen Mißgeſchides müde, im die weite Welt ziehen ſolle. 


139 


Wider fein Vermuthen ſchimmerte ans dem Feuſter des 
Waldhauſes gegen dem Forſt zu Lichtglanz. Sukol beſchloß, erſt 
Grund und Boden zu unterſuchen, bevor er an die Pforte pochte. 
Er fritt darum die Hede, welche das graue Häuschen umgab, 
entlang, kroch an der Bintern Seite behutfam durch die Zweige 
and von da aus über ſpitziges Geftrüpp und berfallenes Gemäuer 
an das niedere Fenfterlein. Hier Taufchte er — mehre Stimmen 
ſprachen zugleich, aber nur Hafblaut. Es mar ihm, ale Habe er 
die Eine fon einmal irgendivo gehört. Behutfam duckte er auf 
und warf einen prüfenden Blid in das Junere des Haufes. Da 
der Lichtglanz von innen Fam, fo konnte er darin deutlich Alles 
erkennen, aber von da aus nicht gefehen werden. Fünf Männer 
von abenteuerlichen, wilden, häßlichem Ausſehen, auf verſchiedene 
Art bewaffnet, faßen an einem Tiſche und tranken bei bald lautes 
rem, bald bei heiſerem Geſpräche gemeinfhaftlic aus Einem Kruge. 
Der Längfte von ihnen fiel unferm Ritter befonbers auf; biefe 
wilden, frechen Züge, biefes hellrothe, firuppige Haar — er fann 
lange nad; er mußte den Mann irgendwo gefehen haben. — 
Da fiel ihm die Scene in ber Bergſcheule bei Melnit in's Ge 
dãchtniß, und richtig! e8 war Bäclav, jener Biehhänbdler, der 
den flügjtigen Bratisfav damals gefangen nahm und dafür Hin- 
terher von Sukol derb gezüdtigt wurde. In Einem der Uebrigen 
glaubte er auch einen der Schiffer zu erfennen, welde dem Bd- 
<lav damals bei Ueberwältigung des Ritters. behilflich waren. 

„Es ift der verdammte, rothhaarige Schnapphahn!" ſprach 
Sutol leiſe für fih; „der führt mit feiner Rotte gewiß nichts Red - 
liches hier im Schilde. — Hier gilt’ zu Taufchen ; voreilige Hitze und 
Dazwiſchenkunft wäre ſchlecht angebracht. — Wil 'mal hören!“ 

„Rod eine Halbe Stunde haben wir," fprad; Vaclav, bem 
Bierkrug in der Hand; „dann ift e8 Zeit zum Aufbrud.“ 

„Wenn wir fie nur ſicher am jenfeitigen Ufer finden!“ ver- 
fegte ein Anderer; „ih traue dem Hokalka nicht.“ 


132 


allein if ewig, der Menſch aber, wie fein Schmerz, vergänglid. 
— Gib mir Worte der Liebe, mein Vratislan! Laß mi noch 
die legten Augenblide hindurch ſchwelgen in ber Erinnerung an 
meine, an Deine Liebel Sterb' ich doch germ jegt, wo ich, weiß, 
daß Du mid liebt! denm Deine Neigung war die Aufgabe 
meines Lebens. Sein Zweck ift vollbracht — das Ziel erreicht. 
— IR der Regenbogen barum weniger ſchön, weil er nur Stun - 
den am Himmel prangt und mit Jahre? — Wär’ es benn 
ein Frühling, wenn es immer Frühling wäre? Sag’ noch Ein- 
mal, daß Du mid; fiebft, daß Dein Herz Dich felbft mir gegeben, 
daß Di; meine Liebe gerührt, und da Du die Blume nicht 
gepflüct, weil fie nur zufälig am Wege ſtand und feine anbre 
neben ihr — daß Dir fie aud) gefucht, ald Du fie gefehen.“ 
„Ob ich Dich liebe?“ rief er in feiner ſchmerzlichen Ber- 
nichtung — „ob id} mein Leben liebe, die Welt, Gott liebe? — 
IH weiß es nicht. — Aber ih liebe nur Eins, nur Eins mit 
ber frampfhaften Berzweiflung, mit ber ganzen Todesangft meiner 
Seele: Dein Leben! Dein Leben! Es if mir das höchfte, heiligſte 
aller Güter — id) acht! es mehr, als jede Seligkeit des Himmels, 
als alle Seligfeiten, welde uns Gott verheißen hat. — Nur 
Dein Leben will ih — fonft nichts — nichts von ber Gegen- 
wart, nichts von der Zukunft, nichts vom Jenſeits! — Laß mich 
nicht bier fo arın, fo elend, fo im innerften Marke vernichtet 
auf diefer efenden, farblofen, trügerifchen Erde zurüd! Was fol 
mir das Dafein? — Was follen dem Menſchen die Augenhöhlen, 
wenn feine Augenſterne darin find? — Was foll mir die Sonne 
am Himmel, wenn fie mir nicht leuchtet und mid nit wär- 
met? Bedarf ich der Bervegung, wenn ich fein Blut habe? Was 
foll der Froft dem Eiſe? — Nur ber Wärme bedarf es, um zu 
ſchmelzen und aufzuleben. — Heiliger, barmherziger Gott, laß 
mic flerben, ober verfenfe mich in des Wahnfinns Nacht I“ 
nZürne nicht, mein Geliebter,“ bat fie mit rührender, im- 


133 


mer matter werdender Stimme, „daß wir ſcheiden müfjen! War 
ich ja doch ſchon felig auf dieſer Erde, baf ich nad) höherem 
Güde nicht verlangen darf, ohne die Sünde des Undanfes zu 
begehen! — Als ich Dich zum erſten Male fah, von Schmerz 
und Geligkeit ergriffen, als ich Dich wieberfand, Deine. Stimme 
Hörte, Dein holdes Wort, Dein füher Gruß mir erflang, als 
Deine Hand bie meinige berührte und Du mir Iächelteft, da 
mußte ih, daß ich eine Blume fei, die ihre höchſte Blütenzeit, 
die Seligteit, erlebt Hat und darum fterben müffe Und mir 
war noch eine längere Frift, als ber Blume, noch ein zweiter 
Frühling befieden. Ich fah Dich wieder und burfte Dich mein 
nennen. — Ich bin beglückt — ich zurne dem Tode nicht, weil 
er mid) ans dem Beſitzthume reißt, wo ich es brünftig umſchließe. 
Der Menſch jauchzt über ein Juwel, das er gefunden — je Tän- 
ger er's aber beſitzt, defto mehr erfaltet feine Luſt daran. Ich 
würde Did zwar ewig geliebt haben — aber ich ſcheide von 
dem Juwel im Momente ber größten Seligkeit des Befites. 
Eine höhere kann ich nicht erringen — und darum, mein Ge- 
Hiebter, glaube mir, das Scheiben ſchmerzt nicht fo fehr — ale 
vieleicht das Bleiben. — Ich beneide die Erbe, daß Du bleibſt. 
— Du haft mic geliebt und wirft mid, Tieben bis zum Wieder- 
fehen. Und wir werden ums wieberfehen. Es iſt dies eine ge- 
waltige Mormorfäule, die ich umfangen halte; ihr eines Gnde 
wurzelt tief in bie Erde, das andre ragt aufwärts bis zu Gottes 
Throne; fie ift der Schemel feiner Füße. — Es iſt der Glaube 
an das Jenſeits; am ihm Mimme ich empor. — Leb’ wohl! — 
der Nachhall diefes Lebewohls zittert auch vom Jenſeits hernieder, 
und die himmliſchen Töne erreichen das irdiſche Ohr.” 

„Du darfft nicht ſcheiden, ſollſt nicht flerben!“ rief er; 
„warum ſoll denn das Leben an allem Reiz beſtohlen, warum 
ſoll der Sonne ihr Glanz geraubt werben ?“ — 

Die Erde ift ſchön,“ verfegte fie immer matter werdend, 


134 


„und das Scheiben nicht bitter, wo das Wiederſehen gewiß ifl. 
— Mein Vratislav, gebente mein, wie ber Pilger, der auf ber 
Straße einen Wanderer gefunden hat, am Kreuzwege rechtwärts 
gebt, während jener finfwärts ziehen muß. Sie fdütteln ſich 
die Hände, fehen einander in das mehmüthige Auge und geſtehen 
tranernd, wie es fie fchmerzt, daß fle nicht eine und dieſelbe 
Bahn weiter in Gemeinſchaft ziehen Lönnen. — Bom Hügel 
herab mwinft Einer dem Andern noch einen Abſchiedegruß. Der 
Gruß if ein ſchmerzhaftes Bermägtniß; denn fie fehen fich viel- 
leicht niemals wieder, weil des Eiuen Strafe zum Aufgange, 
die des Andern aber zum Miedergange führt. — Wenn endlich 
die Berge dazwiſchen getreten find und fein Rüdbfid bleibt nah 
der Bahn des Andern, danu Iegt jeder Geſchiedene ein Blatt in 
fein Gebetbuch — ein Heiligenblatt, wie wir pflegen — die Er- 
innerung, das Angebenfen. — Wir aber werben uns wieberjehen I“ 

Inzwiſchen war bie Dienerfhaft betrübt und weinend im 
as Gemach getreten; auf der Thürſchwelle fand Sukol wie ein 
Marmorbild, ohne Ausdrud, aber voll tiefen Grolles, der dem 
Geſchide galt — er ſchien feine Theilnahme und mit ihr ben 
eigenen Schmerz zu verbergen. — 

„Ich habe noch niemals Inieenb vor Dir gebetet, o Gott!” 
— fprad) Zdenko; „denn ich habe in den Schiachten mit dem 
Schwerte gebetet für Dein Wort und für Deinen Glauben. Jetzt 
aber, Herr, flehe ih zn Dir — es gilt mein Blut unbe mtein 
Leben! Und Eine Bitte muß ic frei haben, da mir fo viele 
und viel Taufend Wünfce verfagt worden find. — Dein Wille 
geſchehe — Here! Es iſt freilich ein Andres als eine Schlacht. 
— And in der Schlacht gefchehe Dein Wille! — Aber, mein 
Gott, ein einzelnes Leben zu retten, wird unſerm Flehen doch 
gelingen! — Mein Tieber Gott! es if eine Kleinigkeit — es 
handelt fih um feine Schlacht, über denen Du herrſcheſt, und 
wo ih Dein Walten erfahren und gefühlt Habe viel hundert 


135 


Mal. Herr, Du weißt, daß ih nicht ſchwach und wehmüthig 
war in den Gefahren bes Bluthandwerls — nimm ben bitterm 
Kelch von mir, nimm ihn von meinem Neffen!" — 

„Die Erbe ift ſchön, aber das Jenfeits ift ewiger in feiner 
Schönheit,“ ſprach Milada; „gönnt mir ben Blick nad biefem, 
da mein Auge gebroden if für jene. — Lebt wohl! — Auch 
ich werde felig leben. — Gedente mein, Vratislav, und des Heuti- 
gen Tages gedenfel Cr hat mic) verflärt — als Braut! Statt 
zur irdiſchen Seligfeit — wandle ich zur himmliſchen. Cie wird 
Dir aud zu Theil. — Gib meine Liebe der Erde, ben Menfchen 
doppelt wieber; ich habe zu kurz gelebt, nm ihnen zu vergelten. 
— Bratielan 1" 

Er preßte feine Lippen am ihren erbebenden Mund — er 
zitterte in ber gewiſſen Angſt des Verluſtes; ihr Augenſtrahl 
leuchtete noch einmal zu ihm empor; ihr matte Hand umfaßte 
feinen Nacken. Sie ſchien noch einmal aufzuleben wie eine ver- 
loſchende Flamme; doch fie hatte vollendet. Der Tod ſtreifte, wie 
über eine Blume, die rauhe Hand, fo über bie Jungfrau und 
wiſchte den Farbenſtaub ab — das Leben war eine Leiche; zwar 
eine ſchöne Leiche, aber doch ein Eigenthum des Todes, ein Opfer, 
das er im felavifher Demuth zu feinen Füßen ſah. — 

Vratislav fühlte das Wehen des allmächtigen Gottes, ber 
die Lippen ſchließt und die Blicke verlöſcht. Er fank auf bie 
nie nieder — fein Herz konnte weder beten, noch grollen. Er 
war vernichtet für bie Gegenwart. — 

Der Priefter im Ornate, welcher die Trauung vollziehen 
follte, trat mit Kerze und Krucifig herein, nm die Sterbenbe ein- 
zuſeguen. Sein irdiſches Segenswort erreichte die Seele ‚nicht 
mehr, bie ſchon bie Klänge bes Jenſeits, ben Chor der Engel 
vernahm. 

Man riß die Kränze von ben Gefimfen — man hüllte 
ſchwarze Gewänber um den Altar — bie Töne der Freude ver⸗ 


136 


Hangen — Bangigfeit und Iante Wehliage herrſchte unter dem 
verfammelten Lanbvolte, dem fo eben die Trauerkunde von dem 
Wechſel des Freudenfeſtes im ein Trauerfeſt zu Ohren kam; die 
Glode der Kapelle tönte — als Zobtenglode, nicht ale frommer 
Ruf zur Freude — es gab mur Eine Leiche in der Burg 
von Neuſchloß, aber die Lebenden bafelbft waren aud alle 
Trauernde. 

Bratislav ſaß wie ein Marmorbild an dem Lager, wo fie 
ihr ſchönes Dafein ausgehaucht. Er Hatte fein Haupt niedergefentt 
in die Kiffen; man würbe ihm für einen &chlafenben »gehalten 
haben, wenn die nächſte Umgebung nit von feinem Gchmerz 
geſprochen Hätte. — Zdenko vom Techtie fland auf dem Göfer 
im Schloßhofe und bfidte hernieder auf bie Menge der Reifigen 
and Landbewohner, die betrübt, betänbt, fragend und ſchweigend, 
niedergeſchlagen und zürnend auf und abſchritten. Ihnen war 
vieleit ein Freudenfeſt verborben, und darum waren fie in 
Trauer; der Schmerz war nicht ihr eigener Schmerz, aljo nicht 
von Dauer. — Wie aber follte er den Neffen tröften, wie fein 
taum dem Sinfen entrifienes Vertrauen retten? — Er gefiand 
Rd, daß fein früheres Dafein noch ange nicht fo elend und 
verfuftreich wie Vratislav's gegenmärtiges geweſen, und wie ber 
werdende Mann ſchon größeres erfahren, ale er im den Blutge- 
fechten einer großen Zeit. 

Auf dem Steingefims am Ausgange der Burghalle faf der 
Kitter Sufol, warf kaum einen Blick nach den Hin- unb her⸗ 
wandelnden Menfchen, ſah nicht empor und hielt nur das Schwert 
anf den Boden geftemmt mit ber reiten Hand. — Zdenko's 
Stimme rief ihn — er regte fih nicht. — Die Tobtenglode 
tönte, und ans der Kapelle, wo bie reudengäfte nunmehr als 
Leidtragende ſich verſammelt Hatten, ſchallte ſchwermuthiger Gefang, 
der dem Tode, aber nicht mehr dem Leben galt. Sutol blieb 
ruhig figen — während Kuechte und Reiſige und Diener an 


137 


ihm vorüber zur Kapelle geeilt waren — in feiner Seele ging 
der Schmerz nicht als Wehmuht, aber als finfterer Groll vorüber, 
und den Groll hielt er feſt, wie ber Lechzende die Nahrung. — 
Er faßte nach feinem Schwerte, zog bie Klinge langſam durch 
die Hand, als wollte er die Schärfe der Schneide prüfen; danu 
ſprach er zu ſich ſelbſt: „Warum Hab’ ich die alte Zeit nicht wieder, 
Krieg — Schlachten — Furcht und Hoffnung — Sieg und Flucht? 
— Es ift no ein Leben! Ei war es ein Leben! — Elend bin ich, 
weil ich mit der Zeit alt geworben bin. — In der Noth und im 
Elend war meine Seele froh, und da ich haßte, unbefangen. Nun 
da id) einige Menſchen liebgewonnen habe und im Frieden raften 
aber, will mit ihnen, um ihnen zu erzählen, wie e8 vordem war, 
da muß ich mich wieber nach dem Kriege und nad) dem Kriegstoben 
fehnen, das id nun nicht Haben Tann. — Ad; Protop! — Pro» 
Top! wär’ ich doc neben Dir gefunten bei HEibl Die ift wohl, 
und mir märe auch wohl! — Es ift doch eine Schande für 
einen alten, huſſitiſchen Kriegefnecht, daß der nad) Allem, was er 
befahren, weich werden muß wie ein Weib, nit um fein Selbſt 
willen, nein! um bdeffentwillen, was Andere erdulden! — Rum 
— in Gottes Namen! Ih will aud gehen! Cs if, als hätte 
id über den Mitter nur Unheil gebradit, feit ich ihn gefehen! 
Bo ih ihm Helfe, fängt fein neues Mißgefhid an, und fol id 
tommen, Tomme ich zu fpät. — Mifada ging an jenem Abend 
ohne meine Begleitung nad dem Schloßgarten. Sie flieg in 
den Hirihgraben hinab, klomm den jenfeitigen Hügel hinan, 
und glaubte am Thurme zu laufen und zu erforſchen, wo ihr 
Geliebter fei. Da ſchwang fie fi am dem Gefimfe empor, aus 
dem plögfidh ein Lichtſtrahl drang; fie lauſchte und Horte und 
glaubte feine Stimme zu vernehmen und noch eine weibliche. 
Sie wollte rufen — wollte da Gitter erreichen; aber der Schred, 
ber freudige Schred oder die Angft machte fie ſchwach, bie Arme 
erſchlafften, fie ſtürzte nieder von der Höhel — Als fie wieder 


188 


zur Befinnung kam, war ihr Gewand mit Blut bededt. Der Zofe 
geftand fie, was vorgefallen — fie durfte erſt fpäter davon er- 
fahren. Freilich! warum war id; am jenem Abend nicht bei ihr? 
Weil ich heimlich Nachts gen Auttenberg zog, um bem Xitter zu 
finden. — — Und dann flirbt fie — daran bin vielleicht ich 
ſchuld — ober ber Zufall — Beim Heiligen Gott! ih bin ſelbſt 
der Zufall; demm ohue Zufall mordete der Guardiau und ber 
Micdtel wicht.“ 

Er erhob fi und ging durd das Burgthor in's Freie. — 
Bor bem ſchwarzbehangenen Altare lag Milada im offenen Sarge, 
vom Kerzenfhimmer umſtrahlt. Ihr Antlig war blaß, aber bie 
milden, fanften, engelreinen Züge fhienen zw leben; nur bie 
durchfichtige, alabaſterweiße Hand deutete auf den Tod. Zu beiden 
Seiten bes Altars knieten Vratislav und Zdenko in frommem Gebete, 
hinter ihnen die Bewohner ber Burg und daB zahlreihe Lanb- 
volt, welches aufrichtig den Verluſt der geliebten Herrin beweinte. 


Bom Thurme wehten Teauerfahnen und halten die Gloden 
im dumpfen Geläute. — 


Ihr Ton trieb den ernflen Sukol immer weiter Binaus. 
Er wollte den Klängen, welt ihn nur an den eigenen unb 
fremden Schmerz erinnerten, entfliehen. So gelangte er an ben 
drei Seen, welche bie Ebene ſüdlich von Neuſchloß bedecken, vor» 
über bis gegen Hollan. Knapp am Ufer, rechts aber gegen bem 
Wald gelehnt, befand fi damals ein Forſthaus, welches auch 
zur Herberge diente, als folde aber in früherer Zeit verrufen 
war. Hier gedachte Sukol zu ruhen; denn es mochte ſchon fange 
Mitternacht fein, und der Ritter war müde dom Brüten und 
Sinnen. Hier wollte er den folgenden Tag abwarten — an ihm 
folte fein Entſchluß reifen; er wollte ſich entſcheiden, ob er wie- 
der in die Burg zurücklehren und bei feinem freunde bleiben, 
oder, bes ewigen Mißgeſchides mübe, in die weite Welt ziehen folle. 


139 


Wider fein Vermuthen fchinmerte aus bem Fenſter des 
Waldhaufes gegen den Forft zu Lichtglanz. Sufol befchloß, erft 
Grund und Boden zw unterſuchen, bevor er an die Pforte pochte. 
Cr {dritt darum bie Hede, welche das graue Häuschen umgab, 
entlang, kroch an der Hintern Seite behutfam duch die Zweige 
and von da aus über fpigiges Geftrüpp und verfallenes Gemäner 
an-das niedere Fenfterlein. Hier laufchte er — mehre Stimmen 
ſprachen zugleich, aber nur Halblaut. Es war ihm, als habe er 
die Eine ſchon einmal irgendwo gehört. Behutſam budte er auf 
und warf einen 'prüfenden Blid in das Innere bes Haufes. Da 
der Lichtglanz von innen kam, fo fonnte er darin deutlich Alles 
erkennen, aber von ba aus nicht gefehen werden. Fünf Männer 
von abenteuerliche, wilder, häßfichem Ausfehen, auf verfchievene 
Art bewaffnet, ſaßen an einem Tiſche und tranken bei bald laute— 
ven, bald bei heiſerem Gefpräche gemeinfchaftlih aus Einem Kruge. 
Der Längfte von ihnen fiel unferm Ritter befonders auf; biefe 
wilden, frechen Züge, dieles hellrothe, fruppige Haar — er ſann 
lange nad); er mußte ben Mann irgendwo gefehen Haben. — 
Da fiel ihm die Scene in der Bergſchenke bei Melnit in’s Ge 
dãchtniß, und richtig! es war Bäclav, jener Bichhändler, ber 
den flüchtigen Vratislav damals gefangen nahm und daflr Hin- 
terher von Sutol derb gezüchtigt wurde. In Einem der Webrigen 
glaubte er auch einen ber Schiffer zu erkennen, melde dem Bd- 
lad damals bei Ueberwältigung des Nitters. behilflich waren. 

„Es ift der verdammte, rothhaarige Schnapphahn!“ ſprach 
Sulol leiſe für fih; „der führt mit feiner Rotte gewiß nichts Red- 
liches hier im Schilde. — Hier gilt's zu lauſchen; voreifige Hite und 
Dazwiſchenkunft wäre ſchlecht angebracht. — Wil 'mal hören!“ 

mRoc eine Halbe Stunde haben wir,” ſprach Vaclav, ben 
Bierkrug in der Hand; „dann if es Zeit zum Aufbruch.“ 

„Wenn wir fie nur fiher am jenfeitigen Ufer finden!” ver⸗ 
feste ein Anderer; „ih traue dem Hotalka nicht.” 


140 


„Dammtopf!“ widerfprad) Vaclav, „warum follten fie nicht? 
— Die reihe Beute Iodt, und die Arbeit if nur Kinderfpiel. 
Wenig oder gar nichts if dabei zu wagen. Da oben anf Reu- 
ſchloß Haben fie bankettirt und gezecht, find müde und fiegen im 
bleternen Schlafe. Noch che fie fi ermannen, haben wir bie 
Mauern erfliegen, und noch bevor fie zu den Waffen greifen, find 
fie fon niedergehauen. Dann geht das Plündern an. Der Ritter 
wird gebunden auf den Burgplag gelegt, das Fräulein aber fort- 
geführt. Wenn er am folgenden Morgen Hundert Mark Silber 
in dem Fiſchbacher Walde unter die große Eiche legen läßt, ſoll 
er fie unbeſchädigt wiederhaben. Eine fo reihe und ſchöne Braut 
iſt einen ſolchen Preis ſchon werth; denn die Aeder und Tiegen- 
den Gründe können wir ihm doch nicht nehmen. Gottes Fluch! 
3% hab's Euch ſchon zwei Mal wiederholt. — Ber noch Ber 
denklichkeiten hegt, if ein Hund — ich flag’ ihn tobt! Wollt 
Ihr erndten, müßt Ihr audy ſchwitzen!“ 

„Schon gut, ſchon gut, Bäclave!” fiel ein Dritter ein; 
„man fragt doch mur, um fid) ordentlich zu unterrichten, damit 
dann keine Störung vorgehe; denn bei ſolchen Gelegenheiten wird 
doc oft das Eine oder das Andere im Eiſer vergeſſen.“ 

„Wir find ihrer alfo danu zufommen dreißig?" fragte der 
Zweite wieder, „Alles tüchtige Leute, bie weder Gott, nod ben 
Teufel ſcheuen.“ + 

„So if?8,* befehrte Vaͤclav, „und ich wollte es and Kei- 
nem rathen, daß er eine Memme wäre! Ich ſchlüg' ihm dem 
Hirnfdäbel wie ein Hühnerei entzweil Dreißig find wir — aber 
taum zwanzig Bewehrte, müde durch den Saus und Braus des 
ganzen Tages. — Geht mir aber forgfältig mit dem Feuer um, 
damit fein Brand entfleht. Das wiirde bie Rente anf den Schlöf- 
fern ringsum aufmerffam machen, und fie könnten nus mit ihrem 
Neifigen über ben Hals kommen, bevor wir nod Alles in Sicher- 
heit gebracht. Verſteht Ihr?" 





141 


nufiehen. wird es übrigens machen,“ bemerkte der Bierte, 
„weil fo etwas in ber Gegend felten ift, und wir müffen uns 
raſch von bier gegen die Mofenberger Wälder wenden.” 

„Freilich!“ ſprach Vaclav. „Es ift im Grunde nichts fo 
Außerorbentliches, daß einmal auch Hier ein Schloß ein Bischen 
ausgeplündert wird. Und im Grunde haben wir das Recht dazu. 
Bir nehmen nur einen Theil des Unfrigen wieder; denn wovon 
find die Ritter fo mächtig und fo reich geworden? Bloß dadurch, 
daß fie lange Jahre her den Kaufmann und den Bauer auf ber 
Landſtraße ausgeplündert haben, ober fi wieber unter einander 
befehbet, und fo Einer dem Andern den Raub abgejagt. Sie 
follen’ 8 auch 'mal fühlen, wie es thut, wenn Einem die Bich- 
heerde, die man mit ſchwerem @elde erhandelt hat, von ihren 
Raubgejellen abgejagt und fortgetrieben wird 1” 

„Der Hund,“ murmelte Sukol ingrimmig und zähnefnir- 
ſchend für fih, „Hat einen guten Glauben, gerad’ wie Michalet, 
der Weinverberber! Alfo weil Andere vorbem gefünbigt haben, 
fol es der Ritter und fein Fräulein büßen! Nun, wart’ nur, 
Hundeſeele, wir wollen ſchon einen Riegel vorſchieben vor deine 
kralligen Pfoten, daß fie dir brennen follen !“ 

— „Seltfam aber,“ nahm ber zweite Räuber nach einer 
Weile das Wort, „daß den ganzen Tag Glodengeläute vom Schloffe 
erſcholl und ic; glaube bie jet mod. — Es in wie bei einem 
Trauerfall.“ . 

„Sie läuten aus Jubel,“ belehrte Vaclav; „es find Freuden- 
gloden. Das reiche Volt weiß bes Uebermuthes kein Ende. Selbſt 
bie Gloden mißbrauchen fie zu ihrer irdiſchen Luft, die eigentlich 
nur dem Herrgott gehören. — Iſt der Kahn auch ſchon da, der 
uns überfegen fol?“ 

„Ci wohl!“ antwortete der Fünfte, ein alter, grauer, aber 
noch Fräftiger Mann; „Vojta hat ihm gebradt. Cr lenkt ihn 
aud. Ich Habe den Undern genau den Drt angegeben, wo wir 


142 


landen werben. Dort erwarten fie uns, al8 am Berfammiungs- 
orte. Wir ziehen daun die Thalſchlucht hinauf, line um das 
Dorf herum. Es könnte doch Jemand wachen und uns bemerken. 
So kommen wir aber, als wären wir vom Himmel gefallen, 
gerad’ wie die Ritter von Brauit.“ 

„Und Bojta gibt das Zeichen,“ fragte Vaclav, „fobald er 
den Pfiff von drüben hört? Nicht wahr? Bergeßt nur Keiner 
etwas und verrichtet ſchweigend Eure Pflicht. Cs könnte doch 
während ber Arbeit Eines ober des Andern Stimme erkannt 
werden. Nun aber fill! Die Zeit it da — bald muß das Zei- 
hen erfhallen — damit wir 8 alfo nicht überhören I" 

Sie faßen von nun an ſtill und regungslos und lauſchten; 
nur ber Krug ging leife von Mund zu Munde. 

„Was beginnen ?“ überlegte Sukol; „was ift das Befle und 
Sicherſte? denn bie Zeit drängt. Stürz' id hinein, und haue ich 
die Hunde nieder? Es find ihrer nur fünf, und zur Noth ge- 
wältige ich fie. Hätte ih Hier einen Feuerbrand, fo ſtecte ih das 
Nef in Flammen, verrammelte die Thüre und briete die Lotter- 
Brut, — Aber dann find noch fünf und zwanzig übrig, und wer 
bürgt mir bafür, daß diefe nicht auf eigene Fauft den Anfchlag 
ausführen? — Wenn in den Kahn fleigen und abfloßen, 
Bunte ich langſam in’ s Wafler fleigen und das Fahrzeug um- 
drehen, daß fie in den tiefen Gee plumpen nnd erfaufen. Wollte 
Einer ſchwimmen, ich tauchte ihn fo lange, bis er nit mehr 
herauffäme. Aber dann bfeiben immer noch die fünf und zwanzig, 
und wenn bie nicht aud mithängen, wär's doch Schade. — Unb 
zudem gebietet die Pflicht, man fol Niemanden beftrafen, wenn 
er fündigen wollte, fondern erſt wenn er gefünbigt hat. Alfo bar- 
auf Losgehen muß ich fie erſt Iaffen. — Raſch folgen will id, 
fo raſch ih auf dem Ummeg um ben Gee kann. Was fie durch 
den Hohlweg umgehen, eripare ich auf der Straße durch das 
Dorf, gelange fo früher in die Burg und made bie Reifigem 





143 


bereit zur Empfangnahme bdiefer lieben Gäfte. Zeit und Moth- 
wenbigfeit follen das Uebrige bringen. — In Gottes Namen!" — 

Er wollte faht den Rüdweg einfchlagen, als Bäclan von 
Neuem zu fpreden anfing. 

„Das Zeihen bleibt lange,“ ſprach er leiſe; „ich kann mich 
dod unmöglich in ber Zeit verrechnet haben! Wenn nur keine 
Dummheit ober Schurlerei von Seiten bes Vojta oder Haftal 
vorgefallen ift! Schleihe Einer hinaus und fehe nach dem Ufer, 
ob er da ift mit dem Kahn, und ob er noch nichts gefehen ober 
gehört Hat von brüben. Geh Du, Peter! fei aber behutfam.“ 

Der alte, graue Mann erhob ſich und ging hinaus, — Da 
er an dem Zaune, Hinter welhem Sulol fland, vorüber mußte, 
fo legte ſich diefer Mnapp am ber Wand unter dem Fenſter nie» 
der, um nicht gefehen werden. 

Bald hätte ihm fein Wehrgehänge, das bei der tafchen Be- 
wegung an bie Scheide feines Degens ſchlug, verrathen. Peter 
blieb am der Ede fiehen und vief: „Ift Jemand da?“ 

Sein Hund ſchlug an und wollte funrrend durch die Hede, 
wo fid) feinem Inſtincte nad) etwas Lebendes, Fremdes regte. 

Vaclav riß wüthend das Fenfter auf und ſchalt mit ge- 
dämpfter Stimme nah Peter zu: „BVerfluchter, alter Hund, wirft 
Du Deinen Hund gleich hereinführen! Warum nimmft Du den 
Hund mit? Soll uns der Huud verrathen? Stich das Vieh nie- 
ber, wenn es noch einmal muckſt 1” 

Der Hund bellte lauter, und Peter fand ſich fo genöthigt, 
ihn nieherzuhauen. 

Sutol ſchwebte während dem in der größten Gefahr. Dicht 
Aber ihm Rand im geöffneten Fenſter Vaclav, gegen Peter Hin 
ſcheltend. Fiel ein einziger BE nach abwärts, fo mußte er bie 
kauernde Geftalt am Boben unter fi) gewahren, und es beburfte 
ba nur eines einzigen Streiches mit ber Keule oder dem Schwert, 


14 


uud Sutol war getroffen, mod che es ihm möglid geworben fü 
aufguraffen. 

Gleiche Gefahr drohte im von der andern Seite; demm 
wurde Peter über das Gebell jeines Hundes im dieler Richtung 
Rutig, umb verfolgte er die Spur und kroch über den Zaun, fo 
war Sufel gleichfalls verloren. — Über Beides geſchah nicht. 

— Peter verfolgte mmmrenb ben Weg; deme fein Hund, 
weichen er auf des Auführere Geheiß opfern mußte, that i 
feib. — Gufol verhielt ſich ruhig; aber fein Her podite i 
gewaltig. Zwar fanzte er, der Bieigeprüfte, feine Furcht, aber 
mit feinem Leben — das erfannte er — waren aud ber Ritter 
und Zdenfo verloren. Nur feine Dazwilgentunft konnte fie veitem. 

Nach gerammer Weile kam Peter wieder denſelben Weg 
zwrüd, bog nad vorm um das Haus, umd feine Stimme er 
ſchallte gleich baranf aus dem Junern ber Hütte: „Es iſt Alles 
in der Ordnung. Bojta if am Waſſer; Ihr follt nur ruhig fein.“ 

Kaum hatte er ausgefproden, als vom Ufer her eine gel- 
lende Pfeife ertönte und die Räuber zum Aufbruch mahnte. Sie 
ergriffen ihre Waffen, löſchten das Licht ans umd gingen leiſe umb 
behntſam tappend hinaus. — Sulol hörte, wie fie die Thüre 
ſchloſſen und vorn durch das Gehege ſchritten. 

Als ihr Fußtritt verhallt war, erhob er ſich behutſam und 
ſchritt ans ber Hecke. Hinter ihm lag der Wald, vor ihm bie 
Hütte und an ifrem Eingang der See. Rechts Hin, am Ufer 
entlang, waren die Räuber gegangen. Ex mußte finfehin biegen, 
um auf dem Erdwalle, welden die Natur zwiſchen den beiden 
Gewäffern gebildet Hatte, nad den Hügeln von Neuſchloß zu 
gelangen. — 

Das erſte Viertel des Mondes leuchtete milb und Hell am 
Himmel und ſchimmerte im See, ber ein glänzender Spiegel war. 
Rechtshin über dem Wafler ſchwebte ein dunkler Streif; es war 





146 


der Kahn, welder die Räuber trug. Kein Lüftchen vegte fih — 
Tautlos war die Natur — ringsum keine Hütte, Tein Haus. — 

Sutol eilte der Hügelreihe zu, zwiſchen welcher ſich der 
Fahrweg nad) dem Schloffe hin erftredte. Mit klopfendem Herzen 
zaunte er athemlos die Anhöhe hinan. — Dort hinter der Ede 
des Berges ſah er das Schloß ſchimmern im Mondglanze auf 
bem weiten Bergrüden. Gin leuchtender Schein ging vor bem 
Gebäude aus; es war ber Kerzenglanz aus ber Kapelle, wo noch 
die Beter am Sarge Milada’ 8 auf den Knien lagen. — 

Die Rotte ber Räuber Hatte inzwiſchen doch einen Vorſprung 
gewonnen. Im wüthenden Anlauf erfiegen fie den Erdwall, 
welcher fih um bie Ringmaner des Schlofſes zog. — Behutfam 
folgte ihnen Sukol. — 

Die Einwohner des Schiofſes aber ſchliefen nicht müde und 
berauſcht, wie Vaclav und feine Genofien vermeinten. Der Trauer- 
fall Hatte fie wach erhalten, und fo fam es, daß auch bie Land- 
bewohner, welche fi zum Hochzeitsfeſte verfammelt Hatten, noch 
auf ber Burg waren. — Beim erften Geräuſche gab der Wächter 
ein Zeichen. Alles flürzte nad der Waffenkammer — man be» 
wehrte die Landfente, ſtellte Pechfadeln auf die Mauern und ber 
fegte die Wälle. — 

Die Räuber, auf keinen Wiberftand gefaßt, hielten Raft und 
blieben ruhig vor dem Xhore, welches nad) ber Zugbrüde führte. 
Subkol näherte fi ihnen behutfam; er mengte fi unter die 
Letzten. 

Nur vorwärts I” gebot Vaclav; „es find ihrer kaum zwan« 
sg und wir ihnen an Muth nnd Zahl überlegen.“ 

„ga, vorwärts, immer drauf und dran!“ fagte Sukol mit 
unterbrüdter Stimme, als gehöre er zu ber Räuberhorde, und 
drängte bie Leiten nad) vorne in bie Thorhalle hinein. 

„Ja, vorwärts 1” ſchrie ein Anderer kampfluſtig; ak feilen 

Herloßfohn: Der legte Taberu. U. 


146 


Hunde oben werden ums doch nicht Angft einjagen? — Wer fein 
Schurke if, geht vorwärts! Führ’ uns, Vaclave!“ 

„Vorwärts, vorwärts!“ brüllte der Ehor ber Uebrigen. — 
Sie drängten fi durch die Thoröffnung hinein, über die Brüde 
Hinüber, bis auf den Burgplag, wo Lampfgerüftet die Befagung 
Rand. — 

Berbugt bielt hier Bäclan ſtill — auf eine folge Menge 
Hatte er nicht gerechnet. Aber er erwog deu Schreden, welcher 
ſich nad feiner Meinung der Burgbewohner bemädtigt haben 
mußte; denn Hinter ihm flauden feine Genoffen dicht gedrängt 
und bewaffnet, fo daß die Ueberfallenen leicht glauben fonnten, 
ex führe eine fünffahe Anzahl au, und darum rief er: 

„Ergebt Euch, zahlt Löfegeld, und wir wollen von bannen 
ziehen ohne Blutvergiefen! Sonft bleibt kein Mann am Leben, 
und wer fi) wehrt, fol lebendig verbrennen! Heida! meine Ge- 
fellen, werft euer in das Gebäude!“ — 

— Bratisfav war beim erflen Lärmen vom Altare aufge- 
fprungen, hatte fein Schwert ergriffen und warf fich an ber 
Spige feiner gerüfteten Knappen den Cindringenden entgegen. 

„Hund Dul räuberifher Schurke!” ſchrie er gegen vaͤclav — 
„sold; ein Buſchklepper und Wegelager wagt es uns zu brohen ?“ 

Er führte einen wüthenden Hieb gegen den Räuberanführer, 
welchem biefer jebodh durch eine geſchickte Wendung auswich. 

Inzroifchen fam Zdenfo heran; fein breites Schlachtfchwert 
flog rechts und lings und . faufte um bie Schädel der Mord- 
gefellen, daß das Blut ringsum fprigte. — 

„Zurüd — zurüd!” vief jet Vaclav, die Macht des Wiber- 
ſtandes erfennend — „flieht! durch das Thor zur! die Brüde 
iſt aufgezogen.” — 

„Rein, das Thor ift nicht offen!“ ſchrie Sulol; „Ihr 
Hunde feid gefangen!“ und mit kräftigen Armen ergriff er die 
Flügel der Pforte von außen und warf fie krachend in das Schloß. 


147 


Ein Wehgeſchrei ertönte — die Rauber drängten, fi) alle 
nad) hinten zu. Einer fließ und trat den Andern. Die Vorderen 
ſchrien: „Gebt Raum, madt Pla!“ die Hintenftehenden aber 
viefen gegenfeitig: „Wir können nit! Greift an! Vorwärts, 
vorwärts |" 

Vaͤclav, dem Ritter Vratislav jegt Mann gegen Mann 
entgegenftehend, wehrte fich wie ein: Löwe. Er wurde am Arme 
geläfmt — der Ritter unterlief ihn — Hob ihn auf mit feinen 
fräftigen Armen, indem er ihn mit Riefenſtärte umfang, und 
trug ihn unter die Schaar feiner Streiter, welche ihm plötzlich 
Raum gaben. Hier warf er ihn auf das Steinpflafter nieder und 
rief den Reifigen zu: „Da Habt Ihr den Vogel — bindet ihn!“ 

Die Uebrigen, entfegt, drängten ſich fechtend vom Thore 
nad der linken Seite zu und glaubten über die Mauer zu ent 
tommen, Cinige [prangen über. die Brüfung nad den Schieß- 
ſcharten, aber die Voranftehenden drängten fie. &ie faheu ben 
Kampf vor fih — den tiefen Abgrund hinter ſich; grell beleuch- 
tete die Flamme ber Pechlörbe den Graben. Unten ftand Sufol, 
hatte das Schwert gezückt und fehrie mit einer Löwenfiimme nad) 
aufwärts: 

„So vet! fo recht! Werft fie nur herab — es find ge 
Hratene Wachteln, die vom Himmel regnen; ich fpiehe fie mit 
meinem Degen! Nur herunter mit ihnen! Hört Ihr's? — Id 
vin's — ich bin der Sufol, der ihnen das Thor verrammelt 
hat! — Nur herunter, Ihr Ehrenmänner, Vaclav und Bojta 
und Peter, und wie Ihr noch Ale heißen möge! Der Hund war 
üger, ala Ihr, er witterte mich; Ihr aber habt mich nicht ge- 
fehen und nidt gehört, Ihr Gaudiebe aus ber Waldſchenke 
beim Seel" 

„Das ift SutoPs Stimmel” rief Vratislav von oben; „werft 
Euch gegen das Thor, laßt ihm Herein!“ or 

1 


148 


„Nein — nein! IA fange fie hier ab,“ ſchrie jener von 
unten; „arbeitet mir mar in bie Händel" — 

— Die Ränder wehrten fi verzweiflungsvoll; immer bichter 
amd dichter drängten fie fi auf die fhmale Ringmauer; Giner 
Hammerte fih an den Andern, bis der Leute das Gleichgewicht 
verlor und dem vor ihm Stehenden mit hinabriß in die thurm- 
hohe Tiefe. Raffelnd fürzten drei bie vier Leiber in den Wall — 
Einer folgte gedrängt dem Andern, und wer durch den Fall micht 
endete, dem machte Sulol 8 Schwert das Garaus. — So fielen 
fie Alle bis auf zwölf, welche die Waffen megwarfen, auf bie 
Knie ftürzten und heulend um Gnade flehten. — 

mSaltet ein!“ gebot Bratislav feinen Leuten; „bindet fie 
und werft fie fammt bem eblen Führer in das Verließ. Gönnt 
ihnen nod eine Spanne des Lebens!" — 

„Ih Hätte nicht geglaubt,“ Auferte Zdenko, indem er das 
bluttriefende Schwert an feinem Wamms abwiſchte, „daß ih noch 
auf meine alten Tage würde einen folhen Strauß beftehen und 
die Minge roſtig machen müffen. Räubergefindel — diebifhe Hunde 
entweihen uns ben heiligen Tag ber Trauer" — 

„Ein feltfamer Brauttag!“ ſprach Bratislan, auf fein Schwert 
fich ſtützend, nachdem bie Gefangenen und die bis zum Tod Ber- 
wundeten binweggefafft worden waren — „beim heiligen Gott! 
So hätte ih ihm nicht erwartet. — Milada hat ein ſchönes 
Zobtenopfer. &o viel Schurken flerben und leben — und ein 
Engel konnte nicht bleiben!“ 

— Sutol kam. — „Gottes Grußl“ fagte er athemlos; 
„die unten babe ich abgethan. Gibt’ 8 noch hier eine Arbeit? Wo 
fol ih zuihlagen, Bratislan ? 

— „&s if} vollendet!“ verſetzte biefer; „habe Dan. Wohl 
fühlte ich Deinen helfenden Arm!“ 

Ei freilich,“ gegenredete biefer mit leuchtendem Auge; „id 
fehe nur halb, aber manchmal wieder doppelt fo viel als ein 


149 


Anderer. Der Umftand gleiht es aus. — Im Schmerz über ben 
heutigen Jammer lief ih in das Weite, verirrte mid, kam an 
eine Hütte und belauſchte die Schandbuben, mie fie gerabe fiber 
dem Anfchlag brüteten. Sie Hatten einen Borfprung, und bas 
war eigentlich gut. — Sie kamen fo in bie Falle, wie ber Wolf, 
wenn ber Käfig hinter ihm zufällt. — Habt Ihr denn den 
Schnapphahn, ben Vaclav, den rothhaarigen Schuft von Melnit, 
nit erkannt, Ritter Vratislav? — Es iſt derſelbe, der damals 
mit Eurer Freiheit feilſchen wollte. Er Hatte nicht genug an der 
Einen Lehre; fein rothes Haar muß noch einmal tüctig gewaſchen 
werben, um eine anftänbige Farbe zu erhalten. Wo ift es benn? 
daß ich ihm einen Beſuch abflatte und bie alte Bekanntſchaft 
erneuere.“ 

münten im Kerker,“ verſetzte Zdenko. „Wir übergeben das 
Gefindel dem Gerichte von Böhmifch-Leippa; wollen ſehen, ob die 
Meberlebenden die Todten zu beweinen Urſache haben. — Wie ein 
Big aus heiterem Himmel kam es. — Kaum Tanz ih noch 
daran glauben. — Schurkenvolk! — vergiften fie uns den Tag 
der frommen Trauer und zwingen uns zum Haß, wo ber Schmerz 
uns Liebe Iehrt!” 

„Ei, fie ſuchten auch fein Trauerhaus!“ entgegnete Sukol; 
„fie glaubten hier Alles ſchlafend, mübe gezecht und matt von der 
Freude zu finden, und darauf hin untenahmen fie den Handſtreich. 
Es war gar fein übler Plan, eines Hugen Schurten würdig. 
Das Fräufein folte entführt und bloß gegen Löfegeld freigegeben 
werden. — Nun — fie ift tobt! Aber mit Euch Allen würden 
fie ſchrediich verfahren fein.“ 

— „Der Himmel,“ ſprach Bratislav, „mat mid durch 
ein nenes Ungläd immer das frühere vergefien, und ich muß das 
Leben Tiebgeiwinnen im bem Augenblide, wo id} e8 gern verlieren 
will. — Begrabt meine Braut! — Ihr irdiſcher Leib fol dem 
morgigen Tag nicht fehen, wo die Verbrecher gerichtet werden.” — 


150 


„Zieht die Brüde,“ gebot Zdenlo; „begrabt die Todten im 
Wall da unten. Den Todten muß Verzeifung werben — allen 
Zodten! — Sie haben keine Kraft zum Widerſpruche mehr und 
zur Gegenwehr. — Noch Ein Gebet wollen wir fprehen am 
Altare, wo ber thenere Sarg jetzt fteht, den wir verlafien haben, 
nm das Haus zu beſchützen.“ J 

— Sie gingen nach ber Kapelle. 

— Mit Ketten beladen ſaß Vaclav tief unten im Verließ 
bei ben Genoffen, welde der Zufall am Leben erhalten Hatte. Er 
ſtarrte büfter vor fih Hin und antwortete nicht auf die Seufzer 
und Mgglaute der Uebrigen, die, feig am Leben verzweifelnd, bald 
biefen und jenen falten, der das Unheil verſchuldet Haben follte. — 

Bor dem Altare, hinter dem Sarge, in welchem Milada's 
ſchoöner Leichnam lag, knieien die Ritter und bankten dem Herrn 
für die wunderbare Befreiung aus der Räuber Hand, — 

„Schlaf ruhig!“ ſprach Bratislav ſich erhebend; „doch Du 
wirft ruhig ſchlafen — deun Dein Schlaf ift der Schlaf der 
Zodten; wir aber mäfjen noch waden, in düftern und bangen 
Träumen ſchweben — bis bie Stunde der Erlöfung kommt. 
Bergiß der Erde nicht, auf welcher wir no wandeln, da wir 
Deiner in Liebe gebenfen; blicke freundlich Hernieber, wie wir 
jehnend emporbfiden.” — 

„men!“ fiel Zdenko ein, und fie ſchloſſen den Dedel 
über dem Sarge und verliehen das ſtille Gotteshaus, welches 
einen thenren Schatz barg und für ewig umfchloß. 

— In Böhmifc-Leippa Tief das Volt zufammen. Bäclao 
und feine Genoffen, welche gefangen worden waren, follten heute 
gerichtet werben. Langſam tönte die Sterbeglode; die Schaar- 
wãchter in ſchwarzen Harniſchen traten aus dem Thore bes alter- 
thumlichen Rathhauſes; ihnen folgten die Berurtheilten in Ketten, 
je zu zweien am einander gefeffelt; Hinter ihnen ſchritten in ſchwar- 
ser Amtsetracht, fleife, weiße Kranfen um den Hals, die Richter 


151 


des Kreifes. Unter dumpfen Trommeljchlägen beivegte fid der Zug 
durch. mehrere Straßen zum Thore hinaus auf einen Hügel, wo 
das Hochgericht fih befand. Ein ungeheurer Galgen war bier 
aufgerichtet, am melden die Verbrecher ber Reihe nach gehangen 
werben follten, Bäclav zulegt, als Anführer am meiften gravirt. — 

Die Menge umftand gaffend und lärmend den Hügel, — 
Sie kommen — fie fommen! tönte es jegt aus Aller Munde, 
und bie Köpfe brehten fi nad dem Thore Hin, aus weldem 
ber feierlihe Zug Tom. - . 

Im Kreife der Reifigen und. Zuſchauer angelangt, wurden 
die Verbrecher duch einen Priefter noch einmal zur Buße, ermahnt 
und anf das Jenſeits vorbereitet. Der Blutrichter Ins mod) ein- 
mal das Urtheil — brach das Stäbcheu über ben Erften, und 
ein leiſes Gemurmel lief durch die ftaunende, lauſchende Menge. — 

Ein Nitter zog die Straße herab, von einigen Knechten 
gefolgt. — Es war Sukol. Er näherte fih dem Kreife; man 
machte ihm ehrfurchtsvoll Platz. 

— Bäclav erfannte ihn und rief: „Halt! Halt! Noch ein 
Wort Hab’ id) mit diefem Fremdling zu fprehen. Harret einen 
Augenblick I" 

„Ei Bäclavel“ verſetzte Sutol, „ſeh' ih Dich fo wieber? 
Haft bie Erklärung der Gottesgebote, welde ih Dir, in Mefnit 
gegeben, nicht gemertt? Muß ich Heut’ auf ſolche Art bei Dir 
Gevatter ſtehen? und thät' es doch lieber, wenn Du ein ehrlir 
der Burſch geblieben wäreft und ein Weib gefreit und einen 
Buben, meinetwegen mit fenrigem Dache, erzeugt Bätteft!“ 

— „3a, fo if es geworden!" ſprach Vaclad bieich, doch 
mit verftodter Ruhe. „Ihr feid mein Unglüd, damals und jetzt. 
Daß es anf die Burg mißlang — daran feid ihr ſchuld. Und 
damals, wie mir ber Ritter abgejagt wurbe und Ihr noch hinter- 
ber uns züchtigtet, gab ich aus bloßem Zorne über das Miß- 
fingen des Plans meinen Handel auf und hielt mid an bie 
Menſchen, ftatt an das Vieh. Nehmen ſchien mir bequemer, als 


152 


Berbienen. Und es ging eine Zeit; aber der Vorfall mit dem 
Nitter und mit Euch war doch an Allem ſchuld — war ber 
Anfang zu dem Ende hier. — Barum blieb ih nidt beim Vieh 
und ließ mid mit den Menfhen ein! — Mir geichieht Medtl" — 

Wahre wohl!" verfegte Sukol; „Dun hatteſt fon damals 
einen fhlehten Glauben, und beffer wäre er auf feinen Fall ge- 
werden. Du wäreft ein Schnapphahn geblieben and ohne meine 
Dazifgentunft. — Grüß’ mir Deine Kameraden und befi’re 
Did) im Fegefeuer.“ 

Er gab ſeineni Pferde nad biefen Worten die Sporen und 
fanfte im Galoppe gegen die Stadt. 

„Den Teufel will ih grüßen!” kuirſchte Vaclav, dem ber 
Henker fon das Geil um dem Hals wand; „ohne dieſen eindu⸗- 
gigen Bär konnte ich noch lange leben und reich fein. — Run, 
Ihr Teufel, macht Euch auf Eure nene Bekanntſchaft gefaßt 1“ 

„Menſch, laſt're nicht in Deiner Todesſtunde 1” beſchwor ihn 
der Priefter, welcher mit dem Erucifig in der Hand bie Berur- 
teilten tröftete und erbaute: „den? an das Jenfeits, an bie 
göttliche Barmherzigkeit! Du wirft binnen Kurzem vor dem 
oberſten Richter fliehen, und fein Ausſpruch Laun di verdammen 
zu ewiger Höllenpein oder zur Turzer Gtrafe des Fegefeuers.“ 

„Wenn's fein muß,” gegenrebete Vaelav mit Hohn und To— 
besveradjtung, „fo will id die Hölle. Ich weiß, woran ih ba 
bin. Da if’s Heiß, und gewiß find auch Weiber da. — Mad’ mich 
yorat, lieber Schwager, freundlicher Henker, der mir das letzte 
Halsband als Zeichen feiner Liebe umhängt! Zieh” gut zu — 
fonft geb’ ich Dir nod eine Maulſchelle mit ber letzten Anfren- 
gung meiner Armel! — 

„Wehe! wehel“ rief jet ber Mönch entſetzt; „welch ein 
verflodter Böfericht iſt das — ein rafender Holofernes, ein Glau - 
bensſchander und Gotteefäfterer! Melde Frechheit in ber letzten 
Stunde, wo er bereit fein fol, vor Gott zu erfjeinen!“ 


168. 


— „Gteinigt ihn, fleinigt ihu!“ rief. das Vol und griff zu 
ven Steinen. — Die Richter und Ratheherren riffen aus, um 
nicht getroffen zu werben. Inzwiſchen hatte bes Henkers 'nerbige 
Fauft bereits ben Verbrecher erfaßt, emporgehoben und ihm neben 
den Uebrigen am äußerften Ende des Galgens mit der Schlinge 
an den dazu gehörigen Nagel gehängt. Er umſchlang den Bau- 
melnden jegt mit ben Armen und Bing fi an ihn, während er 
in der Luft einigemal bin- und herſchaukelte. J 

Baclav's Autlitz wurde blau. Er ſah ſcheußlich ans in die 
fer Färbung, bie grell gegen fein Helles Haar abſtach. — 

Das Bolt brach entfegt ob dieſes Aublickes im ein allge 
meines Geſchrei aus und verlief ſich. Man ließ einige Wachen 
zurid, und der ganze Conduct begab ſich wieder in die Stadt 
hinein. — 

Sefeffelt und gefangen wurde ein Trupp Zigeuner bei Sla- 
tina napp am Schlofje vorbei mad) dem Gefängniffe von Ehru- 
dim geführt. Sie hatten, wie es hieß, eine Kirche erbroden und 
das darin befindliche Silbergeſchirr mebft Ornaten und Mefige- 
wänbern gefiohfen. Ergab fi dies aus der Unterfuhung, bie in 
damaliger Zeit fehr einfach war und mit Stodprügeln und ber 
Folter begann, fo wurden fie ohne weitere Umflände als Kirchen- 
räuber elendiglich verbrannt; denn an Gottes Eigeuthume ſelbſt, 
ſprach die allgemeine Meinung, war ein Raub begangen worden. — 

— 'Die Gefangenen waren alle betrübt; denn fie fahen die 
fem Einen ſchrecklichen Lofe entgegen, bis auf einen gutgewachſe- 
men Burſchen, der mit jugendlicher @leichgültigkeit dem Tode ent- 
gegenzugehen ſchien. Er fah fi aus ben hellen, freien Augen die 
Belt noch recht keck an, als wolle er Abſchied nehmen und ihr 
Bild feinem Gedachtniffe noch zum Schlufſe recht einprägen. 

Einer von den Kriegsknechten, welche die Gefangenen gelei- 
teten, und bem ba8 freie, muthige Weſen des Burſchen gefiel, 
Tieß ſich mit ihm in ein Geipräc ein. 


154 


„Thor,“ fagte er, „Dun haft Muth — warum haft Du ihn 
nicht Lieber im Kriege gezeigt? warum bier als Räuber? — 
Und — jegt ſolch' einen hündiſchen Tod zu erben! Es if eine 
Schande!“ 

„Mitgefangen, witgehangen!“ ſprach der Burjche lächelnd; 
„ih kann Euch zuſchwören, daß ich gar nicht zugegen war, ale 
fie in die Kirche fliegen. Aber darum werden fi) die Herren 
Nichter nicht viel kümmern. Für einen Zigenmer mehr oder we 
iger werben fie feinen befondern Artikel im Berdammungeurtheil 
maden. Der Eine reist früher, der Andre ipäter ab; ih muß 
fon jest von daumen, wo mir das Leben erſt recht gefällt.” 

„Aber Jeſus Maria!” unterbrach er ſich plötzlich; „wen 
ſehe id; dort am Fenſter! Gudt 'mal, Freund, bie Frauengeſtalt 
mit dem goldenen Haar!“ 

„Ein Ritterfränlein iſt's,“ beihied der Söldner; „bie wird 
fi wohl auch kümmern um fo nieberes Gefindel, wie Ihr feib! — 
Thorichter Burſche! — fieht, wo er dem Tode entgegengeht, noch 
ſchönen, hochgebornen Damen in bie Augen. Mari, vorwärts!” 

„Sie iſt's — fie if’sl“ rief der Burſche freudig, und gleich, 
darauf wieder in einen wehmütbigen Ton fallend, „ah! wenn 
die wüßte, daß fie auch mich bier vorbeifchleppen, fie hälfe mir 
gewiß! Zlata, Zlata!“ — 

„Kennft Du das Frauenbild ?* fragte geipannt der Söldner. 

„Ei freilich 1“ war die Antwort; ic hab’ ihr einmal einen 
großen Dienft erwiefen, da fie od arm war umb gering; und 
müßte fie mich hier, fie befreite mid, ficher durch ihre Fürbitte. 
Der Ort und Meidung laſſen auf Glüd und Rang ſchließen, 
und mit dem ift flets aud die Macht verbunden. — Wenn fo 
Jemand zu ihr Hinginge und ſpräche! Es ift ber Sylora ba drun- 
ten, ben fie gefangen. und gefettet fortſchleppen. Ex foll fterben, 
obgleich er unfhußdig iR. — — Gpri ein Wort für ihn, und 
er iſt gerettet. — Haft Du die Blumen nod, die er Dir zum 





156 


Abſchied gab? — Sie würde antworten: Was? bie treue Seele 
iſs? und fie fpräde mit ihrem Ritter. Ein Ritter ift mächtig, 
und ihm wär's leicht, mir zu Helfen, um fo mehr, weil ih un« 
ſchuldig bin.“ — 

„Wie gefagt, Burſche,“ gegenredete der Kriegsfnecht, „wen 
ih wüßte, daß Du mic nicht anlügft, fo wagte ich die Für- 
fpradje; denn Du gefälft mir, fo zu fagen.“ 

„Beim ewigen Gott!“ bethenerte Sykora, „bei Eurem und 
meinem Gotte — ic) Tüge nit! Was hälfe mir and; bie Lüge! 
Muß id) ja doch ſterben, wenn fich das Fräulein meiner nicht 
erinnert und mir nicht hilft. Und vor dem Tode fürcht' ih mich 
auch nicht; mur jeßt, da ich eine Möglichkeit fee, zu leben, 
möchte ih nicht gern ſterben. — O geb, geh! Du fiehft meine 
Angft.“ 

„Wohlan denn“ fprad; der Krieger und wandte fih gegen 
die Eameraden, indem er fortfuhr: „Haltet ein, einen Augenblid! 
Ich muß hier trinken; denn mid) dürſtet tie einen trodenen 
Getreideſchober, wie ein Schindeldach im Sommer. Vielleicht bring’ 
ih Euch einen Waffereimer mit." — 

Der Zug hielt ſtill und lagerte fi nit fern vom Schloße 
graben an einer fhattigen Hede im hohen Graſe. — 

Der erwähnte Kriegsfnecht ging in das Schloß und fragte 
nad dem Vogt. — Diefer ſchüttelte anfangs mit dem Ropfe, 
ging aber dann doch langſamen Schrittes die fleinerne Treppe 
hinauf. — 

Bald darnad Lam Niklas heruntergefprungen. — „Wo ift 
ber Zigeuner,“ fragte er den Krieger, „von dem Du ſprachſt? — 
3’s feine Mär’ ?e 

„Er kann Euch's ſelbſt jagen,“ verfeßte dieſer; „dort drau⸗- 
Ben lagern fie. Er nennt fih Sytkora. Folgt mir, hochgeborner 
Herr.” 

— Er ſchritt voran. 








a 113 i 
TH EN DEE ARTE 
Hari —J 
13) sl, HT HET FE 
„pt nl lb 
yalı 1;758 Iyma duss Syepäggs 

s An 
IHR 
naher 
IH Pnalesailleall 
in: " I rlfıs FR; # 


157 


und Rarrte finfter grollend und dem Tod ahnend vor fid nieder 
auf die gefeffelten Hände; die Großmutter bagegen blickte giftig 
und Heifend um fi, und auf ihren wellen Lippen ſchwebten 
immer halblaute Verwünſchungen und Scheltworte. 

Haft Du's gefehen ?“ flüfterte fie grimmig; „ber Sytora ift 
auf Fürfprache des Ritters freigegeben und in's Schloß geführt 
worden. Sie wollen ifn wohl gar zum Knappen machen! Hißil 
— Gib Acht! — er kömmt mit dem Leben davon. Ja, wer die 
Gunft der großen Herren hat! Wer weiß, was er ihm für einen 
Dienft erwiefen! — Die Schlechteſten Haben immer das größte 
Glüd, und unter der Laft des größten Schurken reift. jedesmal 
der Strick. — Er taugte niemals etwas, der Gyfora, Half nie 
zu ‚etwas, obgleich er ſchlau und verwegen war. Er hat nie et- 
was gebragt — aufer Hafen und Hühner, die frei berumlaufen 
und Jedermann gehören. Das kann auch Jeder!” 

— „Iſt mir glei!“ gegenredete Janos milrriſch; „der 
Hund fol entlommen. An ihm liegt mir nichts. Ich Hab’ nur 
noch Einen Wunſch, bevor ich ſterbe. Ich wollt‘, ich Hätte noch 
meine Arme frei und meine Gabel, mein Gcepter, in ber Hand, 
und der Bartad ftände vor mir, damit ich ihm den Stachel zwei, 
drei Mal dur die Bruft und den Budel ftoßen könnte, dem 
rändigen Hund! Der hat's verdient!" — 

„Barum ber? warum der Bartad?“ fragte Stara. — 
Weil er entlanfen ift? Er zieht doch nur im der weiten Welt ale 
Spieler herum und mährt fi, weil ihm's bei uns nicht gefiel.“ 

„Mach' mich nicht grimmig!“ murmelte Janod, indem et 
dem dargebotenen Krug Biers auf Einen Zug leerte; „ih wollt’, 
es wäre Gift darin — für die ganze Welt! — Nun kann id 
Dir's fagen: der Bartad folte die blanke Zlata, das ſchöne weiße 
Weib, für mic entführen; er bat fie aber für fich entführt, oder 
für einen Andern. Als ih im Walde bei Heimanmöftec zurüd« 
geblieben war, hatte ich beſtellt, daß ich ihm am einer gewiſſen 


Yon ya nm — wel u km mur ie mem — 
“wi ba rw Dim per“ — 

Mr rs Mm zus Mer ars mu — 
wir XP wer ı son u” geule Jame „mm 
wr — Bir soser even iseıol mem 
Yu yerioe, De Kor ter Bei ame a 
514 sur vr Sup. mm Ber 1m Semgiee Ne mem 


ä, 
il 





va Krbaggeaa jene, ul = zur nifer Tem Sur 
viges, si = Gas ir me mar: er u Eier var 
yrrsn, wei 12 gesser, We rain em Toren geben 
ar we. e Mer Bert gem — Ertıhr Yes. Ze! 
U mr pie, wert mr 2 Munarı om Ser Inka fcheie 
ve, mera Di 12:4 ‘Sei zu jo Ber ci Sen a 
wu me gem Sieh! Es geızz ze Al beher. de Me 


sh re mim!” 

nBrizee mid nit, wein Enter!“ 
run; „Noch werwinih ich Dig. ie ich ich Die 
Bam ıherite Yeibenigaft it ichnit am Arm. 
Hatten nie ein Herz zu mus, und als fie fert waren, 
a9 vollende ein toller Menſch. Wir konnten auch leben 
Ciubtuch in die irche; aber Du that Alles, was 
mar, und wollteft Deine Wuth wegen der verlornen Zlate 
raſen, — Nun, eo wird ihnen auch ſchlecht gehen,“ Ientte fie ein; 
‚ld habe fie verhert, daß fie den Krampf und ben Brand in 
den Weinen haben follen und Blut ſchwitzen müfſen. — Aber 
auch den Gylora, der fo davonkommen fol, will ich verwünfhen; 


; 
H 
BI 


159 


er fol lahm und krumm werden und über Jahr und Tag bie 
Schwindſucht kriegen, weil er ſich losgemacht hat von uns Allen 
und es doch nicht verdient. Er hat mit ung gegeflen und ge 
trunten, wir haben ihm groß gezogen; jo mußte er and mit une 
erben. Aber er hält's mit den weißen Leuten, der tolle Hund! — 
Mid; judt mein rechter Danmen! Ich weiß, ich weiß: der Sy— 
tora hat fichere Kunde von ben weißen Weibern und vom Bar 
tad. Bielleicht war er im Eiuverſtändniß mit dieſem und hat 
ihm geholfen. — Darum. findet er Hier Gnade auf der Burg. 
Vielleicht if Bartad da — wohl gar aud bie —“ 

„Zlata!“ ſchrie Janos, ber gegen die Fenſter des Schlof- 
fes finnend emporgeftarrt Hatte, an deren einem bie Dame an 
der Seite des Ritters ſich zeigte, aber gleich ‚darauf verſchwand. 

„Zlata!“ kuirſchte der Zigennerhauptmann und brücdte ſich 
die geballten Fäuſte an die Augen und raſſelte mit den Ketten; 
„verflucht, verflucht, daß ih Di nicht erwürgen kann, weiße 
Schlange!“ 

„Sei ruhig — fei ruhig, mein Söhnlein;“ beſchwichtigte 
die Alte, als fie gewahrte, daf ihres Entels Betragen den Uebri- 
gen auffiel; „id Hab' fie gefehen, die weiße Dohle. Ich verhere 
fie, die —; fie fol lauter Wechſelbälge gebären: Kinder mit 
BWolfstöpfen und Dradenjhmwänzen. Du folft Deine Rade 
haben!“ — 

Aufgeftanden! Auf, auf, Ihr Diebsgefindell“ gebot der 
Anführer; „mein’s wohl, daß es Euch Hier behaglicher märe bei 
gutem Trunk im grünen Gras, als im finftern Hundeloh, Eurem 
Lofament zu Ehrubim! Vorwärts, vafh! — wir müffen vor 
Sonnenuntergang in Chrudim fein.“ — 

"Die Gruppe erhob ſich und ſchritt, je zu zweien von dem 
Soldaten umringt, weiter. 

Ianod warf nod) einen wilden Blick nad dem Schloſſe 
zuräd; aber Niemand zeigte fi am bem Feuſtern. — 





160 


Ziais/ Maria Hatte feine drohende Erfheinung wicht gefehen. 
Ws fie die wilde Gruppe ber Unglüdtichen erblidte, fuhr fie 
ſchaudernd zurüd. — Diefer Blid in ihr früheres, düfteres Lehen 
betrübte fle tief; fie wünfchte, Alle vetten zu können. — 

Nitlas ritt gen Chrudim. Es ergab fi durch Ausfagen, 
daß Sytora und noch zwei Andere an jenem Kirchenraube un- 
ſchuldig waren. Deshalb wurden fie freigefproden. Janod, Stara 
und noch zwei Andere wurden hingerichtet. Stara, der Zauberei 
verbädtig, wurde noch vorher in einen Teich getaucht, unb da 
fie zufällig nicht gleih unterfant, fo war e8 erwiefen, daß fie 
eine Here fei. Sie wurde daher vor ihrer Verbrennung noch mit 
glühenden Zangen gezwidt — ihre Aſche ſpäter nad allen Win- 
den verfireut. Die übrigen minder Sculdigen wurden gekäupt und 
auf ſchäbigen Roffen zur Stadt hinausgebracht. — 


a1. 


Bon Weltrus kam eine Trauerkunde nad) Tollenftein, wohin 
fich die Beiden von Cechtie mit ihrem Freunde und Genofjen 
Sulol zurüdgezogen nnd geraume Zeit ihrem Schmerz, der Rüd- 
erinnerung unb ben Wiſſenſchaften, welche uad ben Stürmen bes 
Krieges wieder auflebten und im Ritterſtande getraue Beförderer 
fanden, gelebt Hatten. Bojena ward gefährlich franl. Sie hatte 
ihren Bruder befugt, der mit feinem herauuahenden Alter immer 
tränflier und büfterer wurde, und dem es nur auf Augenblide 
wohl war, wenn die Seinigen ihn zuweilen beſuchten. Nur un- 
gern vertaufchte er das reijend Tiegende Weltrus, wo er feinem 
ernfen Sinnen nachhängen fonnte, mit dem einigermaßen doch 
belebtern umb in vauherer Gegend gelegenen Tolleuſtein. — 

Bojena war zu ihm geeilt; er erholte ſich — fie aber fant 





161 


in die Arme einer unheilbaren Krankheit. Schon zu Iange hatte 
der Wurm der Vernichtung an biefem eblen Leben’ gezehrt; bie 
Wurzel war zernagt, die Blume fenkte ſich. — 

Die Ritter brachen im Fluge auf von ihrer Burg, befuchten 
Milade' 8 Grab beim Vorüberziehen auf Neuſchloß, weihten der 
Geſchiedenen heiße Segenswünſche und fandten zum allwaltenden 
Gotte fromme Gebete um Wettung der gelichten Mutter und 
Schwägerin. — 

Am zweiten Tage gegen Abend waren fie auf der Weltruser 
Burg. Betrübniß herrſchte überall; denn die Aerzte Hatten die Ret- 
tung von ihrer Hand aufgegeben und ftellten fie in jene Gottes. — 

Ein frendiger Schimmer leuchtete über dem Antlig der Ster- 
benden, als fie ihren Sohn wieberfah. Er kniete am Lager nieder 
und rief, ihre falte Hand mit Küffen überbedend: „Mutter, Mut- 
ter, Du kannſt, Du darfft nicht fcheiden! Der barmherzige Gott 
wird gerührt werben buch meine Thränen, durch unfre Gebete. 
Der Eltern Segen bringt ben Kindern Heil, und ber Kinder 
Gebet heilt die Eftern wieder, fagt ein frommer Spruch.“ 

„3% werde ſcheiden, mein Vratislav!“ entgegnete fie mild 
lachelnd. „Der Here ruft, umd ihm mäffen wir gehorchen. — 
So früh fon? wirft Du Magen. Auch id würde es, wenn 
mein Herr nicht riefe.“ — 

„So fpät erft Haben wir uns gefunden,” trauerte Vratislav, 
„und fo bald ſchon follen wir uns miffen! Das wäre granfom — 
ungerecht!” 

„Züene nicht,“ verſetzte fie; „Dein Vater ruft. — Ich habe 
ihm früh verloren und muß ihn früher wiederfinden. Gott-Aft 
gerecht. Mein verföhnter Voleblav reiht feinen firaflenden u 
zue Erde herab und winkt mir; ich folge.“ 

„Aber Deines Kindes liebender Arm,” warf Bratielan im 
tiefften Schmerze ein, „umtlammert Di; und Hält Di noch 
hier feft auf der Erde. O ich bedarf noch der Mutter umb ihres 

Herloßfoßn: Der Iegte Taborit. II- . 1 


154 


„Thor,“ fagte er, „Dn Haft Muth — warum haft Du ihn 
nicht Lieber im Kriege gezeigt? warum hier als Räuber? — 
Und — jegt fol’ einen hundiſchen Tod zu flerben! Es iſt eine 
Schande“ 

nMitgefangen, mitgehangen I" ſprach der Burſche lächelnd; 
„ich Tann Euch zuſchwören, daß ich gar nicht zugegen war, ale 
fie im die Kirche fliegen. ber darum werden ſich die Herren 
Richter nicht viel kimmern. Für einen Zigeuner mehr oder twe- 
niger «werben fie feinen befonbern Artikel im Verdammungsurtheil 
maden. Der Eine, reis't früher, ber Andre fpäter ab; id; muß 
ſchon jett von bannen, wo mir das Leben erſt recht gefällt.“ 

„Aber Jeſus Marial“ unterbrach er fi) plöglih; „wen 
fege ich dort am Fenſter Gudt ’mal, freund, bie Frauengeſtalt 
mit dem goldenen Haar!” 

„Ein Ritterfräulein iſts,“ beſchied der Söldner; „die wird 
fi wohl auch kümmern um fo niederes Gefindel, wie Ihr feid! — 
Thörichter Burſchel — fleht, mo er dem Tode entgegengeht, noch 
ſchönen, hochgebornen Damen in die Angen. Marſch, vorwärts!” 

„Sie ifrs — fie il“ rief der Burſche freudig, und gleich 
darauf wieder in einen mwehmüthigen Ton fallend, „ah! wenn 
die wüßte, daß fe auch mich Hier vorbeiſchleppen, fie hälfe mir 
gewiß! Zlata, Zlata!“ — 

„Keunſt Du das Frauenbild ?“ fragte geipannt der Söldner. 

„Ei freilich!" war die Antwort; ih hab’ ihr cinmal einen 
großen Dienft erwieſen, da fie noch arm war und gering; unb 
wüßte fie mich hier, fie befreite mic, fiher durch ihre Fürbitte. 
Der Ort und Kleidung laſſen auf Glück und Rang fließen, 
und mit dem if flets and bie Macht verbunden. — Wenn fo 
Jemand zu ihr hinginge und ſpräche! Es ift der Sylora ba drum- 
ten, ben fie gefangen, und gefettet fortſchleppen. Er ſoll ſterben, 
obgleich er unſchuldig ifl. — — Sprid ein Wort für ihn, und 
er iſt gerettet. — Haft Du die Blumen nod, die er Dir. zum 





155 


Abſchied gab? — Sie würde antworten: Was? die treue Seele 
iſts? und fie ſpräche mit ihrem Ritter. Ein Ritter iſt mächtig, 
und ihm wär's leicht, mir zu Helfen, um fo mehr, weil ih un- 
ſchuldig bin.“ — 

„Wie gejagt, Burſche,“ gegenredete der Kriegsknecht, „wenu 
id wüßte, daß Du mid nicht anlügft, fo wagte id die Für - 
ſprache; denn Du gefälft mir, fo zu fagen.“ 

„Beim ewigen Gott!” bethenerte Syfora, „bei Eurem und 
meinem Gotte — ich lüge nit! Was hälfe mir auch die Lüge! 
Muß id) ja doch flerben, wenn fi das Fräulein meiner nicht 
erinnert und mir nicht Hilft. Und vor dem Tode fürcht' ich mich 
auch nicht; nur jet, da ich eine Möglichkeit fehe, zu leben, 
möchte ih nicht germ flerben. — O geb, gehl Du fiehft meine 
Angſt.“ 

„Wohlan denn!“ ſprach der Krieger und wandte ſich gegen 
die Eameraden, indem er fortfuhr: „Haltet ein, einen Angenblid! 
Ich muß bier trinken; denn mich bdürftet wie einen trodenen 
Getreideſchober, wie ein Schindeldach im Sommer. Vielleicht bring’ 
ih Eud einen Waffereimer mit.“ — 

Der Zug hielt ftN und lagerte ſich nicht fern vom Schloße 
graben an einer ſchattigen Hede im hohen Grafe. — 

Der erwähnte Kriegsknecht ging in das Schloß und fragte 
nad dem Vogt. — Diefer ſchüttelte anfangs mit dem Kopfe, 
ging aber dann doch langſamen Schrittes die fteinerne Treppe 
hinauf. — 

Bald darnach fam Niklas Heruntergefprungen. — „Wo ift 
der Zigeuner,“ fragte er ben’ Krieger, „von dem Du ſprachſt? — 
Is feine Mähr’ 2 

„Er kann Cuch's ſelbſt fagen,” verfeßte dieſer ; „dort drau · 
Ben lagern fie. Er nennt fi Syfora. Folgt mir, hochgeborner 
Her." 

— Er ſchritt voran. 


156 


witlas wandte fich an denjenigen, welcher ihm als Sytora 
gezeigt wurde, richtete einige Fragen an ihn und rief dann den 
Führer des Zuges herbei. 

„Du tennft mich,“ fagte er. „SIener Zigeunerburſche bort 
bieibt bei mir; ich bürge für ihm. Einer meiner Knechte geht 
Rott feiner ale Geihel mit Euch Rod Heut Abend bin id in 
Chrudim und ſpreche ſelbſt mit dem hochgelahrten und ehrmürbi- 
den Richter, Herrn Zebrat. 

„Wie Ihr befehlt,“ war des Führer’s Antwort; „ih wills 
beſtellen. Ich thue meine Pflicht; die Verantwortung fei Ener. — 
Laßt uns aber, gnäbiger Herr, einige Eimer Waſſer herausſchaffen 
aus Eurem Brunnen; wir find fo müde und durſtig und kön- 
nen uns von den Berbrediern wicht entfernen.“ 

„Ihr ſollt Bier Haben,“ antwortete Niklas; „doch theilt mit 
ben Gefangenen. Ob ſchuldig ober ſchuldlos, find fie doch Men» 
fen und leiden Durſt wie Ihr. Sie gehen vielleicht einem be- 
trübten Los entgegen.” — Er ging nad bem Schloſſe zurüd, 
indem er Splora winkte, ihm zu folgen. — 

Der arme gerettete Zigeuner flürzte zu Zlata-Maria’s Füj- 
fen nieder und dankte ſchluchzend. „Ih war in Pardubiec, ale 
fle die Klecauer Kirche beraubten, mit noch zwei Anderen. Mir 
übernachteten in ber Mühle; der Müller kaun's bezeugen. Erſt 
am folgenden Tage, nachdem ber Raub fon getheilt war, kehr- 
ten wir zuräd.” — 

„IMs Wahrheit,“ verſetzte fie mit einem Blide auf ben 
Kitter, „fo fol Dir beſtimmt geholfen werden. Ich ſchulde Dir 
noch Dank. Die Mutter fagte es mir fpäter, wie nur Deine 
Miugheit mic aus den Händen des graufamen Janod befreit.“ — 

Der Zigeuner wurde nach ber Gefindehalle gewielen, nnd 
einige Knechte fchroteten ein Fäßlein blaſſes Bier zur Truppe hin- 
aus, wa es unter die Soldaten ‚und Gefangenen getheilt wurde. — 

Ianod, der Hauptmann, faß neben der Gtara im Grafe 


167 


und Rarrte finfter grolend und den Tod ahnend vor ſich mieder 
anf die gefeffelten Hände; die Großmutter dagegen blickte giftig 
und keifend um fid, und auf ihren wellen Lippen ſchwebten 
immer halblaute Verwünſchungen und Scheltworte. 

md Du's gefehen?“ flüfterte fie grimmig; „ber Syfora ift 
auf Fürfpradhe des Ritters freigegeben und in's Schloß ‚geführt 
worden. Sie wollen ihn wohl gar zum Knappen machen! Hihil 
— Gib At! — er kömmt mit dem Leben davon. Ja, wer bie 
Gunſt der großen Herren hat! Wer weiß, was er ihm für einen 
Dienft erwiefen! — Die Schlechteften Haben immer das größte 
Glüd, und unter der Laft des größten Schurken reißt. jedesmal 
der Strid, — Er taugte niemals etwas, ber Sylora, half nie 
zu etwas, obgleich er ſchlau und verwegen wer. Er hat nie et» 
was gebracht — außer Hafen und Hühner, die frei herumlaufen 
und Jedermann gehören. Das Tann auch Jeder 1” 

— „Iſt mir gleich!“ gegenredete Janod mürriſch; „der 
Hund fol entlommen. An ihm liegt mir nichts. Ich hab’ nur 
noch Einen Wunſch, bevor ich fterbe. Ich wollt, ich hätte noch 
meine Arme frei und meine Gabel, mein Scepter, in ber Hand, 
und der Bartad flände vor mir, damit ich ihm den Stachel zwei, 
drei Mol durch die Bruſt und den Budel floßen könnte, bem 
rãudigen Hund! Der. hat's verdient!" — 

„Warum der? warum der Bartad?“ fragte Stara. — 
Weil er entfaufen ift? Er zieht doch nur in der weiten Welt als 
Spieler herum und nährt ſich, weil ihm's bei uns nicht gefiel.” 

Mad’ mic nicht geimmig!* murmelte Ianod, indem et 
dem dargebotenen Krug Biers auf Einen Zug Ieerte; „ih wollt‘, 
es wäre Gift darin — für bie ganze Welt! — Nun kann id 
Dir's fagen: ber Bartad follte die blanke Zlata, das ſchöne weiße 
Beib, für mich entführen; er hat fle aber für fich entführt, oder 
für einen Andern. Als ic im Walde bei Hekmanmeſtee zurüd- 
geblieben war, hatte ich beftellt, daß ich ihn am einer gewiſſen 


158 


Stelle an ben Bergen wieberfinden follte. — Ich fuchte ihm dort 
und überall; er war nirgends, umb ich hab’ weder von ihm, 
noch von dem goldenen Mädchen und ihrer Mutter je etwas 
gehört." 

„Ei, es ift doch ſchon ein Weilchen her,“ fiel Stara ein, 
„und Du kaunſt das unbankbare, weiße Bolt nicht vergefien ! 
Gräme Dig nit — verfluch fiel IG Habe fie beſprochen — 
es wird ihnen jegt ſchlimm gehen.” — 

„Mir geht's ſchlimm, uns Allen geht's fchlimm — feit das 
weiße Bolt fort ift von uns !“ grolite Janos; „kein Segen ift 
mehr! — Wir wurden ſeitdem überall herumgehegt, auf feinem 
Gut gebulbet. Die Ritter ſchidten Reifige und Hunde aus nad 
uns auf die Jagd, und wegen der Kieinigleit, die wir im Haufe 
des Ehriftengottes gebiendet, follen wir num büßen. Dem Gott 
ifrs gleih, ob er Gold Hat oder nicht; aber bie Ghriften find 
graufam, weil fie glauben, fie müßten ihm neues Opfer geben, 
und weils an ihren Beutel geht. — Berfludt Alles, Alles! 
’S wär’ beffer, wenn wir die Mablena und ihre Tochter behal- 
ten, wenn Du durch ſchnöde und giftige Reden ihr Herz nicht 
von mir gewendet Hätte! Es gelang uns Alles befier, da fie 
nod hier waren!“ 

„Aergre mid nicht, mein @ufelfind I“ verfegte Stara gei- 
fernd; „fonft verwünſch' ich Di. Alfo ih foll die Schuld Haben? 
Deine thörichte Leidenſchaft ift ſchuld an Allem. Die Weißen 
Hatten nie ein Herz zu uns, umd als fie fort waren, da warft 
Du vollends ein toller Menſch. Wir konnten auch Ieben ohue ben 
Einbruch in die Kirche; aber Di thateft Alles, was gefährlich 
war, umb wollte Deine Muth wegen ber verlornen Zlata aus» 
raſen. — Nun, es wird ihnen andy ſchlecht gehen,“ Ientte fie ein; 
„ich habe fie verhert, daß fie den Krampf und ben Brand in 
den Beinen haben folen und Blut ſchwitzen müſſen. — Aber 
auch den Sylora, der jo davontommen fol, will ich verwänfchen; 


159 


er ſoll lahm und krumm werden umd über Jahr und Tag bie 
Schwindſucht kriegen, weil er ſich losgemacht bat von uns Allen 
und es doch nicht verdiem. Er hat mit ung gegeflen umd ge 
teunfen, wir Haben ihn groß gezogen; jo mußte er and mit uns 
ſterben. Aber er hält's mit ben weißen Leuten, der tolle Hund! — 
Mid, judt mein rechter Daumen! Ich weiß, ich weiß: der Sy⸗ 
kora hat ſichere Kunde von den weißen Weibern und vom Bar- 
tad. Bielleicht war er im Eiunverſtändniß mit diefem und Bat 
ihm geholfen. — Darum findet er bier Gnade auf der Burg. 
Vielleicht ift Bartad da — wohl gar aud die —“ 

„Blatal“ ſchrie Janos, der gegen die Fenſter des Schloſ- 
ſes finnend emporgeftarrt hatte, am deren einem bie Dame au 
der Seite des Nitters ſich zeigte, aber glei darauf verſchwand. 

„Zlata!“ kuirſchte der Zigeunerhauptmann und drückte fi 
die geballten Fäuſte an die Augen und raſſelte mit den Ketten; 
„verflucht, verflucht, daß ih Dich nicht erwürgen kaun, weiße 
Schlange! 

„Sei ruhig — fei rubig, mein Söhnlein;“ beſchwichtigte 
die Alte, als fie gewahrte, daf ihres Enkels Betragen ben Uebri- 
gen auffiel;. „ich Hab’ fie gefehen, die weiße Dohle. Ich verhere 
fie, die —; fie fol lauter Wechſelbälge gebären: Kinder mit 
Wolfsköpfen und Drachenſchwänzen. Du ſollſt Deine Race 
Haben!" — 

nAufgeftanden! Auf, auf, Ihr Diebsgefindell” gebot ber 
Anführer; „mein’s wohl, daß e8 End) Hier behagli—er wäre bei 
gutem Trunk im grünen Gras, als im finftern Hundeloh, Eurem 
Lofoment zu Chrudim! Vorwärts, raſch! — wir müffen vor 
Sonnenuntergang in Chrudim fein.“ — 

"Die Gruppe erhob ſich und ſchritt, je zu zweien von ben 
Soldaten umringt, weiter. 

Ionod warf noch einen wilden Blid nad dem Gchloffe 
zurück; aber Niemand zeigte fih am dem Fenſtern. — 


160 


Zlata-Maria Hatte feine drohende Erſcheinnug wicht geſehen. 
Ws fie die wilde Gruppe der Unglüdtihen erblidte, fuhr fie 
ſchaudernd zurüd. — Diefer Blid in ihr früheres, büfteres Lehen 
betrübte fie tief; fie wünfchte, Alle retten zu Können. — 

Niklas ritt gen Ehrubim. Es ergab fi) durch Ausſagen, 
daß Sytora und noch zwei Andere an jenem Kirchenraube un- 
ſchuldig waren. Deshalb wurden fie freigefproden. Janod, Stara 
und noch zwei Andere wurden hingerichtet. Stara, der Zauberei 
verbädtig, wurde noch vorher in einen Teich getaucht, und ba 
fie zufällig nicht glei unterfant, fo war es erwieſen, daß fie 
eine Here fei. Sie wurde daher vor ihrer Verbrennung noch mit 
glühenden Zangen gezwidt — ihre Aſche fpäter nad allen Win- 
den verfireut. Die übrigen minder Schuldigen wurden gefäupt und 
auf ſchabigen Rofien zur Stadt hinausgebracht. — 


a1. 


Bon Weltrus fam eine Trauerkunde nach Tollenftein, wohin 
fh die Beiden von Cechtie mit ihrem freunde und Genoffen 
Sulol zurüdgezogen nnd geraume Zeit ihrem Schmerz, der Rüd- 
erinnerung und den Wiſſenſchaften, welche ua ben Stürmen des 
Krieges wieder auflebten und im Ritterſtande getrane Beförderer 
fanden, gelebt hatten. Bojena ward gefährlich frank. Sie hatte 
ihren Bruder befucht, der mit feinem herannaheuden Wer immer 
trãnklicher und düferer wurde, und dem es nur auf Yugenblide 
wohl war, wenn die Seinigen ihn zuweilen beſuchten. Nur un» 
gern vertauſchte er das reigend liegende Weltrus, wo er feinem 
ernfen Sinnen nachhängen Ionnte, mit dem einigermaßen doch 
belebtern und im vauherer Gegend gelegenen Tolleuſtein. — 

Bojena war zu ihm geeilt; ex erholte fih — fie aber ſauk 





161 


in die Arme einer undeilbaren‘ Krankheit. Schon zu Iamge hatte 
der Wurm der Vernichtung am dieſem edlen Leben’ gezehrt; bie 
Wurzel war zernagt, bie Blume fenkte fi. — 

Die Ritter brachen im Fluge auf von ihrer Burg, beſuchten 
Milada's Grab beim Borüberziehen auf Neuſchloß, weihten ber 
Geſchiedenen Heiße Segenswünſche und fandten zum allwaltenden 
Gotte fromme Gebete um Rettung der geliebten Mutter und 
Schwägerin. — 

Am zweiten Tage gegen Abend waren fie auf der Weliruser 
Burg. Betrübniß herrſchte überall; denn die Aerzte hatten die Ret- 
tung von ihrer Hand aufgegeben und ftellten fie in jene Gottes. — 

Ein freudiger Schimmer leuchtete über dem Antlig der Ster- 
benden, als fie ihren Sohn wiederjah. Er kniete am Lager nieder 
und vief, ihre falte Hand mit Küffen überbedend: „Mutter, Dut- 
ter, Du Lannft, Du darfft nicht jeiden! Der barmherzige Goti 
wird gerührt werben durch meine Thränen, buch unfre Gebete. 
Der Eltern Segen bringt den Kindern Heil, und ber Kinder 
Gebet heilt die Eltern wieber, fagt ein frommer Spruch.“ 

„Ich werde ſcheiden, mein Vratislav!“ entgegnete fie mild 
lächelnd. „Der Here ruft, und ihm mäffen wir gehorden. — 
So früh fon? wirft Dur Hagen. Auch ih witrde es, wenn 
mein. Here nicht rief.” — 

„So fpät erft Haben wir uns gefunden,” trauerte Vratislav, 
„und fo bald ſchon follen wir uns miffen! Das wäre graufam — 
ungeregt!“ 

„Zurne nicht,“ verfegte fie; „Dein Vater ruft. — Ich habe 
ihn früh verloren und muß ihn früher wiederfinden. Gott-Aft 
gerecht. Mein verföhnter Boleslan reiht feinen fraflenden Mrur 
zur Erbe herab und winkt mir; ic) folge.” .. 

„Aber Deines Kindes lebender Arm,“ warf Bratilav im 
tiefften Schmerze ein, „umklammert Did; und hält Dih noch 
Hier feſt auf der Erde. DO ich bedarf noch der Mutter und ihres 

Herloßfohn: Der legte Taborit. II- ji 11 


162 


Troſtes anf biefer Welt! Hab’ ih Dich ja doch erſt ale Mann 
gefunden und ale Kind umd Suabe entbehren müſſen! Rod iR 
der Name Mutter mir ein neuer und füher und kein gewohnter 
Ton. O bleibe bei uns — es will Abenb werden. Es wird 
finfire Nacht um uns, wenn Dn, der legte Stern, verliſcheſt !“ 

„&s muß fo fein, mein Sohn!“ ſprach fie matter werdend; 
mbete zum Heren um ein fanftes Ende für mid.“ 

Sie ſchwieg — Bratislan preßte die Hände vor fein feuch- 
tes Antlig ; die Mitter umſtanden ſchweigend und tieferſchüttert 
das Sterbelager. 

„Mein Sohn,” begann Bojena nah einer Weile, „Eins 
nur miff id ungern an Dir, da ih von Dir gehe — Dein 
Weib. Du follter nit fo allein fichen im Leben! Wie Did bie 
Mutter geliebt, kann Dih nur eine Gattin lieben. — Ich weiß, 
Du Haft viel Schmez im der Liebe erfahren, und Dein theuerftes 
Gut ſchlaft — eine frühgelnidte Blume — unter der Erde, 
Aber veriprich mir, daf, wenn Du eine Jungfrau findeft, würdig 
der Liebe, welche Du der Zodten und nod der Einen Berloreneu 
gezolt — Du fie Heimführen willſt als fiebendes Weib.“ 

„O Mutter, Mutter!“ wehllagte Vratislav, „fol jegt das 
Gefühl aller meiner ſchrecllichen Verluſte mich töbtend überfirömen? 
Nimm mid mit Dir! Ich babe nichts mehr auf der Erde — 
als die Freunde Hier! Sie alle find Trümmer, die mid liebend 
umftehen, und id; ſoll noch lange buuern 1" 

„Lebt wohl! hauchte fie,“ plöglih; matter werbend; „mein 
Boleslav winkt mir und neben ihm nod ein Engel in Lichtge- 
Malt: Milada. Sie fenden Euch ihren Segen. Ihr folgt mir 
bald; bie Erde if nicht ewig — aber bort — dort!” Gie 
richtete ſich mit lenchtenden, verffärten Blicken auf. — 

„Sie ſtirbt, ſie Rirbt! rief Vratislav und bededte den ge- 
Tiebten Mund mit Küffen. 


168 F 
Lebt wohl — gebenfet mein!“ athmete fie kaum hörbar — 
ber Leidensteih vorüber — dort ewige Wonne. Amen!" — 
Sie ſauk zurüd. Dos kalte Wehen des Todes fänfelte durch 
das Gemad und durchſchauerte auch die Lebenden, Schmerz 
erſchutterten. 

„Amen!“ ſprachen fie und preßten ben letzten Kuß auf bie 
Stirne der Geliebten. . 

— „So Haben wir fie zum zweiten Male gefehen!“ ſprach 
Zdenlo dumpf zum Neuhaus und drücte krampfhaft feine Hand. 
„Diesmal aber wird fie nicht erwachen zum armen Daſein; ſie 
wandelt im Licht.“ 

„Gott der Verſöhner ſei uns gnädig!“ fiel Neuhaus ein. — 
Sie unterflügten den gebeugten Bratisiav mit ihrem Armen und 
verließen das Sterbegemach. — — 

— Einige Tage vergingen; da kam Sufol mit einem fon- 
derbaren Gemifh von Freude und Rührung im rauhen Gefichte 
zu Bratielav, der im Schloßgarten an ber Stelle, wo er Lidmila 
von fi gefioßen, im trüben Sinnen faß. — „Seltfames Ge- 
ſchick“ ſprach er, „Herr Ritter! Wo Ihr verloren habt, mußte id; 
wiederfinden. Der alte Lazar, der Euch damals in Eurer Krank - 
heit gepflegt, hatte mich oft mit befonderer Aufmerkſamkeit ange 
Rarrt. Er ſchien eine Frage auf ber Zuuge zu haben, aber fein 
Herz dazu, weil ich ihm ftets fo barf und finfter ſchien. Endlich 
heute, wie er mich fo traurig ſah und ich ihm milder ericheinen 
mochte, faßte er Muth und erzählte mir, er habe auch einen Sohn 
gehabt, aber zeitig verloren, zwar nicht durch den Tod, fonderm 
durch den Krieg, Er fei ihm damals mit den huſſitiſchen Wer · 
bern bdavongelaufen unb Habe feit dem nichts wieder von ſich 
hören laffen. Der Juuge hat Jakub geheißen und war ein wil- 
der und trogiger, aber gutmüthiger Bube. eine ganze freude 
beftand im Umgang mit Roffen und Handhabung von Waffen. — 
Der Name und bie Schilderung machte mid Auen; denn id 

11* 


164 


erinnerte mid) dunkel, ſelbſt fo etwas an mir erlebt zu haben. — 
Ich bat den Alten, mir die Burg mäher zu beichreiben, wo er 
vordem gelebt nud zu der Zeit, als ihm der Bube enıfloh. Es 
war Drhobel, berichtete der Alte, eine altadelige Herrſchaft; bort 
war er eine Zeit lang Untervogt. Er beſchrieb mir die Lage bes 
Schloffes, das Gebäude, den Hof, die Rennbahn, den Marftall 
und die Tränke, endlich eine bimmelhohe Tanne neben dem Walle, 
welde fein Junge Üftere mit Lebensgefahr Hinangeffettert, um 
ans dem Wipfel junge Krähen zum Holen, welche daſelbſt niſteten. 
Dies durfte der Junge nur heimlich thun; bemn ertappte ihn ber 
Alte, fo erhielt er eine Tracht Prügel, um ihm bie Luft zu ſolchem 
halsbrecheriſchen Unfuge zu benehmen. Es mar gerade at einem 
Tage, wo Jalub's Rüden mittelft einer Hetzpeitſche geftrichen wor- 
den war, was ihn ſehr verdroß, als bie Werber vorüberzogen. 
Der luſtige Burſche mifchte fi unter fie, machte fih mit ihnen 
vertraut, und fieh’ ba! die Werber zogen Mittags fort, und Abende 
folgte ihnen insgeheim der Burſche. Seine Entfernung wurde 
erſt wahrgenommen, als der Alte, der nach einem entfernten 
Moierhofe geritten war, ihm am folgenden Tage vermißtee Cr 
ſchickte einen reitenden Boten den Werbern nad), aber and) hier 
war der Burfche nicht zu finden; vermuthlich hielten fte ihn, auf 
eine Nachforſchung gefaßt, verborgen. Er eilte jetzt felbit nach — 
fand den Sjährigen Burſchen bei den Huffiten, bat und flehte; 
aber der Junge ſchien ihn gar nicht wieberzufennen, fpielte mit 
Waffen und ließ micht halten. — Und fo war es auch, bei Sanct 
Benceslan! — Denkt End, Herr Ritter, der Jakub, ber Tenfels- 
junge, bin ih! Das würdet Ihr mir wohl jegt nicht anfehent 
aber e8 ift richtig fo. An den Prügeln und der Taune mit bem 
Krähenneftern Hab’ ich mic, erkannt. — Später in den Stürmen 
bes Krieges habe ich der Burg, wo ich geboren, bes Abichiebes 
und fogar — was nicht recht mar — meines Vaters vergeffen. 
Ich hatte im Schlahtgewühl freilich am andere Dinge zu denken.“ 


165 


„Glüdlicher Menſch!“ gegenvedete Bratislan mit Wehmuth. 
„Du finbeft, wo id} verliere. Aber hab’ Acht, daß Du wicht eben 
fo ſchnell wieder bes errungenen Schatzes beraubt wirft 1" 

„Wie Gott will!“ entgegnete Sukol; „hab' id; doch dem 
alten Manne eine große, vielleicht bie letzte Freude gemadt! Ihr 
hättet feinen Jubel ſehen follen, da ich mic zu erfennen gab. 
Ich glaube, ich habe felhft geweint. Der Alte war ganz glüclich, 
einen Sohn zu Haben, und vollends einen, der Ritter if. Es 
freute ihm jetzt ordentlich, daß ich ihm damals bavongelaufen 
war; denn bei ihm Hätte ich's höchſtens zum Troßbuben und 
fpäter zum Knechte gebracht. ‘Er weinte auf einmal fo viel, wie 
ich es mein Leben lang nicht gefehen. — So waltet Gott, unb 
wir follten deshalb Heute nicht Magen, weil e8 morgen ganz an- 
ders und beſſer werben ann.“ 

„Ein ſchöner Troft, ein guter Troſt!“ gegenrebete Bratislan; 
‚wur daß der Menfch oft zwiſchen dem Hent. und Morgen zu 
Grunde geht.” 

— Der Ritter von Neuhaus und Oheim Zdenko kamen 
durch den Hanptgang im Iebhaften Geſpräche auf die Beiden los. 
Neuhons Hielt ein Schreiben in der Hand. 

„Es ift entſchieden,“ ſprach er, gegen die Aufmerkſamen ge» 
wenbet, „Bapft Paulus ber Zweite, des Aeneas Sylvins wür- 
diger Nachfolger, hat den Kreuzzug zufammengebradt. Ganz 
Deutſchland bewaffnet ſich gegen uns und zur Bertilgung des 
Negertjumes. Dan Hat unerhörte Anfrengungen gemacht; diese 
mal, glaubt man, müffen wir unterliegen. — Ein liſtiger Feind 
iſt todt im der Perfon jenes Pins; aber ber neue Kopf, ber ber 
Hyper gewachſen iR, dürfte noch ſcümmer fein, als der alte. 
Der heilige Mann ift nichts weiter, als ungeſtüm, boshaft, bint- 
gierig, unwiſſend nnd ein Feind jeder Aufklärung und Nenerung. 
— Sein Nuntius, Biſchof Rudolph von Lavant, Hat erflärt, das 
Concilium, welches fi zu Baſel über bas Oberhaupt der Kirche 


166 


au fegen erfredhte, habe zwar bie Compactaten bewilligt, aber 
tein Bapft, als Stellvertreter Chriſti habe fie beſtätigt. Der hei ⸗ 
ige Bater allein könne über Ketzerei urtheilen; denn nur er ſei 
untrüglih. Jeder ketzeriſche Mönig fei gottfoe, alfo anch Georg; 
ein Gottlofer aber könne nur menichen- und religiomsverberbend 
herrſchen, alfo müfje man gegen den Menfchenverderber, da Got ⸗ 
tes, bas heißt des Papfies, Wort wicht mehr Hilft, mit irdiſchen 
Waffen: zu Felde ziehen. — Dies find die Worte ber Bannbull, 
welche er troß ber Gegenvorftellungen einiger braven ürften Curo · 
pa's gegen Böhmen unb unſer Bolk geſchlendert.“ 

„Ja, das ift der alten, bfutigen Nachteule eigenes, liebliches 
Gekrachz!“ fügte Zdenko ingrimmig hinzu. — 

„In wenig Wochen iſt der Feind an unſern Gremien,“ 
ſprach Neuhaus ernft und feierlich, „und es gilt men, zu zeigen, 
da Böhmens Söhne noch das alte Mark in den Knochen haben, 
daß ber Sieg noch immer umfere gemeihte Kelchesfahne umrauſcht.“ 

„Hab’ Dank, himmliſcher Vater,“ rief Vratislav auffprin- 
gend in Begeifterung, „für diefen Stern nad langer Nat! Das 
Leben wird wieber jung — umb ich weiß, warum id} noch leben ſoll.“ 

„Die ſchöne Zeit kömmt wieder,“ ſprach Sukol freudig, und 
fein Auge Iemchtete, „bie fchöne Zeit für uns, bie Höllenzeit für 
die Papiften! Aber fie wollen fie felbft Haben — wohl ihnen! 
Unfer König war fange ein guter und fliller Mann; ein Anderer 
hät nicht fo fange an fich gehalten. Nun fangen fie ſelbſt an, 
die Bluthunde, die Schurken von ber gefhornen Glage. Heibil 
freue Did, alte Seele! — Zitterft Du in ber Scheide, mein 
ſchartiger Handegen, und ahnft den Tanz, zu welchem Du auf 
fpielen four? — Die Welt wird wieber jung — wohlgefprohen! 
und lebendig. Die Menſchenkindlein rühren fi, und die Alten 
unter der Erde, die Erſchlagenen, fangen an ſich zu regen, da fie 
hören, daß ber Strauß wieder anfängt für den Kelch und das 
Vaterland, Des alten Zille Trommel, ih möcht drauf ſchwören, 


167 


drohnt laut, und die Profope reden bie. Glieder in dem Grab 
unter jenem Baume und möchten fo gern wieber auferfichen. Ber 
Gott! ihre Geifter, die Geifler der Erfchlagenen von Htib, alle 
werben mit uns fechten in den erflen Schlachtreihen; denn es if 
ein großer Tag, und der Sieg wird. unfer fein.“ 

Bei Sanct Johannes und feinem Feuertode!“ fiel Zdenko 
ein und ergriff freudeleuchtend anfblickend Sukol's Hand, „ber 
Sieg wird unfer fein. Die große Zeit lehrt wieder, die alten 
Adler, fo ruhig und matt vordem in ihren büftern Horften faßen, 
ſchũtteln die Flügel, athmen auf — ein fchöner, reiner Sonnen ⸗ 
ſtrahl if am Himmel emporgebligt; er küßt der Adler Angen, 
fie breiten die Schwingen aus und ftürzen fich fühn herab auf 
die rauſchende Erde. — O Baterland, Vaterland, vielleicht ſchlägt 
diesmal Deine goldene Morgenfiunde! — Aber find mir auch 
witrdig, den ſchönen, freien Tag zu erleben ohne die Helden, 
welche für ums, das Meinere Geſchlecht, verbinten mußten ? Ber- 
dienen wir es auf? O tönntet Ihr noch leben, Di, Bater 
Zijta, Du, großer Profop, und Du fein Namensbruder, Bruder 
zugleich feines Ruhmes! — Cilter Wunfh! Der Herr läßt bie 
Bäter ſaen umd nad ihrem Tode erfi die Kinder erndten. Sein 
Heiliger Wille geſchehe !" 

„Ich glaube,“ nahm Neuhaus fi aufrictend und begeiftert 
vor fi hinblidend das Wort, „mein Schwert Mingt dort im Waffen- 
ſaale und ruft auch mi. Dann muß ich freilich folgen 1”. Er deutete 
bei diefen Worten nad; ben Bogenfenftern des Erdgeſchoſſes hin. — 

Alſo auch mein Oheim ?“ rief Vratislav erflannt; „Di, 
fo krant, von Leiden und Schmerzen niedergebeugt?“ — 

„Ich kenne keine Krankheit,“ war des von Neuhaus Ant- 
wort, „wenn das Baterland Frank if; ich Tenne keinen Schmerz, 
wenn mein Bolt biutet und mein Glaube bedroht wird. Ich 
ziehe mit Euch, nicht als Feldherr diesmal, nur als gewöhnlicher 
Streiter; denn der König ſelbſt iR unfer Fuhrer, und feine helden ⸗ 


Auf dem alıhädter Ringe verfammelten fi die Gerchunjen 


auf, dem geehrtem, von deu Umftänden ewig gedrängten umb 
ftets ritterlich ausharrenden Könige eine bebeutende Streitmacht 


beteten um Kraft und Muth für dem Heiligen Krieg zum Schutze 


169 


des Glaubens und der Nationalfreigeit. Cine hohe Begeifterung 
‚gab ſich überall fund. Ju die Reihen der Krieger drängten fich 
Bürger, Frauen und Mädchen. Sie reichten dem tapferen Söhnen 
des Doterlandes Speife. und Trank; bie Jungfrauen wanden ihnen 
Schärpen um bie Schultern und zierten ihre Helme mit Blumen · 
Fräufern. Wie fonute e8 anders kommen, als daß Böhmens 
Helbenföhne für dem uenen Rettungskampf freudig entbrennen 
mußten! Alle Genfer waren beſetzt; Tücher und Fahnen, auf 
deßteren ber böhmifche Löwe, wurden herabgeſchwenlt. — Rauonen- 
Donner hallte vom Schloffe — die Reihen orbueten ſich zu drei 
Seiten am Markte — bie vierte gegen den. einen Ring und bie 
Brüde zu blieb geöffnet. — Bon diefer Seite follte der König 
tommen. Bald barauf erſchien er. 

* Erfah hoch zu Roſſe, war vollfommen gerüftet, die Sonne 
glänzte im Silber feines Haruiſches und ber blanfen Schienen, 
ein weißer Mantel ummallte die Heldengeftalt, ein weißer Buſch 
flatterte um den hohen Helm, deffen Kamm ber böhmiſche Löwe 
zierte. Stolz trug ihm der ſchneeweiße Hengſt. Sein Antlig ſchien 
blaß und befümmert; aber ein Strahl der Freude zudte barüber, 
als er bie Schaaren feiner Streiter überblidte und lautes Hurrah 
und Hörmergejchmetter ihn empfing. Die Fahnen wurden ge 
ſchwenkt, die Waffen- Mirvend am einander geſchlagen, der Jubel 
ſchallte donnernd zum Himmel empor. 

Neben dem König ritten feine beiden Söhne, Heinrih und 
Bictorin, in goldenen Rüfungen, jugendliche Heldengeflalten mit 
friſchen, offenen Gefitern, in welden bie Kampfesluſt blitzie. — 
Prähtig gelgmüdt und mannigfah gerüftet umgaben. den König 
die oberften, Feldhauptleute, darunter greile, doch noch kräftige 
Männer, bie fon im den frühen Huffitenkämpfen gefochten — 
dann folgte fein Hofſtaat und die Leibwache. 

— Der König ritt unter fortwährendem Kanonendonner 
and Glodengeläute mit feinem Gefolge langſam, redjts- und links · 


170 


Hin grüßend, iu das Wiered, deſſen letzte, offene Seite jeine Leib 
wache fperrte. Die Truppen fenkten ihre Waffen zur Begrüßung. 
In der Bitte bes leeren Raumes zog Georg fein. langes Schlacht 
ſchwert, ſchweulte es dveimal um fein Haupt, feine Krieger und 
das an den'Fenflern, anf den Hausvoriprängen, Gefinfen und 
Daqhern verfommelte Bolt begrügend. Ein lauter, kunmelanjand)- 
gender, dreimaliger Jubelruf antwortete ihm — die Hörner ſchmet · 
terten barein. Er winfte mit ber Hand, ımd eine Todtenſtille 
erfolgte, daß man mur das Glodengelänte wie über der Ruhe 
eines Kirchhofs vernahm. Die Reihen an der Geite der Tein ⸗ 
fire Öfineten fih, und von den hohen Stufen der Hauptpforte 
ſchritt Rokyeana im erzbilchöflihen Ornate, gefolgt von ben 
Domherren, Prieftern, Alumnen und ber ganzen calizeimiichen 
lerifei, den Ständen, Gtaatsbeamten, Richtern, Stanbeöherren, 
Profeſſoren, Ratheherren und andern Dignitarien des Reiches und 
der Stadt, langlom und im’ feierlider Haltung herab, — 

As der König dem oberften Prieſter des Kelches und fein 
Gefolge gewahrte, flieg er beheud vom Roſſe — die Uebrigen folg- 
ten feinem Beiſpiele. 

Georg trat einige Schritte vor — ihm wäherte fi ber 
Erzbiſchof mit dem Kelche; er fegnete das Brot und den Wein 
und reichte ihm dann Beides. So nahm der rechtgläubige König 
im Angefichte feines Volles unter freiem Himmel das Abendmahl 
unter beiden Gefalten. 

Auf ein Zeichen, weldes vom Rathhausthurme durch eine 
Flagge gegeben und vom Schloßthurme wahrgenommen und er- 
wiedert wurde, erfolgten zehn Kanonenfhüffe vom Walle, und bie 
Briefterf haft ſtimmte unter Glockengeläute das To Deum lau- 
damus in böfmijder Sprache an. 

Als der Geſang geendet, erhob ſich der König von feinen 
Rnien — das Gefolge that desgleichen — er ergriff ben Kelch 
mit der linken, das Schwert mit ber rechten Hand, erhob beide 


171 


gegen bie verfammelte Menge und rief: „Gott-fei uns gnä- 
dig in dem Rampfe für den Keih und das Bater- 
land! Amen!“ 

Und die Menge fimmte unter Glodentönen und Hörner 
begleitung das gewaltige Kirchen⸗. und Schladhtlieb: 

„Hospodine, pomiluj ny!“ 
(Herr, erbarme Di) 
im lauten, feurigen Chorale an. — 

Nachdem diefer geendet, flieg der König wieber zu Pferde 
und ritt fangfam, von feinen Söhnen und den Kriegsobriften 
begleitet, an den Reihen der Krieger bin, hier und dort freund« 
Hd grüßend, befobend, ermuthigend. Als er an die Stelle der 
Teinkirche kam und Neuhaus nebft Zdenko, dann Vratislav, Su- 
tot, feine Wetter, an ber Spige ihrer Fähnlein fah, ftieg er vom 
Roſſe und näherte fi den Anführern. 

„Sei mir gegrüßt, Meinhart!“ fprad er freundlich zu 
Neuhaus, „um fo herzlicher gegrüßt, als ich Dich nicht erwartet. 
Der frühere Feldherr der Caliztiner, der’ vorige Kanzler des Rei- 
des führt mir nun felbft eine eigene Schaar zu. Bei Gott! bie 
Zeit ift nicht alt geworden für die Freundſchaft, auch nicht für 
die Liebe zum Glauben und zum Vaterlande. Ich weiß nidt, ob 
Du Die) feither aus Unfuft am Frieden während meines Glüdes, 
wenn ſolches Regiment ein Glüd zu nennen if, zurüdgezogen; 
aber in Noth bift Du wiebergefehrt — das ift ebel, das ift groß! 
— Und Du, Zdento von Techtie,“ wandte er ſich zu dem Rach · 
Ken,“ biſt Du auch hier, läfſſeſt dem jegigen König nicht entgel« 
ten, was ein früherer verſchuldet hat — bie heilige Sache ver- 
eint uns Alle in unſern Beſtrebungen. So muß es fein!" — 
„Bratislav,“ fuhr er freundlich Tächelnd gegen biefen fort, „Dir 

„ ebelmüthiger Schwärmer, feindfidher Freund! es iſt doch gut, daß 
Du mid damals nicht vom Throne geſtoßen; jetzt hättet Ihr 
den Krieg im Lande, den mächtigen Feind vor dem Thoren, nur 


172 


ein kleines Häuflein, das ben Keich fhfigte und ſpater vieleicht 
einen katholichen Regenten, ſtatt daß Euch jetzt der rechtgläubige 
gegen bie Unterbrüder führt. Es iſt doch gut, daß wir Beide 
wicht geftorben oder gefangen worden find! Nun lönnen wir 
Ale für bie gute Sache fechten.” 

„Mein töniglicher Herr,“ verſetzte Bratielav leiſe und er- 
röthenb über die Milde des verfchuibeten Vorwurfs, „Dir gehört 
mein Leben nächft dem Glauben; forbre es.“ 

„Hab' Dank,“ antwortete gütig Köwig Georg, „mein Freund! 
Berwend' es vorerfi für ben Glauben.” 

Er erblicte jet Sukol, und beinahe lachend begrüßte er 
diefen mit den Worten: „Ein Vierter noch, dem id; verbunden 
bin! Alſo auch Du winft mit, alter Held! Das ift ſchön; daran 
fptegelt fi) die Jugend. Ich ſeh', Du willſt bereinft mit Stolz 
fagen können, daß Du feine Huſſitenſchlacht verſäumt haſt. — Ja 
— ja," wandte er fi zu der Umgebung, „ich hatte doch Recht, 
als id den Allzueifrigen, die mod immer mehr verlangten, als 
uns bie Umftände boten, fagte, wir mäffen ruhig erft das, was 
wir haben, feſt wahren, bevor wir nad Größeren traten wollen. 
Denn feht, man kömmt jett ſchon, uns das Wenige zu rauben; 
was hätte man gethan, wenn wir angepocht hätten und fordernd 
aufgetreten wären | Bielleicht gibt's Gott jetzt, baß wir, mit feiner 
Macht fegend, die Forderungen höher fpannen können, und baum 
wär mit Einem feldzug viel erfbart und Alles abgethau.“ — 

Der König feste ſich wieder zu Pferde und ritt bie Beltner- 
gaſſe entlaug nad dem Königehof, wo auf bem weiten unabfeh- 
baren Plage, die Hibernergaffe, den Poti bis zum Frautiset 
hinab, bie zweite, dritte und vierte Heerabtheilung aufgeftellt war 
sen. Die letztere befand faft größtentheils ans fogenannten Dre- 
fern (mlatei), jener aus den früheren Huſſitenkriegen her berühm · 
ten und mit eifernen Dreichflegein und Stachelkeulen gerüfteten 
Waffengattung. 


- 178 


Er richtete an jehe Abtheilung freunblich-grüßende und ers 
muthigende Worte. Durch lauten Jubelruf antwortete ihm überall 
die Stimme ber Begeifterung. — 

Nachdem die Heerſchau beendigt, zit der König unter Ra« 
nonenfalven nad dem Hrabdin zurüd. Die Krieger lagerten die ⸗ 
fen Tag und die darauffolgende Naht im Freien, um am näde 
ſten Morgen in den genannten vier Abtheifungen nad) ‚der füd- 
weſtlichen Grenge aufzubrehen. — 

Feuer Ioderten auf: dem altfläbter Ringe ımter den dam ⸗ 
pfenden Keffeln; auf dem Pflaſter lagerten Soldaten im Kreife, 
die Shüffel und die Flaſche gingen von Yand' zu Hand. Einige 
fangen vaterländifche Fieder, andere --würfelten; Bier putzte Einer 
feinen Harniſch blank, dort wurden bie Pferde geffriegelt oder 
friſch beſchlagen; unter den Arkaden, dem Rathhauſe gegenüber, 
nahmen junge Burſche, die ſich aus der Menge entfernt, um 
ihren weihmüthigen Schmerz nicht zu verrathen, Abſchied von 
rothwangigen Dirnen, oder fLüttelten muthig · lächelnd, aber die 
innere Wehmnth verbergend, den Schweftern, Vätern und Müt- 
tern bie Hände, tröfteten fie und. fprachen vom Wiederfehren mit 
Beute beladen. Andere wieder zogen in ben zahlreichen an grünen 
Kränzen erfennbaren Schenkftuben, die zum Erdrüden gefüllt wa- 
ren, ein und aus; bie Schentermädchen reichten lachelnd, kreiſchend, 
ſcheltend, je nachdem ihnen Scherz oder Zudringlichkeit geboten 
wurde, bie gefüllten Krüge den Herren Soldaten Hin. Diefe 
wieder ſchwenlten die vollen Gefäße über ben Köpfen und Tießen 
den König, ben Kelch und dem Heiligen Märtyrer Huß eben. 
Unter dem Bogengange zunächft der Teinkirche ftand ein Huffitie - 
cher Prieſter im Kreiſe von Bürgern umd Kriegern, erflärte ihnen 
die Wichtigkeit der Compactaten, beivies ihnen bie Uurechtmäßig ⸗ 
teit des Papftes und die Schäublichleit bes neuen Kreuzzuges, 
ſchalt die Enrie und den römischen Antichriſt. Die Zuhörer horch- 
ten anbädhtig zu, ‚nidten Beifall, und Bier und da ſprach eine 


164 


erinnerte mich dunkel, ſelbſt fo etwas an mir erlebt zu haben. — 
Ich bat ben Alten, mir die Burg mäher zu beſchreiben, wo er 
vorbem gelebt unb zu ber Zeit, als ihm der Bube eutfloh. Es 
war Drhobel, berichtete ber Alte, eine altabelige Herrſchaft; dort 
war er eine Zeit lang Untervogt. Er beichrieb mir die Lage des 
Schloffes, das Gebäude, den Hof, bie Rennbahn, den Marſtall 
und die Tränke, endlich eine himmelhohe Tanne neben dem Wall, 
welche jein Junge äftere mit Lebensgefahr Hinangeffettert, um 
ans dem Wipfel junge Krähen zu bofen, welche daſelbſt nifteten. 
Dies durfte ber Junge nur heimli tun; denn ertappte ihn ber 
Alte, fo erhielt er eine Tracht Prügel, um ihm bie Luft zu ſolchem 
halsbrecheriſchen Unfuge zu benehmen. Es war gerade at einem 
Tage, wo Jalkub's Rüden mittelft einer Hetzpeitſche geftrichen wor · 
den war, was ihn fehr verdroß, als bie Werber worüberzogen. 
Der luſtige Burſche miſchte ſich unter fie, machte fi mit ihnen 
vertraut, umb fieh’ da! die Werber zogen Mittags fort, und Abends 
folgte ihnen insgeheim ber Burſche. Seine Entfernung murbe 
erft wahrgenommen, als der Alte, ber nach einem entfernten 
Maierhofe geritten war, ihn am folgenden Tage vermißtee Er 
ſchickte einen reitenden Boten den Werbern nad, aber and hier 
war ber Burſche nicht zu finden; vermuthlich Hielten fie ihn, auf 
eine Nachforſchung gefaßt, verborgen. Er eilte jetzt felbft nach — 
fand ben Sjährigen Burſchen bei den Huffiten, bat und flehte; 
aber ber Junge ſchien ihn gar nicht wieberzufennen, fpielte mit 
Waffen und fieß nicht Halten. — Und fo war e8 au, bei Sanct 
Benceslan! — Denkt Euch, Herr Ritter, der Jakub, ber Teufels- 
junge, Bin ich! Das wärbet Ihr mir wohl jegt night anſehen t 
aber es ift richtig fo. An den Prügeln umb ber Taune mit bem 
Krähenneftern Hab’ ih mic erfannt. — Später in den Stürmen 
des Krieges habe ich der Burg, wo ich geboren, bes Abfchiebes 
und ſogar — was nicht recht mar — meines Vaters vergeffen. 
Ich Hatte im Schlachtgewühl freilich an andere Dinge zu denken.“ 


165 


„Glüdlicer Menſch!“ gegenredete Vratislav mit Wehmuth. 
„Du: findet, wo id; verliere. Aber hab’ Acht, daß Dir micht eben 
fo ſchnell wieder des errungenen Schatzes beraubt wirft!” 

„Wie Gott will!“ entgeguete Sukol; „hab' ich bod dem 
alten Manne eine große, vielleicht bie letzte Freude gemacht! Ihr 
hättet feinen Jubel fehen follen, da ich mich zu erkennen gab. 
Ich glaube, ih habe felbft geweint. Der Alte war ganz glüdtic, 
einen Sohn zu Haben, und vollends einen, der Ritter if. Es 
freute ihn jetzt ordentlich, baf ich ihm damals bavongelaufen 
war; deun bei ihm Hätte ich's höchſtens zum Troßbuben und 
fpäter zum Knete gebradt. Er meinte auf einmal fo viel, wie 
ich es mein Leben lang nicht gefehen. — So waltet Gott, und 
wir follten deshalb Heute nicht Magen, weil es morgen ganz an⸗ 
ders und beffer werben fan.“ 

„Ein ſchöner Troft, ein guter Troſt!“ gegenrebete Vratislav; 
„wur daß ber Menfch oft zwifchen dem Heut. und Morgen zu 
Grunde geht.” 

— Der Ritter von Neuhaus und Oheim Zdenko "kamen 
durch den Hanptgang im lebhaften Gefpräche auf die Beiden os. 
Neuhaus hielt ein Schreiben in der Hand, 

„Es if entfchieben,“ ſprach er, gegen die Aufmerkſamen ge- 
wendet, „Bapft Paulus der Zweite, des Aeneas Sylvins wlür- 
diger Nachfolger, hat den Kreuzzug zuſammengebracht. Ganz 
Deutſchland bewaffnet fi gegen uns und zum Bertilgung bes 
Ketzerthumes. Dan hat unerhörte Anftvengungen gemacht; dies · 
mal, glaubt man, müffen wir unterliegen. — Ein liſtiger Feind 
iſt todt in ber Perfon jenes Pius; aber ber neue Kopf, ber ber 
Oyder gewachſen ift, dürfte noch ſchlimmer fein, als ber alte. 
Der heilige Mann ift nichts weiter, als ungefüm, boshaft, blut · 
gierig, unwiſſend und ein Feind jeder Aufklärung und RNeuerung. 
— Sein Nuntius, Bifchof Rudolph von Lavant, hat erflärt, das 
Concilium, weldes fi zu Baſel über das Oberhaupt ber Kirche 


zu ſetzen erfrechte, habe zwar die Eompactaten betoilligt, aber 
fein Pop, als Stellvertreter Ehrifi habe fie beſtätigt. Der Hei 
ige Bater allein könne über Keterei urtheilen; denn nur er fe 
nutrũglich. Jeder ketzeriſche Rönig fei gottlos, atſo and Georg; 
ein Gottloſer aber könne nur menſchen · und religiousverderbend 
herrſchen, alſo müfle man gegen ben Menſchenverderber, da Got- 
tes, das Heißt des Papftes, Wort micht mehr Hilft, mit irdiſchen 
Waffen zu Felde ziehen. — Dies find die Worte der Bannbulle, 
welche er troß ber Gegenvorfielungen einiger braven Yürften Euro- 
pa's gegen Böhmen und unfer Bolt geſchleudert.“ 

„3a, das ift ber alten, bintigen Nachtenle eigenes, liebliches 
Geträchz!“ fügte Zdento ingrimmig hinzu. — J 

„In wenig Wochen iſt der Feind am unſern Grenzen,“ 
ſprach Neuhaus ernft und feierlich, „und es gilt num, zu zeigen, 
daß Böhmens Söhne noch das alte Mark in den Knochen Haben, 
daß der Sieg noch immer unfere geweihte Kelchesfahne umrauſcht.“ 

Hab’ Dank, himmliſcher Vater,“ rief Vratislav aufiprin- 
gend in Begeifterung, „für diefen Stern nad; langer Naht! Das 
Leben wird wieder jung — und ich weiß, warum ic} noch leben ſoll.“ 

„Die ſchöne Zeit kömmt wieder,“ ſprach Sukol freudig, und 
fein Ange Ieuchtete, „die fchöne Zeit für uns, bie Höllenzeit für 
die Papiften! Aber fie wollen fie felbft Haben — wohl ihnen! 
Unfer König war lange ein guter und fliller Mann; ein Anderer 
hätt! nicht fo lange an fich gehalten. Nun fangen fie felbft an, 
bie Bluthunde, die Schurken von der gefhornen Glatze. XHeibil 
freue Di), alte Seele! — Zitterſt Du in der Scheide, mein 
ſchartiger Haudegen, und ahnf den Tanz, zu welchem Da auf 
fpielen ſollſt? — Die Welt wird wieder jung — wohlgeſprochen! 
und Iebendig. Die Menfchenkindlein rühren ſich, und die Alten 
unter der Erbe, die Erfchlagenen, fangen an fi zu regen, da fie 
hören, daß der Strauß wieder anfängt für ben Kelch und das 
Vaterland, Des alten dizta Trommel, ich mocht' drauf ſchwören, 


167 


drößnt laut, und bie Prokope reden bie Glieder in bem Grab 
unter jenem Baume und möchten fo gern wieber auferfichen. Ber 
Gott! ihre Geifter, die Geifter der Erfchlagenen von Hib, alle 
werben mit ung fechten im den erfien Schlachtreihen; denn es iſt 
ein großer Tag, umd der Sieg wird. unfer fein.” 

Bei Sanct Johannes und feinem Feuertode!“ fiel Zdenko 
ein umd ergriff freudeleuchtend anfblidend Sukol's Hand, „ber 
Sieg wird unfer fein. Die große Zeit lehrt wieder, bie alten 
Adler, fo ruhig umd ‚matt vordem in ihren duſtern Horſten fahen, 
ſchutteln die Flügel, atmen auf — ein fchöner, reiner Gonnen- 
ſtrahl ift am Himmel emporgebligt; er Füßt ber Ahler Augen, 
fie breiten die Schwingen aus und ftürgen fi kühn herab auf 
die raufchende Erde. — O Baterland, Vaterland, vielleicht ſchlägt 
diesmal Deine goldene Morgenfiundel — Aber find wir auch 
würbig, den ſchönen, freien Tag zu erleben ohne die Helden, 
welche für ums, das Meinere Geſchlecht, verbinten mußten ? Ber- 
dienen wir e8 auch? O lönntet Ihr noch leben, Du, Vater 
Zijta, Du, großer Prokop, und Du fein Namensbruder, Bruber 
zugleich feines -Ruhmes! — Eilter Wunfh! Der Herr läßt die 
Bäter ſaen und nad; ihrem Tode erft die Kinder erndten. Gein 
Heiliger Wille gefchehe 1" 

„Ich glaube,“ nahm Neuhaus ſich aufrichtend und begeiftert 
vor fid hinblickend das Wort, „mein Schwert Hingt dort im Waffen- 
faale und ruft auch mi. Dann muß ich freilich folgen!” Er deutete 
bei diefen Worten nad) den Bogenfenftern des Erdgeſchoffes hin. — 

„fo and; mein Ofeim?" rief Vratislav erflannt; „Du, 
fo kant, von Leiden und Schmerzen niedergebeugt?“ — 

„Ich kenne keine Krankheit,” war bes von Neuhans Aut ⸗ 
wort, „wenn das Vaterland frank iR; id; kenne keinen Schmerz, 
wenn mein Bolt bintet unb mein Glaube bedroht wird. Ich 
ziehe mit Eud, nicht als Feldherr diesmal, nur als gewöhnlicher 
Streiter; benn ber König ſelbſt ift unfer Führer, und feine heiben- 


168 


müthigen Söhne ftehen ihm zur Geite. Mber ich werbe mit glei» 
er Kraft kampfen wie. jemals, und mit größerer, als ich gegen 
die verbiendeten Blaubensbrüder focht. — Ich ſollte es damals 
vielleicht mit, und umfer Triumph wäre uns früher geworben. 
Bergefien wir das I" 

„3% Habe mir früher fo oft ben Tod gewünſcht,“ ſprach 
Bratislav von feliger Freude burchgläht, „und wie ſchäme ih 
mid) jegt des kindiſchen, thörichten-Wunfches! Du ſprachſt wahr, 
mein getrener Sulol: Wir jollen am heutigen Tage nicht trauern, 
weil der morgige Alles zum Beſſern wenden fan.“ 


Auf dem altftädter Ringe verfammelten fi die Heerhaufen 
sur Mufterung. Neuhaus, die Beiden von Techtie und Sutol 
zogen unter jnbeindem Hörnergeihmetter an der Spige ihrer 
Fahnlein ein, Die caliztinifgen Ritter und Herren boten Alles 
auf, dem gerhrten, von ben Umftänden ewig gedrängten und doch 
ſtets ritterlich ausharrenden Könige eine bebeutende Streitmacht 
zuzuführen. Gut gerüftet, vom beften Geifte befeelt, für deu Glau- 
ben, wie für ben Ruhm ihrer Bäter glühend waren die Krieger. 

Der ganze Riug war wie mit Truppen von verſchiedenen 
Trachten und Waffengattungen befäet. Die Städter mengten ſich 
unter die Reifigen vom Lande und bdeuteten freudig nach dem 
Portale der Teintirche empor und zeigten ihnen das coloffale 
Standbild bes Könige Georg mit Kelh und Schwert in ber 
Hand. Bon den Thürmen tönte Glodengeläute, an ben Altären 
theilten bie Priefter das Abendmahl unter beiberlei Geſtalt aus, 
von den Kanzeln prebigten andere und riefen zu ben Waffen, 
beteten um Kraft und Muth für den heiligen Krieg zum Schutze 


169 


des Glaubens und der Nationalfreiheit. Eine hohe Begeiſterung 
‚gab fi überall fund. Ju die Reihen der Krieger drängten ſich 
Bürger, Frauen und Mädchen. Sie zeiten den tapferen Söhnen 
des Baterlandes Speife und Trank; bie Iungfrauen wanden ihnen 
‚Schärpen um die Schultern und zierten ihre Helme mit Blumen 
ſträußern. Wie fonnte e8 anders kommen, als daß Böhmens 
Helbenföhne für ben uenen Rettungskampf freudig entbrennen 
mußten! Alle Fenſter waren beſetzt; Tücher und Fahnen, auf 
defteren ber böhmifche Löwe, wurden herabgeſchweult. — Ranonen- 
donner halte vom Schloſſe — die Reihen orbneten fih zu drei 
Seiten am Markte — bie vierte gegen den. Heinen Ring und bie 
Brüde zu blieb geöffnet. — Bon .diefer Seite follte der König 
tommen. Bald darauf erſchien er. 

Er foß Hoch zu Roffe, war vollommen gerüftet, die Sonne 
glänzte im Silber feines Harniſches und der blanfen Schienen, 
ein weißer Mantel ummallte die Heldengeftalt, ein weißer Buſch 
flatterte um den Hohen Helm, beffen Kamm ber böhmiſche Löwe 
zierte. Stolz trug ihn der ſchueeweiße Heugſt. Sein Antlig ſchien 
blaß und befümmert; aber ein Strahl der Freude zuckte darüber, 
als er die Schaaren feiner Streiter überblidte und lautes Hurrah 
und Hörnergejhmetter ihn empfing. Die Fahnen wurden ge 
ſchwenkt, die Waffen Mirvend an einander geſchlagen, der Jubel 
ſchallte donnernd zum Himmel empor. 

Neben dem König ritten feine beiden Söhne, Heinrih und 
Bictorin, in goldenen Rüftungen, jugendliche Heldengeftalten mit 
feifchen, offenen Gefitern, in welchen die Kampfesluſt bligie. — 
Prädtig geſchmückt und mannigfach geräftet umgaben. den König 
die oberften Feldhauptleute, darunter greife, doch noch kräftige 
Männer, die fon in den frühen Huffitenfämpfen gejochten — 
dann folgte fein Hofflaat und die Leibwache. 

— Der König vitt umler fortwährendem SKanonendouner 
und Glodengeläute mit feinem Gefolge langſam, rechts- und linte« 


170 


Hin grüßend, in das Wiered, deſſen letzte, offene Seite jeine Leib 
wache fperrte. Die Truppen fenkten ihre Waffen zur Begrüßung. 
Im der Mitte des leeren Raumes zog Georg fein. langes Schlacht ⸗ 
ſchwert, ſchwenkte es dreimal um fein Haupt, feine Krieger und 
das an den Feuſtern, anf den Hansborfprängen, Geflmfen und 
Dädern verfammelte Bolt begrüßend. Ein lauter, Himmelanjand- 
gender, dreimaliger Jubelruf antwortete ihm — die Hörner‘ ſchmet · 
terten darein. Gr winfte mit der Hand, umd eine Todtenſtille 
erfolgte, daß man nur das Glodengelänte wie über der Ruhe 
eines Kirchhofs vernahm. Die Reihen an der Geite ber Tein- 
fire öffneten fi, und von den Hohen Stufen der Hanptpforte 
ſchritt Rotyeaua im erzbiſchöflichen Ornate, gefolgt von ben 
Domerren, Brieflern, Aiumnen umd der ganzen cafigsinifchen 
Elerifei, den Ständen, Gtaatsbeamten, Richtern, Standesherren, 
BVrofefforen, Rathsherren und andern Dignitarien des Reiches und 
der Stadt, Ianglam und in’ feierliher Haltung herab. — 

As der König den oberflen Priefler des Kelches umb fein 
Gefolge gewahrte, ftieg er behend vom Rofje — die Uebrigen folg- 
ten feinem Beifpiele. 

Georg trat einige Schritte vor — ihm näherte ſich der 
Erzbiſchof mit dem Kelche; ex fegnete das Brot und den Wein 
und reichte ihm dauu Beides. So nahm der reditglänbige König 
im Angefichte feines Volles unter freiem Himmel bas Abendmahl 
unter beiden @efalten. 

Auf ein Zeichen, weldes vom Rathhausthurme durch eine 
Flagge gegeben und vom Schloßthurme wahrgenommen uub er- 
wiebert wurbe, erfolgten zehn Ranonenfchüffe vom Walle, und bie 
Prieſterſchaft fimmte unter Glodengeläute das To Deum lan- 
damus in bögmifder Sprade an. 

Als der Gefang geendet, erhob fid der König von feinen 
Knien — das Gefolge that desgleihen — er ergriff den Kelch 
mit der finfen, das Schwert mit der reiten Hand, erhob beide. 


171 


gegen die verfammelte Menge und rief: „Bott-fei une gnä- 
dig in.dem Rampfe für den Keih und das Bater- 
land! Amen!” 

Und die Menge fimmte unter Glodentönen und Hörner- 
begleitung das gewaltige Kirchen⸗ · und Schlachilied: 

„Hospodine, pomiluj py l“ 
(Herr, erbarme Di!) 
im lauten, feurigen Ehorale an. — 

Nachdem diefer geendet, flieg der König wieber zu Pferde 
und ritt langſam, von feinen Söhnen und ben SKriegsobriften 
begleitet, an ben Reihen der Krieger Hin, bier und dort freund» 
Hd grüßend, belobend, ermuthigend. Als er am die Stelle der 
Teinfiche kam und Neuhaus nebft Zdenko, dann Vratislav, Su- 
tol, feine Retter, an ber Spitze ihrer Fähnlein fah, ſtieg er vom 
Rofje und näherte fi den Anführern. 

nSei mir gegrüßt, Meinhart!“ ſprach er freundlich zu 
Neuhaus, „um fo Herzlicher gegrüßt, als ich Dich nicht erwartet. 
Der frühere Feldherr der Ealirtiner, der vorige Kanzler des Reir 
es führt mir num felbft eine eigene Schaar zu. Bei Gott! bie 
Zeit ift nicht alt geworden für bie Freundſchaft, auch micht für 
die Liebe zum Glauben und zum Vaterlande. Ich weiß nicht, ob 
Du Did feither ans Unluft am Frieden während meines Glüdes, 
wenn foldes Regiment ein Glüd zu nennen ift, zurüdgezogen; 
aber in Noth bift Du wiebergefehrt — das ift edel, das ift groß! 
— Und Du, Zdento von Techtie,“ wandte er ſich zu dem Näd« 
fen,“ biſt Du auch Hier, täffer den jegigen König nicht entgel- 
ten, was eim früherer verſchuldet hat — die heilige Sache ver- 
eint uns Ale in unfern Beftrebungen. So muß es fein!” — 
„Bratislav,“ fuhr er freundlich lacheind gegen diefen fort, „Du 

„ebelmüthiger Schwärmer, feindfiher Freund! es ift doch gut, daß 
Du mid damals nicht vom Throne geſtoßenz jegt hättet Ihr 
den Krieg im Lande, den mädjtigen Feind vor den Thoren, nur 


ſchern (mlatci), jener aus den früheren Huffitenkriegen her berüßm- 
ten und mit eifernen Dreſchflegeln und Stacheikeulen gerüſteten 
Waffengattung. 


173 


Er richtete an jede Abtheilung freunbfidjegrüßiende nud er- 
muthigende Worte. Durch lauten Jubelruf antwortete ihm überall 
die Stimme der Begeifterung. — 

Nachdem die Heerſchau beendigt, ritt der König unter Ra- 
nonenfalven nach dem Hradöin zurüd. Die Krieger lagerten bier 
fen Tag und die darauffolgende Nacht im Freien, um am näd- 
ſten Morgen in ben genannten vier Abtheifungen nad) der füd- 
weſtlichen Grenge aufzubrechen. — 

Feuer loderten auf bem altfläbter Ringe ımter den dam ⸗ 
pfenden Keffeln; auf dem Pflaſter lagerten Soldaten im Kreiſe, 
bie Schuſſel und die Flaſche gingen von Hand’ zu Hand. Einige 
fangen vaterländifche Fieber, andere - würfelten; hier pugte Einer 
feinen Harnifh blank, dort wurden bie Pferde geffriegelt oder 
friſch beſchlagen; umter den Arkaden, dem Rathhaufe gegenüber, 
nahmen junge Burſche, bie fi aus der Menge entfernt, um 
ihren weichmüthigen Schmerz nicht zw verrathen, Abſchied von 
rotbwangigen Dirnen, ober fehüttelten muthig-Tächelnd, aber bie 
innere Wehmnth verbergend, den Schweftern, Vätern und Müt- 
tern bie Hände, tröſteten ſie und ſprachen vom Wicberfehren mit 
Beute beladen. Andere wieder zogen in ben zahlreichen an grünen 
Kränzen erfennbaren Schenkftuben, die zum Erdrüden gefüllt war 
ren, ein und ans; bie Schentermäbchen reichten lachelnd, kreiſchend, 
ſcheltend, je nachdem ihnen Scherz oder Zudringlichkeit geboten 
wurde, bie gefüllten Krüge den Herren Soldaten hin. Diefe 
wieber ſchwenlten die vollen Gefäße über den Köpfen und ließen 
den König, den Kelch und den Heiligen Märtyrer Huß leben. 
Unter dem Bogengange zunähft der Teinkirche ftand ein huſſiti - 
ſcher Priefter im Kreife von Bürgern und Kriegern, erflärte ihnen 
die Wicjtigfeit der Compactaten, bewies ihnen die Uurechtmäßig · 
keit bes Papftes und bie Schänblicjkeit bes neuen Kreuzzuges, 
ſchalt die Eurie und den römiſchen Antichriſt. Die Zuhörer horch- 
tem andädtig zu, ‚nicten Beifall, und hier und da fprad eine 


174 


gebämpfte Stimme: Wir haben Recht! Es iſt ſchändlich! Wir 
möügfen fiegen, wenn Gott gerecht if! — An der Ede der Straße, 
melde zum Carolinum führt, Batten auf zuſammengeſchobenen 
Mortttifen die Spiellente, die Trompeter und Hornbläfer Platz 
genommen und bliefen abmwecielnd eine Fanfare oder die Weiſe 
eines aufregenden, begeifternden Schlachtgeſauges, in welcher die 
herumftehende Menge: Krieger und Bürger, Kinder und Weiber, 
— denn diefe alten Gefänge, bie, Erinnerungen ber Heldenzeit, 
waren Eigenthum des Bolfes- gergorden — fingend einflimmten. 
— Ein Zug in Papiermügen und Meßgewändern pofienhaft ge 
eideter Knaben drängte fich, bunte Fähnlein ſchwenkend und eine 
latholiſche Kirchenmelodie fpottweife nachahmend, duch die Menge. 
Mar geb ifuen Raum. Sie Irugen eine ausgeſtopfte, mit einem 
Meßgewand behangene Puppe, melde den Papft vorſtellte. Auf 
dem Haupte hatte fie eine große Papiermüge. flatt der Tiara, 
worauf ein Tenfel gemalt war, mie man ſolche den zum Feuer - 
tode verurtheilten Ketzern aufzuſetzen pflegte. Einer der Knaben 
ſtellte den Teufel vor; er hatt: fein Geficht beruft und auf bem 
Kopfe ein zottiges Ziegenfel mit ſchwarzen Hörnern. Nachdem fie 
fih in einen Kreis gefellt, Hielt der “eine, als hufſitiſcher Priefter 
gelleidete Kuabe ‚eine Schimpfrede an ben Repräfentanten bes 
Papſtes, melde von Taptem Gelächter der Umftehenden begleitet 
wurde. Dreimal richtete er an ben Papft bie Frage, ob er ſich 
belehren, ob er nur Gostes Diener und nitt fein Stellvertreter 
fein, ob er den Galiztinern dem freien Genuß bes Kelches geftat- 
ten wolle? Als aber der Papft verftodt auf alle dieſe Fragen 
ſtill ſchwieg, da wurde er mit. feierlichem Ernfte dem Teufel über 
geben. Diefer nahte fi im einigen Bocksſprüngen, ftieß ein 
fürchterliches Gebrüll aus, ergriff die Puppe, melde die Andern 
fohren gelafien, gab ihr mehrere Heftige Maulfchellen, daß die 
Bapiermüge auf ihrem Kopfe wadelte, und begann nun einen 
raſenden Tanz mit ihr, welcher von dem Gefange feiner Genof- 


175 


fen — einem verrufenen Wirthshausliede — und dem fallenden 
Geläiter ber Umftehenden begleitet wurde. Inzwiſchen hatte man 
einen Meinen Scheiterhaufen errichtet, und als dieſer Hell auflor 
berte, nahm man den Papft Pauls 'nod einmal in’s Gebet; er 
wurde unter verſchiedenen Grobheiten nod einmal befragt, ob er 
fi beffern wolle, und als er jet abermals ftumm blieb, unter 
raſendem Gejauchze in die Flammen geworfen. — Bon Freude 
trunken war die Menge, jauchzte, lachte, ſchrie und zollte vor 
Allem dem verfleideten Teufel wegen feiner Tapferkeit und furcht- 
baren Haltung raufhenden Beifall. — Man warf nad beendigtem 
Schaufpiel Münzen und Fruchte, Kuchen — Kolatſchen — unter 
die patriotifche Jugend und zeftvente ſich wieder, nad einem an- 
dern Punlte fih binwendend, wo ein neues Schaufpiel im Ein- 
Hange der Zeitumftände die Aufmerkſamkeit anlodte. — 

Durch die Reihen ber Lagernden auf und ab fihritten die 
Verkäufer und boten Bier, Wein und Buttermilch, Fleiſch, Brot 


” und Obſt aus. Das Gelärm, Geſchrei, Geſumme, bie Hörner 


Hänge und Gefänge dauerfen bis tief nad Mitternacht. — 

Die Ritter von Cechtie und Sutol, welche ſich auf ihrem 
Stanbplage vor der Teinfirhe mit ihren Fäßnlein gelagert Hatten, 
waren auf kurze Zeit nad der Meinen Seite hinfbergeritten, um 
im Haufe der Zeöwicer einen Beſuch abzuftasten. Lange Hatten 
fie die Freunde nicht gefehen, und ber legte Ahſchied war ein 
ſchmerzvoller geweien. Freudiger follte das Wieberfehen fein. — 
Sie trafen Niemand als den Kaſtellan zu Haufe, welcher fie bes 
ſchied, daß die Ritter ſchon Vormittags nad dem Schloſſe ger 
gangen feien. — Sie dort aufzufucen, war die Zeit zu lurz; 
fie mußten vor fpäter Nachtzeit wieber bei ihren Reifigen eintreffen, 
und fo ritten fie mißmuthig über die getänfchte Hoffnung nad 
dem altftäbter Ringe wieder zurüd. Es war fon ziemlich fpät, 
umd die größte Froͤhlichkeit unter kriegeriſchem Geräuſche herrſchte 
im Lager. Bratislav faß neben Zdenko nicht fern von einem 


— .30 — ih ziehe and mit,“ fprah enbiih, Witten; 


Abſchied von der Schwer and Wen, bie id liebe; aber das 
Vaterland ruft. Und wie erging es Dir? Wie lebtet Ihr Me? 
— Ihr Habt unS lange ohne Kunde gelaffen.“ 

„Sieh' dieſe beiden Trauerſchärpen,“ verfeite Vratislav, auf 
dieſelben deutend; „fie neunen Dir meinen doppelten Verinſt. Ich 
Babe viel verloren; aber das Baterlaud wird mir Erſatz leiſten. 
Ich fliege frenbendurchbebt zum Kampfe; doch Du mußteſt Dich 
ans liebenden Armen losreißen. Ich habe nichts zu verlieren — 
Du viel. Dein Opfer ift größer; — ja, mein Freund,“ fuhr er 
feufzend fort, „das Unglüd lag nicht fill, feit wir uns zum 
fetten Male fahen. Doch warum bie Erinnerung anffriichen im 
diefer ſchͤnen Stunde des Wiederfehens, Wermuthötropfen hinein. 
träufeln im ihren füßen Kelch? — Wo ift Deine Schweſter — 
mo ift Elifa, bie holde, milde, fröhliche Elife, die glüdfihe Eliſa, 
weil der Frohſiun ihr fleter Schubengel in Wo iR Dein Bater? 
Wie lebt der edle, ruſtige Greis?“ — 

„Sie iſt in Slatina, anf meiner Burg,” beſchied Rifias, 
„mit einem Holden Findliug, den id; in meinen Schug genommen. 
Ein ehrenfefter Ritter freit fie, einer vom Sandberg, aus unfern 


177 


älteften Geſchlechtern. Er liegt jetzt frank barnieber an einer Fuße 
wunde, die er auf der Jagd erhalten; fonft wäre er mit une 
gezogen. Doch folgt er gleich nach feiner Genefung. Da wird's 
auch Thränen geben bei der Fröhlichen. — Der Bater — frägft 
Du? — if auf dem Schloß im NKriegsrath ; er wird im Gefolge 
des Könige in's Feld ziehen.“ 

„Auch der Edle von Neuhaus,“ ſprach Sufol dazwiſchen 
und ſuchte ſich dem. Zeswicer bemerkbar zu machen, „iſt während 
Eurer Abweſenheit mit Ritter Zdenko nach dem Schloſſe zum 
Könige beſchieden worden, vermuthlich zum Kriegsrath, als erfahr- 
ner Held von früheren Zeiten her.” 

— „Sufol — Ritter Zdenko,“ tief‘ Niklas, Beiden die 
Hände reichend, „auch Euch ſeh' ich wieder! Nun find wir Alle 
wieber vereint zu gutem und, will's Gott, glücklichem Werte. — 
Jetzt fechten wir vereint für. das Vaterland, und haben wir ihm 
den Frieden errungen, dann labe uns die Ruhe in den Armen 
ber Geliebten und der Freunde!“ 

„Richt nur den Frieden,“ warf Bratislan feieruich ein, „auch 
die Größe bes Vaterlandes wollen wir erfämpfen, Uebermacht 
umb Oberhoheit, Zucht und Schreden im Auslande und freies 
Walten des Glaubens im Innern, ein großes Böhmen, felbft- 
ſtandig, abgeſchloſſen, unvermiſcht mit fremder Zuthat. Und einen 
König wollen wir bann Haben, ben ganz Europa ben Großen, 
den Erſten nennt“ 

„da, das wollen wir!“ fiel fenrig Zdenko ein, „und barum 
haben ſelbſt Greife aus ber Halle ihre roftigen Harnifche geholt 
und find in bie ſchwere Wucht hineingekrochen, melde ihre mor- 
fen Glieder kaum noch tragen wollen, aber müſſen, weil ber 
große Augenblid gelummen. Jegt oder mie!“ 

„Gott geb’ ung Allen Heil,” rief Niklas, „und aud den 
Friedlichen, die im Frieden wandeln, feinen Segen! Er wird, er 
taun's zu Ende bringen, wie e8 uns frommt.“ — 

Herloßfohn: Der lebte Zaborit. IT. 12 


178 


Eine Karthaune, die zunächft der Hauptwache rechts vom 
Teinhof neben der gewaltigen Heerfahne aufgepflanzt war, erkrachte 
plöglid ; Feldteommeln raffelten; es war das Zeichen zur Ruhe. 
Das Bott zog ſich zurüd — die Krieger fuchten ihre Lagerflätten. 

„Lebt wohl!“ ſprach Niklas und ſchuttelte den Freunden bie 
Hände; „morgen fehen wir uns wieber oder auf dem Seereszuge, 
und wenn ba nicht, fo in der Schlacht. Grüßt mir ben eblen 
von Neuhaus." 

Gute Naht!“ verfegte Bratislan; „träume- vom dem Le- 
benden, Freund, und von dem Liebesarmen. Ich wünſche Dir 
all’ das Glüd, was ih verloren l 

„Schlaft wohl, Ritter!" ſprach Zdenfo und Sulol. 

— Sie trennten fih. ‚Niklas eilte die Reihe linke hinab 
zur heutigen Zeituergafje und von da nad) dem Königehof, wo 
er lagerie. — 

Na) und nad) wurde es ruhig auf dem weiten Ringe; 
der Platz war im Scheine des nächtlichen Himmels nud ber ver- 
glimmenden Fener wie ein unermeßlicher Kirchhof anzuſchauen, mit 
dichten Grabhügeln befäet; die Schläfer waren Hier ruhig wie bie 
Todien; mur athmeten fie. Aber bald, fehr bald foflten auch 
viele nicht mehr athmen und unter noch einem weitern Kirchhof 
ſchiummern — auf der bintigen Wahlfiatt. — 

Kaum tönte noch hier und da eine Stimme ober gebämpf- 
ter Zuruf, dann wurde es fill; allmälig umfing der Schlummer 
Ale. — Um zwei Uhr ging der-Mond über dem fpigigen Rath- 
hausthurme auf. Weiße Wolfenftreifen zogen ihm voran, bie fein 
Sicht vergofbete. — Einige, die nicht geſchlummert, wollten am 
Himmel, mitten in den leuchtenden Wolfen, den heiligen Bencesfaus " 
bo zu Roffe und gewappnet, mit der weißen Fahne, an ber 
Spige der Ritter vom Berge Blanif, welche — wie die Sage 
meldet — feit jenem Unglüdstage, dem Tage der Schmach bei 


1m 


HEib, in ben Blaniker Berg verfhloffen find, um wieber zu er- 
feinen, wenn es gilt, das Vaterland vom Untergange zu befreien 
umd feine Wiedergeburt zu erkämpfen,; gefehen haben, als Bor- 
botſchaft des fünftigen Sieges. — 


128 


Auf den zmei Straßen don‘ Waldmünden und Mosbach 
tüdte das Kreuzheer in Böhmen ein. In ben Bergfſchiuchten über 
Teinitz, das in einer Ebene liegt, follten die beiden Abtheilungen 
zu einander ftoßen. Sie lagerten auf den Abhängen, Berggipfeln 
in ber Gegend ber fleben Berge und den bazwifchen verfireuten 
Ebenen. — 

Georg kam in Eilmärfhen über Beraun und Pilfen. Er 
lagerte fih, einen Halbmond befchreibend, vor den Bergen rechts 
vom Städten Teinig, fo daß ber Ort dem Feinde im Rül- 
ten lag. 

Die Sonne ging auf und prefte die filbernen Morgenne · 
bei in die Thäler; nur von den vergoldeten Höhen bligten bie 
Rüftungen und Waffen der Deutſchen. Ms ſich die Gegend ge- 
tichtet, fah man jenfeits die Huffiten in einer unabfehbaren Reihe 
in drei Treffen tampfgerüftet aufgeftellt. Die beiben Flügel deckte 
die Wagenburg, neben berfelben hieft auf beiden Seiten bie Rei- 
terei; den Kern bildeten die Dreſcher. Noch aufer der beiden 
Enden des Bogens ſchwärmten bie Bogenſchützen und leichten 
Arkebufiere. Die Kanonen hielten im Centrum, jedoch im Hin⸗ 
tertreffen.. — 

An ber Spige ber Reihen war jett König Georg zu ſchauen, 
in feiner blanfen Rüftung, hoch zu Roffe, umgeben von feinen 
Söhnen und den Peldhauptienten. Ein greifer Huffitenpriefter 

12* 





180 


eilte bie Glieder entlang, den Kelch im ber Hand, uud fegnete 
die ſchlachtmuthigen Krieger. 

Georg deutete rechts und liuks Sin, gab Befehle und fcjil- 
derie ben Plan des Angriffe. „Bir wollen deu Angriff nicht 
abwarten,“ fprad er, „wir wollen angreifen; benn aus feinem 
Baue geht der Marder nicht gern.“ 

Nehts- und Iinfehin fprengten bie Führer und ſtellten fich 
an die Spitzen ihrer Abtheilungen. Bratislaw, Zdenko und Su- 
tol, welche leichtes Fußvolk anführten, waren beorbert, die Höhen 
zur linten Geite mit bem Schwert in ber Fauſt zu nehmen. — 

Der König zog jetzt fein Schwert, ſchwenkie es gegen fein 
Heer, und les fiel auf die Knie, und während Georg die Reihe 
entlang hinunterritt, erſcholl von taufend umd abermals tauſend 
Kehlen der erhabene Schlachtgefang: 

„Vyieh Nömce, 

„Cizozemce, 

„Bvaty Väciave!“ 

(Treib die Deuiſchen 'naus, 

deil ger Wencesians I) 
Der König zog fih in das Centrum zurüd, BVictorin fprengte 
an den reiten, Heinrich am deu linken Flügel, welche fie an- 
führten. 

Das gewaltige Schlachthorn ertönte, daß fein Klang meilen- 
weit durch bie Lüfte ſcholl und aus dem Kläften und Felsthälern 
wieberhallte. Die Fahne des Kelches wurde aufgemwidelt, fo auch 
die beiden an ben Flügeln mit dem böhmiſchen rothen Lowen, 
und flatterten wie Schwäne, welde fi, die Bruft biutig, "ge- 
rigt in der blaulichen Luft. — 

Die Deutſchen blieben ruhig in ihrer Stellung neben und 
inter deu Kanonen auf ihren Anhöhen. Gegen ben Kerm ihres 
Fußvoltkes, weldes, durch mehrere Karthauuen geſchützt, die Breite 
einer weiten Thalſchlucht einnahm, begann jet die böhmiſche 


181 


Heiterei beim dritten Signale des Heerhornes den Angriff. Go 
ſchutzt durch fie, drangen in ihrem Rüden die Scharſſchützen vor 
amd lehnten fi unter bie fleilen Anhöhen. — 

Der Angriff war wild und der böhmiſchen Tapferkeit wür- 
dig. —. Die Reiterei brad durch das grobe Geihüg und trieb 
das feindliche Fußvolk eine Strecke in das Thal Hinein; aber 
eine zweite Reihe von Kanonen ſchlug in ihre Glieder und nd- 
thigte fie zum Rüdzug. Gr erfolgte im großer Ordnung. Unbe 
fonnen drang ihnen der Feind nad) in die Ebene — Bier aber 
wüthete das Geſchoß der böhmiſchen Scharfihägen von der rech⸗ 
ten und linfen Seite in ihren Gliedern, unbefümmert um bie 
Schüſſe und Gteinblöde, welche vou den Anhöhen herab unter 
fie fielen. Die Reiterei der Huffiten theilte ſich in dieſem Augen- 
blicke in zwei Haufen, fo daß in ber Mitte Raum wurde, und 
Heß ihr Geſchütz hindurch, weldes nun ein mörberifhes Fener 
gegen dem aus feiner Schlucht Hervorgebrungenen und in ihr feh- 
geſtemmten Feind richtete. In dieſem Augenblick entluden fich 
bie Höhen; ber Feind ſtürzte herab, und das Treffen wurde all- 
gemein. Auf bie Huffitifche Reiterei warf fi die deutſche, welche 
trotz des Feuers der Böhmen von den Geiten ber Berge ſich 
berbeigezogen Batte, und gerieth mit ihr in's Haudgemenge. Die 
böhmifchen Kanonen wurden zurüdbeorbert. — Das leichte Fuß- 
volt ſollte während dem die äußerſten Anhöhen nehmen. Auf 
der linken &eite ſtürmten Vratislaw, Zdenko und Sulol mit 
ihren Männern. Zwiſchen den beiden kämpfenden Reiterabthei- 
Hungen drängte fi nunmehr die Unzahl des deutſchen Fußvolles 
Hervör, gerade gegen das Centrum der Taboriten, um baffelbe 
durchzubrechen und gegen feine eigenen Flügel zu werfen. — Jetzt 
gaben die Hörner ben Dreſchern das Zeichen zum Angrifj. Wie 
eine eherne Mauer bewegten fie fi mit hochgeſchwungenen le 
gein vorwärts, unbefümmert darum, daß bie feindlihen Schüffe 
Einzelne nod) vor bem Angriffe miederfhmetterten. Die Dent- 


182 


ſchen bildeten eine dichte, vielfache Reihe mit vorgehaltenen Lan ⸗ 
zen und Gewehren. Je näher die Dreſcher ihrer Linie kamen, 
befto raſcher ward ihr Schritt, und endlich erfolgte im raſchen 
Anlauf der furchtbare Angriff. Mit Wuth fehlngen fie unter bie 
feßgehemmten, verzweiflungevoll ſich wehrenden Deutſchen ein. 
Während dem tobte reits umb Hnfs der Kampf. Zweimal wurde 
die deutſche Reiterei zurucktzeſchlagen; fie wagte, von ben Hügeln 
im Rüden gefhügt, einen dritten Angriff. Bictorin und Hein⸗ 
rich ſchidten ihr Volt zum britten Male in's Feuer. 

Bratislaro war der Erſte, welcher die fleile Anhöhe erklomm: 
als er feſten Fuß gefaßt, warf er fein Schwert zu Boden, ergrifi 
bie ihm zunächfiftehenden Feinde, welche vergebliche Hiebe nah 
feinem Eiſenhelm führten, bei ben Armſchienen und rieß fie mie- 
der. — Ihm folgte Nillas; der Schwertſtreich eines riefengroßen 
Beindes trennte ihm den Unterarm in der Gegend des Ellenbo⸗ 
gene vom obern. Cr ſank zu Boden. Sukol war nahe — 
feine Keule, bie bewährte Waffe ans früherer Zeit, zerbrach den 
Hirnfhädel des Deutſchen — jet kam aud ber milde Zdenko 
mit feiner Schaar — bie Anhöhe war gewonnen. Ueber ihren 
Rüden ftürgten die Feinde in wilder Flucht nad) der Thalſchlucht 
— bier flemmten fie fi noch Ein Mal, wurden aber ben flei- 
len Abhang auf ihre Genoffen hinabgeworfen. Im Kern der 
Deutſchen mwankte das Treffen; die Drefcher Hatten Leichenhaufen 
wie Garben Hingeftreut. „Die Dreier! die Dreier!“ ſchrie es 
jegt im Hintergrumde der Feinde — ihre Glieber wankten und 
tiffen, Alles drängte fi) nad) hinten zu, um das fhügende That 
zu erreichen. — Die Feldherren des Kreuzes hatten die Befin- 
nung verloren — Verwirrung herrfchte, in den Signalen war 
Unordnung — bie Reiterei ſtellte den Kampf ein und wollte ſich 
zu beiden Seiten zurüdzieen. Hier aber drangen ihnen die ca- 
litiniſchen Arkebufiere und bie Maflen des Fußvolkes entgegen; 
das Gemegel wurde allgemein. Georg ließ zu beiden Seiten 


183 


der Dreier die Kanonen aufführen uud eim Kreuzfener gegen 
den zurüdweichenden Feind richten; fein Fußvolt wurde mun be 
ordert,. die Höhen zu beiden Seiten zu gewinnen. — Ein pani» 
ſcher Schreden .erfaßte die Deutſchen; fie ſchrien: „Wehe! Wehe! 
fließt! die Dreher!" — Die Hufiten dagegen riefen: „Ein 
Wunder! ein Wunder! Sanct Benceslav mit feinen Rittern !“ 
und viele fahen in der Begeifterung ben Heiligen wirklich an 
ihrer Spite kämpfen. — 

Ein Leichenwall lag vor dem Eingang der Thalöfinung — 
was von Deutſchen noch auferhalb beflelben war, das gaben ihre 
Anführer auf und Tiefen die Karthaunen doppelt und dreifach 
auffahren, um den Rüdzug zu beden; denn der Rüdzug war 
befchloffen und nur im ifm nod) Rettung. 

Vratislav, welchem Zdenko folgte, hatte durch einen Ein- 
ſchnitt des Berges ſich kühn vorwärts gewagt; er wollte, ba er 
von oben das Zurüddrängen der Kreupfahrer gerwahrte, ihnen mit 
feiner Maunfhaft den Rückweg fperren oder fie wo möglich auf- 
Halten. &o wagte er e8 denn hervorzuſtürzen und auf den Feind 
einzubringen. Aber ber Andrang. war zn furdtbar — ein Sä- 
belhieb freifte ihm Geficht und Ange und betäubte ihn; das her · 
vorquellende Blut Hinderte ihm zu fehen; er wäre beinahe gefan- 
gen worden, wenn des Oheims nervige Faufl ihn nicht ergriffen 
und zurüdgefchleudert hätte. Zwei Krieger führten ihn aus dem 
Gefechte. Zdenko felbft mußte nun mit Löwenkühnheit den Eng- 
paß vertheibigen; denn ber Feind Hatte nicht ſobald die geringe 
Anzahl der Gegner bemerft, als er Miene machte, Hier vorzu- 
dringen. 

„Die Reiterei! die Reiterei!“ ſchrie es jet hinter feinem 
Rüden. Zdenko warf fechtend einen prüfenden Bid rüdwärts 
und fah eine Abtheilung deutſcher Reiter, welche, von ber vor ⸗ 
dern Seite der Berge verbrängt, ſich in dieſe Schlucht geworfen 
hatten. So fand er mit feinen Haufen zwiſchen zwei Fenern. 


184 


Merkten die im Thale die Nähe der Ihrigen, fo machten fie 
einen flärfern Angrifi, und der Heime Hanfen wurde entweder nie 
bergemegelt oder gefangen. Ein raſcher Eutſchluß mußte gefaßt 
werden. Aber Sulkol's Xollkühnkeit rettete ihm ans ber Berie 
genheit. Er ganz allein rammte den feinblichen Reitern entgegen, 
flug mit feiner Keule auf die Erflen los, daß fie betäubt und 
im Gedanken, eine falſche Richtung eingefchlagen zu haben, ein- 
hielten, den Angriff des Einzelnen, ber immer famt brüflte: „Bier- 
Her, Brüder vom Kelche! Auf die Deutſchen 106 1" abwehrten 
und den Hinterflen zuriefen umznfehren, was in ber engen Schlucht, 
da man nicht abſchwenken konnte, ſehr ſchwer von Gtatten ging. 
Ihm fprang Vratislav, der das Blut indefien aus feinen Angen 
gewiſcht, mebft zwanzig Anderen bei; fie warfen fi) wüthend 
gegen den Feind. Diefer kehrte nach kurzer Gegenwehr — denn 
nur vier Mann zu Roffe hatten in dem Gngpaß neben einander 
Raum — nm, und fo gewann Zdenko, immer kämpfend und 
rüdblidend, Zeit nnd Gelegenheit, mit den Geinigen die Anhöhe 
wieber zu erflimmen. Hier fammelten fie fi. — Zdento führte 
fie nad) jenem Abhang, unterhafb welches der Rüdzug der Haupt- 
macht des Feindes vor fi ging. Fat abſchuffig wer der Berg, 
auf feinem Rande lagen verſtreut größere und Heinere Felsſtüde; 
„Rinder!“ rief Zdenko, „padt an; dies feien unfre Karthaunen !* 
und einen Stein von zwei Fuß Höhe erfaffend, wälzte er ihm 
an den Abhang und lieh ihm hinabrollen in die ſchwindliche, 
von Menfhen vollgepfropfte Tiefe. Bratislav, Sufol und die 
Uebrigen thaten desgleichen, und krachend und donnernd wälzte 
ſich im jähen Falle die Steinmaffe Herunter und rihh Menſchen 
und Roffe um, erdrückte fie und begrub fie umter ber gewaltigen 
Laſt. Wehgeſchrei, Stöhnen, Aechzen, Gewinſel und Fluchen 
ſchallte herauf; Subkol aber ſchrie hohnlachend hinab: „Wollt Ihr 
gut calixtiniſch werden ? Schmeden Euch die böhmiſchen Erbſen ? 
Grüßt mir den Papft, den Teufel und Beider Großmutter und 


185 


tendjend arbeitete er am den 'geöfiten fyeleblöden, um fie von 
ihrer Stelle zu rüden. — 

Durd die weite Schlucht nach der Ebene gegen Tauß hin 
ftoben die Reſte des zertrümmerten Kreuzheeres. Der Sieg war 
entfchieden. Die Drefcher waren keinen Schritt gewiden; was 
zwiſchen ihnen und dem Cingange der Bergſchlucht war, erlag 
unter ihren gräßlihen Streichen. Im Sturme nahmen fie, ale 
Alles niedergemacht war, die feindlichen Karthaunen, welche ben 
Nüdzug deden follten. — Die Reiterei der Deutſchen war in 
einzelne Abtheilungen zerfprengt; fie ſchlug fich zwiſchen dem Fuß - 
volt und der Wogenburg des linken Flügels durch und ſuchte 
die Hauptmacht des fliehenden Heeres zu erreichen. Georg lieh 
fie nicht verfolgen. „Lat fie fi erft ſammeln,“ ſprach er zu 
den Feldherren, die dies vorfhlugen; „dann vernichten wir fie 
mit Einem Hauptſchlag. Schießt Bictoria I" 

Ebenen und Anhöhen waren vom Feinde gefäubert. Die 
Huffitifcen Krieger fammelten ſich wieder um ihre Fahnen. Leichen- 
Hügel waren ringsum aufgethürmt, Bäche von Blut riefelten über 
die Wiefen und Aeder; die Beute mar unermeßlich. — 

„Wo ift Niltas, mein Freund Niklas7“ rief Bratislan 
plöglich, als die ganze Anhöhe und die beiden Schluchten an ben 
Seiten vom Feinde gefäubert waren und er mit ben Geinigen 
den Rüdzug antrat. — Schreden malte fi auf feinen Mienen. 

„Beim heiligen Prokop!“ fagte Zdenko beftürzt, „wir haben 
feiner im Schlachteneifer vergeffen.“ 

„Zwei Männer blieben bei ihm,“ berichtete Sukol; „das 
ſah ic, als er gefunfen war.“ — 

„Aber ber zurücgebrängte Feind,“ äußerte Vratislav beforgt, 
„wird die Höhe wieder gewonnen und ihn getöbtet haben, oder 
er ift verblutet.“ 

Sie rannten bie Anhöhe bin, bis zu dem Flecke, wo er 
nach ihrer Anficht gefallen fein mußte. 


’ 186 


Hier ſaß Niklas, von einigen Kriegern und dem Arzte ume 
geben, im Graſe und ſah den Freunden lächelnd entgegen. Der 
Arzt Bielt nod das glühende Cifen in der Hand, womit er bem 
Stumpf des Armes gebrannt. 

— „Auch Du bift verwundet ?“ rief Nilias dem noch biu · 
tenden Bratislad mit matter Etimme entgegen, „doch, Gott ſei 
Dont! gerettet, wie ich fehe.“ 

„Du lebſt!“ ſchrie Bratisian außer fih und. ſtürzte lieb - 
kofend neben dem Freunde nieder; „die Heiligen des Himmels 
feien gepriefen I 

„Ein Arm ift Hin!“ ſprach Zdenfo dumpf und voll ſchmerz · 
licher Theilnahme; „Du fonnteft Dich verbluten. Gebe ber Him- 
mel die Genefung !“ 

„Mit dem Blute,“ verjegte Niklas, „ein Viertheil des Le 
bens; aber noch find drei Theile genug für das Vaterland und 
die Freunde.“ — 

„So alſo folft Du zurüdfehren zu den Deinigen,“ Hagte 
Bratislav, „armer Freund! Warum traf mid der Streich micht? 
Ih Habe nichts Liebes zu umarmen.“ — 

„Ein Arm,“ vefegte freundlich Niklas, „genügt, um bie 
Geliebten zu pmarmen und das Schwert zu führen; der rechte 
ift geblieben.” 

— „Der Hund da war's!“ fagte Sukol grimmig und ftich 
mit dem Fuß an eine der Leichen, welche beim Sturme gefallen 
waren; „ich Hopfte ihm das Hirmei auf, aber zu fpät. Ein ſchö- 
ner, gutgebauter Burſche, ein papiſtiſcher Goliath! — 

Das huſſitiſche Heer hatte ſich in der Ebene aufgeftellt; ein 
dreifaches dounerndes Victoria! erſcholl von Weihe zu Weihe; bie 
Karthqunen erkrachten, daß es wetterleuchtete über der ſchon bun- 
teinden Gegend; denn beinahe dem ganzen Tag Hatte der Kampf 
gedauert. Dann fiel Alles in die Knie und fang das Lieb: 

„Hospodine, pomiluj ny!“ 


187 


Die Freunde trugen den verwundeten Niklas von der Au- 
höhe Hinab und fehafften ihm fpäter in das Städtchen Teinie, 
weldes ber Feind auf feiner Flucht umgangen und den Siegern 
überlaffen hatte. — 

Georg befahl ſogleich aufzubrechen, um noch im Zwielichte 
durch die Thalſchlucht und zum Theil um die weſtliche Seite ber 
fieben Berge herum dem Feinde auf ber Straße von Tauß zu 
folgen und ihn, bevor er fi noch von dem Schrecen der Nieber- 
tage erholt, anzugreifen und mit Einem Male zu vernichten. — 

Das deutſche Reichsheer ſtellte ſich wieder an den Bächen 
bei Tauß, verihanzte die Stadt und lehute ſich mit dem Rüden 
an die Anhöhen vor Ehottenfhloß und Klene. Die Bäde und 
Füßen, welde die Ebene durchſchnitten, follten es vor Ueberfall 
ſichern. 

Aber wie im Fluge war Georg mit feinen fiegestrunfenen 
Böhmen da;, rings am Horizont wehten ſchon am folgenden Tage 
feine Fahnen. Die feindlihen Anführer beſchloſſen, diesmal nur 
vertheidigungsweife zu Merle zu gehen. — 

Während Georg auf feinem vechten Flügel den Angriff ber 
fabl, ließ er Freiwillige zur Berennung des Städtchens auffordern. 
Unfere Ritter nebft Sukol befanden fi) unter Denen, welde fi 
zu biefem Unternehmen meldeten. 

Gebedt von einer Abtheilung Neiterei, die fie vor einem 
etronigen Ausfalle fügen follte, und begleitet von zwei Geichügen, 
naherten fie fi) ben Mauern der Stadt. Im biefem Momente 
gaben die Schlachthörner und Kanouenfhläge das Zeichen zum 
allgemeinen Angriff. — 

Ein Hagel von Pfeifen und Kugeln ſchlug von den Mauern 
herab unter die Stürmenden und firedte Mauchen darnieder; aber 
nunerſchrocken brangen fie bie am bie Wäle vor und ſchützten ſich 
Hinter dem Answurf der Graben. Inzwiſchen richtete bie Kar- 
thoune ihr Feuer gegen die Mauer, um diefe in ben Grund zu 


188 


hießen. — Dies aber dauerte den Stürmenden zu fange, und mit 
dem Geſchrei: Georg und Kelch! brachen fie hervor und drangen 
durch dem Waffergeaben gegen die Trümmer, welche das Feuer 
bereits niedergerifien. Cine Saat von Steinen rafjelte auf ihre 
Häupter hinab — dies Lühlte aber ihren Gifer nicht. Vratislav 
ergriff mit der Linfen eine Fahne, ſchwang mit der Rechten das 
Schwert und ftürmte mit dem Ausrufe „Vorwärts, Huffitenbräber!“ 
über Schutt und Steine empor. Kugeln umfauften ihr, Gteine 
raffelten anf feine Rüftung; er drang vorwärts bis bahin, wo 
über dem gefunfenen Geftein die Mauer fi noch eine Manns 
höhe hoch erhob. So raſch konnten ihm bie Anderen nicht folgen. 
Ueber ihm fand der Feind an einander gedrängt. Es war ein 
Wunder, daß ihn die Menge von Wurfgefhoffen, welche Hernieder- 
fielen, nicht töbtete. Mit feines Schwertes Spitze mähte er bie 
Beine ber Feinde nieder; als die drei erſten fanten, nahm er das 
Schwert zwiiden die Zähne, erfaßte mit der Rechten die Dauer 
und war im Schwunge oben. Sein Degen hielt fi bie einbrin- 
genden Deut en vom Leibe, und während er bie Fahne des 
Löwen hoch mit ber Linken flattern ließ, ſchrie er: „Mir nad, 
Cameraden! Der Sieg iR unfer! Tauß ift erobert!’ Aber das 
übereinanbergefchüttete Geſtein wankte unter ber Wucht der unge 
flümen Schritte, und die Vorderſten ftürzten herab, riffen bie 
Hinterften nieder, und über Alle wälzte fi der abroliende Schutt- 
and Steinhaufen. . 

„Beim heil'gen Gott!" ſchrie Sukol, der ſich vom Sturze 
aufgerafft, aufer fi, ‚ich fehe die Fahne nicht mehr!" und 
fprang im vafenden Laufe bie Anhöhe Hinauf. — 

Wohl war bie Fahne verſchwunden. Vratislav allein fonnte 
fich nicht Länger Kalten; hundertfach brängte fich der Feind gegen 
ihn, den Einzelnen — Hinter ihm war der Abgrund ber Mauer. 
Man vermundete ihn an der Tinten, das Banner ſank; er focht 
wie ein Rafender. Man drängte ihm immer weiter rückwärts. 





189 


Seine Ferſe ragte ſchon über die Schneide der Mauer hinaus. 
Den Augenblid erfaßte der Feind! Die Sumähffichenden hielten 
ihre Schilde dor und drangen, vom ihnen gefhügt, gegen den 
Bagehals ein. &8 galt, ihn rüdfings die Mauer hinabzuftärzen. 
Schon ‚verlor er ben Schwerpunkt; wie er fih auch nad vorn 
zu neigen firebte, bie Wucht des Körpers zug ihn rückwärts, fein 
Leib beihrieb einen Bogen und im Jubelgeſchrei brach der Feind 
aus bei dem fichern, zerichmetternden . Sturze. 

Aber zwei kräftige Arme fingen den Ritter von Hinten auf. 
Im Ru war. Sufol mit Vratislav wieder auf ber Mauer. Seine 
Keule ſchmetterte rechts uns links Bin, vafch und verberbend wie 
der Blitz. Die Nachfolgenden Hatten zwei Leitern herbeigeſchafft 
und erfliegen mit ihrer Hilfe, trotz ber kräftigen Gegenwehr, an 
zwei Seiten die Baftei. Hoc flatterte jetzt Böhmens Fahne in 
der Luft. — Bon allen Seiten ber Verſchanzung vannten jetzt 
die Deutſchen auf biefen Einen Punkt des Angriffes zufammen, 
fo daß fie den Stürmenden vierfach überlegen waren. König 
Georg, der bie böhmiſche Fahne aus ber Entfernung oben, aber 
auch die Dauer des Widerſtandes gewahrte, ſandte feinen Leijten 
Berflärkung und fprengte wieder in das Schlachtgewühl, Hier und 
dort die Haufen ordnend und die Streiter in den Kampf treie 
bend. Die Schlacht tobte in ihrer wildeſten Wuth. — 

Wohl Hatten die Stürmenden auf den Schanzen bereits 
eften Fuß gefaßt, aber jeden Schritt Bodens mußten fie im tor 
benden Handgemenge erfämpfen. Mehrmals wurden fie bis knapp 
an die Mauer zurüdgebrängt. Sechs der fühnften vom den Fein- 
dem hatten es auf Bratislav abgeſehen, weil bie Fahne, wehhe 
er ſchwang, bie Störmenben befeuerte, die’ Beſahung des Stäbt- 
leins aber leicht entmuthigen konnte. Cie drangen wüthenb auf 
ihn ein. Sutol merkte nicht fobald ihre Abficht, als er fi ihnen 
entgegenwarf. Er drang fühn auf fie ein — ſchwang im reife 
die Keule, daß Eiſenſtücke von ihren Helmen fplitterten und zwei 


190 


bis drei tanmelten. Cine Buchſe erkrachte — hinter den Tau- 
melnden hatte ein Artebufter gezielt und Iosgebrüdt; bie Kugel 
fahr durch Sutol's Bruß. „Wehe“ ſchrie er auf, „berfludte 
Papiſtenhunde!“ und hielt ſich mit der Linken krampfhaft an 
Bratislav's Schulter, während die Rechte mit der Keule in ver- 
doppelter Heftigkeit unter den Katholiten raſte. „Du biſt ver- 
wundet!“ rief Bratislav, ben hervorquellenden Blntfirom gewah- 
rend, und fein Schlachtſchwert metzelte von Neuem unter dem 
Feinden. — Inzwiſchen Hatte die Verſtärkung bie Mauer erflom- 
men; man warf fih in größerer Anzahl gegen ben Feind; er 
wurde von den Mauern hinab gegen die Häufer getrieben. Die 
Glieder wankten und braden — Biele fürzten fi in wilder 
Flucht mac der Stadt; nur ein Meinerer Theil focht no, der 
aber bald erlag. — 

In bemfelben Augenblide erfholt das Siegesgeſchrei vom 
Blachfelde. Die Heeresmacht ber Deutichen war in den Ebenen 
und auf den Hügeln geſchlagen; einzelne Abtheilungen hatte man 
in die Bäche und Sumpfe gefprengt, andere wurden in’ dem 
Schluchten und Gebüfcen hingewürgt; nur bie Anführer, eim 
Theil ber Nachhut und einzelne, zerftreute Fahnlein ſuchten in 
orbnungslofer Flucht die Grenze. — 

Georg befahl, das Verfolgen der Fliehenden einzuftellen. 
„Schenft den Wenigen bas Leben,” ſprach er; „fte kehren nicht 
wieder. Die Einzelnen machen fein Heer aus, und wir fechten 
nur gegen eine Heereamagitl" — 

Sutol lag blutend, todesmatt anf dem erfliegenen Wale. 
Vratislav hatte fi fiber ihm gebeugt — nebenan lehnte Zdenko 
düfter und von gewaltigem Schmerz bewegt auf feinem Schwerte. 

„Wie ift Dir, einziger, treuer, theurer freund?" fragte 
Bratislav wehkfagend und hielt des Verwundeten Haupt mit fei- 
nen Händen, 

„Ich glaube,” ſprach Sutol ſchwach, jedoch ohne Klage, 


191 


„bas ging an's Leben. War ſchon oft verwundet, aber fo zu 
Muthe war mir no nie. Die Kugel flog wieder hinaus — ih 
meine, das Leben wird bald nachfolgen. Es fieht fih mur noch 
eine Weile um in dem alten Haufe, ‘wo es fo lange gewohnt. 
Gott befohlen " — 

„Wo ift der Arzt?“ rief Vratislav außer fi; „Du folft, 
Du darfft nicht erben! O Du edler, einziger Freund, warum 
mußteſt Du für mic) biutenl" — 


„Ich fterbe einen ſchönen Tod,“ ſprach Sutol mit ernfter 
Ruhe, „für das Baterland und für Did, Vratislav, für dem 
Freund, ben ich auf. Erden am meiſten geliebt. Jetzt fag’ ich 
Dir's — und nun if’s feine Schmeichelei. Könnte ich denn ein 
beſſeres Ende nehmen? Beim heiligen Johannes von Huffinec! 
mit. — Ich Hab’ nur Eine Bitte. zu Gott. — Ich hab’ ihm 
redlich gedient als ein braver Kriegsknecht. Ich hab’ den Glau⸗ 
ben zu bes Heilands Ehre mit dem Schwerte verfohten; war 
ih ein Priefter, Hätte ich's mit der Zunge gethan. — Das Los 
ift verfhieben. Gott wirb barmherzig fein und mir die lichte 
Halle nicht verfäließen, wo unfre Märtyrer Johannes und Hie- 
vonymus und ‚die Helden Zijta und beide Profope und viele 
Andere verfammelt find. Ich werde bort feine Schurken jehen, 
den Michalet nit, der mid; betrogen hat durch falihes Maß 
und ſchlechten Gehalt und zweifache Rechnung, und den rothhaari 
gen Scäuft nicht. — Ich hoffe dort oben beffer angefchrieben zu 
fein. — Id will Deinen Bater grüßen, Vratislav, und die Mut- 
1er, und Milada'n will ich's fagen, wie wir getrawert und ihr 
Angedenfen geehrt. — Und unfern Leuten will ich erzählen, wie 
das Vaterland noch nicht verloren fei, und vom heutigen und 
geftrigen Tage will ich ihnen berichten, damit fie fi erfreuen. 
Der Herr mein Gott fei mir gnädig!“ — 

„Sollen denn rings die Stämme,” wehllagte Bratislav, 


12 


„und bie Rlolzen Bänme alle jellen mmb ich allein bleiben, eim 
verträppelier Stamm, im Innern vermodert und zerfrejien ?“ 

„Mit dem heutigen Tage, Freund,“ jufe Sufol immer 
matter werdend fort, „beginnt vielleicht eine mene, große Zeit für 
das Baterland. Daramf fei gefaßt, umb in das Morgenroth 
hinein fehre den Bid.“ 

„Mit wäre befler,” ſprach Zdento, der bisher ſchweigend dage- 
Ronden hatte, „unte ich mid mit Dir Bier miebrriegen umb 
jchlafen. Hein morſcher Ban kracht bald zufanmen; er in feine 
Säule mehr, tüchtig für den neuen Bau“ 

„Lebe, Iebet,” tröftete Sufol und lächelte freundlich, wie er 
fonft, wenn er die Gebengten ermuthigen wollte, pflegte, „fo 
fang’ es dem Herrn gefäl. Man lebt nur Eimmal und muß 
bie Gottesgabe nicht verwũnſchen. Köımt das Ende, miffet man 
fie nicht gern. — Ich gehe! Hier hat der Herr mein Ziel ge 
ftedt; er fei gepriefen! — Bratislad, forge, daß ich Hier begra- 
ben werde, an der Stelle, wo ich gefallen. Naht der Feind fidh 
einft wieber biefen Mauern, fo werde ih amd dem Grabe erfte- 
hen und ihn fchreden. Doch kommen Böhmen, um den Feind 
von hier ans zw vertreiben, fo werbe id ihuen bie Hand reichen, 
damit fie emporlliimmen können. — Ich liebe mein Baterland 
aud) nad) dem Tode noch. — Noch Eins! Mein Wappenfgifd, 
das feinen Erben hat, pflanze in Deiner Halle nnd dereinf auf 
Deinem Grabe auf; und lebt mein alter Bater noch, fo grüß' 
ihu und fag’ ihm, daß id ihm erwarte. — Lebt wohl! Der Herr 
behüte Euch) uud fei mir gnädig! — Jetzt will id rufen.” 

Er wandte ſich zur Seite, wie zum Schlafe, legte das 
müde Haupt anf den Arm und war nicht mehr. 

— Tief betrübt umftanden bie Freunde bie Leiche. — 

Im goldenen Abendſchimmer Hielt Georg vor feinem fieg- 
reichen, mit Beute beladenen Seere, um ihm die Feldhauptleute 
-nb Zeugmeifter, darunter auch Neuhaus und Zeöwic, welche 


%. 








193 


die Perfon des Hertſchers während der beiden Schlachten faft 
nie verlaffen Hatten. „Borerft danket Gott,“ ſprach ber König 
gegen fein Bolt gewendet, „ber dort im Strahle ber Sonne gnä- 
dig auf uns niederblidt!" 

Alles ſank in die nie; die Hörner ertönten, und das feier- 
lich erhabene Danteslied erfholl von den Lippen der Tauſende 
von Siegern. — Kanonendonner folgte und „verfünbete dem Um- 
kreis die Herrlichkeit des Tages. 

„Nächſt Gott,“ wandte fi) König Georg wieder gegen das 
Heer, „danke ih Euch, meine Brüder und Landsleute, die Ehre 
des heutigen Tages; doch Ihr Habt nicht nur für mid und 
Euch, Ihr Habt für den Glauben und das Baterlamb gefochten. 
Europa wird es ſtaunend Hören und bie Nachwelt von dieſem 
Siege über eine dreifache Uebermacht mit Bewunderung fprechen. 
Der Kelch wird nicht untergehen. Der römiſche Xiger hat wohl 
zum legten Mole feine Krallen gegen uns ausgeftredt. — Jener 
Heuclerifche, glaubenswüthige Fantinns de Balle kann nun dem 
Heifigen Vater berichten, was er mit eigenen Augen von böhmi- 
fer Tapferkeit gefehen. Er wird uns zwar Teufel ſchelten, 
aber Gott war fihtbar mit une. — Wir werben jept den Frie- 
densvorfchlag entgegennehmen und feine Punkte beftimmen. Der 
bohmiſche Löwe, fange gehohnnedt, ift aus feiner ſcheinbaren 
Ruhe erwacht und hat den Ruheſtörern das Gebiß gewielen. Sie 
werben nicht nad; andern Aeußerungen feines Bornes verlangen! 
Gott fei gelobt! — ZWorerft kommt die Zeit der Ruhe und des 
Friedens, und dem wollen wir halten. Was darauf folgt, wird 
der Himmel fenden. Es gilt, auf Alles gefaßt zu fein. Wir 
E gefiegt, aber doch mit teuren Opfern biefen Sieg erfauft. 

gefallenen Vrüder begrabt mir Gegensgrüßen; fie farben 
einen ſchönen Tod. Er fonnte auch uns zu Theil werden. 
Darum ehrt das Angedenken der Geſchiebenen, weil unfer eigen 
raten nad folhem Lohne nad dem Tode geht. — a heu- 
Herloßfoßn: Der Iegte Taborit. II 





N 


194 


tige Tag gibt der Welt einen neuen Beweis, daß ber Böhmen 
Kraft und Treue für die Ewigkeit beſteht. — Der Himmel will 
es, daß wir, die Slaven, fo am weiteſten vorgedrungen in Europa, 
ein felhftftändig Reich bilden follen für alle Zeiten. Lobet den 
Herrn, haltet am Melde, unferm Palladium, feft; ber König 
weißt ihm und Cuch fein Leben, fobald bie Stunde ruft.“ 

Er vollendete. Trompetengeſchmetter gab das Zeichen zur 
Raſt. Eine Stadt vom Zelten entwuchs dem Boden. Das vom 
Feinde erlöfte Landvolk firömte im Maffen aus allen Gegenden 
herbei, um bie &ieger zu fehen, zu begrüßen und mit dem, was 
ihnen der ränberifhe Arm der Deutfchen gelaffen, zu laben. 

Am folgenden Morgen wollte ber König, nachdem er cine 
Abtheilung zur Bewachung der Grenzen zurädgelaffen, nad bem 
bange harrenden Prag aufbrechen. — Eilboten waren ſchon dort- 
Bin geflogen, um bie Nachricht des vollſtändigſten Sieges zu 
überbringen. 

Der Mond fland hoch am Himmel und verfilberte die Zelt- 
reifen und die blinfenden Sichelwagen. Im der bläulichen Luft 
flatterten die Fahnen und Standarten wie weiße Friedenstauben. 
Hier und da fhlug ein Wachtfeuer die rothen Blide auf, und 
ein dumpfes Summen tönte über ben Lagerplag. ern an den 
Bergen, Bähen und Schluchten bewegten ſich einzelne Gruppen 
beim Fackelſcheine, verſchwanden bier und kamen dort wieder zum 
Vorſcheine. Es waren bie Todtengräber, welde die Eutſeelten 
in weiten Schachten beftatteten — die Böhmen wen ben Deut 
fen getrennt — ober Bier und da einen ſchwer Verwundeten, 
bei dem noch Rettung möglich ſchien, nad) bem Lager fhleppten. — 

Auf der Mauer von Taus, an bderielben Stelle, wo fie 
erftürmt worden war, fanden Vratislav und Zdenko im Bellen 
Mondenſcheine neben einem Grabe. D'rin lag Sukol, volllommen 
gerüftet, wie er in ber Schlacht war; man hatte feine Keule 
neben ihn gelegt. — 


195 


„Schlummre wohl," ſprach Vratislav mit. Rührung, „alter, 
treuer Freund, rauhes, aber bieberes Herz, Du ächter Edelſtein, 
wie fie unfre Berge liefern, unfdeinbar ‚von aufen, aber von 
funteindem Glanze im Innern! — Die Erde muß unendlid) reich 
fein, da fie folde Güter in ihrem Schooße verbirgt. — Die 
Edlen gehen und fehren nimmer wieder; wir aber müffen biei- 
ben. — Hab’ Dank für alles Herrliche und Gute, was Du an 
mir gethan. Ein güsiger Gott wird Dir vergelten! — Schlaf 
wohl und grüße die Geliebten und die alten Helden alle, die mein 
Auge nicht gefehen. Wil’s Gott, wandeln wir Beide bald un- 
ter End.“ 

Zoento nahm eine Hand voll Erde und warf fie in dem 
Schacht Hinub, indem er ſprach: „Dies die Mauer Deines Hau- 
jes, Dein Lager, Deine Dede, der alte Mutterfchooß, der Di 
geboren und Dich wieder aufnimmt, daß Du fein Element wer- 
deſt! — Dein Geift wohnt oben; wir werben ihn wiebererfen« 
nen aud ohne Körperhülfel" 

Bratislav warf gleichfalls eine Hand vol Staub als letzte 
Gabe anf den Zobten, und bie beiden Kriegsknechte mit ihren 
Schaufeln warfen jegt die Gruft zu. 

Statt eines Kreuzes pflanzten die Ritter Sufols Schlacht- 
ſchwert, defien Griff wie ein Kreuz gefaltet war, auf das Grab. 
— Die roflige Klinge fehimmerte im Mondlicht. — 


“ 
14. 


„Daer tapfere, raſtlos thätige, kräftige und wohlwollende Kö- 
nig von Böhmen ſollte aber nicht lange der Ruhe genießen. 
Seine Tochter, des Ungarnlönige Matthias Gemahlin, war ger 
ſtorben, und dies machte das Band, weldes feinen Schwieger- 

19* 


196 


ſohn an ihn kettete, nur mod) Ioderer. Der tapfere, ühne Mat- 
thias Corvinus war allzu abenteuerlich, erobernugsfüchtig, unfät. 
So edel und großartig er fi in anderen Angelegenheiten, na- 
mentlih wenn fie fein Land und deſſen Wohlfahrt betrafen, 
gezeigt, jo wenig handelte er dieſen Grundfägen gemäß gegen 
feinen Schwiegervater, gegen welchen er mande Pflichten ber 
Dankbarkeit zu beobachten Hatte. — Als ihn Georg im Walde 
von Kuttenberg großmäthigerweile gegen ein geringes Löfegelb 
Tosgelaffen, eilte er nad Haufe, aber flatt der Erkenntlichkeit nur 
bittern Groll im Herzen. Dem Gefanbten Georg's zeigte er 
eine Kiſte voll Dukaten, brüdte fein königliches Siegel darauf 
und ließ ihn damit unter tanfend Grüßen an feinen Schwieger- 
vater abziehen. Inzwiſchen und faſt zu gleicher Zeit lieh er 
den rebelliihen, böhmifchen und mähriſchen Landesherrn und 
Prälaten willig das Ohr und verfprad ihnen Unterflügung gegen 
den reditmäßigen König. Cr verwüßete Mähren troß bes ge- 
ſchloſſenen Friedens und ging bald noch weiter in ben Ansbrü- 
Gen feiner Unbefonnenheit und Treubrüchigkeit, welde ungrifche 
Schriftfteller vergebens zu bemäntein ſich beftreben. 

— Us Georg die Kiſte mit den Dufaten öffnete, fand er 
fie voll Sand, mit einer Schicht Dukaten oben belegt. Darunter 
befand fi ein Schreiben folgenden Imhalts: „Wille, daB ich 
kein ungrifcher König bin, wie Du mich nennſt, fondern ein wal- 
lachiſcher. Einem Ungarn aber tiaue nur dann, wenn er das 
dritte Ange an der Stine hat. Bald fehen wir ung, aber nicht 
im Walde bei Kuttenberg, fondern anderswo.” — 

Matthias, von dem päpftfihen Hofe zwar gedrängt, aber 
ihm auch willig das Ohr leihend, nahm nun öffentlich den Titel 
und bie Würde eines böhmilchen Könige an, welchen ihm meh- 
rere treuloſe fchlefifche, mährifche und zum Theil böhmiihe Stan- 
desherren angeboten. Er ſchidte fih aud an, mit Gewalt der 
Waffen fein neues Rei, zur Zeit nod in partibus infidelium, 


197 


in Befig zu nehmen. — Georg hielt einen offenen Schritt vom 
diefer Seite zur Zeit noch zurüd, indem er drohte, den König 
Kaſtmir von Polen, der von Geburt ein Anjow und mit einer 
Luremburgerin vermählt war, noch bei Rebzeiten als feinen Nach- 
folger in Böhmen anzuertennen und ihn zur Vertheidigung feines 
Erbes aufzufordern. Dies wirkte für den Augenblid; deun zw 
einem offenen, gegen bie allgemeine Stimmung fireitenden Kriege 
wollte e8 Matthias vor ber Hand mod; nicht fommen laffen. — 

Zu gleicher Zeit aber empörte fi, in voransgegangener 
Uebereinftimmung mit Matthias unb dem päpftlichen Legaten, 
der mächtige Landesherr Johannes don. Rofenberg, 
Georg's letzter Freund unter ben katholiſchen Ständen. Er ließ 

. feinem, wie er fi ausbrüdte, geächteten Oberherrn abfagen, kün- 
digte ihm Fehde an, überrumpelte die fefte Stadt Böhmiſch- 
Budweis, hieb die Befagung nieber und fegte fi in den Beſitz 
des Ortes. 

As die Nachricht hiervon nach Prag kam, beſchloß Georg, 
ſogleich in eigener Perfon mit einer Heeresabtheilung aufzubre- 
en und ben .empörten Bafallen zu züchtigen. — Es war im 
Juli 1468. 

Georg ftand allein mit feinem Sohne PBictorin von Pode- 
brad am Fenſter des Schloſſes und blickte finnend auf das ſchöne 
Prag hinab, das im Abeudrothe glänzte, und auf die Moldau, 
bie wie ein brennender Lavaſtrom ſich durd die gewaltige Stadt 
dahinwalzte. 

— „Ein ſchöner Abend!“ ſprach der König nad einer 
geranmen Weile; „zumal wenn er ſich über fol’ Herzliche Stadt 
Tagert.“ — Doch find uns wenige folder Abende vergönnt, felbft 
wenn fie zphfreicher wären. Ein Tag nad dem andern bringt 
Sorge, Aerger und Mühfeligkeit, und nad) allem dem, wenn ein 
Augenblid der Ruhe kömmt, bleibt mir nichts als der Blid hier 


198 


hinab umd die Freiheit, daß ich fagen fan: Im dieſer Stadt 
befehle ih. Das nenn’ ich theuer kaufen!“ 

„Mein töniglicher Vater,“ verfegte Bictorin, iudem er bie 
Abficht hatte, des Könige Trübfinn zu mildern und feine Ge- 
danken auf einen andern Gegenftand zu leiten, „ih habe mad 
Deinem Befehle das Heer, weldes am Ziztaberge lagert und 
uns morgen gen Budweis geleiten foll, gemuftert und die Stim- 
mung der Söldner und Reifigen trefflih gefunden.“ 

„Dich, mein Sohn,“ erwiederte der König, indem er fih 
forfchend gegen ihn kehrte, „freut wohl der neue Strauf. Es 
ift dem jungen Blute fo eigen. Ich aber müßte Lügen, wenn 
id) Freude daran Hätte, micht wegen der Sorge, wegen ber Müh- 
fal, fondern weil id gegen meine Bajallen, gegen Böhmen, meine 
Unterthanen, zu Felde ziehen muß. — Ich fehe, daß ich nicht 
überall gut gelitten und geliebt bin in meinem Haufe. Run, 
die Schuld liegt gewiß nicht an mir! — Wär’ es ein auswär- 
tiger Feind, den wieſe ich mit boppelter Freude zurüd; aber ba 
ich gegen einen innern Kämpfen muß, ſchafft es mir auch böfen 
Leumund im Auslande. Mas helfen mir alle Siege, wenn mid) 
die öffentliche Meinung für einen ſchwachen, aufgebrungenen, un⸗ 
beliebten König Hält, der nicht einmal in feinem Lande Frieden 
Haben fan!“ 

„Es find Katholiten, mein Vater,“ ſprach Bictorin, „fana- 
tiſche Papiften; die bleiben fi Hier wie in Deutſchland und 
Defterreich glei. Bon Rom aus gehen die Fäden, welche fie 
alle bewegen; nicht ſowohl Dir, als dem Kelde, der in Dir 
herrſchenden Religion, gilt die Fehde.” — 

„Mir wär's ſchon recht,“ gegenrebete Georg, „lähe es jeder 
mit Deinen Augen an; aber betrübt bleibt's, daf id; gegen Böh- 
men fechten, Iandemännifh Blut vergießen und mein eigen Land 
entoöffern muß. Der Matthias, fehreibt man mir, fegt ſich im 
Mähren feft, läßt Waffenpläge anlegen und rüftet fih zum nädh- 


199 


ſten Feldzuge. Die Drohung mit dem Polen ſcheint er wieder 
vergefien zu Haben; oder Haben diefem bie Pfaffen die Hände 
gebunden, baß er fih ruhig zu halten verfprohen? — Der 
Streich mit den Dufaten — e8 ift ein dummer Streih — geht 
mir doch nicht aus dem Sinne! nicht darum, weil ich überliftet 
bin, ſondern weil's gar zu ſchlecht if, meine Großmuth fo zu 
lohnen. — Doch immerhin! Nicht ich Habe mid zu fchämen, 
daß ich betrogen worden bin, fondern ein Anderer. Die Welt 
wird richten! — Wenn man aber feinem eigenen Schwieger- 
ſohne nicht mehr trauen darf, wen auf ber Welt fol man noch 
trauen? Und doch wär's ſchlimm, wollte id wegen Eines Men- 
ſchen alle Menſchen Haffen. Nein — nein! Es gibt noch gute 
Leute, und find’ ich fie micht oben, fo ſuch' id) mir fie unten, 
Da in dem Staub und Kothe — wie es bie folgen Herren 
nennen — hab’ ich manden Edelſtein gefunden. An dem Ro- 
fenberger hab’ ich's auch nicht verdient! Ich habe ihn mit Nad- 
fit, Schonung. — als er das erfte Mal gegen mid; aufftand 
— bann mit Gnadenbejeigungen, Wohlwollen und fogar Liebe 
überhäuft. Er Hat’s vergeffen! Nun, warum foll der Menſch 
auch nicht vergeffen? Bielleiht fann er mir's nicht verzeihen, daß 
id) König geworden bin und er nicht, weil fein Geſchlecht älter 
ift, als das von Podehrad und Kunſtadt. Es ift aber einmal 
fo, daß nur Einer König werden fann; und wäre er's gewor- 
den, id; hätte ihm Treue nicht verſagt.“ — 


„Kennen wir doch einen Undankbaren mehr,“ bemerkte 
Bictorin; „beffer, daß er ſchon jetzt die Verhüllung abgemorfen 
Hat! Uns wird es nicht beugen, ihm nicht erhöhen.“ — 


„Dein Sohn,“ uuterbrach ihn Georg raſch und heftete die 
Augen forſchend auf ihm, indem er zugleich bie Hand auf Bicto- 
rin's Haupt legte, „haft Du fon einmal von einer Krone ger 
träumt ?" 


„Rein, mein Vater!” verfegte diefer Maren und offenen 
Blides. — 

„Das if recht gut, Bictorin,“ fuhr Georg fort; „das ift 
mir lieb. Ich trage eine Krone, kann Dir aber keine hinterlaſ- 
fen. Ich liebe Di und Deinen Bruder Heinrich zw fehr, um 
End ein alfo trübes, vieleicht noch trüberes Los zu bereiten. 
— Aus Polen oder wo ander her muß id; den fünftigen Kö- 
nig Böhmens holen. Ich muß vor meinem Ende ben Böhmen 
einen Mräftigen Arm geben, der auch von aufen her Nachdruck 
hat. Bildet fich der Ladislaus, Kaſimir's Sohn, fo fort, wie 
er's verfpridt, fo wird's vielleicht ein kräftiger und auch glüdti- 
cherer Könige für mein Land. — Du aber verſprich mir, ihm 
tren zu dienen, verſprich mir, zu vergeffen, daß Du eines Kö- 
nigs Sohn bift und nad der Mrone langen burftefl. Denke, 
wenn ich tobt bin, Du feieht eines Bauer ‚Sohn und nur durch 
Dein Berdienft zum Ritter geworben, mehr nicht. Willſt Du das?" — 

„IH will's, mein Vater!“ betheuerte Victorin und legte 
treuherzig die Hand auf feine Bruft; „liegt doch unſer Los allein 
in Gottes Willen! Er kann uns erhöhen und erniedrigen.“ — 

— „Ich denke fo mandmal,“ fuhr der König fort,‘ „wenn 
ih mich dem ganzen Tag abgequält, abgeärgert habe und einen 
Augenblid in der Einfamkeit mir Erholung ſchenke und die Erin- 
nerung zur Hand nehme, an jene fchöne Zeit, wo Du nod ein 
Knabe warf, wir rubig in Liebe und Frieden auf unferm Schloffe 
Runfadt faßen, Du mir bie lateiniſchen Worte vorfagteft, 
weiche Dich der alte Kaplan gelehrt, und die Mutter, den Hein- 
rich an der Hand, lädelnd und freudig dem Hugen Knaben zu- 
horchte. Es war eine ſchöne, milde, heitere Zeit. — Was darnach 
fam, war Alles trübe, wenn auch von Glanz durchwoben. Die 
große Welt nennt es Glanz: ich möchte mein bamaliges, fanftes 
Gicht des Glüdes Glanz nennen. — Ich weiß nicht, wer Recht 
Hat. Es ift einmal anders geworden und mußte vieleicht fo fein. 


201 


Du fonnteft nicht immer Kuabe bleiben und ich nicht immer ein 
junger, häuslicher Ritter. Das if’s eben! Wir gehören nicht 
allein dem Haufe, fondern auch dem Vaterlande. Ja, wenn das 
ganze Baterland ein Baterhaus wäre! — Mein Gott! daun 
wäre die Welt jhön; es bebürfte keiner Könige und keiner Kriege. — 
Es tan aber nicht fo fein, fagen die Weifen, und aud die Ge- 
ſchichte ſagts.“ — 

— Ein Geheimſchreiber trat herein und unterbrach ihn. Er 
brachte einen Brief. 

„Was if’8?“ fragte der König. 

„Ein anfgefangenes Schreiben an ben Rofenberger,“ war 
die Antwort; „ber Kanzler ſendet es Eurer Hoheit.” 

„Gut!“ verfegte der König und winkte bem Ueberbringer, 
fi) zu entfernen. 

„Da werb’ ic) wieder leſen,“ fagte Georg, indem er haftig 
den Brief öffnete, „wie Einer ober, der Andere, dem ich für treu 
gehalten, an mir zum Berräther geworden. O Menfchen, Men- 
ſchen, ich hab’ Euch doch nur Gutes gethan, fo viel im meinen 
Kräften land! Wie würdet Ihr erft Handeln, wenn ih an Euch, 
nur Böfes geübt hätte? — Wie?“ unterbrach er fi flaunend, 
„von Swihovski dem Herrn auf Rabi? Es ift feine Unter« 
Schrift; beim Heiligen Gott! fie ift's, ganz leſerlich und deutlich. — 
Ich Habe dem Manne ‚weder Böfes noch Gutes gethan — er 
lebte zurücgezogen; — aber ich habe ihn geehrt, geachtet, ihn 
vorgezogen, wo ich ihn ſah. Auf ihm baute ih, als. auf einen 
Ehrenmann, und er wechſelt Briefe mit meinen Feinden, ver- 
ſchwort fi gegen mid, brütet im Finſtern und Bietet mir Haß 
für Liebe! — König Georg von Böhmen, ih fange an, Did 
zu bedauern. — Hier, Bictorin! lies — lies; tritt dort an's 
Fenſter.“ — 

Er warf fih ungeſtüm in einen Stuhl. — Draußen war 
es inzwiſchen dunkel geworden; mır ein mattes Roth leuchtete 


202 


nod an dem Himmel, und falber Duft ſchwebte über ber Stadt. 
— Bictorin trat an's Fenſter und las: „Ehrenfefler, edler Ritter! 
Erleuchteter Standesherr! Gruß zuvor! Meine Antwort auf Euer 
Schreiben folgt fpät, aber nicht ohne reifliche Erwägung. Ich 
empfing und empfange das heilige Abendmahl gewiß nie ahders 
als unter Einer Geftalt, aber ich Huldigle und Huldige auch ge 
wiß Niemand Anderem, als meinem einzigen König Georg von 
Voböbrad; er if der Gelaffenfte, Wohlmollendfte und bedränget 
Niemanden wegen des Glaubens. Darum Ehre und Gehorfam 
ihm! — Aus diefen Gründen wird Euch, ehrenfefter Standes- 
herr, einleuchten, daß ich auf Eure Propofitiones nicht eingehen, 
noch viel weniger das, was Ihr in des ungriſchen Könige Ho- 
heit Auftrage mir mitgetheilt, in's Werk richten kann. Erhaltet 
mir trog folder Meinungsverſchiedenheit Eure Freundſchaft; denn 
die Meinungen kommen von Gott, der bie Herzen und Nieren 
prüft. Der Herr Iefus Ehriftus und feine gebenedeite Mutter be- 
füge Cuch Wilgelm Gmihovsty, Ban (Herr) auf Rabi.“ — 

Eine geraume Zeit ſprachlos war ber König, nachdem Bi- 
etorin dem Brief gelefen; dann rief er aufipringend und raſch 
auf den Sohn zugehend: „Ich ſagt' es ja: es wäre ſchlimm und 
thöriht, wollten wir, weil Einer oder zwei ober zehn uns be» 
teogen haben, Allen mwißtrauen. — Dem Manne muß id’s ab» 
bitten, daß ich fo voreilig gemetheilt. Aber wer verfieht fih auch 
in folder Zeit ſolcher Geſinnung? Roſenberg, um diefen Brief 
würde ich Dich beneiden, wenn ih ihm nicht erhalten hätte. — 
Ja, es gibt noch edle Seelen auf der Weit. Die Feinde lernt 
man mohl alle fennen, beun eim inmerlicher Feind wird aud) 
gern ein äußerer; aber die freunde fennt man nidt. Das ift 
Schade! — Hab’ Dank, Du beſcheidener Ehrenmann, ber mir in 
der Ferne wohlwill. Ein unbeſtochenes Urteil iſt's, das mich 
ſtolz macht; denn ich babe den Mann no mit feinen Gnaben- 
bezeioungen überhäuft. — Du haft mid; verſtanden, edler, ehren- 





208 


fefter Ritter! — So etwas gibt wieder Muth; es macht mic 
froh’ und fäßt mich alter Sorgen und trüber Hirngefpinnfte ver 
geffen. Um fo leichter kann ich des Zdenko von Sternberg und 
des Burian von Gutenflein und vieler Anderen, die zum Feinde 
übergingen, entrathen, ba noch ſolche Männer auf meiner Seite 
ftehen.“ 

„Nun, da Du wieder froh bift, Vater,“ fprad; Bictorim 
erfreut, „kann id Dir etwas melen, was ber Kanzler meinem 
Munde vertraut, damit es weniger Hart Minge, und was id bie 
jest verihtwiegen habe, um Did) nicht noch mehr zu verdüſtern.“ 

„Sprid num,” fiel Georg ein; „wär' es das Schlimmfte 
auch, nad; folder frohen Botſchaft kränkt mich's nicht.“ 

„Auch Pilſen,“ berichtete Victorin, „hat Dir den Gehor- 
ſam aufgefagt, in Webereinftimmung mit Nofenberg, und König 
Matthias Hat fi mit dem zufrieden erklärt, was fie bis jet ger 
than und noch ferner zu thun befchlofien haben. Wenzel Krenm 
BVBürgermeifter von Olmüß, und die Abgeordneten von Znaim, 
Leopold und Michael Erasmt, haben dem Ungarntönig Heeres» 
folge gegen uns zugefagt. Der Burggraf von Meißen, Heinrich 
von Plawen, ift gleichfalls im Bunde gegen une.“ 

„Immerhin!“ rief Georg; „darauf war ich ja gefaßt. Laß 
fie nur walten; ich werde fie doch befiegen. Die Ahnung fteht 
feft bei mir. Bon ben Pilfnern und Budweiſern konnte ich nichts 
Anderes gewärtigen. Sie find einmal unverbefferlid, verftodt 
papiſtiſch, deutfhem Einfluß und den Umtrieben des Adels unter 
worfen, frz, meinen Feinden ergeben. Als ich die Oeutſchen bei 
Taus und Teinic ſchlug und das ganze Sand jubelte, in allen 
Kichen Danfgebete zum Himmel erichollen, weil ich bie Land« 
plage abgewehrt, da waren es die Pilfner und Budweiſer allein, 
melde nad) jebem Gottesdienſte die Kerzen auslöſchten und auf 
die Erde niedergeworfen zum Himmel fhrien: Anathema sit! 
Wehe! Wehe! Georg ift ein Ketzer und Thronräuber! — Ich 


204 


zog dann durch bie Stadt Pilfen und hätte die biederen, mir fo 
wohlgefinnten Bervohner züchtigen können; aber es find doch auch 
meine Unterthanen. Das bedachte ich, und beffer, ich Habe ihnen 
eine Schuld zu verzeihen, ale fie mir. Ich begnügte mid, da- 
mals, dem gleifnerifchen Magiſtrate der Stadt, der da kam, mich 
der Ehrfurcht und Zrene der Bewohner zu verfihern, bie Thüre 
zu weifen und ihnen zuzurufen: Weit vom mir; ich bin im 
Kirhenbanne! Was wollt Ihr von dem Keger und Thronräuber ? 
Geht im die Kirchen, ruft das Anathema, loſcht die Lichter aus 
und wünfdht mir taufend Teufel auf den Hals! — Das will 
ich Euch glauben; denn das ift die Sprache Eures Herzens und 
bie feine Art Eurer Ergebeuheit und Treue! — Beihämt ſchli - 
hen fie von dannen. Das war bie einzige Rache, die ih nahm, 
und dieſe ift feine Suude. — Laß fie nur kommen! Der Kopf 
bier flieht noch feft, und aud der Arm hält no ein Schwert. 
Betrübt, aber nothwendig iſt's, mit dem Schwerte zu regieren; es 
wäre recht ſchön, reichte das Scepter, ber leichte, Heine, glän- 
sende Stab, ans! — Hab’ ich doch durch meinen Gefandten zu 
Nürnberg dem deutſchen Reich, der ganzen Chriftenheit meinen 
Arm, mein Heer, Geld, mic, ſelbſt zum Kampfe gegen die ge- 
waltig hereinbrechende Macht der Türken anbieten laſſen! denn 
jener Koloß im Süden droht Alles über den Haufen zu werfen. 
Es half nichts! Fantinus, ehedem mein ſchmeichleriſcher, demüthi- 
ger Diener, jett des Papſtes Legat in Deutſchland und folglich 
ein Herr, ein mächtiger Stellvertreter, der mich feine Bedeutung 
fühlen laſſen will, antwortete im Namen feiner Heiligkeit: Der 
heilige Bater der Ehriftenheit will, daß Reichsheer und Kreuzzug 
die bohmiſchen Ketzer noch früher, als die Mohamebaner befriegen 
mögen; denn fein fo arger Feind bes päpfllichen Stuhles if ber 
Sultan, wie der keheriſche König Georg! — Ich muß es lachend 
tragen, Hab’ e8 lachend vernommen und benfe, es kann eine Zeit 
tommen, wo jene Mufelmänner nicht nur Kriftliche Reiche, fon- 


205 


dern aud den päpftlicen Stuhl über den Hanfen flogen, und 
dann wird Seine Heiligkeit vergebens nad; einem bereitwilligen 
Arme, wie ber König Georg’s, rufen. — Das Reid Böhmen 
Hmmt mir vor wie eine fhöne Jungfrau, die elternlos if. IH 
bin der Vormund. Da lommen allerlei Freier und wollen fie 
heimführen, und weil ihr nun feiner gefällt, fo Keen fie gegen 
den Bormund. Sie meinen, der trage die Schuld, ftellen ihm ein 
Bein nad dem andern und möchten ihn gern forthaben, vermei- 
nend, dann fei es leicht, die Gunft ber Jungfrau zu erwerben. 
— Aber der Vormund weicht nicht vom der Stelle, er weiß; 
Ihr Könnt ihr nicht gefallen; bis jetzt ift er noch der ftattlichfte 
Freier. Und Einer von den Freiern ift auch ber Kaiſer — der 
mächtige Mann, Gott fee gellagt! — der immer mit der Curie 
mich verföhnen wollte. Ex fpielt mit ihr unter Einer Dede und 
möchte das ſchöne Weib gern heimführen in fein armfeliges Haus. 
Nichts dal So Lange ich noch einen Blutstropfen in ben Abern 
habe und die Böhmen Vertrauen zu mir, bieib' ich bier ſitzen 
auf dem Hraböin und nenne mid König, wie e8 nad; meinem 
Recht mir zulömmt.“ 

„Die beiden Ritter von Techtie,“ nahm Bictorin das Wort, 
„erbitten fi die Gnade, Dich auf diefem Streifzug begleiten zu 
dürfen.“ 

„Sie follen es,“ verfegte der König. „Seltfame Leute! Sie 
find eifrig huſſitiſch, wunſchen die neugebornen Kinder zu ber 
waffnen gegen Alles, was katholiſch if. Es iſt nicht recht, daß 
man mit Wuth gegen die eigenen Landelente und Gtamm- 
genofien zu Felde zieht, wenn gleich fie uns mit bemfelben Eifer 
anfallen. &8 gilt nur, ihmen wie ungeberdigen Kindern eine 
Zuchtigung zu geben, damit fe ſich beſſern. Und das werben fiel 
— Bictorin, gib meinem Gtallmeifter den Befehl, mir morgen 
den weißen Hengft bereit zu Halten. Das Thier ift zwar lahm 
auf einem Fuß, aber es Hat mi zum legten Siege getragen, 


und ich wird’ es fränfen, ſetzteach's jetzt zurfd. Ich Habe bei 
meiner vielen Erfahrung mit ben Menſchen fogar das Thier mit 
Borfiht behandeln gelernt.” 

Er lachte vergnügt bei biefer Bemerkung und fuhr daun 
fort, das Schreiben dem Sohne hinreichend: „Dies Blatt hier 
nimm nnd laß es unter Glas in einen Rahmen faflen. Häng’ 
es in meinem Sprehzimmer an bie Wand, daß Jeder, der dort 
eintritt, Gelegenheit habe, es zu leſen, nicht um meinetwillen, 
weil id darin gelobt bin, fondern mm bes Chreumannes willen, 
ber es geſchrieben. Ich kann ihn, der nichts verlangt und nichts 
bebarf, nicht befier belohnen. Diefer Brief fei fortan ber fchönfte 
Schmud meines Schloffes. — Ei! es ift fehon ganz finfler ge- 
worden während unſers Geſpräches. Defto näher ift uns ber 
Morgen. Um vier Uhr — forge dafür — figen wir zu Pferde; 
um ſechs müffen die Thürme Prags ſchon Hinter uns verihmun- 
den fein. Vielleicht ſiſchen wir im Rofenberger Teiche, wenn unfre 
Arbeit zu Budweis raſch abgehen if. Gott befohlen! Ich treffe 
Dich bei der Mutter, wenn Deine Geſchäfte beforgt find.” — 

Er ſchritt nach der linken Seitenthüre, während fih Bicto- 
rin durch die Mitte entfernte. 


15. 


L!idmila ſaß am Abend, allein in ihrem Cloſet auf dem 
Budweiſer Schloſſe. Sie hatte die Harfe mißmuthig im einen 
Winkel geftellt, denn feine Weife wollte ihr heute gelingen, jeden 
Augenblid fprang eine Saite, und dies Alles vermehrte nur ihre 
Unluſt, oder war vielmehr eine Folge derſelben. Sie fügte das 
Haupt auf die Hand, daß die ſchwarzen Loden in reicher Fülle 
über den fchönen, vollen, blendenden Arın hermieberwallten, blicte 





207 


feitwärts in den rothen Abendhimmel, der den weiten See unten, 
die Hügel nnd Berge ringsum mit feinem bald rofigen, bald 
flammenden euer übergoß, und ſchwelgte in der Wehmuth, die 
fie beſchlich und vergangene Bilder in ihre Erinnerung zurüd- 
führte, die an der rauhen Wirklichlkeit der Gegenwart bebend 
zurüdichauderten. 

Der Ritter von Spanberg, ihr Gatte, trat herein. 

„So allein und ernft?” fagte er raſch und gleichgültig. „Ich 
ann mir's benfen, daß fi meine Gattin Hier langweilt in ber 
üben Veſte, wo es fein Feſtgepränge gibt als Waffengetümmel umd 
feine Ausficht zur Luſtbarkeit als etwa einen Sturm. Der Reber» 
tönig rüdt heran und will den harten Schädel an biefen Stei - 
nen verfuchen. Ihr follt: Euch aber nicht länger grämen Bier in 
der Einfamfeit. Wir müſſen morgen fortziehen. Möglich if’s doch, 
daß die Huffiten die Burg einnehmen, und Rofenberg, Euer 
Oheim, will nicht, daß für diefen Fall alle Bundesgenoffen ge 
fangen werben follen. Gr braucht Raum — id kann's ihm nicht 
verbenfen: denn Weiber und müßige Zufchauer flören nur. Er 
will's allein verſuchen. Wir, Guttenftein, Sternberg und die Uebri« 
gen ziehen gen Hradid nad; Mähren, auf dem Wege durch Oeft- 
reich. Dort haben wir das Heer des Ungarnfönigs vor uns — 
und zudem iſt die Vefte ſelbſt uneinnehmbar. — Rüftet Euch; 
morgen früh müffen wir bei Zeiten aufbrechen.“ — 

„So, raſch — ohne alle Vorbereitung?“ fragte Lidmila, 
langſam das Haupt gegen ihn bewegend. “ 

„So raſch und ſchnell,“ wiederholte er nicht ohue Strenge, 
„als es die Umflände erheifhen. Wir leben hier im Kriege und 
bereiten uns nicht zu einem Banket vor. — Ich glaub's gern, 
da End biefe ernfte Zeit mit ihren Verhandlungen, Sorgen 
amd Eniwurfen nicht gefällt." — 

„Bin ich zur Laſt,“ verfegte fie kalt und ruhig, „wartm 
Hießet Ihe mich nicht in Prag, wie ih mwinfchte ?“ 


„Wo der Mann if,“ warf er, finfter vor fi Hinblidend, 
ein, „muß aud das Weib fein; nur bei ihm iR ihr gebühren- 
der Plag. Wollten wir für zwei verſchiedene Parteien fechten, 
Ihr in Prag, im Herzen dem König und den Calirtinern zuge 
than, id) Hier für bem reinen Glauben und des Könige Matthias 
Rechte ?” 

„Ih Habe Cuch meine Hand gereicht, Ritter Spanberg,“ 
entgegnete fie ſtolz, „weil es meine Bermandten fo wollten, unb 
Gott ift mein Zeuge, daß ich bis jegt noch feine meiner Pflih- 
tem verlegt habe. Ihr könnt mic ale Eure Magd behandeln; 
doch Aber meine Ueberzengung dürft Ihr nicht gebieten, barüber 
iR nur Gott der Herr“ 

„Ich weiß es wohl,“ gegenrebete Spanberg, indem er raſch 
das Gemad auf nnd ab ging, „dies ganze Unternehmen, biefer 
Aufftand iR nicht nach Eurem Sinne, weil er gegen bie Keher — 
ich wollte fagen, gegen Cure Glaubensgenoffen gerichtet if. Jung 
gewohnt, alt gethan. Euer Herz hängt noch an ben Lehren des 
huſſttiſchen Prieſters, der Euch erzogen. — Ihr folltet dergleichen 
Geiftesrihtungen, die nur von Seelenſchwäche zeugen, fahren laſ- 
fen. Nur auf der Seite, welcher ich meinen Arm geboten, Tann 
ih mid und Euch erheben. Zudem ſteht Euer Oheim an ber 
Spige, und mehre Eurer Verwandten fämpfen mit,” 

„über nicht der edle Neuhaus,” erwiederte fie, „ber mid 
erzogen hat, dem ich fo viel verdanke.“ 


„Er hat fich wieder zu dem König geſchlagen,“ warf Span- 
berg leicht ein, „weil's ihm gelüftetete, gegen die Deutſchen noch 
einmal den Feidherrn zu fielen. Doch das iſt gleiäigältig. Das 
Land Böhmen, wie es jegt if, iſt ein junger, toller, verſchwen - 
deriſcher, unbefonnener Menſch, der einen Bormund braudt. Wir 
wollen ihm einen Vormund geben, einen katholiſchen, träftigen, 
Fingsum befrenndeten Mann. Die Grenel müffen aufhören; das 
Huffitentfum kann fich nit länger Halten; darum muß es bei 


209 


Beiten ausgerottet werben, wie der Brand am einem Baume, 
der jonft weiter frißt.“ 

„Wär't Ihr im Lande geboren und jenes Glaubens,“ ver- 
ſetzte fie nicht ohne deu Kon des Borwurfes, „Ihr fprädet ans 
ders; und Gleiches liehet Ihr Euch in Curem Dentichland von 
einem Böhmen wicht bieten. Bon denen, bie nicht edel denken, 
hat das Ungläd nur Hohn zu erwarten.“ 

„Was fGmäht Ihr meinen Ebelmuth?“ fuhr er mit Bitter 
keit auf; „verſchuldetes Mißgeſchick darf nicht auf Mitleid rechnen. 
Ja — ich danf es aud- Gott, baß ich nicht Hier geboren und 
nicht bes ketzeriſchen Glaubens bin; und dahin, daß ein Böhme 
bereinft zu einem Deutfchen gegentheilig fo ſprechen könnte, wird 
es mit Gott nie kommen. — Doch ich fehe, Ihr ſeid mißgelaunt 
— Ihr trennt Euch wohl nicht gern von Bier. Und doch gefiel 
es Euch bis jegt nicht — Ihr wollte fort, und num, da wir 
ziehen follen — — nicht? — Vielleicht hofft Ihr einen geiwiffen 
Nitter wieder zu fehen, der leicht möglich mit dem Ketzerkönig 
Tommt, bie Burg erfteigt, Alles niebermegelt und mur Euch, der 
alten treuen Siebe, ſchont. Es Tlingt abentenerfich, doch unmöglich 
wär’ es gerabe nit; hat er doch Wunder getban, ber bleiche 
Fant, hat den König gerettet — ſich auch nebenbei gegen ihn 
verſchworen, hat feinen Bater vom Galgen oder aus dem Kerker 
befreit, und weiß der Himmel, was noch Grofes gethan! Beim 
heiligen Paulus, meinem Schug- und Namenspatron, feine Her- 
kunft iſt ehrenvol! Mich wundert's nit, daß er ber ſchönen, 
hochgebornen, folgen Lidmila Ange unter ſolchem Umftand auf 
fi) locken mußte.“ 

„Sein Leben,” ſprach fie feierlich, erhob ſtolz das Haupt 
umd richtete die Bficde fet auf den Gpötter, der ihr Gemahl war, 
„At inmitten aller Drangfale, aller unverſchuldeten Leiden und 
Erniebrigungen fo rein geblieben, daß diefer Mare Spiegel von 
Eurem Hohne nicht beſchmutzt werden kann. Hier, wo er nidt 

Herloßfohn: Der legte Taborit. IL 14 


’ 


210 


ſelbſt ſteht, iſt er wehrlos, nud die Menfchenpflicht gebietet, dies 
Wort für ihm zu ſprechen. Manch' Anderer wurde ſich berühmen, 
wäre er fo tief gebengt worden wie jener, und hätte ſich fo glor- 
reich wieder erhoben. König Georg keunt ben Werth des Menſchen 
und lohnt ihm mur mach demſelben.“ — 

„Mögt Ihr ihn immer rügmen,“ fagte Spanberg gereizt; 
„er hat End doch verihmähtt Umb ber Muh iR nicht groß, 
von einem Maune folder Art verihmäßt zu werden.“ — 

mdätte er mid verfgmäht,“ verjete fe, „fo war ich ſtolz 
genug, ihm zu verachten, und es genüg' Euch die Verficherung, 
daß ich ihn nicht verachte. Cr liebt nächſt Gott fein Baterland 
über Alles. Wollte Gott, es Tiebte jeder fein Vaterland mit fol- 
Ger Blut! Keiner würde dann bie Freiheit eines andern Landes 
untergraben.” — 

„Ich ſagt' es doch, Ihr ſeid mißgelaunt!“ erwieberte er 
gleichgultig; „doch fo leid es mir auch thut, ſteht es jetzt wicht 
in meinen Kräften, Euch in beſſere Laune zu verſetzen. Es bleibt 
dabei, morgen bei Zeiten brechen wir gegen Hradid auf. Es ift 
nicht viel Ausfiht zu einem rührenden Wiederſehen.“ 

Er verneigte ſich leicht und verlies das Gemach. 

— Sie richtete ben thränenfeuchten, büftern Bfid gegen den 
Himmel empor, und ein banger Seufzer entwanb ſich ihrer Bruft: 
Heiliger Gott! — id; büße ſchwer · 


Georg war vor Böhmiſch ⸗Budweis angelangt. Er forderte 
den Rofenberger auf, ihm das Schloß zu übergeben, und ver- 
ſprach ihm in biefem (alle Verzeihung und Vergefien des Ge— 
ſchehenen; ja er wollte fogar feine Beſchwerden hören und die 


211 


Hamb zu deren Abhilfe reichen. — Wofenberg wies den Antrag 
zuruc· — 

Der König ließ ftürmen. Trotz der verzweifelten Gegen- 
wehr der Befagung waren binnen vier Stunden die Wälle er- 
fliegen. .— Die Herren von Sternberg und von Guttenberg, 
weiche ſich gleichfalls ‚in der Burg befunden Hatten, waren geflo- 
ben. Rofenberg wurde mit den Waffen in der Hand gefangen 
genommen und in Ketten gelegt. 

Der König rüdte an der Spige feiner Truppen mit feinen 
Söhnen im Budweiſer Schloffe ein. Am Gingange der Pforte 
teat ihm der gefeffelte Rofenberg entgegen, ber den Kerker bes 
Schloffes beziehen follte. Beim Aublide des Königs blieb er wie 
gebannt ſtehen und ſenkte das Haupt zu Boben. 

König Georg ſah ihm lange, "mehr aber mit ſchmerzlicher 
Teilnahme, als mit Groll und Beratung an; dann fprad er: 
„Rofenbeig, es drüdt mir das Herz zufammen, daß ih Euch fo 
hier vor mir fehen muß; und doch bin ich, bei Gott? nicht die 
Beranlaffung davon. Zu Eurem ehrwürdigen, filbergrauen Haupte 
Hatte ich ein befferes. Vertrauen! Alter Mann, Ihr konnt es nie 
verantworten, wie Ihr an Eurem Landesheren, Euren Brübern 
gehandelt, um dem Ausländer, ben Pfaffenkuechten zu dienen! 
IH ſchäme mid in Eure Seele deſſen! Ein Böhme, und dient 
dem Ungarn und firebt dem felbfigewäßlten König nah Krone 
und Leben! Was Hab’ ich Euch gethan, daß Ihr mit folder 
Wuth Euch gegen mid rüftet? Ich Habe Euch, die Katholiten, 
"gehalten ‚wie meine Glaubensgenofien, babe dieſe weber bevor 
rechtet, noch Euch zurüdgefegt. Alſo wo if die Toleranz, die 
Friedfertigkeit? — Bei mir, auf umferer Seite wohnt fie. Mas 
fol ih mit Euch beginnen, Rofenberg? Zum zweiten Wale 
Euch freilaffen, damit Ihr Euch zum zweiten Male gegen 
mid; bewaffnen Könnt? Ih Tann doch dem Schützen, ber 
zweimal nad; mir geſchoſſen, aber mich, Gott fei Dank! -gefehlt 

14* 





212 


het, nicht zum britten Male das Gewehr in die Hand geben, 
damit er — — Rein! Gottes Donner! er Könnte zum bitten 
Male treffen. — Ihr geht mad; Prag in's Gefängniß. So leid 
mir's thut, daß ih mich faft ſchame — fo muß id) doch fo 
und nit anders handeln. Man wird Euch dort einen Brief 
zeigen, den ber Swihoveth am Euch geſchrieben. Ich Hoffe zu 
Gott, Ihr werdet End ärgern, daß Ihr den Brief nicht geichrie- 
ben Habt. — Jet gehabt Cuch wohl — Ich Hätte ein freund - 
licheres Wiederſehen gemünfgt.“ 

Er wandte ihm nad dieſen Worten den Rüden und ließ 
ihn abführen. Bier junge itter mit einer Chan Gölbuer 
geleiteten den angefehenen Standesherrn in einem Wagen nad) 
Brag. — Gegen bie überwältigte Befagung bewies fi der Kö- 
mig fehr gnädig und fGonend. Cr ließ von den Lebensmitteln, 
melde er aus ber Stadt mitgebracht, unter fie anstheilen, im 
gleicher Größe wie unter feine Leute. Die Schloßtapelle räumte 
er ihrem Prediger ein; ber Huffitifche mußte fich zu feinem Got- 
tesbienfte eines Zeltes bedienen. — Als fi der Magiſtrat ber 
erfchrodenen, ftets feindlich gefinnten, umm aber in des Königs 
Händen befinblien Stabt melden ließ, um fi, wie ber Abge- 
fandte dem Oberfämmerer berichtete, bem rechtmäßigen Beherrſcher 
in Demuth und Unterwürfigkeit zu Füßen zu ürgen umd Gnade und 
Verzeihung zu erflehen, ließ Georg antworten: Geine Hoheit 
hätten keine Zeit, das Compliment der Budweiſer Bürgerſchaft 
entgegenzunehmen ; doch wünfchten Diefelbe, Tag und Gtunde zw 
erfahren, wann Cie von ihren treuen Unterthanen in der Kirche 
bei ausgelöfchten Lichtern verflucht und verwünſcht werden unb 
auf Ihr Haupt das Anathema herumterbejchworen wird, um im 
eigener Perſon dieſer wahrhaft chriſtlichen und liebevollen Cere- 
monie zu eigener großer Ergötzlichteit beizuwohnen. — Welche 
GSefinnungen Seine Hoheit übrigens hegten, würde ber Erfolg 


213 


lehren. — Beihämt entfernte fid) mit biefer Antwort der Ab ⸗ 
georbnete. — 

Us die Stadt mehrere Wagen voll Lebensmittel, Wein, 
Bier und Futter vor dem Schloſſe auffahren ließ ale Geſchenk 
an bie neue Befagumg, nahm fie der Kömig bloß gegen baare 
Bezahlung und zu dem Preife, welden er felbf angefegt, und 
der ein höherer, ale ber wirffihe war, an. Er erhob feine 
Kriegefteuer und feine Brandſchatzung; er Iegte auch nicht einen 
einzigen Mann zu ben Bürgern in's Quartier. 

Am folgenden Tage ſchon mußte Bictorin mit einem Theile 
der Heeresmacht aufbrechen und nad) Mähren ziehen. Hier follte 
er den König Matthias, der bis Znaim vorgedrungen war, vom 
Rüden aus beunrubigen. Georg felbft erwartete Verſtärkung vom 
Prag, nm die Burgveften des Herrn von Hafeuburg längs ber 
oſtreichiſchen Grenze zu belagern und bem verflodten Vaſall zu 
züchtigen. 

Sein zweiter Sohn, Heinrich von Münfterberg, ſollte in 
Budweis bleiben, nm dem ganzen Kreis, der leicht zum Aufruhr 
geneigt war, zu beobachten und nöthigenfalls im Zaume zu halten. 

Noch war Georg nicht ausgerüct, als am 1. Auguft die 
Nachricht fam, wie fein Sohn Victorin vom Könige Matthias 
bei Weſeli im Hrabider Kreiſe in die Flucht gefclagen worden 
ſei, fi in das Schloß mit ſechehundert Mann geworfen und in 
der Hoffmung eines baldigen Entſatzes durch feinen Bater ih 
tapfer vertheibigt habe. Als aber die Hilfe zu lange ausblieb, 
ergab fid die Befagung. Bictorin ſchlug fi) an der Spige vom 
fünfzig Mann bei Naht und Mebel durch; aber er wurde am 
folgenden Tage von einem herumftreifenden ungriſchen Haufen 
unter Anführung ber Ritter Madacshy und Janoſſy anerkaunt 
gefangen genommen und dem König überliefert. — 

Matthias empfing if freundlich und lachelnd. „Wir ha- 
ben uns lange nicht gefehen,“ ſprach er, ihm die Hand drüdend. 


214 


„Es ift ſchön von meinem Jugendgeſpielen, daß er mid heim- 
ſucht. Ei! der Matthias if nicht fo grimmig, wie fie bei Cuch 
erzählen. Geid willtommen, Bictorin! IH bin Eurem Bater 
noch von Kuttenberg her Dank ſchuldig für gütige Aufnahme. 
Erlaubt, daß ich jetzt einen Theil der Schuld abtrage. Freilich 
— freilaſſen kann ich Euch vor der Hand nicht; Ihr habt mir 
ſchon gar zu viel Schaden verurſacht, bbſer Schwager. — Aber 
das KXriegegetümmel bier würde Euch nur flören und verfint- 
men, wenn Ihr unthätig nur einen Zuſchaner abgeben müßtet. 
hut mir’ zu Liebe und zieht auf meinen Lieblingefig, die Wy⸗ 
degrader Burg. Dort if’s herrlich. Bon einem Kranze grüner 
Berge iſt das Schloß umgeben; filberne Seen und biane Flüſſe 
glänzen in der Ebene, in den Wäldern ſchallt das Hüfthorn, auf 
den Hügeln reift bie Traube, und ein milder, blauer Himmel 
Hegt ewig über der veigenben Gegend. Verweilt dort furze Zeit 
Ratt des Königs, gehalten und geehrt wie fein Schwäher, wie er 
ſelbſt. — Haben wir erft Bier den verdrießlichen Handel, der mir, 
bei Gott! feine Freude macht, anf diefe oder jene Art ausge - 
glichen, fo beſuche ih Euch ſelbſt, und wir jagen dann Inftig in 
den Wäldern und verfammeln einen Meinen, trauten, aber gläu- 
zenden Hofftaat um uns. Ihr follt die Blumen des Landes, 
unfere Fräulein, fehen und bewundern. Bei Sanct Stephan! 
fie find nicht minder ſchön, als Eure böhmiſchen Mägdlein. Die 
Augen glühen noch feuriger, noch röther find bie Lippen, und 
uoch ſchwärzer glänzt das Haar. Gie werden Euch gefallen.” 
„Da Ihr fo eindringlich bittet, Hoheit,“ eutgegnete Bictorin 
fcherzweife, „jo würde ein Einſpruch von meiner Geite wenig 
helfen, um fo meßr, ale Ihr mic hinſchicen könnt, wohin Ihr 
wollt. Id müßte lügen, wenn id) fagte, daß ich nicht lieber 
irgendwo andere wäre, als gerade hier ımd in Eurem Rüden; 
doch if’8 einmal nicht zu ändern. Das Kriegeglüd if trenloe, 
wie jedes andere Glüc. — Ich nehme Guren Antrag dankbar 





215 


an, König Matthias; doch laßt mich nicht zu lange auf Euren 
gütigen Beſuch warten. Ihr follt in mir einen recht verträgli- 
Ken Ketzer finden und erfahren, daf wir. gar nicht fo ungeſchlacht 
und verberblih find, um mit feuer und Schwert ausgerottet zu 
werden.“ — 

Er nahm Abſchied. Hundert Hußaren und einige Edelleute 
aus des Königs nächſter Umgebung geleiteten ihn. — 

Georg’s Beſtürzung war groß, als ihm dieſe Tramerbot- 
ſchaft zu Ohren fam. Gr befchloß jekt, feinen Bug gegen bie 
Hofenburgifchen Schlöffer aufzufdieben und vor der Hand zur 
Aufrehterhaltung der Ruhe im Budweiſer Kreiſe felbft dort zu 
verbleiben; feinen Sohn Heinrid aber ſchicte er mit zahlreicher 
und auserlefener Mannſchaft in Eilmärfhen nah Mähren. 

„Geh Hin,” fagte er beim Abſchiede, „laß die Kelchesfahne 
wehen und befreie den Bruder. Wir Haben bem König Matthias 
noch nicht die rauhe Seite gezeigt; der Krieg gegen ihn wurde 
wie eine Spielerei getrieben. Jetzt gilt es, einmal Ernft zu 
maden und Mähren von dem fremden Bolte und unſerm Ger 
genfönig zu befreien. Ich böre fo eben auch, daß bie acht ober- 
ſchleſiſchen Fürften dem Matthias zu Olmüt gehuldigt, noch dazu 
als einem erblien Könige in Böhmen und Mähren. — Was 
wird Kaflmir dazu fagen, ber für feinen Ladislav aud ſchon die 
Krone angenommen? Da gäb' es alfo drei Hänpter für Eine 
Krone. Wollen fehen, wer fie zuerft vom Kopfe des Andern 
reißt. — Mad’ nur den Bictorin frei, Heinrich; kehr' nicht an- 
ders zurüd. Hab’ ich erft hier Ruhe, fo folg' id) Dir vielleicht. 
Der Herr fegne Did 

Sie trennten fih. Heinrich flog mehr, von KRampfeslı 
entbrannt, nah Mähren. Es galt jest, ſich als felbfiftändi 
Anführer eines Heereshaufens zu zeigen und dem geliebten Bru« 
der zu befreien. Er fehnte fid) darnach, ſich mit dem gleich 


216 


tapfern, wit ihm im gleichen Alter ſteheuden -Ungarnfönige zu 
meffen. 

So war er in Mähren eingedrungen, nachdem er alle ein- 
zelnen Streifcorps, welche fich ihm emtgegengeftellt, zu Boden ge- 
worfen. Er lam vor der Stadt Hrabid an, welche von einem 
anf dem Berg gelegenen Gchloffe beihägt wird. Das Schloß 
hatte ur geringe Beſatzung. Gin ſchmaler, enger Gang führte 
von feiner Höhe herab und ſtieß am bie Außenwerke, welche von 
einem ziemlidgen, hohen Walle, einigen unterirbiigen Gewölben 
und Meinen Thürmlein an den Mamervorfprüngen gebildet wur ⸗ 
dem. uf der öRlihen Seite der Burg erhob fi eim hoher, 
von einer früheren Belagerung her noch etwas verfallener und 
befhäbigter Thurm. Um den Fuß befielben zog ſich der ſoge - 
nannte Vorhof, ber gegeuwärtig aber nicht benutzt wurbe, weil 
feinen Raum Schutt und zertrünmmertes Kriegsgeräthe verengte. 


Um das Schloß und in die Stadt verlegte Heinrich fein 
Nriegevolt und ließ die Bejagung zur Uebergabe auffordern. Sie 
follten, wenn fie die Waffen firedten, als SKriegegefangene an- 
ſtandig behandelt und nur fo fange in leichter Haft gehalten 
werden, bis Bictorin gegen fie ausgewechſelt fein würde. Die 
Beſatzung, angeführt von Burian von Guttenflein und dem. Rit- 
ter Spanberg, antwortete mit Hohn auf diefe Aufforderung. Sie 
Heßen dem jungen, böhmifchen Löwen — das waren des Herolds 
Worte — fagen, er möge feine Krallen umd Zähne mır an dem 
feſten Mauern erft verfuchen; mod aber Hätten fie Waffen und 
Lebensmittel im Ueberfluß, um ihn zu ermüben. 

„Der junge Löwe,” fagte Heinrich auf folden Beſcheid, „bat 
ihnen erft die Sammtpfote gezeigt; fie wollen alfo bie Krallen 
fehen. Dann aber, fürdt' id, bleibt vom Hradiser Schlofſe 
kein Stein auf dem andern uud feine Seele der Beſatzung unter 
ben Lebenden.“ 


” 217 


Er beſchloß, am folgenden - Morgen Sturm zu laufen. — 
Bratislav wide abgefhicdt, um die Nähe bes feften Platzes im 
Augenfhein zu nehmen und die geeiguetſten Angriffspunkte zu 
erforfchen. 

Er befand fi aufer Schußweite gerade dem Schloſſe ge» 
genüber. Die untergehende Sonne glänzte in ben Fenſtern und 
biendete feine Augen. — Er hielt bie Hand vor das Antlig. 
„Im einem Fenſter des zweiten Stockwerles ſaß auf der Brüſtung 
eine Frauengeſtalt. „Alfo auch mit Weibern fechten wir died- 
mal!" fagte Vratislan, fi zu dem Oheim wendend, unterbrach 
fi aber plöglich ; denn die Dame kehrte das Antlig nad ihm 
und ſchien ihn zu bemerken. „Heiliger Gott 1” fenfzte der Ritter auf, 
und ein Zittern durchflog feine Glieder — „fe iſ's — fie is!“ 

Auch ſie Hatte ihn erkannt; fie flarrte eine geraume Zeit 
nad) ihm hermieder, dann riß fie fi gemaltfam los und ver 
(wand vom Fenſter. — Er fland lange wie eingemurzelt da — 
fie kam nicht wieder; doch ſchien es ihm, als hätte er am einem 
ter andern Fenfter hinter dem rothen Vorhang etwas Weißes — 
— ihr Gewand — ſchimmern gefehen. 

„Bon bier aus flärmen wir, Obeim,“ fagte, er, „gerad' 
auf ben Kern, auf bie Breite des Schloſſes Is!“ 

„Der Graben ift bier zu fleil,“ antwortete Zdeuko; „ich 
glaube, an jener Seite haben wir weniger Schwierigkeiten zu 
überwinden.“ 

Nein, gerade vet,” widerſprach Vratislav mit Lebhaftig- 
keit; „ie Reifer, beflo beffer! Des Angriffe Bier verfehen fie ſich 
nicht. — Der Prinz wird fon damit zufrieden fein.” — Sie 
zogen ſich zurüd, umd als die Macht Fam, legten fie in aller 
Stille einen zahlreichen Haufen am biefe Seite des Grabens, der 
beim erften Sonnenſtrahle Sturm laufen follte. — 

Libmila war es, welche unfer Ritter am Fenfter erkannt. 
Ohne zu wiffen, was fie that, war fle vom Fenſter fortgeftürzt; 


218 


fie eilte in ein anderes Gemach und ſchritt Bier im gewaltiger 
Aufregung auf und nieber. Endlich wagte fie es, durch die Gar- 
dine geborgen, einen Bid nad) dem Geliebten ihres Herzens zu 
werfen. Er ſtand noch am derfelben Gtelle — er Hatte fie er 
Yannt. Ihr Herz ſchiug gewaltig, fie zitterte bei diefem Wieber- 
sehen; mußte er fie doch anf der Seite ber Feinde feines Glau- 
bene und Baterlandes, angetrant feinem eigenen Feinde! Konnte 
er fie noch lieben, noch adten? — Diefe fragen beflürmten ihr 
Gemäth. 


Plõtzlich vernahm fie Stimmen im Nebengemade. Die 
Laute drangen durch eine geheime Thüre, die fi unter den Da- 
mafttapeten befinden mußte; denn weder Schloß mod Riegel ver- 
rieth einen Eingang. Leiſe und mit angehaltenem Athem ſchlich 
fie näher und lauſchte. Es war ihres Gatten Stimme, dann 
die Burian's; nod ein dritter Mann ſchien zugegen, doch für 
diefen ſchien Spanberg zu ſprechen. 


Die Unterhaltung wurde lauter. „Der Kundſchafter hier,“ 
fagte Spanberg, „ein treuer, verläßlicher Mann, hat fi glücklich 
im Duntel hereingeſchlichen. Die Sachen ſtehen befier, als wir 
glaubten. Ganz in der Nähe liegen nur die Ritter von Cechtic 
mit einem Haufen von faum zweihundert Mann. Der Prinz 
hält unter dem Berge, einen Büchſenſchuß weit von der Borhut, 
und fie. find durch dem Hügelvorfprung fogar aus feinem An- 
geſichte gerüdt. Morgen wollen fie flürmen. IH Habe mir Lage, 
Befefligungen , unterirdifche Gänge, Alles genau beſehen. Bent’ 
Nacht noch läßt ſich ein kühner Handſtreich wagen; Hundert Mann 
genügen, um jene zweihundert in aller Stille anfgureiben. Wir 
ſchuchtern den Feind ein, wenn wir ihm mit folder Kedheit zu- 
vorfommen. Ueberlaßt mir die Ausführung meines Planes, Herr 
von Guttenftein ; ich bärg' Euch mit meinem Leben für das fichere 
Gelingen.” 


219 


„Recht gem,“ verfegte Burian; „doch erlärt Euch erft 
deutlicher.“ J 

„unter jenem Walle hinaus, gerade in der Richtung bes 
ſchmalen Ganges nad) der erften Ringmauer, führt ein unter» 
irdiſcher Gang. Er läuft in eine Thure aus, die mit Raſen ber 
dect ift und auf die Abdachung bes Hügele führt. Durch dieſen 
Gang ſchleiche ich mit unfern beherzten Leuten binaus. Im Nu 
find wir der Vorhut im Rüden, bie, müde von der raſchen 
Fahrt, in den Armen eines feften Gchlafes Tiegt. Zugleich können 
wir nicht von ber Hauptmacht ber Belagerer erblidt. werden, weil 
uns der Vorfprung bes Berges deckt. Leife nahen wir uns ben 
Schläfern und ſchlachten die Unbewehrten, in ber Ueberraſchung 
Befinnnngelofen, einzeln ab. Sollten ihre Wachen auch unfere 
Annäherung bemerken, fo werben fie glauben, wir gehörten zu 
den Ihrigen von unterhalb des Berges. Der Borforge wegen 
ziehen Alle aus Leinenzeug verfertigte Wappenröde an, wie fie 
die Zaboriten Haben. Keiner darf uns entlommen; Ritter wie 
Söldner müfjen bingeopfert werben. Bevor das Geräufch noch 
unten im Thale laut wird, ber Feind fi ermannt mud ben 
Bedrängten beifpringt, find fie alle ſchon niebergehauen, und wir 
haben den fihern Rüdweg durch ben geheimen Gang angetreten. 
Iener Gang aber bleibe dem Feinde geöffnet; ‚denn in feiner 
Mitte befindet ſich eine Fallthüre, die einen tiefen, bis in bie 
innerfte Wurzel des Berges führenden, abgrunbattigen Brunnen 
verdedt. — Sobald wir die Fallthitre Aberfchritten Haben, löſe ich 
bie Riegel und verlöfe die Fackel, welche nns leuchtet. Der mit 
Wuth nachſtarzende Feind betritt den ſchwankenden Boden, der 
unter ihm weicht, und wie bie Hinterften bie Vorderſten drängen, 
fo flürgen fie nach einander rettungelos, zerſchmettert aber ertrin- 
tend in den Abgrund Binab, der Raum für mehr als zehntanfend 
Leihen hat. Der junge Königefohn, der Löwe, foll als zweiter 
Daniel Hier, jo uns Gott begänftigt, feine Lömengrube finden.“ 


„Die That iſt kahn,“* veriegte Buriau; „wenn fie gelänge, 
es wär’ ein Meifterfireih, Hier fo mit weniger Maunſchaft ein 
ganzes Heer verderben zu- können. Der König würde jubeln“ 

„Ih bürg' Euch für dem Erfolg,“ antwortete Epanberg; 
„id bin beffen fo ſicher, wie meiner bereinfligen Seligkeit. Laßt 
mid gewähren. Zahlt hier dem Wanne feinen goldenen Lohn; 
er muß im nachſten Augenblide wieder bas Schloß verlaflen. 
Sobald die Falıhüre gedffnet iR, eile ich mad) jenem MHeiuen 
Thürmiein Aber der Kapelle und gebe mit einer Fackel ihm das 
verabrebete Zeichen. Sobald er es anf jener Geite der Stadt ge- 
wahrt, fledt er einige Scheunen vor bem weſtlichen Thore in 
Brand, damit, was von flreitfähiger Mannſchaft noch im Lager 
if, dahin gelodt, fo zerfiremt und vom une, die wie dan fidher 
einen Ausfall wagen Lönnen, gänzlich aufgerieben werde. Sobalb 
es ein Uhr gefchlagen, begebe ich mich in den unterirdiſchen Gang, 
nnd das Schanfpiel beginnt. Ihr bleibt inwiſchen mit ber übri« 
gen Beſatzung ruhig im der Burg umb beſetzt die Wälle und bem 
Play. Umftände werden das Weitere erläutern und fördern.“ 

nDer Plan ift gut,“ ſprach Burian und vieb fi die Hände; 
mer iſt eines ausgeleruten Meiflers in der Kriegetunft würbig. 
Hier, zahlt dem Manne doppelt feinen Lohn; er hat uns einem 
teefftichen Dienft geleißet. Beten wir noch, daß ber Hühne Gtreidh 
zu Gunften unferer Kirche und zu Ehrem ber gebenebeiten Mutter 
Chrifti gefinge.“ 

— Sie ſprachen noch einige weniger bedeutende Worte umb 
entfernten fi dann. 

ibmila blieb mit pochendem Herzen noch eine Weile in 
ihrem Berfted. Als fie wieder an das Fenſter trat, war Brati- 
ſlav verſchwunden; nur fein Federbuſch vagte noch über dem 
Rande des Hügele hervor. 

„Did muß ich retten!“ ſprach fie bleich umd zitternd und 
deüdte die Hände auf bie wallende Bruſt, um ihre gewaltigen 


221 


Schläge zu mindern. „Nicht. von feiner Hand folk Du verbiuten 
ober in der graufigen Tiefe enden, Du, dem ich mein Dafein 
verdanke. Es wäre jchrediich, mein Los Wahnfinn oder Tod! — 
Erſt gehöre ich dem Vaterlande und dem Glauben, dann bem 
Gatten und feinem feindfeligen Anhang.“ 5 

Sie raffte fih auf und eilte durch den Gang nad; ihrem 
Elofet. Hier fegte fie ſich im Dunkein an's Fenſter, hieß ihre 
Zofe ſie verlafien, ftügte das Haupt auf den Arm und fann über 
die Mittel nad, durch welde es ihr möglich werden follte, dem 
Geliebten vor dem ihm drohenden Schidfele zu warnen. Die 
Zeit drängte; kaum vier Stunden war es nod bis zu bem be 
abſichtigten Ansfalle. Sie fann und brütete; in Augenbliden über» 
mannte fie die Verzweiflung, und fie dachte nur am dem Tod. 

Spanberg, der eben’ raſch und heftig eintrat, flörte fie. Sie 
fuchte fih zu fafſen. 

„Nur wenige Worte]“ ſprach der Ritter; „ich muß gleich 
wieber fort. Der Feind ift vor den Thoren; jest gill's, an ernſte 
Gegenwehr zu denken. Wohl mag ich glauben, daß es Eu 
ängftigen mag, in einer belagerten Burg mit uns auszuharren ; 
aber wir leben einmal im Kriege. Da iſt's nicht anders, und 
dann gebe ich Eud mein heiliges Verſprechen, daß bis. morgen 
Mittag die Ketzer von hier vertrieben find bis auf ben legten 
Mann, fo wahr ic ein guter Ehrift!” 

„Wenn Ihr defien fo gewiß feid,“ verjegte fie, „io beru- 
Higt wich dies wieder; obgleich ih Cuch nie Grund gegeben zu 
Haben glanbe, mid der Zaghaftigteit zu zeihen.“ 

„3a, wir weiſen fie mit blutigen Köpfen zurück,“ fuhr 
Spanberg fort, „und brauchen nicht erſt auf Erfag zu warten. 
Ich verlaff Euch jegt und bitte Cuch, ja ih muß End fogar 
befehlen, Hier Euer Cloſet nicht zu verlaffen, es mag auch ge- 
ſchehen, was da wolle, nicht früher, als bis ich felbft komme 
und Beſcheid bringe. Hört Ihr, Lidmila? Ich bleibe vielleicht 


bis Sonnenaufgang. Die Rat kaun etwas unruhig werden; 
aber das beirre Euch nicht. Gehorcht mir, und id) werde es Euch 
danten. Ihr follt Euren Gatten als Sieger begrüßen und dann 
doppelt werth halten. — Was ich damals auf dem Budweiſer 
Sohloſſe,“ fuhr er fort, ihre kalte Hand faflend, „im ſcherzhafter 
Nederei von dem Techticer ſprach, habt Ihr wohl vergefien. Be- 
rnhigt es Euch, fo vernehmt, daß er, fo viel ich weiß, nicht 
unter den Belagerern if. Es wird alfo zu feinen bintigen Hän- 
bein kommen zwiſchen mir und Eurem früheren Geliebten.“ 

Sie antwortete nicht; er entfernte ſich raſch. Er hatte gu- 
ten Grund, Vratislav's Gegenwart zu verheimlichen ; batie er ihn 
ja dem Zobe geweiht! — 

— Es war bereits dunkle Nacht. Von einem plößlichen 
Entſchluſſe gefaßt, von dem Muthe der Verzweiflung gefräftigt, 
erhob ſich Lidmila, trat im eim Nebenzimmer und legte hier die 
Haube und das Gewand ihrer Zofe, bie mit ihr von Einer Größe 
war, an. Um nad) jenem mehrerwäßnten, ſchmalen Gange zu ge: 
langen, der bis zum äußern Wale führte, der feiner faft uner- 
ſteiglichen Höhe wegen nicht befegt war, nud von wo aus fie fi 
den Belagerern verftändlih zu machen hoffte, mußte fie duch eim 
Pfortchen, welches gewöhnlich von einer Schildwache befegt war. 
Dies Pförtchen öffnete ein Schlüffel, der im ihres Gatten Bim- 
mer Bing. Sie war jenen Weg oft gegangen, wenn fie auf dem 
hoch und frei liegenden Walle luſtwandeln wollte. — 

Spanberg's Gemach war leer; glüdtich fand fie den Schlüſ- 
fel. Sacht, aber mit ängſtlich podendem Herzen ſchlich fie durch 
die finfteren Gänge bie Treppe hinab, um auf den Burgplatz zu 
gelangen. Die Pforte unten war verſchloſſen — fie fhob an dem 
Riegel; aber Burian hatte ohne Zweifel. die Thüre von außen 
zugemad)t. Sie tappte in der Finfterniß, denn ein Licht wurde 
fie verrathen Haben, dur den Gang des Erdgeicofies nach dem 
erften, zweiten Nebenpförtchen; aber feine Thüre wid; fie befand 


223 


fi in einem großen Gefängniffe. Von aufen hörte fie zuweilen 
Stimmengemurmel und leiſe Fußtritte auf dem grasbewachienen 
Vorhof. Sie lehnte fih an die feuchte Wand und fann und 
betete in der ſchreclichen Angft ihrer Seele. — Ein Gedante, 
ein Strahl der Hoffnung Iemchtete plötzlich vor ihr auf. Raſch 
flog ſie ſo ſchnell es bie Gier herrſchende Finferniß erlaubte, 
eine Wenbeltveppe hinauf. So gelangte fie bis unter das Dad. 
Eine: zerbrochene Thüre führte nad) dem baufälligen Thurme. Bon 
Hier uns konnte fie die Gegend überfehen und vielleicht durch das 
Innere deffelben Hinab in den Hof gelangen. Sie betrat die zer» 
brochenen Stufen und gelangte über Schutt und Geftein, bier 
und bort fid) ritzend und ausgleitend und ſtrauchelnd, immer tie- 
fer Hinab. Krähen und Eufen und ledermäufe, welche fie ans 
den Neftern aufſcheuchte, umflatterten fie und flarrten fie an mit 
den Teuchtenden Augen, daß fie faltes Grauen überlief. Jetzt 
mar fie unten. Sie tappte rings nach der Thüre, melde in’s 
Freie fügren folte; aber ein.Haufen Schutt und herabgeftürzte 
Dnaberfteine lagen vor derſelben. Sie ſchicktte ſich an, dieſelben 
hinwegzurãumen; aber trotz der Kraft, welche ihr die Verzweiflung 
und die namenloſe Angft gaben, war es: ihr dod nicht möglich, 
and nur Einen der fehweren Blöde von der Stelle zu wälgen. 
Sie warf fih erihöpft auf den Boden nieder. Jetzt ſchien jede 
Rettung unmöglih. Bor ihr lag dumpf und ſchrecklich das un» 
erbittlihe Schidjal und die grauenhafte Nothwendigkeit, die ihres 
Geliebten Leben forderte. — 

Auf jede Ansfiht verzichtend, erhob fie fi. Der grenzenloje 
Schmerz brad in Thränen ans; alt flürzten fle auf ihre be 
benden Hände darnieder. Sie ſchwankte mehr, als fie ging, bie 
morſchen, verfallenen hundert Stufen hinauf. Oben in ber öden 
Warte, welche durch vier offene Fenſter einen Dämmerſchein her- 
einfieß, raſtete fie unb biicte geiſterbleich hinaus in die dunkle 
Gegend, melde wie ein finfteres Beer meithin ausgebreitet lag. 


Der Himmel war mit ſchwerem Gewölt bededt und Heß micht 
Eines Gternes matten Glanz hindurch; nur bier und ba ſchim⸗ 
merte aus der grauen Tiefe ein Licht, wie der Blid eines Ster- 
benden, und zu matt, um mehr als feine mädjfte Umgebung zu 
belenchten. Ein röthliher Schein vom Fuße des Berges deutete 
den Play an, wo bie Wachtfeuer ber Velagerer braunten. 

Ihr Fuß fließ jeßt am etwas. Sie faßte darnach; es war 
ein Geil von beträchtlicher Länge. Ein Rettungsgebanfe durd- 
bligte fi. Sie befefligte das eine Ende des Seils am einen 
hervorſtehenden Balken umd warf dag andere in bie ſchwindelige 
Tiefe. Es erreichte den Boden, wie fie an ber Schwingung fühlte. 
Leife den Schutz der Muiter Gottes anrufend, flieg fie anf das 
Fenſterſims, faßte das Seil mit beiden Händen und ließ fih 
daran herab. Die Finſterniß verbarg ihr den granenhaften Abgrund; 
die Sehnen ber Arme wollten vom ber Gewalt der Schwere 
zeißen, aber Verzweiflung fählte fi. — 

So fand fie unten, athemio® und erſchöpft mit fchlaffen 
Armen. Um fie war zerträmmertes Geräthe, Dorngefiräpp und 
Schutt. Sie kroch über dafjelbe bis zu einer Definung, melde 
fih in der Mauer befand. Behutſam ſchlich fie an den Pfeilern 
vorwärts. Kaum noch zehn Schritte von ihr war das Pförtden, 
vor weldem die Wade ſchilderte. Eine Weile hielt fie fill und 
rang nad; Fafſung, dann trat fie raſch gegen den Söldner heran 
und fagte mit verflellter Stimme: „Landemann, ih habe ben 
Schlüfſel zu dieſer Pforte; meine Herrin fendet mich — fie hat 
unten am Walle ein Tuch verloren, worein ihre felige Mutter 
eigenhändig Blumen gefidt. Leicht Tönnte das Tuch im Getim- 
mel ber Belagerung verloren gehen. Sie muß das Tuch noch 
heute haben.“ 

„Hinaus Lönut Ihr, ſchmudes Zöſchen,“ ſprach der alte 
riegsknecht mit gedämpfter Stimme, „aber herein nicht wieder. 
Einlaffen darf ich feine Seele, und käme felbft die Mutter Got- 


225 


te8 mit dem Jeſuskinde, ich müßte ihr die Hellebarde in bie 
Bruſt rennen. Es fleht der Strid darauf, und das will etwas 
fagen. — Habt Ihr Luſt, dort unten die Nacht zuzubringen und 
den Sturm abzuwarten — mir ganz recht; aber rathſamer wäre 
es dann, Ihr leiftetet mic Gefellfhaft.. Wir durchplauderten bie 
Nacht; es ift ein Vorſchlag, ber ſich Hören läßt.“ — 

„Nein, nein!“ entgegnete fie Rotternd; „ic muß das Tuch 
Haben. Es koſte, was es wolle.“ — 

„Ich aber kann Euch nur heraus-, nicht aber wieder herein · 
laſſen,“ verſetzte der Krieger kalt und beinahe barſch. „Es iſt 
jetzt feine Zeit, mit leichtfertigem Weibervoll Umſtände zu ma- 
chen. — Befteht Ihr darauf, fo ruf ich laut die nächſte Wache 
an — der Führer fol kommen und Euer Begehren hören. Dann 
mag er Euch zum Herrn von Guttenflein geleiten; wenn's ber 
gelattet, Tann id) weiter nichts dagegen haben.” — 

„Das nicht, das nicht!” rief fie angſtlich; „ich kehre Lieber 
zurück und hole mir nenen Beſcheid von meiner Gebieterin.“ 

Wie es Euch gefällt,“ antwortete der Krieger und ftieß 
feine Hellebarde verdriefilih anf den Boden, indem er noch är- 
gerlid, einige unverftänbliche Worte in ben Bart brummte. 

Sie zog ſich zurna Hinter die Pfeiler, wanfte nad) der 
Oeffnung, ſchritt über das geftürzte Gemäuer und Iehnte Fraft- 
and willenlos an der Mauer des Turmes. Ihre Augen ſchweiften 
rettungslos zum Himmel; fie rang bie Hände nnd wimmerte laut. 

Endlich beſchloß fie zurüdzutehren. Sie ergriff das Geil 
und ſchwang fi baran empor; aber größerer Anftrengung be- 
durfte es, emporzugelangen. Sie wand fih ben Baft von ben 
Händen — unermeßlich ſchien ihr die Höhe, in welcher fie an 
dem Seile Hin und herſchwankte — nur immer eine Handbreite 
konnte fie weiter emporrüden. Jetzt befand fie ſich beinahe in der 
Mitte; aber die Kraft verließ fie, fie fühlte bie fchrediihe Ger 
wißheit, daß fie jegt im nächſten Momente hinabſtürzen wäfe in 

Hertoßfohm: Der Icpte Tabarit. I. 


226 


die ſchauderhafte Tiefe und amf beim fchroffen Geſteine ſich zer- 
ſchmettern. 

Aus der Tiefe ihrer angſterfüllten, verzweifelnden Seele rief 
fie um Rettung und Erbarmen zum Himmel — Stimmen tönten 
von unten, Waffengerafiel erfoll. — Ihr Fuß berührte jetzt ci- 
nen ans ber Mauer ragenden Stein, der einen Borjprung bilbete; 
anf ihm raftete fie, das Geil noch fet mit den Händen haltend. 

Ihr Bufen wallte, ihr Athem flog, das Herz ſchien die 
Bruft zerfprengen zu wollen; noch eine beträchtliche Höhe hatte 
fie vor fi, wie fie an ber dunklen Linie, welde das Geil über 
der weißlihen Mauer beſchrieb, gewahrte. Sie ermannte ſich end- 
Hd) wieder, faßte Trampfhaft deu rettenden Gtrid und Komm 
empor mit her legten Kraft, welde ihr die Verzweiflung gelaffen. 

Endlich erreichte fie das Fenſter bebenb und bis zum Tode 
erihöpft. Blut klebte zwiſchen ihren Fingern und rann auf das 
weiße Gewand herab. 

Nichts finnend, keines Gedankens fähig, nur dumpf vor fich 
das nahende Schreden, das lauernde und ficher verberbende, lag 
fie da, das Hanpt auf die Fenfterbrüfung geftügt, vegungelos, 
Tobesmübigkeit in den erſchlafften Gliedern. 

— Ein flärferes Geräuſch von unten wedte fie ans ihrem 
ftarren Zuftande. „Du ſtirbſt,“ ſprach fie mit ſchrecklicher Kälte; 
„es gibt feinen barmberzigen Gott mehr! Auch will ih nicht 
leben — brich, mein Herz, brich von felbſt, damit meine Hand 
Dich nit drehe! — 

Sie raffte fih auf und ſchwaukte nah dem Cingange. 
Alles drehte ih wirr um fie im wilden Taumel. Bewußtlos 
erreichte fie die Wendeltteppe und den Gang im Erdgeſchoſſe. 
Mit brechenden Knien wantte fie die Stufen zu ihrem Cloſet 
hinauf. Bier legte fie die Hülle ab und warf fih auf ihr La- 
ger. Im lautes Schluchzen brach ihr Schmerz; aus, milde Fie- 
berphantaflen zogen durch ihr erhigtes Gehirn, — fie konnte 


227 


nicht beten, nicht hoffen, nicht glauben. Bom Thurme der Ra- 
pelle ertönte die Glode — es mar eim einziger, greller, fchred« 
licher Schlag. Sie ſtieß einen durKdringenden Schrei aus; danun 
verſank die Welt vor’ ihrer äußern Wahrnehmung. — 


— Die Borhut, welche Vratislav und Zdenko anführten, 
hatte fi auf dem meiden Raſen vor dem erflen Graben gela- 
gert, und die ermübeten NKrieger Hatte bereits ber Schlaf über» 
mannt. Nur die vier ausgeftellten Schildwachen umb der alte 
Zbento fhliefen nicht. — 

Der Ritter hatte feine NRüftung abgelegt und ſchritt lau- 
ſchend amd :finnend am Rande des Walles auf und ab. Das 
Schloß bildete auf dem dunklen Hintergrunde bes Himmels nur 
ſchwache Umriſſe. Es ſchien wie ausgeftorben dort drüben, nur 
aus einem einzigen Fenſter — es war das Lidmila's — ſchim - 
merte matter Lichtglanz. Er ſchien wie die blaſſe Kerze über 
einem ſchwarzen Sarge, und der graue Himmel der büflere Dom 
mit fhmwarzer Kuppel. — 

Plõtzlich wurde Zdento’s Aufmertſamkeit nach jenem engen, 
oben offenen Gange, der fleil vom Berge herabfief, bingelodt. 
Es ſchimmerte etwas Weißes dort und wallte unaufhörlih her- 
nieder wie ein Gießbach — leiſes Geräuſch, das nur wie Sum- 
men herübertänte, wurbe vernefmbar. Knapp hinter ber Mauer, 
an welche der Gang ftieß, verlor fi allmälig die Erſcheinung. 
Dem geprüften Krieger warb diefes Alles auffällig; die dichte 
Dunfelheit ber Nacht ließ ihn aber nicht erkennen, was jene Be- 
wegung hervorbringe, oder ob dies Alles nur Täuſchung feiner 
geblendeten Augen fei. Er fprang raſch in den Graben hinab 
und watete bis an den Hals durch das fhlammige Waffer, um 
zu ber Mauer zu gelangen. Das Geräufd wurde Hier ſtärker; 
er hörte Harniſche irren und Fußtritte über den Steinboden 
raffeln. Er Iegte das Ohr an die Mauer und vernahm aus 

15* 





228 


dem Inuern des Erdwalles, wie das Kuarren einer Thüre, dem 
hohlen Widerhall der Schritte in einem engen, gewölbten Raume. — 

„Gin Ausfall ganz befimmt,“ ſprach Zdenko zu fich ſelbſt. 
„ein unteriebifher Gang; fie wollen uns ſicher vom Rüden oder 
von ber Geite beitommen. Darauf müflen wir gefaßt fein.” 

Er woatete raſch durch das Waſſer, wedte fo leiſe ale mög- 
lich feine Lente, befahl ihnen aufzubreden und zog fi wit ihnen 
gegen hundert Schritte weit zurüd, den Hügel hinab, wo berfelbe 
einen eingebogenen Rüden bildete und fo als eine ziemlich gerän- 
mige Ebene erſchien. Im Augeublicke waren Alle gerüſtet. — 
Lautlofe Stille herrſchte. Da regte es ſich dreißig Schritte von 
ihnen unter der Erbe; einige Schläge ertönten, dann krachte es 
laut. Der Rafen Hob fi, Erdſchollen fielen zu beiden Seiten 
Bin, und über den Schutt traten bebächtig erſt zwei, baum mehre 
Männer heraus. — 

Zbento winfte feinen 2enten, ruhig zu fein. Erſt als an 
dreißig Mann dem Erbboden, fo zu fagen, entquollen waren und 
biefe eine Bewegung, ohne die Lauerer unter fi zu gewahren, 
gegen ben Berg aufwärts machten, fprang er raſch mit ben Sei ⸗- 
nigen vor. 

„Sant nieder, was weiße Kittel trägt!” rief ex, umb feine 
Mannen fielen, indem fie ſich zerfireuten und die Anhöhe binan- 
zannten, den Feinden theils in deu Rüden und warfen ſich theils 
denjenigen entgegen, welche ſich aus der Deffnung des Bobens 
noch hervorbrängten. 

„Vratislav, Bratielan,“ ſchrie Zdenko, „dringe in den Gang 
ein, hau' fie nieder! — Der Weg führt in bie Burg. Ich decke 
Deinen Rüden.“ 

„Wir find verrathen!“ ſchrie Spanberg, welcher der Erſte 
beim Ausfalle war, und ſtürzte fi vom Hügel herab nad der 
Oeffnung bes Schlupfwinkels zu; „zieht Euch zurüch! Die Ketzer 
follen uns nicht gefangen nehmen I" 





229 


Er eifte mit gef twungenem Schwerte Bratislan entgegen 
und führte einen mörberifhen Hieb nad ihm. Doc diefer traf 
nur den Helm, der ſich dadurch verſchob und feine Augen ver- 
dedte. Noch bevor ihn Bratisfan wieder zurecht gefegt, war 
Spanberg mit Bielen ber Seinigen ſchon wieder in bie Höhle 
gebrungen. Bratislan folgte raſch, während Zdento in das Horm 
ſtieß, um die Hauptmacht umten im Lager zu allarmiren und zu 
Hilfe zu rufen. Im ben engen Raum des Ganges drängten ſich 
jegt die verfolgenden Böhmen mit Madt — biejenigen der Ber 
lagerten, welde auf diefe Art von ihrem Rüdzugsorte abgefänit« 
ten worden waren, wurden von Zdenko's Leuten niebergemegelt. 
Vratislav und die Seinigen drangen in der dunklen Höhle vor» 
wärts, blindfinge vor fi Hin ſtechend. — 

Die Fadel war verlöſcht — Spanberg fuchte und tappte 
vergeblich nach dem Riegel, melder bie Fallthüre öffnen follte. 
Er war ber Letzte. Schon fland Vratislav anf berfelben; ein 
Hieb, den er in ber Dunkelheit auf Spanberg’s Rüden führte, 
trieb diefen vorwärts, ohne daß er hatte den Boden öffnen fün- 
nen. Run drang bie Flut ber Berfolger vorwärts; knapp im 
Nüden der Verfolgten fprang fie bie Anhöhe hinauf in bem 
Schloßhof. 

Prinz Heinrich war mit einer Anzahl feiner Rente herbei⸗ 
geeilt; er drang zugleich mit Zdenko in die Tiefe. Waflengeraffel 
umd Kampfgetöfe erjchallte jetst über und unter der Erbe. — 

Auf dem Burgplage aber fand Burian mit dem Reſt ber 
Beſatzung; er Tieß feine flüdjtigen Leute ein, warf fid aber der 
bis jegt noch geringen Anzahl der Verfolger wie eine eherne 

” Mauer entgegen. Während Vratislav mehrmal vergeblich, ihn zum 
Weichen zu bringen verfuchte, kam endlich Zdenko an und ſchrie: 
„Wir müſſen Licht haben zu folder Arbeit!" Er ſchwang ſich mit 
eimigen feiner Lente über eine niebere Mauer nach dem Meinen 
Schloßhofe Hin, wo noch die Wachtfeuer glühten, ergriff Bier einen 


280 


Fichtenbrand; ſtauchte ihn am ben Boden, daß er ringsum Fun⸗ 
ten gab und bie Umgebung beleuchtete, und eifte, gefolgt van 
den Uebrigen, nad dem höfgernen, unter ber Ringmaner ange 
bauten Gtallgebäube. Hier warf er euer unter das Stroh, und 
bald ſchlug die Lohe durch das breterne Dach zum Himmel em- 
por. Ein rother Schein beleuchtete das Schloß und die Hof 
räume. Die Schaar der eingebrungenen Böhmen, welde mit 
jedem Augenblide wuchs, bra in ein lautes Hurrah aus. — 

Burian, der bie Unmöglichleit, länger dem Anbrange zu 
wehren, einfah, ſchrie dem Hinterften zu, die Pforte der Burg 
zu Öffnen, um nach jener Geite hin durch das Thor zu fliehen; 
er wollte den Rüdzug deden. — 

Während deſſen war Spanberg, uur leicht verwundet — 
denn jein Rüdenharniih hatte Vratislav's Hieb zum größten 
Theile aufgefangen — bie Treppe nad Lidmila's Gemade hin - 
aufgeftürkt. Er drang mit bloßem Schwerte und blutend hinein. 
Sie fand am Fenſter, von dem Getöfe des Kampfes wieder zum 
Leben erwedt, und flarrte in bie röthfihe Flut. Ihr Antlig war 
verflört, wie das einer Wahnfinnigen, ihr Rabenhaar gelöſt. — 

„Folge mir,” ſchrie Spanberg und faßte fie an der Hand 
— „es if mißlungen! Alles verloren — nur das Leben vielleicht 
noch zu retten! ort, fort!” Er zerrte fie am Arme zur Thüre 
hinaus. \ 

mLebt er?" fragte fie auffreifhend und bewußtlos biefe 
Frage rihtend. 

„Die Feinde alle Ieben!“ verfegte er, — „verfludt, ver- 
flucht fei unfer Mißgefhil! Sie leben, aber wir müflen fterben, 
rettet uns nicht die Flucht. Der Teufel fteht ihmen bei.” 

Er fihleppte fie in wilder Haft hinaus, die Treppe hinab 
bis auf den Hintern Hof der Burg, wo eine Anzahl feiner Lente 
bereits durch das geöffnete Thor über die herabgelaſſene Zug · 
brüde hinauseilte. 





231 


„Gebt Roffe her, Schafft meine Pferde, Ihr feigen Hunde!“ 
tobte und fluchte Spanberg; aber Keiner hörte, und gehorchte, 
Alles ſuchte fein Heil im der. Flucht, nur Eine Stimme antwor- 
tete: „Die Stalung brennt 1” 

Und in ber That flug die Lohe immer höher auf und 
färbte den Himmel und die Umgegend mit rothem, taghellem 
Scheine. Dazu kam noch, daß der Kundfchafter, welcher vor das 
Broder Thor beordert war, auf das gegebene Zeichen die Schen- 
nen anzufteden, beim erſten Aufichlagen der Flammen von der 
brennenden Stallung vermeinte, es fei das Fackellicht, welches 
Spanberg vom Thürmlein der Kapelle verſprochen Hatte Leuchten 
zu laſſen, und demnach nicht länger zögerte, feine Pflicht zu err 
füllen. &o beleuchtete der doppelte Brand nit nur Gtadt und 
Schloß, fondern au die Gegend im Umkreife von zwei Stum- 
den. — 

Burian firedte die Waffen und gab fi fammt feinen Len- 
ten, da ihnen durch Vratislav’s und Zdento’s Vorbrängen gegen 
die Pforte des Schlohgebäubes der Rüdzug unmöglich gemacht 
worden war, gefangen. Die beiden Cechtieer verfolgten die Fiuch⸗ 
tigen. Vratislav wäre gern zurüdgeblieben, denn er wußte ja, 
daß feine Geliebte im Schloffe verweile, vielleicht ſchutzlos frem- 
ber Willkür Preis gegeben fei, eine innere Stimme fagte ihm, 
fie ſchwebe in Gefahr; aber der Eifer des Kampfes trieb ihn 
vorwärts, 

Der Feind ſtob in ziemlicher Entfernung über das Blach- 
feld Hin; bie Glut des Brandes leuchtete jo Hell, dag man nicht 
nur die Schaaren, fondern auch die einzelnen Berfonen erkennen 
konnte. 

Vratislav raſte im ſchnellen Laufe vorwärts; eine ſteile 
Anhöhe auf der Kremfer Straße, die an ein Gehölz ftieß, er- 
ſchwerte num dem Fliehenden das raſchere Vorbringen. 

Knapp in ihrem Rüden befand ſich jegt Vratislav mit den 


* 


f 
Geinigen. „Heut Mies ohne Sqhonnug mieber!" gebot er jett 
indem er ber Erle bie Anhohe berauffprang. 

Nicht weit von ihm emtwirrte fi ein Haufen. Drehren | 
ſchienen einem Sinkenden beigelprumgen zu fein. Ein weißer | 
Gewand ſchimmerte aus dem Gewuhle — ein Bitter, ber das | 
Sänsert 904 hielt, vaffte mit dem finten Arme eine weiblide | 
Gehalt vom Boden auf umd trug fie mit ber ganzen Kraft die 
ſteile Höhe hinauf, indem er fchrie: „Nur mit dem Leben laſſ 
ich Did! Wehrt Cuch do, Ihr Hunde!“ 

Brotislav war im einigen raſchen Gprüngen ganz naht. 
Das Weib wandte ihr Autlitz und bfidte ihm über bie Schulter | 
igres Wetters entgegen; es war Lidmila, es war ihr bleiches 
Autlig, in der Röthe des Brandes erkennbar. 

Bratislav taumelte einen Schritt zuräd — Hinter ihm ſtob 
‘ein Bolt, mordbrüllend, die Waffen ſchwingend, feinem eben ge- 
gebenen Befehle mit uf nachfolgend, einher. — 

Ihm fdien Alles verloren mit dem Leben ber Geliebten. 
„Halt, Halt!“ freifchte er auf, fank in die Mnie und hielt das 
Säwert abwehrend gegen feine Leute; „hierher, hierher! Heiliger 
Gott! ic bin bfind! Helft mir, Brüder — bleibt bei mir, Brüder! 
Es iſt tiefe Rat um mi! Meine Augen find verloſchen! Gib 
mir mein Augenlicht wieder, heiliger Gott, und id will barın- 
herzig fein und ben Sündern bort ihr Leben fhenten! Flieht, 
flieht, ſo lange die dunkle Dede auf meinen Augen liegt; denn 
tommt mein bicht wieder, fo könnte mid bieß Gelübde gerenen.” — 

&s warf fid auf den Boden nieder; alle die Seinigen ver- 
fammelten fid um ihm, Keiner dachte mehr am bie Verfolgung 
bes ſin higen Haufens. — 

Erſt nach geraumer Zeit erhob ſich Vratislav wieder, ge- 
Mügt dom feinem Oheim, der Hefbeigeeift war. „Ich ſehe !“ ſprach 
er matt; „mas iſt mit mir vorgegangen? Wo bin ih? Wo ift 
der Feind p« 








un 





233 


„Sie haben das Didict gewenmen,* berichtete Zdenko und 
die Umgebung. 

„Laßt fie fliehen,“ ſprach Bratislan, wieder frei aufblidend; 
„es waren ihrer nur Wenige. Die werden uns nicht mehr ſcha- 
den. Wozu unnöthiges Blut vergießen? — Mein Oheim — wir 
tehren zur nach der Burg — vielleicht gibt e8 mod dort Arbeit 
für uns. Wir folen ums nicht zu weit entfernen. Laßt fie in 
Gottes Namen fliehen, ſchenkt ihnen das armfelige Dafein! — 
Blafet zum Rüdzug — es foll fi Alles fammeln. — Nun fort! 
Ih ahne Gefahr im Rüden. Wir wiſſen nit, ob Prinz Hein- 
rich ſchon bie Beſte in feiner Gewalt. hat. — No fah ih den 
Gutteufteiner kampfen gegen bie Unfrigen. fort, fort!“ 

Er ſchritt raſch vorwärts, die Anhöhe Hinab gegen bas Schloß; 
die Webrigen folgten ihm. — Das feuer des Brandes minderte 
fi, und -Zdento fah nunmehr felbft ein, daß es weiter nicht ge» 
rathen fei,.die wenigen flüchtigen zu verfolgen. — 

„Du, Wojta,“ fagte ein Kriegsfnecht, der mit feinem Ger 
noffen einige Schritte hinter dem Zuge folgte, „haft Du etwas 
bemertt 2" 

13H?" fragte der Angeredete — „nein, ich habe nichts 
Beſonderes gemerkt.“ — - 


„Ich Habe fo meine Gedanken £' fuhr der. Erfte zutraulih 


fort; „ih glaube, der Ritter war gar nicht fo plötzlich blind ge- 
worden. Allenfalls konnte ihm etwas Erbe beim raſchen Laufen 
in bie Augen geflogen fein, weiter nichts. Ich denke vigmehr, 
das fchöne Weib, das da Jener fortichfeppte, hat ihn gebiendet; 
denn jhön war fie, das ſah ih, id war ganz nahe. Sie fah 
bleih aus, aber ber Brand Hatte Rofen auf ihre Wangen ge- 
malt. — Wie fie ihn anſta rte — ich merkt’ es genan — fant 
er zu Boden und war blind.“ 

„Run, laß e8 doch auch fo fein,“ verfegte der Zweite; 


234 


‚was hätten wir and davon, wenn wir bie Frau mb ihren 
Ritter niedergehauen hätten?" — 

„Ich glaube nur,“ ſprach wieder der Erfie, „der Ritter 
tannte die Dame beflimmt von früher her und hat fie vielleicht 
gar geliebt. Es if alfo felbft im der Todesgefahr gut, wenn 
man Belanntichaft Hat und begünftigt wird; denn, ohne dies 
wurden fie niedergehauen; denn er fagte ja, wir follten Alles 
nieberhauen. An dem Weibe aber hätt’ ich's doch nicht gethan.“ — 

Sie erreichten während biefes Zwiegeſprächs die Uebrigen 
and rüdten mit ihnen in die Burg ein. Der Morgen graute; 
Indel, ſchol ihnen entgegen. Prinz Heinrich umarmte die Ritter 
von Techtic, dankbar dafür, daß fie jo weentlich zur Gewinnung 
der Befle beigetragen, mit Gerzlichfeit. — 

Kaum vernahm König Matthias, der zu Olmütz lagerte, 
die Kunde von dem Fall der Hradider Burg, fo brach er auf 
mit zahlreicher Heeresmacht, um den Schimpf zu räden. 

Heinrich war auf feine Ankunft gefaßt. Er befeftigte das 
Schloß noch mehr, warf taufend Mann unter Anführung der 
Techticer hinein und rüdte ſelbſt mit dem übrigen, nicht unbe 
deutenden Theile feines Heeres aus und lagerte fi zwei Stun- 
den weſtlich von der Stadt in einem Walde. — 

Im Fluge war Matthias ba, ftellte fein Volk im Kreiſe, 
ben er immer enger zog, anf und rüftete fi zum Sturme. — 
Bon der Racht begünfigt, rücte Prinz Heinrid) näger und be- 
fand fi beim Sonnenaufgange, nur durch eine waldbewachſene 
Anhöhe gefdieden, im Rüden des Feindes. — 

Matthias hielt im goldenen Waffenrode an der Spitze fei- 
ner Lente und ermuthigte fie durch fenrige Worte zum Sturme; 
ein lautes Hurrah der ſtreitluſtigen Ungarn antwortete ihm. Auf 
den Wällen wimmelte es von tapferen Böhmen, die Miene machten, 
nicht alfo leichten Kaufes ihre Eroberung fahren zu laffen. 


235 


Im eigener Perfon führte Matthias unter bem lauten Ger 
fehmetter ber Hörner die Stürmenden bis an den Rand bes Gre- 
bene. Siegbrüllend Iegten fie bie Leitern an und klommen mit 
Tolltühnheit empor, von der Beſatzung mit einem Gtein- und 
Kugelregen begrüßt. 

Zweimal wurde der Angriff zurüctgeſchlagen; Matthias ſchickte 
mit Hartnädigfeit fein Boll in's Feuer und Tieß jegt Kanonen 
auffagren, um den baufälligen Schloßthurm nieberzufdießen umd 
den Belagerten über dem Kopfe zufammenftürzen zu machen. 

In diefem Augenblide aber erſcholl fremder Hörnerflang in 
feinem Rüden; mit Windeseile brachen die Böhmen von der 
Anhöhe herab und überfielen die Stürmenden von Hinten. Cine 
ſchreckliche Unorbnung herrſchte unter den Ungarn. Matthias warf 
FH auf fein Roß, ritt zwiſchen feinen Schaaren auf und ab 
und fuchte vergebens ein geordnetes Treffen zu Stande zu brin 
gen. — 

Kaum hatten die Belagerten unter Zdenko's und Vratislav's 
Anführung ben Angriff ihrer Sandeleute wahrgenommen, als fie 
die Zugbrüden Herabwarfen und in geichlofienen Gliebern einen 
Ausfall machten. 

So kam der Feind zwiſchen zwei feuer. Zwar wehrten 
ſich die Ungarn tapfer, Matthias entging nur duch ein Wunder 
der Gefahr, gefangen zu werden, zwar verfudte er zweimal, bie 
Befagung zu werfen und mit ihr zugleih in das Schloß zu 
dringen, aber vergebens. Der junge König mußte endlich felbft 
ben Rüchug anordnen und in eigener Perfon anführen. ber 
diefer Rüdzug artete alsbald in allgemeine orbnungsfofe Flucht 
aus; man ließ die Kanonen im Stiche, und bie Schaar ber 
Flüchtigen ergoß fi auf der weiten Straße gegen Ungriſch -Brod 
hin — 

Heinrich war mit feinen tepferen Böhmen ſcharf im Rüden 
des Feindes. Hunderte ber Ungarn wurden niedergemadt, Haufen 


— 


” 
— Aber der Feind wer fuel und entlam troß ber dicht Rchen- 
ben Bäume auf feinen flinten Stoffen. 

Auf einem freien Raume im Gehölz Raub eine Ferfiütte; 
Des mb i 


Stunden vom Sonnenaufgang hatten fie unter ben Waffen zw 


Er näherte ſich der Hütte, ſtieß die angelehnte Thäre mit 
dem Fufe ein und trat vor. 

Haft wäre er bei dem Aublide, welcher fi; ihm Hier bot, 
zu Boben geflürzt. 

Auf einem Lager von Stroh nud wellen Blättern lag Lib- 
mila mit gelößem Haar, bleihem Antlig und bintbenegtem Ge 
wande; ueben ihr entfeelt, no mit dem Krampfe bes Todes 
im Angefiht, ihr Gatte. Ein einziger, trener Diener kauerte in 
der de, der vergebfih Troſt und Hilfe zu ſchaffen ſuchte. 

„Mein Xobesengel!“ rief Lidmila, das Haupt erfebend und 
die Biide mis frendigem Glanze auf dem Eintretenden heftend, 


287 


mit matter Stimme, „der Engel meines Lebens! a, 
gütiger Gott I“ 

„Libmite! Lidmila!“ ſprach er mit zitterndgg Stimme, und 
Thränen füllten feine Augen, „eben wir uns jeder? Barm ⸗ 
herziger Himmel! Ihr ſeid verwundet 1” 

„IH ſchützte ben Gatten mit ber eigenen Bruſt,“ verſetzte 
fie mit milden Ausbrud, wie es meine Pflicht war. Es mar 
vergebens! Die Böhmen Hatten Recht, mic zu tödten, ba ich 
doch auf der Seite ihrer Feinde war.” 

„Schaff' die Leiche fort! Hole den Arzt!” gebot Vratislav 
dem flaunend und furdtfam horchenden Knete und fant, wäh. 
rend dieſer Folge leiftete, neben dem Lager der Geliebten nieder 
und bededte ihre Hand mit heißen Küffen. 

„Ihr ſollt nicht ſterben!“ rief er im wilden Schmerze, 
„beim Himmel und bei ber Hölle nicht! Ihr dürft micht ſterben! 
D fo entladet denn das Schichſal den ganzen Sturm des Ent- 
fegens über meinem unglüdfeligen Haupte?! Lidmila! Nun Ihr 
frei fein, barf ich es Euch fagen, wie ich Euch einzig geliebt, 
ewig geliebt, unendlich geliebt! Ein wunerbittliches Geſchick trennte 
uns neidiſch mit bitterem Hohn und flarrer Kälte Ach! das 
Menfäenderz kann mehrmal drehen!" — 

„Ihr liebtet mich wirklich, Bratislav ?* verfegte fie, und 
ein Schimmer von Geligleit flog über das ſchneeige Antlig, „Ihr 
liebt mid noch? Himmliſche Botſchaft vor dem Scheiden! — 
Der Himmel iſt mild und gnädig! Bevor die ewige Nacht her- 
einbricht, fendet er mir nod einen goldenen, ſchönen Sonnen« 
ſtrahl. O mein Bratislan I" 

„Ihe werdet nicht fterben, Ihr könnt nicht fierben!“ tobte 
er in feiner unnennbaren Vernichtung; „es kann nur ein Traum 
fein; wir tränmen Beide. Wie kämet Ihr auch hierher ?* 

Er Heftete ſtarr ſeine Angen anf fir Ad! fie war mod 
fo ſchon, wie er fie damals zum erfien Male gejehen, das Auge 


⸗ 
noch urn, nur gedämpft feine Glut, die Miene mod) fo rei« 
send und verfodend, nur blaß gefärbt. — 

„Und iſt Alles wirklich fol” nahm fie nad einer 
Weite wieder Wort. „Der Stahl ging knapp unter dem Her- 
zen duch, und id fühle es, daß ic; verblute. Ruft feinen Arzt; 
die Minuten, welche unferem Wiederſehen noch beſtimmt find, foll 
keines Fremden Gegenwart Aören. — Mein Gatte wollte feine 
Nieberlage rächen; er lonnte es nicht ertragen, daß Ihr uns das 
Leben gerettet, und ſchloß fi dem Zuge bes Könige Matthias 
an. Hier verbarg er mih — im wilder Flucht kam er gerannt, 
um mid) weiter’ zu geleiten; aber bie verfolgenden Böhmen 
ſturzten ihm nad. Bon ihren Schwertern durchbohrt, fank er zu 
meinen Füßen nieder — ich deckte ihn mit meiner Bruft — cin 
raſcher Stoß, und ich fan. — Vratislav, ich habe ſchwer gebäßt 
in langjähriger, frende- und fiebeleerer Che! Mein Tro wollte 
ſich an Euch rächen, weit Ihr mic verihmäßt Hattet; ich lich 
den Borftellungen meiner Berwanbdten ein williges Ohr und wurde 
Spanberg’s Gattin. So wollte ich die Liebe zu Euch in mei 
nem Herzen bannen; aber fie erwuchs nur gewaltiger aus dem 
Hafſe. — O wäret Ihr damals nicht geflohen, als Ihr Euren 
Nomen genannt, ale Ihr ums geflucht und Euch vou meinem 
teenen Herzen kalt und feindlich losgeriffen 1” 

„Wohl geſprochen!“ entgegnete er mit falter Bitterfeit; 
„aber der Menſch Iermt ja den Werth feines Lebens erft dann 
erfennen, wenn er es verfpielt Hat, umb ich habe es verfpielt, 
ſchredlich verfpielt. — Der kalte, höhnifhe, tidifh-unerbittliche 
Himmel wollte es nicht, daß unfre Herzen einander gehören 
ſollten.“ 

„Und doch iſt er gerecht!“ verſetzte fie; „ich wollte Euch 
vor dem Ueberfalle retten, ließ mich am ſchwankenden Seile mit 
ubermenſchlicher Kraft vom Thurme herab, um Euch zu warnen. 
Es war vergebens! — Gott Half felbft, uud Ihr wurdet unfer 


239 


Erretter. No Hingt der Ton Eurer Stimme in mein Ohr, 
als Ihr uns zuriefet: „Flieht, flieht, ich ſchenke Euch das Ler 
ben! Es ift nun Euer Geſchenk, Vratislav — nehmt es zurück!“ 

„Meine Lidmila!“ wehllagte er, „o lebe — lebe um meis 
neitoillen! Weiß mic, nicht ans dieſem Kimmelstraume in bie 
ſchreclliche Nacht, die Einfamkeit zurüd, wo ih nur Schauber und 
Entfegen wie grinfende Schlangenhäupter rings um mid erblide. 
Noch einen Abend ber Seligkeit kaun ums bie Erde bieten, wandle 
ih an Deiner Hand. Der Tod Hat jenes verhafste Band zer- 
viffen — Gott muß barmderzig fein!" — 

„Set, wo id; Höre,“ ſprach fie mit Teuchtenden, verflärten 
Biden, „daß Du mich liebt, wo es mir ber Schmerz verfün- 
det, lauter als der heißefle Schwur, jetzt möchte ich leben, jetzt 
fleh' ich zum Allerbarmer um mein Dajein, und es follte ihm 
geweiht fein in Eindlicher Demuth und reuiger Buße, in from 
men Worten und heihen Danfgebeten; jegt mollte id leben — 
leben nur mit Dir und für Did, und das Leben wäre ichön, 
golden, ſtrahlend, vol Entzüden und GSeligkeit! O Allerbarmer, 
vette dieſes einzige Leben!“ 

Sie ſank zurüd auf das armfelige Lager. Er bededte ihren 
Mund mit brennenden Küffen, er fühlte nach ihrer Bruft, unter 
welcher das Blut unaufhörlich hervorquoll, und wollte feinem 
Strome wehren, er beſchwor Gott und alle Mächte bes Himmels 
um Rettung aus diefer Verzweiflung; aber vergebens! Der mat- 
tere Schlag ihres Herzens, ber leiſe verglimmende Blick beiehrte 
ihn, daß des Todes kalte Hand fein Opfer ſchon erfaßt habe. 

„Die Erde verfinkt,“ lispelte fie, matter werdend; „küſſe 
meine Augen, Geliebter, daß fie erwarmen und heller Dein Antlig 
fehen. Diefer Abſchied vom Leben — ift fo ſchön — und warum 
— fo kurz? Mein Gott! die Prüfung der Erde war ſchwer und 
fang — fol ih drüben im Lichte Alles finden — was ic hier 
vermißt? — Bratislav — ih habe Di unendlich geliebt — 


240 


mehr als meinen Gott! Drum zürnt mir mein Gott! — Ge 
dente mein im Liebe. Umfhlinge mid — rufe das Leben zu- 
rüd auf einen Angenblid. Mein Heiland — Jeſus Ehriflus — 
Brotislan !* 

Sie ſchlang im Todeskampfe die Arme feft um ihn, drüdte 
ihre Lippen feſt am die feinigen und athmete aus in dem letzten 
feligen Xuffe. 

Lange lag er ohnmächtig in der Umarmung der Leiche; der 
herbeigerufene Arzt wedte ihm wieder zum Lebe. — Er tratmit 
verflörtem Antlig aus ber Hütte, überblicte fein ringsum gela- 
gertes Bolt und rief in der Werzweiflung feines Schmerzes: 
„Worum weint Ihr nicht, Hunde? Warum feid Ihr fo froh, 
fo talt und theilnahmlos, während das ebdelfte Herz gebrochen? 
Hat Keiner von Euch den Muth, mir mein eigen Schwert in die 
Bruſt zu rennen? Ih muß ihr nach! Hört es, Ihr verfteinerten 
Menſchen, Ihr feelenlofen Eisklötze: ich habe fie geliebt, wie kei⸗ 
nen Menfchen auf Erben, und fie hat mid; geliebt mit der Kraft 
ihrer Seele, und einen Wurm der Reue babe ich im Herzen ge 
tragen Jahre lang und habe den Wurm jegt herausreißen wol» 
Ien, umb jegt — jest — o verfluchter, heimtückiſcher Teufel, den 
fie Gott oder Schidfal nennen — jegt mußte fie fterben! Warum 
bift Du jo blau, theilnahmlofer Himmel? Warum Hülft du dich 
nicht in Trauer? Und Ihr Bäume, was grünt Ihr fo frech wie 
die Hoffnung? da bie Hoffnung doch eingefargt ift als Speife 
für die Würmer! Kalte, tückiſche Natur, warum foll ih nur 
feben, da Alles tobt it? Warum legſt Du nicht die Macht dei 
ner Zerflörung, die Fäulniß, am mid, damit ich vernichtet werde 
wie Ales, Mes? — D id bin ber elenbefte, erbärmlicfte der 
Geſchaffenen; denn alle Sünder, auch bie größten, finden Gnade 
vor Gott, und nur ich micht, ich, der Verworfene, nicht! — 
Haltet ein Gottesgericht; ich läftre mich, meine Seele, den Him- 
mel, Euch — Alles — Mles!“ 





v 241 

Seine Stimme brach; er konnte nur ſchluchzen, er fant 
neben der Hütte auf den Boden nieder. Man teng ihn aus dem 
Balde auf eine Anhöhe in den hellen Sonnenſchein. 

Hier erholte er fi — blickte kalt und vernichtet um ſich; 
dann wandte er ſich zu feinem Leibknappen und befahl ihm, mit 
Einigen zurüdzufehren, die Leiche zu holen und fie nad; Hrabid 
au ſchaffen. — 

Einer der Krieger machte ihn jest aufmerffam auf einen 
Trupp fliehender Feinde, der ſich entweder verborgen oder zu 
fpät durchgeſchlagen und jegt bie Waldhöhe zu gewinnen ſuchte. — 

„Brecht auf!“ rief er mild feinen Leuten zu, „fte müfjen 
ben kalten Tod koften! Ein Opfer muß fie Haben! Entlommt 
Einer der Bapiften, fo morb’ ih Euch Alle!“ 

Und er rannte ihnen vorans über das Blachfeld nad dem 
Feinde Hin, ber dem Tode geopfert war. — Während fein Schlacht - 
ſchwert die Gegner mit fürchterlicher Wuth niederſchmetterte, 
ſummte er dumpf nnd grimmig vor fih Hin: 

„Was id, liebte, kann ich nicht befitzen ;“ 
„Warum foll da leben, was ich hafle ?" 

Ein Leichenwall war aufgethürmt; Keiner der Ungarn blieb 
am Leben, felbft die um Gnabe Flehenden wurden ſchonungslos 
hingeopfert. — 

Vratislav wandte ſich jet linkshin nad; der Strafe, auf 
welder Heinrich von Miünfterberg, mit der Hauptmacht langſam 
den Feind verfolgend, um ihn, wenn er fich geftellt, wo möglich 
noch einmal zu ſchlagen, gegen Ungrifej-Brod dinog. — 

Er erflomm einen Hügel — Leichen von Böhmen und Un- 
garn bededten ihn. 

„Wo it mein Oheim?“ fragte Vratislav, plöglich fi be 
finend; „Hat Reiner ben Ritter Zdenko gefehen 7“ 

„In diefer Gegend,“ berichtete ein Knappe, „trennte er 
fi von uns und warf fi auf einen Haufen Reiter.“ 

Herloßfohn: Der Iete Taborit. U. 16 


212 


„Dann ift es biefer hier,“ verſetzte Bratiolav darauf und 
deutete auf eine Leiche, bie mit dem Antlit auf der Erbe lag; 
nes if} fein graues Haar, fein Harnif. Der Heutige Tag hat 
mir Alles geftohlen, mic zum elenden Bettler gemacht I“ 

Er kehrte den Leihnam um — es war Zdenko. Gr hatte 
ansgelitten. ine Kugel war durch feine Bruſt gefahren; fein 
Todestampf mochte kurz geweſen fein. 

„Letztes Herz, das ich geliebt,“ ſprach Vratislav, indem er 
fih über den Gefallenen niederbengte, „fahre wohl! Beweine bie 
Erde, daß fie fo arm iſt; der Himmel- muß reicher fein.“ 

Er drüdte den Mund an das Ohr des Todten und li» 
ſpelte Hinein: „Du gelangft nad ihr, der reinen Seele, in das 
Licht; grüße fle, die Heilige — nenn' ihr meinen Namen, ſchil - 
dere ihr meine Schmerzen — grüße den Water und bie Mutter 
und Milada. — Ich fehe Euch wieder — ober die Hölle if 
Siegerin Hier und jenfeits! Amen.“ — 

Er raffte fi auf. „Grabt mit Euren Schwertern Hier 
ein Grab,“ gebot er ben Knechten; „er ſoll ſchlafen auf dem 
Bette der Ehre, das mir nicht vergönnt if als lege Ruheſtatt.“ 

Nachdem Zdenko beftattet war, eilte Bratislav mit den Sei» 
nigen dem Heere Heintid’s nad. — 


Bald darauf rächte König Matthias, nachdem er fein Volt 
von Olmüg und Brünn am fi} gezogen, feine Niederlage durch 
ein blutiges Treffen. Später warf fi ihm Georg mit zahle 
reicher Heeresmacht felbft entgegen; aber der Ungarnfönig fonnte 
den Kampf nicht eingehen, denn feine Stände riefen ihn zum 
Schutze feines Landes zurück, im welches die Türfen zu wieber- 
holten Malen fengend, plündernd und mordend eingefallen waren. 


243 


Der Friede kam zu Stande; die Erivählung bes polnifchen 
Konigsſohnes wurde für ungültig erklärt, Matthias als Georg’s 
Nachfolger in Böhmen, Mähren, Schlefien und der Laufig aner- 
IYannt. Im Falle er aber ohne männliche Erben fierben würde, 
ſollte Böhmen an. Bictorin .von Podebrad, Mähren aber an Hein- 
vie von Mäünfterberg fallen. — 

Es war im Frühling 1470, als bie Heeresabtheilungen aus 
Mähren nad; Böhmen zurüdzogen. Die Söldner zerftreuten fich, 
die Söhne bes Baterlandes kehrten zum heimischen Herde zurüd. — 

Vratislav ritt an ber Spige eines Haufens beim Schloffe 
von Slatina vorüber. Die Bäume prangten im erflen Grün, 
die Hügel waren mit zartem Sammet bededt, Lerchen wirbelten 
in der blauen, ducchfichtigen Luft, die Mutter Erbe war wieder 
jung geworben, wie eine Zauberin, die einen Wundertrank 
genoffen. “ 

Als Vratislan die Thirme des Schloſſes fah, gedachte er 
feines Freundes Zedvic, und der milde Schmerz ber Wehmuth 
zog in feine Bruſt. — 

Er ritt an der Mauer des Gartens vorüber — er ver- 
nahm jegt Taute Stimmen und erhob fid) im Sattel,um hinein 
zubliden. Auf einer Raſenbank zwiſchen blühendem Hollunder 
ſaß Niklas, der ein flattliher Mann geworden, und Bielt mit 
dem rechten, noch fibrigen Arme feine Maria, die in aller An- 
muth weiblicher Schönheit firahlte, umfangen. Zu ihren Füßen 
fpielten zwei blondgelocte Knaben im Sande, — 

Auf dem. Wege, welcher zur Gartenpforte führte, fand Eliſa; 
eben brüdte ein ſchöner Ritier — ihr Gatte, Zumzande von 
Sandberg — einen Kuß auf ihre Lippen und wollte ſich auf 
das Roß ſchwingen, welches er am Zügel hielt; ſchaternd aber 
tieß die Muthwillige feine Hand nicht los, und über den Scherz 
ber Liebenden Tächelte innig auch das Paar unter ber blühenden 
Laube. 

16* 


244 


„Rein, fügte Bratisiav düſter für ſich ſelbſt, „fie find zu 
glädih! Warum folte ich fie durch mein Erſcheinen fdhreden? 
Ich will nit ais Gefpenft unter fie treten umb ihren Friedens - 
himmel flören. Was bring’ id ihnen wieder al® bittere Erinne- 
rungen, Schmerzen, ZTodesbotihaften? Sie haben vergefien, und 
Heil ihnen, daß fie es haben! Sie haben vielleicht einen Todten 
beweint — fie follen feinen Lebenden beweinen. — Lebt wohl! 
ich ſprech es mit feuchtem Auge. Vergeſſet meiner — doch id) 
will Euer ewig gedenken. Mein Erſcheinen könnte Euch nur be 
trüben; denn das Ungtüd fledt an, und bie Nähe eines von 
Gott Berlafienen ift unheimlich. Das habt Ihr um mich nicht 
verdient 1" 

Er brad einen Zweig, der über die Mauer bervorragte, 
gab feinem Roß die Sporen und jagte dem Zuge nad. — 

— Im Prag überantwortete Vratislav von Techtie mittel 
ſchriftlicher Urkunde alle feine Güter und Schlöfſer dem König 
Georg zur Stiftung von Schulen und eines Lazarets für arme 
Iiraeliten. Letzteres follte ein Wert der Dankbarkeit fein, welches 
er bem edlen, längft verflorbenen Juden, der ihn damals mit 
Gefahr feines eigenen Lebens gerettet, ſchuldig zu fein glaubte. 

Er ſelbſt zog fih auf eine Meierei, bie er eigenthümlich 
behielt, in der Gegend von Oſſeg zuräd, um bier in ber Ein- 
famteit fein junges, aber ſchon früh entianbtes, im Kerne ver- 
nichtetes Leben zu beichliehen. 

— Den edlen König Georg übereilte der Tod im ein und 
fünfzigften Jahre, in dem Angenblide, wo er bei bes ſchwachen 
and unrähmlicen Kaiſers Friedrich beabfichtigter Euithronung 
nahe daran war, zum beutfchen Kaiſer erwählt zu werben. Einige 
Monate vor ihm hatte auch Rolycana das Zeitliche gefeguet. — 

Mit König Georg vom Podkbrad erloſch and Böhmens 
Ganz. Er war das Bild eines echten Böhmen, tauflliebend im 
Frieden, kampfgeübt im Kriege. Auf dem Todbette noch wünfdhte 


245 


ex die Losſprechung vom Kirchenbanne; als fie aber ber fatho- 
liſche Bifhof mit dem Bemerken, daß folde nur vom Vapſte 
ausgehen könne, verweigerte, fprad ber Held, ber au im Tode 
ein Mann blieb: „Dann wird wohl der liebe Gott, der noch 
über dem Papfte fteht, die Losſprechung felbft übernehmen müſſen.“ 

So ſchied er, beweint, betrauert, von feinem feiner Nach- 
folger erfegt. — 


28. 


Im Jahre 1664 ſtarb König Ferdinand der Erſte von Böh- 
men. Sein Nachfolger war fein treffliher Sohn, Marimilian ber 
Zweite. 

Als er in Prag gekrönt worden war, ſagte ſein Lehrer 
Schiefer von Wittenberg traulich zu ihm: „Dein Regiment in 
dieſem Lande beginnt mit wunderbaren Erſcheinungen. Ein Komet 
ſtrahlt am Himmel, jetzt im Wintermonat iſt es neuer Lenz ger 
worden, bie Wieſen grünen, die Kirſchbäume blühen, und fo eben 
meldet man mir ein feltenes Veifpiel von hohem Lebensalter. Nicht 
fern von Offeg farb auf feiner Meierei ein alter, böhmifcher 
Nitter in dem feltenen Alter von Hundert und breißig Jahren. 
Der Mann war feiner Zeit eim geachteter Kriegemann unb bat 
fich um wohlthätige Stiftungen verdient gemacht. Um ihn zu ehren, 
folltet Du, o Herr, ihm einen Grabftein fegen zu laſſen.“ 

„Und wie Heißt der Mann?“ verfegte der König, „den ich 
um fein Alter beneibe, weil id; mir es felbft wünfchte, um dieſes 
Land auf die Dauer glüdfih machen können.“ 

„Vratislav von Techtic,“ antwortete Schiefer, nana einem 
alten Geſchlechte.“ 

„Bon dem Manne Hab’ ich gehört,“ ſprach der abrig raſch; 
„er war ein eifriger Utraquiſt und Feind ber Habsburger und 


246 


der Deutfhen. — Ja — fest ihm im Offeger Kloſter einen recht 
ſchweren Stein, damit er mir nicht auferſtehe umb vielleicht an 
meinem Throne rüttle, der kaum & ſteht.“ — 

Als man ben Ritter, vom Cechtie beerbigte, fand man im 
feinem Garichen einen Grabhügel, welchen ein Kreuz ſchmucte, 
worauf vom feiner Hand folgende Juſchrift fand: „Sier ruht 
Beta, bie Tochter eines Gefangenwärters nur, aber vormals meine 
Erretterin aus ſchwerer Haft, dann treue Genofſin meines freude 
leeren Lebens. Segen und Dank ihrer Adel Sie ſtarb —.“ 

— Die Jahreszahl war verwittert. 


— Verlag von 3. 2. Kober in Prag — 


durch ale Buchhandlungen zu beziehen: 


Böhmen. Fand und Bolk, 


Geſchildert von mehreren Fachgelehrten. 

Mit einer, die Sprachgrängen bezeichnenden, Karte von Böhmen. 
768 Seiten. Eleg. geheftet 3 fl. 84 fr. O. W. — 2 Thl. 4 Sgr. 
WE San auch in 8 Heften zu 48 kr. d.W. = 8 Sgr. 

bezogen werben. 

Wir bieten Hiermit eine Encyklopädie, welche Alles, was ein 
jeder Gebildete über Böhmen umd feine Bewohner noth- 
wendig wiflen muß, in gebrängter Kürze und dennoch 
voltRändig umfaßt. 

Die Hervorragendfien Männer der Wiffenfchaft, ohne Unter 
ſchied der Nationalität, Haben jeber in feinem Fache bie Beiträge 
dazu geliefert. Es bringt ein tremes Bild, wie das ſchöne 
Böhmerland von der graueſten Vorzeit an bis auf 
unfere Tage war und wie es heute ifl. 

Dos Bud zerfällt in, drei Hauptabtheilungen. Die erſte 
Abtheilung Handelt von den natürlichen Berhättniffen des Lan- 
bes: geografiihe Lage, Drografie, Hydrografie, 
Klima, Flora, Fauna. Die zweite Abtheilung behandelt ben 
ſtatiſtiſchen Theil: Bevölterung und deren Bewegung, Rohe 
probnfte, Indufrie, Handel, Kirde, Schulweſen, 
Abminiftration, Berfaffung, Raatsredtlihe Ber- 
Hältniffe m f. w. Die dritte Abtheitung endlich iſt die hiſto⸗ 
Tifche und bringt nicht allein bie politiiche Geſchichte des 
Landes, fondern aud bie Kirhen- und Rechtsgeſchichte, 
die Geſchichte ber Literatur, der ſchönen Künfte und 
überhaupt jedes höheren Strebens auf materiellem und geiftigem 
Gebiete. 


Feſtkalender aus Böhmen. 


Ein Beitrag zur Kenntniß 
des Volkslebens und Dolksglanbens in Böhmen. 
Bon Otto Freiheren von Neinsberg-Düringefeld. 
640 Seiten. Eleg. geh. 2 fl. 40 k. O. W. = 1 Thl. 18 Sgr. 
Kaun andy in 8 Heften zu 30 kr. O. W. — 6 Sgr. bezogen werben. 


Dan findet in diefem „Fefkalender“: 

1. Die Namen aller Heiligen, welde in Böhmen ver- 
ehrt werden, bie Zahl und Bezeichnung der Kirchen, bie ihnen 
geweiht, ber Blumen, bie ihnen gewidmet find, und bei ein- 
zelnen Heiligen die Angaben über ihr Leben, ihren Enltus und 
die Einfegung ihrer Feſte; 2. die Namen ber kirchlichen 
Fefte, deren Vedentung, Urfprung und feier, die hanptſächlich- 
fen Wallfahrten nebſt den hiſtoriſchen Angaben über die be» 
treffenden Gnadenorte; 3. bie Gelöbniß- und hiftori- 
fen Fefe, welde in verffjiebenen Orten Böhmens das An- 
benfen an wichtige Ereigniffe verewigen follen; die Stiftun— 
gen, welde zum Gedächtniß am befondere Begebenheiten ober 
merkwittdige Perfonen gemacht worben find; die Feſte der einzel- 
nen religiöfen und weltlihen Genoffenfhaften (g.®. 
Schügengefellfhaften), fowie bie Bolls- und Kinberfefte, 
welde in Böhmen gefeiert werden; 4. bie vollsthümlichen Ge- 
bräude, Ceremonien und Meinungen, fo fih an diefe 
Feſte ober andere beftimmte Tage im Jahre Inüpfen; die Bolts- 
lieder, Sprichwörter und Wetterregeln, welde fi 
auf bie einzelnen Tage beziehen, und enblih 5. bie Jahr- 
märkte, welde durch ihre Bedeutung, durch Wefonderheiten oder 
duch das Alter ihrer Privilegien erwähnt zu werben verdienen. 
Jedem Monat geht eine kurze Einleitung über die Namen und 
deren Erklärung voraus. Ein genaues Orts- und Namensverzeich- 
niß zur Erleichterung des Nachſchlagens ift am Schluße beigefügt. 


Daran, Google 


N PT 2366 .H2 L4 1864 u 5555 


Der Ietzte Taborit 
2L4 


H 
 lniiniin hr 


3 6105 037 748 923 


Stanford University Libraries 
Stanford, California 


| Return this book on or before date due. 
! —— —— 


> 


Daran, Google