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Full text of "Der musikdruck mit beweglichen metalltypen im 16. jahrhundert und die musikdrucke des Mathias Apiarius in Strassburg und Bern"

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IsiMnict  11  Ijßwegliclißfl  letalltyjefl 


im  16.  Jahrliimdert 


und  die 


Musikdrucke  des  Mathias  Apiarius 

in  Strafsburg  und  Bern. 


Von 


Adolf  Thürlings. 


Leipzig 

Druck  und  Verlag  von  Breitkopf  &  Härtel 
1892. 


Alle  Rechte,  insbesondere  das  der  Übersetzung,  vorhehalten. 


im  das  Jahr  1500  hatte  die  Kunst  Gutenberg's  in  mehr 
denn  halbhundertjährigem  Siegeslaufe  ihre  umgestaltende 
Kraft  an  der  europäischen  Kulturwelt  längst  bewährt. 
Hain  schließt  sein  berühmtes  Hepertorium  hihliogra- 
pliicum^  worin  er  alle  ihm  bekannt  gewordenen  Drucke 
aus  der  Wiegenzeit  der  Kunst  beschreibt,  mit  dem  Jahre  1500  ab, 
weil  ihm  die  Fluth  der  nachher  erschienenen  Bücher  zu  groß  wurde. 
Ohnehin  faßt  sein  Verzeichniß  16299  Nummern,  und  wer  in  biblio- 
graphischen Dingen  bewandert  ist,  weiß,  daß  sich  die  Zahl  der  vor 
1500  veröffentlichten  Wiegendrucke  durch  genauere  Erforschung  der 
älteren  Bestände  der  Bibliotheken    noch  bedeutend  vermehrt  hat. 

Um  dieselbe  Zeit  aber  hatte  die  Musiknotenschrift  noch  allen 
Versuchen  einer  billigen  und  zweckentsprechenden  Vervielfältigungs- 
methode beharrlichen  Widerstand  entgegengesetzt.  Es  existirte  noch 
nicht  ein  einziges  Buch  mit  beweglichen  Musiktypen.  In  den  großen 
Kirchen  und  Klöstern  behielt  man  ganz  allgemein ,  wo  es  sich  um 
den  kirchlichen  Choralgesang,  den  Cantus  planus,  Plainchant.  han- 
delte, die  Sitte  des  Abschreibens  bei,  die  vielfach  noch  im  vorigen, 
ja  im  gegenwärtigen  Jahrhundert  gehandhabt  wurde.  Daneben  freilich 
machte  man  sich  die  Kunst  des  Buchdrucks  doch  so  viel  wie  möglich 
nutzbar,  indem  man  die  mächtigen  Choralnoten  mit  ihren  ebenso 
großen  Texten  in  Holztafeln  schnitt,  nach  Art  der  Formschneiderei, 
eine  Methode,  die  wir  noch  im  16.  Jahrhundert  ziemlich  lange  im 
Gebrauch  finden. 

1  * 


Diese  Methode  reichte  allenfalls  auch  aus  für  die  Beigabe  weniger 
Notenbeispiele  in  theoretischen  Werken,  für  die  nicht  sehr  zahlreichen 
Noten  in  Missalien,  Ritualien,  Agenden  u.  s.  w.  Wir  besitzen  aus 
dem  15.  Jahrhundert  derartige  Bücher,  in  denen  für  die  Musik  im 
Druck  nur  leerer  Raum  gelassen  ist  oder  höchstens  ein  Liniensystem 
gezogen  wurde,  so  daß  jedes  in  den  Handel  zu  bringende  Exemplar 
erst  mit  den  Noten  ausgefüllt  werden  mußte,  was  meist  handschriftlich, 
zuweilen  auch  mittelst  geschwärzter  Stempel  geschah.  Mindestens 
aber  seit  1488  finden  Avir  theoretische  Werke  über  Musik,  in  denen 
die  Noten  in  ziemlich  plumper  und  wenig  regelmäßiger  Form  auf 
Holztafeln  geschnitten  erscheinen. 

Für  die  Masse  der  eigentlichen  musikalischen  Produktionen,  für 
die  Musica  practica  ßgurata  mit  ihren  tausenden  von  Noten  und 
anderen  Zeichen  verschiedenster  Gestalt  und  Bedeutung  für  ein  ein- 
ziges Musikstück  wäre  indessen  eine  solche  Holzschnittreproduktion 
viel  zu  kostspielig  und  schwerfällig  gewesen.  In  der  zweiten  Hälfte 
des  15.  Jahrhunderts  hatte  die  mensurirte  und  mehrstimmige  Musik 
von  Jahr  zu  Jahr  bedeutendere  Pflege  gefunden,  und  große  Meister 
hatten  sie  auf  eine  bis  dahin  ungeahnte  Höhe  der  Vollendung  ge- 
bracht. Die  eigentlichen  Stammväter  der  kontrapunktischen  Musik, 
Joh.  Dunstable,  Gilles  l^inchois  und  Guillaume  du  Fay, 
waren  schon  145S,  bezw.  1460  und  1474  heimgegangen,  ersterer  in 
England,  letztere  in  Französisch-Flandern ,  wo  ihre  bahnbrechende 
Wirksamkeit  den  Grund  zu  einer  mehr  als  hundertjährigen  Blüthe- 
periode  der  Musik  in  den  Niederlanden  und  zu  einer  unbestrittenen 
Präponderanz  der  Niederländer  in  der  musikalischen  Komposition 
gelegt  hatte.  Die  kompositorische  Wirksamkeit  der  großen  Meister 
Johann  Okeghem,  Jakob  Hobrecht ,  Antoine  Busnoys,  Jos- 
quin  Depres,  Anton  Brumel,  Alexander  Agricola,  Loyset 
Compere,  Pierre  de  la  Rue,  Heinrich  Isaac  fällt  zum  Theil 
ganz  oder  fast  ganz,  zum  Theil  in  ihrer  größeren  Hälfte  ins  15.  Jahr- 
hundert, und  von  den  hunderten  und  aber  hunderten  von  Komposi- 
tionen dieser  und  zahlreicher  anderer  Meister  in  mehrstimmiger 
kirchlicher  und  Aveltlicher  Musik  war  um  die  Wende  des  Jahrhun- 
derts noch  nicht  eine  einzige  durch  den  Druck  einem  größeren 
Publikum  zugänglich  geworden. 

Die  Musikproduktion  stand  also  schon  in  voller  l^)läthe,  als  es 
am  Ende  des  15.  Jahrhunderts  einem  italienischen  Buchdrucker, 
Ottaviano  dei  Petrucci  aus  Fossombrone  unweit  Roms,  der  sich 
in  Venedig  niedergelassen  hatte,  gelang,  bewegliche  Metalltypen  für 
Notendruck    herzustellen,    und   zwar   sowohl   für   den   Figuralgesang, 


als  auch  für  die  eigenthümlichen  Tabulaturen,  von  denen  die  Lauten- 
spieler und  die  Organisten  abzuspielen  gewohnt  waren. 

Noch  Forkel,  der  fleißige  Plistoriograph  der  Musik,  war  im 
Anfang  unseres  Jahrhunderts  der  Meinung ,  daß  die  ältesten  musi- 
kalischen Druckwerke  als  erste  Versuche  sehr  unvollkommen  sein 
müßten.  Gerade  das  Gegentheil  ist  der  Fall,  wie  jeder  zugeben 
wird,  der  nur  ein  Stück  Petrucci'scher  Druckerarbeit  zu  sehen  und, 
wie  der  Verfasser  einer  vortrefflichen  Monographie  über  ihn,  Anton 
Schmid',  sagt,  »seine  Augen  an  den  Petrucci'schen  Notentypen  zu 
Aveiden«  Gelegenheit  gehabt  hat.  In  Ottaviano  dei  Petrucci  haben 
wir  nicht  nur  einen  genialen  Erfinder,  sondern  einen  unermüdlichen, 
charaktervollen,  mit  allen  bürgerlichen  Tugenden  geschmückten  Mann 
vor  uns.  Wie  seine  ganze  Geschäftsgebahrung  den  Eindruck  der 
Umsicht  und  Solidität  macht,  so  war  es  auch  nicht  seine  Sache, 
unfertige,  unreife  Erzeugnisse  an  den  Markt  zu  bringen.  Gleich 
seine  ersten  musikalischen  Druckwerke  zeigen  uns  die  neue  Kunst 
in  solcher  Vollendung,  daß  nur  wenige  seiner  Nachfolger  ihn  wieder 
erreicht  und  vielleicht  nur  einer,  Peter  Schoeffer,  von  dem  wir 
noch  zu  reden  haben  werden,  ihn  übertroiFen  hat. 

Als  Petrucci  seine  Erfindung  zur  Veröff"entlicliung  reif  erachtete, 
veschaffte  er  sich  im  Jahre  1498  ein  Privileg  auf  zwanzig  Jahre  von 
der  Signoria  zu  Venedig,  wodurch  er  das  ausschließliche  Pecht  zum 
Druck  von  Figuralnoten ,  von  Lauten-  und  Orgeltabulaturen ,  sowie 
zum  Verkauf  der  von  ihm  hergestellten  Werke  erwarb,  ein  Privileg, 
das  später  in  Anbetracht  der  ungünstigen  Zeitverhältnisse  auf  weitere 
fünf  Jahre  ausgedehnt  wurde.  Zur  Ausbeutung  dieses  Patentes  ver- 
band sich  der  mittellose  Künstler  mit  zwei  geldkräftigen  Buchhänd- 
lern, die  es  sich  angelegen  sein  ließen,  ihrem  neuen  Gesellschafter 
die  Errichtung  einer  Musikdruckerei  zu  ermöglichen  und  sich  von 
den  bedeutendsten  Komponisten  der  Welt,  zum  Theil  um  hohen 
Preis,  eine  große  Menge  von  Tonwerken  behufs  Abdrucks  zu  er- 
werben. 

Von  1501  an  erschienen  dann  in  rascher  Folge  zahlreiche,  meist 
umfangreiche  Drucke,  darunter  die  Meisterwerke  der  ersten  Künstler 
der  Zeit',  so  die  Messen  eines  Josquin,  Hobrecht,  Brumel, 
Ghiselin.  de  la  Pue,  Agricola,  de  Orto,  Isaac,  Gaspar 
u.  A.,    verschiedene   Bücher   Motetten,    Lamentationen    und    Laudi, 


1  Ottaviano  dei  Petrucci.  Wien  1845.  Vgl.  auch  Vernarecci,  Ottaotano 
Petrucci  da  Fossomhrone,  inventore  dei  tipi  mohili  metalUci  fusi  della  musica. 
Bologna  1882. 


6 

daneben,  wahrscheinlich  der  äheste  aller  Musikdrucke,  eine  Samm- 
lung von  300  meist  Aveltlichen  Chorgesängen,  Odhecaton  genannt, 
9  Bücher  italienischer  Frottole  und  mehrere  Bücher  Lautentabula- 
turen.  Für  die  rasche  Verbreitung  der  musikalischen  Kunst  in  weite 
Kreise  hinein  war  durch  diese  Drucke  ausgiebig  gesorgt;  für  die 
Musikgeschichte  sind  dieselben  eine  erste  feste,  unschätzbare  Quelle, 
die  freilich  in  unseren  Tagen  wieder  so  schwer  zugänglich  geworden 
ist,  als  hätte  es  eine  Vervielfältigungskunst  nie  gegeben;  denn  von 
den  Petrucci'schen  Drucken  sind  nur  mehr  einige  Avenige  Exemplare, 
von  manchen  kaum  ein  einziges  übrig  geblieben.  Einzelne  gingen 
ganz  verloren.  Im  Jahre  1511  zog  Petrucci  zur  Erweiterung  seines 
Geschäftes  in  seine  Vaterstadt  Fossombrone  im  Herzogthum  Urbino 
im  Kirchenstaat  zurück,  woselbst  er  sich  auch  für  wissenschaftliche 
Werke  einrichtete  und  für  seinen  Musikdruck  ein  Privileg  auf  fünf- 
zehn Jahre  innerhalb  der  Grenzen  des  Kirchenstaates  erwarb ,  wäh- 
rend seine  Gesellschafter  in  Venedig  das  Verlagsgeschäft  fortführten. 
Wiederum  erschienen  zahlreiche  Werke  und  neue  Auflagen  der 
früheren.  Außer  den  Messen  eines  Johann  Mouton  und  Antoine 
de  Fevin  verdienen  unter  den  Fossombroner  Drucken  besonders  die 
vier  Bücher  Motetti  de  la  Corona  1514  und  1519  Erw^ähnung,  in  denen 
eine  Reihe  nachmals  hochberühmter  Meister  jüngerer  Schule  zum 
ersten  Male  in  die  Öffentlichkeit  tritt,  wde  außer  den  beiden  Ge- 
nannten:  Carpentras,  Divitis,  Jacotin,  Maistre  Jan,  Lheri- 
thier,  Lupus,  Richafort,  Loyset  Pieton,  Costanzo  Festa 
und  Adrian  Willaert. 

Doch  nach  dem  Erscheinen  dieser  Sammlung,  die  noch  83  der 
bedeutendsten,  bis  dahin  ungedruckten  kirchlichen  Chorwerke  ent- 
hielt, war  der  Stern  Petrucci's  schon  im  Verbleichen.  Nach  dem 
Jahre  1523  scheint  er  den  Musikdruck  aufgegeben  und  sich  ganz 
dem  Drucke  wissenschaftlicher  Werke  zugeAvandt  zu  haben.  Mannig- 
fache Ehren  und  Auszeichnungen  AA'urden  dem  seltenen  Manne  von 
verschiedenen  Päpsten  zu  Theil,  und  im  Jahre  153G  begab  er  sich 
auf  dringendes  Ersuchen  des  Senats  abermals  nach  Venedig,  avo  er 
mit  seinen  schönen  Typen  noch  zahlreiche  lateinische  und  italienische 
Klassiker  vervielfältigte,  aber  schon   1539  starb. 

Der  Grund,  Avarum  Petrucci  so  lange  vor  Ablauf  seines  PriAdlegs 
mit  seinen  musikalischen  Drucken  aufhörte,  lag  Avohl  an  der  Kon- 
kurrenz, die  ihm  Jakob  Giunta  aus  Florenz  seit  dem  Anfang  der 
zAvanziger  Jahre  in  E-om  bereitete.  Seine  Drucke  AA^aren,  aaüc  die  des 
Petrucci,  doppelte,  d.  h.  es  Avar  zuerst  die  Lineatur  ohne  die  Noten 
gedruckt,  dann  erst  aus  einem  zweiten  Satze  die  Noten;  doch  standen 
sie  jenen  an  Schönheit  nach.    Schon  1526,  nach  Ablauf  des  Petrucci'- 


sehen  Privilegs,  druckte  Giunta  die  •>)Motetti  de  la  Coroncm  iliicm 
ganzen  Inhalte  nach  ab.  ^ 

Gegen  Ende  der  dreißiger  Jahre  aber  erhob  sich  abermals  Venedig 
zu  einem  wahren  Weltplatz  für  die  musikalische  Typographie.  Dies 
verdankt  die  Lagunenstadt  vornehmlich  einem  eingewanderten  Fran- 
zosen, Antonio  Gardane,  der  sich  auf  seinen  späteren  Drucken 
Antonio  Gardano  nannte.  Weit  über  hundert,  vielleicht  mehrere 
hundert  meist  umfangreiche  Tonwerke  hat  dieser  ausgezeichnete  Mann 
zwischen  1536  und  1569  gedruckt,  bis  er  im  letzteren  Jahre  von 
seinen  Söhnen  Angelo  und  Alessandro  abgelöst  wurde. 

Seine  Drucke  sind  aber  keine  doppelten  mehr,  sondern  einfache : 
die  Typen  enthalten  mit  den  Noten  zugleich  die  Lineatur.  Dieser 
große  technische  Fortschritt,  der  aber  zugleich  einen  ästhetischen 
Rückschritt  bezeichnet,  ist  eine  weitere  Stufe  auf  dem  von  Petrucci 
so  erfolgreich  betretenen  Wege.  Aber  Petrucci  selbst  hat  diesen 
Schritt  nicht  gethan ;  wo  es  überhaupt  zuerst  geschehen  sei,  muß 
dahingestellt  bleiben ;  in  größerem  Umfange  wurde  der  einfache 
Druck  in  Italien  jedenfalls  später  zur  Anwendung  gebracht,  als  in 
Frankreich.  Zu  der  Zeit,  wo  Antonio  Gardane  nebst  anderen  tüch- 
tigen Meistern,  wie  Girolamo  Scotto,  in  Venedig  auftrat  und 
befruchtend  auf  die  musiktypographische  Thätigkeit  in  ganz  Italien 
wirkte,  hatten  nämlich  andere  Länder  längst  eine  parallele  Entwicke- 
lung  aufzuweisen,  und  die  Fortschritte  der  Kunst  konnten  wieder 
über  die  Alpen  zurückwandern. 


II. 

In  Deutschland  gebührt  Er  hart  ()glin  zu  Augsburg  das  Ver- 
dienst, den  Musikdruck  fast  gleichzeitig  mit  Petrucci  ausgeübt  und, 
wie  es  scheint,  unabhängig  von  ihm  erfunden  zu  haben.  Er  druckte 
schon  1507  ein  musikalisches  Werk  und  1512  ein  werth volles  Lieder- 
buch mit  42  deutschen  und  7  lateinischen  vierstimmigren  Gesänoren, 
Aus  diesem  Jahre  besitzen  wir  aber  auch  schon  ein  Druckwerk 
Peter  Schoeffer's  des  Jüngeren,  zweiten  Sohnes  des  alten  berühmten 
Druckers  gleichen  Namens. 

An  dieser  Stelle  müssen  wir  der  Ansicht  Chrysander's  ^  gedenken, 
wonach    die    eigentliche   Erfindung   des   Notendruckes    in    einfacher 


1  Abriß    einer   Geschichte    des  Notendrucks,    in    der   AUgem.  Musik.  Zeitung 
(Leipzig,  Rieter-Biedermann)  1879,  Nr.  11  — 16. 


Weiterbildung  des  sogenannten  Patronendrucks  für  die  Choralmusik 
bereits  in  den  SOei^ahren  des  15.  Jahrhunderts  geschehen  sein  müsse. 
Was  also  später  Erfindung  genannt  wurde,  das  wäre  danach  nur  die 
erste  Anwendung  des  schon  bekannten  Princips  auf  die  Figuralmusik, 
In  seinem  geistvollen  Aufsatze,  der  alle  Formen  der  Notenvervielfälti- 
gung mitumfaßt  und  den  Grundriß  eines  noch  zu  veröffentlichenden 
größeren  Werkes  bilden  soll,  bezieht  Chrysander  dies  schon  auf 
Petrucci,  was  insofern  Bedenken  erregen  möchte,  als  aus  der  Form, 
in  welcher  der  Meister  sich  das  Privileg  für  den  Figuralnotendruck 
erbat,  wenigstens  das  mit  Sicherheit  hervorzugehen  scheint,  daß 
weder  Petrucci  noch  die  privilegirende  Behörde  in  Venedig  Kenntniß 
von  einem  schon  bestehenden  Gebrauch  beweglicher  Typen  für  die 
kirchliche  Choralmusik  gehabt  hat.  Chrysander  versichert  nun  freilich 
(a.  a.  O.  Spalte  166)  ,  daß  noch  vor  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
zahlreiche  Choralbücher  mit  beweglichen  Notentypen  romanischen 
und  deutschen  Gepräges  gedruckt  worden  seien ,  aber  er  citirt  nur 
einen  einzigen  Druck  dieser  Art,  der  in  Basel  11S8  ans  Licht  trat 
und  sich  im  Besitze  des  Herrn  Alfred  Littleton  in  London  befindet. 
Ich  bin  zur  Zeit  nicht  im  Stande,  diese  Angaben  näher  prüfen  zu 
können.  Sollten  sie  sich  als  begründet  erweisen  i,  so  dürfte  hier 
vielleicht  die  Quelle  gefunden  sein,  aus  der  die  deutschen  Figural- 
musikdrucker  die  Anregung  zu  ihrer  Erfindung  schöpften,  obgleich 
wenigstens  Oglin    die   volle  Originalität   für   sie   in   Anspruch  nahm. 

Thatsächlich  sind  die  sämmtlichen  Druckwerke  Oglin' s  und 
SchoefFer's  in  Doppeldruck  hergestellt,  und  damit  muß  das  ganze 
Gebäude  von  Vermuthungeu,  das  Chrysander  ^  auf  die  gegentheilige 
Meinung  aufbaut,  dahinfallen;  der  älteste  in  Eitner's  Bibliographie 
beschriebene  einfache  Druck  ist  ein  Sienenser  von  1515  und  befindet 
sich  auf  der  k.  Bibliothek  in  Berlin. 

Peter  Schoeffer  nun,  der  Zeit  nach  der  zweite  unter  den 
deutschen  Notendruckern,  erregt  unser  Interesse  in  doppelter  Weise, 
einmal  deßwegen,    weil   er  den  Notendruck  seines  Zeitalters  auf  die 


*  Hierbei  müßte  aber  ein  aus  der  Herstellungsart  der  lutherischen  Gesang- 
bücher entnommenes  Argument  (a.  a.  O.  Sp.  165  f.)  außer  Betracht  bleiben ;  denn 
weder  wurde  in  sämmtlichen  lutherischen  Gesangbüchern  ausschließlich  die  Figural- 
note  angewandt,  noch  ist  dies  der  Grund,  warum  darin  die  Noten  mit  Holzstöckchen 
hergestellt  wurden. 

2  A.  a.  O.  Sp.  182.  Chrysander  beruft  sich  für  die  Meinung,  daß  die  Drucke 
der  beiden  Meister  einfache  seien,  auf  Sehmid.  Ich  habe  in  dem  ganzen  Buche  keine 
Angabe  der  Art  finden  können.  "Wie  sollte  auch  Sehmid  dazu  kommen,  der  doch 
einige  der  betr.  Werke  selbst  gesehen  hatte?  Übrigens  hatte  schon  1S77  die  ge- 
genaue Beschreibung  in  Eitner's  Bibliographie  jeden  Zweifel  beseitigt. 


9 

höchste  Stufe  der  Vollendung  gebracht  hat,  dann,  Aveil  er  eine  Reihe 
von  Jahren  gemeinsam  mit  Mathias  Apiarius  arbeitete  und  so 
den  Ruf  des  Mannes  mitbegründete,  der  später  vom  Rate  der  Stadt 
Bern  als  ihr  erster  Buchdrucker  berufen  wurde. 

Auch  üglin's  Drucke  sind  sehr  sauber,  aber  mit  denen  Peter 
Schoeffer's  können  sie  sich  nicht  messen.  Ich  habe  nie  einen  schö- 
neren und  regelmäßigeren  Notendruck  gesehen  als  den  der  28  fünf- 
stimmigen  Cantiones  niederländischer,  französischer  und  italienischer 
Meister  von  1539;  aber  die  gleichen  schönen  Typen,  die  gleiche 
Schärfe  der  Noten  findet  sich  auch  schon  in  den  ältesten  Werken 
seiner  Druckerei,  wie  in  Arnold  Schlick's  Orgel-  und  Lauten- 
tabulaturen,  die  noch  in  Mainz  erschienen.  Die  zweite  Auflage  des 
1524  in  Wittenberg  gedruckten^  Johann  Walther' sehen  Gesang- 
büchleins druckte  er  1525,  wahrscheinlich  in  Worms;  die  späteren 
Werke  erschienen  in  Straßburg,  und  seit  1541  finden  wir  den  Meister 
in  Venedig  beschäftigt.  Aus  der  Zeit  seines  Zusammenwirkens  mit 
Mathias  Apiarius  in  Straßburg  von  1534 — 1537  kennen  wir  drei  herr- 
liche Drucke ,  von  denen  einer  eine  zweite  Auflage  erlebte :  das 
theoretische  Werk  [von  Johann  Frosch:  Herutn  musicalium  opus- 
culum  rarum^  1535  in  Folio;  die  Magnificat  octo  tonorum  des  Sixt 
Dietrich  von  1535,  und  endlich  die  berühmte  Sammlung  »Fünff 
vnd  sechzig  teutscher  liedera,  wahrscheinlich  1536  erschienen,  auf 
welche  wir  noch  zurückkommen  müssen.  Außerdem  veranstalteten 
die  beiden  Gesellschafter  zwei  neue  Auflagen  des  Walther'schen 
Wittenberger  Gesangbuchs,  eine  von  1534,  die  in  einem  Brockhaus'- 
schen  Katalog  von  1862  (Nr.  102)  auftauchte  ^  und  eine  von  1537, 
die  sich  in  München  befindet.  Im  Jahre  1534  druckten  sie  auch  ein 
riMpicedionv.  auf  den  Tod  des  Komponisten  Thomas  Sporer,  von 
Sixt  Dietrich  in  Musik  gesetzt.  ^ 

Die  ältesten  deutschen  Musikdrucke  haben  im  Gegensatz  zu  den 
groß  angelegten  Petrucci'schen  Werken  die  übrigens  für  die  Musik- 
geschichte sehr  zu  begrüßende  Eigenthümlichkeit ,  daß  sie  fast  aus- 
schließlich Tonstücke  deutscher  Meister  enthalten.  Erst  allmählich 
finden   die    großen    ausländischen    Kontrapunktisten  Eingang    in    die 


1  Weller,  Annalen,  II,  S.  333. 

2  Die  Beschreibung  der  Dietrich'schen  Werke  s.  bei  Eitner,  Erk  und  Kade, 
Einleitung  etc.  zu  Job.  Ott's  Liedersammlung  (Publikation  d.  Ges.  f.  Musikforschung, 
Jahrg.  IV),  Berlin  (jetzt  Leipzig)  1876.  80,  S.  53  fF.  —  Das  ebendort  S.  52  er- 
wähnte angebliche  Epithaph  des  Andreas  Schwarz  Francus  auf  Sixt  Dietrich 
hat  mit  diesem  nichts  zu  thun,  sondern  bezieht  sich,  wie  der  Text  (»Viti  Theo- 
dor i'-^)  i^&\x\a\(^\s%^d.^,  auf  den  berühmten  Nürnberger  Theologen  Veit  Dietrich, 
i  24.  März  1549. 


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deutschen  Uruckercieu,  ohne  daß  dabei  das  /um  Theil  sehr  kosthare 
deutsche  Sondergut  vernachlässigt  Avorden  wäre.  Diese  großartige  Er- 
Aveiterung  des  Arbeitsfeldes  verdankte  der  deutsche  Musikdruck  vielfach 
einer  Reihe  sehr  kunstverständiger  Männer,  die  uns  als  Herausgeber 
tüchtiger  Sammlungen  theils  nationalen,  theils  internationalen  Charak- 
ters seit  dem  Ende  der  30er  Jahre  entgegentreten,  wie  Sigismund  Sal- 
minger  in  Augsburg,  Johann  Ott  und  Georg  Forster  in  Nürn- 
berg, Georg  E.hau  in  Wittenberg.  Letzterer  war  selbst  Drucker ;  in 
Augsburg  druckten  Melchior  Kriesstein  und  Philipp  Ulhard, 
in  Nürnberg  Hieronymus  Resch,  nach  seiner  Kunst  Grapheus, 
Formschneider  genannt,  Johannes  Petrejus,  und  die  mit  ein- 
ander verbundenen  Johann  von  Berg  (Montanus)  und  Ulrich 
Neuber,  in  München  Adam  Berg.  In  Basel  erschien  1547  bei 
Heinrich  Petri  das  berühmte  theoretische  Werk:  Dodecachordon 
des  Glarean.  Mit  allen  diesen  Meistern  sind  wir  aber  schon  in  die 
Sphäre  des  einfachen  Notendrucks  eingetreten.  Wie  Schönes  und 
Vortreffliches  auch  in  dieser  Druck art  in  deutschen  Landen  ge- 
leistet wurde,  beweisen  außer  dem  genannten  Glareanischen  Werke 
mit  seinen  zahlreichen  Beispielen  ein-  und  mehrstimmiger  Kompo- 
sition ganz  besonders  die  Drucke  des  Johann  Petrejus  in  Nürnberg, 
denen  von  Schmid  der  zweite  Rang,  der  erste  nach  Peter  Schoeffer's 
Erzeugnissen  zuerkannt  wird.  Aber  auch  die  leider  nur  wenig  zahl- 
reichen und  fast  ganz  verschwundenen  Drucke  des  Mathias  Apiarius 
in  Bern  finde  ich,  nachdem  ich  sie  erst  in  letzter  Zeit  kennen  ge- 
lernt habe,  im  Vergleich  zu  den  meisten  anderweitigen  Musikdrucken 
außerordentlich  schön,  kräftig,   regelmäßig  und  scharf. 

Ehe  wir  uns  mit  diesen  noch  sehr  wenig  beachteten  Werken 
eingehender  beschäftigen,  Avollen  wir  zur  Vervollständigung  unserer 
geschichtlichen  Übersicht  noch  einen  kurzen  Blick  auf  die  übrigen 
Länder  werfen.  Zuerst  war  Frankreich  auf  dem  Plan  mit  den  1525  für 
einfachen  Druck  gefertigten  Punzen  und  Matrizen  des  auch  als  Kupfer- 
stecher wohlbekannten  PierreHautin,  der  die  Formen  für  die  Drucke- 
reien des  Pierre  Attaignant  in  Paris,  des  Jacques  Moderne, 
genannt  Grand  Jacques  in  Lyon,  und  des  TylmanSusato  in  Ant- 
werpen lieferte.  Attaignant  eröffnete  den  Reigen  wahrscheinlich 
1527  mit  einer  großartigen  Sammlung  von  Chansons  seiner  Landsleute, 
die  eine  noch  lange  nicht  erschöpfte  Quelle  für  die  Kenntniß  dieser 
schon  in  ganzer  Vollendung  dastehenden,  dem  französischen  Genius 
eigenthümlichen  graziösen  und  leichtgeschürzten  Kunstform  bildet, 
Modernus  hingegen  mit  einer  mehr  internationalen,  höchst  werth- 
vollen  Sammlung  von  fünf  Büchern  kirchlicher  Chorgesänge,  den 
))MoteUi  del  Fiorei'i,  aus  denen  später  Gardane  in  Venedig  einen  Theil 


11 

nachdruckte  unter  dem  Titel  )^Fior  de'  motetti^  tratfi  dalli  motetti  del 
Fiore<i.  So  waren  denn  nach  dem  Vorgange  Petrucci's  mit  den 
Motetti  de  la  Corona,^  die  als  Titelvignette  eine  Krone  trugen,  nun 
auch  Motetten  mit  dem  Blumenstück  vorhanden,  denen  wieder  Gar- 
dane's  Motetti  del  Frutto  mit  einem  Fruchtstück,  und  endlich,  das 
Emblem  der  Nachahmung  absichtlich  zur  Schau  tragend,  die  von 
Bughlat  in  Ferrara  herausgegebenen  Motetti  de  la  Simia,  Motetten 
mit  dem  Affen  folgten,  was  dann  zu  artigen  und  unartigen  gegen- 
seitigen Spöttereien,  Klagen  und-  Beschuldigungen  wegen  Nachdrucks 
führte. 

Als  ausgezeichnete  Musikdrucker  Frankreichs  sind  noch  Adrien 
Le  Roy,  Nicolas  du  Chemin  und  die  bis  tief  ins  18.  Jahrhundert 
hinein  eine  Art  von  Privileg  im  Notendruck  genießende  Familie 
Ballard  zu  erwähnen.  Ganz  vereinzelt  steht  eine  herrliche  Ausgabe 
der  AVerke  des  päpstlichen  Kapellmeisters  unter  Leo  X.,  Adrian  VI. 
und  Clemens  VII. ,  Eleazar  Genet,  wegen  seines  Geburtsortes  Car- 
pentras  im  päpstlichen  Gebiet  von  Avignon  auch  il  Carpentrasso, 
von  den  Franzosen  einfach  Carpentras  genannt.  Die  Typen  dieses 
seltenen  und  kunstreichen  doppelten  Druckes  sind  außerordentlich 
groß  und  unten  abgerundet,    so  daß    sie  den  modernen  sich  nähern. 

Das  Mutterland  der  kontrapunktischen  Musik,  die  Niederlande, 
hat  merkwürdigerweise  erst  spät  angefangen,  Musik  zu  drucken.  Erst 
1542  haben  wir  den  ersten  und,  wie  es  scheint,  einzigen  Druck  des 
Wilhelm  Vissenack  in  Antwerpen  zu  verzeichnen ;  es  folgen  ihm 
dann  aber  seit  154  3  sehr  bedeutende  Männer,  wie  der  schon  genannte 
Tylman  Susato,  dann  Christoph  Plantin  und  Hubert;Wael- 
rant,  alle  in  Antwerpen,  und  Peter  Phalese  in  Löwen. 

England  ist  am  meisten  zurückgeblieben,  indem  es  bis  über  die 
Mitte  des  IG.  Jahrhunderts  ausschließlich  in  holzgeschnittenen  Noten 
druckte;  erst  1560  erscheinen  in  der  Druckerei  des  John  Day  be- 
deutend verbesserte  Typen. 

In  Spanien  muß  frühzeitig  eine  bedeutende  Produktion  stattge- 
funden haben ;  es  sind  aber  nicht  gar  viele  Werke  in  die  mittel- 
europäischen Bibliotheken  gekommen ;  das  älteste ,  Avelches  Schmid 
bekannt  geworden  ist,  ist  von   1547, 

Die  Schönheit  der  älteren  Musikdrucke  ist  in  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts  nicht  wieder  erreicht  worden,  doch  nimmt  die 
Zahl  der  Drucke  bis  zum  Ende  des  Jahrhunderts  im  Verhältniß  des 
steigenden  Reichthums  an  musikalischer  Produktion  noch  erheblich 
zu.  In  den  dreißiger  Jahren  kamen  zu  den  älteren,  schon  genannten 
Komponisten  noch  hinzu,  um  nur  einige  der  leitenden  Namen  zu 
nennen,  der  Deutschniederländer  Nikolaus  Gombert,  die  Welsch- 


12 

niedcrländer  Jakob  Are  adelt  und  Johannes  Leloup  (Lnpi), 
die  Deutschen  und  Deutschschweizer  Thomas  Stolzer  und  Ludwig 
Senfl,  der  Franzose  Jean  Maillart,  der  Spanier  Christoph 
Moral  es;  in  den  vierziger  und  fünfziger  Jahren  ragt  der  doppel- 
sprachige Niederländer  Jakob  Clemens  non  Papa  an  Fruchtbar- 
keit und  künstlerischem  Genius  über  alle  Anderen  hervor,  und  erst 
nach  der  Mitte  des  Jahrhunderts  beginnt  die  Blüthezeit  der  beiden 
berühmtesten  Kontrapunktisten  aller  Zeiten,  des  Giovanni  Pier- 
luigi  da  Palestrina  in  Rom  und  des  Orlandus  de  Lassus  in 
München.  Als  Dritten  können  wir  diesen  Kunstheroen  das  Haupt 
der  Venezianischen  Tonschule,  Andrea  Gabrieli  anschließen,  dessen 
hochbegabte  Schüler  Johannes  Gabrieli  und  Hans  Leo  von 
Hassler  uns  nach  einander  zu  den  großen  Deutschen  des  17.  Jahr- 
hunderts, Michael  Prätorius,  Johannes  Eccard,  Heinrich 
Schütz,  Johann  Sebastian  Bach  überleiten. 

Wie  die  Zahl  der  Musikdrucke  des  16.  Jahrhunderts  hoch  in  die 
Tausende  geht,  so  waren  auch  die  Auflagen  vieler  Werke  sehr  stark; 
nicht  selten  folgten  mehrere  Auflagen  eines  Werkes  in  der  Stärke 
von  2500  Exemplaren  in  ganz  kurzer  Frist  einander  nach.  So  reich 
floß  der  Strom  der  polyphonen  Musik  in  jener  herrlichen  Kunst- 
epoche. Die  geistliche  Musik  mit  ihren  Messen,  Motetten,  Psalmen, 
Hymnen,  Lamentationen,  geistlichen  Liedern  u.  s,  w^  wiegt  vor ;  doch 
vrird  das  weltliche  Lied,  die  Chanson,  die  Canzone  und  Canzonetta 
und  die  kunstmäßigste  der  weltlichen  Musikformen,  das  Madrigal, 
ebenso  beständig  gepflegt. 

Die  Noten  der  alten  Drucke  sind  wesentlich  dieselben,  die  wir 
jetzt  noch  haben,  auf  und  zwischen  fünf  Linien  gesetzt,  mit  Ver- 
wendung der  etwa  benöthigten  Hilfslinien  und  unseren  heutigen 
Schlüsseln,  unter  denen  aber  der  C-Schlüssel  für  den  Tenor  und 
Alt  ausschließliche  und  für  Sopran  und  Haß  häufige  Anwendung 
fand,  und  uns  sonach  auf  der  ersten,  zweiten,  dritten  und  vierten 
Linie  des  Systems  begegnet,  während  der  F-Schlüssel  außer  seiner 
jetzt  allein  üblichen  Verwendung  als  Baß -Schlüssel  auf  der  vierten 
Linie  auch  für  den  Baryten  auf  die  dritte  und  für  ganz  tiefe  Bässe 
auf  die  fünfte  Linie,  der  Violinschlüssel  aber  für  hohe  Soprane  zu- 
weilen auf  die  erste  Linie  des  Systems  gesetzt  wurde.  Die  Ton- 
stücke folgen  alle,  weltliche  wie  geistliche,  der  Tonalität  der  soge- 
nannten Kirchentonarten  und  sind  stets  untransponirt  oder  in  der 
Oberquart  der  ursprünglichen  Lage  gesetzt,  d.  h.  sie  haben  entweder 
keine  Vorzeichnung  oder  sind  mit  einem  Be  vorgezeichnet.  Doch 
war  mit  dieser  Art  der  Notirung  nicht  beabsichtigt,  die  Tonhöhe  für 
die  Ausführung  mit   absoluter  Genauigkeit  zu  bezeichnen.     So  sind 


13 

auch  die  in  den  Stücken  vorkommenden  zufälligen  Erhöhungen  und 
Erniedrigungen,  die  wir  durch  Kreuz  und  Be  bezeichnen,  besonders 
in  der  älteren  Zeit,  gar  nicht  notirt;  es  gab  dafür  bestimmte  Regeln, 
denen  die  Sänger  zu  folgen  hatten.  Die  Taktzeichen  sind  meist  die- 
selben, die  wir  heute  noch  anwenden,  doch  giebt  es  besondere  Zei- 
chen für  dreitheilige  Maße  und  es  wiegen  die  längeren  Noten  über; 
nur  darf  man  daraus  nicht  den  Schluß  ziehen ,  daß  die  Tonstücke 
des  IG.  Jahrhunderts  deßhalb  langsamer  gesungen  worden  wären, 
als  unsere  heutigen  Chore.  Vielmehr  vertreten  häufig  Takte  von  drei 
ganzen  Noten  unseren  heutigen  Dreivierteltakt,  der  mit  der  modernen 
Bezeichnung  bei  den  Alten  nicht  vorkommt,  so  wenig,  als  etwa  ein 
''/g-  oder  'Ys-Takt.  Allgemeine  Zeitbezeichnungen,  als  AUegro^  An- 
dante u.  s.  w.  sind  nicht  vorhanden,  ohne  daß  es  deß wegen  an  feiner 
Nuancirung  und  reichem  Wechsel  des  Tempos  gefehlt  hätte. 

Partituren  in  unserem  Sinne  fertigten  die  Komponisten  meist 
nur  zu  eigenem  Gebrauche :  die  Organisten  und  Lautenspieler  be- 
gleiteten nach  eigenthümlichen,  althergebrachten  Tabulaturen,  welche 
uns  heute  kaum  übersehbar  erscheinen,  während  die  daran  gewöhnten 
alten  Meister  im  Gegentheil  mit  unseren  bequemen  und  selbst  für 
Anfänger  lesbaren  Klavier-  oder  Orgelauszügen  nichts  anzufangen 
gewußt  hätten.  Erst  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  erschienen  auch 
Partitur e 2) er  Vorguno  im  Druck,  die  aber  meist  nur  einen  fortlaufen- 
den Baß  enthielten,  den  man  dann  im  17.  Jahrhundert  mit  den  Zif- 
fern der  darüber  zu  greifenden  Akkorde  versah.  Das  deutet  das 
Ende  der  polyphonen ,  jede  Stimme  als  melodisch  gleichberechtigt 
behandelnden  Schreibart  und  den  Übergang  zum  homophonen  Stil 
an,  in  dem  die  Oberstimme  die  Melodie  hat,  die  übrigen  nur  be- 
gleitende Gänge  machen  und  zuletzt  nur  mehr  als  Akkordbestand- 
theile  aufgefaßt  werden. 

Die  Tonwerke  des  16.  Jahrhunderts  erscheinen  also  im  Druck 
nur  in  den  Einzelstimmen,  und  zwar  entweder  so,  daß  jede  Stimme, 
Sopran.  Alt  u.  s.  w.  in  besonderem  Stimmbande  abgedruckt  ist,  wie 
heut  zu  Tage  z.  B.  in  dem  bekannten  »Regensburger  Liederkranz«, 
oder  so,  daß  in  einem  Bande  alle  Stimmen  neben  und  unter  ein- 
ander stehen,  also  etwa  auf  der  linken  Seite  des  aufgeschlagenen 
Buches  oben  der  Sopran,  unten  der  Baß,  auf  der  rechten  Seite  oben 
der  Alt,  unten  der  Tenor.  Die  letztere  Form  fand  stets  Anwendung 
bei  den  großen  kirchlichen  Chorwerken  in  Folio,  wo  dann  nach  ur- 
alter Sitte  die  ganze  Sängerschaft  aus  einem  einzigen  großen  Buche 
zu  singen  pflegte.  Aber  auch  bei  einzelnen  kleingedruckten  Werken, 
die  als  Hausmusik  gedacht  waren,  finden  wir  die  gleiche  Einrichtung. 
Eine  Lyoner  Chansons-Sammlung  hat  sogar  die  Merkwürdigkeit,   daß 


14 

auf  jeder  Seite  eine  der  Stimmen  von  unten  nach  oben  zu  lesen  ist. 
Aus  diesem  Büchlein  konnte  man  also  nur  in  der  Art  singen,  daß 
die  Mitglieder  eines  Singquartetts  sich  zu  zwei  und  zwei  an  einem 
schmalen  Tische  einander  gegenüber  setzten.  ^ 

Zu  erwähnen  ist  noch,  daß  diese  Einzelstimmen  alle  ohne  Takt- 
striche gedruckt  sind,  und  daß  namentlich  in  den  älteren  Werken 
die  auf  eine  Textsilbe  zu  singenden  Noten  vielfach  zu  Ligaturen  ver- 
einigt erscheinen,  für  deren  Entzifferung  eine  Reihe  ziemlich  ver- 
wickelter Regeln  bestand. 

III. 

Kehren  wir  nun  zu  unserem  Mathias  Apiarius  zurück,  den 
wir  durch  seine  Verbindung  mit  Peter  Schoeffer  in  Straßburg  schon 
kennen  gelernt  haben.  Über  seine  Lebensverhältnisse  aus  der  Straß- 
burger Zeit  ist  so  wenig  etwas  bekannt  geworden,  als  über  seine 
Herkunft.  Nur  wissen  wir,  daß  er  im  Jahre  152S  von  Basel  her 
als  Theilnehmer  auf  der  Berner  Disputation  erschien;  man  .glaubt 
deß wegen,  daß  er  früher  ein  Geistlicher  gewesen  sei.  Aus  seiner 
Vorrede  zu  den  Bicinien  von  1553,  die  ganz  in  der  damaligen  schwei- 
zerischen Orthographie  geschrieben  ist,  könnte  man  vermuthen,  daß 
er  ein  Schweizer  war.  Jedenfalls  hat  seine  Verbindung  mit  Schoeffer 
ihm  Ehre  und  Ruf  gebracht.  Es  fragt  sich  nur,  was  Peter  Schoeffer 
bewogen  haben  könnte,  ihn  zum  Geschäftsgenossen  zu  machen.  Das 
Geld  ist  nicht  die  Ursache  gewesen,  denn  Apiarius  besaß  keines; 
er  befand  sich  vielmehr  in  der  Lage,  Avie  die  Akten  des  Bernischen 
Archivs  ausweisen,  bei  jeder  Gelegenheit  Vorschüsse  begehren  zu 
müssen.  Ich  vermuthe  stark,  daß  es  gerade  die  musikalischen  Talente 
und  Verbindungen  waren,  die  seine  Persönlichkeit  als  eine  werth- 
volle  Bereicherung  des  Schoeffer'schen  Geschäftes  erscheinen  ließen. 
Manche  der  tüchtigsten  Musikdrucker  waren  selbst  ausgezeichnete 
Komponisten,  wie  vor  allem  Anton  Gardane,  Girolamo  Scotto,  Tyl- 
man  Susato,  Hubert  Waelrant,  Claudio  Merulo.  Von  Apiarius  be- 
sitzen wir  zwar  nur  zwei  wenig  bedeutende  Stücke  in  zweistimmigem 
Kontrapunkt,  und  die  bescheidene  Überschrift,  die  er  diesen  giebt : 
yiolim  faciehaU.,  sowie  die  Nichterwähnung  derselben  auf  dem  Titel 
des  betreffenden  Werkes  deutet  an,  daß  er  auf  seine  schöpferische 
Begabung  keinen  sonderlichen  Werth  legte.  Dagegen  zeigen  uns 
diese  Stücke  zur  Genüge ,  daß  Apiarius  ein  tüchtiger  Musikverstän- 
diger war ;  auch  seine  Söhne  finden  wir  später  beim  Stadtpfeiferdienst 


1  Ein  Facsimile  davon  in  den  Monatsh.  f.  Musikgesch.,  Jahrg.  1873,  zu  S.  116. 


15 

ano-estellt.  Was  liegt  nun  näher,  als  die  Annahme,  daß  Apiarius  im 
Geschäfte  Peter  SchoeiFer's  hauptsächlich  den  Beruf  hatte,  Hand- 
schriften für  die  Ausbeutung  der  musikalischen  Abtheilung  der 
Druckerei  herbeizuschaffen,  die  Auswahl  für  den  Druck  zu  treffen, 
die  Korrektur  zu  überwachen,  ja  —  wer  weiß?  vielleicht  gar  den 
Musiksatz  selbst  eigenhändig  zu  besorgen  ?  Gewiß  ist  nach  der  ersteren 
Richtung  bei  der  Sammlung  der  65  teutschen  Lieder  des  Apiarius 
Hand  thätig  gewesen. 

Dieses  prächtige  und  wichtige  Werkchen  muß  uns  nun  zunächst 
beschäftigen.  Es  galt  lange  Zeit  als  Berner  Druck,  und  bis  heute  ist 
noch  nicht  volle  Klarheit  über  diese  Sache  geschaffen  worden.  Schon 
Uhland  veröffentlichte  aus  dem  Büchlein  eine  Anzahl  von  Lieder- 
texten; in  Goedeke's  Grundriß  der  deutschen  Literatur  (I,  §110,4, 
erste  Aufl.)  erscheint  es  unter  dem  Titel:  »Apiarius.  Fünff  vnd  sechzig 
teütscher  Lieder,  vormals  im  truck  nie  vß  gangen.«  Am  Schluß: 
))  Argentorati  apud  Petrum  Schoeffer.  Et  Matthiam  Apiarium.  o.  J. 
(um  1520).  54  Bl.  6.«,  und  Weller  verbesserte  daran  in  seinen 
Annalen  der  poetischen  National  -  Literatur  der  Deutschen  im  XVI. 
und  XVH.  Jahrhundert,  Bd.  II,  S.  312  :  »Des  Apiarius  Liedersamm- 
lung erschien  1537,  vergl.  Becker,  Tonwerke  Sp.  235.  Apiarius 
druckte  überhaupt  nicht  vor  1535  und  zog  1539  bis  1540  von  Straß- 
buro;  nach  Bern.«  Daneben  citirt  und  beschreibt  Weller  aber  das- 
selbe  Büchlein  noch  einmal  im  selben  Bande  seines  Werkes  (S.  18,  4) 
und  stellt  es  hier  als  einen  Berner  Druck  dar,  aus  dem  er  sämmt- 
liche  65  Texte  »ihrer Bedeutung  halber«  vollständig  abdruckt.  Weilers 
kurze  Beschreibung  lautet:  »LB  (d.  i.  Liederbuch),  o.  O.  u.  J.  (Bern, 
M.  Apiarius  c.  1550.  41  Bl.  oder  7  Bog.  weniger  1  Bl.  6.  Der  ganze 
Liedertext  in  Noten.«  Als  Fundort  nennt  er  noch:  «Freiburg  i.  Br.« 
Die  Angaben  Goedeke's  und  die  »Berichtigung«  Weller's  sind  heute 
leicht  richtig  zu  stellen,  da  mittlerweile  auch  die  musikalischen 
Bibliographen  emsig  bei  der  Arbeit  gewesen  sind  und  ebenso  werth- 
volles  als  genaues  Material  zur  Sache  herbeigeschafft  haben.  Wir 
wissen  nun,  daß  die  Lieder  4-  und  5 stimmig  sind,  daß  es  demnach 
fünf  Stimmhefte  des  Werkchens  giebt;  wir  wissen  durch  Robert 
Eitner^,  daß  sich  Exemplare  in  München,  Berlin  und  Zwickau  be- 
finden; wir  wissen,  daß  das  Werk  nicht  um  1520  erschienen  sein 
kann,  aber  auch  nicht,  wie  noch  C.  F.  Becker,  Anton  Schmid  und 
Goedeke  notiren,  1537,  noch  Aveniger,  wie  Weller  (S.  IS)  sagt,  c.  1550; 
vielmehr  muß  das  Buch  schon  1536  existirt  haben,  da  in  dem  Berliner 


1   Bibliographie   der  Musik- Sammelwerke    des  XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts, 
Berl.  1877,  S.  36,  woselbst  auch  die  genaue  Besehreibung  des  Werkes  zu  finden  ist. 


16 

Exemplar  über  dem  siebenten  von  z.völf  beigebundenen  bandschrift- 
lichen Liedern  im  Diskant  das  Datum  «20  Decemb:  163G«  beigefügt  ist. 
Dagegen  ist  das  Buch  sicher  ein  Straßburger  Druck,  was  nu^  zweifel- 
hatt  sein  konnte,  ehe  man  die  Tenorstimme  kannte,  in  der  die  Ano-abe 
des  Druckortes  und  beider  Genossen  als  Drucker  enthalten  ist  Gänz- 
lich ungerechtfertigt  ist  es,  unseren  Apiarius,  wie  es  Goedeke'thut  in 
eine  engere  Beziehung  zu  dem  Inhalte  des  Buches  zu  setzen  d  h 
ihn  etwa  als  Verfasser  der  Liedertexte  oder  der  Kompositionen  er- 
scheinen zu  lassen.  Weder  mit  den  Texten  noch  mit  den  Kompo- 
sitionen der  65  Lieder  hat  Apiarius  irgend  etwas  zu  thun;  letztere 
sind  der  Firma  von  18  verschiedenen  Komponisten  zugegangen  und 
unserem  Apiarius  kommt  nur  das  Verdienst  des  tüchtigen  Verlegers 
und  Herausgebers  zvi. 

Mit  den  Texten  i,  die  nur  das  Tenorheft  in  allen  Strophen  ent- 
hält, hat  sich  die  Literaturgeschichte  schon  vielfach  beschäftigt 
weniger  mit  den  Tonsätzen  2,  die,  wie  der  Titel  besagt,  Mxmai^  iü 
txnd  Ute  »^  gangen"  sein  sollen.  Wenn  es  erlaubt  wäre,  dies  o-anz 
genau  zu  nehmen,  so  müßte  man  unsere  Sammlung  spätesten^'s  in 
das  Jahr  1534  setzen,  da  ein  Nürnberger  Druck  mit  dem  Datum- 
20.  August  1534  (Eitner  1534  n.)  schon  einen  Senfl'schen  Tonsatz  aus 
ihr  enthält.  Aber  dieser  Druck  versichert  auch:  „üormatö  berg(etd;en 
im  Zxüd  nl;e  auf^gangcn".  Drei  andere  unserer  Tonsätze,  von  Artlio- 
pius,  Brätel  und  Wüst,  erschienen  1535  in  den  Frankfurter  „®a[|en= 
^au^erUn"  und  „9i^entter(iefc(in"  (Eitner  1535  d.  e.),  die  jenen  Anspruch 
nicht  erheben.  Hier  wäre  eine  Entlehnung  aus  unserem  Werk  wohl 
möglich,    wodurch   die  Zeit  seines   Erscheinens   vor   1535   zu   setzen 


wäre. 


Die  Namen  der  Komponisten,  die  sämmtlich  Deutsche  waren, 
geben  einen  bemerkenswerthen  Einblick  in  die  mannigfachen  Ver- 
bindungen, die  Apiarius  zur  Verfügung  standen.  Nu?  von  einem 
derselben,  Thomas  Sporer,  wissen  wir  sicher,  daß  er  schon  1534 
gestorben  war.  Die  Namen  Balthasar  Arthopius,  Huldreich 
Brätel,  Matthäus  Eckel,  Paul  Wüst  kommen  auch  in  anderen 
Sammlungen  vor,  doch  ist  von  ihren  Trägern  sonst  nichts  bekannt; 
Matthäus  Greiter  war  ein  Straßburger  und  auch  Dichter  geist- 
licher Lieder ;  Lazarus  Spengler  von  Nürnberg  erscheint  nur' hier 

1  Unter  den  Texten  befinden  sich  auch  zwei  » Bohnenlieder«,  von  denen  ver- 
muthlich  das  eine  jenes  Bohnenlied  ist,  mit  dem  nach  der  Anshelm'schen  Chronik 
in  Bern  1522  „tof  in  (S[c^en  a}Jittwitcf;en  ber  romticf;c  ^bla\i  buvd^  aße  Oaffeit  qetraqen 
tonb  tter[))Ottet  toarb."  Von  einzelnen  Texten  unserer  Sammlung  darf  man  aber 
wohl  sagen,  daß  sie  noch  über  das  Bohnenlied  gehen. 

2  Nur  ein  einziger,  von  Senfl,  ist  neuerdings  veröffentlicht  worden. 


17 

als  Komponist,  und  zwar  bei  einem  einzigen  Liede,  wie  er  auch  nur  als 
Dichter  des  einzigen  Kirchenliedes:  »Durch  Adams  Fall  ist  ganz  ver- 
derbt« bekannt  ist.  Auch  Wilhelm  Breitengraser  war  ein  Nürn- 
berger :  Wolf  Grefinger  lebte  in  Wien,  Paul  Hoffhaimer,  früher 
auch  in  Wien,  wohnte  seit  langem  in  Salzburg,  Sixt  Dietrich  in 
Konstanz.  Thomas  Stoltzer  war  beim  König  von  Ungarn, 
Stephan  Mahn  beim  König  von  Böhmen,  Arnold  von  Brück 
beim  Kaiser  in  Wien  Kapellmeister.  Von  letzterem  vermuthet  man, 
daß  er  aus  Brugg  im  Kanton  Aargau  stamme;  er  wäre  dann  nächst 
Ludwig  Senfl  aus  Kaiseraugst,  der  auch  in  unserer  Sammlung  mit 
sieben  Gesängen  vertreten  ist,  der  größte  schweizerische  Kontra- 
punktist. Sodann  enthält  unsere  Sammlung  noch  Stücke  von  zwei 
anderen  schweizerischen  Meistern,  die  bis  dahin  noch  in  keinem 
Druckwerke  vorkommen,  Cosmas  Alderinus  von  Bern  und  Johann 
Wannenmacher  von  Freiburg.  Nur  ein  einziger  Komponist,  Bene- 
dikt Ducis,  gilt  seit  Fetis  und  Ambros  für  einen  Niederländer  Namens 
Hertoghs,  da  durch  Antwerpener  Lokalforschungen  nachgewiesen 
Avurde,  daß  er  Organist  der  Marienkapelle  dortselbst  war.  Ambros 
Avill  nicht  einmal  zugeben,  was  doch  dieselben  Antwerpener  Quellen 
bezeugen,  daß  er  1515  nach  Niederlegung  seiner  Stelle  an  den  Hof 
Heinrich's  VIII.  von  England  berufen  worden  sei.  Doch  bleibt  die 
Thatsache  bestehen,  daß  er  1539  in  Ulm  «Harmonien«  über  alle 
Oden  des  Horaz  »der  Ulmer  Jugend  zu  Gefallen«  hat  drucken  lassen, 
sowie  daß  er  neben  französischen  Chansons  und  vlaemischen  Liedern 
auch  deutsche  Lieder  komponirt  hat,  und  zwar  außer  unserem  welt- 
lichen Liede:  „ßUenb  bringt  ^eiu  bem  f)er^eu  mein"  noch  eine  Anzahl 
evangelisch-kirchlicher  Tonsätze.  Es  mag  daher  nicht  allzu  gewagt 
sein,  den  Wohnsitz  dieses  Meisters  zur  Zeit  der  Entstehung  unserer 
Sammlung  in  Deutschland,  und  zwar  in  Ulm  zu  suchen.  Dagegen 
ist  die  Meinung,  die  noch  P.  Anselm  Schubigeri  zu  theilen  scheint, 
wonach  Benedikt  Ducis  mit  Benedikt  Appenzeller  dieselbe  Per- 
sönlichkeit gewesen  sei,  nicht  aufrecht  zu  erhalten ;  auch  war  Appen- 
zeller, der  von  1530 — 1555  eine  Anstellung  als  Chorknabenmeister 
in  der  Kapelle  der  Statthalterin  Maria  zu  Brüssel  hatte,  wohl  kein 
Schweizer,  vielleicht  aber  der  Sohn  eines  aus  Appenzell  stammenden, 
um  1511  erwähnten  nniatti'e  bombardiere  im  Heere  Karl's  V,  Namens 
Hantze  Appenzeller. 

Ein  Punkt   bedarf  noch    der  Aufklärung,     Weller,    wie    gesagt, 
bezeichnet  (S.  18)  unser  Werk  —  daß  es  sich  um  das  gleiche  handelt, 


1   Die  Pflege   des  Kirchengesanges  und   der   Kirchenmusik    in   der   deutschen 
katholischen  Schweiz.  '  Einsiedeln  1873,  S.  37. 

2 


18 

ist  zweifellos  —  als  Berner  Druck  von  c.  1550  und  erwähnt  ein  Frei- 
burger Exemplar,  welches  merkwürdigerweise  den  Musikbibliographen 
entgangen  war.  Sollte  Apiarius  wirklich  in  Bern  eine  zweite  Auf- 
lage, oder  besser:  einen  Nachdruck  veranstaltet  haben?  Franz  M. 
Böhme  1  sah  in  Berlin  einen  Nachdruck  in  A^erbindung  mit  einem 
solchen  der  Frankfurter  Gassenhauer  und  Reutterliedlin  und  hielt 
alle  diese  Stücke  für  Erzeugnisse  der  Schoeffer'schen  Officin.  Das 
war  aber  gewiß  eine  arge  Täuschung;  denn  nach  Eitner  (S.  85)  be- 
steht zwar  ein  solcher  Nachdruck,  ist  aber  «ein  einfacher  und  sehr 
mangelhafte.  Er  wird  also  aus  dem  ersten  Grunde  nicht  der  Straß- 
burger und  aus  dem  zweiten  nicht  der  Berner  Officin  angehören. 
Aber  auch  das  vergessene  Freiburger  Exemplar,  welches  Weller  be- 
nutzte, ist  kein  Berner  Druck.  Die  Freiburger  Universitätsbibliothek 
hatte  die  Freundlichkeit,  mir  das  einzige,  dort  vorhandene  Stimmheft 
zvizuschicken,  und  beim  ersten  Aufschlagen  schauten  mir  die  unver- 
kennbaren prächtigen  Typen  Schoeffer's  entgegen.  Auch  das  „öiö", 
welches  Weller  als  »Liederbuch«  gedeutet  hatte,  erwies  sich  als  ein 
Versehen;  es  ist  nur  ein  etwas  verschnörkeltes  33  auf  dem  Titel, 
welches  „93a[[u§"  bedeutet.  Von  einer  Herkunft  dieser  Baßstimme 
aus  Bern  könnte  also  nur  die  Rede  sein,  wenn  Apiarius  die  Schoeffer'- 
schen Typen  mit  nach  Bern  genommen  hätte.  Das  ist  aber,  wie  alle 
Berner  Drucke  unzweideutig  ergeben,  nicht  der  Fall  gewesen.  Apia- 
rius hat  allerdings  Druckereieinrichtungen  aus  Straßburg  mit  nach 
Bern  gebracht;  denn  am  19.  Januar  1537  dekretirte  ihm  der  Rath 
von  Bern  Freiheit  von  Zoll  und  Geleit,  „fo  inin^  t>onn  [tnem  gef(i)efft 
iJUUb  ipujrat  süftenbig  [in  Unu'beu";  aber  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
waren  seine  Notentypen  noch  nicht  dabei,  sicher  aber  keine  solchen 
für  doppelten  Druck. 

Die  Freiburger  Baßstimme  gehört  demnach  der  Originalausgabe 
des  Werkes  an.  Beigebuuden  ist  ihr  die  Baßstimme  der  Maxpiißcat 
von  Sixt  Dietrich,  Avobei  es  nach  einem  eingeklebten  Zettel  Jul. 
Jos.  Maier's,  des  verstorbenen  Konservators  der  musikalischen  Ab- 
theilung der  Münchener  Bibliothek,  zweifelhaft  ist,  ob  sie  der  ersten 
oder  der  zweiten  Auflage  dieses  Werkes  angehört. 

Diese  zweite  Auflage  des  Dietrich'schen  Werkes  wird  wohl  das 
letzte  Buch  sein,  welches  unter  dem  Namen  beider  Drucker  in  die 
Welt  getreten  ist.  Die  Widmung  ist  an  Simon  Grynaeus,  einen 
reformirten  Theologen  und  Professor  der  griechischen  Sprache  in 
Basel,  gerichtet,  und  wir  wissen  aus  zwei  von  Dr.  Sieb  er  in  den 
Monatsheften  für  Musikgeschichte  (VII,  125  f.)  veröffentlichten  Briefen 


1  Altdeutsches  Liederbuch,  Lpz.  1877,  S.  791,  Nr.  9. 


19 

des  Komponisten  an  Bonifaz  Am  erb  ach,  daß  Grynaeus  durch 
seine  Munificenz  die  Herausgabe  des  Werkes  ermöglicht  hatte.  Das 
Datum  der  Widmung  lautet:  »1537.  Calendas  Augusti.«  Um  diese 
Zeit  war  aber  der  eine  der  Geschäftstheilhaber  schon  nach  Bern 
übergesiedelt,  wie  ich  im  Gegensatz  zu  Weller's  Angabe:  »1539  bis 
1540«  endgültig  feststellen  konnte. 

IV. 

Die  schon  erwähnte  Vergünstigung  zoll-  und  geleitsfreien  Um- 
zugs für  Geschäft  und  Hausrath  verdankte  Mathias  Apiarius  Avohl 
dem  Umstände,  daß  er,  wie  Fetscherin^  versichert,  vom  Eathe  der 
Stadt  Bern  ausdrücklich  berufen  wurde.  Im  Bernischen  Archiv  fand 
Herr  Seminarlehrer  Flury  darüber  nur  eine  Eintragung  im  Raths- 
manual:  „fritag,  19,  Sanuarti  1537.  Apiariura  jü  einem  büvßevüd^eu 
^tnfcerfe^en  angenommen." ^  Es  konnte  indessen  bisher  immer  noch 
zweifelhaft  sein,  ob  der  Umzug  wirklich  sehr  bald  nach  den  beiden 
erwähnten  Rathsbeschlüssen  stattgefunden  habe.  Als  ältester  Druck 
des  Apiarius  und  damit  als  ältester  Berner  Druck  überhaupt  galt 
bis  jetzt  ein  Katechismus  von  1538.  Im  Zvisammenhalt  mit  der  That- 
sache ,  daß  die  Widmung  des  Straßburger  Werkes  vom  1 .  August 
1537  noch  von  Apiarius  mitgezeichnet  war,  konnte  man  leicht  auf 
den  Gedanken  kommen,  daß  sich  die  Übersiedelung  aus  irgend  einem 
Grunde  bis  in  die  zweite  Hälfte  des  Jahres  oder  gar  bis  zum  folgenden 
Jahre  verzögert  hätte.  Erst  die  Wiederauffindung  eines  Druckes  von 
1537,  der  also  fortan  als  ältester  Berner  Druck  zu  gelten  hat,  hat 
allen  Zweifel  beseitigt. 

Dieser  älteste  Druck  ist  ein  musikalischer,  aber  bemerkenswerther 
Weise  nicht  mit  beweglichen  Metalltypen  hergestellt,  ein  theoretisches 
Werk  des  Lüneburger  Kantors  Auetor  Lampadius:  Compendium 
Miisices  ,  tarn  ßgurati  quam  plani  cantus.  Mir  fiel  die  Angabe  von 
Ort  und  Drucker  etwa  vor  Jahresfrist  zuerst  auf,  als  ich  die  Theo- 
retica  der  Breslauer  Bibliotheken  in  der  vortrefflichen  Bibliographie 
Emil  Bohn's  (Berlin  1883)  einer  neuerlichen  Durchmusterung 
unterzog.  Dort  mag  man  auch  die  genaue  Beschreibung  des  Werk- 
chens sowie  die  der  Ausgabe  von  1554  nachlesen 3.  Es  fand  sich 
dann,    daß    das  Werk    ganz   richtig  auch  von  Fetis    citirt  war,   und 


1  Historische  Zeitung  1853,  S.  76. 

2  S.  auch  Rettig,  Notizen  über  M.  A.  im  Stück  IV  des  Archivs  f.  Gesch.  des 
Deutschen  Buchhandels.     Leipzig  1879,  S.  31. 

3  S.  auch  Beilage  III. 


20 

nicht  minder  in  Gerb  er 's  neuem  Lexikon,  in  Forke  l's  Litte- 
ratur  der  Musik  und  in  Walther's  Lexikon;  überall  mit  der  rich- 
tieren  Angabe  des  Druckortes.  Ich  war  daher  sehr  erstaunt,  daß 
man  in  liern  nichts  davon  Avußte ,  und  daß  mit  diesem  Büchlein, 
das  seine  Herkunft  bisher  in  den  wenig  gelesenen  musikalischen 
Bibliographien  zu  verstecken  gewußt  hatte,  der  älteste  J^erner  Druck 
wiedergefunden  sei.  ^ 

Ich  muß  mich  beeilen,  festzustellen,  daß  der  Verfasser  wirklich 
den  seltsamen  Vornamen  Auetor  geführt  hat ;  denn  alle  Autoren,  Emil 
Bulin  nicht  ausgeschlossen,  hielten  dieses  Wort,  was  ihnen  nicht  zu 
verdenken  ist,  für  die  etwas  vordringliche  Bestätigung  seiner  Autor- 
schaft. 2  Schon  1549  hat  Erasmus  Rotenbucher  in  seinen  Nürn- 
berger Diphona  sich  nicht  getraut,  unserem  Lampadius,  von  dem  er  ein 
Exemplum  unseres  Büchleins  und  noch  ein  anderes  Stück  abdrucken 
ließ,  seinen  Vornamen  beizusetzen.  Bei  näherem  Zusehen  schwindet 
aber  jeder  Zweifel,  daß  Auetor  wirklich  den  Vornamen  darstellt. 
Nicht  nur  nennt  er  sich  selbst  wiederholt  so.  sondern  auch  Eber- 
hard von  Rumlang  aus  Winterthur,  damals  in  Bern,  der  dem 
Büchlein  einen  Geleitsbrief  an  den  Musikbeflissenen  voransetzte,  stellt 
die  beiden  in  Versalien  gedruckten  Namen  so  neben  einander,  daß 
nur  an  Vor-  und  Zunamen  gedacht  werden  kann.  Endlich  läßt  aber 
auch  die  Angabe  des  Titels:  »Ab  Auetore  Lampadio  Lunebur- 
gensi  elaborata«  schlechterdings  keine  andere  Deutung  zu.  Lampa- 
dius selbst  schrieb  noch  eine  Dedikation  an  zwei  junge  Leute,  wahr- 
scheinlich seine  Schüler  in  Lüneburg,  und  ein  Joannes  Telorus 
machte  das  übliche  Gedicht  «m  laudem  musicesii.  Das  Büchlein  ist 
in  dialogischer  Form  abgefaßt  und  trotz  seiner  gedrängten  Fassung 
äußerst  lehrreich  und  vortrefflich.  Apiarius  hat  einen  guten  Grifl" 
damit  gethan;  denn  es  sind  wenigstens  fünf  Auflagen  erschienen; 
drei  davon,  aus  1537,  1539  und  1546,  die  Fetis  besaß,  werden  in  der 
Brüsseler  Staatsbibliothek  liegen:  eine  von  1541  erwähnt  Draudius 
hl  der  Bibliotheca  classica,  und  die  von  1554  besitzt  neben  der  ersten 
die  Universitätsbibliothek  in  Breslau.  ^  Diese  Ausgabe  hat  besonderes 
Interesse.     Der  Titel,  auf  dem  sieben  Zeilen  roth  gedruckt  sind,   ent- 


1  Erst  nach  Fertigstellung  dieser  Arbeit  erfuhr  ich,  daß  schon  1890  Eduard 
Jacobs  das  Büchlein  gesehen  und  über  den  Verfasser  einen  erschöpfenden  Auf- 
satz in  der  Vierteljahrsschrift  für  Musikwissenschaft  veröffentlicht  hat.  Ich  -will 
aber  an  meinen  Ausführungen  nichts  ändern,  weil  sie  doch  einiges  Neue  enthalten 
und  auch  für  das  schon  Bekannte,  aber  auf  anderem  "Wege  Gefundene,  neue  Be- 
weisstüoke  beibringen. 

2  Vgl.  Jacobs,  a.  a.  O.  S.  91. 

3  Andere  Exemplare  citirt  Jacobs  a.  a.  O. 


21 

hält  Druckort  und  Jahr,  die  in  der  ältesten  Auflage  am  Schluß  stehen, 
und  nennt  als  Drucker  den  Samuel  Apiarius,  der  nach  dem  im 
gleichen  Jahre  oder  frühestens  Ende  1553  erfolgten  Tode  seines 
Vaters  das  Geschäft  übernommen  hatte.  Die  Vorrede  Eberhard  von 
Rumlang's  ist  wörtlich  wiederholt,  trägt  aber  jetzt  das'Datum:  «Mense 
Martio,  Anno  1546«,  während  es  in  der  ersten  Auflage  hieß:  »15. 
Kai:  Augu.  Anno.  1535.«  Sonst  ist  der  Inhalt  beider  Auflagen,  von 
einigen  Korrekturen  abgesehen,  in  beiden  Büchern  der  gleiche;  auch 
sind  in  beiden  dieselben  roh  ausgeführten  Holzstöcke  für  die  Noten- 
beispiele in  Anwendung  gekommen.  Nur  ein  werthvolles  Stück  bietet 
uns  die  Ausgabe  von  1554  gegenüber  der  ersten:  den  Brief,  womit 
Auetor  Lampadius  am  1.  März  1537  über  die  vorher  durch  einen 
gewissen  Domin ikus  Drever  erfolgte  Zusendung  seines  Manuskripts 
berichtet.  Drever  war  schon  wieder  bei  Lampadius  gewesen  und 
hatte  mitgetheilt,  daß  die  zugesandte,  von  dem  Knaben  des  Verfassers 
gefertigte  Abschrift  eine  sehr  mangelhafte  gewesen  sei.  In  dem  Briefe 
wird  dies  bedauert,  und  das  Werkchen,  von  dem  eine  kurze  Be- 
schreibung gegeben  wird,  zum  Druck  empfohlen.  Zugleich  wird 
noch  ein  Büchlein  über  die  Komposition  von  Cantilenen  und  die 
Stimmen  von  Gesängen  zu  den  vier  höchsten  Festen  {partes  de  qua- 
tuor  Simonis  festia)  in  baldige  Aussicht  gestellt,  wobei  derselbe  Domi- 
kus  als  Überbringer  fungiren  werde.  Zum  Schlüsse  begründet  Lam- 
padius die  Zusendung  seines  Büchleins  zum  Druck  gerade  an  Apiarius 
in  folgenden,  für  die  Charakteristik  unseres  Buchdruckers  nicht  un- 
wichtigen Worten':  «Übrigens,  daß  mein  Büchlein,  sei  es  nun,  wie 
es  wolle,  Dir,  mein  Herr  Apiarius,  zum  Druck  übersandt  wurde,  das 
machte  Dein  christliches  Gemütii  und  Deine  ganz  besondere  Liebe 
zur  Musik,  die,  wie  man  mir  sagt,  keine  größere  Annehmlichkeit 
und  Freude  kennt,  als  daß  die  Jugend  sich  der  schönen  Künste  nicht 
minder,  als  der  guten  Sitten,  besonders  aufrichtiger  Frömmigkeit  be- 
fleißige, in  der  edelsten  der  Künste  aber,  der  Musik,  sich  unver- 
drossen übe.«  In  der  Unterschrift  nennt  sich  Lampadius  «von  Herzen 
seinen  Freund,  zwar  nicht  in  Person,  aber  doch  in  aller  Aufrich- 
tigkeit. « - 


1  Nach  Jacobs  S.  95  f.  steht  der  Brief  schon  in  der  Ausp;abe  von  1541.  Die 
von  Jacobs  S.  96  und  S.  103  gegebene  Verdeutschung  des  Namens  Apiarius  in 
Bienevater  ist  willkürlich;  Fetscherin  in  Bern  versuchte  den  Namen  mit  der 
Bernischen  Familie  Beyeler  in  Verbindung  zu  bringen,  was  sich  auch  längst  als 
irrig  erwiesen  hat;  die  einzig  richtige  Verdeutschung  ist  Biner  oder  Biener, 
vergl.  unten  S.  408  u.  410. 

2  Jacobs'  Annahme,  die  beiden  Männer  hätten  sieh  wohl  von  der  Universität 
her  gekannt,  ist  demnach  irrig. 


22 

Von  den  in  Aussicht  gestellten  anderen  Werken  des  Lampadius 
ist  nichts  mehr  bekannt  geworden,  i  Das  oben  erwähnte  zweite  Stück 
in  den  DipJiona  trägt  die  Überschrift:  Epicedio7i  generosi  cotnitis  Ati- 
tonii  iunioris  ah  Isenherg.  Die  ganze  höchst  interessante  Roten- 
bucher'sche  Sammlung  zweistimmiger  Gesänge  war  dem  noch  im 
Knabenalter  stehenden  Grafen  Heinrich  von  Isenburg- Büdingen, 
dem  Sohne  des  Grafen  Anton  des  Älteren,  gewidmet. 

Ich  brauche  nicht  zu  erwähnen,  daß  sich  aus  dem  Inhalt  und 
dem  Datum  des  Lampadius'schen  Briefes  ergiebt,  daß  Apiarius  schon 
sehr  früh  im  Jahre  1537  in  Bern  gewesen  sein  muß.  Dagegen  ver- 
lohnt es  sich,  seinem  Druckerstock,  der  auf  der  letzten  Seite  der 
ersten  Auflage  sich  befindet,  ein  Wort  zu  widmen.  2  Er  stellt  einen 
aufrechtstehenden,  hohlen,  mit  federartig  beblätterten  Asten  ver- 
sehenen Baumstamm  dar,  von  Bienen  umschwirrt,  die  bei  einem 
großen  Loche  ein-  und  ausschwärmen.  Ein  Bär  ist  an  dem  Stamm 
emporgeklettert,  um  den  von  den  Bienen  gesammelten  Honig  zu 
naschen.  Aber  vor  dem  Loch  hängt  an  einem  Aste  ein  schwerer 
Klöppel ,  der  den  Bären  auf  die  Schnauze  klopfen  muß ,  so  oft  er 
versucht,  sie  in  die  Höhlung  hineinzustecken.  In  späteren  Drucker- 
stöcken, schon  in  der  Frank'schen  Chronik  von  1539  erscheinen 
auch  noch  Vögel  und  eine  Spinne  als  Feinde  der  fleißigen  Bienen, 
die  nicht  nur  an  den  um  den  Baum  herum  wachsenden  Blumen 
saugen,  sondern  auch  in  einer  aufgeschlagenen  Bibel  zu  lesen  scheinen, 
wo  das  hebräische  Wort  Jehovah  und  gegenüber  ein  mir  unverständ- 
liches Zeichen,  einem  Thiere  ähnlich,  zu  sehen  ist.  Das  Emblem 
der  Biene  ist  im  Hinblick  auf  den  Namen  Apiarius,  den  sein  Träger 
gelegentlich  selbst  mit  »Bienenr  verdeutscht,  hinreichend  verständ- 
lich; die  Naschhaftigkeit  des  Bären  soll  wohl  eine  zarte  Andeutung 
für  die  Berner  sein,  daß  sie  seine  Bücher  nicht  bloß  lesen,  sondern 
vor  allem  kaufen  sollten.  In  der  genannten  Chronik  hat  er  dies 
durch  biblische  Umschriften  noch  deutlicher  gemacht,  ja  sogar  durch 
künstliche  Verschmelzung  zweier  Bibelstellen  (Klagl.  3,  10;  Spr.  28,  15) 
in  der  Version  der  Vulgata:  ))Ursus  insidicms  et  esuriens,  princeps  super 
populum  pauperema  eine  scharfe  Anklage  gegen  das  arme  Bernische 
Wappenthier  konstruirt. 

Nach   dem,    was   wir  über   die  Herstellungsart    des  Lampadius'- 
schen Büchleins  gesagt  haben,  bleibt  es  also  zweifelhaft,  ob  Apiarius 


1  Nur  ein  Bruchstück  einer  lateinischen  Predigt,  von  M.  Apiarius  gedruckt, 
fand  Herr  Seminarlehrer  Flury  dahier  vor.  Nach  Jacobs  S.  103,  Anm.  3  befindet 
sich  die  Predigt  vollständig  auf  der  Stadtbibliothek  zu  Zürich. 

2  S.  Beilagen  I  und  II. 


23 

vom  Anfange  seiner  Wirksamkeit  in  Bern  an  schon  seine  schönen 
beweglichen  Typen  für  den  Musikdruck  besessen  habe. 

Das  erste  sichere  Denkmal  ihres  Vorhandenseins  ist  eines  der 
mancherlei  Trutzlieder  auf  das  Interim,  Avelches  Apiarius  1552  in 
Druck  gab:  „ßtu  3(rt(td)8  new  Sieb,  mm  bcv  jart  fcl;6ueu  grätigen  Interim, 
3(ud;  Den  5ud;t,  el;r  bub  M  jrer  ©c^opfferu.  3ut  Zlpn  ane  üotgt.  (Vignette.) 
Anno  M.D.LII."  Auf  der  Rückseite  des  Titels  dieses  auf  vier  Blät- 
tern gedruckten  Liedes  von  sechs  achtzeiligen  Strophen  mit  zwischen- 
ofeschobenen  Adressen  und  lateinischen  Distichen  steht  in  fünf  Noten- 
Zeilen  die  einstimmige  Melodie,  der  nur  die  zwei  ersten  Textzeilen 
untergelegt  sind.  In  dem  zwölfzeiligen  deutschen  Schlüsse  „%i\  'i.ci\zx" 
nennt  sich  der  Dichter:  „3anu§  ^^^^"ßiu«  g'Bont  am  9xl}eu!."  Der 
Zweifel  Weller's  ',  ob  dieses  Schriftchen  ein  Erzeugniss  der  Bernischen 
Druckerei  sei,  mriß  verschwinden  angesichts  der  absoluten  Gleich- 
heit der  Notentypen  mit  denen  der  Apiari.^is'schen  Musikdrucke  des 
folgrenden  Jahres.  Das  Schriftchen  befindet  sich  auf  der  Züricher 
Stadtbibliothek. 

Erst  aus  dem  Jahre  1553,  dem  letzten  Lebensjahre  unseres  rüh- 
rigen Meisters,  haben  wir  ein  größeres  musikalisches  Werk  aus  seiner 
Officin:  «Bicinia  sive  Duo,  Germanica  ad  aequales.  2;ütfd;e  "^fatmen 
t»ub  anbve  gfang  mit  jli»ei)en  (Stimmen.«-  Der  Komponist  dieser  reizenden 
Gesänge  für  zwei  gleiche,  d.  h.  in  der  Tonhöhe  nahe  an  einander 
liegende  Stimmen,  hier  Tenor  und  Baß,  ist  der  aus  dem  Straßburger 
Liederbuch  uns  schon  bekannte  Johann  Wannenmacher  (Jo- 
hannes Vannius),  doch  hat  Apiarius  auch  zwei  eigene  Gesänge 
am  Schluß  mit  abgedruckt.  Wannenmacher  war  von  1510  bis  1530 
Chorherr  und  Kantor  zu  St.  Nikiaus  in  Freiburg  im  Üchtland  und 
stand  nach  P.  Schubio-er  beim  Kardinal  Schinner  in  hohem  Ansehen. 

Außer  dem  einen  weltlichen  Liede  in  der  Schoeffer'schen  Samm- 
lung haben  Avir  von  ihm  eine  große  Komposition  zu  3  —  6  Stimmen 
in  fünf  Theilen  über  den  deutschen  Psalm  :  „5(u  33?a[fevflüf]eu  iBaln^fcnS" 
in  der  Ott'schen  Sammlung  von  1544,  mit  welcher  sie  neuerdings  in 
Partitur  veröffentlicht  worden  ist.  Glarean  (Dodecachordon  p.  304  ff.) 
nennt  ihn  einen  lireisgauer  und  veröffentlicht  ein  »von  den  Kennern 
sehr  hochgeschätztes«  umfangreiches  vierstimmiges  Tonstück  von  ihm, 
das  wegen  seines  politischen  Anlasses  merkwürdig  ist.  Wannenmacher 
war  nämlich  im  Jahre  1516  ein  heftiger  Gegner  des  zwischen  den 
Schweizern  vind  König  Franz  von  Frankreich  abzuschließenden  Frie- 
densvertrages,    und   komponirte    nun  jenes-  Stück,    dessen  Text   aus 


1   Annalen  I  S.  317,  Nr.  133. 

-  Facsimile  des  Titels  s.  Beilage  IV. 


24 

»passenden«  liibelversen  zusammengesetzt  ist,  zur  Stütze  seiner  poli- 
tischen Parteimeinung.  Im  Jahre  1530  mußte  er  wegen  seiner  Hin- 
neigung zur  reformatorischen  Bewegung  mitsammt  dem  tüchtigen 
Organisten  Johann  Kotter  Freiburg  verlassen  und  begab  sich  nach 
Deutschland.  Nach  der  Vorrede  unserer  Bicinien  ^  war  er  beim  Er- 
scheinen dieses  Werkes  schon  verstorben;  die  Gesänge  waren  im  Be- 
sitz Johann  Kiener's,  „(eermcl;fter§  in  ber  SoMid^)eu  ©tatt  S3evnn",  auf 
dessen  „aiitviO  t'nb  fürfd)U6"  sie  Apiarius  veröffentlichte.  Die  erwähnte 
Vorrede,  vom  13.  August  1553  datirt,  widmet  das  Werk  „93let)[ter 
Wlä)^l  ßo^^'peu  g-elbtntmmetev,  2Beub(eu  ®d;drer  g-e(btpit)ffev,  mt  ©tgfrtben 
IptartD,  genannt  33iner  fl^nem  ©nn,  btfer  ji^t  am  @tattpft)ffcr  btenft,  ünb 
ßfj  bt^mal  all  biencr  ber  Öcfcüd;en  Statt  S3ernn."  Mathias  erklärt  den 
genannten  Männern,  die  übrigens  sämmtlich  in  den  Stadtrechnungen 
des  Jahres  1553  vorkommen,  ausführlich,  Avarum  er  ihnen  diese  zwei- 
stimmigen Gesänge  widme,  da  sie  doch  sonst  vier-  oder  fünfstimmig 
zu  blasen  gewohnt  seien,  und  macht  dabei  die  von  feinem  Kunst- 
verständniß  zeugende  Bemerkung,  daß  es  viel  schwieriger  sei,  einen 
zweistimmigen  Kontrapunkt  schön  zu  machen,  als  einen  mehrstim- 
migen, daß  darum  die  zweistimmigen  Gesänge  aber  auch  die  Zuhörer- 
schaft zu  größerer  Aufmerksamkeit  reizen. 

Die  Gesänge  sind  alle  mit  zwei  Strophen  Text  versehen,  und 
in  der  einen  Stimme  ist  die  »gemeine«  Melodie  (Avas  bei  den  acht 
Psalmen  so  viel  bedeuten  will,  als  die  aus  den  deutsch-protestanti- 
schen, speciell  Straßburgischen  Gesangbüchern  bekannte  Weise],  je- 
doch mit  sehr  charakteristischen  Veränderungen ,  auch  wohl  mit 
kleinen  Kadenzen  und  Z^vischensätzchen ,  wiedergegeben,  während, 
die  andere  Stimme  auf  der  gleichen  melodischen  Grundlage  sich 
freier  bewegt.  Von  den  acht  weltlichen  Liedern  ist  ein  Theil  dem 
Texte  nach  anderweit  bekannt  und  in  anderer  musikalischer  Bear- 
beitung in  verschiedenen  Sammlungen  vorhanden ;  einige  habe  ich 
bis  jetzt  sonst  nicht  nachweisen  können.  Nummer  IX  bildet  ein  Stück 
von  Apiarius' :  „Slcf)  l^ntff  mtd;  (etc,  tonb  fenltd;  clag",  und  ohne  Nummer 
wird  zugegeben:  „(5g  taget  Der  bem  iratbe",  ebenfalls  von  Apiarius. ^ 
In  dem  einen  Stimmhefte  ist  dieses  Stück  zwischen  VII  und  VIII 
auf  dem  freien  Reste  einer  Seite  eingeschaltet.  Beide  Stimmhefte 
enthalten  fünf  Bogen  in  Querquart.  Der  Druckerstock  auf  dem  Titel 
ist  sehr  niedlich,  nicht  3  cm  hoch;  man  erkennt  nur  den  am  Baum 
heraufkletternden   Bären    und    die    dunkle  ()ifnung   in  jenem.     Wie 


1  Veröffentlicht  in  den  Monatsheften  f.  Musikgesch.  VIII,   101. 

2  S.  Beilagen  V  und  VI. 


25 

der  Titel  ferner  vermeldet,  Lesaß  Apiarius  eine  kaiserliche  „^-rt^fjeit" 
gegen  Nachdruck  auf  sieben  Jahre. 

Von  unserer  Sammlung  ist  nur  mehr  ein  einziges,  vollständiges 
Exemplar  vorhanden,  dessen  beide  Stimmen  durch  ein  seltsames 
Schicksal  weit  auseinandergerissen  wurden.  Früher  kannte  man  nur 
die  in  München  liegende  Hauptstimme  (Vox  communis),  in  der  die 
Jahreszahl,  Drucker,  Druckort  und  Vorwort  enthalten  waren.  Von 
dieser  ist  auch  in  l^erlin  ein  Exemplar.  Die  andere  Stimme  (Vox 
libera)  ohne  Ort  und  Jahr  lag  unerkannt  in  Göttingen,  bis  Franz 
M.  Böhme  bei  seinen  Quellenaufnahmen  für  das  «Altdeutsche  Lieder- 
buch« sie  entdeckte.  Merkwürdigerweise  gehören  die  beiden  Stimm- 
bände in  München  und  Göttingen  sogar  demselben  Exemplar  an  und 
waren  beide  früher  in  der  kurfürstlich -bayerischen  Bibliothek,  wie 
aus  den  aufgeklebten  Bibliothekzetteln  zu  ersehen  ist.  Beiden  ist 
auch  je  die  betreffende  Stimme  der  mehrerwähnten  Rot enbucher'- 
schen  Diphona  vorgebunden,  so  daß  auch  von  diesem  wichtigen 
Werke  ein  weiteres  vollständiges  Exemplar  (neben  dem  in  Zwickau 
befindlichen)   vorhanden  ist. 

Apiarius  hatte  noch  eine  Reihe  von  musikalischen  Plänen,  über 
die  seine  Vorrede  zu  den  Bicinien  Aufschluß  giebt.  Ein  nicht  ge- 
ringer Schatz  von  Musikalien,  sagt  er,  sei  von  Joannes  Vannius, 
Cosmas  Alderinus  und  Sixtiis  Theodericus  [d.  i.  Dietrich],  „aüe  feügei* 
gebed;tuu§"  hinterlassen  worden,  die  sich  in  seinem  und  seiner  guten 
Gönner  Besitz  befänden.  Diese  wünscht  er  alle  {„\m{^  C^^ctt")  mit  der 
Zeit  herauszugeben.  Wie  schade,  daß  diesem  schönen  Vorhaben 
durch  den  Tod  so  bald  ein  Ziel  gesetzt  wurde!  Von  all  den  ver- 
heißeneu Schätzen  besitzen  wir  nichts  mehr,  wenn  auch  sicher  eines, 
vielleicht  mehrere  der  in  Aussicht  gestellten  Werke  noch  von  Apia- 
rius gedruckt  wurden. 

Die  drei  Komponisten  sind  uns  von  dem  Straßburger  Lieder- 
buch her  schon  bekannt.  Cosmas  Alder  (Alderinus)  war  ein 
Berner,  und,  wie  uns  Herr  Staatsarchivar  Türler  ^  berichtet,  1536 
zugeordneter  Schreiber  des  Schaffners  von  Frienisberg  und  1538  Bau- 
herrenschreiber. Während  ihm  früher  das  größere  Haus  der  Grauen 
Schwestern  an  der  Junkerngasse  »vergönnt«  wurde  (das  kleinere  be- 
zog der  Reformator  Berchtold  Haller),  besaß  er  später  ein  Haus 
in  der  Kramgasse  ob  der  Schaal  und  war  seit  1538  Mitglied  des 
■" Großen  Rathes  (der  Zweihundert).  ^  Nach  Leu  (Schweizerisches  Lexi- 
kon.    1747)    starb    er    1650,    was    zutreffen    wird,    da   sein   Name    im 


1   Berner  Taschenbuch  1892,  S.  246. 

-  Ein  Facsimile  seiner  Namensunterschrift  s.  Beilage  VII  und  VIII. 


26 

folgenden  Jahre  im  Verzeichniss  der  Großrathsmitglieder  zum  ersten  ♦ 
Male  wegfällt.  Die  musikalischen  lUbliographen  citiren  überein- 
stimmend ein  in  Bern  1553  erschienenes  Werk,  57  Hymnen  ent- 
haltend, doch  sind  sie  uneinig,  ob  die  Hymnen  bloß  vierstimmig,  oder 
vier-,  fünf-  und  siehenstimmig,  oder  vier-,  fünf-  und  sechsstimmig  seien. 
Ich  fürchte  sehr,  daß  die  späteren  Angaben  nur  eine  ungenaue  Wieder- 
gabe der  Notiz  in  der  von  Jak.  Fries  besorgten  1583er  Ausgabe  der 
JJibliotheca  Gesner's  sind,  und  daß  Keiner  der  Späteren  das  Werk 
gesehen  hat.  Gesner's  Titel,  der  richtig  sein  wird,  lautet:  y)Cosmae 
Alderini  Hehetii  hymni  sacri  nummero  57  quorum  usus  in  ecclesia  esse 
consuemt.  Vocimi  4.  Bernae  1553.  in  4.«  Herr  Staatsarchivar  Türler 
entdeckte  nun  voriges  Jahr  in  dem  Deckel  eines  alten  Aktenfascikels 
mit  fünflinigen  Noten  bedruckte  Blätter,  die  zu  Pappendeckel  zu- 
sammengekleistert waren.  Ich  erkannte  dieselben  gleich  als  Drucke 
des  16.  Jahrhunderts.  Es  gelang  durch  langsames  Aufweichen,  die 
sämmtlichen  Blätter  fast  unversehrt  wiederzugeAvinnen,  und  siehe  da, 
sie  stellten  sich  als  ziemlich  umfangreiche  Bruchstücke  des  verloren 
gegangenen  Alderinus'schen  Hymnenwerkes  dar.  Leider  nur  als 
Bruchstücke !  Vom  Baß  sind  die  Bogen  a,  b,  d  und  e,  vom  Alt  die 
Bogen  11,  mm  und  nn,  dieser  den  Schluß  bildend,  vom  Sopran  die 
nur  auf  einer  Seite  bedruckten  Blätter  1  und  3  des  Bogens  li  vor- 
handen. Der  Tenor  fehlt  ganz.  Der  Anfang  der  Baßstimme  hat 
nur  den  Titel:  -oBassus.  Hymnorum  de  tempore  ^  Sanctis,  per  Anni 
Circulum.M  Darunter  in  viereckiger  Einfassung,  deren  Inneres  zier- 
liche Blumenornamente  zeigt,  ein  Bernisches  Stadtwappen  mit  drei 
Schilden,  deren  oberer  den  Reichsdoppeladler  enthält  und  die  Reichs- 
krone  trägt,  während  auf  den  beiden  unteren  zwei  halbaufwärts 
schreitende  Bären  einander  entgegensehen.  Auf  dem  Schlußblatt 
der  Altstimme  stehen  bloß  die  Worte,  die  die  Identität  des  Werkes 
verbürgen:  ^^ Hymnorum,  a  Cosma  Alderlno  Compositorum,  FinisM  Die 
Texte  der  Hymnen  sind  die  lateinischen  der  altkirchlichen  Tagzeiten, 
in  der  Fassung,  wie  sie  vor  der  »Verbesserung«  im  Sinne  altklassi- 
scher Prosodie  gesungen  wurden.  ^  Die  Reihenfolge  ist  die  des  katho- 
lischen Kirchenjahres  mit  Beifügung  einiger  Hymnen  an  besonderen 
Heiligenfesten  außer  der  Reihe.  Die  Tonsätze  sind  durchaus  über 
die  Melodien  des  altkirchlichen  Choralgesanges  gemacht,  doch  sind 
jene  Melodien  zu  Grunde  gelegt,   die   in  Deutschland  üblich  Avaren, 


*  Das  Jahrhundert  der  wiedererwachten  klassischen  Studien  nahm  Anstoß  an 
gewissen  metrischen  Eigenthümlichkeiten  der  späteren  Latinität  und  glaubte  im 
Sinne  eines  Horaz  und  Virgil  zu  verfahren,  wenn  es  den  schönen  Anfang  des 
Üsterhymnus :    •>■>  Ad  cotmam  Agni  reffiam»  in  »Ad  regias  Agni  dapes«  umänderte. 


27 

nicht  die  der  römischen  Antiphonarien  jener  Zeit.  Es  wird  ange- 
nommen werden  dürfen,  daß  Alder  diese  Hymnen  in  früheren  Jahren 
gemacht  und  nach  Annahme  der  Reformation  in  seinem  Pulte  ver- 
schlossen gehalten  hat,  wesshalb  sie  auch  dem  Apiarius  erst  aus  seinem 
Nachlasse  zugänglich  wurden.  Man  sang  zwar  auch  in  der  lutheri- 
schen Kirche  zu  jener  Zeit  noch  lateinische  Hymnen;  aber  in  einem 
reformirten  Lande  würden  doch  die  Hymnen  de  S.  Joanne  Baptista, 
de  S.  Vincentio,  de  S.  Laurentio,  de  S.  Martino  Anstoß  erregt  haben, 
obgleich  oder  weil  gerade  diese  auf  den  ehemaligen  Kultus  im  St. 
Vincenz- Münster  der  Stadt  Bern  hinweisen,  —  ganz  abgesehen  von 
dem  yiPange  linguav-  in  festo  Corporis  Christi  (Frohnleichnam) . 

Eine  schwache  Hoffnung,  daß  noch  einmal  die  Hymnen  unseres 
Bernischen  Komponisten  sich  wiederfinden  könnten,  obgleich  die 
großen  Bibliotheken  sie  alle  nicht  haben,  läßt  sich  vielleicht  auf  den 
Umstand  gründen,  daß  C.  F.  Becker  (Tonwerke,  Sp.  85)  unter  allen 
Bibliographen  allein  als  Format  angiebt:  »in  Querquart«,  während  die 
älteren  von  Frisius  an  nur  sagen:  »in  4.«  Das  erstere  ist  richtig, 
denn  die  Wasserzeichen  gehen  von  oben  nach  unten,  die  Bogen  sind 
demnach  zuerst  in  die  Quere  gefaltet  worden.  Vielleicht  dient  die 
Veröffentlichung  dieses  Aufsatzes  zur  Entdeckung  irgend  eines  ver- 
borgenen Exemplars. 

Auch  bei  Wannenmacher  ist  es  nicht  unmöglich,  daß  noch  ein 
Werk  von  ihm  aus  der  Apiarius'schen  Druckerei  zum  Vorschein 
komme ;  denn  er  muß  wohl  noch  Messen  hinterlassen  haben ;  in  einem 
kleinen  deutschen  Auszug  aus  Glarean,  erschienen  1557  in  Basel, 
steht  ein  Agnus  Dei  von  ihm  mit  der  Überschrift :  Ex  Joanne  Vannio 
breve  exemplum.  ^  Dagegen  fehlt  uns  über  die  etwaige  Herausgabe  des 
Dietrich'schen  Nachlasses  jeder  Anhalt;  er  Avird  wohl  unwiderbring- 
lich verloren  sein,  was  sehr  zu  beklagen  ist,  da  der  Konstanzer  Meister 
unbedingt  der  bedeutendste  dieser  drei  Komponisten  war,  hochgeschätzt 
von  Glarean  und  anderen  zeitgenössischen  Kunstkennern,  eine  echte 
Künstlernatur  und  ein  warmfühlender,  treuherziger  Mensch.  Nach- 
dem seine  ersten  Werke,  wie  wir  hörten,  bei  Schoeffer  und  Apiarius 
in  Straßburg  veröffentlicht  worden  waren,  hatte  er  sich  für  seine 
späteren  Kompositionen,  sofern  sie  nicht  in  Sammlungen  erschienen, 
an  Georg  Rhau  in  Wittenberg  gewandt,  der  1541  und  1545  zwei 
große  Werke  mit  zusammen  158  kirchlichen  Kompositionen  (Anti- 
phonen und  Hymnen)  von  ihm  druckte.  Für  Glarean' s  Werk  hatte 
er  drei  Tonstücke  eingesandt,  und  in  Augsburg,  seiner  Geburtsstadt, 


1  In  St.  Gallen  und  Basel  finden  sich  einige  handschriftliche  Werke  Wannen- 
macher's,  in  Basel  ziemlich  viele  des  Alderinus. 


28 

war  von  Salminger  1547  noch  ein  Kanon  von  ihm  veröffentlicht 
worden.  Das  Jahr  1548,  das  so  verhängnißvolle  für  seinen  Wohnort 
Konstanz,  ist  sein  Todesjahr.  Vor  dem  Sturme  der  Kaiserlichen  auf 
die  Stadt  am  6.  August  hatte  man,  wie  uns  die  fälschlich  dem  Jörg 
Vögeli  zugeschriebene  Chronik  berichtet \  den  todkranken  Mann 
nach  St.  Gallen  in  Sicherheit  gebracht,  wo  er  am  21.  Oktober  starb. 

Auf  Avelche  Weise  Apiarius  in  den  Besitz  des  musikalischen  Nach- 
lasses Sixt  Dietrich's  kommen  konnte,  Avird  schwerlich  zu  ermitteln 
sein.  Ein  einziger,  früher  nicht  nachweisbarer  Psalm  zu  sieben  Stim- 
men findet  sich  in  einer  156Ser  Nürnberger  Sammlung  des  Clemens 
Stephani  von  Buchau. 

Unser  Mathias  Apiarius,  der  sich  1553  so  eifrig  auf  den  Musikdruck 
geworfen  hatte,  wurde  mitten  in  seinen  Plänen  vom  Tode  überrascht. 
Nachdem  noch  im  Spätjahr  die  Hymnen  des  Alderinus  von  ihm  ge- 
druckt worden  waren,  erschien  die  neue  Auflage  des  Lampadius'schen 
Werkes  1554  schon  unter  der  Firma  seines  Sohnes  Samuel.  Allein 
dieser,  wie  sein  Bruder  Siegfried,  muß  nicht  viel  Glück  gehabt  haben. 
Beide  wurden  durch  ärgerliche  Händel  aus  der  Stadt  verdrängt. 
Samuel  druckte  aber  noch  15S1  in  Basel  das  erste  Baseler  Kirchen- 
liederbuch,   das   noch   den  Druckerstock   des  alten  Mathias  aufweist. 

Die  Kunst  des  Musikdruckes  verblich  allmählich  seit  dem  Ende 
des  Jahrhunderts,  Avie  auch  die  kontrapunktische  Kunst  nachließ  und 
langsam  anderen  Kunstrichtungen  Platz  machte.  Da  wurden  die  Typen 
in  den  Massenauflagen  der  Kirchengesangbücher  immer  mangelhafter 
und  zum  Theil  fast  unleserlich ,  und  für  die  Kunstmusik ,  die  nur 
mehr  kleinere  Auflagen  vertrug,  wandte  man  sich  mehr  und  mehr 
der  Vervielfältigung  mittelst  Kupferplatten  und  später  mittelst  Zinn- 
platten zu.  Erst  Johann  Gottlieb  Immanuel  l^reitkopf  in 
Leipzig  hat  den  Typendruck  seit  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts 
wieder  auf  eine  bedeutende  Höhe  «"ebracht. 


1   Adolf  Frölich  in  den  Monatsheften  für  Musikgesch.,   1879,  S.  ü3. 


29 
Beilagen, 


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flSbvffZättcrhn, 
(Irtö  pff  Batterliii. 
JE    tj 

Vorderseite  des  Blattes  E  II  der   Vox    conmumis   der  Wannenmachcr'schen 

Bicinien,  enthaltend  die  Tenorstimme  eines  zweistimmigen  Satzes  von  Mathias 

Apiarius,  nach  dem  Münchener  Exemplar. 

VI. 

Math:  Apiat:  olira  fäciebat. 


btc^affenbnffcnbalbe/f?anbx>ffl?at;^olbcr  bul    fic# 

f4>oit0hcbI«ßbi^«nfc^owc/f?Änbpjf  flt;f)olbcr  bül    fyca 


i^fe^^s^SS 


::t^"- 


io^o  hu  bifl  mm  fo  bin  i4>  bin/fianb  vff  S«  t:      JJanb  rflTScEt:  (ianb  t)(f  Sl: 
»oJ)obu  b«|l  mm  fo  bmi^bm/(?2b  vjf  2<Lat:       fl«nb  p|f  ^<ft:  (l«nbp(f  Bit? 

mitt  ysctycn  (timtmn, 

Vorderseite  des  letzen  Blattes  der  Vox  Uhera  der  AVannenmacher'schen  Bicinien, 

enthaltend  die  Baßstimme  eines  zweistimmigen  Satzes   von  Mathias  Apiarius, 

nach  dem  Göttinger  Exemplar. 


32 


VII. 


VIII. 


Unterschrift  des  Komponisten  Co  smas  AI  der  inus  von  Bern,  Rathslierrn  daselbst, 
■■-  1550,    nach  einem  im  Staatsarchiv  zu  Bern  befindlichen  Urbar. 


Berichtigungen. 

Seite  402  Zeile  2  statt  1636  lies :  1536 
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»      411  letzte  Zeile  »      1650     »       1550. 


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