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Der
IsiMnict 11 Ijßwegliclißfl letalltyjefl
im 16. Jahrliimdert
und die
Musikdrucke des Mathias Apiarius
in Strafsburg und Bern.
Von
Adolf Thürlings.
Leipzig
Druck und Verlag von Breitkopf & Härtel
1892.
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorhehalten.
im das Jahr 1500 hatte die Kunst Gutenberg's in mehr
denn halbhundertjährigem Siegeslaufe ihre umgestaltende
Kraft an der europäischen Kulturwelt längst bewährt.
Hain schließt sein berühmtes Hepertorium hihliogra-
pliicum^ worin er alle ihm bekannt gewordenen Drucke
aus der Wiegenzeit der Kunst beschreibt, mit dem Jahre 1500 ab,
weil ihm die Fluth der nachher erschienenen Bücher zu groß wurde.
Ohnehin faßt sein Verzeichniß 16299 Nummern, und wer in biblio-
graphischen Dingen bewandert ist, weiß, daß sich die Zahl der vor
1500 veröffentlichten Wiegendrucke durch genauere Erforschung der
älteren Bestände der Bibliotheken noch bedeutend vermehrt hat.
Um dieselbe Zeit aber hatte die Musiknotenschrift noch allen
Versuchen einer billigen und zweckentsprechenden Vervielfältigungs-
methode beharrlichen Widerstand entgegengesetzt. Es existirte noch
nicht ein einziges Buch mit beweglichen Musiktypen. In den großen
Kirchen und Klöstern behielt man ganz allgemein , wo es sich um
den kirchlichen Choralgesang, den Cantus planus, Plainchant. han-
delte, die Sitte des Abschreibens bei, die vielfach noch im vorigen,
ja im gegenwärtigen Jahrhundert gehandhabt wurde. Daneben freilich
machte man sich die Kunst des Buchdrucks doch so viel wie möglich
nutzbar, indem man die mächtigen Choralnoten mit ihren ebenso
großen Texten in Holztafeln schnitt, nach Art der Formschneiderei,
eine Methode, die wir noch im 16. Jahrhundert ziemlich lange im
Gebrauch finden.
1 *
Diese Methode reichte allenfalls auch aus für die Beigabe weniger
Notenbeispiele in theoretischen Werken, für die nicht sehr zahlreichen
Noten in Missalien, Ritualien, Agenden u. s. w. Wir besitzen aus
dem 15. Jahrhundert derartige Bücher, in denen für die Musik im
Druck nur leerer Raum gelassen ist oder höchstens ein Liniensystem
gezogen wurde, so daß jedes in den Handel zu bringende Exemplar
erst mit den Noten ausgefüllt werden mußte, was meist handschriftlich,
zuweilen auch mittelst geschwärzter Stempel geschah. Mindestens
aber seit 1488 finden Avir theoretische Werke über Musik, in denen
die Noten in ziemlich plumper und wenig regelmäßiger Form auf
Holztafeln geschnitten erscheinen.
Für die Masse der eigentlichen musikalischen Produktionen, für
die Musica practica ßgurata mit ihren tausenden von Noten und
anderen Zeichen verschiedenster Gestalt und Bedeutung für ein ein-
ziges Musikstück wäre indessen eine solche Holzschnittreproduktion
viel zu kostspielig und schwerfällig gewesen. In der zweiten Hälfte
des 15. Jahrhunderts hatte die mensurirte und mehrstimmige Musik
von Jahr zu Jahr bedeutendere Pflege gefunden, und große Meister
hatten sie auf eine bis dahin ungeahnte Höhe der Vollendung ge-
bracht. Die eigentlichen Stammväter der kontrapunktischen Musik,
Joh. Dunstable, Gilles l^inchois und Guillaume du Fay,
waren schon 145S, bezw. 1460 und 1474 heimgegangen, ersterer in
England, letztere in Französisch-Flandern , wo ihre bahnbrechende
Wirksamkeit den Grund zu einer mehr als hundertjährigen Blüthe-
periode der Musik in den Niederlanden und zu einer unbestrittenen
Präponderanz der Niederländer in der musikalischen Komposition
gelegt hatte. Die kompositorische Wirksamkeit der großen Meister
Johann Okeghem, Jakob Hobrecht , Antoine Busnoys, Jos-
quin Depres, Anton Brumel, Alexander Agricola, Loyset
Compere, Pierre de la Rue, Heinrich Isaac fällt zum Theil
ganz oder fast ganz, zum Theil in ihrer größeren Hälfte ins 15. Jahr-
hundert, und von den hunderten und aber hunderten von Komposi-
tionen dieser und zahlreicher anderer Meister in mehrstimmiger
kirchlicher und Aveltlicher Musik war um die Wende des Jahrhun-
derts noch nicht eine einzige durch den Druck einem größeren
Publikum zugänglich geworden.
Die Musikproduktion stand also schon in voller l^)läthe, als es
am Ende des 15. Jahrhunderts einem italienischen Buchdrucker,
Ottaviano dei Petrucci aus Fossombrone unweit Roms, der sich
in Venedig niedergelassen hatte, gelang, bewegliche Metalltypen für
Notendruck herzustellen, und zwar sowohl für den Figuralgesang,
als auch für die eigenthümlichen Tabulaturen, von denen die Lauten-
spieler und die Organisten abzuspielen gewohnt waren.
Noch Forkel, der fleißige Plistoriograph der Musik, war im
Anfang unseres Jahrhunderts der Meinung , daß die ältesten musi-
kalischen Druckwerke als erste Versuche sehr unvollkommen sein
müßten. Gerade das Gegentheil ist der Fall, wie jeder zugeben
wird, der nur ein Stück Petrucci'scher Druckerarbeit zu sehen und,
wie der Verfasser einer vortrefflichen Monographie über ihn, Anton
Schmid', sagt, »seine Augen an den Petrucci'schen Notentypen zu
Aveiden« Gelegenheit gehabt hat. In Ottaviano dei Petrucci haben
wir nicht nur einen genialen Erfinder, sondern einen unermüdlichen,
charaktervollen, mit allen bürgerlichen Tugenden geschmückten Mann
vor uns. Wie seine ganze Geschäftsgebahrung den Eindruck der
Umsicht und Solidität macht, so war es auch nicht seine Sache,
unfertige, unreife Erzeugnisse an den Markt zu bringen. Gleich
seine ersten musikalischen Druckwerke zeigen uns die neue Kunst
in solcher Vollendung, daß nur wenige seiner Nachfolger ihn wieder
erreicht und vielleicht nur einer, Peter Schoeffer, von dem wir
noch zu reden haben werden, ihn übertroiFen hat.
Als Petrucci seine Erfindung zur Veröff"entlicliung reif erachtete,
veschaffte er sich im Jahre 1498 ein Privileg auf zwanzig Jahre von
der Signoria zu Venedig, wodurch er das ausschließliche Pecht zum
Druck von Figuralnoten , von Lauten- und Orgeltabulaturen , sowie
zum Verkauf der von ihm hergestellten Werke erwarb, ein Privileg,
das später in Anbetracht der ungünstigen Zeitverhältnisse auf weitere
fünf Jahre ausgedehnt wurde. Zur Ausbeutung dieses Patentes ver-
band sich der mittellose Künstler mit zwei geldkräftigen Buchhänd-
lern, die es sich angelegen sein ließen, ihrem neuen Gesellschafter
die Errichtung einer Musikdruckerei zu ermöglichen und sich von
den bedeutendsten Komponisten der Welt, zum Theil um hohen
Preis, eine große Menge von Tonwerken behufs Abdrucks zu er-
werben.
Von 1501 an erschienen dann in rascher Folge zahlreiche, meist
umfangreiche Drucke, darunter die Meisterwerke der ersten Künstler
der Zeit', so die Messen eines Josquin, Hobrecht, Brumel,
Ghiselin. de la Pue, Agricola, de Orto, Isaac, Gaspar
u. A., verschiedene Bücher Motetten, Lamentationen und Laudi,
1 Ottaviano dei Petrucci. Wien 1845. Vgl. auch Vernarecci, Ottaotano
Petrucci da Fossomhrone, inventore dei tipi mohili metalUci fusi della musica.
Bologna 1882.
6
daneben, wahrscheinlich der äheste aller Musikdrucke, eine Samm-
lung von 300 meist Aveltlichen Chorgesängen, Odhecaton genannt,
9 Bücher italienischer Frottole und mehrere Bücher Lautentabula-
turen. Für die rasche Verbreitung der musikalischen Kunst in weite
Kreise hinein war durch diese Drucke ausgiebig gesorgt; für die
Musikgeschichte sind dieselben eine erste feste, unschätzbare Quelle,
die freilich in unseren Tagen wieder so schwer zugänglich geworden
ist, als hätte es eine Vervielfältigungskunst nie gegeben; denn von
den Petrucci'schen Drucken sind nur mehr einige Avenige Exemplare,
von manchen kaum ein einziges übrig geblieben. Einzelne gingen
ganz verloren. Im Jahre 1511 zog Petrucci zur Erweiterung seines
Geschäftes in seine Vaterstadt Fossombrone im Herzogthum Urbino
im Kirchenstaat zurück, woselbst er sich auch für wissenschaftliche
Werke einrichtete und für seinen Musikdruck ein Privileg auf fünf-
zehn Jahre innerhalb der Grenzen des Kirchenstaates erwarb , wäh-
rend seine Gesellschafter in Venedig das Verlagsgeschäft fortführten.
Wiederum erschienen zahlreiche Werke und neue Auflagen der
früheren. Außer den Messen eines Johann Mouton und Antoine
de Fevin verdienen unter den Fossombroner Drucken besonders die
vier Bücher Motetti de la Corona 1514 und 1519 Erw^ähnung, in denen
eine Reihe nachmals hochberühmter Meister jüngerer Schule zum
ersten Male in die Öffentlichkeit tritt, wde außer den beiden Ge-
nannten: Carpentras, Divitis, Jacotin, Maistre Jan, Lheri-
thier, Lupus, Richafort, Loyset Pieton, Costanzo Festa
und Adrian Willaert.
Doch nach dem Erscheinen dieser Sammlung, die noch 83 der
bedeutendsten, bis dahin ungedruckten kirchlichen Chorwerke ent-
hielt, war der Stern Petrucci's schon im Verbleichen. Nach dem
Jahre 1523 scheint er den Musikdruck aufgegeben und sich ganz
dem Drucke wissenschaftlicher Werke zugeAvandt zu haben. Mannig-
fache Ehren und Auszeichnungen AA'urden dem seltenen Manne von
verschiedenen Päpsten zu Theil, und im Jahre 153G begab er sich
auf dringendes Ersuchen des Senats abermals nach Venedig, avo er
mit seinen schönen Typen noch zahlreiche lateinische und italienische
Klassiker vervielfältigte, aber schon 1539 starb.
Der Grund, Avarum Petrucci so lange vor Ablauf seines PriAdlegs
mit seinen musikalischen Drucken aufhörte, lag Avohl an der Kon-
kurrenz, die ihm Jakob Giunta aus Florenz seit dem Anfang der
zAvanziger Jahre in E-om bereitete. Seine Drucke AA^aren, aaüc die des
Petrucci, doppelte, d. h. es Avar zuerst die Lineatur ohne die Noten
gedruckt, dann erst aus einem zweiten Satze die Noten; doch standen
sie jenen an Schönheit nach. Schon 1526, nach Ablauf des Petrucci'-
sehen Privilegs, druckte Giunta die •>)Motetti de la Coroncm iliicm
ganzen Inhalte nach ab. ^
Gegen Ende der dreißiger Jahre aber erhob sich abermals Venedig
zu einem wahren Weltplatz für die musikalische Typographie. Dies
verdankt die Lagunenstadt vornehmlich einem eingewanderten Fran-
zosen, Antonio Gardane, der sich auf seinen späteren Drucken
Antonio Gardano nannte. Weit über hundert, vielleicht mehrere
hundert meist umfangreiche Tonwerke hat dieser ausgezeichnete Mann
zwischen 1536 und 1569 gedruckt, bis er im letzteren Jahre von
seinen Söhnen Angelo und Alessandro abgelöst wurde.
Seine Drucke sind aber keine doppelten mehr, sondern einfache :
die Typen enthalten mit den Noten zugleich die Lineatur. Dieser
große technische Fortschritt, der aber zugleich einen ästhetischen
Rückschritt bezeichnet, ist eine weitere Stufe auf dem von Petrucci
so erfolgreich betretenen Wege. Aber Petrucci selbst hat diesen
Schritt nicht gethan ; wo es überhaupt zuerst geschehen sei, muß
dahingestellt bleiben ; in größerem Umfange wurde der einfache
Druck in Italien jedenfalls später zur Anwendung gebracht, als in
Frankreich. Zu der Zeit, wo Antonio Gardane nebst anderen tüch-
tigen Meistern, wie Girolamo Scotto, in Venedig auftrat und
befruchtend auf die musiktypographische Thätigkeit in ganz Italien
wirkte, hatten nämlich andere Länder längst eine parallele Entwicke-
lung aufzuweisen, und die Fortschritte der Kunst konnten wieder
über die Alpen zurückwandern.
II.
In Deutschland gebührt Er hart ()glin zu Augsburg das Ver-
dienst, den Musikdruck fast gleichzeitig mit Petrucci ausgeübt und,
wie es scheint, unabhängig von ihm erfunden zu haben. Er druckte
schon 1507 ein musikalisches Werk und 1512 ein werth volles Lieder-
buch mit 42 deutschen und 7 lateinischen vierstimmigren Gesänoren,
Aus diesem Jahre besitzen wir aber auch schon ein Druckwerk
Peter Schoeffer's des Jüngeren, zweiten Sohnes des alten berühmten
Druckers gleichen Namens.
An dieser Stelle müssen wir der Ansicht Chrysander's ^ gedenken,
wonach die eigentliche Erfindung des Notendruckes in einfacher
1 Abriß einer Geschichte des Notendrucks, in der AUgem. Musik. Zeitung
(Leipzig, Rieter-Biedermann) 1879, Nr. 11 — 16.
Weiterbildung des sogenannten Patronendrucks für die Choralmusik
bereits in den SOei^ahren des 15. Jahrhunderts geschehen sein müsse.
Was also später Erfindung genannt wurde, das wäre danach nur die
erste Anwendung des schon bekannten Princips auf die Figuralmusik,
In seinem geistvollen Aufsatze, der alle Formen der Notenvervielfälti-
gung mitumfaßt und den Grundriß eines noch zu veröffentlichenden
größeren Werkes bilden soll, bezieht Chrysander dies schon auf
Petrucci, was insofern Bedenken erregen möchte, als aus der Form,
in welcher der Meister sich das Privileg für den Figuralnotendruck
erbat, wenigstens das mit Sicherheit hervorzugehen scheint, daß
weder Petrucci noch die privilegirende Behörde in Venedig Kenntniß
von einem schon bestehenden Gebrauch beweglicher Typen für die
kirchliche Choralmusik gehabt hat. Chrysander versichert nun freilich
(a. a. O. Spalte 166) , daß noch vor dem Ende des 15. Jahrhunderts
zahlreiche Choralbücher mit beweglichen Notentypen romanischen
und deutschen Gepräges gedruckt worden seien , aber er citirt nur
einen einzigen Druck dieser Art, der in Basel 11S8 ans Licht trat
und sich im Besitze des Herrn Alfred Littleton in London befindet.
Ich bin zur Zeit nicht im Stande, diese Angaben näher prüfen zu
können. Sollten sie sich als begründet erweisen i, so dürfte hier
vielleicht die Quelle gefunden sein, aus der die deutschen Figural-
musikdrucker die Anregung zu ihrer Erfindung schöpften, obgleich
wenigstens Oglin die volle Originalität für sie in Anspruch nahm.
Thatsächlich sind die sämmtlichen Druckwerke Oglin' s und
SchoefFer's in Doppeldruck hergestellt, und damit muß das ganze
Gebäude von Vermuthungeu, das Chrysander ^ auf die gegentheilige
Meinung aufbaut, dahinfallen; der älteste in Eitner's Bibliographie
beschriebene einfache Druck ist ein Sienenser von 1515 und befindet
sich auf der k. Bibliothek in Berlin.
Peter Schoeffer nun, der Zeit nach der zweite unter den
deutschen Notendruckern, erregt unser Interesse in doppelter Weise,
einmal deßwegen, weil er den Notendruck seines Zeitalters auf die
* Hierbei müßte aber ein aus der Herstellungsart der lutherischen Gesang-
bücher entnommenes Argument (a. a. O. Sp. 165 f.) außer Betracht bleiben ; denn
weder wurde in sämmtlichen lutherischen Gesangbüchern ausschließlich die Figural-
note angewandt, noch ist dies der Grund, warum darin die Noten mit Holzstöckchen
hergestellt wurden.
2 A. a. O. Sp. 182. Chrysander beruft sich für die Meinung, daß die Drucke
der beiden Meister einfache seien, auf Sehmid. Ich habe in dem ganzen Buche keine
Angabe der Art finden können. "Wie sollte auch Sehmid dazu kommen, der doch
einige der betr. Werke selbst gesehen hatte? Übrigens hatte schon 1S77 die ge-
genaue Beschreibung in Eitner's Bibliographie jeden Zweifel beseitigt.
9
höchste Stufe der Vollendung gebracht hat, dann, Aveil er eine Reihe
von Jahren gemeinsam mit Mathias Apiarius arbeitete und so
den Ruf des Mannes mitbegründete, der später vom Rate der Stadt
Bern als ihr erster Buchdrucker berufen wurde.
Auch üglin's Drucke sind sehr sauber, aber mit denen Peter
Schoeffer's können sie sich nicht messen. Ich habe nie einen schö-
neren und regelmäßigeren Notendruck gesehen als den der 28 fünf-
stimmigen Cantiones niederländischer, französischer und italienischer
Meister von 1539; aber die gleichen schönen Typen, die gleiche
Schärfe der Noten findet sich auch schon in den ältesten Werken
seiner Druckerei, wie in Arnold Schlick's Orgel- und Lauten-
tabulaturen, die noch in Mainz erschienen. Die zweite Auflage des
1524 in Wittenberg gedruckten^ Johann Walther' sehen Gesang-
büchleins druckte er 1525, wahrscheinlich in Worms; die späteren
Werke erschienen in Straßburg, und seit 1541 finden wir den Meister
in Venedig beschäftigt. Aus der Zeit seines Zusammenwirkens mit
Mathias Apiarius in Straßburg von 1534 — 1537 kennen wir drei herr-
liche Drucke , von denen einer eine zweite Auflage erlebte : das
theoretische Werk [von Johann Frosch: Herutn musicalium opus-
culum rarum^ 1535 in Folio; die Magnificat octo tonorum des Sixt
Dietrich von 1535, und endlich die berühmte Sammlung »Fünff
vnd sechzig teutscher liedera, wahrscheinlich 1536 erschienen, auf
welche wir noch zurückkommen müssen. Außerdem veranstalteten
die beiden Gesellschafter zwei neue Auflagen des Walther'schen
Wittenberger Gesangbuchs, eine von 1534, die in einem Brockhaus'-
schen Katalog von 1862 (Nr. 102) auftauchte ^ und eine von 1537,
die sich in München befindet. Im Jahre 1534 druckten sie auch ein
riMpicedionv. auf den Tod des Komponisten Thomas Sporer, von
Sixt Dietrich in Musik gesetzt. ^
Die ältesten deutschen Musikdrucke haben im Gegensatz zu den
groß angelegten Petrucci'schen Werken die übrigens für die Musik-
geschichte sehr zu begrüßende Eigenthümlichkeit , daß sie fast aus-
schließlich Tonstücke deutscher Meister enthalten. Erst allmählich
finden die großen ausländischen Kontrapunktisten Eingang in die
1 Weller, Annalen, II, S. 333.
2 Die Beschreibung der Dietrich'schen Werke s. bei Eitner, Erk und Kade,
Einleitung etc. zu Job. Ott's Liedersammlung (Publikation d. Ges. f. Musikforschung,
Jahrg. IV), Berlin (jetzt Leipzig) 1876. 80, S. 53 fF. — Das ebendort S. 52 er-
wähnte angebliche Epithaph des Andreas Schwarz Francus auf Sixt Dietrich
hat mit diesem nichts zu thun, sondern bezieht sich, wie der Text (»Viti Theo-
dor i'-^) i^&\x\a\(^\s%^d.^, auf den berühmten Nürnberger Theologen Veit Dietrich,
i 24. März 1549.
10
deutschen Uruckercieu, ohne daß dabei das /um Theil sehr kosthare
deutsche Sondergut vernachlässigt Avorden wäre. Diese großartige Er-
Aveiterung des Arbeitsfeldes verdankte der deutsche Musikdruck vielfach
einer Reihe sehr kunstverständiger Männer, die uns als Herausgeber
tüchtiger Sammlungen theils nationalen, theils internationalen Charak-
ters seit dem Ende der 30er Jahre entgegentreten, wie Sigismund Sal-
minger in Augsburg, Johann Ott und Georg Forster in Nürn-
berg, Georg E.hau in Wittenberg. Letzterer war selbst Drucker ; in
Augsburg druckten Melchior Kriesstein und Philipp Ulhard,
in Nürnberg Hieronymus Resch, nach seiner Kunst Grapheus,
Formschneider genannt, Johannes Petrejus, und die mit ein-
ander verbundenen Johann von Berg (Montanus) und Ulrich
Neuber, in München Adam Berg. In Basel erschien 1547 bei
Heinrich Petri das berühmte theoretische Werk: Dodecachordon
des Glarean. Mit allen diesen Meistern sind wir aber schon in die
Sphäre des einfachen Notendrucks eingetreten. Wie Schönes und
Vortreffliches auch in dieser Druck art in deutschen Landen ge-
leistet wurde, beweisen außer dem genannten Glareanischen Werke
mit seinen zahlreichen Beispielen ein- und mehrstimmiger Kompo-
sition ganz besonders die Drucke des Johann Petrejus in Nürnberg,
denen von Schmid der zweite Rang, der erste nach Peter Schoeffer's
Erzeugnissen zuerkannt wird. Aber auch die leider nur wenig zahl-
reichen und fast ganz verschwundenen Drucke des Mathias Apiarius
in Bern finde ich, nachdem ich sie erst in letzter Zeit kennen ge-
lernt habe, im Vergleich zu den meisten anderweitigen Musikdrucken
außerordentlich schön, kräftig, regelmäßig und scharf.
Ehe wir uns mit diesen noch sehr wenig beachteten Werken
eingehender beschäftigen, Avollen wir zur Vervollständigung unserer
geschichtlichen Übersicht noch einen kurzen Blick auf die übrigen
Länder werfen. Zuerst war Frankreich auf dem Plan mit den 1525 für
einfachen Druck gefertigten Punzen und Matrizen des auch als Kupfer-
stecher wohlbekannten PierreHautin, der die Formen für die Drucke-
reien des Pierre Attaignant in Paris, des Jacques Moderne,
genannt Grand Jacques in Lyon, und des TylmanSusato in Ant-
werpen lieferte. Attaignant eröffnete den Reigen wahrscheinlich
1527 mit einer großartigen Sammlung von Chansons seiner Landsleute,
die eine noch lange nicht erschöpfte Quelle für die Kenntniß dieser
schon in ganzer Vollendung dastehenden, dem französischen Genius
eigenthümlichen graziösen und leichtgeschürzten Kunstform bildet,
Modernus hingegen mit einer mehr internationalen, höchst werth-
vollen Sammlung von fünf Büchern kirchlicher Chorgesänge, den
))MoteUi del Fiorei'i, aus denen später Gardane in Venedig einen Theil
11
nachdruckte unter dem Titel )^Fior de' motetti^ tratfi dalli motetti del
Fiore<i. So waren denn nach dem Vorgange Petrucci's mit den
Motetti de la Corona,^ die als Titelvignette eine Krone trugen, nun
auch Motetten mit dem Blumenstück vorhanden, denen wieder Gar-
dane's Motetti del Frutto mit einem Fruchtstück, und endlich, das
Emblem der Nachahmung absichtlich zur Schau tragend, die von
Bughlat in Ferrara herausgegebenen Motetti de la Simia, Motetten
mit dem Affen folgten, was dann zu artigen und unartigen gegen-
seitigen Spöttereien, Klagen und- Beschuldigungen wegen Nachdrucks
führte.
Als ausgezeichnete Musikdrucker Frankreichs sind noch Adrien
Le Roy, Nicolas du Chemin und die bis tief ins 18. Jahrhundert
hinein eine Art von Privileg im Notendruck genießende Familie
Ballard zu erwähnen. Ganz vereinzelt steht eine herrliche Ausgabe
der AVerke des päpstlichen Kapellmeisters unter Leo X., Adrian VI.
und Clemens VII. , Eleazar Genet, wegen seines Geburtsortes Car-
pentras im päpstlichen Gebiet von Avignon auch il Carpentrasso,
von den Franzosen einfach Carpentras genannt. Die Typen dieses
seltenen und kunstreichen doppelten Druckes sind außerordentlich
groß und unten abgerundet, so daß sie den modernen sich nähern.
Das Mutterland der kontrapunktischen Musik, die Niederlande,
hat merkwürdigerweise erst spät angefangen, Musik zu drucken. Erst
1542 haben wir den ersten und, wie es scheint, einzigen Druck des
Wilhelm Vissenack in Antwerpen zu verzeichnen ; es folgen ihm
dann aber seit 154 3 sehr bedeutende Männer, wie der schon genannte
Tylman Susato, dann Christoph Plantin und Hubert;Wael-
rant, alle in Antwerpen, und Peter Phalese in Löwen.
England ist am meisten zurückgeblieben, indem es bis über die
Mitte des IG. Jahrhunderts ausschließlich in holzgeschnittenen Noten
druckte; erst 1560 erscheinen in der Druckerei des John Day be-
deutend verbesserte Typen.
In Spanien muß frühzeitig eine bedeutende Produktion stattge-
funden haben ; es sind aber nicht gar viele Werke in die mittel-
europäischen Bibliotheken gekommen ; das älteste , Avelches Schmid
bekannt geworden ist, ist von 1547,
Die Schönheit der älteren Musikdrucke ist in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts nicht wieder erreicht worden, doch nimmt die
Zahl der Drucke bis zum Ende des Jahrhunderts im Verhältniß des
steigenden Reichthums an musikalischer Produktion noch erheblich
zu. In den dreißiger Jahren kamen zu den älteren, schon genannten
Komponisten noch hinzu, um nur einige der leitenden Namen zu
nennen, der Deutschniederländer Nikolaus Gombert, die Welsch-
12
niedcrländer Jakob Are adelt und Johannes Leloup (Lnpi),
die Deutschen und Deutschschweizer Thomas Stolzer und Ludwig
Senfl, der Franzose Jean Maillart, der Spanier Christoph
Moral es; in den vierziger und fünfziger Jahren ragt der doppel-
sprachige Niederländer Jakob Clemens non Papa an Fruchtbar-
keit und künstlerischem Genius über alle Anderen hervor, und erst
nach der Mitte des Jahrhunderts beginnt die Blüthezeit der beiden
berühmtesten Kontrapunktisten aller Zeiten, des Giovanni Pier-
luigi da Palestrina in Rom und des Orlandus de Lassus in
München. Als Dritten können wir diesen Kunstheroen das Haupt
der Venezianischen Tonschule, Andrea Gabrieli anschließen, dessen
hochbegabte Schüler Johannes Gabrieli und Hans Leo von
Hassler uns nach einander zu den großen Deutschen des 17. Jahr-
hunderts, Michael Prätorius, Johannes Eccard, Heinrich
Schütz, Johann Sebastian Bach überleiten.
Wie die Zahl der Musikdrucke des 16. Jahrhunderts hoch in die
Tausende geht, so waren auch die Auflagen vieler Werke sehr stark;
nicht selten folgten mehrere Auflagen eines Werkes in der Stärke
von 2500 Exemplaren in ganz kurzer Frist einander nach. So reich
floß der Strom der polyphonen Musik in jener herrlichen Kunst-
epoche. Die geistliche Musik mit ihren Messen, Motetten, Psalmen,
Hymnen, Lamentationen, geistlichen Liedern u. s, w^ wiegt vor ; doch
vrird das weltliche Lied, die Chanson, die Canzone und Canzonetta
und die kunstmäßigste der weltlichen Musikformen, das Madrigal,
ebenso beständig gepflegt.
Die Noten der alten Drucke sind wesentlich dieselben, die wir
jetzt noch haben, auf und zwischen fünf Linien gesetzt, mit Ver-
wendung der etwa benöthigten Hilfslinien und unseren heutigen
Schlüsseln, unter denen aber der C-Schlüssel für den Tenor und
Alt ausschließliche und für Sopran und Haß häufige Anwendung
fand, und uns sonach auf der ersten, zweiten, dritten und vierten
Linie des Systems begegnet, während der F-Schlüssel außer seiner
jetzt allein üblichen Verwendung als Baß -Schlüssel auf der vierten
Linie auch für den Baryten auf die dritte und für ganz tiefe Bässe
auf die fünfte Linie, der Violinschlüssel aber für hohe Soprane zu-
weilen auf die erste Linie des Systems gesetzt wurde. Die Ton-
stücke folgen alle, weltliche wie geistliche, der Tonalität der soge-
nannten Kirchentonarten und sind stets untransponirt oder in der
Oberquart der ursprünglichen Lage gesetzt, d. h. sie haben entweder
keine Vorzeichnung oder sind mit einem Be vorgezeichnet. Doch
war mit dieser Art der Notirung nicht beabsichtigt, die Tonhöhe für
die Ausführung mit absoluter Genauigkeit zu bezeichnen. So sind
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auch die in den Stücken vorkommenden zufälligen Erhöhungen und
Erniedrigungen, die wir durch Kreuz und Be bezeichnen, besonders
in der älteren Zeit, gar nicht notirt; es gab dafür bestimmte Regeln,
denen die Sänger zu folgen hatten. Die Taktzeichen sind meist die-
selben, die wir heute noch anwenden, doch giebt es besondere Zei-
chen für dreitheilige Maße und es wiegen die längeren Noten über;
nur darf man daraus nicht den Schluß ziehen , daß die Tonstücke
des IG. Jahrhunderts deßhalb langsamer gesungen worden wären,
als unsere heutigen Chore. Vielmehr vertreten häufig Takte von drei
ganzen Noten unseren heutigen Dreivierteltakt, der mit der modernen
Bezeichnung bei den Alten nicht vorkommt, so wenig, als etwa ein
''/g- oder 'Ys-Takt. Allgemeine Zeitbezeichnungen, als AUegro^ An-
dante u. s. w. sind nicht vorhanden, ohne daß es deß wegen an feiner
Nuancirung und reichem Wechsel des Tempos gefehlt hätte.
Partituren in unserem Sinne fertigten die Komponisten meist
nur zu eigenem Gebrauche : die Organisten und Lautenspieler be-
gleiteten nach eigenthümlichen, althergebrachten Tabulaturen, welche
uns heute kaum übersehbar erscheinen, während die daran gewöhnten
alten Meister im Gegentheil mit unseren bequemen und selbst für
Anfänger lesbaren Klavier- oder Orgelauszügen nichts anzufangen
gewußt hätten. Erst gegen Ende des Jahrhunderts erschienen auch
Partitur e 2) er Vorguno im Druck, die aber meist nur einen fortlaufen-
den Baß enthielten, den man dann im 17. Jahrhundert mit den Zif-
fern der darüber zu greifenden Akkorde versah. Das deutet das
Ende der polyphonen , jede Stimme als melodisch gleichberechtigt
behandelnden Schreibart und den Übergang zum homophonen Stil
an, in dem die Oberstimme die Melodie hat, die übrigen nur be-
gleitende Gänge machen und zuletzt nur mehr als Akkordbestand-
theile aufgefaßt werden.
Die Tonwerke des 16. Jahrhunderts erscheinen also im Druck
nur in den Einzelstimmen, und zwar entweder so, daß jede Stimme,
Sopran. Alt u. s. w. in besonderem Stimmbande abgedruckt ist, wie
heut zu Tage z. B. in dem bekannten »Regensburger Liederkranz«,
oder so, daß in einem Bande alle Stimmen neben und unter ein-
ander stehen, also etwa auf der linken Seite des aufgeschlagenen
Buches oben der Sopran, unten der Baß, auf der rechten Seite oben
der Alt, unten der Tenor. Die letztere Form fand stets Anwendung
bei den großen kirchlichen Chorwerken in Folio, wo dann nach ur-
alter Sitte die ganze Sängerschaft aus einem einzigen großen Buche
zu singen pflegte. Aber auch bei einzelnen kleingedruckten Werken,
die als Hausmusik gedacht waren, finden wir die gleiche Einrichtung.
Eine Lyoner Chansons-Sammlung hat sogar die Merkwürdigkeit, daß
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auf jeder Seite eine der Stimmen von unten nach oben zu lesen ist.
Aus diesem Büchlein konnte man also nur in der Art singen, daß
die Mitglieder eines Singquartetts sich zu zwei und zwei an einem
schmalen Tische einander gegenüber setzten. ^
Zu erwähnen ist noch, daß diese Einzelstimmen alle ohne Takt-
striche gedruckt sind, und daß namentlich in den älteren Werken
die auf eine Textsilbe zu singenden Noten vielfach zu Ligaturen ver-
einigt erscheinen, für deren Entzifferung eine Reihe ziemlich ver-
wickelter Regeln bestand.
III.
Kehren wir nun zu unserem Mathias Apiarius zurück, den
wir durch seine Verbindung mit Peter Schoeffer in Straßburg schon
kennen gelernt haben. Über seine Lebensverhältnisse aus der Straß-
burger Zeit ist so wenig etwas bekannt geworden, als über seine
Herkunft. Nur wissen wir, daß er im Jahre 152S von Basel her
als Theilnehmer auf der Berner Disputation erschien; man .glaubt
deß wegen, daß er früher ein Geistlicher gewesen sei. Aus seiner
Vorrede zu den Bicinien von 1553, die ganz in der damaligen schwei-
zerischen Orthographie geschrieben ist, könnte man vermuthen, daß
er ein Schweizer war. Jedenfalls hat seine Verbindung mit Schoeffer
ihm Ehre und Ruf gebracht. Es fragt sich nur, was Peter Schoeffer
bewogen haben könnte, ihn zum Geschäftsgenossen zu machen. Das
Geld ist nicht die Ursache gewesen, denn Apiarius besaß keines;
er befand sich vielmehr in der Lage, Avie die Akten des Bernischen
Archivs ausweisen, bei jeder Gelegenheit Vorschüsse begehren zu
müssen. Ich vermuthe stark, daß es gerade die musikalischen Talente
und Verbindungen waren, die seine Persönlichkeit als eine werth-
volle Bereicherung des Schoeffer'schen Geschäftes erscheinen ließen.
Manche der tüchtigsten Musikdrucker waren selbst ausgezeichnete
Komponisten, wie vor allem Anton Gardane, Girolamo Scotto, Tyl-
man Susato, Hubert Waelrant, Claudio Merulo. Von Apiarius be-
sitzen wir zwar nur zwei wenig bedeutende Stücke in zweistimmigem
Kontrapunkt, und die bescheidene Überschrift, die er diesen giebt :
yiolim faciehaU., sowie die Nichterwähnung derselben auf dem Titel
des betreffenden Werkes deutet an, daß er auf seine schöpferische
Begabung keinen sonderlichen Werth legte. Dagegen zeigen uns
diese Stücke zur Genüge , daß Apiarius ein tüchtiger Musikverstän-
diger war ; auch seine Söhne finden wir später beim Stadtpfeiferdienst
1 Ein Facsimile davon in den Monatsh. f. Musikgesch., Jahrg. 1873, zu S. 116.
15
ano-estellt. Was liegt nun näher, als die Annahme, daß Apiarius im
Geschäfte Peter SchoeiFer's hauptsächlich den Beruf hatte, Hand-
schriften für die Ausbeutung der musikalischen Abtheilung der
Druckerei herbeizuschaffen, die Auswahl für den Druck zu treffen,
die Korrektur zu überwachen, ja — wer weiß? vielleicht gar den
Musiksatz selbst eigenhändig zu besorgen ? Gewiß ist nach der ersteren
Richtung bei der Sammlung der 65 teutschen Lieder des Apiarius
Hand thätig gewesen.
Dieses prächtige und wichtige Werkchen muß uns nun zunächst
beschäftigen. Es galt lange Zeit als Berner Druck, und bis heute ist
noch nicht volle Klarheit über diese Sache geschaffen worden. Schon
Uhland veröffentlichte aus dem Büchlein eine Anzahl von Lieder-
texten; in Goedeke's Grundriß der deutschen Literatur (I, §110,4,
erste Aufl.) erscheint es unter dem Titel: »Apiarius. Fünff vnd sechzig
teütscher Lieder, vormals im truck nie vß gangen.« Am Schluß:
)) Argentorati apud Petrum Schoeffer. Et Matthiam Apiarium. o. J.
(um 1520). 54 Bl. 6.«, und Weller verbesserte daran in seinen
Annalen der poetischen National - Literatur der Deutschen im XVI.
und XVH. Jahrhundert, Bd. II, S. 312 : »Des Apiarius Liedersamm-
lung erschien 1537, vergl. Becker, Tonwerke Sp. 235. Apiarius
druckte überhaupt nicht vor 1535 und zog 1539 bis 1540 von Straß-
buro; nach Bern.« Daneben citirt und beschreibt Weller aber das-
selbe Büchlein noch einmal im selben Bande seines Werkes (S. 18, 4)
und stellt es hier als einen Berner Druck dar, aus dem er sämmt-
liche 65 Texte »ihrer Bedeutung halber« vollständig abdruckt. Weilers
kurze Beschreibung lautet: »LB (d. i. Liederbuch), o. O. u. J. (Bern,
M. Apiarius c. 1550. 41 Bl. oder 7 Bog. weniger 1 Bl. 6. Der ganze
Liedertext in Noten.« Als Fundort nennt er noch: «Freiburg i. Br.«
Die Angaben Goedeke's und die »Berichtigung« Weller's sind heute
leicht richtig zu stellen, da mittlerweile auch die musikalischen
Bibliographen emsig bei der Arbeit gewesen sind und ebenso werth-
volles als genaues Material zur Sache herbeigeschafft haben. Wir
wissen nun, daß die Lieder 4- und 5 stimmig sind, daß es demnach
fünf Stimmhefte des Werkchens giebt; wir wissen durch Robert
Eitner^, daß sich Exemplare in München, Berlin und Zwickau be-
finden; wir wissen, daß das Werk nicht um 1520 erschienen sein
kann, aber auch nicht, wie noch C. F. Becker, Anton Schmid und
Goedeke notiren, 1537, noch Aveniger, wie Weller (S. IS) sagt, c. 1550;
vielmehr muß das Buch schon 1536 existirt haben, da in dem Berliner
1 Bibliographie der Musik- Sammelwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts,
Berl. 1877, S. 36, woselbst auch die genaue Besehreibung des Werkes zu finden ist.
16
Exemplar über dem siebenten von z.völf beigebundenen bandschrift-
lichen Liedern im Diskant das Datum «20 Decemb: 163G« beigefügt ist.
Dagegen ist das Buch sicher ein Straßburger Druck, was nu^ zweifel-
hatt sein konnte, ehe man die Tenorstimme kannte, in der die Ano-abe
des Druckortes und beider Genossen als Drucker enthalten ist Gänz-
lich ungerechtfertigt ist es, unseren Apiarius, wie es Goedeke'thut in
eine engere Beziehung zu dem Inhalte des Buches zu setzen d h
ihn etwa als Verfasser der Liedertexte oder der Kompositionen er-
scheinen zu lassen. Weder mit den Texten noch mit den Kompo-
sitionen der 65 Lieder hat Apiarius irgend etwas zu thun; letztere
sind der Firma von 18 verschiedenen Komponisten zugegangen und
unserem Apiarius kommt nur das Verdienst des tüchtigen Verlegers
und Herausgebers zvi.
Mit den Texten i, die nur das Tenorheft in allen Strophen ent-
hält, hat sich die Literaturgeschichte schon vielfach beschäftigt
weniger mit den Tonsätzen 2, die, wie der Titel besagt, Mxmai^ iü
txnd Ute »^ gangen" sein sollen. Wenn es erlaubt wäre, dies o-anz
genau zu nehmen, so müßte man unsere Sammlung spätesten^'s in
das Jahr 1534 setzen, da ein Nürnberger Druck mit dem Datum-
20. August 1534 (Eitner 1534 n.) schon einen Senfl'schen Tonsatz aus
ihr enthält. Aber dieser Druck versichert auch: „üormatö berg(etd;en
im Zxüd nl;e auf^gangcn". Drei andere unserer Tonsätze, von Artlio-
pius, Brätel und Wüst, erschienen 1535 in den Frankfurter „®a[|en=
^au^erUn" und „9i^entter(iefc(in" (Eitner 1535 d. e.), die jenen Anspruch
nicht erheben. Hier wäre eine Entlehnung aus unserem Werk wohl
möglich, wodurch die Zeit seines Erscheinens vor 1535 zu setzen
wäre.
Die Namen der Komponisten, die sämmtlich Deutsche waren,
geben einen bemerkenswerthen Einblick in die mannigfachen Ver-
bindungen, die Apiarius zur Verfügung standen. Nu? von einem
derselben, Thomas Sporer, wissen wir sicher, daß er schon 1534
gestorben war. Die Namen Balthasar Arthopius, Huldreich
Brätel, Matthäus Eckel, Paul Wüst kommen auch in anderen
Sammlungen vor, doch ist von ihren Trägern sonst nichts bekannt;
Matthäus Greiter war ein Straßburger und auch Dichter geist-
licher Lieder ; Lazarus Spengler von Nürnberg erscheint nur' hier
1 Unter den Texten befinden sich auch zwei » Bohnenlieder«, von denen ver-
muthlich das eine jenes Bohnenlied ist, mit dem nach der Anshelm'schen Chronik
in Bern 1522 „tof in (S[c^en a}Jittwitcf;en ber romticf;c ^bla\i buvd^ aße Oaffeit qetraqen
tonb tter[))Ottet toarb." Von einzelnen Texten unserer Sammlung darf man aber
wohl sagen, daß sie noch über das Bohnenlied gehen.
2 Nur ein einziger, von Senfl, ist neuerdings veröffentlicht worden.
17
als Komponist, und zwar bei einem einzigen Liede, wie er auch nur als
Dichter des einzigen Kirchenliedes: »Durch Adams Fall ist ganz ver-
derbt« bekannt ist. Auch Wilhelm Breitengraser war ein Nürn-
berger : Wolf Grefinger lebte in Wien, Paul Hoffhaimer, früher
auch in Wien, wohnte seit langem in Salzburg, Sixt Dietrich in
Konstanz. Thomas Stoltzer war beim König von Ungarn,
Stephan Mahn beim König von Böhmen, Arnold von Brück
beim Kaiser in Wien Kapellmeister. Von letzterem vermuthet man,
daß er aus Brugg im Kanton Aargau stamme; er wäre dann nächst
Ludwig Senfl aus Kaiseraugst, der auch in unserer Sammlung mit
sieben Gesängen vertreten ist, der größte schweizerische Kontra-
punktist. Sodann enthält unsere Sammlung noch Stücke von zwei
anderen schweizerischen Meistern, die bis dahin noch in keinem
Druckwerke vorkommen, Cosmas Alderinus von Bern und Johann
Wannenmacher von Freiburg. Nur ein einziger Komponist, Bene-
dikt Ducis, gilt seit Fetis und Ambros für einen Niederländer Namens
Hertoghs, da durch Antwerpener Lokalforschungen nachgewiesen
Avurde, daß er Organist der Marienkapelle dortselbst war. Ambros
Avill nicht einmal zugeben, was doch dieselben Antwerpener Quellen
bezeugen, daß er 1515 nach Niederlegung seiner Stelle an den Hof
Heinrich's VIII. von England berufen worden sei. Doch bleibt die
Thatsache bestehen, daß er 1539 in Ulm «Harmonien« über alle
Oden des Horaz »der Ulmer Jugend zu Gefallen« hat drucken lassen,
sowie daß er neben französischen Chansons und vlaemischen Liedern
auch deutsche Lieder komponirt hat, und zwar außer unserem welt-
lichen Liede: „ßUenb bringt ^eiu bem f)er^eu mein" noch eine Anzahl
evangelisch-kirchlicher Tonsätze. Es mag daher nicht allzu gewagt
sein, den Wohnsitz dieses Meisters zur Zeit der Entstehung unserer
Sammlung in Deutschland, und zwar in Ulm zu suchen. Dagegen
ist die Meinung, die noch P. Anselm Schubigeri zu theilen scheint,
wonach Benedikt Ducis mit Benedikt Appenzeller dieselbe Per-
sönlichkeit gewesen sei, nicht aufrecht zu erhalten ; auch war Appen-
zeller, der von 1530 — 1555 eine Anstellung als Chorknabenmeister
in der Kapelle der Statthalterin Maria zu Brüssel hatte, wohl kein
Schweizer, vielleicht aber der Sohn eines aus Appenzell stammenden,
um 1511 erwähnten nniatti'e bombardiere im Heere Karl's V, Namens
Hantze Appenzeller.
Ein Punkt bedarf noch der Aufklärung, Weller, wie gesagt,
bezeichnet (S. 18) unser Werk — daß es sich um das gleiche handelt,
1 Die Pflege des Kirchengesanges und der Kirchenmusik in der deutschen
katholischen Schweiz. ' Einsiedeln 1873, S. 37.
2
18
ist zweifellos — als Berner Druck von c. 1550 und erwähnt ein Frei-
burger Exemplar, welches merkwürdigerweise den Musikbibliographen
entgangen war. Sollte Apiarius wirklich in Bern eine zweite Auf-
lage, oder besser: einen Nachdruck veranstaltet haben? Franz M.
Böhme 1 sah in Berlin einen Nachdruck in A^erbindung mit einem
solchen der Frankfurter Gassenhauer und Reutterliedlin und hielt
alle diese Stücke für Erzeugnisse der Schoeffer'schen Officin. Das
war aber gewiß eine arge Täuschung; denn nach Eitner (S. 85) be-
steht zwar ein solcher Nachdruck, ist aber «ein einfacher und sehr
mangelhafte. Er wird also aus dem ersten Grunde nicht der Straß-
burger und aus dem zweiten nicht der Berner Officin angehören.
Aber auch das vergessene Freiburger Exemplar, welches Weller be-
nutzte, ist kein Berner Druck. Die Freiburger Universitätsbibliothek
hatte die Freundlichkeit, mir das einzige, dort vorhandene Stimmheft
zvizuschicken, und beim ersten Aufschlagen schauten mir die unver-
kennbaren prächtigen Typen Schoeffer's entgegen. Auch das „öiö",
welches Weller als »Liederbuch« gedeutet hatte, erwies sich als ein
Versehen; es ist nur ein etwas verschnörkeltes 33 auf dem Titel,
welches „93a[[u§" bedeutet. Von einer Herkunft dieser Baßstimme
aus Bern könnte also nur die Rede sein, wenn Apiarius die Schoeffer'-
schen Typen mit nach Bern genommen hätte. Das ist aber, wie alle
Berner Drucke unzweideutig ergeben, nicht der Fall gewesen. Apia-
rius hat allerdings Druckereieinrichtungen aus Straßburg mit nach
Bern gebracht; denn am 19. Januar 1537 dekretirte ihm der Rath
von Bern Freiheit von Zoll und Geleit, „fo inin^ t>onn [tnem gef(i)efft
iJUUb ipujrat süftenbig [in Unu'beu"; aber aller Wahrscheinlichkeit nach
waren seine Notentypen noch nicht dabei, sicher aber keine solchen
für doppelten Druck.
Die Freiburger Baßstimme gehört demnach der Originalausgabe
des Werkes an. Beigebuuden ist ihr die Baßstimme der Maxpiißcat
von Sixt Dietrich, Avobei es nach einem eingeklebten Zettel Jul.
Jos. Maier's, des verstorbenen Konservators der musikalischen Ab-
theilung der Münchener Bibliothek, zweifelhaft ist, ob sie der ersten
oder der zweiten Auflage dieses Werkes angehört.
Diese zweite Auflage des Dietrich'schen Werkes wird wohl das
letzte Buch sein, welches unter dem Namen beider Drucker in die
Welt getreten ist. Die Widmung ist an Simon Grynaeus, einen
reformirten Theologen und Professor der griechischen Sprache in
Basel, gerichtet, und wir wissen aus zwei von Dr. Sieb er in den
Monatsheften für Musikgeschichte (VII, 125 f.) veröffentlichten Briefen
1 Altdeutsches Liederbuch, Lpz. 1877, S. 791, Nr. 9.
19
des Komponisten an Bonifaz Am erb ach, daß Grynaeus durch
seine Munificenz die Herausgabe des Werkes ermöglicht hatte. Das
Datum der Widmung lautet: »1537. Calendas Augusti.« Um diese
Zeit war aber der eine der Geschäftstheilhaber schon nach Bern
übergesiedelt, wie ich im Gegensatz zu Weller's Angabe: »1539 bis
1540« endgültig feststellen konnte.
IV.
Die schon erwähnte Vergünstigung zoll- und geleitsfreien Um-
zugs für Geschäft und Hausrath verdankte Mathias Apiarius Avohl
dem Umstände, daß er, wie Fetscherin^ versichert, vom Eathe der
Stadt Bern ausdrücklich berufen wurde. Im Bernischen Archiv fand
Herr Seminarlehrer Flury darüber nur eine Eintragung im Raths-
manual: „fritag, 19, Sanuarti 1537. Apiariura jü einem büvßevüd^eu
^tnfcerfe^en angenommen." ^ Es konnte indessen bisher immer noch
zweifelhaft sein, ob der Umzug wirklich sehr bald nach den beiden
erwähnten Rathsbeschlüssen stattgefunden habe. Als ältester Druck
des Apiarius und damit als ältester Berner Druck überhaupt galt
bis jetzt ein Katechismus von 1538. Im Zvisammenhalt mit der That-
sache , daß die Widmung des Straßburger Werkes vom 1 . August
1537 noch von Apiarius mitgezeichnet war, konnte man leicht auf
den Gedanken kommen, daß sich die Übersiedelung aus irgend einem
Grunde bis in die zweite Hälfte des Jahres oder gar bis zum folgenden
Jahre verzögert hätte. Erst die Wiederauffindung eines Druckes von
1537, der also fortan als ältester Berner Druck zu gelten hat, hat
allen Zweifel beseitigt.
Dieser älteste Druck ist ein musikalischer, aber bemerkenswerther
Weise nicht mit beweglichen Metalltypen hergestellt, ein theoretisches
Werk des Lüneburger Kantors Auetor Lampadius: Compendium
Miisices , tarn ßgurati quam plani cantus. Mir fiel die Angabe von
Ort und Drucker etwa vor Jahresfrist zuerst auf, als ich die Theo-
retica der Breslauer Bibliotheken in der vortrefflichen Bibliographie
Emil Bohn's (Berlin 1883) einer neuerlichen Durchmusterung
unterzog. Dort mag man auch die genaue Beschreibung des Werk-
chens sowie die der Ausgabe von 1554 nachlesen 3. Es fand sich
dann, daß das Werk ganz richtig auch von Fetis citirt war, und
1 Historische Zeitung 1853, S. 76.
2 S. auch Rettig, Notizen über M. A. im Stück IV des Archivs f. Gesch. des
Deutschen Buchhandels. Leipzig 1879, S. 31.
3 S. auch Beilage III.
20
nicht minder in Gerb er 's neuem Lexikon, in Forke l's Litte-
ratur der Musik und in Walther's Lexikon; überall mit der rich-
tieren Angabe des Druckortes. Ich war daher sehr erstaunt, daß
man in liern nichts davon Avußte , und daß mit diesem Büchlein,
das seine Herkunft bisher in den wenig gelesenen musikalischen
Bibliographien zu verstecken gewußt hatte, der älteste J^erner Druck
wiedergefunden sei. ^
Ich muß mich beeilen, festzustellen, daß der Verfasser wirklich
den seltsamen Vornamen Auetor geführt hat ; denn alle Autoren, Emil
Bulin nicht ausgeschlossen, hielten dieses Wort, was ihnen nicht zu
verdenken ist, für die etwas vordringliche Bestätigung seiner Autor-
schaft. 2 Schon 1549 hat Erasmus Rotenbucher in seinen Nürn-
berger Diphona sich nicht getraut, unserem Lampadius, von dem er ein
Exemplum unseres Büchleins und noch ein anderes Stück abdrucken
ließ, seinen Vornamen beizusetzen. Bei näherem Zusehen schwindet
aber jeder Zweifel, daß Auetor wirklich den Vornamen darstellt.
Nicht nur nennt er sich selbst wiederholt so. sondern auch Eber-
hard von Rumlang aus Winterthur, damals in Bern, der dem
Büchlein einen Geleitsbrief an den Musikbeflissenen voransetzte, stellt
die beiden in Versalien gedruckten Namen so neben einander, daß
nur an Vor- und Zunamen gedacht werden kann. Endlich läßt aber
auch die Angabe des Titels: »Ab Auetore Lampadio Lunebur-
gensi elaborata« schlechterdings keine andere Deutung zu. Lampa-
dius selbst schrieb noch eine Dedikation an zwei junge Leute, wahr-
scheinlich seine Schüler in Lüneburg, und ein Joannes Telorus
machte das übliche Gedicht «m laudem musicesii. Das Büchlein ist
in dialogischer Form abgefaßt und trotz seiner gedrängten Fassung
äußerst lehrreich und vortrefflich. Apiarius hat einen guten Grifl"
damit gethan; denn es sind wenigstens fünf Auflagen erschienen;
drei davon, aus 1537, 1539 und 1546, die Fetis besaß, werden in der
Brüsseler Staatsbibliothek liegen: eine von 1541 erwähnt Draudius
hl der Bibliotheca classica, und die von 1554 besitzt neben der ersten
die Universitätsbibliothek in Breslau. ^ Diese Ausgabe hat besonderes
Interesse. Der Titel, auf dem sieben Zeilen roth gedruckt sind, ent-
1 Erst nach Fertigstellung dieser Arbeit erfuhr ich, daß schon 1890 Eduard
Jacobs das Büchlein gesehen und über den Verfasser einen erschöpfenden Auf-
satz in der Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft veröffentlicht hat. Ich -will
aber an meinen Ausführungen nichts ändern, weil sie doch einiges Neue enthalten
und auch für das schon Bekannte, aber auf anderem "Wege Gefundene, neue Be-
weisstüoke beibringen.
2 Vgl. Jacobs, a. a. O. S. 91.
3 Andere Exemplare citirt Jacobs a. a. O.
21
hält Druckort und Jahr, die in der ältesten Auflage am Schluß stehen,
und nennt als Drucker den Samuel Apiarius, der nach dem im
gleichen Jahre oder frühestens Ende 1553 erfolgten Tode seines
Vaters das Geschäft übernommen hatte. Die Vorrede Eberhard von
Rumlang's ist wörtlich wiederholt, trägt aber jetzt das'Datum: «Mense
Martio, Anno 1546«, während es in der ersten Auflage hieß: »15.
Kai: Augu. Anno. 1535.« Sonst ist der Inhalt beider Auflagen, von
einigen Korrekturen abgesehen, in beiden Büchern der gleiche; auch
sind in beiden dieselben roh ausgeführten Holzstöcke für die Noten-
beispiele in Anwendung gekommen. Nur ein werthvolles Stück bietet
uns die Ausgabe von 1554 gegenüber der ersten: den Brief, womit
Auetor Lampadius am 1. März 1537 über die vorher durch einen
gewissen Domin ikus Drever erfolgte Zusendung seines Manuskripts
berichtet. Drever war schon wieder bei Lampadius gewesen und
hatte mitgetheilt, daß die zugesandte, von dem Knaben des Verfassers
gefertigte Abschrift eine sehr mangelhafte gewesen sei. In dem Briefe
wird dies bedauert, und das Werkchen, von dem eine kurze Be-
schreibung gegeben wird, zum Druck empfohlen. Zugleich wird
noch ein Büchlein über die Komposition von Cantilenen und die
Stimmen von Gesängen zu den vier höchsten Festen {partes de qua-
tuor Simonis festia) in baldige Aussicht gestellt, wobei derselbe Domi-
kus als Überbringer fungiren werde. Zum Schlüsse begründet Lam-
padius die Zusendung seines Büchleins zum Druck gerade an Apiarius
in folgenden, für die Charakteristik unseres Buchdruckers nicht un-
wichtigen Worten': «Übrigens, daß mein Büchlein, sei es nun, wie
es wolle, Dir, mein Herr Apiarius, zum Druck übersandt wurde, das
machte Dein christliches Gemütii und Deine ganz besondere Liebe
zur Musik, die, wie man mir sagt, keine größere Annehmlichkeit
und Freude kennt, als daß die Jugend sich der schönen Künste nicht
minder, als der guten Sitten, besonders aufrichtiger Frömmigkeit be-
fleißige, in der edelsten der Künste aber, der Musik, sich unver-
drossen übe.« In der Unterschrift nennt sich Lampadius «von Herzen
seinen Freund, zwar nicht in Person, aber doch in aller Aufrich-
tigkeit. « -
1 Nach Jacobs S. 95 f. steht der Brief schon in der Ausp;abe von 1541. Die
von Jacobs S. 96 und S. 103 gegebene Verdeutschung des Namens Apiarius in
Bienevater ist willkürlich; Fetscherin in Bern versuchte den Namen mit der
Bernischen Familie Beyeler in Verbindung zu bringen, was sich auch längst als
irrig erwiesen hat; die einzig richtige Verdeutschung ist Biner oder Biener,
vergl. unten S. 408 u. 410.
2 Jacobs' Annahme, die beiden Männer hätten sieh wohl von der Universität
her gekannt, ist demnach irrig.
22
Von den in Aussicht gestellten anderen Werken des Lampadius
ist nichts mehr bekannt geworden, i Das oben erwähnte zweite Stück
in den DipJiona trägt die Überschrift: Epicedio7i generosi cotnitis Ati-
tonii iunioris ah Isenherg. Die ganze höchst interessante Roten-
bucher'sche Sammlung zweistimmiger Gesänge war dem noch im
Knabenalter stehenden Grafen Heinrich von Isenburg- Büdingen,
dem Sohne des Grafen Anton des Älteren, gewidmet.
Ich brauche nicht zu erwähnen, daß sich aus dem Inhalt und
dem Datum des Lampadius'schen Briefes ergiebt, daß Apiarius schon
sehr früh im Jahre 1537 in Bern gewesen sein muß. Dagegen ver-
lohnt es sich, seinem Druckerstock, der auf der letzten Seite der
ersten Auflage sich befindet, ein Wort zu widmen. 2 Er stellt einen
aufrechtstehenden, hohlen, mit federartig beblätterten Asten ver-
sehenen Baumstamm dar, von Bienen umschwirrt, die bei einem
großen Loche ein- und ausschwärmen. Ein Bär ist an dem Stamm
emporgeklettert, um den von den Bienen gesammelten Honig zu
naschen. Aber vor dem Loch hängt an einem Aste ein schwerer
Klöppel , der den Bären auf die Schnauze klopfen muß , so oft er
versucht, sie in die Höhlung hineinzustecken. In späteren Drucker-
stöcken, schon in der Frank'schen Chronik von 1539 erscheinen
auch noch Vögel und eine Spinne als Feinde der fleißigen Bienen,
die nicht nur an den um den Baum herum wachsenden Blumen
saugen, sondern auch in einer aufgeschlagenen Bibel zu lesen scheinen,
wo das hebräische Wort Jehovah und gegenüber ein mir unverständ-
liches Zeichen, einem Thiere ähnlich, zu sehen ist. Das Emblem
der Biene ist im Hinblick auf den Namen Apiarius, den sein Träger
gelegentlich selbst mit »Bienenr verdeutscht, hinreichend verständ-
lich; die Naschhaftigkeit des Bären soll wohl eine zarte Andeutung
für die Berner sein, daß sie seine Bücher nicht bloß lesen, sondern
vor allem kaufen sollten. In der genannten Chronik hat er dies
durch biblische Umschriften noch deutlicher gemacht, ja sogar durch
künstliche Verschmelzung zweier Bibelstellen (Klagl. 3, 10; Spr. 28, 15)
in der Version der Vulgata: ))Ursus insidicms et esuriens, princeps super
populum pauperema eine scharfe Anklage gegen das arme Bernische
Wappenthier konstruirt.
Nach dem, was wir über die Herstellungsart des Lampadius'-
schen Büchleins gesagt haben, bleibt es also zweifelhaft, ob Apiarius
1 Nur ein Bruchstück einer lateinischen Predigt, von M. Apiarius gedruckt,
fand Herr Seminarlehrer Flury dahier vor. Nach Jacobs S. 103, Anm. 3 befindet
sich die Predigt vollständig auf der Stadtbibliothek zu Zürich.
2 S. Beilagen I und II.
23
vom Anfange seiner Wirksamkeit in Bern an schon seine schönen
beweglichen Typen für den Musikdruck besessen habe.
Das erste sichere Denkmal ihres Vorhandenseins ist eines der
mancherlei Trutzlieder auf das Interim, Avelches Apiarius 1552 in
Druck gab: „ßtu 3(rt(td)8 new Sieb, mm bcv jart fcl;6ueu grätigen Interim,
3(ud; Den 5ud;t, el;r bub M jrer ©c^opfferu. 3ut Zlpn ane üotgt. (Vignette.)
Anno M.D.LII." Auf der Rückseite des Titels dieses auf vier Blät-
tern gedruckten Liedes von sechs achtzeiligen Strophen mit zwischen-
ofeschobenen Adressen und lateinischen Distichen steht in fünf Noten-
Zeilen die einstimmige Melodie, der nur die zwei ersten Textzeilen
untergelegt sind. In dem zwölfzeiligen deutschen Schlüsse „%i\ 'i.ci\zx"
nennt sich der Dichter: „3anu§ ^^^^"ßiu« g'Bont am 9xl}eu!." Der
Zweifel Weller's ', ob dieses Schriftchen ein Erzeugniss der Bernischen
Druckerei sei, mriß verschwinden angesichts der absoluten Gleich-
heit der Notentypen mit denen der Apiari.^is'schen Musikdrucke des
folgrenden Jahres. Das Schriftchen befindet sich auf der Züricher
Stadtbibliothek.
Erst aus dem Jahre 1553, dem letzten Lebensjahre unseres rüh-
rigen Meisters, haben wir ein größeres musikalisches Werk aus seiner
Officin: «Bicinia sive Duo, Germanica ad aequales. 2;ütfd;e "^fatmen
t»ub anbve gfang mit jli»ei)en (Stimmen.«- Der Komponist dieser reizenden
Gesänge für zwei gleiche, d. h. in der Tonhöhe nahe an einander
liegende Stimmen, hier Tenor und Baß, ist der aus dem Straßburger
Liederbuch uns schon bekannte Johann Wannenmacher (Jo-
hannes Vannius), doch hat Apiarius auch zwei eigene Gesänge
am Schluß mit abgedruckt. Wannenmacher war von 1510 bis 1530
Chorherr und Kantor zu St. Nikiaus in Freiburg im Üchtland und
stand nach P. Schubio-er beim Kardinal Schinner in hohem Ansehen.
Außer dem einen weltlichen Liede in der Schoeffer'schen Samm-
lung haben Avir von ihm eine große Komposition zu 3 — 6 Stimmen
in fünf Theilen über den deutschen Psalm : „5(u 33?a[fevflüf]eu iBaln^fcnS"
in der Ott'schen Sammlung von 1544, mit welcher sie neuerdings in
Partitur veröffentlicht worden ist. Glarean (Dodecachordon p. 304 ff.)
nennt ihn einen lireisgauer und veröffentlicht ein »von den Kennern
sehr hochgeschätztes« umfangreiches vierstimmiges Tonstück von ihm,
das wegen seines politischen Anlasses merkwürdig ist. Wannenmacher
war nämlich im Jahre 1516 ein heftiger Gegner des zwischen den
Schweizern vind König Franz von Frankreich abzuschließenden Frie-
densvertrages, und komponirte nun jenes- Stück, dessen Text aus
1 Annalen I S. 317, Nr. 133.
- Facsimile des Titels s. Beilage IV.
24
»passenden« liibelversen zusammengesetzt ist, zur Stütze seiner poli-
tischen Parteimeinung. Im Jahre 1530 mußte er wegen seiner Hin-
neigung zur reformatorischen Bewegung mitsammt dem tüchtigen
Organisten Johann Kotter Freiburg verlassen und begab sich nach
Deutschland. Nach der Vorrede unserer Bicinien ^ war er beim Er-
scheinen dieses Werkes schon verstorben; die Gesänge waren im Be-
sitz Johann Kiener's, „(eermcl;fter§ in ber SoMid^)eu ©tatt S3evnn", auf
dessen „aiitviO t'nb fürfd)U6" sie Apiarius veröffentlichte. Die erwähnte
Vorrede, vom 13. August 1553 datirt, widmet das Werk „93let)[ter
Wlä)^l ßo^^'peu g-elbtntmmetev, 2Beub(eu ®d;drer g-e(btpit)ffev, mt ©tgfrtben
IptartD, genannt 33iner fl^nem ©nn, btfer ji^t am @tattpft)ffcr btenft, ünb
ßfj bt^mal all biencr ber Öcfcüd;en Statt S3ernn." Mathias erklärt den
genannten Männern, die übrigens sämmtlich in den Stadtrechnungen
des Jahres 1553 vorkommen, ausführlich, Avarum er ihnen diese zwei-
stimmigen Gesänge widme, da sie doch sonst vier- oder fünfstimmig
zu blasen gewohnt seien, und macht dabei die von feinem Kunst-
verständniß zeugende Bemerkung, daß es viel schwieriger sei, einen
zweistimmigen Kontrapunkt schön zu machen, als einen mehrstim-
migen, daß darum die zweistimmigen Gesänge aber auch die Zuhörer-
schaft zu größerer Aufmerksamkeit reizen.
Die Gesänge sind alle mit zwei Strophen Text versehen, und
in der einen Stimme ist die »gemeine« Melodie (Avas bei den acht
Psalmen so viel bedeuten will, als die aus den deutsch-protestanti-
schen, speciell Straßburgischen Gesangbüchern bekannte Weise], je-
doch mit sehr charakteristischen Veränderungen , auch wohl mit
kleinen Kadenzen und Z^vischensätzchen , wiedergegeben, während,
die andere Stimme auf der gleichen melodischen Grundlage sich
freier bewegt. Von den acht weltlichen Liedern ist ein Theil dem
Texte nach anderweit bekannt und in anderer musikalischer Bear-
beitung in verschiedenen Sammlungen vorhanden ; einige habe ich
bis jetzt sonst nicht nachweisen können. Nummer IX bildet ein Stück
von Apiarius' : „Slcf) l^ntff mtd; (etc, tonb fenltd; clag", und ohne Nummer
wird zugegeben: „(5g taget Der bem iratbe", ebenfalls von Apiarius. ^
In dem einen Stimmhefte ist dieses Stück zwischen VII und VIII
auf dem freien Reste einer Seite eingeschaltet. Beide Stimmhefte
enthalten fünf Bogen in Querquart. Der Druckerstock auf dem Titel
ist sehr niedlich, nicht 3 cm hoch; man erkennt nur den am Baum
heraufkletternden Bären und die dunkle ()ifnung in jenem. Wie
1 Veröffentlicht in den Monatsheften f. Musikgesch. VIII, 101.
2 S. Beilagen V und VI.
25
der Titel ferner vermeldet, Lesaß Apiarius eine kaiserliche „^-rt^fjeit"
gegen Nachdruck auf sieben Jahre.
Von unserer Sammlung ist nur mehr ein einziges, vollständiges
Exemplar vorhanden, dessen beide Stimmen durch ein seltsames
Schicksal weit auseinandergerissen wurden. Früher kannte man nur
die in München liegende Hauptstimme (Vox communis), in der die
Jahreszahl, Drucker, Druckort und Vorwort enthalten waren. Von
dieser ist auch in l^erlin ein Exemplar. Die andere Stimme (Vox
libera) ohne Ort und Jahr lag unerkannt in Göttingen, bis Franz
M. Böhme bei seinen Quellenaufnahmen für das «Altdeutsche Lieder-
buch« sie entdeckte. Merkwürdigerweise gehören die beiden Stimm-
bände in München und Göttingen sogar demselben Exemplar an und
waren beide früher in der kurfürstlich -bayerischen Bibliothek, wie
aus den aufgeklebten Bibliothekzetteln zu ersehen ist. Beiden ist
auch je die betreffende Stimme der mehrerwähnten Rot enbucher'-
schen Diphona vorgebunden, so daß auch von diesem wichtigen
Werke ein weiteres vollständiges Exemplar (neben dem in Zwickau
befindlichen) vorhanden ist.
Apiarius hatte noch eine Reihe von musikalischen Plänen, über
die seine Vorrede zu den Bicinien Aufschluß giebt. Ein nicht ge-
ringer Schatz von Musikalien, sagt er, sei von Joannes Vannius,
Cosmas Alderinus und Sixtiis Theodericus [d. i. Dietrich], „aüe feügei*
gebed;tuu§" hinterlassen worden, die sich in seinem und seiner guten
Gönner Besitz befänden. Diese wünscht er alle {„\m{^ C^^ctt") mit der
Zeit herauszugeben. Wie schade, daß diesem schönen Vorhaben
durch den Tod so bald ein Ziel gesetzt wurde! Von all den ver-
heißeneu Schätzen besitzen wir nichts mehr, wenn auch sicher eines,
vielleicht mehrere der in Aussicht gestellten Werke noch von Apia-
rius gedruckt wurden.
Die drei Komponisten sind uns von dem Straßburger Lieder-
buch her schon bekannt. Cosmas Alder (Alderinus) war ein
Berner, und, wie uns Herr Staatsarchivar Türler ^ berichtet, 1536
zugeordneter Schreiber des Schaffners von Frienisberg und 1538 Bau-
herrenschreiber. Während ihm früher das größere Haus der Grauen
Schwestern an der Junkerngasse »vergönnt« wurde (das kleinere be-
zog der Reformator Berchtold Haller), besaß er später ein Haus
in der Kramgasse ob der Schaal und war seit 1538 Mitglied des
■" Großen Rathes (der Zweihundert). ^ Nach Leu (Schweizerisches Lexi-
kon. 1747) starb er 1650, was zutreffen wird, da sein Name im
1 Berner Taschenbuch 1892, S. 246.
- Ein Facsimile seiner Namensunterschrift s. Beilage VII und VIII.
26
folgenden Jahre im Verzeichniss der Großrathsmitglieder zum ersten ♦
Male wegfällt. Die musikalischen lUbliographen citiren überein-
stimmend ein in Bern 1553 erschienenes Werk, 57 Hymnen ent-
haltend, doch sind sie uneinig, ob die Hymnen bloß vierstimmig, oder
vier-, fünf- und siehenstimmig, oder vier-, fünf- und sechsstimmig seien.
Ich fürchte sehr, daß die späteren Angaben nur eine ungenaue Wieder-
gabe der Notiz in der von Jak. Fries besorgten 1583er Ausgabe der
JJibliotheca Gesner's sind, und daß Keiner der Späteren das Werk
gesehen hat. Gesner's Titel, der richtig sein wird, lautet: y)Cosmae
Alderini Hehetii hymni sacri nummero 57 quorum usus in ecclesia esse
consuemt. Vocimi 4. Bernae 1553. in 4.« Herr Staatsarchivar Türler
entdeckte nun voriges Jahr in dem Deckel eines alten Aktenfascikels
mit fünflinigen Noten bedruckte Blätter, die zu Pappendeckel zu-
sammengekleistert waren. Ich erkannte dieselben gleich als Drucke
des 16. Jahrhunderts. Es gelang durch langsames Aufweichen, die
sämmtlichen Blätter fast unversehrt wiederzugeAvinnen, und siehe da,
sie stellten sich als ziemlich umfangreiche Bruchstücke des verloren
gegangenen Alderinus'schen Hymnenwerkes dar. Leider nur als
Bruchstücke ! Vom Baß sind die Bogen a, b, d und e, vom Alt die
Bogen 11, mm und nn, dieser den Schluß bildend, vom Sopran die
nur auf einer Seite bedruckten Blätter 1 und 3 des Bogens li vor-
handen. Der Tenor fehlt ganz. Der Anfang der Baßstimme hat
nur den Titel: -oBassus. Hymnorum de tempore ^ Sanctis, per Anni
Circulum.M Darunter in viereckiger Einfassung, deren Inneres zier-
liche Blumenornamente zeigt, ein Bernisches Stadtwappen mit drei
Schilden, deren oberer den Reichsdoppeladler enthält und die Reichs-
krone trägt, während auf den beiden unteren zwei halbaufwärts
schreitende Bären einander entgegensehen. Auf dem Schlußblatt
der Altstimme stehen bloß die Worte, die die Identität des Werkes
verbürgen: ^^ Hymnorum, a Cosma Alderlno Compositorum, FinisM Die
Texte der Hymnen sind die lateinischen der altkirchlichen Tagzeiten,
in der Fassung, wie sie vor der »Verbesserung« im Sinne altklassi-
scher Prosodie gesungen wurden. ^ Die Reihenfolge ist die des katho-
lischen Kirchenjahres mit Beifügung einiger Hymnen an besonderen
Heiligenfesten außer der Reihe. Die Tonsätze sind durchaus über
die Melodien des altkirchlichen Choralgesanges gemacht, doch sind
jene Melodien zu Grunde gelegt, die in Deutschland üblich Avaren,
* Das Jahrhundert der wiedererwachten klassischen Studien nahm Anstoß an
gewissen metrischen Eigenthümlichkeiten der späteren Latinität und glaubte im
Sinne eines Horaz und Virgil zu verfahren, wenn es den schönen Anfang des
Üsterhymnus : •>■> Ad cotmam Agni reffiam» in »Ad regias Agni dapes« umänderte.
27
nicht die der römischen Antiphonarien jener Zeit. Es wird ange-
nommen werden dürfen, daß Alder diese Hymnen in früheren Jahren
gemacht und nach Annahme der Reformation in seinem Pulte ver-
schlossen gehalten hat, wesshalb sie auch dem Apiarius erst aus seinem
Nachlasse zugänglich wurden. Man sang zwar auch in der lutheri-
schen Kirche zu jener Zeit noch lateinische Hymnen; aber in einem
reformirten Lande würden doch die Hymnen de S. Joanne Baptista,
de S. Vincentio, de S. Laurentio, de S. Martino Anstoß erregt haben,
obgleich oder weil gerade diese auf den ehemaligen Kultus im St.
Vincenz- Münster der Stadt Bern hinweisen, — ganz abgesehen von
dem yiPange linguav- in festo Corporis Christi (Frohnleichnam) .
Eine schwache Hoffnung, daß noch einmal die Hymnen unseres
Bernischen Komponisten sich wiederfinden könnten, obgleich die
großen Bibliotheken sie alle nicht haben, läßt sich vielleicht auf den
Umstand gründen, daß C. F. Becker (Tonwerke, Sp. 85) unter allen
Bibliographen allein als Format angiebt: »in Querquart«, während die
älteren von Frisius an nur sagen: »in 4.« Das erstere ist richtig,
denn die Wasserzeichen gehen von oben nach unten, die Bogen sind
demnach zuerst in die Quere gefaltet worden. Vielleicht dient die
Veröffentlichung dieses Aufsatzes zur Entdeckung irgend eines ver-
borgenen Exemplars.
Auch bei Wannenmacher ist es nicht unmöglich, daß noch ein
Werk von ihm aus der Apiarius'schen Druckerei zum Vorschein
komme ; denn er muß wohl noch Messen hinterlassen haben ; in einem
kleinen deutschen Auszug aus Glarean, erschienen 1557 in Basel,
steht ein Agnus Dei von ihm mit der Überschrift : Ex Joanne Vannio
breve exemplum. ^ Dagegen fehlt uns über die etwaige Herausgabe des
Dietrich'schen Nachlasses jeder Anhalt; er Avird wohl unwiderbring-
lich verloren sein, was sehr zu beklagen ist, da der Konstanzer Meister
unbedingt der bedeutendste dieser drei Komponisten war, hochgeschätzt
von Glarean und anderen zeitgenössischen Kunstkennern, eine echte
Künstlernatur und ein warmfühlender, treuherziger Mensch. Nach-
dem seine ersten Werke, wie wir hörten, bei Schoeffer und Apiarius
in Straßburg veröffentlicht worden waren, hatte er sich für seine
späteren Kompositionen, sofern sie nicht in Sammlungen erschienen,
an Georg Rhau in Wittenberg gewandt, der 1541 und 1545 zwei
große Werke mit zusammen 158 kirchlichen Kompositionen (Anti-
phonen und Hymnen) von ihm druckte. Für Glarean' s Werk hatte
er drei Tonstücke eingesandt, und in Augsburg, seiner Geburtsstadt,
1 In St. Gallen und Basel finden sich einige handschriftliche Werke Wannen-
macher's, in Basel ziemlich viele des Alderinus.
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war von Salminger 1547 noch ein Kanon von ihm veröffentlicht
worden. Das Jahr 1548, das so verhängnißvolle für seinen Wohnort
Konstanz, ist sein Todesjahr. Vor dem Sturme der Kaiserlichen auf
die Stadt am 6. August hatte man, wie uns die fälschlich dem Jörg
Vögeli zugeschriebene Chronik berichtet \ den todkranken Mann
nach St. Gallen in Sicherheit gebracht, wo er am 21. Oktober starb.
Auf Avelche Weise Apiarius in den Besitz des musikalischen Nach-
lasses Sixt Dietrich's kommen konnte, Avird schwerlich zu ermitteln
sein. Ein einziger, früher nicht nachweisbarer Psalm zu sieben Stim-
men findet sich in einer 156Ser Nürnberger Sammlung des Clemens
Stephani von Buchau.
Unser Mathias Apiarius, der sich 1553 so eifrig auf den Musikdruck
geworfen hatte, wurde mitten in seinen Plänen vom Tode überrascht.
Nachdem noch im Spätjahr die Hymnen des Alderinus von ihm ge-
druckt worden waren, erschien die neue Auflage des Lampadius'schen
Werkes 1554 schon unter der Firma seines Sohnes Samuel. Allein
dieser, wie sein Bruder Siegfried, muß nicht viel Glück gehabt haben.
Beide wurden durch ärgerliche Händel aus der Stadt verdrängt.
Samuel druckte aber noch 15S1 in Basel das erste Baseler Kirchen-
liederbuch, das noch den Druckerstock des alten Mathias aufweist.
Die Kunst des Musikdruckes verblich allmählich seit dem Ende
des Jahrhunderts, Avie auch die kontrapunktische Kunst nachließ und
langsam anderen Kunstrichtungen Platz machte. Da wurden die Typen
in den Massenauflagen der Kirchengesangbücher immer mangelhafter
und zum Theil fast unleserlich , und für die Kunstmusik , die nur
mehr kleinere Auflagen vertrug, wandte man sich mehr und mehr
der Vervielfältigung mittelst Kupferplatten und später mittelst Zinn-
platten zu. Erst Johann Gottlieb Immanuel l^reitkopf in
Leipzig hat den Typendruck seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts
wieder auf eine bedeutende Höhe «"ebracht.
1 Adolf Frölich in den Monatsheften für Musikgesch., 1879, S. ü3.
29
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(Irtö pff Batterliii.
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Vorderseite des Blattes E II der Vox conmumis der Wannenmachcr'schen
Bicinien, enthaltend die Tenorstimme eines zweistimmigen Satzes von Mathias
Apiarius, nach dem Münchener Exemplar.
VI.
Math: Apiat: olira fäciebat.
btc^affenbnffcnbalbe/f?anbx>ffl?at;^olbcr bul fic#
f4>oit0hcbI«ßbi^«nfc^owc/f?Änbpjf flt;f)olbcr bül fyca
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»oJ)obu b«|l mm fo bmi^bm/(?2b vjf 2<Lat: fl«nb p|f ^<ft: (l«nbp(f Bit?
mitt ysctycn (timtmn,
Vorderseite des letzen Blattes der Vox Uhera der AVannenmacher'schen Bicinien,
enthaltend die Baßstimme eines zweistimmigen Satzes von Mathias Apiarius,
nach dem Göttinger Exemplar.
32
VII.
VIII.
Unterschrift des Komponisten Co smas AI der inus von Bern, Rathslierrn daselbst,
■■- 1550, nach einem im Staatsarchiv zu Bern befindlichen Urbar.
Berichtigungen.
Seite 402 Zeile 2 statt 1636 lies : 1536
» 407 » 7 » 1535 » 1537
» 411 letzte Zeile » 1650 » 1550.
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