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Full text of "Der Stern"

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f 


September  1974  •  100.  Jahrgang  •  Nummer  9 


Inspirierende  Worte 


Bevor  wir  am 

Abendmahl 

teilnehmen... 

Bevor  wir  am  Abendmahl  teil- 
nehmen, sollen  unser  Herz  und 
unsere  Hände  rein  sein.  Wir 
sollen  all  unsere  Feindselig- 
keiten gegenüber  unseren  Mit- 
menschen begraben  haben  und 
in  Frieden  mit  ihnen  leben.  Wir 
sollen  in  uns  den  Wunsch 
tragen,  den  Willen  des  Vaters 
im  Himmel  zu  tun  und  alle  seine 
Gebote  zu  befolgen.  Wenn  wir 
das  tun,  wird  uns  die  Teilnahme 
am  Abendmahl  zum  Segen  ge- 
reichen und  uns  mit  neuer  gei- 
stiger Kraft  beseelen. 

-  George  Albert  Smith 
geb.  am  4.  April  1870 
gest.  am  8.  April  1951 
Achter  Präsident  der  Kirche 


INHALTSVERZEICHNIS 

Inspirierende  Worte.  George  Albert  Smith 354 

„Du  sollst  dem  Herrn,  deinem  Gott,  in  allen  Dingen  danken." 

Marion  G.  Romney 356 

Von  Mose  bis  Maleachi.  Edward  J.  Brandt 359 

Der  Ursprung  der  Schrift.  Hugh  Nibley 364 

Fragen  und  Antworten.  Richard  Lloyd  Anderson 367 

Die  Mission  des  Mose.  Sidney  B.  Sperry 368 

Außergewöhnliche  Begebenheiten  aus  dem  Leben  unserer 

Apostel :  Orson  F.  Whitney  372 

Fragen  und  Antworten.  LeGrand  Richards  und  Vaughn  J. 

Featherstone     375 

Pläne  für  ein  erfülltes  Leben.  Spencer  W.  Kimball 378 

Statistischer  Bericht    382 

„Seid  rein,  die  ihr  die  Gefäße  des  Herrn  traget!"  Marion  G. 

Romney 383 

Vom  Herrn  erwählt.  N.  Eldon  Tanner 386 

Neue  Generalautoritäten:  L.  Tom  Perry,  J.  Thomas  Fyans, 

Neal  A.  Maxwell 390 

DER  kleine  STERN 

Freunde  in  Norwegen    65 

Ein  Junge  und  ein  Vogel.  Grace  M.  Pratt 66 

Das  macht  Spaß 69 

Von  Freund  zu  Freund.  Spencer  W.  Kimball 70 

Rätsel     72 


Veröffentlichung  der  Kirche  Jesu  Christi 

der  Heiligen  der  Letzten  Tage 

für  die  deutschsprachigen  Pfähle  und 

Missionen 

D-6000  Frankfurt  50,  Postfach  501070 

September  1974 

100.  Jahrgang  •  Nummer  9 

Erste  Präsidentschaft 

Spencer  W.  Kimball 
N.  Eldon  Tanner 
Marion  G.  Romney 

Rat  der  Zwölf 

Ezra  Taft  Benson,  Präsident 

Mark  E.  Petersen,  Delbert  L.  Stapley, 

LeGrand  Richards,  Hugh  B.  Brown, 

Howard  W.  Hunter,  Gordon  B.  Hinckley, 

Thomas  S.  Monson,  Boyd  K.  Packer, 

Marvin  J.  Ashton,  Bruce  R.  McConkie 

L.  Tom  Perry 

Beratendes  Komitee 

J.  Thomas  Fyans,  Daniel  H.  Ludlow, 

John  E.  Carr,  Doyle  L.  Green 

Redaktion 

Larry  A.  Hiller 

Klaus  Günther  Genge,  Koordinator 

Layout 

Verlag  Kirche  Jesu  Christi 

der  Heiligen  der  Letzten  Tage 

Druck 

Paul  Giese  KG,  Offenbach/Main 

Bestellungen  nehmen  die  Sternagenten 
in  den  Gemeinden  oder  der  Verlag 
entgegen.  DER  STERN  erscheint  monat- 
lich und  kostet  pro  Jahr  DM  15,— 
sfr.  16.50,  öS  100-,  Übersee  $  5.00 
Überweisungen  bitte  an:  Kirche  Jesu 
Christi  der  Heiligen  der  Letzten  Tage, 
Sonderkonto  Verlag,  Postscheckkonto 
Frankfurt  6453-604. 

Artikel  und  Beiträge  zum  Textteil 

adressieren  Sie  bitte  an  die  Anschrift  des 
Verlages  mit  dem  Hinweis 
„Übersetzungsabteilung". 
Eine  Rücksendung  erfolgt  nur,  wenn  ein 
vollständig  adressierter  Rücksende- 
umschlag bei  liegt. 

©  1974  by  the  Corporation  of  the 
President  of  The  Church  of  Jesus  Christ 
of  Latter-day  Saints 


355 


„Du  sollst 

dem  Herrn, 

deinem 

Gott, 

in  allen  Dingen 

danken" 


MARION  G.  ROMNEY 

Zweiter  Ratgeber  des  Präsidenten 

der  Kirche 


Dankbarkeit  ist  definiert  worden 
als  ,,eine  Empfindung  dankbarer  An- 
erkennung für  Gefälligkeiten,  die  wir 
empfangen  haben".  Es  ist  das 
Kennzeichen  einer  edlen  Seele. 

„Cicero  nennt  Dankbarkeit  die 
Mutter  guter  Eigenschaften,  die 
größte  aller  Pflichten,  und  verwen- 
det die  Worte  , dankbar'  und  ,gut' 
gleichbedeutend,  als  unzertrennbar 
vereint  in  ein  und  demselben  Charak- 
ter.  —   Bates1." 

Große  Seelen  sind  für  einfache 
Gefälligkeiten  zutiefst  dankbar. 
Beachten  Sie,  wie  die  Seele  des  Pro- 
pheten Joseph  Smith  auf  einige 
Briefe  reagierte,  die  er  erhielt,  als  er 
sich  im  Gefängnis  zu  Liberty  auf- 
hielt. 

„Gestern  abend  erhielten  wir  ein 

paar  Briefe:  einen  von  Emma,  einen 

von  Don  Carlos  Smith  und  einen  von 
Bischof  Edward  Partridge  — ,  und 
aus  allen  ging  ein  tröstender  Geist 
hervor.  Wir  freuten  uns  sehr  über 
ihren  Inhalt.  Lange  Zeit  hatten  wir 
ohne  Nachricht  verbracht;  und  als 
wir  diese  Briefe  lasen,  waren  sie  so 
erfrischend  für  unsere  Seele  wie  ein 
milder  Luftzug.  Doch  in  unsere 
Freude  mischte  sich  Kummer,  als 
wir  lasen,  wie  die  armen  und  sehr 
geschädigten  Heiligen  leiden  müs- 
sen. Wir  brauchen  euch  sicher  nicht 
zu  sagen,  daß  unser  Herz  vor  Mit- 
leid überströmte  und  unsere  Augen 
Quellen  von  Tränen  waren.  Aber  die 
noch  nicht  hinter  Kerkerwänden 
gesessen  haben,  ohne  daß  man  sich 
etwas  hat  zuschulden  kommen 
lassen,  können  kaum  ermessen,  wie 
süß  die  Stimme  eines  Freundes  ist: 


ein  Zeichen  der  Freundschaft,  aus 
welcher  Quelle  es  auch  kommen 
mag,  erweckt  und  erregt  alle  teil- 
nahmsvollen Gefühle;  sie  ruft  einem 
alles  ins  Gedächtnis  zurück,  was 
geschehen  ist;  sie  bemächtigt  sich 
der  Gegenwart  mit  Blitzesschnelle; 
mit  dem  Ungestüm  eines  Tigers 
greift  sie  nach  der  Zukunft;  und  sie 
bewegt  den  Sinn  vorwärts  und  rück- 
wärts, von  einem  zum  andern,  bis 
schließlich  alle  Feindseligkeit,  aller 
Groll  und  aller  Haß  sowie  frühere 
Differenzen,  Mißverständnisse  und 
Mißwirtschaften  durch  siegreiche 
Hoffnung  erschlagen  werden  2." 

Wir  sollen  für  alle  Gefälligkeiten, 
die  wir  empfangen,  dankbar  sein  und 
uns  erkenntlich  erweisen  —  und 
wir  empfangen  gewiß  viele.  Haupt- 
sächlich richten  wir  aber  unsern 
Dank,  und  das  sollten  wir  auch,  an 
Gott,  unseren  Vater  im  Himmel,  und 
an  seinen  Sohn,  Jesus  Christus, 
unseren  Herrn  und  Heiland. 

„Erkennet,  daß  der  HERR  Gott 
ist!"  sang  der  Psalmist. 

„Gehet  zu  seinen  Toren  ein  mit 
Danken,  zu  seinen  Vorhöfen  mit 
Loben;  danket  ihm,  lobet  seinen 
Namen3!" 

„Und  nun,  meine  geliebten  Brü- 
der", sagte  Amulek  zu  den  Zora- 
miten,  „wünsche  ich,  daß  ihr  ... 
Gott  ...  anbetet,  daß  ihr  für  die  vielen 
Gnadengaben  und  Segnungen, 
die  er  euch  verleiht,  täglich  euern 
Dank  darbringt  1" 

„O  wie  ...  solltet  ihr  ...  eurem 
himmlischen  König  danken!"  sagte 
König  Benjamin  zu  seinen  Brüdern. 


356 


, .[Bringt]  allen  Dank  und  alles 
Lob,  dessen  eure  Seele  mächtig  ist, 
dem  Gott  dar  ...,  der  euch  erschaf- 
fen, erhalten  und  bewahrt  hat,  der 
da  macht,  daß  ihr  euch  freut,  und 
gestattet,  daß  ihr  in  Frieden  mitein- 
anderlebt5..." 

Wir  stehen  Jesus  Christus  gegen- 
über in  einer  unvergänglichen  Dan- 
kesschuld, denn  er  hat  uns  sehr 
teuer  erkauft.  Es  ist  uns  schwachen, 
sterblichen  Menschen,  die  wir  doch 
sind,  unmöglich,  voll  das  Leiden  zu 
begreifen  und  zu  schätzen,  das  er 
am  Kreuz  erduldete,  damit  er  für  uns 
den  Sieg  über  den  Tod  davontrüge. 
Noch  viel  weniger  können  wir  das 
Leiden  verstehen,  das  er  in  Gethse- 
mane  ertrug,  auf  daß  wir  Vergebung 
unserer  Sünden  erlangen,  welches 
nach  seinen  Worten  „mich,  selbst 
Gott,  den  Größten  von  allen,  der 
Schmerzen  wegen  erzittern  machte, 
so  daß  ich  aus  jeder  Pore  bluten  und 
im  Körper  und  Geist  leiden  mußte 
und  wünschte,  den  bittern  Kelch 
nichttrinken  zu  brauchen  undzurück- 
schreckte6".  Ich  behaupte,  daß  wir 
dieses  Leiden  kaum  begreifen  kön- 
nen, welches  er  ertrug,  um  die  For- 
derungen der  Gerechtigkeit  zu  er- 
füllen und  das  zustande  zu  bringen, 
wodurch  wir,  indem  wir  an  ihn 
glauben  und  Buße  tun,  Vergebung 
unserer  Sünden  erlangen  können. 

Keiner  von  uns  hätte  dies  Leiden 
ertragen  können.  Kein  Sterblicher, 
noch  mehrere  Sterbliche  zusam- 
men, hätte  dies  erdulden  können. 

Kein  andrer  war  dazu  bereit, 
sein  Opfer  mußt  es  sein. 


Jetzt  finden  wir  die  Ewigkeit 
und  gehn  zum  Himmel  ein  7. 

Zweifellos  wird  jeder  Mensch,  der 
das  begreift,  was  der  Heiland  für  uns 
getan  hat,  ihn  lieben  und  den 
Wunsch  haben,  seinen  Dank  auf 
realistische  Weise  zu  zeigen. 

Im  59.  Abschnitt  des  Buches 
, Lehre  und  Bündnisse'  steht  eine 
Offenbarung,  in  der  uns  der  Herr  im 
einzelnen  sagt,  wie  wir  das  tun  kön- 
nen. 

Die  besagte  Offenbarung  empfing 
der  Prophet  Joseph  Smith  am  7. 
August  1931  in  Independence  im 
Staate  Missouri.  Die  Heiligen  fingen 
damals  gerade  an,  sich  in  Zion  zu 
sammeln.  Das  Land  und  das  Grund- 
stück, auf  dem  der  Tempel  erbaut 
werden  sollte,  waren  geweiht  wor- 
den. 

Der  Herr  eröffnete  die  Offenba- 
rung mit  folgenden  Worten : 

„Gesegnet  sind  die,  die  ...  mit 
einem  lauteren  Sinn  für  meine  Ehre 
in  dieses  Land  heraufgezogen  sind. 

Ja,  gesegnet  sind  die,  deren  Füße 
auf  dem  Lande  Zion  stehen  und  die 
meinem  Evangelium  gehorcht 
haben,  denn  als  Belohnung  wer- 
den sie  die  guten  Dinge  dieser  Erde 
empfangen,  und  sie  wird  mit  ihrer 
ganzen  Kraft  hervorbringen. 

Sie  werden  aber  auch  mit  Segnun- 
gen aus  der  Höhe  gekrönt  werden, 
ja,  mit  nicht  wenigen  Geboten  und 
Offenbarungen  zu  ihrer  Zeit  —  ja 
alle,  die  getreu  und  fleißig  vor  mir 
sind. 

Darum  gebe  ich  ihnen  ein  Gebot 
und    sage:    Du    sollst    den    Herrn, 


deinen  Gott,  lieben  mit  deinem  gan- 
zen Herzen,  mit  all  deiner  Kraft,  von 
ganzem  Gemüte  und  mit  deiner 
ganzen  Stärke,  und  sollst  ihm  im 
Namen  Jesu  Christi  dienen. 

Du  sollst  deinen  Nächsten  lieben 
wie  dich  selbst.  Du  sollst  nicht 
stehlen,  auch  nicht  ehebrechen  oder 
töten,  noch  irgendetwas  Ähnliches 
tun8." 

Der  Herr  fügte  dann  durch  Gebot 
unser  Thema  hinzu:  ,, Du  sollst  dem 
Herrn,  deinem  Gott,  in  allen  Dingen 
danken9" 

Darauf  folgten  zwei  Gebote.  Indem 
die  Heiligen  sie  hielten,  konnten  sie 
dem  Herrn  ihre  Dankbarkeit  er- 
weisen, wie  es  ihm  recht  ist;  auch 
wir  heute  können  und  sollen  dies 
tun. 

Diese  Gebote  sind: 

Erstens:  „Du  sollst  dem  Herrn, 
deinem  Gott,  in  Gerechtigkeit  ein 
Opfer  darbringen,  ja,  das  eines 
gebrochenen  Herzens  und  zer- 
knirschten Geistes." 

Und  zweitens:  „Um  dich  noch 
völliger  von  der  Welt  unbefleckt  zu 
halten,  sollst  du  zum  Hause  des 
Gebets  gehen,  am  Abendmahl  teil- 
nehmen und  deine  Gelübde  an 
meinem  heiligen  Tage  darbringen. 

Denn  wahrlich,  dies  ist  der  Tag, 
für  dich  zur  Ruhe  von  deiner  Arbeit 
bestimmt,  und  damit  du  dem  Aller- 
höchsten deine  Verehrung  bezeu- 
gest. 

Dessenungeachtet  sollen  deine 
Gelübde  jeden  Tag  und  zu  allen 
Zeiten  in  Gerechtigkeit  dargebracht 
werden. 


357 


Bedenke  aber,  daß  an  diesem, 
dem  Tag  des  Herrn,  du  dem  Aller- 
höchsten deine  Gaben  und  heiligen 
Gelübde  darbringen  und  deine  Sün- 
den vor  deinen  Brüdern  und  dem 
Herrn  bekennen  sollst. 

An  diesem  Tage  aber  sollst  du 
nichts  tun  als  mit  lauterem  Herzen 
deine  Speise  bereiten,  damit  dein 
Fasten  vollkommen  sei,  oder  mit 
anderen  Worten,  damit  deine  Freude 
vollkommen  sei. 

Wahrlich,  das  ist  Fasten  und 
Gebet  oder  mit  anderen  Worten, 
Freude  und  Gebet. 

Und  wenn  ihr  diese  Dinge  mit 
Danksagung  und  fröhlichem  Herzen 
und  Angesicht  tut  —  nicht  mit 
vielem  Gelächter,  denn  das  ist 
Sünde,  sondern  mit  freudigem  Her- 
zen und  fröhlichem  Angesicht    — , 

so  wird  die  Fülle  dieser  Erde  euer 
sein  ... 

Und  es  gefällt  dem  Herrn,  daß  er 
dem  Menschen  alle  diese  Dinge 
gegeben  hat ... 

Und  in  nichts  beleidigt  der  Mensch 
Gott,  und  gegen  niemand  ist  des 
Herrn  Zorn  entflammt  als  gegen 
solche,  die  nicht  in  allen  Dingen 
seine  Hand  anerkennen  und  die 
seinen  Geboten  nicht  gehorchen. 

...  lernet,  daß  wer  die  Werke  der 
Gerechtigkeit  tut,  seine  Belohnung 
empfangen  wird,  nämlich  Frieden  in 
dieser  Welt  und  ewiges  Leben  in  der 
zukünftigen10." 

Wenn  wir  Ohren  haben,  um  zu 
hören,  und  wenn  wir  den  Herrn  lie- 
ben, so  werden  wir  diesen  Geboten 
Beachtung  schenken  und  dem  Herrn, 
unserem  Gott,  danken,  indem  wir  sie 
so  halten,  wie  er  es  vorgeschrieben 
hat.  Er  hat  gesagt: 

,,Wenn  du  mich  liebst,  so  wirst  du 
mir  dienen  und  alle  meine  Gebote 
halten11." 


London,  April  1974 

Wolfgang  Pilz  aus  Darmstadt, 
Westdeutsche  Mission,  und  Klaus 
Feichtenberger  aus  Graz,  österrei- 
chische Mission,  erfüllen  ihre  Mis- 
sion gemeinsam  mit  Brüdern  und 
Schwestern  aus  Finnland,  Schwe- 
den, Norwegen,  Dänemark,  Groß- 
britannien, Irland,  den  Niederlanden, 
Belgien,  Frankreich,  Deutschland, 
Österreich,  der  Schweiz,  Kanada, 
den  USA  und  Südafrika.  Die  „Eng- 
land East  Mission"  mit  ihrem  Haupt- 
sitz in  London  ist  wohl  die  interna- 
tionalste Mission  der  Kirche.  Im 
Laufe  von  18  Monaten  hatten  Klaus 
Feichtenberger  und  Wolfgang  Pilz 
Gelegenheit,  mit  Missionaren  aus 
diesen  15  Ländern  zusammenzuar- 
beiten. Seit  drei  Monaten  bilden  die 
beiden  das  wahrscheinlich  erste 
europäische  Zonenleiterpaar  ihrer 
Mission  und  leiten  die  Aktivitäten 
der  32  Missionare  in  ihrer  Zone. 
Bruder  Pilz  stammt  aus  einer  der 
ältesten  HLT-Familien  in  Deutsch- 
land. Bruder  Feichtenberger  ist  der 
erste  Vollzeitmissionar  aus  der  Ge- 


meinde Graz;  seine  Familie  wurde 
von  Missionaren  bekehrt.  „Wir  fin- 
den Freude  und  Erfüllung,  indem 
wir  den  Menschen  in  England  die 
Botschaft  von  der  Wiederherstellung 
des  Evangeliums  bringen",  meint 
Bruder  Feichtenberger. 

Vor  nicht  allzu  langer  Zeit  wurde 
in  ihrer  Mission  ein  neues  Arbeits- 
gebiet eröffnet:  Bruder  Pilz  und  Bru- 
der Feichtenberger  konzentrieren 
sich  in  ihrer  Arbeit  erstmals  beson- 
ders auf  Persönlichkeiten  des  öf- 
fentlichen Lebens,  auf  Leiter  grö- 
ßerer Firmen  und  Bankdirektoren. 
Bruder  Pilz  sagt  dazu:  „Wir  glau- 
ben, wir  erfüllen  jetzt  eine  Prophe- 
zeiung, die  Joseph  Smith  erhalten 
hat: 

'Was  ich  euch  gesagt  habe,  muß 
notwendigerweise  geschehen,  da- 
mit niemand  eine  Entschuldigung 
habe, 

und  daß  weise  Männer  und  Re- 
gierer das  hören  und  erfahren,  was 
sie  nie  gedacht  haben  (LuB  101:93, 
94.' " 


1)  „The  New  Dictionary  of  Thoughts".  2)  DHC, 
3:293.  3)  Ps.  100:3,  4.  4)  AI.  34:37,  38.  5)  Mo- 
siah2:19,  20.  6)  LuB  19:18.  7)  Gesangbuch,  Nr. 
78.  8)  LuB  59:1,  3-6.  9)  LuB  59:7.  10)  LuB  59:8- 
16,20-23.     11)  LuB  42: 29. 


358 


Ein  Geschichtsüberblick: 


Von 


moses 


bis 


nn-meaeßs 


EDWARD  J.  BRANDT 

Abteilung  fürSeminare  und  Religionsinstitute 


Was  ist  das  Alte  Testament,  und 
was  enthält  es?  Wie  kann  ein  Bericht 
über  Ereignisse,  die  sich  vor  so 
langer  Zeit  zugetragen  haben,  heute 
noch  von  Bedeutung  sein?  Was  für 
einen  Wert  hat  dieses  Buch  für 
Heilige  der  Letzten  Tage?  Für  viele 
stellt  allein  der  enorme  Umfang  des 
Buches  ein  unüberwindbares 
Hindernis  dar.  Für  andere  wiederum 
ist  die  Vielzahl  seiner  Bücher  ein 
unlösbares  Puzzlespiel. 

Richtig  gesehen,  ist  das  Alte 
Testament  jedoch  eine  wertvolle 
Sammlung  heiliger  Schriften. 
Sie  bietet  einen  Überblick  über  die 
Geschichte  des  Gottesvolkes  von 
der  Zeit  der  Schöpfung  bis  kurz  vor 
dem  Kommen  Christi  in  der  Mitte  der 
Zeiten.  Das  Buch  enthält  zwar  nicht 
eine  detaillierte  Aufstellung  ge- 
schichtlicher Daten,  dafür  legt  es 
aber  Zeugnis  darüber  ab,  daß  Gott 
über  das  Schicksal  der  Menschheit 
wacht.  Ferner  berichtet  es  von  wich- 
tigen Ereignissen  in  der  Geschichte 
des  Hauses  Israel.  Zweck  des  Alten 
Testaments  ist  es,  Berichte,  Zeug- 
nisse und  Prophezeiungen  zu  be- 
wahren, welche  die  Grundsätze  und 
Wahrheiten  des  Evangeliums  und 
seine  Bündnisse  lehren. 

Das  Alte  Testament  handelt  von 
fünf  Evangeliumszeiten  oder  Zeitab- 
schnitten der  Offenbarungen  und 
Bündnisse.      Die      Evangeliumszeit 


Adams,  die  Enochs,  die  Noahs  und 
die  Abrahams  erscheinen  nur  in  ab- 
gekürzter Fassung,  in  der  nur  be- 
stimmte Ereignisse  wiedergegeben 
werden.  Diese  vier  Evangeliums- 
zeiten sind  alle  im  ersten  Buch  Mose 
zusammengefaßt,  wovon  allein  80 
Prozent  der  Evangeliumszeit  Abra- 
hams und  der  Gründung  des  Bun- 
desvolkes Israel  gewidmet  sind. 

Mehr  als  90  Prozent  des  Alten 
Testaments  sind  einem  ausführlichen 
Bericht  überdie  fünfte  Evangeliums- 
zeit, nämlich  der  des  Mose,  ge- 
widmet. Dieser  Zeitabschnitt  be- 
ginnt mit  der  Gefangenschaft  der 
Israeliten  in  Ägypten  und  endet  mit 
dem  Volk  Juda  im  Gelobten  Land  als 
Provinz  des  persischen  Reiches. 
Geschichtlich  gesehen  kann  dieser 
Teil  des  Alten  Testaments  in  neun 
Hauptabschnitte  gegliedert  werden, 
wovon  jeder  Abschnitt  einen  Teil 
der  Geschichte  dieses  Buches  aus- 
macht. 

Zuerst  einmal  ist  da  die  Epoche 
des  Mose.  Sie  beginnt  mit  einem 
kurzen  Bericht  über  die  Kindheit 
des  Propheten.  Das  zweite  bis  fünfte 
Buch  Mose  berichtet  von  den  Prü- 
fungen und  Segnungen  und  dem  Ge- 
horsam und  Ungehorsam  der  Kinder 
Israel,  von  ihrer  Gefangenschaft  in 
Ägypten  sowie  ihrer  Zeit  der  Vor- 
bereitung darauf,  das  Gelobte  Land 
zu   betreten.    In  diesem  120jährigen 


Zeitabschnitt  treten  Mose,  Aaron, 
Miriam,  Jethro  und  Josua  als 
Hauptpersonen  in  Erscheinung. 

Die  Bündnisse,  Gebote  und  Ver- 
ordnungen, die  der  Herr  in  dieser 
Zeit  offenbart  hat,  sind  sehr  aus- 
führlich beschrieben  und  aufgeführt. 
In  den  Aufzeichnungen  ist  die  gedul- 
dige Fürsorge  des  Herrn  um  seine 
Kinder  sehr  gut  beschrieben,  wie  er 
bemüht  ist,  ihnen  gemäß  ihrem  Ge- 
horsam ihm  und  seinen  Propheten 
gegenüber  die  Segnungen  seines 
Reiches  zu  gewähren. 

Als  nächstes  folgt  die  Zeitspanne 
der  Eroberung  des  Landes  Kanaan, 
wie  sie  im  Buch  Josua  zusammenge- 
faßt ist.  Dort  können  wir  von  der 
wunderbaren  Überquerung  des 
Jordans  und  den  folgenden  Feld- 
zügen der  Israeliten  lesen,  die  sie 
geführt  haben,  um  sich  das  Land  des 
Erbteils  zu  sichern.  Gegen  Ende 
dieses  Zeitabschnitts,  so  erfahren 
wir,  haben  sich  die  Israeliten  in 
einem  gewissen  Zustand  des  Abfalls 
vom  Glauben  befunden,  weil  sie  die 
Gebote  des  Herrn  nicht  ernst  ge- 
nommen haben. 

Der  Bericht  über  das  Zeitalter  der 
Richter  liegt  in  einer  abgekürzten 
Form  vor,  im  Buch  der  Richter.  Da 
die  Israeliten  in  dieser  Zeit,  die  sich 
über  mehrere  Jahrzehnte  erstreckte, 
den  Bund  mit  dem  Herrn  brachen, 
blieben  sie  sich   im  Gelobten  Land 


359 


selbst  überlassen,  und  der  Herr  half 
ihnen  nicht,  sich  von  den  anderen 
Völkern  unabhängig  zu  machen1. 
Ohne  einen  König  oder  Propheten 
tat  jeder,  „was  ihn  recht  dünkte2". 

Je  nach  den  Umständen  und  Er- 
fordernissen berief  der  Herr  Richter, 
die  in  den  Angelegenheiten  der 
Stämme  eingriffen.  Andere  Männer 
traten  in  Erscheinung  und  maßten 
sich  das  Recht  an,  aus  Profit-  und 
Machtgründen  unter  dem  Volk  zu 
richten.  Einige  taten  dies  innerhalb 
ihres  eigenen  Stammes,  andere 
waren  Richter  über  eine  Region,  die 
mehrere  Stämme  umfaßte. 

Nur  von  acht  der  fünfzehn  Richter, 
die  in  dem  gleichnamigen  Buch 
erwähnt  werden,  gibt  es  einen  Be- 
richt über  ihre  Zeit  als  Richter.  De- 
bora  und  Gideon  waren  beispiels- 
weise gerechte  Richter,  die  berufen 
worden  waren,  ihrem  Volk  zu  helfen. 
Abimelech  hingegen  war  ein  böser 
Mensch,  der  darauf  bedacht  war, 
Macht  an  sich  zu  reißen.  Über  Sam- 
son  wird  berichtet,  daß  er  dem 
Herrn  hingebungsvoll  gedient,  aber 
schließlich  doch  versagt  hat,  seine 
Aufgabe  rechtschaffen  zu  erfüllen. 
In  diese  Zeitspanne  des  Alten  Testa- 
ments fällt  auch  der  Bericht  von 
Ruth.  Ruth,  die  eine  bekehrte 
Moabiterin  war,  war  die  Großmutter 
Davids  und  eine  direkte  Vorfahrin 
Jesu  Christi. 

Das  Zeitalter  der  Richter  endet  mit 
einem  Bericht  über  Eli,  dem  Priester 
und  Richter,  und  Samuel,  der  zum 
Priester,  Richter  und  schließlich 
zum  Propheten  für  ganz  Israel  be- 
rufen wurde.  Das  Volk  Israel  war 
aber  nicht  bereit,  das  Reich  Gottes 
anzunehmen.  Es  lehnte  den  Prophe- 
ten Samuel  ab,  den  es  doch  so  not- 
wendig brauchte,  und  wollte  einen 
König,  wie  ihn  die  anderen  Völker 
der  Welt  hatten. 

Der  verbleibende  Teil  des  ersten 
Buches  Samuel  berichtet  über  den 
vierten  Abschnitt  der  Evangeliums- 
zeit des  Mose,  und  zwar  über  die 
Regierungszeit  Sauls.  Die  vierzig- 
jährige Regentschaft  des  ersten 
Königs  des  Volkes  Israel  ist  die 
Geschichte     vom     Aufstieg     eines 

360 


demütigen  Mannes,  der  als  stolzer 
und  mißtrauischer  König  gestorben 
ist,  der  seine  Aufgabe  mißachtet  hat 
und  schließlich  vom  Herrn  verlassen 
worden  ist.  Ein  anderer  tritt  an 
Sauls  Stelle  und  wird  zum  König 
gesalbt,  David.  Seine  Erlebnisse  als 
Sieger  über  Goliath  und  als  wahrer 
Bruder  Jonathans  machen  einige  der 
klassischen  Geschichten  der  Schrift 
aus. 

Das  zweite  Buch  Samuel  enthält 
die  nächste  bedeutsame  Zeitspanne 
-  die  Regierung  Davids.  Sieben  Jahre 
lang  regierte  David  als  Stammes- 
oberhaupt von  Juda,  und  dann,  als 
er  die  Unterstützung  aller  Israeliten 
gewann,  regierte  er  als  zweiter  König 
über  das  Volk  des  Herrn.  David  ver- 
einigte das  Volk  und  machte  Jeru- 
salem zur  Hauptstadt  Israels.  Auf 
dem  Höhepunkt  seiner  Laufbahn  gab 
er  der  Versuchung  und  Leidenschaft 
nach  und  wurde  schließlich  sogar 
zum  Mörder.  Wie  der  Prophet  Nathan 
vorhergesagt  hatte,  folgte  eine  trau- 
rige Zeit  für  David  und  seine  Familie. 
Wenn  auch  nicht  ohne  Hoffnung  auf 
eine  schließliche  Erlösung,  so  en- 
dete die  Regierungszeit  Davids  doch 
noch  mehr  oder  weniger  tragisch. 

Das  goldene  Zeitalter  des  Volkes 
Israel  unter  der  Herrschaft  Salomos, 
des  Sohnes  Davids,  bildet  das 
nächste  Kapitel  in  der  Geschichte 
des  Alten  Testaments.  In  der  ersten 
Hälfte  des  ersten  Buches  der  Könige 
wird  einiges  von  den  Erfolgen  und 
Fehlern  Salomos  berichtet.  Er  er- 
richtete und  weihte  den  ersten 
Tempel  des  Volkes  Israel.  In  dieser 
Zeit  des  Wachstums  und  der  Vor- 
rangstellung unter  den  Völkern  wur- 
den in  Israel  Paläste,  Regierungsge- 
bäude und  militärische  Anlagen  er- 
richtet. 

Der  Handel  gedieh  und  die  wirt- 
schaftliche Macht  Israels  wurde  sehr 
groß,  deshalb  wurde  auch  der 
Einfluß  von  außen  immer  größer. 
Politische  Zugeständnisse  und  Ver- 
träge durch  Heirat  zwischen  den 
einzelnen  Königshäusern  säten  den 
Samen  für  den  Niedergang  Salomos 
in  der  Gunst  des  Herrn  und  für  die 


Teilung  und  den  Untergang  des 
Volkes. 

Nach  dem  Tode  Salomos  begann 
das  Zeitalter  des  geteilten  König- 
reichs. Der  zweite  Teil  des  ersten 
Buches  der  Könige  und  das  ganze 
zweite  Buch  berichten  über  den  all- 
mählichen Niedergang  der  geteil- 
ten Nation.  Aus  dem  Machtkampf, 
der  nach  dem  Tode  Salomos  unter 
den  Israeliten  einsetzte,  gingen  zwei 
Königreiche  hervor.  Der  Stamm  Juda 
bildete  mit  den  assimilierten  Simeo- 
nitern  und  einer  Hälfte  des  Stammes 
Benjamin  das  Südreich,  das  soge- 
nannte Reich  Juda.  Die  anderen 
zehneinhalb  Stämme  im  Norden 
gründeten  das  sogenannte  König- 
reich Israel.  Manchmal  wurde  es 
auch  das  Reich  Ephraim  genannt, 
und  zwar  nach  dem  Stamm,  der 
unter  den  anderen  Stämmen  eine 
Vorrangstellung  hinsichtlich  der 
Führung  des  Reiches  übernommen 
hatte. 

Dem  Leser  dieses  Teils  des  Alten 
Testaments  fällt  es  schwer,  den 
Überblick  zu  behalten,  denn  einmal 


befaßt  sich  die  Schrift  mit  dem  einen 
Reich,  ein  anderes  Mal  mit  dem  an- 
deren Reich.  Auch  zeitliche  Ver- 
schiebungen gibt  es  in  den  Auf- 
zeichnungen, da  nur  bedeutsame  Er- 
eignisse im  Leben  einiger  weniger 
Könige  in  der  Schrift  enthalten  sind. 
Der  Bericht  über  das  Nordreich  um- 
faßt einen  Zeitraum  von  200  Jahren. 
Während  dieser  Zeit  haben  ungefähr 
20  Könige  regiert.  Einige  von  ihnen 
nur  wenige  Monate,  während  andere 
viele  Jahre  das  Land  regierten.  Unter 
ihnen  sind  Jerobeam,  Ahab,  Jehu 
und  Hosea  die  bekanntesten. 

Unter  den  Propheten,  die  der  Herr 
erweckte,  befanden  sich  Elia,  Elisa, 
Arnos  und  Hosea.  Von  der  Gründung 
bis  zum  Fall  dieses  Reiches  waren 
seine  Einwohner  abgöttisch  und  un- 
moralisch. Sie  lagen  ständig  mit 
dem  Reich  Juda  oder  einem  ihrer 
Nachbarn  im  Krieg.  Im  Jahre  722  v. 
Chr.  machten  die  Assyrer  diesem 
Treiben  ein  Ende.  Sie  unterwarfen 
das  Reich  Israel  und  führten  nahezu 
die  gesamte  Bevölkerung  der  nörd- 
lichen Stämme   in  Gefangenschaft. 


Durch  ihre  spätere  Flucht  aus  der 
Gefangenschaft  und  ihren  Zug  in 
unbekannte  nördliche  Regionen 
wurden  sie  die  verlorenen  Stämme 
Israels. 

Das  Reich  Juda  bestand  ver- 
gleichsweise etwa  350  Jahre.  In 
dieser  Zeit  regierten  21  Könige. 
Rehabeam,  der  Sohn  Salomos, 
nahm  als  erster  den  Thron  Judas  ein. 
Asa,  Josaphat,  Amazja,  Hiskia, 
Josia  und  Zedekia  sind  die  bekann- 
testen Könige,  die  Rehabeam 
folgten.  Die  Propheten  Joel,  Jesaja, 
Micha  und  Jeremia  waren  einige  von 
denen,  die  der  Herr  in  Juda  zum 
Dienst  berufen  hatte. 

Götzendienst  und  Unmoral  waren 
es  wahrscheinlich,  die  den  Unter- 
gang des  Südreiches  verursacht 
hatten.  Aber  es  gab  in  dieser  Zeit 
auch  einige  rechtschaffene  Könige, 
die  mit  starker  Hand  regierten.  Sie 
wirkten  dem  gänzlichen  Verfall  des 
Volkes  entgegen,  und  es  gelang 
ihnen  etliches  zu  verändern.  Im 
Jahre  587  v.  Chr.  —  damals  regierte 
König  Zedekia  —  verursachte  die 
Verderbtheit  des  Volkes  schließlich 
die  Zerstörung  Jerusalems.  Das  Volk 
Juda  wurde  in  die  Babylonische  Ge- 
fangenschaft geführt. 

Hinweis:  Die  beiden  Bücher  der 
Chronik  bilden  in  erster  Linie  eine 
Parallele  zu  dem  Bericht  in  2.  Samuel 
und  im  1.  und  2.  Buch  der  Könige. 
Vieles,  was  in  den  Büchern  der 
Chronik  enthalten  ist,  stellt  aber 
auch  eine  Ergänzung  zu  diesen 
Büchern  dar. 

Die  Überführung  der  Juden  nach 
Babylonien  begann  im  achten  Zeit- 
abschnitt der  Evangeliumszeit  des 
Mose.  Die  Aufzeichnungen  des 
Alten  Testaments  über  diese  Zeit 
sind  sehr  unvollständig.  Nur  durch 
die  Aufzeichnungen  der  Propheten 
Hesekiel  und  Daniel  und  der  Königin 
Esther  erfahren  wir  einiges  über 
die  Gefangenschaft  der  Juden. 

In  den  darauffolgenden  Jahren 
übernahmen  die  Perser  die  Herr- 
schaft über  Juda.  Der  persische 
König  Cyrus  entließ  die  Juden 
wieder  ins  Land  der  Verheißung. 
Damit  wurde  sozusagen  das   letzte 


Kapitel  in  der  Geschichte  des  Alten 
Testaments  aufgeschlagen.  Esra, 
der  Berichtsschreiber,  und  Nehemia, 
der  berufene  Regent  seines  Volkes, 
berichten  über  die  Mühen  der  Wie- 
derherstellung dieses  Volkes. 

Mit  der  Hilfe  der  Propheten 
Haggai  und  Sacharja  errichtete  das 
Volk  Juda  zuerst  den  Tempel  wieder. 
Anschließend  machte  man  sich  an 
die  Arbeit,  Jerusalem  und  das  Land 
wieder  aufzubauen.  Der  letzte  Be- 
richt über  das  Volk  Juda  im  Alten 
Testament  enthält  die  Warnungen 
des  letzten  Propheten,  Maleachi,  der 
die  Worte  der  Propheten,  die  ihm 
vorangegangen  waren,  wiederholte. 
Doch  das  Volk  Juda  wandte  sich 
vom  Glauben  ab,  wie  später  der  Herr 
selbst  erfahren  sollte. 

Die  Evangeliumszeit  des  Mose 
umfaßt  nahezu  1000  Jahre.  Der 
Grund  dafür,  daß  diese  Zeit  nach 
Mose  benannt  worden  ist,  liegt 
darin,  daß  der  offenbarte  Bund  und 
das  Gesetz  Gottes  an  sein  Volk  das 
Gesetz  des  Mose  war,  nämlich  der 
„Zuchtmeister3",  dessen  heilige 
Handlungen  und  Verordnungen 
Israel  zu  Christus  bringen  sollten. 
Die  Widersetzlichkeit  der  Israeliten 
gegen  den  Herrn  war  ausschlag- 
gebend dafür,  daß  siedieSegnungen 
und  Vorteile  des  Gesetzes  verloren. 
Die  Erfahrungen  und  Erlebnisse  und 
die  offenbarten  Worte  der  Propheten 
verbleiben  als  ein  Zeugnis  dafür, 
wie  wichtig  gerechte  Prinzipien  sind. 

Über  den  Wert  des  Alten  Testa- 
ments schrieb  Nephi,  wie  er  in  einer 
Vision  unterwiesen  wurde:  ,,Das 
Buch  ...  ist  ein  Bericht  der  Juden, 
der  die  Bündnisse  des  Herrn  ent- 
hält, die  er  mit  dem  Haus  Israel  ge- 
schlossen hat;  und  es  enthält  auch 
viele  Prophezeiungen  der  heiligen 
Propheten,  und  es  ist  ein  Bericht, 
gleich  wie  die  Gravierungen  auf  den 
Messingplatten,  nur  daß  deren  nicht 
so  viele  sind;  aber  sie  enthalten  die 
Bündnisse  des  Herrn,  die  er  mit  dem 
Hause  Israel  geschlossen  hatte; 
daher  sind  sie  von  großem  Wert4." 


1)  Siehe  Richter  2:20-23.    2)  Richter  17:6;   siehe 
auch  21:25.    3)  Galater3:24.     4)  1 .  Nephi  13:23. 


361 


Bueß 


um 


BUCH 


Vom  2.  Buch  Mose  bis  Maleachi 


rh& 


m 


Das  2.  Buch  Mose  ist  ein  Bericht  über  die  Knecht- 
schaft der  Kinder  Israel  in  Ägypten,  ihre  Befreiung  und 
ihre  Reise  durch  Sinai.  Einige  Geschehnisse  während 
ihres  18monatigen  Haltes  werden  auch  beschrieben. 
Jehova  offenbart  Gesetze,  Verordnungen  und  das  Prie- 
stertum.  Die.Stiftshütte  wird  gebaut. 

Das  3.  Buch  Mose  enthält  die  religiösen  und  zivilen 
Gesetzessammlungen,  die  heiligen  Handlungen  des 
Priestertums,  religiöse  Riten  und  Anweisungen  für  die 
Kinder  Israel.  In  diesem  Buch  wird  ferner  beschrieben, 
wie  das  System  des  Opferns  und  der  Festtage  des 
mosaischen  Gesetzes  eingeführt  wird. 

Das  4.  Buch  Mose  enthält  den  einzigen  Bericht  vom 
Zug  der  Israeliten  von  Sinai  nach  dem  Lande  Kanaan. 
Das  Buch  beschreibt  die  Vorbereitungen  dafür  und  den 
eigentlichen  Zug  zum  verheißenen  Land.  Aufruhr  an 
den  Grenzen  Kanaans  sind  auf  den  vierzigjährigen 
Aufenthalt  in  der  Wüste  zurückzuführen.  Diese 
Vorkommnisse  werden  eigentlich  nur  kurz  erwähnt.  Der 
Bericht  schließt  mit  der  Ankunft  des  Volkes  Israel  am 
Jordan,  das  bereit  ist,  das  verheißene  Land  zu  betreten. 

Das  5.  Buch  Mose  ist  eine  Wiederholung  und  Erwei- 
terung der  Gesetze  und  enthält  die  letzten  Reden  Mose 
an  sein  Volk.  Ferner  enthält  das  Buch  einen  Teil  der 
Geschichte  der  vergangenen  40  Jahre;  es  wiederholt 
viele  Gesetze,  Gebote,  religiöse  Feste  und  Verordnun- 
gen. Schließlich  sind  in  dem  Buch  auch  noch  prophe- 
tische Äußerungen  über  Israels  zukünftiges  Schicksal 
zu  finden. 

Das  Buch  Josua  erzählt  von  der  Eroberung  des  Landes 
Kanaan.  Nicht  das  ganze  Land  ist  in  dieser  Zeitspanne 
sicher  in  den  Händen  der  Israeliten.  Ferner  wird  von 
der  Verteilung  des  verheißenen  Landes  in  Erbteile  für 


362 


jeden  der  Stämme  berichtet.  Das  Buch  schließt  mit 
Josuas  letzten  Unterweisungen  und  Warnungen  an 
sein  Volk. 

Das  Buch  der  Richter  enthält  die  wenigen  geschicht- 
lichen Ereignisse,  die  uns  von  der  Zeit  des  Todes 
Josuas  bis  zur  Geburt  Samuels  überliefert  sind.  Die 
einzige  Ausnahme  bildet  das  Buch  Ruth,  das  jedoch 
auch  in  dieser  Zeit  entstanden  ist.  In  dieser  Zeit  steht 
Israel  kurz  vordem  Abfall  vom  Glauben. 

Das  Buch  Ruth  enthält  die  Bekehrungsgeschichte 
einer  Moabiterin,  die  in  derzeit  der  Richter  stattfindet. 

Das  erste  Buch  Samuel  beginnt  mit  der  Geburt 
Samuels.  Es  schildert  das  Wirken  dieses  Propheten 
unter  den  Kindern  Israel.  Ferner  sind  in  diesem  Buch 
die  Berufung  Sauls  zum  ersten  König  von  Israel  und 
einige  Ereignisse  in  seinem  Leben,  einschließlich  den 
Begegnungen  mit  dem  jungen  David  und  Sauls  Tod,  zu 
finden. 

Das  zweite  Buch  Samuel  handelt  von  der  Regierungs- 
zeit König  Davids  bis  zu  seinem  Tod.  Ferner  sind  in 
diesem  Buch  einige  der  Aufzeichnungen  über  das 
Wirken  der  Propheten  Samuel,  Nathan  und  Gad  zu 
finden. 

Der  Psalter  wurde  zum  Teil  von  David  verfaßt;  einige 
Psalmen  sind  von  anderen  Autoren  verfaßt  worden. 
Viele  Psalmen  beziehen  sich  auf  Davids  Regierungszeit 
bzw.  auf  diese  Zeitspanne. 

Das  erste  Buch  der  Könige  berichtet  vom  Tod  König 
Davids;  es  fährt  fort  mit  einem  Bericht  über  die  Re- 
gierungszeit Salomos,  seines  Sohnes.  Während  der 
Regierung  Salomos  wurde  der  Tempel  des  Herrn  gebaut 
und  geweiht.  Nach  dem  Tode  Salomos  kommt  es  zu 
einer  Spaltung  zwischen  den  Stämmen.  Die  Teilung  des 


Landes  in  zwei  Königreiche  —  Juda  und  Israel  —  ist 
die  Folge.  Das  Buch  fährt  fort  mit  einem  abwechseln- 
den Bericht  über  die  Könige  beider  Reiche.  Zahlreiche 
Propheten  werden  erwähnt,  doch  Elia  wird  besonders 
hervorgehoben.  Das  Buch  schließt  mit  der  Regierung 
der  Familie  König  Ahabs  überdas  Reich  Israel. 

Die  Sprüche  Salomos  werden  größtenteils  Salomo 
zugeschrieben,  obwohl  in  den  Sprüchen  selbst  viele 
andere  Autoren  erwähnt  sind.  Die  Sprüche  werden  im 
allgemeinen  als  praktische  und  weise  Ratschläge  er- 
achtet, weniger  aber  als  Offenbarungen. 

Das  zweite  Buch  der  Könige  fährt  mit  der  Zusammen- 
fassung der  Ereignisse  in  den  beiden  Königreichen  fort, 
bis  die  nördlichen  Stämme,  das  Königreich  Israel,  von 
den  Assyrern  in  Gefangenschaft  geführt  werden.  Der 
Bericht  fährt  fort  bis  zur  Gefangennahme  des  Reiches 
Juda  durch  die  Babylonier.  In  diesem  Buch  werden  nur 
wenige  der  Propheten,  die  damals  gewirkt  haben,  er- 
wähnt, von  ihnen  besonders  Elia  und  Elisa. 

Anmerkung:  Die  folgenden  Bücher  des  Alten  Testa- 
ments —  Joel,  Jona,  Arnos,  Hosea,  Jesaja,  Micha, 
Nahum,  Habakuk,  Zephanja,  Obadja,  Jeremia  —  be- 
richten über  die  Propheten,  die  unter  den  Kindern 
Israel  und  Juda  von  850  v.  Chr.  bis  587  v.  Chr.  wirkten. 
Diese  Bücher  enthalten  auch  überwiegend  Prophezeiun- 
gen und  Lehren  der  Propheten,  deren  Namen  sie  tragen. 
In  einigen  Büchern  ist  nur  ein  Teil  des  Wirkens  des 
jeweiligen  Propheten  wiedergegeben,  in  anderen  sind 
auch  geschichtliche  Abhandlungen  und  Erzählungen 
enthalten. 

Das  erste  und  das  zweite  Buch  der  Chronik  enthalten 
eine  kurze  geschichtliche  Darstellung  des  Volkes  Israel, 
und  zwar  von  Adam  an  bis  zur  Heimkehr  des  Hauses 
Juda  aus  der  Gefangenschaft.  Teile  des  Berichts  sind 
genealogischer  Art;  der  Rest  stellt  eine  Ergänzung  zu 
den  Berichten  im  2.  Samuel  und  1 .  und  2.  Könige  dar. 

Anmerkung:  Als  Nebukadnezar  im  Jahre  597  v.  Chr. 
Jerusalem  das  erste  Mal  einnahm,  führte  er  den  re- 
gierenden König  von  Juda,  Jojachin,  und  viele  Tausen- 
de des  Volkes  in  Gefangenschaft.  (Siehe  2.  Könige 
24:10-16).  Unter  den  Gefangenen  befanden  sich  mög- 
licherweise Hesekiel  und  Daniel.  Beide  waren  in  den 
Jahren  der  Gefangenschaft  in  Babylonien  bedeutende 
Führer. 


Das  Buch  Hesekiel  enthält  die  Prophezeiungen  Hese- 
kiels,  die  er  im  wesentlichen  in  den  Jahren  zwischen 
der  ersten  Gefangenschaft  und  der  Zerstörung  Jerusa- 
lems (587  v.  Chr.)  gemacht  hat.  Der  Bericht  enthält  auch 
einige  Beschreibungen,  wie  das  Volk  Juda  in  Gefangen- 
schaft gelebt  hat. 

Das  Buch  Daniel  ist  eine  Erzählung  von  verschiedenen 
Ereignissen  im  Leben  Daniels  und  seiner  Gefährten.  Es 
enthält  auch  einige  seiner  Prophezeiungen. 

Das  Buch  Esther  wird  im  allgemeinen  als  eine  Ge- 
schichte betrachtet,  die  sich  im  letzten  Teil  der  Gefan- 
genschaft der  Juden  in  Persien  zugetragen  hat  oder  auch 
erst  dann,  als  schon  viele  von  ihnen  nach  Jerusalem 
zurückgekehrt  waren. 

Das  Buch  Esra  ist  der  Bericht  von  der  Rückkehr  der 
Juden  aus  der  Gefangenschaft.  Diese  Heimkehr  hat  der 
persische  König  Cyrus  ermöglicht.  Der  Tempel  wird 
wieder  errichtet,  und  Esra  wird  bevollmächtigt,  sein 
Volk  einzuteilen  und  ihm  zu  helfen. 

Das  Buch  Nehemia  ist  eine  Fortsetzung  des  Berichts 
Esras.  Nehemia  erhält  den  Auftrag,  den  Wiederaufbau 
der  Stadtmauer  von  Jerusalem  zu  leiten.  Die  Arbeit 
wird  abgeschlossen.  Nehemia  setzte  auch  eine  Reihe 
von  strengen  Maßnahmen  ein. 

Das  Buch  Haggai  und  das  Buch  Sacharja:   Haggai 
und  Sacharja  unterstützen   Esra  in   der  Zeit,    wo   der 
Tempel   wiedererrichtet    wird.    Ihre    schriftlichen    Ver- 
mächtnisse stellen  eine  Kombination  von  Geschichte, 
Belehrung  und  Prophezeiung  dar. 

Das  Buch  Maleachi  enthält  die  Aufzeichnungen  des 
Propheten  Maleachi,  der  Nehemia  folgte.  Maleachi  war 
der  letzte  Prophet,  der  sich  gegen  den  drohenden  Abfall 
vom  Glauben  wandte  und  der  unter  dem  Volk  Juda  pro- 
phezeite. 


363 


Der  Ursprung  der  Schrift 


HUGH  NIBLEY 
Teil  II 


Die  Kunst  des  Schreibens  hat  den 
Aufbau  von  großen  Reichen  ermög- 
licht, denn  nur  schriftlich  Aufge- 
zeichnetes konnte  den  Raum  über- 
brücken und  das  Wort  des  Herr- 
schers über  die  Berge  hinwegtragen. 
Die  Zeit  löscht  Dinge  aus  dem  Ge- 
dächtnis, aber  niedergeschrieben 
bleiben  Gebote  und  Vorschriften 
für  unbegrenzte  Jahre  bewahrt42. 
Der  König  beschrieb  sich  selbst  als 
der  Mittler  und  Schreiber  Gottes  in 
der  Verwaltung  seines  Reiches43 

In  Ägypten  war  der  Pharao  nur 
dann  bevollmächtigt  zu  regieren, 
wenn  der  ,, Meister  des  Hauses  der 
göttlichen  Bücher"  des  Pharaos 
königlichen  Namen  „in  die  wahren 
Berichte  der  himmlischen  Archive44" 
eingetragen  hatte.  Die  Archive 
wurden  in  Ägypten  als  das  Haus  des 
Lebens  angesehen,  in  dem  die 
Schriften  aufbewahrt  wurden,  von 
denen  das  Leben  aller  Dinge  ab- 
hängt45. 


Die  Tempel,  die  Dr.  Nibley  in  diesem  Artikel  an- 
führt, sind  nicht  Tempel  des  Herrn,  sondern  heid- 
nische Tempel.  Dr.  Nibley  führt  uns  vor  Augen, 
daß  alle  Bräuche  der  frühen  Völker  darauf  hinweisen, 
daß  die  Schrift  ein  Geschenk  des  Himmels  ist.  Ob- 
wohl beispielsweise  die  Ägypter  falsche  Götter  ver- 
ehrten, hatten  ihre  Bräuche  hinsichtlich  der  Schrift 
doch  einen  wahren  Ursprung,  denn  Adam  und  andere 
schrieben  unter  der  Eingebung  des  Geistes.  (Siehe 
Moses  6:5-8.) 


Wo  auch  immer  das  Buch  des 
Himmels  erwähnt  wird,  erscheint  der 
himmlische  Schreiber  als  König, 
Priester  und  Mittler.  Dies  ist  sowohl 
im  Judentum  und  Christentum  als 
auch  in  älteren  Überlieferungen  der 

46 

Fall  .  Der  Pharao  ist  der  erste  von 
allen,  „der  Kenntnis  hat  und  der  im 
Besitz  des  himmlischen  Buchs  ist47". 
Alles  wurde  auf  die  „unwandelbaren 
Tafeln"  des  Schicksals  geschrieben, 
die  alles  festhalten,  was  auf  Erden 
geschieht48.  Alles  wurde  niederge- 
schrieben, um  irdische  Ereignisse 
mit  Ereignissen  des  Himmels  zu 
koordinieren. 

Die  Bücher  wurden  bei  jeder  Ge- 
legenheit zu  Rat  gezogen:  „Eifere 
deinen  Vätern  nach,  die  vor  dir  ge- 
gangen sind  ...  Siehe,  ihre  Worte 
stehen  im  Buche  niedergeschrieben. 
Öffne  und  lies  es  und  strebe  nach49." 
Interessanterweise  sind  die  wichtig- 
sten schriftlichen  Dokumente  frühe- 
rer Zeiten  genealogische  Berichte; 
und  das  Haus  des  Lebens  war  nicht 
mehr  und  nicht  weniger  als  das 
genealogische  Archiv.  Gardiner 
folgerte  daraus,  daß  die  großen 
Pyramiden  erbaut  worden  waren, 
um  die  königlichen  genealogischen 
Berichte  zu  beherbergen    . 

Das  Haus  des  Lebens,  worin  die 
Bücher  vervielfältigt  und  studiert 
wurden,  hatte  von  der  frühesten  Zeit 
an  große  Ähnlichkeit  mit  einer  Uni- 

51 

versität    ,    denn    darin    wurden    alle 


wissenschaftlichen  Fragen  beant- 
wortet52 Das  Haus  des  Lebens  war 
immer  ein  Teil  des  Tempels,  und 
die  Bücher  enthielten  die  ersten 
Dichtungen  ...  Die  Aufgaben  der 
Musen  (Dichter)  im  Tempel  bestand 
darin,  mit  den  Morgensternen  das 
Schöpfungslied  zu  singen53  Natür- 
lich wurde  zu  Musik  gesungen. 
Einige  Gelehrte  vertreten  die  An- 
sicht, daß  die  ersten  Schriftzeichen 
von  Musikzeichen  abgeleitet  worden 
sind54.  Das  feierliche  Lied  wurde  in 
einem  heiligen  Kreis  oder  Chorus 
gesungen.  Dichtung,  Musik  und 
Tanz  nahmen  im  Tempel  ihren  Ur- 
sprung und  drangen  von  dort  aus 
in  dieWelt. 

Das  Schöpfungslied  war  Be- 
standtteil  eines  feierlichen  Zere- 
moniells, das  jedes  Jahr  im  Tempel 
stattfand.  Es  stellt  den  Fall  und  die 
Errettung  der  Menschen  dar,  und 
zwar  durch  sportliche  Wettkämpfe. 
Der  Sieger  des  Wettkampfes  wurde 
der  Priesterkönig  selbst.  Seine 
Krönung  und  Hochzeit  fand  an- 
schließend statt. 

Da  bei  diesem  Ereignis  das  ganze 
Volk  versammelt  war,  wurde  natür- 
lich auch  reger  Handel  betrieben. 
So  wurde  es  erforderlich,  die  ver- 
schiedenen Güter  in  für  den  Tempel 
annehmbare  Opfergaben  umzuwan- 
deln, was  schließlich  zum  Geld- 
handel führte. 

Da  der  Tempel  ursprünglich  ein 
Observatorium  war  und  alles  mit 
dem  Kalender  und  den  Sternen  in 
Verbindung  gebracht  wurde,  begann 
sich  die  Mathematik  zu  entfalten, 
und  die  Astronomie  wurde  zu  einer 
anerkannten  Wissenschaft.  Ge- 
schichte war  eine  weitere  Wissen- 
schaft, denn  die  Riten  galten  sowohl 
für  die  Verstorbenen  als  auch  für  die 
Lebenden,  und  die  Herstellung  von 
Erinnerungsstätten  verstorbener 
großer  Menschen  förderte  die 
Künste  des  Porträtierens  und  Ma- 
lens. Da  das  Aussehen  und  die  Ab- 
messungen des  Tempels  von  aller- 
größter Bedeutung  waren  —  dieses 
Gebäude  war  ein  maßstabgetreues 
Nachbild  des  Universums!  — ,  war 
die  Architektur  des  Tempels  vorran- 


364 


gig.  Die  Geometrie  spielte  damals 
eine  große  Rolle,  weil  alles  Land 
vom  Mittelpunkt  des  Tempels  aus 
vermessen  und  verteilt  wurde:  „Am 
Anfang  verhieß  der  Eine  Gott  Horus 
(ein  ägyptischer  Gott,  mit  dem  sich 
der  Pharao  identifizierte),  daß  er 
das  Land  Ägypten  ererben  würde. 
Dies  war  auf  Geheiß  des  Herrn  in  die 
Bücher  geschrieben  worden,  als  die 
Länder  geteilt  wurden  55." 

Die  Schriften,  die  im  Haus  des 
Lebens  verfaßt  und  abgeschrieben 
wurden,  wurden  dort  auch  diskutiert. 
Dies  lieferte  natürlich  Anstoß  für 
philosophische  Betrachtungen. 

Größtenteils  befaßten  sich  diese 
Schriften  aber  mit  der  Lehre  vom 
Weltall  und  mit  Naturwissenschaf- 
ten. Zusammenfassend  kann  man 
sagen,  daß  es  keinen  Wissensbe- 
reich in  unserer  Zivilisation  gibt, 
der  nicht  seinen  Ursprung  im  Tempel 
hat. 

Der  wahre  Ursprung  des  geschrie- 
benen Wortes  wird  jedoch,  wie 
Siegfried  Schott  hervorhebt,  noch 
lange  Zeit  eine  Angelegenheit  der 
Spekulation  bleiben56.  Der  Umstand, 
daß  alle  Gelehrten  dieseigentlich  nur 
spekulativ  betrachten,  soll  uns  nicht 
abschrecken,  denn  nur  durch  Ver- 
muten und  Diskutieren  kann  eine 
Wissenschaft  Fortschritt  machen. 

Und  so  sind  wir  wiederam  Anfang. 
Alles  ist  ziemlich  unsicher,  und  es 
gäbe  noch  viel  zu  sagen,  was  noch 
nicht  gesagt  worden  ist.  Wegen 
Mangel  an  Beweisen  sind  die  Ge- 
lehrten sozusagen  in  eine  Sackgasse 
geraten.  Da  alle  anderen  Wege 
blockiert  sind,  wäre  es  vielleicht  gut, 
einige  der  vernachlässigten  Wege  zu 
beschreiten  und  einige  der  unge- 
stellten Fragen  zu  stellen,  zum  Bei- 
spiel: 

1 .  Wie  läßt  sich  die  große  Lücke  in 
der  Evolutionstheorie  erklären?  Wo 
sind  die  Funde,  die  den  Übergang 
von  einer  Bilderschrift  zum  Gebrauch 
des  Alphabets  belegen? 

2.  Wie  läßt  sich  das  plötzliche 
Auftreten  der  Hieroglyphen  und  des 
semitischen  Alphabets  erklären, 
beides  vollständig  entwickelt?  Da 
beides     als     die      Erfindung      des 


Menschen,  das  Werk  eines  Genies, 
betrachtet  wird,  warum  müssen  wir 
annehmen,  daß  es  eine  lange,  all- 
mähliche, unbewußte  Entwicklung 
der  Schrift  gegeben  hat,  und  zwar 
besonders,  wo  es  doch  keinen  Be- 
weis für  eine  solche  Evolution  gibt? 

3.  Die  älteste  Schrift  erscheint 
Seite  an  Seite  mit  der  ältesten  Sage 
über  die  Schrift.  Müßte  nicht  jeder 
ernsthafte  Gelehrte  diese  Sage 
wenigstens  untersuchen?  Kein  Ge- 
lehrter zweifelt  daran,  daß  sich 
die  griechische  Sage,  nach  der  der 
Ursprung  des  Alphabets  den  Phöni- 
ziern zugeschrieben  wird,  als  wahr 
erwiesen  hat.  Warum  soll  man  nicht 
auch  andere  Sagen  ernsthaft  unter- 
suchen, mindestens  so  lange,  bis 
etwas  Besseres  gefunden  wird? 

4.  Wie  kommt  es,  daß  die  Völker 
des  Altertums  sich  darüber  einig 
sind,  daß  der  Ursprung  der  Schrift, 
einschließlich  des  Alphabets,  auf 
eine  göttliche  Quelle  zurückzuführen 
ist? 

5.  Warum  sind  die  ältesten  schrift- 
lichen Dokumente  immer  in  Tempeln 
gefunden  worden?  Warum  behan- 
deln sie  immer  religiöse  Angelegen- 
heiten? 

6.  Warum  steht  das  Lesen  und 
Schreiben  immer  im  Zusammenhang 
mit  dem  Auslegen  des  Willens  des 
Himmels? 

7.  Sethe  schreibt:  ,,lm  Wesen 
der  Schrift  liegt  etwas  Wunderbares 
und  Geheimnisvolles,  das  zu  allen 
Zeiten  eine  machtvolle  Anziehungs- 
kraft auf  den  denkenden  Menschen 
ausgeübt  hat."  Warum  behauptet 
dieser  Gelehrte  dann,  daß  die  älte- 
sten Schriften,  sozusagen  das  Er- 
gebnis eines  unbewußten,  gedanken- 
losen, „automatischen"  Vorgangs, 
nur  sehr  triviale  Angelegenheiten 
behandelt  haben  können?  Kann  denn 
etwas,  was  so  wunderbar  und 
geheimnisvoll  ist,  ersonnen  worden 
sein,  um  einen  trivialen  Zweck  zu 
erfüllen? 

8.  Der  Glaube  an  die  übernatür- 
liche Kraft  des  geschriebenen  Sym- 
bols ist  so  alt  wie  das  Zeichnen  von 
Pfeilen.  Wie  kann  man  das  Wesen 
der     frühesten     Schrift     begreifen, 


ohne  die  wunderbare  oder  geheim- 
nisvolle Macht  zu  berücksichtigen, 
die  sie  auf  den  Menschen  ausgeübt 
hat57? 

9.  Mit  der  Gründung  der  ersten 
Dynastie  in  Ägypten  erscheint  auch 
die  erste  Schrift,  und  zwar  voll- 
ständig entwickelt.  Sie  war  zu  ent- 
wickelt und  zusammenhängend, 
als  daß  sie  vorher  einen  Entwick- 
lungsprozeß hat,  meinte  Schott. 
Worin  liegt  die  Bedeutung  der 
Schrift,  daß  sie  dem  König  als  Mittel 
zur  Macht  und  Regierung  dienen 
konnte? 

10.  Warum  ist  das  Schreiben 
immer  ein  Geheimnis  gewesen,  ein 
Monopol  der  Priester  und  Könige? 
„Das  wirklich  Wunderbare,  das  die 
Schrift  vollbringt,  das  Übertragen, 
Bewahren  und  Anregen  von  Gedan- 
ken, ist  für  den  praktisch  veranlagten 
Menschen  uninteressant.  Geschäfts- 
berichte, Privatbriefe,  Schulübungen 
usw.  werden  in  Abständen  von 
Sekretären  und  Kaufleuten,  denen 
diese  Dinge  nichts  bedeuten,  ver- 
nichtet58" Warum  sollen  wir  dann 
annehmen,  daß  gerade  solche  Men- 
schen das  Schreiben  ersonnen 
haben? 

Diese  Fragen  sollten  eigentlich 
reichen,  um  unsere  eigenen  Speku- 
lationen zu  rechtfertigen.  Diejeni- 
gen, die  behaupten,  die  Ägypter 
hätten  kein  echtes  Alphabet  gehabt, 
weil  sie  in  ihre  Schrift  Bilder  ein- 
bezogen haben,  übergehen  den 
Umstand,  daß  die  Ägypter  auf  die 
Bilder  verzichten  konnten,  was  sie 
auch  manchmal  taten.  Für  einen 
Ägypter,  der  die  Landessprache 
redete,  haben  die  alphabetischen 
Schriftzeichen  ausgereicht,  ebenso 
wie  allein  die  Konsonanten  in  der 
semitischen  Sprache  ausreichten, 
um  sie  —  auch  ohne  Vokale  — 
lesen  zu  können.  Wenn  wir  zugeben, 
daß  einige  der  anderen  Zeichen  not- 
wendig sind,  warum  blieb  dann  die 
unbeholfene  Bilderschrift  und  die 
Silbenschrift  erhalten,  um  ein  ange- 
wandtes und  wirksames  Alphabet 
unnötig  vollzustopfen? 

Meiner  Meinung  nach  haben  die- 
jenigen,  die  die   Hieroglyphen   ver- 


365 


wendet  haben,  nicht  nur  an  ihr  ei- 
genes Volk  gedacht,  sondern  auch 
an  andere.  Nehmen  wir  beispiels- 
weise die  vielen  Grabstätten,  die 
früher  errichtet  worden  sind.  Sie 
waren  auch  ganz  offensichtlich  an 
noch  ferne,  ungeborene  Genera- 
tionen gerichtet.  Jeder  gelehrte 
Ägypter  hätte  den  Text  auch  ohne 
Bilder  lesen  können.  Aber  wir  hätten 
heute  diese  Schrift  ohne  die  Bilder 
nie  lesen  können. 

Wenn  die  frühe  ägyptische  Schrift 
wegen  ihrer  Zusammensetzung 
einzigartig  ist,  ist  vielleicht  ihr 
Zweck  auch  einzigartig,  nämlich 
sich  in  weitaus  größerem  Maße 
mitzuteilen,  als  dies  bei  anderen 
Sprachen  der  Fall  ist.  Es  gibt  viele 
Anhaltspunkte,  die  diese  Theorie 
unterstützen,  aber  wir  können  sie 
hier  nicht  aufführen.  Vielleicht 
haben  uns  die  alten  Ägypter  bewußt 
mit  mehr  Material  versorgt  als  er- 
forderlich, damit  wir  auch  das  ver- 
stehen würden,  was  sie  uns  mit- 
teilen wollten. 

Es  scheint,  als  ob  das  semitische 
Alphabet,  das  von  der  alten  ägyp- 
tischen Sprache  abgeleitet  ist  und 
das  von  der  ganzen  westlichen 
Welt  verwendet  wird,  zu  dem  beson- 
deren Zweck  ersonnen  worden  ist, 
die  heilige  Schrift  hervorzubringen. 
Sethe  meint,  daß  Mose  der  Initiator 
des  Alphabets  sein  könnte.  Um 
diesen  Gedanken  zu  unterstreichen, 
führt  Sethe  den  jüdischen  Schreiber 
Eupolemos  an.  Es  scheint  jedoch 
nur  richtig  zu  sein,  darauf  hinzuwei- 
sen, daß  die  überwältigende  Mehr- 
heit der  Kenner  der  jüdischen  Ge- 
schichte nicht  Mose,  sondern  Abra- 
ham als  den  Erfinder  des  Alphabets 
ansieht;  einige  sagen  sogar,  er  habe 
es  von  Enoch  erhalten. 

In  den  letzten  Jahren  sind  im 
Nahen  Osten  eine  Anzahl  neuer 
Alphabete  entdeckt  worden,  die  bis 
2000  -  1500  v.  Chr.  zurückdatieren. 
Alle  sind  „deutlich  als  Erfindungen 
von  Einzelpersonen  zu  identifi- 
zieren59". Warum  eigentlich  nicht? 
Wenn  man  einmal  weiß,  wie  es  geht, 
steht  es  jedem  frei,  sich  sein  eigenes 
Alphabet  zu  schaffen.  Es  gibt  heut- 


zutage Beispiele  dafür,  daß  nützliche 
Alphabete  geschaffen  worden  sind. 
Es  hat  aber  doch  allen  Anschein, 
daß  das  kanaanitische  Alphabet  das 
älteste  von  allen  ist,  und  als  solches 
ist  es  „ein  Zeuge  für  den  Ursprung 
der  Thora60".  Einige  vertreten  sogar 
die  Ansicht,  daß  es  älter  ist  als  die 
Hieroglyphen  6! 

Trotz  aller  Vorsicht,  die  in  dieser 
Situation  geboten  ist,  kann  man 
gefahrlos  sagen,  daß  man  in  diesem 
Zusammenhang  die  heilige  Schrift 
nicht  unberücksichtigt  lassen  kann. 
Wenn  sich  Gelehrte,  die  sich  rüh- 
men, frei  von  jeder  religiösen  An- 
schauung zu  sein,  ernsthaft  damit 
befassen,  den  Ursprung  der  Schrift 
besonders  in  den  heiligen  Schriften 
zu  suchen,  so  müssen  wir  dem  be- 
sondere Aufmerksamkeit  schenken. 
Wer  die  Standardwerke  liest,  hat  das 
Wort  Gottes  an  den  Menschen  von 
allem  Anfang  an  vor  sich.  Die  heilige 
Schrift   ist  der  beste  Anhaltspunkt 


hinsichtlich     des     Ursprungs     der 
Schrift. 

42)  Siehe  A.  Moret,  Histoirede  l'Orient,  I,  96ff. 

43)  Siehe  Pyramid  Texts,  no.  309-490. 

44)  A.  Moret,  Royaute'Pharaonique,  Seite  102. 

45)  Siehe  W.  Barta,  Zeitschrift  der  ägyptischen 
Sprache,  97,  Seite  7. 

46)  Siehe  H.  Zimmern,  Keilschriften  und  das  Alte 
Testament,  Seite  405. 

47)  Pyramid  Texts,  no.  167d. 

48)  Siehe  B.  Meissener,  Babylonien  und  Assyrien, 
11,125. 

49)  A.  Gardiner,  Journal  of  Egyptian  Archaeology, 
1 ,  Seite  25. 

50)  Siehe  A.  Gardiner,  JEA,  11 :4. 

51)  Siehe  S.  Schott,  Nachwort  zu  Sethes  „Vom 
Bilde  zum  Buchstaben",  Seite 71. 

52)  Siehe  A.  Gardiner,  JEY,  24:158. 

53)  Siehe  W.  Otto,  Die  Musen,  Darmstadt,  Wissen- 
schaftliche Buchgesellschaft,  1961 . 

54)  Siehe  F.  Heichetheim,  Epigraphica.  An.  XII, 
1-4,  Seite  111-115. 

55)  S.  Schott,  Sieg  über  Seth,  Seite  16. 

56)  Siehe  S.  Schott,  Untersuchungen  zur  Geschichte 
und  Altertumskunde,  Bd.  XII,  Seite 83. 

57)  Siehe  ,  ,The  Arrow,  the  Hunter,  and  the  State" 
in  Western  Political  Quarterly  2,  Seite  329-339. 

58)  Zitiert  aus  Improvement  Era,  1958,  Seite  307-308. 

59)  A.  Jirku,  Zeitschrift  der  Deutschen  Morgen- 
ländischen Gesellschaft  100:520. 

60)  H.  Tur-Sinai,  Jewish  Quarterly  Review 41 :296. 

61)  Siehe  P.  Mordeit,  Jewish  Quarterly  Review, 
2:575. 


Abend  am  Fenster 

Herr  Gott,  wie  ist  die  Erde  schön, 

wenn  rings  der  Lärm  der  Menschen  schweigt, 

wenn  ohne  Hast  im  Abendschein 

der  müde  Tag  zur  Nacht  sich  neigt. 

Herr  Gott,  wie  war  das  Leben  leicht, 
wenn  alle  Menschen  Brüder  wären, 
die  ohne  Kampf-  und  Kriegsgeschrei 
in  Liebe  sich  als  Mensch  bewähren. 

Herr  Gott,  wie  war  das  Dasein  reich, 
wenn  alle  deine  Stimme  hörten 
und  nicht  mit  Haß  und  Unverstand 
in  blinder  Wut  sich  selbst  zerstörten! 

—  Maria  Schilling 


366 


f 


Fragen  D    und  Antworten 


Diese  Fragen  und  Antworten 
sollen  Hilfe  und  Ausblick  gewähren 
und  sind  als  persönliche  Meinungs- 
äußerung des  Schreibenden  zu  be- 
trachten. 

Welche  Bücher  aus  dem  Alten  Testa- 
ment sind  vom  Herrn  am  häufigsten 
zitiert  worden? 

RICHARD  LLOYD  ANDERSON 

Jesus  Christus  hatte  eine  beein- 
druckende Fähigkeit  an  den  Tag  ge- 
legt, einmal  das  Alte  Testament  an- 
zuführen und  ein  anderes  Mal  davon 
abzulassen.  Dies  zeigt  sich  bei- 
spielsweise in  der  Bergpredigt. 
Obwohl  ,,er  ...  mit  Vollmacht  und 
nicht  wie  ihre  Schriftgelehrten1" 
sprach,  beteuerte  er,  daß  er  nicht 
gekommen  sei,  ,,das  Gesetz  oder 
die  Propheten  aufzulösen2". 


Der  Herr  begann  im  Alter  von 
fünf  Jahren,  das  Alte  Testament  zu 
studieren.  Mit  zwölf  Jahren  disku- 
tierte er  mit  jüdischen  Gelehrten 
über  die  Schrift,  und  zwar  auf  eine 
Weise,  die  unter  den  Anwesenden 
großes  Erstaunen  hervorrief;  und  im 
reifen  Mannesalter  waren  seine 
Reden  mit  Zitaten  und  Beispielen 
aus  dem  Alten  Testament  durch- 
setzt. Die  vier  Evangelien  enthalten 
etwa  75  Zitate  aus  dem  Alten  Testa- 
ment, was  darauf  hinweist,  welche 
Achtung  der  Herr  diesen  jüdischen 
Büchern  entgegengebracht  hat. 
Er  kannte  sie  sehr  gut,  denn  er  führte 
die  meisten  von  ihnen  an. 

Am  häufigsten  —  und  das 
dürften  Sie  ja  auch  vermutet  haben 
—  hat  der  Herr ausden  fünf  Büchern 
des  Mose  zitiert.  Da  sie  das  Gesetz 
darstellten,  stützten  sich  auch  die 
meisten  Fragen  auf  sie.  Etwa  ein 
Viertel  der  Zitate  des  Herrn  aus  dem 
Alten  Testament  entstammen  diesen 


fünf  Büchern.  Beinahe  so  oft  führte 
der  Herr  aber  auch  das  Buch  der 
Psalmen  an,  worin  er  offensichtlich 
großen  persönlichen  Trost  und  pro- 
phetische Auskunft  fand.  Von  den 
Propheten  führte  der  Herr  Jesaja  am 
häufigsten  an;  direkt  zitiert  er  ihn 
zwölf  Mal.  Wie  dies  auch  bei  vielen 
Psalmen  der  Fall  war,  so  fesselten 
Christus  die  messianischen  Prophe- 
zeiungen Jesajas.  Während  seines 
Wirkens  auf  Erden  bezog  er  die 
Worte  des  Propheten  auf  sich  und 
erklärte  sie  als  erfüllt3.  Als  sich  der 
Herr  nach  seiner  Auferstehung  den 
Emmausjüngern  zeigte,  fing  er  ,,an 
bei  Mose  und  allen  Propheten  und 
legte  ihnen  in  der  ganzen  Schrift 
aus,    was    darin    von     ihm    gesagt 

4i> 

war    . 

Die  Geschichte  lehrt  uns,  daß  der 
Herr  zu  Recht  sein  Schwergewicht 
auf  die  fünf  Bücher  Mose,  die  Psal- 
men und  das  Buch  Jesaja  gelegt  hat. 
Zahlreiche  Schriftrollen,  die  in 
Kumran  gefunden  worden  sind, 
beweisen  die  Popularität  dieses 
Teils  des  Alten  Testaments.  Ein 
solcher  Hinweis  ist  besonders  für 
die  Heiligen  der  Letzten  Tage  in- 
teressant, die  wissen,  daß  der 
Prophet  Jesaja  im  Buch  Mormon 
öfter  zitiert  wird  als  irgendein  an- 
derer Prophet  des  Alten  Testaments 
und  daß  der  Herr  im  3.  Nephi  sagt: 
,,Denn  die  Worte  Jesajas  sind  er- 
haben5." 

Ungefähr  ein  Drittel  der  Zitate  des 
Herrn  aus  dem  Alten  Testament 
stammen  von  Daniel  und  den  „klei- 
neren" Propheten.  Der  Herr  ver- 
wandte Prophezeiungen  über  den 
Messias,  den  Abfall  vom  Glauben, 
die  Wiederherstellung  und  das 
Jüngste  Gericht  und  Ermahnungen 
zu  persönlicher  Rechtschaffenheit. 
Diejenigen,  die  dem  Herrn  nach- 
folgen, werden  im  Alten  Testament 
das  finden,  was  er  gefunden  hat: 
Unterweisung,  Ansporn  und  prophe- 
tische Führung. 

Bruder  Richard  Lloyd  Anderson  ist  Professor  für 
alttestamentliche  Sprachen  und  Geschichte  an  der 
Brigham-Young-Universität. 

1)  Matthäus  7:29.  2)  Matthäus  5:17.  3)  Siehe 
Lukas  4:21.    4)  Lukas  24:27.     5)3.  Nephi  23:1 . 


367 


Befreiung  aus  der 
Knechtschaft 


SIDNEYB.SPERRY 


Mose  zählt  zu  den  bedeutendsten  Männern,  mit 
denen  die  Erde  je  gesegnet  war.  Die  Hebräer  verehrten 
ihn  vor  alters  als  einen  ihrer  mächtigsten  Propheten  und 
Seher.  Auch  die  Heiligen  der  Letzten  Tage  wissen  aus 
gutem  Grund  seine  Bedeutung  und  sein  Wirken  zu  wür- 
digen. 

Mose  und  sein  Bruder  Aaron  stammten  von  guten 
Eltern  ab.  Ihr  Vater  Amran  und  ihre  Mutter  Jochebed 
waren  Nachkommen  von  Jakobs  drittem  Sohn  Levi  . 
Mose  und  Aaron  waren  demnach  Leviten.  Später  hat 
der  Herr  Angehörige  dieses  Stammes  dazu  ausersehen, 
im  Priestertum  zu  amtieren  . 

Der  Stamm  Levi  wurde  auch  der  priesterliche  Stamm 
genannt;  er  übernahm  bei  den  Hebräern  die  Leitung  der 
meisten  spirituellen  Angelegenheiten.  Moses  Lebens- 
lauf läßt  sich  in  drei  Abschnitte  von  je  40  Jahren  glie- 
dern: 1)  die  Zeit  in  Ägypten,  2)  die  Zeit  in  der  Wüste 
oder  die  Zeit  der  geistigen  Vorbereitung  und  3)  die  Zeit 
als  Israels  Führer  und  Gesetzgeber. 

Die  Ereignisse  der  ägyptischen  Periode  sind  in  den 
ersten  15  Versen  im  2.  Buch  Mose,  Kap.  2  zusammenge- 
faßt. Mose  berichtet  darin  über  seine  Geburt,  die  Be- 
gebenheit mit  der  Tochter  des  Pharao,  die  ihn  adop- 
tiert hat,  und  darüber,  wie  er  den  ägyptischen  Aufseher 
erschlug. 

Leider  berichtet  er  nichts  über  sein  Leben  am  ägypti- 
schen Hofe.  Doch  er  hat  sicherlich  die  beste  Erziehung 
genossen,  die  es  damals  in  Ägypten  gab,  und  war  mit 
den  diplomatischen  Gepflogenheiten  der  damaligen  Zeit 


vertraut.  Wenn  wir  den  Schriften  des  jüdischen  Ge- 
schichtsschreibers Josephus  Glauben  schenken  kön- 
nen, haben  die  Ägypter  von  den  hervorragenden  Füh- 
rungseigenschaften des  Mose  in  diesem  ersten  Lebens- 
abschnitt regen  Gebrauch  gemacht. 

Hat  Mose  geheiratet,  ehe  er  von  Ägypten  nach  Midian 
geflohen  ist?  Dies  ist  eine  interessante  Frage,  die  man 
vermutlich  bejahen  muß.  Erstens  galt  es  für  einen 
jungen  Mann  als  besondere  Pflicht  zu  heiraten.  Wer 
nicht  heiratete,  machte  sich  eines  Verbrechens  an  der 
Menschheit  schuldig.  Zweitens  wird  uns  berichtet,  daß 
,, Mirjam  und  Aaron  gegen  Mose  [redeten]  um  seiner 
Frau  willen,  der  Kuschiterin,  die  er  genommen  hatte. 
Er  hatte  sich  nämlich  eine  kuschitische  Frau  genom- 
men3". Diese  Ehe  wurde  vermutlich  geschlossen,  als 
Mose  noch  am  ägyptischen  Hofe  weilte. 

Weil  er  den  ägyptischen  Aufseher  erschlagen  hatte4, 
mußte  er  vor  dem  Zorn  des  Pharao  flüchten.  Er  floh 
südöstlich  in  die  Weidegründe  von  Midian  am  Südende 
des  heutigen  Golf  von  Akaba5  Hier  also  vollzog  sich  die 
geistige  Vorbereitung  des  zukünftigen  Gesetzgebers 
auf  die  Befreiung  seines  Volkes. 

Moses  Gerechtigkeitsliebe  und  Unparteilichkeit 
zeigten  sich,  als  er  an  einem  Brunnen  rastete.  Als  die 
sieben  Töchter  Midians  kamen,  um  die  Schafe  ihres 
Vaters  zu  tränken,  trieben  die  Hirten  sie  weg.  ,,Mose 
aber  stand  auf  und  half  ihnen  und  tränkte  ihre  Schafe6." 
Sein  Eintreten  für  das  Recht  der  Schwestern  führte 
dazu,  daß  er  von  Jethro,  dem  Priester  in   Midian,    in 


368 


dessen  Haus  aufgenommen  wurde7.  Er  heiratete  Jethros 
Tochter  Zippora,  die  ihm  zwei  Söhne  gebar:  Gerschom 
und  Eleasar.  Mose  wurde  Jethros  Schafhirte  und  mußte 
daher  in  der  Steppe  umherziehen,  um  geeignete  Weide- 
plätze zu  finden. 

Jethro  ist  für  das  Leben  und  Wirken  des  Mose  von 
großer  Bedeutung  gewesen.  Das  Alte  Testament  nennt 
ihn  ,,den  Priester  in  Midian",  doch  erst  neuzeitliche 
Offenbarungen  durch  den  Propheten  Joseph  Smith 
zeigen  die  Bedeutung  von  Jethros  Priestertum  auf.  Dem 
Buch  , Lehre  und  Bündnisse',  Abschnitt  84  zufolge 
empfing  Mose  das  ,, heilige  Priestertum  von  seinem 
Schwiegervater  Jethro8".  So  kann  man  wohl  annehmen, 
daß  Jethro  das  Amt  eines  Hohenpriesters  innehatte  und 
möglicherweise  über  eine  Gemeinde  der  Kirche  in 
Midian  präsidiert  hat9 

Mose  —  vor  alters  von  den  Hebräern  als  einer  ihrer 
mächtigsten  Propheten  verehrt  —  hat  vom  Herrn 
bemerkenswerte  Aufträge  erhalten:  unter  anderem  die 
Befreiung  Israels  und  die  Unterweisung  des  Propheten 
Joseph  Smith 

Es  ist  interessant,  daß  Jethros  Priestertum  sich  über 
Caleb  und  Elihu  auf  Melchisedek  und  Noah  und  weiter 
auf  Adam  zurückführen  läßt10.  Daß  er  das  Melchisede- 
kische  Priestertum  getragen  hat,  läßt  uns  vermuten, 
daß  es  in  Midian  eine  Gemeinde  der  Kirche  Jesu  Christi 
gegeben  hat.  Dies  ist  eine  überraschende  Tatsache; 
denn  das  Alte  Testament  berichtet  an  dieser  Stelle 
nichts  von  einer  Kirche.  Dank  dem  Propheten  Joseph 
Smith  dürfen  wir  jedoch  annehmen,  daß  Jethro  im 
Besitz  heiliger  Schrift  gewesen  ist  und  Mose  das  Evan- 
gelium gelehrt  hat,  als  dieser  in  sein  Haus  kam. 

Andersgläubige  mögen  die  Ansicht,  daß  Mose  ein 
Mitglied  der  Kirche  Jesu  Christi  wurde,  für  ketzerisch 
halten;  doch  ist  es  für  den,  der  das  Evangelium  kennt, 
nur  eine  logische  Schlußfolgerung.  Dennoch  erheben 
sich  einige  interessante  Fragen.  Wann  und  von  wem 
wurde  das  Evangelium  nach  Midian  gebracht  und  dort 
eine  Gemeinde  gegründet?  Was  geschah  mit  der  Kirche 
in  Midian  und  andernorts,  als  Mose  die  Israeliten  aus 
der  Knechtschaft  befreite  und  in  die  Wüste  führte?  Wie 
hat  Mose  während  der  Zeit  in  der  Wüste  über  die  ge- 
samte Kirche  präsidiert  (wenn  man  davon  ausgeht,  daß 
es  noch  Gemeinden  außerhalb  Midians  gegeben  hat)? 

Wenn  Sie  über  diese  Fragen  nachdenken,  sollten  Sie 
sich  vor  Augen  halten,  daß  Melchisedek  zu  Abrahams 
Zeit  über  die  Kirche  präsidiert  und  Zehnten  von  ihm 
empfangen  hat  11  Das  Buch  Mormon  verweist  darauf, 
daß  das  Evangelium  möglicherweise  in  Palästina  gepre- 
digt wurde  und  daß  die  meisten  es  verworfen  haben12. 
Es  ist  also  durchaus  möglich,  daß  die  Missionare  — 
abgesehen  von  der  Gemeinde,  die  Mose  in  Midian  vor- 
fand —  auch  an  einigen  anderen  Orten  Gemeinden 
gründen  konnten. 

Moses  geistige  Vorbereitung  durch  Jethro  muß  sehr 
umfassend  gewesen  sein.  Sie  führte  schließlich   dazu, 


daß  der  Herr  selbst  Mose  unterwies  und  zu  seinem  Amt 
berief.  Anscheinend  trieb  Mose  Jethros  Herde  nach 
Westen  in  die  Steppe  „zum  Berg  Gottes,  dem  Horeb13". 
Hier  erschien  ihm  der  Herr  im  brennenden  Busch  und 
gebot  ihm,  nach  Ägypten  zu  gehen  und  sein  Volk  auf 
die  Befreiung  aus  der  Knechtschaft  vorzubereiten. 

Kurz  nach  dem  Ereignis  am  brennenden  Busch  hob 
der  Herr  Mose  auf  einen  , außerordentlich  hohen  Berg" 
empor  und  sprach  mit  ihm  „von  Angesicht  zu  Ange- 
sicht14". Was  Mose  auf  dem  Berg  erlebt  hat,  ist  so 
wunderbar  und  bedeutsam,  daß  wir  es  nicht  außer  acht 
lassen  dürfen. 

Daß  Gott  von  Angesicht  zu  Angesicht  mit  einem 
Menschen  spricht,  wird  nicht  nur  von  Mose,  sondern 
auch  von  anderen  bezeugt,  so  von  dem  Bruder  Jareds  15. 
Diese  Männer  müssen  von  außerordentlicher  Geistigkeit 
gewesen  sein,  daß  der  Herr  von  Angesicht  zu  Angesicht 
mit  ihnen  gesprochen  hat.  Er  hat  Mose  nicht  nur  in 
Person  gegenübergestanden,  sondern  ihn  auch  ,,mein 
Sohn16"  genannt  und  ihm  viele  seiner  Werke  gezeigt17. 
Er  hat  ihm  auch  gesagt,  daß  er  (Mose)  ,,im  Ebenbild 
meines  Einziggezeugten  sei  und  mein  [Einziggezeug- 
ter] ist  und  soll  der  Heiland  sein18".  Er  hat  ihm  die  Welt 
gezeigt  und  ,,alle  Menschenkinder,  die  erschaffen  sind 
und  erschaffen  wurden".  Kein  Wunder,  daß  Mose 
staunte  und  sich  sehr  darüber  wunderte19 

Der  Herr  zog  sich  dann  eine  Zeitlang  von  Mose  zurück, 
und  der  große  Gesetzgeber  fiel  vor  Schwäche  zur  Erde. 
Er  erkannte,  daß  der  Mensch  in  Gottes  Gegenwart 
nichts  ist;  und  er  sagt,  er  habe  Gott  nicht  mit  seinen 
natürlichen  Augen  gesehen,  sondern  mit  seinen  gei- 
stigen; denn  sonst  wäre  er  in  der  Gegenwart  Gottes 
vergangen  und  gestorben. 

Danach  hatte  Mose  eine  persönliche  Begegnung  mit 
dem  Satan,  der  ihn  aufforderte,  ihn  anzubeten.  Er  er- 
kannte Luzifer  jedoch  und  gebot  ihm  im  Namen  des 
Einziggezeugten  zu  weichen  20. 

Als  die  Herrlichkeit  Gottes  wieder  auf  Mose  ruhte, 
sagte  ihm  der  Herr,  daß  er  ihn  stärker  als  viele  Wasser 
machen  wolle  und  daß  er  Israel  aus  der  Knechtschaft 
befreien  würde21. 

Im  Geist  sah  Mose  als  nächstes  die  Erde  und  all 
ihre  Bewohner  und  viele  Länder  und  jedes  wurde  Erde 
genannt22  Er  war  davon  so  verwirrt,  daß  er  den  Herrn 
bat,  ihm  dies  alles  zu  erklären.  Er  erfuhr  dann,  daß  Gott 
durch  seinen  einziggezeugten  Sohn  Welten  ohne  Zahl 
erschaffen  hat ;  doch  der  Herr  gab  nur  einen  Bericht  von 
dieser  Erde  und  ihren  Bewohnern. 

In  einem  bedeutsamen  Satz  wurde  Mose  dann  der 
Zweck  von  Gottes  Werk  erklärt : 

„Denn  siehe,  dies  ist  mein  Werk  und  meine  Herr- 
lichkeit   —    die  Unsterblichkeit  und  das  ewige  Leben 

23 

des  Menschen  zustande  zu  bringen." 

Diese  Schriftstelle  zeigt  vielleicht  viel  eindringlicher 
als  jede  andere  die  Liebe  Gottes  für  seine  Kinder. 


369 


Als  Antwort  auf  die  Bitte24  des  Mose  erklärte  der  Herr 
ihm  dann  alles  überdiese  Erde  und  ihre  Bewohner25  und 
gebot  ihm,  seine  (des  Herrn)  Worte  niederzuschreiben. 

Der  dritte  Abschnitt  in  Moses  Leben  ist  sein  Wirken 
als  Israels  Führer  und  Gesetzgeber.  Durch  seine  großen 
spirituellen  Erfahrungen  in  Midian  gestärkt  und  vorbe- 
reitet, verließ  er  Jethro  und  begab  sich  mit  seiner  Frau 
und  seinen  Söhnen  auf  den  Weg  zurück  nach  Ägypten, 
wie  der  Herr  es  von  ihm  verlangte.  Unterwegs  begegnete 
ihm  Aaron,  dem  Gebot  des  Herrn  gemäß.  Mose  teilte 
Aaron,  seinem  Sprecher,  die  Worte  des  Herrn  mit.  Nach 
der  Ankunft  in  Ägypten  versammelten  sie  die  Ältesten 
Israels  um  sich  und  verkündeten  ihnen  die  Botschaft 
des  Herrn  an  das  Volk.  Ihre  Worte  bewegten  das  Volk 
so  stark,  daß  alle  sich  neigten  und  anbeteten26. 

Die  mächtigen  Zeichen  und  Wundertaten,  die  Mose 
und  Aaron  vollbracht  haben,  um  den  Pharao  zu  bewe- 
gen, die  Israeliten  aus  der  Knechtschaft  zu  entlassen, 
sind  so  bekannt,  daß  sie  an  dieser  Stelle  nicht  aufge- 
zählt zu  werden  brauchen.  Doch  selbst  als  der  Pharao  — 
nach  dem  Tod  jeder  Erstgeburt  in  Ägypten  —  die  Israe- 
liten mit  ihren  Schafen  und  Rindern  ziehen  ließ  ,  waren 
sie  erst  völlig  frei,  nachdem  die  ägyptische  Armee  im 
Roten  Meer  vernichtet  wurde.  Wir  lesen,  daß  Israel 
daraufhin  dem  Herrn  und  seinem  Knecht  Mose  glaub- 
te28 

In  der  Wüste  erkannte  Mose,  daß  die  Geisteshaltung 
der  Israeliten  einer  radikalen  Änderung  bedurfte.  Da  sie 
so  lange  unter  den  Ägyptern  und  mit  heidnischen  reli- 
giösen Bräuchen  gelebt  hatten,  waren  sie  auch  dazu  ver- 
führt worden.  (Die  Geschichte  von  dem  goldenen  Kalb 
wird  im  2.  Mose  32:2-9  geschildert.)  Der  Herr  gebot 
Mose,  dem  Volk  das  folgende  mitzuteilen: 

,, Werdet  ihr  nun  meiner  Stimme  gehorchen  und 
meinen  Bund  halten,  so  sollt  ihr  mein  Eigentum  sein  vor 
allen  Völkern  ;  denn  die  ganze  Erde  ist  mein. 

Und  ihr  sollt  mir  ein  Königreich  von  Priestern  und  ein 
heiliges  Volk  sein29." 

In  den  zehn  Geboten  und  in  anderen  Lehren  wurden 
den  Israeliten  die  Grundlagen  der  Religion  vermittelt. 
Zweifellos  haben  sich  viele  der  Kirche  angeschlossen; 
doch  es  ist  ebenso  klar,  daß  viele  sich  nicht  ange 
schlössen  haben  oder  als  unwürdig  erachtet  wurden 
Mit  der  Zeit  wurden  sogar  die  höheren  Verordnungen 
des  Evangeliums  durch  Mose  offenbart,  zumindest 
einigen. 

Hätten  die  Israeliten  sich  einmütig  der  Kirche  an- 
geschlossen, wie  Mose  es  wünschte,  dann  wäre  die 
Weltgeschichte  vielleicht  ganz  anders  verlaufen;  doch 
leider  ,, verhärteten  [sie]  ihre  Herzen31".  Nachdem  sie 
das  goldene  Kalb  angebetet  hatten,  nahm  der  Herr 
Mose  aus  ihrer  Mitte  und  mit  ihm  das  heilige  oder 
höhere  Priestertum.  Es  blieb  nur  das  geringere  Priester- 
tum.  Bekanntlich  wurde  es  Mose  vom  Herrn  nicht  ge- 
stattet, das  Land  Kanaan  zu  betreten.  Er  ist  jedoch  nicht 
in  der  Wüste  gestorben,  sondern  der  Herr  hat  ihn  ver- 


30 


wandelt,  wie  das  Geschehen  auf  dem  Berg  der  Verklä- 
rung beweist,  wo  er  zusammen  mit  dem  Propheten  Elia 
dem  Petrus,  Jakobus  und  Johannes  erschienen  ist32. 
Mose  und  Elia  übertrugen  ihre  Schlüsselgewalt  auf  die 
drei  Apostel,  und  damit  sie  dies  tun  konnten,  mußten 
sie  einen  Körper  aus  Fleisch  und  Bein  haben  —  in  die- 

33 

sem  Fall  einen  verwandelten  Körper    . 

Beide,  Mose  und  Elia,  waren  mit  Christus  bei  seiner 
Auferstehung34  und  wurden  vermutlich  in  einem  Augen- 
blick35 aus  ihrem  verwandelten  Zustand  in  einen  aufer- 
standenen Zustand  versetzt. 

In  dieser  Evangeliumszeit  ist  Mose  dem  Propheten 
Joseph  Smith  und  Oliver  Cowdery  am  3.  April  1836  im 
Kirtland-Tempel  erschienen,  und  sein  Erscheinen  war 
von  höchster  Bedeutung.  Im  Buch  , Lehre  und  Bünd- 
nisse', Abschnitt  110,  Vers  11  lesen  wir: 

„Moses  erschien  und  übergab  uns  die  Schlüssel  zur 
Sammlung  Israels  aus  den  vier  Teilen  der  Erde  und 
zur  Herbeiführung  der  zehn  Stämme  aus  dem  Lande  des 
Nordens." 

Wenn  wir  das  Wirken  Moses  in  dieser  und  in  früheren 
Evangeliumszeiten  überdenken,  kommt  uns  folgende 
Schriftstelle  in  den  Sinn: 

„Und  es  stand  hinfort  kein  Prophet  in  Israel  auf  wie 
Mose,  den  der  Herr  erkannt  hatte  von  Angesicht  zu 
Angesicht36" 


Dr.  Sperry  ist  der  ehemal  ige  Leiter  der  Abteilung  Religion  an  der  Brigham-Young- 
Universität.  Er  ist  Patriarch  im  8.  Pfahl  der  BYU. 

Quellenangaben: 

I)  2.  Mose  6:16,  18,  20;  2)  siehe  4.  Mose  8:5-26;  3)  4.  Mose  12:1 ;  4)2. 
Mose  2:11,  12;  5)  2.  Mose  2:15;  6)  2.  Mose  2:17;  7)  2.  Mose  2:18-22; 
8)  LuB  84:6;     9)  siehe  2.  Mose  18:1,  Inspirierte  Version;     10)  LuB  84:7-16; 

II)  siehe  1.  Mose  14:20;     12)  1.  Ne.  17:35;     13)  2.  Mose  3:1 ;     14)  Moses 
1:1,2;     15)sieheEther3:6-28;     16)  Moses  1:4;     17)  Moses  1 :4,  5;     18)  Mo- 
ses 1:6;     19)  Moses  1:8;     20)  Moses  1 :  12-22;     21)  Moses  1 : 25,  26;     22)  Mo- 
ses 1:28,   29;     23)   Moses  1:39;     24)   Moses  1:36;     25)  Moses   1:40,   41 
26)  siehe  2.    Mose  4:10-31;     27)  2.   Mose  12:30-33;     28)  2.   Mose  14:31 
29)  2.  Mose  19:5,  6;     30)  siehe  1.  Kor.  10:1-8;  LuB  84:24;     31)  LuB  84:24 
32)  siehe  Matth.  17;  33)  siehe  Lehren  des  Propheten  Joseph  Smith,  S.  133. 
34)  LuB  133:55;     35)  2.  Ne.  28:8;     36)5.  Mose  34:10. 


370 


Der  statistische  Bericht  von  1973 
zeigt  das  Wachstum  der  Kirche 


Zahl  der  Pfähle  Zions 

Ende  1973  630 

Zahl  der  Gemeinden  4.580 

Zahl  der  unabhängigen 

Gemeinden  in  Pfählen 

(von  einem  Gemeinde- 
präsidenten verwaltet)  1 .1 27 
Gesamtzahl  der  Gemeinden 

in  Pfählen  am  Ende  des 

Jahres  5.707 

Zahl  der  Gemeinden  in 

Missionen  am  Ende  des 

Jahres  1.817 

Zahl  der  Missionen  am 

Ende  des  Jahres  108 


Anzahl  der  Mitglieder  der  Kirche  am 
31.  Dezember  1973 

In  den  Pfählen  2,856.210 

In  den  Missionen  465.346 

Gesamtzahl  der  Mitglieder  3,321 .556 


Wachstum  der  Kirche  im  Jahre  1973 

Zahl  der  Kinder  in  Pfählen 
und  Missionen,  die 
gesegnet  wurden  68.623 

Zahl  der  Taufen  eingetra- 
gener Kinder  in  Pfählen 
und  Missionen  48.578 

Zahl  der  übrigen  Taufen  in 

Pfählen  und  Missionen  79.603 

Sozialstatistik 

(basiert  auf  den  Angaben  von  den 
Pfählen  im  Jahre  1973) 


Zahl  der  Geburten  pro 

Tausend 

25,64 

Zahl  der  Personen,  die  ge- 

heiratet haben,  pro 

Tausend 

14,72 

Zahl  der  Sterbefälle  pro 

Tausend 

4,91 

Priestertum 

Träger  des  Aaronischen  Priestertums 
am  31.  Dezember  1973 

Diakone  140.549 

Lehrer  102.924 

Priester  164.668 
Träger  des  Aaronischen 

Priestertums  insges.  408.141 

Träger  des  Melchisedekischen  Prie- 
stertums am  31 .  Dezember  1 973 


Älteste 

Siebziger 

Hohepriester 

Träger  des  Melchisede- 
kischen Priestertums 
insges. 

Gesamtzahl  der  Träger  des 
Aaronischen  und  Melchi- 
sedekischen Priester- 
tums 

Zunahme  während  des 
Jahres 


280.351 
24.490 
99.886 


404.727 


812.868 


25.932 


Hilfsorganisationen  der  Kirche 
(Eingetragene  Mitglieder) 


Wohlfahrtsplan 

Zahl  der  Personen,  denen 
während  des  Jahres  Hilfe 
geleistet  wurde  103.100 

Zahl  derer,  denen  Arbeit 

vermittelt  wurde  16.159 

Dem  Wohlfahrtsplan  von 
Einzelpersonen  ge- 
widmete Arbeitstage  154.306 

Gemeinschaftliche  Arbeits- 
tage mit  zur  Verfügung 
gestellten  Geräten  4.756 

Genealogische  Gesellschaft 

Im  Jahre  1973  für  Tempelarbeit 
freigegebene  Namen  2,718.421. 
Während  des  Jahres  in  27  Ländern 
gemikrofilmte  genealogische  Auf- 
zeichnungen erbrachten  insgesamt 
796.804  30-Meter-Rollen  Mikrofilm 
für  den  Gebrauch  der  Kirche,  was 
über  3,801.373  gedruckten  Bänden 
mit  je  300  Seiten  entspricht. 

Tempel 

Zahl  der  im  Jahre  1973  vollzogenen 
heiligen  Handlungen  in  den  15 
Tempeln,  die  in  Betrieb  sind 


Frauenhilfsvereinigung 

785.000 

Sonntagsschule 

2,564.134 

Für  Lebende 

71 .555 

Aaronische  Priestertums- 

Für  Verstorbene 

8,836.044 

GFV  Junger  Männer 

171.377 

Gesamtzahl  der  heiligen 

Aaronische  Priestertums- 

Handlungen 

8,907.599 

GFV  Junger  Damen 

212.040 

Primarvereinigung 

471 .538 

Melchisedekische  Priester- 

Schulsystem  der  Kirche 

tums-GFV 

625.000 

Gesamtzahl  der  zusätz- 
lichen Eintragungen  in 
Schul-  und  Bildungsan- 
stalten der  Kirche,  ein- 
schließlich Instituten 
und  Seminaren  im 
Jahre  1973 


307.086 


371 


AUSSERGEWOHNLICHE  BEGEBENHEITEN 
AUS  DEM  LEBEN  UNSERER  APOSTEL  * 


ORSON  F. 
WHITNEY 


Biographisches 

Orson  F.  Whitney  wurde  am  1. 
Juli  1855  als  Sohn  der  Eheleute 
Horace  und  Helen  Mar  Kimball 
Whitney  in  Salt  Lake  City,  Utah 
geboren. 

Er  ging  in  Salt  Lake  City  zur 
Schule  und  besuchte  die  University 
of  Deseret.  Später  wurde  er  Rektor 
der  University  of  Utah. 

Er  war  dreimal  auf  Mission  —  zu- 
letzt in  Europa,  wo  er  über  die  Euro- 
päische Mission  präsidierte. 

Bruder  Whitney  diente  28  Jahre 
als  Bischof  in  der  18.  Gemeinde  in 
Salt  Lake  City,  danach  wurde  er 
in  den  Rat  der  Zwölf  berufen. 

Er  wurde  am  9.  April  1906  von 
Joseph  F.  Smith  zum  Apostel  ordi- 
niert, zu  diesem  Zeitpunkt  war  er  50 
Jahre  alt.  Bruder  Whitney  unter- 
richtete am  Brigham-Young-College 
in  Logan,  Utah  und  schrieb  zwei 
Biographien,  eine  über  Heber  C. 
Kimball  und  die  andere  über  Lorenzo 
Snow. 

Sein  herausragendes  literarisches 
Werk  ist  eine  Geschichte  Utahs.  Er 
war  ein  hervorragender  Redner  und 
bekannter  Schriftsteller,  und  wenn 
er  seine  Gedichte  vorlas,  konnte  er 
die  Zuhörer  in  den  Bann  schlagen. 
In  seiner  Jugend  interessierte  er 
sich   sehr  für  die  Schauspielkunst 


*  Auszüge  aus  dem  Buch  „Exceptional 
Stories  from  the  Lives  of  Our  Apostles", 
zusammengestellt  von  Leon  R.  Harts- 
horn;  mit  freundlicher  Genehmigung 
der  Deseret  Book  Co.,  Salt  Lake  City. 


und  spielte  führende  Rollen  bei  den 
Aufführungen  der  Home  Dramatic 
Company.  Er  sang  auch  und  war 
politisch  aktiv. 

Am  16.  Mai  1931  erlag  er  in  Salt 
Lake  City  einem  Herzanfall. 

Das  folgende  Material   ist  seinen 
Erinnerungen  entnommen. 
*  *  *  * 

Dann  erlebte  ich  eine  wunderbare 
Manifestation  und  empfing  eine  Er- 
mahnung aus  einer  höheren  Quelle, 
die  ich  unmöglich  ignorieren  konnte. 
Es  war  ein  Traum  oder  vielmehr  eine 
Vision  im  Traum  derweil  ich  auf 
meinem  Bett  lag.  Dies  geschah  in 
der  kleinen  Stadt  Columbia  im  Kreis 
Lancaster,  Pennsylvania.  Ich  schien 
in  den  Garten  Gethsemane  versetzt 
—  gleichsam  als  Augenzeuge  der 
Todesqual  des  Heilands.  Ich  sah  ihn 
klar  und  deutlich  vor  mir.  Ich  stand 
hinter  einem  Baum  im  Vordergrund 
und  sah,  wie  Jesus  mit  Petrus,  Jako- 
bus und  Johannes  durch  eine  kleine 
Pforte  zu  meiner  Rechten  eintrat. 
Der  Gottessohn  ließ  die  drei  Apostel 
zurück;  und  nachdem  er  ihnen  ge- 
sagt hatte,  sie  sollten  niederknien 
und  beten,  begab  er  sich  zur  anderen 
Seite  des  Gartens,  wo  auch  er  nie- 
derkniete und  betete.  Es  war  das 
Gebet,  mit  dem  jeder  Bibelleser 
vertraut  ist:  „Mein  Vater,  ist's  mög- 
lich, so  gehe  dieser  Kelch  an  mir 
vorüber;  doch  nicht  wie  ich  will, 
sondern  wie  du  willst." 

Während  er  betete,  rannen  ihm  die 
Tränen  über  das  Gesicht,  das  er  mir 
zugewandt  hatte.  Dieser  Anblick 
bewegte  mich  so  tief,  daß  ich  aus 


lauter  Mitleid  ebenfalls  weinte.  Mein 
ganzes  Herz  wandte  sich  ihm  zu ;  ich 
liebte  ihn  von  ganzer  Seele  und 
sehnte  mich  danach,  bei  ihm  zu 
sein;  ich  wünschte  mir  nichts  sehn- 
licher. 

Bald  darauf  erhob  er  sich  und  ging 
hinüber  zu  den  Aposteln  —  sie 
schliefen  fest!  Er  rüttelte  sie  sacht, 
weckte  sie  und  fragte  mit  sanftem 
Tadel  —  ohne  das  geringste  An- 
zeichen von  Ärger  oder  Ungeduld  — 
ob  sie  nicht  einmal  eine  Stunde  mit 
ihm  wachen  könnten.  Dort  stand  er 
—  mit  der  schrecklichen  Last  der 
Sünden  der  Welt  auf  den  Schultern, 
seine  empfindsame  Seele  von  den 
Gewissensqualen  jedes  Mannes, 
jeder  Frau  und  jedes  Kindes  gemar- 
tert —  und  sie  konnten  nicht  ein- 
mal eine  Stunde  mit  ihm  wachen! 

Er  kehrte  zu  seinem  Platz  zurück 
und  sprach  dasselbe  Gebet  wie  zu- 
vor; dann  ging  er  wieder  zu  ihnen 
hin  und  fand  sie  abermals  schlafend. 
Er  weckte  sie,  ermahnte  sie  noch- 
mals und  kehrte  wieder  zurück  und 
betete.  Dies  geschah  dreimal,  bis 
mir  sein  Äußeres  —  sein  Gesicht, 
seine  Gestalt  und  seine  Bewegun- 
gen —  vollkommen  vertraut  war. 
Er  war  von  edler  Gestalt  und  maje- 
stätischer Haltung  —  ganz  und  gar 
nicht  der  schwächliche,  weichliche 
Typ,  als  den  ihn  einige  Maler  dar- 
gestellt haben,  sondern  der  Gott, 
der  er  war  und  ist  —  sanft  und 
demütig  wie  ein  kleines  Kind. 

Plötzlich  schien  sich  das  Bild 
zu  ändern,  obwohl  die  Szenerie  un- 
verändert blieb.  Es  war  jetzt  nach  der 


372 


Kreuzigung.  Der  Heiland  stand  mit 
den  drei  Aposteln  zu  meiner  Linken. 
Ihre  Himmelfahrt  stand  kurz  bevor. 
Ich  konnte  es  nicht  längeraushalten. 
Ich  lief  hinter  dem  Baum  hervor,  fiel 
ihm  zu  Füßen,  umfing  seine  Knie 
und  bat  ihn,  mich  doch  mitzu- 
nehmen. 

Ich  werde  niemals  vergessen,  wie 
ersieh  niederbeugte  und  mich  sanft 
und  liebevoll  aufrichtete  und  umarm- 
te. Es  war  so  lebendig,  so  wirklich. 
Ich  spürte  die  Wärme  seines  Kör- 
pers, als  er  mich  in  den  Armen  hielt 
und  liebevoll  zu  mir  sagte:  ,,Nein, 
mein  Sohn,  diese  hier  haben  ihr 
Werk  vollendet;  sie  können  mit  mir 
gehen.  Du  aber  mußt  bleiben  und 
deines  vollenden."  Ich  hielt  ihn  noch 
immer  umfangen.  Ich  blickte  zu  ihm 
auf  —  er  war  größer  als  ich  —  und 
flehte  inbrünstig:  „Nun,  dann  ver- 
sprich mir,  daß  ich  am  Ende  zu  dir 
kommen  werde."  Sanft  lächelnd 
entgegnete  er:  ,,Das  hängt  allein 
von  dir  ab."  Ich  erwachte  mit  einem 
Schluchzen  in  der  Kehle;  es  war 
Morgen. 

„Das  kommt  von  Gott,"  sagte 
Brd.  Musser,  als  ich  ihm  erzählte, 
was  ich  gesehen  und  gehört  hatte. 
„Das  weiß  ich  selbst,"  entgegnete 
ich  ihm.  Ich  sah  ganz  klar.  Ich  habe 
nie  daran  gedacht,  einmal  ein 
Apostel  zu  sein  oder  irgendein  an- 
deres Amt  in  der  Kirche  zu  beklei- 
den, und  auch  damals  kam  mir  der 
Gedanke  nicht.  Ich  wußte  nur:  die 
schlafenden  Apostel,  das  war  ich. 
Ich  schlief  auf  meinem  Posten  — 
wie  jeder,  der  von  Gott  zu  einer  be- 
stimmten Arbeit  berufen  ist  und 
stattdessen  eine  andere  verrichtet. 

Von  Stund  an  änderte  sich  dies 
jedoch.  Ich  war  niemals  wieder  so 
wie  zuvor. 

Meine  Antwort  war:  Ich  bete  doch 

An  einem  Morgen  versuchte  ich, 
den  üblichen  Leitartikel  zu  schrei- 
ben, aber  ich  kam  damit  nicht  voran. 
Ich  bemühte  mich  den  ganzen  Tag 
vergeblich  darum,  etwas  Lesenswer- 
tes zu  Papier  zu  bringen.  Schließlich 
warf  ich  verärgert  die  Feder  hin 
und  brach  in  Tränen  aus. 


In  diesem  Augenblick  flüsterte 
mir  der  Geist  zu:  „Warum  betest 
du  nicht?" 

So  als  hätte  jemand  mich  hörbar 
angesprochen,  entgegnete  ich:  „Ich 
bete  doch."  Ich  betete  fünfmal  am 
Tag  —  im  stillen  am  Morgen, 
Mittag  und  Abend  und  mit  der 
übrigen  Familie  beim  Frühstück  und 
am  Mittagstisch.  „Ich  bete  doch, 
warum  bekomme  ich  denn  keine 
Hilfe?"  fragte  ich  beinah  verdrieß- 
lich; denn  ich  war  verzweifelt  und 
halb  entmutigt. 

„Bete  jetzt",  sagte  der  Geist, 
„bitte  um  das,  was  du  brauchst." 

Ich  verstand.  Es  mußte  ein  spe- 
zielles und  kein  allgemeines  Gebet 
sein.  Ich  kniete  nieder  und  brachte 
unter  Tränen  einige  einfache  Worte 
hervor.  Ich  bat  nicht  um  die  Herbei- 
führung der  zehn  Stämme,  auch 
nicht  um  die  Errichtung  des  Neuen 
Jerusalem.  Ich  bat  den  Herrn  im 
Namen  Jesu  Christi  darum,  mir  bei 
diesem  Artikel  zu  helfen.  Danach 
stand  ich  auf,  setzte  mich  hin  und 
begann  zu  schreiben.  Mein  Kopf  war 
ganz  klar,  und  meine  Feder  flog 
förmlich  über  das  Papier.  Alles,  was 
ich  brauchte,  kam  so  schnell,  wie 
ich  es  niederschreiben  konnte  — 
jeder  Gedanke  und  jedes  Wort  an  der 
richtigen  Stelle.  Binnen  kurzem 
hatte  ich  den  Artikel  zu  meiner 
vollsten  Zufriedenheit  beendet.  Ich 
las  ihn  dem  Missionspräsidenten 
vor,  und  er  genehmigte  ihn,  ohne 
auch  nur  eine  einzige  Silbe  zu  än- 
dern. 

Das  war  mir  eine  Lehre  oder  viel- 
mehr: Es  rief  mir  nachdrücklich 
etwas  ins  Gedächtnis  zurück,  was 
ich  im  Grunde  bereits  wußte.  Beten 
heißt  nicht  einfach  Worte  machen; 
es  ist  keine  Kette  stereotyper  Phra- 
sen. Es  ist  „der  Seele  Wunsch"; 
und  der  Herr  meint  diese  Art  des 
Betens,  wenn  er  sagt:  „Bittet,  und 
ihr  werdet  empfangen." 

Er  sagte  nicht,  welches  Kind  es  war 

Inzwischen  traf  mich  und  die 
Meinen  ein  neuer  Schicksalsschlag. 
An  jenem  denkwürdigen  Tag,  als 
der  erste  Ausflug  in  die  Umgebung 


Londons  stattfand,  starb  mein 
kleiner  Sohn  Heber  im  fernen  Utah 
im  Haus  seines  Großvaters  Smoot. 
Dieses  Kind  wurde  sieben  Monate 
und  21  Tage  nach  meiner  Abreise 
nach  England  geboren.  Ich  hatte  es 
also  noch  nie  gesehen  und  würde 
es  auch  in  dieser  Welt  nicht  mehr 
sehen. 

Ich  erhielt  die  traurige  Nachricht 
in  einem  Beileidsbrief  von  Präsident 
John  Henry  Smith  aus  Liverpool.  Er 
hatte  es  in  den  „Deseret  News"  ge- 
lesen. Etwas  später  kam  ein  Brief 
von  meinem  Schwiegervater  aus 
Provo,  worin  er  die  Nachricht  be- 
stätigte. Die  traurigen  Begleitum- 
stände —  die  Krankheit  meiner 
Frau,  der  Tod  ihrer  Mutter,  die  so 
grausam  zerstörte  Hoffnung,  daß  die 
Geburt  des  Kindes  ein  dauerhafter 
Trost  für  ihre  bekümmerte  Seele  sein 
würde  —  dies  alles  vertiefte  noch 
den  Schmerz. 

Ich  faßte  mich,  so  gut  ich  eben 
konnte,  und  schrieb  meiner  verzwei- 
felten Frau  einen  liebevollen  Brief. 
Ich  schloß  mit  den  Worten : 

„Ich  warte  begierig  darauf,  von  Dir 
zu  hören,  mein  Schatz,  und  fürchte 
mich  doch  gleichzeitig  davor,  daß 
der  nächste  Brief  noch  mehr 
schlechte  Nachrichten  enthält. 
Möge  Gott  Dich  trösten;  denn  Du 
brauchst  jetzt  Trost. 

Präsident  Smith  hat  mich  als 
erster  informiert.  Er  hat  mir  jedoch 
nicht  mitgeteilt,  welches  Kind  es 
ist;  und  so  blieb  ich  etliche  Stunden 
im  Ungewissen,  obwohl  ich  die 
ganze  Zeit  über  das  sichere  Gefühl 
hatte,  daß  es  das  Baby  sein  mußte; 
denn  Du  hattest  mir  ja  von  seiner 
schweren  Krankheit  geschrieben. 

Der  Präsident  hat  mir  angeboten, 
mich  zu  entlassen.  Er  sagt,  ich 
könne  mit  seinem  Segen  gehen.  Ich 
glaube,  ich  sollte  dieses  Angebot 
annehmen;  denn  er  ist  der  Beauf- 
tragte des  Herrn  in  diesem  Land. 
Was  meinst  Du  dazu?  Es  ist  zu  spät, 
mit  der  Gruppe  zu  reisen,  die  im  Mai 
aufbricht,  aber  ich  könnte  im  Juni 
fahren.  Wenn  Du  damit  einverstan- 
den bist  und  der  Herr  nichts  anderes 
gebietet,  werde  ich  kommen." 


373 


Und  wäre  es  ein  See  aus  loderndem 
Feuer 

Zu  meinem  neu  gewonnenen  Be- 
kanntenkreis in  Cleveland,  Ohio 
zählte  auch  eine  höchst  achtbare 
Dame,  die  Witwe  eines  Offiziers  der 
Union,  der  im  Bürgerkrieg  ge- 
fallen war.  Sie  liebte  ihren  verstor- 
benen Gatten,  pflegte  liebevoll  sein 
Andenken  und  brachte  wiederholt 
ihre  innige  Zuneigung  zu  ihm  zum 
Ausdruck.  Als  ich  ihr  die  Lehre  von 
der  Erlösung  der  Verstorbenen  und 
der  ewigen  Ehe  erläuterte  und  ihr 
sagte,  dies  sei  einer  der  Gründe, 
weshalb  die  Heiligen  der  Letzten 
Tage  Tempel  bauen  und  darin  ar- 
beiten, zeigte  sie  großes  Interesse 
und  stellte  mirdie  folgende  Frage: 

„Wollen  Sie  damit  sagen,  daß  ich 
diese  Arbeit  für  meinen  lieben  Mann 
tun  lassen  und  in  einer  anderen  Welt 
seine  Frau  sein  kann,  wenn  ich  eine 
Heilige  der  Letzten  Tage  werde?" 

,,Ja,"  entgegnete  ich  ihr. 

Darauf  sagte  sie:  „Ich  habe  noch 
nie  etwas  so  Schönes  und  Erheben- 
des gehört.  Überzeugen  Sie  mich 
davon,  und  ich  werde  mich  taufen 
lassen,  selbst  wenn  es  in  einem  See 
aus  loderndem  Feuer  wäre." 

Ich  antwortete  ihr:  „Ich  kann  Sie 
nicht  davon  überzeugen,  aber  der 
Herr  kann  es  und  wird  es,  wenn  Sie 
ihn  darum  bitten." 

Sie  sagte,  sie  würde  es  tun  — 
und  zweifelsohne  hat  sie  es  auch 
getan;  denn  nicht  lange  danach  er- 
hielt ich  einen  Brief  von  ihr,  in  dem 
sie  mitteilte,  daß  sie  das  gewünschte 
Zeugnis  erlangt  habe  und  bereit  sei, 
sich  taufen  zu  lassen. 

Ich  antwortete  ihr  umgehend  und 
schrieb,  daß  ich  mit  einigen  anderen 
zu  einer  bestimmten  Zeit  an  einer 
bestimmten  Stelle  am  Eriesee  sein 
würde,  um  sie  dort  zu  taufen.  Wir 
wollten  gerade  aufbrechen,  als  ein 
zweiter  Brief  von  ihr  eintraf,  der 
folgendermaßen  lautete:  „Ich  weiß 
erst  jetzt,  wie  armselig  und  schwach 
ich  bin.  Ich  dachte,  ich  wäre  stark 
genug,  diesen  Schritt  zu  tun,  aber 
ich  bin  es  nicht.  Wenn  ich  eine 
, Mormonin'  werde,  wenden  sich  all 
meine  Freunde  von  mir  ab.  Ich  ver- 


liere meine  gesellschaftliche  Stel- 
lung und  mein  Name  wird  geächtet. 
Ich  kann  dieses  Opfer  nicht  bringen. 
Dennoch  glaube  ich,  daß  die  Lehre 
wahr  ist  und  daß  Sie  ein  wahrer 
Diener  Gottes  sind.  Ich  hoffe,  es 
kommt  die  Zeit,  wo  ich  auf  gleicher 
Ebene  mit  Ihnen  stehen  kann  und  wo 
wir  Bruder  und  Schwester  in  der 
Kirche  Christi  sind.  Jetzt  ist  es  mir 
nicht  möglich." 

Ich  las  diesen  Brief  mit  einem  Ge- 
fühl der  Trauer  und  des  Bedauerns. 
Wie  sehr  gleicht  sie  doch  dem  unge- 
stümen Apostel  Petrus,  dachte  ich, 
der  zu  dem  Heiland  sagte:  „Wenn 
ich   auch    mit    dir   sterben    müßte, 


wollte  ich  dich  nicht  verleugnen." 
Doch  er  leugnete  dreimal,  daß  er  den 
Herrn  kannte,  dem  er  Treue  ge- 
schworen hatte.  Und  diese  gute  Frau 
—  denn  sie  war  eine  gute  Frau,  ein 
Kind  Israel,  warum  wohl  hätte  sie 
sonst  geglaubt?  —  diese  Frau 
glaubte,  daß  sie  bereit  sei,  sich  in 
einem  „See  aus  loderndem  Feuer" 
taufen  zu  lassen.  Doch  als  es  darauf 
ankam,  versagte  sie.  Wir  wollen 
hoffen,  daß  sie  sich  besinnt  und 
ihren  Entschluß  ändert  —  wie  der 
reumütige  Petrus,  der  sein  Versagen 
auf  so  edle  Weise  wiedergutgemacht 
hat. 

O 


Auf  dem  Teufelstein 
Ausflug  der  HLT-Seminarteilnehmer  der  Gemeinde 
Mannheim-Ludwigshafen 

Die  Sonne  strahlte  nur  so  aus  dem  Blau  des  Himmels,  als  sich  die  HLT- 
Seminargruppe  der  Gemeinde  Mannheim-Ludwigshafen  Ende  Juni  früh 
morgens  am  Bahnhof  traf.  Der  Kursus  „Neues  Testament"  war  beendet 
und  15  Jugendliche  und  zwei  Erwachsene  waren  zum  abschließenden 
Tagesausflug  gekommen.  Alle  waren  begeistert  und  freuten  sich  auf  die 
Wanderung.  Zunächst  ging  es  mit  der  Bahn  nach  Bad  Dürkheim  und 
von  dort  mit  der  Gondelbahn  direkt  in  den  Pfälzer  Wald.  Auf  der  Rund- 
wanderung begutachtete  man  die  historische  Heidenmauer  und  be- 
wunderte den  Brunhildstuhl.  Zu  Mittag  wurde  auf  dem  Teufelstein  ge- 
gessen, was  noch  im  Rucksack  war.  Spiele  lockerten  die  Wanderung 
auf  und  als  man  am  Spätnachmittag  die  heißgelaufenen  Füße  in  einen 
kühlen  See  tauchen  konnte,  war  man  rundum  zufrieden  —  und  müde. 


374 


k\e\mC~%  1 


KINDERBEILAGE  FÜR  SEPTEMBER  1974 


Freunde  in  Norwegen 


Normannische  Seefahrer  (Wi- 
kinger) befuhren  schon  um  800  n. 
Chr.  von  den  blauen  Wassern 
der  tiefen  Fjorde  Norwegens 
aus  auf  ihren  Segelschiffen  das 
Meer.  Heute  segeln  norwegi- 
sche Fischer  auf  denselben  Ge- 
wässern; und  ihre  jährlichen 
Fischfänge  gehören  zu  den 
größten  in  der  Welt. 

Im  fernen  Norden,  im  Land  der 
Mitternachtssonne,  herrscht  von 
Mai  bis  Juli  fast  ständig  Tages- 
licht. Im  äußersten  Süden  Norwe- 
gens ist  es  während  dieser  Mona- 
te lange  Dämmerung,  und  es 
kommt  gar  keine  richtige  Dun- 
kelheit auf.  Im  Winter  ist  es  je- 
doch nurfürein  paar  Stunden  um 
die  Mittagszeit  hell. 

Dieses  Land  der  ehemaligen 
Wikinger  ist  langgestreckt, 
gebirgig  und  schön.  Es  reicht  von 
der  verhältnismäßig  warmen 
Nordsee  im  Süden  bis  zum  nörd- 
lichen Polarkreis. 

Wegen  der  langen  Winter  und 
dem  wunderbaren  Schnee  treibt 
fast  jeder  gern  Sport  im  Freien. 
Mit  dem  Skilauf,  dem  National- 
sport, wurde  vor  mehreren  Jahr- 
hunderten begonnen.  Heute  gibt 
es  in  fast  jeder  Stadt  eine  Sprung- 
schanze. Viele  Menschen 
machen  mit  Skiern  Ausflüge 
übers  Land. 

Ein  anderer  beliebter  Winter- 
sport ist  das  Schlittschuhlaufen. 
Elf  Mann  starke  Mannschaften 
spielen  eine  Art  Eishockey,  das 
man  Bandy  nennt. 

Fußball  ist  ein  Lieblingssport 
im  Sommer.  Entlang  der  Küsten 


wird  gern  gesegelt;  und  die 
vielen  Seen  und  Flüsse  locken 
die  Fischer  an.  In  manchen 
Städten  gibt  es  Ruderklubs. 

Bei  den  Kindern  gibt  es  ein 
Spiel,  das  „Schneide  den  Hafer" 
genannt  wird.  An  diesem  Spiel 
nimmt  eine  ungerade  Zahl  von 
Kindern  teil.  Die  Kinder  fassen 
sich  bei  der  Hand  und  bilden 
einen  Kreis.  Eins  steht  in  der 
Mitte,  während  die  andern  rund- 
herum hüpfen  und  dabei  ein  Lied 
singen.  Der  letzte  Satz  des  Liedes 
heißt:  ,,Du  nimm  deins,  und  ich 
nehm'  meins".  Der  Kreis  wird 
aufgelöst,  und  jedes  Kind,  auch 
das  in  der  Mitte,  sucht  sich  einen 
Partner.  Das  Kind,  das  keinen 
Partner  gefunden  hat,  geht  in 
die  Mitte  des  Kreises,  und  das 
Spiel  beginnt  von  neuem. 

Der  Komponist  Edward  Grieg 
(1843  -  1907),  der  Bühnenschrift- 
steller Henrik  Ibsen  (1828  -  1906) 
und  der  Forscher  Roald  Amund- 
sen  (1872  -  1928)  wurden  alle  in 
Norwegen  geboren.  Thor  Heyer- 
dahl,  der  zusammen  mit  fünf 
andern  mit  dem  Floß  Kon-Tiki 
etwa  7.000  Kilometer  über  den 
Südpazifik  fuhr,  wurde  auch  in 
diesem  Land  geboren.  Seine 
Reise  auf  diesem  Floß  bewies  die 
Möglichkeit,  daß  die  polynesi- 
schen  Inseln  von  Menschen  be- 
siedelt sein  könnten,  die  vor 
vielen  Jahren  von  Peru  losge- 
segelt waren. 

Oslo,  die  Hauptstadt  von  Nor- 
wegen, befindet  sich  im  südöst- 
lichen Tiefland.  In  dieser  Gegend 
gibt  es  viele  Flüsse,  auf  denen 

(3® 65  Q* 


Nutzholz  zu  den  Sägewerken 
transportiert  werden  kann  und 
die  auch  Wasserkraftwerke  be- 
treiben. 

Trondheim,  eine  998  n.  Chr. 
gegründete  Stadt,  war  einst  die 
Hauptstadt  von  Norwegen. 
Trondheim  liegt  im  Zentral- 
Trondheim-Tiefland  wo  es 
mehrere  weite,  flache  Täler  gibt. 
Heute  ist  die  Stadt  ein  bedeuten- 
der Mittelpunkt  für  Industrie  und 
Handel.  Dort  gibt  es  auch  viele 
landwirtschaftlich  genutzte 

Flächen. 

Der  Dichter  Simon  W.  Wolff 
(1796  -  1859)  hat  geschrieben: 
„Herrlich  ist  mein  Heimatland, 
das  alte  klippenumgrenzte  Nor- 
wegen, das  Sommertal  und  die 
Winterfeste.  Selbst  wenn  der 
Erdball  geschüttelt  würde, 
könnte  der  Sturm  seine  Berge 
nicht  umstürzen."  Q 


Sin  3unge  und  ein  Vogel 


GRACEM.  PRATT 


Photos  von  Eldon  Linschoten 


Der  Zeitungsjunge  wich  schnell 
mit  seinem  Fahrrad  aus,  um 
nicht  einen  auf  der  Straße  sitzen- 
den Vogel  umzufahren. 

,, Hallo,  Vogel",  sagte  er,  als 
er  über  die  Schulter  schaute 
und  ihn  noch  immer  da  sitzen 
sah,  ,,das  ist  kein  Platz  zum 
Schlafen!" 

Als  der  Junge  etwas  später 
mit  seinen  leeren  Zeitungs- 
taschen zurückkam,  verlang- 
samte er  sein  Tempo,  um  zu 
sehen,  ob  sich  der  Vogel  noch 
immer  in  der  Gegend  aufhielt. 
Erstaunt  hielt  er  an,  als  er  den 
Vogel  genau  auf  derselben 
Stelle  wiedersah. 

Der  Junge  schaute  den  Vogel 
verdutzt  an.  Der  Vogel  starrte  mit 
runden  glänzenden  Augen  zu 
dem  Jungen  auf,  rührte  sich  aber 
nicht. 

„Hallo,  Vogel",  sagte  der 
Junge  wieder,  ,, fehlt  dir  etwas?" 

Er  stellte  sein  Fahrrad  ab  und 
ging  näher  —  einen  Schritt 
nach  dem  andern.  Plötzlich  be- 
wegte sich  der  Vogel,  hüpfte  aber 
nur  ins  hohe  Gras  hinüber. 

Der  Junge  ging  ein  paar 
Schritte  näher  und  bückte  sich. 


„Was  fehlt  dir?"  fragte  er.  „Die 
andern  Vögel  wachen  auf  und 
gehen  auf  Futtersuche,  und  du 
sitzt  hier  einfach  auf  dem  Boden 
herum." 

Während  der  Junge  sprach, 
ging  er  langsam  näher  und  streck- 
te seine  Hand  aus.  Der  kleine 
Vogel  flog  erschreckt  auf,  kam 
aber  nur  so  hoch,  wie  der  Junge 
groß  war  und  fiel  dann  wieder 
auf  die  Erde  zurück. 

Jetzt  war  es  leicht  für  den  Jun- 
gen, seine  Hand  über  den  Vogel 
zu  legen  und  ihn  aufzunehmen. 

Wütend  biß  der  Vogel  ihn 
tüchtig  in  die  Hand. 

„Au!"  rief  der  Junge.  Er  riß  die 
Hand  hoch,  als  wollte  er  den 
Vogel  abwerfen,  nahm  sich  aber 
dann  zusammen,  verbiß  den 
Schmerz  und  sagte  leise:  „Keine 
Angst,  Kleiner,  keine  Angst!"  bis 
der  Vogel  sich  beruhigte  und  ihn 
losließ. 

„Fühlst  du  dich  nicht  wohl?" 
fragte  der  Junge,  als  er  sich  den 
kleinen  Körper  beschaute.  „Kein 
Blut  an  den  Federn;  so  war  es 
nicht  eine  Katze  oder  eine  Flinte, 
nicht?" 


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66 


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Er  streichelte  den  kleinen  Kopf 
eine  Weile,  um  den  Vogel  zu  be- 
ruhigen und  sagte:  „Ich  werde 
mir  jetzt  deine  Flügel  und  Beine 
ansehen.  Ich  werde  wirklich  vor- 
sichtig sein." 

Zart  öffnete  er  jeden  Flügel 
und  streckte  jedes  zierliche  Bein 
aus;  dann  faltete  er  sie  wieder 
sorgfältig  zurück,  während 
dessen  er  leise  sprach. 

Der  kleine  Vogel  wehrte  sich 
jetzt  nicht  mehr.  Vielleicht  war 
er  zu  schwach.  Oder  vielleicht 
vertraute  er  dem  Jungen. 

,,lch  bin  fast  traurig,  daß  es 
kein  gebrochenes  Bein  ist",  sagte 
der  Junge  schließlich.  ,,Bei  so 
winzigen  Kreaturen  wie  dir  ist 
es  leichter,  außen  etwas  zu 
flicken  als  innen." 

Er  untersuchte  den  kleinen 
Vogel  sorgfältig  —  oben,  unten, 
von  der  Schnabelspitze  bis  zur 
Schwanzspitze  —  und  fand 
nichts  versehrt.  Dann  fuhr  er  mit 
einem  Finger  am  Hals  des 
Vogels  entlang,  vom  Schnabel 
bis  zum  Bauch. 

,,Oh!"  rief  er  beunruhigt  aus, 
,,dein  Kropf  ist  leer.  Du  hast 
ziemlich  lange  kein  Futter  mehr 
aufgenommen.  Wie  kommt's?" 
Er  schaute  traurig  auf  den  kleinen 
Vogel  und  schüttelte  den  Kopf. 
,,lch  fürchte,  es  ist  ernst,  kleiner 
Kerl." 


Sie  schauten  einander  an,  der 
Junge  und  der  Vogel,  und  irgend- 
wie begegneten  sie  sich,  von 
Auge  zu  Auge  und  von  Herz  zu 
Herz.  Der  kleine  Vogel  lag  mit 
ruhig  starrenden  Augen  in  des 
Jungen  Hand,  beruhigt  durch 
seinen  zarten  Griff  und  seine 
freundliche  Stimme.  Dann  kamen 
ein  paar  schaumige  Blasen  aus 
einer  Ecke  des  Vogelschnabels, 
und  der  Junge  stöhnte  leise. 

,,Oh,  oh,  du  hast  etwas  Gift 
aufgepickt!  Und  es  brennt  in- 
wendig wie  Feuer,  ist  es  so?  Das- 
selbe war  mit  Major,  als  er ..." 

Der  Junge  hielt  inne.  Er  schloß 
die  Augen  fest  und  unterdrückte 
die  Tränen.  Dann  schaute  er 
wieder  den  kleinen  Vogel  an  und 
fuhr  fort:  „Vielleicht  wirst  du 
Major  treffen.  Er  ist  ein  hübscher 
Hund.  Er  ist  mittelgroß  und  ganz 
braun.  Major  ist  gut  zu  Vögeln. 
Er   wird    dir    ein    guter    Freund 

Der  Junge  setzte  sich  hin,  und 
zusammen  warteten  sie.  Der 
Junge  strich  mit  den  Fingern 
über  die  weichen  Federn  und 
flüsterte  zärtliche  Worte,  um  den 
Vogel  zu  trösten. 

Hin  und  wieder  schloß  der 
kleine  Vogel  seine  runden  Augen, 
um  zu  ruhen  und  öffnete  sie 
dann  schnell  wieder,  um  weiter 
den  Jungen  anzusehen.  Der 
Vogel   hatte  keine  Angst   mehr. 


Es  war  so,  als  ob  der  Vogel  und 
der  Junge  Dinge  zueinander 
sagten,  die  sie  beide  verstan- 
den. 

Nicht  lange  danach  zitterte  der 
kleine  Körper  des  Vogels,  und 
er  schenkte  dem  Jungen  noch 
einen  Blick,  als  ob  er  sagen 
wollte:  ,,Es  ist  alles  gut  jetzt. 
Lebewohl,  mein  Freund!" 

Dann  schloß  der  Vogel  seine 
Augen  und  schlief  in  der  Hand 
des  Jungen  ein.  Der  unfreund- 
liche dunkle  Himmel  wandelte 
sich  in  strahlendes  Tageslicht, 
als  das  Leben  sich  still  von  dem 
Vogel  löste. 

„Lebe  wohl,  kleiner  Kerl", 
flüsterte  der  Junge  und  hielt  die 
weichen,  warmen  Federn  gegen 
seine  Wange.  „Es  tut  mir  leid, 
daß  es  so  schlimm  war,  daß  du 
gehen  mußtest."  Und  er  wischte 
sich  eine  Träne  fort,  und  sie 
fiel  auf  den  winzigen  Kopf  des 
Vogels. 

Der  Junge  fand  ein  kurzes 
Stück  Holz  und  grub  damit  nahe 
bei  einem  Baum  unauffällig  ein 
Loch,  das  er  mit  weichem  Gras 
auslegte.  Dann  bettete  er  den 
kleinen  Vogel  hinein  und  be- 
deckte ihn  mit  frischen  grünen 
Blättern  und  Erde.  Darin  steckte 
er  kleine  Blumen. 

Und  während  all  dieser  Arbeit 
summte  der  Junge  einen  Lebe- 
wohlgesang für  den  kleinen 
Vogel : 


Lebe  wohl  für  'ne  Weile,  kleiner 
Freund,  lebe  wohl!  Du  kannst 
deine  Flügel  jetzt  wieder  ent- 
falten voll.  Eines  Tages  —  ich 
weiß  nicht  wann  —  komme 
auch  ich.  Und  wir  werden  Schö- 
nes miteinander  verleben:  du 
und  Major  und  ich. 


Punkterätsel 

CAROL CONNER 


Das  macht  Spaß 


Bei  welchem  Wüstenvogel  in 
Mexiko  und  den  USA  leitet  sich  der 
Name  aus  einem  Teil  seiner  Lebens- 
weise ab1?  Zeichne  sein  Bild,  indem 
du  die  Punkte  1  bis  33  verbindest. 

1)Correcamino  oder  Straßenläufer. 


Versuche  auf  der  Steppdecke  acht 
Stellen  zu  finden,  die  mit  dem 
Schlafanzug  von  Barney  und  Bertie 
übereinstimmen. 


ANN  STACEY 


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ii. 


Punkterätsel 

CAROL CONNER 

Ziehe  von  1  bis  31  eine  Linie,  und  du  wirst  das  Bild  von 
einem  Tier  vor  dir  haben,   das    in   Australien    lebt. 
Was  ist  es? 


69 


Mache    einen    Scherz    mit    deinen   Freunden 

Deine  Freunde  werden  denken,  du  bist  nicht  ganz  klar 
im  Kopf.  Warum?  Weil  du  sagst,  daß  du  deinen  Kopf 
durch  ein  Loch  in  diesem  nur  10  cm  großen  Quadrat 
aus  Papier  stecken  kannst. 

Hierhast  du  die  Lösung:  Schneide  das   Quadrat    aus. 
Dann    schneide  sorgfältig  die  weißen  Linien  auf. 


Von  Freund 
zu  Freund 


Tragödie  oder  Schicksal  ? 

SPENCER  W.  KIMBALL 
Präsident  der  Kirche 

Wir  wußten,  bevor  wir  geboren  wurden,  daß  wir 
zur  Erde  kommen  sollten,  um  einen  Körper  zu 
empfangen  und  Erfahrungen  zu  sammeln  und  daß 
wir  Freuden  und  Sorgen,  Wohlbehagen  und 
Schmerzen,  Angenehmes  und  Mühsale,  Gesund- 
heit und  Krankheit,  Erfolge  und  Enttäuschun- 
gen erleben  würden.  Wir  wußten  auch,  daß  wir 
nach  einer  Zeit  sterben  würden.  Freudigen  Her- 
zens stimmten  wir  eifrig  zu,  daß  wir  zur  Erde 
kommen  sollen,  selbst  wenn  es  nur  für  einen  Tag 
oder  ein  Jahr  sein  sollte.  Wir  waren  willens, 
das  Leben  so  zu  nehmen,  wie  es  kommen  würde  — 
ohne  Murren,  Klagen  oder  unvernünftige  Wünsche. 

Gott  überwacht  unser  Leben  und  führt  und 
segnet  uns;  aber  er  gibt  uns  Entscheidungsfrei- 
heit. Wir  können  unser  Leben  gemäß  seinem,  für 
uns  bestimmten  Plan  führen,  oder  wir  können 
töricht  sein  und  unser  Leben  verkürzen  oder  been- 
den. 

Ich  glaube  daran,  daß  einem  eine  Zeit  zum  Ster- 
ben bestimmt  ist;  aber  ich  glaube  auch,  daß  viele 
Menschen  vor  ihrer  Zeit  sterben,  weil  sie  leicht- 
sinnig sind,  ihren  Körper  mißbrauchen,  unnötige 
Risiken  auf  sich  nehmen  oder  sich  Gefahren,  Wag- 
nissen und  Krankheiten  aussetzen. 

Der  Herr  heilt  nicht  immer  die  Kranken.  Er  be- 
freit nicht  immer  von  Leid  und  Elend.  Dies  mag 
Teil    eines    zweckmäßigen    Plans    sein.    Leiden 


70 


:: : 


MMMP 


können  aus  Menschen  Heilige  machen,  wenn  sie 
Geduld,  Langmut  und  Selbstbeherrschung  lernen. 

Das  Evangelium  lehrt  uns,  daß  im  Tod  nichts 
Tragisches  liegt,  sondern  nur  in  der  Sünde.  Jeder 
muß  sterben.  Der  Tod  ist  ein  wichtiger  Teil  des 
Lebens.  Durch  den  Tod  mag  sich  eine  Tür  zu  Mög- 
lichkeiten öffnen.  Natürlich  sind  wir  niemals  völlig 
zum  Hinübergehen  bereit.  Nicht  wissend,  wann  es 
kommen  soll,  kämpfen  wir  um  die  Erhaltung 
unseres  Lebens.  Wir  sollten  uns  aber  nicht  vor  dem 
Tod  fürchten. 

Die  Leiden  des  Heilands  waren  Teil  seiner  Er- 
ziehung. Mein  Herz  ist  von  dem  Wissen,  wie  wich- 
tig sein  Tod,  seine  Auferstehung  und  sein  Sühn- 
opfer sind,  so  bewegt,  daß  ich  vor  Freude  weinen 
möchte. 

Angesichts  scheinbarer  Tragödien  müssen  wir 
unser  Vertrauen  auf  Gott  setzen,  wissend,  daß 
trotz  unserer  begrenzten  Sicht  seine  Absichten 
nicht  vereitelt  werden  können,  sondern  nur 
unsere  Sicht  begrenzt  ist.  Das  Leben  mit  all  seinen 
Schwierigkeiten  bietet  uns  die  überaus  große  Ver- 
günstigung, unsere  Kenntnisse  zu  erweitern,  an 
Weisheit  zuzunehmen,  den  Glauben  zu  vermehren 
und  zu  vervollkommnen,  wenn  wir  uns  darauf  vor- 
bereiten, zu  Gott  zurückzukehren  und  an  seiner 
Herrlichkeit  teilzuhaben. 

O 


Verstecktes  Tier 

WALT  TRAG 

Male  jede  Spalte  an,  die  einen 
Punkt  enthält,  und  du  wirst  heraus- 
finden, was  für  ein  Tier  in  diesem 
Bild  versteckt  ist. 


Baumwolle 


Woher  kommt  es? 

Jedesmal  wenn  du  zu  einer  Gabelung  auf 
dem  Weg   kommst,   wirst  du  ein  Wort  sehen. 
Schaue  dir  dann  jeden  neuen  Weg  und  sein 
Wort  an.  Wähle  das  Wort, 
das  angibt,  woher  das 
vorhin   Genannte  stammt, 
und  du  wirst  den  Topf  mit 
Gold  erreichen. 


Beginn 


J.  M.  SUICA 


Topf  mit  Gold 


©     ^51 


Die   Antworten   sollen    Hilfe    und  Ausblick    gewähren    und    sind    als 
persönliche  Meinungsäußerung  des  Schreibenden  zu  betrachten. 


Ich  würde  sagen,  daß  der  Abfall 
vom  Glauben  für  die  Erlösung  des 
Menschen  nicht  notwendig  gewesen 
ist;  denn  wäre  die  vom  Heiland  und 
seinen  Aposteln  gegründete  Kirche 
auf  der  Erde  verblieben,  wäre  die 
rechtmäßige  Vollmacht  vom  Herrn 
vorhanden  gewesen,  die  erlösenden 
Handlungen  des  Evangeliums  zu 
vollziehen,  daher  wäre  keine  Wieder- 
herstellung erforderlich  gewesen. 

Da  jedoch  ein  Abfall  vom  Glauben 
stattgefunden  hat  und  kein  Priester- 
tum  und  keine  göttliche  Vollmacht 
mehr  auf  der  Erde  waren,  um  die  er- 
lösenden heiligen  Handlungen  des 
Evangeliums  zu  vollziehen,  war  die 
Wiederherstellung  die  einzige  Mög- 
lichkeit, diese  Vollmacht  wieder  zur 
Erde  zu  bringen. 

Die  Tatsache,  daß  ein  Abfall  vom 
Glauben  stattgefunden  hat,  besagt 
jedoch  nicht,  daß  es  auf  der  Erde 
keine  Kirchen  mehr  gegeben  hat.  Es 
bedeutet  nur,  daß  keine  der  Kirchen 
göttliche  Vollmacht  besessen  hat 
und  daß  folglich  niemand  bevoll- 
mächtigt gewesen  ist,  irgendeine 
der  erlösenden  heiligen  Handlungen 
des  Evangeliums  zu  vollziehen. 


„Sind  der  Abfall  von  der 
wahren  Kirche  und  die 
darauf  folgende  Wieder- 
herstellung für  die 
Erlösung  des  Menschen 
notwendig  gewesen?" 

Die  heilige  Schrift  ist  voll  von 
Hinweisen  darauf,  daß  es  einen 
Abfall  von  der  Urkirche  geben  würde, 
die  Jesus  gegründet  hat.  Als 
Johannes  der  Offenbarer  auf  der 
Insel  Patmos  in  der  Verbannung 
lebte,  sprach  der  Engel  des  Herrn 
zu  ihm:  „Steig  herauf,  ich  will  dir 
zeigen,  was  nach  diesem  geschehen 
soll1."  Der  Engel  zeigte  ihm  die 
Macht,  die  Satan  gegeben  werden 
sollte,  um  gegen  die  Heiligen  zu 
streiten  (und  mit  den  Heiligen  waren 
die  Mitglieder  der  Kirche  Christi  ge- 
meint) und  sie  zu  überwinden  und 
über  alle  Nationen,  Geschlechter, 
Sprachen  und  Völker  zu  herrschen2. 
Dies  bedeutet  doch  offensichtlich, 
daß  die  vom  Heiland  gegründete 
Kirche  gänzlich  überwunden  wurde, 
und  folglich  hat  es  einen  Abfall  vom 
Glauben  gegeben. 

Dann  zeigte  ihm  der  Engel  einen 
anderen  Engel,  der  mitten  durch  den 
Himmel  flog  und  ,,ein  ewiges  Evan- 
gelium zu  verkündigen  (hatte)  denen, 
die  auf  Erden  wohnen,  und  allen 
Nationen  und  Geschlechtern  und 
Sprachen  und  Völkern3".  Demnach 
war  also  das  ewige  Evangelium  das 


einzige,  das  die  Menschen  erlösen 
konnte.  Johannes  fügt  noch  hinzu: 
,,...  und  sprach  mit  großer  Stimme: 
Fürchtet  Gott  und  gebet  ihm  die 
Ehre;  denn  die  Stunde  seines  Ge- 
richts ist  gekommen!  Und  betet  den 
an,  der  gemacht  hat  Himmel  und 
Erde  und  Meer  und  die  Wasser- 
brunnen4." 

Jene  herrliche  Vision,  die  Joseph 
Smith  empfangen  hat,  ist  ein  wei- 
terer Beweis  für  den  Abfall  vom 
Glauben;  denn  sie  hat  gezeigt,  daß 
der  Vater  und  der  Sohn  zwei  getrenn- 
te verherrlichte  Wesen  sind,  während 
die  gesamte  Christenheit  einen  Gott 
ohne  Leib,  ohne  Glieder  und  ohne 
Regungen  angebetet  hat.  Das  heißt: 
Ihr  Gott  konnte  nicht  sehen,  denn 
er  hatte  keine  Augen;  er  konnte 
nicht  hören,  denn  er  hatte  keine 
Ohren;  er  konnte  nicht  sprechen, 
denn  er  hatte  keinen  Mund.  Sie  folg- 
ten also  Menschenlehren  und  nicht 
den  ewigen  Evangeliumswahr- 
heiten. 

Mose  wußte,  daß  dieser  Zustand 
eintreten  würde;  denn  als  er  die 
Kinder  Israel  in  das  gelobte  Land  zu 
führen  gedachte,  sagteer  ihnen,  daß 
sie  dort  nicht  lange  bleiben,  sondern 
in  alle  Nationen  zerstreut  würden5. 
Und  er  sagte  zu  ihnen:  ,,Dort  wirst 
du  dienen  den  Götzen,  die  das  Werk 
von  Menschenhänden  sind,  Holz 
und  Stein,  die  weder  sehen  noch 
hören  noch  essen  noch  riechen 
können6."  Und  ebendiese  Art  Gott 
hat  die  Christenheit  angebetet,  als 
Joseph  Smith  seine  glorreiche 
Vision  hatte. 

Mose  ließ  es  aber  nicht  damit 
bewenden.  Er  wies  darauf  hin,  daß 
Israel  ihn  (Gott)  gewißlich  finden 
werde,  wenn  es  ihn  in  den  Letzten 
Tagen  suche7  (und  er  erwähnt  hier 
ausdrücklich  die  Letzten  Tage). 
Der  Prophet  Joseph  Smith  hat  ihn 
(Gott)  gesucht  und  deshalb  Kenntnis 
von  dem  wahren  und  lebendigen 
Gott  erlangt,  von  dem  der  Engel 
sagt:  ,,...  der  gemacht  hat  Himmel 
und  Erde  und  Meer  und  die  Wasser- 
brunnen ." 

Als  die  Apostel  den  Heiland  nach 
den  Zeichen  seines  Zweiten   Kom- 


375 


mens  und  des  Weltendes  fragten, 
sprach  er  zu  ihnen  von  den  Kriegen, 
Pestilenzen  und  Erdbeben,  die 
kommen  werden  und  sagte:  „Und 
es  wird  gepredigt  werden  dies 
Evangelium  vom  Reich  in  der  ganzen 
Welt  zum  Zeugnis  für  alle  Völker, 
und  dann  wird  das  Ende  kommen9." 
Er  meinte  damit  offensichtlich  das 
Evangelium,  das  er  und  seine  Jünger 
verkündet  hatten. 

In  Jesaja  29,  Vers  1 3  und  1 4  finden 
wir  einen  weiteren  Hinweis  darauf, 
daß  es  eine  vollkommene  Wiederher- 
stellung geben  sollte: 

„Und  der  Herr  sprach:  Weil  dies 
Volk  mir  naht  mit  seinem  Munde  und 
mit  seinen  Lippen  mich  ehrt,  aber 
ihr  Herz  fern  von  mir  ist  und  sie 
mich  fürchten  nur  nach  Menschen- 
geboten, die  man  sie  lehrt,  darum 
will  ich  auch  hinfort  mit  diesem  Volk 
wunderlich  umgehen,  aufs  wunder- 
lichste und  seltsamste,  daß  die 
Weisheit  seiner  Weisen  vergehe  und 
der  Verstand  seiner  Klugen  sich  ver- 
bergen müsse." 

Nun  versteht  es  sich  von  selbst, 
daß  der  Herr  kein  wunderbares 
und  seltsames  Werk  unter  den  Men- 
schenkindern zu  vollbringen  brauch- 
te, wenn  sein  Evangelium  auf  der 
Erde  verblieben  wäre.  Doch  er  gibt 
zu  verstehen,  daß  der  Grund  für 
dieses  wunderbare  und  seltsame 
Werk  darin  zu  suchen  ist,  daß  sie 
Menschengebote  lehren.  Und  eben- 
dies  findet  man  heutzutage  in  allen 
sogenannten  christlichen  Kirchen, 
und  es  beweist,  daß  die  Wiederher- 
stellung notwendig  gewesen  ist. 

Am  Tag  nach  Pfingsten  sagte 
Petrus  zu  denen,  die  Christus  dem 
Tode  überantwortet  hatten : 

„So  tut  nun  Buße  und  bekehret 
euch,  daß  eure  Sünden  getilgt  wer- 
den, auf  daß  da  komme  die  Zeit  der 
Erquickung  von  dem  Angesicht  des 
Herrn  und  er  sende  den,  der  euch 
zuvor  zum  Christus  bestimmt  ist, 
Jesus. 

Ihn  muß  der  Himmel  aufnehmen 
bis  auf  die  Zeit,  da  alles  wiederge- 
bracht wird,  wovon  Gott  geredet  hat 
durch  den  Mund  seiner  heiligen 
Propheten  von  Anbeginn  1C!" 


Wir  sind  die  einzige  Kirche  in  der 
Welt,  die  die  Wiederherstellung 
aller  Dinge  verkündet;  und  wenn 
Petrus  ein  wahrer  Prophet  gewesen 
ist,  dann  kann  —  den  vielen  Ver- 
heißungen in  der  Schrift  zufolge  — 
niemand  die  Wiederkehr  des  Hei- 
lands erwarten,  ehe  die  Wiederher- 
stellung erfolgt  ist  —  und  zwareine 
Wiederherstellung,  keine  Reforma- 
tion. Und  so  erklären  wir  aller  Welt, 


„Sollen  wir  einem 
Menschen  immer 
wieder  vergeben,  auch 
wenn  er  fortfährt, 
Böses  zu  tun,  weil  er 
darauf  baut,  daß  ihm 
erneut  vergeben  wird ?  j 

Die  Frage  an  die  Mitglieder  der 
Kirche  lautet:  Sollen  w/reinem  Men- 
schen vergeben,  der  fortfährt,  Böses 
zu  tun,  im  Vertrauen  darauf,  daß 
man  ihm  vergibt?  Der  Herr  hat  darauf 
eine  ganz  eindeutige  Antwort  ge- 
geben, und  zwar,  als  Petrus  ihn 
fragte:  „Wie  oft  muß  ich  denn 
meinem  Bruder,  der  an  mir  sündigt, 
vergeben?  Ist's  genug  siebenmal? 

Jesus  sprach  zu  ihm:  Ich  sagedir: 
nicht  siebenmal,  sondern  sieben- 
zigmal  siebenmal !" 

Wie  man  sieht,  gilt  die  Frage  des 
Petrus  denen,  die  „an  mir  sündi- 
gen". Die  anfangs  gestellte  Frage 
scheint  nun  nicht  die  zu  betreffen, 
die  an  uns  sündigen,  sondern  spricht 
ganz  allgemein  davon,  daß  jemand 
fortfährt,  Böses  zu  tun. 

Die  Buße  ist  kein  Gesetz,  mit  dem 
man  leichtfertig  umgeht.  Wehe  dem, 
der  mit  dem  Gedanken  sündigt,  daß 
er  ja  Buße  tun  kann.  Er  treibt  mit 
dem  Grundsatz  der  Erlösung  Scherz. 
Wer  Buße  tut  und  denkt,  er  könne 
später  ruhig  weiter  sündigen,  der 
tut  nicht  wirklich  Buße.  Er  unterläßt 


daß  eine  Wiederherstellung  all 
dessen  erfolgt  ist,  was  durch  den 
Mund  der  heiligen  Propheten  ge- 
sprochen wurde.  Diese  Propheten 
sind  wieder  auf  die  Erde  gekommen 
und  haben  die  Schlüsselgewalt 
und  Vollmacht  des  heiligen  Priester- 
tums  und  die  Macht  zurückgebracht, 
die  erlösenden  heiligen  Handlungen 
des  Evangeliums  zu  vollziehen. 
LeGrand  Richards  vom  Rat  der  Zwölf 


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sein  sündiges  Verhalten  nur  eine 
Zeitlang,  weil  er  hofft,  dadurch  sein 
Gewissen  zu  beruhigen.  Aufgrund 
dieser  falschen  Auffassung  von  der 
Buße  fühlt  er  sich  dann  von  dem 
Zwang  zu  aufrichtiger  Buße  befreit, 
und  er  fällt  vielleicht  in  die  alte  Sün- 
de zurück. 

Im  Buch  , Lehre  und  Bündnisse', 
Abschnitt  42,  Vers  25  heißt  es:  „Tut 
aber  (jemand)  von  ganzem  Herzen 
Buße  und  läßt  davon  ab  und  tut  es 
nicht  mehr  —  dem  sollst  du  ver- 
geben." Der  Herr  spricht  hier  zwar 
von  einer  schweren  Übertretung, 
doch  ich  meine,  daß  derselbe  Grund- 
satz in  allen  Fällen  gilt,  wo  Buße 
notwendig  ist.  Wir  müssen  von  gan- 
zem Herzen  von  der  Sünde  ablassen, 
das  allein  hält  uns  davon  ab,  wieder 
rückfällig  zu  werden. 

Ich  finde  es  bedeutsam,  daß 
das  Aaronische  Priestertum  die 
Vollmacht  des  vorbereitenden  Evan- 
geliums innehat.  „Dieses  Evange- 
lium ist  das  Evangelium  der  Buße, 
der  Taufe  und  der  Vergebung  der 
Sünden2."  Der  Bischof  hält  als  Präsi- 


376 


dent  des  Aaronischen  P  riestert  ums 
den  Schlüssel  zur  Buße.  Aus  diesem 
Grund  müssen  schwerwiegende 
Übertretungen  vor  ihm  bekannt 
werden.  Er  hat  dann  die  Macht, 
darüber  zu  richten  und  zu  entschei- 
den, ob  die  Kirche  die  Übertretung 
vergibt. 

Denkt  daran,  meine  jungen  Freun- 
de: Ihr  könnt  zu  eurem  Bischof 
gehen  und  euch  ihm  anvertrauen. 
Und  kein  Bischof  wird  jemals  etwas 
Vertrauliches  ausplaudern.  In 
einigen  wenigen  Fällen  wird  er  viel- 
leicht den  Pfahlpräsidenten  zu  Rate 
ziehen  —  oftmals  ohne  Namen  zu 
nennen.  So  ist  es  in  der  Kirche 
üblich;  und  dieses  Verfahren  sichert 
dem  bußfertigen  Sünder  inspirierten 
Rat  und  Weisung  durch  die  Voll- 
macht des  Priestertums. 

Es  wird  euch  sicher  interessieren 
zu  hören,  welchen  Rat  und  welche 
Ermahnung  Paulus  dem  Timotheus 
gegeben  hat: 

, .Fliehe  die  Lüste  der  Jugend; 
jage  aber  nach  der  Gerechtigkeit, 
dem  Glauben,  der  Liebe,  dem  Frie- 
den mit  allen,  die  den  Herrn  anrufen 
aus  reinem  Herzen. 

Aber  die  törichten  und  unnützen 
Fragen  weise  ab;  denn  du  weißt, 
daß  sie  nur  Zank  erzeugen. 

Ein  Knecht  aber  des  Herrn  soll 
nicht  zänkisch  sein,  sondern  freund- 
lich gegen  jedermann,  zum  Lehren 
geschickt,  der  Böses  ertragen  kann 
und  mit  Sanftmut  zurechtweise  die 
Widerspenstigen,  ob  ihnen  Gott 
etwa  Buße  gebe,  die  Wahrheit  zu 
erkennen, 

und  sie  wieder  nüchtern  würden 
aus  des  Teufels  Strick,  von  dem  sie 
gefangen  sind,  zu  tun  seinen  Wil- 
len3" 

Gott  mag  uns  wohl  Buße  geben, 
wenn  wir  alle  die  Charaktereigen- 
schaften aufbringen,  die  zur  Näch- 
stenliebe gehören.  Und  diese  Buß- 
fertigkeit erweckt  dann  in  uns  den- 
selben erhabenen  Wunsch,  den  das 
Volk  nach  König  Benjamins  wunder- 
barer Rede  verspürt  hat : 

,,Und  es  rief  einstimmig  und 
sagte:  Ja,  wir  glauben  allen  Worten, 
die  du  zu  uns  geredet  hast;  und  wir 


wissen  auch  mit  Bestimmtheit,  daß 
sie  wahr  sind,  weil  der  Geist  des 
allmächtigen  Herrn  eine  große  Ver- 
änderung in  unserm  Herzen  bewirkt 
hat,  so  daß  wir  keine  Neigung 
mehr  haben,  Böses  zu  tun,  sondern 
beständig  Gutes  tun  wollen4!" 

Achtet  darauf,  von  welchem  Geist 
ihre  Seele  nach  der  Buße  erfüllt  war: 
„Wir  (haben)  keine  Neigung  mehr, 
Böses  zu  tun,  sondern  (wollen)  be- 
ständig Gutes  tun."  Diese  Geistes- 
haltung wird  nur  durch  wahre 
Buße  erreicht;  doch  sie  ist  für  jeden 
erreichbar. 

In  Abschnitt  64  im  Buch  , Lehre 
und  Bündnisse'  spricht  der  Herr: 

,, Darum  sage  ich  euch:  Vergebet 
einander,  denn  wer  seinem  Bruder 
seine  Übertretungen  nicht  vergibt, 
der  steht  gerichtet  vor  dem  Herrn, 
denn  er  verbleibt  in  der  größern 
Sünde. 

Ich,  der  Herr,  werde  vergeben, 
wem  ich  vergeben  will;  von  euch 
aber  wird  verlangt,  allen  Menschen 
zu  vergeben  5." 

Wenn  wir  diesen  Rat  recht  ver- 
stehen, reift  und  vertieft  sich  unser 
Verständnis  vom  Evangelium 
In  Abschnitt  98  im  Buch  , Lehre  und 
Bündnisse'  spricht  der  Herr  aber- 
mals von  denen,  die  Böses  vergeben 
und  geduldig  ertragen : 

,,Und  nun  spreche  ich  zu  euch 
betreffs  eurer  Familien:  Wenn  die 
Menschen  euch  oder  eure  Familien 
einmal  schlagen  und  ihres  geduldig 
ertraget,  und  sie  nicht  schmähet, 
auch  nicht  Rache  sucht,  so  wird  es 
euch  belohnt  werden. 

Tragt  ihr  es  aber  nicht  geduldig, 
so  wird  es  euch  gerechnet  werden, 
als  wäre  euch  mit  einem  wohlver- 
dienten Maße  gemessen  worden. 

Schlägt  euch  euer  Feind  zum 
zweiten  Male  und  schmäht  ihr  ihn 
nicht,  sondern  ertragt  es  geduldig, 
so  wird  eure  Belohnung  hundert- 
fältig sein. 

Und  sollte  er  euch  zum  dritten 
Male  schlagen  und  ihr  es  geduldig 
ertragen,  so  wird  eure  Belohnung 
vierfach  verdoppelt  werden  6." 

Nur  wer  derartiges  ertragen  hat 
versteht,  was  der  Herr  meint,  wenn 


er  sagt,  daß  ihre  Belohnung  vierfach 
verdoppelt  wird.  Dann  nämlich 
lieben  wir  unsre  Mitmenschen  bei- 
nah so,  wie  der  Heiland  uns  geboten 
hat.  Ich  kenne  einige  Heilige  der 
Letzten  Tage,  die  dieser  Belohnung 
würdig  sind.  Die  meisten  von  uns 
können  auch  nicht  annähernd  er- 
fassen, welchen  Trost  und  welch 
große  Segnungen  diese  wenigen 
empfangen  haben.  Diese  Geisteshal- 
tung soll  unser  aller  Ziel  und  Streben 
sein. 

Jeder  Heilige  der  Letzten  Tage 
nehme  sich  die  folgende  Schrift- 
stelle aus  dem  Buch  , Lehre  und 
Bündnisse'  zu  Herzen : 

,,Und  nun,  wahrlich,  ich  sage 
euch:  Ich,  der  Herr,  werde  euch 
keine  Sünde  zur  Last  legen.  Geht 
eures  Wegs  und  sündigt  nicht 
mehr.  Zu  der  Seele  aber,  die  sün- 
digt, werden  auch  ihre  frühern 
Sünden  zurückkehren,  spricht  der 
Herr,  euer  Gott7." 

Wahre  Buße  ist  von  Dauer.  Wir 
dürfen  nicht  leichtfertig  damit  um- 
gehen. Buße  tun  heißt,  für  immer 
von  den  Sünden  ablassen;  und  der 
Herr  sagt,  er  werde  sich  unsrer  Sün- 
den nicht  mehr  erinnern.  Es  ist  uns 
eine  wunderbare  Segnung  ver- 
heißen, wenn  wirvon  unsren  Sünden 
ablassen  und  sie  nicht  wieder  tun. 
Der  Herr  sagt  in  Abschnitt  93,  Vers 
1  : 

„Wahrlich,  so  spricht  der  Herr: 
Jede  Seele,  die  ihre  Sünden  ablegt, 
zu  mir  kommt,  meinen  Namen  an- 
ruft, meiner  Stimme  gehorcht  und 
meine  Gebote  hält,  wird  mein  Ange- 
sicht schauen  und  wissen,  daß  ich 
bin." 

Der  Herr  macht  keine  leeren  Ver- 
sprechungen. Laßt  uns  so  leben, 
daß  wirdieser  Segnung  würdig  sind. 

Ich  bete  besonders  um  Kraft  für 
die  Jugend,  damit  sie  zu  Christus 
kommt,  und  wenn  ihrzu  ihm  kommt, 
wird  alles  andre  unwichtig. 
Vaughn  J.  Featherstone,  Zweiter 
Ratgeber  des  Präsidierenden  Bi- 
schofs 

Quellenangaben 

1)Matth.  18:21,22;  2)LuB84:27;  3)2.  Tim.  2:22- 
26;  4)  Mosiah  5:2;  5)  LuB  64:9,  10;  6)  LuB 
93:23-26;     7)  LuB  82:7. 


377 


Pläne  für  ein 
erfülltes  Leben 


Ich  freue  mich,  daß  ich  heute 
abend  bei  Ihnen  auf  dieser  Prie- 
stertumsversammlung  sein  darf. 
Besonders  freut  es  uns,  wenn  wir 
sehen,  daß  Sie,  Väter,  und  Ihre 
Söhne  früh  zur  Priestertumsver- 
sammlung  am  Samstagabend  kom- 
men, und  daß  viele  von  Ihnen  ein 
bis  zwei  Stunden  früher  da  sind, 
um  sicher  zu  sein,  auch  noch  einen 
guten  Platz  zu  bekommen;  und 
Tausende  Väter  und  Söhne  beeilen 
sich,  um  zum  Tabernakel  und  zu 
den  zahlreichen  Pfahl-  und  Ge- 
meindehäusern im  ganzen  Land 
zu  gelangen.  Dies  ist  eine  wun- 
derbare Dimension  unseres  Fa- 
milienlebens, die  wir  schätzen  und 
liebhaben  und  die  auch  die  Welt 
als  einen  grundlegenden  Familien- 
zug anzuerkennen  beginnt  —  näm- 
lich daß  Väter  und  Söhne  zusammen 
sind. 

Wir  sind  dankbar,  daß  Sie  an- 
wesend sind,  und  wir  schätzen  und 
lieben  Sie  aufrichtig. 

Dürfen  wir  Sie  zuerst  einmal  für 
Ihre  Hingabe  und  Treue  loben.  Die 
Tempel  werden  generell  gut  besucht. 


SPENCER  W.  KIMBALL 
Präsident  der  Kirche 


Die  Kapellen  füllen  sich,  und  es  ist 
ein  Anwachsen  der  Anwesenheit  und 
Hingabe  zu  verzeichnen.  Es  werden 
immer  mehr  Familien,  die  den  Fa- 
milienabend halten,  und  wir  sind 
glücklich  darüber,  daß  in  der  gan- 
zen Kirche  Glaube  und  Liebe  geübt 
werden.  Besonders  froh  sind  wir  über 
das  Wachstum  und  die  erfolgreiche 
Tätigkeit  in  den  Pfählen  und  Mis- 
sionen in  Übersee.  Unsere  Kirche 
ist  eine  Weltkirche;  wir  glauben, 
daß  wir  uns  immer  mehr  dem  Rang 
einer  weltumfassenden  Kirche 
nähern. 

Brüder,  ich  möchte  Ihnen  jetzt 
einige  Ankündigungen  machen,  die 
ich  auch  schon  am  Donnerstag  mit 
anderen  Führungsbeamten  bespro- 
chen habe.  Die  Erste  Präsident- 
schaft und  der  Rat  der  Zwölf  haben 
es  gutgeheißen,  daß  es  in  jeder 
Gemeinde  ein  Ältestenkollegium 
geben  soll.  Die  Ältesten,  die  in 
einer  Gemeinde  wohnen,  können, 
unabhängig  davon,  wieviele  es 
sind  —  höchstens  jedoch  96  —  in 
Ältestenkollegien  mit  einer  eigenen 
Präsidentschaft       zusammengefaßt 


werden.  Wo  es  mehr  als  96  Älteste 
gibt,  soll  das  Kollegium  geteilt 
werden.  Die  Brüder  sind  der  An- 
sicht, daß  dieses  große  Reservoir  an 
Macht  und  Stärke  am  besten  genutzt 
werden  kann,  wenn  man  in  den  ört- 
licheren Zuständigkeitsbereichen 
starke,  aktive  Kollegien  von  Ältesten 
hat. 

Ein  weiterer  Punkt,  der  das 
Priestertum  anbelangt:  Ab  sofort 
dürfen  Pfahlpräsidenten  Brüder 
zu  Siebzigern  ordinieren  und  in 
ihrem  Pfahl  Siebzigerpräsident- 
schaften einsetzen,  wenn  die  Namen 
dieser  Brüder  ordnungsgemäß  be- 
arbeitet und  vom  Ersten  Rat  der 
Siebzig  genehmigt  worden  sind. 
Dadurch  sollen  lange  Verzögerungen 
ausgeschlossen  und  ein  gutes  Ar- 
beitsverhältnis zwischen  den  Füh- 
rungsbeamten des  Pfahles  und 
ihren  Siebzigern  geschaffen  werden, 
und  wir  hoffen,  daß  der  Schwerpunkt 
wieder  mehr  auf  die  Missionsarbeit 
gelegt  wird. 

Brüder,  die  Sie  führende  Ämter 
bekleiden:  Sie  könnten  sich  viele, 
viele  Briefe  sparen,  wenn  Sie  Ihr 
Handbuch  und  die  offiziellen  Ver- 
öffentlichungen lesen  würden. 
Dürfen  wir  Ihre  Aufmerksamkeit  be- 
sonders auf  die  Unterredungen 
zum  Besuch  des  Tempels  lenken. 
Und  bitten  Sie  Ihre  Leute,  daß  sie 
mit  ihren  Problemen  zu  ihrem  Bi- 
schof gehen. 

Wir  loben  Sie,  Brüder,  für  Ihre 
Standhaftigkeit  bei  der  Schulung 
Ihrer  Söhne.  Wir  haben  Sie  alle 
lieb.  Wir  wissen  Ihren  Glauben  zu 
schätzen;  und  wir  freuen  uns  über 
Ihr  Wachstum  und  Ihre  Würdigkeit. 
Viele  von  euch  älteren  Söhnen  haben 
schon  eine  Mission  erfüllt,  doch 
viele  von  euch  jüngeren  sind  noch 
M  issionarsanwärter. 

Um  sicher  zu  sein,  daß  ihr  ein 
erfülltes  Leben  haben  werdet,  müßt 
ihr  euer  Leben  planen.  Das,  was 
ihr  jetzt  als  Diakone  plant,  kann  euch 
ein  erfülltes  Leben  sichern.  Habt 
ihr  schon  Geld  für  eure  Mission 
gespart? 

Ihr  habt  euch  vielleicht  noch  keine 
Gedanken  gemacht,  welchem  Beruf 


378 


ihr  schließlich  einmal  nachgehen 
wollt,  doch  gibt  es  viele  allgemeine 
Regeln,  die  ihr  in  eurem  Leben 
schon  aufstellen  könnt,  auch  wenn 
ihr  noch  nicht  wißt,  ob  ihr  einmal 
Rechtsanwalt,  Arzt,  Lehrer  oder 
Ingenieur  werden  wollt.  Es  gibt 
Entscheidungen,  die  ihr  schon  ge- 
fällt haben  oder  jetzt  fällen  solltet. 
Was  wollt  ihr  in  den  Jahren  zwischen 
jetzt  und  eurer  Hochzeit  machen? 
Und  was  wollt  ihr  in  Hinblick  auf 
eure  Ehe  unternehmen? 

Ihr  könnt  euch  jetzt  entschließen, 
der  treuste  Diakon,  Lehrer  oder 
Priester  zu  sein.  Ihr  könnt  dies  jetzt 
mit  einem  unwiderruflichen  Bünd- 
nis beschließen.  Ihr  könnt  ein  guter 
Schüler  sein;  ihr  könnt  eure  Zeit 
richtig  und  wirksam  anwenden. 
Den  ganzen  Rest  eures  Lebens 
könnt  ihr  glücklich  sein,  wenn  ihr 
eure  Zeit  gut  verwendet. 

Ihr  könnt  euch  schon  jetzt  ent- 
schließen, daß  ihr  eine  ehrenhafte 
Mission  erfüllt,  wenn  ihr  ins  Mis- 
sionsalter kommt,  und  daß  ihr  zu 
diesem  Zweck  Geld  verdient,  es 
spart  und  es  in  eurer  Mission  an- 
legt, daß  ihr  studiert  und  dient  und 
jede  Gelegenheit  nutzt,  euren  Ver- 
stand, euer  Herz  und  eure  Seele 
auf  diese  herrliche  Zeit  eures  Lebens 
richtig  vorzubereiten. 

Oft  ist  die  Frage  gestellt  worden: 
„Ist  man  gezwungen,  auf  Mission 
zu  gehen?"  Die  Antwort  lautet  na- 
türlich: Nein.  Jeder  hat  seine  Ent- 
scheidungsfreiheit. Es  ist  gefragt 
worden:  ,, Soll  ein  jeder  junger  Mann 
eine  Mission  erfüllen?"  Und  die  Ant- 
wort der  Kirche  lautet:  Ja;  und  die 
Antwort  des  Herrn  lautet:  Ja.  Wenn 
wir  diese  Antwort  erweitern,  sagen 
wir:  Gewiß  soll  jedes  männliche  Mit- 
glied der  Kirche  eine  Mission  er- 
füllen, wie  es  den  Zehnten  zahlen 
soll,  wie  es  die  Versammlungen 
besuchen  soll,  wie  es  sein  Leben 
rein  und  frei  von  der  Häßlichkeit 
der  Welt  halten  und  planen  soll,  im 
Tempel  des  Herrn  eine  celestiale  Ehe 
zu  schließen. 

Man  wird  zwar  nicht  gezwungen, 
diese  Punkte  einzuhalten,  doch  soll 


man  sie  zu  seinem  eigenen  Besten 
tun.  Wir  haben  oft  gesungen : 

0  wisse,  jede  Seel'  ist  frei, 

zu  wählen  zwischen  Tod  und  Leben; 

daß  jeder  ungezwungen  sei, 

hat  freien  Willen  Gott  gegeben. 

Zwar  segnet  Gott,  der  Herr,  mit 

Licht, 
mit  Liebe,  Weisheit,  deine  Pfade; 
zur  Wahrheit  zwingen  will  er  nicht, 
so  unerschöpflich  seine  Gnade  . 

In  keinem  Teil  des  Evangeliums 
gibt  es  Zwang.  1833  sagte  der  Herr: 
,, Siehe,  hier  ist  die  freie  Wahl  der 
Menschen  und  hier  ist  die  Verurtei- 
lung der  Menschen,  weil  ihnen  das, 
was  von  Anfang  an  war,  deutlich 
kundgetan  wurde,  und  sie  nehmen 
das  Licht  nicht  an  ." 

Das  heißt,  daß  uns  der  Herr  seit 
Adams  Zeiten  wahre  Lehren  ver- 
kündigt und  daß  wir  sie  annehmen 
oder  verwerfen  können;  doch  haben 
wir  auch  die  Verantwortung  dafür. 
Das  bedeutet,  daß  wir  alle  das  Gute 
vom  Bösen  unterscheiden  können, 
da  wir  ja  den  Heiligen  Geist  haben, 
den  wir  zur  Zeit  der  Taufe  empfan- 
gen. Das  Gewissen  flüstert  uns  zu, 
was  richtig  und  was  falsch  ist.  Wir 
können  nicht  den  anderen  oder  den 
Umständen  die  Schuld  geben.  Jeder 
weiß,  was  richtig  ist. 

Jeder  Mensch  hat  die  Freiheit, 
sich  zu  entscheiden.  Er  kann  steh- 
len, fluchen  oder  trinken;  er  kann 
sich  mit  pornographischem  Material 
beschmutzen;  er  kann  sein  Leben 
vertrödeln,  darin  versagen,  seine 
Pflicht  zu  tun,  geschlechtliche  Sün- 
den begehen  oder  sich  auch  das 
Leben  nehmen.  Er  wird  zu  nichts 
gezwungen,  doch  muß  er  wissen, 
daß  jede  Sünde  eine  angemessene 
Strafe  nach  sich  zieht,  und  zwar 
früher  oder  später  in  ihrer  Fülle,  so 
daß  man  wirklich  dumm  wäre,  wenn 
man  sich  dafür  entscheiden  würde, 
das  Falsche  zu  tun. 

Ein  jeder  könnte  die  Versammlun- 
gen nicht  besuchen,  seinen  Zehnten 
nicht  zahlen,  nicht  auf  Mission 
gehen,  seine  im  Tempel  einge- 
gangenen     Verpflichtungen       und 


empfangenen  Vorrechte  ignorieren, 
doch  wenn  man  klug  ist,  muß  man 
wissen,  daß  man  selbst  der  Be- 
trogene ist. 

Und  wieder  beantwortet  der 
Herr  die  Frage:  ,,Von  nun  an  soll 
jedermann  Gerechtigkeit  in  seine 
Hand  und  Treue  um  seine  Hüfte 
legen,  eine  warnende  Stimme  an  die 
Bewohner  der  Erde  richten  und 
durch  sein  Wort  und  seine  Flucht 
zum  Ausdruck  bringen,  daß  das 
Verderben  über  die  Bösen  kommen 
wird3."  Ist  allen  aufgefallen,  daß 
von  „jedermann"  die  Rede  war  — 
also  auch  von  einem  jeden  Jungen, 
der  ein  Mann  wird?  Selbstverständ- 
lich senden  wir  nicht  einen  jungen 
Mann  aus,  der  voller  Unreinheit  und 
sexueller  oder  anderer  Sünden 
steckt.  Gewiß  muß  er  sich  durch 
aufrichtige  Buße  reinigen,  bevor 
man  ihn  berücksichtigen  kann.  Und 
deshalb  wiederholen  wir:  Jeder 
männliche  Heilige  der  Letzten  Tage, 
der  würdig  und  fähig  ist,  soll  eine 
Mission  erfüllen. 

Um  also  ein  erfülltes  Leben  zu 
haben,  das  rein  und  offen  ist,  muß 
ein  jeder  junge  Mann  seinen  Lebens- 
lauf planen  und  sich  selbst  und  dem 
Vater  im  Himmel  geloben,  wie  sein 
Leben  aussehen  soll  und  was  er  zu 
tun  gedenkt,  um  es  voll  zu  erfüllen. 

Jemand  hat  uns  diesen  Gedanken 
über  die  Zeit  vermacht.  Ich  werde  ihn 
vorlesen: 

,,Und  in  meinen  Träumen  kam  ich 
an  ein  schönes  Gebäude,  das  einer 
Bank  ähnelte  und  doch  keine  war, 
denn  auf  dem  Messingschild  stand: 
,Zeit  zu  verkaufen'. 

Ich  sah,  wie  sich  ein  Mann,  atem- 
los und  blaß,  wie  ein  Kranker  voller 
Schmerzen  die  Treppe  hinaufzog. 
Ich  hörte,  wie  er  sagte:  ,Der  Arzt  hat 
mir  gesagt,  ich  sei  fünf  Jahre  zu  spät 
zu  ihm  gekommen.  Ich  möchte  mir 
jetzt  diese  fünf  Jahre  kaufen  — 
und  dann  kann  er  mein  Leben  retten.' 

Dann  kam  ein  anderer  Mann,  der 
zum  Verkäufer  sagte:  ,Alseszuspät 
war,  entdeckte  ich,  daß  Gott  mir 
große  Fähigkeiten  und  Talente  ge- 
geben hatte,  und  ich  habe  sie  nicht 
entwickelt.  Verkaufen  Sie  mir  zehn 


379 


Jahre,  damit  ich  der  sein  kann,  der 
ich  gewesen  wäre.' 

Daraufhin  kam  ein  junger  Mann 
und  sprach:  .Meine  Firma  hat  mir 
gesagt,  daß  ich  ab  nächsten  Monat 
eine  gute  Stellung  übernehmen 
kann,  wenn  ich  dazu  die  nötige  Vor- 
bereitung nachweisen  könne.  Das 
kann  ich  aber  nicht.  Geben  Sie  mir 
zwei  Jahre  Zeit,  damit  ich  bereit  sein 
werde,  die  Stellung  im  nächsten 
Monat  zu  übernehmen.' 

So  kamen  sie:  krank,  hoffnungs- 
los, verzagt,  besorgt,  unglücklich  — 
und  sie  gingen  lächelnd,  ein  jeder 
mit  einem  Ausdruck  unaussprech- 
licher Freude  auf  dem  Gesicht,  denn 
jeder  hatte  nun  das,  was  er  so  nötig 
brauchte  und  dringend  haben  wollte, 
nämlich  Zeit. 

Ich  erwachte,  froh  darüber,  daß 
ich  das  hatte,  was  diese  Menschen 
nicht  hatten  und  was  sie  sich  nie 
kaufen  könnten,  nämlich  Zeit.  Zeit, 
um  so  vieles  zu  tun,  was  ich  tun 
wollte,  was  ich  tun  muß.  Wenn  ich 
an  jenem  Morgen  bei  meiner  Arbeit 
pfiff,  so  war  es,  weil  mein  Herz 
von  großem  Glück  erfüllt  war.  Denn 
ich  hatte  ja  immer  noch  Zeit,  wenn 
ich  sie  recht  verwendete4." 

Laßt  mich  euch  von  einem  Ziel 
berichten,  das  ich  mir  setzte,  als 
ich  noch  ein  Junge  war.  Als  ich  auf 
einer  Konferenz  einen  Führer  der 
Kirche  aus  Salt  Lake  City  sagen 
hörte,  daß  wir  die  heiligen  Schriften 
lesen  sollen,  und  ich  erkannte,  daß 
ich  noch  nie  die  Bibel  gelesen  hatte, 
ging  ich  am  gleichen  Abend,  als  die 
Rede  zu  Ende  war,  zu  unserer 
Wohnung,  die  einen  Straßenblock 
entfernt  lag,  stieg  hinauf  in  mein 
kleines  Dachzimmer  und  zündete 
eine  kleine  Petroleumlampe  an,  die 
auf  dem  kleinen  Tisch  stand.  Dann 
las  ich  die  ersten  Kapitel  des  1. 
Buches  Mose.  Ein  Jahr  später 
schloß  ich  die  Bibel,  nachdem  ich 
jedes  Kapitel  dieses  großen  und 
herrlichen  Buches  gelesen  hatte. 

Ich  stellte  fest,  daß  die  Bibel,  die 
ich  las,  66  Bücher  umfaßte,  und  ich 
wurde  fast  von  meinem  Vorhaben 
abgebracht,  als  ich  feststellte,  daß 
es  darin  1 .180  Kapitel  gab  und  1 .519 


Seiten.  Es  war  gewaltig,  aber  ich 
wußte,  daß  auch  schon  andere  es 
geschafft  hatten  und  so  würde 
auch  ich  es  schaffen. 

Ich  fand,  daß  es  bestimmte  Teile 
gab,  die  für  einen  14jährigen  Jungen 
schwer  zu  verstehen  waren.  Es  gab 
einige  Seiten,  die  mich  nicht  be- 
sonders interessierten;  als  ich  aber 
66  Bücher  und  1.189  Kapitel  und 
1.519  Seiten  gelesen  hatte,  spürte 
ich  eine  glühende  Befriedigung,  daß 
ich  ein  Ziel  geschafft  und  daß  ich 
es  erreicht  hatte. 

Ich  erzähle  euch  diese  Geschichte 
nicht,  um  zu  prahlen.  Ich  benutze 
dies  nur  als  ein  Beispiel,  um  damit 
zu  zeigen,  daß  ihr  es  bei  elektri- 
schem Licht  tun  könnt,  während  ich 
es  bei  Petroleumlicht  tun  mußte. 
Ich  bin  immer  froh  darüber  gewesen, 
daß  ich  damals  die  Bibel  ganz  durch- 
gelesen habe. 

Ich  möchte  euch  von  einem  an- 
deren Ziel  berichten,  das  ich  mir 
setzte,  als  ich  noch  ein  Junge  war. 

Mein  ganzes  Leben  lang  hatte  ich 
vom  Wort  der  Weisheit  und  von  den 
Segnungen  gehört,  die  ich  dadurch 
empfangen  könne,  daß  ich  danach 
lebte.  Ich  hatte  gesehen,  wie  Men- 
schen Tabak  kauten,  und  es  ekelte 
mich  an,  als  ich  sah,  wie  das  braune 
Zeug  ihnen  aus  den  Mundwinkeln 
troff.  Ich  hatte  miterlebt,  wie  Männer 
viel  Zeit  damit  vergeudeten,  daß  sie 
sich  ihre  eigenen  Zigaretten  drehten. 
Sie  kauften  sich  einen  Beutel  Tabak 
und  Papier  und  hielten  dann  viele 
Male  am  Tag  inne,  um  sich  eine 
Zigarette  zu  drehen,  das  dünnere 
Ende  zuzudrehen  und  sie  dann  zu 
rauchen.  Als  dann  das  Rauchen 
später  anspruchsvoller  wurde,  konn- 
ten sie  ihre  Zigaretten  fertig  kaufen. 
Ich  erinnere  mich,  wie  widerwärtig 
ich  es  fand,  als  die  Frauen  zu 
rauchen  anfingen. 

Ich  weiß  noch,  wie  ich  zur  Feier 
des  Unabhängigkeitstages  auf  die 
Straßen  meiner  kleinen  Stadt  ging 
und  sah,  wie  einige  Männer  als 
Reiter  oder  Spieler  am  Pferderennen 
teilnahmen,  auf  die  Pferde  wetteten, 
und  ich  bemerkte,  daß  viele  von 
ihnen  Zigaretten  in  ihren  Lippen  und 


Flaschen  in  ihren  Taschen  stecken 
hatten  und  einige  waren  schrecklich 
betrunken.  Sie  verfolgten  mit  trübem 
Blick  das  Rennen  und  fluchten. 

Es  dauerte  etwas,  bis  man  die 
Ponies  zusammengestellt  und  die 
Reihenfolge  der  Rennen  festgelegt 
hatte,  und  fast  immer  schrie  während 
dieser  Zeit  einer:  ,,Da  schlagen 
sich  welche!"  und  alle  Männer 
und  Jungen  liefen  zum  Ort  der 
Schlägerei,  wo  es  Hiebe,  Blut, 
Flüche  und  Äußerungen  des  Hasses 
gab. 

Und  wieder  wurde  mir  bei  dem 
Gedanken  schlecht,  daß  sich  Men- 
schen so  schändlich  benehmen 
konnten,  und  wieder  entschloß  ich 
mich,  daß  ich  es  stets  bei  der  rosa 
Limonade  dieses  Festtages  bewen- 
den lassen  wollte,  während  ich  dem 
Pferderennen  zusah,  daß  ich  aber 
nie  Alkohol  trinken  oder  fluchen 
würde,  wie  es  viele  Jungen  und 
Männer  dieser  kleinen  Stadt  taten. 

Und  ich  erinnere  mich,  daß  ich 
mich  —  ohne  daß  mich  irgend- 
jemand dazu  zwang  —  schon  als 
kleiner  Junge  entschloß,  nie  das 
Wort  der  Weisheit  zu  brechen.  Ich 
wußte,  wo  es  geschrieben  stand, 
und  ich  wußte  im  allgemeinen,  was 
der  Herr  gesagt  hat,  und  ich  wußte, 
daß  es  dem  Herrn,  wenn  er  es 
sagte,  angenehm  war,  daß  sich  der 
Mensch  all  dieser  zerstörenden 
Elemente  enthält,  und  daß  ich  mei- 
nem Vater  im  Himmel  gefallen  woll- 
te. Und  deshalb  entschloß  ich  mich 
ganz  fest,  nie  diese  schändlichen 
Dinge  zu  berühren.  Nachdem  ich 
mich  so  entschlossen  hatte,  fand 
ich  es  nicht  zu  schwer,  das  Ver- 
sprechen mir  selbst  und  dem  Vater 
im  Himmel  gegenüber  zu  halten. 

Ich  weiß  noch,  wie  ich  in  späteren 
Jahren,  als  ich  eine  leitende  Stellung 
über  die  Rotary  Clubs  Arizonas 
innehatte,  zur  internationalen 
Tagung  nach  Nizza  in  Frankreich 
fuhr.  Ein  Teil  dieser  Feierlichkeit 
stellte  ein  herrliches  Bankett  für  die 
Vertreter  aus  allen  Ländern  dar,  und 
das  große  Gebäude  war  für  ein  vor- 
nehmes Essen  hergerichtet.  Als 
wir   an    unsere    Plätze   kamen,    be- 


380 


merkte  ich,  daß  bei  jedem  Platz 
neben  zahlreichen  Teilen  Silberbe- 
steck und  Geschirr  sieben  Kelch- 
gläser standen;  und  alles  war  das 
Beste,  was  Europa  nur  bieten  konn- 
te. 

Als  das  Essen  begann,  kam  ein 
Heer  von  Kellnern  herein,  um  uns  zu 
bedienen,  sieben  Kellner  kamen  an 
den  Platz,  und  sie  schenkten  Wein 
und  Branntwein  ein.  Neben  jedem 
Teller  füllten  sich  sieben  Kelch- 
gläser. Die  Getränke  sahen  farben- 
freudig aus.  Ich  war  weit  weg  von  zu 
Hause;  ich  kannte  viele  der  gela- 
denen Gäste,  und  sie  kannten  mich. 
Doch  sie  wußten  wahrscheinlich 
nicht,  welcher  Religion  ich  angehör- 
te und  welchen  Standpunkt  ich 
hinsichtlich  des  Wortes  der  Weisheit 
vertrat. 

Auf  jeden  Fall  schien  es  mir,  als 
flüsterte  mir  der  Böse  zu:  ,,Das  ist 
deine  Chance.  Du  bist  weit  weg  von 
zu  Hause.  Keiner  beobachtet  dich 
hier.  Niemand  wird  es  je  zu  wissen 
bekommen,  ob  du  diese  Gläser 
leerst.  Das  ist  deine  Chance!"  Und 
dann  schien  es  mir,  als  flüsterte  mir 
ein  beglückenderer  Geist  zu:  ,,Du 
bist  ein  Bündnis  mit  dir  selbst  ein- 
gegangen; du  hast  dir  versprochen, 
daß  du  es  nie  tun  wirst;  und  mit 
deinem  Vater  im  Himmel  bist  du 
ein  Bündnis  eingegangen.  All  die 
Jahre  bist  du  diesem  Bündnis  treu 
geblieben,  und  du  wärst  dumm, 
wenn  du  es  jetzt  brechen  würdest." 
Es  genüge  zu  sagen,  daß  die  sieben 
Gläser  nach  einer  Stunde,  als  ich 
mich  vom  Tisch  erhob,  immer  noch 
voll  der  farbenfreudigen  Flüssig- 
keiten waren,  die  eine  Stunde  zuvor 
eingeschenkt,  aber  nicht  berührt 
worden  waren. 

Und  weiter,  meine  Brüder, 
erinnere  ich  mich,  wie  uns  in  meiner 
Jugend  der  Sheriff  einen  großen 
Schreck  versetzte,  als  er  kam  und 
uns  mitteilte,  daß  man  unter  den 
Dielen  der  Veranda  eines  Hauses, 
das  nur  ein  Stück  weiter  die  Straße 
hinab  stand,  ein  ansehnliches  Ver- 
steck von  gestohlenen  Sachen  ge- 
funden hatte.  Der  junge  Mann,  der 
dort  wohnte,  wurde  als  Kleptomane 


bezeichnet.  Er  schien  die  Manie  zu 
haben,  Sachen  zu  stehlen,  ja  sogar 
solche  Sachen,  die  er  selbst  nicht 
gebrauchen  konnte.  Viele  Leute  in 
der  Stadt  hatten  gemeldet,  daß 
ihnen  ihre  Wagenpeitschen  und 
Wagenmäntel  abhanden  gekommen 
waren.  Und  hier  lagen  sie  unter  der 
Veranda,  und  der  Junge  gab  auch 
schließlich  zu,  daß  er  sie  gestohlen 
hatte.  Ich  erinnere  mich,  wie 
schockiert  wir  Jungen  waren,  wie  wir 
ihn  bemitleideten,  weil  er  diese 
schreckliche  Schwäche  entwickelt 
hatte. 

Ralph  Waldo  Emerson  hat  ge- 
sagt: ,, Jeder  achtet  darauf,  daß 
ihn  sein  Nächster  nicht  betrügt. 
Doch  es  kommt  der  Tag,  wo  man 
anfängt,  darauf  zu  achten,  daß  man 
nicht  seinen  Nächsten  betrügt.  Dann 
geht  alles  gut.  Man  hat  seinen 
Marktkarren  in  einen  Triumphwagen 
der  Sonne  verwandelt  . 

Dieser  Junge  wußte  nicht,  wie  uns 
unsere  Taten  nachfolgen  und  wie 
gewiß  wir  das,  was  wir  säen,  auch 
ernten  müssen.  Und  jede  Erfahrung, 
die  wir  machen,  fügt  etwas  unserem 
Leben  hinzu  oder  nimmt  ihm  etwas 
weg.  Wir  können  nicht  ohne  Strafe 
Häßliches  denken  oder  tun. 

Vor  kurzem  stand  in  der  Zeitung 
ein  Bericht  über  ein  Mädchen,  das 
einen  Scheck  fand,  der  über  mehrals 
zwei  Millionen  Dollar  ausgestellt 
war.  Sie  sagte,  daß  sie  sofort  in 
Gedanken  damit  begonnen  hätte, 
das  Geld  auszugeben.  Schließlich 
hat  sie  den  Scheck  aber  doch  dem 
Besitzer  zurückgegeben,  und  die 
Zeitung  schreibt,  daß  die  Belohnung 
viel  kleiner  war,  als  sie  es  sich  er- 
träumt hatte.  Warum  sollte  sie  eine 
Belohnung  dafür  haben  wollen, 
daß  sie  richtig  gehandelt  hatte? 
Warum  sollte  sie  über  den  Betrag, 
der  ihr  geboten  wurde,  enttäuscht 
sein?  Muß  man  eine  Belohnung 
dafür  erhalten,  daß  man  richtig  ge- 
handelt hat?  Würdet  ihr  eine  Be- 
lohnung erwarten,  wenn  ihr  einen 
verlorenen  Gegenstand  zurückgebt? 
Ihr  Jungen  habt  alle  den  13.  Glau- 
bensartikel auswendig  gelernt  oder 
lernt     ihn     noch:      ,,Wir     glauben 


daran,  ehrlich,  getreu,  keusch,  wohl- 
wollend und  tugendhaft  zu  sein  und 
allen  Menschen  Gutes  zu  tun  ..." 

Ich  wollte  noch  ein  paar  Worte 
über  Ladendiebstahl  sagen,  aber 
die  Zeit  läßt  es  nicht  zu.  Es  ist  eine 
furchtbare  Schande,  daß  Firmen 
in  unseren  Gemeinwesen  einen  recht 
erschütternden  Prozentsatz  ihres 
Profits  dafür  anlegen  müssen,  um 
sich  vor  Ladendieben  zu  schützen. 
Es  ist  schrecklich,  daß  in  Ortschaf- 
ten, in  denen  ein  großer  Teil  von 
Mormonen  lebt,  dies  der  Fall  sein 
soll. 

Ich  möchte  nun  mit  einem  wei- 
teren kleinen  Erlebnis  schließen. 
Ich  war  in  Toquepala  in  Peru,  wo 
wir  eine  Kapelle  weihten.  Viele  der 
Beschäftigten  in  dieser  Bergmanns- 
stadt waren  Amerikaner.  Nach  der 
Weihung  gab  es  bei  einer  Familie  zu 
Hause  ein  Abendessen.  Als  wir 
uns  in  dem  Hause  bewegten,  kam 
ein  kleiner  Junge  auf  mich  zu  und 
sagte:  ,, Bruder  Kimball,  ich  möchte 
gern  einmal  auf  Mission  gehen. 
Würden  Sie  mir  einen  Segen  geben?" 

Ich  sagte:  „Selbstverständlich. 
Ich  würde  Dir  gern  einen  Segen 
geben.  Aber  ist  das  nicht  Dein  Vater, 
den  ich  im  anderen  Raum  getroffen 
habe?" 

Darauf  sagte  er:  „Ja,  das  ist 
Vati." 

Ich  sagte:  „Warum  bittest  Du 
ihn  dann  nicht,  Dir  einen  Segen  zu 
geben?" 

Er  antwortete:  „Vati  würde  mir 
keinen  Segen  geben  wollen." 

Ich  entschuldigte  mich.  Mit  der 
Zeit  begegnete  ich  dem  Vater  und 
ich  sagte:  „Sie  haben  einen  wunder- 
baren Sohn.  Ich  glaube,  er  möchte 
gern  einen  Segen  von  seinem  Vater 
haben.  Würden  Sie  ihm  nicht  gern 
einen  Segen  geben?" 

Er  sagte:  „Ich  glaube  nicht,  daß 
er  von  mir  einen  Segen  haben 
möchte." 

Später  sah  ich,  wie  Vater  und 
Sohn  beieinander  standen.  Wie  ich 
herausfand,  waren  sie  sich  in  ihren 
Ansichten  näher  gekommen.  Der 
Sohn  war  stolz  darauf,  einen  Segen 
von  seinem  Vater  zu  bekommen,  und 


381 


der  Vater  war  froh,  daß  er  gefragt 
worden  war. 

Ich  hoffe,  daß  ihr  Jungen,  die  ihr 
mir  jetzt  zuhört,  daran  denkt.  Ihr 
habt  den  besten  Vater  auf  der  Welt, 
wißt  ihr  das?  Er  trägt  das  Priester- 
tum;  er  würde  sich  sehr  freuen,  euch 
einen  Segen  zu  geben.  Er  möchte, 
daß  ihr  es  ihm  sagt,  und  wir  möch- 
ten, daß  ihr  Väter,  daran  denkt, 
daß  eure  Söhne  vielleicht  ein  biß- 
chen schüchtern  sind.  Sie  wissen, 
daß  ihr  die  besten  Männer  auf  der 
Welt  seid,  doch  wenn  ihr  vielleicht 
nur  den  Anfang  machen  würdet, 
so  hättet  ihr  ein  paar  herrliche 
Augenblicke. 

Brüder,  es  ist  wunderbar,  heute 
abend  bei  Ihnen  zu  sein.  Und  möge 
Friede  mit  Ihnen  sein,  und  wie  schon 
so  oft  in  dieser  Zeit  gesagt  worden 
ist:  Nur  Rechtschaffenheit  wirft 
Dividenden  ab.  Gott  segne  Sie; 
und  ich  lege  euch  Jungen  und  euch 
Männern  Zeugnis  ab,  daß  Gott  lebt 
und  daß  Jesus  der  Christus  ist. 
Der  Plan  der  Erlösung  und  der  Er- 
höhung ist  des  Herrn  Plan,  und  es 
ist  ein  heiliger  Weg,  und  es  hat 
noch  keiner  Glückseligkeit  in  Unge- 
rechtigkeit gefunden.  Ich  gebe  Ihnen 
mein  Zeugnis  im  Namen  Jesu 
Christi,  unseres  Herrn.  Amen. 


1)  Gesangbuch,  Nr.  38.  2)  LuB  93:31.  3)  LuB 
63:37.  4)  Verfasser  unbekannt.  5)  „The  Complete 
Writings  of  Ralph  Waldo  Emerson". 


Rede  anläßlich  der  Priestertumsversammlung  der 
144.  Frühjahrs-Generalkonferenz  der  Kirche  Jesu 
Christi  der  Heiligen  der  Letzten  Tage 


Die  Gemeinde  Hannover  freut  sich  darüber,  daß  weitere  zwei  Geschwi- 
ster auf  eine  Vollzeitmission  berufen  wurden.  Am  10.  April  nahm  Schw. 
Lieselotte  Niethus  in  der  Süddeutschen  Mission  ihre  Arbeit  auf,  und  Br. 
Uwe  Löhrmann  reiste  am  28.  Juni  auf  das  Missionsfeld  der  österreichi- 
schen Mission. 

Schw.  Niethus  und  Br.  Löhrmann  haben  sich  lange  auf  den  Missionars- 
dienst vorbereitet  und  neben  anderen  Ämtern  auch  ihre  Berufung  als 
Distriktsmissionar  mit  sehr  viel  Freude  und  Begeisterung  erfüllt. 
Wir  wünschen  beiden  Geschwistern  bei  ihren  Bemühungen,  das  Werk 
des  Herrn  vorwärtszubringen,  viel  Erfolg  und  den  Segen  des  Herrn. 


Schwester  Ruth  Andrejewitsch  ist 
aus  der  Gemeinde  Wien  I  auf  Mis- 
sion in  die  Südwestenglische  Mis- 
sion berufen  worden. 

Wir  sind  sehr  froh  darüber,  daß 
wir  dadurch,  daß  wir  alle  Kraft  in  der 
Gemeinde  aufbieten  müssen,  um 
diese  wunderbare  Schwester  für  die 
Dauer  ihrer  Mission  zu  ersetzen, 
einen  Beitrag  zum  Fortschritt  der 
Arbeit  des  Herrn  in  England  leisten 
dürfen! 

Schwester  Andrejewitsch  war  ein 
sehr  aktives  Mitglied  unserer  Ge- 
meinde. Mit  ihrem  Schwung  und  ih- 
rem Humor  hat  sie  Vorbildliches  in 
der  GFV  und  der  FHV  geleistet. 

Wir  wünschen  Schwester  Andre- 
jewitsch den  Segen  des  Herrn  bei 
ihrer  Arbeit. 


„Wolfgang  Männchen  ist  der  er- 
ste Missionar,  der  aus  der  Gemeinde 
Erlangen  kommt.  Br.  Männchen  wur- 
de am  17.  Mai  1970  getauft,  nach- 
dem er  die  Kirche  lange  Zeit  unter- 
sucht hatte.  Seine  Eltern  unterstüt- 
zen ihn  tatkräftig,  was  uns  beson- 
ders freut.  In  der  Gemeinde  war  er 
1.  Ratgeber  des  Sonntagsschullei- 
ters. Wenig  später  wurde  er  selbst 
zum  Leiter  berufen.  Der  Herr  segne 
Br.  Männchen  bei  seiner  Arbeit  mit 
Kraft,  Weisheit  und  Erfolg." 


382 


„Seid  rein,  die  ihr 
die  Gefäße  des 
Herrn  traget!" 


Meine  geliebten  Brüder,  das 
Thema,  das  meinen  Worten  heute  zu- 
grunde liegt,  lautet:  „Seid  rein,  die 
ihr  die  Gefäße  des  Herrn  traget1!" 
Genausogut  könnte  es  heißen:  Er- 
füllt voll  eure  Berufung  im  Priester- 
tum.  Zu  Anfang  möchte  ich  Ihnen 
bezeugen,  daß  ich  durch  die  Macht 
des  Geistes  weiß,  daß  Präsident 
Kimball  ein  Prophet  ist,  der  vom 
Herrn  dazu  berufen  worden  ist, 
sein  Sprecher  zu  sein,  und  daß  Bru- 
der Tanner  durch  Offenbarung  be- 
rufen worden  ist,  sein  Erster  Rat- 
geber zu  sein.  Ich  unterstütze  sie 
beide  von  ganzem  Herzen. 

Was  Sie,  Brüder,  anbelangt,  so 
meine  ich  dasselbe,  wie  Petrus  es 
den  Brüdern  seiner  Zeit  gesagt  hat: 
, , Ihr  ...  seid  das  auserwählte  Ge- 
schlecht, das  königliche  Priester- 
tum2."  Von  allen  Männern  auf  Erden 
sind  wir  die,  die  am  meisten  geehrt 
worden  sind. 

Als  Geistsöhne  Gottes  standen 
wir  im  großen  Rat  im  Vorherdasein 
und  hörten,  wie  der  Vater  den  Plan 
des     Evangeliums     darlegte.     Wir 


MARION  G.  ROMNEY 

Zweiter  Ratgeber  des  Präsidenten 

der  Kirche 


hörten  ihn  sagen,  daß  diejenigen, 
die  ihren  ersten  Stand  behielten, 
erhöht  würden  und  diejenigen,  die 
ihren  zweiten  Stand  behielten,  sollen 
„vermehrte  Herrlichkeit  empfangen 
für  immer  und  ewig3". 

Wir  wissen,  daß  wir  unseren 
ersten  Stand  behalten  haben,  weil 
wir  hier  sind  und  unser  Geist  diesen 
Körper  erhalten  hat. 

Wenn  wir  für  immer  und  ewig  ver- 
mehrte Herrlichkeit  empfangen 
wollen,  müssen  wir  zweierlei  tun, 
während  wir  hier  sind.  Zum  einen, 
das  Priestertum  empfangen;  zum 
anderen,  unsere  Berufung  im  Prie- 
stertum voll  erfüllen.  Der  Herr  hat 
gesagt,  daß  niemand  diese  Herrlich- 
keit ohne  das  Priestertum  empfan- 
gen könne.  „Und  wehe  allen  denen, 
die  nicht  zu  dem  Priestertum  kom- 
men4", sagte  er. 

Wir,  die  wir  das  Priestertum 
tragen,  werden  die  vermehrte  Herr- 
lichkeit empfangen,  wenn  wir  unsere 
Berufung  im  Priestertum  voll  er- 
füllen. Ich  möchte  jetzt  gern,  daß  Sie 
sich  die  Worte  des  Herrn  anhören, 


die  er  wählte,  als  er  uns  das  Bünd- 
nis gab,  das  zum  Priestertum  ge- 
hört. 

Er  hat  gesagt:  „Denn  diejenigen, 
die  treu  sind  und  diese  beiden  Prie- 
stertümer  erhalten,  von  denen  ich 
gesprochen,  und  ihre  Berufung  ver- 
herrlichen (also  nicht  nur  empfan- 
gen, sondern  diejenigen,  die  es 
empfangen  und  ihre  Berufung  ver- 
herrlichen oder  voll  erfüllen),  werden 
durch  den  Geist  geheiligt  zur  Er- 
neuerung ihres  Körpers. 

Sie  werden  die  Söhne  Moses  und 
Aarons  [im  ersten  Teil  der  Offen- 
barung, aus  der  ich  zitiere,  Abschnitt 
84,  spricht  der  Herr  von  Männern, 
die  das  Priestertum  tragen,  daß  sie 
gemäß  der  Ordnung  des  Priester- 
tums  Söhne  Moses  seien,  und  von 
denjenigen,  die  das  Aaronische 
Priestertum  tragen,  daß  sie  gemäß 
der  Ordnung  des  Aaronischen  Prie- 
stertums  Söhne  Aarons  seien]  und 
der  Same  Abrahams,  die  Kirche  und 
das  Reich  und  die  Auserwählten 
Gottes.  [Wir  sprechen  davon,  daß 
wir  unsere  Berufung  und  Erwählung 
festmachen.  Das  können  wir  nur, 
indem  wir  das  Priestertum  empfan- 
gen und  es  in  Ehren  halten.  Und 
dann  gibt  der  Herr  die  Verheißung :] 

Und  alle  diejenigen,  die  dieses 
Priestertum  empfangen,  die  empfan- 
gen mich,  spricht  der  Herr  [denken 
Sie  darüber  nach;  diejenigen,  die 
das  Priestertum  empfangen  und 
in  Ehren  halten,  „empfangen  mich, 
spricht  der  Herr"]. 

Denn  wer  meine  Diener  empfängt, 
der  empfängt  mich, 

und  wer  mich  empfängt,  der 
empfängt  meinen  Vater, 

und  wer  meinen  Vater  empfängt, 
der  empfängt  meines  Vaters  Reich; 
deshalb  soll  alles,  was  mein  Vater 
hat,  ihm  gegeben  werden  [Und  die- 
ses, vermehrte  Herrlichkeit  für 
immer  und  ewig  und  alles,  was  der 
Herr  hat,  ist  uns  verheißen  worden]. 

Und  dies  ist  nach  dem  Eid  und 
Bunde,  der  zum  Priestertum  gehört. 

Darum  empfangen  alle  diejenigen, 
die  das  Priestertum  erhalten,  diesen 
Eid  und  Bund  [diese  Verheißung  vom 
Herrn]   ...,   den   er  [nicht]   brechen 


383 


kann  ...  [Aber  wir  können  es,  und 
sehr  viele  von  uns  tun  es.  Und  dies 
ist  die  Folge:] 

Wer  aber  den  Bund  bricht  [das 
Priestertum  in  Ehren  zu  halten  und 
seine  Berufung  voll  zu  erfüllen], 
nachdem  er  ihn  empfangen  hat,  und 
sich  gänzlich  von  ihm  abwendet, 
wird  weder  in  dieser  noch  in  der 
nächsten  Welt  Vergebung  ...  erlan- 
gen. [Ich  glaube  nicht,  daß  er  hier 
unbedingt  von  der  unverzeihlichen 
Sünde  spricht,  doch  behaupte  ich, 
daß  diejenigen  von  uns,  die  dieses 
Priestertum  empfangen  und  begrei- 
fen, worum  es  geht,  und  dann  ihre 
Berufung  nicht  voll  erfüllen,  etwas 
verlieren,  was  wir  hernach  nicht 
wiedererlangen  können.] 

Und  nun  gebiete  ich  euch  [spricht 
der  Herr],  daß  ihr  auf  der  Hut  seid 
und  sorgfältig  achthabt  auf  die 
Worte  des  ewigen  Lebens. 

Denn  ihr  [die  ihr  das  Priestertum 
empfangen  habt]  sollt  von  einem 
jeglichen  Worte  leben,  das  aus  dem 
Munde  Gottes  kommt5." 

Dieser  Auftrag  erinnerte  mich  an 
das,  was  der  Herr  in  der  großartigen 
Offenbarung  an  Brigham  Young 
über  das  „Lager  Israels  ...  in  der 
Nähe  von  Council-Bluffs,  Iowa,  am 
14.  Januar  1847"  sagte6: 

, , Ihr  seid  noch  nicht  rein  [sagte 
er];  ihr  könnt  meine  Herrlichkeit 
noch  nicht  ertragen.  Ihr  werdet  sie 
jedoch  sehen,  wenn  ihr  im  Halten 
aller  meiner  Worte  getreu  seid,  die 
ich  euch  gegeben  habe,  von  den 
Tagen  Adams  bis  auf  Abraham;  von 
Abraham  bis  Mose,  von  Mose  bis  zu 
Jesus  und  seinen  Aposteln,  von 
Jesus  und  seinen  Aposteln  bis  zu 
Joseph  Smith  [und  wir  könnten  jetzt 
hinzufügen:  bis  Präsident  Kim- 
ball]7." 

Wenn  ich  über  den  Wortlaut  des 
,,Eids  und  Bundes,  der  zum  Prie- 
stertum gehört"  nachdenke,  den 
ein  jeder  von  uns  eingegangen  ist, 
so  flößen  mir  die  unübertrefflichen 
Segnungen,  die  der  Herr  verheißen 
hat,  Ehrfurcht  ein.  Zur  gleichen  Zeit 
werde  ich  überwältigt,  wenn  ich  die 
Bedingungen  betrachte,  auf  die  der 


Empfang  dieser  Segnungen  bedingt 
ist. 

Mir  scheint,  es  gibt  viele  „Worte 
des  ewigen  Lebens",  die  „aus  dem 
Munde  Gottes"  gekommen  sind, 
auf  die  wir  sorgfältiger  achthaben 
müssen,  wenn  wir  die  verheißenen 
Segnungen  empfangen  wollen. 
Darunter  ist  das  Gebot:  „Gedenke 
des  Sabbattages,  daß  du  ihn  heili- 
gest8." 

In  unserer  Zeit  hat  der  Herr  der 
Heilighaltung  des  Sabbattags 
großen  Nachdruck  verliehen.  Als 
die  Heiligen  damals  zum  ersten  Mal 
nach  Independence  im  Staate 
Missouri  zogen,  gab  er  ihnen  eine 
Reihe  von  Richtlinien,  die  von  den- 
jenigen eingehalten  werden  müssen, 
dieZion  errichten  und  darin  wohnen 
wollen.  Eine  davon,  die  er  sehr  be- 
tonte, war  die  Heilighaltung  des 
Sabbats.  Er  hat  gesagt: 

„Und  um  dich  noch  völliger  von 
der  Welt  unbefleckt  zu  halten,  sollst 
du  zum  Hause  des  Gebets  gehen, 
am  Abendmahl  teilnehmen  und 
deine  Gelübde  an  meinem  heiligen 
Tage  darbringen. 

Denn  wahrlich,  dies  ist  der  Tag, 
für  dich  zur  Ruhe  von  deiner  Arbeit 
bestimmt,  und  damit  du  dem  Aller- 
höchsten deine  Verehrung  be- 
zeugest. 

Bedenke  ...,  daß  an  diesem  dem 
Tag  des  Herrn  du  dem  Allerhöchsten 
deine  Gaben  und  heiligen  Gelübde 
darbringen  und  deine  Sünden  vor 
deinen  Brüdern  und  dem  Herrn  be- 
kennen sollst. 

An  diesem  Tage  aber  sollst  du 
nichts  tun  als  mit  lauterem  Herzen 
deine  Speise  bereiten,  damit  dein 
Fasten  vollkommen  sei,  oder  mit 
anderen  Worten,  damit  deine  Freude 
vollkommen  sei  ." 

Da  wir  in  einer  Gesellschaft  leben, 
die  den  Sabbat  bricht,  müssen  wir  — 
wenn  wir  unsere  Berufung  im  Prie- 
stertum voll  erfüllen  wollen  —  in 
der  Welt  leben,  aber  nicht  von  der 
Welt  sein,  denn  der  Herr  hat  gesagt: 
„Die  Einwohner  Zions  sollen  ...  den 
Sabbattag  heilig  halten1"" 


Wir  brauchen  nicht  am  Sabbat  ein- 
kaufen. Man  wird  in  der  Stadt  Zion 
am  Sabbat  nicht  einkaufen. 

Wir  brauchen  an  keinen  Freizeit- 
veranstaltungen teilnehmen,  auch 
brauchen  wir  am  Sabbat  weder  jagen 
noch  fischen. 

Wenn  wir  wirklich  darauf  bedacht 
sind,  unsere  Berufung  im  Priester- 
tum voll  zu  erfüllen,  so  werden  wir 
uns  am  Sabbat  im  Rahmen  der  An- 
weisungen bewegen,  die  uns  der 
Herr  in  jenem  Abschnitt  des  Buches 
, Lehre  und  Bündnisse'  gegeben  hat. 

Nun  noch  weitere  „Worte  des 
ewigen  Lebens",  die  aus  dem  Munde 
Gottes  gekommen  sind  und  auf  die 
wir  sorgfältiger  achthaben  müssen, 
wenn  wir  für  immer  und  ewig  ver- 
mehrte Herrlichkeit  empfangen 
wollen: 

„Seid  rein,  die  ihr  die  Gefäße  des 
Herrn  traget11!" 

„Bedenke,  o  Mensch,  daß  du  für 
alle  deine  Taten  gerichtet  werden 
wirst. 

Und  wenn  ihr  deshalb  danach  ge- 
trachtet habt,  in  den  Tagen  eurer 
Prüfungszeit  Böses  zu  tun,  dann 
werdet  ihr  vor  dem  Richterstuhl 
Gottes  unrein  befunden  werden; 
und  bei  Gott  kann  nichts  Unreines 
bestehen;  daher  müßt  ihr  auf  ewig 
ausgestoßen  werden12."  Das  sind 
die  Worte  Nephis. 

„Sehet,  ich  sage  euch:  Das  Reich 
Gottes  ist  nicht  unrein,  und  nichts 
Unreines  kann  hineinkommen13." 

600  Jahre  später  sagte  der  auf- 
erstandene Jesus  seinen  nephiti- 
schen  Jüngern,  daß  „nichts  Un- 
reines ...  in  sein  Reich  eingehen 
[kann];  dahergehen  nur  die  in  seine 
Ruhe  ein,  die  durch  ihren  Glauben 
und  die  Abkehr  von  all  ihren  Sünden 
und  durch  ihre  Treue  bis  ans  Ende 
ihre  Kleider  in  meinem  Blut  ge- 
waschen haben14". 

Ganz  am  Anfang  dieser  letzten 
Evangeliumszeit  sagte  Jesus  zu  den 
Brüdern,  die  sich  auf  einer  Konfe- 
renz versammelt  hatten:  „Geht  aus 
von  den  Gottlosen!  Rettet  euch! 
Seid  rein,  die  ihr  die  Gefäße  des 
Herrn  tragt 1J?" 


384 


Diese  Worte  rufen  uns  die  Er- 
klärung des  Paulus  an  die  Korinther 
ins  Gedächtnis  zurück:  „Wisset  ihr 
nicht,  daß  ihr  Gottes  Tempel  seid 
und  der  Geist  Gottes  in  euch  wohnt? 

Wenn  jemand  den  Tempel  Gottes 
verdirbt,  den  wird  Gott  verderben, 
denn  der  Tempel  Gottes  ist  heilig; 
der  seid  ihr16." 

Es  gibt  viele  unreine  Praktiken,  die 
in  unserer  heutigen  Gesellschaft 
weit  verbreitet  sind  und  vor  denen 
wir  uns  stets  in  acht  nehmen  müs- 
sen, wenn  wir  rein  genug  leben 
wollen,  um  unsere  Berufung  im 
Priestertum  voll  zu  erfüllen. 

Der  Herr  warnte  uns  vor  einigen 
von  ihnen  im  Wort  der  Weisheit: 

,,Wenn  jemand  unter  euch  Wein 
oder  starke  Getränke  trinkt,  seht", 
so  sagte  er,  „das  ist  nicht  gut,  auch 
nicht  angenehm  in  den  Augen  eures 
Vaters  ... 

Auch  Tabak  ist  nicht  [gut]  für  den 
Körper ... 

Und  weiter:  Heiße  Getränke  sind 
nicht  fürden  Körper1!.." 

Der  Gebrauch  von  Drogen  jeg- 
licher Art,  die  Sucht  erzeugend 
sind,  verletzt  den  Geist  des  Wortes 
der  Weisheit  und  verunreinigt  sowohl 
den  Körper  als  auch  den  Geist. 

Priestertumsträger,  die  darauf 
bedacht  sind,  ihre  Berufung  voll  zu 
erfüllen,  meiden  den  Schmutz 
unserer  freizügigen  Gesellschaft 
wie  die  Pest,  wo  immer  er  auch  sein 
mag:  in  der  Literatur,  auf  der  Bühne 
oder  Leinwand,  in  Freizeitzentren 
oder  sonstwo.  Gott  duldet  kein  un- 
reines Priestertum. 

Eines  der  vernichtendsten  und 
erniedrigendsten  Laster,  das  in 
unserer  heutigen  Gesellschaft  rasch 
um  sich  greift,  ist  die  Unkeuschheit. 
Denken  wir  immer  daran,  daß  der 
Herr  vom  Sinai  mit  Donnerstimme 
sprach:  ,,Du  sollst  nicht  ehebre- 
chen18" 

Unter  dem  mosaischen  Gesetz 
stand  auf  Ehebruch  die  Todesstrafe. 
Ungeachtet  dessen,  daß  die  Über- 
tretung dieses  Gesetzes  infolge  der 
verdorbenen  Nachsicht  der  heutigen 
Menschheit  mit  Straflosigkeit  ge- 
duldet wird,  so  ist  es  nach  Gottes 


Gesetz  jedoch,  wie  es  immer  war, 
eine  die  Seele  zerstörende  Sünde. 
Die  darauf  stehende  Strafe,  die  sich 
selbst  vollstreckt,  ist  geistiger  Tod. 
Kein  Ehebrecher,  dem  nicht  ver- 
geben worden  ist,  macht  seiner 
Berufung  im  Priestertum  Ehre;  und 
der  Herr  macht  keine  feinen  Unter- 
schiede zwischen  Unzucht  und  Ehe- 
bruch, wie  Bruder  Clark  gesagt  hat19. 
Ich  möchte  hinzufügen:  auch  nicht 
zwischen  Ehebruch  und  geschlecht- 
licher Perversion. 

Jesus  setzte  den  Maßstab,  den 
wir  befolgen  sollen,   als  er  sagte: 

,,lhr  habt  gehört,  daß  gesagt  ist: 
,Du  sollst  nicht  ehebrechen.' 

Ich  aber  sage  euch:  Wer  eine 
Frau  ansieht,  ihrer  zu  begehren, 
der  hat  schon  mit  ihr  die  Ehe  ge- 
brochen in  seinem  Herzen." 

Und  um  dann  die  Ungeheuer- 
lichkeit dieser  Sünde  hervorzu- 
heben, fuhr  er  fort:  „Wenn  dir  aber 
dein  rechtes  Auge  Ärgernis  schafft 
[oder:  dich  zum  Bösen  verführen 
will],  so  reiß  es  aus  und  wirf's  von 
dir.  Es  ist  dir  besser,  daß  eins  deiner 


Glieder  verderbe  und  nicht  der  ganze 
Leib  in  die  Hölle  geworfen  werde 20." 

Gewiß  werden  wir  Priestertums- 
träger, die  wir  unsere  Berufung  im 
Priestertum  voll  erfüllen  wollen, 
um  ewiges  Leben  zu  erlangen  und 
„vermehrte  Herrlichkeit  zu  emp- 
fangen für  immer  und  ewig",  fleis- 
sig  bestrebt  sein,  das  Gebot  des 
Herrn  zu  halten,  das  da  heißt:  „Seid 
rein,  die  ihr  die  Gefäße  des  Herrn 
tragt  21" 

Möge  es  so  sein,  darum  bitte  ich 
demütig  im  Namen  Jesu  Christi. 
Amen. 


Rede  anläßlich  der  Priestertumsversammlung  der 
144.  Frühjahrs-Generalkonferenz  der  Kirche  Jesu 
Christi  der  Heiligen  der  Letzten  Tage 

1)LuB  133:5.  2)  1 .  Petr.  2:9.  3)  Abr.  3:26.  4)LuB 
84:42.  5)  LuB  84:33-44.  6)  LuB  136  (Kapitelüber- 
schrift). 7)  LuB  136:37.  8)  2.  Mose  20:8.  9)  LuB 
59:9,  10,  12,  13.  10)  LuB  68:29.  11)  LuB  133:5; 
siehe  auch  38:42.  12)  1.  Nephi  10:20,  21.  13)  1. 
Ne.  15:34.  14)  3.  Ne.  27:19.  15)  LuB  38:42. 
16)  1.  Kor.  3:16,  17.  17)  LuB  89:5,  8,  9.  18)  2. 
Mose  20:14.  19)  Konferenz,  Oktober  1949. 
20)  Matth.  5:27-29.     21)  LuB  133:5. 


Es  ist  eine  gute  Gepflogenheit 
in  der  Kirche  sowie  im  Geschäfts- 
leben, sich  selbst  zu  überprüfen  und 
festzustellen,  ob  man  Erfolg  gehabt 
hat  oder  ob  man  versagt  hat. 

Organisationen  wie  auch  der  ein- 
zelne machen  entweder  Fortschritt 
oder  entwickeln  sich  zurück;  sie  ste- 
hen selten,  wenn  überhaupt,  still. 
Sich  weiterzuentwickeln  bedeutet, 
dem  Gesetz  des  Lebens  Folge  zu 
leisten.  Wenn  die  Kirche  oder  ein 
Teil  von  ihr  sich  nicht  verbesserte, 
dann  können  Sie  sicher  sein,  daß 
sie  verderben  würde.  Keine  Ge- 
meinde oder  kein  Pfahl  der  Kirche 
kann  zurückbleiben  und  stillstehen. 
Es  ist  die  Quelle  der  Zufriedenheit 
für  uns  alle,  wenn  wir  erkennen, 
daß  wir  zu  einer  Kirche  gehören, 
die  vorwärtsgeht. 

—    David  O.  McKay 


385 


Vom  Herrn 
erwählt 


Meine  lieben  Brüder,  Träger  des 
Priestertums  Gottes,  deren  sich 
so  viele  an  so  vielen  Orten  einge- 
funden haben  —  an  dieser  Ver- 
sammlung nehmen  fast  200.000 
Brüder  teil  — ,  dies  ist  eine  Heer- 
schar Gottes,  die  größte  Bruder- 
schaft und  die  größte  Macht  auf  der 
ganzen  Erde.  Wie  glücklich  und  ge- 
segnet wir  doch  sind,  daß  wir  Träger 
des  Priestertums  sein  und  dieser 
großen  Bruderschaft  in  der  Kirche 
Jesu  Christi  der  Heiligen  der  Letzten 
Tage  angehören  dürfen. 

Heute  abend  sind  wir  belehrt,  in- 
spiriert und  in  unserem  Glauben  und 
Zeugnis  erbaut  worden  und  wir 
haben  uns  an  diesem  schönen  Chor 
erfreut.  In  ein  paar  Minuten  haben 
wir  das  besondere  Vorrecht,  einem 
Propheten  Gottes  zuzuhören,  der 
der  Präsident  der  Kirche  Jesu  Christi 
und  sein  Sprecher  heute  hier  auf 
Erden  ist.  Mögen  wir,  wenn  er 
spricht,  zuhören,  ja  hörende  Ohren 
haben  und  die  feste  Absicht,  diesem 
großen  Führer,  Spencer  W.  Kimball, 
zu  folgen. 

Da  ich  die  außerordentliche  Freude 
und  Segnung  haben  durfte,  als  Rat- 


N.  ELDON TANNER 

Erster  Ratgeber  des  Präsidenten 

der  Kirche 


geber  von  vier  der  erwählten  Pro- 
pheten des  Herrn  tätig  zu  sein, 
lege  ich  Zeugnis  ab,  daß  sie  wahr- 
haftig Propheten  Gottes  sind,  und 
ich  möchte  gern  mit  Ihnen  wieder- 
holen, wie  der  Herr  die  Führer  seiner 
Kirche  erwählt,  ordiniert  und  einge- 
setzt hat  und  wie  reibungslos  die 
Nachfolge  vor  sich  geht. 

Als  Jesus  auf  Erden  weilte,  be- 
gann er  sein  Wirken  und  gründete 
seine  Kirche  und  „rief  ...  seine 
Jünger  und  erwählte  aus  ihnen 
zwölf,  welche  er  auch  Apostel 
nannte1."  Und  er  sprach  zu  seinen 
Aposteln:  „Wahrlich,  ich  sageeuch: 
Was  ihr  auf  Erden  binden  werdet, 
soll  auch  im  Himmel  gebunden  sein, 
und  was  ihr  auf  Erden  lösen  wer- 
det, soll  auch  im  Himmel  los  sein  2." 

Daraus  geht  hervor,  daß  er  jedem 
die  Fülle  des  Apostelamtes  mit 
dessen  Schlüsseln  und  Vollmachten 
übertrug,  so  daß  ein  jeder  —  sollte 
die  Zeit  kommen  —  seinerseits  als 
dienstältester  Apostel  oder  als 
Präsident  der  Kirche  fungieren 
konnte.  Petrus,  Jakobus  und  Johan- 
nes wurden  als  das  Haupt  der  Kirche 
eingesetzt  und  sollten  nach  Christi 


Weggang  als  Erste  Präsidentschaft 
amtieren. 

Die  Kirche  beruht  in  diesen  Letzten 
Tagen  auf  demselben  Prinzip.  Nach- 
dem Joseph  Smith  vom  Herrn  er- 
wählt worden  war,  erschienen 
Petrus,  Jakobus  und  Johannes  und 
übertrugen  ihm  und  Oliver  Cowdery 
das  Melchisedekische  Priestertum 
und  ordinierten  sie  zu  Aposteln  des 
Herrn,  Jesus  Christus. 

Im  Buch  , Lehre  und  Bündnisse' 
lesen  wir,  daß  Joseph  Smith  jun. 
zum  ersten  Ältesten  der  Kirche  be- 
rufen wurde.  Der  Herr  sagte:  ,,Du 
(sollst)  ein  Seher,  Übersetzer,  Pro- 
phet und  Apostel  Jesu  Christi,  ein 
Ältester  der  Kirche  durch  den  Willen 
Gottes,  des  Vaters,  und  die  Gnade 
deines  Herrn  Jesus  Christus  ge- 
nannt werden  ... 

vom  Heiligen  Geist  getrieben, 
ihren  Grund  zu  legen  und  sie  zum 
allerheiligsten  Glauben  aufzu- 
bauen3." 

Obwohl  dem  Propheten  und  Oliver 
Cowdery  im  Juni  1829,  also  bevor 
die  Kirche  gegründet  wurde,  gesagt 
worden  war,  daß  es  zwölf  Apostel 
geben  werde  und  wie  sie  erwählt 
werden  sollten,  wurde  doch  der 
erste  Rat  der  Zwölf  erst  im  Jahre 
1835  ernannt.  Zu  der  Zeit  erhielten 
die  drei  Zeugen  durch  den  Propheten 
Joseph  Smith  vom  Herrn  den  Auf- 
trag, die  Zwölf  auszuwählen,  die 
zu  Aposteln  ordiniert  werden  soll- 
ten4. 

Diese  Männer  wurden  auf  Weisung 
des  Propheten  Joseph  Smith  erwählt 
und  zu  Aposteln  ordiniert  und 
empfingen  dieselbe  Vollmacht,  die 
Paulus  und  anderen  Aposteln 
während  der  Zeit  Jesu  Christi  über- 
tragen wurde.  Es  steht  geschrieben: 
,,Sie  bilden  einen  Rat,  der  dem  vor- 
erwähnten der  drei  Präsidenten  an 
Kraft  und  Vollmacht  gleich  ist5",  wo- 
mit die  Präsidentschaft  der  Kirche 
gemeint  ist. 

Auch  lesen  wir  in  dem  Werk  ,,Do- 
cumentary  History  of  the  Church": 
, .Joseph  Smith  fuhr  dann  fort,  die 
Pflicht  der  Zwölf  zu  erläutern  sowie 
ihre  Vollmacht,  die  gleich  nach  der 
der  jetzigen  Präsidentschaft  kommt 


386 


...,  auch  sind  die  Zwölf  keinem  an- 
deren untergeben  als  der  Ersten 
Präsidentschaft,  d.  h.  mir  ...,  Sidney 
Rigdon  und  Frederick  G.  Williams, 
die  jetzt  meine  Ratgeber  sind;  und 
wenn  ich  nicht  mehr  da  bin  [d.  h. 
wenn  er  stirbt],  gibt  es  keine  Erste 
Präsidentschaft  über  den  Zwölfen6." 

Wilford  Woodruff  hat  gesagt: 
,,lch  sage  den  Heiligen  der  Letzten 
Tage:  Die  Schlüssel  des  Reiches 
Gottes  sind  hier,  und  sie  werden 
auch  bis  zum  Kommen  des  Men- 
schensohnes hier  bleiben.  Möge 
ganz  Israel  dies  verstehen  ...  Keiner, 
in  dem  je  der  Odem  des  Lebens  ge- 
wesen ist,  kann  diese  Schlüssel 
des  Reiches  Gottes  innehaben  und 
das  Volk  in  die  Irre  führen  7." 

Nach  dem  Tode  des  Propheten 
Joseph  Smith  berief  Brigham  Young 
mit  folgenden  Worten  eine  Ver- 
sammlung ein:  ,,lch  möchte  dieses 
Volk  mit  den  verschiedenen  Kolle- 
gien des  Priestertums  zu  einer 
Sonderkonferenz  versammelt  sehen 
..."  Und  auf  dieser  Versammlung 
sagte  er:  ,,lch  fange  an,  in  meiner 
Berufung  zu  amtieren,  in  Verbin- 
dung mit  dem  Kollegium  der  Zwölf, 
die  Apostel  Jesu  Christi  für  diese 
Zeit  sind,  Apostel,  die  Gott  auf  dem 
Wege  der  Offenbarung  durch  den 
Propheten  Joseph  Smith  berufen 
hat,  die  dazu  ordiniert  und  gesalbt 
sind,  die  Schlüssel  des  Reiches 
Gottes  in  alle  Welt  zu  tragen." 

Dann  stellte  er  die  Frage:  „Möch- 
te die  Kirche,  und  ist  es  ihr  einziger 
Wunsch,  die  Zwölf  als  die  Erste 
Präsidentschaft  dieses  Volkes  be- 
stätigen?" Es  wurde  berichtet,  daß 
eine  allgemeine  Abstimmung  statt- 
fand. Darauf  bat  er  um  die  Gegen- 
probe, und  es  wurde  keine  Hand 
gehoben. 

Es  hat  den  Anschein,  daß  Brigham 
Young  die  Kollegien  des  Priester- 
tums nach  einerOrdnung  abstimmen 
lassen  wollte,  wie  wir  dies  heute 
morgen  in  unserer  feierlichen  Ver- 
sammlung getan  haben,  denn  er 
sagte:  ,, Dieses  (die  Abstimmung) 
macht  die  andere  Frage  überflüssig, 
und  es  soll  nach  Kollegien  abge- 
stimmt werden8."  Er  erklärte  dann, 


daß  die  Zwölf  weiter  in  ihrem  Amte 
bleiben  und  amtieren  sollten,  daß 
sie  die  Schlüssel  des  Reiches  inne- 
hätten und  daß  sie  die  Angelegen- 
heiten der  Kirche  regeln  und 
alles  recht  verfügen  würden,  bis  eine 
neue  Erste  Präsidentschaft  organi- 
siert werden  würde.  So  ist  es  seit 
dem  Tode  Joseph  Smith'  immer  ge- 
handhabt worden.  In  diesem  Fall 
führten  die  Zwölf  die  Kirche  noch 
dreieinhalb  Jahre  lang,  ehe  die  Erste 
Präsidentschaft  organisiert  und 
Brigham  Young  Präsident  der  Kirche 
wurde. 

Als  Wilford  Woodruff  gefragt 
wurde,  ob  er  einen  Grund  wüßte, 
warum  nicht  jemand  anders  als  der 
Präsident  der  Zwölf  über  die  Kirche 
präsidieren  könne,  sagte  er,  daß 
er  dafür  mehrere  Gründe  kenne: 
,, Erstens:  Wer  hat,  wenn  der  Präsi- 
dent der  Kirche  stirbt,  die  präsidie- 
rende Vollmacht  über  die  Kirche? 
Es  ist  das  Kollegium  der  zwölf  Apo- 
stel, das  durch  Offenbarung  von 
Gott  eingesetzt  worden  ist,  und 
sonst  niemand.  Wer  ist  dann  aber 
während  der  Zeit,  wo  die  zwölf 
Apostel  über  die  Kirche  präsidieren, 
der  Präsident  der  Kirche?  Es  ist  der 
Präsident  der  zwölf  Apostel,  und  er 
ist  tatsächlich  in  der  Zeit,  wo  er 
über  die  Zwölf  präsidiert,  genauso 
der  Präsident  der  Kirche,  wie  wenn 
er  im  Falle  einer  organisierten  Präsi- 
dentschaft der  Kirche  über  zwei 
Männer  präsidiert."  Dies  ist  ein  Aus- 
zug aus  einem  Brief,  den  Wilford 
Woodruff  am  28.  März  1 887  an  Heber 
J.  Grant  schrieb.  Nach  diesem 
Grundsatz  hat  man  sich  nun  bereits 
über  hundert  Jahre  lang  gerichtet. 

In  der  ganzen  Geschichte  der 
Kirche  hat  es  sich  sehr  deutlich 
gezeigt,  daß  der  Mann,  der  zum 
Präsidenten  der  Kirche  erwählt  wird, 
vorherordiniert  und  der  Mann  der 
Stunde  war.  Es  heißt,  daß  Joseph 
Smith,  als  er  zum  ersten  Mal  mit 
Brigham  Young  zusammentraf, 
gesagt  hat,  daß  Brigham  Young 
eines  Tages  der  Präsident  der 
Kirche  sein  werde.  Wenn  wir  über 
die  ungewöhnliche  Kombination  von 
Ereignissen   nachdenken,   die   Brig- 


ham Young  Präsident  der  Zwölf 
werden  ließ,  so  liegt  es  auf  der 
Hand,  daß  er,  lange  bevor  er  ge- 
boren wurde,  vorherordiniert  und 
erwählt  worden  war,  ebenso  wie 
es  Jeremia  und  andere  waren. 

Als  der  Prophet  Joseph  Smith 
starb,  schien  es  allen  so,  als  hätte 
es  keinen  gegeben,  der  bereit  ge- 
wesen sei,  die  Verantwortung  als 
Präsident  der  Kirche  auf  sich  zu 
nehmen.  Joseph  Smith  hatte  die 
besondere  Gabe  erhalten,  Offen- 
barung für  die  Kirche  zu  empfangen, 
und  wurde  mehr  als  viele  andere 
Propheten  inspiriert.  Er  war  be- 
sonders dafür  geeignet,  eine  große 
Mission  auszuführen.  Nach  seinem 
Tode  erwies  sich  Brigham  Young, 
der  Präsident  der  Kirche  wurde, 
als  der  Mann  der  Stunde.  Auch  er 
hatte  besondere  Gaben  und  Talente, 
die  ihn  befähigten,  das  zu  tun,  was 
zu  jener  Zeit  getan  werden  mußte. 
Brigham  Young  war  ein  großer 
Führer,  Kolonisator  und  Organisa- 
tor. Er  war  zweifellos  der  Mann, 
der  die  Kirche  leiten  und  in  den 
Rocky  Mountains  ansässig  machen 
sollte  und  konnte,  wie  es  zuvor  der 
Prophet  Joseph  Smith  vorausge- 
sagt hatte. 

Auch  ist  es  höchst  beruhigend, 
wenn  man  sieht,  wie  John  Taylor  be- 
schützt wurde.  Man  kann  sagen,  daß 
er  ein  Märtyrer  war,  denn  er  mußte 
sehr  unter  den  Wunden  leiden,  die 
man  ihm  zugefügt  hatte,  als  der 
Prophet  Joseph  Smith  getötet  wur- 
de. Es  zeigte  sich  während  seiner 
ganzen  Amtszeit,  daß  er  ohne  Zwei- 
fel der  Mann  war,  der  zu  dieser  Zeit 
gebraucht  wurde.  Dasselbe  kann 
von  denjenigen  Männern  gesagt 
werden,  die  als  Präsidenten  der 
Kirche  folgten. 

Wir  müssen  feststellen,  daß  unter 
der  Leitung  Harold  B.  Lees,  obwohl 
er  doch  nur  eine  so  kurze  Zeit  über 
die  Kirche  präsidiert  hat,  viel  Fort- 
schritt gemacht  und  viel  vollbracht 
worden  ist;  auch  ist  das  Fundament 
für  die  zukünftige  Entwicklung 
und  das  weitere  Wachstum  der 
Kirche  gelegt  worden. 


387 


Jetzt  haben  wir  einen  Präsidenten 
der  Kirche,  den  der  Herr  erwählt  und 
vorherordiniert  hat  —  der  als 
Apostel  über  30  Jahre  lang  geprüft 
und  geschult  wurde  und  der  zu 
drei  verschiedenen  Malen  auf  wun- 
dersame Weise  für  dieses  hohe  und 
heilige  Amt  bewahrt  wurde. 

Wir  lesen  in  dem  Buch  „Lehren 
des  Propheten  Joseph  Smith":  „Je- 
der Mann,  der  berufen  ist,  den  Be- 
wohnern der  Erde  im  Evangelium 
zu  dienen,  wurde  gerade  zu  diesem 
Zweck  in  der  großen  Ratsversamm- 
lung im  Himmel  vor  Grundlegung 
der  Welt  ordiniert5?" 

Wir  müssen  immer  daran  denken, 
wie  es  schon  so  oft  gesagt  worden 
ist,  der  Herr  beruft  seine  Propheten, 
und  der  Herr  entläßt  seine  Pro- 
pheten. Sie  können  von  keiner  an- 
deren Macht  berufen  oder  entlassen 
werden.  Wie  bereits  erwähnt,  über- 
nimmt beim  Tode  des  Präsidenten 
der  Kirche  das  Kollegium  der  Zwölf 
die  Leitung,  und  das  dienstälteste 
Mitglied  bzw.  der  Präsident 
der  Zwölf  wird  der  präsidierende 
Beamte. 

Es  ist  wichtig,  daß  man  sich 
genau  vergegenwärtigt,  was  sich  zu- 
trug, als  Bruder  Lee  von  uns  schied. 
Bruder  Romney  war  ins  Krankenhaus 
gerufen  worden,  und  als  Bruder 
Lee,  der  erkannte,  daß  er  eine  Zeit 
lang  verhindert  sein  würde,  mit  ihm 
sprach,  sagte  er  zu  ihm:  „Bruder 
Tanner  ist  nicht  da,  und  ich  möchte, 
daß  Sie  es  übernehmen,  die  Ange- 
legenheiten der  Kirche  wahrzu- 
nehmen." Spencer  W.  Kimball,  der 
später  hereinkam,  bot  Bruder 
Romney  seine  Hilfe  an.  Bruder 
Romney  wandte  sich  jedoch,  gleich 
nachdem  bekanntgegeben  worden 
war,  daß  Präsident  Lee  hinüberge- 
gangen war,  an  Spencer  W.  Kimball 
und  sagte:  „Jetzt  sind  Sie  als  Präsi- 
dent des  Kollegiums  der  Zwölf 
verantwortlich.  Ich  stehe  Ihnen  zur 
Verfügung  und  bin  bereit,  alles  zu 
tun,  womit  ich  Ihnen  helfen  kann." 

Das  entsprach  ganz  und  gar  der 
Ordnung  der  Kirche  und  ist  ein 
großartiges  Beispiel  dafür,  wie  doch 


die  Kirche  nie  ohne  Präsidentschaft 
gelassen  wird  und  wie  reibungslos 
der  Übergang  vonstatten  geht. 
Sofort  wurde  Spencer  W.  Kimball 
als  Präsident  der  Zwölf  die  präsi- 
dierende Autorität  der  Kirche. 

Ich  möchte  gern  einen  Überblick 
über  das  geben,  was  unternommen 
wurde,  als  er  zum  Präsidenten  der 
Kirche  ernannt  und  ordiniert  wurde. 
Lassen  Sie  mich  aber  noch,  bevor 
ich  dies  tue,  aus  einer  Rede  Bruder 
Kimballs  zitieren,  die  er  auf  der 
Generalkonferenz  am  4.  April  1960, 
also  vor  1 4  Jahren,  gehalten  hat : 

„Welche  Mutter  stellt  sich  nicht 
vor,  wenn  sie  voller  Zärtlichkeit  auf 
ihr  pausbäckiges  Baby  herabblickt, 
daß  ihr  Kind  einmal  der  Präsident 
der  Kirche  oder  der  Führer  ihrer 
Nation  wird?  Während  es  sich  in 
ihren  Armen  kuschelt,  sieht  sie  in 
ihm  einen  Staatsmann,  einen  Führer, 
einen  Propheten.  Manche  Träume 
werden  wahr!  Eine  Mutter  gibt  uns 
einen  Shakespeare,  eine  andere 
einen  Michelangelo,  eine  weitere 
einen  Abraham  Lincoln  und  noch 
eine  andere  einen  Joseph  Smith ! 

Wenn  Theologen  wanken  und 
straucheln,  Lippen  heucheln  und 
Herzen  abirren  und  die  Menschen 
,hin  und  her  ...  laufen  und  des 
Herrn  Wort  suchen  und  doch  nicht 
finden',  wenn  Wolken  derTäuschung 
vertrieben  werden  müssen,  wenn 
geistige  Finsternis  durchdrungen 
und  der  Himmel  geöffnet  werden 
muß,  dann  kommt  ein  kleines  Kind 
zurWelt."  Wie  prophetisch! 

Genau  solch  ein  Kind  kam  am 
28.  März  1895  in  Salt  Lake  City  zur 
Welt  und  wurde  Spencer  Woolley 
Kimball  genannt.  Sie  finden  einen 
höchst  interessanten  Bericht  über 
das  Leben  dieses  großen  Mannes 
im  STERN,  Juli  1974.  Der  Bericht 
reicht  von  seiner  Geburt  bis  in  die 
heutige  Zeit  und  wurde  sehr  schön 
von  Bruder  Boyd  K.  Packer  geschrie- 
ben. 

Als  Wilford  Woodruff  Präsident 
der  Kirche  war,  sagte  er,  daß  es  der 
Wille  des  Herrn  sei,  daß  man  keine 
lange  Zeit  zwischen  dem  Tod  des 
Präsidenten  der  Kirche  und  der  Zeit 


verstreichen  lassen  solle,  wo  die 
Erste  Präsidentschaft  wieder  organi- 
siert werde.  Deshalb  rief  Bruder 
Kimball,  der  Präsident  der  Zwölf  am 
30.  Dezember  1973,  nur  vier  Tage 
nach  dem  Tod  Harold  B.  Lees,  die 
Apostel  im  oberen  Raum  des  Tem- 
pels mit  der  Absicht  zusammen,  die 
Neugestaltung  der  Ersten  Präsident- 
schaft zu  besprechen  und  das  zu 
tun,  wozu  man  sich  entschließen 
würde.  Diejenigen,  die  die  Ratgeber 
des  Präsidenten  gewesen  waren, 
d.  h.  Bruder  Romney  und  ich, 
nahmen  ihre  jeweiligen  Plätze  im 
Kollegium  der  Zwölf  ein. 

Spencer  W.  Kimball  brachte 
seinen  großen  Kummer  über  den 
Tod  Präsident  Lees  und  sein  Gefühl 
der  Unzulänglichkeit  zum  Ausdruck 
und  forderte  daraufhin  die  Kollegi- 
umsmitglieder in  der  Reihenfolge 
ihres  Dienstalters  auf,  sich  einzeln 
dazu  zu  äußern,  wie  sie  darüber 
dachten,  die  Präsidentschaft  der 
Kirche  neu  zu  organisieren. 

Als  die  Brüder  sprachen,  gab  ein 
jeder  zu  verstehen,  daß  er  empfinde, 
daß  jetzt  die  Zeit  sei,  die  Erste 
Präsidentschaft  neu  zu  organisieren 
und  daß  Spencer  W.  Kimball 
derjenige  sei,  von  dem  der  Herr 
wolle,  daß  er  zu  dieser  Zeit  präsi- 
diere. Der  wohltuende  Geist  des 
Herrn  war  in  reichem  Maße  an- 
wesend, und  es  lagen  völlige  Einig- 
keit und  Harmonie  im  Sinn  und  in 
den  gesprochenen  Worten  der 
Brüder.  Der  einzige  Wunsch  war 
der,  den  Willen  des  Herrn  zu  tun, 
und  es  gab  keine  Zweifel  darüber, 
daß  der  Wille  des  Herrn  zum  Aus- 
druck gekommen  war. 

Bruder  Ezra  Taft  Benson  stellte 
dann  vorschriftsmäßig  den  Antrag, 
daß  die  Erste  Präsidentschaft  der 
Kirche  neu  organisiert  und  daß 
Spencer  W.  Kimball  als  Präsident, 
Prophet,  Seher,  Offenbarer  und 
Treuhänder  der  Kirche  bestätigt,  or- 
diniert und  eingesetzt  werden  solle. 
Dieser  Antrag  wurde  unterstützt  und 
einstimmig  angenommen. 

In  aller  Demut  trat  Bruder  Kimball 
nach  vorn,  nahm  die  Berufung  an 
und   betete  darum,   daß   der   Geist 


388 


und  die  Segnungen  des  Herrn  bei 
ihm  sein  mögen,  damit  er  befähigt 
werde,  den  Willen  des  Herrn  aus- 
zuführen. Er  sagte,  er  habe  stets 
darum  gebetet,  daß  Präsident  Lee 
Gesundheit,  Kraft  und  Stärke  haben 
möge  sowie  die  Segnungen  des 
Herrn,  damit  er  weiterhin  der  Prä- 
sident der  Kirche  sein  könnte.  Er 
betonte,  daß  er  aufrichtig  mit  seiner 
lieben  Frau  Camilla  darum  gebetet 
habe,  daß  dieses  Amt  niemals  ihm 
auferlegt  werden  würde,  und  daß  er 
sicher  gewesen  sei,  daß  Präsident 
Lee  bestimmt  länger  leben  würde 
als  er. 

Bei  dieser  Gelegenheit  dachte  ich 
an  den  Heiland,  wie  er  im  Garten 
Gethsemane  betete:  „Mein  Vater, 
ist's  möglich,  so  gehe  dieser  Kelch 
an  mir  vorüber;  doch  nicht  wie  ich 
will,  sondern  wie  du  willst10!"  Und 
so  nahm  Bruder  Kimball  das  hohe 
Amt  an. 

Er  erwählte  und  benannte  dann 
als  seinen  Ersten  Ratgeber  N.  Eldon 
Tanner  und  als  seinen  Zweiten  Rat- 
geber    Marion     G.     Romney,     von 


denen  ein  jeder  zum  Ausdruck 
brachte  und  sich  verpflichtete, 
Bruder  Kimball  als  den  Präsidenten 
der  Kirche  zu  unterstützen  und  sein 
Amt  nach  besten  Kräften  auszu- 
füllen, und  darum  betete,  daß  die 
Segnungen  des  Herrn  bei  ihm  seien. 

Daraufhin  wurde  Bruder  Benson 
als  Präsident  des  Rates  der  Zwölf 
bestätigt.  Bruder  Kimball  nahm 
dann  in  der  Mitte  des  Raumes  Platz, 
und  als  alle  Anwesenden  die  Hände 
auf  sein  Haupt  legten,  spürten  wir, 
daß  der  Geist  des  Herrn  wirklich 
bei  uns  war,  und  dieser  beglückende 
Geist  erfüllte  unser  Herz.  Mit  Ezra 
Taft  Benson  als  Sprecher  wurde 
dann  SpencerW.  Kimball  mit  einem 
wunderschönen  Gebet  und  Segen 
als  Prophet,  Seher  und  Offenbarer 
und  Präsident  der  Kirche  Jesu 
Christi  der  Heiligen  der  Letzten  Tage 
ordiniert  und  eingesetzt. 

Ich  bezeuge  Ihnen  und  der  Welt, 
daß  nach  dem  Plan  und  der  Ordnung 
der  Kirche  verfahren  wurde  und 
daß  Spencer  W.  Kimball  sein  Pro- 
phet und  der  Präsident  der  Kirche 


des  Herrn  und  seines  Reiches  hier 
auf  Erden  ist.  In  den  Pfahlkonferen- 
zen, die  seit  seiner  Ernennung  statt- 
gefunden haben,  und  heute  in  der 
feierlichen  Versammlung  hat  man 
ihn  begeistert  bestätigt.  Es  ist  das 
große  Vorrecht,  die  Ehre  und  Verant- 
wortung eines  jeden  von  uns, 
Spencer  W.  Kimball  als  einen  Pro- 
pheten Gottes  anzuerkennen  und 
zu  unterstützen  und  nach  seiner 
Weisung  alles  zu  tun,  was  in  unserer 
Kraft  liegt,  damit  das  Reich  er- 
richtet, die  Sache  der  Rechtschaf- 
fenheit gefördert  und  die  Welt  auf 
das  Zweite  Kommen  unseres  Herrn 
und  Heilands,  Jesus  Christus, 
vorbereitet  werde. 

Es  gibt  jedoch,  wie  in  der  Ver- 
gangenheit, immer  noch  welche,  die 
das  Verfahren,  das  bei  der  Wahl  des 
Präsidenten  angewandt  wird,  in 
Frage  stellen,  und  einer  besonders 
hat  uns  geschrieben  und  zum  Aus- 
druck gebracht,  daß  er  der  Ansicht 
sei,  er  solle  Präsident  der  Kirche 
sein.  Ich  möchte  Sie  aber  daran 
erinnern,  daß  die  Verfahrensweisen 


389 


der  Kirche  und  die  Lehren  Jesu 
Christi  nicht  erst  erprobt  werden 
müssen  und  daß  wir  das  große 
Vorrecht,  die  Verantwortung  und  den 
Segen  haben,  Mitglieder  seiner 
Kirche  und  seines  Reiches  zu  sein 
und  den  Propheten  anzuerkennen 
und  zu  unterstützen.  Und  es  liegt  an 
uns,  uns  der  Mitgliedschaft  und  des 
Priestertums,  das  wir  tragen,  würdig 
zu  erweisen. 

Laßt  uns  immer  daran  denken, 
daß  Führer  der  Kirche  dem  Herrn 
gegenüber  verantwortlich  sind,  und 
es  ist  an  ihm,  sie  zur  Ordnung  zu 
rufen,  wenn  sie  einen  falschen  Weg 
eingeschlagen  haben,  und  sie  zu 
entlassen,  wenn  sie  ihre  Mission 
beendet  haben.  Wir  sind  davor  ge- 
warnt worden,  daß  Gott  uns  seinen 
Geist  entziehen  wird,  wenn  wir  uns 
gegen  die  Autorität  erheben,  die  er 
in  die  Kirche  gesetzt  hat,  um  sie 
zu  verwalten,  und  nicht  Buße  tun. 

Brüder,  wenn  wir  vom  Geist  des 
Herrn  geführt  werden  wollen  und 
in  den  Genuß  seiner  Segnungen 
kommen  möchten,  so  müssen  wir 
treu  zu  dem  stehen,  der  zu  unserem 
Führer  erwählt  worden  ist,  und 
dürfen  nie  murren,  klagen  oder  nör- 
geln oder  meinen,  daß  jemand 
anders  an  seiner  Stelle  sein  solle. 
Männer  von  hohem  Stand,  selbst 
einer  der  drei  Zeugen,  Oliver 
Cowdery,  der  das  Priestertum  von 
Boten  aus  dem  Himmel  empfangen 
hatte,  ebenso  Sidney  Rigdon,  ein 
Ratgeber  Joseph  Smith',  fielen  von 
der  Kirche  ab,  weil  sie  am  Propheten 
Gottes  Kritik  übten  und  an  ihm 
zweifelten. 

Ich  bitte  darum,  daß  wir  alle  im 
Glauben  treu  bleiben,  daß  wir  dem- 
jenigen, den  Gott  zu  unserem  Führer 
erwählt  hat,  folgen  und  ihn  unter- 
stützen. Wenn  wir  das  tun,  werden 
wir  gesegnet,  und  der  Geist  des 
Herrn  wird  bei  uns  und  unserer 
Familie  verweilen,  während  wir 
sie  belehren  und  dazu  anhalten, 
treu  und  tätig  zu  sein.  Gottes  Werk 
wird  vollbracht  und  sein  Wille  getan 
werden.  Der  Herr  hat  von  seinem 
Propheten  gesagt: 


,,Denn  ihr  sollt  sein  Wort  in  aller 
Geduld  und  im  Glauben  annehmen, 
als  komme  es  aus  meinem  Munde. 

Wenn  ihr  diese  Dinge  tut,  so  wer- 
den die  Pforten  der  Hölle  euch  nicht 
überwinden;  ja,  Gott,  der  Herr,  wird 
die  Mächte  der  Finsternis  vor  euch 
zerstreuen  und  die  Himmel  zu  eurem 
Heil  und  seines  Namens  Herrlichkeit 
erschüttern. 

Denn  so  spricht  Gott,  der  Herr: 
Ihn   habe   ich   durch   meinen    Geist 


erleuchtet,  um  die  Sache  Zions  mit 
gewaltiger  Kraft  zum  Guten  vor- 
wärts zu  bringen  11." 

Im  Namen  Jesu  Christi.  Amen. 

I)  Luk.  6:13.  2)  Matth.  18:18.  3)  LuB  21:1,  2. 
4)  DHC,  2:186,  187;  LuB  18.  5)  LuB  107:24. 
6)  DHC,  2:373,  374.  7)  „Discourses  of  Wilford 
Woodruff",  G.  Homer  Durham,  S.  73,  74.  8)  DHC, 
7:230,232,240.     9)  1963,  S.  309.     10)  Matth.  26:39. 

II)  LuB  21:5-7. 

Rede  anläßlich  der  Priestertumsversammlung  der 
144.  Frühjahrs-Generalkonferenz  der  Kirche  Jesu 
Christi  der  Heiligen  der  Letzten  Tage. 


Gebrauche,  was  du 


Als  ich  noch  zur  Oberschule  ging, 
entschloß  ich  mich,  Boxweltmeister 
im  Schwergewicht  zu  werden.  Das 
war  in  der  Zeit  der  großen  Arbeits- 
losigkeit, und  soweit  ich  wußte,  war 
es  der  einzige  Weg,  schnell  zu  einer 
Million  Dollar  zu  kommen.  Ich  war 
ziemlich  groß  und  kräftig  gebaut.  Ich 
hatte  bereits  in  der  Schule  als  Ama- 
teur einige  Kämpfe  bestritten  und  sie 
ohne  Schwierigkeiten  gewonnen.  Die 
Vorstellung,  was  ich  in  einigen  weni- 
gen Jahren  verdienen  konnte,  faszi- 
nierte mich.  Irgendwie  fühlte  ich  je- 
doch, daß  ich  es  bisher  noch  mit  kei- 
nem ernstzunehmenden  Gegner  zu 
tun  gehabt  hatte  und  daß  ich  viel- 
leicht jemanden  brauchte,  der  mich 
trainierte,  bevor  ich  mich  mit  „schwe- 
reren Brocken"  auseinandersetzte. 

Als  dann  eines  Tages  ein  kleiner 
drahtiger  Mann  im  Nachbarhaus  ein- 
zog und  ich  sein  Gesicht  sah,  wußte 
ich,  daß  meine  Hilfe  da  war.  Ich  eilte 
hinaus,  um  ihm  zu  helfen,  und  die 
erste  Frage,  die  ich  ihm  stellte,  war: 
„Sind  Sie  ein  Boxer?"  Er  grinste  und 
erwiderte:  „Ich  sehe  wie  einer  aus, 
nicht  wahr?  Ja,  ich  habe  70  oder  80 
Profikämpfe  hinter  mir." 

Hastig  sagte  ich:  „Ich  bin  auch  ein 
Boxer!"  Er  schaute  mich  an  und 
meinte:  „Nun,  stark  genug  bist  du." 
Ich  fuhr  fort:  „Ich  habe  bis  jetzt  noch 


keine  richtigen  Anleitungen  erhalten. 
Könnten  Sie  mir  einige  Tips  geben? 
Ich  habe  alle  meine  Kämpfe  gewon- 
nen." Eine  Weile  zögerte  er,  dann 
sagte  er:  „Okay,  komm  in  den  näch- 
sten Tagen  zu  mir  herüber." 

Ich  wartete  jedoch  nicht  so  lange. 
Schon  am  Nachmittag  ging  ich  zu 
ihm.  Er  schmunzelte  ein  wenig  über 
meinen  Eifer,  aber  schließlich  trug  er 
mir  auf,  zwei  Paar  große  Sparrings- 
handschuhe zu  besorgen.  Er  wog 
vielleicht  55  bis  60  kg,  während  ich 
damals  ca.  85  kg  auf  die  Waage 
brachte.  Ich  zog  mein  Hemd  aus  und 
sagte:  „Ich  bin  um  etliches  schwerer 
als  Sie."  Doch  er  entgegnete  darauf 
nichts.  Als  er  sich  dann  die  Hand- 
schuhe übergestreift  hatte,  sagte  er: 
„Nun,  mein  Junge,  ich  folge  in  der 
Regel  beim  Boxen  meinem  Instinkt. 
Ich  überlege  also  nicht,  wenn  ich  zu- 
schlage. Wenn  ich  bei  dir  ein  Loch 
in  der  Deckung  sehe,  schlage  ich  zu. 
Ich  möchte,  daß  du  weißt,  daß  ich, 
wenn  ich  dich  etwas  härter  treffe,  als 
ich  es  deiner  Meinung  nach  sollte,  es 
nicht  absichtlich  tue."  Ich  nickte  zu- 
stimmend mit  dem  Kopf  und  meinte: 
„Na  klar,  ich  bin  bei  Ihnen  auch  nicht 
vorsichtig."  Er  sah  mich  an  und 
lächelte  nicht.  Er  sagte  nur:  „Mach 
dir  keine  Sorgen  darüber,  mein  Jun- 
ge." 


390 


MORMONISMEN 


Der  Nachfolger  eines  Sonntags- 
schulleiters wollte  seinen  gerade 
entlassenen  Vorgänger  zu  seiner 
Arbeit  beglückwünschen.  So  sprach 
er  ihm  auf  folgende  treffende  Wei- 
se seinen  Dank  aus:  „Wir  möch- 
ten Ihnen  für  die  Arbeit  danken, 
die  Sie  für  die  Sonntagsschule 
geleistet  haben,  und  wir  sind  froh, 
daß  Sie  entlassen  sind." 


In  unserer  Gemeinde  wurden 
die  Mitarbeiterinnen  in  der  PV 
aufgefordert,  den  Kindern  beim 
Unterricht  in  die  Augen  zu  blicken. 
Nachdem  ich  dies  vier  Wochen 
lang  getan  hatte,  fragte  ich  meine 
neunjährigen  Bogenschützen,  ob 
ihnen  im  letzten  Monat  eine  Ver- 
änderung an  mir  aufgefallen  sei. 

„Nein,  was  denn?"  kam  es  im 
Chor  zurück. 

Bevor  ich  antworten  konnte, 
piepste  Karl-Heinz:  „Sie  tragen 
jetzt  Umstandskleider." 


Während  der  Weihnachtsferien 
waren  mein  Mann  und  ich  von  kirch- 
lichen und  anderen  Aktivitäten 
reichlich  in  Anspruch  genommen. 
Daher  waren  wir  verschiedene 
Abende  nicht  zu  Hause.  Es  war  un- 
ser zweijähriger  Sohn,  der  dieser 
Art  von  Tätigkeit  ein  plötzliches 
Ende  setzte  und  uns  wissen  ließ, 
daß  wir  zu  oft  nicht  zu  Hause  wa- 
ren. Als  wir  ihm  nämlich  ein  Bild 
von  Maria  und  dem  Jesuskind  zeig- 
ten, bezeichnete  er  diese  als  „Je- 
sus und  seinen  Babysitter". 


hast! 


VON  ROBERT  K.  THOMAS 


Der  Rest  der  Geschichte  ist  für 
mich  nicht  sehr  rühmlich.  Ich  habe 
ihn  nicht  einmal  getroffen.  Plötzlich, 
nach  einer  Minute  —  ich  hatte  offen- 
sichtlich meine  Deckung  vernachläs- 
sigt und  erkannte  die  Gefahr  nicht  — , 
traf  er  mich  an  dem  gewissen  Punkt 
am  Kinn.  Seine  gewaltigen  Spar- 
ringshandschuhe fühlten  sich  an,  als 
wären  sie  aus  Eisen.  Ich  fiel  um  wie 
ein  Sack  Mehl.  Es  war  kein  vollstän- 
diger „Knockout",  aber  ich  war  ganz 
schön  benommen.  Als  mein  Kopf  et- 
was klarer  wurde  und  ich  hinauf- 
schaute, sah  ich,  wie  der  kleine  Mann 
seine  Handschuhe  abstreifte.  Ich 
sprang  auf  und  sagte:  „Machen  Sie 
doch  weiter.  Jetzt  kenne  ich  den  Un- 
terschied zwischen  einem  Amateur 
und  einem  Profi,  aber  Sie  können  mir 
helfen."  Er  schüttelte  seinen  Kopf 
und  zog  seine  Handschuhe  ganz  aus. 
Der  Traum  von  einer  Million  Dollar 
begann  zu  schwinden.  Wie  in  pani- 
scher Angst  ergriff  ich  ihn  und  bat: 
„Wollen  Sie  mir  nicht  helfen?"  Er 
schüttelte  meine  Hand  ab. 

Gerade  in  dem  Augenblick  flog 
eine  helle  junge  Fliege  vorbei.  Er 
griff  nach  ihr  und  hatte  sie  auch 
schon  gefangen.  Dann  forderte  er 
mich  auf:  „Nun,  mein  Junge,  du 
fängst  die  nächste  Fliege."  Kurz  dar- 
auf kam   eine  große  alte  Fliege   in 


meine  Reichweite,  und  ich  unternahm 
mehrere  Versuche,  sie  zu  fangen. 
Vergebens,  ich  kam  nicht  einmal  in 
ihre  Nähe,  um  sie  zu  erwischen.  „Das 
ist  es,  was  dir  fehlt,  mein  Junge", 
meldete  sich  der  kleine  Boxer  wie- 
der zu  Wort,  „deine  Reflexbewegun- 
gen sind  nicht  schnell  genug.  Und  sie 
werden  es  auch  nie  sein.  Es  gibt 
nichts,  was  du  dagegen  tun  kannst. 
Du  bist  ziemlich  groß.  Hast  du  jemals 
daran  gedacht,  Basketball  zu  spie- 
len?" 

Ich  stolperte  nach  Hause;  meine 
ganze  Welt  war  über  mir  zusammen- 
gebrochen. Meine  Mutter  lag  zu  Hau- 
se krank  im  Bett  — sie  war  oft  in  ihrem 
Leben  krank  gewesen.  Tatsächlich 
war  es  der  letzte  Sommer,  den  sie  er- 
lebte. Ich  tat  mir  selbst  schrecklich 
leid.  Ich  ging  in  ihr  Zimmer  und  er- 
zählte ihr,  was  geschehen  war.  Ich 
sagte:  „Warum  mußte  es  mit  mir  so 
kommen?  Warum  sind  meine  Reflexe 
nicht  schneller?"  Da  ich  fortfuhr,  zu 
jammern  und  mich  selbst  zu  bemit- 
leiden, sagte  sie  schließlich  mit  fester 
Stimme  —  sie  hatte  wohl  große 
Schmerzen  und  mein  Gerede  schien 
sie  sichtlich  anzustrengen  — :  "O, 
Bobby,  was  du  hast,  das  ist  genug!" 

Nichts,  was  meine  Mutter  je  zu 
mir  gesagt  hatte,  war  so  nützlich  ge- 
wesen. „Was  du  hast,  das  ist  genug!" 


Wenn  du  dich  schwach  und  unzu- 
länglich fühlst,  so  möchte  ich  dich 
daran  erinnern,  daß  das,  was  du  hast, 
genug  ist,  vorausgesetzt,  daß  du  — 
um  in  den  Worten  Henry  James'  zu 
sprechen  —  „die  Art  Mensch  bist,  an 
dem  nichts  verloren  ist".  Du  brauchst 
niemals  mehr  so  unwissend  sein,  wie 
du  heute  bist,  niemals  so  unbeholfen 
oder  schlecht  vorbereitet.  Du  kannst 
aus  der  Kraft,  die  du  hast,  Kapital 
schlagen  und  sicher  vorwärtsgehen. 

Denke  nicht,  daß  der  Tag,  an  dem 
du  beginnst  zu  studieren  oder  an 
dem  du  ein  gutes  Buch  liest,  anstatt 
ein  schlechtes  Fernsehprogramm  zu 
sehen,  zwecklos  oder  unnütz  sei.  Du 
lebst  das  Leben,  das  du  beabsich- 
tigst zu  leben.  Bruder  Richard  L. 
Evans  liebte  es  zu  sagen:  „Was  man 
zu  tun  beabsichtigt,  das  ist  bereits 
getan." 


Robert  K.  Thomas 
Provo,  Utah 


391 


Neue  Generalautoritäten 


Bruder  Perry 

Bruder  L.  Tom  Perry  (51),  früher  Assistent  des  Rates 
der  Zwölf,  wurde  als  Mitglied  des  Rates  der  Zwölf 
Apostel  bestätigt.  Auch  wurden  zwei  neue  Assistenten 
des  Rates  der  Zwölf  bestätigt:  Bruder  J.  Thomas 
Fyans  (55),  zur  Zeit  geschäftsführender  Direktor  der 
Abteilung  für  interne  Publikationen,  und  Bruder  Neal 
A.  Maxwell  (47),  der  seit  Juni  1970  Beauftragter  für  das 
Bildungswesen  in  der  Kirche  gewesen  ist. 

Bruder  Perry  füllt  die  leere  Stelle  im  Rat  der  Zwölf 
aus.  Das  Hinzukommen  von  Bruder  Fyans  und  Maxwell 
erhöht  die  Zahl  der  Assistenten  der  Zwölf  auf  19,  die 
größte  Zahl  seit  April  1941,  als  diese  Gruppe  von 
Beamten  zum  ersten  Mal  ernannt  wurde.  Jede  der  drei 
neu  ernannten  Autoritäten  bringt  reiche  Erfahrungen  für 
die  neue  Aufgabe  mit. 

Bruder  Perry  wurde  auf  der  Oktoberkonferenz  1972 
zum  Assistenten  der  Zwölf  ernannt.  Damals  besuchte  er 
die  Generalkonferenz  als  Präsident  des  Bostoner  Pfahls. 
Er  lebte  in  Weston  in  Massachusetts  und  war  in  Boston 
ein  bekannter  Finanzfachmann  und  führender  Ge- 
schäftsmann. 

Der  neue  Apostel  stammt  aus  Logan  in  Utah,  wo  er 
am  5.  August  1922  als  Sohn  von  L.  Tom  und  Nora 
Sonne  Perry  geboren  wurde.  Er  wuchs  in  einer  Familie 
auf,  wo  Dienst  in  der  Kirche  und  die  christlichen  Ideale 
an  erster  Stelle  standen.  Bis  zu  seinem  18.  Lebensjahr 
war  sein  Vater  Bischof,  und  während  der  nächsten  20 
Jahre  diente  sein  Vater  in  der  Präsidentschaft  des 
Logan-Pfahls. 


Bruder  Perrys  Dienst  in  der  Kirche  begann  als  Präsi- 
dent seines  Diakonkollegiums.  1942  wurde  er  berufen, 
eine  Mission  in  den  Nordstaaten  der  USA  zu  erfüllen. 

1949  erhielt  er  von  der  Utah  State  University  ein 
Bakkalaureat  in  Finanzwissenschaft;  und  während  des 
folgenden  Jahres  schrieb  er  dort  seine  Abschlußarbeit. 

Bruder  Perry  begegnete  seiner  Frau,  Virginia  Lee  aus 
Hyde  Park  in  Utah,  zum  ersten  Mal  auf  einer  Pfahl- 
GFV-Führerschaftsversammlung.  Er  war  Pfahlsekretär 
und  sie  Beauftragte  für  freies  Reden  in  ihrer  Gemeinde. 
Sie  waren  auch  beide  Studenten  an  der  Utah  State  Uni- 
versity. Sie  heirateten  am  18.  Juli  1947  im  Tempel  in 
Logan  und  sind  Eltern  von  einem  Sohn  und  zwei  Töch- 
tern. 

Er  war  Ratgeber  eines  Pfahlpräsidenten  im  Osten 
der  USA,  Ratgeber  des  Bischofs  in  der  Gemeinde 
Weston,  Mitglied  des  Hohen  Rats  des  Pfahls  New  York 
und  dann  Präsident  des  Bostoner  Pfahls. 

Während  der  vergangenen  18  Monate  als  Generalau- 
torität hat  Bruder  Perry  viele  Pfahlkonferenzen  überall 
in  der  Kirche  besucht  und  war  als  stellvertretender 
Leiter  der  Melchisedekischen  Priestertums-GFV  mit 
einer  Führungsaufgabe  betraut. 


Bruder  Fyans  ist  seit  März  1972,  als  die  Abteilung 
für  interne  Publikationen  gegründet  wurde,  ihr  ge- 
schäftsführender Direktor  gewesen.  Er  wird  weiterhin 
das  gesamte  Kommunikations-Mitteilungswesen  leiten, 
wozu  folgendes  gehört:  Planen,  Herstellen,  Übersetzen, 
Drucken  und  Verteilen  von  allen  Mitteilungen,  allem 
Instruktionsmaterial  und  allen  Zeitschriften,  die  in 
erster  Linie  für  Mitglieder  der  Kirche  herausgegeben 
werden. 

Bevor  Bruder  Fyans  diese  Stellung  übernahm,  war 
er  Verwaltungsdirektor  für  die  Präsidierende  Bischof- 
schaft. Er  koordinierte  die  Vorbereitungen  für  die  vier 
Gebiets-Generalkonferenzen  der  Kirche,  die  1971  in 
Manchester,  1972  in  Mexico  City,  letztes  Jahr  in  Mün- 
chen und  dieses  Jahr  in  Stockholm  stattfanden. 

Bruder  Fyans  wurde  am  17.  Mai  1918  in  Moreland  in 
Idaho  als  Sohn  von  Joseph  und  Mae  Farnsworth  Fyans 
geboren.  Am  28.  Mai  1943  heiratete  er  Helen  Cook  im 
Tempel  in  Salt  Lake  City.  Sie  sind  die  Eltern  von  fünf 
Töchtern. 

Bruder  Fyans  war  von  1940  bis  1943  Missionar  in 
der  Spanisch-Amerikanischen  Mission  und  diente  ein 
Jahr  (1947)  als  Bischof  in  der  Gemeinde  Butler,  bevor 
er  zehn  Jahre  Erster  Ratgeber  des  Pfahlpräsidenten  des 
East-Jordan-Pfahles  war. 


392 


Bruder  Fyans 

Von  1 960  bis  1 964  war  er  Präsident  der  Uruguayischen 
Mission.  Während  dieser  Zeit  wuchs  die  Zahl  der  Mit- 
glieder in  der  Mission  von  3.000  auf  10.000. 

Nach  seiner  Rückkehr  war  er  Mitglied  der  Missionars- 
abteilung der  Kirche.  In  diesem  Amt  war  er  bis  Oktober 
1967  tätig  und  wurde  dann  einer  der  ersten  Regional- 
repräsentanten der  Zwölf. 


In  der  Mitte  des  Jahres  1970  führte  die  Kirche  das 
Amt  des  Beauftragten  für  das  Bildungswesen  der  Kirche 
wieder  ein,  das  früher  von  mehreren  hervorragenden  Er- 
ziehern und  Führern  der  Kirche  bekleidet  wurde,  und 
sie  übergab  das  neue  Amt  Bruder  Maxwell.  In  dieser 
Stellung  beaufsichtigt  er  alle  Seminare,  Institute,  Colle- 
ges und  Einrichtungen  für  höhere  Ausbildung  in  der 
Kirche,  wozu  auch  die  Brigham  Young  University,  das 
Ricks  College  und  das  College  der  Kirche  auf  Hawaii 
gehören. 

Bruder  Maxwell  bleibt  in  dieser  Stellung,  worin  er 
eine  große  weltweite  Organisation  mit  fast  einer  Drittel- 
million Studenten  in  50  Ländern  leitet. 

Bevor  er  dieses  Amt  innehatte,  war  er  Vizepräsident 
der  University  of  Utah,  wo  er  seit  1955  dem  Lehrkörper 
als  stellvertretender  Direktor  für  Public  Relations  ange- 
hörte. Ein  Jahr  später  wurde  er  Assistent  des  Präsiden- 
ten, und  außerdem  wurde  er  1961  zum  Sekretär  für  das 
Aufsichtskomitee  der  University  of  Utah  ernannt. 


Seine  Laufbahn  an  dieser  Universität  führte  ihn  weiter 
aufwärts,  er  wurde  1962  Vorsteher  der  Studenten,  1964 
Vizepräsident  für  Planung  und  öffentliche  Angelegen- 
heiten und  1 967  Vizepräsident. 

Brude  Maxwells  Dienst  in  der  Kirche  begann  mit  einer 
Mission  in  Kanada.  Dann  war  er  Ratgebereines  Bischofs 
und  von  1959  bis  1962  Bischof  der  University-Sixth- 
Ward.  Er  war  auch  Mitglied  des  Hauptausschusses  der 
Gemeinschaftlichen  Fortbildungsvereinigung  junger 
Männer,  Mitglied  des  Korrelationskomitees  der  Kirche 
für  Erwachsene;  und  1967  wurde  er  einer  der  ersten  69 
Regionalrepräsentanten  der  Zwölf. 

Bruder  Maxwell  wurde  am  6.  Juli  1926  in  Salt  Lake 
City  geboren.  1952  bestand  er  die  Abschlußprüfung 
in  dem  Hauptfach  Staatswissenschaft  an  der  University 
of  Utah  mit  hohen  Ehren  und  erhielt  1961  den  Magister- 
grad in  Staatswissenschaft.  Er  machte  zwei  Doktor- 
grade, 1969  erhielt  er  die  Doktorwürde  der  Rechte  von 
der  University  of  Utah  und  1971  die  Doktorwürde  in 
Literatur  vom  Westminister  College. 

Er  ist  Verfasser  von  vier  Büchern  und  hat  viele  Ar- 
tikel über  Politik  und  Staatsführung  für  nationale,  fach- 
liche und  lokale  Veröffentlichungen  sowie  für  die  Kirche 
geschrieben. 

Bruder  Maxwell  heiratete  am  22.  November  1950 
Colleen  Hinckley  im  Tempel  in  Salt  Lake  City.  Sie  sind 
die  Eltern  von  vier  Kindern. 


Bruder  Maxwell 


393 


D. 


wer  neue  Tempel  in  Washing- 
ton, der  sechzehnte,  der  von  der 
Kirche  in  Betrieb  genommen  wird, 
wird  in  Kürze  fertiggestellt  sein.  Es 
ist  vorgesehen,  daß  der  Tempel 
Mitte  September  für  Besucher  ge- 
öffnet wird.  Die  Weihung  soll  am 
19.-22.  November  stattfinden. 

Nach  seiner  Weihung  wird  dieser 
Tempel  wie  die  anderen  15  Tem- 
pel der  Kirche  ausschließlich  für  hei- 
lige Handlungen  wie  Taufen,  En- 
dowments  und  Eheschließungen  für 
Zeit  und  Ewigkeit  sowohl  für  die  Le- 
benden als  auch  für  die  Verstorbe- 
nen benutzt  werden.  Dieser  Tempel 
wird  über  300.000  Mitgliedern  im 
östlichen  Teil  der  Vereinigten  Staa- 
ten sowie  Mitgliedern  in  Kanada  und 
Südamerika  zur  Verfügung  stehen. 

Der  neue  Tempel  steht  in  einem 
stark  bewaldeten  Gebiet  am  Rande 
der  Hauptstadt  der  Vereinigten 
Staaten.  Der  Tempel  in  Washington 
ist  der  größte  Tempel  der  Kirche. 
Er  steht  auf  einem  23  Hektar  großen 
Gelände,  das  die  Kirche  im  Oktober 
1962  erworben  hat.  Nur  ein  Fünftel 
der  23  Hektar  Wald  wurde  für  den 
Tempelbau  gerodet.  Ein  großer  Teil 
des  Waldes  bleibt  somit  unberührt 
und  vermittelt  dem  Tempelbesucher 
den  Eindruck  der  Abgeschiedenheit. 
Der  Tempel  steht  auf  einem  Hügel, 
einer  der  höchsten  Erhebungen  im 
Bezirk  Montgomery  in  Maryland. 
Die  unübersehbare  Stellung  und  der 
leuchtende  Alabamamarmor,  der  die 
Außenwände  verkleidet,  macht  die- 
ses großartige  Gebäude  für  die 
Autofahrer  auf  dem  in  der  Nähe  vor- 
beiführenden Schnellstraßennetz  in 
eindrucksvoller  Weise  sichtbar. 

Wer  den  Tempel  nach  seiner  Er- 
öffnung besichtigen  will,  kann  ihn 
per  Flugzeug  oder  Bahn  leicht  er- 
reichen. Drei  große  Flughäfen  liegen 
nur  45  Autominuten  entfernt. 

Der  erste  Spatenstich  für  den 
Tempel  wurde  im  Dezember  1968 
unter  der  Leitung  von  Alt.  Hugh  B. 
Brown  vom  Rat  der  Zwölf  vorge- 
nommen, der  damals  Erster  Ratge- 
ber des  Präsidenten  der  Kirche  war. 


Im  März  1969  beauftragte  die  Er- 
ste Präsidentschaft  einige  Architek- 
ten der  Kirche,  den  Tempel  zu  ent- 
werfen. Das  Architektenteam  hatte 
bei  der  Planung  besondere  Ziele 
vor  Augen: 

Der  Tempel  in  Washington  soll 
ein  sichtbarer  Repräsentant  der 
Kirche  im  östlichen  Teil  der  Ver- 
einigten Staaten  sein. 

Der  Tempel  soll  in  seiner  Bauart 
zeitlos  sein  und  Vergangenheit,  Ge- 
genwart und  Zukunft  miteinander 
verbinden. 

Der  Tempel  soll  sofort  als  Tem- 
pel der  Heiligen  der  Letzten  Tage 
zu  erkennen  sein,  weil  er  an  den 
Tempel  in  Salt  Lake  City  erinnert, 
ohne  jedoch  eine  direkte  Nachbil- 
dung dieses  Gebäudes  zu  sein. 

Als  David  O.  McKay,  damals 
Präsident  der  Kirche,  am  15.  No- 
vember 1968  die  Entscheidung  zum 
Bau  dieses  Tempels  bekanntgab, 
bezeichnete  er  ihn  als  den  „Edel- 
stein unter  den  Tempeln".  Diesen 
Namen  erhielt  er,  weil  er  der  erste 
Tempel  ist,  der  mit  Marmor  verklei- 
det ist.  Dieser  wurde  vom  besten 
Marmor  der  Welt  speziell  ausge- 
sucht. Der  Marmor,  der  jetzt  das 
Äußere  des  Tempels  schmückt,  wur- 
de in  Alabama  gebrochen,  in  Tenes- 
see  geschnitten  und  in  Virginia  in 
Form  gegossen.  Jede  der  Platten 
wiegt  3  bis  6  Tonnen.  Der  Marmor 
weist  ein  leichtes  lineares  Oberflä- 
chenmuster auf,  der  das  blendende 
Weiß  etwas  abschwächt  und  die 
Pracht  des  Tempels  noch  mehr  her- 
vorhebt. 

Erst  vor  kurzem  hat  einer  der 
größten  Kräne,  der  je  für  einen  Bau 
benutzt  worden  ist,  sechs  hohe 
Stahlspitzen  und  eine51/2  Meter  ho- 
he vergoldete  Statue  des  Engels 
Moroni  auf  den  Türmen  des  Gebäu- 
des installiert.  Vom  Boden  bis  zur 
Spitze  des  Standbildes  ist  der  Tem- 
pel 88  m  hoch. 

Der  Engel  Moroni  ist  das  Werk 
von  Dr.  Avard  Fairbanks,  dem  be- 
kannten Bildhauer  aus  Salt  Lake 
City.  Er  beschreibt  seinen  Entwurf 


für  das  Standbild  wie  folgt:  „Ich 
wollte,  daß  die  Statue  mit  Geist  und 
Architektur  des  Tempels  eine  har- 
monische Einheit  bildet.  Dieses  Ge- 
fühl des  nach  oben  Strebenden 
wollte  ich  durch  Hervorhebung  der 
vertikalen  Linien  vermitteln.  Ich 
dachte  dabei  an  den  Engel  Moroni, 
der  gekommen  ist,  um  den  Anbruch 
der  Letzten  Tage  anzukündigen  und 
dem  Menschen  von  heute  den  Evan- 
geliumsplan zu  bringen." 

Der  Tempel  hat  sieben  Stock- 
werke. Der  Raum  für  die  „Solemn 
Assembly"  (feierliche  Versammlung) 
befindet  sich  im  obersten  Stock.  Ein 
weiteres  ungewöhnliches  Merkmal 
ist  die  Anordnung  von  sechs  Räu- 
men für  heilige  Handlungen  um  den 
celestialen  Raum  herum,  ähnlich 
der  Bauweise  der  Tempel  in  Ogden 
und  Provo  in  Utah.  Weitere  Tempel 
der  Kirche  befinden  sich  in  Salt  La- 
ke City,  St.  George,  Logan  und 
Manti  in  Utah;  in  Idaho  Falls  in  Ida- 
ho; in  Oahu  auf  Hawaii;  in  Mesa  in 
Arizona;  in  Oakland  und  Los  Ange- 
les in  Kalifornien;  in  Cardston  in 
Kanada;  in  Zollikofen  in  der  Nähe 
von  Bern  in  der  Schweiz;  in  Tuhika- 
ramea  in  der  Nähe  von  Hamilton  in 
Neuseeland  und  in  Lingfield  in  Sur- 
rey  in  der  Nähe  Londons. 

Die  Mormonentempel  sind  keine 
Stätten  für  den  öffentlichen  Gottes- 
dienst wie  die  Tausende  von  Ge- 
meindehäusern der  Kirche,  wo  öf- 
fentliche Gottesdienste  gehalten 
werden,  zu  denen  alle  Menschen 
eingeladen  sind. 

Die  Tempel  werden  nur  für  Ehe- 
schließungen und  andere  heilige 
Handlungen  benutzt,  die  in  der  Leh- 
re der  Kirche  beschrieben  werden, 
und  nur  Mitglieder  der  Kirche  in  gu- 
tem Stand  dürfen  den  Tempel  be- 
treten. Durch  die  Arbeit  im  Tempel 
sollen  die  erlösenden  Grundsätze 
des  Evangeliums  Jesu  Christi  allen 
Menschen  zugänglich  gemacht  wer- 
den, den  Lebenden  wie  den  Ver- 
storbenen. 


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Der  neue  Tempel  in  Washington 


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