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Full text of "Der Stern"

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Dezember  1978     104.  Jahrgang    Nummer  12 


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Christus  und  das  Weihnachtsfest 

David  O.  McKay 


Zu  Weihnachten  denken  wir  mehr  als  zu 
jeder  anderen  Zeit  im  Jahr  an  unsere 
Mitmenschen  und  versuchen,  in  Wort 
oder  Tat  unserem  Wunsch  Ausdruck  zu 
geben,  andere  glücklich  zu  machen.  Darin 
liegt  das  Geheimnis  wahren  Glücks.  „Wer 
sein  Leben  verliert  um  meinetwillen  und 
um  des  Evangeliums  willen,  der  wird's 
erhalten"  (Markus  8:35).  Diese  Worte 
sind  Ausdruck  der  wahren  Lebensan- 
schauung, und  der  Geist  des  Weihnachts- 
festes hilft  uns,  sie  zu  verstehen. 
Das  Weihnachtsfest  soll  im  Zeichen  der 
Liebe  zu  Gott  und  zu  unseren  Mit- 
menschen stehen.  Ebendies  wurde  von 
den  himmlischen  Heerscharen  verkün- 
digt, als  sie  die  Botschaft  großer  Freude 
überbrachten : 

„Ehre  sei  Gott  in  der  Höhe  und  Friede  auf 
Erden  und  den  Menschen  ein  Wohlgefal- 
len"' (Lukas  2:14). 

Wie  einfach  sind  diese  Worte  doch!  Und 
wie  tief  und  umfassend  ist  ihre  Be- 
deutung! Zu  Weihnachten  feiern  wir  die 
Geburt  dessen,  durch  dessen  irdische 
Sendung : 

1 .  Gott  verherrlicht  worden  ist 

2.  der  Erde  Frieden  verheißen  wird 

3.  alle  Menschen, die  Zusicherung  erhal- 
.  ten,  daß  Gott  ihnen  gnädig  gesinnt  ist 

Um  wieviel  froher  und  glücklicher  wäre 
das  Leben  doch,  wenn  sich  jeder  Mensch 
in  dieser  Welt  diese  drei  erhabenen  Ideale 
als  Leitbild  wählen  würde!  Mit  diesem 


Ziel  vor  Augen  würde  jeder  nach  allem 
streben,  was  rein  und  gerecht,  ehrenhaft, 
tugendhaft  und  wahr  ist  --  nach  allem, 
was  zur  Vollkommenheit  führt,  denn 
jeder,  der  danach  strebt,  Gott  zu  ver- 
herrlichen, wird  auch  diese  Tugenden 
üben.  Er  wird  sich  von  allem  fernhalten, 
was  unrein,  unehrenhaft  oder  gemein  ist. 
Wie  sehr  könnte  jeder  Mensch  doch  den 
allgemeinen  Frieden  auf  Erden  und  das 
Glück  der  ganzen  Menschheit  fördern, 
wenn  er  von  dem  Wunsch  getrieben  wäre, 
allen  seinen  Mitmenschen  mit  Wohlwol- 
len zu  begegnen,  und  danach  strebte, 
diesem  Wunsch  dadurch  Ausdruck  zu 
verleihen,  daß  er  in  jeder  nur  denkbaren 
Weise  in  Wort  und  Tat  sich  selbstlos  und 
opferbereit  erweist ! 

Das  Weihnachtsfest  ist  ein  geeigneter 
Anlaß,  uns  von  neuem  dem  Wunsch 
hinzugeben  —  und  uns  in  dem  Entschluß 
zu  bestärken  — ,  daß  wir  alles  in  unserer 
Kraft  Stehende  unternehmen  wollen,  um 
die  Botschaft  unter  den  Menschen  Wirk- 
lichkeit werden  zu  lassen,  die  die  Engel  bei 
der  Geburt  des  Erlösers  überbracht  ha- 
ben. Verherrlichen  wir  Gott,  indem  wir 
nach  dem  Guten,  Wahren  und  Schönen 
streben!  Laßt  uns  danach  trachten,  auf 
Erden  Frieden  zu  schaffen,  indem  wir 
einander  mit  dem  gleichen  Wohlwollen 
begegnen,  das  Gott  auch  uns  erwiesen 
hat! 

Millenial  Star,  LIII,  801  f.  (1923) 


Veröffentlichung  Dezember  1978 

der  Kirche  Jesu  Christi  der  104.  Jahrgang 

Heiligen  der  Letzten  Tage  Nummer  12 


Erste  Präsidentschaft:  Spencer  W.  Kimball,  N.  Eldon  Tanner.  Marion  G.  Romney. 
Der  Rat  der  Zwölf:  Ezra  Taft  Benson,  Mark  E.  Petersen,  LeGrand  Richards,  Howard  W.  Hunter, 
Gordon  B.  Hincklcy.  Thomas  S.  Monson.  Boyd  K.  Packer,  Marvin  J.  Ashton.  Bruce  R.  McConkie, 
L.  Tom  Perry.  David  B.  Haight,  James  E.  Faust. 

Beratendes  Komitee:  Gordon  B.  Hincklcy,  Marvin  J.  Ashton.  L.  Tom  Perry,  Marion  D.  Hanks. 
James  A.  Cullimore,  Robert  D.  Haies.  Church  Magazines:  Dean  L.  Larsen.  Herausgeber. 
Internationale  Redaktion:  Larry  A.  Hiller,  Carol  Larsen.  Roger  Gylling. 
Der  Stern:  Klaus  Günther  Genge,  Übersetzungsabteilung.  Grabenstraße  14.  A-8010  Graz. 

Nachrichtenredaktion:  Holger  G.  Nickel,  Porthstraße  5-7.  D-6000  Frankfurt  Main  50. 
Telefon  0611,15  34278. 


Inhalt 

Eine  Weihnachtsbotschaft  von  der  Ersten  Präsidentschaft 2 

Was  Besuchslehren  sein  kann.  Spencer  W.  Kimball 5 

Vielleicht  kann  man  Weihnachten  doch  nicht  kaufen.  Jeffrey  R.  Holland  ....  10 

Joseph  Smith,  der  gütige  Prophet.  Kenne th  W.  Godjrey 14 

Auf  der  Suche  nach  Zion,  1830-1835.  Glen  M.  Leonard 18 

Das  Zionslager.  Ronald  W.  Walker  27 

Wir  werden  durch  Offenbarung  geleitet. 

Rede  Wilford  Woodruffs 28 

Neue  Anweisungen  zur  Arbeit  für  die  Verstorbenen. 

Ein  Gespräch  zwischen  Bruder  George  H.  Fudge  und  der  Zeitschrift  „Ensign"  ,  35 

Für  Kinder 

Es  ist  wirklich  passiert.  Illustriert  von  Don  Seegmiller 1 

Das  macht  Spaß 3 

Das  Lamm.  Margaret  Allen 4 

Frohes  Hanukkah !  Bonnie  Newton ; 7 


Jahresabonnement : 

Bestellungen  über  den  Sternagenlen  der  Gemeinde: 

DM  20. —  an  Verlag  Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der  Letzten  Tage, 

Postscheckkonto  Frankfurt  6453-604. 

sFr.  21,—  an  First  National  City  Bank.  Genf,  Konto-Nr.  0312750,007.  Kirche  Jesu  Christi 

der  Heiligen  der  Letzten  Tage. 

ÖS  130,—  an  Erste  Österreichische  Spar-Casse.  Wien.  Konto-Nr.  000-81  388, 

Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der  Letzten  Tage. 

USA  und  Kanada  (nicht  mit  Luftpost):  $  8.00. 

(<J  1978  by  the  Corporation  ol  the  President  of  The  Church  oi  Jesus  Christ  of  Latter-day  Saints. 
All  rights  reserved. 

Verlag  Kirche  Jesu  Christi  der  Heiligen  der  Letzten  Tage,  Porthstraße  5-7. 
D-6000  Frankfurt  am  Main  50. 


Eine  Weihnachtsbotschaft 
von  der  Ersten  Präsidentschaft 


U  etzt  bereiten  sich  wieder  viele  Menschen  auf  der  ganzen 
Welt  auf  Weihnachten  vor.  Wir  hoffen,  daß  sie  sich  bereitmachen, 
an  diesem  besonderen  Tag  die  Geburt  des  Friedensfürsten,  des 
Messias  und  Erlösers  der  Welt,  Jesu  Christi,  in  einer  Krippe  in 
Bethlehem  zu  feiern. 

Von  Adam  an  haben  die  Propheten  das  Kommen  eines  Erlösers 
angekündigt.  Jahrhunderte  vor  der  Geburt  des  Kindes  Jesu  ver- 
kündeten Jesaja  und  Nephi,  daß  Christus  von  einer  Jungfrau  ge- 
boren werden  würde.  Micha  und  Alma  prophezeiten  von  seinem 
Geburtsort.  Andere  Propheten  -  Daniel  etwa  und  Samuel  der 
Lamanite  —  beschrieben  weitere  Einzelheiten  seines  Wirkens  auf 
Erden.  Hosea  weissagte  von  der  Flucht  nach  Ägypten. 
In  alter  Zeit,  vor  Jesu  Geburt,  sprachen  die  Propheten  von  der 
Größe  seines  Sühnopfers  und  vom  Wunder  seiner  Auferstehung. 
Sie  sagten  vorher,  daß  er  kommen  würde,  um  für  alle  Menschen 
eine  buchstäbliche  Auferstehung  zu  ermöglichen  —  und  ewiges 
Leben  für  diejenigen,  die  sich  diese  „größte  aller  Gaben  Gottes" 
verdienten. 

Der  Herr  sandte  Johannes  den  Täufer,  einen  der  bedeutendsten 
Propheten,  um  den  Weg  für  das  Erdenwirken  Christi  zu  bereiten. 
Die  Vorbereitung  auf  das  Kommen  des  Herrn  erstreckte  sich  über 
Jahrhunderte.  Mögen  wir  uns  ebenfalls  im  Geist  jener  Propheten 
aus  alter  Zeit  -  -  und  im  Geist  dessen,  was  der  Erlöser  selbst  gesagt 
hat  —  auf  die  Feier  seiner  Geburt  in  diesem  Jahr  vorbereiten.  Unter 
anderem  hat  er  uns  folgende  Richtlinien  gegeben : 
,,Du  sollst  deinen  Nächsten  lieben  wie  dich  selbst"  (Matthäus 
22:39). 

„Wenn  du  .  .  .  Almosen  gibst,  sollst  du  nicht  lassen  vor  dir  posau- 
nen ..  .  "  (Matthäus  6:2). 

„Geben  ist  seliger  als  Nehmen"  (Apostelgeschichte  20:35). 
„Friede  sei  mit  euch!"  (Johannes  20:19). 


„Liebet  eure  Feinde;  tut  wohl  denen,  die  euch  hassen"  (Lukas 
6:27). 

„Was  ihr  getan  habt  einem  unter  diesen  meinen  geringsten  Brü- 
dern, das  habt  ihr  mir  getan"  (Matthäus  25:40). 
Es  gibt  aber  noch  etwas  anderes,  worauf  wir  uns  vorbereiten  und 
woran  wir  auch  zu  dieser  Jahreszeit  denken  sollen  —  nämlich  an 
das  zweite  Kommen  Christi.  Unser  Erlöser  hat  uns  oftmals  ver- 
sichert, daß  er  in  Herrlichkeit  auf  diese  Erde  zurückkommen  wer- 
de. 

Welch  ein  großes  Ereignis,  auf  das  wir  uns  vorbereiten  müssen! 
Was  sollen  wir  tun?  Wahrscheinlich  kann  man  im  Hinblick  darauf 
keinen  besseren  Rat  aussprechen  als  den,  den  der  Herr  selbst  seinen 
Aposteln  gegeben  hat. 

„Wenn  ihr  meine  Gebote  haltet,  so  bleibt  ihr  in  meiner  Liebe, 
gleichwie  ich  meines  Vaters  Gebote  halte  und  bleibe  in  seiner 
Liebe"  (Johannes  15:10). 

Daraufhin  sprach  Jesus  über  die  Segnungen,  die  wir  empfangen, 
wenn  wir  seine  Gebote  halten:  „  .  .  .  damit  .  ..  eure  Freude  voll- 
kommen werde"  (Johannes  15:11). 
Möge  dies  für  alle  Menschen  eine  Zeit  freudiger  Vorbereitung  sein! 

Die  Erste  Präsidentschaft 


Präsident  Kimball  hielt  diese  Rede  am 
16.  September  1958  bei  einer  Besuchs- 
lehrerinnentagung im  Pfahl  Salt  Lake 
Monument  Park.  Damals  war  Präsident 
Kimball  noch  Mitglied  des  Rates  der  Zwölf. 
Seine  Worte  haben  nichts  an  der  Aktualität 
und  grundlegenden  Bedeutung  verloren. 


Ach  glaube,  daß  es  mir  schon  sehr  früh 
im  Leben  bewußt  wurde,  daß  es  die 
Frauenhilfsvereinigung  gab  und  welche 
Bedeutung  sie  hatte.  Meine  Familie 
siedelte  von  Salt  Lake  City  nach  Arizona 
über,  als  ich  drei  Jahre  alt  war.  Meine 
Mutter  hatte  zu  diesem  Zeitpunkt  sechs 
Kinder,  und  in  der  Zeit,  in  der  sie  weitere 
fünf  Schwangerschaften  und  Geburten 
durchmachte,  war  sie  Gemeinde-FHV- 
Leiterin. 

Wir  zogen  in  eine  neue  Welt,  wo  man  das 
Wasser  noch  aus  offenen  Brunnen 
schöpfte  und  wo  es  so  viele  Fliegen  gab, 
daß  man  am  Abend  kaum  durch  das 
Fliegennetz  im  Türrahmen  sehen  konn- 
te; Typhus  und  viele  andere  Krankhei- 
ten waren  dort  verbreitet;  es  gab  kaum 
medizinische  Hilfe  —  jedenfalls  keine 
Krankenhäuser  und  kein  ausgebildetes 
Krankenpersonal,  außer  dem  Landarzt, 
der  mehr  zu  tun  hatte,  als  er  je  schaffen 
konnte. 

Vor  nicht  allzu  langer  Zeit  las  ich  im 
Tagebuch  meiner  Mutter  Eintragungen 
wie :  „Ich  ließ  die  Kleinen  bei  Ruth  (oder 
Delbert  oder  Gordon)  und  ging  zu 
Schwester  Smith,  wo  das  zweite  Zwil- 
lingskind gerade  gestorben  ist  und  die 
übrigen  Kinder  schwer  an  Typhus  er- 
krankt sind."  Oder :  „Den  heutigen  Tag 
habe  ich  mit  anderen  Schwestern  damit 
zugebracht,  Totenkleider  für  Schwester 
Jones'  Kinder  zu  machen."  Und  so 
konnte  man  weiter  und  weiter  lesen.  So 
wurde  ich  mit  der  Frauenhilfsvereini- 
gung bekannt,  und  ich  bin  sicher,  daß 
diese  Arbeit  in  einem  gewissen  Ausmaß 


immer  noch  getan  wird,  denn,  wie  ich 
die  Aufgabe  der  FHV  verstehe,  betrifft 
sie  nicht  nur  die  geistige  und  moralische 
Wohlfahrt  der  Mitglieder  der  Gemein- 
de, sondern  auch  die  physische  und 
materielle.  Jedesmal,  wenn  ich  an  Be- 
suchslehrerinnen denke,  wird  mir  deut- 
lich, daß  Ihre  Aufgaben  sich  vielfach  mit 
denen  der  Heimlehrer  decken  müssen, 
die,  kurz  zusammengefaßt,  darin  be- 
stehen, „immer  über  die  Gemeinde  zu 
wachen"  —  nicht  zwanzig  Minuten  pro 
Monat,  sondern  immer  — ,  „bei  den 
Mitgliedern  zu  sein  und  sie  zu  stärken" 
—  nicht  an  die  Türe  zu  klopfen,  sondern 
bei  ihnen  zu  sein,  sie  zu  erbauen,  zu 
stärken  und  ihnen  Kraft  zu  geben  - 
„und  darauf  zu  sehen,  daß  weder  Gott- 
losigkeit noch  Schwierigkeiten  mitein- 
ander, noch  Lügen,  Verleumden  und 
Übelreden  in  der  Gemeinde  herrschen" 
(LuB  20:53,  54). 

Welch  eine  Möglichkeit  sich  hier  bietet! 
Aber  allzu  viele  möchten  über  etwas 
anderes  reden  —  über  das  Wetter,  die 
Politik  oder  etwas,  was  eben  in  der 
Gemeinde  geschehen  ist,  wie  z.  B.  die 
Teilung  einer  Gemeinde,  die  Berufung 
einer  neuen  Bischofschaft,  der  FHV- 
Leitung  oder  irgendein  anderes  der  vie- 
len Ereignisse,  die  in  einer  Gemeinde 
vorkommen  und  die  man  kritisieren 
oder  in  Frage  stellen  kann.  Wie  großar- 
tig ist  doch  die  Möglichkeit,  die  zwei 
Schwestern  haben,  wenn  sie  eine  Woh- 
nung betreten  und  alles,  was  hinderlich 
sein  könnte,  beiseite  lassen  und  statt 
dessen  über  alle  Führer  der  Kirche,  über 
die  Kirche  selbst,  ihre  Lehren,  Richt- 
linien und  Verfahrensweisen  in  positiver 
Weise  sprechen. 

So  wie  ich  es  sehe,  darf  beim  Be- 
suchslehren kein  Zwang  ausgeübt  wer- 
den. Es  ist  ein  Werk  der  Liebe  und  der 
gegenseitigen  Erbauung.  Es  ist  er- 
staunlich, wie  viele  Menschen  wir  durch 
Liebe  bekehren  und  anspornen  können. 


Wir  sollen  „warnen,  erklären,  ermahnen 
und  lehren  und  alle  einladen,  zu  Christus 
zu  kommen"  (LuB  20:59).  Das  betrifft 
sowohl  Menschen,  die  noch  nicht  der 
Kirche  angehören,  als  auch  Mitglieder. 
Um  Erfolg  zu  erzielen,  soll  eine  Be- 
suchslehrerin einen  edlen  Zweck  vor 
Augen  haben  und  ihn  nie  vergessen;  sie 
muß  sich  ihres  Amtes  in  hohem  Maß 
bewußt  sein;  sie  braucht  eine  nie  nach- 
lassende Begeisterung,  eine  positive  Hal- 
tung und  viel  Liebe. 
Im  Buch  , Lehre  und  Bündnisse'  (LuB 


Was 

Besuchslehren 
sein  kann 


42:14)  sagt  der  Herr:  „Der  Geist  wird 
euch  durch  das  gläubige  Gebet  gegeben 
werden;  wenn  ihr  aber  den  Geist  nicht 
empfanget,  sollt  ihr  nicht  lehren."  Wenn 
man  davon  ausgeht,  daß  Ihre  Arbeit  eng 
mit  der  des  Priestertums  zusammen- 
hängt, gilt  auch,  daß  Sie  die  Grundsätze 
des  Evangeliums  lehren  sollen,  „die  in 
der  Bibel  und  im  Buche  Mormon  stehen, 
worin  die  Fülle  des  Evangeliums  ent- 
halten ist"  (LuB  42:12)  -  -  nicht  bloß 
sittliche  Grundsätze.  Sie  können  die 
heiligen  Schriften  jederzeit  heranziehen, 
sie  auslegen  und  auf  irgendeine  be- 
stimmte Schwester  anwenden,  wie  Ihre 
Inspiration  Sie  führt.  Für  jede  einzelne 
Schwester  eine  besondere  Botschaft,  ei- 


Spencer  W.  Kimball 


ne  besondere  Weise,  sie  anzusprechen, 
eine  besondere  Schlußfolgerung  und  ein 
besonderer  Weg  zum  Zeugnis. 
Selbstverständlich  muß  die  Besuchsleh- 
rerin auch  alles  selbst  tun,  was  sie  lehrt. 
Darauf  sollte  man  nicht  eigens  hin- 
weisen müssen,  obwohl  wir  es  manch- 
mal vergessen :  alles,  was  sie  sagt,  soll  sie 
auch  selbst  in  die  Tat  umsetzen. 
Der  Herr  hat  gesagt:  „Ich  gebiete  euch, 
einander  in  der  Lehre  des  Reiches  zu 


der  Schrift  besser  aus  als  irgend  jemand 
von  uns,  jeden  beliebigen  Vers  können 
sie  aufschlagen  und  darüber  reden;  kei- 
ner von  ihnen  kann  jedoch  Ihrem  Zeug- 
nis widersprechen.  Sie  können  es  nicht 
widerlegen  und  müssen  verstummen. 
Man  muß  nicht  immer  auf  höchst 
formelle  Weise  Zeugnis  ablegen  —  es 
gibt  so  viele  andere  Möglichkeiten.  Be- 
suchslehrerinnen müssen  hervorragen 
und  den  Frauen,  die  sie  besuchen,  Füh- 


,,  Jedesmal,  wenn  ich  an 
Besuchslehrerinnen  denke,  wird 
mir  deutlich,  daß  ihre  Aufgaben 

sich  vielfach  mit  denen  der 

Heimlehrer  decken  müssen,  die, 

kurz  zusammengefaßt,  darin 

bestehen,  „immer  über  die 

Gemeinde  zu  wachen"  —  nicht 

zwanzig  Minuten  pro  Monat, 

sondern  immer. 

Spencer  W.  Kim  ha  II 


belehren"  (LuB  88:77).  Geben  wir  uns 
nicht  damit  zufrieden,  einander  lediglich 
zu  besuchen  und  kennenzulernen. 
Freundschaft  ist  natürlich  wichtig,  wie 
kann  man  jedoch  besser  jemandes 
Freund  sein,  als  daß  man  ihn  die  ewigen 
Grundsätze  des  Lebens  und  der  Erlö- 
sung lehrt? 

Ihr  Zeugnis  ist  ein  gewaltiges  Werkzeug. 
Niemand  kann  es  zerstören  oder  ihm 
etwas  entgegensetzen.  Viele  Theologen 
verwenden  ihr  ganzes  Leben  darauf,  die 
Bibel  zu  studieren,  und  sie  kennen  sich  in 


rung  bieten.  Sie  müssen  überdurch- 
schnittlich sein,  was  Energie,  Einblick 
und  Gründlichkeit  anbelangt  —  vor 
allen  Dingen,  was  ihr  Zeugnis  angeht, 
denn  es  ist  unwiderlegbar. 
Mir  gefällt  der  38.  Abschnitt  des  Buches 
, Lehre  und  Bündnisse'  —  ich  zitiere, 
beginnend  mit  Vers  23  : 
„Aber  wahrlich,  ich  sage  euch :  Lehret 
einander  gemäß  dem  Amte,  wozu  ich 
euch  berufen  habe. 

Jedermann  (dies  betrifft,  wie  ich  meine, 
auch  jede  Frau)   halte  seinen   Bruder 


(seine  Schwester)  wert  wie  sich  selbst 
und  übe  Tugend  und  Heiligkeit  vor 
mir  .  .  . 

Denn  welcher  Mensch  unter  euch,  der 
zwölf  Söhne  hätte,  machte  keinen 
Unterschied  zwischen  ihnen,  und  sie 
dienten  ihm  getreulich,  und  er  würde  zu 
dem  einen  sagen:  Sei  in  herrliche  Ge- 
wänder gekleidet  und  setze  dich  hierher, 
und  zu  dem  anderen :  Sei  in  Lumpen 
gehüllt  und  setze  dich  dorthin,  und 
wollte  dann  auf  seine  Söhne  blicken  und 
sagen  :  Ich  bin  gerecht  ? 
Sehet,  das  habe  ich  euch  als  ein  Gleichnis 
gegeben,  und  es  ist  so,  wie  ich  bin.  Ich 
sage  euch :  Seid  eins,  denn  wenn  ihr  nicht 
eins  seid,  seid  ihr  nicht  mein"  (Luß 
38:23,  24,  26,  27). 

Viele  Schwestern  sind  in  Lumpen  ge- 
kleidet —  Lumpen  in  geistiger  Hinsicht. 
Sie  haben,  wie  es  in  dem  Gleichnis  heißt, 
ein  Anrecht  auf  herrliche  Kleider,  gei- 
stige Kleider.  Wir  reden  so  häufig  von 
Pflicht  —  es  ist  vielmehr  eine  besondere 
Gelegenheit  für  Sie,  jemanden  zu  be- 
suchen und  seine  Lumpen  gegen  herr- 
liche Kleider  einzutauschen. 
Wir  reden  immer  von  Pflicht  —  aber  wir 
haben  bereits  unsere  Begeisterung  ver- 
loren, unsere  Einsicht  und  unser  Ziel 
vergessen,  wenn  wir  sagen :  „Heute  vor- 
mittag muß  ich  meine  Besuchslehrarbeit 
erledigen.  "  Vielmehr  könnten  wir  sa- 
gen :  „Auf  den  heutigen  Vormittag  habe 
ich  schon  gewartet,  ich  freue  mich 
darauf,  die  Schwestern  zu  besuchen  und 
sie  zu  erbauen". 

Sie  tragen  Verantwortung.  Sie  sind 
durch  ordnungsgemäß  eingesetzte 
Führer  der  Kirche  von  Gott  berufen.  Es 
heißt  im  88.  Abschnitt  des  Buches , Lehre 
und  Bündnisse' : 

„Ja,  reinigt  eure  Herzen  und  säubert 
Hände  und  Füße,  auf  daß  ich  euch 
reinigen  und  .  .  .  bezeugen  kann,  daß  ihr 
rein  seid  vom  Blute  dieses  gottlosen 
Geschlechts"  (LuB  88:74,  75). 


Sie  können  nicht  ungestraft  eine  Schwe- 
ster übersehen  oder  sie  unbeachtet  las- 
sen, auch  wenn  sie  nicht  besonders 
entgegenkommend  ist  und  sich  über 
Ihren  Besuch  nicht  gerade  freut.  Es  gibt 
für  eine  Besuchslehrerin  keine  Entschul- 
digung, wenn  sie  die  Verantwortung  für 
vier,  fünf,  sechs  oder  sieben  Familien 
übernimmt  und  dann  zusieht,  wie  sie  in 
geistigen  Lumpen  bleiben.  Wenn  Sie 
jemanden  besuchen,  sollten  Sie  leeres 
Gerede  und  große  Worte  vermeiden.  Sie 
sind  da,  um  Seelen  zu  retten,  und  wer 
weiß,  wie  viele  der  guten  aktiven  Mit- 
glieder der  Kirche  heute  deswegen  aktiv 
sind,  weil  Sie  sie  besucht  und  ihnen  neue 
Perspektiven  gezeigt  haben.  Sie  haben 
den  Vorhang  beiseite  geschoben,  den 
Horizont  erweitert.  Sie  haben  den 
Menschen  etwas  Neues  gegeben.  Viel- 
leicht wird  man  es  Ihnen  nie  sagen,  aber 
trotzdem  haben  Sie  Ihre  Arbeit  getan. 
Sie  retten,  wie  Sie  sehen,  vielleicht  nicht 
nur  eine  einzelne  Schwester,  sondern 
auch  deren  Mann  und  deren  Familie. 
Wenn  eine  Schwester  ein  wenig  inaktiv 
ist  oder  es  mit  dem  Evangelium  nicht  so 
genau  nimmt,  dann  hat  sie  wahrschein- 
lich einen  Mann,  auf  den  dies  in  noch 
größerem  Maß  zutrifft,  und  ihre  Kinder 
nehmen  womöglich  nur  oberflächlich  an 
den  Programmen  der  Kirche  teil.  Natür- 
lich gibt  es  Ausnahmen.  Meistens  aber 
entwickeln  solche  Kinder  nur  selten  eine 
enge  Beziehung  zur  Kirche.  Sie  haben 
also  eine  große  Aufgabe  vor  sich. 
„Wer  da  kärglich  sät",  schreibt  Paulus, 
„der  wird  auch  kärglich  ernten ;  und  wer 
da  sät  im  Segen,  der  wird  auch  ernten  im 
Segen"  (2.  Korinther  9:6).  Solange  wir 
nur  leere  Worte  reden,  erreichen  wir 
nichts.  Unsere  Worte  müssen  von  Her- 
zen kommen,  und  wir  müssen  uns 
Gedanken  machen  und  uns  auf  das,  was 
wir  sagen,  vorbereiten.  Ich  wüßte  gerne, 
ob  manche  Schwestern  fasten  —  viel- 
leicht am  Morgen  vor  dem  Besuchsieh- 


ren.  Ich  weiß  nichts  davon,  daß  dies 
gefordert  wird.  Es  gibt  vieles  in  der 
Kirche,  was  nicht  gefordert  wird,  vieles, 
was  wir  gern  tun.  Jemand,  der  nicht 
mehr  tut  als  nur  Schwestern  zu  be- 
suchen, an  Türen  zu  klopfen,  Zeit  zu 
vertreiben  und  Berichte  auszufüllen, 
gleicht  dem  Mann,  von  dem  Paulus 
schreibt,  daß  er  in  die  Luft  schlägt  und 
nichts  bewirkt  (1,  Korinther  9:26). 
Wir  müssen  unsere  Arbeit  so  tun,  wie  es 
von  uns  verlangt  wird. 
Ich  nehme  an,  daß  es  überall  Frauen 
gibt,  die  die  Besuchslehrerinnen  nicht 
einlassen.  Darüber  hinaus  gibt  es 
Frauen,  die  sie  zwar  einlassen,  aber 
eigentlich  nicht  besucht  werden  wollen. 
Und  dann  gibt  es  noch  Frauen,  die  die 
Besuchslehrerinnen  wegwünschen,  be- 
vor sie  tatsächlich  gehen. 
Wenn  Sie  es  mit  einer  Schwester  zu  tun 
haben,  die  Ihnen  nicht  öffnet,  mit  einer, 
die  zwar  öffnet,  aber  nicht  besucht 
werden  will,  oder  aber  mit  einer,  die  Sie 
doch  einläßt,  nur  ungern  -  -  dann  emp- 
fiehlt es  sich,  den  Rat  des  Herrn  an- 
zuwenden:  ,, Diese  Art  fährt  nur  aus 
durch  Beten  und  Fasten"  (Matthäus 
17:21). 

Sie  wissen,  daß  der  Herr  über  Kräfte  und 
Mittel  verfügt,  Herzen  zu  bewegen,  die 
für  uns  unbegreiflich  sind.  Denken  Sie 
nur  an  Alma !  An  einem  Tag  verfolgte  er 
die  Kirche,  am  nächsten  war  er  ein 
großer  Missionar.  Oder  Paulus:  Den 
einen  Tag  verfolgte  er  die  Heiligen  und 
warf  sie  ins  Gefängnis,  und  kurz  darauf 
predigte  er  mit  großer  Macht  in  der 
Synagoge  das  Evangelium.  Was  be- 
wirkte die  Veränderung?  Es  war  eine  für 
uns  unbegreifliche  Macht,  die  der  Herr 
in  seiner  Weisheit  hat  wirken  lassen.  Er 
bewegte  das  Herz  dieser  Männer.  Aber 
er  tat  noch  etwas  anderes,  und  wir 
wissen  auch,  was  er  tat. 
Sie  werden  sagen:  „Diese  Frau  kann 
durch  nichts  bewegt  werden."  Natürlich 


kann  sie  es.  Sie  kann  bekehrt  werden. 
Präsident  Taylor  sagte,  daß  jeder  be- 
kehrt werden  kann,  wenn  der  Richtige 
im  richtigen  Zeitpunkt,  auf  die  richtige 
Weise  und  mit  dem  richtigen  Geist  die 
richtige  Methode  anwendet.  Er  sagte 
nicht  so  oft  „richtig"  -  -  das  habe  ich 
dazugefügt  -  -  glauben  Sie  aber  nicht, 
daß  es  nicht  möglich  sei. 
Schlagen  Sie  das  erste  Buch  im  Buch 
Mormon  auf,  und  lesen  Sie  es  von 
neuem.  Sicher  erinnern  Sie  sich  an  die 
Worte  Nephis : 

„Ich  will  hingehen  und  das  tun,  was  der 
Herr  mir  geboten  hat,  denn  ich  weiß, 
daß  der  Herr  den  Menschenkindern 
keine  Gebote  gibt,  es  sei  denn,  daß  er 
einen  Weg  für  sie  bereite,  damit  sie  das 
ausführen  können,  was  er  ihnen  geboten 
hat"  (1.  Nephi  3:7). 
Es  ist  möglich!  Wir  müssen  das  Wort 
„unmöglich"  vollkommen  aus  unserem 
Wortschatz  streichen. 
Wenn  der  Herr  sie  berief,  akzeptieren  Sie 
das  dann,  oder  meinen  Sie,  die  Berufung 
ist  von  der  FHV-Leiterin  ausgegangen? 
Wenn  Sie  lediglich  von  der  FHV-Leite- 
rin berufen  worden  sind,  dann  können 
Sie  es  vielleicht  nicht  schaffen ;  sind  Sie 
hingegen  durch  die  ordnungsgemäße 
Vollmachtslinie  von  Gott  berufen  wor- 
den -  -  und  Sie  wissen,  daß  das  der  Fall 
ist  — ,  dann  ist  die  logische  Folge,  daß 
Sie  nicht  versagen  werden,  wenn  Sie 
Ihren  Teil  tun. 

Es  ist  leicht,  den  Mut  zu  verlieren.  Es  ist 
leicht  aufzugeben,  aber  das  dürfen  Sie 
nicht.  Denken  Sie  daran,  wie  Nephi  in 
eine  ausweglose  Lage  geraten  und  nicht 
an  die  Platten  herangekommen  ist. 
Auch  seine  Brüder  konnten  es  nicht.  Sie 
konnten  sie  weder  kaufen  noch  durch 
Bestechung  erlangen.  Sie  konnten  sie 
auch  nicht  durch  Gewalt  an  sich  brin- 
gen, und  ihr  Leben  hing  überdies  an 
einem  seidenen  Faden.  All  dem  zum 
Trotz  drang  ein  unbewaffneter  junger 


8 


Mann  durch  die  Stadtmauer  und  die 
verschlossenen  Stadttore  in  die  Stadt 
ein,  in  einen  Garten,  der  völlig  unzu- 
gänglich war,  und  in  eine  Schatzkam- 
mer, die  versperrt  war,  an  Soldaten 
vorbei,  an  denen  man  nicht  vorüber- 
konnte ;  er  kam  wieder  aus  der  Stadt,  die 
Arme  voll  von  Aufzeichnungen,  die 
seine  Nachkommenschaft  und  andere 
Menschen  davor  bewahrt  haben,  in 
Unglauben  zu  versinken  (1.  Nephi  3:4). 
Er  tat  das  Unmögliche.  Dem  Herrn  aber 
ist  nichts  unmöglich.  Wenn  wir  ihn  auf 
unserer  Seite  haben,  wenn  er  uns  berufen 
und  ein  Gebot  gegeben  hat  und  wenn 
unsere  Energie,  unsere  Anstrengung, 
unsere  Planung  und  unsere  Gebete  der 
Aufgabe  angemessen  sind,  werden  wir 
den  Auftrag  ausführen  können. 
Wir  müssen  Aufrichtigkeit  und  Demut 
bewahren  und  uns  ganz  auf  den  Herrn 
verlassen. 

Vergessen  Sie  auch  nicht,  daß  Liebe  das 
größte  Gebot  ist.  Als  der  Herr  gefragt 
wurde,  was  das  größte -Gebot  sei,  gab  er 
zur  Antwort :  „Du  sollst  lieben  Gott, 
deinen  Herrn,  von  ganzem  Herzen,  von 
ganzer  Seele  und  von  ganzem  Gemüte. 
Dies  ist  das  vornehmste  und  größte 
Gebot.  Das  andre  ist  dem  gleich:  Du 
sollst  deinen  Nächsten  lieben  wie  dich 
selbst1'  (Matthäus  22:37-39). 
Der  Herr  hat  uns  gesagt,  wer  unsere 
Nächsten  sind.  Es  sind  diejenigen,  die 
von  zu  Hause  fort  und  unterwegs  sind; 
diejenigen,  die  verwundet  sind,  und 
solche,  die  nicht  bezahlen  können.  Jeder 
ist  unser  Nächster  -  -  auch  die  Schwe- 


stern, die  Sie  daheim  besuchen.  Aufträge 
ausführen  und  dem  Nächsten  eine  voll- 
kommene Erkenntnis  vom  Evangelium 
vermitteln  sind  zwei  ganz  verschiedene 
Dinge.  Es  gilt,  was  ich  zuvor  gesagt  habe 
—  alles  ist  möglich. 
Der  Schriftsteller  Lloyd  C.  Douglas  hat 
folgendes  geschrieben  :  ,,Die  Natur  hat 
sich  immer  gegen  alles  gewehrt,  was  ihre 
blinden,  aber  geordneten  Vorgänge 
stört.  Ein  Baum  mag  jahrelang  einen 
schweigenden  und  langwierigen  Kampf 
gegen  eine  ihn  beengende  Mauer  führen, 
ohne  sichtlichen  Erfolg.  Eines  Tages 
fällt  jedoch  die  Mauer;  nicht,  weil  der 
Baum  plötzlich  eine  übernatürliche 
Kraft  erlangt  hat,  sondern  weil  seine 
geduldige  Selbstverteidigung  und  sein 
Mühen  um  Befreiung  schließlich  ihre 
Erfüllung  erreicht  haben.  Der  lange 
eingeengte  Baum  hat  sich  befreit,  die 
Natur  ist  ihren  Weg  gegangen"  (Lloyd 
C.  Douglas,  1877-1961,  „The  Robe"). 
Das  können  auch  Sie.  Wie  die  kleine 
Weinrebe,  die  kleine  Wurzel,  die  eine 
Mauer  umstürzen  oder  einen  Stein  spal- 
ten kann,  können  auch  Sie  Herzen 
bewegen  und  sie  von  Verankerungen 
losreißen,  die  nicht  gut  sind.  Sie  können 
andere  zu  vollständiger  Aktivität  in  der 
Kirche  bewegen.  Es  ist  zu  schaffen ! 
Der  Herr  segne  Sie,  meine  Schwestern, 
in  Ihrer  wichtigen  Arbeit,  in  Ihrem 
liebenswürdigen  Wesen  und  in  dem 
Einfluß,  den  Sie  auf  andere  ausüben 
können  -  -  das  erbitte  ich  im  Namen 
Jesu  Christi.  Amen. 


Aus  einer  Rede  an  den  Lehrkörper  der 
theologischen  Fakultät  der  Brigham-  Young- 
Universität  vom  12.  Dezember  1976 


Wi 


lr  können  aus  dem  Bericht  über 
Christi  Geburt  soviel  lernen,  daß  wir 
zögern,  wenn  wir  nur  einen  Aspekt  auf 
Kosten  der  anderen  hervorheben.  Ver- 
zeihen Sie  mir,  daß  ich  das  heute  gerade 
tue. 

In  der  letzten  Zeit  ging  mir  nicht  der 
Gedanke  aus  dem  Kopf,  daß  dies  eine 
Geschichte  ungeheurer  Armut  ist.  Ich 


frage  mich,  ob  Lukas  sich  etwas  dabei 
gedacht  hat,  als  er  nicht  schrieb :,,... 
weil  kein  Platz  in  der  Herberge  war", 
sondern :  ,,weil  für  sie  kein  Platz  in  der 
Herberge  war"  (Lukas  2:7;  Herder- 
Übersetzung,  1965).  Natürlich  ist  das 
nur  eine  Vermutung,  aber  ich  glaube, 
das  Geld  hatte  damals  genausoviel 
Macht  wie  heute.  Wenn  Maria  und 
Joseph  reich  oder  mächtig  gewesen  wä- 
ren, hätten  sie  sicher  auch  in  einer 
überfüllten  Herberge  noch  eine  Bleibe 
gefunden. 
In  der  inspirierten  Version  von  Joseph 


Vielleicht  kann  man 
Weihnachten  doch  nicht  kaufen 


Jeffrey  R.  Holland 


10 


Smith  heißt  es:  ,,Es  gab  niemanden,  der 
ihnen  in  den  Herbergen  einen  Platz  hätte 
geben  können"  (Lukas  2:7;  Inspirierte 
Version).  Soll  damit  angedeutet  werden, 
daß  sie  nicht  die  „richtigen"  Leute 
kannten? 

Wir  wissen  nicht  mit  Bestimmtheit,  was 
der  Verfasser  ausdrücken  wollte,  doch 
wir  wissen,  daß  die  beiden  schrecklich 
arm  waren.  Für  das  Reinigungsopfer, 
das  die  Eltern  nach  der  Geburt  des 
Kindes  darbrachten,  wählten  sie  statt 
des  Lammes  ein  Paar  Turteltauben.  Der 
Herr  hatte  diese  Ausnahme  im  Mo- 
saischen Gesetz  zugelassen,  damit  die 
wirklich  Armen  nicht  über  die  Maßen 
belastet  würden  (3.  Mose  12:8). 
Später  kamen  die  Weisen  mit  ihren 
Gaben  und  verliehen  dem  Ereignis  etwas 
Glanz  und  Reichtum,  doch  kamen  sie 
von  weither,  wahrscheinlich  aus  Persien, 
und  hatten  zumindest  Hunderte  von 
Kilometern  zurückgelegt.  Wenn  sie  am 
Abend  der  Geburt  des  Kindes  angekom- 
men wären,  hätten  sie  lange  vor  dem 
Erscheinen  des  Sterns  aufgebrochen  sein 
müssen.  Zudem  berichtet  Matthäus, 
daß  die  Familie  in  einem  Haus  lebte,  als 
sie  kamen  (Matthäus  2:11). 
Könnten  wir  hier  nicht  auch  in  der  Art, 
wie  wir  Weihnachten  feiern,  einen 
Unterschied  machen  und  Einkäufe,  An- 
fertigen und  Einwickeln  von  Geschen- 
ken und  Schmücken  des  Baumes  von 
den  stillen,  persönlichen  Augenblicken 
trennen,  in  denen  wir  über  die  Be- 
deutung des  Kindes  (und  seiner  Geburt), 
die  der  eigentliche  Anlaß  für  unsere 
Geschenke  ist,  nachdenken. 
Gold,  Weihrauch  und  Myrrhe  wurden 
demütig  überreicht  und  entgegenge- 
nommen. Und  so  soll  es  jedes  Jahr  und 
jederzeit  sein.  Meine  Frau  und  meine 
Kinder  können  bezeugen,  daß  sich  nie- 
mand mehr  über  Schenken  und  Be- 
schenktwerden freut  als  ich. 
Doch  gerade  aus  diesem  Grund  muß  ich 


mir,  wie  Sie  sich  auch,  das  einfache  Bild 
dieser  Armut  in  jener  Nacht  vor  Augen 
halten,  in  der  es  kein  Lametta,  keine 
weltlichen  Geschenke  gab.  Erst  wenn 
wir  den  einen,  heiligen,  schmucklosen 
Gegenstand  unserer  Verehrung,  das 
Kind  in  der  Krippe,  vor  uns  sehen, 
wissen  wir,  warum  wir  uns  gerade  zum 
Fest  seiner  Geburt  gegenseitig  beschen- 
ken. 

Als  Vater  denke  ich  in  der  letzten  Zeit  oft 
über  Joseph  nach,  den  starken,  stillen, 
fast  unbekannten  Mann,  der  würdiger 
als  jeder  andere  Sterbliche  gewesen  sein 
muß,  um  der  Pflegevater  des  Gottes- 
sohns zu  werden.  Aus  allen  Männern 
wurde  Joseph  ausgewählt,  Jesus  arbei- 
ten zu  lehren.  Joseph  unterrichtete  ihn  in 
den  Gesetzesbüchern.  Joseph  half  ihm  in 
der  Stille  seiner  Werkstatt,  allmählich  zu 
erfassen,  wer  er  war  und  was  letztlich  aus 
ihm  werden  sollte. 

Ich  war  Student  an  der  Brigham-Young- 
Universität  und  arbeitete  an  meinem 
Doktorat,  als  unser  erstes  Kind,  ein 
Sohn,  geboren  wurde.  Wir  waren  sehr 
arm,  wenn  auch  nicht  so  arm  wie  Maria 
und  Joseph.  Meine  Frau  und  ich  studier- 
ten beide,  wir  verdienten  Geld  nebenbei 
und  waren  außerdem  noch  Hausverwal- 
ter in  unserem  Mietshaus,  damit  wir 
weniger  Miete  zahlen  mußten.  Wir  fuh- 
ren einen  kleinen  Volkswagen  mit  halb- 
toter Batterie,  weil  wir  uns  keinen  neuen 
leisten  konnten  (eine  Batterie  übrigens 
auch  nicht). 

Und  doch,  als  „unsere"  Nacht  näher- 
rückte, hätte  ich  auf  ehrlichem  Wege 
alles  getan  und  meine  Zukunft  ver- 
pfändet, nur  um  sicherzugehen,  daß 
meine  Frau  saubere  Laken,  sterile  In- 
strumente, aufmerksame  Kranken- 
schwestern und  fähige  Ärzte  hatte,  auf 
daß  sie  unserem  ersten  Sohn  den  Weg  ins 
Leben  erleichterten.  Wenn  meine  Frau 
oder  das  Kind  eine  teure  Spezialklinik 


11 


gebraucht  hätten,  hätte  ich  wohl  mein 
Leben  dafür  verpfändet. 
Wenn  ich  meine  Gefühle  überdenke  (es 
waren  bei  jedem  folgenden  Kind  die 
gleichen),  frage  ich  mich,  was  Joseph 
wohl  empfunden  hat.  Er  ging  durch  die 
Straßen  einer  fremden  Stadt,  ohne 
Freunde  oder  Verwandte.  Keiner  streck- 
te ihnen  hilfreich  die  Hand  entgegen.  In 
diesen  letzten  beschwerlichsten  Stunden 
ihrer  Schwangerschaft  hatte  Maria  die 
160  Kilometer  von  Nazareth  in  Galiläa 
nach  Bethlehem  in  Judäa  zu  Fuß  oder 
auf  einem  Esel  zurückgelegt.  Joseph 
mußte  angesichts  ihrer  stillen  Entschlos- 
senheit geweint  haben.  Jetzt  mußten  sie 
allein  und  unbemerkt,  abseits  der 
menschlichen  Gesellschaft,  in  einen  Stall 
einziehen,  in  dem  das  Vieh  stand.  Hier 
sollte  der  Sohn  Gottes  zur  Welt  kom- 
men. 

Was  mag  Joseph  empfunden  haben,  als 
er  den  Dung  und  Schmutz  wegräumte? 
Hat  er  geweint,  während  er  das  sauber- 
ste Stroh  suchte  und  die  Tiere  zurück- 
hielt? Hat  er  sich  still  gefragt :  „Könnte 
ein  Kind  unter  ungesunderen,  jämmerli- 
cheren Umständen  geboren  werden?  Ist 
dies  der  Ort  für  einen  König?  Sollte  die 
Mutter  des  Gottessohnes  ihre  Nieder- 
kunft in  einem  solchen  finsteren,  ab- 
stoßenden Stall  erleben  ?  Ist  es  falsch,  ihr 
ein  wenig  Bequemlichkeit  zu  wünschen? 
Ist  es  recht,  daß  er  hier  geboren  werden 
soll?" 

Doch  bin  ich  gewiß,  daß  Joseph  nicht 
murrte  und  Maria  nicht  klagte.  Sie 
wußten  es  besser  und  taten,  was  sie 
konnten. 

Vielleicht  wußten  die  Eltern  damals 
schon,  daß  ihr  kleiner  Sohn  bei  seiner 
Geburt  wie  bei  seinem  Tod  Schmerz  und 
Enttäuschung  mitmachen  sollte  wie  kein 
anderer. 

Ich  habe  auch  über  Maria  nachgedacht, 
die  vor  allen  anderen  Frauen  in  der 
Weltgeschichte  ausgezeichnet  wurde.  Sie 


war  fast  noch  ein  Kind,  als  der  Engel  zu 
ihr  kam  und  ihr  die  Botschaft  brachte, 
die  nicht  nur  ihr  eigenes  Leben,  sondern 
die  Menschheitsgeschichte  verändern 
sollte :  „Heil  dir,  Jungfrau,  der  Herr  hat 
dich  sehr  ausgezeichnet.  Der  Herr  ist  mit 
dir;  denn  du  bist  unter  den  Frauen 
auserwählt  und  gesegnet"  (Lukas  1:28; 
Inspirierte  Übersetzung).  Ihr  Wesen  und 
ihre  Bereitschaft,  dem  Herrn  zu  dienen, 
spiegeln  sich  in  ihrer  demütigen  Antwort 
wider :  „Siehe,  ich  bin  des  Herrn  Magd ; 
mir  geschehe,  wie  du  gesagt  hast"  (Lu- 
kas 1:38). 

Dies  geht  über  mein  Verständnis  hinaus, 
ich  kann  nicht  nachvollziehen,  was  eine 
Mutter  empfindet,  wenn  sie  weiß,  daß 
sie  eine  lebende  Seele  empfangen  hat; 
wenn  sie  spürt,  wie  das  Leben  in  ihrem 
Körper  erwacht  und  wächst  und  ein 
Kind  zur  Welt  kommt.  Die  Väter  kön- 
nen dann  nur  zusehen,  doch  die  Mütter 
empfinden,  und  sie  vergessen  es  nie. 
Wieder  mußte  ich  daran  denken,  wie 
Lukas  die  Ereignisse  der  heiligen  Nacht 
in  Bethlehem  beschrieben  hat: 
„Und  als  sie  daselbst  waren,  kam  die 
Zeit,  daß  sie  gebären  sollte. 
Und  sie  gebar  ihren  ersten  Sohn  und 
wickelte  ihn  in  Windeln  und  legte  ihn  in 
eine  Krippe"  (Lukas  2:6,  7).  Hier  ist 
neben  dem  Kind  selbst  Maria  die 
Hauptfigur,  die  Königin,  die  Mutter 
aller  Mütter.  Sie  steht  im  Mittelpunkt 
der  dramatischen  Ereignisse.  Und  aus 
diesen  einfachen  Sätzen  können  wir 
auch  herauslesen,  daß  sie,  bis  auf  die 
Gesellschaft  ihres  Mannes,  sehr  allein 
war. 

Ich  habe  mich  gefragt,  ob  sich  diese 
junge  Frau,  die  selbst  fast  noch  ein  Kind 
war,  bei  der  Geburt  ihres  Kindes  nach 
ihrer  Mutter,  ihrer  Schwester,  einer 
Tante  oder  Freundin  gesehnt  hat,  die  ihr 
hätte  beistehen  können.  Die  Geburt 
eines  solchen  Sohnes  hätte  die  An- 
wesenheit und  Hilfe  einer  jeden  Hebam- 


12 


me  in  ganz  Judäa  gerechtfertigt!  Wün- 
schen wir  uns  nicht  alle,  es  hätte  jemand 
ihre  Hand  gehalten,  ihr  die  Stirn  gekühlt 
und  sie  nach  der  Geburt  in  kühles, 
weißes  Leinen  gebettet? 
Doch  es  sah  ganz  anders  aus.  Nur  mit 
Josephs  unerfahrenem  Beistand  gebar 
sie  ihren  ersten  Sohn,  wickelte  ihn  in  die 
wenigen  Windeln,  die  sie  vorsorglich 
mitgebracht  hatte,  und  legte  ihn  viel- 
leicht auf  ein  Kissen  aus  Stroh. 
Und  auf  beiden  Seiten  des  Schleiers  sang 
ein  himmlischer  Chor :  „Ehre  sei  Gott  in 
der  Höhe  und  Friede  auf  Erden  und  den 
Menschen  ein  Wohlgefallen"  (Lukas 
2:14).  Doch  bis  auf  Besucher  vom  Him- 
mel waren  die  drei  allein  —  Joseph, 
Maria  und  das  Kind,  das  Jesus  heißen 
sollte. 

Diesen  bedeutenden  Augenblick  in  der 
Geschichte  der  Menschheit,  in  dem 
sogar  ein  neuer  Stern  am  Himmel  er- 
schien, erlebte  wohl  kein  weiterer  Sterb- 
licher mit,  nur  ein  armer  junger 
Zimmermann,  eine  wunderschöne  jung- 
fräuliche Mutter  und  das  Vieh  im  Stall, 
das  nicht  über  die  Fähigkei  verfügte, 
über  dieses  heilige  Ereignis  sich  zu 
äußern. 

Bald  darauf  kamen  die  Hirten  und 
später  die  Weisen  aus  dem  Morgenland. 
Doch  noch  war  nur  die  kleine  Familie  da 
ohne  Geschenke,  Baum  oder  Lamet- 
ta. Weihnachten  begann  mit  einem  neu- 
geborenen Kind. 

Weil  dieses  Kind  geboren  wurde,  sollen 
wir  im  Chor  singen :  ,,Hört,  die  Engels- 
chöre singen :  Heil  dem  neugebornen 
Kind!  Uns  zur  Freud  ist  er  geboren, 


denn  sonst  wären  wir  verloren.  Er  ver- 
treibet alles  Weh,  Hosianna  in  der 
Höh'!"  (Gesangbuch,  Nr.  235). 
Jesus  muß  häufig  gesagt  haben,  wenn  er 
den  Kindern  in  die  Augen  blickte,  die 
ihn  liebten  (die  am  besten  sahen,  wer  er 
wirklich  war) :  „Wenn  ihr  nicht  umkeh- 
ret und  werdet  wie  die  Kinder,  so  werdet 
ihr  nicht  ins  Himmelreich  kommen" 
(Matthäus  18:3).  Dabei  dachte  er  viel- 
leicht an  die  Umstände  seiner  eigenen 
Geburt,  seiner  Kindheit,  an  die  Rein- 
heit, den  Glauben  und  die  wahre  Demut, 
die  jedes  celestiale  Wesen  haben  muß. 
Weihnachten  ist  für  Kinder  jeden  Alters. 
Vielleicht  ist  mein  liebstes  Weihnachts- 
lied deshalb  auch  ein  Kinderlied.  Ich 
singe  es  mit  mehr  Gefühl  als  jedes 
andere : 


„Im  Stoh  in  der  Krippe,  kein  Bett  war  im 
Raum, 

da  lag\s  Jesuskindlein,  gar  rein  anzu- 
schaun  .  .  . 

Sehau  nieder  vom  Himmel,  denn  ich  liebe 
dich, 

und  halt  deine  Hände  als  Schutz  über 
mich. 

Sei  ganz  nahe  bei  mir,  so  nah,  wie  es  geht, 
für  immer  und  ewig,  das  ist  mein  Gebet. 
Und  segne  die  Kinder  mit  Kraft  für  und 
ßr, 
daß  sie  können  leben  im  Himmel  mit  dir'''' 

(Sing  mit  mir,  F-2). 

Jeffrey  Holland,  der  Bildungsbeauftrag- 
te der  Kirche,  lebt  in  Bountiful,  Utah. 


13 


Joseph  Smith, 

der  gütige 

Prophet 


Kenneth  W.  Godfrey 


An  den  sechzehn  Jahren,  die  ich  Kir- 
chengeschichte lehre  und  mich  intensiv 
mit  der  frühen  Geschichte  der  Heiligen 
der  Letzten  Tage  beschäftige,  hat  mich 
an  dem  Propheten  Joseph  Smith  vor 
allem  seine  Güte  beeindruckt.  Sie  war 
Teil  seiner  selbst  und  umschloß  die 
Menschen  aller  Rassen  und  auch  die 
Tiere.  Als  er  mit  Freunden  in  Liberty  in 
Missouri  eingekerkert  war,  schrieb  er 
mehrere  Briefe  an  seine  Frau  Emma.  In 
einem  sehr  aufschlußreichen  Brief  er- 
kundigt er  sich  in  einem  Satz  nach  seinen 
Söhnen  und  Töchtern,  dann  nach 
Joanna,  seinem  Pferd,  und  Old  Major, 
seinem  Hund,  die  er  liebte  und  gut 
behandelte. 

Es  ist  allgemein  bekannt,  daß  Joseph 
und  Emma  Smith  Zwillinge  adoptierten 
und  Julia,  die  die  Angriffe  des  Pöbels  in 
Hiram  in  Ohio  überlebte,  wie  ihr  eigenes 
Kind  erzogen  haben.  Nach  einer  sehr 
schwierigen  Ehe  kehrte  Julia  zu  Emma 
Smith  zurück  und  wurde  genauso  liebe- 
voll aufgenommen  wie  in  ihrer  Kind- 
heit. Weniger  bekannt  sind  vielleicht  die 
vielen  guten  Taten,  die  nur  in  den 
Tagebüchern  einzelner  Mitglieder  fest- 
gehalten wurden. 

1841  kamen  John  Walker,  seine  Frau 
Lydia  Adams  Holmes  und  ihre  zehn 
Kinder  nach  Nauvoo.  Diese  treue  Fami- 
lie hatte  das  Massaker  bei  Haun's  Mill 
und  die  Verfolgungen  seitens  der  Be- 
wohner Missouris  überlebt,  die  1838 
und    1839   stattgefunden   hatten.   Jetzt 


kamen  sie,  völlig  verarmt,  aber  mit 
großen  Hoffnungen  und  Erwartungen, 
in  der  Mormonenstadt  an.  Sie  zogen 
zum  Bruder  ihres  Vaters  und  lernten 
Joseph  Smith  gleich  am  ersten  Abend 
kennen. 

Der  Sommer  brachte  ihnen  Schüttel- 
frost und  Fieber,  und  Schwester  Walker 
blieb  ans  Bett  gefesselt.  Als  Joseph 
Smith  hörte,  wie  krank  sie  war,  kam  er 
mit  seiner  Frau  und  holte  Schwester 
Walker  zu  sich,  weil  er  meinte,  die 
Veränderung  würde  ihr  gut  tun.  Doch 
Schwester  Walker  hielt  es  nicht  lange 
ohne  ihre  Kinder  aus  und  wollte  zu 
ihnen  zurück,  obwohl  sich  ihr  Gesund- 
heitszustand nicht  gebessert  hatte.  Ihr 
Bett  wurde  auf  einen  Schlitten  gelegt,  sie 
mit  Decken  umhüllt  —  inzwischen  war 
es  nämlich  schon  Winter  geworden  — 
und  sie  kehrte  nach  Hause  zurück.  Sie 
rief  ihre  Kinder  zusammen,  ermahnte 
sie,  nie  von  der  Wahrheit  zu  weichen  und 
so  zu  leben,  daß  sie  sie  ,,in  der  Welt,  in 
der  es  kein  Leid  und  keine  Tränen  der 
Angst  mehr  geben  wird",  wiedersehen 
könne.  Dann  schloß  sie  die  Augen,  „ihr 
Geist  ging  fort,  nur  ein  himmlisches 
Lächeln  blieb  auf  ihrem  Gesicht  zu- 
rück". 

Schwester  Walker  hinterließ  zehn  Kin- 
der, das  Jüngste  war  noch  nicht  ganz 
zwei  Jahre  alt.  Das  übergroße  Leid 
schien  zuviel  für  Bruder  Walker,  und 
bald  bangte  die  Familie  auch  um  sein 
Leben. 


14 


Als  Joseph  Smith  davon  erfuhr,  eilte  er 
wieder  herbei.  Er  schlug  Bruder  Walker 
einen  Ortswechsel  vor,  da  er  seiner  Frau 
sonst  bald  nachfolgen  werde,  und  mein- 
te: „Sie  haben  Kinder,  wie  ich  sie  gern 
hätte.  Mein  Haus  kann  ihnen  fürs  erste 
ein  Zuhause  bieten.  Ich  rate  Ihnen,  Ihr 
Haus  zu  verkaufen,  die  Kleinen  bei 
guten  Freunden  zu  lassen  und  mir  die 
vier  ältesten  zu  geben.  Ich  will  sie  wie 
meine  eigenen  behandeln.  Wenn  ich 
sehe,  daß  sich  die  Kleinen  nicht  wohl 
fühlen  oder  daß  man  nicht  gut  zu  ihnen 
ist,  nehme  ich  sie  auch  zu  mir,  bis  Sie 
zurückkommen." 

So  geschah  es,  und  die  Mutter  Joseph 
Smith'  berichtet,  daß  der  Prophet  den 
Kindern  häufig  seinen  Wagen  lieh,  da- 
mit sie  ihre  Geschwister  besuchen  konn- 
ten, die  jetzt  in  anderen  Teilen  der  Stadt 


lebten.  Dann  erkrankte  die  achtjährige 
Lydia  an  Hirnhautentzündung.  Der 
Prophet  bangte  um  ihr  Leben  und  holte 
sie  zu  sich,  seinem  Versprechen  getreu. 
Er  betete  für  sie,  pflegte  sie  wie  sein 
eigenes  Kind,  aber  sie  überlebte  nur 
wenige  Tage  und  folgte  dann  ihrer 
Mutter  nach.  Emma  und  Joseph  Smith 
gingen  mit  den  anderen  Kindern  zur 
Beerdigung  der  kleinen  Lydia.  Eins  nach 
dem  anderen  zogen  die  Kinder  beim 
Propheten  ein.  Sie  blieben  in  seinem 
Haus,  bis  er  selbst  starb.  Dann  kehrte  ihr 
Vater  wohlbehalten  zurück,  und  sie 
begleiteten  ihn  in  den  Westen.  Sie  ver- 
gaßen nie,  wie  liebevoll  Joseph  und 
Emma  Smith  sich  ihrer  angenommen 
hatten. 

Mary  Ann  Stearns,  die  Stieftochter  Par- 
ley  P.  Pratts,  berichtet  in  ihrer  unver- 
öffentlichten Autobiographie  von  einem 
Erlebnis  ihrer  Familie  mit  dem  Pro- 
pheten Joseph  Smith,  das  seine  große 
Güte  widerspiegelt.  Parley  P.  Pratt  war 
mit  Frau  und  Kindern  und  einer  Gruppe 
Einwanderer  von  seiner  Mission  in 
England  zurückgekehrt.  Er  hatte  den 
Weg  über  St.  Louis  in  Missouri  gewählt, 
aber  die  Gruppe  wurde  von  der  kalten 
Witterung  und  den  großen  Eisblöcken, 
die  auf  dem  fast  zugefrorenen  Mississip- 
pi trieben,  fast  vier  Wochen  aufgehalten. 
Als  sie  schließlich  in  Nauvoo  ankamen, 
warteten  die  Mitglieder  in  der  Stadt 
schon  ungeduldig  auf  sie,  aber  auch  die 
Einwanderer  aus  Großbritannien  kon- 
nten es  kaum  abwarten,  den  Propheten 
Joseph  Smith  zu  sehen.  Joseph  Smith, 
sein  Bruder  Hyrum  und  viele  andere  ka- 
men an  den  Landungssteg,  um  die  Neu- 
ankömmlinge willkommen  zu  heißen. 
Bruder  Pratt  stellte  den  beiden  Führern 
der  Kirche  die  Gruppe  vor,  und  als  alle 
bis  auf  die  Familie  Pratt  das  Schiff  ver- 
lassen hatten,  kam  der  Prophet  in  ihre 
Kabine. 
„Nach  einer  herzlichen  Begrüßung  setz- 


15 


te  er  sich,  nahm  die  beiden  Jungen, 
Nathan  und  Parley,  auf  die  Knie  und 
schien  sehr  bewegt  zu  sein.  Bruder  Pratt 
meinte :  ,Wir  haben  drei  Kinder  mit- 
genommen und  fünf  wieder  mitge- 
bracht.' Da  sagte  Bruder  Joseph:  ,Ja, 
Bruder  Parley,  Sie  haben  Ihre  Ernte 
eingebracht.1  Dabei  strömten  ihm  die 
Tränen  über  die  Wangen.  Bruder  Pratt, 
der  sah,  welche  Gefühle  dies  hervorrief, 
sagte  darauf:  ,Wenn  Sie  sich  so  wenig 
über  unsere  Rückkehr  freuen,  müssen 
wir  wohl  wieder  gehen',  und  auch  ihm 
liefen  Freudentränen  über  das  Gesicht." 
Das  schien  den  Bann  zu  brechen,  jeder 
lachte  wieder,  und  alle  freuten  sich. 
Joseph  Smith  stand  auf  und  sagte: 
„Kommen  Sie,  Bruder  Parley,  bringen 
Sie  Ihre  ganze  Familie  zu  mir;  es  ist 
nicht  weit,  und  nach  der  weiten  Reise 
fühlen  Sie  sich  dort  wohler."  Weil 
Schwester  Pratt  sehr  krank  war,  wurde 
sie  in  einen  bequemen  Stuhl  gesetzt,  und 
Bruder  Hodge  trug  sie  mit  anderen 
Begleitern  des  Propheten  zu  dessen 
Haus,  wo  die  ganze  Familie  ein  kleines 
Fest  feierte. 

Der  Prophet  begegnete  allen  Kindern 
Gottes  mit  Güte.  Wie  sehr  er  alle 
Menschen  achtete,  sehen  wir  an  dem 
folgenden  Bericht  von  Jane  Manning 
aus  dem  Jahre  1893.  Schwester  Man- 
ning, eine  Negerin,  hatte  sich  1842  in 
Connecticut  der  Kirche  angeschlossen. 
Unter  großen  persönlichen  Opfern  und 
großer  Gefahr  machte  sie  sich  mit 
mehreren  anderen  schwarzen  Mitglie- 
dern auf  den  Weg  nach  Nauvoo.  Sie 
liefen,  bis  ihre  Schuhe  auseinanderfielen 
und  ihre  Füße  so  wund  waren,  daß  sie 
bluteten  und  sie  blutige  Fußspuren  hin- 
terließen. In  Peoria  in  Illinois  drohte  die 
Obrigkeit,  sie  ins  Gefängnis  zu  sperren, 
falls  ihre  Papiere  nicht  in  Ordnung  seien. 
Sie  zeigten  ihre  Papiere  vor  und  wurden 
freigelassen.  Sie  mußten  auf  ihrer  Wan- 
derung noch  Flüsse  überqueren,  in  de- 


nen ihnen  das  Wasser  bis  zum  Halse 
reichte.  Als  sie  schließlich  in  Nauvoo 
ankamen,  wurden  sie  zu  Joseph  Smith 
geführt,  und  Jane  Manning  berichtet 
darüber : 

„Schwester  Emma  stand  in  der  Tür  und 
sagte  freundlich:  , Kommen  Sie  nur 
herein !'  Bruder  Joseph  sagte  zu  ein  paar 
weißen  Schwestern,  die  da  waren : 
Schwestern,  ich  möchte,  daß  Sie  hier 
heute  abend  mit  einigen  Brüdern  und 
Schwestern  zusammenkommen,  die  ge- 
rade eingetroffen  sind.'  Bruder  Joseph 
stellte  Stühle  auf,  brachte  Schwester 
Emma  und  Dr.  Bernhisel  herein  und 
stellte  sie  uns  vor.  Dann  setzte  er  sich  zu 
mir  und  sagte:  ,Sie  haben  diese  kleine 
Gruppe  angeführt,  nicht  wahr?'  Ich 
antwortete:  ,Ja.'  Dann  sagte  er:  ,Gott 
segne  Sie!  Erzählen  Sie  uns,  was  Sie 
unterwegs  erlebt  haben.'  Ich  erzählte 
alles,  was  ich  oben  aufgeführt  habe,  nur 
viel  ausführlicher,  weil  ich  inzwischen 
einiges  wieder  vergessen  habe.  Bruder 
Joseph  schlug  Dr.  Bernhisel  aufs  Knie 
und  sagte:  ,Was  halten  Sie  davon,  Dok- 
tor, ist  das  nicht  Glauben?'  Der  Doktor 
sagte :  ,Ja,  das  ist  es,  und  wenn  ich  an 
ihrer  Stelle  gewesen  wäre,  hätte  ich 
vielleicht  aufgegeben  und  wäre  nach 
Hause  gegangen.'" 

Die  ganze  Gruppe  blieb  eine  Woche  im 
Haus  des  Propheten,  bis  für  eine  ge- 
eignete Unterkunft  gesorgt  war.  Der 
Prophet  kam  jeden  Morgen  in  ihr  Zim- 
mer, um  zu  sehen,  wie  es  seinen  Gästen 
ging,  und  gab  Jane  neue  Kleider,  weil  sie 
unterwegs  alles  verloren  hatte.  Eines 
Morgens  sah  er,  daß  sie  weinte,  weil  alle 
außer  ihr  eine  neue  Bleibe  gefunden 
hatten.  Er  verließ  das  Zimmer,  sprach 
kurz  mit  seiner  Frau,  und  bat  Jane 
Manning,  in  seinem  Haus  zu  bleiben.  Sie 
blieb,  bügelte,  wusch  und  kochte  für  die 
Familie  und  vergaß  nie,  wie  gut  Joseph 
und  Emma  Smith  zu  ihr  gewesen  waren. 


16 


Sie  starb  im  April  1908  als  treues 
Mitglied  der  Kirche. 
Ein  anderer  Fall :  Emily  Williams,  eine 
Witwe,  die  damals  noch  kein  Mitglied 
der  Kirche  war,  hatte  eine  kleine  Toch- 
ter, die  sehr  krank  wurde.  Nach  etlichen 
Tagen  gab  der  Arzt  jede  Hoffnung  auf. 
Als  Emily  Williams  hörte,  Joseph  Smith 
sei  nach  Michigan  gekommen,  um  Ver- 
wandte zu  besuchen,  bat  sie  ihn,  ihrem 
Kind  einen  Krankensegen  zu  geben.  Der 
Prophet    kam    mit    seinem    Vater.    Er 


kniete  sich  bei  dem  Kind  nieder,  legte 
ihm  die  Hände  auf  den  Kopf  und 
versprach  ihm,  es  werde  genesen.  Emily 
berichtet:  „Das  Mädchen  drehte  sich 
um,  die  Krämpfe  ließen  nach,  und  sie 
schlief  ein.  Am  nächsten  Morgen  war  sie 
völlig  gesund.  " 

So  war  der  Prophet  Joseph  Smith  ein 
Vorbild  an  Güte  und  Liebe  gegenüber 
allen  Menschen,  und  wir  tun  gut  daran, 
ihm  heute  nachzueifern. 


17 


AUF  DER  SUCHE  NACH 

ZION     ± 

1830-1835 

Glen  M.  Leonard 


Di 


ie  bedeutenden  Ereignisse  in  den 
Jahren  zwischen  1830  und  1840  machen 
dieses  Jahrzehnt  zu  einem  der  wichtig- 
sten in  der  Geschichte  der  Kirche.  Aus 
einem  kleinen  Anfang  in  Fayette  im 
Westen  des  Staates  New  York  wuchs  die 
Kirche  schnell.  Die  Bekehrten  waren 
eifrig  bemüht,  das  Werk  zu  unterstüt- 
zen, und  erzählten  ihren  Freunden  und 
Nachbarn  bereitwillig  von  der  Wieder- 
herstellung des  Evangeliums.  Die- 
jenigen, die  Joseph  Smith  und  Oliver 
Cowdery  als  die  „ersten  Ältesten"  der 


Kirche  anerkannten,  gaben  von  ihren 
Mitteln  zum  Unterhalt  der  Armen  und 
halfen  beim  Bau  eines  Tempels  in  Kirt- 
land,  Ohio.  Der  Stein,  der  ohne  Zutun 
von  Menschenhänden  vom  Berg  her- 
unterkam, hatte  seine  weltweite  Mission 
begonnen.  Er  rollte  zuerst  nur  langsam, 
nahm  aber  mit  der  Zeit  an  Geschwindig- 
keit und  Größe  zu. 

Das  Buch  Mormon  gab  den  ersten 
Heiligen  der  Letzten  Tage  das  erregende 
Gefühl,  an  bedeutenden  Ereignissen  teil- 
zuhaben,  die  dem   Zweiten  Kommen 


.  .  ....-  ■:■  '...:!■.      i  ■::■:•:■ 


18 


Jesu  Christi  vorausgingen.  Die  Bibel 
und  das  Buch  Mormon  wiesen  zu- 
sammen mit  neuen  Offenbarungen,  die 
durch  Joseph  Smith  gegeben  wurden, 
auf  eine  wichtige  Periode  der  Missions- 
arbeit in  den  Letzten  Tagen  hin,  wo  die 
Rechtschaffenen  unter  allen  Völkern 
aus  dem  Bösen  gesammelt  werden  soll- 
ten. Die  Heiligen  sahen  es  als  Teil  der 
vorbereitenden  Arbeiten  für  das  Millen- 
nium an,  daß  das  Evangelium  zu  den 
Übriggebliebenen  vom  Haus  Israel  ge- 
bracht werden  sollte. 
Im  Oktober  1830  begaben  sich  Oliver 
Cowdery,  Peter  Whitmer  jun.,  Parley  P. 
Pratt  und  Ziba  Peterson  von  New  York 
aus  auf  eine  Mission  zu  den  Indianern 
im  Westen  Amerikas.  Sie  besuchten  auf 
ihrem  Weg  den  Stamm  der  Cattaraugus- 
Indianer  in  der  Nähe  von  Buffalo  und 
den  Stamm  der  Wyandot  in  Ohio. 
Weiße  Siedler  waren  westlich  schon  bis 
nach  Missouri  vorgedrungen.  Jenseits 
dieses  Staates  lebten  die  Indianer,  die 
von  diesen  Pionieren  weiter  nach  We- 
sten gedrängt  worden  waren.  Aber  als 
Oliver  Cowdery  und  seine  Gefährten  die 
Grenze  von  Missouri  erreichten,  erleb- 
ten sie  eine  Enttäuschung.  Die  Missio- 
nare besuchten  die  Shawnee-Indianer 
und  trafen  dann  mit  dem  Häuptling  der 
Delawaren  zusammen.  Obwohl  die 
Indianer  sie  freundlich  aufnahmen,  wur- 
den die  Missionare  gezwungen,  das 
Reservat  zu  verlassen,  und  zwar  von 
Indianeragenten  der  Regierung,  die  be- 
haupteten, daß  die  Missionare  den  Frie- 
den störten.  So  brachten  diese  ersten 
Kontakte  mit  den  Lamaniten  nicht  die 
Bekehrungen,  die  die  Missionare  er- 
wartet hatten.  Indessen  wurde  die  Auf- 
merksamkeit der  Kirche  durch  diese 
Expedition  auf  Missouri  gelenkt,  wo  die 
Heiligen  bald  versuchen  sollten,  eine 
Stadt  Zion  zu  errichten. 
In  Ohio  brachten  die  Missionare  eine 
wichtige  Ernte  ein.  Auf  ihrem  Weg  nach 


Westen  hatten  sie  Sidney  Rigdon  be- 
sucht, einen  früheren  Prediger  der 
Campbelliten  und  Freund  Parley  P. 
Pratts.  Rigdon  war  zuerst  skeptisch, 
studierte  aber  dann  das  Buch  Mormon 
und  forderte  die  Missionare  auf,  zu 
seiner  Gemeinde  zu  sprechen.  Bald  bat 
er  darum,  getauft  zu  werden.  130  wei- 
tere Menschen  ließen  sich  ebenfalls  tau- 
fen. Rigdon  wollte  unbedingt  den  Pro- 
pheten kennenlernen.  Im  Dezember 
reiste  er  zusammen  mit  einem  jungen 
Hutmacher,  Edward  Partrigde,  zu  Jo- 
seph Smith,  der  damals  in  Waterloo  im 
Staate  New  York  wohnte.  Der  Prophet 
war  von  Rigdons  Fähigkeit  beeindruckt 
und  empfing  bald  eine  Offenbarung,  in 
der  es  hieß,  daß  der  Herr  ihn  „für  ein 
größeres  Werk  vorbereitet"  habe.  Der 
frühere  Prediger  benutzte  seine  redneri- 
schen Fertigkeiten  bald,  um  anderen  das 
Evangelium  zu  erklären.  Dann  begann 
er,  als  Schreiber  für  Joseph  Smith  bei 
einer  inspirierten  Revision  der  Bibel  zu 
arbeiten,  und  wurde  Ratgeber  in  der 
Ersten  Präsidentschaft. 
Die  Mitglieder  der  Kirche  in  New  York 
brauchten  als  erstes  einen  Ort,  um  sich 
zu  sammeln,  und  durch  Offenbarung 
wurden  ihnen  zwei  genannt.  Einer  da- 
von lag  im  westlichen  Missouri  im  Kreis 
Jackson  in  der  Nähe  von  Independence. 
Im  Sommer  1831  besuchte  der  Prophet 
mit  einigen  anderen  die  Gegend  und 
wählte  ein  Siedlungsgebiet  für  eine 
Gruppe  von  Heiligen  aus,  die  von  Coles- 
ville  in  New  York  dorthin  reisen  sollten. 
Sie  nannten  es  das  Zentrum  Zions 
(Independence  sollte  auch  dazuge- 
hören), weil  eine  Offenbarung  es  als  die 
künftige  Hauptstadt  des  Neuen  Jerusa- 
lems bezeichnet  hatte.  Joseph  Smith 
setzte  den  Eckstein  für  einen  Tempel  in 
Zion  und  ordinierte  Edward  Partrigde 
zum  Bischof,  der  sich  um  die  zeitlichen 
Belange  kümmern  sollte.  Er  war  der 
erste  Bischof  der  Kirche. 


19 


Inzwischen  gründeten  andere  Bekehrte 
aus  New  York  in  der  Gegend  von 
Kirtland  im  nördlichen  Ohio  eine  zweite 
Mormonengemeinde.  Sie  vereinigten 
sich  hier  mit  den  Neubekehrten  aus 
Ohio  zu  einem  als  vorübergehend  ge- 
planten Gemeinwesen,  um  auf  den  Aus- 
zug nach  Zion  zu  warten.  Joseph  Smith 
zog  mit  seiner  Familie  nach  Ohio,  und 
bis  1838  war  nun  Kirtland  der  Hauptsitz 
der  Kirche. 

Offenbarungen  und  Übersetzungen 

Die  ,Kirtlandperiode'  ist  ein  aufregen- 
der Abschnitt  in  der  Geschichte  der 
Kirche.  Die  Heiligen  in  Kirtland  erleb- 
ten eine  Ausgießung  von  Gaben  des 
Geistes,  es  gab  viele  Offenbarungen  zur 
Führung  der  neuen  Kirche,  und  es 
vollzogen  sich  wichtige  Entwicklungen 
in  der  Verwaltung  der  Kirche. 
Zu  den  ersten  Bekehrten  in  Ohio  gehörte 
Luke  S.  Johnson.  Seine  Eltern,  John 
Johnson  und  dessen  Frau,  die  in  der 
Nähe  von  Hiram  eine  große  Farm 
besaßen,  besuchten  den  Propheten  in 
Kirtland.  Frau  Johnson  litt  an  chro- 
nischem Rheumatismus  und  konnte  seit 
sechs  Jahren  einen  Arm  nicht  bewegen. 


Während  des  Besuchs  faßte  der  Prophet 
sie  an  der  Hand  und  sagte:  „Im  Namen 
des  Herrn  Jesus  Christus  befehle  ich  dir, 
gesund  zu  sein!"  Frau  Johnson  war 
geheilt.  Bei  den  Anwesenden  hinterließ 
dieser  Vorfall  einen  nachhaltigen  Ein- 
druck von  der  Kraft  des  Priestertums. 
Später  folgten  diesem  Wunder  andere 
Kundgebungen  verschiedener  Gaben 
des  Geistes  unter  den  Heiligen.  Als  aber 
einige  von  ihnen,  die  früher  der  Sekte  der 
Shaker  angehört  hatten,  versuchten,  die 
wahren  Gaben  durch  sogenannte  „gei- 
stige Wirkungen"  nachzuahmen,  tadelte 
der  Prophet  sie,  weil  sie  sich  auf  törichte 
Art  rollten  und  wanden  und  das  Gesicht 
verzogen. 

Es  gab  auch  andere,  die  behaupteten, 
Offenbarung  für  die  Kirche  zu  erhalten. 
Unter  anderen  maßte  sich  eine  Frau 
Hubble  das  Recht  an,  den  Heiligen  in 
Ohio  Anweisungen  zu  geben.  Gegen- 
über solchen  Eindringlingen  erklärte  der 
Prophet  durch  Offenbarung,  wie  er  es 
schon  vorher  getan  hatte,  daß  der  Herr 
nur  einen  zu  dieser  Aufgabe  bestimmt 
habe.  Joseph  Smith  führte  die  Heiligen 
durch  Offenbarung  im  täglichen  Leben, 
erklärte  ihnen  die  Funktion  der  kirchli- 


20 


DER  FREUND 

12/1978 


Es  ist 
wirklich 
passiert ! 


DAS  MACHT  SPASS 

Male  die  Flächen  an,  die  durch  einen  Punkt  gekennzeichnet  sind, 

und  schau,  welche  Tiere  du  finden  kannst. 


Das  Lamm 


Margaret  Allen 


D 


ie  zarte  Hand  der  Nacht  hatte 
den  Vorhang  des  Himmels  zuge- 
zogen; Joel,  der  Jüngste  unter  den 
Schafhirten,  saß  auf  einem  der  Berg- 
abhänge in  Galiäa  und  liebkoste 
sein  Lamm.  Er  mochte  die  Abend- 
zeit besonders  gern,  wenn  die  Sterne 
wie  Kerzen  in  der  dunklen  Wölbung 
des  Himmels  erstrahlten.  Er  hatte 
auch  sein  Lamm  sehr  gern  und 
fühlte  sich  nie  einsam,  wenn  es  an 
seiner  Seite  ausgelassen  tollte.  In  den 
kalten  Nächten  wärmte  ihn  sein 
Körper ;  aber  jetzt,  da  das  Lamm 
schlief,  schauten  Joels  Augen  groß 
und  fragend. 


„Der  Himmel  ist  heute  so  eigenartig 
hell,  Vater",  sagte  Joel  zu  dem 
großen  Mann,  der  aufrecht  neben 
ihm  stand. 

„Es  ist  die  Herrlichkeit  Gottes,  mein 
Sohn",  erwiderte  der  Schäfer. 
„Es  ist  immer  so,  wenn  der  Himmel 
klar  ist",  sprach  der  Junge  weiter. 
„Aber  in  dieser  Nacht  scheint  sich 
der  Himmel  zur  Erde  gesenkt  zu 
haben,  und  mir  kommt  es  vor,  ich 
könnte,  wenn  ich  den  Hügel  erklet- 


terte, den  Himmel  mit  meiner  aus- 
gestreckten Hand  berühren." 
Der  Mann  neben  ihm  blickte  kurz 
auf  und  staunte.  Aber  da  er  ein 
schweigsamer  Mann  war,  sagte  er 
nur:  „Das  stimmt,  mein  Sohn." 
Der  Junge  hielt  sein  Lamm  eng  an 
sich  gepreßt  und  hüllte  sich  in  seinen 
Umhang ;  er  lehnte  sich  zurück,  um 
die  Herrlichkeit  des  Himmels  besser 
sehen  zu  können 

Wie  viele  andere  Schafhirten  war 
Joel  von  den  Sternen  tief  beein- 
druckt. Er  glaubte,  daß  eines  Tages 
ein  auserwählter  Mensch  den  Plan 
Gottes  für  diese  Erde  kennenlernen 
würde,  wenn  er  diese  Fenster  des 
Himmels  erforschte. 


Jede  Nacht  hielt  er  nach  den  ihm 
vertrauten  Sternen  Ausschau  und 
suchte  nach  neuen,  die  er  sich  mer- 
ken wollte. 


Joel  hatte  sich  einen  Lieblingsstern 
erwählt;  er  stand  im  Osten  und 
leuchtete  ganz  hell.  Er  hatte  sich 
viele  Geschichten  für  seinen  Stern 
einfallen  lassen.  Er  war  ein  Engel, 
der  mit  seinem  mächtigen  Schwert 
den  Bösen  vertreiben  würde.  Oder  er 
war  ein  edler  Fürst,  der  in  Herr- 
lichkeit kommen  würde,  um  sein 
Volk  aus  der  Unterdrückung  zu 
befreien,  und  die  zu  ehren,  die  ihm 
gedient  hatten.  Joel  sehnte  sich  da- 
nach, diesem  geliebten  Fürsten  zu 
dienen  —  er  war  selbst  bereit,  sein 
Leben  für  ihn,  seinen  Herrn,  zu 
geben,  wenn  es  notwendig  sein  soll- 
te. Die  Augen  des  Jungen  schlössen 
sich,  als  er  so  vor  sich  hinträumte, 
und  bald  schlief  er  fest. 
Plötzlich  wurde  Joel  vom  Lärm 
vieler  Stimmen  geweckt;  es  war 
nicht  das  gewohnte  leise  Murmeln 
der  wachenden  Schäfer,  sondern  ein 
aufgeregtes  Stimmengewirr. 
„Gehen  wir",  sagte  ein  Schäfer. 
„Beeilt  euch!" 

„Es  ist  ein  Zeichen,  ein  Zeichen  von 
Gott",  sagte  ein  anderer. 
Die  Schafhirten  löschten  ihre  Feuer 
und  hüllten  sich  in  ihre  Umhänge ; 
sie  ließen  einen  Hirten  zurück,  der 
über  die  Schafe  wachen  sollte. 
Als  Joel  aufblickte,  wurde  er  bei- 
nahe von  dem  Licht  geblendet,  das 
den  dunklen  Himmel  erhellte.  Es 
war,  als  ob  die  Tür  zum  Himmel 
offenstand  und  Herrlichkeit  her- 
ausleuchtete. 

Joel  war  nun  hellwach  und  stand 
auf.  „Was  ist  los,  Vater?  Woher 
kommt  dieses  Licht?"  Er  hob  sein 
Lamm  hoch  und  hielt  es  in  seinen 
Armen. 


Der  Vater  legte  den  Arm  auf  die 
Schulter  seines  Sohnes  und  sagte  mit 
einer  Stimme,  die  vor  Erregung 
zitterte.  „Komm,  Joel,  das  Zeichen 
ist  endlich  da!" 

Der  Mann  und  der  Junge  folgten 
den  anderen,  die  in  die  Richtung  des 
Lichtes  gegangen  waren. 
Der  Hof  des  Wirtshauses  war  dun- 
kel, als  sie  ihn  erreichten;  das  ge- 
schäftige Treiben  des  Tages  war 
vorbei.  Selbst  die  Kamele  schliefen, 
gegen  die  Außenmauer  gelehnt.  Der 
Stall  jedoch  schien  eigenartig  zu 
leuchten. 

Joel  war  beunruhigt.  Ob  ein  Funke, 
das  von  der  Sonne  dürre  Holz  des 
Stalls  angezündet  hatte?  Er  über- 
legte. Nein,  denn  sonst  würden 
Flammen  an  dem  verstreuten  Stroh 
emporlodern,  das  wie  Zunder  bren- 
nen würde.  Es  war  Licht  vom  Him- 
mel, das  wie  die  Mittagssonne  durch 
den  Stall  schien.  Die  Hirten  knieten 
sich  nieder,  denn  sie  waren  demütige 
Männer  und  wußten,  daß  sie  auf 
heiligem  Boden  standen. 
Ein  Mann  stand  an  der  Stalltür.  Als 
ob  er  Besucher  erwartet  hätte,  bat  er 
sie  näherzutreten. 

Konnte  das  Kindlein  dort  der  Fürst, 
der  Erlöser  seines  Volkes  sein?  Es 
konnte  nicht  stimmen  —  ein  König 
in  einem  Stall  geboren !  Das  war  ein 
Ort  für  bescheidene  Hirten.  Aber 
doch,  es  mußte  stimmen,  denn  da 
war  das  Zeichen.  Sicher  war  es  von 
Gott.  Joel  war  sich  bewußt,  was  für 
eine  Ehre  es  für  ihn  bedeutete,  hier 
sein  zu  dürfen.  Sein  Herz  klopfte  vor 
Aufregung  zum  Zerspringen,  er 
drückte  das  Lamm  gegen  sich. 
Er  blickte  zu  seinem  Vater  hoch,  der 


ihm  zunickte,  als  ob  er  wüßte,  was 
gerade  in  Joel  vorging.  Joel  hielt  das 
Lamm  noch  fester,  zögerte '  und 
flüsterte  schließlich :  „Es  wird  ohne 
mich  frieren." 

„Ein  Bett  im  Heu  wird  warm  genug 
sein,  mein  Sohn." 
„Aber  es  wird  weinen,  wenn  ich  es 
verlasse." 

„Die  Tauben  werden  es  in  den 
Schlaf  singen." 
„Aber  es  wird  einsam  sein." 
„Das  Kindlein  wird  es  auch  lieb- 
haben, mein  Sohn." 
Joel  hielt  sein  Lamm  fest  umklam- 
mert, als  er  zur  Krippe  vortrat,  dann 
legte  er  das  Lamm  vor  das  Kindlein. 
Die  Mutter  lächelte  sanft,  und  jetzt 
tat  es  Joel  nicht  mehr  leid.  Sein  Herz 
zersprang  fast  vor  Freude,  als  er  in 
ihre  Augen  blickte,  die  ihn  voller 
Liebe  und  Verständnis  ansahen.  Es 
war  ihm,  als  ob  sie  wüßte,  was  es  für 
ihn  bedeutete,  das  Liebste  herzuge- 
ben; im  Lamm  lag  wie  im  Kind 
neues  Leben,  das  immer  die  Hoff- 
nung der  Welt  ist. 
Vaters  Hand  war  warm  und  sanft, 
als  er  Joel  aus  dem  Stall  führte, 
vorbei  an  den  schlafenden  Kamelen 
und  in  den  offenen  Hof.  Die  Luft 
war  klar  wie  vorher.  Die  Herrlich- 
keit des  Himmels  leuchtete  noch 
immer  auf  diesen  bescheidenen 
Fleck  Erde. 

Der  Mann  und  sein  Sohn  standen 
still  und  lauschten.  War  das  Musik, 
was  sie  vernahmen?  War  es  ein 
Himmelschor?  Konnten  die  Sterne 
vereint  singen?  Joel  wußte  es  nicht. 
Er  dachte  sich,  daß  es  auch  die 
eigenartige  neue  Musik  sein  könnte, 
die  in  seinem  Herzen  erklang. 


FROHES  HANUKKAH! 


Bonnie  Newton 


Wä 


ährend  die  Christen  einander  in  der 
Weihnachtszeit  Frohe  Weihnachten 
wünschen,  begrüßen  die  Juden  auf  der 
ganzen  Welt  ihre  Freunde  mit  den 
Worten  Frohes  Hanukkah  (Fest  des 
Lichtes  oder  Fest  der  Weihung). 
Anläßlich  dieser  Feier  bekommen  die 
Kinder  Geschenke  und  führen  Schau- 
spiele auf.  Die  Juden  geben  auch  den 
Armen  Geschenke  und  sammeln  Geld 
für  gute  Zwecke. 


Wenn  ihr  jeden  Abend  an  den  acht 
Tagen  des  Hanukkah  in  das  Haus  einer 
jüdischen  Familie  blicken  könntet,  dann 
würdet  ihr  die  Eltern  und  ihre  Kinder 
um  einen  schönen  Menorah,  einen  acht- 
armigen Kerzenständer,  versammelt  se- 
hen. Am  ersten  Abend  wird  nur  eine 
Kerze  von  den  acht  angezündet;  am 
nächsten  Tag  eine  zweite  Kerze  und  so 
fort,  bis  acht  Kerzen  das  Haus  erhellen. 
Eine  neunte  Kerze,  mit  der  die  anderen 


angezündet  werden,  wird  Schammasch 
genannt. 

Wenn  die  Kerzen  brennen,  singen  die 
Menschen  fröhliche  Lieder,  spielen  Spie- 
le, erzählen  Geschichten  und  nehmen 
besondere  traditionelle  Hanukkah-Lek- 
kerbissen  zu  sich,  wie  zum  Beispiel 
Latkes  (Kartoffelpfannkuchen)  mit  sau- 
rer Sahne.  Sie  essen  auch  Kekse,  die  wie 
Löwen  geformt  sind. 
Mit  dem  Hanukkah  feiern  die  Juden  die 
erneute  Weihung  des  Tempels  Gottes, 
nach  einer  schweren  Zeit.  1 68  v.  Chr.  fiel 
Antiochus  IV.  Epiphanes,  ein  grie- 
chisch-syrischer König,  in  Palästina  ein 
und  besetzte  Jerusalem.  Er  beschlag- 
nahmte den  Tempel  und  stellte  darin 
heidnische  Götzen  auf.  Dann  versuchte 
er,  die  Juden  zu  zwingen,  von  ihrem 
Glauben  an  Jehova  abzulassen  und  statt 
dessen  die  Götzen  anzubeten,  die  er 
hatte  aufstellen  lassen.  Aber  die  Juden 
weigerten  sich,  ihre  Religion  aufzuge- 
ben. Ein  Ältester  von  Palästina,  Matta- 
thias,  widersetzte  sich  dem  Tyrannen 
und  rief  die  Juden  zum  Aufstand  auf. 
Sie  folgten  ihm  in  die  Berge  von  Judäa, 
wo  Judas  Makkabäus,  einer  der  fünf 
Söhne  Mattathias,  eine  Armee 
zusammenstellte.  Judas  wurde  der  Mak- 
kabäer  genannt,  was  „Hämmerer"  be- 
deutet, wegen  der  Schläge,  die  er  für  die 
Erringung  der  Freiheit  gegen  die  Feinde 
austeilte. 

Drei  Jahre  lang  bekämpften  die  Juden 
Antiochus.  Obwohl  sie  zahlenmäßig 
weit  unterlegen.und  schlecht  ausgerüstet 
waren,  führte  Judas  Makkabäus  sie  zu 
vielen  Siegen  gegen  die  gewaltigen  grie- 
chisch- syrischen  Armeen.   Schließlich 


eroberten  sie  Jerusalem  wieder  zurück. 
Die  Juden  reinigten  sofort  den  Tempel 
von  allen  heidnischen  Götzen  und 
machten  ihn  wieder  zu  einem  Haus,  in 
dem  man  Gott  verehren  konnte. 
Judas  kündigte  dann  ein  Fest  an,  um  den 
Tempel  Gottes  neuerlich  zu  weihen,  und 
sagte,  daß  ein  ewiges  Licht  vor  dem 
Altar  angezündet  werden  würde.  Man 
glaubt  jedoch,  daß  nur  soviel  Öl  ge- 
funden werden  konnte,  um  damit  eine 
Lampe  für  einen  einzigen  Abend  vor 
dem  heiligen  Schrein  brennen  zu  lassen. 
Gewissenhaft  wurde  die  Lampe  an- 
gezündet ;  sie  brannte  auf  wundersame 
Weise  acht  Tage  lang,  bis  wieder  mehr 
Öl  zur  Verfügung  stand.  Während  die 
Lampe  brannte,  feierte  das  Volk. 
Während  der  Hanukkah-Feiertage 
weihen  sich  die  Juden  im  Gedenken  an 
dieses  denkwürdige  Ereignis  erneut, 
auch  bei  Widerstand  ihren  Idealen,  ih- 
rem Glauben  und  Mut  treu  zu  bleiben. 
In  dieser  Zeit  der  Freude  und  des 
Schenkens  wird  auch  ein  traditionelles 
Spiel  gespielt,  das  ,Dreidel'  genannt 
wird. 

Dazu  wird  ein  kleiner  viereckiger  Kreisel 
verwendet,  der  mit  der  Hand  gedreht 
wird.  Auf  den  Seiten  des  Kreisels  stehen 
vier  hebräische  Schriftzeichen,  die  für 
die  Worte  stehen:  Naze  godolla  hoya 
scha  (ein  großes  Wunder  geschah  dort). 
Preise  werden  verteilt,  je  nachdem,  wel- 
che Seite  des  Kreisels  nach  dem  Drehen 
oben  ist. 

Es  ist  leicht  zu  verstehen,  warum  die 
Juden  stolz  auf  ihre  Geschichte  sind, 
und  warum  sie  so  voller  Freude  die 
Kerzen  anzünden. 


Joseph  Smith  forderte  die  Heiligen  auf, 
westwärts  nach  Zion  zu  ziehen,  um  den 
Verfolgungen  zu  entgehen  —  in  ein  Land, 
wo  sie  unbehelligt  in  Frieden  und  Glück 
leben  konnten,  ein  Land  im  Westen,  das  der 
Herr  ihm  in  einer  Offenbarung  gezeigt  hatte. 

Das  Bild  wurde  von  CCA  Christensen 
gemalt. 


chen  Ämter  und  unterwies  sie  in  der 
Lehre  der  Kirche. 

In  den  1830er  Jahren  erweiterte  der 
Prophet  das  Verständnis  für  die  Lehre 
dadurch,  daß  er  verlorengegangene  hei- 
lige Schriften  wiederbrachte.  Zwei  da- 
von waren  die  Prophezeiungen  Enochs 
und  die  Visionen  und  Schriften  Moses, 
die  später  in  der  Köstlichen  Perle  ge- 
sammelt wurden.  Im  Sommer  1830 
begann  er,  das  Alte  und  das  Neue 
Testament  zu  revidieren.  Er  arbeitete 
ungefähr  zwei  Jahre  lang  daran  und 
korrigierte  Verse,  die  durch  frühere 
falsche  Übersetzung  entstellt  worden 
waren.  Während  dieser  Zeit  erhielt  Jo- 
seph Smith  auch  viele  wichtige  Offenba- 
rungen, darunter  eine  Vision  von  den 
Stufen  der  Herrlichkeit  (LuB  76),  eine 
Prophezeiung  über  Kriege  (LuB  87),  das 
Wort  der  Weisheit  (LuB  89),  Unter- 
weisungen über  das  Priestertum  (LuB 
84)  und  wichtige  Wahrheiten  über  das 
Verhältnis  des  Menschen  zu  Gott  (LuB 
93). 

Von  Anfang  an  wollten  die  Heiligen 
Abschriften  der  Neufassung  der  Bibel 
und  von  den  Offenbarungen  des  Pro- 
pheten.   Er    begann   schon    1830,    die 


Offenbarungen  für  eine  Veröffentli- 
chung zusammenzustellen.  Er  bearbei- 
tete die  Offenbarungen,  die  er  für  ein 
",Buch  der  Gebote"  sammelte,  und  fügte 
im  November  1831  ein  offenbartes  Vor- 
wort und  einen  Anhang  hinzu.  Von 
dieser  neuen  heiligen  Schrift  waren  etwa 
zwei  Drittel  gedruckt,  als  im  Juli  1833 
ein  Pöbelhaufen  die  Druckpresse  der 
Kirche  in  Independence  zerstörte.  Die 
Mitglieder  retteten  ein  paar  unvoll- 
ständige Kopien,  aber  weil  sich  die 
Herausgabe  dann  um  weitere  zwei  Jahre 
verzögerte,  konnten  noch  zusätzliche 
Änderungen  vorgenommen  werden. 
Der  Prophet  vergrößerte  die  Sammlung, 
fügte  mehrere  Abhandlungen  hinzu,  die 
„Vorlesungen  über  den  Glauben"  ge- 
nannt wurden,  und  ordnete  die  Offenba- 
rungen in  fast  chronologischer  Reihen- 
folge. Die  neue  heilige  Schrift  wurde  im 
Herbst  1835  unter  dem  Namen  , Lehre 
und  Bündnisse'  veröffentlicht. 
Während  die  Anhänger  des  Propheten 
seine  offenbarten  Verkündigungen  ge- 
spannt erwarteten,  gab  es  viele  in  der 
Umgebung,  die  allein  schon  den  Ge- 
danken an  neuzeitliche  Offenbarung 
voller  Geringschätzung  zurückwiesen. 
Die  Zeitungen  in  Ohio  verspotteten  die 
Mormonen  wegen  ihres  Glaubens,  und 
die  Geistlichen  führten  den  Chor  der 
Schmäher  manchmal  noch  an. 
Dieser  Widerstand  führte  mitunter  so- 
gar zu  gewaltsamen  Ausschreitungen. 
Der  bekannteste  derartige  Vorfall  trug 
sich  in  der  Nacht  des  24.  März  1832  in 
Ohio  zu,  als  Joseph  Smith  und  seine 
Familie  bei  John  Johnson  in  Hiram 
wohnte.  In  jener  Nacht  zog  eine  Gruppe 
von  mehr  als  zwei  Dutzend  Männern 
den  Propheten  und  Sidney  Rigdon  aus 
dem  Bett ;  man  würgte  sie,  bis  sie  keinen 
Widerstand  mehr  leisteten,  und  zog  sie 
hinaus  aufs  Feld.  Sie  zerkratzten  die 
Haut  des  Propheten  mit  ihren  Fingernä- 
geln, versuchten  gewaltsam,  ihm  Säure 


21 


einzuflößen,  und  bestrichen  dann  seinen 
nackten  Körper  mit  Teer  und  Federn. 
Bruder  Rigdon  blieb  im  Delirium  zu- 
rück, weil  sein  Kopf  so  hart  auf  die  Erde 
gestoßen  worden  war.  Als  der  Prophet 
eine  Woche  später  zu  einem  zweiten 
Besuch  nach  Missouri  aufbrach,  ver- 
folgten seine  Widersacher  ihn.  Er  suchte 
Schutz  auf  einem  Flußdampfer  und 
konnte  die  Reise  so  sicher  zurücklegen. 
Von  da  an  brauchte  er  fast  ständig 
Leibwachen,  um  sich  vor  weiteren  Aus- 
schreitungen oder  gar  der  Ermordung 
zu  schützen. 

Aber  solche  Schwierigkeiten  konnten 
die  Bemühungen,  die  gute  Nachricht 
von  der  Wiederherstellung  zu  verkündi- 
gen, nicht  zum  Stillstand  bringen.  Die 
Druckpressen  der  Kirche  in  Missouri 
und  Ohio  veröffentlichten  ein  Gesang- 
buch, das  die  Frau  des  Propheten, 
Emma  Smith,  zusammengestellt  hatte, 
gaben  neue  Ausgaben  der  heiligen 
Schriften  heraus,  und  dann  erschien  der 
,,Evening  und  Morning  Star"  (Der  A- 
bend-und  Morgenstern),  die  erste  Zei- 
tung der  Kirche.  Auch  die  Missionars- 
arbeit dehnte  sich  anfangs  der  1830er 
Jahre  aus.  Die  Ältesten  erfüllten  viele 
Kurzzeitmissionen  und  reisten,  wenn  es 
auf  der  Farm  nicht  so  viel  Arbeit  gab,  in 
nahegelegene  Städte.  Ausgedehnte  Mis- 
sionen trugen  das  Evangelium  in  alle 
Teile  der  damaligen  Vereinigten  Staa- 
ten, und  nach  Kanada. 

Das  Reich  Gottes  wird  organisiert 

Ein  wichtiges  Thema  der  Offenbarun- 
gen und  Predigten  der  frühen  30er  Jahre 
war,  daß  das  gesammelte,  neuzeitliche 
Volk  Israel  zur  Vorbereitung  auf  das 
Millennium  das  Reich  des  Herrn  er- 
richten würde.  Dieses  Reich,  die  wieder- 
hergestellte Kirche  Jesu  Christi,  wurde 
in  Einklang  mit  den  Grundsätzen  und 
Vorschriften  organisiert,  die  durch  Of- 
fenbarung   verkündet    worden    waren. 


Das  Buch  , Lehre  und  Bündnisse'  von 
1835  enthielt  die  frühesten  Anweisungen 
des  Herrn  über  die  Verwaltung  der 
Kirche,  einschließlich  Hinweisen  auf  das 
Gesetz  der  Weihung  und  der  Verwalter- 
schaft und  auf  die  Ämter  des  Priester- 
tums. 

Der  Idealplan  des  Herrn  hinsichtlich  der 
wirtschaftlichen  Ordnung  wurde  1831 
und  1832  durch  Offenbarungen  auf- 
gestellt. Er  wurde  das  Gesetz  der  Wei- 
hung und  Verwalterschaft  genannt.  Die 
Mitglieder  der  Kirche,  die  nach  dieser 
neuen  ökonomischen  Ordnung  leben 
wollten,  weihten  ihren  Besitz  und  Un- 
persönliches Eigentum  der  Kirche.  Da- 
für gab  der  Bischof  jedem  Mitglied  ein 
Erbteil  oder  eine  Verwalterschaft,  „so- 
viel wie  für  ihn  und  seine  Familie 
ausreicht".  Überschüsse  wurden  den- 
jenigen zugewiesen,  die  weniger  als  das 
Notwendigste  hatten,  den  Armen  ge- 
geben und  verwendet,  um  die  Ver- 
öffentlichungen der  Kirche  zu  finan- 
zieren und  diejenigen  zu  unterstützen, 
deren  Ämter  in  der  Kirche  sie  vollzeitig 
beschäftigten.  Nach  dem  einmaligen 
Vorgang  der  Weihung  wurde  von  den 


Ein  Bild  von  CCA  Christensen ;  es  zeigt 
Joseph  und  Hyrum  Smith,  als  sie  bei  den 
Indianern  predigten. 


22 


Mitgliedern  erwartet,  daß  sie  ihren  jähr- 
lichen Überschuß  dem  Bischof  brach- 
ten. 

Das  Gesetz  der  Weihung  und  der  Ver- 
walterschaft wurde  in  Ohio  und  Missou- 
ri befolgt.  Einige  Heilige  zeigten,  daß  sie 
nicht  bereit  waren,  nach  dem  Gesetz  zu 
leben,  und  so  wurden  Anpassungen 
vorgenommen.  1838  wurde  ein  System 
eingeführt,  das  nicht  so  viel  forderte,  das 
Gesetz  des  Zehnten  (LuB  119). 
Der  Bischof  hatte  die  Aufgabe,  das 
Geweihte  und  die  Erbteile  zu  verwalten. 
Während  dieser  Zeit  handhabte  Bischof 
Partrigde  die  zeitlichen  Angelegenheiten 
in  Missouri  und  Bischof  Newell  K. 
Whitney  in  Ohio.  Diese  Bischöfe  hatten 
regionale  Zuständigkeit.  Ihr  Amt  war 
eins  von  mehreren  neuen  Priester- 
tumsämtern,  die  in  den  1830er  Jahren 
bestimmt  wurden,  um  die  wachsende 
Kirche  zu  verwalten. 

Vor  1831  bestand  die  kirchliche  Organi- 
sation nur  aus  Ältesten,  Priestern,  Leh- 
rern und  Diakonen,  an  deren  Spitze 
die  Zweierpräsidentschaft  des  „ersten" 
und  „zweiten"  Ältesten  stand.  In  den 
nächsten  vier  Jahren  führte  Joseph 
Smith  verschiedene  neue  Priestertum- 
sämter  und  Führungsgremien  ein.  Von 
besonderer  Bedeutung  war  die  Ordinie- 
rung der  ersten  Hohenpriester  auf  einer 
Sonderkonferenz  in  Kirtland  an  3.  Juni 
1831  und  ihre  Bestimmung  zu  präsidie- 
renden Ämtern. 

Das  präsidierende  Kollegium  nahm 
schnell  die  Form  an,  die  es  seit  dieser 
Zeit  behalten  hat.  Am  25.  Januar  1832 
wurde  Joseph  Smith  als  Präsident  der 
Hohenpriester  bestätigt,  und  innerhalb 
von  sechs  Wochen  wurden  Sidney  Rig- 
don  und  Jesse  Gause  berufen,  um  die 
Erste  Präsidentschaft  zu  vervollständi- 
gen. Gause  diente  weniger  als  ein  Jahr, 
wurde  dann  durch  Frederick  G.  Wil- 
liams ersetzt.  Die  Erste  Präsidentschaft 
präsidierte  über  die  ganze  Kirche  und 


bildete  gleichzeitig  die  Präsidentschaft 
des  Pfahles  Kirtland.  Dabei  wurde  sie 
von  einen  Hohen  Rat  unterstützt,  der 
am  17.  Februar  1834  gebildet  wurde.  Im 
Juli  desselben  Jahres  wurden  in  Missouri 
eine  Pfahlpräsidentschaft  und  ein  Hoher 
Rat  gebildet.  Das  war  der  Anfang  des 
Pfahls  als  Verwaltungseinheit  der  Kir- 
che. 

Ein  anderes  neues  Amt,  das  durch 
Offenbarung  eingeführt  wurde,  war  das 
des  Patriarchen.  Joseph  Smith  sen.  wur- 
de als  erster  dazu  berufen,  und  zwar  am 
18.  Dezember  1833.  Im  Februar  1833 
kamen  die  anderen  beiden  höchsten 
Kollegien  dazu  :  das  der  Zwölf  Apostel 
und  das  der  Siebzig. 
Die  drei  Zeugen  des  Buches  Mormon 
wurden  berufen,  die  ersten  Apostel  aus- 
zuwählen. Sie  wählten  eine  ergebene 
Gruppe  von  jungen  Männern  im  Alter 
zwischen  24  und  35  Jahren  aus.  Diese 
sind  nicht  alle  bis  zum  Ende  getreu 
geblieben,  aber  unter  ihnen  war  Brig- 
ham  Young,  der  später  Joseph  Smith' 
Nachfolger  als  Präsident  der  Kirche 
werden  sollte.  Nicht  lange  nach  ihrer 
Ordinierung  wurden  die  neuen  Apostel 
von  Joseph  Smith  organisiert,  wobei  er 
sich  nach  ihrem  Alter  richtete.  Es  waren: 
Thomas  B.  Marsh,  David  W.  Patten, 
Brigham  Young,  Heber  C.  Kimball, 
Orson  Hyde,  William  E.  M'Lellin,  Par- 
ley  P.  Pratt,  Luke  S.  Johnson,  William 
B.  Smith,  Orson  Pratt,  John  F.  Boynton 
und  Lyman  E.  Johnson. 
Ebenfalls  im  Februar  1835  berief  Joseph 
Smith  die  ersten  Siebziger  und  organi- 
sierte sie  mit  sieben  Präsidenten  für  jedes 
Kollegium.  Die  Präsidenten  des  Ersten 
Kollegiums  der  Siebzig  sollten  alle  Sieb- 
ziger führen,  und  diese  sollten  den  Zwölf 
dabei  helfen,  das  Evangelium  in  die  Welt 
zu  tragen.  Die  Pflichten  der  neuen 
Priestertumsämter  wurden  1832  und 
1835  durch  Offenbarungen  festgelegt. 
Diese  Offenbarungen  finden  wir  in  Ab- 


23 


schnitt  84  und  107  im  Buch  , Lehre  und 
Bündnisse'. 

Vertreibung  aus  dem  Kreis  Jackson 

Während  diese  organisatorische  Ent- 
wicklung in  Kirtland  vor  sich  ging, 
verloren  die  Heiligen  in  Zion  ihren 
anfänglichen  Anspruch  auf  das  Land 
Zion.  1833  legte  Joseph  Smith  den  Plan 
für  die  Stadt  Zion  und  ihre  Tempel  fest. 
Die  Stadt  sollte  2,6  km2  groß  sein,  jedes 
Stadtviertel  sollte  4  Hektar  umfassen, 
im  ganzen  sollte  es  24  Tempel  darin 
geben.  Aber  die  Verwirklichung  dieser 
Vision  von  der  Hauptstadt  des  Millen- 
niums mußte  aufgeschoben  werden,  weil 
es  zu  Konflikten  zwischen  den  Heiligen 
der  Letzten  Tage  und  den  älteren  An- 
siedlern in  Missouri  kam. 
Diese  Grenzsiedler  fühlten  sich  von  dem 
Einfluß  der  Mormonen  bedroht.  Die 
Heiligen  kauften  sehr  viel  Land  im  Kreis 
Jackson  und  würden  die  ursprünglichen 
Missourer  an  Zahl  bald  überwiegen. 
Dann  würden  die  Mormonen  Wirt- 
schaft und  politische  Wahlen  bestim- 
men. Außerdem  waren  die  einheimi- 
schen Bürger  argwöhnisch  wegen  der 
religiösen  Lehren  der  Mormonen  über 
die  Sammlung  Zions,  die  Weihung  und 
neue  Offenbarungen.  Viele  Bekehrte 
kamen  aus  dem  Nordosten  der  Ver- 
einigten Staaten,  während  viele  der  frü- 
heren Siedler  den  Südstaaten  und  der 
Sklaverei  zugeneigt  waren. 
Freie  Neger  waren  ein  heißes  Eisen  für 
die  Einwohner  von  Missouri,  und  das 
Gesetz  des  Staates  beschränkte  ihren 
Zuzug.  Die  Negerfrage  stand  im  Mit- 
telpunkt des  Streits,  als  im  Juli  1833  die 
Feindseligkeiten  gegen  die  Mormonen 
ausbrachen.  Einige  einflußreiche  Mis- 
sourer hatten  schon  Monate  vorher 
nach  Möglichkeiten  gesucht,  wie  sie 
diese  unerwünschten  Nachbarn  loswer- 
den könnten.  Sie  ließen  gegen  die  Kirche 
gerichtete  Artikel  zirkulieren  und  wand- 


ten sich  gegen  die  Prahlereien  einiger 
übereifriger  Heiliger,  die  erklärten,  daß 
alle  Nichtmormonen  gezwungen  wür- 
den, ihr  Land  aufzugeben.  Im  Juli 
enthielt  die  Zeitung  der  Kirche  ,Evening 
and  Morning  Star'  einen  Artikel,  in  dem 
die  Beschränkungen  erklärt  wurden,  die 
im  Staat  Missouri  bezüglich  des  Zuzugs 
freier  Neger  bestanden  haben.  Die  übri- 
gen Bewohner  legten  diesen  Artikel  als 
Aufforderung  zum  Zuzug  und  als  Be- 
drohung für  sich  selbst  aus,  weil  sie 
Sklaven  hielten.  Der  Herausgeber  der 
Zeitung,  William  W.  Phelps,  veröffent- 
lichte schnell  eine  Richtigstellung,  aber 
die  wütenden  Bürger  waren  schon 
zusammengekommen,  um  eine  „gehei- 
me Verfassung"  zu  entwerfen,  in  der  die 
Vertreibung  der  Heiligen  gefordert  wur- 
de. 

Im  Verlaufe  des  Monats  kamen  die 
Missourer  in  öffentlichen  Versamm- 
lungen zusammen,  um  Unterstützung 
für  ihr  Ultimatum  zu  gewinnen.  Sie 
forderten  die  Mitglieder  der  Kirche  auf, 
ihr  Land  und  ihre  Geschäfte  zu  verkau- 
fen und  das  Land  zu  verlassen.  Die 
örtlichen  Führer  der  Kirche  lehnten  das 
ab,  und  daraufhin  zerstörten  ungeduldi- 
ge Missourer  die  Druckerei  und  griffen 
andere  Läden  an,  die  Mitgliedern  ge- 
hörten. Edward  Partrigde  und  Charles 
Allen  wurden  auf  dem  Marktplatz  ge- 
teert und  gefedert.  Drei  Tage  später 
zwang  ein  Pöbelhaufen  die  Beamten  der 
Kirche  mit  vorgehaltener  Waffe,  ein 
Versprechen  zu  unterzeichnen,  daß  die 
Mormonen  ihr  Eigentum  bis  zum  kom- 
menden Frühling  aus  dem  Staat  weg- 
schaffen würden. 

Die  Führer  der  Kirche  im  Kreis  Jackson 
baten  nun  den  Gouverneur  von  Missou- 
ri, Daniel  Dunklin,  um  Schutz.  Staats- 
beamte rieten  den  Heiligen,  sich  an  die 
örtlichen  Gerichte  zu  wenden,  und  das 
taten  sie  auch.  Gleichzeitig  gaben  sie 
bekannt,  daß  sie  ihre  Häuser  und  ihr 


24 


Es  war  gegen  Ende  März  1832  in 
Hiram,  Ohio,  in  der  Nähe 
Kirilands;  Joseph  Smith  schlief, 
nachdem  er  fast  die  ganze  Nacht 
wegen  eines  kranken  Kindes 
gewacht  hatte.  Plötzlich  stürmte  ein 
Dutzend  Männer  in  den  Raum, 
ergriffen  ihn  und  Sidney  Rigdon  und 
schleppten  sie  in  ein  Feld.  Sie  rissen 
ihm  seine  Kleider  vom  Leib, 
schlugen  und  kratzten  ihn  und 
bedeckten  seinen  grün  und  blau 
geschlagenen  Körper  mit  heißem 
Teer  und  Federn.  Trotzdem  erschien 
er  am  nächsten  Tag  in  der  Kirche 
und  predigte,  ohne  zu  erwähnen, 
welchem  Angriff  er  und  Sidney 
Rigdon  am  Abend  zuvor  ausgesetzt 
gewesen  waren.  Das  Bild  stammt 
von  CCA  Christensen. 


Eigentum  verteidigen  wollten,  und  be- 
gannen, sich  zu  bewaffnen.  Die  Missou- 
rer  legten  dies  dahingehend  aus,  daß  die 
Mormonen  ihr  Versprechen  fortzuzie- 
hen, nicht  halten  wollten.  Am  31.  Okto- 
ber fand  die  erste  von  mehreren  Ver- 
geltungsaktionen gegen  die  Heiligen 
statt.  Ungefähr  50  Mann  griffen  eine 
Siedlung  am  Big  Blue  River  an,  die  13 
km  westlich  von  Independence  lag.  Sie 
zerstörten  die  Häuser  und  peitschten 
mehrere  Männer  aus.  Die  Mormonen, 
die  in  Independence  wohnten,  reagierten 
auf  die  Drohungen,  indem  sie  innerhalb 
einer  Woche  flohen.  Während  eines 
Gefechts  am  Big  Blue  River  am  4. 
November  wurden  auf  beiden  Seiten 
Männer  erschossen. 
Lilburn  W.  Boggs,  der  stellvertretende 
Gouverneur  von  Missouri,  der  in  In- 
dependence wohnte,  diente  als  Ver- 
mittler zwischen  den  beiden  Gruppen. 
Er  überredete  die  Heiligen,  ihre  Waffen 
abzugeben  und  den  Landkreis  innerhalb 
von  zehn  Tagen  friedlich  zu  verlassen. 
Die  örtlichen  Führer  der  Kirche  stimm- 
ten seinem  Plan  zu,  aber  die  Belästigun- 
gen hörten  nicht  auf.  Männer,  Frauen 
und  Kinder  packten  in  Hast  ihr  Hab  und 
Gut     zusammen     und     flüchteten     in 


verschiedene  Richtungen.  Die  meisten 
wandten  sich  direkt  nach  Norden:  über 
den  Missouri  in  den  Landkreis  Clay. 
Dort  boten  ihnen  die  Einwohner  der 
größten  Stadt,  Liberty,  Arbeit,  Unter- 
kunft und  Lebensmittel.  Die  Flüchtlinge 
zogen  in  verlassene  Sklavenhütten,  bau- 
ten sich  notdürftige  Unterkünfte  und 
schlugen  Zelte  auf.  Als  der  Frühling 
kam,  pachteten  sie  sich  Land  und  fan- 
den Arbeit. 

Dieser  unerwartete  Wegzug  aus  dem 
Kreis  Jackson  erfüllte  den  Propheten 
mit  Besorgnis.  Die  Heiligen  mußten 
dadurch  nicht  nur  leiden,  sondern  die 
Pläne  zur  Errichtung  eines  Sammelplat- 
zes wurden  auch  gestört.  Er  riet  den 
Flüchtlingen,  weiterhin  vor  Gericht  um 
ihr  Eigentum  und  um  Schadenersatz  zu 
kämpfen.  Die  Heiligen  baten  den  Gou- 
verneur von  Missouri  um  eine  mili- 
tärische Eskorte,  unter  deren  Schutz  sie 
ihre  Häuser  wieder  beziehen  wollten. 
Der  Gouverneur  stimmte  zu,  sagte  aber, 
es  würde  die  Miliz  aus  dem  Kreis 
Jackson  sein,  die  ihnen  ja  feindlich 
gesinnt  war.  Als  bei  den  Ge- 
richtsverhandlungen Zeugen  belästigt 
wurden,  gaben  die  Führer  der  Kirche 
diese  Bemühungen  auf.  Sie  sandten  eine 


25 


Bittschrift  an  Andrew  Jackson,  den 
Präsidenten  der  Vereinigten  Staaten, 
aber  die  Regierung  in  Washington  ver- 
trat eine  Politik,  die  den  Bundesstaaten 
ihre  eigenen  Rechte  zugestand.  Die  Bun- 
desbeamten wollten  sich  nicht  in  örtliche 
Angelegenheiten  einmischen.  Sie  ver- 
wiesen an  den  Staat  Missouri. 
Während  diese  Verhandlungen  vor  sich 
gingen,  organisierte  Joseph  Smith  ein 
freiwilliges  Heer  von  Mitgliedern,  das 
bei  der  Befreiung  des  Landes  Zion  helfen 
sollte.  1  m  Februar  1 834  war  eine  Vorhut 
aus  der  Gegend  um  Kirtland  und  dem 
Osten  der  Vereinigten  Staaten  zu- 
sammengekommen. Später  schlössen 
sich  noch  unter  dem  Namen  „Zionsla- 
ger"  bekannt,  wollten  die  örtlichen  Mili- 
zen in  Missouri  unterstützen,  wenn  diese 
das  Versprechen  des  Gouverneurs,  daß 
die  Mormonen  unbehelligt  zu  ihrem 
Besitz  zurückkehren  konnten,  wahr  ma- 
chen. Aber  der  Gouverneur  zog  sein 
Angebot  zurück.  Er  fürchtete,  daß  unzu- 
friedene Missourer  einen  Bürgerkrieg 
beginnen  würden,  wenn  er  den  Heiligen 
der  Letzten  Tage  helfen  würde.  Statt 
dessen  drängte  er  die  Heiligen  dazu,  das 
umstrittene  Land  zu  verkaufen  und  an 
einen  anderen  Ort  zu  ziehen. 
Abgeordnete  von  beiden  Seiten  trafen 
sich  am  16.  Juni  1834  im  Gerichtsgebäu- 
de von  Liberty.  Die  Vertreter  der  Kirche 
machten  das  Angebot,  den  alten  Sied- 
lern ihre  Ländereien  abzukaufen,  aber 
diese  lehnten  ab.  Die  Heiligen  wollten 
ihr  Land  auch  nicht  verkaufen,  und  so 
kamen  die  Verhandlungen  zu  keinem 
Ergebnis.  Einige  Tage  später  erhielt 
Joseph  Smith  auf  dem  Lagerplatz  des 
Zionslagers  am  Fishing  River  dicht  vor 
dem  Kreis  Jackson  eine  Offenbarung,  in 
der  die  Heiligen  angewiesen  wurden, 
ihre  Anstrengungen,  das  Land  zurück- 
zugewinnen, vorerst  einzustellen.  Eine 
Woche  später  entließ  er  die  Freiwilligen. 
Viele  kehrten  in  kleinen  Gruppen  nach 


Kirtland  zurück,  andere  blieben  in  Mis- 
souri. 

Die  geflohenen  Heiligen  blieben  zwei 
Jahre  lang  im  Landkreis  in  Clay  in 
Missouri.  Dann  erhoben  die  alten  Ein- 
wohner Einwände  dagegen,  daß  sie  sich 
für  ständig  niederließen,  und  staatliche 
Beamte  halfen  bei  einem  erneuten  Um- 
zug. Die  Heiligen  zogen  nun  in  ein  sehr 
dünn  besiedeltes  Gebiet,  das  weiter 
nördlich  lag.  Es  wurden  zwei  neue 
Landkreise  geschaffen.  Im  neuen  Land- 
kreis Caldwell  gründeten  die  Heiligen 
die  Stadt  Far  West.  Sie  wurde  der  neue 
Sammelplatz  im  Westen  für  die  Heili- 
gen, und  nach  zwei  Jahren  lebten  dort 
fast  5000  Mitglieder  der  Kirche.  Far 
West  hatte  seine  eigenen  Läden  und 
Schmieden,  Hotels,  eine  Druckerei  und 
Schulen.  Die  Heiligen  gründeten  auch 
noch  an  anderen  Stellen  im  Kreis  Cald- 
well und  im  zweiten  neuen  Landkreis, 
im  Kreis  Daviess,  mehrere  kleine  Sied- 
lungen. Eine  davon  war  Adam-ondi- 
Ahman,  das  im  Frühjahr  1838  ge- 
gründet wurde.  Sowohl  in  Far  West  als 
auch  in  Adam-ondi-Ahman  wurden 
Plätze  für  einen  Tempel  bestimmt,  aber 
keiner  der  Tempel  wurde  gebaut,  weil 
der  Pöbel  es  verhinderte  und  die  Heili- 
gen schließlich  aus  Missouri  vertrieben 
wurden. 

Diese  Umzüge  in  Missouri  und  die 
daraus  resultierende  Unsicherheit 
machte  es  doppelt  wichtig,  daß  die 
Heiligen  in  Kirtland  ein  beständiges 
Zentrum  behielten  und  einen  Tempel 
fertigstellten.  Aber  in  der  Mitte  der  30er 
Jahre  hatten  auch  die  Heiligen  dort 
Schwierigkeiten ;  sie  ergaben  sich  aus 
dem  Abfall  vom  Glauben  und  aus 
wirtschaftlichen  Problemen.  Schließlich 
würde  Kirtland  genau  wie  die  Nieder- 
lassungen im  Norden  Missouris  ver- 
lassen werden,  und  man  würde  Zuflucht 
in  Nauvoo  im  Staate  Illinois  suchen. 

—  Wird  fortgesetzt 


26 


DAS  ZIONSLAGER 

Ronaid  W.  Walker 

Der  Marsch  des  Zionslagers  war  nicht 
leicht:  200  Männer  mußten  im  Jahre  1834 
3200  km  durch  Amerika  ziehen,  jeweils 
1 600  km  hin  und  zurück.  Brigham  Young 
erinnerte  sich  an  den  mühsamen  Weg  von 
Ohio  nach  Missouri  und  zurück  —  50  bis 
65  km  pro  Tag,  und  das  drei  Monate  lang. 
Die  Gepäckwagen  mußten  durch 
Schlammlöcher  gezogen  werdel.  Oft  wa- 
ren 20  oder  30  Mann  notwendig,  um  einen 
Wagen  einen  Hügel  hinaufzuziehen.  Die 
Starken  mußten  den  Schwachen  und 
Lahmen  helfen.  „Ich  habe  mich  selten  vor 
11  oder  12  Uhr  des  Nachts  zur  Ruhe 
gelegt",  erinnerte  er  sich,  „und  morgens 
sind  wir  immer  sehr  früh  aufgestanden." 
Das  Lagerhorn  ertönte  zwischel  3  und  4 
Uhr  morgens. 

Dies  war  eine  Zeit  des  Lernens  und  der 
Auslese.  Joseph  Smith  sagte  den  Män- 
nern, daß  sie  keine  Tiere  töten  sollten, 
außer  wenn  sie  Nahrung  brauchten. 
„Wenn  die  Menschen  ihre  Neigung  zur 
Schlechtigkeit  verlieren  und  aufhören, 
Tiere  zu  vernichten,  dann  können  der 
Löwe  und  das  Lamm  beisammen  liegen." 
Brigham  Young  hörte  dem  Propheten 
Joseph  zu  und  lernte.  Als  er  einmal  seine 
Schlafdecke  auf  dem  hohen  und  dichten 
Präriegras  ausbreitete,  richtete  sich  eine 
Klapperschlange  auf  und  bedrohte  ihn. 
Brigham  Young  rief  einen  Freund,  der  in 
der  Nähe  war,  und  sagte :  „Nimm  diese 
Schlange  und  trag  sie  weg  und  sag  ihr,  daß 
sie  nicht  wiederkommen  soll;  sie  soll  auch 
ihren  Nachbarn  sagen,  daß  sie  heute  nicht 
in  unser  Lager  kommen  sollen,  damit  sie 
nicht  getötet  werden."  Sein  Gefährte 
nahm  gehorsam  die  Schlange  und  trug  sie 
eine  ganze  Strecke  vom  Lager  fort,  ohne 
Schaden  zu  erleiden. 

Brigham  Youngs  angeborene  Fähigkei- 
ten machten  ihn  zum  Führer.  Er  wurde  als 
einer  der  Hauptleute  des  Lagers  gewählt. 
Er  predigte  häufig.  Manchmal  erhielt  er 
den  Auftrag,  Lebensmittel  zu  besorgen. 


Immer  beobachtete  er  genau,  wie  Joseph 
Smith  die  Männer  führte,  und  er  sammel- 
te Erfahrungen.  Aber  nicht  alle  Männer 
unterwarfen  sich  ohne  Murren  der  Führ- 
ung Joseph  Smith' !  Männer,  die  nicht  so 
charakterstark  waren,  klagten  über  die 
Schwierigkeiten  des  Marsches.  „Wir  hat- 
ten Schwierigkeiten,  weil  einige  sehr 
widersetzlich  waren",  erinnerte  sich  Brig- 
ham Young.  „Dies  war  das  erstemal,  daß 
wir  mit  einer  großen  Gruppe  reisten  .  .  . 
Joseph  Smith  leitete  und  führte  die  Kom- 
panie und  kämpfte  gegen  den  Unge- 
horsam." 

Die  Uneinigkeit  wuchs,  als  das  Zionslager 
den  Heiligen  in  Missouri  gar  nicht  helfen 
konnte.  Der  ursprüngliche  Plan  hatte 
vorgesehen,  daß  die  Stadtmiliz  die  Mor- 
monen wieder  auf  ihr  Land  in  den  Kreis 
Jackson  führen  sollte,  und  das  Zionslager 
kam  von  Kirtland,  um  die  Heiligen  zu 
verteidigen,  sobald  sie  wieder  auf  ihrem 
Eigentum  waren.  Aber  im  letzten  Mo- 
ment bot  der  Gouverneur  von  Missouri 
die  Miliz  doch  nicht  auf.  Joseph  Smith 
erhielt  vom  Herrn  die  Anweisung,  die 
Missourer  nicht  anzugreifen,  sondern  das 
Lager  aufzulösen  und  nach  Ohio  zurück- 
zukehren. 

Als  Brigham  Young  wieder  in  Kirtland 
war,  verspotteten  ihn  viele,  weil  er  mit 
dem  Lager  nach  Westen  gezogen  war. 
„Wem  hat  es  genutzt?"  fragten  sie. 
„Wenn  der  Herr  es  geboten  hat,  was  für 
ein  Ziel  hatte  er  dabei?"  Aber  Brigham 
Young  wußte,  welche  wertvollen  Erfah- 
rungen er  gesammelt  hatte.  „Ich  sagte 
diesen  Brüdern,  daß  ich  gut  bezahlt  wurde 
—  mit  Zinsen  und  Zinseszinsen  — ,  ja,  daß 
mein  Maß  zum  Überfließen  gefüllt  war 
mit  den  Erkenntnissen,  die  ich  auf  diesem 
Marsch  mit  dem  Propheten  erhalten  hat- 
te." 

Mehrere  Monate  später  erhielt  Joseph 
Smith  eine  Offenbarung,  die  ihn  anwies, 
ein  Kollegium  der  Zwölf  Apostel  zu 
gründen.  Unter  denen,  die  am  4.  Februar 
1835  erwählt  wurden,  war  auch  Brigham 
Young.  Er  hatte  auf  dem  Marsch  des 
Zionslagers  Joseph  Smith  und  dem  Herrn 
seinen  Eifer  bewiesen. 


27 


WIR 
WERDEN  DURCH 

OFFENBARUNG 

GELEITET 

Rede  Wilford  Woodruffs  anläßlich  einer 

Pfahlkonferenz  des  Cache-Pfahls  in  Logan,  Utah, 

am  1.  November  1891 


H 


eute  morgen,  bevor  ich  zur  Ver- 
sammlung gegangen  bin,  habe  ich  mit 
großem  Interesse  zwei  Gemälde  im 
Haus  Bruder  Thatchers  betrachtet  - 
„Christus  vor  Pilatus"  und  „Christus 
auf  dem  Kalvarienberg".  Dabei  dachte 
ich  mir,  daß  der  Erlöser,  wie  Joseph 
Smith  gesagt  hat,  gewiß  unter  alle  Dinge 
hinabgestiegen  ist.  Er  kam  herab  auf  die 
Erde,  wurde  in  einer  vom  Vater  be- 
stimmten Evangeliumszeit  von  einer 
Frau  geboren  und  erhielt  einen  Körper 
aus  Fleisch  .  .  .  Überlegen  Sie  einmal, 
wie  kurz  die  Zeit  war,  die  er  nach  seiner 
Berufung  von  Gott  Vater  im  sterblichen 
Zustand    gewirkt    hat  dreieinhalb 

Jahre.  Denken  Sie  an  das  Leid,  das  er  auf 
sich  genommen,  das  Werk,  das  er  voll- 
bracht hat  —  er  gründete  die  Kirche 
Gottes,  erwählte  zwölf  Apostel,  Siebzi- 
ger und  einige  Jünger,  die  ihm  zu  dieser 
Zeit  nachfolgten.  Und  denken  Sie 
schließlich  daran,  daß  nicht  nur  er  selbst 
zum  Tode  verurteilt  und  gekreuzigt 
wurde  -  -  wobei  er  sein  Blut  für  die 
Erlösung  der  Welt  vergossen  hat  — , 
sondern  daß  jeder  seiner  Apostel,  außer 
Johannes  dem  Offenbarer,  um  des  Wor- 
tes Gottes  und  des  Zeugnisses  von  Jesus 
Christus  willen  getötet  wurde.  Johannes 
dem  Offenbarer  konnten  sie  das  Leben 
nicht  nehmen,  weil  der  Herr  ihn  dazu 


bestimmt  hatte,  am  Leben  zu  bleiben  — 
sonst  wäre  er  genauso  wie  die  anderen 
ermordet  worden.  Als  ich  den  ans  Kreuz 
genagelten  Christus  betrachtete,  dachte 
ich  an  unsere  eigene  Lage  hier  in  den 
Felsengebirgen.  Wir  haben  als  Volk  nun 
sechzig  Jahre  durchlebt.  Warum  haben 
wir  die  Präsidentschaft  der  Kirche  heute 
noch?  Warum  leben  die  Apostel  mitten 
unter  Ihnen,  und  warum  wirken  sie 
heute,  nach  sechzig  Jahren,  in  Freiheit 
unter  uns?  Warum  sind  wir  hier  in 
diesen  Gebirgstälern  über  zweihundert- 
tausend Heilige  versammelt,  inmitten 
einer  Generation,  die  sechzig  Millionen 
Menschen  zählt?  Dies  sind  Fragen,  die 
die  Heiligen  der  Letzten  Tage  über- 
denken sollen.  All  dies,  Brüder  und 
Schwestern,  hat  eine  bestimmte  Be- 
deutung. Wir  leben  in  einer  anderen 
Evangeliumszeit  und,  in  gewissem  Sin- 
ne, unter  einer  anderen  Ordnung  der 
Gegebenheiten  als  Jesus  und  seine  Apo- 
stel. Die  damalige  Zeit  war  eine  Zeit  des 
Opferns.  Diese  heiligen  Männer,  die  das 
Apostelamt  bekleidet  haben,  waren  be- 
reit, ihr  Leben  zusammen  mit  dem 
Erlöser  niederzulegen,  und  ihr  Leben 
war  kurz  im  Verhältnis  zur  Geschichte 
der  Kirche  in  unserer  Zeit.  Sie  wurden, 
mit  einer  einzigen  Ausnahme,  alle  er- 
mordet, und  Gott  hat  sie  zu  sich  ge- 


28 


„Der  Herr  ist  mit  uns  und  ist  es  von 
Anfang  an  gewesen.  Die  Kirche  ist 
nie  auch  nur  einen  einzigen  Tag  lang 
ohne  Offenbarung  geführt  worden. 
Und  der  Herr  wird  sie  nie  verlassen. 
Es  ist  gleichgültig,  wer  von  uns  lebt 
oder  stirbt  oder  wer  berufen  wird, 
die  Kirche  zu  führen  -  -  die 
Betreffenden  müssen  sie  mit  der 
Inspiration  des  allmächtigen  Gottes 
leiten1"' 

Wilford  Woodruff  mit  46  Jahren 


nommen.  Er  nahm  auch  das  Priestertum 
von  der  Erde,  und  es  verblieb  in  den 
Händen  Gott  Vaters  und  seines  Sohnes 
Jesus  Christus  bis  zum  Jahr  1829.  Viele 
Jahrhunderte  vergingen.  Millionen  von 
Menschen  wurden  geboren,  lebten  auf 
Erden,  starben  und  traten  in  die  Geister- 
welt. Soviel  wir  wissen,  hatte  nicht  auch 
nur  eine  Seele  davon  die  Macht,  die 
heiligen  Handlungen  des  Evangeliums, 
des  Lebens  und  der  Erlösung  zu  voll- 
ziehen. Zweifellos  haben  Millionen  von 
guten  Menschen  gelebt,  die  nach  bestem 
Wissen  gehandelt  haben.  Da  waren 
Männer  wie  John  Wesley,  Martin  Lu- 
ther, Wycliffe,  Zwingli,  Melanchton  und 
Tausende  andere,  die  zu  ihrer  Zeit 
hervortraten  und  das  Evangelium  ihrer 
Erkenntnis  gemäß  verkündigten.  Sie 
hatten  jedoch  nicht  die  Vollmacht,  eine 
einzige  heilige  Handlung  zu  vollziehen, 
die  nach  dem  Tod  Gültigkeit  gehabt 
hätte.  Sie  besaßen  nicht  das  heilige 
Priestertum. 
Wir  leben  heute  zu  einem  Zeitpunkt  in 


der  Weltgeschichte,  wo  das  Priestertum 
wiederhergestellt  ist.  Der  Herr  hat  Jo- 
seph Smith  berufen.  Er  trat  zu  der  Zeit 
auf,  zu  der  es  vorgesehen  war,  und 
gründete  die  Kirche.  Wer  war  Joseph 
Smith?  Er  war  ein  junger  Mann  .  .  .  , 
ungebildet,  was  weltliches  Wissen  be- 
trifft. Er  war  jedoch  rein.  Er  stammte 
von  Abraham,  Isaak  und  Jakob  ab.  Die 
Propheten  und  Patriarchen  in  alter  Zeit 
haben  von  ihm  prophezeit,  und  sein 
Name  wird  im  Buch  Mormon  genannt. 
Joseph  Smith  wurde  vom  Heiligen  Geist 
bewegt,  und  Gott  Vater  und  Gott  Sohn 
erschienen  ihm  aufsein  Gebet  hin.  Gott 
Vater  sagte  zu  ihm : ,, Siehe,  dies  ist  mein 
geliebter  Sohn,  höre  ihn!  "  (Joseph 
Smith  2:17).  Er  befolgte  auf  das  streng- 
ste die  Worte  Jesu  Christi,  bis  er  wie  der 
Erlöser  selber  getötet  wurde.  Es  war  mir 
damals  unverständlich,  warum  der  Herr 
es  zuließ,  daß  der  Prophet  und  sein 
Bruder  Hyrum  aus  unserer  Mitte  ge- 
nommen wurden.  Aber  Joseph  Smith 
war  von  Gott  durch  Offenbarung  vom 


30 


Himmel  berufen  worden,  und  er  legte 
das  Fundament  der  Evangeliumszeit  der 
Erfüllung.  Er  kam  auf  die  Welt  und 
wurde  ordiniert,  um  die  Kirche  Christi 
zum  letztenmal  auf  dieser  Erde  zu 
gründen  und  um  die  Erde  auf  das 
Kommen  des  Menschensohnes  vor- 
zubereiten. Deshalb  bin  ich,  als  ich 
nachdachte,  zu  der  Überzeugung  ge- 
kommen, daß  er  zu  sterben  ordiniert 
worden  war  —  er  war  ordiniert  worden, 
sein  Blut  als  ein  Zeugnis  für  diese 
Evangeliumszeit  zu  vergießen  .  .  .  Wie 
ich  gesagt  habe,  war  Joseph  Smith  ein 
ungebildeter  Mann;  später  waren  seine 
Lehrer  jedoch  Engel  --  Apostel,  die  zur 
Zeit  Jesu  im  Fleisch  gelebt  hatten.  Er 
vermochte  von  Männern  Zeugnis  und 
Unterweisung  zu  empfangen,  die  die 
Welt  nicht  empfangen  konnte.  Und  er 
konnte  die  Kirche  auf  eine  Weise  organi- 
sieren, wie  es  die  gesamte  christliche 
Welt  nicht  zustande  brachte.  Warum? 
Weil  niemand,  und  mag  er  auch  noch  so 
gelehrt  sein,  etwas  geben  kann,  was  er 
nicht  besitzt.  Niemand  hatte  die  Voll- 
macht, die  Kirche  zu  gründen,  weil 
niemand  das  Priestertum  besaß.  Aber 
Joseph  Smith  trug  das  Priestertum,  und 
er  konnte  die  Kirche  gründen. 
Von  jenem  Tag  bis  heute  ist  die  Kirche 
gewachsen,  trotz  Verfolgung  und  ob- 
wohl die  Mitglieder  vertrieben  und  ihre 
Häuser  zerstört  wurden.  Millionen 
gefallener  Geister  haben  sich  mit  Millio- 
nen Menschen  gegen  diese  Kirche  ver- 
bündet, aber  sie  konnten  sie  nicht  zer- 
stören. Warum?  Weil  Gott  der  All- 
mächtige bestimmt  hat,  daß  sie  bestehen 
soll  .  .  . 

Ich  bin  dem  Herrn  dankbar,  daß  wir  in 
einer  solchen  Zeit  leben  können,  wo  wir 
imstande  sind,  Zion  aufzurichten  und 
die  Worte  der  Propheten  zu  erfüllen.  Die 
Bewohner  der  Erde  müssen  gewarnt 
werden.  Dies  ist  der  Grund,  weshalb  wir 
hier  sind  .  .  . 


Der  Herr  hat  die  Schwachen  dieser  Welt 
ausersehen,  dieses  Volk  zu  führen.  Jo- 
seph Smith  war  noch  jung,  als  er  starb  - 
noch  nicht  vierzig  Jahre  alt.  Er  überlebte 
die  Gründung  der  Kirche  um  vierzehn 
Jahre.  Präsident  Brigham  Young  war 
sein  Nachfolger.  Wer  war  Brigham 
Young?  Von  Beruf  war  er  Maler  und 
Glaser,  ein  einfacher  Mann.  Der  Herr 
berief  ihn  jedoch,  sein  Volk  zu  führen. 
Sie  kennen  Brigham  Young,  Sie  wissen, 
was  er  geleistet  hat  und  welchen  Geist  er 
besaß.  Der  Herr  war  mit  ihm,  und  er 
führte  dieses  Volk  durch  Gottes  Macht 
und  Offenbarung  von  Jesu  Christus.  Er 
legte  in  diesen  Bergen  Israels  die  Grund- 
festen für  ein  großes  Werk  .  .  . 
Wer  war  John  Taylor?  Er  war  Drechs- 
ler, und  er  führte  die  Kirche  längere  Zeit. 
Wilford  Woodruff  war  Müller  und  Bau- 
er. Was  diese  Welt  betrifft,  war  dies  das 
Höchste,  was  er  erreichte.  Aber  der  Herr 
hat  diese  Männer  erwählt.  Er  hat  sich 
immer  der  Schwachen  dieser  Welt  be- 
dient. Gott  zeigte  dem  Abraham  die 
Geister,  die  in  seiner  Gegenwart  lebten, 
„und  unter  ihnen  waren  viele  Edle  und 
Große";  und  Gott  sagte  zu  Abraham: 
,, Diese  will  ich  zu  meinen  Regierern 
machen ; .  .  .  und  er  sagte:  Abraham,  du 
bist  einer  von  ihnen,  du  warst  erwählt, 
ehe  du  geboren  wurdest"  (Abraham 
3:22,  23).  Abraham  stand  zu  Anbeginn 
an  der  Spitze  Israels.  Er  ist  unser  großer 
Vorfahre.  Gott  erweckte  den  Erlöser  aus 
den  Lenden  Abrahams. 
Die  Heiligen  der  Letzten  Tage  sollen 
nicht  denken,  der  Herr  habe  sein  Volk 
verlassen  oder  er  offenbare  nicht  seinen 
Willen  und  seine  Absicht;  dies  wäre 
nicht  wahr.  Der  Herr  ist  mit  uns  und  ist 
es  von  Anfang  an  gewesen.  Die  Kirche 
ist  nie  auch  nur  einen  einzigen  Tag  lang 
ohne  Offenbarung  geführt  worden.  Und 
der  Herr  wird  sie  nie  verlassen.  Es  ist 
gleichgültig,  wer  von  uns  lebt  oder  stirbt 
oder  wer  berufen  wird,  die  Kirche  zu 


31 


führen  -  -  die  Betreffenden  müssen  sie 
mit  der  Inspiration  des  allmächtigen 
Gottes  leiten.  Wenn  sie  es  nicht  auf  diese 
Weise  tun,  ist  es  ihnen  überhaupt  nicht 
möglich.  Der  Herr  läßt  uns  in  diesen, 
den  Letzten  Tagen  nicht  im  Stich,  und  er 
wird  alles  erfüllen,  was  er  durch  seine 
Propheten  und  Apostel  verheißen  hat, 
bis  Zion  sich  in  Herrlichkeit  erhebt  und 
die  Braut  des  Lammes  für  das  Kommen 
des  Bräutigams  bereit  ist. 
Lesen  Sie  über  Brigham  Youngs  Leben 
nach  —  Sie  werden  kaum  eine  Offenba- 
rung finden,  wo  er  gesagt  hat:  „So 
spricht  der  Herr."  Der  Heilige  Geist  war 
jedoch  bei  ihm.  Er  hat  durch  Inspiration 
und  Offenbarung  gelehrt.  Mit  einer 
einzigen  Ausnahme  hat  er  jedoch  seine 
Offenbarungen  in  einer  anderen  Form 
vermittelt,  als  Joseph  Smith  dies  getan 
hat.  Sie  wurden  nicht  als  Offenbarungen 
und  Gebote  für  die  Kirche  in  den 
Worten  und  im  Namen  des  Erlösers 
niedergeschrieben  und  verkündet.  Jo- 
seph Smith  hat  fast  immer  gesagt:  ,,So 
spricht  der  Herr",  als  er  die  Grundfesten 
zu  diesem  Werk  legte.  Seine  Nachfolger 
haben  es  jedoch  nicht  immer  für  not- 
wendig gehalten,  dies  zu  sagen.  Und 
doch  haben  sie  das  Volk  durch  die 
M  acht  des  Heiligen  Geistes  geführt ;  und 
wenn  Sie  wissen  möchten,  wovon  ich 
rede,  lesen  Sie  im  Buch  , Lehre  und 
Bündnisse'  an  der  Stelle  nach  (LuB  68:1- 
6),  wo  der  Herr  Orson  Hyde,  Luke 
Johnson,  Lyman  Johnson  und  William 
McLellin  beauftragt,  den  Menschen  das 
Evangelium  zu  predigen,  wie  der  Heilige 
Geist  es  ihnen  eingibt: 
„Und  was  sie,  getrieben  vom  Heiligen 
Geist,  sprechen  werden,  soll  heilige 
Schrift  sein,  soll  der  Wille  des  Herrn 
sein,  der  Sinn  des  Herrn,  das  Wort  des 
Herrn,  die  Stimme  des  Herrn  und  die 
Kraft  Gottes  zur  Seligkeit"  (LuB  68:4). 
Durch  diese  Kraft  haben  wir  Israel 
geführt.  Diese  Macht  war  es,  durch  die 


Brigham  Young  über  die  Kirche  präsi- 
diert und  sie  geleitet  hat.  Durch  dieselbe 
Macht  hat  John  Taylor  über  die  Kirche 
präsidiert  und  sie  geführt.  Und  auf  diese 
Weise  habe  auch  ich  in  meinem  Amt 
gehandelt,  meinem  besten  Können  ge- 
mäß. Ich  möchte  nicht,  daß  die  Heiligen 
der  Letzten  Tage  denken,  der  Herr  sei 
nicht  mit  uns  und  er  gebe  uns  keine 
Offenbarung;  denn  er  offenbart  sich  uns 
und  wird  dies  weiterhin  tun,  bis  diese 
Evangeliumszeit  vorbei  ist. 
Ich  habe  kürzlich  eine  Offenbarung 
empfangen,  die  ich  als  sehr  wichtig 
erachte,  und  ich  will  Ihnen  sagen,  was 
der  Herr  mir  gesagt  hat.  Ich  möchte  Sie 
auf  das  sogenannte  , Manifest'  aufmerk- 
sam machen.  Der  Herr  hat  mir  durch 
Offenbarung  gesagt,  daß  es  in  der  gan- 
zen Kirche,  in  ganz  Zion,  viele  Mit- 
glieder gebe,  die  in  ihrem  Herzen  wegen 
dieses  Manifests  und  wegen  des  Zeugnis- 
ses des  Präsidenten  der  Kirche  und  der 
Apostel  vor  dem  Vorsitzenden  des 
Kanzleigerichts  schwer  geprüft  werden. 
Seit  ich  diese  Offenbarung  empfangen 
habe,  habe  ich  von  vielen  gehört,  die 
deswegen  geprüft  werden,  nicht  jedoch 
vorher.  Der  Herr  hat  mir  etwas  geboten, 
was  ich  vorigen  Sonntag  in  Brigham 
City  ausgeführt  habe,  und  ich  werde 
heute  hier  dasselbe  tun.  Der  Herr  hat 
mir  geboten,  den  Heiligen  der  Letzten 
Tage  eine  Frage  zu  stellen.  Er  hat  mir 
gesagt,  daß  sie,  wenn  sie  mir  zuhören 
und  diese  Frage  durch  den  Geist  und  die 
Macht  Gottes  beantworten,  in  dieser 
Sache  alle  zu  derselben  Antwort  ge- 
langen würden.  Die  Frage  lautet:  Was 
ist  für  die  Heiligen  der  Letzten  Tage 
klüger  -  -  daß  sie  weiterhin  versuchen, 
die  Vielehe  zu  praktizieren,  obwohl  die 
Gesetze  des  Staates  und  sechzig  Millio- 
nen Menschen  dagegen  sind,  auf  die 
Gefahr  hin,  daß  alle  Tempel  besetzt  und 
alle  heiligen  Handlungen  darin  ver- 
hindert werden,  sowohl  für  die  Leben- 


32 


den  als  auch  für  die  Verstorbenen ;  auf 
die  Gefahr  hin,  daß  die  Erste  Präsident- 
schaft, die  Zwölf  und  die  Fami- 
lienoberhäupter der  Kirche  eingekerkert 
werden  und  daß  jeder  persönliche  Besitz 
unseres  Volkes  beschlagnahmt  wird  (je- 
de einzelne  dieser  Aktionen  würde  der 
Vielehe  ein  Ende  setzen) ;  oder  daß  wir, 
nach  allem,  was  wir  getan  und  erlitten 
haben,  weil  wir  diesen  Grundsatz  be- 
folgt haben,  damit  aufhören  und  uns 
dem  Gesetz  unterwerfen  und  dadurch 
die  Propheten,  Apostel  und  Väter  zu 
Hause  und  die  Tempel  uns  erhalten 
bleiben,  damit  wir  die  heiligen  Hand- 
lungen des  Evangeliums  für  die  Leben- 
den und  die  Verstorbenen  vollziehen 
können? 

Der  Herr  hat  mir  durch  Offenbarung 
und  Visionen  genau  gezeigt,  was  sich 
zutragen  würde,  wenn  wir  an  der  Vielehe 
festhielten.  Hätten  wir  damit  nicht  auf- 
gehört, so  hätten  wir  heute  keine  Ver- 
wendung für  all  die  Brüder  im  Tempel  in 
Logan;  denn  die  heiligen  Handlungen 
könnten  nicht  mehr  vollzogen  werden. 
In  Israel  würde  Verwirrung  herrschen, 
und  viele  Männer  wären  im  Gefängnis. 
Diese  Schwierigkeiten  wären  über  die 
gesamte  Kirche  gekommen,  und  wir 
hätten  gar  nicht  anders  können,  als  die 
Vielehe  aufzugeben.  Die  Frage  ist  also, 
ob  wir  sie  auf  diese  Weise  aufgeben 
sollen  oder  so,  wie  der  Herr  es  uns 
gezeigt  hat,  indem  die  Propheten,  Apo- 
stel und  die  Väter  frei  bleiben,  indem  die 
Tempel  den  Heiligen  verbleiben  und 
Verstorbene  weiterhin  erlöst  werden 
können.  Viele  sind  bereits  durch  dieses 
Volk  aus  dem  Gefängnis  in  der  Geister- 
welt befreit  worden.  Soll  das  Werk 
weitergehen  oder  aufhören?  Das  ist  die 
Frage,  die  ich  den  Heiligen  der  Letzten 
Tage  stelle.  Sie  müssen  selbst  urteilen. 
Ich  gebe  darauf  keine  Antwort ;  ich  sage 
Ihnen  aber,  daß  dies  genau  die  Lage  ist, 
in  der  wir  als  Volk  uns  befänden,  hätten 


wir  nicht  den  Weg  gewählt,  den  wir 
gegangen  sind. 

Ich  weiß,  daß  es  viele  Männer  -  -  und 
wahrscheinlich  einige  Führer  -  in  der 
Kirche  gibt,  die  geprüft  worden  sind  und 
dachten,  Präsident  Woodruff  habe  den 
Geist  Gottes  verloren  und  stünde  am 
Rand  des  Abfalls.  Sie  sollen  wissen,  daß 


Vier  Generationen  der  Familie  Woodruff 

sind  auf  diesem  Photo  aus  dem  Jahre  1896 

zu  sehen. 


er  den  Geist  nicht  verloren  hat  und  daß 
er  nicht  abtrünnig  wird.  Der  Herr  hat 
mir  genau  gesagt,  was  ich  tun  soll  und 
was  geschehen  würde,  wenn  ich  es  nicht 
täte.  Freunde  außerhalb  der  Kirche 
haben  mich  ebenfalls  gedrängt,  die- 
selben Schritte  zu  unternehmen,  und  sie 
wußten,  wozu  die  Regierung  ent- 
schlossen war.  Auch  die  Mitglieder  der 
Kirche  sind  mehr  oder  weniger  der- 
selben Meinung  gewesen.  Ich  sah  genau, 
was  geschehen  wäre,  hätten  wir  nichts 
unternommen.   Ich  habe  diesen  Geist 


33 


schon  lange  Zeit  bei  mir  gehabt.  Ich 
möchte  aber  eines  sagen:  Ich  hätte  alle 
unsere  Tempel  aufgegeben ;  ich  wäre 
selbst  ins  Gefängnis  gegangen  und  hätte 
jeden  anderen  Mann  einkerkern  lassen, 
wenn  der  Herr  mir  nicht  geboten  hätte, 
was  ich  schließlich  getan  habe.  Als  die 
Stunde  kam,  wo  er  es  mir  gebot,  sah  ich 
die  ganze  Sache  klar  vor  Augen.  Ich  bin 
vor  den  Herrn  getreten,  und  ich  habe 
geschrieben,  was  der  Herr  mir  zu  schrei- 
ben geboten  hat.  Ich  habe  es  meinen 
Brüdern  vorgelegt  —  Männern  wie 
George  Q.  Cannon,  Joseph  F.  Smith 
und  den  Zwölf  Aposteln.  Ich  könnte 
ebensogut  versuchen,  eine  ganze  Armee 
von  ihrer  Marschroute  abzubringen,  als 
diese  Brüder  daran  zu  hindern,  das  zu 
tun,  was  sie  für  richtig  halten.  Diese 
Männer  stimmten  mir  zu,  zusammen 
mit  Tausenden  Heiligen  der  Letzten 
Tage.  Warum?  Weil  Sie  vom  Heiligen 
Geist  und  durch  die  Offenbarungen 
Gottes  dazu  bewegt  worden  sind. 
Ich  habe  diese  Worte  gesagt  und 
möchte,  daß  Sie  sie  überdenken.  Der 
Herr  ist  auf  unserer  Seite.  Er  vollbringt 
vieles,  was  Sie  nicht  verstehen.  Beten  Sie 
über  diese  Angelegenheit.  Seien  Sie  nicht 
beunruhigt,  und  machen  Sie  sich  deswe- 
gen keine  Sorgen. 

Ich  freue  mich  darüber,  daß  der  Herr 
uns  das  Evangelium  offenbart  hat.  Ich 
bin  froh,  daß  ich  zu  einer  Zeit  lebe,  wo 
wir  die  Kirche  Gottes  auf  Erden  haben. 
Wir  hatten  und  haben  Apostel  und 
Propheten  unter  uns.  Sie  haben  hier  im 


Fleisch  gewirkt  und  viele  Seelen  gerettet. 
Viele  sind  gestorben  und  in  die  Geister- 
welt eingegangen.  Joseph  Smith  hat  die 
Schlüssel  dieser  Evangeliumszeit,  und  er 
wird  sie  bis  in  alle  Ewigkeit  haben,  wer 
auch  immer  die  Kirche  nach  ihm  leiten 
mag.  Der  Herr  hat  uns  befähigt,  hier- 
herzukommen und  Tempel  zu  bauen. 
Wir  haben  in  diesen  Bergen  drei  Tempel 
errichtet,  und  viele  Verstorbene  sind 
dadurch  erlöst  worden,  und  sie  werden 
an  der  ersten  Auferstehung  teilhaben. 
Wir  sollen  dem  Herrn  dafür  danken. 
Wir  möchten  das  Werk  in  diesen  Tem- 
peln fortsetzen.  Wir  möchten,  daß  die 
Tempel  im  Besitz  der  Heiligen  der 
Letzten  Tage  bleiben.  Der  Herr  wird  für 
Sie  und  Ihre  Familien  sorgen.  Er  wird 
für  Zion  sorgen  und  für  diese  Ge- 
neration, und  er  wird  alles  erfüllen,  was 
er  verheißen  hat. 

Gott  segne  Sie.  Er  wird  Sie  segnen,  wenn 
Sie  auf  seinen  Rat  hören. 
Ich  möchte,  daß  die  Heiligen  der  Letzten 
Tage  aufhören,  zu  murren  und  sich  über 
die  Vorsehung  Gottes  zu  beklagen.  Ver- 
trauen Sie  auf  Gott,  und  tun  Sie  Ihre 
Pflicht.  Vergessen  Sie  nicht  zu  beten. 
Glauben  Sie  an  den  Herrn,  seien  Sie 
standhaft,  und  errichten  Sie  Zion 
dann  wird  alles  wohl  sein.  Der  Herr  wird 
zu  seinem  Volk  kommen,  und  er  wird 
sein  Werk  in  Rechtschaffenheit  be- 
schleunigen, damit  alles  Fleisch  errettet 
wird.  Achten  Sie  auf  die  Zeichen  der 
Zeit,  und  machen  Sie  sich  bereit  für  das 
Kommende.  Der  Herr  segne  Sie.  Amen. 


34 


Neue  Anweisungen 

zur  Arbeit  für  die 

Verstorbenen 

(Ein  Gespräch  zwischen  Bruder  George  H.  Fudge, 

dem  geschäftsführenden  Direktor  der  Genealogischen  Abteilung. 

und  der  Zeitschrift  „Ensign") 


I 


m  August  1977  hat  Präsident  Spencer 
W.  Kimball  gesagt:  „Mir  erscheint  die 
Tempelarbeit  für  die  Verstorbenen 
ebenso  dringend  wie  die  Missionsarbeit, 
denn  im  Grunde  handelt  es  sich  um  ein 
und  dieselbe  Tätigkeit.  Ich  habe  meinen 
Brüdern,  den  Generalautoritäten,  ge- 
sagt, daß  mich  die  Arbeit  für  die  Ver- 
storbenen ständig  beschäftigt  .  .  .  Wir 
fordern  jedes  einzelne  Mitglied  und  jede 
Familie,  mag  sie  groß  oder  klein  sein, 
ohne  Vorbehalte  auf,  diese  Arbeit  fort- 
zusetzen" (Ensign,  Okt.  1977,  S.  82). 
Ensign:  Auf  der  Regionalversammlung 
im  Juni  wurde  bekanntgegeben,  daß  im 
nächsten  Jahr  ein  erweitertes  Genealo- 
gieprogramm beginnen  wird.  Könnten 
Sie  diese  Änderung  erläutern? 
Br.  Fudge :  Das  gegenwärtige  Vier- 
Generationen-Programm  hat  den  Mit- 
gliedern der  Kirche  die  Möglichkeit 
gegeben,  sich  mit  den  Familiengruppen- 
bogen  und  dem  Registrieren  genealogi- 
scher Angaben  vertraut  zu  machen. 
Diese  Formulare  sind  in  das  Archiv  der 
Kirche  gelangt,  so  daß  viel  Genealogie- 
und  Tempelarbeit  geleistet  werden 
konnte. 
Inzwischen  stehen  neue  Technologien 


zur  Verfügung,  die  uns  helfen  können, 
die  Absichten  des  Herrn  schneller  und 
mit  größerer  Genauigkeit  auszuführen. 
Es  wäre  ein  Fehler,  wenn  wir  diese 
technischen  Möglichkeiten  nicht  für  das 
Werk  des  Herrn  nutzten. 
Bisher  war  jedes  Mitglied  verpflichtet, 
mindestens  vier  Generationen  auf 
Familiengruppenbogen  einzureichen 
und  darüber  hinaus  seine  Ahnen  so  weit 
wie  möglich  zu  erforschen.  Bei  dieser 
Art  der  Familienforschung  war  es  not- 
wendig, überallhin  Briefe  zu  schreiben 
und  die  ganze  Welt  zu  bereisen.  Viel  Zeit 
und  Arbeit  mußte  dafür  investiert  wer- 
den, häufig  ohne  daß  konkrete  Ergeb- 
nisse zustande  kamen.  Oftmals  war 
gleichzeitig  ein  Verwandter  auf  der  Su- 
che nach  den  gleichen  Angaben  und 
verbrachte  damit  ebensoviel  Zeit  und 
gab  dafür  ebensoviel  Geld  aus.  Wenn 
dann  jeder  von  ihnen  seine  Forschung 
abgeschlossen  und  die  ausgefüllten  Bo- 
gen an  die  Genealogische  Abteilung 
gesandt  hatte,  stellte  sich  oft  heraus,  daß 
die  Unterlagen  einander  widersprachen. 
Eine  derartige  Fehlerhaftigkeit  in  der 
Arbeit  können  wir  nicht  länger  hin- 
nehmen. Außerdem  haben  wir  so  unge- 


35 


heuer  viel  Arbeit  zu  verrichten,  daß  wir 
es  uns  nicht  mehr  leisten  können,  die 
Arbeit  doppelt  auszuführen. 
Ensign  :  Welcher  Art  sind  die  Änderun- 
gen am  Genealogieprogramm  der  Kir- 
che? 

Br.  Fudge:  Jeder  einzelne  wird  jetzt 
aufgefordert,  mit  seinen  Brüdern, 
Schwestern  und  Eltern  zusammenzu- 
kommen, die  Angaben  auf  den 
Familiengruppenbogen  zu  vergleichen 
und  nachzuprüfen,  ob  sie  korrekt  sind. 
Ein  Mitglied  der  Familie  soll  dann  die 
endgültige,  richtige  Ausfertigung  der 
Ahnentafel  mit  den  vier  Generationen 
zusammen  mit  den  dazugehörigen 
Familiengruppenbogen  an  die  Genealo- 
gische Abteilung  in  Salt  Lake  City 
senden.  Bei  diesem  Vorgang  trifft  sich 
die  Familie  mit  den  Verwandten  der 
Ahnenlinien  des  Vaters  und  der  Mutter 
(Onkel,  Tanten  und  Großeltern),  um  die 
Richtigkeit  der  Unterlagen  über  diese 
und  frühere  Generationen  zu  überprü- 
fen. Wenn  sich  bei  neueren  Forschungen 
Beweise  dafür  ergeben  haben,  daß  die 
eingereichten  Unterlagen  geändert  wer- 
den müssen,  so  ist  die  betreffende  Fami- 
lie verpflichtet,  die  Genealogieabteilung 
der  Kirche  darüber  zu  informieren,  daß 
die  betreffenden  Familiengruppenbogen 
ergänzt  bzw.  geändert  werden  müssen. 
Mit  dem  Dezember  1978  endet  das 
gegenwärtige  Vier-Generationen-Pro- 
gramm für  die  einzelnen  Mitglieder,  und 
es  beginnt  das  Vier-Generationen-Pro- 
gramm für  Familien.  Die  neuen 
Familiengruppenbogen  und  Ahnenta- 
feln nehmen  wir  ab  Juli  1979  entgegen. 
Das  einzelne  Mitglied  kann  zwar  über 
die  vier  Generationen  hinaus  weiter 
Ahnenforschung  betreiben,  und  die 
dazugehörigen  Informationen  werden 
von  der  Kirche  auch  angenommen, 
doch  wird  dies  nicht  mehr  verlangt.  Statt 
dessen  fühlt  sich  die  Kirche  verpflichtet, 
in     großem     Umfang     genealogisches 


Quellenmaterial  zusammenzutragen 
und  ein  ausgedehntes  Namenauszugs- 
programm abzuwickeln,  um  Namen  für 
die  Tempelarbeit  vorzubereiten. 
Ensign :  Was  geschieht  im  Rahmen 
dieser  Sammlung  von  genealogischen 
Urkunden  und  des  Herausziehens  von 
Namen? 

Br.  Fudge :  Gegenwärtig  verfilmen  wir 
genealogisches  Material  mit  95  Kame- 
ras in  35  Ländern  und  tragen  auf  diese 
Weise  pro  Jahr  zwischen  40  und  50 
Millionen  Seiten  zusammen.  Diese  Auf- 
zeichnungen werden  geordnet  und  kata- 
logisiert. 

Die  betreffenden  Angaben  müssen  aus 
den  Unterlagen  herausgezogen,  bearbei- 
tet und  den  Tempeln  zugesandt  werden, 
so  daß  die  heiligen  Handlungen  voll- 
zogen werden  können.  Um  dies  zuwege 
zu  bringen,  haben  wir  jetzt  in  den 
Pfählen  der  Kirche  mit  einem  Urkun- 
denauszugsprogramm begonnen. 
Wir  schätzen,  daß  gegenwärtig  ungefähr 
900  Exzerpierer  gebraucht  werden,  um 
mit  der  Tätigkeit  eines  Verfilmers 
Schritt  zu  halten.  Wenn  wir  gegenwärtig 
mit   95   Kameras   arbeiten  in   den 

kommenden  Jahren  werden  es  noch  viel 
mehr  sein  — ,  brauchen  wir  viele  Exzer- 
pierer, um  mit  der  augenblicklichen 
Verfilmungsarbeit  Schritt  zu  halten  und 
die  bisher  angefertigten  Mikrofilme  aus- 
zuschöpfen. 

Ensign :  Einigen  mag  dies  vorkommen, 
als  würde  die  genealogische  Arbeit  jetzt 
unpersönlich  werden.  Haben  wir  uns  in 
der  Vergangenheit  nicht  gewissermaßen 
eingeredet,  daß  jeder  nur  seinen  eigenen 
Vorfahren  gegenüber  verpflichtet  ist? 
Br.  Fudge :  Gewiß,  aber  inzwischen 
haben  die  Intensität  und  das  Tempo 
dieser  Arbeit  zugenommen,  und  deswe- 
gen hat  der  Herr  den  Führern  der  Kirche 
eine  bedeutsame  Wahrheit  vor  Augen 
geführt,  nämlich  daß  wir  alle  dieselben 
Vorfahren  haben.   Wir  stammen  zum 


36 


Beispiel  alle  von  demselben  Ehepaar  ab : 
von  Adam  und  Eva,  doch  laufen  unsere 
Ahnenlinien  schon  viel  eher  als  bei 
Adam  zusammen.  Man  braucht  nur  ein 
paar  Generationen  zurückzugehen,  bis 
man  auf  Ahnen  stößt,  die  auch  die 
direkten  Vorfahren  vieler  anderer 
Menschen  sind. 

Wenn  die  Mitglieder  der  Kirche  dies 
verstehen,  werden  wir  alle  den  Wunsch 

„Mir  erscheint  die 
Tempelarbeit  für  die 
Verstorbenen  ebenso 

dringend  wie  die 

Missionsarbeit,  denn 

im  Grunde  handelt  es 

sich  um  ein  und 

dieselbe  Tätigkeit." 

(Spencer  W.  Kimball) 

hegen,  uns  an  dieser  gemeinsamen  Akti- 
vität zu  beteiligen,  wobei  jeder  Namen 
von  Verwandten  anderer  Mitglieder 
zusammenstellt.  Die  Mitglieder,  die  die- 
se Arbeit  leisten,  mögen  verschiedenen 
Pfählen  angehören  und  vielleicht  sogar 
auf  verschiedenen  Kontinenten  leben. 
Das  gemeinsam  erarbeitete  Ergebnis 
wird  jedoch  sein,  daß  alle  effektiv  an  der 
Erlösung  unserer  irdischen  und  im  gei- 
stigen Sinne  Verwandten  mitarbeiten. 
Der  Herr  wünscht,  daß  wir  diese  Auf- 
gabe in  kollektiver  Arbeit  erfüllen  - 
„als  Kirche  und  als  Volk"  ebenso  wie  als 
einzelne  Heilige  der  Letzten  Tage  (LuB 
128:24). 

Bei  unserer  Missionsarbeit  für  die  Ver- 
storbenen wenden  wir  gewissermaßen 
Methoden  an,  die  denen  in  unserer 
Missionsarbeit  für  die  Lebenden  ähneln. 
Wenn  ich  zum  Beispiel  als  Missionar 
nach  England  gesandt  werde,  reise  ich  in 
dieses  Land  und  unterweise  dort  jeden 


Menschen,  der  mir  zuhört,  ohne  die 
Person  anzusehen.  Ich  würde  nicht  nach 
England  gehen,  um  nur  denjenigen  das 
Evangelium  zu  verkündigen,  die  den 
gleichen  Familiennamen  haben  wie  ich 
oder  eng  mit  mir  verwandt  sind. 
Wir  senden  auch  nicht  Missionare  in  die 
großen  Städte,  damit  sie  dort  nach 
einem  einzigen  Menschen  suchen,  wäh- 
rend wir  die  vielen  Straßen  vernachlässi- 
gen, wo  zahlreiche  Menschen  leben,  die 
das  Evangelium  annehmen  würden.  Bis- 
her sind  wir  bei  der  genealogischen 
Forschung  jedoch  in  dieser  Weise  vor- 
gegangen, weil  uns  die  moderne  Tech- 
nologie noch  nicht  zur  Verfügung  ge- 
standen hat.  Jetzt  hat  uns  der  Herr  neue 
Hilfsmittel  an  die  Hand  gegeben,  und 
die  Führer  der  Kirche  sagen,  daß  jetzt 
die  Zeit  gekommen  sei,  wo  wir  unsere 
Missionsarbeit  für  die  Verstorbenen 
stärker  betonen  müssen.  Genealogie 
und  Missionsarbeit  stellen  eigentlich  ein 
und  dieselbe  Tätigkeit  dar.  Warum  soll- 
ten wir  dann  nicht  auch  die  gleichen 
Grundsätze  und  Methoden  anwenden? 
Ensign :  Angenommen,  jemand  von  uns 
wohnt  in  einem  Pfahl,  der  sich  am 
Urkundenauszugsprogramm  beteiligt. 
Wie  könnte  er  dabei  mitwirken? 
Br.  Fudge :  Da  wir  Urkunden  in  35 
Ländern  sammeln,  sind  die  meisten 
davon  nicht  in  englischer  Sprache  ab- 
gefaßt. Daher  könnte  ein  Pfahl  in  Ham- 
burg die  Angaben  aus  deutschen  Quel- 
len exzerpieren,  während  ein  Pfahl  in 
Mexiko  die  Angaben  aus  den  dortigen 
spanischen  Urkunden  herausziehen 
würde. 

Nachdem  man  geeignete  Personen  aus- 
findig gemacht  hat,  werden  diese  vom 
Pfahlpräsidenten  als  Pfahl-Genealogie- 
missionare berufen  und  eingesetzt.  Der 
Pfahlpräsident  bestimmt,  wie  viele 
Pfahl-Genealogiemissionare  in  seinem 
Pfahl  benötigt  werden  und  wie  viele 
Stunden   pro   Woche  jeder   Missionar 


37 


dieser  Tätigkeit  widmen  könnte.  Alle, 
die  diese  Berufung  erhalten,  werden  im 
Lesen  alter  Handschriften  geschult,  so 
daß  sie  die  Eintragungen  aus  den  ver- 
filmten Unterlagen  —  Taufen,  Trauun- 
gen, Todesfälle  usw.  —  herausziehen 
können.  Jede  Eintragung  wird  von  zwei 
Mitarbeitern  exzerpiert.  Die  Ergebnisse 
werden  in  einen  Computer  eingegeben, 
und  dieser  vergleicht  die  Angaben. 
Wenn  sich  dabei  Widersprüche  her- 
ausstellen, sperrt  die  Tastatur,  und  der 
zweite  Maschinenschreiber  —  er  ist  zur 
Kontrolle  beauftragt  —  prüft  sofort 
nach,  welcher  Auszug  die  richtigen  An- 
gaben enthält.  Dadurch  wird  gewährlei- 
stet, daß  genauere  Aufzeichnungen 
erstellt  werden. 

Ensign :  Wäre  es  möglich,  daß  sich 
jemand  freiwillig  bereiterklärt,  einige 
Stunden  pro  Monat  Urkunden  zu  exzer- 
pieren ? 

Br.  Fudge :  Dies  ist  eine  Sache  der 
Schulung.  Mehrere  Wochen  sind  erfor- 
derlich, um  jemand  so  zu  schulen,  daß  er 
im  korrekten  Entziffern  von  Hand- 
schriften ausreichend  geübt  ist. 
Ensign :  Hat  nun  jemand,  der  nicht  als 
Exzerpierer  berufen  wird,  noch  weitere 
Pflichten  genealogischer  Art,  nachdem 
er  die  Bogen  für  sein  Vier-Generationen- 
Programm  eingereicht  hat? 
Br.  Fudge :  Gewiß !  Es  gibt  zahlreiche 
Projekte,  woran  sich  die  Mitglieder  der 
Kirche  beteiligen  können.  Der  Pfahlprä- 
sident kann  die  Mitglieder  seines  Pfahls 
zum  Beispiel  Grabinschriften  abschrei- 
ben und  in  Gerichtsarchiven  Angaben 
sammeln  lassen,  so  daß  schließlich  alle 
genealogisch  bedeutsamen  Urkunden 
des  betreffenden  Gebietes  zusammen- 
getragen und  von  den  dortigen  Mit- 
gliedern katalogisiert  werden.  Eine  sol- 
che Tätigkeit  muß  natürlich  koordiniert 
werden.  Wer  dann  in  diesem  Gebiet 
nach  Vorfahren  sucht,  erhält  auf  diese 
Weise  leicht  Zugang  zu  den  von  ihm 


benötigten  Unterlagen,  wenn  er  die 
Angaben  für  sein  Vier-Generationen- 
Programm  zusammenstellt  oder  diese 
überprüft. 

Ein  wichtiger  Dienst,  den  die  Mitglieder 
leisten  können,  besteht  auch  darin,  daß 
sie  die  vorhandenen  Aufzeichnungen 
mit  einem  Index  versehen.  Man  braucht 
dann  nicht  mehr  eine  Filmrolle  nach  der 
anderen  durchzugehen,  sondern  nur 
noch  im  Index  nachzusehen,  und  wird 
sofort  auf  den  benötigten  Film  ver- 
wiesen. Wichtig  ist  auch,  daß  die  Mit- 
glieder für  die  aus  den  Urkunden  exzer- 
pierten Namen  die  Tempelarbeit  ver- 
richten. Im  Juni  1977  haben  wir  im 
Zusammenwirken  mit  zwei  Pfählen  in 
St.  George,  Utah,  ein  Pilotprojekt  des 
Exzerpierens  von  Namen  begonnen.  Mit 
weniger  als  40  Personen,  die  als  Exzer- 
pierer berufen  worden  sind,  sind  diese 
beiden  Pfähle  jetzt  imstande,  alle  Na- 
men zur  Verfügung  zu  stellen,  die  bei 
dem  gegenwärtigen  Pensum  an  Tempel- 
arbeit im  Tempel  in  St.  George  benötigt 
werden. 

Präsident  Kimballs  prophetischer 
Wunsch,  daß  jeder  Tempeldistrikt  alle 
Namen  bereitstellen  soll,  die  für  seinen 
Tempel  gebraucht  werden,  wird  somit 
bald  in  Erfüllung  gehen.  Es  ist  auch 
leicht  abzusehen,  wie  diese  Phase  in  die 
nächste  Phase  vermehrter  Tempelarbeit 
übergehen  wird,  wie  die  Kirche  mehr 
Tempel  erbauen  und  die  Missionsarbeit 
unter  den  Lebenden  und  den  Verstorbe- 
nen zunehmen  wird.  Somit  erleben  wir 
als  Kirche  gerade,  wie  Prophezeiungen 
in  Erfüllung  gehen. 

Wir  sind  dabei,  ein  großes  Reservoir  von 
Namen  für  die  Tempelarbeit  auf- 
zubauen. Schon  jetzt  verfügen  wir  über 
eine  große  Anzahl  von  Mikrofilmen, 
woraus  wir  Urkunden  exzerpieren  kön- 
nen, und  täglich  werden  weitere  ge- 
nealogische Aufzeichnungen  verfilmt. 
Im  Durchschnitt  kann  jeder  pro  Stunde 


38 


20  Namen  herausziehen.  In  dem  Maße, 
wie  weitere  Genealogiemissionare 
berufen  werden,  schaffen  wir  uns  ein 
Reservoir  von  Namen,  die  für  die  Tem- 
pelarbeit bereitgestellt  werden  können. 
Je  nach  Notwendigkeit  kann  dann  jeder 
Tempeldistrikt  die  Arbeit  für  die  Ver- 
storbenen beschleunigen.  Die  Priester- 
tumsführer  werden  erkennen,  daß  es 
notwendig  ist,  die  Mitglieder  dazu  an- 
zuhalten, daß  sie  öfter  in  den  Tempel 
gehen.  Ich  bin  sicher,  daß  es  mehr 
Sessionen  in  den  Tempeln  geben  wird, 
daß  die  Tempel  mehr  Stunden  am  Tag 
geöffnet  sein  und  mehr  Mitglieder  den 
Tempel  häufiger  besuchen  werden. 
Schon  jetzt  ist  abzusehen,  daß  die  Zeit 
kommen  wird,  wo  sich  Präsident  Kim- 
balls Vorstellung  von  Tempeln  ver- 
wirklicht, die  24  Stunden  am  Tag 
geöffnet  sind.  Ebenso  wird  sich  seine 
Vorstellung  davon  bewahrheiten,  daß 
das  Land  von  Tempeln  geradezu  übersät 
sein  wird.  Das  Zusammenstellen  ge- 
nealogischer Aufzeichnungen  und  das 
Exzerpieren  von  Namen  daraus  wird  die 
Voraussetzungen  dafür  schaffen.  Im 
Zusammenhang  damit  wird  man  größe- 
res Gewicht  auf  den  Bau  neuer  Tempel 
und  den  Besuch  der  Tempel  legen.  Der 
einzige  Weg,  wie  wir  dies  erreichen 
können,  besteht  darin,  daß  wir  in 
gemeinsamer  Anstrengung  die  Kraft, 
die  Intelligenz  und  die  Fähigkeiten  der 
Mitglieder  nutzen,  anstatt  daß  man  sich 
auf  die  Bemühungen  einzelner  stützt. 
Ensign :  Geschieht  gegenwärtig  etwas, 
um  die  Bearbeitung  von  Namen  für  die 
Tempelarbeit  zu  beschleunigen,  sobald 
diese  exzerpiert  sind? 
Br.  Fudge:  Für  die  nicht  auf  dem 
amerikanischen  Kontinent  gelegenen 
Tempel  werden  gegenwärtig  Tempel- 
Dienststellen  eingerichtet.  Sie  sollen  vie- 
le Funktionen  übernehmen,  die  bisher 
von  der  Genealogischen  Abteilung 
wahrgenommen  worden  sind.  Eine  sol- 


che Tempel-Dienststelle  arbeitet  zum 
Beispiel  bereits  in  Brasilien.  Die  dort 
lebenden  Mitglieder  brauchen  deshalb 
nicht  mehr  ihre  Familiengruppenbogen 
und  sonstigen  Antragsformulare  zur 
Bearbeitung  nach  Salt  Lake  City  schik- 
ken  und  darauf  warten,  daß  diese  nach 
Brasilien  zurückgesandt  werden.  Auch 
ist  es  nicht  mehr  notwendig,  daß  sie, 
nachdem  die  Tempelarbeit  geleistet  ist, 
die  Angaben  darüber  zurück  nach  Salt 
Lake  City  schicken.  Sie  können  jetzt  ihre 
Unterlagen  in  Brasilien  selbst  bearbei- 
ten, dort  die  notwendige  Tempelarbeit 
ausführen  und  selbst  darüber  Aufzeich- 
nungen anfertigen.  Nachdem  dies  alles 
geschehen  ist,  braucht  der  dortige  Tem- 
pel nur  noch  eine  Aufstellung  über  die 
geleistete  Tempelarbeit  nach  Salt  Lake 
City  zu  senden,  damit  die  Angaben  im 
Urkundengewölbe  sicher  verwahrt  wer- 
den. 

Ebenso  werden  wir  auch  bei  der  Mikro- 
verfilmung verfahren.  Bald  werden  wir 
in  verschiedenen  Teilen  der  Welt  ge- 
nealogisches Quellenmaterial  verfilmen 
und  bearbeiten,  katalogisieren  und  An- 
gaben daraus  exzerpieren.  Nachdem  der 
Tempeldistrikt  seine  Arbeit  ausgeführt 
hat.  wird  er  lediglich  die  Filmnegative  an 
die  Genealogische  Abteilung  in  Salt 
Lake  City  senden. 

Ensign :  Wie  lange  wird  es  dauern,  bis 
diese  Tempel-Dienststellen  eingerichtet 
werden  ? 

Br.  Fudge :  Sobald  sich  ein  Bedarf  dafür 
ergibt.  Es  gibt  solche  Dienststellen  be- 
reits in  Mexico  City,  in  Sao  Paulo 
(Brasilien)  und  in  Tokio.  All  dies  ge- 
schieht im  Hinblick  auf  unsere  Absicht, 
die  Verantwortung  für  diese  Arbeit  den 
Mitgliedern  selbst  aufzuerlegen,  denn  sie 
haben  die  Vollmacht  und  die  Urkunden, 
die  Hilfsmittel  für  das  Exzerpieren  und 
Bearbeiten  und  die  Tempel. 
Das  Aufzeichnen  der  Angaben  über  die 
Tempelarbeit  wird  bald  dadurch  erheb- 


39 


lieh  beschleunigt,  daß  in  den  Tempeln 
kleine  Computer  in  Dienst  gestellt  wer- 
den. Mit  Hilfe  eines  Computers  kann 
man  einen  Namen  automatisch  aus- 
geben und  die  Unterlagen  auf  den  neu- 
esten Stand  bringen.  Jeder  Tempelemp- 
fehlungsschein wird  einen  magnetisier- 
ten  Streifen  enthalten,  wo  der  Name  des 
Betreffenden  und  die  Nummer  seiner 
Einheit  (Gemeinde  und  Pfahl)  angege- 
ben sind.  Wenn  der  Tempelempfeh- 
lungsschein in  den  Computer  gesteckt 
wird,  gibt  dieser  automatisch  in  ge- 
druckter Form  den  Namen  dessen  aus, 
für  den  der  Inhaber  des  Empfehlungs- 
scheins als  Stellvertreter  amtieren  soll. 
Außerdem  gibt  der  Computer  in  den 
Unterlagen  des  Tempels  den  Namen  des 
Inhabers  und  die  Nummer  seiner  Ein- 
heit an  und  liefert  den  Priestertumsfüh- 
rern  der  Gemeinde  jeweils  die  neuesten 
statistischen  Angaben. 
Ensign :  Gibt  es  neue  Bestrebungen  der 
Kirche,  denjenigen  zu  helfen,  die  noch 
dabei  sind,  ihre  Familiengruppenbögen 
für  das  Vier-Generationen-Programm 
auszufüllen? 

Br.  Fudge:  Ja.  Vom  kommenden  Sep- 
tember an  wird  in  der  Sonntagsschule 
ein  neuer,  zwölfwöchiger  Genealogie- 
kurs durchgeführt.  Der  Leitfaden  dafür 
ist  auf  die  Forschung  für  das  Vier- 
Generationen-Proggramm  abgestimmt. 
Ein  weiteres  Hilfsmittel  ist  die  Compu- 
ter-Ahnenkartei. Wenn  die  Mitglieder 
vom  Juli  1979  an  beginnen,  korrekte 
Ausfertigungen  ihrer  Ahnentafeln  ein- 
zusenden, stellen  wir  eine  riesige  Com- 
puterkartei aller  uns  zugegangenen 
Informationen  über  die  Vorfahren  der 
Mitglieder  der  Kirche  zusammen. 
Nehmen  wir  zum  Beispiel  an,  jemand 
beteiligt  sich  am  Genealogieunterricht 
in  der  Sonntagsschule  und  lernt,  wie 
man  Familiengruppenbögen  für  das 
Vier-Generationen-Programm  ein- 

reicht. Er  wird  als  erstes  Auskünfte  aus 


der  Computer-Ahnenkartei  der  Kirche 
einholen.  Dies  geschieht  in  der  Weise, 
daß  er  ein  Exemplar  seiner  Ahnentafel 
einsendet,  soweit  er  sie  bisher  aufgestellt 
hat,  und  der  Computer  prüft  nach,  ob 
seine  Ahnen  bereits  in  der  Kartei  ent- 
halten sind.  Wir  geben  dem  Betref- 
fenden sodann  alle  Informationen  da- 
rüber und  teilen  ihm  die  Namen  und 
Anschriften  derer  mit,  die  diese  An- 
gaben eingesandt  haben. 
Wir  sind  auch  dabei,  einen  Computerka- 
talog zu  erarbeiten.  Dieser  Katalog  wird 
unsere  gesamten  Bibliotheksbestände 
sowie  die  genealogischen  Aufzeichnun- 
gen in  der  ganzen  Welt  erfassen,  die  in 
unserer  Bibliothek  nicht  vorhanden  sind 
und  die  wir  auch  nicht  zu  verfilmen 
beabsichtigen.  Wenn  wir  das  von  dem 
Betreffenden  benötigte  Quellenmaterial 
besitzen,  wird  dieser  Katalog  ihn  direkt 
darauf  verweisen.  Befindet  es  sich  nicht 
in  unserem  Besitz,  so  wird  ihm  der 
Katalog  die  ursprüngliche  Quelle  nen- 
nen. Wir  hoffen,  daß  es  uns  gelingen 
wird,  häufig  und  mit  geringen  Kosten 
den  Katalog  allen  Pfahlbibliotheken  zur 
Verfügung  zu  stellen.  Dies  wird  dadurch 
geschehen,  daß  wir  den  Katalog  auf 
Mikrofiche  aufnehmen  oder  in  anderer 
Weise  vervielfältigen. 
Ensign:  Es  ist  geradezu  packend,  von 
den  gegenwärtigen  und  künftigen 
Dimensionen  dieser  Arbeit  zu  hören. 
Was  würden  Sie  in  Ihrer  eigenen  Familie 
mit  Ihren  Kindern  unternehmen,  um 
diese  Arbeit  zu  fördern? 
Br.  Fudge :  Ich  würde  dafür  sorgen,  daß 
meine  Kinder,  meine  Schwester  und 
deren  Kinder  mit  meinem  Vater 
zusammenkommen  und  durch  Abspra- 
chen gewährleisten,  daß  die  Angaben 
auf  unserer  Ahnentafel  und  unseren 
Familiengruppenbögen  korrekt  sind. 
Wenn  dann  der  Juli  1979  kommt,  sind 
wir  bereit,  dieses  Material  einzureichen. 
Ich  werde  auch  alle  Informationen  über 


40 


meine  Vorfahren  einsenden,  die  über  die 
vier  Generationen  hinausgehen.  Als 
nächstes  würde  ich  meine  verheirateten 
Kinder  auffordern,  weiter  an  ihrer 
Familiengeschichte  und  ihrer  eigenen 
Lebensgeschichte  zu  schreiben.  Ich  habe 
damit  begonnen,  meine  eigene  Biogra- 
phie auf  Tonband  zu  sprechen.  Eine 
solche  Tonbandaufnahme  halte  ich  in- 
sofern für  besonders  wertvoll,  als  ich 
dadurch  meinen  Enkeln  und  Urenkeln 
die  Möglichkeit  gebe,  meine  Stimme  zu 
hören. 

Ensign :  Könnten  Sie  erklären,  warum 
die  Kirche  so  großen  Wert  darauf  legt, 
daß  wir  ein  Tagebuch  führen  und  unsere 
eigene  Geschichte  und  die  unserer  Fami- 
lie niederschreiben  ?  Was  hat  dies  mit  der 
besprochenen  Arbeit  zu  tun? 
Br.  Fudge :  Erstens  hat  uns  der  Herr 
geboten,  Bericht  zu  führen.  Zweitens  ist 
es  für  unsere  Kinder  und  Enkel  sehr 
nützlich,  wenn  man  ihnen  bewußt 
macht,  was  für  ein  geistiges  Gut  wir 
ihnen  mitgeben.  Durch  persönliche  Auf- 
zeichnungen kommen  wir  unseren  Vor- 
fahren näher  und  wenden  ihnen  unser 
Herz  bereitwilliger  zu,  weil  wir  mehr 
über  sie  wissen.  Die  scheinbar  alltägli- 
chen Aktivitäten  unserer  Großeltern 
haben  uns  oft  dazu  veranlaßt,  die  Ge- 
bote gewissenhafter  zu  halten.  Dadurch 
werden  auch  unsere  Familienbande  ge- 
festigt, und  unser  Wunsch  wird  stärker, 
die  der  Erlösung  dienenden  heiligen 
Handlungen  des  Evangeliums  zu  ihren 
Gunsten  zu  vollziehen. 
Ensign  :  Ist  dies  der  Hauptzweck  des  vor 
kurzem  für  das  Jahr  1980  angekündig- 
ten Weltkongresses  über  genealogische 
Aufzeichnungen,  der  in  Salt  Lake  City 
stattfinden  soll  und  unter  dem  Motto 
„Das  Überlieferte  bewahren'1  stehen 
wird? 

Br.  Fudge:  Ja.  Wir  möchten  die 
Menschen  dazu  anregen,  ihre  eigene 
Lebensgeschichte  und  die  ihrer  Familie 


zu  Papier  zu  bringen  und  auf  dem 
laufenden  zu  halten.  Außerdem  hoffen 
wir,  daß  dieser  Kongreß  dazu  beitragen 
wird,  den  Schwung  in  unserer  Missi- 
onsarbeit zu  vergrößern,  indem  wir  die 
Menschen  wissen  lassen,  daß  die  Kirche 
am  geistigen  Erbe  der  Familie,  des 
einzelnen  und  der  Gemeinschaft  inter- 
essiert ist. 

Ein  weiterer  wichtiger  Zweck  des  Kon- 
gresses liegt  darin,  daß  wir  die  Compu- 
ter-Ahnenkartei für  die  ganze  Welt  zu- 
gänglich machen  wollen.  Wir  werden 
nicht  nur  die  Mitglieder,  sondern  alle 
Menschen  auffordern,  die  Angaben 
über  ihre  Vorfahren  einzusenden,  damit 
wir  eine  Hauptkartei  damit  aufbauen 
können.  Wir  sehen  diesem  Kongreß 
begeistert  und  erwartungsvoll  entgegen 
und  rechnen  damit,  daß  sich  viele 
Gemeinsamkeiten  daraus  ergeben  wer- 
den. 

Ensign :  Wie  stehen  Sie  persönlich  zu 
diesem  neuen  Programm? 

Br.  Fudge  :  Mir  scheint,  daß  wir  in  dieser 
Generation  große  Vorzüge  genießen. 
Viele  Propheten  im  Altertum  hätten 
gern  in  diesen  Tagen  gelebt.  Es  ist  eine 
Zeit   intensiver  Anstrengung  einer 

Arbeit,  an  der  sich  alle  beteiligen  müs- 
sen, denn  niemand  kann  sie  allein  voll- 
bringen. 

Ich  erinnere  mich  an  das  Gebet,  das  der 
Erlöser  gesprochen  hat,  bevor  er  in  den 
Garten  Gethsemane  ging.  Er  betete 
darum,  daß  seine  Jünger  eins  sein  mö- 
gen, ebenso  wie  er  und  sein  Vater  eins 
seien  (Johannes  17:22).  Unser  Bemühen 
geht  dahin,  Adams  Geschlecht  zu  einen, 
und  dies  können  wir  nur  bewerkstelli- 
gen, wenn  wir  mit  vereinten  Kräften 
arbeiten.  Das  Ergebnis  unserer  Arbeit 
wird  natürlich  sein,  daß  wir  das  von 
unserem  Vater  im  Himmel  gewünschte 
Werk  vollbringen,  und  zwar  innerhalb 
der  von  ihm  dafür  festgesetzten  Zeit.