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DER TEMPEL
DER
DIANA zu EPHESUS.
VON
A. HIRT,
VORGELESEN IN DER KONI GL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN DEN 4- JANUAR I804'
MIT DREI KUPFERTAFELN.
BERLIN,
BEI JOHANN FRIEDRICH WEISS.
1809.
DER TEMPEL
DER
DIANA zu EPHESÜS.
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Research Library, The Getty Research Institute
http://www.archive.org/details/dertempelderdianOOhirt
öo wie, -wenn -sAir von einem Manne von vorzüglichen Eigenschaften hören,
in uns die natürliclie Neugierde entsteht, den Mann selbst oder ■wenigstens sein
Bild zu sehen: eben so geht es uns mit Kunstdenkmalcn , -welche das Werk ei-
nes besondern Aufwandes von intellektueller oder physischer Kraft sind. Unsere
Wifsbegierde wird dabei unwillkührlich geweckt. Ist der Gegenstand aus ferner
Zeit und Gegend, so tritt noch der Reiz des Alterthümlichen hinzu, und unsere
Forschbegierde scheint in dem 3Iaafs zu steigen, als er sich unserm Blicke
durch die Ferne zu entzielien drohet. Ueberhaupt haben der Mensch und seine
Werke inimer das meiste Anziehende für die Wifsbegierde des IMcnschen. Und
wie könnte es auch anders seyn? — Der Mensch kennet nichts vollkommneres
in der Natur, als seine Gattung; und in seinen Werken stellen sich ihm erst
seine ausgedehnten Fähigkeiten anschaulich dar. Dalier der Reiz, den die Mei-
sterwerke der zeiclmenden Künste für ihn haben: daher der Zauljer, welchen
1 *
4
selbst solche Werke für seine Phantasie haben, welche bereits Jahrtausende voxi
der Erde versclnviinden sind, und von denen uns die Geschichte nur dürftige
Nachricliten überliefert hat. Dalier die Ursache, dafs unser Blick so gerne auf
jenen Gegenden der alten Welt ver-vreilet, welche theils die Wiege, theils der
vollendete Schauplatz der Kiinste waren. Unter diesen Ländern behauptet
Jonien einen vorzüglichen Rang; imd unter den Kunstdenkmälern, die es einst
zierten, liebt sich der Tempel am Caystros, der Tempel der Diana zu
Ephesus, vor allen andern empor.
Der Ruf dieses Prachtbaues erfüllt noch jetzt die Welt, da Reisende kaum
mehr die Spuren des Ortes, den er ehedem einnahm, entdecken.
Da dieser Tempel zu den sogenannten sieben Wundern gehört ; so ist nicht
leicht ein Bilderbuch fiir Kinder, wo nicht eine Art Abbildung davon erschiene.
Aber wir haben weder eine figürliche, noch eine schriftliche Darstellung, welche
den Mann, A-\elche den Künstler zwänge, diesen Bau A'^irklich als ein Wunder
anzuerkennen. Es fehlte zwar in neuern Zeiten nie an IMännern , welche For-
schungen hierüber anstellten und Abbildungen davon lieferten. Allein beides
geschah, in Rücksicht der wesentlichsten Punkte, mit einem so geringen Grade
von Kritik, dafs dadurch die Sache mehr verworren, als erläutert worden ist.
Unter der grofsen Menge will ich blofs die vornehmsten, als Salmasius ^)
Perault ^), Poleni ^), und Caylus '^) nennen; doch ohne mich im Verlauf
^) Plin. Extrcit. in Solinurn. Tom. I. pag. 5Ö4. £tc.
^) Traduction de Vitruve. pag. 70.
3) Acdd. Etrusca di Curtona. Tom. I. pari. II. Journal des Suvans , Uan 1745. png. 152,
und pag. 204, und Van 1748- ptig. 82.
*) Memoircs de litterature. Tom. XXX. pag. 428- — Seitdem ich diese Abhandlung in der
5
dieser Abhandlung weiter aiif Widerlegungen einzulassen. Ich abstrahire davon
absichtlich, um den Mitgliedern dieser Gesellschaft die Resultate meiner eigenen
Forschungen über diesen Gegenstand desto kürzer und deutlicher vorzu-
legen.
Es ist nicht so viel die Gröfse und Pracht dieses Tempels, als vorzüglich
die -wichtige Rolle, ^velche dieser Bau in der Geschichte der Architektur spielt,
■was mich zu diesen reifern Forschungen verleitete. Der Tempel der Diana von
Ephesus bezeichnet eine ^vesentliche Epoche in dieser Kunst. Er weckte in
derselben einen ganz neuen Geist, und bewirkte den kühnen Umschwung, ver-
möge dessen es vielleicht allein möglich ward, die architektonische Kunst der
Griechen auf jene Höhe zu führen, Avodurch sie das vollendete Vorbild für alle
gebildeten Völker und Zeiten ward.
Die Abhandlimg zerfällt von selbst in zwei Abschnitte, wovon der erste
die Geschichte des Baues, und der zweite die Darstellung des Baues enthal-
ten soll.
Akademie vorlas, sind mir noch zwei Aufsätze über diesen Gegenstand bekannt geworden.
Sie stehen beide in der Archaeologia , welche die Gesellschaft der Alterthumsforscher zu
London herausgiebt. Der erste im VIten Bande ist vom Herrn Windham, der zweite im
Xlten Bande vom Herrn Thomas Falconer. Allein im Ganzen gilt auch von diesen, was
ich von den Schriften der vorigen sagte. Ich finde darin manche Auslegung zwar anders, als
die ihrer Vorgänger, aber keine richtigere.
I. ABSCHNITT.
Die Nachrichten i'iher den Tempel clor Diana von Ephesus sind darin ein-
stimmig, dafs er an Gröfse, Pracht und Schönheit sich vor allen Gebäuden der
o^riechischen Völker auszeichnete ^). Aber über den Anfang seines Baues, über
die Zeit seines Ausbaues, so -svie ül)er die Umstände seiner Wiedererbauung
nach dem Brande durcli Heroslrat lierrsclit in den Nachrichten der verschie-
denen Schriftsteller viel Dunkellieit und Verwirrung. "Wir Avollen versuchen,
ob es tms gelingen werde, ihre Aussagen mit einander auszugleichen.
I. Anfang des Baues.
Ueber die ursprüngliche Weihe eines Tempels der Diana zu Ephesus
streiten sich die Alten selbst. Bald w-ivü. diese Ehre den Amazonen zugeeignet,
bald den Eingebomen des Landes, bald der griechischen Kolonie, -welche An-
droclus, der Sohn des Codrus, aus Attica nach Asien führte.
Dieser Streit geht uns aber nicht an, Avcil er blofs den ursprünglichen
Tempi-1, und nicht den nachherigen grofsen Tempel, der der Gegenstand gegen-
wärtiger Forschungen ist, IjelrilTt. Indessen läfst sicli aus dem Bilde der Göttin
selbst mit Reclit nmlhmaLen , dafs der Dienst der Diana Ijereits vor der Nie-
5) ruusiDiins 4, 51, und 7, 5.
. ^ 7
deilassuiT^ der Griechen allcla existirt habe. Die Bildung der Ephesischen
Göttin weicht wesentlich von der griechischen Diana ab, und ihre, aus so vie-
len Bei"^^erken zusammengesetzte Gestalt — ein -svalu'es Sigmini Panthewii —
Iiat überhaupt mit dem Bildungsgeist der Griechen wenig gemein.
Die urspriingliche Weihe des Tempels mag also immer in das heroische
Zeitalter, %vo noch Amazonen auftraten, hinaiiFgesetzt werden; nur niufs dieser
frühere Tempel niclit mit der spiitcrn BegTündang des berühmten Prachtbaues
verwechselt werden. Nach Plinius (16, 79.) ward der Tempel seit seiner
frühesten Weihe bis zum siebenten mal "svieder erbaut. Niihere Nachrichten
aber haben wir nur von zwei Bauen, welche beide den Prachttempel betreffen,
nämlich die Begründung desselben durch Ktesiphon, und dann seine Wieder-
herstellung nach dem Brande in AI ex an der 's Zeiten durch D in o erat es. Es
giengen also dem Prachtbau fünf andere Baue des Tempels voran: alle wahr-
scheinlich nach dem Zeitenverhältnifs unbedeutend.
Die grofse Anlage gehört ohne Zweifel den gi-iechischen Kolonien an,
welche sich aia den asiatischen Küsten angesiedelt hatten. Aber in welche Zeit
lafst sich diese Begründung setzen? —
Nach Livius (1, 17.) sollte man glauben, als wenn dieser Prachttempel
schon in den Zeiten des Servius Tullius (also an 550 Jahre vor unserer
Zeitrechnung) erbaut gewesen sey. Denn dieser König machte den Vorstehern
der lateinischen Völkerschaften den Vorschlas:, nach dem Beispiel der asiatischen
Städte gleichfalls auf gemeinsame Kosten der Diana einen Tempel in Boni
7.U bauen.
Dazu kommt eine verfängliche Stelle im Plinius, welche von den Aus-
legern so verstanden worden, als wenn vierhundert Jahre über den Bau hinge-
8
bracht worden wären. Hieraus würde sicli ergeben, — wenn man auch die
■\Viederlierstellang des Tempels nach dem Brande in Alexander's Zeiten in die
vierhundert Jahre mit aufnähme, und von dem Tode dieses Königes, der in der
114-ten Olympias erfolgte, ziirückrechnete , — dafs die Grundlage des Baues an
siebenhundert Jahre vor unserer Zeitrechnung — in den Zeiten des Romulus
oder Numa — müfste statt gefunden haben.
Allein eine nähere Ansicht der Stelle zeiget, dafs Plinius ganz Avas anders
andeutete. Er redet von den verscliiedenen Holzarten, und saget: (16, -9.)
„IMnxhne aeternn -putnnt ehenuvi, et cupressum, cedrumque: clnro de
Omnibus iiinterüs judicio (ich lese: iiulicio) in templo Ephesine Dianae:
iitpotc cum tota Asin exstruente qundriugentis annis per actum sit , con-
venit (ich lese: conveniuntj tectum ejus esse e cedrinis trahibus. De
ipso etc."
„3Ian halt das Ebenholz, die Zypresse und die Zeder fiii- die dauerhaf-
testen Holzarten. Einen klaren Beweis von all den Hölzern giebt der
Tempel der Ephesischen Diana, als welcher durch die Beisteuer von ganz
Asien seit vierhundert Jahren vollendet steht. Denn man ist einstimmig,
dafs die Dachrüstimg desselben aus Zederbalken bestehe, u. s. w. "
Auf diese Weise, glaube ich, ist diese Stelle zu verstehen: nicht aber, dafs
vierhundert Jahre über den Bau hingebracht worden seyen. Denn in der langen
Dauer des im Bau begriiTenen Werkes liegt kein Beweis fiir die Dauer der ge-
nannten Holzarten; wohl aber beweiset die Existenz solcher Holzarten seit einem
Zeilraum von vieihundert Jahren für ihre Dauerhaftigkeit.
Deutlicher ist die gleich darauf folgende Stelle ausgedrückt, welche die
Dauer des Zypressenholzes betrifft :
„f^alvas esse e cupresso, et jmn qundringentis piope annis durare, ma-
tericin omnem novne shnileni. "
„Die Tliürilügel seyen aus Zypressenholz, und das ganze Holzwerk habe
seit beinahe vierhundert Jaluen noch das Ansehen der Neulieit."
IVIan sieht also, dafs diese Stellen auf den Zeitraum gehen, welcher seit
dem letzten Ausbau des Tempels in Alexander des Grofsen Zeiten bis auf
Plinius verflossen ist.
Es befremde nicht, dafs in der einen Stelle geradezu vierhundert Jahre,
\ind in der andern nur beinahe vierhundert Jahre vorkommen. In der erstem
bezog Plinius den Zeitraum der vierhundert Jahre auf die Zeit, worin er selbst
schrieb : hingegen bediente er sich in der zweiten der Worte des dreimaligen Kon-
suls Mucian, welcher Avährend seiner Verbannung unter dem Kaiser Claudius
in Asien lebte, und damals das neueste Werk über den Ephesischen Tempel geschrie-
ben hatte, wo der Zeitraum von vierhundert Jahren noch nicht voll war.
Einen weitern Beweis, dafs die obigen Worte des Plinius nicht auf den
Zeitraum des Baues selbst gehen, giebt uns dei'selbe Autor in einer andern
Stelle, worin er ausdrücklich und bestimmt die Dauer des Tempelbaues auf
zweihundert und zwanzig Jalue setzet '^).
Letztere Angabe ist auch mit andern Nachlichten, und überhaupt mit dem
gesammten Zustand der Baukunst bei den Griechen so übereinstinunend, dafs
wir an ihrer Bichtigkeit nicht zweifeln diirfen.
Es wäi^e nun die Frage: ob diese zweihundert zwanzig Jahre allein vom
ö) Lih. q6. c. 21. magnißcoitiae vcra admiratio exstat templum Ephesiiie Dianae duceiitis
viginti annis factum a tota Asia,
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ersten Ausbaue des Piaclitlempels vor dem Brande zu verstehen sey: oder, ob
der Zeitraum des Wiedererbaues nach dem Brande in die zweihundert zwanzig
Jalire mitbegriiTen werden müsse? —
Nach Plinius selbst sollte man glauben, als wenn er unter den zweihun-
dert zwanzig Jahren nur den Bau vor dem Brande verstehe; denn er spricht von
dem Beitrage von ganz Asien. Nun aber ist bekannt, dafs nur der Tempel vor dem
Brande auf gemeinsame Kosten der Städte Asiens erbaut -s^ard; luid dafs man die
Wiedererbaiuing nach dem Brande hauptsächlicli durch den Beitrag der ephesischen
Frauen bewerkstelligte.
Allein es giebt überwiegendere Gründe, welclie zeigen, dafs Plinius die
Zeit vom Wiedererbaue des Tempels nach dem Brande unter Alexander dem
Grofsen von dem gegebenen Zeitraum der z'weihundert zwanzig Jahre nicht
ausschliefsen wollte,
■\Vir sind nämlich im Stande, durch die Vergleichung mehrerer Stellen ver-
schiedener Autoren die Epoche der ersten Grundlage des Prachttempels näher
zu bestimmen: \voraus dann hervorgeht, dafs der Wiedererbau luiter Alexan-
der wirklich in die Rechnung der zweihundert zwanzig Jahre mitbegriiTen
werden müsse. Man höre:
Erstlich: Plinius (3G, ci.) berichtet, dafs man den Tempel in einem
sumpfigen Erdreich gründete, und zwar defswegen, damit der Bau nicht von
Erderschütterungen leiden möclite: dafs man aber, um einer so grofsen Masse
eine feste Grundlage zu geben, die Fundamente mit gestampften Kohlen, die
mit Wollenfellen überlegt A'\'urden, anfüllte.
Zweitens: Diogenes Laertius (2, 8» iQ- "^ Aristippo) berichtet das-
selbe und nennet zugleich den Künstler, welcher zuerst den Rath, die Funda-
II
monte mit Külilen zu füllen, gab. Dieser %var Theodor von Samos, der Sohn
des Rhoecus.
Drittens: Ucber Rhoeciis giebt uns Herodot die Nachricht, dafs er der
erste Arcliitekt des Ijerühmten Tempels der Juno zu Samos gewesen sey: und
von Vitruv (7. in Praefnt.) lernen Avir, dafs Theodor über das Dorische
Verhältnifs dieses Tempels einen Kommentar schrieb.
Viertens: Das nähere Zeitalter dieser beiden Künstler hilft uns Aristote-
les (de re-publ. 5, 11.) bestimmen. Er nennet nämlich den Tyrannen Poly-
crates, als denjenigen, der die grofsen Werke von Samos habe verfertigen las-
sen. Zu diesen grofsen Werken gehörte nach Herodot (a. a. O.) der Tempel
der Juno, wovon Rhoecus der Arcliitekt und Theodor der Beschreiber war.
Dergestalt wissen wir, dafs diese beiden Künstler Zeitgenossen von Poly-
crates waren. Da nun dieser Tyrann um die 64s te Olympiade sein Leben ver-
lor; so ist klar, dafs der Bau des Tempels der Diana zu Ephesus, bei dessen
Grundlage man den Theodor, den Sohn des Rhoecus, zu Rathe zog, nicht
lange vorher könne begonnen haben.
W"enn vir also von der Epoche Alexander des Grofsen, in welcher der
Tempel die zweite Vollendung erhielt, zweihundert zwanzig Jahre, oder fünf
und zwanzig Olympiaden zurückzählen; so werden wir finden, dafs die erste Grund-
lage des Tempels nicht lange vor der neun und fünfzigsten Olympias, welche Epoche
in die besten Lebensjahre des römischen Königs Servius Tullius fallt, könne
statt gehabt haben.
Atif diese Weise betraf der Ruf, v clcher von diesem Tempel bis nach Rom
gedrungen Avar, nicht den Ausbau, sondern nur seine Gründung. Indessen Avar
dies für Servius hinlänglich, den Vorstehern der lateinischen Völker den Vor-
12
schlag zn tlmn, nach dem Beispiel der asiatischen Städte gleichfalls auf gemein-
same Kosten^ der Diana einen Tempel in Rom zu Lauen.
Zu diesen Beweisen von der Epoche der ersten Grundlage des Pracht-
tempels, fiigen A-NJr noch eine Stelle aus Herodot bei, ^^o dieser Schrift-
steller, von den Weihgeschenken, die Croesus so freigebig nacli den vornehm-
sten Heiligthümern der griechischen Völker sandte, sprechend erzählt: dafs
auch goldene Külie und melirere Säulen zu Ephesus von diesem Könige als
Weihgeschenke gegeben ■worden vären ").
Croesus war also einer von den Königen, welche nach Plinius (36, 21.)
zu diesem Tempelbau beisteuerten. Uebrigens ist bekannt, dafs Croesus ein
Zeitgenosse von Servius Tullius und Polycrates von Sanios war.
Auf diese Weise entstanden in demselben Zeitalter drei der gröfsten Baue
der griechischen Völker, Diese sind nebst dem Diana -Tempel zu Ephesus,
der Tempel der Juno zu Samos unter Polycrates, und der Tempel des
Jupiter 0 1 y m p i c u s zu Athen unter Pisistratus. —
2. Zusteuer, Baumeister, und Ausbau des Tempels vor
dem Brande.
Nach Livius (a. a. O.) trugen die Städte Asiens — Civil nies Asine • —
die Unkosten des Baues gemeinscliaftlich. Plinius (iG, 79. 56, ci.) nennet in
zwei Stellen ganz Asien — totn Asia — das den Beitrag zmn Baue gab. Wei-
ter berichtet Plinius (ebcnd.), dafs einzelne Könige hundert sieben und zwanzig
'") Lib. 1, 92. K^aira $"{ tri ncii aXta maS-iifieCTU m ry, EXt'.ctli TreXt.tt' SU '^t Z^irm, «i t£ ßali
i3
Säulen beisteuerten; tmcl nach Heroclot, wie wir sahen, Avar Croesus unter
fliesen Königen, welcher den Werth von mehrern Siinlen dazu hergab.
Was die Ausdrücke: die Städte Asiens — ganz Asien — betrift; so ver-
steht es sich, dafs man nur denjenigen Theil darunter zu begreifen habe, wel-
chen Phrygien und Lycaonien von Morgen, das ägeische Meer von Abend, das
ägyptische Meer von Mittag, tmd Paphlagonien von Mitternacht einschlofs ^}.
Dieses Asien begi-ilF also liauptsächlich die Kiistenlande am ägeischen Meere
mit den nächsten Inseln in sicli, -s-^o die griechischen Kolonien sich sclion früli-
zeitig niedergelassen hatten.
PI in i US nennet die Könige, Livius die Städte, als zum Baue beisteuernd.
Diese "Verschiedenheit der Benennung darf aber niclit befremden. Denn die
Städte AAiirden damals melu" oder •weniger von einzelnen Häuptern, oder soge-
nannten Tyrannen regiert. Der mächtigste darunter war Croesus in dieser
Epoche, welcher sich auch allmählig alle seine Nachbarn auf dem festen Lande
zinsbar gemacht hatte. Fiir alle diese Völkerschaften von gleichen Sitten und
Gebräuchen war die Diana von Ephesus ein gemeinschaftliches Heiligthum.
Der Architekten des Tempelbaues waren mehrere. Der erste, welcher den
Plan zum Gebäude entwarf, war Ktesiphon von Gnossus '), der von andern ^^)
bald Chersiphron, bald Cresiphon genannt wird. Zum Gehülfen hatte er
seinen Sohn Metagenes ^^), der nicIit mit einem andern Baumeister gleichen
9) Solin. C. 4o. mit den Noten des Salmasius.
9) fitr. lih. 7. in yraej.
i<^) Flin. ebend. und Stroh, lih. \/^. pag. 640.
I I) P'itj-. cLend.
i4
Namens zu verwechseln ist. Lelztercr mit dem Beinamen Xypetius aus At-
tica, setzte im Innern des Eleusinisclien Tempels, der in den Zeiten des
Pericles erbaut Avurde, die zweite Saulenordnung auf ' ^). Folglich mufste
er später als der Sohn Ktesiplion's gelebt haben.
Ob Theodor v^on Samos, welclier den Rath gab, Kohlen in die Funda-
mente zu legen, aucli einen -svcitern Antheil am Baue hatte, ist nicht bekannt.
Wie weit selbst Ktesiphon den Baii geführt habe, läfst sich durch eine
Stelle im Vitriiv (lo, 6.) errathen. Er erzählt umständlich die sinnreiche Art,
welche Ktesiphon erfand , um die Säulenschäfte von dem Marmorbruche , den
der Hirt Pyxodorus, in einer Entfernung von achttausend Schritten von der
Baustelle entdeckt hatte, nach derselben hinzuschaffen.
Die jetzt noch üblichen Walzmaschinen , deren man sich bedient, um die
Gartengänge eben und fest zu machen, sind eine Nachbildung dieser Erfindung.
Weiter meldet Yitruv: Als nun der Transport der Hauptbalken bevor-
stand, wandte Metagenes, der Sohn des Ktesiphon, die nämliche Erfindung
auch auf das HerbeischaiFen der Ilauptbalken an, indem er zwölf Schuh hohe
Räder verfertigen liefs, und die Hauptbalken, gleich Achsen in denselben be-
festigte u. s. w.
Diese Nachricht also, dafs der Sohn, und nicht der Vater, das Herbei-
schaffen der Hauptbalken besorgte, läfst mit Reclit vermuthen, dafs der Vater
das Auflegen des Gebälkes über die Säulen nicht erlebte.
riinius (a. a. O.) scheint zwar dieser Vernmthung zu widersprechen.
Denn, indem er von der Schwierigkeit redet, welche das Auflegen so grofser
I -) Plutatch. in rciiclc c. i"). cdit. Reis^.
i5
Balkenstücke über die Säulen, haben nuifste, glebt er uns von einer andern
sinnreichen Art Nachricht, deren sich hiebei Ktesiphon bedient haben soll.
Wir Verden nachlier timständliclier davon reden. Indessen hat hierin Vitruv
mehr Autorität als Plinius. Denn dieser nennet forthin den Ktesiphon, als
den einzigen Architekten. Jener hingegen giebt uns über diesen Punkt genauere
Nachrichten, indem er niclit nur des M etagenes, sondern auch noch anderer
Architekten, Avelche nach Metagenes dem Baue vorstanden, erwähnt. Auch
hatte Vitruv noch die Schrift des Ktesiphon und Metagenes vor sich,
welclie sie gemeinschaftlich über die ionischen Verhältniese dieses Tempels be-
kannt machten.
Die beiden Arcliitekten , Avelclie den Tempel vollendeten, waren, wie
Vitruv (ebenda) berichtet, Demetrius, ein Diener der Diana, und Poeo-
nius von Ephesus. Es versteht sich, dafs hier von der Vollendung des ersten
Tempels die Rede ist; denn der Baumeister, welclier den Tempel nach dem
Brande wieder herstellte, hiefs Dinocrates. Indessen macht hier eine Stelle
des Strabo (14, p.6.|0.) einige Schwierigkeit. Auch er nennet den Ktesiphon
als den Baumeister des Tempels; setzt aber sogleich bei: „ein anderer machte
ihn hernach gröfser" (fiT aXKog sZQWfrs f/fi^w.) Und zwar soll diese Vergrofse-
rung vor dem Brande durch Her ostrat us gescliehen seyn. Allein ein jeder
sieht, dafs eine solche Abänderung niclit hätte vorgenommen werden können,
ohne den Plan Ktesiphon s im Wesentlichen zu zerstören; dann aber würde
es nicht mehr der Bau Ktesiphon's, sondern dessen, der die Vergröfserung
machte, gewesen seyn. Allein weder von einer Vergröfserung, noch Abänderung
des Ktesiphontischen Baues bis auf den berühmten Brand kommt eine Spur
bei einem andern Sclu-iftsteller vor. Auch bcAveiset das Nichtnennen des
i6
andern Architekten und das Stillschweigen über die Umstände, -welche eine
solclie Abänderung veranlafst haben möchten, die Flüchtigkeit der Straboni-
sclien Nachricht. Vitruv, -welcher niclit nur den Begründer und den Fort-
setzer, sondern auch die Vollender -des grofsen Baues vor dem Brande nennet,
verdienet hierin ungleich mehr Glauben. Wahrscheinlich verwechselt hier Strabo
die Fortsetzung des Baues nach dem Tode Ktesiphon's durch andere Archi-
tekten mit neuen Planen von Vergröfserung.
Aber in -welcher Zeit geschah die Vollendung des Ktesipkon tischen
Tempels? —
Dies mögen uns folgende Umstände ungefähr errathen lassen.
Erstlich: Vitruv berichtet, dafs Poeonius, welcher den Tempel von
Ephesus vollenden half, auch Architekt des Apollotempels zu Milet -war-.
Nun ward der ältere Tempel dieses Gottes, zusammt der Stadt unter Darius I.
um die 7ite Olympias zerstört, und die libriggebliebenen Einwohner in das In-
nere des persischen Reiches abgeführt. (Heroclot. VI. i8, 19-^ Es ist daher
keinesweges wahrscheinlich, dafs die Milesier so bald wieder einen Bau unter-
nehmen konnten, welcher nach Vitriiv fy, in -jornef.) zu den vier gröfsten und
prachtvollsten der griechischen Völker gehörte. Mit Zuverlässigkeit läfst sich
also annehmen , dafs Poeonius erst diesen neuen Bau übernahm , als er den
Ephesischen schon vollendet hatte. Man bemerke zugleich dabei den Umstand,
dafs der Tempel von Milet, nach dem Beispiel des Ephesischen, in ionischer
Bauart errichtet ward ^^).
13) Vitruv cLendaselljst. Die norli vorhandenen UeLeibleibsel siehe: Ion. nntuj. tr>m. L
17
Zweitens: kommt bei Macrobius (Saturn. 5, 22.^ die Nachricht vor:
die Ephesier hätten bei der Einweihung des Dianatempels grofse Pieise für
den besten Lobgesang auf die Göttin ausgesetzt; und er führt bei dieser Ge-
legenheit ein Fragment an, worin des Miisikers Timotheus gedacht -wird.
Diese Preisaussetzung kann nicht die Weihe des Tempels nach dem Brande
betreiFen, sondern mufs auf die erste Weihe vor dem Brande gehen. Denn
Timotheus lebte zugleich mit Euripides um die gite Olympias am Hofe
des macedonischen Königs Archelaus ^ "•).
Nun pflegte aber die Weihe eines Tempels nach seiner Vollendung zu ge-
schehen. Auf diese Weise liefse sich das Zeitalter des ersten Ausbaues des
Tempels ungefähr enathen. Ich sage ungefähr: weil wir nicht wissen, ob
Timotheus vor , oder nach seinem Aufenthalt in Macedonien bei der Weihe
des Tempels in Ephesus gegenwärtig war. So viel läfst sicli indessen hieraus
folgern, dafs die Vollendiuig des Tempels nicht wolil lange vor der neunzigsten,
und nicht wohl später als die hundertste Olympias statt haben konnte.
Andere Angaben, den Ausbau näher zu bestimmen, finde ich nicht. Auf
jeden Fall sieht man aber, dafs der Tempel nur durch eine unbedeutende Zeit
vollendet gestanden haben konnte, als es dem Herostratus einfiel, durch die
Einäscherung eines so berühmten Gebäudes seinen Namen zu vei-ewigen.
3. Wiederlierstellimg des Tempels nach dem Brande.
Die Zeit des Brandes ist genau angegeben. Er geschah im ersten Jahre der
hundert sechsten Olympias in der Nacht, als Alexander geboren "\vard. Cicero "^ ^)
14) Pliitarch. Apophtheg. FI. p. 6jß, und an seni sit ger. resp. I.V. p 175. edit. Reisk.
iS^ De nat. deor. Lih. 2. c. 27.
i8
li.it uns darüber einen witzigen Einfall des Historikers Timaeus aufbehalten.
Es Avare namlicli kein Wunder, dafs der Tempel um diese Zeit verbrannte, da
eben Diana von Hause abwesend war, um der Olympias in der Geburt bei-
zustehen. Dasselbe führt auch Plutarch an; doch eignet er den Einfall niclit
dem Timaeus, sondern dem Hegesias von Magnesia zu '").
Welchen Schaden der Tempel durch den Brand erlitt, liifst sich nicht genaii
angeben. Nach Strabo (14, 640.) stand er ohne Dachung. Audi konnte nicht
-v\old was anders, als die Daclirüstung verbrennen, da das übrige von Marmor
erbaut war. Indessen mochte doch auch manches durch Kalzinirung des Mar-
mors an dem Gebälke iind selbst an den Säulen beschädigt worden und dies
die Ursache seyn, dafs die Ephesier die Säulen, welclie im Brande zu viel ge-
litten haben mochten, verkauften, um das daraus gelöste Geld zum Wiedererbau
zvi vei-wenden. Aber es ist nicht wahrscheinlich, dafs, Avie Strabo anzugeben
scheint, die Säulen des allen Tempels überhaupt weggenommen und veräufsert
worden wären. Denn wie wäre es wohl möglich gewesen, einen solchen
Praclittempel wäluend der kurzen Lebenszeit Alexanders wieder von neuem
aufzubauen, da man zum ersten Bau durch die Beisteuer von ganz Asien wohl
viermal so viel Zeit brauchte? — besonders da jetzt die Ephesier die Wieder-
herstellung des Tempels blofs aus ihren eigenen Mitteln und dem Beitrag der
Kostbarkeiten ihrer Frauen besorgten. Nach Timaeus sollten sie zwar die
im Tempel niedergelegten Gelder der Perser dazu verwandt haben; aber
Artemidorus läugnet bei Strabo die Existenz solcher Depositengelder aus-
drücklich.
^ ^) Li Alcxandio c. 3. pci°'. ß. edit. Reisk.
19
Ueberdem -ward der Tempel auch nach der Herstelhing von allen Schrift-
stellern dem Architekten Ktesiphon, und nicht dem Wiederhersteller Dino-
crates zugeschrieben: welches aber lacherlich seyn Aviirde, -wenn letzterer ihn
bei dem Wiederaufbau in den wesentlichsten Theilcn verändert hätte. Dafs
aber die Vollendung der Wiederherstellung noch bei Lebzeiten .\lexander's «^e-
schah, geht ziun Theil aus dem Anerbieten her-vor, -welches dieser Koni"- den
Ephesiern machen liefs, ilmen alle Unkosten der Restauration zu erstatten, mit
der Bedingung, dafs sie seinen Namen auf den Tempel einschrieben. Ein
Ephesier lehnte aber dies Anerbieten mit der feinen Ant-vvort ab: Es zieme sich
nicht, dafs ein Gott andern Göttern Weihgeschenke mache. Zum Theil erliellet
die Beendigung auch aus dem, dafs Alexander den Architekten, welcher den
Wiederaufbau besorgte , nachher zur Ausführung anderer grofser Bauwerke
gebrauchte.
Dinocrates, dessen Namen man bald Dinochares, bald Chaeronio-
crates, bald Stasicrates geschrieben findet ^"), ist daher blofs als der Wie-
derhersteller des alten Tempels, nicht aber als der Erbauer eines neuen anzu-
sehen.
Dinocrates war übrigens ein kühner und grofser Architekt. Alexander
bediente sich seiner, um die Anlage von Alexandrien in Aegj'pten zu ma-
chen ^ ^). — Nach Plutarch ^ ') Avar er auch der Erbauer des Monumentes
I T) Straho loc. cit. Flut, in Alexand. c. 72. p«^. ij8- Vitr. 2. in pracf. Plin. 7, 37.
SoJinus c. t\o.
^^) loc. citatis.
I 3) loc. cit.
o
20
für Hephaestion zu Babylon. Dafs er aber nacb Plinius (34-, 52.) später-
liin noch Arcliitekt des PLolomaens Philadelphus ge"\vesen sey, ist schwer
zu glauben.
Nach Strabo (a. a. O.) und Solinus (c. 40.) hatte der Tempel durch die
Wiederherstellung nacli dem Brande an Pracht und Ansehen gewonnen. Dies
glauben wir leiclit, da die Künste bei den griechischen Völkern damals ilircn
Gipfel erreicht hatten. Indessen mögen diese Vorzüge mehr plastisch, als archi-
tektonisch gewesen seyn. Denn die Form, die Anordnung und das Gröfscn-
maafs des Tempels konnte durch die Restauration nicht leicht eine Haupt-
abänderung erleiden, olme den ganzen alten Bau zu zerstören; -welches aber
aus den bereits angegebenen Gründen keinesM^eges ^vahrscheinlich ist. Dagegen
mochte dem Restaurator ein grofses Feld für die Verzicrungstheile übrig blei-
ben. Hiezu reclmen wir hauptsächlich das Kranzgesimse, das Giebelfeld, die
Acroteria, imd dann den ganzen innern Ausbau, nebst der Aufstellung so vieler
Meisterwerke der grofsten Bildner und Mahler, sowohl aus dem Zeilaller
Alexander's, als aus den frühern Epoclien,
Soviel über das Geschichtliche dieses berühmten Tempelbaues im Allge-
meinen.
21
II. ABSCHNITT.
VV ir vollen nun die architektonische Darstelliing des Baiies näher Avürdigen
und sehen, ^yarum dieser Tempel verdient habe, unter die Wunderwerke der
Kunst gesetzt zu ^verden.
Selten möchte es bei einem andern Gebäude, ■wie bei diesem, gelingen,
eine in den wesentlichsten Theilen evident richtige Darstellung geben zu können:
bei einem Gebäude, wovon man jetzt keine Spur mehr entdeckt, und die Nach-
richten aus so vielen Schriften zusammensuchen miifs.
Gnmdrifs des Tempels Taf. I.
I. Das Pteroma, oder die äiifsere Säiilenstellung.
Vitruv (5, 1.), wo er von den regulären Tempelformen der Griechen
spricht, fülirt den Tempel der Diana zu Ephesiis, von Ktesiphon erbaut, als
Cluster eines Dipteros auf; das ist: eines Tempels, der an jeder Fronte acht,
an jeder Seite, die Ecksäulen mitgerechnet, fünfzehn, und ganz um das Tempel-
liaiis lier eine doppelte Reilie Säulen hat.
11
■\Veiter giebt uns Plinius (56, !:i und 56.) folgende Nacluiclit von Tliei-
len, Maafsen und VeiliHltnissen:
Die Breite des Tempels betrog - - - sco'. Fufs
Die Länge ... - - 4.25'. —
Die Höhe der Säulen - - - - Go'. —
Die untere Säulendicke hatte ein Achtel der Säulenhölie.
Die Verjüngung der Säule betrug ein Siebentel der untern Säulendicke.
Zuerst erschien hier eine Säulenbase, welche die Hälfte der untern Sävilen-
dicke zur Höhe hatte.
Zuerst ward das Kapital mit den Schnecken in der Fronte und mit
Polstern an den Seiten — welches man dann das ionische nannte, gebraucht:
nach Vitruv (4, 1.) ein Drittel der untern Säulendicke hoch.
Aus diesen bestimmten Angaben lassen sich noch folgende durch einen
leichten Kalkül ziehen :
Erstlich, dafs die untere Säulendicke 7 Fufs 6 Zoll beti-ug.
Zweitens, dafs die Säulenz^vischenweite soAvohl in der Fronte, als an den
Seiten 22 Fufs 1 Zoll ausmachte : ausgenonunen die mittelste an der Vorder-
und Hinterseite, welche 24. Fufs 2 Zoll betrug.
Drittens, dafs der Vorsprung der Basen 16 Zoll ausmachte, und also die
ganze Breite der Base 10 Fufs 2 Zoll betrug.
Viertens, dafs die Seitenflügel gerade 15 Säulen — die Ecksäulen mitge-
rechnet — hatten, so wie die Vorschrift Vitruv's bei jedem regulären Dipte-
10s es erfordert.
Fünftens, dafs in Rücksicht der Zwischenweiten jene Gattung herauskommt,
welche Vitruv (3, 2.) Diastylos nennet, und wie sonderbar! — Vitruv, von
23
der Zwischenweite Diastylos sprechend, führt einen Tempel der Diana als
Beispiel an: aber von welcher Diana, stellt nicht im Text. Indessen, da er im
voihergelienden Kapitel vom Dianatempel zu Epliesus, und zwar znlelzt sprach,
und die Zwischenweite nach der Berechnung so genau eintrifft: \^elch andern
Tempel konnte er anders gemeint haben, als den berühmtesten, den der Diana
z,u Ephesus? —
Nach diesen vorgesetzten unumstöfslichen Angaben kann über die Anord-
jitmg des Pteroma oder der äufsern Säulengänge umher kein Zweifel oljwalten.
2. Anordnung im Innern des Tempelliauses.
Weder Vitruv noch Plinius lehret uns etAvas Näheres über die innere
Einrichtung des Tempelhauses. Wir wissen nur im Allgemeinen, dafs das In-
nere aller regulären Tempel mit Flügeln, in Zelle, Vorzelle und Nachzelle
(naos, -pronnos und opisthodoinusj eingetheilt ward. Folglicli schliefsen wir mit
Fiecht, dafs der Tempel von Ephesus, den Vitruv unter den regulären Tem-
peln als Vorbild anführt, eine solche Eintheilung gehabt habe.
Zweitens kommt uns zufällig eine Stelle im Pausanias (5, 12.) zu Hülfe,
aus welcher wir lernen, dafs der Epliesische Tempel, gleich dem Tempel des
Jupiter zu Olympia, zu der Gattung der Hypaethren gehörte; das ist: zu jenen
Tempeln, deren mittelster Theil der Zelle unbedeckt war, und welche zu bei-
den Seiten von der Mauer abstehende Säulenreihen hatten. (Vitr. 5, 1.)
Der unbedeckte Theil der Zelle pflegte mit prachtvollen Decken überzogen
zu werden, um darunter gegen Sonne und Regen geschützt zu seyn.
Die Decke zu Olympia war ein schön verziertes assyrisches Gewebe aus
24
■\Volle, (He in Lyrischem Furpur gefärbt war: ein Weiligeschenk des Königes
An tiochus.
Diese Decke, sagt Pausanias nun, ward nicht nach Art desjenigen im
Tempel der Diana zu Eplicsus, zur Dachung hinan in die Hohe gelioben, son-
dern an Stricken alhnählig auf den Fufsboden niedergelassen. (Siehe die An-
merkung am Ende der Abhandlung.)
Der Gebrauch eines Ueberhanges im Innern des Ephesischen Tempels zeiget
also an, dafs er zu der Gattung der Hypaethren gehörte: und daher aucli im
Innern der Zelle rechts und links Sciulengänge hatte, und ZAvar nach Art aller
Hypaethren zwei Tieihen Säulen übereinander. Diese Stellung der Säulen über-
einander fordert nicht nur die Lehre Vitruv's, sondern -svir sehen noch eine
solche Anordnung in dem grofsen Tempel von Paestum, dem einzigen Hy-
paethrüs, avo dieser Theil sich erhalten hat '°).
Dafs der ephesische Tempel zu der Gattung Hypaeihros gehörte, ergiebt
sich auch aus der grofsen Anzahl von Säulen, >yelche zum Tempel gehörten,
und nur bei einem Hypaethros statt haben konnten. Nach der Angabe des
riinius schenkten einzelne Könige hundert sieben iind zwanzig Säulen hiezu ^').
Unter diesen Königen -war Croesus, der, wie wir oben nach Herodot be-
merkten, den Werth melu-erer Säulen hiezu beitrug.
Indessen hat sich durcli die Abschreiber in die Zahl CXXYII. ofFenbar ein
Fehler ein""eschlichen. Eine ungleiche Zalil von Säulen kann in keinem regu-
lären Tempel statt finden. Doch ist der Verstofs nicht beträchtlich. Der
c) Antlchitä di Pcsto dal P. PaoU.
2 1) Cülumnae CXXf'II. a sin^ulis regihu! ßictne. 1. 3(5. c. 2i.
25
Zusatz eines einzigen I. bringt alles ^vieder in's Gleicllge^vicl^t : denn 123 ist
gerade die Zahl der Säulen, welche die Anordnung des Baues erforderte. (Man
sehe den Plan Taf. I.)
Das Pteroma entliielt - - - - - 76 Säulen.
Das Pronaos -..--■ 5 —
Das Opislhodomus . - . - . 2 —
Die zwei Reihen in der Zelle, jede Reihe von 11 Säulen 22 —
Die zwei obern Reihen eben so viel - - - 22 —
Ganze Zahl 123 Säulen.
Was die Eintheili^ng der Zelle, Vorzelle und Nachzelle zu einander betrifft,
■waren die Verhältnisse, welche Vitruv (4, 4.) zur Einrichtung dieser Theile
vorschreibt, niclit strenge zu befolgen, weil darnach die Zelle zu Idein, und
die Nachzelle zu gi-ofs ausfallen würde. Indessen haben wir in dieser Einthei-
lung uns dem Vitru vischen Verhältnifs so viel möglich zu nähern gesucht,
und genau das vorgeschriebene Verhältnifs zwischen Zelle und Vorzelle , worauf
es wesentlich ankommt, beibehalten.
Desgleichen gaben wir den Säulen in der Zelle jenen Abstand von den
Seltenw änden , welcher in solchen Fällen den besten Vorschriften und Mustern
entspricht. Auch erhielten die Säulen jene Stärke und jene Zwischenweite, wie
sie zum Aufsetzen einer z^^eiten Ordnung und zu erforderlicher Totalhöhe
passen.
Die Säulenstellung in der Vorzelle und Nachzelle ist dieselbe wie im
Pteroma.
Einen Thcil des Innern — zwischen der Zelle und Nachzelle — liabe ich
theils für die Nische der Hauptstatue, iheils für die Eingänge und. Treppen,
4
2Ü
theils für die Wohnung eines Tenipelliüters und auch für solclie verschlossene
Räume, avo die Gelder und Schätze, Melche man dem Tempel zur sicliem Auf-
be-\vahrung vertraute, niedergelegt -wurden, bestimmt.
Vitriiv giebt zAvar den Ort der Aufstellung der Hauptstatue nicht an. Und
duich diese Nichtangabe sind die Neuern zu sonderbaren Ideen in Rücksicht
der Errichtung der Statuen in den Hypaethren veranlafst Avorden.
Man glaubte, dafs, weil der mittelste Raum der Zelle unbedeckt gewesen
sey, auch das Bild der Gottheit im Unbedeckten stehen müfste. Allein man
darf erstlich nur bedenken, dafs an mehreren der vorzüglichsten Statuen in
Hypaethren, wie am Jupiter des Phidias zu Olympia, und an der Minerva
desselben Meisters zu Athen, die nackten Theile aus Stückchen von Elfenbein
zusammengesetzt waren. Wie leicht wären aber solche Meisterwerke im Freien
dein Verderben luiterworfen gewesen? Zweitens lese man die ziemlich ausführ-
lichen Besclireibungen genannter beiden Statuen in Pausanias (i , 24. und
5, 11.), imd in Plinius (36, 4, 4-.)> ^ii'^ "^^" wird finden, dafs an diesen
grofsen Gotleibildem nichts bemerkt wird, welches verriethe, dafs man sie habe
umgelien, und von der Rückseite sehen können. Ein solches Stillschweigen in
jenen Beschreibimgen wäre aber nicht denkbar, wenn die Statuen in der Zelle
frei, und mit der Rückseite nicht gegen eine Nische gestanden hätten. Noch
mehr: wie hätte Strabo (3, p. 553.) von der Gröfse der Jupiters -Statue zu
Olympia sprechend, sagen können: „Der Gott würde, wenn er aiifstünde, die
Decke wegheben ; " wenn die Statue niclit in einer sie bedeckenden Nische auf-
gestellt gewesen wäre? Zur anscliaulichen Ueberzeugung endlich hat sich die
Spur einer solchen Nische von quadrater Form in dem grofsen Tempel von
27
Paestum erhalten. Ich habe selbst die Sache an Ort lind Stelle verifizirt, und
auch die Risse, -welche P, Paoli herausgab (Tav. 13.), zeigen sie an.
Die Hauptthiire v^on der Vorzelle her fiihrte in das mittlere ScliiiT der
Zelle und war also der Hauptstatue der Gottheit gerade gegenüber. Wir haben
in dem Grundrisse die Breite derselben nach den Verhältnissen aneeseben.
Do '
■welche Vitruv (4., 6.) bei diesem Theile des Tempelbaues vorschreibt. Nach
diesem Autor (3, 1.) hatte aber der Hypaethros aucli Thüren von der Nachzelle
her, und diese Vorschrift Vitriiv's ist zum Theil Ursache, -warum einige
glaubten, die Hauptstatue müfste nicht in einer Nische, sondern in der Mitte
der Zelle unter freiem Himmel gestanden haben. Allein diese Hinterthüren
giengen nicht nach dem mittlem SchifFe, sondern nach den Seitenschiffen und
den Treppen, -welche nach den obern Gängen der SeitenschlfFe und dann unter
das Dach führten. Auf solche Weise mufsten auch im Tempel zu Olympia die
Hinterthüren, von denen Pausanias spricht, angeordnet seyn; und die Reliefs,
■welche die Thaten des Hercules vorstellten und über den Thüren so-^vohl
der Vorzelle, als der Nachzelle angebracht waren, sind nicht als Verziei-ungen
der Thüren zu nehmen, sondern als solche, welche über der ganzen Breite der
Wand an dem innern Friese hinliefen. Dies erhellet schon aus der Menge der
allda abgebildeten Gegenstände, welche die blofse Breite einer Thüre nicht
hätte fassen können. Auch kommen noch mehrere griechische Monumente vor,
■woraus man sieht, dafs solche verzierte Friese über den Zellenmauern theils im
Pteroma, theils im Innern der Vorzelle und Nachzelle nicht ungebräuchlich
waren.
Eine solche Anordnung in den Hypaelhren könnte indessen nach einem
Risse, der von dem Tempel des Jiipiter Panhellenius zu Aegina in den
4 *
23
ionischen Altertluimcin (Tom. II. PL III.) gegeben ist, bezweifelt werden. Audi
dieser Tempel ist ein Hypaethros, "wie die darin angebracliten SeitenschifFe zei-
gen, und nach dem gegebenen Plane finden sich Thüren von der Vorzelle und
von der Nachzelle her, die einander gegenüber liegen. Die englischen Heraus-
geber machen hiebei keine Bemerkung. Allein es ist mehr als wahrscheinlich,
dafs dieser Tempel, wie so viele andere, zur Zeit des Ueberganges der Volker
von der alten Religion zur christlichen, in eine Kirclie vei-vvandelt \iard. Bei
solchen Umwandlungen wurden dem neuen Gottesdienst gemäfs nicht selten die
alten Mauern theils durchschnitten, theils ganz abgetragen und statt derer neue
aufgefülirt. Bei diesem Tempel wird eine solche Umwandlung desto wahr-
scheinlicher, da die OelTnung in der Hintermauer nicht in der Mitte, sondern
etwas seitwärts liegt; ein Verstofs, der bei der ursprünglichen Anlage und Ein-
richtung eines Tempelhauses nicht denkbar ist. Man würde daher sehr Unrecht
tliun, mit diesem Monumente gegen die Gründe aufzutreten, welche wir für
die Einrichtung der Hypaethren aufstellten.
Aeufserlich lief um den Tempel eine Treppe von zehn Stufen, wie ein
Fragment von Philo von Byzanz angiebt, fde septcin oybis spectnculis png. 18^.
So viel zur Bestimmung und Rechtfertigung des hier vorgelegten Giund-
risses des Ephesischen Tempels , woraus einleuchtend hervorgeht : dafs er
„ein ionischer Dipteros, Octastylos, Diastylos, Hypaethros"
war, und zwar nach Vi tru vischen Vorschriften von grofser Regulärheil.
Defswegen V i t r u v diesen Tempel in mancher Rücksicht als Vorbild vor
sich hatte.
. ^9
AiiMfs des Tempels Taf. II.
wir gehen nwn zxvr Betrachtung des Aufrisses über, mit der genauen An-
gabe der Theile und der Verhältnisse, welche uns bei der Zeichnung desselben
leiteten.
i) Der Tempel ruhet auf einem Unterbaue von zehn Stufen: vie hoch
aber jede dieser Stufen war, giebt Philo nicht nn. Nach dem Beispiele ande-
rer Monumente haben wir jeder Stufe die Hohe von sechs Zoll gegeben. Der-
gestalt erhält der ganze Unterbau eine Höhe von fünf Fufs.
2) Der ionischen Base, ^velche an diesem Bau zuerst erschien *^), theilen
wir nacli der Lehre Vitruv's (3, 5.) die Hohe von einem halben Durchmesser
der untern Säulendicke zu; und in der Zeichnung dieser Base hielten wir uns
an die noch vorhandenen Basen des Apollotempels zu Milet, den Poeonius
erbaute ^^); obwohl sie in einigen Theilen, worin sie von der Vitruvisch-
ionischen Base abweicht, weniger schön, als die Vitruvische zu seyn
scheint.
5) Der Säulenstamm hatte eine Höhe von 60 F'^fs, dessen Verjüngung ein
Siebentel der untern Dicke betrug ^'').
Dafs die Säulen kannelirt waren, bemerkt Vitruv ausdrücklich, und zwar,
als wenn die Kannelirung an diesem Bau zuerst gebraucht worden Aväre ^').
2 2) Plbi. 56, 5Ö. und Fitr. 4, 1.
23) Jon. antiq. Tom. I. c. III.
24) Vlin. loc. cit.
25) 4, 1.
30
Es gab nach Vitriiv und nacli den Monumenten zwei Alten der Kannelirung:
die eine, mit flachen Vertiefungen und scharfen Stegen, war für die dorische,
tmd die andere mit halbzirkeligen Vertiefungen und breiten Stegen für die
ionische Bauart ^'^). Letztere müssen wir also auch hier annehmen.
Nicht alle Säulen, deren Zahl Plinius angiebt, waren indessen von 60 Fufs
Höhe. Diese Höhe hatten nur diejenigen im Pteroma und in der Vorzelle und
Nachzelle. Die Säulen in der Zelle waren ungleicli niedriger, wie wir ausführ-
lich bei der Einrichtung des Grundrisses bemerkten.
Hiemit sind wir aber noch nicht zu Ende. Es kommt in Plinius noch
eine andere Stelle in Hinsicht auf die Säulen %'or, welche den Auslegern viel
zu rathen gegeben hat.
Ich setze sie ganz her:
„Coluituine CXX.VII a singulis regibus factae, LX -peduin nltitudine:
ex his XXX f^I caelatae, una a Scopn." (andere Lesearten geben: uno
n Scopn.) Gewöhnlich wird der letztere Theil dieser Stelle so ver-
standen: „von diesen Säulen waren sechs und dreifsig geschnitzt, eine
von Scopas."
Die Frage: ob der Bildhaiier Scopas, der in der sieben und achtzigsten
Olympias geblüht haben soll *'), der nämliche sey , welcher nach der hundert
zweiten Olympias das Mausoleum '^^) verschönern half: oder ob man zwei
Bildner gleiches Naniens annehmen müsse? können wir hier um so füglicher
2 7) Plin. 34, 19.
»8) riin. 36, 4, 9,
3i
übergehen; da wir uns, "wie wir wollen, eine solche Säule vor oder nach dem
Brande von Scopas geschnitzt, denken können. Aber wo winden je Säulen an
einem Gebäiide mit Schnitzwerk verziert? Dies geht höchstens bei einzeln auf-
gestellten Ehrensäulen an, so wie die von Trajan iind von Markus Aurelius
in Rom. Allenfalls könnte man hiebei auf den Gedanken kommen, dafs Pli-
nius hierunter Atlanten oder Karyatiden bezeichnen wolle. Allein dies anzu-
nehmen, verbietet sclion das Woit caelnre , welches nicht von runden Stand-
bildern, sondern blofs von erhobenen Arbeiten gebraucht wird. Indessen nehme
man auch für einen Augenblick an, dafs geschnitzte Säulen oder Statuen, die
den Dienst der Säulen thaten, vorhanden gewesen seyen: — wo sollte man diese
Sävüen aufstellen? — Ohne Zweifel in das Innere, in die Zelle. — Gut! Allein
wenn wir im Innern für die untere und obere Säulenordnung zusammen nur
36 Säulen rechnen, so Averden Avir die Totalsumme der von Flinius angegebe-
nen Säulen nie herausbringen. Füllen Avir aber das Innere mit Säulen bis zur
erforderlichen Zalil; so Averden wir immer geschnitzte und nicht g-?schnitzte
Säulen mit einander vermengen müssen: Avelcher Misstand allerdings nicht
denkbar ist.
Doch genug über das Unzulässige einer Stelle, wie sie jetzt im Plinius
steht. Eine geringe Abänderung, die den itrsprünglichen Text wieder herstellt,
hebt alle SchAvierigkeit. Man lese: Ex his XXXf^I caelntne uno e scapo —
anstatt unn a Scopa — so ist die ganze Sache klar. Von diesen (60 Fufs hohen)
Säulen Avaren 36, deren Schaft aus Einem Stück — uno e scnpo — gehauen
war. Das Wort cnelare ist hier in seinem AveitesLen Sinne genommen, avo es
blofs das Bearbeiten der Säulen mit dem Meifsel ausdrückt. Vielleicht wollte
Plinius hiemit noch den Sinn der Kannelirung verbinden. Und ist es etAva
32
niclit bemerkensM-eith, clafs unter den 60 Fufs hohen Säulen 36 ^varen, deren
Schaft ans Einem Block IMarmor bestand? — Mit Vergnügen sehen wir, dafs
Winkelniann in seiner Geschichte der Kunst (9, c.) den Text des Plinius
bereits auf dieselbe Weise, wie -vvir, gelesen und verstanden hat.
Die gröfste Säule aus Einem Stück in den noch vorhandenen Denkmälern,
die ehedem im Friedenstempel zu Rom -war, und jetzt vor S. M. innggiore er-
richtet steht, ist noch nicht vollkommen fünfzig Fufs hocli. Nur Ehrensäulen,
A^ie die noch stehende bei Alexandria, welche nach der neuerlich auf dem
Piedeslal entdeckten Inschrift zu Ehren Diocletian's errichtet ward, und
einiae Obelisken waren beträchtlichere Massen aus Einem Blocke.
Nach unserer Auslegung fällt also das Wunder so vieler mit Bildwerk ver-
zierten Säulen weg, und statt dessen tritt das an einem Bau nie gesehene Wun-
der der Massen ein. —
4) Das Kapital der Säulen war an diesem Bau zuerst mit Schnecken an
den Fronten und Polstern an den Seiten verziert. Seine Höhe — vom Ablauf
des Schaftes an gemessen — betrug ein Drittel der untern Säulendicke ^').
Wir lialicn in unserer Zeichnung das schöne ionische Kapital von Milet nach-
gebildet 3 0).
5) Das Gebälke hat ungefähr ein Fünftel der Säulenhöhe. Der Architrav
ist von dem zu Milet und Fries und Hauptgesimse von dem Gebälke des
Mincrvatcmpels zu Priene entlehnt ^ ').
2 9^ Vit: UV. uiifl Pliniui a. a. O.
30^ Jon. antiq. Tom. I. Chup. III.
31) Ebenda. Chnp. II. und III.
33
6) Die Giebelhöhe und die Uebersätze C'icroterinJ sind nach den Verhäll-
nissen, -welche Vitruv (3, 3.) für die ionische Ordnung vorschreibt, angegeben,
lieber die Verzierungen im Giebelfelde und die acroteria nachher.
In Rücksicht des Gebälkes kommt noch eine wichtige Stelle im Plinius
vor, -welche um so mehr einer nähern Anzeige bedarf, da sie bis jetzt ron den
Auslegern sehr mifsvers landen Avard.
Sie heifst: (56, fii.)
„Suimna miracula epistylia tnntne inolis attolli potuisse. Id conse-
cutus est nie (CtesiphoTi) aeronibus nrena plenis , rnolli clivo super
capita colunniarwn exaggernto, pnulnthn exinaniens iinos, ut sensim opus
in cuhili sederet. Difßcillvne id contigit in limine ipso, quod foribus
hnponebat ; eteniin linec innximn nioles fuit: nee sedit in cubili , nnxio
artißce, mortis destinntiotte supremn. Traduntque in ca cogitatione Fes-
sum nocturna tempore in quiete vidisse prnesentein denm, cui templum
ßebat, liortnntem ut viveret: se composuisse Inpidem: atque ita posier o
die adpnruit, et pondere ipso correctus videbntur."
„Höchst zu be-\%iindern ist, wie Hauptbalken von solcher Gröfse auf-
gelegt -sverden konnten. Dieses erreichte der Architekt (Plinius nennet
ihn Ktesiphon, obwohl es nach unserer oben bereits gemachten Be-
merkung eher sein Sohn M et a genes war) dadurch, dafs er vermittelst
Säcken aus Schilf, die mit Sand gefüllt waren, eine Art -weicher Polste-
rung, höher, als die Kapitale der Säulen, veranstaltete. Aus den unter-
sten liefs er allmählig den Sand ausrinnen, dafs der Balken sich nach
und nach in sein Lager setzte. Besonders schwierig war das Auflegen
des Sturzes über die ThürolTnung, weil dies die gröfste Masse war.
5
34
Audi schien der Stein niclit sein gehöriges Lager nehmen zu wollen,
welclies den Architekten sehr iingsligle, indem die Todesstrafe auf das
Mifslingen angedroht war. Und wie die Sage geht: soll er endlich über
diesen Gedanken ermüdet eingeschlafen, imd ihm die Göttin selbst, für
•welche er den Tempel baute, nächtlicher Weile erschienen seyn: mit
der Ermahnung, nichts zu fürchten; sie selbst habe den Stein in sein
Lager gesetzt. Und siehe! den andern Morgen fand sich die Sache wirk-
lich; der Stein schien durch seine eigene Schwere in seine richtige Lage
eingepafst zu seyn."
Hierüber bleibt uns zu bemerken:
i) Ich lese anstatt molli clivo , Avie jetzt in den gewöhnlichen Ausgaben
steht, itiolli pulvino, wie ältere Lesearten geben. Das clivo, anstatt pulvino, hat
sich durch eine ungeschickte Vorstellung, die sich die Ausleger von der hier
beschriebenen Veranstaltung machten, in den Text eingesclilichen. Sie meinten,
man hatte einen ganzen Berg von Sandsäcken bis über die Säulenhöhe aufge-
thürmt und so allmählig die Hauptbalken gleichsam hinaufgewälzt. Allein ge-
setzt auch, man wäre damals noch so weit in den mechanischen Kenntnissen
\ind Erfahrungen zurück gewesen, wie jene Ausleger sich einbildeten; würde
es nicht ungleich natürlicher gewesen seyn, die schiefe Fläche auf eine viel ein-
fachere Art aus Zimmerstücken zu construiren, als aus weiclien Sandsäcken ? imd
wenn es endlich blofs um das Hinaufbringen der Hauptbalken zu thun gewesen
wäre, warum die Anstalt, den Sand aus den Säcken allmählig ausrinnen zu
lassen?
Allein der Sinn des Plinius geht hier nicht auf das Hinaufbringen,
sondern auf das Auflegen der Hauptbalken. Die Schwierigkeit war, Haupt-
35
balken von so grofser Masse, nachdem sie schon aufgezogen über den Säulen-
kapitalen schwebten, so passend auf ihr Lager niederzusenken, damit sie nicht
etwa durch ein plötzliches Aufstofsen die Säulenkapitäle und sich selbst zer-
triimmern möchten. Dies nun zu verhindern und die Balken so sachte -wie
möglich in ihre Lager sinken zu lassen , hatte der Architekt den sinnreichen
Einfall, die Polsterung mit den Sandsäcken zu veranstalten. Wahrscheinlich ge-
schah dies durch eine Art Gerüste, welches er in den Za'v ischenweiten der Säu-
len aufbauete, um die Sandsäcke darauf aufzuschichten. Dies und nichts an-
ders, scheint mir, soll der Text des Plinius ausdrücken.
2) Wird allerdings kein Mechaniker mit all den Kenntnissen, die wir heute
in den mechanischen AVissenschaften besitzen, das Auflegen solcher Massen für
leicht halten. Jeder, von einer INIitte der Säule zur andern gemessen, war
29 Fufs 7 Zoll lang; die untere Breite betrug 6 Fufs 6 Zoll und die obere
Breite 7 Fufs 6 Zoll, und die Höhe wenigstens 5 Fufs.
Der Hauptbalken über der mittelsten Zwischenweite an den Fronten betrug
an Länge 51 Fufs 8 Zoll, und über den EckzAvischenweiten 35 Fufs 4. Zoll.
Auffallen mag es, was Plinius sagt: das Auflegen des Sturzes als der
gröfsten blasse über die ThüröiFnung, habe die meiste Schwierigkeit verursacht.
Allein wenn wir nach den Vorschriften Vitruv's (4., 6.) die Verhältnisse der
ionischen Thüre in Höhe und Breite berechnen: so ergiebt sich eine solche
Breite, dafs der Sturz wirklich der betiächtlichste Block seyn mufste. Er er-
forderte eine Länge von 4.1 Fufs, nämlich 33 Fufs im Lichten und von jeder
Seite 4- Fufs zui* Auflage über die Thürpfosten. Die Breite desselben betrug
6 Fufs, und die Höhe — da Sturz und Fries (Sujjerciliuin und HyperthyTum)
immer aus Einem Block gemacht zii werden pflegten — 8 Fufs. Man sieht
5 *
36
also, dafs Plinius keine Abgeschmacklheit niederschrieL. Uebrigens wird mau
ilim die Ueberlieferxmg der Anekdote in Hinsicht der Aengstlichkeit des Künst-
lers lind der Erscheinung der Göttin im Traume gerne vergeben ; denn es ist
im Geiste aller Völker und Zeiten das natürlich Bewunderungswerthe immer
noch mehr durch das Uebernatürliche erhöhen zu Avollen.
Durchschnitt des Tempels nach der Breite. Taf. III.
Der Durchschnitt zeiget die Anordnung der beiden Säulenreihen übereinan-
der im Innern, und die Einrichtung des Deckenwerks und der Dachung.
Icli nehme liber der ersten Ordnung im Innern eine Gallerie an, obwohl
Vitruv von einer solchen Einrichtung nichts saget, und auch der Hypaethros
zu Paestum keine gehabt zu haben scheinet. Eine solche Gallerie aber hatte
der Tempel Jupiters zu Olympia ^^); und diese Einrichtung gewährte den
wesentliclien Vortheil, erstlicli bei Feierlichkeiten eine gröfsere Menge Men-
schen im Innern zu fassen, und zweitens einen Theil der Weihgeschenke ge-
hörig aufzustellen. Die obern Säulen haben zu den untern das Verhältnifs,
welches Vitruv (5, 7. und C, 5.) in solchen Fällen vorschreibt.
In Rücksiclit des Deckenwerks nehme ich an, dafs sowohl das im Pteroma,
3 2) Paus. 5, 10.
57
als das der untern Ordnung im Innern ganz von Stein var, so wie wir die?
bei noch vorhandenen Monumenten -wahrnehmen ^^).
Vitruv (2, 11.) scheint zwar diesem zu -widersprechen, denn er redet von
Decken aus Zedernholz, welclie im ephesischen Tempel vorhanden waren. Dies
mochte aber blofs die Decke der obern Ordnung im Innern, und dann haupt-
sächlich die Decken in der Vorzelle und in der Nachzelle betreffen. Mit
Sclnvelleii von Holz mufste aucli die steinerne Decke im Pteroma überlegt
werden, tun das Sparrwerk des Daches, so wie der Durchschnitt Taf. III. zei-
get, gehörig zu richten.
Da der Tempel zu der Gattung der Hypaethren gehörte und also das
Hauptschiff in der Zelle unbedeckt war, haben wir zu dem Durchschnitt noch
einen besondern Plan der ganzen Dachung Taf. III. D. gegeben, um sich hie-
von einen desto deutlichem Begriff zw machen. Es hat Neuere gegeben, welche
sich beikommen liefsen zu glauben, die Hypaethren hätten keine hohe, sondern eine
flache Dachung gehabt. Gründe hiefür werden nicht angegeben. Indessen klingt eine
solche Behaiiptxing um so seltsamer, da die Giebel an der Vorder- und Hinter-
seite des Tempels angenommen -werden. Und woher anders haben die Giebel
ilire Entstehimg, als von der Dachung mit zwei Seitenabhängen? Uebrigen?
sagt Plinius (iG, 79.) ausdrücklich, dafs die Daclmng des Dianatempels von
Ephesiis aus Zedernbalken Avarj und als Augenzeuge fügen wir noch bei: dafs
man jetzt noch an den innern Seiten der beiden Giebel am Hypaelhros 7A\
Paestum die Lager (cuhiliaj wahrnimmt, wo ehedem die Köpfe der Fetten
33) Siehe Stuart antiq. of Athent Tom. IL den Tempel des Theseus und das forum
Neruae zu Rom: Dcsgodetz pag. 14Ö.
38
(tenijyln) eingilfTen. Ueberhaiipt existirt kein Beispiel eines alten Tempels, der
ohne eine erhöhte Dachung, entweder in Holz, oder in Wölbung gewesen wäre.
Gewölbt -w-iirden aber in der Regel nur die runden Tempel, deren die Griechen
vind selbst die Römer nur wenige und gröfstentheils von geringem Umfange
hatten. Das Pantheon in Rom macht hievon die grofse Ausnahme.
Bildwerke und andere Auszierungen des Tempels.
Ueber die Bildwerke und andere Auszierungen, sey es im Aeufsem, sey es
im Innern dieses berühmten Tempels, haben wir wenig Nachrichten. Plinius
sao^t blofs: dafs die übrigen Zierden des Tempels hinreichenden StoiF für meh-
rere Bücher enthielten ^'^).
Welche Verzierungen der Fries hatte, und welche Bildwerke im Giebelfelde
und auf den Uebersätzen der Vorseite sowohl als Rückseite angebraclit waren,
davon finden wir keine Angabe.
Zur Aussclimückung der Zeichnungen wählten wir für die Acroteria der
Vorseite die Diana als Jägerin in der Mitte, und ihre Hirsche auf den Seiten
rechts imd links. Auf solche Art kommt die Göttin oft auf den ephesischen
Münzen vor. Im Giebelfelde erscheint der Kampf des Theseus mit den Ama-
zonen, wobei der Tod der Antiopa in den Armen des Theseus die Hauptgruppe
macht; theils weil nach der Sage die Amazonen den ursprünglichen Tempel
3 4) Life. 36, 21. Ceterti ejui operis onuirrcnta plurium Uhroriim instar oltinent.
39
der Göttin erbaut haben sollen, theils weil die Jonier eine attische Kolonie
sind, lind Athen der Ort ist, wo die Hauptfabeln der Amazonen miihingehören.
Ueberdem war es bei der Auszierung der Tempel eine gewöhnliche Sache, die
vaterländischen Mythen zu benutzen.
Auf den Acroterien des hintern Giebels, dargestellt auf der Taf. III. und in
der perspektivischen Zeichnung ^ ') , erscheint die Diana als Luna in der Mitte,
und auf den Seiten rechts und links ihr nächtliches Gespann, die Kühe. Wir
haben nach Herodot (1,92.) berichtet, dafs unter den Weihgeschenken, welche
Croesus der Göltin darbrachte, auch goldene Kühe waren. Wo diese aufge-
stellt -wurden, wird nicht angegeben. Als Uebersätze auf den Ecken des Gie-
bels -würden sie indessen nicht sclilecht gelassen haben. Niu" die grofse Kolos-
salität, welche dieselben zu diesem Zwecke nothwendig haben miifslen und die
kostbare Materie, könnten hierüber Zweifel erregen. Wenn man aber die rei-
chen Geschenke bedenkt, welclie nach Herodot (1, 50.) derselbe König dem
Tempel zu Delphi machte, so verschwindet gewissermafsen die Unwahrschein-
lichkeit. Diese Geschenke bestanden zum Theil in goldenen Ziegeln und in
einem goldenen Löwen, deren ungeheueres Gewicht angegeben ist, mit der Be-
merkung, dafs der Löwe über den goldenen Ziegeln aufgestellt war und im
Brande des Tempels davon herabfiel. Höchst Avahrsclieinlich diente also dieser
Löwe auch als Acroterium auf dem Giebel des Delphischen Tempels.
3S) Diese Zeichnung konnte wegen ihrer Gröfse nicht mit den andern Rissen zu der Ab-
handlung gegeben werden. Der Verleger, Herr Weifs, hat sie aber durch einen geschickten
Kiinstler in Zeichnungsmanier stechen lassen, um sie einzeln zu verkaufen. Die Freunde der
Kun^t und des Akerthums werden nicht leicht einen Gegenstand finden, der, auch von Seite
seiner Ausführung als Kupferstich — mehr wie dieser geeignet seyn dürfte, einen Platz an der
Wand ihrer Wohnzimmer einzunehmen.
40
In Rücksicht der Auszierungen im Innern finden wir da und dort Kunst-
werke angegeben, -welche beweisen, dafs der Tempel wegen der darin aufge-
stellten Bildwerke und Malereien der grofsen Meister nicht weniger merkwürdig
war, als seines grofsen und kühnen Baues wegen.
Man sah darin Gemälde von Apelles, worunter sein Alexander, für wel-
chen er zwanzig Talenten erhielt: dann von Euphranor, Nicias und Ti-
marete, der Tochter Micon's.
Man bewunderte darin Bildwerke in jeder Art von Materie imd von den
berühmtesten Händen in der blühendsten Epoche der Kunst: als die Amazonen
von Pliidias,Polyclet, Ktesilaus, Cydon, Phradmon: den Apollo des
Myron, die Hecate des Menestratus, mehrere Werke von Praxiteles
und Gefäfse von Mentor.
Das malte Bild der Göttin, das unter diejenigen gehörte, von welchen das
Alterthum wähnte, sie wären vom Himmel gefallen, war nach einigen von Zedern - ,
nach andern von Eben- imd nach Mucian von Rebenholz ^ "), und hatte sich bis
auf die späteste Zeit erhalten. Indessen konnte es dem Zeitverhältnifs gemäfs
nur klein und unanselmlich seyn; und ward daher wahrscheinlich an einem
besondern Orte im Tempel aufbewahrt.
Das eigentliche Tempelbild mufste der Kolossalität des Tempelhauses ent-
sprechen; und aus einer Stelle bei Xenophon erfahren wir, dafs es von Gold
f^ebildet war. Denn er schreibt: dafs das Bild, welches er in dem bei Scillunte
von ihm erbauten Dianatempel aufstellen liefs, dem Bilde der cphesischen
Diana so gleiche, wie ein Bild von Zypressenholz einem von Golde gleichen
3Ö) rUn. 16, 79. J'"aruV. 2, 11.
4i
könne *'). Wahrscheinlich waren daran die nackten Theile von Elfenbein und
das GeAvand und andere Zierrathen von Gold.
Die Thürfliigel des Tempels Tiaren von Zypressenholz. Man -wählte diese
Hol/.art nicht nur -vvegen der Dauer, sondern auch veil es den Glanz nie ver-
liert. Diese Thüren halten nach vierhundert Jahren noch das Ansehen der
Neuheit. Plinius fügt bei dieser Gelegenheit bei: „Es sey noch zu bemer-
ken, dafs diese Thürfliigel vier Jahre lang in den Leinifugen gewesen seyen" ^ ^).
Dafs zusammengeleimte Bohlenstücke durch vier Jahie in den Fugen hal-
ten, ist doch Avohl nichts merkwürdiges. Offenbar ist also hier -wieder ein
Verstofs im Text; und aus dem Zusammenhange ergiebt sich, dafs qundrmgcntis
annis anstatt quadriennio zu lesen sey. Dergestalt ist es allerdings bemerkens-
werth, dafs das Zypressenholz an den Thüren des ephesischen Tempels nach
einem Zeitraum von vierhundert Jahren niclit allein Avie neu aussali, sondern
auch noch keine Trenmmg der Leimfugen daran "wahrzunehmen -war. Dieser
Thüren gedenkt auch Theophrast {de Plantis 5, 5.) mit der Bemerkung, dafs
das Z^^ressenholz, aus dem man die Thüren des neuen Tempels verfertigte,
bereits durch vier Menschenalter (also durch hundert z-wei und dreifsig Jahre)
aufbewahrt gewesen sey. Man sieht also hieraus , dafs die Alten zu allerlei Be-
dürfnissen VoiTäthe von Baiihölzern machten, um bei vorkommenden Aibeiten
gutes und vollkommen trockenes Holz zu haben. Das Zypressenholz der Thü-
ren am ephesischen Tempel, wovon Plinius sagt, dafs es zu seiner Zeit noch
■wie neu ausgesehen habe, war also über fünfhundert Jahre vorher gefallt.
373 De Cyri expeä. 5, 5. §. 7. et seq.
3 9) Lib. 16, c. 79. „i'ff tjuoque notandum, valvns in glutiiiis compage quadriennio fuissc."
6
4'2
In Plinius Zeilen Avar auch eine Treppe, die nacli der Dacliung führte,
im cphesisclien Tempel vorlianden , •\'\'elclie nacli der Sage aus Einem cyprischen
Weinstock gemacht Avar ^ '). Wir haben im Grundrifs , um zu den Gallericn
zu komiuen, zwei Treppen gezeichnet. Walirscheinlich Avar die Treppe, deren
Stufen aus Einem Weinstock bestanden, erst über den Gallerien angelest.
Man sieht also, dafs selbst die verschiedenen Holzarten, die man ge-
brauchte, zur MerkAvürdigkeit dieses berühmten Baues beitragen nrufsten.
So stand dieses Heiligtimm, als die Zierde der ionischen Küsten, als die
BevATinderung der gebildetsten Völker und als der Triumph der vereinigten
Künste seit seiner Wiederherstellung unter Alexander dem Grofsen bis auf
Gallienus nahe an sechshundert Jahre uuA'ersehrt. Unter diesem Kaiser drang
eine Abtlieilung Gothen von der Donau lier in Asien ein, Avelchc den Tempel
der Diana zu Ephesus beraubten und A^erbrannten '*°).
Dafs der Tempel nach dieser Zerstörung Avieder erneuert Avorden sey, ist
nicht bekannt imd auch nicht Avahrscheinlich. Theils A^ ar das römische Reich
schon zu sehr zerrüttet; tlieils hatte der Eifer für die alten Heiligthümer durch
die immer mehr sich A^crbreitende Reliiiion der Chrisiianer sehr nachirolasscn :
3 9) Lil). 14, c. 2. Etiam nunc scalis tectum Ephesiae Diaiiae scaridicur una e vice cypria,
ut fcrunt etc.
40) Treh. VoUionh GnUienl duo Cajj. VI. Scythae — hoc est pars Gothorum Asiam vasta-
hant, tunc etiam templum Diunae ILphesiae dispoliatum et inccnsum est; cujus opes fama in po-
pulos satis notae.
43
obwohl früher das ephesische Helligthum als einer der bewährtesten Standhalter
des sinkenden Polytheismus anzusehen war, wie folgender Vorgang in der
Apostelgeschichte beweiset '*').
Paulus Iclute zu Ephesus und hatte sich bereits einiiren Anhans verschafft,
als plötzlich ein Silberarbeiter, Namens Denietrius, mit seinen Zunftgenossen
einen Aufstand gegen ilm imd seine AnliJinger erregte. Die Silberaibeiter zoo'en
nämlich einen ansehnlichen Gewinn von den Verehrern der grofsen Göttin durch
Verfertigung kleiner silberner Modelle des Tempels: und ahneten nun, dafs
durch diese Neuerer die Göttin ihr Ansehen und sie damit iluen Vorlheil ver-
lieren könnten. Der Aufstand ward indessen beigelegt. Aber Paulus schien
zu fühlen, dafs man den Kampf gegen das alte religiöse System nicbt an sol-
chen Orten beginnen müsse, wo das Interesse der Einwohner mit den bestehen-
den Heiligthümem so eng verbunden ist. Er verliefs Ephesus und begab sich
nach Griechenland.
Unter Gallienus also entschwindet dieses Denkmal des menschlichen Geistes
dem Auge des Forschers: und für Reisende ist jetzt kaiun die Spur, wo es ehe-
dem stand, erkennbar '*^). Aber es lebt in der Geschichte; schnell und kühn
entwickelten sich die Forlschritte der giiechischen Kunst durch dasselbe. Es
war das erste Gebäude, an dem man die ionische Anmuth erblickte; bis dahin
herrschte der Ernst der dorischen Bauart ausschliefslich.
Vor diesem Bau sah man nur Säulenschäfte unter sechs Durcluiieeser hoch,
mit starker kegelförmiger Verjüngung und allgemein mit sehr engen Zwischen-
Al) Cap. 19.
4 2) Chandler's Reisen in Kleinasien, Kap. 3O uncl 59.
44
■weiten. Das Gebälke Avar im Verhältnifs zu den Säulen selir hoch: und alles
liatte noch ein schwerfälliges und strozzendes Ansehen.
Aiif einmal erschien die Kiihnheit eines Meisters, der die Höhe der Säulen
auf acht Durchmesser setzte, den Schaft nur lun ein Siebentel verjüngte, und
tintreachtet des so kühn erhöhten Säulenmaafses die Zwischenweite auf drei
Säulendicken brachte. Im Sinne dieser leichtern Verhältnisse ward deiu Säuleu-
schaft eine zierliche Base untergelegt, und das Kapital erhielt einen neuen
Schmuck durch Beifügiuig der Schnecken und der Polster, welches nicht lange
nachher die Veranlassung zu einem dritten, dem korinthischen, Kapital gab.
Das Gebälke verlor zwar nichts an seiner Höhe, aber im Verhältnifs zum Säulen-
stamm verlor es das Schwerfällige und Drückende. Die Triglyphen sammt den
hängenden Dielenköpfen verschwanden und jeder andere Theil des Gebälkes
schlofs, um ein harmonisches Ganzes zu bilden, in seinen Verzienmgen sich
näher an den Schmuck der Säule an.
Auf diese Weise bliihte eine neue, kühnere und freundlichere Bauart an
der Seite der altern ernstern Schwester, der dorischen, auf, und erweckt durch
den Geist Ktesiphon's, trat nicht lange nachher die schmuckvolle hohe
korinthische hinzu. Dieses Dreipaar sclilofs den geheimnifsvollen heiligen Kreis
des Aichitektonisch- Schönen.
Mit- und Nachwelt luildigte diesem Dreipaar, so lange Griechen und Rö-
mer Avaren. Aber mit dem Verfall des römischen Reiches entAvich es mit an-
dern Schwesterkünsten auch vom Erdboden. Durch mehr als tausend Jahre
Iiauste der Dämon der Finstcrnifs und des Ungeschmackes — bis im fimfzehn-
ten Jalirlumdcrt die Morgenröthe besserer Zeiten wieder erschien. Seit Bru-
nellesclii hat es nie an eifrigen Arbeitern gefehlt, das Heiligthum des
45
schAvesteiiichen Dreipaars aus clen Ruinen und den Schriften Vitruv's wieder
herzustellen. Aber noch immer stehen wir an der Scliwelle, und noch keinem
eelans es, uns in das Innere des Heiligthums einzufiihren. Noch hat die Bau-
kunst jene volle Amnuth und Würde nicht Avieder erhalten, wie sie der giie-
chische Genius aufstellte. Sell)st in unsern Tagen spixkt das Ungethüm des
Mittelalters wieder mehr als jemals in den Köpfen: und es scheint fast, dafs
die Gothen, welche das Heiligthum zerstörten, melir Anhänger zählten, als die
Jonier, welche es erbauten. Doch was kümmert iins Unwissenheit iind Unge-
schmack ! —
In doppelter Hinsicht gehört der Tempel der ephesischen Göttin itnter die
Wunder der Welt. In Gröfse, besonders in Gröfse der einzelnen Massen, in
Pracht und in Aufwand wetteiferte er mit allem dem, was Aegypten früher und
Griechenland und Rom später hervorbrachten.
In ästhetischer Hinsicht erscheint er als ein Wunder hoher Kraft, wodurch
die Baukunst, als scliöne Kunst, sich schnell zum Gipfel ihrer Vollendung
empor schwang. Was der Kanon Polyklet's für die Bildner, was die Um-
risse des Parrhasius fiir die Maler waren; eben das und noch mehr war der
ephesische Bau Ktesiphon's für die Baukünstler.
Eure Werke , gröfse Genien ! sind von der Erde verschA^imden. Eure
Werke waren, als Kinder der Zeit, vergänglich. Aber Ihr lebt in der Ge-
schichte; der himmlische Funken, der Euch beseelte, kreiset fort im Laufe der
Zeit. Ihr lebt in den Ueberresten derer, die Euch nacheiferten, die aus dem
Quell Eurer Lehre tranken. — Ilu: lebt noch in den Werken der Künstler
unserer Tage; imd so grofs auch immer der Abstand unserer Produkte zu den
Euern scyn mag; so sind wir* doch, A^as wir sind, nur durch Euch. —
46
Icli schliefse; tind indem ich diesen Aufsatz mit den dazu gehörigen
Rissen bei den Akten dieser ruhmvollen Gesellschaft niederlege, fühle ich mich
in dem behaglichen Zustand eines Fie.^laurators, der, unfähig etwas Eigenes
hervorzubringen, ein theils durch Zeit verwischtes, tlieils durch Rauch und
Schmuz bedecktes Gemälde irgend eines Raphael's herzustellen sich bemüliet;
und, indem er jetzt durch das Reinigen einzelner Stellen, jetzt durch Rci-
fügung einiger Pinselstriche, jetzt durch den Auftrag eines neuen Firnisses
nach und nach die Grundzüge des ehemaligen Rildes -wieder herstellet, einen
Augenblick in dem glücklichen Wahn lebet, nicht blofs der Retter, sondern
gleichsam der neue Schöpfer des alten IMeistei"\verkes zu seyn.
47
Ueber die Bedeckung des Hypaetliros.
Siehe S. 24.
ötuart (nntiq. of Athens Tom. II. p. 8-J ist der erste, der die angezeigte
Stelle im Pausanias eben so versteht, -wie ich sie hier nehme. Andere Avis-
leger sind aber nicht von dieser Meinung, und glauben: Pausanias wolle
Llofs von Vorhängen sprechen, mit denen man die Statuen der Götter bedeckte,
und die man aufziehen oder herablassen mufste, wenn mau die Bilder sehen
wollte. Ware dies die wahre Auslegung; so ■würde ein Hauptgrund, dafs der
Tempel der Diana zu Ephesus ein Hypaethros gewesen sey, wegfallen; und der
einzige Grund, dafs der Tempel zu der Gattung Hypaethros gehörte, würde auf
der Menge der Säulen beruhen, die er enthielt.
Die Sache verdient eine nähere Erwäsuns.
i) Die Alten nannten die Teppiche, mit denen sie die freien Räume in
den Theatern, Amphitheatern, Vorliöfen der Tempel u. s. w. überspannten, um
die Zuschauer gegen Regen oder die Stralen der Sonne zu schützen, im Griechi-
schen TraociTTSTaa-fJMTa imd auch ttsttKoi.
Unter den Stellen des Dio Cassius, wo die erste Benennung in diesem
Sinne vorkommt, wollen Aiir nur z-\i ei berühren. Erstlicli, wo er von der
48
Pracht der Spiele, welche Jul. Caesar dem Volke gab, sprechend sagt: (1. 4.3,
24.) dafs die Teppiche, welche zum Schutz gegen die Sonne über den Schau-
platz gezogen ^'v^^rden, von Seide waren; und zweitens, wo er berichtet
(1. 65, C), dafs Nero das Tlieater mit purpurfarbenen Decken überspaimen
liefs welche mit goldenen Sternen und in der Mitte mit dem Bildnisse dieses
Kaisers, den Wagen leitend, geziert waren.
Dafs solche Ueberhänge auch unter dem Namen tTSTTKoi vorkoiumen , davon
zeuget eine Stelle im Ion des Euripides (V^ers iic8 bis 1165.) Xuthus
will des wieder gefundenen Sohnes wegen das ganze Volk von Delphi in dem
Vorhofe des Apollotempels bewirlhen, und befiehlt daher denr Ion, ein giofses
Zelt auf dem nicht mit Mauern umgebenen Vorplätze des Tempels zu errich-
ten um die brennenden Stralen der INIittass - und Abendsonne abzuhalten,
wenn das Volk zum Mahle versammelt seyn würde. Zu diesem Zwecke wur-
den zuerst die nöthigen hölzern Stützen errichtet. Darauf holte Ion aus dem
Tempelschatze die heiligen Teppiche (uCPafTitAaT« Jf^a) und breitete dann erstlich
die Flücrel der Ge%'\ande (^Tf^uya ttsttKoov) zur Dachung liber das Zelt aus.
Diese werden nun als Weihgeschenke des Hercules, die er von den Amazonen
eibeulet hatte, näher beschrieben. Das Ganze stellte den Himmel vor: an
einem Ende sah man den sich senkenden Sonnengott; in der Mitte er-
schien die Göttin der Nacht auf ihrem Wagen mit den Gestirnen, die sie be-
gleiteten, den Pleiadcn, dem Orion, dem Büren; und dann tiefer die vollauf-
o^ehende Mondgöttin; endlich sah man an dem der untergehenden Sonne ent-
£-ecren<^esetzten Rande die aufgehende Göttin der Morgenrothe, die Gestirne
■wieder vertreibend. Das gesammte Gemälde des Ueberhanges stellte also drei
Momente vor: die untergehende Sonne am westlichen Ende, die Naclit mit
49
den Gestirnen und dem Vollmonde in der Glitte und die ZMorgenröthe am öst-
lichen Rande des Himmels.
Nachdem die Tcppiche, Melclie die Ueberdecltung des Zeltes bildeten, auf
genannte Weise beschrieben sind; %verden die Gewebe angegeben, mit denen
die Wände oder Seiten des Zeltes bekleidet -wiuden. Auf diesen Maren Ruder-
schiffe fremder Völker eingewirkt, die gegen die Griechen gerichtet waren, und
halbwilde Menschen und Jäger zu Pferde mit erjagten Hirschen und Löwen.
Am Eingange des Zeltes endlich hieng ein Teppich, auf welchem der schlan^en-
füfsige Cecrops mit seinen Töchtern eingewirkt war, das Weihgeschenk eines
Atheners.
Zusammenliängender und deutlicher, scheint es, läfst sich ein Zelt nach
seinen Haupttheilen nicht beschreiben. Erstlich werden die hölzernen Pfosten,
dann die Teppiche zum Ueberhange, dann die der Wände und endlich der
Teppich am Eingange erAvähnt. Weiter ziehe man die Gegenstände, Avelche
auf den Teppichen eingewirkt waren, in Betracht. Die Seiten^■^ ände stellen
Seegefechte und Jagden vor, der Voihang am Eingange eine Familienscene und
die Ueberhange solche Gegenstände, welche nur obenvärts erscheinen; die
untergehende Sonne, die Nacht, der Mond, die Gestirne, die Morgenröthe
sinnbildlich dargestellt. Dies, däucht uns, mufs für jeden, der fiir das Schick-
liche in der Kunst Sinn hat, klar und entscheidend seyn.
Dafs 7VZ7ftsSi(i zuweilen eiiae solche Ueberhangdecke bedeute, geht auch
aus Pollux (7, 15.) hervor. Er sagt:
„Der Gebrauch des Peplus ist zweifach: zum Anziehen und zum
Ueberdecken; dafs es eine Ueberdecke andeute, kann man aus den ttsttKoi der
Minerva schliefsen."
7
50
c) Sollten tlie Ueberliangtcppiclie, ^velche bei den Griechen bald TTa^ct-
TTSTairiJUTU , bald tTsttKoi lücfsen, und ziir Ueberschattung der Theater, Amphi-
theater und der Tempelvorhöfe gebraucht Avurden, niclit auch zur Ueber-
deckung der oiFenen Räume im Innern der Tempel gedient liaben ? — ^Ver
möchte daran z.-\veifeln? Auch die Tempel hatten ihre festlichen Tage, ^vo sie
der Ueberschattung iind folglich der Ueberhänge bedurften, -welclie den offenen
Raum der Zelle überdeckten. Fafst man die angeführte Stelle des Euripides
recht in's Auge, so dilrfte man darin selbst den Beweis für die Tempelüber-
hänge finden. Man bemerke nur, dafs Ion die Teppiche aus dem Tempel-
schatze liolt; und zweitens, dafs Hercules sie denr Gotte Avcihte. JNIan
pflegte also den Göttern solche Ucbejliänge als Weihgeschenke darzubringen
und sie in dem Tempelschatze aufzul)e-\-i'ahren. Und zu welchem Zwecke?
Natürlich doch, um sich derselben an bestimmten festlichen Tagen zu be-
dienen.
Manche hielten bis jetzt den berühmten Peplus, den die vornehmsten
athenischen Jungfrauen für ihre Schutzgöttin verfertigten, für ein GeAvand, das
man der Statue der Minerva an ihren Festen anzog; und man scliien dabei fast
ganz zu verfressen, dafs die Statue der Götlin ein Gewand von gesclilajrencm
Golde hatte \ind dafs sich über ein Statuengewand kein anderes Gewand an-
ziehen läfst, ohne das Bild zum lächerlichsten Unding auszustopfen. Hätte man
die angezeigte Stelle inr Pollux näher in Erwägung gezogen, so viirde mau
früher von dem Irrthum, dafs ein solclier Peplus ein Ge-\-^and zum Anziehen
gewesen sey, zurückgekommen seyn und ihn für das gehalten haben, wozu er
allein verninifLig dienen konnte, nänilicli für einen Ueberhang zur Beschattung
des offenen Raumes in der Zelle an den festlichen Ta^en der Göttin. Selbst
5i
Enripidcs sclieint in cler angeführten Stelle nicht unklar auf diese Pracht-
teppiche der athenischen Schutzgötlin anzuspielen. Die Darstellung der Schiffe
der Barbaren, -\velclie gegen die der Griechen gerichtet sind, auf -was konnte
sie anders gehen, als auf die Schlacht bei Salaiuin? Auch fallt in die beste Zeit
des Euripides die Vollendung und Weihe des Parthenon, in dessen Ueber-
restcn -wir noch erkennen, dafs es ein Ilypaethros war. Leicht mochte also
Euripides eine solche Gelegenheit ergreifen, in seinem neuesten Stück Ion,
vclclies in so vieler Rücksicht angenehm für die Athener seyn nrufste, auf die
Pracht und Festlichkeiten des neuen Tempels anzuspielen; und leicht mochte
man also in Athen damals -wirklich sehen, ^as fiir den Schauplatz zu Delphi
blofs gedichtet Avard.
Nachdem Avir nun alles dies vorausgeschickt haben, kommen Avir auf die
Stelle im Pausanias zurück.
Gleich dem Parthenon, gehörten auch das 01)-mpium und das Artemisium zu
der Tempelgattung Plypaetlrros. Den Prachtteppich, welchen Antioclms in dem
Olympium weihte, heifst bei Pausanias Tta^aTrsTafriia , ein Wort, welches, wie
Avir sahen, bei Dio Cassius mehmial in der Bedeutung von Ueberhang, um
einen offenen Platz zu beschatten, vorkommt. Dafs dieses Wort hier blofs
einen Vorliang bedeute, der vor die Statue des Gottes gehangen wurde, ist
keinesAveges Avahrscheinlich. Hier ist von keinem geheimen Gottesdienst die
Rede, um die Ansicht der Statue den Augen der Profanen zu entzielien: und
der Grimd, sie gegen Staub zu schützen, ist zu unljedeutcnd, lun ilni ernstliaft
in Anschlag zu bringen. Von einer Statue von harten Massen lafst sich der
Staub mit einem Wedel leicht wegfegen.
Aber angenommen, dafs im Tempel zu Olympia wirklich ein solcher"' Vor-
7 *
52
hang da >var, so miifste derselbe zu diesem Zwecke immer vorhanden seyn.
Nun Mar der Teppich, von dem Tansanias spricht, ein Weiligeschenk des
Antiochus von Syrien (von welchem Antiochus ist hier ziemlich gleich-
giltig). Auf jeden Fall mufste der Tcppich nahe an zweihundert Jahre alt seyn,
als ihn Pausanias sah. Allein welche Wahrscheinliclikeit hat es, dafs ein
solcher aus Wolle bestehender Teppich, dei- durch so lange Zeit in einem oiTe-
nen Tempel als Vorliang gedient haben sollte, noch zweihundert Jahre spater
habe vorhanden seyn können? Die Unmöglichkeit einer so langen Dauer eines
wollenen Stoffes unter solclicn Umständen ist in die Augen springend.
Weiter: Wie soll man sich den Mechanismus zum Hebexi und Fallenlassen
solcher grofsen Teppiche denken? Denn jede der beiden Statuen, die des Jupiter
sowohl, als die der Diana, mafs über 40 Fufs. Man antwortet: Bei dem Tem-
pel der Diana machte man es, wie bei u n s e r n Theatervorhängen : man veranstal-
tete unter dem über die Nische der Statue vorspringenden Dache die nöthige
Vorrichtung und zog dann den Vorhang auf. Dies liefse sich begreifen. —
Aber wie fieng man es im Olympium an, wo der Vorhang, wenn man die Statue
sehen wollte, niclit aufgezogen, sondern herabgelassen ■werden sollte? — Hier
antwortet man wieder: wie bei den Theatern der Alten, avo man die Vorhänge
nicht aufzog, sondern in eine Art Versenkung vor der Bühne niederfallen liefs.
Dagegen sperrt sich aber manches. Erstlich sielit jeder das Unschickliche
einer Versenkung in einem Prachttempel von der Hauptstatue der Gottheit
leicht ein, besonders im Olympium, welches auf einer morastigen Stelle erbaut
war, so dafs man um die Statue her Oel auf den Fufsboden giefsen mufste, um
das Elfenbein vor der Feuclitigkcit zu bewahren. Zweitens erwäge man eine
wollene kostbare Decke. Welch widrigen Anblick mufste ein ^-or den Füfsen
^"7
OD
liegender Teppich nicht machen, -wenn man die Statue sehen wollte? Und welche
Falten und Büge würde dadurch der StofF erhalten haben? — Aber man denke
sich auch die Vorrichtung, den Teppich im 'Herablassen auf eine Ait Walze
aufzuwinden, dafs er immer gespannt und ohne Falten bliebe; so könnte doch
dies bei einem so breiten und hohen Vorhange nicht ohne eine künstliche Ma-
schinerie geschehen, welches das Auf- und Herabwinden immer lan";sam und
umständlich gemacht hätte. Wie ist dies aber bei einer Statue denkbar, die
von Opfernden als ein Gegenstand der religiösen Verehrung und von Fremden
als ein Wunder der Kunst täglich besucht ward? —
Alle diese Bedenklichkeiten fallen weg, wenn wir annehmen, dafs Pausa-
nias keinen Vorhang, sondern einen Prachtteppich im Sinne gehabt habe, den
man gebrauchte, um an festlichen Tagen das Hypaethron des Tempels zu über-
decken. Erstlich mufste der Tempel als ein Hypaethros mit solchen Teppichen
versehen gewesen seyn ; zweitens waren es eben die Teppiche dieser Art, ■welche,
wie aus dem oben angeführten hervorgeht, man mit grofser Pracht verzierte;
drittens, da aber solche Ueberhänge mu" an gewissen festlichen Tagen des Jahres
gebraucht MTirden imd die übrige Zeit in den Tempelschätzen aufbewahrt lagen ;
so läfst sich begreifen, ^vie ein solcher Teppich nach zweihundert Jalrren erhal-
ten seyn und noch als prachtvoll beschrieben werden konnte. Viertens war im
Tempelhavise zu Olympia selbst kein Raum für den Tempelschatz; sondern
hiezu waren aufser dem Tempel besondere Gebäude bestimmt; und daher war
es natürlich, dafs, wenn nach der Beendigung der festlichen Tage der Ueberhang
wieder weggenommen ward, man denselben an Stricken auf den Fufsboden her-
ablassen mufste, um ilm so zum Aufbewahren zusammenzuwickeln und Avegzu-
bringen. Bei dem Tempel der Diana von Ephesiis war die Einrichtung hierin
54
anders : die Scliatzkammern ■waren in dem Tempelliause selbst, und daher senkte
man die Ucberliangteppiclic bei der AVcgnalnne nicht auf den Fuftboden, son-
dern man zog sie aufwärts zu den in dem Dache angebrachten Luken, legte
sie unter dem Dache zusammen und bc^vahrte sie so an den für dieselben be-
stimmten Stellen. — Auf diese Verschiedenheit beider Tempel und auf nichts
anders, scheint mir, Avollte Tansanias in jener Stelle anspielen. Hier sehe man
seine Worte mit der — so ^ iel als erforderlich ist — ATÖrtlichen Uebersetzung:
v.ai ßap-fi TTo^Pv^ag r-t]Q '^omvjjyj, avs'^-.y.sv kvTioyyg to'jto ov/. sc to
av'ji TO 7ra^0LZsra<TiJ.a TT^og tov o^o'Pov, m^tts^ ys A^re[j.iSog r/jg E^£(7iag, avs7^-
y.ov(rr y-vAüj^iOic Ss sny^aK'jyjTsg, y.ad'iUG'iv sg to eJa^oj."
„In dem Tempel zu Olympia sclienkte Antiochus eine %vollene schön-
gezierte Decke von assyrischem Gewebe und in phönizischem Puipiu" ge-
färbt Diese Decke Avird nicht aufwärts zu der Dachung empor-
gezogen, \A'ie in dem Tempel der Diana zu Ephesus, sondern an Stricken
lieiabhissend, senken sie diesellje auf den FuXsboden nieder."
Die Stelle ist, Avie man sieht, allerdings an sich zu Avenig umständlich, um
apodiktisch zu behaupten, dafs Pausanias gerade dies damit habe andeuten
•VAollen, besonders da jetzt solche Einrichtungen und Gcliräuclie von uns so fern
sind. Aber alle Umstände und Nachrichten gehörig }nit einander verglichen,
glauben wir den Sinn, den "viir der Sache unterlegen, mit lioher Wahrscheinlich-
keit dargethan zu hal)cn. — Doch wollen wir fernerhin mit denen, welche
die Sache anders nehmen sollten, nicht hadern.
55
Maafse, sowohl des Ganzen, als der Tlieile von dem Tempel der
Diana von Ephesus.
A. Grundrifs.
1. Länge des Tempels - - 425-
2. Breite ----- 220'.
5. Säulendicke - - - - 7'. 6".
4. Breite der Base - - . 10'. 2".
5. Vorsprung der Base - - 1'. l\'.
6. Säulenzwischenweite - - 22'. 1".
7. Mittelste Zwischenweite an der
Vorder- und Hinterseite - 24'- 2".
8- Länge des Tempelhauses - 305'. 4"'
9. Breite mit Inbegriff der Eck-
pfeiler ----- 98'. 4'-
10. Tiefe der Vorzelle - - 88'- 9"-
11. Länge der Zelle mit Inbegriff
der Scheidewand zwischen Zelle
und Vorzelle - - - 147'- — \
12.
16.
17-
18-
»9-
I 20.
i"-
Breite der Zelle - - -
Breite des mittlem Schiffes mit
Inbegriff der Sänlenstelhmg -
Breite der Seitengänge -
Dicke der Säulen (11 an der
Zahl).
Säulenzwischenweite
Tiefe der Nische fiir das Teni-
pelbild - - - -
Breite der Nische - - -
Breite der Hanptthi'ire
Breite der Thiirpfosten -
Tiefe der Nachzelle mit Inbe-
griff des Raumes für die Trep-
pen, fiir den Tempelhiiter, i\\t
die Nische - - - -
84'- 4".
52'. 4".
16'. —
4'- -
8'- —
15'.
50.
53'-
4'-
67'. 7"
5Ö
22. Vorsjjrung der äufsern Treppe
von zehn Stufen — jede Stufe
I Fufs breit - - - - lo'.
B. Aufrifs.
1. Treppe hoch - - -
2. Base hoch - - - -
3. Sänlenschaft ■ ■ -
4. Kapital hoch - . -
5. Das Gebälke hoch
6. Giebelhöhe - - - -
7. Uebersatz mit dem Bilde auf
der Mitte des Giebels
8- Uebersätze mit den Bildern auf
den Ecken des Giebels -
9. Volle Höhe der Haupt thiue -
10. Thiirhölie im Lichten -
5- —
5'- 9".
60'. —
25'-
27'.
24'.
G6'.
55'-
—
o ■
C. Durclischnilt nach der Breite
von der Linie o — p im
Grundrifs.
1. Säulengänge im Innern iiber
das mittlere Schiff um die Ba-
senplinthe erhöht - - - — g".
2. Höhe der Base ohne l'linthe - 1'. 4".
5. Höhe des untern Säulenschaftes 52'. —
4- Höhe des Kajjitäls - - 1'. ^".
5. Höhe des Gebälkes - - 7'. 6".
Obere Ordnung.
6. Base hoch - - - - 1'. 8"-
7. Höhe des Säulenschaftes - 27'. 4'.
8- Höhe des Kapitals - - 1'. 2".
9. Höhe des Gebälkes - - 6'. 4".
10. Die Statvie der Göttin hoch
11. Höhe des Postaments. -
48'.
7'.
.57
Erklärung der zum Tempel der Diana von Epliesus gehörigen
Zeichnungen.
Taf. I.
Der Grundrifs.
a) Das Pteronia, oder der Säulengang nni
den Tempel.
b) Die Vorzelle (Fronaos).
c) Das mittlere offene Schiff der Zelle.
d) Die Seitengänge der Zelle.
e) Die Nische fiir die Teinpelstatiie.
f) Die Hinterthüren , und die Treppen nach
den Gallerien.
g) Wohniing des Tenipelhiiters , und die i
Schatzkammern.
h) Die Nachzelle (Opischodomus).
i) Die änfsern Treppen.
Taf. II.
Der Aufrifs der Vorderansicht,
a) Die Treppe.
b) Die Base.
c) Der Säulenschaft.
d) Das Kapital.
e) Der Hauptbalken.
f) Der Fries.
g) Das Kranzgesinise.
h) Die Zellenmanem.
i) Der Sturz über dem Haupteingang.
k) Das Giebelfeld mit dem Relief, den Kampf
des Theseus mit den Amazonen vorstel-
lend.
1) Die Seiteniibersätze (acroceria) mit den
Hirschen.
m) Der mittelste Uebersatz mit der Diana
als Jägerin.
n) Ansicht der grofsen Nische mit der Tem-
pelstatue, die Diana als Mutter der Na-
tur vorstellend.
58
Taf. III.
D e r D 11 r c h s c h n i 1 1 des Tempels nach
iler Linie o — p im Grundrisse.
;i) Der Unterbau.
b) Die Säulen des Pteroma.
c) Das Gebälke.
d) Die steinernen Decken.
e) Die Zellenmauer.
f) Die imtere Säulenstellung in der Zelle.
g) Die Hinterthüren.
h) Die obere Säulenstellung.
i) Die Thüren nach der Gallerie.
k) Die grofse Nische mit der Tempelstatue.
1) Das Dachgerüste von Zedernholz.
m) Die Dachung, worin die Luken ange-
bracht waren zur Einziehung des Ueber-
hanges über das Hypaetliron.
n) Der üebersatz (acroterimn) auf der Mitte
des hintern Giebels, luit der Diana als
Luna, oder als nächtliche Göttin.
o) Uebersätze auf den Seiten desselben, mit
den Kühen
D. Plan der Dacliung über das
ganze Tempelhaus.
a) Der offene Raum über der Zelle.
b) Die Uebersätze der Vorderseite.
c) Die Uebersätze der Hinterseite.
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